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Vorwort zur 2. Auflage Fünf Jahre sind im öffentlichen Wirtschaftsrecht eine lange Zeit. Alle
Beiträge sind für die vorliegende zweite Auflage des Handbuchs des öffentlichen Wirtschaftsrechts grundlegend überarbeitet, viele vollständig neu geschrieben worden. Gegenüber der ersten Auflage konnten einige besonders schmerzhafte Lücken durch neue Beiträge geschlossen werden. So ist dem Wettbewerbsrecht nunmehr ein eigener Teil des Handbuchs gewidmet. Dass trotzdem manches immer noch vermisst werden wird (das Arzneimittelrecht etwa ist ein Vorhaben, das einer dritten Auflage vorbehalten bleibt), ist der Komplexität der Gesamtmaterie geschuldet. Auch in der zweiten Auflage ist das Handbuch, wie wir das schon zur ersten Auflage festgehalten haben, „work in progress“, das sich in Entwicklungsschritten einer möglichst umfassenden Gesamtdarstellung annähert. Rechtswissenschaftliche Systembildung dient in erster Linie der Ordnung. Über die mit der Systembildung verbundene Abstraktionsleistung wird in der Masse der Rechtsvorschriften Komplexität reduziert und die rechtspraktische wie rechtswissenschaftliche Arbeit mit dem Gegenstand erst ermöglicht. Welche Ordnungskriterien zur Systembildung herangezogen werden, ist eine im Hinblick auf den zu ordnenden Gegenstand, hier das öffentliche Wirtschaftsrecht, zu beurteilende Zweckmäßigkeitsfrage, die sich an Kriterien wie Widerspruchsfreiheit, Abgrenzungsfähigkeit und Erklärungswert orientiert. Eine derartige wissenschaftliche Systembildung beinhaltet aber, manchmal mehr, manchmal weniger, auch eine Aussage über Funktionalität und Entwicklungsperspektive des systematisierten Rechtsgebiets. In diesem Sinn hat Systembildung neben ihrer deskriptiven auch eine nicht zu unterschätzende normative Bedeutung. Wenn das öffentliche Wirtschaftsrecht wie in diesem Handbuch nicht nach den Kategorien „europäisches“ und „innerstaatliches“ Wirtschaftsrecht geordnet wird, so transportiert diese Systembildung die Einschätzung, dass diese Unterscheidung beim heutigen Stand der Integration des öffentlichen Wirtschaftsrechts in einer dynamischen Perspektive kein zukunftsorientiertes Instrument zur Beherrschung des Gegenstandes darstellt. Je mehr und vor allem je grundsätzlicher ein Rechtsgebiet im Fluss ist, desto volatiler wird nahe liegender Weise die rechtswissenschaftliche Systembildung. Insofern befindet sich das öffentliche Wirtschaftsrecht derzeit nach unserer Auffassung in einer Phase, in der überkommene Systembildungen nicht mehr adäquat sind, sich aber ein Konsens über neue systembildende Ordnungskriterien noch nicht herausgebildet hat1. Insoferne befindet sich das öffentliche Wirtschaftsrecht, konkreter:
1
Siehe näher Griller/Holoubek, Europäisches und öffentliches Wirtschaftsrecht I4 (2006) 402 ff.
VI
Vorwort
die das öffentliche Wirtschaftsrecht beschreibende Rechtswissenschaft, auf System- und damit Orientierungssuche. Wir haben diesen Umstand in den zahlreichen Diskussionen, wie die in diesem Handbuch beschriebenen Sachgebiete zu ordnen sind, immer wieder nachhaltig erlebt und ihm dadurch Rechnung getragen, indem wir die Gliederung der ersten Auflage ein Stück weit verändert und, so hoffen wir, weiterentwickelt haben. Dabei hat uns die Überlegung bestimmt, dass durch Differenzierung und Kombination mehrerer Ordnungskriterien das öffentliche Wirtschaftsrecht genauer und unserer Meinung nach auch angemessener systematisiert werden kann. In diesem Sinn haben wir einmal nach dem „Steuerungsprogramm“ der jeweiligen Materienregelungen kategorisiert und Ordnungsrecht, Aufsichtsrecht, Wettbewerbsrecht, Regulierungsrecht sowie Lenkungsrecht unterschieden. Dazwischen haben wir mit dem Wirtschaftsrecht der öffentlichen Hand, dem Produktrecht und dem Anlagenrecht drei Kategorien gestellt, die auf den Gegenstand bzw ein spezielles Subjekt abstellen, an denen die Materienregelungen jeweils anknüpfen. Uns ist bewusst, dass diese Ordnungskriterien auch Schwächen aufweisen, weil sie nicht ganz konsistent sind. Bei den drei zuletzt genannten Bereichen erscheint uns aber die traditionelle Zuordnung noch so stark auch in den Materienregelungen selbst verankert zu sein, dass die Auflösung dieser Kategorien zugunsten einer ausschließlich am Steuerungsaspekt orientierten Systembildung und damit die Einführung eines einheitlichen Ordnungskriteriums zwar wissenschaftlich konsequent gewesen wäre; sie erschien uns aber deswegen nicht zweckmäßig, weil sie die Praktikabilität des Handbuchs insbesondere für den Rechtsanwender zu sehr beeinträchtigen könnte. Insofern wirft diese herausgeberische Entscheidung die zugegebenermaßen berechtigte Frage auf, ob sich das „Steuerungsprogramm“ von Regelungen des öffentlichen Wirtschaftsrechts tatsächlich als das zukünftig tragfähige systembildende Ordnungskriterium durchsetzen wird. Ihr jeweiliges „Steuerungsprogramm“ unterscheidet also die im ersten bis vierten und achten Teil dieses Handbuchs zusammengefassten Regelungsmaterien voneinander und ist den in den jeweiligen Teilen zusammengefassten Bereichen typischerweise gemeinsam. Verbindet das Ordnungsrecht der Aspekt der materienbezogenen Gefahrenabwehr und in vielen Fällen, wie dem Krankenanstaltenrecht und dem Recht der freien Berufe, auch der Aspekt der materienbezogenen Qualitätssicherung, setzt das Steuerungsprogramm von Aufsichts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht an marktbezogener Gefahrenabwehr und Qualitätssicherung an. Aufsichtsrecht wie Wettbewerbsrecht gehen dabei von funktionierenden Märkten aus, das Aufsichtsrecht setzt sektorspezifisch an speziellen Märkten, das Wettbewerbsrecht horizontal und damit allgemein an. Das Regulierungsrecht schließlich hat in einer Stufe davor zusätzlich auch die Etablierung funktionsfähiger Märkte sowie zumeist des Weiteren spezielle Qualitätsgewährleistungen im Programm. Lenkungsrecht schließlich knüpft an strukturellem oder punktuellem Markt-
Vorwort
VII
versagen an und ersetzt von vorneherein und nicht nur allenfalls subsidiär Unternehmens- durch staatliche Entscheidungen und Festlegungen. Mit den Ordnungsbegriffen des Ordnungs-, des Aufsichts-, des Wettbewerbs-, des Regulierungs- und des Lenkungsrechts schlagen wir orientiert am Ordnungskriterium des „Steuerungsprogramms“ der jeweils zugeordneten Regelungsbereiche eine differenzierende Weiterentwicklung der bisherigen Trias Ordnungs-, Aufsichts- und Lenkungsrecht vor. Die aus den oben angeführten Gründen nach anderen Ordnungskriterien abgegrenzten und mit den Ordnungsbegriffen Wirtschaftsrecht der öffentlichen Hand, Produktrecht und Anlagenrecht zusammengefassten Regelungsbereiche haben wir dabei bewusst in die Klammer der steuerungsorientierten Systembildung, konkret zwischen das Regulierungsund das Lenkungsrecht gesetzt um deutlich zu machen, dass ein einheitlicher Systematisierungsanspruch für das öffentliche Wirtschaftsrecht nicht aufgegeben werden soll. Bei einer Gesamtabwägung erscheint uns nur beim Anlagen- und beim Produktrecht der Ordnungsbezug zum Regelungsgegenstand in den einzelnen Regelungsbereichen derzeit noch so stark ausgeprägt zu sein, dass andere Ordnungskriterien und -begriffe zu wenig Erklärungswert aufweisen. Vergleichbares gilt mutatis mutandis für das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Hand. Wir haben damit in der zweiten Auflage die der ersten Auflage zugrunde liegende Gliederung des Handbuches weiterentwickelt. Der Übersichtlichkeit halber haben wir auf die Auszeichnung einer Gesamtkategorie Unternehmensrecht als gemeinsame Kategorie von Ordnungs-, Aufsichts-, Wettbewerbs-, Regulierungs- und Wirtschaftsrecht der öffentlichen Hand verzichtet. Es ist aber unserer Auffassung nach durchaus gerechtfertigt, die große Einteilung des öffentlichen Wirtschaftsrechts in Unternehmens-, Produkt-, Anlagen- und Lenkungsrecht auch weiterhin zu verwenden. Dass, um an unser Vorwort zur ersten Auflage anzuknüpfen, auch die nunmehrige etwas ausdifferenzierte heuristische Einteilung nach wie vor diskutierbar ist und dies erst recht für die typologische Zuordnung von Regelungsbereichen im Einzelfall gilt, liegt auf der Hand. Insoweit wollen wir, wie mit dem Handbuch insgesamt, eben einen Beitrag zum wissenschaftlichen Dialog leisten. Es ist uns ein ehrliches Bedürfnis, an dieser Stelle wiederum allen Mitwirkenden an diesem Handbuch sehr herzlich zu danken: für die arbeitsintensive und aufwendige Mitarbeit, für Verständnis und Geduld mit den vielen technischen und redaktionellen Wünschen und Notwendigkeiten sowie schließlich für die unkomplizierte und kollegiale Zusammenarbeit, die uns unsere Arbeit als Herausgeber wesentlich erleichtert hat. Bedanken möchten wir uns aber auch bei all jenen, die in technischer Hinsicht am Zustandekommen dieses Handbuchs entscheidenden Anteil hatten. Hier ist zu allererst Frau Dagmar Huber vom Institut für Rechtswissenschaft der Universität Klagenfurt zu erwähnen. Sie hat nicht nur auch für die zweite Auflage alle Beiträge einer redaktionellen Bearbeitung unterzogen und für die Drucklegung formatiert, was in Anbetracht des Umfangs der beiden Bände wiederum eine herausragende
VIII
Vorwort
Leistung darstellt. Frau Huber ist darüber hinaus ganz sicher der gute Geist, ohne den dieses Handbuch nicht so und in dieser Zeit fertig würde. Des Weiteren möchten wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Institut für Rechtswissenschaft der Universität Klagenfurt und am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht der Wirtschaftsuniversität Wien für alle Hilfe, nicht zuletzt bei der Erstellung des Stichwortverzeichnisses danken: ohne Dr. Christoph Bezemek, Dr. Dragana Damjanovic, Elisabeth Koller, Dr. Tanja Koller, Mag. Anna Pirker und Mag. Gregor Ribarov hätten wir unsere herausgeberische Arbeit nicht bewältigen können. Für Hinweise auf sicherlich immer noch vorhandene Fehler und Mängel im vorliegenden Handbuch sind wir wiederum dankbar; über Reaktionen, Anregungen und Kritik würden wir uns sehr freuen! Klagenfurt/Wien im Mai 2007
Michael Holoubek
Michael Potacs
Autorenverzeichnis RA Dr. Martin Attlmayr, LL.M. (Chicago), Marxer und Partner, Rechtsanwälte, Vaduz, Liechtenstein Univ.Ass. Dr. Christoph Bezemek, Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht, Wirtschaftsuniversität Wien Mag. Lukas Binder, Notarsubstitut, email:
[email protected] Univ.-Ass. Dr. Dragana Damjanovic, LL.M. (Berkeley), Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht, Wirtschaftsuniversität Wien Univ.-Ass. Dr. Elisabeth Dujmovits, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien Hon.-Prof. Dr. Alfred Duschanek, Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht, Wirtschaftsuniversität Wien Univ.-Prof. DDr. MAES Thomas Eilmansberger, Fachbereich für Europarecht, Universität Salzburg A. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Feik, Fachbereich für Öffentliches Recht, Universität Salzburg Dr. Thomas Freylinger, Salzburg TV, Wals Dr. Claudia Fuchs, LL.M. (Krems), Verfassungsgerichtshof, Wien Mag. Sigrid Grabner, Hypo Alpe-Adria-Bank International AG, Group Legal Services, Klagenfurt Univ.-Prof. Dr. Stefan Griller, Europainstitut, Wirtschaftsuniversität Wien Ass.-Prof. Dr. Doris Hattenberger, Institut für Rechtswissenschaft, Universität Klagenfurt
X
Autorenverzeichnis
Univ.-Prof. Dr. Andreas Hauer, Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre, Universität Linz Dr. Birgit Havranek, Finanzmarktaufsicht, Wien Univ.-Prof. Dr. Michael Holoubek, Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht, Wirtschaftsuniversität Wien Dr. Thomas Jaeger, LL.M. (Leuven), Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München A. Univ.-Prof. Dr. Arno Kahl, Institut für Öffentliches Recht, Staatsund Verwaltungslehre, Universität Innsbruck Mag. Carmen Kainz, juristische Beraterin des Senates, Universität Wien Univ.-Prof. Dr. Susanne Kalss, LL.M. (Florenz), Institut für Bürgerliches Recht und Handelsrecht, Wirtschaftsuniversität Wien Univ.-Ass. Dr. Marcus Klamert, Europainstitut, Wirtschaftsuniversität Wien A. Univ.-Prof. Dr. Benjamin Kneihs, Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht, Wirtschaftsuniversität Wien Univ.-Ass. MMag. Dr. Tanja Koller, Institut für Rechtswissenschaft, Universität Klagenfurt Univ.-Prof. DDr. Christian Kopetzki, Abteilung Medizinrecht des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien Dr. Stephan Korinek, Finanzmarktaufsicht (FMA), Wien Sektionsleiter Univ.-Prof. Dr. Georg Lienbacher, Verfassungsdienst, Bundeskanzleramt, Wien Ass.-Prof. Dr. Verena Madner, Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht, Wirtschaftsuniversität Wien RA Mag. Martin Niederhuber, NH Niederhuber Hager Rechtsanwälte GmbH, Wien
Autorenverzeichnis
XI
RA Dr. Martin Oppitz, Kanzlei Grohs Hofer Rechtsanwälte, Wien Univ.-Ass. Mag. Anna Hemma Pirker, Institut für Rechtswissenschaft, Universität Klagenfurt Univ.-Prof. DDr. Michael Potacs, Institut für Rechtswissenschaft, Universität Klagenfurt Univ.-Ass. Dr. Nicolas Raschauer, APART-Stipendiat der ÖAW, Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht, Wirtschaftsuniversität Wien Dr. Hubert Resch, Kanzlei Berger Saurer Zöchbauer Rechtsanwälte, Wien Univ.-Ass. Mag. Gregor Ribarov, Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht, Wirtschaftsuniversität Wien Univ.-Prof. Dr. Friedrich Rüffler, Institut für Rechtswissenschaft, Universität Klagenfurt O. Univ.-Prof. Dr. Walter Schrammel, Institut für Arbeits- und Sozialrecht, Universität Wien Dr. Patrick Segalla, Verfassungsdienst, Bundeskanzleramt, Wien Univ.-Ass. Mag. Robert A. Steinwender, Institut für Rechtswissenschaft, Universität Klagenfurt Univ.-Prof. Dr. Manfred Stelzer, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien RAA Dr. Ulrich Tauböck, LL.M. (Harvard), Rechtsanwälte Freshfields Bruckhaus Deringer, Wien RA Dr. Thomas E. Walzel v. Wiesentreu, Kanzlei Oberhofer Lechner Hibler, Innsbruck A. Univ.-Prof. Dr. Roland Winkler, Institut für Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Universität Salzburg
Inhaltsübersicht Band I Erster Teil: Ordnungsrecht Gewerberecht – Michael Potacs..............................................................3 Gewerbenebenrecht – Rudolf Feik ........................................................87 Öffentlich-rechtliche Aspekte des E-Commerce – Dragana Damjanovic ......................................................................141 Gewerblicher Rechtsschutz – Thomas Eilmansberger ........................167 Vereinsrecht – Thomas Freylinger ......................................................239 Veranstaltungsrecht – Georg Lienbacher............................................257 Datenschutzrecht – Alfred Duschanek.................................................299 Privatunterrichtswesen und Fertigkeitsvermittlung – Gerhard Strejcek/Carmen Kainz/Ulrich Tauböck ...........................327 Tourismusrecht – Sigrid Grabner/Tanja Koller ..................................361 Recht der freien Berufe – Elisabeth Dujmovits ...................................397 Krankenanstaltenrecht – Christian Kopetzki .......................................467 Mineralrohstoffrecht – Roland Winkler...............................................563
Zweiter Teil: Wettbewerbsrecht Allgemeines Wettbewerbsrecht – Friedrich Rüffler/Robert A. Steinwender.........................................631 Beihilfe- und Förderungsrecht – Thomas Jaeger ................................ 681 Vergaberecht – Michael Holoubek/Claudia Fuchs .............................791
Dritter Teil: Regulierungsrecht Energiewirtschaftsrecht – Michael Potacs ..........................................907 Verkehrsrecht – Hubert Resch.............................................................943 Telekommunikationsrecht – Michael Holoubek/Dragana Damjanovic .....................................1117 Recht der Massenmedien – Michael Holoubek/Dragana Damjanovic/ Gregor Ribarov..........1187 Postrecht – Michael Holoubek/Dragana Damjanovic.......................1287 Abfallwirtschaftsrecht – Benjamin Kneihs ........................................1313 Wasserversorgung - Abwasserentsorgung – Doris Hattenberger ..... 1357
XIV
Inhaltsübersicht
Band II Vierter Teil: Aufsichtsrecht Kapitalmarktrecht – Susanne Kalss......................................................... 3 Bankrecht – Martin Oppitz.................................................................... 43 Versicherungsaufsichtsrecht – Stephan Korinek ................................. 111 Pensionskassenaufsichtsrecht – Walter Schrammel ............................ 165 Staatliche Aufsicht über Verwertungsgesellschaften – Nicolas Raschauer........................................................................... 193 Glücksspiel- und Wettrecht – Patrick Segalla .................................... 243
Fünfter Teil: Wirtschaftsrecht der öffentlichen Hand Haushaltsrecht – Tanja Koller............................................................. 273 Öffentliche Unternehmen – Arno Kahl ............................................... 347 Monopolbetriebe – Patrick Segalla..................................................... 419
Sechster Teil: Produktrecht Vermessungswesen-Messwesen-Eichwesen – Lukas Binder .............. 431 Technisches Sicherheitsrecht............................................................... 451 Normung – Michael Holoubek.................................................. 451 Akkreditierung und Zertifizierung – Michael Holoubek........... 503 Elektrotechnikrecht – Michael Holoubek.................................. 527 Bauprodukterecht – Michael Holoubek..................................... 541 Produktsicherheitsrecht – Lukas Binder.................................... 557 Lebensmittelrecht – Andreas Hauer.................................................... 571 Tabakrecht - Christoph Bezemek/Dragana Damjanovic..................... 613 Gentechnikrecht – Manfred Stelzer/Birgit Havranek .......................... 631 Chemikalienrecht – Martin Attlmayr................................................... 691 Waffenrecht – Thomas Freylinger ...................................................... 785
Siebenter Teil: Anlagenrecht Gewerbliches Betriebsanlagenrecht – Michael Potacs........................ 795 Umweltverträglichkeitsprüfung – Verena Madner.............................. 837 Abfallbehandlungsanlagen – Verena Madner/Martin Niederhuber................................................... 891
Inhaltsübersicht
XV
Anlagenrelevantes Umweltrecht-Naturschutzrecht – Verena Madner ...............................................................................945 Anlagenrelevante Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes – Doris Hattenberger ........................................................................975 Bergbauanlagenrecht – Roland Winkler ...........................................1031 Energieanlagenrecht – Thomas Freylinger .......................................1049 Emissionszertifikaterecht – Anna Hemma Pirker ............................. 1069
Achter Teil: Lenkungsrecht Außenwirtschaftsrecht der EU – Stefan Griller/Marcus Klamert ....1099 Währungs- und Devisenrecht – Michael Potacs ..............................1177 Agrarmarktrecht – Thomas E. Walzel von Wiesentreu .....................1191 Preis- und Versorgungssicherungsrecht – Benjamin Kneihs ............1309 Energielenkungs-, Erdölbevorratungs- und Melderecht, Lebensmittelbewirtschaftungsrecht – Tanja Koller ......................1341
Abkürzungsverzeichnis 1. Euro-JuBeG aA aaO AB AbfallRRL ABGB Abl Abs AcP AG AHG AJPIL AktG AlSAG aM AMA AMG Anh Anm ArbVG ARG arg ARGE ARR Art ASchG ASoK ASVG ATS AußHG AußHVO AVB AVG AWG
1. Euro-Justizbegleitgesetz anderer Ansicht am angeführten Ort Ausschussbericht Abfall-Rahmenrichtlinie Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Archiv für civilistische Praxis Aktiengesellschaft Amtshaftungsgesetz Austrian Journal of Public and International Law Aktiengesetz Altlastensanierungsgesetz anderer Meinung Agrarmarkt Austria Arzneimittelgesetz Anhang Anmerkung Arbeitsverfassungsgesetz Arbeitsruhegesetz argumentum, argumento Arbeitsgemeinschaft Allgemeine Rahmenrichtlinien für die Gewährung von Förderungen aus Bundesmitteln Artikel ArbeitnehmerInnenschutzgesetz Arbeits- und Sozialrechtskartei Allgemeines Sozialversicherungsgesetz Austrian Schilling Außenhandelsgesetz Außenhandelsverordnung Allgemeine Versicherungsbedingungen Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz Abfallwirtschaftsgesetz
BAG BAO BBl Bd BDG BetFG BG
Berufsausbildungsgesetz Bundesabgabenordnung Baurechtliche Blätter Band Beamten-Dienstrechtsgesetz Beteiligungsfondsgesetz Bundesgesetz
XVIII
BGBl BGH BHG B-KAG BKA-VD BlgNR BM BMG BMJ BMLFUW BMSG BMUJF BMVIT BMWA BMwA ten BPG BPolDion BReg Bsp bspw BStG BVA BVB BVerfGE
Abkürzungsverzeichnis
Bundesgesetzblatt (deutscher) Bundesgerichtshof Bundeshaushaltsgesetz Bundes-Krankenanstaltengesetz Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst Beilage(n) zu den Stenographischen Protokolle des Nationalrates Bundesminister(ium) Bundesministeriengesetz Bundesminister(ium) für Justiz Bundesminister(ium) für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Bundesminister(ium) für Soziale Sicherheit und Generationen Bundesminister(ium) für Umwelt, Jugend und Familie Bundesminister(ium) für Verkehr, Innovation und Technologie Bundesminister(ium) für Wirtschaft und Arbeit Bundesminister(ium) für wirtschaftliche Angelegenhei-
B-VG BWG BZG bzw
Betriebspensionsgesetz Bundespolizeidirektion Bundesregierung Beispiel beispielsweise Bundesstraßengesetz Bundesvergabeamt Bezirksverwaltungsbehörde Entscheidung(en) des (deutschen) Bundesverfassungsgerichts Entscheidung(en) des (deutschen) Bundesverwaltungsgerichts Bundes-Verfassungsgesetz Bankwesengesetz Sonn- und Feiertags-Betriebszeitengesetz beziehungsweise
ders dh DÖV DRdA dRGBl DSG DVBl
derselbe das heißt Die öffentliche Verwaltung Das Recht der Arbeit deutsches Reichsgesetzblatt Datenschutzgesetz Deutsches Verwaltungsblatt
EAGFL
Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft Erläuternde Bemerkungen
BVerwGE
EB
Abkürzungsverzeichnis
ECU EEA EFTA EG EGG EGMR EGV/EG-V
XIX
EWAG EWR EZG
European Currency Unit Einheitliche Europäische Akte Europäische Freihandelszone Europäische Gemeinschaften Erwerbsgesellschaftsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EG-Vertrag (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften) Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrens gesetzen 1991 Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Energie-Regulierungsbehördengesetz Erkenntnis Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte Zeitschrift Europäisches Recht Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (in der Österreichischen Juristen-Zeitung) Euro-Währungsangabengesetz Europäischer Wirtschaftsraum Emissionszertifikategesetz
f FAG ff FFH-RL FMAG FMedG FN FrVG FS FVG
und der, die, das folgende Finanzausgleichsgesetz und die folgenden Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie Finanzmarktaufsichtsgesetz Fortpflanzungsmedizingesetz Fußnote Fremdenverkehrsgesetz Festschrift Fremdenverkehrsgesetz
G GA GAP GATT
Gesetz(e), -gesetz Generalanwalt Gemeinsame Agrarpolitik General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) Gesetzblatt für das Land Österreich (1938-1940) gemäß Genossenschaftsrevisionsgesetz Gewerbeordnung Gesetzgebungsperiode Glückspielgesetz Gentechnikgesetz
EGVG EKHG EMRK E-RBG Erk EU EuGH EuGRZ EuR EvBl
GBlÖ gem GenRevG GewO GP GSpG GTG
XX
Abkürzungsverzeichnis
GVO
gentechnisch veränderter Organismus
hA HessVGH HG HGB hL HLG hM Hrsg
herrschende Auffassung Hessischer Verwaltungsgerichtshof Handelsgericht Handelsgesetzbuch herrschende Lehre Hochleistungstreckengesetz herrschende Meinung Herausgeber
IA iaR idF idgF idR idS ie ieS IG-L ILO ImmoInvFG ImmZ insb INVEKOS InvFG IPPC iS iSd iSv ITO IVF iVm iwS iZm
Initiativantrag in aller Regel in der Fassung in der geltenden Fassung in der Regel in diesem Sinne id est im engeren Sinn Immissionsschutzgesetz-Luft International Labour Organization Immobilien-Investmentfondsgesetz Österreichische Immobilien-Zeitung insbesondere Integriertes Verwaltungs- und Kontrollsystem Investmentfondsgesetz Integrated Pollution and Prevention Control im Sinne im Sinne des (der) im Sinne von International Trade Organization In vitro Fertilisation in Verbindung mit im weiteren Sinne in Zusammenhang mit
JAP JBl JÖR JRP Jud JZ
Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung Juristische Blätter Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Journal für Rechtspolitik Judikatur (deutsche) Juristenzeitung
KA-AZG KAG KAO Kap KartG
Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz Krankenanstaltengesetz Krankenanstaltenordnung Kapitel Kartellgesetz
Abkürzungsverzeichnis
Kat KHVG KindRÄG KJBG KRSlg KSchG
Kategorie Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetz Kindschaftsrechtsänderungsgesetz Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz Sammlung von Entscheidungen in Krankenanstaltenfragen Konsumentenschutzgesetz
leg cit LFG LH lit LKF LMG LMKV LReg
legis citatae Luftfahrtgesetz Landeshauptmann litera leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung Lebensmittelgesetz Lebensmittelkennzeichnungsverordnung Landesregierung
mAnm maW mE MedR mH MinroG MO MPG mwH mwN
mit Anmerkung mit anderen Worten meines Erachtens Medizinrecht mit Hinweis Mineralrohstoffgesetz Marktordnung Medizinproduktegesetz mit weiteren Hinweisen mit weiteren Nachweisen
N.N. NBG NFWAG
nomen nescio Nationalbankgesetz Steiermärkisches Nächtigungs- und Ferienwohnungsabgabegesetz National Institute of Health Neue Juristische Wochenschrift Novelle Naturschutzgesetz Natur und Recht Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NIH NJW Nov NSchG NuR NversZ NVwZ ÖÄK ÖÄZ ÖBA ÖBl OECD OGH
XXI
Österreichische Ärztekammer Österreichische Ärztezeitung Bank-Archiv Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Organization for Economic Cooperation and Development Oberster Gerichtshof
XXII
Abkürzungsverzeichnis
ÖGZ ÖJbPol ÖJK ÖJT ÖJZ ÖKZ ÖLMB ÖROK ÖStZ ÖVA ÖWAV ÖWWV ÖZG ÖZW
Österreichische Gemeinde-Zeitung Österreichisches Jahrbuch für Politik Österreichische Juristenkommission Verhandlungen des österreichischen Juristentages Österreichische Juristen-Zeitung Österreichische Krankenhaus-Zeitung Österreichisches Lebensmittelbuch Österr Raumordnungskonferenz Österreicheische Steuer-Zeitung Österreichisches Verwaltungsarchiv Österreichischer Wasser- und Abfallwirtschaftsverband Österreichischer Wasserwirtschaftsverband Öffnungszeitengesetz Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
PHG PKG Pkt PrAG
Produkthaftungsgesetz Pensionskassengesetz Punkt Preisauszeichnungsgesetz
RdM RdU RdW RGBl RHG RIW RL Rs Rsp RV RZ Rz
Recht der Medizin Recht der Umwelt Recht der Wirtschaft Reichsgesetzblatt Rechnungshofgesetz Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie (der EG) Rechtsache (bei Europäischen Gerichten) Rechtsprechung Regierungsvorlage Österreichische Richterzeitung Randziffer
s SAG sog SoSi Sp SpG SSt
siehe Sonderabfallgesetz sogenannt, -e, -er, -es Soziale Sicherheit Spalte Sparkassengesetz Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten Strafgesetzbuch Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger Strafprozeßordnung Stenographische(s) Protokoll(e) des Nationalrats ständige Rechtsprechung
StGB StGBl StGG StPO StProtNR stRsp
Abkürzungsverzeichnis
XXIII
stRspr StVG StVO SZ
ständige Rechtsprechung Strafvollzugsgesetz Straßenverkehrsordnung Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen
TG TKG TVG tw TWG ua
Tourismusgesetz Telekommunikationsgesetz Tierversuchsgesetz teilweise Telekommunikationswegegesetz und andere, unter anderem
UBA UbG udgl uE ÜG 1920 UIG UN UOG UrhG US USG UStG uU UVE UVP UVP-ÄndRL UVS UWG
Umweltbundesamt Unterbringungsgesetz und dergleichen unseres Erachtens Übergangsgesetz 1920 Umweltinformationsgesetz United Nations (Vereinte Nationen) Universitäts-Organisationsgesetz Urheberrechtsgesetz Umweltsenat Bundesgesetz über den Umweltsenat Umsatzsteuergesetz unter Umständen Umweltverträglichkeitserklärung Umweltverträglichkeitsprüfung UVP-Änderungsrichtlinie unabhängige(r) Verwaltungssenat(e) Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
V va VAG VersR VersSG VersVG VerwGesG VfGH VfSlg
Verordnung vor allem Versicherungsaufsichtsgesetz Versicherungsrecht Versorgungssicherungsgesetz Versicherungsvertragsgesetz Verwertungsgesellschaftengesetz Verfassungsgerichtshof Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofs vergleiche von Hundert Verordnung, -verordnung Versicherungsrundschau Verwaltungsstrafgesetz Verfassungs-Überleitungsgesetz
vgl vH VO VR VStG V-ÜG
XXIV
VVaG VVDStRL
Abkürzungsverzeichnis
VWT
Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsvollstreckungsgesetz Versicherungswirtschaft Verwaltungsgerichtshof Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes Vereinigung Österreichischer Wirtschaftstreuhänder
WAG WBl WettbG WHO WiPolBl WKÖ WRG WTFG WTO
Wertpapieraufsichtsgesetz Wirtschaftrechtliche Blätter Wettbewerbsgesetz World Health Organization Wirtschaftspolitische Blätter Wirtschaftkammer Österreich Wasserrechtsgesetz Wiener Tourismusförderungsgesetz World Trade Organization (Welthandelsorganisation)
Z ZAS zB ZEuS ZfRV
Ziffer, Zahl Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht zum Beispiel Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Int. Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Verwaltung Die administrativrechtlichen Entscheidungen des VwGH und die verwaltungsrechtlich relevanten Entscheidungen des VfGH in lückenloser Folge (Beilage zur ZfV) Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Teil Zeitschrift für Umweltrecht Zeitschrift der Unabhängigen Verwaltungssenate Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verkehrsrecht
VVG VW VwGH VwSlg
ZfV ZfVB ZLW ZÖR ZPEMRK zT ZUR ZUV ZVersWiss ZvglRWiss ZVR
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Erster Teil: Ordnungsrecht
Michael Potacs
Gewerberecht Rechtsgrundlagen ...............................................................................................4 Grundlegende Literatur.......................................................................................6 I. Grundlagen ....................................................................................................7 A. Allgemeines................................................................................................7 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .............................................................8 1. Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft ........................................................................................8 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit..........................................9 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen ...................12 1. Gemeinschaftsrecht .............................................................................12 2. Völkerrecht..........................................................................................13 II. Anwendungsbereich der GewO ................................................................13 A. Gewerbebegriff ........................................................................................13 B. Ausnahmen ..............................................................................................21 III. Gewerbeantritt .........................................................................................25 A. Allgemeines..............................................................................................25 B. Inländer ...................................................................................................27 1. Natürliche Personen ............................................................................27 2. Juristische Personen und Personengesellschaften ...............................47 C. Ausländer ................................................................................................51 1. Allgemeines.........................................................................................51 2. Drittstaatsangehörige...........................................................................51 3. EU/EWR-Ausländer............................................................................55 IV. Gewerbeumfang........................................................................................62 A. Allgemeines..............................................................................................62 B. System der Umfangrechte ........................................................................63 1. Kernbereich .........................................................................................63 2. Selbstbedienungsrechte .......................................................................64 3. Sonstige Nebenrechte..........................................................................64 C. Umfangfeststellungsverfahren.................................................................65 V. Gewerbeausübung......................................................................................66 A. Persönliche Anforderungen .....................................................................66 1. Gewerbeberechtigung als persönliches Recht .....................................66 2. Gewerberechtlicher Geschäftsführer...................................................67 4. Fortbetriebsrechte................................................................................71 5. Ort der Gewerbeausübung...................................................................74 6. Namensführung ...................................................................................77 7. Gewerberegister ..................................................................................79 VI. Endigung und Ruhen der Gewerbeberechtigung ..................................79
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A. Endigungsgründe .................................................................................... 79 1. Allgemeines ........................................................................................ 79 2. Entziehung der Gewerbeberechtigung................................................ 79 B. Ruhen der Gewerbeberechtigung............................................................ 82 VII. Verletzungen der GewO......................................................................... 82 A. Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen...................................................... 82 B. Betretungsrecht ....................................................................................... 84 C. Nichtigerklärung ..................................................................................... 84 D. Verwaltungsstrafen ................................................................................. 85 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: RL 2005/36/EG, Abl L 255/22; RL 74/556/EWG, Abl L 307/1 idF Abl L 236/335; RL 82/489/EWG, Abl L 218/24; RL 90/314/EWG, Abl L 158/59 idF Abl L 236/335. BG: Gewerbeordnung - GewO (BGBl 1994/194 [WV] idF BGBl 2006 I/161) VO: VO der Bundesministerien für Handel und Wiederaufbau und für soziale Verwaltung vom 20. Dezember 1950 über die gewerbsmäßige Lagerung und Zerkleinerung von Karbid und über die Erzeugung und Verwendung von Azetylen-AzetylenVO (BGBl 1951/75 idF BGBl 2000 II/164); VO des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau vom 15. Jänner 1962 über gewerberechtliche Begünstigungen für Absolventen der Fachschule des Landes Burgenland für Keramik, Töpferei und Ofenbau in Stoob (BGBl 1962/37 idF BGBl 1970/142); VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 24. April 1974 über die Ausstattung von Legitimationen für Gewerbetreibende und deren Bedienstete-Gewerbelegitimationen-VO (BGBl 1974/274); VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 17. Juli 1974 mit der die harmlosen pyrotechnischen Scherzartikel im Sinne des § 146 Abs 2 der Gewerbeordnung 1973 bezeichnet werden (BGBl 1974/363); VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 30. Jänner 1976 über Ausübungsvorschriften für das gebundene Gewerbe der Hörgeräteakustiker (BGBl 1976/72 idF BGBl 1990/676); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Ausübungsregeln für Kontaktlinsenoptiker (BGBl 1976/698 idF BGBl 1996/13); VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 12. Jänner 1978 mit der die Prüfungsgebühren für einige konzessionierte Gewerbe neu festgelegt werden (BGBl 1978/61 idF BGBl 1989/423); VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 27. März 1979 über Ausübungsvorschriften für Adressenbüros (BGBl 1979/157); VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 26. April 1979 über die Ersichtlichmachung der im Rahmen von Chemischputzerarbeiten erbrachten Leistungen (BGBl 1979/185); VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 31. Mai 1979 über Schutzmaßnahmen betreffend Dekorationsleuchten (BGBl 1979/255); VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 25. März 1981 über die äußere Geschäftsbezeichnung und über Ausübungsvorschriften für das Drogistengewerbe (BGBl 1981/177); VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 10. September 1981 über die Verwendung des Wortes „Konditorei“ in der äußeren Geschäftsbezeichnung (BGBl 1981/434 idF BGBl 1995/880); VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 11. Dezember 1985 über die Begrenzung des Schwefelgehaltes von Kraftstoffen für nicht zum Betreiben von Kraftfahrzeugen bestimmte Dieselmotoren (BGBl 1985/549 idF BGBl 2000 II/123); VO des Bundesminis-
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ters für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 17. August 1987 über Ausübungsvorschriften für Partnervermittler (BGBl 1987/434); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 2. Feber 1989 über die Begrenzung des Schwefelgehaltes von Heizöl (BGBl 1989/94 idF BGBl 1994/545); VO des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Geräuschemissionen von zur Verwendung im Freien vorgesehenen Geräten und Maschinen vom 7. März 2001 (BGBl 2001 II/249 idF 2006 II/347; VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Standesregeln für Betreiber von Technischen Büros (BGBl 1990/726); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über den Schutz von Tieren gegen Quälereien und das artgemäße Halten von Tieren im Rahmen gewerblicher Tätigkeit (BGBl 1991/132); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, des Bundesministers für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz und des Bundesministers für Arbeit und Soziales über Lagerung und Abfüllung brennbarer Flüssigkeiten-VO über brennbare Flüssigkeiten-VbF (BGBl 1991/240 idF BGBl 2005 II/351); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Durchführung der Unternehmerprüfung-Unternehmerprüfungsordnung (BGBl 1993/453 idF BGBl 2004 II/114); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Ausübungsregeln für den Handel mit Orientteppichen (BGBl 1993/852); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über den Nachweis der fachlichen Befähigung zur Ausführung von Montage- und Wartungsarbeiten durch Rauchfangkehrer (BGBl 1994/67 idF BGBl 1995/611); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Schulen und Studienrichtungen festgelegt werden, die bestimmten Handwerken entsprechen (BGBl 1994/158); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über das Inverkehrbringen und Ausstellen von Maschinen und über die grundlegenden Sicherheitsanforderungen an Maschinen-Maschinen-SicherheitsVO-MSV (BGBl 1994/306 idF BGBl 2006 II/330); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über das Inverkehrbringen und Ausstellen von Gasgeräten und die grundlegenden Sicherheitsanforderungen an Gasgeräte-GasgerätesicherheitsVO-GSV (BGBl 1994/430 idF BGBl 2007 II/15); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Begrenzung der Emission von luftverunreinigenden Stoffen aus Gießereien (BGBl 1994/447); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über das Inverkehrbringen und Ausstellen von persönlichen Schutzausrüstungen und über die grundlegenden Sicherheitsanforderungen an persönliche Schutzausrüstungen-PSA-SicherheitsVO-PSASV (BGBl 1994/596 idF BGBl 2006 II/331); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über den Nachweis der Fachkundigkeit für Verkaufstätigkeiten im Fleischergewerbe (BGBl 1995/827); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Höchstsätze der Inkassoinstituten gebührenden Vergütungen (BGBl 1996/141 idF BGBl 2005 II/103); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Geräte und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen-ExplosionsschutzVO 1996-ExSV 1996 (BGBl 1996/252); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Standesund Ausübungsregeln für Immobilienmakler (BGBl 1996/297 idF BGBl 2001 II/490); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Standes- und Ausübungsregeln für das Gewerbe der Personalkreditvermittler (BGBl 1996/505); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Bestimmung der Geräuschemissionen von Haushaltsgeräten (BGBl 1996/621); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten und des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Sicherheit von Aufzügen-Aufzüge-SicherheitsVO 1996-ASV 1996 (BGBl 1996/780 idF BGBl 1999 II/396 idF 2007 II/10); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Errichtung von Teilgewerben und die Befähigungsnachweise für Teilgewerbe-1. Teilgewerbe-VO (BGBl 1998 II/11); VO des Bundesministers für
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wirtschaftliche Angelegenheiten über Schutzmaßnahmen betreffend die Aufbereitung von bituminösem Mischgut in mobilen Einrichtungen (BGBl 1998 II/170); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Führung der Waffenbücher-WaffenbücherVO (BGBl 1998 II/252); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Standes- und Ausübungsregeln für das Gewerbe der Lebens- und Sozialberatung (BGBl 1998 II/260); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Ausübungsvorschriften für das Reisebürogewerbe (BGBl 1998 II/401); VO des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Maßnahmen zur Bekämpfung der Emission von gasförmigen Schadstoffen und luftverunreinigenden Partikeln aus Verbrennungsmotoren für mobile Maschinen und Geräte (BGBl 2005 II/136); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über VerbraucherkreditverträgeVerbraucherkreditVO (BGBl 1999 II/260 idF BGBl 2001 II/490); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Umsetzung des Art. 7 der Richtlinie des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (90/314/EWG) im österreichischen Recht-ReisebürosicherungsVO-RSV (BGBl 1999 II/316 idF 2006 II/402); VO des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Standesregeln für Bestatter (BGBl 2004 II/476); Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über die Durchführung von Prüfungen (Allgemeine Prüfungsordnung) (BGBl 2004 II/110); Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über die Anerkennung von Befähigungsnachweisen aus einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des EWR (EU/WER Anerkennungsverordnung) (BGBl 2003 II 255); VO des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Anforderungen an Sportboote (BGBl 2004 II/276 idF BGBl 2007 II/9)
Grundlegende Literatur: Rill (Hrsg), Gewerberecht. Beiträge zu Grundfragen der GewO 1973, 1978; Morscher, Die Gewerbekompetenz des Bundes, 1987; Lienbacher, Die Zweigniederlassung in der österreichischen Gewerbeordnung, in: Schuhmacher/Gruber (Hrsg), Rechtsfragen der Zweigniederlassung, 1993, 271; Rebhahn, der gewerberechtliche Geschäftsführer, 1994; Thienel, Gewerbeumfang und Gewerbeausübung - Ausgewählte Änderungen durch die GewRNov 1992, in: Korinek (Hrsg), Gewerberecht. Grundfragen der GewO 1994 in Einzelbeiträgen, 1995, 87; Rebhahn, Der gewerberechtliche Geschäftsführer, in: Korinek (Hrsg), Gewerberecht. Grundfragen der GewO 1994 in Einzelbeiträgen, 1995, 197; Filzmoser, Die GewO-Novelle, RdW 1997, 437; Wintersteiner, Der gewerberechtliche Geschäftsführer, 1997; Fasching/Klemencic/Puntigam, Gewerberecht, 2000; 295; Schramböck, Gewerberechtliche Schranken des e-commerce, ecolex 2000, 484; Traudtner/Höhne, Internet und Gewerbeordnung, ecolex 2000, 480; Rill, Gewerberecht. Skriptum des Service Fachverlages an der Wirtschaftsuniversität Wien, 2001; Feik, Gewerbe- und Berufsrecht, in: Jahnel ua (Hrsg), Informatikrecht2, 2003, 295; Filzmoser, Gewerbliches Berufsrecht nach der GewO-Novelle 2002, 2003; Fischer/Trojer, Gewerbeordnung für die betriebliche Praxis, 2003; Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO2, 2003; Pauger, Gewerberecht, in: Raschauer (Hrsg), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, 107; Feik, Gewerberecht, in: Bachmann ua (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht5, 2004, 145; Hanusch, Kommentar zur Gewerbeordnung, Loseblattausgabe, 13. Lieferung 2005; Kinscher/Paliege-Barfuß, Die Gewerbeordnung7, Loseblattausgabe, 2. Ergänzungslieferung 2006.
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I. Grundlagen A. Allgemeines Die GewO enthält Antritts- und Ausübungsregelungen für den größten Teil der gewerblichen Wirtschaft. Dies wird bereits durch das Regelungssystem der GewO deutlich, das nach einem Regel-Ausnahme-Schema aufgebaut ist: Grundsätzlich fallen alle vom Gewerbebegriff des § 1 GewO erfassten Tätigkeiten unter seinen Anwendungsbereich, soferne sie davon gemäß § 2 GewO nicht ausdrücklich ausgenommen sind. Somit finden sich ähnliche Antritts- und Ausübungsregelungen wie in der GewO auch in verschiedenen anderen Gesetzen. Dennoch kann die GewO auf Grund ihrer zentralen Stellung im österreichischen Wirtschaftsverwaltungsrecht als die „Magna Charta“ der gewerblichen Wirtschaft1 angesehen werden. Die heute geltende GewO 1994 ist eine Wiederverlautbarung der GewO 1973, die ihrerseits die GewO aus dem Jahre 1859 ablöste.2 Zwar war die GewO des Jahres 1859 äußerst liberal, doch war die weitere Rechtsentwicklung durch eine zunehmende Regulierung gekennzeichnet, die erst in jüngerer Zeit wohl auch unter dem Einfluss einer zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaft sowie der Judikatur des VfGH einer verstärkten Tendenz zur Liberalisierung und Deregulierung gewichen ist. Die mit den Vorschriften der GewO an sich verfolgten Ziele sind dabei allerdings dieselben geblieben. Verschoben haben sich jedoch ihre Bedeutung und ihr Gewicht. So dienen vor allem die Vorschriften über den Befähigungsnachweis für reglementierte Gewerbe (einschließlich Handwerke) der Qualitätssicherung gewerblicher Tätigkeit. Insbesondere durch die GewO-Novelle 1997 wurden die Regelungen über das Erfordernis eines Befähigungsnachweises aber erheblich abgeschwächt. Dies erfolgte durch eine Reduzierung der Zahl der befähigungsnachweisgebundenen Gewerbe, die volle Supplierungsmöglichkeit des Befähigungsnachweises durch einen gewerberechtlichen Geschäftsführer, die Schaffung verbundener Gewerbe (bei denen jeweils nur für ein Gewerbe der Befähigungsnachweis erbracht werden muss), die Einführung von Teilgewerben (mit entsprechend geringeren Anforderungen an den Befähigungsnachweis), die Erweiterung von Nebenrechten und die Erweiterung einzelner Gewerbeberechtigungen (zB dürfen Bäcker gemäß § 150 Abs 1 GewO auch Konditorarbeiten vornehmen).3 Durch die GewO-Novelle 2002 wurde das Erfordernis eines Befähigungsnachweises für weitere gewerbliche Tätigkeiten (wie das Handelsgewerbe) abgeschafft.4 1 2
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ZB Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 125 f, Rz 331. Zur Entwicklung der GewO siehe insbesondere Stolzlechner, Gewerberechtsreform in Österreich, in: Graf/Paschke/Stober (Hrsg), Gewerberecht im Umbruch, 2004, Pöschl, Die Geschichte des Anmeldungsgewerbes - ein legistisches quid pro quo, ZfV 2005, 662 ff. Zu dieser Novelle etwa Filzmoser, RdW 1997, 437 ff; Schimitschek, Die Gewerbeordnungsreform, ÖGZ 10/97, 12. Zu dieser Novelle etwa Handig, Gewerberechtsnovelle 2002 - Ein kurzer Überblick, RdW 2002, 522 ff; Winkler, Bürokratische Hindernisse der Unternehmensgründung - Welche Aufgaben bleiben für die Verwaltungsreform?, wbl 2003, 453 ff; Zellenberg, Der Gewerbezugang nach der Gewerberechtsnovelle 2002, ZfV 2003, 410 ff.
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Mit manchen Bestimmungen der GewO wird auch das Ziel einer Ordnungssicherung verfolgt, dh der Gewährleistung, dass bei der Ausübung der betreffenden gewerblichen Tätigkeit die Rechtsordnung möglichst eingehalten wird. Diesem Ziel dient die Einrichtung „genehmigungspflichtiger Gewerbe“, bei denen (wegen der „Sensibilität“ der Materie, wie zB beim Waffengewerbe) die Erteilung der Gewerbeberechtigung von einer Prüfung der „Zuverlässigkeit“ abhängig gemacht wird. Bei sämtlichen (also nicht nur bei genehmigungspflichtigen) Gewerben wird dem Gedanken der Ordnungssicherung in der GewO insoweit Rechnung getragen, als etwa bestimmte Strafen gemäß § 13 Abs 1 und 2 GewO einen Ausschlussgrund bilden und jede Gewerbeberechtigung gemäß § 87 Abs 1 Z 3 GewO wegen schwerwiegender Verstöße gegen Rechtsvorschriften zu entziehen ist. Andere Vorschriften der GewO, wie etwa der Ausschlussgrund wegen Nichteröffnung des Konkurses gemäß § 13 Abs 3 bis 5 GewO, dienen dem Gläubigerschutz. Manche Bestimmungen, wie das Verbot des Versandhandels mit bestimmten Produkten (zB Arzneimittel), wurden im Interesse des Konsumentenschutzes erlassen. Schließlich ist zu erwähnen, dass die GewO in gewissem (mittlerweile freilich sehr geringem) Umfang auch dem Konkurrenzschutz dient. Dies betrifft die Bedarfsprüfungen bei Rauchfangkehrern gemäß § 121 Abs 2 GewO. Diese wird jedoch nicht mit dem Konkurrenzschutz selbst, sondern mit dem öffentlichen Interesse am „vorbeugenden Brandschutz und Umweltschutz“5 gerechtfertigt. Insgesamt trägt damit die GewO dem Konzept einer „relativen Gewerbefreiheit“ Rechnung, wonach Antritt und Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit zwar grundsätzlich jedermann offen steht, allerdings nur nach Maßgabe bestimmter im öffentlichen Interesse gelegener Anforderungen. Diese „relative Gewerbefreiheit“, die grundsätzlich auch der Erwerbsfreiheit des Art 6 StGG entspricht6, lässt freilich einen erheblichen Regelungsspielraum offen, weshalb die GewO zu jenen Rechtsgebieten zählt, die verhältnismäßig häufig novelliert werden.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft Die GewO enthält vor allem Regelungen über die Niederlassung von Betrieben und die Erbringung von Dienstleistungen. Daher sind die für die GewO relevanten legislativen Akte der Gemeinschaft zumeist auf die einschlägigen Kompetenzen wie die Rechtsgrundlagen „zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit“ gemäß Art 47 EGV, „für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise“ und zur Liberalisierung von Dienstleistungen gemäß Art 55 EGV gestützt.7 Die in solchen 5 6 7
So in Bezug auf die Bedarfsprüfung bei Rauchfangkehrern VfSlg 12296/1990. Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 118 f, Rz 321. Siehe insbesondere RL 1999/42/EG über ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter die Liberalisierungs- und Übergangsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise (Abl L 201/77), die durch die bis Oktober 2007 umzu-
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Rechtsakten (in der Regel Richtlinien) vorgesehenen Maßnahmen zur Vereinheitlichung und gegenseitigen Anerkennung von beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten können auch die Tätigkeiten „von Lohn- und Gehaltsempfängern“8, wie etwa gewerberechtliche Geschäftsführer, betreffen. Manche der für die GewO bedeutsamen Richtlinien wurden daher auch unter Berufung auf die Kompetenz zur Herstellung der „Freizügigkeit der Arbeitnehmer“ gemäß Art 40 EGV erlassen.9 Die GewO enthält aber auch Regelungen zum Konsumentenschutz, die gemäß Art 95 EGV gemeinschaftsrechtlich harmonisiert werden können.10 Durch die GewO bzw auf ihrer Grundlage beruhende Verordnungen können daher auch Rechtsakte der Gemeinschaft umgesetzt werden, die sich auf die „Binnenmarktkompetenz“ des Art 95 EGV stützen. Dies betrifft etwa die Pauschalreiserichtlinie11, die durch die auf § 127 Abs 1 Z 2 und Abs 3 GewO gestützte Reisebüroversicherungsverordnung12 umgesetzt wurde.
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Kompetenzgrundlage für die GewO ist Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG, wonach „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sind. Auf Grund der vom VfGH bei der Auslegung der Kompetenzvorschriften angewendeten „Versteinerungstheorie“ fallen unter diesen Kompetenztatbestand „alle Vorschriften, die nach dem Stand und der Systematik der einfach-gesetzlichen Rechtslage am 1. Oktober 1925 als Vorschriften betreffend Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie anzusehen sind“13. Schon sehr früh stellte daher der VfGH fest, dass „Betätigungen, die zur Zeit des Wirksamkeitsbeginnes der Kompetenzbestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der österreichischen Gesetzgebung nicht als Gewerbe behandelt wurden, auch nicht als Gewerbe im Sinne des Artikels 10 Absatz 1, Z. 8, ansehen wollte und angesehen hat“14. Von zentraler Bedeutung für die Auslegung des Kompetenztatbestandes ist daher das damals noch geltende sogenannte Kundmachungspatent zur GewO 185915, auf das sich auch der VfGH immer wieder beruft16. Ganz allgemein wird man sagen können, dass Tätigkeiten, die am 1.10.1925 weder in der GewO 1859 noch in einer anderen gewerberechtlichen Vorschrift des Zentralstaates17 geregelt waren, nicht unter
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setzende RL 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (Abl L 255/22) abgelöst wird. Begründungserwägung der (mittlerweile aufgehobenen) RL 82/470/EWG betreffend Hilfsgewerbetreibende des Verkehrs und der Reisevermittler (Abl L 213/1). ZB RL 85/384/EWG betreffend Architekten (Abl L 223/15). ZB Lecheler, H.V., Verbraucherschutz, in: Dauses (Hrsg), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 5. RL 90/314/EWG über Pauschalreisen (Abl L 158/59). BGBl 1999 II/316 idF BGBl 2003 II/563. VfSlg 9543/1982. VfSlg 1477/1932. RGBl 1859/227. So zB schon VfSlg 1477/1932, und aus jüngerer Zeit VfSlg 14187/1995; 17245/2004. Darauf weist Morscher, Gewerbekompetenz, 38, unter Bezugnahme auf das damals geltende BaugewerbeG zu Recht hin.
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diesen Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG fallen. Allerdings ist auch zu betonen, dass der VfGH einerseits eine intrasystematische Fortentwicklung der „versteinerten“ Vorschriften anerkennt. Damit ermächtigt dieser Kompetenztatbestand auch zur Regelung „sich neu entwickelnder Betriebsformen“18, sofern nur ein inhaltlich-systematischer Zusammenhang zu den von den „versteinerten“ Rechtsvorschriften erfassten Erwerbsbetätigungen besteht. Andererseits fallen freilich auch solche Tätigkeiten nicht unter die „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“, die unter einen anderen verfassungsrechtlichen Kompetenztatbestand subsumiert werden können.19 So fallen von vorneherein nur Regelungen für solche Tätigkeiten unter den Kompetenztatbestand, die „gewerbsmäßig“ (also etwa regelmäßig bzw in Wiederholungsabsicht) erbracht werden.20 Auf Grund einer „intra-systematischen Weiterentwicklung des Kompetenztatbestandes“ umfasst dieser nach Auffassung des VfGH aber etwa auch die Ermächtigung zur Erlassung gewerberechtlicher Regelungen für „Diskotheken“, obwohl diese im Jahr 1925 noch gar nicht bekannt waren. Allerdings unterlagen schon damals Gastgewerbebetriebe mit musikalischer Darbietung (zB einem Klavierspieler) unbestrittenermaßen der GewO 1859. Nach dem im Jahre 1925 geltenden System der GewO verlieren Gastgewerbebetriebe ihren „gewerblichen“ Charakter daher nicht schon deshalb, wenn in ihren Lokalen „Musik oder auch Tanz veranstaltet wird“21. Kraft ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Regelung gehören nicht zu den „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ im Sinne von Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG „die Angelegenheiten des Berg- und Schiführerwesens sowie die Privatzimmervermietung, das ist die durch die gewöhnlichen Mitglieder des eigenen Hausstandes als häusliche Nebenbeschäftigung ausgeübte Vermietung von nicht mehr als zehn Fremdenbetten“22.
Für die Abgrenzung der Gewerbekompetenz des Bundes ist insbesondere Art V des Kundmachungspatentes zur GewO 1859 von entscheidender Bedeutung, weil er eine Reihe von „Beschäftigungen und Unternehmungen“ vom Anwendungsbereich der GewO 1859 ausnimmt. Auf Grund der „Versteinerungstheorie“ ist anzunehmen, dass diese Ausnahmeregelung die „Angelegenheiten der Gewerbe und Industrie“ im Sinne des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG mitbestimmt.23 Jedenfalls die von ihr ausdrücklich erwähnten Erwerbsbetätigungen fallen nicht unter diesen Kompetenztatbestand. Darüber hinaus lässt auch die Ausnahmeregelung des Art V des Kundmachungspatentes eine intrasystematische Fortentwicklung der von ihr erfassten Tatbestände zu. So fand gemäß Art V lit g) des Kundmachungspatents die GewO 1859 auf „Unternehmungen von Heilanstalten jeder Art mit Inbegriff der Gebär- und der Irrenbewahr-, Bade- und Trinkkuranstalten“ keine Anwendung. Für den VfGH ergibt eine Auslegung dieses Ausnahmetatbestandes (unter Heranziehung von zum „Versteinerungszeitpunkt“ vertretenen Lehrmeinungen), dass auf Grund der in ihm zum Ausdruck kommenden Systematik auch „die Regelung der Errichtung und des Betriebes von Pflegeheimen ...
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VfSlg 12996/1992. So schon VfSlg 1477/1932. VfSlg 2733/1954. VfSlg 12996/1992. Diesem Erkenntnis kann allerdings auch entnommen werden, dass „die - auch gewerbsmäßige - musikalische Darbietung als solche“ vom Regelungsbereich des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG ausgenommen ist. Art III der B-VG-Novelle BGBl 1974/444. Siehe dazu auch VfSlg 7074/1973. So zB VfSlg 1477/1932, 12996/1992, 14187/1995.
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nicht auf den Kompetenztatbestand `Angelegenheiten des Gewerbes´ gestützt werden kann“24. Gemäß Art V lit o) des Kundmachungspatents waren etwa auch „Unternehmungen öffentlicher Belustigungen und Schaustellungen aller Art“ von der GewO 1859 ausgenommen. Unter diese Ausnahmeregelung wurde zum „Versteinerungszeitpunkt“ auch das Halten von Eislaufplätzen subsumiert, weshalb die gesetzliche Regelung dieser Betätigung auch nicht auf die Gewerbekompetenz des Bundes gestützt werden kann.25 Mit guten Gründen wird allerdings angenommen, dass sich diese Ausnahmevorschrift nicht auf den Betrieb von Tennisplätzen bezog und dessen Regelung daher gemäß Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG dem Bundesgesetzgeber obliegt.26 Auch ist fraglich, ob etwa der Betrieb einer Sommerrodelbahn auf Grund der erwähnten Ausnahmebestimmungen nicht von der Gewerbekompetenz des Bundes erfasst ist27.
Der Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ trägt allerdings nicht jede Regelung, die sich auf die von ihm prinzipiell erfassten Erwerbsbetätigungen bezieht. Vielmehr muss es sich dabei um eine Maßnahme typisch gewerberechtlicher Art28 handeln. Dies betrifft nach der Rechtsprechung des VfGH solche Maßnahmen, „die dem Schutz des Gewerbes ..., der Abwehr von vom Gewerbebetrieb unmittelbar ausgehenden Gefahren für die Gewerbetreibenden und ihre Arbeitnehmer, die Kunden, andere Gewerbetreibende oder als Nachbarn sonst von der Gewerbetätigkeit unmittelbar betroffenen Personen und dem Konsumentenschutz“29 dienen. Nach der Judikatur des VfGH fallen unter die Gewerbekompetenz des Bundes auch Regelungen „zum Schutz von Gewerben“ wie etwa über den „Lokalbedarf“30. Auch Mindestpreisregelungen zum Schutz der aus der Stellung eines Gewerbes (insbesondere aus seiner Monopolstellung in einem bestimmten Gebiet) ausgehenden Gefahr können auf diese Kompetenz gestützt werden.31 Insgesamt umfasst der Kompetenztatbestand nur „gewerbepolizeiliche Maßnahmen“32, die der Abwehr spezifischer Gefahren dienen, die sich aus der gewerblichen Tätigkeit ergeben können.33 Auf ihn können daher etwa keine wirtschaftslenkenden Regelungen gestützt werden34, die volkswirtschaftliche Ziele wie Zahlungsbilanzausgleich, Preisstabilität oder Vollbeschäftigung verfolgen. 24 25
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VfSlg 13237/1992. Siehe in Bezug auf das Buschenschankwesen VfSlg 17000/2003. Pernthaler/Lukasser, Abgrenzung der Bundeskompetenz „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ von der Landeskompetenz „Veranstaltungswesen“ und einige damit zusammenhängende konkrete Rechtsprobleme, in: Pernthaler/Lukasser/Rath-Kathrein (Hrsg), Gewerbe-Landwirtschaft-Veranstaltungswesen, 1996, 46 (62). Rosenmayr-Klemenz, Betrieb von Tennisplätzen - freies Gewerbe oder Veranstaltung?, ÖZW 1995, 73 ff; Filzmoser, Gewerbliche Überlassung von Sport- und Freizeitanlagen und Anwendbarkeit der GewO, ecolex 2002, 847 ff. AA Pernthaler/ Lukasser (FN 24), 63; Stolzlechner, Zur rechtlichen Behandlung von Sportanlagen, 2002, 22 f; VwGH 26.6.2001, 2000/04/0162. So Pernthaler/Lukasser (FN 26), 66. VfSlg 4117/1961. VfSlg 10831/1986. VfSlg 4117/1961. Siehe auch VfSlg 9543/1982. Rill, Grundlagen des österreichischen Preisrechts, ÖZW 1974, 97 (102). AA Morscher, Gewerbekompetenz, 73. VfSlg 10831/1986. Siehe aber auch Morscher, Gewerbekompetenz, 54, 63. Rill, (FN 30), 101 f. Vgl. aber auch Schulev-Steindl, Wirtschaftslenkung und Verfassung, 70 ff.
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Auch Maßnahmen zur „sinnvollen Nutzung von Energie“ („Energiesparstandards“)35 bzw zur „effizienten Verwendung von Energie“36 fallen nicht unter die Gewerbekompetenz des Bundes. Auf Grund einer intrasystematischen Fortentwicklung der zum Versteinerungszeitpunkt maßgeblichen Rechtslage kommt der VfGH aber zum Ergebnis, dass der Kompetenztatbestand auch Regelungen über die Beschränkung der Gewerbeausübung mittels Automaten zum Schutz unmündiger Minderjähriger vor unüberlegten Geldausgaben erfasst.37 Auch schließt eine Landeskompetenz zur Regelung einer Erwerbsbetätigung wie die Vermietung von Campingplätzen (zB Baupolizei) nicht aus, dass diese Tätigkeit vom Bundesgesetzgeber auch gewerberechtlichen Vorschriften unterworfen wird. Gestattet doch die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung, „dass einzelne Gegenstände nach verschiedenen Gesichtspunkten geregelt werden können, und die demnach zu treffenden Regelungen einerseits vom Bund andererseits von den Ländern zu erlassen sind“38 („Gesichtspunktetheorie“).
C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen 1. Gemeinschaftsrecht Die GewO fällt in den Anwendungsbereich39 verschiedener Grundfreiheiten des EG-Vertrages. Da sie grundlegende Vorschriften über Antritt und Ausübung gewerblicher Tätigkeiten enthält, ist sie für jene EU(bzw EWR)Ausländer relevant, die sich in Österreich niederlassen oder hier zumindest (ohne Sitz oder Niederlassung in Österreich) eine Dienstleistung erbringen wollen. Die GewO berührt daher vor allem die Niederlassungsfreiheit gemäß Art 43 EGV und die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art 49 EGV. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann freilich „die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten von der Einhaltung von durch das Allgemeininteresse gerechtfertigten Rechts- und Verwaltungsvorschriften - namentlich von Vorschriften über Organisation, Befähigung, Standespflichten, Kontrolle, Verantwortlichkeit und Haftung - abhängig gemacht werden“40. Von besonderer Bedeutung für den Gewerbeantritt ist dabei die gegenseitige Anerkennung von Befähigungsnachweisen, die teilweise durch Richtlinien der Gemeinschaft harmonisiert wurde und in den § 373c ff GewO geregelt ist. Die jüngere Judikatur des EuGH hat weiters gezeigt, dass die Regelungen der GewO auch in andere Grundfreiheiten eingreifen. So stellt nach Auffassung des EuGH das in § 39 Abs 2 GewO enthaltene Erfordernis eines Wohnsitzes für gewerberechtliche Geschäftsführer eine unzulässige Beschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern gemäß Art 39 EGV dar.41 Aber auch die Warenverkehrsfreiheit ist von manchen Vorschriften der GewO betroffen. Zwar handelt es sich bei diesen durchwegs um sogenannte „Verkaufsmodalitäten“, die nach der Judikatur des EuGH nur dann eine relevante Beschränkung 35 36 37 38 39 40 41
VfSlg 10831/1986. VfSlg 17022/2003. VfSlg 10050/1984. Kritisch dazu allerdings etwa Morscher, Gewerbekompetenz, 131 ff. VfSlg 5024/1965. Dazu zB Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht2, 2001, 90. EuGH, Rs C-101/94, Kommission/Italien, Slg 1996, I-2691, Rz 10, mwN. EuGH, Rs C-350/96, Clean Car, Slg 1998, I-2521, Rz 30.
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des Warenverkehrs darstellen, wenn sie nicht „für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben“ und „den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich“ nicht „in gleicher Weise berühren“42. Genau dies traf nach Meinung des EuGH auf § 53a GewO zu, der das „Feilbieten im Umherziehen“ in einem Verwaltungsbezirk nur gestattete, wenn der Gewerbetreibende in diesem Bezirk oder in einer an ihn angrenzenden Gemeinde eine „ortsfeste Betriebsstätte“ hat. Eine solche Vorschrift berühre „das Inverkehrbringen inländischer und aus einem anderen Mitgliedstaat stammender Erzeugnisse nicht in gleicher Weise“43.
2. Völkerrecht Als grundlegendes Gesetz über die Antritts- und Ausübungsvoraussetzungen gewerblicher Tätigkeiten ist die GewO freilich für sämtliche Unternehmen relevant, die in Österreich wirtschaftlich tätig sein wollen. Daher enthält die GewO in den § 14 und 51 Regelungen über den Gewerbeantritt und die Gewerbeausübung von Personen, die nicht aus dem EWR-Raum stammen. Freilich ist auch die gewerbliche Tätigkeit dieses Personenkreises in Österreich schon in erheblichen Umfang durch völkerrechtliche Abkommen vorherbestimmt. So dürfen etwa ausländische natürliche Personen gemäß § 14 Abs 1 GewO „Gewerbe wie Inländer ausüben, wenn dies in Staatsverträgen festgelegt worden ist“, was etwa in Bezug auf ein Abkommen mit der Schweiz zutrifft. Eine zentrale Bedeutung für die gewerbliche Tätigkeit von Ausländern in Österreich besitzt aber das im Anhang zum WTO-Abkommen enthaltene GATSAbkommen, auf das in § 51 GewO ausdrücklich verwiesen wird. Danach dürfen Ausländer insoweit eine gewerbliche Tätigkeit in Österreich ausüben, als für sie durch Eintragung in eine „Verpflichtungsliste“ Marktzutrittsverpflichtungen eingegangen wurden.
II. Anwendungsbereich der GewO A. Gewerbebegriff Der Anwendungsbereich der GewO ist nach einem Regel-Ausnahme-System aufgebaut. Unter die GewO fallen demnach grundsätzlich alle Tätigkeiten, die den in § 1 GewO enthaltenen Kriterien eines „Gewerbes“ entsprechen, soferne sie nicht gemäß § 2 GewO vom Anwendungsbereich der GewO wieder ausgenommen werden. Für die Abgrenzung des Geltungsbereichs der GewO sind daher zunächst die Merkmale einer „gewerblich ausgeübten“ Tätigkeit gemäß § 1 GewO wesentlich. Soferne eine Betätigung diese Kriterien nicht erfüllt, findet die GewO auf sie von vorneherein keine Anwendung. Gemäß § 1 Abs 2 GewO wird eine Tätigkeit zunächst nur dann „gewerbsmäßig“ ausgeübt, wenn sie selbständig betrieben wird. Selbständigkeit liegt 42
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EuGH, verb Rs C-267 und 268/91, Keck, Slg 1993, I-6097, Rz 16; weitere Nachweise zu dieser Judikatur etwa bei Lux, Art 28, in: Lenz (Hrsg), EG-Vertrag Kommentar2, 1999, 263, Rz 19. EuGH Rs C-254/98, TK-Heimdienst Sass GmbH, Slg 2000, I-151, Rz 25.
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gemäß § 1 Abs 3 GewO dann vor, „wenn die Tätigkeit auf eigene Rechnung und Gefahr ausgeübt wird“. Die Vielfalt wirtschaftlicher Betätigungsformen und die Komplexität damit verbundener rechtlicher Konstruktionen lässt eine klare Zuordnung zu diesem Tatbestand nicht immer zu.44 Nach der Judikatur des VwGH ist daher die Selbständigkeit im Sinne dieser Vorschrift „nach dem Gesamtbild der festgestellten wirtschaftlichen Momente zu beurteilen“45. Da sich § 1 GewO an wirtschaftlichen Kriterien orientiert, hat die Beurteilung bei „wirtschaftlicher Betrachtungsweise“46 auf Grund der „wirtschaftlichen Gegebenheiten und nicht allein nach den äußeren rechtlichen Formen“47 zu erfolgen. Wesentlich ist dabei die „tatsächlich ausgeübte Tätigkeit vor dem Hintergrund der (den realen Gegebenheiten entsprechenden) vertraglichen Gestaltung der Betriebsführung“48. Entscheidend ist vor allem, ob mit der Tätigkeit ein maßgebliches „Unternehmerisiko“49 verbunden ist. Dies wird etwa bei der Beteiligung an einem Unternehmen als stiller Gesellschafter verneint, wenn sich die Beteiligung in der Einbringung einer Vermögenseinlage mit ziffernmäßig begrenzter Höhe (und insoweit auch das Risiko) erschöpft.50 Auch der bloße Umstand des „Zufließens eines wirtschaftlichen Vorteils“ (zB aus den Geschäften der Ehegattin) indiziert noch keine Selbständigkeit.51 Eine solche liegt jedenfalls vor, wenn das Risiko für die eingesetzten Waren zu tragen ist. Aber auch beim Fehlen eigener Waren und Betriebsmittel kann ein relevantes „Unternehmensrisiko“ gegeben sein, wenn die Vertriebsaufwendungen (Strom, Miete) selbst zu tragen sind.52 Zur Beurteilung der Selbständigkeit ist es auch nicht erforderlich, dass ein Ertrag ausschließlich vom Erfolg der Tätigkeit abhängt. Vielmehr kann es genügen, dass „zumindest Anteil am kaufmännischen Risiko“53 besteht. Mit dieser Begründung wurde vom VwGH die Selbständigkeit bei einer Tätigkeit als Transporteur von Zeitungen mit eigenem Lkw gegen Kilometergeld und Lohn bejaht.54 Ebenso liegt Selbständigkeit bei einer Tätigkeit als Vertreter auf reiner Provisionsbasis vor.55 Die Qualifikation einer Tätigkeit als „selbständig“ hängt auch wesentlich davon ab, ob und inwieweit die Arbeitszeit, der Arbeitsort und das sonstige tätigkeitsbezogene Verhalten vom Unternehmer selbst bestimmt werden kann.56 Eine wirtschaftliche Abhängigkeit von einem bestimmten Unternehmen schließt die Selbständigkeit nicht aus.57 Auch nur für ein einziges Unternehmen tätige „Direktvertreiber“58 (zB Handelsvertreter) oder „Neue Selb44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58
Vgl bereits Winkler, Gewerbebegriff und Anwendungsbereich der GewO 1973, in: Rill (Hrsg), Gewerberecht. Beiträge zu Grundfragen der GewO 1973, 1978, 1 (7 f). ZB VwGH 23.4.1991, 88/04/0111. VwSlg 6201(A)/1964. VwGH 6.11.1995, 94/04/0107. VwGH 15.9.1999, 98/04/0104. VwGH 23.4.1991, 88/04/0111. VwSlg 7016 (A)1966. VwGH 15.9.1987, 87/04/0028. Van Husen, Zum Begriff „(Neue) Selbständigkeit“ gemäß § 1 Abs 3 GewO, ÖZW 2000, 7 (9). VwGH 23.4.1991, 88/04/0111. VwGH 14.5.1985, 84/04/0154. VwGH 17.3.1987, 85/04/0223. Siehe zB VwGH 6.5.1986, 85/04/0224. Winkler (FN 43) 7. Hattenberger, Gewerberechtliche Fragen des Direktvertriebs, in: Geist/Resch (Hrsg), Direktvertrieb. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, 2000, 1 (4 ff)
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ständige“59 (zB Programmierer) können daher Gewerbetreibende im Sinne der GewO sein. Nach der Judikatur des VwGH kommt bei der Beurteilung der Selbständigkeit der Ausstellung von Rechnungen im eigenen Namen „erhebliches Gewicht“ zu.60 Diesfalls ist die Selbständigkeit auch dann zu bejahen, wenn die Tätigkeit „vom Ausübenden nicht persönlich ausgeführt wird“, weil der Gewerbetreibende grundsätzlich berechtigt ist, „die ihm übertragenen Tätigkeiten ganz oder teilweise Dritten zu überlassen“61. Hingegen ist die Tätigkeit einer „betriebsführenden“ Gesellschaft, der „das gesamte operative Betriebsergebnis zusteht“, auch dann als selbständig zu qualifizieren, wenn „sämtliche Kauf-, Liefer- und Mietverträge auf Namen und Rechnung“ einer anderen Gesellschaft abgeschlossen werden.62
Ein weiteres Merkmal einer gewerblichen Tätigkeit im Sinne von § 1 GewO ist, dass sie regelmäßig ausgeübt wird, wobei es grundsätzlich „nicht auf den Umfang“63 dieser Tätigkeit ankommt. Allerdings kann gemäß § 1 Abs 4 GewO auch eine einmalige Handlung eine regelmäßige Tätigkeit sein, wenn aus den Umständen des Falles auf eine Wiederholungsabsicht geschlossen werden kann. Das ist anzunehmen, „wenn die Begleitumstände einer einmaligen Handlung so geartet sind, dass aus ihnen geschlossen werden kann, es werde mit dieser einmaligen Handlung nicht sein bewenden haben“64. Das Erfordernis der Regelmäßigkeit ist bei einer einmaligen Handlung aber auch dann erfüllt, wenn sie „längere Zeit“ in Anspruch nimmt. Wiederholungsabsicht liegt vor, wenn Einrichtungen geschaffen wurden, die offensichtlich dazu dienen, die Ausübung des Gewerbes zu ermöglichen und bei denen ein bloß einmaliges Verwenden nicht rentabel wäre.65 Dies ist etwa anzunehmen, wenn jemand eine professionelle Kfz-Werkstatt eingerichtet hat66, obwohl er bisher erst eine Autoreparatur vorgenommen hat. Gleiches gilt für einen „voll eingerichteten, strukturierten Barbetrieb“, auch wenn bisher nur ein einmaliger Ausschank erfolgt ist.67 Eine „längere Zeit“ liegt etwa bei der Veranstaltung eines mehrtägigen Festes vor, bei dem gegen Entgelt Speis und Trank ausgeschenkt wird.68 Die Verrichtung von Verputzarbeiten „an zwei Samstagen“ stellt hingegen keine Tätigkeit dar, die „längere Zeit“ in Anspruch nimmt.69 Der Verkauf von Ziegeln, die für den Eigenbedarf erzeugt wurden, stellt auch dann keine gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeit dar, wenn sie „in verschiedenen Zeitabständen bzw an einen oder mehrere Abnehmer veräußert werden“. Denn der Verkauf von Gegenständen, die nicht zu Erwerbszwecken erzeugt oder angeschafft worden sind, erfolgt von vorneherein nicht „gewerbsmäßig“.70 Dürfte es doch in einem solchen Fall schon wegen der begrenzt zur Verfügung stehenden Warenmengen am 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70
Van Husen, (FN 53), 9 ff. Der Anmeldung zur Sozialversicherung als Angestellter kommt demgegenüber kein entscheidendes Gewicht zu; zB VwGH 9.9.1965, 481/60. VwGH 28.2.1995, 93/04/0047. VwGH 15.9.1999, 98/04/0104. VwGH 18.5.2005, 2005/04/0070. VwGH 13.10.1993, 92/03/0191, mwN. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 23, Rz 25. Fasching/Klemencic/Puntigam, Gewerberecht, 26, FN 18. VwGH 11.11.1998, 98/04/0050. VwGH 25.11.1997, 96/04/0099. Siehe dazu aber nunmehr auch die durch BGBl 1998 I/116 in § 2 Abs 1 GewO eingefügte Ausnahmebestimmung (Z 25). VwSlg 6310(A)/1964. VwSlg 4177(A)/1956.
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Kriterium der Regelmäßigkeit fehlen. Festzustellen ist aber, dass auch ein Vermieten von Kraftfahrzeugen an nur eine Person „auf längere Zeit“ „regelmäßig“ sein kann.71
Gemäß § 1 Abs 4 GewO wird aber bereits das Anbieten einer den Gegenstand eines Gewerbes bildenden Tätigkeit an einem größeren Kreis von Personen der Ausübung eines Gewerbes gleichgehalten. Gleiches gilt nach dieser Vorschrift für das Anbieten von Tätigkeiten bei Ausschreibungen. Das Anbieten gemäß § 1 Abs 4 GewO stellt einen gegenüber dem Ausüben einer gewerblichen Tätigkeit eigenen Tatbestand dar, weshalb bei Strafbescheiden nach der Rechtsprechung des VwGH eine präzise Zuordnung vorzunehmen ist.72 Zur Beurteilung der Frage, ob ein „Anbieten“ im Sinne von § 1 Abs 4 GewO vorliegt, kommt es nach der Rechtsprechung des VwGH allein auf „den objektiven Wortlaut und nicht etwa auf die Absicht des Anbietenden“73 an. Der Tatbestand ist danach vielmehr bereits dann erfüllt, „wenn einer an einen größeren Kreis von Personen gerichteten Ankündigung die Eignung zukommt, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dass eine unter den Wortlaut der Ankündigung fallende gewerbliche Tätigkeit entfaltet wird“74. So kann ein Anbieten des „Immobilienmaklergewerbes“ auf Grund eines Inserates in einer Tageszeitung vorliegen, wenn daraus mit „keinem Wort hervorgehe, dass es sich nur um das Sammeln und Bekanntgeben von Adressen handle“75. Das Anbringen einer Firmentafel „mit entsprechendem Wortlaut“ beim Haustor zum Büro kann den Tatbestand des Anbietens ebenfalls erfüllen, selbst wenn der Betrieb in den Büroräumen noch gar nicht aufgenommen wurde.76 Ein Anbieten kann auch durch Eintragung im amtlichen Telefonbuch erfolgen, wobei es ohne Belang ist, „ob diese Einschaltung im Namens- oder Inseratenteil ... aufgenommen wurde bzw ob eine Berufsbezeichnung oder ein Schreibfehler vorliegt“77. Auch das Einrichten einer Internet-Homepage im Zusammenhang mit einer gewerblichen Tätigkeit stellt grundsätzlich ein „Anbieten“ im Sinne von § 1 Abs 4 GewO dar.78 Gemäß § 1 Abs 4 GewO kann ein der Gewerbeausübung gleichzuhaltendes Anbieten auch bei Ausschreibungen erfolgen. Dies wirft die Frage auf, ob sich ein EWRUnternehmen in Österreich um einen öffentlichen Auftrag nur nach Erfüllung der für sie geltenden Anforderungen der GewO (insbesondere erst nach einer Anerkennung gemäß § 373c oder einer Gleichhaltung gemäß § 373d GewO) bewerben darf. Sieht doch etwa § 16 Abs 1 BVergG vor, dass Aufträge nur an „befugte“ Unternehmer zu vergeben sind. Für diesen Fall treffen § 373c Abs 9 und § 373d Abs 8 GewO (auf die auch § 373 g verweist) eine Regelung: Beteiligt sich ein EWR-Unternehmen an einem Vergabeverfahren und stellt es gleichzeitig einen Antrag um „Anerkennung“ oder „Gleichhaltung“ seiner Qualifikationen mit dem inländischen Befähigungsnachweis, so ist der Anerkennungs- bzw Gleichhaltungsbescheid „jedenfalls vor Erteilung des Zuschlags zu erlassen“.79 71 72 73 74 75 76 77 78 79
VwSlg 4235(A)/1956. VwGH 2.6.1999, 98/04/0051. ZB VwGH 10.6.1992, 92/04/0044. ZB VwGH 2.6.1999, 98/04/0051; 25.2.2004, 2002/04/0069. VwGH 31.3.1992, 91/04/0299. VwGH 10.6.1992, 92/04/0044; 19.11.2003, 2000/04/0093. VwGH 2.6.1999, 98/04/0051; 25.2.2004, 2002/04/0069. Traudtner/Höhne, ecolex 2000, 481; Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 1, Rz 97. Siehe dazu aber auch § 20 Abs 1 sowie § 129 Abs 1 Z 11 BVergG 2006 und dazu VwGH 24.2.2006, 2004/04/0078.
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Eine gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeit im Sinne von § 1 GewO setzt außerdem voraus, dass sie in der Absicht betrieben wird, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen („Gewinnerzielungsabsicht“). Entgeltlichkeit allein ist freilich noch nicht zwingend mit der Absicht verbunden, dass ein wirtschaftlicher Vorteil herbeigeführt werden soll. Eine solche ist dann nicht anzunehmen, „wenn durch das Entgelt nur die entstehenden Unkosten ganz oder lediglich zum Teil gedeckt werden sollen“80. Nach der (im Hinblick auf die in § 39 Abs 2 AVG verankerte Offizialmaxime nicht unproblematischen) Judikatur des VwGH „indiziert“ allerdings die Entgeltlichkeit einer Tätigkeit „den äußeren Anschein der Gewinnerzielungsabsicht, sodass es Sache des Beschuldigten“ ist, „die mangelnde Gewinnerzielungsabsicht trotz Entgeltlichkeit darzutun“81. Im Übrigen ist gemäß § 1 Abs 2 GewO für das Vorliegen einer „gewerblichen“ Tätigkeit gleichgültig, „für welche Zwecke“ der wirtschaftliche Vorteil bestimmt ist. Auch macht es keinen Unterscheid, ob der durch die Tätigkeit beabsichtigte Ertrag oder sonstige wirtschaftliche Vorteil im Zusammenhang mit einer in den Anwendungsbereich der GewO fallenden Tätigkeit erzielt werden soll oder nicht. Daher stellt etwa auch der unentgeltliche Transport von Schischülern vom Hotel zur Piste durch eine Schischule eine gewerbliche Tätigkeit dar82, obwohl der Betrieb von Schischulen als „Privatunterricht“ gemäß § 2 Abs 1 Z 12 GewO vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen ist. Auch sonst muss nicht jede im Rahmen eines Gewerbebetriebes ausgeübte Tätigkeit für sich einen abgesonderten Ertrag liefern, um als „gewerbsmäßig“ zu gelten. Vielmehr haben alle Handlungen eines Gewerbetreibenden „gewerbsmäßigen“ Charakter, die der Erreichung des mit seinem Geschäftsbetrieb verbundenen geschäftlichen Zieles dienen.83 Insbesondere ist „Gewerbsmäßigkeit“ gegeben, wenn mit der Tätigkeit auch die Erzielung eines bloß mittelbaren wirtschaftlichen Vorteils beabsichtigt wird. Das betrifft etwa auch die Erbringung einzelner unter die GewO fallender Leistungen zum Selbstkostenpreis zur Erzielung eines wirtschaftlichen Vorteils mit anderen Tätigkeiten.84 Allerdings gibt sich für den VwGH „aus dem Wesen der Gewerbsmäßigkeit“, dass darunter nur solche Tätigkeiten fallen, „die in einer Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr in Form der Produktion von Gütern, des Handels oder der Erbringung von Dienstleistungen bestehen“85. Daher sind davon jedenfalls jene Tätigkeiten nicht umfasst, „die zur Befriedigung des Eigenbedarfes des Handelnden gesetzt werden“, wie die Entnahme von Schotter von einem Teil eines Grundstückes, um auf einem anderen Einplanierungen durchführen zu können.86 Auch die kaufmännische Gebarung allein bedeutet für sich allein noch keine Ertragserzielungsabsicht, weil sie der Absicht der Kostendeckung dienen kann.87 Schließlich ist zu erwähnen, dass nach der Judikatur des VwGH „der Verkauf von Gegenständen, die nicht in Erwerbsabsicht hergestellt (oder 80 81 82
83 84 85 86 87
VwGH 29.1.1991, 88/04/0218. VwGH 5.11.1991, 91/04/0150, mwN. VwGH 13.10.1993, 92/03/0054. Zwar fällt die Beförderung von Personen unter das GelegenheitsverkehrsG, doch gelten für diesem Gesetz unterliegende Gewerbezweige gemäß seinem § 1 Abs 2 grundsätzlich die Vorschriften der GewO. VwGH 4.12.1998, 97/19/1553, mwN. Vgl dazu auch VwGH 13.10.1993, 92/03/0191. So VwGH 20.10.1999, 99/04/0122. VwGH 20.10.1999, 99/04/0122. VwGH 26.2.1990, 89/04/0186.
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angeschafft) worden sind, nicht die Ausübung eines Gewerbes“ darstellt, „mag nun für den Verkauf die Erlangung eines wirtschaftlichen Vorteils bestimmend sein oder nicht“88. In Anbetracht der von vornherein begrenzten Mengen solcher Waren, dürfte es hier am Kriterium der Regelmäßigkeit fehlen.
Nach § 1 Abs 5 GewO liegt eine Gewinnerzielungsabsicht auch dann vor, wenn der Ertrag oder sonstige wirtschaftliche Vorteil den Mitgliedern einer Personenvereinigung zufließt. Der Ertrag muss somit nicht unbedingt der Personenvereinigung selbst zukommen, sondern kann auch seinen Mitgliedern zum wirtschaftlichen Vorteil gereichen.89 Damit wird klargestellt, dass auch Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, selbst wenn sie die Waren an ihre Mitglieder zum Selbstkostenpreis verkaufen bzw den Reingewinn nach Maßgabe des Warenbezugs verteilen, auf Gewinnerzielung gerichtete und daher gewerbsmäßig betriebene Unternehmen sind.90 Für bestimmte Tätigkeiten von Vereinen enthält § 1 Abs 6 GewO eine Sonderregelung. Zwar dürfen Vereine nach § 2 VereinsG „nicht auf Gewinn berechnet“91 sein. Dies schließt freilich nicht aus, dass Vereine einzelne Tätigkeiten gewerbsmäßig betreiben, wenn nur die gewerbliche Tätigkeit gegenüber der ideellen untergeordnet bleibt.92 So war stets unbestritten, dass der Betrieb einer Kantine durch einen Fußballverein als Beitrag zur Deckung der Vereinskosten schon nach den Kriterien des § 1 Abs 2 GewO eine gewerbsmäßige Tätigkeit darstellen kann und einer Gewerbeberechtigung bedarf.93 Nach der Judikatur des VfGH bedeutet außerdem „der Umstand allein, dass die Mitgliedschaft bei einem Verein Vorteile für die Mitglieder - auch materieller Art, etwa das Senken der Kosten für die Wirtschaftsführung ... - bewirkt“, noch nicht, dass der Verein auf Gewinn berechnet ist. Denn diese Vorteile seien „nicht dem Verein selbst zuzurechnen, da nicht er es ist, der im Wirtschaftsleben gewinnstrebend auftritt“94. Das trifft etwa auf einen Verein zu, der „die Behebung und erleichterte Abwicklung von Kraftfahrzeugschäden“ bezweckt. Bei alleiniger Anwendung der Bestimmung des § 1 Abs 2 GewO könnte bei solchen Vereinen die Ertragsabsicht verneint werden, weil der erzielte Ertrag eben nicht dem Verein selbst, sondern seinen Mitgliedern zum Vorteil gereicht.95 § 1 Abs 6 GewO stellt nun klar, dass bei Vereinen eine Gewinnerzielungsabsicht auch dann vorliegt, „wenn die Vereinstätigkeit das Erscheinungsbild eines einschlägigen Gewerbebetriebes aufweist und diese Tätigkeit - sei es
88 89 90 91 92
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VwSlg 4177(A)/1956. VwGH 24.11.1992, 92/04/0180. Rill, Gewerberecht, 4. Dazu etwa Brändle/Schnetzer, Das österreichische Vereinsrecht3, 2002, 75 ff. Dazu eingehend Korinek, Vereins- und gewerberechtliche Fragen der Wirtschaftstätigkeit von Vereinen, in: Korinek/Krejci (Hrsg), Der Verein als Unternehmer, 1988, 25 ff. Winkler (FN 45), 11. In seiner etwas jüngeren Judikatur vertritt der VwGH allerdings die Auffassung, dass die Ausübung einer Tätigkeit zur Deckung von Vereinskosten nicht unbedingt eine Gewinnerzielungsabsicht bedeutet; zB VwGH 29.5.1990, 88/04/0352. Siehe dazu näher weiter unten im Text. VfSlg 9566/1982. Siehe Winkler (FN 45), 11, sowie VwGH 24.11.1992, 92/04/0180.
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mittelbar oder unmittelbar - auf Erlangung vermögensrechtlicher Vorteile für die Vereinsmitglieder gerichtet ist.“ Beim Erfordernis des Erscheinungsbildes ist ein typologischer Vergleich mit einschlägigen Gewerbebetrieben vorzunehmen, die nicht in Vereinsform ausgeübt werden. So weist etwa eine von einem Verein (zB „Club für Kultur, Sport und Musik“96) betriebene Einrichtung das Erscheinungsbild einer „Bar“ nicht nur wegen dem „Umstand gedämpfter Beleuchtung“ auf, sondern auch im Hinblick „auf das sonstigen Barbetrieben vergleichbare Angebot an Spirituosen und die übrige, ebenfalls sonstigen Barbetrieben vergleichbare Einrichtung des Lokals“97. Gleiches gilt etwa für die Ausstattung eines Vereines, der für seine Vereinsmitglieder Kfz-Reparaturen durchführt, mit einer Werkshalle und einschlägigen Geräten.98 Nach den EB zur AB zur GewO-Novelle 1988 (mit der § 1 Abs 6 in die GewO eingefügt wurde) weist hingegen etwa ein Fußballverein, der Mannschaftsdressen und Bälle für seine Mitglieder verbilligt besorgt ebenso wenig das Erscheinungsbild eines einschlägigen Gewerbebetriebes auf, wie Geselligkeitsvereine und Jugendclubs, die ihre Mitglieder bei Zusammenkünften in einfacher Weise mit Speis und Trank versorgen. Gleiches gilt danach für Vereine, die soziale und gemeinnützige Zwecke verfolgen (zB Heranführung Behinderter oder sozial fehlangepasster Jugendlicher an ein geordnetes Berufsleben), die von vorneherein so angelegt sind, dass sie nur durch den Empfang von Subventionen funktionieren können.99 Eine Gewinnerzielungsabsicht im Sinne von § 1 Abs 6 GewO liegt etwa dann vor, wenn der Verein die Möglichkeit bietet „gastgewerbliche Leistungen zum Selbstkostenpreis zu konsumieren“100 oder „Reparaturen an Kfz billiger zu erhalten als bei Inanspruchnahme vergleichbarer Leistungen durch befugte Gewerbetreibende“101. Für die Beurteilung des Vorliegens eines „vermögenswerten Vorteils“ hat nach der Judikatur des VwGH der Mitgliedsbeitrag außer Betracht zu bleiben, auch wenn dieser gemeinsam mit dem Leistungsentgelt eingehoben wird.102 Für ein beim Verein (zB als Geschäftsführer) beschäftigtes Vereinsmitglied stellt nur ein unangemessen hohes Entgelt einen wirtschaftlichen Vorteil dar.103 Nach § 1 Abs 6 letzter Satz GewO wird Gewinnererzielungsabsicht - freilich widerleglich104 - vermutet, wenn eine ihrem Erscheinungsbild nach „gewerbliche“ Tätigkeit öfter als einmal pro Woche ausgeübt wird. Es ist aber zu betonen, dass Gewinnerzielungsabsicht bei einem Verein nicht nur dann anzunehmen ist, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs 6 GewO vorliegen.105 Vielmehr kommt auch nach der Einfügung dieser Regelung durch die GewO-Novelle 1988 § 1 Abs 2 GewO auf Vereine weiterhin zur Anwendung.106 Werden daher etwa an die Mitglieder Speisen gegen „Preise in einer Höhe wie in vergleichbaren Gastgewerbebetrieben“107 verabreicht, so kann dennoch Gewinnerzielungsabsicht vorliegen. Diese 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107
Vgl VwGH 19.5.1992, 92/04/0065. VwGH 19.6.1990, 90/04/0036. Ähnlich VwGH 5.11.1991, 91/04/0108; VwGH 29.1.1991, 90/04/0179. VwGH 3.3.1999, 97/04/0183. Weitere Beispiele bei Fischer/Trojer, Gewerbeordnung, 19. AB 690 BlgNR 17. GP, 2 f. VwGH 19.6.1990, 90/04/0036. Ähnlich zB VwGH 29.1.1991, 90/04/0179. VwGH 3.3.1999, 97/04/0183. VwGH 19.6.1990, 90/04/0036; 3.3.1999, 97/04/0183. VwGH 28.1.1992, 91/04/0232. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 34, Rz 42. VwGH 24.11.1992, 92/04/0180. VwGH 5.11.1991, 91/04/0108. VwGH 27.4.1993, 92/04/0245.
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besteht dann freilich darin, zwar nicht den Mitgliedern, wohl aber dem Verein selbst einen Vermögensvorteil zukommen zu lassen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Verein nach dem VereinsG überhaupt befugt ist, die Tätigkeit auszuüben. Ausschlaggebend ist allein, ob bei Ausübung dieser Tätigkeit eine Gewinnerzielungsabsicht tatsächlich besteht.108 So liegt im Falle einer Bewirtung nur dann keine Gewinnerzielungsabsicht vor, wenn nur die Deckung der Kosten der betreffenden Bewirtung angestrebt wird. Umfassen die für die Leistungen des Vereines eingehobenen Entgelte auch einen Kostenbeitrag für sonstige Tätigkeiten des Vereins und für die damit verbundenen Auslagen, dann kann Gewinnerzielungsabsicht vorliegen.109 Unter dem Gesichtspunkt des § 1 Abs 2 GewO ist die Gewinnerzielungsabsicht daher nicht nach der Gesamtgebarung, sondern nur nach Maßgabe der einzelnen Vereinstätigkeit (wie etwa dem Ausschank von Getränken) zu beurteilen.110 Allerdings nimmt der VwGH auf Grund von § 1 Abs 2 GewO dann keine Gewinnerzielungsabsicht an, wenn die Gebarung eines Vereins mit dem Bemühen verbunden ist, „Auslagen gering zu halten oder unter Umständen zu vermeiden und im übrigen dahin ausgerichtet“ ist, „Einnahmen durch Leistungen der Mitglieder oder durch Spenden lediglich in der Höhe der aus der Verwirklichung der ideellen Vereinszwecke zwangsläufig erwachsenden Auslagen zu erzielen“111. Daher unterliegt ein Verein etwa nicht schon allein deshalb der GewO, weil die mit dem Ausschank von Speisen und Getränken erzielten Erträge „zur Deckung der mit der Erreichung des Vereinszweckes verbundenen Unkosten verwendet worden“112 sind. Andererseits schließt die Kostendeckung Gewinnerzielungsabsicht auch nicht grundsätzlich aus. Denn Gewinnerzielungsabsicht ist nach der dargelegten Judikatur des VwGH nur bei einer sparsamen Gebarung auszuschließen. Deswegen mangelt „auch nicht jeder Tätigkeit, deren Erträgnisse der Verminderung des Gesamtaufwandes eines Vereines dienen, schon etwa allein im Hinblick auf diese Eigenschaft die Gewinnerzielungsabsicht“113. Die Rechtsprechung des VwGH ist in dieser Hinsicht allerdings nicht konsequent. Denn es wird in manchen Erkenntnissen auch die Ansicht vertreten, dass bei der Bewirtung von Vereinsmitgliedern nur das Anstreben einer „mit diesem Aspekt der Vereinstätigkeit“ verbundenen Kostendeckung keine Gewinnerzielungsabsicht bedeutet.114 Vom VwGH wird Gewinnerzielungsabsicht mitunter bereits dann angenommen, wenn die Erträge aus einer Bewirtung „nicht nur die Auslagen für den Einkauf der konsumierten Lebensmittel abdecken, sondern auch zur vollständigen Abdeckung des Pachtzinses und der anfallenden Betriebskosten des Vereinslokales dienen“115.
Nach herrschender Auffassung wird die bloße Raumvermietung „im allgemeinen“116 nicht als Gewerbe angesehen, was sich wohl nur mit einem traditionellen Verständnis erklären lässt, das auch dem Gewerbebegriff des § 1 GewO zugrunde liegt. § 4 GewO unterwirft allerdings das Halten von Räumen und Flächen zum Abstellen von Kfz (Garagierung) unter bestimmten Voraussetzungen (zB zusätzliche Dienstleistungen) dem Anwendungsbereich der 108 109 110 111 112 113 114 115 116
VwGH 24.11.1992, 92/04/0180. VwGH 23.10.1995, 93/04/0110, mwN. ZB VwGH 5.11.1991, 91/04/0108. ZB VwGH 19.3.1991, 90/04/0130. VwGH 29.5.1990, 88/04/0352. Siehe auch VwGH 3.7.1991, 91/03/0042, in Bezug auf einen Verein, der Busreisen zu kulturellen Zwecken organisiert. VwGH 6.2.1990, 89/04/0186. VwGH 27.4.1993, 92/04/0245. VwGH 23.10.1995, 93/04/0110. VfSlg 4227/1963; VwSlg 11744(A)/1985.
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GewO.117 Nach einem herkömmlichen Verständnis unterliegt auch die Prostitution nicht der GewO118, wohl aber der Sittlichkeitspolizei der Länder119. Festzustellen ist auch noch, dass gemäß § 1 Abs 1 GewO dieses Gesetz nur für gesetzlich erlaubte Tätigkeiten gilt. Verbote in Bezug auf einzelne Tätigkeiten (zB Wucherverbote, Ladenschlussvorschriften) sind damit allerdings nicht gemeint. Vielmehr findet die GewO nur auf Tätigkeiten keine Anwendung, die in ihrer Gesamtheit einem gesetzlichen Verbot widersprechen. Solche Verbote können sich sowohl aus dem Strafrecht als auch aus verwaltungsrechtlichen Vorschriften ergeben. So unterliegt etwa der Rauschgifthandel nicht der GewO.120 Aber auch beim „Verkauf von Mautvignetten“ handelt es sich um eine gesetzlich verbotene Tätigkeit, weil sie den Regelungen des BundesstraßenfinanzierungsG zuwiderläuft.121
B. Ausnahmen In § 2 GewO werden bestimmte Tätigkeiten, die an sich die Begriffsmerkmale eines „Gewerbes“ im Sinne von § 1 GewO erfüllen, vom Anwendungsbereich der GewO ausdrücklich ausgenommen. Dazu zählen etwa die Land- und Forstwirtschaft als Haupt- und Nebengewerbe; der Buschenschank; der Bergbau; literarische Tätigkeiten; die Ausübung „schöner Künste“; der Selbstverlag von Urhebern; bestimmte Verrichtungen einfachster Art; häusliche Nebenbeschäftigungen; die sogenannten freien Berufe (zB Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftstreuhänder, Ärzte, Apotheker); Privatunterricht (zB Schischulen, Tanzschulen); gewerbliche Arbeiten von Wohlfahrtseinrichtungen; Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen; Eisenbahnen und Luftverkehrsunternehmen; Theater und Kinos; Medienunternehmen; Berg- und Schiführer; Elektrizitätsversorgungsunternehmen und Erdgasunternehmen (außer Erdgashändler); Totalisateure und Buchmacher; Betrieb der Staatsmonopole. Zu dieser Aufzählung ist zunächst einmal festzustellen, dass sie die Ausnahmen von der GewO nicht erschöpfend aufzählt. Daher gilt die Ausnahmeregelung von § 2 GewO explizit auch nur „unbeschadet weiterer ausdrücklich angeordneter Ausnahmen durch besondere bundesgesetzliche Vorschriften“. So sind zwar die dem Bund zustehenden Monopole und Regalien gemäß § 2 Abs 1 Z 24 GewO vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen. Auf dem Gebiet der Telekommunikation besteht aber kein Staatsmonopol mehr. Dennoch findet gemäß § 2 Abs 3 TKG 2003 die GewO auf das Anbieten von Telekommunikationsdiensten und das Betreiben von Telekommunikationsnetzen keine Anwendung.122
Die meisten durch § 2 ausgenommenen Tätigkeiten sind in eigenen Gesetzen wie etwa den Landwirtschaftsgesetzen der Länder, dem ForstG, dem Min117 118
119 120 121 122
Auch die Schaffung von Wohnungseigentum stellt eine gewerbliche Tätigkeit dar; VwGH 10.11.1976, 908/75. ZB VwGH 2.10.1989, 88/04/0045. Nach VwSlg 11075(A)/1975, folgt dies „aus einer Gesamtansicht der Regelungen der GewO“ sowie aus einer verfassungskonformen Auslegung auf Grund des dem Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG zugrundeliegenden Begriffsbildes von „Gewerbe“. VfSlg 11926/1988 Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 133, Rz 347. VwGH 11.11.1998, 98/04/0178. Siehe Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 88, Rz 73.
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roG, den Gesetzen der freien Berufe (zB RAO, WirtschaftstreuhänderBerufsordnung, ÄrzteG), Tanz- und Schischulgesetzen der Länder, BWG, WAG, EisenbahnG, LFG, MedienG, ElWOG (samt AusführungsG) GWG und TabMG und GSpG. Manche der in § 2 aufgezählten Tätigkeiten unterliegen aber überhaupt keiner gesetzlichen Regelung, weshalb diese Ausnahmen allein durch die Auslegung der jeweiligen Umschreibung in § 2 zu bestimmen ist. Das betrifft etwa die Ausübung der schönen Künste in § 2 Abs 1 Z 7 GewO. Gemäß § 2 Abs 11 GewO ist unter „Ausübung der schönen Künste“ iS der GewO „die eigenschöpferische Tätigkeit in einem Kunstzweig“ zu verstehen. Nach der Judikatur des VwGH sind diese Begriffe (ebenso wie im EStG) „nach den für ein umfassendes Kunstfach charakteristischen oder solchen gleichzustellenden Gestaltungsprinzipien“ zu bestimmen. „Die Abgrenzung zum Kunsthandwerk hat im Einzelfall nach Maßgabe des Überwiegens der künstlerischen oder handwerklichen Komponente zu erfolgen. Auf den künstlerischen Ruf, die Beteiligung an Wettbewerben und den Ankauf von Werken durch öffentliche Sammlungen kommt es dabei ebenso wenig entscheidend an wie auf die für das Werk erzielten Preise“123. Eine solche Abwägung ergibt etwa, dass die „Herstellung von Teddybären“ schon deshalb keine „künstlerische“ Tätigkeit (sondern die gewerbliche Tätigkeit: „Erzeugung von Spielwaren“) darstellt, weil die Zuordnung der Produkte zur Herstellerin „nicht etwa durch die grundsätzliche Konzeption und die besondere künstlerische Ausgestaltung des Werkes“124 möglich ist.125 Gleiches gilt für die „gewöhnliche“ fotografische Herstellung von Sofortbildern126. § 2 Abs 11 GewO stellt auch klar, dass die Tätigkeit in einem „Kunstzweig“ zu erfolgen hat. Dieser ist wohl nach der Verkehrsauffassung zu bestimmen, weshalb etwa ein Werbegrafiker nicht von der GewO ausgenommen ist.127 Fraglich ist, was eine „literarische Tätigkeit“ iS der Ausnahmeregelung des § 2 Abs 1 Z 7 GewO bedeutet. Es kann kaum angenommen werden, dass damit nur „künstlerische“ Literatur (zB Lyrik) gemeint ist, weil diese bereits eine „Ausübung der schönen Künste“ iS von § 2 Abs 1 Z 7 darstellen dürfte und die zusätzliche Erwähnung der „literarischen Tätigkeit“ dann überflüssig wäre. Vielmehr ist anzunehmen, dass darunter jedenfalls auch sonstige literarische Tätigkeit (zB Verfassen von wissenschaftlichen Aufsätzen, Feuilletons) fällt.128 In Bezug auf die sonstige wissenschaftliche Tätigkeit ist festzustellen, dass die Wissenschaftsfreiheit gemäß Art 17 StGG (ebenso wie die Kunstfreiheit gemäß Art 17a StGG) eine Reglementierung selbständiger Erwerbstätigkeit durch eine gesetzliche Berufsordnung ausschließt. Dieses verfassungsrechtliche Gebot zählt zum Kreis der „weiteren Ausnahmen durch besondere gesetzliche Vorschriften“ iS von § 2 Abs 1 GewO.129 Auch die gemäß § 2 Abs 1 Z 8 ausgenommenen gegen Stunden- oder Taglohn oder gegen Werksentgelt zu leistenden „Verrichtungen einfachster Art“ unterliegen selbst123
124 125 126 127 128 129
VwGH 26.5.1998, 97/04/0251, mwN. Ganz in diesem Sinne ist gemäß § 2 Abs 11 GewO die Restaurierung von Kunstwerken dann der Ausübung der schönen Künste zuzurechnen, „wenn für die Wiederherstellung eine nachgestaltende künstlerische Fähigkeit erforderlich ist“. VwGH 26.5.1998, 97/04/0251, mwN. Weitere Nachweise bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 112 ff, Rz 113. VwGH 10.12.1991, 91/04/0129. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 2, Rz 242. Nach Feik, in: Informatikrecht2, 299, stellt auch die Entwicklung eines EDVProgramms eine „literarische Tätigkeit“ im Sinne von § 2 Abs 1 Z 7 GewO dar. Rill, Das Gewerberecht: Grundfragen, Grundsätze und Standort im Rechtssystem in: Korinek (Hrsg), Gewerberecht. Grundfragen der GewO 1994 in Einzelbeiträgen, 1995, 1 (8).
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verständlich keinen eigenen gesetzlichen Regelungen. Solche Verrichtungen sind nur dann anzunehmen, wenn zu ihrer Erbringung keine besonderen Fachkenntnisse erforderlich sind.130 Das kann etwa bei einfachen Raumpflegearbeiten, Holzhacken, Rasenmähen, Mithilfe bei der Gartenarbeit angenommen werden.131
Besonderes gilt für das Gastgewerbe (Beherbergung und Bewirtung von Gästen), das zwar einerseits ein in den §§ 111 ff GewO näher geregeltes Gewerbe darstellt. Andererseits werden in § 2 GewO einige „gastgewerbliche“ Tätigkeiten wie der Buschenschank132, die Beherbergung im Rahmen einer häuslichen Nebenbeschäftigung133 („Privatzimmervermietung“) oder die Bewirtung im Rahmen von Veranstaltungen von Körperschaften öffentlichen Rechts („Feuerwehrfeste“) oder sonstigen gemeinnützig, mildtätig oder kirchlich tätigen juristischen Personen134 wieder vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen.
§ 2 Abs 9 GewO enthält eine Umschreibung des Begriffes „Buschenschank“135. Die Verabreichung von warmen Speisen fällt demnach nicht darunter. Auch der „Ausschank von Glühmost“136 ist nach der Judikatur nicht von der Ausnahmeregelung für den Buschenschank umfasst. Gemäß Art III der B-VG-Nov 1974137 gehört die Privatzimmervermietung nicht zu den Angelegenheiten des Gewerbes iS von Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Unter Privatzimmervermietung ist nach dieser Bestimmung die durch gewöhnliche Mitglieder des eigenen Haushalts als häusliche Nebenbeschäftigung ausgeübte Vermietung von nicht mehr als zehn Fremdenbetten. Als „häusliche Nebenbeschäftigung“ ist die Privatzimmervermietung von der Ausnahmeregelung des § 2 Abs 1 Z 9 GewO umfasst. Nach der Judikatur ist für die Qualifikation als häusliche Nebenbeschäftigung die Eigenart und die Betriebsweise der betreffenden Tätigkeit maßgeblich. Vergleichsmaßstab sind dabei nicht weitere Erwerbstätigkeiten, sondern die anderen häuslichen Tätigkeiten. Eine häusliche Nebenbeschäftigung kann daher nicht „im Konnex zum Einkommen“138 gesehen werden. Sie kann vielmehr selbst dann in Betracht kommen, wenn die aus ihr erzielten Einkünfte das sonstige Einkommen übersteigen.139 Entscheidend ist hingegen zum einen, dass es sich um „mit in einem Haushalt bei Durchschnittsbetrachtung anfallenden Tätigkeiten im Zusammenhang“140 stehende Beschäftigungen handelt. Zum anderen müssen diese gegenüber den anderen häuslichen Tätigkeiten eine unterge130
131 132 133 134
135 136 137 138 139 140
Siehe in diesem Zusammenhang auch § 31 Abs 1 GewO, wonach „einfache Tätigkeiten“ von Handwerken oder gebundenen Gewerben diesen Gewerben nicht vorbehalten sind und daher für sich genommen keinen Befähigungsnachweis erfordern. Als „einfache Tätigkeiten“ gelten gemäß § 31 Abs 1 ebenfalls nicht solche Verrichtungen, die besondere Fähigkeiten und Kenntnisse voraussetzen. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 53, Rz 13. § 2 Abs 1 Z 5 GewO. § 2 Abs 1 Z 9 GewO. § 2 Abs 1 Z 25 GewO. Siehe zur Rechtslage vor Einfügung dieser Ausnahmevorschrift in den § 2 durch die Novelle BGBl I 1998 I/116 VwGH 25.11.1997, 96/04/0099, und dazu Quantschnigg, Feuerwehr- und Vereinsfeste in der Gewerbeordnung, ÖStZ 1998, 254. Siehe dazu näher Pauger/Rack, Rechtsfragen des Buschenschanks, ZfV 1981, 433 ff. VwGH 16.12.1998, 98/04/0116. BGBl 1974/444. VwGH 9.7.1999, 96/04/0224. VwGH 3.3.1999, 97/04/0176; 97/04/0177. VwGH 9.7.1999, 96/04/0224.
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ordnete Rolle einnehmen.141 Neben der Privatzimmervermietung142 kommen etwa das Herstellen von Back- und Strickwaren als häusliche Nebenbeschäftigungen in Betracht.143 Fraglich ist hingegen, ob bestimmte Formen der „Telearbeit“ wie die Übernahme von Schreibarbeiten, die bloße Dateneingabe und die Durchführung einfacher EDV-Abfragen als häusliche Nebenbeschäftigung angesehen werden können.144 Insbesondere stellt sich die Frage, ob Telearbeit als eine bei Durchschnittsbetrachtung im Haushalt anfallende Arbeit anzusehen ist.
An sich unter die GewO fallende Tätigkeiten (wie etwa Sägewerke, Herstellung von Möbeln) sind jedoch dann von ihr ausgenommen, wenn sie als Nebengewerbe einer Land- und Forstwirtschaft ausgeübt werden. § 2 Abs 4 zählt dazu etwa (jeweils unter bestimmten Voraussetzungen) die Verarbeitung und Bearbeitung überwiegend145 eigener Naturprodukte146, das Verarbeiten von Wein zu Sekt, den Abbau der eigenen Bodensubstanz, Dienstleistungen mit im eigenen Betrieb verwendeten land- und forstwirtschaftlichen Betriebsmitteln sowie das Vermieten solcher Betriebsmittel an andere land- und forstwirtschaftliche Betriebe147 das Vermieten und Einstellen von Reitpferden.
Nach der Judikatur fallen allerdings die in § 2 Abs 4 GewO aufgezählten Tätigkeiten nicht schlechthin unter den Begriff eines von der GewO ausgenommenen Nebengewerbes der Land- und Forstwirtschaft. Vielmehr sind demnach dort lediglich die Typen von Tätigkeiten aufgezählt, die bei Vorliegen zusätzlicher Merkmale ein solches „Nebengewerbe“ darstellen. Zu dem Begriff des „Nebengewerbes“ immanenten Voraussetzungen gehört zunächst eine enge organisatorische Verbundenheit mit einer Land- und Forstwirtschaft. Dabei geht es nicht um die „Art der Verwendung des Endprodukts“ (etwa ob dieses ganz oder teilweise im „Hauptbetrieb“ verwendet wird), sondern um die „Verzahnung der betrieblichen Vorgänge, die einerseits der zu prüfenden nebengewerblichen Tätigkeit und andererseits dem Betrieb der eigentlichen Land- und Forstwirtschaft dienen“. Ganz im Sinne einer typologischen Betrachtungsweise wird dabei nach Maßgabe einer Abwägung festzustellen sein, ob eine dem Typus „Nebenbetrieb“ entsprechend ausreichende Verflechtung vorliegt. Das wird jedenfalls dann zu verneinen sein, wenn „die Ausübung der Tätigkeit dem Erscheinungsbild eines Betriebes entspricht, wie er in Ansehung der jeweils in Frage stehenden Tätigkeiten von einem Ge141 142 143 144 145
146 147
Ebenda. Zur Abgrenzung zum Gastgewerbe siehe VwGH 17.2.2004, 2002/06/0132. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 101, Rz 93. Bejahend Filzmoser, Telearbeit und Gewerberecht, ecolex 1996, 384 (387); Feik, in: Informatikrecht2, 300. Nach Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 101, Rz 93, ist im Hinblick auf § 2 Abs 3 Z 1 GewO das Erfordernis „überwiegend“ in § 2 Abs 4 Z 1 GewO grundsätzlich erfüllt, wenn höchstens 25% zugekaufter Produkte be- und verarbeitet werden. Diese Argumentation ist jedoch nicht überzeugend, weil sich die Tatbestandsmerkmale von § 2 Abs 3 Z 1 GewO und § 2 Abs 4 Z 1 GewO nicht decken. § 2 Abs 3 Z 1 GewO nimmt land- und forstwirtschaftlichen „Hauptbetriebe“ auch dann von der GewO aus, wenn diese bis zu 25% fremde Produkte „zukaufen“. § 2 Abs 4 Z 1 sieht hingegen eine Erweiterung der Ausnahmeregelung für „Nebengewerbe“ vor, wenn diese zusätzlich zur Erfüllung weiterer Kriterien überwiegend eigene Naturprodukte „ver- oder bearbeiten“. Auf Grund des Regelungszusammenhanges sowie der unterschiedlichen Formulierungen ist anzunehmen, dass der Begriff „überwiegend“ über die 25%-Grenze des § 2 Abs 3 Z 1 GewO hinausgeht und - seinem üblichen Wortsinn entsprechend - mehr als 50% bedeutet. Dazu zählt etwa auch die Fleischverarbeitung; vgl VwGH 26.2.1991, 90/04/0147. Dazu VwGH 26.5.2004, 2001/08/0140.
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werbetreibenden losgelöst von der Land- und Forstwirtschaft geführt wird“. Schließlich gehört zum Nebenbetrieb auch das Merkmal des „Wirtschaftlich-untergeordnetBleibens“, was „eine vergleichende Gegenüberstellung zwischen der jeweils ausgeübten Tätigkeit der Erzeugung des Naturproduktes und der Tätigkeit der Verarbeitung und Bearbeitung“ erfordert. Bei dieser ist „auf alle Merkmale der betreffenden Tätigkeiten, insbesondere auf das Ausmaß der Wertschöpfung, auf die Höhe des Ertrages und der Kosten und auf den Aufwand an Arbeitskräften und an Arbeitszeit Bedacht zu nehmen“148. Nach den dargelegten Kriterien erfasst etwa § 2 Abs 4 Z 3 GewO den Abbau der eigenen Bodensubstanz in einem Nebenbetrieb (Substanzbetrieb) nur dann, wenn darin vorwiegend Substanzen (zB Schotter oder Torf) zur Verwendung im land- und forstwirtschaftlichen Hauptbetrieb abgebaut werden. Hingegen kann die Gewinnung von Schotter als solche nicht Gegenstand eines land- und forstwirtschaftlichen Hauptbetriebes sein, weil sie nicht der eigentlichen land- und forstwirtschaftlichen Produktion zuzurechnen ist.149 Allerdings kann auch der Abbau von Bodensubstanzen im Rahmen eines Hauptbetriebes von der GewO ausgenommen sein, wenn es sich um dabei um das „Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe“ und damit um „Bergbau“ iS von § 2 Abs 1 Z 6 GewO handelt.150 In Bezug auf Verarbeitungsbetriebe enthält § 2 Abs 4 Z 1 GewO eine besondere Präzisierung der Kriterien für Nebenbetriebe. Nach dieser Bestimmung sind darunter „die Verarbeitung und Bearbeitung überwiegend des eigenen Naturproduktes unter der Voraussetzung, dass der Charakter des jeweiligen Betriebes als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb gewahrt bleibt“, zu verstehen.151 Damit dürfen Land- und Forstwirte praktisch alle Produkte erzeugen, die aus überwiegend eigenen Naturprodukten hergestellt werden können (Verarbeitungsbetriebe).152 In Betracht kommt etwa die Produktion von Möbel, Käse, Back- und Fleischwaren153.
Anzumerken ist noch, dass die GewO einzelne Vorschriften auf gemäß § 2 GewO prinzipiell ausgenommene Tätigkeiten erstreckt. So gilt etwa die Ausnahme der land- und Forstwirtschaft gemäß § 2 Abs 2 GewO nicht für die Regelung über das „Feilbieten im Umherziehen“ gemäß § 53 Abs 5 GewO.154
III. Gewerbeantritt A. Allgemeines Im Hinblick auf des Verfahren zur Erlangung der Gewerbeberechtigung unterscheidet die GewO zunächst zwischen Anmeldungsgewerben und genehmigungspflichtigen Gewerben. Ein entscheidender Unterschied zwischen diesen beiden Kategorien von Gewerben besteht im Zeitpunkt der Erlangung der Ge148 149 150 151
152 153 154
VwGH 26.5.1998, 98/04/0016. VwGH 15.11.1993, 92/10/0432. VwGH 17.4.1998, 96/04/0293. Die in dieser Vorschrift enthaltenen Kriterien eines Nebenbetriebes („Überwiegen“ der eigenen Produkte und entsprechendes „Erscheinungsbild“) stellen Spezialregelungen gegenüber den dargelegten (vom VwGH entwickelten) allgemeinen Merkmalen eines Nebenbetriebes dar, die daher auch bei Verarbeitungsbetrieben iS von § 2 Abs 4 Z 1 GewO nicht mehr zu prüfen sind. Filzmoser, RdW 1997, 440. § 2 Abs 4 Z 1 GewO umfasst auch tierische Naturprodukte; Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 101, Rz 93. Siehe weiters § 2 Abs 7,8; § 3 und § 288 Abs 1 GewO.
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werbeberechtigung. Genehmigungspflichtige Gewerbe dürfen erst mit der rechtskräftigen Erteilung einer Genehmigung ausgeübt werden, in der neben der Erfüllung der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen zusätzlich auch das Vorliegen einer spezifischen „Zuverlässigkeit“ zur Gewerbeausübung bescheinigt wird. Dagegen dürfen Anmeldegewerbe gemäß § 5 Abs 1 GewO bei Erfüllung der vorgeschriebenen allgemeinen und besonderen Voraussetzungen grundsätzlich bereits mit der Anmeldung des betreffenden Gewerbes ausgeübt werden. Eine Bestrafung gemäß § 366 Abs 1 Z 1 GewO kommt daher bei Anmeldungsgewerben auch dann in Betracht, wenn trotz Anmeldung nicht alle Voraussetzungen der Gewerbeausübung (wie zB Befähigungsnachweis, Vorliegen eines Ausschlussgrundes155) vorliegen.
Diese Unterscheidung ist allerdings ergänzungsbedürftig: Das Gewerbe der Rauchfangkehrer darf (auf Grund einer Anmeldung156) erst nach Erlassung eines Bescheides ausgeübt werden157, in dem zusätzlich zu den allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Gewerbeausübung ein „Bedarf“158 festgestellt wurde. In Abgrenzung zu den (reinen159) Anmeldegewerben und genehmigungspflichtigen Gewerben kann man diese Tätigkeit als Konkurrenzschutzgewerbe bezeichnen. Hinsichtlich der fachlichen Qualifikationen unterscheidet § 5 Abs 2 GewO zwischen reglementierten Gewerben und freien Gewerben. Ein Teil der reglementierten Gewerbe sind Handwerke, bei denen der Befähigungsnachweis durch „Meisterprüfung“ abgelegt werden kann. Ein anderer Teil sind genehmigungspflichtige Gewerbe, für die als besondere Voraussetzung zusätzlich auch noch eine Zuverlässigkeitsprüfung vorgesehen ist.160 Für Handwerke und sonstige reglementierte Gewerbe ist als besondere Voraussetzung das Erfordernis eines Befähigungsnachweises vorgesehen, dessen inhaltliche Anforderungen sich für die „Meisterprüfung“ bei Handwerken nach § 20 GewO und für sonstige reglementierte Gewerbe nach § 18 und § 19 GewO bestimmen. Die reglementierten Gewerbe sind in § 94 GewO erschöpfend aufgezählt. Alle sonstigen von der GewO umfassten (aber nicht typisierend aufgezählten161) Tätigkeiten stellen freie Gewerbe dar, für deren Ausübung kein Befähigungsnachweis gefordert wird. Im Übrigen ist in Bezug auf den Gewerbeantritt in der GewO zwischen Inländern und Ausländern und innerhalb dieser Kategorien zwischen natürlichen Personen und juristischen Personen und Personengesellschaften zu unterscheiden. Auch werden EU-Ausländer und Angehörige von Drittstaaten jeweils unterschiedlich behandelt.
155 156 157 158 159 160 161
ZB Hanusch, GewO, § 13, Rz 1. § 340 Abs 1 und 2 GewO. § 125 Abs 4 GewO. § 121 Abs 1 Z 4 GewO. Auch das Rauchfangkehrergewerbe muss - wie schon gesagt - zunächst angemeldet werden. § 95 Abs 1 GewO. Siehe aber die Aufzählung bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 129 ff, Rz 9 ff.
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B. Inländer Voraussetzung der Gewerbeausübung sind gemäß § 14 GewO grundsätzlich bei natürlichen Personen die Staatsbürgerschaft und bei juristischen Personen und Personengesellschaften ein Sitz oder eine Niederlassung im Inland. Dieser Grundsatz wird in der GewO zwar (vor allem in Bezug auf EU-Ausländer) erheblich durchbrochen, doch handelt es sich dabei nach wie vor um eine für die Systematik der GewO sehr wesentliche Unterscheidung. Bei den Inländern trifft die GewO eine grundlegende Differenzierung zwischen natürlichen Personen einerseits und juristischen Personen sowie Personengesellschaften andererseits. Während bei natürlichen Personen die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Gewerbeausübung grundsätzlich von diesen selbst zu erfüllen sind162, bedarf es bei juristischen Personen und Personengesellschaften stets der Bestellung eines entsprechend qualifizierten gewerberechtlichen Geschäftsführers bzw Pächters. An diese Differenzierung knüpft die GewO dann weitere rechtliche Regelungen, weshalb im folgenden zunächst die Antrittsvoraussetzungen für die Gewerbeausübung von (inländischen) natürlichen Personen und daran anschließend jene von juristischen Personen und Personengesellschaften mit Sitz oder Niederlassung im Inland behandelt werden.
1. Natürliche Personen a) Anmeldegewerbe aa) Anmeldungsverfahren aaa) Anmeldung Wer ein Anmeldungsgewerbe ausüben will, hat gemäß § 339 Abs 1 GewO die Gewerbeanmeldung („mit Telefax, im Wege automationsunterstützter Datenverarbeitung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise“) bei der Bezirksverwaltungsbehörde des Standortes zu erstatten. Für die Anmeldung gilt gemäß § 339 Abs 2 GewO insoweit ein Bestimmtheitsgebot, als sie zunächst „die genaue Bezeichnung des Gewerbes“ zu enthalten hat. Dieses „Bestimmtheitsgebot“ ist aus mehreren Gründen von Bedeutung: Es soll der Behörde zunächst eine Überprüfung ermöglichen, ob die Tätigkeit überhaupt in den Geltungsbereich der GewO fällt. Weiters soll die Behörde dadurch beurteilen können, ob die angemeldete Tätigkeit (zumindest teilweise) zu einem bewilligungspflichtigen Gewerbe gehört. Auch lässt sich nur auf Grund einer genauen Bezeichnung des Gewerbes überprüfen, ob und inwieweit es nach der GewO einen Befähigungsnachweis erfordert. Schließlich ist zu bedenken, dass sich auf Grund der Gewerbeanmeldung der Umfang der Gewerbeberechtigung bestimmt163. Eine genaue Bezeichnung des Gewerbes in der Anmeldung trägt daher auch zu einer besserer Ermittlung des Gewerbeumfanges bei. Eine „genaue“ Umschreibung des Gewerbes iS von § 339 Abs 2 GewO ist somit dann anzunehmen, wenn sie in Bezug auf die dargelegten Aspekte eine klare Abgrenzung zulässt. Dabei ist es nicht erforderlich (und wohl auch kaum möglich), dass dabei ausschließlich Begriffe mit im üblichen Sprachgebrauch eindeutigem Inhalt verwendet 162 163
Siehe allerdings § 16 Abs 1 GewO. § 29 GewO.
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werden. Entscheidend ist vielmehr, dass sich der Sinngehalt der verwendeten Begriffe überhaupt klären lässt. Das kann etwa im Hinblick auf den Kontext oder den Zweck von Vorschriften denkbar sein, in denen dieser Begriff verwendet wird.164 Auch ist es ausreichend, wenn sich der Begriffsinhalt unter Heranziehung von Fachliteratur oder dem Gutachten von Sachverständigen ermitteln lässt, sofern die Bezeichnung in ihrer Bedeutung wenigstens dem in Betracht kommenden Abnehmerkreis geläufig ist.165 Hingegen wird dem Bestimmtheitsgebot nicht durch der Behörde außerhalb der Gewerbeanmeldung erteilte Erläuterungen über die Art der beabsichtigten Gewerbeausübung entsprochen.166 Eine ausreichende Bestimmtheit kann nach Meinung des VwGH auch durch den bloßen Zusatz „unter Ausschluss jeder an einen Befähigungsnachweis gebundenen Tätigkeit“ in der Gewerbeanmeldung nicht erreicht werden.167 Das Bestimmtheitsgebot wird auch dann verletzt, wenn die Bezeichnung keine hinreichend deutliche Abgrenzung zu nicht der GewO unterliegenden Tätigkeiten erkennen lässt.168 Im Gegensatz zur früheren Rechtslage169 ist nunmehr auch die Zusammenfassung mehrerer Gewerbe in einer Gewerbeanmeldung zulässig.170 Damit ist es möglich, bereits in der Gewerbeanmeldung etwa freie Gewerbe mit gebundenen Gewerben (für die man einen Befähigungsnachweis oder Nachsicht davon erlangt hat) zu „stückeln“. Die Erweiterung des Umfanges einer bereits bestehenden Gewerbeberechtigung hat durch eine weitere Gewerbeanmeldung zu erfolgen.171 Auf Grund von § 85 Z 12 GewO (Endigung der Gewerbeberechtigung wegen Zeitablauf oder Eintritt einer auflösenden Bedingung) ist davon auszugehen, dass Gewerbeanmeldungen auch befristet oder unter auflösenden Bedingungen erstattet werden können.172
Die Gewerbeanmeldung hat aber gemäß § 339 Abs 2 GewO grundsätzlich173 auch eine genaue Bezeichnung des für die Ausübung in Aussicht genommenen Standortes zu enthalten. Dieser ist nach seiner örtlichen Lage innerhalb einer Gemeinde genau zu bestimmen, weshalb etwa die bloße Angabe der Gemeinde nicht ausreichend ist.174
Bei Gewerben, die im wesentlichen Tätigkeiten zum Inhalt haben, die außerhalb von Betriebsstätten durchgeführt werden (zB Mietwagengewerbe, Rauchfangkehrer, Baumeister), ist jene Einrichtung als „Standort“ anzusehen, wo sich zumindest in der Regel der Verkehr des Unternehmens mit seinen Kunden abspielt, wo und über welche Betriebsstätten das Unternehmen also für seine Kunden erreichbar ist und wo auch regelmäßig die Mehrzahl der internen Geschäftsvorgänge abgewickelt wird.175 Kraft 164 165 166 167
168 169 170 171 172 173 174 175
VwGH 6.11.1995, 94/04/0103. VwGH 23.5.1995, 94/01/0161. VwGH 23.5.1995, 94/04/0178. VwGH 26.9.1995, 93/04/0181; 6.11.1995, 94/04/0103. Der VwGH begründet dies damit, dass eine solche Umschreibung bloß eine Beurteilung der beabsichtigten Tätigkeit ohne Aussagekraft für den Umfang des angemeldeten Gewerbes darstelle. Auch wenn man diese Argumentation nicht teilt, so kann doch angenommen werden, dass mit einer solchen Formulierung keine „genaue Umschreibung des Gewerbes“ vorgenommen wird. VwGH 17.12.2003, 2001/04/0158; 17.11.2004, 2002/04/0139. Siehe etwa noch VwGH 26.5.1998, 96/04/0256. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1089, Rz 6. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1088, Rz 3. Dazu Hanusch, GewO, § 85, Rz 13. Siehe aber auch § 339 Abs 2 zweiter Satz. VwGH 2.4.1982, 81/04/0006. VwGH 8.4.1988, 88/18/0027.
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ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in § 339 Abs 2 GewO ist bei den Gewerben der Marktfahrer und des Feilbietens die Wohnung und bei bestimmten auf öffentlichen Verkehrsmittel (zB „Board-Service“ in einem Zug) oder in Verbindung mit Wanderveranstaltungen ausgeübten Gewerben der Bürobetrieb als Standort anzugeben.
Der Anmeldung sind auch einige in § 339 Abs 3 aufgezählte Unterlagen anzuschließen, wie etwa der Nachweis des Namens einer natürlichen Person, ein allenfalls geforderter Befähigungsnachweis sowie bei juristischen Personen und Personengesellschaften ein Auszug aus dem Firmenbuch, der auf Ersuchen des Anmelders (gegen Gebühr) auch von der Behörde eingeholt werden kann. Aus dem „konstitutiven Charakter“ der Gewerbeanmeldung wird gefolgert, dass ein Fehlen der gesetzlich vorgeschriebenen Nachweise keinen einer Verbesserung nach § 13 Abs 3 AVG zugänglichen Mangel darstellt.176
bbb) Behördliche Prüfung und Entscheidung Die Bezirksverwaltungsbehörde hat gemäß § 340 Abs 1 GewO auf Grund der Anmeldung zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes durch den Anmelder in dem betreffenden Standort vorliegen. Die Prüfung durch die Behörde hat sich auf die Gewerbeanmeldung, so wie sie erstattet wurde, zu beziehen. Insbesondere darf die Behörde die in der Gewerbeanmeldung enthaltene Bezeichnung des Gewerbes nicht ändern.177 Bei der Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Gewerbeanmeldung ist grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Anmeldung abzustellen.178 Allerdings ist zu bedenken, dass zum einen gemäß § 340 Abs 1 letzter Satz GewO als Tag der Gewerbeanmeldung jener Tag gilt, an welchem alle gemäß § 339 Abs 3 GewO erforderlichen Nachweise bei der Behörde eingelangt sind.179 Liegt zum Zeitpunkt der Anmeldung (ungeachtet eines bereits eingeleiteten Nachsichtsverfahrens) keine bescheidmäßig erteilte Nachsicht von einem Ausschlussgrund vor, dann sind die Ausübungsvoraussetzungen nicht gegeben.180 Eine für die Gewerbeausübung etwa erforderliche Betriebsanlagengenehmigung muss gemäß § 15 GewO bei der Anmeldung des Gewerbes hingegen noch nicht vorliegen.
Liegen die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Gewerbeausübung vor, dann hat die Behörde den Anmelder binnen drei Monaten in das Bewerberegister einzutragen und durch Übermittlung eines Auszugs aus dem Gewerberegister zu verständigen.181 Liegen die Voraussetzungen für die Gewerbeausübung nicht vor, dann hat die Bezirksverwaltungsbehörde dies gemäß § 340 Abs 3 GewO mit Bescheid festzustellen und die Ausübung des Gewerbes zu untersagen. Eine solche Entscheidung (und keine Zurückweisung) hat die Behörde nach der Judikatur des VwGH etwa auch vorzunehmen, wenn die Bezeichnung des Gewerbes nicht hinreichend genau ist.182 Gleiches gilt dann wohl auch, wenn die bezeichnete gewerbli176 177 178 179 180 181
182
VwGH 24.6.1998, 98/04/0082. VwGH 26.5.1998, 96/04/0256. VwGH 3.3.1999, 99/04/0020, mwN; 12.12.2001, 2001/04/0148. Vgl VwGH 3.3.1999, 97/04/0138. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1114 f, Rz 26. Damit wurde durch die Gewerberechtsnovelle 2002 der Gewerbeschein ersetzt. Kritisch dazu Winkler, Die Gewerbeanmeldung nach der Gewerbeordnungsnovelle 2002 und dem Öffnungszeitengesetz 2003, Wbl 2004, 313 (314 ff). VwGH 6.11.1995, 94/04/0103.
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che Tätigkeit (ganz oder teilweise) zu einem bewilligungspflichtigen Gewerbe gehört. Hingegen kommt die Untersagung der „Ausübung des Gewerbes“ nicht in Betracht, wenn die angemeldete Tätigkeit zur Gänze nicht dem Anwendungsbereich der GewO unterliegt. Diesfalls ist mit Zurückweisung der Gewerbeanmeldung vorzugehen. Sofern allerdings zumindest ein Teil der bezeichneten Tätigkeit unter die GewO fällt, hat allerdings für diesen ein Untersagungsbescheid (und für den übrigen Teil allenfalls ein Zurückweisungsbescheid) zu ergehen. Nach der Judikatur des VwGH ist die Gewerbebehörde nicht berechtigt, über eine Gewerbeanmeldung teils positiv und teils negativ abzusprechen.183 Aus § 340 Abs 3 GewO geht klar hervor (argumentum: „unbeschadet eines Verfahrens nach § 366 Abs 1 Z 1“), dass die Erlassung eines Untersagungsbescheides nicht Voraussetzung für die Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens wegen unbefugter Gewerbeausübung ist (und umgekehrt).
Gegen die Entscheidung der Bezirksverwaltungsbehörde kann der (die) Anmelder(in) Berufung beim Landeshauptmann erheben.
bb) Allgemeine Voraussetzungen aaa) Eigenberechtigung Grundlegende Voraussetzung der Ausübung eines Gewerbes durch eine natürliche Person ist gemäß § 8 Abs 1 GewO deren Eigenberechtigung. Diese tritt gemäß § 21 ABGB prinzipiell mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein, sofern die Minderjährigkeit nicht verlängert oder verkürzt wird. Keine Eigenberechtigung iS von § 8 GewO besitzen auch unter Sachwalterschaft stehende Behinderte, die zur ordnungsgemäßen Gewerbeausübung nicht in der Lage sind.184 Geht die Eigenberechtigung (zB durch Bestellung oder Erweiterung des Wirkungskreises eines Sachwalters) verloren, dann kann ein Gewerbe gemäß § 8 Abs 3 GewO durch einen Geschäftsführer weiter ausgeübt werden.
Allerdings dürfen gemäß § 8 Abs 2 GewO auch nicht eigenberechtigte Personen ein Gewerbe ausüben. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass mehr als die Hälfte eines Gewerbebetriebes „auf Grund einer Rechtsnachfolge von Todes wegen oder einer Schenkung auf den Todesfall“ auf sie übergegangen ist. Weiters dürfen hinsichtlich des Gewerbebetriebes keine Fortbetriebsrechte185 bestehen. Schließlich muss für die Ausübung des Gewerbes ein gewerberechtlicher Geschäftsführer186 bestellt werden. Unter diesen Bedingungen sieht § 8 Abs 2 GewO auch eine Privilegierung von eigenberechtigten Personen bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres vor: Diese dürfen diesfalls ein Gewerbe auch dann ausüben, wenn sie nicht die persönlichen Voraussetzungen der Gewerbeausübung erfüllen (zB Vorliegen eines Ausschlussgrundes). Die GewO räumt bestimmten Erbberechtigten (zB Ehegatten, Kindern) in § 41 GewO auch ein Fortbetriebsrecht ein. Dieses ist von dem Recht auf Gewerbeausübung gemäß § 8 Abs 2 GewO systematisch zu unterscheiden: Beim Fortbetriebsrecht handelt es sich um das Recht auf Fortführung eines Gewerbebetriebes „auf Grund der Gewerbeberechtigung einer anderen Person“187. Demgegenüber räumt § 8 Abs 2 GewO unter den 183 184 185 186 187
VwGH 26.5.1998, 96/04/0256. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1113 f, Rz 24. Solche nach § 41 Abs 1 Z 2 (überlebender Ehegatte) und Z 3 (Kinder und Wahlkinder). § 39 GewO. § 41 Abs 1 GewO.
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dort geregelten Voraussetzungen das Recht auf Gewerbeausübung auf Grund einer „eigenen“ Gewerbeberechtigung ein. Diese wird gemäß § 8 Abs 2 durch „Anmeldung“ erworben. Wesentlich ist aber, dass kraft ausdrücklicher Regelung in § 8 Abs 2 GewO Fortbetriebsrechte vorrangig zur Anwendung kommen. Erbt etwa ein 20-Jähriger von seinem Vater einen Gewerbebetrieb und erfüllt er nicht die persönlichen Voraussetzungen für die Ausübung des betreffenden Gewerbes, dann darf er diesen Gewerbebetrieb im Rahmen eines Fortbetriebsrechtes gemäß § 41 GewO und nicht auf Grund der Privilegierung des § 8 Abs 2 GewO betreiben. Demgegenüber käme § 8 Abs 2 GewO zum Tragen, wenn der 20-Jährige den Gewerbebetrieb von einer Person (auf Grund eines Testaments) erben würde, zu der weder ein Ehegatten- noch ein Verwandtschaftsverhältnis besteht. Ein praktischer Unterschied besteht darin, dass beim Fortbetriebsrecht anders als nach § 8 GewO unter bestimmten Voraussetzungen von der Bestellung eines Geschäftsführers Nachsicht erteilt werden kann.188
Ab dem 24. Lebensjahr (bzw ab Erlangung der Eigenberechtigung) darf die natürliche Person das Gewerbe gemäß § 8 Abs 4 GewO freilich nur bei Erfüllen der persönlichen Voraussetzungen ausgeübt werden, was der Behörde anzuzeigen ist. Kann lediglich ein erforderlicher Befähigungsnachweis nicht erbracht werden, dann genügt gemäß § 16 Abs 1 GewO die Bestellung eines gewerberechtlichen Geschäftsführers. bbb) Ausschlussgründe und Nachsicht aaaa) Allgemeines Im Dienste der Ordnungssicherung und des Gläubigerschutzes sind in § 13 GewO bestimmte Gründe normiert, bei deren Vorliegen die Gewerbeausübung (auch bei erfolgter Anmeldung189) ausgeschlossen ist. Allerdings besteht gemäß § 26 GewO für all diese Ausschlussgründe unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Nachsicht190 grundsätzlich durch den Landeshauptmann191. Die Möglichkeit einer solchen Nachsicht hat die Behörde nicht im Zuge der Prüfung einer Gewerbeanmeldung von Amts wegen zu prüfen. Vielmehr ist eine Nachsicht ausschließlich auf Antrag gemäß § 346 GewO nach Maßgabe eines besonderen Verfahrens von der Bezirksverwaltungsbehörde innerhalb von vier Monaten mit Bescheid zu erteilen. Zuvor kann die Behörde ein Gutachten der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft einholen. Bei der Anmeldung des Gewerbes muss der Nachsichtsbescheid vorliegen.192 Die Nachsicht von bestimmten Ausschlussgründen (strafgerichtliche Verurteilung, Bestrafung wegen Finanzvergehen und Nichteröffnung eines Konkurses) ist gemäß § 26 Abs 4 GewO aber nur zu erteilen, wenn keine anderen Ausschlussgründe vorliegen, als jene, für die Nachsicht beantragt wurde. Insoweit hat die Behörde im Rahmen eines Nachsichtsverfahrens auch eine amtswegige Prüfung von Ausschlussgründen vorzunehmen. Liegt ein Ausschlussgrund bei Gewerbeanmeldung vor, dann ist dies gemäß § 340 Abs 3 GewO mit Bescheid festzustellen und die Ausübung des Gewerbes zu untersagen. Wird ein Ausschlussgrund hingegen bei bestehender Gewerbeberechtigung verwirklicht 188 189 190 191 192
§ 41 Abs 4 zweiter Satz GewO. ZB Hanusch, GewO, § 13, Rz 1. ZB VwGH 28.1.1993, 92/04/0207. § 346 Abs 1 GewO. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1114 f, Rz 26.
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(zB Verurteilung, Nichteröffnung eines Konkurses mangels Vermögen), dann ist die Gewerbeberechtigung gemäß § 87 GewO unter bestimmten Voraussetzungen zu entziehen. Ein Nachsichtsverfahren ist diesfalls nicht zulässig.193
bbbb) Strafgerichtliche Verurteilung Von der Ausübung des Gewerbes ist gemäß § 13 Abs 1 erster Satz GewO ausgeschlossen, wer von einem Gericht wegen bestimmter Delikte (zB betrügerische Krida) oder zu einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen verurteilt worden ist. Dies gilt nach § 13 Abs 1 GewO auch, „wenn mit dem angeführten Ausschlussgrund vergleichbare Tatbestände im Ausland verwirklicht wurden“. Da § 13 Abs 1 erster Satz GewO auf das Strafausmaß abstellt, bilden gerichtliche Verurteilungen im Ausland mit vergleichbarem Strafausmaß einen Ausschlussgrund. Bei Vorliegen einer entsprechenden Verurteilung ist die Gewerbeausübung ausgeschlossen. Auf das Motiv der Straftat kommt es nicht an. Insbesondere ist für den Ausschlussgrund - anders als für die Nachsicht davon - unerheblich, ob die Tat die Begehung strafbarer Handlungen bei der Gewerbeausübung („gewerberechtliche Zuverlässigkeit“) befürchten lässt.194 Ein Strafausschlussgrund liegt gemäß § 13 Abs 1 GewO allerdings nicht vor, wenn die Verurteilung getilgt ist. Die Behörde ist zur Abfrage der Daten aus dem Strafregister gemäß § 365a GewO befugt.
Allerdings kann die Behörde von diesem Ausschlussgrund gemäß § 26 Abs 1 GewO Nachsicht erteilen, „wenn nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes nicht zu befürchten ist“.
Bei der Nachsicht gemäß § 26 Abs 1 GewO ist - anders als beim Ausschlussgrund gemäß § 13 Abs 1 GewO - zu prüfen, ob durch die strafbare Handlung die gewerberechtliche Zuverlässigkeit in Zweifel gezogen wird. Dies erfordert eine nähere Prüfung der konkreten strafbaren Handlung, sofern nicht schon die Verurteilung die ihr zugrunde liegende Tat erkennen lässt.195 Die Behörde hat aber auch die mit der beabsichtigten Ausübung der konkreten Gewerbeberechtigung in Zusammenhang stehenden Umstände zu prüfen.196 Die Nachsicht kann etwa bei einer Verurteilung wegen „Urkundenfälschung“ in Bezug auf das Druckereigewerbe verweigert werden.197 Gleiches gilt bei einer Verurteilung wegen „fahrlässiger Krida“ und „schwerem Betrug“ in Bezug auf das Handelsgewerbe198 und bei einer Verurteilung wegen „Untreue im Hinblick auf das Gewerbe eines Versicherungsmaklers. Bei der Beurteilung der Persönlichkeit des Verurteilten kann auch der zeitliche Abstand zur Begehung der Tat eine Rolle spielen.199
cccc) Bestrafung wegen Finanzvergehen Ausgeschlossen von der Gewerbeausübung ist gemäß § 13 Abs 2 GewO auch, wer wegen bestimmter gesetzlich aufgezählter Finanzvergehen (zB Schmuggel, 193 194 195 196 197 198 199
VwGH 2.2.2000, 2000/04/0002. VwGH 29.3.1994, 93/04/0254. ZB VwGH 2.7.1992, 92/04/0083. VwGH 15.10.1982, 81/04/0031. VwGH 23.5.1980, 3209/78. VwGH 13.9.1988, 87/04/0058. Siehe auch etwa VwGH 29.3.1994, 93/04/0130. VwGH 30.10.1990, 90/04/0127.
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Hinterziehung von Eingangs- und Ausgangsabgaben)200 von einer Finanzstrafbehörde mit einer Geldstrafe von mehr als EUR 726,- bestraft wurde oder neben einer Geldstrafe eine Freiheitsstrafe verhängt wurde. Voraussetzung des Ausschlussgrundes ist außerdem, dass seit der Bestrafung noch nicht fünf Jahre vergangen sind. Auch dieser Ausschlussgrund kommt dann zum Tragen, wenn „vergleichbare Tatbestände“ im Ausland verwirklicht wurden. Von diesem Ausschlussgrund sind nur Bestrafungen durch „Finanzstrafbehörden“ erfasst.201 Gerichtliche Verurteilungen wegen eines Finanzvergehens fallen unter den Ausschlussgrund des § 13 Abs 1 GewO.
Auch von diesem Ausschlussgrund ist gemäß § 26 Abs 1 GewO Nachsicht zu erteilen, wenn nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Bestraften die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes nicht zu befürchten ist. dddd) Nichteröffnung des Konkurses mangels hinreichenden Vermögens Dem „Schutz vor zahlungsunfähigen Teilnehmern am Wirtschaftsleben“202 (Gläubigerschutz) dienen die in § 13 Abs 3 bis 5 GewO enthaltenen Regelungen über den Ausschluss von der Gewerbeausübung wegen Konkurs. Bis zur GewO-Novelle 2002 waren Rechtsträger von der Gewerbeausübung ausgeschlossen, über deren Vermögen der Konkurs eröffnet wurde. Dies wurde als zu weit gehend angesehen, weil wirtschaftliche Aktivitäten in einer Marktwirtschaft „unvermeidlich mit einem Risiko verbunden“203 sind. Nach der geltenden Rechtslage bildet grundsätzlich nur mehr die Nichteröffnung eines Konkurses mangels eines hinreichenden Vermögens einen Ausschlussgrund. Nur hinsichtlich der Tätigkeit der Versicherungsvermittlung sind Rechtsträger im Falle eines Konkurses gemäß § 13 Abs 4 GewO nach wie vor von der Gewerbeausübung ausgeschlossen. aaaaa) Eigenes Vermögen Zunächst trifft den Ausschluss zunächst eine Person „über deren Vermögen“ der Konkurs eröffnet wurde oder bei der ein gegen sie gerichteter Konkursantrag mangels eines zur Deckung der Verfahrenskosten hinreichenden Vermögens abgewiesen wurde. Auch von diesem Ausschlussgrund ist die Verwirklichung vergleichbarer Tatbestände im Ausland mitumfasst. Voraussetzung des Ausschlusses ist aber auch, dass der Zeitraum, in dem in die Insolvenzkartei Einsicht in dem betreffenden Fall gewährt wird, noch nicht abgelaufen ist. Die Verwaltungsbehörde hat gemäß § 13 Abs 3 GewO lediglich das Vorliegen eines Gerichtsbeschlusses über die Abweisung eines Antrages auf Konkurseröffnung mangels ausreichendem Vermögen204 zu prüfen, nicht aber dessen Rechtmäßigkeit.
Außerdem kann vom Ausschlussgrund wegen Konkurs gemäß § 26 Abs 2 GewO Nachsicht erteilt werden, wenn auf Grund der nunmehrigen wirtschaftlichen Lage des Rechtsträgers erwartet werden kann, dass dieser den mit der 200 201 202 203 204
Zur Ermittlung dieses Ausschlussgrundes siehe etwa Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO § 13, Rz 19. Siehe dazu § 53 FinStrG. VwGH 16.12.1998, 98/03/0083. RV 1117 BlgNR 21. GP, S 74. ZB VwGH 17.4.1998, 98/04/0038 ua; 16.12.1998, 98/04/0205.
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Gewerbeausübung verbundenen Zahlungsverpflichtungen nachkommen wird. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass der Nachsichtswerber über die erforderlichen liquiden Mitteln verfügt, um die mit der beabsichtigten Gewerbeausübung im Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten fristgerecht (also bei Fälligkeit205) abdecken zu können.206 Dabei handelt es sich um eine Prognoseentscheidung, bei der die gesamte wirtschaftliche Situation des Betroffenen zu bewerten ist.207 Nach der Judikatur des VwGH trifft dabei den Nachsichtswerber eine besondere Mitwirkungspflicht, indem dieser das Vorliegen der Voraussetzung für die Nachsichtserteilung entsprechend zu konkretisieren und zu belegen hat.208 Der Nachsichtswerber hat darzulegen, dass er im Zeitpunkt der Bescheiderlassung über die zur angestrebten Gewerbeausübung erforderlichen „liquiden Mittel“ verfügt.209 Auch Vorbringen über „die in Zukunft zu erwartende günstige wirtschaftliche Lage“ sind entsprechend zu begründen.210
bbbbb) Fremdes Vermögen Einen weiteren Ausschlussgrund enthält § 13 Abs 5 GewO für den Fall, dass die eben dargelegten Voraussetzungen (wie die Nichteröffnung eines Konkurses mangels Vermögen) bei einem anderen Rechtsträger „als einer natürlichen Person“ (wie Kapitalgesellschaft, Personengesellschaft des Handelsrechts oder Verein) vorliegen. Diesfalls sind auch jene natürlichen Personen ausgeschlossen, denen ein maßgebender Einfluss auf den Betrieb der Geschäfte dieses Rechtsträgers zusteht oder zugestanden ist. Dabei kommt es nicht nur auf die rechtlichen Gestaltungsformen, sondern auch auf tatsächliche Gesichtspunkte an.211 Nach der Rechtsprechung des VwGH trifft dies jedenfalls auf den Vorstand einer AG212 und den Geschäftsführer einer GmbH213 zu. Auf Grund historischer Interpretation ist ein „maßgebender Einfluss“ jedenfalls bei vertretungsbefugten Organen einer Gesellschaft anzunehmen sein. Gleiches gilt danach für Personen, die mehr als die Hälfte der Gesellschaftsanteile besitzen.214 Unmaßgeblich ist, ob dieser Einfluss tatsächlich ausgeübt wird.215 Auch spielt es für den Ausschluss keine Rolle, ob ein subjektives Verschulden an der Herbeiführung der Insolvenz vorliegt.216 Ein „maßgebender Einfluss“ eines Geschäftsführers ist nach Meinung des VwGH auch nicht schon deshalb zu verneinen, weil die Gesellschaft durch einen Holding-Vertrag regiert und beherrscht wird.217 Ein gewerberechtlicher Geschäftsführer besitzt hingegen nicht unbedingt einen „maßgebenden Einfluss“218. Auch kommt es auf
205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218
ZB VwGH 23.11.1993, 93/04/0001. ZB VwGH 10.12.1991, 91/04/0169; 28.1.1993, 92/04/0207. VwGH 28.3.1989, 88/04/0335. ZB VwGH 10.12.1991, 91/04/0169; 28.1.1993, 92/04/0207. VwGH 28.1.1993, 92/04/0207. VwGH 10.12.1991, 91/04/0169. Ebenso 28.1.1993, 92/04/0207. VwGH 21.8.1990, 88/04/0036, 0044. VwGH 21.8.1990, 88/04/0036, 0044. ZB VwGH 15.9.1999, 99/04/0061. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 13, Rz 31. VwGH 17.4.1998, 98/04/0041. VwGH 2.6.1999, 99/04/0085. VwGH 6.11.1995, 92/04/0260. Siehe aber auch VwSlg 13251(A)/1990. VwSlg 14168(A)/1994.
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den tatsächlichen Einfluss an, weshalb Abweichungen von üblichen Konstellationen möglich sind.219
Auch von diesem Ausschlussgrund ist gemäß 26 Abs 3 GewO jedoch Nachsicht zu erteilen, wenn auf Grund der Umstände, die zum Konkurs geführt haben und nach der Persönlichkeit der betreffenden natürlichen Person erwartet werden kann, dass sie den mit der Gewerbeausübung verbundenen Zahlungsverpflichtungen nachkommt. Dies setzt auch hier voraus, dass der Nachsichtswerber über ausreichende liquide Mittel verfügt. eeee) Verlustigerklärung oder Entziehung der Gewerbeberechtigung Ein Ausschlussgrund besteht gemäß § 13 Abs 6 GewO auch dann, wenn eine Gewerbeberechtigung durch Gerichtsurteil für verlustig erklärt wurde220 oder gemäß § 87 Abs 1 Z 3 GewO (infolge „schwerwiegender Verstöße“ gegen Rechtsvorschriften und Schutzinteressen) oder gemäß § 87 Abs 1 Z 4 GewO (infolge Bestrafung wegen Beihilfe zur unbefugten Gewerbeausübung) von der Gewerbeberechtigung entzogen wurde. Der Ausschluss tritt allerdings nicht ex lege mit der Verlustigerklärung bzw der Entziehung der Gewerbeberechtigung ein. Als weitere Voraussetzung muss gemäß § 13 Abs 6 GewO hinzukommen, dass durch die Ausübung dieses Gewerbes der Zweck der Verlustigerklärung bzw Entziehung der Gewerbeberechtigung „vereitelt werden könnte“ (Vereitelungsgefahr). Das zuletzt genannte Tatbestandselement ist im Einzelfall schwierig zu beurteilen.221 Davon ist nicht nur die Gewerbebehörde bei Prüfung der Gewerbeanmeldung betroffen. Auch die Rechtsunterworfenen haben eine solche Beurteilung selbst vorzunehmen, weil sie bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes das Gewerbe trotz Anmeldung nicht ausüben dürfen. Vor allem deshalb ist § 13 Abs 3 GewO im Hinblick auf Art 18 B-VG nicht ganz unproblematisch, weil dieser für „unmittelbare“ - dh durch behördliche Maßnahmen nicht weiter konkretisierungsbedürftige - Verpflichtungen eine relativ strenge gesetzliche Determinierung verlangt.222
Von diesem Ausschlussgrund ist gemäß § 27 GewO Nachsicht zu erteilen, wenn sich die betroffenen Personen „später durch längere Zeit einwandfrei verhalten haben“. Damit wird jedenfalls klargestellt, dass eine Nachsicht unmittelbar nach Eintritt des Ausschlussgrundes nicht rechtmäßig ist.223 Dem Zweck der Regelung (Ordnungssicherung) entsprechend muss es sich dabei jedenfalls um einen Zeitraum handeln, der Rückschlüsse auf das längerfristige Verhalten des Betroffenen erlaubt. Auch die „Schwere“ der für die Verlustigerklärung bzw Entziehung maßgeblichen Verletzung hat dabei wohl eine Rolle zu spielen, weil sie Rückschlüsse auf die grundsätzliche Einstellung zu den mit den Rechtsvorschriften verbundenen Werten erlaubt.
219 220 221 222
223
Hanusch, GewO, § 13, Rz 14. Siehe § 66 Abs 1 LMG. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 210, Rz 38. Dazu Potacs, Zur Auslegung belastender Verwaltungsvorschriften, FS Rill, 1995, 569 (578); Raschauer, Gesetzmäßigkeitsgrundsatz und Wirtschaftsrecht, FS Rill, 1995, 515 (536 f). Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 283, Rz 6.
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ffff) Widerruf und Entfernungsauftrag § 13 Abs 6 GewO normiert auch einen Ausschlussgrund für natürliche Personen, die als gewerberechtliche Geschäftsführer (Filialgeschäftsführer) oder als Person mit „maßgebenden Einfluss“ tätig waren und wegen Zutreffens der Entziehungsgründe von § 87 Abs 1 Z 3 GewO („schwerwiegende Verstöße“ gegen Rechtsvorschriften und Schutzinteressen) und § 87 Abs 1 Z 4 GewO (Bestrafung wegen Beihilfe zur unbefugten Gewerbeausübung) Anlass für einen behördlichen Widerruf gemäß § 91 Abs 1 GewO oder einen Entfernungsauftrag gemäß § 91 Abs 2 GewO waren. Diese Vorschriften treffen Regelungen für den Fall, dass Gründe für die Entziehung der Gewerbeberechtigung von einen gewerberechtlichen Geschäftsführer (Filialgeschäftsführer) oder von Personen mit „maßgebendem Einfluss“ auf eine juristische Person oder Personengesellschaft erfüllt werden. Die Behörde hat gemäß § 91 Abs 1 GewO bei Vorliegen solcher Entziehungsgründe beim Geschäftsführer (Filialgeschäftsführer) die Bestellung bescheidmäßig zu widerrufen. Liegen die Entziehungsgründe bei einer Person mit „maßgebendem Einfluss“ auf eine juristische Person oder Personengesellschaft vor, dann hat die Behörde gemäß § 91 Abs 2 GewO mit Bescheid einen Entfernungsauftrag zu erlassen.224
Der Ausschluss setzt gemäß § 13 Abs 6 (aus dem systematischen Zusammenhang des ersten mit dem zweiten Satz) voraus, dass ansonsten der Zweck des Widerrufs bzw des Entfernungsauftrages vereitelt werden könnte. Auch von diesem Ausschlussgrund ist aber gemäß § 27 GewO Nachsicht zu erteilen, wenn sich die betroffenen Personen „später durch längere Zeit einwandfrei verhalten“. ccc) Ausübungsverbote Gemäß § 15 GewO darf eine gewerbliche Tätigkeit nicht ausgeübt werden, wenn Bestimmungen der GewO oder der hierauf gegründeten Verordnungen dieser Tätigkeit entgegenstehen. Nach dieser Vorschrift hat die Gewerbebehörde nur zu überprüfen, ob die Tätigkeit gegen ein gewerberechtliches Verbot verstößt. So gestattet etwa gemäß § 118 Abs 2 GewO die Gewerbeberechtigung für Inkassoinstitute nicht dazu, sich Forderungen abtreten zu lassen, auch wenn die Abtretung nur zu Zwecken der Einziehung erfolgen sollte. Hingegen hat die Gewerbebehörde nicht mehr die Vereinbarkeit der Gewerbeausübung mit Standortverboten in bau- und raumordnungsrechtlichen Vorschriften der Länder zu prüfen.225
Eine solche Prüfung haben ausschließlich die Gemeinden im Rahmen des baurechtlichen Genehmigungsverfahrens einer Betriebsanlage vorzunehmen226. Bei den von den Gewerbebehörden zu beachtenden Verboten ist zu unterscheiden: Verletzt die angemeldete Tätigkeit eine gewerberechtliche Vorschrift, dann hat die Behörde dies gemäß § 340 Abs 3 GewO mit Bescheid festzustellen und die Ausübung des Gewerbes zu untersagen. Verstößt die Tätigkeit gegen andere Vorschriften (zB des Strafrechts) dann liegt gemäß § 1 Abs 1 GewO gar keine unter den Anwendungsbereich der GewO fallende Tätigkeit vor, weshalb die Anmeldung zurückzuweisen ist.227 224 225 226 227
Dazu zB VwGH 6.4.2005, 2004/04/0008. Siehe etwa Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 223, Rz 1. Siehe dazu unten Kapitel VIII. in „Gewerbliches Betriebsanlagenrecht“. Siehe demgegenüber aber VwGH 11.11.1998, 98/04/0178.
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Eine besondere Regelung trifft § 15 GewO für das Erfordernis einer Betriebsanlagengenehmigung, die danach zum Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung noch nicht vorliegen muss.
cc) Befähigungsnachweis aaa) Anforderungen und Regelungssystem Zu den besonderen Voraussetzungen der Gewerbeausübung gehört bei bestimmten Gewerben das Erfordernis eines Befähigungsnachweises. Darunter wird der Nachweis bestimmter fachlicher Qualifikationen verstanden, um einen möglichst hohen Qualitätsstandard sicherzustellen. Das Erfordernis eines Befähigungsnachweises dient daher in erster Linie dem Ziel der Qualitätssicherung. „Der Verfassungsgerichtshof hat die Verfassungsmäßigkeit des Befähigungsnachweissystems, das das Gewerberecht insgesamt prägt, an sich nicht in Zweifel gezogen“228. Allerdings ist durchaus umstritten, ob und inwieweit ein Befähigungsnachweis bei einzelnen gewerblichen Tätigkeiten erforderlich ist. So wird unter dem Schlagwort der „Liberalisierung“ der GewO immer wieder sogar eine gänzliche Abschaffung des Befähigungsnachweises gefordert. Die GewO-Novellen der vergangenen Jahre waren auch durch ein Zurückdrängen des Befähigungsnachweises für gewerbliche Tätigkeiten gekennzeichnet. So wurde einerseits die Zahl jener Gewerbe reduziert, für die ein Befähigungsnachweis verlangt wird.229 Andererseits wurde das Erfordernis des Befähigungsnachweises durch Schaffung neuer Typen gewerblicher Tätigkeiten (zB verbundene Gewerbe) abgeschwächt. Im Hinblick auf das Erfordernis eines Befähigungsnachweises geht die GewO von folgendem Regelungssystem aus: Einerseits bestehen standardisierte Nachweisregelungen, die in der GewO selbst oder in den dazu ergangenen Ausführungsverordnungen festgelegt sind. Diese „starren“ Nachweisregelungen orientieren sich an den in der GewO als befähigungsnachweispflichtige Gewerbe in „Gewerbelisten“230 typisierten Tätigkeiten. Können die darin vorgesehenen formellen Nachweise nicht (vollständig) erbracht werden, so besteht andererseits gemäß § 19 GewO die Möglichkeit eines individuellen Befähigungsnachweises. Auf diese Weise kann der Befähigungsnachweis auch für Teilbereiche von den in der GewO aufgezählten befähigungsnachweispflichtigen Gewerben erbracht werden. Durch dieses Regelungsmodell wird die in Anbetracht der praktischen Vielfalt möglicher gewerblicher Tätigkeiten „notwendige Elastizität“ gewährleistet, der durch „standardisierte“ Nachsichtsregelungen nicht umfassend Rechnung getragen werden kann.231 Die Prüfung des individuellen Befähigungsnachweises hat im Rahmen des Anmeldeverfahrens zu erfolgen.232 Ein besonderer Antrag ist dafür nicht erforderlich.233 Aller-
228 229 230 231 232 233
VfSlg 15683/1999. Siehe dazu aber Filzmoser, RdW 1997, 437. § 94, 124, 127 GewO. Siehe dazu VfSlg 13094/1992. Wieser, Der individuelle Befähigungsnachweis nach § 19 GewO, ÖZW 2005, 34 (37, 44). Siehe auch VwGH 6.4.2005, 2004/04/0047. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 244, Rz 6.
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dings kann auf Antrag ein Bescheid auf Feststellung der individuellen Befähigung erwirkt werden.234
Innerhalb der gewerblichen Tätigkeiten, für die ein Befähigungsnachweis verlangt wird, unterscheidet die GewO systematisch zwischen Handwerken und sonstigen reglementierten Gewerben. Handwerke sind in der Aufzählung der reglementierten Gewerbe in § 94 GewO besonders gekennzeichnet. Bei der Aufzählung in § 94 GewO handelt es sich um „typisierte“ Tätigkeitsbilder, die sich unter bestimmten Berufsbezeichnungen (zB Tischler, Baumeister) etabliert haben. Traditionellerweise wurde der Unterschied zwischen Handwerken und sonstigen befähigungsnachweispflichtigen Gewerben darin gesehen, dass der Befähigungsnachweis bei Handwerken in der Meisterprüfung bestand. Seit der GewO-Novelle 1992 hat dieses Unterscheidungskriterium jedoch an Bedeutung verloren, weil der Befähigungsnachweis für Handwerke auch in anderer Weise als durch Meisterprüfung erbracht werden kann. Handwerke und sonstige reglementierte Gewerbe unterscheiden sich nunmehr durch die von der GewO und den darauf basierenden Verordnungen jeweils aufgestellten Anforderungen für den Befähigungsnachweis. So kann gemäß § 18 Abs 1 GewO der Befähigungsnachweis für ein Handwerk außer durch eine Meisterprüfung auch etwa durch Zeugnisse über den erfolgreichen Abschluss eines Studiums und einer fachlichen Tätigkeit235 erbracht werden. Der BMWA hat gemäß § 18 Abs 6 GewO im Einvernehmen mit dem BMBWK durch Verordnung festzulegen, welche Studien welchen Handwerken entsprechen. Die Meisterprüfung selbst besteht aus fünf Modulen, die einen fachlich-praktischen und einen fachlichtheoretischen Teil umfassen.236 Inhalt und Ablauf der Prüfung sind in der Allgemeinen Prüfungsordnung237 geregelt. Für sonstige reglementierte Gewerbe hat gemäß § 22 GewO, die zuständige Fachorganisation der WKÖ eine Prüfungsordnung zu erlassen. Sowohl bei Handwerken als auch bei sonstigen reglementierten Gewerben ist als Befähigungsnachweis eine Unternehmerprüfung vorgesehen, bei der die für die Gewerbeausübung erforderlichen betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Kenntnisse nachzuweisen sind. Das Erfordernis einer Unternehmerprüfung kann allerdings gemäß § 23 Abs 2 GewO durch andere Nachweise wie etwa ein BWL-Studium ersetzt werden.
Mit der GewO-Nov 1997 wurde die Kategorie der Teilgewerbe in § 31 GewO eingeführt. Demnach werden durch Verordnung des BMWA Teilbereiche von im Gesetz als Handwerke und sonstigen reglementierten Gewerbe (§ 94 GewO) typisierten Tätigkeitsgebieten geschaffen. Für diese genügt dann ein vereinfachter Nachweis der Befähigung, der ebenfalls in einer Verordnung zu bestimmen ist. Damit wurden auch für gewisse Teilbereiche bestimmter Handwerke und sonstiger reglementierter Gewerbe „standardisierte“ Nachweisregelungen eingeführt. Gegenüber der Möglichkeit eines individuellen Befähigungsnachweises für Teiltätigkeiten eines befähigungsnachweispflichtigen Gewerbes hat diese Regelung den Vorteil, dass die Anforderungen an den Befähigungsnachweis von vorneherein festgelegt sind.
234 235 236 237
Dazu VwGH 18.5.2005, 2004/04/0188; 18.5.2005, 2004/04/0211. Siehe auch Filzmoser, Berufsrecht, 36. Dazu § 18 Abs 3 GewO. § 20 Abs 4 bis 9 GewO. BGBl II 2004/110.
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Gemäß § 31 Abs 2 GewO ist die Befähigung für ein Teilgewerbe bei der „Anmeldung“ nachzuweisen. Nach der 1. Teilgewerbe-Verordnung (BGBl 1998 II/11) sind etwa die Änderungsschneiderei, die Erzeugung von Speiseeis und das Instandsetzen von Schuhen Teilgewerbe.
Für die Anforderung des Befähigungsnachweises wurde durch die GewONovelle 1997 aber noch eine weitere wesentliche Erleichterung eingeführt: Nunmehr kann gemäß § 16 Abs 1 GewO der Befähigungsnachweis bei allen Arten der Gewerbeausübung mit Ausnahme der Rauchfangkehrer auch von einem gewerberechtlichen Geschäftsführer erbracht werden. Allerdings muss es sich dabei gemäß § 39 Abs 2 GewO um einen mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer handeln, weshalb ein befähigter Geschäftsführer nur für zwei Gewerbebetriebe tätig sein kann238. bbb) Einschränkungen Das prinzipielle Erfordernis eines Befähigungsnachweises für bestimmte gewerbliche Tätigkeiten wird in der GewO durch eine Reihe von Regelungen wieder abgeschwächt. Viele dieser Vorschriften wurden erst in jüngerer Zeit im Zuge der „Liberalisierung“ der Gewerbeordnung eingeführt. aaaa) Industriebetriebe Eine Ausnahme vom Erfordernis eines Befähigungsnachweises für Industriebetriebe (ehemals „fabriksmäßig ausgeübte“ Gewerbe) gibt es allerdings bereits seit der GewO 1859. Sie lässt sich aus der Wettbewerbssituation zwischen Handwerkern und industriellen Erzeugern erklären. Die Handwerker wollten nicht mit den Industriellen in ein und derselben Interessengruppe zusammengeschlossen sein.239 Die (im Hinblick auf den Gleichheitssatz) sachliche Rechtfertigung für diese Privilegierung wird einerseits darin gesehen, dass es dem Gewerbetreibenden bei einer bestimmten Größe eines Betriebes kaum mehr möglich ist, einen prägenden Einfluss auf die Erbringung der gewerblichen Leistung auszuüben.240 Bei dieser Sicht ist § 7 GewO verfassungsrechtlich bedenklich, weil die Merkmale eines Industriebetriebes nicht vorrangig auf einen Großbetrieb abstellen. Im Vordergrund steht vielmehr ein weitgehend technisierter Betrieb.241 Diese verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen allerdings dann nicht, wenn man eine andere Auffassung teilt, wonach auch durch die Erfüllung der in § 7 GewO angeführten Merkmale das öffentliche Interesse an einer fachlich einwandfreien Gewerbeausübung gesichert ist.242
Gemäß § 7 Abs 1 GewO wird ein Gewerbe in der Form eines Industriebetriebes ausgeübt, wenn für den Betrieb folgende Merkmale bestimmend sind: hoher Einsatz von Anlage- und Betriebskapital, Verwendung einer Vielzahl von Maschinen und technischen Einrichtungen gleichen Verwendungszweckes, serienmäßige Erzeugung und typisierte Verrichtungen, weitgehende Arbeitstei-
238 239 240 241 242
Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 146, Rz 377. Rill, Gewerberecht, 12. Ebenda. Ebenda. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 160, Rz 12.
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lung im Rahmen eines vorbestimmten Arbeitslaufes, größere Anzahl ständig beschäftigter Arbeitnehmer, organisatorische Trennung in technische und kaufmännische Führung, wobei sich die Mitarbeit des Gewerbetreibenden im wesentlichen auf leitende Tätigkeiten beschränkt. Die Merkmale müssen nicht alle erfüllt sein, damit ein Industriebetrieb vorliegt, doch müssen sie gemäß § 7 Abs 2 GewO gegenüber den für eine andere Betriebsform sprechenden Merkmalen überwiegen. Auch müssen die Merkmale nur insoweit vorliegen, als sie für die Gestaltung des Arbeitsablaufes bedeutsam sind. Die dargelegten Kriterien sind somit nicht „starr“, sondern bilden vielmehr ein „bewegliches System“243. § 7 Abs 1 GewO verlangt also eine abwägende Entscheidung, wobei die dargelegten Merkmale für den Betrieb „bestimmend“ sein müssen. Nach zutreffender Auffassung lässt sich daher das Vorliegen eines Industriebetriebes nicht danach bestimmen, ob die gesetzlich aufgezählten Merkmale „mathematisch“ überwiegen.244 Entscheidend ist vielmehr, welche Bedeutung den einzelnen Merkmalen bei der Gestaltung des gesamten Arbeitsablaufes zukommt.245 Für einen Industriebetrieb ist auch keine „serienmäßige Erzeugung“ gemäß Z 4 zwingend. Daher können nicht nur (wie der übliche Wortsinn von „Industriebetrieb“ vielleicht nahe legen würde) Herstellungs- und Bearbeitungstätigkeiten, sondern auch Dienstleistungen (zB Reparatur von Kfz) als „Industriebetriebe“ iS von § 7 GewO erbracht werden.246 Außerdem muss nicht jede Teilarbeit in Form eines Industriebetriebes ausgeübt werden. Für das Vorliegen eines Industriebetriebes sind gemäß § 7 Abs 3 GewO sind Organisation und Einrichtung des „Gesamtbetriebes“ maßgebend. Es schadet daher etwa nicht, wenn im Rahmen des Gesamtbetriebes bestimmte Arbeiten handwerklich ausgeführt werden. Schließlich muss das Gewerbe gemäß § 7 Abs 4 GewO auch nicht in jeder Betriebsstätte in der Form eines Industriegebietes ausgeübt werden. Allerdings darf durch einzelne nicht industriemäßig geführte Betriebsstätten insgesamt der industrielle Charakter des Gesamtbetriebes nicht verloren gehen.
Die Ausnahme vom Erfordernis eines Befähigungsnachweises für Industriebetriebe wird aber in zweifacher Hinsicht durchbrochen: Zum einen kann gemäß § 7 Abs 5 GewO bei bestimmten industriemäßig ausgeübten Gewerben (zB Baumeister, Herstellung von Arzneimitteln, Waffengewerbe, Zimmermeister) die Erbringung des Befähigungsnachweises durch den Gewerbetreibenden nur dann unterbleiben, wenn der Befähigungsnachweis durch einen Geschäftsführer erbracht wird. Zum anderen finden auf bestimmte gewerbliche Tätigkeiten gemäß § 7 Abs 6 GewO die Vorschriften über Industriebetriebe keine Anwendung. Dazu zählen das Handelsgewerbe, Verkehrsgewerbe wie die durch das GelegenheitsverkehrsG (Taxigewerbe) geregelten Gewerbe und Tourismusgewerbe wie das Gastgewerbe, Reisebüros und Fremdenführer247.
Die Möglichkeit der Erbringung des Befähigungsnachweises durch den Geschäftsführer für die in § 7 Abs 5 GewO genannten Gewerbe stellt allerdings mittlerweile keine besondere Erleichterung dar. Seit der GewO-Novelle 1997 sieht § 16 Abs 1 GewO ganz 243 244 245 246 247
Korinek, Der gewerberechtliche Industriebegriff nach Wilburgs beweglichem System, FS Wilburg, 1975, 163 ff. VwSlg 6013(A)/1963. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 159, Rz 9. ZB Kinscher/Paliege-Barfuß, § 7, Rz 1. Kinscher/Paliege-Barfuß, § 7, Rz 17.
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grundsätzlich vor, dass der Befähigungsnachweis auch von einem Geschäftsführer erbracht werden kann.
Die beabsichtigte Ausübung eines Gewerbes in Form eines Industriebetriebes ist bereits in der Gewerbeanmeldung darzulegen. Gemäß § 347 Abs 1 GewO hat die Gewerbebehörde dabei lediglich zu prüfen, ob die Gewerbeausübung in dieser Form offenkundig zumindest vorläufig überhaupt nicht möglich oder gar nicht beabsichtigt ist. Liegt eine solche „Offenkundigkeit“ vor, dann hat die Behörde die Gewerbeausübung zu untersagen248 bzw die Genehmigung nicht zu erteilen. Bestehen jedoch in weiterer Folge Zweifel, ob das Gewerbe tatsächlich als Industriebetrieb ausgeübt wird, dann hat gemäß § 347 Abs 2 GewO die Bezirksverwaltungsbehörde über diese Frage zu entscheiden. Dieser hat dann nicht mehr bloß eine „Offenkundigkeitsprüfung“ vorzunehmen, sondern vielmehr festzustellen, ob das Gewerbe tatsächlich in Form eines Industriebetriebes ausgeübt wird. Vor seiner Entscheidung hat er die beteiligten Fachgruppen der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft, den beteiligten Fachverband der Industrie sowie die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft und die Kammer für Arbeiter und Angestellte zu hören. Die beteiligten Gliederungen der Landeskammern der gewerblichen Wirtschaft und der Fachverband der Industrie (nicht aber die Kammer für Arbeiter und Angestellte) können gegen den Bescheid des Landeshauptmannes Berufung erheben. Gemäß § 88 Abs 5 GewO ist die Gewerbeberechtigung für die Ausübung eines Gewerbes in Form eines Industriebetriebes zu entziehen, wenn gemäß § 347 Abs 2 GewO festgestellt worden ist, dass der Betrieb nicht in der Form eines Industriebetriebes ausgeübt wird und der Gewerbeinhaber den erforderlichen Befähigungsnachweis nicht erbringen kann.
bbbb) Verbundene Gewerbe Durch die GewO-Novelle 1997 wurden die sogenannten verbundenen Gewerbe geschaffen. Darunter sind gemäß § 6 GewO Gewerbe zu verstehen, die sich aus zwei oder mehreren Gewerben zusammensetzen und die in § 94 GewO ausdrücklich als solche bezeichnet sind. Die Besonderheit verbundener Gewerbe liegt gemäß § 30 Abs 1 GewO in folgendem: Wurde der Befähigungsnachweis für ein Gewerbe das zu einem verbundenen Gewerbe gehört, in vollem Umfang erbracht, so sind die Gewerbetreibenden, die zur Ausübung des betreffenden Gewerbes berechtigt sind, auch befugt, die Leistungen der anderen Gewerbe zu erbringen, aus denen sich das verbundene Gewerbe zusammensetzt. Voraussetzung der Ausübung eines verbundenen Gewerbes ist somit, dass der Befähigungsnachweis für zumindest ein daran beteiligtes Gewerbe „in vollem Umfang“ erbracht wird. Dies kann auch durch individuellen Befähigungsnachweis, Anerkennung gemäß § 373c GewO, Gleichhaltung gemäß § 373d GewO249 oder Bestellung eines Geschäftsführers geschehen250. Im Falle eines Geschäftsführerwechsels ist es gleichgültig, für welches der zu einem verbundenen Gewerbe zusammengeschlossenen Gewerbe der Befähigungsnachweis erbracht wurde.251 Nicht ausreichend ist somit, wenn der Befähigungsnachweis (etwa individuell gemäß § 19 GewO) nur für Teiltätigkeiten eines Gewerbes (und daher nicht „in vollem Umfang“) erbracht wurde. 248 249 250 251
So ausdrücklich in § 347 Abs 1 GewO. § 340 Abs 2 GewO. Filzmoser, RdW 1997, 438. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 155, Rz 2.
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Verbundene Gewerbe sind gemäß § 94 GewO etwa Gärtner und Blumenbinder, Schlosser und Schmiede, Spengler und Kupferschmiede sowie Tischler und Drechsler. Wer den Befähigungsnachweis für ein Handwerk „in vollem Umfang“ erbringt, kann im Übrigen gemäß § 21 Abs 2 GewO den Befähigungsnachweis für ein mit diesem Handwerk verbundenes Handwerk mit einer Zusatzprüfung erwerben.
cccc) Einfache Tätigkeiten Gemäß § 31 GewO sind „einfache Teiltätigkeiten“ von Handwerken oder gebundenen Gewerben diesen „nicht vorbehalten“. Dies bedeutet, dass solche Tätigkeiten von Gewerbetreibenden im Rahmen ihrer Gewerbeberechtigung miterledigt werden dürfen. Personen ohne Gewerbeberechtigung sind zur gewerblichen Durchführung einfacher Tätigkeiten befugt, wenn sie ein freies Gewerbe angemeldet haben.252 Als „einfache Teiltätigkeiten“ gelten gemäß § 31 Abs 1 GewO solche Tätigkeiten von Handwerken oder gebundenen Gewerben, deren fachgemäße Ausübung den sonst vorgeschriebenen Befähigungsnachweis nicht erfordert. Daher zählen dazu jedenfalls nicht die für ein Gewerbe typischen „Kerntätigkeiten, welche die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen voraussetzen“. Auch „Kerntätigkeiten“ eines Gewerbes253 können eine einfache Tätigkeit darstellen, wenn sie keine besonderen Kenntnisse Fähigkeiten und Erfahrungen voraussetzen.254 Zu einfachen Teiltätigkeiten wird etwa das Anfertigen von Passbildern mittels Automaten, die einfache Reparatur an Fahrrädern, die Tätigkeit als Kistentischler255, der Verkauf von vorgefertigten Korrektionsbrillen256 und das Fotokopieren257 gezählt.
dddd) Integrierter Betrieb Gewerbetreibende dürfen gemäß § 37 GewO Tätigkeiten eines reglementierten Gewerbes auch ohne Befähigungsnachweis im Rahmen eines sogenannten „integrierten Betriebes“ ausüben. Darunter wird die Ausübung verschiedener gewerblichen Tätigkeiten im Rahmen eines Gesamtbetriebes verstanden. Dies kann dem üblichen Wortsinn nach wohl nur bedeuten, dass die in einem integrierten Betrieb zusammengefassten gewerblichen Tätigkeiten einer einheitlichen betrieblichen Führung unterliegen müssen. Auf Grund historischer Interpretation258 ist weiters anzunehmen, dass zwischen dem Stammbetrieb und den in den integrierten Betrieb einbezogenen Leistungen ein wirtschaftlicher Zusammenhang bestehen muss. Ein fachlicher Zusammenhang wird insoweit jedoch vom Gesetz nicht verlangt.259 252 253 254 255 256 257 258 259
Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 291, Rz 5. Dazu unten IV.B.1. VwGH 28.10.1997, 97/04/0120. Kinscher/Paliege-Barfuß, § 31, Rz 1. VwGH 28.10.1997, 97/04/0120. VwGH 24.10.2004, 99/04/0230. Weitere Beispiele bei Fischer/Trojer, Gewerbeordnung, 60. In der RV 635 BlgNR 18. GP, S 82, wird das Wesen eines integrierten Betriebes in der „Führung eines abgerundeten Gesamtbetriebes“ gesehen. Kinscher/Paliege-Barfuß, § 37, Rz 9. AA Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 319, Rz 8.
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Dies kann daraus geschlossen werden, dass durch die GewO-Nov 1992 das Erfordernis eines „fachlichen und wirtschaftlichen Zusammenhanges“ beseitigt und die Einbeziehung in den „Gesamtbetrieb“ eingeführt wurde. Aus den Materialien zu dieser Novelle260 kann geschlossen werden, dass unter „Gesamtbetrieb“ zwar kein fachlicher, wohl aber ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den gewerblichen Tätigkeiten gefordert wird. So kann etwa ein Möbelhändler in seinem Einrichtungshaus ein Restaurant als integrierten Betrieb betreiben, um seine Kunden zum längeren Verbleib zu animieren.261 Zwischen beiden Tätigkeiten besteht zwar kein fachlicher, wohl aber ein wirtschaftlicher Zusammenhang. Fraglich ist, ob die in den integrierten Betrieb einbezogenen Tätigkeiten gegenüber dem Ausgangsbetrieb wirtschaftlich untergeordnet sein müssen.262 Aus dem Erfordernis der Führung „im Rahmen eines Gesamtbetriebes“ kann dies jedenfalls nicht geschlossen werden. Dementsprechend wird auch die Auffassung vertreten, dass der Ausgangsbetrieb, in den die Tätigkeiten integriert werden, nicht Hauptbetrieb bleiben muss.263 Demgegenüber ist aber zu betonen, dass gemäß § 37 Abs 1 GewO die zusätzlichen Tätigkeiten in den Ausgangsbetrieb „einzubeziehen“ sind. Aus dieser Wortwahl in Verbindung mit den Materialien264 zu dieser Vorschrift kann geschlossen werden, dass ein integrierter Betrieb eine wirtschaftliche Unterordnung gegenüber dem Ausgangsbetrieb fordert. Unstrittig ist allerdings, dass der Charakter eines integrierten Betriebes nicht mehr vorliegt, wenn der Ausgangsbetrieb völlig stillgelegt wurde.
Voraussetzung für die Ausübung eines integrierten Betriebes ist die hauptberufliche Beschäftigung eines Arbeitnehmers, der den Befähigungsnachweis (mit Ausnahme einer vorgeschriebenen Unternehmerprüfung) für die einbezogenen Tätigkeiten erbringt. Weitere Voraussetzung ist die Anzeige des integrierten Betriebes bei der Bezirksverwaltungsbehörde, wobei die Anzeige für jede Betriebsstätte zu erstatten ist.
Die Gewerbe der Spediteure einschließlich der Transportagenten dürfen ebenso wenig als integrierte Betriebe ausgeübt werden wie generell genehmigungspflichtige Gewerbe. Die praktische Bedeutung integrierter Betriebe wurde allerdings vor allem durch die Möglichkeit der Erbringung des Befähigungsnachweises durch einen Geschäftsführer gemäß § 16 Abs 1 GewO seit der GewO-Novelle stark eingeschränkt. Ein Unterschied besteht darin, dass der qualifizierte Arbeitnehmer gemäß § 37 Abs 1 GewO anders als der gewerberechtliche Geschäftsführer gemäß § 16 Abs 1 GewO vom allfälligen Erfordernis einer Unternehmerprüfung grundsätzlich befreit ist.
eee) Anerkennung und Gleichhaltung Eine besondere Form des Befähigungsnachweises ist auch im VI. Hauptstück der GewO über die EWR-Anpassungsbestimmungen vorgesehen265. Voraussetzungen dafür sind gemäß § 373c GewO bestimmte Qualifikationen, die in der EU/EWR-Anerkennungsverordnung266 in Umsetzung der Anerkennungsrichtlinien der EG vorgesehen sind. Demnach ist eine Anerkennung von im 260 261 262 263 264 265 266
Thienel, in: Gewerberecht, 119. Thienel, in: Gewerberecht, 119. So etwa Thienel, in: Gewerberecht, 121; Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 320, Rz 8. Durchführungserlass zur GewO-Novelle 1992, S 7. Thienel, in: Gewerberecht, 121. Siehe dazu näher unter III.C.4. BGBl 2003 II/255.
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EU/EWR-Ausland erworbenen Qualifikation mit Bescheid auszusprechen. Eine solche Anerkennung wird vom BMWA bei Erfüllung der in der EU/EWR-Anerkennungsverordnung geforderten Voraussetzungen „EU/EWRStaatsangehörigen“ gewährt, worunter auch österreichische Staatsbürger zu verstehen sind267. Demnach kann etwa auch einem österreichischen Staatsbürger Anerkennung auf Grund eines Zeugnisses über eine leitende Stellung in Österreich gewährt werden268.
Liegen die Voraussetzungen einer Anerkennung gemäß § 373c GewO nicht vor, dann können EU/EWR-Angehörige (also auch Österreicher) gemäß § 373d GewO beim BMWA eine Gleichhaltung der von ihnen erworbenen Qualifikationen beantragen. Eine solche Gleichhaltung dürfte sich von einem individuellen Befähigungsnachweis gemäß § 19 GewO vor allem dadurch unterscheiden, dass bei der Gleichhaltung gemäß § 373d GewO auf das Qualifikationsniveau der Anerkennungsrichtlinien Bedacht zu nehmen ist269.
Antragsteller können also wählen, ob sie im Hinblick auf den geforderten Befähigungsnachweis einen individuellen Befähigungsnachweis gemäß § 19 GewO oder eine Anerkennung gemäß § 373c GewO bzw eine Gleichhaltung gemäß § 373d GewO beantragen270. Wurde aber etwa nur ein individueller Befähigungsnachweis gemäß § 19 GewO beantragt, dann darf die Behörde nicht auch prüfen, ob die Voraussetzungen einer Anerkennung gemäß § 373c GewO bzw einer Gleichhaltung gemäß § 373d GewO vorliegen271.
b) Genehmigungspflichtige Gewerbe aa) Bedeutung Bei bestimmten Gewerben fordert die GewO erhöhte Antrittsvoraussetzungen. Es handelt sich dabei um solche gewerbliche Tätigkeiten, bei deren Ausübung schwerwiegende Verletzungen von durch die Rechtsordnung geschützten Interessen (zB Leben, Gesundheit und öffentliche Sicherheit) begangen werden können.272 Um solchen Verfehlungen möglichst vorzubeugen, wird eine Gewerbeausübung von der Erteilung einer Bewilligung abhängig gemacht. Im Genehmigungsverfahren wird neben den allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Gewerbeausübung gemäß § 95 Abs 1 GewO zusätzlich geprüft, ob der Bewerber die für die Gewerbeausübung „erforderliche Zuverlässigkeit“ (relative Zuverlässigkeit) besitzt. Dabei wird eine Prognose darüber angestellt, ob sich der Gewerbetreibende bei Ausübung des Gewerbes voraussichtlich rechtmäßig verhalten wird. Das besondere Ziel des Bewilligungsverfahrens besteht also in der Ordnungssicherung. Davon abgesehen sind genehmigungspflichtige Gewerbe ein Teil der reglementierten Gewerbe, weshalb das Genehmigungsverfahren auch der Prüfung eines Befähigungsnachweises und damit einer Qualitätssicherung dient. 267 268 269 270 271 272
VfSlg 15683/1999. Vgl ebenda. Vgl auch Hattenberger, Die Befähigungsnachweisregelung nach der (EWRangepassten) GewO 1994, ÖZW 2001, 70 (77). Wieser (FN 258) 51. Vgl dazu etwa VwGH 22.3.2000, 2000/04/0058. Siehe Kinscher/Paliege-Barfuß, § 95, Rz 1.
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Die genehmigungspflichtigen Gewerbe sind in § 94 GewO taxativ aufgezählt (zB Waffengewerbe, Baumeister, Elektrotechniker, Inkassoinstitute). Anzumerken ist, dass die GewO auch Vorschriften über die Ordnungssicherung von Anmeldegewerben enthält. Bei diesen ist die relative Zuverlässigkeit zwar nicht Antrittsvoraussetzung. Allerdings ist die Gewerbeberechtigung gemäß § 87 Abs 1 Z 3 GewO zu entziehen, wenn der Gewerbeinhaber „infolge schwerwiegender Verstöße gegen die im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen“ die relative Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt (ex post-Prüfung anstelle einer ex ante-Prüfung).
bb) Genehmigungsverfahren Die Genehmigung wird gemäß § 340 Abs 2 aufgrund einer Gewerbeanmeldung vorgenommen. Die Anmeldung ist gemäß § 340 Abs 1 GewO bei der Bezirksverwaltungsbehörde einzubringen, der für den beabsichtigten Standort zuständig ist. Ebenso wie die Anmeldung bei Anmeldegewerben hat diese Anmeldung die genaue Bezeichnung des Gewerbes und des für die Ausübung in Aussicht genommenen Standortes zu enthalten. Auch sind dem Antrag dieselben Unterlagen (zB Staatsbürgernachweis, Befähigungsnachweis) wie bei einer sonstigen Anmeldung beizufügen. Aus dem Erfordernis der genauen Bezeichnung des Gewerbes im Bewilligungsansuchen kann geschlossen werden, dass sich der konkrete Gewerbeumfang nach dem Antrag bestimmt. Auch bei den in § 95 GewO aufgezählten genehmigungspflichtigen Gewerben handelt es sich nur um „typisierte“ Tätigkeiten, für die aber jeweils nicht unbedingt in vollem Umfang die Gewerbeberechtigung beantragt und erteilt werden muss. Auch bei genehmigungspflichtigen (Teil)Gewerben ist grundsätzlich ein individueller Befähigungsnachweis möglich.273 Ausnahmen davon bestehen nur gemäß § 99 Abs 3 GewO und § 149 Abs 4 GewO für bestimmte Tätigkeiten von Baumeistern und Zimmermeistern.
Der Bescheid ist von der Behörde gemäß § 340 Abs 2 GewO innerhalb von drei Monaten ab Anmeldung zu erlassen. Nach Rechtskraft des (positiven) Bescheides hat die Behörde den Anmelder in das Gewerberegister einzutragen.
cc) Genehmigungskriterien Bei genehmigungspflichtigen Gewerben ist neben den allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Gewerbeausübung gemäß § 95 Abs 1 GewO auch zu prüfen, ob bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen für die Ausübung von Gewerben keine Tatsachen vorliegen, die es zweifelhaft machen, „ob der Bewerber ... die für die Ausübung des Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit (§ 87 Abs 1 Z 3) besitzt“. Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, dann ist die Bewilligung zu verweigern. Durch den Hinweis auf § 87 Abs 1 Z 3 GewO in § 95 Abs 2 GewO wird nunmehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die erforderliche Zuverlässigkeit dann nicht mehr gegeben ist, wenn der Bewerber gegen die im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen schwerwiegend verstoßen hat.274
273 274
Wieser (FN 258) 38. So bereits zB VwGH 23.4.1996, 94/04/0176.
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Nach der Judikatur des VwGH ist unter der Zuverlässigkeit im Sinne von § 175 Abs 1 GewO eine solche Geisteshaltung und Sinnesart zu verstehen, die Gewähr dafür bietet, dass die bei Ausübung des Gewerbes zu beachtenden Rechtsvorschriften gewahrt werden.275 Entscheidende Bedeutung kommt dabei gerichtlich strafbaren Handlungen und Verwaltungsübertretungen des Genehmigungswerbers zu, die allerdings nicht im Zusammenhang mit der Gewerbeausübung begangen worden sein müssen.276 So fehlt es bei mehrmaliger Übertretung von die Verkehrssicherheit dienenden Vorschriften an der Zuverlässigkeit für die Ausübung eines Taxi-Gewerbes.277 Die Behörde hat die Zuverlässigkeit grundsätzlich unabhängig von einer allfälligen Bestrafung zu beurteilen.278 Auch bereits getilgte strafbare Handlungen können zur Beurteilung der Zuverlässigkeit herangezogen werden, wenn sie für die Beurteilung der Person und die Ausübung des betreffenden Gewerbes Bedeutung haben.279 Für die Versagung der Bewilligung sind außerdem bereits Zweifel an der Zuverlässigkeit ausreichend280. Daher bildet bereits die Anklageerhebung wegen Neutralitätsgefährdung einen Versagungsgrund für die Bewilligung der Ausübung eines Waffengewerbes.281
c) Konkurrenzschutzgewerbe aa) Voraussetzungen Für das Rauchfangkehrergewerbe verlangt die GewO zum Gewerbeantritt neben den besprochenen allgemeinen Voraussetzungen und der besonderen Voraussetzung des Befähigungsnachweises noch die Erfüllung weiterer Anforderungen. Ist doch gemäß § 340 Abs 1 GewO von der Behörde auf Grund der Anmeldung zu prüfen, ob die „gesetzlichen Voraussetzungen“ für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes gehören. Zu diesen Voraussetzungen gehört beim Handwerk des Rauchfangkehrers282 gemäß § 121 Abs 1 Z 4 GewO das Vorliegen eines „Bedarfs“ nach der angestrebten Gewerbeausübung. Im Ergebnis wird durch diese Anforderungen bestehenden Unternehmen ein Konkurrenzschutz eingeräumt. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist bei Rauchfangkehrern der Bedarf nach der Gewerbeausübung nach dem „objektiven Verhältnis von Angebot und Nachfrage“283 zu bestimmen. Ausschlaggebend ist demnach, ob die bestehenden Betriebe „zur Zufriedenheit der Bevölkerung“ tätig werden, wobei der Wunsch „nach Leistungen eines bestimmten Betriebes“ nicht maßgeblich ist.284 Für die Bedarfsprüfung ist demnach nicht schon „jede Unzukömmlichkeit bei der Tätigkeit der einschlägigen Betriebe“285 von Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr eine Durchschnittsbetrachtung. Auch das Anbieten zu günstigeren Preisen vermag - vor allem auch angesichts der Höchstpreisregelungen für diese Gewerbe - nach Meinung des VwGH keinen Bedarf zu begründen.286 275 276 277 278 279 280 281 282 283 284 285 286
VwGH 27.11.1990, 89/04/0018. Ebenda. VwGH 10.4.1991, 90/03/0243. VwGH 27.4.1993, 92/04/0247. Kinscher/Sedlak, GewO, 617. VwGH 2.12.1987, 87/03/0082. VwGH 21.8.1990, 88/04/0036, 0044. § 94 Z 55 GewO. VwGH 17.3.1998, 96/04/0230. ZB VwGH 22.12.1999, 98/04/0024/0025=Wbl 2000, 431, mit kritischer Anmerkung von Aichlreiter. VwGH 17.3.1998, 96/04/0230. VwGH 10.11.1999, 99/04/0159.
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Bei Rauchfangkehrern hat sich die Bedarfsprüfung auf das in der Gewerbanmeldung angegebene Kehrgebiet zu beziehen.287 Bewerben sich mehrere Unternehmen um eine Gewerbeberechtigung, obwohl nur nach der Erteilung einer einzigen ein Bedarf besteht, dann entscheidet wohl der Gesichtspunkt der zeitlichen Priorität der Anmeldung. Dies ist daraus zu schließen, dass ab Anmeldung ein Anspruch auf Genehmigungserteilung nach Maßgabe des Bedarfs besteht. Der dargelegte Konkurrenzschutz stellt freilich einen Eingriff in die Erwerbsfreiheit gemäß Art 6 StGG dar. Bei Rauchfangkehrern rechtfertigt es nach Meinung des VfGH „die öffentliche Inpflichtnahme der Rauchfangkehrer im Interesse des vorbeugenden Brandschutzes und des Umweltschutzes ..., die auch in einer Betriebspflicht ... ihren Ausdruck findet, die Erwerbsfreiheit neuer Bewerber im Interesse des Schutzes bestehender Rauchfangkehrerunternehmen und der von ihnen betreuten Objekte einzuschränken“288.
bb) Verfahren Die angestrebte Gewerbeausübung ist bei der Gewerbebehörde anzumelden, wobei gemäß § 121 Abs 1 GewO die Behörde bei der Anmeldung des Rauchfangkehrergewerbes besondere zusätzliche Voraussetzungen (wie keine Tätigkeit im selben oder in zwei verschiedenen Kehrgebieten als Rauchfangkehrer, österreichische Staatsbürgerschaft und Bedarf) zu prüfen hat. Im Hinblick auf das Vorliegen eines „Bedarfes“ hat die Behörde bei Rauchfangkehrern gemäß § 125 Abs 5 GewO die Landesinnung der Rauchfangkehrer zur Abgabe eines Gutachtens aufzufordern. Gemäß § 340 Abs 2 hat die Behörde innerhalb von drei Monaten nach Anmeldung den Bescheid zu erlassen und nach dessen Rechtskraft (bei positiver Erledigung) die Eintragung in das Gewerberegister vorzunehmen.
Im Verfahren zur Erlangung der Berechtigung des Rauchfangkehrergewerbes289 und des Bestattergewerbes steht Konkurrenten hingegen keine Parteistellung und damit auch kein Berufungsrecht zu. Die Gewerbeausübung ist beim Rauchfangkehrergewerbe erst mit Rechtskraft des Bescheides gestattet.290
2. Juristische Personen und Personengesellschaften a) Gewerberechtsfähigkeit Inhaber einer Gewerbeberechtigung können gemäß § 9 Abs 1 GewO juristische Personen sein. Die Gewerberechtsfähigkeit juristischer Personen betrifft juristische Personen des privaten Rechts wie AG und GmbH oder auch Vereine. Aber auch juristische Personen des öffentlichen Rechts wie etwa Gebietskörperschaften291 oder „ausgegliederte Rechtsträger“ bedürfen für ihre wirtschaftliche Tätigkeit einer Gewerbeberechtigung, soferne nicht in einzelnen Fällen
287 288 289 290 291
VwGH 20.12.1994, 93/04/0148. VfSlg 12296/1990. VwGH 22.2.1994, 93/04/0195. § 125 Abs 4 GewO. Dazu Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 168, Rz 1.
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gesetzlich etwas anderes vorgesehene ist292. Gemäß § 9 Abs 1 GewO sind auch eingetragene Personengesellschaften (OG, KG) gewerberechtsfähig. Hingegen kann eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts als solche nicht Inhaber einer Gewerbeberechtigung sein.293 Bilden daher mehrere Personen eine ARGE in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zur Ausführung eines Bauauftrages, so benötigt jeder Gesellschafter einer Gewerbeberechtigung.294 Keine Gewerberechtsfähigkeit besitzt auch eine stille Gesellschaft bei der sich die Beteiligung auf die Einbringung einer ziffernmäßig begrenzten Vermögenseinlage beschränkt. Diesfalls benötigt allerdings auch der stille Gesellschafter keine Gewerbeberechtigung.295 Auch kann sich aus der GewO selbst eine Beschränkung der Gewerbeausübung auf eine bestimmte Rechtsform ergeben. Das Rauchfangkehrergewerbe dürfen gemäß § 121 Abs 1 GewO nur natürliche Personen oder Personengesellschaften des Handelsrechts, deren persönlich haftende Gesellschafter natürliche Personen sind, ausüben.296 Hingegen hat der VwGH festgestellt, dass die Verwendung der Bezeichnung „Gewerblicher Architekt“ gemäß § 99 Abs 6 GewO - trotz der dafür erforderlichen Reifeprüfung - nicht natürlichen Personen vorbehalten ist.297
b) Voraussetzung der Gewerbeausübung Juristische Personen und eingetragene Personengesellschaften müssen allerdings gemäß § 9 Abs 1 GewO einen gewerberechtlichen Geschäftsführer bestellen. Der gewerberechtliche Geschäftsführer hat den für die Ausübung des Gewerbes vorgeschriebenen persönlichen Voraussetzungen zu entsprechen. Außerdem muss ein Geschäftsführer gemäß § 39 Abs 2a GewO grundsätzlich seinen Wohnsitz im Inland haben. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, dann hat die Behörde bei Anmeldungsgewerben gemäß § 340 Abs 3 GewO das Nichtvorliegen der Voraussetzungen festzustellen und die Gewerbeausübung zu untersagen bzw bei genehmigungspflichtigen Gewerben die beantragte Genehmigung zu verweigern. Allerdings gilt in Bezug auf den gewerberechtlichen Geschäftsführer gemäß § 39 Abs 2 GewO ein Konzernprivileg: Innerhalb eines Konzerns kann eine Bestellung zum Geschäftsführer auch für mehrere Konzernunternehmen erfolgen. Voraussetzung ist, dass der Geschäftsführer bei zumindest einem Konzernunternehmen ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts voll versicherungspflichtiger Arbeitnehmer ist. Unter einem Konzern ist die Verbindung von rechtlich selbständigen Unternehmen unter einheitlicher Leitung zu verstehen. Ein Konzern im Sinne dieser Bestimmung wird 292 293
294 295 296
297
Dazu Holoubek, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Konsequenzen der Ausgliederung, Privatisierung und Beleihung, ÖZW 2000, 33 (44). Hanusch, Kommentar, § 9, S 5, Rz 6. Auf Grund des UGB und der damit verbundenen Änderungen der Personengesellschaften bedarf es auch einer Anpassung der §§ 9 und 10 GewO. ZB VwGH 22.11.1994, 93/04/0107. VwSlg 12.078(A)/1986; näher Hanusch, Kommentar, § 9, S 5 f, Rz 7. Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen etwa Filzmoser, RdW 1997, 441. Siehe demgegenüber allerdings VfSlg 12296/1990; 15523/1999. Siehe aber auch jüngst VfSlg 16120/2001. VwGH 16.12.1998, 98/04/0138. Vgl auch VwGH 22.3.2000, 99/04/0210.
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aber auch dann angenommen, wenn ein Unternehmen auf Grund von Beteiligungen unter dem beherrschenden Einfluss eines anderen Unternehmens steht.298
Besondere Anforderungen werden an den Geschäftsführer bei Gewerben gestellt, für das die Erbringung eines Befähigungsnachweises vorgeschrieben ist. Hier wird eine verstärkte Bindung des Geschäftsführers an das Unternehmen verlangt, um dessen Einflussmöglichkeiten zu gewährleisten und damit auch dem Scheingeschäftsführerunwesen entgegenzuwirken.299 Bei juristischen Personen muss gemäß § 39 Abs 2 GewO diesfalls der gewerberechtliche Geschäftsführer entweder dem zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ (zB Vorstand bei AG, Geschäftsführung bei GmbH) angehören oder ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit beschäftigter und voll versicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein. Bei eingetragenen Personengesellschaften muss der Geschäftsführer gemäß § 9 Abs 3 GewO entweder ebenfalls ein solcher Arbeitnehmer oder ein „qualifizierter Gesellschafter“ sein. Dabei handelt es sich um einen persönlich haftenden Gesellschafter, der nach dem Gesellschaftsvertrag zur Geschäftsführung und zur Vertretung der Gesellschaft befugt ist. Für Beteiligungskonstruktionen an einer Personengesellschaft sind - neben dem dargelegten Konzernprivileg - einige Schachtelprivilegien in Form von Vereinfachungen vorgesehen.
So wird gemäß § 9 Abs 4 GewO bei einer GmbH & Co KG dem Erfordernis eines qualifizierten Gesellschafters entsprochen, wenn der gewerberechtliche Geschäftsführer der KG gleichzeitig der Geschäftsführung der GmbH angehört.300 Im Übrigen gelten die besonderen Anforderungen an gewerberechtliche Geschäftsführer gemäß § 9 Abs 3 GewO bzw § 39 Abs 2 GewO dann nicht, wenn das Gewerbe in Form eines Industriebetriebes ausgeübt wird.
Besonderes gilt für juristische Personen und eingetragene Personengesellschaften in Bezug auf Ausschlussgründe: Treffen diese auf eine natürliche Person zu, der ein „maßgebender Einfluss“301 den Betrieb der Geschäfte einer juristischen oder Personengesellschaft zu, dann ist diese gemäß § 13 Abs 7 GewO von der Gewerbeausübung ausgeschlossen. Der juristischen Person bzw Personengesellschaft selbst kann von diesem Ausschlussgrund keine Nachsicht erteilt werden.302 Eine solche ist nur für die natürliche Person mit „maßgebendem Einfluss“ möglich.303
Scheidet der gewerberechtliche Geschäftsführer einer juristischen Person oder Personengesellschaft aus, dann kann diese gemäß § 9 Abs 2 GewO dennoch das Gewerbe (ohne gewerberechtlichen Geschäftsführer) längstens während sechs Monaten weiter ausüben. Diese Frist ist aus besonderen Gründen von der Bezirksverwaltungsbehörde304 mit Bescheid305 zu verkürzen.
298 299 300 301 302 303 304 305
Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 352, Rz 40. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 39, Rz 50. Siehe weiters § 9 Abs 5 und 6 GewO. Zur Auslegung dieser Formulierung siehe III.B.1.a)bb)bbb)dddd)bbbbb). Siehe auch Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 13, Rz 46. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 212, Rz 42. § 9 Abs 2 GewO in Verbindung mit § 333 GewO. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 174, Rz 16.
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Während dieser Frist bestimmt sich die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit nach § 9 VStG.306 Diese Ausnahme vom Erfordernis eines Geschäftsführers gilt gemäß § 91 Abs 1 letzter Satz jedoch nicht, wenn die Bestellung des Geschäftsführers behördlich widerrufen wurde. Diesfalls soll der Gewerbeinhaber (bei sonstigem Vorliegen einer Verwaltungsübertretung) verpflichtet sein, unverzüglich einen neuen Geschäftsführer zu bestellen. Andernfalls darf das Gewerbe nicht weiter ausgeübt werden.307
c) Verfahren Die Bestellung des gewerberechtlichen Geschäftsführers ist gemäß § 39 Abs 4 GewO der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen. Diese Anzeige muss grundsätzlich im Zeitpunkt der Anmeldung des Gewerbes einer juristischen Person oder einer Personengesellschaft vorliegen bzw gleichzeitig mit dieser eingebracht werden. Hat doch die Gewerbebehörde angesichts des konstitutiven Charakters der Gewerbeanmeldung auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung abzustellen308. Zwar verlangt § 9 Abs 1 GewO ausdrücklich nur die - durch Privatrechtsakt vorzunehmende309 - „Bestellung“ des Geschäftsführers und nicht dessen Anzeige.310 Doch erst mit der Anzeige entfaltet die Bestellung eine gewerberechtliche Wirkung (insbesondere den Übergang der Verantwortlichkeit)311 und gerade auf die kommt es beim Erfordernis eines gewerberechtlichen Geschäftsführers gemäß § 9 Abs 1 GewO wohl an. Bei juristischen Personen und Personengesellschaften müssen zum Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung die Voraussetzungen des § 340 Abs 1 GewO („gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes“) „auch in Ansehung des bestellten Geschäftsführers“312 gegeben sein. Nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Gewebeanmeldung ist etwa auch zu beurteilen, ob der Geschäftsführer gemäß § 39 Abs 3 GewO im Unternehmen entsprechende Betätigungsmöglichkeiten hat.313 Allerdings muss der Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung nicht zwingend mit jenem der Einbringung des die Gewerbeanmeldung vornehmenden Schriftsatzes zusammenfallen, wenn etwa diesem Schriftsatz nach § 339 Abs 3 GewO erforderliche Nachweise nicht angeschlossen sind.314
Bei genehmigungspflichtigen Gewerben ist die Bestellung des gewerberechtlichen Geschäftsführers (zusätzlich zur Anzeige) gemäß § 95 Abs 2 GewO zu genehmigen. Im Zeitpunkt der Genehmigung eines genehmigungspflichtigen Gewerbes muss die Genehmigung des gewerberechtlichen Geschäftsführers allerdings vorliegen, weil erst durch diese die Bestellung gewerberechtliche Wirkungen entfaltet315.
306 307 308 309 310 311 312 313 314 315
Kinscher/Paliege-Barfuß,, GewO, § 9, Rz 22. RV 47 BlgNR 20. GP, S 17 f. ZB VwGH 3.3.1999, 97/04/0138. Rebhahn, in: Wirtschaftsrecht, 212. Vgl auch Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 9, Rz 12. ZB § 39 Abs 5 GewO. VwGH 3.3.1999, 97/04/0138. ZB VwGH 13.12.2000, 2000/04/0172. Siehe dazu auch V.A.2.b). VwGH 3.3.1999, 97/04/0138. ZB VwGH 20.12.1994, 94/04/0220.
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Gemäß § 10 GewO durften Personengesellschaften auch schon vor Eintragung ins Firmenbuch ein Gewerbe auf Grund der Gewerbeanmeldung bzw der Erteilung der gewerberechtlichen Genehmigung ausüben. Voraussetzung dafür war, dass sie der Gewerbebehörde bei der Gewerbeanmeldung den Abschluss des Gesellschaftsvertrages „glaubhaft dargetan“ haben. Diese Bestimmung ist mittlerweile weggefallen.316
C. Ausländer 1. Allgemeines Die Ausübung eines Gewerbes durch ausländische natürliche und juristische Personen ist nach der GewO nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Zunächst besteht nach wie vor für manche Gewerbe ein „Inländervorbehalt“, wonach diese nur von österreichischen Staatsbürgern mit Wohnsitz im Inland ausgeübt werden dürfen.317 Außerdem unterscheidet die GewO innerhalb der Gruppe der Ausländer zwischen EU bzw EWR-Ausländern und Drittstaatsangehörigen, die im Folgenden zunächst besprochen werden.
2. Drittstaatsangehörige a) Grundsätzliche Voraussetzungen Die Gewerbeausübung durch Drittstaatsangehörige ist grundsätzlich in § 14 GewO geregelt. Eine besondere Regelung trifft - worauf weiter unten einzugehen sein wird - § 51 GewO für die Erbringung bestimmter grenzüberschreitender Dienstleistungen durch ausländische Gewerbetreibende. Sofern die gewerbliche Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen nicht von den zuletzt genannten Bestimmungen erfasst ist, bestimmt sich ihre Zulässigkeit nach § 14 GewO. Das betrifft vor allem (aber nicht nur) Drittstaatsangehörige, die sich in Österreich zur Gewerbeausübung niederlassen wollen, weil dieser Fall nicht von den § 51 f GewO geregelt wird. Nach § 14 GewO ist zunächst zwischen natürlichen und juristischen Personen zu unterscheiden. Für natürliche Personen sieht diese Bestimmung mehrere Kriterien vor, die Ausländern eine Gewerbeausübung gestatten. So dürfen Ausländer ein Gewerbe „wie Inländer ausüben“, wenn dies in Staatsverträgen festgelegt ist.318 Angehörige von Staaten, mit denen kein derartiger Staatsvertrag abgeschlossen wurde, Personen, denen Asyl gewährt wird oder Staatenlose dürfen Gewerbe nur dann wie Inländer ausüben, „wenn sie sich nach den für sie in Betracht kommenden Rechtsvorschriften zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit bereits in Österreich aufhalten dürfen“. Dazu bedarf es grundsätzlich einer Niederlassungsbewilligung319 nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz.320
316 317 318 319 320
BGBl 2006 I/161. So gemäß § 121 Abs 1 Z 2 GewO für Rauchfangkehrer und gemäß § 141 Abs 1 Z 1 GewO für das Waffengewerbe. Siehe dazu die Nachweise bei Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 14, Rz 2 ff; Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 214 f, Rz 5. Näher, Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 218, Rz 10 ff. Siehe § 8 Abs 2 Z 3 und 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes.
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Im Übrigen dürfen Ausländer auch bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen des § 14 ein Gewerbe nur „wie Inländer ausüben“. Eine Gewerbeausübung ist daher nur auf Grund einer inländischen Gewerbeberechtigung zulässig, weshalb die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Gewerbeausübung erfüllt sein müssen und dann das Gewerbe erst nach Anmeldung bzw Bewilligungserteilung ausgeübt werden darf. Juristische Personen und sonstige ausländische Rechtsträger321), die weder ihren Sitz noch eine Niederlassung im Inland haben, dürfen gemäß § 14 Abs 2 GewO Gewerbe nicht ausüben, soferne Staatsverträge nichts anderes vorsehen. Daraus ist e contrario zu schließen, dass ausländische juristische Personen und Personengesellschaften ein Gewerbe „wie Inländer ausüben“ können, wenn sie zumindest eine Zweigniederlassung in Österreich haben.322 b) Grenzüberschreitender Dienstleistungsverkehr Eine besondere Regelung trifft § 51 GewO für die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung durch Drittstaatsangehörige, die im Ausland eine Tätigkeit „befugt ausüben“. Erfasst von dieser Bestimmung sind „ausländische natürliche Personen und sonstige ausländische Rechtsträger“, also etwa auch ausländische juristische Personen oder ausländische Personengesellschaften, die den Personengesellschaften des österreichischen Handelsrechts entsprechen323. Diese dürfen unter bestimmten Voraussetzungen „bestellte gewerbliche Tätigkeiten“ im Inland ausführen (seit der GewO-Novelle 2002 auch wenn diese Tätigkeiten Gegenstand eines genehmigungspflichtigen Gewerbes sind). Die Regelung kommt gemäß § 51 Abs 1 GewO einmal für natürliche Personen, die Staatsangehörige eines WTO-Mitgliedstaates sind, sowie für Rechtsträger mit Sitz oder Niederlassung in einem WTO-Mitgliedstaat zum Tragen. Dieser Personenkreis ist zur Leistungserbringung nach Maßgabe einer im Rahmen einer Verpflichtungsliste des GATS eingegangenen Marktzutrittsverpflichtung berechtigt. Andere ausländische natürliche Personen und sonstige Rechtsträger dürfen gemäß von § 51 Abs 2 GewO eine gewerbliche Tätigkeit auf Grund einer Gleichstellung des Landeshauptmannes ausüben. Auf eine solche Gleichstellung besteht (nach denselben Kriterien wie in § 14 Abs 2 GewO) Anspruch, „wenn nachgewiesen wird, dass die Ausführung der Tätigkeit durch den Gleichstellungswerber im volkswirtschaftlichen Interesse liegt und nicht den sonstigen öffentlichen Interessen zuwiderläuft“.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist vom Antragsteller „von sich aus initiativ nachzuweisen, sodass die Behörde in diesem Zusammenhang keine amtswegige Ermittlungspflicht trifft“324. Zwar wird ein volkswirtschaftliches Interesse grundsätzlich anzunehmen sein, wenn der Betrieb eine Bereicherung des lokalen oder regionalen Wirtschaftslebens darstellt.325 Nicht ausreichend ist in diesem Zusammenhang aber „die nicht näher substantiierte Behauptung, die beabsichtigte Gewebeausübung liege im volkswirtschaftlichen Interesse, weil dadurch das Wirtschaftsleben `bereichert´ und eine 321 322 323 324 325
Siehe auch § 9 Abs 1 GewO. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 14, Rz 16. So auch die Formulierung von § 51 Abs 2 GewO vor der GewO-Novelle 1996. ZB VwGH 17.3.1998, 98/04/0011; 9.9.1998, 98/04/0113. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 425, Rz 16.
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nicht näher definierte Marktlücke geschlossen werden könne“326. Ein volkswirtschaftliches Interesse ist nach der Judikatur des VwGH jedenfalls nicht gegeben, wenn die im Inland bestehenden Erzeuger Einbußen an Umsatz und Gewinn hinnehmen müssten und durch die verstärkte Konkurrenzsituation bei diesen eine Gefährdung von Arbeitsplätzen eintreten könnte.327 Unter den sonstigen öffentlichen Interessen ist vor allem auch die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit“328 sowie das Interesse „der Verhinderung von strafbaren Handlungen“ zu verstehen. Daher ist etwa die Verweigerung der Gleichstellung zulässig, weil der Antragsteller „innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums viermal straffällig“ wurde, „wobei sich eine der Straftaten gegen Leib und Leben richtete und die anderen im Rahmen der Ausübung jenes Gewerbes geschahen, zum Zwecke dessen Ausübung die Gleichstellung beantragt wird“329. § 51 GewO dient der Gewerbeausübung ohne Sitz und Niederlassung in Österreich („grenzüberschreitend“). Nach zutreffender Auffassung umfasst diese Vorschrift allerdings nur gewerbliche Tätigkeiten, worunter in einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeübte Handlungen zu verstehen sind.330 Die bloß gelegentliche oder vereinzelte Erbringung von Leistungen stellt daher überhaupt keine „gewerbliche“ Tätigkeit dar und wird daher von der GewO gar nicht erfasst. Bei aus mehreren Teiltätigkeiten bestehenden gewerblichen Tätigkeiten müssen zumindest „relevante Teile“ in Österreich erbracht werden (zB die Vermittlung und Besichtigung eines Kaufobjektes durch Immobilienmakler).331 Auch bezieht sich § 51 GewO nur auf den Dienstleistungsverkehr. Der Warenhandel über die Grenze wird herkömmlicherweise nicht als von der GewO geregelte Tätigkeit angesehen332, weshalb die Lieferung von Waren aus dem Ausland nach Österreich ohne weiteres zulässig ist. Gemäß § 51 GewO dürfen nur bestellte gewerbliche Tätigkeiten ausgeführt werden. Diese Vorschrift bezieht sich demnach nur auf Auftragsarbeiten. § 62 Abs 6 GewO ist allerdings zu entnehmen, dass auch das Sammeln und die Entgegennahme von Bestellungen - innerhalb der von der GewO gezogenen Grenzen - durch den von § 51 GewO erfassten Personenkreis zulässig ist. Gemäß § 288 Abs 2 GewO dürfen Personen, die im Ausland eine Erwerbstätigkeit befugt ausüben, auf Märkten feilhalten und verkaufen, soweit in dieser Hinsicht Gegenseitigkeit gewährleistet ist. Auch ist anzunehmen, dass die durch § 51 GewO eingeräumte Befugnis zur Verrichtung bestellter Arbeiten eine Berechtigung zu deren Anbieten und zu Werbung dafür sowie zur Teilnahme an Wettbewerben (implizit) umfasst.333 Wäre es doch unverständlich, wenn zwar Auftragsarbeiten erbracht werden könnten, eine Anbahnung solcher Arbeiten aber weitgehend beschränkt wäre. Damit ist aber auch anzunehmen, dass solche Tätigkeiten den Anforderungen des § 51 GewO unterliegen. Das gilt auch dann, wenn - wie bei einem Anbieten über Internet - der Leistungserbringer die Grenze nicht überschreitet, weil § 51 GewO insoweit nicht differenziert.334 Da aber - wie oben dargelegt - die Lieferung von Waren aus dem Ausland gar nicht der GewO unterliegt, gilt gleiches wohl auch für deren An-
326 327 328 329 330 331 332 333 334
VwGH 22.3.2000, 99/04/0113. VwGH 6.11.1995, 95/04/0154. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 424 f, Rz 16. VwGH 27.5.1997, 97/04/0087. Thienel, in: Gewerberecht, 142 f. OGH 25.2.1992, 4 Ob 23/92; vgl auch OGH 13.11.1984, 4 Ob 364/84. RV 359 BlgNR 13. GP, S 148. Zutreffend Thienel, in: Gewerberecht, 157 f. AA Traudtner/Höhne, ecolex 2000, 483.
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bieten oder die Werbung dafür - etwa auch über Internet335 - bzw die Teilnahme an Verfahren zur Erlangung von Lieferaufträgen.
Nach § 51 GewO dürfen gewerbliche Tätigkeiten im Inland nur „unter den gleichen Voraussetzungen, wie sie Inländer erfüllen müssen“, ausgeführt werden. Nach ihrem üblichen Wortsinn könnte diese Formulierung so verstanden werden, dass Ausländer auf Grund von § 51 GewO eine gewerbliche Tätigkeit nur bei Erfüllung aller in der GewO für die Gewerbeausübung durch Inländer vorgesehenen Bedingungen verrichten dürfen. Dies würde etwa auch bedeuten, dass die Dienstleistungen erst nach einer entsprechenden Gewerbeanmeldung ausgeführt werden dürften. Ein solches Verständnis ist aber schon deshalb schwer vorstellbar, weil § 51 GewO - auch im Kontext seiner historischen Entwicklung - eine Erleichterung für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr bezweckt.336 Bereits aus diesem Grund ist anzunehmen, dass für gemäß § 51 GewO grenzüberschreitend tätige Dienstleistungserbringer das Erfordernis eines Gewerbestandortes wegfällt. Dafür spricht vor allem aber auch, dass gemäß 14 Abs 2 GewO grundsätzlich nur im Inland ansässige juristische Personen und Personengesellschaften ein Gewerbe ausüben dürfen. Die Einräumung des Rechts zur grenzüberschreitenden Leistungserbringung an Gesellschaften in § 51 GewO wäre daher gegenstandslos, wenn auch nach dieser Bestimmung eine Ansässigkeit gefordert wäre.337 Aus dem durch die GewO-Novelle 1996 in § 51 GewO eingefügten Abs 3 ist weiters zu schließen, dass grenzüberschreitende Dienstleistungserbringer keine inländische Gewerbeberechtigung erlangen (und daher keiner Gewerbeanmeldung vornehmen müssen). Gemäß § 51 Abs 3 GewO hat der BMWA die Ausführung einer solchen Tätigkeit zu verbieten, wenn einer der im § 87 Abs 1 GewO angeführten Entziehungsgründe auf den zur Ausführung der Tätigkeit Berechtigten zutrifft. Diese Regelung wäre entbehrlich, wenn der Dienstleistungserbringer über eine Gewerbeberechtigung verfügte, weil diese dann unmittelbar auf Grund von § 87 Abs 1 GewO entzogen werden könnte. Im Übrigen ist aber davon auszugehen, dass auch von Dienstleistungserbringern gemäß § 51 GewO die in der GewO geforderten Voraussetzungen für die Ausübung von Gewerben prinzipiell zu erfüllen sind.338 So müssen natürliche Personen eigenberechtigt sein. Weiters dürfen keine Ausschlussgründe vorliegen.339 Vor allem aber müssen grenzüberschreitende Dienstleistungserbringer einen allenfalls geforderten Befähigungsnachweis erbringen. Es ergeben sich gewisse Erleichte335 336 337 338
339
Traudtner/Höhne, ecolex 2000, 481. Dazu Thienel, in: Gewerberecht, 132 f. Thienel, in: Gewerberecht, 161. Die durch die geltende Fassung von § 51 GewO gewährleisteten Begünstigungen für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr sind daher nicht sehr weitreichend. Mit gutem Grund stellt daher Rill fest, dass § 51 GewO zu einer für Ausländer „kaum mehr interessanten Regelung“ geworden ist; Rill (FN 131), 29. Nach der Stammfassung des § 51 GewO durften ausländische Gewerbetreibende unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit bestellte gewerbliche Arbeiten im Inland auch ohne Erfüllung der nach der GewO ansonsten geforderten fachlichen Voraussetzungen erbringen; dazu Thienel, in: Gewerberecht, 132 f. Thienel, in: Gewerberecht, 162.
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rungen daraus, dass der BMWA nach manchen Regelungen der GewO340 die Gleichhaltung ausländischer Zeugnisse mit inländischen Qualifikationen aussprechen kann. Soferne die Voraussetzungen eines individuellen Befähigungsnachweises vorliegen, ist auf Antrag darüber mit Bescheid abzusprechen.341 Auch ist anzunehmen, dass gemäß § 39 Abs 1 GewO grundsätzlich ein gewerberechtlicher Geschäftsführer bestellt werden muss, weil ein Wohnsitz des Gewerbetreibenden im Inland vielfach nicht vorliegen wird. Auf diese Weise wird die Verantwortlichkeit für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften sichergestellt. Deren Befolgung wird von § 51 GewO mit der Wendung „unter den gleichen Voraussetzungen, wie sie Inländer erfüllen“ wohl vor allem bezweckt. In Bezug auf juristische Personen und Personengesellschaften ist die Bestellung eines Geschäftsführers auch deshalb anzunehmen, weil nur dieser (oder ein Pächter) den allenfalls geforderten Befähigungsnachweis erbringen kann.342 Bezüglich der in § 9 Abs 3 GewO bzw in § 39 Abs 2 GewO vorgesehenen verstärkten Bindung des gewerberechtlichen Geschäftsführers an das Unternehmen wird freilich nur eine sinngemäße Anwendung in Betracht kommen, weil diese Regelungen auf die österreichische Rechtslage (zB „nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes voll versicherungspflichtiger Arbeitnehmer“) abstellen.
Ein Privileg räumt § 51a natürlichen Personen italienischer Staatsangehörigkeit und anderen Rechtsträgern mit Sitz in der Region Trentino-Südtirol ein. Sofern diese dort befugt gewerbliche Tätigkeiten ausüben, dürfen sie auch ohne Erfüllung der in Österreich für die Gewerbeausübung geforderten Voraussetzungen (insbesondere auch des Befähigungsnachweises) bestellte gewerbliche Tätigkeiten grenzüberschreitend in den Bundesländern Tirol und Vorarlberg erbringen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass österreichischen Staatsbürgern mit dem Sitz in Tirol und Vorarlberg in der Region TrentinoSüdtirol dasselbe Recht eingeräumt wird (materielle Gegenseitigkeit).
Von dieser das „Accordino“ (Abkommen zwischen Österreich und Italien betreffend den erleichterten Warenaustausch zwischen den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der italienischen Region Trentino-Alto Adige) ergänzenden Regelung sind gemäß § 51a Abs 2 GewO aber einige gewerbliche Tätigkeiten (zB Rauchfangkehrer) ausgenommen.
3. EU/EWR-Ausländer a) Niederlassungsfreiheit In Bezug auf EWR-Ausländer unterscheidet das Regelungssystem der GewO zwischen der Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit einerseits und der Sicherstellung der Dienstleistungsfreiheit andererseits. Unter der Niederlassungsfreiheit343 wird das Recht von EWR-Angehörigen auf dauerhafte Ansässigkeit in einem EWR-Mitgliedstaat zur Entfaltung einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit verstanden. Entscheidende Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit ist allerdings „grenzüberschreitender Bezug“344. Dieser liegt etwa dann vor, wenn Angehörige eines EU/EWR340 341 342 343 344
§§ 18 Abs 6, 23 Abs 3 GewO. Handig, Dienstleistungserbringung ausländischer Unternehmen im Rahmen des GATS, ecolex 2003, 554 (555). Siehe demgegenüber aber Thienel, in: Gewerberecht, 161 f, 164. Art 31 EWRA, Art 43 EGV. ZB Schlag, Art 43 EGV, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000, 687 f, Rz 43 f.
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Mitgliedstaates in einem anderen EWR-Mitgliedstaat einen Hauptsitz oder eine Niederlassung ihres Unternehmens begründen. Die Niederlassungsfreiheit kommt aber etwa auch dann zum Tragen, wenn sich ein Angehöriger eines EU/EWR-Mitgliedstaates auf Grund seiner in einem anderen EU/EWR-Mitgliedstaat erworbenen beruflichen Qualifikationen in seinem Heimatstaat zur Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit ansiedeln will.345 Der Durchsetzung der Niederlassungsfreiheit dienen vor allem die §§ 373b, 373c und 373d GewO. Durch die Judikatur des VfGH346 wurde die in § 373c enthaltene Anerkennung bestimmter Qualifikationen allerdings auch auf Österreicher ausgedehnt, die ihre Qualifikationen nicht im Ausland erworben haben.
Gemäß § 373b GewO dürfen ausländische natürliche und juristische Personen sowie Personengesellschaften347 „Gewerbe wie Inländer“ ausüben. Im Falle einer Niederlassung benötigen EU/EWR-Ausländer eine inländische Gewerbeberechtigung, die grundsätzlich an die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Gewerbeausübung gebunden ist. Anmeldegewerbe dürfen demnach erst auf Grund einer Gewerbeanmeldung, genehmigungspflichtige Gewerbe erst nach einer Genehmigung ausgeübt werden. In Bezug auf das Erfordernis des Befähigungsnachweises treffen allerdings die § 373c und 373d besondere Vorschriften über die „Anerkennung“ bzw „Gleichhaltung“. So ist gemäß § 373c Abs 1 GewO die Anerkennung von den Befähigungsnachweis ersetzenden Qualifikationen vom BMWA auf Antrag mit Bescheid auszusprechen, die in einer vom BMWA zu erlassenden Verordnung festgelegten Voraussetzungen erfüllt und keine Ausschlussgründe gemäß § 13 GewO vorliegen. Durch diese Verordnung sind die Anerkennungsrichtlichtlinie 1999/42/EG348 sowie die Richtlinie 77/92/EWG349 der Gemeinschaft umzusetzen.350 Eine entsprechende Verordnung wurde in Form der EU/EWRAnerkennungsverordnung351 erlassen. Gemäß § 373c Abs 1 GewO hat der BMWA im Rahmen der Anerkennung auch über das Vorliegen von Ausschlussgründen zu entscheiden. Das ist insoweit fragwürdig352, als bei Niederlassung (auf die § 373c GewO abstellt) ein Gewerbe nur nach Maßgabe einer Anmeldung bzw Bewilligung erteilt werden darf, wo (als allgemeine Voraussetzung) auch allfällige Ausschlussgründe zu prüfen sind353. Es ist anzunehmen, 345 346 347 348
349
350
351 352 353
Siehe zB EuGH, Rs 115/78, Knoors, Slg 1979, 399, Rz 24/26. VfSlg 15683/1999. Siehe oben III.C.2.a). Richtlinie zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter die Liberalisierungs- und Übergangsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise, Abl L 201/77. Dazu Winkler, Die Dritte Allgemeine Anerkennungsrichtlinie, ecolex 2002, 843 ff. Richtlinie zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die Tätigkeiten des Versicherungsagenten und des Versicherungsmakler, Abl L 26/14. Siehe nunmehr auch die Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG (Abl L 255/22), und dazu Handig, Neue Richtlinie für die Anerkennung von Berufen, ecolex 2005, 958 ff. BGBl 2003 II/255. Vgl bereits Hattenberger (FN 327) 78. Zum Nachweis des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen siehe § 373i GewO.
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dass bei Prüfung der Gewerbeanmeldung insoweit eine Bindung an die Entscheidung des BMWA besteht. Das Erfordernis einer Anerkennung gemäß § 373c GewO stellt eine Ungleichbehandlung gegenüber der Erbringung des inländischen Befähigungsnachweises dar.354 Während bei letzterem bei Anmeldegewerben die bloße Anmeldung genügt, ist bei im Ausland erworbenen Qualifikationen zusätzlich ein Anerkennungsbescheid erforderlich355. Dies ist - im Hinblick auf den Gleichheitssatz als Staatsbürgergrundrecht - verfassungsrechtlich in jenen Fällen relevant, in denen von der Ungleichbehandlung Inländer (etwa solche, die im EU/EWR-Ausland ihre Qualifikationen erworben haben) betroffen sind.
Liegen die Voraussetzung einer Anerkennung gemäß § 373c GewO nicht vor, weil die Tätigkeit von keiner Anerkennungsrichtlinie und daher auch nicht von der EU/EWR-Anerkennungsverordnung erfasst ist, dann kann eine Gleichhaltung durch den BMWA gemäß § 373d GewO beantragt werden. Dieser hat dann eine Äquivalenzprüfung der vom Antragsteller vorgelegten Nachweise mit dem Befähigungsnachweis des jeweiligen Gewerbes vorzunehmen und über den Antrag innerhalb von vier Monaten zu entscheiden. Dabei hat er auf das Qualifikationsniveau der „allgemeinen“ Anerkennungsrichtlinien356 Bedacht zu nehmen.
Grundsätzlich besteht im Falle der Niederlassung Wahlfreiheit des Antragstellers zwischen dem EU/EWR-Anerkennungsverfahren gemäß § 373c GewO bzw der Gleichhaltung gemäß § 373d GewO und dem individuellen Befähigungsnachweis gemäß § 19 GewO.357 Das gilt auch für österreichische Staatsbürger, weil diese vom Ausdruck „Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der EU“ mitumfasst sind.358 Entscheidet sich der Antragsteller für eine der beiden Verfahren (zB für den individuellen Befähigungsnachweis gemäß § 19 GewO), dann haben die Behörden im Instanzenzug allerdings allein das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der gewählten Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen (also etwa bei beantragtem individuellen Befähigungsnachweis unter Außerachtlassung der allenfalls gegebenen Möglichkeit einer Anerkennung gemäß § 373c GewO).359 Ein Problem kann das Erfordernis einer Anerkennung bzw Gleichhaltung für ausländische Unternehmen bei einer Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen im Inland bedeuten, da öffentliche Aufträge nach inländischen Vergabevorschriften nur an „befugte“ Unternehmen erteilt werden dürfen360. Darunter sind Unternehmen zu verstehen, die zur Auftragserfüllung vor allem auch gewerberechtlich befugt sind. Daher wurde in § 373c Abs 9 bzw in § 373d Abs 8 GewO die Regelung eingefügt, dass Bescheide über die Anträge jedenfalls vor Erteilung des Zuschlags zu erlassen sind. Das Unterlassen der Antragstellung stellt nach der Judikatur des VwGH im Vergabeverfahren jedoch einen unbehebbaren Mangel dar.361 354 355 356
357 358 359 360 361
Hattenberger, (FN 327), 81, mwN. So auch VwGH 16.12.1998, 98/04/0133, in Bezug auf den gewerberechtlichen Geschäftsführer einer juristischen Person. Hochschuldiplomrichtlinie RL 89/48/EWG, Abl L 19/16; RL 92/51/EWG über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur RL 89/48/EWG, Abl L 209/25. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1415, Rz 4. Siehe VfSlg 14963/1997. Siehe dazu auch zB VwGH 20.10.1999, 99/04/0134. ZB § 19 Abs 1 BVergG 2006. VwGH 24.2.2006, 2004/04/0078. Siehe dazu auch § 129 Abs 1 Z 11 BVergG 2006.
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Fraglich ist, ob Beschränkungen auf einen bestimmten verordneten Befähigungsnachweis (zB für das Zimmermeistergewerbe gemäß § 149 Abs 7 GewO) auch eine Einschränkung für die Anerkennung bzw Gleichhaltung darstellen. Da gemäß § 373b GewO ansässige Unternehmen ein „Gewerbe wie Inländer“ ausüben dürfen, könnte dies angenommen werden, weil sonst die Gefahr einer Umgehung dieser Beschränkungen gegeben wäre. Andererseits ist sehr fraglich, ob diese Verbote mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehen362, soweit sie „grenzüberschreitende“ Sachverhalte (zB Niederlassung durch den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates) betreffen. Zumindest insoweit ist daher eine gemeinschaftskonforme Auslegung zu erwägen, wonach die Nachsichtsverbote für die Anerkennung bzw Gleichhaltung nicht gelten, soferne diese Verbote nicht im Einzelfall aus „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses“ gerechtfertigt erscheinen363. Da auch EWR-Ausländer im Rahmen ihres Niederlassungsrechtes „Gewerbe wie Inländer“ auszuüben haben, bedarf die Ausübung eines genehmigungspflichtigen Gewerbes einer Genehmigung gemäß § 95 GewO. Allerdings wurde in § 373i Abs 2 GewO für genehmigungspflichtige Gewerbe insoweit eine Sonderregelung getroffen, als danach der Antragsteller „hinsichtlich des Nachweises seiner persönlichen Zuverlässigkeit die Nachweise vorzulegen“ hat, „wie sie entsprechend dem Gewerbe oder der bestimmten Tätigkeit eines Gewerbes, dessen Ausübung angestrebt wird, in den jeweiligen in der Anlage angeführten Richtlinien oder im Artikel 6 der Richtlinie 89/48/EWG oder im Artikel 10 der Richtlinie 92/51/EWG oder in den Artikeln 17 bis 19 und 24 der Richtlinie 85/384/EWG festgelegt sind“. Liegen die Voraussetzungen der Anerkennung bzw Gleichhaltung nur in Bezug auf Teiltätigkeiten vor, so ist die Anerkennung oder Gleichhaltung entsprechend zu beschränken.364 In Österreich niedergelassene EWR-Staatsangehörige sind gemäß § 373i Abs 3 GewO grundsätzlich berechtigt, ihre im Heimatstaat erworbene Ausbildungsbezeichnung (nicht jedoch ihre Berufsbezeichnung) in Österreich zu verwenden.
b) Dienstleistungsfreiheit Eine besondere Regelung trifft § 373g GewO für die im Rahmen des EWR gewährleistete Dienstleistungsfreiheit. Diese betrifft die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen, wobei der Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als der Dienstleistungsempfänger.365 § 373g GewO trifft eine diesbezügliche Regelung für Staatsangehörige einer EWR-Partei sowie für Gesellschaften, die nach den Vorschriften einer EWRVertragspartei gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz366, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einem EWR-Vertragsstaat haben. Sie dürfen nach § 373g Abs 1 GewO, wenn sie „in einem EWRVertragsstaat ansässig sind“ und dort eine gewerbliche Tätigkeit befugt aus-
362 363 364 365 366
Dazu bereits Hattenberger (FN 327) 78 f. ZB Scheuer, Art 43, in: Lenz (Hrsg), EG-Vertrag Kommentar2, 1999, 478, Rz 11, mwN. Handig, Grenzüberschreitende Dienstleistungen ausländischer Unternehmen in Österreich - gewerberechtlich betrachtet, RdW 2004, 514 (516). Art 36 EWRA, Art 49 EGV. Wenn die Gesellschaften lediglich ihren satzungsmäßigen Sitz in einem EWRVertragsstaat haben, muss ihre Tätigkeit gemäß § 373g Abs 2 GewO in „tatsächlicher und dauerhafter Verbindung mit der Wirtschaft eines EWR-Staates stehen“.
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üben „bestellte gewerbliche Arbeiten im Inland unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer ausführen“. § 373g erfasst somit grundsätzlich Auftragsarbeiten, doch impliziert die Befugnis zur Ausführung „bestellter gewerblicher Arbeiten“ wohl auch hier die Berechtigung zur Werbung für diese Arbeiten und die Teilnahme an Wettbewerben.367 Auch ist anzunehmen, dass die bloß gelegentlich oder sehr vereinzelte Erbringung von Dienstleistungen von der GewO gar nicht erfasst wird.368
Trotz der Formulierung „unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer“ sind nicht alle für Inländer geltenden Vorschriften der GewO auf die grenzüberschreitende Erbringung solcher Dienstleistungen anzuwenden.369 So bestimmt § 373g Abs 1 GewO ausdrücklich, dass die allfällige Voraussetzung eines Befähigungsnachweises durch eine Anerkennung gemäß § 373c GewO oder eine Gleichhaltung gemäß § 373d GewO erbracht wird.370 Dienstleistungen gemäß § 373g GewO können in diesen Fällen erst nach Abschluss eines entsprechenden Verwaltungsverfahrens erbracht werden.371 Allerdings ist auch hier davon auszugehen, dass der Antragsteller ein Wahlrecht zwischen einem Anerkennungs- bzw Gleichhaltungsverfahren und der Erbringung eines individuellen Befähigungsnachweises gemäß § 19 GewO hat.372 Gerade für grenzüberschreitende Dienstleistungserbringer besteht die Gefahr, dass sie bei öffentlichen Aufträgen nicht zum Zug kommen, weil über ihren Antrag auf Anerkennung bzw Gleichhaltung nicht rechtzeitig entschieden wird. Es ist aber anzunehmen, dass der Verweis in § 373g auf die Anerkennung gemäß § 373c GewO bzw die Gleichhaltung gemäß § 373d GewO auch die in diesen Vorschriften enthaltenen Regelungen über die Entscheidungspflicht vor Zuschlagserteilung373 umfasst.
Auch das Erfordernis eines inländischen Gewerbestandortes kommt hier nicht zum Tragen. Dient doch die Regelung des § 373g GewO erklärtermaßen374 der Gewährleistung der EG- bzw EWR-Dienstleistungsfreiheit, bei der es gerade nicht auf die Ansässigkeit im Inland ankommt. Aus der Formulierung des letzten Satzes von § 373g GewO ist überdies zu schließen, dass der Dienstleistungserbringer keine inländische Gewerbeberechtigung besitzen und die gewerbliche Tätigkeit daher nicht anmelden muss.375 Denn nach dieser Vorschrift hat der BMWA die Ausführung zu verbieten, wenn einer der im § 87 Abs 1 angeführten Entziehungsgründe auf den zur Ausführung der Arbeiten Berechtigten zutrifft. Diese Vorschrift wäre entbehrlich, wenn der Berechtigte eine Gewerbeberechtigung besäße, weil diesfalls § 87 Abs 1 GewO unmittelbar
367 368 369 370
371 372 373 374 375
Siehe bereits oben III.C.2.b). Ebenda. Einschränkungen können sich auch aus einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung dieser Formulierung ergeben; dazu VwGH 4.9.2002, 2000/04/0066. Vgl dazu auch Nentwich, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im Gewerberecht, in: Rill (Hrsg), Forschung für die Wirtschaft. Die Europäisierung des österreichischen Wirtschaftsrechts, 1995, 185 (198), und demgegenüber VwGH 9.5.2001, 2001/04/0085. Siehe demgegenüber allerdings Winkler, Die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten durch EWR-Unternehmer in Österreich, ZfV 2004, 437 (447). Siehe bereits III.B.1.a)cc)ccc). Ebenda. Siehe zB Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 373g, Rz 1. Siehe insoweit zu § 51 GewO oben III.C.2.b).
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angewendet und die Gewerbeberechtigung nach dieser Bestimmung entzogen werden könnte. Eine besondere Regelung in Bezug auf Ausschlussgründe und relative Zuverlässigkeit (genehmigungspflichtiger Gewerbe) trifft § 373i Abs 2 GewO. Demnach hat der „Antragsteller“ bezüglich des Nichtvorliegens von Gewerbeausschlussgründen und hinsichtlich seiner persönlichen Zuverlässigkeit „Nachweise vorzulegen“, wie sie in bestimmten in dieser Vorschrift genannten Richtlinien genannt sind.376 Diese Vorschrift bezieht sich - da sie keine diesbezügliche Differenzierung trifft (argumentum lege non distinguente) - auch auf die Erbringung von Dienstleistungen gemäß § 373g GewO. Damit stellt sich die Frage, in welchem Verfahren solche „Nachweise vorzulegen“ sind. Denn Dienstleistungserbringer benötigen keine inländische Gewerbeberechtigung, weshalb ein Anmeldeverfahren oder Bewilligungsverfahren für die Prüfung von Ausschlussgründen ausscheidet. § 373i GewO geht daher offenbar davon aus, dass bei Dienstleistungserbringern die Ausschlussgründe ebenso wie die relative Zuverlässigkeit bereits im Anerkennungs- bzw Gleichhaltungsverfahren geprüft werden.377 Andere Vorschriften der GewO sind aber auch bei der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen gemäß § 373g GewO grundsätzlich einzuhalten. Das betrifft etwa die Regelungen über die Eigenberechtigung378, die Vorschriften über die Gewerbeausübung379, die Ausschlussgründe380 und die Bestimmungen über die Verpflichtung zur Bestellung eines gewerberechtlichen Geschäftsführer für juristische Personen und Personengesellschaften381. Allerdings wird behauptet, dass bei ausländischen Gesellschaften im vorliegenden Zusammenhang die Bestellung eines gewerberechtlichen Geschäftsführers deshalb nicht in Betracht kommt, weil ein solcher einen Gewerbebetrieb in Österreich voraussetzt.382 Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass ein inländischer Gewerbestandort als Voraussetzung für die Bestellung eines gewerberechtlichen Geschäftsführers der GewO nicht zu 376
377
378 379 380 381 382
Es ist anzunehmen, dass sich diese Bestimmung nur auf reglementierte Gewerbe bezieht, weil nur hier ein „Antrag“ (auf Anerkennung oder Gleichhaltung) gestellt werden muss. In Bezug auf freie Gewerbe kommt demnach bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nur ein Verbot der Ausführung der Arbeiten gemäß § 373g Abs 1 GewO in Betracht; AA Filzmoser, Berufsrecht, 52. Demgegenüber werden im Falle der Niederlassung eines EWR-Ausländers nur die Ausschlussgründe im Rahmen des Anerkennungs- bzw Gleichhaltungsverfahrens geprüft. Hingegen wird über die relative Zuverlässigkeit unter Berücksichtigung der in § 373i GewO erwähnten Nachweise in einem eigenen Genehmigungsverfahren abgesprochen; dazu III.C.3.a). Diese Auffassung steht mit der Wortwahl („Antragsteller“) in § 373i Abs 2 GewO im Einklang, weil auch im Bewilligungsverfahren ein „Antrag“ gestellt wird. Die durch diese Auffassung bewirkte Differenzierung zwischen der Niederlassung und Dienstleistungserbringung lässt sich damit rechtfertigen, dass nach der Judikatur des EuGH für die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung geringere Anforderungen zu gelten haben als für die grenzüberschreitende Niederlassung; dazu sogleich weiter unten im Text. Thienel, in: Gewerberecht, 162. Dazu näher Thienel, in: Gewerberecht, 168 ff. Winkler (FN 456) 442 ff. So auch Handig, Der freie Dienstleistungsverkehr und seine Auswirkungen in der GewO 1994, RdW 2002, 395 (397). Thienel, in: Gewerberecht, 161, 164. Siehe auch Winkler (FN 456) 449.
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entnehmen ist. Vielmehr stellt sich die Frage der gewerberechtlichen Verantwortlichkeit - der die Einrichtung des gewerberechtlichen Geschäftsführers vor allem dient - gerade auch bei im Ausland ansässigen Gewerbebetrieben. Für die Verpflichtung von im Ausland ansässigen Gesellschaften zur Bestellung eines gewerberechtliche Geschäftsführers gemäß § 9 Abs 1 GewO spricht aber insbesondere folgendes Argument: Es wäre andernfalls kaum zu erkennen, wer bei diesen Rechtsträgern nach der GewO sonst die allgemeinen und vor allem die besonderen Voraussetzungen erfüllen und allenfalls eine Anerkennung oder Gleichhaltung gemäß § 373g Abs 1 GewO erlangen sollte. Auch dürfte dieser Auffassung kaum die Judikatur des EuGH zur Dienstleistungsfreiheit entgegenstehen. Zwar kann nach dieser Rechtsprechung ein „Mitgliedstaat für die Erbringung der Dienstleistungen in seinem Hoheitsgebiet nicht die Einhaltung aller für eine Niederlassung erforderlichen Bedingungen verlangen, weil damit den Bestimmungen, die den freien Dienstleistungsverkehr gewährleisten sollen, ihre praktische Wirksamkeit völlig genommen würde“383. Letztlich ist nach der Judikatur des EuGH aber auch hier entscheidend, ob die betreffende Regelung durch „zwingende Gründe des Allgemeinwohls“ gerechtfertigt werden kann und damit verhältnismäßig ist. Als ein solcher Grund kann wohl auch die mit dem gewerberechtlichen Geschäftsführer bezweckte Verantwortlichkeit für die Einhaltung gewerberechtlicher Vorschriften angesehen werden. Dies wurde vom EuGH auch im Urteil Clean Car, in dem er sich mit dem gewerberechtlichen Geschäftsführer unter anderem Aspekt auseinander zusetzen hatte, nicht bestritten.384 Allerdings ist einzuräumen, dass durch die aus Anlas dieses Urteils erfolgte Neufassung385 von § 39 GewO die Sicherstellung der Verantwortlichkeit durch den gewerberechtlichen Geschäftsführer Schwierigkeiten bereiten kann. Entfällt doch gemäß dem eingefügten § 39 Abs 2a das Erfordernis eines inländischen Wohnsitzes für den gewerberechtlichen Geschäftsführers, wenn dieser EU/EWR-Bürger ist und seinen Wohnsitz in einem EU/EWR-Mitgliedstaat hat. Diesfalls sind gemäß § 370 Abs 5 GewO Strafbescheide am Sitz des Gewerbebetriebes im Inland zuzustellen. Wenn aber - wie bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung - kein inländischer Betriebssitz vorhanden ist, kommt wohl § 11 Abs 1 ZustellG (Zustellungen im Ausland) zur Anwendung.386 Gemäß § 39 Abs 1 GewO haben grundsätzlich aber auch natürliche Personen, die ein Gewerbe betreiben, einen gewerberechtlichen Geschäftsführer zu bestellen, wenn sie keinen Wohnsitz im Inland haben. Diese Bestimmung gilt auf Grund gemeinschaftsrechtskonformer (einschränkender) Auslegung der Wendung „unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer“ in § 373g GewO in Verbindung mit § 39 Abs 2a GewO nicht für grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringer aus EU/EWR-Staaten. Denn mit der erwähnten Regelung in § 39 Abs 1 GewO soll offenbar die gewerberechtliche Verantwortlichkeit des Geschäftsführers (durch Sicherstellung der Zustellung und Voll383
384
385 386
EuGH, Rs C-180/89, Kommission/Italien, Slg 1991, I-709, Rz 15. Ebenso zB EuGH, Rs C-76/90, Säger, Slg 1991, I-4221, Rz 13; EuGH, Rs C-264/99, Kommission/ Italien, Slg 2000, I-4417, Rz 9; EuGH Rs C-58/98, Corsten, Slg 2000, I-7919, Rz 43; EuGH Rs C-493/99 (Kommission/Deutschland), Slg 2001, I-8163, Rz 21. Vgl EuGH, Rs C-350/96, Clean Car, Slg 1998, I-2521, Rz 33 ff. Aus diesem Grund ist auch die von § 9 Abs 3 GewO und § 39 Abs 2 GewO geforderte Bindung des gewerberechtlichen Geschäftsführers an das Unternehmen nicht zu beanstanden, wobei bei ausländischen Unternehmen wohl nur eine sinngemäße Anwendung dieser Vorschriften in Betracht kommt; dazu oben III.C.2.b). Durch die GewO-Novelle 2000 (BGBl 2000 I/88). Siehe nunmehr auch den Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (Abl L 76/16), der bis März 2007 umzusetzen ist.
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streckung von Strafbescheiden) gewährleistet werden. Dieser Zweck kann aber bei den in Rede stehenden Dienstleistungserbringern zumeist kaum erfüllt werden. Würden diese doch häufig einen Geschäftsführer aus ihrem Heimatstaat wählen, weil nur diese (auf Grund ihrer räumlichen Nähe) in der Lage sein werden, sich im Sinne von § 39 Abs 2 GewO „im Betrieb entsprechend zu betätigen“. Gerade für solche Geschäftsführer entfällt aber gemäß 39 Abs 2a GewO das Erfordernis eines Wohnsitzes im Inland. Die Verpflichtung zur Bestellung eines gewerberechtlichen Geschäftsführers würde daher den Gewerbetreibenden mit Kosten belasten ohne gleichzeitig den gewünschten Effekt zu erzielen. Diese Regelung mag daher für im Inland niedergelassene Gewerbetreibenden (auch wenn sie EU/EWR-Ausländer sind) gerechtfertigt erscheinen. Denn diese dürften wohl zumeist einen im Inland ansässigen Geschäftsführer bestellen, weil nur dieser sich im Betrieb entsprechend betätigen kann. Bei Dienstleistungserbringern aus anderen EU/EWR-Staaten erscheint sie aus den dargelegten Gründen aber als unverhältnismäßig, zumal nach der dargelegten Judikatur des EuGH ein „Mitgliedstaat die Erbringung von Dienstleistungen in seinem Hoheitsgebiet nicht von der Einhaltung aller Voraussetzungen abhängig machen“ darf, „die für eine Niederlassung gelten“387.
IV. Gewerbeumfang A. Allgemeines Das Erfordernis einer Abgrenzung des Gewerbeumfanges entsteht vor allem daraus, dass für die Ausübung bestimmter gewerblicher Tätigkeiten ein Befähigungsnachweis388 bzw eine gewerberechtliche Genehmigung verlangt wird. Dieses System macht eine Grenzziehung zu Verrichtungen notwendig, für die ein Befähigungsnachweis bzw eine Genehmigung zwar gesetzlich gefordert, aber vom Gewerbetreibenden nicht erbracht wird. Allerdings können solche Begrenzungen für bestimmte Betriebe auch einen Schutz vor mehr Konkurrenz bewirken. Für andere Unternehmen wieder ergeben sich aus den Begrenzungen Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen Chancen.389 Die politische Entwicklung der vergangenen Jahre ist einen Mittelweg zwischen diesen verschiedenen Anforderungen gegangen, der jedoch durch eine zunehmende Durchbrechung („Liberalisierung“) der ursprünglich relativ engen Grenzen gewerberechtlicher Befugnisse gekennzeichnet ist. Die genaue Bestimmung des Umfanges einer Gewerbeberechtigung ist damit freilich komplizierter geworden. Zentrale Vorschrift zur Bestimmung des Gewerbeumfanges ist § 29 GewO. Danach ist dafür in erster Linie die Gewerbeanmeldung bzw (bei genehmigungspflichtigen Gewerben) die bescheidmäßige Genehmigung von Bedeutung. Der genauen Bezeichnung des Gewerbes in der Gewerbeanmeldung kommt daher insoweit entscheidende Bedeutung zu.390 Dennoch ergibt sich aus der Gewerbeanmeldung bzw aus der Genehmigung allein selten eine hinreichend klare Auskunft über den Inhalt eines Gewerbes391, weil eine alle Zweifelsfragen ausschließende Umschreibung kaum möglich ist. Hinzu kommt, dass die GewO verschiedene aus der Bezeichnung allein nicht erkennbare Rechte 387 388 389 390 391
EuGH Rs C-58/98, Corsten, Slg 2000, I-7919, Rz 43. So auch Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 147, Rz 380. Ebenda. VwGH 23.5.1995, 94/04/0161. Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 146, Rz 379.
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zusätzlich einräumt. Aus diesem Grund sieht § 29 GewO auch vor, dass der Gewerbeschein bzw die Bewilligung im Zusammenhalt mit den einschlägigen Rechtsvorschriften für die Bestimmung des Gewerbeumfanges primär392 maßgebend ist. Auch auf diese Weise ist aber eine klare Abgrenzung des Gewerbeumfanges nicht immer sichergestellt. Für weiter bestehen bleibende „Zweifelsfälle“ sind zur Bestimmung des Gewerbeumfanges gemäß § 29 GewO folgende Kriterien heranzuziehen: die den einzelnen Gewerben eigentümlichen Arbeitsvorgänge, die verwendeten Roh- und Hilfsstoffe sowie Werkzeuge und Maschinen, die historische Entwicklung und die in den beteiligten gewerblichen Kreisen bestehenden Anschauungen und Vereinbarungen. Die in § 29 GewO angesprochenen „Vereinbarungen“ sind (an sich rechtlich unverbindliche) Absprachen zwischen den Fachgruppen und Fachverbänden der Handelskammerorganisation. Kollektivvertragliche Regelungen und Berufsausbildungsvorschriften sind nach der Judikatur des VwGH hingegen nicht Ausdruck von Anschauungen und Vereinbarungen im Sinne von § 29 GewO.393
Insgesamt lässt sich aus § 29 GewO der Umfang der Gewerbeberechtigung in einen Kernbereich, das Selbstbedienungsrecht und die Nebenrechte unterteilen. Diese Einteilung soll im Folgenden etwas näher erläutert werden.
B. System der Umfangrechte 1. Kernbereich Zum „Kernbereich“ einer gewerblichen Tätigkeit zählen jene Verrichtungen, die unter das charakteristische Erscheinungsbild des Gewerbes fallen.394 Bei den befähigungsnachweispflichtigen Gewerben gehören dazu gemäß § 31 Abs 1 GewO jedenfalls die für ein Gewerbe „typischen Kerntätigkeiten, welche die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen voraussetzen“. Andererseits geht der „Kernbereich“ darüber hinaus, weil aus § 31 Abs 1 GewO auch zu schließen ist, dass nicht alle „Kerntätigkeiten“ eines Gewerbes besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erfordern.395 Soferne dies bei „Kerntätigkeiten“ aber der Fall ist, stellen diese gemäß § 31 Abs 1 GewO keine (den betreffenden Gewerben nicht vorbehaltenen) „einfachen Tätigkeiten“396 dar. Zwar hängt auch bei befähigungsnachweispflichtigen Gewerben der Gewerbeumfang und damit auch deren konkrete „Kerntätigkeit“ letztlich von der Gewerbeanmeldung ab, weshalb auch die Gestaltungsmöglichkeiten bei diesen Gewerben nicht auf die in den Gewerbelisten für reglementierte Gewerbe397 typisierten Tätigkeiten beschränkt sind. Dessen ungeachtet ist davon auszugehen, dass mit den in diesen Gewerbelisten aufgezählten Gewerbetypen der „Kernbereich“ bestimmter etablierter gewerb-
392 393 394 395 396 397
So VwSlg 9067(A)/1976. VwGH 27.2.1991, 90/04/0085. Siehe Thienel, in: Gewerberecht, 90; Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 147, Rz 381. VwGH 28.10.1997, 97/04/0120. Dazu oben III.B.1.a)cc)bbb)cccc). § 94 GewO.
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licher Tätigkeiten festgelegt wurde.398 Freilich bedarf die Bestimmung des konkreten Umfanges der einzelnen Gewerbetypen wiederum einer näheren Interpretation, die anhand der Kriterien von § 29 GewO zu erfolgen hat. Eine erhebliche Erleichterung stellt dabei der Umstand dar, dass der „Kernbereich“ bei einzelnen Gewerben in der GewO gesetzlich umschrieben wird. So wird etwa in Bezug auf das Gastgewerbe in § 111 GewO relativ exakt festgelegt, inwieweit diesem (als nichtgenehmigungspflichtigen gebundenem Gewerbe) die Verabreichung von Speisen und der Ausschank von Getränken als „Kerntätigkeiten“ prinzipiell vorbehalten ist. In § 99 GewO wiederum ist zB festgelegt, welche Bautätigkeiten zum „Kernbereich“ des Baumeistergewerbes (genehmigungspflichtiges gebundenes Gewerbe) gehören.
2. Selbstbedienungsrechte Als Selbstbedienungsrechte werden jene (außerhalb des Kernbereichs liegende) Tätigkeiten angesehen, die für alle Gewerbe zur sachgerechten Gewerbeausübung erforderlich sind. Dazu wird grundsätzlich das Instandsetzen und die Instandhaltung von Betriebsgebäuden, -einrichtungen und -mitteln, der (nichtkonzessionspflichtige399) Werksverkehr mit Gütern und Personen sowie der unentgeltliche Ausschank von Getränken im Rahmen der Gewerbeausübung gezählt. Seit der GewO-Novelle 2002 sind die Selbstbedienungsrechte im Rahmen der „sonstigen Rechte von Gewerbetreibenden“ in § 32 Abs 1 Z 3, 13, 14 und 15 GewO geregelt. Der Gewerbetreibende hat sich bei der Instandsetzung und Instandhaltung gemäß § 32 Abs 2 GewO entsprechend ausgebildeter und erfahrener Fachkräfte zu bedienen, soweit dies aus Gründen der Sicherheit notwendig ist. Die Prüfung und Überwachung von Anlagen, Einrichtungen und Gegenständen darf außerdem gemäß § 33 Abs 1 GewO grundsätzlich nur von den zur Herstellung der betreffenden Anlagen, Einrichtungen oder Gegenstände bzw zur Ausübung des Gewerbes des Technischen Büros berechtigten Gewerbetreibenden vorgenommen werden. Bei dem vom Selbstbedienungsrecht umfassten Personenverkehr geht es vor allem um die Berechtigung zum Transport von Arbeitnehmern eines Unternehmens von und zur Arbeitsstätte.400 Damit auch der unentgeltliche Ausschank von Getränken als Selbstbedienungsrecht gilt, dürfen gemäß § 32 Abs 1 Z 15 GewO „weder zusätzliche Hilfskräfte noch ausschließlich diesem Ausschank dienende Räume verwendet werden“. Neben den ausdrücklich aufgezählten Selbstbedienungsrechten kommen dem Gewerbetreibenden nach Auffassung der Lehre auch noch weitere unabdingbare Befugnisse wie Werbung, das Inkasso oder die Buchführung zu.401
3. Sonstige Nebenrechte Bei Nebenrechten eines Gewerbes handelt es sich um bestimmte mit der Gewerbeberechtigung verbundene Befugnisse, die nicht zum „Kernbereich“ des Gewerbes gehören und für sich genommen Gegenstand anderer Gewerbe sind. Sie ergeben sich aus verschiedenen Vorschriften der GewO. So sind in § 32 GewO (unter dem Titel „Sonstige Rechte von Gewerbetreibenden“) allgemeine 398 399 400 401
Thienel, in: Gewerberecht, 90. Siehe § 1 KflG und § 4 Z 3 in Verbindung mit § 10 GütbefG. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 308 Rz 27. Thienel, in: Gewerberecht, 92.
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Nebenrechte von Gewerbetreibenden aufgezählt. Außerdem sind in der GewO zusätzlich auch besondere Nebenrechte für bestimmte Gewerbe vorgesehen. Gemäß § 32 Abs 1 Z 1 GewO dürfen Gewerbetreibende etwa Leistungen anderer Gewerbe erbringen, die eigene Leistungen wirtschaftlich sinnvoll ergänzen. Dazu gehört etwa die Vermittlung von Sachversicherungen in geringem Umfang durch Sportartikelverkäufer. Spezielle Nebenrechte sind in § 150 aufgezählt, darunter das Recht der Tapezierer zum Zimmermalen sowie das Recht der Bäcker zur Herstellung von Konditorbackwaren und umgekehrt die den Konditoren gewährte Befugnis zur Vornahme von Bäckerarbeiten genannt werden402. Als Beispiele für Nebenrechte bestimmter reglementierter Gewerbe kann das Recht von Gastgewerbetreibenden zum Verkauf von Waren des üblichen Reisebedarfs gemäß § 111 Abs 4 GewO, als Nebenrecht eines freien Gewerbes gemäß § 157 Abs 2 GewO das Recht der Tankstellenbetreiber zum Handel mit bestimmten Waren (zB vorverpackter Lebensmittel) erwähnt werden.
Besondere Nebenrechte werden vor allem reglementieren Gewerben und Handwerken durch die Vorschriften über „verbundene Gewerbe“, „verwandte Gewerbe“, „einfache Tätigkeiten“ und den „integrierten Betrieb“ eingeräumt.403
C. Umfangfeststellungsverfahren Ein besonderes Verfahren zur Feststellung des Gewerbeumfanges durch den BMWA ist in § 349 GewO vorgesehen. Danach hat dieser einerseits gemäß § 349 Abs 1 Z 1 GewO über den Umfang einer Gewerbeberechtigung im Verhältnis zu einer anderen Gewerbeberechtigung zu entscheiden. Andererseits ist der BMWA gemäß 349 Abs 1 Z 2 GewO zur Entscheidung über die Frage zuständig, ob eine gewerbliche Tätigkeit, die Gegenstand einer Gewerbeanmeldung ist, „ein freies Gewerbe sein kann oder in den Berechtigungsumfang eines Teilgewerbes fällt oder einem Handwerk oder einem gebundenen Gewerbe vorbehalten ist“. Antragsberechtigt ist neben der „berührten“ Gliederung der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft (dh jene Gliederung, deren Mitglieder von der beantragten Entscheidung betroffen sind404) ein Gewerbeinhaber sowie derjenige der eine Gewerbeanmeldung erstattet hat.405 Außerdem ist der Antrag gemäß § 349 Abs 3 GewO von Amts wegen durch eine Behörde zu stellen, bei der die Frage des Gewerbeumfanges eine Vorfrage in einem anhängigen Verfahren darstellt. Dabei kann es sich um das Verfahren zur Gewerbeanmeldung und nach der Judikatur des VwGH um ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Überschreitung der Gewerbeberechtigung406 handeln. Nach dem letzten Satz von § 349 Abs 3 GewO hat der BMWA ein Feststellungsverfahren von Amts we-
402 403 404 405
406
Die zuletzt genannten Befugnisse wurden erst durch die GewO-Novelle 1997 eingeräumt; dazu Filzmoser, RdW 1997, 441. Dazu näher oben unter III.B.1.a)cc)bbb). Dazu VwGH 24.10.2001, 99/04/0230. Diese Personen sowie die Gliederung der Landeskammer sind gemäß § 349 Abs 6 GewO nicht nur Parteien, sondern haben auch das Recht auf Erhebung einer Beschwerde beim VwGH. VwGH 22.2.1994, 93/04/0224; 3.9.1996, 96/04/0097. Siehe aber auch Kinscher/ Paliege-Barfuß, GewO, § 349, Rz 13.
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gen einzuleiten, wenn sich die Vorfrage nach dem Gewerbeumfang in einem bei ihm anhängigen Verwaltungsverfahren stellt. Nach Meinung des VwGH darf ein Antragsteller eine Feststellung gemäß § 349 Abs 1 Z 1 GewO („über den Umfang einer Gewerbeberechtigung ... im Verhältnis zu einer anderen Gewerbeberechtigung“) nur „abstrakt“, also ohne Bezug zu der „eigenen Gewerbeberechtigung“ bzw zu „einer konkreten gewerblichen Tätigkeit“ einholen.407 Für diese Auffassung spricht ein Umkehrschluss aus § 349 Abs 1 Z 2 GewO, der eine „konkrete“ Umfangsbestimmung (in bezug auf bestimmte anhängige Verfahren) vorsieht. Von Amts wegen kann nach Meinung des VwGH aber auch im Hinblick auf ein konkretes Verfahren eine Umfangbestimmung gemäß § 349 Abs 1 Z 1 GewO beantragt werden.408 Diese Ansicht lässt sich damit begründen, dass § 349 Abs 3 GewO (der die amtswegige Beantragung von Umfangsbestimmungen bei anhängigen Verfahren regelt) undifferenziert auf § 349 Abs 1 (Z 1 und 2) GewO verweist. Anders als nach § 38 AVG dürfen Verwaltungsbehörden (außer der BMWA in einem eigenen Feststellungsverfahren) diese Vorfrage grundsätzlich nicht selbst beurteilen, sondern haben sie dem BMWA zur Entscheidung vorzulegen. Allerdings haben die vorlegenden Behörden selbst (und nicht der BMWA im Verfahren gemäß § 349 GewO) zu beurteilen, ob sich die Frage in dem bei ihnen anhängigen Verfahren überhaupt als Vorfrage stellt.409 Voraussetzung der Vorlageverpflichtung410 ist gemäß § 349 Abs 3 GewO einerseits, dass die Vorfrage „nicht ohne Bedachtnahme auf die im § 29 zweiter Satz enthaltenen Gesichtspunkte beurteilt werden kann“, was eine eingehende Vorprüfung durch die antragstellende Behörde voraussetzt. Außerdem besteht die Vorlagepflicht dann nicht, „wenn ein ernst zu nehmender Zweifel über die zur Entscheidung gestellte Frage nicht besteht oder wenn die Frage in den letzten fünf Jahren vom BMWA oder vom VwGH auf Grund einer Säumnisbeschwerde entscheiden worden ist“. Unter diesen Voraussetzungen kann auch der BMWA den Antrag gemäß § 349 Abs 4 GewO zurückweisen.
V. Gewerbeausübung A. Persönliche Anforderungen 1. Gewerbeberechtigung als persönliches Recht Die Gewerbeberechtigung ist das Recht ein Gewerbe auszuüben. Es entsteht bei Anmeldegewerben grundsätzlich mit der Gewerbeanmeldung, bei genehmigungspflichtigen Gewerben mit Erteilung der Genehmigung und beim Konkurrenzschutzgewerbe der Rauchfangkehrer mit Erlassung des Bescheides, in dem das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewerbeausübung festgestellt wird411. Gemäß § 38 Abs 1 GewO ist die Gewerbeberechtigung ein persönliches Recht, das nicht übertragen werden darf. Dem steht auch nicht entgegen, dass (was allerdings nur für Konkurrenzschutzgewerbe relevant ist) gemäß § 86 Abs 2 GewO die Gewerbeberechtigung unter der Bedingung zurückgelegt werden kann, dass eine bestimmte Person eine „gleiche“ Gewerbeberechtigung erlangt. Denn ungeachtet eines allenfalls zugrundeliegenden Rechtsgeschäf-
407 408 409 410 411
VwGH 18.6.1996, 94/04/0236. ZB VwGH 22.2.1994, 93/04/0224. VwSlg 13078(A)/1989. ZB VwGH 22.2.1994, 93/04/0224. §§ 121 Abs 1, 340 Abs 2 GewO.
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tes erfolgt die Zurücklegung zugunsten des Erhalts einer „gleichen“ und nicht „derselben“ Gewerbeberechtigung.412 Aus der Eigenschaft der Gewerbeberechtigung als persönlichem Recht folgt auch, dass diese nicht der Exekution unterworfen werden kann und auch nicht zur Konkursmasse gehört.413
Der Charakter der Gewerbeberechtigung als persönliches Recht kommt auch darin zum Ausdruck, dass diese gemäß § 38 Abs 1 GewO grundsätzlich nicht durch Dritte ausgeübt werden darf. Vom Erfordernis der persönlichen Gewerbeausübung sieht die GewO aber durch die Gewährung sogenannter Fortbetriebsrechte Ausnahmen vor.
Wegen der in der GewO (ausnahmsweise) vorgesehenen Möglichkeit der Gewerbeausübung durch Dritte wird das Recht auf Gewerbeausübung auch nicht als „höchstpersönliches“ Recht angesehen.414
2. Gewerberechtlicher Geschäftsführer a) Funktion Ein gewerberechtlicher Geschäftsführer haftet dem Gewerbeinhaber für die fachlich einwandfreie Ausübung des Gewerbes.415 Seine verwaltungsrechtliche Funktion besteht aber darin, dass er gemäß § 39 Abs 1 GewO der Behörde gegenüber für die „Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften verantwortlich ist“. Der gewerberechtliche Geschäftsführer trägt daher die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung bei Übertretungen gewerberechtlicher Vorschriften durch den Gewerbebetrieb und ist insoweit für im Rahmen der Gewerbeausübung begangene Übertretungen zu bestrafen. Unter den in seinen Verantwortungsbereich fallenden „gewerberechtlichen Vorschriften“ sind nach herrschender Auffassung nicht nur Bestimmungen der GewO zu verstehen. Darunter fallen vielmehr auch sämtliche typischen gewerberechtlichen Nebengesetze, die auf dem Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ im Sinne von Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG gründen.416
Außer auf die GewO selbst bezieht sich daher die Verantwortlichkeit des gewerberechtlichen Geschäftsführers etwa auch auf das GüterbeförderungsG, GelegenheitsverkehrsG oder ÖffnungszeitenG.417 Hingegen besteht sie zB nicht für die Einhaltung baurechtlicher, sozialversicherungsrechtlicher, der Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs dienender Bestimmungen418 oder des AuslBG419.
Die GewO räumt zunächst in § 39 Abs 1 GewO jedem Gewerbetreibenden ganz allgemein die Möglichkeit ein, einen gewerberechtlichen Geschäftsführer zu bestellen. Die Bedeutung dieses fakultativen Geschäftsführers besteht vor allem in einer Entlastung des Gewerbeinhabers von der verwaltungsstrafrecht-
412 413 414 415
416 417 418 419
Rill, Gewerberecht, 34. VwGH 18.6.1996, 96/04/0111. Rill, Gewerberecht, 34. Allerdings kann nach Meinung des OGH aus der GewO keine Verpflichtung des gewerberechtlichen Geschäftsführers abgeleitet werden, „die fachgerechte Ausführung von Aufträgen zu überwachen“; OGH 5.11.2002, 4 Ob 236/02p. ZB VwGH 26.9.1994, 92/10/0148; Rebhahn, in: Gewerberecht, 211 f, mwN. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 332 f, Rz 7. VwGH 25.7.1990, 85/17/0044. VwGH 22.2.1990, 89/09/0140. Siehe weiters Filzmoser, Berufsrecht, 52 ff.
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lichen Verantwortung. Dies gilt insbesondere auch für den „Filialgeschäftsführer“, der gemäß § 47 GewO für eine „weitere Betriebsstätte“ bestellt werden kann und dann die Verantwortung freilich nur für die Einhaltung der Vorschriften in dieser Betriebsstätte trägt420. Außerdem sieht die GewO in bestimmten Fällen eine Verpflichtung zur Bestellung eines gewerberechtlichen Geschäftsführers vor. Einen solchen obligatorischen Geschäftsführer fordert die GewO bei juristischen Personen und Personengesellschaften gemäß § 9 Abs 1 GewO421. Gleiches gilt gemäß § 39 Abs 1 GewO, wenn der Gewerbeinhaber keinen Befähigungsnachweis erbringen kann sowie wenn er keinen Wohnsitz im Inland hat. Die zuletzt genannte Regelung gilt allerdings gemäß § 39 Abs 1 GewO dann nicht, wenn die Zustellung der Verhängung und die Vollstreckung von Verwaltungsstrafen nicht durch Übereinkommen sichergestellt ist, was aber bisher nur ausnahmsweise geschehen ist422. Das Wohnsitzerfordernis soll also sicherstellen, dass Strafbescheide auch zugestellt und vollstreckt werden können. Dieser Regelungszweck wird allerdings dadurch wieder abgeschwächt, dass gemäß § 39 Abs 2a GewO EWR-Bürger als Geschäftsführer keinen Wohnsitz im Inland haben müssen.423
Die Verantwortlichkeit des gewerberechtlichen Geschäftsführers wird in § 370 Abs 2 GewO relativiert. Verletzt der Geschäftsführer auf Grund einer besonderen Weisung des Gewerbeinhabers eine Verwaltungsvorschrift, so ist er nach dieser Bestimmung dann nicht verantwortlich, wenn er glaubhaft zu machen vermag, dass ihm die Einhaltung dieser Verwaltungsvorschrift unzumutbar war. Das ist anzunehmen, wenn er bei Nichtbefolgung der Weisung mit erheblichen Sanktionen rechnen muss.424 Der Gewerbetreibende kann gemäß § 370 Abs 3 GewO auch neben dem Geschäftsführer bestraft werden, wenn er die Verwaltungsübertretung wissentlich duldet oder bei der Auswahl des Geschäftsführers es an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen lassen.425
b) Voraussetzungen Der gewerberechtliche Geschäftsführer muss gemäß § 39 Abs 2 GewO den für die Ausübung des Gewerbes vorgeschriebenen persönlichen Voraussetzungen entsprechen. Dies bedeutet, dass der Geschäftsführer grundsätzlich die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Gewerbeausübung erfüllen muss. Dazu zählt einmal das prinzipielle Nichtvorliegen von Ausschlussgründen. Davon besteht nur eine Ausnahme für den Ausschlussgrund wegen Nichteröffnung des Konkursverfahrens, der beim gewerberechtlichen Geschäftsführer nicht schadet.426 Zu den persönlichen Voraussetzungen gehört etwa bei 420 421 422 423 424 425 426
§ 47 Abs 4 GewO. Dazu oben III.B.2.b). Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 336, Rz 14. An solche gewerberechtliche Geschäftsführer ist gemäß § 370 Abs 5 GewO grundsätzlich am Sitz des Gewerbebetriebes im Inland zuzustellen. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1400, Rz 17. Dazu näher Rebhahn, in: Gewerberecht, 209 ff. Rebhahn, in: Gewerberecht, 216. Dies folgt aus § 13 Abs 3 und 5 GewO, die einen Ausschluss von der Gewerbeausübung „als Gewerbetreibende“ vorsehen. „Gewerbetreibende“ sind gemäß § 38 Abs 2 GewO neben dem Gewerbeinhaber zwar der Fortbetriebsberechtigte und der Pächter, nicht jedoch der gewerberechtliche Geschäftsführer.
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genehmigungspflichtigen Gewerben aber auch die relative Zuverlässigkeit und bei sämtlichen reglementierten Gewerben und Handwerken ein Befähigungsnachweis. Eine Nachsicht kann konkret im Hinblick auf die Ausübung eines Gewerbes als gewerberechtlicher Geschäftsführer beantragt werden. Das ist deshalb von Bedeutung, weil diesfalls andere Prüfungsmaßstäbe gelten können. So ist etwa nach der Judikatur des VwGH die Verweigerung einer Nachsicht gemäß § 13 Abs 1 GewO (strafgerichtliche Verurteilung) für arbeitgeberspezifische Straftaten (zB fahrlässige Krida) unzulässig, weil diese nicht in den Verantwortungsbereich eines gewerberechtlichen Geschäftsführers fallen.427
Außerdem muss der gewerberechtliche Geschäftsführer gemäß § 39 Abs 2 GewO in der Lage sein, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen. Er muss somit die Möglichkeit haben, sich über alle gewerberechtlich relevanten Betriebsvorgänge zu informieren bzw darüber informiert zu werden, um so die Handelnden von Verwaltungsübertretungen abzuhalten.428 Dazu gehört gemäß § 39 Abs 2 GewO auch eine seiner Funktion entsprechende, selbstverantwortliche Anordnungsbefugnis. Dem Geschäftsführer muss demnach die zivilrechtliche Befugnis eingeräumt worden sein, allen Arbeitnehmern Anordnungen zu erteilen, um betriebliche Tätigkeiten zu verhindern, die seiner Meinung nach gewerberechtlich unzulässig sind.429 Die Möglichkeit einer „entsprechenden Betätigung“ bestimmt sich nicht nur nach der betrieblichen Stellung des Geschäftsführers. Maßgeblich dafür sind auch seine sonstigen Lebensumstände sowie räumliche Aspekte. So hat nach Meinung des VwGH eine unselbständig in einer Fabrik in Wien beschäftigte Person nicht die Möglichkeit einer „entsprechenden“ betrieblichen Tätigkeit in einem ca 270 km entfernten Unternehmen.430 Andererseits schließt nach Meinung des VwGH allein die große Entfernung zwischen dem Wohnsitz eines Geschäftsführers in Berlin und dem Standort des Unternehmens in Wien eine „entsprechende“ Betätigungsmöglichkeit nicht aus, weil „etwa ein wöchentliches Pendeln zwischen den beiden betroffenen Städten durchaus denkbar“431 sei. Das Vorliegen der Möglichkeit einer „entsprechenden“ Betätigung ist bei Anmeldungsgewerben nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Anmeldung, bei genehmigungspflichtigen Gewerben nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Genehmigung zu beurteilen.432 Falls nach der GewO ein „obligatorischer“ Geschäftsführer zu bestellen ist, sieht § 39 Abs 3 GewO eine strengere Regelung vor. Der Geschäftsführer muss diesfalls nicht nur die Möglichkeit einer „entsprechenden“ Betätigung haben, sondern sich tatsächlich im Betrieb „entsprechend“ betätigen. Dabei handelt es sich allerdings um keine Voraussetzung der Bestellung des Geschäftsführers, die bereits bei Anzeige- oder Genehmigung des Geschäftsführers zu prüfen wäre. Vielmehr stellt diese Bestimmung eine Aus-
427 428 429 430 431 432
VwGH 22.12.1999, 99/04/0174. Rebhahn, in: Gewerberecht, 208. Ebenda. VwGH 27.6.1989, 87/04/0192. Weitere Nachweise bei Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 39, Rz 33 ff; Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 339 ff, Rz 21 ff. VwGH 27.1.1999, 98/04/0189. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 340 f, Rz 21; VwGH 13.12.2000, 2000/04/0172.
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übungsvorschrift dar, deren Verletzung eine verwaltungsstrafrechtliche Sanktion (Verstoß gegen § 367 Z 7 GewO) nach sich zieht.433
Der Geschäftsführer muss schließlich gemäß § 39 Abs 2a GewO seinen Wohnsitz im Inland haben. Diese Anforderung wurde jedoch durch eine Neuregelung434 erheblich abgeschwächt, die anlässlich eines Urteils des EuGH435 eingefügt wurde. Danach gilt gemäß § 39 Abs 2a GewO das Erfordernis eines inländischen Wohnsitzes dann nicht, wenn die Zustellung und Vollstreckung von Verwaltungsstrafbescheiden durch internationale Übereinkommen sichergestellt sind oder „es sich um Staatsangehörige einer EWR-Vertragspartei handelt, die ihren Wohnsitz in einem EWR-Vertragsstaat haben“. Bei verfassungskonformer Auslegung (andernfalls läge eine Inländerdiskriminierung vor)436 umfasst der Ausdruck „Staatsangehörige einer EWR-Vertragspartei“ auch österreichische Staatsbürger und der Ausdruck „EWR-Vertragsstaat“ auch Österreich. Damit fällt das Wohnsitzerfordernis in der Praxis in den meisten Fällen wohl weg. Von größerer Bedeutung für die Sicherstellung der Durchsetzbarkeit der Verantwortlichkeit des Geschäftsführers dürfte daher die Anforderung sein, dass sich dieser im Betrieb „entsprechend“ betätigen können und daher bis zu einem gewissen Grad auch im Betrieb anwesend sein muss. Folgerichtig ist in § 370 Abs 5 GewO auch vorgesehen, dass bei Geschäftsführern ohne Wohnsitz in Österreich die Strafbescheide am Sitz des Gewerbebetriebes im Inland zuzustellen sind. c) Anzeige und Bewilligung Die Bestellung des gewerberechtlichen Geschäftsführers erfolgt durch einen zivilrechtlichen Vertrag. Bei Anmeldungsgewerben ist die Bestellung des Geschäftsführers (unter Beifügung der erforderlichen Nachweise437) gemäß § 39 Abs 4 grundsätzlich der Bezirksverwaltungsbehörde des Gewerbestandortes438 anzuzeigen. Nur die Anzeige der Bestellung eines Filialgeschäftsführers439 ist bei der für die weitere Betriebsstätte zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde zu erstatten.440 Die Anzeigen sind gemäß § 345 Abs 8 Z 2 GewO von der Behörde mit Bescheid zur Kenntnis zu nehmen, wenn die gesetzlich geforderten Voraussetzungen vorliegen. Andernfalls hat die Behörde das Nichtvorliegen dieser Voraussetzungen gemäß § 345 Abs 9 GewO mit Bescheid festzustellen und die Tätigkeit des Geschäftsführers zu untersagen. Die Bestellung eines gewerberechtlichen Geschäftsführers bedarf bei genehmigungspflichtigen Gewerben gemäß § 95 Abs 2 GewO einer Genehmigung. Erst mit der Anzeige
433 434 435 436
437 438 439 440
Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 39, Rz 74; Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 358, Rz 49. BGBl 2000 I/88. EuGH, Rs C-350/96, Clean Car, Slg 1998, I-2521. Siehe dazu die verfassungskonforme Auslegung des Begriffes „Staatsangehörige einer EWR-Vertragspartei“ in den § 373a ff GewO durch den VfGH in VfSlg 14963/1997 und VfSlg 15683/1999. § 345 Abs 7 GewO. § 345 Abs 2 GewO. Siehe § 47 Abs 3 GewO. § 345 Abs 4 GewO.
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bzw Genehmigung ist der Gewerbetreibende von seiner Verantwortung für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften befreit.441 Das Ausscheiden des gewerberechtlichen Geschäftsführers ist der Behörde (auch bei genehmigungspflichtigen Gewerben) ebenfalls anzuzeigen.442 Die Geschäftsführereigenschaft endet allerdings nicht erst mit der Anzeige, sondern bereits mit dem tatsächlichen Ausscheiden.443 d) Widerruf Beziehen sich Gründe für die Entziehung der Gewerbeberechtigung (zB schwerwiegende Verstöße gegen Rechtsvorschriften)444 auf die Person des gewerberechtlichen Geschäftsführers, dann hat die Bezirksverwaltungsbehörde die Bestellung gemäß § 91 GewO mit Bescheid445 zu widerrufen. Mit dem Widerruf geht auch die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit auf den Gewerbeinhaber über.446
4. Fortbetriebsrechte a) Allgemeines Unter einem Fortbetriebsrecht ist das durch die GewO eingeräumte Recht zu verstehen, einen Gewerbebetrieb auf Grund der Gewerbeberechtigung eines anderen auszuüben. Da es sich um ein vom Recht des Gewerbeinhabers abgeleitetes Recht handelt, gewährt es dieselben Rechte wie sie dem Gewerbeinhaber auf Grund seiner Gewerbeberechtigung zugestanden sind.447 Dieses Recht wird von der GewO zum einen aus Gründen der Betriebserhaltung und zum anderen zum Zweck der Betriebsverwertung eingeräumt. Sofern die Fortbetriebsberechtigten keine natürlichen Personen sind oder nicht selbst die persönlichen Voraussetzungen für die Gewerbeausübung erfüllen bzw davon keine Nachsicht erhalten haben, müssen sie gemäß § 41 Abs 4 GewO „ohne unnötigen Aufschub“ einen gewerberechtlichen Geschäftsführer bestellen. Allerdings sieht § 41 Abs 4 GewO einen besonderen Nachsichtsgrund für den Fall des Nichterbringens eines Befähigungsnachweises durch den (die) Fortbetriebsberechtigten vor. Diesfalls kann die Bezirksverwaltungsbehörde auf Antrag nach Ermessen448 von der Bestellung eines Geschäftsführers nachsehen, wenn mit der Ausübung des Gewerbes ohne Geschäftsführer keine Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen verbunden sind. Die sachliche Rechtfertigung dieser Ausnahme von der Systematik der GewO (Befähigungsnachweis, Nachsicht oder befähigter Geschäftsführer bei gebundenen Gewerben und Handwerken) ist zumindest fraglich.
441 442 443 444
445 446 447 448
§§ 39 Abs 5 GewO, 47 Abs 4, 370 Abs 1 GewO. § 39 Abs 4 und § 47 Abs 3 GewO. VwGH 27.1.1999, 97/04/0070. Konkret beziehen sich gemäß § 91 Abs 1 GewO auf den gewerberechtlichen Geschäftsführer die in § 87 Abs 1 Z 1, 3 und 4 oder in § 88 Abs 1 GewO geregelten Entziehungsgründe. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 771, Rz 4. Zu den Konsequenzen des Widerrufs bei juristischen Personen und Personengesellschaften siehe oben III.B.2.b). Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 41, Rz 2. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 371, Rz 26.
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Bei Vorhandensein mehrerer Fortbetriebsberechtigter ist für den Gewerbebetrieb nur ein einziger Geschäftsführer zu bestellen.449 Die Bestellung eines Geschäftsführers kann dann entfallen, wenn der Fortbetriebsberechtigte den vom früheren Gewerbeinhaber bestellten Geschäftsführer weiter behält.450
Ein auf Grund eines Fortbetriebsrechtes fortgeführter Gewerbebetrieb darf gemäß § 41 Abs 2 GewO grundsätzlich (eine Ausnahme besteht für den „überlebenden Ehegatten“) neuerlich fortgeführt werden. Das Fortbetriebsrecht ist prinzipiell der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen451 und von dieser bei Vorliegen der Voraussetzungen mit Bescheid zur Kenntnis zu nehmen452. Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen hat die Behörde dies bescheidmäßig festzustellen und die Ausübung der Tätigkeit zu untersagen.453 Der fortbetriebsberechtigte Zwangsverwalter oder Zwangspächter ist der Bezirksverwaltungsbehörde vom Exekutionsgericht „bekanntzugeben“454. b) Betriebserhaltung aa) Verlassenschaft Die Verlassenschaft455 stellt ein Sondervermögen dar, das den Status einer juristischen Person hat. Ihr Fortbetriebsrecht entsteht mit dem Ableben des Gewerbeinhabers und endet zu bestimmten in § 42 Abs 2 GewO aufgezählten Anlässen (vor allem mit der Einantwortung an Erben). Da das Fortbetriebsrecht der Verlassenschaft einer juristischen Person zusteht, muss immer ein gewerberechtlicher Geschäftsführer bestellt werden. Dieser muss bei befähigungsnachweispflichtigen Gewerben gemäß § 39 Abs 2 GewO auch eine bestimmte Stellung im Unternehmen einnehmen. Als Geschäftsführer kann freilich auch der Vertreter der Verlassenschaft selbst bestellt werden, wenn er alle Voraussetzungen dafür erfüllt. Das Fortbetriebsrecht der Verlassenschaft kann gemäß § 85 Z 7 GewO bei der Bezirksverwaltungsbehörde des Standortes zurückgelegt werden, womit die Gewerbeberechtigung endet456.
bb) Überlebender Ehegatte und Deszendenten Ein Fortbetriebsrecht wird in § 43 GewO dem „überlebenden Ehegatten“ eingeräumt, wenn auf ihn der Gewerbebetrieb auf Grund einer Rechtsnachfolge von Todes wegen (gesetzliche und testamentarische Erbfolge sowie Vermächtnis und Erbvertrag457) oder einer Schenkung auf den Todesfall übergeht. Dieses Fortbetriebsrecht liegt nur dann vor, wenn die Ehegatten im Zeitpunkt des
449 450 451 452 453 454 455 456 457
Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 371, Rz 25. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 41, Rz 35. §§ 42 Abs 1, 43 Abs 1, 44 GewO. § 345 Abs 8 Z 2 GewO. § 345 Abs 9 GewO. § 45 GewO. Siehe § 531 ABGB. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 85, Rz 12. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 41, Rz 15.
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Ablebens in aufrechter Ehe gelebt haben.458 Unter diesen Voraussetzungen ist in § 43 GewO auch ein Fortbetriebsrecht für Deszendenten vorgesehen. Konkret bezieht sich dieses Fortbetriebsrecht auf die Kinder, die Wahlkinder sowie die Kinder der Wahlkinder des Gewerbeinhabers.459 Hinterlässt der Gewerbeinhaber sowohl einen fortbetriebsberechtigten Ehegatten als auch fortberechtigte Deszendenten, dann steht ihnen gemäß § 43 Abs 2 GewO das Fortbetriebsrecht „gemeinsam“ zu. Dies bedeutet, dass sie in ihrer Gesamtheit Gewerbeinhaber sind und nur gemeinsam gewerberechtlich relevante Maßnahmen setzen dürfen.460 Gleiches gilt, wenn das Fortbetriebsrecht mehreren Deszendenten zusteht.461 Überlebender Ehegatte und Deszendenten können gemäß § 43 Abs 3 GewO gegenüber der Bezirksverwaltungsbehörde auf ihr Fortbetriebsrecht spätestens ein Monat nach dessen Entstehung auch verzichten. Ein solcher Verzicht bewirkt, dass dieses Fortbetriebsrecht als gar nicht entstanden gilt. Außerdem können der überlebende Ehegatte und die Deszendenten gemäß § 85 Z 7 GewO ihre Fortbetriebsrechte bei der Bezirksverwaltungsbehörde des Standortes auch zu einem späteren Zeitpunkt zurücklegen, womit dann die Gewerbeberechtigung endet462.
Das Fortbetriebsrecht des überlebenden Ehegatten und der Deszendenten beginnt grundsätzlich mit dem Ende des Fortbetriebsrechtes der Verlassenschaft (also vor allem mit der Einantwortung an die Erben). Das Fortbetriebsrecht der Deszendenten endet gemäß § 41 Abs 1 Z 3 GewO mit Vollendung des 24 Lebensjahres, jenes des überlebenden Ehegatten grundsätzlich mit dessen Ableben.
c) Betriebsverwertung aa) Masseverwalter Ein Fortbetriebsrecht räumt die GewO auch „dem Masseverwalter für Rechnung der Konkursmasse“463 ein. Dieses Fortbetriebsrecht entsteht gemäß § 44 GewO mit der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Gewerbeinhabers und endet mit der Aufhebung des Konkurses. Gemäß § 86 Abs 3 GewO wird das Fortbetriebsrecht des Masseverwalters durch eine Anzeige über die Zurücklegung der Gewerbeberechtigung nicht berührt. Nach der Judikatur des VwGH besteht dieses Fortbetriebsrecht auch in anderen Fällen unabhängig vom Schicksal der Gewerbeberechtigung, die dem Inhaber des Gewerbebetriebes zustand, und wird durch deren Beendigung (zB durch Entziehung gemäß § 87 GewO) nicht berührt.464
bb) Zwangsverwalter und Zwangspächter Schließlich sieht die GewO auch noch ein Fortbetriebsrecht für einen im Zuge eines Exekutionsverfahrens „vom Gericht bestellten Zwangsverwalter oder
458 459 460 461 462 463 464
Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 365, Rz 7. Zur Abgrenzung dieses Fortbetriebsrechtes zu § 8 Abs 2 GewO siehe unter III.B.1.a)bb)aaa). Dazu Fialka, Die Fortbetriebsrechte, in: Rill (Hrsg), Gewerberecht. Beiträge zu Grundfragen der GewO 1973, 1978, 179 (202). Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 43, Rz 7. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 85, Rz 13. § 41 Abs 1 Z 4 GewO. VwSlg 9318(A)/1977.
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Zwangspächter“465 vor. Dieses Fortbetriebsrecht entsteht gemäß § 45 GewO mit der Bestellung durch das Gericht und endet mit der Einstellung der Zwangsverwaltung bzw mit der Beendigung des Pachtverhältnisses. Gemäß § 86 Abs 3 GewO wird auch das Fortbetriebsrecht des Zwangsverwalters oder des Zwangspächters durch eine Anzeige über die Zurücklegung der Gewerbeberechtigung des bisherigen Gewerbeinhabers nicht berührt. Im Sinne der eben dargelegten Rechtsprechung466 ist wohl davon auszugehen, dass das Fortbetriebsrecht des Zwangsverwalters und des Zwangspächters auch in anderen Fällen unabhängig vom Schicksal der Gewerbeberechtigung des Gewerbeinhabers des fortzubetreibenden Gewerbebetriebes besteht.467 Auch für diese Fortbetriebsrechte ist weder ein Verzicht noch eine Zurücklegung vorgesehen.
5. Ort der Gewerbeausübung a) Standort der Gewerbeberechtigung und weitere Betriebsstätte Grundsätzlich darf eine gewerbliche Tätigkeit nur am Standort der Gewerbeberechtigung ausgeübt werden. Darunter ist der Ort jener Betriebsstätte zu verstehen, der bei der Anmeldung des Gewerbes als Ort der Gewerbeausübung angegeben wird bzw auf den der Bewilligungsbescheid der Gewerbebehörde lautet. Wird der Betrieb verlegt, dann darf das Gewerbe am neuen Standort gemäß § 46 Abs 2 Z 2 GewO erst auf Grund einer Anzeige bei der für den neuen Standort zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde ausgeübt werden. Auch bei Gewerbeausübung via Internet ist dies die Betriebsstätte, die sich aus der Gewerbeberechtigung ergibt. Dabei wird es sich um den Ort des Bürobetriebes handeln. Der Server-Standort des fremden Providers kann hingegen in der Regel weder als Gewerbestandort noch als weitere Betriebsstätte angesehen werden.468
Gemäß § 46 Abs 1 GewO darf eine gewerbliche Tätigkeit grundsätzlich469 auch in einer weiteren Betriebsstätte („Filialbetriebe“) ausgeübt werden. Unter einer weiteren Betriebsstätte ist eine standortgebundene Einrichtung zu verstehen, die zur regelmäßigen Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit in einem anderen Standort als dem, auf den die Gewerbeanmeldung oder die Bewilligung lautet, bestimmt ist.470
Der Begriff der „standortgebundenen Einrichtung“ ist dabei weit zu verstehen und umfasst etwa den regelmäßigen Verkauf von an einem bestimmten Platz abgestellten Fahrzeugen ebenso wie den Ort, an dem zB ein Vertreter regelmäßig anzutreffen ist und Bestellungen bzw Zahlungen entgegennimmt.471
Das Recht zur Gewerbeausübung in einer weiteren Betriebsstätte wird gemäß 46 Abs 2 Z 1 GewO (auch bei genehmigungspflichtigen Gewerben) durch Anzeige bei der für die weitere Betriebsstätte zuständigen Bezirksverwaltungs-
465 466 467 468 469
470 471
§ 41 Abs 1 Z 5 GewO. Siehe V.A.4.c)aa). Vgl Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 45, Rz 5. Traudtner/Höhne, ecolex 2000, 481 f. Siehe aber etwa in Bezug auf Gastgewerbe § 111 Abs 5 GewO, wonach die Gewerbeanmeldung auch die Bezeichnung der Betriebsart (Anlage, Einrichtung und Ausstattung der Betriebsräume) zu enthalten hat. Dies schließt es aus, eine weitere Betriebsstätte mit einer anderen Betriebsart als jener zu begründen, die in der Gewerbeanmeldung enthalten ist; Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 46, Rz 6.. Lienbacher, in: Zweigniederlassung, 274. Dazu näher Lienbacher, in: Zweigniederlassung, 274 f.
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behörde begründet und erlischt gemäß § 48 GewO bei bestimmten Gewerben (zB Waffengewerbe) auch wiederum durch Anzeige. Gleiches gilt gemäß § 49 Abs 2 GewO für die Verlegung des Betriebes einer weiteren Betriebsstätte an einen anderen Standort. Für die Ausübung des Gewerbes in einer weiteren Betriebsstätte kann ein Filialgeschäftsführer bestellt werden.472 b) Gewerbliche Tätigkeiten außerhalb von Betriebsstätten aa) Grundsätzliches Allerdings sieht die GewO keine strenge Bindung der Gewerbeausübung an Betriebsstätten vor, weil eine solche viele gewerbliche Tätigkeit allzu stark beschränken und zum Teil sogar unmöglich machen würde. Daher sind in der GewO Tätigkeiten detailliert aufgezählt, die - wenngleich wiederum unter zahlreichen Einschränkungen - außerhalb von Betriebsstätten durchgeführt werden können. So dürfen Gewerbetreibende gemäß § 50 Abs 1 GewO im Rahmen ihres Gewerbes Waren, Roh- und Hilfsstoffe und Betriebsmittel überall einkaufen und einsammeln, bestellte Arbeiten überall verrichten und auf Märkten473 und marktähnlichen Veranstaltungen Waren verkaufen und Bestellungen entgegennehmen. Auch ist es Gewerbetreibenden nach dieser Vorschrift etwa gestattet, Waren auf Bestellung überallhin zu liefern. Davon ist jedoch wiederum eine Ausnahme für den Versandhandel mit bestimmten Waren (zB Arzneimittel, Heilbehelfe, Waffen und Munition) vorgesehen.474 Nach der Judikatur des VwGH liegt ein Versandhandel nicht erst bei mehreren Rechtsgeschäften vor. Vielmehr kann das Merkmal eines Versandhandels bereits bei einem einzigen Versendungskauf erfüllt sein.475
bb) Gewerbeausübung durch Automaten Auch die Gewerbeausübung durch Automaten außerhalb des Standortes der Gewerbeausübung oder weiterer Betriebsstätten ist gemäß § 52 GewO prinzipiell zulässig. Allerdings unterliegt auch sie einer Anzeigepflicht sowie anderen Einschränkungen. So ist der Verkauf bestimmter Waren (zB Arzneimittel, alkoholische Getränke) außerhalb der Betriebsräume unzulässig. Außerdem können Gemeinden die Gewerbeausübung durch Automaten gebietsweise (zB im näheren Umkreis von Schulen) untersagen.
cc) Feilbieten im Umherziehen Nur unter erheblichen Einschränkungen ist auch das sogenannte „Feilbieten im Umherziehen“ zulässig. Darunter ist eine über das Anbieten hinausgehende, auf den Verkauf von Waren gerichtete Tätigkeit zu verstehen, zu der auch das Mitführen von Waren gehört.476 Ein solches Feilbieten ist gemäß § 53 GewO im Rahmen bestimmter gewerblicher Tätigkeiten (zB Obst- und Gemüsever472 473 474 475 476
Dazu oben V.A.2. Dazu § 286 ff GewO. Siehe dazu EuGH 28.10.2004, Rs C-497/03 (Kommission/Österreich), sowie VwGH 14.9.2005, 2001/04/0213. VwGH 8.11.2000, 99/04/0190. Siehe auch VwGH 13.6.2005, 2003/04/0175. VwSlg 11711(A)/1985.
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kauf), Land- und Forstwirten hinsichtlich bestimmter Produkte (zB Butter, Eier), Bäckern-, Fleischern und Lebensmittelhändlern und auf Grund einer Bewilligung der Gemeinde Kleingewerbetreibenden „zu deren besserem Fortkommen“ gestattet. Zwischen dem Feilbieten im Umherziehen und einer weiteren Betriebsstätte kann es Abgrenzungsprobleme geben, weil auch eine weitere Betriebsstätte häufig verlegt werden kann477. Eine Abgrenzung wird unter Bedachtnahme auf die Art (Mobilität) und Dauer der Betriebseinrichtungen sowie die erkennbare Absicht einer von vorneherein nur kurzfristig geplanten Niederlassung („Umherziehen“) vorzunehmen sein.
dd) Sammeln und Entgegennahme von Bestellungen Einer eingehenden Regelung unterliegt in den § 54 ff GewO das Sammeln und die Entgegennahme von Bestellungen. Besondere Vorschriften befinden sich dabei aus Gründen des Konsumentenschutzes zur Entgegennahme von Bestellungen von Privatpersonen.478 So ist das Aufsuchen von Privatpersonen zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen von bestimmten Waren (zB Arzneimittel, Waffen, kosmetische Mittel, Gold- und Silberwaren479) gemäß § 57 Abs 1 GewO gänzlich verboten. Hinsichtlich anderer Waren ist gemäß § 57 Abs 3 GewO das Aufsuchen von Privatpersonen zu diesem Zweck außerhalb des Verwaltungsbezirks der Standortgemeinde nur auf Grund einer ausdrücklichen schriftlichen Aufforderung gestattet.480 Außerdem benötigen nach dieser Bestimmung der Gewerbetreibende oder sein Bevollmächtigter (Handlungsreisender) eine amtliche Legitimation481, die sie mit sich führen und auf Verlangen der behördlichen Organe vorweisen müssen.482 Eine differenzierte Regelung enthält die GewO für Werbeveranstaltungen außerhalb von Betriebsstätten (Werbepartys). So sind Werbeveranstaltungen für bestimmte Produkte (zB kosmetische Mitteln, Waffen und Munition) gemäß § 57 Abs 1 GewO in Privathaushalten483 ausnahmslos verboten.484 Ansonsten ist die Entgegennahme von Bestellungen (außerhalb der Betriebsstätten) grundsätzlich nur in der Wohnung des Gewerbetreibenden (zB auch bei dort stattfindenden „Werbepartys“) gemäß § 59 Abs 1 Z 1 GewO erlaubt. Bei Vorführungen von Modewaren (Modellen) oder Luxusartikeln können auch außerhalb der Wohnung des Gewerbetreibenden (oder seiner Betriebsstätte) gemäß § 59 Abs 1 Z 4 GewO Bestellungen auf solche Waren entgegengenommen werden.
477 478 479 480 481 482 483 484
Fischer/Trojer, Gewerbeordnung, 64. Dazu näher Krejci, Gewerbeordnung und Konsumentenschutz , in: Korinek (Hrsg), Gewerberecht. Grundfragen der GewO 1994 in Einzelbeiträgen, 1995, 227 ff. Dazu EuGH 23.2.2006, Rs C-441/04 (Schmidt). Diese Vorschrift dürfte gemeinschaftsrechtlich problematisch sein; vgl EuGH Rs C-254/98, TK-Heimdienst Sass GmbH, Slg 2000, I-151. Diese ist in § 62 GewO geregelt. Eine solche amtliche Legitimation des Gewerbetreibenden bzw seines Bevollmächtigten ist auch gemäß § 58 GewO für das Bestellen von Druckwerken vorgesehen. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 456, Rz 17. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 57, Rz 2.
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6. Namensführung a) Allgemeines Aus Gründen des Gläubigerschutzes und des Verbraucherschutzes sehen die § 63 GewO Verpflichtungen zur Namensführung und der Bezeichnung von Betriebsstätten vor. Zur gewerbebehördlichen Kontrolle dieser Vorschriften sind gemäß § 63 Abs 4 GewO der Bezirksverwaltungsbehörde des Standortes Änderungen des Namens oder der Firma anzuzeigen. Auch ist festzustellen, dass die GewO spezielle Vorschriften über die Namensführung enthält.485 In eigenen Verordnungen kann der BMWA gemäß § 67 GewO durch Verordnung besondere Vorschriften über die Angabe des Gegenstandes des Gewerbes in der äußeren Geschäftsbezeichnung erlassen. In den § 63 ff sind aber die allgemeinen Verpflichtungen über die Namensführung im Geschäftsverkehr und die Bezeichnung von Betriebsstätten geregelt. b) Geschäftsverkehr In den § 63 ff GewO ist eine Verpflichtung zur Namensführung von Gewerbetreibenden im Geschäftsverkehr vorgesehen. Dabei ist zwischen „Geschäftsbriefen, Bestellscheinen und Webseiten“, der „Angabe der Unterschrift“ und dem „übrigen Geschäftsverkehr“ zu differenzieren. aa) Geschäftsbriefe, Bestellscheine und Webseiten Gewerbetreibende, die natürliche Personen und keine im Firmenbuch eingetragene Unternehmer sind, haben gemäß § 63 Abs 1 GewO auf den Geschäftsbriefen, Bestellscheinen und Webseiten ihren Namen und den Standort der Gewerbeberechtigung anzugeben. Ist der Gewerbetreibende Inhaber einer in das Firmenbuch eingetragenen Firma, dann hat er gemäß § 63 Abs 3 GewO iV mit § 14 Abs 1 UGB die Firma zu verwenden. Nicht in das Firmenbuch eingetragene juristische Personen (zB Vereine) haben auf Geschäftsurkunden den gesetzlich oder statutarisch festgelegten Namen zu verwenden. Vordrucke, Bestellscheine und Webseiten haben diesen Anforderungen des § 63 GewO bis 1.1.2010 zu entsprechen. 486 Fortgeführte Betriebe sind hingegen unter Hinweis auf einen auf den Fortbetrieb hinweisenden Zusatz (zB „Witwe“, „Erben“) gemäß § 65 GewO unter dem bisherigen Namen zu betreiben.
bb) Unterschrift im Geschäftsverkehr Bei Angabe der Unterschrift im Geschäftsverkehr haben sich natürliche Personen als Gewerbetreibende gemäß § 63 Abs 1 GewO Namens zu bedienen. Inhaber einer ins Firmenbuch eingetragenen Firma haben gemäß § 63 Abs 3 GewO iV mit § 17 UGB mit der Firma zu unterschreiben. Juristische Personen, die nicht ins Firmenbuch eingetragen sind (zB Vereine), haben sich gemäß § 63 Abs 2 GewO bei der Abgabe der Unterschrift ihres gesetzlichen oder in den Statuten festgelegten Namens zu bedienen. 485 486
Siehe etwa §§ 98 Abs 3, 99 Abs 5 GewO. § 376 Z 9b GewO.
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cc) Sonstiger Geschäftsverkehr Im übrigen Geschäftsverkehr, insbesondere in „Ankündigungen“ (etwa eines „Abverkaufs“) oder sonstigen Werbemaßnahmen, dürfen gemäß § 63 Abs 1 GewO Abkürzungen des Namens (bzw der Firma oder des gesetzlich oder statutarisch festgelegten Namens) oder andere Bezeichnungen (zB „der Löwe“) verwendet werden. Voraussetzung dafür ist zum einen, dass diese Abkürzungen und Bezeichnungen „zur Kennzeichnung des Unternehmens geeignet“ sind. Zum anderen darf die Verwendung nicht dazu geeignet sein, Irreführungen über Wesentliches herbeizuführen. Die Angabe lediglich eines Postfachs oder einer Telefonnummer sowie von E-Mail-Adressen „die keine kennzeichnungskräftigen Ausdrücke enthalten“, ist jedenfalls gemäß § 63 Abs 1 GewO nicht erlaubt. Sobald allerdings eine Abkürzung oder eine andere Bezeichnung angegeben wurde, ist die zusätzliche Angabe eines Postfachs zulässig. Die Angabe einer „Geschäftsanschrift“ verlangt § 63 GewO in keinem Fall.487 Soweit Gewerbetreibende im elektronischen Geschäftsverkehr „werbend“ auftreten, dürfte die bloße Angabe von E-Mail-Adressen zulässig sein488, wenn diese „kennzeichnungskräftig“ sind und keine Verwechslungs- und Irreführungsgefahr besteht.489
dd) Zusätze Auch „Zusätze“ zu Namen oder zur Firma (zB „Strandhotel“) sind gemäß § 63 Abs 1 GewO zulässig, wenn sie zur näheren Kennzeichnung der Person oder des Unternehmens verwendet werden und der Wahrheit entsprechen. Aber auch „Phantasienamen“ (zB „Kaffeehaus Europa“) dürfen nach dieser Vorschrift als Zusätze zur näheren Kennzeichnung des Unternehmens verwendet werden, wenn keine Irreführungsgefahr besteht. c) Betriebsstätten Gewerbetreibende sind gemäß § 66 GewO verpflichtet, ihre Betriebsstätten mit einer äußeren Geschäftsbezeichnung zu versehen. Eine äußere Geschäftsbezeichnung liegt vor, wenn die Bezeichnung bereits vor dem Betreten der Betriebsstätte erkennbar ist.490 Diese Geschäftsbezeichnung hat zumindest den Namen (oder die Firma) des Gewerbetreibenden und einen im Rahmen der Gewerbeberechtigung gehaltenen unmissverständlichen Hinweis auf den Gegenstand des Gewerbes in gut sichtbarer Schrift zu enthalten. Von der Verpflichtung sind zunächst sämtliche Betriebsstätten, also auch weitere Betriebsstätten im Sinne von § 46 GewO491, erfasst. Nach § 66 Abs 1 GewO gilt diese Verpflichtung auch für Betriebsstätten, die nur einer vorübergehenden Ausübung eines Gewerbes dienen (zB Magazine, Baustellen). Bei Automaten, die nicht „in unmittelbarem örtlichen Zusammenhang mit einer Betriebsstätte“ betrieben werden, ist gemäß § 66 Abs 3 GewO auch der Standort des Ge487 488 489 490 491
VwGH 8.11.2000, 2000/04/0147. Vgl Filzmoser, RdW 2000, 195. Siehe dazu auch Filzmoser, Gewerbe- und berufsrechtliche Aspekte des E-Commerce-Gesetzes, RdW 2002, 322 f. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 66, Rz 6.. Allerdings darf die Bezeichnung auch nicht allzu weit von der Betriebsstätte entfernt sein; VwGH 19.10.1987, 86/10/0085. Lienbacher, in: Zweigniederlassung, 289.
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werbetreibenden anzugeben. Es ist eher zu bezweifeln, dass davon auch die Erbringung von online-Diensten (zB Infos aus Datenbanken) erfasst ist.492 Denn § 66 Abs 3 GewO stellt wohl auf vom Gewerbeberechtigten (und nicht vom Leistungsempfänger) betriebene Automaten ab. Bei online-Diensten befindet sich dieser „Automat“ (der Computer) aber in der Regel in der Betriebsstätte (dem Büro) des Gewerbetreibenden. Wird die Tätigkeit in einer primär anderen Zwecken dienenden Betriebsstätte ausgeübt (zB Theaterbuffet), dann genügt gemäß § 66 Abs 4 GewO eine entsprechende „Aufschrift“ (das ist wohl eine im Vergleich zur „Bezeichnung“ kleinere Beschilderung der Betriebsstätte493).
7. Gewerberegister Die Bezirksverwaltungsbehörden haben ein (dezentrales) Gewerberegister zu führen. In dieses Register haben sie gemäß § 365a und § 365b GewO natürliche Personen, juristische Personen und Personengesellschaften einzutragen, die etwa als Gewerbeinhaber, Pächter, Geschäftsführer oder Fortbetriebsberechtigte tätig sind. Außerdem ist beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ein zentrales Register eingerichtet, bei dem die Daten der Register der Bezirksverwaltungsbehörden zusammengeführt werden. Über die Daten des zentralen Gewerberegisters haben die Bezirksverwaltungsbehörden gemäß § 365e GewO Auskunft zu erteilen.
VI. Endigung und Ruhen der Gewerbeberechtigung A. Endigungsgründe 1. Allgemeines Die Gründe für die Endigung der Gewerbeberechtigung sind in § 85 GewO aufgezählt. Dazu gehört etwa der Tod einer natürlichen Person bzw die Endigung eines Fortbetriebsrechtes, der Untergang einer juristischen Person (Ausnahme bei Umgründungen494), die Zurücklegung der Gewerbeberechtigung495 die Endigung durch das Urteil eines Gerichtes und die Entziehung der Gewerbeberechtigung.
2. Entziehung der Gewerbeberechtigung Von besonderer praktischer Bedeutung ist der Endigungsgrund wegen Entziehung der Gewerbeberechtigung, die von der Bezirksverwaltungsbehörde vorzunehmen ist. Die Entziehungsgründe kommen vor allem dann zum Tragen, wenn die Verletzung wesentlicher Schutzinteressen der GewO erst im Laufe der Gewerbeausübung (und nicht bereits vor Gewerbeantritt) auftritt oder zutage kommt. Eine Entziehung hat durch Bescheid auf Grund eines in § 361 GewO geregelten Verfahrens zu erfolgen.
492 493 494 495
AA Filzmoser, RdW 2000, 196. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 480, Rz 8. Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 152, Rz 395, mwN. Zur Auslegung einer Zurücklegungserklärung VwGH 10.2.1998, 97/04/ 0231.
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Die Entziehung ist496 unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 87 Abs 3 GewO für eine bestimmte Zeit und gemäß § 87 Abs 6 GewO auch nur für einen Teil der gewerblichen Tätigkeit zu entziehen. Außerdem ist von der Entziehung trotz Vorliegens von Entziehungsgründen gemäß § 87 Abs 4 und 5 GewO unter bestimmten Umständen (zB ein bestehendes Verbot zur Ausbildung von Lehrlingen ist ausreichend) von der Entziehung abzusehen.
Die Gewerbeberechtigung ist gemäß § 87 Abs 1 Z 1 GewO zu entziehen497, wenn auf den Gewerbeinhaber die Ausschlussgründe der strafgerichtlicher Verurteilung oder der Bestrafung wegen Finanzvergehen zutreffen. Eine Entziehung ist diesfalls aber nur zulässig, wenn nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes zu befürchten ist. Die Straftat muss nicht bei Ausübung des Gewerbes begangen worden sein. Der Umstand, dass die Straftat (Suchtgifthandel) auch in anderem Zusammenhang begangen werden kann, schließt eine Entziehung ebenfalls nicht aus.498 Ebenso wenig ist eine Entziehung allein deshalb ausgeschlossen, weil die betreffende strafbare Handlung schon längere Zeit zurückliegt.499 Im Entziehungsverfahren ist die Gewerbebehörde an die Verurteilung bzw den Strafbescheid gebunden. Deren Richtigkeit kann im Entziehungsverfahren ebenso wenig geltend gemacht werden wie die Motive für die Unterlassung von Rechtsmitteln dagegen.500 Andererseits sind gerichtliche Aussprüche über die bedingte Strafnachsicht nach der Judikatur des VwGH nicht von Relevanz. Vielmehr hat die Behörde „eigenständig unter Berücksichtigung der mit der weiteren Ausübung der konkreten Gewerbeberechtigung im Zusammenhang stehenden Umstände eine Prognose zu erstellen“.501
Ein Entziehungsgrund liegt gemäß § 87 Abs 1 Z 2 GewO auch vor, wenn Ausschlussgründe wegen Nichteröffnung des Konkurses (über eigenes oder fremdes Vermögen)502 gegeben sind. Allerdings hat503 die Behörde diesfalls gemäß § 87 Abs 2 GewO von der Entziehung abzusehen, wenn die Gewerbeausübung vorwiegend im Interesse der Gläubiger gelegen ist. Dies ist nach der Judikatur des VwGH dann der Fall, wenn der Gewerbetreibende hinsichtlich aller gegen ihn bereits bestehenden Forderungen Zahlungsvereinbarungen abgeschlossen hat und diese pünktlich erfüllt.504 Dies setzt nach Auffassung des VwGH voraus, dass die erforderlichen liquiden Mittel zur Abdeckung der diesbezüglichen Verbindlichkeiten vorhanden sind.505 496 497 498 499 500 501 502 503 504
505
Siehe zB VwGH 15.6.1987, 86/04/0186. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ist die Behörde zur Entziehung verpflichtet; VwGH 15.9.1999, 99/04/0132. VwGH 11.11.1998, 98/04/0174. VwGH 17.11.2004, 2003/04/0123. VwGH 11.11.1998, 97/04/0167. VwGH 7.11.2005, 2005/04/0080. Ebenso VwGH 7.11.2005, 2005/04/0206. Siehe oben III.B.a)bb)bbb)dddd). Obwohl in § 87 Abs 2 GewO das Wort „kann“ verwendet wird, handelt es sich dabei um eine gebundene Entscheidung; zB VwGH 29.5.1990, 89/04/0131. ZB VwGH 8.11.2000, 2000/04/0111; 21.12.2004, 2004/04/0203; 7.11.2005, 2005/04/0194; 7.11.2005, 2005/04/0215. Eine Erklärung von Gläubigern, dass sie ein Interesse an der Weiterführung des Gewerbes hätten, ist nicht ausreichend; VwGH 7.11.2005, 2005/04/0146. VwGH 12.7.2000, 98/04/0212, mwN.
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Nach Meinung des VwGH muss das Gewerbe allerdings im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt ausgeübt werden bzw es muss mit der unmittelbar bevorstehenden Wiederausübung gerechnet werden, weil es sonst „am gesetzlichen Tatbestand der Gewerbeausübung“ mangelt.506 Zur Entziehung hat die Behörde lediglich zu prüfen, ob ein rechtskräftiger Beschluss des Konkursgerichtes vorliegt (und die Frist zur Einsichtnahme in die Insolvenzdatei noch nicht abgelaufen ist). Hingegen hat sie sich nicht mit Einwänden gegen den Beschluss auseinander zusetzen.507 Über einen Antrag auf Nachsicht vom Ausschluss wegen Konkurs hat die Behörde nach der Rechtsprechung des VwGH im Entziehungsverfahren nicht zu entscheiden.508 Ein in der Praxis wichtiger Entziehungsgrund ist gemäß § 87 Abs 1 Z 3 GewO gegeben, wenn der Gewerbeinhaber infolge schwerwiegender Verstöße gegen die im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen, insbesondere auch zur Wahrung des Ansehens des Berufsstandes, die für die Ausübung dieses Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt. Auf Grund dieses Entziehungstatbestandes unterliegen auch Anmeldegewerbe einer Zuverlässigkeitsprüfung im Interesse der Ordnungssicherung bei der Gewerbeausübung. Nach § 87 Abs 1 GewO sind Schutzinteressen im Sinne dieser Regelung insbesondere die Hintanhaltung der illegalen Beschäftigung, der Kinderpornographie, des Suchtgiftkonsums, der illegalen Prostitution sowie der Diskriminierung von Personen allein auf Grund ihrer Rasse, ihrer Hautfarbe, ihrer nationalen oder ethnischen Herkunft, ihres religiösen Bekenntnisses oder einer Behinderung. Relevante Rechtsverletzungen können sich nicht nur auf Vorschriften der GewO, sondern auch auf andere die Ausübung von Gewerben regelnden Bestimmungen beziehen.509 Allerdings bilden nur „schwerwiegende Verstöße“ gegen Rechtsvorschriften oder Schutzinteressen einen Entziehungsgrund. Dies wird einmal nach dem Unwert der einzelnen Verletzung zu beurteilen sein. Ein wichtiger Anhaltspunkt ist dabei die Höhe der verhängten Strafe.510 Außerdem kann das Tatbestandselement der „schwerwiegenden Verstöße“ nicht nur durch „an sich schwer wiegend zu beurteilende Verstöße“ erfüllt werden, „sondern auch durch eine Vielzahl geringfügiger Verletzungen“511. Daher bilden etwa die durch viele Jahre andauernde Missachtung von Auflagen einer Betriebsanlagengenehmigung512 ebenso wie die mehrfache (15 Mal) Bestrafung wegen Übertretungen der Sperrstundenverordnung513 „schwerwiegende Verletzungen“. Jedenfalls bedarf es bei der Prüfung des Entziehungsgrundes wegen „schwerwiegender Verletzungen“ keiner Beurteilung des Persönlichkeitsbildes, weil sich nach dieser Regelung „die mangelnde Zuverlässigkeit für die Ausübung des Gewerbes als zwingende Rechtsvermutung“ ergibt.514 Dabei ist die Gewerbebehörde in ihrer Einschätzung an rechtskräftige Straferkenntnisse gebunden.515 Allerdings kann der Tatbe506 507 508 509 510 511 512 513 514 515
VwGH 8.11.2000, 2000/04/0158, mwN. Vgl auch VwGH 2002/03/0081. VwGH 2.6.2004, 2004/04/0077. VwGH 22.3.2000, 99/04/0218, mwN. Vgl zB VfSlg 12384/1990. Vgl zB VwGH 27.9.2000, 2000/04/0127. ZB VwGH 13.12.2000, 2000/04/0180; 29.6.2005, 2005/04/0012. VwGH 11.11.1998, 98/04/0188. VwGH 13.12.2000, 2000/04/0180. VwGH 8.11.2000, 2000/04/0132. VwGH 13.6.2005, 2003/04/0089.
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stand des § 87 Abs 1 Z 3 GewO auch ohne Vorliegen von rechtskräftigen Bestrafungen verwirklicht sein.516 § 366a GewO gestattet den Behörden des Bundes, den Gemeinden und den Trägern der Sozialversicherung den Gewerbebehörden die Daten bekanntzugeben, die für eine Entziehung der Gewerbeberechtigung gemäß § 87 Abs 1 Z 3 GewO von Bedeutung sind. Eine Verpflichtung zur Bekanntgabe besteht nur für Bund, Länder und Gemeinden im Rahmen der wechselseitigen Hilfeleistungspflicht gemäß Art 22 B-VG.
Gemäß § 87 Abs 1 Z 4 GewO ist die Gewerbeberechtigung auch zu entziehen, wenn der Gewerbeinhaber wegen Beihilfe zur unbefugten Gewerbeausübung bestraft worden ist und diesbezüglich ein weiteres vorschriftswidriges Verhalten zu befürchten ist. Weiters besteht eine Verpflichtung zur Entziehung der Gewerbeberechtigung gemäß § 88 Abs 2 GewO (oder gemäß § 88 Abs 3 GewO des Rechtes zur Ausübung eines Gewerbes in einer weiteren Betriebsstätte), wenn das Gewerbe während der letzten zwei Jahre nicht ausgeübt und ruhend gemeldet ist517 und der Gewerbeinhaber mit der Entrichtung der Kammerumlage mehr als zwei Jahre im Rückstand ist. Gleiches gilt gemäß § 88 Abs 4 GewO, wenn das Gewerbe in den letzten fünf Jahren nicht ausgeübt worden ist und der Gewerbeinhaber unbekannten Aufenthaltes ist. Für Versicherungsvermittler ist gemäß § 87 Abs 1 Z 5 GewO ein Entziehungsgrund der Wegfall der Berufshaftpflichtversicherung bzw sonstigen Haftungsabsicherung. Schließlich ist gemäß § 88 Abs 1 GewO die Gewerbeberechtigung auch zu entziehen, wenn sich der Gewerbeinhaber nicht mehr zulässigerweise in Österreich aufhält.
B. Ruhen der Gewerbeberechtigung Das Ruhen der Gewerbeberechtigung (das ist die längere Nichtausübung einer Gewerbeberechtigung) ist gemäß § 93 GewO der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft ebenso innerhalb von drei Wochen anzuzeigen wie die Wiederaufnahme der Gewerbeausübung nach einem Ruhen. Diese Vorschrift hat vor allem für Ausnahmen von der Pflichtversicherung Bedeutung.518 Sie ist auch auf das Ruhen der Gewerbeausübung in einer weiteren Betriebsstätte anwendbar.519 Die GewO enthält auch besondere Regelungen für das Ruhen einzelner Gewerbe (zB § 147 Abs 2 GewO für das Waffengewerbe).
VII. Verletzungen der GewO A. Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen In § 360 GewO ist ein abgestuftes System von einstweiligen Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen für den Fall vorgesehen, dass ein Gewerbe ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung ausgeübt wird. Besteht ein entsprechender „Verdacht“, dann hat die Bezirksverwaltungsbehörde (unabhängig von der 516 517 518 519
VwGH 29.6.2005, 2005/04/0012. Dazu sogleich unten VI.B. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 783, Rz 4. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 93, Rz 3.
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Einleitung eines Strafverfahrens) den Gewerbeausübenden mit Verfahrensanordnung zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes innerhalb angemessener Frist aufzufordern. Da es sich bei dieser Aufforderung gemäß § 360 Abs 1 GewO ausdrückliche um eine „Verfahrensanordnung“ handelt, kommt ihre Qualifikation als (vor den UVS bekämpfbare) Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht in Betracht.520 Als Verfahrensanordnung ist diese Aufforderung gemäß § 63 Abs 2 AVG einer abgesonderten Berufung nicht zugänglich und kann erst gemeinsam mit dem ihr folgenden Bescheid bekämpft werden.
Kommt der Gewerbetreibende der Aufforderung nicht nach, dann hat die Behörde gemäß § 360 Abs 1 GewO mit Bescheid die zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes jeweils notwendigen Maßnahmen zu verfügen. Solche Maßnahmen sind insbesondere die gänzliche oder teilweise Schließung des Betriebes. Diese Bescheide sind zwar sofort vollstreckbar, treten aber nach Ablauf eines Jahres wieder außer Kraft.521 Die Befristung beginnt durch eine Berufungsentscheidung nicht neu zu laufen, soferne die Berufungsbehörde im Rahmen der „Sache“ gemäß § 66 Abs 4 AVG entscheidet.522 Die Vollstreckung eines Schließungsbescheides (zB durch Anbringung einer Plombe) ist nicht als Maßnahme unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt beim UVS anfechtbar.523 Die einzelnen Maßnahmen müssen notwendig und geeignet sein, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen.524 Die Gefährdung der Existenz ist allerdings keine Tatbestandsvoraussetzung.525
Ist die Gewerbeausübung ohne Gewerbeberechtigung „offenkundig“526 (ein „Verdacht“ ist also nicht ausreichend), so hat die Behörde gemäß § 360 Abs 3 GewO zunächst den gesamten Betrieb (ohne vorangehenden Bescheid) zu schließen bzw eine Gewerbeausübung ohne Betriebsstätte zu unterbinden. Sie hat jedoch hierüber binnen einem Monat einen schriftlichen Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die Maßnahme als aufgehoben gilt. Auch diese Bescheide sind sofort vollstreckbar und treten nach einem Jahr außer Kraft. Bei Vorliegen einer „offenkundig“ unbefugten Gewerbeausübung hat die Behörde stets den gesamten Betrieb zu schließen und nicht zu prüfen, ob ein gelinderes Mittel zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes anzuwenden wäre.527 Die Schließung des Betriebes kann zwar als Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangesgewalt qualifiziert werden, doch dürfte sich eine Anfechtung vor den UVS in der Regel erübrigen, weil ohnehin innerhalb von einem Monat ein Bescheid zu erlassen ist.528 520 521 522 523 524 525 526 527 528
VwGH 15.9.1999, 99/04/0114. § 360 Abs 5 GewO. VwGH 4.12.2003, 2003/04/0155; 30.6.2004, 2004/04/0096; 29.3.2006, 2006/04/0003. VwGH 17.4.1998, 98/04/0005. VwGH 24.8.1995, 95/04/0069. VwGH 23.4.1996, 96/04/0009. Dazu etwa VwGH 23.4.2003, 2002/04/0112. VwGH 17.4.1998, 98/04/0052. Vgl Kienast, Die einstweiligen Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen nach der GewO 1994, ZfV 1995, 303 (313).
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Bei Maßnahmen gemäß § 360 Abs 3 GewO haben auch die Sicherheitsorgane (zB Bundesgendarmerie) auf Ersuchen der Gewerbebehörde mitzuwirken.529 Auf die Erlassung von Maßnahmen gemäß § 360 GewO besteht zwar kein Anspruch von Konkurrenten530, doch können diese allenfalls gegen die unbefugte Gewerbeausübung wegen Verstoß gegen § 1 UWG mit einer Klage auf Unterlassung vorgehen531.
B. Betretungsrecht Auch ohne Vorliegen konkreter Verdachtsmomente (zB auf unbefugte Gewerbeausübung) gestattet die GewO den Gewerbebehörden (sowie den von diesen beigezogenen Sachverständigen) gemäß § 338 Abs 1 GewO das Betreten und Besichtigen von Betrieben und Lagerräumen. Soweit Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (zB Bundesgendarmerie)532 mitwirken, haben ihnen die Gewerbetreibenden alle Urkunden vorzuweisen und zur Einsichtnahme auszuhändigen. Liegt gegen eine Person ein Verdacht einer unbefugten Gewerbeausübung vor, dann hat sich diese Person gegenüber den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes auszuweisen. Das Betretungs- und Besichtigungsrecht kann also auch aus bloßen Kontrollgründen ausgeübt werden. Auch ist es nicht erforderlich, dass die amtshandelnden Behörden vor dem Betreten einen Prüfungsauftrag vorweisen.533 Allerdings ist der Betriebsinhaber oder sein Stellvertreter gemäß § 338 Abs 1 GewO spätestens beim Betreten des Betriebes oder der Lagerräume zu verständigen. Die Betretung darf nur zur Vollziehung „gewerberechtlicher Vorschriften“534 erfolgen. Dabei haben die Behörden gemäß § 338 Abs 4 GewO darauf zu achten, dass jede nicht unbedingt erforderliche Störung oder Behinderung des Betriebes vermieden wird.
C. Nichtigerklärung Für bestimmte Verletzungen der GewO durch Bescheide sieht § 363 GewO in Verbindung mit § 68 AVG vor, dass diese Bescheide von der „sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde“ (Landeshauptmann oder BMWA) für „nichtig“ erklärt werden können. Das betrifft gemäß § 363 Abs 1 Z 3 GewO etwa auch den Fall, dass (zB in Bezug auf den Gewerbeinhaber oder Geschäftsführer) die Frage des Vorliegens der allgemeinen Voraussetzungen für die Gewerbeausübung unrichtig oder der Befähigungsnachweis zu Unrecht als erbracht beurteilt worden ist und der Mangel noch andauert. Das ist für genehmigungspflichtige Gewerbe von Bedeutung, weil die Genehmigung ein (gemäß § 363 GewO für nicht erklärbarer) Bescheid ist. Kraft ausdrücklicher Regelung in § 363 Abs 4 GewO kann aber auch die Löschung der Eintragung eines Anmeldegewerbes ins Gewerberegister bei Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes mit Bescheid verfügt werden.535
529 530 531 532 533 534 535
Siehe 336 GewO und dazu zB Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO § 336, Rz 3.. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1275, Rz 5. OGH 28.10.1997, 4 Ob 316/97 t. Siehe § 336 GewO. VwGH 14.6.1988, 87/04/0060. Dazu Grabler/Stolzlechner/Zitta, GewO2, 1079, Rz 4. Dazu VwGH 26.9.2005, 2004/04/0002; 26.9.2005, 2004/04/0205.
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Nach in der Lehre vertretener Auffassung hat eine Nichtigerklärung ex tuncWirkung, wodurch der Bescheid rückwirkend aufgehoben wird.536 Demgegenüber gehen VfGH537 und VwGH538 von einer ex nunc-Wirkung der Nichtigerklärung aus. Die Nichtigerklärung ist vor allem im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutz problematisch, weil sie zeitlich unbegrenzt erfolgen kann. In Verfahren betreffend die Nichtigerklärung haben gemäß § 363 Abs 2 und 3 GewO die Landeskammern der gewerblichen Wirtschaft und sonstige gesetzlichen Berufsvertretungen Parteistellung bzw ein Beschwerderecht vor dem VwGH.
D. Verwaltungsstrafen Die Einhaltung der Vorschriften der GewO ist in den § 366 ff GewO mit Verwaltungsstrafen sanktioniert.539 Dabei handelt es sich überwiegend um Blankettstrafnormen, die auf die Bestimmungen des materiellen Teils der GewO verweisen. Die Tatbestände normieren durchwegs Ungehorsamsdelikte im Sinne von § 5 Abs 1 VStG. Daher ist Fahrlässigkeit ohne weiteres anzunehmen, wenn die Schuldlosigkeit nicht glaubhaft gemacht wird. Verwaltungsübertretungen sind grundsätzlich mit einer Geldstrafe zwischen bis zu EUR 1.090,- (§ 368 GewO) und bis zu EUR 2.180,- (§ 366 GewO) zu bestrafen. Allerdings kann gemäß § 369 GewO nach Ermessen540 auch die Strafe des Verfalls (zB von Waren) ausgesprochen werden, wenn diese Gegenstände mit bestimmten Verwaltungsübertretungen (wie zB der unbefugten Gewerbeausübung) im Zusammenhang stehen (zB zum Verkauf angeboten wurden). Von der Verhängung der Verfallsstrafe ist gemäß § 369 GewO Abstand zu nehmen, wenn es sich um Gegenstände handelt, die der Beschuldigte zur Ausübung seines (rechtmäßig ausgeübten541) Berufes oder zur Führung seines Haushaltes benötigt. Auch ist die Verhängung einer Verfallsstrafe gegen einen gewerberechtlichen Geschäftsführer auf Grund von § 370 Abs 1 GewO nicht zulässig. In § 371 GewO wird das im Verwaltungsstrafverfahren geltende „Kumulationsprinzip“ im Verhältnis zu gerichtlich strafbaren Handlungen ausgeschlossen. Demnach bilden bestimmte Verletzungen der GewO keine Verwaltungsübertretungen, wenn sie gleichzeitig den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung (zB Betrug) erfüllen. Zur Verhängung der Strafbescheide sind in erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörden zuständig.542 Dagegen kann gemäß § 51 VStG Berufung beim UVS erhoben werden. Gegen einen Bescheid des UVS, mit dem ein Strafbescheid einer Bezirksverwaltungsbehörde aufgehoben (also nicht bloß geändert)543 wird, kann der Landeshauptmann gemäß § 371a GewO eine Amtsbeschwerde beim VwGH erheben. Die auf Grund der GewO verhängten Geldstrafen sowie der Erlös aus den für verfallen erklärten Gegenständen fließen gemäß § 372 GewO der Landeskammer der gewerb-
536 537 538 539 540 541 542 543
ZB Pauger, in: Wirtschaftsrecht2,152, Rz 395. ZB VfSlg 10087/1984. ZB VwGH 29.6.1995, 94/07/0007. Siehe zu den einzelnen Verwaltungsstraftatbeständen Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 366 ff; Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1344 ff. VwGH 15.4.1983, 82/04/0196. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO § 369, Rz 6. Siehe § 333 GewO. Dazu Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1404, Rz 3.
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lichen Wirtschaft zu, in deren Bereich die Behörde liegt, die die Verwaltungsübertretung geahndet hat. Verwaltungsstrafverfahren werden vielfach über Anzeigen der Kammern eingeleitet. Dementsprechend haben gemäß § 373 GewO die Bezirksverwaltungsbehörden den Landeskammern der gewerblichen Wirtschaft bzw den Kammern für Arbeiter und Angestellte Mitteilung darüber zu machen, welche Verfügungen über die von ihnen erstatteten Anzeigen getroffen wurden („Verfügungsmitteilungen“).
Rudolf Feik
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(Berufsausbildungsrecht, Öffnungszeitenrecht, Preisauszeichnungsrecht, öffentliches Werberecht) Rechtsgrundlagen .............................................................................................87 Grundlegende Literatur.....................................................................................88 I. Grundlagen ..................................................................................................88 A. Allgemeines ..............................................................................................88 B. Kompetenzrechtliche Einordnung ............................................................89 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft ..........................................................................................4 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit .........................................90 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ......................................................93 II. Berufsausbildungsrecht.............................................................................96 A. Berufsausbildungsfreiheit.........................................................................97 B. Materielles Berufsausbildungsrecht .........................................................97 C. Behörden, Beiräte, Rechtsschutz, Verwaltungsübertretungen ...............105 D. Kinder- und Jugendbeschäftigungsrecht ...............................................107 III. Öffnungszeitenrecht ...............................................................................111 A. Grundrechtliche Determinanten.............................................................111 B. Anwendungsbereich des ÖffnungszeitenG .............................................111 C. Öffnungszeiten an Werktagen.................................................................113 D. Öffnungszeiten am Wochenende und an Feiertagen..............................113 E. Weitere Regelungen des ÖffnungszeitenG..............................................115 IV. Preisauszeichnungsrecht........................................................................116 A. Regelungsgegenstand des PreisauszeichnungsG ...................................116 B. Preisauszeichnungsvorschriften des PreisauszeichnungsG ...................118 C. Behörden und Verwaltungsübertretungen des PreisauszeichnungsG....121 D. Auswahl sonstiger Preisauszeichnungsvorschriften ..............................122 V. Öffentliches Werberecht..........................................................................124 A. Grundrechtliche Rahmenbedingungen...................................................124 B. Werbebeschränkungen ...........................................................................129 C. Werbung als gewerbliche Erwerbstätigkeit ...........................................137 D. Öffentlich-rechtliche Wettbewerbsregelungen.......................................137 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: RL 98/6/EG, Abl 1998 L 80/27 - PreisangabenRL; RL 94/33/EG, Abl 1994 L 216/12 - JugendarbeitsschutzRL BG: Arbeitsruhegesetz - ARG (BGBl 1983/144 idF BGBl 2004 I/175); BerufsausbildungsG - BAG (BGBl 1969/142 idF BGBl 2006 I/5); BuchpreisbindungsG (BGBl 2000 I/45 idF BGBl 2004 I/113); Gewerbeordnung 1994 - GewO (BGBl 1994/194 idF BGBl
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2006 I/15); Kinder- und JugendlichenbeschäftigungsG - KJBG (BGBl 1987/599 idF BGBl 2003 I/79); NahversorgungsG (BGBl 1977/392 idF BGBl 2005 I/62); Öffnungszeitengesetz 2003 - ÖZG (BGBl 2003 I/48 idF BGBl 2004 I/151); PreisauszeichnungsG - PrAG (BGBl 1992/146 idF BGBl 2006 I/6); Sonn- und Feiertags-Betriebszeitengesetz - BZG (BGBl 1984/129 idF BGBl 2003 I/48); Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG (BGBl 1984/448 idF BGBl 2001 I/136) VO: BerufsschullehrpläneVO (BGBl 1976/430 idF BGBl 2004 II/313); LehrberufslisteVO (BGBl 1975/268 idF 2006 II/147); PreisauszeichnungsVO (BGBl 1992/813 idF BGBl 2001 II/130); GrundpreisauszeichnungsVO (BGBl 2000 II/270)
Grundlegende Literatur: Aicher (Hrsg), Das Recht der Werbung, 1984; Berger/Fida/Gruber, Berufsausbildungsgesetz, 2000; Binder, Wirtschaftsrecht2, 1999; Dirschmied, Kinder- und JugendlichenBeschäftigungsgesetz4, 2002; Enthofer-Stoisser (Hrsg), Sind die Preise ausgezeichnet? 2002; Grabenwarter, Ladenschlussrecht, 1992; Hanreich, Das neue österreichische Wettbewerbs- und Preisrecht - 3. Teil: Das Preisauszeichnungsgesetz, ÖZW 1994, 65; Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht3, 1997; Nöstlinger, Öffnungszeitengesetz - Betriebszeitengesetz, 2005; Oberndorfer, Berufswahl- und Berufsausbildungsfreiheit, in: Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg), Grund- und Menschenrechte in Österreich, Bd 2, 1992, 617; Perau, Werbeverbote im Gemeinschaftsrecht, 1997; Raschauer (Hrsg), Österreichisches Wirtschaftsrecht2, 2003; Reindl-Babitsch, Das neue Preisrecht - II. Das PreisauszeichnungsG 1992, WBl 1992, 185; Rill/Griller (Hrsg), Rechtsfragen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, 1998; Schwarze (Hrsg), Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999
I. Grundlagen A. Allgemeines Die zentrale Rechtsquelle für die Ausübung gewerblicher Wirtschaftstätigkeit ist die GewO. Sie enthielt ursprünglich die für die Gewerbetreibenden wesentlichen Rechtsvorschriften. Auf der Grundlage der GewO, die sich seit ihrer erstmaligen Verlautbarung 1859 aber stetig weiterentwickelt hat, haben sich einige Angelegenheiten im Laufe der Zeit verselbständigt und eigenständige Regelungen erfahren. So wurden etwa die Arbeitnehmerschutz-, Ladenöffnungs- oder Berufsausbildungsvorschriften „ausgegliedert“ und in eigenen Gesetzen kodifiziert. Zum Teil haben sich diese Verselbständigungen bereits gänzlich von der GewO abgekoppelt, indem sie - wie etwa die Arbeitnehmerschutzbestimmungen - für alle Arten betrieblicher Tätigkeit gelten, zum Teil liegt der Hauptanwendungsbereich - wie etwa bei der Lehrlingsausbildung nach wie vor im gewerblichen Bereich. Zu den gewerberechtlichen Nebengesetzen werden nach hA nur jene Rechtsquellen außerhalb der GewO gerechnet, die (zumindest überwiegend) auf den Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) gestützt sind. Diese Nebengesetze enthalten zum Teil Sonderbestimmungen für einzelne Gewerbe (zB Verkehrsgewerbe), zum Teil regeln sie Teilbereiche der Erwerbstätigkeit für alle oder bestimmte Gruppen von Gewerbetreibenden (zB Preisauszeichnungsrecht, Öffnungszei-
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tenrecht). Gewerberechtlich relevante Einschlüsse enthalten zB auch das UWG und das NahversorgungsG. Darüber hinaus ist freilich zu beachten, dass für einzelne Formen der gewerbsmäßigen - dh selbständigen, regelmäßigen und in Ertragsabsicht betriebenen - Erwerbstätigkeit eigene Materiengesetze geschaffen wurden (zB für den Banken- und Versicherungsbereich), die zum Teil auf anderen Kompetenztatbeständen beruhen („Sondergewerberecht“). Im Folgenden werden ausgewählte Aspekte des Gewerbenebenrechts dargestellt. Einerseits werden einzelne gewerberechtliche Nebengesetze behandelt, andererseits wird ein Überblick über werberechtliche Bestimmungen der österreichischen Rechtsordnung gegeben, der nicht nur die Gewerbetreibenden ieS betrifft.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft Gemäß Art 3 Abs 1 lit q EG umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft einen Beitrag zu einer qualitativ hochstehenden allgemeinen und beruflichen Bildung.1 Primärrechtliche Grundlagen von „Lehrlingsregeln“ sind Art 18 (allgemeines Aufenthaltsrecht), 39-42 (Freizügigkeit der Arbeitnehmer)2 sowie 146148 EG (allgemeine und berufliche Bildung). Ergänzt werden diese Bestimmungen durch sekundärrechtliche Normen.3 Explizite Regelungen über Öffnungszeiten enthält das Gemeinschaftsrecht nicht; in Form von Vertriebsbeschränkungen spielen sie aber im Rahmen des freien Warenverkehrs (Art 23 ff EG) eine Rolle.4 Zum freien Waren- und Dienstleistungsverkehr (Art 23 ff und 49 ff EG) und zur Niederlassungsfreiheit (Art 43 ff EG) gehört unabdingbar auch die Befugnis, in der ganzen Gemeinschaft Absatzförderung zu betreiben und einheitliche Vermarktungsstrategien zu entwickeln; die Freiheit der Werbung ist Bestandteil der Grundfreiheiten, sie untersteht allerdings jenen Beschränkungen, denen diese Grundfreiheiten unterliegen. Als zusätzliche Tätigkeitsbereiche der Gemeinschaft sind darüber hinaus allerdings auch der Gesundheitsschutz (Art 152 EG) und der Verbraucherschutz (Art 153 EG) zu nennen, die 1
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Zur Unterstützung der Gemeinschaftsorgane in der Berufsbildungspolitik wurde durch die VO (EWG) 337/75 (Abl 1975 L 39/1 idgF) ein „Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung“ (CEDEFOP) geschaffen. Der Koordinierung bildungspolitischer Maßnahmen in Mittel- und Osteuropa dient die „Europäische Stiftung für Berufsbildung“ (VO (EWG) 1360/90, Abl 1990 L 131/1 idgF). Die Art 39-42 EG enthalten Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer mit einem freien Einreise-, Aufenthalts- und Verbleiberecht, einer grenzüberschreitenden Arbeitsvermittlung, einem Gleichbehandlungsgebot sowie der Gewährleistung erworbener sozialversicherungsrechtlicher Anwartschaften und Leistungsansprüchen. Besondere Programme zur Förderung des Austausches junger Arbeitskräfte ergänzen diese „allgemeinen“ Freizügigkeitsbestimmungen (Art 41 EG). Vgl allgemein zur Freizügigkeit Egger, Das Arbeits- und Sozialrecht der EG und die österreichische Rechtsordnung2, 2005, 193 ff; Feik (Hrsg), Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Österreich, 1998. Vgl dazu unten I.C. Vgl unten I.C.
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in gewissen Widerspruch zu einer Werbefreiheit geraten können. Ein Harmonisierung der nationalen Werberechtsordnungen ist - von geringfügigen Ausnahmen abgesehen5 - bisher noch nicht erfolgt.
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Mag sich das Berufsausbildungsrecht auch aus dem Zunftwesen heraus entwickelt haben und deshalb der Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) nahe liegen,6 so ist doch festzuhalten, dass mit der B-VG-Novelle 1974 der Kompetenztatbestand „Arbeitsrecht“ (Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG) neu konzipiert wurde.7 Ein Gesetz, dass die Beschäftigung von Jugendlichen8, die in einem Dienstverhältnis, einem Lehr- oder sonstigen Ausbildungsverhältnis stehen, regelt ist nach VfSlg 2875/1955 eine Materie des Arbeitsrechts. Es ist wohl festzuhalten, dass sich das „duale Berufsausbildungsrecht“ aus dem Gewerberecht herausgelöst hat und durch seine inhaltliche und umfangmäßige Ausweitung, seine Eigenständigkeit und seine Anreicherung mit typisch arbeitsrechtlichen Normen zu einem Teilbereich des Arbeitsrechts und wegen seiner Einbettung in das österreichische Bildungssystem zu einem Teilbereich des Schulwesens9 geworden ist. 5 6
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Vgl unten I.C. Vgl RV 876 BlgNR 11. GP, 27. Vgl weiters etwa G. Winkler, Ordnungsfragen der betrieblichen Berufsausbildung, in FS Wenger, 1983, 911, insb 917 ff. Auch wenn die Kompetenz zur Regelung einer Berufstätigkeit idR die Kompetenz zur Regelung der Berufsausbildung beinhalten wird, erklärt dies noch nicht die Regelungsbefugnis des BAG-Gesetzgebers für „Nicht-GewO-Berufe“ auf der Basis des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG; die ausbildungsspezifischen Bestimmungen der GewO (zB §§ 16 und 23a) können hingegen auf Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG gestützt werden. Die „sinnvolle und gebotene Annahme einer auf mehrere Kompetenztatbestände aufgefächerte Zuständigkeit des Bundes zur Regelung der Berufsausbildung“ - wie dies G. Winkler aaO als Ausweg darlegt - vermag zwar die kompetenzrechtliche Problematik zu vernebeln, nicht aber zu ihrer Lösung beizutragen. Nach RV 182 BlgNR 13. GP ist der Begriff „Arbeitsrecht“ im weitesten Sinne zu verstehen; darunter sollen alle in herkömmlicher Weise rechtswissenschaftlich dem Arbeitsrecht zugezählte Normen fallen und insb auch den Arbeitnehmerschutz umfassen. Diese Auffassung wurde vom VfGH in VfSlg 7932/1976 als zutreffend bestätigt. Der Begriff „Arbeiter- und Angestelltenschutz“ umfasst nach VfSlg 1936/1950 all jene Maßnahmen, die zum Schutz der Arbeitnehmer gegen eine Ausbeutung oder vorzeitige Abnutzung ihrer Arbeitskraft (persönlicher Arbeitsschutz) und gegen Gefährdungen ihres Lebens, ihrer Gesundheit und ihrer Sittlichkeit in den Betrieben (technischer Arbeitsschutz) erlassen werden. Das gleiche muss wohl auch für die Beschäftigung von volljährigen Dienstnehmern oder Auszubildenden gelten, da nicht das Alter, sondern nur die Art der Beschäftigung das sachliche Kriterium für die Qualifikation als Arbeitsrechtsmaterie darstellen kann. Vorschriften zur Regelung der Beschäftigungs- und Ausbildungsverhältnisse fallen daher in den Kompetenztatbestand „Arbeitsrecht“ (vgl VfSlg 2873/1955, bestätigt durch VfSlg 8416/1977 nach Inkrafttreten der B-VG-Nov 1974). Der Kompetenztatbestand für das Schulwesen ist Art 14 B-VG. Berufsschulen sind gemäß § 3 SchulorganisationsG (BGBl 1962/242 idgF) berufsbildende Pflichtschulen, die hinsichtlich ihrer inneren Organisation, des Schulunterrichts und der Schulpflicht auf Basis des Art 14 Abs 1 B-VG, hinsichtlich ihrer äußeren Organisation auf Basis des Art 14 Abs 3 lit b B-VG geregelt werden können. Der Inhalt der schulischen Ausbildung bestimmt sich nach der auf Grund der §§ 6 und 47 Schulorgani-
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Hauptaufgabe des BAG ist heute nicht mehr das Hervorbringen selbständig Gewerbetreibender, sondern den Arbeitnehmern die Erlernung eines Berufs und damit die Verbesserung ihrer Arbeitsmarktsituation zu ermöglichen und der Wirtschaft qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Bei der Unterscheidung zwischen Dienstrecht und Arbeitsrecht gilt als Grundsatz, dass es sich bei Dienstverhältnissen zu Gebietskörperschaften um eine Angelegenheit des Dienstrechts, andernfalls um eine des Arbeitsrechts handelt.10 Sowohl die Regelung von Ausbildungsvorschriften für Gebietskörperschaften als auch der von den Gebietskörperschaften zu gewährende Kinder- und Jugendlichenschutz fallen daher grundsätzlich in die Dienstrechtskompetenz des Bundes.11 Das Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsrecht ist in erster Linie Arbeitnehmerschutzrecht (Arbeitszeitgestaltung, Schutz vor Gesundheitsgefährdungen, etc). Kompetenzrechtliche Grundlage ist daher auch hier Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG („Arbeitsrecht, soweit es nicht unter Art 12 fällt“).12 In VfSlg 2873/1955, 2875/1955 und 8416/1978 sprach der VfGH dem Bund die Kompetenz zur Regelung der Beschäftigungsverhältnisse von Kindern und Jugendlichen zu und grenzte diesen Bereich von anderen Kompetenztatbeständen (insb Art 12 Abs 1 Z 2 B-VG: „Jugendfürsorge“ und Art 15 Abs 1 B-VG: „Jugendschutzpolizei“) ab. Dies gilt jedenfalls für private Beschäftigungsverhältnisse. Die Anwendung des KJBG auf jugendliche Beschäftigte des Bundes ist hingegen auf Art 10 Abs 1 Z 16 B-VG („Dienstrecht und Personalvertretungsrecht der Bundesbediensteten“)13 zu stützen; für jugendliche Dienstnehmer in Betrieben von Ländern, Gemeinden oder Gemeindeverbänden kann sich das KJBG auf den Sonderkompetenztatbestand des Art 21 Abs 2 Satz 2 und 3 B-VG stützen.14 Hinsichtlich der jugendlichen Landes- und Gemeindebediensteten folgt aus der Übergangsbestimmung des Art XI der B-VG-Novelle 1974 (BGBl 1974/444) die Bundeszuständigkeit, bis der jeweilige Landesgesetzgeber gleichartige Bestimmungen erlassen hat; an und für sich bestünde gemäß Art 21 Abs 1 und 2 B-VG für die Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes für öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Bedienstete der Länder, Gemeinden
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sationsG erlassenen BerufsschullehrpläneVO, basiert also auf der Schulrechtskompetenz und nicht auf Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Vgl auch VfSlg 7883/1976, wo diese Unterscheidung auch für die Abgrenzung von land- und forstwirtschaftlichen Arbeitsverhältnissen bejaht wurde; der Arbeitnehmerschutz dieser Bediensteten fällt daher nicht unter Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG. Seinem Inhalt nach sind die beiden Kompetenztatbestände „Arbeitsrecht“ und „Dienstrecht“ gleich, sie unterscheiden sich aber hinsichtlich des jeweils angesprochenen Personenkreises. Vgl VfSlg 8416/1978. Zum Kompetenztatbestand „Arbeitsrecht“ vgl insb Runggaldier, Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG, in: Rill/Schäffer (Hrsg), Bundesverfassungsrecht (2001). Art 10 Abs 1 Z 16 B-VG ist einschlägig für das Dienstrecht von öffentlich-rechtlichen Bediensteten und Vertragsbediensteten des Bundes sowie für die Beschäftigung in (auch land- und forstwirtschaftlichen) Bundesbetrieben (VfSlg 7883/1976). Nach VfSlg 7883/1976 dürfen die Länder keine gesetzlichen Regelungen in Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes für Bedienstete in Betrieben erlassen, wobei es ohne Belang sei, ob es sich um öffentlich-rechtliche Bedienstete oder um Vertragsbedienstete oder um land- und forstwirtschaftliche Betriebe oder sonstige Betriebe handelt.
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und Gemeindeverbände eine Länderkompetenz, soweit diese Bediensteten nicht in Betrieben beschäftigt sind. Arbeitsrechtlicher Kinder- und Jugendlichenschutz im Bereich der Land- und Forstwirtschaft ist auf Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG zu stützen; soweit es sich aber um land- und forstwirtschaftliche Bedienstete des Bundes handelt, kommt gemäß Art 21 Abs 2 B-VG dem Bund die Regelungskompetenz zu.15 Die österreichischen Öffnungszeitenregelungen verfolgten von jeher eine Zwecktrias: Berücksichtigung von Arbeitnehmer-, Unternehmer- und Konsumenteninteressen. Dementsprechend sind die Kompetenztatbestände „Arbeitsrecht“ und „Gewerberecht“ einschlägig. Das ÖffnungszeitenG (ÖZG) ist dem Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) zuzuordnen. Das Bundesgesetz über die Betriebszeiten gewerblicher Betriebe an Sonntagen und Feiertagen (BZG) bezweckt die Neuregelung des gewerberechtlichen Teils der Sonn- und Feiertagsvorschriften und ist daher ebenfalls der Gewerbekompetenz zuzuordnen. Die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die wöchentliche Ruhezeit und die Arbeitsruhe an Feiertagen (ARG) beinhalten keine unmittelbaren Ladenschlussregelungen, auch wenn sie über § 2 Abs 1 Z 1 lit a BZG zu Tatbestandselementen des Öffnungszeitenrechts werden; nach VfSlg 12384/1990 werden durch eine in gewerberechtlichen Vorschriften erfolgte Verweisung auf nichtgewerberechtliche Vorschriften die letzteren nicht zu „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“; vielmehr gehört das ARG in den Regelungsbereich des Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG („Arbeitsrecht“).16 Öffnungszeitenregelungen können nicht auf den Kompetenztatbestand „Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) gestützt werden.17 Das Preisauszeichnungsrecht war ursprünglich typisches Gewerbe- und Marktrecht; seit der Emanzipation des Wettbewerbsrechts sind Preisauszeichnungsvorschriften aber typische Vorschriften des Rechts gegen unlauteren Wettbewerb. Die Erlassung und Vollziehung derartiger Regelungen gehört daher in den Kompetenzbereich des Bundes: Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG („Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“).18 Einen eigenen Kompetenztatbestand „Werberecht“ kennt die österreichische Rechtsordnung nicht. Im Zusammenhang mit verbraucherschützenden 15
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Vgl dazu das Bundesgesetz über das Dienstrecht der Land- und Forstarbeiter des Bundes (BGBl 1980/280 idgF), welches auch Kinder- und Jugendarbeitsschutzregelungen enthält. Zur Regelungszuständigkeit im Allgemeinen vgl Thienel, Öffentlicher Dienst und Kompetenzverteilung, 1990. Vgl zur kompetenzrechtlichen Lage im Öffnungszeitenrecht Grabenwarter, Ladenschlussrecht, 1992, 170 ff mwN. Vgl Grabenwarter (FN 16), 158f. Nichts desto trotz wurde das PrAG primär auf die Kompetenztatbestände Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG („Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“), Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG („Munitions- und Sprengmittelwesen“), Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG („Monopolwesen“) und Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG („Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“) gestützt; „in erster Linie soll daher die Preisauszeichnung nur für solche Tätigkeiten geregelt werden, die zu den Angelegenheiten des Gewerbes zählen“ (so RV 337 BlgNR 18. GP). Die PrAG-Novelle 2000 stützte sich hingegen ausschließlich auf Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG („Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“); vgl RV 97 BlgNR 21. GP.
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Werbebeschränkungen ist darauf hinzuweisen, dass es auch für den Konsumentenschutz keinen eigenen Kompetenztatbestand gibt, sondern diese Materie als Teil einzelner Regelungsgegenstände (zB Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG - „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“;19 Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG - „Zivilrechtswesen“; Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG - „Bankwesen“; etc) normiert werden kann.20 Soweit Werberegelungen spezifisch medienrechtliche Ziele verfolgen (zB Sicherung der Medienvielfalt), werden dafür Art 10 Abs 1 Z 6 („Pressewesen“) sowie Art I Abs 2 Rundfunk-BVG (BGBl 1974/396) einschlägig sein. Einige orts- oder objektspezifische Werberegelungen folgen etwa der Bauoder Naturschutzkompetenz der Länder, andere der Bundesstraßen- oder Luftfahrtkompetenz des Bundes. Das Wettbewerbsrecht, zu dem trotz des nahe liegenden Konnexes zur GewO traditioneller Weise auch das Ausverkaufsrecht zählt, beruht auf Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG („Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“). Die Sicherung der Nahversorgung ist hingegen grundsätzlich ein gewerberechtliches Regelungsziel (und daher auf Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG - „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ zu stützen).21
C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Primärrechtliche Bestimmungen zum Berufsausbildungsrecht enthalten die Regelungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und über die Bildungspolitik.22 Auf sekundärrechtlicher Stufe ist vor allem Art 12 VO (EWG) 1612/6823 zu nennen, der den Kindern von EWR-Wanderarbeitnehmern das Recht auf Teilnahme am allgemeinen Schulunterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung zu den für Inländerkinder geltenden Bedingungen gewährt.24 Zur schnelleren Integration von Migrantenkindern wurden die Mitgliedstaaten durch die RL 77/486/EWG25 zur Durchführung bestimmter bildungspolitischer Maßnahmen verpflichtet. Die JugendarbeitsschutzRL26 gilt für Personen unter 18 Jahren, die einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Ausbildungsverhältnis stehen. Grundsätzlich haben die Mitgliedstaaten für ein Verbot von 19 20 21
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Vgl etwa VfSlg 9543/1982, 10831/1986, 11853/1988. Vgl dazu Weber/Walzel v Wiesentreu, Verbraucherschutz und Bundesstaatsreform im Lichte der Europäischen Integration, 1996, 26 ff. Raumordnungsrechtliche Regelungen können eine Berücksichtigung der „Sicherung einer ausreichenden Nahversorgung der Bevölkerung vorschreiben, ohne in den Zuständigkeitsbereich des Bundes zu fallen; vgl etwa VfSlg 14685/1996, 12068/1989, 10831/1986. Vgl oben I.B.1. Verordnung (EWG) 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, Abl 1968 L 257/2 idgF. Dieses Recht steht auch Kindern türkischer Wanderarbeitnehmer zu; vgl Feik, Rechte der Familienangehörigen von Arbeitnehmern türkischer Staatsangehörigkeit, ZUV 2001, 11; Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG - Türkei, 2005, 149 ff. Richtlinie 77/486/EWG über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern, Abl 1977 L 199/32. Richtlinie 94/33/EG über den Jugendschutz, Abl 1994 L 216/12. Vgl dazu PifflPavelec/Pehersdorfer, Jugendarbeitsschutzrichtlinie, DRdA 1994, 441; Egger (FN 2), 519 ff.
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Kinderarbeit zu sorgen.27 Kinder über 14 Jahre dürfen im Rahmen eines Systems der dualen Berufsausbildung (Lehre) oder eines Betriebspraktikums arbeiten, wobei die noch vollzeitschulpflichtigen Kinder nur beschränkt zu Arbeiten herangezogen werden dürfen. Für Jugendliche besteht ein Nachtarbeitsverbot (mit Ausnahmen), für Kinder ein absolutes Nachtarbeitsverbot. Daneben regelt die Richtlinie auch noch Ruhezeiten und -pausen. Gemeinschaftsrechtliche Aspekte des Öffnungszeitenrechts liegen vor allem in der zeitlichen Beschränkung des Warenabsatzes.28 Dies könnte eine „Maßnahme gleicher Wirkung“ wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung iSd Art 28 EG darstellen. Im Urteil Oebel zum deutschen Nachtbackverbot entschied der EuGH29, dass die Regelungen über die Warenverkehrsfreiheit einer nationalen Vorschrift nicht entgegenstünden, welche die Herstellung von Bäcker- und Konditorwaren sowie deren Abgabe an Konsumenten oder Einzelhandelsstellen während der Nachtzeit vor einer bestimmten Morgenstunde verbietet. Das Urteil B&Q Plc30 erging zu einem englischen Sonntagsverkaufsverbot im Einzelhandel; der EuGH hielt fest, dass eine solche Regelung Ausdruck bestimmter politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen über die Verteilung der Arbeitszeiten und der arbeitsfreien Zeiten seien, die den landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten angepasst wären, für die nach dem damaligen Stand des Gemeinschaftsrechts die Mitgliedstaaten zuständig seien und die nicht dazu bestimmt wären, Handelsströme zwischen Mitgliedstaaten zu regeln. Das Verbot der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonntagen31 war bereits mehrfach Gegenstand von EuGHUrteilen32 Auch hier verneinte der EuGH einerseits die Intentionalität der Maßnahme, andererseits liege ein gerechtfertigtes Ziel vor, zu dessen Erreichung keine unverhältnismäßigen Regelungen erlassen worden seien; ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit oder das Wettbewerbsrecht wurde vom EuGH ebenfalls verneint. Herrschende Auffassung ist derzeit jedenfalls, dass Regelungen des Vertriebs an Verbraucher und Einzelhändler keine Beschränkungen der Ein- oder Ausfuhr zwischen Mitgliedstaaten - und damit des freien Warenverkehrs - bewirken. Denn Art 28 EG ist dahin auszulegen, dass er keine Anwendung auf eine nationale Ladenschlussregelung findet, die für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer gilt und den Absatz der inländischen Erzeugnisse 27
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Kinder iSd Richtlinie sind Menschen, die unter 15 Jahre alt sind oder noch der Vollzeitschulpflicht unterliegen; Jugendliche iSd Richtlinie sind mindestens 15 aber noch nicht 18 Jahre alt und nicht mehr vollzeitschulpflichtig. Vgl dazu etwa Gibitz, Nationale Vermarktungsregelungen und freier Warenverkehr, 1991. EuGH, Rs 155/80, Slg 1981, 1993. EuGH, Rs C-169/91, Slg 1992, I-6635. Ebenso etwa EuGH, Rs C-306/88, Anders, Slg 1992, I-6457; EuGH, Rs C-304/90, Payless DIY Ltd, Slg 1992, I-6493; EuGH, Rs C- 418/93 ua, Semeraro Casa Uno Srl, Slg 1996, I-2975. Einschlägige Vorgaben für die Wochenend-, Feiertags und Nachtarbeit von Dienstnehmern enthält die Richtlinie 93/104/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung - ArbeitszeitgestaltungsRL (Abl 1993 L 307/18). Vgl etwa EuGH, Rs C-145/88, Torfaen Borough Council, Slg 1989, I-3851; EuGH, Rs C-312/89, Sidef Conforama ua Slg 1991, I-997; EuGH, Rs C-332/89, André Marchandise ua, Slg 1991, I-1027.
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und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt.33 Im Bereich des Preisauszeichnungsrechts versucht die RL 98/8/EG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse („PreisangabenRL“) ein transparentes System für die Verkaufs- und Grundpreisauszeichnung zu schaffen. In der Präambel heißt es dazu, dass ein transparenter Markt und korrekte Informationen den Verbraucherschutz und den gesunden Wettbewerb zwischen Unternehmen und zwischen Erzeugnissen fördern. Die PreisangabenRL ersetzte die RL 79/581/EWG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe von Preisen für Lebensmittel und die RL 88/314/EWG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise für andere Erzeugnisse als Lebensmittel. Die PreisangabenRL brachte das für Österreich bis dahin nicht bestehende Erfordernis zur Angabe eines (grundsätzlich von der Verpackungsmethode unabhängigen) Grundpreises sowie eine Ausdehnung der Pflicht zur Bekanntgabe des Verkaufspreises. Der freie Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten kann nicht nur durch mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sondern auch durch in der Wirkung gleiche andere Maßnahmen behindert werden. Zu den Maßnahmen gleicher Wirkung gehören etwa besondere Grenzkontrollen oder Absatzbeschränkungen. In die letzte Kategorie fallen auch nationale Werbebeschränkungen.34 Sind sie geeignet, den Vertrieb eingeführter Erzeugnisse zu erschweren oder zu verhindern, so sind sie gemeinschaftsrechtswidrig, sofern sie weder nach den Grundsätzen der Keck-Rpsr noch als eine allgemein geltende, bestimmte Verkaufsmodalität oder nach den Grundsätzen der Cassis-Rspr aus bestimmten zwingenden Gründen gerechtfertigt sind. Zu primärrechtliche Beschränkungen der Grundfreiheiten, etwa aus Gründen des Gesundheitsschutzes (vgl zB Art 30 EG), treten sekundärrechtliche Einschränkungen der Werbung. Bereits 1979 erging die RL 79/112/EWG über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hiefür (Abl L 33/1 idgF). Für den Bereich der Fernsehwerbung wurden 1989 Verhaltensregeln erlassen (RL 89/522/EWG über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, Abl L 298/23).35 Und für die Arzneimittelwerbung wurde 1992 eine Richtli33
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So etwa EuGH, Rs C-401/92, Tankstation t´ Heukske vof, Slg 1994, I-2199. Dies lässt erwarten, dass allgemein anwendbare Verkaufsmodalitäten und Arbeitszeitregelungen vom EuGH auf der Grundlage der Keck-Rspr dahin gehend überprüft werden, ob es sich bei ihnen um eine dem Art 28 EG entzogene „bestimmte Verkaufsmodalität“ handelt. Zu den nationalen Regelungen vgl etwa Schotthöfer (Hrsg), Handbuch des Werberechts der EU-Staaten2, 1997. Zur Europäisierung des werberechtlich relevanten Wettbewerbsrechts vgl Rüffler, Der Einfluss des Europarechts auf das österreichische UWG, in: Koppensteiner (Hrsg), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Teil 6/2: Wettbewerbsrecht - UWG, 1998. Vgl weiters Perau, Werbeverbote im Gemeinschaftsrecht, 1997 sowie Schwarze (Hrsg), Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999. Nach EuGH, Rs C-412/93, Leclerc-Siplec, Slg 1995, I-179, verbietet die FernsehRL es den Mitgliedstaat nicht, die Ausstrahlung von Werbemitteilungen durch in seinem Hoheitsgebiet niedergelassene Fernsehveranstalter durch Gesetz oder Verordnung zu untersagen. Ausländische Programmanbieter werden gegenüber den nationalen Fernsehveranstaltern aber insofern bevorzugt, als sie Werbeverbote anderer Staaten uU nicht beachten müssen: Nach EuGH, Rs C-34/95 ua, De Agostini Foer-
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nie verabschiedet (RL 92/28/EWG über die Werbung für Humanarzneimittel, Abl L 113/13). Einzelne Mitgliedstaaten haben aber über diese Mindeststandards hinaus gehende Werbereglungen erlassen; so ist zB die Alkoholwerbung36 in den meisten Mitgliedstaaten in der einen oder anderen Form beschränkt. Die im Juli 1998 erlassene RL 98/43/EG über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen (TabakwerbeRL, Abl L 213/9), die jede direkte oder indirekte Tabakwerbung untersagte, wurde vom EuGH nichtig erklärt;37 die Nachfolgeregelung ist RL 2003/33/EG (Abl 152/16). Einen umfassenderen Anwendungsbereich haben die RL 84/450/EWG über irreführende Werbung (Abl L 250/17 idgF) und RL 97/55/EG über die vergleichende Werbung (Abl L 290/18 idgF). Angemerkt sei anschließend noch, dass staatliche Werbekampagnen oder Kaufempfehlungen für inländische Produkte mit dem freien Warenverkehr kollidieren können, und zwar insb dann, wenn vom Kauf der ausländischen Waren abgeraten wird, das ausländische Erzeugnis herabgesetzt wird oder zum Kauf der inländischen Waren allein wegen ihrer inländischen Herkunft geraten wird.38
II. Berufsausbildungsrecht Die duale Berufsausbildung39 hat in Österreich lange Tradition und war vielfach beispielgebend für die Lehrlingsausbildung in anderen Ländern. Das duale Berufsausbildungssystem bedeutet, dass die berufliche Ausbildung einerseits in einem dafür geeigneten Betrieb und andererseits in einer eigens dafür konzipierten Schule nach berufsspezifischen Lehrplänen40 erfolgt. Durch diese paral-
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lag AB ua, Slg 1997, I-3843, darf eine Bestimmung eines nationalen Rundfunkgesetzes, wonach eine Werbeanzeige, die im Fernsehen während der Werbezeit ausgestrahlt wird, nicht darauf gerichtet sein darf, die Aufmerksamkeit von Kindern unter zwölf Jahren zu erregen, auf Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten nicht angewendet werden darf; die RL enthalte nämlich spezielle Schutzbestimmungen für Minderjährige, so dass jede darüber hinaus gehende nationale Regelung des Empfangsstaats eine zusätzliche Kontrolle und Werbebeschränkung einführen würde. Zu den österreichischen Beschränkungen der Werbung in Radio und Fernsehen vgl Holoubek, Recht der Massenmedien, in diesem Handbuch. Vgl dazu etwa EuGH Rs 152/78, Kommission gegen Frankreich, Slg 1980, 2299, wo der EuGH eine Verbindung zwischen der Werbebeschränkung für Getränke mit hochprozentigem Alkoholanteil und dem Kampf gegen den Alkoholismus (Gesundheitsschutz) anerkannt hat. Ähnlich EuGH Rs C-405/98, Konsumentenombudsmannen/Gourmet International Products AB, Slg 2001, I-1795; EuGH Rs C-262/02, Kommission gegen Frankreich, Slg 2004, I-6569. Vgl unten FN 125. Vgl EuGH, Rs 249/81, Kommission gegen Irland, Slg 1982, 4005; EuGH, Rs 222/82, Apple and Pear Development Council, Slg 1983, 4083. Andere Wege der beruflichen Erstausbildung wären etwa der Besuch einer Fachschule (berufsbildende mittlere Schule) oder einer berufsbildenden höheren Schule. Die BerufsschullehrpläneVO - die auf Basis der §§ 6 und 47 SchulorganisationsG erlassen wurde - enthält Rahmenlehrpläne mit Vorgaben hinsichtlich der Gesamtstundenzahl, der Bildungs- und Lehraufgaben, des Lehrstoffes und gewisser didaktischer Grundsätze. Da die Berufsschule ua die betriebliche Ausbildung zu fördern und zu ergänzen hat, muss sich der Lehrplan - insb der darin vorgesehene Katalog der Pflichtgegenstände - an den auf Grund des BAG erlassenen Ausbildungsvor-
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lel erfolgenden Ausbildung werden die praktischen Fähigkeiten, die grundlegenden theoretischen Kenntnisse und die Allgemeinbildung gleichzeitig gefördert (vgl § 46 SchulorganisationsG). Trotz der durch dieses System ermöglichten Ausbildung von qualifiziertem Facharbeitskräftenachwuchs nahmen zuletzt sowohl die Anzahl der Lehrbetriebe als auch die Zahl der Lehrlinge ab; in manchen Branchen konnten gar nicht mehr alle Lehrstellen besetzt werden. Dabei mag zu einem guten Teil auch der Umstand relevant sein, dass für zahlreiche Gewerbe die Befähigung zur Ausübung nicht mehr durch die Lehre, sondern durch eine berufsbildende Schule vermittelt wird; Baumeister, Elektrotechniker, Informatiker, Händler, etc werden in Höheren Technischen Lehranstalten, Handelsakademien oder Handelsschulen ausgebildet, Unternehmensberater und Arbeitskräftevermittler haben oftmals Hochschulabschluss, etc. Und die „traditionellen“ GewO-Lehrberufe wie Tischler, Bäcker, Kellner oder Friseur haben heute vielfach an Attraktivität verloren.
A. Berufsausbildungsfreiheit Gemäß Art 18 StGG steht es jedermann frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will. Die hier normierte Berufsausbildungsfreiheit gewährt aber keinen Anspruch auf Bereitstellung von Bildungseinrichtungen, sondern stellt lediglich klar, dass die Art des Bildungserwerbs nicht beschränkt werden darf. Es wäre unzulässig, nur bestimmten Personen den Zugang zu einer Berufsausbildung zu gewähren; in staatlichen Berufsausbildungsinstitutionen ist der Zugang ohne unsachliche Beschränkung zu gewähren. Es sind daher Zugangsregelungen - wie etwa Alter oder Eignungstest - mit der Berufsausbildungsfreiheit nur insoweit vereinbar, als sie in sachlicher Weise ausgestaltet sind und zur Erreichung des Ausbildungszieles erforderlich sind. Die Bildungsinhalte der Ausbildungsvorschriften müssen mit der angestrebten Berufstätigkeit in engem Zusammenhang stehen, dh ebenfalls sachlich gerechtfertigt sein; belastende zusätzliche Erschwernisse, wie etwa überlange oder unnötige Praxiszeiten, dürfen nicht vorgesehen werden.41 Aus diesem Grundrecht folgt auch, dass gleichwertige Ausbildungsgänge diskriminierungsfrei anzuerkennen sind.42
B. Materielles Berufsausbildungsrecht Das BAG regelt das Rechtsverhältnis zwischen Lehrlingen (§ 1) und Lehrberechtigten (§ 2), die auf Grund eines Lehrvertrages (§ 12) zur Erlernung eines in der Lehrberufsliste angeführten Lehrberufes (§ 5) fachlich ausgebildet und
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schriften für die einzelnen Lehrberufe und den darin enthaltenen Berufsbildern orientieren (so VfSlg 13991/1994). Vgl etwa VfSlg 13011/1992 (Praxiszeiten für Rechtsanwälte) oder VfSlg 13991/1994 (Fremdsprachenausbildung für Elektroinstallateure). Vgl etwa VfSlg 13485/1993: Salzburger Schule für Gesundheitstraining und Bewegung versus WIFI-Lehrgang als Ausbildungsalternativen für die Gewerbe Kosmetiker, Fußpfleger und Masseur. Eine Heilpraktikerausbildung entspricht nach VfSlg 15766/2000 nicht einer Ausbildung zum Arzt.
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im Rahmen dieser Ausbildung verwendet (§ 9) werden. Es ist daher zunächst erforderlich, die zahlreichen Begriffe darzustellen. Lehrlinge sind Personen, die auf Grund eines Lehrvertrages zur Erlernung eines in der Lehrberufsliste angeführten Lehrberufes bei einem Lehrberechtigten fachlich ausgebildet und im Rahmen dieser Ausbildung verwendet werden (§ 1 BAG). Die Lehrverhältnisse nach dem BAG sind Ausbildungsverhältnisse, ihrer rechtlichen Struktur nach Arbeitsverhältnisse: Gemäß § 34 Abs 2 bleiben die arbeitsrechtlichen Vorschriften unberührt, sofern nicht das BAG wegen des besonderen Ausbildungszweckes anderes bestimmt. Das Lehrlingsrecht ist daher „spezielles Arbeitsvertragsrecht mit öffentlich-rechtlichem Einschlag“.43 Das bedeutet aber auch, dass grundsätzlich die arbeitsrechtlichen Bestimmungen - wie etwa das UrlaubsG, das Eltern-KarenzurlaubsG, oder das ArbVG44 Anwendung finden. Von den Lehrlingen iSd BAG zu unterscheiden sind die (Ferial-)Praktikanten. Letztere stehen zwar auch in einem Ausbildungsverhältnis, es dominiert jedoch der Ausbildungszweck und nicht die Arbeitsleistung für ein Unternehmen. Während das BAG das Lehrverhältnis umfassend (aber nicht abschließend) regelt, gelten für Praktikanten jedenfalls die zwingenden Bestimmungen des Arbeitsrechts.45 Ebenfalls kein Lehrverhältnis besteht bei der „Schnupperlehre“. Bei diesen „Berufspraktischen Tagen und Wochen“ handelt es sich um eine Schulveranstaltung gemäß § 13 SchulunterrichtsG (BGBl 1986/472 idgF), die der Ergänzung des Unterrichts dient. Nähere Regelungen dazu enthält die SchulveranstaltungsVO BGBl 1995/498 idgF. Während für die Ausbildung zum Lehrling nach oben keine Altersgrenze besteht, gibt es eine absolute altersmäßige Untergrenze: Gemäß § 2 Abs 1 und 1a KJBG dürfen Minderjährige bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres nicht in einem Lehrverhältnis beschäftigt werden. Lehrlinge, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen unterliegen darüber hinaus den fremden- und ausländerbeschäftigungsrechtlichen Bestimmungen (sofern sie nicht durch das Europarecht privilegiert sind).
Lehrberechtigte können natürliche und juristische Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes sein, bei denen Lehrlinge auf Grund eines Lehrvertrages zur Erlernung eines in der Lehrberufsliste angeführten Lehrberufes fachlich ausgebildet und im Rahmen dieser Ausbildung verwendet werden (§ 2 Abs 1 BAG).
Spezielle Regeln sieht das BAG für Lehrberechtigte vor, die eine gewerbliche Tätigkeit ausüben: Inhaber eines Gewerbes dürfen Lehrlinge in einem in der Lehrberufsliste angeführten Lehrberuf nur ausbilden, wenn sie nach den Bestimmungen der GewO zur Ausübung der Tätigkeit befugt sind, in der der Lehrling ausgebildet werden soll, sie nicht vom Recht zur Ausbildung von Lehrlingen ausgeschlossen sind, sie selbst oder ein Ausbilder die erforderlichen Fachkenntnisse besitzt und die Ausbilderprüfung erfolgreich abgelegt oder einen Ausbilderkurs erfolgreich absolviert haben und der Betrieb oder die Werkstätte so eingerichtet ist und so geführt wird, dass den Lehrlingen die für die praktische Erlernung im betreffenden Lehrberuf nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden können. Inhaber eines Gewerbes, dessen Ausübung die Erbringung 43 44 45
So Berger/Fida/Gruber, Berufsausbildungsrecht, 2000, 332. ArbeitsverfassungsG - ArbVG, BGBl 1974/22 idgF. Vereinzelt hat der Gesetzgeber die Geltung arbeitsrechtlicher Vorschriften für (Ferial-)Praktikanten ausgeschlossen; so etwa in § 36 ArbVG (Praktikanten sind keine Arbeitnehmer iSd Betriebsverfassungsrechts der §§ 33 ff ArbVG).
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des Befähigungsnachweises voraussetzt, dürfen Lehrlinge in den ihrem Gewerbe entsprechenden Lehrberufen nur ausbilden, wenn sie die erforderlichen Fachkenntnisse durch die Erfüllung der Nachsichtsvoraussetzungen nachweisen, sofern sie nicht einen eigenen Ausbilder mit der Ausbildung der Lehrlinge betrauen. In Teilgewerben (§ 31 GewO) ist die Ausbildung von Lehrlingen zulässig.46 Weitere Betriebe, in denen gemäß § 2 Abs 5 BAG Lehrlinge ausgebildet werden können, sind etwa: Betriebe, die nicht den Bestimmungen der GewO unterliegen, deren Inhaber aber Mitglied der Wirtschaftskammer sind, bestimmte Sägen, Harzverarbeitungsstätten, Mühlen und Molkereien, die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, die Sozialversicherungsträger, die gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Verwaltungsstellen der Gebietskörperschaften oder Universitäten, etc.47 Daneben können auch die „Ausübenden freier Berufe“ Lehrlinge iSd BAG ausbilden. Wenn in einem Lehrbetrieb (einer Ausbildungsstätte) die nach den Ausbildungsvorschriften festgelegten Fertigkeiten und Kenntnisse zwar überwiegend, aber nicht in vollem Umfang vermittelt werden können, so ist die Ausbildung von Lehrlingen dann zulässig, wenn eine ergänzende Ausbildung durch Ausbildungsmaßnahmen in einem anderen hiefür geeigneten Betrieb oder einer anderen hiefür geeigneten Einrichtung erfolgt (§ 2a Abs 1 BAG; Ausbildungsverbund). In folgenden Fällen ist für die Lehrlingsausbildung eine andere Person als der Lehrberechtigte - nämlich ein sogenannter Ausbilder - zu betrauen: Ist der Lehrberechtigte eine juristische Person, eine Personengesellschaft des Handelsrechts, eine eingetragene Erwerbsgesellschaft oder eine natürliche Person, die zur Gewerbeausübung einen Geschäftsführer zu bestellen hat und selbst nicht die Fachkenntnisse für die Ausbildung von Lehrlingen nachweisen kann, oder wenn die Art oder der Umfang des Unternehmens die fachliche Ausbildung des Lehrlings in dem betreffenden Lehrberuf unter der alleinigen Aufsicht der Lehrberechtigten nicht zulässt oder wenn der Lehrberechtigte ein Fortbetriebsberechtigter (§ 41 GewO) ist, obliegt die Lehrlingsausbildung dem Ausbilder. Der Ausbilder darf vom Recht zur Ausbildung von Lehrlingen nicht ausgeschlossen sind, muß die erforderlichen Fachkenntnisse besitzen und die Ausbilderprüfung erfolgreich abgelegt oder einen Ausbilderkurs erfolgreich absolviert haben, und darüber hinaus in der Lage sind, sich im Lehrbetrieb (in der Ausbildungsstätte) entsprechend zu betätigen (§ 3 Abs 1 BAG). Darüber hinaus kann jeder Lehrberechtigte von sich aus einen Ausbilder mit der Ausbildung von Lehrlingen betrauen. Sofern in einem Unternehmen mehrere Ausbilder mit der Ausbildung von Lehrlingen betraut wurden, hat der Lehrberechtigte eine Person mit der Koordination der gesamten Ausbildung zu betrauen (Ausbildungsleiter), wenn es zur sachgemäßen Ausbildung der Lehrlinge erforderlich ist. Zweck der Ausbilderprüfung (§§ 29a ff BAG) ist es, festzustellen, ob die Lehrberechtigten und die Ausbilder die für die Ausbildung von Lehrlingen erforderlichen
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„GewO-Lehrberufe“ sind daher etwa traditionelle Handwerksberufe wie Tischler (AusbildungsVO BGBl 2000 II/195 idgF) oder Schuster („Schuhfertigung“; AusbildungsVO BGBl 2000 II/193 idgF) oder im Bereich der freien Gewerbe etwa der Elektronische Datenverarbeiter („Kommunikationstechniker“; AusbildungsVO BGBl 1997 II/268 idgF). Hier sind neben den Lehrberufen Molkereifachmann (AusbildungsVO 1997 II/268 idgF) und „Getreidewirtschaft-Verfahrenstechniker“ (AusbildungsVO BGBl 2003 II/454 idgF) wohl vor allem der Bürokaufmann (AusbildungsVO BGBl 2004 II/6 idgF) und der Verwaltungsassistent (AusbildungsVO BGBl 2004 II/16 idgF) sowie der Bankkaufmann (AusbildungsVO BGBl 2004 II/2 idgF) oder der Versicherungskaufmann (AusbildungsVO BGBl 2004 II/15 idgF) einschlägig.
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Kenntnisse besitzen und praktisch anwenden können.48 Ergänzend dazu bestehen Regelungen über die Prüfungskommissionen für die Ausbilderprüfung, die Zulassung zur Ausbilderprüfung, die durch Verordnung des BMWA erlassene Prüfungsordnung für die Ausbilderprüfung, die Befangenheit der Mitglieder der Prüfungskommission und den Prüfungsvorgang, das Prüfungszeugnis, die Vermittlung der Fachkenntnisse im Ausbilderkurs sowie die Gleichhaltung der Ausbilderprüfung oder des Ausbilderkurses gegenüber anderen Prüfungen oder Ausbildungen. Das Ausbilden von Personen in einem Lehrberuf in besonderen selbständigen Ausbildungseinrichtungen, die weder von einem Lehrberechtigten geführt werden, noch Schulen oder im Haft- oder Jugendfürsorgeanstalten sind, bedarf einer Bewilligung des BMWA (§ 30 BAG). Der BMWA kann einem Ausbildungsbetrieb die Auszeichnung verleihen, im geschäftlichen Verkehr das Wappen der Republik Österreich (Bundeswappen) mit dem Hinweis ,,Staatlich ausgezeichneter Ausbildungsbetrieb“ als Kopfaufdruck auf Geschäftspapieren, auf Druckschriften und Verlautbarungen sowie in der äußeren Geschäftsbezeichnung und in sonstigen Ankündigungen führen zu dürfen; die Auszeichnung darf nur verliehen werden, wenn der Ausbildungsbetrieb sich durch außergewöhnliche Leistungen in der Ausbildung von Lehrlingen und im Lehrlingswesen Verdienste um die österreichische Wirtschaft erworben hat und eine allgemein geachtete Stellung einnimmt (§ 30a BAG). Bestimmte kriminelle Lehrberechtigten dürfen Lehrlinge weder aufnehmen noch die bereits aufgenommenen Lehrlinge weiter ausbilden; Lehrberechtigte, die wegen bestimmter strafbaren Handlungen in gerichtlicher Untersuchung stehen, dürfen Lehrlinge nicht aufnehmen (§ 4 Abs 1 und 2 BAG).49 Zwar kann die Bezirksverwaltungsbehörde in diesen Fällen auf Antrag des Lehrberechtigten oder des Lehrlings nach Anhörung der für den Lehrberechtigten zuständigen Fachgruppe der Wirtschaftskammer und der Arbeiterkammer Ausnahmen vom Lehrlingsausbildungsverbot bewilligen, wenn kein Nachteil für die Lehrlinge zu befürchten ist; allerdings rechtfertigt nicht nur eine strafgerichtliche Verurteilung oder der Umstand gerichtlicher Untersuchungen das Ausbildungsverbot, sondern etwa auch der Umstand, dass der Lehrberechtigte oder der Ausbilder einer Sucht, insbesondere der Trunksucht, verfallen ist, oder wenn der Lehrberechtigte oder der Ausbilder die Pflichten gegenüber seinem Lehrling gröblich verletzt.
Die Lehrberufe lassen sich in zwei Gruppen unterscheiden: einerseits die der GewO unterliegenden Tätigkeiten (insb Handwerke iSd § 94 GewO) und andererseits die sonstigen Tätigkeiten, die hinsichtlich der Berufsausbildung in die Bundesgesetzgebungs- und -vollziehungskompetenz fallen. Erforderlich ist bei all diesen Tätigkeiten, dass sie geeignet sind, im Wirtschaftsleben den Gegenstand eines Berufes zu bilden, und ihre sachgemäße Erlernung mindestens zwei Jahre50 erfordert; bei den „Nicht-GewO-Tätigkeiten“ ist darüber hinaus erforderlich, dass bei ihnen die Ausbildung in dieser Beschäftigung als Lehr48 49
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Vgl Pichelmayer, Der Lehrlingsausbilder, ASoK 2006, 57 ff. Das betrifft Lehrberechtigte, die wegen einer vorsätzlichen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten oder wegen einer mit Bereicherungsvorsatz begangenen Tat oder einer strafbaren Handlung gegen die Sittlichkeit oder wegen der Finanzvergehen des Schmuggels, der Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben oder der Abgabenhehlerei nach § 37 Abs 1 lit a FinStrafG (BGBl 1958/129 idgF) rechtskräftig von einem Gericht verurteilt worden sind, ohne dass die Strafe bedingt nachgesehen worden ist, Damit fallen Anlernberufe aus dem Anwendungsbereich des BAG.
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ling im Hinblick auf die für diese Tätigkeiten erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse zweckmäßig ist (§ 5 BAG). Lehrberufe können in der Lehrberufsliste zueinander verwandt gestellt werden, wenn gleiche oder ähnliche Roh- oder Hilfsstoffe und Werkzeuge verwendet werden oder Tätigkeiten zu verrichten sind, die gleiche oder ähnliche Arbeitsgänge erfordern. Lehrberufe in verbundenen Gewerbe (vgl §§ 6 iVm 94 GewO) und verwandten Gewerben sind jedenfalls verwandt zu stellen. Die verwandten Lehrberufe können zu einem einzigen Lehrberuf zusammengefasst werden; dies soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers zu einer höheren beruflichen Mobilität führen. Darüber hinaus ist auch die gleichzeitige Ausbildung eines Lehrlings in zwei Lehrberufen („Doppellehre“) zulässig, wobei alle in der Lehrberufsliste enthaltenen Lehren kombiniert werden können. Der BMWA kann durch Verordnung auch „modulare Lehrberufe“ festlegen; sie sind eine Kombination der grundlegenden Tätigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse verschiedener Berufsbilder (§ 8a Abs 4 BAG). Gemäß § 6 BAG hat die Dauer der Lehrzeit in einem Lehrberuf hat idR drei Jahre zu betragen; sie darf innerhalb eines Zeitraumes von zwei bis höchstens vier Jahren nur in ganzen oder halben Jahren festgesetzt werden. Für die Festsetzung der Dauer der Lehrzeit eines Lehrberufes sind die in diesem zu erlernenden Fertigkeiten und Kenntnisse, der Schwierigkeitsgrad der Ausbildung in dem betreffenden Lehrberuf sowie die Anforderungen, die die Berufsausübung stellt, maßgebend. Bei gleichzeitiger Ausbildung in zwei Lehrberufen beträgt die Dauer der Gesamtlehrzeit die Hälfte der Gesamtdauer der beiden festgesetzten Lehrzeiten, vermehrt um ein Jahr; die gesamte Lehrzeit darf höchstens vier Jahre betragen. Auch „modulare Lehrberufe“ dürfen nur maximal vier Jahre dauern. Der BMWA hat mit Verordnung die Lehrberufe, die in einer verkürzten Lehrzeit erlernt werden können sowie das Ausmaß der Verkürzung, die allenfalls notwendige Vorbildung und die Grundzüge, wie diese verkürzte Ausbildung gestaltet werden muss, festzulegen.51
Der BMWA hat mit Verordnung in einer Lehrberufsliste die Lehrberufe, die Dauer der Lehrzeit, die verwandten Lehrberufe, das Ausmaß der Anrechnung von Lehrzeiten verwandter Lehrberufe und den Ersatz der Lehrabschlussprüfung durch erfolgreiche Ablegung der Lehrabschlussprüfung in einem anderen Lehrberuf festzulegen (§ 7 BAG).52
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Die Verordnung über die Ausbildung in Lehrberufen mit verkürzter Lehrzeit (BGBl 1997 II/201) bestimmt etwa, dass sich die Lehrzeit für AHS- oder BHS-Maturanten oder bei der Ablegung der Lehrabschlussprüfung in einem anderen Lehrberuf um ein Jahr verkürzt. Vgl dazu die LehrberufslisteVO, welche in einem Anhang die Lehrberufe samt Lehrzeit und Verwandtschaften anführt; ein zweiter Anhang regelt den Ersatz von Lehrabschlussprüfungen durch bereits abgelegte Lehrabschlussprüfungen in einem anderen Lehrberuf. Um den Anforderungen der Wirtschaft entgegen zu kommen und dem Facharbeitermangel zu begegnen, wurde die LehrberufslisteVO zuletzt mehrmals jährlich geändert. Aus rechts- und arbeitsmarktpolitischer Sicht sei allerdings angemerkt, dass es durchaus zweifelhaft ist, allzu spezialisierte Lehrberufe wie etwa Gartencenterkaufmann oder Systemgastronomiefachmann einzurichten und diesen gleichzeitig viele verwandte Lehrberufe zuzuordnen. Worin die inhaltliche Nähe zwischen einem Gartencenterkaufmann und dem verwandten Musikalienhändler, Reisebüroassistenten oder Hotel- und Gastgewerbeassistenten besteht, ist
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Der BMWA hat gemäß § 8 BAG für die einzelnen Lehrberufe durch Verordnung Ausbildungsvorschriften festzulegen. Diese haben typische Berufsbilder zu enthalten und nach Lehrjahren gegliedert die wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse, die während der Ausbildung zu vermitteln sind, anzuführen.53 Zur Sicherung einer sachgemäßen Ausbildung des Lehrlings sind Verhältniszahlen festgelegt, die das Verhältnis Lehrlinge - einschlägig ausgebildete Mitarbeiter sowie Lehrling - Ausbilder bestimmen („Lehrlingshöchstzahlen“). Zur Erprobung, ob bestimmte berufliche Tätigkeiten, deren fachgemäße Erlernung mindestens zwei Jahre dauert, geeignet sind, einen neuen Lehrberuf iSd BAG zu bilden, kann der BMWA durch Verordnung die Durchführung eines Ausbildungsversuches vorsehen (§ 8a BAG). In dieser Verordnung sind die betreffenden beruflichen Tätigkeiten, die Dauer der Ausbildung, die Ausbildungsvorschriften und die Gegenstände der Abschlussprüfung festzulegen. Falls nach Beendigung der Probephase dem Gegenstand des Ausbildungsversuches die Eignung als Lehrberuf zu attestieren ist, hat der BMWA diesen als Lehrberuf in die Lehrberufsliste aufzunehmen. Ein Ausbildungsversuch kann auch zur Erprobung einer Verkürzung oder Verlängerung der Lehrzeit eines bereits bestehenden Lehrberufs erfolgen; nach Abschluss der Erprobung ist bei entsprechendem Ergebnis die Dauer der Lehrzeit für diesen Lehrberuf vom BMWA neu festzusetzen. Zur Verbesserung der Eingliederung von benachteiligten Personen mit persönlichen Vermittlungshindernissen in das Berufsleben kann eine längere Lehrzeit oder die Feststellung einer Teilqualifikation durch Einschränkung auf bestimmte Teile des Berufsbildes des Lehrberufs vereinbart werden („integrative Berufsausbildung“; § 8b BAG).
§ 9 BAG regelt die Pflichten des Lehrberechtigten.54 Er hat für die Ausbildung des Lehrlings zu sorgen und ihn unter Bedachtnahme auf die Ausbildungsvorschriften des Lehrberufes selbst zu unterweisen oder durch geeignete Personen unterweisen zu lassen. Der Lehrberechtigte oder der Ausbilder darf den Lehrling nur zu solchen Tätigkeiten heranziehen, die mit dem Wesen der Ausbildung55 vereinbar sind, wobei ihm keine Aufgaben zugewiesen werden dürfen, die seine Kräfte übersteigen.56 Der Lehrberechtigte oder der Ausbilder
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schwer ersichtlich. „Schmalspurlehrberufe“ - von Seiten der Wirtschaft wurden auch bereits die Lehrberufe „Cafetier“ (Kaffeehausservierkraft) oder „Etagenkellner“ vorgeschlagen - einzurichten, dient mE eher der Vermittlung billiger (Hilfs-)Arbeitskräfte als einer fundierten beruflichen Erstausbildung. Die Berufsbilder haben jene Ausbildungsinhalte zu normieren, die im Rahmen der betrieblichen Ausbildung zu vermitteln sind; die Bildungsinhalte des Berufsschulbesuchs werden durch Lehrpläne festgelegt. Die in § 9 BAG vorgenommene Aufzählung ist nicht erschöpfend; das BAG enthält in seinen §§ 16-18 weitere Lehrberechtigtenverpflichtungen (zB Ausstellung des Lehrzeugnisses auf eigene Kosten, Bezahlung der Lehrlingsentschädigung, Fortzahlung der Lehrlingsentschädigung bei Arbeitsverhinderung, Behaltepflicht ausgelernter Lehrlinge). Arbeitsrechtliche Vorschriften, wie etwa das UrlaubsG (BGBl 1976/390 idgF), das ArbeitszeitG (AZG, BGBl 1969/461 idgF) oder das KJBG gelten gemäß § 34 Abs 2 BAG auch für das Verhältnis Lehrberechtigter - Lehrling. Das „Wesen der Ausbildung“ ergibt sich aus dem in den jeweiligen Ausbildungsvorschriften enthaltenen Berufsbild. Nach OGH 14. 9. 1995, 8 Ob A 280/95, RdW 1996, 330 darf ein Kfz-MechanikerLehrling in beschränktem Ausmaß auch zu Hilfstätigkeiten herangezogen werden, die in einem sachlichen Bezug zur Ausbildung stehen (hier: Auto polieren oder reinigen); das einmalige kurzfristige Heranziehen zu einer berufsfremden, aber offensichtlich notwendigen Arbeit (Kanalreinigung) berechtigt nicht zum vorzeitigen
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hat den Lehrling zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben und zu verantwortungsbewusstem Verhalten anzuleiten und ihm diesbezüglich ein gutes Beispiel zu geben; er darf den Lehrling weder misshandeln noch körperlich züchtigen und hat ihn vor Misshandlungen oder körperlichen Züchtigungen durch andere Personen zu schützen. Der Lehrberechtigte oder der Ausbilder hat dem Lehrling, der zum Besuch der Berufsschule verpflichtet ist, die zum Schulbesuch erforderliche Zeit freizugeben und ihn zum regelmäßigen Schulbesuch anzuhalten sowie auf den Stand der Ausbildung in der Berufsschule nach Möglichkeit Bedacht zu nehmen; uU sind dem Lehrling auch Teile der Kosten der Unterbringung und Verpflegung bei einem Aufenthalt in einem Berufsschülerheim zu ersetzen. Dem Lehrling ist die zur Ablegung der Lehrabschlussprüfung57 und der in den Ausbildungsvorschriften vorgesehenen Teilprüfungen erforderliche Zeit freizugeben, bei erstmaligem Antritt sind dem Lehrling die Kosten der Prüfungstaxe zu ersetzen. Der Lehrberechtigte hat dafür Sorge zu tragen, dass dem Ausbilder die zur Erfüllung seiner Ausbildungsaufgaben erforderliche Zeit sowie eine angemessene Zeit zur beruflichen Weiterbildung im Interesse der Verbesserung der Lehrlingsausbildung zur Verfügung steht. Die wichtigsten Pflichten des Lehrlings normiert § 10 BAG: Der Lehrling hat sich zu bemühen, die für die Erlernung des Lehrberufes erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse zu erwerben; er hat die ihm im Rahmen der Ausbildung übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen und durch sein Verhalten im Betrieb der Eigenart des Betriebes Rechnung zu tragen. Er hat Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu wahren und mit den ihm anvertrauten Werkstoffen, Werkzeugen und Geräten sorgsam umzugehen. Im Falle einer Erkrankung oder sonstiger Verhinderung hat er den Lehrberechtigten oder den Ausbilder ohne Verzug zu verständigen oder verständigen zu lassen. Der Lehrling hat dem Lehrberechtigten unverzüglich nach Erhalt das Zeugnis der Berufsschule und auf Verlangen des Lehrberechtigten auch die Hefte und sonstigen Unterlagen der Berufsschule, insbesondere auch die Schularbeiten, vorzulegen. Die Rechte des Lehrlings ergeben sich zum Teil aus den Pflichten des Lehrberechtigten (zB Recht auf Berufsschulbesuch, Anspruch auf berufstypische Beschäftigung und einschlägige Unterweisung, Anspruch auf Lehrlingsentschädigung, etc), zum Teil aus anderen BAG-Bestimmungen (zB § 15: Recht auf vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses) sowie wiederum aus den anwendbaren Bestimmungen des „allgemeinen“ Arbeitsrechts. Ein Lehrling hat
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Austritt, sofern es nicht schikanös erfolgte. Das Verweigern von Reinigungsarbeiten nach Dienstschluss rechtfertigt keine Entlassung (OGH 30. 5. 2005, 8 ObA 29/05, ARD 5621/9/2005); ein arbeitsunwilliger Bäckerlehrling, den die Arbeit nicht mehr freut und der deshalb vorzeitig nach Hause geht, kann hingegen entlassen werden (OGH 15. 9. 2004, 9 ObA 74/04, RdW 2005, 38). Die §§ 21-29 BAG regeln die Organisation, den Ablauf und den Inhalt von Lehrabschlussprüfungen, die Gleichhaltung von ausländischen Prüfungszeugnissen und Ausbildungszeiten sowie die Lehrzeitersatzzeiten. Für die einzelnen Lehrberufe sind vom BMWA durch Verordnungen detaillierte Prüfungsordnungen zu erlassen; vgl etwa die Prüfungsordnung für Buchbinder (BGBl 1974/663 idgF) oder für Entsorgungs- und Recyclingfachmänner (BGBl 1998 II/129 idgF).
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Anspruch auf Ausbildung bzw Beschäftigung im Ausmaß der vollen Normalarbeitszeit; es gibt daher keinen „Teilzeitlehrling“.58 Das Lehrverhältnis wird durch den Eintritt des Lehrlings in die fachliche Ausbildung und Verwendung begründet und durch den Lehrvertrag geregelt (§ 12 BAG). Der Lehrvertrag ist unter Bedachtnahme auf den Zweck der Ausbildung in einem in der Lehrberufsliste angeführten Lehrberuf zwischen dem Lehrberechtigten und dem Lehrling schriftlich abzuschließen. Verträge, deren Gegenstand die Erlernung von Tätigkeiten ist, die nicht in der Lehrberufsliste als Lehrberufe festgesetzt sind, begründen kein Lehrverhältnis iSd BAG. § 12 Abs 3 BAG regelt den zwingenden Inhalt eines Lehrvertrags (zB Bezeichnung des Lehrberufs, Beginn und Ende des Lehrverhältnisses59); darüber hinaus können weitere Vereinbarungen aufgenommen werden (zB über die Gewährung von Kost und Logis durch den Lehrberechtigten60 oder über die Tragung der Kosten für das Berufsschulinternat). Eine schriftliche und von beiden Vertragsparteien unterschriebene Ausfertigung des Lehrvertrages ist unverzüglich der Lehrlingsstelle vorzulegen und zur Eintragung anzumelden (§ 20 Abs 1 BAG); erst mit der Eintragung wird klargestellt, dass das Lehrverhältnis von Anfang an rechtsgültig ist.
Gemäß § 14 BAG endet das Lehrverhältnis mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit. Vor Ablauf der vereinbarten Lehrzeit endet das Lehrverhältnis zB wenn der Lehrling stirbt oder der Lehrberechtigte stirbt und kein Ausbilder vorhanden ist, oder wenn der Lehrberechtigte nicht mehr zur Ausübung der Tätigkeit befugt ist oder wenn der Lehrling die Lehrabschlussprüfung erfolgreich ablegt, wobei in diesem Fall die Endigung des Lehrverhältnisses mit Ablauf der Woche in der die Prüfung abgelegt wird, eintritt.61 Während der ersten drei Monate kann sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis jederzeit einseitig auflösen (§ 15); außer bei einer einvernehmlichen vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses ist dessen vorzeitige einseitige Auflösung nur bei Vorliegen taxativ aufgezählter Gründe zulässig (zB zur Vertrauensunwürdigkeit des Lehrlings führende strafbare Handlungen, Beleidigungen, wiederholte Pflichtenverletzung, Gefährdung der Gesundheit des Lehrlings, Misshandlungen, längere Haft, etc). Die Auflösung bedarf zur Rechtswirksamkeit der Schriftform. Bei einvernehmlicher Auflösung des Lehrverhältnisses nach der Probezeit muss eine Amtsbestätigung eines Gerichts (§ 92 Arbeits- und SozialgerichtsG, BGBl 1985/104 idgF) oder eine Bescheinigung einer Arbeiterkammer vorliegen, aus der hervorgeht, dass der Lehrling über die Bestimmungen betreffend die Endigung und die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses belehrt wurde. Nach Endigung oder vorzeitiger Auflösung des Lehrverhältnisses hat der Lehrberechigte auf eigene Kosten ein Lehrzeugnis auszustellen (§ 16 BAG). Dieses Zeugnis muss Angaben über den Lehrberuf und kalendermäßige Anga58 59 60
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Vgl OGH Arb 10244/1983. Vgl dazu § 13 BAG, der die Dauer des Lehrverhältnisses regelt. Auf Grund des arbeitsrechtlichen Barzahlungsgebots („Truckverbot“) darf vom Lehrling für diese Naturalleistung jedoch kein höherer Preis als der Beschaffungsoder Selbstkostenpreis verrechnet werden. Allerdings sind ausgelernte Lehrlinge gemäß § 18 BAG vom Lehrberechtigten im Betrieb für drei Monate im erlernten Beruf weiterzuverwenden.
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ben über die Dauer des Lehrverhältnisses enthalten; es können auch Angaben über die erworbenen Fertigkeiten und Kenntnisse aufgenommen werden. Angaben, die dem Lehrling das Fortkommen erschweren könnten, sind nicht zulässig. Gemäß § 17 BAG gebührt dem Lehrling eine Lehrlingsentschädigung, zu deren Bezahlung der Lehrberechtigte verpflichtet62 ist. Liegt keine Regelung der Lehrlingsentschädigung durch kollektive Rechtsgestaltung63 vor, so richtet sich die Höhe der Lehrlingsentschädigung nach der Vereinbarung im Lehrvertrag;64 dabei gebührt jedenfalls die für gleiche, verwandte oder ähnliche Lehrberufe geltende Lehrlingsentschädigung, im Zweifelsfalle ist auf den Ortsgebrauch Bedacht zu nehmen. Die Lehrlingsentschädigung ist nach stRspr ein privatrechtliches Entgelt im arbeitsrechtlichen Sinn; dem zu Folge gebühren auch Remunerationen und sonstige Sonderzahlungen. Sie ist für die Dauer der Unterrichtszeit in der Berufsschule (unter Ausschluss der Mittagspause) sowie für die Dauer der Lehrabschlussprüfung und der in den Ausbildungsvorschriften vorgesehenen Teilprüfungen weiterzuzahlen. Im Falle der Arbeitsverhinderung durch Krankheit hat der Lehrberechtigte bis zur Dauer von vier Wochen die volle Lehrlingsentschädigung und bis zur Dauer von weiteren zwei Wochen ein Teilentgelt in der Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der vollen Lehrlingsentschädigung und dem aus der gesetzlichen Krankenversicherung gebührenden Krankengeld zu gewähren. Ist der Entgeltanspruch innerhalb eines Lehrjahres ausgeschöpft, so gebührt bei einer weiteren Arbeitsverhinderung infolge Krankheit innerhalb desselben Lehrjahres die volle Lehrlingsentschädigung für die ersten drei Tage, für die übrige Zeit der Arbeitsunfähigkeit, längstens jedoch bis zur Dauer von weiteren sechs Wochen, ein Teilentgelt. Im Falle der Arbeitsverhinderung durch Arbeitsunfall oder Berufskrankheit ist die volle Lehrlingsentschädigung ohne Rücksicht auf andere Zeiten einer Arbeitsverhinderung bis zur Dauer von acht Wochen und ein Teilentgelt bis zur Dauer von weiteren vier Wochen zu gewähren. Im Übrigen sind einige Bestimmungen des EntgeltfortzahlungsG anzuwenden.
C. Behörden, Beiräte, Rechtsschutz, Verwaltungsübertretungen Die Bezirksverwaltungsbehörde und die Lehrlingsstellen entscheiden - sofern das BAG nichts anderes bestimmt - als erste Instanz; gegen ihre Bescheide ist eine Berufung an den Landeshauptmann zulässig (sofern nicht das Berufungsrecht ausdrücklich ausgeschlossen wurde). Auf Grund der verfassungsrechtlichen Regelung des Art 103 Abs 4 B-VG besteht für den Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung das Prinzip des zweigliedrigen Instanzenzugs; dieser endet daher beim Landeshauptmann, wenn er als Rechtsmittelbehörde zu 62
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Ein unentgeltliches Lehrverhältnis stünde in Widerspruch zu dieser unabdingbaren Bestimmung des § 17 Abs 1 BAG, womit der in § 20 Abs 3 lit a BAG normierte Grund zur Verweigerung der Eintragung des Lehrvertrags vorläge. Solche Festlegungen der konkreten Höhe der Lehrlingsentschädigung finden sich vor allem in Kollektivverträgen (§§ 2 ff ArbVG), aber auch in Satzungen (§§ 18 ff ArbVG), in behördlichen Festlegungen der Lehrlingsentschädigung (§§ 26 ff ArbVG) oder in Betriebsvereinbarungen (§§ 39 ff ArbVG), wobei all diese gegenüber einem vorliegenden Kollektivvertrag nachrangig sind. Im Lehrvertrag kann auch eine höhere als die kollektivrechtlich festgesetzte Lehrlingsentschädigung vereinbart werden.
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entscheiden hat; falls der Landeshauptmann im Wege der Devolution (§ 73 AVG) zuständig geworden ist, geht der Instanzenzug zum BMWA.65 Die Bezirksverwaltungsbehörde hat Ausnahmen vom Ausbildungsverbot zu bewilligen, wenn kein Nachteil für die Lehrlinge zu befürchten ist (§ 4 Abs 3 BAG). Sie hat allerdings auch das Ausbildungsverbot auszusprechen (§ 4 Abs 4 BAG); in diesem Fall sind vor der Bescheiderlassung die Landes-Wirtschaftskammer und die LandesArbeiterkammer anzuhören, wobei die Verletzung der Anhörungspflicht mit Nichtigkeit des Bescheids (§ 68 Abs 4 AVG) bedroht ist. Entspricht die Entscheidung der Bezirksverwaltungsbehörde nicht einem Antrag oder einer Stellungnahme der Landeskammern, so steht der Landes-Wirtschaftskammer oder der Landes-Arbeiterkammer gegen diesen Bescheid das Recht der Berufung und gegen den Berufungsbescheid das Recht der Beschwerde gemäß Art 131 Abs 2 B-VG wegen Rechtswidrigkeit zu (§ 4 Abs 6 BAG). Die §§ 19 und 20 BAG enthalten organisatorische Regelungen hinsichtlich der Lehrlingsstellen. Diese sind in den Landes-Wirtschaftskammern zu errichtende Verwaltungsbehörden des Bundes, erfüllen Aufgaben66 im Rahmen der Überwachung der betrieblichen Lehrlingsausbildung und führen eine Evidenz der Lehrverträge. Die Lehrlingsstelle stellt vor dem erstmaligen Ausbilden von Lehrlingen bescheidförmig die Zulässigkeit der Ausbildung fest (§ 3a BAG). Vor der Bescheiderlassung sind auch hier die Landeskammern anzuhören - wobei diesfalls die Nichtanhörung nicht zu Nichtigkeit führt -; beide Landeskammern können gegen einen ihrer Stellungnahme widersprechenden Bescheid Berufung erheben bzw eine Beschwerde nach Art 131 Abs 2 B-VG einbringen. Die Lehrlingsstelle kann die in den Ausbildungsvorschriften normierten Lehrlingshöchstzahlen unter bestimmten Voraussetzungen durch Bescheid erhöhen; gegen diese Entscheidung ist keine Berufung zulässig (§ 8 Abs 10 BAG), sodass dagegen eine Beschwerde an den VwGH oder VfGH eingebracht werden kann. Eine Berufungsmöglichkeit besteht schließlich noch, wenn die Lehrlingsstelle die Eintragung des Lehrvertrages mit Bescheid verweigert (§ 20 Abs 6 BAG), dem Lehrling die Zulassung zur Lehrabschlussprüfung verweigert (§ 23 Abs 2 BAG) oder die Anrechnung von Lehrzeiten in einer Haft- oder Jugendfürsorgeanstalt oder in Lehrwerkstätten in Frage steht (§ 29 Abs 5 BAG).
Die Meisterprüfungsstelle entscheidet als erste Instanz über die Zulassung zur Ausbilderprüfung (§ 29c Abs 2 BAG) und stellt das Ausbilderprüfungszeugnis aus (§ 29f BAG). Die Gerichte haben von der Einleitung einer gerichtlichen Untersuchung gegen einen Lehrberechtigten wegen einer der im § 4 Abs 1 BAG angeführten strafbaren Handlungen die Bezirksverwaltungsbehörden, die Arbeitsinspektorate und die Lehrlingsstellen und von der Einleitung einer derartigen Untersuchung gegen einen Ausbilder die Bezirksverwaltungsbehörden und die Arbeitsinspektorate zu verständigen; weiters haben die Gerichte die Arbeitsinspektorate und die Lehrlingsstellen von der rechtskräftigen Verurteilung eines Lehrberechtigten wegen einer einschlägigen strafbaren Handlungen sowie die Bezirksverwaltungsbehörden und die Arbeitsinspektorate von einer derartigen Verurteilung eines Ausbilders zu verständigen (§ 4 Abs 9 BAG).
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Sachlich in Betracht kommende Oberbehörden und iSd Art 103 Abs 4 B-VG im Instanzenzug übergeordnete Behörden der Lehrlingsstellen sind die Landeshauptmänner und über diesen der BMWA (§ 19 Abs 8 BAG). Die von den Lehrlingsstellen der Wirtschaftskammern zu erfüllenden Aufgaben werden im Auftrag des Staates erfüllt, sind daher solche des übertragenen Wirkungsbereiches dieses Selbstverwaltungskörpers und unterliegen demzufolge der staatlichen Weisungen und dem Instanzenzug der mittelbaren Bundesverwaltung.
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Bei der Bundeswirtschaftskammer ist gemäß § 31 BAG ein BundesBerufsausbildungsbeirat zu errichten, der Gutachten über die Notwendigkeit der Erlassung oder Abänderung von Verordnungen auf Grund des BAG erstattet, der weiters Gutachten und Vorschläge zur Berufsausbildung an den BMWA und die Bundesschulbehörden sowie im Rahmen der Gleichwertigkeitsprüfung von Abschlüssen und Prüfungen erstattet. Falls der BMWA entgegen einem Gutachten vorzugehen beabsichtigt oder entscheidet, dem Bundes-Berufsausbildungsbeirat die hiefür maßgebenden Gründe bekannt zu geben. Bei jeder Lehrlingsstelle ist ein Landes-Berufsausbildungsbeirat zu errichten (§ 31a BAG); ihm obliegt insb die Erstattung von Gutachten, Vorschlägen und Anregungen über die Vorgangsweise bei der Durchführung der den Lehrlingsstellen übertragenen Aufgaben, über die Durchführung der Lehrabschlussprüfungen, allfälliger Teilprüfungen und der Ausbilderprüfungen sowie Ausbilderkurse, über ausländische Lehrzeiten oder über die Lehrlingshöchstzahlen sowie die Beantragung der § 30a-Auszeichnung. § 32 BAG normiert verschiedene Verwaltungsstraftatbestände, über die in erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörde, in zweiter Instanz der UVS abzusprechen hat.
Wer zwar befugt ist, einen Lehrling auszubilden, aber einen Lehrvertrag nicht rechtzeitig bei der Lehrlingsstelle angemeldet hat, dem Lehrling die zum Berufsschulbesuch notwendige Zeit nicht freigegeben hat, ihn für berufsfremde Tätigkeiten verwendet, gegen die Lehrlingshöchstzahl verstößt, etc begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 1.090 €, und nach wiederholter Bestrafung mit einer Geldstrafe bis 2.180 € zu bestrafen. Wer unter Vortäuschung, Lehrberechtigter zu sein, eine Person in einem Lehrberuf ausbildet oder gegen ein gegen ihn verhängtes Ausbildungsverbot verstößt oder ohne Berechtigung einen Ausbilderkurs durchführt oder bewilligungslos in einer selbständigen Ausbildungseinrichtung ausbildet begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 3.270 € zu bestrafen. Das rechtswidrige Führen einer § 30a-Auszeichnung ist eine Verwaltungsübertretung, die von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 2.180 € zu bestrafen ist. Wenn die Bestellung eines gewerberechtlichen Geschäftsführers, die Übertragung der Ausübung des Gewerbes an einen gewerberechtlichen Pächter oder die Bestellung eines Filialgeschäftsführers für eine bestimmt Betriebsstätte angezeigt oder genehmigt wurde, so sind Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen gegen diese Personen zu verhängen. Der Gewerbetreibende ist neben dem gewerberechtlichen Geschäftsführer oder Filialgeschäftsführer strafbar, wenn er die Verwaltungsübertretung wissentlich duldet oder wenn er bei der Auswahl des gewerberechtlichen Geschäftsführers oder Filialgeschäftsführers es an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen lassen.
D. Kinder- und Jugendbeschäftigungsrecht In Österreich gehen die ersten Reglementierungen der Kinder- und Jugendlichenbeschäftigung auf das Jahr 1848 zurück. Das KJBG, das zur Umsetzung der JugendarbeitsschutzRL im Jahr 1997 umfangreich novelliert wurde, ist vor allem ein Arbeitnehmerschutzrecht. Die besonderen Schutzbestimmungen des KJBG gehen den allgemeinen Arbeitnehmerschutzbestimmungen (zB ARG
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oder AZG) vor; günstigere arbeitsschutzrechtliche Sonderregelungen (zB in Angelegenheiten des Mutterschutzes) bleiben jedoch unberührt. Das KJBG gilt grundsätzlich für die Beschäftigung von Kindern mit Arbeiten jeder Art und von Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, die in einem Dienstverhältnis, einem Lehr- oder sonstigen Ausbildungsverhältnis stehen. Kinder iSd KJBG sind Minderjährige bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres oder bis zur späteren Beendigung der Schulpflicht. Für Unter-15jährige, die die Schulpflicht vollendet haben und in einem Lehrverhältnis oder im Rahmen eines Ferialpraktikums oder im Rahmen eines Pflichtpraktikums beschäftigt werden, gelten die Bestimmungen für Jugendliche (§§ 10-32 KJBG). 67 Jugendliche iSd KJBG sind Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, die nicht als Kinder iSd obigen Definition gelten.
Die §§ 4-9 KJBG enthalten Regelungen über die Kinderarbeit. Als Kinderarbeit gilt die Beschäftigung von Kindern mit Arbeiten jeder Art, sofern diese nicht ausschließlich zu Zwecken des Unterrichts oder der Erziehung erfolgt oder eigene Kinder mit leichten Leistungen von geringer Dauer im Haushalt beschäftigt werden.
Grundsätzlich dürfen Kinder nicht zu Arbeiten irgendwelcher Art herangezogen werden. Allerdings dürfen Kinder, die das zwölfte Lebensjahr vollendet haben, außerhalb der für den Schulbesuch vorgesehenen Stunden mit Arbeiten im Familienbetrieb, mit Arbeiten in einem Privathaushalt, mit Botengängen, mit Handreichungen auf Sportund Spielplätzen, mit dem Sammeln von Blumen, Kräutern, Pilzen und Früchten sowie mit den diesen Arbeiten im einzelnen jeweils gleichwertigen Tätigkeiten, beschäftigt werden, sofern es sich hiebei um leichte und vereinzelte Arbeiten handelt. Mit diesen vereinzelten leichten Arbeiten dürfen Kinder aber nur insoweit beschäftigt werden, als sie dadurch weder in ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit und Entwicklung noch in ihrer Sittlichkeit gefährdet, keinen Unfallgefahren und keinen schädlichen Einwirkungen von Hitze, Kälte oder Nässe oder keinen schädlichen Einwirkungen von gesundheitsgefährlichen Stoffen oder Strahlen, von Staub, Gasen oder Dämpfen ausgesetzt sind, im Besuch der Schule und in der Möglichkeit, dem Schulunterricht mit Nutzen zu folgen, nicht behindert und in der Erfüllung ihrer religiösen Pflichten nicht beeinträchtigt werden sowie sowohl an Schultagen wie an schulfreien Tagen nicht mehr als zwei Stunden in Anspruch genommen sind, wobei die Gesamtzahl der dem Schulunterricht und den leichten Arbeiten gewidmeten Stunden keinesfalls mehr als sieben betragen darf.68 Verboten ist die Beschäftigung von Kindern an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen sowie in der Zeit zwischen 20.00 Uhr und 8.00 Uhr. Der Landeshauptmann kann die Verwendung von Kindern bei Musikaufführungen, Theatervorstellungen und sonstigen Aufführungen sowie bei Foto-, Film-, Fernseh- und Tonaufnahmen bewilligen; die Bewilligung darf nur erteilt werden, wenn ein besonderes Interesse der Kunst, der Wissenschaft oder des Unterrichts vorliegt oder es sich um Werbeaufnahmen handelt und die Beschaffenheit und Eigenart der betreffenden Beschäftigung 67
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Die Schulpflicht endet mit dem Ende des letzten Unterrichtsjahres, dh mit Beginn der Sommerferien. Daher können Schulabsolventen, die zB erst im Herbst 15 Jahre alt werden, dennoch eine Lehre beginnen und gelten im Anwendungsbereich des KJBG als Jugendliche. Diese Ausnahme entspricht sowohl der JugendarbeitsschutzRL als auch dem ILOÜbereinkommen (Nr 33) über das Alter für die Zulassung von Kindern zu nichtgewerblicher Arbeit, BGBl 1936/280 idgF; vgl außerdem das ILO-Übereinkommen (Nr 5) über das Mindestalter für die Zulassung von Kindern zur gewerblichen Arbeit, BGBl 1936/279 idgF.
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es rechtfertigen. Die Verwendung von Kindern in Varietes, Kabaretts, Bars, Sexshops, Tanzlokalen, Diskotheken und ähnlichen Betrieben darf nicht bewilligt werden. Kinder dürfen durch ihre Verwendung nicht in ihrer Gesundheit, in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung oder in der Sittlichkeit nicht gefährdet, im Besuch der Schule und in der Möglichkeit, dem Schulunterricht mit Nutzen zu folgen, nicht behindert und in der Erfüllung ihrer religiösen Pflichten nicht beeinträchtigt werden.69
Im Zusammenhang mit der Lehrlingsausbildung sind aber weniger die Bestimmungen über die Kinderarbeit als vielmehr die Schutzvorschriften für Jugendliche von Bedeutung.
Grundsätzlich darf die tägliche Arbeitszeit70 der Jugendlichen acht Stunden, ihre Wochenarbeitszeit71 40 Stunden nicht überschreiten (§ 11 KJBG). Die Wochenarbeitszeit kann zur Erreichung einer längeren Freizeit, die mit der Wochenfreizeit zusammenhängen muss, abweichend von der nach § 11 Abs 1 zulässigen täglichen Arbeitszeit von acht Stunden verteilt werden; eine andere Arbeitszeitverteilung kann auch ein Kollektivvertrag zulassen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch die Arbeitszeit innerhalb eines mehrwöchigen Durchrechnungszeitraumes auf maximal 45 Stunden ausgedehnt werden, wenn innerhalb dieses Durchrechnungszeitraumes die Wochenarbeitszeit im Durchschnitt 40 Stunden nicht übersteigt.72 Darüber hinaus ist den Jugendlichen die zur Erfüllung der gesetzlichen Berufsschulpflicht erforderliche Zeit freizugeben, wobei für die Unterrichtszeit der Lohn (Lehrlingsentschädigung) weiterzuzahlen ist. Die Unterrichtszeit in der Berufsschule, zu deren Besuch der Jugendliche gesetzlich verpflichtet ist, ist auf die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit anzurechnen. Beträgt die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als viereinhalb Stunden, so ist die Arbeitszeit durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen; die Ruhepause ist spätestens nach sechs Stunden zu gewähren (§ 15 KJBG).73 Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ist Jugendlichen eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens zwölf Stunden (innerhalb von 24 Stunden nach Arbeitsbeginn) zu gewähren (§ 16 KJBG).74 Nachtarbeit (zwischen 20.00 bis 6.00 Uhr) ist verboten, allerdings dürfen Jugendliche über 16 Jahre im Gastgewerbe und in mehrschichtigen Betrieben im wöchentlichen Wechsel bis 22.00 Uhr beschäftigt werden (§ 17 KJBG).75 Bei Musikaufführungen, Theatervorstellungen, sonstigen Aufführungen und bei Foto-, 69
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Zum Schutz der Kinder bestimmt § 8 KJBG darüber hinaus, dass die Verabreichung von geistigen Getränken und von Tabak an Kinder als Entgelt für ihre Arbeit untersagt ist und dass gebrannte geistige Getränke und Tabak Kindern während oder anlässlich der Arbeit nicht verabreicht werden dürfen. Tägliche Arbeitszeit ist gemäß § 10 Abs 1 KJBG die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Einrechnung der Ruhepausen. Wochenarbeitszeit ist die Arbeitszeit innerhalb des Zeitraumes von Montag bis einschließlich Sonntag (§ 10 Abs 1 KJBG). Für Überstunden - jede Arbeitsleistung, die über die nach § 11 festgelegte Wochenarbeitszeit hinausgeht - gebührt den Jugendlichen ein Zuschlag in der Höhe von 50 % des auf die Zeit der Überstundenleistung entfallenden Normallohnes (Lehrlingsentschädigung) (§ 14 KJBG). Während der Ruhepausen darf den Jugendlichen keinerlei Arbeit gestattet werden, sie dürfen auch nicht zur Arbeitsbereitschaft verpflichtet werden. Für den Aufenthalt während der Ruhepausen sind nach Möglichkeit besondere Aufenthaltsräume oder freie Plätze bereitzustellen. Dies gilt nicht für Jugendliche, die im Gastgewerbe beschäftigt sind (§ 16 Abs 2 KJBG). Vgl außerdem das ILO-Übereinkommen (Nr 6) betreffend die gewerbliche Nachtarbeit von Jugendlichen, BGBl 1924/226 idgF. Regelmäßige Nachtarbeit etzt eine jährliche ärztliche Untersuchung voraus (§ 17 Abs 7 KJBG).
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Film-, Fernseh- und Tonaufnahmen dürfen Jugendliche bis 23.00 Uhr beschäftigt werden.76 An Sonntagen und an den gesetzlichen Feiertagen dürfen Jugendliche nicht beschäftigt werden; dies gilt allerdings nicht im Gastgewerbe, in Krankenpflegeanstalten und Pflegeheimen, bei Musikaufführungen, Theatervorstellungen, sonstigen Aufführungen und für Arbeiten auf Sport- und Spielplätzen (wobei dann aber jeder zweite Sonntag arbeitsfrei bleiben muss)77 (§ 18 KJBG). Die Beschäftigung von Jugendlichen am 8. Dezember in Verkaufsstellen gemäß § 1 ÖZG78 kann durch Kollektivvertrag zugelassen werden, wenn der 8. Dezember auf einen Werktag fällt; allerdings hat der Jugendliche das Recht, die Beschäftigung an diesem Tag auch ohne Angabe von Gründen abzulehnen und er wegen dieser Weigerung nicht benachteiligt werden darf (§ 18a KJBG). Den Jugendlichen ist wöchentlich eine ununterbrochene Freizeit („Wochenfreizeit“) von zwei Kalendertagen zu gewähren, die grundsätzlich auch den Sonntag zu umfassen hat (§ 19 KJBG). 79 Der Urlaubsanspruch der Jugendlichen richtet sich nach den für sie jeweils geltenden Urlaubsvorschriften, wobei auf Verlangen des Jugendlichen ein mindestens zwölf Werktage umfassender Urlaub in der Zeit zwischen dem 15. 6. und dem 15. 9. zu vereinbaren ist. Weitere Bestimmungen zum Schutz der Jugendlichen bei ihrer Ausbildung bzw Erwerbstätigkeit betreffen das Verbot der Akkordarbeit (§ 21 KJBG) sowie das Verbot der eigenverantwortlichen Beförderung höherer Geld- oder Sachwerte außerhalb des Betriebes (§ 21a KJBG). Darüber hinaus sind körperliche Züchtigung80 oder erhebliche wörtliche Beleidigung des Jugendlichen verboten; Disziplinarmaßnahmen müssen im Kollektivvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung vorgesehen ist und dürfen nicht in der Verhängung einer Geldstrafe bestehen (§ 22 KJBG). Auch hat der Dienstgeber die Jugendlichen vor einer Gefährdung der Sicherheit, Gesundheit und ihrer Sittlichkeit zu schützen (§§ 23 ff KJBG)81.
Wer dem KJGB oder einer auf Grund des KJBG erlassenen Verordnung zuwiderhandelt, ist, sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe von 72 € bis 1.090 €, im Wiederholungsfall von 218 € bis 2.180 €, oder mit Arrest von drei Tagen bis zu sechs Wochen82 zu bestrafen, wobei beide Strafen auch 76
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Weitere Sonderregeln bestehen für Lehrlinge in bestimmten Backwaren-Erzeugungsbetrieben oder im gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege auszubildende Jugendliche (§ 17 Abs 5 und 6 KJBG). Durch Kollektivvertrag kann für das Gastgewerbe davon abweichend die Beschäftigung von Jugendlichen an aufeinanderfolgenden Sonntagen innerhalb eines vom Kollektivvertrag festzulegenden Zeitraumes von höchstens 23 Wochen pro Kalenderjahr zugelassen werden; innerhalb eines Kalenderjahres dürfen die Jugendlichen jedoch höchstens an 23 Sonntagen beschäftigt werden (§ 18 Abs 3a KJBG). Vgl III.B., III.C. und III.D. Es bestehen zahlreiche Sonderregelungen (§§ 19 und 19a KJBG), zB bei Samstagsbeschäftigung, Tätigkeit im Gastgewerbe oder bei der Be- oder Verarbeitung von frischen Lebensmitteln, oder der Beschäftigung in Verkaufsstellen gemäß § 1 Abs 1-3 ÖZG. Nach § 99b Abs 2 GewO 1859 war ein minderjähriger Lehrling der „väterlichen Zucht des Lehrherrn“ unterworfen. Vgl dazu auch die Verordnung über die Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Jugendliche, BGBl 1998 II/436 idgF. Gemäß Art 3 Abs 2 und 3 BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (BGBl 1988/684) dürfen von Verwaltungsbehörden Freiheitsstrafen bis zu sechs Wochen verhängt werden; allerdings muss die Anfechtung einer solchen Entscheidung bei einem Tribunal iSd Art 6 EMRK in vollem Umfang und mit aufschiebender Wirkung gewährleistet sein.
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nebeneinander verhängt werden können (§ 30 KJBG; Ungehorsamsdelikt iSd § 5 VStG). Dienstgebern und deren Bevollmächtigten, die wiederholt wegen Übertretungen nach § 30 bestraft wurden, kann die Bezirksverwaltungsbehörde die Beschäftigung von Jugendlichen auf bestimmte Zeit oder dauernd untersagen; dies ist außerdem möglich, wenn sie sich grober Pflichtverletzungen gegen die bei ihnen beschäftigten Jugendlichen schuldig gemacht haben oder gegen sie Tatsachen vorliegen, die sie in sittlicher Beziehung zur Beschäftigung Jugendlicher ungeeignet erscheinen lassen (§ 31 KJBG).
III. Öffnungszeitenrecht A. Grundrechtliche Determinanten Verfassungsrechtliche Aspekte des Öffnungszeitenrechts berühren in erster Linie die Erwerbsfreiheit des Unternehmers (Art 6 StGG) sowie den Gleichheitssatz. Der Zusammenhang von Verkaufszeitenbeschränkungen und dadurch verfügten Erwerbsausübungsbeschränkungen war bereits mehrfach Gegenstand von VfGH-Entscheidungen.83 Mit der Erwerbsfreiheit eng verbunden ist die verfassungsgesetzlich gewährleistete Privatautonomie, dh das Recht zum Abschluss zivilrechtlicher Verträge. Eingriffe in die Vertragsfreiheit sind nur unter den für Eigentumsbeschränkungen geltenden Bedingungen84 zulässig (VfSlg 12227/1989). Die Ladenschlussregelungen unterliegen darüber hinaus auch dem Sachlichkeitserfordernis85 des Gleichheitssatzes (Art 7 B-VG).86
B. Anwendungsbereich des ÖffnungszeitenG Die Bestimmungen des ÖZG gelten für alle ständigen und nichtständigen für den Kleinverkauf von Waren bestimmten Betriebseinrichtungen (Läden 83
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In VfSlg 11558/1987, 11848/1988, 12094/1989 und 12492/1990 hielt es der VfGH für verfassungsrechtlich problematisch, dass die Entscheidung, ob die Öffnungszeiten einer besonderen Nachfragesituation angepasst werden sollen, nicht dem Unternehmer sondern einem Verwaltungsorgan übertragen wurde. In VfSlg 13567/1993 vermerkte der VfGH, dass der Gesetzgeber nicht gehalten sei, dem Großhandel eine Ladenschlusszeit vorzuschreiben; in der Entscheidung VfSlg 15671/1999 hielt er fest, dass die Großhandelsladenschlussregelung des § 96e Abs 4 GewO 1859 nicht mehr dem Rechtsbestand angehörte. In VfSlg 15316/1998 attestiert der VfGH, dass der Gesetzgeber durch eine geringfügige Verkürzung der Gesamtoffenhaltezeit bei gleichzeitiger Erweiterung der Dispositionsmöglichkeiten der Gewerbetreibenden seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten und unsachlich gehandelt oder die Erwerbsfreiheit übermäßig eingeschränkt habe; da jeder Unternehmer gleicherweise zu entscheiden habe, wie er die Gesamtoffenhaltezeit von 66 Stunden am besten innerhalb der weiten Rahmenzeiten auf die Wochentage verteile und auf welche Öffnungszeiten er zugunsten anderer Möglichkeiten verzichte, sei die Gesamtoffenhaltezeit für sich - ungeachtet der Schwierigkeiten der Gewerbetreibenden, damit das Auslangen zu finden - in ihrer Wirkung durchaus wettbewerbsneutral. Vgl dazu Berka, Die Grundrechte (1999), Rz 722 ff mwN. Vgl dazu Berka (FN 84), Rz 875 ff mwN. Vgl dazu die Überlegungen von Grabenwarter (FN 16), 214 ff.
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und sonstige Verkaufsstellen) von Unternehmungen, die der GewO unterliegen, wobei als Betriebseinrichtungen auch alle Einrichtungen und Veranstaltungen dieser Unternehmungen gelten, bei denen Warenbestellungen im Kleinverkauf entgegengenommen werden (§ 1 Abs 1 und 2 ÖZG).87 Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten auch für die Kleinverkaufsstellen der land- und forstwirtschaftlichen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, deren Tätigkeit lediglich gemäß § 2 Abs 1 Z 4 GewO von deren Bestimmungen ausgenommen ist (§ 1 Abs 3 ÖZG). Von der Anwendung des ÖZG sind gemäß § 2 ausgenommen: die Warenabgabe aus Automaten (Z 1); der Warenverkauf im Rahmen eines Gastgewerbes in dem im § 111 Abs 4 Z 4 GewO88 bezeichneten Umfang (Z 2); Tankstellen für den Verkauf von Betriebsstoffen für Kraftfahrzeuge sowie für den Kleinverkauf iSv § 157 Abs 1 Z 2 GewO89 (Z 3); Verkaufsstellen im Kasernenbereich, die Waren nur an Angehörige des Bundesheeres oder der Bundespolizei und an die in der Kaserne tätigen Bediensteten abgeben (,,Marketendereien“) und der Marktverkehr (Z 5). Auch der Versandhandel über „virtuellen Verkaufsstellen“ per Internet oder über telefonische Bestellungen (dh ohne physische Präsenz des Kunden) fällt nicht in den Anwendungsbereich des ÖZG.90
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Der VfGH setzte mit seiner Entscheidung VfSlg 15671/1999 einen Schlusspunkt unter die Diskussion über Ladenschlussregelungen im Großhandel: „Dem durch die ungewohnte Aufhebungstechnik der GewO 1973 einschließlich ihrer Maßgaben, Ausnahmen und Einschränkungen bereits hinreichend verwirrten Rechtsunterworfenen“ - so der VfGH - wurde durch das Erkenntnis aufgezeigt, dass § 96e Abs 4 GewO 1859 seit dem 1.6.1984 durch das ARG aufgehoben war, § 376 Z 46 GewO 1973, der die Weitergeltung dieser Bestimmung anordnete, zum Zeitpunkt der Wiederverlautbarung der GewO 1973 nicht mehr in Geltung stand und § 376 Z 46 GewO 1994 wegen Überschreitung der Grenzen der erteilten Ermächtigung aufzuheben war. Das bedeutet im Ergebnis, dass für den werktägigen Ladenschluss im Großhandel derzeit keine allgemeine gesetzliche Regelung besteht. Gastgewerbetreibende dürfen gemäß § 111 Abs 4 Z 4 GewO folgende Waren während der Betriebszeiten verkaufen: die von ihnen verabreichten Speisen und ausgeschenkten Getränke, halbfertige Speisen, die von ihnen verwendeten Lebensmittel sowie Reiseproviant; Waren des üblichen Reisebedarfes (zB Treib- und Schmierstoffe, Toiletteartikel, Badeartikel, Fotoverbrauchsmaterial, Ansichtskarten, Lektüre, übliche Reiseandenken); Geschenkartikel. Während der Betriebszeiten der Tankstelle dürfen gemäß § 157 Abs 1 Z 2 GewO folgende Waren verkauft werden: Heizöl, Grillkohle, Grillkohlenanzünder; Kraftfahrzeugersatzteile und Kraftfahrzeugzubehör, soweit diese Ersatzteile und dieses Zubehör für die Erhaltung oder Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit des Kraftfahrzeuges oder für die Verkehrssicherheit notwendig sind, Kraftfahrzeugpflegemittel, Verbandzeug in Behältern; Waren des üblichen Reisebedarfes (zB Straßenkarten, Fotoverbrauchsmaterial, Toiletteartikel, Ansichtskarten, Reiseandenken); vorverpackt gelieferte Lebensmittel (§ 2 LMG) sowie Futtermittel für Heimtiere, löslicher Kaffee, alkoholfreie Getränke und Bier in handelsüblichen verschlossenen Gefäßen. Soweit es sich um Getränke handelt, dürfen diese nur in Kleinmengen abgegeben werden. OGH 12. 11. 1998, 8 Ob A 238/98, ZAS 2000, 49 mit Anmerkung von Grabenwarter, der den Rückgriff auf „zweifelhafte verfassungsrechtliche und scheinbar europarechtliche Argumentationsfiguren“ kritisiert, dem Ergebnis aber zustimmt. Vgl weiters G. Eisenberger, Öffnungszeitengesetz und Versandhandel, ecolex 1997, 677, der auch auf die Ähnlichkeit zu Call-Centern hinweist; sowie Schramböck, Gewerberechtliche Schranken des e-commerce, ecolex 2000, 484.
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C. Öffnungszeiten an Werktagen Die Verkaufsstellen (§ 1 Abs 1 bis 3) sind gemäß § 3 ÖZG an Samstagen nach 18.00 Uhr, an Sonn- und Feiertagen sowie an Montagen bis 5.00 Uhr grundsätzlich geschloossen zu halten. Zwischen Montag 5.00 Uhr und Samstag 18.00 Uhr beträgt die Offenhaltezeit 66 Stunden pro Woche; Verkaufsstellen dürfen an Montagen bis Freitagen von 5.00 Uhr bis 21.00 Uhr und an Samstagen von 5.00 Uhr bis 18.00 Uhr offen gehalten werden (§ 4 Abs 1 und 3 ÖZG). Der Landeshauptmann kann abweichende Offenhaltezeiten (einschließlich eine Verlängerung auf 72 Stunden) festlegen (§ 4 Abs 2 und 4 ÖZG).
D. Öffnungszeiten am Wochenende und an Feiertagen Die Öffnung von Verkaufsräumlichkeiten an Samstagen nach 18.00 Uhr, Sonnund Feiertagen sowie an Montagen bis 5.00 Uhr ist gemäß § 5 ÖZG nur zulässig, wenn der Landeshauptmann auf Grund eines besonderen regionalen Bedarfs dies durch Verordnung gestattet. Eine grundsätzliche Pflicht zum Geschlossenhalten ergibt sich aus einzelnen Bestimmungen des BZG, welche zT auf das ARG91 verweisen. 91
Das ARG, das grundsätzlich für Arbeitnehmer aller Art gilt, aber zahlreiche Ausnahmen vom Anwendungsbereich vorsieht, enthält Bestimmungen über die Wochenendruhe (§ 3), die Wochenruhe (§ 4), die wöchentliche Ruhezeit bei Schichtarbeit (§ 5), die Ersatzruhe (§ 6), die Rufbereitschaft (§ 6a) sowie die Feiertagsruhe (§ 7). Ausnahmen von den Ruheanspruch während der Wochenenden und Feiertage bestehen zB für die Bewachung oder Wartung von Betriebsanlagen oder die Wartung von Tieren, Brandschutzarbeiten oder einen Wechsel der Arbeitsstätte (§§ 10 und 10a) sowie für vorübergehende und unaufschiebbare Arbeiten in außergewöhnlichen Fällen, soweit diese zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für die Sicherheit des Lebens oder die Gesundheit von Menschen oder bei Notstand sofort vorzunehmen sind oder zur Behebung einer Betriebsstörung oder zur Verhütung des Verderbens von Gütern oder eines sonstigen unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Schadens erforderlich sind, wenn unvorhergesehene und nicht zu verhindernde Gründe vorliegen und andere zumutbare Maßnahmen zu diesem Zweck nicht möglich sind (§ 11). Gemäß § 12 sind durch Verordnung für Arbeitnehmer in bestimmten Betrieben aus aufgezählten Gründen Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe für Arbeiten zuzulassen (ARG-VO, BGBl 1984/149 idgF). Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe können auch durch Kollektivvertrag (§ 12a) oder bei außergewöhnlichem regionalen Bedarf durch Verordnung des Landeshauptmanns (§ 13) erfolgen. Es besteht eine Sonderregelung für den 8. Dezember (§ 13a), wonach der Arbeitnehmer das Recht hat, die Beschäftigung am 8. Dezember auch ohne Angabe von Gründen abzulehnen, ohne deshalb benachteiligt zu werden oder die Ablehnugn begründen zu müssen. Schließlich besteht noch die Möglichkeit von Ausnahmen durch Verordnung des BMWA aus Gründen des öffentlichen Interesses (§ 14) sowie bei Erfordernissen konkreter Einzelfälle (§ 15). Weiters enthält das ARG Sonderbestimmungen für Märkte, Messen und Verkaufstellen an Verkehrsumschlagplätzen (§§ 16-18), für Arbeitnehmer in Verkehrsbetrieben, Kranken- und Kuranstalten, Apotheken, im Bewachungsgewerbe sowie für KfzLenker und Schiffspersonal (§§ 19-22c und 25a). § 22d regelt die Ansprüche bei Samstagsarbeit in Verkaufsstellen gemäß § 1 ÖZG. Die übrigen Bestimmungen betreffen Auflage-, Aufzeichnungs- und Auskunftspflichten, Behördenzuständigkeiten, Strafbestimmungen sowie die üblichen Schlussbestimmungen (§§ 23-34). Das ARG verfolgt verfassungsrechtlich unbedenkliche gesundheits-, sozial- und familienpolitische Ziele; dass für bestimmte Verkaufsstellen und Arbeiten Ausnahmen
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Das BZG gilt für alle an Sonntagen und Feiertagen ausgeübten Tätigkeiten, die der GewO unterliegen. Gemäß § 2 Abs 2 BZG dürfen Betriebsstätten an Sonntagen und Feiertagen nur für die Ausübung von unter § 2 Abs 1 Z 1 bis 3 fallenden Tätigkeiten offen gehalten werden:92 Z 1 erfasst Tätigkeiten, zu deren Durchführung nach den arbeitsrechtlichen Vorschriften (insb ARG, aber auch Kollektivverträge) die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonntagen und Feiertagen zulässig ist oder für die gemäß § 3 BZG bestimmte Betriebszeiten an Sonntagen und Feiertagen festgelegt sind; Z 2 betrifft Tätigkeiten mittels Automaten, die für die Selbstbedienung durch Kunden bestimmt sind; Z 3 erfasst den Betrieb eines Gastgewerbes im Rahmen der Sperrzeitenregelungen nach §§ 112 und 113 GewO. Nach § 3 Abs 1 BZG hat der Landeshauptmann für die der GewO unterliegenden Tätigkeiten, für die an Sonntagen und Feiertagen ein besonderer regionaler Bedarf besteht, der in den Arbeitsruhevorschriften nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt ist, durch Verordnung jene Zeiten festzulegen, in denen diese Tätigkeiten an Sonntagen und Feiertagen zur Deckung des besonderen regionalen Bedarfs ausgeübt werden dürfen. Die Verordnung hat auch zu berücksichtigen, ob sich der besondere regionale Bedarf auf das ganze Land oder nur auf ein Teilgebiet erstreckt sowie ob er das ganze Jahr über oder nur saisonal oder nur an bestimmten Sonntagen und Feiertagen besteht. In der Verordnung hat unberücksichtigt zu bleiben, ob im Gewerbebetrieb Arbeitnehmer beschäftigt werden oder nicht (- die Beschäftigung von Arbeitnehmern ist nur dann zulässig, wenn der Landeshauptmann auch eine entsprechende Verordnung gemäß § 13 ARG erlassen hat). § 3 Abs 1 BZG gilt allerdings nicht für eine Verkaufstätigkeit iSd ÖZG (§ 3 Abs 3 BZG).
Wer an Sonntagen oder Feiertagen eine gewerbliche Tätigkeit ausübt, die nicht unter § 2 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 fällt oder entgegen § 2 Abs 2 Betriebsstätten für den Kundenverkehr offen hält oder einer auf Grund des § 3 erlassenen Verordnung zuwiderhandelt, begeht - sofern die Tat nicht nach arbeitsrechtlichen oder anderen Vorschriften mit strengerer Strafe bedroht ist - eine Verwaltungsübertretung, die von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 726 € zu ahnden ist (§ 4 Abs 1 BZG).93 Wird ein Gastgewerbe an Sonntagen oder Feiertagen entgegen § 2 Abs 1 Z 3 nicht im Rahmen der GewO-Sperrzeitenregelungen betrieben, so ist diese Tat nach den für Übertretungen der betreffenden Sperrzeitenregelungen bestehen-
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vom Wochenendarbeitsverbot normiert werden, ist unbedenklich (VfSlg 15305/1998; vgl dazu auch Jabornegg/Resch, Keine Verfassungswidrigkeit der Arbeitsruhe im Einzelhandel, DRdA 1998, 165). Darüber hinaus ist gemäß § 2 Abs 1 Z 4 BZG an Sonntagen und Feiertagen die Ausübung persönlicher, nicht bereits unter die Z 1 oder 3 fallender Tätigkeiten des Gewerbetreibenden, die von diesem a) in der Betriebsstätte durchgeführt werden oder b) außerhalb der Betriebsstätte durchgeführt werden und nicht das für unbeteiligte Dritte erkennbare Erscheinungsbild der dem betreffenden Gewerbe eigentümlichen Arbeiten aufweisen, zulässig. Die Verhängung einer Geldstrafe wegen Offenhaltens einer Verkaufsstelle an einem Sonn- oder Feiertag, die nicht auf das BZG sondern auf das ÖZG iVm der GewO gestützt wird, ist eine denkunmögliche Gesetzesanwendung, die mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist; ein solcher Strafbescheid stellt eine Verletzung des Eigentumsgrundrechts dar (VfSlg 14577/1996).
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den Strafbestimmungen der GewO zu ahnden (§ 4 Abs 2 BZG), dh mit Geldstrafe bis zu 1.090 € (§ 368 Z 9 GewO).
E. Weitere Regelungen des ÖffnungszeitenG § 6 ÖZG enthält Sonderregelungen für den 24. Dezember und den 31. Dezember. Fällt der 24. Dezember auf einen Werktag, so dürfen die Verkaufsstellen von 5.00 Uhr bis 14.00 Uhr offen gehalten werden. Süßwaren und Naturblumen dürfen bis 18.00 Uhr, Christbäume bis 20.00 Uhr verkauft werden. Am 31. Dezember, sofern dieser auf einen Werktag fällt, dürfen die Verkaufsstellen von 5.00 Uhr bis 17.00 Uhr, die Verkaufsstellen für Lebensmittel bis 18.00 Uhr, die Verkaufsstellen für Süßwaren, für Naturblumen und für Silvesterartikel bis 20.00 Uhr offen gehalten werden. Die Sonderregelung für den 8. Dezember wurde 1997 aufgehoben. Anlass für die Sonderregelung war ein Verfahren nach Art 142 B-VG gegen den damaligen Salzburger Landeshauptmann Haslauer (vgl VfSlg 10510/1985).94
§ 7 ÖZG normiert Sonderregelungen für Verkaufsstellen an Verkehrsumschlagplätzen (Z 1)95, Verkaufsstellen an Veranstaltungsorten (Z 2)96, Zollfreiläden auf Flughäfen und Grenzstationen von Kraftfahrorganisationen an Grenzübergängen (Z 3), Verkaufsstellen bei Messen und messeähnlichen Veranstaltungen (Z 4)97 sowie Antiquitätenmessen (Z 5). Der Kleinverkauf von Waren im Umherziehen (§ 53 GewO) und im Straßenhandel ist während der Zeit, in der die Verkaufsstellen für solche Waren offengehalten werden dürfen, zulässig (§ 9 ÖZG). Die für eine Verkaufsstelle geltenden Ladenöffnungszeiten sowie der Zeitpunkt, ab welchem diese Ladenöffnungszeiten gelten, sind an der Verkaufsstelle so kundzumachen, dass sie sowohl während als auch außerhalb der Öffnungszeiten der Verkaufsstelle ersichtlich sind (§ 8 ÖZG). § 10 ÖGZ enthält Bestimmungen über die Kundenbedienung nach Ladenschluss sowie für Verkaufsstellen mit verschiedenen Ladenöffnungszeiten: Kunden, die am Ende der Ladenöffnungszeit im Laden oder bei der sonsti-
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Vgl Grussmann, Die Bilanz des 8. Dezember, DRdA 1985, 112. Eine Arbeitszeitregelung für den 8. Dezember findet sich nunmehr in § 13a ARG. In Bahnhöfen, Autobusbahnhöfen, auf Flugplätzen und an Schiffslandeplätzen darf für den Verkauf von Lebensmittel, Reiseandenken und notwendigem Reisebedarf (Reiselektüre, Schreibmaterialien, Blumen, Reise-Toiletteartikel, Filme etc) nach Maßgabe der Verkehrszeiten offen gehalten werden. Die dem Verkauf dieser Waren gewidmete Fläche darf pro Verkaufsstelle 80 m2 nicht übersteigen; allerdings kann der Landeshauptmann auch eine größere Fläche durch Verordnung festlegen. Als Verkaufsstelle iSd Regelung gilt sie jedoch nur dann, wenn sie ausschließlich durch die betreffende Verkehrseinrichtung zugänglich ist. Der VfGH entschied jüngst (6. 12. 2005, V 80/05), dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 7 ÖZG Wettbewerbsverzerrungen vermeiden muss. Verkaufsstellen für Süßwaren, Erfrischungen und sonstige genussfertige Lebensmittel sowie für Waren (zB Gemäldeposter), die einen Bezug zur Veranstaltung oder zum Veranstaltungsort haben, dürfen in Theatern, Museen und musealen Ausstellungen, Kinos, Konzerthäusern, Kongressgebäuden, Zirkussen und Sporthallen und auf Sportplätzen während der für die Bedienung der Besucher erforderlichen Zeit offen gehalten werden. Jedoch nur an Samstagen während der Sommerzeit bis 19.00 Uhr.
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gen Verkaufsstelle anwesend sind, dürfen ungeachtet der sonstigen Bestimmungen des ÖZG noch bedient werden. Wer entgegen den Bestimmungen des ÖZG seine Verkaufsstelle nicht geschlossen hält, Waren verkauft oder Bestellungen entgegennimmt, ist gemäß § 11 ÖZG nach den Bestimmungen der GewO zu bestrafen. Das bedeutet, dass gemäß §§ 376 Z 39 iVm 368 Z 17 GewO für Übertretungen des ÖZG Geldstrafen bis 1.090 € zu verhängen sind, sofern keine Übertretung gemäß §§ 366-368 GewO vorliegt.
IV. Preisauszeichnungsrecht A. Regelungsgegenstand des PreisauszeichnungsG Mit dem Bundesgesetz über die Auszeichnung von Preisen (Preisauszeichnungsgesetz - PrAG) wird versucht, die Marktmechanismen zu fördern und von einer amtlichen Preisregelung Abstand zu nehmen: Es soll die Verantwortung für die Vermeidung überhöhter Preise von der Behörde auf den „aufgeklärten, mündigen Verbraucher“ verlagert werden. Eine derartige „Kontrolle“ sowie ein funktionierender Markt setzen aber unter anderem Transparenz voraus, was wiederum eine ausreichende Information der Nachfrager über das Preisniveau erfordert, damit sie die günstigsten Angebote auswählen können („fairer Preiswettbewerb“). Die Bekanntgabe des Verkaufspreises und des Preises je Maßeinheit („Grundpreis“) bietet den Verbrauchern auf die einfachste Weise die Möglichkeit, die Preise von Erzeugnissen zu beurteilen und miteinander zu vergleichen und somit fundierte Kaufentscheidungen zu treffen. Allgemein verbindliche Informationen über das Preisniveau sind allerdings idR nur für den privaten Konsumenten von nöten; der Preis für Unternehmer als Abnehmer wird meist individuell gebildet (zB Rabatte, Zusatzleistungen, etc). Dem entsprechend betrifft das PrAG auch nur Warenlieferungen und Leistungen an den Konsumenten als Letztverbraucher, nicht hingegen an Unternehmer. Vereinzelt dient das PrAG aber auch als ganz konkretes Eingriffsmittel der staatlichen Wettbewerbspolitik, etwa wenn gemäß § 3 Abs 1 der BMWA mit Verordnung anordnen kann, dass bestimmte Unternehmer die Preise ihrer typischen Leistungen auszuzeichnen haben, wenn dies zur Sicherung der Möglichkeit des raschen und einfachen Preisvergleichs oder aus sonstigem Interesse der Verbraucher erforderlich ist, was insb dann anzunehmen ist, wenn mehrere Unternehmer eine ungerechtfertigte Preispolitik (§ 5 Abs 5 PreisG) verfolgen. Das PrAG gilt für die Auszeichnung der Verkaufspreise und Grundpreise von Sachgütern (Preise von Sachgütern) sowie für die Auszeichnung der Preise von Leistungen, sofern diese Güter und Leistungen den Verbrauchern von Unternehmern98 gewerbsmäßig angeboten werden. Von der Pflicht zur Preisauszeichnung werden daher grundsätzlich auch zB landwirtschaftliche Produkte erfasst, die von Landwirten auf regelmäßig stattfindenden Bauern98
Das PrAG verweist beim Unternehmer-Begriff auf § 1 KSchG: Unternehmer ist jemand, für den das Rechtsgeschäft zum Betrieb seines Unternehmens gehört, Verbraucher ist jeder, für den das nicht zutrifft.
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märkten angeboten werden;99 das PrAG ist für solche Formen der Direktvermarktung einschlägig.100 Das PrAG gilt hingegen nicht für Leistungen, für die die Preisauszeichnung in anderen Bundesgesetzen geregelt ist oder für Sachgüter, die nicht selbständig, sondern im Rahmen einer Leistung angeboten werden. Die Preisauszeichnungspflicht besteht für Sachgüter (oder sie vertretende Attrappen oder Muster), sofern diese sichtbar ausgestellt sind oder in den Geschäftsräumlichkeiten in anderer Weise zum Verkauf bereitgehalten werden. Davon generell ausgenommen sind jedoch Versteigerungen sowie Kunstgegenstände und Antiquitäten; nicht preislich auszuzeichnen sind aber auch Waren, die der Unternehmer erst - anlässlich der Bestellung durch den Kunden beschaffen muss. Hinsichtlich der Auszeichnung der Preise für Leistungen hat der BMWA gemäß § 3 PrAG durch Verordnung eine Gruppe von Unternehmern zur Preisveröffentlichung verpflichten: Bestimmte Unternehmer haben die Preise ihrer typischen Leistungen auszuzeichnen, wenn dies zur Sicherung der Möglichkeit des raschen und einfachen Preisvergleichs oder aus sonstigem Interesse der Verbraucher erforderlich ist. Dies wird vor allem für solche Leistungen der Fall sein, die von einer größeren Anzahl von Unternehmern angeboten werden oder wo die Vereinbarung über die Leistung üblicherweise ohne vorangehende Verhandlungen oder die Einholung verschiedener Offerte erfolgt.101 Erbringen auch andere als die in der Verordnung genannten Unternehmer Leistungen, deren Preise gemäß dieser Verordnung auszuzeichnen sind, so haben auch diese Unternehmer die Preise dieser Leistungen auszuzeichnen; dies kann vor allem bei der Ausübung verbundener Gewerbe sowie der gewerblichen Nebenrechte relevant werden.102 Von seiner Verordnungsermächtigung wird der BMWA vor allem dann Gebrauch machen können (und müssen), wenn mehrere Unternehmer eine ungerechtfertigte Preispolitik verfolgen (§ 5 Abs 5 PreisG 1992). Gemäß § 1 PreisauszeichnungsVO haben ua folgende Unternehmer die Preise ihrer typischen Leistungen, die sie in der angeführten Eigenschaft an Verbraucher erbringen, auszuzeichnen: Betreiber von Videotheken, Bootsvermieter, Friseure, Masseure, Saunabetreiber, Schlüsseldienste, Schuhmacher, Textilreiniger, Unternehmer, die Geräte oder Werkzeuge (wie zB Heimwerkergeräte oder Gartengeräte) vermieten, Unternehmer, die Reifen mit oder ohne Felgen an Fahrzeugen montieren, Unternehmer, die Sportgeräte und Sportausrüstung (wie insb Schi, Schischuhe, Eislaufschuhe, Fahrräder oder Windsurfgeräte) vermieten, warten oder reparieren, etc.
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Bauernmärkte sind gemäß § 286 Abs 3 GewO keine Märkte iSd GewO. Hinsichtlich der Verpflichtung zur Auszeichnung des Grundpreises kann allerdings auch noch § 10b Abs 3 PrAG relevant werden; vgl unten FN 104. Darunter könnte zB die Inanspruchnahme gebührendpflichtiger Parkplätze oder das Hosen-reinigen-lassen fallen. Für individuellere Leistungen, wie zB die Errichtung eines Einfamilienhauses durch ein Bauunternehmen wird eine Verpflichtung zur Preisveröffentlichung meist nicht sinnvoll sein. Vgl dazu Potacs, Gewerberecht, in diesem Handbuch; Feik, Gewerberecht, in: Bachmann ua (Hrsg), BesonderesVerwaltungsrecht6, 2006, 151 (165).
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B. Preisauszeichnungsvorschriften des PreisauszeichnungsG Die Preise sichtbar ausgestellter Sachgüter sind gemäß § 4 PrAG so auszuzeichnen, dass ein durchschnittlich aufmerksamer Betrachter sie leicht lesen und zuordnen kann; dies gilt auch für Sachgüter, die durch Automaten vertrieben werden. Vom Standort des Betrachters (zB vor dem Regal oder der Geschäftsauslage) müssen daher sowohl die Ware als auch der dazugehörige Preis wahrnehmbar sein, ohne dass eine Ortsveränderung erforderlich ist; der Preis muss darüber hinaus dem jeweiligen Produkt leicht zuordenbar sein, sodass eine Preisliste in einem Eck der Auslage mit vielen Waren idR unzureichend sein wird. Ein Schild „Auslage in Arbeit“ entbindet nicht von einer umgehenden Preisauszeichnung; die bereits ausgestellten Produkte müssen sofort preislich gekennzeichnet werden. Ist dies nicht möglich, so ist das Schaufenster zu verhängen, da andernfalls eine Verwaltungsübertretung und gleichzeitig kein schuldausschließender Notstand vorliegt. Wenn daher etwa die Preisschilder noch nicht geliefert/angefertigt wurden, dann darf auch das Produkt noch nicht sichtbar ausgestellt werden oder zum Verkauf bereit gehalten werden.
Die Preise anderer Sachgüter und von Leistungen sind durch Verzeichnisse auszuzeichnen, wobei die Preisverzeichnisse für Leistungen im Geschäftslokal deutlich sichtbar anzubringen sind und die Preisverzeichnisse für Sachgüter auch im Geschäftslokal aufgelegt oder dem Kunden zur Einsicht zur Verfügung gestellt werden können. Gemäß § 5 PrAG hat der BMWA durch Verordnung zu bestimmen, dass bestimmte Unternehmer die Preise für bestimmte Sachgüter und Leistungen so auszuzeichnen haben, dass sie sowohl innerhalb als auch von außerhalb der Betriebsstätte deutlich lesbar sind, wenn dies zweckmäßig ist, um den Kunden rechtzeitig vor seiner Entscheidung über den Erwerb des Sachgutes oder die Inanspruchnahme der Leistung über den Preis zu informieren.
Gemäß § 2 PreisauszeichnungsVO haben Friseure, Wäscher, Textilreiniger, Färber, Kosmetiker, Fußpfleger, Masseure sowie Betreiber von Fitnesscentern und Schlankheitsstudios (hinsichtlich der Zurverfügungstellung von Fitness- und Schlankheitsgeräten) die Preise für ihre typischen Leistungen so auszuzeichnen, dass sie sowohl innerhalb als auch von außerhalb der Betriebsstätte deutlich lesbar sind. Sonderregeln bestehen darüber hinaus für die Preisauszeichnung für Treibstoffe bei Tankstellen: Gemäß § 5 PreisauszeichnungsVO sind die Preise für Normal- und Superfahrbenzin sowie für Dieselkraftstoff auf dem Tankstellenareal auf eine solche Art auszuzeichnen, dass motorisierte Straßenbenützer von der Fahrbahn aus bei einer für das allfällige Zufahren zur Tankstelle entsprechend reduzierten Geschwindigkeit die Preise leicht lesen und zuordnen können; ist die Auszeichnung der Preise auf diese Art nach anderen Rechtsvorschriften unzulässig, so sind die Preise derart auszuzeichnen, dass sie die in den Tankstellenbereich einfahrenden motorisierten Straßenbenützer vom Fahrzeug aus leicht lesen und zuordnen können. Diese Preisauszeichnungsvorschrift gilt allerdings nicht für Tankstellen, die in Verbindung mit einer Garage betrieben werden, wenn von dieser Tankstelle Treibstoff nur an Benützer der Garage abgegeben wird und überdies keine Werbung für den Vertrieb von Treibstoffen, insb auch nicht durch die Hinweistafel ,,Tankstelle'', erfolgt. Die §§ 6-8 PrAG enthalten Sonderregelungen für Gastgewerbetreibende. Sie haben Preisverzeichnisse für die angebotenen Speisen und Getränke in ausreichender Anzahl bereitzuhalten und jedem Gast vor der Entgegennahme von Bestellungen und auf Verlangen bei der Abrechnung vorzulegen. Kleinere Betriebe oder Selbstbedie-
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nungsbetriebe können statt dessen Preisverzeichnisse in den Gasträumen an leicht sichtbarer Stelle anbringen. Werden regelmäßig warme Speisen verabreicht oder verkauft, so ist überdies von außen lesbar neben oder in der Nähe der Eingangstür ein Preisverzeichnis anzubringen, in dem die Preise der angebotenen Speisen verzeichnet sind. In Beherbergungsbetrieben ist in jedem der Beherbergung dienenden Zimmer der Preis unter Angabe des Leistungsumfangs durch Anschlag oder Auflegen eines Preisverzeichnisses auszuzeichnen. Bei Telefongesprächen von nichtöffentlichen Sprechstellen ist der Preis für die Telefonate auf Grund der Gebührenimpulse zu berechnen, wobei der je Gebühreneinheit geforderten Preis auszuzeichnen ist. Darüber hinaus ist selbstverständlich auch § 112 Abs 4 GewO zu beachten: Alkohol anbietende Gastgewerbetreibende müssen mindestens zwei Sorten kalter nichtalkoholischer Getränke zu einem nicht höheren Preis ausschenken als das am billigsten angebotene kalte alkoholische Getränk und diese nach Maßgabe des PrAG besonders kennzeichnen; der Preisvergleich hat jeweils auf der Grundlage des hochgerechneten Preises für einen Liter der betreffenden Getränke zu erfolgen.
Die Preise sind einschließlich der Umsatzsteuer sowie aller sonstigen Abgaben und Zuschläge auszuzeichnen, dh als Bruttopreise; wird zusätzlich der Nettopreis angegeben, so ist der Bruttopreis in dessen unmittelbarer Nähe auszuzeichnen (§ 9 Abs 1 PrAG). Die Preise sind in österreichischer Währung auszuzeichnen; werden zusätzlich Teile des Preises oder der Preis in ausländischer Währung angegeben, so ist der österreichische Bruttopreis mindestens in gleicher Schriftgröße und Auffälligkeit zu schreiben (§ 9 Abs 2 PrAG). Bei Sachgütern ist der Preis für die Verkaufseinheit eines Sachgutes unter Angabe der handelsüblichen Gütebezeichnung und Verkaufseinheit auszuzeichnen (Verkaufspreis; § 10 PrAG). Bei vorverpackten und bei vorportionierten Sachgütern ist der Preis der Packung anzugeben. Wird bei Selbstbedienung der Verkaufspreis nicht auf dem Sachgut oder seiner Umhüllung (Behältnis) ersichtlich gemacht und wird zur Erstellung der Rechnung ein automatisches Ablesesystem (Scannerkassa) verwendet, so ist in der Rechnung beim Verkaufspreis des jeweiligen Sachgutes auch dessen handelsübliche Bezeichnung oder deren allgemein verständliche Abkürzung anzuführen. Bei Sachgütern, die nach Volumen, Gewicht, Länge oder Fläche angeboten werden, ist neben dem Verkaufspreis grundsätzlich auch der Preis je Maßeinheit103 (Grundpreis; § 10a PrAG) auszuzeichnen; erst dieser Preis je Maßeinheit ermöglicht dem Verbraucher den echten Preisvergleich. Lediglich bei nicht vorher verpackten, dh in losem Zustand zum Verkauf angebotene Sachgütern, die in Anwesenheit des Verbrauchers abgewogen oder abgemessen werden, braucht nur der Grundpreis angegeben werden; der Verkaufspreis kann ja nicht festgelegt werden, bevor der Konsument die gewünschte Menge angibt. Bei Sachgütern, bei denen das Abtropfgewicht anzugeben ist, ist der Grundpreis auf das angegebene Abtropfgewicht zu beziehen. Für bestimmte Sachgüter und für bestimmte kleine Unternehmen entfällt gemäß § 10b PrAG die Grundpreisauszeichnungspflicht.104 103
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Die Maßeinheit, auf die sich der Grundpreis bezieht, ist jeweils 1 Kilogramm, 1 Liter, 1 Meter, 1 Quadratmeter oder 1 Kubikmeter, sofern in einer Verordnung gemäß § 10c Abs 3 PrAG nicht anderes bestimmt ist. Nicht-Lebensmittel (sofern in einer Verordnung gemäß § 10c Abs 2 nicht anderes bestimmt ist); Sachgüter, die ein Nenngewicht oder Nennvolumen von weniger als 20 Gramm oder 20 Milliliter haben; verschiedenartige Sachgüter, die zu einem Ge-
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Und schließlich hat der BMWA gemäß § 10c PrAG durch Verordnung jene Lebensmittel oder Gruppen von Lebensmitteln festzulegen, bei denen die Auszeichnung des Grundpreises nicht erforderlich ist, weil sie auf Grund der Beschaffenheit oder Zweckbestimmung der Sachgüter nicht sinnvoll oder geeignet ist, bei den Verbrauchern zu Verwechslungen zu führen (so wird zB Bier nicht in 1-Liter-Flaschen angeboten) („Negativliste“). Weiters sind durch Verordnung andere Sachgüter als Lebensmittel oder nach Stück angebotene Sachgüter aufzulisten, bei denen der Grundpreis auszuzeichnen ist, wenn dies zur besseren Information der Verbraucher und für einen leichten und sicheren Preisvergleich durch die Verbraucher erforderlich ist („Positivliste“). Bei Bedarf kann der BMWA durch Verordnung für grundpreisauszeichnungspflichtige Sachgüter eine einzige andere Mengeneinheit als 1 Kilogramm, 1 Liter, 1 Meter, 1 Quadratmeter oder 1 Kubikmeter als Bezugsgröße für die Auszeichnung des Grundpreises festlegen, wenn diese andere Mengeneinheit für diese Sachgüter üblich ist und allgemein verwendet wird. Und schließlich können durch Verordnung neben den Unternehmern gemäß § 10b Abs 3 PrAG weitere Unternehmer von der Grundpreisauszeichnungspflicht ausgenommen werden, bei denen sonst eine übermäßige Belastung vorliegen würde. Gemäß § 1 GrundpreisauszeichnungsVO ist etwa bei folgenden Nicht-Lebensmitteln der Grundpreis auszuzeichnen: Farben und Lacke, Fliesen, Dünge- und Pflanzenschutzmittel, Tiernahrung, Wolle, Garne und Zwirne. Bei Gebäck, Eiern, Grapefruits, Zitronen, Kiwi und Paprika ist der Grundpreis pro Stück anzugeben (§ 2 leg cit). Bei ua Wurst, Käse, Schokolade, Zuckerwaren, Dauerbackwaren kann als Maßeinheit jeweils 100 Gramm oder 100 Milliliter verwendet werden; bei Bier ist die Maßeinheit 0,5 Liter, bei Zwirnen 1.000 Meter; bei Waschmitteln kann als Maßeinheit für den Grundpreis eine übliche Anwendung verwendet werden (§ 3 leg cit). Von der Verpflichtung zur Auszeichnung des Grundpreises sind gemäß § 4 leg cit ua folgende Lebensmittel ausgenommen: Qualitätswein, Konditorwaren, Gewürze und Gewürzmischungen, Kräuter und Kräutermischungen, Backhilfsmittel, Vanillezucker, Vanillinzucker und Germ und Spirituosen in Kleinpackungen.
Die Preise für Leistungen sind gemäß § 11 PrAG unter Angabe der Art und des Umfanges der Leistung auszuzeichnen.105 Wenn dies der Verkehrsübung entspricht, kann statt des Preises für die Gesamtleistung der Preis für eine Leistungseinheit angegeben werden. Preise, die für die Fahrt vom oder zum Verbraucher verlangt werden, sind unter der Bezeichnung Wegekosten zusammenzufassen und getrennt auszuzeichnen. Wird eine Mindestarbeitszeit, ein Mindestarbeitswert, eine Mindestwegzeit oder eine Mindest-
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samtpreis angeboten werden; Fertiggerichte sowie Sachgüter in konzentrierter Form, auf denen die zur Zubereitung erforderliche Flüssigkeitsmenge angegeben ist; Lebensmittel, wenn der Verkaufspreis wegen bevorstehender Erreichung des Mindesthaltbarkeitsdatums oder wegen drohender Gefahr des Verderbens herabgesetzt wird; Sachgüter ungleichen Nenngewichts oder -volumens oder ungleicher Nennlänge oder -fläche mit gleichem Grundpreis, wenn der Verkaufspreis kurzfristig um einen einheitlichen Betrag herabgesetzt wird; Unternehmer, in deren Gesamtunternehmen höchstens neun Beschäftigte vollzeitig tätig sind oder die ihr Unternehmen ausschließlich oder überwiegend in Form eines Bedienungsgeschäftes betreiben und in deren Gesamtunternehmen höchstens 50 Beschäftigte vollzeitig tätig sind, oder deren Betriebsstätte über eine Verkaufsfläche von maximal 250 m2 verfügt, sofern diese Betriebsstätte nicht Bestandteil eines Unternehmens ist, das mehr als zehn Filialen betreibt oder die auf Gelegenheitsmärkten iSd § 286 Abs 2 GewO oder durch mobile Verkaufseinrichtungen Sachgüter anbieten. ZB: 1 Tag unlimitierte Fitness-Geräte-Benutzung um 100 €, 5 Stunden PowerAerobic um 200 €, 2 Stunden Sauna-Bereich-Benutzung um 10 €, etc.
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wegstrecke verrechnet, so sind auch die Preise hiefür ersichtlich zu machen. Wird der Preis einer Leistungsstunde ersichtlich gemacht, so ist vom Unternehmer ein Verzeichnis aufzulegen, aus dem die für die einzelnen Leistungen zur Verrechnung kommenden Arbeitswerte zu ersehen sind. Werden für die Arbeit je nach Qualifikation oder Anzahl der zum Einsatz gelangenden Personen (Arbeitspartien) verschieden hohe Preise gefordert, so ist bei den einzelnen ersichtlich gemachten Preisen auch die für die unterschiedliche Preisgestaltung maßgebliche Qualifikation oder Anzahl der Personen anzuführen.
Wer in Österreich bei Letztverbrauchern für den Einkauf im Ausland wirbt, hat gemäß § 12 Abs 2 PrAG darauf hinzuweisen, dass zum angegebenen Preis noch die vom Käufer bei der Verbringung der Ware nach Österreich zu entrichtenden Eingangsabgaben, wie insb Zölle, Ausgleichsabgaben und Einfuhrumsatzsteuer, hinzukommen. Diese sind in unmittelbarer Nähe des angegebenen Preises in ihrer jeweiligen Höhe in gleicher Schriftgröße und Auffälligkeit auszuzeichnen und in einer gemeinsamen Gesamtsumme auszuweisen.106 Der BMWA kann durch Verordnung eine andere Art oder einen abweichenden Inhalt der Preisauszeichnung festlegen, wenn dies zur Ermöglichung eines leichten und sicheren Preisvergleichs erforderlich und nach der Übung des geschäftlichen Verkehrs tunlich ist oder die vorgesehene Preisauszeichnung für die Unternehmer eine übermäßige Erschwerung wäre und ein leichter und sicherer Preisvergleich nicht nennenswert beeinträchtigt wird (§ 14 PrAG). Solche Sonderregeln bestehen gemäß §§ 3 und 4 PreisauszeichnungsVO für Theaterkartenbüros und Rauchfangkehrer: Theaterkartenbüros haben auf einem Aushang in den für den Verkehr mit Privatpersonen bestimmten Räumen die Vergütungen für den Verkauf oder die Vermittlung von Eintrittskarten in Prozentsätzen der Kassenpreise auszuzeichnen. Rauchfangkehrer haben in der ersten Rechnung, die sie nach einer Änderung des Kehrgegenstandes oder des Tarifes legen, eine detaillierte Auflistung der einzelnen Rechnungspositionen vorzunehmen und einen Hinweis anzubringen, dass der Kunde den für ihn zutreffenden Tarif auf Wunsch bei ihnen beziehen kann, sowie für Leistungen, für die keine Höchsttarife behördlich festgesetzt sind, den Preis je Regiestunde in den für den Verkehr mit den Kunden bestimmten Räumen auszuzeichnen. Gemäß § 5 GrundpreisauszeichnungsVO können Unternehmer, die Warenautomaten betreiben, den Grundpreis der mittels Automaten vertriebenen Sachgüter auch mit Hilfe einer gut lesbaren, am Automaten angebrachten Liste auszeichnen.
C. Behörden und Verwaltungsübertretungen des PreisauszeichnungsG § 15 normiert den Verwaltungsstraftatbestand der Verletzung der Preisauszeichnungspflicht. Wer seine Pflicht zur Preisauszeichnung nicht erfüllt oder einen höheren als den ausgezeichneten Preis verlangt, annimmt oder sich versprechen lässt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist hiefür mit Geldstrafe bis 1.450 € zu bestrafen.107 Ebenso begeht eine Verwaltungsübertretung und ist zu bestrafen, wer bei Selbstbedienung im Falle einer Preisänderung bei 106 107
Nach OGH SZ 67/160 ist diese Bestimmung gegenüber Unternehmen aus EWRStaaten nicht anzuwenden. Fraglich ist, ob diese Sanktion „wirksam und abschreckend“ ist, wie dies von Art 8 PreisangabenRL gefordert wird.
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einem Sachgut nach dessen Entnahme durch den Kunden einen höheren als den im Zeitpunkt der Entnahme ausgezeichneten Preis verlangt, annimmt oder sich versprechen lässt.108 Strafbar ist daher die Auszeichnung eines unrichtigen Preises - oder anders formuliert: Es ist jener Preis anzugeben, der (maximal) verlangt wird; ein höherer als der „angeschriebene“ Preis darf nicht verlangt werden. Die Verletzung der Preisauszeichnungsvorschriften wird darüber hinaus in aller Regel auch einen von den Gerichten zu ahndenden Verstoß gegen die guten Sitten im Wettbewerb darstellen (§ 1 UWG).109 Grundsätzlich ist der Geschäftsführer bzw Filialgeschäftsführer strafrechtlich verantwortlich und sind die Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen daher gegen ihn zu verhängen. Der Unternehmer ist neben dem Geschäftsführer bzw Filialgeschäftsführer strafbar, wenn er die Verwaltungsübertretung wissentlich duldet oder wenn er bei der Auswahl des Geschäftsführers bzw Filialgeschäftsführers es an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen lassen.110 Darüber hinaus haftet der Unternehmer für die über den Geschäftsführer oder Filialgeschäftsführer verhängten Geldstrafen, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand. Die Überwachung der Einhaltung der Preisauszeichnungspflicht und die Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren obliegen den Bezirksverwaltungsbehörden (§ 16 PrAG);111 das PrAG wird daher von den Landesbehörden in mittelbarer Bundesverwaltung vollzogen. Zweite Instanz in Verwaltungsstrafsachen ist der örtlich zuständige UVS. Soweit im Bereich der Länder besonders geschulte Organe bestehen, können diese für die Preisüberwachung im betreffenden Bundesland herangezogen werden; diese mit der Überwachung der Einhaltung der Preisauszeichnungspflicht beauftragten Organe dürfen Geschäftsräume während der Öffnungszeiten betreten, um die zur Erfüllung ihrer Aufgabe notwendigen Erhebungen durchzuführen (§ 16 Abs 2 und 3 PrAG).
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Eine „Preisänderung während des Einkaufens“ wäre etwa bei zentral gesteuerten elektronischen Kassen leicht möglich. Vgl OGH SZ 67/160 mwN. Vgl VwGH 19. 5. 1994, 93/17/0332: Aus der Subsidiaritätsanordnung des § 9 Abs 1 VStG ergibt sich, dass Bestimmungen der Verwaltungsvorschriften (hier: PrAG) den Regeln des § 9 VStG vorgehen. Zu dem nach § 5 Abs 1 zweiter Satz VStG anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab hat der VwGH wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die im heutigen Wirtschaftsleben notwendige Arbeitsteilung es zwar nicht zulässt, dass sich der Unternehmer (bzw strafrechtlich Verantwortliche) aller Belange und Angelegenheiten selbst persönlich annimmt, es ihm vielmehr zugebilligt werden muss, die Besorgung einzelner Angelegenheiten anderen Personen selbstverantwortlich zu überlassen und die eigene Tätigkeit in diesen Belangen auf das Setzen von möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu beschränken, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten lassen Es reicht allerdings die bloße Erteilung von Weisungen nicht aus, vielmehr ist entscheidend, ob auch eine wirksame Kontrolle der erteilten Weisungen erfolgte. Zum Tatort bei Verletzung der Preisauszeichnungspflicht in verschiedenen Filialen vgl VwSlg 15061 A/1998.
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D. Auswahl sonstiger Preisauszeichnungsvorschriften Weitere Preisauszeichnungsregeln finden sich in der GewO oder in Verordnungen auf Basis der GewO sowie in zahlreichen anderen Bundes- oder Landesgesetzen oder -verordnungen. Einige Beispiele werden im Folgenden angeführt. § 69 Abs 2 GewO ermöglicht die Erlassung von Ausübungs- und Standesregeln für alle Gewerbe. Vor allem können gemäß § 69 Abs 2 Z 5 GewO Höchstbeträge der gebührenden Provisionssätze oder sonstigen Vergütungen für Arbeitsvermittler, Immobilienverwalter, Personalkreditvermittler und Inkassoinstitute normiert werden. Lediglich die Immobilienmakler-Standesregeln (§ 13 VO BGBl 1996/297 idgF) und die Personalkreditvermittler-Standesregeln (§§ 8 und 9 VO BGBl 1996/505 idgF) enthalten Preisauszeichnungsvorschriften: Sie haben in ihren Geschäftsräumen die zulässigen Höchstbeträge ersichtlich zu machen (wobei die Personalkreditvermittler uU auch Zinssätze und Kreditkosten angeben müssen), und zwar auch dann wenn sie in Schaufenstern, Schaukästen (oder durch andere Werbemittel, wie etwa Flugblätter oder Falter) die Vermittlung von Rechtsgeschäften betreffend bestimmte Objekte oder von Krediten anbieten.112 Auch Textilreiniger haben für ihre Leistungen und Preise in den für den Kundenverkehr bestimmten Räumlichkeiten ersichtlich zu machen.113 Die Taxi-Betriebsordnungen auf Grund des GelegenheitsverkehrsG enthalten Vorschriften für die Bekanntgabe des Fahrpreises durch die Taxameter sowie vereinzelt über die Veröffentlichung der Tarifsätze: Die Fahrpreisanzeiger müssen beleuchtbar und geeicht sein; der Fahrgast muss den Fahrpreisanzeiger jederzeit ungehindert ablesen können, bei Dunkelheit ist der Fahrpreisanzeiger (ausreichend) zu beleuchten.114 Vereinzelt sind die Fahrpreise bzw Tarifsätze am Armaturenbrett115 bzw an den 112
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Machen Immobilienmakler Kaufpreisangaben in Inseraten, so ist im Falle der Angabe einer Anzahlung auf die Höhe der laufenden Rückzahlung sowie auf den Gesamtbetrag hinzuweisen (§ 6 Abs 2 Immobilienmakler-Standesregel). Vgl weiters § 35 BankwesenG: Kreditinstitute haben im Kassensaal auszuhängen Angaben über die Verzinsung von Spareinlagen, über die allenfalls für Dienstleistungen im Zusammenhang mit Spareinlagen und für sonstige Dienstleistungen im Privatkundenbereich verlangte Entgelte, über den effektiven Jahreszinssatz von Verbraucherkrediten und den fiktiven Jahreszinssatz (allenfalls an Hand repräsentativer Beispiele) sowie die Kosten für Zahlungsverzug und die Überziehung von Verbrauchergirokonten. § 1 der VO BGBl 1979/185 idgF über die Ersichtlichmachung bei Chemischputzereiarbeiten. §§ 17 iVm 36 Abs 3 Bgld Betriebsordnung für den nichtlinienmäßigen Personenverkehr, LGBl 1994/28 idgF; §§ 25 iVm 32 Abs 5 Krnt gewerbepolizeiliche Ausübungsregeln für das Taxi-, Mietwagen und Gästewagengewerbe, LGBl 1993/125 idgF; § 12 Abs 1 NÖ-Taxi-Betriebsordnung, LGBl 7001/20 idgF (ohne ausdrückliche Beleuchtungspflicht); §§ 27 iVm 36 Abs 5 OÖ Taxi-, Mietwagen- und Gästewagen-Betriebsordnung, LGBl 1994/21 idgF; §§ 24 iVm 33 Abs 2 Sbg Taxi-, Mietwagen- und Gästewagen-Betriebsordnung, LGBl 1994/56 idgF; §§ 7 Abs 2 iVm 15 und 25 Abs 3 Stmk Betriebsordnung für den nichtlinienmäßigen Personenverkehr, Grazer Zeitung - Amtsblatt für die Steiermark 2000/213 (für Taxis mit Standort Graz, Leoben oder Feldkirchen); § 15 Tir PersonenbeförderungsBetriebsordnung, LGBl 2000/48 idgF (für Taxis in Gemeinden mit festgelegtem Taxitarif); §§ 7 iVm 9 Abs 6 Vbg Landesbetriebsordnung für den nichtlinienmäßigen Personenverkehr, LGBl 1995/13 idgF; § 29 Abs 5 Wr Taxi-, Mietwagen- und Gästewagen-Betriebsordnung, LGBl 1993/71 idgF. Vereinzelt wird sogar angeordnet, dass nur richtig eingestellte (zB § 33 Abs 3 Sbg) bzw richtig anzeigende (zB § 36 Abs 7 OÖ, § 9 Abs 8 Vbg) Fahrpreisanzeiger verwendet werden dürfen.
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hinteren Seitenscheiben116 ersichtlich zu machen. Fahrten dürfen durch Ankündigung von Abfahrtszeiten, Fahrzielen, Fahrzeiten etc nur angeboten werden, wenn das Fahrzeug gleichzeitig bereit gehalten wird; in fast allen Bundesländern ist jedoch das Aufstellen von Fahrpreistafeln explizit erlaubt.117 Das Bundesgesetz über die Preisbindung bei Büchern (BuchpreisbindungsG)118 zielt auf eine Preisgestaltung ab, die auf die Stellung von Büchern als Kulturgut, die Interessen der Konsumenten an angemessenen Buchpreisen und die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten des Buchhandels Bedacht nimmt. Der Verleger oder Importeur hat den Buchletztverkaufspreis119 im Internet120 oder in geeigneten anderen Medien rechtzeitig vor dem ersten Inverkehrbrignen oder vor jeder Preisänderung bekannt zu machen. Der Letztverkaufspreis darf bei der Veräußerung um höchstens 5 % unterschritten werden,121 wobei im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs eine solche Preisreduktion nicht angekündigt werden darf. Verstöße gegen das BuchpreisbindungsG gelten als Handlungen iSd § 1 UWG.122 Salzburger Tanzschulen haben die Preise ihrer typischen Dienstleistungen in Verzeichnissen, welche in den Tanzschulräumen im Bereich des Eingangs an leicht sichtbarer Stelle anzubringen sind, deutlich erkennbar als Bruttopreise auszuzeichnen (§ 15 Sbg TanzschulG, LGBl 1952/12 idgF). Auf jeder Nummer eines inländischen periodischen Druckwerks, das zum Verkauf an öffentlichen Orten bestimmt ist, muss der Preis deutlich vermerkt sein (§ 47 Abs 3 MedienG, BGBl 1981/314 idgF).
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§ 23 Krnt, § 6 Tir, § 22 Sbg (mit dem Zusatz, dass die Angaben eindeutig und gut lesbar sein müssen). § 16 Abs 1 Stmk. § 30 Bgld, § 36 Krnt, § 17 NÖ, § 40 OÖ, § 36 Sbg, § 9 Vbg, § 32 W. In Tirol fehlt die Erlaubnis zur Aufstellung von Fahrpreistafeln, die Stmk Betriebsordnung enthält keine Regelung über die Ankündigung von Fahrten oder das Placieren von Preisübersichten. Wegen eines zu weit gefassten bzw zu undeutlichen Anfechtungsbegehrens wurde der Antrag auf Aufhebung des gesamten Gesetzes vom VfGH ebenso zurückgewiesen wie ein Antrag auf Aufhebung des § 1 (VfSlg 16001/2000, 16507/2002). Verfassungsrechtliche Bedenken äußert Schneider, Buchpreisbindung verfassungskonform? ecolex 2000, 852. Der Letztverkaufspreis ist der bei der Veräußerung an den Letztverbraucher, dh an eine Person, welche die Ware nicht für den Weiterverkauf erwirbt, einzuhaltende Mindestpreis exklusive Umsatzsteuer. Vgl www.buchwirtschaft.at oder www.buecher.at. Eine verbindliche Festlegung eines Endverkaufspreises durch den Verleger oder Importeur scheint zwar zunächst mit dem freien Warenverkehr und dem EGWettbewerbsrecht zu kollidieren, kann aber trotzdem europarechtskonform sein; vgl zuletzt etwa EuGH, Rs C-9/99, Echirolles Distribution SA, Slg 2000, I-8207. Vgl weiters Willheim, Gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit des neuen Buchpreisbindungsgesetzes, ecolex 2000, 848, der auch einen Überblick über die österreichische Auseinandersetzung gibt. Vgl dazu Eixelsberger, „Sittenwidrigkeit“ kraft gesetzlicher Fiktion? ÖBl 2001, 243 ff.
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V. Öffentliches Werberecht A. Grundrechtliche Rahmenbedingungen Getreu dem Motte „wer nicht wirbt, der stirbt“ wird Marketing als ein ganz wesentliches Element einer erfolgreichen Erwerbstätigkeit betrachtet. Art 6 StGG123 schützt im Grunde jede Form der wirtschaftlichen, auf Erwerb ausgerichteten Betätigung vor staatlichen Beschränkungen; Berufszugangsbeschränkungen und Berufsausübungsbeschränkungen sind allerdings bis zu einem gewissen (unterschiedlichen) Ausmaß möglich. Da nach der stRspr des VfGH gesetzliche Beschränkungen der Erwerbsfreiheit nur zulässig sind, wenn sie durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet und adäquat auch sonst sachlich zu rechtfertigen sind, können Werbeverbote oder -beschränkungen besonders leicht mit dem Grundrecht kollidieren.124 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung sei am Beispiel der Tabakwerbung125 dargestellt.126 Ein gänzliches Werbeverbot für Tabakwaren wäre unter dem Aspekt der Geeignetheit nur verhältnismäßig, wenn anzunehmen ist, dass die gesundheitsschädigenden Auswirkungen des Rauchens verringert werden können, wenn für Zigaretten nicht mehr geworben werden darf. Die Eignung müsste hingegen verneint werden, wenn sich die Behauptung verifizieren ließe, dass durch die Tabakwerbung in Wahrheit der Umsatz schadstoffarmer Zigaretten gefördert und im Ergebnis durch die Werbung die schädigenden Auswirkungen verringert und nicht vermehrt werden. Ein umfassendes Werbeverbot wäre unter dem 123 124 125
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Vgl zur Erwerbsfreiheit Berka (FN 84), Rz 745 ff. Vgl etwa VfSlg 8646/1979 und 10718/1985 zum Werbeverbot für Kontaktlinsenoptiker. Die Tabakwerbung war Anknüpfungspunkt für eine europarechtliche Diskussion über die Zulässigkeit von Werbebeschränkungen. Nachdem zunächst Art 13 der RL 89/522/EWG über die Ausübung der Fernsehtätigkeit jede Form der Fernsehwerbung für Zigaretten und andere Tabakerzeugnisse untersagte, wurde im Juli 1998 die TabakwerbeRL 98/43/EG (Abl L 213/9) erlassen, die jede direkte oder indirekte Tabakwerbung untersagte. In der damit zusammenhängenden wissenschaftlichen Diskussion wurden mehrere Rechtswidrigkeiten moniert, insb aber die Wahl der falschen Rechtsgrundlage sowie verschiedene Grundrechtswidrigkeiten (Meinungsfreiheit, Berufsfreiheit, Gleichheitssatz, Verhältnismäßigkeit); vgl dazu aus österreichischer Sicht insb Leidenmüller, Tabak, Werbung und das Europarecht, ecolex 1999, 138; I. Eisenberger/Urbantschitsch, Tabakwerbe-Richtlinie: Gemeinschaftsund verfassungsrechtliche Fragestellungen, ÖZW 1998, 106; Leitner, Die Tabakwerberichtlinie und der Binnenmarkt, ecolex 2000, 695; I. Eisenberger/Urbantschitsch, Harmonisierung und Gesundheitsschutz, ecolex 2000, 843; Raschauer, Ultra-vires-Akte der Europäischen Gemeinschaften, ÖJZ 2000, 241. Der EuGH (Rs C-376/98, Deutschland gegen Parlament und Rat, Slg 2000, I-8419; Rs C-74/99, Imperial Tobacco Ltd ua, Slg 2000, I-8599) hat die TabakwerbeRL, deren erklärtes Ziel der Gesundheitsschutz ist, wegen fehlender Rechtssetzungskompetenz aufgehoben, zugleich aber darauf hingewiesen, dass für ein Verbot bestimmter Tabakwerbung, nämlich in Zeitungen und Zeitschriften, auf der Grundlage des Art 95 EG zulässig gewesen wäre. Die Nachfolgeregelung ist RL 2003/33/EG über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen (Abl L 152/16). Die Regelung über die Warnhinweise auf Tabakwaren, nämlich RL 2001/37/EG (Abl L 194/26) hielt der EuGH (C-491/01, British American Tobacco, Slg 2002, I-11453) für gültig. Beispiel aus Berka (FN 84), Rz 271 ff.
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Aspekt der Notwendigkeit verhältnismäßig, wenn es kein anderes dem Staat zugängliches und die Grundfreiheiten weniger beeinträchtigendes Mittel gibt, um die gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Rauchens zurückzudrängen. Wenn daher bloße Warnhinweise auf Zigarettenpackungen, staatliche Aufklärungsaktionen127 oder das Verbot bestimmter Werbeformen ausreichen, um den Konsum von Zigaretten zurückzudrängen, könnte man die Verhältnismäßigkeit in Frage stellen.128 Wie sich Werbebeschränkungen auf den Tabakkonsum auswirken, ist umstritten; freilich darf der Gesetzgeber Werbebeschränkungen schon dann verfügen, wenn gute Gründe für die Annahme sprechen, dass sie ein geeignetes und notwendiges Mittel des Gesundheitsschutzes sind. Um die mit dem Zigarettenkonsum verbundenen Gesundheitsgefährdungen wirksam abzuwehren, wäre ein umfassendes Verbot des Rauchens sicherlich geeignet und nach mancher Ansicht vielleicht auch notwendig. Trotzdem wäre ein solches Verbot ein so schwerer Eingriff in die individuelle Freiheit, dass es - zumindest nach den heutigen Wertvorstellungen - schwer vorstellbar wäre, dass ein solches Verbot als verhältnismäßig im engeren Sinn („adäquat“) angesehen werden könnte, zumal der Staat auch andere Formen129 der Selbstgefährdung hinnimmt.130 Werbebeschränkungen sind aber nicht nur an der Erwerbsfreiheit,131 sondern auch an der Meinungsäußerungsfreiheit zu messen. Dabei war die Entscheidung VfSlg 10948/1986 in Sachen Werbefreiheit ein Meilenstein: „Das in Art 10 EMRK gewährleistete `right to freedom of expression´ oder `droit a la liberte d´expression´, das durch die deutsche Übersetzung `Anspruch auf freie Meinungsäußerung´ nur unzulänglich wiedergegeben wird (weil es - wie es im authentischen Text heißt - `shall include freedom to hold opinions´ oder `comprend la liberte d´opinion´), schließt die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden ein. In den Schutzbereich des Art 10 EMRK fällt auch die sogenannte kommerzielle Werbung. Die Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen geht offenkundig über die Äußerung von Meinungen im engeren Sinn hinaus. Nachrichten oder Ideen übermitteln und das Verhalten des angesprochenen Publikums beeinflussen wollen auch Werbeaussagen. Dieses Ziel von anderen 127 128 129
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Vgl etwa Praschl, Anti-Rauchwerbung, 1987. Obligatorische Warnhinweise auf Tabakerzeugnissen sind nach BVerfGE 95, 173 verfassungsmäßig. So besteht etwa keine Werbebeschränkung für staatliche Glücksspiele (vgl GlücksspielG, BGBl 1989/620 idgF). Ganz im Gegenteil; der Bund hat für die generelle mediale Unterstützung - ausgenommen die Werbung ieS wie insb Inserate und Werbesendungen - der vom Konzessionär betriebenen Glücksspiele zu sorgen; wenn der Konzessionär selbst die mediale Werbung betreibt, kann sich dieser einen bestimmten Anteil der von ihm abzuführenden Konzessionsabgabe abziehen, weil er dadurch den Bund von seiner gesetzlichen Verpflichtung entlastet (vgl § 17 Abs 7 leg cit). Zum Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlichen Schutzmaßnahmen vgl etwa Faber, Gesundheitliche Gefahren des Tabakrauchens und staatliche Schutzpflichten, DVBl 1998, 745. Eine besondere Rolle spielt die Einschränkung der Erwerbsfreiheit vor allem für die Werbegewerbe (vgl unten V.C.); umfassende Werbeverbote könnten diese letztlich um ihre Berufsausübungsmöglichkeiten bringen.
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beabsichtigten Wirkungen zu trennen, ist praktisch unmöglich. Dazu kommt, daß Art 10 EMRK nicht auf einen bestimmten Zweck der Äußerung abstellt, sondern vielmehr offene Kommunikationsprozesse in allen gesellschaftlichen Teilbereichen garantieren will. Demnach genießt auch wirtschaftliche Werbung durch Anzeigen den Schutz des Art 10 EMRK, kann allerdings schärferen Einschränkungen unterstellt werden als der Ausdruck politischer Ideen.“ Seither132 judiziert der VfGH in stRspr, dass auch kommerzielle Werbung im Schutzbereich des Art 10 EMRK liegt133 und dass generelle Werbeverbote insb für freie Berufe134 - unzulässig sind, da sie nicht ausreichend auf das Bedürfnis der Kunden oder Patienten an nützlicher und sachlicher Information Rücksicht nehmen würden.135 Weil die Ausübung der Meinungsfreiheit aber Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie gemäß Art 10 Abs 2 EMRK bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse taxativ aufgezählter Ziele unentbehrlich sind.136 Das für Ärzte geltende standesrechtliche Verbot einer Selbstanpreisung oder eines reklamehaften Herausstellens in aufdringlicher, marktschreierischer Weise ist nach Ansicht des VfGH aber angesichts des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient nicht zu beanstanden, zumal es durch den „Schutz der Gesundheit“
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In VfSlg 4087/1961 („Zeitungsannoncen“) sprach der VfGH noch aus, dass diese nicht mit einer Meinungsäußerung zu tun hätten, in VfSlg 8142/1977 („Spirituosenwerbung im Rundfunk“) zog er die Meinungsäußerungsfreiheit gar nicht erst heran. Vgl etwa VfSlg 12394/1990, 12467/1990, 12942/1991, 13128/1992, 13675/1994, 15480/1999, 15481/1999. Weil eine wirtschaftsbezogene Information auch durch Werbung zu den Bedingungen eines marktregulierten Wirtschaftssystems gehört und das Grundrecht ganz generell offene Kommunikationsprozesse garantieren will, entspricht dieses Ergebnis auch der Teleologie der Meinungsäußerungsfreiheit (so Berka (FN 84), Rz 547). Zu einem besonderen Aspekt der Meinungsäußerungsfreiheit, nämlich dem Schutz vor aufgedrängter Information, vgl Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1996. Vgl dazu Dujmovits, Recht der freien Berufe, in diesem Handbuch. Vgl etwa VfSlg 12886/1991, 13554/1993, 13675/1994, 15291/1998, 15292/1998. In Deutschland entbrannte die Diskussion um den grundrechtlichen Schutz und die grundrechtlichen Schranken kommerzieller Werbung vor allem durch die BenettonWerbung, die Bilder von Kinderarbeit in der Dritten Welt, einer ölverschmutzten Ente und einem Stempelaufdruck „H.I.V. Positive“ verwendete. Der deutsche BGH löste das Spannungsverhältnis zwischen Wettbewerb und Kommunikationsfreiheit, in dem er die Werbung wegen Wettbewerbswidrigkeit untersagte (vgl NJW 1995, 2488; NJW 1995, 2490; NJW 1995, 2492) und wurde dafür von der deutschen Lehre fast durchwegs kritisiert. Das BVerfG (12. 12. 2000, 1 BvR 1762/95, 1 BvR 1787/95) stellte fest, dass dieses Verbot gegen das Grundrecht der freien Meinungsäußerung verstieß und führte aus, dass „ein von Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers kein Belang [sei], zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf. Das könne dann anders sein, wenn Ekel erregende, Furcht erregende oder jugendgefährdende Bilder gezeigt würden.“ Außerdem erklärte das BVerfG, dass einem Verlag der Abdruck von Inseraten nicht untersagt werden dürfe, wenn das werbende Unternehmen für sich das Recht der freien Meinungsäußerung in Anspruch nehmen könne.
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(Art 10 Abs 2 EMRK) gerechtfertigt werden könne.137 Werbebeschränkungen, die für den „Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer“ unentbehrlich sind, sind nach VfSlg 13128/1992 auch für Wirtschaftstreuhänder zulässig; im Interesse des „Ansehens der Rechtsprechung“ ist ein nahezu absolutes Wirtschaftstreuhänder-Werbeverbot allerdings nicht erforderlich. Auch ein weitreichendes Werbeverbot für Rechtsanwälte wurde trotz der Beschränkungsmöglichkeit des Art 10 Abs 2 EMRK „zum Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer und des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung“ vom VfGH in VfSlg 12942/1991 bemängelt; das Verbot, sich als Anwalt in den Vordergrund zu stellen und nicht bloß Sachinformationen über die berufliche Tätigkeit zu erwähnen, wurde hingegen in VfSlg 12467/1990 akzeptiert. Auch die Führung einer weiteren Berufsbezeichnung (zB „Befugter Zivilingenieur für Elektrotechnik“) muss nach VfSlg 12886/1991 erlaubt sein. Anwälte müssen bei Werbemaßnahmen die Würde des Standes so weit wahren, dass das Ansehen der Rechtsprechung nicht gefährdet wird; dies erlaube nach VfSlg 12467/1990 und 12579/1990 aber nicht marktschreierische Hinweise auf bestimmte Qualifikationen oder Leistungsangebote. Für ein umfassendes Werbeverbot für Tierärzte sah der VfGH in VfSlg 13675/1994 keine Rechtfertigung.
Angemerkt sei schließlich noch, dass Werberegelungen auch die Eigentumsgarantie berühren können. Wenn plakatierfähige Hausmauern oder Grundstücke in Autobahnnähe nicht mit Werbebotschaften versehen werden dürfen, liegt darin eine Nutzungsbeschränkung. Das Gleiche gilt, wenn der Gesetzgeber dem Wareneigentümer verbietet, das Produkt zwar augenfällig, aber in Form einer „Mogelpackung“ irreführend zu verpacken. Auch mag man im Werbeverbot einen Eingriff in die Privatautonomie sehen, weil dadurch der Kreis der möglichen Vertragspartner reduziert wird; weil das Eigentumsgrundrecht aber nur vermögenswerte Privatrechte schützt, dh Rechtspositionen, nicht aber bloße wirtschaftliche Interessen,138 wird es bei Werbebeschränkungen idR nicht erfolgversprechend eingewendet werden können. Und besonders zu erwähnen ist schließlich noch die Presse- und Rundfunkfreiheit. Die Beschränkung von Inseraten und Werbespots in Print- und Funkmedien ist zwar durchaus grundrechtsrelevant; da allerdings der Grundrechtsträger hier139 ausschließlich das Presse- oder Rundfunkunternehmen, 137
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Vgl etwa VfSlg 11947/1989, 14561/1996, 15611/1999, 16296/2001, 16351/2001, 16608/2002; VfGH 30. 11. 2004, B 1142/04. Nicht ganz ersichtlich ist allerdings, wieso die Bestrafung eines Zahnarztes wegen der Verwendung einer Grafik, die seinen Namen bildlich mit einem Knochen in Verbindung bringt, mit dem „Schutz der Gesundheit“ gerechtfertigt werden kann (vgl VfSlg 15481/1999). Ebenso fraglich ist mE wieso der bloße Hinweis auf ärztliche Qualifikationen eines Gesellschafters oder Mitarbeiters eine marktschreierische Werbung sein soll (vgl VfSlg 15480/1999). Der VfGH tolerierte in VfSlg 15481/1999 auch, dass die belangte Behörde den Begriff der marktschreierischen Information auch nach der Form der Werbung und nicht wie der OGH in Anwendung des UWG bloß nach ihrem Inhalt beurteilte. Vgl etwa VfSlg 12485/1990: Beschränkung wirtschaftlicher Chancen durch LkwNachtfahrverbot; VfSlg 11632/1988: Erschwernisse für potenzielle Hotelgäste; VfSlg 9876/1982: Wertminderung eines Grundstücks durch Flächenwidmung. Träger der Werbefreiheit des Art 10 EMRK sind hingegen diejenigen, die für ihre Produkte oder Leistungen Werbemittel einsetzen wollen, sowie die Werbeagenturen, die sich mit der Vermittlung von Werbung befassen (vgl VfSlg 10948/1986); außerdem aber auch ein Medienunternehmen, das fremde Werbeeinschaltungen für die Produktion und den Vertrieb seines eigenen Produkts verwendet (vgl etwa VfSlg 14635/1996).
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niemals aber der werbende Dritte ist, ist der Schutz für den Wirtschaftstreibenden nur ein geringer bzw mittelbarer. Für die Medien, die sich zu einem Großteil über Werbeeinnahmen finanzieren, spielen die grundrechtlichen Schranken für hoheitliche Werbebeschränkungen aber eine große Rolle. So wurde etwa in VfSlg 14635/1996 ein absolutes Verbot kommerzieller Werbung beim Betrieb von Kabelrundfunk als verfassungswidrig gewertet. Nach VfSlg 10948/1986 durfte der ORF Werbeaufträge von konkurrierenden (Print-)Medienunternehmen nicht grundlos ablehnen. Unter den geänderten Rahmenbedingungen einer vermehrten Medienvielfalt (insb durch den Wettbewerb zwischen und mit in- und ausländischen (Privat-)Rundfunkanbietern) besteht ein solcher „Kontrahierungszwang zur Hintanhaltung unsachlicher Differenzierungen zwischen verschiedenen Wirtschaftssubjekten der gleichen Branche“ allerdings nur mehr eingeschränkt; nach neuerer Rspr muss der ORF bei der Vergabe von Werbezeiten nach objektiv-sachlichen Kriterien vorgehen.140
B. Werbebeschränkungen Bereits angesprochen wurde die Befugnis des Gesetzgebers, die grundrechtlich gewährte und geschützte Werbefreiheit zu Zwecken der Gefahrenabwehr im Rahmen des Verhältnismäßigen zu beschränken oder zu verbieten. Im Hinblick auf den materiellen Gesetzesvorbehalt des Art 10 Abs 2 EMRK kommen dabei vor allem die Tatbestände „Schutz der Gesundheit“ und der „Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ in Betracht. Werbebeschränkungen können mit Raschauer141 in personenbezogene, produktbezogene, ortsspezifische und medienspezifische Werbebeschränkungen unterteilt werden. Unter die personenbezogene Werbebeschränkungen fallen Regelungen zu Lasten einzelner Berufsgruppen oder aber zum Schutz bestimmter Personengruppen. Hinsichtlich der produktbezogene Werbebeschränkungen sind Bedenken nicht von der Hand zu weisen, wenn die Werbung für ein Produkt142, das legal produziert, eingeführt oder angeboten wurde, eingeschränkt wird.143 Ist das Produkt als solches nicht zu beanstanden, dann 140
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VfSlg 15533/1999. Dass der ORF in seinen Fernsehprogrammen nur beschränkt für seine eigenen Hörfunkprogramme (und umgekehrt) werben darf (§ 13 Abs 9 ORFG, BGBl 2001 I/83), Werbesendungen konkurrierender Rundfunkunternehmer aber uneingeschränkt ausstrahlen muss, ist verfassungskonform (VfSlg 17006/2003). Zu unzulässiger cross-promotion vgl VfGH 13. 6. 2005, B 160/05. Raschauer, Werbung und Verfassung, in: Aicher (Hrsg), Das Recht der Werbung, 1984, 19, 34 ff. Als Produkt ist hier nicht nur eine Ware ieS, sondern auch eine Dienstleistung zu verstehen. Vgl Raschauer (FN 141), 36: „... daß neue Aufgaben dem Staat erst durch Verfassungsakt übertragen werden müssen, und nicht in einer originären Allgewalt wurzeln. In diesem Sinn ermächtigt die Verfassung den Staat zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung, zur Ordnung des billigen Ausgleichs der Belange der einzelnen, zur Abwehr von Gefahren für Leben, Freiheit, Gesundheit und Eigentum des Menschen innerhalb der einzelnen Kompetenzbereiche. Unsere Verfassung ermächtigt den Staat aber nicht zur `Besserwisserei´. Wenn der Staat den Bürgern die Entscheidung über das eigene Wohl und Wehe vorenthält, so handelt er grundsätzlich ultra vires. Der Eigenberechtigte soll über seine Vernunft und Unvernunft selbst entscheiden, soweit dem Staat nicht unzweideutig die Kompetenz zur `Besserwisserei´ übertragen ist.“
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sollten Werbebeschränkungen dafür in aller Regel unzulässig sein; es sei denn, dass die vom Staat zu unterbindende Gefährdung von den Werbungsinhalten ausgeht; wenn also etwa die mit einem Produkt verbundenen Gefahrenpotenziale erkennbar herunter gespielt werden oder gesetzliche Aufklärungspflichten verletzt werden. Ortsspezifische Werbebeschränkungen betreffen die Verbreitungsmöglichkeiten, also zB die Frage der Verwendung von Hausmauern als Plakatfläche, die Beschränkung der Werbung in Schulen, etc. Medienspezifische Werbebeschränkungen enthalten Restriktionen für die Träger der Werbebotschaft, seien das nun Zeitungsinserate, Flugblätter, Radiospots oder Laserprojektionen.144 Pauger145 unterscheidet aus verwaltungspolizeilicher Sicht zwischen Werbeinhaltsnormen, Werbemediennormen und Werbegestaltungsnormen. Werbeinhaltsnormen sind Regelungen, die Werbeaussagen aus verwaltungspolizeilichen Gründen inhaltlichen Beschränkungen unterwerfen, wenn also etwa ein Werbespot die Menschenwürde nicht verletzen oder rechtswidrige Praktiken fördern darf. Werbemediennormen enthalten Regelungen für jene Verbreitungsmittel, die eine Überbringung der Werbebotschaft an den Adressaten ermöglichen (zB Inserat, Radiospot, Werbegeschenk). Werbegestaltungsnormen schließlich regeln die äußere Gestalt und Erscheinungsform von Werbemaßnahmen; nicht der Inhalt der Werbeaussage oder das Trägermedium sind relevant sondern „sonstige“ Regelungsbereiche (zB der Schutz der Umwelt, des Verkehrs, etc). Pauger schrieb zutreffend, dass die Fülle, unter der ein relativ einfacher Sachverhalt wie die Werbung zu leiden hat, unverständlich sei; die Pflichtenfülle überfordere den Bürger, die Aufgabenfülle überlaste die Behörden und jeder Regelungsperfektionismus übersehe, dass das Leben meist erfinderischer ist als der Gesetzgeber.146 Es soll daher im Folgenden erst gar nicht versucht werden, die einfachgesetzlichen Werbebeschränkungen der österreichischen Rechtsordnung aufzulisten. Auch auf eine Kategorisierung wird im Folgenden verzichtet.147 Vielmehr werden einzelne (bekannte und weniger bekannte) Beispiele herausgegriffen. 144
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Zu Recht weist Raschauer (FN 141), 42 f darauf hin, dass ein punktuelles Werbeverbot, dass alle anderen Werbemedien unberücksichtigt lässt, nur der Ironisierung des Gesetzes dienen könne: „Denn wenn der Jugendliche in Zeitungen, im Kino und an Plakaten erfährt, dass richtige Männer Whiskey trinken und dass sich die große weite Welt nur mit einer Marlboro auftut, dann ist ein Werbeverbot für Whiskey und Zigaretten im ORF allein eher eine Frotzelei. Wenn schon, dann bedürfte es eines aufeinander abgestimmten Systems für alle Werbemedien.“ Pauger, Presserechtliche und verwaltungspolizeiliche Probleme der Werbung, in: Aicher (Hrsg), Das Recht der Werbung, 1984, 96, 101 ff. Pauger (FN 145), 166. Vgl dazu die zahlreichen Beispiele bei Pauger aao sowie bei Raschauer, Verbraucherschutzrechtliche Dimensionen im Wirtschaftsordnungs- und Wirtschaftsaufsichtsrecht, in Aicher/Holoubek (Hrsg), Der Schutz von Verbraucherinteressen, 2000, 17. Eine eindeutige Zuordnung einer Werbebeschränkung ist nicht immer möglich; so wird man etwa eine Regelung, die Jugendliche vor Gesundheitsschäden bewahren soll, sowohl den personenbezogenen wie auch den produktbezogenen Regelungen zugeordnet werden können. Letztlich könnte man bei allen Werbebeschränkungen von den personenbezogenen Regelungen sprechen, da sie immer irgendeinen Warenproduzenten oder Dienstleistungsanbieter betreffen. Oder am Beispiel des § 5e
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Auf die verfassungsrechtliche Problematik der Werbebeschränkung für freie Berufe wurde bereits hingewiesen.148 Umfassende Werbeverbote für Krankenanstalten sind verfassungswidrig, da sie das Interesse des Patienten an sachlicher Information nicht ausreichend berücksichtigen.149 Allerdings ist es dem Träger einer Krankenanstalt es verboten, selbst oder durch andere physische oder juristische Personen unsachliche oder unwahre Informationen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Krankenanstalt zu geben (§ 13 Abs 1 BundesKrankenanstaltenG).150 Eine gemäß § 13 Abs 2 B-KAG von den Ländern zu normierende Sanktion reicht von ausschließlichen Geldstrafen, Geld- oder Arreststrafen, bei erschwerenden Umständen Geld- und Arreststrafe nebeneinander151 bis zum Verfall152 der verbotenen Werbemittel; bei wiederholter Bestrafung wegen eines Verstoßes gegen diese Werbebeschränkung kann die Sbg Landesregierung die Bewilligung zum Betrieb einer Krankenanstalt zurücknehmen.153 Die marktschreierische Werbung für Heilvorkommen jeder Art sowie jede irreführende Werbung und die Verwendung von Laienurteilen über Behandlungserfolge mit einem Heilvorkommen in der Werbung sind verboten; zu Werbezwecken dürfen nur jene Indikationen und therapeutische Anwendungsformen verwendet werden, die der Landesregierung angezeigt wurden, und deren Anführung oder Anwendung nicht untersagt worden ist.154 Das Verbot des Direktvertriebs bestimmter Waren (§§ 57 und 59 GewO; „Vertriebspartys“) wegen des psychologischen Kaufzwangs ist nach VfSlg 11853/1988 aus Gründen des Konsumentenschutzes sachlich gerechtfertigt und verstößt nicht gegen die Erwerbsausübungsfreiheit. § 57 GewO beschränkt aber nicht nur die Haustürgeschäftsanbahnung sowie die in Privathaushalten stattfindenden Verkaufsveranstaltungen, sondern regelt auch die „Mitleidswerbung“: Verboten ist das Aufsuchen von Privatpersonen, wenn hiebei in irgendeiner Form der Eindruck erweckt wird, dass das für die bestellten Waren geforderte Entgelt zumindest zum Teil gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken zugute kommt. Gemäß § 57 Abs 1 Satz 3 GewO darf beim Direkt-
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ORF-G: Fernsehwerbung für Alkohol darf sich zB nicht speziell an Minderjährige richten und darf keine bestimmten Wirkungen (Konfliktlösungsfähigkeit, sexuellen Erfolg) suggerieren; damit erfolgt eine Regelung für ein bestimmtes Werbemedium, die gleichzeitig eine Werbeinhaltsnorm darstellt. Vgl oben Rz 70; vgl weiters Dujmovits, Recht der freien Berufe, in diesem Handbuch. Vgl VfSlg 15292/1998, 15291/1998. Vgl ferner Fleisch/Steiner, Werbeverbot für Krankenanstalten? RdM 1998, 10 sowie Kopetzki, Krankenanstaltenrecht, in diesem Handbuch. Zum Zusammenwirken von KAG und ÄrzteG vgl OGH 28. 9. 1998, 4 Ob 228/98, RdM 1999/4 oder OGH 25. 11. 1997, 4 Ob 319/97, RdM 1998/23. BGBl 1957/1 idgF. Eine korrespondierende Bestimmung findet sich in allen Landes-KAG (Bgld LBGl 2000/52 idgF; Krnt LGBl 1999/26 idgF; NÖ LGBl 9440-0 idgF; OÖ LGBl 1997/132 idgF; Sbg LGBl 2000/24 idgF; Stmk LGBl 1999/66 idgF; Tir LGBl 1958/5 idgF; Vbg LGBl 1990/1 idgF; Wr LGBl 1987/23 idgF). Sbg, Vbg, Wr. Stmk, Vbg. §§ 13 Abs 4 Sbg. § 8 Abs 3 und § 10 Abs 4 Sbg Heilvorkommen- und KurorteG, LGBl 1997/101 idgF. Zuwiderhandlungen sind als Verwaltungsübertretungen mit Geld bis zu 7.300 € zu bestrafen, Werbematerial, das den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht entspricht, kann für verfallen erklärt werden und Geldstrafen sowie der Erlös verfallener Gegenstände aus in einem Kurort begangenen Verwaltungsübertretungen haben dem in Betracht kommenden Kurfonds zuzufließen (§ 31 leg cit).
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vertrieb von Waren bzw bei Haustürgeschäften der „gute Zweck“ kein Verkaufsargument sein.155 Die gezielte Werbung in den Medien für die Vermittlung bestimmt beschriebener Pflege- oder Adoptivkinder ist verboten. Ein Verstoß gegen dieses Werbeverbot ist eine Verwaltungsübertretung, die mit einer Geldstrafe bis zu 30.000 S zu bestrafen ist.156 Gemäß § 46 Abs 3 SchulunterrichtsG ist jede Werbung für schulfremde Zwecke im Schulbereich verboten. Im Bereich der gesamten Schulliegenschaft dürfen daher die in § 2 SchulorganisationsG umschriebenen Aufgaben weder durch wirtschaftliche noch politische und nicht altersadäquate Werbung beeinträchtigt werden; Informationen über Sportmöglichkeiten in Vereinen sind aber ebenso zulässig wie Inserate in Schülerzeitungen, so lange der Charakter als Schülerzeitung erhalten bleibt (und nicht zu einem Werbeprospekt wird) und der Inserateninhalt nicht Schulzwecken entgegensteht (zB Werbung für ein nur vormittags geöffnetes Spielautomatenlokal). Zur Ankündigung von Tanzunterricht sind nur behördlich bewilligte Tanzschulen befugt; dabei hat jede aufdringliche Werbung zu unterbleiben.157 § 48 MedienG ermächtigt die Bezirksverwaltungsbehörden bzw Bundespolizeidirektionen, in ihrem örtlichen Wirkungsbereich durch Verordnung festzulegen, dass das Anschlagen von Druckwerken nur an bestimmten Plätzen erfolgen darf. Die Reichweite dieser Ermächtigung ist allerdings begrenzt: Solche Verordnungen dürfen (als Beschränkung der Plakatierfreiheit) nur zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erlassen werden, nicht aber etwa zur Sicherung der Monopolstellung eines bestimmten Plakatierungsunternehmens oder zur Durchführung einer Bedarfsprüfung.158 Außerdem beinhaltet die Plakatierungsfreiheit keine privatrechtliche Befugnis zum Aushängen oder Anschlagen gegen den Willen des Eigentümers;159 sie verhindert weiters nicht, dass Bewilligungspflichten unter anderen als den presserechtlichen Gesichtspunkten normiert werden (zB straßenpolizeiliche und straßenverwaltungsrechtliche Beschränkungen, Ortsbildschutz, Naturschutz). So regeln etwa die §§ 82 ff StVO (BGBl 1960/159 idgF) die Benützung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken.160 Gemäß § 82 leg cit ist für die Benützung von Straßen einschließlich des darüber befindlichen, für die Sicherheit des Straßenverkehrs in Betracht kommenden Luftraumes zu anderen Zwecken als zu solchen des Straßenverkehrs, zB für Werbemaßnahmen, eine Bewilligung erforderlich; das gilt auch für 155
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Der Verstoß gegen das Verbot des „guten Zweck“-Arguments ist eine Verwaltungsübertretung (§ 367 Z 20 GewO). Das Verbot gilt jedoch nicht für das Sammeln von Bestellungen von Druckwerken, weil § 58 GewO die Anwendung von § 57 ausschließt; der Kleinverkauf von periodischen Druckwerken fällt gemäß § 2 Abs 1 Z 18 GewO überhaupt nicht unter die GewO, sodass das Verbot des § 57 Abs 1 Satz 3 nicht anwendbar ist. Pauger, Gewerberecht, 1993, 21 geht von der Invalidation des § 57 Abs 1 GewO aus. Vgl etwa §§ 27 und 36 Sbg Kinder- und Jugendwohlfahrtsordnung, LGBl 1992/83 idgF. § 15 Sbg TanzschulG. Zur grundrechtskonformen Rechtsgrundlage dieser Verordnung vgl VfSlg 5913/1969, 6999/1973, 9591/1982, 10886/1986, 13127/1992. Mit verfassungsrechtlichen Argumenten kritisch zur Verwaltungspraxis, die das „wilde Plakatieren“ praktisch gänzlich ausschließt Berka, Das Recht der Massenmedien, 1989, 132 mwN. Zum Plakatierverbot auf Bäumen vgl etwa VwSlg 9902 A/1979. Zur europarechtlichen Zulässigkeit der Besteuerung öffentlicher Plakatanschläge vgl EuGH Rs C-134/03, Viacom Outdoor Srl, Slg 2005, I-1167. OGH SZ 52/62. Vgl insb Lachmayer, Werbung im Straßenverkehr, ZVR 2003, 370 ff.
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Tätigkeiten, die geeignet sind, Menschenansammlungen auf der Straße herbeizuführen oder die Aufmerksamkeit der Lenker von Fahrzeugen zu beeinträchtigen. Die Bewilligung ist (allenfalls auch nur bedingt, befristet oder mit Auflagen) zu erteilen, wenn durch diese Straßenbenützung die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht wesentlich beeinträchtigt wird oder eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Lärmentwicklung nicht zu erwarten ist. So löst etwa eine Werbezwecken dienende Beschriftung eines Fahrzeugs die Bewilligungspflicht noch nicht aus, solange die Benützung des Fahrzeugs zu Zwecken des Straßenverkehrs - und nicht der Werbezweck im Vordergrund steht (VwSlg 13907 A/1993). Gegen den Verkauf von Konzertkarten samt Werbung durch historisch kostümierte Personen auf der Fahrbahn oder den Gehsteigen kann der Grundeigentümer auf Unterlassung klagen, wenn hiefür seitens des Werbenden weder eine entsprechende Sondernutzungsbewilligung der zuständigen Straßenrechtsbehörde noch Gemeingebrauch noch eine privatrechtliche Gestattung durch den verfügungsberechtigten Grundeigentümer vorliegt.161 § 83 leg cit nennt einige Situationen, in denen eine wesentliche, die Erteilung der Bewilligung ausschließende Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs vorliegt (zB Beschädigung der Straße, wesentliche162 Behinderung des Fußgängerverkehrs auf Gehsteigen oder Straßenbanketten). Ausschließlich der Werbung und den Ankündigungen außerhalb des Straßengrundes ist § 84 leg cit gewidmet: Kfz-Werkstätten, Verkehrsinformationen sendende Rundfunkstationen und Tankstellen dürfen außerhalb von Ortsgebieten nur mit den StVO-Hinweiszeichen ,,Pannenhilfe“, ,,Verkehrsfunk“ beziehungsweise ,,Tankstelle“ angekündigt werden. Ansonsten sind außerhalb von Ortsgebieten Werbungen und Ankündigungen an Straßen innerhalb einer Entfernung von 100m vom Fahrbahnrand verboten.163 Ausnahmen können bewilligt werden, wenn das Vorhaben einem vordringlichen Bedürfnis der Straßenbenützer dient164 oder für diese immerhin von erheblichem Interesse ist und vom Vorhaben eine Beeinträchtigung des Straßenverkehrs nicht zu erwarten ist. Hinsichtlich widerrechtlich angebrachter Werbung oder Ankündigung kann ein Entfernungsauftrag erteilt werden.165 § 35 StVO auferlegt der Behörde, die Besitzer von Gegenständen, die auf oder in der Umgebung von Straßen 161 162
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OGH 26. 2. 1998, 6 Ob 370/97, ZVR 1998/97. Eine nur geringfügige Behinderung löst auch dann nicht die Bewilligungspflicht nach § 82 StVO aus, wenn im Nahebereich von Schulen politische Flugblätter verteilt werden (VwSlg 13827 A/1993). Raschauer (FN 141), 39 hielt die 100m-Begrenzung für eine „sachlich durch nichts gerechtfertigte Hausnummer“; zwar sei das Ziel der Regelung, nämlich die Verkehrsteilnehmer nicht abzulenken und damit Unfälle zu vermeiden, durchaus legitim, doch verhindert die Regelung nicht, dass in 101m Entfernung in Riesenlettern für irgendetwas geworben werde; auch werde der Unterschied zwischen einem Gemeindefeldweg und einer Autobahn nicht berücksichtigt. Dazu zählt nicht die Werbung für bzw die Ankündigung eines Gastgewerbebetriebes (VwGH 18. 1. 1989, 88/02/0194); in dem zur Betriebsstätte gehörenden Bereich (zB auf dem Kundenparkplatz) darf allerdings auch dafür geworben werden, sofern dabei das einer Innenwerbung entsprechende Ausmaß nicht überschritten wird (vgl etwa VwGH 13. 2. 1991, 90/03/0265). Die Ankündigung einer Arztpraxis kann für die Straßenbenützer hingegen ebenso von erheblichem Interesse sein (VwSlg 14049 A/1994) wie Hinweisschilder auf große Sportstätten (VwGH 18. 3. 1998, 96/03/0088). Keine Werbung oder Ankündigung stellen „neutrale“ unfallverhütende Schilder dar, die etwa „Fahren auf Sicht“, „Mach mal Pause“ oder „Abstand halten“ empfehlen. Der Beseitigungsauftrag hat grundsätzlich ausschließlich die Werbung bzw Ankündigung zu betreffen, es sei denn, Werbung und Werbeträger stellten eine untrennbare Einheit dar (VwSlg 14120 A/1994, 9831 A/1979); die Beseitigung von Plakatwänden kann daher gemäß § 84 Abs 4 StVO idR nicht angeordnet werden.
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angebracht sind und durch ihre Beschaffenheit oder Lage oder die Art ihrer Anbringung geeignet sind, die Sicherheit des Straßenverkehrs zu beeinträchtigen (indem sie etwa die Sicht auf Verkehrszeichen verstellen) bescheidförmig zur Abänderung oder Beseitigung zu verpflichten. Die §§ 21, 25 und 28 BundesstraßenG (BGBl 1971/286 idgF) sowie die meisten Landesstraßen(verwaltungs)G normieren Beschränkungen, welche (auch) Werbemaßnahmen betreffen: In bestimmter Entfernung zu Bundes- und bestimmten Landesstraßen dürfen (bauliche) Anlagen (zB Plakatwände) nur ausnahmsweise errichtet werden; unter Umständen liegt eine Sondernutzung der Verkehrsfläche vor. Ohne privatrechtliche Bewilligung durch den Eigentümer / die Straßenverwaltung ist das Aufstellen von Werbeträgern auf Straßen nicht gestattet; nichts anderes gilt für Parkanlagen, Grünflächen oder Baumumfassungen, die sich nicht auf einer Straße befinden, da hiefür nicht einmal der Gemeingebrauch zulässig ist bzw die Verwendung für Werbezwecke nicht mitumfasst ist (OGH SZ 52/62). Bauvorschriften oder Ortsbildschutzregelungen können Reklamebeschränkungen enthalten.166 So war etwa nach der oö BauO das Anbringen einer 9 x 1 m großen Werbetafel an einer 5m hohen Klostermauer aus dem 17. Jahrhundert bewilligungspflichtig.167 Die Beeinträchtigung des Ortsbildes durch Werbeanlagen muss in aller Regel von einem Sachverständigen beurteilt werden; widersprechen168 sie dem Ortsbild169, so ist ihre Errichtung zu untersagen.170 Im Hinblick auf das DenkmalschutzG (BGBl 1923/533 idgF) ist darauf hinzuweisen, dass nicht nur Denkmale selbst und ihr Erscheinungsbild vor negativen Veränderungen geschützt sind (vgl §§ 4 und 5 leg cit); darüber hinaus sind zur Vermeidung der Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes von unbeweglichen Denkmalen durch Veränderungen in ihrer Umgebung (zB durch Anbringen von Reklameschildern) entsprechende Verbote zu erlassen (§ 7 leg cit, „Umgebungsschutz“).
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Vgl etwa VfSlg 6186/1979, 9662/1983, 12170/1989. Da Werbemaßnahmen in den Ortsbildschutz- und AltstadterhaltungsG oft ganz explizit angesprochen - und restriktiv geregelt - werden, Anzeige- und Bewilligungspflichten sowie zT zwingende Begutachtungen durch besondere Sachverständigenkommissionen und Gestaltungsbeiräte enthalten, werden diese Regelungen vereinzelt auch als „wirtschaftsfeindliche Innenstadtkaufleute-Schikanierungsvorschriften“ bezeichnet. Das Sbg OrtsbildschutzG (LGBl 1999/74 idgF) enthält einen eigenen Abschnitt über „Ankündigungen zu Reklamezwecken“ (§§ 4 ff leg cit). VwGH BauSlg 1999/45. Nach der Novelle LGBl 1998/70 sind nach § 27 OÖ Bauordnung (LGBl 1994/66) bestimmte Werbe- und Ankündigungsanlagen anzeigepflichtig, andere sind bereits bei Übereinstimmung mit dem Flächenwidmungs- sowie Bebauungsplan errichtbar. Entscheidend ist die von der konkreten Werbetafel ausgehende Störung im Verhältnis zum Gesamteindruck des Ortsbildes; schon vorhandene störende Objekte sind nicht maßgeblich (VwGH 19. 12. 1996, 03/06/0229). Nach VwGH BauSlg 1998/70 ist das Aufstellen von Taschen zum Verkauf von Tageszeitungen nicht ortsbildschutzrechtlich bewilligungspflichtig, wenn nicht die Werbung, sondern der Zeitungsverkauf im Vordergrund steht. Unter Ortsbild versteht man nach VwSlg 13612 A/1992 die bauliche Ansicht eines Ortes oder Ortsteiles innerhalb einer Gemeinde, dem ein Mindestmaß an gemeinsamer Charakteristik (wenn auch nicht vollständige Einheitlichkeit) eigen ist; diese Charakteristik bildet den Maßstab dafür, ob ein Bauvorhaben dieses Ortsbild erheblich beeinträchtigt. Vgl auch die Legaldefinition in § 1 Sbg OrtsbildschutzG: „das allgemein wahrnehmbare und vorwiegend durch Bauten und sonstige bauliche Anlagen geprägte Bild einer Stadt, eines Ortes oder von Teilen davon“. Vgl VwGH BauSlg 1999/46, 1998/227, 1998/147, 1998/100, 1998/75.
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Nach den NaturschutzG ist die Errichtung, Aufstellung, Anbringung oder Änderung von Werbeeinrichtungen außerhalb geschlossener Ortschaften bewilligungs-171 oder anzeigepflichtig.172 Vereinzelt findet sich eine Legaldefinition des Begriffs „Werbeeinrichtung“173 bzw „Ankündigung“174. Nach dem Zweck naturschutzrechtlicher Vorschriften ist für den Eingriffscharakter einer Werbung deren - insb durch Größe, Form und Farbgebung in Beziehung zu den das Landschaftsbild prägenden Faktoren des umgebenden Gebietes bestimmtes - äußeres Erscheinungsbild ausschlaggebend, nicht aber der Inhalt der vermittelten Aussage; die naturschutzrechtlichen Regelungen beziehen sich daher nicht nur auf Wirtschaftswerbung, sondern auf jegliche Beeinflussung von Menschen.175 Alle NSchG sehen Entfernungs- bzw Wiederherstellungsaufträge für den Fall widerrechtlicher Ankündigungen bzw Werbeeinrichtungen vor.176 Auch das EisenbahnG (BGBl 1957/60 idgF) enthält Vorschriften über die Errichtung von bahnfremden Anlagen, zu denen auch Werbeanlagen gehören (vgl §§ 38-40 leg cit). Nach den §§ 132 und 133 LuftfahrtG (BGBl 1957/253 idgF) bedarf die Verwendung von Flugzeugen für Schleppflüge, bei denen Werbebanner nachgezogen werden, einer Bewilligung der Austro Control GmbH, das Abwerfen von Flugblättern kann vom Landeshauptmann bewilligt werden; Lautsprecherwerbung aus einem Flugzeug ist verboten. Bewilligungspflichtig sind darüber hinaus Luftfahrthindernisse (§§ 86 und 92 leg cit) wie zB das Steigen lassen hunderter Luftballons zu Werbezwecken. Die Übermittlung unerebetener elektronischer Werbezusendungen, zB für bestimmte Finanzdienstleistungen (§ 12 Abs 3 WertpapieraufsichtsG [WAG], BGBl 1996/753 idgF), richtet sich nach § 107 TelekommunikationsG (BGBl 2003 I/70).177 Aber auch belästigende Briefwerbung ist nach Ansicht des OGH als Eingriff in die Privatsphäre per se rechtswidrig.178 Andere medienspezifische Werbebeschränkungen enthalten rundfunkrechtliche Gesetze - wie etwa das ORF-G, das RegionalradioG, das Kabel- und SatellitenRundfunkG oder das PrivatradioG - mit ihren Bestimmungen über Spirituosen- und Tabakwerbung179, rezeptpflichtige Arzneimittel180, sonstige Werbebeschränkungen im 171 172
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Vgl etwa § 7 NÖ NSchG, LGBl 5500-0; § 11 OÖ NSchG, LGBl 1995/37 idgF; § 15 Tir NschG, LGBl 1997/33 idgF; § 33 Vbg NSchG, LGBl 1997/22 idgF. Vgl etwa § 26 Abs 1 lit c Sbg NSchG, LGBl 1999/73 idgF. Die Anzeigepflicht entfällt ua bei Ankündigungen auf bewilligten Ankündigungsanlagen, bei Wahlwerbung innerhalb des Ortsgebietes, unauffälligen Ankündigungen innerhalb geschlossener Ortschaften (§ 26 Abs 6 leg cit). Nach § 27 Abs 2 lit c leg cit ist allerdings das Anbringen von Plakaten zu Werbezwecken außer auf bewilligten Ankündigungsanlagen in der freien Landschaft generell verboten. Vgl etwa § 11 Abs 2 OÖ NSchG; § 3 Abs 3 Tir NSchG. Vgl etwa § 5 Sbg NSchG. Vgl VwGH 31. 1. 2000, 99/10/0243 („Für bessere Straßen!“); VwGH 27. 1. 1999, 93/10/0184 („Silberbergwerk“); VwSlg 14273 A/1995 („Straßenbau ist Zerstörung von Lebensraum“). Vgl etwa VwGH 13. 11. 2000, 2000/10/0159; VwGH 21. 11.1994, 91/10/0061. Vgl außerdem die Beschränkungen der Telefon- und Telefaxwerbung in Art 10 VerbraucherschutzRL 97/7/EG, Abl L 144/19. Hingewiesen sei darauf, dass auch die homepage-Werbung im Internet eine Reihe von Fragen aufwirft (zB wettbewerbsrechtliche Probleme von links, inhaltliche Schranken, Internet-Auktionen als Werbemethode, etc). Vgl OGH 14. 3. 2000, 4 Ob 59/00, MR 2000, 145 („Black Jack“). Zur Tabakwerbung vgl Damjanovic, Tabakrecht, in diesem Handbuch. Arzneimittelwerbevorschriften unterscheiden zwischen der an den Konsumenten gerichteten Werbung und der Fachinformation für Ärzte oder Apotheker sowie zwi-
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Interesse der Volksgesundheit, das Verbot unter der Wahrnehmungsgrenze liegender („subliminaler“) Werbesendungen,181 usw. Werbungsrelevante Vorschriften für alle Gewerbetreibenden enthalten die §§ 63 ff GewO, so etwa über den Firmennamen und die äußere Bezeichnung der Betriebsstätte (§ 63), werbewirksame Zusätze (§ 64), die Verwendung des Bundeswappens (§ 68) oder die Verordnungsermächtigung des § 69 zur Erlassung von Ausübungs- oder Standesregeln. Daneben gibt es noch zahlreiche weitere Werbevorschriften in oder auf Grund der GewO. So verbietet § 376 Z 34c Abs 5 GewO den Ausgleichsvermittlern jegliche Werbung. Die §§ 4 und 6 Personalkreditvermittler-Standesregel normieren eine besondere Wahrheitspflicht (indem sie etwa Lockannoncen, das Verschweigen einer gewerblichen Kreditvermittlung oder das Führen unerlaubter Titel verbieten). § 2 der Ausübungsvorschriften für das Reisebürogewerbe (VO BGBl 1998 II/401 idgF) enthält Direktiven über Prospektangaben: Werden detaillierte Werbeunterlagen für Pauschalreisen erstellt, so haben diese ua deutlich lesbare, klare und genaue Angaben zu enthalten über die geltenden Geschäftsbedingungen, den Bruttoreisepreis und allfällige Zahlungsmodalitäten, über die verwendeten Transportmittel und Unterkünfte, die Reiseroute und die Pass- und Visumerfordernisse, etc. Inhaltliche Vorgaben für Werbe- und Informationsmaterial enthält auch § 3 TeilzeitnutzungsG (BGBl 1997 I/32 idgF): Beim Marketing für Teilzeitnutzungsrechte für Wohnungen („time sharing“) muss etwa der Veräußerer bekannt gegeben werden; es muss eine genaue Festlegung des angebotenen Nutzungsrechts sowie der Voraussetzungen für seinen Erwerb und seine Ausübung erfolgen; das Nutzungsobjekt ist detailliert zu beschreiben (Lage, Ausstattung, Erhaltungszustands, Errichtungsjahr, Gemeinschaftseinrichtungen, etc), bei im Bau befindlichen Nutzungsobjekten ist der Stand der Bauarbeiten sowie der voraussichtliche Fertigstellungstermin anzugeben; das Gesamtentgelt für den Erwerb des Nutzungsrechts und sonstige Aufwendungen sind anzuführen; es ist ein Hinweis auf Rücktrittsrechte aufzunehmen; etc. Jede Werbung über die Bereitschaft zur Kreditgewährung hat - sofern sie Zahlenangaben über den Zinssatz oder die Kreditkosten enthält - den effektiven bzw den fiktiven Jahreszinssatz, allenfalls an Hand repräsentativer Beispiele, anzugeben (§ 35 Abs 2 BankwesenG; § 10 VerbraucherkreditVO). § 43 InvestmentfondsG (BGBl 1993/532 idgF) beschränkt die Werbung für Anteilscheine; § 32 leg cit verbietet ausländischen Kapitalanlagegesellschaften die Werbung mit dem Hinweis auf die staatliche Überwachung. Weitere prospektrechtliche Vorschriften182 finden sich im BörseG (BGBl 1989/555 idgF). Für fondsgebundene Lebensversicherungen bestehen ebenfalls Werbebeschränkungen (§ 75 Abs 2 VersicherungsaufsichtsG). Eine berufsspezifische Werbungskennzeichnungsverpflichtung normiert etwa § 6 Abs 1 Immobilienmakler-StandesregelVO: Aus Inseraten muss hervorgehen, dass sie von einem Immobilienmakler stammen. Grundsätzlich gilt für entgeltliche Veröffentlichungen in Massenmedien aber ohnedies, dass die redaktionelle Text- von den Anzeigenteilen deutlich getrennt und die Inserate mit „Anzeige“, „entgeltliche Einschaltung“ oder „Werbung“ gekennzeichnet sein müssen (§ 26 MedienG). § 9 LebensmittelG (BGBl 1975/86 idgF) verbietet Werbung mittels gesundheitsbezogener Angaben. So ist beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten
181 182
schen rezeptfreien und rezeptpflichtigen Arzneimitteln. Ein Arzneimittelwerbeverbot kann verfassungskonform sein (VfSlg 16483/2002). Vgl dazu näher Holoubek, Recht der Massenmedien, in diesem Handbuch. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die „RL 89/298/EWG zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist“ (Abl 1989 L 124/8).
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oder Zusatzstoffen etwa untersagt, sich auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Alterserscheinungen hemmende, schlankmachende oder gesunderhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken; oder auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder Gutachten hinzuweisen.183 Ein Irreführungsverbot enthält auch § 20 WeinG.184 Beschränkungen der Werbung für gefährliche Stoffe, Zubereitungen oder Fertigwaren, wie sie § 28 ChemikalienG (BGBl 1997 I/53 idgF) zum Schutz des Lebens und der Gesundheit des Menschen und der Umwekt vor unmittelbar oder mittelbar schädlichen Einwirkungen vorsieht, sind keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit, des Eigentumsrechts und der Meinungsäußerungsfreiheit (VfSlg 13635/1993). Die Verpflichtung zur Anbringung von Gefahrenhinweisen und Sicherheitsratschlägen (zB auf Waschmitteln) ist weder unverhältnismäßig noch in keinem öffentlichen Interesse gelegen. Das ProduktsicherheitsG (BGBl 2005 I/16 idgF) dient ganz allgemein der Abwehr von Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen durch gefährliche Produkte; spezielle verwaltungspolizeiliche Werbebeschränkungen für bestimmte Produkte gehen solchen nach dem ProduktsicherheitsG vor (zB §§ 102 ff MedizinprodukteG, BGBl 1996/657 idgF; §§ 50 ff ArzneimittelG, BGBl 1983/185 idgF). Das Erfordernis einer behördlichen Genehmigung für die Aufnahme von Inseraten in eine Druckschrift stellt - trotz etwaiger sozial- und arbeitsmarktpolitischer Motivation für eine solche Regelung - eine verfassungsrechtlich verpönte Zensur dar.185 Allerdings ist es nach VfSlg 11860/1988 im Interesse des Jugendschutzes adäquat, den Verkauf von „Kontaktmagazinen“ nur an Orten zu erlauben, die von Jugendlichen nicht betreten werden dürfen, selbst wenn dadurch Erwachsenen der Erwerb dieser Druckwerke erschwert werden mag.186 Hingewiesen sei abschließend noch auf den Umstand, dass für bestimmte Werbeleistungen Abgaben nach dem WerbeabgabenG (BGBl 2000 I/29 idgF) oder den Anzeigen- bzw AnkündigungsabgabenG der Länder zu entrichten sind.
C. Werbung als gewerbliche Erwerbstätigkeit Die im Bereich der Werbung tätigen Gewerbetreibenden üben idR allesamt ein freies Gewerbe aus: Die gewerbsmäßige Betätigung von zB Werbeagenturen, Werbegrafikern, Werbemittelherstellern oder -verteilern, Werbegestaltern oder Werbetextern ist die Ausübung eines freien Gewerbes, für die kein Befähigungsnachweis zu erbringen ist (§ 5 Abs 3 GewO); da die freien Gewerbe zu den Anmeldungsgewerbe zählen, dürfen sie bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen (§§ 8 ff GewO) bereits auf Grund der Anmeldung des betreffenden Gewerbes ausgeübt werden (§ 5 Abs 1 GewO); allfällige allgemeine Ausübungsvorschriften187 sind zu beachten. Lediglich für eine der 183
184 185 186 187
Der EuGH hat in seiner Entscheidung Rs C-77/97, Unilever, Slg 1999, I-431 eine österreichische Werberegelung für kosmetische Produkte, nämlich Zahnpastawerbung auf Grund des LebensmittelG, als den nicht geringst möglichen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit festgemacht. BGBl 1999 I/141; eine Verletzung des Irreführungsverbots ist gemäß § 66 Abs 3 Z 1 WeinG als Verwaltungsübertretung strafbar. So VfSlg 12394/1990. Zum Zensurverbot vgl Berka (FN 84), Rz 563 f. Zu einem veranstaltungspolizeilichen Werbeverbot mit presserechtlichen Implikationen vgl auch VfSlg 4927/1965. Etwa §§ 63 ff GewO (Namensführung und Bezeichnung der Betriebsstätte) oder §§ 74 ff GewO (gewerbliche Betriebsanlagen).
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im Marketingbereich öfters vorkommenden Betätigungsformen enthält die GewO zusätzliche Vorgaben, nämlich für Direktmarketingunternehmen (§ 151).
D. Öffentlich-rechtliche Wettbewerbsregelungen Das Wettbewerbsrecht, das einen fairen und korrekten Wettbewerb der Unternehmer und den Schutz der Verbraucher188 sicherstellen will, ist zwar seiner Natur nach im wesentlichen im Bereich des Handelsrechts angesiedelt, einzelne Bestimmungen sind allerdings von Verwaltungsbehörden zu vollziehen. Auf deren Darstellung beschränken sich die nachstehenden Ausführungen. Grundsätzlich sind wettbewerbsrechtliche Verstöße - auch gegen die verwaltungsrechtlichen Bestimmungen des UWG189 - durch gerichtlich geltend zu machende Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche sanktioniert; in bestimmten Fällen kann auch strafrechtlich190 vorgegangen werden. Da sich der Gesetzgeber aber offenbar nicht sicher war, dass sich die Unternehmer wechselseitig klagen und sich nicht statt dessen schlitzohrig selbst solcher Praktiken bedienen, 191 enthalten die §§ 27 ff UWG verwaltungsrechtliche Bestimmungen. Es ist untersagt, in einem Geschäftsbetrieb Verträge nach dem Schneeballsystem abzuschließen oder den Vertrieb von Waren oder Leistungen vom Ergebnis einer Verlosung oder einem anderen Zufall abhängig zu machen; beschränkt ist außerdem die Werbung für Eintragungen in Register, verboten die Aufforderung zum Abschluss solcher Verträge (§§ 27-29 UWG).192 Der Hinweis auf eine Konkursmasse beim Verkauf von Waren ist ebenso verboten (§ 30 UWG)193 wie die Verwendung nicht zustehender Auszeichnungen und Vorrechte beim Betrieb eines Unternehmens (§ 31 UWG).194 Die §§ 32 und 33 UWG enthalten Kennzeichnungsvorschriften für das gewerbsmäßige Feilbieten, in Verkehr setzen oder Erbringen von bestimmten Waren oder Dienstleistungen, die durch VO aufzulisten sind.195 Das Wettbewerbs-DeregulierungsG (BGBl 1992/147 idgF) transferierte die vormals in der AusverkaufsVO (BGBl 1933/508) und dem AusverkaufsG (BGBl 1985/51) enthaltenen Regelungen über Ausverkäufe in das UWG. Diese Bestimmungen dienen dem 188 189 190 191 192 193 194
195
Vgl dazu etwa Rüffler, Verbraucherschutz durch Lauterkeitsrecht, in: Aicher/Holoubek (Hrsg), Der Schutz von Verbraucherinteressen, 2000, 193. Vgl § 34 Abs 3 UWG. Vgl die Privatanklagedelikte der §§ 4 sowie 10-12 UWG. So Raschauer (FN 141), 39. Die Verwaltungsübertretung ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 2.900 € zu bestrafen (§ 29 Abs 2 UWG). Nach Ansicht des EuGH Rs C-71/02, Herbert Karner Industrie-Auktionen GmBH, Slg 2004, I-3025, verstößt § 30 UWG nicht gegen Art 28 EG. Auch in diesen Fällen beträgt der Strafrahmen bis zu 2.900 €. Hinzuweisen ist darauf, dass neben dem § 31 UWG zahlreiche andere Verwaltungsvorschriften Regelungen über den Gebrauch von Auszeichnungen, Titeln und Bezeichnungen treffen, so etwa § 68 GewO (Führung des Bundeswappens), § 116 UniversitätsG (BGBl 2002 I/120 idgF; Verwendung akademische Grade und Titel), § 30a BAG („Ausgezeichneter Ausbildungsbetrieb“) oder §§ 21 iVm 29 Abs 1 Z 5 PostG (BGBl 1998 I/18 idgF; Verwendung des Posthorns). Vgl etwa SpielzeugkennzeichnungsVO, BGBl 1994/1029 idgF.
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Schutz einerseits der Gewerbetreibenden vor unlauterem Wettbewerb, andererseits der Kunden vor psychischer Beeinflussung (VwSlg 9318 A/1977). Gemäß § 33a Abs 1 UWG werden unter einer „Ankündigung eines Ausverkaufs“ alle öffentlichen Bekanntmachungen oder für einen größeren Personenkreis bestimmte Mitteilungen verstanden, die auf die Absicht schließen lassen, Waren in größeren Mengen beschleunigt im Kleinverkauf abzusetzen, und die zugleich geeignet sind, den Eindruck zu erwecken, dass der Gewerbetreibende durch besondere Umstände genötigt ist, beschleunigt zu verkaufen, und deshalb seine Waren zu außerordentlich vorteilhaften Bedingungen oder Preisen anbietet. Ob durch eine bestimmte Werbemaßnahme ein bewilligungspflichtiger Ausverkauf angekündigt wird, ist unter Berücksichtigung sämtlicher Begleitumstände nach der Verkehrsauffassung zu beurteilen.196 Die Ankündigung eines Ausverkaufs bedarf der Bewilligung der Bezirksverwaltungsbehörde (§ 33b Satz 1 UWG).197 Die nach § 33b UWG eine Ausverkaufsankündigung rechtfertigenden Gründe sind solche, die für den Antragsteller eine gegenüber der Wettbewerbslage seiner Konkurrenten abweichende Sondersituation schaffen (zB Übersiedlung des Geschäfts, Elementarereignisse, Auflassung einer Warengattung).198 Liegen zB solche Gründe nicht vor, so ist die Bewilligung zu verweigern (§ 33c UWG). Jede Ausverkaufsankündigung hat die Gründe des beschleunigten Verkaufs, den Ausverkaufszeitraum und eine Bezeichnung der abzustoßenden Waren zu enthalten; „Nachschub“ für den Ausverkauf ist unzulässig (§ 33d UWG). Ein Verstoß gegen die Ausverkaufsankündigungsvorschriften ist als Verwaltungsübertretung mit bis zu 2.900 € zu bestrafen, zusätzlich ist im Fall des § 33d die Strafe des Verfalls der nachgeschobenen Ware auszusprechen (§ 33f UWG). Unbeschadet der Strafverfolgung kann der Zuwiderhandelnde auf Unterlassung und Schadenersatz in Anspruch genommen werden (§ 34 Abs 3 UWG).
Das NahversorgungsG ist ebenfalls primär zivilrechtlicher Natur und vor dem Kartellgericht (vgl §§ 6 und 7 leg cit) durchzusetzen. Es schützt auch die wirtschaftlichen Interessen der Konsumenten, indem es darauf abzielt, dass der Verbraucher bestimmte Waren und Leistungen auch dann angeboten bekommt, wenn der Markt nicht oder nicht zufrieden stellend funktioniert (die Nachfrage aus betriebswirtschaftlicher Sicht also zu gering ist). Öffentlich-rechtlicher Natur ist diese in § 5 festgelegte Versorgungspflicht gewerblicher Letztverkäufer. 196
197 198
Entscheidend ist dabei nach VwGH 14. 4. 1999, 98/04/0159 die Vorstellung, die durch die gesamte Gestaltung der Ankündigung beim flüchtigen Durchschnittskonsumenten entsteht. Gemäß § 33a Abs 1 UWG gelten als Ankündigung eines Ausverkaufs jedenfalls jene Bekanntmachungen oder Mitteilungen, in denen die Worte „Ausverkauf“, „Liquidationsverkauf“, „Räumungsverkauf“, „Schnellverkauf“, „Verkauf zu Schleuderpreisen“, „Wir räumen unser Lager“ oder Worte ähnlichen Sinnes vorkommen. Gemäß Abs 2 leg cit fallen Saisonschlussverkäufe, Saisonräumungsverkäufe, Inventurverkäufe und im Geschäftszweig zu bestimmten Jahreszeiten übliche Sonderverkäufe (zB „Weiße Woche“) nicht unter die §§ 33a ff UWG. Diese „Abschnittschlussverkäufe“ dienen nach VwGH 16. 12. 1998, 97/04/0090 der Bereinigung der Warenlager, sollen einer Entwertung der Waren vorbeugen und die Liquidität erhöhen und sind dadurch gekennzeichnet, dass sie um die Wende zweier Verbrauchsabschnitte stattfinden. Im Zuge von Unterlassungsklagen hat der OGH festgestellt, dass „heute Preissturz!“ keine Ankündigung eines Ausverkaufs darstellt (15. 12. 1998, 4 Ob 298/98, ÖBl 1999, 184) und dass § 33a UWG auch auf den Vertrieb von Fertighäusern anzuwenden ist (8. 3. 1994, 4 Ob 10/94, ÖBl 1994, 132). Die Durchführung eines Ausverkaufs ohne entsprechende Ankündigung ist hingegen grundsätzlich nicht bewilligungspflichtig. Drohende Insolvenz rechtfertigt nach VwGH 25. 2. 1993, 93/04/0011 keine Ausverkaufsankündigung ohne vorherige behördliche Bewilligung.
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Diese dürfen ihre Vorräte an Waren, die den notwendigen Bedürfnissen des täglichen Lebens dienen, nicht verheimlichen und müssen an Verbraucher von ihren Vorräten Waren in einer Menge verkaufen, die Verbrauchern üblicherweise abgegeben wird (Kontrahierungszwang). Die Einhaltung dieser Verpflichtung kann von den Organen der Bezirksverwaltungsbehörden durch das Betreten und Besichtigen des Betriebes und der Lagerräume, durch Auskunftsverlangen und Einblick in Aufzeichnungen über Lagerbestände kontrolliert werden. Zuwiderhandlungen sind von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 2.180 € zu ahnden, wobei gemäß § 8 leg cit iVm § 370 GewO primär gegen den Pächter bzw den Geschäftsführer vorzugehen ist.
Dragana Damjanovic
Öffentlich-rechtliche Aspekte des E-Commerce Rechtsgrundlagen ...........................................................................................142 Grundlegende Literatur...................................................................................142 I. Grundlagen ................................................................................................143 A. Der elektronische Rechtsverkehr: E-Commerce und E-Government ....143 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................145 1. Die Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft ..........................145 2. Innerstaatliche Kompetenzen ............................................................146 C. Gemeinschafts- und völkerrechtliche Grundlagen ................................147 1. Internationale Regelungsinitiativen zum E-Commerce.....................147 2. Der gemeinschaftsrechtliche Rahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr ..............................................................................149 II. Die Verwaltung der Domain-Namen im Internet .................................154 A. Das Domain-Name-System....................................................................154 B. ICANN ...................................................................................................155 C. EURid ....................................................................................................156 D. nic.at......................................................................................................156 III. Ordnungsrecht im Bereich des E-Commerce ......................................157 A. Grundsatz der Zulassungsfreiheit..........................................................157 B. Allgemeine Informationspflichten..........................................................158 C. Besondere Zulassungsvorschriften für Anbieter von E-Geldinstituten ....................................................................................159 D. Zuständigkeit österreichischer Behörden zur Durchsetzung der ordnungsrechtlichen Vorschriften im Bereich des E-Commerce ..........160 IV. Die rechtlichen Rahmenbedingungen kommerzieller Kommunikation (Werbung) im Internet.............................................160 A. Kommerzielle Kommunikation im Internet ............................................160 B. Informationspflichten.............................................................................161 1. Nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation - Spams .............162 2. Werbung für Angehörige geregelter Berufe......................................162 V. Verantwortlichkeit im Internet...............................................................163 A. Allgemeine Haftungsregelungen............................................................163 B. Haftungsregelungen nach dem ECG .....................................................163 VI. Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus für den elektronischen Geschäftsverkehr .........................................................164 VII. Durchsetzung der wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Anforderungen im Bereich des E-Commerce .....................................166
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Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht RL 2002/58/EG, Abl 2002 L 201/37 (DatenschutzRL für elektronische Kommunikation) idF RL 2006/24/EG, Abl 2006 L 105/54/EG (VorratsspeicherungsdatenRL); RL 1997/7/EG, Abl 1997 L 144/19 (FernabsatzRL); RL 1999/93/EG, Abl 2000 L 13/12 (SignaturRL); RL 2000/31/EG, Abl 2000 L 178/1 (E-CommerceRL); RL 2000/46/EG, Abl 2000 L 275/39 (E-GeldRL); RL 2001/29/EG, Abl 2001 L 167/10 (Info-RL); RL 2002/65/EG, Abl 2002 L 271/16/EG (Fern-FinanzdienstleistungsRL); VO 733/2002, Abl 2002 L 113/1 (EU-DomänenVO); VO 874/2004, Abl 2004 L 162/40 (EUDomänen-RegistrierungsVO); RL 2002/38/EG, Abl 2002 L 128/41 (EG-Richtlinie zur Umsatzbesteuerung elektronischer Leistungen); RL 98/34/EG, Abl 1998 L 204/37 idF RL 98/48/EG, Abl 1998 L 217/18 (NotifikationsRL) RL 95/46/EG, Abl 1995 L 281/31 (allgemeine DatenschutzRL); Innerstaatliches Recht NotifikationsG (BGBl I 1999/183); SigG (BGBl I 1999/190 idF BGBl I 2005/164); ECG (BGBl I 2001/152); TKG 2003 (BGBl I 2003/70 idF BGBl I 2005/133); FernFinG (BGBl I 2004/62); IPRG (BGBl I 2004/38); E-GeldG (BGBl I 2002/45 idF BGBl I 2006/48) SigV (BGBl II 2000/30)
Grundlegende Literatur: Bachl/Niedermaier, Ausgewählte Zweifelsfragen zur umsatzsteuerlichen Behandlung von elektronisch erbrachten Dienstleistungen, ecolex 2003, 863; Berka/Grabenwarter/Holoubek, Medienfreiheit versus Inhaltsregulierung, 2005; Blum, Das UNCITRAL Modellgesetz zu elektronischen Signaturen, K&R 2000, 63; BKA/IOER (Hrsg), Europäische Contentregulierung. Eine rechtswissenschaftliche Untersuchung der gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen, 2006; Brenn (Hrsg), ECG. E-Commerce-Gesetz. Kurzkommentar, 2002; Burgstaller/Minichmayer, E-Commerce-Gesetz. Praxiskommentar, 2002; Burgstaller, Die neue „dot-EU“ Domain, MR 2004, 214; Damjanovic/Holoubek/Kassai/Lehofer/Urbantschitsch, Handbuch des Telekommunikationsrechts, 2006; Edwards/Waelde (Hrsg), Law and the Internet, 2000; Fallenböck, Internet und Internationales Privatrecht. Zu den internationalen Dimensionen des Rechts im Electronic Commerce, 2001; Filzmoser, Gewerberechtliche Namensund Kennzeichnungsvorschriften im E-Commerce, RdW 2000, 194; Fitzal, FernabsatzRL - Änderungen im KSchG, JAP 2000/2001, 109; Gounalakis (Hrsg), Rechtshandbuch Electronic Business, 2003, 1101; Griller, Zur Systembildung im Wirtschaftsrecht in: Korinek/Rill (Hrsg), Recht-Politik-Wirtschaft 1989/6; Gravesen/Dumortier/van Eecke, Die europäische Signaturrichtlinie - Regulative Funktion und Bedeutung der Rechtswirkung, MMR 1999, 577; Gruber (Hrsg), Die rechtliche Dimension des Internet, 2001; Gruber, Das Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz, wbl 2005, 53; Gruber, Medienrecht und neue Medien, 2006;Handig, Unternehmerische Tätigkeit im world wide web. E-Commerce aus der gewerblichen Perspektive, SWK 2001, 47; Hoeren, Grundzüge des Internetrechts, 2001, 37; Jahnel, Datenschutz im Internet, ecolex 2001, 84; Jirousek, Die Anwendung der OECD-Betriebstättendefinition auf E-Commerce, ÖStZ 2001, 130; Kilches, E-Commerce-Gesetz - gelungene Richtlinienumsetzung?, MR 2001, 248; Kilches, Steuerrecht und Internet - Neuerungen, ecolex 2001, 357; Knöfel, Elektronische Rechtsberatung. Internationalrechtliche Aspekte und österreichisches Berufsrecht, MR-Int 2005, 140; Kresbach, E-Commerce. Nationale und internationale Rechts-
Öffentlich-rechtliche Aspekte des E-Commerce
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vorschriften zum Geschäftsverkehr über elektronische Medien2, 2002; Menzel, Elektronische Signaturen, 2000; Moritz/Dreier (Hrsg), Rechts-Handbuch zum E-Commerce2, 2005; Neubauer, Die neue eu.Domain, K&R 2005, 343; Schauer, Electronic Commerce in the EU, 1999; Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer/Liebwald (Hrsg), Zwischen Rechtstheorie und e-Government. Aktuelle Fragen der Rechtsinformatik 2003, 2003; Struck/Käbisch, EG-Richtlinie zur Umsatzbesteuerung elektronischer Leistungen, UR 2002, 163; Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg), Internet und Recht. Rechtsfragen von E-Commerce und E-Government, 2002; Thiele, Internet Provider auf Abwegen - Zur Rechtsnatur derDomainbeschaffung, ecolex 2004, 777; Thurnher/Hohensinner, ... fragen Sie Ihren Internetapotheker: Arzenimittelvertrieb und das Internet, ecolex 2001, 493; Traudtner/Höhne, Internet und Gewerbeordnung, ecolex 2000, 480; Tettenborn/Bender/Lübben/Karenfort, Rechtsrahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr, K&R 2001, Beilage 1 zu Heft 12/2001; Weiß/Hermann, Welthandelsrecht, 2003; Zankl, E-Commerce-Gesetz. Kommentar und Handbuch, 2002;
I. Grundlagen A. Der elektronische Rechtsverkehr: E-Commerce und E-Government Mit dem verstärkten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (kurz IKT) - insb dem Internet - ist ein neuer, virtueller Kommunikationsund Aktionsraum entstanden. Dieser wird zunehmend als Marktplatz zum Austausch von Waren und Gütern zwischen Unternehmen und Kunden sowie Unternehmen untereinander1 genutzt. Dieses Phänomen - die Abwicklung von Rechtsgeschäften zwischen Anbieter und Nachfrager als Marktteilnehmer auf elektronischem Weg - wird mit dem Begriff des E-Commerce umschrieben.2 Die Abwicklung kann dabei entweder nur teilweise (elektronische Bestellung der Ware und Lieferung auf herkömmlichem Weg)3 oder zur Gänze elektronisch4 erfolgen. Von diesen unter dem Begriff E-Commerce zu subsumierenden wirtschaftlichen Transaktionen sind die verwaltungsbezogenen Transaktionsdienste im Internet zu unterscheiden.5 Sie stellen einen Anwendungsbereich des E-Government dar. E-Government bezeichnet im Unterschied zu E-Commerce den Einsatz moderner Informationsund Kommunikationstechnologien im öffentlichen Sektor, d.h. im Verkehr zwischen Bürgern und Einrichtungen des politischen Systems (öffentliche Verwaltung, Regierung, Parlament, etc.). Neben der Abwicklung von Verwaltungsverfahren auf elektronischem Weg, welche derzeit im Vordergrund der E-Government Strategien steht, zählt dazu auch die elektronische Unterstützung demokratischer Entscheidungsprozesse, insb 1
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Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Business to Consumer oder kurz B2C Bereich bzw vom Business to Business oder kurz B2B Bereich. Dazu im Einzelnen Terlau, Tätigkeit im Netz, in: Moritz/Dreier (Hrsg), Rechts-Handbuch zum E-Commerce2, 2005, 351 ff. Für eine Begriffsbestimmung von E-Commerce siehe etwa Zankl, E-CommerceGesetz. Kommentar und Handbuch, 2002, Rz 10 (mwH). ZB Online-Kauf von Waren (amazon.com, eBay etc). ZB Download von Software. Hier wird der gesamte Prozess der Vertragsanbahnung, des Vertragsabschlusses und der Lieferung bzw Dienstleistung (uU einschließlich des Zahlungsverkehrs) auf digitalem Weg abgewickelt. Dazu zählen etwa die elektronische Steuererklärung, die elektronische Abwicklung von Genehmigungsverfahren oder der elektronische Passantrag.
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die Abwicklung von Wahlen und Abstimmungen über das Netz (E-Voting) sowie allgemein die elektronisch unterstützte Vermittlung von Wissen über die Verwaltung, d.h. die Bereitstellung von Informationen über Struktur, Aufgaben, Zusammensetzung und Erreichbarkeit der Behörden, von Formularen und Merkblätten über benötigte Unterlagen usw.6
Entsprechend dem Gegenstand dieses Handbuches beschäftigt sich der vorliegende Beitrag nur mit den wirtschaftlichen Transaktionen im Internet (dem E-Commerce) und dabei auch wiederum nur mit den in diesem Zusammenhang auftretenden öffentlich-rechtlichen Aspekten. Im Wesentlichen werden also die für Internetsachverhalte im Besonderen geltenden wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Normen7 behandelt. Privatrechtliche Aspekte8 werden nur am Rande - soweit zum Verständnis des allgemeinen Kontexts des Regelungsrahmes für E-Commerce erforderlich - gestreift. Rechtsfragen, die sich bei wirtschaftlichen Transaktionen über das Internet stellen, öffentlicher wie privater Natur, sind grundsätzlich zunächst anhand der Regelungen, die auch für den Offline-Bereich gelten, zu beurteilen: Ein Vertragsabschluss im Internet ist, wie auch jeder andere Vertragsabschluss, anhand der Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts (ABGB, KSchG usw) zu beurteilen. Auf wettbewerbsrechtlich beachtliche Handlungen im Internet finden die allgemeinen Wettbewerbsregeln - das UWG und das Kartellrecht - Anwendung. Ertrags- und Umsatzsteuern werden beim E-Commerce im selben Umfang wie bei der wirtschaftlichen Betätigung im Offline-Bereich eingehoben. Unternehmen, die ihre Leistungen via Internet anbieten, haben, wie auch alle anderen Unternehmen, die Gewerbeordnung und sonstige besondere wirtschaftsaufsichtsrechtliche Maßnahmen (zB besondere Bankenaufsicht) zu beachten.
Den überwiegenden Teil der Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit E-Commerce stellen, kann man insofern im Prinzip anhand der rechtlichen Grundsätze und Kriterien, die für wirtschaftliche Transaktionen und Tätigkeiten im „Offline-Bereich“ entwickelt wurden und gelten, beurteilen.9 Die Verwendung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien hat allerdings auch einige Sonderfragen aufgeworfen, die sich beim Geschäftsverkehr in der realen Welt (zumindest in diesem Ausmaß) nicht stellen. Öffentlich-rechtlicher Natur sind dabei die folgenden Fragen10: • Welcher Regelungszuständigkeit, dh welcher staatlichen Rechtsordnung und welcher staatlichen Behörde unterliegt (im Hinblick auf die wirt6
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Zum Begriff „E-Government“ und insb den bei der elektronischen Abwicklung von Verwaltungsverfahren auftretenden Rechtsfragen siehe etwa Wiederin, E-Government und Verwaltungsverfahrensrecht, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht, Internet und Recht, 2002, 43 ff (mwN). Allgemein zum Begriff „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ Griller, Zur Systembildung im Wirtschaftsrecht in: Korinek/Rill (Hrsg), Recht-Politik-Wirtschaft 1989/6. ZB Fragen des Vertragsabschlusses im Internet, urheberrechtliche Aspekte, die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter usw. Vgl auch ErläutRV 817 BlgNR, 21. GP, 11 (zum ECG). Die Frage nach der Regelungszuständigkeit beim grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr ist freilich auch aus privatrechtlicher Perspektive von Relevanz. Dazu siehe insb Spindler, E-Commerce-Richtlinie, in: Gounalakis, Rechtshandbuch Electronic Business, 2003, 214, Rz 80. Verbraucherschutzrechtliche Aspekte und die Wettbewerbsvorschriften sind in erster Linie aus zivilrechtlicher Perspektive von Interesse und werden daher im vorliegenden Beitrag nicht näher behandelt.
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schaftsverwaltungsrechtlichen Vorschriften des E-Commerce) ein im Internet typischerweise grenzüberschreitend agierendes Unternehmen? • Wie erfolgt die Verwaltung und Zuteilung von Domain-Namen, dh der Adressen im world wide web, unter welchen die Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit präsentieren bzw ihre Leistungen anbieten und die insofern Grundvoraussetzung sind, um E-Commerce zu betreiben? • Welchen Anmelde- und Genehmigungspflichten und sonstigen ordnungsrechtlichen Bindungen (etwa nach der Gewerbeordnung, dem Produktrecht oder dem Telekommunikationsrecht) unterliegt ein Unternehmen beim elektronischen Geschäftsverkehr? • Welche rechtlichen Vorschriften gelten für Werbung im Internet? • Wer ist für die Einhaltung der wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Vorschriften beim E-Commerce verantwortlich? • Wie wird die Sicherheit der Netze und der bei einer Geschäftstransaktion im Internet idR sehr heiklen Daten (zB Kreditkartennummer) gewährleistet? Und insbesondere, wie kann man darauf vertrauen, dass eine Nachricht tatsächlich vom Absender stammt und dass sie nicht bei der elektronischen Übermittlung verändert wurde? Dh, wie ist die Authentizität und Echtheit (Rechtsverbindlichkeit) von papierloser Kommunikation zu gewährleisten? Im vorliegenden Beitrag soll, nach der Erörterung der kompetenzrechtlichen Grundlagen für die Regelungen zum E-Commerce und einem Überblick über die Regelungsinitiativen zum E-Commerce auf internationaler und gemeinschaftsrechtlicher Ebene, auf diese internetspezifischen wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Fragestellungen11 näher eingegangen werden.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Die Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft Unterschiede der mitgliedstaatlichen Vorschriften bei der Regulierung des elektronischen Geschäftsverkehrs sowie Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der dabei jeweils anzuwendenden Rechtsordnung können zu Hemmnissen für die Entwicklung des E-Commerce in der Europäischen Gemeinschaft werden. Aus diesem Grund und allgemein, weil viele rechtliche Probleme rund um das Internet besser überregional gelöst werden können, bemüht sich die EG seit geraumer Zeit verstärkt um die Schaffung eines gemeinschaftsweit kohärenten Rechtsrahmens für den elektronischen Geschäftsverkehr.12 Als Kompetenzgrundlage kommt hierfür in erster Linie Art 95 EGV in Betracht. Diese Bestimmung ermächtigt generell zur Angleichung innerstaatlicher 11
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Die Regulierung der im Internet massenmedial vermittelten Inhalte wird im vorliegenden Band im Beitrag „Recht der Massenmedien“ behandelt. Zu den steuerrechtlichen Aspekten im Zusammenhang mit E-Commerce siehe Bernütz/Weinreich, Steuern in: Gounalakis (FN 10), 1101. Zu den gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehr siehe im Einzelnen unten Pkt I.C.2.a. Im Besonderen zu den Aktionsplänen und Förderprogrammen auf EU-Ebene vgl http://europa.eu.int/ information_society/index_en.htm (unter Policies/eBusiness).
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Vorschriften, soweit dies für die Errichtung bzw. das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist,13 was der Fall ist, wenn - wie etwa beim E-Commerce - unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten geeignet sind, den freien Verkehr innerhalb der Gemeinschaft zu behindern oder Wettbewerbsverfälschungen hervorzurufen.14 Vom Anwendungsbereich des Art 95 EGV ist allerdings unter anderem das Steuerwesen ausgenommen.15 Zur Harmonisierung der steuerrechtlichen Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs kann sich die Gemeinschaft daher nur auf die Rechtsgrundlagen zur Angleichung mitgliedstaatlicher Bestimmungen über indirekte Steuern gemäß Art 93 EGV oder über direkte Steuern gemäß Art 94 EGV stützen.16 Schließlich kommt als mögliche Kompetenzgrundlage zur Koordinierung der Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft auch der Titel XV (Art 154 ff) EGV - Transeuropäische Netze - in Betracht.17 Bei diesen Vorschriften handelt es sich im Unterschied zu den oben angeführten Rechtsgrundlagen aber nicht um ordnungs-, sondern um infrastrukturpolitische Zuständigkeiten. Auf dieser Grundlage kann die Gemeinschaft die Orientierung für die Schaffung und Fortentwicklung von, für die Verwirklichung des Binnenmarktes bedeutenden Infrastrukturen, wie etwa den für die Abwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs erforderlichen Kommunikationsnetzen, vorgeben.18
2. Innerstaatliche Kompetenzen E-Commerce stellt kompetenzrechtlich gesehen kein eigenes, selbstständiges Sachgebiet sondern eine Querschnittsmaterie dar. Als Rechtsgrundlage zur Regelung der im Zusammenhang mit dem elektronischen Geschäftsverkehr aufgeworfenen Fragen kommen demgemäß mehrere Kompetenztatbestände der Art 10 ff B-VG in Betracht:19 So etwa der Kompetenztatbestand „Zivilrechtswesen“ (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) hinsichtlich der vertragsrechtlichen Vorschriften für den elektronischen Geschäftsverkehr im Internet, die Kompetenznormen „Fernmeldewesen“ (Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG) und „Angelegenheiten des Gewerbes“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) für die wirtschaftsaufsichtsrechtliche Regulierung der Diensteanbieter im Internet sowie der Kompetenztatbestand „Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Aspekte des E-Commerce. Weiters kann, und zwar zur Festlegung der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit der Internet-Provider, die Bedarfskompetenz des Bundes nach Art 11 Abs 2 B-VG einschlägig sein. Hervorzuheben ist schließlich noch der Sonderkompetenztatbestand des § 2 DSG20, der die Angele-
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Ausführlich zur Kompetenzgrundlage des Art 95 EGV, Herrnfeld, Art 95 EGV, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000. Siehe dazu Pkt 6 der Erwägungsgründe der E-CommerceRL. Gem Art 95 Abs 2 EGV bleiben die als besonders heikel angesehenen Bereiche der Harmonisierung der Vorschriften über die Steuern, der Bestimmungen über die Freizügigkeit und der Bestimmungen über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer von dem Anwendungsbereich des Art 95 EGV ausgeschlossen. Herrnfeld (FN 13), Rz 17. Vgl Schauer, Electronic Commerce in the EU, 1999, 4 f. Ausführlich zum Titel XV von Burchard, Art 154-156 EGV, in: Schwarze (FN 13). Vgl auch ErläutRV 817 BlgNR, 21. GP, 15 (zum ECG). Datenschutzgesetz 2000 - DSG 2000 (BGBl I 1999/165 idF BGBl 2005/13). Näher zu diesem Sonderkompetenztatbestand Duschanek, Datenschutz: in diesem Band.
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genheiten des Schutzes personenbezogener Daten im automationsunterstützten Verkehr in Gesetzgebung dem Bund zuweist.
C. Gemeinschafts- und völkerrechtliche Grundlagen 1. Internationale Regelungsinitiativen zum E-Commerce Das Internet als globales Medium erleichtert und intensiviert den internationalen Handel von Information, Kommunikation, Dienstleistungen und Waren. Der Regulierung des E-Commerce auf internationaler Ebene kommt insofern eine zentrale Bedeutung zu: globale Lösungen in Form von Modellgesetzen, Empfehlungen und Richtlinien sind bereits von verschiedensten internationalen Organisationen und Gremien entwickelt worden. All diese Regelwerke sind nicht rechtsverbindlicher Natur; sie sollen den Mitgliedstaaten lediglich eine Orientierung für die Formulierung eigener Gesetze sowie Koordinationsmöglichkeiten untereinander geben.21 Hervorzuheben ist das von der UNCITRAL22 im Jahr 1996 angenommene „Model Law on Electronic Commerce“23, welches wichtige Grundsätze für die regulatorische Behandlung des elektronischen Geschäftsverkehrs formuliert24 und als solches eine wichtige Grundlage für die Ausgestaltung der nationalen Regelungen zum E-Commerce darstellt. Neben dem „Model Law on Electronic Commerce“ hat die UNCITRAL im Jahr 2001 auch ein Regelwerk für elektronische Unterschriften25 entworfen. Dieses enthält im Kern Definitionsbestimmungen (Art 2), die Kriterien, die eine elektronische Unterschrift erfüllen muss, um dem Schriftlichkeitserfordernis Genüge zu tun (Art 6 ff) sowie Verpflichtungen für Zertifizierungsdiensteanbieter (Art 9).26 Die OECD befasst sich zentral mit den steuerrechtlichen Fragestellungen zum E-Commerce: Können mit den geltenden Besteuerungsprinzipien E-Commerce Transaktionen adäquat erfasst werden? Ist zB die „Betriebsstätte“ auch beim elektronischen Geschäftsverkehr ein sinnvoller Anknüpfungspunkt für die Besteuerung? Wie sind elektronische erbrachte Dienstleistungen (etwa der Webauftritt selbst) umsatzsteuerlich zu behandeln? Wie ist im globalen und anonymen virtuellen Wirtschaftsraum die Steuererhebung und -kontrolle zu 21 22 23 24
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Für einen Überblick zu diesen Regelwerken siehe Kühne/Bledjan, Richtlinien und Modellgesetze (auf internationaler und EU-Ebene), in: Gounalakis (FN 10), 140 ff. Allgemein zur UNCITRAL (United Nations Commission on International Trade Law) unter http://www.uncitral.org/en-index.htm. UNCITRAL Model Law on Electronic Commerce vom 16. 12. 1996 idF 1998. Abrufbar unter http://www.uncitral.org/en-index.htm. Als wichtigste Prinzipien dieses Modellgesetzes sind hervorzuheben: Einer Datennachricht (deren Definition findet sich in Art 2 lit a) darf nur aus dem Grund, weil sie eine solche ist, die rechtliche Wirkung nicht verwehrt werden (Art 5). Der Einzelne soll die Möglichkeit haben über das Medium Internet Willenserklärungen abzugeben (Art 12) und Verträge abzuschließen (Art 11). UNCITRAL Model Law on Electronic Signatures vom 5. Juli 2001 (http://www.uncitral.org/en-index.htm.) Ausführlich Blum, Das UNCITRAL Modellgesetz zu elektronischen Signaturen, K&R 2000, 63.
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gewährleisten, usw?27 Auf Ebene der OECD sind zu diesen Fragen bislang im Wesentlichen umfassende Analysen durchgeführt und entsprechende Berichte28 veröffentlicht worden. Hervorzuheben sind hier die „Electronic Commerce: Taxation Framework Conditions“ aus dem Jahr 1998, die für die Mitgliedstaaten Leitprinzipien für die steuerliche Behandlung des E-Commerce vorgeben.29 Konkrete Maßnahmen in Form von Neuregelungen im Steuerrecht sind allerdings auf Ebene der OECD noch keine gesetzt worden.30 Lediglich der Kommentar zu Art 5 OECD-Musterabkommen ist um einheitliche Kriterien für die Anwendung der bestehenden Betriebsstättendefinition31 auf E-Commerce Aktivitäten ergänzt worden.32 Danach begründet eine Website für sich allein keine Betriebsstätte iSd Art 5 OECD-MA. Hingegen kann die Verfügungsmacht über einen Server zur Begründung einer Betriebsstätte führen, wenn die übrigen Voraussetzungen für die Annahme einer Betriebsstätte erfüllt sind. Dies ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen.33
Neben den steuerrechtlichen Aspekten widmet sich die OECD34 auch dem Verbraucherschutz im Internet35, der Entwicklung sicherer Verschlüsselungssysteme36 oder auch dem sozialen Problem des sog „digital divide“ beim Zugang zu neuen Kommunikationstechnologien innerhalb der OECD-Länder37.
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Zu den mit dem E-Commerce verbundenen steuerrechtlichen Aspekten im Einzelnen siehe insb Bernütz/Weinreich (FN 11) 1101 ff; weiters Bachl/Niedermaier, Ausgewählte Zweifelsfragen zur umsatzsteuerlichen Behandlung von elektronisch erbrachten Dienstleistungen, ecolex 2003, 863. Vgl etwa den Ende 2005 veröffentlichten Bericht der TAG Business Profits „Are the Current Treaty Rules for Taxing Business Profits Appropriate for E-Commerce“; oder den im Februar 2001 von der Consumption Tax TAG veröffentlichten OECD Report über verbrauchersteuerliche Aspekte des E-Commerce. Abrufbar unter http://www.oecd.org/document/ Abrufbar http://www.oecd.org/dataoecd/46/3/1923256.pdf. Mit einschneidenden Änderungen der Rechtslage - so im Wesentlichen das Fazit der einzelnen Berichte - ist auch in nächster Zeit nicht zu rechnen. Vgl dazu etwa die Schlussfolgerungen im TAG Business Profits Bericht aus dem Jahr 2005 (FN 28). Die in Art 5 OECD-MA enthaltene Betriebsstättendefinition ist gem Art 7 OECDMA Anknüpfungspunkt für das Besteuerungsrecht eines Staates von Unternehmensgewinnen. Das Originaldokument der Kommentaränderung ist unter: http://www.oecd.org/ findDocument/0,2350,en_2649_37427_1_119672_1_1_37427,00.html abrufbar. Eine deutsche Übersetzung des in den Kommentar zu Art 5 eingefügten neuen Textes findet sich bei Jirousek, Die Anwendung der OECD-Betriebstättendefinition auf E-Commerce, ÖStZ 2001, 130 ff. Vgl Kilches, Steuerrecht und Internet - Neuerungen, ecolex 2001, 357. Die wichtigsten bisher von der OECD veröffentlichten Dokumente zum Themenbereich der Besteuerung des E-Commerce sind unter http://www.oecd.org/department/ 0,2688,en_2649_33741_1_1_1_1_1,00.html abrufbar. Allgemein zum Tätigkeitsfeld der OECD im Bereich der IKT und des E-Commerce siehe die Infos unter http://www.oecd.org. Vgl die OECD Guidelines for Consumer Protection in the Context of Electronic Commerce vom 9. 12. 1999, abrufbar: http://www.oecd.org/document. Vgl Guidelines for Cryptography Policy vom 27 March 1997, abrufbar: http://www.oecd.org/document. Siehe hierzu die verschiedenen von der OECD in Auftrag gegebenen Studien und durchgeführten Workshops sowie insb OECD, Understanding the digital divide, 2001, abrufbar: http://www.oecd.org/dataoecd/38/57/1888451.pdf
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Auch auf Ebene der WTO wird auf Grundlage eines Arbeitsprogrammes zum globalen E-Commerce38 über die verbindliche Festlegung eines liberalen Handelsregimes beim elektronischen Geschäftsverkehr verhandelt.39 Neben den genannten internationalen staatlichen Organisationen werden im Bereich des E-Commerce auf internationaler Ebene auch NGOs tätig.40 Die wohl wichtigste ist die im Jahre 1998 als „private non-profit organization“ von den USA gegründete ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers), deren Aufgabe die weltweite Verwaltung der Domain Namen ist.41
2. Der gemeinschaftsrechtliche Rahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr a) Die gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen im Überblick Die EG hat mit der Zielsetzung der Schaffung eines Binnenmarktes für E-Commerce bereits eine Reihe von Maßnahmen erlassen, die spezifisch den elektronischen Geschäftsverkehr zum Regelungsgegenstand haben. Im Zentrum steht die sogenannte E-CommerceRL.42 Daneben sind zu nennen: • die RL für elektronische Signaturen43, • die RL über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E-Geld-Instituten,44 die gemeinschaftsweit einheitliche Aufsichtsregelungen für Unternehmen, die elektronisches Geld ausgeben, vorsieht;45 • die RL zur mehrwertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen,46 die im Kern die Besteuerung am Ort des Verbrauchs für solche Dienstleistungen festlegt; • die RL über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz,47 mit der für den Versandhandel und das Verbrauchergeschäft im Internet ein Mindeststandard geschaffen worden ist; und • die RL über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen,48 die den Konsumenten spezifisch bei Verträgen über Finanzdienstleistungen im Fernabsatz schützen soll. 38 39 40 41 42
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Vgl „The Geneva Ministerial Declaration on global electronic commerce” vom 20.5.1998; abrufbar: http://www.wto.org/english/tratop_e/ecom_e/mindec1_e.htm Zum derzeitigen Stand der Verhandlungen siehe http://www.wto.org/english/ tratop_e/ecom_e/ecom_e.htm. Neben der ICANN etwa das ILPF (Internet Law and Policy Forum). Nähere Informationen zu dieser Organisation: http://www.ilpf.org. Dazu noch im Einzelnen unten Pkt II.B. RL 2000/31/EG, Abl 2000 L 178/1 (im Folgenden E-CommerceRL). Eine sehr gute überblicksmäßige Darstellung zu den wesentlichen Bestimmungen dieser RL findet sich bei Spindler (FN 10) 214 und Tettenborn/Bender/Lübben/Karenfort, Rechtsrahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr, K&R 2001, Beilage 1 zu Heft 12/2001. RL 1999/93/EG, Abl 2000 L13/12 (im Folgenden SignaturRL). Näher unten Pkt VI. RL 2000/46/EG, Abl 2000 L 275/39 (im Folgenden E-GeldRL). Näher zu diesen Bestimmungen unten Pkt III.C. RL 2002/38/EG, Abl 2002 L 128/41; einen Überblick über die neue Richtlinie geben Struck/Käbisch, EG-Richtlinie zur Umsatzbesteuerung elektronischer Leistungen, UR 2002, 163 ff. 97/7/EG, Abl 1997 L 144/19 (FernabsatzRL). RL 2002/65/EG, Abl 2002 L 271/16/EG (Fern-FinanzdienstleistungsRL).
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Darüber hinaus sind freilich noch einer Reihe von weiteren Gemeinschaftsmaßnahmen, wie etwa das Richtlinienpaket für den elektronischen Kommunikationsmarkt,49 die für den audiovisuellen Sektor getroffenen Maßnahmen,50 die datenschutz- und urheberrechtlichen Gemeinschaftsvorschriften uvm (zumindest indirekt) für den Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs von Relevanz.51 Im Folgenden soll aber nur auf die E-Commerce-RL als der zentralen EG-Regelung für den elektronischen Geschäftsverkehr näher eingegangen werden. Die RL für elektronische Signaturen und die RL über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E-Geld-Instituten werden bei der Erörterung der jeweiligen Themenbereiche in diesem Beitrag - Sicherheit im Netz und die wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Maßnahmen im Bereich des E-Commerce - mitbehandelt. Die spezifisch steuerrechtlichen und zivilrechtlichen Aspekte des E-Commerce sowie die für den E-Commerce nur mittelbar relevanten EGRechtsakte werden hingegen im Rahmen dieses Beitrages nicht näher dargestellt.52
b) Der Anwendungsbereich der E-CommerceRichtlinie Die Richtlinie knüpft für die Festlegung ihres Anwendungsbereichs am Begriff der „Dienste der Informationsgesellschaft“ an.53 Für eine Definition dieses Begriffs verweist sie auf die inhaltsgleiche Definition aus der Richtlinie über Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften.54 Demnach setzt der Begriff folgende Elemente voraus: • Erbringung des Dienstes im Fernabsatz55 • auf individuellen Abruf56 • in der Regel gegen Entgelt Darunter fallen sämtliche im Rahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs erbrachte Dienstleistungen, wie insb der Online-Verkauf und die OnlineWerbung, jegliche Informations- und Datenabfragen, Suchmaschinen, allgemein die Kommunikation über Datennetze (E-Mail, Chat-Foren); darüber hinaus aber auch individuell abrufbare Inhaltedienste: audiovisueller Content, wie zB Video-On-Demand, elektronischer Verlagscontent, wie zB Online Zeitungen und Magazine sowie Audiocontent, wie zB Online-Musikstores.57 49 50 51
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Zu diesem umfassend Holoubek, Telekommunikationsrecht, in diesem Band. Vgl Holoubek, Recht der Massenmedien, in diesem Band. Für eine genauere Aufzählung der für den Bereich des E-Commerce relevanten gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen siehe auch Pkt 11 der Erwägungsgründe zur E-CommerceRL. Einen sehr guten Einblick zu all den rechtlichen Aspekten, die sich im Bereich des E-Commerce stellen, geben die einzelnen Beiträge bei Gounalakis (FN 10). Vgl Art 2 a E-CommerceRL. Vgl Art 1 Z 2 der NotifikationsRL 98/34/EG (Abl 1998 L 204/37) idF 98/48/EG (Abl 1998 L 217/18) Dazu zählt nicht nur die Übermittlung über das Internet, sondern über sämtliche Arten von Fernkommunikationsmitteln, zb auch die Sprachtelefonie, Fax, Briefverkehr etc. Dieses Definitionselement schließt über Internet vermittelte Fernseh- und Radiosendungen aus (zB Webstreaming), nicht jedoch andere Formen der Massenkommunikation, die Punkt zu Punkt übermittelt werden (zB Video On Demand). Vgl Erwägungsgrund 18 der E-CommerceRL. Mit dieser breiten Definitionsbestimmung können mitunter recht schwierige Abgrenzungsfragen entstehen, zum einen zu den „elektronischen Kommunikationsdiensten“ und zum anderen zu den sog „audiovisuellen Mediendiensten“, die beide einem jeweils anderen Regelungsregime, insb einem anderen Zulassungsregime un-
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Beim Online-Verkauf ist lediglich die Online-Aktivität selbst, also der OnlineVertragsabschluss und die in diesem Zusammenhang allenfalls erfolgte Kommunikation über die Datennetze vom Begriff des Dienstes der Informationsgesellschaft erfasst, nicht jedoch der außerhalb der elektronischen Übertragung stattfindende Vorgang, wie etwa die Lieferung der Ware. Der Bereich außerhalb der Online-Welt wird von der Richtlinie nicht tangiert.58
Von diesem über die „Dienste der Informationsgesellschaft“ definierten Anwendungsbereich nimmt die Richtlinie in Art 1 Abs 5 bestimmte Tätigkeiten und Regelungsbereiche aus, für welche sie entweder keine Rechtsangleichungskompetenzen besitzt oder für die schon andere EG- Harmonisierungsmaßnahmen bestehen. Dazu gehören: •
•
• •
der Bereich der Besteuerung. Dieser Bereich ist der Regelung durch die Richtlinie zur mehrwertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen,59 mit welcher die 6. MehrwertsteuerRL auf die Anforderungen des E-Commerce angepasst worden ist, vorbehalten. Fragen, die den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit den Diensten der Informationsgesellschaft betreffen. Diese sind auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene Gegenstand der allgemeinen Datenschutzrichtlinie60 sowie der Datenschutzrichtlinie für die elektronische Kommunikation.61 Fragen betreffend Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die dem Kartellrecht unterliegen. Tätigkeiten von Notaren oder Angehörigen gleichwertiger Berufe, die Vertretung eines Mandanten und die Verteidigung seiner Interessen vor Gericht sowie Gewinnspiele62.
c) Die Regelungsstruktur der E-CommerceRL Die E-CommerceRL verfolgt zur Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarktes für den elektronischen Geschäftsverkehr einen doppelten Ansatz: Zum einen legt sie querschnittsartig zu sehr unterschiedlichen Rechtsbereichen einen harmonisierenden Mindestrechtsrahmen fest (sog harmonisierter Bereich), der - wie Art 1 Abs 3 E-CommerceRL ausdrücklich klarstellt - bloß ergänzend neben bereits bestehende Gemeinschaftsregelungen tritt und das
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terworfen sind. Für eine Begriffsbestimmung und zum Regelungsregime der elektronischen Kommunikationsdienste siehe Holoubek (FN 49 und zu den audiovisuellen Mediendiensten, Holoubek (FN 50). Zur Abgrenzung der Dienste der Informationsgesellschaft und der elektronischen Kommunikationsdienste Damjanovic/Holoubek/Kassai/Lehofer/Urbantschitsch, Handbuch des Telekommunikationsrechts, 2006, 44 und zur Abgrenzung zu den audiovisuellen Mediendiensten Holoubek/Damjanovic, in: BKA/IOER (Hrsg), Europäische Contentregulierung. Eine rechtswissenschaftliche Untersuchung der gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen, 2006, 23 f. Dies folgt aus dem Definitionselement „Erbringung des Dienstes im Fernabsatz“; siehe dazu auch Spindler (FN 10) 221. Vgl FN 44. RL 95/46/EG, Abl 1995 L 281/31. RL 2002/58/EG, Abl 2002 L 201/37 idF RL 2006/24/EG, Abl 2006 L 105/54. Diese Ausnahme betrifft nur Glücksspiele, Lotterien und Wetten mit einem einen Geldwert darstellenden Einsatz. Preisausschreiben und Gewinnspiele, mit denen der Verkauf von Waren oder Dienstleistungen gefördert werden soll, werden hiervon nicht erfasst. Vgl Erwägungsgrund 16 der E-CommerceRL.
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Schutzniveau, insbesondere für die öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz unberührt lässt. Zum anderen normiert die Richtlinie als zentralen Grundsatz das Herkunftslandprinzip für sämtliche in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten festgelegte Anforderungen für den elektronischen Rechtsverkehr (sog koordinierter Bereich), wodurch im Internet tätigen Unternehmen die grenzüberschreitende Erbringung ihrer Dienste erleichtert werden soll: sie müssen sich nur nach der Rechtsordnung und der Aufsichtsbehörde jenes Mitgliedstaaten richten, in welchem sie niedergelassen sind. d) Herkunftslandprinzip - der koordinierte Bereich Nach dem in Art 3 der E-CommerceRL verankerten Herkunftslandprinzip ist für die rechtliche Beurteilung von Online-Tätigkeiten im Rahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs nur noch die Rechtsordnung desjenigen Mitgliedstaats maßgeblich, in dem der Diensteanbieter niedergelassen ist.63 Dieses Prinzip bezieht sich querschnittsartig grundsätzlich auf alle mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften für den elektronischen Geschäftsverkehr; es betrifft sowohl die öffentlich-rechtlichen Anforderungen der Mitgliedstaaten an die Diensteanbieter als auch zivilrechtliche Restriktionen, etwa im Wettbewerbsrecht, bis hin zu strafrechtlichen Tatbeständen. Dieser Regelungsbereich wird in der Richtlinie als der koordinierte Bereich bezeichnet. Angesichts der allgemeinen Einschränkung des Anwendungsbereichs der E-CommerceRL auf Online-Aktivitäten (die reale Welt wird grundsätzlich nicht berührt), gilt das Herkunftslandprinzip demgegenüber nicht für staatliche Anforderungen an Waren oder an physisch erbrachte Dienstleistungen.64 Ebenso wenig ist es auf die von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossenen Rechtsgebiete65 - das Steuer-, Datenschutz- und Kartellrecht - anzuwenden. Darüber hinaus legt die E-CommerceRL in ihrem Anhang weitere Ausnahmetatbestände fest, die spezifisch nur für das Herkunftslandprinzip gelten. Darunter fallen: •
Freiheit der Rechtswahl: Die Parteien sollen durch das Herkunftslandprinzip nicht an der privatautonomen Festlegung eines anzuwendenden Sachrechts gehindert werden.
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Das ist gemäß Art 2 lit c E-CommerceRL jener Ort, wo ein Anbieter mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit eine Wirtschaftstätigkeit tatsächlich ausübt. Der Ort, wo sich die technischen Vorrichtungen (zB der Server) befinden, die zum Anbieten des jeweiligen Dienstes erforderlich sind, begründen allein keine Niederlassung des Diensteanbieters. Ausdrücklich ist dies nochmals in Art 2 lit h und lit ii der E-CommerceRL festgehalten. Dazu zählen etwa Sicherheitsnormen oder Kennzeichnungspflichten für Waren oder Regelungen betreffend die Zulässigkeit des Versands bestimmter Waren. Zum Verhältnis der E-CommerceRL zu diesen Regelungen im Einzelnen noch unter Punkt III.A. Das Verhältnis dieser Vorschriften ist insbesondere auch anhand des praktischen Anwendungsfalls der niederländischen Internetapotheke DocMorris näher erörtert worden. Dazu insb EuGH, Rs C-322/01, Doc Morris, Abl 2004 C 47/5. Dazu näher oben Pkt b (Anwendungsbereich der E-CommerceRL)
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Vertraglicher Verbraucherschutz: Darunter sind all jene Regelungen zu verstehen, die spezifisch auf den Schutz der Verbraucher ausgerichtet sind.66 Formvorschriften für Immobilienverträge Zulässigkeit nicht angeforderter kommerzieller Kommunikation durch elektronische Post („Spam“): Demnach kann die nationale Rechtsordnung strengere Vorschriften als die im Herkunftsland des Versenders von E-Mail Nachrichten vorsehen. Urheberrecht, verwandte Schutzrechte und gewerbliche Schutzrechte, da hier bereits anderweitige EU-Regelungen bestehen.67 Die Ausgabe elektronischen Geldes durch Institute. Für diese Tätigkeit ist mit der E-GeldRL68 ein eigener Regelungsrahmen auf gemeinschaftlicher Ebene geschaffen worden. Bedingungen für grenzüberschreitende Tätigkeiten von Versicherungsunternehmen: Für diesen Bereich ist insbesondere die FinanzfernabsatzRL69 von Relevanz.
Neben diesen bereichsspezifischen Ausnahmetatbeständen sieht Art 3 Abs 4-6 der E-CommerceRL außerdem noch ein schutzklauselähnliches Verfahren als Ausnahme vom Herkunftslandprinzip vor. Danach können die Mitgliedstaaten den grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr aus bestimmten Gründen, und zwar zum Schutz der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit, der öffentlichen Sicherheit sowie zum Schutz der Verbraucher und Anleger einschränken. Die Einschränkungen sind der Kommission anzuzeigen und haben dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen. Im Grunde legt dieser Ausnahmetatbestand lediglich die in der Rechtssprechung des EuGH anerkannten Durchbrechungen der Grundfreiheiten des Binnenmarktes für den Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs nochmals genau fest.70 d) Der harmonisierte Bereich Bei den von der Richtlinie vereinheitlichten rechtlichen Aspekten des elektronischen Geschäftsverkehrs handelt es sich um: • Die Festlegung des Grundsatzes der Zulassungsfreiheit für Dienste der Informationsgesellschaft (Art 4) bei gleichzeitiger Regelung bestimmter Transparenzverpflichtungen für die Diensteanbieter (Art 5); • Einzelne Rechtsfragen zum Abschluss von Verträgen auf elektronischem Weg: Gleichstellung zu herkömmlich geschlossenen Verträgen (Art 9), Informationspflichten (Art 10) und Schutzvorschriften bei Vertragsabschluss (Art 11); • Regelungen zur kommerziellen Kommunikation (Art 6-8); • Harmonisierung der Verantwortlichkeit der Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft (Art 12-15) und 66
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Im Einzelnen bestehen zur Frage, wann eine Regelung im Sinn der Richtlinie noch als vertraglicher Verbraucherschutz begriffen werden kann, allerdings durchaus divergierende Auffassungen. Dazu Spindler (FN 10) 234. Zu diesen vgl Nemetz/Neubauer/Wiebe, Immaterialgüterrecht, in: BKA/IOER (FN 57) 84 ff. Vgl FN 44. Vgl FN 48. Vgl Spindler (FN 10) 238
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Regelungen zur Umsetzung der Maßnahmen der E-CommerceRL: Anreize für die Industrie zur Selbstregulierung, zB durch Aufstellen von Verhaltenskodizes zum Schutz der Jugend und der Menschenwürde (Art 16); Verpflichtung der MS zur Einrichtung von Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung (Art 17) und zur Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes auf dem Gebiet des elektronischen Rechtsverkehrs (Art 18). Auf diese rechtlichen Aspekte der E-CommerceRL (mit Ausnahme der rein privatrechtlichen Bestimmungen zur Vertragsgestaltung) sowie auf die sonstigen öffentlich-rechtlichen Sonderfragen zum elektronischen Geschäftsverkehr soll in weiterer Folge näher eingegangen werden.
II. Die Verwaltung der Domain-Namen im Internet A. Das Domain-Name-System Die Kommunikation im Internet erfolgt über IP-Adressen, die zur leichteren Auffindbarkeit von Inhalten im Internet zu Domain-Namen umgewandelt werden.71 Domain-Names bilden insofern eine Grundvoraussetzung, um Zugang zum Internet zu erhalten und E-Commerce betreiben zu können. Von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung kommen sie mittlerweile Marken- und Namensrechten gleich. Domain-Names setzen sich aus mehreren Domain-Levels zusammen: der TopLevel-Domain (TLD), optional der Second-Level-Domain und der Subdomain.72 Von den Top-Level-Domains gibt es zwei verschiedene Typen: die geografischen („country code-“) Top-Level-Domains (ccTLDs)73 und die generischen („generic-“) Top-LevelDomains (gTLD).74
Jeder Domain-Name führt zu einem bestimmten Angebot im Internet und muss daher weltweit einzigartig sein. Um dies gewährleisten zu können, sind sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene Organisationen zur Koor71
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Man spricht in diesem Zusammenhang vom sog Domain Name System (DNS), welches es ermöglicht, den IP-Nummern alphanumerische Zeichenkombinationen, sprich Domain Namen, zuzuordnen. Ein Beispiel einer Domain ist etwa wu-wien.ac.at. Gelesen wird die Domain von rechts nach links. Das ganz rechts stehende Kürzel .at ist die oberste Ebene, die so genannte Top Level Domain (TLD). Im gegeben Fall handelt es sich um eine geografische TLD. Die Abkürzung .ac ist eine Second Level Domain. Sie ist in einem Domain Namen nicht zwingend, wird aber häufig verwendet, um den Namensraum unter einer ccTLD nach funktionalen Aspekten zu gliedern. Weitere Beispiele für Second Level Domains sind etwa .gv (governmental) oder .or (organization) usw. .wu-wien ist schließlich die Subdomain, also der eigentliche Domain Name, der vom Registrierendem frei gewählt wird. Zum Aufbau einer Domain siehe auch Anderl, Der technische Hintergrund der Domain-Vergabe - Das Domain-Name-System (abrufbar unter: http://www.it-law.at). Beispiele geografischer TLDs sind .at für Österreich, .de für Deutschland, .jp für Japan usw. Eine vollständige Liste aller geografischen Top-Level-Domains ist unter http://www.norid.no/domreg.html zu finden. Bedeutende gTLDs sind etwa .net (für Netzwerke), .org (für Organisationen), .com (für kommerzielle Einrichtungen, sowie .aero, abiz, .coop, .info, .museum, .name, .pro.
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dination und Kontrolle der Vergabe der Domain-Namen eingerichtet worden: auf internationaler Ebene die ICANN, auf EU-Ebene die EURid und auf nationaler Ebene die nic.at. Kennzeichnend für diese Organisationen ist, dass sie privatrechtlicher und gemeinnütziger Natur sind und auf der Grundlage privatrechtlicher Vereinbarungen im Rahmen eines Systems der Selbstregulierung tätig werden.
B. ICANN Auf internationaler und oberster Ebene des Domain-Name-Verwaltungssystems steht die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers).75 Sie ist eine unter kalifornischem Recht gegründete gemeinnützige Organisation, die auf Grundlage eines „Memorandum of Understanding“76 des US-Commerce-Departments konkret folgende Aufgaben im Bereich der Domain-Name-Verwaltung wahrnimmt 77: • Koordinierung der Festsetzung der technischen Parameter und Protokolle des Internet, • Aufsicht über die IP-Adressen, • Aufsicht über das Domain-Name-System, einschließlich der Schaffung von Richtlinien zur Einführung neuer TLDs, • Aufsicht über das Root Server System, • Zuständigkeit für rechtliche und sonstige Fragen im Zusammenhang mit den vorgenannten Fragen78 Diesen Aufgaben kommt die ICANN vielfach durch den Abschluss von Vereinbarungen mit den einzelnen für die konkrete Vergabe und Registrierung der Domains zuständigen Domain-Registrierungsstellen nach.79 Das sind zum einen hinsichtlich der Verwaltung der country-code Top-Level-Domains die in den einzelnen Regionen oder Ländern errichteten Network Information Centers (auch ccTLD Registrare genannt)80 und zum anderen für die Vergabe der generic Top-Level-Domains die spezifisch für bestimmte TLDs gegründeten gTLD Registrare81 sowie allgemein die von der ICANN akkreditierten Registrare.82 75 76 77
78 79 80 81
http://www.icann.org. Der Volltext dieses Memorandums findet sich unter: http://www.icann.org/ general/icann-mou-25nov98.htm. Die Tatsache, dass die ICANN nicht als internationale Organisation, sondern als Gesellschaft nach amerikanischen Recht gegründet ist, sie jedoch weltweit als zentrale Koordinations- und Verwaltungsstelle des Internet fungiert, führt zu gewissen Legitimationsproblemen der ICANN. Diesen wird durch eine international ausgewogene Mitgliedschaft des obersten Geschäftsführungs- und Vertretungsorgans der ICANN - dem „Board of Directors“ entgegengewirkt. Dazu Schweighofer, Wer reguliert das Internet?, MR 2000, 347 (349); zur Struktur der ICANN siehe auch http://www.icann.org/general/structure.htm; eine graphische Übersicht findet sich unter http://www.icann.org/general/icann-org-chart.htm Ausführlicher Kühne/Bledjan (FN 21) 178 ff. Diese Vereinbarungen sind unter http://www.icann.org/general/agreements.htm abrufbar. Für eine Übersicht siehe die IANA ccTLD Datenbank unter http://www.iana.org/cctld/cctld-whois.htm. zB die Network Solutions für die TLDs .net und .com oder die Punlic INterest Registry für die TLD .org
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Ihre Aufgabe der alternativen Streitbeilegung nimmt die ICANN nach den von ihr selbst erlassenen Richtlinien zur Domain-Streitschlichtung - den „Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy (UDRP)83 wahr. „ICANN hat damit ein globales nichtstaatliches Verwaltungsrecht als Alternative zum nationalen Recht geschaffen“84
C. EURid Nachdem die ICANN im September 2000 beschlossen hat, auch die countrycode Top-Level-Domain .eu zuzulassen, sind auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene mit der VO 733/200285 die rechtlichen Grundlagen zur Einführung dieser ccTLD geschaffen worden.86 Auf dieser Basis hat die Europäische Kommission im Mai 2003 mit Vertrag das belgisch-italienisch-schwedische Konsortium EURid als Register iSv Art 2a der VO 733/2002 bestellt und mit der VO 874/200487 die näheren Details für die Registrierung sowie im Zusammenhang mit der Domainverwaltung auftretende Probleme, wie spekulative und missbräuchliche Registrierungen von Domainnamen, Schutz des geistigen Eigentums und anderer Rechte, Umgang mit sprachlichen und geografischen Begriffen sowie die außergerichtliche Streitbeilegung geregelt.
D. nic.at Die österreichische Registrierungsstelle nic.at88 wurde Mitte 1998 von der ISPA (Verein der österreichischen Internet Provider) gegründet. Seit dem Jahre 2000 steht sie in 100% Eigentum der gemeinnützigen Internet Privatstiftung Austria, die ebenfalls von der ISPA errichtet worden ist. Deren primärer Zweck liegt in der Förderung des Internet in Österreich, va durch die Verwaltung der .at Domain. Mit der Erfüllung dieses Zwecks ist ihre Firma „nic.at Internet Verwaltungs- und Betriebs-GmbH“ betraut. Diese wickelt konkret die Vergabe der Domains unterhalb der ihr von der ICANN zugewiesenen Top Level Domain .at und der Second Level Domains .co.at und .or.at technisch und administrativ ab.89 Die Vergabe erfolgt in Selbstverwaltung im Kontext der österreichischen Internet Community auf Grundlage der allgemeinen Geschäftsbedingungen der nic.at sowie der Charta der österreichischen Domainverwaltung.90 Danach ist - kurz zusammengefasst - die Zuteilung der Domain
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Eine aktuelle Liste der akkreditierten Registrare findet sich unter http://www.icann.org/registrars/accreditation-qualified-list.html. http://www.icann.org/udrp/udrp.htm. So auch Kühne/Bledjan (FN 21) 181. VO 733/2002, Abl 2002 L 113/1 (EU-DomänenVO). Siehe dazu auch Burgstaller, Die neue „dot-EU“ Domain, MR 2004, 214; Neubauer, Die neue eu-Domain, K&R 2005, 343. VO 874/2004, Abl 2004 L 162/40 (EU-Domänen-RegistrierungsVO). Die Abkürzung nic steht für Network Information Center. Zur Gründung, der Struktur und den Aufgaben der Internet Privatstiftung Austria und ihrer Firma nic.at siehe unter: http://www.nic.at/german.ipa.html. Abrufbar unter http://www.nic.at. Zur Registrierung von Domain Namen, insb durch - wie das in der Praxis überwiegend erfolgt - die Internetserviceprovider, vgl Thiele,
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Namen, wie dies auch sonst weltweit gehandhabt wird, nach dem Prioritätsprinzip „first come - first served“ auf der Basis eines privatrechtlichen Vertrags zwischen dem Domaininhaber91 (dem Registranten) und der Registrierungsstelle vorzunehmen. Die Registrierung von Domain Namen steht dabei grundsätzlich jedermann offen, ein Anspruch auf Registrierung einer bestimmten Domain besteht allerdings nicht.92
III. Ordnungsrecht im Bereich des E-Commerce A. Grundsatz der Zulassungsfreiheit Art 4 der E-Commerce-RL statuiert für Dienste der Informationsgesellschaft den Grundsatz der Zulassungsfreiheit. Die Mitgliedstaaten sollen Unternehmen im Bereich des E-Commerce für ihre Online-Aktivitäten nicht besonderen zusätzlichen Zulassungserfordernissen unterwerfen.93 Dementsprechend sieht § 4 Abs 1 ECG vor, dass Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft für die Aufnahme und Ausübung ihrer Tätigkeit keine gesonderte Bewilligung, Zulassung, Genehmigung oder Konzession benötigen. Die Zulassungsfreiheit bezieht sich allerdings rein auf die Online-Aktivität (=den Dienst der Informationsgesellschaft)94 des im Internet tätigen Unternehmens. Zulassungsanforderungen, die sich für die Tätigkeit des Unternehmens aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, bleiben davon unberührt. Es gelten unverändert die Regelungen zB für die Anzeige eines Gewerbes nach der GewO,95 oder die Zulassungsregelungen für reglementierte Berufe, wie zB Anwälte oder Ärzte, ebenso wie die Zugangsregelungen nach dem Kapitalmarkt- und Bankenrecht usw. Sofern eine Online-Aktivität auch als elektronischer Kommunikationsdienst zu qualifizieren ist,96 sind - wie in § 4 Abs 2 TKG 2003 ausdrücklich festgehalten - die Genehmigungsvorschriften nach dem TKG 2003 einschlägig.97 In Zukunft werden, sofern es sich bei einem Dienst der Informationsgesellschaft auch um einen audiovisuel-
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Internet Provider auf Abwegen - Zur Rechtsnatur der Domainbeschaffung, ecolex 2004, 777. Inhaber einer Domain ist derjenige Berechtigte, der gegenüber nic.at die alleinigen Ansprüche auf Nutzung der Domain hat. Die Nutzungsbedingungen werden im Vertrag zwischen nic.at und dem Domaininhaber festgelegt. Diese Regeln gelten lediglich für die Eintragung der von der nic.at zu vegebenden Domains. Die Regeln für die Eintragung von Namen in den generischen Top Level Domains werden von den Registrierungsstellen, die diese vergeben, autonom unter Beachtung der internationalen Standards festgelegt. Dies gilt aber nur unbeschadet sonstiger Zulassungserfordernisse, die sich nicht speziell und ausschließlich auf „Dienste der Informationsgesellschaft“ (also die reine Online-Aktivität) beziehen. Zum Begriff „Dienst der Informationsgesellschaft“ vgl auch oben Pkt I.C.2.b. BGBl 1994/194 idF BGBl I 2006/15. Denn Anknüpfungspunkt der gewerberechtlichen Vorschriften ist nicht der Einsatz eines bestimmten Kommunikationsmediums, sondern die Art der Tätigkeit selbst. Zum Begriff des elektronischen Kommunikationsdienstes vgl Holoubek (FN 49). Zu diesen vgl Holoubek (FN 49).
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len Mediendienst handelt, uU besondere rundfunkrechtliche Zulassungsbestimmungen von Relevanz sein.98 In Bezug auf die Gewerbeordnung herrscht für Dienste der Informationsgesellschaft aber auch weitgehende Zulassungsfreiheit.99 EDV-spezifische Tätigkeiten und OnlineAktivitäten, wie etwa der computerunterstützte Einzel- und Massenversand von E-mailund Faxnachrichten, die Verwaltung und Bearbeitung von Datenbanken, die Datenverarbeitung oder das Telemarketing stellen freie Gewerbe dar, die lediglich einer Anzeige ohne einem Nachweis der Befähigung bei der Gewerbebehörde bedürfen. Auch die im Bereich des E-Commerce zentrale Tätigkeit des Vertriebs von Produkten über das Internet zählt als Handelsgewerbe zu den freien Gewerben. Davon ausgenommen ist ausdrücklich der Handel mit Medizinprodukten100 oder etwa der Waffenhandel.101
B. Allgemeine Informationspflichten Zum Schutz der Verbraucher und zur Gewährleistung lauterer Geschäftspraktiken haben im Internet tätige Unternehmen spezifische Transparenzerfordernisse zu beachten. Gemäß § 5 Abs 1 ECG, der Art 5 der E-CommerceRL umsetzt, sind Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft verpflichtet, den Internetnutzern folgende Informationen ständig, leicht und unmittelbar zugänglich zur Verfügung zu stellen: • Name oder Firma, • geographische Anschrift der Niederlassung, • Daten, die eine schnelle Kontaktaufnahme ermöglichen, wie zB die e-mailAdresse, • sofern vorhanden, Firmenbuchnummer und das Firmenbuchgericht, • soweit die Tätigkeit einer behördlichen Aufsicht unterliegt, die zuständige Aufsichtsbehörde. • Abs 2 sieht schließlich auch Transparenzverpflichtungen hinsichtlich der Preise der angebotenen Dienste vor. Diese Informationspflichten treten neben die allgemeinen Namens- und Kennzeichnungsvorschriften nach der Gewerbeordnung102 und nach den Rechtsvorschriften für reglementierte Berufe103 sowie auch neben die besonderen Transparenzerfordernisse gemäß der FernabsatzRL und der Fern-FinanzdienstleistungsRL bzw dem Fern-FinanzdienstleistungsG.104 So normiert § 5 Abs 1 Z 6 ECG, dass bei einem Diensteanbieter, der gewerbe- oder berufsrechtlichen Vorschriften unterliegt, zusätzlich die Kammer, der Berufsverband oder eine ähnliche Einrichtung, der er angehört, die Berufsbezeichnung und der Mit98 99 100 101 102 103
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Siehe dazu die Bestrebungen der EG zur Schaffung einer neuen RL für audiovisuelle Mediendienste. Vgl KOM (2005) 646 endg; Holoubek (FN 50). Siehe auch Zankl (FN 2) Rz 94 ff. § 94 Z 33 GewO. § 94 Z 40 GewO. Vgl §§ 63ff GewO. Etwa nach dem ÄrzteG (BGBl I 1998/169 idF BGBl I 2005/165), der Notariatsordnung (RGBl 1871/75 idF BGBl I 2005/164) oder der Rechtsanwaltsordnung, RGBl 1868/96 idF des Rechtsanwalts-Berufsrechts-Änderungsgesetzes 1999, BGBl I 1999/71. Zu diesen siehe etwa Fitzal, FernabsatzRL - Änderungen im KSchG, JAP 2000/2001, 109; Gruber, Das Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz, wbl 2005, 53; Leßmann/Leßmann, Geschäfte im Fernabsatz, in: Gounalakis (FN 10), 327.
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gliedstaat, in dem diese verliehen worden ist, sowie ein Hinweis auf die anwendbaren gewerbe- oder berufsrechtlichen Vorschriften und den Zugang zu diesen anzugeben ist; § 5 Abs 3 hält weiters ausdrücklich fest, das sonstige Informationspflichten von der Vorschrift des § 5 ECG unberührt bleiben.
C. Besondere Zulassungsvorschriften für Anbieter von E-Geldinstituten Die Bezahlung im Cyberspace mit elektronischem Geld spielt für die Realisierung des E-Commerce eine wesentliche Rolle, da mit dieser Zahlungsmöglichkeit105 die Anonymität im Internet am besten gewährleistet und die Kosten am geringsten gehalten werden können. Elektronisches Geld kommt - vereinfacht dargestellt - entweder als vorausbezahlte Chipkarte oder als eine auf einer Festplatte oder einem Rechner gespeicherte Datei106 vor.107 Unternehmen, die elektronisches Geld ausgeben und insofern ein E-Geldgeschäft betreiben - die E-Geldinstitute - werden eigenen Aufsichtsregelungen gemäß der E-GeldRL108, in innerstaatliches Recht durch das E-GeldG109 umgesetzt, unterworfen. Diese spezifischen Bestimmungen sollen den besonderen Risiken, die mit der Ausgabe von elektronischem Geld verbunden sind, Rechnung tragen, gleichzeitig aber auch die Entwicklung und Etablierung von elektronischem Geld und damit indirekt auch des elektronischen Geschäftsverkehrs fördern. Sie gestatten daher auch Unternehmen, die nicht auch über eine Konzession gemäß § 1 Abs 1 Z 1 und 3 BWG verfügen, die Ausgabe von elektronischen Geld. E-Geldinsitute lassen sich insofern in solche, die auch als Kreditinstitute iSd BWG zu qualifizieren sind und solche, die über keine Konzession nach BWG verfügen, unterscheiden. Letztere sind auf eng mit der Herausgabe von elektronischem Geld verknüpfte Dienstleistungen finanzieller und nichtfinanzieller Art beschränkt,110 unterliegen dafür aber auch etwas aufgelockerten Aufsichtsregelungen bei den Eigenmittelmittelanforderungen111, der Sicherstellung einer soliden und umsichtigen Geschäftsführung112 und den Kapitalanlagebeschränkungen113.
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Auch als e-money oder eCash bezeichnet. Neben der Bezahlung im Internet durch virtuelles Geld stellen die Kreditkarte, das Lastschriftverfahren und die Zahlung per Rechnung weitere Zahlungsmöglichkeiten dar. In diesem Zusammenhang ist auch von „Netzgeld“ die Rede. Vgl etwa Hoeren, Grundzüge des Internetrechts, 2001, 20 ff; Zu diesen Zahlungsmodalitäten im Internet siehe Escher-Weingart, Bankgeschäfte, in: Gounalakis (FN 10) 1301, 1321 ff. Vgl FN 44. Bundesgesetz über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E-Geldinstituten, BGBl I 2002/45 idF BGBl I 2006/48. In § 1 Abs 2 E-GeldG werden diese Geschäftstätigkeiten näher angeführt. Art 4 der E-GeldRL enthält Anforderungen an das Anfangskapital und das laufende Eigenkapital. Gem Art 7 E-GeldRL müssen e-Geld-Institute über eine solide und umsichtige Geschäftsführung, der Sorgfaltspflicht genügende Verwaltungs- und Rechnungslegungsverfahren und angemessene interne Kontrollmechanismen verfügen. Art 5 E-GeldRL.
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Eine besondere, für beide Typen von E-Geldinstituten gleichermaßen gültige aufsichtsrechtliche Vorschrift, die konkret auf das E-Geldgeschäft abstellt, ist die Bestimmung über den Geldrücktausch (§ 6), welche für Inhaber von E-Geld die Rücktauschbarkeit des elektronischen Geldes in Münzen und Banknoten zum Nennwert gewährleistet.114
D. Zuständigkeit österreichischer Behörden zur Durchsetzung der ordnungsrechtlichen Vorschriften im Bereich des E-Commerce Nach dem zentralen Herkunftslandsprinzip der E-CommerceRL sind auf die Aufnahme und die Ausübung der Tätigkeit eines Online-Anbieters die rechtlichen Anforderungen desjenigen Mitgliedstaates anzuwenden, in welchem dieser niedergelassen ist. Dies ist gem Art 2 lit c EC-RL bzw § 3 Z 2 ECG der Ort, an welchem der Anbieter mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit eine Wirtschaftstätigkeit tatsächlich ausübt. Demnach ist hinsichtlich der gewerbe- und sonstigen ordnungsrechtlichen Vorschriften im Bereich des E-Commerce die Zuständigkeit der österreichischen Behörden nur für jene Anbieter gegeben, die auch in Österreich niedergelassen sind. Dieses Ergebnis deckt sich im Wesentlichen mit den Zuständigkeitsregelungen der österreichischen ordnungsrechtlichen Vorschriften, die entsprechend dem im öffentlichen Recht vorherrschenden Grundsatz der Territorialität115 in der Regel ebenfalls am Wohnsitz bzw der Betriebsstätte der von der staatlichen Maßnahme Betroffenen anknüpfen.
IV. Die rechtlichen Rahmenbedingungen kommerzieller Kommunikation (Werbung) im Internet A. Kommerzielle Kommunikation im Internet Als kommerzielle Kommunikation gelten gemäß Art 2 lit f ECRL und § 3 Z 6 ECG „alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt“. Diese kommen im Internet überwiegend in der Form sogenannter Werbebanner (Werbepräsentationen auf Websites, die meist auch einen Hyperlink zur Website des Werbetreibenden beinhalten) und Pop-Up-Fenster (Browserfenster, die beim Öffnen einer Website zusätzlich geöffnet werden und nur einen Teil des Bildschirms ausfüllen und meist Werbung enthalten) vor. Darüber hinaus fallen unter den Begriff der kommerziellen 114
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Gem Art 3 E-GeldRL muss der Inhaber von elektronischem Geld während der Gültigkeitsdauer von der ausgebenden Stelle den Rücktausch zum Nennwert in Münzen und Banknoten oder in Form einer Überweisung auf ein Konto verlangen können, ohne dass dafür andere als die zur Durchführung dieses Vorgangs unbedingt erforderlichen Kosten in Rechnung gestellt werden dürfen. Dazu siehe insbesondere Ruthig, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Gounalakis (FN 10), 538.
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Kommunikation im Internet PR-Maßnahmen, von einem Unternehmen gesponsterte Testberichte sowie ganz allgemein produktbezogene Aussagen von Fachleuten, die sich auf einer Website finden oder die mittels elektronischer Post versandt werden (die sog Werbemails, auch als „Spams“ bezeichnet).116 Werbung spielt im Netz im Rahmen des E-Commerce eine vergleichsweise wichtige Rolle, weil Unternehmen in der virtuellen Welt, va jene die sich erst neu etablieren müssen, im Vergleich zu den Unternehmen in der realen Welt viel stärker darauf angewiesen sind. Dementsprechend hat die kommerzielle Kommunikation im Netz in den letzen Jahren erheblich zugenommen. Aus diesem Grund sind zusätzlich zu den bestehenden allgemeinen Werberegelungen nach dem UWG117 und den produkt- sowie tätigkeitsbezogenen Werbebeschränkungen118, die für sämtliche Werbeformen - unabhängig von der genutzten Übertragungsform - gelten, besondere, spezifisch auf die Internetwerbung zugeschnittene Bestimmungen entwickelt worden. Bei diesen handelt es sich um Transparenzanforderungen an die Internetwerbung, eine Vorschrift betreffend die nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation (sog „Spams“), und eine Regelung über die Zulässigkeit der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe.
B. Informationspflichten Angelehnt an die rundfunkrechtlichen Werberegelungen119 sehen Art 6 ECRL und § 6 ECG das Trennungsgebot und die Identifizierbarkeit von kommerzieller Kommunikation im Internet vor. „Werbung und andere Maßnahmen zur Absatzförderung“, die Bestandteil eines Dienstes der Informationsgesellschaft sind, sind klar und transparent zu gestalten und vom redaktionellen Teil der Website durch entsprechende Hinweise zu trennen.120 Zugaben, Preisausschreiben und Gewinnspiele sind - sofern gemäß § 9a UWG überhaupt zulässig121 darüber hinaus gesondert als solche zu bezeichnen.122 Weiters muss der Inter116 117
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Siehe auch Zankl (FN 2) Rz 107. Danach ist Werbung im Internet, die gegen die guten Sitten iSd § 1 UWG verstößt, wie etwa die anlehnende Werbung oder Werbung, die geeignet ist iSd § 2 UWG irrezuführen verboten. Ebenso unzulässig sind Zugaben, Preisausschreiben und Gewinnspiele iSd § 9a UWG. Siehe weiters auch die RL 1984/450/EWG über irreführende Werbung, Abl 1984 L 250/17. Diese sehen typischerweise strengere Anforderungen an die Bewerbung bestimmter Produkte, wie etwa Arzneimittel, Tabakerzeugnisse und gefährliche Stoffe, sowie an die Bewerbung bestimmter Berufsgruppen, wie zB Ärzte, Rechtsanwälte und Ziviltechniker vor. Zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in diesem Bereich siehe Bezemek/Ribarov, Content-Regulierung im engeren Sinn, in: BKA/IOER (FN 57), 119 ff. Zu diesen siehe etwa Grabenwarter, Inhaltliche und zeitliche Beschränkungen der Rundfunkwerbung, in: Berka/ders/Holoubek, Medienfreiheit versus Inhaltsregulierung, 2005, 33ff und Damjanovic, Die Regulierung von Werbeformaten, in: Berka/Grabenwarter/Holoubek, aaO, 63 ff. Vgl auch ErläutRV 817 BlgNR, 21. GP, 24. Zur Zulässigkeit dieser Werbemethoden in Massenmedien nach § 9a UWG Holoubek (FN 50). § 6 Abs 1 Z 3 und 4 ECG.
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netbenutzer über denjenigen, der hinter einer Werbemaßnahme steht, also etwa die Werbung in Auftrag gegeben, die Rechnung dafür bezahlt bzw die finanziellen Mittel dafür aufgewendet hat, informiert werden.123
1. Nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation - Spams Die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zu nicht angeforderter kommerzieller Kommunikation - es finden sich hierzu Bestimmungen in der E-CommerceRL, der FernabsatzRL 97/7124, der Fern-FinanzdienstleistungsRL125 und der EK-DatenschutzRL126 - lassen es den Mitgliedstaaten offen, die Zusendung von Werbemails entweder nach dem Opt-Out oder dem Opt-In Prinzip zu regeln. Nach dem Opt-Out Prinzip ist die Zusendung von Werbemails grundsätzlich zulässig, sofern dem Empfänger eine einfache und effektive Möglichkeit einer Mitteilung gegeben wird, dass derartige Botschaften künftig unerwünscht seien und dieser Wille auch respektiert wird. Nach dem Opt-In Prinzip ist die Zusendung hingegen nur bei Vorliegen der vorherigen Zustimmung des Empfängers zulässig.
Entscheidet sich ein Mitgliedstaat für die Regulierung der Werbemails nach dem Opt Out Prinzip, hat er gemäß Art 7 Abs 1 ECRL eine Liste einzurichten, in welche sich natürliche Personen eintragen können, die keine derartige kommerzielle Kommunikation zu erhalten wünschen. In Österreich gilt seit der Novelle BGBl I 2005/133 zu § 107 TKG 2003 nunmehr generell das Opt-In-Prinzip.127 Davor wurde noch unterschieden, ob sich die Werbemails an Unternehmer oder Verbraucher richteten. Die strenge Vorschrift des § 107 TKG 2003 gilt - da die Vorschriften über die Zusendung von Werbemails vom Herkunftslandprinzip der ECRL ausgenommen sind128 auch für ausländische Unternehmen. Die von der RTR-GmbH auf Grundlage von § 7 Abs 2 ECG geführte Liste ist, da in Österreich seit der Novelle zu § 107 TKG 2003 die Zusendung von Werbemails ohne die vorherige Zustimmung ohnehin nicht mehr möglich ist, an sich entbehrlich geworden.
2. Werbung für Angehörige geregelter Berufe In Umsetzung von Art 8 Abs 1 ECRL stellt § 8 Abs 1 ECG für Angehörige geregelter Berufe (zB Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte, Ärzte oder Apotheker) sicher, dass Werbung und andere Maßnahmen zur Absatzförderung im Rahmen der von ihnen angebotenen Dienste der Informationsgesellschaft grundsätzlich zulässig sein sollen. Die, im Berufsrecht dieser Anbieter festgelegten Werbeverbote und -beschränkungen, bleiben davon gemäß Abs 2 allerdings unberührt.129 Im Ergebnis bedeutet dies, dass im Bereich der regle123 124 125 126 127
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§ 6 Abs 1 Z 2 ECG. FN 47. FN 48. RL 2002/58/EG, Abl 2002 L 201/37 idF RL 2006/24/EG, Abl 2006 L 105/54/EG. Dieses bezieht sich dabei nicht nur auf Werbemails, sondern allgemein auf massenhaft (über 50) zugesendete E-Mails. Vgl auch RTR-GmbH, Informationen betreffend unerwünschte Werbung mittels elektronischer Post (Spam), abrufbar www.rtr.at. Dazu schon oben Punkt I.C.d. Diese Bestimmung hat - wie auch in den ErläutRV bemerkt wird - im Wesentlichen nur deklaratorischen Charakter. Denn das österreichische Berufsrecht sieht keine
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mentierten Berufe Online-Werbung grundsätzlich zulässig ist, sofern sie sachlich und unaufdringlich ist und nicht gegen Ehre und Würde des Standes verstößt.130
V. Verantwortlichkeit im Internet A. Allgemeine Haftungsregelungen Wer im Rahmen des E-Commerce für die Einhaltung der dargestellten wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Regelungen verantwortlich und damit gegebenenfalls auch Adressat von Beseitigungsanordnungen und sonstigen Maßnahmen der Behörde ist, bestimmt sich auch für die im Internet tätigen Unternehmen nach den jeweils einschlägigen wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Vorschriften. Das ist zB für die Genehmigungs- und sonstigen Pflichten nach der GewO der Gewerbetreibende bzw, soweit bestellt, der fakultative Geschäftsführer.131 Derjenige, der eigene Inhalte im Internet anbietet, ist für die Einhaltung der diversen an die Ausgestaltung der Inhalte anknüpfenden Vorschriften,132 etwa nach dem MedienG, dem UWG, dem VerbotsG, den Jugendschutzbestimmungen usw verantwortlich.
B. Haftungsregelungen nach dem ECG Zusätzlich sehen die E-Commerce-spezifischen Bestimmungen für Unternehmen, die im Internet bloße Vermittlungsleistungen anbieten,133 besondere Haftungsprivilegierungen vor, die sich auf die zivil-, straf- und verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit beziehen. Der Beweggrund für die Privilegierung dieser Unternehmen liegt in der Tatsache, dass eine effektive Kontrolle der übergroßen Mengen an Informationen, die von diesen Anbietern vermittelt werden, einfach unmöglich ist. Die Bestimmungen sehen hier eine abgestufte Regulierung vor, je nach der konkreten Art der Tätigkeit des Diensteanbieters und der damit verbundenen Möglichkeit auf die von ihm vermittelten Inhalte Kontrolle zu nehmen. Die Bestimmungen unterscheiden dabei zwischen Anbietern, die allein den Zugang zum Kommunikationsnetz vermitteln und insofern die Inhalte bloß durchleiten - die sog Access Provider - und denjenigen, die die Informationen auf ihrem Server auch speichern - die Service Provider. Bei letzteren unterscheidet man wiederum die Tätigkeit des „Catching“ - die bloß
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spezifischen auf das Kommunikationsmedium Internet bezogenen Werbeverbote oder -beschränkungen vor, und die Gültigkeit der berufsrechtlichen Vorschriften über die Werbung auch im Online-Verkehr ergibt sich bereits aus dem „Grundsatz der Medienneutralität des Rechts“. Zu den einzelnen berufsrechtlichen Vorschriften siehe auch Zankl, Rz 123 ff; Zur Frage der Zulässigkeit elektronischer Rechtsberatung im Netz siehe Knöfel, Elektronische Rechtsberatung. Internationalrechtliche Aspekte und österreichisches Berufsrecht, MR-Int 2005, 140 ff. Vgl Grabler/Holzlechner/Wendl, Gewerbeordnung. Kommentar2, § 38 GewO, Rz 4 und § 39, Rz 5. Zu diesen näher Holoubek (FN 50). Dh, der Dienst der Informationsgesellschaft besteht lediglich darin, fremde Inhalte bzw den Zugang zu dem Inhalt fremder Server zu vermitteln.
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vorübergehende automatische Zwischenspeicherung zur effizienteren Übermittlung der Informationen - und das „Hosting“ - das Speichern und Bereithalten bestimmter Daten zum Abruf im Auftrag eines Nutzers. Weiters sehen die Regelungen auch für Anbieter von Suchmaschinen oder anderen elektronischen Hilfsmitteln zur Auffindung von Informationen sowie für das „Setzen von Links“ besondere Haftungsprivilegierungen vor. Im Grundsatz gilt: Für die Tätigkeit des „Hosting“134 und für das Setzen von Links135 sind die Anbieter für die Inhalte straf- und verwaltungsstrafrechtlich nur bei positiver Kenntnis dieser Inhalte und bei zumindest grob fahrlässiger Unkenntnis auch zivilrechtlich verantwortlich bzw werden dafür verantwortlich, wenn sie ab Kenntnis der Rechtswidrigkeit nicht unverzüglich handeln, um die Informationen zu entfernen bzw zu sperren. Für die bloße Durchleitung von Informationen,136 dem das Catching gleichgestellt wird,137 und für das Anbieten von Suchmaschinen sind die Anbieter hingegen grundsätzlich nur dann verantwortlich, wenn sie die Übermittlung selbst veranlassen sowie wiederum wenn sie ab Kenntnis der Rechtswidrigkeit nicht unverzüglich handeln, um die Informationen zu entfernen bzw zu sperren.138
VI. Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus für den elektronischen Geschäftsverkehr Die sichere Nutzung im Internet - eine grundlegende Voraussetzung für den prognostizierten Erfolg des E-Commerce - wird zum einen durch das allgemeine Datenschutzrecht139 und die besonderen datenschutzrechtlichen Bestimmungen für die elektronischen Kommunikationsmärkte140 sichergestellt.141 Zum anderen ist für die sichere Abwicklung von Rechtsgeschäften auf elektronischem Weg die elektronische Signatur entwickelt worden. Bei dieser handelt es sich um eine Art „Siegel zu den elektronischen Daten“, die der Absender gemeinsam mit seiner Nachricht an den Empfänger übermittelt, wodurch Letzterer den Urheber und die Unverfälschtheit der erhaltenen Nachricht überprüfen und damit auf die erhaltene Nachricht vertrauen und sie zur Grund-
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Art 14 E-CommerceRL§ 16 ECG. § 17 ECG. Art 12 E-CommerceRL, § 13 ECG. Art 13 E-CommerceRL, § 15 ECG. Im Einzelnen zu diesen Bestimmungen auf innerstaatlicher Ebene Brenn (Hrsg), ECG, 2002, 259 ff; einen guten Überblick mit Judikaturnachweisen zu diesem Bereich bietet auch Gruber, Medienrecht und neue Medien, 2006, 37 ff. Zu diesem und insb auch seine Anwendung auf Internetsachverhalte Duschanek, in diesem Band; Brandl, Datenschutz im Internet, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (FN 6). Hierzu vgl Holoubek (FN 49) und ausführlich Damjanovic/Holoubek/ Kassai/Lehofer/Urbantschitsch, Handbuch des Telekommunikationsrechts, 2006, 230 ff. Darüber hinaus dienen auch diverse EU-Förderprogramme dem Ziel, die Sicherheit der Netze auszubauen. Siehe etwa Beschluss Förderung der sicheren Nutzung des Internet, Abl 2005 C 17/6.
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lage eigenen rechtverbindlichen Handelns machen kann.142 Mit der Signaturrichtlinie143 und dem Signaturgesetz144 ist ein rechtlicher Rahmen für den Einsatz solcher elektronischer Signaturen geschaffen worden, der zum einen die Voraussetzungen für die Verwendung der Signaturen und zum anderen die Rechtswirkungen solcher Signaturen festlegt. Das österreichische SigG unterscheidet zwischen der einfachen und der sicheren bzw qualifizierten elektronischen Signatur. Nur letztere entfaltet dieselben Rechtswirkungen wie eine eigenhändige Unterschrift. Eine elektronische Signatur wird dann als sichere elektronische Signatur anerkannt, wenn sie mit Hilfe eines elektronischen Zertifikats einem Aussteller durch neutrale Stellen, auf die der Rechtsverkehr vertrauen kann, dauerhaft zugeordnet wird. Als solche neutralen Stellen sehen die einschlägigen Vorschriften private Unternehmen vor, die sog Zertifizierungsdiensteanbieter, die sich vor Aufnahme ihrer Tätigkeit einem strengen Akkreditierungsverfahren zu unterziehen haben. Zuständig für die Akkreditierung und die Aufsicht dieser Anbieter ist die Regulierungsbehörde für die elektronischen Kommunikationsmärkte - konkret die Telekom-Control-Kommission.145 Der Beweggrund für die Einrichtung eines Akkreditierungssystems in diesem Bereich ist die Förderung von Innovationen und technischen Entwicklungen bei Signaturprodukten. Diese sollen im Binnenmarkt frei vertrieben werden können. Zertifizierungsdiensteanbieter aus anderen Mitgliedstaaten dürfen daher gemäß Art 4 der SigRL nicht eingeschränkt werden.146 Zertifikate aus Drittstaaten außerhalb der EU sind nach Art 7 der SigRL den „europäischen“ Zertifikaten gleichgestellt, wenn die Diensteanbieter die Anforderungen der SigRL erfüllen und unter einem Akkreditierungssystem eines Mitgliedstaats zugelassen oder im Rahmen einer bilateralen oder multilateralen Vereinbarung zwischen der Gemeinschaft und Drittländern oder internationalen Organisationen anerkannt sind.
Durch die dauerhafte Zuordnung einer elektronischen Signatur an eine bestimmte Person durch einen Zertifizierungsdiensteanbieter (und ihrer damit verbundenen Qualifikation als sichere elektronische Signatur) kann sie wie eine eigenhändige Unterschrift genutzt werden. Sie entfaltet Rechtsverbindlichkeit und ist als Beweismittel anzuerkennen.147
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Näher zu den technischen Grundlagen einer elektronischen Signatur Menzel, Elektronische Signaturen, 2000, 25 ff. RL 1999/93/EG, Abl 2000 L 13/12. Ausführlich zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben Gravesen/Dumortier/van Eecke, Die europäische Signaturrichtlinie - Regulative Funktion und Bedeutung der Rechtswirkung, MMR 1999, 577. BGBl I 1999/190 idF idF BGBl I 2005/164, näher ausgeführt durch die Signaturverordnung BGBl II 2000/30. Für eine Liste der in Österreich akkreditierten Diensteanbieter siehe http://www.signatur.rtr.at/de/providers/providers.html. Zum Akkreditierungssystem im Bereich der elektronischen Signaturen sowie allgemein zu den staatlichen Steuerungsmöglichkeiten im Internet Holznagel, Staatliche Verantwortung im Internet, in Studiengesellschaft (FN 6). Jud/Högler-Pracher, Die Gleichsetzung elektronischer Signaturen mit der eigenhändigen Unterschrift, ecolex 1999, 610.
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Damjanovic
VII. Durchsetzung der wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Anforderungen im Bereich des E-Commerce Art 19 Abs 1 ECRL verpflichtet die Mitgliedstaaten geeignete Aufsichts- und Untersuchungsinstrumente zur Regulierung des E-Commerce vorzusehen. Angesichts der Tatsache, dass es kein E-Commerce-Recht als solches gibt, der elektronische Geschäftsverkehr vielmehr eine Querschnittsmaterie darstellt, der die Anwendbarkeit diverser verwaltungsrechtlicher Vorschriften begründet, ist mit dem ECG keine gesonderte „E-Commerce-Behörde“ geschaffen worden. Die Aufsicht über Dienste der Informationsgesellschaft kommt daher denjenigen Verwaltungsbehörden zu, die nach den einschlägigen verwaltungsrechtlichen Vorschriften (GewO, MedG etc) zuständig sind. Zur Aufsicht der Zertifizierungsanbieter für elektronische Signaturen wird im SigG die RTR-GmbH ernannt. Zur leichteren und effektiven Durchsetzung der Regelungen für den E-Commerce Bereich gibt Art 17 ECRL den Mitgliedstaaten vor, Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung auch auf elektronischem Weg vorzusehen. Art 18 verpflichtet die Mitgliedstaaten weiters Klagemöglichkeiten bereitzustellen, die eine schnelle Unterbindung von Rechtsverletzungen im Bereich des E-Commerce, dh eine rasche Durchsetzung von rechtlichen Ansprüchen ermöglichen.
Thomas Eilmansberger
Gewerblicher Rechtsschutz Rechtsgrundlagen ...........................................................................................168 Grundlegende Literatur...................................................................................171 I. Grundlagen ................................................................................................173 A. Allgemeines............................................................................................173 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................174 1. Zuständigkeitsgrundlage für legistische Gemeinschaftsmaßnahmen ...............................................................174 2. Innerstaatliche Zuständigkeit ............................................................175 C. Anwendbares Recht - Internationales Privatrecht ................................175 D. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen .................177 1. Internationales Recht.........................................................................177 2. Gemeinschaftsrecht ...........................................................................178 E. Behörden................................................................................................179 II. Markenrecht.............................................................................................180 A. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen..................180 1. Das internationale Markenrecht ........................................................180 2. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben...................................................182 B. Zweck des Markenrechts........................................................................183 C. Die Marke..............................................................................................185 1. Der Begriff der Marke.......................................................................185 2. Markenfunktionen .............................................................................188 3. Inhaber des Markenrechts .................................................................189 D. Inhalt des Markenrechts........................................................................189 1. Rechtsinhalt.......................................................................................189 2. Rechtsbehelfe ....................................................................................196 3. Schutzdauer .......................................................................................197 E. Erwerb des Markenrechts......................................................................197 F. Verlust des Markenrechts ......................................................................199 G. Übertragung, Belastung und Lizenzierung des Markenrechts..............201 H. Zuständigkeiten .....................................................................................204 III. Patentrecht..............................................................................................205 A. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Vorgaben .....................205 1. Das internationale Patentrecht...........................................................205 2. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben...................................................206 B. Zweck des Patentrechts..........................................................................207 C. Das Patent .............................................................................................207 D. Inhalt des Patentrechts..........................................................................210 1. Rechtsinhalt.......................................................................................210 2. Rechtsbehelfe ....................................................................................212
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E. Patenterteilungsverfahren..................................................................... 215 F. Anspruchsberechtigte............................................................................ 217 G. Verlust des Patentrechts ....................................................................... 218 H. Übertragung, Belastung und Lizenzierung des Patentrechts ............... 219 I. Zuständigkeiten ...................................................................................... 220 IV. Gebrauchsmuster................................................................................... 221 A. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ................. 221 B. Zweck des Gebrauchsmusterrechts ....................................................... 222 C. Das Gebrauchsmuster........................................................................... 222 D. Inhalt des Gebrauchsmusterrechts ....................................................... 223 E. Registrierung des Gebrauchsmusterrechts ........................................... 224 F. Anspruchsberechtigte............................................................................ 226 G. Verlust des Gebrauchsmusterrechts ..................................................... 226 H. Übertragung, Belastung und Lizenzierung des Gebrauchsmusterrechts.................................................................. 227 I. Zuständigkeiten ...................................................................................... 227 V. Geschmacksmusterrecht ......................................................................... 228 A. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ................. 228 B. Zweck des Geschmacksmusterrechts..................................................... 229 C. Das Geschmacksmuster ........................................................................ 229 D. Inhalt des Geschmacksmusterrechts..................................................... 232 E. Registrierung......................................................................................... 232 F. Anspruchsberechtigte............................................................................ 233 G. Verlust des Geschmacksmusterrechts................................................... 233 H. Übertragung, Belastung und Lizenzierung des Geschmacksmusterrechts...................................................................... 233 I. Zuständigkeiten ...................................................................................... 234 VI. Halbleiterschutzrecht ............................................................................ 234 A. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ................. 234 B. Zweck des Halbleiterschutzrechts ......................................................... 235 C. Der Halbleiterschutz............................................................................. 235 D. Inhalt des Halbleiterschutzrechts ......................................................... 236 E. Registrierungsverfahren........................................................................ 237 F. Anspruchsberechtigte............................................................................ 237 G. Verlust des Halbleiterschutzrechts ....................................................... 237 H. Übertragung, Belastung und Lizenzierung des Halbleiterschutzrechts .................................................................... 238 I. Zuständigkeiten ...................................................................................... 238 Rechtsgrundlagen: Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, zuletzt revidiert in Stockholm am 14. 7. 1967 - PVÜ (BGBl 1973/399 idF BGBl 1984/384); Madrider Abkommen über die Internationale Registrierung von Marken, zuletzt revidiert in Stockholm am 14. 7. 1967 - MMA (BGBl 1973/400 idF BGBl 1984/123);
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Straßburger Abkommen über die internationale Patentklassifikation v 24. 3. 1971 (BGBl 1975/517 idF BGBl 1984/125); Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens PCT (BGBl 1979/348 idF BGBl III 2002/132); Ausführungsordnung zum Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (BGBl 1979/348 idF BGBl III 2005/144); Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente - EPÜ (BGBl 1979/350 idF BGBl 1999 III/63); Abkommen von Nizza über die Internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken, revidiert in Stockholm am 14. 7. 1967 (Stockholmer Fassung) (BGBl 1973/401 idF BGBl 1984/124); Abkommen von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957, revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967 und in Genf am 13. Mai 1977 (Genfer Fassung) (BGBl 1982/340 idF BGBl 1984/124); Budapester Vertrag über die internationale Anerkennung der Hinterlegung von Mikroorganismen für die Zwecke von Patentverfahren unterzeichnet in Budapest am 28. 4. 1977 (BGBl 1984/104 idF BGBl 1984/315); Abkommen von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. 10. 1968, geändert am 2. 10. 1979 (BGBl 1990/496); Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO-Abkommen) samt Schlussakte, Anhängen, Beschlüssen und Erklärungen der Minister sowie österreichische Konzessionslisten betreffend landwirtschaftliche und nichtlandwirtschaftliche Produkte und österreichische Verpflichtungslisten betreffend Dienstleistungen (BGBl 1995/1 idF BGBl 1995/379) insb. Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums - TRIPS-Abkommen (Anhang 1C des WTO-Abkommens); Protokoll zum Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken PMMA (BGBl 1999 III/32). Stellungnahme der Kommission vom 26. September 1975 betreffend den Entwurf eines Übereinkommens über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt (75/597/EWG) (Abl 1975 L 261/26); Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt (76/76/EWG) (Abl 1976 L 17/1) idF der Entschließung des Rates vom 15. Dezember 1975 (Abl 1976 L 43/22) - Gemeinschaftspatentübereinkommen; Empfehlung der Kommission vom 5. Februar 1976 an die Mitgliedstaaten über die in den Patentübereinkommen bezeichneten Maßeinheiten (76/223/EWG) (Abl 1976 L 43/1); Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht EVÜ (Abl 1980 L 266/1 idF Abl 1998 C 27/34); Richtlinie 87/54/EWG über den Rechtsschutz der Topographien von Halbleitererzeugnissen (Abl 1987 L 24/36); Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (Abl 1989 L 40/1) idF Abl 1994 L 1/48); Vereinbarung über Gemeinschaftspatente - Geschlossen in Luxemburg am 15. Dezember 1989 (89/695/EWG) (Abl 1989 L 401/1); Gemeinsame Erklärung. Vereinbarung über Gemeinschaftspatente (Abl 1989 L 401/57); Verordnung (EWG) 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel (Abl 1992 L 182/1); Verordnung (EG) 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (Abl 1994 L 11/1) idF Verordnung (EG) 422/2004 (Abl 2004 L 70/1);
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Verordnung (EG) 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (Abl 1994 L 227/1) idF Verordnung (EG) 873/2004 (Abl 2004 L 162/38); Verordnung (EG) 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel (Abl 1996 L 198/30); Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (Abl 1998 L 213/13); Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen - GeschmacksmusterRL (Abl 1994 L 289/28); Verordnung (EG) 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Abl 2002 L 3/1); Verordnung (EG) 1383/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen (Abl 2003 L 196/7); Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Abl 2004 L 157/45); Verordnung (EG) 510/2006 des Rates vom 20. März 2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (Abl 2006 L 93/12); Verordnung (EG) 816/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Zwangslizenzen für Patente an der Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen für die Ausfuhr in Länder mit Problemen im Bereich der öffentlichen Gesundheit (Abl 2006 L 157/1). UrheberrechtsG (BGBl 1936/111 idF BGBl I 2006/81); PatentG 1970 - PatG (BGBl 1970/259 idF BGBl I 2006/96); MarkenschutzG 1970 - MSchG (BGBl 1970/260 idF BGBl I 2006/96); Bundesgesetz über das internationale Privatrecht - IPRG (BGBl 304/1978 idF BGBl I 2004/58); Patentverträge-Einführungsgesetz - PatV-EG (BGBl 1979/52 idF BGBl 2005/42); Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG (BGBl 1984/448 idF BGBl I 2006/106); HalbleiterschutzG - HlSchG (BGBl 1988/372 idF BGBl I 2006/96); MusterschutzG 1990 - MuSchG (BGBl 1990/497 idF BGBl I 2005/151); GebrauchsmusterG - GMG (BGBl 1994/211 idF BGBl I 2005/151); SchutzzertifikatsG - SchZG (BGBl I 1997/11 idF BGBl I 2004/149) Patentamtsgebührengesetz - PAG (BGBl I 2004/149 idF BGBl 2005/131) Halbleiterschutz-VO - HlSchV (BGBl 1988/528 idF BGBl 1996/439); Gegenseitigkeit bei der Einräumung von Prioritätsrechten (BGBl II 2000/127); PatentamtsgebührenVO - PAGV (BGBl II 2005/469); PatentamtsVO 2006 - PAV 2006 (PBl 2005, Nr 12, Anhang 4); TeilrechtsfähigkeitsVO - TRFV (PBl 2005, Nr 6, Anhang 2); Standard Sequenzprotokolle - Standard für die Darstellung von Nucleotid- und Aminosäuresequenzprotokollen in Patentanmeldungen (PBl 2005, Nr 6, Anhang 3); Standard Sequenzprotokolle Anhang - Standard für die Darstellung von Nucleotid- und Aminosäuresequenzprotokollen in Patentanmeldungen - Anhang 1 (PBl 2005, Nr 6, Anhang 3)
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Grundlegende Literatur: Czernich, Artikel 4, in: Czernich/Heiss (Hrsg), EVÜ Das Europäische Schuldvertragsübereinkommen: Kommentar, 1999, 56; Dörmer, Dispute Settlement and New Developments Within the Framework of TRIPs - An Interim Review, IIC 2000, 1; Dreier, TRIPs and the Enforcement of Intellectuel Property Rights, in: Beier/Schricker (Hrsg), From GATT to TRIPs - The Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, 1996, 248; Enzinger, Teilrechtsfähigkeit und Verkehrsschutz - Überlegungen zur Teilprivatisierung des Patentamtes, ÖBl 1998, 137; Fallenböck, Zur kollisionsrechtlichen Anknüpfung von Immaterialgüterrechtsverträgen nach dem Europäischen Vertragsrechtsübereinkommen (EVÜ), ZfRV 1999, 98; Gamerith, Parallelimport und Markenpiraterie, FS Koppensteiner, 2001; Gamerith, Der Oberste Patent- und Markensenat, eine Höchstinstanz in Konkurrenz zum OGH? ÖBl 1999, 111; Hauser/ Thomasser, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht, 1998; Heinemann, Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung, 2002; Hohenecker/Friedl, Wettbewerbsrecht, 1959; Kiss/Horvath, Zur Frage des öffentlich-rechtlichen Charakters des Patent- und des Markenrechtes, ÖBl 1967, 121; Knittel/Kucsko, Musterschutzgesetz, 1991; Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht3, 1997; Kucsko, Geistiges Eigentum, 2003; Kucsko, Österreichisches und europäisches Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht4, 1995; Loos, Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums: Verfahren und Sanktionen, ÖBl 1997, 267; Verschraegen, IPRG, in Rummel, ABGB - Kommentar, 2. Band, 6. Teil3, 2004; Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts9, 2000. Markenrecht Alber, Das Allgemeininteresse in der markenrechtlichen Entscheidungspraxis des EuGH, GRUR 2005, 127; Asperger/Stangl, Memo „Verkehrsgeltungsnachweis“, ecolex 1999, 783; Barfuß, Das Gütezeichen, ÖBl 1969, 128; Bender, Neue Markenformen in Alicante, MarkenR 1999, 117; Brandl/Fallenböck, Zu den namens- und markenrechtlichen Aspekten der Domain-Namen im Internet, wbl 1999, 481; Burgstaller, Domainübertragung auch im Provisorialverfahren? MR 2002, 49; Ecker/Kranebitter/Mittermair, Markenbewertung, RWZ 2000, 49; Engin-Deniz, Markenschutzgesetz und weitere kennzeichenrechtliche Bestimmungen, 2005; Enzinger, Grenzenloses Firmenrecht Auswirkungen des EU-Beitritts, ÖBl 1994, 99; Essl, Die Registrierbarkeit von Geruchsmarken, ÖBl 2001, 51; Fezer, Markenrecht3, 2001; Fink, Verkehrsauffassung Rechts- oder Tatfrage? RdW 1986, 230; Gladt, Zum Rechtsschutz für berühmte und bekannte Marken, ÖBl 1993, 49; Graschitz, Kennzeichenmäßiger Gebrauch durch Domainregistrierung, ecolex 2003, 38; Gruber, Freiwerden einer registrierten Marke, JBl 2000, 545; Gruber, Kfz-Werkstätte und Markenschutz - EuGH Rs C-63/97 „BMW“, wbl 1999, 539; Helm, Die bösgläubige Markenanmeldung, GRUR 1996, 593; Herzig, Freie Markenbenutzung im Zollausschlussverfahren? ÖBl 2006, 107; Hiti, Zur Drittwirkung von Marken- und Patentlizenzen, ÖBl 2003, 4; Hochedlinger/Wolfmair, Duftmarken als neue Markenform? ecolex 2001, 288; Höhne, Zum Stand der Domain-Judikatur des OGH, MR 2000, 356; Jaeger-Lenz, Neues zum Farbenschutz, WRP 1999, 290; Jahn/Häussle, Aktuelle Entscheidungspraxis zum Internet im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes, GesRZ 2003, 66; Karl, Ungeklärte markenrechtliche Probleme bei Domain-Namen, ÖBl 2006, 171; Kucsko (Hrsg), marken.schutz, 2006; Kucsko, Die Gemeinschaftsmarke, 1996; Kucsko, Schmarotzen im Netz, ÖBl 1999, 1; Pöchhacker, Die Bedeutung der ersten Markenrichtlinie für das österreichische Markenrecht, in: Koppensteiner (Hrsg), Österreichisches und europäischen Wirtschaftsprivatrecht, Teil 2: Geistiges Eigentum, 1996, 1; Preglau, Markenregistrierung - mit oder ohne Widerspruch, ÖBl 1994, 247; Rahmatian, Die Agentenmarke, ÖBl 1997, 279; Sack, Probleme des Inlandswettbewerbs mit Auslandsbezug nach deutschem und österreichischem
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Gewerblicher Rechtsschutz
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I. Grundlagen A. Allgemeines Der Begriff „gewerblicher Rechtsschutz“ stellt eine Sammelbezeichnung für verschiedene Rechtsnormen dar, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, unternehmerische oder gewerblich verwertbare Güter und Leistungen immaterieller Natur zu schützen. Diese Vorschriften lassen sich grob in drei Kategorien einteilen1. In die erste Kategorie fallen Vorschriften, die auf den Schutz der Ergebnisse bestimmter gewerblich verwertbarer Leistungen abzielen. Bei diesen Leistungen handelt es sich um Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse (§ 11 UWG), Erfindungen (PatentG), Design (MusterschutzG), „kleine“ Erfindungen (GebrauchsmusterG), Topographien von Mikrochips (HalbleiterschutzG) sowie künstlerische Leistungen (§ 66 Abs 5, §§ 73-76a und § 79 UrheberrechtsG). Zur zweiten Kategorie von Vorschriften des gewerblichen Rechtsschutzes, den kennzeichenrechtlichen Vorschriften, zählen der lauterkeitsrechtliche Schutz von Kennzeichenrechtsverletzungen (§ 9 UWG), das MarkenschutzG, der im HGB (§ 37) vorgesehene Firmenschutz, der im ABGB (§ 43) vorgesehene Namensschutz, der im UrheberrechtsG in Bezug auf einschlägige Werke vorgesehene Titel- und Ausstattungsschutz sowie der im SortenschutzG (§ 14) vorgesehene Schutz für Sortenbezeichnungen. Die dritte Kategorie von Vorschriften über den gewerblichen Rechtsschutz umfasst jene Bestimmungen, die allgemein unlautere, dh nicht auf dem Prinzip des Leistungswettbewerbs beruhende, Beeinträchtigungen unternehmerischer Tätigkeit behandeln. Sie sind in erster Linie im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb enthalten. 1
Nach Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 13 f.
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Verschiedene der vorgenannten Vorschriften des gewerblichen Rechtsschutzes gewähren sog „gewerbliche Schutzrechte“. Es handelt sich dabei um subjektive Rechte des Privatrechts, genauer um Vermögensrechte an geistigen Produkten, die ebenso wie dingliche Rechte grundsätzlich übertragbar und verpfändbar sind. Gewerbliche Schutzrechte sind weiters absolute, dh gegen jedermann durchsetzbare Rechte. Sie verleihen insbesondere auch die Befugnis, andere vom bestimmungsgemäßen Gebrauch auszuschließen oder eine angemessene Vergütung zu verlangen. Diese Vermögensrechte an geistigen Produkten werden häufig als „Immaterialgüterrechte“ bezeichnet2. Zahlreiche Vorschriften des gewerblichen Rechtsschutzes enthalten Elemente sowohl des Privatrechts als auch des öffentlichen Rechts. Die Vorschriften betreffend den Inhalt und den Schutz von Immaterialgüterrechten gehören dem Privatrecht an3 und sind von Gerichten zu vollziehen. Die Vorschriften betreffend die Gewährung und Entstehung von gewerblichen Schutzrechten (nicht also von Immaterialgüterrechten, die sich auf nicht gewerbliche Leistungen beziehen) sind jedoch dem öffentlichen Recht zuzuordnen4. Sie werden von Behörden (in der Regel vom Patentamt) vollzogen. Der Ausrichtung dieses Handbuchs entsprechend beschränkt sich die nachfolgende Darstellung des gewerblichen Rechtsschutzes auf jene Vorschriften, die eine solche öffentlich-rechtliche Prägung aufweisen und durch österreichische Behörden vollzogen werden5. Es handelt sich dabei um die Vorschriften über den Markenschutz, den Patentschutz, den Musterschutz, den Gebrauchsmusterschutz und den Halbleiterschutz. Seiner praktischen Bedeutung entsprechend wurde der Schwerpunkt auf das Markenrecht gelegt.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Zuständigkeitsgrundlage für legistische Gemeinschaftsmaßnahmen Gemeinschaftsregelungen, die auf eine Harmonisierung des mitgliedstaatlichen Rechts im Bereich der gewerblichen Schutzrechte abzielen, können auf der Grundlage von Art 95 EG-V erlassen werden. In dieser Vorschrift wird der Gemeinschaftsgesetzgeber zur Rechtsangleichung im Binnenmarkt ermächtigt, genauer zum Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes 2
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Der Begriff der Immaterialgüterrechte ist allerdings etwas weiter, weil er auch Rechte an nicht gewerblichen Leistungen (geistige Werke und Leistungen ausübender Künstler) erfasst. Diese Fragen werden dementsprechend auch in einem Gesetz über das internationale Privatrecht (vgl § 34 IPRG) geregelt. Kiss/Horvath, 121. Aus der Betrachtung ausgeklammert bleiben daher die im Wesentlichen von Gemeinschaftsorganen vollzogenen Vorschriften des gewerblichen Rechtsschutzes, nämlich die GemeinschaftsmarkenVO sowie die VO über den Schutz von geographischen Bezeichnungen und Ursprungsangaben. Im Hinblick auf den begrenzten Rahmen dieser Darstellung nicht berücksichtigt werden ferner der Sortenschutz sowie Arzneimittel.
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ist dieser Bezug zum Funktionieren des Binnenmarktes zweifelsfrei gegeben. Es ist davon auszugehen, dass Unterschiede im Schutzniveau und in den Schutzvoraussetzungen für geistiges Eigentum den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, unter Umständen auch den freien Niederlassungsverkehr, behindern und die Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen Markt verfälschen können. Mit diesem oder einem ähnlichen Hinweis wurden Rechtsangleichungsmaßnahmen im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes bisher auch immer begründet6. Will der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Vorschrift erlassen, die über bloße Rechtsangleichung hinaus geht, kommt Art 95 EG-V als Rechtsgrundlage nicht mehr in Betracht. Dies gilt etwa für die Erzeugung von Einheitsrecht zur Begründung genuin gemeinschaftsrechtlicher Schutzrechte. Da dies und die damit verbundene Überwindung des Territorialprinzips als Ziel der Gemeinschaft im Rahmen des Gemeinsamen Marktes angesehen werden kann, kommt als Kompetenzgrundlage für Maßnahmen dieses Typs Art 308 EG-V in Frage. Die GemeinschaftsmarkenVO wurde dementsprechend auf der Grundlage dieser Kompetenzbestimmung erlassen. Auf Art 308 EG-V gründet auch die GeschmacksmusterVO und der Vorschlag für eine VO über ein Gemeinschaftspatent. Ein Sonderfall ist die VO zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, für die der Gemeinschaftsgesetzgeber auf eine mehr oder weniger ausdrückliche Zuständigkeit in Art 37 EG-V zurückgreifen konnte.
2. Innerstaatliche Zuständigkeit Innerstaatlich ist die Kompetenzlage im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes eindeutig. Gemäß Art 10 Abs 1 Ziff 8 B-VG fallen das Patentwesen, der Schutz von Mustern, Marken und anderen Warenbezeichnungen sowie die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs in Gesetzgebung und Vollziehung in die Zuständigkeit des Bundes. Der VfGH hat den zivilrechtlichen Charakter der Materien des „Patentwesens“ sowie des Schutzes „von Mustern, Marken und anderen Warenbezeichnungen“ iS des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG (und deren Subsumption unter den Begriff Zivilrechtswesen iS des Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) auch im Hinblick darauf verneint, dass bei Immaterialgüterrechten, die durch einen konstitutiven behördlichen Akt entstehen, eine wesentliche öffentlichrechtliche Komponente hinzutritt7.
C. Anwendbares Recht - Internationales Privatrecht Auseinandersetzungen um Immaterialgüterrechte haben häufig internationale Bezüge. Sofern das Recht mehrerer Staaten berührt ist, stellt sich die Frage nach dem anwendbaren Recht. Dies ist für Österreich in § 34 Abs 1 IPRG 6
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Vgl Präambel der MarkenRL 89/104/EWG (Abl 1989 L 40/1), HalbleitererzeugnisseRL 87/54/EWG (Abl 1987 L 24/36), BiotechRL 98/44/EG (Abl 1998 L 213/13), RL Muster und Modelle 98/71/EG (Abl 1998 L 289/28); sowie Vorschlag für RL Gebrauchsmuster KOM/99/309 endg. (Abl 2000 C 248 E/56). VfGH PBl 1972, 212.
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geregelt. Danach sind das Entstehen, der Inhalt8 und das Erlöschen dieser Rechte zwingend (Rechtswahl ist ausgeschlossen9) nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem eine Benützungs- oder Verletzungshandlung gesetzt wird10. Maßgeblich ist also das Recht des Schutzlandes, dh die Sachnormen des Staates, in dessen Gebiet der markenrechtliche Schutz in Anspruch genommen werden soll (Schutzlandprinzip). Für den Schutz von Immaterialgüterrechten gilt damit grundsätzlich das Territorialprinzip. Diese Rechte müssen für jeden Staat gesondert erworben werden und vermögen den sie kennzeichnenden Schutz grundsätzlich nur auf dem Territorium dieses Staates zu entfalten11. Zu beachten ist freilich, dass der materielle Gehalt des anwendbaren Rechts maßgeblich durch internationale Verträge (denen auch Österreich beigetreten ist) determiniert wird12. Rechtsgeschäftliche Verfügungen über Markenrechte wie etwa Markenlizenzverträge und Markenübertragungsverträge sind nunmehr13 nach den Grundsätzen des Art 4 Europäisches Vertragsstatutübereinkommen (EVÜ), dh nach dem Recht des Staates, zu dem diese die engere Verbindung aufweisen, zu beurteilen. Damit ist zwar eine erhöhte Flexibilität, aber auch eine dementsprechend größere Rechtsunsicherheit verbunden14. Da bei diesen Verträgen typischerweise der Lizenzgeber bzw der Veräußerer des Immaterialgüterrechts die charakteristische Leistung iSv Art 4 Abs 2 EVÜ erbringt15, werden sie im Regelfall dem Recht des Staates unterliegen, in dem diese ihren Sitz (Niederlassung) haben16. Va bei Lizenzverträgen ist vor einer schematischen Anwen8
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Es ist zu beachten, dass der nach § 34 IPRG zu beurteilende „Inhalt“ des Rechts auch jene Ansprüche umfasst, die bei einem Eingriff in das Recht entstehen. Dies muss unabhängig davon gelten, ob diese Rechtsbehelfe in der jeweiligen immaterialgüterrechtlichen Sondernorm, oder in einer anderen Vorschrift (etwa im Lauterkeitsrecht) normiert sind (vgl Koppensteiner, 799 [§ 37 Rz 4]; Verschraegen, § 34 IPRG Rz 4; Sack, 120; Enzinger, ÖBl 1994, 101). ZB OGH ÖBl 1986, 73 - Hotel Sacher. Die Bezugnahme auf die Benützungs- oder Verletzungshandlung ist nicht ganz geglückt. Die diesbezügliche Qualifikation einer Handlungsweise impliziert nämlich bereits eine rechtliche Beurteilung und setzt damit die Bestimmung des anwendbaren Rechts voraus. Schon in den Materialien findet sich daher die Klarstellung, dass es um das Recht des Schutzlandes, dh jenes Landes, in dem markenrechtlicher Schutz in Anspruch genommen werden soll, geht. Dem sind Lehre und Rechtsprechung einhellig gefolgt (Koppensteiner, 799; Wiltschek, GRURInt 1988, 303; Verschraegen, § 34 IPRG Rz 9 sowie die dort angeführten Nachweise der Rsp). Das Territorialprinzip wird durch Gemeinschaftsrecht trotz gewisser Spannungen mit dem Binnenmarktgrundsatz, namentlich mit dem freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, nicht (grundsätzlich) in Frage gestellt. Mit der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke gelang es der Gemeinschaft erstmals, das Territorialprinzip zu überwinden und für Warenzeichen einen EU-weiten Schutz zu etablieren. Dazu sogleich weiter unten I. D. Seit der Änderung des IPRG, mit der die §§ 36-45 (und damit die in § 43 aF IPRG enthaltene Sondernorm für Immaterialgüterrechtsverträge) aufgehoben und das Vertragsstatutübereinkommen für unmittelbar anwendbar erklärt wurde (BGBl I 1998/119). Vgl Fallenböck, 98. Die Maßgeblichkeit dieses Kriteriums nach eingehender Diskussion befürwortend auch Fallenböck, 101. So auch Czernich, 96 (Art 4 Rz 120 ff).
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dung dieser Vermutung jedoch zu warnen, da und soweit darin neben der Verpflichtung zur Bezahlung einer Lizenzgebühr noch zusätzliche Verpflichtungen vorgesehen sind (Verwertungspflichten, Bezugspflichten, Rücklizenzierungspflichten etc)17. Für diese Fälle, in denen nicht eindeutig auszumachen ist, zu welchem Staat die engere Beziehung besteht, ist der Abschluss einer Rechtswahlvereinbarung zu empfehlen. Im Gegensatz zur Kollisionsregel betreffend Bestand und Inhalt des Rechts ist Art 4 EVÜ nicht zwingend und lässt abweichende Vereinbarungen zu.
D. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Internationales Recht a) Allgemeines Das Territorialprinzip zwingt ein an einem umfassenden geographischen Schutz seines Immaterialgutes interessiertes Unternehmen dazu, sich um Schutzgewährung auch in anderen Rechtsordnungen zu bemühen. Dies kann, auch wegen der Unterschiede in den Schutzvoraussetzungen und im Schutzumfang der einzelnen Rechte, äußerst aufwendig sein. Der Zweck der zahlreichen internationalen Abkommen im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes besteht vorrangig darin, die internationale Registrierung von gewerblichen Schutzrechten zu erleichtern. Die für den gewerblichen Rechtsschutz im Allgemeinen wichtigsten internationalen Abkommen werden nachfolgend kurz dargestellt. Internationale Abkommen, die sich auf bestimmte Schutzrechte beziehen, sowie die für bestimmte Schutzrechte geltenden Sondervorschriften in diesen Abkommen, werden in den Abschnitten über die betreffenden Schutzrechte näher beschrieben. b) Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ) Die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums ist ein völkerrechtlicher Vertrag, dem nunmehr bereits mehr als 120 Staaten als Vertragspartner angehören. Österreich ist dem Verband 1909 beigetreten. Die PVÜ bezweckt den Schutz des gewerblichen Eigentums im umfassendsten Sinn und bezieht sich auf das Kennzeichenrecht, das Patentrecht, das Musterrecht sowie auf die „Unterdrückung des unlauteren Wettbewerbs“. Das wesentliche Regelungsanliegen der PVÜ ist die Inländergleichbehandlung (Art 2 Abs 1 und 2 PVÜ). Dieser (mitunter auch als Assimilationsprinzip bezeichnete) Grundsatz besagt, dass die Angehörigen eines Verbandslandes hinsichtlich des Schutzes ihres gewerblichen Eigentums in allen Verbandsländern wie eigene Staatsangehörige behandelt werden müssen, und zwar auch dann, wenn sie im Schutzland weder über Wohnsitz noch Niederlassung verfügen. Aus dem Grundsatz der Inländergleichbehandlung folgt auch, dass die Mitgliedstaaten bei der Schutzgewähr für Ausländer auf Reziprozitätsanforderungen verzichten. Darüber hinaus sind in der PVÜ auch verschiedene Mindestrechte vorgesehen, die von Staatsbürgern der Verbandsangehörigen selbst 17
IdS auch Fallenböck, 101.
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in dem Fall in Anspruch genommen werden können, wenn dieses Recht in der betreffenden Rechtsordnung nicht anerkannt sein sollte. Wichtig ist das in der PVÜ vorgesehene Prioritätsrecht: Wer in einem der Verbandsländer ein gewerbliches Schutzrecht vorschriftsmäßig angemeldet oder hinterlegt hat, genießt für diese „Erstanmeldung“ während einer bestimmten Frist („Prioritätsfrist“) ein vorrangiges Recht nicht nur im Anmeldestaat, sondern auch in allen anderen Verbandsländern (Art 4 A. Abs 1). c) Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS) Wesentliches Ziel des aus der GATT-Uruguay-Runde hervorgegangenen TRIPS-Abkommens ist die Verbesserung und Harmonisierung des Schutzes geistigen Eigentums. Es übernimmt wichtige Teile bestehender internationaler Abkommen in diesem Bereich und bewirkt damit eine wesentliche Verbreitung dieser Grundsätze in geographischer Hinsicht (dem TRIPS sind mittlerweile weit über 100 Staaten beigetreten). Es führt darüber hinaus aber für die wesentlichen Schutzrechte international verbindliche Festlegungen des Schutzgegenstandes, der Ausschließlichkeitsbefugnisse sowie - wenn auch etwas weniger bestimmt - der Schutzrechtsausnahmen und Verfallsgründe ein. Bedeutend sind auch die Vorgaben betreffend die Grundsätze wirksamer Schutzrechtsdurchsetzung. Aufgrund seiner handelspolitischen Ausrichtung enthält das TRIPSAbkommen zwar keine unmittelbar auf Private bezogene Schutzgarantien18. Durch deren Einbeziehung in das WTO-System (und das von der Welthandelsorganisation administrierte Streitbeilegungs- und Rechtsdurchsetzungsverfahren) wird die Einhaltung der TRIPS-Grundsätze jedoch wesentlich wirksamer gesichert als dies die bei den übrigen Konventionen der Fall ist19.
2. Gemeinschaftsrecht Weite Teile des Immaterialgüterrechts sind mittlerweile maßgeblich durch Vorschriften des Gemeinschaftsrechts geprägt. Besonders deutlich wird dies durch die zahlreichen sekundärrechtlichen Vorschriften auf dem Gebiet des geistigen Eigentums. Diese können im Hinblick auf deren grundsätzliches Regelungsanliegen grob in zwei Kategorien unterteilt werden. Mit der ersten Gruppe von Vorschriften versucht der Gemeinschaftsgesetzgeber, die nationalen Rechte hinsichtlich bestimmter Schutzrechte einander anzugleichen und die für den Binnenmarkt schädlichsten Unterschiede zu beseitigen. Es handelt sich dabei um die MarkenRL, die HalbleitererzeugnisseRL, die BiotechRL20 und die RL Muster und Modelle21. Die zweite Gruppe von Gemeinschaftsnormen ver18
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Als Normen des Gemeinschaftsrechts sind bestimmte Vorschriften des TRIPSAbkommens jedoch unmittelbar anwendbar und begründen von nationalen Gerichten zu wahrende Rechte Einzelner (zuletzt EuGH, verb Rs C-300/98 u C-392/98, Parfum Christian Dior, Slg 2000, I-11307). Näher etwa Dreier, 248 ff; Dörmer, 1. Die Gültigkeit dieser RL wurde in einer Nichtigkeitsklage in Frage gestellt, vom EuGH aber mit Urteil Rs C-377/98, Niederlande/Parlament und Rat, Slg 2001, I-7079 bestätigt. Für eine RL Gebrauchsmuster liegt ein Vorschlag vor, vgl KOM (1997) 691 endg., Abl 1998 C 36/13 idF KOM (1999) 309 endg., Abl 2000/C 248 E/56.
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folgt ein wesentlich ehrgeizigeres Regelungsziel, nämlich die Schaffung eines europäischen Schutzrechts, das seine Wirkung im Gesamtgebiet der EU entfaltet und von Gemeinschaftsorganen administriert wird. Für den Bereich des Markenrechtes ist dies mit der MarkenVO, für Geschmacksmuster mit der GeschmacksmusterVO, bereits gelungen. Für Patente liegt ein diesbezüglicher Verordnungsvorschlag vor (s unten III.A.2.). Zu erwähnen ist schließlich noch die VO 510/2006, die einen EU-weiten Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen vorsieht. Soweit eine Rechtsvereinheitlichung oder -angleichung durch Sekundärrecht noch nicht erfolgte, ist Primärrecht, namentlich die Warenverkehrsfreiheit (Art 28 ff EG-V) sowie die Wettbewerbsregeln (Art 81 f EG-V), zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unterliegen die nationalen Gesetzgeber zwar im Hinblick auf die Bestimmung der Voraussetzungen und die Modalitäten des Schutzes eines Immaterialgüterrechts grundsätzlich keinen primärrechtlichen Vorgaben22. Die Ausübung dieser Rechte kann jedoch mit Gemeinschaftsrecht in Konflikt geraten23. Sofern diese Rechtsausübung etwa den freien Warenverkehr behindert, ist sie ist nur soweit zulässig, als sie notwendig ist, um die Substanz des Rechts zu schützen24. Diese Einschränkung richtet sich in erster Linie an den nationalen Gesetzgeber, der keine Ansprüche bereit stellen darf, die eine solche missbräuchliche Rechtsausübung ermöglichen25. Das Verbot der missbräuchlichen Rechtsausübung iSd Wettbewerbsregeln richtet sich jedoch direkt an den Schutzrechtsinhaber26.
E. Behörden Die Zentralbehörde für den gewerblichen Rechtsschutz in Österreich ist das Österreichische Patentamt (Patentamt, OEPA). In die Zuständigkeit des Patentamts fallen mit Ausnahme von Sortenschutzrechten alle gewerblichen Schutzrechte, im Einzelnen Patente, Gebrauchsmuster, Marken, Muster (Geschmacksmuster, Designschutz), ergänzende Schutzzertifikate, Halbleiterschutz und Herkunftsangaben27. 22
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EuGH, Rs 144/81, Keurkoop, Slg 1982, 2853 sowie EuGH, Rs 238/87, Volvo, Slg 1988, 6211 für Muster und Modelle; EuGH, Rs 35/87, Thetford, Slg 1988, 3585 für Patente; EuGH, Rs C-317/91, Renault/Audi, Slg 1993, I-6227 für Marken. Ausführlich zB Heinemann, 217 ff. EuGH, Rs C-317/91, Renault/Audi, Slg 1993, I-6227 (Rz 29). Missbräuchlich ist va die Ausübung des mit einem Schutzrecht verbundenen Ausschließungsrechts zur Behinderung des Reimports von Waren, die vom Schutzrechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung in einem anderen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht wurden. Ob das Erzeugnis in diesem anderen Mitgliedstaat schutzfähig war, ist unerheblich (EuGH, Rs C-267/95 u C-268/95, Merck/Beecham, Slg 1996, I-6285 [Rz 36 ff]). EuGH, verb Rs C-241/91 P u 242/91 P, Magill TV Guide, Slg 1995, I-743 (Rz 49). Im Unterschied zu den anderen Schutzrechten ist das Patentamt bei den Herkunftsangaben (genauer: bei den geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen) nicht zur Schutzgewährung zuständig, sondern nur zur (allerdings umfassenden) Vorprüfung und Weiterleitung von Anträgen auf Eintragung einer geographischen Angabe oder Ursprungsbezeichnung in das von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften geführte Verzeichnis (§ 68 ff MSchG).
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Das Patentamt ist eine Behörde des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie mit Teilrechtsfähigkeit28 und untersteht direkt dem Bundesminister. Es gliedert sich iW in zwei Gruppen: Technik bzw Recht und Support. Diese sind jeweils nach Fachzuständigkeiten weiter untergliedert. Daneben sind beim Patentamt eine Nichtigkeits- und eine Beschwerdeabteilung sowie ein Monitoring Komitee eingerichtet. Die Zahl der Abteilungen und Organisationseinheiten, ihr Aufgabenbereich und ihre personelle Ausstattung ist vom Präsidenten nach den jeweiligen Erfordernissen festzusetzen (§ 60 Abs 2 PatG). Als Berufungsinstanz gegen die Endentscheidungen der Nichtigkeitsabteilung (NA) des Patentamts fungiert der oberste Patent- und Markensenat (OPM)29. Dieser besteht aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten sowie aus mindestens acht weiteren rechtskundigen und der erforderlichen Anzahl von fachtechnischen Mitgliedern als Räten. Der Präsident und der Vizepräsident müssen dem Obersten Gerichtshof als Präsident, Vizepräsident oder Senatsvorsitzender angehören oder angehört haben (§ 74 PatG). Aus dem Kreis der rechtskundigen Mitglieder müssen mindestens drei Mitglieder Richter, mindestens drei Mitglieder rechtskundige Beamte des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie oder ständige rechtskundige Mitglieder des Patentamtes sein. Die Mitglieder des OPM sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden. Die Entscheidungen des OPM unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Es handelt sich um eine Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG. Die Erkenntnisse des OPM sind Bescheide einer Verwaltungsbehörde und daher der Überprüfung durch den VfGH gem Art 144 Abs 1 BV-G zugänglich30. Eine VwGHBeschwerde ist hingegen gesetzlich nicht vorgesehen und damit unzulässig31.
II. Markenrecht32 A. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Das internationale Markenrecht a) Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ) Die allgemeinen Grundsätze der PVÜ, Inländergleichbehandlung und Mindestschutzprinzip, waren (und sind) für die Entwicklung des Markenrechts von großer Bedeutung. Ein für Marken besonders bedeutsames Mindestrecht ist das in Art 4 A. PVÜ vorgesehene Prinzip der Unionspriorität. Die Prioritätsfrist beträgt für Marken sechs Monate vom Zeitpunkt der ersten Anmeldung 28
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Es ist berechtigt, verschiedene (s die Aufzählung in § 58a Abs 1 PatG sowie in der TeilrechtsfähigkeitsVO) Service- und Informationsleistungen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtschutzes zu erbringen; s dazu näher Enzinger, ÖBl 1998, 137. Näher zu diesem Gamerith, 111. VfGH 19. 3. 1968, VfSlg 5684 = PBl 1968. VwGH PBl 1971, 14. Ecker/Kranebitter/Mittermair, 49
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an (innerhalb dieser Frist würde eine Markenanmeldung in anderen Verbandsländern auch gegenüber zwischenzeitlich eingereichten Anmeldungen, Veröffentlichungen oder Benützungen durch Dritte Priorität beanspruchen, diesbezügliche Handlungen würden also nicht schaden). Hervorzuheben ist noch ein markenspezifisches Mindestrecht, nämlich die „telle-quelle“-Klausel (Art 6quinquies PVÜ). Danach soll jede im Ursprungsland vorschriftsmäßig eingetragene Marke so, wie sie ist (also va in der eingetragenen Form), in den anderen Verbandsländern geschützt werden33. b) Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken (MMA) Das MMA ist ein Sonderabkommen iSv Art 19 PVÜ. Der wesentliche Zweck dieses Abkommens besteht darin, die Markenregistrierung in mehreren Ländern zu erleichtern34. Das MMA eröffnet die Möglichkeit, durch eine einzige Anmeldung und gegen Zahlung einer einmaligen Gebühr Markenrechte in den Verbandsländern (nach Maßgabe der jeweiligen nationalen Vorschriften) zu erwerben. Die Schutzdauer beträgt 20 Jahre und kann jeweils für weitere 20 Jahre verlängert werden. Durch die internationale Registrierung, dh die Eintragung in das vom internationalen Büro der WIPO in Genf geführte internationale Markenregister, wird die Marke in den beteiligten Ländern ebenso geschützt, wie wenn sie dort unmittelbar hinterlegt worden wäre. Voraussetzung für die internationale Registrierung ist, dass die betreffende Marke im Ursprungsland eingetragen ist. Im Zusammenhang mit der internationalen Registrierung ist noch zu beachten, dass diese (ebenso wie die Registrierung eines Patents nach dem EPÜ) kein einheitliches Verbandsrecht, sondern ein Bündel nationaler Markenrechte vermittelt, deren Inhalt und Schutzbereich sich in allen beteiligten Ländern nach dessen nationalem Recht bestimmt. Das System des MMA ist durch das Protokoll zum MMA (PMMA), dem neben der EU auch Österreich angehört, fortentwickelt. Diese Fortentwicklung besteht in der Einbeziehung der dem MMA nicht angehörenden EUMitgliedstaaten in das System der internationalen Markenregistrierung, und zum anderen in der Ermöglichung der Mitgliedschaft für zwischenstaatliche Organisationen mit einem eigenen Markenschutzsystem; dadurch wurde die Einbeziehung des Gemeinschaftsmarkenrechts möglich. Eine internationale Registrierung nach dem PMMA kann bereits auf der Grundlage der Markenanmeldung, nicht erst der Eintragung erworben werden. Die Rechtsfolge internationaler Registrierung entspricht der nach dem MMA. Es muss jedoch ein eigener Antrag für jedes Verbandsland gestellt werden, für das der Schutz begehrt wird. Ebenso wie nach dem MMA können nationale Behörden die Wirkung der internationalen Registrierung für ihr Hoheitsgebiet dann ablehnen, wenn sie nach der PVÜ hierzu berechtigt wären. Ein Unterschied besteht auch im Hinblick auf die Dauer des Schutzes. Dieser beträgt im Unterschied zur 20-Jahres-Frist des MMA einheitlich 10 Jahre.
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Näher Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 18 f. Näher Kucsko, Geistiges Eigentum, 622 ff.
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c) Abkommen von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken (NKA) Das NKA ist ebenfalls ein Sonderabkommen zur PVÜ. Es wurde gemeinsam mit der Nizzaer Fassung des MMA abgeschlossen. Die Bedeutung dieses Abkommens liegt in der Schaffung einer einheitlichen Klassifikation für die Registrierung von Marken. Diese besteht aus einer internationalen Warenklasseneinteilung und einer diesen Klassen zugeordneten Liste von Waren und Dienstleistungen in alphabetischer Reihenfolge. Diese Klassifizierung liegt der internationalen Registrierung zugrunde, wird aber auch in Österreich ausschließlich angewandt. d) Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organisation, WIPO) Die aufgrund der PVÜ, dem MMA und dem NKA erforderlichen Verwaltungsund Koordinierungsaufgaben werden von der 1967 eingerichteten Weltorganisation für geistiges Eigentum wahrgenommen. Die WIPO nimmt aber auch andere Aufgaben wahr. Sie fungiert etwa durch das „WIPO Arbitration and Mediation Center“ auch als Schiedsgericht („Dispute Resolution Service Provider“) für Domain-Namenskonflikte nach den ICANN (der „Internet Corporation for Assigned Names and Numbers“) Streitbeilegungsregeln. e) TRIPS-Übereinkommen Die Bedeutung des TRIPS-Übereinkommens liegt auch für Warenzeichen zunächst in der damit bewirkten Ausdehnung des Geltungsbereichs der PVÜ einerseits sowie den verbesserten Durchsetzungsmöglichkeiten andererseits. Das Übereinkommen enthält jedoch auch wichtige markenspezifische Regelungen va materiell-rechtlicher Natur. So enthält Art 15 Abs 1 eine einheitliche Definition der Marke, die im Wesentlichen auf die Unterscheidungskraft des Zeichens abstellt, sowie eine Verpflichtung zur Eintragung von Dienstleistungsmarken und beseitigt damit gewisse Unklarheiten des telle-quellePrinzips in Art 6quinquies PVÜ35.
2. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben a) Primärrecht Im EG-Primärrecht sind für das Markenrecht va die Art 28 und 30 EG-V bedeutsam. Art 28 und 30 EG-V setzen der Ausübung von Markenrechten durch die Rechtsinhaber beachtliche Grenzen. Nach der Judikatur des EuGH ist die aus der Ausübung zeichenrechtlicher Ansprüche regelmäßig resultierende Einfuhrbehinderung nur dann und soweit gerechtfertigt, wenn und als dies zum Schutz des spezifischen Gegenstandes des Warenzeichens notwendig ist. Im grundlegenden Fall HAG II36 definierte der Gerichtshof den spezifischen Gegenstand des Markenrechts wie folgt: „Wie der Gerichtshof [...] festgestellt hat, besteht der spezifische Gegenstand des Warenzeichenrechts folglich insbesondere darin, dass seinem Inhaber das Recht verliehen wird, das Warenzei35 36
Näher dazu sowie zu den weiteren materiell-rechtlich bedeutsamen Warenzeichenregelungen des TRIPS-Übereinkommens Koppensteiner, 807 f (§ 37 Rz 23 ff). Rs C-10/89, HAG II, Slg 1990, I-3711 (Rz 14).
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chen beim erstmaligen Inverkehrbringen eines Erzeugnisses zu benutzen, und dass er dadurch vor Konkurrenten geschützt wird, die die Stellung und den Ruf des Warenzeichens durch den Vertrieb widerrechtlich mit diesem Zeichen versehener Erzeugnisse zu missbrauchen suchen“37. Der wichtigste Fall einer nach diesen Grundsätzen missbräuchlichen Ausübung eines Markenrechtes ist die Geltendmachung zeichenrechtlicher Ansprüche gegen den Importeur gekennzeichneter Ware, die vom Rechtsinhaber selbst oder die mit dessen Zustimmung im Exportland in Verkehr gebracht wurde (Erschöpfungsgrundsatz)38. b) Sekundärrecht Aus dem EG-Sekundärrecht sind zwei Rechtsakte von Bedeutung, nämlich die MarkenRL und die GemeinschaftsmarkenVO. Die MarkenRL zielt auf die Angleichung der nationalen Markenrechte ab. Es sollen jene Unterschiede beseitigt werden, die dem freien Waren- und Dienstleistungsverkehr entgegenstehen und durch die die Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen Markt verfälscht werden. Die RL regelt nicht alle Aspekte des Schutzes von Marken. Sie enthält aber etwa wichtige Vorschriften über die Markenformen, über den Erwerb und die Erhaltung der Marke sowie über den Schutzumfang des Markenrechts. Der österreichische Gesetzgeber hat die MarkenRL bereits in der Novelle 1992 umgesetzt, hat aber dabei die Gelegenheit zur Durchführung der vielfach geforderten großen Markenreform nicht genutzt und diese Umsetzung nur im absolut notwendigen Ausmaß vorgenommen. Die GemeinschaftsmarkenVO eröffnet die Möglichkeit, für das gesamte räumliche Gebiet der EU ein einheitliches Markenrecht zu erwerben. Die mit dieser VO geschaffene Gemeinschaftsmarke wird durch Eintragung beim Europäischen Markenamt (genauer: Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt [Marken, Muster und Modelle]) erworben. Die Gemeinschaftsmarke kann neben dem nationalen Markenrecht sowie neben der internationalen Marke nach der MMA bestehen39.
B. Zweck des Markenrechts Neben dem Namen, der Firma, der Geschäftsbezeichnung, dem Titel und der Ausstattung stellt auch das Markenrecht ein sogenanntes Kennzeichen dar, dem die Rechtsordnung zur Gewährleistung der für solche Bezeichnungen typischen Unterscheidungskraft Schutz gewährt. Im Vergleich zu den ande37
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Ständige Rechtsprechung; vgl zuletzt etwa Rs C-379/97, Pharmacia & Upjohn, Slg 1999, I-6927 (Rz 15) („Der spezifische Gegenstand des Rechts an der Marke besteht insbesondere darin, dass der Inhaber durch das ausschließliche Recht, die Marke beim erstmaligen Inverkehrbringen einer Ware zu benutzen, Schutz vor Konkurrenten erlangt, die unter Missbrauch der aufgrund der Marke erworbenen Stellung und Kreditwürdigkeit widerrechtlich mit der Marke versehene Ware veräußern“). Näher zu diesem Grundsatz etwa Pöchhacker, 178 ff. Eine ausführlichere Darstellung der GMVO muss hier unterbleiben. Es wird diesbezüglich auf die Darstellungen bei Koppensteiner, 933 ff (§ 46); Fezer, 91 (Einl MarkenG Rz 80 ff); Kucsko, Gemeinschaftsmarke; sowie Kucsko, Geistiges Eigentum, 566 ff verwiesen.
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ren Kennzeichen Name, Firma, Geschäftsbezeichnung, Titel oder Ausstattung40 ist der den Warenzeichen vermittelte Schutz besonders prägnant. Dies erklärt sich aus der fundamentalen Bedeutung von Warenzeichen für das Funktionieren unseres Wirtschaftssystems41. Marken sind, wie auch § 1 MSchG klarstellt, erforderlich, um die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von gleichartigen Waren und Dienstleistungen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Marken ermöglichen es etwa dem Verbraucher, Produkte wiederzuerkennen, mit denen er bereits gute Erfahrungen gemacht hat, oder Produkte mit einem Unternehmen zu verbinden, dem er die Herstellung von Produkten mit einer bestimmten Qualität zutraut. Indem Marken auf diese Weise eine Zuordnung von Produkten und Dienstleistungen zu bestimmten Unternehmen ermöglichen, stellen sie, worauf auch der EuGH bereits hingewiesen hat42, einen zentralen Bestandteil eines auf Leistung beruhenden Wettbewerbssystems dar43. Unternehmen sind nur dann in der Lage, die Kundschaft durch die Qualität ihrer Erzeugnisse oder Dienstleistungen an sich zu binden oder neu zu gewinnen, wenn es Kennzeichen gibt, mit deren Hilfe sie als Erzeuger oder Anbieter identifiziert werden können. Bei zu großzügiger Schutzgewähr können Markenrechte, die wie alle anderen gewerblichen Schutzrechte im Kern ein Ausschließungsrecht beinhalten, jedoch auch wettbewerbsbeschränkend sein. Es liegt zudem auch auf der Hand, dass Marken nicht per se die Markttransparenz erhöhen müssen, sondern auch Täuschungen über Natur und Qualität der gekennzeichneten Produkte hervorrufen können. Die Bedeutung der Marke für die Wettbewerbsordnung erklärt, warum diese einen im Vergleich zu anderen Kennzeichen erhöhten Schutz genießt. Die soeben angedeutete wettbewerbliche Ambivalenz ist verantwortlich dafür, dass das Entstehen des Markenrechts nicht nur von bestimmten materiellen, sondern auch von besonderen formellen Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Das Markenrecht entsteht durch den konstitutiven Verwaltungsakt der Registrierung. Diese erfolgt in einem rechtsförmlichen Verfahren. Wenn ein Warenzeichen nur für das Gebiet der Republik Österreich geschützt werden soll, liegt eine Registrierung nach dem MSchG nahe. Dieses Gesetz wurde 1970 wiederverlautbart und seither mehrfach - in den Jahren 1977, 1992 (in einer Art antizipatorischen Umsetzung der MarkenRL) und zuletzt 1999 umfassend - novelliert. Wird der Markenschutz für das gesamte Gebiet der EU angestrebt, kann (alternativ oder kumulativ) eine Registrierung als Gemeinschaftsmarke nach der GemeinschaftsmarkenVO beantragt werden. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, mehrere nationale Markenrechte zu registrieren. Dieser Vorgang wird durch verschiedene internationale Abkommen, insb das Madrider Markenabkommen (dazu sogleich näher) wesentlich erleichtert. 40 41 42 43
Näher zu diesen Kennzeichen und den ihnen gemeinsamen Grundsätzen Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 62 ff. Zur konstitutiven Bedeutung der Marke für die marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung s auch Fezer, 70 (Einl MarkenG Rz 25 ff). EuGH, Rs C-10/89, HAG II, Slg 1990, I-3711. Vgl auch Koppensteiner, 786 (§ 36 Rz 17).
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C. Die Marke 1. Der Begriff der Marke a) Markendefinition und wesentliche Schutzvoraussetzung Gemäß § 1 MSchG, der sich deutlicher als die Vorgängerbestimmung an der MarkenRL orientiert, sind unter dem Begriff Marke Zeichen zu verstehen, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen44,45 eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Es kommen dafür nach dieser Vorschrift alle Zeichen in Betracht, die sich graphisch darstellen lassen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen und die Form der Aufmachung der Ware. Das Erfordernis, dass die betreffenden Waren möglicher Gegenstand des Handelsverkehrs sein müssen, wurde nun fallen gelassen. Bei Warenmarken wird entsprechend der Terminologie der PVÜ (die von „Fabrik- und Handelsmarken“ spricht) zwischen Hersteller- und Handelsmarken unterschieden46. Die wesentliche Schutzvoraussetzung, die die Legaldefinition der Marke in § 1 Abs 1 MSchG vorgibt, ist die Unterscheidungskraft47. Das Zeichen muss geeignet sein, das Waren- und Dienstleistungsangebot eines Unternehmens von anderen zu unterscheiden. Durch den Hinweis auf die Eignung wird bereits klargestellt, dass es dabei nicht auf die subjektiven Absichten des betreffenden Unternehmens, sondern auf die objektive Tauglichkeit des Zeichens ankommt. Zeichen können an sich unterscheidungskräftig sein. Dies ist der Fall, wenn sie etwas Besonderes, Individuelles an sich haben, das sich schon nach ihrer Art dazu eignet, ihren Träger von anderen Personen (bzw dessen Waren von fremden Waren) zu unterscheiden48. Zeichen können, wie sich schon aus den §§ 4 Abs 1 Z 3, 4 und 5 iVm § 4 Abs 4 MSchG ergibt, diese Unterscheidungskraft aber auch durch Verkehrsgeltung erlangen49. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind insoweit folgende Kriterien relevant: Marktanteil der Marke, die Intensität, die geographische Verbreitung und die Dauer der Verwendung dieser Marke, die Höhe der Werbekosten des Unternehmens für die Marke, der Prozentsatz der betroffenen Kreise, die das Produkt auf der Basis der Marke als Produkt eines bestimmten Unternehmens identifizieren, sowie die Erklärungen der Industrie- und Handelskammern bzw sonstiger Berufsverbände50. Zeichen 44 45
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Wenn nachfolgend nur auf Waren Bezug genommen wird, sind damit grundsätzlich auch immer Dienstleistungen gemeint. Die Abgrenzung von Dienstleistungs- und Warenmarken kann im Einzelfall Probleme aufwerfen, ist für den Schutzumfang des Zeichens und seine ordnungsgemäße Benutzung aber möglicherweise von ausschlaggebender Bedeutung; vgl Koppensteiner, 813 f (§ 38 Rz 6). Koppensteiner, 814 (§ 38 Rz 8). Näher zu dieser mit zahlreichen Beispielen und sorgfältiger Auswertung der Praxis Kucsko, Geistiges Eigentum, 279 ff. OGH ÖBl 1999, 283 = ecolex 1999/282 - LA LINIA/LA LINEA. Schanda, Markenschutzgesetz, § 4 Rz 38. Zu den praktischen Anforderungen an den Verkehrsgeltungsnachweis BA PBl 1989, 13; BA PBl 1996, 37. Asperger/Stangl, 783; zu Beweisthema und Beweismitteln Renzl, wbl 2006, 157. EuGH, Rs C-108/97, Windsurfing Chiemsee, Slg 1999, I-2779 (Rz 51); EuGH, Rs C-353/03, Nestlé, Slg 2005, I-6135 (Rz 30): Unterscheidungskraft kann sich sowohl
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ohne Unterscheidungskraft, rein deskriptive Angaben51 sowie Gattungsbezeichnungen sind grundsätzlich von der Registrierung als Zeichen ausgeschlossen. Eine Registrierung ist gemäß § 4 Abs 2 MSchG aber möglich52, wenn das Zeichen „innerhalb der beteiligten Verkehrskreise vor der Anmeldung infolge seiner Benutzung Unterscheidungskraft im Inland erworben hat“ (§ 4 Abs 2 MSchG)53. Die Verkehrsauffassung soll nach der Praxis eine Rechtsfrage darstellen, wenn die Kenntnis der der Beurteilung zugrunde liegenden Tatsachen auf der allgemeinen Lebenserfahrung beruht54. b) Markenformen Die praktisch wohl bedeutendeste Markenform ist die Wortmarke. Bei Wortmarken kommt es im Hinblick auf die Unterscheidungskraft wesentlich darauf an, dass sie hinreichend Phantasiecharakter haben, um als Individualzeichen eines Unternehmens erkannt und im Gedächtnis behalten werden zu können55. Dies ist bei absoluten Phantasiebezeichnungen (frei erfundenen bzw keiner Sprache angehörenden Wörtern), aber auch bei relativen Phantasiebezeichnungen (an sich bekannten, aber nach herkömmlicher Vorstellung ohne Bezug zu der betreffenden Ware oder Dienstleistung) der Fall56. Schutzfähig sind auch Namen berühmter Personen, wenn sie in keiner sachlichen Beziehung zu den beanspruchten Waren stehen57. An sich unterscheidungskräftig können nach § 1 MSchG auch bloße Buchstaben und Zahlen sein. Diese waren nach alter Rechtslage nur bei Nachweis der Verkehrsgeltung eintragungsfähig58. Schutzfähig sind nunmehr auch Buchstabenverbindungen, sofern kein konkreter Grund vorliegt, aus dem sich die mangelnde Eignung der betreffenden Buchstabenkombination zur Kennzeichnung der Ware ergibt59. Es ist also nicht mehr erforderlich, dass die betreffende Buchstabenkette eine nicht regelmäßig verwendete, einprägsame und daher originelle Zusammenstellung von Buchstaben beinhaltet60. Weitere Markenformen sind die Bildmarke und die kombinierte WortBild-Marke (Mischmarke). Bildmarken bestehen ausschließlich aus einer
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aus der Benutzung eines Teils einer eingetragenen Marke als deren Bestandteil als auch aus der Benutzung einer anderen Marke in Verbindung mit einer eingetragenen Marke ergeben. Zu den Voraussetzungen der Eintragung einer geographischen Herkunftsangabe als Marke EuGH, Rs C-108/97, Windsurfing Chiemsee, Slg 1999, I-2779 (Rz 47 ff). Und zwar anders als nach der alten Rechtslage ausdrücklich auch für Gattungsbezeichnungen. Dazu VwGH 2002/04/0051 - Eurosymbol. BA PBl 1994, 212 = ÖBl 1995, 12; kritisch Koppensteiner, 817 (§ 38 Rz 12); Fink, 230. BA PBl 1995, 225; OGH ÖBl 2000, 72 = wbl 2000/31 = MR 1999, 351 - Format. Zuletzt wieder OGH ÖBl 1999, 283 = ecolex 1999/282 - LA LINIA/LA LINEA. NA PBl 1998, 64 = ÖBl 1998, 219 - Anton Bruckner. Die bisherige Praxis zu Buchstaben und Ziffern war im Lichte der RL wohl zu streng (so auch Koppensteiner, 842 (§ 39 Rz 20); Pöchhacker, 74; s aber OGH ecolex 1996, 870 - CA-Ferntouristik, wo die Schutzfähigkeit reiner Buchstabenmarken unter Hinweis auf Art 2 der RL anerkannt wird). OGH ÖBl 1999, 286 = ecolex 1999/352 - ASP. So noch OGH ÖBl 1998, 48 = wbl 1997, 529 = ecolex 1998, 147 - XTC.
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graphischen Darstellung, die nicht als Wort wirkt. Mischmarken beinhalten Wort- und Bildbestandteile. Der bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft maßgebliche Gesamteindruck ist bei diesen Marken naturgemäß besonders wichtig. Bei der Beurteilung des Schutzbereichs der Marke kommt es wesentlich darauf an, welches der beiden Elemente im Vordergrund steht und dem Verbraucher in Erinnerung bleiben wird61. Da es nunmehr entscheidend auf die graphische Darstellbarkeit ankommt, sind auch Klangmarken (die in Form eines Sonagramms oder in gängiger Notenschrift dargestellt werden können62) zulässig. Als graphisch darstellbar werden auch Hologramm-Marken angesehen63. Bei der Anmeldung ist neben der grafischen Darstellung auch eine klangliche Wiedergabe auf einem Datenträger zu überreichen. Dreidimensionale Marken (körperliche Marken)64 sind von der Markendefinition in § 1 MSchG nun ebenfalls ausdrücklich erfasst („Form oder Aufmachung“)65. Nicht eintragungsfähig66 sind Körperformen jedoch dann, wenn die betreffende Form entweder durch die Art der Ware selbst bedingt ist, oder zur Herstellung einer technischen Wirkung erforderlich ist oder der Ware einen wesentlichen Wert verleiht, wenn die Form also maW funktionale Bedeutung hat (§ 4 Abs 1 Z 6 MSchG)67. Grundsätzlich zulässig sind wohl auch Farben oder Farbkombinationen, sofern sie - etwa durch Bezugnahme auf einen international anerkannten Kennzeichnungscode - grafisch präzise beschreibbar sind68. Weiterhin vom Markenschutz ausgeschlossen sollen nach den EB jedoch Geruchs- oder Duftmarken bleiben69. Das HABM hat den Markenschutz für Duftmarken nach der GemeinschaftsmarkenVO zwar anerkannt70, der EuGH hat zur Marken-RL jedoch 61 62 63 64 65
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OPM PBl 1993, 175 - Candy & Company. § 16 Abs 2 MSchG; EuGH, Rs C-283/01, Shield, Slg 2003, I-14313 (Rz 61 ff). Erläuterungen, RV 1643 BlgNR 20. GP, 21. Näher zu diesem Markentyp Thewes. Vgl dazu VwGH PBl 2001, 69 - Unterscheidungskraft einer Flaschenform; OGH RdW 2004/368 = ecolex 2004/218 = ÖJZ-LSK 2004/118 = ÖBl-LS 2004/71 - 73 = ÖBl 2004, 168 - Juvina-Flasche; EuGH, Rs C-299/99, Philips, Slg 2002, I-5475. Weitere Rechtsprechungsnachweise (mit Abbildungen der verfahrensgegenständlichen Formen) bei Kucsko, Geistiges Eigentum, 296 ff. Und zwar (anders als nach alter Rechtslage) auch nicht bei Verkehrsgeltungsnachweis. Das Freihaltebedürfnis besteht in diesem Fall auch dann, wenn es andere Formen gibt, die die gleiche technische Wirkung ermöglichen; EuGH, Rs C-299/99, Philips, Slg 2002, I-5475 (Rz 79 ff). Vgl EuGH, Rs C-104/01, Libertel, Slg 2003, I-3793 (Rz 36 ff); OGH ÖBl 1997, 176 - Manz (zum Ausstattungsschutz nach § 9 UWG); OGH ÖBl 2004/69 = RdW 2004/608 = ecolex 2004/448 - Swiss Post; Koppensteiner, 813 (§ 38 Rz 3); Schanda, Markenschutzgesetz, 26 (§ 1 Rz 30). Zur Rechtslage in Deutschland etwa JaegerLenz, 290; vgl auch BPatG, GRUR 2000, 147 zu § 8 dMSchG und Art 6quinquies PVÜ). Zur Entscheidungspraxis des HABM Bender, 119. Kritisch Hochedlinger/Wolfmair, 288; Schanda, Markenschutzgesetz, 27 (§ 1 Rz 31). Entscheidung der zweiten Beschwerdekammer vom 11. 2. 1999, R 156/98-2, „Geruch von frisch geschnittenem Gras“ als Geruchsmarke für Tennisbälle; dazu Essl, 51; Viefhues, 249.
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festgestellt, dass Riechzeichen mangels grafischer Darstellbarkeit nicht schutzfähig sind71. Aus dem gleichen Grund wird auch der Schutz von Geschmacksmarken ausgeschlossen sein72.
2. Markenfunktionen73 § 1 MSchG macht deutlich, dass die wesentliche Markenfunktion darin besteht, Waren oder Dienstleistungen verschiedener Anbieter voneinander zu unterscheiden74. Diese Unterscheidungs- bzw Herkunftsfunktion lässt sich auch im Gemeinschaftsrecht nachweisen. Nach der Rsp des EuGH besteht die Hauptfunktion des Markenrechts darin, „dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität des gekennzeichneten Erzeugnisses zu garantieren, indem sie ihm ermöglicht, dieses Erzeugnis ohne Verwechslungsgefahr von Erzeugnissen anderer Herkunft zu unterscheiden“ 75. Eine Marke soll also „die fraglichen Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnen“76. Diese Funktionen liegen ausweislich der Begründungserwägungen auch den sekundärrechtlichen Markenvorschriften zugrunde. So beschreibt die Präambel der Markenrichtlinie den Zweck des durch die eingetragene Marke gewährten Schutzes insbesondere mit der Gewährleistung der Herkunftsfunktion der Marke und Art 2 dieser RL definiert die Marke als Zeichen, das geeignet ist, „Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden“. Entsprechende Feststellungen finden sich in den Erwägungsgründen und in Art 4 der GemeinschaftsmarkenVO77. Aus der Sicht des potentiellen Käufers, für den nicht so sehr die Herkunft, sondern die Qualität des Angebots im Vordergrund steht78, hat die Marke va eine Garantie- oder Vertrauensfunktion79. Diese beruht darauf, dass damit gerechnet werden kann, dass der zeichenführende Unternehmer bemüht sein wird, die durch sein bisheriges Angebot geweckten Qualitätserwartungen des Publikums auch in Hinkunft zu erfüllen, in gewissem Ausmaß dazu sogar lauterkeitsrechtlich verpflichtet sein mag80. Diese - stärker produktbezogene Markenfunktion kann sich auch unabhängig von der Herkunftsfunktion entfalten. Denn die mit einer Marke verbundene Qualitätserwartung kann auch gegeben sein, und ist auch dann schutzwürdig, wenn das Unternehmen (wie das bei Eigen- oder Handelsmarken häufig der Fall sein wird) nicht bekannt ist. Eine
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EuGH, Rs C-273/00, Sieckmann, Slg 2002, I-11737 (Rz 69 ff). So auch Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 47. Näher zu diesen etwa Schanda, Markenschutzgesetz, 20 (§ 1 Rz 4 ff); Sambuc, 985; Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 42. Vgl auch VwGH 2003/04/0073. EuGH, Rs C-10/89, HAG II, Slg 1990, I-3711 (Rz 14); EuGH, Rs C-299/99, Philips, Slg 2002, I-5475 (Rz 30). EuGH, Rs C-104/01, Libertel, Slg 2003, I-3793 (Rz 62). VO 40/94 über die Gemeinschaftsmarke, Abl 1994 L 11/1. Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 42. Zur Garantiefunktion OGH ecolex 1999/192 = ÖBl 1999, 191 = wbl 1999/229 - Red Puma. So Koppensteiner, 829 (§ 38 Rz 28).
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gewisse Relativierung der Bedeutung der Herkunftsfunktion ergibt sich auch aus dem Grundsatz der freien Übertragbarkeit von Markenrechten81.
3. Inhaber des Markenrechts Als Inhaber (sowie als Anmelder und Erwerber) einer Individualmarke kommt nunmehr jedermann82, genauer jede natürliche oder juristische Person83, in Frage. Die Markendefinition in § 1 MSchG nimmt zwar auf Unternehmen Bezug. Durch den Wegfall von § 3 MSchG wurde die Bindung zwischen Unternehmen und Marke jedoch beseitigt und § 11 MSchG bestätigt, dass auch andere Personen als Unternehmen Markeninhaber sein können84. Durch die Loslösung der Marke vom Unternehmen können Marken grundsätzlich nun auch auf Vorrat erworben werden. Missbräuchlichem Markenhandel wird durch den in § 33a MSchG vorgesehenen verschärften Benutzungszwang sowie durch den (neuen85) Löschungsgrund der bösgläubigen Markenanmeldung (§ 34 MSchG) vorgebeugt86. Neben einzelnen Unternehmen können auch Verbände von Unternehmen Inhaber einer Marke, und zwar einer Verbandsmarke gemäß § 62 ff MSchG sein. Der Verband muss Rechtspersönlichkeit besitzen. Im Unterschied zu Individualmarken kann eine Verbandsmarke auch ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die zur Bezeichnung der geographischen Herkunft der Ware dienen. Konkret verwendet wird die Verbandsmarke nicht vom Verband, sondern von dessen Mitgliedern. Die Funktion der Verbandsmarke besteht jedoch darin, die Zugehörigkeit des die Marke verwendenden Unternehmens zu dem Verband zum Ausdruck zu bringen und auf diesem Weg Herkunft und Güte der angebotenen Ware oder Dienstleistung zu signalisieren. Verbandsmarken können daher auch als Gütezeichen fungieren87. Sie können nur auf andere Verbände übertragen werden (§ 62 MSchG).
D. Inhalt des Markenrechts 1. Rechtsinhalt Das Markenrecht stellt im Kern ein Ausschließungsrecht dar88. Neben dem (positiven) Recht der Nutzung der Marke enthält das Markenrecht va auch ein korrespondierendes (negatives) Recht auf den Ausschluss Dritter. Der Markeninhaber kann im einzelnen Dritten gem § 10 MSchG verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr die Marke (ein der Marke 81 82 83 84 85
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Vgl auch Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 42; Schanda, Markenschutzgesetz, 21 (§ 1 Rz 7 ff). Nach alter Rechtslage kam als Markeninhaber nur ein Unternehmen in Frage. Eine GesBR kann kein Markeninhaber sein, OGH PBl 1996, 185 - Die Mosskirchner. Vgl auch die Übergangsbestimmung des § 75 MSchG. Auch nach alter Rechtslage konnte dies bereits nach § 1 iVm § 14 Abs 1 und § 15 UWG (als sittenwidriger Behinderungswettbewerb) geahndet werden (vgl etwa OGH ÖBl 2000, 25 = wbl 1999/373 = ecolex 1999/314 - Pinkplus). Vgl zum Begriff Helm, 593. Barfuß, 129. Zu diesem ausführlich Schuhmacher in Kucsko, marken.schutz, 198 ff.
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gleiches Zeichen) für Waren zu benutzen, die mit denjenigen gleich sind, für die die Marke eingetragen ist, sowie die Marke oder ein ähnliches Zeichen89 für gleiche90 oder ähnliche Waren91 zu benutzen, wenn dies im Publikum eine Verwechslungsgefahr hervorruft92. Die Verwechslungsgefahr ist nach einem gemeinschaftsweit einheitlichen Maßstab zu beurteilen93. In einer Art beweglichem System ist dabei auf die Wechselbeziehung der relevanten Faktoren Bedacht zu nehmen94. Diese Faktoren sind die Kennzeichnungskraft (dh Unterscheidungskraft), der Bekanntheitsgrad auf dem Markt, die Gleichartigkeit der betreffenden Waren oder Dienstleistungen, sowie die Ähnlichkeit der Marken95. Bei der Beurteilung der Kennzeichnungskraft sind die Eigenschaften zu berücksichtigen, die die Marke an sich besitzt (zB beschreibende Elemente), aber auch Faktoren wie der Verbreitungsgrad, die Benutzungsdauer oder der Werbeaufwand. Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit von Warenzeichen kommt es auf den Gesamteindruck an, den ein Durchschnittsverbraucher gewinnt96. Bei anderen Waren und Dienstleistungen als denen für den täglichen Bedarf, kann auch auf eine kleinere Zahl hochspezialisierter oder gut informierter Wirtschaftsteilnehmer in einem bestimmten Sektor abzustellen sein97. Die gänzliche Aufnahme einer Marke in ein anderes Zeichen begründet idR Verwechslungsgefahr, sofern diese nicht eine untergeordnete Rolle spielt und gegenüber den prägenden Bestandteilen des jüngeren (aufnehmenden) Zeichens völlig in den Hintergrund tritt98. Verwechslungsgefahr wird auch angenommen, wenn zwar erkennbar ist, dass es sich um verschiedene Unternehmen handelt, jedoch aufgrund der Ähnlichkeit der Eindruck entsteht, dass zwischen diesen Unternehmen besondere Beziehungen oder Zusammenhänge, insbesondere wirtschaftlicher oder organisatorischer Art bestehen99,100. 89 90 91 92
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Zur Zeichenähnlichkeit Schuhmacher in Kucsko, marken.schutz, 227 ff. Die Gleichheit der Zeichen liegt auch im Fall von Parallelimporten von Originalware vor; OGH ÖBl 2006/18. Zur Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit näher Schuhmacher in Kucsko, marken.schutz, 217 ff; Kucsko, Geistiges Eigentum, 430 ff. Ausführlich dazu mit zahlreichen Beispielen Kucsko, Geistiges Eigentum, 398 ff; weiters Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 104 ff; Schuhmacher in Kucsko, marken.schutz, 207 ff. OGH ÖBl 1999, 82 - AMC/ATC. OGH ecolex 2002, 444 - OPUS ONE; ÖBl 2003, 182 - Kleiner Feigling; OGH ÖBl 2001, 159 - T-One; OGH wbl 2005/214 - ZORR; OGH ÖBl 2004/55 = RdW 2004/693 = wbl 2004/260 - Firn; Kucsko, Geistiges Eigentum, 393; Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 104; Schumacher in Kucsko, marken.schutz, 211. OGH ecolex 2002, 444 mit Anm Schanda - OPUS ONE; OGH ÖBl 2004/55 = RdW 2004/693 = wbl 2004/260 - Firn. EuGH, Rs C-251/95, Sabél/Puma, Slg 1997, I-6191 (Rz 23); OGH ÖBl 2005/28 = wbl 2005, 238 - Goldhase; OGH ÖBl 2004/34 - Lumina/Luminos; näher Schuhmacher in Kucsko, marken.schutz, 214. EuG, T-211/03, Faber Chimica, Slg 2005, II-1297 (Rz 24). OGH wbl 2004/39 = ÖBl 2004/24 - GO; OGH ÖBl 2004/69 = RdW 2004/608 = ecolex 2004/448 - Swiss Post. ZB OPM PBl 1999, 26 - Crocodile; ähnlich EuGH, Rs C-39/97, Canon, Slg 1998, I5507 (Rz 29).
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Durch § 10 Abs 2 (und § 30 Abs 2) MSchG wird bekannten Marken nun ein erhöhter Schutz über den Ähnlichkeitsbereich hinaus gewährt, wenn durch die Benutzung einer gleichen oder ähnlichen Marke für andere Waren die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der bekannten Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausgenutzt wird101. Der Schutz für bekannte Marken setzt Verwechslungsgefahr nicht voraus. Es genügt nach der Rsp des EuGH, dass der Grad der Ähnlichkeit zwischen der bekannten Marke und dem Zeichen bewirkt, dass die beteiligten Verkehrskreise das Zeichen und die Marke gedanklich miteinander verknüpfen102. Dies gilt sowohl für ähnliche als auch nichtähnliche Waren und Dienstleistungen103. Der Schutz der bekannten Marke setzt weiters voraus, dass die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder Wertschätzung der Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnützt104. Eine Definition der bekannten Marke findet sich im Gesetz nicht; diese wird also bewusst der Rechtsprechung überlassen. Nach der Judikatur des EuGH ist der erforderliche Bekanntheitsgrad als erreicht anzusehen, wenn die Marke einem bedeutenden Teil des Publikums, das von den durch die Marke erfassten Waren betroffen ist, bekannt ist. Von den idZ zu berücksichtigenden Faktoren hebt der EuGH den Marktanteil der Marke, die Intensität, die geographische Ausdehnung (erforderlich ist Bekanntheit in einem wesentlichen Gebiet eines Mitgliedstaats) ihrer Benutzung sowie den Umfang der zur Förderung getätigten Investitionen hervor105. Die wesentlichen Benutzungshandlungen werden gesetzlich definiert106. Gem § 10a MSchG gilt als Benutzung iSv § 10 MSchG insbesondere • die Anbringung des Zeichens auf Waren, auf deren Aufmachung107 oder auf Gegenständen, an denen eine Dienstleistung ausgeführt wird; • das Anbieten, Inverkehrbringen (und auch Besitzen, wenn es diesem Zweck dient) von Waren unter dem Zeichen; • das Einführen108 oder Ausführen109 von Waren unter dem Zeichen, sowie 100
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Dabei ist auf den Durchschnittsverbraucher abzustellen. Aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben (zB EuGH, Rs C-342/97, Lloyds, Slg 1999, I-3819 [Rz 26]) hat man sich diesen als durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittskonsumenten der betreffenden Warenart vorzustellen. Näher Guggenbichler in Kucsko, marken.schutz, 283 ff; Kucsko, Geistiges Eigentum, 447 ff; zur Beweislastverteilung zuletzt OGH ÖBl-LS 2006/68. EuGH, Rs C-408/01, Adidas-Salomon, Slg 2003, I-12537 (Rz 31). EuGH, Rs C-292/00, Davidoff, Slg 2003, I-389 (Rz 30); überholt EuGH, Rs C425/98, Adidas, Slg 2000, I-4861. OGH ÖBl-LS 2006/67 - Red Bull; Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 126. EuGH, Rs C-375/97, General Motors/Yplon, Slg 1999, I-5421 (Rz 26 ff). Näher zu diesen Mayer in Kucsko, marken.schutz, 316 ff. Dazu zählt etwa auch das Einfüllen einer Ware in eine durch eine fremde Marke gekennzeichnete Verpackung; OGH wbl 2005/44 - SODASTREAM. Zur Markenrechtsverletzung bei Importvorgängen s OGH ÖBl 2004/33 - CANON; OGH RdW 2005/27 = wbl 2005/22 (der Tatbestand der Einfuhr ist schon dann verwirklicht, wenn die markenrechtsverletzende Ware bei ihrer Einfuhr nach zollbehördlichen Vorschriften beschlagnahmt wird; Täter sind alle, die für diesen zur Beschlagnahme führenden Importvorgang verantwortlich sind); weiters OGH ÖBl 2006/19 (Import in Zollfreilager und Lagerung zum Zweck des Exports in andere Nicht-EU-Länder fällt unter den Begriff des Inverkehrbringens und verwirklicht da-
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die Nutzung des Zeichens in den Geschäftspapieren110, in Ankündigungen111 oder in der Werbung. Eine Zeichenbenutzung liegt auch bei Anbieten der geschützten Waren oder Dienstleistungen in elektronischen Medien, dh im Internet112, vor. Die hM sieht eine Benutzung bereits in der Registrierung113. Der OGH sieht eine relevante Nutzung jedoch erst bei Verwendung der Domain für eine Webseite mit einschlägigem Inhalt114, bejaht den kennzeichenmäßigen Gebrauch aber bei Benützung der Domain als E-Mail-Adresse115. Ungeklärt ist, ob der Markeninhaber nur Anspruch auf Unterlassung des weiteren Gebrauchs und Löschung des Domain Namens116 hat, oder - in analoger Anwendung von § 30a Abs 3 MSchG - auch einen Anspruch auf Übertragung des Domain-Namens117. Nach den ICANN118-Regeln ist ein solcher Übertragungsanspruch möglich119. Ebenfalls noch klärungsbedürftig ist, ob und unter welchen Voraussetzungen die
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her einen inländischen Markenverstoß), sowie - gegenläufig - EuGH, Rs C-115/02, Rioglass, Slg 2003, I-12705 (eine, eine Ausübung zeichenrechtlicher Ansprüche rechtfertigende, Vermarktung durch Dritte liegt bei der Durchfuhr durch andere Mitgliedstaaten noch nicht vor; näher zu dieser Judikatur Herzig, ÖBl 2006, 107); EuGH, Rs C-405/03, Class International, Slg 2005, I-8735 (Rz 43 f: Solange ein Wirtschaftsteilnehmer, der die Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht hat, noch nicht für die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr optiert hat, stellt ihre bloße körperliche Verbringung in das Gemeinschaftsgebiet keine „Einfuhr“ und damit keine Markenbenutzung dar). Zur Benutzung durch Import, Export und Transit näher Mayer in Kucsko, marken.schutz, 207 ff. Das Urteil des OGH ÖBl 1987, 41 = PBl 1987, 159 - Baygon ist damit als überholt anzusehen; vgl auch OGH ÖBl 2001/269 = GRURInt 2002, 265. Zum Begriff der Ausfuhr OGH ÖJZ 2004/67. Dh Briefen, Rechnungen, Angeboten etc. Neben Anzeigen, TV-Werbung, Katalogen, Prospekten etc. kommt hier auch die Verwendung im Internet in Betracht. OGH ÖBl 2000, 72 = wbl 2000/31 = MR 1999, 351 - Format. Zu besonderen Verwendungsformen wie „Catch-all“-Funktionen, „Metatags“, oder „Typosquatting“ zuletzt OGH ÖBl 2006/31; zu diesen auch ausführlich Jahn/Häussle, GesRZ 2003, 66; Kucsko, Geistiges Eigentum, 436 f. Zur Frage, ob eine kennzeichenmäßige Nutzung auch bei Verwendung von Kennzeichen außerhalb der Domain in der directory-, subdirectory- oder im filename der URL (Zeichen nach dem ersten Slash-Strich) vorliegt, Karl, ÖBl 2006, 171. Thiele in Kucsko, marken.schutz, 329; Schanda, Markenschutzgesetz, 63 (§ 10a Rz 13); Brandl/Fallenböck, wbl 1999, 490; Burgstaller, MR 2002, 50; nach Höhne, MR 2000, 359, liegt auch im Registrierthalten eine Benutzung. OGH MR 2001, 194 mit Anm Pilz = wbl 2001/231 mit Anm Thiele - cyta.at; OGH MR 2001, 245 - taeglich Alles. OGH ÖJZ 2002/213 EvBl = ÖJZ-LSK 2002/223; dazu Graschitz, ecolex 2003, 38. Die Beseitigung des störenden Zustands erfolgt durch Abgabe einer Löschungs- bzw Verzichtserklärung gegenüber der Registrierungsstelle, OGH ecolex 2002, 597 kunstNet; OGH ÖBl 2002, 242 - FPO.at II. Dafür Brandl/Fallenböck, wbl 1999, 491; Kucsko, ÖBl 1999, 1; Thiele in Kucsko, marken.schutz, 587 ff. Abkürzung für “Internet Corporation for Assigned Names and Numbers”. Erstmals zugesprochen vom WIPO Arbitration and Mediation Center in der Sache RED BULL; s dazu Schramböck, ecolex 2001, 295.
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Registrierungsstelle gezwungen werden kann, markenrechtlich geschützte Domain-Namen erst gar nicht einzutragen120. Diese Aufzählung ist der Auflistung von Benutzungshandlungen in Art 5 Abs 3 MarkenRL weitgehend nachgebildet. Dies ist bedeutsam, da Art 5 Abs 3 MarkenRL in Zusammenhang mit der Definition des Markenrechts in Art 5 Abs 1 MarkenRL steht. Diese Bestimmung erstreckt das mit der Marke verbundene Ausschließungsrecht auf jede Verwendung „im geschäftlichen Verkehr“. Art 5 Abs 3 MarkenRL und der diese Vorschrift umsetzende § 10a MSchG dürfen daher, obwohl sie hauptsächlich kennzeichenmäßige Benutzungsarten nennen, nicht so ausgelegt werden, dass sich das Verbietungsrecht auf andere Verwendungen im „geschäftlichen Verkehr“ nicht erstrecken könne121. Dies bedeutet, dass im Unterschied zur alten Rechtslage zu den dem Markeninhaber vorbehaltenen Nutzungsarten nun auch die nicht kennzeichenartige Verwendung (wie etwa das Merchandising) zu zählen ist, sofern sie im geschäftlichen Verkehr erfolgt. Eine Nutzung des Zeichens kann nach der Rechtsprechung des EuGH schließlich auch dann vorliegen, wenn sie verwendet wird, um die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass im eigenen Betrieb Waren dieser Marke instand gesetzt oder gewartet werden122. Das Recht, Dritte von der Nutzung der Marke auszuschließen, ist in mehrfacher Weise eingeschränkt123: Nach § 10 Abs 3 MSchG kann einem Dritten nicht verboten werden, • seinen Namen124 oder seine Anschrift, • Angaben über Art, Beschaffenheit, Menge, Bestimmung, Wert, Herkunft oder Herstellungszeit, oder • die Marke als Hinweis auf die Bestimmung einer Ware (insb als Zubehör oder Ersatzteil)125 im geschäftlichen Verkehr zu benutzen, sofern dies den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel126 entspricht. Nach der Rsp des EuGH kann darüber hinaus selbst die Benutzung einer identischen Marke für identische Waren ganz allgemein auch dann nicht untersagt werden, wenn diese Benutzung im Hinblick auf die Funktionen der Marke
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Diese Möglichkeit für das deutsche Recht grundsätzlich bejahend LG Frankfurt CR 2001, 51. So auch Schanda, Markenschutzgesetz, 61 (§ 10a Rz 7); Höhne, MR 2000, 359. Wenn die Marke jedoch nicht in einer Weise verwendet wird, die den Eindruck erwecken kann, dass eine Handelsbeziehung zwischen dem Dritten und dem Markeninhaber besteht, kann diese Zeichennutzung nicht untersagt werden (EuGH, Rs C-63/97, BMW, Slg 1999, I-905 [Rz 53]); Gruber, wbl 1999, 539. Näher Mayer in Kucsko, marken.schutz, 310 ff. Dies kann auch ein Handelsname sein; EuGH, Rs C-245/02, Anheuser-Busch, Slg 2004, I-10989 (Rz 81). EuGH, Rs C-228/03, Gillette Company, Slg 2005, I-2337 (Rz 36 ff). Zu diesen OGH ÖBl-LS 2005/220; OGH MR 2005/187 - DELUCA; EuGH, Rs C228/03, Gillette Company, Slg 2005, I-2337 (Rz 41 ff); EuGH, Rs C-245/02, Anheuser-Busch, Slg 2004, I-10989 (Rz 82 ff).
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(die Garantie und Ursprungsidentität) die Interessen des Markeninhabers nicht beeinträchtigen kann127. Gem § 10b Abs 1 MSchG ist es dem Markeninhaber nicht möglich, Dritten die Nutzung der Marke für Waren zu untersagen, die unter dieser Marke von ihrem Inhaber oder mit dessen Zustimmung128 im EWR in Verkehr gebracht129 wurden130. Das Recht an diesen Waren ist gleichsam erschöpft. Vom Vorliegen einer Zustimmung ist grundsätzlich auch beim Vertrieb der Ware durch einen Lizenznehmer auszugehen, nicht aber beim Vertrieb durch den Erwerber des Rechts (bei einer Aufspaltung des Markenrechts)131. Ein Inverkehrbringen außerhalb des EWR132 führt nach der Rsp des EuGH nicht zur Erschöpfung und darf auch im Recht der Mitgliedstaaten wegen des abschließenden Charakters der Erschöpfungsregelung in der Richtlinie nicht vorgesehen werden133. Dies bedeutet, dass die auf der Herkunftsfunktion der Marke gründende Judikatur des OGH zur globalen Erschöpfung134 nicht mehr gemeinschaftsrechtskonform und entsprechend anzupassen war135,136. Die Erschöpfung des Markenrechts greift nach § 10b Abs 2 MSchG allerdings nicht ein, wenn für die Untersagung des weiteren Vertriebs der Waren berechtigte Gründe vorliegen, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert wurde. Dass § 10b MSchG den Erschöpfungsgrundsatz auf Waren beschränkt, bedeutet im Übrigen nicht, dass dieser Grundsatz bei Dienstleistungen nicht zum Tragen kommen könnte, sondern erklärt sich wohl einzig daraus, dass eine Erschöpfung bei Dienstleistungen faktisch nur selten eintreten kann, denn Dienstleistungen werden im Regelfall nicht weiter vertrieben, sondern in der Regel sofort „kon127
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EuGH, Rs C-2/00, Hölterhoff, Slg 2002, I-4187 (Rz 16: keine Beeinträchtigung bei einer Benutzung zur Beschreibung der Merkmale der angebotenen Ware); EuGH, Rs C-206/01, Arsenal Football Club, Slg 2002, I-10273 (Rz 54). Dazu zählt auch die Veräußerung an einen Franchisepartner, OGH RdW 2004/367. Das Recht auf Weitervertrieb der Ware schließt nach der Rechtsprechung des EuGH auch das Recht ein, die Marke zu benutzen, um der Öffentlichkeit den weiteren Vertrieb dieser Waren anzukündigen (EuGH, Rs C-337/95, Dior/Evora, Slg 1997, I6013 [Rz 36 ff]). In Verkehr gebracht ist die Ware, wenn der Käufer die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Ware erlangt; OGH ÖJZ 2004/76. Die Einfuhr und das nachfolgende Anbieten in eigenen Geschäften stellt noch kein Inverkehrbringen in diesem Sinn dar; EuGH, Rs C-16/03, Peak Holding, Slg 2004, I-11313 (Rz 41 ff). Ausführlich zum Erschöpfungsgrundsatz Reitböck in Kucsko, marken.schutz, 332. EuGH, Rs C-9/93, IHT Heiztechnik, Slg 1994, I-2789 (Rz 43 ff); vgl auch OGH ÖBl 2000, 77 = ecolex 2000/55 - Blausiegel. Zur insoweit geltenden Beweislastverteilung EuGH, Rs C-244/00, Van Doren, Slg 2003, I-3051 (Rz 31 ff). EuGH, Rs C-355/96, Silhouette, Slg 1998, I-4799 (Rz 26 ff); vgl auch die von GA Stix-Hackl in verb Rs C-414/99-416/99, Davidoff, Slg 2001, I-8691 (Rz 65 ff), vorgeschlagene differenzierte Anwendung dieses Grundsatzes sowie das - gegenläufige - Gutachten des EFTA-Gerichtshof v 3.12.1997, E-2/97 - Maglite, GRURInt 1998, 309. OGH ÖBl 1971, 21 = JBl 1971, 476 - Agfa. OGH ÖJZ-LSK 2004/61 = RdW 2004/256 - Gmundner Keramik. Zur Anwendung dieser Grundsätze auf Customer-Return-Ware (vom Hersteller zurückgenommene Waren) OLG Hamburg, RIW 1999, 705.
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sumiert“137. Sofern Dienstleistungen aber ausnahmsweise doch weiter vertrieben werden, eine Erschöpfung also aus tatsächlichen Gründen in Frage kommt, ist kein Grund ersichtlich, warum die Erschöpfungsdoktrin des EuGH bei Dienstleistungen nicht zum Tragen kommen sollte138. Dies müsste bei der Auslegung von § 10a MSchG gegebenenfalls berücksichtigt werden. Im Hinblick auf die Anbringung der Marke ist das Ausschließungsrecht durch die Rechtsprechung des EuGH in mehrfacher Weise eingeschränkt139. So wäre die Ausübung des Rechts zur Untersagung einer Wiederanbringung der Marke gemeinschaftsrechtlich unzulässig (genauer eine von Art 30 EG-V nicht gerechtfertigte Behinderung des freien Warenverkehrs), wenn nachgewiesen ist, dass es zur künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beitrüge, sowie wenn die Neuetikettierung den Originalzustand des Erzeugnisses nicht berührt, die Aufmachung des neuetikettierten Erzeugnisses dem guten Ruf der Marke und ihres Inhabers nicht schaden kann, und derjenige, der die Neuetikettierung vornimmt, den Markeninhaber vorab vom Verkauf der neuetikettierten Erzeugnisse unterrichtet140,141. Der Markeninhaber muss auch das Ersetzen der Marke (durch die von dem Markeninhaber für das Produkt in dem Einfuhrmitgliedstaat verwendete Marke) unter iW gleichen Voraussetzungen hinnehmen142. In beiden Fällen ist bei der Beurteilung des Vorliegens einer künstlichen Marktabschottung die subjektive Absicht des Markeninhabers unerheblich. Ausschlaggebend ist einzig die objektive Notwendigkeit, die im Importstaat verwendete Marke zu verwenden143. Außer durch den Erschöpfungsgrundsatz ist das Markenrecht, genauer das damit vermittelte Ausschließungsrecht, auch noch dadurch begrenzt, dass der Markeninhaber im Verhältnis zu den Inhabern älterer Rechte keinen Anspruch auf ausschließliche Benutzung hat (sondern umgekehrt Unterlassungsansprü-
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Dienstleistungen werden also nicht verbracht, sondern erbracht (in diesem Sinne Fezer, 189 [§ 3 Rz 130]). So auch Fezer, 189 (§ 3 Rz 130). Ausführliche Darstellung der Praxis zur Umpackung bei Reitböck in Kucsko, marken.schutz, 344. EuGH, Rs C-349/95, Loendersloot, Slg 1997, I-6227 (Rz 29). Bei Arzneimitteln wurden in der Judikatur (EuGH, verb Rs C-427/93, C-429/93 u C-436/93, Bristol-Myers Squibb, Slg 1996, I-3457 [Rz 79]) etwas strengere Voraussetzungen aufgestellt: Das Umpacken und Neuanbringen der Marke muss dann toleriert werden, wenn erwiesen ist, dass die Geltendmachung einer Marke durch den Markeninhaber zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten beitragen würde, und dargetan ist, dass das Umpacken den Originalzustand der in der Verpackung enthaltenen Ware nicht beeinträchtigen kann, auf der neuen Verpackung klar angegeben ist, von wem das Arzneimittel umgepackt worden ist und wer der Hersteller ist und das umgepackte Arzneimittel nicht so aufgemacht ist, dass dadurch der Ruf der Marke und ihres Inhabers geschädigt werden kann, und der Importeur schließlich den Markeninhaber vorab vom Feilhalten des umgepackten Arzneimittels unterrichtet und ihm auf Verlangen ein Muster der umgepackten Ware liefert. Dazu nunmehr auch OGH ÖBl 2000, 272 - Schuberverpackung II. EuGH, Rs C-379/97, Pharmacia & Upjohn, Slg 1999, I-6927 (Rz 37 ff). EuGH, Rs C-379/97, Pharmacia & Upjohn, Slg 1999, I-6927 (Rz 42 ff); EuGH, Rs C-143/00, Boehringer, Slg 2002, I-3759 (Rz 45 ff); EuGH, Rs C-443/99, Merck, Slg 2002, I-3703 (Rz 24 ff).
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chen ausgesetzt ist, wenn jener die Benutzung des jüngeren Kennzeichens nicht während eines Zeitraumes von fünf Jahren geduldet hat144)145.
2. Rechtsbehelfe Zum Schutz des Markenrechts (und zwar gem § 2 Abs 3 MschG auch für die Gemeinschaftsmarke)146 stehen dem Rechtsinhaber folgende Rechtsbehelfe zu Gebote147. Als zivilrechtliche Rechtsbehelfe gegen Verletzungen des Markenrechts kommen Ansprüche auf Unterlassung (§ 51 MSchG)148,149, Beseitigung (§ 52 MSchG)150, angemessenes Entgelt (§ 53 Abs 1 MSchG)151, Schadenersatz (§ 53 Abs 2 Z 1 MSchG) und Herausgabe der Bereicherung (§ 53 Abs 2 Z 2 MSchG) in Frage. Wer in den Fällen, in denen die Verletzung im Betrieb eines Unternehmens von einem Bediensteten oder Beauftragten begangen wurde, dabei jeweils als Anspruchsgegner in Betracht kommt, ist in § 54 MSchG geregelt. Zur Sicherung dieser Ansprüche selbst als auch zur Sicherung von Beweismitteln können unter den in § 56 MSchG näher geregelten Voraussetzungen einstweilige Verfügungen erlassen werden152. In Umsetzung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums (RL 2004/48/EG) gewährt § 55a MSchG gegen Personen, die rechtsverletzende Waren in ihrem Besitz gehabt haben (oder rechtsverletzende Dienstleistungen in Anspruch genommen oder für Rechtsverletzungen genutzte Dienstleistungen erbracht haben), auch einen Anspruch auf Auskunft über den Ursprung und die Vertriebswege der rechtsverletzenden Waren und Dienstleistungen, sofern dies nicht unverhältnismäßig im Vergleich zur Schwere der Verletzung wäre und nicht gegen gesetzliche Verschwiegenheitspflichten verstoßen würde153. Für diese Klagen gelten gem § 55 MSchG gewisse im PatG vorgesehene Regeln (Ausschluss der Öffentlichkeit, § 119 Abs 2 PatG; Urteilsveröffentli144 145
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§ 58 MSchG. Die Bedingungen dieser Einschränkung entsprechen exakt jenen für die Löschung der Marke nach den §§ 30 ff MschG. Die Löschung kann jedoch dann nicht mehr verlangt werden, wenn der Inhaber der älteren Marke ihre Benutzung während fünf Jahren geduldet hat. Und damit auch gegen Parallelimporte von Waren, die mit Zustimmung des Markeninhabers außerhalb des EWR in Verkehr gebracht worden sind; vgl Gamerith; FS Koppensteiner, 375. Ausführliche Darstellung bei Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 302 ff; Kucsko, Geistiges Eigentum, 520. Verjährung gleich dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch nach drei Jahren; OGH ÖJZ-LSK 2005/27 = ÖJZ 2005/59 (EvBl). Ausführlich dazu Ofner in Kucsko, marken.schutz, 695 ff. Dazu näher Korn in Kucsko, marken.schutz, 727. Ausführlich dazu Guggenbichler in Kucsko, marken.schutz, 749; zur Bemessung zuletzt OGH wbl 2005/307. Dazu näher Ofner in Kucsko, marken.schutz, 791. Die Pflicht zur Auskunftserteilung umfasst die Namen und Anschriften der Hersteller, Vertreiber, Lieferanten und der anderen Vorbesitzer der Waren oder Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren, weiters die Mengen der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Waren und die Preise, die für die Waren oder Dienstleistungen bezahlt wurden. Näher zu dieser Auskunftspflicht Schachter in Kucsko, marken.schutz, 785 ff.
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chung, § 149 PatG; Rechnungslegung, § 151 PatG, sowie die Verjährungsregeln, § 154 PatG). Aus letzteren folgt, dass die im MSchG vorgesehenen Ansprüche auf angemessenes Entgelt, Schadenersatz und Herausgabe der Bereicherung sowie der Anspruch auf Rechnungslegung innerhalb von drei Jahren verjähren; die Verjährung dieser Ansprüche wird auch durch eine Klage auf Rechnungslegung unterbrochen (§ 55 MSchG iVm § 154 PatG). Auf „Verlangen“ des in seinem Markenrecht Verletzten (§ 60a Abs 1 MSchG) können Markenverletzungen auch von Strafgerichten verfolgt werden. Eingriffe in das Markenrecht iSd § 10a MSchG sowie Markenverletzungen sind mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedroht. Im Hinblick auf die Zunahme von Markenfälschungen bzw Fälschungen von Markenartikeln ist für die gewerbsmäßige Begehung von Kennzeichenverletzungen eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vorgesehen.
3. Schutzdauer Das Markenrecht entsteht mit dem Tag der Eintragung in das Markenregister (Registrierung). Die Schutzdauer beträgt zunächst 10 Jahre und kann durch rechtzeitige Zahlung einer Erneuerungsgebühr immer wieder um zehn Jahre verlängert werden (§ 19 MSchG).
E. Erwerb des Markenrechts Gemäß § 2 Abs 1 MSchG wird das Markenrecht durch Eintragung der Marke in das (vom Patentamt geführte) Markenregister erworben154. Die Marke muss dazu zur Registrierung schriftlich angemeldet werden. Besteht sie nicht bloß aus Zahlen, Buchstaben oder Worten ohne bildmäßige Ausgestaltung (und wird dafür keine bestimmte Schriftform beansprucht), ist eine Darstellung der Marke, bei Klangmarken zusätzlich155 noch eine klangliche Wiedergabe auf einem Datenträger, anzuschließen (§ 16 Abs 2 MSchG). In der Anmeldung ist auch mitzuteilen, für welche Waren und Dienstleistungen die Marke bestimmt ist (§ 16 Abs 3 MSchG). Das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis einer angemeldeten oder eingetragenen Marke kann nachträglich erweitert werden. Es gelten dafür die Vorschriften über die Markenanmeldung sinngemäß (§ 23 Abs 2 MSchG). Für die Anmeldung ist eine Gebühr zu entrichten156. Mit dem Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Anmeldung einer Marke erlangt der Anmelder das Recht der Priorität (§ 23 Abs 1 MSchG) und kann damit gegenüber später angemeldeten Marken den Vorrang beanspruchen. Die Anmeldung wird vom Patentamt (genauer durch die Rechtsabteilung) in einem ersten Schritt auf seine Gesetzmäßigkeit in formaler und materieller Hinsicht geprüft. In einem zweiten Schritt wird jede angemeldete Marke noch einer Ähnlichkeitsprüfung unterzogen. 154 155 156
Gem § 2 Abs 3 MSchG sind die nach der GemeinschaftsmarkenVO erworbenen Markenrechte den aufgrund des MSchG erworbenen Markenrechten gleichzuhalten. Die graphische Wiedergabe kann hier in Notenschrift oder in Form eines Sonagramms erfolgen. Derzeit zumindest € 100,00 (Anmeldegebühr von € 80,00 zuzüglich Klassengebühr von mindestens € 20,00). Ausführlich zu den Gebühren Stangl in Kucsko, marken.schutz, 969 ff.
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Im Zentrum der Gesetzmäßigkeitsprüfung steht die Frage, ob der Eintragung der Marke Registrierungshindernisse entgegenstehen157. Dabei ist zwischen unbedingten Registrierungshindernissen und bedingten Registrierungshindernissen zu unterscheiden158. Ein unbedingtes Registrierungshindernis159, dh ein gänzlicher Ausschluss von der Eintragung, besteht für Zeichen mit amtlichem Charakter (§ 4 Abs 1 Z 1 MSchG)160, für nicht als Marke gem § 1 eintragungsfähige Zeichen, für wesens- und funktionsbedingte körperliche Zeichen (§ 4 Abs 1 Z 6 MSchG), für Ärgernis erregende oder sonst gegen die öffentliche Ordnung verstoßende Zeichen (§ 4 Abs 1 Z 7 MSchG), für täuschungsgeeignete Zeichen (§ 4 Abs 1 Z 8 MSchG)161, sowie für bestimmte geographische Bezeichnungen für Weine und Spirituosen (§ 4 Abs 1 Z 9 MSchG162). Bedingte, dh bei Nachweis der Verkehrsgeltung163 entfallende, Registrierungshindernisse bestehen für Zeichen mit mangelnder Unterscheidungskraft (§ 4 Abs 1 Z 3 MSchG)164, für beschreibende Zeichen (§ 4 Abs 1 Z 4 MSchG)165 und Gattungsbezeichnungen (§ 4 Abs 1 Z 5 MSchG)166, sowie für Marken, die Auszeichnungen oder Kennzeichen offiziellen Charakters enthalten167. Im Anschluss an die Gesetzmäßigkeitsprüfung ist gemäß § 21 MSchG jede angemeldete Marke noch darauf hin zu überprüfen, ob sie prioritätsälteren 157 158 159 160 161
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Zur Auslegung dieser Registrierungshindernisse im Lichte der diesen zugrunde liegenden Allgemeininteressen Alber, GRUR 2005, 127. Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 55; Hohenecker/Friedl, 167; Hauser/Thomasser, 124 ff; Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 73 ff. Zu diesen näher Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 92 ff. Zu Prüfplaketten BA PBl 1996, 37 = ÖBl 1996, 118. Ob eine Aufschrift oder Angabe den tatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht und zur Täuschung des Publikums geeignet ist, wird in der Praxis nach den zu § 2 UWG entwickelten Auslegungsgrundsätzen beurteilt (zB OPM ÖBl 1994, 179 = PBl 1995, 18 - Stadtfernsehen II). Es kommt dabei nur auf die subjektive Seite an (auch objektiv wahre Angaben können täuschend sein). Aufgrund von Art 14 der VO 510/2006 besteht eine Wechselbeziehung zwischen dem Schutz einer geographischen Angabe gemäß dieser Verordnung und jenem nach dem MSchG. Zu diesem ausführliche Darstellung und Analyse der Praxis bei Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 88 ff. EuGH, Rs C-104/01, Libertel, Slg 2003, I-3793 (Rz 60); EuGH, Rs C-383/99 P, Procter & Gamble, Slg 2001, I-6251 (Rz 35 ff); VwGH PBl 2004, 16 = wbl 2004/316 - Smarties; ausführliche Darstellung und Analyse der Praxis bei EnginDeniz, Markenschutzgesetz, 556 ff. Dazu etwa EuGH, Rs C-517/99, Merz & Krell, Slg 2001, I-6959 (Rz 31); EuGH, Rs C-108/97, Windsurfing Chiemsee, Slg 1999, I-2779 (Rz 28 ff, Rz 47); OGH ÖBl 1993, 167 = wbl 1993, 408 = ecolex 1993, 760 - Teleshop; OGH ÖBl 1996, 143 Plus; OPM PBl 1998, 217 = ÖBl 1999, 121- President; OPM PBl 1990, 111 = ÖBl 1990, 99 - Thermo-Ski; OPM PBl 1998, 34 - Monocoque; OPM PBl 2000, 14 - Weiße Seiten; VwGH 2003/04/0095 - Micropore. Ausführliche Darstellung und Analyse der Spruchpraxis bei Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 56 ff; sorgfältige Aufarbeitung der Praxis auch bei Kucsko, Geistiges Eigentum, 304 ff. Ausführliche Darstellung und Analyse der Praxis bei Kucsko, Geistiges Eigentum, 325; Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 83 ff. Beseitigung dieses Registrierungshindernisses durch Nachweis des Rechts zur Benutzung (§ 5 MSchG).
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Marken, die für Waren oder Dienstleistungen derselben Klasse registriert sind, gleich oder ähnlich sind (Ähnlichkeitsrecherche)168. Dies bezieht sich gem § 2 Abs 3 MSchG auch auf Gemeinschaftsmarken169. Das Bestehen prioritätsälterer ähnlicher Zeichen schließt die Registrierung nicht aus. Dieser Umstand ist dem Anmelder jedoch mit dem Hinweis mitzuteilen, dass die angemeldete Marke im Falle ihrer Gesetzmäßigkeit registriert wird, wenn die Anmeldung nicht innerhalb einer bestimmten Frist zurückgenommen wird. Es soll damit dem Anmelder im Hinblick auf ein in einer solchen Situation drohendes Löschungs- und Verletzungsverfahren Gelegenheit gegeben werden, seine Anmeldung zurückzuziehen oder sie (durch Änderung des Waren- oder Dienstleistungsverzeichnisses) entsprechend zu ändern. Gesetzmäßigkeit der Anmeldung vorausgesetzt, führt die Anmeldung aber auch ohne eine solche Modifikation zur Eintragung der Marke. Den Inhabern älterer Rechte wird im Rahmen des Eintragungsverfahrens somit keine Interventionsmöglichkeit eingeräumt170. Es besteht für sie nur die Möglichkeit, nach erfolgter Registrierung gegen den Inhaber jüngerer Rechte mit Löschungsantrag nach § 30 MSchG vorzugehen. Von der Eintragung ähnlicher Zeichen erfährt der Rechtsinhaber durch entsprechende Auskunft des Patentamtes. Diese erfolgt grundsätzlich auf Antrag (§ 22 Abs 1 MSchG). Dieser kann aber auch darauf lauten, dass diese Auskünfte laufend (1/2 jährlich, jährlich oder alle zwei Jahre) erteilt werden (§ 22 Abs 2 MSchG). Im Falle einer Registrierung werden in das Markenregister eingetragen: Marke, Registernummer, Tag der Anmeldung und gegebenenfalls die beanspruchte Priorität, Markeninhaber und gegebenenfalls dessen Vertreter, die für die Marke bestimmten Waren und Dienstleistungen (geordnet nach der internationalen Klasseneinteilung des Abkommens von Nizza), der Beginn der Schutzdauer sowie gegebenenfalls der Hinweis, dass die Marke aufgrund eines Verkehrsgeltungsnachweises registriert wurde (§ 17 Abs 1 MSchG). Über diese Registereintragungen erhält der Markeninhaber eine amtliche Bestätigung (Markenurkunde, § 17 Abs 4 MSchG). Nach Registrierung ist die Marke im Österreichischen Markenanzeiger zu veröffentlichen (§ 17 Abs 5 iVm § 42 Abs 2 MSchG).
F. Verlust des Markenrechts Für den Fall des Verlustes am Recht an der Marke sieht das MSchG die Löschung vor. Anders als die Registrierung hat die Löschung der Marke aus dem Markenregister nur deklarative Bedeutung171. Das Recht an einer Marke 168
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Der Grundsatz des Zeitvorrangs gilt auch bei einer Kollision zwischen einer zeichenrechtlich geschützten Domain und der besonderen Bezeichnung eines Unternehmens, OGH ecolex 2005/403. Internationale Marken, für die in Österreich Schutz beansprucht wird, sind in die Prüfung einzubeziehen, sobald dazu die technischen und organisatorischen Voraussetzungen vorliegen (§ 21a MSchG). Rechtspolitische Bewertung dieses Umstandes bei Preglau, 252 ff; Westerhoff, 204 ff. Dies ergibt sich aus § 29 Abs 1 Z 3 MschG; vgl näher Koppensteiner, 853 (§ 40 Rz 1) sowie BA PBl 1992, 77 = ÖBl 1992, 12 (dort findet sich die Feststellung, dass
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kann daher auch bei aufrechter Registrierung bereits erloschen sein. § 29 Abs 1 MSchG unterscheidet zwischen zwei Typen von Rechtsverlusten. Die in Z 1-3 genannten Gründe führen zu einem ipso iure-Verlust des Markenrechts172. Diese Rechtsfolge tritt also ohne weitere rechtsgestaltende Entscheidung des Patentamtes, das hier von Amts wegen tätig wird, ein. Diese Gründe sind: Vorliegen eines Antrags des Rechtsinhabers (Z 1), nicht rechtzeitige Erneuerung der Registrierung (Z 2) sowie Erlöschen des Markenrechts aus anderen Gründen (Z 3)173. Der zweite Typ des Rechtsverlustes setzt eine rechtskräftige Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung voraus, die aufgrund eines entsprechenden Löschungsantrages von dritter Seite tätig wird. Je nach Antragsberechtigung werden relative und absolute Löschungsgründe unterschieden174. Die Löschungsgründe des Vorliegens von Waren- und Unternehmensbezeichnungen mit besserer Priorität175 (§ 30 MSchG)176, des Vorliegens sogenannter Agentenmarken (§ 30a MSchG) 177,178, des Vorliegens eines (zulässigerweise) geführten nichtregistrierten Zeichens (§ 31 MSchG)179 sowie des Vorliegens älterer Handelsnamen (§ 32 MSchG)180 können nur von dem in dem betreffenden Kennzeichenrecht Verletzten geltend gemacht werden (relative Löschungsgründe). Von jedermann geltend gemacht werden kann ein Antrag auf Löschung der Marke wegen des Vorliegens von Umständen, aus denen die Marke erst gar nicht hätte eingetragen werden dürfen (§ 33
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Eintragungen in das Markenregister - außer im Fall der Markenregistrierung - ausschließlich deklarative Bedeutung haben). Vgl Kernthaler in Kucsko, marken.schutz, 575. Praktisch bedeutsam ist wohl nur der Fall des rechtsnachfolgelosen Untergehens des Unternehmens, das die Marke innehat. Weitere Beispiele für diese „anderen Gründe“ bei Koppensteiner, Wettbewerbsrecht, 855 (§ 40 Rz 8). Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 78. Ausführliche Darstellung und Analyse der Praxis zu den Löschungsgründen bei Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 227 ff. Einer gemeinschaftsrechtliche Vorgabe entsprechend wurde mit der Novelle 1999 das Vorliegen von Verwechslungsgefahr als anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal gesondert angeführt. Der Löschungsanspruch besteht nun zudem auch zugunsten von bekannten Marken (§ 30 Abs 2 MSchG). Zu diesem Löschungsgrund Schumacher in Kucsko, marken.schutz, 579. Da ein auf § 30 MSchG gestütztes Löschungsverfahren ausschließlich auf den Registerstand abzustellen ist, sind in einem Löschungsstreit die beiden Marken, so wie sie registriert sind, zu vergleichen. Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die keinem Beweisverfahren zugänglich ist (OPM PBl 1999, 26 - Crocodile). OGH ÖBl 2001, 91 - Pycnogenol; OGH 20.4.2006, 4 Ob 28/06f; näher zu diesen Rahmatian, 279; Hofinger in Kucsko, marken.schutz, 582. Durch die Markenrechts-Novelle 1999 wurde nun auch die Möglichkeit vorgesehen, dass der Antragsteller anstelle der Löschung die Übertragung begehren kann (für einen Fall, in dem die Verpflichtung zur Übertragung einer Agentenmarke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung begründet wurde s OGH ÖBl 1999, 90 H INTERNATIONAL). Näher Horak in Kucsko, marken.schutz, 593. Dazu zuletzt ausführlich NA PBl 1999, 142 - McHair; zu den Schutzvoraussetzungen ausländischer Namensträger OPM PBl 1997, 216 = ÖBl 1997, 293 - ProMarkt; vgl auch Horak in Kucsko, marken.schutz, 597.
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MSchG)181, wegen fehlendem oder nicht zureichendem kennzeichenmäßigen Gebrauch im Inland (§ 33a MSchG)182, Wandel der Marke zur Gattungsbezeichnung (§ 33b MSchG)183, irreführungsgeeigneter Benutzung (§ 33c MSchG) sowie bösgläubiger Anmeldung (§ 34 MSchG) (absolute Löschungsgründe).
G. Übertragung, Belastung und Lizenzierung des Markenrechts Gem § 11 Abs 1 MSchG kann das Markenrecht (seit der Novelle 1977 auch ohne das Unternehmen) übertragen werden184. Im Falle des Eigentümerwechsels am gesamten Unternehmen gehen auch das Markenrecht und Lizenzrechte daran auf den neuen Eigentümer über, soweit nichts anderes vereinbart worden ist185. Der Hinweis auf Lizenzrechte stellt nur klar, dass der Erwerber auch in die Lizenzgeberstellung des von ihm erworbenen Unternehmens eintritt. Für den Fall, dass das veräußerte Unternehmen Lizenznehmer ist, trifft § 11 MSchG keine Regelung. Im Hinblick auf diesbezüglich explizite Anordnungen für Werknutzungsrechte (§ 28 UrhG) und Patentlizenzen (§ 37 PatG) ist nach hM186 jedoch auch für diesen Fall eine automatische Übertragung der Lizenzen anzunehmen. Bei einem bloß teilweisen Übergang eines Unternehmens (etwa wenn nur ein Betriebsteil übertragen wird) greift § 11 Abs 1 MSchG nicht ein; die Marke ist in diesem Fall also rechtsgeschäftlich zu übertragen187. Die vielfach als unnötig hinderlich empfundene Regelung der Teilübertragung von Marken wurde mit der Novelle 1999 geändert. Anstelle der bisherigen Prüfung der Warengleichartigkeit ist nun zu prüfen, ob die Übertragung eine Täuschungsgefahr 181 182
183
184 185
186 187
Dazu Hauer in Kucsko, marken.schutz, 603. Zur Frage des Nichtgebrauchs infolge gesetzlicher Beschränkungen OPM PBl 2000, 40; zur Art des erforderlichen kennzeichenmäßigen Gebrauchs NA PBl 1999, 83; vgl auch Beetz in Kucsko, marken.schutz, 605. Zur Konformität des Begriffs mit Art 10 der Markenrechtsrichtlinie Pöchhacker, 213 ff. Die ältere Rechtsprechung, wonach die nach Registrierung einer Marke eingetretene Entwicklung zum Freizeichen unbeachtlich sei, ist nunmehr endgültig überholt. Sie wurde aber bereits durch OGH ÖBl 1999, 237 = wbl 1999/279 = MR 2000, 43 = RdW 1999, 790 = ecolex 1999/315 - Sony Walkman aufgegeben. Während der OGH dort auf die Auffassung der Hersteller und Händler gleicher oder ähnlicher Produkte abstellt, betont der EuGH die Wahrnehmung der Verbraucher oder Endabnehmer; EuGH, Rs C-371/02, Björnekulla, Slg 2004, I-5791 (Rz 24 f). Zu den Voraussetzungen der Mutation einer registrierten Marke zum Freizeichen näher Gruber, JBl 2000, 545; Pöchhacker, 224 ff; Schwarzenbacher in Kucsko, marken.schutz, 630 ff. Ausführlich Salomonowitz in Kucsko, marken.schutz, 354 ff. Ein Eigentumswechsel am gesamten Unternehmen liegt in allen Fällen der Universalsukzession (Erbfall, Verschmelzung, übertragende Umwandlung sowie Anwachsung nach § 142 HGB) sowie bei sachenrechtlich als Singularsukzession, schuldrechtlich aber Unternehmenskauf darstellenden Vorgängen. Die Verpachtung ist von § 11 Abs 1 MSchG nicht erfasst (so auch Koppensteiner, 892 (§ 42 Rz 2); aA Hauser/Thomasser, 130. Vgl Wiedenbauer, 406 mwN. Auch bei einer bloßen Verpachtung erfolgt kein automatischer Übergang des Markenrechts.
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für den Konsumenten begründet. Seit der letzten Novelle ist es auch möglich, Verbandsmarken (allerdings nur auf einen anderen Verband) zu übertragen (§ 65 MSchG). Obwohl im MSchG nach alter Rechtslage nicht ausdrücklich vorgesehen, bestand nie ein Zweifel daran, dass das Markenrecht als Vermögensrecht Gegenstand sowohl eines vertraglichen, wie auch eines exekutiven Pfandrechts sein kann188. Pfandrechte wurden auch in das Markenregister eingetragen. Die Novelle 1999 hat die Pfandrechtsfähigkeit von Marken (auch die exekutive Pfandrechtsbegründung) ausdrücklich bestätigt und eine diesbezügliche Registereintragung vorgeschrieben (§ 28 MSchG)189. Im Insolvenzfall sind Marken vermögenswerte Rechte des Gemeinschuldners und gehören daher zur Konkursmasse190. Mit der Eröffnung des Konkursverfahrens verliert der Markeninhaber nicht die Markenrechtsfähigkeit, sein Verfügungsrecht darüber (wie über das übrige zur Konkursmasse gehörige Vermögen) geht jedoch auf den Masseverwalter über191. Neben der Übertragung des Markenrechts kommt, wie soeben dargestellt, auch die Lizenzierung desselben in Frage (§ 14 MSchG)192. Markenlizenzen werden seit der Markenrechtsnovelle 1977 im Markenschutzgesetz ausdrücklich erwähnt, waren aber auch schon davor als zulässig anerkannt193. Mit dem Wegfall von § 3 MSchG ist die Voraussetzung, dass Lizenzgeber und Lizenznehmer jeweils über ein Unternehmen verfügen194, nun nicht mehr gegeben. Markenlizenzverträge können unterschiedliche Inhalte haben195. Der Mindestinhalt des Lizenzvertrages besteht in dem Verzicht des Markeninhabers, sein Ausschließungsrecht gegenüber dem Lizenznehmer auszuüben und diesem auf diese Weise die Nutzung der Marke zu verbieten (daher auch die mitunter verwendete Bezeichnung „Gestattungsvertrag“196)197. Die dem Lizenznehmer eingeräumte Rechtsposition kann jedoch weit über dieses bloße Gestattungsrecht hinsichtlich der zeitlichen, räumlichen, sachlichen und persönlichen Geltung des Lizenzrechts (wesentlich über dieses Gestattungsrecht) hinausgehen
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195 196 197
BA PBl 1992, 77 = ÖBl 1992, 12; Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 218. Zur (Ver-)Pfändung von Domains Thiele in Kucsko, marken.schutz, 409 ff. OPM PBl 2003, 20. Näher zur Marke im Konkurs Höller in Kucsko, marken.schutz, 376 ff. Näher Engin-Deniz, Markenschutzgesetz, 176 ff; Salomonowitz in Kucsko, marken.schutz, 448; zur Bereitstellung und Überlassung von Domains Thiele in Kucsko, marken.schutz, 504. Pöchhacker, 197 mwN. Es genügt jedoch, dass ein Unternehmen erst nach Abschluss des Lizenzvertrages eingerichtet wird; so jedenfalls Koppensteiner, 896 (§ 42 Rz 9, allerdings unter Berufung auf die Praxis zu dem nun nicht mehr geltenden deutschen Warenzeichengesetz). Näher zu den verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten von Markenlizenzen Fezer, 1323 (§ 30 Rz 11 ff). ZB OGH wbl 1995, 211 = PBl 1996, 43 = ÖBl 1995, 224. Die Abgrenzungsvereinbarung unterscheidet sich von der Markenlizenz dadurch, dass sie die Reichweite zweier Rechte voneinander abgrenzt und einvernehmlich klarstellt (während Gegenstand der Markenlizenz nur ein Markenrecht ist).
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und sich durchaus den Wirkungen einer Markenübertragung annähern198. Die wesentlichen inhaltlichen Schranken bei der Ausgestaltung von Markenlizenzverträgen ergeben sich aus dem nationalen und va europäischen Kartellrecht199. Die Rechtsstellung von Lizenzgeber und Lizenznehmer lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der Markeninhaber hat gegenüber dem Lizenznehmer alle aus dem Vertrag resultierenden Ansprüche. Ob und bezüglich welcher Vertragsverletzungen dem Lizenzgeber auch markenrechtliche Ansprüche zustehen, ist noch nicht abschließend geklärt. Grundlage dafür könnte va Art 8 Abs 2 MarkenRL bieten, wonach eine Geltendmachung des Rechts aus der Marke ua dann möglich ist, wenn der Lizenznehmer hinsichtlich des Gebietes, in dem die Marke angebracht werden darf, oder der Qualität der unter der Lizenz gekennzeichneten Ware gegen eine Bestimmung des Lizenzvertrags verstößt200. Im Verhältnis zu Dritten behält der Markeninhaber die ihm zustehenden Ansprüche201. Der Lizenznehmer hat gegenüber dem Markeninhaber alle Ansprüche, die sich aus dem Vertrag ergeben. Im Ausmaß der eingeräumten Verwendungserlaubnis kann er auf der Grundlage der Lizenz dem Unterlassungsanspruch des Markeninhabers entgegentreten202. Ob und gegebenenfalls welche Rechte dem Lizenznehmer im Verhältnis zu Dritten zustehen, hängt davon ab, ob eine Lizenz neben einem (nur gegenüber dem Markeninhaber wirksamen) schuldrechtlichen Verpflichtungs- auch ein (gegenüber Dritten wirksames) sachenrechtliches Verfügungselement enthält. Dies ist grundsätzlich möglich203. Ausschlaggebend ist, ob der Wille der Vertragsparteien auch die Einräumung drittgerichteter Ansprüche einschloss. Ist dies zu bejahen204 (und nur dann205), steht dem Lizenznehmer im Verhältnis zu Dritten ein Unterlassungsanspruch gegen Eingriffe in das (lizenzierte) Markenrecht zu. Die Zustimmung des Lizenzgebers benötigt er dazu nicht206.
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Etwa im Fall einer ausschließlichen, zeitlich unbefristeten, inhaltlich und räumlich unbeschränkten und unkündbaren Lizenz. Näher zu diesen Fezer, 1340 (§ 30 Rz 54); Urlesberger in Kucsko, marken.schutz, 469. Zur Bedeutung dieser Bestimmung ausführlich Pöchhacker, 202 ff; Koppensteiner, 900 (§ 42 Rz 15). Löschungsanträge darf ohnehin nur er einbringen (OPM PBl 1975, 71 - Gumpoldskirchner Eiskönig; kritisch Koppensteiner, 902 [§ 42 Rz 18]). OGH ÖBl 1992, 157 = PBl 1993, 52 = wbl 1992, 406 = RdW 1992, 371. Koppensteiner, 898 f (§ 42 Rz 12); Schanda, GRURInt 1994, 282 ff; OGH wbl 2001, 47 =ÖBl 2001, 89 = ecolex 2000/352 - Boss-Brillen II. Nach Ansicht des OGH genügt es dabei, dass eine ausschließliche Lizenz erteilt wurde. Einer besonderen Vereinbarung bedürfe es dann nicht, weil die Wirkung gegen Dritte aus dem ausschließlichen Charakter der Lizenz folgt (OGH wbl 2001, 47 = ÖBl 2001, 89 = ecolex 2000/352 - Boss-Brillen II); dazu näher Hiti, ÖBl 2003, 4. Großzügiger allerdings OGH ÖBl 1995, 159 - Slender you. OGH wbl 2001, 47 = ÖBl 2001, 89 = ecolex 2000/352 - Boss-Brillen II.
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H. Zuständigkeiten207 Die in Markenrechtsangelegenheiten zuständige Behörde ist das Patentamt. Aufgrund der §§ 35 Abs 1 MSchG und 60 Abs 3 PatG ergibt sich innerhalb des Patentamtes in Markensachen folgende Zuständigkeitsverteilung: Gemäß § 35 Abs 1 MSchG sind zur Beschlussfassung und den sonstigen Erledigungen in allen Angelegenheiten des Markenschutzes die Rechtsabteilungen berufen, soweit die betreffende Erledigung nicht dem Präsidenten, der Beschwerdeabteilung oder der Nichtigkeitsabteilung vorbehalten ist. In den Aufgabenbereich der Rechtsabteilungen fallen damit ua die Entscheidungen über Markenanmeldungen, über Änderungsanträge zum Markenregisterstand sowie über die amtswegige Löschung von Marken. Für Beschwerden gegen Beschlüsse der Rechtsabteilungen ist die Beschwerdeabteilung zuständig (§ 36 MSchG iVm § 60 Abs 3 Z 3 PatG). Über Anträge auf Löschung einer registrierten Marke (§§ 30-33c MSchG), über Anträge auf Übertragung (§ 30a MSchG) sowie über Anträge auf nachträgliche Feststellung der Ungültigkeit einer Marke (§ 69a MSchG) entscheidet die Nichtigkeitsabteilung (§ 37 MSchG). Entscheidungen der Nichtigkeitsabteilung unterliegen der nachprüfenden Kontrolle des Obersten Patent- und Markensenates (§ 39 MSchG). Gegen Beschlüsse der Beschwerdeabteilungen steht kein ordentliches Rechtsmittel zur Verfügung; diese Entscheidungen können daher nur mit Beschwerde an den VwGH bekämpft werden. Für den Vollzug der in den §§ 51 ff MSchG normierten zivilrechtlichen Ansprüche und der in § 60 MSchG normierten strafrechtlichen Sanktionen sind die ordentlichen Gerichte zuständig. In Zivilrechtssachen sind gem § 52 Abs 2 Z 9 JN die Handelsgerichte zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ist für Streitigkeiten aus gewerblichem Rechtsschutz in § 83c JN geregelt. Zum Zusammenhang zwischen behördlichen und gerichtlichen Verfahren bestimmt § 57 MSchG, dass die ordentlichen Gerichte (einschließlich der Strafgerichte208) ermächtigt - aber nicht verpflichtet209 - sind, den Rechtsstreit zu unterbrechen, wenn das Markenrecht, dessen Verletzung behauptet wird, Gegenstand eines schon vor Beginn oder während des gerichtlichen Verfahrens anhängig gemachten Löschungsverfahrens ist (und zwar bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieser Vorfrage durch das Patentamt). Nimmt das Gericht diese Unterbrechung vor210, ist es an die rechtskräftige Entscheidung des Patentamtes gebunden. Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung besteht keine Bindung der Gerichte an die Rechtsauffassung des Patentamts211,212. Auch bei der Beurteilung der Frage des wettbewerbsrechtlichen Schutzes nach § 9 UWG, der durch die Eintragung einer Marke in das Markenregister erworben wird, ist das Gericht an die Entscheidung des Patentamts im Eintragungsver207 208 209 210 211 212
Näher zu den institutionellen Gegebenheiten Kucsko, Geistiges Eigentum, 348 ff. Koppensteiner, 909 (§ 44 Rz 7). OGH ÖBl 1990, 24 = PBl 1990, 128 = wbl 1989, 343 - AGRO. Was wegen der langen Verfahrensdauer vor dem Patentamt selten vorkommt. Zuletzt OGH ÖBl 1999, 82 = wbl 1999/87 - AMC/ATC mwN; OGH ÖBl 2005/28. Im Verfahren wegen Verletzung der Gemeinschaftsmarke ist das Gericht jedoch in beschränktem Umfang befugt, die Rechtsgültigkeit der Gemeinschaftsmarke zu prüfen; OGH ÖBl 2005/28 = wbl 2005, 238 - Goldhase.
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fahren nicht gebunden. Es hat selbständig zu prüfen, ob sich der Markeninhaber zurecht auf die zu seinen Gunsten registrierte Marke beruft und ob er diese befugt gebraucht213.
III. Patentrecht A. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Vorgaben 1. Das internationale Patentrecht Für den Bereich des Patentwesens von wohl größerer Bedeutung als gemeinschaftsrechtliche Vorschriften sind zwei völkerrechtliche Verträge, nämlich der Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens aus dem Jahre 1970 („Patent Cooperation Treaty“, Patentzusammenarbeitsvertrag, Washingtoner Vertrag, PCT) sowie das Europäische Patentübereinkommen aus dem Jahr 1973 (Münchener Übereinkommen, EPÜ)214. Der PCT beruht auf dem Grundsatz der Wahrung der Unabhängigkeit des nationalen Patentrechts sowohl in verfahrensmäßiger als auch materiellrechtlicher Hinsicht. Das Abkommen erleichtert jedoch die Durchführung von Patentanmeldungen ganz wesentlich. Eine internationale Patentanmeldung nach dem PCT hat die Wirkung einer nationalen Anmeldung in allen vom Anmelder bestimmten Mitgliedstaaten dieser Übereinkunft. Dabei wird auch eine Formalprüfung, eine internationale Recherche sowie eine Veröffentlichung der Anmeldung durchgeführt. Das EPÜ geht über den PCT noch wesentlich hinaus. Mit einer Anmeldung beim Europäischen Patentamt in München (oder auch beim Österreichischen Patentamt) wird nicht nur die Patentanmeldung, sondern auch das Erteilungsverfahren vereinheitlicht215. Das EPÜ sieht ein zentralisiertes, grundsätzlich autonomes und einheitliches Verfahren (das üblicherweise 3 bis 4 Jahre in Anspruch nimmt) zur Erteilung europäischer Patente vor. Dieses wird vom Europäischen Patentamt durchgeführt und positiv (mit Patenterteilung) oder negativ (durch Zurückweisung des Patentansuchens) erledigt. Die Anmeldung hat in einer der drei Amtssprachen (Englisch, Deutsch, Französisch) zu erfolgen. Es sind dabei die Vertragsstaaten zu benennen, für die der Schutz angestrebt wird. Erforderlich ist dazu allerdings auch die (regelmäßig kostenintensive) Übersetzung in die Amtssprache dieses Landes216. Aufgrund des Münchener Übereinkommens werden nationale Patente verliehen. Das europäische Patent nach dem EPÜ stellt maW ein Bündel nationaler Patente dar. Es vermag das Territorialprinzip also nicht zu überwinden: Nach seiner Erteilung unterliegt das europäische Patent in jedem Vertragsstaat den für nationale Patente geltenden Vorschriften. Dementsprechend sind auch Verfahren, welche die Nichtigkeit eines Patentes betreffen, vor nationalen Instanzen durchzuführen. 213 214 215 216
OGH ÖBl 1999, 122 - Silver Reed. Zu diesen beiden Verträgen näher Brandi-Dohrn/Gruber/Muir, passim; Fichte, 18 ff. Näher Kucsko, Geistiges Eigentum, 1017 ff. Diese Verpflichtung ist gemeinschaftsrechtskonform: EuGH, Rs C-44/98, BASF, Slg 1999, I-6269.
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Das Übereinkommen des Europarates vom 27.11.1963 zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente wurde von Österreich nicht unterzeichnet.
2. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben Im Bereich des Patentrechts besteht mit der Biotechnologie-RL bisher nur eine (punktuelle) sekundärrechtliche Vorgabe. Die Bemühungen um eine umfassendere Vereinheitlichung des Patentwesens innerhalb der EU konzentrierten sich bislang auf zwischenstaatliche Abkommen. Hervorzuheben ist dabei die Vereinbarung über Gemeinschaftspatente (Gemeinschaftspatentübereinkommen, Luxemburger Übereinkommen, GPÜ), das 1989 beschlossen wurde, aufgrund von Ratifikationsschwierigkeiten einzelner Staaten jedoch nie in Kraft getreten ist217. Das Fehlen eines Gemeinschaftspatents wird zunehmend als Problem erkannt. Durch die Schaffung eines einheitlichen europäischen Patents könnten va die Kosten für die Patentierung von Erfindungen in Europa wesentlich gesenkt (diese liegen derzeit signifikant über den in den USA oder Japan anfallenden Kosten) und die Rechtssicherheit durch eine Zentralisierung von Patentrechtsstreitigkeiten wesentlich erhöht werden218,219. Die Kommission hat daher verschiedene Initiativen zur Neubelebung der Diskussion um einen einheitlichen europäischen Patentschutz gestartet und im August 2000 einen förmlichen Vorschlag für eine Verordnung über ein Gemeinschaftspatent vorgelegt220. 217
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Das Übereinkommen wurde nur von Frankreich, Deutschland, Griechenland, Dänemark, Luxemburg, dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden ratifiziert. Das Scheitern des Übereinkommens wird im Allgemeinen mit den mit dem Gemeinschaftspatent verbundenen Kosten (va Übersetzungskosten) und der Komplexität des dort vorgesehenen Rechtsprechungssystems begründet. Für eine ausführliche Analyse der bestehenden Probleme s die Mitteilung der Kommission „Förderung der Innovation durch Patente - Folgemaßnahmen zum Grünbuch über das Gemeinschaftspatent und das Patentschutzsystem in Europa“, KOM (1999) 42 endg. Dies setzt zusätzlich die Schaffung eines zentralen gemeinschaftlichen Rechtsprechungsorgans im Rahmen des Europäischen Gerichtshofs voraus. Die Voraussetzung dafür wurde im Vertrag von Nizza (Abl 2001 C 80/1) nun mit dem neuen Art 229a geschaffen. Nach dieser Bestimmung kann der Rat einstimmig dem Gerichtshof die Zuständigkeit übertragen, „über Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung von aufgrund dieses Vertrags erlassenen Rechtsakten, mit denen gemeinschaftliche Titel für den gewerblichen Rechtsschutz geschaffen werden, zu entscheiden“. Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent, KOM (2000) 412 endg. (Abl 2000 C 337 E/278). Der Vorschlag geht im Kern dahin, dass das Gemeinschaftspatent vom Europäischen Patentamt erteilt würde. Die europäischen Patente und die nationalen Patente würden aber parallel fortbestehen, sodass sich ein Erfinder zwischen diesen drei Systemen entscheiden könnte. Wann diese Regelung verabschiedet werden kann, lässt sich derzeit nicht abschätzen. Bereits 2003 schien ein Beschluss dieser Verordnung nach einem Grundsatzbeschluss der Wirtschafts- und Binnenmarktminister kurzfristig möglich. Da aber über bestimmte Punkte, insbesondere betreffend Gerichtszuständigkeiten und die Frage, in wie viele Sprachen Patentansprüche übersetzt werden müssen, offenbar kein umfassender und nachhaltiger Konsens herbeigeführt werden konnte, konnte dieses Vorhaben dann letztlich doch nicht verwirklicht werden. Anfang 2006 startete die Kommission mit einer Konsultierungsrunde mit Wirtschaft und Interessensverbänden einen neuen
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Nationales Patentrecht hat derzeit somit lediglich primärrechtliche Vorschriften zu beachten. In Frage kommen dabei hauptsächlich Art 28 und 30 EG-V betreffend den freien Warenverkehr, die wesentlichen Einfluss auf die Schutzrechtsausübung gegenüber Importprodukten nehmen, sowie Art 43 EGV über die Niederlassungsfreiheit, der die Festlegung der Verwertungsbedingungen von Patenten determiniert. Bei der Ausgestaltung von Lizenzvereinbarungen ist schließlich auf die durch Art 81 EG-V sowie durch die auf der Grundlage von Art 81 Abs 3 EG-V ergangene Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfer-Vereinbarungen221 gezogenen Grenzen Bedacht zu nehmen.
B. Zweck des Patentrechts Der Hauptzweck patentrechtlicher Vorschriften liegt wohl darin, einen Anreiz zur Investition in technische Innovation zu schaffen. Ohne den durch Patente für einen bestimmten Zeitraum vermittelten Nachahmungsschutz könnten sich die für Forschung und Entwicklung getätigten Aufwendungen regelmäßig nicht amortisieren. Gleichzeitig stellt das dem Erfinder gewährte Nutzungsmonopol auch die Voraussetzung dafür dar, dass diesem die Offenlegung des Erfindungsgedankens (und dessen Überführung in die öffentliche Domäne nach Ablauf der Schutzfrist) zugemutet werden kann222.
C. Das Patent Gemäß § 1 Abs 1 PatG werden „für Erfindungen, die neu sind (§ 3), sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben und gewerblich anwendbar sind, [ ... ] auf Antrag Patente erteilt“. Die Erteilung eines Patentes setzt somit zunächst voraus, dass eine Erfindung vorliegt. Der Begriff der Erfindung ist im PatG nicht positiv definiert, sondern lässt sich nur über die in § 1 Abs 3 PatG enthaltene Abgrenzung zu anderen Leistungen und Innovationen negativ bestimmen. Nach dieser Bestimmung sind als Erfindungen insbesondere nicht anzusehen: • Entdeckungen223 sowie wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden224; • ästhetische Formschöpfungen225;
221 222 223 224
225
Anlauf zur Verwirklichung dieses Projekts (dazu Lehne, GRURInt 2006, 363). Zu Inhalt und Entstehungsgeschichte näher Bauer, ÖBl 2005, 4. VO (EG) 772/2004 (Abl 2004 L 123/11). Weitere Patentrechtstheorien bei Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 94; Hauser/Thomasser, 147. Zum Entdeckungsbegriff näher Flammer, 168. Es handelt sich dabei nach Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 96, um die Enthüllung, die Erkenntnis von bereits Vorhandenem sowie um wissenschaftliche Erkenntnisse. Eine Patentierbarkeit sei ausgeschlossen, weil die Entdeckung dem Entdeckten nichts neues hinzufüge und damit keinen Beitrag zur Vermehrung des Bestandes an geistigen Gütern leiste. Für diese kommt allenfalls ein Schutz nach dem Geschmacksmusterrecht in Frage.
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•
Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für gesellschaftliche Tätigkeiten sowie für Programme für Datenverarbeitungsanlagen226; • die Wiedergabe von Informationen. § 1 Abs 1 PatG verlangt weiters, dass die Erfindung gewerblich anwendbar ist227. Dies setzt nicht voraus, dass die Verwertung der Erfindung wirtschaftlichen Erfolg verspricht oder eine gewerbliche Nutzung auch nur konkret ins Auge gefasst wurde. Gefordert wird dabei einzig, dass die Erfindung einer gewerblichen Vervielfältigung grundsätzlich zugänglich ist228. Eine weitere wesentliche Patentierbarkeitsvoraussetzung ist die in § 1 Abs 1 PatG geforderte (weltweite229) Neuheit230. Gemäß § 3 Abs 1 PatG gilt eine Erfindung als neu, wenn sie nicht zum „Stand der Technik“ gehört. Dieser „Stand der Technik“ umfasst alles, was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag der Anmeldung durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benützung (vor Benützung) oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist (§ 3 Abs 1 PatG)231. Es gilt also ein absoluter Neuheitsbegriff. Als Veröffentlichung gilt grundsätzlich auch der Verkauf eines die betreffende Technik beinhaltenden Erzeugnisses232. Die bewusst nur einem begrenzten Personenkreis zur Geschäftsanbahnung übermittelten Geschäftsunterlagen sind nicht neuheitsschädlich233. Der Erfinder kann die Neuheit seiner Innovation auch durch Veröffentlichung von Forschungsergebnissen in einer Fachzeitschrift beseitigen234. Von bestimmten, in § 3 Abs 4 PatG normierten Ausnahmen abgesehen, ist es unerheblich, ob das Offenkundigwerden mit oder ohne Zustimmung des Erfinders erfolgte. Als Stand der Technik gilt auch der Inhalt prioritätsälterer Patentanmeldungen, Gebrauchsmusteranmeldungen, internationaler Anmeldungen sowie europäischer Anmeldungen (§ 3 Abs 2 PatG). § 1 Abs 1 PatG knüpft die Patentierbarkeit einer Erfindung schließlich noch an die Voraussetzung, dass diese sich nicht „in naheliegender Weise“ aus dem Stand der Technik ergibt. Gefordert ist somit eine gewisse Erfindungshöhe235. 226 227
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232 233 234
235
Kritisch Weinzinger, 867. Zum Bedeutungswandel dieser Patentierbarkeitsvoraussetzung in Richtung bloßer „Klarheit“ der Patentansprüche (OPM PBl 2004, 99) näher Weiser, 80 ff mit umfangreichen Praxisnachweisen. Hauser/Thomasser, 151 mwN. Gem Art 57 EPÜ gilt eine Erfindung als gewerblich anwendbar, „wenn ihr Gegenstand auf irgendeinem gewerblichen Gebiet einschließlich der Landwirtschaft hergestellt oder benutzt werden kann“. BA PBl 1997, 138. Dazu näher Kucsko, Geistiges Eigentum, 845 ff; Weiser, 95 ff. Dabei ist ohne Belang, ob eine im Ausland vorveröffentlichte ausländische Patentoder Offenlegungsschrift im Inland bekannt geworden ist oder nicht. Den Stand der Technik bildet alles, was der Öffentlichkeit weltweit zugänglich gemacht wurde (BA PBl 1997, 138 = ÖBl 1997, 286). BA ÖBl 1994, 278 = PBl 1994, 163. BA PBl 1992, 130 = ÖBl 1992, 12. Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 97; zur Neuheitsschädlichkeit von Dateiblättern, Katalogen und Preislisten vgl BA PBl 1996, 191 = ÖBl 1996, 274. Illustrativ für die Beurteilung der Erfindungseigenschaft etwa BA PBl 1999, 96 = ÖBl 1999, 275; OPM PBl 1999, 171; BA PBl 2000, 108; NA PBl 2000, 120; NA
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Die zum Patent angemeldete technische Lösung darf keine für den Durchschnittsfachmann naheliegende Lösung sein und sollte den Rahmen einer natürlichen und kontinuierlichen Weiterentwicklung des Standes der Technik überschreiten236. Die für die Patentierung erforderliche Erfindungseigenschaft kann grundsätzlich auch bei einer Kombination an sich bekannter Maßnahmen vorliegen. Es muss dabei jedoch ein besonderer, nicht zu erwartender Kombinationseffekt eintreten (und dargetan werden)237, der für einen Fachmann nicht naheliegen darf238. Patentrechtlich schützbar ist auch die Verwendung einer iW bekannten Vorrichtung auf eine neue, nicht bekannte Art, wenn dadurch ein neuer, überraschender Effekt erzielt wird239. Eine (vermeintliche) Erfindung, die mit wissenschaftlichen Prinzipien im Widerspruch steht, ist nie patentierbar240. In Umsetzung einer entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe (Biotechnologie-Richtlinie) regelt das PatG in § 1 Abs 2-4 nun auch den Schutz biotechnologischer Erfindungen. Danach können Erfindungen bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen auch dann patentiert werden, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material besteht oder dieses enthält, oder ein Verfahren, mit dem biologisches Material hergestellt, bearbeitet oder verwendet wird, zum Gegenstand haben241. § 1 Abs 3 PatG regelt im Einzelnen, welche Verfahren und Erkenntnisse als solche - insbesondere nicht als Erfindungen angesehen werden. Es sind dies Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden; der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung; die bloße Entdeckung eines Bestandteils des menschlichen Körpers, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens; ästhetische Formschöpfungen; Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen; sowie die Wiedergabe von Informationen. § 2 PatG schließt für folgende Erfindungen eine Patentierbarkeit generell aus: • Erfindungen, deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde; ein solcher Verstoß kann nicht allein daraus hergeleitet werden, dass die Verwertung der Erfindung durch Rechtsvorschriften verboten ist242;
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PBl 2001, 9; dazu näher Weiser, 43 ff; Kucsko, Geistiges Eigentum, 848 ff, jeweils mit umfangreichen Praxisnachweisen. Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 97; Hauser/Thomasser, 152. BA PBl 1996, 255 = ÖBl 1997, 61. OPM PBl 1994, 202 = ÖBl 1994, 279. BA PBl 2000, 158. Wie etwa ein Perpetuum mobile, BA PBl 1995, 244 = ÖBl 1996, 19. Als biologisches Material gilt Material, das genetische Informationen enthält und sich selbst reproduzieren oder in einem biologischen System reproduziert werden kann. Als nicht patentierbar gelten in diesem Sinne gem § 2 Abs 1 Z 1 unter anderem Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen; Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens; die Verwen-
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Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung von Menschen oder Tieren sowie Diagnostizierverfahren für Menschen und Tiere; dies gilt nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem dieser Verfahren; für Pflanzensorten oder Tierarten (Tierrassen) sowie für im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren; diese Ausnahmen sind auf Mikroorganismen243 als solche sowie auf mikrobiologische Verfahren und die mit Hilfe dieser Verfahren gewonnenen Erzeugnisse nicht anzuwenden.
D. Inhalt des Patentrechts 1. Rechtsinhalt Das Patentrecht unterliegt zeitlichen und örtlichen Grenzen. Es vermittelt seinen Schutz für eine Höchstdauer von 20 Jahren ab dem Anmeldetag (§ 28 Abs 1 PatG) und ist örtlich auf die Grenzen des Bundesgebietes der Republik Österreich beschränkt. Das Patent verleiht dem Patentinhaber va das Recht, andere davon auszuschließen, den Gegenstand der Erfindung betriebsmäßig herzustellen, in Verkehr zu bringen, feilzuhalten, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen (§ 22 Abs 1 PatG)244,245. Der Schutzbereich des Patentes wird durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt, die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung heranzuziehen, Dabei ist das Protokoll über die Auslegung der Patentansprüche zu berücksichtigen (§ 22a PatG)246. Der Schutzbereich biotechnologischer Patente wird gesondert in §§ 22b f PatG geregelt. Wenn das Patent für ein Verfahren erteilt wurde247, erstreckt sich die Wirkung auch auf die durch dieses Verfahren unmittelbar hergestellten Erzeugnisse248. Dabei ist zu beachten, dass der Schutzumfang eines Patentes nicht nur die
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dung von menschlichen Embryonen; die Herstellung und Verwertung von hybriden Lebewesen, die aus Keimzellen, totipotenten Zellen oder Zellkernen von Menschen und Tieren entstehen; Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität von Tieren, die geeignet sind, Leiden dieser Tiere ohne wesentlichen medizinischen Nutzen für den Menschen oder das Tier zu verursachen, sowie die mit Hilfe solcher Verfahren erzeugten Tiere. Dazu näher Marterer, Anhang XLV. Die Einbeziehung des Einführens und Besitzens des Gegenstandes einer Erfindung in das Ausschließungsrecht des Patentinhabers geht auf Art 28 Z 1 des TRIPSAbkommens zurück. Die Wirkung des Patentes erstreckt sich nicht auf Studien und Versuche sowie die sich daraus ergebenden praktischen Anforderungen, soweit sie für die Erlangung einer arzneimittelrechtlichen Genehmigung, Zulassung oder Registrierung für das Inverkehrbringen erforderlich sind (§ 22 Abs 1 PatG). Zur Auslegung von Patentansprüchen OGH RdW 2004/257 = ÖBl 2004/26. Zur Beweislast bei diesen Patenten Kucsko, ÖBl 2004, 4 ff. Bei einem Verfahrenspatent gilt bis zum Beweis des Gegenteils jedes Erzeugnis von gleicher Beschaffenheit als nach dem patentierten Verfahren hergestellt: OGH ÖBl 2002, 245 - Sprayback-Problem; OGH RdW 2004/257 = ÖBl 2004/26; dazu ausführlich Kucsko, ÖBl 2004, 4.
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im Patentanspruch ausdrücklich unter Schutz gestellten Lösungsmittel, sondern auch äquivalente Mittel mitumfasst249. Der Begriff der Betriebsmäßigkeit ist weiter als der der Gewerbemäßigkeit; es kommt dabei insbesondere nicht auf die Absicht, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen, an250. Durch die Patentrechts- und Gebührennovelle 2004251 wurde das Rechtsinstitut der mittelbaren Patentverletzung eingeführt. Nach § 22 Abs 3 PatG ist es Dritten untersagt, nicht nutzungsberechtigten Personen (auch Privaten gem Abs 5) Mittel anzubieten, die diesen die rechtswidrige Nutzung der Erfindung ermöglichen. Dieses Ausschließungsrecht wird durch die Judikatur des EuGH zur Erschöpfung von Schutzrechten eingeschränkt. Nach dem in dieser Rechtsprechung entwickelten Erschöpfungsgrundsatz wäre die Ausübung des Ausschließungsrechtes zur Verhinderung der Einfuhr von Waren, die der Patentinhaber selbst oder die mit seiner Zustimmung in einem anderen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht wurden, mit Art 28 EG-V unvereinbar und von der Ausnahme in Art 30 EG-V betreffend den Schutz des geistigen und gewerblichen Eigentums nicht gedeckt252. Gemäß § 23 Abs 1 PatG hat dieses Ausschließungsrecht gegenüber dem Vorbenützer-(Weiterbenützungs-)recht zurückzutreten. Vorbenützer ist, wer die Erfindung bereits zur Zeit der Anmeldung im guten Glauben in Benützung genommen oder die zu solcher Benützung erforderlichen Veranstaltungen getroffen hat. Der Vorbenützer ist somit zur Weiterbenützung berechtigt. Diese Befugnis schließt im Einzelnen das Recht, die Erfindung für die Bedürfnisse seines eigenen Betriebes in eigenen oder fremden Werkstätten auszunützen (§ 23 Abs 2 PatG), ein. Der Vorbenützer kann verlangen, dass diese Befugnis vom Patentinhaber durch Ausstellung einer Urkunde ausdrücklich anerkannt wird (§ 23 Abs 4 PatG). Die Befugnis kann nur zusammen mit dem Betrieb vererbt oder veräußert werden (§ 23 Abs 3 PatG). Als Durchbrechung des Ausschließlichkeitsrechts an einer Erfindung ist auch die in § 36 PatG vorgesehene Möglichkeit der Erteilung einer Zwangslizenz anzusehen. Es sind darunter Lizenzen zu verstehen, deren Einräumung nicht im freien Ermessen des Patentinhabers liegt, sondern auf die Dritte unter bestimmten Voraussetzungen einen gegebenenfalls durch behördliche Anordnung253 durchsetzbaren Anspruch haben. Diese Voraussetzungen sind nach § 36 Abs 1-5 PatG: 249
250 251 252 253
OPM PBl 1996, 224 = ÖBl 1997, 17; zur Beurteilung der äquivalenten Nutzung der patentierten Erfindung OPM ÖBl 1996, 117 = PBl 1996, 35; NA PBl 2001, 52; OGH RdW 2004/257 = ÖBl 2004/26. Vgl Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 107. Zu dieser Wiltschek, ÖBl 2005, 49. Grundlegend EuGH, Rs 15/74, Centrafarm/Sterling Drug, Slg 1974, 1147 (Rz 6 ff). Gem § 36 Abs 4 PatG entscheidet über den Antrag auf Einräumung der Zwangslizenz das Patentamt in dem für die Patentanfechtung vorgeschriebenen Verfahren. In gemeinschaftsrechtlich nicht unbedenklicher Weise wird Umfang und Dauer der Lizenz vorwiegend auf die Versorgung des inländischen Marktes beschränkt. Im Falle der Halbleitertechnik kann nach der letzten Novellierung die Lizenz nur für den öffentlichen, nicht gewerblichen Gebrauch oder um eine in einem Gerichts- oder Ver-
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•
Eine patentierte Erfindung kann nicht verwertet werden, ohne ein älteres Patent zu verletzen und die mit dem jüngeren Patent geschützte Erfindung muss gegenüber der mit dem älteren Patent geschützten Erfindung einen wichtigen technischen Fortschritt von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung darstellen. Eine solche Zwangslizenz wegen Abhängigkeit muss wechselseitig sein (gibt also auch dem Inhaber des älteren Patents Anspruch auf eine Lizenz an dem jüngeren, abhängigen Patent). • Ein Pflanzenzüchter kann ein Sortenschutzrecht nicht erhalten oder verwerten, ohne ein älteres Patent zu verletzen, und die Pflanzensorte stellt einen bedeutenden technischen Fortschritt von erheblichem wirtschaftlichen Interesse gegenüber der patentgeschützten Erfindung dar. • Dem Inhaber eines Patentes für eine biotechnologische Erfindung wird eine nicht ausschließliche Lizenz für ein älteres Sortenschutzrecht erteilt, weil er sonst die biotechnologische Erfindung nicht verwerten kann. Der Inhaber des älteren Sortenschutzrechtes hat dann Anspruch auf eine nicht ausschließliche Lizenz an dem jüngeren Patent zur Verwertung der geschützten Erfindung. • Eine patentierte Erfindung wird im Inland nicht in angemessenem Umfang ausgeübt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese Ausübung durch Import erfolgen kann, der Patentinhaber dadurch also nicht gezwungen wird, die Erfindung im Inland zu verwerten (das betreffende Produkt im Inland zu produzieren). • Wenn die Erteilung einer Lizenz im öffentlichen Interesse geboten ist254. Verweigert der Rechtsinhaber die Lizenzgewährung, obwohl sich der Lizenzwerber um Zustimmung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen bemüht hat, kann dieser beim Patentamt die Anordnung der Lizenzeinräumung gegen angemessene, den wirtschaftlichen Wert der Lizenz berücksichtigende, Vergütung beantragen (§ 37 Abs 1 PatG). Wenn die Einräumung von Zwangslizenzen nicht genügt hat, um die Ausübung der Erfindung im Inland in angemessenem Umfang zu sichern, kann das Patent ganz oder teilweise zurückgenommen werden (§ 47 Abs 1 PatG).
2. Rechtsbehelfe Zum Schutz des Patentrechts stehen folgende Rechtsbehelfe zu Gebote255. Gemäß § 147 PatG kann auf Unterlassung klagen, wer in einem der ihm aus einem Patent zustehenden Befugnisse verletzt worden ist oder eine solche Verletzung zu besorgen hat256. Dieser Anspruch dient dem Schutz des Patentinhabers vor künftigen Eingriffen in das ausschließliche Recht an der Erfindung und setzt kein schuldhaftes Handeln voraus257. Gemäß § 148 PatG steht dem
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waltungsverfahren festgestellte wettbewerbswidrige Praxis abzustellen, eingeräumt werden. Der Anspruch auf die Erteilung einer Zwangslizenz wegen öffentlichen Interesses ist grundsätzlich an einen Betrieb gebunden. Dieses Erfordernis gilt jedoch nicht für die Bundesverwaltung. Näher zu diesen Loos, 267; Kucsko, Geistiges Eigentum, 953 ff. Dazu näher Weiser, 379 ff. OGH ÖBl 1999, 208.
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Patentinhaber auch ein Beseitigungsanspruch zu Gebote. Der in seinem Patentrecht Verletzte kann verlangen, dass auf Kosten des Verletzers die patentverletzenden Gegenstände vernichtet und die ausschließlich oder vorzugsweise zur Herstellung patentverletzender Gegenstände dienlichen Werkzeuge, Vorrichtungen und anderen Hilfsmittel für diesen Zweck unbrauchbar gemacht werden, soweit dadurch nicht in dingliche Rechte Dritter eingegriffen wird. Wenn diesem Anspruch stattgegeben wird (gleiches gilt für den Unterlassungsanspruch), besteht auch ein Recht auf Urteilsveröffentlichung auf Kosten des Gegners (§ 149 PatG). Das Patentrecht vermittelt auch vermögenswerte Ansprüche. Gemäß § 150 PatG hat der in seinem Patent Verletzte gegen den Verletzer einen Anspruch auf ein angemessenes Entgelt. Es handelt sich um einen Vergütungsanspruch für die ungerechtfertigte Verwendung des Patents in Höhe einer angemessenen Lizenzgebühr258. Bei grob fahrlässiger oder schuldhafter Patentverletzung kann der Verletzte unabhängig vom Nachweis eines Schadens das Doppelte dieses Entgelts fordern (§ 150 Abs 3 PatG). Bei schuldhafter Patentverletzung kann der Verletzte stattdessen Schadenersatz (einschließlich des ihm entgangenen Gewinnes) oder die Herausgabe des Gewinnes, den der Verletzer durch die Patentverletzung erzielt hat, verlangen (§ 150 Abs 2 PatG)259. Gem § 151a PatG stehen dem Patentinhaber nun auch verschiedene Auskunftsrechte über den Ursprung und die Vertriebswege der rechtsverletzenden Waren und Dienstleistungen gegenüber Personen zu, die diese Waren in ihrem Besitz gehabt haben. Zur Sicherung dieser Ansprüche (und auch zur Sicherung von Beweismitteln) können einstweilige Verfügungen erlassen werden (§ 151b Abs 1PatG). Zur Sicherung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen sind einstweilige Verfügungen auch möglich, wenn die in § 381 EO vorgesehenen Voraussetzungen (Gefährdungsbescheinigung) nicht vorliegen (§ 151b Abs 3 PatG). Eine Anhörung des Gegners kann jeweils unterbleiben, wenn durch die damit verbundene Verzögerung ein nicht wieder gut zu machender Schaden entstehen könnte oder die Gefahr der Beweisvernichtung besteht (§ 151b Abs 4 PatG). Mit Ausnahme des Urteilsveröffentlichungsanspruches können die genannten Ansprüche auch gegen den Inhaber eines Unternehmens geltend gemacht werden, in dessen Betrieb die Patentverletzung begangen wurde oder droht. Zur Beseitigung ist der Betriebsinhaber jedoch nur verpflichtet, wenn er Eigentümer der Eingriffsgegenstände oder Eingriffsmittel ist (§ 152 Abs 1 PatG). Der Anspruch auf angemessenes Entgelt und auf Rechnungslegung setzt voraus, dass der Unternehmer von der Patentverletzung wusste oder daraus einen Vorteil zog (§ 152 Abs 2 PatG). Die Haftung nach § 150 Abs 2 und 3 PatG entsteht für den Unternehmer nur, wenn ihm die Patentverletzung bekannt war oder bekannt sein musste.
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OGH ÖBl 1998, 307; zur Berechnung des angemessenen Entgelts s auch OGH RdW 1998, 268; OGH ÖBl-LS 2005/270. Gemäß § 151 PatG ist der Verletzer dem Verletzten weiters zur Rechnungslegung und auch dazu verpflichtet, deren Richtigkeit durch einen Sachverständigen prüfen zu lassen.
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Für die Ansprüche in Geld und den Anspruch auf Rechnungslegung gilt die dreijährige Verjährungsfrist des § 1498 ABGB. Die Verjährung aller dieser Ansprüche wird auch durch die Klage auf Rechnungslegung oder einen Feststellungsantrag nach § 163 PatG unterbrochen (§ 154 PatG). Auf Verlangen des Verletzten kann ein Patentverletzer auch strafrechtlich verfolgt werden. Patentverletzungen sind mit Geldstrafen von bis zu 360 Tagessätzen, gewerbsmäßige Patentverletzungen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bedroht (§ 159 Abs 1 PatG). Dies gilt auch für den Inhaber oder Leiter eines Unternehmens, der eine im Betrieb des Unternehmens von einem Bediensteten oder Beauftragten begangene Patentverletzung nicht verhindert (§ 159 Abs 2 PatG). Ist der Inhaber des Unternehmens eine Gesellschaft, eine Genossenschaft, ein Verein oder ein anderes, nicht zu den physischen Personen gehöriges Rechtssubjekt, gilt die Strafdrohung für deren Organe, wenn sie sich einer solchen Unterlassung schuldig gemacht haben (§ 159 Abs 3 PatG). Bedienstete, die die Handlung im Auftrag des Dienstgebers vorgenommen haben, unterliegen der Strafdrohung nicht (§ 159 Abs 4 PatG). Besonderheiten der Strafverfolgung sind in § 161 PatG geregelt. Für Klagen und einstweilige Verfügungen nach dem Patentgesetz ist ausschließlich das Handelsgericht Wien zuständig. Ohne Rücksicht auf den Streitwert entscheidet stets (auch über einstweilige Verfügungen) ein Senat. Für das Strafverfahren wegen Patentverletzungen ist ausschließlich das Landesgericht für Strafsachen Wien zuständig (§ 162 PatG). Für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Diensterfindungen zwischen Arbeitgeber und -nehmer oder zwischen Arbeitnehmern untereinander sind sachlich die Arbeits- und Sozialgerichte zuständig, sofern das Arbeitsverhältnis auf einem privatrechtlichen Vertrag beruht (§ 50 Abs 1 Z 1 und Z 3 ASGG). Zur Klärung des Schutzbereiches von Patenten und damit der Frage, ob ein bestimmter Gegenstand oder ein bestimmtes Verfahren unter ein „Patent“ fällt oder nicht, sieht § 163 PatG die Möglichkeit der Einbringung von Feststellungsanträgen vor260. Diese können vom Patentinhaber (oder ausschließlichen Lizenznehmer261) gegen potentielle Verletzer eingebracht werden (positiver Feststellungsantrag, Abs 2 leg cit). Es kann jedoch auch ein Dritter die Feststellung beantragen, dass der von ihm betriebsmäßig hergestellte, in Verkehr gebrachte, feilgehaltene oder gebrauchte Gegenstand bzw das von ihm betriebsmäßig angewendete Verfahren entweder ganz oder teilweise unter das Patent fällt (negativer Feststellungsantrag, Abs 1). Feststellungsanträge sind zurückzuweisen, wenn der Antragsgegner dar tut, dass zwischen denselben Parteien bereits eine Verletzungsklage, die denselben Gegenstand oder dasselbe Verfahren betrifft, anhängig gemacht wurde (§ 163 Abs 3 PatG)262. 260 261
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Dazu OGH ÖBl 2003/24. In diesem Fall erfolgt jedoch keine Unterbrechung des Patenteingriffsverfahrens, da die Entscheidung im patentbehördlichen Feststellungsverfahren nicht gegen die Lizenznehmer wirkt (OLG Wien ÖBl 1998, 354). Der Umstand, dass der OPM in einem Verfahren nach § 163 PatG einen Engriff in die patentierte Erfindung durch den Feststellungsgegenstand angenommen, das Gericht aber im Verletzungsstreit nach §§ 147 ff PatG einen Eingriff in dieses „Patent“ verneint hat, bildet weder nach § 156 Abs 5 PatG noch nach § 530 Abs 1 Z 6 ZPO
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E. Patenterteilungsverfahren Das Patenterteilungsverfahren wird durch die Anmeldung einer Erfindung in schriftlicher Form beim österreichischen Patentamt eingeleitet. Entsteht die Erfindung durch die Zusammenarbeit mehrerer Urheber, steht die Erfindung nur allen gemeinsam zu und die rechtsgültige Anmeldung ist demgemäss nur mit Zustimmung aller Urheber möglich263. Als Tag der Anmeldung gilt der Tag des Einlangens der Anmeldung beim Patentamt (§ 87 Abs 2 PatG). Dieses Datum ist für die Entstehung des Rechts der Priorität (die gegenüber zeitlich später angemeldeten gleichen Erfindungen Vorrang verschafft) von Bedeutung. Die Erfindung ist in der Patentanmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass sie ein Fachmann ausführen kann (Offenbarungsgrundsatz264, § 87a PatG)265. Welche Angaben die Anmeldung sonst noch enthalten muss, ist im Einzelnen in § 89 PatG geregelt. Die dort vorgesehene Zusammenfassung stellt eine Kurzfassung der in der Anmeldung enthaltenen Offenbarung dar. Sie dient ausschließlich der technischen Information und kann nicht für andere Zwecke, insbesondere nicht zur Bestimmung des Schutzbereiches, herangezogen werden (§ 91 Abs 2 PatG). Nach dem in § 88 PatG normierten Einheitlichkeitsgrundsatz darf die Anmeldung nur eine einzige Erfindung oder eine Gruppe von Erfindungen enthalten, die untereinander dergestalt verbunden sind, dass sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen266. Die Patentansprüche müssen genau und in unterscheidender Weise angeben, wofür Schutz begehrt wird (§ 91 PatG)267. Die Anmeldung unterliegt in der Folge einer Gesetzmäßigkeitsprüfung durch ein Mitglied der technischen Abteilung des Patentamts. Diese Prüfung bezieht sich va auf die Frage des Vorliegens einer patentierbaren Erfindung, schließt aber auch formale Aspekte ein. Die finanzielle Ertragsfähigkeit der Erfindung ist dagegen im Rahmen dieser Prüfung nicht zu beurteilen. Ergibt die Prüfung, dass die Anmeldung in formaler Hinsicht nicht den vorgeschriebenen Anforderungen entspricht, ist der Anmelder aufzufordern, die Mängel innerhalb einer bestimmten Frist zu beheben. Ergibt die Prüfung, dass offenbar keine patentierbare Erfindung vorliegt, ist der Anmelder, gegebenenfalls nach vorheriger Vernehmung durch den Prüfer, zu benachrichtigen und zur Äußerung aufzufordern (§ 99 Abs 3 PatG). Wenn die Anmeldung (auch in verbesserter Form) den vorgeschriebenen Anforderungen nicht entspricht oder sich ergibt, dass eine nach den §§ 1-3
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einen Wiederaufnahmsgrund für den Patentverletzungsstreit; OGH RdW 2003/81 = ÖBl 2003/24. OPM PBl 1999, 12 = ÖBl 1999, 122. Die Offenbarung von Erfindungen betreffend Mikroorganismen ist nun gesondert in Art 87a PatG geregelt. Zu den Offenbarungsanforderungen (und damit den Anforderungen an die Neuheitsschädlichkeit einer solchen Vorveröffentlichung) näher OGH ÖBl 2005/50 mit Glosse von Schönherr/Andocker. Zur Offenbarung insgesamt näher Weiser, 263 ff. Zu diesem Grundsatz näher BA PBl 1998, 203 = ÖBl 1999, 12; BA PBl 1999, 167. Näher zu den Patentansprüchen Weiser, 271 ff.
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PatG patentfähige Erfindung offenbar nicht vorliegt, wird die Anmeldung zur Gänze oder teilweise zurückgewiesen268. Die Anmeldung wird grundsätzlich (außer etwa bei vorhergehender rechtskräftiger Patenterteilung, § 101a Abs 1 PatG) nach Ablauf von 18 Monaten nach dem Anmeldetag oder Prioritätstag veröffentlicht, kann aber auf Antrag des Anmelders auch davor bereits veröffentlicht werden (§ 101 Abs 1 PatG). Nach der Veröffentlichung kann jeder Dritte begründete Einwendungen gegen die Patentierbarkeit der angemeldeten Erfindung erheben (§ 101b PatG). Bestehen gegen die Erteilung keine Bedenken (und wurde die Veröffentlichungsgebühr bezahlt), beschließt die technische Abteilung die Erteilung des Patents. Mit der Bekanntmachung im Patentblatt treten die gesetzlichen Wirkungen ein (§ 101c PatG). Gegen die Patenterteilung kann innerhalb von vier Monaten ab dem Tag der Bekanntmachung der Erteilung des Patents Einspruch erhoben werden (§ 102 Abs 1 PatG)269. Dieser Einspruch kann gemäß § 102 Abs 2 PatG nur auf folgende Behauptungen gestützt werden: • dass der Gegenstand des Patents den §§ 1-3 PatG nicht entspricht; • dass das Patent die Erfindung nicht hinreichend deutlich und vollständig offenbart; • dass der Gegenstand der bekannt gemachten Anmeldung über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausreicht; • dass ein hinterlegter Mikroorganismus nicht zugänglich ist. Der Beweis für das Vorliegen jener Tatsachen, die den einzelnen Einspruchsgründen zugrunde liegen, obliegt dem Einsprecher270. Es reicht nicht aus, bloß die Wahrscheinlichkeit des Zutreffens der betreffenden Behauptungen darzutun271. Über den Einspruch und damit über die Erteilung des Patentes hat das Patentamt (die technische Abteilung) unter freier Würdigung der vorgebrachten Beweise in nicht öffentlicher Sitzung zu beschließen272.
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Wenn aufgrund der Ergebnisse des Vorprüfungsverfahrens die Erteilung eines Patentes nicht als aussichtsreich erscheint, da die erforderliche erfinderische Leistung zu gering ist, besteht für den Anmelder auch die Möglichkeit, die Patentanmeldung in eine Gebrauchsmusteranmeldung umzuwandeln. Dieser kommt als Anmeldetag der Tag zu, an dem die Patentanmeldung beim Patentamt eingereicht worden ist. Die umgewandelte Anmeldung unterliegt sodann den Bestimmungen des Gebrauchsmustergesetzes und wird wie eine Gebrauchsmusteranmeldung behandelt. Die Umwandlung einer Patentanmeldung ist nicht zulässig, wenn es sich um eine gemäß § 21 des Gebrauchsmustergesetzes umgewandelte Gebrauchsmusteranmeldung handelt (§ 92b). Genaue Darstellung der Einspruchsgründe und des Einspruchsverfahrens bei Weiser, 318 ff. Zum Nachweisstandard BA PBl 1996, 191 = ÖBl 1996, 274. BA ÖBl 1994, 279 = PBl 1994, 188. Es hat dabei den Grundsatz zu beachten, dass ein Patent nicht allein deshalb versagt werden kann, weil ursprünglich ein übergroßer Schutzumfang beantragt wurde, insbesondere dann nicht, wenn eine Einschränkung auf einen patentrechtlich schützbaren, realistischen Schutzumfang möglich ist (BA PBl 1995, 136 = ÖBl 1995, 266).
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F. Anspruchsberechtigte Gemäß § 4 Abs 1 PatG hat auf die Patenterteilung nur der Erfinder oder sein Rechtsnachfolger Anspruch. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt der erste Anmelder als Erfinder. Die Geltendmachung dieses Anspruches erfolgt durch Einbringen einer Patentanmeldung. Wenn mehrere Personen unabhängig voneinander die gleiche Erfindung machen, steht grundsätzlich jedem Erfinder ein Anspruch auf das Patent zu. Gemäß § 4 Abs 1 PatG kann das Patent allerdings nur dem Erstanmelder erteilt werden. Ein Doppelerfinder hat jedoch uU ein Vorbenutzerrecht (vgl § 23 PatG)273. Seine Anwartschaft auf die Patenterteilung lebt wieder auf, wenn die frühere Anmeldung des anderen Erfinders nicht erfolgreich (und auch nicht neuheitsschädlich) war. Entsteht die Erfindung durch die Zusammenarbeit mehrerer Urheber, steht die Erfindung nur allen gemeinsam zu274. Das von mehreren Personen als Teilhabern derselben Erfindung angemeldete Patent wird diesen gem § 27 Abs 1 PatG ohne Bestimmung der Teile erteilt. Ihr Rechtsverhältnis richtet sich nach bürgerlichem Recht (§ 27 Abs 2 PatG). Maßgeblich sind die §§ 825 ff ABGB. Das Recht, Dritten die Benützung der Erfindung zu gestatten, steht ihnen im Zweifel nur gemeinsam zu. Eingriffe in das Recht kann aber jeder Teilhaber für sich allein geltend machen (§ 27 Abs 3 PatG). Die Veräußerung eines ideellen Anteils an einem gemeinschaftlichen Patent ist nur möglich, wenn die bisherigen Teilhaber die ziffernmäßige Größe der jedem von ihnen zustehenden ideellen Anteile vertraglich fixieren275. Gemäß § 6 Abs 1 PatG steht der Anspruch auf die Erteilung eines Patentes auch Dienstnehmern hinsichtlich der von ihnen während des Bestandes des Dienstverhältnisses gemachten Erfindungen zu276. Durch Vereinbarungen zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern kann jedoch vereinbart werden, dass Erfindungen des Dienstnehmers dem Dienstgeber gehören sollen oder dem Dienstgeber ein Benützungsrecht eingeräumt werden soll277. Diese Vereinbarungen sind jedoch nur gültig, wenn die Vereinbarung schriftlich geschlossen wurde278,279, und wenn es sich bei dieser Erfindung um eine Diensterfindung280 handelt. Darunter versteht § 7 Abs 3 PatG die Erfindung eines Dienstnehmers, wenn • die Tätigkeit, die zu der Erfindung geführt hat, zu den dienstlichen Obliegenheiten des Dienstnehmers gehört oder
273 274 275 276 277 278 279
280
Dazu näher Warbek, 263; Kucsko, Geistiges Eigentum, 926 ff. OPM PBl 1999, 12 = ÖBl 1999, 122. OLG Wien ÖBl 1996, 153. Zu steuerlichen Aspekten näher Pinter, SWK 2004, 794. Die Vereinbarung eines Rückfalls der Rechte bei Konkurseröffnung über den Dienstgeber ist zulässig: OGH RdW 2003/133. Diesem Erfordernis ist auch Genüge geleistet, wenn darüber ein Kollektivvertrag vorliegt. Wenn das Dienstverhältnis ein öffentlich-rechtliches ist, kann der Dienstgeber auch ohne eine solche Vereinbarung Diensterfindungen für sich in Anspruch nehmen (§ 7 Abs 2 PatG). Näher dazu zuletzt Leuze, 3 mwN. Zu dieser ausführlich Reitböck.
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•
der Dienstnehmer die Anregung zu der Erfindung durch seine Tätigkeit in dem Unternehmen erhalten hat oder • das Zustandekommen der Erfindung durch die Benützung der Erfahrungen oder der Hilfsmittel des Unternehmens wesentlich erleichtert worden ist. Dienstnehmern gebührt jedoch jedenfalls dann eine angemessene besondere Vergütung für die Überlassung der Erfindung, wenn sie nicht ausdrücklich zur Erfindertätigkeit angestellt und damit auch tatsächlich vorwiegend beschäftigt sind (§ 8 PatG)281. Diensterfindungen an Universitäten sind durch das Universitätsgesetz speziell geregelt. Nach § 106 Abs 2 UG ist die jeweilige Universität berechtigt, Diensterfindungen, die im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Dienst- oder Ausbildungsverhältnisses zum Bund oder eines Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses zu einer Universität gemacht wurden, in Anspruch zu nehmen, ohne dass es dazu einer Vereinbarung bedürfte282.
G. Verlust des Patentrechts Gemäß § 46 PatG erlischt das Patent durch Zeitablauf, dh mit Erreichung der Höchstdauer283, wenn die fällige Jahresgebühr nicht rechtzeitig eingezahlt wurde sowie wenn der Patentinhaber auf das Recht verzichtet284. Das Patent kann auch ganz oder teilweise zurückgenommen werden, wenn die Einräumung von Zwangslizenzen nicht genügt hat, um die Ausübung der Erfindung im Inland in angemessenem Umfang zu sichern (§ 47 PatG). Das Patent kann weiters für nichtig erklärt werden, wenn der Gegenstand des Patents den §§ 1-3 PatG nicht entsprach, der Gegenstand des Patentes über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten, den Anmeldetag begründenden Fassung hinausgeht, das Patent die Erfindung nicht hinreichend deutlich und vollständig offenbarte oder der hinterlegte Mikroorganismus nicht zugänglich war (§ 48 PatG). In § 49 PatG ist schließlich noch die Aberkennung von Patenten vorgesehen. Diese Aberkennung wird durchgeführt, wenn der Nachweis erbracht wird, dass der Patentinhaber keinen Anspruch auf die Erteilung des Patentes hatte oder der wesentliche Inhalt der Anmeldung den Unterlagen eines anderen ohne dessen Einwilligung entnommen war. Anstelle der Aberkennung kann die Übertragung des Patentes begehrt werden. Besteht der Anspruch auf Übertragung nur hinsichtlich eines Anteils, dann ist das Patent anteilsmäßig zu übertragen (§ 49 Abs 5 PatG)285. Die Einleitung eines Verfahrens wegen Rücknahme, Nichtigerklärung oder Aberkennung von Patenten erfolgt nur auf Antrag. Rücknahme- oder Nichtigkeitsanträge können jedoch vom Patentamt auch nach Rückziehung des
281 282 283 284 285
Zu diesem Anspruch OGH infas 2002, A 73 = ASoK 2002, 416; dazu auch Böhm, 200; Collin, 342. Dazu näher Lang, ÖBl 2005, 62. Gemäß § 28 PatG 20 Jahre ab dem Anmeldetag. Dieser Verzicht kann auch nur für einzelne Teile des Patentes erfolgen. Der Antrag auf Aberkennung oder Übertragung kann auch schon vor der Erteilung des Patentes hinsichtlich der Patentanmeldung gestellt werden (§ 49 Abs 7 PatG).
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Antrags von Amts wegen fortgesetzt werden286. Innerhalb des Patentamts ist zur Entscheidung über diese Anträge die Nichtigkeitsabteilung zuständig287. Gegen diese Entscheidungen kann an den Obersten Patent- und Markensenat Berufung erhoben werden (§ 70 Abs 3 PatG). Das Verfahren ist in den §§ 112 ff PatG im Einzelnen geregelt. Es ist dem Zivilprozess nachgebildet. Die Bestimmungen der ZPO sind häufig sinngemäß anzuwenden (§§ 112 ff PatG). Das Verhältnis zwischen der Nichtigerklärung eines Patents gemäß § 48 PatG und den gerichtlichen Patentverletzungsverfahren ist wie folgt geregelt: Grundsätzlich kann die Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patents, auf das die Verletzungsklage gestützt wird, vom Gericht als Vorfrage gemäß § 156 Abs 1 PatG selbständig beurteilt werden288. Hängt ein Urteil jedoch davon ab, ob das Patent gemäß § 48 PatG nichtig ist, hat das Gericht diese Frage zunächst selbständig zu prüfen. Es kann dazu ein Gutachten des Patentamts einholen. Wenn das Gericht aufgrund des Beweisverfahrens die Nichtigkeit des Patents für wahrscheinlich hält, hat es das Verfahren zu unterbrechen. Wenn der Beklagte nicht innerhalb eines Monats ab Zustellen des Unterbrechungsbeschlusses nachweist, dass er beim Patentamt einen Nichtigkeitsantrag eingebracht hat, ein Nichtigkeitsverfahren zwischen den Streitteilen bereits anhängig ist oder er sich in einem solchen Verfahren als Nebenintervenient angeschlossen hat, hat das Gericht das Verfahren auf Antrag des Klägers fortzusetzen und ohne Rücksicht auf den Nichtigkeitseinwand zu entscheiden. Eine vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung ergehende Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts ist jedoch zu berücksichtigen (§ 156 Abs 3 PatG)289. Wurde das Gerichtsverfahren wegen eines beim Patentamt anhängigen Verfahrens unterbrochen, kann der Beklagte auch den Nachweis erbringen, dass er gegen das Patent einen Einspruch erhoben hat (§ 156 Abs 4 PatG). Wurde die Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patentes vom Patentamt oder vom OPM anders beurteilt als vom Gericht, kann darauf eine Wiederaufnahmeklage gestützt werden (§ 156 Abs 5 PatG).
H. Übertragung, Belastung und Lizenzierung des Patentrechts Das Recht aus der Anmeldung eines Patentes und das Patentrecht selbst können zur Gänze oder nach ideellen Anteilen durch Vertrag, richterlichen Ausspruch oder letztwillige Verfügung auf andere übertragen werden (§ 33 Abs 2 PatG). Dritten gegenüber wird die Übertragung eines Patentrechtes durch Eintragung in das Patentregister wirksam (§ 43 Abs 1 PatG). Wird das Recht aus der Anmeldung eines Patentes übertragen, wird das Patent im Falle der schließlichen Erteilung dem Rechtsnachfolger des Anmelders auf dessen Antrag hin (§ 43 286 287 288 289
Verfahren auf Nichtigerklärung sind bei Konkurseröffnung über das Vermögen des Antragstellers zu unterbrechen, OPM PBl 1997, 227. Sie entscheidet in Senaten, die aus zwei rechtskundigen und drei fachtechnischen Mitgliedern bestehen (§ 63 Abs 1 Z 2 PatG). Urteile, in denen die Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patents beurteilt wurde, sind gem § 156 Abs 2 PatG dem Patentamt zu übermitteln. Die Unterbrechungsbestimmung des § 156 Abs 3 PatG gilt jedoch nicht für das strafrechtliche Vorverfahren: OLG Wien ecolex 2000/290 (der Sicherungszweck der strafrechtlichen Voruntersuchung geht also der Prozessökonomie vor).
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Abs 5-7 PatG finden sinngemäß Anwendung) erteilt. Das Recht aus der Anmeldung eines Patentes und das Patentrecht gehen auf die Erben über; ein Heimfallsrecht findet nicht statt (§ 33 Abs 1 PatG). Das Patentrecht kann auch Gegenstand eines vertraglichen oder exekutiven Pfandrechts sein (§ 34 PatG)290. Pfandrechte werden Dritten gegenüber ebenfalls erst mit Eintragung in das Patentregister erworben und Dritten gegenüber wirksam (§ 43 Abs 1 PatG). Die Verpfändung eines Patentes schließt kein Verfügungsverbot ein; dieses müsste also eigens vereinbart werden291. Neben der Übertragung des Rechtes hat der Patentinhaber auch die Möglichkeit, dritten Personen das Recht zur Benützung der Erfindung entweder für das ganze Geltungsgebiet des Patentes oder für einen Teil desselben im Wege einer Lizenz einzuräumen. Diese Patentlizenz kann, muss aber nicht ausschließlich sein (§ 35 PatG)292. Auch Lizenzrechte werden gemäß § 43 Abs 2 PatG dritten Personen gegenüber erst mit der Eintragung in das Patentregister wirksam. Die Rechtsprechung gesteht ausschließlichen Lizenznehmern aber bereits vor Eintragung ins Patentregister das Recht zur selbständigen Verfolgung von Verletzungshandlungen zu293. Das mit der Lizenz erworbene quasidingliche Benützungsrecht steht dem Lizenzinhaber gegenüber dem Patentinhaber bereits mit Vertragsabschluss zu294. Ohne Zustimmung des Patentinhabers können Lizenzen nur gemeinsam mit dem lizenzberechtigten Teil des Unternehmens oder Geschäftsbetriebs übertragen werden (und gehen von Todes wegen nur dann auf die Rechtsnachfolger über, wenn von diesen der lizenzberechtigte Teil des Unternehmens oder des Geschäftsbetriebs fortgeführt wird). Eine gemäß § 36 Abs 1 PatG am älteren Patent eingeräumte Lizenz kann nur mit dem jüngeren Patent übertragen werden (§ 38 PatG).
I. Zuständigkeiten In der für Patentangelegenheiten zuständigen Behörde, dem Patentamt, sind die Zuständigkeiten wie folgt verteilt295. Die technischen Abteilungen sind gemäß § 60 Abs 3 Z 1 PatG zuständig für die Erteilung von Patenten und für die Erstattung schriftlicher Gutachten nach § 57a PatG. Diese Beschlüsse werden im Allgemeinen durch ein einzelnes fachtechnisches Mitglied (den „Prüfer“) erlassen. Nur über die Zurückweisung einer Anmeldung (§ 100 PatG), über die Patenterteilung nach Einspruch (§ 104 PatG) und über Ordnungs- oder Mutwillensstrafen (§ 83 PatG), entscheiden die technischen Abteilungen in einem Dreiersenat.
290 291 292
293 294 295
Näher Lang, ecolex 1999, 475. OGH ÖBA 1996/581 = RdW 1996, 582. Bei der Einräumung exklusiver Nutzungsberechtigungen sind kartellrechtliche Vorgaben, insbesondere die des europäischen Kartellrechts, zu beachten. Für die Rechtspraxis von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Gruppenfreistellungsverordnung über Technologietransfervereinbarungen, VO (EG) 772/2004 (Abl 2004 L 123/11). OGH ÖBl 1991, 153 - Trennwand. OGH ÖBl 1999, 208. Dazu näher Kucsko, Geistiges Eigentum, 863.
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Die Rechtsabteilungen sind zuständig für Verfahren in Angelegenheiten, die sich auf die Übertragung des Rechts aus der Anmeldung, auf andere rechtliche Verfügungen über ein solches Recht, auf erteilte Patente oder auf Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beziehen. Sie entscheiden durch ein einzelnes rechtskundiges Mitglied (§ 60 Abs 3 Z 2 PatG). Die Beschwerdeabteilung entscheidet über Beschwerden gegen Beschlüsse der technischen Abteilungen und der Rechtsabteilungen als zweite und letzte Instanz (§§ 60 Abs 3 Z 3, 70 PatG). Die Beschwerdeabteilung setzt sich gemäß § 63 Abs 1 Z 1 PatG aus drei fachtechnischen und einem rechtskundigen Mitglied zusammen (sofern es sich nicht um Beschwerden gegen Beschlüsse eines rechtskundigen Mitgliedes handelt). Eine Anfechtung der Entscheidungen der Beschwerdeabteilung vor dem Verwaltungsgerichtshof ist nicht zulässig (§ 70 Abs 2 PatG). Durch die Patentrechtsnovelle 2004 wurde jedoch (in Umsetzung einer Vorgabe des TRIPS-Abkommens) die Möglichkeit einer Beschwerde an den OPM eingeführt (§ 145a PatG; Regelung des Verfahrens in § 145b PatG). Die Nichtigkeitsabteilung entscheidet im kontradiktorischen Verfahren über Anträge auf Rücknahme, Nichtigerklärung, Aberkennung, Abhängigerklärung (§ 47 ff PatG) von Patenten, auf Nennung als Erfinder nach § 20 Abs 5 PatG, auf Anerkennung des Vorbenützerrechts (§ 23 PatG), über Feststellungsanträge und über die Anträge auf Erteilung von Zwangslizenzen (§ 60 Abs 3 Z 4 PatG). Die Nichtigkeitsabteilung entscheidet im kontradiktorischen Verfahren durch einen Fünfersenat. Gegen Endentscheidungen der Nichtigkeitsabteilung steht die Berufung an den Obersten Patent- und Markensenat offen. Die Präsidialabteilung ist für die Bearbeitung der dem Präsidenten vorbehaltenen sowie aller nicht in die Zuständigkeit einer anderen Abteilung fallenden Angelegenheiten zuständig. Der OPM entscheidet durch einen Fünfersenat als zweite und letzte Instanz über Berufungen gegen die Entscheidungen der Nichtigkeitsabteilung. Für Klagen und einstweilige Verfügungen nach dem Patentgesetz ist ausschließlich das Handelsgericht Wien zuständig. Ohne Rücksicht auf den Streitwert entscheidet stets (auch über einstweilige Verfügungen) ein Senat. Für das Strafverfahren wegen Patentverletzungen ist ausschließlich das Landesgericht für Strafsachen Wien zuständig (§ 162 PatG). Für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Diensterfindungen zwischen Arbeitgeber und -nehmer oder zwischen Arbeitnehmern untereinander sind sachlich die Arbeits- und Sozialgerichte zuständig, sofern das Arbeitsverhältnis auf einem privatrechtlichen Vertrag beruht (§ 50 Abs 1 Z 1 und Z 3 ASGG).
IV. Gebrauchsmuster A. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Spezifische völkerrechtliche296 oder gemeinschaftsrechtliche Vorgaben oder Regelungen gibt es für das Gebrauchsmusterrecht (noch) nicht. Die Europäische Kommission hat jedoch einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Anglei296
Das TRIPS-Abkommen enthält spezifische Vorschriften nur für „gewerbliche Muster“, dh für Geschmacksmuster.
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chung der Rechtsvorschriften zum Schutz von Erfindungen durch Gebrauchsmuster vorgelegt. Die geplante Richtlinie hat den Zweck, die wesentlichen nationalen Rechtsvorschriften für den Gebrauchsmusterschutz zu harmonisieren und solche Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten einzuführen, in denen sie noch nicht bestehen297.
B. Zweck des Gebrauchsmusterrechts Gebrauchsmuster sind gewissermaßen „kleine Patente“298. Das am 1.4.1994 in Kraft getretene Gebrauchsmustergesetz bezweckt einen Schutz für technische Entwicklungen, die den für eine Patenterteilung erforderlichen hohen Erfindungsgehalt nicht aufweisen und von relativ kurzer Lebensdauer sind, aber für diese (kürzere) Zeitspanne dennoch als schutzbedürftig angesehen werden299. Der Schutz als Gebrauchsmuster kann sehr viel einfacher erlangt werden als für Patente. Dementsprechend ist freilich auch die Rechtsbeständigkeit dieses Rechts geringer und die Schutzdauer ist kürzer. Zudem kann auch jedermann eine Nichtigerklärung beantragen, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen300. Da kein Doppelschutzverbot besteht, kann für dieselbe Erfindung aber neben einer Gebrauchsmuster- auch noch eine Patentanmeldung eingereicht werden301.
C. Das Gebrauchsmuster Gemäß § 1 GMG werden als Gebrauchsmuster solche Erfindungen geschützt, die neu sind, auf einem erfinderischen Schritt beruhen und gewerblich anwendbar sind302. Als Erfindung gilt auch die Programmlogik, die Programmen für Datenverarbeitungsanlagen zugrunde liegt (§ 1 Abs 2 GMG)303. Was als neu gilt, wird in § 3 GMG definiert. Der dort normierte Neuheitsbegriff entspricht im Großen und Ganzen dem des PatG: Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Den Stand der Technik bildet alles, was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag der Anmeldung durch schriftliche oder mündliche Beschreibung304, durch Benützung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist (§ 3 Abs 1 GMG)305. 297
298 299 300 301 302 303 304 305
Letzte Änderung des Vorschlags am 30. Juni 1999, KOM (1999) 309 endg. (Abl 2000 C 248 E/56). Offenbar weil die Kommission auf ihr Sondierungspapier zu den Auswirkungen eines Gemeinschaftsgebrauchsmusters (SEK(2001) 1307) überwiegend ablehnende Antworten erhielt, scheint sie dieses Projekt vorerst nicht mehr weiter zu verfolgen. Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 113; zur Unterscheidung zwischen Patenten und Gebrauchsmustern Schuster/Janusch, SWK 2005, 802. Zu den Motiven im Einzelnen Lang, ÖBl 2005, 60. Vgl auch OGH Arb 12.371 = ASoK 2004, 246. Zu diesen Doppelanmeldungen Knittel, 52. Näher zu diesen Voraussetzungen Weiser, 482 ff. Dazu näher Burgstaller, MR 2000, 233; Lang, ÖBl 2005, 64. Zur Frage, ob Software auch Patentschutz eingeräumt werden sollte, näher Weinzinger, 867. Zur Neuheitsschädlichkeit von Dateiblättern, Katalogen und Preislisten vgl BA PBl 1996, 191 = BA ÖBl 1996, 274. § 3 Abs 2 GMG regelt, inwieweit auch der Inhalt prioritätsälterer Anmeldungen (als Gebrauchsmuster oder Patent) als Stand der Technik gilt.
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§ 3 Abs 4 GMG räumt dem Anmelder, abweichend von den korrespondierenden Bestimmungen im PatG, eine Neuheitsschonfrist von sechs Monaten ein. Danach bleibt eine Offenbarung der Erfindung außer Betracht, die nicht früher als sechs Monate vor dem Anmeldetag erfolgt ist und unmittelbar oder mittelbar auf den Anmelder oder seinen Rechtsvorgänger oder auf einen offensichtlichen Missbrauch zum Nachteil des Anmelders oder seines Rechtsvorgängers zurückgeht. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Anmelder möglicherweise rechtlich unerfahren ist und selbst durch eine voreilige Veröffentlichung seiner Erfindung die Neuheit zerstört. Es soll damit aber auch dem wissenschaftlich arbeitenden Erfinder die Möglichkeit eröffnet werden, schon vor der Registrierung in einen Diskurs mit Fachkollegen zu treten306. Die Inanspruchnahme der Neuheitsschonfrist kann freilich auch Nachteile nach sich ziehen. So würde die vor der Anmeldung als Gebrauchsmuster vorgenommene Veröffentlichung die für die Auslandsmeldung erforderliche Neuheit beseitigen und - da eine entsprechende Neuheitsschonfrist im Patentrecht nicht vorgesehen ist - den Umstieg zu einer Patentanmeldung ausschließen. Der in § 1 Abs 1 GMG vorgesehene „erfinderische Schritt“ setzt das Vorliegen einer gewissen erfinderischen Leistung voraus. Die Erfindungsqualität muss jedoch bloß in geringerem Ausmaß, als dies für die Patentierung erforderlich ist, gegeben sein307. Die Anforderung der „gewerblichen Anwendbarkeit“ entspricht demgegenüber zur Gänze der gleichlautenden Voraussetzung im PatG. Gemäß § 1 Abs 3 GMG werden (wie im PatG) Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden, ästhetische Formschöpfungen, Pläne (sowie Regeln und Verfahren) für gedankliche Tätigkeiten, Spiele, geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen, und die Wiedergabe von Informationen nicht als Erfindungen angesehen. Gemäß § 2 GMG gelten als nicht schutzfähig Erfindungen, deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde308; Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung von Menschen und Diagnostizierverfahren an Menschen309; Pflanzen, Tiere und biologisches Material sowie Verfahren zu deren Züchtung.
D. Inhalt des Gebrauchsmusterrechts Gemäß § 4 Abs 1 GMG ist der Gebrauchsmusterinhaber berechtigt, andere davon auszuschließen, den Gegenstand der Erfindung betriebsmäßig herzustellen, in Verkehr zu bringen, feilzuhalten oder zu gebrauchen310. Bei einem Ver306 307 308 309 310
Holzer, 83. So der OGH in seiner ersten Entscheidung zum Gebrauchsmusterrecht, OGH ecolex 1996, 380 = ÖBl 1996, 200 = MR 1996, 245. Wobei ein solcher Verstoß nicht allein daraus hergeleitet werden kann, dass die Verwertung der Erfindung durch Rechtsvorschriften verboten ist. Dies gilt nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe und Stoffgemische, zur Anwendung in einem dieser Verfahren. Die Wirkung des Gebrauchsmusters erstreckt sich nicht auf Studien und Versuche sowie die sich daraus ergebenden praktischen Anforderungen, soweit sie für die Er-
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fahren erstreckt sich die Wirkung auch auf die durch dieses Verfahren unmittelbar hergestellten Erzeugnisse. Durch die Patentrechts- und Gebührennovelle 2004311 wurde das Rechtsinstitut der mittelbaren Gebrauchsmusterverletzung eingeführt. Nach § 4a GMG ist es Dritten untersagt, nicht nutzungsberechtigten Personen Mittel anzubieten, die diesen die rechtswidrige Nutzung der Erfindung ermöglichen. Die zivil- und strafrechtlichen Rechtsfolgen entsprechen jenen im Patentgesetz. Der Verletzte hat also Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung, Urteilsveröffentlichung, angemessenes Entgelt, Schadenersatz, Herausgabe des Gewinns und Rechnungslegung, sowie neuerdings auch auf Auskünfte über Herkunft und Vertriebsweg verletzender Produkte (§ 41 GMG). Die Verletzung von Gebrauchsmustern ist mit Geldstrafe, die gewerbsmäßige Verletzung mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bedroht (§ 42 GMG). Dem Gebrauchsmusterinhaber steht der Unterlassungsanspruch unabhängig davon zu, ob er die materielle Berechtigung seines Gebrauchsmusters nachweist312. Dass das Gebrauchsmuster nicht neu oder nicht erfinderisch ist, muss der Beklagte behaupten. Das eingetragene Gebrauchsmuster hat also den Rechtsschein eines wirksamen Gebrauchsmusters für sich313. Der Erfinder hat Anspruch darauf, bei der amtlichen Veröffentlichung, im Gebrauchsmusterregister, in der Gebrauchsmusterschrift, in der Gebrauchsmusterurkunde und in den vom Patentamt auszustellenden Prioritätsbelegen als Erfinder genannt zu werden (§ 8 Abs 1 GMG).
E. Registrierung des Gebrauchsmusterrechts Die Gebrauchsmusteranmeldung ist schriftlich beim österreichischen Patentamt einzubringen. Für die Durchführung des Anmeldeverfahrens ist das nach der Geschäftsverteilung zuständige fachtechnische Mitglied, der sogenannte „Prüfer“, zuständig, der als Mitglied einer der technischen Abteilungen des Patentamts tätig wird. Als Tag der Anmeldung gilt der Tag des Einlangens beim Patentamt. Offenbarungsgrundsatz und Einheitlichkeitsgrundsatz gelten auch für Gebrauchsmusteranmeldungen (§ 13 Abs 2 und 3 GMG). Der darüber hinausgehende Mindestinhalt solcher Anmeldungen ist in § 14 GMG geregelt. Mit dem Tag der ordnungsgemäßen Anmeldung eines Gebrauchsmusters erlangt der Anmelder das Prioritätsrecht (§ 16 Abs 1 GMG). Innerhalb von 12 Monaten nach dem Anmeldetag einer früheren Patent- oder Gebrauchsmusteranmeldung kann der Anmelder für eine dieselbe Erfindung betreffende spätere Gebrauchsmusteranmeldung noch das Recht der Priorität der früheren Anmeldung in Anspruch nehmen (§§ 16a, 17 GMG). Erwähnenswert ist idZ auch die mit der Novelle 1998 geschaffene Möglichkeit einer „Abzweigung“ einer Gebrauchsmusteranmeldung von einer Patentanmeldung (§ 15a GMG). Diese Abzweigungsmöglichkeit besteht sowohl
311 312 313
langung einer arzneimittelrechtlichen Genehmigung, Zulassung oder Registrierung für das Inverkehrbringen erforderlich sind (§ 4 Abs 1 letzter Satz GMG). Zu dieser Wiltschek, ÖBl 2005, 49. OGH ÖBl 1996, 200. Lang, ÖBl 2005, 63.
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bei nationalen als auch bei europäischen und internationalen Patentanmeldungen. Anders als bei der Umwandlung einer Patentanmeldung in eine Gebrauchsmusteranmeldung gem § 92b PatG tritt die abgezweigte Gebrauchsmusteranmeldung nicht an die Stelle der Patentanmeldung und kann auch noch nach Erteilung, Zurücknahme oder Zurückweisung der Patentanmeldung bzw nach entsprechenden Entscheidungen über die Erteilung eines europäischen Patents eingereicht werden. Dabei kann der Anmeldetag der Patentanmeldung in Anspruch genommen werden (Abzweigungserklärung), und die für die Patentanmeldung beanspruchten Prioritätsrechte bleiben für die Gebrauchsmusteranmeldung erhalten. Anmeldungen sind vom Patentamt (wie erwähnt) nur im Hinblick auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen. Eine Beurteilung im Hinblick auf Neuheit, erfinderischen Schritt, gewerbliche Anwendbarkeit sowie darauf, ob der Anmelder Anspruch auf Gebrauchsmusterschutz hat, erfolgt im Anmeldeverfahren nicht (§ 18 Abs 1 GMG). Fällt die Gesetzmäßigkeitsprüfung negativ aus, ist die Anmeldung zurückzuweisen. Ergibt diese Prüfung dagegen, dass gegen die Veröffentlichung und Registrierung keine Bedenken bestehen, erstellt das Patentamt (möglichst innerhalb von sechs Monaten ab dem Anmeldetag; § 19 Abs 2 GMG) den sogenannten Recherchenbericht, in dem die vom Patentamt zum Zeitpunkt der Erstellung des Berichtes ermittelten Schriftstücke genannt werden, die zur Beurteilung der Neuheit und des erfinderischen Schritts in Betracht gezogen werden können (sogenanntes „neuheitsschädliches Material“, § 19 Abs 1 GMG). Auf der Grundlage dieses Recherchenberichts kann der Anmelder dann innerhalb von zwei Monaten über das weitere Schicksal seiner Anmeldung entscheiden314. Der Anmelder kann jedoch auch eine beschleunigte, dh vom Zeitpunkt der Fertigstellung des Recherchenberichts unabhängige, sofortige Veröffentlichung und Registrierung des Gebrauchsmusters beantragen (§ 27 GMG). Gemäß § 21 GMG hat der Anmelder schließlich auch noch die Möglichkeit, seine Gebrauchsmusteranmeldung bis zum Ablauf der ihm mit Zustellung des Recherchenberichts gesetzten Frist in eine Patentanmeldung umzuwandeln315. Dies ist jedoch dann unzulässig, wenn es sich um eine gem § 92b PatG umgewandelte Patentanmeldung handelt. Entspricht die Anmeldung den gesetzlichen Erfordernissen, verfügt das Patentamt die Veröffentlichung des Gebrauchsmusters im Gebrauchsmusterblatt und seine Registrierung im Gebrauchsmusterregister (§§ 22 ff GMG). Letzteres stellt ein dem Patentregister nachgebildetes öffentliches Register dar, das jedermann zur Einsicht offen steht.
314 315
Die verschiedenen Alternativen werden in § 19 Abs 3-5 GMG geregelt; dazu näher Knittel, 51. Dies wird für diesen va dann in Frage kommen, wenn die Ergebnisse des Recherchenberichts die Erteilung eines Patentes als wahrscheinlich oder aussichtsreich erscheinen lassen.
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F. Anspruchsberechtigte Der Anspruch auf Gebrauchsmusterschutz steht dem Erfinder oder dessen Rechtsnachfolger zu (§ 7 GMG). Für Dienstnehmererfindungen gelten die entsprechenden Vorschriften im Patentgesetz (§ 7 Abs 2 GMG)316. Hat eine gebrauchsmusterfähige Erfindung mehrere Urheber, sind alle als Miterfinder gleichberechtigt317.
G. Verlust des Gebrauchsmusterrechts Das Gebrauchsmuster erlischt gemäß § 12 Abs 3 GMG mit der Erreichung seiner Höchstdauer318, bei nicht rechtzeitiger Zahlung einer Jahresgebühr sowie bei Verzicht des Inhabers auf das Gebrauchsmuster (zulässig ist auch ein teilweiser Verzicht). Gemäß § 28 GMG kann jedermann die Nichtigerklärung beantragen, wenn der Gegenstand des Gebrauchsmusters den Anforderungen der §§ 1-3 GMG nicht entspricht, die Ansprüche, die Beschreibung und die Zeichnungen die Erfindung nicht hinreichend deutlich und vollständig offenbaren, und der Gegenstand des Gebrauchsmusters über den Inhalt der Anmeldung hinausgeht. Dabei hat der Gebrauchsmusterinhaber den Rechtsschein eines wirksamen Gebrauchsmusters für sich und es ist Sache des Antragstellers, das Fehlen der sachlichen Voraussetzungen des Gebrauchsmusterschutzes zu behaupten und - im Provisorialverfahren - zu bescheinigen319. Wie auch im Bereich des Patentrechts hat das Gericht im Falle eines Nichtigkeitseinwandes diese Frage zunächst selbständig zu prüfen. Es kann dazu ein Gutachten des Patentamts einholen. Wenn das Gericht aufgrund des Beweisverfahrens die Nichtigkeit des Patents für wahrscheinlich hält, hat es das Verfahren zu unterbrechen und den Beklagten zu beauftragen, den Nachweis zu erbringen, dass er beim Patentamt einen Nichtigkeitsantrag eingebracht hat, ein Nichtigerklärungsverfahren zwischen den Streitteilen bereits anhängig ist oder er sich einem solchen Verfahren als Nebenintervenient angeschlossen hat (§ 156 Abs 3 PatG). Das Patentamt (die Nichtigkeitsabteilung) bzw der OPM haben ein solches Verfahren beschleunigt durchzuführen (§ 41 GMG iVm § 157 PatG). Die rechtskräftige Entscheidung ist dem weiteren gerichtlichen Verfahren zugrunde zu legen (§ 41 GMG iVm § 156 Abs 4 PatG). § 29 GMG sieht auch noch die Aberkennung auf Antrag des tatsächlich Berechtigten vor. Die Voraussetzungen entsprechen im Großen und Ganzen der Bestimmung des § 49 PatG. Durch den OPM wurde zuletzt geklärt, dass die Nichtigkeitsabteilung auch von sich aus in teilweiser Stattgebung des Antrags eine entsprechende Einschränkung vornehmen und den (restlichen) Teilanspruch - Schutzfähigkeit vorausgesetzt - aufrecht erhalten muss320. Gem § 29
316 317 318 319 320
Dies sind die §§ 6-17 und 19 PatG. Hauser/Thomasser, 170. Gemäß § 6 GMG zehn Jahre nach dem Ende des Monats, in dem das Gebrauchsmuster angemeldet worden ist. OGH ecolex 1996, 380 = ÖBl 1996, 200 = MR 1996, 245; OGH ÖBl 2004/12 mit (kritischer) Glosse Wolner. PBl 2003, 94.
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Abs 6 GMG kann ein Aberkennungs- und Übertragungsantrag nunmehr auch bereits vor der Registrierung des Gebrauchsmusters gestellt werden321.
H. Übertragung, Belastung und Lizenzierung des Gebrauchsmusterrechts Das Recht der Anmeldung eines Gebrauchsmuster und das Gebrauchsmusterrecht selbst können zur Gänze oder nach ideellen Anteilen übertragen werden (§ 10 GMG). Das Recht wird vom Erwerber jedoch erst mit der (konstitutiven) Eintragung in das Gebrauchsmusterregister erworben (§ 32 Abs 1 GMG). Für das Gebrauchsmuster ist ausdrücklich festgelegt, dass es auch Gegenstand eines Pfandrechts sein kann (§ 11 GMG). Zum Erwerb des Pfandrechts ist wiederum die Eintragung in das Gebrauchsmusterregister erforderlich (§ 32 Abs 1 GMG). Die §§ 31 Abs 1 und 48 Abs 1 GMG dokumentieren, dass auch eine Lizenzierung von Gebrauchsmusterrechten möglich ist. Dritten gegenüber werden Rechte aus der Lizenz erst mit der Eintragung in das Gebrauchsmusterregister wirksam.
I. Zuständigkeiten Die für Gebrauchsmusterangelegenheiten zuständige Behörde ist das Patentamt. Innerhalb des Patentamts sind die Zuständigkeiten gemäß § 33 Abs 1 GMG wie folgt verteilt. Für das Anmeldeverfahren, die Erstellung des Recherchenberichts und die Kenntnisnahme eines Verzichts auf ein Gebrauchsmuster sind die technischen Abteilungen zuständig. Die Rechtsabteilung ist zuständig für die Durchführung von Verfahren in Angelegenheiten, die sich auf die Rechtsübertragung oder andere rechtliche Verfügungen über das Recht, auf registrierte Gebrauchsmuster (mit Ausnahme der Erstellung des Recherchenberichts und der Kenntnisnahme eines Verzichts auf ein Gebrauchsmuster) oder auf Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beziehen (sofern nicht die Beschwerde- oder Nichtigkeitsabteilung zuständig ist). Die Rechtsabteilungen entscheiden dabei jeweils durch ein rechtskundiges Mitglied. Über Beschwerden gegen Beschlüsse der technischen Abteilungen und der Rechtsabteilungen entscheidet die Beschwerdeabteilung als zweite und letzte Instanz322. Die Beschwerdeabteilungen entscheiden in je nach Beschwerdegegenstand unterschiedlich zusammengesetzten Senaten. Gegen Endentscheidungen ist eine Beschwerde an den VfGH nicht zulässig. Es kann jedoch Beschwerde an den Obersten Patent- und Markensenat erhoben werden (§§ 35 Abs 8, 37a GMG). Die Nichtigkeitsabteilung ist für das Verfahren über Anträge auf Nichtigerklärung, Aberkennung, Abhängigerklärung, auf Nennung als Erfinder, auf Anerkennung des Vorbenützerrechtes und über Feststellungsanträge zuständig. Sie entscheidet in aus zwei rechtskundigen und drei fachtechnischen Mitglie321 322
Dies wurde für die alte Rechtslage von der Nichtigkeitsabteilung ausdrücklich ausgeschlossen, PBl 2001, 107. Einzelheiten des Verfahrens in § 35 GMG.
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dern bestehenden Senaten. Endentscheidungen der Nichtigkeitsabteilung unterliegen der nachprüfenden Kontrolle des Obersten Patent- und Markensenates (§ 37 Abs 1 GMG). Dieser entscheidet in Gebrauchsmusterangelegenheiten in einem aus fünf Mitgliedern bestehenden Senat. In den Zuständigkeitsbereich der Präsidialabteilung schließlich fällt die Bearbeitung der dem Präsidenten vorbehaltenen sowie aller nicht in die Zuständigkeit einer anderen Abteilung fallenden Angelegenheiten. Für Entscheidungen über zivilrechtliche Ansprüche aufgrund von Gebrauchsmusterverletzungen ist ausschließlich das Handelsgericht Wien zuständig (§ 44 Abs 1 GMG). Die Gerichtsbarkeit in Strafsachen nach dem Gebrauchsmustergesetz steht dem Landesgericht für Strafsachen Wien zu (§ 44 Abs 2 GMG). Im Verfahren über Gebrauchsmusterverletzungen sind die §§ 147 bis 157 und § 164 PatG sinngemäß anzuwenden.
V. Geschmacksmusterrecht A. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Auf internationalrechtlicher Ebene ist das Abkommen von Locarno von Bedeutung. Es enthält Vorgaben für die Klassifikation von Mustern (das Warenverzeichnis für das Muster ist nach den in diesem Abkommen vorgesehenen Klassen und Unterklassen geordnet anzugeben). Anforderungen (allerdings vager Art) an die Schutzvoraussetzungen und den Schutzgehalt von Geschmacksmustern enthält auch das TRIPS-Abkommen (Art 25 f). Dem Haager Musterabkommen, mit dem eine erleichterte Registrierung eines Geschmacksmusters in den Vertragsstaaten (mit Stand vom 7.8.2006 43 Staaten) erreicht werden soll, ist Österreich bislang nicht beigetreten323. Auf Ebene des Gemeinschaftsrechts besteht für das Geschmacksmusterrecht nun zum einen eine Harmonisierungsvorschrift, nämlich die Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen324. Die Richtlinie hatte eine lange Entstehungsgeschichte (Probleme bereitete va die Frage der Regelung von Ersatzteilen). Die Umsetzung der Richtlinie zwang zu einer umfassenden Reform325 des österreichischen Musterschutzgesetzes326. 2004 legte die Kommission einen Vorschlag für eine Änderung dieser Richtlinie vor. Damit soll durch die Einführung einer so genannten Reparaturklausel der Geschmacksmusterschutz für Ersatzteile weiter beschränkt werden327. Zum anderen wurde nun auch die Geschmacksmuster-VO verabschiedet328. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, über ein einziges, einfaches und vergleichsweise kostengünstiges Registrierungsverfahren beim Harmoni323 324 325 326 327 328
Zu diesem näher Höpperger, 127. RL 98/71/EG, Abl 1998 L 289/28. Genaue Aufarbeitung der Judikatur zum alten Recht bei Sonn/Pramberger, ÖBl 2003, 68. Zur Umsetzung in Deutschland Wandtke/Ohst, GRURInt 2005, 91; zur Umsetzung in anderen Mitgliedstaaten Pentheroudakis, GRURInt 2002, 668. KOM(2004) 582 endg; kritisch Nauta, wbl 2004, 556 f; Straus, GRURInt 2005, 965; zustimmend Drexl/Hilty/Kur, GRURInt 2005, 449. Näher Kucsko, Geistiges Eigentum, 783; Übersicht bei Stagl, ecolex 2002, 521.
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sierungsamt für den Binnenmarkt in Alicante einen Schutz für Geschmacksmuster im gesamten Binnenmarkt zu erlangen. Dabei ist zwischen dem eingetragenen und dem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster zu unterscheiden. Das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster kann durch eine Anmeldung beim Harmonisierungsamt erlangt werden329. In seinen Schutzwirkungen gleicht es dem österreichischen Muster. Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gewährt Schutz für drei Jahre, beginnend mit der erstmaligen öffentlichen Zugänglichmachung. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Das nicht eingetragene Geschmacksmuster verleiht seinem Inhaber lediglich das Recht, Nachahmungen zu verbieten.
B. Zweck des Geschmacksmusterrechts330 Das Musterschutzrecht, zur besseren Unterscheidung und Abgrenzung vom Gebrauchsmusterrecht mitunter auch Geschmacksmusterrecht genannt, dient dem Schutz des Aussehens von Erzeugnissen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Design eines Produkts ein zunehmend bedeutender Marketing-Faktor geworden ist, dessen Entwicklung regelmäßig mit hohen Kosten verbunden ist, und andererseits ein Schutz dieser Muster durch andere Immaterialgüterrechte (in Frage kommen Patent-, Warenzeichen- und Urheberrecht) nicht hinreichend gewährleistet ist.
C. Das Geschmacksmuster Als Muster gelten nach § 1 Abs 2 MuSchG die Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt331. Geschützt sind somit die mit dem Sehsinn wahrnehmbaren Eindrücke332. Dementsprechend kommen alle das Aussehen bestimmenden Eigenschaften als ein Muster prägende Merkmale in Frage333. Aus dem Schutz der „Oberflächenstruktur“ wird gefolgert, dass nun auch „Tastmuster“ geschützt werden können334.
329 330 331
332
333 334
Zu den Voraussetzungen für die Rechtsbeständigkeit eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmackmusters zuletzt OGH 14.2.2006, 4 Ob 177/05s. Zu diesem näher Kucsko, Geistiges Eigentum, 700 ff. Als Erzeugnis im Sinne des Abs 2 gilt jeder industrielle oder handwerkliche Gegenstand, einschließlich - unter anderem - von Einzelteilen, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden sollen, Verpackung, Ausstattung, graphischen Symbolen und typographischen Schriftbildern; ein Computerprogramm gilt jedoch nicht als Erzeugnis (§ 1 Abs 3 MuSchG). Kucsko in Rafeiner, 96; VwGH ecolex 1992, 862 = PBl 1993, 181 = ÖBl 1993, 155 („nicht die Funktion, Konstruktion oder das Herstellungsmaterial sind Gegenstand des Musterschutzes, sondern nur die äußere besondere und augenfällige Form des Gegenstandes“). ZB die Form, die graphische Darstellung, die Farbe, der Glanz, das Material und die Mechanik eines Produkts (vgl Knittel/Kucsko, Musterschutzgesetz, 21 f). Kucsko, Geistiges Eigentum, 727; Stagl, ecolex 2002, 521.
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Der Musterschutz schützt das Aussehen des Gesamterzeugnisses335, so wie es bei bestimmungsgemäßer Verwendung visuell wahrnehmbar ist336. Der Musterschutz erfasst nicht das Aussehen einzelner Merkmale, Bereiche oder Teile eines Erzeugnisses, sondern nur das Aussehen des Gesamterzeugnisses337. Erzeugnisteile sind nur dann dem Musterschutz zugänglich, wenn auch sie „Erzeugnisqualität“ haben, also selbständig, unabhängig von der Hauptsache, verkehrsfähig sind338. Umgekehrt ist die Erteilung eines Musters für eine in einer einzigen Anmeldung dargestellten Vielzahl von Einzelerzeugnissen nur möglich, wenn diese Gegenstände als einheitliches Erzeugnis („Set“) auftreten und beim Konsumenten der einende Gesamteindruck auch im Vordergrund steht339. Aus dem Begriff „Musterabbildung“ ergibt sich, dass es sich bei dem Muster um eine grundsätzlich übertragbare Vorlage handeln muss340. Auf die praktische Durchführbarkeit kann es jedoch nicht ankommen, da die Anmeldung keinerlei Hinweise auf die technische Umsetzung enthalten muss (§ 12 MuSchG)341. Nicht jedes Muster ist schutzfähig. Gemäß § 1 Abs 1 MuSchG ist der Musterschutz Mustern vorbehalten, die weder Ärgernis erregend sind noch gegen die öffentliche Ordnung oder das Doppelschutzverbot verstoßen. Ärgernis erregend sind Muster insbesondere dann, wenn sie ihrem Aussehen oder ihrer Bestimmung nach geeignet sind, das Anstandsgefühl eines maßgeblichen Teiles der inländischen Bevölkerung zu verletzen342. Unter „öffentlicher Ordnung“ sind die tragenden Grundsätze der Rechtsordnung zu verstehen343. Der auch im Musterrecht geltende Prioritätsgrundsatz wird durch das Doppelschutzverbot unterstrichen. Ein Muster ist danach vom Musterschutz ausgeschlossen, wenn es mit einem früheren Muster kollidiert344, das der Öffentlichkeit nach dem Tag der Anmeldung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, nach dem Prioritätstag zugänglich gemacht wurde und das durch ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster oder eine Anmeldung als Gemeinschaftsgeschmacksmuster oder ein nach diesem Bundesge335 336 337
338 339 340 341 342 343 344
Zu den Konsequenzen dieses Umstandes für die Ausführung der Anmeldungen vgl BA PBl 1997, 140 = ÖBl 1997, 286. Hauser/Thomasser, 139. Auch für den Musterschutz uninteressante (weil nicht weiter ausgestaltete) Elemente können aber in ihrem Zusammenhang mit signifikanten Gestaltungselementen die Gesamtwirkung des Mustergegenstandes beeinflussen und vom Schutzumfang des registrierten Musters erfasst sein (BA PBl 1998, 187 = ÖBl 1998, 334). BA PBl 1997, 114 = ÖBl 1997, 220. AaO. Vgl auch zur alten Rechtslage Prunbauer, 166; Kucsko, ÖBl 1986, 34. Knittel/Kucsko, Musterschutzgesetz, 19. Puchberger/Jakadofsky, Musterrecht, 32. Vgl Erläuterungen zu Z 1 der Patentrechts-Novelle 1984, 265 PlgNr., XVI. GP (PBl 1984, 125). Bei der Beurteilung der musterrechtlichen Gleichheit wurde auf den „Gesamteindruck“ abgestellt. Dieser Vergleich ist eine Rechtsfrage, die nicht Gegenstand eines Sachverständigenbeweises ist (so VwGH ecolex 1992, 862 = PBl 1993, 181 = ÖBl 1993, 155).
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setz registriertes Muster oder die Anmeldung eines solchen Rechts von einem Tag an geschützt ist, der vor dem erwähnten Tag liegt (§ 3 MuSchG). Träger des Musterschutzrechts sind „Erzeugnisse“345. Als Erzeugnis gilt jeder industrielle oder handwerkliche Gegenstand, einschließlich von Einzelteilen, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden sollen, Verpackung, Ausstattung, graphischen Symbolen und typographischen Schriftbildern. Ein Computerprogramm gilt nicht als Erzeugnis (§ 1 Abs 3 MuSchG).. Das Neuheitserfordernis wird in § 2 Abs 1 MuSchG näher umschrieben. Ein Muster gilt danach als neu, wenn der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung des Musters zur Registrierung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag kein identisches Muster zugänglich gemacht worden ist. Muster gelten als identisch, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden. Ein Muster hat Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Muster bei diesem Benutzer hervorruft346. Gemäß § 2 Abs 4 MuSchG gilt ein Muster, das bei einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, nur dann als neu und hat nur dann Eigenart, wenn es bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibt, und soweit diese sichtbaren Merkmale des Bauelements selbst die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen. § 2b Abs 1 MuSchG schließt die Schutzgewährung darüber hinaus für Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses aus, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, bzw die zwangsläufig in ihrer genauen Form und ihren genauen Abmessungen nachgebildet werden müssen, damit das betreffende Erzeugnis mit einem anderen Erzeugnis mechanisch zusammengebaut oder verbunden oder in diesem, an diesem oder um dieses herum angebracht werden kann, so dass beide Erzeugnisse ihre Funktion erfüllen. Ein Recht an einem Muster besteht jedoch dann, wenn es dem Zweck dient, den Zusammenbau oder die Verbindung einer Vielzahl von untereinander austauschbaren Teilen innerhalb eines modularen Systems zu ermöglichen („Lego-Klausel“)347. Auch so genannte must-match-Teile (deren Erscheinungsbild nicht technisch, sondern ästhetisch bedingt ist) dürften schutzfähig sein348. Ein Muster gilt dann nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn dieses Ereignis den im Europäischen Wirtschaftsraum tätigen Fachkreisen des betreffenden Sektors im normalen Geschäftsverlauf nicht vor dem Tag der 345 346
347 348
Zu diesem Erfordernis nach alter Rechtslage näher VwGH ecolex 1995, 271 = ÖBl 1995, 266 = PBl 1995, 144. Auch für das Gemeinschaftsgeschmacksmuster entschied der OGH, 14.2.2006, 4 Ob 177/05s, dass es bei der Prüfung der Eigenart nicht auf eine vollständige Übereinstimmung der Merkmale zwischen den betroffenen Geschmacksmustern ankommt. Nicht die Merkmale im Einzelnen, sondern der jeweilige Gesamteindruck der sich gegenüber stehenden Geschmacksmuster sind auf Unterschiede zu prüfen. Dazu näher Nauta, wbl 2004, 556; zur gleichläufigen wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung kritisch Gruber, wbl 2000, 145. Nauta, wbl 2004, 556.
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Anmeldung zur Registrierung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag bekannt sein konnte (§ 2a Abs 1 MuSchG).
D. Inhalt des Geschmacksmusterrechts Der Musterschutz gewährt dem Rechtsinhaber das ausschließliche Recht, es zu benutzen und Dritten zu verbieten, es ohne seine Zustimmung zu benutzen349. Diese Benutzung schließt insbesondere die Herstellung, das Anbieten, das Inverkehrbringen, die Einfuhr, die Ausfuhr oder die Benutzung eines Erzeugnisses, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, oder den Besitz des Erzeugnisses zu den genannten Zwecken ein (§ 4 MuSchG). Diese Wirkung des Musterschutzes tritt gegen den nicht ein, der gutgläubig ein mit dem geschützten Muster übereinstimmendes oder ihm verwechselbar ähnliches Muster bereits am Prioritätstag im Inland benützt oder die hierfür erforderlichen Veranstaltungen getroffen hat („Vorbenützer“; § 5 Abs 1 MuSchG)350. Die Schutzdauer beträgt fünf Jahre beginnend mit dem Tag der Anmeldung. Die Schutzfrist kann durch Zahlung einer Erneuerungsgebühr viermal um je fünf Jahre bis zu einer Gesamtlaufzeit von 25 Jahren verlängert werden351. Die zum Schutz des Musterrechts bereitstehenden zivilrechtlichen Rechtsbehelfe sind die Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung, Urteilsveröffentlichung, angemessenes Entgelt, Schadenersatz, Herausgabe des Gewinns, Rechnungslegung sowie Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg (§ 34 MuSchG iVm §§ 147-154 PatG). Weiters hat derjenige, der Erzeugnisse in einer Weise bezeichnet, die geeignet ist, den Eindruck zu erwecken, dass sie Musterschutz genießen, auf Verlangen jedermann darüber Auskunft zu geben, auf welches Musterrecht sich die Bezeichnung stützt (§ 37 MuSchG). Schließlich ist in § 39 MuSchG auch ein (positiver oder negativer) Feststellungsanspruch vorgesehen. Bei vorsätzlichen Musterrechtsverletzungen besteht zusätzlich auch noch ein (den betreffenden Vorschriften im PatG entsprechender) strafrechtlicher Schutz (§ 35 MuSchG iVm §§ 148, 149 und 160 PatG). In Bezug auf Erzeugnisse, die vom Rechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht worden sind, ist das Recht erschöpft (§ 5a MuSchG).
E. Registrierung Die Anmeldung eines Musters muss schriftlich beim Österreichischen Patentamt erfolgen (§ 11 Abs 1 MuSchG). Bei der Anmeldung ist das Muster durch 349
350 351
Nicht aber gegenüber Handlungen, die im privaten Bereich zu nichtgewerblichen Zwecken vorgenommen werden; Handlungen zu Versuchszwecken; die Wiedergabe zum Zweck der Zitierung oder zum Zweck der Lehre, sowie gegenüber Einrichtungen in Schiffen und Luftfahrzeugen, die in einem anderen Land zugelassen sind und vorübergehend in das Inland gelangen; die Einfuhr von Ersatzteilen und Zubehör für die Reparatur solcher Fahrzeuge im Inland; und die Durchführung von Reparaturen an solchen Fahrzeugen. Die weiteren Rechte und Pflichten des Vorbenützers sind in § 5 Abs 2-5 MuSchG geregelt. Kritik an der Länge dieser Laufzeit bei Hofinger, ÖBl 2004, 60.
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Vorlage einer Musterabbildung oder eines Musterexemplars zu offenbaren (§ 12 Abs 2 MuSchG). Es ist aber auch zulässig, das Musterexemplar und die Abbildung des Musters mit der entsprechenden Beschreibung in einem versiegelten Umschlag zu überreichen (Geheimmuster; § 14 MuSchG), das nur unter bestimmten Voraussetzungen (geregelt in § 14 Z 1-3 MuSchG) geöffnet werden darf. Aufgrund der Anmeldung nimmt das Patentamt die amtliche Prüfung vor. Es wird dabei beurteilt, ob ein Muster iSv § 1 MuSchG vorliegt, ob das Muster Ärgernis erregend ist oder gegen die öffentliche Ordnung verstößt, ob die Anmeldungseingabe, die Musterabbildung, das Musterexemplar, das Warenverzeichnis und die Beschreibung den einschlägigen Vorschriften entsprechen, sowie ob die erforderlichen Gebühren erlegt wurden (Gesetzmäßigkeitsprüfung; § 16 MuSchG). Eine Prüfung auf Neuheit, Doppelschutz sowie darauf, ob der Anmelder Anspruch auf Musterschutz hat, erfolgt im Anmeldeverfahren nicht (§ 16 Abs 1 Satz 2 MuSchG). Bestehen gegen die Anmeldung des Musters keine Bedenken, wird dieses im Österreichischen Musteranzeiger veröffentlicht und die Registrierung in dem beim Patentamt geführten Musterregister vorgenommen (§ 16 Abs 3 iVm §§ 17 und 18 MuSchG). Mit dem Tag der Veröffentlichung im Musteranzeiger beginnt die Schutzdauer des Musterschutzes.
F. Anspruchsberechtigte Aufgrund des in § 7 Abs 1 MuSchG normierten Schöpferprinzips steht der Anspruch auf Musterschutz dem Schöpfer oder dessen Rechtsnachfolger zu. Fällt das Muster eines Arbeitnehmers in das Arbeitsgebiet des Unternehmens, in dem dieser tätig ist, und zählte die Tätigkeit, die zu dem Muster geführt hat, zu den dienstlichen Obliegenheiten, oder ist das Muster außerhalb eines Arbeitsverhältnisses aufgrund eines Auftrags geschaffen worden, steht der Anspruch auf Musterschutz (vorbehaltlich einer anders lautenden vertraglichen Regelung) dem Arbeitgeber bzw Auftraggeber oder deren Rechtsnachfolgern zu (§ 7 Abs 2 MuSchG).
G. Verlust des Geschmacksmusterrechts Der Musterschutz endet durch Zeitablauf (Ablauf der Schutzdauer), Verzicht352, Nichtigerklärung oder Aberkennung. Der Verzicht ist dem Patentamt gegenüber zu erklären und das Musterrecht endet zum Zeitpunkt der Verzichtsbekanntgabe gegenüber dem Patentamt353.
H. Übertragung, Belastung und Lizenzierung des Geschmacksmusterrechts § 10 MuSchG bestimmt, dass das Recht aus der Anmeldung eines Musters und das Musterrecht selbst für alle oder einzelne Erzeugnisse des Warenverzeichnisses zur Gänze oder nach ideellen Anteilen übertragen werden können. Ein 352 353
Aus § 33 MuSchG folgt, dass auch Teilverzichte möglich sind. Hauser/Thomasser, 145.
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Heimfallsrecht iSv § 760 ABGB besteht nicht (§ 10 Abs 2 MuSchG). Übertragbar ist gemäß § 7 Abs 1 MuSchG auch der Anspruch des Schöpfers auf das Musterrecht. Als frei übertragbares Vermögensrecht ist das Musterrecht auch der Verpfändung und Pfändung zugänglich354. Der Eintragung der Pfandrechte in das Musterregister gemäß § 21 MuSchG kommt konstitutive Wirkung zu (§ 22 Abs 1 MuSchG). § 21 MuSchG macht auch deutlich, dass der Inhaber eines Musterrechtes auch Lizenzen vergeben darf355. Bemerkenswert ist, dass § 21 MuSchG die Lizenzrechte offenkundig nicht den dinglichen Rechten zuordnet und von einer Einräumung absoluter Rechtspositionen durch Lizenzrechte auszugehen scheint.
I. Zuständigkeiten Zur Beschlussfassung und zur sonstigen Erledigung in allen Angelegenheiten des Musterschutzes ist das nach der Geschäftsverteilung zuständige Mitglied der jeweiligen Rechtsabteilung berufen, sofern diese Aktivitäten nicht dem Präsidenten, der Beschwerdeabteilung oder Nichtigkeitsabteilung vorbehalten sind (§ 26 Abs 1 MuSchG). Über Beschwerden gegen Beschlüsse der Rechtsabteilungen entscheidet die Beschwerdeabteilung (§ 28 Abs 1 MuSchG). Gegen Beschlüsse der Beschwerdeabteilung ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig, es bestehen daher nur die Möglichkeiten der Klagsführung vor den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts. Die Nichtigkeitsabteilung ist zur Entscheidung über Anträge auf Anerkennung eines Vorbenützerrechts (§ 5 Abs 5 MuSchG), auf Nennung als Schöpfer (§ 8 Abs 4 MuSchG), auf Nichtigerklärung des Musters (§§ 23 und 24 MuSchG), auf Aberkennung des Musters (§ 25 MuSchG) sowie auf Feststellung (§ 39 MuSchG) berufen. Über Berufungen gegen Entscheidungen der Nichtigkeitsabteilung befindet der OPM. Für die zivilrechtlichen Klagen ist ausschließlich das Handelsgericht Wien zuständig. Die Gerichtsbarkeit in Strafsachen steht dem Landesgericht für Strafsachen Wien zu (§ 38 Abs 2 MuSchG).
VI. Halbleiterschutzrecht A. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Das, soweit ersichtlich, einzige internationale Abkommen, das sich auf den Halbleiterschutz bezieht, ist das TRIPS-Abkommen. In den Art 35-38 werden die Verpflichtungen der WTO-Mitglieder in Bezug auf den Schutz der Topographien integrierter Schaltkreise geregelt. Die WTO-Mitglieder werden darin verpflichtet, einen Schutz für solche Topographien integrierter Schaltkreise einzuführen und diesen allen anderen WTO-Mitgliedern zu gewähren. Dies
354 355
Hauser/Thomasser, 145. Hauser/Thomasser, 145
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hatte für die Gemeinschaft zur Konsequenz, dass dieser Schutz ohne Gegenseitigkeitserfordernis auf alle WTO-Staatsangehörige auszudehnen war356. Auf Ebene des Gemeinschaftsrechts ist der Halbleiterschutz durch die Richtlinie über den Rechtsschutz von Topographien von Halbleitererzeugnissen gewährleistet. Die Richtlinie hat eine bemerkenswert kurze Entstehungsgeschichte und sah zudem eine knapp bemessene Umsetzungsfrist vor. Das zentrale Regelungsanliegen der Richtlinie besteht darin, den Gegenstand, die Voraussetzungen, die Wirkung und die Dauer des Halbleiterschutzes in der Gemeinschaft zu harmonisieren. Entsprechend ihrem Vorbild, dem USamerikanischen „Semiconductor Chip Protection Act“357, wurde die Schutzgewährung an Ausländer grundsätzlich vom Vorliegen materieller Gegenseitigkeit abhängig gemacht. Die Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten einen großen Umsetzungsspielraum358.
B. Zweck des Halbleiterschutzrechts Halbleitererzeugnisse (Mikrochips) sind als Steuerungsmittel technischer Geräte und Anlagen von zentraler wirtschaftlicher Bedeutung. Die bei der Herstellung eines Mikrochips wesentliche Leistung besteht in der Entwicklung des Schaltungsmusters (Layout, Topographie). Dieser Vorgang ist mit einem enormen, mit zunehmender Miniaturisierung und Schaltungsdichte noch steigendem, Aufwand an Zeit und Kosten verbunden. Die Vorschriften über den Halbleiterschutz versuchen nun, diese Investitionen zu schützen. Dieser Schutz war durch die bestehenden Immaterialgüterschutzrechte nicht gewährleistet. Für die Erlangung eines Patents weist die Entwicklung eines Mikrochips häufig nicht die erforderliche Erfindungshöhe auf359. Der urheberrechtliche Schutz scheitert in vielen Rechtsordnungen bereits am Erfordernis einer persönlichen geistigen Schöpfung, da bei einem industriellen Entwicklungsprozess eine persönliche Prägung der Arbeitsergebnisse zu vermeiden ist360.
C. Der Halbleiterschutz Als Schutzgegenstand beschreibt § 1 Abs 1 HlSchG dreidimensionale Strukturen von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen (Topographien), die Eigenart aufweisen. Letztere Voraussetzung ist gemäß § 2 Abs 1 HlSchG er356
357
358
359 360
Zu diesem Zweck wurde die Entscheidung 94/824/EG (Abl 1994 L 349/201) über die Ausdehnung des Rechtsschutzes der Topographien von Halbleitererzeugnissen auf Personen aus einem Mitgliedstaat der Welthandlesorganisation erlassen. Zu den Konsequenzen Lang, ecolex 1996, 375. Semiconductor Chip Protection Act of 1984, Pub. L. No. 98 - 620, tit. III, Stat. 3347 (codified at 17 USC 901 - 914 [Supp. II 1984]); Änderung 1997, Pub. L 105-80, sek 12(a) (21), stat 111. Sie stellt es den nationalen Gesetzgebern sogar frei, den Halbleiterschutz urheberrechtsähnlich oder als gewerbliches Schutzrecht sui generis mit Registrierungserfordernis einzurichten. Die Entscheidung des österreichischen Gesetzgebers für Sonderschutz hatte ua zur Konsequenz, dass damit der in der PVÜ normierte Grundsatz der Inländergleichbehandlung zunächst nicht zum Tragen kam (näher Lang, ecolex 1996, 375). Vgl Gräser/Kucsko, 6. Blocher, 662.
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füllt, wenn die Topographie das Ergebnis der eigenen geistigen Arbeit ihres Schöpfers und in der Halbleitertechnik nicht alltäglich ist. Auch eine Topographie aus einer Anordnung an sich alltäglicher Teile kann gemäß § 2 Abs 2 HlSchG geschützt werden, wenn die Anordnung in ihrer Gesamtheit Eigenart aufweist. Der Schutz erstreckt sich nach hM nicht auf ein auf einem Mikrochip gespeichertes Programm361.
D. Inhalt des Halbleiterschutzrechts Der wesentliche Rechtsinhalt ist in § 6 HlSchG umschrieben. Danach hat das Halbleiterschutzrecht die Wirkung, dass der Rechtsinhaber jedem Dritten verbieten kann, die Topographie (oder deren selbständig verwertbare Teile) nachzubilden oder Darstellungen zur Herstellung der Topographie anzufertigen sowie solche Darstellungen in Verkehr zu bringen oder zu vertreiben oder zu den genannten Zwecken einzuführen. Gemäß § 6 Abs 2 HlSchG erstreckt sich die Wirkung dieses Schutzes insbesondere nicht auf Handlungen, die zu nicht geschäftlichen Zwecken vorgenommen wurden, auf die Nachbildung der Topographie zum Zweck der Analyse, der Bewertung oder der Lehre oder auf die geschäftliche Verwertung einer Topographie, die aufgrund einer solchen Analyse oder Bewertung geschaffen wurde und selbst Eigenart iSv § 2 HlSchG aufweist. § 7 HlSchG legt fest, dass die Wirkung des Halbleiterschutzrechtes gegenüber demjenigen nicht eintritt, der ein diesbezügliches Erzeugnis erwirbt, ohne zu wissen oder wissen zu müssen, dass es eine geschützte Topographie enthält. Der Schutz entsteht bemerkenswerterweise bereits mit dem Tag der erstmaligen nicht nur vertraulichen geschäftlichen Verwertung der Topographie, sofern innerhalb von zwei Jahren eine Anmeldung beim Patentamt erfolgt. Wenn die Topographie noch nicht verwertet wurde, beginnt der Schutz am Tag der Anmeldung (§ 8 Abs 1 HlSchG). Die Geltendmachung des Schutzes ist aber in jedem Fall erst möglich, wenn die Eintragung in das Halbleiterschutzregister erfolgt ist (§ 8 Abs 3 HlSchG). Der Schutz endet spätestens mit Ablauf des zehnten Kalenderjahres nach dem Jahr des Schutzbeginnes (§ 8 Abs 2 HlSchG). Die zivil- und strafrechtlichen Rechtsfolgen eines Eingriffs in das Halbleiterschutzrecht entsprechen denen des Patentgesetzes bzw verweisen unmittelbar auf dieses (§ 21 f HlSchG). Der Verletzte hat also ua Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung, Urteilsveröffentlichung, angemessenes Entgelt, Schadenersatz, Herausgabe der Bereicherung, angemessene Entschädigung und Rechnungslegung, sowie neuerdings auch auf Auskunft über Ursprung und Vertriebswege. Vorsätzliche Eingriffe sind als Privatanklagedelikte gerichtlich strafbar. Die ausschließliche Zuständigkeit für diese Klagen liegt beim Handelsgericht Wien bzw beim Landesgericht für Strafsachen Wien (§ 23 HlSchG).
361
Kucsko, Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht, 118; Hauser/Thomasser, 174.
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E. Registrierungsverfahren Die Topographie ist zur Registrierung beim Patentamt schriftlich anzumelden. Für jede Topographie ist eine gesonderte Anmeldung erforderlich. Der genaue Inhalt der Anmeldung ist in § 9 Abs 2 HlSchG geregelt. Die Anmeldung wird vom Patentamt nur in formeller Hinsicht geprüft. Ob die Topographie auch die materiellen Schutzvoraussetzungen erfüllt, ist nicht Gegenstand der Beurteilung. Entspricht die Anmeldung den Anforderungen des § 9 und der darauf gestützten Verordnung und wurde die Antragsgebühr gezahlt, so ist das Halbleiterschutzrecht ohne weitere Prüfung in das vom Patentamt geführte Halbleiterschutzregister einzutragen (§ 10 Abs 1 HlSchG). Das Anmeldeverfahren wird durch die Registrierung im Halbleiterschutzregister und die Veröffentlichung im Patentblatt abgeschlossen (§§ 10, 11 HlSchG).
F. Anspruchsberechtigte Der Anspruch auf Halbleiterschutz steht grundsätzlich dem Schöpfer der Topographie zu (§ 3 Abs 1 HlSchG). An von mehreren Personen gemeinsam geschaffenen Topographien entsteht ein gemeinschaftliches Recht aller Schöpfer362. Für im Rahmen eines Dienstverhältnisses oder im Auftrag Dritter geschaffene Topographien steht der Rechtsanspruch (wenn nichts anderes vereinbart wurde) dem Dienstgeber oder Auftraggeber zu (§ 3 Abs 2 HlSchG). Die Geltendmachung des Anspruchs auf Halbleiterschutz ist grundsätzlich auf österreichische Staatsangehörige oder tatsächlich in Österreich niedergelassene Personen beschränkt. Andere können diesen Anspruch nur geltend machen, wenn sie dazu aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages oder aufgrund der Gegenseitigkeit der Schutzgewährung im betreffenden Drittland berechtigt sind (§ 5 HlSchG).
G. Verlust des Halbleiterschutzrechts Neben dem Erlöschen durch Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Schutzdauer und dem Verzicht ist eine Beendigung des Halbleiterschutzrechts auch durch Nichtigerklärung und Aberkennung möglich. Gemäß § 13 HlSchG kann jedermann die Nichtigerklärung eines bestimmten Halbleiterschutzrechtes beantragen, wenn die geschützte Topographie nicht schutzfähig war, der Anspruch gemäß § 4 HlSchG erloschen bzw nicht innerhalb der in § 8 Abs 1 HlSchG vorgesehenen Frist angemeldet wurde, die Berechtigung zur Geltendmachung des Anspruches gefehlt hat oder nachträglich weggefallen ist oder die im Zuge des Registrierungsverfahrens vorgelegten Unterlagen nicht dem hinterlegten Halbleitererzeugnis entsprechen. Die Aberkennung des Halbleiterschutzrechtes gemäß § 14 HlSchG ist dann zu verfügen, wenn der Nachweis erbracht wurde, dass der Anspruch auf Erteilung dieses Rechts nicht dem Inhaber zustand. Der Anspruch auf Aberkennung steht nur dem wahren Anspruchsberechtigten zu (§ 14 Abs 2 HlSchG). Anstelle der Aberkennung kann der Antragsteller, sofern er den Anspruch auf Halbleiterschutz geltend machen kann (§ 5), die Übertragung des Halbleiterschutz362
Hauser/Thomasser, 175.
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rechtes auf seine Person begehren. Besteht der Anspruch auf Übertragung nur hinsichtlich eines Anteils, dann ist das Halbleiterschutzrecht anteilsmäßig zu übertragen (§ 14 Abs 3 HlSchG).
H. Übertragung, Belastung und Lizenzierung des Halbleiterschutzrechts Sowohl der Anspruch auf Halbleiterschutz (§ 3 Abs 4 HlSchG) als auch das Halbleiterschutzrecht selbst sind übertragbar (§ 12 Abs 1 HlSchG). Diese Übertragung ist im Halbleiterschutzregister einzutragen und wird mit dieser Übertragung wirksam (§ 12 Abs 2 HlSchG). Wie die anderen gewerblichen Schutzrechte können Halbleiterschutzrechte Gegenstand von Pfandrechten sein. Diese sind gemäß § 10 Abs 2 HlSchG ebenfalls in das Halbleiterschutzregister einzutragen. An Halbleiterschutzrechten können schließlich auch Lizenzrechte erworben werden, deren Eintrag in das Halbleiterschutzregister nur auf Antrag erfolgt. Mit der Eintragung werden sie jedoch auch Dritten gegenüber wirksam (§ 12 Abs 3 HlSchG).
I. Zuständigkeiten Die für Angelegenheiten des Halbleiterschutzes zuständige Behörde ist das Patentamt (§ 16 HlSchG). Innerhalb des Patentamts sind die Zuständigkeiten wie folgt verteilt: Zur Beschlussfassung über die Eintragung in das Halbleiterschutzregister ist das nach der Geschäftsverteilung zuständige fachtechnische Mitglied berufen (§ 16 Abs 2 HlSchG). Zur Beschlussfassung in Angelegenheiten, die sich auf erteilte Halbleiterschutzrechte beziehen, ist grundsätzlich das nach der Geschäftsverteilung zuständige rechtskundige Mitglied der Rechtsabteilung berufen (§ 16 Abs 3 HlSchG). Die Zuständigkeiten der Beschwerdeabteilung und Nichtigkeitsabteilung sowie des Obersten Patent- und Markensenates beim Vollzug des Halbleiterschutzgesetzes entsprechen grundsätzlich den für Patentangelegenheiten vorgesehenen Regelungen (§ 16 Abs 5 HlSchG). Abweichend ist lediglich die personelle Zusammensetzung der Beschwerde- und Nichtigkeitsabteilung geregelt (§ 16 Abs 4 HlSchG). So können Bedienstete, die nicht Mitglieder des Patentamtes sind, bei entsprechender Ausbildung zur Erledigung bestimmter Angelegenheiten betreffend Anmeldungen und erteilte Halbleiterschutzrechte ermächtigt werden.
Thomas Freylinger
Vereinsrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................240 Grundlegende Literatur...................................................................................240 I. Grundlagen ................................................................................................240 A. Allgemeines............................................................................................240 1. Das Grundrecht auf Vereinsfreiheit ..................................................241 2. Die Ausführungsgesetze des österreichischen Vereinsrechts............242 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................243 1. Gemeinschaftsrechtliche Aspekte .....................................................243 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit......................................244 II. Der Verein nach dem Vereinsgesetz von 2002 ......................................244 A. Der Vereinsbegriff im VerG 2002..........................................................244 1. Freiwilligkeit .....................................................................................244 2. Dauerhaftigkeit..................................................................................244 3. Organisierter Zusammenschluss mindestens zweier Personen..........245 4. Organisierter Zusammenschluss aufgrund von Statuten ...................245 5. Bestimmter, gemeinsamer und ideeller Zweck .................................245 B. Die Erscheinungsformen von Vereinen .................................................246 C. Die Vereinsgründung, Ausübungspflichten und Auflösung...................246 1. Allgemeines zur Vereinsgründung....................................................246 2. Die Vereinserrichtung .......................................................................246 3. Die Vereinsentstehung ......................................................................247 4. Die Pflichten während der Vereinstätigkeit ......................................248 5. Die Auflösung von Vereinen.............................................................249 III. Der ideelle Verein im Geschäftsleben...................................................250 A. Allgemeines............................................................................................250 B. Der Verein als Unternehmer .................................................................252 C. Die Haftung des Vereins und seiner Mitglieder ....................................252 IV. Behörden und Verfahren .......................................................................254 A. Allgemeines............................................................................................254 1. Vereinsbehörden ...............................................................................254 2. Verfahren...........................................................................................254 B. Das Vereinsregister ...............................................................................254 C. Die Besonderheit der Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ..........................................................................255
Freylinger
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Rechtsgrundlagen: BG: Vereinsgesetz 2002 (BGBl I 2002/66 idF I 2005/124); §§ 2, 88 Abs 2, 89, 91 Sicherheitspolizeigesetz (BGBl 1991/566 idF 2006/56); Unternehmensgesetzbuch (RGBl 1897/219 idF BGBl I 2006/103); Vereinspatent 1852 (RGBl 1852/253); Parteiengesetz (BGBl 1974/404 idF BGBl 2003/71), 1. BRBG (BGBl I 1999/191)
Grundlegende Literatur: Brändle/Schnetzer, Das österreichische Vereinsrecht3, 2002; Fessler/Keller, VerG, 2004; Hartung, Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart², 1997; Giese in: Bachmann ua, Besonderes Verwaltungsrecht6, 2006; Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, Das Recht der Vereine, 1997; dieselben, Das Recht der Vereine2, 2002; Kalss/Eckert, Das Vereinspatent 1852 und das Bundesrechtsbereinigungsgesetz, ecolex 2001, 910 ff; Korinek/Krejci (Hrsg), Der Verein als Unternehmer, 1988; Krejci, Neuer Start der Vereinsrechtsreform, RdW 2001, 206 ff; Mohr, Der Verein im Sinne des Vereinsgesetzes mit genossenschaftlichen Elementen, RdW 1985, 203 ff; Niederberger, Der Verein als Geschäftspartner seiner Mitglieder, 1999; Ostheim, Zur Rechtsfähigkeit von Verbänden im österreichischen bürgerlichen Recht, 1967.
I. Grundlagen A. Allgemeines Das Vereinsrecht bietet in Österreich die Grundlage für die freie Bildung von Zusammenschlüssen von mindestens zwei Personen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zweckes. Mit 1 Juli 2002 trat das „neue“ Vereinsgesetz 20021 in Kraft und löste das bisherige Vereinsgesetz 1951 als gesetzliche Grundlage mit Ausnahme von einigen Übergangsbestimmungen ab. In rechtlicher Hinsicht hat es durch das Vereinsgesetz 2002 eine Reihe von Klarstellungen sowohl in privatrechtlicher als auch steuerrechtlicher Hinsicht gegeben. Zusätzlich brachte auch das mit 1 Jänner 2007 in Kraft getretene Unternehmensgesetzbuch (UGB) einige Neuregelungen, die zu mehr Rechtssicherheit führen sollten. Aufgrund der immer größeren Anzahl von Vereinen und vieler Unsicherheiten, die sich mit Vereinen im Wirtschaftsalltag ergaben, verlangte die Lehre seit langem eine gänzliche Erneuerung des Vereinsgesetzes. Vor allem die privatrechtliche Dimension des Vereinswesens wurde behandelt und geltende Grundsätze der Rechtsprechung festgeschrieben. Aus öffentlichrechtlicher Sicht kam es zu einer Neuordnung der Behördenzuständigkeit, um mehr Effizienz und Bürgernähe zu erreichen.2
Verfassungsrechtlich abgesichert durch Art 12 StGG und Art 11 MRK haben alle Menschen das Recht, Vereine zu gründen. Aus sicherheitspolizeilichen Gründen hat der Staat Kenntnis von Vereinsbildungen zu erlangen, um gegebenenfalls gegen verbotene Vereinsgründungen vorgehen zu können3 und über die ordentliche Fortführung von Vereinen zu entscheiden.4 Die Bedeutung des Vereinswesens ist in Österreich sehr groß. Diese Gesellschaftsform führt durch den großzügigen Spielraum des Gesetzgebers zu einer enormen Anzahl an Vereinsgründungen (derzeit gibt es mehr als 110.000 1 2 3 4
BGBl I 2002/66 Nähere Ausführungen dazu unter IV. Behörden und Verfahren Walter/Mayer, Verwaltungsrecht, 40 ff. OGH 22.05.1968, 5 Ob 125/68 EvBL 1968/330.
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Vereine), welche sich aus den verschiedensten Motiven und Zwecken zusammengeschlossen haben. Nach dem Vereinsgesetz 2002 handelt es sich bei einem Verein um „jede freiwillige, auf Dauer angelegte, auf Grund von Statuten organisierte Verbindung von mindestens zwei Personen, zur Erreichung eines bestimmten gemeinschaftlichen ideellen Zweckes (ideelle Vereine) durch fortgesetzte gemeinschaftliche Tätigkeit“. Vereine gehören zu dem vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten geschlossenen Kreis der Gesellschaftsformen, sofern sich mindestens zwei Personen zu einer Gesellschaft zusammenschließen wollen. Es handelt sich um juristische Personen des privaten Rechts, die aufgrund der rechtlichen Eigenständigkeit nicht von den Mitgliedern abhängig sind. Alle Streitigkeiten zwischen Vereinen und deren Mitglieder sind ausschließlich vor den ordentlichen Gerichten auszutragen.5 Zu den Vereinen zählen sowohl die typisch ideellen Vereine, wie Brauchtums- oder Gesangsvereine, sowie Vereine, welche einer unternehmerischen Betätigung nachgehen (zB der ÖGB, ÖAMTC, ARBÖ oder das Rote Kreuz), als auch Vereine nach dem Vereinspatent von 1852 (zB Aktienvereine).
1. Das Grundrecht auf Vereinsfreiheit Das Grundrecht auf Vereinsfreiheit gem Art 12 StGG 1867 und Art 11 EMRK garantiert allen Menschen das verfassungsgesetzlich geschützte Recht, Vereine zu bilden, sich im Rahmen von Vereinen frei zu betätigen sowie den Schutz vor deren Auflösung. Historisch hängt das Vereinsrecht eng mit dem Versammlungsrecht (Art 12 StGG) zusammen. Bei beiden handelt es sich um politische Rechte, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts in ihrer heutigen Ausprägung entstanden sind.6
Im Jahre 1950 trat Österreich der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei, mit deren Anerkennung das Grundrecht auf Vereinsfreiheit vom Staatsbürgerrecht zum Menschenrecht erhoben wurde.7 Das Grundrecht auf Vereinsfreiheit wird durch den materiellen Grundrechtsvorbehalt des Art 11 EMRK gegenüber Art 12 StGG näher bestimmt. Eingriffe in das Grundrecht sind nur zulässig, sofern sie auf einem Gesetz beruhen, einem legitimen Ziel entsprechen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes von Recht und Freiheiten anderer, notwendig sind.8
In der Rechtsprechung des VfGH wird Art 12 StGG als unter „Ausgestaltungsvorbehalt“ stehend angesehen, wodurch jede Verletzung des Vereinsgesetzes, das ein Ausführungsgesetz zu Art 12 StGG ist, als eine Verletzung des verfassungsgesetzlich geschützten Rechts der Vereinsfreiheit zu qualifizieren ist. Auswirkungen ergeben sich in diesem Zusammenhang vor allem beim
5 6 7 8
OGH 9.11.1978, 6 OB 727/78 EvBL 1968/380. Walter/Mayer, Verwaltungsrecht, 47. BGBl 1958/210 Beitritt zur EMRK 1950. Hartung, 287.
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Rechtsschutz, da jede Verletzung gleichzeitig eine Grundrechtsverletzung darstellt und damit ausschließlich beim VfGH geltend zu machen ist.9
2. Die Ausführungsgesetze des österreichischen Vereinsrechts a) Vereinsgesetz 2002 Auf der Grundlage des Vereinsgesetzes von 2002 sind in Österreich alle ideellen Vereine zu gründen. Bei den „ideellen Vereinen“ handelt es sich um Vereine, bei welchen der Vereinszweck ideeller Natur sein muss, dh der Verein darf nicht auf Gewinnerzielung gerichtet sein. Dennoch können Idealvereine in eingeschränkter Weise auch wirtschaftlich tätig sein.10 Unter einem Verein im Sinne des VerG 2002 versteht man einen „freiwilligen, auf Dauer angelegten, auf Grund von Statuten organisierten Zusammenschluss, mindestens zweier Personen zur Verfolgung eines bestimmten gemeinsamen und ideellen Zwecks“. Ausdrücklich festgehalten wird durch das VerG 2002, dass ideellen Vereinen, mit Ablauf der vierwöchigen Untersagungsfrist oder durch einen vorher erlassenen positiven Bescheid Rechtspersönlichkeit zukommt. Zwar sieht das VerG für Vereine keine ausdrücklichen Ausnahmen vom Anwendungsbereich vor, durch eine generelle Verweisung auf die übrige Rechtsordnung wird aber gemäß § 1 Abs 3 VerG klargestellt, dass auf Assoziationen, die nach anderen gesetzlichen Bestimmungen gebildet werden oder im Falle eines gesetzlichen Rechtsformzwanges gebildet werden müssen, das VerG keine Anwendung findet.11 Dazu zählen Vereine, die auf Gewinn berechnet sind (Vereinspatent 1852), Vereine für Bank- und Kreditgeschäfte (BankwesenG), Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VAG), Religionsgemeinschaften, geistliche Orden und Kongregationen (Sondervorschriften vgl AnerkennungsG RGBl 1874/68) sowie politische Parteien.12 Ausgenommen von der Vereinsgründung sind auch Vereinigungen, die den Anschluss an Deutschland zum Ziel haben, NS-Vereinigungen13 und Vereine, welche zur Bedrohung der slowenischen und kroatischen Minderheit werden könnten.14
b) Exkurs: Vereinspatent von 1852 Auch wenn eine Gründung nach dem Vereinspatent von 1852 seit 1.1.2000 nicht mehr möglich ist und inzwischen durch speziellere gesetzliche Regelungen (zB BankwesenG; SparkassenG; VersicherungsG usw) abgelöst worden ist, bleibt zu bedenken, dass es noch bestehende Vereine als Rechtsträger nach dem Vereinspatent gibt, die mit der Aufhebung der Rechtsgrundlage ihrer Konzessionierung nicht untergehen. Die Gründung von Wirtschaftsvereinen, welche auf die Erzielung von Gewinnen gerichtet waren, konnten nur nach dem Vereinspatent von 1852 vorgenommen werden. Im Unterschied zum ideellen Verein war die Vereinsbildung dabei von einer behördlichen Bewilligung (Konzessionensystem) abhängig. Konzessionen nach dem Vereinspatent durften aber nur erteilt werden, sofern 9 10 11 12 13 14
VfGH 15.03.1982, B 396/82, VwGH 19.02.1986, 86/01/0033. Nähere Ausführungen dazu unter Punkt III. Giese, in Bachmann ua, 41. PartG BGBL 1974/404 idF 1996/201. VfGH 03.03.1987, B 682/86. Art 7 Z 5 und Art 9 Stv v Wien 1955.
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eine andere Rechtsform unzumutbar gewesen wäre. Vor allem im Hinblick auf Genossenschaften galt das Vereinspatent subsidiär und es bestand auch keine Wahlfreiheit zwischen beiden Rechtsformen.15 Das kaiserliche Patent vom 26. November 1856 (RGBl 253) war das älteste noch in Geltung stehende Gesetz, das Bestimmungen über Vereine enthielt. Durch die Erlassung zahlreicher Sondergesetze war die Bedeutung dieser Vereinsart aber eher gering.16 Eine behördliche Konzession war zu untersagen, wenn eine andere Rechtswahl möglich gewesen wäre.17 Mit dem Ersten Bundesbereinigungsgesetz (1. BRBG) vom 19.08.199918 wurde das Vereinspatent 1852 mit Ablauf des 31.12.1999 außer Kraft gesetzt. Damit war in Österreich eine Vereinsgründung seit dem 1. Jänner 2000 nur mehr nach dem Vereinsgesetz von 1951 möglich. Problematisch erweist sich die gänzliche Aufhebung durch das BRBG vor allem mit Blick auf § 21 Vereinspatent, der eine Satzungsänderung nur mit staatlicher Genehmigung erlaubt, deren gesetzliche Grundlage aber nun gänzlich fehlt. Einen Lösungsansatz bietet in diesem Zusammenhang eine extensive teleologische Auslegung des § 5 BRBG mit dem Ergebnis, dass das Vereinspatent auf Satzungsänderungen (mit konstitutiver Genehmigung) sowie für Aufsichtsmaßnahmen (§ 23 Vereinspatent) auch weiterhin auf bestehende Vereine anwendbar ist.19
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Gemeinschaftsrechtliche Aspekte Das private Vereinsrecht wird weder unmittelbar noch mittelbar in den Gründungsverträgen, Änderungsverträgen oder Beitrittsverträgen erwähnt. Erst durch die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Bosman20 bestätigte der Europäische Gerichtshof, dass auch Vereine den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen unterliegen. Anknüpfungspunkt ist dabei das Wirtschaftsleben im Sinne von Art 2 des EG-Vertrages. Nach der Rechtsprechung des EuGH fallen sämtliche wirtschaftlichen, bzw entgeltlichen Tätigkeiten in den Anwendungsbereich des Vertrages. Begründet wird dies damit, dass die Leistungen, welche die Vereinigung ihren Mitgliedern gewährt, als mittelbare Gegenleistung für tatsächliche und echte Tätigkeiten betrachtet werden können und aufgrund der weiten Auslegung des Begriffes „Wirtschaftsleben“ alle vom „Nebentätigkeitsprivileg“ erfassten Vereinstätigkeiten vom Gemeinschaftsrecht betroffen sind.
Damit Vereine im gesamten Gebiet der Gemeinschaft tätig werden können, hatte die Kommission, gestützt auf den ehemaligen Art 100 a (nunmehr Art 95) des Vertrages, am 06.03.1992 erstmals einen Vorschlag für ein „Statut des Europäischen Vereines“ (EuV) vorgelegt.21 Aufgrund von Beratungen im Europäischen Parlament wurde dieser Vorschlag am 6.03.1993 wieder geändert.22 Nach dem Vorschlag der Kommission wäre der Europäische Verein eine ständige Struktur, deren Mitglieder ihre Kenntnisse oder 15 16 17 18 19 20 21 22
Aicher, in: Korinek/Krejci, Der Verein als Unternehmer, 17. Aicher, (FN 15), 13. Aicher, (FN 15), 17. BGBl I 1999/191. Ausführlich dazu Kalss/Eckert, ecolex 2001, 910 ff. EuGH 15.12.1995, C-415/93. Abl Nr C 99/1. Abl Nr C 236/1.
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Tätigkeiten entweder zu gemeinnützigen Zwecken oder zur mittelbaren oder unmittelbaren Förderung der sektoralen und/oder beruflichen Interessen ihrer Mitglieder zusammenlegen. Der Verein hätte eigene Rechtspersönlichkeit ab dem Tage seiner Eintragung in das vom Sitzstaat bestimmte Register. In der Binnenmarktstrategie 2000-2004 findet sich auch ein Plan der zeitlichen Umsetzung des Europäischen Vereins. Geplant als legislative Maßnahme war die Annahme der Verordnung und Richtlinie über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft und damit verknüpfter Vorschläge (Europäischer Verein) mit Juni 2001.
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Die Gesetzgebung und Vollziehung des Vereinsrecht fällt gemäß Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG in den Zuständigkeitsbereich des Bundes. Die gesamte Vollziehung erfolgt gemäß Art 102 Abs 2 B-VG in unmittelbarer Bundesverwaltung und wird von den Sicherheitsbehörden des Bundes (das Vereinswesen zählt zu den Agenden der Sicherheitsverwaltung) durchgeführt.23 Aus sicherheitspolizeilichen Gründen hat die Behörde Kenntnis von der Vereinsbildung zu erlangen.
II. Der Verein nach dem Vereinsgesetz von 2002 A. Der Vereinsbegriff im VerG 2002 Durch § 1 Abs 1 VerG 2002 wurde erstmalig gesetzlich klar gestellt, was unter einem „ideellen“ Verein im Sinne des VerG zu verstehen ist. Grundsätzlich orientierte sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung an dem bereits von der Rechtsprechung und der Lehre zum VerG 1867/1951 entwickelten Begriff, wonach man einen Verein als einen „freiwilligen, auf Dauer angelegten, auf Grund von Statuten organisierten Zusammenschluss mindestens zweier Personen zur Verfolgung eines bestimmen, gemeinsamen und ideellen Zwecks“ definiert.
1. Freiwilligkeit Jedem einzelnen ist es frei überlassen, einen Verein zu bilden, einem solchen beizutreten, nicht beizutreten und wieder auszutreten. Daher unterscheiden sich in dieser Hinsicht Vereine deutlich von Zusammenschlüssen mit Zwangs- bzw Pflichtmitgliedschaft (zB Ärztekammer, Rechtsanwaltskammer etc).24
2. Dauerhaftigkeit Der Zusammenschluss muss „auf Dauer angelegt“ sein. Es gibt jedoch keine nähere Ausführung über die Dauerhaftigkeit von Vereinen. Es ist daher nicht zwingend erforderlich, dass die Vereinstätigkeit auf unbestimmte Zeit auszurichten ist. Dennoch sollte die Tätigkeit nicht nur auf ein kurzfristiges bzw einmaliges Ereignis ausgelegt sein. Mangels Dauerhaftigkeit zählen zB Ballkomitees25 und Kongresse nicht zu Vereinen. Es wird daher im Einzelfall auch die Absicht des Gründers zu prüfen sein, ob der Zusammenschluss auf Dauer angelegt ist. 23 24 25
Vgl § 2 SPG. Fessler/Keller, 10 f. OGH 18.11.1973 Slg 6651.
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3. Organisierter Zusammenschluss mindestens zweier Personen Entgegen dem VerG 1951 sieht das VerG 2002 eine Verbindung von mindestens zwei Personen zur Vereinsgründung für ausreichend an. Der Zusammenschluss kann nicht nur durch natürliche Personen erfolgen, sondern auch durch juristische Personen, sofern sie Rechts- und Handlungsfähigkeit besitzen. Es besteht auch die rechtliche Möglichkeit, dass nach § 1 Abs 5 VerG zwei (oder mehrere) Vereine zur Verfolgung gemeinsamer Interessen sich zu einem Verband, mehrere Verbände wiederum zu einem Dachverband zusammenschließen können.
4. Organisierter Zusammenschluss aufgrund von Statuten Da es sich bei einem Verein um eine juristische Person handelt, ist eine innere Organisationsstruktur zwischen den Vereinsmitgliedern zwingend notwendig. Diese wird durch die Satzung oder Statuten festgelegt. Die §§ 3ff VerG 2002 sehen vor, dass die Statuten dem Verein seine Organisation geben und insbesondere die Beziehungen der Vereinsmitglieder untereinander und zum Verein regeln. Es handelt sich hierbei um einen zivilrechtlichen Gesellschaftsvertrag, der zwischen den Gründungsmitgliedern abgeschlossen wird und welchem sich später eintretende Vereinsmitglieder, zumeist durch einen Beitrittsvertrag, unterwerfen.
5. Bestimmter, gemeinsamer und ideeller Zweck Zur rascheren Verfolgung eines bestimmten Zieles (Zwecks) werden idR in Österreich Vereine gegründet. Der gemeinsame Zweck muss gemäß § 1 Abs 1 VerG 2002 ausreichend bestimmt sein und es muss sich um einen „ideellen“ Vereinszweck handeln. Nach § 1 Abs 2 VerG 2002, darf die Vereinstätigkeit „nicht auf Gewinn berechnet“ sein und das Vereinsvermögen darf nur im Sinne des Vereinszwecks verwendet werden. Nach einem überwiegenden Teil der Lehre wird aber nicht ausgeschlossen, dass ein Verein im untergeordneten Ausmaß, im Rahmen des Nebenerwerbsprivilegs, auch erwerbswirtschaftlich tätig sein darf.26 Anders sieht es die ständige Rechtsprechung des VfGH, wonach streng zwischen den Begriffen „Gewinn“ und „finanzieller Vorteil“ unterschieden wird und weniger das Verhältnis von Haupt- und Nebentätigkeit entscheidend ist. Die Gründung erachtet der VfGH als unzulässig, sofern der Vereinszweck auf die bloße Gewinnerzielung gerichtet ist, der erwirtschaftete Gewinn den Vereinsmitgliedern oder Dritten zukommt, oder der Verein nur einen Deckmantel für die Erwerbstätigkeit seiner Mitglieder oder dritter Personen bildet.27 Der Umstand aber, dass die Mitgliedschaft bei einem Verein den Mitgliedern finanzielle Vorteile bringt, reicht für die Gewinnabsicht nicht aus.28 Die Vereinsgründung sollte nicht die einzige Tätigkeit des Vereins bleiben, sondern durch gemeinschaftliche Tätigkeiten sollten die Vereinsmitglieder auch aktiv am Vereinsleben teilnehmen und am Ziel des Vereins weiterarbei26 27 28
Giese, in Bachmann ua, 38. VfSlg 4411/1963; 8840/1980. VfSlg 9566/1982; 9879/1983 und 11735/1988.
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ten. Oftmals findet aber ein solches gar nicht statt, sondern erschöpft sich in der Zahlung des Mitgliedsbeitrages.
B. Die Erscheinungsformen von Vereinen Vereine können auch Untervereine bzw Zweigstellen bilden oder sich zu sogenannten Verbänden zusammenschließen. Rechtlich ermöglicht wird dies durch § 1 Abs 4 VerG 2002. Bei Zweigvereinen handelt es sich um selbstständige juristische Personen,29 deren Existenz in den Statuten des Hauptvereins verankert ist und die daher in einem Abhängigkeitsverhältnis zu diesem stehen. Der Zweigverein kann zwar eigene Aktivitäten entfalten und verfügt auch über eine eigene Rechtspersönlichkeit, dennoch hängt sein rechtliches Schicksal von dem des Hauptvereins ab. Sollte der Hauptverein aufgelöst werden, so gilt dies auch für den Zweigverein, nicht aber umgekehrt. Das Abhängigkeitsverhältnis bzw Eingriffsrecht des Hauptvereins muss sich sowohl aus den Statuten des Haupt-, als auch aus jenen des Zweigvereins ergeben. In Dachverbänden schließen sich rechtlich vollkommen selbstständige Vereine zur Verfolgung von gemeinsamen Zielen zusammen. Im Unterschied zu Haupt- und Zweigvereinen gibt es keine rechtliche Abhängigkeit zwischen Dachverband und den einzelnen Vereinen.30 Bei Dachverbänden handelt es sich um eigenständige Vereine mit der Besonderheit, dass deren Mitglieder wiederum Vereine sind. Zur Untergliederung von Vereinen nach sachlichen oder örtlichen Gesichtspunkten werden häufig Zweigstellen und Sektionen gebildet. Diese Unterteilungen besitzen keine eigene Rechtspersönlichkeit, sondern die Vertretung nach außen erfolgt durch den Verein selbst.31
C. Die Vereinsgründung, Ausübungspflichten und Auflösung 1. Allgemeines zur Vereinsgründung Mit dem Vereinsgesetz 2002 unterscheidet der Gesetzgeber bei der Vereinsgründung in § 2 Abs 1 VerG 2002 erstmals zwischen der Errichtung (interner Gründungsakt) und der Entstehung (äußerer Gründungsakt) des ideellen Vereins. Der Abschluss einer zivilrechtlichen Vereinbarung über ein Vereinstatut durch zumindest zwei Gründer (Gründungsvereinbarung), führt zunächst zur Errichtung des Vereins. Aber erst durch die behördliche Genehmigung der Vereinserrichtungsanzeige, durch die Vereinsbehörde gemäß § 13 Abs 1 und 2 VerG 2002, erhält der Verein Rechtspersönlichkeit und gilt als juristische Person.
2. Die Vereinserrichtung Zu Beginn einer Vereinsgründung steht immer der Entschluss der sogenannten Vereinsgründer, einen solchen zu gründen. Bei der Gründung müssen sich, 29 30 31
VfSlg 881/1927. Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, 24 ff. Fessler/Keller, 25.
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entgegen dem VerG 1951, mindestens zwei Personen zusammenschließen und eine Gründungsvereinbarung bzw Statutenvereinbarung treffen. Die Vereinsstatuten stellen einen multilateralen, zivilrechtlichen Vertrag über die Vereinsorganisation dar, der die Beziehungen der Vereinsmitglieder untereinander und zum Verein regelt. Der Mindestinhalt der Vereinsstatuten wird durch § 3 Abs 2 VerG vorgegeben. Dies wären zB Vereinsname, Sitz, Beschreibung des Zwecks, Art der Aufbringung finanzieller Mittel, Vereinsmitgliedschaft, Rechte und Pflichten der Mitglieder, Organe des Vereins, Vertretung nach außen, Bestellung der Organe, Art der Schlichtung von Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis und Vereinsauflösung.32
Es werden dabei keine inhaltlichen Vorgaben getroffen, allerdings gilt hinsichtlich des Vereinszwecks das sogenannte Klarheitsgebot.33 Sollten sich im Hinblick auf den Zweck Unklarheiten ergeben, hat die Behörde die Gründung zu untersagen. Im Zweifel sind die Statuten aber zu Gunsten der Vereinsfreiheit zu interpretieren. Vorsichtshalber sind die Statuten betreffend Zweck und Tätigkeitsbereich diesbezüglich eher großzügig zu formulieren, um spätere Statutenänderungen zu vermeiden.34 Gegenüber den Bestimmungen des VerG 1951 sind Bestimmungen über die Art der Aufbringung finanzieller Mittel, die Aufgaben der Vereinsorgane, insbesondere der Geschäftsführung und Vertretung nach außen, sowie die Bestellung der Vereinsorgane und die Dauer der Funktionsperiode der einzelnen Organe, neu hinzugekommen.
3. Die Vereinsentstehung Vor Aufnahme der Tätigkeit des Vereins haben die Vereinsgründer oder die bereits nach den Statuten bestellten organschaftlichen Vertreter der Vereinsbehörde die Vereinserrichtung gem § 11 VerG 2002 unter Angabe personen- und funktionsbezogener Daten, sowie die vereinbarten Statuten schriftlich anzuzeigen. Lange Zeit gab es keine klare Regelung, ab welchem Zeitpunkt der ideelle Verein als Rechtspersönlichkeit entsteht. Mit dem VerG 2002 wurde diese Rechtsunsicherheit durch den Gesetzgeber beseitigt. Nach § 2 Abs 1 VerG 2002 entsteht der Verein als Rechtsperson mit Ablauf der Untersagungsfrist gemäß § 13 Abs 1 VerG 2002 oder mit Erlassung eines Nichtuntersagungsbescheides aufgrund des § 13 Abs 2 VerG 2002. Demnach hat die Vereinsbehörde, innerhalb von vier Wochen bzw bei bescheidmäßiger Verlängerung spätestens nach sechs Wochen, die Statuten auf die Gesetzmäßigkeit zu überprüfen. Erfolgt innerhalb der Frist keine Erklärung nach § 12 VerG 2002, dass die Gründung nicht gestattet wird, kann der Verein seine Tätigkeit aufnehmen, ohne dass es ein weiteres Zutun der Behörde bedarf.35 Mit dem Fristablauf erlangt der Verein Rechtspersönlichkeit und die
32 33 34 35
Brändle/Schnetzer, 84. VfGH 12.03.1982, B 532/80 = ZfVB 1982/2069. Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, 34 ff. Brändle/Schnetzer, 72 ff.
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Vereinsbehörde hat den Anzeigern eine unbeglaubigte Abschrift der Vereinsstatuten und einen Vereinsregisterauszug zu übermitteln. Mit dem VerG 2002 hat der Gesetzgeber auch eine Forderung der Lehre erfüllt und die Schaffung eines Vereinsregisters gesetzlich verankert (näheres unter IV.B).
Sollten noch vor der Befassung der Vereinsbehörde organschaftliche Vertreter bestellt werden, können diese, aufgrund der nicht vorhandenen Rechtsfähigkeit, gemäß § 2 Abs 2 iVm Abs 3 VerG 2002, keine Rechtsgeschäfte im Namen des noch nicht errichteten Vereins abschließen. Die Rechtsgeschäfte bleiben bis zur Entstehung des Vereins schwebend unwirksam und die im Namen des noch nicht entstandenen Vereins handelnden Gründer oder bereits bestellten Organe, haften zivilrechtlich gem. § 2 Abs 4 VerG 2002 persönlich und zur ungeteilten Hand als Gesamtschuldner. Nach der Entstehung des Vereins werden die Rechte und Pflichten für den Verein unmittelbar wirksam.
4. Die Pflichten während der Vereinstätigkeit Für die Entstehung des Vereins als Rechtsperson ist zwar keine Konstituierung des Vereins mehr zwingend notwendig, dennoch bleibt diese von rechtlicher Relevanz. In der Praxis erfolgt die Konstituierung durch Einberufung und Durchführung der ersten Mitgliederversammlung, sowie Wahl und Bestellung der Organe. In § 5 Abs 1 VerG wurde gesetzlich verankert, dass die Vereinsstatuten Organe zur gemeinsamen Willensbildung sowie zur Führung der Vereinsgeschäfte und Vertretung nach außen vorzusehen haben. Innerhalb eines Jahres sind organschaftliche Vereinsorgane zu bestellen, ansonsten hat die Vereinsbehörde, den Verein nach § 2 Abs 3 VerG 2002 aufzulösen. Zur gemeinsamen Willensbildung hat der Verein nach § 5 VerG 2002, zumindest alle vier Jahre, die Mitgliederversammlung als oberstes Willensorgan einzuberufen. Neu ist, dass zumindest ein Zehntel der Vereinsmitglieder oder die Rechnungsprüfer, jederzeit vom Leitungsorgan die Einberufung einer Mitgliederversammlung verlangen können. Zur Führung der Vereinsgeschäfte und Vertretung nach außen, sieht § 5 Abs 3 VerG 2002 vor, dass das Leitungsorgan aus mindestens zwei Personen bestehen muss und Gesamtvertretung und Gesamtgeschäftsführung besteht. Die Funktionen der Geschäftsführung und der Vertretung können auch auf mehrere Vereinsorgane aufgeteilt werden. Die organschaftliche Vertretungsbefugnis ist, von der Frage der Gesamt- oder Einzelvertretung abgesehen, Dritten gegenüber unbeschränkbar. In den Statuten vorgesehene Beschränkungen wirken nur im Innenverhältnis. Gemäß § 3 Abs 3 VerG 2002 haben die Mitglieder gegenüber dem Vorstand Kontroll- und Informationsrechte, und es besteht für das Leitungsorgan die Verpflichtung, jedem Vereinsmitglied die Vereinsstatuten auszufolgen. Zusätzlich muss nach § 20 VerG 2002 die Mitgliederversammlung über die Tätigkeit und die finanzielle Gebarung des Vereines informiert werden. Dabei handelt es sich nur um eine allgemeine Pflicht; spezifische Rechte und Informationspflichten können sich aus den Vereinsstatuten ergeben.36 Wenn jedoch zumindest ein Zehntel der Mitglieder Informationen fordert, hat das Leitungsorgan dem nachzukommen, ansonsten könnte dieses Recht zivilrechtlich ver36
Krejci, 105.
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folgt werden. Jederzeit ist es dem Verein erlaubt eine Vereinsumbildung bzw Statutenänderung vorzunehmen. Zum Zweck der Transparenz und Kontrolle der Finanzgebarung hat das Leitungsorgan die gesetzliche Verpflichtung, ein nach Größenklassen differenziertes Rechnungswesen einzurichten und nach § 5 Abs 5 VerG 2002 mindestens zwei unabhängige und unbefangene Rechnungsprüfer zu bestellen. Eine weitere Neuerung betrifft die großen Vereine iSd § 22 Abs 2 VerG 2002, welche zusätzlich zu den Rechnungsprüfern auch einen berufsmäßigen Abschlussprüfer zu bestellen haben. Rechnungsprüfer und Abschlussprüfer sind von der Mitgliederversammlung auszuwählen. Bei Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis haben die Statuten zwingend vorzusehen, dass nach § 8 Abs 1 VerG 2002 diese vor einer Schlichtungsstelle auszutragen sind. Sofern kein eigenes statutarisches Organ eingerichtet ist, kann anstelle einer eigenen Schlichtungseinrichtung, auch die Generalversammlung mit der Schlichtung von Streitigkeiten beauftragt werden.
5. Die Auflösung von Vereinen Die Auflösung eines Vereins kann entweder freiwillig durch den Verein selbst oder durch die Vereinsbehörde vorgenommen werden. Daraus ergibt sich, dass die Rechtspersönlichkeit des Vereins entweder mit der behördlichen Eintragung, seiner freiwilligen oder behördlichen Auflösung nach §§ 28, 29 VerG 2002 oder bei Erfordernis der Vermögensverwertung erst mit der Eintragung der Beendigung seiner Abwicklung gem § 30 VerG 2002 in das Vereinsregister endet.37 Die freiwillige Auflösung erfolgt gemäß § 28 Abs 1 VerG 2002, wobei die Statuten die näheren Bestimmungen gem § 3 Abs 2 Z 11 VerG 2002 über die freiwillige Auflösung und die Verwertung des Vereinsvermögens enthalten. Grundsätzlich erfolgt die Auflösung durch Generalversammlungsbeschluss mit bestimmten Konsensquoren. Die freiwillige Auflösung des Vereins ist der Vereinsbehörde unter Angabe verschiedener Daten vom abgetretenen Leitungsorgan gemäß § 28 VerG 2002 binnen vier Wochen anzuzeigen, von dieser im Vereinsregister ersichtlich zu machen und in einer für amtliche Verlautbarung bestimmten Zeitung zu veröffentlichen.38 Die behördliche Kenntnisnahme der Mitteilung mittels Eintragung in das Vereinsregister hat konstitutive Wirkung und führt zur endgültigen Beendigung der Rechtspersönlichkeit des Vereines. Hinzu kommt, dass in Fällen wo keine Abwicklung oder Liquidation erforderlich ist, die Rechtspersönlichkeit nicht mit In-Kraft-Treten des Auflösungsbeschlusses, sondern gem § 27 VerG 2002 erster Satz mit der Eintragung seiner Auflösung ins Vereinsregister erlöscht. Sofern die Behörde hinsichtlich der Vornahme der erforderlichen Eintragung ins Vereinsregister säumig wird, steht nach dem VerG kein Rechtsbehelf zur Verfügung.
Die strengste Zwangsmaßnahme im Vereinsgesetz (außer im Falle nach § 2 Abs 3 VerG 2002, dass keine organschaftlichen Vertreter rechtzeitig bestellt wurden) bildet nun der § 29 VerG 2002. Dieser ermächtigt die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art 11 Abs 2 EMRK einen Verein mit
37 38
Giese, in Bachmann ua, 47. Amtsblatt zur „Wiener Zeitung“ oder dgl.
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Bescheid aufzulösen, sofern er gegen Strafgesetze verstößt, seinen statutengemäßen Wirkungskreis überschreitet oder überhaupt den Bedingungen seines rechtlichen Bestandes nicht mehr entspricht. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Verankerung stellt ein solches behördliches Vorgehen immer einen Grundrechtseingriff dar. Nach der ständigen Judikatur des VfGH können nur schwerwiegende Gründe eine solche Auflösung rechtfertigen.39 Durch die Vereinsgesetznovelle 1987 wurden die Untersagungsgründe insofern neu gefasst, als die Bedingungen des Art 11 Abs 2 EMRK ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben wurden.40 Die Gründe des § 29 VerG 2002 können nur dann zu einer Auflösung eines Vereines führen, wenn sie zur Wahrung der in Art 11 Abs 2 EMRK aufgezählten Rechtsgüter unerlässlich sind. Die Behörde hat jeden einzelnen Fall auf der Grundlage des Grundrechtes auf Vereinsfreiheit zu beurteilen. Diese Bestimmung entspricht dem § 24 VerG 1951, übernimmt jedoch für die Auflösung von Vereinen die Eingriffstatbestände des Art 11 Abs 2 EMRK.
Ein Verein ist daher behördlich aufzulösen, wenn er gegen Strafgesetze verstößt, seinen statutengemäßen Wirkungsbereich überschreitet oder überhaupt den Bedingungen seines rechtlichen Bestandes nicht mehr entspricht.41 Bei Vorhandensein eines Vereinsvermögens hat die Behörde gem § 29 Abs 3 und Abs 4 VerG 2002 die angemessenen Vorkehrungen zu dessen Sicherung zu treffen und die Auflösung selbst abzuwickeln. Aus Gründen möglichster Sparsamkeit, Raschheit, Einfachheit oder Zweckmäßigkeit kann von diesem Grundsatz jedoch abgegangen werden und jemand Dritter von der Behörde mit der Abwicklung bestellt werden. Weggefallen sind jedoch die Bestimmungen über die vorläufige Einstellung der Vereinstätigkeiten bei Gefahr im Verzug. Bis zur endgültigen Entscheidung über die Vereinsauflösung, ist bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen, die behördliche Auflösung mit Bescheid zwingend vorgeschrieben.
III. Der ideelle Verein im Geschäftsleben A. Allgemeines Nach § 1 Abs 2 VerG 2002 fallen Vereine, die „auf Gewinn berechnet“ sind, nicht in den Anwendungsbereich des VerG 1951. Zusätzlich verweist der Gesetzgeber in § 1 Abs 1 VerG 2002 ausdrücklich auf das wesentliche Charakteristikum des ideellen Vereins, den ideellen Zweck. Daraus ergibt sich, dass ein ideeller Verein nicht auf Gewinn berechnet sein und das Vereinsvermögen nur im Sinne des Vereinszwecks verwendet werden darf. Diese Regelung entspricht im wesentlichen auch dem bisherigen Verständnis nach der Rechtslage des VerG 1951. Dennoch wird dem sogenannten „Idealverein“ eine unternehmerische Tätigkeit von vornherein nicht verboten.42 Fraglich war lange Zeit, wo die Grenzen der Zulässigkeit einer wirtschaftlichen Tätigkeit von ideellen Vereinen zu ziehen ist. 39 40 41 42
VfGH 23.06.1977, B 209/76, ÖJZ 1978, 404 = VfSlg 8090/1977. BGBl 1951/233 idF 1987/648. Walter/Mayer, Verwaltungsrecht, 50. VwGH 3.11.1986/15003=ÖJZ 1987/315 F.
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Der Ansatz, dass nicht durch jede gewinnbringende Tätigkeit ein Verein zu einem auf Gewinn ausgerichteten Wirtschaftsverein wird, wurde schon durch das Reichsgericht in zwei Entscheidungen Anfang des 20. Jhdt bestätigt.43 Ein auf Gewinn ausgerichteter Verein liege erst dann vor, wenn der Ertrag der gewinnbringenden Vereinstätigkeit den Mitgliedern selbst zugute kommt; es reicht aber nicht aus, wenn die Mitglieder eines Vereines durch den erzielten Gewinn irgendwelche vermögensrechtliche Vorteile erlangen, diesen Verein als einen auf Gewinn ausgerichteten Verein zu werten.44
In Österreich wurde ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland, die Zulässigkeitsgrenze der wirtschaftlichen Tätigkeit nach der ständigen Judikatur des VfGH im sogenannten „Nebenzweckprivileg“ gesehen.45 Darunter wird die untergeordnete wirtschaftliche Tätigkeit von ideellen Vereinen verstanden, welche nicht zum Hauptzweck der Vereinstätigkeit wird, sondern ausschließlich zur Verwirklichung der ideellen Ziele des Vereins dient. Durch die liberale Auslegung des § 1 VerG 2002 im Sinne der Vereinsfreiheit, wird den Idealvereinen ein breites wirtschaftliches Betätigungsfeld ermöglicht. Unzulässig ist es nach der ständigen Rechtsprechung, dass Vereine selbst auf Gewinn ausgerichtet sind, es zu einer direkten Gewinnausschüttung an die Vereinsmitglieder kommt46 oder der Verein als formaler Deckmantel die Erwerbstätigkeit von Mitgliedern dient.47 Dennoch wird ein Verein noch nicht als „auf Gewinn berechnet“ gesehen, wenn es für Mitglieder zu Vorteilen kommt, welche auch materieller Art sein könnten, zB durch Senkung der Kosten der Wirtschaftsführung der Vereinsmitglieder durch günstigere Reparatur von Kraftfahrzeugen,48 oder das bloße Senken der Verwaltungskosten der Mitglieder.49 Die Grenze des Erlaubten zieht der VfGH dort, wo der Vereinszweck selber auf bloße Gewinnerzielung gerichtet ist oder der Verein nur einen Deckmantel für eine Erwerbstätigkeit seiner Mitglieder oder dritter Personen bildet.50
Von einem Teil der Lehre51 wird die liberale und vereinsfreundliche Linie des VfGH sehr kritisiert. Vor allem, wenn der sogenannte ideelle Zweck ausschließlich darin besteht den Mitgliedern wirtschaftliche Vorteile zu ermöglichen, so entspricht der Zweck des Vereins mehr einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft.52 Im Unterschied zum Genossenschaftsrecht verfügt das Vereinsgesetz über keine Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften. Es kommt zweifelsohne zu einer potentiellen Gläubigergefährdung unabhängig davon, ob eine juristische Person im unternehmerischen Wettbewerb mit oder ohne Gewinnabsicht tätig wird. Von der Lehre wird gefordert, die genossenschaftliche Zielsetzung in restriktiver Auslegung des Nebenzweckprivilegs zu sehen. Solange die unternehmerische Tätigkeit in einem angemessenen Ver-
43 44 45 46 47 48 49 50 51 52
RG 27.04.1900, Hye 999; 20.10.1906, Hye 1461. Korinek, in: Korinek/Krejci, Der Verein als Unternehmer, 30. Krejci 52. VfGH 16.06.1988, B 1281/87=ZfVB 1989/340, OGH 27.05.1986, 4 Ob 401/85=ÖBl 1986, 121. Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, 82. VfGH 29.11.1982, B 190/82=ÖJZ 1983, 362. VfGH 18.06.1980, B 122/79=JBl 1981, 4. VfSlg 4411/1936, 8840/1980. Mohr, RdW 1985, 203ff; vgl dazu Korinek, 36. Niederberger, 26.
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hältnis der ideellen Zielsetzung nachgeordnet wird, kann demnach ein Verein wirtschaftlich tätig sein.53
B. Der Verein als Unternehmer Wie schon oben angeführt, ist es einem Verein grundsätzlich erlaubt am Wirtschaftsleben teilzunehmen. Die Vereine sind als juristische Person selbst rechtsfähig und gemäß den neuen Bestimmungen des UGB kann ein Verein auch Unternehmer sein. Dies gilt dann, sofern der Verein eine auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit, die nicht einmal auf Gewinn gerichtet sein muss, darstellt. Je nach Größe des Vereins, sind Bestimmungen des UGB betreffend Rechtsformzusatz, Rechnungslegungsvorschriften aber auch die Bestimmungen über die unternehmensbezogenen Geschäfte, wie etwa Schadenersatz oder Mängelrüge zu beachten. Wenn der Verein die Gewinne im Rahmen des schon erwähnten Nebenzweckprivilegs in einem Teilbereich erwirtschaftet und die wirtschaftliche Tätigkeit nicht zum Hauptzweck erhoben wird, fällt der Verein auch unter den Unternehmensbegriff des UGB, da sich der Begriff des Erwerbs auf jede Art von erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit oder Wertschöpfung bezieht, ohne Verengung auf eine Gewinnerzielungsabsicht. Solange Idealvereine ein Unternehmen betreiben, sind die Vorschriften des UGB anzuwenden. Das gilt sowohl für die Buchführungspflichten nach §§ 189 ff UGB, als auch für die Eintragungs- bzw Löschungspflichten im Firmenbuch.
Eine ähnliche Situation ergibt sich bei der Anwendung des Gewerberechts. Nach § 1 Abs 2 GewO werden nur wirtschaftliche Tätigkeiten von der GewO erfasst, solange sie selbstständig, regelmäßig und in Ertragsabsicht betrieben werden. Von der Lehre und der Judikatur wurde die Anwendbarkeit der Gewerbeordnung auf Idealvereine aber nie bestritten. Der Gesetzgeber reagierte auf diesen Umstand schon in der Gewerberechtsnovelle 1988 mit der Einführung des Abs 6 zu § 1 GewO und präzisierte den Prüfungsmaßstab noch näher in der Gewerberechtsnovelle 1992.54
Seit diesen Novellen hat die Behörde nicht die Ertragsabsicht der Vereine zu überprüfen, sondern stellt nur fest, ob die Tätigkeit des Vereins das Erscheinungsbild eines einschlägigen Gewerbebetriebes aufweist und den Vereinsmitgliedern entweder vermögensrechtliche Vorteile bzw mittelbare Vorteilsbeschaffung ermöglicht. Die Ertragsabsicht wird schon vermutet, wenn die typisch gewerbliche Tätigkeit mehr als einmal in der Woche ausgeübt wird. In diesem Zusammenhang reicht auch das Wirtschaften nach dem konnexen Kostendeckungsprinzip nicht aus, da Vereine auch von der GewO erfasst sind, sofern den Vereinsmitgliedern dadurch vermögensrechtliche Vorteile in jeglicher Art zukommen. Für den Verein besteht aber die Möglichkeit, den Nachweis zu erbringen, dass keine Ertragsabsicht vorliegt, auch wenn die gewerbliche Tätigkeit öfter als einmal in der Woche ausgeübt wird.55
C. Die Haftung des Vereins und seiner Mitglieder Der Verein haftet als juristische Person sowohl für deliktisches, als auch vertragliches Verhalten seiner Organe und Repräsentanten. 53 54 55
Aicher, 11 ff; Mohr, RdW 1985/203, Korinek, 36 ff. BGBl 1993/29, welches am 1.07.1993 in Kraft trat. Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, 86 ff.
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Die frühere Judikatur beschränkte die deliktische Haftung nur auf die gesetzlichen oder statutenmäßig berufenen Vertreter, was von der Lehre aber als zu wenig betrachtet wurde56 und mittlerweile zu einer Ausdehnung der deliktischen Haftung auch auf Repräsentanten führte. Die deliktische Haftung erstreckt sich auf das Verhalten der Organe und Repräsentanten, die eine leitende Stellung mit selbstständigem Wirkungsbereich innehaben, solange dies in Ausübung der übertragenen Tätigkeit und in sachlichem Zusammenhang mit dem Delikt erfolgt. Bei deliktischem Verhalten sind jene Personen selbst passiv legitimiert57. Gemäß § 1313a ABGB haftet eine juristische Person bei der vertraglichen Haftung für das Verschulden der gesetzlichen Vertreter und jener Personen derer sie sich bedient. Es wird in diesem Zusammenhang für Schäden gegenüber Mitgliedern und Dritten gehaftet, welche in Zusammenhang mit der Leistungserbringung stehen.
Das VereinsG selbst enthält keine Haftungsbestimmungen betreffend des Vereinsvorstandes gegenüber dem Verein. Aufgrund des Auftrags- bzw Bevollmächtigungsvertrages zwischen Vereinsvorstand und Verein, resultiert die Haftung „ex contractu“. In Ausnahmefällen kann es aber auch zu einer persönlichen Haftung von Organwaltern gegenüber Dritten gemäß § 23 VerG 2002 kommen. Der Organwalter haftet demnach als Sachverständiger iSd § 1299 ABGB. Bei wirtschaftlich tätigen Vereinen wird sich die Haftung des Vereinsvorstandes an die von GmbH oder AG Vorstandsmitglieder angleichen; damit haftet er gegenüber dem Verein für die Einhaltung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Beruht eine Handlung des Vorstandes auf einem bindenden Beschluss der Vereinsversammlung, so ist die Haftung des Vorstandes ausgeschlossen. Sofern aber Organwalter und Rechnungsprüfer schuldhaft ihre gesetzlichen und statutarischen Pflichten verletzen, haften diese gegenüber dem Verein. Eine vertragliche Haftung des Vorstandes gegenüber Vereinsgläubiger oder Vereinsmitgliedern scheidet grundsätzlich aus. Möglich wäre eine deliktische Haftung, sofern die notwendigen Voraussetzungen des allgemeinen Schadenersatzrechts erfüllt sind. Gläubiger haben neben einer direkten Haftung noch die Möglichkeit, sofern dem Verein Schadenersatzansprüche gegenüber seinem Vorstand zustehen, diese sich pfänden und überweisen zu lassen.
Die Haftung der Vereinsmitglieder richtet sich grundsätzlich nach dem Inhalt der Beitrittserklärung bzw Statuten.
Mit Anerkennung der Beitrittserklärung haftet das Mitglied normalerweise nur für die Bezahlung der Mitgliedsbeiträge. Zusätzlich kann sich aber auch eine Haftung für Vereinsschulden ergeben. Nach der Judikatur ist ein Schuldbeitritt zwar formfrei, es bedarf aber einer zusätzlichen Verpflichtungserklärung, welche die Haftung begründet58. Mitglieder können aber nicht zu einer Mindestkapitalausstattung des Vereines gezwungen werden, da es im VerG 2002 keine Regelungen bezüglich Kapitalausstattung gibt. Zur deliktischen Haftung von Vereinsmitgliedern gegenüber Dritten kann es zB im Zusammenhang mit sportlichen Aktivitäten kommen. Der haftungsbegründende Maßstab liegt hierbei bei besonders gefahrenträchtigem und unsportlichem Verhalten, das zu einer Haftung nach den allgemeinen Schadenersatzregeln führt.59
56 57 58 59
Ostheim, in: Korinek/ Krejci, Der Verein als Unternehmer, 163 ff. OGH 15.10.1985, 4OB 520/85, JBl 1986, 184. OGH 04.02.1993, 6 Ob 619/92, JBl 1993, 657 ecolex 1993, 302. Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, 133.
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IV. Behörden und Verfahren A. Allgemeines Durch Art 102 Abs 2 B-VG wird das Vereinsrecht in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen. Gemäß § 2 Abs 2 SPG gehört das Vereinswesen zu den Agenden der Sicherheitsverwaltung, die von den Sicherheitsbehörden des Bundes zu verwalten sind. Diese vollziehen jedoch ausschließlich die verwaltungspolizeilichen Angelegenheiten des Vereinsgesetzes.60 Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus den jeweiligen einfachgesetzlichen Bestimmungen.
1. Vereinsbehörden Mit der Vereinsnovelle kam es auch zu einer Vereinfachung der Behördenzuständigkeit. In erster Instanz sachlich zuständige Vereinsbehörde ist die BVB, sowie in deren örtlichen Wirkungsbereich die BPolD.61 Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 9 Abs 3 VerG 2002 nach den in den Statuten angegebenen Vereinssitz.62 Gegen eine bescheidmäßige Nichtgestattung der Vereinsgründung, der behördlichen Vereinsauflösung oder über Berufungen entscheidet grundsätzlich der SD in letzter Instanz.63 Oberste sachlich in Betracht kommende Vereinsbehörde ist der BMI.
2. Verfahren Im Verfahren sind AVG und VStG gemäß Art II Abs 2 lit A Z 1, 6 und 7 EGVG anwendbar.64 Über Berufungen gegen Verwaltungsstrafbescheide in Vereinsangelegenheiten entscheidet der UVS.
B. Das Vereinsregister Mit dem VerG 2002 wurde die Installierung eines Vereinsregisters gesetzlich verankert. Ziel ist es für Außenstehende, die sich im Rechtsverkehr mit Vereinen befinden, wesentliche Daten zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommt, dass das Vereinsregister auch zur Ausstellung von Amtsbestätigungen dient.65 Die Vereinsbehörden erster Instanz haben für die in ihrem örtlichen Wirkungsbereich ansässigen Vereine ein Lokales Vereinsregister zu führen. Gemäß § 16 VerG 2002 sind die wesentlichsten Vereinsdaten, insbesondere der Name des Vereins, die Vereinsregisterzahl,66 das Entstehungsdatum des Vereines, Sitz, die für die Zustellung maßgebliche Vereinsanschrift sowie Angaben zu den Vereinsorganen, in Evidenz zu halten.67
60
61 62 63 64 65 66 67
Bei der Kontrolle über die Rechtsbeziehung des Vereins zu Dritten sowie die Beziehungen der Vereinsmitglieder untereinander handelt es sich um zivilrechtliche Bestimmungen. Sie obliegt daher den ordentlichen Gerichten. § 9 Abs 1 VerG 2002. Eine Ausnahme bildet die Auskunft aus dem ZVR gem § 19 Abs 3 VerG 2002. §§ 12 Abs 1, 29 Abs 1 und 9 Abs 1 VerG 2002. Walter/Mayr, Verwaltungsrecht 47. Brändle/Schnetzer, 120. ZVR-Z gem § 18 Abs 3 VerG 2002. Vereinsstatuten findet man nicht im Vereinsregister.
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Zur zentralen Verwaltung aller Daten gem § 28 VerG 2002 sind alle Registerdaten von den Vereinsbehörden erster Instanz dem BMI elektronisch zu übermitteln. Der BMI hat nach § 18 VerG 2002 ein automationsunterstütztes Zentrales Vereinsregister (ZVR) in Form eines Informationsverbundsystems zu führen.68 Darunter versteht der Gesetzgeber, dass auch die Vereinsbehörden erster Instanz Zugriff auf alle Daten im System haben und dadurch auch Vereinsregisterauszüge außerhalb ihres Wirkungsbereiches erstellen können. Das Vereinsregister stellt gem § 16 VerG 2002 ein öffentliches Register im Sinne von § 17 Abs 2 Z 2 DSG dar, kann entweder konventionell oder automationsunterstützt geführt werden und es ist Jedermann auf Verlangen Auskunft zu geben.69 Zum Schutz bestimmter sensibler Daten haben die Vereine aber die Möglichkeit, bei der Vereinsbehörde gem § 17 Abs 4 bis 6 VerG 2002 die Verfügung einer Auskunftssperre zu veranlassen.
C. Die Besonderheit der Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts Da jeder Eingriff in das VerG einen unmittelbaren Eingriff in das Grundrecht gemäß Art 12 StGG bedeutet, erachtet sich der VfGH auch zur einfachgesetzlichen Prüfung (Feinprüfung) zuständig, sodass Rechtsverletzungen des VerG, als auch wesentliche Verfahrensmängel als Verletzung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht zu qualifizieren sind.70 Über Beschwerden gegen letztinstanzliche Bescheide entscheidet daher der VfGH.71 Eine Zuständigkeit des VwGH ergibt sich aber sofern es sich um Säumnisbeschwerden in Vereinsangelegenheiten72 und um Beschwerden von Ausländern handelt, die sich nur auf Art 11 Abs 1 EMRK berufen konnten, da ihnen das Recht auf Vereinsfreiheit nicht durch Art 12 StGG (Staatsbürgerschaftsrecht) zukommt.73
68 69 70 71 72 73
Giese, in Bachmann, 49. Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, Das Recht der Vereine2, 84. VfSlg 11199/1986, 11745/1988, 13025/1992, 14365/1995 ua. Fessler/Keller, 65. VfSlg 14555/1996; VwGH 29.04.1997, 96/01/0258. Fessler/Keller, 126f.
Georg Lienbacher
Veranstaltungsrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................258 Grundlegende Literatur...................................................................................260 I. Grundlagen ................................................................................................261 A. Begriff und geschichtliche Entwicklung ................................................261 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................264 1. Abgrenzung zu Bundeskompetenztatbeständen ................................264 2. Landeskompetenzen im Bereich des Veranstaltungswesens.............273 3. Art 15 Abs 3 B-VG ...........................................................................278 4. Überörtliche und örtliche Veranstaltungspolizei...............................279 C. Grundrechtliche Schranken...................................................................281 D. Europarechtliche Grundlagen ..............................................................282 II. Die einfachgesetzlichen Grundlagen ......................................................282 A. Die allgemeinen Regelungen in den Veranstaltungsgesetzen der Länder.............................................................................................283 1. Anwendungsbereich ..........................................................................283 2. Einteilung der Veranstaltungen .........................................................284 3. Veranstalter .......................................................................................288 4. Veranstaltungsstätte ..........................................................................289 5. Veranstaltungen im Freien ................................................................290 6. Überwachung von Veranstaltungen ..................................................291 7. Behörden ...........................................................................................292 8. Verfahren...........................................................................................292 B. Sonderregelungen für bestimmte Veranstaltungstypen .........................293 1. Spielapparate .....................................................................................293 2. Kinowesen.........................................................................................294 3. Buchmacher und Totalisateure ..........................................................295 4. Fiakergesetze.....................................................................................295 5. Campingplatzgesetze.........................................................................295 C. Andere Vorschriften, die an das Veranstaltungswesen anknüpfen........295 1. Jugendschutz .....................................................................................295 2. Landespolizeistrafrechtliche Vorschriften.........................................296 3. Steuern, Gebühren und Abgaben ......................................................296 4. Urheberrechtlichen Fragen ................................................................297 5. Tierschutzrechtliche Fragen ..............................................................297
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Lienbacher
Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Art 39 ff, 43 ff, 49 ff EG. Verfassungsrechtliche Grundlagen: Art 15 Abs 1 B-VG (Generalklausel für die Länderkompetenz in Gesetzgebung und Vollziehung); Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG (Angelegenheiten der Bundestheater mit Ausnahme der Bauangelegenheiten); Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG (Angelegenheiten der künstlerischen und wissenschaftlichen Sammlungen und Einrichtungen des Bundes); Art 11 Abs 1 Z 8 B-VG (Tierschutz, soweit er nicht nach anderen Bestimmungen in Gesetzgebung Bundessache ist, mit Ausnahme der Ausübung der Jagd oder der Fischerei); Art 15 Abs 3 B-VG (Sonderregelung bezüglich der Überwachung von und Mitwirkung an der Verleihung von Berechtigungen zu öffentlichen Veranstaltungen); Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG (örtliche Veranstaltungspolizei); Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG (Abgrenzung zum Vereins- und Versammlungsrecht); Art 14 B-VG (Abgrenzung zu Schulveranstaltungen); Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG (Abgrenzungen zum Gewerberechtskompetenztatbestand); Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG (Abgrenzung zu Glücksspielen im Sinne des Glückspielmonopols); Art 15 StGG (religiöse Veranstaltungen); Art 17 StGG (Wissenschaftsfreiheit); Art 17a StGG (Kunstfreiheit); Art 6 StGG (Erwerbsfreiheit); Art 12 StGG, Art 11 EMRK (Vereins- und Versammlungsfreiheit); Art 8 EMRK (Recht auf Privatsphäre). Einfachgesetzliche Grundlagen: Zum einfachgesetzlichen Rechtsbestand im Veranstaltungswesen gehört zunächst in jedem Bundesland ein Veranstaltungsgesetz. Zusätzlich wurden aber in unterschiedlicher Weise eine Vielzahl von Nebengesetzen erlassen, die jeweils bestimmte Veranstaltungstypen bzw bestimmte veranstaltungsrechtliche Problemlagen einer gesonderten gesetzlichen Ordnung zuführen. In der Vielfalt gesetzlicher Regelungen kommt die Vielfalt dieser Verwaltungsmaterie zum Ausdruck. Auf Bundesebene existieren auf Grund der kompetenzrechtlichen Ausnahmeregelungen ebenfalls gesetzliche Vorschriften. Neben diesen einfachgesetzlichen Grundlagen, die entweder allgemein Veranstaltungen oder gesondert bestimmte Veranstaltungstypen zum Gegenstand haben, regeln eine Reihe von Gesetzen, die zwar in der Hauptsache ganz andere Regelungsgegenstände aufweisen, auch Rechtsfragen des Veranstaltungswesens. Dies lässt sich zB anhand von Polizeistrafgesetzen oder Jugendschutzgesetzen, aber auch anhand des Sicherheitspolizeigesetzes zeigen. Zuletzt sind auch noch einfache Gesetze zu nennen, die unter einem speziellen Gesichtspunkt an die Durchführung von Veranstaltungen anknüpfen, wie zB die VergnügungssteuerG. Hier sollen nur solche Rechtsvorschriften angeführt werden, die sich auf Veranstaltungen unmittelbar beziehen und nicht diejenigen, die an Veranstaltungen anknüpfen. Bundesrechtliche Vorschriften: BundestheatersicherheitsG, BGBl 1989/204; BundestheatersicherheitsV, BGBl 1992/683 idF BGBl II 1998/376; §§ 31 bis 31a ForschungsorganisationsG, BGBl 1981/341 idF BGBl I 2004/74 (Bundesmuseen); BundesmuseenG 2002, BGBl I 2002/14 idF BGBl I 2004/136; GlücksspielG, BGBl 1989/620 idF BGBl I 2006/145; TierschutzG, BGBl I 2004/118. Landesrechtliche Vorschriften: Veranstaltungsgesetze: Bgld VeranstaltungsG, LGBl 1994/2 idF LGBl 2001/32; Krnt VeranstaltungsG LGBl 1997/95 idF LGBl 2001/138; Nö VeranstaltungsG, LGBl 7070-3; Nö VeranstaltungsbetriebsstättenG, LGBl 8260-1; Oö VeranstaltungsG, LGBl 1992/75 idF LGBl 2005/61; Sbg VeranstaltungsG, LGBl 1997/100 idF LGBl 2005/58;
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Stmk VeranstaltungsG, LGBl 1969/192 idF LGBl 2006/148; Tir VeranstaltungsG 2003, LGBl 2003/86 idF LGBl 2004/72; Vlbg VeranstaltungsG, LGBl 1989/1 idF LGBl 2007/3; Wr VeranstaltungsG, LGBl 1971/12 idF LGBl 2006/64; Wr VeranstaltungsstättenG, LGBl 1978/4 idF LGBl 1999/19. Nebengesetze: Bgld LichtspielG 1960, LGBl 1962/1 idF LGBl 2001/32; Krnt KinoG 1962, LGBl 1963/2 idF LGBl 1993/70; Nö LichtschauspielG 1972, LGBl 7060-1; Oö KinoG, LGBl 1954/34 idF LGBl 2001/90; Stmk LichtspielG 1983, LGBl 60 idF LGBl 2001/71; Vlbg LichtspielG, LGBl 2002/56 idF LGBl 2005/27; Wr KinoG, LGBl 1955/18 idF LGBl 2005/38. Art 15a B-VG Vereinbarung über die Errichtung der gemeinsamen Filmbewertungskommission, Bgld: LGBl 1978/34 idF LGBl 1996/16; Krnt: LGBl 1978/90 idF LGBl 1991/18; NÖ: LGBl 7061-0; OÖ: LGBl 1978/48 idF LGBl 1996/8; Sbg: LGBl 1978/74 idF LGBl 1996/19; Stmk: LGBl 1979/23; Tir: LGBl 1978/44 idF LGBl 1995/50; Vlbg: LGBl 1978/26 idF LGBl 1996/6. Nö SpielautomatenG, LGBl 7071-4; Oö SpielapparateG 1999, LGBl 1999/53; Vlbg SpielapparateG, LGBl 1981/23 idF LGBl 2005/27. Gesetze über die Tätigkeit der Buchmacher und Totalisateure: Bgld: StGBl 1919/388 idF LGBl 1992/13; Krnt: LGBl 1996/68 idF LGBl 2001/63; NÖ: LGBl 7030-1; G über die Einhebung von Landeszuschlägen zu den Gebühren des Bundes von Totalisateurund Buchmacherwetten, LGBl 3650-0; Sbg: LGBl 1995/17 idF LGBl 2001/46; Stmk: LGBl 2003/79; Tir: LGBl 2002/89; Vlbg: LGBl 2003/18 idF LGBl 2005/27; W: StGBl 1919/388 idF LGBl 2001/24; ZuschlagsabgabenG zu den Bundesgebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten für Wien 1983, LGBl 1983/23. Bgld Camping- und MobilheimplatzG, LGBl 1982/44 idF LGBl 2004/14; Krnt CampingplatzG, LGBl 1970/143 idF LGBl 1999/35; Nö CampingplatzG 1999, LGBl 57501; Oö CampingplatzG, LGBl 1967/49 idF LGBl 2001/90; Sbg CampingplatzG, LGBl 1966/66 idF LGBl 2001/46; Tir CampingG, LGBl 2001/37; Vlbg CampingplatzG, LGBl 1981/34 idF LGBl 2005/27. Sbg FiakerG, LGBl 1995/68 idF LGBl 2001/46; Wr Fiaker- und PferdemietwagenG, LGBl 2000/57 idF LGBl 2004/24; Wr Fiaker- und Pferdemietwagentarif 2001, LGBl LGBl 2001/56. Zu den landesrechtlichen Regelungen betreffend die besonderen Fertigkeitsvermittlungen (Schischul- und SnowboardschulG, Berg- und SchiführerG, Tanzunterrichts- und TanzschulenG, etc), die auch im Bereich des landesrechtlichen Veranstaltungswesens anzusiedeln sind, vgl die Darstellung bei Strejcek/Tauböck, in diesem Band. Verordnungen: Bund: Tierschutz-VeranstaltungsV, BGBl II 2004/493 idF BGBl II 2006/27; TierschutzZirkusV, BGBl I 2004/489. Länder: Bgld BildvorführerprüfungsV, LGBl 1964/30; Bgld Spielapparate-PlakettenV, LGBl 1984/50; Nö Spielautomaten-AusnahmeV, LGBl 7071/2; DurchführungsV zum Oö VeranstaltungsG, LGBl 1955/15; Oö BildvorführerV, LGBl 1955/29; Oö KinobetriebsV, LGBl 1955/28 idF 2000/79; Oö Spielapparate-PlakettenV, LGBl 1992/76;
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V der Oö LReg über aggressionsfördernde Arten von Spielapparaten und -automaten, LGBl 2002/73; Sbg VeranstaltungsstättenV, LGBl 2001/10 idF LGBl 2005/34; Sbg Fiaker-PrüfungsV, LGBl 1997/36 idF LGBl 2001/111; Sbg Fiaker-Betriebsordnung (V), LGBl 1997/51 idF LGBl 2001/111; Stmk DelegierungsV, LGBl 1959/61; Stmk Spielapparate-PlakettenV, LGBl 1986/35; Tir MindestausstattungsV, LGBl 1997/16; Vlbg Spielapparate-PlakettenV, LGBl 1981/24; Vlbg SpielapparateausnahmeV, LGBl 1981/32; Vlbg SpielapparateausnahmeV, LGBl 1994/11; Vlbg CampingplatzV, LGBl 1982/23; Wr KinobetriebsstättenV, LGBl 1956/12; Wr FilmvorführerV, LGBl 1974/56 idF LGBl 1995/21; Wr Filmprädikat-AnerkennungsV, LGBl 1967/15; Wr MindestausstattungsV, LGBl 1996/25; Wr Fiaker- und Pferdemietwagen-BefähigungsprüfungsV 2001, LGBl 2001/55; Wr Fiaker- und Pferdemietwagen, Betriebsordnung (V), LGBl 2001/4 idF LGBl 2004/26; Wr Fiaker- und Pferdemietwagen-FahrdienstprüfungsV 2001, LGBl 2001/70; V der Wr LReg über die Haltung von Wildtieren in Zirkussen und Varietés, LGBl 2003/45; Wr SpielapparatebeiratsV, LGBl 2000/43.
Grundlegende Literatur: Bammer, Bundestheater und Verfassung, 1992; Binder, Tierschutzrecht, 2005; Burgstaller, Grundfragen des Glückspielstrafrechts, RZ 2004, 214; Casati, Vom Glücksspielmonopol erfasste Ausspielungen, ÖJZ 2000, 13; Deisenberger, Der Betrieb von Telefon-Mehrwertdiensten im Zuge von Fernsehgewinnspielen aus glückspielrechtlicher Sicht, MR 2003, 71; Erlacher, Glückspielrecht, 2. Auflage (1997); Färbinger, Die Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters und ihre Begrenzung, 2003; Feßl, Veranstaltungsrecht, jur Diss Wien 1993; Filzmoser, Gewerblicher Betrieb von Sportanlagen und Anwendbarkeit der Gewerbeordnung?, ÖZW 1993, 105; Filzmoser, Gewerbliche Überlassung von Sport- und Freizeitanlagen und Anwendbarkeit der GewO?, ecolex 2002, 847; Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO - Kommentar, 2. Auflage (2003); Hasberger/Busta, Internetsportwetten nach österreichischem und europäischem Recht, MRInt 2005, 49; Herbrüggen/Randl/N. Raschauer/Wessely, Österreichisches Tierschutzrecht I2, 2006; Irresberger/Obenaus/Eberhard, Tierschutzgesetz (2005); Kind, Unterliegen Go-Kartbahnen der Vergnügungssteuer?, ÖGZ 2000/8, 17; Krammer, Das Kinowesen, 2003; Kusco-Stadlmayer, Diplomprüfung aus Verfassungsrecht, JAP 1992/93, 226; Lebitsch, Probleme präventiver Veranstaltungspolizei im Lichte der Kunstfreiheit, ÖJZ 1984, 477; Lehner, Das Glücksspiel in Österreich - Eine steuerliche Betrachtung unter Berücksichtigung der föderalen und glücksspielrechtlichen Besonderheiten, taxlex 2006, 106; Lienbacher, Veranstaltungsrecht, in: Bachmann ua (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht6, 2006, 423; Lienbacher, Sport und Recht - Gewerberecht und Veranstaltungsrecht, in: WiR (Hrsg), Sport und Recht, 2005, 135; Mayerhofer, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst, Band IV und VI (1900); Morscher, Die Gewerbekompetenz des Bundes (1987); Pernthaler/Lukasser/Rath-Kathrein, Gewerbe - Landwirtschaft - Veranstaltungswesen. Drei Fallstudien zur Abgrenzung der Bundes- und Landeskompetenzen im Wirtschafts- und Berufsvertretungsrecht (1996); B. Raschauer/Wessely, Besonderes Verwaltungsrecht4, 2001, 104; N. Raschauer, Entscheidungsanmerkung zu VfGH 7.12.2005, ZfV 2007, in Druck; Rosenmayr-Klemenz, Betrieb von Tennisplätzen - freies Gewerbe oder Veranstaltung?, ÖZW 1995, 72; Schwartz/Wohlfahrt, Kompetenzrechtliche Zuordnung von Gesellschaftswetten, ecolex 2002, 51; Schwartz/Wohlfahrt, Glückspielgesetz2, 2006; Stolzlechner, Straßenpolizeiliche Bewilligung (motor-) sportlicher Veranstaltungen und Umweltschutz, ZVR 1995, 162; Stolzlechner, Neuerlich: Zur straßenpolizeilichen Bewilligung (motor-) sportlicher Veranstaltungen - Eine Gegendarstellung, ZVR 1995, 322; Stolzlechner, Zur rechtlichen Behandlung von Sportanlagen (2002); Strejcek, Schischulrecht, Jur Diss Wien 1989; Strejcek/Tauböck, Privatunterrichtswesen und Fertigkeitsvermittlung, in diesem Band; Thiele, Sportwetten im Internet, RdW 2004, 140; Vögl, Kino, Film und Jugendschutz, MR 1994, 225, MR 1995, 6;
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Vögl, Wiener KinoG (I): Novelle verzweifelt gewünscht!, MR 1986/2, 8 Wiener KinoG (II): Novelle verzweifelt gewünscht!, MR 1986/3, 32, 34; Vögl, Videospiele in Wien. Zur veranstaltungs- und vergnügungssteuerrechtlichen Situation der Videospielautomaten in Wien, MR 1985/2, A 5, MR 3/85, A 25; Vögl, Künstleragenturen, Künstler und Veranstalter - Rechtsfragen der Berufsausübung, MR 1997, 173, 230; Vögl (Hrsg), Veranstaltungsrecht. Ein Leitfaden für Veranstalter in Österreich (1996); Walter, Straßenpolizeiliche Bewilligung (motor-)sportlicher Veranstaltungen und Umweltschutz Einige klarstellende Bemerkungen, ZVR 1995, 194; Walter/Mayer, Besonderes Verwaltungsrecht2 (1987) 717 ff, 722 ff, 724 ff, 727 ff, 730 ff, 736 ff, 743 ff; Wiederin, Art 15 Abs 3 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, 7. EL (2005); Zechner, Zur Aufklärung des Opernveranstalters, JBl 2005, 341; Zeilner, Sport und Recht (2003).
Grundlegende Judikatur: VfSlg 1477/1932 (Totalisateur- und Buchmacherbetriebe); VfSlg 1589/1947 (Theaterund Kinowesen);VfSlg 2527/1953 (Werbebilder für Kinovorführungen fallen in die Kompetenz des Pressewesens nach Art 10 B-VG); VfSlg 2670/1954 (erwerbsmäßige Musikausübung; Musikunterricht); VfSlg 2721/1954 (Rundfunkwesen, öffentliche Veranstaltungen, die im Rundfunk übertragen werden); VfSlg 2740/1954 (Abgrenzung Schulwesen und Veranstaltungswesen der Länder); VfSlg 4037/1961 (Kino- und Theaterwesen unterliegen dem Veranstaltungsrecht); VfSlg 4586/1963 (Vorträge: Veranstaltung - Versammlung); VfSlg 4927/1965 (Werbeverbot unter veranstaltungspolizeilichen Gesichtspunkten); VfSlg 5415/1966 (Abgrenzung örtliche und überörtliche Veranstaltungspolizei); VfSlg 5788/1977 (Verhältnis von Art 15 Abs 3 zu Art 118 Abs 7 B-VG); VfSlg 7219/1973 (Rollstuhlverbot im Theater); VfSlg 8466/1978 (Begriff der Mitwirkung in Art 15 Abs 3 b-VG); 12996/1992 (Diskotheken); VfSlg 17245/2004 (Bauernund Flohmärkte sind keine Veranstaltungen, sondern fallen in die Gewerberechtskompetenz); VwSlg 4862 A/1959 (Unterhaltungsspielautomaten); VwSlg 11.336 A/1984 (Parteistellung der Nachbarn); VwSlg 12.503 A/1987 ( Tennisplatzbetrieb); VwGH 12.12.1989, 88/04/0140 (Spielapparate); VwGH 27.5.1993, 92/01/0900 (Abgrenzung Veranstaltung örtlicher und überörtlicher Bedeutung); VwGH 29.8.1993, 93/02/0140 (Unterhaltungsspielautomat „Novo-Darts“); VwGH 29. 9. 1993, 93/02/0094 (erwerbsmäßige Veranstaltung); VwSlg 14275 A/1995 (der Golfplatzbetrieb unterliegt wie der Betrieb anderer Sportanlagen auch dem Veranstaltungswesen); VwSlg 15631 A/2001 (Tennisplätze unterliegen dem Veranstaltungsrecht); VwSlg 15571 A/2001 (das Veranstaltungsrecht umfasst auch Sportanlagen).
I. Grundlagen A. Begriff und geschichtliche Entwicklung Der Begriff der Veranstaltung bzw des Veranstaltungswesens ist vielschichtig und schwer fass- bzw abgrenzbar. Er enthält eine Vielfalt von öffentlichen bzw öffentlich zugänglichen Darbietungen, die unter (verfassungs)rechtlichen Gesichtspunkten ganz unterschiedlich eingeordnet werden. Dieser Umstand löst bei einer rechtlichen Betrachtungsweise gleichsam ein babylonisches Sprachen- bzw Begriffsgewirr aus, das es zu entflechten gilt, weil sich an die verschiedenen Einordnungen jeweils unterschiedliche Rechtsfragen und Rechtsfolgen knüpfen. Von Veranstaltungen wird gesprochen, wenn man Theater und Schauspiel meint, von Veranstaltungen ist im Zusammenhang mit sportlichen „Events“ die Rede, im Be-
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reich des Vereins- und Versammlungsrechts wird von Veranstaltungen gesprochen, im Bereich des Gewerberechts begegnen wesentliche Merkmale, die Veranstaltungen charakterisieren, in vielen Kompetenztatbeständen finden sich Elemente, die eine Veranstaltung ausmachen.
Der kompetenzrechtlichen Abgrenzung kommt daher sowohl bei einem weit gefassten Veranstaltungsbegriff als auch bei der Klärung der Frage, was denn nun das landeskompetenzielle Veranstaltungsrecht ausmacht, große Bedeutung zu. Vom Begriff her lassen sich Veranstaltungen sowohl im bundeskompetenziellen wie auch im landeskompetenziellen Bereich finden. Im landeskompetenziellen Bereich wiederum gibt es Veranstaltungen, die als solche bezeichnet werden und solche, die völlig andere Bezeichnungen erhalten haben, letztlich aber auch dem Veranstaltungswesen auf Landesebene zuzurechnen sind. Um eine Entwirrung dieser Begrifflichkeiten herbeizuführen und klarzustellen, unter welchen Bedingungen welcher „Veranstaltungsbegriff“ gemeint, und wer zur gesetzlichen Regelung und zur Vollziehung jeweils zuständig ist, ist zunächst zu klären, welche allgemeinen Merkmale eine Veranstaltung typischer Weise ausmachen. In einem weiteren Schritt ist die unterschiedliche rechtliche Einordnung zu betrachten, die vielfach einzig und allein unter historischen Gesichtspunkten erklärbar ist.
Diese unterschiedlichen rechtlichen Einordnungen bewirken, dass ein allgemeiner, umfassender Veranstaltungsbegriff, wie er hier zunächst zugrunde gelegt wird, eine vielschichtige Aufspaltung erfährt, sodass deutlich gemacht werden muss, von welcher „Veranstaltung“ die Rede ist. Ist dies die „Veranstaltung“ im weiteren Sinn, die noch keine rechtliche Zuordnung bedeutet und daher auch keine spezifischen Rechtsfolgen nach sich zieht, oder handelt es sich dabei um eine „Veranstaltung“, die spezifischen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegt, also um eine Begriffsverwendung in einem spezifisch rechtlichen Sinn, die sich sowohl in ihrer kompetenzrechtlichen Einordnung, als auch in der einfachgesetzlichen Ausgestaltung niederschlägt.
Um diese Fragen zu beantworten, ist zunächst auf die Wurzeln, dh auf die inhaltlichen Charakteristika einzugehen, die den Veranstaltungsbegriff seit jeher ausgemacht haben. Sie ergeben sich aus dem sehr früh aufgetretenen Bedürfnis, Regelungsbereiche, die nicht vom Gewerberecht erfasst werden, abzugrenzen. Im Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst von Mayerhofer finden sich drei Regelungsbereiche, die die materielle Grundlage für den hier zu untersuchenden Veranstaltungsbegriff bilden. Es sind dies „theaterpolizeiliche Vorschriften“, „Polizeivorschriften betr. Öffentliche Productionen und Schaustellungen“ und „Polizeivorschriften betr öffentliche Belustigungen“.1
Wesentliches inhaltliches Merkmal ist, dass es sich um öffentliche Belustigungen und Schaustellungen handelt. Darunter wurden alle möglichen Veranstaltungen verstanden, die in der Monarchie teilweise durch verschiedene Hofkanzleidekrete besondere Regelungen erfuhren, und die durch die Abgrenzung zur damals geltenden Gewerbeordnung gekennzeichnet waren. Es handelte sich dabei um Darbietungen „herumziehender Schauspielertruppen, Seiltänzer, gymnastischer Künstler, Menageriebesitzer, Musikanten, Drehorgelspieler, Kunstreiter, Bärenführer, Taschenspieler“ usw, die Präsentation von „Guckkästen, Marionettentheatern, Wachsfigurenkabinetten, Zimmerschießstät1
Vgl dazu Mayerhofer, Handbuch VI, 812 FN 3; vgl auch die Darstellung bei Pernthaler/Lukasser, in: Pernthaler/Lukasser/Rath-Kathrein, Fallstudien 59.
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ten, Abnormitäten und Curiositäten aller Art“, die Abhaltung von öffentlichen Bällen und „anderen öffentlichen Belustigungen“ wie „Concerten oder anderen Musikproduktionen“, Schaustellungen udgl, den Betrieb von Singspielhallen, „Volkssängervorstellungen“, Vorträge und Vorlesungen.2
Für das geltende Recht bedeutet dies, dass unter dem Begriff „Veranstaltung“ im weiteren Sinn alle möglichen öffentlichen Darbietungen fallen, die aber sowohl kompetenzrechtlich als auch auf einfachgesetzlicher Ebene ganz unterschiedliche rechtliche Ausgestaltungen erfahren. Im Wesentlichen ist all den Veranstaltungen, ohne ihre konkrete rechtliche Einordnung als Anknüpfungspunkt heranzuziehen, gemeinsam, dass es sich um öffentliche Schaustellungen bzw Darbietungen handelt, die der Belustigung, Unterhaltung bzw persönlichen Erbauung oder Information der Teilnehmer dienen, gleichgültig, ob sie entgeltlich oder unentgeltlich durchgeführt werden.3 Unter diesem allgemeinen Begriff ist die Vorstellung im Burgtheater genauso zu verstehen, wie die Kinovorführung, die Lehrveranstaltung an einer Universität, Schulveranstaltungen, Versammlungen nach dem VersammlungsG, Märkte und Messen nach der Gewerbeordnung, der Trachtenball in einer Landgemeinde, das Kirchenchorkonzert, große Konzerte oder Opernvorführungen bei den Salzburger Festspielen, Fußballspiele, Schirennen und sonstige sportliche Veranstaltungen aller Größenordnungen, der Betrieb von Tennisplätzen, Buchmacherwetten und Totalisateurwetten, öffentliche Diavorträge, Prater, Rummelplätze, Ausstellungen, Zirkus, Spielapparate, Glücksspiel, aber auch religiöse Veranstaltungen, wie Gottesdienste.
Diese Aufzählung zeigt deutlich, dass Veranstaltungen unterschiedlichen rechtlichen Regelungsbereichen unterliegen und verschiedenen Zuständigkeiten folgen. Gemeinsam sind diesen Regelungsbereichen neben den schon genannten Definitionskriterien, Gefährdungen aller Art zu vermeiden, welche durch solche Veranstaltungen hervorgerufen werden können. Unzumutbare Beeinträchtigungen Dritter, sei es durch die Veranstaltung selbst, sei es durch die dafür nötigen Ausstattungen wie zB durch Veranstaltungsstätten etc sollen verhindert werden. Bei der Erfassung der vielfältigen rechtlichen Vorschriften gilt es zunächst auf verfassungsrechtlicher Ebene und dabei insbesondere auf kompetenzrechtlicher Ebene, das den Ländern zufallende Veranstaltungswesen von den Bundeskompetenztatbeständen zu trennen. Sie enthalten ebenfalls Veranstaltungen im eben definierten Sinn. Grenzziehungen lassen sich vielfach überwiegend historisch und weniger inhaltlich begründen. Auf einfachgesetzlicher Ebene im Bereich der Länder sind die allgemeinen und die oft unter besonderen systematischen Gesichtspunkten „ausgelagerten“ rechtlichen Bestimmungen für bestimmte Veranstaltungsbereiche einer entsprechenden Betrachtung zu unterziehen. Innerhalb der jeweiligen Regelungsbereiche selbst wird sich die Darstellung nach der vom Gesetzgeber beabsichtigten Erfassung der Gefährdungspotenziale richten.
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Vgl dazu Mayerhofer, Handbuch IV, 1348 ff; vgl vor allem auch die Darstellung bei Pernthaler/Lukasser, FN 1, 59. Vgl dazu auch B. Raschauer/Wessely, Besonderes Verwaltungsrecht4, 105.
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B. Kompetenzrechtliche Einordnung Wie bei der Darstellung des Umfangs des Veranstaltungsbegriffs gezeigt, wird das Veranstaltungswesen in seiner Vielschichtigkeit von einer Mehrzahl von Kompetenztatbeständen erfasst. Wird vom Veranstaltungswesen unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten gesprochen, ist damit meist die den Ländern nach Art 15 Abs 1 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung zufallende Kompetenz gemeint. Auch diese ist von ihrem Inhalt her häufig wenig konturiert und abgrenzungsbedürftig. Dies insbesondere auch deshalb, weil Art 15 Abs 3 B-VG daran für die Landesgesetzgeber die Übertragungspflicht an die Bundespolizeibehörden knüpft. Eine weitere Anknüpfung enthält Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG, wonach die örtliche Veranstaltungspolizei von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen ist. Im bundeskompetenziellen Bereich finden sich eine Reihe von Anknüpfungspunkten, die einerseits der Vollständigkeit halber erwähnt, andererseits zur Abklärung von Abgrenzungsfragen und damit auch zur Inhaltsbestimmung der Landeskompetenzen angesprochen werden müssen.
1. Abgrenzung zu Bundeskompetenztatbeständen a) Bundestheaterkompetenz (Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG) Die Angelegenheiten der Bundestheater mit Ausnahme der Bauangelegenheiten sind gemäß Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung. Sie folgen als partikulärer Bereich einem anderen kompetenzrechtlichen Regime.4 Mit der B-VG Nov 1984 wurde den Ländern die Kompetenz zur Gesetzgebung und Vollziehung in Bauangelegenheiten der Bundestheater übertragen.5 Feuer- und theaterpolizeiliche Angelegenheiten der Bundestheater sind aber in der Bundeskompetenz verblieben.6 Gemäß § 1 Abs 2 BundestheatersicherheitsG7 sind Bundestheater das Burgtheater, die Staatsoper und die Volksoper sowie alle sonstigen von diesen Theatern betriebenen Spiel-, Probe- und Betriebsstätten. b) Veranstaltungen im Bereich der Angelegenheiten der künstlerischen und wissenschaftlichen Sammlungen und Einrichtungen des Bundes Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG erfasst Institutionen des Bundes, die der Pflege der Kunst und Wissenschaft und der Erhaltung künstlerischer und wissenschaftlicher Werte dienen. Darunter sind auch die Bundesmuseen und die Nationalbibliothek zu subsumieren. Führt man sich vor Augen, dass die Aufgaben der Bundesmuseen unter anderem auch im Erschließen durch Darbietung ausgewählter Objekte der Sammlungen für die Öffentlichkeit durch ständige Schausammlungen sowie fallweise zusätzliche Ausstellungen gem § 31 Abs 2 Z 3 lit a ForschungsorganisationsG8 bestehen, wird auch hier die Herausnahme eines Bereiches aus dem Veranstaltungskompetenzbereich der Länder 4 5 6 7 8
Vgl dazu Bammer, Bundestheater und Verfassung 141 ff. Vgl dazu die B-VG-Nov 1984, BGBl 490 und RV 446 BlgNR XVI. GP. Vgl dazu RV 446 BlgNR XVI. GP, 5; Mayer, B-VG3, 53 und ausführlich mit allen weiteren Nachweisen Bammer, FN 4, 221 ff. BGBl 1989/204. BGBl 1981/341 idF BGBl I 2004/47.
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deutlich, der dem Bund in Gesetzgebung und Vollziehung zufällt.9 Die Bestimmung des § 2 Abs 1 Bundesmuseen-G 2002 unterstreicht dies. Danach sind die Bundesmuseen ua dazu bestimmt, das anvertraute Sammelgut derart der Öffentlichkeit zu präsentieren, dass durch die Aufbereitung Verständnis für Entwicklungen und Zusammenhänge zwischen Gesellschafts-, Kunst-, Technik-, Natur- und Wissenschaftsphänomenen geweckt wird.
c) Veranstaltungen im Bereich der Bildungskompetenzen Auch öffentliche Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit bzw im Bereich der besonderen „Bildungskompetenzen“ stattfinden, sind von den in die Landeskompetenz fallenden Veranstaltungen abzugrenzen. Das betrifft Schulveranstaltungen und Veranstaltungen im Bereich des Universitäts- und Hochschulwesens. „Schulwesen“ in Art 14 Abs 1 B-VG, unter dem auch das Universitäts- und Hochschulwesen zu verstehen ist,10 erfasst alle Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit den einzelnen Elementen dieses Kompetenztatbestandes stattfinden und weist sie im Wesentlichen dem Bund in Gesetzgebung und Vollziehung zu. Dabei ist es gleichgültig, ob dies wissenschaftliche Vorträge an Universitäten, Lehrveranstaltungen aller Art an Universitäten und Hochschulen, der Schulunterricht oder sonstige Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Schulwesen sind.11 Dass einzelne Elemente von Schulveranstaltungen wie zB die Unterrichtszeit eine besondere kompetenzrechtliche Regelung erfahren, ist anzumerken. Auf die kasuistische Ausgestaltung der Schulkompetenzen in Art 14 B-VG sei hingewiesen. Vorträge oder andere Veranstaltungen, die mit diesen Bildungskompetenzen nicht in Zusammenhang stehen, wie zB politische Veranstaltungen auf universitärem Boden, fallen aber aus diesem Bundeskompetenztatbestand heraus und sind Bestandteil des landeskompetenziellen Veranstaltungsbegriffs, soweit sie nicht einen Bestandteil eines anderen Bundeskompetenztatbestandes, wie zB des Versammlungsrechts bilden. Nach der Judikatur des VfGH verfolgt die Erteilung des Musikunterrichtes - sehr zum Unterschied von den lediglich der Förderung des gesellschaftlichen Lebens dienenden Tanzschulen oder den der bloßen sportlichen Ertüchtigung dienenden Skischulen und sportlichen Lehranstalten aller anderen Arten - auch sehr wesentliche pädagogische und volkserzieherische Ziele und muss daher geradezu begriffsnotwendig unter den im Art 14 B-VG geprägten Begriff „Schulwesen“ subsumiert werden.12 Der häusliche Unterricht unterliegt gemäß Art 17 StGG keinerlei Beschränkungen. Auch im Bereich der Musikpflege darf daher der häusliche Unterricht weder durch ein
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Zu den Bundesmuseen gehören nach § 1 des Bundesmuseen-G 2002, BGBl I 2002/14 idF BGBl I 2004/136 die Albertina, das Kunsthistorische Museum mit Museum für Völkerkunde und Österreichischem Theatermuseum, die Österreichische Galerie Belvedere, das Österreichische Museum für angewandte Kunst, das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, das Naturhistorische Museum, das Technische Museum Wien mit Österreichischer Mediathek und die Österreichische Nationalbibliothek. Vgl dazu zB VwGH 20.12.1982, 82/17/0032; 29.11.1993, 93/12/0251; Mayer, B-VG3, 80. Vgl zum Kompetenztatbestand „Schulwesen“ die Ausführungen und näheren Nachweise bei Strejcek/Tauböck, Privatunterrichtswesen und Fertigkeitsvermittlung, in diesem Band. Vgl VfSlg 2740/1954.
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Bundesgesetz noch durch ein Landesgesetz irgendwelchen Beschränkungen unterworfen werden.13
d) Vereins- und Versammlungsrecht (Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG) In der Abgrenzung gegenüber dem Versammlungsrecht, das gemäß Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung in die Bundeskompetenz fällt, ist der Umstand von Bedeutung, dass gemäß Art 12 StGG (Art 11 EMRK) jedem das Recht gewährleistet ist, „sich zu versammeln“. Nach der Judikatur des VfGH hat der Gesetzgeber des Jahres 1867 bei der Erlassung des VersammlungsG unter „Versammlung“ eine Vereinigung derjenigen Personen verstanden, die zusammen kommen, um als solche gemeinsam zu wirken. Die Tätigkeit einer Versammlung iS des VersammlungsG sei dieser selbst zuzurechnen.14 Die Bundeskompetenz im Bereich des Versammlungsrechts gemäß Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG grenzt die Landeskompetenzen im Veranstaltungsrecht ein. Sie erfasst alle organisierten, vorübergehenden Zusammenkünfte mehrerer Menschen, an einem bestimmten Ort, die mit der Absicht auftreten, eine kollektive Meinung zu bilden und sie nach außen zu bekunden. Nicht unter den Versammlungsbegriff fallen Veranstaltungen gemäß § 5 VersammlungsG, nämlich öffentliche Belustigungen, Hochzeitszüge, volksgebräuchliche Feste oder Aufzüge, Leichenbegängnisse, Prozessionen, Wallfahrten und sonstige Versammlungen oder Aufzüge zur Ausübung eines gesetzlich gestatteten Kultus, wenn sie in der hergebrachten Art stattfinden. Art 15 B-VG erwähnt öffentliche Schaustellungen, Darbietungen und Belustigungen (Art 15 Abs 3 B-VG). Ebenso fallen private Partys (Art 8 EMRK), Sonnwendfeiern, Werbeveranstaltungen, das Aufstellen von Informationstischen und Vortragsveranstaltungen nicht unter den Versammlungsbegriff, solange nicht ein politisches Wirken beabsichtigt ist.15 Wohl aber sind Demonstrationen, Zusammenkünfte, um eine Resolution zu beschließen, Zusammenkünfte, um in Sprechchören zu rufen, um Kampflieder zu singen, um Hausbesetzungen, Baustellenbesetzungen, Autobahnblockaden durchzuführen, unter den Versammlungsbegriff zu subsumieren. Sie gehören damit in den Gesetzgebungs- und Vollziehungsbereich des Bundes.16 Der Versammlungsbegriff schließt vor allem auch (partei)politische Veranstaltungen, welche die genannten Kriterien erfüllen, ein, wobei zB Wahlveranstaltungen nach § 4 VersammlungsG eine Privilegierung erfahren. Veranstaltungen im Bereich des Vereinsrechtes wie zB Vereinsversammlungen, dh solche, die im Wesentlichen zum Vereinsleben gehören und auf Vereinsmitglieder beschränkt sind, sind Bestandteil der Vereinsrechtskompetenz des Bundes und daher nicht in der Veranstaltungsrechtskompetenz der Länder enthalten. Gemäß § 10 VereinsG 2002 gelten für sie die Bestimmungen des VersammlungsG mit der Maßgabe, dass die Mitglieder des Vereines als geladene Gäste (§ 2 des VersammlungsG 1953) anzusehen sind und dass eine öffentliche Vereinsversammlung, wenn ihr Gegenstand dem statutenmäßigen Wirkungskreis des Vereines entspricht, nicht untersagt werden kann. In Abgrenzung zum Veranstaltungsrecht kommen daher für von Vereinen organisierten Zusammenkünften zwei wesentliche Merkmale, nämlich die auf Mitglieder des 13 14 15 16
Vgl VfSlg 2740/1954. Vgl dazu auch VfSlg 4586/1963. Vgl dazu allgemein B. Raschauer/Wessely, Besonderes Verwaltungsrecht4, 100 f; VfSlg 4586/1963; 10.443/1985, 10.608/1985, 11.651/1988. Vgl dazu allgemein B. Raschauer/Wessely, Besonderes Verwaltungsrecht4, 100 f; VfSlg 8685/1979, 9783/1983, 10.443/1985, 12.257/1990, 14.367/1995.
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Vereins beschränkte Ladung einerseits und die auf den statutenmäßigen Wirkungskreis des Vereins beschränkten öffentlichen Zusammenkünfte andererseits zum Tragen. In beiden Fällen unterliegen solche Zusammenkünfte nicht der Veranstaltungskompetenz der Länder, sondern den Bestimmungen des VersammlungsG (insb § 2). Sie dürfen aber nicht mit Veranstaltungen verwechselt werden, die von Vereinen organisiert und durchgeführt werden und öffentlich zugänglich sind und nicht mit dem unmittelbaren statutenmäßigen Wirkungskreis des Vereins in Verbindung stehen (zB das von einem als Verein organisierten Chor veranstaltete Konzert). Solche Veranstaltungen unterliegen freilich der Veranstaltungsrechtskompetenz der Länder. Nach außen hin zur Abgrenzung maßgebend ist dabei hauptsächlich, sieht man von der „öffentlichen Vereinsversammlung“ ab, die Frage der Zugänglichkeit. Veranstaltungen, die allgemein zugänglich sind, fallen nicht in den Bereich der Vereinsveranstaltungen, die mit dem Kompetenztatbestand „Vereinsrecht“ in Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG erfasst werden. Nicht jede öffentliche Veranstaltung eines Vereins ist aber eine Veranstaltung im Sinn der Veranstaltungskompetenz der Länder. Ein von einem Verein veranstalteter allgemein zugänglicher Vortrag, der nicht bloß der Information oder Belehrung von Zuhörern dient, sondern veranstaltet wird, um die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (zB zu einer Debatte, zu einer Manifestation) zu bringen, so dass eine Assoziation der Zusammengekommenen entsteht, fällt unter das VersammlungsG, wie dies oben schon beschrieben wurde.17 Die Tätigkeit einer Vereinsversammlung ist nicht der Versammlung, sondern dem Verein zuzurechnen. Diese Vereinstätigkeit wird formell und materiell durch das VereinsG und die Statuten des Vereines bestimmt. Auch im Rahmen von Vereinsversammlungen, die nicht dem VersammlungsG, sondern nur dem VereinsG unterliegen, können Vorträge veranstaltet werden. Sie sind aber durch die beschränkte Zugänglichkeit gekennzeichnet. Vorträge und andere Veranstaltungen, die nicht im Rahmen von Vereinsversammlungen veranstaltet werden und die nicht unter das VersammlungsG fallen, sind nach der Judikatur des VfGH - soweit sich nicht aus den einschlägigen Gesetzen anderes ergibt - dem Begriff der „Darbietungen“, wie er im Art 15 Abs 3 B-VG gebraucht wird, zu unterstellen.18
e) Abgrenzung zum Gewerberechtstatbestand Der Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ in Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG wirft eine Reihe von weiteren Abgrenzungsfragen auf, weil nach dem einleitend aufgezeigten Begriffsbild von Veranstaltungen, viele auch geeignet sind, die allgemeinen Tatbestandsmerkmale für Gewerbe, nämlich die gewerbliche Ausübung gemäß § 1 GewO zu erfüllen. Eine Abgrenzung zu den von Art 15 B-VG erfassten Veranstaltungen, die gewerbsmäßig ausgeübt werden, gelingt auf kompetenzrechtlicher Ebene nicht nach inhaltlichen Kriterien, sondern hauptsächlich durch konsequente Anwendung des „Versteinerungsprinzips“. 17 18
Vgl dazu VfSlg 4586/1963. Vgl dazu VfSlg 4586/1963. Der VfGH verweist in diesem Erk zur Abgrenzung auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung Slg 1950/1912, wonach solche Veranstaltungen auch schon vor der Geltung des B-VG - und zwar bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des VereinsG 1951 und des VersammlungsG - unter die Vorschriften betreffend die „Produktionen“ subsumiert worden sind. Im oben beschriebenen Sinne meinte der VfGH, ein Verein dürfe solche Vorträge als Darbietungen allerdings nur nach Maßgabe seines Statuts veranstalten; er müsse außerdem dabei die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, die auch jeden anderen Veranstalter treffen, beachten und die danach erforderlichen Anzeigen erstatten bzw behördlichen Bewilligungen einholen.
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Danach bestimmt sich der Umfang der in die Gewerberechtskompetenz fallenden Angelegenheiten danach, ob sie vom Bundesverfassungsgesetzgeber zum Zeitpunkt der Schaffung des genannten Kompetenztatbestandes von diesem als mitumfasst angesehen wurden. Dabei wird auf die zu diesem Zeitpunkt geltende einfachgesetzliche Rechtslage abgestellt, auf die der Bundesverfassungsgesetzgeber aufgesetzt hat.19 Im konkreten Zusammenhang sind dafür die Ausnahmeregelungen der GewO aus dem Jahre 1859, wie sie zum Zeitpunkt der Schaffung des genannten Kompetenztatbestandes gegolten haben, zur Abgrenzung heranzuziehen. Maßgeblich sind das Kundmachungspatent zur Gewerbeordnung 1859 und die GewO 1859 selbst.20 Dabei spielt vor allem Art V des Kundmachungspatents, der eine Reihe von Ausnahmereglungen vorsieht, in der Judikatur des VfGH bezüglich der Abgrenzungsfragen eine kompetenzrechtlich herausragende Rolle. Nach dieser Rechtsprechung kann der Bund für die durch diese Bestimmung vom Gewerberecht des Jahres 1925 ausgenommenen Betätigungen dem Versteinerungsprinzip entsprechend nicht gemäß Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG zuständig sein.21 Nach Art V lit o des Kundmachungspatentes sind Unternehmungen öffentlicher Belustigungen und Schaustellungen aller Art von der Anwendbarkeit der GewO 1859 ausgenommen. Die Frage nach dem Inhalt dieser Begrifflichkeiten wurde unter historischen Gesichtspunkten schon oben unter der Frage der Begriffsbestimmung erörtert.22 Die in diesem Bereich geltenden „theaterpolizeiliche Vorschriften“, „Polizeivorschriften betr. Öffentliche Productionen und Schaustellungen“ und „Polizeivorschriften betr. öffentliche Belustigungen“ haben eine Vielzahl von Veranstaltungen umfasst, wie sie teilweise auch durch verschiedene Hofkanzleidekrete geregelt waren. Es handelte sich dabei um Darbietungen „herumziehender Schauspielertruppen, Seiltänzer, gymnastischer Künstler, Menageriebesitzer, Musikanten, Drehorgelspieler, Kunstreiter, Bärenführer, Taschenspieler“ usw, die Präsentation von „Guckkästen, Marionettentheatern, Wachsfigurenkabinetten, Zimmerschießstätten, Abnormitäten und Curiositäten aller Art“, die Abhaltung von öffentlichen Bällen und „anderen öffentlichen Belustigungen“ wie „Concerten oder anderen Musikproduktionen“, Schaustellungen udgl, den Betrieb von Singspielhallen, „Volkssängervorstellungen“, Vorträge und Vorlesungen. Den Polizeivorschriften betreffend öffentliche Belustigungen unterlagen ua Tanzunterhaltungen und Bälle, Kinder- und Schulfeste, Nachtmusiken, die „Abhaltung sogenannter Ständchen“ das Halten von Eislaufplätzen sowie die Erteilung von Tanzunterricht, wobei die diesbezüglichen polizeilichen Vorschriften auch noch zum Versteinerungszeitpunkt außerhalb der GewO galten.23
Ein Blick auf die Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zu diesen Abgrenzungsfragen ergänzt mehr oder weniger das unter Versteinerungsgesichtspunkten gewonnene Bild. Eislaufplätze wurden schon zum Zeitpunkt der Schaffung der Gewerberechtskompetenz unter Versteinerungsgesichtspunkten
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Vgl dazu zB VfSlg 2500/1953, 3640/1959, 4227/1962, 5024/1965, 10.050/1984, 11.503/1987, wonach unter Art 10 Abs 1 Z 8 erster Satzteil B-VG alle Vorschriften fallen, die nach dem Stand und der Systematik der einfachrechtlichen Gesetzgebung am 1.10.1925 als gewerberechtliche Vorschriften anzusehen waren. Vgl dazu auch Pernthaler/Lukasser, FN 1, 54 mit vielen weiteren Nachweisen. Kaiserliches Patent vom 20. Dezember 1859, RGBl 1859/227, das sogenannte Kundmachungspatent zur GewO 1959; Gewerbeordnung vom 20.12.1859, RGBl 227. Vgl VfSlg 1477/1932, 1642/1948, 2670/1954, 7074/1973, 8539/1979; Pernthaler/ Lukasser, FN 1, 56. Vgl dazu I.A. und die Nachweise in den FN 1und 2. Vgl dazu die ausführliche Darstellung mit allen weiteren Nachweisen bei Pernthaler/Lukasser, FN 1, 59 f.
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dem Veranstaltungswesen zugerechtet. Deshalb lassen sich im Gefolge unter intrasystematischen Fortentwicklungsgesichtspunkten auch Tennisplätze (ohne Gastgewerbebetrieb) als Unternehmung einer öffentlichen Belustigung und damit als Veranstaltung gemäß Art 15 Abs 1 B-VG begreifen. Wesentlich ist dabei, dass vom Unternehmer eine Anlage zur Verfügung gestellt wird, welche die Kunden zu ihrer Belustigung nutzen, wobei sie selbst aktiv werden.24 Das gilt auch für Sommerrodelbahnen, Modellflugzeugplätze, Minigolfanlagen, Golfplätze und andere Sportstätten, die zwar zum Zeitpunkt des Entstehens des Gewerberechtskompetenztatbestandes noch nicht bekannt waren, sich aber unter den Gesichtspunkten der intrasystematischen Fortentwicklung in die oben umschriebene Veranstaltung einer öffentlichen Belustigung einfügen.25 Werden solche Unternehmungen aber in betriebsorganisatorischer Einheit mit einem Gastgewerbe betrieben, so steht es dem Bundesgesetzgeber frei, gewerberechtliche Regelungen für den Gastgewerbebetrieb zu erlassen.26 Dies ändert aber nichts daran, dass die Bestimmungen zur Abwehr spezifischer Gefahren, welche die Errichtung oder den Betrieb derartiger Anlagen (Eislaufplätze, Tennisplätze etc) betreffen, in den Bereich des Veranstaltungswesens und somit in die Regelungskompetenz der Länder fallen, auch wenn einer solchen Anlage ein Gastgewerbebetrieb angeschlossen ist.
Ebenso unterliegen nach der Judikatur des VfGH musikalische Darbietungen jeder Art nicht dem Tatbestand „Gewerbe“.27 Die Gesetzgebung in
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Der VwGH gelangte in seiner Rechtsprechung zur Erkenntnis, dass der Betrieb von Tennisplätzen eine vom Anwendungsbereich des Art 15 Abs 3 B-VG erfasste Angelegenheit sei (vgl zB VwSlg 12.503A/1987). Vgl dazu kritisch Filzmoser, ÖZW 1993, 105 ff; Filzmoser, ecolex 2002, 847 ff; Rosenmayr-Klemenz, ÖZW 1995, 72 ff; vgl allgemein dazu im hier dargestellten Sinne mwN Pernthaler/Lukasser, FN 1, 62 f. IdS Pernthaler/Lukasser, FN 1, 66 f; vgl auch Lienbacher in WiR (Hrsg), Sport und Recht, 138 f, 141 mN. Vgl dazu auch VwGH 1.7.1987, 85/01/0290. Vgl VfSlg 12.996/1992, wo der VfGH dies in der vergleichbaren Konstellation mit der Veranstaltung musikalischer Darbietungen in einem Gastgewerbebetrieb (Diskothek) festhielt. Vgl dazu zB VfSlg 2740/1954 und VfSlg 12.996/1992. In diesen Erkenntnissen hat der VfGH deutlich festgehalten, dass unter den Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ in Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG alle Vorschriften fallen, die nach dem Stand und der Systematik der einfachen Gesetze am 1.10.1925 als gewerberechtliche Vorschriften anzusehen waren. Er hat dabei auch auf VfSlg 10.831/1986 und die dort angeführten Zitate seiner Vorjudikatur hingewiesen. Dazu hat er verdeutlichend festgehalten, dass im Jahre 1925 zwar Gastgewerbebetriebe, in denen Klavierspieler musiziert haben, unbestrittenermaßen der Gewerbeordnung unterlagen, dass aber andererseits die Veranstaltung öffentlicher Belustigungen durch Art V KP GewO 1859 vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen war. Für solche Veranstaltungen habe es zum Zeitpunkt der Erlassung der GewO 1859 auch besondere polizeiliche Vorschriften gegeben. Aus dieser rechtlichen Situation zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzbestimmungen des B-VG am 1.10.1925 folge, „daß bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der GewO musikalische Produktionen jeder Art nicht als Gewerbe, sondern als vom Standpunkt der Verwaltungspolizei zu behandelnde Angelegenheiten betrachtet und behandelt wurden“. Das bedeute nun freilich nicht, dass eine musikalische Darbietung im Rahmen eines Gastgewerbebetriebs (etwa durch einen Barmusiker oder eine Fünf-Uhr-Tee-Kapelle) geeignet sei, dem Betrieb insoweit die Gastgewerbeeigenschaft zu nehmen. Bloß die - auch gewerbsmäßige - musikalische Darbietung als solche sei vom Regelungsbereich des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG ausgenommen. Werden aber musikalische Darbietungen in einem Gewerbebetrieb veranstaltet, so stehe es dem Bundesgesetzgeber frei, gewer-
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Bezug auf Musik- und Tanzveranstaltungen fällt als Teilbereich des Veranstaltungswesens in die Kompetenz der Länder. Auch die kompetenzrechtliche Beurteilung und Abgrenzung zum Gewerbekompetenztatbestand in Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG betreffend Pferdeschlittenfahrten, Traktorzüge, Straßen- oder Eisenbahnzüge oder anderer Beförderungseinrichtungen richtet sich danach, ob der Transportaspekt im Sinne von Überwindung räumlicher Distanzen durch ein Verkehrsmittel oder der Vergnügungsaspekt im Vordergrund steht. Dienen sie vorwiegend der Vergnügung und Belustigung von Personen, so sind sie dem Zuständigkeitsbereich der Länder zuzuordnen.28 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Fahrt selbst die
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berechtliche Regelungen für den Gastgewerbebetrieb zu erlassen. Es bestehe - auch in historischer Sicht - kein Anlass anzunehmen, dass der Bund die Kompetenz zur Regelung von bei Gastgewerbebetrieben auftretenden typisch gewerberechtlichen Fragen verliert, sofern Gastwirte Tanzunterhaltungen in ihren Lokalen gestatten oder durchführen. Es entspreche durchaus einer intrasystematischen Weiterentwicklung des in Rede stehenden Kompetenztatbestandes, dass er die Ermächtigung gibt, auch für sich neu entwickelnde Betriebsformen entsprechende Regelungen vorzusehen. AA Wiederin, Art 15 Abs 3 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, 7. EL (2005) Rz 10, der für Pferdefuhrwerke und Pferdeschlitten festhält, dass die Abgrenzung nach den Gesichtspunkten Transport bzw Belustigung weder historisch überzeugend noch im Ergebnis plausibel sei, müssten doch ganze Zweige des Transportgewerbes (Stadtrundfahrten, Ausflugsfahrten) zum Veranstaltungswesen zählen. Bei der Frage der historischen Überzeugung kommt es freilich darauf an, welches Gewicht dem Verfassungsgesetzgeber zuzumessen ist, wenn er im Zusammenhang mit der kompetenzrechtlichen Festschreibung im Jahre 1993 von Klarstellung spricht, auch wenn im Gegensatz dazu bis zu diesem Zeitpunkt solche Angelegenheiten von bundesgesetzlichen Regelungen erfasst angesehen wurden. Freilich ist damit nicht gesagt, ob dies in kompetenzrechtlich korrekter Weise geschehen ist, oder nicht. Diese Frage gilt es zu beurteilen. Aus einer kompetenzwidrigen Praxis lässt sich keine kompetenzrechtliche Zuordnung ableiten, vielmehr zeigt die kompetenzrechtliche Klärung, ob eine Praxis kompetenzkonform oder kompetenzwidrig war. Daher wären zunächst Argumente aufzuzeigen, die für eine bundeskompetenzielle Zuordnung sprechen, nicht aber die Praxis, die es kompetenzrechtlich zu beurteilen gilt, selbst als Argument für die kompetenzrechtliche Einordnung heranzuziehen. Zur Argumentation der Plausibilität des Ergebnisses lässt sich festhalten, dass unter diesem Gesichtspunkt wohl die zersplitterte Kompetenzordnung in vielen Bereichen nicht bestehen könnte bzw uminterpretiert werden müsste. Die Plausibilität ist keine selbständige dogmatische Kategorie, die kompetenzrechtliche Einordnungen ohne Hinzutreten anderer dogmatischer Argumente erlaubt. Die Behauptung, dass ganze Zweige des Transportgewerbes zum Veranstaltungsgewerbe gezählt werden müssten, ist überzogen. In der Praxis ist es vielmehr so, dass sich kaum ein Unternehmen auf dem Veranstaltungswesen zuzuzählende Fahrten beschränkt, auf Fahrten also, die ausschließlich unter Vergnügungsgesichtspunkten und nicht unter Transportgesichtspunkten unternommen werden. Das Problem taucht daher gar nicht auf. Das ändert aber nichts daran, dass Fahrten, die allein unter Vergnügungsgesichtspunkten durchgeführt werden und die nicht dem Tarnsport dienen, kompetenzrechtlich dem Veranstaltungswesen zuzurechnen sind. Die von Wiederin angeführten Stadtrundfahrten und Ausflugsfahrten werden wohl in der Regel unter Transportaspekten zu betrachten sein, weil das Vergnügen nicht in der Fahrt selbst besteht, die soll ja nur Menschen von einer Sehenswürdigkeit zur anderen bzw zu Orten, an denen man sich entsprechend vergnügen kann, bringen. Eine Pferdeschlittenfahrt oder eine Fahrt mit dem Fiaker wird allerdings meist deshalb
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Belustigung darstellt, nicht aber dann, wenn die Fahrt nur zu einem Punkt oder zu verschiedenen Punkten (Sehenswürdigkeiten etc) bringt, an denen das Vergnügen, die Belustigung oder die Erbauung stattfindet. Bei Pferdeschlittenfahrten, Traktorzügen, Pferdefuhrwerken, aber auch bei allen Volksvergnügungen, die mittels bestimmter Transportmittel ausgeübt werden, wie Wasserbahnen, Dräsinenbahnen, Hippodrome und Autodrome etc wird man in der Regel annehmen dürfen, dass diese entweder ausschließlich oder zumindest hauptsächlich der Vergnügung und Belustigung dienen und damit in die Länderkompetenz nach Art 15 Abs 1 B-VG fallen. Freilich wird dies letztlich jeweils an den konkreten Umständen des Einzelfalles beurteilt werden müssen. Unternehmungen periodischer Personentransporte, das sind solche, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit betrieben werden und bei denen der Zweck als Verkehrsmittel im Vordergrund steht, fallen jedenfalls in den Kompetenzbereich des Bundes nach Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG.29 Als Beispiele können Traktorzüge angeführt werden, die in einem Schiort regelmäßig Schifahrer von einem Lift zum anderen transportieren, selbst wenn dabei die Fahrt auch Vergnügen bereitet. Ebenso fallen darunter Busse etc, die in einer Stadt Touristen von einer Sehenswürdigkeit zur anderen transportieren, oder Ausflugsfahrten, bei denen das Transportmittel zu einem bestimmten Ort bringt, der Vergnügen, Erbauung etc bereitet. All diese Fahrten sind kompetenzrechtlich nicht unter Veranstaltungswesen einzuordnen, weil der Transportaspekt im Vordergrund steht.
Auch Märkte, Messen bzw Verkaufsausstellungen seien als Beispiele zur Abgrenzung angeführt. Diese unterliegen seit jeher den gewerberechtlichen Bestimmungen und gelten daher unter versteinerungsprinzipiellen Gesichtspunkten als Bestandteil des Gewerberechtskompetenztatbestandes.30 Das gilt auch für Floh- und Bauernmärkte, weil das im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Kompetenzartikel der Bundesverfassung geltende Gewerberecht keine Ausnahme für die Abhaltung bestimmter Märkte enthielt. Sie fielen daher als Angelegenheiten des Gewerbes in die Bundeskompetenz des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG.31 f) Glückspielmonopol Die herrschende Ansicht geht davon aus, dass im Bereich des Monopolwesens (Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG) eine Kompetenz-Kompetenz des Bundesgesetzgebers insoweit herrscht, als die verfassungsrechtliche Ermächtigung zur Schaffung von Staatsmonopolen dem einfachen Bundesgesetzgeber erteilt ist, wenngleich diesem Grenzen im Hinblick auf Quantität und Qualität der damit verbundenen Einschränkungen anderer verfassungsrechtlicher Bestimmungen, wie insbesondere der Grundrechte gezogen sind.32 Das bedeutet, dass es der Bundesgesetzgeber im Bereich der Regelung des Glücksspiels in der Hand hat, den Um-
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angestrebt, weil die Fahrt als solches schon das Vergnügen bereitet und es dabei nicht so wichtig ist, wohin man fährt. Vgl dazu auch unten B.I.2.a und FN 46. Vgl dazu Pernthaler/Lukasser, FN 1, 67 mwN. Vgl heute die Bestimmungen des III. Hauptstückes der GewO §§ 286 ff. Zu den Messen vgl § 50 Abs 1 Z 8 GewO. Vgl dazu VfSlg 17245/2004. Vgl dazu auch Wiederin, FN 28, der unterstreichend betont, dass dies unabhängig von der Art der angebotenen Waren und der Beschränkung auf bestimmte Besucher gilt. Mayer, Staatsmonopole (1976) 29 ff, 304 FN 191; Segalla, Monopolbetriebe, in diesem Band.
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fang des Monopols zu bestimmen, wobei dessen Negativabgrenzung auf der anderen Seite den Landeskompetenzbereich Veranstaltungswesen auffüllt. § 3 GlücksspielG33 ordnet daher unter der Überschrift Glücksspielmonopol an, dass das Recht zur Durchführung von Glücksspielen, „soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt wird,“ dem Bund vorbehalten ist.34 Nach § 1 GlücksspielG sind Glückspiele solche, bei denen Gewinn und Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängen.35 Davon sind insbesondere gemäß § 2 leg cit Ausspielungen erfasst, bei denen der Unternehmer (Veranstalter) den Spielern für eine vermögensrechtliche Leistung eine vermögensrechtliche Gegenleistung in Aussicht stellt. Eine solche Ausspielung mittels eines Glücksspielapparates liegt vor, wenn die Entscheidung über Gewinn und Verlust durch eine mechanische oder elektronische Vorrichtung durch den Apparat selbst, also nicht zentralseitig, herbeigeführt oder zur Verfügung gestellt wird. Ein Glücksspielautomat ist ein Apparat, der die Entscheidung über Gewinn und Verlust selbsttätig herbeiführt oder den Gewinn selbsttätig ausfolgt. Ausgenommen vom so umschriebenen Glückspielmonopol sind gemäß § 4 leg cit Glücksspiele, die nicht in Form einer Ausspielung durchgeführt werden, wenn kein Bankhalter mitwirkt oder der Einsatz 0,50 € nicht übersteigt. Ausspielungen mittels eines Glücksspielautomaten unterliegen nicht dem Glücksspielmonopol, wenn 1. die vermögensrechtliche Leistung des Spielers den Betrag oder den Gegenwert von 0,50 € nicht übersteigt und 2. der Gewinn den Betrag oder den Gegenwert von 20 € nicht übersteigt. Warenausspielungen mittels eines Glücksspielapparates unterliegen nicht dem Glücksspielmonopol, wenn die vermögensrechtliche Leistung den Betrag oder den Gegenwert von 1 € nicht übersteigt und es sich um die Schaustellergeschäfte des ,,Fadenziehens“, ,,Stoppelziehens“, ,,Glücksrades“, ,,Blinkers“, ,,Fische- oder Entenangelns“, ,,Plattenangelns“, ,,Fische- oder Entenangelns mit Magneten“, ,,Plattenangelns mit Magneten“, ,,Zahlenkesselspiels“, ,,Zetteltopfspiels“ sowie um diesen ähnliche Spiele handelt. Eine Warenausspielung liegt nicht vor, wenn die Einlösung des Gewinns in Geld möglich ist. Glückshäfen, Juxausspielungen und Tombolaspiele unterliegen nicht dem Glücksspielmonopol, solange das zusammengerechnete Spielkapital solcher Ausspielungen desselben Veranstalters 4.000 € im Kalenderjahr nicht übersteigt und wenn mit der Ausspielung nicht persönliche Interessen der Veranstalter oder Erwerbszwecke verfolgt werden.36
Aus den detaillierten Regelungen des GlücksspielG und der Abgrenzung des Anwendungsbereiches lassen sich im Umkehrschluss aus der Definition und den im Bundesgesetz genannten Ausnahmen die nicht in den Glücksspielmonopolbereich des Bundes fallenden Gegenstände ablesen, die sich somit als weiterer Teilbereich des Veranstaltungswesens der Länder nach Art 15 Abs 1 B-VG darstellen. g) Abgrenzung zu Angelegenheiten des Kultus Gemäß Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG ist der Bund in Gesetzgebung und Vollziehung auch zur Regelung in Angelegenheiten des Kultus zuständig. Soweit nicht überhaupt gemäß Art 14, 15 StGG bzw Art 63 Abs 2 StV v St. Germain und Art 9 EMRK grundrechtliche 33 34
35 36
BGBl 1989/620. Vgl dazu auch Schwartz/Wohlfahrt, GlücksspielG, 2006, 22 ff mit weiteren Literaturhinweisen und eingehender kompetenzrechtlicher Erörterung (29 ff); vgl auch Burgstaller, RZ 2004, 14, der daran aus strafrechtlicher Perspektive anknüpft. Zur Abgrenzung vgl etwa Hasberger/Busta, MR-Int 2005, 49 f. Vgl auch Schwartz/Wohlfahrt, FN 34, 1 ff. Vgl Schwartz/Wohlfahrt, FN 34, 34 ff.
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Schranken gesetzliche Eingriffe verbieten (vgl unten C.), ist auch dieser Bereich dem Kompetenzbereich der Länder im Veranstaltungswesen entzogen.37 Gesetzlich beschränkende Bestimmungen in Ausübung des Gesetzesvorbehaltes von Art 9 EMRK iVm Art 63 Abs 2 StV v St. Germain fallen daher aus den Länderkompetenzen im Veranstaltungsbereich heraus und sind unter dem Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG „Angelegenheiten des Kultus“ vom Bundesgesetzgeber wahrzunehmen. Zu denken ist an die öffentliche bzw öffentlich zugängliche Religionsausübung in Form von Veranstaltungen aller Art, seien dies nun Gottesdienste, religiöse Feiern oder religiös bestimmte künstlerische Darstellungen oder Darbietungen etc.
h) Abgrenzung zu Angelegenheiten des Tierschutzes (Art 11 Abs 1 Z 8 B-VG) Art 11 Abs 1 Z 8 B-VG ermächtigt den Bund zur Gesetzgebung in Angelegenheiten des Tierschutzes, soweit dieser nicht bereits nach anderen Bestimmungen in Gesetzgebung Bundessache ist.38 Gestützt auf diesen Tatbestand sieht das Tierschutzgesetz (TSchG)39 vor, dass ua die Verwendung von Tieren im Zuge einer Veranstaltung (zB zu Film- und Fernsehaufnahmen) oder die Haltung von Tieren in Zirkussen einer (zusätzlichen) behördlichen Bewilligung (§ 23 iVm den §§ 27, 28 TSchG iVm der Tierschutz-VeranstaltungsV40 und der Tierschutz-ZirkusV41) bedarf.42 Die Kompetenz der Länder zu weiteren Reglementierungen der Durchführung dieser Veranstaltungen bleibt hievon jedoch unberührt.
2. Landeskompetenzen im Bereich des Veranstaltungswesens a) Allgemeine Umschreibung des Länderkompetenzbereichs Fasst man die durch die Abgrenzung zu den verschiedenen berührten Bundeskompetenztatbeständen gewonnenen Ergebnisse zusammen, kann die Landeskompetenz im Veranstaltungswesen gemäß Art 15 Abs 1 B-VG iVm der konkreten tatbestandlichen Formulierung in Art 15 Abs 3 B-VG (Angelegenheiten des Theater- und Kinowesens sowie der öffentlichen Schaustellungen, Darbietungen und Belustigungen) durch die beiden Tatbestandsmerkmale öffentliche Darbietungen und öffentliche Belustigungen umschrieben werden. Denn sowohl Theater- und Kinowesen als auch öffentliche Schaustellungen sind als Teil des Überbegriffs öffentliche Darbietungen zu begreifen. Darunter fallen auch alle der Förderung des gesellschaftlichen Lebens oder der sportlichen Ertüchtigung dienenden Veranstaltungen.43 Dies insbesondere auch dann, wenn 37
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Vgl dazu RV 938 BlgNR XX. GP, 8, wo auf die Kompetenzgrundlage des Bundesgesetzes über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften Bezug genommen wird. Zur interpretativen Auflösung des Verhältnisses zwischen den Art 10, 11 und 15 BVG, was die Gesetzgebungskompetenz in Tierschutzangelegenheiten anbelangt, siehe Herbrüggen/Randl/N. Raschauer/Wessely, Tierschutzrecht I2, 15 ff; krit N. Raschauer, ZfV 2007, in Druck. BGBl I 2004/118. BGBl II 2004/493 idF BGBl II 2006/27. BGBl II 2004/489. Näheres hiezu bei Herbrüggen/Randl/N. Raschauer/Wessely, FN 38, 88 ff; Irresberger/Obenaus/Eberhard, Tierschutzgesetz, §§ 27 f. Damit sind Sportschulen, wie insb Schi- und Snowboardschulen, Tanzschulen, Unternehmungen der Berg- und Schiführer etc gemeint, wie sie von Strejcek/
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vom Unternehmer eine Anlage zur Verfügung gestellt wird, auf der die Kunden zu ihrer Belustigung selbst aktiv werden können (Eislaufplätze, Tennisplätze, Schipisten, Golfplätze etc)44. In den von diesen beiden Begriffen, die auf der Grundlage der oben aufgezeigten Abgrenzungsfragen weit auszulegen sind, umfassten Angelegenheiten steht den Ländern unter den Kautelen des Art 15 Abs 3 und des Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG die Kompetenz zur Gesetzgebung und Vollziehung zu. Aus diesem Bereich der öffentlichen Darbietungen und Belustigungen fallen zunächst alle Angelegenheiten heraus, die in einen der oben angeführten Bundeskompetenztatbestände fallen. Charakterisiert werden diese Angelegenheiten des Veranstaltungswesens auf Länderebene dadurch, dass sie der Belustigung, der Unterhaltung, der persönlichen Erbauung oder der Information dienen. Ein weiteres wesentliches Merkmal ist die Öffentlichkeit, wobei es wiederum gleichgültig ist, ob solche Veranstaltungen entgeltlich oder unentgeltlich abgehalten werden. Hinsichtlich des Kriteriums der „Öffentlichkeit“ muss festgehalten werden, dass dieses auf der einfachgesetzlichen Ebene eine unterschiedliche Ausgestaltung erfährt. Was in einem Bundesland noch als private Veranstaltung definiert wird, ist im anderen Bundesland eine öffentliche Veranstaltung, je nach dem, wie der „Öffentlichkeitsbegriff“ im jeweiligen Landesgesetz festgelegt wird. Als öffentlich gelten jedenfalls losgelöst von den konkreten landesgesetzlichen Regelungen alle Veranstaltungen, die allgemein zugänglich sind.45
Der Regelungsgegenstand veranstaltungsrechtlicher Vorschriften ist typischerweise im Bereich der verwaltungspolizeilichen Gefahrenabwehr angesiedelt. Es geht darum, Gefährdungen und unzumutbare Beeinträchtigungen, die von der Veranstaltung selbst oder von der dafür notwendigen Ausstattung bzw von den erforderlichen Veranstaltungsstätten ausgehen, für die Veranstalter und Veranstaltungsteilnehmer selbst und auch für Dritte hintanzuhalten bzw zu vermeiden. Betrachtet man nun diesen relativ umfassenden Kompetenzbereich der Länder im Veranstaltungswesen stellen sich, wie dies schon oben bei der Behandlung der Abgrenzungsfragen deutlich wurde, mehrfach Fragen, ob bestimmte Angelegenheiten darunter zu subsumieren sind. Dies gilt aber nicht nur im Hinblick auf die genannten Bundeskompetenzen, sondern auch bei der Frage, ob solche Angelegenheiten Bestandteil einer anderen landesrechtlichen Materie sind, die nicht den Einschränkungen des Art 15 Abs 3 und des Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG unterliegt. Es sollen daher, soweit dies nicht oben bei den Bundeskompetenzen schon geschehen ist, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige Einzelfragen herausgegriffen werden, die auch in der Praxis eine Rolle spielen. a) Pferdeschlitten und -fuhrwerke (Fiaker), Skidoos (Motorschlitten), Traktorzüge etc Ausgehend von den oben bei der Abgrenzung zum Gewerbekompetenztatbestand in Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG gemachten Ausführungen, wonach Pferdeschlittenfahrten, Traktorzüge, Straßen- oder Eisenbahnzüge oder andere Beför-
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Tauböck, Privatunterrichtswesen und Fertigkeitsvermittlung, in diesem Band dargestellt werden. IdS Lienbacher, in WiR (Hrsg), Sport und Recht, 140; Stolzlechner, Sportstätten, 22 f. Vgl Vögl, Veranstaltungsrecht, 1.
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derungseinrichtungen dann nicht in die Bundeskompetenz fallen, wenn nicht der Transportaspekt im Sinne von Überwindung räumlicher Distanzen durch ein Verkehrsmittel, sondern der Vergnügungsaspekt im Vordergrund steht, solche Veranstaltungen also vorwiegend der Vergnügung und Belustigung von Personen dienen, bleibt festzuhalten, dass der Betrieb solcher Fortbewegungsmittel zur Belustigung in den Bereich des Veranstaltungswesens der Länder fällt. Bei Pferdeschlittenfahrten, Traktorzügen, Pferdefuhrwerken (Fiakern), Skidoos (Motorschlitten) aber auch bei allen Volksvergnügungen, die mittels bestimmter Transportmittel ausgeübt werden, wie Wasserbahnen, Dräsinenbahnen, Hippodrome und Autodrome wird man in der Regel annehmen dürfen, dass diese entweder ausschließlich oder zumindest hauptsächlich der Vergnügung und Belustigung dienen und damit in die Länderkompetenz des Art 15 Abs 1 B-VG fallen.46 Die Abgrenzung zum gewerbsmäßigen Personenverkehr, bei dem der Zweck als Verkehrsmittel im Vordergrund steht, muss anhand der konkreten Umstände im Einzelfall vorgenommen werden.47 b) Privatunterricht und Fertigkeitsvermittlung In den Bereich des Landesrechts lassen sich unter dem hier umrissenen Begriff des Veranstaltungswesens auch viele Angelegenheiten auf dem Gebiet der Freizeitgestaltung einreihen. In diesen Bereich fallen unter anderem die Sportschulen, das sind vor allem Schi- und Snowboardschulen, Tanzschulen, aber auch das Berg- und Schiführerwesen etc. Wie oben schon dargestellt, verfolgen nach der Judikatur des VfGH Tanzschulen (lediglich) die Förderung des gesellschaftlichen Lebens.48 Die Schischulen dienen der bloßen sportlichen Ertüchtigung. Das gilt auch für sportliche Lehranstalten aller anderen Arten. Sie fallen somit nicht unter den Kompetenztatbestand des Art 14 B-VG „Schulwesen“, weil dies sehr wesentliche pädagogische und volkserzieherische Ziele voraussetzt.49 Sie fallen auch nicht unter Privatunterricht, weil dieser ebenfalls pädagogische Ziele voraussetzen würde.50 Diese Bereiche sollen aber 46
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Vgl dazu auch § 1 Abs 3 GelVerkG, der im Verfassungsrang festhält, dass zu den Angelegenheiten des Gewerbes im Sinne des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG nicht Angelegenheiten der Beförderung von Personen mit Fahrzeugen, die durch die Kraft von Tieren bewegt werden, gehören. Im AB wird im Zusammenhang mit dieser kompetenzrechtlichen Regelung von „Klarstellung“ gesprochen und damit offenbar angedeutet, dass das in Rede stehende Fiakerwesen schon bis zu diesem Zeitpunkt in die Kompetenz der Länder gefallen ist, vgl AB 827 BlgNR 18. GP, 1, obwohl es vor dieser Bestimmung von den bundesrechtlichen Bestimmungen erfasst wurde. Wiederin, teilt diese Auffassung nicht und leitet aus der einfachgesetzlichen Zuordnung vor der kompetenzrechtlichen Klarstellung ab, dass es sich hiebei nicht um Veranstaltungswesen handelt, vgl oben I.B.1.e und FN 28. Vgl dazu Pernthaler/Lukasser, FN 1, 67 mwN. Vgl dazu auch oben I.B.1.e und FN 28. Vgl Lienbacher, in WiR (Hrsg), Sport und Recht 140. Vgl VfSlg 2740/1954. Vgl auch Morscher, Die Gewerbekompetenz des Bundes (1997) 134 ff. Vgl zu dieser Einordnung auch hisichtlich der Tanzschulen Mayerhofer, Handbuch IV, 1381; allgemein VfSlg 2740/1954; aA aber offenbar Wiederin, FN 28, der die Grenze der „organisatorischen Fortentwicklung“ hier überschritten sieht, unter Be-
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hier keine Rolle spielen. Siehe den Beitrag von Strejcek und Tauböck in diesem Band.51 c) Spielapparate, Glückspiel, Geschicklichkeitsspiel, Buchmacher, Totalisateure Spiele und Wetten (im Regelfall Gesellschafts- und Sportwetten), sofern sie nicht dem Glücksspielmonopol unterliegen, wie oben schon aufgezeigt, sind ebenfalls dem landesrechtlichen Bereich des Veranstaltungswesens zuzurechnen.52 Zu erwähnen sind insb die Buchmacher und Totalisateure,53 die ebenso wie Spielapparate54 in den verschiedenen VeranstaltungsG geregelt sind oder aber überhaupt eigene landesgesetzliche Sonderregelungen erfahren (vgl etwa das Stmk WettG 2003, LGBl 2003/79).55 Wer gewerbsmäßig aus Anlass sportlicher Veranstaltungen Wetten abschließt, ist ein Buchmacher, wer solche Wetten gewerbsmäßig vermittelt, ist Totalisateur.56 Gemäß § 2 Abs 1 Z 22 findet die GewO auf diese Tätigkeiten keine Anwendung. Spielapparate, die ebenfalls unter das Veranstaltungswesen der Länder fallen, sind solche, die durch ihre Inbetriebnahme ein „Spiel“ ermöglichen. Spiel ist eine zweckfreie Beschäftigung aus Freude an ihr selbst und/oder ihren Resultaten zur Unterhaltung, Entspannung oder zum Zeitvertreib.57 Dabei muss ein untrennbarer Zusammenhang zwischen menschlicher Tätigkeit (Spiel) und technischer Funktionsweise bestehen. Es reicht nach der Judikatur des VwGH nicht hin, wenn sich die Funktion derartiger Apparate darin erschöpfte, lediglich die Voraussetzungen für das Spiel zu schaffen, das Spiel selbst aber ohne Zuhilfenahme der technischen Funktionen des Apparates abliefe. Kompetenzrechtlich sind sie von den Spielapparaten, die dem GlücksspielG unterliegen, zu trennen. d) Buschenschank (Heuriger) Gemäß § 2 Abs 1 Z 5 ist der Buschenschank (umgangssprachlich vor allem in Wien und Niederösterreich auch Heuriger genannt) von der GewO ausgenommen, was auch der historischen Entwicklung entspricht.58 Es stellt sich die Frage, ob das Buschenschankwesen unter Versteinerungsaspekten ebenfalls einen Teilbereich des Veranstaltungswesens in dem Sinne darstellt, wie es in Art 15 Abs 3 B-VG mit den allgemein beschriebenen Merkmalen der öffentli-
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zugnahme auf Heller, Kommentar zur Gewerbeordnung und zu ihren Nebengesetzen, 1911, 1724 f; Praunegger, Das österreichische Gewerberecht, Bd I, 1924, 73 ff. Vgl Strejcek/Tauböck, Privatunterrichtswesen und Fertigkeitsvermittlung, in diesem Band. IdS auch Schwartz/Wohlfahrt, ecolex 2002, 53. Vgl VfSlg 1477/1932. Zweifelnd Wiederin, FN 28. Vgl dazu auch Wiederin, FN 28, FN 61. Zur Anwendbarkeit der LandesG auch auf grenzüberschreitende Internetwetten sowie zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs von Bundes- und Landesrecht, was Wetten generell anbelangt, siehe jüngst Hasberger/Busta, MR-Int 2005, 49 ff. Vgl auch Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2 § 2 Rz 71. VwGH 20.9.1996, 95/17/0017; VwGH 13. 12. 1985, 85/17/0111. Vgl dazu auch Pauger/Rack, ZfV 1981, 433; Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2 § 2 Rz 111.
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chen Darbietung und Belustigung zum Ausdruck gebracht wird, weil es 1925 nicht von der GewO erfasst war.59 Dies habe ich in der ersten Auflage vertreten. Wiederin hat in seiner Kommentierung des Art 15 Abs 3 B-VG diese Auffassung als unzutreffend bezeichnet und darauf hingewiesen, dass der Buschenschank niemals als Bestandteil der Lustbarkeiten betrachtet wurde, er entstamme vielmehr der „Landescultur“. Das erkläre auch, weshalb sich der Buschenschank im Kern auf den „den Besitzern von Wein- und Obstgärten gestatteten Ausschank des eigenen Erzeugnisses“ beschränkt.60 In der Tat sprechen die besseren Argumente für die von Wiederin vertretene Auffassung. Dies vor allem deshalb, weil der Anknüpfungspunkt für die landesgesetzlichen Regelungen, wie sie in manchen Bundesländern erlassen wurden, seit jeher nicht in den allgemein beschriebenen Merkmalen der öffentlichen Darbietung und Belustigung, sondern im Verkauf von selbsterzeugtem Wein bzw Most etc zu finden ist.61 Auf einfachgesetzlicher Ebene finden sich in den Ländern dazu Sonderregelungen. Diese sind daher nicht dem Veranstaltungswesen zuzuzählen. Art 15 Abs 3 B-VG findet daher in diesem Bereich keine Anwendung. Unter Buschenschank versteht man Ausschank von Wein und Obstwein, von Trauben- und Obstmost und von Trauben- und Obstsaft durch Besitzer von Wein- und Obstgärten, soweit es sich um deren eigene Erzeugnisse handelt. Im Rahmen des Buschenschanks ist auch die Verabreichung von kalten Speisen und der Ausschank von Mineralwasser und kohlensäurehaltigen Getränken zulässig, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass diese Tätigkeiten dem Herkommen im betreffenden Bundesland in Buschenschenken entsprechen. Die Verabreichung von warmen Speisen ist nicht zulässig.62
e) Betrieb von Vergnügungsanlagen (Schipisten, Rodelbahnen, Eislaufplätze, Tennisplätze, Golfplätze, Campingplätze etc) Wie oben ausgeführt, sind Eislaufplätze unter Versteinerungsgesichtspunkten dem Veranstaltungswesen zuzurechnen und nicht der Gewerberechtskompetenz.63 Nach der Judikatur gilt dies unter intrasystematischen Fortentwicklungsgesichtspunkten auch für Tennisplätze (ohne Gastgewerbebetrieb). Sie werden als Unternehmung einer öffentlichen Belustigung und damit als Veranstaltung gemäß Art 15 Abs 1 B-VG begriffen. Wesentlich ist dabei, dass vom Unternehmer eine Anlage zur Verfügung gestellt wird, die Kunden zu ihrer Belustigung nutzen, wobei sie selbst aktiv werden.64 Das gilt auch für Sommer-
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Vgl dazu die Darstellung in Mayerhofer, Handbuch VI, 1061 ff. Vgl Wiederin, FN 28, Rz 10 mit weiteren Nachweisen. Vgl dazu schon Mayerhofer, Handbuch VI, 1061 ff. Vgl dazu allgemein auch Pauger/Rack, Rechtsfragen des Buschenschankes, ZfV 1981,433 ff. Vgl § 2 Abs 9 GewO idgF. Die Eislaufplätze unterlagen den „Polizeivorschriften betr. öffentliche Belustigungen“, die zum Versteinerungszeitpunkt außerhalb der GewO galten. Vgl dazu Pernthaler/Lukasser, FN 1, 60 mit den dort angeführten Nachweisen. Vgl ferner Lienbacher, in WiR (Hrsg), Sport und Recht 143 ff. Der VwGH gelangte in seiner Rechtsprechung zur Erkenntnis, dass der Betrieb von Tennisplätzen eine vom Anwendungsbereich des Art 15 Abs 3 B-VG erfasste Angelegenheit sei (vgl zB VwSlg 12.503A/1987, VwGH 26.6.2001, 2000/04/0144). Vgl dazu kritisch Filzmoser, ÖZW 1993, 105 ff; ders, ecolex 2002, 847 ff; RosenmayrKlemenz, ÖZW 1995, 72 ff; vgl allgemein dazu im hier dargestellten Sinne mwN
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rodelbahnen, Modellflugzeugplätze und Minigolfanlagen, die zwar zum Zeitpunkt des Entstehens des Gewerberechtskompetenztatbestandes noch nicht bekannt waren, sich aber unter den Gesichtspunkten der intrasystematischen Fortentwicklung in die oben umschriebene Veranstaltung einer öffentlichen Belustigung einfügen.65 Auch für Golfplätze und Schipisten gilt unter den genannten Gesichtspunkten das gleiche.66 Das Campingplatzwesen ist dadurch charakterisiert, dass Kunden Campingplätze in ihrer Freizeit zu ihrer Erholung, also zu ihrer Belustigung und Erbauung nutzen und dass es seit jeher nicht der GewO unterliegt. Daher wird man wohl auch in dieser Angelegenheit annehmen müssen, dass es sich um einen Teil des mit den oben verfassungsrechtlich herausgefilterten Begriffen umschrieben Bereichs des Veranstaltungsrechts handelt, unabhängig davon, ob dies in der Landesgesetzgebung im Hinblick auf die sondergesetzlichen Bestimmungen tatsächlich so gesehen wird. In ähnlicher Weise wird auch in Bezug auf Sportstätten allgemein zu argumentieren sein.67
3. Art 15 Abs 3 B-VG68 Art 15 Abs 3 B-VG knüpft für die im Veranstaltungswesen der Länder enthaltenen Angelegenheiten, die hier auch konkret mit „Angelegenheiten des Theater- und Kinowesens sowie der öffentlichen Schaustellungen, Darbietungen und Belustigungen“ umschrieben werden, die verfassungsrechtliche Verpflichtung, dass die Landesgesetzgeber wenigstens die Überwachung der Veranstaltungen, soweit sie sich nicht auf betriebstechnische, bau- und feuerpolizeiliche Rücksichten erstreckt, und die Mitwirkung in erster Instanz bei der Verleihung von Berechtigungen, die in solchen Gesetzen vorgesehen werden, im örtlichen Wirkungsbereich von Bundespolizeidirektionen69 diesen zu übertragen haben. Unter „Mitwirkung“ ist die Teilnahme an der Erzeugung eines Rechtsaktes, der einer anderen Behörde zuzurechnen ist, zu verstehen.70 Art 15
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Pernthaler/Lukasser, FN 1, 62 f; Stolzlechner, Zur rechtlichen Behandlung von Sportanlagen, 2002, 16 ff. Pernthaler/Lukasser, FN 1, 66 f. Vgl VwSlg 14.275/1995, VwSlg 12.503/1987, wonach der Betrieb von Golfplätzen keine Angelegenheit des Gewerbes iSd Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG darstellt. IdS auch Stolzlechner, FN 64, 28. Die beschriebene Zuordnung gilt freilich nur, sofern keine eigenen Baulichkeiten oder Einrichtungen zur Errichtung eines Gewerbebetriebes innerhalb einer solchen Sportanlage bzw einer Sportstätte bestehen. Die Errichtung eines Gastgewerbebetriebs auf einem Tennisplatz erfolgt selbstverständlich nach den betriebsanlagenrechtlichen Bestimmungen der GewO. Vgl Lienbacher, in WiR (Hrsg), Sport und Recht 141. Vgl dazu Lienbacher, in WiR (Hrsg), Sport und Recht 143 ff. Vgl dazu allgemein die Kommetierung von Wiederin, Art 15 Abs 3 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, 7. EL (2005). Vgl dazu die Verordnung der Bundesregierung über die Errichtung von Bundespolizeidirektionen und die Festlegung ihres örtlichen Wirkungsbereiches (Bundespolizeidirektionen-Verordnung), BGBl II 1999/56, die in § 1 solche in Eisenstadt, Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Leoben, Linz, Salzburg, Sankt Pölten, Schwechat, Steyr, Villach, Wels, Wien und Wiener Neustadt festlegt. Vgl dazu VfSlg 8466/1978, wo der VfGH ausführt, dass der Begriff der Mitwirkung einen verfassungsgesetzlich vorgebildeten Inhalt habe. Er habe in diesen Zusammenhängen die Bedeutung einer Teilnahme an den im Vollziehungsbereich einer
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Abs 3 B-VG ordnet an, dass die oben bezeichneten Überwachungsaufgaben und die Mitwirkung bei der Erteilung von Berechtigungen der Bundespolizeibehörde übertragen werden müssen, und ermöglicht zudem, dass den Bundespolizeibehörden weitere Aufgaben übertragen werden können, was sich aus dem Wort „wenigstens“ ableiten lässt.71 Zumindest muss die Bundespolizeibehörde neben der Überwachung der Veranstaltung bei der Bescheiderlassung im Anzeigeverfahren bzw im Bewilligungsverfahren insoweit eingebunden werden, dass sie Kenntnis erlangt und gegebenenfalls Stellungnahmen abgeben kann. Maßgeblich dabei ist, dass das Tatbestandsmerkmal „Mitwirkung bei der Verleihung von Berechtigungen“ nicht mit der Bescheiderlassung gleichgesetzt werden darf, sondern umfassender verstanden werden muss. Daher ist zB auch die Ausstellung von Bescheinigungen, wie sie zum Teil in den Anmeldeverfahren vorgesehen ist, davon mitumfasst. Eine fehlende Mitwirkungsmöglichkeit wäre daher verfassungswidrig. Ein zusätzliches Problem ergibt sich aus der inhaltlichen Umschreibung in Art 15 Abs 3 B-VG. Sie deckt sich nicht mit den systematischen Gliederungen auf einfachgesetzlicher Ebene. Die Regelungsgegenstände, die in den Veranstaltungsgesetzen Aufnahme finden, in denen die verfassungsrechtliche Verpflichtung nach Art 15 Abs 3 BVG im Großen und Ganzen auch von den Landesgesetzgebern wahrgenommen wird, deckt nur einen Teilbereich dessen ab, was unter den oben aufgezeigten historischen Gesichtspunkten unter den genannten Tatbestandsmerkmalen des Art 15 Abs 3 B-VG zu verstehen ist. Die in den Landesgesetzen außerhalb der Veranstaltungsgesetze geregelten Gegenstände sehen aber zum Teil weder eine Überwachung, noch eine Mitwirkung der Bundespolizeibehörden in deren Wirkungsbereich vor.72
4. Überörtliche und örtliche Veranstaltungspolizei „Örtliche Veranstaltungspolizei“ iSd Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG ist nur jener Teil der Veranstaltungspolizei, der im „ausschließlichen oder überwiegenden
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anderen Autorität liegenden Akten (VfSlg 2598/1953). Das bedeute, dass das an der Besorgung einer Aufgabe nur mitwirkende Organ dem für die eigentliche Besorgung der Aufgabe zuständigen Organ zugeordnet ist. Vgl auch Mayer, B-VG3, 103. Vgl VfSlg 5415/1966. Vgl dazu auch Rill, Kommentar zu Bestimmungen des B-VG, in Svoboda/Dyens (Hrsg), Handbuch für Umweltschutz und Raumordnung, 11. Lfg, 1977, 42 Vgl dazu zB das Sbg FiakerG, LGBl 1995/68 idF LGBl 2001/46, das im § 4 Abs 4 iVm § 13 nicht einmal ein Anhörungsrecht für die Bundespolizeibehörde vorsieht. Überwachungsbestimmungen gemäß Art 15 Abs 3 B-VG fehlen ebenfalls. In diesem Punkt ist das Wr Fiaker- und PferdemietwagenG, LGBl 2000/57 idF LGBl 2004/24 verfassungskonform ausgestaltet. Es sieht in seinem § 7 Abs 2 Z 2 die Mitwirkung der Bundespolizeibehörden im Wege des Anhörungsrechtes vor. § 15 Abs 3 Z 2 legt die Überwachungsaufgaben der Bundespolizeidirektion fest. Solche Bestimmungen müssten sich jeweils auch in den anderen landesrechtlichen Bestimmungen, die vom Tatbestandsmerkmal des Art 15 Abs 3 erfasst werden, finden. Das betrifft die Gesetze über die Spielapparate, die CampingplatzG, die VeranstaltungsstättenG, die SportstättenG, die Gesetze betreffend Buchmacher und Totalisateure etc. In diesen Gesetzen, die Veranstaltungen außerhalb des VeranstaltungsG regeln, fehlt zum Teil eine solche Berücksichtigung nach Art 15 Abs 3 B-VG, wie das aufgezeigte Salzburger Beispiel belegt. Zum Teil finden sich landesrechtliche Bestimmungen, in denen eine partielle Berücksichtigung stattfindet. Letzteres lässt sich am Beispiel des Nö SpielautomatenG (LGBl 7071-4) demonstrieren. § 7 Abs 3 sieht zwar die Überwachung durch Bundespolizeibehörden vor, in das Bewilligungsverfahren sind sie aber nicht eingebunden.
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Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden“. Diese Definition leitet der VfGH aus der Definition des Begriffes „örtliche Sicherheitspolizei“ in Art 15 Abs 2 B-VG im Zusammenhang mit der Generalklausel betreffend den eigenen Wirkungsbereich in Art 118 Abs 2 erster Satz B-VG ab.73 Der VfGH hat deutlich ausgeführt, dass es zwar Veranstaltungen gibt, die anmeldungspflichtig sind, die zu untersagen aber nicht bloß im Interesse der Gebietskörperschaft „Gemeinde“ gelegen ist. Es genüge beispielsweise auf einen Vortrag hinzuweisen, der weder unter das VersammlungsG noch unter das VereinsG, sondern unter das VeranstaltungsG fällt und der zu untersagen ist, weil „Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen“, dass durch seine Abhaltung die „öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit“ weit über die Grenzen der Gebietskörperschaft „Gemeinde“ hinaus gefährdet werden könnten, sodass die Untersagung nicht im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der örtlichen Gemeinschaft liegt.74 Art 15 Abs 3 B-VG unterscheidet nicht zwischen örtlicher Veranstaltungspolizei und überörtlicher Veranstaltungspolizei. Er ordnet für beide Teile der Veranstaltungspolizei an, dass die oben bezeichneten Überwachungsaufgaben und die Mitwirkung bei der Erteilung von Berechtigungen der Bundespolizeibehörde übertragen werden müssen, und er ermöglicht es, dass aus beiden Teilen der Veranstaltungspolizei weitere Aufgaben der Bundespolizeibehörde übertragen werden können, was sich aus dem Wort „wenigstens“ ergibt.75 Das Bundes-Verfassungsgesetz normiert also durch die Sondervorschrift des Art 15 Abs 3 B-VG eine Ausnahme von den generellen Vorschriften betreffend den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden.76 Auch in diesem Zusammenhang stellt sich noch zusätzlich die Frage, was unter „Veranstaltungspolizei“ zu verstehen ist. Beschränkt sich dieses Tatbestandsmerkmal auf die in den jeweiligen Veranstaltungsgesetzen der Länder enthaltenen Regelungsgegenstände, was in diesem Punkt zu einer Kompetenz-Kompetenz der Landesgesetzgeber führen würde, oder sind darunter die im Art 15 Abs 3 B-VG inhaltlich umschriebenen Materien zu verstehen. Der zuletzt genannten Auffassung ist dabei der Vorzug zu geben. Dafür sprechen vor allem systematische und historische Gründe. Es gibt keine Anhaltspunkte im Verfassungsgesetzgebungsprozess, wonach der Verfassungsgesetzgeber den Landesgesetzgebern Dispositionsspielraum belassen wollte.77 Vielmehr scheint 73 74 75 76
77
VfSlg 5415/1966. IdS auch Mayer, B-VG3, 344. VfSlg 5415/1966. Vgl allgemein näher dazu Wiederin, FN 68, Rz 7; Rill, FN 71, 42. VfSlg 5415/1966, 5788/1968. Der VfGH hat dort ausdrücklich festgehalten, dass die Zuordnung der örtlichen Veranstaltungspolizei in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG) und die Auflage des Art 15 Abs 3 B-VG nach Inhalt und Zweck verschieden sind. Diese Verschiedenheit schließe es aus, dass Art 118 Abs 7 B-VG dem Art 15 Abs 3 B-VG derogiert hat. Art 15 Abs 3 B-VG ist eine weiter geltende Sondervorschrift. Die Landesgesetze hätten dem Gebot des Art 15 Abs 3 B-VG auf dem Gebiete der Veranstaltungspolizei zu entsprechen. Die Landesgesetze könnten auch einen über das Gebot hinausgehenden Inhalt haben (arg „wenigstens“); die Besorgung der Agenden der örtlichen Veranstaltungspolizei durch die Gemeinde wird aber durch Art 15 Abs 3 B-VG nicht geschmälert. Vgl dazu auch Weber, Art 118 Abs 1 bis 7 B-VG, in: Korinek/Holoubek, Bundes-Verfassungsrecht, Rz 15; Mayer, B-VG3, 103. Vgl dazu VfSlg 5415/1966; Weber, FN 76, Rz 15.
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der Begriff an das anzuknüpfen, was unter dem Begriff 1962 (Gemeindeverfassungsnovelle)78 verstanden wurde. Dies ist seit Inkrafttreten der Kompetenzverteilung aber unverändert geblieben, sodass auf die oben angestellten Überlegungen verwiesen werden kann und Art 15 Abs 1 iVm Abs 3 B-VG sich insoweit mit Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG verschränken. Damit tritt aber auch hier das verfassungsrechtliche Problem auf, dass in den auf landesrechtlicher Ebene sondergesetzlich geregelten Angelegenheiten des Veranstaltungswesens vielfach den Landesgesetzgebern das Bewusstsein für die Verpflichtungen aus Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG fehlt, wie dies schon bei Art 15 Abs 3 B-VG oben aufgezeigt wurde, und gesetzliche Bestimmungen über die Zuständigkeit der Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich nicht vorgesehen werden.79
C. Grundrechtliche Schranken Auch eine Reihe von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (Grundrechten) üben in mehrfacher Weise beschränkende Wirkung auf das Veranstaltungswesen aus. Sie beschränken das Tätigwerden der zuständigen Rechtssetzungsautoritäten zunächst dort, wo sie überhaupt gänzliche Freiheit garantieren und daher gesetzliche Beschränkungen nicht errichtet werden dürfen. Inhaltliche Rechtssetzungsbeschränkungen werden dort aufgestellt, wo die einfachen Gesetzgeber nur unter den verfassungsrechtlich vorgesehenen Kautelen eines rechtmäßigen Grundrechtseingriffs Bestimmungen erlassen dürfen. Solche grundrechtlich geschützte Sphären finden sich im Zusammenhang mit dem Veranstaltungswesen in mehreren Grundrechtsbestimmungen. Art 8 EMRK schützt das Privat- und Familienleben. Private Veranstaltungen wie zB Partys stehen daher unter der speziellen verfassungsrechtlichen Garantie des Art 8 EMRK. Sie entziehen sich auch schon deshalb dem oben herausgearbeiteten Veranstaltungsbegriff, weil es am wesentlichen Element des Öffentlichen fehlt.80 Art 15 StGG gewährleistet den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften das Recht zur öffentlichen Religionsausübung. Art 14 StGG iVm Art 63 Abs 2 StV v St. Germain und Art 9 EMRK gestattet dieses Recht allen Einwohnern unter dem materiellen Gesetzesvorbehalt von Art 9 Abs 2 EMRK.81 Davon sind auch religiös bestimmte künstlerische Darstellungen und Darbietungen und religiöse Veranstaltungen aller Art, die öffentlich zugänglich sind, erfasst.82 Art 17a StGG garantiert die Kunstfreiheit. Dieses Grundrecht ist zwar ohne Gesetzesvorbehalt verankert worden, es gewährt aber dennoch keine völlig schrankenlose Garantie. Nach der Judikatur des VfGH bestehen sogenannte „immanente Schranken“. Danach sind auch künstlerische Darbietungen und Darstellungen an die allgemeinen 78 79
80 81 82
Vgl BGBl 1962/205. Vgl zB nochmals das Sbg FiakerG, das in § 13 keine Zuständigkeiten der Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich vorsieht. Auch in diesem Punkt scheint das Wr Fiaker- und PferdemietwagenG verfassungskonform ausgestaltet zu sein. Es sieht in seinem § 15 Abs 2 die Aufgaben für die Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich vor. Vgl dazu auch B. Raschauer/Wessely, Besonderes Verwaltungsrecht4, 100, die mit dieser Argumentation die Versammlungseigenschaft von Partys ablehnen. Vgl Mayer, B-VG3, 559, 624; VfSlg 11.931/1988. Vgl dazu auch Öhlinger, Verfassungsrecht6 (2005), Rz 935 ff mwN. Vgl dazu auch Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (1992) 80. Vgl mwN auch Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2 (2005) Rz 88 ff.
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Gesetze gebunden, die nicht „spezifisch intentional“ in die Kunstfreiheit eingreifen. Für Veranstaltungen künstlerischen Inhalts bedeutet dies, dass es auf den Schutzzweck der jeweiligen gesetzlichen Bestimmung ankommt. Ist dieser in Bezug auf die zu gewährleistende Kunstfreiheit nicht intentional und hat er andere Schutzgüter im Auge, so ist er im Hinblick auf die in Art 17a StGG gewährleistete Kunstfreiheit dann unbedenklich, wenn er auch sonst verhältnismäßig ist. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung nimmt der VfGH in jüngerer Zeit auch bei nicht intentionalen gesetzlichen Eingriffen vor, indem er prüft, ob solche Eingriffe im öffentlichen Interesse liegen und ob sie ein taugliches und adäquates Mittel zu dessen Verwirklichung sind.83 Ganz allgemein determiniert auch das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit gemäß Art 6 StGG das Veranstaltungswesen. Durch dieses wird jede Form der wirtschaftlichen, auf Erwerb ausgerichteten Betätigung vor unzulässigen staatlichen Eingriffen geschützt. Davon ist eine Vielzahl von Veranstaltungen betroffen, soweit sie entgeltlich durchgeführt werden. Gesetzliche Beschränkungen der Erwerbsfreiheit sind nur zulässig, wenn sie durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Erreichung dieses Interesses geeignet und adäquat und auch sonst sachlich gerechtfertigt sind.84
D. Europarechtliche Grundlagen Im Gemeinschaftsrecht lassen sich für das Veranstaltungswesen keine spezifischen Regelungen finden.85 Freilich berühren aber viele allgemeine europarechtliche Regelungen Angelegenheiten des Veranstaltungswesens. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit kann dabei auf primärrechtlicher Ebene genauso genannt werden, wie die Dienstleistungsfreiheit oder die Niederlassungsfreiheit, wenn sich im Zusammenhang mit der Durchführung von Veranstaltungen derartige Fragestellungen ergeben.86 So können auf der Grundlage der europarechtlichen Vorschriften nunmehr Angehörige der Mitgliedstaaten nicht mehr von der Möglichkeit, Veranstalter zu sein, ausgeschlossen werden. Denn verschiedene Veranstaltungsgesetze sehen bezüglich Personen, welche die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzen, bestimmte Sonderregelungen vor. Alle diese Fragen sind aber nicht veranstaltungsspezifisch, sondern allgemeine europarechtliche Problemstellungen, die in jeder Materie eine Rolle spielen. Daher soll ihnen in diesem Zusammenhang nicht weiter nachgegangen werden.
II. Die einfachgesetzlichen Grundlagen In der Darstellung der einfachgesetzlichen Rechtslage beschränkt sich dieser Beitrag auf die landesgesetzlichen Vorschriften. Die bundesrechtlichen Veran83
84
85 86
Vgl dazu VfSlg 11.737/1988 mit den dort angeführten Literaturhinweisen. Vgl dazu auch Kucsko-Stadlmayer, Diplomprüfung aus Verfassungsrecht, JAP 1992/93, 232 und Lebitsch, Probleme der präventiven Veranstaltungspolizei im Lichte der Kunstfreiheit, ÖJZ 1984, 480. Vgl dazu Berka, Die Grundrechte (1999) Rz 752 ff; Grabenwarter, Die Freiheit der Erwerbsbetätigung, Art 6 StGG, in: Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg), 40 Jahre EMRK. Grund- und Menschenrechte in Österreich, Band 2, 553; Ders, Rechtliche und ökonomische Überlegungen zur Erwerbsfreiheit (1994) 11 ff; Mayer, B-VG3 542 ff, alle mwN. Vgl schon Lienbacher, in Bachmann ua (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht6, 431 f. Vgl etwa EuGH 6.11.2003, Rs C-243/01 (Gambelli), RdW 2004/107 mAnm Thiele.
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staltungen, wie sie auf Grund bestimmter Sonderkompetenztatbestände oben erwähnt und durch bundesgesetzliche Bestimmungen ausgeführt werden, sollen hier keine nähere Behandlung erfahren, weil sich im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch „Veranstaltungsrecht“ bzw „Veranstaltungswesen“ auf den Länderkompetenzbereich nach Art 15 Abs 1 B-VG bezieht. Ausgenommen bleiben weiters Erörterungen spezifischer Veranstaltungstypen, die schon Gegenstand anderer Beiträge in diesem Band sind.87 Zunächst sollen die verschiedenen Regelungsbereiche, wie sie die (allgemeinen) Veranstaltungsgesetze der Länder vorsehen, dargestellt werden. Danach ist auf die in den gesonderten Rechtsvorschriften verankerten Veranstaltungstypen einzugehen.
A. Die allgemeinen Regelungen in den Veranstaltungsgesetzen der Länder Jedes Bundesland hat ein Veranstaltungsgesetz erlassen, das generell für alle Veranstaltungstypen, die nicht zum Teil oder zur Gänze anderen sondergesetzlichen landesrechtlichen Bestimmungen unterworfen werden, verschiedene verwaltungspolizeiliche Vorschriften je nach Art und Größe der Veranstaltung vorsieht.
1. Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich in den Veranstaltungsgesetzen der einzelnen Bundesländer wird unterschiedlich festgelegt und richtet sich unter anderem auch danach, wie viele Veranstaltungstypen durch landesrechtliche Sonderbestimmungen einem eigenen Regelungsregime unterworfen werden, wobei auch dort zum Teil eine Verzahnung mit dem jeweiligen Veranstaltungsgesetz stattfindet. In der Regel wird der Anwendungsbereich allgemein und abstrakt umschrieben und dann werden beispielhaft Veranstaltungen genannt, auf die sich die Bestimmungen des jeweiligen Veranstaltungsgesetzes beziehen. So finden sich in allen Veranstaltungsgesetzen Regelungen, die in den Anwendungsbereich ganz allgemein öffentliche Veranstaltungen aufnehmen. Sie werden dort als allgemein zugängliche, zum Vergnügen oder zu Erbauung der Teilnehmer bestimmte Darbietungen und Einrichtungen definiert.88 Daneben werden dann beispielhaft Veranstaltungen aufgezählt, die jedenfalls von den gesetzlichen Bestimmungen erfasst sind. In der Abgrenzung zu den sondergesetzlichen Bestimmungen für bestimmte Veranstaltungstypen, die außerhalb des Veranstaltungsgesetzes geregelt sind, bedeutet dies, dass einerseits danach zu fragen ist, ob die sondergesetzlichen Regelungen nur teilweise oder ob sie den betreffenden Veranstaltungstyp abschließend determinieren. Im ersten Fall sind darüber hinaus die allgemeinen Bestimmungen im jeweiligen Veranstaltungsgesetz anzuwenden. Im zweiten Fall scheidet eine Anwendung der Bestimmungen des Veranstaltungsgesetzes aus.89 Welche Veranstaltungen nun tatsächlich von der General87 88 89
Vgl dazu Strejcek/Tauböck, Privatunterrichtswesen und Fertigkeitsvermittlung. Vgl dazu zB § 1 Bgld VeranstaltungsG. Vgl dazu § 1 Abs 2 Z 7 Oö VeranstaltungsG, die den Betreib von Spielapparaten zur Gänze aus dem Anwendungsbereich ausnimmt und auf das Oö SpielapparateG verweist.
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klausel in den jeweiligen Veranstaltungsgesetzen erfasst sind, richtet sich nach den oben bei der Erörterung der kompetenzrechtlichen Fragen herausgearbeiteten Ergebnissen. Danach sind Veranstaltungsgesetze, die ihren Anwendungsbereich generalklauselartig umschreiben, grundsätzlich auf alle Veranstaltungen anwendbar, die in den Kompetenzbereich der Länder fallen, unabhängig davon, ob sie in allfälligen demonstrativen Aufzählungen tatsächlich genannt werden.90 Ausgeschlossen davon sind im Wege der verfassungskonformen Interpretation lediglich solche Veranstaltungen, die in den Kompetenzbereich des Bundes fallen, wie sie oben dargestellt wurden, Veranstaltungen, soweit sie ganz oder teilweise sondergesetzlichen Regelungen unterliegen und Veranstaltungen, die ein Veranstaltungsgesetz selbst aus seinem Anwendungsbereich ausnimmt. Solche Ausnahmebestimmungen finden sich in den meisten Veranstaltungsgesetzen, wobei sie auch Angelegenheiten, die nicht in den Kompetenzbereich der Länder fallen, ausnehmen. Solche Ausnahmebestimmungen sind nur klarstellend zu verstehen, weil sie auch ohne ihre Erwähnung nicht dem Anwendungsbereich eines Landesveranstaltungsgesetzes unterliegen würden.91 Dies gilt auch für Ausnahmebestimmungen, die Angelegenheiten betreffen, die in einem anderen Landesgesetz abschließend geregelt sind.92 Ausnahmebestimmungen stellen aber tatsächlich normative Anordnungen dar, wenn sie Veranstaltungen ausnehmen, die dem Landeskompetenzbereich angehören.93
2. Einteilung der Veranstaltungen In den Veranstaltungsgesetzen der Länder werden die Veranstaltungen in der Regel nach drei Kategorien unterschieden. Es werden bewilligungspflichtige, anmeldepflichtige und freie Veranstaltungen unterschiedlichen Bestimmungen unterworfen. Die Veranstaltungsgesetze sehen aber auch verbotene Veranstaltungen vor. Das Recht auf Abhaltung einer Veranstaltung unter den dafür vorgesehenen gesetzlichen Bedingungen (Bewilligung, Anzeige, Auflagen etc) ist ein persönliches Recht, welches in der Regel nicht übertragbar und persönlich auszuüben ist. Fortbetriebsrechte sind allenfalls unter Heranziehung eines Geschäftsführers in den einzelnen Veranstaltungsgesetzen vorgesehen. a) Bewilligungspflichtige Veranstaltungen Die Veranstaltungstypen, die einer Bewilligungspflicht unterliegen, sind in den einzelnen Veranstaltungsgesetzen unterschiedlich geregelt. Dies liegt zum 90
91 92 93
Vgl zB § 1 Abs 1 Bgld VeranstaltungsG. Vgl dazu insb die Judikatur des VwGH, in der dieser festgehalten hat, dass das Veranstaltungswesen in Tirol auch ein alpines internationales Schirennen umfasse. Dieses stelle eine Veranstaltung iS des Tir VeranstaltungsG dar. Der im § 1 Abs 1 Tir VeranstaltungsG aF genannte Anwendungsbereich sei schon durch den Begriff der „Darbietung“ so weit gefasst, dass er auch Sportveranstaltungen erfasse, zumal im Rahmen jeder Sportveranstaltung dem Publikum Leistungen auf dem Gebiet des Sports dargeboten würden. Nicht nur die eigentliche Veranstaltung (Darbietung) selbst bedürfe einer Überwachung, sondern auch schon Vorbereitungsarbeiten, Proben oder Trainingsläufe bei Großveranstaltungen überregionaler Bedeutung. Vgl VwSlg 11.194 A/1983. Dieser Gedanke kann nunmehr wohl auch auf das neue Tir VeranstaltungsG 2003 übertragen werden. Vgl zB § 1 Abs 4 Z 3 Bgld VeranstaltungsG (Veranstaltungen der Bundestheater), § 1 Abs 3 lit a Krnt VeranstaltungsG. Vgl zB § 1 Abs 2 Z 7 Oö VeranstaltungsG betreffend die Ausnahmen des Betriebs von Spielapparaten. Vgl zB § 1 Abs 4 Z 5 Bgld VeranstaltungsG (Veranstaltungen des ortsüblichen Brauchtums), § 1 Abs 3 lit c Krnt VeranstaltungsG. Vgl weiters betreffend Sportveranstaltungen § 1 Abs 4 Z 13 Bgld VeranstaltungsG.
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Teil daran, dass bestimmte Veranstaltungen in manchen Bundesländern im Veranstaltungsgesetz integriert einer Bewilligungspflicht unterworfen sind, zum Teil werden bestimmte Veranstaltungen durch eigene Landesgesetze erfasst. Darüber hinaus umschreiben manche Veranstaltungsgesetze die bewilligungspflichtigen Veranstaltungen konkret, zum Teil wird aber die Bewilligungspflicht an bestimmte, allgemein formulierte Tatbestandsmerkmale geknüpft, ohne die bewilligungspflichtigen Veranstaltungstypen konkret zu nennen. So unterwirft zB das Oö VeranstaltungsG die erwerbsmäßige Durchführung von Veranstaltungen einer behördlichen Bewilligungspflicht. Andererseits werden noch weitere Veranstaltungen von der Bewilligungspflicht ausgenommen.94 Dort, wo bewilligungspflichtige Veranstaltungen aufgezählt sind, werden in der Regel Zirkus-, Variete-, Kabarett-, Revue- und ähnliche Vorstellungen sowie Theatervorstellungen, oft mit Ausnahme jener, an denen nur Laienkräfte mitwirken, und alle im Umherziehen betriebenen Veranstaltungen einer Bewilligung unterworfen.95 Problematisch im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot erscheinen Bestimmungen, welche die Bewilligungspflicht bestimmter Veranstaltungen daran knüpfen, ob dabei mit erheblichen Gefährdungen für Besucher oder Sachen durch technische Anlagen oder Betriebsmittel zu rechnen ist.96 Zum Teil werden unterschiedliche Bewilligungsarten vorgesehen. So wird zwischen Dauerveranstaltungen und einzelnen Veranstaltungen unterschieden. Eine weitere Unterscheidung erfolgt danach, ob Veranstaltungen an einem bestimmten Ort stattfinden, oder ob sie im Umherziehen ausgeübt werden.
b) Bewilligungskriterien Auch bezüglich der Festlegung der Bewilligungskriterien sind die Landesgesetzgeber in den Veranstaltungsgesetzen unterschiedliche Wege gegangen. In der Regel werden persönliche Voraussetzungen für die Bewilligungserteilung, wie zB ein bestimmtes Alter, oder Verlässlichkeit angeordnet, wobei vor allem Personen ausgeschlossen werden, die wegen bestimmter mit Freiheitsstrafe bedrohter Handlungen verurteilt worden sind.97 Auch Trunksucht, Drogenmissbrauch, mehrmalige Verstöße gegen die Bestimmungen des Veranstaltungsrechts oder des Jugendschutzes und zB ein fehlender Nachweis der finanziellen Leistungsfähigkeit können die Verlässlichkeit ausschließen. Daneben werden in den VeranstaltungsG auch eine Reihe sachlicher Bewilligungsvoraussetzungen in unterschiedlicher Intensität festgelegt. Solche Voraussetzungen sind zB das Verfügen über eine geeignete Betriebsanlage, dass eine Störung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit und eine unzumutbare Belästigung der Nachbarn nicht zu erwarten ist. Die Bewilligung kann aus besonderen in der Art der Veranstaltung gelegenen Gründen auch vom Abschluss einer Haftpflichtversicherung abhängig gemacht werden.98
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Vgl dazu § 2 Abs 1 und 2 Oö VeranstaltungsG. Vgl etwa § 4 Sbg VeranstaltungsG. Vgl § 5 Abs 3 Vlbg VeranstaltungsG. Vgl zB die Bestimmung des § 6 Stmk VeranstaltungsG und die Bestimmung des § 17 Abs 2 Wr VeranstaltungsG. Vgl § 11 Abs 3 Krnt VeranstaltungsG. § 8 Sbg VeranstaltungsG sieht überhaupt bestimmte Möglichkeiten der Sicherstellung vor.
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Auch der Erlag einer Sicherheitsleistung ist in verschiedenen Gesetzen vorgesehen. In den einzelnen Bundesländern sind darüber hinausgehende Kriterien festgelegt, wie etwa die Rücksichtnahme auf bereits erteilte Bewilligungen (zB Sbg), die unzumutbare Verzerrung der Wettbewerbsverhältnisse durch die Bewilligungserteilung (OÖ), die Bedachtnahme auf kulturelle Interessen (Wien) uam. In der Bewilligung selbst können eine Reihe von Auflagen vorgesehen werden. So können bescheidmäßig die Art und der Umfang der Veranstaltung, zeitliche Beschränkungen, örtliche Beschränkungen, Auflagen im Hinblick auf die Betriebsstätte, die Einrichtung eines ärztlichen Präsenzdienstes, aber auch Auflagen im Hinblick auf die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen vorgeschrieben werden.99 Die Bewilligung selbst ist in Form eines Bescheides zu erteilen. Sie wird verschiedentlich auch (Veranstaltungs)konzession genannt. c) Versagungsgründe und Entziehung der Bewilligung Versagungsgründe, die in den verschiedenen Veranstaltungsgesetzen angeführt werden, liegen unter anderem vor, wenn mit der beabsichtigten Veranstaltung die öffentliche Ordnung nicht aufrecht erhalten werden kann, wenn die Betriebsstätte oder die Betriebsmittel (Betriebseinrichtungen) für die Veranstaltung nicht geeignet sind, wenn mit Auflagen nicht das Auslangen gefunden werden kann, wenn die persönlichen Voraussetzungen des Veranstalters nicht erfüllt sind oder die Veranstaltung einem Verbot durch das VeranstaltungsG unterliegt.100 Verschiedentlich ist auch die Entziehung der Bewilligung vorgesehen. Dies unter anderem dann, wenn die persönlichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind, oder ein dem Gesetz widersprechender Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist behoben wird.101 Solche Entziehungsgründe sind beispielsweise der Wegfall der Verlässlichkeit oder das nachträgliche Hervorkommen von Versagungstatbeständen oder der Missbrauch der Bewilligung. Aber auch die mangelnde Ausübung kann zum Entzug führen. d) anzeigepflichtige Veranstaltungen Eine Anzeigepflicht sehen die Veranstaltungsgesetze der Länder jeweils für einen Großteil der Veranstaltungen vor. Auch hier ist die Regelungstechnik unterschiedlich. Zum Teil werden die anzeigepflichtigen Veranstaltungen ausdrücklich benannt.102 Zum Teil sind unter Festlegung von Ausnahmen alle Veranstaltungen „anmeldepflichtig“, die keiner Bewilligungspflicht unterliegen.103
99 100 101 102 103
Vgl zB § 3 Oö VeranstaltungsG. Vgl zB § 5 Oö VeranstaltungsG. Vgl zB § 14 Abs 1 Krnt VeranstaltungsG. Vgl zB § 2 Stmk VeranstaltungsG. Vgl § 12 Sbg VeranstaltungsG, vgl auch § 2 Stmk VeranstaltungsG, § 4 Abs 2 Tir VeranstaltungsG 2003.
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Für die Anmeldung ist Schriftlichkeit und die Angabe der veranstaltungswesentlichen Daten, wie Ort, Zeit, Besucheranzahl usw erforderlich. In den verschiedenen Veranstaltungsgesetzen ist angeordnet, dass die Behörde die Anzeige innerhalb einer gewissen Zeit (innerhalb weniger Tage) entweder bescheidmäßig zur Kenntnis zu nehmen hat,104 oder dass ein Unterbleiben einer Reaktion zur rechtmäßigen Durchführung führt. Verschiedentlich ist auch die Ausstellung einer Bescheinigung darüber vorgesehen, dass die Anmeldung erfolgt ist.105 Andernfalls hat die Behörde mittels Bescheid eine Untersagung auszusprechen, wenn die dafür im Gesetz angeführten Untersagungsgründe gegeben sind. Die Behörde kann, bei einem Widerspruch zu den Bestimmungen des Veranstaltungsrechts oder zu anderen Rechtsvorschriften, dem Veranstalter die notwendigen Auflagen, wie etwa die Einrichtung eines Ordnerdienstes (zumeist bei Sport- und Großveranstaltungen) oder eines ärztlichen Präsenzdienstes, vorschreiben. Sollte mit Auflagen, Bedingungen und Befristungen nicht das Auslangen gefunden werden, hat die Behörde die Veranstaltung zu untersagen. Solche Untersagungsgründe liegen auch dann vor, wenn die Veranstaltung einer Bewilligung bedarf, die Veranstaltung nach den Bestimmungen des jeweiligen Veranstaltungsgesetzes überhaupt verboten ist, Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass durch die Veranstaltung die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder die öffentliche Sittlichkeit gefährdet wird oder die in Aussicht genommene Veranstaltungsstätte ungeeignet erscheint. Auch eine zu befürchtende unzumutbare Beeinträchtigung der Umgebung bildet einen Untersagungsgrund. In der Regel ist in den Veranstaltungsgesetzen vorgesehen, dass für anmeldepflichtige Veranstaltungen jederzeit Maßnahmen vorgeschrieben werden können, die zur Erfüllung der Erfordernisse für eine ordnungsgemäße Durchführung der Veranstaltung notwendig sind.
e) Veranstaltungen ohne Bewilligungs- und Anzeigepflicht Die Veranstaltungsgesetze der Länder sehen auch Veranstaltungen vor, die keiner Bewilligungspflicht und keiner Anzeigepflicht unterliegen (freie Veranstaltungen), die aber im Unterschied zu den vom Anwendungsbereich der Veranstaltungsgesetze überhaupt ausgenommenen Veranstaltungen den sonstigen allgemeinen Bestimmungen unterworfen sind. Auch diesbezüglich ist die Regelungstechnik in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. Teils werden sie ausdrücklich festgelegt, teils sind sie als Ausnahmen von der Anzeigepflicht konstruiert,106 teils ergeben sie sich aus der Festlegung des Anwendungsbereiches und der Substraktion der bewilligungspflichtigen und anzeigepflichtigen Veranstaltungen. Vereinzelt wird aber auch dort eine Mitteilungspflicht vorgesehen, die bei Fehlen der Ausnahmevoraussetzungen gesetzlich in eine Anmeldung umgedeutet wird.107 Für solche Veranstaltungen gelten grundsätzlich alle allgemeinen Bestimmungen für Veranstaltungen im VeranstaltungsG und die Behörde hat zudem auch die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen dem Veranstalter Auflagen zu erteilen.
104 105 106 107
Vgl zB 19 Krnt VeranstaltungsG. Vgl zB § 13 Abs 4 Nö VeranstaltungsG. Vgl dazu zB § 17 Krnt VeranstaltungsG. Vgl § 17 Abs 5 und 6 Krnt VeranstaltungsG.
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Beispiele sind Veranstaltungen, die im Rahmen von Gastgewerbebetrieben abgehalten werden, wenn die Zahl der gewerbe- oder veranstaltungsbehördlich genehmigten Besucherplätze 300 nicht übersteigt und keine Gefährdung der Besucher zu erwarten ist,108 der Betrieb von Musikautomaten, sportliche Veranstaltungen, wenn sie nicht von Berufssportlern durchgeführt werden, Straßenkunstdarbietungen etc.
f) Verbotene Veranstaltungen Die Veranstaltungsgesetze sehen auch eine Reihe von verbotenen Veranstaltungen vor. Dies sind zB Veranstaltungen, die die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder das Ansehen oder die Einrichtungen der Republik Österreich oder eines Bundeslandes oder einer sonstigen Gebietskörperschaft oder einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft gefährden oder verrohend oder sittenwidrig sind.109 Außerdem werden Veranstaltungen am Karfreitag und am 24. Dezember, die den Charakter dieser Tage stören und geeignet sind, die religiösen Gefühle der Bevölkerung zu verletzen, verboten.110 In einigen Bundesländern werden auch die Staats- und Landestrauer zum Anknüpfungspunkt für Verbote gemacht.111 Weiters werden das Bettelmusizieren, bei dem die Abgrenzung zum erlaubten Straßenmusizieren zu beachten ist, Experimente auf dem Gebiet der Hypnose und der Suggestion, bei denen sich der Veranstalter einer Person aus dem Publikum bedient, verboten. Ebenso finden sich Verbote für die entgeltliche Wahrsagerei oder Zukunftsdeutung,112 für Spielautomaten, wenn von ihnen eine verrohende bzw sittengefährdende Wirkung ausgeht, und Peepshows. In Vorarlberg knüpfen Verbote an bestimmte Straftatbestände, wie § 188 StGB, Herabwürdigung religiöser Lehren, oder § 218 StGB, öffentliche unzüchtige Handlungen, § 281 StGB, Aufforderung zum Ungehorsam gegenüber Gesetzen usw an.113
3. Veranstalter Die Landesgesetze enthalten gesonderte Regelungen über den Veranstalter und dessen Pflichten. Ein Veranstalter ist jemand, der Veranstaltungen abhält oder öffentlich bzw gegenüber der Behörde als solcher auftritt, der Veranstaltungen ankündigt oder auf dessen Rechnung sie durchgeführt werden. Einzelne Landesgesetze enthalten auch Zweifelsregeln, wie etwa das Merkmal einer Verfügungsberechtigung, das im Zweifel die Eigenschaft als Veranstalter begründet. Für bestimmte Veranstaltungen werden Sonderbestimmungen festgelegt. So ist etwa bei Sportveranstaltungen der Sportstätteninhaber der Veranstalter.114 Als Veranstalter können natürliche oder juristische Personen oder Personen- und Erwerbsgesellschaften des Handelsrechts auftreten, wobei sich juristische Personen eines Geschäftsführers bedienen müssen. Die Veranstalter sind 108 109 110 111 112 113 114
Vgl § 12 Abs 2 Sbg VeranstaltungsG. Vgl § 16 Stmk VeranstaltungsG. Vgl zB § 22 Abs 1 Sbg VeranstaltungsG. Vgl dazu zB § 20 Abs 2 Tir VeranstaltungsG 2003, § 22 Abs 2 Sbg VeranstaltungsG. Vgl § 20 Nö VeranstaltungsG, § 30 Abs 1 Wr VeranstaltungsG. Vgl § 9 Vlbg VeranstaltungsG. Vgl dazu § 3 Wr VeranstaltungsG.
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verpflichtet, die gesetzlichen Bestimmungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung einzuhalten.115 Zum Teil sind gesonderte Anwesenheitspflichten des Veranstalters während der Abhaltung der Veranstaltung festgelegt, zumindest aber die Bestellung einer verlässlichen Person als Aufsicht. Dieser Aufsichtsperson kommt idR nicht die Stellung eines verantwortlich Beauftragten iSd § 9 VStG zu, sodass die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit des Veranstalters weiterhin gegeben ist. Auch Auskunfts- und Informationspflichten sind festgelegt.116
4. Veranstaltungsstätte Einen besonderer Regelungsgesichtspunkt in den verschiedenen Veranstaltungsgesetzen bilden die Veranstaltungsstätten. Vereinzelt werden solche Regelungen auch außerhalb des jeweiligen Veranstaltungsgesetzes festgelegt.117 Veranstaltungsstätte ist der Ort, an dem Veranstaltungen abgehalten werden sollen. Die Regelungstechnik erfolgt hauptsächlich in der Art, dass Veranstaltungen nur in behördlich bewilligten Veranstaltungsstätten abgehalten werden dürfen, wobei solche Bestimmungen aber Ausnahmen vorsehen. Die behördliche Bewilligung erfasst auch die Betriebsmittel, dh die erforderlichen Einrichtungen gleichgültig, ob sie mobil sind oder nicht. Ausgenommen von der Bewilligungspflicht sind zB Veranstaltungsstätten, welche nach anderen Gesetzen einer Bewilligung unterliegen, wie etwa Gastgewerbebetriebe und Kinobetriebsstätten.118 Voraussetzung für die Bewilligung sind sicherheits-, feuer-, bau- und gesundheitspolizeiliche Aspekte. Weiters darf die Veranstaltungsstätte nur dann bewilligt werden, wenn sie keine unzumutbaren Belästigungen der Nachbarn oder der Umwelt nach sich zieht. Für bestimmte Veranstaltungsstätten sind eine Reihe von Sondervorschriften vorgesehen. Solche Regelungen finden sich zB im Zusammenhang mit Stadien, Spielhallen, Theater- und Konzertsälen usw. Der Bewilligungsantrag kann vom Eigentümer oder vom Veranstalter mit Einwilligung des Eigentümers eingebracht werden. In einigen Ländern sind auch mündliche Verhandlungen vorgesehen.119 Teilweise wird im Verfahren sogar den Nachbarn Parteistellung eingeräumt, wenn sie durch besondere Einwirkungen, wie durch störenden Lärm belästigt werden könnten.120 Unabhängig von den Genehmigungen nach speziellen Bestimmungen für Veranstaltungsbetriebsstätten sind freilich auch die allgemeinen Bestimmungen, wie etwa baurechtliche Bestimmungen einzuhalten und auch solche Bewilligungen einzuholen, wenn die Veranstaltungsstätte nach baurechtlichen Bestimmungen bewilligungspflichtig ist.
Die Veranstaltungsgesetze enthalten auch Vorschriften betreffend die Überprüfung von Veranstaltungsstätten. Es finden sich Instrumente wie die
115 116 117
118 119 120
Vgl § 3 Nö VeranstaltungsG. Vgl dazu auch Lienbacher, in: Bachmann ua (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht6, 435. Ein eigenes Veranstaltungsstättengesetz haben zB die Bundesländer Niederösterreich und Wien (Nö VeranstaltungsbetriebsstättenG, LGBl 8260-1, Wr VeranstaltungsstättenG LGBl 1978/4 idF .1999/19). Vgl dazu auch Lienbacher, FN 116, 435. Vgl § 36 Abs 1 und 2 Stmk VeranstaltungsG. § 36 Abs 2 Stmk VeranstaltungsG.
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wiederkehrende Begutachtung, wobei für gefahrengeneigte Anlagen auch eine jährliche Überprüfung vorgesehen ist. Das Wiener VeranstaltungsG hat für die Überprüfung und Sicherheitsberatung von Großveranstaltungsstätten ein eigenes Beratungsorgan als „fachlichen Beirat des Magistrats“ geschaffen.121 Den Inhaber der Veranstaltungsstätte trifft vor allem eine Instandhaltungspflicht im Hinblick auf den mangelfreien Zustand der Veranstaltungsstätte (Betriebssicherheit), die Einhaltung der für ihn geltenden Betriebsvorschriften (wie etwa die Kennzeichnung eines Rauchverbotes), aber zT auch die unter Strafsanktion gestellte Pflicht, nur angemeldete bzw bewilligte Veranstaltungen (bei Eignung seiner Anlage für diesen Veranstaltungstyp) durchführen zu lassen.122 Sind Mängel nicht fristgerecht behoben worden, oder treten Mängel auf, die schwer oder unbehebbar sind, wird die Bewilligung entzogen.
5. Veranstaltungen im Freien Für Veranstaltungen im Freien sind in der Regel in den einzelnen Landesgesetzen Erleichterungen vorgesehen. Hier mögen auch vereinzelt verstärkte zeitliche Beschränkungen eine Rolle spielen.123 Auch bei solchen Veranstaltungen ist aber zu beachten, dass eine Reihe anderer nicht veranstaltungsspezifischer Vorschriften zu Einschränkungen in der Abhaltung bzw Durchführung der Veranstaltung führen kann. Zu verweisen ist dabei auf Bestimmungen des Natur- und Landschaftsschutzes oder die Nationalparkgesetze, die gesonderte zusätzliche Bewilligungen vorsehen können. Solche finden sich zB für Anlagen des Motocross- und Autocrosssports, für die Anlage von Golf- und Minigolfplätzen, Tennisplätzen, die Anlage von Schipisten etc. Gesonderter Erwähnung bedürfen hier auch Veranstaltungen auf Straßen und auf öffentlichem Grund. Meist ist es erforderlich, zusätzliche Genehmigungen einzuholen. Genannt sei die Gebrauchserlaubnis, die oft mit einer Gebrauchsabgabe verbunden ist, und für die Verwendung von öffentlichem Grund in den Gemeinden, die solches vorsehen, vorgeschrieben wird. Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang auch die Bestimmungen der §§ 82 bis 86 StVO betreffend die Benützung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken. Wenn öffentliche Straßen benutzt werden, bedarf es überdies der Zustimmung der zuständigen Straßenverwaltung und kann mit einer Gebührenpflicht verbunden sein.124 Erwähnenswert sind auch die vielfältigen Bestimmungen zu Werbemaßnahmen und Ankündigungen, die aus unterschiedlichen Gesichtspunkten Beschränkungen auferlegen. Für Luftfahrtveranstaltungen (Ballon-, Drachen- und Modellfliegen, Fallschirmspringen, Flugschau udgl) kann eine zusätzliche Genehmigung nach dem LuftfahrtG erforderlich sein.
121 122 123 124
Es ist dies die Theaterkommission gem § 22 Wr VeranstaltungsG. Vgl dazu auch Lienbacher, FN 116, 435. Vgl dazu die Darstellung bei Vögl, FN 45, 31. Vgl dazu die Darstellung bei Vögl, FN 45, 35.
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6. Überwachung von Veranstaltungen a) Gegenstand und Maßnahmen der Überwachung Gegenstand der Überwachung von Veranstaltungen sind sowohl die Veranstaltung selbst als auch die jeweilige Veranstaltungsstätte. Dem Veranstalter werden in verschiedenen Bestimmungen bestimmte Verpflichtungen auferlegt, um die Überwachung zu erleichtern. So ist er verpflichtet, den Organen die notwendige Anzahl von Sitzplätzen zur Verfügung zu stellen,125 den Überwachungsorganen ist der Zutritt zu den Veranstaltungsstätten zu gewähren. Er hat nötigenfalls die Inbetriebnahme von Maschinen und anderen Betriebsmitteln auf Weisung der Überwachungsorgane zu veranlassen. Die Überwachungsorgane haben die Möglichkeit, bei auftretenden Mängeln und Rechtswidrigkeiten die Veranstaltung zu unterbrechen, um sie innerhalb angemessener Frist beheben zu lassen. Wenn dies notwendig ist, kann die Veranstaltung auch abgebrochen werden. Wird eine Veranstaltung von den Überwachungsorganen abgebrochen, haben die Besucher den Ort der Veranstaltung in der Regel nach Aufforderung der Überwachungsorgane unverzüglich zu verlassen.126 b) Überwachungsorgane Die Überwachung wird in den verschiedenen Veranstaltungsgesetzen je nach Veranstaltungstyp ganz unterschiedlichen Behörden übertragen. In der Regel ist für die Überwachung von Veranstaltungen, die über die Gemeinde nicht hinausreichen, der Bürgermeister zuständig. Bei den übrigen Veranstaltungen sind jeweils die Bezirksverwaltungsbehörden die für die Überwachung verantwortlichen Behörden. Zu beachten ist dabei, dass auf der Grundlage des Art 15 Abs 3 B-VG im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeidirektion diese zur Überwachung zu berufen sind. Dies gilt auch dann, wenn es sich um Veranstaltungen handelt, die von den Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich im Zuge ihrer Kompetenz der örtlichen Veranstaltungspolizei gemäß Art 118 Abs 3 B-VG zu besorgen sind. Gesetzliche Bestimmungen, die dies nicht ausdrücklich anordnen, verstoßen insoweit gegen Art 15 Abs 3 B-VG.127 In den Veranstaltungsgesetzen finden sich auch Bestimmungen, die ganz allgemein den Bundespolizeibehörden in ihrem Wirkungsbereich die Überwachung übertragen.128 Problematisch im Hinblick auf Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG erscheinen Bestimmungen, die überhaupt keine Überwachungszuständigkeiten für die Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich vorsehen.129 In den Veranstaltungsgesetzen ist auch vorgesehen, Sicherheits- und Kontrollaufgaben durch Verwaltungsakt zu übertragen. Es handelt sich dabei in der Regel um die Vorschreibung eines Ordnerdienstes im Wege einer Auflage oder eines Auftrages.130 125 126 127 128 129
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Vgl zB § 17 Abs 6 Tir VeranstaltungsG 2003. Vgl zB § 10 Abs 6 Vlbg VeranstaltungsG. Zur verfassungsrechtlichen Problematik vgl oben I.B.3. Vgl dazu § 25 lit a und b Tir VeranstaltungsG 2003, § 31 Z 2 Sbg VeranstaltungsG. Vgl zB § 20 Abs 1 Nö VeranstaltungsG, der Überwachungszuständigkeiten nur im Bereich der örtlichen Bau- und Feuerpolizei vorsieht, nicht aber im genuinen Bereich des Veranstaltungswesens. Vgl zB § 10 Abs 6 Bgld VeranstaltungsG, wonach die Anmeldebehörde dem Veranstalter zur Sicherung des ordnungsgemäßen Ablaufes von Sportveranstaltungen mit
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Solche Ordnerdienste haben aber keine speziellen Befugnisse wie die Organe der öffentlichen Sicherheit. Sie werden vielfach von privaten Sicherheitsunternehmen geleistet, die freilich aus diesem Grund nur beschränkt einsetzbar sind, weil ihnen effektive Eingriffe, wie sie Organen der öffentlichen Sicherheit etwa bei Gewalttätigkeiten zukommen, verwehrt sind.131 Bei Großveranstaltungen ist oft eine „besondere Überwachung“ nach § 27a SPG durch staatliche Sicherheitskräfte bescheidförmig angeordnet. Hiefür können auch entsprechende Sicherheitsgebühren eingehoben werden (§§ 5a, 48a SPG). Solche besonderen Überwachungen finden aber nur statt, wenn die für die Veranstaltung Verantwortlichen nicht bereit oder in der Lage sind, durch zumutbare Vorkehrungen den erforderlichen Schutz zu gewährleisten (§ 27a SPG).132
7. Behörden Die Behördenzuständigkeiten zur Vollziehung der Veranstaltungsgesetze sind auf Grund der Vielfalt der zu besorgenden Aufgaben unterschiedlich festgelegt. Als Eckpunkte sollen hier festgehalten werden, dass bei Veranstaltungen im Umherziehen zum großen Teil die Landesregierungen zuständig sind. Veranstaltungen, die sich auf den örtlichen Bereich der Gemeinden beschränken, fallen in die Zuständigkeit der Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich, wie dies gemäß Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG geboten ist. Im Übrigen sind die Bezirksverwaltungsbehörden und die Landesregierungen je nach Größe der Veranstaltung zuständig. Hinsichtlich der Überwachung darf auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden. Wie schon unter den kompetenzrechtlichen Ausführungen angemerkt wurde, haben die Bundespolizeibehörden in ihrem Wirkungsbereich nicht nur die Überwachung von Veranstaltungen gemäß Art 15 Abs 3 B-VG übertragen zu bekommen, sondern auch wenigstens die Mitwirkung bei der Verleihung von Berechtigungen in erster Instanz. Das bedeutet, dass Bewilligungserteilungen bzw das Ausstellen von Bescheinigungen, wie es vereinzelt vorgesehen ist, einer Mitwirkung der Bundespolizeibehörden bedürfen, um verfassungskonform geregelt zu sein. Zumindest muss die Bundespolizeibehörde insoweit eingebunden sein, als sie zu verständigen ist und eine Äußerungsmöglichkeit erhält.133
8. Verfahren Neben den Bestimmungen des AVG und des VStG, die auch im Bereich des Veranstaltungswesens zur Anwendung gelangen, enthalten die Veranstaltungsgesetze in den Ländern eine Reihe von verfahrensrechtlichen Sonderbestimmungen. Sowohl hinsichtlich der Bewilligungsverfahren als auch hinsichtlich
131
132 133
Bescheid die Errichtung eines Ordnerdienstes vorzuschreiben hat, wenn mehr als 3000 Besucher erwartet werden, oder mit Gewalttätigkeiten zu rechnen ist, oder die Art der Veranstaltung eine erhebliche Gefährdung erwarten lässt. Ähnliche Bestimmungen finden sich auch in anderen Ländern. Vgl dazu Stolzlechner, Möglichkeiten der Übertragung staatlicher Gefahrenabwehraufgaben auf private Sicherheitsunternehmen, in: Stober/Stolzlechner, Übertragung von Aufgaben der staatlichen Gefahrenabwehr auf private Sicherheitsunternehmen (2002), 27 ff (45). Vgl dazu Stolzlechner, FN 131, 44. § 7 Abs 3 Bgld VeranstaltungsG sieht zB im Bewilligungsverfahren vor, dass im örtlichen Wirkungsbereich diese zu hören ist.
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der Anmeldeverfahren ist zumeist die Schriftform zwingend vorgeschrieben. In den Verfahren werden auch außerhalb der schon aus Art 15 Abs 3 B-VG erfließenden Verpflichtung betreffend die Bundespolizeibehörden juristischen Personen in bestimmten Verfahren Anhörungs- oder Informationsrechte eingeräumt. Solche Rechte finden sich für die Gemeinden, wenn das Verfahren vor der Bezirksverwaltungsbehörde durchgeführt wird, für Wirtschaftskammern und Arbeiterkammern. Darüber hinaus werden auch Verständigungspflichten bezüglich anderer Behörden festgeschrieben. Charakteristisch für verschiedene Verfahren ist auch, dass vielfach sehr kurze Fristen, sowohl für die Einbringung als auch für die Entscheidung der Behörden vorgesehen sind.
B. Sonderregelungen für bestimmte Veranstaltungstypen Das Veranstaltungswesen ist auf einfachgesetzlicher Ebene vor allem auch dadurch gekennzeichnet, dass es eine sehr große legislative Zersplitterung aufweist. Dies führt unter anderem zu Zuordnungsschwierigkeiten, weil sich über die Zeiträume hinweg der Blick für die historischen Anknüpfungspunkte verliert. Im Veranstaltungswesen ergeben sich daraus insb deshalb Probleme, weil verfassungsrechtliche Bestimmungen, wie sie oben an Hand von Art 15 Abs 3 und Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG dargestellt wurde, daran anknüpfen. Deren Nichtbeachtung, aus welchen Gründen auch immer führt zu den erwähnten Verfassungswidrigkeiten. Hier sollen aber nicht mehr die verfassungsrechtlichen Probleme im Vordergrund stehen, sondern ein Überblick über die wichtigsten Bereiche, die zum Teil außerhalb der (allgemeinen) Veranstaltungsgesetze geregelt sind, versucht werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
1. Spielapparate Ein Teil der Länder hat eigene Bestimmungen außerhalb der Veranstaltungsgesetze erlassen, die den Regelungsgegenstand „Spielapparate“ abschließend regeln.134 Der andere Teil der Länder sieht dafür in den Veranstaltungsgesetzen selbst Sonderregelungen vor. In diesen Sonderbestimmungen werden zusätzliche Einschränkungen und besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Dabei wird in der Regel zwischen Geldspielapparaten und Spielapparaten unterschieden. Spielapparate sind Vorrichtungen, die zur Durchführung von Spielen bestimmt sind und gegen Entgelt betrieben werden. Geldspielapparate sind Spielapparate, mit denen um vermögenswerte Gewinne oder Verluste gespielt wird. Ob die Entscheidung über Gewinn oder Verlust ausschließlich oder überwiegend vom Zufall oder von der Geschicklichkeit des Spielers abhängt oder ob der Gewinn vom Geldspielapparat selbst oder auf andere Weise ausgefolgt wird, ist meist unerheblich. Geldspielapparate fallen, wie oben schon dargestellt wurde, im Wesentlichen nicht in die Kompetenz der Länder, sondern sind größten Teils Bundeskompetenz im Wege des Glückspielmonopols. Die nicht unter das 134
Vgl die im Vorspann angeführten Gesetze betreffend Spielautomaten bzw Spielapparate.
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GlücksspielG fallenden Geldspielapparate sind in den Landesgesetzen oft überhaupt verboten. Im Übrigen fallen sie unter die Bestimmungen über die Spielapparate. Die Aufstellung der Spielapparate unterliegt im Vergleich zu den übrigen Veranstaltungen einer verschärften Bewilligungspflicht. Dies betrifft sowohl die persönlichen als auch die sachlichen Genehmigungsvoraussetzungen. Bestimmte Spielapparate, wie zB solche zur Unterhaltung von Kindern werden in der Regel vom Anwendungsbereich ausgenommen. Auch hinsichtlich der Überwachung werden eine Reihe zusätzlicher Rechte vorgesehen. So ist beispielsweise die Behörde berechtigt, zu Kontrollzwecken unentgeltliche Spiele durchzuführen. In einigen Gesetzen ist auch eine sofortige Entfernung nicht ordnungsgemäßer Spielautomaten vorgesehen. Unter bestimmten Voraussetzungen wird der Verfall angeordnet. In Wien ist ein „Spielapparatebeirat“ eingerichtet, der fachliche Empfehlungen zur Typisierung und zur Funktionalität eines Spielapparates abzugeben hat. Er ist mit Vertretern aus den Bereichen der Jugendpsychologie, des Jugendschutzes, des Veranstaltungsrechts, des Glücksspielwesens und der Apparatetechnik sowie Vertretern der Arbeiter- und Wirtschaftskammer besetzt.135
2. Kinowesen136 In allen Bundesländern mit Ausnahme von Salzburg und Tirol werden die Angelegenheiten des Kino- bzw Lichtspielwesens durch eigene Landesgesetze außerhalb der Veranstaltungsgesetze geregelt. Sie sind im Vorspann dieses Beitrages aufgeführt. Die einzelnen Gesetze enthalten Bestimmungen in Bezug auf die öffentliche Sicherheit und in Bezug auf die Sicherheit des Publikums. Auch spezielle Jugendschutzbestimmungen sind vorgesehen. Öffentliche Lichtspielvorführungen bedürfen grundsätzlich einer Bewilligung oder sie sind anzeigepflichtig, wobei jeweils bestimmte Ausnahmen festgelegt werden.137 Zum Teil werden in den Gesetzen auch verbotene Lichtspielvorführungen angeführt. Im Übrigen finden sich in den einzelnen Gesetzen hinsichtlich der sachlichen und persönlichen Genehmigungsvoraussetzungen und der Verfahren jeweils ähnliche Bestimmungen, wie in den Veranstaltungsgesetzen. Die Vorführung darf nur an Orten und mit Vorführeinrichtungen vorgenommen werden, die dafür geeignet sind. Diese Eignung ist unter Wahrung der feuer-, sicherheits-, gesundheits- und verkehrspolizeilichen Gesichtspunkte und der Hintanhaltung von unverhältnismäßigen Belästigungen der Nachbarn in Form einer Betriebsanlagengenehmigung zu erteilen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Verschiedentlich ist eine zusätzliche Betriebsbewilligung vorgesehen. Darüber hinaus findet sich in den Gesetzen eine Fülle von Regelungen betreffend den Betrieb. Regelungsgegenstände sind die Betriebspflicht, Be135 136 137
Vgl § 15 Abs 1a Wr VeranstaltungsG sowie die Wr SpielapparatebeiratsV. Vgl dazu allgemein Krammer, Das Kinowesen, 2003. Auch wenn in einem Animierbetrieb, der gegen Entgelt für jedermann zugänglich ist, Videofilme gezeigt werden, so liegt eine öffentliche Aufführung iS des § 1 Abs 1 Wr KinoG vor, sodass solche Videofilmvorführungen einer behördlichen Bewilligung gemäß § 2 Abs 1 bedürfen, vgl VwGH 20.2.1985, 84/01/0365.
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zeichnungspflichten, Verbote bestimmter Ankündigungen, Regelungen betreffend das Personal, Anwesenheitspflichten usw. In den meisten Gesetzen ist auch vorgesehen, dass Filme nach ihrem kulturellen und künstlerischen Wert beurteilt werden. Dies wird von der durch eine Art 15a B-VG Vereinbarung der Länder geschaffenen Filmbewertungskommission bewerkstelligt (zB Vlbg LGBl 1978/26 idF 1996/1).
3. Buchmacher und Totalisateure Auch für die Buchmacher und Totalisateure138 bestehen in vielen Ländern Sonderregelungen außerhalb des Veranstaltungsgesetzes. Regelungsgegenstände sind die Bewilligungspflicht und die Bewilligungsarten sowie die Voraussetzungen für die Bewilligung. Auch hier werden besondere persönliche und sachliche Voraussetzungen angeordnet. Weiters finden sich besondere Bestimmungen über das Wettreglement, über die äußere Bezeichnung der Betriebsstätte, über Nebenbedingungen usw.
4. Fiakergesetze In Wien und Salzburg wurden eigene Fiakergesetze erlassen. Sie fallen kompetenzrechtlich unter den oben genannten Gesichtspunkten ebenfalls unter das Veranstaltungswesen. In Wien war sogar vor dem Jahr 2000 das Fiakerwesen im Veranstaltungsgesetz selbst integriert. In den FiakerG wird die Beförderung von Personen mittels Personenkutschen, soweit sie entgeltlich ist, geregelt. Im Vordergrund steht dabei die Belustigung und Erbauung und nicht die Überwindung einer Distanz bzw der Gebrauch als Beförderungsmittel. In den genannten Gesetzen werden die Bewilligungsbedingungen festgelegt und jeweils besondere Bestimmungen für die Konzessionserteilung, sowie für die Voraussetzungen für den Erwerb der Konzession, über die fachliche Befähigung, über die Ausübungsbedingungen sowie über die Überwachung festgelegt. Ebenso finden sich dort Regelungen über besondere Pflichten der Bewilligungsinhaber.
5. Campingplatzgesetze Zuletzt seien auch die Campingplatzgesetze genannt, die unter den oben angeführten kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten ebenfalls dem Veranstaltungswesen zugerechnet werden können. Die im Vorspann genannten Ländern existierenden Campingplatzgesetze enthalten Bestimmungen über die Errichtung eines Campingplatzes, die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen zum Betrieb eines solchen, Ausstattungsvorschriften etc. Zur Errichtung und zum Betrieb ist eine Genehmigung erforderlich. Für den Berechtigten wird eine Reihe von Verpflichtungen angeordnet.
C. Andere Vorschriften, die an das Veranstaltungswesen anknüpfen 1. Jugendschutz Alle landesgesetzlichen Jugendschutzgesetze knüpfen in mehr oder weniger umfangreicher Weise an Veranstaltungen an. In der Regel gelten diese Be138
Zum Begriff vgl die Ausführungen oben II. B. 2.c.
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stimmungen hauptsächlich für öffentliche Veranstaltungen. Es werden für Jugendliche jeweils altersmäßig unterschiedlich gestuft, Verbote und Beschränkungen vorgesehen. So besteht Ausweispflicht, bis zu gewissen Alterstufen Verbot von Alkohol- und Tabakkonsum, beschränkte Ausgeh- und damit Teilnahmebedinungen an Veranstaltungen.139
2. Landespolizeistrafrechtliche Vorschriften Eine Reihe weiterer Landesgesetze sieht unter anderen Gesichtspunkten Bestimmungen vor, die an die Abhaltung von Veranstaltungen anknüpfen. Zu nennen sind spezielle Vorschriften betreffend Lärm- und Geruchsbelästigungen durch Veranstaltungen, die Wahrung des öffentlichen Anstandes usw, die sich in verschiedenen Landes-Polizeistrafgesetzen finden.
3. Steuern, Gebühren und Abgaben Rechtsvorschriften, die Steuern, Gebühren und Abgaben bei der Abhaltung von Veranstaltungen vorsehen, knüpfen ebenfalls an das Abhalten von Veranstaltungen an. Dabei ist auf die Vergnügungssteuer (Lustbarkeitsabgabe) zu verweisen, die als landesrechtlich geregelte ausschließliche Gemeindeabgabe regelmäßig unter den landesrechtlichen Rahmenbedingungen von den Gemeinden unterschiedlich hoch festgelegt und auch für unterschiedliche Veranstaltungen eingehoben wird. Die Erscheinungsformen sind zB Steuer vom Entgelt, Pauschalbeträge, Konsumationsabgabe, Garderobegebühren, Entgelte für Programme und Kataloge etc. Auch verschiedene Abgabenformen, wie der Sportgroschen oder die Kriegsopferabgabe, sind im Zusammenhang mit Veranstaltungen vorgesehen.140 Schließlich sind auch die Gebühren zu nennen, die mit der Abhaltung von Veranstaltungen auftreten können. Neben den Gebühren, die nicht veranstaltungsspezifisch sind, wie die Vergebührung von Eingaben, sind teilweise spezifische Gebühren für Konzessionsdekrete und Anmeldebescheinigungen sowie für Verpachtungs- und Geschäftsführergenehmigungen etc vorgesehen.141 Besonders hervor gestrichen werden müssen die Kommissions- und Überwachungsgebühren, die nach § 77 AVG iVm mit der BundesKommissionsgebührenverordnung und der Bundes-Überwachungsgebührenverordnung eingehoben werden. Danach sind für Amtshandlungen (Augenschein, mündliche Verhandlung, besondere Entsendung von Exekutivbeamten für Überwachungstätigkeiten etc) tariflich festgesetzte Gebühren zu entrichten. Hier sind auch noch einmal die Gebrauchsabgaben, wie sie oben schon angesprochen wurden, zu erwähnen. Ebenso ist auf die Ankündigungsabgabe (zB Plakatieren, Flugzettel, Lautsprecherdurchsagen etc) oder die Anzeigenabgabe (Anzeigen in Printmedien) hinzuweisen, die verschiedentlich vorgesehen sind.142
139 140 141 142
Vgl dazu die Darstellung bei Vögl, FN 45, 38 ff. Vgl dazu die Darstellung bei Vögl, FN 45, 50 ff. Vgl dazu die Darstellung bei Vögl, FN 45, 58. Vgl dazu die Darstellung bei Vögl, FN 45, 58 ff.
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Veranstaltungsrecht
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4. Urheberrechtlichen Fragen Zuletzt sei auch noch darauf hingewiesen, dass Veranstaltungen, in denen Musik aufgeführt wird, einer urheberrechtlichen Bewilligung bedürfen, die in der Regel von Verwertungsgesellschaften vergeben wird. Das neue Verwertungsgesellschaftengesetz enthält unter anderem Regelungen über die Rechte und Pflichten von Nutzern gegenüber den Verwertungsgesellschaften.143 Auch Interpreten und Tonträgerunternehmen haben so genannte Leistungsschutzrechte. Die AKM ist die größte österreichische Organisation im Bereich der Wahrnehmung von Urheberrechten. Sie vertritt Autoren, Komponisten und Musikverleger und verwaltet deren Aufführungs- und Senderechte an Werken der Musik und den mit ihr verbundenen Texten. Zu nennen sind hier auch die Austro-Mechana, die grob gesprochen die Vervielfältigungsrechte und die Verbreitungsrechte der genannten Personengruppe wahrt, und die LiterarMechana, die die Rechte der Schriftsteller an den von ihnen geschaffenen Sprachwerken schützt. Es sei darauf hingewiesen, dass auch in diesem Zusammenhang vielfältige Bestimmungen bestehen, zB wann eine Aufführungsbewilligung überhaupt zu erwerben ist, welche Veranstaltungen davon ausgenommen sind, und wer Veranstalter im Sinne des Urheberrechts ist, usw.144
5. Tierschutzrechtliche Fragen Wie bereits oben unter I.B.1.h. erörtert, bleibt die grundsätzliche Kompetenz der Länder zur Reglementierung von Veranstaltungen, bei denen Tieren - etwa zu Film- oder Fotoaufnahmen - verwendet werden oder im Rahmen eines Zirkusses gehalten werden sollen,145 unberührt. Freilich ist nach TSchG zu beachten, dass zur Überprüfung tierschutzrechtlicher Interessen eine (zusätzliche) Bewilligung einzuholen sein kann (vgl zB §§ 27, 28 TSchG), was im Licht der „Gesichtspunktetheorie“ verfassungsrechtlich nicht weiter zu beanstanden ist. In Anbetracht der weiterhin aufrechten Regelungskompetenz der Länder nach Art 15 B-VG ist jedoch kritisch zu würdigen, dass die TierschutzVeranstaltungsV (§ 5) die höchstzulässige Dauer einer Veranstaltung, in der Tiere verwendet werden sollen (zB Prämierung, Messe), mit drei Tagen beschränkt.146
143 144
145
146
Vgl dazu das VerwertungsgesellschaftenG 2006, BGBl I 2006/9. Vgl dazu den Beitrag Aufsicht über Verwertungsgesellschaften von N. Raschauer in diesem Band sowie ferner Garninger, Musik- und Video auf Veranstaltungen, in: Vögl, FN 45, 86 ff. Dies ist wohl auch im Licht einer verfassungskonformen Interpretation geboten, wenn man bedenkt, dass landesgesetzliche Regelungen nach Art des § 3 Z 3 Bgld VeranstaltungsG, die die Abhaltung einer Zirkusveranstaltung von einer behördlichen Bewilligung abhängig machen, weiterhin in Geltung stehen. Verfassungsrechtlich bedenklich erscheint freilich, dass einzelne Bundesländer wie Wien die Haltung bestimmter Wildtiere in Zirkussen untersagen (VO der Wr LReg, LGBl 2003/45), obwohl dies seit Inkrafttreten des Art 11 Abs 1 Z 8 B-VG nicht mehr von der Regelungskompetenz der Länder umfasst sein dürfte. Derzeit ist hiezu ein Verordnungsprüfungsverfahren beim VfGH anhängig (V 119/05).
Alfred Duschanek
Datenschutzrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................300 Grundlegende Literatur...................................................................................300 I. Grundlagen ................................................................................................300 A. Einleitung: Regelungsgegenstand und Entwicklung des Datenschutzes .................................................................................300 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................302 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen .................303 II. Anwendungsbereich des DSG 2000........................................................304 A. Inhaltlicher Anwendungsbereich ...........................................................304 B. Persönlicher Anwendungsbereich .........................................................305 C. Räumlicher Anwendungsbereich des DSG 2000 und Internationaler Datenverkehr................................................................306 III. Das Grundrecht auf Datenschutz .........................................................308 A. Allgemeines............................................................................................308 B. Das Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten ....................309 C. Das Recht auf Auskunft, Richtigstellung und Löschung........................311 IV. Zulässigkeit der Datenverwendung ......................................................311 A. Allgemeine Voraussetzungen .................................................................311 1. Grundsätze (§ 6) ................................................................................312 2. Kriterien der Datenverwendung (§§ 7, 8 und 9) ...............................313 B. Voraussetzungen der Zulässigkeit besonderer Datenverwendungen ....314 V. Pflichten des Auftraggebers ....................................................................316 A. Publizität der Datenverarbeitungen ......................................................316 1. Meldepflicht an das Datenverarbeitungsregister (DVR) ...................316 2. Vorabkontrolle ..................................................................................318 3. Pflicht zur Offenlegung.....................................................................318 4. Informationspflicht des Auftraggebers..............................................318 B. Datensicherheit......................................................................................319 VI. Rechte des Betroffenen ..........................................................................320 A. Allgemeines............................................................................................320 B. Die Rechte auf Auskunft, Richtigstellung oder Löschung......................320 C. Das Widerspruchsrecht .........................................................................321 D. Schadenersatz........................................................................................323 E. Rechtsschutz...........................................................................................323 VII. Ausblick .................................................................................................325
Duschanek
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Rechtsgrundlagen: EU-Recht: RL 95/46/EG, Abl L 281/31; RL 02/58/EG, Abl 2002 L 231/37; V 01/45/EG, Abl L 8/1. BG: Bundesgesetz über den Schutz personenbezogener Daten, Datenschutzgesetz 2000 DSG 2000, BGBl I 1999/165 idF BGBl I 2001/136 und 2005/13. VO: Datenverarbeitungsregister-Verordnung 2002 - DVRV 2002, BGBl II 2002/24; Datenschutzangemessenheits-Verordnung - DSAV, BGBl II 1999/521; RegistrierungsÜberleitungsverordnung, BGBl II 1999/522; Standard- und Muster-Verordnung 2004 StMV 2004, BGBl II 2004/312.
Grundlegende Literatur: Damman/Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, Kommentar, 1997; Dohr/Pollirer/Weiss, Kommentar Datenschutzrecht2, 2002; Drobesch/Grosinger, Das neue österreichische Datenschutzgesetz, 2000; Duschanek, Kommentierung der §§ 1 und 2 DSG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht; derselbe, Neuerungen und offene Fragen im Datenschutzgesetz 2000, ZfV 2000, 526; derselbe (Hrsg), Datenschutz in der Wirtschaft, 1981; Duschanek/Rosenmayr-Klemenz, Datenschutzgesetz 2000, Gesetzestext samt Einführung und Kurzkommentar, 2000; Ehmann/Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, Kurzkommentar, 1999; Jahnel, Das Grundrecht auf Datenschutz nach dem DSG 2000, FS Schäffer, 2006, 313; derselbe, Datenschutzrecht, in: Jahnel/Schramm/Staudegger (Hrsg), Informatikrecht2, 2002, 241; Knyrim, Datenschutzrecht, 2003; Matzka/Kotschy, Datenschutzrecht für die Praxis, 1988; Mayer-Schönberger, Information und Recht. Vom Datenschutz bis zum Urheberrecht, 2001; MayerSchönberger/Brandl, Datenschutzgesetz 2000, 1999; Souhrada-Kirchmayer, Das Datenschutzgesetz 2000, SozSi 2000, 938; Wittmann (Hrsg), Datenschutzrecht im Unternehmen, 1991.
I. Grundlagen A. Einleitung: Regelungsgegenstand und Entwicklung des Datenschutzes Die rasante Entwicklung der Informationstechnologien hat die Möglichkeiten größte Datenmengen unter vielfältigen Aspekten zu sammeln und auszuwerten in beinahe unbegrenztem Maß gesteigert. In allen gesellschaftlichen Bereichen, sei es ihm Rahmen der staatlichen Verwaltung, in der Wirtschaft, in sonstigen privaten Einrichtungen und sogar in den Haushalten, gehört Datenverarbeitung zum selbstverständlichen Werkzeug der Entscheidungsfindung und Kommunikation. Anliegen des Datenschutzes ist es, diese Vorgänge zur Gewährleistung des Persönlichkeitsschutzes der Betroffenen und sonstiger schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen rechtlichen Schranken iVm geeigneten Rechtsschutzinstrumenten zu unterwerfen. In Österreich bestand ein spezielles Datenschutzgesetz seit 1978,1 das bereits wesentliche Grundzüge eines modernen Datenschutzes aufzuweisen hatte.
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BG über den Schutz personenbezogener Daten (Datenschutzgesetz - DSG), BGBl 1978/575.
Datenschutzrecht
301
Mit 1.1.2000 wurde es vom DSG 20002 abgelöst, welches nicht zuletzt durch die EG-Richtlinie 95/46/EG3 notwendig geworden war. In den ErwG 23 und 68 wird den nationalen Gesetzgebern ausdrücklich freigestellt, ob die Umsetzung der DSRL im Rahmen eines allgemeinen DSG oder durch bereichsspezifische Regelungen erfolgt. Damit wurde Österreich in die Lage versetzt, die Grundstruktur seines seit 1978 entwickelten Datenschutzrechts beizubehalten, indem neben den allgemeinen Bestimmungen des DSG eine Vielzahl spezialgesetzlicher Vorschriften die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung gewährleisten soll.4 Freilich hat sich längst herausgestellt, dass das ursprüngliche Konzept für die materienspezifische Regelung des Datenschutzes, nämlich die Festlegung sämtlicher, im jeweiligen Anwendungsbereich relevanten "Komponenten der Datenverarbeitung", einschließlich der zulässigen Datenarten und Voraussetzungen ihrer Verwendung,5 von der technischen Entwicklung überholt wurde. Wollte noch der "Datenschutz der ersten Generation" die Datenverarbeitung in Großcomputern und Rechenzentren gewissermaßen als technisches Großrisiko im Interesse der Betroffenen rechtlichen Schranken und behördlicher Aufsicht unterwerfen,6 ist der Gesetzgeber heute gefordert, neuartige Kontrollinstrumente für die in alle gesellschaftlichen Bereiche vordrängende Informatisierung zu entwickeln, mit denen unter vertretbarem finanziellen und administrativen Aufwand neue Gefahrenpotentiale bzw missbräuchliche Entwicklungen wirksam bekämpft werden können.7 Zutreffend wird in diesem Zusammenhang von der "Strukturverantwortung" des Staates8 für die Verwirklichung des datenschutzrechtlichen Leitgedankens der "informationellen Selbstbestimmung"9 gesprochen. Angesichts weltweiter Kommunikationsnetze sind dafür freilich globale Konzepte und internationale Zusammenarbeit gefordert, wie schon die komplexen Probleme zeigen, die sich zufriedenstellenden Lösungen 2
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BG über den Schutz personenbezogener Daten (Datenschutzgesetz 2000 - DSG 2000), BGBl I 1999/165 idF BGBl I 2001/136 und 2005/13. Zitierte Paragrafen ohne Gesetzesangabe beziehen sich auf das DSG 2000. RL 95/46/EG vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, Abl 1995 L 281/31, im Folgenden als DSRL zitiert; Erwägungsgründe der DSRL werden als ErwG zitiert. Vgl § 61 Abs 7 sowie weitere Hinweise unter IV.B. § 6 DSG 1978 sowie die Erläuterungen hiezu in der RV 1975, 72 BlgNR 14.GP. Mayer-Schönberger/Brandl, 13. Dieser Neuerungsbedarf erstreckt sich insbes auch auf den materienspezifischen Datenschutz (vgl Duschanek, Neuerungen, 536). Zu einem ähnlichen Befund gelangen Bull, Aus aktuellem Anlass: Bemerkungen über Stil und Technik der Datenschutzgesetzgebung, RDV 1999, 148 (153) und Jacob, Perspektiven des neuen Datenschutzrechtes, DuD 2000, 5 (8); s auch Knyrim, 25 Jahre Datenschutzrecht in Österreich, MR 2005, 415f. Büllesbach, Innovativer und technikgestaltender Datenschutz - gesellschaftliche und wirtschaftliche Anforderungen, in: Büllesbach (Hrsg), Datenverkehr ohne Datenschutz (1999) 1, 20. Der Begriff wurde in der Judikatur des deutschen Bundesverfassungsgerichts geprägt (BVerfG 15.12.1983, BVerfGE 65,1 = EuGRZ 1983, 577) und hat sich in der Folge zu einem "Leitmotiv" der europäischen Datenschutzpolitik entwickelt (Mayer-Schönberger/Brandl, 13).
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Duschanek
für den Datenschutz im Informationsverkehr zwischen der EU und den USA entgegenstellen.10
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Schon anlässlich der Erlassung des DSG 1978 wurde eine neue Bundeskompetenz für die Gesetzgebung in Angelegenheiten des Datenschutzes im automationsunterstützten Datenverkehr geschaffen (§ 2 DSG 1978). Für eine Festlegung des Geltungsbereiches des DSG 2000 in Übereinstimmung mit der DSRL, also unter Einbeziehung aller manuellen Dateien,11 wäre allerdings eine entsprechende Erweiterung des bisherigen Kompetenztatbestandes notwendig gewesen. Da darüber aber keine Einigung mit den Bundesländern erzielt werden konnte, unterblieb eine solche Änderung.12 Somit verfügt der Bund bei unveränderter Kompetenzlage laut § 2 Abs 1 DSG 2000 nur über die Zuständigkeit zur Gesetzgebung in Angelegenheiten des Schutzes personenbezogener Daten im "automationsunterstützten Datenverkehr". Soweit darüber hinaus andere Bundeszuständigkeiten (insbes gem Art 10 Abs 1 B-VG) auch die Regelungskompetenz für die Verwendung manueller Dateien im Rahmen des Vollzuges einschließen,13 können auch diese als Datenanwendungen iS des § 4 Z 7 dem DSG 2000 unterworfen werden (§ 58). Die darüber hinaus notwendige Umsetzung der DSRL, insbesondere hinsichtlich sonstiger unter die Zuständigkeit der Länder fallender manueller Dateien, obliegt hingegen den Landesgesetzgebern; einschlägige Landesgesetze sind bereits erlassen worden.14 Insoweit der Vollzug datenschutzrechtlicher Vorschriften auf die Kontrolle und Durchsetzung einschlägiger Gebote und Verpflichtungen sowie den Rechtsschutz der Betroffenen gerichtet ist, obliegt er der Datenschutzkommission als Organ der unmittelbaren Bundesverwaltung und den ordentlichen Gerichten als „unabhängigen Kontrollstellen“ iSd Art 28 DSRL. Im Übrigen sind bundesgesetzliche Datenschutzvorschriften - mit einigen Ausnahmen15 vom Bund, landesgesetzliche von den Ländern zu vollziehen.16 Für die Übersichtlichkeit und Bürgernähe des Datenschutzrechts bietet diese Kompetenzlage sicher keine günstigen Voraussetzungen.17
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S II.C., mwH. S II.A. Duschanek, § 2 DSG, Rz 1. So schon die Erläuterungen zu § 1 (später § 2) der RV 1975 (FN 5). Bgld Datenschutzgesetz, LGBl 2005/87; Ktn Informations- und Statistikgesetz, LGBl 2005/70; NÖ Datenschutzgesetz 0901-0. Oö Auskunftspflicht- und DatenschutzG, LGBl 1988/46 idF 2000/41; Sbg Gesetz über die Auskunftspflicht und den Datenschutz, LGBl 2001/65; Stmk Datenschutzgesetz, LGBl 2001/39; Tir Datenschutzgesetz, LGBl 2003/60; Vlbg Landes-DatenschutzG, LGBl 2000/19; Wr Datenschutzgesetz, LGBl 2001/125. Duschanek, § 2 DSG, Rz 21f. Duschanek, § 2 DSG, Rz 23. Mayer-Schönberger/Brandl, 21; Jahnel, Das Datenschutzgesetz 2000, wbl 2000, 49 (55).
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C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen Die Vorgeschichte der DSRL reicht bis in die 70er Jahre zurück: Damals, als etwa auch in Österreich die Diskussion über den Datenschutz einsetzte, fasste das Europäische Parlament entsprechende Entschließungen;18 erst 1990 allerdings kam es zu ersten Regelungsvorschlägen der Kommission,19 die schließlich nach langwierigen Verhandlungen zur Erlassung der DSRL führten. Die schon im Titel der RL angesprochenen Intentionen ("... zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr") widerspiegeln deren doppelte Zielrichtung: Art 1 Abs 2 DSRL20 enthält eine klare Aussage zugunsten des Vorrangs eines freien Datenverkehrs im Binnenmarkt vor dessen Beschränkung durch nationale Datenschutzregelungen; anderseits versteht sich die DSRL in Art 1 Abs 1 als Instrument zur Konkretisierung des Grundrechts auf Schutz der Privatsphäre iS des Art 8 EMRK ebenso wie weiterer einschlägiger Grundrechte.21 Der Anwendungsbereich der DSRL beschränkt sich auf die Reichweite des Gemeinschaftsrechts, sodass ihr zB Datenverwendungen in den Angelegenheiten der Zweiten und Dritten Säule der EU, also auch in den höchst datenschutzintensiven Bereichen Landesverteidigung, staatliche und innere Sicherheit oder Strafrechtspflege der DSRL zunächst nicht unterworfen wurden.22 Immerhin hat die Charta der Grundrechte der Europäischen Union23 in ihrem Art 8 den Datenschutz für das gesamte Unionsrecht festgeschrieben, vorerst freilich ohne rechtliche Verbindlichkeit. Auch der Entwurf des Konvents für einen EUVerfassungsvertrag24 verbürgt ein umfassendes Recht auf Datenschutz und verpflichtet die Unionsorgane und Einrichtungen sowie die Mitgliedsstaaten zu dessen Achtung.25 In den Vorgaben der DSRL ist den Mitgliedsstaaten allerdings ein beträchtlicher Umsetzungsspielraum eingeräumt worden. Er wird nicht nur im Art 5 DSRL ausdrücklich festgehalten, sondern äußert sich auch in zahlreichen ausdrücklichen Ermächtigungen für nationale Sonderregelungen.26 Zweifellos 18 19 20
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Entschließungen Abl 1975, C 60/48; Abl 1976, C 100/27; Abl 1979, C 140/34; s auch Duschanek, § 1 DSG, Rz 6f, mwH. Abl 1990, C 277/3. Art 1 Abs 2 DSRL lautet: „Die Mitgliedstaaten beschränken oder untersagen nicht den freien Datenverkehr personenbezogener Daten zwischen Mitgliedsstaaten aus Gründen des gemäß Abs 1 gewährleisteten Schutzes.“ Art 1 Abs 1 DSRL lautet: „Die Mitgliedstaaten gewährleisten nach den Bestimmungen dieser Richtlinie den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere den Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten.“ Neben dem Grundrecht auf Datenschutz weisen auch andere Grundrechte, wie zB das Brief- und Fernmeldegeheimnis, das Hausrecht, die Meinungsäußerungsfreiheit (Kommunikationsfreiheit) usw Bezüge zum Datenschutz auf (vgl Damman/Simitis, 101; Duschanek, § 1 DSG, Rz 39f, 71). Vgl Art 3 Abs 2 DSRL; Souhrada-Kirchmayer, 939. Abl 2000, C 364/1. Abl 2004, C 310/1. Teil I, Art I-51. ZB Art 8 Abs 4 (Verarbeitung sensibler Daten), Art 13 (Einschränkung der Auskunftspflicht), Art 18 (Gestaltung der Meldepflicht), ErwG 24 (Einbeziehung juristischer Personen) usw.
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sollte mit dieser Flexibilität nicht nur die Akzeptanz der Richtlinie gefördert, sondern auch die Möglichkeit geschaffen werden, in der Durchführung der DSRL unterschiedlichen nationalen Eigenarten und Datenschutzkonzepten Rechnung zu tragen. Überhaupt ist festzustellen, dass die Richtlinie selbst immer wieder auf Vorbilder der nationalen Gesetzgebung zurückgreift, sodass sie sogar als "kunstvolle Collage nationaler Regelungen" bezeichnet wurde.27 Da die DSRL nur die Mitgliedstaaten verpflichten konnte, bedurfte es einer besonderen Rechtsgrundlage für die Unterwerfung der Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft unter das Regime der DSRL. Diese wurde erst durch den Vertrag von Amsterdam im Art 286 EGV geschaffen; mittlerweile sind auch die im Abs 2 dieser Bestimmung vorgesehenen Ausführungsbestimmungen samt Errichtung einer unabhängigen Kontrollinstanz in Kraft getreten.28,29 Weitgehend unabhängig von den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen entstanden 1980 einschlägige Empfehlungen ("guidelines") der OECD.30 Weiters besteht ein Übereinkommen des Europarates aus dem Jahre 1988, dem auch Österreich beigetreten ist,31 samt diversen bereichsspezifischen Empfehlungen.32 Inhaltlich befinden sich diese Dokumente in den wesentlichen Schwerpunkten weitgehend in Übereinstimmung mit den Gründzügen der DSRL.
II. Anwendungsbereich des DSG 2000 A. Inhaltlicher Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich des DSG 2000 folgt dem Art 3 DSRL, wonach die Vorgaben der RL für die "ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung" sowie für die nicht automatisierte (also "manuelle") Verarbeitung der in "Dateien" gespeicherten personenbezogenen Daten gelten. Dementsprechend definiert das DSG die, für die inhaltliche Abgrenzung seines Anwendungsbereiches zentralen Begriffe "Datenanwendung" und "Verwenden von Daten". Als „Datenanwendung“ versteht § 4 Z 7 die Summe logisch verbundener Verwendungsschritte, die zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses (Zweckes) geordnet sind und ganz oder teilweise automationsunterstützt, also maschinell und programmgesteuert, erfolgen; als „Verwenden“ (§ 4 Z 8) gilt jede Handhabung von Daten einer Datenanwendung. Auf die Ausnahme zugunsten der in 27 28
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Simitis, Die EU-Datenschutzrichtlinie - Stillstand oder Anreiz? NJW 1997, 281 (282). Verordnung 01/45/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr, Abl 2001 L 8/19. Die Verordnung ist am 1.2.2001 in Kraft getreten. Kröger/Moos, Der Europäische Datenschutz als neuer Bestandteil des Amsterdamer Vertrages, DuD 1999, 11; Haratsch, Verweisungstechnik und gemeinschaftsgerichtete EG-Richtlinien. Anmerkungen zum neuen Datenschutzartikel des EG-Vetrages, EuR 2000, 42. Guidelines on the Protection of Privacy and Transborder Flows of Personal Data v. 23.9.1980. Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten vom 28.1.1981, BGBl 1988/317. Teilweise wiedergegeben bei Dohr/Pollirer/Weiss, Anh VII/2.
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die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fallenden manuellen Dateien wurde bereits hingewiesen. Die Anwendung des DSG auf manuelle Verarbeitungen setzt eine Datei voraus, also eine Strukturierung der Datenaufbereitung nach Suchkriterien (§ 4 Z 6); 33 die Anwendung des DSG auf automationsunterstützte Datenanwendungen iS des § 4 Z 7 verlangt hingegen keine besondere Verarbeitungsstruktur und erfasst somit grundsätzlich auch Textverarbeitungen.34
B. Persönlicher Anwendungsbereich Die dem Datenschutz unterliegenden "personenbezogenen Daten" sind Angaben über natürliche oder juristische Personen (Personengemeinschaften), deren Identität bestimmbar ist (Betroffene).35 Zwar nennt die DSRL als "betroffene Personen" ausdrücklich nur natürliche Personen (Art 2 lit a DSRL), doch erlaubt ErwG 24 der DSRL den Mitgliedsstaaten auch die Erlassung von Datenschutzvorschriften zum Schutz juristischer Personen; einschlägige Regelungen gelten daher nicht als unzulässige Beschränkungen des grenzüberschreitenden Datenverkehrs (Art 1 Abs 2 DSRL). Damit konnte das DSG 2000 an der schon im DSG 1978 getroffenen Grundsatzentscheidung festhalten, den Datenschutz über die menschliche Privatsphäre hinaus auch auf juristische Personen und sonstige vertrauliche Bereiche in Wirtschaft und Gesellschaft zu erstrecken.36 Datenschutz gilt als „Menschenrecht“ unabhängig von der Staatsbürgerschaft des Betroffenen. Bei juristischen Personen kommt es auf die Verwendung der Daten für Zwecke einer inländischen Haupt- oder Zweigniederlassung an, zumal der räumliche Anwendungsbereich des DSG - im Einklang mit der DSRL - im Allgemeinen Datenverwendung im Inland voraussetzt (§ 3).37 Charakteristisch für das Datenschutzrecht ist die Unterscheidung zwischen den drei Funktionsträgern: Betroffener (§ 4 Z 3), Auftraggeber (§ 4 Z 4) und Dienstleister (§ 4 Z 5). Die Grenzziehung in der Rollenverteilung zwischen datenschutzrechtlichem Auftraggeber und Dienstleister ist maßgeblich für die Reichweite der Auftraggeberpflichten. Als Auftraggeber verantwortlich ist, wer die Entscheidung getroffen hat, Daten für einen bestimmten Zweck selbst zu verarbeiten oder verarbeiten zu lassen.38 Damit erstreckt sich die Verantwortung des Auftraggebers auch auf Datenanwendungen im Rahmen eines von ihm beauftragten Wer-
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ZB im Falle von in Kartei- oder Listenform erfassten Daten. Zur datenschutzrechtlichen Behandlung von Textverarbeitungen s Duschanek/ Rosenmayr-Klemenz, 31, 77, sowie Duschanek, § 1 DSG, Rz 33. S auch bei FN 108. Duschanek, § 1 DSG, Rz 20f. Zu den Grundfragen des Geheimnisschutzes in der Wirtschaft vgl zB Duschanek, Öffentlichkeit der Verwaltung und privater Geheimnisschutz, in: Griller/ Korinek/Potacs, FS Rill, 1995, 413 (417 f), mwH; derselbe, § 1 DSG, Rz 50, mwH. Duschanek/Rosenmayr-Klemenz, 19f. Duschanek, § 1 DSG, Rz 35f.
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kes,39 zweifellos eine häufige Situation bei der Erbringung qualifizierter Werkleistungen. Dem Dienstleister obliegt hingegen ausschließlich die auftragsgemäße Verarbeitung der ihm von einem Auftraggeber überlassenen Daten; seine datenschutzrechtlichen Pflichten beschränken sich auf das „Innenverhältnis“ zum Aufraggeber (§ 11). Die Erl40 begründen die Neuregelung der Abgrenzung beider Funktionen mit der besseren Transparenz und notwendigen Erleichterungen für die Rechtsverfolgung durch die Betroffenen; andererseits ist aber schwer vorstellbar, dass die Klienten (freier) Dienstleistungsberufe (zB von Rechtsanwälten, Wirtschaftstreuhändern, Unternehmens- und Finanzberatern usw) nun als datenschutzrechtliche Auftraggeber partiell für die zur Auftragserfüllung eingesetzten Datenverarbeitungen verantwortlich sein sollen.41 Dafür wären teilweise komplizierte Vereinbarungen über die Festlegung und Ausübung der Auftraggeberpflichten erforderlich; auch die vom Gesetzgeber eröffnete Alternative, nämlich die Übertragung der datenschutzrechtlichen Eigenverantwortung an den Werkleister durch Rechtsvorschriften, Standesregeln oder Verhaltensregeln42 ist unzweifelhaft mit zusätzlichem administrativen Aufwand verbunden.43 Die im DSG 1978 lückenlos verwirklichte, abschnittsweise Trennung der Bestimmungen für den Datenschutz im sogenannten öffentlichen und im privaten Bereich wurde im DSG 2000 nach dem Vorbild der DSRL aufgegeben. Es bestehen aber Sonderbestimmungen für den öffentlichen Bereich, zB für die Zulässigkeit der Verwendung von Daten für bestimmte Aufgaben44 oder den Rechtsschutz.45 Zum öffentlichen Bereich gehören Auftraggeber öffentlich rechtlicher Grundlage sowie privatrechtsförmig eingerichtete Auftraggeber, soweit sie in "Vollziehung der Gesetze", also zB als Beliehene tätig sind (§ 5).46
C. Räumlicher Anwendungsbereich des DSG 2000 und Internationaler Datenverkehr Angesicht der Globalisierung des Datenverkehrs ist die Forderung nach weltweiter Integration des Datenschutzes unabweislich. In der DSRL wird nicht nur der Datenverkehr innerhalb der EU, sondern auch mit Drittländern einheitlichen Regelungen unterworfen.47 39
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§ 4 Z 4 spricht nur von der Verarbeitung überlassener Daten; die Regelung muss aber sinngemäß auch gelten, wenn der Beauftragte die Daten im Rahmen des Auftrages selbst ermittelt. Erläuterungen zur RV 1613 BlgNR 20. GP (nachfolgend als Erl bezeichnet). Daraus folgt auch die Heranziehung der verschiedenen DVR-Nr (s V.A.1) der Klienten bei Erledigungen des Dienstleisters im Rahmen seiner Aufträge. Bisher ist es nur zu Verhaltensregeln für Adressverlage und Direktmarketingunternehmen (§ 151 GewO) gekommen (s Dohr/Pollirer/Weiss, Anh VIII/12). Zur Kritik dieser Regelung vgl auch Duschanek/Rosenmayr-Klemenz, 28ff, Dohr/Pollirer/Weiss, § 6 DSG, Anm 13f, sowie Knyrim, FN 7, 419. ZB in den §§ 8,9, sowie in diversen spezialgesetzlichen Normen (s IV.B). §§ 1 Abs 5, 31 Abs 2, 32. Die Erl zu § 5 betonen unter Hinweis auf Art 23 B-VG die Erfassung auch der sog „schlichten Hoheitsverwaltung“. S auch Duschanek, § 1 DSG, Rz 36. Art 25, 26 DSRL.
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In den Anwendungsbereich des DSG 2000 fällt zunächst jede Datenverwendung im Inland (§ 3 Abs 1 1. Satz); dies gilt insbesondere auch, wenn die Datenverwendung im Inland für Auftraggeber eines Drittstaates erfolgt. Darüber hinaus gilt das DSG 2000 für Datenverarbeitungen österreichischer Auftraggeber im EU-Ausland, die dort über keine eigene Niederlassung (§ 4 Z 15)48 verfügen. Ausländische Auftraggeber mit Sitz in einem anderen EUStaat unterliegen dem österreichischen DSG nur, wenn sie eine Niederlassung im Inland besitzen, welcher die Datenverarbeitung zugerechnet wird; fehlt es hingegen an einer österreichischen Niederlassung, gelangt das Datenschutzrecht des Sitzstaates zur Anwendung. Nach dem Konzept der DSRL ist für den Datenverkehr im Gemeinschaftsraum künftig von einem harmonisierten und daher wohl annähernd gleichwertigen Datenschutzniveau aller EU-Mitgliedstaaten auszugehen. Nach den Vorgaben des Art 1 Abs 2 DSRL, denen zweifellos programmatischer Charakter zukommt, dürfen daher keine Beschränkungen im Datenverkehr mit anderen Mitgliedstaaten bestehen (§ 12 Abs 1); dies allerdings - entsprechend der eingeschränkten Geltung der DSRL - nur im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechtes (Art 3 Abs 2 DSRL).
Die Grundsätze des § 12 Abs 1 gelten auch für den Export von Daten juristischer Personen, obwohl sich die Harmonisierungswirkung der DSRL darauf nicht erstreckt. Die Erl wollen diese Rechtslage mit dem, in den Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten in wesentlichen Grundzügen gewährleisteten Schutz von Wirtschaftsdaten (wie zB Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, Berufsgeheimnisse usw) rechtfertigen.49 Dass damit auch ein ausreichender Datenschutz nach den Vorgaben der DSRL, vergleichbar den Voraussetzungen für den Export von Daten natürlicher Personen (§ 13), gesichert wäre, ist freilich zu bezweifeln. Gegen die daraus folgende Ungleichbehandlung von Datenexporten wurden daher zurecht verfassungsrechtliche Bedenken eingewendet.50
Für den Datenverkehr mit Drittstaaten wird ein "angemessenes Datenschutzniveau" der Empfängerstaaten verlangt, das als Kriterium der Genehmigung durch die Datenschutzkommission (DSK, s VI.E) nachzuprüfen ist (§ 13). Die Genehmigungspflicht entfällt im Verkehr mit jenen Drittstaaten, hinsichtlich derer mit Verordnung des Bundeskanzlers gem § 12 Abs 2 ein angemessenes Datenschutzniveau festgestellt wurde.51
Es fällt auf, dass sich das DSG 2000 (entsprechend den Vorgaben der DSRL) vom Postulat der "Gleichwertigkeit" des Datenschutzes im Empfängerstaat verabschiedet hat, das bisher (nicht nur nach österreichischem Datenschutzrecht) für den grenzüber48
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Der Niederlassungsbegriff des DSG (§ 4 Z 15) stellt - in Einklang mit ErwG 19 der DSRL - nicht auf eine bestimmte Rechtsform bzw auf die rechtliche Unabhängigkeit ab, sondern auf die dort (dauernd bzw tatsächlich) geleistete Tätigkeit; eine Briefkastenfirma oder die Verwendung mobiler Geräte im Verlauf einer (Geschäfts-) Reise begründen keine Niederlassung (Damman/Simitis, 128). Erl zu §§ 12 u 13 DSG 2000. Souhrada-Kirchmayer, 939, verweist zutreffend auf mögliche Konflikte nationaler Beschränkungen des Verkehrs von Daten (juristischer) Personen mit den gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten. S auch Dohr/Pollirer/Weiss, § 12 DSG, Anm 2. Die VO über den angemessenen Datenschutz in Drittstaaten (Datenschutzangemessenheits-VO - DSAV), BGBl II 1999/521, hat diese Feststellung nur für Schweiz und Ungarn getroffen.
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schreitenden Datenverkehr als maßgeblich angesehen wurde (§ 32 Abs 5 DSG 1978). Ob dies eine Absenkung des vom Empfängerstaat verlangten Schutzniveaus zur Folge hat, ist nicht allgemein zu beantworten.52 Die Beurteilungskriterien der Angemessenheit53 sind im DSG zwar teilweise wortgleich dem Art 25 DSRL entnommen; sie liefern aber keine inhaltlichen Kriterien, sondern nennen bloß beispielhaft einige, für die Ausgestaltung des Datenschutzes in der Rechtsordnung des Empfängerstaates wesentliche Anforderungen, ohne diese auch inhaltlich ausreichend zu determinieren. Auch wenn zusätzlich einschlägige Feststellungen der Europäischen Kommission gem § 55 zu berücksichtigen sind (soweit solche überhaupt vorliegen) und weitere Kriterien aus der DSRL bzw dem DSG abgeleitet werden könnten,54 erscheint die Vereinbarkeit der Regelung mit dem rechtsstaatlichen Determinierungsgebot eher fraglich. Die EU-Kommission hat seit 1998 über den Datenschutz im Datenverkehr zwischen den USA und dem Gemeinschaftsraum verhandelt. Anliegen der Verhandlungen, die schließlich im März 2000 zur Ausarbeitung der sogenannten "Safe-HarbourVereinbarung" geführt haben, war die Sicherstellung des in der DSRL geforderten Datenschutzniveaus in den USA. In der Vereinbarung sind Grundsätze des Datenschutzes festgelegt, denen sich US-Unternehmen (freiwillig) unterwerfen können; nach entsprechender Zertifizierung sind sie als unbedenkliche Empfänger von Daten aus dem Gemeinschaftsraum ausgewiesen.55 Dieses Verhandlungsergebnis bzw die darauf gegründete Entscheidung der EU-Kommission56 gilt als Feststellung gem Art 25 Abs 6 DSRL hinsichtlich der Gewährleistung eines angemessenen Datenschutzniveaus für vereinbarungskonforme Datenexporte in die USA und ist von den Mitgliedsstaaten gem Art 25 Abs 6 2. Satz DSRL innerstaatlich umzusetzen. Da bisher aber weder die DSAV57 entsprechend novelliert noch eine andere Umsetzungsmaßnahme in Österreich getroffen wurde, können sich inländische Auftraggeber unmittelbar auf die Entscheidung der Kommission berufen; sie bedürfen für den von der Safe-Harbour Vereinbarung umfassten Datenverkehr jedenfalls keiner Genehmigung der DSK.58 Gleiches gilt für jene Datenexporte in andere Drittstaaten, für die ebenfalls vergleichbare Kommissionsentscheidungen betr die Angemessenheit des Datenschutzniveaus vorliegen, ohne dass sie in die DSAV Eingang gefunden hätten.59
III. Das Grundrecht auf Datenschutz A. Allgemeines Als Reaktion auf das dem Datenschutz zugrundeliegende spezifische Gefährdungspotential hat Österreich bereits im DSG 1978 für eine grundrechtliche
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Zum Inhalt der neuen "Adäquanz-Formel" Simitis (FN 27), 284. § 13 Abs 2 Z 1 verweist auf alle Umstände „die bei der Datenverwendung eine Rolle spielen“. ZB hohes Schutzniveau (EG 10), Verwendung nach Treu und Glauben (Art 6 Abs 1 lit a DSRL, § 6 Abs 1 Z 1 DSG 2000), Rechtmäßigkeit der Verwendung (§ 6 Abs 1 Z 2), Transparenz der Datenverwendung (§§ 16ff) usw. Eine ausführliche Darstellung und Diskussion des Themas findet sich bei Klug, Persönlichkeitsschutz beim Datentransfer in die USA - Die Safe-Harbour-Lösung, RDV 2000, 212; weiters Knyrim, 133 f. Entsch v 26.7.2000, Abl L 215/1. S FN 51. Dohr/Pollirer/Weiss, § 13 Anm 13; Knyrim, 135, FN 296. ZB Kanada, Argentinien, einige Kanalinseln. S auch die in FN 58 zitierte Literatur.
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Verankerung wesentlicher datenschutzrechtlicher Ansprüche gesorgt.60 Im Vordergrund steht der verfassungsrechtliche Anspruch auf Geheimhaltung personenbezogener Daten ohne Rücksicht auf die Art ihrer Verarbeitung, der nicht nur Schutz gegen die unberechtigte Weitergabe (Übermittlung, Veröffentlichung usw) von Daten garantiert, sondern auch deren Ermittlung (zB aufgrund von Auskunfts- bzw Meldepflichten usw)61 beschränkt. Darüber hinaus werden auch Rechte auf Auskunft, Richtigstellung und Löschung, gewissermaßen als Instrumente zur besseren Verwirklichung der informationellen Selbstbestimmung,62 verfassungsrechtlich gewährleistet. Grundrechtsträger sind physische und juristische Personen,63 womit nicht nur Angaben über die sogenannte Privatsphäre ("Privat- und Familienleben" iS des Art 8 EMRK), sondern auch über sonstige gesellschaftliche Verhältnisse (zB Wirtschaftsdaten, Daten aus dem Vereinsleben usw) Datenschutz genießen.64 Dabei ist das Grundrecht auf Datenschutz nicht nur staatsgerichtet, sondern gilt als subjektives Privatrecht auch gegenüber Privaten - es besitzt also unmittelbare Drittwirkung; nicht zuletzt darin liegt die Bedeutung des Datenschutzes für den Informationsverkehr im Wirtschaftsleben. Dementsprechend unterscheidet sich daher die Ausgestaltung der Rechtsschutzinstrumente von anderen Grundrechtsverbürgungen.65
B. Das Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten Voraussetzung für den grundrechtlichen Geheimhaltungsanspruch ist das Vorliegen eines "schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresses". Ein solches wird im Falle einer zulässigen Veröffentlichung der Daten, etwa in öffentlichen Registern, durch Kundmachung, in Medienberichten oder nicht zuletzt auf Grund (auch schlüssiger) Veranlassung bzw Zustimmung des Betroffenen selbst in der Regel auszuschließen sein66. Ebenso fehlt die Schutzwürdigkeit, wenn Daten auf keine konkrete Person rückführbar sind (§ 1 Abs 2 2.Satz).67 Andere Angaben über bestimmte Personen werden grundsätzlich als „schutzwürdig“ zu betrachten sein - einer besonderen Interessenlage bedarf es dafür nicht. Der gesetzliche Hinweis auf die gebotene Achtung des Privat- und Familienlebens ist wohl nur als demonstrative Hervorhebung der (auch von der
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Ausführlich Duschanek, § 1 DSG, Rz 11; weiters Jahnel, Grundrecht, 314. Zum Grundrecht auf Datenschutz idF des DSG 1978 grundlegend Rill, Das Grundrecht auf Datenschutz, in: Duschanek (Hrsg), Datenschutz in der Wirtschaft, 1981, 15 f. So schon Rill, FN 60, 26; vgl weiters VfSlg 12.228/1989. Vgl FN 9. "Betroffene" iS § 4 Z 2. Vgl II.B. Vgl Duschanek, § 1 DSG Rz 20f; Jahnel, Grundrecht, 317. S VI.E. Duschanek, § 1 DSG, Rz 40f. Gem Art 2 lit a DSRL müssen allerdings auch solche Daten einbezogen werden, die nur für den Inhaber des jeweiligen Verschlüsselungscodes bestimmbar sind; um der herabgesetzten Schutzbedürftigkeit solcher Daten Rechnung zu tragen, wurden sie als „indirekt personenbezogene Daten“ (§ 4 Z 1) Sonderregelungen unterworfen (zB Ausnahme von der Meldepflicht, V.A.1).
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DSRL) als besonders wichtig erachteten Gewährleistungen des Art 8 EMRK zu verstehen.68 Der Anspruch auf Geheimhaltung gilt unabhängig von den technischorganisatorischen Bedingungen der Datenverwendung; er erstreckt sich also auch auf Daten, die weder automationsunterstützt verarbeitet noch auf sonstigen Datenträgern (zB in Akten oder Dokumenten) festgehalten werden und schließt somit sogar bloßes Datenwissen ein.69 Grundsätzlich kann jedes Verwenden schutzwürdiger Daten gegen den Willen des Betroffenen den grundrechtlichen Geheimhaltungsanspruch beeinträchtigen, also schon die Ermittlung von Daten, einschließlich der Verpflichtung des Betroffenen zu ihrer Bekanntgabe sowie jede Form der Verarbeitung oder Weitergabe. Beschränkungen des Geheimhaltungsanspruches unterliegen grundsätzlich einer Interessenabwägung (§ 1 Abs 2); so können Grundrechtseingriffe durch lebenswichtige Interessen oder auf Grund der Zustimmung des Betroffenen selbst,70 zur Wahrung überwiegend berechtigter Interessen eines anderen oder durch eine staatliche Behörde aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung nach Maßgabe der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Gründe gerechtfertigt sein. Die Rechtsordnung enthält eine kaum überblickbare Vielzahl einschlägiger Eingriffstatbestände, die selbstverständlich diesen Kriterien entsprechen müssen. Ihre systematische Erfassung und Evaluierung wäre ein wichtiges Anliegen zur Förderung eines wirksamen Datenschutzes. Im Übrigen unterliegen alle Beschränkungen der Geheimhaltung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, wie der letzte Satz im, § 1 Abs 2 - eher überflüssig - ausdrücklich betont.71 Eingriffe in die Geheimhaltung "besonders schutzwürdiger Daten" (sensible Daten, § 4 Z 2)72 unterliegen besonderen Restriktionen, da Art 8 Abs 1 DSRL deren Verarbeitung grundsätzlich untersagt und nur beschränkt Ausnahmen davon zulässt. Es war daher notwendig, im Rahmen der Ermächtigung zu Grundrechtseingriffen im § 1 Abs 2 auf die Verwendung solcher Daten besonders einzugehen. Gesetzliche Eingriffsermächtigungen aus den in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Gründen dürfen die Verwendung solcher Daten nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen erlauben, bei gleichzeitiger
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So auch die Erl zu § 1 Abs 2. Duschanek, § 1 DSG, Rz 42; aM Jahnel, Grundrecht, 323, Dohr/Pollirer/Weiss, § 1 DSG, Anm 7. VfSlg 12.194/1989; Rosenmayr-Klemenz, Zum Schutz manuell verarbeiteter Daten durch das DSG 2000, ecolex 2001, 639; Duschanek, § 1 DSG, Rz 25, 33. Verfehlt daher OGH, EvBl 2001/1. Vgl auch Art 7 lit d DSRL. Die Erl zu § 1 Abs 2 weisen noch darauf hin, dass der aus dem DSG 1978 hervorgehende Vorrang des Grundrechts auf Datenschutz vor anderen Grundrechten nicht weiter aufrecht erhalten werde. Daten natürlicher Personen über ihre rassische und ethnische Herkunft, politische Meinung, Gewerkschaftszugehörigkeit, religiöse oder philosophische Überzeugung, Gesundheit, Sexualleben. Zu den, teilweise problematischen, Begriffsinhalten vgl Duschanek, § 1 DSG, Rz 28f.
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Festlegung angemessener Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen.73
C. Das Recht auf Auskunft, Richtigstellung und Löschung Neben dem Geheimnisschutz gewährt das Grundrecht den Betroffenen "nach Maßgabe gesetzlicher Bestimmungen", wie sie insbesondere im 5. Abschnitt des DSG 2000 selbst enthalten sind, einen Anspruch auf Auskunft, Richtigstellung unrichtiger und Löschung unzulässig verarbeiteter Daten. Anders als der Geheimhaltungsanspruch stehen diese Gewährleistungen unter "Ausführungsvorbehalt" und sind in ihrer Durchsetzbarkeit daher vom Tätigwerden des einfachen Gesetzgebers abhängig.74 Diese Ansprüche erstrecken sich nicht nur auf automationsunterstützt verarbeitete, sondern auch auf alle Daten, die in manuellen Dateien, also in nach Suchkriterien strukturierten Dateien (§ 4 Z 6) verwendet werden; sie gelten aber nicht für sonstige manuell (zB in unstrukturierten Texten) archivierte Daten.75 Die bereits erwähnte Drittwirkung des Grundrechts gegenüber Privaten gilt auch für die Leistungsansprüche auf Auskunft, Richtigstellung und Löschung; desgleichen sind Einschränkungen dieser Ansprüche nur unter den bereits beschriebenen Voraussetzungen für Beschränkungen der Geheimhaltung zulässig (§ 1 Abs 3).
IV. Zulässigkeit der Datenverwendung A. Allgemeine Voraussetzungen Die Bestimmungen über die Zulässigkeit der Datenverwendung sind generell als Ausführung der grundrechtlichen Eingriffsvorbehalte (§ 1 Abs 2) zu verstehen und dementsprechend restriktiv auszulegen. Nach dem Vorbild der DSRL (Art 2 lit b iVm Art 6, 7, 8) beziehen sich die Zulässigkeitskriterien auf alle und nicht bloß auf einzelne Phasen (Ermitteln, Verarbeiten, Übermitteln, Überlassen, usw) der Datenverwendung.76 Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Datenverwendung sehen die §§ 6 ff ein mehrstufiges Verfahren vor, in dem mehrere Voraussetzungen kumuliert geprüft werden müssen. Dabei werden die allgemeinen Vorgaben für die Zulässigkeit der Datenverarbeitung durch spezielle Verwendungsvorschriften im DSG selbst (§§ 45 f, 49f) sowie durch eine kaum überschaubare Vielzahl besonderer materienspezifischer Verwendungstatbestände ergänzt, die häufig auch den Datenschutz in der Wirtschaft betreffen.77
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Vgl die im § 9 taxativ aufgezählten Eingriffsgründe. Diese Neuerung des DSG 2000 erfordert auch die Prüfung (bestehender) einschlägiger materienspezifischer Datenschutzvorschriften auf das Vorhandensein ausreichender Garantien. So schon VfSlg 11.548/1987, 12.768/1991 usw. Vgl DSK 120.707/6 - DSK/00 mit Kommentierung durch Rosenmayr-Klemenz, FN 69, 639. Vgl die Begriffsbestimmungen in § 4 Z 8 bis 12. S IV.B.
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1. Grundsätze (§ 6) Eine erste Prüfungsebene gilt grundsätzlichen Kriterien für die Verwendung von Daten, wie sie im Art 6 DSRL als "Grundsätze in Bezug auf die Qualität der Daten" bezeichnet sind. Obwohl eine weitgehend gleichartige Regelung bereits im Art 5 der Datenschutzkonvention des Europarates78 enthalten ist und daher bereits seit längerer Zeit dem österreichischen Rechtsbestand angehört, fällt es schwer, mit dem Begriff "Datenqualität" einen besonderen Inhalt zu verbinden; das DSG 2000 hat daher auf seinen Gebrauch verzichtet. Hergeleitet aus Art 6 DSRL wurden allerdings im § 6 Grundsätze für die Verwendung von Daten festgelegt. Im Vordergrund steht die Verwendung von Daten nach "Treu und Glauben", sowie die Rechtmäßigkeit und die Zweckbindung der Datenverwendung. Auch der Begriff "Treu und Glauben" war der österreichischen Datenschutzterminologie bisher fremd und ist in der österreichischen Rechtsprache sonst wenig gebräuchlich. Deutsche Kommentatoren haben ebenfalls Schwierigkeiten mit seiner Interpretation.79 Größere Bedeutung für die Datenschutzpraxis ist vom Erfordernis der Zweckbindung jeder Datenverwendung zu erwarten. Demnach muss in jeder Phase der Datenverwendung das Vorliegen eines festgelegten, eindeutigen und rechtmäßigen Zweckes geprüft werden. Insoweit im § 6 die Verwendung der Daten "auf rechtmäßige Weise" (Abs 1 Z 1) oder "für rechtmäßige Zwecke" (Abs 1 Z 2) verlangt wird, ist die Beachtung einschlägig relevanter Rechtsvorschriften (nicht nur des Datenschutzes) zu prüfen. Die verwendeten Daten müssen für den jeweiligen Zweck wesentlich sein und dürfen nicht darüber hinaus gehen oder länger als erforderlich gespeichert werden. Jede Weiterverwendung muss dem ursprünglichen Zweck entsprechen - andernfalls ist ihre Zulässigkeit vom Vorliegen ausreichender Übermittlungsgründe abhängig.80 Letztlich verfolgt der Grundsatz der Zweckbindung das Ziel der Reduktion der Verarbeitung personenbezogener Daten auf das unvermeidbare Mindestmaß; vorsorglich angelegte Datensammlungen ohne konkret definierte und rechtmäßige Funktion sind damit unzulässig.81 Zur näheren Festlegung, was in den einzelnen Bereichen als Verwendung von Daten nach "Treu und Glauben" anzusehen ist, können für den privaten Bereich die gesetzlichen Interessenvertretungen, sonstige Berufsverbände und vergleichbare Einrichtungen Verhaltensregeln ausarbeiten, die aber für die Veröffentlichung einer positiven "Begutachtung" durch den Bundeskanzler bedürfen (§ 6 Abs 4). Ein erstes Beispiel liefern die Verhaltensregeln für die 78 79
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Vgl FN 31. Damman/Simitis, 139 verstehen darunter eine Auffangklausel, um unklare Rechtsgrundlagen einer Datenverwendung negativ beurteilen zu können. Ehmann/Helfrich, 111, verweisen auf die nationalen Normgeber und die Rechtsprechung. Henke, Die Datenschutzkonvention des Europarates, 1986, 101, versteht darunter neben der Rechtmäßigkeit die Transparenz der Datenverwendung gegenüber dem Betroffenen. Auch die Erl zu § 6 verweisen auf den 4. Abschnitt des DSG 2000 betr die Publizität der Datenverarbeitungen. Ungeachtet solcher Auslegungsprobleme findet sich der Begriff neuerlich im Art 8 Abs 2 EGRC (FN 23). Erl zu § 6 Abs 2. Damman/Simitis, 79; Duschanek, § 1 DSG, Rz 61, mwH.
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Ausübung des Gewerbes der Adressverlage und Direktmarketingunternehmen gem § 151 GewO.82 Hier stellt sich freilich die Frage nach der rechtlichen Qualität solcher "DatenschutzVerhaltensregeln". Aus dem Text des § 6 Abs 4 selbst ist hiefür nichts zu entnehmen. Allenfalls könnten berufsrechtliche Vorschriften herangezogen werden, welche zur Erlassung (verbindlicher) Standes- oder Verhaltensregeln als Satzung im Rahmen der Selbstverwaltung ermächtigen, wobei die inhaltliche Determinierung auf das DSG zu stützen wäre. Ohne derartige Ermächtigung erlassenen, unverbindlichen Verhaltensregeln (zB Richtlinien eines Berufsverbandes)83 käme hingegen bloß der Charakter einer Empfehlung zu; sie wären daher auch nicht bekämpfbar.84 Auch die Autorisierung der Verhaltensregeln durch ein Gutachten des Bundeskanzlers bewirkt nicht deren Verbindlichkeit, vermittelt aber immerhin erhöhte Rechtssicherheit über ihre Vereinbarkeit mit den Prinzipien des DSG. Andererseits muss abweichendes Verhalten nicht notwendig mit dem DSG im Widerspruch stehen; Verstöße gegen Verhaltensregeln sind daher nicht für sich strafbedroht (§ 52).
2. Kriterien der Datenverwendung (§§ 7, 8 und 9) Neben den in § 6 aufgestellten "Grundsätzen"85 normiert § 7 Kriterien für die "Zulässigkeit der Verwendung von Daten". Während die "Grundsätze" im Wesentlichen die als "Qualität der Daten" bezeichneten Vorgaben des Art 6 der DSRL umsetzen, sind die Zulässigkeitskriterien gem § 7 in Verbindung mit §§ 8 und 9 als gesetzliche Ausführung der im § 1 Abs 2 gestatteten Grundrechtseinschränkungen aufzufassen. In diesem Zusammenhang wiederholt § 7 Abs 3 den in § 1 Abs 2 bereits angesprochenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zweck und Inhalt einer Datenanwendung müssen von den gesetzlichen Zuständigkeiten oder rechtlichen Befugnissen des Auftraggebers gedeckt sein und dürfen die schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen nicht verletzen. Eine Datenübermittlung ist überhaupt nur erlaubt, wenn die Daten aus einer zulässigen Anwendung kommen und vorher die rechtlichen Befugnisse des Übermittlungsempfängers geklärt worden sind.86 Zu beachten ist auch, dass ein Wechsel des Verwendungszweckes bei einem Auftraggebers als Übermittlung zwischen verschiedenen Aufgabengebieten (§ 4 Z 12) den allgemeinen Übermittlungskriterien entsprechen muss.87 In den §§ 8 (für nicht-sensible Daten) und 9 (für sensible Daten) geht das DSG 2000 sodann darauf ein, in welchen Fällen durch die Verwendung von Daten schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen iS des § 1 Abs 1 nicht verletzt sind. Dabei werden einerseits in Form einer Generalklausel mit Beispielen Fälle der zulässigen Verwendung nicht-sensibler Daten angeführt (§ 8) und weiters eine taxative Aufzählung der Ausnahmen vom grundsätzlichen Verar82 83
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Wiedergegeben bei Dohr/Pollirer/Weiss, Anhang VIII/12. Mayer-Schönberger/Brandl, 24, halten die Erlassung von Verhaltensregeln in Form von ÖNORMEN für möglich. Zur Erlassung branchenspezifischer Verhaltensregeln im allgemeinen Stillfried, Berufliche Selbstverwaltung und autonomes Satzungsrecht, 1994, mwH. Duschanek, Neuerungen, 530. § 7 Abs 3 verlangt die Einhaltung der „Grundsätze“ (nochmals) im Rahmen der Zulässigkeitskriterien. Knyrim, 118. Näher bei Knyrim, 117.
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beitungsverbot sensibler Daten vorgenommen (§ 9).88 In beiden Aufzählungen finden sich Verweisungen auf die (jederzeit widerrufliche) Zustimmung des Betroffenen (§ 8 Abs 1 Z 2 und § 9 Z 6), sowie auf spezielle gesetzliche Ermächtigungen (Verpflichtungen) zur Verwendung von Daten (§ 8 Abs 1 Z 1 und § 9 Z 2); letztere müssen jedenfalls den Vorgaben des § 1 Abs 2 entsprechen.
B. Voraussetzungen der Zulässigkeit besonderer Datenverwendungen Nach dem Regelungskonzept des DSG 1978 sollte die Entscheidung über die "Komponenten der Datenverarbeitung"89 vor allem für den öffentlichen Bereich vom Gesetzgeber selbst getroffen werden. Im DSG 1978 wurde für den „öffentlichen Bereich“ daher in erster Linie auf "ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungen" für die Zulässigkeit von Datenermittlungen und -verarbeitungen im automationsunterstützten Datenverkehr verwiesen (§ 6 DSG 1978 1. Fall). Die in zweiter Linie vorgesehene Generalklausel90 sollte - nach den Vorstellungen des DSG 1978 - bis zur Erlassung spezieller Ermächtigungen nur subsidiär und nicht als generelle Alternative zur Verfügung stehen. Freilich wurde der Wortlaut dieser Generalklausel dann selbst immer wieder in die materiengesetzlichen Datenschutztatbestände eingebaut und somit das Ziel einer klaren Festlegung bereichsspezifischer Parameter für den EDV-Einsatz klar verfehlt.91
Im privaten Bereich unterblieben derartige Festlegungen des Gesetzgebers von vornherein; hier erfolgte durch Verweisung auf den "berechtigten Zweck" des Rechtsträgers92 die Regelung der Zulässigkeit von Datenanwendungen aufgrund einschlägiger Bestimmungen der Materiengesetze über Befugnisse, Unternehmensrechte oder den Tätigkeitsumfang der Auftraggeber (§ 18 Abs 1 DSG 1978). In einigen Fällen kam es auch im privaten Bereich zu ausdrücklichen datenschutzrechtlichen Ermächtigungen für bestimmte Zwecke.93 Im Hinblick auf die Vorgaben des § 1 Abs 2 für Grundrechtseingriffe verweist nun auch das DSG 2000 in mehreren Bestimmungen hinsichtlich der Zulässigkeit der Datenverwendung auf besondere gesetzliche Ermächtigungen.94 Es lag daher nahe, die dem früheren Rechtsbestand angehörenden ein-
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Eine Wiedergabe samt Diskussion der detaillierten Auflistungen in beiden Bestimmungen würde weit über den vorliegenden Rahmen hinausgehen. Nähere Hinweise zum systematischen Aufbau der §§ 7, 8 und 9 bzw zu ihrer Funktionsweise enthalten die Erl. Zu den Zulässigkeitstatbeständen im Einzelnen vgl auch Duschanek/ Rosenmayr-Klemenz, 45f; Knyrim, 81f, 115f. Erl zu § 6 der RV 72 BlgNR 14.GP. § 6 DSG 1978 2. Fall stellte darauf ab, dass der Einsatz der Datenverarbeitung eine „wesentliche Voraussetzung“ für die Wahrnehmung gesetzlich übertragener Aufgaben bildet - eine Betrachtungsweise des IT-Einsatzes in der Verwaltung, die heute wohl nicht mehr vorstellbar wäre. Die ungenügende Determinierung der Ermittlungs- und Übermittlungsermächtigungen wurde vom Datenschutzrat wiederholt gerügt (zB im Datenschutzbericht 1995, S 9). §§ 17 Abs 1, 18 Abs 1 Z 2 und 3 DSG 1978. ZB § 151 GewO (Adressverlage und Direktmarketingunternehmen), §§ 92f TKG 2003, § 51 ÄrzteG, §§ 65f, 71, 105f GTG. ZB §§ 6 Abs 1 Z 1 und 2, 7 Abs 1 und Abs 2 Z 2, 8 Abs 1 Z 1 und Abs 4 Z 1, 9 Z 3 usw.
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schlägigen Regelungen in den Materiengesetzen weiterhin in Geltung zu belassen, um andernfalls drohende Regelungslücken zu vermeiden (§ 61 Abs 7);95 freilich müssen diese Bestimmungen nunmehr an den geänderten Kriterien für Grundrechtseingriffe (§ 1 Abs 2, s III.B) gemessen werden. Ein besonderer Hinweis gilt den datenschutzrechtlichen Vorschriften im Arbeits- und Dienstrecht (§ 9 Z 11), wobei die dem Betriebsrat im ArbVG eingeräumten Befugnisse (wie schon im § 31 DSG 1978) ausdrücklich unberührt bleiben. Schließlich enthält das DSG 2000 auch selbst besondere Vorschriften, mit denen auf spezielle Fälle der Datenverwendung mit hohem Gefährdungspotential näher eingegangen wird, wie zB wissenschaftliche Forschung und Statistik (§ 46),96 Zurverfügungstellung von Adressen zur Benachrichtigung und Befragung von Betroffenen (§ 47),97 automatisierte Einzelentscheidungen (§ 49),98 Verwendung vom Daten im Katastrophenfall (§ 48a) und Informationsverbundsysteme (§ 50).99 Andere Bestimmungen widmen sich Erleichterungen für privilegierte Verwendungszwecke, wie Datenanwendungen für ausschließlich persönliche oder familiäre Tätigkeiten (§ 45)100 sowie für die publizistische Tätigkeit (§ 48).101 Äußerst unbefriedigend stellt sich die Rechtslage hinsichtlich des Datenschutzes im Internet dar. Wohl widmet das Telekommunikationsgesetz dem Datenschutz einen speziellen Abschnitt,102 der die einschlägige Richtlinie über die Verarbeitung personen-
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Vgl Duschanek, Neuerungen, 531 f, zur Frage, was unter "sinngemäßer" Weitergeltung solcher Vorschriften zu verstehen sei. Diese Bestimmung steht zweifellos im Verhältnis der Subsidiarität zu spezielleren gesetzlichen Regelungen, insbes im Bereich der Bundes- und Landesstatistik (vgl das BundesstatistikG 2000, BGBl I 1999/163). Zweifellos ist § 46 aber auch für den Einsatz statistischer Methoden in anderen Bereichen heranzuziehen, zB in der Markt- und Meinungsforschung. Die bereits seit der GewO-Novelle 1992 bestehende datenschutzrechtliche Sonderbestimmung für Adressenverlage und Direktwerbeunternehmen (§ 151 GewO) bleibt unberührt (Erl zu § 47). Hiezu Rosenmayr-Klemenz, Neue Rechtsgrundlagen für Adressverlage und Direktmarketingunternehmen, RdW 2003, 180. Die Automatisierung häufig wiederkehrender Entscheidungsprozesse wird nicht verunmöglicht, wenn entsprechende Rechtsschutzmöglichkeiten vorgesehen sind (Erl zu § 49). Nach § 4 Z 13 erfolgt in „Informationsverbundsystemen“ die gemeinsame Verarbeitung von Daten durch mehrere Auftraggeber, die damit Zugriff auf alle in das System eingebrachten Daten (auch der anderen Teilnehmer) erhalten (zB Flugbuchungssysteme, branchenspezifische Warndateien, sicherheitspolizeiliche Fahndung usw). Eine vergleichbare Regelung enthielt bereits § 17 Abs 2 DSG 1978. Bereits das DSG 1978 enthielt im § 54 Ausnahmen für Medienunternehmen. Gem Art 9 DSRL haben die Mitgliedstaaten Ausnahmen vorzusehen, soweit es sich als notwendig erweist, „um das Recht auf Privatsphäre mit den für die Freiheit der Meinungsäußerung geltenden Vorschriften in Einklang zu bringen.“ Das „Medienprivileg“ gilt allerdings nur für den journalistisch-redaktionellen Bereich; Datenanwendungen, die nicht unmittelbar publizistischen Zwecken dienen (zB Personal-, Abonnenten- u Anzeigenverwaltung) genießen keine Ausnahme (Duschanek/RosenmayrKlemenz, 147f; Duschanek, § 1 DSG, Rz 71). §§ 92f TKG 2003, BGBl I 2003/70.
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bezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation103 umsetzt. Eine kritische Betrachtung zeigt freilich, dass diese Regelungen gegenüber neuartigen, datenschutzrechtlich problematischen Praktiken der Datenverwendung im Internet keinen ausreichenden Schutz vermitteln.104
Insgesamt ist jedenfalls zu registrieren, dass die Entstehung bereichsspezifischer Datenschutzvorschriften fortschreitet, zum Nachteil der Übersichtlichkeit der Materie für Anwender und Betroffene.
V. Pflichten des Auftraggebers Neben der Verantwortung für die Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Verwendung von Daten treffen den Auftraggeber weitere Pflichten, die im DSG 2000 in verschiedener Hinsicht ausgebaut oder verschärft wurden. Teilweise stehen diesen Verpflichtungen auch korrespondierende Rechtsansprüche des Betroffenen gegenüber; auf diese wird im nächsten Abschnitt eingegangen.
A. Publizität der Datenverarbeitungen Die Publizitätsvorschriften stellen nach den Vorstellungen der DSRL einen wesentlichen Faktor zur Erleichterung der Ausübung der Betroffenenrechte dar und dienen dem Ziel größtmöglicher Transparenz im Umgang mit personenbezogenen Daten.
1. Meldepflicht an das Datenverarbeitungsregister (DVR) Ungeachtet der in Fachkreisen häufig geäußerten Kritik an der Sinnhaftigkeit des Datenverarbeitungsregisters (DVR) hat das DSG 2000 im Hinblick auf die im Art 18 DSRL angeordnete Meldepflicht von Datenanwendungen daran festhalten. Nach den Vorgaben der DSRL ist die Meldung einer Datenanwendung bei einer unabhängigen Datenschutzbehörde zu erstatten; das vorher beim Österreichischen Statistischen Zentralamt eingerichtete Datenverarbeitungsregister wurde daher zur Datenschutzkommission (DSK, s VI.E) verlagert. Die Meldung einer Datenanwendung an das DVR ist grundsätzlich schon vor Inbetriebnahme zu erstatten (§ 17); der nach Erfahrungen der Praxis in der DSG Novelle 1986, BGBl 370, beschrittene pragmatische Weg (gleichzeitige Meldung und Inbetriebnahme) musste somit zurückgenommen werden.105 103
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Die Richtlinie 97/66/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation, Abl 1998 L 24/1, wurde von der RL 02/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, Abl 2002 L 201/37, abgelöst. Hiezu Lachmair, Die neue Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation, RdW 2003, 4, mwH, sowie weitere einschlägige Beiträge (zB Telekommunikationsrecht) in diesem Sammelband . Duschanek, Neuerungen, 536; Mayer-Schönberger, Info Highway, 161f; zu Fragen der Internetwerbung Knyrim, 186, 205; Jahnel, Spamming, Cookies, Logfiles und Location Based Services im TKG 2003, ÖJZ 2004, 336, mwH. Die gesetzliche Meldepflicht bezieht sich allerdings auf den "Vollbetrieb" der Datenanwendung (§ 18 Abs 1); ein "Probebetrieb" wäre demnach auch ohne vorherige Meldung erlaubt. Laut ErwG 49 sollen nämlich „unangemessene Verwaltungsformalitäten“ in Zusammenhang mit der Meldung vermieden werden. Es erscheint da-
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Bestimmte Datenanwendungen mit besonderem Gefährdungspotential dürfen überhaupt erst nach vorheriger Prüfung durch die DSK aufgenommen werden (Vorabkontrolle, § 18 Abs 2, V.A.2). Der Meldungsinhalt umfasst Angaben zum Auftraggeber, über Zweck und Rechtsgrundlage der Datenanwendung, verwendete Datenarten, die Kreise der Betroffenen, Angaben über beabsichtigte Übermittlungen sowie allgemeine Angaben über die Datensicherheitsmaßnahmen.106 Ebenfalls meldepflichtig sind nachträgliche Änderungen meldepflichtiger Umstände (§ 17 Abs 1).
Ausnahmen von der Meldepflicht bestehen für öffentlich zugängliche Datenanwendungen (zB öffentliche Register), Anwendungen für ausschließlich persönliche oder familiäre Zwecke, für publizistische Tätigkeit, sowie mit verschlüsselten (indirekt personenbezogenen) Daten. Schließlich sind auch in der Wirtschaft- und Verwaltungspraxis häufig vorkommende Anwendungen mit geringem Gefährdungspotential als sogenannte "Standardanwendungen" von der Meldepflicht gänzlich befreit (§ 17 Abs 2 Z 6); ähnlich häufig vorkommende aber (zB wegen Verwendung von Gesundheitsdaten) problematischere Anwendungen sind als "Musteranwendungen" nur eingeschränkt zu melden (§ 19 Abs 2). Grundlage dieser Meldungsbefreiung bzw -erleichterung ist die typenmäßige Definition der als "Standard" bzw "Muster" zulässigen Inhalte mit Verordnung: Der Gesetzgeber hat somit versucht, im Rahmen der von der DSRL eröffneten Möglichkeiten die mit dem Vordringen der Informationstechnologie in alle Lebensbereiche bei umfassender Meldepflicht drohende Explosion der Registrierungsbürokratie durch weitreichende Ausnahmen häufig vorkommender Datenanwendungen mit geringerem Gefährdungspotential zu entschärfen.107 Zu diesem Zweck wurden auch die mit einer Standard- bzw Musteranwendung verbundenen Erleichterungen auf damit zusammenhängende Textverarbeitungen ausgedehnt.108
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her auch gemeinschaftsrechtlich vertretbar, die Meldepflicht erst beim Vollbetrieb (insbesondere nach Abschluss allfälliger Adaptionen zB der Software) anzusetzen. Gem § 5 Abs 5 der Datenverarbeitungsregister-VO 2002 - DVRV iVm § 19 Abs 1 Z 7 DSG 2000 sind der Meldung an das Register allgemeine Angaben über die getroffenen Datensicherheitsmaßnahmen unter Verwendung eines Formblatts (Anlage 4 der DVRV) anzuschließen. Die VO über Standard- und Musteranwendungen nach dem Datenschutzgesetz 2000 (Standard- und Muster-VO 2004 - StMV) BGBl II 2004/312 nennt zB Rechnungswesen und Logistik, Personalverwaltung, Kundenbetreuung und Marketing für eigene Zwecke, Personenstandsregister, Melderegister, Wählerevidenz, Aktenverwaltung als Standardanwendungen, Personentransport- und Hotelreservierung, Zutrittskontrollsysteme als Musteranwendungen. § 2 Abs 1 StMV lautet: „ Die ... Standard- oder Musteranwendungen umfassen auch Datenverwendungen in Form von freien Texten oder maschinlesbaren Bilddateien, also auch die automationsunterstützte Erstellung und Archivierung solcher Textdokumente.“ Ferner findet sich in der Definition der Zwecke der verschiedenen Anwendungen regelmäßig die Wendung „... einschließlich automationsunterstützt erstellter und archivierter Textdokumente (wie zB Korrespondenz) in diesen Angelegenheiten.“ Eine vergleichbare Formulierung bietet sich auch für alle Meldungen an das DVR an, sodass nur für Textverarbeitungen ohne jeden Zusammenhang mit Datenanwendungen iS des DSG eine besondere Registereintragung in Betracht gezogen werden muss.
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Ist eine Meldung mangelhaft, werden von der DSK die notwendigen Verbesserungen aufgetragen (§ 20 Abs 1); bei wesentlicher Gefährdung schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen kann auch die Weiterführung der Datenanwendung untersagt werden (§ 20 Abs 2). Wird einem Verbesserungsantrag nicht entsprochen, kommt es zur bescheidmäßigen Ablehnung der Registrierung (§ 20 Abs 4).109 Anläßlich der erstmaligen Registereintragung erhält der Auftraggeber eine Registernummer (DVR-Nr, § 21 Abs 4), die er bei Mitteilungen an Betroffene anzuführen hat (25 Abs 1, s V.A.3).
2. Vorabkontrolle Bestimmte meldepflichtige Datenanwendungen mit besonderem Gefährdungspotential110 dürfen nach der Meldung an das DVR nicht sofort aufgenommen werden, sondern sind einer "Vorabkontrolle" ihrer Rechtmäßigkeit durch die Datenschutzkommission unterworfen (§ 18 Abs 2). In diesem Verfahren ist von der DSK längstens binnen zwei Monaten111 durch entsprechende Aufträge auf die Behebung allfälliger Registrierungsmängel hinzuwirken. Ist die Meldung mängelfrei, kann die Datenanwendung (längstens) nach Verstreichen der Zweimonatsfrist aufgenommen werden; werden Mängel nicht (fristgerecht) behoben, ist die Registrierung mit Bescheid abzulehnen und die Datenanwendung damit unzulässig.112
3. Pflicht zur Offenlegung Bei Übermittlungen und bei Mitteilungen an den Betroffenen hat der Auftraggeber seine Identität offen zu legen; bei Mitteilungen an den Betroffenen allenfalls durch Angabe der DVR-Nr (§ 25 Abs 1). Datenanwendungen, die von der Meldepflicht ausgenommen sind, müssen auf andere geeignete Weise jedermann auf Anfrage offengelegt werden (§ 23).113 Eine Verletzung der Offenbarungspflicht stellt eine Verwaltungsübertretung dar (§ 52 Abs 2 Z 3).
4. Informationspflicht des Auftraggebers Eine der wesentlichsten Neuerungen des DSG 2000 ist die aufgrund Art 10 DSRL gebotene Informationspflicht des Auftraggebers (§ 24). Aufgrund dieser 109 110
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Zum Meldeverfahren s auch Duschanek/Rosenmayr-Klemenz, 84f; Knyrim, Datenschutzrecht, 74f. Datenanwendungen, die sensible Daten oder strafrechtlich relevante Daten enthalten, Kreditauskünfte zum Zweck haben oder als Informationsverbundsystem durchgeführt werden. Zum Anwendungsbereich der Vorabkontrolle vgl auch die ausführlichen Erl zu § 18. Die Frist soll Verzögerungen bei der Einrichtung neuer Datenanwendungen vermeiden; erfolgt innerhalb dieser Frist kein Verbesserungsauftrag, muss die Registrierung durchgeführt werden und kann die Verarbeitung aufgenommen werden (§ 20 Abs 1 u 5). Duschanek/Rosenmayr-Klemenz, 87; Knyrim, 72f. Im DSG fehlen Hinweise auf die Form der „Offenlegung“, die einzuhaltende Frist, Möglichkeiten der Verweigerung bei schikanösen Anfragen usw; dem Auftraggeber steht somit ein gewisser Spielraum für die Erledigung eines Verlangens nach Offenlegung zur Verfügung. Da auch keine Durchsetzung vorgesehen ist, bleibt dem Fragesteller nur die Beschwerde an die DSK gem § 30 Abs 1.
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Verpflichtung hat der Auftraggeber aus Anlass der Ermittlung von Daten den Betroffenen in geeigneter Weise über den Zweck der Datenanwendung sowie über seinen Namen und Adresse zu informieren, sofern diese Informationen dem Betroffenen nach den Umständen des Falles nicht bereits vorliegen. Der Informationspflicht des Auftraggebers aus Anlass der Datenermittlung entspricht kein durchsetzbarer Rechtsanspruch des Betroffenen auf Erhalt dieser Information. Sie setzt aber auch kein besonderes Ersuchen des Betroffenen voraus; bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen muss der Auftraggeber tätig werden. Eine Verletzung der Informationspflicht stellt eine Verwaltungsübertretung dar (§ 52 Abs 2 Z 3). Informationen gemäß § 24 Abs 1 und 2 sind an keine besondere Form gebunden, sie sind in "geeigneter Weise" zu erteilen. Einen pragmatischen Hinweis zur praktischen Handhabung der Informationspflicht liefern die Erl, die unter Hinweis auf ErwG 38 der DSRL die der Informationspflicht zugrunde liegenden Regelungsziele der Transparenz von Datenanwendungen bzw einer umfassenden Aufklärung des Betroffenen über seine "Verdatung" hervorheben, allerdings unter Berücksichtung anderer, dem selben Ziel dienender Regelungen. Konkrete Veranlassungen werden daher nur insoweit zu verlangen sein, als Informationen dem Betroffenen nicht ohnehin auf andere Weise zukommen. Bestehen zB eine ausdrückliche gesetzliche Regelung einer Datenverwendung oder bereichsspezifisch angeordnete Hinweise und Aufklärungen,114 letztlich aber auch, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung vom Einsatz der Datenverarbeitung für bestimmte Zwecke auszugehen ist,115 wird sich eine gleichgerichtete Information gemäß § 24 erübrigen. Ob diese Voraussetzung zutrifft, ist ebenso vom Auftraggeber (allein) zu beurteilen, wie auch die Frage, wann "Treu und Glauben" erweiterte Informationen erfordern (§ 24 Abs 2).
B. Datensicherheit Eine gesetzliche Verpflichtung des Auftraggebers zur Ergreifung technischer und betriebsorganisatorischer Maßnahmen zwecks Gewährleistung der Datenrichtigkeit und zur Verhinderung missbräuchlicher Verwendung, gewissermaßen als notwendige Ergänzung der Regelungen über die Zulässigkeit der Datenverwendung, war seit jeher maßgeblicher Bestandteil eines effizienten Datenschutzes. Je nach Art der Daten, nach Umfang und Zweck der Verwendung, nach dem Stand der technischen Möglichkeiten und unter Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit hat der Auftraggeber insbesondere für die Umsetzung folgender Grundsätze und Ziele zu sorgen: Kompetenzklarheit, Auftragsbindung, Belehrung von Mitarbeitern, Zutritts- und Zugriffsbeschränkung, Betriebskontrolle, Protokollierungs- und Dokumentationspflicht (§ 14 Abs 2). Auf genauere Festlegungen im Gesetzes- oder Verordnungsrang musste schon im Interesse der Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen verzichtet
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Vgl die besonderen Bestimmungen für Adressverlage und Direktmarketingunternehmen in § 151 Abs 5,7,10 GewO; vgl Rosenmayr-Klemenz, FN 97. ZB bei Schaltergeschäften in Kreditinstituten, in der Personalverwaltung, bei Buchungen im Reiseverkehr, bei bestimmten medizinischen Untersuchungen usw.
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werden; aus diesem Grund sind seinerzeit auch die Bemühungen um die Erstellung einer einschlägigen ÖNORM gescheitert.116 Die im Rahmen der Datensicherheitsmaßnahmen gebotene Belehrung der Mitarbeiter betrifft vor allem deren Verpflichtung zur Geheimhaltung der ihnen anvertrauten und zugänglichen Daten, sowie Vorgaben für deren Verwendung, insbes Übermittlungen (Datengeheimnis).117 Die "gröbliche" Außerachtlassung notwendiger Maßnahmen ist als Verwaltungsübertretung zu bestrafen (§ 52 Abs 2 Z 4). Ein Anspruch des Betroffenen auf Ergreifung bestimmter Sicherheitsvorkehrungen oder auf Behebung von Mängeln besteht nicht. Auf die Einbeziehung von "allgemeinen" Angaben über Datensicherheitsmaßnahmen in die DVR-Meldung wurde bereits hingewiesen.
VI. Rechte des Betroffenen A. Allgemeines Das DSG 2000 behandelt im 5. Abschnitt unter dem Titel "Die Rechte der Betroffenen" aus Gründen der Systematik zwar nur das Auskunftsrecht, die Rechte auf Richtigstellung oder Löschung sowie das Widerspruchsrecht. Den Kern der Rechte des Betroffenen bildet aber das im Grundrecht auf Datenschutz verankerte Recht auf Geheimhaltung iVm den Ansprüchen auf Unterlassung der unzulässigen Verwendung sowie auf Ersatz des dadurch erlittenen Schadens (§ 33).118 Letztlich dienen freilich auch die Regelungen über die Publizität der Datenverarbeitungen, wie insbesondere die Informationspflicht und die Meldepflicht samt Einrichtung des Datenverarbeitungsregisters der Unterstützung des Betroffenen zur Verwirklichung der informationellen Selbstbestimmung (I.A). Den Betroffenen steht diesbezüglich zwar kein Rechtsanspruch zu, sie können aber durch Anrufung der DSK ein Tätigwerden der Rechtsschutzorgane herbeiführen (§ 30, VI.E). Das Instrumentarium des Datenschutzrechts ist somit auch noch im DSG 2000 hauptsächlich auf die Absicherung und Verwirklichung individueller Ansprüche des Betroffenen ausgerichtet. Dennoch ist darin vermehrt amtswegiges Einschreiten der DSK iVm einem Ausbau der verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionen vorgesehen (s VI.E) - also ein deutlicher Trend zur Behandlung des Datenschutzes als öffentliches Anliegen.
B. Die Rechte auf Auskunft, Richtigstellung oder Löschung Zwar enthält das DSG selbst in den §§ 26 und 27 die im § 1 Abs 3 geforderten Ausführungsbestimmungen, doch bestehen daneben auch zahlreiche einschlägige spezialgesetzliche Normen.119 Der Auftraggeber hat den Betroffenen auf (schriftliches) Verlangen binnen 8 Wochen Auskunft über die zu seiner 116
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In der DSG-Novelle 1986, BGBl 370, wurde daher die im § 21 Abs 3 DSG 1978 enthaltene Verordnungsermächtigung zur Verbindlicherklärung von ÖNORMEN zur Datensicherheit gestrichen. § 14 Abs 2 Z 3 iVm § 15 Abs 2. Zum Schadenersatzanspruch des Betroffenen s VI.D. ZB §§ 75 StPO, 51ff SPG, 49 TKG, 15f VerG, 84f GOG.
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Person verarbeiteten Daten zu geben. Dabei sind neben den verarbeiteten Daten - soweit vorhanden - auch Informationen über deren Herkunft, allfällige Empfänger (Empfängerkreise) von Übermittlungen sowie Zweck und Rechtsgrundlage der Datenverwendung zu erteilen. Vor Auskunfterteilung hat der Betroffene seine Identität nachzuweisen und durch Hinweise zur Auffindung seiner Daten am Auskunftsverfahren mitzuwirken - andernfalls kann die Auskunft abgelehnt werden. Die erstmalige Auskunft im Kalenderjahr aus aktuellen Datenbeständen ist kostenlos mitzuteilen (§ 26 Abs 6); für weitere Auskünfte wurde im DSG selbst ein pauschalierter Kostenersatz120 festgelegt, von dem aber bei Nachweis höherer Kosten abgewichen werden darf.121 Ausnahmen, die den Auftraggeber zur Ablehnung einer Auskunftserteilung berechtigen, gründen sich auf eine entsprechende Aufzählung im Art 13 DSRL und müssen den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gem § 1 Abs 4 iVm Abs 2 entsprechen. Im Vordergrund steht die Berücksichtigung überwiegender berechtigter Interessen des Auftraggebers, eines Dritten oder öffentlicher Interessen. Aufgrund der DSRL musste auch die Möglichkeit der Auskunftsverweigerung im Interesse des Betroffenen selbst vorgesehen werden. Die Erl hiezu verweisen auf medizinische Gründe oder auf Auskünfte aus dem Strafregister. Unrichtige sowie rechtswidrig verarbeitete Daten sind richtig zu stellen bzw zu löschen; auch diese Verpflichtungen gelten nach Maßgabe der einschlägigen Ausführungsbestimmungen. Eine Löschungspflicht gilt insbesondere, wenn Daten für den Zweck der Datenanwendung nicht (mehr) benötigt werden (vgl § 6 Abs 1 Z 5). Einem berechtigten Antrag auf Richtigstellung oder Löschung ist binnen 8 Wochen nachzukommen, grundsätzlich besteht eine entsprechende Verpflichtung des Auftraggebers - bei Zutreffen der Voraussetzungen - aber auch ohne Antragstellung. Im Grundrecht auf Datenschutz ist die Geltendmachung des Auskunftsrechtes im öffentlichen und im privaten Bereich des Datenschutzes an die DSK verwiesen (§ 1 Abs 5); die Rechte auf Richtigstellung oder Löschung sind nur im öffentlichen Bereich vor der DSK zu verfolgen; im privaten Bereich ist der Zivilrechtsweg zu beschreiten (sVI.E).
C. Das Widerspruchsrecht Das Widerspruchsrecht (§ 28) verpflichtet den Auftraggeber ungeachtet der Rechtmäßigkeit einer Datenverarbeitung unter bestimmten Voraussetzungen zur Löschung der Daten des Betroffenen auf dessen Verlangen; diese Regelung wirft schwierige Fragen für die Praxis auf, die selbst durch Heranziehung der entsprechenden Vorgaben im Art 14 lit a DSRL nicht vollständig geklärt werden können.122 Voraussetzung eines berechtigten Widerspruchs sind "überwiegende schutzwürdige Interessen", die sich aus einer "besonderen", also aus 120 121 122
€ 18,89 (§ 26 Abs 6). Der Kostenersatz ist rückzuerstatten, wenn Daten rechtswidrig verwendet wurden oder die Auskunft zu einer Richtigstellung geführt hat. Damman/Simitis, 213 f; Ehmann/Helfrich, 211 f.
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der individuellen Situation des Betroffenen ergeben. Beispiele für solche Situationen liefern weder die Erl zum DSG noch die Materialien zur DSRL. Für den Auftraggeber besteht somit höchste Rechtsunsicherheit, wenn er die Berechtigung eines Widerspruchs zu beurteilen hat. Der Betroffene muss seinen Widerspruch mit Ausführungen begründen, aus denen das Vorliegen der gesetzlichen Anforderungen hervorgeht. Erforderlichenfalls müssen die angeführten Gründe auch glaubhaft gemacht werden, um dem Auftraggeber ihre Beurteilung zu ermöglichen. Da sich der Widerspruch auch gegen eine an sich rechtlich zulässige Datenanwendung richten kann, wie die Erl betonen, wird ein ungenügend begründeter Widerspruch vom Auftraggeber nicht beachtet werden müssen. Richtet der Betroffene seinen Widerspruch gegen die Aufnahme seiner Daten in eine nicht gesetzlich angeordnete, öffentlich zugängliche Datei bedarf es allerdings keiner Begründung. Die Missachtung eines berechtigten Widerspruches führt jedenfalls zur Rechtswidrigkeit der Datenverarbeitung. Ein Widerspruchsrecht ist im Übrigen ausgeschlossen, wenn die Verwendung von Daten "gesetzlich vorgesehen" ist. Anders als vergleichbare Bestimmungen des DSG 2000 spricht § 28 nicht von "ausdrücklichen" gesetzlichen Vorschriften.123 Auch sonstige gesetzliche Verwendungsermächtigungen, vielleicht sogar die im § 7 Abs 1 angesprochenen "rechtlichen Befugnisse und Zuständigkeiten" des Auftraggebers dürften damit einem Widerspruch entgegenstehen. Geht man weiters davon aus, dass die Verwendung von Daten für Zwecke der Hoheitsverwaltung, also in einem wesentlichen Teil des sogenannten öffentlichen Bereiches, iS der rechtsstaatlichen Anforderungen generell "gesetzlich vorgesehen" sein muss, ergeben sich zusätzliche Unsicherheiten über Anwendungsbereich und Geltung des Widerspruchsrechts. Das Widerspruchsrecht gem § 28 ist nicht im Grundrecht auf Datenschutz verankert. Ein gerechtfertigter Widerspruch führt ohne behördliche Entscheidung zur unmittelbar wirksamen Verpflichtung des Auftraggebers, die betreffenden Daten binnen 8 Wochen zu löschen und ab sofort Übermittlungen zu unterlassen. Ein besonderes Verfahren zur Klarstellung der Beachtlichkeit (Berechtigung) eines Widerspruches ist nicht eingerichtet. Meinungsverschiedenheiten zwischen Auftraggeber und Betroffenen über die Berechtigung des Widerspruchs werden erst (als Vorfrage) im Verfahren zur Durchsetzung von Löschungspflicht oder Übermittlungsverbot entschieden. Im Fall der Weigerung des Auftraggebers dem Widerspruch zu entsprechen, kann der Betroffene zB das Übermittlungsverbot als Folge seines rechtsgültigen Widerspruchs nur im Verfahren gemäß § 31 Abs 2 (öffentlicher Bereich) oder § 32 (privater Bereich) durchsetzen. Im privaten Bereich, wo das Widerspruchsrecht den Charakter eines zivilrechtlichen Anspruchs aufweist, der auf dem Zivilrechtsweg durchzusetzen ist, wird wohl auch ein (vorheriger, zB anlässlich der Datenermittlung vereinbarter) Verzicht auf die Ausübung des Widerspruchsrechts vorstellbar sein.
123
ZB §§ 8 Abs 1 Z 1, 45 Abs 2, 47 Abs 1, 49 Abs 2 Z 1.
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D. Schadenersatz Die in Österreich seit der Erlassung des DSG 1978 geführte Diskussion um die Notwendigkeit datenschutzspezifischer Schadenersatzregelungen, die auch Ausdruck in einer Entschließung des Nationalrats fand,124 hat mit der DSRL (Art 23) geendet. In das DSG 2000 wurden daher entsprechende Bestimmungen aufgenommen: Laut § 33 haftet der Auftraggeber gegenüber dem Betroffenen nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts, wenn er ihm schuldhaft und rechtswidrig durch Verwendung von Daten Schaden zugefügt hat. In besonders schwerwiegenden Fällen, nämlich wenn durch die öffentlich zugängliche Verwendung von sensiblen Daten, strafrechtlich relevanten Daten oder Daten über die Kreditwürdigkeit schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen in einer Weise verletzt wurden, die einer Eignung zur Bloßstellung iS des § 7 Abs 1 des Mediengesetzes gleichkommt, ist auch der durch die Kränkung erlittene (immaterielle) Schaden bis zu einer Höhe von € 14.535.- zu ersetzen. Entsprechend der DSRL besteht eine Beweislastumkehr; der Auftraggeber hat demnach nachzuweisen, dass der Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, ihm und seinen Leuten nicht zur Last gelegt werden kann.125 Nach der DSRL sind auch Schadenersatzregelungen für den öffentlichen Bereich vorzusehen; der Hinweis der Erl zu § 33 auf die Geltung der "allgemeinen Bestimmungen" des AmtshaftungsG schafft aber keine ausreichende Klarheit, ob in einschlägigen Fällen auch die besonderen Bestimmungen des § 33 Abs 1 (Haftung für Bloßstellungen) und Abs 3 (Beweislastumkehr) heranzuziehen sind. Da aber Amtshaftung grundsätzlich auch auf Sonderprivatrecht beruhen kann,126 wird die Frage wohl zu bejahen sein. Der Einwand, dass die DSRL eine verschuldensunabhängige Haftung verlangt und § 33 demnach gegen Gemeinschaftsrecht verstößt,127 kann mit Hinweis auf Art 23 Abs 2 DSRL beantwortet werden; die dort vorgesehene Haftungsbefreiung durch den Nachweis, dass dem Auftraggeber der schadensverursachende Umstand "nicht zur Last gelegt" werden kann, erscheint wohl nur im Falle einer Verschuldenshaftung (entsprechend der Regelung im § 33) sinnvoll.128
E. Rechtsschutz Seit 1978 ist die Einrichtung unterschiedlicher Rechtsverfolgungswege, nämlich die Beschwerde an die DSK zur Durchsetzung datenschutzrechtlicher Ansprüche im öffentlichen Bereich und die Klage vor den ordentlichen Gerichten für Ansprüche im privaten Bereich, charakteristisch für den datenschutzrechtlichen Rechtsschutz in Österreich. Daran hält auch das DSG 2000
124 125
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Entschließung des Nationalrates v 18.10.1978, 1024 BlgNR 14.GP. Der mit § 1328a ABGB idF des Zivilrechts-Änderungsgesetzes 2004, BGBl I 2003/91, eingeführte Schadenersatzanspruch wegen rechtswidriger und schuldhafter Verletzungen der Privatsphäre geht zwar über die inhaltlichen Einschränkungen des § 33 hinaus, ist aber gem Abs 2 nicht anwendbar, sofern bereichsweise besondere Bestimmungen (wie § 33 DSG) bestehen. S auch Dohr/Pollirer/Weiss, § 1328a ABGB, Anm 13 (bei § 33). Schragel, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz (1985), 127. Mayer-Schönberger/Brandl, 38. Ehmann/Helfrich, 280 mwH.
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fest; eine Verschiebung erfolgte bloß durch die neue Zuständigkeit der DSK zur Durchsetzung von Auskunftsbegehren im privaten Bereich.129 Die DSK entscheidet als unabhängige Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag (§ 37) mit Bescheid über Beschwerden wegen Verletzung von Ansprüchen der Betroffenen auf Geheimhaltung, Auskunft, Richtigstellung und Löschung durch Auftraggeber des öffentlichen Bereiches; desgleichen über Auskunftsbeschwerden im privaten Bereich. Gegen Bescheide der DSK ist Beschwerde an den VwGH zulässig.130 Durch Verfassungsbestimmung (§ 35 Abs 2) ist gesichert, dass die DSK ihre Befugnisse auch gegenüber den obersten Organen der Vollziehung ausüben kann. Für die Durchsetzung der grundrechtlichen Ansprüche auf Geheimhaltung, Richtigstellung und Löschung gegen Auftraggeber des privaten Bereiches ist der Zivilrechtsweg zu beschreiten; das Grundrecht vermittelt hier also ein subjektives Privatrecht, das mit unmittelbarer Drittwirkung ausgestattet ist. Klagen, insbes auf Unterlassung unzulässiger Datenverwendung oder auf Leistung (Richtigstellung, Löschung) sind in der Regel an das für bürgerliche Rechtssachen zuständige Landesgericht des gewöhnlichen Aufenthaltes (Sitzes) des Betroffenen zu richten. Im übrigen steht für die Verfolgung von Grundrechtverletzungen durch Organe der Gerichtsbarkeit ein besonderes gerichtliches Verfahren zur Verfügung.131 Unabhängig von diesen Möglichkeiten zur Durchsetzung seiner datenschutzrechtlichen Ansprüche kann sich jeder Betroffene wegen behaupteter Verletzungen seiner im DSG gegründeten Rechte oder sonstiger Auftraggeberpflichten an die DSK wenden; diese wird hier in ihrer Funktion als unabhängige Kontrollstelle iSd Art 28 DSRL tätig und hat solchen Beschwerden nachzugehen (§ 30 Abs 2) - also auch in Angelegenheiten des privaten Bereichs. Im Übrigen kann sie bei begründetem Verdacht der Verletzung von Rechten oder Pflichten nach dem DSG 2000 jede Datenanwendung überprüfen, auch wenn kein konkretes Anbringen vorliegt. Im Falle von vorabkontrollpflichtigen Datenanwendungen ist eine derartige Überprüfung auch ohne Vorliegen eines Verdachts möglich. Die DSK kann Auskünfte verlangen und Einschau nehmen, wobei sie über weitreichende Kontrollbefugnisse verfügt. Als Ergebnis ihrer Überprüfung kann sie Empfehlungen erteilen und für deren Befolgung eine angemessene Frist setzen. Wird den Empfehlungen nicht entsprochen, kann sie ein Verfahren zur Überprüfung der Registrierung einleiten, Strafanzeige erstatten oder bei schwerwiegenden Verstößen durch Auftraggeber des privaten Bereichs Klage vor dem zuständigen Gericht (§ 32 Abs 5) erheben. Bei Verstößen von Auftraggebern, die Organe einer Gebietskörperschaft sind, ist das zuständige oberste Organ zu befassen (§ 30 Abs 6 Z 4).
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Diese Regelung soll eine Vereinfachung der Rechtsverfolgung solcher Ansprüche bewirken (Erl zu § 1 Abs 5). Duschanek, § 1 DSG, Rz 90. §§ 83f GOG idF der Zivilverfahrens-Novelle 2004, BGBl I 2004/128.
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Auf die Zuständigkeiten der DSK als Genehmigungsbehörde im Internationalen Datenverkehr sowie als Registerbehörde132 wurde bereits eingegangen (II.C, V.A.1). Die im DSG 1978 noch auf einige wenige "Systemprüfungen" im öffentlichen Bereich133 beschränkte amtswegige Kontrolltätigkeit der DSK wurde im DSG 2000 entscheidend ausgebaut. Diese Regelungen beruhen im Wesentlichen auf Vorgaben der DSRL und stellen wohl gerade noch die Untergrenze der von Art 28 Abs 3 DSRL verlangten Kontrollbefugnisse der unabhängigen Datenschutzbehörde dar. Einige Verstöße gegen Bestimmungen über die Zulässigkeit der Datenverwendung sind - neben den im DSG zugunsten des Betroffenen eingerichteten Rechtsschutzinstrumenten - sowohl als Verwaltungsstrafbestimmung gem § 52 DSG, als auch nach verschiedenen Straftatbeständen gerichtlich 134 zu verfolgen.
VII. Ausblick Mit dem Datenschutzrecht sollen den Bürgern in der Informationsgesellschaft rechtliche Instrumente zur Absicherung ihrer privaten Geheimnissphäre gegenüber neuartigen Einsatzmöglichkeiten der Informationstechnik vermittelt werden. Für den Gesetzgeber erwachsen dabei besondere Probleme durch den rasanten Fortschritt der technischen Entwicklung, der zu ständiger Veränderung der Gefahrenszenarien führt. Bemühungen, dieser Entwicklung vermehrt mit bereichsspezifischen Regelungen der Datenverwendung zu begegnen, führten allerdings zu beträchtlichen Einbußen der Übersichtlichkeit des Datenschutzrechts. Man mag die datenschutzrechtliche Durchdringung der "Informationsgesellschaft" begrüßen, das über viele Rechtsvorschriften verstreute und inhaltlich uneinheitliche Datenschutzrecht bedürfte aber dringend der systematischen Erfassung und rechtsdogmatischen Aufarbeitung. Die an sich so bürgernahe Materie des Datenschutzes verlangt leicht verständliche Regelungsinstrumente und einwandfreie Rechtssicherheit, um die erhoffte Akzeptanz in breiteren Kreisen der Bevölkerung zu erreichen; die derzeitige Rechtslage ist weit davon entfernt, diesem Anspruch gerecht zu werden.
132 133 134
Gem § 7 E-GovG, BGBl I 2004/10, ist die DSK auch Stammzahlenregisterbehörde und nimmt diese Aufgabe im Wege des Datenverarbeitungsregisters wahr. § 41 DSG 1978. § 51 DSG 2000 sowie §§ 118a, 119a, 126a, 126b, 126c, 148a StGB.
Gerhard Strejcek/Carmen Kainz/Ulrich Tauböck
Privatunterrichtswesen und Fertigkeitsvermittlung Rechtsgrundlagen ...........................................................................................327 Grundlegende Literatur...................................................................................328 I. Begriff und rechtshistorische Bedeutung ................................................328 II. Verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Fragen...............................330 A. Kompetenzrechtliche Abgrenzungen .....................................................330 B. Grundrechtliche Fragen ........................................................................336 C. Gemeinschaftsrechtliche Fragen...........................................................341 III. Verwaltungsrechtliche Fragen ..............................................................343 A. Ausnahme von der Gewerbeordnung ....................................................343 B. Vermittlung von Fertigkeiten - Fahrunterricht......................................344 1. Fahrschulen .......................................................................................344 2. Schiffsführerschulen und Zivilluftfahrerschulen...............................348 C. Sportunterricht - Schischulen und Bergsteigerschulen .........................349 1. Übersicht zu den Landesgesetzen......................................................349 2. Schischulen .......................................................................................349 3. Bergführer .........................................................................................353 4. Ende der Bewilligung........................................................................355 5. Verbände ...........................................................................................356 6. Verwaltungsstrafrechtliche Absicherung ..........................................357 7. Weitere Sportschulen ........................................................................357 D. Tanzunterricht .......................................................................................358 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Art 39 ff, 43 ff, 49 ff EGV; RL des Rates Nr 92/51/EWG, Abl 1992 L 209/25 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung der RL 89/48/EWG BG: Art 6, 17 und Art 18 StGG 1867; § 42 ÜG idF 1929; Art 14, 14a B-VG; B-VG-Nov 1962, BGBl 215, B-VG-Nov 1974, BGBl 444; B-VG-Nov 1975, BGBl 316; B-VG-Nov 2005, BGBl I 31; Art 8 MRK; Art 2 1. ZPMRK; FührerscheinG - FSG (BGBl 1997 I/120 idF BGBl 2005 I/152); Gewerbeordnung 1994 - GewO (wv) (BGBl 1994/314 idF BGBl 2005 I/134); Gesundheits- und KrankenpflegeG - GuKG (BGBl I 1997/108 idF I 2005/69); GüterbeförderungsG (BGBl 1995/593 idF 2002 I/32); KraftfahrG 1967 - KFG (BGBl 1967/267 idF BGBl 2005 I/117); Land- und forstwirtschaftliches PrivatschulG (BGBl 1975/318); LuftfahrtG (BGBl 1957/253 idF BGBl 1999 I/194); PrivatschulG (BGBl 1962/244); Medizinisches Masseur- und Heilmasseurgesetz - MMHmG (BGBl I 2002/169); SchiffahrtsG 1997 (BGBl 1997 I/62 idF 1998 I/9); SportschulG (BGBl 1974/140); Vereinbarung über die Sozialbetreuungsberufe (BGBl I 2005/55)
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Strejcek/Kainz/Tauböck
LG: VO des LH des Bgld vom 24. Juli 1925 betreffend die Erlassung von Ordnungsvorschriften für den Betrieb öffentlicher Tanzschulen im Burgenlande (LGBl 1925/38); Krnt SchischulG 1997 - K-SSchG (wv) (LGBl 1997/53); Krnt Berg- und SchiführerG 1998 - K-BSFG (wv) (LGBl 1998/25 idF 2001/60); Krnt SozialhilfeG 1996 - K-SHG 1996 (LGBl 1996/30 idF 2006/44); Krnt SportG 1997 - K-SpG (LGBl 1997/99); Krnt TanzunterrichtsG 1992 - K-TUG (LGBl 1992/150 idF 1996/69); NÖ SportG (LGBl 5710-0); NÖ VeranstaltungsG (LGBl 7070-3); OÖ SportG 1997 (LGBl 1997/93 idF 2003/106), sowie die VO der LReg vom 29. August 2003 betreffend den Berechtigungsschein nach dem Oö Sportgesetz (LGBl 2006/95); OÖ TanzschulG (LGBl 1951/29 idF 2003/106); Sbg Schischul- und SnowboardschulG 1989 (LGBl 1989/54 idF2004/14); Sbg BergführerG 1981 (LGBl 1981/76 idF 1993/55); Sbg TanzschulG (LGBl 1952/12 idF 2001/46); Stmk Berg- und SchiführerG 1976 (LGBl 1976/53 idF 2006/56); Stmk SchischulG 1997 (LGBl 1997/58 idF 2006/58); Stmk TanzschulG 2000 (LGBl 2000/17); Tir BergsportführerG (LGBl 1998/7 idF 2002/89); Tir SchischulG 1995 (LGBl 1995/15 idF 2002/89); Tir TanzunterrichtsG (LGBl 1950/32 aufgehoben durch 2003/87); Vlbg SchischulG (wv) (LGBl 2002/55); Vlbg BergführerG (LGBl 1982/15 idF 1993/52); Vlbg SportG (LGBl 1972/15 idF 1995/17); Vlbg TanzkurseG (wv) (LGBl 1994/76 aufgehoben durch 2001/29); Wr SchischulG (LGBl 2002/37); Wr TanzschulG 1996 (LGBl 1997/12 idF 2004/16); VO: Kraftfahrgesetz-DurchführungsV - KDV (BGBl 1967/399 idF BGBl 2005 II/412); SchiffsführerschulenV (BGBl 1936/353 idF BGBl 1978/535); VO des BM für Unterricht und Kunst über die Ausbildung zum Berg- und Schiführer (BGBl 529/1992 idF II 286/2004; Anlage A.7 der VO des BM für Unterricht und Kunst über die Eignungsprüfungen, Abschlußprüfungen und Befähigungsprüfungen an Schulen zur Ausbildung von Leibeserziehern und Sportlehrern (BGBl 1992/530 idF II 287/2004)
Grundlegende Literatur: Aicher/Holoubek/Korinek (Hrsg.), Gemeinschaftsrecht und Wirtschaftsrecht, 2000; Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1996; Avenarius/Heckel, Schulrechtskunde7, 2000; Berka, Handbuch der Grundrechte, 1999; ders, Lehrbuch Grundrechte, 2000; Binder, Wirtschaftsrecht2, 1999; Dujmovits, Art 14 B-VG, in: Korinek/Holoubek, B-VG-Kommentar II/1; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 2005; Grundtner, Das österreichische Kraftfahrgesetz nach der 20. Novelle, 1998; Jisa/ Juranek/Schreiner/Zeizinger, Österreichische Schulgesetze, LoBl ab 1976; Jonak, SchUG mit hiezu ergangenen Verordnungen4, 2006; Jonak/Kövesi, Das österreichische Schulrecht8, 2001; Juranek, Schulverfassung und Schulverwaltung in Österreich und in Europa 2 Bde, 1999; Kuratorium für Verkehrssicherheit (Hrsg), KFG - Kraftfahrgesetz idF BGBl I 2005/117, 2006; Lienbacher, Veranstaltungsrecht, in Bachmann ua. (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht5, 2004; Pauger, Gewerberecht, in: Raschauer (Hrsg.), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, 1998; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2, 2003; Schwamberger, Gesundheits- und Krankenpflegegesetz4, 2006; Strejcek, Schischulrecht, Jur. Diss. Wien 1988; Tauböck, Landesgesetzlich geregeltes Wirtschaftsrecht. Darstellt am Beispiel des Schischulrechts, Jur. Diss. Wien 2002; Zeizinger, Krankenpflegeausbildung und Verfassung, JBl 1974, 239;
I. Begriff und rechtshistorische Bedeutung Die Begriffe „Privatunterricht“ einerseits und „Fertigkeitsvermittlung“ andererseits sind vor einem jeweils verschiedenen verfassungsrechtlichen Hintergrund zu bestimmen. Gemeinsam ist beiden Unterrichtsformen, zwischen denen im allgemeinen Sprachgebrauch nicht weiter differenziert wird, eine rechtshisto-
Privatunterrichtswesen und Fertigkeitsvermittlung
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risch vorgeprägte inhaltliche Bedeutung, die auf die monarchische Rechtsordnung zurückgeht. Im StGG 1867 finden sich grundlegende Regelungen über den schulischen und über den häuslichen Privatunterricht in Form subjektiver, verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Jeder Staatsbürger hat nach Art 17 Abs 2 StGG das Recht zur Gründung von privaten Unterrichts- oder Erziehungsanstalten, und jedem Staatsbürger, der seine Befähigung dazu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat, kommt das Recht zur Erteilung von Privatunterricht zu. Während Unterricht in Privatschulen nur gesetzlich hiezu befugten Personen vorbehalten bleibt, ist der häusliche Privatunterricht frei und darf von jedermann erteilt werden. Art 17 Abs 3 StGG gewährt das Recht auf Erteilung häuslichen Unterrichts ohne jede Einschränkung, weshalb weder persönliche noch sachliche Voraussetzungen hiefür gesetzlich festgelegt werden dürfen.1 Nach dem Kundmachungspatent zur GewO 1859 ist der Privatunterricht von der Anwendung dieses Gesetzes ausgenommen,2 weshalb es sich historisch-systematisch betrachtet auch nach dem Regime des B-VG 1920 (bzw der die Kompetenzverteilung weitgehend regelnden B-VGNov 1925) beim Privatunterricht um keine gewerbliche Tätigkeit iSd Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG handelt. Es besteht aufgrund der oben genannten historischen Grundrechtsnormen, die im Gegensatz zur GewO 1859 - immer noch in Geltung stehen, inhaltlichsystematisch ein enger Kontext zwischen Privat- und Schulunterricht, welche beide als die Vermittlung zentraler geistiger Lebensinhalte mittels erzieherischer und pädagogischer Methoden in dafür gewidmeten staatlichen, kirchlichen oder privaten Anstalten oder eben im Falle des häuslichen Privatunterrichts vornehmlich in den eigenen vier Wänden definiert werden können. Die Durchbrechung des staatlichen Unterrichtsmonopols und die Gewährung der Privatschulfreiheit durch Art 17 Abs 2 StGG wird noch durch Art 14 Abs 7 BVG weiter ausgestaltet, der einen Anspruch auf Verleihung des Öffentlichkeitsrechts an Privatschulen nach Maßgabe gesetzlicher Regelungen festschreibt. Während der häusliche Privatunterricht und die - sachlich auf Schulen iSd Art 14 B-VG bezogene Privatschulfreiheit3 - verfassungsrechtlich durch das positive Recht selbst näher bestimmt wurden, ist der Begriff der Fertigkeitsvermittlung ein Konstrukt der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in negativer Abgrenzung zum (kompetenzrechtlichen) Schulbegriff. Schulen im Sinne des Art 14 und 14a B-VG sind nur jene Bildungseinrichtungen, die erzieherische (pädagogische) Ziele verfolgen und durch den Anspruch auf Formung der Gesamtpersönlichkeit der Schüler über die „bloße“ Fertigkeitsvermittlung hinausgehen. Demnach unterliegen sowohl (allgemeinbildende) Pri1
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Dieses Grundrecht bezieht sich nach VfSlg 4990/1965 auf die häusliche Vermittlung von Wissen und Kenntnissen, nicht aber von Fertigkeiten. Siehe zu dessen Bedeutung auch Berka, Lehrbuch, Rz 393. Zur Relevanz des Art V KP zur GewO 1859 siehe VfSlg 1477/1932; Pauger, Rz 344; Rill, Das Gewerberecht: Grundfragen, Grundsätze und Standort im Rechtssystem, in: Korinek (Hrsg), Gewerberecht. Grundfragen der GewO 1994 in Einzelbeiträgen, 1995, 2 f.; zu historischen Entwicklung im 19. Jahrhundert siehe auch Kinscher/Barfuß-Paliege, Die historische Entwicklung des Gewerberechts, in dies. (Hrsg), Die Gewerbeordnung7, 2004, VIII f. Berka, Lehrbuch, Rz 396.
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vatschulen, als auch die land- und forstwirtschaftlichen Privatschulen dem Schulregime des Bundes, erstere gestützt auf Art 14 B-VG, die zweiteren gestützt auf Art 14a B-VG.4 „Fertigkeitsschulen“ wie zB Fahr-, Tanz-, Schi- und Bergführerschulen unterliegen dagegen, wie zu zeigen sein wird, weder kompetenzrechtlich noch von der Grundrechtsgarantie her den für Schulen geltenden verfassungsrechtlichen Vorschriften. Sie folgen nach dem Adhäsionsprinzip entweder der Regelungs- und Vollziehungskompetenz des jeweils zuständigen Materiengesetzgebers (zB Kraftfahrwesen - Fahrschulen) oder fallen, was insbesondere im Sportwesen der Fall ist, unter die in Art 15 Abs 1 B-VG verankerte (Rest)Kompetenz der Länder. Hinsichtlich des Bergführerwesens enthält Art III der B-VGNov 1974, BGBl 444, eine ausdrückliche Klarstellung, dass es sich um keine Angelegenheit des Gewerbes iSd Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG handelt, womit auch eine versteinerungsfähige Begründung einer Landeskompetenz vorliegt. Grundrechtlich betrachtet sind für die Fertigkeitsschulen nicht der Art 17, sondern die Art 6 und 18 StGG anwendbar (siehe Näheres unten in Kapitel II.B).
II. Verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Fragen A. Kompetenzrechtliche Abgrenzungen Kompetenzrechtlich betrachtet sind für die Zuordnung der Zuständigkeiten für Gesetzgebung und Vollziehung in Sachen Privatunterricht und Fertigkeitsvermittlung drei Abgrenzungen zu treffen, für die sich die Anwendung objektivhistorischer und systematischer Methoden der Kompetenzinterpretation, vor allem der Versteinerungstheorie sowie des Adhäsionsprinzips als zweckmäßig herausgestellt hat. Zum Ersten ist die schon für die Unterscheidung der Rechtsbegriffe „Schule“ und „Fertigkeitsvermittlung“ relevante, negative Abgrenzung des nichtschulischen Unterrichts in Fertigkeiten ohne Verfolgung erzieherischer Ziele vom schulischen Privatunterricht zu treffen. Zum Zweiten ist zu klären, ob die Kompetenz des Materiengesetzgebers diesen auch dazu ermächtigt, die Ausbildung in Fertigkeiten mitzuregeln. Zum Dritten muss eine Abgrenzung der erwerbsbezogenen Fertigkeitsvermittlung von der Gewerbekompetenz des Bundes getroffen werden. Schließlich ist der im gegebenen Kontext recht weitgefasste Restbereich zu umschreiben, der in der Kompetenz der Länder nach Art 15 Abs 1 B-VG verbleibt. Die zunächst angesprochene Abgrenzung zwischen echten Schulen und „Fertigkeitsschulen“ ist im Lichte der B-VG-Nov 1962, BGBl 215, und des inhaltlich weitgehend übernommenen Schulbegriffs des Verfassungs-Übergangsgesetzes 1920 idF 1929 zu sehen.5 Mit der B-VG-Nov 1962 wurde der vormals einheitliche Kompetenztatbestand „Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesen“ aufgelöst und in drei selbstständige Kompetenztatbestände gleichen Titels geteilt. Wie sich aus der Rsp des VfGH ergibt, ist der historisch vorgeprägte Schulbegriff hiedurch aber nicht berührt worden, weshalb
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PrivatschulG BGBl 1962/244; Land- und forstwirtschaftliches PrivatschulG, BGBl 1975/318; Binder, Rz 1724 f. § 42 ÜG 1920 idF 1929; siehe VfSlg 3234/1957.
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diesem derselbe Inhalt beizumessen ist, wie zuvor.6 Unter Anwendung der Versteinerungstheorie ist der Begriffsinhalt nach dem unterverfassungsrechtlichen Regelungsbestand zum Zeitpunkt des 18.7.1962 zu ermitteln.7 Da dieser aber wiederum auf ältere, zT in die Monarchie zurückreichende Rechtsbegriffe zurückgreift, ist in der Lehre die Meinung geäußert worden, nicht die Versteinerungstheorie, sondern die Wortsinninterpretation trete bei der Auslegung des Schulkompetenztatbetandes in den Vordergrund.8 Wie schon an anderer Stelle nachgewiesen, ist die Ermittlung des für sich nicht aussagekräftigen Schulbegriffs nur unter Auslotung historischen Rechtsmaterials unter Anwendung einer objektiven Methode in intersubjektiv nachprüfbarer Weise vorstellbar, weshalb trotz der zu konzedierenden Zurückhaltung in der Rsp des VfGH9 sich methodologisch festzulegen und der darauf fußenden Zweifel in der Lehre,10 hier nichts Anderes zu gelten hat, wie zB in Auslegung des Gewerbebegriffs des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Dementsprechend reicht es bei konziser Kompetenzinterpretation nicht aus, nur oberflächlich hervorzustreichen, dass eine Ausbildungseinrichtung nicht erzieherische bzw pädagogische Ziele verfolge und daher keine Schule sei, sondern es wäre im Einzelnen nachzuprüfen, ob die Einrichtung in systematisch-historischer Sichtweise unter den Schulbegriff nach den genannten Rechtsvorschriften fällt bzw im organisatorischen Kontext einer Schule erfolgt oder nicht. Anders ist es nämlich rechtswissenschaftlich nicht erklärbar, dass ein und dieselbe Unterrichtstätigkeit einmal in den Bundes-, dann aber wieder in den Landeszuständigkeitsbereich fällt, wie es zB für Schiunterricht an Universitäten, Pädagogischen Akademien und sonstigen Schulen, aber auch für die in Bundesanstalten für Leibeserziehung (= Sportschulen gemäß BGBl 1974/140) erfolgende und an die Universitätsstudien nur angekoppelte Schilehrerausbildung des Bundes (allesamt Schulen iSd Art 14 B-VG) in Abgrenzung zu den klassischen Schischulen der Länder (Fertigkeitsvermittlung) gilt. Nachdem es hier nicht um eine die historische Rechtslage, sondern nur um eine die Kompetenzgrenzen versteinernde Auslegung geht, sind hierbei intrasystematische Fortentwicklungen ebenso zu berücksichtigen (zB Schischulen 1925 - Snowboardschulen 2001; Fernmeldeschulen der Post als historischer Ausgangspunkt - informationstechnologische Ausbildung der Telekom Austria AG in fortentwickelnder Sichtweise), wie es auch rechtsdogmatisch als zweckmäßig erschiene, den Schulbegriff als historisch vorgeformten Typusbegriff nach einem beweglichen System auszulegen. Hierbei käme es auf typologische Merkmale, wie zB eine abwägende und zusammenschauende Interpretation der Lehrziele, der angewendeten Lehrmethoden, der Größe, der Organisationsform, der Dauer des Unterrichts, des Einsatzes von pädagogisch geschulten Lehrern, des anwendbaren Dienstrechts etc an. Die Rsp ist diesen Weg allerdings nicht gegangen, weshalb es nach dieser weiterhin singulär auf die Verfolgung erzieherischer und pädagogischer Ziele ankommt. Wie zweifelhaft dieses Kriterium allein sein kann, zeigt sich etwa bei der Ausbildung von Leistungssportlern, die nicht in Schulen iSd Art 14 B-VG erfolgen muss, aber jeweils unter Einsatz erzieherischer Mittel und Verfolgung pädagogischer Ziele erfolgt und des Eingehens auf die Gesamtpersönlichkeit der „Schüler“ bedarf. 6 7 8 9 10
Siehe das Kompetenzfeststellungserkenntnis VfSlg 6407/1971; Juranek, 407 f; Zeizinger, Die Entwicklung der Schulrechtskompetenzen, JBl 1978, 193. Inkrafttreten der B-VG-Nov 1962, BGBl 215; Strejcek, 13. Zeizinger, 239. VfSlg 3234/1957, 6407/1971; zur Unterrichtsanstalt iSd Art 17 StGG siehe VfSlg 4990/1965. Vgl. Hengstschläger, Das Bildungswesen, in Schambeck (Hrsg), Das österreichische Bundes-Verfassungs-Gesetz und seine Entwicklung (1980) 599 ff; Zeizinger, 239 f.
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Die oben als weitere zentrale Kompetenzfrage im Zusammenhang mit der hier beschriebenen Materie angesprochene Adhäsionskompetenz bedeutet, dass der Materiengesetzgeber, der einen Lebenssachverhalt im Kernbereich zu regeln ermächtigt ist, auch damit eng systematisch verbundene Nebenbereiche,11 wie zB Enteignungs-, Verwaltungsstraftatbestände, zur Regelung der Materie unerlässliche Verfahrensbestimmungen, im beruflichen Kontext eben auch die an der zu regelnden Materie „haftende“ Ausbildung für die jeweils materienspezifischen Tätigkeiten zu regeln zuständig ist. Der VfGH hat dies im gegebenen Zusammenhang schon Anfang der Fünfziger Jahre herausgestellt. Die Errichtung von Anstalten zur Unterweisung in „bloßen Fertigkeiten“ ist so der VfGH - in der Frage der verfassungsgesetzlichen Kompetenzverteilung nach jener Hauptmaterie zu beurteilen, zu der sie nach ihrem Zusammenhang gehört. Mit Recht hätten daher die gesetzlichen Vorschriften über das Kraftfahr-, Eisenbahn-, Schiffahrt- und Luftfahrtwesen in ihrem Zusammenhang auch die Voraussetzungen für die Errichtung von Anstalten zur Ausbildung von Kraftfahrzeug-, Lokomotiv-, Schiffs- und Luftfahrzeugführern geregelt.12 Abgrenzungsfragen tauchen dort auf, wo der Bund nur Grundsatzkompetenzen zur Gesetzgebung hat, wie im Bereich der Krankenanstalten. In diesem Zusammenhang wurde die Frage „Krankenpflege und Verfassung“ zum Gegenstand rechtsdogmatischer Ausführungen, da der Bund auch die Kompetenz zur Ausbildung der Krankenpfleger kraft Adhäsion beansprucht.13 Hier kommt hilfsweise auch die Gesundheitskompetenz des Bundes als Grundlage und Betracht. Nach dem Adhäsionsprinzip ist demnach auch die Regelung der Ausbildung im Bereich der Pflege- und Sozialbetreuungsberufe zu beurteilen. Auf Bundesebene ist hier für einen zentralen Bereich im Kontext mit dem Ärzte- und Krankenanstaltenrecht das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz GuKG maßgeblich.14 Hier ist zwischen dem gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege und der Pflegehilfe zu unterscheiden.15 Die Ausbildung in den Fertigkeiten der medizinischen Masseure und Heilmasseure regelt ein eigenes Bundesgesetz,16 dasselbe gilt für das Berufsrecht und die Ausbildung der Hebammen.17 Für eine gewerberechtliche Zuständigkeit des Bundes bleibt wegen expliziter Ausnahmeregeln und aus historischsystematischen Gründen kein Raum,18 maßgeblich ist hier vielmehr Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG. Die Kompetenzabgrenzung der medizinischen Pflege- zu den „reinen“ Altenbetreungsberufen ist darin zu sehen, dass erstere die Unterstützung der ärztlichen Tätigkeit umfassen und damit zur Gesundheitskompe11
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Zur mitunter unterschiedlichen Kompetenzsituation einheitlicher Lebensbereiche in Trennung eines spezifischen Kern- und eines Nebenbereiches siehe Schäffer, Verfassungsinterpretation in Österreich (1971) 91. VfSlg 2207/1951. Dazu Strejcek, 20 ff. Zeizinger, Krankenpflege und Verfassung, JBl 1974, 237. BGBl I 1997/108 idF I 2005/69; dazu Schwamberger, Gesundheits- und Krankenpflegegesetz - GuKG4 (2006) 15 ff. § 1 Z 1 und 2 GuKG. Medizinisches Masseur- und Heilmasseurgesetz - MMHmG, BGBl I 2002/169; siehe dazu VfSlg 17.309/2004. Hebammengesetz - HebG, BGBl 1994/310. Siehe § 2 Abs 1 Z 11 GewO; § 3 Abs 2 GuKG; § 2 Abs 6 ÄrzteG; § 2 Abs 3 HebG.
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tenz des Bundes adherieren, während die „reinen“ Pflege- und Altenberufe in die Landeskompetenz fallen.19 Dasselbe gilt für die sonstigen Sozialbetreuungsberufe, welche ebenfalls von den Ländern zu regeln sind.20 Die Länder sind auf Grund der Art 15a-Vereinbarung über die Sozialbetreuungsberufe gehalten,21 ihre Gesetze entsprechend bis zum 25.7.2007 anzupassen. Die Adhäsionskompetenz, welche die Fertigkeitsvermittlung und die materienspezifische Ausbildung an die Kompetenz zur Regelung der systematisch zugehörigen Hauptmaterie bindet, wird indessen durch bestimmte andere Kompetenzen durchbrochen. Die Bedarfskompetenzen im Verwaltungsverfahren22 durchbrechen etwa die Verfahrens-Adhäsionskompetenzen und grenzen die Zuständigkeit des Materiengesetzgebers auf das Minimum des unbedingt zur Regelung der Materie Erforderlichen (zB bestimmte Nichtigkeitstatbestände, spezifische Zustellregeln) ein. Im hier relevanten Kontext erweist sich aber auch der Schulkompetenztatbestand des Art 14 und 14a B-VG (letztgenannter Artikel bezüglich des land- und forstwirtschaftlichen Schulwesens - siehe BGBl 1975/316) insofern als „stärker“ als die anderen Materienkompetenzen, weil schulischer Unterricht per se - unabhängig vom dargebotenen Inhalt, aber abhängig von den verfolgten Zielen - unter die Schulkompetenz fällt. Diffiziler ist der Fall bezüglich der Gesundheitskompetenz des Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG gelagert, weil diese zwar die Ausbildung in den Fertigkeiten der medizinischen Heilmassseure, der Hebammen, des gehobenen Dienstes und des Pflegediensts im Gesundheits- und Krankenpflegesektor usw. enthält, den Ländern aber die Regelungen für die „reinen“ Sozialberufe wie zB die Ausbildung im Bereich der Altenpflege und der häuslichen Pflege verbleiben. Im Restbereich der Auffangkomepetenz nach Art 15 Abs 1 B-VG sind auch die Ausbildungen für Feuerwehr und Rettungssanitäter angesiedelt. Nach der Versteinerungstheorie und der darin gepflogenen systematischen Zuordnung lässt sich hingegen die Zuständigkeit für die Ausbildung der Wachkörper und des Militärs den jeweiligen Organisations- und Materienkompetenzen zuordnen. So fällt die polizeiliche Ausbildung23 auch im Kraftfahr- oder Sportbereich in die Kompetenz zur Organisation und Führung der Bundespolizei24 sowie zur Regelung der Errich-
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OGH 30.1.2001, 10 Ob S 357/00y; Schwamberger, 25. Siehe § 19 lit a Krnt SozialhilfeG 1996 - K-SHG 1996, LGBl 30 idF 2005/68 (Berufsausbildung als Hilfe zur beruflichen Eingliederung); lit b: Ein-, Um- und Nachschulung etc. Wie problematisch die Abgrenzung zu den Gesundheitsberufen (des Bundes) ist, zeigt etwa die Nomenklatur in § 33 lit h leg cit, wonach ua. „sonstige soziale Dienste, wie insbesondere therapeutische Dienste wie Physikotherapie und Logopädie“ zu koordinieren sind; dies erscheint nur unter Anwendung der Gesichtspunktetheorie und des Prinzips wechselseitiger Berücksichtigung kompetenzfremder Bereiche als (gerade noch) verfassungskonform. Das K-SHG 1996 zählt in diesem Lichte zu den extensivsten landesgesetzlichen Regelungen des Sozialbereichs. Art 10 Abs 1 der Vereinbarung über die Sozialbetreuungsberufe, BGBl I 2005/55. Art 11 Abs 2 und 3 B-VG. Vgl. zB § 31 Abs 2 Z 1 SPG und die entsprechenden Richtlinien des (der) BMI für besonders ausgebildete Polizeieinheiten; siehe dazu Pürstl/Zirnsack, Sicherheitspolizeigesetz - SPG (2005) 123. Die in Art 10 Abs 1 Z 14 B-VG noch erwähnte Bundesgendarmerie ist einfachgesetzlich als Wachkörper nicht mehr relevant. Siehe auch Art 78d B-VG und dazu
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tung und Organisation sonstiger Wachkörper,25 und die militärische Kraftfahroder Schiffsführerausbildung zählt zu den militärischen Angelegenheiten.26 Darüber hinaus bleibt dem Bund unter dem Titel AdhäsionsAusbildungskompetenz ein weiter Bereich, die Vermittlung von Fertigkeiten im jeweiligen Materienzusammenhang zu regeln. Was etwa die Ausbildung für die Prüfung der Lenkerberechtigung im Straßenverkehr betrifft, ist der Bund zuständig, im Kraftfahrrecht den Betrieb von Fahrschulen zu regeln und deren Angelegenheiten auch zu vollziehen. Gleiches gilt für die Ausbildung von Schiffsführern im Binnenschifffahrtswesen27 und für Piloten und Fluglotsen im Luftfahrtrecht. Abgrenzungsprobleme bestehen etwa im Sportbereich, der als „komplexe Materie“28 weitgehend den Ländern nach Art 15 Abs 1 B-VG zur Gesetzgebung und Vollziehung zukommt, aber durch einige der oben genannten Kompetenzen durchbrochen wird.29 Dies resultiert aus der von der Lehre zu Recht immer wieder postulierten Funktion des Art 15 Abs 1 B-VG als Generalklausel, deren funktionelle Bedeutung einer Versteinerung von den in der Bundesverfassung nicht ausdrücklich genannten Landeskompetenzen entgegensteht.30 Es ist daher nicht zweckmäßig im Bereich der Landeskompetenz von einer einheitlichen, verfassungsrechtlich bestimmten Sportkompetenz zu handeln, doch ist die Zusammenfassung mehrerer im Restbereich des Art 15 BVG verbleibender Sportzuständigkeiten der Länder unter diesem Titel zur Deskription sinnvoll. Schließlich ist die Abgrenzung des Privatunterrichts sowie der Fertigkeitsvermittlung von der Gewerbekompetenz des Bundes31 vorzunehmen. Zum Teil bestehen - wie schon eingangs vermerkt - ausdrückliche bundesverfassungsgesetzlich begründete Ausnahmen wie zB hinsichtlich des Bergführerwesens in der B-VGNov 1974, BGBl 444. In Anwendung der Versteinerungstheorie lässt sich aber der gesamte Privatunterrichtssektor aus dem Gewerbekompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG herausnehmen. Nach dem schon eingangs erwähnten Kundmachungspatent zur GewO 1859 (Art V) ist der Privatunterricht von der Anwendung dieses Gesetzes ausgenommen, weshalb es sich historisch-systematisch betrachtet auch nach der die Kompetenz-
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Pöschl in: Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht II/2 (2002); § 5 Abs 1 Z 2 SPG und dazu Pürstl/Zirnsack, 20. Art 10 Abs 1 Z 14 B-VG. Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG. Siehe schon die historisch-systematisch relevante SchiffsführerschulenV, BGBl 1936/353, die mit BGBl 1978/535 auf Gesetzesstufe gehoben wurde. Zu verwandten Fragen des Fremdenverkehrsrechts siehe Steindl, Die Fremdenverkehrsgesetze der Bundesländer (1986) 9 ff; Morscher, Land und Provinz. Vergleich der autonomen Provinz Bozen mit den Kompetenzen der österreichischen Bundesländer (1981) 54 ff. Im Zusammenhang mit dem Schiunterricht in Schulen (zB staatliche Schilehrerausbildung in Sportschulen des Bundes seit 1975) und im Bereich des Militärs sowie der Wachkörper siehe Strejcek 12 ff. Vgl. für viele Öhlinger, Die Verländerung der Wohnbauförderung, ÖZW 1988, 33 ff; Mayer, Genehmigungskonkurrenz und Verfahrenskonzentration (1985) 25 f; Schäffer, (FN 10) 88 ff. Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG; siehe dazu Morscher, Die Gewerbekompetenz des Bundes (1988) 17 ff.
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verteilung weitgehend regelnden B-VGNov 1925 beim Privatunterricht sowie der Fertigkeitsvermittlung um keine gewerbliche Tätigkeit im verfassungsrechtlichen Sinn handelt. Was hier zum maßgeblichen Versteinerungszeitpunkt 1.10.1925 galt, ist mangels Änderung des Gewerbe-Kompetenztatbestandes bis heute von Relevanz. Die einfachgesetzliche Ausnahmeregelung zu Gunsten des Privatunterrichts in § 2 Abs 1 Z 12 GewO 1994 hat demnach nur deklarative Bedeutung. Bleibt noch ein Überblick über die in die Generalklausel zu Gunsten der Länder fallenden „Fertigkeitsvermittlungsschulen“ zu geben. Zunächst ist festzuhalten, dass diese in historischer Betrachtung unter dem Regime der monarchischen Rechtsordnung noch gemeinsam mit „Spezialschulen“ als Unterfall der Privatschulen angesehen wurde.32 Die Lehre und Rsp der republikanischen Nachkriegsordnung hat allerdings die Differenzierung zwischen Schulen iSd Art 14 B-VG (bzw Unterrichtsanstalten iSd Art 17 StGG) einerseits und den Fertigkeitsvermittlungsschulen andererseits zum Anlass genommen, jene Fertigkeitsschulen, die nicht einer bundesrechtlichen Hauptmaterie adherieren, den Ländern in Gesetzgebung und Vollziehung zu belassen. Dies in zutreffender Auslegung des Art 15 Abs 1 B-VG, welcher als umfassende Generalklausel, nicht aber als selbst zu versteinende Kompetenzgrundlage anzusehen ist. Die im folgenden genannten Fertigkeitsvermittlungsschulen können demnach zwar deskriptiv zum „Sportwesen“ gezählt werden, ihre eigentliche kompetenzrechtliche Begründung liegt - mit Ausnahme des ausdrücklich in der Bundesverfassung erwähnten Bergführerwesens - indes in Art 15 Abs 1 B-VG.
Als landesgesetzlich zu regelnde Fertigkeitsvermittlungsschulen kommen Tanzschulen,33 alle Formen sportlicher Ausbildung außerhalb von Schulen iSd Art 14 B-VG, insbesondere Schi-, Snowboard-, Alpin-, Kletter- und Bergsteigerschulen in Betracht. Der Bereich organisierten künstlerischen Unterrichts, wie er vor allem in Musikschulen erfolgt, beschränkt sich allerdings nach der überkommenen Formel nicht auf die Vermittlung von Fertigkeiten, sondern verfolgt nach der Rsp des VfGH ganz wesentliche erzieherische (pädagogische) Ziele. Es handelt sich demnach bei derartigen Einrichtungen um Schulen iSd Art 14 B-VG, was zweifellos auch für die Kunstuniversitäten (vormals Akademien) und die musisch-pädagogischen, allgemeinbildenden höheren Schulen gilt.34 Die Lehre hat diesen zum Teil nicht konzisen Abgrenzungen der Rsp, die Musikunterricht auch im kleineren Rahmen in Verfolgung erzieherischer Ziele, Sportunterricht hingegen als bloße Fertigkeitsvermittlung einordnet,35 differenziertere Überlegungen gegenübergestellt.36 Die angeführten Landeskompetenzen im Sport- und Tanzschulbereich können sich zum Teil auf Klarstellungen in der älteren Rsp des VfGH stützen, zum Teil ergibt sich diese Festlegung konkludent aus der jüngeren Judikatur oder aus einer systematischen Interpretation. Zur Landeskompetenz für die Errichtung von Schischulen erging in der 32 33 34 35
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Siehe v. Mayerhofer-Grünbühel, in Mayerhofers Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst V, Art „Privatunterricht“, 996; Strejcek, 17. VfSlg 3234/1957, 4579/1963. Siehe schon VfSlg 2670/1954. Vgl auch OGH, JBl 1988, 194. Besonders augenfällig wird dies etwa im Kontext mit der Fertigkeitsvermittlung an Behinderte, die zweifellos des Einsatzes pädagogischer Fähigkeiten bedarf und auch einem derartigen Ziel dient; siehe Strejcek, 22 f.; VfSlg 11.652/1988. Differenzierend zu dieser Abgrenzung schon Evers, Kulturverfassungsrecht und Kulturverwaltungsrecht in Österreich, JÖR 33/1984, 189 (193); Strejcek, 22 f.
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Ära des autoritären Ständestaates eine Kompetenzfeststellung des Bundesgerichtshofes.37 Der Rechtssatz des BGH-Erk lautete; „Die Gesetzgebung und die Vollziehung in Angelegenheit der Errichtung und Führung von Skischulen durch Private und der Erteilung von Unterricht im Skilaufen durch Private steht den Ländern zu“. Da zu einer formell derogierten Verfassung ergangen,38 hat dieser Rechtssatz keine Gesetzeskraft als lex specialis zu Art 15 Abs 1 B-VG.39 Gleichwohl hat dieses Judikat insofern eine gewisse dogmatisch relevante Bedeutung, weil dieses zu einer im Wesentlichen vergleichbaren Rechtslage erging. Zudem erscheint der Versuch einer typologischen Argumentation bemerkenswert, der darin zu sehen ist, dass der BGH auch das Alter der Schüler (unseres Erachtens verfehlt) und die Unterrichtsdauer (begründbar) als Kriterien zur Abgrenzung der Schischulen von Schulen heranzog. Schießlich wurde das BGH-Erk sowohl in der späteren Lehre als auch in Gesetzesmaterialien zur Begründung der Landeskompetenz im Schischulbereich herangezogen.40
Der VfGH hat in seiner mit VfSlg 2207/1951 beginnenden Rsp zur Fertigkeitsvermittlung kompetenzrechtlich im Ergebnis gleich argumentiert wie der BGH, wenngleich er die Landeszuständigkeit in bedenklicher Interpretation des Art 15 Abs 1 B-VG an einer „Hauptmaterie“ festzumachen versuchte, anstatt diese einfach in negativer Abgrenzung zu Bundeskomptenzen der Generalklausel zuzuordnen. Später bediente sich der VfGH einer allerdings auf das Unterrichtsziel und auf den Lehrinhalt verkürzten typologischen Argumentation. Zum Unterricht im Gesellschaftstanzen führte der VfGH aus, dass „Schulen an denen nur irgendwelche Fertigkeiten gelehrt werden, wie Tanz- oder Skischulen“ nicht dem historischen Begriffsinhalt der Unterrichts- und Erziehungsanstalt iSd Art 17 Abs 2 StGG 1867 entsprechen. Schischulen und „sportliche Lehranstalten aller anderen Art“ dienten nämlich im Gegensatz zu den Unterrichts- und Erziehungsanstalten der bloßen sportlichen Ertüchtigung.41 In späteren Erkenntnissen zu Fertigkeitsschulen des Bundes und der Länder wird die auf dem Adhäsionsprinzip beruhende Kompetenztrennung vorausgesetzt und nicht mehr weiter problematisiert.42
B. Grundrechtliche Fragen Berka fasst die Unterrichts- und die Privatschulfreiheit sowie das Recht auf freie Berufsausbildung und das Elternrecht unter dem Titel „Grundrechte des
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BGHSlg 777/1935 siehe dazu Strejcek, 18 ff. Art 3 V-ÜG 1945 stetzte die ständestaatliche Verfassung, BGBl II 1934/1, formell außer Kraft. Nach der Lehre sind die Rechtssätze der Kompetenzfeststellungserkenntnisse (mit den Geschäftszahlen „K II“) des VfGH als authentische Interpetation der Bundesverfassung wie spezielle, die Verfassung ergänzende Rechtsnormen also gewissermaßen als leges speciales zum B-VG zu verstehen; siehe Rill/Schäffer, Die Rechtsnormen für die Planungskoordinierung seitens der öffentlichen Hand auf dem Gebiet der Raumordnung (1975) 41. Siehe 12 Blg des vlbg LT, 13. GP, 12; Kövesi/Jonak, Das österreichische Schulrecht (1976) 1036, wo das Erk BGHSlg 777/1935 irrtümlich als „VfGH Slg. Nr. 777“ zitiert wird; vgl aber nunmehr Jonak/Kövesi, Anmerkung zu Art 14 B-VG. VfSlg 4579/1963. Siehe zB VfSlg 11.276/1987 und 11.652/1988 zu den Fahr- bzw den Schischulen.
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Bildungswesens“ zusammen.43 Die systematische Nähe dieser Grundrechtsnormen zueinander zeigt sich auch mit Bezug auf Privatunterricht und Fertigkeitsvermittlung, die - wie eingangs gezeigt - zweifellos miteinander verwandte, aber kompetenzrechtlich unterschiedlich zu behandelnde Erwerbstätigkeiten darstellen. Überdies unterliegen die Fertigkeitsschulen einem anderen grundrechtlichen Regime als Schulen und Unterrichtsanstalten. Während nämlich auf den Zugang zur Erteilung von Privatunterricht unter Verfolgung pädagogischer Ziele das Recht auf Unterrichts- und Privatschulfreiheit anwendbar ist,44 kann der grundrechtlich begründete Anspruch auf Bewilligung zur Führung einer „Fertigkeitsschule“ nur auf die Grundrechte der Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG),45 sofern die Anerkennung eines alternativen, aber gleichwertigen Ausbildungsweges wie zB für eine Schilehrerprüfung in Frage steht, auch auf die Berufswahlfreiheit (Art 18 StGG) gestützt werden.46 Zwar besteht noch keine Judikatur zu Art 18 StGG mit Bezug auf die Wahl des Ausbildungsweges für die Erlangung einer Bewilligung zur Fertigkeitsvermittlung, doch könnte dieses Problem angesichts der rigiden landesgesetzlichen Vorschriften zB im Bereich der Schilehrerausbildung (Zulassung zur Prüfung nur nach mehrwöchigen Kursen der Schilehrerverbände) noch virulent werden.47 Nachdem das Erwerbsfreiheitsgrundrecht jede Form der wirtschaftlichen, auf Erwerb ausgerichteten Betätigung vor staatlichen Beschränkungen schützt, fallen zweifellos sowohl Antritts- als auch Ausübungsbeschränkungen im Bereich der Fertigkeitsvermittlung in dessen Anwendungsereich. Was den von Rsp und jüngerer Lehre48 materiell verstandenen Gesetzesvorbehalt zu Art 6 StGG betrifft, so sind gesetzliche Beschränkungen der Erwerbsfreiheit nur zulässig, wenn sie durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet und adäquat und auch sonst sachlich gerechtfertigt sind.49 Am Maßstab des Grundrechts auf Erwerbsfreiheit fielen im untersuchten rechtlichen Zusammenhang besonders schwerwiegende Antrittsbeschränkungen, wie vor allem bundes- und landesgesetzliche Regelungen über Bedarfsprüfungen, an welche die Errichtung von Fahr- und Schischulen gebunden war, der Aufhebung des VfGH anheim.
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Vgl. Berka, Handbuch, 389 ff; siehe auch schon Zeizinger, Das Recht auf Bildung und die österreichische Verfassungsordnung, FS Klecatsky Bd 2, 1980, 1090 ff. Siehe schon VfSlg 5871/1986 zum provisorischen G über den Privatunterricht und das PrivatschulG BGBl 1962/244. Berka, Lehrbuch, Rz 396; Strejcek, Konkurrenzschutz im Schischulrecht, ZfV 1988, 241; VfSlg 11.276/1987 und 11.652/1988. Siehe VfSlg 12.578/1990, 13.094/1992, 14.038/1995, 14.611/1996; Berka, Lehrbuch, Rz 398; Oberndorfer, in: Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg), Grund- und Menschenrechte in Österreich 2 (1992) 617 ff. Siehe vergleichsweise die Rsp zur Berücksichtigungspflicht sachlich gleichwertiger Ausbildungswege, beginnend mit VfSlg 12.587/1990, fortgeführt mit VfSlg 13.094/1992 und 14.611/1996. Vgl. für viele Berka, Lehrbuch, Rz 419; Korinek, FS Wenger (1983) 243; Oberndorfer/Binder, FS Klecatsky II (1980) 677. VfSlg 13.704, 13.725/1994, 14.038/1995.
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In Fortführung einer im Jahr 1984 (zum SchrottlenkungsG) erstmals angewendeten Formel50 befand der VfGH, dass die Bindung der Errichtung einer Fahr- bzw einer Schischule an einen Bedarf inadäquat und sohin unverhältnismäßig sei. Das Regelungsziel des Konkurrenzschutzes an sich stehe nicht im öffentlichen Interesse, dessen Verfolgung allein könne daher die Bedarfsprüfungen nicht rechtfertigen. Regelungen wie zB im tir SchischulG, die nur die Bewilligung einer Schischule pro Schischulgebiet zuließen, seien daher im Lichte des Adäquanzprinzips vom Gesetzesvorbehalt des Art 6 StGG nicht gedeckt. Sie verhinderten sogar die Errichtung von Spezialschischulen wie zB für Behinderte im selben Schischulgebiet, weshalb das Regelungssystem insgesamt nicht zur Ziellerreichung adäquat, geeignet und auch sonst sachlich gerechtfertigt sei. Ähnliche Überlegungen im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stellte der VfGH auch zu den Bedarfsregelungen für Fahrschulen nach dem KFG an.51 Abgesehen von der gemeinschaftsrechtlich bedingten Problematik der Diplomanerkennung bei Ausbildungen für die Fertigkeitsvermittlung in anderen EWR-Staaten, ist auch auf die Rsp des VfGH zum Berufswahlgrundrecht des Art 18 StGG zu verweisen. Wiederholt hat der VfGH hier auf die grundrechtlich verbürgte Freiheit im Wege gleichwertiger Ausbildungswege eine Qualifikation zu erlangen hingewiesen. Demnach müssen von Gesetzgeber und Behörden sachlich gleichwertige Ausbildungswege angemessen und sachlich berücksichtigt werden,52 was insbesondere auch im Bereich der landesgesetzlich geregelten Berufsausbildung für die Fertigkeitsvermittlung von Relevanz erscheint. Demnach wäre der Auschluss der Anerkennung einer Schilehrerausbildung, die unter gleichen sachlichen Voraussetzungen in einem anderen Bundesland absolviert worden ist, im Lichte des Art 18 StGG verfassungswidrig. Grundrechtsdogmatisch betrachtet, ist auch eine Differenzierung zwischen Prüfungen, die für den Zugang zu Berufen erforderlich sind und dem Zugang zu einer Bewilligung als Privatschulbetreiber geboten. Diesbezüglich ist auch die bundesdeutsche Rechtslage und Rechtsprechung der österreichischen vergleichbar und deren Kenntnis dogmatisch nutzbringend.53 In der BRD besteht kein öffentliches oder staatliches Schulmonopol, wie in Österreich ist das Recht zur Errichtung und zum Betrieb privater Schulen grundrechtlich abgesichert.54 Während die beschwerdeförmige Durchsetzung der Zulassung einer Privatschule (zB einer privaten Grundschule) auf das PrivatschulGrundrecht des Art 7 V Bonner Grundgesetz (GG) zu stützen ist,55 berühren Prüfungen, die für den Berufszugang, also auch für erwerbsmäßige Erteilung von Unterricht in Fertigkeiten, bedeutsam sind, das Berufswahlgrundrecht des Art 12 GG sowie Art 19 IV GG und den im Gleichheitssatz begründeten Anspruch auf Chancengleichheit iSd Art 3 I GG.56
Historische Stoßrichtung des Art 17 StGG ist gemäß dem liberalen Grundgedanken des Grundrechtskataloges die Abwehr eines kirchlichen Hegemonie-
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VfSlg 10.179/1984. Zur Bedeutung der Grundrechtsformeln siehe zuletzt Berka, Lehrbuch, Rz 110; zur Entwicklung der Rsp zu Art 6 StGG ders, Rz 419 ff. VfSlg 11.276/1987 und 11.652/1988; siehe auch die Judikaturübersichten bei Berka, Lehrbuch, Rz 422; Grabenwarter, Die Freiheit der Erwerbsbetätigung, Art 6 StGG, in: Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg), Grund- und Menschenrechte in Österreich 2 (1992) 553 ff. Siehe etwa VfSlg 13.485 und 13.560/1993; 13.094/1992; 12.578/1990; Öhlinger, Verfassungsrecht6 (2005) Rz 896 ff. Siehe Mauerer, Allgemeines Verwaltungsrecht9 (1994) § 7 Rz 37 ff. Avenarius/Heckel, Schulrechtskunde7 37. BVerwGE 75, 275 (besonderes pädagogisches Interesse an der Zulassung einer privaten Grundschule). BVerfGE 84, 34 und 59.
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anspruchs im Unterrichtswesen, die Ermöglichung eines staatlich-laizistischen Unterrichtssystems unter Etablierung der staatlichen Unterrichtshoheit, aber auch der Schutz der privaten Sphäre des Einzelnen in der Unterweisung und Unterrichtung vor allem der eigenen Kinder, aber auch erwachsener Personen gegenüber ideologischen Einflüssen von „außen“, also sowohl von staatlicher als auch von nichtstaatlicher (etwa kirchlich-religiöser) Seite. Wie Berka ausführt dürfen gesetzliche Regelungen der Ausgestaltung der Privatschulfreiheit nicht weiter gehen, als dies zur Sicherung der staatlichen Verantwortung notwendig ist und müssen den Wesensgehalt dieser Freiheit beachten. Dieser liege in der Gewährleistung eines puralistischen Erziehungssystems, in dem Raum für pädagogische Alternativen und für die Erziehungsbedürfnisse religiöser, weltanschaulicher oder ethnischer Gruppen einschließlich von Minderheiten sei.57 Da sich aber die Privatschulfreiheit nur auf Schulen iSd Art 14 B-VG bezieht, können sich die Betreiber von Fertigkeitsschulen - wie oben herausgestellt - nicht auf die Privatschulfreiheit, sondern (nur) auf die Erwerbsfreiheit berufen. Diese Differenzierung gilt auch für den häuslichen Privatunterricht, bei dem durch Art 17 Abs 3 StGG die rechtlich nicht einschränkbare Vermittlung von Wissen und Kenntnissen unter Verfolgung erzieherischer Ziele geschützt ist.58 Die häusliche Unterweisung in Fertigkeiten fällt zwar prima vista nicht unter den Schutzbereich dieses Grundrechts, wird aber, wenn sie überhaupt durch staatliche Eingriffe berührt wird, vom Gewährleistungsumfang des Menschenrechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens (Art 8 MRK) miterfasst.59 Für derartige Gesetze gelten dann natürlich auch die Kriterien des materiellen Grundrechtsvorbehalts iSd Art 8 Abs 2 MRK, das heißt Restriktionen müssen nicht nur gesetzlich vorgesehen sein, sondern auch in einer demokratischen Gesellschaft zur Erreichung der legitimen Schutzzwecke erforderlich sein. Demnach ist beispielsweise ein Verbot der häuslichen Unterweisung im Waffengebrauch aus Gründen der öffentlichen Sicherheit konventionskonform. Wie der VfGH in anderem Zusammenhang mit dem Art 8 MRK dargetan hat, muss die Behörde bei weniger gravierenden Fällen wie dem soeben dargestellten die in Abs 2 umschriebenen öffentlichen Interessen mit den familiären und sonstigen privaten Interessen der Partei gegebenenfalls abwägen.60 Nach Art 2 1. Art 2 1. ZPMRK besteht in der Formulierung „darf niemand verwehrt werden“ ein allgemeines Menschenrecht auf Bildung, welches von der Lehre als subjektives Teilhaberecht eingestuft wird, das aber auch eine institutionelle Garantie zur Einrichtung eines Bildungswesens beinhaltet.61 Dieses Bildungsgrundrecht bezieht sich in beiden Ausprägungen auf den ge57 58 59
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Berka, Lehrbuch, Rz 396. Art 17 Abs 3 StGG 1867, VfSlg 4990/1965. Siehe zu Art 8 MRK Wiederin, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht III (2002). In der Praxis dürfte diese Unterscheidung wenig Relevanz haben, da es zu unbefriedigenden Ergebnissen führte, staatliche Eingriffe in die Art und Methode der häuslichen Fertigkeitsvermittlung zuzulassen, die Vermittlung von Theorie hingegen grundrechtlich freizustellen. Siehe zu dem Problem schon Strejcek, 21. VfSlg 14.091/1995, 15.051/1997. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2 (2005) 213 (= § 22 Rz 68).
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samten Ausbildungssektor: Öffentliche Schulen, Universitäten, Privatschulen, Fertigkeitsvermittlung und häuslicher Privatunterricht. Schulen sind nach Art 14 Abs 6 B-VG Einrichtungen, in denen Schüler gemeinsam nach einem umfassenden, festen Lehrplan unterrichtet werden und in denen im Zusammenhang mit der Vermittlung von allgemeinen oder allgemeinen und beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten ein umfassendes erzieherisches Ziel angestrebt wird. Art 14 Abs 6a B-VG62 nimmt für den Bereich der öffentlichen Schulen ausdrücklich Bezug auf die Bildungsinhalte und etabliert ein damit korrelierendes Schulsystem: Die Gesetzgebung hat demnach ein „differenziertes Schulsystem vorzusehen, das zumindest nach Bildungsinhalten in allgemeinbildende und berufsbildende Schulen und nach Bildungshöhe in Primar- und Sekundarschulen gegliedert ist, wobei bei den Sekundarschulen eine weitere angemessene Differenzierung vorgesehen ist.“ Nach Art 14a Abs 7a B-VG beträgt die Schulpflicht zumindest neun Jahre; derselbe Artikel statuiert auch die Berufschulpflicht. Schulen, die nicht öffentlich sind, definiert die Bundesverfassung als Privatschulen. Diesen ist nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen das Öffentlichkeitsrecht zu verleihen.63 Das Elternrecht des Art 2 1. ZPMRK richtet sich gegen eine religiöse oder weltanschauliche Indoktrination der Schüler und gebietet die Vermittlung weltanschaulicher Fragen in einer objektiven, kritischen und pluralistischen Form.64 Es richtet sich vor allem an den Staat, der bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern auf Unterweisung der eigenen Kinder achten muss. Die Erziehung und der Unterricht durch die Eltern entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Fragen ist vom Staat sicherzustellen. Für den Privatunterricht hat dieses Menschenrecht insofern Relevanz, als sich die Eltern nicht auf die Möglichkeit verweisen lassen müssen, ihrem Kind privaten Unterricht zu geben oder es auf eine Privatschule zu schicken.65 Da dieses Menschenrecht aber den Staat nicht an der Durchführung eines Unterrichts hindert, der religiöse und weltanschauliche Fragen vermittelt, und vice versa den Eltern auch kein absolutes Recht einräumt, ihre Kinder von der Teilnahme an einem solchen Unterricht fernzuhalten oder hievon abzumelden,66 wirken die Grundrechte auf Privatschulfreiheit und auf häuslichen Privatunterricht hier ergänzend, da sie in diesen Fällen ermöglichen, einen Erziehungsweg auch abseits staatlicher Wege zu beschreiten, womit ein staatliches Erziehungsmonopol von vornherein durchbrochen wird. Wenn der Staat indes die Errichtung von Privatschulen ermöglicht, dann hat er dennoch die inhaltliche Kompetenz sicherzustellen,
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BGBl I 2005/31. Art 14 Abs 7a idF BGBl I 2005/31. Siehe EGMR 18.12.1996 Fall Valsamis, ÖJZ 1998, 114. Dazu Grabenwarter, Rz 73. Berka, Lehrbuch, Rz 399. Anderes gilt aber zB wenn im Unterricht für die Eltern und Kinder unakzeptable Züchtigungsmethoden eingesetzt werden; siehe EGMR 25.2.1982, Fall Campbell und Cosans, EuGRZ 1982, 153.
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dass bestimmte Standards in Erziehung und Unterrichtsqualität eingehalten werden.67 Grundrechtlich relevant ist auch die Frage der gleichheitskonformen Ausgestaltung des Subventionsrechts in Sachen Privatunterricht. Nach dem PrivatschulG68 haben solche Privatschulen, die von gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften geführt werden, einen Rechtsanspruch auf staatliche Subventionen, wogegen die staatliche Förderung von anderen Privatschulen in das Ermessen der Behörden gestellt ist. Diese Differenzierung hat bisher der Prüfung des VfGH am Maßstab des Gleichheitssatzes standgehalten.69 Allgemein ist im Lichte der MRK festzuhalten, dass sich daraus kein Anspruch auf (Teil)Finanzierung von Privatschulen ableiten lässt.70 Für den Einzelnen (Schüler, Studenten) gilt, dass kein Anspruch auf staatliche Studienförderung besteht, weshalb ein abweisender Bescheid nach dem StudienförderungsG nicht in das Grundrecht auf Berufswahlfreiheit und auch in kein sonstiges Bildungsgrundrecht eingreift.71
C. Gemeinschaftsrechtliche Fragen Im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts ist vor allem die Vereinbarkeit mitgliedstaatlicher Restriktionen im Privatunterrichtswesen mit dem freien Dienstleistungsverkehr, der Freizügigkeit von Arbeitnehmern, der Niederlassungsfreiheit und dem allgemeinen Diskriminie rungsverbot nach der bisherigen Rsp des EuGH von Relevanz. Ausführlich nahm der EuGH zur Tragweite der genannten Grundfreiheiten und sonstigen Regelungen des EGV in einem Urteil aus dem Jahr 1986 betreffend griechische private Unterrichtsanstalten („frontistiria“), private Nachhilfeschulen, die Tätigkeit von Hauslehrern sowie private Musik- und Tanzschulen Stellung.72 Hiebei ging es primär um die Reichweite der Ausnahmen vom Niederlassungsrecht des EGV.73 Die griechische Gesetzgebung sah einen Staatsbürgervorbehalt für Direktoren und Lehrer an solchen Unterrichtsanstalten vor. Gegenüber der Kommission berief sich die griechische Regierung auf die Ausnahmeregelung des Art 45 EGV (entsprach Art 55 EGV in der damals angewendeten Fassung vor dem Vertrag von Amsterdam) hinsichtlich der Ausübung öffentlicher Gewalt sowie auf die Tatsache, dass die erwähnte Regelung de facto nicht auf bestimmte Lehrer als Arbeitnehmer (zB Sprachlehrer) von der zur Vollziehung berufenen Behörde angewendet wurde. Der EuGH ließ diese Argumente erwartungsgemäß nicht gelten. Art 45 EGV sei als Ausnahme vom Grundprinzip der Niederlassungsfreiheit so auszulegen, dass sich seine Tragweite auf das beschränke, was zur Wahrung der Interessen, die diese Bestimmung den Mitgliedstaaten zu schützen erlaube, 67 68 69 70 71 72 73
EGMR 25.3.1993, Fall Costello-Roberts, Serie A 247-C, 25 ff; Grabenwarter, Rz 80. BGBl 1962/244; siehe dazu Binder, Rz 1723. VfSlg 12.571/1991. Grabenwarter, Rz 80. VfSlg 8827/1980. EuGH Rs 147/86, Slg 1988, 1637. Celex-Dok 61986J0147 Art 43 ff (Art 52-alt) EGV.
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unbedingt erforderlich sei. Mangels gemeinschaftsrechtlicher RL zur Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften über die Gründung von Unterrichtsanstalten sei es zwar Sache eines jeden Mitgliedstaates, die Rolle und die Verantwortung der öffentlichen Gewalt in diesem Bereich festzulegen. Die bloße Gründung einer Privatschule durch eine oder die bloße Tätigkeit einer Privatperson als Hauslehrer sei jedoch nicht mit der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des genannten Artikels verbunden; andernfalls würde der EGV seiner praktischen Wirksamkeit in diesem Bereich beraubt. Ein Mitgliedstaat, der die Gründung privater Nachhilfeschulen, privater Musik- und Tanzschulen sowie die Tätigkeit eines Hauslehrers seinen Staatsangehörigen vorbehalte, verstoße gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EGV (nunmehr: Art 43 und 49 EGV - Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit). Dagegen verletzte das Verbot der Gründung privater Berufsschulen nicht diese Verpflichtungen, wenn es unterschiedslos für Inländer und Angehörige anderer Mitgliedstaaten gelte. Die griechische Regierung verstieß nach den Ausführungen des EuGH dadurch, dass sie es den bereits in Griechenland beschäftigten Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten und deren Familienangehörigen untersagte, an privaten Nachhilfeschulen und an privaten Musik- und Tanzschulen als Direktor oder Lehrer tätig zu sein, gegen die Verpflichtungen, die ihr gemäß Art 48 EGV (nunmehr Art 39 EGV- Freizügigkeit der Dienstnehmer) nach Maßgabe der betreffenden Regelungen der Beitrittsakte74 oblagen. Im Zusammenhang mit dem Zugang zum Beruf des Privatlehrers bzw des Ausbildners in Fertigkeitsvermittlungsschulen, der jeweils eine qualifizierte und zertifizierte Ausbildung voraussetzt, ist ebenso wie bei den Freien Berufen auf die sogenannte Vlassopoulou-Rsp des EuGH zu verweisen.75 Im Lichte der Freizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit hat der EuGH in dem gleichnamigen Fall, den er im Mai 1991 mit Urteil entschieden hatte, Grundlegendes zum Berufszugang (der Rechtsanwälte) ausgesprochen. Diese Begründungslinie setzt sich bis in die aktuelle Rechtsprechung des EuGH fort.76 Es besteht demnach im Bereich des Berufszugangs eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, zu prüfen ob die nach nationalem Recht erlangten Diplome und Fähigkeiten denjenigen entsprechen, die im Herkunftsmitgliedstaat erworben worden sind. Gleichermaßen besteht die Verpflichtung, mit Gründen versehene Entscheidungen hiezu zu erlassen, die gerichtlich überprüft werden können. Demnach sind auch zu den landesgesetzlichen Regelungen über die Fertigkeitsvermittlung, die anders als die GewO keine ausdrücklichen Regelungen über EWR-Befähigungsnachweise kennen, - sofern keine Harmonisierung durch abgeleitetes Gemeinschaftsrecht vorliegt -, entsprechende Anerkennungsbescheide für die Berufsausübung der Unionsbürger in diesem Sektor von den österreichischen Behörden zu erlassen. Zu prüfen ist vorweg, ob die Diplome bzw Befähigungsnachweise der Kandidaten den österreichischen materiell entsprechen. Sofern diese Entscheidung von den Landesregierungen als oberste Behörden in den Ländern (zB im Schischul- oder Bergführerwesen) 74 75 76
Art 44 und 45 der Beitrittsakte. EuGH, Rs C-340/89, Vlassopoulou, Slg 1991, I-2357. EuGH 14. 9. 2000, Rs C-16/99, Erpelding.
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erlassen werden, unterliegt sie der nachprüfenden Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts.77 Auf dem Sektor der Anerkennung von nicht in Österreich erworbenen Diplomen, Ausbildungs- und Befähigungsnachweisen ist auf die RL des Rates Nr 92/51/EWG, Abl 1992 L 209/25 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung der RL 89/48/EWG zu verweisen. Wie die Rsp des EuGH zu vergleichbaren Anerkennungs-RL (zB zur RL des Rates Nr 85/384/EWG, Abl 1985 L 223/15) für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Fachprüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise auf dem Gebiet der Architektur zeigt, prüft der EuGH im Streitfall im Einzelnen die Gleichwertigkeit der Ausbildungswege und dauer nach. Diese Prüfung kann sich etwa auf die Frage fokussieren, ob die verpflichtende Praxiszeit einer Ausbildung in die Gesamtdauer der Ausbildung einrechenbar ist.78 Diese angemessene Prüfung gleichwertiger Ausbildungswege könnte für die österreichische Rechtslage auf dem Sektor der Schilehrerausbildung von Relevanz sein, falls die Anerkennung einer ausländischen Schilehrerausbildung als „staatliches“ Diplom einer Bundes-Sportschule im Lichte des SportschulG (BGBl 1974/140) beantragt wird. Zwischen der landesgesetzlich geregelten Schilehrerausbildung und der Ausbildung in den Bundes-Sportschulen (Bundesanstalten für Leibeserziehung) besteht ein markanter Unterschied hinsichtlich der Gesamtdauer der Ausbildung (Land: durchschnittlich zweimal 3 Wochen und Praxis; Bund: mehrsemestrige Ausbildung), was auch eine Ungleichwertigkeit der Ausbildungswege bzw eine Höherwertigkeit des Bundes-Diploms indiziert. Für ausländische Schilehrerdiplome im EWRRaum wird daher in erster Linie die Anerkennung als Landes-Diplom nach den Schischulgesetzen der einzelnen Länder in Betracht kommen, nachdem einige dieser Gesetze auch noch weitere Abstufungen (zB Berufsanwärter nach einem Kurs; Kinder-Schilehrer) kennen, käme auch eine hiefür adäquate Anerkennung EWR-ausländischer Berufs- und Ausbildungswege in Betracht. Dies führt schließlich zu den gemeinschaftsrechtlich bedingten Fragen der Unionsbürgerund Inländergleichbehandlung beim Zugang zur Berufsaubildung, die nach den Kriterien des EuGH diskriminierungsfrei zu erfolgen hat, weshalb etwa unterschiedliche Ausbildungsgebühren für EWR-Ausländer unzulässig sind.79
III. Verwaltungsrechtliche Fragen A. Ausnahme von der Gewerbeordnung Prima vista liegt bei der entgeltlichen und auf Dauer angelegten, selbstständigen Erteilung von Privatunterricht eine gewerbliche Tätigkeit iSd § 1 GewO vor, da alle von der GewO allgemein umschriebenen Voraussetzungen hiefür 77
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Zum Erfordernis der gerichtlichen Überprüfbarkeit der Diplomanerkennung und Gleichbehandlung im Sportsektor (Fußballtrainer) siehe auch EuGH, Rs 222/86, Heylens, Slg 1987, 4097; vgl. auch Rs C-104/91, Borrell, Slg 1992, I-3003. EuGH Rs C-310/90, Egle, Slg 1992, I-177; zur RL des Rates 78/686/EWG siehe EuGH, Rs C-319/92, Haim, Slg 1994, I-425. Siehe zB EuGH Rs 293/83, Gravier, Slg 1985, 593; EuGH 7.7.1992 Rs C-295/90 Studentenrichtlinie; Rs 24/86 Blaizot, Slg 1988, 379.
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erfüllt sind. Wie Pauger zutreffend ausführt, ist aber eine gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeit nur dann ein „Gewerbe“, wenn für diese kein Ausnahmetatbestand besteht.80 Für viele der ausgenommenen Tätigkeiten gelten aber der GewO entsprechende oder nachempfundene, berufsrechtliche Bundes- oder Landesregelungen.81 Da - wie bereits im kompetenzrechtlichen Kontext ausgeführt - schon das Kundmachungspatent zur GewO 1859 den Privatunterricht vom Geltungsbereich der GewO 1859 ausnahm,82 kann dieser Erwerbsbereich schon im Lichte der Versteinerungstheorie nicht unter den Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG fallen. Dennoch erschien zur Gewährleistung der Rechtssicherheit (auch) aus rechtspolitischen Gründen eine explizite Ausnahme erforderlich. In § 2 Abs 1 Z 12 GewO wird dies einfachgesetzlich klargestellt. Demnach sind die Ausübung der Erwerbszweige des Privatunterrichts und der Erziehung sowie der Betrieb jener Anstalten, die diesen Aufgaben dienen, ferner die gewerblichen Arbeiten von öffentlichen Schulen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Privatschulen83 vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen.84 Dasselbe gilt allerdings schon aus kompetenzrechtlichen Gründen für die Fertigkeitsschulen, die im Folgenden näher beleuchtet werden.
B. Vermittlung von Fertigkeiten - Fahrunterricht 1. Fahrschulen Das Ausbilden von Kraftfahrzeuglenkern ist - wie bereits oben unter II. A. gezeigt - bundesgesetzlich geregelt. Das KraftfahrG 1967 - KFG85 enthält in seinem XI. Abschnitt die (sondergewerberechtlichen) Vorschriften für Fahrschulen. a) Unterrichtsvorbehalt zugunsten der Fahrschulen Das Ausbilden von Bewerbern um eine Lenkerberechtigung (LB) sowie das entgeltliche Weiterbilden von Besitzern einer LB durch Vertiefung bereits erworbener Kenntnisse ist nur im Rahmen des Betriebes einer Fahrschule zulässig (§ 108 Abs 1 KFG). Auf Grund einer Ermächtigung des LH dürfen Besitzer einer Lenkerberechtigung entgeltlich „in besonderen Fahrfertigkeiten“ unterweisen (§ 108a KFG).86 Es gelten folgende weitere Besonderheiten: • Die Erteilung von Nachschulungen gemäß § 4 Abs 7 FührerscheinG FSG:87 Wird einer Person, die vorher keine LB der Klassen A, B, C oder D 80 81 82 83 84 85 86 87
Pauger, Rz 344. Siehe Binder, Wirtschaftsrecht, Rz 1687 ff. Art V KP; VfSlg 1477/1932. Binder Wirtschaftsrecht, Rz 1724. Binder Wirtschaftsrecht, Rz 1759. BGBl 1967/267 idF BGBl 2005 I/117. Dazu ist die KraftfahrgesetzDurchführungsVO 1967 - KDV BGBl 399/1967 idF BGBl 2005 II/412 ergangen. Siehe Kuratorium für Verkehrssicherheit, KFG, 134. § 108a Abs 2 enthält eine Verordnungsermächtigung für Gegenstände, Umfang und Art der Unterweisung. FSG, BGBl 1997 I/120 idF BGBl 2005 I/152; die Regelung der Abs 7-9 in § 4 FSG über die Nachschulung ist idF BGBl 2002 I/81.
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besessen hat, erstmals eine derartige LB erteilt, so ist sie für zwei Jahre zu befristen (Probeführerschein). Begeht nun der Besitzer der LB innerhalb dieser Probezeit einen schweren Verstoß (etwa eine qualifizierte Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) oder lenkt er das KFZ mit einem Alkoholgehalt von über 0,1 Promille, so ist von der dafür zuständigen BPolDion bzw BVB unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, welche nur von durch den BMin für Wissenschaft und Verkehr gem § 36 FSG dazu ermächtigten Einrichtungen durchgeführt werden darf. Die Lenkerausbildung in land- und forstwirtschaftlichen Lehranstalten und in berufsbildenden höheren und mittleren Schulen (§ 119 KFG): Ist eine Ausbildung im Lenken von Zugmaschinen, Motorkarren und selbstfahrenden Arbeitsmaschinen erforderlich, um das durch den Lehrplan vorgeschriebene Lehrziel dieser Lehranstalten und Schulen zu erreichen, so muss eine derartige Ausbildung nicht im Rahmen des Betriebes einer Fahrschule erfolgen. Die Ausbildung von Kraftfahrern öffentlicher Dienststellen (§ 120 KFG): Diese Ausnahme betrifft Dienststellen des Bundes, der Länder, der Gemeindeverbände oder der Ortsgemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern und der von diesen Gebietskörperschaften unter ihrer Haftung betriebenen Unternehmungen. Die Ausbildung von Lenkern von Heereskraftfahrzeugen (§ 121 KFG): Dafür zuständig ist der BMin für Landesverteidigung. Übungsfahrten (§ 122 KFG): Abgesehen von einer im Rahmen des Betriebes einer Fahrschule zu absolvierenden Mindestausbildung, die mindestens 16 Unterrichtseinheiten zu umfassen hat (§ 65b KDV), kann die Bewilligung erteilt werden, die verbleibende Ausbildung im Rahmen von unentgeltlich durchzuführenden Übungsfahrten in der Dauer von maximal einem Jahr zu absolvieren. Hiefür müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt werden, und zwar erstens hinsichtlich des Bewerbers um die LB (Mindestalter, Verkehrszuverlässigkeit, gesundheitliche Eignung, Nachweis des ersten Teiles der Mindestausbildung im Rahmen des Betriebes einer Fahrschule), zweitens hinsichtlich des ausbildenden Begleiters (Besitz einer LB der betr Klasse seit mindestens sieben Jahren, tatsächliche Inanspruchnahme dieser seiner LB während der vorangegangenen drei Jahre ohne Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes88 gegen kraftfahrrechtliche oder straßenpolizeiliche Vorschriften, nicht mehr als zwei solche Bewilligungen pro Jahr) und drittens hinsichtlich des für die Übungsfahrt zu verwendenden Fahrzeuges (vom Platz neben dem Lenkerplatz muss eine Bremseinrichtung und die Vorrichtung zum Abstellen des Motors erreicht werden können) gewisse Voraussetzungen erfüllen. Lehrfahrten (§ 122a KFG): Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen Personen, die das 17. Lebensjahr vollendet haben und in einem Lehrverhältnis zur Ausbildung als Berufskraftfahrer stehen, von Inhabern einer entsprechenden Fahrlehrberechtigung oder von besonders geeigneten Berufskraftfahrern ausgebildet werden. Vgl dazu § 4 Abs 6 FSG.
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Ausbildungsfahrten im Rahmen der vorgezogenen LB für die Klasse B (§ 19 FSG, ehem § 122b KFG, iVm der VO über die vorgezogene LB der Klasse B89): Bereits mit vollendetem 16. Lebensjahr kann ein Bewerber um eine LB die theoretische und praktische Ausbildung in einer Fahrschule beginnen, wenn er bestimmte Voraussetzungen erfüllt (Verkehrszuverlässigkeit, geistige und körperliche Reife, gesundheitliche Eignung) und eine oder zwei - ähnlich wie bei Übungsfahrten qualifizierte - Personen namhaft macht, die ihn nach Abschluß der Fahrschulausbildung unentgeltlich begleiten. Nach jeweils 1.000 gefahrenen Kilometern ist eine begleitende Schulung mit Schulfahrt, nach 3.000 gefahrenen Kilometern ist eine Perfektionsschulung in der Fahrschule durchzuführen. Danach, jedoch frühestens mit vollendetem 17. Lebensjahr kann der Bewerber zur Fahrprüfung für die vorgezogene LB für die Klasse B zugelassen werden. Das entgeltliche Unterweisen von Besitzern einer LB in besonderen Fahrfertigkeiten, etwa Vollbremsung, nicht vorhersehbares plötzliches Ausweichen, bei Aquaplaning, Glatteis, Über- und Untersteuern, kann auch anderen Institutionen als Fahrschulen vom LH bewilligt werden.90 Wollen Fahrschulen auch auf diesem Gebiet Unterricht anbieten, bedürfen sie uE auch einer derartigen Bewilligung, da die für „Unterweisen in besonderen Fahrfertigkeiten“ erforderlichen Anlagen und Einrichtungen keine Voraussetzung für die Bewilligung nach § 108 KFG darstellen, sondern nur Gegenstand des Bewilligungsverfahrens gemäß § 108a KFG sind.91
b) Fahrschulbewilligung Die Errichtung einer Fahrschule an einem genau zu bestimmenden Standpunkt (§ 111 Abs 2 KFG) und die Verlegung dieses Standortes bedürfen der Bewilligung der BVB (§§ 108 Abs 3, 112 Abs 1 KFG). Zur Erteilung der Fahrschulbewilligung bedarf es folgender persönlicher, vom Bewilligungswerber zu erfüllenden Voraussetzungen: • • •
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Mindestalter von 27 Jahren Österreichische oder EWR-Staatsangehörigkeit Vertrauenswürdigkeit des Bewerbers (die von der Verkehrszuverlässigkeit iSd § 7 FSG zu unterscheiden ist92): Nach der Jud - eine nähere Bestimmung dieses Begriffes findet sich weder im Gesetzeswortlaut noch in den Materialien - wird die Vertrauenswürdigkeit etwa durch das Begehen eines Alkoholdelikts oder das Befahren einer Autobahn gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung, letzteres jedenfalls in Verbindung mit der gerichtlich strafbaren Handlung der Gefährdung der körperlichen Sicherheit unter besonders gefährlichen Verhältnissen im Sinne des § 89 (§ 81 Z 1) StGB,93 ausgeschlossen.94 (persönliche) Leistungsfähigkeit, die in Anbetracht der hinreichend klaren Normierung der fachlichen Qualifikation wohl nur eine zeitliche Komponente umfassen BGBl 1999 II/54 idF BGBl 2002 II/496. § 108a wurde durch die 12. Novelle zum KFG, BGBl 1988/375 eingefügt. Diese Ansicht wird auch von den Materialien (RV 618 BlgNR 17. GP, 7) untermauert. Vgl dazu Grundtner, 567 ff. - AA Grubmann, 647. VwGH 21. 3. 1980, 3139/78; ZVR 1981/93. Vgl zuletzt VwGH 24. 10. 2000, 2000/11/0220 mwN. Vgl dazu näher Grubmann, 652 ff.
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kann: Damit soll eine bloß nebenberufliche Tätigkeit des Bewilligungswerbers ausgeschlossen werden. Diplom der Fakultät Maschinenbau oder für Elektrotechnik einer österreichischen Technischen Universität oder Reifeprüfung an einer Höheren Technischen Lehranstalt maschinen- oder elektrotechnischer Richtung Besitz der Fahrschullehrerberechtigung (§ 116) für die in Betracht kommenden Klassen oder Unterklassen von Kraftfahrzeugen Besitz der LB für die Klasse oder Unterklasse von Kraftfahrzeugen, für die Lenker ausgebildet werden sollen, seit mindestens drei Jahren und tatsächliche Inanspruchnahme dieser LB während mindestens dreier Jahre innerhalb der letzten fünf Jahre Nichtvorliegen schwerer Verstöße95 gegen kraftfahrrechtliche und straßenpolizeiliche Vorschriften Nachweis mindestens fünfjähriger (im Falle eines einschlägigen Hoch- oder Fachhochschulstudiums dreijähriger) Tätigkeit als Fahrschullehrer innerhalb der letzten zehn Jahre Nichtvorliegen einer anderen Fahrschulbewilligung
Unter bestimmten Umständen kann die BVB von manchen Voraussetzungen Dispens erteilen und können Befähigungsnachweise in Entsprechung europarechlicher Vorgaben96 auch anders erbracht werden. Neben diesen, in der Person des Bewilligungswerbers vorliegenden, Voraussetzungen müssen außerdem nunmehr nur97 die für die theoretische und praktische Ausbildung erforderlichen Räume und die Mittel für Lehrpersonen, Lehrbehelfe und Schulfahrzeuge sichergestellt sein (sachliche Leistungsfähigkeit98).
c) Ausübungsregeln Die Fahrschulbewilligung ist persönlich auszuüben (§ 113 KFG), es sei denn, dass ein Fahrschulleiter bestellt wurde, der alle persönlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrschulbewilligung erfüllen muss. Verpflichtend ist eine derartige Bestellung zum Fahrschulleiter vorgesehen für eine länger als sechs Wochen dauernde Abwesenheit oder bei Ausübung des Fortbetriebsrechts durch Angehörige, die die persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllen. Es bestehen detaillierte gesetzliche Vorschriften der zu verwendenden Fahrzeuge99 und Verhaltensregeln für den Ausbildner. Betriebspflicht und Kontrahierungszwang sollen sicherstellen, dass Interessenten die Möglichkeit einer Ausbildung offen steht. Der Grundsatz der Standortbindung bewirkt, dass das
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Ein einziger schwerer Verstoß genügt im Gegensatz zur Regelung der Übungsfahrt, wo bereits ein einziger derartiger Verstoß iSd § § 4 Abs 6 FSG (FN 88) einen ausbildenden Begleiter ausschließt, noch nicht! - Vgl dazu VwGH 9. 11. 1999, 98/11/0301. RL des Rates Nr. 92/51/EWG, Abl. Nr. L 209 vom 24. Juli 1992, S 25 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung der RL 89/48/EWG. - Siehe dazu oben II. C. Vgl zur Aufhebung der früher notwendig durchzuführenden Bedarfsprüfung VfSlg 11276/1987. Vgl dazu §§ 63b ff KDV. Vgl dazu auch § 63a KDV.
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Abhalten eines Fahrschulkurses (theoretischer Unterricht) außerhalb des Standortes ebenfalls der Bewilligung der BVB bedarf100 (§ 114 Abs 5 KFG). Der Aufsicht durch den LH (§ 114 Abs 7 KFG) korrespondiert die Pflicht zur Entziehung der Fahrschulbewilligung bzw für den Fall des Wegfalls der Voraussetzungen auch die Möglichkeit der vorübergehenden verpflichtenden Bestellung eines verantwortlichen Fahrschulleiters (§ 115 KFG). d) Die Unterrichtstätigkeit an einer Fahrschule Die Berechtigung, an einer Fahrschule praktischen (Fahrlehrer, § 117 KFG) oder theoretischen und praktischen (Fahrschullehrer, § 116 KFG) Unterricht zu erteilen, bedarf einer Bewilligung der BVB, die zuvor je ein Gutachten eines rechtskundigen und eines technischen Sachverständigen einzuholen hat. Diesen Gutachten ist die sog Lehrbefähigungsprüfung (§ 118 KFG) für die beantragten Klassen oder Unterklassen der Fahrzeuge zugrunde zu legen, die aus einer theoretischen und praktischen Prüfung zu bestehen hat. Liegen die Voraussetzungen für die Erteilung nicht mehr vor, so ist die Fahr(schul)lehrerberechtigung zu entziehen. Fahr(schul)lehrer müssen in einem Dienstverhältnis zur Fahrschule stehen: Aus der Verpflichtung zur Aufsicht über die Lehrtätigkeit durch den Fahrschulbesitzer und der Regelungen über Fahrlehrerausweis kann abgeleitet werden, dass das Heranziehen selbständiger Fahrlehrer, die lediglich einen Werkvertrag mit der Fahrschule geschlossen haben, mit dem KFG nicht vereinbar ist.101
2. Schiffsführerschulen und Zivilluftfahrerschulen Die (sondergewerberechtlichen) Bestimmungen für Schiffsführerschulen enthält das SchiffahrtsG 1997102 in seinem 8. Teil, in dem eine Bewilligungspflicht für die gewerbsmäßige Schulung von Schiffsführern für Motor oder Segelfahrzeuge normiert wird (§ 140f SchiffahrtsG). Die Bewilligung wird vom LH erteilt (§ 146 SchiffahrtsG). Die Regelungen für Zivilluftfahrerschulen finden sich im LuftfahrtG103 in seinem III. Teil unter Punkt B. Die zur Erteilung der Bewilligung zuständige Behörde ist die „Austro Control GmbH“104 (§ 42 LuftfahrtG).
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In diesem Zusammenhang ist das Vorschreiben einer Bewilligungspflicht im Lichte der Erwerbsfreiheit grundsätzlich zulässig (bloße Ausübungsbeschränkung, qualifizierte Ausbildung von Kraftfahrzeuglenkern im öffentlichen Interesse), eine Bedarfsprüfung auch hier verfassungswidrig. - Vgl dazu VfSlg 13330/1993. Vgl zur Begründung näher Grubmann (Hrsg), Das österreichische Kraftfahrrecht, Teil 2. Kraftfahrgesetz: KFG, 2000, 668f. BGBl 1997 I/62 idF BGBl 1998 I/9. BGBl 1957/253 idF BGBl 1999 I/194. Vgl zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Konstruktion VfSlg 14476/1996 (es werden nur einzelne Aufgaben übertragen und die Leitungsbefugnis des zust BMin bleibt gewahrt).
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C. Sportunterricht - Schischulen und Bergsteigerschulen 1. Übersicht zu den Landesgesetzen Die Erteilung von Unterricht zur Vermittlung von Fertigkeiten im Bereich des Sportes fällt - wie bereits oben unter II. A. gezeigt - in die Kompetenz der Länder. Landesgesetzliche Regelungen finden sich im Bereich des Schischulwesens, des Bergführerwesens, teilweise wird auch in den Landessportgesetzen eine Bewilligungs- bzw Anzeigepflicht für die Unterweisung in manchen Sportarten festgeschrieben. Im Einzelnen bestehen folgende Landesgesetze:
Kärnten: Krnt SchischulG 1997 - K-SSchG 1997 (wv)105 Krnt Berg- und SchiführerG 1998 - K-BSFG 1998 (wv)106 Krnt SportG 1997 - K-SpG 1997107 Niederösterreich: NÖ SportG108 Oberösterreich: OÖ SportG 1997109 Salzburg: Sbg Schischul- und SnowboardschulG 1989110 Sbg BergführerG 1981111 Steiermark: Stmk Berg- und SchiführerG 1976112 Stmk SchischulG 1997113 Tirol: Tir BergsportführerG114 Tir SchischulG 1995115 Vorarlberg: Vlbg SchischulG (wv)116 Vlbg BergführerG117 Vlbg SportG118
2. Schischulen a) Anwendungsbereich der SchischulGe119 In mittlerweile acht Bundesländern (nicht im Bgld) wird ein sog „Unterrichtsvorbehalt zugunsten der Schischulen“120 vorgesehen: Qualifiziertes Erteilen von Schiunterricht ist nur im Rahmen von Schischulen zulässig, die von der LReg (in NÖ und Tir: von der BVB, in Wien: vom Magistrat) bewilligt wur105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120
LGBl 1997/53. LGBl 1998/25 idF 2001/60. LGBl 1997/99. LGBl 5710-0. LGBl 1997/93 idF 2003/106. LGBl 1989/54 idF 2004/14. LGBl 1981/76 idF 1993/55. LGBl 1976/53 idF 2006/56. LGBl 1997/58 idF 2006/58. LGBl 1998/7 idF 2002/89. LGBl 1995/15 idF 2002/89. LGBl 2002/55. LGBl 2002/54. LGBl 1972/15 idF 1995/17. In NÖ finden sich die Bestimmungen dazu im IV. Abschnitt, in OÖ im 3. Abschnitt des jeweiligen SportG. Strejcek, 118 f.
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den. Teilweise sind Anhörungsrechte, etwa der Gemeinde oder des Fremdenverkehrsverbandes, vorgesehen. Einer Bewilligungspflicht unterliegt in Vlbg das entgeltliche, in den anderen sieben landesrechtlichen Regelungsregimes das erwerbsmäßige Erteilen von Schiunterricht. Der Unterschied wird deutlich, wenn man bedenkt, dass einerseits entgeltliches Handeln, etwa wenn man an reine Kostendeckung denkt, nicht notwendigerweise erwerbsmäßig sein muss. Auf der anderen Seite ist erwerbsmäßiges Handeln vorstellbar, ohne dass ein Entgelt geleistet wird, etwa wenn sich der Anbieter der unentgeltlich erbrachten Leistung einen Werbeeffekt erhofft. Darüber hinaus ist auch der Begriff der Gewerbsmäßigkeit, der den Anwendungsbereich der GewO umschreibt, von jenem der Erwerbsmäßigkeit, der stets vor dem Hintergrund des jeweiligen Landesgesetzes zu bestimmen ist, zu unterscheiden. Im Gefolge der Diskussion hinsichtlich der Schibegleiter121 wurden das Tir, Sbg und Vlbg SchischulG dahingehend angepasst, dass auch das Führen und Begleiten von Wintersportgästen beim Schifahren, ohne dass dabei Schiunterricht erteilt wird, in den Anwendungsbereich des jeweiligen SchischulGes fällt. In den restlichen Bundesländern (außer in Wien) ist nur das Führen von Touren überwiegend außerhalb markierter Schipisten, den Bestimmungen der jeweiligen Berg- und SchiführerGe zufolge, nur Berg- und Schiführern gestattet. Somit ist dort das - auch erwerbsmäßige oder entgeltliche - Führen und Begleiten von Wintersportgästen ohne Bewilligung zulässig, sofern die Tour nicht überwiegend außerhalb gesicherten Geländes durchgeführt wird. Abgesehen von den kompetenzrechtlich gebotenen Ausnahmen vom Anwendungsbereich (etwa im Rahmen von Schulen iSd Art 14 und 14a B-VG, zugunsten von Wachkörpern, Bundesheer und Universitätssportinstituten; siehe dazu näher oben B.1.) resultieren weitere Ausnahmen aus systematischen Überlegungen (eigene BergführerGe) oder bewussten Privilegierungen im öffentlichen Interesse (Sportvereine, Jugendorganisationen). b) Bewilligungsvoraussetzungen Zur Erteilung einer Schischulbewilligung ist es nach allen Landesgesetzen erforderlich, persönliche und sachliche Voraussetzungen zu erfüllen. Die Anzahl und Auswahl dieser Voraussetzungen ist von Bundesland zu Bundesland verschieden - die Regelungsdichte ist in den westlichen Bundesländern (Bedeutung des Schitourismus!) größer.122 Zu den persönlichen Voraussetzungen zählen:
• • • • • • •
121 122
österreichische oder EWR-Staatsangehörigkeit Mindestalter (je nach Bundesland 18 bis 24 Jahre) oder/und Eigenberechtigung gesundheitliche Eignung Verlässlichkeit bzw Zuverlässigkeit iSd GewO ausreichende Berufspraxis (20 bis 40 Wochen bzw zwei Saisonen) Hauptwohnsitz bzw ordentlicher Wohnsitz im jeweiligen Bundesland Nichtvorliegen einer weiteren Schischulbewilligung des gleichen Bewerbers im jeweiligen Bundesland
Vgl dazu Pichler, Zum Problem Skischule - „Skiguide“, ÖJZ 1987, 684. Vgl dazu Tauböck, 112 ff.
Privatunterrichtswesen und Fertigkeitsvermittlung •
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fachliche Befähigung: In jedem landesgesetzlichem Regime ist die Ablegung der Staatlichen Schilehrerprüfung inklusive der entsprechenden Fortbildungskurse erforderlich. Teilweise kommen die Schiführer- oder Bergführerprüfung, die Unternehmerprüfung, die Langlauflehrer- bzw -anwärterprüfung und/oder die Snowboardlehreranwärterprüfung hinzu.
Zu den sachlichen Voraussetzungen zählen: • • • •
ausreichende Haftpflichtversicherung Schischulbüro, Sammelplatz und geeignetes Anfängerübungsgelände mindestens eine den Erfordernissen eines zeitgemäßen Schilaufs entsprechende stationäre Aufstiegshilfe im Standortgebiet ein den gesetzlichen Erfordernissen entsprechender Name der Schischule
c) Ausübungsregeln Den Bewilligungsinhaber treffen etwa Anzeigepflichten hinsichtlich der Aufnahme und der Einstellung des Schischulbetriebes, Auskunftspflichten gegenüber der Aufsichtsbehörde, tw sogar detailliertere Regelungen zur zulässigen Gruppengröße und Standortbindung. Andere Ausübungsregeln betreffen Verhaltensregeln bei Lawinenkatastrophen, zur Förderung der Sicherheit beim Schilauf und die Verpflichtung zur Erstellung einer Betriebsordnung sowie Determinanten des erforderlichen Inhalts derselben.123 Hinsichtlich der Ausübungsregeln ist als Sonderfall das sog Vlbg „Topfsystem“124 zu erwähnen: Ihm zugrunde liegt die Überlegung, dass einerseits die Beschränkung der Erteilung von Bewilligungen auf nur eine pro Schischulgebiet mit dem Grundrecht auf Erwerbsfreiheit nicht vereinbar ist (wie sich in der Judikatur des VfGH seit 1988125 gezeigt hat), es andererseits aus Gründen des öffentlichen Interesses am Tourismus wünschenswert erscheint, die Qualität des Schiunterrichtes und ein zumindest pro Schigebiet einheitliches Erscheinungsbild zu sichern. Der Vlbg Landesgesetzgeber126 ermöglicht daher das Führen einer Schischule auch von mehreren Inhabern einer Schischulbewilligung, regelt die Organisation der Schischule in einem eigenen - dem dritten - Abschnitt und bestimmt die Grundzüge der Rechte und Pflichten des Leiters der Schischule als „qualifizierter“ Inhaber einer Schischulbewilligung sowie des Vorstandes als Gesamtheit aller Bewilligungsinhaber dieser Schischule. Die Kompetenzen, die sonst dem (einzigen) Bewilligungsinhaber zustehen, werden somit - gesetzlich freilich vordeterminiert - in der vom Vorstand zu erlassenden Betriebsordnung zwischen Vorstand und Leiter der Schischule geteilt. Diese Konstruktion allein garantiert zwar noch nicht die Existenz von nur einer Schischule pro Schischulgebiet, soll aber die Bewilligungsinhaber zum Verbleib bei der bestehenden Schischule motivieren.
123 124
125 126
Dazu etwa Tauböck, 143 ff. Der VfGH hat sich in Erk 12066/1989 zur prinzipiellen Zulässigkeit eines derartigen Regelungswerkes nicht geäußert, sondern nur die damals bestehende Unbestimmtheit (Verstoß gg Art 18 B-VG) releviert. Grundlegend dazu VfSlg 11652/1988, zuletzt VfSlg 15700/1999. Dazu Tichy, Die Vereinigungsfreiheit, in: Machacek/ Pahr/ Stadler (Hrsg), Grundund Menschenrechte in Österreich, Band III, 103, 119. - Eine genauere Behandlung dieses Problems, insb im Hinblick auf die grundrechtlich garantierte negative Vereinigungsfreiheit und deren Grenzen, würde im gegebenen Zusammenhang zu weit führen.
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Mit dieser Konstruktion hängt es wohl auch zusammen, dass im Vlbg SchischulG kein Fortbetriebsrecht eingeräumt wird. In allen anderen SchischulGen wird nämlich unter Durchbrechung des Grundsatzes der persönlichen Ausübung der Bewilligung der Verlassenschaft, dem überlebendem Ehegatten oder den Kindern eines verstorbenen Bewilligungsinhabers das Recht eingeräumt, besagte Bewilligung bis zum Ablauf einer gewissen - von Gesetz zu Gesetz unterschiedlich bemessenen - Zeit auszuüben. Diesfalls ist ein Stellvertreter namhaft zu machen, der die persönlichen Voraussetzungen auf Erteilung einer Schischulbewilligung erfüllt, falls dies nicht schon auf einen Fortbetriebsberechtigten zutrifft. In Krnt ist die Bestellung eines geeigneten Vertreters durch die LReg - möglicherweise verfassungsrechtlich bedenklich - an den Bedarf nach Fortführung der Schischule gebunden.
d) Die Tätigkeit als Schilehrer - fachliche Befähigung Die Tätigkeit als Schilehrer ist an zwei Voraussetzungen gebunden. Einerseits soll ein Vertrag mit einem Bewilligungsinhaber sicherstellen, dass der Unterricht nur im Rahmen bewilligter Schischulen erteilt wird. Andererseits soll eine entsprechende Schilehrerausbildung die fachliche Befähigung sicherstellen. Diese Schilehrerausbildung wird in verschiedenen Stufen vom jeweiligen Landesschilehrerverband durchgeführt, wobei die einzelnen Stufen aufgrund einer Vereinbarung der ARGE der Obleute der Schilehrerverbände aus dem Jahr 1990 bzw wegen der Gleichwertigkeit der Ausbildungen und des darauf aufbauenden verfassungsrechtlichen, grundrechtlichen Gebotes des Art 18 StGG Freiheit der Berufsausbildung - wechselseitig anerkannt werden. In Entsprechung europarechtlicher Vorgaben127 können auch Ausbildungen anderer EUStaaten - die durch die Anerkennungsrichtlinien (vgl dazu oben II.C.) bedingten Anerkennungsregelungen waren zweifellos einer der Schwerpunkte der Novellierungen der Landesgesetze, wie sie in den letzten Jahren vorgenommen wurden - oder von Drittstaaten (tw nur bei Gegenseitigkeit) anerkannt werden. In den Landesgesetzen werden folgende Stufen unterschieden: Landesschilehrer-Anwärter, Landesschilehrer, Staatlich geprüfter Schilehrer (Diplomschilehrer). Neben diesen - für die Erteilung von Schiunterricht grundlegenden Ausbildungen sind in manchen Landesgesetzen auch andere Ausbildungen vorgesehen: Ausbildung zum Schiführer (Tourenführung auch außerhalb des gesicherten Schiraumes), Snowboardlehreranwärter und Snowboardlehrer, Langlauflehreranwärter und Langlauflehrer, Kinderschilehrer und Alternativschilehrer. Nur für den potenziellen Bewilligungsinhaber, nicht für den angestellten Schilehrer relevant ist die Unternehmerausbildung und -prüfung. Die genauere Regelung dieser Ausbildungen findet sich meist in Verordnungen der LReg, in OÖ werden die entsprechenden Ausbildungs- und Prüfungsordnungen vom OÖ Schilehrerverband im übertragenen Wirkungsbereich erlassen, sind aber der LReg zur Kenntnis zu bringen.128
127 128
Vgl dazu die sog Vlassopoulou-Rechtsprechung, grundlegend EuGH, Rs C-340/89, Vlassopoulou, Slg 1991, I-2357, zuletzt EuGH 14. 9. 2000, Rs C-16/99, Erpelding. Im Detail Tauböck, 192 ff.
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3. Bergführer a) Anwendungsbereich der BergführerGe129 In sieben Bundesländern (nicht im Bgld und in W) wurde die Tätigkeit als Bergführer landesgesetzlich geregelt und - sofern sie entgeltlich (Krnt, Sbg, Vlbg) bzw erwerbsmäßig (NÖ, OÖ, Stmk, Tir) ausgeübt werden - grundsätzlich einer Bewilligungspflicht unterworfen. Für die Erteilung der Bewilligung zuständig ist in OÖ, Sbg und der Stmk die LReg, sonst die BVB. Zusätzlich zur Bergführerbewilligung, die für das Führen und Begleiten von hochalpinen Touren benötigt wird, sehen OÖ, Sbg, Tir und Vlbg auch eine Bewilligungspflicht für (Berg-)Wanderführer (markierte Wege, kein Gletscher oder alpiner Schwierigkeitsgrad) und in Tir zusätzlich für Schluchtenführer (erwerbsmäßiges Führen und Begleiten von Personen bei Schluchtentouren ohne Benützung eines Wasserfahrzeuges oder eines sonstigen Schwimmkörpers) vor. Die Vermittlung von für Bergtouren erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnissen ist nicht nur im Bgld und W bewilligungsfrei, sondern auch in der Stmk. In den anderen sechs Bundesländern besteht eine Bewilligungspflicht für Bergsteigerschulen. In NÖ, OÖ und Krnt ist das entgeltliche bzw erwerbsmäßige Unterweisen von Personen in den für Bergtouren und Schitouren erforderlichen Kenntnissen prinzipiell den Berg- und Schiführern vorbehalten. Da in Tir die Fertigkeitsvermittlung zwar „nur nach den Bestimmungen des Gesetzes“ ausgeübt werden darf, der Umfang jeder dort geregelten Bewilligung (Berg-, Bergwander- und Schluchtenführerbewilligung) aber durch Aufzählung taxativ genannter Befugnisse geregelt ist und jeweils die Vermittlung von Fertigkeiten nicht umfasst, ist wohl im Licht der Erwerbsfreiheit, aufgrund derer eine Beschränkung im Zweifel nicht anzunehmen ist, davon auszugehen, dass jeder dieser Bewilligungsinhaber im Rahmen seiner Bewilligung - daher etwa der Bergwanderführer nicht für vergletschertes Gelände - auch für den Bergsport notwendige Fertigkeiten vermitteln darf.130 In Sbg und Vlbg ist die entgeltliche Unterweisung in den zur selbständigen Durchführung von Bergfahrten nur im Rahmen von bewilligten Bergsteigerschulen zulässig. Diese Befugnis ist dort nicht ein aus der Berg- und Schiführerbewilligung erfließendes Nebenrecht, sondern setzt diese Bewilligung voraus und verlangt weitere Voraussetzungen (siehe gleich unten). Ausnahmen von der Bewilligungspflicht bestehen teilweise aufgrund der Kompetenzverteilung (etwa zugunsten von Wachkörpern, Bundesheer und Universitätssportinstituten), teilweise aufgrund systematischer Überlegungen (Schitouren im Rahmen bewilligter Schischulen) und teilweise aufgrund bewußter Privilegierung im öffentlichen Interesse (Sport- oder Alpinvereine,
129 130
In NÖ finden sich die Bestimmungen dazu im V. Abschnitt, in OÖ im 3. Abschnitt des jeweiligen SportG. Der Antragsteller könnte zur Klarstellung jedoch ein Feststellungsbescheid beantragen (liegt im öffentlichen Interesse oder ist für die Partei notwendiges Mittel zweckentsprechender Rechtsverteidigung). - Vgl VfSlg 9993/1984.
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wenn nur Mitglieder involviert sind und das Entgelt den Aufwandersatz nicht übersteigt, Bergrettungsdienst und Bergwacht). b) Bewilligungsvoraussetzungen Da zur Fertigkeitsvermittlung in allen sechs Landesgesetzen eine aufrechte Bergführerbewilligung erforderlich ist, zunächst zu den dafür statuierten Voraussetzungen: • • • • • • •
Österreichische oder EWR-Staatsangehörigkeit Bestehen eines ordentlichen Wohnsitz iSd landtagswahlrechtlichen Vorschriften Mindestalter (je nach Bundesland 18 oder 20 Jahre) oder/und Eigenberechtigung Verlässlichkeit bzw Zuverlässigkeit iSd GewO körperliche und gesundheitliche Eignung praktische Betätigung und fachliche Befähigung: Die dafür in Frage kommende Ausbildung bzw Berg- und Schiführerprüfung ist von Land zu Land verschieden geregelt (siehe dazu unten unter 2. d.). ausreichende Haftpflichtversicherung
Neben der Bergführerbewilligung kennen die Landesgesetze noch folgende Bewilligungsvoraussetzungen für Bergsteigerschulen: • • • •
die zur Erteilung des Unterrichtes unumgänglich notwendigen Kenntnisse der deutschen Sprache höheres Mindestalter (24 Jahre) Nachweis der praktischen Ausübung der Tätigkeit als Berg- und Schiführer sowie Ausbildnertätigkeit bei einem österreichischen Bergführerverband Unternehmerprüfung
c) Ausübungsregeln Die Landesgesetze regeln tw detailliert, welche Pflichten einen Bergführer vor oder während einer Tour oder bei alpinen Unfällen treffen, um die Sicherheit der geführten Personen zu gewährleisten. Die Verletzung dieser Verhaltensregeln ist nicht nur aus der Sicht des Zivilrechts als Sorgfaltsmaßstab relevant, sondern wird tw auch mit Verwaltungsstrafe sanktioniert. Bergsteigerschulen im speziellen müssen etwa in Krnt spezielle Lehrinhalte anbieten (Verhalten bei alpinen Gefahren und Alpinunfällen, NaturschutzG und G über die Wegfreiheit im Berglande), in manchen Ländern werden Anzeigepflichten etwa für die Unterbrechung des Betriebes oder Standortänderungen festgesetzt. Über den in Vlbg vom Bergführerverband und in der Stmk von der LReg festzusetzenden Bergführertarif kann einerseits von den Vertragsparteien disponiert werden (nur in der Stmk dürfen Höchstsätze nicht überschritten werden131), andererseits bezieht er sich nur auf Berg- und Schiführer und nicht auf Bergsteigerschulen. d) Die Tätigkeit als Lehrer einer Bergsteigerschule - fachliche Befähigung Grundsätzlich berechtigt nur das erfolgreiche Absolvieren einer Berg- und Schiführerausbildung zur Lehrtätigkeit an einer Kletterschule. Landesgesetzlich werden auf Ausbildungen verwiesen, die von einer Gebietskörperschaft, vom Verband der Österreichischen Berg- und Schiführer oder von einer Bun131
Dies ist verfassungsrechtlich - im Lichte von VfSlg 15509/1999 - wohl nicht unbedenklich.
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desanstalt für Leibeserziehung abgehalten werden. In OÖ, Sbg, Tir und Vlbg obliegt die Ausbildung den Schi- und Bergführerverbänden. Die inhaltlichen Rahmenbedingungen für die Ausbildung finden sich in den Landesgesetzen, teilweise wird auf § 1 Z 7 der VO des BMin für Unterricht und Kunst über die Ausbildung zum Berg- und Schiführer132 bzw auf die Anlage A.7 der VO des BMin für Unterricht und Kunst über die Eignungsprüfungen, Abschlussprüfungen und Befähigungsprüfungen an Schulen zur Ausbildung von Leibeserziehern und Sportlehrern133 verwiesen. Die Ausbildung wird in mehreren Lehrgängen durchgeführt, sie umfasst etwa in Sbg Vorbereitungs-, Lawinen-, Fels-, Schiführer-, und Eislehrgänge (mindestens sechs Wochen). Dazu kommt in manchen Ländern Praxis im Führen von Bergfahrten im Rahmen einer österreichischen Bergsteigerschule (in Sbg etwa mindestens 18 Tage). Hinsichtlich der Anerkennung gleichwertiger Ausbildungen siehe oben unter II.B (bei FN 52). In manchen Bundesländern (Krnt, Sbg, Tir, Vlbg) dürfen somit auch Personen, die einen Teil der Ausbildung absolviert haben (Bergführeranwärter), unter unmittelbarer Leitung und Aufsicht eines Bergführers ihrem Ausbildungsstand entsprechend von Bergführern als Gehilfen herangezogen werden. In Vlbg kann der Bergführerverband solchen Personen nach einem Jahr unter gewissen Voraussetzungen die Befugnis erteilen, gewisse Touren zeitlich befristet selbständig zu führen und zu begleiten.
4. Ende der Bewilligung Die Bewilligung erlischt durch Entziehung, durch Verzicht sowie durch den Tod des Bewilligungsinhabers (Beachte jedoch auch hier ein etwaiges Fortbetriebsrecht). Zu den Entziehungstatbeständen zählen: • • • • • • • •
132 133 134
dass die Voraussetzungen zur Bewilligungserteilung nicht mehr vorliegen, dass die entsprechenden Fortbildungslehrgänge nicht besucht werden (in Stmk nur bei Verschulden), dass festgestellte Mängel in der Führung der Schischule nicht fristgerecht behoben werden dass wiederholt Bestimmungen des jeweiligen LandesG verletzt werden bzw als Konsequenz wiederholter Bestrafung nach dem jeweiligen LandesG,134 dass die Bewilligung während gewisser Zeit nicht oder nicht persönlich ausgeübt wird dass der Betrieb der Schi- bzw Bergsteigerschule Interessen des Fremdenverkehrs, der Sicherheit des Schilaufes oder schisportlichen Belangen bzw Interessen des Bergsports zuwiderläuft, dass der Bewilligungsinhaber als Disziplinarstrafe vom Schilehrer- bzw Bergsportführerverband ausgeschlossen wurde oder dass in Vlbg der Bewilligungsinhaber aus der nach Topfsystem organisierten Schischule ausgeschieden ist.
BGBl 529/1992 idF II 286/2004. BGBl 530/1992 idF II 287/2004. Vgl zu den verfassungsrechtlichen Bedenken, denen der Automatismus einer zwingenden Verknüpfung einer Verwaltungsstrafe mit dem Erlöschen anderer Berechtigungen begegnet, VfSlg 15216/1998 sowie davor schon Mayer, Auftragssperre wegen illegaler Ausländerbeschäftigung, RdW 1997, 600.
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5. Verbände In OÖ, Sbg, Stmk, Tir und Vlbg werden landesgesetzlich sowohl je ein Schilehrerverband als auch ein Bergführerverband eingerichtet, in NÖ nur ein Schilehrerverband.135 In Krnt werden derartige Verbände nicht geregelt. In diesen Landesgesetzen werden diese Schilehrer- und Bergführerverbände als juristische Personen (Personalkörperschaften) öffentlichen Rechts eingerichtet. Mitglieder bei den Bergführerverbänden sind alle Inhaber einer Bergund Schiführerbewilligung, tw sind auch Leiter bewilligter Bergsteigerschulen, Inhaber von Bergwanderführer- und Schluchtenführerbewilligungen sowie Personen, die eine Ergänzungspraxis absolvieren, erfasst. Mitglieder bei den Schischulverbänden sind alle Schischulleiter und im jeweiligen Bundesland tätigen Schilehrer (in Sbg aber beispielsweise erst nach tatsächlicher Lehrtätigkeit von mindestens vier Wochen). In den meisten Landesgesetzen ist eine Aufnahme als Ehrenmitglied oder freiwilliges Mitglied (etwa für Personen in oder mit abgeschlossener Ausbildung) vorgesehen. Da der RH seit 1. Jänner 1997136 befugt ist, die „Gebarung der gesetzlichen beruflichen Vertretungen ohne jede Ausnahme“137 zu kontrollieren, unterliegen die genannten Verbände dieser RH-Kontrolle.138 Der Maßstab der Überprüfung beschränkt sich allerdings - zur Wahrung der Autonomie der Interessenvertretungen - auf die ziffernmäßige Richtigkeit, die Rechtsmäßigkeit, die Sparsamkeit und die Wirtschaftlichkeit der Gebarung, erstreckt sich somit nicht auf die Zweckmäßigkeit (Art 127b Abs 3 B-VG). Als Organe dieser Verbände sind stets die Vollversammlung aller Mitglieder, ein Vorstand (Ausschuss) und ein Obmann (Präsident) vorgesehen, tw auch Prüfungskommission, Rechnungsprüfer und Disziplinarausschuss und im Falle einer Gliederung des Verbandes in Sektionen auch die Sektionsversammlungen sowie die Sektionsvorsteher. Zu den Verbänden übertragenen Aufgaben gehört zunächst der Bereich der Interessenvertretung: Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf Stellungnahmerechte von Verbänden vor Erlassung von Durchführungsverordnungen zu den oder Bescheiden aufgrund der jeweiligen Landesgesetze. Die Verbände haben dabei die Förderung des Schilaufens bzw des Bergsports im allgemeinen wahrzunehmen. Weitere Aufgaben sind etwa das - faktisch bedeutsame - Ausbildungs- und Prüfungswesen der jeweiligen Landesschilehrer- oder Berg- und Schiführerausbildung. Teilweise sind die Schilehrerverbände durch bestellte Aufsichtsorgane zur Kontrolle der Ausübungsregeln für Schischulen befugt (Aufsicht über die Schischulen); im Falle von Verstößen ist der LReg zu berichten. Weiters obliegen den Verbänden etwa das Führen von Mitglieder-
135
136 137 138
Hinsichtlich der Landeszuständigkeit zur Regelung der beruflichen Vertretungen auf dem Gebiet des Berg- und Schiführerwesens sowie Sportunterrichtswesens vgl Art VI der BVG-N 1988 (BGBl 1988/685). BVG-Nov 1994, BGBl 1994/1013 AB 58 BlgNR 19. GP, 7. Vgl zu dieser Frage Budischowsky, Die Prüfung der Kammern durch den Rechnungshof, ZfV 1995, 774 (777).
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verzeichnissen und das Ausstellen von Ausweisen sowie die jedem Selbstverwaltungskörper zukommenden organisatorische Belange.139 In allen Landesgesetzen ist die LReg Aufsichtsbehörde über die Verbände. In den Ländern, in denen keine Verbände eingerichtet sind, haben sich teilweise Vereine iSd VereinsGes gebildet, die gleich den Personalkörperschaften öffentlichen Rechts wechselseitig anerkannte Ausbildungen anbieten (zB Kärntner Berufsschilehrerverband, Wiener Schi- und Snowboardlehrerverband, Bestrebungen diesbezüglich im Bgld).
6. Verwaltungsstrafrechtliche Absicherung Verstöße gegen die schischul- bzw berg- und schiführerrechtlichen Vorschriften sind in allen Landesgesetzen mit Verwaltungsstrafe bedroht, die überall dafür zuständige BVB kann eine Geldstrafe bis zu EUR 3.000,- verhängen. In Sbg kann als zusätzliche Sanktion bei Gefahr für die schisportlichen Belange oder für Interessen des Fremdenverkehrs ein mit höchstens zwei Jahren zu befristendes Verbot der Schilehrtätigkeit ausgesprochen werden. Dort ist auch das unbefugte Führen eines Bergführerabzeichens oder der Bezeichnung „Behördlich befugter Bergführer“ ist nach § 5 des Sbg PolizeistrafG („Unbefugte Führung oder Verwendung öffentlicher Wappen, Siegel, Titel und Ehrenzeichen“) zu ahnden. Sind manche Ausübungsregeln verwaltungsstrafrechtlich nicht sanktioniert, so stellen sie doch jedenfalls den Sorgfaltsmaßstab bzw Schutzgesetze iSv § 1311 ABGB dar.
7. Weitere Sportschulen Landesgesetzliche Regelungen hinsichtlich der Vermittlung von sportlichen Fähigkeiten finden sich in Krnt, OÖ und Vlbg: In Krnt und Vlbg regeln die - tw auch in anderen Bundesländern bestehenden - SportGe nicht nur Fragen der Sportförderung und des Sportstättenschutzes, sondern legen auch behördliche (sondergewerberechtliche) Kompetenzen fest. Vier Wochen vor Aufnahme der Tätigkeit als Sportlehrer ist dies der LReg bzw BVB anzuzeigen, die diese Tätigkeit unter bestimmten Voraussetzungen zu untersagen hat. Zu den von der Behörde zu überprüfenden Voraussetzungen zählen die Eigenberechtigung, sittliche oder staatsbürgerliche Verlässlichkeit und körperliche sowie fachliche Eignung. Ausgenommen von dieser Anzeigepflicht sind Sportvereine und die in den Schischul- und Berg- und SchiführerGen geregelten Tätigkeiten. In OÖ kann die LReg mit VO jene Sportarten festsetzen, die aufgrund der mit ihrer Ausbildung üblicherweise verbundenen Gefahren eine qualifizierte Ausbildung erfordern. Zur Zeit ist dies nur für die Erteilung von Tauchunterricht140 vorgesehen. Bewilligungserfordernis, allgemeine Voraussetzungen für die Bewilligung und Ende der Bewilligung sind den Berg- und Schiführern bzw Schilehrern nachgebildet, hinsichtlich der fachlichen Befähigung wird auf 139 140
Vgl ganz grundsätzlich zur beruflichen Selbstverwaltung Stillfried, Berufliche Selbstverwaltung und autonomes Satzungsrecht, 1994, VO der OÖ LReg betreffend jener Sportarten, die auf Grund der mit ihrer Ausübung üblicherweise verbundenen Gefahr eine qualifizierte Ausbildung erfordern, LGBl 1998/98.
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bereits oben erwähnte VO des BMin für Unterricht und Kunst,141 die die Lehrgänge zur Ausbildung von Sportlehrern regelt, verwiesen. Andere Bewilligungs- oder Anzeigepflichten für Sportschulen sind nicht vorgesehen, in T etwa wurde das SportunterrichtsG142 und die VO der LReg über die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für behördlich anerkannte Sportlehrer143 durch LGBl 1998/141 aufgehoben.
D. Tanzunterricht In allen Bundesländern wird das Erteilen von Tanzunterricht in eigenen Gesetzen geregelt, einzig in NÖ finden sich diesbezügliche Regelungen fugitiv im VeranstaltungsG.144 Vorarlberg hat jedoch mittlerweile sein Tanzkursegesetz aufgehoben.145 Burgenland: VO des LH des Bgld vom 24. Juli 1925 betreffend die Erlassung von Ordnungsvorschriften für den Betrieb öffentlicher Tanzschulen im Burgenlande146 Kärnten: Krnt TanzunterrichtsG 1992 - K-TUG 1992147 Oberösterreich: OÖ TanzschulG148 Steiermark: Stmk TanzschulG 2000149 Tirol: Tiroler TanzunterrichtsG150 Salzburg: Salzburger Tanzschulgesetz151 Vorarlberg: TanzkurseG (wv)152 Wien: Wr TanzschulG 1996153
Abgesehen von der bgld Regelung, die hauptsächlich Jugendschutz- (Einschränkungen der Unterrichtszeit, Alkoholverbot) und Hygienevorschriften (Rauch- und Ausspuckverbot, Erfordernis von „Spucknäpfen, die gegen Verschütten oder Ausstreuen des Inhaltes gesichert sind“) enthalten, knüpfen die restlichen Bundesländer die Befugnis, Tanzunterricht zu erteilen, an eine Bewilligungspflicht, die jedoch in Krnt nur durch gewerbsmäßige, in OÖ und Stmk nur durch erwerbsmäßige und in Sbg nur durch entgeltliche Erteilung von Tanzunterricht begründet wird. Mitumfasst von der Bewilligung ist meist ausdrücklich die Abhaltung von Tanzübungen (Perfektion), tw auch die Unterweisung in Anstandslehre. In W wurde mit der Tanzschulgesetznovelle 2003 die Bewilligungspflicht in eine bloße Anzeigepflicht geändert. Bei Nichtuntersagung innerhalb eines Monats gilt die Tanzlehrbefugnis als erteilt.
141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153
Vgl oben FN 129. LGBl 1968/47 idF 1993/42. Bote für Tirol Nr 1972/642. Das NÖ TanzschulG, LGBl 7055, wurde 1993 aufgehoben, nunmehr anwendbar das NÖ VeranstaltungsG, LGBl 7070-2. LGBl 1994/76 aufgehoben durch LGBl 2001/29. LGBl 1925/38. LGBl 1992/150 idF 1996/69. LGBl 1951/29 idF 2003/106.. LGBl 2000/17. LGBl 2003/87. LGBl 1952/12 idF 2001/46. LGBl 1994/76 aufgehoben durch LGBl 2001/29. LGBl 1997/12 idF 2004/16.
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Ausnahmen bestehen in den meisten Landesgesetzen (nicht in OÖ) zugunsten von Lehrveranstaltungen zur Pflege von einheimischen Volkstänzen und künstlerischen Tänzen. Eine Bewilligung für Tanzschulen kann - je nach Bundesland - neben dem Normalfall (ständiger Betrieb auf unbestimmte Dauer) teilweise auch für zeitweilige Betriebe mit festem Standort (Saison- oder Filialtanzschulen) oder für zeitweilige Betriebe ohne festen Standort (Wanderbewilligung) erteilt werden. Zuständige Behörde zur Erteilung der Tanzlehrbewilligung ist in allen Regelungsregimes die LReg, in W der Magistrat. In OÖ und Sbg sind dabei Anhörungsrechte der Gemeinde, so vorhanden der BPolDion sowie der gesetzlich geschaffenen oder gesetzlich anerkannten Berufsvertretung vorgesehen. In der Stmk kommen diese Anhörungsrechte der Gemeinde, dem Tanzlehrerverband sowie der Kammer der gewerblichen Wirtschaft zu. In Tirol gibt es grundsätzlich keine Anhörungsrechte mehr, einzige Ausnahme ist das Anhörungsrecht der Wirtschaftskammer Tirol bei Entscheidungen über Anträge von Personen, deren Ausbildung im Zuge der RL 92/51 EWG in Österreich als gleichwertig anerkannt wird. Auch die Anhörungsrechte der zuständigen Bezirksvertretung und der gesetzlichen Interessenvertretung in W wurden bei der Tanzschulgesetznovelle 2003 nicht übernommen, Zu den persönlichen Voraussetzungen für die Bewilligungserteilung zählen, abhängig vom Bundesland, österreichische bzw EWR-Staatsangehörigkeit, Mindestalter, Eigenberechtigung, Zuverlässigkeit bzw Vertrauenswürdigkeit (wird durch best gerichtlich strafbare Handlungen oder Insolvenzverfahren ausgeschlossen), Eignung (Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung) und die fachliche Befähigung. Deren Nachweis erfolgt durch die Vorlage von Zeugnissen über die Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht, über eine mindestens drei- bzw vierjährige berufsmäßige Verwendung in einer gewerbsmäßig betriebenen Tanzschule sowie durch Ablegung der Tanzlehrprüfung. In Tir kann als Nachweis zur Befähigung eine nach altem Gesetz erteilte Tanzlehrbewilligung, eine Tanzlehrprüfung oder eine vergleichbare Ausbildung (Verweis auf die Wiener Tanzlehrprüfungsverordnung 1997)154 vorgelegt werden. Zur genaueren Regelung der Tanzlehrprüfung sind meist VOen der LReg vorgesehen. Oft finden sich auch Bestimmungen über die Nachsicht von Voraussetzungen oder über die Anerkennung anderer Ausbildungen. Als sachliche Voraussetzung für die Bewilligungserteilung ist in OÖ der Nachweis anzuführen, dass geeignete Betriebsräume zur Verfügung stehen. In den anderen relevanten Landesgesetzen ist diese Voraussetzung thematisch den Ausübungsregeln zuzurechnen, da das Vorhandensein entsprechender Räumlichkeiten von der Tanzlehrbewilligung unabhängig ist. In diesen Bundesländern darf Tanzunterricht meist nur in bewilligten Betriebsstätten erteilt werden. Bei der Bewilligung ist auf gesundheits-, bau-, feuer- und sicherheitspolizeiliche Belange Rücksicht zu nehmen oder wird auf die für Veranstaltungslokale geltenden Vorschriften verwiesen. In W wurde der Begriff Betriebsstättenbewilligung in Eignungsfeststellung geändert, neu ist auch das vereinfachte Eignungsfeststellungsverfahren. Zuständige Behörde ist die Gemeinde im eige154
LGBl 1997/31.
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nen WB (in OÖ sind die Vorschriften beim Erteilungsverfahren der Tanzlehrbewilligung von der LReg mitanzuwenden, in Tir ist dafür die BVB und in W der Magistrat zuständig). Zu den Ausübungsregeln zählt zweifelsohne der Grundsatz der persönlichen Ausübung der Bewilligung. Zur Unterstützung des Bewilligungsinhabers können jedoch Assistenten/Hilfskräfte bzw Tanzlehrer in Ausbildung herangezogen werden, die tw die persönlichen Voraussetzungen zu erfüllen haben. Durchbrochen wird dieser Grundsatz ferner durch bisweilen normierte Fortbetriebsrechte oder die - meist bewilligungspflichtige - Möglichkeit, einen Geschäftsführer zu bestellen, der die persönlichen Voraussetzungen erfüllen muss. Verpflichtend zu bestellen ist ein Geschäftsführer, wenn eine juristische Person Inhaber der Bewilligung ist. Weitere Ausübungsregeln betreffen die Preisauszeichnung, zeitliche Beschränkungen der Tanzkurse, die Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen, Anzeigepflichten der Kurstage und Kursstunden sowie Führen einer Kursteilnehmerliste. Der BVB (in OÖ und Sbg in deren örtlichen Wirkungsbereich der BPolDion, in der Stmk der LReg) obliegt die unmittelbare Überwachung der Tanzschulen hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen. Die Tanzlehrbewilligung erlischt durch Zurücklegung, Tod des Bewilligungsinhabers bzw Auflösung der juristischen Person oder Entziehung. Zu entziehen ist die Bewilligung etwa wegen Verstoßes gegen das TanzschulG, qualifizierten Nichtausübens der Tanzlehrbewilligung, wenn die persönlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt werden, bei Insolvenzverfahren oder bei qualifiziertem Verzug bei der Entrichtung der Handelskammerbeiträge. In der Stmk wurde der Verband der Tanzlehrer Steiermarks als Körperschaft öffentlichen Rechts eingerichtet, der insbesondere die Förderung und Entwicklung des Gesellschaftstanzes und des Tanzlehrwesens, die Förderung und Betreuung des Berufsnachwuchses, die Schaffung von Einrichtungen für die Aus- und Fortbildung von Tanzlehrern und die Vorbereitung von Tanzlehrern auf die Führung einer Tanzschule zur Aufgabe hat. Übertretungen der landesgesetzlichen Vorschriften sind mit Verwaltungsstrafe (Geldstrafe bis zu € 2.100,-, in Kärnten noch Schilling Angabe: bis zu 30.000,-) bedroht, in OÖ droht im Wiederholungsfall die strafweise Entziehung der Bewilligung.
Sigrid Grabner/Tanja Koller
Tourismusrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................361 Grundlegende Literatur...................................................................................363 I. Grundlagen ................................................................................................363 A. Allgemeines............................................................................................363 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................364 C. Gemeinschaftsrechtliche Aspekte ..........................................................366 II. Tourismusrecht ieS ..................................................................................368 A. Organisation und Abgaben....................................................................369 1. Allgemeines.......................................................................................369 2. Organisation ......................................................................................369 3. Abgaben ............................................................................................380 B. Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen ......................................384 III. Tourismusrecht iwS ...............................................................................387 A. Campingplätze .......................................................................................387 1. Allgemeines.......................................................................................387 2. Errichtung eines Campingplatzes ......................................................387 3. Betrieb eines Campingplatzes ...........................................................389 B. Privatzimmervermietung........................................................................390 1. Allgemeines.......................................................................................390 2. Berechtigung zur Privatzimmervermietung.......................................391 3. Ausübung der Privatzimmervermietung............................................391 C. Berg- und Schiführer .............................................................................391 1. Allgemeines.......................................................................................391 2. Berechtigung zum Berg- und Schiführen..........................................392 3. Ausübung des Berg- und Schiführens...............................................393 IV. Bezüge zu anderen Rechtsbereichen.....................................................394 A. Engere Bezüge .......................................................................................394 1. Subventionsrecht ...............................................................................394 2. Raumordnungsrecht ..........................................................................394 3. Naturschutz .......................................................................................395 B. Weitere Bezüge ......................................................................................395 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Art 3 lit u EG-Vertrag; RL 95/57/EG (Abl L 291/32) - RL über die Erhebung statistischer Daten im Bereich Tourismus idF 2004/883/EG (Abl L 373/69); RL 2005/36/EG (Abl L 255/22) - RL über die Anerkennung von Berufsqualifikationen. Bundesrecht: Tourismus - Statistik - Verordnung 2002 (BGBl II 2002/498 idF BGBl II 2004/502).
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Landesrecht: Burgenländisches TourismusG 1992 (LGBl 1992/36 idF LGBl 2003/20); (Kärntner) FremdenverkehrsG 1992 (LGBl 1992/43 (WV) idF LGBl 1993/6); NÖ TourismusG 1991 (LGBl 7400-4); O.ö. Tourismus-G 1990 (LGBl 1989/81 idF LGBl 2003/12); Salzburger TourismusG (LGBl 2003/43 (WV) idF LGBl 2005/94); Steiermärkisches TourismusG 1992 (LGBl 1992/55 idF LGBl 2003/9); Tiroler TourismusG 2006 (LGBl 2006/19); (Vorarlberger) TourismusG (LGBl 1997/86 idF LGBl 2002/24); Wiener TourismusförderungsG-WTFG (LGBl 1955/13 idF LGBl 2000/10); (Oö.) VO über die Errichtung von Tourismusverbänden (LGBl 2003/17 idF LGBl 2006/12); (Salzburger) Tourismusverbände-VO (LGBl 1986/69 idF LGBl 2005/12); (Kärntner) Fremdenverkehrsabgabegesetz 1994 (LGBl 1994/59 (WV) idF LGBl 2005/95); (Nö) VO über die Ermächtigung zur Erhebung von erhöhten Interessentenbeiträgen (LGBl 7400/5-0); (Steiermärkische) Interessentenbeitrags-VO (LGBl 2005/23); (Oö) Beitragsgruppenordnung (LGBl 1992/54 idF LGBl 1998/30); (Salzburger) BeitragsgruppenVO (LGBl 1986/24 idF LGBl 2004/4); (Tiroler) BeitragsgruppenVO 1991 (LGBl 1990/84 idF LGBl 2001/134); (Vorarlberger) AbgabegruppenVO (LGBl 1992/1 idF LGBl 1996/59); (Nö) VO über die Gliederung der Gemeinden in Ortsklassen (LGBl 7400/111); Oö. OrtsklassenVO 2003 (LGBl 2003/16 idF LGBl 2006/12); (Salzburger) OrtsklassenVO (LGBl 2005/96); (Steiermärkische) OrtsklassenVO (LGBl 2003/25 idF LGBl 2005/232); (Tiroler) OrtsklassenVO 2004 (LGBl 2003/123 idF 2004/6); VO des Landeshauptmannes von Wien betreffend die Festlegung einer Tourismusregion in Wien (LGBl 1994/28); (Kärntner) Orts- und NächtigungstaxenG 1970 (LGBl 1970/144 (WV) idF LGBl 2005/97); O.ö. Tourismusabgabe-G 1991 (LGBl 1991/53 idF LGBl 2003/12); (Salzburger) OrtstaxenG 1992 (LGBl 1992/62 idF LGBl 2003/59); Steiermärkisches Nächtigungs- und FerienwohnungsabgabeG 1980-NFWAG (LGBl 1980/54 (WV) idF LGBl 2005/105); (Tiroler) AufenthaltsabgabeG 2003 (LGBl 2003/85); (Vorarlberger) G über die Erhebung einer Abgabe von Zweitwohnsitzen (LGBl 1997/87 idF LGBl 2001/58); (Burgenländische) VO mit der die Höhe der in den Gemeinden einzuhebenden Ortstaxe festgesetzt wird (LGBl 1992/71); VO über die Erhöhung der Ortstaxe nach dem Burgenländischen Tourismusgesetz (LGBl 2003/59); (Kärntner) G über die Wegfreiheit im Berglande (LGBl 1923/18 idF LGBl 1999/35); (Salzburger) G über die Wegfreiheit im Bergland 1970 (LGBl 1970/31 (WV) idF LGBl 2005/58); (Steiermärkisches) G betreffend die Wegfreiheit im Berglande (LGBl 1922/107 idF LGBl 2001/71); (Nö) VO über die wesentlichen Inhalte einer Geschäftsordnung für die Tourismuskommission (LGBl 7400/25-0); (OÖ) VO Geschäftsordnung der Tourismusregionen 1993 (LGBl 1993/78); (OÖ) VO Geschäftsordnung für den Landesverband für Tourismus in OÖ (LGBl 1990/11 idF LGBl 1999/102); (OÖ) VO mit der eine Mustergeschäftsordnung für die Tourismusverbände erlassen wird (LGBl 2003/122); (OÖ) VO betreffend die Haushaltsführung in den Tourismusverbänden (LGBl 2005/131); (Salzburger) Mustergeschäftsordnung (LGBl 2002/54); (Steiermärkische) VO mit der eine Geschäftsordnung für die Tourismusverbände erlassen wird (LGBl 1993/29 idF LGBl 2003/30); (Steiermärkische) VO über Vermögensgebarung und Haushaltsführung der Tourismusverbände (LGBl 1993/30 idF LGBl 2003/31); (Tiroler) VO über die Festlegung von Tourismusregionen (LGBl 1995/24); (Vorarlberger) VO über die Befähigung von Personen, die mit der Besorgung der Aufgaben des Tourismus betraut sind (LGBl 1997/12); NÖ Wirtschafts- und TourismusfondsG (LGBl 7300-2); Burgenländisches Camping- und MobilheimplatzG (LGBl 1982/44 idF LGBl 2004/14); Kärntner CampingplatzG 1970 K-CPG (LGBl 1970/143 idF 1999/35); NÖ CampingplatzG 1999 (LGBl 5750-1); OÖ CampingplatzG (LGBl 1967/49 idF LGBl 2001/90); Salzburger CampingplatzG (LGBl 1966/66 idF LGBl 2001/46); Tiroler CampingplatzG (LGBl 2001/37); Vorarlberger CampingplatzG (LGBl 1981/34 idF LGBl 2005/27); Tiroler PrivatzimmervermietungsG (LGBl 1959/29); Kärntner Berg- und SchiführerG 1998 K-BSFG 1998 (LGBl 1998/25 idF LGBl 2001/60); NÖ SportG (LGBl 5710-2);
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OÖ SportG (LGBl 1997/93 idF 2003/106); Salzburger BergführerG (LGBl 1981/76 idF LGBl 2005/58), Steiermärkisches Berg- und SchiführerG 1976 (LGBl 1976/53 idF LGBl 2006/56); Tiroler BergsportführerG (LGBl 1998/7 idF LGBl 2003/50); Tiroler BergsportführerVO (LGBl 1998/59); Tiroler SchilehrerVO (LGBl 1996/67); Vorarlberger BergführerG (LGBl 2002/54 idF LGBl 2006/15); Vlbg VO über die Bergführerprüfung (LGBl 2003/38); Vlbg VO über die Haftpflichtversicherung der Bergführer (LGBl 2003/41); Vlbg VO über die fachliche Befähigung auswärtiger Bergführer (LGBl 2003/43), Vlbg VO über die Anerkennung von Prüfungen, Ausbildungen und Berufserfahrung nach dem Recht der Europäischen Union für Bergführer (LGBl 2003/39); Vlbg VO über das Bergführerbuch und das Bergführerabzeichen (LGBl 2003/40).
Grundlegende Literatur: Achatz, Zur EU-Konformität der Fremdenverkehrsabgaben, SWK 1997, S 516; Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1996; Arnold, Pflichtbeiträge nach dem Tiroler Tourismusgesetz 1991, SWK 1997, S 631; Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur Gewerbeordnung, 1998; Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur Gewerbeordnung2, 2003; Haunold/Tumpel/Widhalm, EuGH: Tourismusabgaben EGkonform, SWI 1999, 314; Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch des Enteignungsrechts, 1994; Morscher, Die Gewerbekompetenz des Bundes, Schriftenreihe des Instituts für Föderalismusforschung, Bd 39, 1987; Pichler/Holzer, Handbuch des österreichischen Skirechts, 1987; Steindl, Die Fremdenverkehrsgesetze der Bundesländer - Eine systematische Darstellung, Sozialwissenschaftliche Schriftenreihe des Institutes für politische Grundlagenforschung, Heft 4, 1984; Stolzlechner, Entwicklungstendenzen im Tourismusrecht der Länder, ÖZW 1992, 1; Wägenbaur, Fremdenverkehr in der EU, ecolex 1997, 904; Walter/Mayer, Grundriß des besonderen Verwaltungsrechts2, 1987; Wenger, Territoriale Zuständigkeitskriterien in der Förderungsverwaltung? - Überlegungen zu einem Bundesförderungsgesetz am Beispiel der Fremdenverkehrsförderung, ÖZW 1983, 65.
I. Grundlagen A. Allgemeines Der Tourismus nimmt im Rahmen der österreichischen Wirtschaftsordnung eine herausragende Stellung ein und ist in mehreren Bundesländern vorrangige Einkunftsquelle. Schon aus diesem Grund ist die Aufnahme dieser Materie in diesen umfangreichen Sammelband gerechtfertigt. Das Tourismusrecht umfasst vor allem die Tourismusgesetze der Länder, daneben aber auch das Campingplatzwesen, die Privatzimmervermietung und das Berg- und Schiführerwesen. Dieser Rechtsbereich wird im Folgenden in einigen Teilbereichen eingehend behandelt, während in anderen Bereichen nur ein systematischer Überblick gegeben werden soll. Diese unterschiedliche Behandlung rechtfertigt sich durch die unterschiedliche Praxisrelevanz. Die landesgesetzliche Regelung dieser Materie führte vielfach zu einer Regelungsvielfalt und dadurch zu einer gewissen Unübersichtlichkeit. Das Tourismusrecht scheint ein Stiefkind in der juristischer Literatur geblieben zu sein, weshalb dieser Beitrag versucht, ein wenig Licht in diesen Rechtsbereich zu bringen.
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B. Kompetenzrechtliche Einordnung Im Hinblick auf die Kompetenzverteilung des B-VG ist der Tourismus als komplexe Materie (Querschnittsmaterie) zu qualifizieren, für dessen Regelung sowohl der Bund als auch die Länder hinsichtlich spezieller Gesichtspunkte zuständig sein können. Fremdenverkehr kann als die Gesamtheit der Beziehungen und Erscheinungen bezeichnet werden, die sich aus der Reise und dem Aufenthalt von Personen ergeben, für die der Aufenthaltsort weder hauptsächlicher noch dauernder Wohn- oder Arbeitsort ist.1 Mangels ausdrücklicher Erwähnung des Fremdenverkehrs im Rahmen der Kompetenztatbestände des B-VG wird der Fremdenverkehr als solcher im Allgemeinen aufgrund der Generalklausel in Art 15 B-VG den Ländern zur Gesetzgebung und Vollziehung zugewiesen.2 Dieser Sachbereich umfasst entsprechend dem Adhäsionsprinzip auch Enteignungs- bzw Eigentumsbeschränkungsregelungen zugunsten von Fremdenverkehrseinrichtungen.3 Im Rahmen des Fremdenverkehrs ist auch die Gewerbekompetenz des Bundes von Bedeutung. Die Regelung von Tätigkeiten im Freizeit- oder Tourismussektor im engeren Sinn fällt - obwohl vom Ausnahmenkatalog der §§ 2-4 der GewO nicht erfasst - nicht darunter.4 Allerdings können Tourismusverbände gewerbliche Tätigkeiten (zB Reisebüro) entfalten. Derartige Tätigkeiten sind zweifelsohne gewerbsmäßig, soweit sie sich auch als Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellen. Zum Sachgebiet Tourismus ist noch eine Reihe thematisch unmittelbar damit verbundener Nebengebiete zu zählen, die zum größten Teil gemäß Art 15 Abs 1 B-VG in den Kompetenzbereich der Länder fallen (zB Schi- und Bergführerwesen, Campingplatzwesen, Privatzimmervermietung). Aus grundlegenden Erkenntnissen des VfGH geht auch bezüglich dem Campingplatzwesen eindeutig hervor, dass der kompetenzrechtliche Gewerbebegriff der Bundesverfassung andere (Landes-) Kompetenzen nicht ausschließt, was sich durch die Anwendung des föderalistischen Auslegungsprinzips wie auch der Versteinerungstheorie ergibt. Während im Erkenntnis des VfGH (VfSlg 4227/1962) eine Bundeszuständigkeit nach Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG schon deshalb verneint wurde, weil diese Tätigkeit der Campingplatzvermietung nicht einmal dem Gewerbebegriff der Gewerbeordnung entspreche, behauptet der VfGH in VfSlg 5024/1965 hinsichtlich dieser Tätigkeit unter Anwendung der Gesichtspunktetheorie eine Bundeszuständigkeit.5 So bleibt es dem Bund unbenommen, gewerberechtliche Regelungen hinsichtlich jener Campingplätze zu treffen, die Gewerbebetriebsanlagen sind. Nur die bloße Vermietung von Liegenschaften, auch wenn die Bereitstellung von Wasser, Waschanlage, Kanal ua erfolgt, stellt kein Gewerbe iSd GewO dar.6 Die GewO findet hingegen Anwendung, wenn zusätzliche Dienstleistungen, die nicht üblicherweise von bloßen Raum- oder Flächenvermietern bereitgestellt werden, 1 2 3 4 5 6
Steindl, 2. VfSlg 2500/1953, 2641/1954, 4667/1964, 5995/1969. VfSlg 7145/1973. Morscher, 134. Ebenda, 49 f. VfSlg 4227/1962. Siehe dazu auch Filzmoser, Gewerbliche Überlassung von Sportund Freizeitanlagen und Anwendbarkeit der GewO?, ecolex 2002, 847.
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erbracht werden. Die Zuständigkeit des Bundes, gesetzliche Regelungen betreffend die Erfordernisse gewerblicher Betriebsanlagen zu erlassen, schließt es jedoch nicht aus, dass der Landesgesetzgeber im Rahmen seiner Kompetenz die Errichtung und die Benützung derselben Anlagen einer Regelung unterwirft.7 Laut Art III B-VG Novelle BGBl 1974/444 zählt die Privatzimmervermietung nicht zu den Angelegenheiten des Gewerbes iS des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Als Privatzimmervermietung wird dabei die durch gewöhnliche Mitglieder des eigenen Hausstandes als häusliche Nebenbeschäftigung ausgeübte Vermietung von nicht mehr als zehn Fremdenbetten in Wohnräumen, die zum Wohnbereich des Vermieters gehören inklusive weiterer Dienstleistungen (zB Reinigen, Verabreichen von Speisen und Getränken) definiert.8 Wie schon im Zusammenhang mit den Campingplätzen erwähnt, kommt es auch bei der Prüfung der Privatzimmervermietung als gewerbliche Tätigkeit im Rahmen der Kompetenzverteilung allein auf den kompetenzrechtlichen Gewerbebegriff an. Demnach stellt jede Erwerbsbetätigung, die nach dem Stande der Rechtsordnung vom 1. Oktober 1925 eine häusliche Nebenbeschäftigung im Sinne des Art V lit e des Kundmachungspatentes zur Gewerbeordnung war, keinesfalls eine Angelegenheit des Gewerbes dar.9 Da die Privatzimmervermietung im genannten Zeitpunkt in die Kategorie der häuslichen Nebenbeschäftigung fiel und damit von der Gewerbeordnung ausgenommen war, ergibt sich schon nach der Versteinerungstheorie eine Kompetenz der Länder zur Gesetzgebung und Vollziehung. Die Privatzimmervermietung wird auch durch die Verabreichung von im landwirtschaftlichen Betrieb des Vermieters erzeugten alkoholischen Getränken an beherbergte Fremde nicht zu einer Angelegenheit des Gewerbes, wie der VfGH im Wege einer intrasystematischen Fortentwicklung erkannte.10
Die Bergführer- und Skiführertätigkeit ist eine Angelegenheit des Sportwesens und fällt daher nach Art 15 Abs 1 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung in die Kompetenz der Länder. In der B-VG Novelle BGBl 1974/444 wurde in Art III bestimmt, dass die Angelegenheiten des Berg- und Skiführerwesens nicht zu den Angelegenheiten des Gewerbes iS des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG gehören. Bereits die Gewerbeordnung 1973, BGBl 1974/50 hatte der zu erwartenden Novelle Rechnung getragen und im § 2 Abs 1 Z 19 die Tätigkeit des Berg- und Skiführers vom Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen. Damit wurde eine umfassende Kompetenz der Länder zur Gesetzgebung und Vollziehung in dieser Angelegenheit begründet.11 Den Gemeinden sind durch Art 116 Abs 2 B-VG Aufgaben zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich übertragen. Zwar scheint der Begriff des Fremdenverkehrs hier nicht expressis verbis auf, dennoch haben mehrere Landestourismusgesetze den Katalog der gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben durch die ausdrückliche Bezeichnung der örtlichen Tourismusförderung als
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VfSlg 5024/1965. Selbst nach der Judikatur des OGH stellen Campingplätze Betriebsanlagen iSd GewO dar, 1 Ob 93/00h vom 19.12.2000. VfSlg 7074/1973. § 2 Abs 1 Z 9 GewO 1994. VfSlg 7074/1973. Pichler/Holzer, 221.
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zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörend erweitert. Solche Regelungen finden sich weiters in einzelnen Gemeindeordnungen und Stadtrechten. Ungeachtet der genannten hoheitlichen Befugnisse sind Bund und Länder als Träger von Privatrechten gemäß Art 17 B-VG dazu ermächtigt, wirtschaftliche Tätigkeiten auch auf solchen Gebieten zu entfalten, wo ihnen keine Kompetenz zur Hoheitsverwaltung zukommt. Die Privatwirtschaftsverwaltung ist für den Tourismus außerordentlich wichtig, denn die gesamte Förderungsverwaltung, wie auch die Werbung und sonstige unternehmerische Tätigkeiten beruhen auf dieser Grundlage.12
C. Gemeinschaftsrechtliche Aspekte Hinter der Einführung einer Tourismuspolitik der Gemeinschaft stand der Gedanke, dass gerade der Tourismus in all seinen Aspekten einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft leisten kann. Erste Überlegungen dazu erfolgten in einer Entschließung des Rates vom 10. April 1984.13 Ein weiterer Schritt erfolgte durch den Ratsbeschluss vom 22. Dezember 1986 über die Einführung eines Verfahrens zur Konsultation und Zusammenarbeit im Bereich des Fremdenverkehrs14, der einen beratenden Ausschuss für den Fremdenverkehr bei der Kommission ins Leben rief. Ein Beschluss des Rates vom 21. Dezember 198815 erklärte das Jahr 1990 zum Europäischen Jahr des Fremdenverkehrs. Der Fremdenverkehr fand im EG-Vertrag erst mit der Einfügung des Artikel 3 lit t (jetzt lit u) durch den Vertrag von Maastricht 1992 Erwähnung. Der verbesserten Zusammenarbeit im Tourismusbereich soll die RL 95/57/EG des Rates über die Erhebung statistischer Daten im Bereich des Tourismus dienen.16 Im Jahre 1996 wurde mit Vorarbeiten zur Einführung eines „Ersten Mehrjahresprogramms zur Förderung des europäischen Tourismus - Philoxenia (1997-2000) begonnen. Einstimmigkeit im Rat konnte aber zur Beschlussfassung nicht erzielt werden. Mit der Annahme des Protokolls „Tourismus“ der Alpenkonvention17 verdeutlicht der Rat die enorme Wichtigkeit des Sektors Tourismus in den meisten Teilen der Alpen, wobei es hier vorrangig darum geht, dass im Rahmen der Förderung eines nachhaltigen Tourismus dessen Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigt werden sollen. Gerade eine Förderung des Fremdenverkehrs könnte zur Entwicklung benachteiligter Gebiete beitragen, die für den Fremdenverkehr prädestiniert sind. In ihrer Mitteilung „Grundlinien zur Nachhaltigkeit des europäischen Tourismus“18 hat die Kommission betont, dass die Gewährleistung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit des europäischen Tourismus 12 13 14 15 16 17
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Steindl, 11 f. Abl C 115 vom 30.4.1984, 2 ff. Abl L 384 vom 31.12.1986, 52. Abl L 17/53 vom 21.1.1989, 53. Abl L 291/32 vom 6.12.1995. Beschluss 2006/516/EG des Rates über die Annahme des Protokolls „Bodenschutz“, des Protokolls „Energie“ und des Protokolls „Tourismus“ der Alpenkonvention im Namen der Europäischen Gemeinschaft, Abl L 201/31. KOM (2003) 716 endg.
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als wesentliche Voraussetzung für die Lebensfähigkeit, das anhaltende Wachstum, die Wettbewerbsfähigkeit und den kommerziellen Erfolg dieser wirtschaftlich äußerst wichtigen Branche von entscheidender Bedeutung ist. Im Jahr 2004 richtete die Kommission die Gruppe „Nachhaltigkeit im Tourismus“ (GNT) ein und begann mit dem langfristig angelegten Agenda-21-Prozess für den Tourismus. Im März 2006 erging schließlich die Mitteilung der Kommission mit dem verheißungsvollen Titel „Eine neue EU-Tourismuspolitik: Wege zu mehr Partnerschaft für den europäischen Tourismus“19. Als Maßnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeit im Tourismus werden neben der Agenda 21 die Erhebung statistischer Daten im Bereich des Tourismus20 sowie eine Verbesserung der Werbung und der öffentlichen Aufmerksamkeit für den europäischen Tourismus21 angestrebt. Trotz der geringfügigen Erwähnung des Fremdenverkehrs im EG-Vertrag muss aber hinzugefügt werden, dass der Tourismus von zahlreichen Vertragskapiteln wie zB dem Niederlassungsrecht, dem Recht auf freien Dienstleistungsverkehr, dem Verbraucherschutz, der Verkehrs- und Steuerpolitik und anderen berührt wird.22 So erfolgte beispielsweise eine Reglementierung der Anerkennung beruflicher Qualifikationen für Berg- und Schiführer durch die Richtlinie 92/51/EWG23 sowie für Betreiber eines Campingplatzes durch die Richtlinie 68/368/EWG24. Eine neue Reglementierung erfolgte für beide Berufe durch die Richtlinie 2005/36/EG25 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, welche bis zum 20. Oktober 2007 von den Mitgliedstaaten umzusetzen ist. Im Bereich der Rechtsprechung des EuGH fallen durchaus einige Entscheidungen auf, in denen sich der EuGH auch mit dem Fremdenverkehr befasste, und die insoweit gemeinschaftsweite Bedeutung erlangten. Der EuGH befand zB, dass beim Zugang zu staatlichen Museen höhere Eintrittspreise für ausländische Touristen im Vergleich zu Nulltarifen, die an bestimmten Tagen für Ortsansässige galten, diskriminierend seien und erklärte Touristen allgemein zu Dienstleistungsempfängern.26 Damit baute der EuGH auf das bereits 1984 ergangene Urteil Luisi und Carbone auf.27 Auch ein Unionsbürger, der sich als Tourist in einem anderen Mitgliedsstaat aufhält, hat bei der Geltendmachung von staatlichen Entschädigungsansprüchen infolge einer Gewalttat die gleichen Rechte wie ein Staatsangehöriger dieses Landes.28 Die durch die genannten Entscheidungen des EuGH eingeleitete Entwicklung, Touristen als Adressaten der Dienstleistungsfreiheit anzusehen, hat zweifelsohne zu einer 19 20 21
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KOM (2006) 134 endg. RL 95/57/EG (Abl L 291/32) - RL über die Erhebung statistischer Daten im Bereich Tourismus idF 2004/883/EG (Abl L 373/69). Seit 2002 richtet jedes Jahr ein anderer Mitgliedstaat das Europäische Tourismusforum aus, das in enger Zusammenarbeit mit der Kommission, den Mitgliedstaaten und der europäischen Tourismusindustrie veranstaltet wird. Wägenbaur, 904 ff. Selbst der Vertrag über eine Verfassung für Europa befasst sich im Abschnitt 4 (Artikel III-281) mit dem Tourismus, Abl C 310/1. Abl L 209/25 vom 24.7.1992. Abl L 260/19 vom 22.10.1968. Abl L 255/22 vom 30.9.2005. EuGH, Rs C-45/93, Kommission/Spanien, Slg 1994, I-911. Verb Rs 286/82 und 26/83, Slg 1984, 377. Rs 186/87, Cowan, Slg 1989, 195.
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Verbesserung der rechtlichen Situation von Reisenden aus den Mitgliedsländern beigetragen. Die nach den Tourismusgesetzen der Länder vorgesehenen Pflichtbeiträge der Tourismusinteressenten waren hinsichtlich ihrer Konformität mit Art 33 Abs 1 der 6. Mehrwertsteuer-Richtlinie Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH.29 Die in Frage stehenden Tourismusabgaben belasten nach Auslegung des EuGH den Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie kommerzielle Umsätze dabei nicht so, wie es für die Mehrwertsteuer kennzeichnend ist. Es ist weder ein Vorsteuerabzug vorgesehen, wodurch sich die Abgaben auf den Gesamtumsatz der abgabepflichtigen Unternehmen beziehen, noch werden die Abgaben in einer für die Mehrwertsteuer kennzeichnenden Weise auf den Endverbraucher abgewälzt. Sei es auch, dass manche Unternehmen bei ihrer Preisbildung die in ihre Kosten eingeflossene Abgabe berücksichtigen können, so ist es doch nicht allen Unternehmen möglich, diese Belastung in gleicher Weise und in vollem Umfang direkt zu überwälzen. Da auf den jährlichen Gesamtumsatz abgestellt wird, ist auch die Voraussetzung einer Proportionalität dieses Betrages zu den Preisen, die der Abgabepflichtige als Gegenleistung erhält, nicht erfüllt. Die Fremdenverkehrsabgaben stellen vielmehr auf die Belastung des Nutzens aus dem Fremdenverkehr nach Art einer direkten Steuer ab und könnten daher das Funktionieren der Mehrwertsteuer nicht beeinträchtigen. Daran vermag auch der Umstand, dass die Bemessung der Abgabe an Umsätze im Sinne des UStG anknüpft, nichts ändern. Daher entschied der EuGH, dass die Tourismusabgaben keine Verbrauchssteuer darstellen, sondern Abgaben auf die Tätigkeit der Unternehmen, die vom Tourismus betroffen sind.30 Sofern Tourismusverbände Körperschaften öffentlichen Rechts sind hat der BMF in einem Erlass im Zusammenhang mit der umsatzsteuerlichen Behandlung der Werbetätigkeit von Tourismusverbänden die Aussage getroffen, die den Vorrang des Gemeinschaftsrechts in der umsatzsteuerlichen Behandlung dokumentieren: „Die Tätigkeiten von Tourismusverbänden oder Fremdenverkehrsvereinen in Erfüllung der ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben wurde bisher als nichtunternehmerisch beurteilt. Von dieser Beurteilung wird in Hinblick auf Art 4 Abs 5 zweiter Satz der 6. MwSt-Richtlinie insoweit abgegangen, als die Werbetätigkeit der Tourismusverbände dem unternehmerischen Bereich zuzurechnen ist. Die Argumentation, dass eine Behandlung der Werbetätigkeit als nichtunternehmerisch zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt und mit Art 4 Abs 5 zweiter Satz der 6. MwSt-Richtlinie nicht zu vereinbaren ist, ist nach Ansicht des BMF stärker als die Überlegung, dass die Werbetätigkeit zu den gesetzlich zugewiesenen Aufgaben der Tourismusverbände zählt.“31 Damit entfaltet das Europarecht zumindest im Bereich der Umsatzsteuer eine nicht unbeachtliche Wirkung auch im Tourismusbereich.
II. Tourismusrecht ieS Die Zielsetzung aller Landes-Fremdenverkehrsgesetze läßt sich trotz der Verschiedenheit der Regelungen in den einzelnen Bundesländern im Wesentlichen auf die Förderung des Tourismus reduzieren.
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Verb Rs C-338/97, C-344/97 ua, Erna Pelzl ua, Slg 1999, I-3319. Achatz, 516 ff; Haunold/Tumpel/Widhalm, 314; Arnold, S 631 ff. BMF 3. 3. 1998, O 23/1-IV/9/98 (Erlaß), RdW 1998, 312.
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A. Organisation und Abgaben 1. Allgemeines Organisatorische und abgabenrechtliche Bestimmungen sind in den meisten Bundesländern nicht in einem einzigen Fremdenverkehrsgesetz oder Tourismusgesetz zusammengefasst. So bestehen zB in Kärnten neben dem FremdenverkehrsG ein FremdenverkehrsabgabeG und ein Orts- und NächtigungstaxenG.32 Lediglich im Wiener TourismusförderungsG (WTFG), im NÖ TourismusG und im Vorarlberger TourismusG33 sind sowohl organisatorische Regelungen als auch Bestimmungen betreffend die Einhebung von Tourismusbeiträgen (Interessentenbeiträgen) und/oder Gästetaxe (Ortstaxe) enthalten. Das Ziel aller Tourismusgesetze aber ist die Förderung des Tourismus, die in allen Landes-Fremdenverkehrsgesetzen Erwähnung findet.34
2. Organisation a) Die örtliche Fremdenverkehrsverwaltung Die Träger der örtlichen bzw kommunalen Fremdenverkehrsverwaltung sind35 entweder • die Gemeinden, die nichthoheitliche Aufgaben auch an Vereine oder sonstige juristische Personen übertragen können,36oder • die Tourismusverbände, welche Körperschaften öffentlichen Rechts37 sind und sowohl hoheitliche als auch nichthoheitliche Aufgaben erfüllen.
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In Tirol, Salzburg, Steiermark, Oberösterreich und Burgenland wird zwar die Einhebung der Interessentenbeiträge im jeweiligen Fremdenverkehrs-/Tourismusgesetz geregelt, jedoch erfolgt die Normierung betreffend die Ortstaxe bzw Nächtigungsabgabe gesondert in einem eigenen Gesetz. G über die Förderung und den Schutz des Tourismus (LGBl 1997/86 idF LGBl 2002/24). Im § 1 des Wiener TourismusförderungsG-WTFG findet sich sogar eine Definition von Tourismusförderung, die aber sehr weit und umfassend ist: Die Tourismusförderung umfaßt alle Maßnahmen, die geeignet sind, den für die Volkswirtschaft und die Geltung Wiens im In- und Auslande bedeutungsvollen Zustrom von Gästen zu verstärken. Vgl die übereinstimmende Typologie bei Wenger, 71. ZB sieht der Kärntner Landesgesetzgeber eine Möglichkeit der Übertragung von bestimmten Aufgaben an einen örtlichen Fremdenverkehrsverein durch Vertrag vor. Vgl § 8 Abs 3 lit d) Ktn FrVG. S in diesem Zshg auch VfSlg 16159/2001: ein Tourismusverband als freiwilliger Zusammenschluss von Fremdenverkehrsbetrieben und im Fremdenverkehr tätigen Einrichtungen schloss mit einer Gemeinde einen Zusammenarbeitsvertrag ab, wobei der Tourismusverband die Aufgaben der gesamten Fremdenverkehrswerbung übernommen hatte und die Gemeinde sich im Gegenzug dazu verpflichtete, von den jährlichen Einnahmen aus der Ortstaxe und der Fremdenverkehrsabgabe einen bestimmten Betrag zur Verfügung zu stellen. Hoheitliche Aufgaben wie die Erlassung von Bescheiden und Einhebung der Fremdenverkehrsabgaben bleiben jedoch in jedem Fall Gemeindeaufgabe. Die Körperschaften öffentlichen Rechts sind gekennzeichnet durch Errichtung durch Gesetz oder Verwaltungsakt, Zwangsbestand, Zwangsmitgliedschaft, Einräumung hoheitlicher Befugnisse sowie Aufgaben der staatlichen Verwaltung. Vgl Antoniolli/ Koja3, 321f.
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aa) Die Gemeinden/Fremdenverkehrsvereine In Kärnten, Niederösterreich, Wien und Vorarlberg fällt die Fremdenverkehrsförderung im Wesentlichen der Gemeinde zu, die jedoch die Möglichkeit hat, gewisse Aufgaben nichthoheitlicher Natur an Fremdenverkehrsvereine oder Verbände „mit Rechtspersönlichkeit“ zu übertragen. In Kärnten kann sich die Gemeinde eines Fremdenverkehrsvereins oder einer sonstigen juristischen Person zur Erfüllung einzelner oder aller Aufgaben der Tourismusförderung bedienen, wenn dies im Interesse der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gelegen ist.38 Die Pflicht, sich eines Fremdenverkehrsvereines oder einer sonstigen juristischen Person zu bedienen, hat eine Gemeinde bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 8 Abs 3 Ktn FrVG. Bei Übertragung aller Aufgaben39 an einen Verein oder eine sonstige juristische Person gem § 8 Abs 3 lit d) Ktn FrVG, wie zB Organisation des Fremdenverkehrs in der Gemeinde, Öffentlichkeitsarbeit für den Tourismus in der Gemeinde, Präsentation des Angebotes, Gästebetreuung etc, hat die Gemeinde dem Verein/der juristischen Person 90% der Ertragsanteile der Gemeinde an der Fremdenverkehrsabgabe und 90% des Jahresaufkommens an der Ortstaxe zur Verfügung zu stellen. Werden nur einzelne der Aufgaben an einen Verein übertragen, so muss die Gemeinde ein Fremdenverkehrsgremium (das sind höchstens drei Vertreter des Vereins oder der juristischen Person) zu ihrer Beratung in Fremdenverkehrsangelegenheiten heranziehen. Korrespondierend dazu hat auch der Obmann des Fremdenverkehrsausschusses der Gemeinde das Recht, an Sitzungen des Vereins mit beratender Stimme teilzunehmen. Hat die Gemeinde keine Aufgaben übertragen und besteht in einer Gemeinde ein Fremdenverkehrsverein, so besteht auch in diesem Fall ein wechselseitiges Recht auf Teilnahme an den Sitzungen mit beratender Stimme, das Gremium kann dann aber aus mehr als drei Mitgliedern bestehen (§ 10 Abs 3 iVm § 11 Ktn FrVG). Hat die Gemeinde keine Aufgaben übertragen und besteht auch kein Fremdenverkehrsverein, so ist zur Beratung beim Gemeindeamt ein Fremdenverkehrskomitee einzurichten. Das Fremdenverkehrskomitee ist aus den Abgabepflichtigen nach dem Fremdenverkehrsabgabegesetz zu wählen, wobei diese innerhalb von sechs Monaten nach erstmaligem Zusammentritt des neugewählten Gemeinderates vom Bürgermeister zur Wahl des Fremdenverkehrskomitees einzuladen sind. Nach § 14 Abs 1 Ktn FrVG endet die Funktionsperiode der Mitglieder des Fremdenverkehrskomitees mit dem Zusammentritt des neugewählten Fremdenverkehrskomitees. Einmal jährlich hat der Bürgermeister die Abgabepflichtigen nach dem Fremdenverkehrsabgabegesetz sowie ein Fremdenverkehrsgremium/ein Fremdenverkehrskomitee zu einem Fremdenverkehrstag zu laden, sofern nicht alle Aufgaben gem § 8 Abs 3 lit d) Ktn FrVG an einen Verein übertragen wurden. Dem Fremdenverkehrstag ist über die Entwicklung des Fremdenverkehrs in der Gemeinde zu berichten. In Niederösterreich sind die Gemeinden Träger der örtlichen Tourismusförderung. Je nach der Tourismusbedeutung einer Gemeinde erfolgt eine Gliederung der Gemeinden in 3 Ortsklassen. Bei Einreihung in die Ortsklasse I oder II muss, bei Einreihung in 38 39
§ 8 Abs 2 Ktn FrVG. Die Übertragung der Aufgaben erfolgt durch Abschluss eines Vertrages zwischen Gemeinde und Verein/juristischer Person, wobei die Verpflichtung zur Wahrung, Förderung und Vertretung der örtlichen Belange des Fremdenverkehrs vom Verein übernommen wird. Daneben muss zB noch ein Überprüfungsrecht der Gemeinde hinsichtlich der wirtschaftlichen Verwendung der von der Gemeinde zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel Bestandteil des Vertrages sein, ebenso muss das Organisationsrecht des Vereines eine interne Kontrolle vorsehen.
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die Ortsklasse III kann eine Tourismuskommission eingerichtet werden. Diese Tourismuskommission hat Beratungsfunktion für die Gemeinde und setzt sich aus Vertretern der örtlichen Tourismusinteressenten zusammen. Die Entsendung der Mitglieder in die Tourismuskommission erfolgt durch die Kammer der gewerblichen Wirtschaft für NÖ, die Kammer für Arbeiter und Angestellte für NÖ, die örtliche Bezirksbauernkammer, die Gemeinde und - falls vorhanden - den örtlichen Fremdenverkehrsverein. Die Funktionsperiode der Tourismuskommission stimmt mit der des Gemeinderates überein. Die Tourismuskommission hat sich eine Geschäftsordnung zu geben, die jedenfalls Bestimmungen betreffend die durch VO vorgegebenen Punkte aufweisen muss.40 Vorarlberg verpflichtet die Gemeinden und das Land als Träger von Privatrechten zur Förderung des Tourismus. Die Gemeinden, in denen der Tourismus von besonderer Bedeutung ist, können durch Beschluss der Gemeindevertretung zu Tourismusgemeinden erklärt werden. Tourismusgemeinden, die eine durchschnittliche Gästenächtigungszahl von 100.000 überschreiten, sollen zur Erfüllung der Tourismusaufgaben eine wirtschaftliche Unternehmung betreiben, oder sich an einer GmbH oder an einem Verein mehrheitlich beteiligen. Unter den Voraussetzungen, dass eine Tourismusgemeinde Tourismusbeiträge einhebt und eine bestimmte durchschnittliche Gästenächtigungszahl in der Gemeinde erreicht wurde, muss zur Erfüllung der Tourismusaufgaben eine dazu besonders befähigte Person damit betraut werden. Die Festlegung, wann eine solche besondere Befähigung vorliegt, trifft die Landesregierung mit Verordnung.41 Die Tourismusförderung in Wien hat der Wiener Tourismusverband zu besorgen. Zu den Organen des Verbandes zählen die Tourismuskommission und die Fachausschüsse, der Präsident und zwei Vizepräsidenten, der Generalsekretär und der Rechnungsprüfer. Die Tourismuskommission besteht aus dem Präsidenten, 14 von der Wiener Landesregierung entsendeten Mitgliedern und jeweils einem von der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien und der Wiener Landwirtschaftskammer entsendeten Mitglied. Ihre Funktionsperiode entspricht der des Wiener Landtages. Die Tourismuskommission wählt den Präsidenten und die Vizepräsidenten, bestellt den Generalsekretär und die Fachausschüsse. Ihr obliegt auch die Genehmigung des Voranschlages der geplanten Ausgaben und Einnahmen des Verbandes für das folgende Rechnungsjahr. Der Präsident vertritt den Verband nach außen, der Generalsekretär führt die laufenden Geschäfte und die Funktion des Rechnungsprüfers wird durch das Kontrollamt der Stadt Wien ausgeübt. § 19 des WTFG sieht eine Auskunftspflicht von für die Tourismusförderung bedeutsamen Informationen für Inhaber von Reisebüros, Verkehrsunternehmungen, Gast- und Schankgewerbebetrieben, Veranstaltungsbetrieben und konzessionierten Fremdenführern vor. Weiters haben Veranstalter einer Tagung/eines Kongresses die Durchführung einer derartigen Veranstaltung dem Verband zu melden. Per Verordnung42 des Landeshauptmannes von Wien wurde auf der Grundlage von § 166 Abs 7 GewO43 festgelegt, dass das Land Wien eine Tourismusregion bildet, zum 40 41 42 43
VO über die wesentlichen Inhalte einer Geschäftsordnung für die Tourismuskommission (LGBl 7400/25-0 Stammverordnung 91/91 1991-08-02). VO der Landesregierung über die Befähigung von Personen, die mit der Besorgung der Aufgaben des Tourismus betraut sind (LGBl 1997/12). VO des Landeshauptmannes von Wien betreffend die Festlegung einer Tourismusregion in Wien (LGBl 1994/28). Diese Bestimmung sollte insbesondere Fremdenverkehrsverbänden zugute kommen und sie wohl insoweit begünstigen, als sie nicht einen Befähigungsnachweis für die
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Zweck der Erlangung einer auf die Vermittlung und die Besorgung von Unterkunft und Verpflegung beschränkten Gewerbeberechtigung. Diese Verordnung ist jedoch mittlerweile durch die Änderung der GewO obsolet geworden. Eine solche Gewerbeberechtigung für Reisebürogewerbe konnte nach alter Rechtslage nur für einen Standort einer Gemeinde innerhalb einer Tourismusregion begründet werden, nunmehr sind solcherart beschränkte Gewerbeberechtigungen nicht mehr auf Tourismusregionen beschränkt, sondern es besteht für das Reisebürogewerbe die Möglichkeit, eine Gewerbeberechtigung für jegliche Teiltätigkeit anzustreben44. Die Aufgaben der Gemeinde (oder der juristischen Person, derer sich die Gemeinde bedient) hinsichtlich der Tourismusförderung sind in den diversen Landesgesetzen unterschiedlich konkretisiert. Teils erschöpft sich die Erläuterung der Aufgaben in einer Formulierung, wonach die Gemeinde „verpflichtet [ist], den [...]Tourismus zu fördern“45. Es finden sich in anderen Fremdenverkehrsgesetzen jedoch auch demonstrative Aufzählungen von Aufgaben der Gemeinde im Bereich des Tourismus. Bspw nennt § 5 Abs 3 lit a) NÖ TG als Aufgaben die Gästebetreuung vor Ort, das Veranstaltungswesen und die Ortsbildpflege.
Konkreter formuliert § 8 Abs 3 lit d) Z 1-8 Ktn FrVG, was die Gemeinden zur Tourismusförderung zu unternehmen haben, wo unter anderem auch die Markt- und Grundlagenforschung, Öffentlichkeitsarbeit, Sorge für die Produktion von Werbemitteln und Führung einer geeigneten Koordinations- und Informationsstelle aufgezählt werden. Letztendlich bleibt es der Gemeinde innerhalb der gesetzlichen Grenzen selbst überlassen, die geeigneten Maßnahmen zur Förderung des Tourismus zu ergreifen.46
bb) Die Tourismusverbände (Körperschaften öffentlichen Rechts) In den Bundesländern Steiermark, Salzburg, Tirol47, Burgenland und Oberösterreich sind Tourismusverbände zu bilden, die Körperschaften öffentlichen Rechts sind. Gesetzliche Mitglieder sind die Tourismusinteressenten, die unmittelbar oder mittelbar einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Tourismus ziehen. Das Vorliegen eines mittelbaren wirtschaftlichen Nutzens wird vom VfGH dann angenommen, „wenn durch den Fremdenverkehr in einem örtlichen Bereich eine Hebung der wirtschaftlichen Lage eintritt, weil diese dann erfahrungsgemäß auf andere Geschäftszweige belebend wirke“.48 Ein
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volle Gewerbeberechtigung erbringen mussten, sondern dass dieser auf die Teiltätigkeit beschränkt werden konnte. S auch Grabler/Stolzlechner/Wendl, § 166, Rz 18; VfSlg 14611/1996. Grabler/Stolzlechner/Wendl2, § 126, Rz 8 und 15. § 1 Abs 1 Vbg TG. Näher dazu Steindl, 36. Tirol bildet jedoch seit Inkrafttreten des Tiroler Tourismusgesetzes 2006 mit 1.3.2006 insofern einen Sonderfall, als nur noch regionale Tourismusverbände zu errichten sind und somit auf eine Organisationsebene, die „örtliche Fremdenverkehrsverwaltung“, verzichtet wird. VfSlg 9008/1981; s auch zum mittelbaren Vorteil VwSlg 3347 A/1954. Entsprechend dem Erk des VwGH vom 7.10.2005, 2001/17/0153 geht es nicht darum, ob ein Unternehmen Umsätze in dem Bundesland erzielt, sondern ob und in welcher Weise die in dem Bundesland erzielten Umsätze vom dortigen Fremdenverkehr beeinflusst sind.
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unmittelbarer Nutzen ist dann gegeben, wenn „die Fremden direkt mit der betreffenden Person in wirtschaftliche Beziehungen treten“.49 Die Errichtung eines Tourismusverbandes erfolgt entweder durch VO der Landesregierung50 oder aber ex lege51. Die Unternehmer52 einer Gemeinde (in der sie Sitz oder Betriebsstätte haben) sind Pflichtmitglieder im örtlichen Tourismusverband, jedoch ist auch freiwillige Mitgliedschaft möglich. Das Gebiet eines Tourismusverbandes umfasst in den meisten Fällen das Gebiet einer Gemeinde, es können aber auch mehrere Gemeinden zu einem Verband zusammengefasst werden.53 Es besteht weiters die Möglichkeit, dass nur Teile einer Gemeinde einen Tourismusverband bilden.54 Hinsichtlich der Aufgaben des Tourismusverbandes bestehen in Salzburg und der Steiermark weitgehend ähnliche Regelungen.55 Demonstrativ sind dort 49 50
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VwSlg 3347 A/1954. § 4 Sbg TG; Stolzlechner, 4 sieht in der im § 4 Sbg FVG (nunmehr Sbg TG) vorgesehenen Mitbestimmungsmöglichkeit der potentiellen Pflichtmitglieder verfassungsrechtliche Probleme iZm der Bindung der Landesregierung als oberstes Verwaltungsorgan an das Abstimmungsergebnis der zukünftigen Mitglieder des Fremdenverkehrsverbandes, er kommt jedoch zu dem Schluss, dass eine Mitsprache sachlich gerechtfertigt werden kann. Auch nach § 3 Bgld TG ist nach „Anhörung“ der Gemeinde durch VO der Landesregierung ein Tourismusverband zu bilden. In den Ortsklassen I-III kommt dabei den Unternehmern kein Mitspracherecht zu, in Gemeinden der Ortsklasse IV kann die Landesregierung durch VO einen Tourismusverband errichten, „wenn sich die Mehrheit der Unternehmer dafür ausspricht und dies im Interesse des Tourismus gelegen ist“. § 4a Abs 3 Oö TG behält - nach einer grundlegenden Änderung des Gesetzes - die Errichtung und Auflösung eines Tourismusverbandes einer VO der Landesregierung vor. Durch die Einstufung einer Gemeinde in eine der Ortsklassen A, B, C oder Statutarstadt wird gem § 4 Abs 1 Stmk TG ein Tourismusverband gebildet. Die Tourismusgesetze der Bundesländer Steiermark und Oberösterreich sehen vor, dass die Landesregierung regelmäßig (alle sieben bzw zehn Jahre) die Bedeutung einer Gemeinde für den Tourismus festzustellen und dementsprechend eine Einreihung der Gemeinden in Ortsklassen (A, B, C, D) vorzunehmen hat. Die Kriterien sind dabei Nächtigungszahl, Nächtigungsintensität und spezifischer Tourismusumsatz (s § 2 Stmk TG, § 2 Oö TG). In manchen Landes-Tourismusgesetzen werden sie auch als Tourismusinteressenten bezeichnet. Unter Bezugnahme auf § 2 UStG 1994 wird für das Vorliegen der Unternehmereigenschaft auf die selbständige Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit abgestellt. Daneben ist ein unmittelbares oder mittelbares wirtschaftliches Interesse am Tourismus des Landes und Sitz oder Standort in einer Gemeinde des Landes erforderlich. S § 1 Z 5 Stmk TG, § 2 Abs 1 Sbg TG, § 1 Z 5 Oö TG. Im Unterschied dazu definiert das Bgld TG in § 3 Abs 6 Unternehmer als jene natürlichen Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts, juristische Personen und eingetragenen Erwerbsgesellschaften, die im Gemeindegebiet eine oder mehrere der im Anhang (Beitragsgruppen A bis C) des Gesetzes angeführten Tätigkeiten ausüben. IVm § 3 Abs 1 Bgld TG ist aber auch hier unmittelbares oder mittelbares wirtschaftliches Interesse am Tourismus und Ansässigkeit in der Gemeinde Voraussetzung für die Pflichtmitgliedschaft im Tourismusverband. Diese Möglichkeit ist in den folgenden Bestimmungen vorgesehen: § 4a Abs 1 Oö TG, § 1 Abs 1a Sbg TG, § 4 Abs 3 Stmk TG. Es sieht also lediglich das Bgld TG von einer solchen Regelung ab. S § 5 Sbg TG Vgl § 1 Abs 4 lit a)-h) Sbg TG, § 4 Abs 4 lit a)-h) Stmk TG.
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die Aufgaben des Tourismusverbands „zur Wahrung, Förderung und Vertretung der örtlichen Belange des Tourismus“ aufgeführt, wie zB die Organisation des Tourismus im Ort, die Betreuung der Gäste, die Koordination der Einzelangebote, die Erstellung von Konzepten für die Entwicklung des Tourismus sowie die Werbung56 und die Verkaufsförderung des Tourismus genannt. Innerhalb der gesetzlichen Grenzen weitere Maßnahmen zur Förderung des Tourismus zu ergreifen, steht im Ermessen des Tourismusverbandes. Weniger konkret formuliert der Burgenländische Landesgesetzgeber, durch welche Maßnahmen „die Stärkung des Tourismus“57 umgesetzt werden soll. Es werden Marktforschung, Beratung bei der Schaffung des Angebotes, Entwicklung einer positiven Tourismusgesinnung in der Bevölkerung, Unterstützung des Vertriebes, Erarbeitung von Werbelinien und Verbesserung der touristischen Infrastruktur genannt. Jedoch sind zur Umsetzung nicht nur die örtlichen und regionalen Tourismusverbände berufen, sondern auch der Landesverband „Burgenland Tourismus“ und die Landesregierung.58 Insbesondere obliegen den Tourismusverbänden und auch den Regionalverbänden organisatorische und finanzielle Maßnahmen, die erforderlich sind, um der Förderung des Tourismus Rechnung zu tragen.59 Noch allgemeiner lautet die Regelung des § 4 Abs 2 Oö TG, in dem die Verpflichtung der Tourismusverbände, für „die Durchführung und Anregung von Maßnahmen, die geeignet sind, dem Tourismus und der Freizeitwirtschaft zu dienen oder sie zu steigern“, erwähnt wird. Weiters obliegt den oberösterreichischen Tourismusverbänden die Unterstützung und Förderung ebensolcher Maßnahmen, die von Dritten ausgehen. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben hat sich der Tourismusverband am Landes-Tourismuskonzept zu orientieren. Die Organe eines Tourismusverbandes sind: Vollversammlung (Bgld, OÖ, Sbg, Stmk), Tourismuskommission (OÖ, Stmk)/Ausschuss (Sbg), Vorstand (Bgld, OÖ, Sbg), Vorsitzender (OÖ, Stmk, Sbg)/Obmann (Bgld) und Rechnungsprüfer (Bgld, OÖ, Stmk)/Finanzkontrollausschuss (Salzburg). Darüber 56
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In Zusammenhang mit der umsatzsteuerlichen Behandlung der Werbetätigkeit von Tourismusverbänden und Fremdenverkehrsvereinen wurde mit Erlass des BM f Finanzen vom 3. 3. 1998, O 23/1-IV/9/98 (Erlass), deren Tätigkeit als dem unternehmerischen Bereich zugerechnet, sofern die Umsätze aus der Werbetätigkeit die relevante 40.000 S-Grenze (nunmehr EUR 2.900) übersteigen. Die über die Werbetätigkeit hinausgehende Aufgabenerfüllung ist jedoch weiterhin als nichtunternehmerisch zu beurteilen. Würde auch die Werbetätigkeit als nichtunternehmerisch beurteilt werden, würde dies nach Ansicht des BM f Finanzen zu Wettbewerbsverzerrungen führen und wäre mit der 6. EG-Richtlinie nicht vereinbar. Dadurch konnten seit 1998 Tourismusverbände Vorsteuern von Prospekten, Werbereisen, Veranstaltungen, Maßnahmen der Ortsgestaltung etc. in Anspruch nehmen. Diese Möglichkeit wurde jedoch durch die UStRL 2000 wiederum eingeschränkt. Ab 1.1.2001 sind Vorsteuern iZm Maßnahmen zur Ortsgestaltung und Infrastrukturmaßnahmen, soweit diese unentgeltlich erfolgen und damit keinem Betrieb gewerblicher Art zuzuordnen sind, nicht abzugsfähig. S dazu auch BMF 16.4.2002, Z/09/4501/6IV/9/02 (Erlass). Vgl § 1 Abs 2 Bgld TG. Vgl § 2 Bgld TG. Vgl § 16 Bgld TG.
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hinaus ist in Oberösterreich für Tourismusverbände, deren Einnahmen aus Interessentenbeiträgen und Tourismusförderungsbeiträgen oder Kurtaxen 350.000 Euro pro Haushaltsjahr regelmäßig übersteigen, ein Tourismusdirektor zu bestellen60. Die Vollversammlung besteht aus allen Mitgliedern des Tourismusverbandes.61 Sie ist das oberste Organ des Tourismusverbandes und jedes Mitglied hat Sitz und Stimme. Die Abstimmung erfolgt nach dem Prinzip der Stimmengleichheit, lediglich das Tir TG sieht eine Art Kurienwahlrecht vor.62 Die Stimmen der Pflichtmitglieder, die eine höhere Beitragsleistung zu erbringen haben, haben auch größeres Gewicht.63 Die Vollversammlung entscheidet zB über die Vereinbarungen über den Zusammenschluss zu einem regionalen Verband64, Festsetzung einer zeitlich begrenzten Erhöhung des Promillesatzes65 bzw des Interessentenbeitrages66. Zu ihren Aufgaben67 zählt auch die Wahl der Mitglieder in die Tourismuskommission bzw den Ausschuss, Wahl der Rechnungsprüfer bzw des Finanzkontrollausschusses, Genehmigung des Jahresabschlusses etc. Die in Oberösterreich und der Steiermark bestehenden Tourismuskommissionen und das ihnen entsprechende Organ in Salzburg, der Ausschuss, werden von der Vollversammlung gewählt. Daneben gehören diesen Gremien als Mitglieder noch der Bürgermeister der jeweiligen Tourismusgemeinde68 und/oder sonstige Vertreter der Gemeinde69 an. Auf diese Weise haben Gemeindevertreter die Möglichkeit, auch auf für die Gemeinde bedeutsame Entscheidungen Einfluss zu nehmen und so die organisatorische Trennung der Tourismusverbände von der Gemeinde zumindest zu überbrücken.70 Das Oö TG formuliert in 60 61
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S § 5 Oö. TG Im Burgenland gehören gem § 5 Abs 1 Bgld TG zusätzlich zu den Mitgliedern des Tourismusverbandes noch drei von der Gemeinde in den Vorstand entsendete Mitglieder der Vollversammlung an. Vgl. § 7 Tir TG. Über die Zulässigkeit dieses Wahlmodus hat sich der VfGH in VfSlg 5811/1968 geäußert: „Die österreichische Verfassung enthält keine Regelung über die Willensbildung in Körperschaften öffentlichen Rechtes, die nicht Gebietskörperschaften sind; es läßt sich aus ihr auch nicht ableiten, dass sich die Willensbildung in solchen Körperschaften allgemein nach dem Grundsatz der linearen Gleichheit gestalten müsse, es kann nicht als unsachlich erkannt werden, wenn der Gesetzgeber den Pflichtmitgliedern nicht das gleiche Stimmrecht, sondern ein nach ihrem wirtschaftlichen Interesse am Fremdenverkehr und ihrer darauf beruhenden Beitragsleistung abgestuftes Stimmrecht einräumt.“ § 11 lit g) Sbg TG. § 11 lit c) Sbg TG. § 12 Z 2 Stmk TG. Ausführlicheres dazu s § 5 Abs 1 Bgld TG, § 10 Oö TG, § 11 Sbg TG, § 12 Stmk TG. § 11 Abs 3 Oö TG, § 13 Abs 3 Stmk TG. § 11 Abs 3a Oö TG, § 12 Abs 4 Sbg TG, § 13 Abs 4 Stmk TG; § 11 Abs 4 Oö TG sieht auch die Möglichkeit der Entsendung von Vertretern der Wirtschaftskammer Oberösterreich, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich und der Landwirtschaftskammer für Oberösterreich in die Tourismuskommission vor, jedoch nur mit beratender Stimme. S dazu Stolzlechner, 6.
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§ 15 spezielle Aufgaben, die der Tourismuskommission obliegen, wie die Errichtung und Auflassung einer Geschäftsstelle, Bestellung eines Tourismusdirektors, Erwerb und Veräußerung von Liegenschaften, Aufnahme und Gewährung von Darlehen und Krediten, Genehmigung des Voranschlages und Genehmigung des Jahresabschlusses, etc. Dabei handelt es sich um Aufgaben, die in den anderen Ländern teilweise von der Vollversammlung zu erledigen sind. Ebenso zählt das Sbg TG spezielle Aufgaben des Ausschusses auf, bloß das Stmk TG weist mittels Generalklausel der Tourismuskommission jene Aufgaben zu, die nicht einem anderen Organ oder einem Geschäftsführer vorbehalten sind.71 Der Vorstand hat alle Angelegenheiten zu besorgen, die keinem anderen Organ zugewiesen wurden.72 Der Vorsitzende oder Obmann des Tourismusverbandes wird vom Vorstand bzw. der Tourismuskommission gewählt und vertritt den Verband nach außen. In der Vollversammlung und im Vorstand führt er den Vorsitz. Er ist an die Beschlüsse der Vollversammlung und des Vorstands gebunden. Die Tourismusgesetze von Salzburg und der Steiermark sehen als Aufgabe für ihn auch die Leitung der Verwaltung des Tourismusverbandes vor. Der ebenfalls durch die Tourismuskommission zu wählende Finanzreferent ist für die Haushalts- und Vermögensverwaltung des Tourismusverbandes zuständig.73 Die Rechnungsprüfer/der Finanzkontrollausschuss haben die laufende Gebarung und den Jahresabschluss des Tourismusverbands auf ihre Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit sowie auf die Übereinstimmung mit dem Voranschlag hin zu überprüfen. Seit dem Inkrafttreten der Novelle LGBl 2003/12 mit 1.1.2003 in Oberösterreich ist bei Tourismusverbänden, deren Einnahmen aus Interessentenbeiträgen und Tourismusförderungsbeiträgen oder Kurtaxen 350.000 Euro pro Haushaltsjahr regelmäßig übersteigen, ein Tourismusdirektor zu bestellen. Der Tourismusdirektor ist hauptberuflich für jeweils höchstens vier Jahre zu bestellen.74 Eine Aufwandsentschädigung bzw ein Auslagenersatz wird für die tätigen Organe zB in§ 18 Tir TG § 14 Abs 7 Oö TG und § 21 Sbg TG vorgesehen.
Die Aufsicht über die Tourismusverbände hat die Landesregierung75. Eine Ausnahme bildet hier das Burgenland, wo keine direkte Aufsicht der Landesregierung über die Tourismusverbände vorgesehen ist. Eine „staatliche Aufsicht“ ist aber durch die Konstruktion der Besetzung der Vollversammlung76 und des Vorstands gewährleistet, indem in diese Organe drei Gemeindemitglieder zu entsenden sind. 71 72 73 74
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§ 16 Abs 1 Sbg TG, § 17 Abs 1 Stmk TG. § 16 Abs 4 OÖ TG, § 18 Sbg TG, § 6 Abs 3 Bgld TG; s auch Stolzlechner, 5. § 18 Abs 5 Stmk TG. § 18 Oö TG. Die Erl Bem (GP XXV RV 1532/2002 AB 1607/2002) sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Impuls in Richtung modernes Management und Professionalität in der Tourismusverwaltung“. § 55 Sbg TG, § 29 Oö TG, § 26 Stmk TG, §§ 39ff TG. §§ 5 und 6 Bgld TG.
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Der Tourismusverband kann einen Geschäftsführer bestellen. In manchen Fällen besteht allerdings eine Verpflichtung dazu. So ist zB im Burgenland77 beim Überschreiten einer bestimmten Gästenächtigungszahl die Bestellung eines hauptberuflichen Geschäftsführers vorgesehen. Dieser hat die Geschäftsstelle zu leiten, ist für die Konzeptentwicklung und die Erfüllung der Aufgaben (nach Beschlussfassung der dafür zuständigen Organe) des Tourismusverbands verantwortlich. b) Die regionale Fremdenverkehrsverwaltung Sehr verschieden stark ausgeprägt ist die regionale Fremdenverkehrsverwaltung. In einigen Bundesländern ist praktisch keine Regelung diesbezüglich vorhanden, in anderen wiederum weist das Gesetz den Tourismusregionen eine Reihe von Aufgaben zu. Allen voran ist hier wohl Tirol zu nennen, das im Zuge einer Neuregelung des Tourismusgesetzes nunmehr die Ebene der örtlichen Fremdenverkehrsverwaltung ausspart und vorsieht, dass regionale Tourismusverbände flächendeckend für das gesamte Landesgebiet durch die Landesregierung mit Verordnung zu errichten sind.78 Gem § 3 Tir TG obliegen den Tourismusverbänden die Wahrung, Förderung und Vertretung der örtlichen und regionalen Belange des Tourismus. Die gesetzlichen Regelungen entsprechen im Wesentlichen dem bereits unter 2.a)bb) Erwähnten, so zB in Bezug auf die Pflichtmitgliedschaft zum Tourismusverband, die Aufgaben und die Organe79 des Tourismusverbands. Die Möglichkeit des Aufsichtsrates, für Teile des Verbandsgebietes Ortsausschüsse zu errichten, kann über eine beratende und unterstützende Funktion dieser Ortsausschüsse innerhalb des Tourismusverbands eine gewisse Einflussnahme in Bezug auf die Förderung der örtlichen Belange des Tourismus herbeiführen.80 Die burgenländischen Regionalverbände sind als Körperschaften öffentlichen Rechts eingerichtet. Auch für die Regionalverbände sind als Organe - den örtlichen Tourismusverbänden entsprechend - die Vollversammlung, der Vorstand, der Obmann und zwei Rechnungsprüfer vorgesehen.81 Oberösterreich hat eine davon zu unterscheidende Möglichkeit der regionalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs geschaffen, und zwar die freiwillige Tourismusverbändegemeinschaft, die ebenso eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist.82 Durch sie soll eine Zusammenarbeit von Tourismusverbänden und Gemeinden, die keine Tourismusgemeinden sind, ermöglicht werden. 77 78
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§ 15 Bgld TG. § 1 Tir TG. Die Tourismusverbände sind als Körperschaften öffentlichen Rechts einzurichten und die Anzahl der Tourismusverbände sowie die Abgrenzung der Verbandsgebiete haben sich am Ziel der Schaffung leistungsfähiger Tourismusverbände zu orientieren. § 6 Tir TG; als Organe sind die Vollversammlung, der Aufsichtsrat, der Vorstand, der Obmann und der Geschäftsführer zu nennen. §§ 20, 21 Tir TG. Auch die den Regionalverbänden zugewiesenen Aufgaben sind mit denen der örtlichen Tourismusverbände identisch (§ 16 Bgld TG). § 21 Abs 2 Oö TG.
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In Tirol ist eine überregionale Zusammenarbeit geboten, wenn die Aufgaben durch mehrere Tourismusverbände gemeinsam zweckmäßiger, sparsamer, wirtschaftlicher und marktgerechter erfüllt werden können.83 Dies können zB gemeinsame Marketingmaßnahmen oder auch die Abstimmung der tourismusstrategischen Planung oder die Abstimmung der Gestaltung des touristischen Angebots von überregionaler Bedeutung sein. In der Steiermark kann die regionale Zusammenarbeit der Tourismusverbände nach Maßgabe der vorgesehenen Mittel vom Land gefördert werden.84 Die Träger der regionalen Fremdenverkehrsförderung sind in Niederösterreich die Tourismusverbände85 und die Tourismusregionen86. Die Salzburger Regelung enthält nur einen Hinweis auf einen möglichen freiwilligen Zusammenschluss von Fremdenverkehrsverbänden. § 4 Abs 9 und 10 Sbg TG erwähnen den „Zusammenschluss von Fremdenverkehrsverbänden zu einem regionalen Verband“ und den „Beitritt eines Fremdenverkehrsverbands zu einem regionalen Verband“, es findet sich im Gesetz jedoch keine weitere Regelung zB über Aufgaben eines solchen regionalen Verbandes. § 1 Abs 1 Vbg TG enthält nur die Verpflichtung des Landes, auf die regionale Zusammenarbeit Bedacht zu nehmen. Kärnten hat auf jegliche Regelung bezüglich regionaler Zusammenarbeit verzichtet. Wien beschränkt sich auf einen Tourismusverband. Primäres Anliegen einer regionalen Zusammenarbeit ist, Marketingmaßnahmen für Regionen besser abstimmen und bündeln zu können und dadurch einen effektiven Einsatz der vorhandenen Mittel zu gewährleisten. c) Die Fremdenverkehrsverwaltung auf Landesebene In Oberösterreich87 und im Burgenland88 sind eigene Landesverbände als Körperschaften öffentlichen Rechts eingerichtet, denen konkrete Aufgaben zugewiesen sind. 83 84 85
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§ 4 Tir TG. Darüber hinaus ist auch eine Zusammenarbeit mit dem Verein Tirol Werbung anzustreben. § 6 Abs 1 Stmk TG. Der Tourismusverband ist eine Vereinigung von in einem geographisch geschlossenen Gebiet liegenden Gemeinden. Zu seinen Aufgaben zählen nach § 6 Nö TG die Aufbereitung eines touristischen Angebots, die Beratung der Gemeinden und der Tourismusinteressenten, die Werbung und die Vertretung des Verbandes in den Regionen. Die Tourismusregion ist eine Vereinigung der in einem geographisch geschlossenen Gebiet liegenden Tourismusverbände. Ihre Aufgabe ist gem § 7 Nö TG die Erstellung und die Bewerbung eines touristischen Angebots für die gesamte Region. §§ 22 ff Oö TG. Der Landes-Tourismusorganisation gehören die Tourismusverbände und die Tourismus-Verbändegemeinschaften an. Sie führt die Bezeichnung „Oberösterreich Tourismus“. Ihre Organe sind die Generalversammlung, der Landes-Tourismusrat und der Vorstand. Stimmberechtigte Mitglieder in der LandesTourismusorganisation sind ua zwei Vertreter aus dem Kreis Mitglieder der Tourismusverbände, Vertreter der im Landtag vertretenen Parteien, das für Tourismusangelegenheiten zuständige Mitglied der Landesregierung und der Vorsitzende des Landes-Tourismusrates. § 17 Bgld TG. Dem Landesverband „Burgenland Tourismus“ gehören die Tourismusverbände und die Regionalverbände als Pflichtmitglieder an. Seine Organe sind
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Dies sind in Oberösterreich insbes die Förderung des Tourismusmarketing, der Tourismusentwicklung und die Schulung und Weiterbildung der Mitarbeiter in den Tourismusorganisationen.Überdies ist alle vier Jahre ein LandesTourismuskonzept zu erstellen. Den finanziellen Aufwand der LandesTourismusorganisation trägt das Land Oberösterreich.89 Das Bgld TG nennt als vom Landesverband zu erfüllende Aufgaben zB Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen der Tourismusverbände, Anregung und Durchführung von Maßnahmen, die den Tourismus landesweit betreffen, Beratung und Unterstützung der Tourismusverbände und die Festlegung von Richtlinien der Tourismusverbände.90 Während sich in den Tourismusgesetzen Salzburgs, Kärntens und Wiens keine besonderen Regelungen betreffend die Aufgaben des Landes im Zusammenhang mit dem Tourismus finden lassen, weisen Tirol, die Steiermark und Vorarlberg Bestimmungen auf, wonach das Land als Träger von Privatrechten den Tourismus fördern kann bzw. muss.91 Auch nach § 2 Nö TG ist das Land zur Pflege des Tourismus berufen. Vom Land können den Gemeinden, Tourismusverbänden und Tourismusregionen aber auch sonstigen Förderungswerbern finanzielle Mittel zuerkannt werden, um Tourismusvorhaben und Marketingmaßnahmen zu finanzieren.92 In diesem Zusammenhang ist sicherlich auch der NÖ Wirtschafts- und Tourismusfonds93 zu erwähnen. Dieser Fonds mit eigener Rechtspersönlichkeit ist zur Durchführung aller Maßnahmen, die der Förderung der gewerblichen Wirtschaft sowie des Tourismus und der Freizeitwirtschaft dienen, eingerichtet und wird von der NÖ Landesregierung verwaltet. Neben Betrieben der gewerblichen Wirtschaft und Tourismus- und Freizeitbetrieben können auch Gemeinden und Vereine, die Tourismusfördermaßnahmen ergreifen, Förderungswerber sein. Aufgabe des Fonds ist ua die Gewährung von zinsenlosen oder zinsenbegünstigten Darlehen oder Krediten. Auch das Land Steiermark hat zur Förderung des Tourismus einen Landesfonds eingerichtet, der von der Landesregierung verwaltet wird.94 Tourismusförderungsfonds existieren darüber hinaus auch in Salzburg und Tirol, wobei das Kuratorium bzw. die Fondskommission ua von Vertretern des Landes und der Kammern beschickt werden.95 In Tirol besteht zur Beratung der Landesregierung in grundsätzlichen Fragen des Tourismus der Landestourismusrat96, dem Vertreter von Ministerien, des Landtags, der Interessenvertretungen, etc angehören.
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die Tourismuskonferenz, der Vorstand, die Präsidenten und die Rechnungsprüfer. Als Mitglieder der Tourismuskonferenz sind Delegierte der Tourismusverbände, Mitglieder des Vorstands, Obmänner der Regionalverbände und Vertreter der Kammern zu nennen. § 44 Abs 2 Oö TG. S §17 Abs 3 Bgld TG. § 5 Tir TG, § 6 Abs 1 Stmk TG, § 1 Vbg TG. §§ 8, 9, 10 Nö TG. NÖ Wirtschafts- und Tourismusfondsgesetz (LGBl 7300-2) §§ 39a ff Stmk TG. §§ 43 ff Tir TG sowie §§ 44 ff Sbg TG. § 44 Tir TG.
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3. Abgaben Die Ausgaben für die Fremdenverkehrsverwaltung werden vor allem aus dem Aufkommen der Interessentenbeiträge und der Ortstaxen finanziert. a) Interessentenbeiträge Zur Finanzierung der Tourismusverbände bzw der Gemeinden - also der örtlichen Fremdenverkehrsverwaltung - werden die Interessentenbeiträge eingehoben. Es handelt sich dabei um jährlich zu entrichtende umsatzabhängige Beiträge. Die Abgabepflichtigen sind die Tourismusinteressenten/Pflichtmitglieder eines Tourismusverbandes.97 Freiwillige Mitglieder haben den Mindestbeitrag zu entrichten. Mangels Mitgliedern werden vom Wiener Tourismusverband keine Interessentenbeiträge eingehoben. In Bundesländern wie Vorarlberg und Kärnten, in denen keine Tourismusverbände bestehen, sondern die örtliche Fremdenverkehrsverwaltung den Gemeinden obliegt, sind die Abgabepflichtigen alle selbständig Erwerbstätigen, die den Standort in der Gemeinde haben. Vielfach sind Ausnahmen von der Abgabepflicht vorgesehen. So sind bspw die Gebietskörperschaften98 von der Abgabepflicht befreit. Eine im § 7b) Ktn FrAbgG vorgesehene Abgabebefreiung der Österreichischen Bundesbahnen wurde vom VfGH als gleichheitswidrig beurteilt und aufgehoben.99 Die Regelung des Ktn FrAbgG100 , das „Mauten, Benützungsgebühren oder Abgaben für die Benützung von Bundesstraßen“ vom abgabepflichtigen Umsatz ausnimmt, ist im Einklang mit dem Urteil des VfGH101 vom 4.3.2005, B1678/03. In Niederösterreich trifft die Abgabepflicht physische und juristische Personen, sowie Personengesellschaften des Handelsrechts.102 Die Beitragshöhe wird aus einem bestimmten Prozentsatz vom abgabepflichtigen Umsatz errechnet, der je nach Beitragsgruppe und Ortsklasse unterschiedlich ist. 97
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Im § 43 Sbg TG werden von Unternehmern von Gemeinden, in denen kein Tourismusverband besteht, und die bei Bestehen eines solchen als Pflichtmitglieder in Betracht kämen, „Tourismusbeiträge“ eingehoben. Dies im Ausmaß von einem Drittel der Verbandsbeiträge. Die Mittel fließen nach Abzug einer Einhebungsvergütung zur Gänze an den Tourismus-Förderungsfonds. § 7 Abs 4 Vbg TG, § 7a) Ktn FrAbgG. VfSlg 15267/1998; der VfGH konnte „keine sachliche Rechtfertigung“ für jene Ausnahmebestimmung erkennen, die „die Österreichischen Bundesbahnen in bezug auf die Kärntner Fremdenverkehrsabgabe anders als andere selbständig Erwerbstätige, die aus dem Fremdenverkehr Nutzen ziehen, behandelt [...], welche Transportleistungen oder andere Infrastrukurleistungen erbringen“. LGBl 2005/95 In den Urteilen des VfGH B 536/05 vom 28.11.2005 und B1678/03 vom 4.3.2005 thematisiert das Höchstgericht die Rücksichtnahmepflicht des Landesgesetzgebers, der zufolge „das allgemeine Interesse der Länder an einer Erhebung von Fremdenverkehrs- oder Tourismusabgaben“ nicht so schwer wiegt, wie das Interesse des Bundes, Mauteinnahmen der mit dem Bundesstraßenbau befassten Gesellschaften von Abgabenbelastungen frei zu halten, um die Mittel ungeschmälert ihrer eigentlichen Zweckbestimmung zuzuführen. § 13 Abs 1 Nö TG; so auch § 1 Z 5 Oö TG.
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Durch Beitragsgruppen(ver)ordnungen werden die Berufsgruppen der Unternehmer in Beitragsgruppen (meistens 1-7) eingeteilt.103 In welche Beitragsgruppe eine Berufsgruppe eingeteilt wird, ist jedoch seinerseits wieder abhängig von der Ortsklasse104, in die die jeweilige Gemeinde oder der Fremdenverkehrsverband eingereiht wurde. Maßgeblich für die Einreihung in Beitragsgruppen ist der unmittelbar oder mittelbar aus dem Tourismus erzielbare Nutzen der Pflichtmitglieder der jeweiligen Berufsgruppe. Je mehr Nutzen eine Berufsgruppe aus dem Fremdenverkehr zieht, desto höher ist die Beitragsgruppe, in die diese Berufsgruppe eingereiht wird. Der Jahresumsatz ist ein sachgerechtes Mittel zur Erfassung des Fremdenverkehrsnutzens.105 Im Erk VfSlg 7082/1973 hat der VfGH festgestellt, dass „der Umstand allein, dass das Verhältnis des Umsatzes zum Fremdenverkehrsnutzen und jenes des Fremdenverkehrsnutzens der in den einzelnen Gruppen zusammengefassten Unternehmenstypen zum Nutzen der jeweils einer anderen Gruppe zugeordneten Unternehmenstypen auch als Durchschnittsgrößen nicht exakt zu bestimmen sind, [...] eine Festlegung dieser Verhältnisse durch den Gesetzgeber noch nicht unsachlich oder willkürlich“ macht. Erzielt jedoch eine Berufsgruppe aus dem Fremdenverkehr weder mittelbar noch unmittelbar einen Nutzen und handelt es sich dabei um eine relevante Gruppe von Betroffenen und nicht nur um Einzelfälle, wie dies etwa bei Inhabern einer Konzession zur Beförderung von Schülern und Kindergartenkindern der Fall ist, so hat der Verordnungsgeber bei der Einreihung der Berufsgruppen darauf Bedacht zu nehmen.106
Für jede Beitragsgruppe ist ein gewisser Promillesatz festgelegt. Diesen wendet man auf die im zweitvorangegangenen Jahr im Bundesland erzielten steuerbaren Umsätze an, woraus sich dann der jährlich zu entrichtende Interessentenbeitrag ergibt. Die Einhebung erfolgt durch den Tourismusverband107, durch die Gemein108 de , das Amt der Landesregierung109, die Interessentenbeitragsstelle110 oder den Landesverband111.
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Zur Einstufung der Österreichischen Post AG in eine bestimmte Abgabengruppe als „Transportunternehmen“ aufgrund der Übereinstimmung der Tätigkeit mit der einer anderen explizit angeführten Transportunternehmung, und zwar Spediteuren, s VwGH 2003/17/0037 v 26.02.2003. Die Einteilung der Ortsklassen in den jeweiligen OrtsklassenVO erfolgt meist nach den Kriterien Nächtigungsintensität und Nächtigungszahl. Gem § 3 Abs 4 Bgld TG ist die Einreihung in eine bestimmte Ortsklasse ferner abhängig vom Getränkesteueraufkommen. S VfSlg 6205/1970, wo der VfGH auch das frühere Erk VfSlg 5995/1969 zitiert, wonach eine Einbeziehung eines in anderen Bundesländern getätigten Umsatzes in die Bemessungsgrundlage einer zwischen dem Land und der Gemeinde geteilten Fremdenverkehrsabgabe sachlich nicht gerechtfertigt ist. Ebenso VfSlg 16.198/ 2001, demnach „nur der im jeweiligen Bundesland erzielte Umsatz in einem sachgerechten Verhältnis zum Fremdenverkehrsnutzen“ steht und inhaltlich gleichgelagert, das Erk des VfGH, VfSlg 17.384/2004, das die Einbeziehung von Außer-LandUmsätzen in die Bemessungsgrundlage des Fremdenverkehrsbeitrages als verfassungsrechtlich nicht zulässig erachtet. S VfSlg 13965/1994. § 31 Sbg FrVG. § 35 Abs 3 Stmk TG, § 12 Vbg TG, § 13 Nö TG, § 9 Ktn FrVAbgG, wobei in diesem Zusammenhang auch auf § 9a Ktn FrVAbgG zu verweisen ist, der die Möglichkeit von Vereinbarungen zwischen Abgabenbehörde und Abgabenschuldner ua
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Die Aufteilung der Abgabe ist wiederum von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Meist ist der Abzug einer Einhebungsvergütung vorgesehen (variiert zwischen 4 und 10%). Der Rest der Interessentenbeiträge gebührt entweder zur Gänze der Gemeinde112 oder dem Tourismusverband (je nachdem, wem die örtliche Tourismusförderung obliegt), oder es erfolgt eine Aufteilung auch auf Regional- und Landesverbände113. In Salzburg stehen 10% dem Tourismusförderungsfonds zu114. In Kärnten ist die Abgabe im Verhältnis 35:65 zwischen Land und Gemeinden aufzuteilen, wobei eine 4%ige Einhebungsvergütung vom 35%igen Landesanteil auch noch an die Gemeinden fließt. In der Steiermark hebt die Gemeinde im übertragenen Wirkungsbereich den Interessentenbeitrag ein, 8% davon gebühren aber als Einhebungsvergütung dem Land. Der Rest ist von der Gemeinde dem Tourismusverband anzuweisen.115
Die Abgabe ist in manchen Bundesländern vom Abgabepflichtigen selbst zu bemessen116 und entsprechend der Selbstbemessung an die einhebende Stelle abzuführen. Zu einer Vorschreibung der Abgabe durch Bescheid kommt es in diesem Fall nur bei Säumigkeit oder falscher Bemessung der Abgabe. In Tirol117, Kärnten118, Burgenland119 und Niederösterreich120 wird die Abgabe von der zur Einhebung berufenen Behörde berechnet, mit Bescheid vorgeschrieben und eingehoben. In Wien wird kein Interessentenbeitrag eingehoben. b) Ortstaxe Die Bezeichnung ist in den Bundesländern unterschiedlich gewählt (Aufenthaltsabgabe, Tourismusabgabe, Nächtigungsabgabe aber auch Ortstaxe), die Abgabe ist jedoch gleich konzipiert. Die Gäste oder Unterkunftnehmer haben pro Nächtigung eine Abgabe zu leisten. Dies gilt für Nächtigungen in Beherbergungsbetrieben, in Wohnwagen, Zelten oder Mobilheimen, aber auch bei Nächtigungen im Rahmen der Privatzimmervermietung. Der Unterkunftgeber hebt die Abgabe ein und führt sie schließlich an die Gemeinde ab. In Tirol erfolgt die Abfuhr der Abgabe direkt an den Tourismusverband121. Die Nächti-
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hinsichtlich Ermittlung und Einstufung des abgabepflichtigen Umsatzes unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. § 36 Tir TG. §§ 27, 44 Oö TG. § 27 Abs 1 Bgld TG. §12 Vbg TG, § 44 Oö TG. § 37 Abs 4 Stmk TG, § 27 Abs 11 Bgld TG. § 42 Sbg TG. § 37 Stmk TG. ZB hat nach § 35 Stmk TG der Tourismusinteressent eine Beitragserklärung abzugeben und den Interessentenbeitrag entsprechend seiner Beitragserklärung zu entrichten. So auch § 40 Sbg TG, § 12 Vbg TG und § 42 Oö TG. Zur Zumutbarkeit, entsprechende Aufzeichnungen zu führen vgl VwSlg 7752 F/2002. Gem § 36 Tir TG ist die für die Einhebung zuständige Behörde das Amt der Landesregierung. Gem § 9 Ktn FrVAbgG erfolgt die Einhebung durch den Bürgermeister. Die Einhebungsstelle ist der Landesverband „Burgenland Tourismus“. § 13 Nö TG. § 7 Abs 1 Tir TG.
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gung eines Abgabepflichtigen ist in Kärnten der Gemeinde innerhalb von 24 Stunden zu melden122. Teilweise besteht eine Pflicht der Gemeinde, die Ortstaxe einzuheben123, teilweise aber steht es den Gemeinden frei, von der gesetzlichen Ermächtigung zur Einhebung einer Ortstaxe Gebrauch zu machen124. Das Salzburger OrtstaxenG sieht eine allgemeine und eine besondere Ortstaxe vor, wobei die Gemeinden zur Erhebung einer allgemeinen Ortstaxe ermächtigt sind und das Land eine besondere Ortstaxe einzuheben hat.125 Die Höhe der Abgabe variiert wiederum von Bundesland zu Bundesland, ebenso der Personenkreis, auf den Befreiungen von der Abgabe zutreffen. Der Ertrag aus der Ortstaxe ist ganz oder teilweise zur Förderung des Tourismus zu verwenden. c) Ferienwohnungsabgabe Die Ferienwohnungsabgabe wird als jährliche Pauschale, die abhängig von der Nutzfläche der Ferienwohnung ist, erhoben. Als Ferienwohnungen sind Wohnungen zu verstehen, die „nicht der Deckung eines ganzjährig gegebenen Wohnbedarfes dienen, sondern als Aufenthalt während des Wochenendes, des Urlaubs, der Ferien oder sonst nur zeitweilig als Wohnstätte benutzt werden“.126 Oft sind auch dauerhaft abgestellte Wohnwagen auf Campingplätzen oder Mobilheime als Ferienwohnungen definiert und in die Abgabepflicht miteinbezogen.127 Zur Entrichtung der Abgabe ist der Eigentümer bzw der Nutzungsberechtigte der Ferienwohnung verpflichtet, bei dauernd abgestellten Wohnwagen der Mieter der Campingabstellfläche.128 Das Vbg TG und das Nö TG sehen die Möglichkeit vor, auf Antrag des Unterkunftgebers die Ortstaxe bzw Gästetaxe bei mehrmaligem Aufenthalt derselben Person in derselben Wohnung in pauschalierter Form zu entrichten.129 Dies stellt jedoch keine Ferienwohnungsabgabe dar, sondern ist eine besondere Form der Entrichtung der Ortsbzw Gästetaxe. 122
123 124
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§ 5a Ktn FrVAbgG. Mit LGBl 2005/97 sieht das Ktn FrVAbgG ab 1.1.2006 eine Kontrollmöglichkeit der Meldepflicht durch behördlich legitimierte Organe des Landes oder eigens dafür bestellte Kontrollorgane vor. Bei Verletzung der Meldepflichten, Hinterziehung der Orts- oder Nächtigungstaxe oder Verweigerung von Auskünften gegenüber den Kontrollorganen sind die Strafbestimmungen des § 15 anzuwenden. § 25 Abs 1 Bgld TG, § 11 WTFG, § 2 Steiermärkisches Nächtigungs- und FerienwohnungsabgabeG-NFWAG; § 1 Oö Tourismusabgabe-G . § 13 Vbg TG. § 1 Abs 1 Orts- und NächtigungstaxenG des Landes Kärnten, wobei § 7 dieses Gesetzes die Verpflichtung der Gemeinde vorsieht, für das Land eine Nächtigungstaxe einzuheben. § 11 Nö TG ermächtigt die Gemeinden, eine Ortstaxe zu erheben. Ergänzend dazu verpflichtet § 12 Nö TG die Gemeinden zur Erhebung einer Regionaltaxe, die an das Land abzuführen ist. § 1 OrtstaxenG, wobei die besondere Ortstaxe den Charakter einer Ferienwohnungsabgabe hat. S § 2 Abs 2 OrtstaxenG. S § 2 Abs 4 Oö Tourismusabgabe-G. Ähnlich auch § 2 Abs 2 Vbg Zweitwohnsitzabgabegesetz. ZB § 2 Abs 4 Oö Tourismusabgabe-G. So zB § 5 Abs 2 Salzburger OrtstaxenG, § 9a Abs 3 Stmk NFWAG. § 18 Vbg TG, § 11 Abs 7 Nö TG.
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Die Ferienwohnungsabgabe wird in Kärnten als pauschalierte Ortstaxe bezeichnet130, wobei eine Anrechnung der an die Gemeinde entrichteten Orts- und Nächtigungsabgaben gegenüber der Ferienwohnungsabgabe möglich ist. Nach anderen landesgesetzlichen Regelungen ist bei einer Kollision beider Abgaben nur die Nächtigungsabgabe131 (Ortstaxe) abzuführen. Der VfGH hob in seinem Erk vom 9. 10. 2000, G 86/00 die nach § 9b Abs 3 Stmk Nächtigungs- und FerienwohnungsabgabeG bestehende Ermächtigung des Gemeinderats, die Höhe der Ferienwohnungsabgabe durch VO anzuheben auf. Der VfGH konnte keine sachliche Rechtfertigung für die bei einer Durchschnittsbetrachtung vorliegende, ungefähr viermal so hohe Abgabenbelastung bei Nächtigungen in Ferienwohnungen im Vergleich zu Nächtigungen in Beherbergungsbetrieben erkennen.
In Wien besteht keine der Ferienwohnungsabgabe entsprechende Regelung.
B. Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen Die Einräumung von Zwangs- und Benützungsrechten zugunsten des Fremdenverkehrs soll die Zugänglichkeit von Wanderwegen und Naturschönheiten gewährleisten, aber auch die Errichtung von Sportplätzen, Badeanlagen und sonstigen Freizeiteinrichtungen ermöglichen. Die Zuständigkeit zur Erlassung von Enteignungsbestimmungen in Zusammenhang mit dem Fremdenverkehr liegt aufgrund des Adhäsionsprinzips bei den Ländern.132 Bei Eigentumseingriffen unterscheidet man Enteignungen133 und Eigentumsbeschränkungen, wobei die praktische Bedeutung einer Unterscheidung vor allem in der Frage der Entschädigungspflicht liegt. Bei Vorliegen einer Enteignung ist in jedem Fall eine Entschädigung zu leisten.134 Enteignungen sind nur zulässig bei Vorliegen eines konkreten Bedarfs, dessen Deckung im öffentlichen Interesse liegt, der Eignung des Enteignungsobjekts zur Deckung des Bedarfs und die Enteignung muss die letzte Möglichkeit sein, diesen Zweck zu erreichen.135 Auch für die Zulässigkeit von Eigentumsbeschränkungen ist das Vorliegen eines öffentlichen Interesses Voraussetzung. Je gravierender eine Eigentums130 131 132 133
134 135
S § 4 Abs 4 Kärntner Orts- und NächtigungstaxenG § 9a Abs 5 Stmk NFWAG. VfSlg 7145/1973; s dazu auch Steindl, 212f. Nach Korinek, Verfassungsrechtliche Grundlagen des Eigentumsschutzes und des Enteignungsrechts in Österreich, in: Korinek/Pauger/Rummel (Hrsg), Handbuch des Enteignungsrechts, 3 (20) liegt eine Enteignung dann vor, „wenn ein vermögenswertes Privatrecht im Einzelfall gänzlich oder teilweise durch Verwaltungsakt entzogen wird, wobei im Regelfall mit der Entziehung eine Übertragung des Eigentums auf eine andere Person verbunden ist“. Eigentumseingriffe, die nicht unter diesen Enteignungsbegriff subsumierbar sind, sind Eigentumsbeschränkungen. Pauger, Die Enteignung im Verwaltungsrecht, in: Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch des Enteignungsrechts, 49 (102f) definiert den „verwaltungsrechtlichen Enteignungsbegriff“ als zwangsweise Rechtsverschaffung zur Erfüllung einer bestimmten, im öffentlichen Interesse gelegenen Aufgabe. Er sieht auch „Eigentumsbeschränkungen“ durch Einräumung von Dienstbarkeiten als Enteignung an. Charakteristisch für eine Enteignung ist für ihn die Tatsache, dass es auf Seiten des Enteigners zu einer Begründung von Rechten kommt. Korinek (FN 133), 36. VfSlg 3666/1959.
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beschränkung ausfällt, desto deutlicher muss ein öffentliches Interesse vorhanden sein.136 Verfassungsrechtlich ist auch bei schwerwiegenden Eigentumsbeschränkungen eine Entschädigungspflicht geboten.137 In den Bundesländern Wien, Burgenland und Vorarlberg existieren keine Enteignungsregelungen oder Eigentumsbeschränkungen zugunsten des Fremdenverkehrs. Die übrigen Bundesländer regeln diesen Bereich entweder in speziellen Gesetzen138 oder im jeweiligen Tourismusgesetz139. So sind vor allem zur Errichtung oder zur Gewährleistung der Erreichbarkeit einer Einrichtung für Touristen, wie zB Schipisten, Langlaufloipen, Reit-, Rad-, und Wanderwegen, Badeanlagen, Schutzhütten, etc Eigentumseingriffe vorgesehen. Antragsberechtigt sind die Gemeinden140, Rechtsträger, die im betroffenen Gebiet die Interessen des Fremdenverkehrs wahren141 und Tourismusverbände142. Regelmäßig ist auch eine Entschädigungspflicht143 in den Fremdenverkehrsgesetzen vorgesehen, die der Antragsteller zu leisten hat.144 Die Bundesländer Niederösterreich und Kärnten sehen weiters eine Erhaltungspflicht des Antragstellers von dem Verkehr geöffneten Privatwegen, Aussichtspunkten und Naturschönheiten vor.145 Ausdrücklich sieht § 43 Abs 3 Tir TG eine Aufhebung durch Enteignungsbescheid eingeräumter Benützungsrechte vor, sofern sie nicht innerhalb von drei Jahren ab Rechtskraft des Bescheides ausgeübt werden. Rückübereignungsrechte werden aber generell bei Enteignungen angenommen, auch wenn in der jeweiligen Enteignungsbestimmung keine spezielle Regelung dazu erfolgt ist.146 Voraussetzung für eine Rückübereignungspflicht ist, dass der konkrete Zweck, aufgrund dessen enteignet wurde, nicht verwirklicht wurde. ZB liegt eine Rückübereignungspflicht dann vor, wenn eine Enteignung zum Zweck der Errichtung eines Sportplatzes erfolgt ist, dieser jedoch in der Folge nicht gebaut wird.
136 137 138 139 140 141 142 143
144 145 146
Korinek (FN 133), 25f. Korinek (FN 133), 43. Kärnten: G über die Wegfreiheit im Berglande; Salzburg: G über die Wegfreiheit im Bergland. Tirol: § 42 Tir TG; Steiermark: § 38 Stmk TG; Oberösterreich: §§ 46f Oö TG; Niederösterreich: § 14 Nö TG. § 14 Abs 2 Nö TG, § 1 Abs 1 G über die Wegfreiheit im Bergland (Sbg), § 38 Abs 4 Stmk TG. § 1 Abs 1 G über die Wegfreiheit im Bergland (Sbg), § 4 G über die Wegfreiheit im Bergland (Ktn), § 38 Abs 4 Stmk TG. § 46 Abs 1 und § 47 Abs 2 Oö TG, § 42 Abs 1 Tir TG, § 38 Abs 4 Stmk TG. § 46 Abs 3, § 47 Abs 1 Oö TG, § 1 Abs 1 G über die Wegfreiheit im Bergland (Sbg), § 65 Abs 1 Tir StraßenG (LGBl 1989/13), § 38 Abs 5 Stmk TG, § 1 Abs 1 G über die Wegfreiheit im Berglande (Ktn), § 14 Abs 1 Nö TG. § 47 Abs 4 und § 46 Abs 3 Oö TG, § 1 Abs 1 G über die Wegefreiheit im Bergland (Sbg), § 65 Abs 1 Tir StraßenG (LGBl 1989/13). § 14 Abs 3 Nö TG, § 1 Abs 1 G über die Wegefreiheit im Berglande (Ktn). VfSlg 8981/1980; nähere Ausführungen zur Rückübereignungspflicht in Korinek (FN 133), 23ff.
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Die Zuständigkeit zur Erlassung des Enteignungsbescheides liegt bei der Bezirksverwaltungsbehörde147 oder bei der Landesregierung148. Das Nö TG sieht einen Instanzenzug an den UVS vor, die Bestimmungen in den Tourismusgesetzen Oberösterreichs, Steiermarks und Tirols bieten die Möglichkeit, die Festsetzung der Höhe der Entschädigung durch das Bezirksgericht zu begehren. Am geringsten greift die steirische Regelung in die Eigentumsfreiheit ein. In § 38 Stmk TG wird davon ausgegangen, dass grundsätzlich eine Inanspruchnahme von Grundstücken nur aufgrund einer privatrechtlichen Vereinbarung mit dem Grundeigentümer erfolgen kann. Davon darf nur abgegangen werden, wenn mehrere Grundstückseigentümer von einer Inanspruchnahme betroffen sind und zwei Drittel der Eigentümer zum Abschluss einer privatrechtlichen Vereinbarung bereit sind. In diesem Fall können die übrigen bescheidmäßig von der Bezirksverwaltungsbehörde zu einer Duldung verpflichtet werden. Gem Abs 5 ist eine angemessene Entschädigung zu leisten. Im Wege der sukzessiven Zuständigkeit149 kann gegen die Entschädigungsfestsetzung der Bezirksverwaltungsbehörde beim zuständigen Bezirksgericht eine Neufestsetzung der Höhe der Entschädigung begehrt werden.150 Gem § 1 G betreffend die Wegfreiheit im Berglande151 dürfen Wege, die für den Fremdenverkehr und zur Erschließung von Natursehenswürdigkeiten unentbehrlich sind, nicht geschlossen werden. Dies gilt für bestehende öffentliche Wege als auch für Privatwege, die gegen eine angemessene Entschädigung „zur Benützung angefordert werden“ können.
Über diesen Vorrang privatrechtlicher Einigung gehen jene Bestimmungen hinaus, wonach Privatwege[...], Aussichtspunkte und Naturschönheiten dem Verkehr gegen angemessene Entschädigung geöffnet werden müssen, wenn sie dem Tourismus dienen.152 Zur Schaffung oder Erhaltung von Einrichtungen, die vorwiegend dem Tourismus dienen, wie Schiabfahrten, Loipen, Bergbahnen, Schutzhütten, Weganlagen, Wegweisern und Badeanlagen können nach manchen landesrechtlichen Regelungen zugunsten eines Tourismusverbandes Benützungsrechte durch Enteignung eingeräumt werden.153 Der Belastete darf dabei in einer Bauführung oder in der ordentlichen Bewirtschaftung seines Grundstücks nicht wesentlich behindert werden. Die in Kärnten und Salzburg in Geltung stehenden Gesetze über die Wegefreiheit im Bergland sehen jeweils im § 3 vor, dass zur Anlage von für den Tourismus wichtigen Straßen der dafür erforderliche Grund enteignet werden kann.
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ZB § 47 Abs 2 Oö TG, § 14 Abs 2 Nö TG, § 38 Abs 5 Stmk TG. ZB § 46 Abs 3 Oö TG. Der VfGH sieht die Möglichkeit der sukzessiven Zuständigkeit für zulässig an. S Pauger (FN 133), 98 mwN. Neben dem Stmk TG sehen auch § 46 Abs 4 und § 47 Abs 3 Oö TG und § 43 Abs 4 Tir TG (mit Verweis auf das Tiroler StraßenG) eine sukzessive Zuständigkeit vor. LGBl 1922/107 (Steiermark). § 1 G über die Wegfreiheit im Berglande (Ktn), § 1 G über die Wegfreiheit im Bergland (Sbg), § 14 Nö TG, § 47 Oö TG. § 42 Tir TG, § 46 Oö TG.
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III. Tourismusrecht iwS A. Campingplätze 1. Allgemeines Durch die Campingplatzgesetze soll erreicht werden, dass Campingplätze so errichtet und betrieben werden, dass die körperliche Sicherheit und Gesundheit, das Landschafts- und Ortsbild, die Verkehrsverhältnisse, teilweise auch die Fremdenverkehrsinteressen nicht beeinträchtigt und die Nachbarn nicht belästigt werden.154 Unter einem Campingplatz ist ein Grundstück zu verstehen, das im Rahmen des Fremdenverkehrs zum Zwecke des Aufstellens von Zelten und Wohnwagen für wenigstens zehn Gäste einschließlich des damit verbundenen Abstellens von Kraftfahrzeugen länger als eine Woche bereitgestellt wird. Hiebei macht es keinen Unterschied, ob die Bereitstellung des Grundstückes entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt oder ob der Zutritt zum Grundstück öffentlich oder auf geladene Gäste beschränkt ist.155 Zur Vollziehung der Campingplatzgesetze ist die Bezirksverwaltungsbehörde berufen. Die Gemeinden haben im Allgemeinen eine Mitwirkungsbefugnis im eigenen Wirkungsbereich. Rechtsbeziehungen privatrechtlicher Art zwischen dem Inhaber einer Betriebsbewilligung und den Gästen des Campingplatzes werden durch diese Gesetze nicht berührt.156
2. Errichtung eines Campingplatzes Die Errichtung sowie die beabsichtigte wesentliche Änderung eines Campingplatzes bedürfen einer Bewilligung. Die Behörde hat über Ansuchen des Bewerbers eine mit Augenschein verbundene mündliche Verhandlung durchzuführen.157 Manchmal ist eine mündliche Verhandlung auch nur fakultativ vorgesehen.158 In Niederösterreich und Tirol ist überhaupt nur ein Anzeigeverfahren vorgesehen.159 Meist ist die Beiziehung der erforderlichen Sachverständigen, des Amtsarztes, von Gemeindevertretern und der in Betracht kommenden Nachbarn vorgesehen. Als Nachbarn kommen die Eigentümer jener Grundstücke in Betracht, die in einem bestimmten Umkreis von der Grenze des Campingplatzes gelegen sind. Ihnen kommt zur Wahrung der Nachbarschaftsinteressen Parteistellung zu.160 154 155
156 157 158 159 160
Walter/Mayer, 743. Vgl Bgld § 1; OÖ § 1; Sbg § 1; Verschiedentlich sind auch die Mobilheimplätze in die Regelung einbezogen (Bgld §§ 19 ff und werden dadurch gleichzeitig vom Geltungsbereich der Bauordnung ausgenommen; vgl zu dieser Problematik VfSlg 9169/1981; länger als zwei Monate auf Campingplätzen abgestellte Wohnwagen oder Mobilheime (Dauercamper) gelten als Ferienwohnungen, womit sie weiterhin tourismusabgabenpflichtig bleiben (das OÖ TourismusG sieht eine Abgabenpflicht für Wohnwägen nur bis zu zwei Monaten vor; zum Begriff des Wohnwagens vgl auch VwSlg 9772 A/1979). ZB OÖ § 12. Bgld § 7; Ktn § 7; Sbg § 7 Abs 1; Vlbg § 3 Abs 3. ZB OÖ § 6 Abs 2. NÖ § 3; Tirol § 4. ZB OÖ § 6 Abs 3; Sbg § 7 Abs 2.
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Im Bgld CampingplatzG beträgt die relevante Entfernung 100 m und den Nachbarn kommt Parteistellung nur zu, wenn sie spätestens bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen erheben (§ 7 Abs 4 und 5). Im neuen Tiroler CampingplatzG ist die Geltendmachung von Rechten durch die Nachbarn nicht vorgesehen. In Vlbg finden die nachbarrechtlichen Bestimmungen des Campingplatzgesetzes nur auf Campingplätze Anwendung, die nicht den gewerberechtlichen Vorschriften unterliegen (§ 1 Abs 4). Im Kärntner und im NÖ CampingplatzG hingegen ist eine Beiziehung der Nachbarn überhaupt nicht vorgesehen. Sie werden mit ihren Ansprüchen auf den Privatrechtsweg verwiesen. Die Gemeinde wird im Rahmen ihrer hoheitlichen Aufgaben (eigener Wirkungsbereich) angehört und nicht als Trägerin von Privatrechten, es sei denn, sie ist als angrenzender Grundeigentümer Nachbar.161 Es handelt sich bei diesem, einem Baubewilligungsverfahren sehr ähnlichen Verfahren um ein Projektgenehmigungsverfahren, in dem die Behörde aufgrund des vom Antragsteller erarbeiteten Projekts die Frage der Bewilligungsfähigkeit zu beurteilen hat, so dass vorerst das geplante Vorhaben den gesetzlichen Bestimmungen zu entsprechen hat und rein faktische Gegebenheiten nicht maßgebend sind.162 Von der Bewilligungspflicht ausgenommen (jedoch verschiedenen Bestimmungen des Gesetzes unterworfen) sind zum Teil Zeltlager von Jugendorganisationen und der öffentlichen Jugendbetreuung.163
Regelmäßig ist neben der Errichtungs- auch eine besondere Betriebsbewilligung vorgesehen. Ein Campingplatz kann auch von einem gewerblichen Betrieb geführt werden. Trotz einer vorliegenden Gewerbebefugnis kann eine zusätzliche Campingplatzbewilligung erforderlich sein.164 Alle Gesetze verlangen sachliche, manche auch persönliche Voraussetzungen für die Bewilligung der Errichtung eines Campingplatzes.
Unter den sachlichen Voraussetzungen sind folgende zu erwähnen: Das Grundstück, auf dem der Campingplatz errichtet werden soll, muss insbesondere so beschaffen und gelegen sein, dass die körperliche Sicherheit der Benützer und ihr Eigentum nicht gefährdet ist (Wasser, Wind), die Erholungsmöglichkeit gegeben ist, Landschafts- und Ortsbild nicht verunstaltet und die Nachbarschaft nicht beeinträchtigt wird. Bei Campingplätzen an Seen muss für die Gäste eine ausreichende Badegelegenheit gewährleistet sein. Das Grundstück muss über eine Zufahrtsmöglichkeit verfügen. Die erforderlichen sanitären Einrichtungen (Wasch- und Abortanlagen, Abfallbehälter) müssen zur Verfügung stehen. Die Trinkwasserversorgung muss gesichert sein. Der Campingplatz ist gegenüber Nachbargrundstücken abzugrenzen und ausreichend zu beleuchten. Vorsorgeeinrichtungen für Erste Hilfe und Feuerlöschung müssen vorhanden sein.165 Im
161 162 163 164
165
VwGH 4.4.1992, 91/06/0144. Demgegenüber sieht § 7 Abs 5 Bgld Camping- und MobilheimplatzG eine Parteistellung der Gemeinde vor. Hauer, Der Nachbar im Baurecht5, 67; VwGH 25.1.1996, 92/06/0056. Bgld § 18; OÖ § 2; in Tirol aber zur Gänze vom Geltungsbereich ausgenommen (§ 1 Abs 2), gleich wie in Vbg § 1 Abs 2 lit a. VwSlg 7457 A/1968, 10.385 A/1981, 10817 A/1982. Für Campingplätze können auch noch zusätzliche Bewilligungen erforderlich sein (Wasser-, Naturschutz-, Raumordnungsrecht) (NÖ § 1 Abs 2) bzw ist im Rahmen der Bewilligung auf sonstige gesetzliche Bestimmungen Rücksicht zu nehmen (OÖ § 7 Abs 2, Tirol § 4 Abs 2 lit d). Bgld § 2 ff; Ktn § 2 ff; NÖ § 5 ff; OÖ § 3 ff; Sbg § 3 ff; Tirol § 5; Vlbg § 2.
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Burgenland dürfen Campingplätze überdies nur auf Flächen errichtet werden, die im Flächenwidmungsplan als Grünfläche-Campingplatz gewidmet sind.166 Darüber hinaus werden meist auch noch persönliche Voraussetzungen vorgeschrieben: zB muss der künftige Betreiber über das Grundstück verfügungsberechtigt sein. Ist der Bewerber nicht selbst Eigentümer, ist die Zustimmung des Eigentümers nachzuweisen.167 Vereinzelt wird Eigenberechtigung, Verlässlichkeit und Unbescholtenheit bzw Zuverlässigkeit gefordert.168 Mit dem Tod des Inhabers erlischt die Bewilligung. Das OÖ CampingplatzG statuiert im § 9 Abs 4 ein Fortbetriebsrecht des überlebenden Ehegatten sowie der minderjährigen Kinder bis zur erreichten Großjährigkeit. Im Bgld und Tiroler CampingplatzG ist allgemein die Möglichkeit eines Wechsels in der Person des Inhabers bei Fortgeltung der Bewilligung vorgesehen (§ 12 bzw § 11).
3. Betrieb eines Campingplatzes Nach fast allen Landesgesetzen bedarf der Betrieb, nach erfolgter Genehmigung der Errichtung, einer weiteren Bewilligung (Betriebsbewilligung). Sie ist zu erteilen, wenn dem Inhalt des Errichtungsbewilligungsbescheides entsprochen wurde.169 Nachbarn haben nur dann Parteistellung, wenn ihnen bereits im Verfahren zur Bewilligung der Errichtung Parteistellung zukam.170 Die Errichtungsbewilligung erlischt regelmäßig, wenn nicht innerhalb von 2 Jahren um die Betriebsbewilligung angesucht wurde.171 Nach dem Salzburger CampingplatzG kann der Inhaber der Betriebsberechtigung Gästen, die die Ruhe und Ordnung auf dem Campingplatz stören oder bei anderen Gästen berechtigtes Ärgernis erregen, den weiteren Aufenthalt auf dem Campingplatz verwehren oder bestimmten Personen von vornherein den Zutritt verbieten. Er kann bei allfälligen Widerstand auch um die Unterstützung der zuständigen Organe der öffentlichen Sicherheit ansuchen (§ 13). Gelegentlich beinhalten die G auch Bestimmungen betreffend das Campieren außerhalb von Campingplätzen.172
Die Einhaltung der Vorschriften der CampingplatzG ist zu überwachen und erforderlichenfalls sind Aufträge zur Behebung der Mängel zu erteilen. Allenfalls ist der Campingplatz mittels Bescheid, manchmal auch durch einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, zu sperren.173 Die beabsichtigte Einstellung des Betriebes ist der Behörde anzuzeigen und die Liegenschaft in einem hygienisch einwandfreien, das Landschafts- und Ortsbild nicht störenden Zustand zu versetzen.174
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Bgld § 2 Abs 1, ähnlich in Vlbg § 2 Abs 1, dazu VwGH 27.11.1990, 90/04/0122; dies ergibt sich für OÖ aus § 30 Abs 3 Z 1 OÖ RaumordnungsG, vgl dazu VwGH 15.6.1999, 99/06/0044. ZB Ktn § 6. ZB Bgld § 11; OÖ § 7; Vbg § 7. Bgld § 9, wobei die Aufnahme des Betriebes vom Campingplatzbetreiber (Inhaber) der Behörde schriftlich anzuzeigen ist; In Ktn § 11; OÖ § 10; Sbg § 11; § 3 und Vlbg § 6 ist überhaupt nur eine Anzeige erforderlich. ZB Bgld § 9 Abs 2. Ktn § 10; NÖ § 8 Abs 5; Sbg § 10; Vlbg § 5. ZB Sbg § 14a; Vlbg § 14; in Tirol ist das Campieren außerhalb von Campingplätzen verboten, sofern es nicht ausdrücklich durch VO erlaubt wird (§ 3). Bgld § 15f; Ktn § 14; NÖ § 10; OÖ § 13; Sbg § 14; Tirol § 7ff; Vlbg § 12 und 17f. Bgld § 17; OÖ § 14; Vbg § 13.
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B. Privatzimmervermietung 1. Allgemeines Die landesgesetzliche Regelung der Privatzimmervermietung dient der Sicherung eines entsprechenden Standards der vermieteten Objekte, der Verhinderung sicherheitspolizeilicher Gefährdungen und der Abgrenzung der Befugnisse der Privatzimmervermieter (insb gegenüber gewerblicher Tätigkeit).175 Als Privatzimmervermietung gilt die als häusliche Nebenbeschäftigung ausgeübte, vorübergehende Vermietung von möblierten Wohnräumen der eigenen Wohnung (Haus) an Fremde zu Erholungszwecken, wenn nicht mehr als zehn Schlafstellen zur Verfügung gestellt werden. Als Fremde gelten Personen, die nicht zum ständigen Haushalt des Vermieters gehören und in dessen Wohnung gegen Entgelt zum Zwecke der Erholung vorübergehend Aufenthalt nehmen.176 Gemäß § 2 Abs 1 Z 9 GewO 1994 ist die Gewerbeordnung auf die nach ihrer Eigenart und ihrer Betriebsweise in die Gruppe der häuslichen Nebenbeschäftigung fallenden und durch die gewöhnlichen Mitglieder des eigenen Hausstandes betriebenen Erwerbszweige nicht anzuwenden. Maßgeblich für die Qualifikation einer Tätigkeit als häusliche Nebenbeschäftigung iSd § 2 Abs 1 Z 9 GewO 1994 ist die Eigenart und die Betriebsweise der betreffenden Tätigkeit.177 Die Gesetzesmaterialien weisen darauf hin, „dass es sich um eine im Vergleich zu den anderen häuslichen Tätigkeiten dem Umfang nach untergeordnete Erwerbstätigkeiten handeln muss“178. Vergleichsmaßstab für die Unterordnung der Nebenbeschäftigung sind daher die anderen häuslichen Tätigkeiten und nicht eine weitere Erwerbstätigkeit. Im Vergleich zu den anderen häuslichen Tätigkeiten, das sind die in einem Haushalt bei Durchschnittsbetrachtung anfallenden Tätigkeiten, darf die häusliche Nebenbeschäftigung eine umfänglich nur untergeordnete Rolle einnehmen; auf die im konkreten Fall tatsächlich zu besorgenden häuslichen Tätigkeiten kommt es dabei nicht an. Es ist daher für die Qualifikation einer Erwerbstätigkeit als häusliche Nebenbeschäftigung nicht relevant, ob die aus dieser Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte die einzigen Einkünfte darstellen, oder noch sonstige, diese Einkünfte überwiegende Einkünfte erzielt werden.179
Als Wohnung des Vermieters gelten nur ständig Wohnzwecken dienende Räume, die mit Einschluss einer Küche zu einer Einheit verbunden sind, in der ein selbständiger Haushalt geführt wird. Der Vermieter muss demnach in der fraglichen Wohnung auch tatsächlich wohnen, dh dass der Gast im Rahmen des
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176 177 178 179
Walter/Mayer, 720; nach VwGH 15.12.1992, 91/04/0041; VwGH 15.12.1992, 91/04/0401; VwGH 27.10.1998, 97/05/0331; ua, liegt eine dem Begriff der Fremdenbeherbergung zuzuordnende Tätigkeit dann vor, wenn gleichzeitig mit der Zurverfügungstellung von Wohnraum damit üblicherweise im Zusammenhang stehende Dienstleistungen erbracht werden. NÖ § 1; Sbg § 1 Abs 2; Tirol § 1 Abs 2. VwGH 25.4.1995, 93/04/0125; VwGH 25.4.1995, 93/04/0133. RV 395 BlgNR 13. GP, 106. VwGH 3.3.1999, 97/04/0176 ua; in die Gesamtbewertung, ob eine „häusliche Nebenbeschäftigung“ vorliegt, dh, ob die Privatzimmervermietung bloß einen untergeordneten Umfang einnehme, seien alle und nicht nur entgeltliche Tätigkeiten heranzuziehen.
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Wohnverbandes des Vermieters bis zu einem gewissen Teil in dessen Hausstand aufgenommen wird.180
2. Berechtigung zur Privatzimmervermietung Die Privatzimmervermietung darf entsprechend den landesgesetzlichen Bestimmungen berechtigterweise nur dann ausgeübt werden, wenn die beabsichtigte Vermietungstätigkeit der Behörde angezeigt wurde (Anmeldesystem). In Tirol ist die beabsichtigte Zimmervermietung dem Bürgermeister schriftlich anzuzeigen, der die Anzeige zu bestätigen hat (§ 4). Diese Anzeige ist von der Behörde evident zu halten. In OÖ ist die Aufnahme und Beendigung der Privatzimmervermietung der Gemeinde schriftlich anzuzeigen, die darüber eine Bestätigung auszustellen hat (OÖ Tourismus-G 1990 § 39a). Die Behörde hat eine Untersagung durch Bescheid auszusprechen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind (Untersagungssystem).181 Die Privatzimmervermietungsgesetze (ein solches steht soweit ersichtlich nur mehr in Tirol in Geltung) sehen häufig sachliche Voraussetzungen für die Ausübung dieser Tätigkeit vor. ZB müssen die vermieteten Räume nach den bau-, gesundheits- und feuerpolizeilichen Vorschriften, aber auch nach den Bedürfnissen des Fremdenverkehrs zur Vermietung an Fremde geeignet sein. Die Vermietung darf nicht die Gesundheit des Vermieters und seiner Familie in einer die Gesundheit oder Sittlichkeit gefährdenden Weise beeinträchtigen. Die zu vermietenden Wohnräume müssen Bestandteil der Wohnung des Vermieters sein.182 Als persönliche Voraussetzung wird auch hier verlangt, dass Personen, die Privatzimmer vermieten wollen, die erforderliche Verlässlichkeit aufweisen. Diese Verlässlichkeit muss auch bei den Haushaltsangehörigen vorliegen.183
3. Ausübung der Privatzimmervermietung Die mit der Beherbergung von Fremden verbundenen Dienstleistungen dürfen nur durch die gewöhnlichen Mitglieder des Hausstandes des Vermieters besorgt werden.184 Der Vermieter ist verpflichtet, die für die Vermietung geforderten Preise samt Zuschlägen und die Preise von Speisen in allen der Vermietung dienenden Räumen ersichtlich zu machen.185 Die öffentliche Ankündigung der Privatzimmervermietung ist nur durch einfachen Hinweis und an Ankündigungstafeln der Gemeinde gestattet. Die persönliche Anwerbung (Staffeln) von Gästen an öffentlichen Orten ist verboten.186
C. Berg- und Schiführer 1. Allgemeines Die landesgesetzlichen Regelungen des Berg- und Schiführerwesens wollen sicherstellen, dass nur fachlich qualifizierte Personen diese für die Sicherheit 180 181 182 183 184 185 186
VwSlg 5364/1960, 7216/1967, VwGH 25.4.1995, 93/04/0125; 9.7.1999, 96/04/0224; 3.3.1999, 97/04/0176; 20.5.1998, 97/06/0211; 97/06/0078 ua. Tirol § 5. Tirol § 2. Tirol § 3. Dieses Merkmal dient als Abgrenzung gegenüber einem Gewerbebetrieb, vgl VwGH 20.10.1992, 91/04/0216. Tirol § 7. Tirol § 6.
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der Bergsporttouristen sehr verantwortungsvolle Tätigkeit ausüben, weil dies im öffentlichen Interesse, vor allem in jenem des Fremdenverkehrs geboten erscheint. In NÖ und OÖ ist das Berg- und Schiführerwesen im Rahmen des Sportgesetzes geregelt. Das Berg- und Schiführen beinhaltet die erwerbsmäßige Tätigkeit als Führer und Begleiter bei Bergtouren (sowie bei Schi- und Schluchtentouren) sowie die erwerbsmäßige Erteilung von Unterricht in den für Bergtouren erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnissen.187 Diese Tätigkeit ist erwerbsmäßig, wenn sie gegen Entgelt oder zur Erzielung eines sonstigen wirtschaftlichen Vorteiles, gleichgültig für welche Zwecke dieser bestimmt ist, ausgeübt wird.188 Nach Auffassung des VfGH unterliegt die Tätigkeit des Skiguiding, also des Führens oder Begleitens von Personen beim Schilaufen, auf Schipisten, Schirouten oder Loipen, nicht den strengen Anforderungen des BergführerG.189
Bergführer ist, wer berechtigt ist, sich gegen Entgelt als Führer oder Begleiter bei Bergtouren (einschließlich Schitouren) zu betätigen.190 Die Gesetze der Länder regeln auch die Bergsteigerschulen, die wiederum konzessionspflichtig sind und nur von einem erfahrenen Bergführer geleitet werden dürfen.191 Ausgenommen vom Regelungsbereich sind Tätigkeiten des Bundesheeres und von Wachkörpern, Unterricht von Schulen und Schischulen sowie die Führung von Mitgliedern eines alpinen inländischen Vereins durch andere Mitglieder des Vereins.192 In den meisten Bundesländern bestehen Bergführerverbände als Körperschaften öffentlichen Rechts, denen die Überwachung der Berufstätigkeit der Bergführer sowie deren Aus- und Fortbildung obliegt.193
2. Berechtigung zum Berg- und Schiführen Für die Tätigkeit als Bergführer bedarf es der behördlichen Bewilligung (Konzession).194 In Vorarlberg, Salzburg und in OÖ ist diese Bewilligung von der Landesregierung zu erteilen.195 187
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Ktn § 1 Abs 1; NÖ § 27; OÖ § 12 Abs 2; Sbg § 1 Abs 1; Stmk § 1 Abs 2; Tirol § 1 Abs 1; Vlbg § 1 Abs 1. Zu den Bergsportführertätigkeiten zählen auch das erwerbsmäßige Unterweisen von Personen in den Fertigkeiten des Schibergsteigens und des Begehens von Schluchten (in Vlbg auch Canyoning-Touren). Ktn § 1 Abs 4; NÖ § 14; OÖ § 13 Abs 5; Stmk § 1 Abs 3; Tirol § 1 Abs 2, in Salzburg unabhängig von der Erbringung einer Leistung auch dann, wenn Gäste regelmäßig geführt werden (§ 1 Abs 7); bei unentgeltlichen Führungen werden in Kärnten der betreffenden Person ausdrücklich die gesetzlichen Pflichten eines Bergführers auferlegt (§ 18). Vgl äußerst kritisch dazu Pichler, Zum Problem der Skischule - Skiguide, ÖJZ 1987, 684 ff; VfSlg 11.868. ZB Vlbg § 2 Abs 1 lit a. Ktn § 20 ff, Sbg § 13 ff; Vlbg § 33 ff. Ktn: § 2; OÖ: § 13 Abs 4; Sbg: § 2; Stmk: § 3; Tirol: § 1 Abs 4; Vlbg: § 1 Abs 2. Zum Teil bestehen in den Ländern eigene Gesetze für die Schischulen, zB Tiroler SchischulG (LGBl 2002/55) oder das Steiermärkische Schischulgesetz 1997 (LGBl 1997/58 idF LGBl 2006/58). OÖ § 21; Sbg § 19 ff; Stmk § 15 ff; Tirol § 26 ff; Vlbg § 40 ff. Ktn § 3; NÖ § 28; OÖ § 15 Abs 1 Z 2; Sbg § 4; Stmk § 3; Tirol § 5;Vlbg § 3. ZB Vlbg § 4 Abs 1; Sbg § 4; OÖ § 13 Abs 1.
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Für die Erteilung der Bewilligung bedarf es mehrerer persönlicher Voraussetzungen: Vorliegen der Unionsbürgerschaft oder Angehörige anderer Mitgliedstaaten des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum, einen ordentlichen Wohnsitz im betreffenden Bundesland, Eigenberechtigung oder Vollendung des 20. bzw 21. Lebensjahres, Verlässlichkeit196, geistige und körperliche Eignung sowie fachlicher Befähigung.197 Manche Gesetze fordern auch einen Hauptwohnsitz im betreffenden Bundesland.198 Die fachliche Befähigung ist jeweils durch die Ablegung der Bergführerprüfung nachzuweisen.199 Der Inhalt und die Durchführung der Bergführerprüfung werden teilweise durch Verordnungen präzisiert.200 Zur Vorbereitung auf diese Prüfung sind Ausbildungskurse vorgesehen.201 Die Landesregierung kann im Einzelfall Bergführerprüfungen anderer Bundesländer und ausländischer Staaten als gleichwertig anerkennen.202
Die einzelnen Landesgesetze sehen für die Anerkennung von Ausbildungen für den Beruf des Bergführers in Mitgliedstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum jeweils Bestimmungen in Umsetzung der RL 92/51/EWG vor.203 Allein in der Steiermark wurde diese Richtlinie noch nicht umgesetzt, weshalb von ihrer unmittelbaren Geltung auszugehen sein wird, da die Umsetzungsfrist schon abgelaufen ist und die Richtlinie hinreichend bestimmt ist. Mittlerweile erging eine neue Richtlinie 2005/36/EG204 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, welche bis zum 20. Oktober 2007 von den Mitgliedstaaten umzusetzen ist.
3. Ausübung des Berg- und Schiführens Der Bergführer hat seine Berufspflichten entsprechend seiner Verantwortung gegenüber Mensch und Natur zu erfüllen, für die Sicherheit der von ihm geführten Personen zu sorgen, in Bergnot Hilfe zu leisten und er hat bei Ausübung seines Berufes ein Bergführerabzeichen zu tragen. Weitere Vorschriften beziehen sich auf die Vorbereitung und Durchführung einer Bergtour. Der Bergführer unterliegt gewissen Informationspflichten gegenüber anderen Bergsteigern und Behörden. Ein aufdringliches Anbieten seiner Dienste ist ihm untersagt. Der Bergführer hat an den angebotenen Fortbildungskursen teilzunehmen.205 Der Bergführer ist verpflichtet sich gegen Haftpflicht zu versichern.206 Gelegentlich wird
196 197 198
199 200 201 202 203 204 205 206
Vgl VwGH 6.7.1999, 99/10/0126. Ktn § 3 ff; NÖ § 15 Abs 2; OÖ § 14; Sbg § 5 Abs 1; Stmk § 4; Tirol § 4 Abs 1; Vlbg § 4 Abs 1. Sbg § 5 Abs 1 lit b; Ob das Erfordernis eines Wohnsitzes im Land der Berufsausübung im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit gemeinschaftsrechtskonform erscheint, bleibt fraglich. Stmk § 10; Tirol § 4 Abs 4; Vlbg § 4 Abs 2. Tirol § 11 und VO LGBl 2002/54 idF LGBl 2006/15; Vlbg § 5 und VO LBGl 2003/38. Ktn § 6; OÖ § 15; Sbg § 11; Stmk § 9; Tirol § 10; Vlbg § 8. Sbg § 11 Abs 8; Vlbg § 6 f. Ktn § 6 Abs 4 ff; NÖ § 28 Abs 3; OÖ § 15 Abs 2 ff; Tirol § 12; Vlbg § 7, ausgeführt durch VO LGBl 2003/39. Abl L 255/22 vom 30.9.2005. Ktn § 8 und § 13ff; OÖ § 17 Abs 3; Sbg § 6ff und 12; Stmk § 14; Tirol § 9 Abs 2 lit b iVm § 13; Vlbg § 16. Ktn § 13; NÖ § 15 Abs 2 Z 7; OÖ § 14 Abs 1 Z 4; Tirol § 4 Abs 1 lit d; Vlbg § 14 und VO LGBl 2003/41.
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vom Bergführerverband oder durch Verordnung der Landesregierung ein Bergführertarif festgesetzt.207 Bergführer aus anderen Bundesländern oder ausländischen Staaten dürfen, soweit sie dort zur Ausübung von Bergführertätigkeiten befugt sind, in einem anderen Bundesland Personen, die sie in ihrem eigenen Land bzw Staat aufgenommen haben, führen und begleiten.208 Die Konzession endet grundsätzlich mit dem Tod des Inhabers. Der Bergführer kann auf die Konzession verzichten. Die Bezirksverwaltungsbehörde kann die Konzession bei Verstößen gegen das Gesetz sowie bei Wegfall der Voraussetzungen zu ihrer Erteilung, widerrufen bzw die Genehmigung entziehen.209
IV. Bezüge zu anderen Rechtsbereichen A. Engere Bezüge Der Tourismus unterliegt aufgrund seiner kompetenzrechtlichen Einstufung als Querschnittmaterie vielen weiteren bundes- und landesrechtlichen Bestimmungen, die im Folgenden aber nur kurz umschrieben werden können.
1. Subventionsrecht Eine wesentliche Zielsetzung der Tourismusgesetze ist unbestritten die Förderung des Fremdenverkehrs, zu welchem Zwecke auch Interessentenbeiträge eingehoben werden und entsprechend der Zweckbindung zur Verwendung gelangen. Darüber hinaus wurden auch in anderen Gesetzen Voraussetzungen für eine zweckmäßige Allokation finanzieller Fördermittel im Bereich des Tourismus normiert.210
2. Raumordnungsrecht Die Entwicklung des Fremdenverkehrs ist als eines der grundlegenden Ziele in vielen Raumordnungsgesetzen der Länder fest verankert.211 Im Vordergrund steht dabei vor allem die Berücksichtigung der ökologischen Belastbarkeit und der wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Raumes sowie der Erfordernisse des Landschafts- und Naturschutzes. In Tirol sind durch Verordnung bestimmte Flächen der Errichtung von infrastrukturellen Anlagen, die für den Tourismus von besonderer Bedeutung sind, vorzubehalten212 und in Niederösterreich wurde ein eigenes „Fremdenverkehrs Raumordnungsprogramm“ erlassen.213
207 208 209
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212 213
ZB Stmk § 8; Vlbg § 15. Vgl VwGH 18.1.1999, 98/10/0046 bei Vorliegen von Gegenseitigkeit; Ktn § 11; NÖ § 27 Abs 2; OÖ § 13 Abs 4 Z 1; Tirol § 2 Abs 4f; Vlbg § 20. Ktn § 9; NÖ § 30; OÖ § 19; Sbg § 10; Stmk § 6; Tirol § 9; Vlbg § 17. Verschiedentlich ist auch ein Ruhen der Konzession vorgesehen (Ktn § 10; Stmk § 6 Abs 4; Vlbg § 18). ZB in den allgemeinen Wirtschaftsförderungsgesetzen der Länder wie § 3 Abs 1 lit e) Kärntner WirtschaftsförderungsG LGBl 1993/6 idF LGBl 2006/59; NÖ Wirtschafts- und TourismusfondsG LGBl 7300-2. Bgld RaumplanungsG § 1 Abs 2 Zif 12 LGBl 1969/18 zuletzt geändert durch LGBl 2006/47; Ktn RaumordnungsG § 2 Abs 1 Zif 10 LGBl 1969/76 idF LGBl 2001/136; OÖ RaumordnungsG 1994 § 2 Abs 1 Zif 9 LGBl 1993/114 idF LGBl 2005/115; Sbg RaumordnungsG 1998 § 2 Abs 1 Zif 10 LGBl 1998/44 idF LGBl 2004/96. § 7 Abs 1 lit b) Tiroler RaumordnungsG 2006 LGBl 2006/27. LGBl 8000/27-0.
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3. Naturschutz Eine geschützte und intakte Landschaft ist vielfach eine wesentliche Voraussetzung für einen florierenden Tourismus, während andererseits gerade die Landschaft in bedeutendem Maße durch die Phänomene des Massentourismus bedroht wird. Vielfach hatte der Landesgesetzgeber aber die Intuition, Gebiete von besonderer landschaftlicher Schönheit, die für den Tourismus eine besondere Bedeutung haben, als Landschaftsschutzgebiete auszuweisen.214
B. Weitere Bezüge Im weitesten Sinne nehmen auch noch andere Rechtsnormen Bezug auf den Tourismus. Zu denken wäre hier zB an:
• • • •
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gebietsweise Sonderregelungen in den Öffnungszeitenverordnungen der Länder Bestimmungen zur Einschränkung des Motorbootverkehrs auf den österreichischen Badeseen Fiakergesetze Bestimmungen über das natürliche Heilvorkommen und Kurorte
Bgld Naturschutz- und LandschaftspflegeG § 23 Abs 1 LGBl 1991/27 zuletzt geändert durch LGBl 2004/58, Ktn NaturschutzG 2002 § 25 Abs 1 LGBl 2002/79 idF LGBl 2005/103; NÖ NaturschutzG 2000 § 8 Abs 1 LGBl 5500-4.
Elisabeth Dujmovits
Recht der freien Berufe Rechtsgrundlagen ...........................................................................................398 Grundlegende Literatur...................................................................................400 I. Grundlagen ................................................................................................401 A. Allgemeines............................................................................................401 1. Definition ..........................................................................................401 2. Regelungszweck................................................................................403 3. Aktuelle Entwicklungen ....................................................................404 4. Zweck der Untersuchung ..................................................................406 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................406 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................408 1. Gemeinsames zu Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit .........408 2. Umsetzung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit............415 3. Wettbewerbsregeln............................................................................422 II. Erwerbsantritt..........................................................................................423 A. Objektive Zugangsbeschränkungen .......................................................423 1. Allgemeines.......................................................................................423 2. Erwerbsfreiheit und Bedarfsprüfung .................................................423 3. Zugangsschranken für einzelne freie Berufe.....................................424 B. Subjektive Zugangsbeschränkungen......................................................429 1. Allgemeines.......................................................................................429 2. Ausbildung ........................................................................................429 3. Organisationsform und Kooperationsbeschränkungen .....................432 4. Versicherung .....................................................................................444 C. Berufszugang und Gemeinschaftsrecht .................................................447 III. Erwerbsausübung ..................................................................................448 A. Tätigkeitsfelder ......................................................................................448 B. Berufs- und Standespflichten .................................................................450 1. Allgemeines.......................................................................................450 2. Disziplinarrecht .................................................................................451 3. Vertrauensverhältnis und Behördeninformation ...............................454 C. Wettbewerb............................................................................................456 1. Allgemeines.......................................................................................456 2. Werbung............................................................................................457 3. Honorar .............................................................................................461 4. Sonstiges ...........................................................................................465 IV. Zusammenfassung und Ausblick ..........................................................465
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Dujmovits
Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Art 43 ff, Art 49 ff, Art 81 ff EGV (allgemeine Regelungen:) RL 89/48/EWG*, Abl 1989 L 19/16 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (erste allg DiplomanerkennungsRL); RL 92/51/EWG*, Abl 1992 L 209/25 idF Abl 2001 L 206/1, zuletzt geändert durch E Komm 2004/108/EG, Abl 2004 L 32/15 (zweite allg AnerkennungsRL); RL 2005/36/EG, Abl 2005 L 255/22 (BerufsanerkennungsRL; ersetzt ab 20. 10. 2007 die mit „*“ gekennzeichneten AnerkennungsRLen); (EinzelrRLen:) RL 93/16/EWG*, Abl 1993 L 165/1 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (ÄrztefreizügigkeitsRL); RL 85/433/EWG*, Abl 1985 L 253/37 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (Apotheker-AnerkennungsRL); RL 85/432/EWG, Abl 1985 L 253/34 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (Apotheker-KoordinierungsRL); RL 85/384*, Abl 1985 L 223/15 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (ArchitektenAnerkennungsRL); RL 80/154/EWG*, Abl 1980 L 33/1 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (Hebammen-AnerkennungsRL); RL 80/155/EWG*, Abl 1980 L 33/8 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (Hebammen-KoordinierungsRL); RL 77/452/EWG*, Abl 1977 L 176/1 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (Krankenschwester/-pflegerAnerkennungsRL); RL 77/453/EWG*, Abl 1977 L 176/8 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (Krankenschwester/-pfleger-KoordinierungsRL); RL 77/249/EWG, Abl 1977 L 78/17 (Rechtsanwalts-DienstleistungsRL); RL 98/5/EG, Abl 1998 L 77/36 (Rechtsanwalts-NiederlassungsRL); RL 78/1026*, Abl 1978 L 362/1 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (Tierärzte-AnerkennungsRL); RL 78/1027*, Abl 1978 L 362/7 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (Tierärzte-KoordinierungsRL); RL 78/686/EWG*, Abl 1978 L 233/1 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (Zahnärzte-AnerkennungsRL); RL 78/687/EWG*, Abl 1978 L 233/10 idF RL 2001/19/EG, Abl 2001 L 206/1 (ZahnärzteKoordinierungsRL); RL 2006/43/EG, Abl 2006 L 157/87 (AbschlussprüferRL). BG: (Ärzte:) ÄrzteG 1998 (BGBl I 1998/169 idF BGBl I 2005/156); AusbildungsvorbehaltsG - AusbVorbG (BGBl 1996/378 idF BGBl I 2005/155); (Apotheker:) ApothekenG (RGBl 1907/5 idF BGBl I 2006/90); ApothekerkammerG 2001 (BGBl I 2001/111 idF BGBl I 2004/41); GehaltskassenG 2002 (BGBl I 2001/154 idF BGBl I 2004/5); (Hebammen:) HebammenG (BGBl 1994/310 idF BGBl I 2006/90); (Notare:) Notariatsordnung - NO (RGBl 1871/75 idF BGBl I 2006/92); NO 1945 (StGBl 1945/104 idF BGBl 1947/25); NotariatsprüfungsG-NPG (BGBl 1987/522 idF BGBl I 1999/72); Berufsprüfungs-AnrechnungsG - BARG (BGBl 1987/523 idF BGBl 1993/21); NotariatstarifG NTG (BGBl 1973/576 idF BGBl I 2006/8); GerichtskommissärsG (BGBl 1970/343 idF BGBl I 2005/164); GerichtskommissionstarifG - GKTG (BGBl 1971/108 idF BGBl I 2005/120); NotariatsaktsG (RGBl 1871/76 idF BGBl I 2001/98); NotarversicherungsG NVG 1972 (BGBl 1972/66 idF BGBl I 2006/98); (Patentanwälte:) PatentanwaltsG (BGBl 1967/214 idF BGBl I 2005/131); (Rechtsanwälte:) Rechtsanwaltsordnung - RAO (RGBl 1868/96 idF BGBl I 2006/93); Rechtsanwaltsordnung 1945 (StGBl 1945/103 idF BGBl 1956/159); BG über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwälten in Österreich (EuRAG) (BGBl I 2000/27 idF BGBl I 2005/164); BG Rechtsanwaltskammer NÖ und Bgld (BGBl 1987/524); Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter - DSt 1990 (BGBl 1990/474 idF BGBl I 2005/164); RechtsanwaltsprüfungsG - RAPG (BGBl 1985/556 idF BGBl I 2004/128); BARG (BGBl 1987/523 idF BGBl 1993/21); RechtsanwaltstarifG - RATG (BGBl 1969/189 idF BGBl I 2006/8); (Tierärzte:) TierärzteG (BGBl 1975/16 idF BGBl I 2002/95); (Wirtschaftstreuhänder:) WirtschaftstreuhandberufsG - WTBG (BGBl I 1999/58 idF BGBl I 2005/120); Abschlussprüfungs-QualitätssicherungsG - A-QSG (BGBl I 2005/84); (Zahnärzte:) ZahnärzteG - ZÄG (BGBl I 2005/126 idF BGBl I 2006/80); ZahnärztekammerG - ZÄKG (BGBl I 2005/154 idF BGBl I 2006/80); BG approbierte Zahnärzte (BGBl 1948/51 idF BGBl 1952/120); (Ziviltechniker:) Zivil-
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technikerG 1993 - ZTG (1994/156 idF BGBl I 2005/164); ZiviltechnikerkammerG 1993 - ZTKG (BGBl 1994/157 idF BGBl I 2005/164); (freie Gesundheitsberufe:) Gesundheits- und Krankenpflegegesetz - GuKG (BGBl I 1997/108 idF BGBl I 2006/90); Medizinischer Masseur- und HeilmasseurG - MMHmG (BGBl I 2002/169 idF BGBl I 2006/90); BG über die Regelung der gehobenen medizinisch-technischen Dienste MTD-G (BGBl 1992/460 idF BGBl I 2006/90); BG über die Regelung des medizinischtechnischen Fachdienstes und der Sanitätshilfsdienste - MTF-SHD-G (BGBl 1961/102 idF BGBl I 2006/90); PsychologenG (BGBl 1990/360 idF BGBl I 2001/98); EWRPsychologenG (BGBl I 1999/113 idF BGBl I 2003/67); PsychotherapieG (BGBl 1990/361 idF BGBl I 2001/98); EWR-PsychotherapieG (BGBl I 1999/114 idF BGBl I 2003/68). VO: (Ärzte:) Ärzte-Ausbildungsordnung (BGBl 1994/152 idF BGBl I 1998/169; aufgehoben durch Ärztinnen-/Ärzte-Ausbildungsordnung - ÄAO 2006, BGBl II 2006/286, mit 1. 2. 2007); EWR-Ärzte-ZahnärzteV 2004 (BGBl II 2004/359); ÄrztelisteV (BGBl 1995/392 idF BGBl I 2003/140); Ärztekammer-Wahlordnung (BGBl II 1998/474); ReihungskriterienV (BGBl II 2002/487 idF BGBl II 2005/475); (Apotheker:) Apothekenbetriebsordnung - ABO 2005 (BGBl II 2005/65); Apothekerkammer-Wahlordnung (BGBl II 2001/339); Pharmazeutische FachkräfteV (BGBl 1930/40 idF BGBl 1971/221); (Hebammen:) Hebammen-Gremialwahlordnung (BGBl 1995/150); Hebammen-AusbildungsV - Heb-AV (BGBl 1995/599); FH-HebammenausbildungsV (BGBl II 2006/1); Hebammen-AusweisV - HebAV (BGBl 1995/149); HebammenEWR-V - HebEWRV 2002 (BGBl II 2002/382 idF BGBl II 2004/372); (Notare:) V Notariatsverzeichnisse (BGBl 1928/47 idF BGBl I 2005/164); NTG-ZuschlagsV (BGBl II 1997/149); GKTG - ZuschlagsV (BGBl 1985/100; BGBl II 1997/148); V Rechtsanwaltsprüfung, Notariatsprüfung - Vergütungen u Gebühren (BGBl II 2003/326); div Ven BMJ zur Errichtung von Notarstellen; (Rechtsanwälte:) V Rechtsanwaltsprüfung, Notariatsprüfung - Vergütungen u Gebühren (BGBl II 2003/326); V Normalkostentarif (BGBl II 2005/261); V Pauschalvergütung (BGBl II 2003/569; BGBl II 2005/53; BGBl II 2005/171); V RA-Legitimation (StGBl 1919/208); V Amtskleid (RGBl 1904/59); (Tierärzte:) V Tierärzteliste - Tierärzteausweise (BGBl 1975/133 idF BGBl 1994/504); Tierärztekammer-Wahlordnung 2003 (BGBl II 2003/116); (Wirtschaftstreuhänder:) Wirtschaftstreuhandberufs-Prüfungsordnung (BGBl II 2000/47 idF BGBl II 2005/84); Steuerberater-FachprüfungszulassungsV* (BGBl II 1999/468; *aufgehoben durch BGBl I 2005/84 mit 31. 12. 2006); Wirtschaftsprüfer-FachprüfungszulassungsV* (BGBl II 1999/467; *aufgehoben durch BGBl I 2005/84 mit 31. 12. 2006); 1. und 2. SBHBefreiungsV* (BGBl II 2001/64; BGBl II 2001/431; *aufgehoben durch BGBl I 2005/84 mit 31. 12. 2006); (Zahnärzte): Zahnärztekammer-Wahlordnung (BGBl II 2006/131); EWR-Ärzte-ZahnärzteV 2004 (BGBl II 2004/359); ReihungskriterienV (BGBl II 2002/487 idF BGBl II 2005/475); (Ziviltechniker:) ZiviltechnikerprüfungsV (BGBl 1994/750 idF BGBl II 2001/490); EWR-ArchitektenV - EWR-ArchV (BGBl 1995/694); EWR-IngenieurkonsulentenV - EWR-Ing-KonsV (BGBl 1995/695); Ziviltechnikerkammer-Wahlordnung (BGBl 1994/457); (freie Gesundheitsberufe:) Gesundheits- und Krankenpflege-AusbildungsV - GuK-AV (BGBl II 1999/179); GuK-EWRV (BGBl II 2004/262); GuK-AusweisV (BGBl II 1998/20); GuK-SpezialaufgabenV (BGBl II 2005/452); GuK-Lehr- und FührungsaufgabenV (BGBl II 2005/453); Medizinischer Masseur- und Heilmasseur-AusbildungsV - MMHm-AV (BGBl II 2003/250); Heilmasseur-BerufsausweisV (BGBl II 2003/493); MTD-AusbildungsV - MTD-AV (BGBl 1993/678); FH-MTD-AusbildungsV (BGBl II 2006/2); MTD-Ausbildungs- und Prüfungsordnung (BGBl 1974/560 idF BGBl 1993/678); EWR-PsychologenV (BGBl II 1999/408 idF BGBl II 2004/317); EWR-PsychotherapieV (BGBl II 1999/409 idF BGBl II 2004/318).
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Grundlegende Literatur: Adamovich, Notariat und Verfassung, NZ 1991, 161; Aigner, Das ärztliche Berufsrecht, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis,3. Erg.-Lief. 2006, III/1; Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 19982, 2001; Arnold, Das Berufsgeheimnis der freien Berufe, in: Ruppe (Hrsg), Geheimnisschutz im Wirtschaftsleben, 1980, 225; Benesch, Das Berufsrecht der Wirtschaftstreuhandberufe, 2005; Berka, Die Honorarrichtlinien der freien Berufe im Licht der Erwerbsfreiheit, WBl 1992, 309; Berka/ Stolzlechner, Öffentlichkeitskontakte von Rechtsanwälten, Meinungsfreiheit und Werbeverbot, 1988; BMJ (Hrsg), Die Bedeutung der freien Rechtsberufe im integrierten Europa, 1999; Berscheid/Kirschbaum, Freie Berufe in Europa, 1991; Buchinger, Freie Berufe. Regulierungssysteme. Wirtschaftstreuhänder, Architekten und Ingenieurkonsulenten, Patentanwälte, 1999 (BMwA); Budischowsky, Die Ziviltechniker in der Europäischen Union und im Europäischen Wirtschaftsraum, ÖZW 1996, 33; Crayencour, Die Europäischen Gemeinschaften und die Freizügigkeit der freien Berufe. Gegenseitige Anerkennung der Diplome, 1983; Emberger/Wallner (Hrsg), Ärztegesetz 1998 mit Kommentar, 2004; Enzinger, Gesellschaften von Angehörigen freier Berufe, Schnittstellen zwischen Gesellschafts- und Standesrecht, in: Bernat ua (Hrsg), Zum Recht der Wirtschaft. FS Krejci, Bd 1, 2001, 553; Everling, Welche gesetzlichen Regelungen empfehlen sich für das Recht der rechtsberatenden Berufe, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung in der EG?, Gutachten C für den 58. Dt Juristentag, 1990; Feil/Wennig, Anwaltsrecht4, 2006; Gmeiner, Werbung erlaubt! Werbe- und Marketingideen für Rechtsanwälte, Notare und Steuerberater, 2005; Hausreither, Das Berufsrecht der Hebamme, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis,3. Erg.-Lief. 2006, III/193; Hausreither, Die gehobenen medizinisch-technischen Dienste, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis,3. Erg.-Lief. 2006, III/135; Hempel, Die Niederlassungsfreiheit in den Europäischen Gemeinschaften und die österreichische Anwaltschaft, AnwBl 1988, 487; Hempel, Die Niederlassungsfreiheit und ihre Auswirkungen auf die Freien Berufe in Österreich, in: Korinek/Rill (Hrsg), Österreichisches Wirtschaftsrecht und das Recht der EG, 1990, 191; Hempel, Die rechtsberatenden Berufe im Europarecht, 1996; Hetz, Anwaltsgemeinschaften, 1995; Hoffmann, Die freien Berufe, AnwBl 1995, 765; Hradecky, Das Disziplinarrecht der freien Berufe, Diss Univ Wien 1998; Jirovec/Prayer, Rechtsanwälte, Wirtschaftstreuhänder und Notare im EWR, ecolex 1993, 648; Kluth/Goltz/Kujath, Die Zukunft der freien Berufe in der Europäischen Union, 2005; Knechtel, Das Recht der Notare auf Berufsausübung, 1996; Kolonovits (Hrsg), Anwaltsrecht in EU-Beitrittsländern, 2003; Krejci, Zahnarztausbildung und Berufsfreiheit, WBl 1992, 173; Krejci/Pany/Schwarzer, ZTG Ziviltechnikerrecht2, 1997; Krück, Die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zu den freien Berufen, insbesondere zur Tätigkeit der Rechtsanwälte und Notare, NZ 1990, 241; Loebenstein, Freie Berufe im Rechtsstaat, JBl 1984, 457, 517; Mayer, Rechtsanwaltschaft auf dem Weg nach Europa, 1998; Muhr, Tierärzterecht, ZfV 1993, 454; Nauta, Das Recht der freien Berufe, 1998; Puck, Die Prüfung des Bedarfes bei öffentlichen Apotheken, in: Raschauer (Hrsg), Beiträge zum Verfassungs- und Wirtschaftsrecht. FS Winkler, 1989, 213; Resch, Abgrenzungsfragen zur Eingetragenen Erwerbsgesellschaft - unter besonderer Berücksichtigung der freien Berufe, ÖJZ 2000, 377; Schellner/Strimitzer, Zusammenschluss von Freiberuflern, VWT 2002, 29; Schiebe, Anwaltliches Marketing - Vergleich berufsrechtlicher Restriktionen Englands, Deutschlands und Österreichs im europäischen Kontext, 2005; Schneider, Ärztliche Ordinationen und selbständige Ambulatorien im Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht, 2001; Serban/Heisler, Apothekengesetz und Apothekenbetriebsordnung 2005, 2005; Skiczuk, Berufs- und Tätigkeitsschutz der österreichischen Gesundheitsberufe unter besonderer Berücksichtigung der Ärzte und Psychotherapeuten, 2006; Stelzer, Die Systemisierung von Notarstellen aus verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Per-
Recht der freien Berufe
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spektive, 2001; Stolzlechner, Die Werbung der freien Berufe, insbesondere des Anwalts, AnwBl 1991, 513; Stumpf, Freie Berufe und Handwerk, in: Dauses (Hrsg), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts16, 2006, Bd 1, E.II.; Tades/Hoffmann, Rechtsanwaltsordnung8, 2005; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1991; Tschernutter/JoklikFürst, Berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten der Freiberufler, Teil 1-3, ÖStZ 2006, 86, 115, 137; Wagner/Knechtel, Notariatsordnung5, 2000; Wagner/Meisel, Notarversicherungsgesetz 1972, 2006; Windisch-Graetz, Psychotherapeuten und Psychologen, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis,3. Erg.-Lief. 2006, III/91; Wirtschaftskammer Österreich (Hrsg), Re-Regulierung der freien Berufe (Themenheft), WiPolBl 1999/4.
I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Definition Die Rechtsordnung bietet keine abstrakte Definition der freien Berufe.1 In verschiedenen Zusammenhängen werden jedoch vom österreichischen Gesetzgeber die Worte „freie Berufe“ bzw „freiberuflich“ verwendet;2 auch knüpfen manche Rechtsvorschriften am Bild des freien Berufes an, ohne diesen ausdrücklich zu nennen.3 Das Gemeinschaftsrecht kennt den analogen Typus des „reglementierten“ Berufes.4 Die wesentlichen Merkmale des Typus des freien Berufes lassen sich nur aus einer Gesamtschau ermitteln. Die „freien“ Berufe stehen im Unterschied zu 1
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Zum Begriff des freien Berufes ausführlich Loebenstein, 457 ff; vgl Hoffmann, Der freie Beruf - Versuch einer Definition, in: Ö Notariatskammer (Hrsg), Freiheit. Sicherheit. Recht. Notariat und Gesellschaft. FS Weißmann (2003), 339; aus dt Sicht Redeker, Der Rechtsanwalt: „Freier Beruf“ - „unreglementiert“, „dereguliert“, NJW 2004, 2799; umfassend Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe - Geschichtliche Entwicklung, Funktionen, Stellung im Rechtssystem, 1991. ZB § 4 Abs 2 HGB (ab 1. 1. 2007: UGB) idF HRÄG, BGBl I 2005/120; § 23 Z 1 ZÄG; § 1 Abs 1 ZTG; § 1 Abs 2 WTBG; § 3 Abs 2 ÄrzteG 1998; § 45 Z 1 MMHmG; § 80 Abs 4 Z 1 AMG; § 2 Abs 5 lit f BAG; Bsp aus Berufs-, Finanz-, Gesellschafts- und Rundfunkrecht bei Nauta, Das Recht der freien Berufe, 1998, 1 ff; vgl Art 50 lit d EGV. Etwa im Gewerberecht, wo ua Rechtsanwälte, Notare, Verteidiger in Strafsachen, Ziviltechniker, Patentanwälte und Wirtschaftstreuhänder (§ 2 Abs 2 Z 10) und ua die Ausübung der Heilkunde, der Psychotherapie und des psychologischen Berufes im Bereich des Gesundheitswesens, die zur Berufsausübung zählenden und in deren Rahmen vorgenommenen Tätigkeiten der Dentisten, Hebammen, der Tierärzte sowie der Apotheker, die Krankenpflegefachdienste, die medizinisch-technischen Dienste sowie die Sanitätshilfsdienste (Z 11) vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen werden. Vgl auch in den Kompetenzartikeln des B-VG Art 10 Abs 1 Z 6 (Notare, Rechtsanwälte und „verwandte Berufe“), Z 8 (Patentanwälte, Ingenieur- und Ziviltechnikerwesen) und Z 12 (Gesundheitswesen); mwN Nauta (FN 2), 1 ff. Vgl OGH 21.10.2004, 6 Ob 158/04k (Betriebsberater kein freier Beruf - GewO). ZB Art 8 EC-RL. Zum Begriff des freien Berufs vgl EuGH C-267/99, Adam, Slg 2001, I-7467. Ds iW an den Besitz eines Diploms oder die Erfüllung sonstiger definierter Voraussetzungen gebundene Tätigkeiten: vgl Hempel, Art 47 EGV, in: Mayer (Hrsg), Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (2003), Rz 3. Zur Definition im Erwägungsgrund 43 der BerufsanerkennungsRL 2005/36/EG: Benn-Ibler, Die Freiberuflichkeit ist definiert, AnwBl 2005, 487.
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den „gebundenen“ gewerbsmäßigen sowie unselbständigen Tätigkeiten; „frei“ bedeutet in diesem Zusammenhang frei vom Staat, aber auch gegenüber Dritten.5 Den sog freien Berufen ist gemeinsam, dass für den Auftraggeber eine geistige Leistung, die idR zugleich öffentliche Interessen erfüllt, aufgrund besonderer Qualifikation persönlich (überwiegend in einem besonderen Vertrauensverhältnis), selbständig, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig erbracht wird. Zu den Elementen, die auch den Gewerben eigen sind (selbständig, planmäßig, relativ dauernd, nach außen tretend, erlaubt und mit Gewinnerzielungsabsicht6),7 treten bei den freiberuflichen Tätigkeiten insb die höhere Bildung und das besondere Vertrauensverhältnis, das in der Pflicht zur persönlichen Berufsausübung und spezifischen Verschwiegenheits- und Treuepflichten zum Ausdruck kommt, hinzu.8 Sie sind qualifizierte gewerbliche Tätigkeiten, ohne in den Anwendungsbereich der GewO zu fallen.9 Die berufsrechtlichen Vorschriften für die freien Berufe sind an das jeweilige Berufsbild angepasst. Die „klassischen“ freien Berufe sind durch Selbstverwaltung im Kammersystem gekennzeichnet:10 Dazu zählen Ärzte, Apotheker, Ziviltechniker (Architekten, Ingenieurskonsulenten), Notare11, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Tierärzte, Wirtschaftstreuhänder (Selbständiger Buchhalter, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer)12, Zahnärzte13. Ihnen ist regelmäßig eine eigene Standes-
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Loebenstein (FN 1), 458. Früher wurden ausschließlich altruistische Motive verlangt: Nauta (FN 2), 2 f; der zugrundeliegenden „ethischen Pflicht“ wird noch ein Vorrang gegenüber der Gewinnerzielungsabsicht eingeräumt von Loebenstein (FN 1), 458. Nauta (FN 2), 3; Krejci, EGG Erwerbsgesellschaftengesetz, 1991, § 1 Rz 68, 90 f. Zur Definition der freien Berufe vgl auch Krejci (FN 7), § 1 Rz 83 ff. Vgl die oben wiedergegebenen Ausnahmen in der GewO. Vgl Hochegger, Was spricht für eine österreichische Rechtsanwaltskammer?, AnwBl 1999, 78; Hoffmann, Gedanken zur Selbstverwaltung der freien Berufe, NZ 1996, 228; ders, Freie Berufe in Österreich, AnwBl 2000, 57; Nauta (FN 2), 106 ff. Zum EU-Recht: Kluth/Goltz, Kammern der berufsständischen Selbstverwaltung in der EU, 2004. Zur Beleihung beruflicher Selbstverwaltungskörper: Tessar, Rechtsstaatliche Vorgaben für die Betrauung von Ärztekammern mit hoheitlichen Vollzugsaufgaben, ÖJZ 2005, 785. Zur Wahlproblematik: Bammer, Das geltende Kammerwahlrecht und seine Alternativen, AnwBl 2006, 134; Poier, Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für Rechtsanwaltskammerwahlen, AnwBl 2006, 125. Vgl VwGH 30. 3. 2004, 2002/06/0160 (keine Anwendung der VerwVerfG durch RAK); VwGH 29. 9. 1999, 98/11/0169 = ZfVB 2000/2056 (Kammerzugehörigkeit am Ort der tatsächlichen Ausübung). Die Problematik der verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltung bleibt hier weitestgehend ausgeklammert; zur verfassungswidrigen, die Grenzen der Selbstverwaltung überschreitenden EDVAbrechnung für (Vertrags-)Ärzte (auch Nicht-Hauptverbandsmitglieder): VfGH 19. 6. 2006, G 145/05, V 106, 107/05. Dem Notar kommt insoweit eine Sonderstellung unter den freien Berufen zu, als er (auch) ein öffentliches Amt bekleidet (§ 1 NO), was uU abweichende Regelungen zur Folge hat: im Europarecht (Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit): Nauta (FN 2), 170 ff; sowie innerstaatlich (Notarstellen und Erwerbsfreiheit): Nauta (FN 2), 47 ff. Vgl ua zu den Wirtschaftstreuhändern Vráblová, Das Recht der wirtschaftsberatenden Berufe, 2004.
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gerichtsbarkeit eigen.14 Ihre Interessen werden koordiniert vom Bundeskomitee freie Berufe Österreichs, zu dem sich die Kammern verbunden haben, vertreten. Inhaltlich lassen sie sich untergliedern in rechtsberatende (Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte), medizinische (Ärzte, Zahnärzte, Dentisten, Tierärzte, Apotheker, Hebammen und die - allerdings nicht verkammerten - Psychologen und Psychotherapeuten),15 technische (Ziviltechniker, Architekten) und wirtschaftsnahe Berufe (Wirtschaftstreuhandberufe). Neben den klassischen werden die „sonstigen“ freie Berufe genannt, bei denen die typischen Wesensmerkmale eher nicht überwiegen: ua medizinisch-technische Dienste und Heilmasseure,16 Künstler, Schriftsteller, Journalisten, Bildberichterstatter und Dolmetscher.17 Hier soll das Augenmerk auf den klassischen freien Berufen liegen.
2. Regelungszweck Das Recht der freien Berufe besteht zum größten und wesentlichen Teil aus Sonderregelungen, „die den Zugang zum Markt (Erwerbsantrittsregelungen) oder die Ausübung von wirtschaftlichen Tätigkeiten beschränken (Erwerbsausübungsregelungen)“18. Solche Bestimmungen über den Erwerb der Berufsberechtigung sowie Berufsausübungsregelungen - insb verwaltungsrechtliche Berufsstatute - kann man, soweit sie nicht ohnehin Teil eines selbständigen 13
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Vgl die Herauslösung aus der Ärztekammer durch das ZÄKG 2005; vgl das Auslaufen der Dentisten(kammer); aus dt Sicht aber auch begrifflich definierend vgl Tettinger, Grundfragen zahnärztlicher Freiberuflichkeit, MedR 2001, 287. Loebenstein (FN 1), 458. Vgl Skiczuk, Berufs- und Tätigkeitsschutz der österreichischen Gesundheitsberufe unter besonderer Berücksichtigung der Ärzte und Psychotherapeuten, 2006; Schwarz, Praxiswissen Gesundheitsberufe, 2006; zu einzelnen Berufsgruppen vgl Aigner, Das ärztliche Berufsrecht, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis,3. Erg.-Lief. 2006, III/1; Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 19982, 2001; Emberger/Wallner (Hrsg), Ärztegesetz 1998, 2004; Hausreither, Das Berufsrecht der Hebamme, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis,3. Erg.-Lief. 2006, III/193; Windisch-Graetz, Psychotherapeuten und Psychologen, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis,3. Erg.-Lief. 2006, III/91; Firlei ua (Hrsg), Jahrbuch für Psychotherapie und Recht, 2000 ff; aus sozialrechtlicher Sicht Resch, Psychotherapeuten und Psychologen, in: Grillberger/Mosler (Hrsg), Europäisches Wirtschaftsrecht und soziale Krankenversicherung, 2003, 445. Zur freiberuflichen Berufsausübung vgl §§ 36 ff und 39 GuKG, § 46 MMHmG (dazu vgl VfSlg 17309/2004; VfGH 15. 3. 2006, V 105/05), §§ 7, 7a MTD-G (dazu EuGH 9. 9. 2004, Rs C-81/03, Komm gg Ö = zfhr 2005, 25: Verbot freiberuflicher Ausübung bestimmter medizinisch-technischer Berufe verstößt gg Art 43, 49 EGV) und § 52 Abs 4 MTF-SHD-G (nur Krankenpflegefachdienst nach § 5); dazu Hausreither, Die gehobenen medizinisch-technischen Dienste, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis,3. Erg.-Lief. 2006, III/135; vgl außerdem die Tätigkeiten Diplomierte/-r Krankenschwester/-pfleger und die zu ihrer Dienst- bzw Niederlassungsfreiheit ergangenen RL 77/452/EWG, Abl 1977 L 176/1 und RL 77/453/EWG, Abl 1977 L 176/8. Nauta (FN 2), 7. Raschauer, Allgemeiner Teil, in: Raschauer, Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, Rz 4 (Hervorhebungen im Original). Daneben zählt er Regelungen des staatlichen Wirtschaftens, mit anderen Worten den Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung, und, als dritte Säule, das Wirtschaftsverfassungsrecht zum (öffentlichen) Wirtschaftsrecht: ders, ibid, Rz 12 und 13.
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Rechtsgebiet (zB Arbeits- oder Finanzrecht) sind, als „öffentliches Wirtschaftsverwaltungsrecht“ bezeichnen.19 Neben diesem Berufsrecht im engeren Sinn gehören auch Disziplinarrecht und Kammerrecht zum Recht der freien Berufe, was oft eine Zersplitterung der Rechtsgrundlagen zur Folge hat. Neben einer Berufsordnung ieS existieren eigene Ausbildungs- bzw Prüfungsgesetze, eigene Gesetze betreffend die Niederlassung, ein Disziplinarrecht und zudem die Vertretung in Kammern regelnde Gesetze. Ein Bsp für eine Vereinheitlichung und Neuordnung in möglichst einem Gesetzeswerk bietet das WTBG 1999, das die WTBO, das Wirtschaftstreuhänder-KammerG und die Wirtschaftstreuhänder-Disziplinarordnung ersetzt. Zweck des Rechts der freien Berufe ist insgesamt die rechtliche Regulierung bestimmter, als besonders schützenswert und besonders im öffentlichen Interesse stehender Formen der Erwerbstätigkeit im Hinblick auf ihren Antritt und ihre Ausübung.
3. Aktuelle Entwicklungen Grundsätzliche Entwicklungstendenzen im Recht der freien Berufe betreffen Deregulierungsmaßnahmen im Sinne einer Öffnung im Bereich sowohl des Berufszugangs wie auch der Berufsausübung (insb verstärkter Wettbewerb, erweiterte Werbemöglichkeiten, Aufweichung von Berufs- und Tätigkeitsschutz); wobei auch gegenläufige Tendenzen geortet werden.20 Eine zunehmende Internationalisierung va innerhalb der EU bringt neben neuen Erwerbschancen zusätzlichen Konkurrenzdruck und verursacht Liberalisierungsmaßnahmen auf dem Sektor der freien Berufe.21 Materielle Liberalisierung geht dabei aber nicht notwendig mit einer Verringerung der Rechtsvor19 20
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Raschauer, Allgemeiner Teil, in: Raschauer (FN 18), Rz 15. Vgl einerseits Basedow, Die Deregulierung der Rechtsberatung. Freie Berufe zwischen Standesrecht und Wettbewerb, NZ 1990, 187; Deregulierungsarg auch in RV 1638 BlgNR 20. GP zum RA-BRÄG 1999; Kluth/Goltz/Kujath, Deregulierung des Rechts der freien Berufe auf der Grundlage vorliegend quantitativer Analysen, 2003; Redeker (FN 1); andererseits WKÖ (Hrsg), Re-Regulierung der Freien Berufe, WiPolBl 1999/4; Ahrens, Das besondere Verhältnis der rechtsberatenden freien Berufe zu ihren Klienten - Wider verfehlte Deregulierungsthesen, NZ 1991, 288; Stürner/Bormann, Der Anwalt - vom freien Beruf zum dienstleistenden Gewerbe? Kritische Gedanken zur Deregulierung des Berufsrechts und zur Aushöhlung der anwaltlichen Unabhängigkeit, NJW 2004, 1481. Vgl die Mitteilung der EU-Kommission „Freiberufliche Dienstleistungen - Raum für weitere Reformen“ zur Überprüfung und Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen, KOM (2005) 405 end. v 5. 9. 2005 (IP/05/1089); die Bestandsaufnahme zur Regulierung der freien Berufe der Generaldirektion Wettbewerb der EUKommission (http://ec.europa.eu/comm/competition/publications/prof_services/executive_de.pdf) in Folge der IHS-Studie „Wirtschaftliche Auswirkungen einzelstaatlicher Regelungen für freie Berufe“; die Entschließung des EU Parlaments v 16. 12. 2003 zu Marktregelungen und Wettbewerbsregeln für die freien Berufe, Abl 2004 C 91 E/126; gegen einen ungeregelten Preiswettbewerb und die fundamentale Rolle der (reglementierten) Rechtsberufe betonend vgl freilich die Entschließung des EU Parlaments zu den Rechtsberufen und dem allgemeinen Interesse an der Funktionsweise der Rechtssysteme v 23. 3. 2006. Vgl auch Hellwig, Perspektiven der deutschen Anwaltschaft ex Europa, NJW 2005, 1217; Kluth/Goltz/Kujath, Die Zukunft der freien Berufe in der Europäischen Union, 2005 (insb ad Steuerberater); Prieto, Professions libérales, concurrence et libre circulation, RAE (Revue des Affaires Européennes) / LEA (Law & European Affairs) 2005, 447.
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schriften einher: Ua werden - möglicherweise als Kompensation formeller Lockerungen - neuerdings gehäuft materielle Regelungen auch im Wege der Selbstbindung erlassen, insb zur Qualitätssicherung der Berufsausübung.22 Umfassende Neuregelungen fanden in jüngerer Zeit auf dem Gebiet des Berufsrechts der Zahnärzte statt, das 2005 aus dem allgemeinen Ärzterecht herausgebrochen, kodifiziert und erneuert und zugleich um ein eigenes Kammerrecht ergänzt wurde; die Berufsgruppe der Dentisten lief aus.23 Neuregelungen betrafen auch Patent- (2001), Rechtsanwälte, Notare und Ziviltechniker (BRÄG 2006, BGBl I 2005/164). Nach der umfassenden Reform 1999 führte die WTBG-Nov 2005 die Berufsgruppe der Buchprüfer in die der Wirtschaftsprüfer über; die zuvor zwingende Steuerberater- vor der Wirtschaftsprüferausbildung entfiel.24 Berufsgemeinschaften wurden zT erweitert zugelassen (zB Rechtsanwaltspartnerschaften bzw -GmbHs, Ärztegruppenpraxen, multidisziplinäre Wirtschaftstreuhänder-Partnerschaften) und Begleitregelungen getroffen (zB Versicherungspflicht). Nicht zuletzt bringt das neue Unternehmensgesetzbuch (UGB), das das HGB ab 1. 1. 2007 ersetzt und umfassend reformiert, Neuerungen für die freien Berufe (vgl unten II. B. 3. b). Faktische Entwicklungen wie technische, insb elektronische Neuerungen erfordern Neuabgrenzungen und –definitionen der Tätigkeitsfelder. Bemühungen in der (internationalen) Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung justieren das Verhältnis zwischen geschützter Klientenvertrauensbeziehung der freien Berufe (Berufsgeheimnis) und berechtigten Allgemeininteressen neu.25
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Vgl div Codes of Conduct und Qualitätssicherungsmaßnahmen wie die AbschlussprüferRL 2006/43/EG zur Qualitätssicherung der Wirtschaftsprüfung; das Abschlussprüfungs-QualitätssicherungsG, BGBl I 2005/84; das GesundheitsqualitätsG, BGBl I 2004/179 (Art 9); den Geschäftsbereich „Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen“ der Gesundheit Österreich GmbH (BG über die Gesundheit Österreich GmbH - GÖGG, BGBl I 2006/132, RV 1622 BlgNR 22. GP); § 118c ÄrzteG 1998 idF BGBl I 2004/179, iVm der V der Ö ÄK zur Qualitätssicherung der ärztlichen Versorgung durch niedergelassene Ärzte/Ärztinnen und Gruppenpraxen QS-V 2006 vom 16.12.2005 (in Kraft mit 24.2.2006), http://www.aerztekammer.at/ service/QS_VO2006.pdf); vgl Stöger, Rechtliche Aspekte von Qualitätssicherung in der Medizin, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis, 3. Erg.-Lief. 2006, I/249; ders., Qualitätssicherung an der Schnittstelle zwischen Medizin und Recht, in: Jabornegg ua (Hrsg), Qualitätssicherung für Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003, 35. Vgl ZÄG, BGBl I 2005/126 idF BGBl I 2006/80; ZÄKG, BGBl I 2005/154 idF BGBl I 2006/80; ZÄK-Reform-BegleitG, BGBl I 2005/155. Vgl Benesch, Das Berufsrecht der Wirtschaftstreuhandberufe, 2005. Vgl die Anzeige- und Meldepflichten verschärfende ÄrzteG-Nov 2001 sowie anwaltliche Anzeigepflichten durch die GeldwäscheRL; siehe unten III.B.2. Das dt BVerfG (2. 6. 2005 - 2 BvR 334/05) wertet den Schutz der Vertrauensbeziehung als besonderes Verhältnismäßigkeitskriterium bei Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei; vgl im Lichte des Art 8 MRK EGMR Fall Wieser und BICOS gg Ö, BeschwNr 74336/01, 16. 5. 2006 (zulässig) = NL 2006, 119. Vgl auch Pfromm/Hentschel, Zum Umfang des Legal Privilege in Kartellrechtsverfahren: Das gemeinschaftsrechtliche Gebot umfassender Vertraulichkeit der Anwaltskorrespondenz, EWS 2005, 350.
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4. Zweck der Untersuchung Das gesamte Recht der freien Berufe (als Erwerbsantritts- und -ausübungsrecht) ist als überwiegend öffentliches Wirtschaftsverwaltungsrecht von Wirtschaftsrelevanz. Im vorgegebenen Rahmen kann jedoch keine umfassende Darstellung - auch nicht „nur“ des Rechts der klassischen freien Berufe - geleistet werden. Die Auswahl der abgehandelten Fragen aus dem umfangreichen und vielschichtigen Rechtsgebiet wurde nach Bedeutungs- und Aktualitätsgrad getroffen.26 Eingehender werden daher gemeinschaftsrechtliche Einflüsse und gemeinschaftliche Zusammenarbeit behandelt; so manch berufsspezifisches Einzelproblem wie auch Fragen der Kammerorganisation sowie –mitgliedschaft und Selbstverwaltung bleiben trotz wirtschaftlicher Bedeutung ausgeblendet.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Nach Art 10 Abs 1 B-VG ist der Bund zur Gesetzgebung und Vollziehung in den im Folgenden genannten, die freien Berufe betreffenden Angelegenheiten zuständig: Gemäß Z 6 fallen die „Angelegenheiten der Notare, der Rechtsanwälte und verwandter Berufe“ in die Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenz des Bundes. Darauf gründen sich die RAO, das Disziplinarstatut und die NO, dh im Wesentlichen das Berufsrecht, aber auch etwa der Verwaltungsstraftatbestand der Winkelschreiberei (Art IX Abs 1 Z 1 EGVG)27. Ob der Beruf des Wirtschaftstreuhänders als ein dem Rechtsanwalt verwandter Beruf iSd Art 10 Abs 1 Z 6 anzusehen ist28 oder dem Gewerbetatbestand des Art 10 Abs 1 Z 8 unterfällt, ließ der VfGH im Hinblick auf das gleiche Ergebnis (Bundeszuständigkeit) offen;29 das WTBG 1999 selbst stützt sich freilich ausdrücklich auf den Gewerbetatbestand.30 Die grundsätzliche Zuständigkeit beinhaltet dabei auch die Befugnis zur Regelung von Leistungs- und Umlagenordnungen.31 Z 8 ermächtigt ebenso den Bund zur Regelung und Vollziehung der „Angelegenheiten der Patentanwälte“ und des Ingenieur- und Ziviltechnikerwesens. Auf dieser Grundlage ergingen das PatentanwaltsG, das ZiviltechnikerG und das ZiviltechnikerkammerG. Die jeweilige Regelungskompetenz umfasst neben dem Berufsrecht auch die Angelegenheiten der beruflichen Vertretung,32 und zwar gleichgültig, ob sich diese auf das ganze Bundesgebiet erstrecken oder nicht.33 Für die Organi26 27 28 29 30 31 32 33
Auch im Hinblick auf (neuerungsbedingtes) Fehlen in vorliegenden Darstellungen, insb von Nauta (FN 2). VwSlg 12833 A/1988 unter Berufung auf VwGH 30. 11. 1964, 10/64. So Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht. Kurzkommentar3, 2002, I.6., zu Unrecht unter Berufung auf VfSlg 3751 [„3571“ Fehlzitat]. VfSlg 3751/1960. Allg Teil RV 1273 BlgNR 20. GP. Vgl Mayer (FN 28), I.6 zu Art 10 Abs 1 Z 6 unter Berufung auf VfSlg 8703/1979. ZB VfSlg 6751/1972; ua VfSlg 5129/1965 (Kammern und Disziplinarbehörden für Rechtsanwälte). VfSlg 5129/1965 (Rechtsanwaltskammern und Disziplinarbehörden), VfSlg 6767/1972 (Notariatskammern).
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sation in beruflichen Selbstverwaltungskörpern (Kammern)34 der sonstigen freien Berufe, deren Vertretung nicht besonderen Kompetenztatbeständen zugeordnet ist, spielen die zu einander komplementären Kompetenztatbestände der „Einrichtungen beruflicher Vertretungen, sofern sie sich auf das ganze Bundesgebiet erstrecken“ (Art 10 Abs 1 Z 8) und der „berufliche[n] Vertretungen, sofern sie nicht unter Art. 10 fallen“ (Art 11 Abs 1 Z 2) eine Rolle.35 So stützten sich die Regelungen der beruflichen Selbstverwaltung im ÄrzteG36 sowie im TierärzteG auf die Kompetenzgrundlagen der „Einrichtungen beruflicher Vertretungen, sofern sie sich auf das ganze Bundesgebiet erstrecken“ (Art 10 Abs 1 Z 8) hinsichtlich der Bundeskammer, und die der „berufliche[n] Vertretungen, sofern sie nicht unter Art. 10 fallen“ (Art 11 Abs 1 Z 2), für die Landeskammern. Inwieweit jedoch die sonstigen allgemeinen Kompetenzgrundlagen, die nicht ausdrücklich die Angelegenheiten bestimmter freier Berufe zum Inhalt haben, auch deren berufliche Selbstverwaltung bzw Kammereinrichtung mit umfassen, bleibt jeweils zu prüfen.37 In den Erläuterungen zum ApothekerkammerG 2001 werden jedenfalls „Art. 10 Abs. 1 Z 8 und 12 B-VG“ als verfassungsrechtliche Grundlagen genannt.38 Im Hinblick auf das gleiche Ergebnis (Bundeszuständigkeit) kann dies wohl auch dahingestellt bleiben. Aufgrund der genannten Kompetenzartikel ist die Verfassungsmäßigkeit der einfachgesetzlichen Einrichtung der Kammern der freien Berufe (berufliche Selbstverwaltung) nicht in Frage zu stellen.39 Im übrigen beruht das TierärzteG auf dem Tatbestand des Veterinärwesens (Art 10 Abs 1 Z 12);40 das ÄrzteG auf jenem des Gesundheitswesens (Art 10 Abs 1 Z 12): Auf der Grundlage dieser Bundeskompetenz wurden auch das ZÄG 2005, das ApothekenG und das ApothekerkammerG erlassen; unter den Tatbestand des Gesundheitswesens fallen zB auch Regelungen über die Eintragung in die Ärzteliste41 oder Vorschriften über die Erteilung und Zurücknahme von Niederlassungsbewilligungen für Hebammen.42
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Zur Problematik und zu den Schranken der beruflichen Selbstverwaltung vgl Nauta (FN 2), 97 ff; vgl VfGH 19. 6. 2006, G 145/05 ua (EDV-Abrechnung für auch Nicht-Mitgliedsärzte überschreitet Selbstverwaltungskompetenz). VfSlg 6751/1972. VfSlg 4413/1963 (Ärztekammern). Nach VfSlg 1537/1947 sind etwa die Kompetenzen zur Regelung der Berufsausübung verschieden und zu unterscheiden von der Regelung der beruflichen Vertretungen. RV 628 BlgNR 21. GP. Vgl VfSlg 8215/1977; mwN Nauta (FN 2), 102; allg zur verfassungsrechtlichen Problematik der einfachgesetzlich geregelten Selbstverwaltung vgl Korinek, Wirtschaftliche Selbstverwaltung, 1970, insb 8 ff, 39 ff; Werner, Selbstverwaltung und Bundesverfassung, ÖJZ 1950, 437. Vgl Muhr, Tierärzterecht, ZfV 1993, 454 (456). VfSlg 4413/1963. VfSlg 3631/1955.
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C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen43 1. Gemeinsames zu Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit44 a) Allgemeines Für die Frage der Berechtigung der Freiberufler zu grenzüberschreitender,45 selbständiger, erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit sind die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten der Niederlassung (Art 43-48 EGV) und der Dienstleistung (Art 49-55 EGV) von unmittelbarer Bedeutung.46 Adressaten sind Unionsbürger oder auch Gesellschaften mit (Haupt)Sitz oder Verwaltung im Unionsgebiet (vgl Art 48), die eine (freie) Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben bzw ausüben wollen. Die beiden Grundfreiheiten unterscheiden sich in einem zeitlichen Moment: Während die Niederlassungsfreiheit die Freizügigkeit der dauerhaft selbständig Erwerbstätigen garantiert, schützt die Freiheit der Dienstleistung die vorübergehende47 Ausübung (und auch Inanspruchnahme - passive Dienstleistungsfreiheit) selbständiger Erwerbstätigkeit im EU-Ausland. Der gem Art 50 Abs 3 EGV vorübergehende Charakter der Dienstleistung ist dabei unter Be-
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Das sonstige Völkerrecht (bzw „soft law“) wird hier ausgeblendet; vgl zB im Rahmen des Europarates die Empfehlung des Ministerkomitees vom 25. 10. 2000, Rec (2000) 21 zur anwaltlichen Berufsausübung; mwH zB auf die „Working Party on Professional Services (WPPS)“ im Rahmen der WTO bzw den CCBE (Vereinigung der nationalen europäischen Anwaltschaften) Standesrechtskodex, Feil/Wennig, Anwaltsrecht4, 2006, 430; s Löber, „Liberalisierung“ im Anwaltsberuf. Internationale Regulierungstendenzen, AnwBl 1997, 387; vgl den Europäischen Kodex des notariellen Standesrechts = Wagner/Knechtel, Notariatsordnung5, 2000, 927. Vgl auch das Übereinkommen zwischen Österreich und dem Deutschen Reiche über die gegenseitige Zulassung der an der Grenze wohnhaften Medizinalpersonen (Ärzte, Tierärzte, Hebammen) zur Ausübung der Praxis, BGBl 1937/109; sowie die Übereinkommen über die postpromotionelle Ausbildung liechtensteinischer (BGBl 1980/528) sowie luxemburgischer (BGBl 1977/303) Ärzte in Österreich. Für Apotheker - in mehrfacher Hinsicht „besondere“ freie Berufe - spielt die gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheit des Warenverkehrs eine zusätzliche Rolle, auf die im folgenden aber nicht eingegangen wird; vgl dazu VwGH 28. 2. 2005, 2001/10/0152 = ZfVB 2006/566, 350; Koenig/Engelmann, E-Commerce mit Arzneimitteln im Europäischen Binnenmarkt und die Freiheit des Warenverkehrs, ZUM 2001, 19 (Online-Apotheken); Koenig/Müller, Der werbliche Auftritt von OnlineApotheken im Europäischen Binnenmarkt, WRP 2000, 1366; vgl EuGH Rs C-322/01, Dt Apothekerverband gg Doc Morris, Slg 2003, I-14887 = EuZW 2004, 21 (Versandhandel mit Arzneimitteln). Im EU-Raum; zur Rechtslage betreffend die Schweiz, wo Abkommen bestehen, vgl Kilian, Das Abkommen über den freien Personenverkehr zwischen der Europäischen Union und der Schweiz. Neue Betätigungsmöglichkeiten für Europas Rechtsanwälte, ZEuP 2000, 601. Ausführlich - mit Blick auf die freien Berufe - Nauta (FN 2), 139 ff; vgl auch Hempel, Die Niederlassungsfreiheit und ihre Auswirkungen auf die Freien Berufe in Österreich, in: Korinek/Rill (Hrsg), Österreichisches Wirtschaftsrecht und das Recht der EG, 1990, 191. EuGH Rs C-55/94, Gebhard, Slg 1995, I-4165 = AnwBl 1996, 18 (Einrichtung einer Anwaltskanzlei).
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rücksichtigung von Dauer, Häufigkeit, regelmäßiger Wiederkehr und Kontinuität zu beurteilen.48 b) Schutzumfang Die genannten Grundfreiheiten erfassen dabei auf Eingriffsebene potenziell drei Fälle: Inländische Zugangsschranken zu freiberuflichen Tätigkeiten können Ausländern entweder Auflagen vorschreiben, die inländische Konkurrenten nicht zu erfüllen haben (Diskriminierung) oder zwar nicht am Staatsangehörigkeitsmerkmal anknüpfen, aber dennoch überwiegend Ausländer treffen (versteckte oder mittelbare Diskriminierung).49 Diesbezüglich enthalten die betreffenden Freiheiten ein Diskriminierungsverbot. Das Diskriminierungsverbot kann dabei Drittwirkung entfalten, sodass es auch Private, im gegebenen Zusammenhang insb Berufskammern und Berufsverbände, verpflichten kann.50 Prinzipiell schützt die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeit sowie die Gründung von Unternehmen nach den Regeln des Aufnahmestaates (vgl Art 43: „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen“).51 Diese die Personenverkehrsfreiheit beschränkenden mitgliedstaatlichen Regeln sind nicht notwendig diskriminierend, beschränken aber die Niederlassungs- bzw Dienstleistungsfreiheit. Auf die nähere Unterscheidung zwischen bloßen Diskriminierungsverboten bzw der Herstellung der Inländergleichbehandlung auf der einen und (allgemeinen) Beschränkungs- bzw Behinderungsverboten auf der anderen Seite sei hier nur verwiesen.52 Es ist strittig,53 aber mit dem EuGH54 zu bejahen, dass der Schutzumfang auch diskriminierungsfreie beschränkende Maßnahmen und
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Vgl Frieders, Grenzziehung zwischen Dienstleistung und Niederlassung durch den EuGH: Der Fall Gebhard, AnwBl 1996, 9; Mayer, Art 43 EGV, in: Mayer (Hrsg), Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (2003), Rz 7, 12 und 22; Budischowsky, Art 49, 50 EGV, in: Mayer (Hrsg), Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (2003), Rz 51. Everling, Welche gesetzlichen Regelungen empfehlen sich für das Recht der rechtsberatenden Berufe, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung in der EG?, Gutachten C für den 58. Deutschen Juristentag, 1990, 35; vgl ua diesbez aktuelle Mahnschreiben der Kommission an Österreich zum Apothekenrecht. Lenz/Borchardt (Hrsg), EU- und EG-Vertrag3, 2003, Art 46 Rz 6, mit Hinweis auf EuGH, Rs 38/87, Kommission gg Griechenland, Slg 1988, 4415; allgemein vgl Lengauer, Drittwirkung von Grundfreiheiten - Eine Besprechung der Rs C-281/98, Angonese, ZfRV 2001, 57; dies., EuGH-Urteil Angonese: Drittwirkung von Grundfreiheiten?, ecolex 1991, 97. Vgl EuGH Rs C-55/94, Gebhard, Slg 1995, I-4165 = AnwBl 1996, 18 (Einrichtung einer Anwaltskanzlei). Vgl Nauta (FN 2), 143 f und 152 f; vgl auch Arndt, Europarecht4, 1999, 122 f; mwH und einer neuen Einteilung in Eingriffe in den Kernbereich, diskriminierende Maßnahmen, Doppelbelastungen, Marktzutrittsschranken und sonstige Hindernisse Eilmansberger, Die Reichweite der Grundfreiheiten des Binnenmarktes, JBl 1999, 345 (I) und 434 (II) (zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit insb 351, 358, 360 f, 366). Vgl Arndt (FN 52), 123. EuGH Rs C-55/94, Gebhard, Slg 1995, I-4165 = AnwBl 1996, 18 (Einrichtung einer Kanzlei - Anwaltsniederlassung).
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damit ein Beschränkungsverbot umfasst;55 die betreffenden Freizügigkeitsregeln beinhalten beide Komponenten. Beschränkungen sind nur zulässig, wenn sie gerechtfertigt sind. Insgesamt sind daher die mitgliedstaatlichen Bedingungen zu Berufsausübung und -zugang auch von grenzüberschreitend erwerbstätigen Ausländern grundsätzlich zu erfüllen; sie müssen aber uU einer Rechtfertigungsprüfung standhalten.56 Als Rechtfertigungstatbestände für Beschränkungen kommen zunächst eigene Schrankenregelungen in Betracht: Nach Art 46 EGV (bzw Art 55 iVm 46) können (an sich) Verstöße gegen die Inländergleichbehandlung im Hinblick auf Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zulässig sein;57 diese Bestimmung rechtfertigt ihrem Wortlaut nach allerdings nur Diskriminierungs- nicht aber Beschränkungsregeln.58 Der grundsätzlichen Mobilität sind damit auch Grenzen im Hinblick auf das Ziel des Gesundheitsschutzes gezogen,59 was insb für Beschränkungen der Personenfreiheiten von Ärzten bzw (freien) Gesundheitsberufen bedeutsam sein kann. Darüber hinaus judiziert der EuGH immanente Schranken der Personenverkehrsfreiheiten, so ließ er etwa ungeschriebene „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“ als Rechtfertigung gelten.60 So hat der EuGH auch die Niederlassungsfreiheit freier Berufe einschränkende nationale Maßnahmen - im Wege der Annahme immanenter Schranken - als gerechtfertigt erkannt, wenn vier Voraussetzungen vorliegen: Anwendung in nicht-diskriminierender Weise, Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, Eignung zur Verwirklichung des verfolgten Ziels, Einhaltung des für die Erreichung des Ziels erforderlichen Ausmaßes.61 Die Schrankenregelungen müssen sich ihrerseits wieder an Schranken-Schranken (iW Diskriminierungsverbot und Verhältnismäßigkeitsklausel) messen lassen.62 Immanente Schranken können außerdem nur unterschiedslos wirkende Maßnahmen rechtfertigen, dh nur Beschränkungen, nicht aber Diskriminierungen.63 c) Wirkung Den genannten Freiheiten wird vom EuGH unmittelbare Anwendbarkeit zuerkannt; dh sie können von Angehörigen der Mitgliedstaaten gegenüber dem
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Vgl EuGH Rs C-55/94, Gebhard, Slg 1995, I-4165 = AnwBl 1996, 18 (Einrichtung einer Anwaltskanzlei); näher Nauta (FN 2), 144 ff. EuGH Rs C-55/94, Gebhard, Slg 1995, I-4165 = AnwBl 1996, 18 (Einrichtung einer Kanzlei). Der jedoch als Ausnahmebestimmung eng auszulegen ist: Lenz/Borchardt (Hrsg), EU- und EG-Vertrag3, 2003, Art 46 Rz 1. Vgl Arndt (FN 52), 97. Vgl auch unten zu Art 47 Abs 3 EGV. EuGH Rs 33/74, van Binsbergen, Slg 1974, 1299. EuGH Rs C-55/94, Gebhard, Slg 1995, I-4165 = AnwBl 1996, 18 (Einrichtung einer Kanzlei); EuGH Rs C-250/03, Mauri, Slg 2005, I-1267 (italien Prüfungsordnung für Rechtsanwälte). Arndt (FN 52), 98. Vgl Arndt (FN 52), 98.
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Aufnahmestaat unmittelbar geltend gemacht werden.64 Entgegenstehendes nationales Recht hat unangewendet zu bleiben.65 Das impliziert, dass sich Rechtsfolgen nicht nur aus aufgrund der Grundfreiheiten ergangenem Sekundärrecht bzw nationalen Umsetzungsmaßnahmen, sondern uU direkt aus den primärrechtlichen Personenverkehrsfreiheiten ergeben können. So leitet der EuGH unmittelbar aus der (direkt anwendbaren) Niederlassungsfreiheit - unabhängig vom Bestehen spezifischer oder allgemeiner AnerkennungsRL - die Verpflichtung der Staaten bzw der jeweiligen Behörden ab, bei der Prüfung der Zulassung zu einem Beruf, dessen Aufnahme nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation oder von Zeiten praktischer Erfahrung abhängt, sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstige Befähigungszeugnisse sowie die einschlägige Erfahrung des Betroffenen zu berücksichtigen.66 Die Mitgliedstaaten müssen die Gleichwertigkeit der Diplome anerkennen und gegebenenfalls eine vergleichende Prüfung der in ihren nationalen Vorschriften geforderten Kenntnisse bzw Qualifikationen mit jenen des Betroffenen vornehmen (materielle Gleichwertigkeitsprüfung).67 Der Niederlassungsfreiheit ist also auch in Fällen direkt zum Durchbruch zu verhelfen, in denen der Betreffende nicht die verlangte nationale Qualifikation, sondern nur eine vergleichbare, aber gleichwertige Qualifikation und Ausbildung hat,68 wobei die Beurteilung der Frage der Gleichwertigkeit Sache der nationalen Behörden ist.69 d) Ausnahmen Eine generelle Ausnahme vom Anwendungsbereich der Niederlassungs- bzw Dienstleistungsfreiheit statuieren die Art 45 Abs 1 EGV bzw Art 55 EGV für 64
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EuGH Rs 2/74, Reyners, Slg 1974, 631 (Niederlassungsfreiheit); EuGH Rs 33/74, van Binsbergen, Slg 1974, 1299 (Dienstleistungsfreiheit, insoweit dadurch Diskriminierungen beseitigt werden); vgl Oppermann, Europarecht3, 2005, Rz 1589 und 1597. Lenz/Borchardt (Hrsg), EU- und EG-Vertrag3, 2003, Art 43 Rz 4. Vgl EuGH Rs C-340/89, Vlassopoulou, Slg 1991, I-2357, Rz 16; EuGH Rs C319/92, Haim I, Slg 1994, I-425, Rz 28; EuGH Rs C-234/97, Fernández de Bobadilla, Slg 1999, I-4773, Rz 29 ff; EuGH Rs C-238/98, C-16/99, Hocsman und Erpelding, 14. 9. 2000 = Slg 2000, I-6821 = ecolex 2001, 335 (337) = ELR 2000, 335 = ÖHZ 2001, 13; idF VwGH 25. 11. 2003, 2002/11/0141 = ZfVB 2005/30, 46 (Anerkennung von Arztdiplomen); vgl Nourissat, La reconnaissance des diplômes dans le domaine de la santé: problèmes choisis, RAE/LEA 2005, 43; EuGH Rs C-313/01, Morgenbesser, Slg 2003, I-13467 (Rechtsanwaltsanwärter). EuGH Rs C-55/94, Gebhard, Slg 1995, I-4165 = AnwBl 1996, 18 (Einrichtung einer Kanzlei). EuGH Rs 71/76, Thieffry, Slg 1977, 765; EuGH Rs C-340/89, Vlassopoulou, Slg 1991, I-2357; vgl EuGH Rs 107/83, Klopp, Slg 1984, 2971; EuGH Rs 292/86, Gullung, Slg 1988, 111; EuGH Rs 19/92, Kraus gg Land Baden-Württemberg, Slg 1993, I-1663; EuGH Rs C-319/92, Haim I, Slg 1994, I-425; EuGH Rs C-55/94, Gebhard, Slg 1995, I-4165. EuGH Rs C-238/98, Hocsman, Slg 2000, I-6623 und Rs C-16/99, Erpelding, Slg 2000, I-6821 = ecolex 2001, 335 (337) = ELR 2000, 335 (Niederlassung eines Arztes mit außerhalb der Gemeinschaft erworbenen Kenntnissen, die aber ein Mitgliedstaat anerkannt hat); allgemein zur Anerkennung von Berufsabschlüssen vgl Berscheid/Kirschbaum, Freie Berufe in Europa, 1991.
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die Ausübung „öffentlicher Gewalt“, worunter die Tätigkeiten zu verstehen sind, die eine „unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt“ beinhalten.70 Die Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen trifft im Rahmen der (österreichischen) freien Berufe auf den Notar zu (vgl § 1 NO); auch die hoheitliche Tätigkeit von Tierärzten (Amtstierarzttätigkeit) wird hierzu genannt.71 Zu fragen ist daher, inwieweit die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit va auf den Notar Anwendung findet.72 Umstritten scheint jedoch,73 ob die betreffenden Grundfreiheiten - konkret auf den Notar nur in der Ausübung bestimmter Tätigkeiten, mit denen hoheitliche Funktionen verbunden sind, nicht anwendbar sind,74 oder aber überhaupt nicht.75 Folgt man der Auffassung, dass der Notar nur im Rahmen seiner hoheitlichen Befugnisse von den Freizügigkeitsregeln ausgenommen ist, hätte dies eine gemeinschaftsrechtliche Teilliberalisierung und die Schaffung eines „Teil-Notars“ zur Konsequenz.76 Verbunden mit der Frage der Reichweite der Geltung der gemeinschaftsrechtlichen Freiheiten ist weiters zu überlegen, ob und inwieweit sich die Verneinung des Anwendungsbereichs auch auf die Berufungslegitimation aus Art 6 StGG (Staatsbürgerrecht!) etwa für ausländische Notare auswirkt: Verneint man für diese den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts, wird die Ansicht vertreten, dass ihnen dann auch das gemeinschaftsrechtliche Diskrimi-
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EuGH Rs 2/74, Reyners, Slg 1974, 631; näher Knechtel, Das Recht der Notare auf Berufsausübung, 1996, 117 ff; ua zu Notaren Henssler/Kilian, Die Ausübung hoheitlicher Gewalt im Sinne des Art. 45 EG, EuR 2005, 192. Vgl Raschauer in Raschauer (FN 18), Rz 89 und 94; undifferenziert Oppermann, Europarecht3, 2005, Rz 1625; Rechtsanwälte fallen trotz teilweise hoheitlicher Befugnisse nicht darunter: EuGH Rs 2/74, Reyners, Slg 1974, 631; Hempel, Art 45 EGV, in: Mayer (Hrsg), Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (2003), Rz 3 (zu Tierärzten Rz 15, 16, 18); ebenso wenig Wirtschaftsprüfer im Versicherungsaufsichtsrecht: EuGH Rs C-42/92, Thyssen, Slg 1993, I-4047. Vgl Isak/Loibl, Österreich und die EG: freie Niederlassung und Dienstleistungsfreiheit der freien Berufe unter besonderer Berücksichtigung des Berufsstandes der Notare, NZ 1989, 175; Preuß, Europarechtliche Probleme der deutschen Notariatsverfassung, ZEuP 2005, 291 (293 f, 303 ff); Reiner, Europatage des Notariates 1989. Möglichkeiten der Streitverhütung und der außerstreitigen Rechtssicherheit in der EG, NZ 1989, 200; Schweitzer, Die Rolle der Notare und der Notariatskammern in der EG, NZ 1989, 170; Wrabetz, Die Bedeutung der freien Rechtsberufe im integrierten Europa, ÖJZ 1999, 637; Hellge, Europäische Perspektiven für nationale Notariate, NZ 2001, 1 (insb 6 ff); Hempel (FN 71), Rz 22; Tiemann, Europäische Notarentage. Die Situation der Freien Berufe innerhalb der EG nach Schaffung des Binnenmarktes, NZ 1989, 193. Vgl mwH und ausführlich Knechtel (FN 70), 122, insb 123 ff; Nauta (FN 2), 170 ff. So Umlauft, Die Entwicklung des Notariats in Europa, NZ 1994, 176 (177 f); Raschauer in Raschauer (FN 18), Rz 89. Differenziert und ausführlich zur grundsätzlichen Frage der Trennbarkeit der Bereiche, mit einer Favorisierung einer einheitlichen Behandlung Knechtel (FN 70), 131 ff, insb 140 ff; Adamovich, Notariat, 165. Dazu Knechtel (FN 70), 154 ff.
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nierungsverbot nicht zugute kommt,77 das allein ihre Geltendmachung eines Staatsbürgerrechts begründet hätte.78 e) Judikaturbeispiele79 Zahlreiche Judikaturbeispiele, insb zu rechtsberatenden Berufen und Ärzten, belegen die Relevanz eines grenzüberschreitenden Tätigwerdens freier Berufe.80 Auch das Verbot freiberuflicher Ausübung bestimmter Berufe kann die Art 43 und 49 verletzen.81 Dem EuGH zufolge sind nationale Berufs- und Standesregeln einzuhalten, wenn sie durch ein Allgemeininteresse gerechtfertigt und erforderlich sind; ein reiner Verweis auf Standesregeln, zB mit dem Hinweis, dass diese nur eine Niederlassung gestatten, genügt hingegen nicht.82 Im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit hat der EuGH das Erfordernis einer Kammermitgliedschaft83, das Zulassungserfordernis der Zuverlässigkeit84, sowie Sprachkenntnisse als Voraussetzung für eine Kassenzulassung als Zahnarzt85 als gerechtfertigt erkannt. Hingegen wurden als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gewertet: die Bedingung der betreffenden Staatsbürgerschaft,86 das Vorweisen eines bestimmten nationalen Prüfungszeug-
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Vgl Eberhard, Inländer-Grundrechte im Lichte des Gemeinschaftsrechts, JBl 2001, 294 (296). Vgl Öhlinger, Verfassungsrecht6, 2005, Rz 702; zur gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit des Staatsangehörigkeitsvorbehalts vgl auch Preuß, Europarechtliche Probleme der deutschen Notariatsverfassung, ZEuP 2005, 291 (315 ff). Vgl auch Krück, Die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zu den freien Berufen, insbesondere zur Tätigkeit der Rechtsanwälte und Notare, NZ 1990, 241. Vgl die Entscheidungen EuGH Rs 292/86, Gullung, Slg 1988, 111; EuGH Rs 427/85, Kommission gg Deutschland, Slg 1988, 1123; EuGH Rs C-294/89, Kommission gg Frankreich, Slg 1991, I-3591; EuGH Rs C-55/94, Gebhard, Slg 1995, I4165; VwGH 8. 9. 2000, 97/19/0401 (Bindung der Beitragsauszahlung durch Versorgungseinrichtung der Rechtsanwaltskammer an Eintragungsdauer verstößt nicht gg Art 43 EGV). Weitere Bsp bei Nauta (FN 2), 145 ff. Vgl auch Kolonovits, Berufsrecht der Rechtsanwälte in ausgewählten EU-Beitrittsländern im Lichte des Gemeinschaftsrechts, in: ders (Hrsg), Anwaltsrecht in EU-Beitrittsländern, 2003, 1; Pertek, Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch die italienische Gebührenordnung für Rechtsanwälte, ELR 2006, 108. Zu medizinisch-technischen Berufen vgl EuGH 9. 9. 2004, Rs C-81/03, Komm gg Ö (§ 7a MTD-G). Vgl Stix-Hackl, Der EuGH und die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, AnwBl 1995, 183, unter Berufung auf EuGH Rs C-106/91, Ramrath, Slg 1992, I3351 (Wirtschaftsprüfer). Parallel vgl EuGH Rs 107/83, Klopp, Slg 1984, 2971 (Zulassungshindernis der Beibehaltung eines EU-ausländischen Kanzleisitzes eines Rechtsanwalts); EuGH Rs 96/85, Kommission gg Frankreich, Slg 1986, 1482; EuGH Rs C-351/90, Kommission gg Luxemburg, Slg 1992, I-3945 (Ärzte). EuGH Rs 5/83, Rienks, Slg 1983, 4233; vgl EuGH Rs 271/82, Auer, Slg 1983, 2727. EuGH Rs 292/86, Gullung, Slg 1988, 111. EuGH Rs C-424/97, S. Haim, Slg 2000, I-5123 = EuZW 2000, 733 = DVBl 2000, 1272. EuGH Rs 2/74, Reyners, Slg 1974, 631; ua deswegen mahnte die EU-Kommission im Juni 2006 erneut von Österreich die Einhaltung des Art 43 EGV bei apothekenrechtlichen Berufsschranken ein.
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nisses,87 bestimmte Wohnsitzerfordernisse,88 die erforderliche Aufgabe der (Arzt-)Zulassung im Herkunftsstaat,89 die Verpflichtung zu einer zusätzlichen Sozialversicherung90 sowie das Verbot von Zweigniederlassungen von Ausländern91. Die Regelung des belgischen Berufsrechts, wonach die objektive Untersuchung des Sehvermögens Augenärzten vorbehalten ist, wurde als eine im Interesse des Gesundheitsschutzes gerechtfertigte Beschränkung angesehen,92 obwohl in anderen Mitgliedstaaten die Tätigkeit durch Augenoptiker ausgeübt wird.93 Im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit können die Bedingungen des ständigen Aufenthalts,94 einer Genehmigung95 sowie begrenzter Kostenerstattungen96 uU gerechtfertigt, ein Sitzerfordernis97 aber auch unzulässig sein. Erforderliche Kammermitgliedschaften oder Berufslisteneinträge unterliegen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung; die Eintragung in das Architektenverzeichnis als Teilnahmebedingung für eine Auftragsvergabe qualifizierte der EuGH als Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit (und überdies gegen die
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EuGH Rs 71/76, Thieffry, Slg 1977, 765, zu Befähigungsnachweisen vgl mwH Mayer, Art 43 EGV, in: Mayer (Hrsg), Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (2003), Rz 16; die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses (als Modalität des Berufszugangs) für Rechtsanwälte in Italien verletzt weder EG-Wettbewerbsrecht noch die Niederlassungsfreiheit: EuGH Rs C-250/03, Mauri, Slg 2005, I-1267. EuGH Rs C-162/99, Kommission gg Italien, Slg 2001, I-541 = EuZW 2001, 187 = JuS 2001, 598 (Wohnsitzerfordernis im Mitgliedstaat für Zahnärzte); EuGH Rs C145/99, Kommission gg Italien, Slg 2002 I-1134 (inländ Wohnsitzerfordernis im jeweiligen Gerichtsbezirk für Rechtsanwälte). EuGH Rs 96/85, Kommission gg Frankreich, Slg 1986, 1475. EuGH Rs C-53/95, Inasti, Slg 1996, I-703 = WBl 1996, 158; vgl die entsprechende Ausnahme in § 15 EuRAG. Grundlegend EuGH Rs 107/83, Klopp, Slg 1984, 2971; EuGH Rs Ramrath, Slg 1992, I-3351; vgl Jahnel, Zweigniederlassung und EG-Niederlassungsfreiheit, in: Schuhmacher/Gruber (Hrsg), Rechtsfragen der Zweigniederlassung, 1993, 397. EuGH Rs C-108/96, Dennis MacQuen ua, Slg 2001, I-837 = EuZW 2001, 282 = ELR 2001, 44; zur gegenteiligen Lösung (verfassungswidrig, weil unverhältnismäßig) kam das dt BVerfG v 7. 8. 2000 - 1 BvR 254/99 = DVBl 2000, 1765. Vgl EuGH Rs C-294/00, Deutsche Paracelsus Schulen für Naturheilverfahren GmbH gg Gräbner, Slg 2002, I-6515 = WBl 2002, 353; idF VwGH 28. 10. 2003, 2002/11/0175-0180 = ZfVB 2005/32, 48; dazu mwH Skiczuk (FN 15), 118 ff (OGH 13. 7. 2000, 8 Ob 284/99v = RdM 2001, 16 fragte nach der gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit des Vorbehalts arztähnlicher Tätigkeiten, konkret Heilpraktiker, zu Gunsten von Inhabern eines Ärztediploms). EuGH Rs 33/74, van Binsbergen, Slg 1974, 1299. EuGH Rs 110,111/78, Van Wesemael, Slg 1979, 35; EuGH Rs 279/80, Webb, Slg 1981, 3305; EuGH Rs C-76/90, Dennemeyer, Slg 1991, I-4221 (Eignungsprüfung für Patentanwälte); zur Rechtfertigung von Genehmigungserfordernissen als Voraussetzung der sozialversicherungsrechtlichen Kostenerstattung von Auslandsbehandlungen vor dem Hintergrund der Arztdienstleistungsfreiheit vgl insb EuGH Rs C-158/96, Kohll, Slg 1998, I-1931; EuGH Rs C-157/99, Smits/Geraets, Slg 2001, I5473; EuGH Rs C-368/98, Vanbraekel, Slg 2001, I-5363; EuGH Rs C-326/00, Ioannidis, Slg 2003, I-1703; EuGH Rs C-385/99, Müller-Fauré, van Riet, Slg 2003, I4509. EuGH Rs C-289/02, AMOK, Slg 2003, I-15059 (Anwaltskosten). EuGH Rs C-279/77, Kommission gg Italien, Slg 2002, I-1425.
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RL 71/305).98 Die Dienstleistungsfreiheit steht hingegen Vorbehaltsregeln wie einem Vertretungsvorrang des Rechtsanwalts nicht zwingend entgegen.99 Auch berufs- und standesrechtliche Werbeverbote wurden als gerechtfertigt angesehen.100
2. Umsetzung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit a) Primärrechtliche Grundlagen Der Verwirklichung und Erleichterung der grenzüberschreitenden Niederlassung und Erbringung von Dienstleistungen im EU-Ausland dienen Vorschriften über die Harmonisierung der Berufszulassung und -ausübung. Diese Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften werden nicht auf die allgemeine Vorschrift des Art 94 gestützt, sondern finden ihre Grundlage vielmehr in den speziellen Bestimmungen der Art 43 (Niederlassungsfreiheit), 47 (Richtlinien zur gegenseitigen Anerkennung und zur Koordinierung) und 55 (Anwendung von Niederlassungsrecht im Dienstleistungsbereich), zum Teil iVm Art 308 (ergänzende Rechtssetzungsbefugnis). Dies trifft ua für Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Architekten und Rechtsanwälte (sowie für die allgemeinen HochschuldiplomRL) zu.101 Im speziellen regelt Art 47 die gegenseitige Anerkennung von beruflichen Befähigungsnachweisen und die Harmonisierung sonstiger Regelungen über die Berufszulassung und -ausübung. Diese Bestimmung trifft Vorkehrungen, um die Garantie der freien Niederlassung effektiv zu machen und die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten zu erleichtern. Gerade für die freien Berufe sind die dort in Abs 1 vorgesehenen, vom Rat im Verfahren nach Art 251 EGV102 zu erlassenden Richtlinien zur wechselseitigen Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen relevant („AnerkennungsRL“). Abs 2 ist Grundlage für die Schaffung von Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten, wozu auch die Vorgabe eines - qualitativen und quantitativen - Mindeststandards an Ausbildung zählt („KoordinierungsRL“). Auch hier gilt das Erzeugungsverfahren des Art 251 EGV, allerdings hat der Rat in Abweichung davon dann einstimmig vorzuge98
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EuGH Rs C-225/98, Kommission gg Frankreich, Slg 2000, I-7445 = ecolex 2000, 917 (922); mwH Budischowsky, Art 49, 50 EGV, in Mayer (Hrsg), Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (2003), Rz 42. Frieders, Der Vertretungsvorrang des Rechtsanwalts auf dem Prüfstand des Europäischen Gerichtshofs, AnwBl 1997, 310: zu EuGH 12. 12. 1996, Rs C-3/95, Reisebüro Broede, Slg 1996, I-6511= EuZW 1997, 53 = WBl 1997, 19 (geschäftsmäßiges gerichtliches Inkasso fremder Forderungen unter Anwaltsvorbehalt); vgl EuGH Rs C-76/90, Säger, Slg 1991, I- 4221 (ungerechtfertigter Patentanwaltsvorbehalt); zum zulässigen Arztvorbehalt EuGH Rs C-294/00, Deutsche Paracelsus Schulen für Naturheilverfahren GmbH gg Gräbner, Slg 2002, I-6515 = WBl 2002, 353. EuGH Rs C-159/90, Grogan ua, Slg 1991, I-4685; EuGH Rs C-267/91 ua, Keck und Mithouard, Slg 1994, I-6097, zur Werbung vgl unten III.C.2. Vgl Herrnfeld, Kapitel 3. Angleichung der Rechtsvorschriften, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000, 1171 (1190 Rz 35). (Ex-Art 189b) Verfahren der Mitentscheidung - Kodezision.
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hen, wenn Richtlinien erlassen werden, deren Durchführung in mindestens einem Mitgliedstaat die Änderung bestehender gesetzlicher Grundsätze der Berufsordnung im Hinblick auf Ausbildung und Berufszugangsbedingungen für natürliche Personen mit sich bringt. Nach Abs 3 setzt die schrittweise Aufhebung der Beschränkungen für die ärztlichen, arztähnlichen und pharmazeutischen Berufe die Koordinierung der betreffenden Berufsausübungsbedingungen in den Mitgliedstaaten voraus. Diese strengeren Bedingungen für die Berufsausübung in Gesundheitsberufen sollen ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes sicherstellen. Aufgrund der ausjudizierten direkten Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit103 erweist sich eine schrittweise Beseitigung der Beschränkungen freilich als nicht mehr notwendig, soweit diese schon jetzt unzulässig sind.104 b) Richtlinien - Sekundärrecht Die Technik der Harmonisierung der Berufsrechte änderte sich im Lauf der Zeit: In den 70er und Anfang der 80er Jahre ergingen für eine Vielzahl freier Berufe jeweils sektorielle Regelungen zur wechselseitigen Diplomanerkennung und zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften;105 die genannten Richtlinien betrafen in anderen Mitgliedstaaten erworbene Diplome; für in Drittstaaten erworbene Qualifikationen galten eigene Regelungen.106 Berufsspezifische („vertikale“ oder sektorale) Richtlinienpaare ergingen zunächst für Ärzte - später in der KodifikationsRL zusammengefasst -,107 103 104 105
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EuGH Rs 2/74, Reyners, Slg 1974, 631; EuGH Rs 33/74, van Binsbergen, Slg 1974, 1299. So auch Rudisch in: Radner/Haslinger/Reinberg (Hrsg), Krankenanstaltenrecht, Loseblattausgabe 1980 ff, Sonderbd Europarecht, 10005. Vgl zu den einzelnen „vertikalen (sektoralen)“ RLen Hempel (FN 4), Rz 15 ff; Budischowsky, Art 55 EGV, in: Mayer (Hrsg), Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (2003), Rz 5 ff; Nauta (FN 2), 140 f. Vgl EuGH Rs C-154/93, Tawil-Albertini gg Ministre des Affaires Sociales, Slg 1994, I-451; EuGH Rs C-424/97, S. Haim, Slg 2000, I-5123; Resolution 18. 6. 1992, Abl 1992 C 187/1. RL 93/16/EWG des Rates zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise, Abl 1993 L 165/1, ersetzte die frühere DiplomanerkennungsRL 75/362/EWG und die KoordinierungsRL 75/363/EWG; dazu EuGH Rs 306/84, Kommission gg Belgien, Slg 1987, 675; EuGH Rs C-69-79/96, Garofalo ua, Slg 1997, I-5603; EuGH Rs C-180-184/98, Pavlov ua, Slg 2000, I-6451 = WBl 2000/343; EuGH Rs C-16/99, Erpelding, Slg 2000, I-6821 (Geltungsbereich nur für in der RL angeführte Diplome; Aufnahmestaat kann das Führen einer Ausbildungsbezeichnung in einer anderen Sprache als der des Herkunftsstaates erlauben); EuGH Rs C-371/97, Gozza ua, Slg 2000, I-7881 = ELR 2001, 41 (Facharztstipendiaten); EuGH Rs C-110/01, Tennah-Durez, Slg 2003, I-6239 = EuZW 2003, 696 (Bindung von EU-Mitgliedstaat an belgische Anerkennung algerischer Arztausbildung); EuGH Rs C-25/02, Rinke, Slg 2003, I-8349 = EuZW 2003, 734 (Pflicht teilweiser Vollzeitausbildung rechtmäßig); EuGH Rs C-10,11/02, Fascicolo ua, Slg 2004, I11107 = WBl 2005, 128 = EuZW 2005, 23 (Zugang zu Arztstellen, Bevorzugung von Ärzten mit doppelter Qualifikation rechtmäßig). Vgl auch Hakenberg, Europarechtliche Perspektiven der ärztlichen Berufsausübung, MedR 2000, 55; mwH Hempel (FN 4), Rz 16 ff; Pitschas, Heilberufe im Europäischen Gesundheitsrecht. Der Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf die Ausübung von Heilberufen in Öster-
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Zahnärzte108, Tierärzte109, Hebammen110 und Apotheker111. Von der übrigen Zweigliedrigkeit wichen die Architekten ab, für die nur die Anerkennung und nicht die Koordinierung geregelt wurde.112 Besonderes galt für Rechtsanwälte113, für die zunächst nur die Dienstleistungsfreiheit umgesetzt wurde (RL 77/249/EWG)114 und ansonsten die allge-
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reich, in: Tomandl (Hrsg), Sozialrechtliche Probleme bei der Ausübung von Heilberufen, 1999, 1 (7 ff); Schick, Länderbericht Österreich, in: Boesken/Kühne/Heusel (Hrsg), Facharztausbildung und ärztliche Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt, 1994, 73. AnerkennungsRL 78/686/EWG, Abl 1978 L 233/1; KoordinierungsRL 78/687/EWG, Abl 1978 L 233/10; vgl EuGH Rs C-437/03, Komm gg Ö, Slg 2005, I-9373 (RL-Verstoß des DentistenG: keine Bezeichnung als Zahnarzt/Dentist ohne entsprechende universitäre Ausbildung) - vgl in der Folge Zahnärztereform 2005; EuGH Rs C-40/93, Komm gg Italien, Slg 1995, I-1319 (keine der RL unbekannte neue Kategorie von Zahnärzten); EuGH Rs C-154/93, Tawil-Albertini, Slg 1994, I451; EuGH Rs C-424/97, S. Haim, Slg 2000, I-5123 = DVBl 2000, 1272 (Sprachkenntnisse für Kassenzulassung als Zahnarzt); vgl VwGH 9. 11. 1999, 98/11/0140 = ZfVB 2001, 217; VwGH 22. 10. 2002, 2000/11/0230 = ZfVB 2004/45, 45 (Diplomanerkennung, Drittlanddiplom). RL 78/1026/EWG, Abl 1978 L 362/1; RL 78/1027/EWG, Abl 1978 L 362/7; vgl EuGH Rs 136/78, Ministère Public gg Auer, Slg 1979, 437; EuGH Rs 271/82, Auer gg Ministère Public, Slg 1983, 2727; EuGH Rs 5/83, Rienks, Slg 1983, 4233; EuGH Rs C-17/94, Gervais ua, Slg 1995, I-4353. RL 80/154/EWG, Abl 1980 L 33/1; RL 80/155/EWG, Abl 1980 L 033/8; vgl Hempel (FN 4), Rz 21. RL 85/432/EWG, Abl 1985 L 253/37; RL 85/433/EWG, Abl 1985 L 253/37; vgl Hempel (FN 4), Rz 23 ff. RL 85/384/EWG, Abl 1985 L 223/15; dazu VwSlg 15317 A/2000 = ÖJZ 2000, 916 (Abschluss einer Haftpflichtversicherung durch Ziviltechnikerkammer für ihre Mitglieder); EuGH Rs C-447/93, Nicolas Dreessen, Slg 1994, I-4087; unter Berufung darauf VwGH 21. 4. 2004, 2003/04/0004 = WBl 2006, 148 = ZfVB 2005/944, 565 (Gleichstellung des Befähigungsnachweises); EuGH Rs C-421/98, Kommission gg Spanien, Slg 2000, I-10375 = EWS 2001, 33 (keine Beschränkung auf die im Ursprungsstaat des Befähigungsnachweises zulässige Tätigkeit); EuGH Rs C-310/90, Nationale Raad van de Orde van Architecten gg Egle, Slg 1992, I-177; EuGH Rs C166/91, Bauer gg Conseil National de l’Ordre des Architectes, Slg 1992, I-2797; EuGH Rs C-447/93, Dreessen gg Conseil National de l’Ordre des Architectes, Slg 1994, I-4087; EuGH Rs 11/77, Patrick gg Ministre des Affaires Culturelles, Slg 1997, 1199; EuGH Rs C-417/02, Komm gg Griechenland, Slg 2004, I-7973 = zfhr 2005, 24; VwGH 21. 4. 2004, 2003/04/0004 = WBl 2006, 148 (keine gewerberechtliche Gleichstellung von nicht nach Art 11 f der RL anerkannten Befähigungsnachweise); vgl Hempel (FN 4), Rz 25 ff. Vgl Hempel (FN 4), Rz 29; ders., Die Freizügigkeit der rechtsberatenden Berufe im europäischen Raum (Vortragsbericht), ÖJZ 1992, 87; Sobotta/Kleinschnittger, Freizügigkeit für Anwälte nach der Richtlinie 98/5/EG, EuZW 1998, 645; Kilian, Freizügigkeit der Anwälte in der EU, JA 2000, 429; Weger, Der „Qualified Lawyer Transfert Test“, EuZW 1994, 275; Jirovec/Prayer, Rechtsanwälte, Wirtschaftstreuhänder und Notare im EWR, ecolex 1993, 648; Everling, Niederlassungsrecht und Dienstleistungsverkehr für Rechtsanwälte in der europäischen Gemeinschaft, EuR 1989, 338. Dazu und zur Dienstleistungsfreiheit gem Art 49 EGV vgl EuGH Rs C-289/02, AMOK, Slg 2003, I-15059 (zulässige Begrenzung der Kostenerstattung).
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meine AnerkennungsRL galt;115 eine eigene Niederlassungsrichtlinie ließ lange auf sich warten.116 Ein dauerhaftes grenzüberschreitendes Tätigwerden unter der Berufsbezeichnung des Herkunftslandes ohne Ablegung einer Eignungsprüfung wurde erst später durch die RL 98/5/EG zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als jenem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ermöglicht.117 Die enthaltenen Tätigkeitsvorbehalte (Art 5 Abs 2) sowie bestimmte Bindungen an heimische Rechtsanwälte (Art 5 Abs 3)118 sah der EuGH als sachlich gerechtfertigt und im Lichte der Niederlassungsfreiheit als gemeinschaftsrechtskonform an. Die Pflicht zur Beibehaltung der ursprünglichen Berufsbezeichnung (Art 4), um erkenntlich zu machen, dass eine Qualifikation nicht im Aufnahmemitgliedstaat erworben wurde, erachtete er im Interesse des Verbraucherschutzes und einer geordneten Rechtspflege als ebenso legitim wie ihr Erzeugungsverfahren.119 Inhaltlich verbürgt die RL 98/5/EG nach dreijähriger „effektiver und regelmäßiger“ Berufsausübung im Aufnahmemitgliedstaat uU die vollständige Integration in den Berufsstand samt der Berechtigung zur Führung des dortigen Berufstitels. Die RL schafft so einen Mechanismus der gegenseitigen Anerkennung der Berufsbezeichnung der zuwandernden Rechtsanwälte, der das durch die erste allgemeine AnerkennungsRL120 eingeführte System ergänzt, das es Rechtsanwälten ermöglicht, ihren Beruf unter der Berufsbezeichnung des Auf-
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RL 89/48 vom 21. 12. 1988, Abl 1989, 16 (RL zur gegenseitigen Anerkennung von Hochschuldiplomen); vgl Jirovec/Stanger, Die Diplomanerkennungsrichtlinie der EG. Dargestellt am Beispiel der Rechtsanwälte, ecolex 1992, 139; Dörig, Der Zugang zur Anwaltschaft nach der EG-Diplomanerkennungsrichtlinie, EuZW 1991, 243; zur Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten vgl Henssler, Der europäische Anwalt, dt AnwBl 1996, 353. RL 98/5/EG; vgl Eilmannsberger, Die Niederlassungsrichtlinie für Rechtsanwälte und ihre Umsetzung in Österreich, AnwBl 2000, 318. Vgl RL 98/5/EG, ecolex 1998, 459. Dazu Eilmannsberger, Die Niederlassungsrichtlinie für Rechtsanwälte und ihre Umsetzung in Österreich, AnwBl 2000, 318; Hempel (FN 4), Rz 44 ff; Henssler, Der lange Weg zur EU-Niederlassungsrichtlinie für die Anwaltschaft, ZEuP 1999, 689; Hoffmann/Neundörfer, Die europäische Richtlinie zur Niederlassung von Rechtsanwälten in einem anderen Mitgliedstaat, dt AnwBl 1999, 680; Pertek, L’Europe des professions d’avocat après la directive 98/5 sur l’exercice permanent dans un autre état membre, Revue du Marché commun et de l’UE 2001, 106. Zum Anwendungsbereich (in Abgrenzung zur allg AnerkennungsRL 89/48/EG) vgl EuGH Rs C-313/01, Morgenbesser, Slg 2003, I-13467. Vgl für Österreich etwa das Erfordernis eines Einvernehmensanwalts: vgl Walter/Longo, Der Einvernehmensanwalt, RZ 1999, 195; zum Erfordernis der Namhaftmachung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten durch den europäischen Rechtsanwalt vgl OGH SZ 2004/114 = ÖJZ 2005, 263. Der EuGH hat diesbezügliche Regelungen jedoch auch schon als mit der Dienstleistungsfreiheit unvereinbar, weil unverhältnismäßig streng geregelt, erachtet: EuGH Rs 427/85, Kommission gg Deutschland, Slg 1988, 1123; EuGH Rs C-294/89, Kommission gg Frankreich, Slg 1991, I-3591. EuGH Rs C-168/98, Großherzogtum Luxemburg gg Europäisches Parlament und EU-Rat, Slg 2000, I-9131 = WBl 2001, 30 = ZER 2001, 76 = ELR 2001, 61 = DVBl 2001, 59 = NJW 2001, 137 = EuGRZ 2000, 530. DiplomanerkennungsRL 89/48/EWG.
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nahmestaates ohne Einschränkungen im Gastland auszuüben.121 In Österreich setzt das EuRAG ihre Vorgaben um.122 Aufgrund des großen Aufwandes wandelte sich das System der Einzelanerkennung in den 80er Jahren zu einem anderen Harmonisierungskonzept, nämlich dem einer allgemeinen, berufsübergreifenden Anerkennungsregelung für Hochschulausbildungen, die zumindest drei Jahre dauern, und mündete in der Erlassung zweier „horizontaler“ allgemeiner AnerkennungsRL: Die erste, sog DiplomanerkennungsRL (RL 89/48/EWG),123 regelt die Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen. Materiell werden durch die RL dadurch Hochschuldiplome der Mitgliedstaaten grundsätzlich als gleichwertig anerkannt; den Mitgliedstaaten bleibt die Möglichkeit vorbehalten, bei gravierenden Ausbildungsunterschieden einen Anpassungslehrgang oder eine Eignungsprüfung zu verlangen. Die DiplomanerkennungsRL gilt für „reglementierte Berufe“, dh deren Ausübung bzw Aufnahme mitgliedstaatlichen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften unterliegen oder an den Besitz eines Diploms gebunden sind.124 Ausgenommen sind Berufe, die Gegenstand einer Einzelrichtlinie sind: Für Patentanwälte125, Ziviltechniker126, soweit sie nicht von der ArchitektenRL erfasst sind, Wirtschaftstreuhänder, Psychologen und Psychotherapeuten127 ist daher mangels 121
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Zur Frage, ob eine Sprachprüfung für unter der Bezeichnung ihres Herkunftsstaates tätige Anwälte, eine Eintragung ins nationale Anwaltsverzeichnis sowie das nationale Rechtsmittelverfahren gegen Zulassungsbeschränkungen mit der RL 98/5/EG vereinbar sind, ist ein Vorabentscheidungsverfahren des luxemburgischen Verwaltungsgerichtshofs anhängig: EuGH Rs C-506/04, Wilson; Generalanwältin StixHackl sieht in ihren Schlussanträgen v 11. 5. 2006, EuGRZ 2006, 313, darin teilw Verstöße; ebenso im anhängigen Verfahren EuGH Rs C-193/05, Komm gg Luxemburg (Sprachtests, Tätigkeitsbeschränkungen für Gesellschaften, jährliche Nachweispflichten): Schlussanträge v 11. 5. 2006, EuGRZ 2006, 321. Zur Frage des Verbots multidisziplinärer Sozietäten in § 21c RAO im Hinblick auf Art 11 Abs 5 der RL 98/5/EG vgl VfSlg 16988/2003 mwH. RL 89/48, Abl 1989 L 19/16 über die Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen; dazu EuGH Rs C-164/94, Arantis gg Land Berlin, Slg 1996, I-135; EuGH Rs C-225/95, Kapasakalis gg Griechenland, Slg 1998, I-4239; EuGH Rs C-145/99, Kommission gg Italien, Slg 2002, I-2235 (Rechtsanwälte); EuGH Rs C-313/01, Morgenbesser, Slg 2003, I-13467 (Rechtsanwaltsanwärter); EuGH Rs C-141/04, Peros, Slg 2005, I-7163 = EuZW 2005, 564 (direkte Berufungsmöglichkeit auf RL, Zulassung dt FH-Absolventen zu griech Ingenieurskammer); vgl EuGH 19. 1. 2006, Rs C-330/03, Colegio de Ingenieros de Caminos = WBl 2006, 175 (begrenzte Anerkennung, teilweise Berufszulassung). Deshalb keine Anwendung auf Heilpraktiker in Österreich: VwSlg 15273 A/1999 = ÖJZ 2000, 731. Budischowsky, Die Patentanwälte in der Europäischen Union, ecolex 1995, 231. Vgl Budischowsky, Die Ziviltechniker in der Europäischen Union und im Europäischen Wirtschaftsraum, ÖZW 1996, 33; Isak, Österreich und die EG: freie Niederlassung und Dienstleistungsfreiheit der freien Berufe unter besonderer Berücksichtigung des Berufsstandes der Ziviltechniker, Österr Zeitschr f Vermessungswesen und Fotogrammetrie, 2/1993, 59. Vgl EuGH Rs C-285/00, Kommission gg Frankreich, Slg 2001, I-3801 = WBl 2001, 329 (Vertragsverletzung wg fehlender Regelung über die Anerkennung der Befähigungszeugnisse für Psychologen); zur mit der Niederlassungsfreiheit möglicherweise unvereinbaren eingeschränkten Kassenzulassung von Psychotherapeuten vgl ein
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spezifischer Richtlinien die allgemeine DiplomanerkennungsRL maßgeblich. Zur besonderen Problematik der Notare, für die der Anwendungsbereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit fraglich ist, vgl oben 1.b.; bejaht man eine Geltung, fallen sie ebenfalls in den Anwendungsbereich der allgemeinen DiplomanerkennungsRL. Die RL kann dabei bei fehlender oder nicht ordnungsgemäßer Umsetzung unmittelbare Wirkung entfalten.128 Eine zweite Richtlinie ergänzte die erstgenannte RL und dehnte den Anwendungsbereich auch auf unter dem Hochschulniveau liegende Ausbildungen aus und regelt das Diplom für qualifizierte und das Prüfungszeugnis für weniger qualifizierte Berufsabschlüsse (RL 92/51/EWG)129. Dem Aufnahmestaat ist vorbehalten, die Absolvierung eines höchstens dreijährigen Ausbildungslehrganges oder die Ablegung einer Eignungsprüfung bei wesentlichen Ausbildungsunterschieden zu verlangen (Art 4 Abs 1 lit b).130 Später erging eine dritte AnerkennungsRL für Befähigungsnachweise über jene Tätigkeiten, die nicht von den anderen beiden AnerkennungsRL erfasst werden.131 Die Reichweite der zuerkannten - uneingeschränkten oder eingeschränkten - Freizügigkeit hängt von der Zuordnung eines Diploms zu einer der Ebenen ab. Eine jüngst erlassene allgemeine BerufsanerkennungsRL (RL über die Anerkennung von Berufsqualifikationen 2005/36/EG) ersetzt ab 20. 10. 2007 als einheitlicher Rechtsakt drei allgemeine sowie 12 sektorbezogene AnerkennungsRLen, die die Tätigkeiten des Arztes132, der Krankenschwester und des Krankenpflegers, des Zahnarztes, des Tierarztes, der Hebamme, des Apothekers und des Architekten betreffen. Sie gilt für alle Angehörigen eines Mitgliedsstaates, die selbständig oder abhängig beschäftigt einen freien reglementierten Beruf (vgl Erwägungsgrund 43) in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen als dem, in dem sie ihre Qualifikation erworben haben. Die RechtsanwaltsRLen betreffen die Anerkennung der Genehmigung zur Berufsausübung und sind nicht von dieser RL erfasst (Erwägungsgrund 42); die bisher der RL 89/47/EWG unterliegende Anerkennung anwaltlicher Berufsqualifika-
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von der EU Komm im Dez 2004 eingeleitetes (anhängiges) Vertragsverletzungsverfahren gg D zum dt PsychotherapieG. Vgl EuGH Rs 306/84, Kommission gg Belgien, Slg 1987, 675 (683). RL 92/51, Abl 1992 L 209/25, über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur RL 89/48/EWG, geändert durch RL 2000/5/EG, Abl 2000 L 54/42. Die Novelle 2000 änderte die Anhänge C und D der ursprünglichen RL, ua auf Antrag Österreichs, und brachte Verfahrensänderungen in der Anerkennung der verschiedenen Berufe (vgl dazu WBl 2000, 162). Vgl VwGH 9. 2. 1999, 98/11/0240 = ZfVB 2000/583 (Zulassung nach MTD-G RLkonform). RL 1999/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juni 1999 über ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter die Liberalisierungs- und Übergangsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise, Abl 1999 L 201/77; vgl Winkler, Die Dritte Allgemeine Anerkennungsrichtlinie, ecolex 2002, 843. Zum Verhältnis zur bisherigen ÄrztefreizügigkeitsRL 93/16/EG vgl Peeters, Free Movement of Medical Doctors: The new Directive 2005/36/EC on the Recognition of Professional Qualifications, EJHL 2005, 373.
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tionen (zum Zweck des unmittelbaren Tätigwerdens unter der Berufsbezeichnung im Aufnahmemitgliedstaat) allerdings schon. Inhaltlich trennt die BerufsanerkennungsRL zwischen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, die beide erleichtert werden sollen. Die RL will die bisherigen Anerkennungsregelungen garantieren und ausbauen. Sie dient neben der rechtstechnischen Vereinfachung und Vereinheitlichung der weiteren Liberalisierung und Flexibilisierung. Sie verstärkt den Automatismus bei der Prüfungsanerkennung.133 Zusätzlich befindet sich eine allgemeine DienstleistungsRL im Entwurfsstadium (Kom [2006]160). Diese soll ebenso Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit auch freier (reglementierter) Berufe betreffen. Allerdings sollen Gesundheitsdienstleistungen, die Ausübung öffentlicher Gewalt (Notare) und durch andere EG-Rechtsakte geregelte Dienstleistungen von Rechtsanwälten ausgenommen bzw durch spezifische Vorschriften verdrängt sein (Art 2). Rechtspolitisch zunächst höchst umstritten (vgl insb die Diskussionen um das zumindest begrifflich zurückgenommene Herkunftslandprinzip), bleibt nach politischer Einigung im Rat im Mai 2006 ihr rechtliches Inkrafttreten abzuwarten.134 c) Nationale Maßnahmen Die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, zT aus dem EWR-Abkommen, den Grundfreiheiten des EGV und den diversen, diese konkretisierenden Richtlinien wurden durch nationale Gesetzgebungsakte innerhalb der jeweiligen Berufsrechte umgesetzt.135 Beinahe jede jüngere Novelle im Recht der freien Berufe weist europarechtliche Bezüge auf; Detailfragen kann hier nicht nachgegangen werden.136 133
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Vgl Handig, Neue Richtlinie für die Anerkennung von Berufen, ecolex 2005, 958; Kluth/Rieger, Die neue EU-Berufsanerkennungsrichtlinie - Regelungsgehalt und Auswirkungen für Berufsangehörige und Berufsorganisationen, EuZW 2005, 486; zum Entwurf Henssler, Der Richtlinienvorschlag über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, EuZW 2003, 229. Näher vgl Maydell, Vom Neuregelungsversuch der Dienstleistungserbringung im Binnenmarkt - Eine Verknüpfung zwischen rechtspolitischem Anspruch und rechtsdogmatischer Wirklichkeit, JRP 2006, 122; Handig, Neue Richtlinie für die Anerkennung von Berufen, ecolex 2005, 958 (961); Kluth/Rieger, Die gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen und berufsrechtlichen Wirkungen von Herkunftslandprinzip und Bestimmungslandprinzip - Eine Analyse am Beispiel von Dienstleistungs- und Berufsanerkennungsrichtlinie, GewArch 2006, 1. So wurden schon mit Inkrafttreten des EWR-Abkommens in den Berufsrechten aus „Staatsbürgern“ „EWR-Bürger“, um die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheiten zu ermöglichen; zu § 4a TierärzteG (grenzüberschreitende Ausübung für EWRBürger) vgl OGH 18. 5. 1999, 4 Ob 123/99p; vgl auch §§ 5 f ÄrzteG 1998 und die EWR-Ärzte-ZahnärzteV 2004, BGBl II 2004/359. Ausführlich zur Durchführung der die freien Berufe betreffenden Richtlinien durch den österreichischen Gesetzgeber, allerdings zT (insb für Rechtsanwälte) zu einer überholten Rechtslage, Nauta (FN 2),157 ff. Vgl ausführlich zu den einzelnen Berufen Nauta (FN 2), 157 ff; für Ärzte Pitschas, Heilberufe im Europäischen Gesundheitsrecht. Der Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf die Ausübung von Heilberufen in Österreich, in: Tomandl (Hrsg), Sozialrechtliche Probleme bei der Ausübung von Heilberufen, 1999, 1 (10 ff). Bspw seien genannt: die Zahnärztereform 2005; die ÄrzteG-Nov 2001, die Freizügigkeitsvorgaben
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Als Bsp für eine schrittweise Anpassung seien die Rechtsanwälte genannt: Zuerst erfolgte eine Ausweitung von Staats- auf EWR-Bürger bzw die Umsetzung der DiplomanerkennungsRL 89/48/EWG und der DienstleistungsRL 77/249/EWG mit dem EWRRAG, BGBl 1993/21. Die NiederlassungsRL 98/5/EG fand Eingang in das das EWRRAG integrierende EuRAG, BGBl I 2000/27 idgF. (Vorübergehend) dienstleistende europäische Rechtsanwälte sind österreichischen Anwälten grundsätzlich gleichgestellt, mit denselben Rechten und Pflichten (§§ 2, 4). Sie haben ihre ursprüngliche Berufsbezeichnung zu verwenden; Nachweis- und Anzeigepflichten bestehen (§§ 3, 4). Im Fall notwendiger Verteidigung (Anwaltszwang) ist ein Einvernehmensanwalt erforderlich (§ 5).137 Eine Niederlassung bedarf einer Eintragung in eine Liste (§ 9). Niedergelassene europäische Rechtsanwälte müssen ihre ursprüngliche Berufsbezeichnung führen (§ 12). Sie haben mit Einschränkungen (§ 13) die Stellung eines österreichischen Anwalts. Nach dreijähriger Tätigkeit (§ 18) oder Ablegung einer Eignungsprüfung (§§ 21, 24 ff) sind sie auf Antrag in die Liste der Rechtsanwälte einzutragen.
Allgemein ist festzuhalten, dass jede nationale Berufsregelung, die in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts sowie der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit fällt, die also iW grenzüberschreitende Sachverhalte betrifft, den spezifischen bzw allgemeinen Anerkennungs- bzw KoordinierungsRL ebenso wie den direkt anwendbaren Personenverkehrsfreiheiten (insb dem Gebot der Inländergleichbehandlung) entsprechen muss, widrigenfalls sie uU durch deren Anwendungsvorrang verdrängt wird.
3. Wettbewerbsregeln Die Wettbewerbsregeln des EGV (Art 81 ff), insb das Kartellverbot (Art 81), gelten auch für Unternehmen (natürliche oder juristische Personen), deren wirtschaftliche Tätigkeit in der Ausübung freiberuflicher Gewerbe besteht;138 dies unabhängig von ihrer Rechtsform und Art der Finanzierung.139 Unternehmensvereinbarungen oder Berufsverbände sind Adressaten des Kartellverbotes nach Art 81, auch wenn sie auf öffentlich-rechtlicher Grundlage beruhen (zB Kammer der Patentanwälte, Körperschaften öffentlichen Rechts) oder für die Berufsangehörigen verbindliche Verordnungen erlassen.140 Berufsverbände sind ebenso wenig von vornherein dem Anwendungsbereich des EU-
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umsetzt, ohne die Ausbildung zu harmonisieren; das die Architekten- und DiplomanerkennungsRL umsetzende ZTG; das WTBG 2005; die PatentanwGNov 2001. Vgl OGH 4. 5. 2000, 12 Os 22,23/00 = RZ 2001, 76 = ÖJZ 2000, 814; zum Erfordernis der Namhaftmachung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten durch den europäischen Rechtsanwalt vgl OGH SZ 2004/114 = ÖJZ 2005, 263. Vgl Stockenhuber, Art 81, in: Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union, 30. Erg.Lief 2006, Rz 56; Lenz/Borchardt (Hrsg), EU- und EG-Vertrag3, 2003, Vorbem Art 81-86, Rz 32; EuGH Rs C-35/96, Kommission/Italien, Slg 1998, I-3851 Rz 36; EuGH Rs C-180-184/98, Pavlov ua, Slg 2000, I-6451 = WBl 2000/343; EuGH Rs C-250/03, Mauri, Slg 2005, I-1267 (Prüfungsausschuss bzw -ordnung italien Rechtsanwälte, Prüfungszulassung). EuGH Rs C-41/90, Höfner und Elsner, Slg 1991, I-1979, Rz 21 = ZfRV 1992, 209. Stockenhuber (FN 138), Art 81 Rz 82, unter Berufung auf Komm, COAPI, Abl 1995 L 122/37; die niederländische Rechtsanwaltskammer, die ausschließlich aus Rechtsanwälten besteht und nicht gesetzlich auf das Allgemeininteresse verpflichtet ist, wurde als Unternehmensvereinigung idS anerkannt, soweit sie bestimmte Formen beruflicher Zusammenarbeit verbietet: EuGH Rs C-309/99, Wouters ua, Slg 2002, I1577; vgl Wollmann, Art 81 EGV, in: Mayer (Hrsg), Kommentar zu EU- und EGVertrag (2003), Rz 26 ff (30).
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Wettbewerbsrechts entzogen, weil ihre Hauptaufgabe in Verhandlungen mit Behörden besteht: Als Unternehmensvereinigung iSd Art 81 ff gilt auch eine berufsständische Vereinigung selbständiger Fachärzte (ds Unternehmer iSd Art 81 ff), konkret ein von der Standesvertretung eines freien Berufes eingerichteter, mit der Verwaltung eines Zusatzrentensystems betrauter Rentenfonds mit Pflichtmitgliedschaft für die betreffenden Berufsangehörigen.141 Aus der Anwendbarkeit des gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsrechts, insb des Kartellverbots des Art 81, können sich Schranken für die nationale Regulierung der freien Berufe bzw ihre Verhaltenskoordinierungen ergeben.142 Dies wird ua auch für Gebührenregulierungen bzw Werberichtlinien freier Berufe abgeleitet.143
II. Erwerbsantritt A. Objektive Zugangsbeschränkungen 1. Allgemeines Die Berufsrechte der freien Berufe enthalten objektive, von der Person des (potenziell) Berufsausübenden unabhängige Voraussetzungen, einen Beruf auszuüben. Die Einteilung in subjektive bzw objektive Schranken ist freilich fließend und zu einem gewissen Grad willkürlich (zB die Organisationsformen könnte man ebenso gut unter die Ausübungsschranken subsumieren); hier wurde - in Anlehnung an bestehende Abgrenzungen144 - versucht, die unter den Ausübungsregeln genannten Themen auf die überwiegend die inhaltliche Tätigkeit betreffenden Regelungen zu beschränken. Zu den objektiven Antrittsschranken freiberuflicher Tätigkeit werden primär Zugangsbeschränkungen, die an einen objektiven Bedarf nach der angestrebten Tätigkeit anknüpfen, sowie die Vergabe limitierter, aber für die Berufsausübung (rechtlich oder faktisch) notwendiger Güter (etwa Notarstellen, aber - faktisch - auch etwa Kassenarztverträge) gezählt.
2. Erwerbsfreiheit und Bedarfsprüfung145 Der sachliche Schutzbereich der grundrechtlich garantierten Erwerbsausübungsfreiheit (Art 6 StGG) erfasst zweifellos auch die freien Berufe.146 Der Grundrechtsschutz besteht auch dann, wenn im Rahmen der Erwerbsbetätigung
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EuGH Rs C-180-184/98, Pavlov ua, Slg 2000, I-6451 = WBl 2000/343 = ZER 2001/185 (NL Zusatzversicherung für Fachärzte). Vgl Schulz-Weidner/Felix, Die Bedeutung des europäischen Wettbewerbsrechtes für die österreichische Sozialversicherung (Teil I), SozSi 2001, 435. Dazu unten III.C. Nauta (FN 2), 39 ff, 59 ff. Im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts kann auch das gemeinschaftsrechtliche Grundrecht der Berufsfreiheit eine Rolle spielen: vgl Pitschas (FN 107), 5 f. Vgl Grabenwarter, Die Freiheit der Erwerbsbetätigung: Art 6 StGG, in: Machacek/ Pahr/Stadler, Grund- und Menschenrechte in Österreich, Bd II, 1992, 553 (555).
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auch hoheitliche Aufgaben erfüllt werden,147 was für den Notar, aber auch hoheitliche Befugnisse des Amtstierarztes Bedeutung haben kann. Art 6 StGG gilt dem Wortlaut nach nur für Staatsbürger. Wieweit sich auch Freiberufler aus dem EWR- bzw EU-Ausland darauf berufen können, ist umstritten, aber aufgrund von bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverboten im Wege einer gemeinschaftsrechtskonformen Interpretation zu bejahen.148 Grundrechtsträger im Hinblick auf Art 6 StGG sind neben physischen auch (inländische)149 juristische Personen, was hier für manche der Kooperationsformen der freien Berufe eine Rolle spielen kann. Objektive Zugangsvorschriften, die die Erwerbstätigkeit intentional beschränken, greifen in diese verfassungsrechtliche Garantie ein und müssen einer Prüfung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der zum formellen Gesetzesvorbehalt entwickelt wurde, Stand halten.150 Ein Grundrechtseingriff ist dann gerechtfertigt, wenn er im öffentlichen Interesse liegt - bloßer Konkurrenzschutz reicht nicht - und verhältnismäßig, dh zur Zielerreichung „geeignet, adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen“,151 ist. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist an die hier zu erörternden Erwerbsantrittsschranken ein strengerer Maßstab anzulegen als an bloße Ausübungsvorschriften, da erstere einen schwereren Grundrechtseingriff bedeuten.152 Insb Bestimmungen, die den Berufszugang von einem objektiven Bedarf nach der angestrebten Tätigkeit abhängig machen (Bedarfsprüfung), bedürfen einer besonderen Rechtfertigung; bloßer Konkurrenzschutz reicht nicht aus.153 Bedarfsprüfungen für freie Berufe existieren insb für Apotheken (§ 10 ApG), Notariate (§ 9 Abs 1 NO) und - wenngleich eher faktisch - für Ärzte bzw Gesundheitsberufe durch das Kassenvertragssystem (§§ 338 ASVG).
3. Zugangsschranken für einzelne freie Berufe a) Notariate Die zu vergebenden Notarstellen sind beschränkt (Systemisierung der Notarstellen), was eine objektive Zugangsschranke darstellt. Der BMJ ist aufgrund 147 148
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Vgl Grabenwarter (FN 146), mit Hinweis auf VfSlg 8573/1979 (Erwerbsfreiheit des Notars). Öhlinger (FN 78), Rz 885; aufgrund der Bereichsausnahme der Art 45 bzw 55 iVm 45 EGV gilt dies jedoch nicht für die Notare: Eberhard, Inländer-Grundrechte im Lichte des Gemeinschaftsrechts, JBl 2001, 294 (296). Der VfGH hat bis jetzt - allerdings zum Gleichheitssatz - ausdrücklich offen gelassen, „ob sich [eine] [EU-ausländische] Gesellschaft unter Bedachtnahme auf gemeinschaftsrechtliche Verpflichtungen auf die durch Art 2 StGG und Art 7 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte oder auf den vom Nationalrat als verfassungsändernd genehmigten Art 4 des EWR-Abkommens, BGBl. 909/1993, berufen könnte, der im Anwendungsbereich dieses Abkommens, jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit‘ verbietet“: VfSlg 15668/1999. Näher Grabenwarter (FN 146). Vgl etwa VfSlg 13704/1994. VfSlg 11483/1987, 11749/1988, 12643/1991, 13023/1992, 15672/1999. Mit umfassendem Judikaturüberblick Grabenwarter (FN 146); vgl Oberndorfer/ Binder, Der verfassungsrechtliche Schutz freier beruflicher, insbesondere gewerblicher Betätigung, in: Adamovich/Pernthaler (Hrsg), FS Klecatsky, 1980, Bd II, 677 (688 f).
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von § 9 NO dazu ermächtigt, mittels V neue Notarstellen zu errichten bzw bestehende im Hinblick auf geänderte Versorgungsbedürfnisse der Bevölkerung zu verlegen.154 Auf die Problematik, inwieweit Notare als auch Beliehene sich überhaupt auf Art 6 StGG (oder bloß auf Art 3 StGG: Zugang zu öffentlichen Ämtern) berufen können, sei verwiesen. Die Anwendbarkeit angenommen, wird ein Konkurrenzschutz mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben (§ 1 NO: Erstellung öffentlicher Urkunden, notariatsaktspflichtige Rechtsgeschäfte) als Haupttätigkeit im öffentlichen Interesse und einer flächendeckenden Versorgung gerechtfertigt.155 b) Apotheker156 Öffentliche Apotheken bestehen in Form konzessionierter Apotheken (§§ 1, 9 ff ApG). Realapotheken (radizierte und verkäufliche)157 dürfen nicht mehr gegründet (§ 21) noch betrieben werden (Art II ApGNov 1984). Es besteht ein Kumulationsverbot (§ 2). Die Eröffnung konzessionierter Apotheken ist an eine behördliche Bewilligung geknüpft (§§ 9 ff). Bei mehreren Bewerbern, deren Bedarfslagen einander ausschließen, entscheidet die zeitliche Priorität des Einlangens der Anträge bei der Behörde.158 Die Verlegung ist eigens geregelt (§ 14).159 Konzessionslos errichtete Apotheken sind zu schließen; ausnahmsweise ist bei Bedarf der Bevölkerung ein einstweiliger Fortbetrieb möglich (§ 19a).160 Das Apothekenbewilligungsverfahren betrifft nach der Rsp des EGMR „civil rights“ iSd Art 6 MRK und löst dessen Garantien aus; dem wurde durch die letzten Nov va durch geänderte Zuständigkeitsregelungen (ua Berufung an UVS als Tribunal statt Landeshauptmann: §§ 45, 51) Rechnung getragen.161 Der VfGH ordnete
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Zur Individualantragslegitimation vgl VfGH 28. 2. 2005, V78-81/04. Nauta (FN 2), 47 ff, bejaht dies insoweit, als Art 3 StGG auf Besorgung hoheitlicher Aufgaben in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis abzustellen scheint und das Einkommen aus dieser Tätigkeit über eine bloße Aufwandsentschädigung hinausgeht. Ein Unterschied bestünde zu den - auch beliehenen, aber nicht vor Konkurrenz zu schützenden - Ziviltechnikern im Gewicht dieser hoheitlichen zu den sonstigen Aufgaben des jeweiligen Berufes; vgl Stelzer, Die Systemisierung von Notarstellen aus verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Perspektive, 2001. Vgl Serban/Heisler, Apothekengesetz und Apothekenbetriebsordnung 2005, 2005; grundlegend Winkler, Die Stellung des Apothekers im österreichischen Verfassungsrecht, Österr ApothekerZ 1966, 525; Winkler, Der Apotheker und sein Verkaufsrecht, 1971. Keine Neugründung (§ 21 Abs 1); steuerrechtlich zur Realkonzession vgl VwSlg 7474 F/2000 (firmenwertähnliches Wirtschaftsgut ohne Abnutzung); ebenso zur Apothekenkonzession VwSlg 7529 F/2000 = ecolex 2000/356. ZB VwSlg 15356 A/2000. Vgl OGH 3. 10. 2000, 4 Ob 247/00b (bloße Genehmigungspflicht); vgl Wiederin, Übergang und Verlegung konzessionierter öffentlicher Apotheken, FS Winkler 1989, 237. Vgl VwSlg 14851 A/1998 = ecolex 1998, 596 = ZfVB 1999/796, 1129 = WBl 1999/261 (kein umfassendes Bedarfsprüfungsverfahren, keine Parteistellung der Nachbarapotheker). EGMR 21. 12. 1999, Fall G. S. gg Österreich, 26297/95 (Verfahrensdauer).
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dies bloß dem (fragwürdigen) zivilrechtlichen Randbereich zu, wofür er seine bzw die Kontrolle des VwGH genügen lässt.162 Eine Bedarfsprüfung zählt neben dem Vorhandensein eines ärztlichen Berufssitzes in der Standortgemeinde zu den sachlichen Voraussetzungen der Konzessionserteilung (§ 10).163 Zur Bedarfsfrage sind Gutachten der Apothekerkammer und, bei ärztlicher Betroffenheit, auch der Ärztekammer einzuholen (Abs 7). Immer wieder wurden Bestimmungen der apothekenrechtlichen Bedarfsprüfung (va Zugangsschwellen von zu erwartendem Versorgungspotenzial sowie Abstandsbestimmungen) vom VfGH anhand der grundrechtlichen Erwerbsausübungsfreiheit geprüft und wiederholt aufgehoben.164 Der Zweck einer flächendeckenden Heilmittelversorgung der Bevölkerung rechtfertige zwar im öffentlichen Interesse einen gewissen Existenz- bzw Gebietsschutz,165 nicht jedoch etwa den Schutz des Konzessionswerbers vor unrentablen Investitionen. Ein Bedarf nach einer neuen öffentlichen Apotheke wird nun nach § 10 Abs 2 ff ApG idF BGBl I 2006/41 nur mehr in folgenden Fällen von vornherein verneint: wenn einerseits eine ärztliche Hausapotheke und andererseits weniger als zwei Kassenarztplanstellen für Allgemeinmedizin (Abs 2 Z 1) oder (zusätzlich nur) eine Vertragsgruppenpraxis mit nicht mehr als eineinhalb Vertragsstellen (Abs 3) vorhanden sind; wenn eine Nachbarapotheke weniger als 500 m entfernt wäre (Z 2; zur ausnahmsweisen Unterschreitung vgl Abs 6); bei einer prognostizierten Unterschreitung des Versorgungspotenzials (Abs 4) bestehender Nachbarapotheken unter 5500 (Z 3; Einpendler sind zu berücksichtigen: Abs 5). Nähere Definitionen, Berechnungs- und Berücksichtigungskriterien sind festgelegt (Abs 3 bis 8).166 Für die Gründung einer Filialapotheke bestehen ebenfalls objektive Zugangsschranken (§ 24): Eine (ziffernmäßig auf eine begrenzte) Zweigstelle einer öffentlichen Apotheke darf nur bei Bedarf in Ortschaften ohne öffentliche bzw Hausapotheke, die sich im Umkreis von vier km von der öffentlichen „Mutterapotheke“ befinden, eröffnet werden. Die Existenzfähigkeit der bestehenden öffentlichen Nachbarapotheken wird vorausgesetzt.167 Bei Ansiedlung
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VfSlg 11937/1988 (Entzug einer Apothekenkonzession); VfSlg 15868/2000 (Rücknahme einer Filialapothekenbewilligung im Randbereich); zur hinreichenden Höchstgerichtskontrolle: VfSlg 11500/1987. Vgl Puck, Die Prüfung des Bedarfes bei öffentlichen Apotheken, in: Raschauer (Hrsg), Beiträge zum Verfassungs- und Wirtschaftsrecht. FS Winkler, 1989, 213; Schwamberger, Apothekengesetz-Bedarfsprüfung, RdM 1997, 77; ders, Zum Bedarfsprüfungsverfahren des ApG nach dem Erk VfSlg 15103/1998, RdM 1998, 111. Zuletzt VfGH 14. 10. 2005, G 13/05 ua (Zutrittsschranke bloß zur Sicherung des Mindestversorgungspotenzials ärztlicher Hausapotheken nicht gerechtfertigt); zuvor VfSlg 15103/1998 = RdM 1998/16. Vgl VfSlg 15103/1998 = RdM 1998/16 = SozSi 2000, 730 (vgl RdW 2000/534). Vgl VwGH 15. 2. 1999, 98/10/0073 = WBl 2000, 144 (ziffernmäßig bestimmte Feststellungen); vgl VwGH 15. 12. 1999, 98/10/0090; VwGH 22. 7. 2004, 2001/10/0086 = ZfVB 2005/1167, 712; VwGH 28. 6. 2004, 2001/10/0256 = ZfVB 2005/1168, 713 (Versorgungspotenzial); VwGH 15. 12. 1999, 98/10/0073 (Arztordinationen als Einflutungserreger). VwSlg 15245 A/1999 = ÖJZ 2000, 731.
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einer öffentlichen Apotheke im genannten Umkreis ist die Filialapothekenbewilligung zurückzunehmen (§ 27).168 Hausapotheken können unter den Voraussetzungen der §§ 28 ff ApG idF BGBl I 2006/41 von Ärzten und Tierärzten (§ 34 ApG; vgl § 13 TierärzteG) betrieben werden.169 Ärztliche Hausapotheken sind für Gemeinden ohne öffentliche Apotheke mit weniger als zwei praktischen Vertragsarztstellen bzw nur einer Gruppenvertragspraxis mit höchstens eineinhalb Planstellen vorgesehen (§ 28). Eine Bewilligung ist einem Vertrags(gruppen)arzt zu erteilen, wenn in der Berufssitzgemeinde keine öffentliche Apotheke vorhanden und die nächste sechs km entfernt ist (§ 29 Abs 1). Die Sitzverlegung regelt § 29 Abs 2. Bei Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke innerhalb von vier km ist die Hausapothekenbewilligung zurückzunehmen, wenn die Heilmittelversorgung sonst gewährleistet ist, nämlich es sich um keine Gemeinde iSd § 10 Abs 2 Z 1 bzw Abs 3 handelt (§ 29 Abs 3). Ablöseverpflichtungen bestehen (Abs 5-7). Im Verhältnis von Hausapotheken und öffentlichen Apotheken ergibt sich daraus ein grundsätzlicher Vorrang zugunsten der Versorgung durch letztere,170 relativiert durch den Schutzgedanken zu Gunsten der bestehenden Heilmittelversorgung.171 Eine Übergangsregelung zum Schutz bestehender Hausapotheken hob der VfGH als verfassungswidrig auf, weil sie die hausapothekenführenden Ärzte, die immer schon mit der Eröffnung einer öffentlichen Apotheke rechnen mussten, in unsachlicher Weise begünstigte und, angelegt auf zehn Jahre, als überschießend lang befunden wurde.172 Die Gemeinschaftsrechtskonformität apothekenrechtlicher Eröffnungsund Betriebsbeschränkungen (insb von Vertriebsschranken, Eigentumsvorbehalt, Diskriminierung, Betriebsform, objektiven Zugangsschranken, Mehrfachbesitzverbot) ist Gegenstand aktueller Mahnschreiben der EU-Kommission (zB Juni 2006) an Österreich (und Spanien). Die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens bleibt abzuwarten.173 c) Ärzte, Gesundheitsberufe Streng genommen keine rechtliche Erwerbsantrittsschranke, dafür aber ein umso bedeutenderes faktisches Zugangshindernis, stellt die Kassenvertragsvergabe dar.174 Beziehungen zwischen Sozialversicherungsträgern und freibe168 169
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Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zurücknahmesystem: VfSlg 15868/2000 (Surrogatfunktion der Filialapotheken). Zur Bewilligungspflicht VfSlg 10386/1985; vgl auch VwGH 11. 5. 1998, 98/10/0036 = ZfVB 2000/528 (bei zwei Berufssitze am Ort der überwiegenden Tätigkeit). Vgl VfSlg 15868/2000 (Surrogatfunktion der Hausapotheken); kritisch zum (früheren) Bestandschutz der Hausapotheken vgl Schwamberger, Die Novelle zum Apothekengesetz betreffend ärztliche Hausapotheken, ecolex 1999, 64 (66); darauf und gegen eine bloße Surrogatfunktion von Hausapotheken Braun/Vinatzer, Ärztliche Hausapotheken. Verfassungsrechtliche Diskussion, RdM 1999, 142. Vgl VfSlg 15171/1998 = ZfVB 1999/1173. VfSlg 16038/2000. Vgl EuGH Rs C-438/02, Hanner, Slg 2005, I-4551 (Schwedisches Apothekenmonopol gemeinschaftsrechtswidrig). Eigentlich wird nicht der Erwerbsantritt verhindert, sondern nur die Erlangung eines Kassenvertrages, ohne den allerdings die Erwerbsausübung faktisch sehr erschwert
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ruflich (in Gesundheitsberufen) Erwerbstätigen (insb Ärzten - auch Gruppenpraxen175, Zahnärzten, Hebammen, Apotheker, Psychologen, Psychotherapeuten) sind durch Gesamtverträge grundsätzlich geregelt; darauf basieren Einzelverträge.176 Va die in den Gesamtverträgen enthaltenen Stellenpläne implizieren für freiberuflich tätige Ärzte Zugangsbeschränkungen zu Kassenverträgen.177 Die Vergabe von Kassenverträgen wirft Probleme hinsichtlich der zulässigen Kriterien,178 der rechtlichen Qualifikation und damit des Rechtsschutzes179 auf.180 Zudem spielen auch im Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Krankenversicherung gemeinschaftsrechtliche Bezüge herein;181 nicht aber das Vergaberecht182. Die ASVG-Novelle 2001 (§ 343 Abs 1 idF BGBl I 2001/99) sollte zumindest zu einem gewissen Grad Abhilfe schaffen: Mit VO des BMSG werden auf Vorschlag der Ärztekammer Reihungskriterien für die Vergabe von Einzelverträgen festgelegt (ReihungskriterienVO).183 Die Kriterien sollten
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wird. Ansätze für eine Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit finden sich aber zum contrarius actus, zB VfSlg 15804/2000 (Kündigung eines Einzelvertrages als Erwerbsausübungsbeschränkung). Vgl §§ 338, 340 ff ASVG idF seit der Nov BGBl I 2001/99. Vgl VfSlg 15803/2000, 15804/2000, 15818/2000, 15857/2000, 15873/2000 (Einzelvertrag Kündigung); VfSlg 15906/2000 (Abschlussverpflichtung, fehlender Stellenplan); VfSlg 15981/2000, 15897/2000, 15981/2000 (einzelvertragliche Streitigkeiten als ziviles Recht iSd Art 6 MRK; Tribunalcharakter der Landesberufungskommissionen); VfSlg 16907/2003 (Zssetzung Landesberufungskomm); VfGH 27. 9. 2005, B 610/05; 8. 3. 2006, B 3303/05 (parität Schiedskomm u Landesberufungskomm unbedenklich; FeststellungsB); VfSlg 16361/2001; 16607/2002 (Beziehung zw Krankenvers u freiberufl Ärzten). Vgl auch zur verfassungsrechtlichen Problematik Kopetzki, Rechtsfragen der vertragsärztlichen Stellenplanung in Österreich, in: Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg), Der Vertragsarzt im Spannungsfeld zwischen gesundheitspolitischer Steuerung und Freiheit der Berufsausübung, 1999, 31. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat kürzlich eine Altersgrenze für die Niederlassung als Vertragsarzt als sachlich anerkannt: BVerfG v 20. 3. 2001 - 1 BvR 491/96; vgl Grabenwarter, Altersgrenze für Vertragsärzte in Österreich, in: Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg) (FN 177), 85. Vgl Funk, Rechtsstaatliche Anforderungen an die Vergabe von Kassenverträgen, VersRdSch 1995, 51 f. Vgl Nauta (FN 2), 53 ff; ausführlich Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg) (FN 177), insb die Beiträge von Kopetzki (FN 177); Grabenwarter (FN 178); Resch, Die Auswahl der Vertragspartner durch den Versicherungsträger in Österreich, ibid 149. Vgl Wallner, Auswahl von Bewerbern um Kassenstellen aus der Sicht des EURechts, RdM 1999, 67. Allgemein aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht zu den Auswirkungen der Dienst- und Niederlassungsfreiheit vgl Pitschas (FN 107), 15 f und 25 f; Mazal, Wettbewerb und ärztliches Berufsrecht, in: Jabornegg/ Resch/Seewald (Hrsg), Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2000, 85 (96 f); vgl ein von der EU Komm im Dez 2004 eingeleitetes (anhängiges) Vertragsverletzungsverfahren zum dt PsychotherapieG, dessen Übergangsbestimmungen zur eingeschränkten Kassenzugänglichkeit an Art 43 EGV (Niederlassungsfreiheit) überprüft werden. Vgl VfSlg 17367/2004 (Vergabe von Kassenplanstellen unterliegt nicht dem BundesvergabeG); vgl OGH SZ 74/129 = JBl 2002, 36 = RdW 2002/163. BGBl II 2002/487 idF BGBl II 2005/475; vgl Mosler, Auswahl der Vertragsärzte und Ärztegesamtvertrag, in: Grillberger/Mosler (Hrsg), Europäisches Wirtschaftsrecht und soziale Krankenversicherung, 2003, 397; VfGH 6. 6. 2006, B 367/06.
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„auch“ die fachliche Eignung und die zeitliche Reihenfolge berücksichtigen und insb dem Gleichheitssatz, der Erwerbsausübungs- und Niederlassungsfreiheit sowie der MRK entsprechen. Ansonsten sind diverse „echte“ Bedarfsprüfungen im ÄrzteG - hinsichtlich Zweitordinationen von Fach- und praktischen Ärzten184 sowie Sonderfachbeschränkungen185 - vom VfGH bereits aufgehoben worden.186
B. Subjektive Zugangsbeschränkungen 1. Allgemeines Als subjektive Zugangsbeschränkungen werden jene Schranken für eine Erwerbstätigkeit bezeichnet, die der einzelne aus eigener Kraft überwinden kann (zB das Erfordernis eines Befähigungsnachweises).187 Im Folgenden werden ausgewählte, vom einzelnen beeinflussbare und beseitigbare Antrittsschranken dargestellt.
2. Ausbildung Durchwegs alle Berufsrechte enthalten spezifische Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften, zT in besonderen Gesetzen bzw Verordnungen.188 Ausbildungsordnungen und -richtlinien werden häufig auch aufgrund der jeweiligen Berufsgesetze von den Kammern im Wege der Selbstverwaltung erlassen.189 Darüber hinaus bestehen Regelungen zur gegenseitigen Anrechnung von Berufsprüfungen;190 sowie normierte Fortbildungsverpflichtungen.191 Eine 184 185 186 187 188
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VfSlg 13184/1992. VfSlg 13555/1993 = RdM 1994, 31 (Anmerkung Kopetzki). Vgl Nauta (FN 2), 40. Öhlinger (FN 78), Rz 887; VfSlg 13094/1992. Vgl zB §§ 8 ff PatentanwaltsG; §§ 4, 7 ff ÄrzteG; vgl RAPG, NPG; ZiviltechnikerprüfungsV; neue gesetzliche Berufsausübungsvoraussetzungen dürfen als übergangsrechtliche Sonderregelungen normiert werden, wenn sie sachlichen Abgrenzungskriterien folgen: vgl VfSlg 17309/2004 (Aufschulungsverpflichtungen im MMHmG verletzen Gleichheit und Erwerbsausübungsfreiheit); idF VwGH 28. 6. 2005, 2005/11/0002 = ZUV 2005, 170; idF auch VfGH 15. 3. 2006, V 105/05 (Qualifikation des BM-Erlasses zur Auslegung der bereinigten Rechtslage, konkret Handhabe des Qualifikationsnachweises für den Entfall der Aufschulung, als V; Aufhebung wg unterbliebener Kundmachung) und VfGH 15. 3. 2006, B 561/05 (Anlassfall). ZB die Ärzteausbildungsordnung, BGBl 1994/152 idF BGBl I 1998/169, geändert durch ÄAO 2006; dazu vgl VwSlg 14866 A/1998 = ZfVB 1999/1265 (Tätigkeit im Fach); vgl die Ausbildungsrichtlinie, vom 4. 10. 1998 für Notariatskandidaten, abgedruckt in Wagner/Knechtel (FN 43), 904; vgl die Ausbildungsrichtlinie für Rechtsanwaltsanwärter, AnwBl 1993, 151; vgl §§ 32 ff RL-BA 1977; sowie die Weiter- und SonderausbildungsV aufgrund von § 73 GuK (vgl GuK-SpezialaufgabenV, BGBl II 2005/452). Aus der Rsp vgl zB VwGH 21. 4. 1998, 96/11/0134 = ZfVB 1999/845 (Prüfungszulassung Tierärzte); VwGH 24. 3. 1999, 98/11/0054 = ZfVB 2000/582 (Intimationsbescheid); VwGH 19. 3. 1998, 97/06/0074 = ZfVB 1999/847 (Ziviltechniker). Zum Ganzen Nauta (FN 2), 198. Vgl das BG über die wechselseitige Anrechenbarkeit der Berufsprüfungen der Rechtsberufe - BARG, BGBl 1987/523 idF BGBl 1993/21; zum Wechsel vom Amtstierarzt zum Fachtierarzt vgl VwGH 24. 3. 1999, 98/11/0054 = ZfVB 2000/582; vgl die GleichhaltungsVen aufgrund § 65 GuKG.
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Darstellung im einzelnen muss hier unterbleiben. Jüngere Rechtsänderungen betreffen ua Anpassungen an geänderte Verhältnisse im postsekundären und postgradualen Bildungsbereich bzw zT rechtspolitisch erwünschte Akademisierungen.192 Aus europarechtlicher Sicht ist die Regelung der Aus- und auch der Weiterbildung zu den freien Berufen zwar grundsätzlich Gegenstand der einschlägigen KoordinierungsRL.193 Diese ist aber insgesamt noch nicht sehr weit harmonisiert;194 eine Vereinheitlichung (insb für Rechtsanwälte oder Ärzte) ist auch nicht in Sicht.195 Für die Auszubildenden gelten uU noch nicht die Freizügigkeitsrichtlinien, jedoch jedenfalls das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot.196 Mitgliedstaatlich vorbehaltene Approbationen, dh weitergehende nationale Qualifikationsanforderungen für Träger ausländischer Abschlussexamina, können uU sachlich gerechtfertigt sein.197 (Wobei für grenzüberschreitende Dienstleistungen idR keine Approbation, sondern nur eine behördliche Anzeigepflicht normiert ist; anderes gilt für die Niederlassungsfreiheit). Aus verfassungsrechtlicher Sicht sind Ausbildungsvorschriften im speziellen an der verfassungsrechtlichen Berufsfreiheit (Art 6, 18 StGG) zu messen; sie bedürfen einer sachlichen Rechtfertigung (und dürfen nicht etwa bloß dem Konkurrenzschutz dienen).198 Ausbildungsvorschriften für freie Berufe, insb solche, die (hauptberufliche) Praxiszeiten vorschreiben, waren des öfteren Gegenstand verfassungsgerichtlicher Prüfung.199 191 192
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Vgl § 66 Abs 2 Z 2 und § 118 Abs 2 Z 3 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 2003/140 (5. Nov) (Fortbildungsveranstaltungen über Arnzeimittelökonomie). Vgl ua div Öffnungen für Fachhochschulabsolventen zB durch die ZTG-Nov 2005; die FH-HebammenausbildungsV, BGBl II 2006/1; die FH-MTD-AusbildungsV, BGBl II 2006/2; vgl auch die Ven BMBWK über den akademischen Grad "Master of Science" - "MSc", Universitätslehrgang "Interdisziplinäre Zahnmedizin" bzw „Ästhetisch-rekonstruktive Zahnmedizin“ der Donau-Universität Krems, BGBl II 2003/547 und BGBl II 2004/401. Daher muss auch eine etwaige Förderung der Weiterbildung richtlinienkonform erfolgen: vgl EuGH Rs C-371/97, Gozza ua, Slg 2000, I-7881 = ELR 2001, 41 (italienische Förderung der Facharztausbildung gilt auch für Teilzeit-Weiterbildung; Ersatzanspruch direkt aus RL). Einen Überblick über die Rechtslage in einzelnen Staaten der EU gibt Schlosser, Anwaltsausbildung in Europa, NJW 1999, 3003; vgl Allmayer-Beck, Die Ausbildung der Rechtsanwälte in der Europäischen Union, in: BMJ (Hrsg), Die Bedeutung der freien Rechtsberufe im integrierten Europa, 1999, 49. Vgl dazu die Materialien zur 2. Nov ÄrzteG 1998, BGBl I 2001/110, wonach damit ausdrücklich keine Harmonisierung ausländischer und inländischer ärztlicher bzw zahnärztlicher Ausbildung verbunden sei: RV 629 BlgNR 21. GP. Wenn auch für die Freizügigkeit von Rechtsanwaltsanwärtern nicht die RechtsanwaltsRL gelten, kommt jedenfalls der Grundsatz der Inländergleichbehandlung zu Anwendung: vgl Anfrage an Kommission, 98/C 45/95, Abl C 45/79. So für Ärzte Pitschas (FN 107), 10. Vgl Oberndorfer, Berufswahl und Berufsausbildungsfreiheit, in: Machacek/Pahr/ Stadler, Grund- und Menschenrechte in Österreich, Bd II, 1992, 617 (636 ff, zum Verhältnis von Art 6 und 18 StGG: 617 ff). VfSlg 12164/1989 (Wirtschaftstreuhänder), VfSlg 6305/1970, 9233/1981, 12337/1990, 12670/1991, 13011/1992 (Rechtsanwälte); VfSlg 13073/1992 (Apotheker); mwH Grabenwarter (FN 146), 583 f.
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Die Auswirkungen der gemeinschaftsrechtlichen Dienst- und Niederlassungsfreiheiten können zu einer faktischen Schlechterstellung oder Erschwernis des Berufsantritts für inländische Staatsbürger gegenüber EU-Bürgern führen (vgl zB die Regelung für Rechtsanwälte, wonach drei Jahre faktische Berufsausübung uU für ausländische Rechtsanwälte zur Eintragung in die Liste genügen, für Inländer jedoch nicht). Diesem Phänomen der Inländerdiskriminierung ist gemeinschaftsrechtlich nicht, verfassungsrechtlich nur über eine extensive Interpretation des Gleichheitssatzes oder über die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Anwendungsbereich sonstiger betroffener Grundrechte zu begegnen.200 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieses Zustandes hängt somit von der Argumentation der sachlichen Rechtfertigung der längeren Ausbildung in Österreich ab. Bspw seien hier die Rechtsanwälte genannt: Um in Österreich dauerhaft als Rechtsanwalt tätig zu sein, bedarf es bestimmter Voraussetzungen (§ 1 RAO) und der Eintragung in die Rechtsanwaltsliste201 (§ 5). Zu den in § 1 aufgezählten Bedingungen zählt neben der österreichischen oder EU- bzw EWR- Staatsbürgerschaft und der Eigenberechtigung eine bestimmte Ausbildung: Zum Studium der Rechtswissenschaften kommt der Nachweis einer fünfjährigen praktischen Verwendung hinzu (§ 2)202; davon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht203 und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen. Eine durch Elternschaft bedingte, zumindest halbe Teilzeitbeschäftigung ist im Ausmaß der geleisteten Tätigkeit anzurechnen (§ 2 Abs 1 letzter Satz);204 ob es mit dem Gleichheitssatz205 zu vereinbaren ist, dass nur derartige Teilzeitbeschäftigungen aus bestimmten Motiven (Mutterschaft, Karenz) angerechnet werden, andere jedoch nicht, ist zu bezweifeln. Auf die nicht zwingend bei einem Rechtsanwalt oder bei Gericht zu verbringende Zeit sind bestimmte Zeiten anzurech-
200
201 202 203 204
205
Vgl VfSlg 17422/2004; 14963/1997 = ZfVB 1998/476 = ÖZW 1999, 51 (Anmerkung Schulev-Steindl); VfSlg 15683/1999; mit Lösungsansätzen auch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht Holoubek, „Inländerdiskriminierung“ im Wirtschaftsrecht, in: Aicher/Holoubek/Korinek (Hrsg), Gemeinschaftsrecht und Wirtschaftsrecht, 2000, 159; Rill, Das Gewerberecht: Grundfragen, Grundsätze und Standort im Rechtssystem, in: Korinek (Hrsg), Gewerberecht, Grundfragen der GewO 1994 in Einzelbeiträgen, 1995, 30 f; Zellenberg, Gleichheitssatz und Inlandsmarktdiskriminierung, ÖJZ 2000, 441; vgl VwSlg 15317 A/2000 = ÖJZ 2000, 916 (Abschluss einer Haftpflichtversicherung durch Ziviltechnikerkammer für ihre Mitglieder). Vgl zur Löschung durch Konkurseröffnung und Verlust des Versorgungsanspruchs VwSlg 15189 A/1999. Zur notwendigen hauptberuflichen praktischen Verwendung für die Erlangung der großen LU vgl VfGH 1. 3. 2005, B 1123/04 = ZfVB 2006/195, 121. Vgl das RechtspraktikantenG; zur Aufhebung von Kürzungen der Entlohnung nach diesem vgl VfSlg 15936/2000 (Vertrauensschutz). Nunmehr ausdrücklich eingefügt durch BGBl I 1999/71; vgl VfSlg 15590/1999 (denkunmögliche Auslegung durch gänzliche Nichtanrechnung); vgl Streit, Anrechnung der Teilzeitbeschäftigung als Rechtsanwaltsanwärter, NetV 2000, 9; vgl VfGH 8. 3. 2005, B 1742/03 (Mutterschutzzeiten während Karenz nicht auf praktische Verwendungszeit als Rechtsanwaltsanwärter anrechenbar). Und uU auch mit dem Gemeinschaftsrecht, da überwiegend Frauen teilzeitbeschäftigt und daher betroffen sein werden (uU versteckte Diskriminierung): vgl EuGH Rs C-100/95, Kording, Slg 1997, I 5289; vgl aber EuGH Rs C-25/02, Rinke, Slg 2003, I-8349 = EuZW 2003, 734 (Pflicht teilweiser Vollzeitausbildung für Ärztin rechtmäßig).
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nen,206 so Zeiten zum Erwerb eines Doktorats bis zu sechs Monaten und gleichartige „dienliche“ praktische Verwendungen im Ausland;207 eine mehrfache Anrechnung ist unzulässig.208 Zudem ist die Rechtsanwaltsprüfung abzulegen209 und sind vorgeschriebene Ausbildungsveranstaltungen zu absolvieren. Das AusbildungsvorbehaltsG (AusbVorbG, BGBl 1996/378), behält die Ausbildung zu Tätigkeiten, die durch Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Gesundheitswesens geregelt sind (insb Ausbildung von Ärzten210), bestimmten Einrichtungen vor und schließt andere Personen von der Ausbildung und Werbung aus, auch wenn es sich nur um Teilbereiche ärztlicher Tätigkeiten handelt. Der EuGH sah hierin (konkret: Heilpraktikerverbot) keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken; lediglich Werbung für die Ausbildung im Ausland sei uU zuzulassen.211 Zudem wurde eine eigene Ausbildungskommission als Kammerorgan eingerichtet (§ 128a ÄrzteG 1998 idFd Nov 2005) sowie per Verordnung die Ärzteausbildung neu geregelt (ÄAO 2006). Nach dem WTBG 1999 ist als Besonderheit der Zugang zur Steuerberaterprüfung nunmehr auch ohne Hochschulstudium möglich; er steht auch Absolventen von Fachhochschul- und Universitätslehrgängen offen (§ 14; vgl die zusätzliche Dispens- bzw Nachsichtsregelung in § 19212). Die Hebammenausbildung würde jüngst (auch) auf akademisches Niveau gehoben (vgl § 11 Abs 2 und 3 HebammenG idF BGBl I 2006/43 bzw die FH-HebammenausbildungsV, BGBl II 2006/1).
3. Organisationsform und Kooperationsbeschränkungen a) Allgemeines Grenzen für die Bildung von Berufsgemeinschaften liegen in einem numerus clausus der zulässigen Gesellschaftsformen. Die Schranken für eine gemeinschaftliche Berufsausübung liegen an der Grenze zwischen Zugangs- und Aus206
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So auch Zeiten bei einem Rechtsanwalt, ohne in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen zu sein: VfSlg 15730/2000 (anders noch VfSlg 15379/1998 = ZfVB 1999/1569). Vgl VfSlg 15725/2000 (Nichtanrechnung einer post-gradualen Ausbildung im Ausland nicht verfassungswidrig). Vgl VfSlg 15737/2000 (Doktorat und praktische Verwendung bei Rechtsanwalt). Vgl das RAPG, BGBl 1985/556 idgF; zur Qualifikation der Mitteilung des Ergebnisses der Rechtsanwaltsprüfung als Gutachten (und nicht als Bescheid) vgl VfSlg 15630/1999; vgl VfSlg 16028/2000 (Zulassungsverfahren als Angelegenheit der Justizverwaltung). Näher zur österreichischen ärztlichen Ausbildung, auch im Hinblick auf den gemeinschaftsrechtlichen Koordinierungsstandard, vgl Skiczuk (FN 15), 114 ff; Nauta (FN 2), 187 f; vgl VwGH 28. 6. 2005, 2003/11/0048 (Anrechnung im Ausland absolvierter Facharztausbildung). Fragen zur Zulässigkeit eines Arztvorbehalts nach dem ÄrzteG sowie eines Ausbildungsvorbehalts iSd AusbVorbG im Lichte der gemeinschaftsrechtlichen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit des OGH (OGH 13. 7. 2000, 8 Ob 284/99v = RdM 2001, 16) hat der EuGH bejaht: vgl EuGH Rs C-294/00, Deutsche Paracelsus Schulen für Naturheilverfahren GmbH gg Gräbner, Slg 2002, I-6515 = WBl 2002, 353; idF VwGH 28. 10. 2003, 2002/11/0175; dazu mwH Skiczuk (FN 15), 118 ff; vgl Felix, EuGH: Heilpraktikerverbot in Österreich gemeinschaftsrechtskonform, ASoK 2003, 45. Ohne verfassungsrechtliche Bedenken VfSlg 15766/2000 = ZfVB 2000/1947 (Verwaltungsstrafen über Anbieter von Kursen zur Heilpraktikerausbildung). Näher Schmidt, Der Zugang zum Beruf des Steuerberaters. Neuregelung durch das WTBG, JAP 1999/2000, 42 (insb 44).
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übungsregelungen und können wohl unter beides subsumiert werden; eher überwiegt bei der Organisationsfrage wohl der Antrittscharakter, weswegen sie hier zu den subjektiven, weil vom Einzelnen beeinfluss- und steuerbaren Zugangsschranken gezählt werden. Im Folgenden soll zunächst auf die betreffenden Rechtsgrundlagen aufmerksam gemacht werden. Dem folgt eine allgemeine Skizze der Beschränkung der zulässigen Gemeinschaftsformen im Berufsrecht, wobei im Rahmen dieser Darstellung Fragen ihrer inneren Struktur und Rechtsfolgen des materiellen Sozietätsrechts weitestgehend ausgeblendet bleiben. Zuletzt folgen einige ausgewählte Berufsrechte. b) Rechtsgrundlagen Für berufliche Kooperationsformen ist neben dem Berufsrecht das allgemeine Gesellschaftsrecht maßgeblich.213 Für die den freien Berufen idR auch zur Verfügung stehende GesbR gelten die einschlägigen Regelungen des ABGB. Historisch waren nach dem HGB (vor der Fassung der Nov BGBl I 2005/120) die Formen der OHG und KG den meisten freien Berufen mangels Vollkaufmannseigenschaft (ausgenommen: Apotheker)214 verwehrt.215 Speziell um auch den Freiberuflern den Zugang zu rechtlich selbständigen Personengesellschaften zu ermöglichen, wurde 1990 das ErwerbsgesellschaftenG (EGG)216 erlassen.217 Danach stand den freien Berufen zur Bildung von Partnerschaften die Rechtsform einer eingetragenen Erwerbsgesellschaft (EEG), organisiert als KEG oder OEG,218 grundsätzlich und von einem gesellschaftsrechtlichen Standpunkt aus offen (§ 6 EGG).219 Die berufsrechtliche Zulässigkeit musste zusätzlich gegeben sein.220 Das EGG wird mit dem neuen (in Kraft ab 1. 1. 2007) Unternehmensgesetzbuch (UGB)221 obsolet. Das UGB knüpft nicht mehr an den Kaufmannsbegriff, sondern an den Betrieb eines Unternehmens als dauernde organisierte selbständige Wirtschaftstätigkeit an, unabhängig von einer Gewinnerzielungs213
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Vgl Enzinger, Gesellschaften von Angehörigen freier Berufe, Schnittstellen zwischen Gesellschafts- und Standesrecht, in: Bernat ua (Hrsg), Zum Recht der Wirtschaft. FS Krejci, Bd 1, 2001, 553. Apotheker gelten bzw galten als Kaufleute iSd § 1 Abs 2 Z 1 HGB: mwN Nauta (FN 2), 5. MwN Resch, Abgrenzungsfragen, 378 f. BGBl 1990/257 idF BGBl 1991/10. Es ging aus einem Entwurf zu einem Partnerschaftsgesetz für die gemeinschaftliche dauerhafte Ausübung freier Berufe hervor: AB 1260 BlgNR 17. GP. RV 1231 BlgNR 17. GP zu § 6; Krejci (FN 7), Vb Rz 10. Ausführlich Resch, Abgrenzungsfragen zur Eingetragenen Erwerbsgesellschaft unter besonderer Berücksichtigung der freien Berufe, ÖJZ 2000, 377. Krejci (FN 7), § 6 Rz 11 ff. Das EGG, das Partnerschaften für freie Berufe ermöglichen sollte, stammt aus 1990. Die Gesellschaftsformen der „offenen Erwerbsgesellschaft“ und der „Kommandit-Erwerbsgesellschaft“ entsprachen der OHG und KG. Das G sollte auch für kleine und mittlere Unternehmen anwendbar sein, die zur Bildung einer OHG bzw KG mangels Vollhandelsgewerbe (iSd damaligen HGB) nicht geeignet sind; vgl ARD 4167/2/90. Zum Vorrang des Berufsrechts vgl Hetz, Anwaltsgemeinschaften, 1995, 33 f. IdF HRÄG BGBl I 2005/120, RV 1058 AB 1078 BlgNR 22. GP.
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absicht (§ 1). Damit sind im Unterschied zum alten HGB auch die freien Berufe erfasst. Freiberufler sind zwar vom Anwendungsbereich des Ersten Buchs ausgenommen (§ 4 Abs 2), können sich aber durch Eintragung ins Firmenbuch freiwillig auch dessen Regime unterstellen, soweit berufsrechtlich zulässig222 (§ 8 Abs 1). Freiberufliche Einzelunternehmer sind jedoch von der Protokollierungs- und Bilanzierungspflicht ausgenommen (§ 189 Abs 4). Als eingetragene Personengesellschaftsformen stehen künftig (nur noch) OG („offene Gesellschaft“) und weiterhin KG (Kommanditgesellschaft) für jeden erlaubten, auch freiberuflichen, Zweck offen. Bestehende OHG, OEG und KEG anerkennt das UG als OG bzw KG. Die rechtsgeschäftlichen Regelungen des vierten Teils (§§ 343 ff) gelten auch für freie Berufe.223 Organisationsrechtlich relevante Bestimmungen finden sich im jeweiligen Berufsrecht. Diese Sondernormen gelten gegenüber dem allgemeinen Gesellschafts- und Zivilrecht als leges speciales und gehen diesem als Sondergesellschaftsrecht vor, so dieses nicht ohnedies darauf verweist. Die gesellschaftsrechtlich offen stehenden Gemeinschaftsformen sind in den Berufsrechten zT nur beschränkt zugelassen. Das gesellschaftliche Bedürfnis nach Formen erweiterter Zusammenarbeit innerhalb der freien Berufe und auch berufsübergreifend nimmt durch fortschreitende Spezialisierung, Internationalisierung und steigenden Konkurrenzdruck zu. Dies brachte berufsorganisationsrechtlich Neuerungen und tendenziell eine Ausweitung der zulässigen Gesellschaftsformen.224 Die Entscheidung für eine der gesellschaftsrechtlich offen stehenden Organisationsformen kann berufsrechtlich vordeterminiert sein: Ist für die Beteiligung berufsfremder Gesellschafter normiert, dass diesen keinerlei Geschäftsführungs- oder Vertretungsbefugnisse eingeräumt werden dürfen bzw diese der Gesellschaft nur als Kommanditisten angehören dürfen (vgl § 21c Z 2 und Z 9 RAO), ist deshalb bei einer Beteiligung von Nicht- bzw nicht ausübenden Rechtsanwälten als Gesellschafter die Rechtsform der KEG (nach dem UGB: KG) angebracht ist.225 Verstöße werden mit der Nichtzulassung bzw -eintragung im Vorfeld und sonst als Verletzung von Berufs- und Standesrecht (disziplinär) sanktioniert. Auch die Frage, ob die Gesellschaft als solche berufsbefugt ist oder nicht, hängt von der jeweiligen Berufsordnung ab.226 c) Numerus clausus der Gemeinschaftsformen Was die Möglichkeit der außenwirksamen gemeinschaftlichen Zusammenarbeit betrifft, steht dazu das für die freien Berufe kennzeichnende besondere Vertrauensverhältnis und die berufsrechtliche Pflicht zur persönlichen und 222 223 224
225 226
Vgl § 1a Abs 5 RAO; § 1a Abs 5 PatentanwG; § 22 ZTG. Vgl im Überblick Dehn, Das UGB: Die wichtigsten Neuerungen, ecolex 2006, 274. Vgl RA- u Not-BRÄG 1999, BGBl I 1999/71, 72 - die Erläut begründen die Zulassung der GmbH als Anwaltsgesellschaft im „Hinblick auf diese internationale Entwicklung“ „einerseits zum Zweck der Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Rechtsanwaltschaft und andererseits zur sinnvollen Deregulierung des rechtsanwaltlichen Berufsrechts“: RV 1638 BlgNR 20. GP; das WTBG 1999, BGBl I 1999/58; die ÄrzteG-Nov 2001, BGBl I 2001/110, RV 629 BlgNR 21. GP (Gruppenpraxen). Vgl Hetz (FN 220), 51 f. Vgl zum EGG, aber insoweit immer noch gültig: Krejci (FN 7), § 6 Rz 6.
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eigenverantwortlichen Berufsausübung regelmäßig in einem gewissen Spannungsverhältnis. Viele freie Berufe unterliegen daher, was die Bildung von Außengesellschaften betrifft, einem engmaschigen Netz von (berufs-)rechtlichen Beschränkungen hinsichtlich eines organisierten gemeinschaftlichen Tätigwerdens; dabei ergeben sich Verbote durchwegs e contrario aus der Zulässigerklärung nur bestimmter Gesellschaftsformen. Dies gilt einerseits für die Bildung von Gesellschaften bzw Partnerschaften (zB Gesellschaftsgründungen, überörtlichen Zusammenschlüssen, Partnerschaften, Gruppenpraxen) aber auch Filial- oder Zweigniederlassungen bzw Sitzbeschränkungen227 innerhalb einer Berufssparte;228 andererseits trifft dies auch auf das Verbot von Außengesellschaften berufs- bzw fachübergreifender Art (multidisziplinäre Partnerschaften = MDP) zu, die zB als Gemeinschaften von etwa Rechtsanwalt, Steuerberater, Finanzberater ua als „One-stopshop“ dem Klienten Vorteile bieten können, rechtspolitisch aber höchst umstritten sind.229 Das WTBG sieht die Bildung interdisziplinärer Gesellschaften vor; diese scheitern jedoch regelmäßig am Verbot durch die anderen berührten Berufsrechte, die ebenfalls zu beachten sind. Kein Verbot von Außengesellschaften besteht berufsrechtlich für Patentanwälte und Tierärzte, deren berufsrechtlich normierte Pflicht zur persönlichen Berufsausübung zugleich ihre organisationsrechtliche Schranke darstellt;230 ob sie allerdings auch berufsbefugt sind, ist damit noch nicht gesagt.231 Einen Ansatz zur Interprofessionalität, allerdings unter Gesundheitsberufen bzw Ärzten, bieten die Gruppenpraxen, 227
228 229
230 231
Vgl § 7a RAO (Kanzleiniederlassung; aus dt Sicht vgl Kleine-Cosack, Verfassungswidriges Zweigstellenverbot, dt AnwBl 2005, 162); nach § 45 Abs 3 ÄrzteG 1998 dürfen Allgemeinmediziner, approbierte Ärzte, Fachärzte und Zahnärzte nur zwei Berufssitze im Bundesgebiet haben, Gruppenpraxen nur einen: § 52a Abs 8 (zur Verfassungskonformität VfSlg 16024/2000); zur Frage der ärztlichen Hausapotheke bei zwei Berufssitzen vgl VwGH 11. 5. 1998, 98/10/0036 = ZfVB 2000/528 (wo Übergewicht der ärztlichen Tätigkeit); nur einen Berufssitz erlaubt auch § 15 Abs 4 TierärzteG (einen bestimmten: Verbot der Wanderpraxis: VfSlg 16890/2003; Rufumleitung begründet keinen weiteren Berufssitz: VwGH 6.7.2004, 2003/11/0158 = ZfVB 2005/1201, 728); zur Definition des Berufssitzes und Zweigstellenbeschränkung vgl §§ 8, 12, 85 WTBG (dazu VwGH 25. 2. 2004, 203/04/0148 = ZfVB 2005/546, 360); § 25a PatentanwG; vgl bei FN 250. Näher Nauta (FN 2), 60 f. Bedenken dagegen werden va aus Gründen einer Bedrohung und Schwächung der Anwaltschaft durch den drohenden Verlust ihrer Unabhängigkeit in einer arbeitnehmerähnlichen Stellung (zB Honorar), sowie von Interessenkollisionen und der Beeinträchtigung des besonderen Vertrauensverhältnisses durch die faktische Unmöglichkeit der Aufrechterhaltung der Verschwiegenheit angemeldet: Greiter, Pro und Contra zur multidisziplinären Partnerschaft (MDP) - das Contra wiegt schwerer, AnwBl 2000, 217; vgl auch Kutschera-Heller, Multidisziplinäre Partnerschaften ein "Must" für eine klientenorientierte Beratung, persaldo 2000/4, 1; Bedenken aufgrund unterschiedlicher unvereinbarer Standespflichten können auch gemeinschaftsrechtlich ein Verbot gemischter Sozietäten rechtfertigen: vgl EuGH Rs C-309/99, Wouters ua, Slg 2002, I-1577; idF VfSlg 16988/2003 (zu § 21c RAO bzw Art 11 Abs 5 RL 98/5/EG). Nauta (FN 2), 61; vgl Heger/Sonn, Die Patentanwaltsgesetznovelle 2001, ÖBl 2001, 195. Das TierärzteG erlaubt ausdrücklich die Bildung von Praxisgemeinschaften (§ 28 Abs 1); berufsberechtigt sind Gesellschaften jedoch nicht (§ 3 Abs 2, § 24, § 27).
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die auch zwischen Ärzten, Zahnärzten und (ehem) Dentisten zugelassen sind (vgl § 52a ÄrzteG; § 26 ZÄG). Bloße Innengesellschaften (va Regie-, ds Büroorganisations-, Apparategemeinschaften oder Kanzleibetriebsgesellschaften232), die nicht auf die gemeinsame Berufsausübung, sondern lediglich auf interne Kostenersparnisse für die Beteiligten durch gemeinsame Ablaufsorganisation unter Wahrung der beruflichen Selbständigkeit abzielen, erscheinen aus den genannten Gründen grundsätzlich weniger problematisch. Sie unterliegen schon ihrem Zweck nach nicht den berufsrechtlichen Schranken, weder hinsichtlich der Rechtsform, noch hinsichtlich Sitz, Filialverboten oä; sie stellen zB auch keine überörtlichen Sozietäten sondern Einzelkanzleien dar.233 Ähnliches gilt für stille Gesellschaften.234 Auch multidisziplinäre Partnerschaften sind in der Form von bloßen Regiegemeinschaften möglich. Kapitalgesellschaften mit begriffsnotwendigen Haftungsbeschränkungen erweisen sich für die freien Berufe problematischer als Personengesellschaften, in denen die persönliche und voll eigenverantwortliche Berufsausübung eher garantiert ist. Kapitalgesellschaften sind daher nach den einzelnen Berufsrechten nur selten zulässig (vgl zB §§ 66, 72 WTBG; § 21 ZTG; § 1a RAO und § 1a PatentanwG). d) Gemeinschaftsrechtliche Perspektiven Hingewiesen werden soll hier einerseits auf Ansätze von europäischem Gesellschaftsrecht: Seit 1. 7. 1989 kann eine Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV)235 zum Zweck grenzüberschreitender Zusammenarbeit ua von Freiberuflern aus verschiedenen Mitgliedstaaten gegründet werden.236 Ihre Aufgaben sind auf Hilfstätigkeiten für das Stammunternehmen beschränkt, und sie unterliegt einem Gewinnverbot ebenso wie Beschränkungen hinsichtlich der Anzahl der Arbeitnehmer. Die EWIV eignet sich besonders für die Errichtung von joint ventures und als Rechtsform grenzüberschreitender Kanzleien.237 Andererseits könnten sich auch Schranken für Kooperationsverbote aus dem Gemeinschaftsrecht, insb dem gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsrecht (Art 81 ff EGV) ergeben, das nach Judikatur und hA auch für die freien Berufe als Unternehmen bzw ihre berufsständischen Vereinigungen und Kammern als dem Anwendungsbereich unterliegende Unternehmensvereinigungen gilt.238 Verbote bestimmter Arten der Zusammenarbeit, etwa in Form eines Verbots multidisziplinärer Partnerschaften, sind daher rechtfertigungspflichtig. 232 233 234 235 236 237 238
Vgl Hetz (FN 220), 40 ff. Zu Rechtsanwaltskanzleien vgl Hetz (FN 220), 24. Hetz (FN 220), 45 ff. VO 2137/85, Abl 1985, L 199/1. Vgl speziell für Rechtsanwälte Nauta (FN 2), 167 ff vgl EWIVG BGBl 1995/521 idF BGBl I 2005/120. Vgl Arndt (FN 52), 125. Vgl Stockenhuber (FN 138), Art 81 Rz 56; vgl EuGH Rs C-180-184/98, Pavlov ua, Slg 2000, I-6451 = WBl 2000/343; vgl EuGH Rs C-35/99, Arduino, Slg 2002, I-1529 (italienische Gebührenordnung für Rechtsanwälte).
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Unterschiedliche Standespflichten, insb Berufsgeheimnisse, können Verbote interprofessioneller Vergesellschaftungen rechtfertigen.239 e) Rechtsanwaltsgemeinschaften240 Die Ausübung der Rechtsanwaltschaft (ausschließlich!: vgl § 21c Z 6 RAO) kann in den Gesellschaftsformen der GesbR, der eingetragenen Personengesellschaft (sog Rechtsanwalts-Partnerschaft; früher nach dem EEG, jetzt iSd UGB: OG, KG) und, seit dem RA-BRÄG 1999, auch der GmbH (auch in Form einer Einmanngesellschaft oder GmbH&CoKG)241 erfolgen. Neben der RAO enthalten die RL-BA 1977242 in den §§ 24 ff Regelungen über Rechtsanwaltspartnerschaften und andere berufliche Zusammenschlüsse.243 Formelles Anmeldungsrecht zur Eintragung in die Liste der Rechtsanwalts-Gesellschaften enthält § 1a Abs 2 RAO. Diese Gesellschaften haben bestimmten Voraussetzungen nach der RAO dauerhaft zu genügen: Als Gesellschafter kommen nur bestimmte Personen in Frage (§ 21c Z 1), wobei dies prinzipiell auf Berufszugehörige (lit a: inländische Rechtsanwälte und Rechtsanwälte iSd Anlage zu EuRAG; bestimmte ehemalige Rechtsanwälte: lit c) und uU bzw mit Beschränkungen (vgl Z 4) auf bestimmte Familienangehörige (lit b: Eltern, Kinder; uU Witwe[r], Kinder
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Das niederländische Verbot der Vergemeinschaftung von Rechtsanwälten und Wirtschaftstreuhändern sah der EuGH mit einer gewissen Unvereinbarkeit dieser Tätigkeiten durch anwaltliche Standespflichten, konkret die Unabhängigkeit der Beratung und Vertretung, gerechtfertigt: EuGH Rs C-309/99, Wouters ua, Slg 2002, I-1577, (von der niederländischen Anwaltskammer erlassenes Verbot gemischter Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern verstößt nicht gegen das EGWettbewerbsrecht) = ecolex 2002, 473; vgl Dotzauer, EuGH-Urteil Wouters: Ein von einer Anwaltskammer erlassenes Verbot gemischter Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern verstößt nicht gegen das EG-Wettbewerbsrecht, AnwBl 2002, 206; vgl Art 11 Nr 5 der RL 98/5/EG; VfSlg 16988/2003 (zu § 21c RAO bzw Art 11 Abs 5 RL 98/5/EG). Ausführlich, aber noch zur alten Rechtslage, ohne die Zulassung von GmbHs, Hetz (FN 22); vgl Arnold, Gesellschaftsverhältnisse mit freiberuflich Tätigen aus gesellschafts- und berufsrechtlicher Sicht, in: Ruppe (Hrsg), Handbuch der Familienverträge, 1985, 411. Nach Forderungen von Seiten der Anwaltschaft, vgl Schuppich/Tades (Hrsg), Rechtsanwaltsordnung6, 1999, Rz 4 zu § 1a RAO; dazu Gruber, Die RechtsanwaltsGmbH, RdW 2000, 65; zu steuerlichen Aspekten vgl Hübner-Schwarzinger, Der Weg in die Rechtsanwalts-GmbH, 2004; zu Hindernissen Sedlacek/Brunner, Nicht wesentlich beteiligte Geschäftsführer einer Rechtsanwalts-GmbH und ihre Möglichkeiten, die Gruppenkrankenversicherung zu wählen und beibehalten zu können, AnwBl 2005, 391. Vgl hingegen zur Zulassung einer AG als Rechtsanwaltsgesellschaft durch die dt BRAO: BGH 10. 1. 2005 - AnwZ (B) 27, 28/03. Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977), ABlWrZ 14.12.1977 idF 15.5.2006, http://www.rechtsanwaelte.at/ downloads/rl_ba15052006.pdf. Zum nach § 36 RL-BA 1977 unzulässigen (nach § 879 ABGB nichtigen) Beteiligungsverhältnis eines Rechtsanwaltsanwärters an einer Rechtsanwalts-OEG vgl OGH 5. 4. 2000, 9 ObA 80/00f = JBl 2000, 738; ebenso OBDK 18. 12. 2000, 16 Bkd 16/00 = AnwBl 2001, 345.
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eines Verstorbenen: lit d) zutrifft; zudem können neuerdings244 auch österreichische Privatstiftungen als Gesellschafter fungieren, die von einem oder mehreren Gesellschaftern errichtet wurden und deren ausschließlicher Stiftungszweck die Unterstützung der sonstigen als mögliche Gesellschafter genannten Personen ist (lit e). Für den Fall des Zusammenschlusses mit den genannten berufsfremden Personen (bestimmte Familienangehörige, ehemalige Rechtsanwälte bzw Privatstiftungen) enthalten die §§ 25-30 RL-BA 1977 nähere Bestimmungen, ua über das Ausmaß ihrer Mitwirkung, die Beendigung des Verhältnisses sowie die standesrechtliche Verantwortlichkeit. Die grundsätzliche Beschränkung auf Berufszugehörige (§ 21c RAO iVm § 26 RL-BA 1977) statuiert e contrario ein Verbot multidisziplinärer Partnerschaften, die allenfalls als Regiegemeinschaften zulässig sind, nicht aber als Außengesellschaften.245 Rechtsanwälten sind bestimmte Positionen in der Gesellschaft vorbehalten, iW diejenigen, die eine persönliche Haftung bzw Geschäftsführung und Vertretung beinhalten; Partnerschaften mit Berufsfremden sind daher in der Form der KEG (iSd UGB: KG) zu führen (Z 2). Alle Gesellschafterrechte sind in eigenem Namen und auf eigene Rechnung auszuüben und dürfen nicht (treuhändig) übertragen werden (Z 5). Rechtsanwälte dürfen keinem weiteren beruflichen Zusammenschluss in Österreich angehören (Verbot der Mehrfachmitgliedschaft bzw „Sternsozietät“) - nach gemeinschaftsrechtswidriger Lesart des VfGH auch nicht grenzüberschreitend.246 Allerdings ist es dem Gesellschaftsvertrag vorbehalten, einem Rechtsanwalt die Ausübung der Rechtsanwaltschaft auch außerhalb der Gesellschaft einzuräumen. Die Beteiligung von Rechtsanwalts-Gesellschaften an anderen Zusammenschlüssen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in Österreich ist unzulässig (Z 8). Für die Gesellschaft selbst gilt, dass sie ausschließlich zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft samt Hilfstätigkeiten und Gesellschaftsvermögensverwaltung tätig sein darf (Z 6). Mit diesen Begrenzungen sollte auch bei der Zulassung neuer Rechtsformen, insb der GmbH, das Prinzip der persönlichen Berufsausübung aufrechterhalten und bloße Sachfirmen wie die Beteiligung von Fremdkapitalgesellschaften ausgeschlossen werden.247
244 245
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247
Eingefügt durch das Rechtsanwalts-Berufsrechts-ÄnderungsG 1999, BGBl I 1999/71. Hetz (FN 220), 44; zur Vereinbarkeit von § 21c RAO mit Art 11 Abs 5 RL 98/5/EG, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, das Tätigwerden multiprofessionell strukturierter ausländischer Gesellschaften zu unterbinden, soweit derartige Zusammenschlüsse nach nationalem Recht unzulässig sind, vgl mwH VfSlg 16988/2003 (kein acte clair, vorlagebedürftig). Zur Verfassungskonformität VfSlg 17312-17310/2004 = JBl 2005, 437 (kritisch, insb zur Gemeinschaftsrechtswidrigkeit, vgl Anm Dujmovits, ibid 440); vgl Gruber, Die Rechtsanwalts-GmbH, RdW 2000, 65 (67); zur gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit dieses Verbots (vor dem Hintergrund der deutschen Rechtslage) vgl Kilian, Das Verbot der Sternsozietät - Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht?, NJW 2001, 326; zur Verfassungskonformität in Deutschland vgl BGH 14. 11. 2005, AnwZ (B) 83/04 = BGHR 2006, 337. Vgl Michalek, Rechtsanwalts-Berufsrechts-Änderungsgesetz 1999. NotariatsBerufsrechts-Änderungsgesetz 1999 (Stellungnahme), NZ 1999, 178 (188).
Recht der freien Berufe
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Am Sitz der Gesellschaft muss zumindest ein Anwalt seinen Kanzleisitz haben (§ 21c Z 7),248 was der VfGH249 unter Berufung auf eine ordnungsgemäße, vom (Vertrauens-)Verhältnis zwischen Anwalt und Klient geprägte Berufsausübung als verfassungsrechtlich gerechtfertigt angesehen hat. Die frühere Beschränkung auf einen Sitz (Filialverbot)250 ist nunmehr - motiviert durch die Umsetzung der RL 98/5/EG -251 hinfällig:252 Sowohl Einzelanwälte (§ 7a) wie auch Gesellschaften (§ 21c Z 7 iVm § 7a) dürfen Kanzleiniederlassungen gründen, sofern ihre Leitung einem Rechtsanwalt übertragen wird, der seinen Sitz an der Adresse der Niederlassung hat und die zuständige Rechtsanwaltskammer dies genehmigt. Für RA-Gesellschaften ist nicht zuletzt Bedingung, dass Rechtsanwälten maßgeblicher Einfluss zukommt und gesichert ist, dies ua durch alleinige Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse, durch das Verbot von Fremdgeschäftsführern bzw das der Prokuraerteilung sowie durch mehrheitliche Kapitalanteile bzw Bestimmung der gesellschaftlichen Willensbildung (Z 9 bis 10). Die berufsrechtlichen Sondervorschriften insb zum GmbH-Recht sollen die Grundprinzipien der Anwaltschaft (unabhängige, persönliche Berufsausübung, Vertrauensverhältnis zum Klienten) trotz der Form der Kapitalgesellschaft sichern.253 Den Erfordernissen der persönlichen Haftung, bzw bei GmbHs der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse, sowie der persönlichen Verantwortung für die Erfüllung der Berufs- und Standespflichten (vgl § 21d RAO) ist damit Genüge getan. Als Folge ihrer Einrichtung kann Rechtsanwalts-Partnerschaften und Rechtsanwalts-GmbHs Vollmacht erteilt werden; sie sind durch ihre vertretungsbefugten Gesellschafter im Rahmen der diesen zukommenden beruflichen Befugnisse vertretungsbefugt iSd § 8 (§ 21e RAO). Ebenso können sie, wie sonstige Rechtsanwälte, Dienstgeber für Rechtsanwälte sein (§ 21g). 248 249 250
251
252 253
Das im früheren § 25 RL-BA normierte Verbot überörtlicher Sozietäten hat der VfGH mangels gesetzlicher Deckung aufgehoben: VfSlg 13819/1994. VfSlg 14532/1996. Vgl FN 227; Mayer, Anwaltliches Filialverbot und überörtliche Sozietät, AnwBl 1992, 705. Dem Filialverbot lagen Argumente der ordnungsgemäßen, va persönlichen Berufsausübung zu Grunde, die der VfGH anerkannte: VfSlg 13876/1994. Das Verbot mehrere Kanzleisitze einer RA-Gesellschaft hielt ebenso, ins in Anbetracht einer inhaltlich entsprechenden Regelung im sonstigen Gesellschaftsrecht, einer Prüfung des VfGH stand: VfSlg 14202/1995: auch im Hinblick auf das EWRAbkommen, die RA-DienstleistungsRL (77/249/EWG) und das EWR-RechtsanwaltsG 1992 sah er keine Bedenken: Das Problem der Inländerdiskriminierung stelle sich nicht, da das Verbot für in- und ausländische Gesellschaften in gleicher Weise gelte bzw inländische Kanzleien sich ungehindert im Ausland (zweig)niederlassen könnten. Vgl auch § 45 Abs 3 ÄrzteG, VfSlg 16024/2000; § 15 Abs 4 TierärzteG (nur ein Berufssitz, dieser bestimmt - Verbot der Wanderpraxis), VfSlg 16890/2003. Art 11 der RL 98/5/EG ermöglicht die Eröffnung einer Zweigniederlassung im EUAusland, somit auch in Österreich; deshalb und auf Anregung des ÖRAKT wurde dies auch österreichischen Anwälten (im Inland) ermöglicht: RV 1639 BlgNR 20. GP zu § 7a. Eine Sonderbestimmung für Kanzleiniederlassungen (§ 7a) wurde durch BGBl I 1999/71 eingefügt. RV 1368 BlgNR 20. GP.
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Dujmovits
f) Notare Für Notare besteht, wie für alle freien Berufe, die Möglichkeit eines Zusammenschlusses in eingetragene Erwerbsgesellschaften (Notar-Partnerschaften) (§§ 22 ff NO). Die Möglichkeit der Konstruktion einer GesbR existiert daneben; die Vorschriften über die Notar-Partnerschaften gelten analog (§ 29). Notar-Partnerschaften bedürfen zu ihrer Gründung der bescheidmäßigen Genehmigung durch die Notariatskammer, worauf bei Gesetzes- und Standespflichtskonformität ein Anspruch besteht.254 Die Firmenbezeichnung ist genau geregelt und lässt Rückschlüsse auf die beteiligten Notare, uU Notariatskandidaten und das Vorliegen einer Partnerschaft zu (im Detail § 24). NotarPartnerschaften dürfen nur einen Kanzleisitz haben (§ 24 Abs 2). Die für Notarpartnerschaften (durchgehend) verlangten Erfordernisse legt § 25 NO fest: Ua dürfen Gesellschafter nur Notare bzw bestimmte Notariatskandidaten sein (Z 1). Ähnlich wie bei den Anwälten gibt es Funktions- (Z 2), Tätigkeits- (auf Notarstätigkeiten: Z 7) und Zugehörigkeitsbeschränkungen (Z 8) für die beteiligten Notare. Auch hier werden alleinige Geschäftsführungsund Vertretungsbefugnisse (Z 4), persönliche Rechtsausübung (Z 6) sowie Einfluss in der Willensbildung der Partnerschaft (Z 9) rechtlich gesichert. Eine partnerschaftliche Konstruktion vermag die persönliche Verantwortlichkeit der Notare bzw Kandidaten für die Erfüllung der Berufs- und Standespflichten nicht auszuschließen (§ 27). g) Ärztegemeinschaften Vor der 2. ÄrzteG-Nov 2001255 legte das ÄrzteG 1998 keine bestimmte Gesellschaftsform fest;256 Grenzen berufsrechtlicher Art ergaben sich jedoch aus der Pflicht zur persönlichen bzw eigenverantwortlichen Berufsausübung (§ 49 Abs 2) sowie dem Vorbehalt der Berufsberechtigung für natürliche Personen (§ 3 Abs 1 und 4). Zulässig waren schon bislang Ordinations- bzw Apparategemeinschaften, dh die Zusammenarbeit von - ausschließlich -257 freiberuflichen Ärzten durch die gemeinsame Nutzung von Ordinationsräumen bzw medizinischen Geräten bei Wahrung der Eigenverantwortlichkeit jedes Arztes (§ 52).258 Dabei erfolgt die gemeinsame Verwendung von Räumen, Personal und Einrichtungen unter Beibehaltung der einzelnen Ordinationsstätten und der persönlichen Verantwortung des Arztes (vgl § 49 Abs 2).259 Das Bestehen solcher Gemeinschaften unterliegt der Meldepflicht an die Ärztekammer (§ 29 Abs 1 Z 7). Als bloße Innengemeinschaften waren Zusammenarbeitsformen (Gemeinschaftspraxen) unter Einhaltung der berufsrechtlichen Vorschriften 254 255 256 257 258
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Vgl § 22 Abs 2; für die Antragserfordernisse vgl § 23 NO. 2. ÄrzteG-Nov, BGBl I 2001/110 (RV 529 AB 689 BlgNR 21. GP). Zu den möglichen Gesellschaftsformen Resch, Abgrenzungsfragen, 381 f. Voraussetzungen sind das ius practicandi und die Eintragung in die Ärzteliste: Aigner/Kierein/Kopetzki (FN 15), Rz 7 zu § 52. Diese Gemeinschaften unterliegen nicht dem KAG: mwH zur Abgrenzung zwischen Ordinationsstätten und Ambulatorien Aigner/Kierein/Kopetzki (FN 15), Rz 6 zu § 52; Zahrl, §§ 52, 52a und b, in: Emberger/Wallner (Hrsg) (FN 15), 258 Anm 5; ausführlich Schneider, Ärztliche Ordinationen und selbständige Ambulatorien im Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht (2001); Nauta (FN 2), 62 f. Aigner/Kierein/Kopetzki (FN 15), Rz 2 zu § 52.
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schon bislang zulässig. Der VfGH hob die Regelung, wonach eine Zusammenarbeit freiberuflich tätiger Ärzte „nach außen hin nicht als Gesellschaft in Erscheinung treten“ durfte, als verfassungs-, weil gleichheitswidrig auf (VfSlg 14444/1996)260. Seitdem können Ordinations- und Apparategemeinschaften als Außengesellschaften - auch als eingetragene Personengesellschaft261 - organisiert sein (zB für Kauf- bzw Mietverträge, Ein- und Verkauf medizinischtechnischer Geräte usw). Dem Patienten gegenüber können derartige Gesellschaften jedoch nicht auftreten: In Ordinations- wie Apparategemeinschaften kann nur der einzelne Arzt Partner des Behandlungs- oder auch Kassenarztvertrages sein.262 Seit der 2. ÄrzteG-Nov 2001263 ist nun die Einrichtung von außenwirksamen Behandlungs- und nicht nur Wirtschaftsgesellschaften möglich: Die ärztliche Tätigkeit darf auch im Rahmen von Gruppenpraxen (§§ 52a f ÄrzteG) ausgeübt werden.264 Die die Gruppenpraxis betreibende Gesellschaft ist selbst berechtigt, Behandlungs- und Kassenverträge zu schließen.265 Sie ist selbst berufsausübungsberechtigt (vgl § 3 Abs 1 ÄrzteG)266 und selbständig berufsbefugt (§ 52a Abs 1). Der Umfang ihrer Berufsbefugnis ergibt sich aus der ihrer Gesellschafter (§ 52a Abs 2 ÄrzteG; § 26 Abs 2 ZÄG). Die Diskussion über die Verfassungskonformität der bisherigen Beschränkungen ist über weite Strecken hinfällig.267 Auch zahnärztliche Gruppenpraxen sind zulässig (§ 26 Abs 1 ZÄG). Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist eingeschränkt erlaubt: Ärzte, Zahnärzte und (ehem) Dentisten268 stehen fachübergreifende Gruppen260 261 262
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VfSlg 14444/1996 = RdM 1996, 96 (Entscheidungsanmerkung Kopetzki); vgl Nauta (FN 2), 61 ff. Aigner/Kierein/Kopetzki (FN 15), Rz 8 zu § 52. Dies wird einerseits mit der Pflicht zur eigenverantwortlichen Berufsausübung bzw der Berechtigung dazu begründet: Kopetzki (FN 260), 96; andererseits aus kompetenzrechtlichen Erwägungen bzw aus § 23 ÄrzteG 1984 berufsrechtlich: Nauta (FN 2), 64 ff; vgl Aigner/Kierein/Kopetzki (FN 15), Rz 2 und 8 zu § 52. 2. ÄrzteG-Nov, BGBl I 2001/110 (RV 529 AB 689 BlgNR 21. GP). Vgl Klement, Gruppenpraxen - Behandlungsgesellschaften als OEG - Zu den Möglichkeiten der Vergesellschaftung von Ärzten, ecolex 2002, 431; Kux, Zum Entwurf eines Gruppenpraxengesetzes, RdM 1995, 98; Mazal, Gruppenpraxis und Kassenvertragsrecht, RdM 1998, 163; Hummelbrunner, Die ärztliche Gruppenpraxis, 2005; Schneider, Zusammenarbeit, Rechtsformgestaltung, Gruppenpraxen, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis,3. Erg.-Lief 2006, IV/51; vgl ders., Ärztliche Ordinationen und selbständige Ambulatorien im Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht, 2001, insb 84 ff, 222 ff; Scholz, Werdegang eines Gruppenpraxengesetzes, SozSi 1996, 583; Zahrl (FN 258); aus steuerrechtlicher Sicht Wolf, Die Umgründung der Arztpraxis - Möglichkeiten zur Bildung von Gruppenpraxen, SWK 2002, 825; Ginthör, Steuerrecht für niedergelassene Ärzte, Psychotherapeuten usw, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis,3. Erg.-Lief. 2006, IV/183 (insb IV/206 ff); Nauta (FN 2), 61 ff. Vgl „Behandlungsgesellschaft“: Aigner/Kierein/Kopetzki (FN 15), § 52a Anm 2 ff; vgl §§ 338, 340 ff ASVG seit der Fassung 58. Nov BGBl I 2001/99. Zuvor nur der einzelne Arzt: vgl §§ 2 und insb 3 ÄrzteG 1998; Resch, Abgrenzungsfragen, 382. Vgl dazu Hummelbrunner, Die ärztliche Gruppenpraxis, 2005, 13 ff; Nauta (FN 2), 65 ff; vgl jedoch kritisch zur Neuregelung Schneider (FN 259), 65 ff. Wenn es auch im § 52a Abs 1 ÄrzteG wörtlich heisst: „mit einem Angehörigen des zahnärztlichen Berufs oder des Dentistenberufs“ (Hervorhebung von mir), ist eine
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praxen offen, solange die jeweiligen Berufsbefugnisse beachtet werden (vgl § 52a Abs 1 Satz 2 ÄrzteG idF BGBl I 2005/156; § 26 Abs 1 Satz 2, Abs 2 ZÄG: Ärzte als persönlich haftende Gesellschafter). Als Rechtsform steht die OEG (künftig: OG) zur Verfügung (§ 52a Abs 3 ÄrzteG; § 26 Abs 1 ZÄG). Als Gesellschafter kommen nur Ärzte oder Zahnärzte (Dentisten) in Frage, die zwingend persönlich haften (§ 52a Abs 4 ÄrzteG; § 26 Abs 4 ZÄG).269 Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse sichern ihren Einfluss (§ 52a Abs 5 ÄrzteG; § 26 Abs 3 ZÄG). Die Gesellschafter entscheiden über Fragen der Berufsbefugnis; die die in Rede stehende Berufsbefugnis Innehabenden dürfen dabei nicht überstimmt werden.270 Die Gesellschafterrechte sind persönlich wahrzunehmen. Die persönliche Ausübung und Eigenverantwortlichkeit wird durch den Ausschluss von Weisungen bei ärztlicher Tätigkeit garantiert (§ 52a Abs 6 ÄrzteG; § 26 Abs 4 ZÄG). Die Gesellschafter haben für die Einhaltung des ÄrzteG zu sorgen und verantworten persönlich die Beachtung der Berufs- und Standesregeln (§ 52b ÄrzteG; § 26 Abs 8 ZÄG). Als Zweck der Gesellschaft kommt nur die Ausübung des Arzt-(Dentisten-)Berufes einschließlich Hilfstätigkeit und Vermögensverwaltung in Frage (§ 52a Abs 7 ÄrzteG; § 26 Abs 5 ZÄG). Die Gruppenpraxis darf nur einen Sitz in Österreich haben,271 der zugleich auch Berufssitz der beteiligten Ärzte ist (§ 52a Abs 8 ÄrzteG; § 26 Abs 6 ZÄG). Für die zu wählende Firma gibt es Vorgaben (§ 52a Abs 9 ÄrzteG; § 26 Abs 7 ZÄG). h) Wirtschaftstreuhänder Wirtschaftstreuhandberufe (Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, selbständiger Buchhalter) dürfen neben von natürlichen, öffentlich bestellten Personen auch von Wirtschaftstreuhandgesellschaften (§§ 65 ff WTBG) ausgeübt werden, die die Kammer der Wirtschaftstreuhänder anerkennt (§ 7 WTBG; zum Verfahren vgl §§ 76 ff). Zulässige Gesellschaftsformen sind eingetragene Personengesellschaft (früher iSd EEG, künftig nach dem UGB), GmbH oder AG (§ 66).272 OHG und KG, die nach der Vorgängerregelung der WTBO als zulässig erachtet wurden,273 stehen nicht mehr zur Verfügung. Sie wurden in der RV
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zahlenmäßige Begrenzung auf nur einen aufgrund der Verwendung des unbestimmten Artikels nicht anzunehmen; dies ergibt sich systematisch aus dem übrigen Gesetzestext, wo der Plural gebraucht wird - ebenso wie im § 26 ZÄG. Vgl AB 689 BlgNR 21. GP; zur steuervorteilhafteren (Innen-)Organisation vgl Slawitsch, Die ärztliche GmbH - Strategie ab 2005?, SWK 2004, 282; vgl BMF, USt-Prot 2003. Rechtsform der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit, ARD 5435/10/2003 (anlässlich EuGH Rs C-141/00, Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH, Slg 2002, I-6833: Steuerfreiheit unabhängig von Unternehmensform). Innerhalb dieser gilt ausdrücklich der Grundsatz der freien Arztwahl. Ob auch hier die Diskussion um die Zulassung von Zweigniederlassungen bzw die Verfassungskonformität der Beschränkung parallel zu den Kanzleisitzen von Rechtsanwälten in Gang kommen wird, bleibt abzuwarten; eine sachliche Rechtfertigung bzw deren Fehlen könnte mit ähnlichen Argumenten behauptet werden. Taxative Aufzählung: VwGH 24. 3. 2004, 2003/04/0200 = ZfVB 2005/547, 360. Krejci (FN 7), § 6 Rz 39; Nauta (FN 2), 60.
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zwar noch genannt, im Ausschuss jedoch als systemwidrig gestrichen.274 Erforderlich sind weiters: ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag; eine bestimmte Firma und ein Sitz in Österreich (§ 67)275; bestimmte berufsberechtigte natürliche Personen oder Gesellschaften oder bestimmte Verwandte als Gesellschafter oder Aktionäre (§ 68); ein allfälliger Aufsichtsrat (§ 69), eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung (vgl § 11) sowie geordnete wirtschaftliche Verhältnisse. Daneben trägt das WTBG als relativ junge Regelung freier Berufe dem Trend der Zeit Rechnung und enthält Vorschriften über eine interdisziplinäre Zusammenarbeit in einer Gesellschaft, die neben der Ausübung des Wirtschaftstreuhandberufes auch andere Tätigkeiten ausübt (§§ 70 ff). Voraussetzung ihrer Bildung ist die befugte Ausübung anderer zulässiger beruflicher Tätigkeiten: Zur Ausübung dieser anderen freiberuflichen Tätigkeiten (sowie des Gewerbes der Unternehmensberater und der Technischen Büros) sind Wirtschaftstreuhandgesellschaften ua dann berechtigt, wenn dies die inländischen Berufsrechte zulassen und deren sonstige Vorschriften (zB Verschwiegenheitspflichten) eingehalten werden. Das Wirtschaftstreuhandberufsrecht wird dabei als Mindeststandard festgelegt. Ob dies zutrifft, stellt der BMwA im Einvernehmen mit dem ressortmäßig zuständigen BM durch V fest (§ 71 Abs 2). Viele Berufsrechte erlauben keine multidisziplinären Partnerschaften,276 was die Bedeutung der Öffnung des WTBG relativiert. Als sonstige Voraussetzungen interdisziplinärer Zusammenarbeit nennt das WTBG das Vorliegen einer zulässigen Gesellschaftsform gemäß § 72 (OEG/künftig: OG, KEG/künftig: KG, GmbH); einen schriftlich abgeschlossenen Gesellschaftsvertrag; eine Firma, die einen Hinweis auf die Ausübung des Wirtschaftstreuhandberufes enthält, und einen Sitz in Österreich (§ 73); einen bestimmten Kreis von Gesellschaftern (§ 74: iW berufsberechtigte natürliche Personen oder Gesellschaften mit Hauptwohnsitz im EU- bzw EWR-Gebiet, besondere Vertrauenswürdigkeit und geordnete wirtschaftliche Verhältnisse) und eine abgeschlossene Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung gemäß § 11. Der Einfluss der Wirtschaftstreuhänder muss zumindest gleichberechtigt gesichert sein (§ 70 Abs 2). Fachübergreifende Gesellschaften unterliegen auch den anderen (inländischen) Berufsrechten ihrer Gesellschafter, sind Mitglied der gleichen gesetzlichen beruflichen Vertretung wie diese und haben bei Interessenkollision gewisse Vertretungseinschränkungen hinzunehmen (§ 75).
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Vgl RV 1273 BlgNR 20. GP zu § 66 und Z 15 des Abänderungsantrages; bestehende OHGs und KGs durften bis 31.12.2005 weiter bestehen (Z 21 Abänderungsantrag); so auch Resch, Erwerbsgesellschaften, 381. Dies hindert nicht das Tätigwerden ausländischer Gesellschaften mit Sitz im Ausland in Österreich unter Einhaltung der geltenden Vorschriften: Heinl/Loebenstein/Verosta, Das österreichische Recht, FN 1 zu § 67 WTBG. Vgl Heinl/Loebenstein/Verosta (FN 275), FN 1 zu § 70 WTBG.
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i) Apotheker Apotheker gelten bzw galten - für freie Berufe untypischer Weise -277 als Kaufleute iSd HGB (§ 1 Abs 1 Z 1); ihnen standen daher schon nach dem HGB neben der EEG (für minderkaufmännische Unternehmen)278 auch die Rechtsformen der handelsrechtlichen Personengesellschaften (OHG/künftig: OG, KG) offen.279 Bei der Wahl einer Personengesellschaft muss jedoch eine hinreichende rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht durch den Konzessionsinhaber sichergestellt sein, bedingt durch den persönlichen Charakter der Konzession (näher § 12 ApG). Unter diesen Voraussetzungen dürfen auch Berufsfremde Gesellschafter sein.280 j) Ziviltechniker281 Berufsbefugte Ziviltechnikergesellschaften sind zulässig (vgl §§ 21 ff ZTG 1993). Die Gesellschaften sind dabei selbst berufsausübungsberechtigt (§ 21 Abs 2). Zum ausschließlichen Zweck der dauernden Ausübung des Ziviltechnikerberufes (Architekten oder Ingenieurskonsulenten) dürfen eingetragene Erwerbsgesellschaften (künftig OG, KG iSd VGB), GesmbHs und AGs mit eigener, vom BMwA verliehener Befugnis gegründet werden.282 Diese Ziviltechnikergesellschaften dürfen sich auch an anderen Ziviltechnikergesellschaften beteiligen (§ 26 idF seit der ZTG-Nov 2005). Die Bildung einer GesbR mit berufsfremden Gewerbetreibenden ist hingegen nur zulässig, wenn diese zu ausführenden Tätigkeiten nicht berechtigt sind;283 eine solche Gesellschaft gilt freilich nicht als Ziviltechnikergesellschaft iSd ZTG. Auch das ZTG enthält wie die anderen dargestellten Berufe Organisations- und Beteiligungsgrundsätze, um die selbständige und eigenverantwortliche284 Ausübung des Ziviltechnikerberufes zu sichern (vgl §§ 25 ff).
4. Versicherung a) Haftpflichtversicherung Der Abschluss und Nachweis einer Haftpflichtversicherung wird in einigen Berufsrechten (§ 21a RAO, § 30 NO § 21a PatentanwG) als Eintragungsbedin277 278 279 280 281 282
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Deshalb wird zT ihre Zuordnung zu den freien Berufen angezweifelt und zu den Handelsgewerben befürwortet: mwN Resch, Abgrenzungsfragen, 379 f. Krejci (FN 7), § 6 Rz 15. Nauta (FN 2), 5; vgl VwGH 17. 3. 2004, 2001/08/0170 = ZfVB 2006/440, 271 (Rechtsstellung der Kommanditisten, Versicherungspflicht. Krejci (FN 7), § 6 Rz 19. Vgl Krejci/Pany/Schwarzer, ZTG Ziviltechnikerrecht2, 1997. Vgl Krejci/Pany/Schwarzer (FN 281), § 21 Rz 8; vgl auch VwSlg 15317 A/2000 = ÖJZ 2000, 916 (Kammerumlage); Müller/Rief/Thiery, Ziviltechnikergesellschaften, ecolex 1994, 322. Eine Beschränkung der Beteiligung berufsfremder Personen am Gewinn einer GesbR auf bloße „Innengesellschaften“ in den Standesregeln der Ziviltechniker hat der VfGH als gesetzwidrig aufgehoben: VfSlg 16033/2000. Der Unabhängigkeit bzw Eigenverantwortlichkeit des Ziviltechnikers ist es nicht abträglich, Personen zur Mitarbeit heranzuziehen, die eine facheinschlägige Gewerbeberechtigung ausüben: VfSlg 15689/1999 = ZfVB 2000/1234 (Aufhebung Pkt 4.2. 1. Satz Standesregeln Ziviltechniker).
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gung bzw Voraussetzung und Zulässigkeitsbedingung für die rechtmäßige Berufsausübung genannt; insoweit ist auch die Versicherungspflicht als Zugangsschranke zu bestimmten freien Berufen zu nennen.285 (Ein ähnlicher Gedanke liegt den Bestimmungen zu Grunde, die auch sonst geordnete wirtschaftliche Verhältnisse für die Berufsausübung verlangen.286) Mit dem RA-BRÄG 1999 wurde va im Hinblick auf die Möglichkeit einer RechtsanwaltsGmbH diesbezüglicher Regelungsbedarf als gegeben erachtet: Nach § 21a RAO muss vor Eintragung eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der aus der Berufstätigkeit entstehenden Schadenersatzansprüche bei einem zum Geschäftsbetrieb in Österreich berechtigten Versicherer nachweisbar sein und auch - bei sonstiger Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft - weiterbestehen (Abs 2). Mindestversicherungssummen sind je nach Organisationsform festgelegt (Abs 3 und 4); so für eine GmbH eine höhere, auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Gesellschafter nicht persönlich haften und va größere Wirtschaftskanzleien die Form der GmbH in Anspruch nehmen.287 Die NO enthält in § 30 eine vergleichbare Bestimmung zur Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für den Notar. Mit dem Not-BRÄG 1999 wurden die Mindestversicherungssumme angehoben, Ergänzungen (ua im Hinblick auf Notar-Partnerschaften) und Klarstellungen (in bezug auf Notariatssubstituten) vorgenommen.288 Daneben bestehen RLen der Notariatskammer über die Vertragsbedingungen der Haftpflichtversicherung.289 Das Vorliegen einer Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung wird auch im WTBG zur Ernennungsvoraussetzung (§ 8 Abs 1 Z 4) bzw Voraussetzung einer Anerkennung als Wirtschaftstreuhand-Gesellschaft (§ 65 Abs 1 Z 6) bzw multidisziplinären Gesellschaft (§ 70 Abs 1 Z 6) gemacht (näher vgl § 11).
b) Sonstige Nicht unbedingt zu den Zugangsvoraussetzungen, sondern eher zu den Zugehörigkeitsfolgen zählen die Vorschriften über berufsspezifische Wohlfahrtsbzw Unterstützungseinrichtungen, die im Zuge der Selbstverwaltung eingerichtet sind und sich in den berufsrechtlichen Regelungen widerspiegeln, so etwa der Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer (§§ 96 ff ÄrzteG), die Versorgungseinrichtungen nach §§ 49 ff RAO und § 140a Abs 2 Z 4 NO sowie die Pharmazeutische Gehaltskasse für Apotheker (GehaltskassenG 1959). Die Rechtsverhältnisse zwischen Kammerangehörigen und Wohlfahrtseinrichtungen der Kammern enthalten ebenfalls Elemente eines Versicherungsverhältnisses.290 Die betreffenden Umlagen- und Beitragsordnungen geben häufig Anlass zu Beschwerdeverfahren.291 285
286 287 288 289 290 291
Als weder gemeinschafts- noch verfassungsrechtlich bedenkliche Inländerdiskriminierung wertete der VwGH den Abschluss einer Haftpflichtversicherung durch die Ziviltechnikerkammer für ihre Mitglieder: VwSlg 15317 A/2000 = ÖJZ 2000, 916. Vgl (zur alten WTBO) VwGH 27. 1. 1998, 97/02/0283 = ZfVB 1999/1262. Vgl RV 1638 BlgNR 20. GP. Näher Wagner/Knechtel (FN 43), 164 ff. Abgedruckt in Wagner/Knechtel (FN 43), 880; näher ibid. 168 ff. So VwSlg 15539 A/2001; vgl zur Unterstützungsleistung nach dem Solidaritätsfonds der NO und dessen Instanzenzug VfGH 7. 6. 2005, B 1502/04. Vgl Kneihs, Rechtsprobleme der Errichtung kammereigener Wohlfahrtseinrichtungen, ZÖR 2002, 1. Vgl VfSlg 15409/1999; 16205/2001; 16188-16368,16768/2001 (Kundmachung, Sachlichkeit); VfSlg 15971/2000 (gesetzwidrige Zusammensetzung
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Ebenfalls keine Antrittsschranke - aber einen Fall von Versicherung - stellt der Komplex der allgemeinen Sozialversicherungspflicht dar, der hier nur skizziert werden soll:292 Seit 2000293 unterliegen Freiberufler prinzipiell einer Pflichtversicherung nach dem GSVG.294 Eine zeitlich begrenzte Möglichkeit zum „Opting out“ in eine alternative Versicherung mit annähernd gleichwertigen Leistungen bestand für die Interessenvertretungen der in Kammern organisierten freien Berufe (Ärzte,295 Apotheker, Dentisten/Zahnärzte, Tierärzte, Patentanwälte, Wirtschaftstreuhänder, Zivilingenieure, Notare296 und Rechtsanwälte297) (vgl § 5 GSVG); davon wurde durchwegs Gebrauch gemacht.298
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Beschwerdeausschuss); VfSlg 16804/2003 (Anfallsalter); VfSlg 16908/2003 (Bemessung, keine Inländerdiskriminierung); VfSlg 16918/2003 (Aufhebung Bundeskurienumlage); VfGH 17. 3. 2006, V 24/05 (Berechnung); VfSlg 16900/2003; VfGH 3. 3. 2005, G 158/04, V 60/04 (mangelnde Determinierung); VfSlg 17175/2004 (ZTKG; Klagslegitimation nach Art 137 B-VG); VfSlg 16814/2003; VwSlg 15539 A/2001; VwGH 8. 8. 2002, 2000/11/0227 = ZfVB 2004/44, 45 (Ermäßigung); VwGH 21. 2. 2006, 2004/11/0131 (Beitragsbefreiung); VwGH 12. 4. 1999, 98/11/0095 = ZfVB 2000/979 (Beitragsordnung); VwGH 24. 9. 2003, 2003/11/0003 = ZfVB 2004/1559, 776 (Verfahren); VwGH 24. 6. 2003, 2001/11/0328 = ZfVB 2004/1258, 639 (Nachlass); VwGH 29. 1. 1999, 95/19/1145 = ZfVB 2000/977 (Satzung der Versorgungseinrichtung der Tir RAK); VwGH 18. 9. 2003, 2002/06/0013, 2002/06/0013 ua = ZfVB 2005/29, 45 (Hinterbliebenenversorgung RAO); VwGH 11. 10. 2002, 2002/02/0016 = ZfVB 2004/47, 47; VwGH 30. 9. 2002, 2002711/0134 = ZfVB 2004/48, 47; VwGH 5. 3. 2002, 2001/06/0158 = ZfVB 2003/987, 455 (Witwen-/Witwerversorgung); VwGH 28. 10. 2003, 2001/11/0115 = ZfVB 2005/28, 45 (TierärzteG, Ausschluss); VwGH 28. 2. 2005, 2001/10/0175 = ZfVB 2006/587, 362 (maßgeblicher Eintragungszeitpunkt). Vgl auch EGMR Fall Klein gg Ö, BeschwNr 57028/00, 4. 5. 2006 (zulässig) = NL 2006, 117 (Verweigerung der Altersversorgung eines RA wegen Verlusts der Kammermitgliedschaft durch Konkurs - Eigentum). Zur Versicherungspflicht bei selbständiger Erwerbstätigkeit in (mehreren) EWRStaaten vgl die VO 1408/71/EWG idF VO Komm 207/2006, Abl 2006 L 36/3 (Einbeziehung auch von Freiberuflern); vgl ARD 5147/2000; Bertram, Die sozialversicherungsrechtliche Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit der Freien Berufe in Europa, 2004. Regelt Arbeits- und Sozialrechts-ÄnderungsG 1997 (ASRÄG 1997), BGBl 1997/133. Genauer Sedlacek, Neuordnung des Versicherungsverhältnisses der Freien Berufe, ASoK 1998, 2; zuvor zur Versicherungspflicht für Rechtsanwälte vgl Grießer, Freie Dienstverträge und Werkverträge in der Sozialversicherung, AnwBl 1996, 576. Selbständig erwerbstätige Ärzte und Apotheker unterliegen der Pensionsversicherung nach dem FSVG; zur Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen Beitragssätze VfGH 28. 6. 2001, B 463/01 ua. Vgl § 140a Abs 2 Z 5 NO; RL über die Schaffung von Einrichtungen zur Personenversicherung (PVR 1999); für Notare (und Kandidaten) besteht zudem eine Pensionsversicherungspflicht nach § 3 NVG 1972, vgl Wagner/Meisel, Notarversicherungsgesetz 1972, 2006; zum NVG VfSlg 17254/2004 (Bemessung, Vertrauensschutz). Vgl § 50 Abs 4 RAO; zur Aufhebung der Verpflichtung zum Abschluss einer Krankenversicherung in § 9a RL-BA mangels gesetzlicher Grundlage vgl VfSlg 15584/1999; zur zT fehlenden Abstimmung mit dem ASVG vgl Hofmann, Koordination des anwaltlichen Versorgungssystems - ungehobene Lücken und neue Ungleichheiten für Politiker-Anwälte nach der Pensionsharmonisierung, AnwBl 2005, 121.
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C. Berufszugang und Gemeinschaftsrecht Für österreichische Freiberufler im Ausland kann der österreichische Gesetzgeber schon wegen grundlegender Geltungsvoraussetzungen innerstaatlicher Rechtsvorschriften keine Regelungen treffen (Territorialitätsprinzip); hingegen ist dies umgekehrt schon möglich. Nationale (objektive) Berufszugangs- bzw ausübungsschranken unterliegen allerdings europarechtlichen Bedingungen, die sich aus dem Zusammenspiel von primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht ergeben: Dabei sind die (unmittelbar anwendbaren) Grundfreiheiten der Niederlassung und Dienstleistung, die Richtlinienermächtigung des Art 47 und die betreffenden Richtlinien selbst maßgeblich.299 Hier können nicht alle nationalen Zugangsschranken zu freien Berufen im einzelnen untersucht werden;300 statt dessen sei der allgemeine Prüfungsverlauf aufgezeigt: Der nationale Gesetzgeber301 muss beachten, dass die grenzüberschreitende Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit in Österreich primär gemeinschaftsrechtlichen Regelungen unterliegt, sofern für die spezifische Berufsausübung welche bestehen. Nur dort, wo keine gemeinschaftsrechtlichen Regelungen bestehen bzw diese dafür Raum lassen, darf der österreichische Gesetzgeber Erwerbsantrittsvorschriften erlassen, die allerdings (EU-)Ausländer nicht schlechter behandeln (Prinzip der Inländergleichbehandlung), sondern nur für alle Bürger gleichermaßen beschränkend wirken dürfen. Selbst neutrale Berufszugangsregeln sind jedoch geeignet, die Niederlassungsfreiheit von grenzüberschreitend Erwerbstätigen - die uU härter durch sie getroffen sind als darauf eingestellte Inländer - zu beschränken. Deshalb sind auch nichtdiskriminierende Zugangsschranken im Lichte der gemeinschaftsrechtlichen Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nur dann zulässig, wenn sie zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses dienen, zur Zielerreichung tauglich und verhältnismäßig sind.302 Für die vollziehenden Behörden bzw die Erwerbsantrittswilligen ergibt sich,303 dass Möglichkeiten und Bedingungen der Berufsausübung unter Berücksichtigung der im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats beabsichtigten Tätigkeiten zu beurteilen sind. Fehlen nationale Regelungen, hat der Ange298
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Vgl ARD 5073/1999; vgl V BMGF Ausnahme freie Berufe von der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem GSVG, BGBl II 2005/471; V BMSGK Ausnahme Ziviltechniker von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG, BGBl II 2004/534; V BMSGK Ausnahme Rechtsanwälte von der Pensionsversicherung nach dem GSVG, BGBl II 2004/522; vgl jedoch VfSlg 16206/2001 (Aufhebung der Satzung der Vorsorgungseinrichtung der Kammer der Wirtschaftstreuhänder mangels fehlender gesetzlicher Grundlage); VfSlg 17137/2004 (Aufhebung der als „B“ bezeichneten, gesetzwidrig kundgem AusnahmenV f Architekten u Ingenieurskonsulenten); VwGH 16. 6. 2004, 2001/08/0105 = ZfVB 2005/1198, 728 (Ausnahme RA, „B“ als V zu qualifizieren, mangels Kundmachung unbeachtlich, Fortbestehen der Pflichtversicherung). Zu den gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen vgl oben I.C.2.b. Ausführlich nach Berufen gegliedert Nauta (FN 2), 157 ff; für die Gesundheitsberufe Pitschas (FN 107), 10 f. Vgl Raschauer in Raschauer (FN 18), Rz 91. Vgl oben I.C.b. Nach EuGH Rs C-55/94, Gebhard, Slg 1995, I-4165 = AnwBl 1996, 18 (Einrichtung einer Anwaltskanzlei).
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hörige jedes anderen Mitgliedstaates das Recht, sich in dessen Hoheitsgebiet niederzulassen und die Tätigkeit auszuüben; unterliegen Aufnahme oder Ausübung jedoch bestimmten Bedingungen, sind diese grundsätzlich zu erfüllen.304 Einschränkende nationale Maßnahmen bedürfen jedoch einer Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses und haben zur Zielerreichung geeignet und adäquat zu sein. Die Gleichwertigkeit der Diplome ist zu berücksichtigen und gegebenenfalls eine vergleichende Prüfung der in den nationalen Vorschriften geforderten Kenntnisse bzw Qualifikationen mit jenen des Betroffenen vorzunehmen. Unter diesen Voraussetzungen sind nationale Zugangsschranken im Lichte des Gemeinschaftsrechts zulässig.
III. Erwerbsausübung A. Tätigkeitsfelder Allgemein reicht es hier festzuhalten, dass die Berufsrechte der freien Berufe ein typisches Berufsbild normieren und - neben den sonstigen oder allgemeinen Grenzen der Rechtsordnung305 - berufsrechtlich zulässige Tätigkeitsfelder umschreiben,306 denen oft eine salvatorische Klausel im Hinblick auf andere potentiell berührte Berufsrechte anhaftet. Gewisse Tätigkeiten werden dabei manchen freien Berufen ausschließlich vorbehalten;307 der Absicherung dienen Verwaltungsstraftatbestände, uU auch das Wettbewerbsrecht.308 Teilweise wird die Inanspruchnahme der Tätigkeit freier Berufe sogar vorgeschrieben.309 Zum
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Die Niederlassungsfreiheit garantiert die Aufnahme von Erwerbstätigkeiten „nach den Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaates für seine eigenen Angehörigen“. Vgl § 11c Abs 4 und § 59 Abs 8 AMG (Verbot der Selbstbedienung und des Versandhandels - Arzneimittel, Apothekenrecht); vgl auch VfSlg 16049/2000 = bbl 2001/38 (Wr BauO): Ziviltechniker darf aus Rechtsstaatsprinzip nicht statt Behörde bzw statt Bescheid entscheiden. Vgl zB §§ 1, 4 ZTG (für Architekten und Ingenieurskonsulenten); §§ 1-5 WTBG (Selbständiger Buchhalter, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer; Buchprüfer ist als eigene Kategorie entfallen); va §§ 1-5 NO (hoheitlicher und sonstiger Wirkungskreis). § 12 TierärzteG; § 2 Abs 2, § 3 ÄrzteG (vgl VfSlg 16962-17203/2003; ausführlich zu ärztlichen Tätigkeits- und Berufsvorbehalten vgl Skiczuk (FN 15), 51 ff); § 8 Abs 2 RAO (vgl VfSlg 14532/1996: Vorbehalt der umfassenden Parteienvertretung, österreichweit; unbefugte gewerbsmäßige Ausübung oder Anbietung von Rechtsanwälten vorbehaltenen Tätigkeiten als Verwaltungsübertretung: VwGH 17. 5. 2004, 2003/06/0108 = ZfVB 2005/1200, 728; vgl Lühn, Rechtsberatungsmonopol der Anwaltschaft in einem zusammenwachsenden Europa, dt AnwBl 2001, 319); § 2 Abs 1 WTBG (dazu VwGH 11. 10. 2002, 2002/02/0016 = ZfVB 2004/46, 46); vgl § 4 Abs 3 ZTG, wonach die in § 4 Abs 2 ZTG angeführten Tätigkeiten den Ziviltechnikern nicht vorbehalten sind („unbeschadet der den Gewerbetreibenden zustehenden Befugnissen“), aber nur diese mit öffentlichem Glauben versehene Personen iSd § 292 ZPO sind. Vgl § 57 Abs 2 RAO: dazu VwGH ZfVB 2000/581; vgl OGH 30. 11. 2004, 4 Ob 154/04g = RdW 2005, 226 (Verletzung des WTBG-Vorbehalts verstößt gg § 1 UWG; Kammer verfolgungslegitimiert). Vgl NotariatszwangG; vgl OGH 25. 7. 2000, 1 Ob 108/00i (Anwaltspflicht Art 6 MRK konform).
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Teil überschneiden sich die Betätigungsfelder einzelner freier Berufe;310 Abgrenzungen können im Einzelfall Schwierigkeiten machen.311 Die Berufsbilder werden faktischen Entwicklungen angepasst und bei Bedarf nachjustiert, auch durch Aufbrechen von Beschränkungen.312 Neue, durch Entwicklungen der Technik motivierte Berufsfelderweiterungen wie elektronische Rechtsberatung313, Telemedizin314 oder Online-Apotheken315 stoßen aber uU bald an standesrechtliche (Seriositäts- bzw Sachlichkeits-)Schranken. Vorgaben dafür folgen neben dem Berufsrecht insb aus der E-Commerce-RL, dem FernabsatzG und dem SignaturG.316 Den Berufsfelderweiterungen korrespondieren erweiterte Pflichten in der Tätigkeitsausübung bzw Interessenverfolgung für die Klienten; neue Berufspflichten erwachsen ebenso daraus.317 Auch rechtspolitisch erwünschte Vorgangsweisen finden Eingang in die Berufsrechte, so das Betätigungsfeld der prinzipiell niemandem vorbehaltenen318 außergerichtlichen freiwilligen Konfliktbereinigung durch Mediation319: In die RAO (§ 8 Abs 5), die NO (§ 5 Abs 4b) und das WTBG (§ 82 Abs 2) wurden Bestimmungen aufgenommen, die Mediationstätigkeiten an die Einhal310
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ZB erlaubt das WTBG im Abgaben(straf)verfahren eine Vertretung auch durch einen Wirtschaftsprüfer, der diesbez einem Rechtsanwalt gleichgestellt wurde und dem im VwGH-Verfahren genauso Anspruch auf Aufwandersatz gebührt: VwSlg 7493 F/2000; vgl zur Psychotherapie durch Ärzte OGH 31. 1. 1995, 4 Ob 125/94 = RdM 1995, 68 (Anmerkung Kopetzki). Vgl zB Öhlinger, Die Grenze zwischen ärztlichen und psychotherapeutischen Berufsbefugnissen, in: Firlei ua (Hrsg) (FN 15), 2000, 1. Zur Aufgabe der Singularzulassung für Rechtsanwälte in Deutschland als möglichem, aber gerechtfertigtem Eingriff in die grundrechtliche Eigentumsfreiheit vgl EGMR 6. 2. 2003, Wendenburg ua gg D, ÖJZ 2004, 775; vgl Knechtel, Notarielles Berufsrecht im Wandel, NZ 2003, 44; Marhold, Das Berufsbild des Rechtsanwalts im Wandel, AnwBl 1999, 660; vgl (zu D) Jaeger, Künftige Stellung der Rechtsanwälte im System der Rechtspflege und in der Gesellschaft, NJW 2004, 1492; Tettinger, Freie Berufe und Kammerrechte im Wandel der Staatsaufgaben, DÖV 2000, 534. Differenzierend Zib, Anwaltliche Rechtsberatung über elektronische Medien, in: Bernat ua (Hrsg), FS Krejci, 2001, Bd II, 1335. Vgl Kopetzki, Telemedizin und Recht. Juristische Überlegungen zur ärztlichen Tätigkeit im Informationszeitalter, in: Stodulka/Tauss (Hrsg), Medizin Online. Das Internet-Handbuch für Ärzte und Patienten, oJ [2000], 125; Thiele, Rechtsfragen der medizinischen Online-Beratung, RdM 2003, 33; vgl GesundheitstelematikG, BGBl I 2004/179 (Art 10). Vgl EuGH Rs C-322/01, Dt Apothekerverband gg Doc Morris, Slg 2003, I-14887 = EuZW 2004, 21 (Versandhandel mit Arzneimitteln). So Thiele, Anwaltliche Werbung im Internet, AnwBl 1999, 402 (405). Vgl § 9 Abs 1a RAO verpflichtet den Rechtsanwalt, für die zur Wahrung, Verfolgung und Durchsetzung ihm anvertrauter Interessen notwendigen Einrichtungen, insb für den Verkehr mit Gerichten im elektronischen Rechtsverkehr, zu sorgen; vgl die Einführung von Berufssignaturen bzw elektronischen Urkundenarchiven für Rechtsanwälte, Notare und Ziviltechniker. Vgl aber „eingetragener Mediator“ nach dem Zivilrechts-MediationsG, BGBl I 2003/29 (berührt freiberufliche Regelungen nicht: § 2 Abs 2), bzw die ZivilrechtsMediationsAV, BGBl II 2004/47. Vgl im Überblick Hoffmann, Mediation, AnwBl 2001, 361; Grünberger, Mediation und notarielles Berufsrecht, NZ 2001, 153; vor der GewRNov 1992 war die Ausgleichsvermittlung ein konzessionspflichtiges Gewerbe nach § 367 Z 34c GewO.
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tung der Berufspflichten binden.320. Standesregeln wurden erweitert und um Mediationsrichtlinien ergänzt (Artikel XII zu den §§ 63 - 69 RL-BA;321 Art V STR 2000322). Aber auch andere freie Berufsgruppen wie Psychologen, Psychotherapeuten (und sonstige Inhaber des entsprechenden Gewerbescheins) können als Mediatoren auftreten. Jüngst wurden die rechtsberatenden Berufe in die Abfassung von Patientenverfügungen als neuen Tätigkeitsbereich eingebunden (PatVG 2006, BGBl I 55).
B. Berufs- und Standespflichten 1. Allgemeines323 Das Recht der freien Berufe besteht zu einem Großteil aus Berufs- und Standespflichten, die die Berufsausübung betreffen (vgl den Ausdruck „reglementierte Berufe“ im Gemeinschaftsrecht). Berufspflichten dienen berufsangepasst dazu, die sachliche, gewissenhafte und fachlich eigenverantwortliche Berufsausübung zu sichern;324 sie treten als konkrete Verhaltensnormen325 oder als zu konkretisierende im Berufsstand bestehende Anschauungen auf.326 Standespflichten verpflichten meist abstrakt zur Wahrung der Ehre und Würde des Standes bzw des Standesansehens;327 sie werden zumeist durch im Rahmen der Selbstverwaltung von den Kammern erlassene eigene Standesrichtlinien (idR Ven) ausgeführt.328 Berufs- und Standespflichtverletzungen werden disziplinär geahndet (dazu gleich unten). 320 321
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ZB All- bzw Unparteilichkeit der Notare: näher Wagner/Knechtel (FN 43), Rz 2029 (insb Rz 22). Vgl MediationsRL ÖRAKT v 9. 4. 1999, ABlWrZ 22. 4. 1999 = AnwBl 1999, 297, die damit umgesetzt wird; vgl Steinacher, Die Mediationsrichtlinie, AnwBl 2000, 124; vgl §§ 63 ff RL-BA 1977 idF 15. 5. 2006. Grünberger, Mediation und notarielles Berufsrecht, NZ 2001, 153 (154). Die Vereinigung der nationalen europäischen Anwaltschaften (CCBE) (Rat der Anwaltschaften der Europäischen Union) hat europäische Standesrichtlinien erarbeitet, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt sind: vgl die Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Union idF der CCBE-Vollversammlung vom 28. 11. 1998 in Lyon = dt AnwBl 2001, 337; vgl auch CCBE, AnwBl 2000, 514. Vgl die tabellenförmige Übersicht bei Nauta (FN 2), 8. Auch die Nichtbefolgung von Aufträgen der Rechtsanwaltskammer (in eigener Sache) stellt einen Verstoß gegen Berufspflichten dar: OBDK 11. 9. 2000, 6 Bkd 2/00 = AnwBl 2001, 344. Vgl VwGH 24. 3. 1999, 98/11/0249 = ZfVB 2000/584 (Berufspflichten Tierärzte). So § 18 Abs 2 PatentanwG; § 10 Abs 2 RAO, § 1 DSt 1990 (vgl VfGH 13. 6. 2005, B 1519/04: Kanzleihomepage mit inkriminierter Frauenabbildung); § 7 Abs 2 NO; § 14 Abs 1 ZTG; § 55 ZTKG; § 53 Abs 1 ÄrzteG. Zum Schutz des Standesansehens durch Dritte, konkret Presseberichterstattung, vgl EGMR 2. 5. 2000, Fall Bergens Tidende = ÖJZ 2001/4 (Berichterstattung über misslungene Schönheitsoperation). Vgl die RL-BA 1977 (V: VfSlg 9470/1982) bzw den CCBE-Standesrechtskodex (Rechtsanwälte); Richtlinien der Österr Notariatskammer vom 21. 10. 1999 über das Verhalten und die Berufsausübung der Standesmitglieder (STR 2000), ABlWrZ 3. 12. 1999, 20 = NZ 1999, 409; vgl auch den Europäischen Kodex des notariellen Standesrechts = Wagner/Knechtel (FN 43), 927; Feststellungen der Berufssitten der Apotheker (V: VfSlg 12483/1990), vgl VfSlg 15171/1998 (rechtswidrige Arzneimittelabgabe, keine Bedenken im Hinblick auf Art 18 B-VG, Kundmachung), vgl VfSlg 15867/2000 („internationale Standesordnung“ für Apotheker); vgl den am
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2. Disziplinarrecht Freiberufler unterliegen neben der straf- und zivilrechtlichen einer standesrechtlichen disziplinären Verantwortung; die standesrechtliche Disziplinargewalt ist für die freien Berufe kennzeichnend.329 Berufs- und Standespflichtverletzungen (s oben)330 sind disziplinär zu ahndende Tatbestände diverser Berufsrechte; im Rahmen der Selbstverwaltung von den Kammern beschlossene Verhaltenskodices ergänzen diese.331 Die Konkretisierungspflicht trifft die Behörde.332 Die Berufsrechte enthalten idR Vorschriften bzw eigene Gesetze über Disziplinarverfahren.333 Disziplinarbehörden bestehen regelmäßig bei den Kammern.334 In oberster Instanz befinden regelmäßig Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag (Art 133 Z4-Behörden)335 - als solche auch uU vorlagepflichtige Gerichte iSd Art 234 EGV336. Die Entscheidung durch Tribunale ist im
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24. 6. 2005 vom ÄKTag beschlossenen Ärztlichen Verhaltenskodex bei der Zusammenarbeit mit der Pharma- und MedizinprodukteIndustrie, http://www.aek wien.at/media/Aerztl.Verhaltenskodex.pdf; und die QS-V der Ö ÄK v 16.12.2005, http://www.aerztekammer.at/service/QS_VO2006.pdf. Ausführlich Hradecky, Das Disziplinarrecht der freien Berufe, Diss Univ Wien 1998; Nauta (FN 2), 9 ff, 27 ff. Vgl statt vieler VfSlg 15903/2000; VfSlg 15921/2000 (ungerechtfertigte Anzeige); VfSlg 15905/2000 („nicht dienliche beleidigende und unsachliche Äußerungen“); VfSlg 16792/2003 (beleidigende Schreibweise einer Berufung), dazu G. Eisenberger/Hödl, Eine Frage der Ehre? Die Sprache des Rechtsanwalts, juridikum 2004, 170; VfSlg 17228/2004 (ungehörige Schreibweise); VfGH 27. 9. 2005, B 189/05 (Gewissenhaftigkeit des Arztes: Aufklärungspflicht); VfSlg 16952/2003 (Doppelvertretung, Verschwiegenheit); VfGH 2. 11. 2005, B 475/05 (Doppelvertretung; Anwendbarkeit der RAO und Standesrecht auf den „Nur“-Strafverteidiger); VfGH 13. 6. 2005, B 65/05 (Verschwiegenheit). Vgl RA-DSt 1990; §§ 135 ff ÄrzteG; §§ 44 ff PatentanwG; §§ 18 ApKG. Ein Verstoß bzw die Unterlassung bedeutet Willkür: mwH VfSlg 15956/2000; bloße Rsp-Hinw genügen nicht, konkrete Standespflicht muss benannt werden: VfSlg 16864/2003; 16955/2003; 17387/2004. Vgl VwGH 28. 2. 2005, 2001/10/0223 = ZfVB 2006/588, 362 (§ 64a AVG - Berufungsvorentscheidung - gilt nicht im Bereich der RAO); VfGH 29. 11. 2005, B 825/05 (einstweilige Maßnahmen nach § 19 DSt). Das ÄrzteG 1998 regelte das ärztliche Disziplinarrecht umfassend neu, indem - an das Rechtsanwaltsdisziplinarrecht angelehnte - spezifische Verfahrensregeln den bisherigen Verweis auf die StPO ersetzen: vgl Aigner/Kierein/Kopetzki (FN 15), § 135 Rz 1; Steiner, Das neue Disziplinarrecht, RdM 1999, 103. Abweichend bestehen bei Notaren gerichtliche Zuständigkeiten: vgl Wagner/ Knechtel (FN 43), 589 ff. Vgl etwa OBDK für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter nach §§ 59 ff DSt; Berufungskommission nach § 58 ZTG; Disziplinarsenat nach §§ 50 ff PatentanwG; Disziplinarsenat nach §§ 168, 180 f ÄrzteG 1998; die Anrufung des VwGH ist hingegen ausdrücklich zugelassen gegen Bescheide des Disziplinarberufungssenates nach AKG, ebenso der Disziplinarkommission nach § 54 TierärzteG; vgl Grabenwarter, Art 133, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Kommentar, 1999 ff, Anhang zu Art 133. Zur Verletzung der Vorlagepflicht durch die OBDK (als Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art 83 Abs 2 B-VG): VfSlg 16988/2003 (Auslegung des Art 11 Abs 5 RL 98/5/EG bzw des Verbots multidisziplinärer Sozietäten nach § 21c RAO).
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Disziplinarverfahren bei einer gewissen Schwere der Sanktionsdrohung (jedenfalls Berufsausübungsverbot, Streichung von der Liste)337 durch Art 6 MRK auch geboten.338 Rechtsmittel an den VwGH stehen nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Zulassung offen. Der VfGH prüft dennoch nur grob.339 Verfassungsrechtliche Grenzen des freiberuflichen Disziplinarrechts ergeben sich aus der Meinungsäußerungsfreiheit340 und uU aus Art 6 StGG341. Rechtsstaatlich problematisch im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art 18 B-VG, Art 7 MRK) mag die Formulierung der meisten Straftatbestände bzw das weitgehende Fehlen eines sonst üblichen Typenstrafrechts erscheinen.342 (Das WTBG 1999 bekleidet insoweit eine Vorreiterrolle, als es nicht nur ein Typenstrafrecht im Disziplinarrecht einführt, sondern auch die Strafen der Suspendierung und der Entziehung der Berufsberechtigung im Disziplinarrecht abschafft.)343 Der VfGH hält jedoch in st Rsp an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit auf diese Art und Weise geregelter und sanktionierter Standespflichten fest, solange dem einzelnen erkennbar ist, dass er sich durch sein Verhalten einer Strafe aussetzt.344 Im Hinblick auf die Garantien des Art 6 MRK345 wurde der zum Grundsatz der Öffentlichkeit abgege337 338
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Vgl VwGH 28. 2. 1997, 95/02/0131 (einjährige Suspendierung nach der - damaligen - WTBO). Zum Disziplinarrecht als Anwendungsbereich von Art 6 (Strafrecht) vgl VfSlg 11506/1987, 11512/1987, 15495/1999; vgl aber auch zB EGMR 21. 12. 1999, W.R. gg Österreich = ÖJZ 2000, 728 (Recht auf Ausübung des Anwaltsberufes als „civil right“ iSd Art 6); vgl VfSlg 11512/1987 (OBDK als Tribunal); VfSlg 15801/2000 (kein Recht auf Akteneinsicht eines Dritten aus Art 6); VfSlg 15495/1999 (Verteidigungsrechte, Zeugenbefragung). Zur Anwendbarkeit auch des Art 7 MRK auf das Disziplinarrecht vgl EGMR 24. 11. 1998, Brown gg GB, ÖJZ 1999, 724 (Rechtsanwalt). Zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab des VfGH trotz VwGH-Ausschlusses: VfSlg 13762/1994 uva. Vgl EGMR 20. 5. 1998, Schöpfer gg Schweiz = ÖJZ 1999/9 (MRK); EGMR 21. 3. 2002, Nikula gg Finnland (anwaltliche Meinungsäußerungsfreiheit); EGMR 21. 10. 1998, Mignot gg Frankreich = RUDH 1998, 434 (Gewissensfreiheit des Rechtsanwalts); vgl VfSlg 17297/2004 (Meinungsäußerungsfreiheit des Rechtsanwalts, Waffengleichheit); VfGH 13. 6. 2005, B 1519/04 (Kanzleihomepage mit inkriminierter Frauenabbildung: Meinungs- und Kunstfreiheit). Vgl VfSlg 16957/2003. Ausführlich Nauta (FN 2), 9 ff. Vgl RV 1273 BlgNR 20. GP. Vgl Thienel, Art 7 EMRK, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Kommentar zum Bundesverfassungsrecht (1999) Rz 17; vgl zB VfSlg 15171/1998; mwH VfSlg 15842/2000, 15957/2000 (§ 19 DSt - einstweilige Untersagung); VfSlg 15847/2000, 15921/2000 (§§ 1, 16 DSt - Streichung); VfSlg 15903/2000 (§ 9 RL-BA); VfSlg 17339/2004 (§ 10 RL-BA); VfSlg 16168/2001, 16482/2002; VfGH 2. 11. 2005, B 480/05 (§ 10 RAO, § 10 RL-BA); zur Vollziehung vgl VfSlg 17387/2004; VfGH 29. 11. 2005, B 771/05 (Konkretisierungspflicht der Behörde). Vgl VfSlg 16571/2002 (DiszVerf Ärzte; Anwendung von Art 6 MRK offen); VfSlg 16864/2003 (Prüfungsbefugnis OBDK); VfSlg 17339/2004 (unangemessene Verfahrensdauer); VfSlg 17297/2004 (Waffengleichheit); VfGH 28.2.2005, B 1032/04; VfGH 28.2.2006, B 3248/05 (fair trial); VfGH 13.6.2005, B 99/05 (Disziplinarrat RAK); VfGH 11.3.2005, B 1542/04 (faires Verfahren, keine unzulässige Erweiterung des Einleitungsbeschl).
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bene österreichische Vorbehalt vom EGMR für ungültig erklärt346 und gilt auch im Disziplinarverfahren, soweit es unter Art 6 MRK fällt, der freien Berufe. Inwieweit der Ausschluss der Öffentlichkeit347 zulässig ist, ist an den Ausnahmen in Art 6 Abs 1 Satz 2 MRK (Sittlichkeit, öffentliche Ordnung, nationale Sicherheit, Interessen Jugendlicher, - hier wohl am ehesten - Privatleben, Interessen der Rechtspflege) zu überprüfen. Klar gestellt wurde vom VfGH - konkret zum Rechtsanwalts- bzw Ärztedisziplinarrecht348, aber übertragbar auf die anderen freien Berufe -, dass das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung (eigentlich schon -verfolgung) aus Art 4 7. ZP EMRK grundsätzlich nicht hindert, ein Disziplinarverfahren349 neben einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Strafverfahren durchzuführen:350 Der Schuld- und Unrechtsgehalt könne aufgrund eines „disziplinären Überhanges“ ein anderer sein; dies ist im Einzelfall von den jeweils rechtsanwendenden Behörden zu prüfen. Wie immer spielt insb für die Vollziehung auch der Gleichheitssatz (insb Willkür)351 sowie das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 BVG)352 eine Rolle. Trotz umfangreicher Judikatur zum Disziplinarrecht der freien Berufe - insb der Rechtsanwälte353 - hebt der VfGH nur selten ein verurteilendes Disziplinarerkenntnis wegen behördlicher Vollzugsfehler auf.354
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EGMR 3. 10. 2000, Fall Eisenstecken, 29477/95 = ÖJZ 2001/7 = ecolex 2001, 490; vgl Thienel, Vorbehalt zu Art 6 MRK ungültig, AnwBl 2001, 22; dem EGMR folgend: OGH 9. 11. 2000, 15 Os 136, 137/00; VfSlg 17373/2004 (§§ 67, 71 ZTG); VfGH 29. 11. 2005, B 1456/04 (§ 55 ZTKG); Nauta (FN 2), 29 f. ZB § 66 Abs 1 PatentanwG; § 136 Abs 2 WTBG (vgl aber § 140 Abs 6 WTBG: Berufungsverfahren öffentlich); § 158 ÄrzteG; § 32 DSt (vgl aber § 51 Abs 1 DSt: auf Antrag öffentlich). Dort verhindert § 136 Abs 5 ÄrzteG 1998 eine disziplinäre Doppelbestrafung; nach Abs 6 wird ein Disziplinarvergehen jedoch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Tat einen gerichtlichen oder verwaltungsstrafrechtlichen Straftatbestand erfüllt. Zur Anwendbarkeit auf Disziplinarverfahren vgl Entscheidungsanmerkung Grabenwarter, EGMR Gradinger gg Österreich, JBl 1997, 577 (582). VfSlg 15543/1999 (ÄrzteG); VfSlg 15586/1999, VfSlg 15847/2000 (RAO); vgl VfSlg 15867/2000 (Apotheker; Anrechnung bzw Abwägung des bereits erlittenen Übels). Vgl auch VfSlg17339/2004 (Rechtsanwalt als Wirtschaftstreuhänder tätig: selber Sachverhalt unterliegt Disziplinarrecht für Rechtsanwälte und Wirtschaftstreuhänder - keine Verletzung von Art 83 Abs 2 B-VG). Vgl zB VfSlg 16952/2003 (keine Willkür). ZB VfSlg 17292/2004 (Zusammensetzung Disziplinarsenat); VfGH 2. 11. 2005, B 480/05 (Zusammensetzung OBDK). Vgl zB VfSlg 15840/2000 (Waffengleichheit); VfSlg 15843/2000 (Kosten); VfSlg 15842/2000 (einstweilige Entziehung des Vertretungsrechts); VwSlg 15303 A/1999; ebenso VfSlg 16056/2000 (Einleitungsbeschluss bloße Verfahrensanordnung); VwSlg 15164 A/1999 (Streichung von der Verteidigerliste); VfSlg 15844/2000; 17392/2004; VfGH 2. 11. 2005, B 1619/04 (Doppelvertretung); VfSlg 15904/2000 (unrichtige Zusammensetzung der Kollegialbehörde); VfSlg 15493/1999 = ÖJZ 1999, 856 (Ausschluss der Kostenerstattung anwaltl Vertretung des rechtskundigen Beschuldigten in § 38 Abs 2 iVm § 77 Abs 3 DSt 1990 verfkonform). Vgl Nauta (FN 2), 22; vgl VfSlg 16962-17203/2003 (Begründungsfehler); VfGH 9. 6. 2004, B 360/04 = ZfVB 2004/1861, 883 (Streichung aus Ärzteliste).
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3. Vertrauensverhältnis und Behördeninformation a) Verschwiegenheitspflichten Zu den Berufspflichten von Freiberuflern zählen in besonderer Weise Verschwiegenheitspflichten.355 Sie sind Ausdruck des besonderen Vertrauensverhältnisses in der Klientenbeziehung und fußen - nach Beruf und Zweck differenziert und verschiedentlich etwa durch Melde- und Auskunftspflichten durchbrochen - auf diversen berufsrechtlichen Vorschriften.356 In Anbetracht künftiger interdisziplinärer Partnerschaften wird für eine Vereinheitlichung plädiert.357 Verstöße gegen Verschwiegenheitspflichten verletzen Berufs- und Standespflichten.358 Dazu besteht eine differenzierte und zT divergierende Rechtsprechung; so judizieren etwa VwGH und VfGH unterschiedlich starke Verschwiegenheitspflichten.359 Die Unzulässigkeit der Abtretung von Honorarforderungen wird ebenfalls aus berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten abgeleitet.360 Verschwiegenheitspflichten finden ihre Entsprechung in korrespondierenden Zeugnisentschlagungsrechten bzw Befreiungen von Auskunftspflichten in den unterschiedlichen Verfahrensgesetzen;361 dort bestehen ua Ausnahmen für rechtsberatende, medizinische bzw psychosoziale freie Berufe von den besonderen technischen Ermittlungsmaßnahmen nach der StPO („Lauschan355
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Ausführlich Nauta (FN 2), 71 ff; Tschernutter/Joklik-Fürst, Berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten der Freiberufler, ÖStZ 2006, 86, 115, 137; Arnold, Das Berufsgeheimnis der freien Berufen, in: Ruppe (Hrsg), Geheimnisschutz im Wirtschaftsleben, 1980, 225; zu speziellen Berufen vgl Schmoller, Zur Reichweite der Verschwiegenheitspflicht von Ärzten, Psychologen, Psychotherapeuten und Ärzten, RdM 1996, 131; Kletecka-Pulker, Schweige-, Anzeige- und Meldepflichten, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis,3.Erg.-Lief. 2006, I/191; Kierein, Phänomen der Verschwiegenheit aus psychotherapierechtlicher Sicht, in: Firlei ua (Hrsg) (FN 311), 69; Schmoller, Probleme der „absoluten“ Verschwiegenheitspflicht der Psychotherapeuten, ibid, 77; Zenz, „Staatlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit“ bestimmter Berufsgruppen im Verhältnis zur Zeugnisablegung im Verwaltungs-, Zivil- und Strafverfahren, JRP 2005, 230 (Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten: 233 ff, 243 f). Vgl § 9 Abs 2 RAO; § 91 WTBG (zur Durchbrechung gegenüber Einlagensicherung und Bankenaufsicht vgl OGH 28. 4. 2005, 8 Ob 36/05k = JBl 2006, 40; durchbrochen von Melde- und Auskunftspflichten der GeldwäscheRL 91/308/EWG); § 17 Abs 2 PatentanwG; § 37 NO, § 31 DentG; § 7 HebammenG; § 14 PsychologenG; § 15 PsychotherapieG. So etwa schon Arnold, Einschränkungen des Berufsgeheimnisses - Ausnahmen vom Geheimnisschutz, ÖJZ 1982, 1 (1 f); Harbich, Einige Fragen der anwaltlichen Verschwiegenheit, AnwBl 1983, 671 (674); vgl Fraberger, Verschwiegenheitspflicht in der Großkanzlei bzw im Kanzleiverbund, RdW 2002, 66. Statt vieler VfSlg 13656/1993; VfGH 13. 6. 2005, B 65/05. Vgl mwH Nauta (FN 2), 72. Vgl OGH 19. 9. 2000, 10 Ob 91/00f = RdW 2001, 11, der für die Abtretung anwaltlicher Honorarforderungen deshalb die Zustimmung des Mandaten verlangt; zum gleich begründeten Verbot der Zession einer Honorarforderung eines Wirtschaftstreuhänders vgl OGH 10. 10. 2002, 2 Ob 231/02p = SZ 2002/129 = RZ 2003/11 (Nichtigkeit der Zession); OGH 28. 4. 2005, 8 Ob 36/05k = JBl 2006, 40. Vgl § 49 Abs 1 Z 2 und Abs 2 AVG; § 24 VStG iVm § 49 AVG; § 152 Abs 1 Z 4 und 5 StPO; § 321 Z 3 und 4 ZPO; § 104 Abs 1 lit d und Abs 2 FinStG; § 171 Abs 1 lit c und Abs 2 BAO.
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griff“ und „Rasterfahndung“).362 Differenziert - ua nach Zeugen- oder Betroffeneneigenschaft - zeigt sich die Rechtslage gegenüber Abgabenbehörden und Sozialversicherungsträgern.363 b) Anzeige- und Meldepflichten Das besondere Vertrauen in der Klientenbeziehung freier Berufe scheint behördlichen Melde-, dh Bekanntgabe- bzw Verständigungspflichten, und noch mehr Anzeigepflichten entgegen zu stehen; dennoch finden sich solche im Recht der freien Berufe ausnahmsweise zur Verfolgung besonderer öffentlicher Interessen, soweit ersichtlich Strafverfolgungsinteressen, normiert.364 (In dieser Hinsicht unproblematisch und hier nicht gemeint sind Meldepflichten in eigener Sache an die jeweilige Kammer, wie zB die Anzeige der Tätigkeitsaufnahme, Sitzverlegung oä.)365 Rechtspolitisch höchst umstritten wurden auf diese Weise Anzeige- und Meldepflichten des Arztes für bestimmte Delikte verschärft (§ 54 Abs 4 bis 6 ÄrzteG idF seit der Nov 2001): Bei Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung, die zum Tod oder zu einer schweren Körperverletzung geführt hat, sowie bei Verdacht der Misshandlung, Quälerei, Vernachlässigung oder des sexuellen Missbrauchs einer volljährigen Person, die ihre Interessen nicht selbst wahrzunehmen vermag, oder aber eines Minderjährigen, hat der Arzt der Sicherheitsbehörde unverzüglich Anzeige zu erstatten. Dies im Unterschied zur vorherigen Rechtslage unabhängig davon, ob die Anzeige eine therapeutische Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit ein besonderes Vertrauensverhältnis voraussetzt.366 Nur wenn sich der Verdacht gegen einen nahen Angehörigen (nach der Definition des StGB) richtet, darf die Anzeige so lange unterbleiben, wie dies das Wohl des Minderjährigen erfordert und eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger und gegebenenfalls eine Einbeziehung einer Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt erfolgt. Im Fall einer vorsätzlich begangenen schweren Körperverletzung hat der Arzt auf bestehende Opferschutzeinrichtungen hinzuweisen. Sind Minderjährige betroffen, bestehen nunmehr unbedingte (zuvor nur im Wohl des Betroffenen) Meldepflichten an den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger.367 362
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Vgl Franzmayr, Optische und akustische Überwachung unter Verwendung technischer Mittel und automationsunterstützter Datenabgleich bei rechtsberatenden und psychosozialen Berufen sowie Medienunternehmen, Diss Univ Wien 2000; Nauta (FN 2), 75 f. Vgl Nauta (FN 2), 73 f. Vgl § 54 ÄrzteG; ähnlich § 7 GuKG; § 6 Abs 5 HebammenG (Verdacht der Unterschiebung eines Kindes bzw Aussetzung). Vgl §§ 27, 36, 59, 68 ÄrzteG; §§ 21, 30 RAO; § 21 Abs 2, 41, 117 Abs 2 NO; §§ 68 Abs 5, 85 Abs 3, 98 WTBG; § 2 Abs 2 Z 10 ZTKG; § 5 Abs 3 ApKG; vgl auch § 21a RAO, § 11 Abs 5 WTBG (Meldepflichten Dritter: der Versicherung); Vgl dazu Aigner/Kierein/Kopetzki (FN 15), § 54 Rz 10 ff. Vgl zu Verschwiegenheits-, Anzeige- und Meldepflichten Leitner, § 54, in: Emberger/Wallner (Hrsg) (FN 15), 268 ff.
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Eine - rechtspolitisch umstrittene und standespolitisch kritisierte368 - Beeinträchtigung anwaltlicher Verschwiegenheitspflichten (und der korrespondierenden Enthaltungsrechte) beinhaltet aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht die EU-RL zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche („zweite GeldwäscheRL“ 91/308/EWG). Die enthaltenen Kooperations-, Identitätsfeststellungs- und Meldepflichten gelten auch für Notare und selbständige Angehörige (freier) Rechtsberufe.369 Die jüngste Novellierung bzw Ersetzung dieser RL durch die „dritte GeldwäscheRL“ (2005/60/EG zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung) sieht eine differenzierte Einbeziehung rechtsberatender freier Berufe vor: Geheimhaltungspflichten werden nur uU aufgegeben (vgl Erwägungsgründe 19 ff).
C. Wettbewerb 1. Allgemeines Über die allgemeine Regulierung des Wettbewerbs (zB UWG)370 hinaus, werden die freien Berufe durch staatliche und eigene berufsständische Regelungen in ihrem Wettbewerb und Konkurrenzverhalten eingeschränkt. Dies gilt für grundsätzliche Fragen des Konkurrenzschutzes bzw -verhältnisses im Lichte von Berufszugang und verfassungsrechtlicher Erwerbsfreiheit (wie Konkurrenzschutz durch Bedarfsprüfungen, dazu oben II.A.2.); dies gilt aber auch im Rahmen der Berufsausübung durch einerseits den Ausschluss bzw die Reduktion von Wettbewerbsverhalten va durch Werbebegrenzungen und andererseits durch die Beschränkung des Preiswettbewerbs durch berufsrechtliche Gebührenregulierungen. Tendenziell ist freilich eine Abnahme der Wettbewerbsrestriktionen auf dem Gebiet der freien Berufe wahrzunehmen, die in durch Internationalisierung371 und zum Teil auch Wandel der Berufsbilder bedingten Deregulierungsmaßnahmen zum Ausdruck kommt. Als Beispiel kann das WTBG 1999 herangezogen werden, mit dem ua Wettbewerbsrichtlinien abgeschafft wurden.372 Grenzen für eine Regulierung des Wettbewerbs und Anlässe zur Deregulierung ergeben sich nicht nur aus Grundrechten (va Meinungs- und Erwerbsausübungsfreiheit), sondern - insb soweit es berufsständisch im Wege der Kammerselbstverwaltung gezogene bzw selbst auferlegte Wettbewerbsschranken angeht - auch aus dem gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsrecht (Art 81 368
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372
Dazu vgl Ernst, Geplante Novellierung der Geldwäscherichtlinie, AnwBl 2000, 256; die dt Bundesrechtsanwaltskammer sieht darin eine Verfassungswidrigkeit: NJW 43/2000, XVIII. RL 91/308/EWG idF RL 2001/97/EG, Abl 1991 L 166/77 idF Abl 2001 L 344/76; wird ersetzt durch RL 2005/60/EG, Abl 2005 L 309/15, umzusetzen bis 15. 12. 2007. Vgl Lühn (FN 307), 326. Die Verschwiegenheitspflicht des § 91 WTBG wird zB durchbrochen. Vgl EuGH 9.6.2006, Rs C-305/05 (unzulässig). Für Apotheker ergeben sich Beschränkungen auch aus dem ArzneimittelG (AMG). Statt vieler von einem auch internationalen Blickwinkel Geiger, Rechtsberatung und Wettbewerb: Perspektiven der OECD, NZ 1991, 275; Matyk (Hrsg), Der Notar in Europa, 2006. Vgl RV 1273 BlgNR 20. GP.
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ff EGV), das für Freiberufler als Unternehmer und ihre Vereinigungen durch Unternehmensvereinbarungen gilt (vgl oben I.C.3.) und das sich auf Elemente freiberuflicher Tätigkeit wie Gebühren und Werbung (vgl unten 2.b), aber auch auf andere einzelstaatliche Wettbewerbsverbote373 sowie auf sonstige wettbewerbswirksame Maßnahmen374 auswirken kann.
2. Werbung a) Regelung Die Werbemöglichkeiten freier Berufe waren lange Zeit sehr eingeschränkt. Freiberufliche Tätigkeiten wurden historisch als (ausschließlich) fremdnütziger, ethisch motivierter Dienst im öffentlichen Interesse gesehen, mit deren sittlichen Anforderungen Wettbewerb und insb Eigenwerbung als unvereinbar angesehen wurde. Den jeweiligen Berufsrechten sind daher neben allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Schranken eigene Werbeverbote bzw -beschränkungen eigen,375 die oft zusätzlich in standesrechtlichen Richtlinien konkretisiert wurden.376 Werbemöglichkeiten werden in der überwiegenden Zahl der Berufsrechte zunehmend liberalisiert. Viele Regelungen beschränken sich neuerdings darauf, Werbung solange für zulässig zu erklären, als sie „wahr, sachlich, in Einklang mit Ehre und Ansehen des Standes“ ist, also der Informationscharakter überwiegt. Untersagt sind iW unsachliche, unwahre oder das Standesansehen beeinträchtigende Informationen (auch vergleichende Werbung gegenüber Standesangehörigen)377; sie darf insb nicht „marktschreierisch“ sein.378 Die Individualisierung und Konkretisierung der Tat bei einer Über373
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So zB auf Wettbewerbsverhalten außerhalb der Geschäftsräume für Apotheker: vgl EuGH Rs C-292/92, Hünermund, Slg 1993, I-6787 = EuGRZ 1994, 161 (bloße Verkaufsmodalität); vgl zB auch auf die Prüfungsordnung (Berufszulassung durch Prüfungsausschuss) für Rechtsanwälte in Italien: EuGH Rs C-250/03, Mauri, Slg 2005, I-1267. Vgl Tumpel, Entfall der Vorsteuerberichtigung bei Ärzten ist eine staatliche Beihilfe. Konsequenzen für die Praxis, (Anmerkung zu EuGH, U. v. 03.03.2005 - Rs. C172/03), SWK 2005, 430. Vgl § 53 ÄrzteG (dazu VfSlg 17198/2003); § 39 GuKG; § 52 Abs 6 MTF-SHD-G; § 20 HebammenG; § 31 NO; § 17 TierärzteG (dazu VwGH 25. 2. 2003, 98/11/0284 = ZfVB 2004/643, 335; VwGH 25. 2. 2003, 2000/11/0149 = ÖJZ 2004, 918 = ZfVB 2004/644, 335; VwGH 25. 2. 2003, 2000/11/0324 = ZfVB 2004/645, 336). Eine Vereinheitlichung ortet für D Kleine-Cosack, Vom Werbeverbot zum Werberecht des Arztes. Auf dem Weg zu einem einheitlichen Werberecht aller Freiberufler, NJW 2003, 868. Vgl die RL der ÄK „Arzt und Öffentlichkeit“ idgF, ÖÄZ 5/2004; zu dieser RL vgl die Erläut und Rsp-Hinw (ua zu Werbung mit Honorarsätzen, Umgang mit Medien, Flugblättern) von Leitner, § 53, in: Emberger/Wallner (Hrsg) (FN 15), 263 ff; mwH Kopetzki, Krankenanstaltenrecht, in diesem Buch (bei FN 245 ff); vgl OGH 8. 2. 2005, 4 Ob 258/04a (Zahnarztwerbung) = m&r 2005, 392 (Anm Korn); VfSlg 16296/2001; 16359/2001; 16608/2002 (Werbebeschränkung, Provisionsverbot); 16791/2003; 17382/2004; DiszSenÄK 15. 3. 2004, Ds 12/2003 = RdM 2005, 27 (standeswidrige Info, Dienstleistungsfreiheit); vgl auch die Schilderordnung der ÄK idgF (http://www.aerztekammer.at/service/SCHILDERORDNUNG22092005.pdf). Vgl §§ 45 ff RL-BA 1977; Art VIII STR 2000 = Wagner/Knechtel (FN 43), 901. Vgl § 45 Abs 3 lit b RL-BA; § 20 HebammenG. Vgl § 15 PsychologenG; § 16 PsychotherapieG; vgl VfSlg 15480/1999 (Ärzte).
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schreitung der zulässigen Grenzen obliegt der Behörde.379 Aus dem Werbeverbot abgeleitete Unterlassungs- bzw Verhinderungspflichten können sich auf Dritte erstrecken.380 Verletzungen sind disziplinär sanktioniert (zB § 16 DSt). Durch Änderungen der RL-BA wurde 1999 für Rechtsanwälte die Werbung überwiegend freigestellt, solange sie Sachlichkeits- und Wahrheitsgebot beachten (§§ 45 ff).381 Unzulässig ist insb Selbstanpreisung durch marktschreierische Werbung, vergleichende Werbung gegenüber Standesangehörigen, Mandatsakquisition unter Ausnützung einer Zwangssituation, Überlassung von Vollmachtsformularen an Dritte zwecks Weitergabe an einen unbestimmten Personenkreis, Nennung von Mandanten ohne deren Einwilligung, das Anbieten oder Gewähren von Vorteilen für Mandatszuführungen (Provisionsverbot), Bezugnahme auf Erfolgs- oder Umsatzzahlen (§ 45 Abs 3). Ein vereinzeltes Werbeverbot enthält § 38 EuRAG: Mit dem Gesetzesbegriff „europäischer Rechtsanwalt“ darf nicht geworben werden. Das Verbot der Eigenwerbung für Wirtschaftstreuhänder fiel mit dem WTBG 1999.382
Den zulässigen Rahmen für Werbebeschränkungen stecken einerseits die grundrechtlichen Güter der Erwerbsfreiheit und insb der Meinungs- bzw Informationsfreiheit (Art 10 MRK) ab.383 Grundsätzliche Werbeverbote, die jede Art der Werbung untersagen, hat der VfGH schon früher als mit Art 10 Abs 2 MRK unvereinbar aufgehoben.384 Eine Rechtfertigungsprüfung hat im Einzelfall am Vorbehalt des Art 10 Abs 2 zu erfolgen, wobei berufsständische Vorschriften als Gesetz anzusehen sind,385 als legitimes Eingriffsziel der Schutz der Rechte anderer in Frage kommt und schließlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen muss.386 Die Tendenz in der Güterabwägung geht in Richtung einer Lockerung der Werbeverbote.387 Anderseits setzt das gemeinschafts379 380
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Vgl VfSlg 15635/1999 (ÄrzteG, ua fehlende Individualisierung). Vgl § 15 Abs 4 PsychologenG; § 53 Abs 3 ÄrzteG; vgl UVS Wien = ZUV 2000, 32 (auf Heilpraktiker bezogene Werbung durch Nichtärztin); VfSlg 15899/2000 (Duldung, Verhinderungspflicht); vgl § 46 RL-BA 1977. Näher vgl Galla, Die Maßstäbe der zulässigen Werbung für Rechtsanwälte, dargestellt anhand ausgewählter Entscheidungen, AnwBl 2006, 107; Gmeiner, Werbung erlaubt! Werbe- und Marketingideen für Rechtsanwälte, Notare und Steuerberater, 2005; Schiebe, Anwaltliches Marketing - Vergleich berufsrechtlicher Restriktionen Englands, Deutschlands und Österreichs im europäischen Kontext, 2005; vgl VfSlg 17290/2004 (irreführende Werbung auf Kanzleihomepage); OGH 5. 10. 2005, 4 Ob 148/05a = m&r 2006, 157 (Grenzen zulässiger Anwaltswerbung auch für Dritte, keine Vorteilsgewährung für Mandatszuführung); für D vgl Haupt/Schmidt, OnlineAuftritte von Rechtsanwälten, NJW 2004, 245. Vgl Poredos, Marketing für Wirtschaftstreuhänder I, FJ 2000, 306. Vgl VfGH 27. 6. 2001, B 12/99 ua (zu § 49 Z 3 RL-BA 1977 aF); VfSlg 16220/2001; 12467/1990; 17195/2004; 17290/2004 (§ 10 Abs 2 RAO, § 45 RLBA); VfSlg 16296/2001; 16359/2001; 16608/2002 (RL „Arzt und Öffentlichkeit“); vgl EGMR 17. 10. 2002, Stambuk gg D = ÖJZ 2004/8 = EuGRZ 2002, 589 (ärztliches Werbeverbot). VfSlg 13675/1994 = WBl 1994, 386 (Tierärzte); vgl Berka/Stolzlechner, Öffentlichkeitskontakte von Rechtsanwälten, Meinungsfreiheit und Werbeverbot, 1988, 89. Vgl Mayer, Die Bezeichnung von Anwaltssozietäten, das Werbeverbot für Rechtsanwälte und die Grundrechte, ÖJZ 1988, 292 (298). Vgl mit Fallgruppen und Judikaturbeispielen Nauta (FN 2), 85 ff. Vgl EGMR 17. 10. 2002, Stambuk gg D = ÖJZ 2004, 235 (ärztliches Werbeverbot); zu diesem grenzübergreifenden Trend vgl dt BVerfG v 23. 7. 2001 - 1 BVR 873/00
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rechtliche wie nationale Wettbewerbsrecht der Werbung auch für freiberufliches Tätigwerden Grenzen. b) Gemeinschaftsrecht Art 7 der RL über irreführende Werbung388 belässt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, weiter reichende Werbebeschränkungen für freie Berufe als ansonsten in der Richtlinie vorgesehene aufrecht zu erhalten oder zu erlassen. Ansonsten ergeben sich aus dem Gemeinschaftsrecht allerdings Schranken für Werbebeschränkungen: Mitgliedstaatliche Werbebeschränkungen können das gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbsrecht (Art 81 ff, insb das Kartellverbot) berühren und im Lichte dessen zu rechtfertigen sein.389 Diese Rechtfertigung wurde für ein Verbot der vergleichenden Werbung für Patentanwälte verneint.390 Auch im Lichte der Dienst- und Niederlassungsfreiheit kann sich Rechtfertigungsbedarf für Werbebeschränkungen ergeben.391 Die E-Commerce-RL (RL über bestimmte rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt)392 regelt den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft im elektronischen Geschäftsverkehr;393 Werbung im Internet und per E-mail wird grundsätzlich erlaubt.394 Dies gilt auch für standesrechtlich reglementierte (nach österreichischer Terminologie
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ua, das Vorurteile aufgehoben hat, mit denen Zahnärzten verboten war, auf ihrem Praxisschild Tätigkeitsschwerpunkte (zB „Implantologie“) anzugeben; auch hat das dt BVerfG erkannt, dass anwaltliche Werbung durch Sponsoring im Lichte der Berufsfreiheit nicht verboten ist: BVerfG 17. 4. 2000 - 1 BvR 721/99 = NJW 2000, 3195; dazu Ahrens, Anwaltssponsoring vor dem BVerfG, NJW 2000, 3188; vgl BVerfG 26. 10. 2004 - 1 BvR 981/00 (Werberecht Freiberufler - Steuerberater). RL 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, Abl 1984 L 250/17 idF Abl 1997 L 290/18. Vgl Schneider, Medizinrechtliche Werbe- und Gewinnverbote und Gemeinschaftsrecht, in: Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht, 2002, 217. EuG Rs T-144/99, Institut der beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter, Slg 2001, II-1087 = WBl 2001/175 = EWS 2001, 233, dazu Novak, Kein Verbot der vergleichenden Werbung für Patentanwälte, ELR 2001, 129; Loozen, Professional ethics and restraints of competition, ELR 2006, 28. Dieser wurde angenommen in EuGH Rs C-159/90, Grogan ua, Slg 1991, I-4685 = ZfRV 1992, 376 (Arztpraxen); EuGH Rs C-267/91 ua, Keck und Mithouard, Slg 1994, I-6097; zur Abgrenzung Warenverkehrs- bzw Dienstleistungsfreiheit vgl Kugelmann, Werbung als Dienstleistung, EuR 2001, 363 (366 f). RL 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftverkehrs im Binnenmarkt, Abl 2000 L 178/1; dazu vgl Kilches, Electronic Commerce Richtlinie, MR 1999, 3. Zur Definition verweist die EC-RL auf die (Transparenz-)RL 98/34, wonach ein „Dienst“ eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, dh jede idR gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz (ohne physische Anwesenheit) und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung ist; elektronisch meint dabei „mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet am Endpunkt empfangen wird und die vollständig über Draht, über Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischem Wege gesendet, weitergeleitet und empfangen wird“ (Art 1). Lühn (FN 307), 325.
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„freie“) Berufe wie bspw Ärzte und Rechtsanwälte. Diese dürfen danach ebenfalls "On-line"-Dienstleistungen erbringen, sind dabei allerdings an die Einhaltung des nationalen Berufs- und Standesrechts gebunden (Art 8 EC-RL). Unter dieser Bedingung ist damit die elektronische Werbefreiheit der freien Berufe normiert.395 Insgesamt kann man daher von einem Prinzip der „Technologieneutralität“396 der Zulässigkeitsfrage ausgehen: Die tatsächliche Zulässigkeit hängt iW von den Berufs- und Standespflichten des jeweiligen Berufes ab. Zusätzlich sind die Berufsvereinigungen und -organisationen der reglementierten Berufe jedoch dazu angehalten, Verhaltenskodices für E-CommerceTätigkeiten aufzustellen (Art 8 Abs 2). Die RL beinhaltet das Herkunftslandprinzip,397 dh der Anbieter scheint lediglich an das Recht im Staat seiner Niederlassung gebunden zu sein;398 jedoch gilt sie neben den Gemeinschaftsrichtlinien betreffend Zugang und Ausübung der Tätigkeit. Im besonderen für Rechtsanwälte wird für den außergerichtlichen Bereich die Präsenz und verstärkter Wettbewerb von im Ausland niedergelassenen nichtanwaltlichen Dienstleistern - gerichtliche Vertretung sowie notarielle Tätigkeit sind vom Anwendungsbereich ausgenommen - erwartet, die nicht dem nationalen Berufsrecht unterliegen.399 Ausnahmen sind für Vertragsschlüsse mit Beteiligung von öffentliche Befugnisse ausübenden Berufen vorgesehen, was für notarielle Tätigkeiten Bedeutung hat (Art 9 Abs 2 lit b). Innerstaatlich wurde auf Online-Erwerbsausübungsmöglichkeiten zB mit einer Änderung der anwaltlichen Standesregeln, nämlich des (inzwischen aufgehobenen) § 49 Z 3 RL-BA 1977400 reagiert: Den Rechtsanwälten wurde die Einrichtung von Homepages ausdrücklich gestattet; die Internetpräsenz von Anwälten wurde damit standesrechtlich erlaubt.401 Durch die nunmehr allgemein gelockerte Werberegelung (§§ 45 ff) ergeben sich Schranken wie sonst auch im Werberecht durch die Gebote der Sachlichkeit, Wahrheit, Berufsbezogenheit und Information und den Verboten der reklamehaften Selbstdarstellung und marktschreierischen Werbung (s oben). Daraus folgt, dass die Einrichtung einer Mailbox zulässig ist; ein Gästebuch mit (lobenden) Kommentaren sowie angebotene Gewinnspiele jedoch standeswidrig; früh erreicht sind die Sachlichkeitsgrenzen auch bei der Art multimedialer Aufmachung sowie bei Hyperlinks.402 395
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Vgl Hanika, Internetrecht versus Schutz der öffentlichen Gesundheit und Standesrecht, MedR 2000, 205 (209); aus einer gemeinschaftsrechtlichen Perspektive (Warenverkehrsfreiheit) Koenig/Müller, Der werbliche Auftritt von Online-Apotheken im Europäischen Binnenmarkt, WRP 2000, 1366; aus dt Sicht Kazemi, Der Arzt im Internet - Möglichkeiten und Grenzen der Präsentation im World Wide Web, MedR 2005, 17. So Zib, Anwaltliche Rechtsberatung über elektronische Medien, in: Bernat ua (Hrsg), FS Krejci, 2001, Bd II, 1335 (1336). Vgl Ahrens, Das Herkunftslandprinzip in der E-Commerce-Richtlinie, CR 2000, 835 (zur virtuellen Apotheke 840 f). Dies scheint anderen Regelungen zu widersprechen, die insb bei Dienstleistungen uU die Beachtung der Rechtsordnungen beider Staaten verlangen (wie Art 4 Abs 4 RA-DienstleistungsRL); jedoch regelt die RL selbst, dass sie zusätzlich zu anderen GemeinschaftsRL betreffend Zugang und Ausübung reglementierter Berufe gilt: dh beides ist zu beachten. Vgl Lühn (FN 307), 325. Abl WrZ v 13. 10. 1998. Thiele (FN 316); für Deutschland vgl Schneider, Standes- und wettbewerbsrechtliche Grenzen der Internet-Präsentation von Anwälten, MDR 2000, 133. Bsp nach Thiele (FN 316), 403 ff.
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3. Honorar a) Regelung Von der ursprünglichen Idee, bei freiberuflichen Tätigkeiten handle es sich um ausschließlich fremdnütziges ehrenamtliches Tätigwerden im öffentlichen Interesse,403 ist wenig übrig geblieben: Die freien Berufe werden wie andere auch (zulässigerweise) zu Erwerbszwecken ausgeübt. Als Überbleibsel können die Normierungen eines angemessenen Honorars in diversen Berufsrechten genannt werden; Erfolgshonorare sind regelmäßig verpönt.404 Darüber hinaus ziehen Entgeltsregelungen auf Gesetzes- oder Verordnungsebene den marktüblichen Preisbildungsregeln Schranken. Dazu zählen neben Sondergesetzen wie RATG405 und NTG406 die von den jeweiligen Kammern aufgrund gesetzlicher Grundlagen in den Berufsrechten407 erlassenen Honorarordnungen,408 die durchwegs als Verordnungen zu qualifizieren sind.409 Die dadurch festgelegten Tarife gelten nicht unspezifisch für alle, sondern meist für die üblichen, wiederkehrenden Leistungen. Daneben bestehen Honorarempfehlungen, die unverbindlichen Charakter haben und als vorweggenommene Gutachten gewertet werden können.410 Liberalisierungstendenzen finden sich auch im Honorarrecht: Mit dem WTBG 1999 wurden Honorar- und Wettbewerbsrichtlinien überhaupt abgeschafft.411 Für Rechtsanwälte gilt der Grundsatz der freien Honorarvereinbarung (§ 16 RAO, § 2 RATG, § 50 RL-BA 1977) mit der Beschränkung auf eine angemessene Vergütung (§ 17 RAO). „Autonome Honorar-Richtlinien“ (AHR) enthalten Bemessungsgrundlagen und Honoraransätze für die nicht durch G (RATG)412 oder V geregelten Bereiche413 und 403 404
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Vgl Nauta (FN 2), 2 f. Vgl Angemessenheitsklauseln in § 22 Abs 1 PatentanwG; § 17 RAO; § 18 Abs 4 TierärzteG; § 66 Abs 2 Z 7 ÄrzteG; vgl (aus dt Sicht) Gieseler, Anwaltliches Erfolgshonorar - Berufsbild und Berufsethos, JR 2005, 221. Vorschriften abgedruckt in Michalek/Tades, Notariatsgebühren und Rechtsanwaltstarif22, 2002. Für den uU auch das RATG gilt: wenn die Leistungen von Notaren verrichtet werden, sofern der Notar zu einer solchen Leistung befugt und die Entlohnung nicht im Notariatstarif oder im Tarif über die Entlohnung der Notare als Beauftragte des Gerichtes geregelt ist (§ 1 RATG). Vgl § 18 TierärzteG; § 22 Abs 2 PatentanwG (übliche oder wiederkehrende Leistungen); § 58 ÄrzteG; § 33 ZTKG. Zu (sonstigen) Honorarordnungen als Teil privatrechtlicher Gesamt- oder Einzelverträge nach ASVG vgl zB VfSlg 14740/1997 (Honorarordnung für die Vertragsfachärzte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Tirol). MwN Nauta (FN 2), 108; zur Anfechtungslegitimation vgl VfSlg 16968/2003 (tierärztl Honorarordnung). Vgl die Honorarleitlinien nach § 33 ZTKG; zu den Honorarrichtlinien der Ärztekammern: Aigner/Kierein/Kopetzki (FN 15), § 58 Rz 5; dazu Berka, Die Honorarrichtlinien der freien Berufe im Licht der Erwerbsfreiheit, WBl 1992, 309 (312 f). Vgl RV 1273 BlgNR 20. GP; zur alten Rechtslage vgl Iro, Honoraranspruch des Wirtschaftstreuhänders nach Verzicht auf Befugnis, RdW 1998, 653. Zum nicht geregelten Anwaltshonorar vor dem UVS vgl OGH 14. 1. 2000, 1 Ob 315/99a = JBl 2000, 734 (Angemessenheit, RATG analog); kein Kostenersatz für aufgetragene Äußerungen an die Kammer (unentgeltliche Mitwirkungspflicht): VfSlg 15956/2000 = AnwBl 2001, 101.
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werden als kodifiziertes Gutachten über die angemessene Honorierung anwaltlicher Tätigkeiten angesehen.414 Auch die RL-BA 1977 (idgF) sehen mittlerweile eine relativ freie Honorargestaltung vor: Es gibt offiziell keinen Mindesttarif mehr; die Vergütung von Pauschalleistungen wird an die zu erbringende Leistung und das Parteieninteresse gebunden; ansonsten beschränken sich die Vorgaben überwiegend auf Abwicklungsbzw Verfahrens- und Informationsregelungen (vgl §§ 50-52). Besonderheiten gelten für Apotheker, für die das Gesetz über die pharmazeutische Gehaltskasse (GehaltskassenG) neben der Entlohung der - im vorliegenden Zusammenhang weniger interessierenden - angestellten Apotheker415 auch die Gewährung von Zuwendungen an Pharmazeuten und deren Hinterbliebene (§ 1 Abs 2 lit a, vgl § 36), sowie die Verrechnung von Rezepten für begünstigte Bezieher regelt. Der pharmazeutischen Gehaltskasse obliegt zudem die unentgeltliche, gemeinnützige Stellenvermittlung für ihre Mitglieder (Dienstgeber und Dienstnehmer) (§ 1 Abs 2 lit c).
b) Verfassungsrechtliche Grenzen Insb die verfassungsrechtlich verbürgte Erwerbsfreiheit, der Gleichheitssatz sowie uU auch der in der Eigentumsgarantie enthaltene Schutz der Privatautonomie ziehen verbindlichen Honorarregelungen Grenzen.416 So dürfte der generelle Ausschluss eines Preiswettbewerbs als unverhältnismäßiger Eingriff in die Erwerbsfreiheit verfassungswidrig - in Standesrichtlinien uU auch gesetzwidrig - sein.417 Fraglich scheint, ob Honorargebühren unterschritten werden dürfen; Grenzen ziehen wohl normierte Angemessenheitsklauseln, die mE auch eine sachliche Grenze für eine Honorierung nach unten beinhalten können. An der verfassungsrechtlichen Erwerbsausübungsfreiheit stoßen sich jedenfalls verbindliche Mindestgebühren, die der VfGH in ihrer generellen, undifferenzierten Normierung für jegliche Leistung eines bestimmten Berufes (konkret Ziviltechniker) als verfassungswidrig aufhob;418 für nur bestimmte Leistungen Sicherheitsstandards, besondere schöpferische oder kulturelle Leistungen - sah er sie hingegen als sachlich gerechtfertigt an.419 Im weitesten Sinn zum Honorarrecht gehören Kostenerstattungsregeln: Hervorzuheben ist die (nur) 80-prozentige Kostenerstattung bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes, die der VfGH als sachlich gerechtfertigt und daher verfassungskonform beurteilte.420 Durch eine Beschränkung der Kostenerstattung sei der - nicht verfassungsrechtliche - Grundsatz der freien Arztwahl nicht betroffen. Im gegebenen System sei es von
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Vgl VwGH 30. 30. 2004, 2002/06/0159 (Empfehlungscharakter der HonorarRL, Pauschalvergütung); VfSlg 14237/1995 (überhöhte Honorarforderungen als disziplinär geahndete Standeswidrigkeit). Auf der Grundlage von § 28 Abs 1 lit f RAO; vgl OGH AnwBl 1995, 520 = ecolex 1994, 162. Vgl VfSlg 15368/1998; VfSlg 15448/1999 (keine Anwendung der offenkundig gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot verstoßenden Vorrückungsregelung teilzeitgeschäftiger angestellter Apotheker). Vgl Berka (FN 410); zur unsachlichen exekutionsrechtlichen Privilegierung von TP 7 Abs 1 RATG vgl VfSlg 17237/2004. Vgl Berka (FN 410), 316. VfSlg 12481/1990. Vgl Zitta, Anmerkungen zur standesrechtlichen Honorar-Richtlinie, AnwBl 1993, 226. VfSlg 15787-15865/2000 = RdW 2001/47.
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Verfassungs wegen nicht geboten, die Frequentierung von Vertragsärzten und Wahlärzten in möglichst gleicher Weise zu gewährleisten.
c) Gemeinschaftsrecht Nationale Honorarregulierungen für freie Berufe sind - wie oben erwähnt unter dem Aspekt des gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsrecht (Art 81 ff EGV) zu betrachten. Davon berührte Wettbewerbsbeschränkungen können insb in nationalen, berufsständischen Gebührenordnungen bzw vereinbarten Honorarregelungen liegen. Fallen Honorarordnungen in den Anwendungsbereich des EG-Wettbewerbsrechts, können sie allenfalls gerechtfertigt sein, wenn sie ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgen und verhältnismäßig sind. Der EuGH hält jedoch an seiner Rsp fest, dass Gebührenordnungen staatlichen Charakters ohne Übertragung von Entscheidungsbefugnissen an private Wirtschaftsteilnehmer mit dem EGV vereinbar sind.421 Zum Teil historisch vor der jüngsten EuGH-Rsp dazu wird vertreten, dass die durch Gesetz oder durch Beschluss der Kammern festgelegten Honorarordnungen der freien Berufe als wettbewerbshindernde Preisabsprachen für Dienstleistungen weitgehend den kartellrechtlichen Bestimmungen des EGVertrages widersprechen.422 Unterstützend wird EuGH-Judikatur zu verbindlichen Gebührenordnungen im Wettbewerbsrecht herangezogen.423 Die These der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ist jedoch nicht unumstritten und blieb auch nicht unwidersprochen.424 Vertreter der Gemeinschaftsrechtskonformität derartiger Honorarordnungen berufen sich dabei ua auf den Kommissionsvorschlag einer Vergabekoordinierungsrichtlinie, der vorsehe, dass die Vergabekriterien uU die Anwendung nationaler Bestimmungen, die die Vergütung bestimmter Dienstleistungen - zB von Architekten und Rechtsanwälten - regeln, nicht beeinflussen dürfen; daraus ergebe sich die Aufrechterhaltung und Anwendbarkeit von Honorarrichtlinien im Zusammenhang mit Zuschlagskriterien.425 Aber 421
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Vgl EuGH Rs C-35/99, Arduino, Slg 2002, I-1529 (staatlicher Charakter der - zu genehmigenden, berufsständisch nur vorgeschlagenen - italienischen Gebührenordnung für Rechtsanwälte, daher kein Verstoß gegen EG-Wettbewerbsrecht, konkret Art 10, 81 EGV) = AnwBl 2002, 209 = WBl 2002, 158; vgl die differenzierten, vom GH inhaltlich weitgehend nicht aufgegriffenen Schlussanträge des Generalanwalts Léger in ders Rs, Slg 2002, I-1529; vgl die E der Komm v 24. 6. 2004, EuZW 2004, 561 (Honorarordnung der belgischen Architektenkammer wettbewerbsbeschränkend). Zu den innerstaatlichen Auswirkungen vgl Lausegger, Die Honorarordnung der Rechtsanwälte auf dem Prüfstand des Gemeinschaftsrechts, WBl 2002, 141; vgl auch Fetsch, Freiberufliche Gebührenordnungen und die Grundfreiheiten des EGVertrages, ZEuP 2005, 541 (ad BGH zur Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, der Unterinstanz eine EuGH-Vorlage nahe legt). So Leidwein, Honorarordnungen der freien Berufe - EU-rechtswidrig, ecolex 1999, 429; differenzierend Lausegger (FN 421), 144 ff. EuGH Rs C-35/96, Kommission gegen Italien, Slg 1998, I-3851 = EuZW 1999, 91 (verbindliche Gebührenordnung für Zollspediteure). Gegen Leidwein: Thiele, Honorarordnung der Rechtsanwälte EU-rechtswidrig?, ecolex 2000, 394; ebenso Hoffmann, Aktuelles, AnwBl 2001, 177; als gemeinschaftsrechtskonform erachtet die nationale Anwaltsgebührenregelung, jedenfalls das RATG, Lausegger (FN 421), 145 ff; ebenso Hoffmann, Zwei wichtige Entscheidungen des EuGH, AnwBl 2002, 121. Referierend Hoffmann, Aktuelles, AnwBl 2001, 177.
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nicht nur die mangelnde Anwendbarkeit, sondern auch eine sachliche Rechtfertigung von mitgliedstaatlichen Honorarregelungen angesichts der Art 81 ff wird vertreten: Konkret das RATG und die AHR garantierten ein Höchstmaß an individueller Leistungsgerechtigkeit für die anwaltliche Vergütung bei einer gleichzeitig sozial ausgewogenen Tarifstruktur; Rechtsanwälte tragen insoweit zum gesellschaftlichen Ausgleich bei, weswegen die Honorarordnung der österreichischen Rechtsanwälte nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche Kartellverbot des Art 81 EGV verstoße.426 Eine Entschließung des EU Parlaments zu den Rechtsberufen lässt feste Gebühren zu.427 Die obzit EuGH-Rsp ist nicht uneingeschränkt auf die österreichische Rechtslage anwendbar; deren Gemeinschaftsrechtskompatibilität ist jeweils rechtsquellenspezifisch inzident zu prüfen. Nicht nur das Vorliegen einer Honorarordnung als wettkampfverzerrende Maßnahme an sich, sondern auch einzelne (materielle) Punkte davon werden kritisch im Lichte der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln gesehen: So zB die Deckelung der Honorare nach oben, die dazu führen kann, dass für darüber hinausgehende Leistungen nicht nur keine angemessene, sondern überhaupt keine Entlohnung erfolgt, was ebenfalls im Hinblick auf das Wettbewerbsrecht bedenklich erscheinen mag.428 Über die Zulässigkeit normierter anwaltlicher Mindestgebühren sind Verfahren vor dem EuGH anhängig.429 Unzulässigkeiten von Honorarregulierungen freier Berufe können aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht aber auch woanders verortet sein: In der Vorschreibung von Notargebühren - freilich beamteter Notare - sah der EuGH eine gemeinschaftsrechts-, konkret richtlinienwidrige Steuer.430 Auf die Gebühren nichtbeamteter, dh selbständiger und somit freiberuflicher Notare hat die Entscheidung jedoch keine Auswirkungen, da die Gebühren nicht dem Staat zu Gute kommen.431 426 427
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So beinahe wörtlich LGZ Wien 10. 10. 2001, 37 R 460/00x = AnwBl 2001/7741. Die Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Rechtsberufen und dem allgemeinen Interesse an der Funktionsweise der Rechtssysteme vom 23. 3. 2006 (Entschließungsantrag v 16. 3. 2006, B6-0203/2006) erklärt feste Gebühren mit Art 10, 81 EGV vereinbar, wenn sie im öffentlichen Interesse gerechtfertigt und mitgliedstaatlich kontrolliert sind. So Mazal (FN 181), 95 f. Vorabentscheidungsverfahren betreffen die Zulässigkeit von Mindestgebühren für Rechtsanwälte in Italien: vgl EuGH Rs C-94/04, Cipolla, zu außergerichtlichen juristischen Dienstleistungen, und EuGH Rs C-202/04, Macrino, Capodarte, zum Verbot einer vertraglichen Abweichung von der Gebührenordnung; der Generalanwalt sah in seinen Schlussanträgen vom 1. 2. 2006 darin - unter Berufung auf die Entscheidung im Fall Arduino - zwar keinen unbedingten Verstoß gegen EU-Wettbewerbsrecht, aber einen gegen den freien Dienstleistungsverkehr; dazu Pertek, Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch die italienische Gebührenordnung für Rechtsanwälte, ELR 2006, 108. Vgl EuGH Rs C-56/98, Modelo, Slg 1999, I-6449 (Notare sind Staatsbeamte in Portugal); zu Notargebühren vgl idF EuGH Rs C-264/00, Gründerzentrum-Betrieb GmbH, Slg 2002, I-3333; EuGH Rs C-165/03, Längst, Slg 2005, I-5637; Schlussanträge Generalanwalt Geelhoed v 16. 6. 2005, Rs C-466/03, Albert Reiss BeteiligungsgesmbH. Vgl für Deutschland http://www.notarkammer.de/Download/PresseErklaerungBNotK.pdf.
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4. Sonstiges Als besondere Einschränkung des Wettbewerbs und Berufsausübungsregelung ist schließlich die Vorschreibung von Betriebszeiten (und Bereitschaftsdienst) im Apothekenrecht (§ 8 ApG) zu nennen. Dem Apotheker werden als einzigem freien Beruf im öffentlichen Interesse im Zusammenhang mit einer Betriebspflicht Ladenschlusszeiten vorgeschrieben.432
IV. Zusammenfassung und Ausblick Das Recht der freien Berufe ist innerstaatlich vielschichtig und zunehmend vom Gemeinschaftsrecht vorgeprägt. Berufsübergreifend lässt sich festhalten, dass insgesamt ein Umbruch stattzufinden scheint, indem das Recht der freien Berufe zunehmend an historisch gewachsenen und motivierten Besonderheiten verliert und sich in seinen Antritts- und Ausübungsbedingungen den sonstigen geschäftlichen Tätigkeiten annähert. Internationalisierung und grenzüberschreitende Erwerbstätigkeiten spielten dabei eine maßgebliche Rolle. Insb in der Liberalisierung des Wettbewerbsrecht (va des Honorar- und Werberechts), der vorsichtigen Öffnung - Österreich ist hier speziell bei Anwälten restriktiver als viele andere Staaten - für neue Formen der gemeinschaftlichen Organisation (Gesellschaften, multidisziplinäre Partnerschaften) und in der Anpassung der Berufsbilder an moderne Technologien (zB E-Commerce, Online-Tätigkeit) zeichnen sich zukünftige Perspektiven und Entwicklungen ab.
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Der VfGH erachtete diese als sachlich gerechtfertigt: VfSlg 13328/1993; vgl VfSlg 17350/2004 (Betriebszeiten- u BereitschaftsdienstV); Nauta (FN 2), 68 ff.
Christian Kopetzki
Krankenanstaltenrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................469 Grundlegende Literatur...................................................................................470 I. Grundlagen ................................................................................................472 A. Allgemeines............................................................................................472 1. Regelungszweck................................................................................472 2. Historische Entwicklung ...................................................................472 3. Systematik und Zuständigkeiten .......................................................473 4. Anstaltsversorgung als öffentliche Aufgabe .....................................473 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................477 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................481 D. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen .................................................484 II. Begriff und Arten von Krankenanstalten..............................................486 A. Allgemeines............................................................................................486 B. Der Begriff der Krankenanstalt .............................................................487 1. Zweckbestimmung ............................................................................487 2. Die „anstaltliche“ Einrichtung...........................................................488 C. Arten von Krankenanstalten ..................................................................490 1. Einteilung nach Zweck und Betriebsform.........................................490 2. Einteilung nach Leistungsumfang und Versorgungsstufe.................491 3. Einteilung nach der Versorgungspflicht und der Finanzierung.........492 4. Einteilung nach der Trägerschaft ......................................................493 5. Universitätskliniken ..........................................................................495 6. Belegkrankenhaus .............................................................................496 III. Errichtungs- und Betriebsbewilligung .................................................498 A. Allgemeines............................................................................................498 B. Errichtungsbewilligung .........................................................................499 1. Allgemeines.......................................................................................499 2. Bedarfsprüfung..................................................................................500 3. Verfahren...........................................................................................504 C. Betriebsbewilligung...............................................................................505 D. Zurücknahme der Errichtungs- und Betriebsbewilligung .....................506 E. Sperre ....................................................................................................507 F. Auflassung .............................................................................................507 IV. Innere Organisation (Personal und Organe) .......................................508 A. Kollegiale Führung................................................................................508 B. Ärztlicher Dienst....................................................................................509 C. Pflegedienst ...........................................................................................511 D. Verwaltungsleitung ...............................................................................511 E. Der technische Sicherheitsbeauftragte ..................................................512
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Kopetzki
F. Krankenhaushygieniker......................................................................... 512 G. Kommission für Qualitätssicherung ..................................................... 513 H. Ethikkommission ................................................................................... 513 I. Psychologische Betreuung und psychotherapeutische Versorgung ....... 515 J. Kinderschutzgruppen ............................................................................. 515 K. Patientenvertretung, Patientenanwaltschaft ......................................... 516 L. Arzneimittelkommission......................................................................... 517 V. Allgemeine Vorschriften für den Betrieb .............................................. 517 A. Rechtsverhältnisse (in) der Krankenanstalt .......................................... 517 1. Rechtsnatur des Anstaltsverhältnisses .............................................. 517 2. Rechtsdurchsetzung .......................................................................... 518 3. Alternative Modelle der Konfliktlösung........................................... 520 4. Rechtsbeziehungen zu Krankenversicherungsträgern ...................... 521 B. Anstaltsordnung .................................................................................... 522 C. Ärztliche Bereitschaft............................................................................ 522 D. Ärztliche Behandlung............................................................................ 524 E. Aufnahme, Entlassung........................................................................... 526 F. Verschwiegenheit .................................................................................. 528 G. Dokumentation, Führung von Krankengeschichten ............................. 529 1. Dokumentationspflichten.................................................................. 529 2. Einsichts- und Ausfolgungsrechte .................................................... 531 H. Werbung................................................................................................ 532 I. “Patientenrechte” .................................................................................. 534 J. Qualitätssicherung................................................................................. 535 K. Blutdepot............................................................................................... 536 L. Anonyme Geburt.................................................................................... 536 VI. Aufsicht ................................................................................................... 537 A. Wirtschaftsaufsicht................................................................................ 537 B. Sanitäre Aufsicht ................................................................................... 537 VII. Besondere Bestimmungen für öffentliche Krankenanstalten.......... 539 A. Allgemeines ........................................................................................... 539 B. Verleihung des Öffentlichkeitsrechts, Verzicht, Verlust ........................ 539 C. Aufnahme, Entlassung .......................................................................... 540 D. Ambulante Behandlung......................................................................... 541 E. Arzneimittelversorgung ......................................................................... 542 F. Obduktion.............................................................................................. 543 G. Gebührenklassen .................................................................................. 543 1. Allgemeine Gebührenklasse ............................................................. 543 2. Sonderklasse ..................................................................................... 544 H. LKF- und Pflegegebühren, Sondergebühren ........................................ 545 1. Allgemeines ...................................................................................... 545 2. Ermittlung und Festsetzung .............................................................. 546 3. Gebührenersatz ................................................................................. 547 4. Einbringung ...................................................................................... 548 5. Sondergebühren ................................................................................ 549
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I. Sonderbestimmungen für psychiatrische Anstalten und Abteilungen .....552 VIII. Besondere Bestimmungen für private Krankenanstalten ..............552 A. Aufnahmepflicht.....................................................................................553 B. Obduktion ..............................................................................................553 C. Sonderbestimmungen für psychiatrische Anstalten und Abteilungen....553 D. Gebührenklassen, Pflegegebühren, Finanzierung ................................554 1. Pflegegebühren..................................................................................554 2. Beziehung zu den Versicherungsträgern...........................................554 IX. Unmittelbares Bundesrecht ...................................................................555 A. Besondere Vorschriften für Universitätskliniken...................................555 1. Erweiterte Patientenaufnahme...........................................................555 2. Klinischer Unterricht.........................................................................555 3. Besondere Honorare in der Sonderklasse..........................................556 4. Klinischer Mehraufwand...................................................................556 5. Kostenersatz im Rahmen der Drittmittelforschung ...........................557 B. Legalzession von Schadenersatzansprüchen .........................................558 C. Einweisung von Untersuchungshäftlingen ............................................558 D. Organspende Verstorbener ...................................................................558 E. Konsumentenschutz ...............................................................................560 X. Querbezüge zu anderen Rechtsmaterien ...............................................560 Rechtsgrundlagen: Bundesrecht: Krankenanstalten- und KuranstaltenG - KAKuG (BGBl 1957/1 idF I 2006/122); Krankenanstalten-ArbeitszeitG - KA-AZG (BGBl I 1997/8 idF I 2005/155); Bundesgesetz über die Dokumentation im Gesundheitswesen, BGBl 1996/745 idF I 2004/179; Verordnung betreffend die Diagnosen und Leistungsdokumentation im stationären Bereich (Diagnosen- und LeistungsdokumentationsV) (BGBl II 2003/589); StatistikV für landesfondsfinanzierte Krankenanstalten (BGBl II 2003/639 idF 2007/18); StatistikV für nichtlandesfondsfinanzierte Krankenanstalten (BGBl II 2003/637); KostenrechnungsV für landesfondsfinanzierte Krankenanstalten (BGBl II 2003/638); GesundheitsqualitätsG - GQG (BGBl I 2004/179); GesundheitstelematikG GTelG (BGBl I 2004/179); Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens (BGBl I 2005/73); Privatkrankenanstalten-FinanzierungsfondsG PRIKRAF-G (BGBl I 2004/165); Vereinbarung zur Sicherstellung der Patientenrechte Patientencharta (BGBl I 1999/195) (Bund - Kärnten); (BGBl I 2001/89) (Bund - Burgenland); (BGBl I 2001/116) (Bund - Oberösterreich); (BGBl I 2002/36) (Bund - Niederösterreich); (BGBl I 2002/153 (Bund - Steiermark); (BGBl I 2003/88) (Bund - Tirol); (BGBl I 2003/127) (Bund - Vorarlberg); (BGBl I 2006/42) (Bund - Wien); (BGBl I 2006/140) (Bund - Salzburg); Landesrecht - KAG: Burgenländisches KrankenanstaltenG 2000 - bgld KAG 2000 (bgld LGBl 2005/82); Kärntner Krankenanstaltenordnung 1999 - K-KAO (Krnt LGBl 1999/26 [WV] idF 2005/85); NÖ KrankenanstaltenG 1974 - NÖ KAG 1974 (nö LGBl 9440-0 idF 9440-25); Oö KrankenanstaltenG 1997 - Oö KAG 1997 (oö LGBl 1997/132 [WV] idF 2006/122); Salzburger KrankenanstaltenG 2000 - SKAG (sbg LGBl 2000/24 [WV] idF 2006/112); Steiermärkisches KrankenanstaltenG 1999 - KALG (stmk LGBl 1999/66 [WV] idF 2006/145); Tiroler KrankenanstaltenG - Tir KAG (Tir LGBl 1958/5
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idF 2006/75); (Vbg) SpitalG - SpG (Vbg LGBl 2005/54 idF 2006/7); Wiener KrankenanstaltenG 1987 - Wr KAG (Wr LGBl 1987/23 [WV] idF 2006/59); Finanzierung: Burgenländisches GesundheitswesenG (bgld LGBl 2006/5); Kärntner GesundheitsfondsG - K-GFG (Krnt LGBl 2005/83 idF 2005/112); NÖ Gesundheits- und Sozialfonds-G 2006 - NÖGUS-G 2006 (nö LGBl 9450-1); Gesetz zur Aufbringung zusätzlicher Mittel für die Krankenanstaltenfinanzierung (nö LGBl 9451-1); Oö Gesundheitsfonds-G (oö LGBl 2006/2); Salzburger GesundheitsfondsG - SAGES-G (sbg LGBl 2005/90 idF 2006/14); Steiermärkisches Gesundheitsfonds-G (stmk LGBl 2006/6); Tiroler GesundheitsfondsG - TGFG (Tir LGBl 2006/2 idF 2006/22); Gesetz über die Errichtung eines Gesundheitsfonds für das Land Vorarlberg - LandesgesundheitsfondsG - LGFG (LGBl 2006/7); (Vbg) SpitalbeitragsG - SpBG (Vbg LGBl 1987/8 idF 2006/8); Wiener Gesundheitsfonds-G (Wr LGBl 2006/3 idF 2006/59); Errichtung von Rechtsträgern, Dienstzuweisung: Gesetz über die TILAK - Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH (TILAK-G) (Tir LGBl 2004/62); BezirkskrankenhäuserGemeindeverbände-G (Tir LGBl 1984/32); Gesetz über die Zuweisung von Landesbediensteten zur Dienstleistung bei der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft mbH (stmk LGBl 1985/64 idF 1997/17); Kärntner Landeskrankenanstalten-BetriebsG K-LKABG (Krnt LGBl 1993/44 idF 2005/100); Gesetz über die Errichtung des Krankenanstaltenverbandes Waldviertel (nö LGBl 9441-1); Gesetz über die Errichtung der NÖ Landeskliniken-Holding - NÖ LKH (nö LGBl 9452-0); Gesetz über die Errichtung des Krankenanstaltenverbandes Korneuburg-Stockerau (nö LGBl 9442-1); Gesetz über die Zuweisung von Landesbediensteten und die Übertragung von Aufgaben an die Krankenanstaltengesellschaft mbH Burgenland (bgld LGBl 1993/1); Salzburger Landesbediensteten-ZuweisungsG (sbg LGBl 2003/119); Landesgesetz über die Zuweisung von Landesbediensteten zur Oö Gesundheits- und Spitals-AG (Oö LandesbedienstetenZuweisungsgesetz) (oö LGBl 2001/81 idF 2005/49); Verordnung der (Vbg) Landesregierung über die Übertragung von Zuständigkeiten in Dienstrechtsangelegenheiten der Landesbediensteten in Krankenanstalten und Schulen für Gesundheits- und Krankenpflege (DienstrechtsübertragungsV für die Krankenanstalten) (Vbg Abl 2005/24). Patientenanwaltschaften: Gesetz über die Burgenländische Gesundheits- und Patientenanwaltschaft (bgld LGBl 2000/51); Gesetz über die Patientinnen-/Patienten- und Pflegevertretung (Patientinnen-/Patienten- und Pflegeombudsschaft) (stmk LGBl 2003/66); Patienten- und KlientenschutzG (Vbg LGBl 1999/26 idF 2006/4); Gesetz über die Wiener Pflege-, Patientinnen- und Patientenanwaltschaft (Wr LGBl 2006/59); Gesetz über die Patientenanwaltschaft (Krnt LGBl 1990/53 idF 2002/57); Gesetz über die Tiroler Patientenvertretung (Tir LGBl 2005/40). Patientenentschädigung: Tir Patientenentschädigungsfonds-G (Tir LGBl 2001/71 idF 2005/39); Gesetz über die Patientenentschädigung (stmk LGBl 2002/113 idF 2006/146); Salzburger Patientinnen- und Patientenentschädigungs-G (PEG) (sbg LGBl 2002/59).
Grundlegende Literatur: Aigner, Die Leistungsverpflichtung der Krankenhäuser, in: Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg), Planung und Finanzierung der Krankenhausbehandlung, 2004, 39; Füszl, Krankenanstaltenrecht, in: Aigner/Kletecka/Kletecka-Pulker/Memmer (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis, 2003ff (Loseblattausgabe), IV/1; Grillberger, Krankenanstalten und Wettbewerb in Österreich, in: Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg), Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2000, 109; derselbe, Krankenanstalten, in: Grillberger/Mosler (Hrsg), Europäisches Wirtschaftsrecht und soziale Krankenver-
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sicherung. Das Gesundheitswesen zwischen staatlicher Steuerung und Marktfreiheit, 2003, 481; Grimm, Die Weisungsbindung des Spitalsarztes, 1999; derselbe, Die rechtlichen Grundlagen der medizinischen Leistungen bundesbediensteter Ärzte an Universitätskliniken, RdM 2002, 76; derselbe, Die Haftung für Behandlungsfehler bundesbediensteter Ärzte an Universitätskliniken, RdM 2003, 36; Kopetzki, Turnusärzte und Famulanten, 1990; derselbe, Unterbringungsrecht, 2 Bde, 1995; derselbe, §§ 29 - 36 UG 2002, in: Mayer (Hrsg), Kommentar zum Universitätsgesetz 2002, 2005, 88; Maksimovic/Felix, Neuregelung der Krankenanstaltenfinanzierung ab 2005 im Rahmen der Gesundheitsreform, SoSi 2005/3, 115; Mayer, Arzthonorare im Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsrecht, Krankenanstaltenrecht und Steuerrecht, FS Stoll, 1990, 195; derselbe, Die Bereitstellung von Krankenanstalten, in: Schrammel (Hrsg), Rechtsfragen der ärztlichen Behandlung, 1992, 57; derselbe, Ansprüche der Krankenanstaltenträger gegen Patienten der Sonderklasse, in: Mazal (Hrsg), Krankenanstaltenfinanzierung, 1995, 139; derselbe, Strukturfragen des Kärntner Krankenanstaltenrechts, in: Rebhahn (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Landesrecht, 1995, 229; derselbe, Die Führung von Krankenanstalten, FS Tomandl, 1998, 547; derselbe, Anstaltsgebühren in der Sonderklasse, RdM 1999, 99; Mazal, Die Behandlung in der Sonderklasse, in: Schrammel (Hrsg), Rechtsfragen der ärztlichen Behandlung, 1992, 75; derselbe, Rechtsfragen der Abgeltung der Behandlung sozialversicherter Patienten in der Sonderklasse, in: Mazal (Hrsg), Krankenanstaltenfinanzierung, 1995, 157; derselbe, Zur Zusammenarbeit von Ärzten sowie zwischen Ärzten und Nichtärzten in Krankenanstalten, in: Tomandl (Hrsg), Sozialrechtliche Probleme bei der Ausübung von Heilberufen, 1996, 29; Mosler, Wesen und Aufgabenstellung der Spitalsambulanzen, in: Tomandl (Hrsg), Schnittstelle Krankenversicherungs- und Krankenanstaltenrecht, 2004, 1; Öhlinger, Der Nierensteinzertrümmerer im Recht, ZfV 1987, 11; Pfersmann, Zum Begriff der Krankenanstalt, ÖJZ 1987, 389; Pircher, Honorarberechtigung in der Sonderklasse öffentlicher Heilanstalten, 2002; Th. Radner, Die Anstaltspflege, 1995; Radner/Haslinger/Reinberg (Hrsg), Krankenanstaltenrecht. Gesetzestext, Kommentar, Leitfaden, 1980ff (Loseblattausgabe); Rebhahn, Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Auslagerung bei Anstaltspflege, in: Tomandl (Hrsg), Schnittstelle Krankenversicherungs- und Krankenanstaltenrecht, 2004, 15; Schneider, Ärztliche Ordinationen und selbständige Ambulatorien im Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht, 2001; Schneider/Szüsz, Grundzüge des österreichischen Krankenanstaltenrechts, 2003; Schrammel, Die Sonderklasse in öffentlichen Krankenanstalten, FS Schnorr, 1988, 421; derselbe, Krankenanstaltengesetz und Sozialversicherungsrecht, ZAS 1990, 109; Schrammel, Die Sonderklasse als Wahlanstaltspflege, in: Tomandl (Hrsg), Schnittstelle Krankenversicherungs- und Krankenanstaltenrecht, 2004, 97; Staudinger, Krankenanstaltenrecht, in: Barta/Schwamberger/Staudinger (Hrsg), Medizinrecht für Gesundheitsberufe, 1999, 277; P. Steiner, Rechtsgrundlagen der Krankenanstaltenfinanzierung, in: Barta/Schwamberger/Staudinger, 337; derselbe, Zur Berechnung des klinischen Mehraufwandes, ÖHZ 2003/11-12, 12; derselbe, Arzthonorare in der Sonderklasse. Zivil- und arbeitsrechtliche Aspekte der Sonderklassegebühren in öffentlichen Krankenanstalten, 2004; Stöger, Krankenanstaltenrecht, JAP 2003/2004, 4; Stöger/Szüsz, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung in Krankenanstalten, in: Fischer/Tragl (Hrsg), Qualitätssicherung in der Medizin, 2000, 127; Windisch-Graetz, Selbständiges Ambulatorium und ärztliche Ordination, RdM 1995, 144; dieselbe, Einwirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das österreichische Krankenanstaltenrecht, ZfV 2002, 628; 734; dieselbe, Grundversorgung und Zusatzleistungen im Bereich der Krankenhausbehandlung, in: Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg), Planung und Finanzierung der Krankenhausbehandlung, 2004, 113; dieselbe, Grenzüberschreitende Anstaltspflege, in: Tomandl (Hrsg), Schnittstelle Krankenversicherungs- und Krankenanstaltenrecht, 2004, 71.
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I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Regelungszweck Regelungszweck des Krankenanstaltenrechts ist die Sicherstellung einer ausreichenden und qualitativ einwandfreien medizinischen Versorgung in Krankenanstalten. Dazu dienen etwa Regelungen über die Errichtung und den Betrieb, die innere Organisation, die fachliche Qualität der medizinischen und pflegerischen Leistungen, die Finanzierung, darüber hinaus in zunehmendem Maße auch die Wahrung der bei der Behandlung und Pflege berührten Rechte der Patienten.
2. Historische Entwicklung Rechtsvorschriften für die Errichtung, den Betrieb und die Finanzierung von Krankenanstalten haben sich seit der Gründung der josefinischen Krankenhäuser kontinuierlich, aber in überaus zersplitterter und für jede Anstalt unterschiedlicher Weise entwickelt.1 Ansätze zu einheitlichen und systematischen Kodifikationen entstanden erst Ende des 19. Jahrhunderts in den Ländern.2 Privatheilanstalten waren lediglich durch Erlässe geregelt.3 Eine auf öffentliche Anstalten beschränkte bundeseinheitliche Regelung erfolgt erstmals durch das KAG 1920, StGBl 327, betreffend die Errichtung, die Erhaltung und den Betrieb öffentlicher Heil- und Pflegeanstalten.4 Nach Wirksamwerden der Kompetenzbestimmungen des B-VG trat das KAG 1920 aufgrund des Übergangsrechts im Jahr 1928 außer Kraft, seine Weitergeltung in den Bundesländern wurde landesgesetzlich angeordnet.5 Nach erfolglosen Anläufen zu einer grundsatzgesetzlichen Neuregelung6 kam es 1957 zur Erlassung des KAG7, das - wenngleich mit umfassenden Modifikationen und Ergänzungen durch besondere Gesetze - bis heute in Geltung steht. Durch das VerwaltungsreformG 2001, BGBl I 2002/65, wurde der Regelungsgegenstand um die Kuranstalten erweitert und der Titel des Gesetzes in „Krankenanstalten- und KuranstaltenG KAKuG“ umbenannt.
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Nachweise, insb zum Beispiel der psychiatrischen Anstalten, bei Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 1, 22ff. Allgemein zur Entwicklung des Krankenhauswesens zB Jetter, Geschichte des Hospitals, Bd 5, Wien von den Anfängen bis um 1900, 1982; Pircher, 25ff. MwN Mayrhofer/Pace, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst5, Bd 3, 1897, 169ff. Erlass des k.k. Ministeriums des Innern Zl 14.498 ex 1891 (bei Mahl-Schedl, Gesetze und Verordnungen in Sanitätssachen, 1898, 467). Vgl auch die DurchführungsV StGBl 1923/321 und 1923/506. Zur Geschichte Aigner, Gesundheitswesen, in: Schambeck (Hrsg), Parlamentarismus und öffentliches Recht in Österreich, Bd 2, 1993, 1425. Nachweise bei Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 1, 96. Vgl die RV aus 1928, 204 BlgNR 3. GP, sowie aus 1954, 431 BlgNR 7. GP. Die Beschlussfassung erfolgte auf Grund des AB 164 BlgNR 8. GP; StProtNR 8. GP, 1018ff.
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3. Systematik und Zuständigkeiten Das Bundes-KAKuG enthält in seinen Hauptstücken A und B des I. Teils grundsatzgesetzliche Regelungen über den Begriff, die Errichtung und den Betrieb von Krankenanstalten, in den anschließenden Hauptstücken Sonderbestimmungen über öffentliche und private Krankenanstalten (C und D), gemeinsame Bestimmungen und die Regelungen über die Kuranstalten (E). Der II. Teil enthält fugitives unmittelbar anwendbares Bundesrecht, insb Bestimmungen über Medizinische Universitäten (A), die Krankenanstaltenfinanzierung (D), die sanitäre Aufsicht (E), die Organentnahme zu Transplantationszwecken (F) sowie begleitende zivilrechtliche Normen (B, G). Regelungstechnisch enthält das KAKuG teils Bestimmungen über behördliche Genehmigungen und Aufsichtsrechte, teils organisationsrechtliche Vorgaben an den Anstaltsträger sowie materiellrechtliche Regelungen über die Leistungserbringung und die Finanzierung. Die Länder haben im grundsatzfreien Raum oft noch weitergehende Regelungen erlassen. Nach den Bestimmungen der Landes-KAG sind Verstöße meist verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden.
Die Zuständigkeiten zur Vollziehung sind - soweit es sich um behördliche und nicht um Kompetenzen der Anstaltsorgane handelt - nach Maßgabe der Landes-KAG überwiegend bei den Landesregierungen konzentriert8 (Bewilligungen, Wirtschaftsaufsicht). Im Bereich der sanitären Aufsicht liegt die Kompetenz beim Landeshauptmann bzw den Bezirksverwaltungsbehörden (mittelbare Bundesverwaltung).
4. Anstaltsversorgung als öffentliche Aufgabe a) Bereitstellung von Krankenanstalten Die medizinische Versorgung in öffentlichen Krankenanstalten ist nicht dem Markt überlassen, sondern als staatliche Pflichtaufgabe festgelegt: Gem § 18 Abs 1 KAKuG ist jedes Land verpflichtet, unter Bedachtnahme auf den Landeskrankenanstaltenplan Krankenanstaltspflege für anstaltsbedürftige Personen im eigenen Land entweder durch Errichtung und Betrieb öffentlicher Krankenanstalten oder durch Vereinbarungen mit Rechtsträgern anderer Krankenanstalten sicherzustellen. Je nach Bevölkerungszahl sowie den örtlichen und verkehrsmäßigen Verhältnissen ist gem § 18 Abs 2 überdies ein mehrstufiges quantitatives und qualitatives Versorgungsniveau durch die Errichtung von Standard-, Schwerpunkt- und Zentralkrankenanstalten sowie nach § 18 Abs 3 eine Mindestzahl an Betten in der allgemeinen Gebührenklasse zu gewährleisten. Für Personen, die im Grenzgebiet zweier oder mehrerer Länder wohnen, kann die Anstaltspflege auch dadurch sichergestellt werden, dass diese Personen in Krankenanstalten eines benachbarten Landes eingewiesen werden; grundsätzlich bezieht sich der Versorgungsauftrag aber nur auf die im Land wohnhaften Personen.9 8
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Der VfGH hatte in VfSlg 17.232/2004 gegen die Zuständigkeit der Landesregierung keine Bedenken im Lichte des Art 6 Abs 1 EMRK, da (hier: durch die Rücknahme der Errichtungsbewilligung) kein hinreichend enger Zusammenhang zu „civil rights“ bestehe. VfSlg 11.854/1988. Zur Problematik der „Fremdpatienten“ vgl Öhlinger, 15; Mayer, in: Rechtsfragen, 61ff; Schrammel, ZAS 1990, 115 f; Aigner, Leistungsverpflichtung, 40; Rebhahn, Auslagerung, 47ff.
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§ 18 Abs 1 KAKuG verpflichtet die Länder nicht unbedingt dazu, selbst Krankenanstalten zu errichten und zu betreiben; sie haben lediglich dafür Sorge zu tragen, dass im Land eine ausreichende Versorgungskapazität besteht.10 Erst wenn dies nicht gewährleistet wird, hat das Land im Sinne einer gesetzlichen Einstandspflicht selbst Trägerfunktionen zu übernehmen und den sich daraus ergebenden Aufwand selbst zu tragen. Eine Pflicht des Landes zur Deckung des Betriebsabganges öffentlicher Krankenanstalten anderer Rechtsträger ergibt sich aus § 18 KAKuG nicht.11 Wenn das Land seiner Aufgabe zur Sicherstellung nicht nachkommt, kann allerdings ein Ersatzanspruch nach § 1042 ABGB in Betracht kommen.12 Einen - nach Art 137 B-VG durchzusetzenden Ersatzanspruch hat der VfGH auch dann angenommen, wenn das Land die Inanspruchnahme einer bestimmten Behandlung zwar selbst (durch eine von einem Tochterunternehmen betriebene private Sonderkrankenanstalt) ermöglicht, dafür aber Kosten in Rechnung stellt, die bei der Leistungserbringung in der allgemeinen Gebührenklasse einer öffentlichen Krankenanstalt nicht anfallen würden. Für den nach § 18 KAKuG sicherzustellenden Leistungsumfang darf daher kein über die (vom Krankenversicherungsträger zu tragenden) in der allgemeinen Gebührenklasse vorgesehenen Entgelte hinausgehender Aufwand verrechnet werden; ein dennoch auf den Patienten überwälzter Mehraufwand ist vom Land zu ersetzen.13 Aus der umfassenden Sicherstellungspflicht des § 18 KAKuG wird iVm § 148 ASVG auch abgeleitet, dass dann, wenn eine notwendige Behandlung in der öffentlichen Krankenanstalt nicht erbracht werden kann und ein krankenversicherter Patient daher aus medizinischen Gründen aus der öffentlichen Krankenanstalt in eine ausländische Klinik überstellt werden muss, der Träger des überstellenden Krankenhauses zum
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Zum Ganzen näher Mayer, in: Rechtsfragen, 57ff; Öhlinger, 17f; mwN Aigner, Leistungsverpflichtung, 39; Felix, Sicherstellungsauftrag und Finanzierungspflicht in der Krankenhausbehandlung, in: Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg), Planung und Finanzierung der Krankenhausbehandlung, 2004, 79; derselbe, Zum Umfang des Sicherstellungsauftrages für öffentliche Anstaltspflege, ASoK 2002, 151; derselbe, Nochmals: Zum Umfang des Sicherstellungsauftrages für öffentliche Anstaltspflege, ASoK 2002, 266; Froschauer, Angebotsverpflichtungen öffentlicher Krankenanstalten unter besonderer Berücksichtigung krankenhausfinanzierungs- sowie sozialversicherungsrechtlicher Aspekte, SoSi 2003, 552; Rebhahn, Auslagerung, 46ff. Zur (landesgesetzlich zu regelnden) Verpflichtung zur Deckung des Betriebsabganges öffentlicher Krankenanstalten § 34 KAKuG und die korrespondierenden Regelungen des Landesrechts; zu Fragen der Durchsetzbarkeit Öhlinger/Eberhard, Sind Ansprüche der Gemeinden aus der „KRAZAF-Lücke“ derzeit einklagbar, ÖGZ 2004/10, 13. Vgl VfSlg 12.065/1989; Mayer, in: Rechtsfragen, 66; Rebhahn, Auslagerung, 29ff. VfSlg 10.933/1986 (Nierensteinzertrümmerer); dazu Öhlinger, 11ff. Dies gilt auch dann, wenn ambulante Leistungen, die im Rahmen öffentlicher Anstaltspflege zu erbringen (und mit den Pauschalbeiträgen der Versicherungsträger zur Krankenanstaltenfinanzierung abgegolten) gewesen wären, zunächst von einem Krankenversicherungsträger finanziert wurden: diesfalls besteht nach der Rsp ein bei den Schiedskommissionen geltend zu machender (FN 283) Ersatzanspruch des Krankenversicherungsträgers gegenüber den Landeskrankenanstaltenfonds; vgl zB VfSlg 15.972/2000 (Dialyse); VfSlg 16.959/2003 (Laborleistungen); VfGH 17. 3. 2006, B 304/05 (medizinische Hauskrankenpflege beatmungspflichtiger Personen, wenn geeignete Einrichtungen im stationären Bereich nicht verfügbar sind); zur Hauskrankenpflege vgl auch VfSlg 17.155/2004, OGH 22. 5. 2001, 10 ObS 315/00x, ASoK 2001, 405: Pfeil, Aktuelle Rechtsfragen der medizinischen Hauskrankenpflege, SoSi 2005, 89; 136. Zur Auslagerung von (ambulanten) Teilleistungen eingehend nunmehr Aigner, Leistungsverpflichtung, 51ff; Rebhahn, Auslagerung, 20ff.
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Ersatz der Behandlungskosten der ausländischen Klinik verpflichtet ist und diesem kein Rückersatzanspruch gegenüber dem Patienten zusteht.14
b) Krankenanstaltenplanung Gem § 10a KAKuG hat die Landesgesetzgebung die Landesregierung zur Erlassung eines Landeskrankenanstaltenplans für Fondskrankenanstalten - also jene Krankenanstalten, die öffentliche Mittel aus den Landesgesundheitsfonds nach Maßgabe der Art 15a-Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens erhalten15 - zu verpflichten. Die als Verordnungen zu erlassenden Landeskrankenanstaltenpläne haben sich im Rahmen des zwischen Bund und Ländern gem Art 15a B-VG vereinbarten - Österreichischen Krankenanstaltenplanes (ÖKAP) einschließlich des Großgeräteplanes (GGP) bzw des diesen ersetzenden Österreichischen Strukturplanes Gesundheit (ÖSG)16 zu halten, so dass von einem hierarchischen Stufenbau der Krankenanstaltenplanung gesprochen werden kann. Zielsetzung ist eine verbindliche österreichweite Krankenanstalten- und Großgeräteplanung unter Einbeziehung der Leistungsangebotsplanung.17 Der ÖSG erweitert diesen Anspruch im Sinne einer integrierten Gesundheitsstrukturplanung, die nicht nur den stationären Sektor, sondern die gesamte Gesundheitsversorgung einschließlich des ambulanten Bereichs einschließt, jedenfalls sofern diese aus öffentlichen Mitteln
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OGH 30. 7. 2001, 10 ObS 151/01f, RdW 2002/313 (Überstellung in das nächstgelegene Schweizer Herz-Zentrum nach unvorhersehbaren Komplikationen im Zuge einer Operation im LKH Feldkirch); OGH 29. 3. 2001, 2 Ob 60/01i, RdM 2002/10 (Überstellung in die Kinderklinik Zürich aus LKH Feldkirch, da im LKH die erforderliche Behandlung nicht verfügbar war und die Universitätsklinik Innsbruck die Übernahme wegen Platzmangels ablehnte); dazu auch die Beiträge von Felix (FN 10), ASoK 2002, 151 und 266, sowie Tumler/Weiß, Wer soll das bezahlen? Die Finanzierung der Anstaltspflege bei Auslandsüberstellung, SoSi 2002, 450; Rebhahn, Auslagerung, 34ff. Die Kosten der Auslandsbehandlung sind weitere Behandlungskosten, deren Leistung im Rahmen des zwischen Anstaltsträger und Krankenversicherungsträger abgeschlossenen Krankenanstaltenvertrages erfolgt; für Streitigkeiten aus diesen Verträgen sind die Schiedskommissionen (vgl FN 283) zuständig (OGH RdM 2004/122). Vgl unten II.C.3.d. Der ÖKAP/GGP 2003 bleibt als gemeinsame Planungsgrundlage bis zum Inkrafttreten des ÖSG in Kraft; näher Art 4 der Vereinbarung gem Art 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, BGBl I 2005/73. Zum neuen ÖSG 2006 vgl die Hinweise in FN 18. Zur Rechtsnatur des ÖKAP/GGP ausführlich Stöger, Qualitätssicherung an der Schnittstelle zwischen Medizin und Recht, in: Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg), Qualitätssicherung für Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003, 35 (52ff), dessen Überlegungen auch auf den ÖSG übertragbar sind. Zum Ganzen auch Moritz, Der österreichische Krankenanstalten- und Großgeräteplan, ÖKZ 2003/1, 18; dieselbe, Der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG) 2005, SoSi 2005, 108, sowie die Beiträge in: Jabornegg/ Resch/Seewald (Hrsg), Planung und Finanzierung der Krankenhausbehandlung, 2004. Näher zu den Planungsgrundsätzen § 10a Abs 2 KAKuG. Dazu auch Flemmich, Die Leistungsangebotsplanung in der sozialen Krankenversicherung, RdM 1999, 45; Grillberger, Krankenanstalten, 483 f; zur Entwicklung der Krankenanstaltenplanung nun auch VfGH 8. 6. 2006, B 239/06.
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finanziert werden.18 Zur Gewährleistung einer möglichst gleichmäßigen,19 zugleich aber wirtschaftlich und medizinisch sinnvollen Versorgung der Bevölkerung enthält § 10a Abs 2 KAKuG eine Vielfalt von Determinanten und Strukturvorgaben für die Länder. Die Bedeutung des Landeskrankenanstaltenplans für die Vollziehung liegt vor allem in seiner Konkretisierungsfunktion in Hinblick auf die Bedarfsprüfung (§ 3 Abs 2 lit a KAKuG); bei Fondskrankenanstalten wird die individuelle Bedarfsprüfung überhaupt von der generellen Bedarfsplanung auf der Ebene des Krankenanstaltenplanes verdrängt, da sowohl die Errichtungsbewilligung als auch die Bewilligung wesentlicher Änderungen zwingend von der Erfüllung der Planvorgaben und der vorgesehenen Strukturqualitätskriterien abhängt (§ 3 Abs 2a, § 4 Abs 1 KAKuG).20 Zwar können die Landeskrankenanstaltenpläne (nach Maßgabe der Landesrechtslage) auch über den Regelungsbereich des § 10a KAKuG hinausgehen und andere (nicht über den Landesgesundheitsfonds abrechnende) Krankenanstalten in die Planung einbeziehen; vor dem Hintergrund der skizzierten Bedeutung des Plans im Bewilligungsverfahren ist dabei aber zu beachten, dass es durch die Ausdehnung auf private erwerbswirtschaftlich betriebene Krankenanstalten nicht zu einer (verfassungswidrigen) Einbeziehung von privaten nicht gemeinnützigen Anstalten in die bedarfsorientierte Krankenanstaltenplanung des Landes kommt.21 c) Finanzierung Die staatliche Verantwortung für eine ausreichende Versorgung durch Krankenanstalten zeigt sich nicht zuletzt in der Krankenanstaltenfinanzierung, die über weite Strecken aus öffentlichen - nur zum Teil von den Sozialversicherungsträgern aufgebrachten - Mitteln erfolgt. Das Finanzierungssystem ist eng mit der Gesundheitsplanung verknüpft und wurde im öffentlichen Sektor durch den Übergang von pauschalierten Tagessätzen zur „leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung“ (LKF) seit 1997 grundlegend umgestaltet. Es besteht ein überaus komplexes Geflecht an Finanzströmen und begleitenden Organisationsstrukturen, deren umfassende Darstellung weit ins Sozialversicherungsrecht hineinreichen und den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde.22 Wesentliche Grundlage ist die bis Ende 2008 gültige - für sich genommen 18
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Vgl Art 3 der Art 15a-Vereinbarung über Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens sowie den - am 28. 6. 2006 von der Bundesgesundheitskommission beschlossenen - ÖSG 2006 (Text unter www.bmgf.gv.at). Auch länderübergreifenden: VfSlg 16.059/2000. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Verknüpfung mit den Planungsvorgaben und zur ausreichenden Determinierung der Planungsziele VfSlg 17.232/2004 (zum Tir KAG). Vgl zum Krnt Landeskrankenanstaltenplan VfSlg 15.740/2000. Die Strukturqualitätskriterien dürften gem § 3 Abs 4 lit c KAKuG und Art 6 Abs 3 der Art 15aVereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens hingegen für alle Krankenanstalten verbindlich sein; vgl dazu Stöger, Rechtliche Aspekte von Qualitätssicherung in der Medizin, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis, 2003ff (Loseblattausgabe), I/249 (268). Für einen Überblick vgl P. Steiner, Krankenanstaltenfinanzierung, 337ff; Nusime, Verteilungsgerechtigkeit bei der Krankenanstaltenfinanzierung, Wiener rechtswissenschaftliche Dissertation, 2001; Maksimovic, Neuregelung der Krankenanstalten-
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nicht unmittelbar anwendbare23 - Art 15a-Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens (BGBl I 2005/73). Die für die Vollziehung maßgeblichen einfachgesetzlichen Bestimmungen der Länder finden sich insb in den LandesGesundheitsfondsG.24
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Das B-VG sieht für die Regelung des Krankenanstaltenrechts einen eigenen Kompetenztatbestand „Heil- und Pflegeanstalten“ (Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG) vor. Es handelt sich um eine Teilmaterie des „Gesundheitswesens“ (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG), die - mit Ausnahme der beim Bund verbleibenden sanitären Aufsicht25 - kompetenzrechtlich abweichend zugeordnet wurde: Nach Art 12 B-VG ist der Bund nur für die Grundsatzgesetzgebung, die Länder hingegen für die Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung zuständig.26 Als unmittelbar anwendbares Recht für die Vollziehung ist daher ausschließlich das (allenfalls grundsatzgesetzkonform auszulegende) Landesausführungsrecht maßgeblich.27 Wenn und soweit das KAKuG des Bundes aber keine Regelung getroffen hat, steht dem Landesgesetzgeber die freie Regelung im grundsatzfreien Raum offen.28 Wegen der umfangreichen historischen Quellenlage kann bei der Auslegung des Kompetenztatbestandes „Heil- und Pflegeanstalten“ im Sinne der
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finanzierung ab 2001, SoSi 2001, 5; Rebhahn, Auslagerung, 17ff; mwN Schneider/ Szüsz, 47 f; Grillberger, Krankenanstalten, 484 f; Maksimovic/Felix, Neuregelung der Krankenanstaltenfinanzierung ab 2005 im Rahmen der Gesundheitsreform, SoSi 2005/3, 115; Felix, Sicherstellungsauftrag (FN 10), 81ff; Rothmayer, Rechtsgrundlagen der Planung und der Finanzierung der Krankenhausbehandlung, in: Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg), Planung und Finanzierung der Krankenhausbehandlung, 2004, 11; Tumler/Weiß (FN 14), 450ff, sowie BMGF (Hrsg), Leistungsorientierte Krankenanstalten-Finanzierung - LKF - Systembeschreibung, 2006. Bund-Länder-Vereinbarungen gem Art 15a B-VG können die Rechtsstellung Dritter erst dann gestalten, wenn sie in ein Gesetz oder (nach Maßgabe des Art 18 Abs 2 BVG) in eine Verordnung umgegossen worden sind (VfSlg 9581/1982, 13.780/1994; zu den Vereinbarungen über die Krankenanstaltenfinanzierung zB VfSlg 17.086/ 2003). Vgl in und bei FN 437. Zur Abgrenzung vgl VfSlg 1900/1950, 4093/1961, 5833/1968. Zur Grenzziehung zwischen Grundsatz- und Ausführungsgesetzen zB VfSlg 16.244/ 2001, 17.232/2004 mwN. Danach sind Einzelregelungen, die ihrem Inhalt nach unmittelbar anwendbar sind, wenn sie in das Ausführungsgesetz übernommen werden, nur zulässig, wenn die Regelung Fragen von grundsätzlicher Bedeutung betrifft, die daher einer für das ganze Bundesgebiet wirksamen einheitlichen Regelung bedürften (so schon VfSlg 2087/1951, 3853/1960). Dies wurde in VfSlg 17.232/2004 für die bundesgesetzlichen Regelungen auf dem Gebiet der Krankenanstaltenfinanzierung und -planung grundsätzlich bejaht. VfSlg 8833/1980. Die Verletzung der in Art 15 Abs 6 B-VG normierten Anpassungspflicht des Ausführungsgesetzgebers führt zur Verfassungswidrigkeit jener Ausführungsregelungen, die in Widerspruch zur (geänderten) grundsatzgesetzlichen Rechtslage stehen (Invalidation; vgl VfSlg 15.291/1998, 15.838/2000; VfGH 21. 6. 2006, B 1214/05). VfSlg 8833/1980, 9800/1983.
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Versteinerungsmethode auf ein reichhaltiges Material zurückgegriffen werden. Dabei kommt dem KAG 1920 eine besondere Bedeutung zu. Schon die unmittelbare zeitliche Nähe zwischen der Beschlussfassung des KAG und des B-VG spricht dafür, dass das Begriffsverständnis des Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG maßgeblich durch die Regelungsinhalte des KAG 1920 geprägt wurde.29 Auf der Grundlage dieses Befundes ist davon auszugehen, dass Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG zunächst eine Kompetenz zur Organisationsgesetzgebung in Bezug auf Krankenanstalten vermittelt.30 Davon erfasst sind Regelungen zur Sicherstellung bestimmter organisatorischer Strukturen (Errichtung und Auflassung, Erhaltung, innere Organisation und Verwaltung von Krankenanstalten), die Festlegung bestimmter Mindestanforderungen an die Erbringung ärztlicher und pflegerischer Leistungen (zB Einrichtung des ärztlichen Dienstes, Qualifikation des Personals31 etc) sowie Bestimmungen über Versorgungspflichten. Die Reichweite des Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG darf allerdings nicht auf das Organisationsrecht beschränkt werden. Da das KAG 1920 unter dem Titel des „Betriebes“ der Anstalt (§§ 17ff) auch Regelungen über die rechtlichen Rahmenbedingungen der ärztlichen Behandlung, die Führung und Aufbewahrung von Krankengeschichten, die Vornahme von Obduktionen, die Werbung sowie über die Aufnahme und Entlassung der Patienten enthielt, müssen solche funktionsbezogenen Bestimmungen ebenfalls der Krankenanstaltenkompetenz zugeordnet werden.32 Auch die Regelung der Anstaltszwecke sowie des Ob und des Wie der Leistungserbringung - also etwa der Voraussetzungen und der Modalitäten der Anstaltsnutzung, der Gewährleistung eines konstanten Qualitätsniveaus und der Aufrechterhaltung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Anstalt - fallen unter Art 12 B-VG. Das betrifft insb die Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Anstalt und Patient einschließlich der „Patientenrechte“ und der Behandlungseinwilligung im stationären Bereich, die - auch wenn man diese durchwegs vertraglich deutet - dem Art 12 und nicht etwa dem Zivilrechtswesen iSd Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG zuzuordnen sind.33 Daraus ent29
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Vgl VfSlg 4093/1961. Ähnlich VfSlg 1441/1932, 4020/1961, 13.023/1992, 13.237/1992; Schrammel, ZAS 1990, 110; Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 1, 140ff. Vgl dazu und zum folgenden Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 1, 145ff mwN. Das Gebot, in der Krankenanstalt nur qualifiziertes Sanitätspersonal zu verwenden, fällt unter Art 12 Abs 1 B-VG (VfSlg 4093/1961), nicht aber die Regelung der berufsrechtlichen Qualifikationen. In diesem Sinn schon VfSlg 1990/1950, 4093/1961 und 4609/1963, wonach Maßnahmen, die mit dem Betrieb der Krankenanstalt in Zusammenhang stehen, unter Art 12 B-VG fallen. Daher fällt auch die Regelung der Werbung in Bezug auf Tätigkeiten der Krankenanstalt (als organisatorischer Einheit) in die Krankenanstaltenkompetenz (VfSlg 16.295/2001). In diesem Sinn VfSlg 10.066/1984; Schrammel, ZAS 1990, 110; mwN Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 1, 151 f. Zur Regelungskompetenz unter dem Titel des „Betriebes“ in diesem Sinn auch Schneider, Ordinationen, 31ff. Umgekehrt bleiben allgemeine zivil- und strafrechtliche Bestimmungen über die - persönliche oder vertretungsweise - Behandlungseinwilligung und die gesetzliche Vertretung (zB § 110 StGB, § 146c, 283 ABGB) bzw über die Behandlungsablehnung (vgl das PatVG, BGBl I 2006/55) auch dann Bundessache, wenn sich der Anwendungsbereich der Bestimmungen sowohl auf den stationären als auch auf den niedergelassenen Bereich erstreckt.
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stehen freilich Abgrenzungsprobleme zu fast allen anderen - in Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG verbleibenden - spezifischen Teilmaterien des Gesundheitswesens, deren Regelungsanspruch zumeist auch Sachverhalte im Rahmen des Betriebs von Krankenanstalten einschließt;34 diese Zuordnung muss nach den jeweils überwiegenden Regelungsgesichtspunkten bewältigt werden. Die Kompetenz nach Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG ist allerdings davon abhängig, dass die von der Regelung erfasste Einrichtung auch als „Heil- und Pflegeanstalt“ im Sinn des Art 12 B-VG zu qualifizieren ist. Dabei kommt es weder auf die Bezeichnung der Anstalt an35 noch darauf, ob die Anstalt vom Anwendungsbereich des KAG 1920 umfasst war.36 Maßgeblich ist vielmehr eine Kombination aus bestimmten organisatorischen und rechtlichen Strukturen („Anstalt“)37 und einem bestimmten Leistungsprofil, bei dem die regelmäßige (und nicht bloß fallweise) ärztliche Betreuung im Vordergrund steht.38
Ebenfalls unter Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG fällt die Regelung der Gebühren und Kostenersätze von Seiten der Patienten,39 der Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenanstalten und den Sozialversicherungsträgern40 sowie der Parteistellung von Interessenvertretungen im krankenanstaltenrechtlichen Genehmigungsverfahren.41 Nicht zu den Angelegenheiten der „Heil- und Pflegeanstalten“ gehören hingegen typisch berufsrechtliche Bestimmungen über die
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Vgl etwa zu Bewilligungspflicht für Krankenanstalten bei Durchführung von Genanalysen nach dem GTG Stelzer, Das Gentechnikgesetz zwischen Verfassungsrecht, Europarecht und Sicherheit, JBl 1995, 756ff; zum psychiatrischen Unterbringungsrecht Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 1, 143ff; zur Organentnahme derselbe, Organgewinnung zu Zwecken der Transplantation, 1988, 85f. Ähnliche Probleme der Reichweite der Regelungskompetenz unter dem Titel des „Betriebs“ tauchen bei der kompetenzrechtlichen Beurteilung des HeimAufG auf, das sich nicht nur, aber jedenfalls auch auf Freiheitsbeschränkungen in Krankenanstalten bezieht; der VfGH bejaht für Freiheitsbeschränkungen zur Abwehr krankheitsspezifischer Gefahren eine umfassende Bundeskompetenz nach Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG (VfSlg 16.929/2003 = RdM 2003/81 Anm Kopetzki). VfSlg 13.237/1992. Deshalb sind auch die ehemaligen (außerhalb des historischen KAG geregelten) „Irrenanstalten“ (heute psychiatrische) Krankenanstalten iSd KAKuG: mwN Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 1, 141ff. Daher fallen auch (nicht im KAG 1920 geregelte) private Krankenanstalten einschließlich selbständiger Ambulatorien unter Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG (VfSlg 1990/1950, 13.023/1992, 13.237/1992). Vgl - zur Abgrenzung zwischen ärztlichen Ordinationsstätten und selbständigen Ambulatorien - VfSlg 13.023/1992 (organisatorische Einheit, sanitäre Beaufsichtigung, Anstaltsordnung, Rechtsbeziehung des Patienten zum Rechtsträger). Vgl auch VfSlg 14.444/1996, wonach Ärztegesellschaften, die dem Patienten gegenüber nach außen rechtlich in Erscheinung treten, „in Wirklichkeit Heil- und Pflegeanstalten sind“; dazu insb im Lichte der Gruppenpraxen auch Schneider, Ordinationen, 52ff, sowie unten III. B. 2. Vgl - zur Abgrenzung zwischen Pflegeanstalten iSd KAKuG (Art 12 Abs 1 Z 1 BVG) und Pflegeheimen (Landeskompetenz nach Art 15 Abs 1 B-VG) - VfSlg 13.237/1992. Die Regelung freiheitsbeschränkender Maßnahmen in Pflegeheimen wurde allerdings - mE zu undifferenziert - dem Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG zugeordnet (VfSlg 16.929/2003 = RdM 2003/81 Anm Kopetzki). Vgl VfSlg 1388/1931, 9800/1983, 10.066/1984. Vgl zu den Pflegegebührenersätzen VfSlg 12.470/1990. VfSlg 8232/1978.
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Berechtigung und Eignung der Sanitätsberufe42 oder über spezifische Berufspflichten,43 ebenso wenig Regelungen über die Organisation von Landesschiedskommissionen44 oder über die Dienstpflichten des Anstaltspersonals: Letztere richten sich auch kompetenzrechtlich nach der Zuständigkeit für das Dienstverhältnis, zählen also bei privaten Trägern zur Zivilrechts- oder Arbeitsrechtskompetenz, bei Gebietskörperschaften zur jeweiligen Dienstrechtskompetenz des Bundes (Art 10 Abs 1 Z 16 B-VG) oder der Länder (Art 21 BVG).45 Da Vergütungen von Leistungen, die im Rahmen des Dienstverhältnisses erbracht werden, kompetenzrechtlich wie das Grundverhältnis einzuordnen sind, folgen auch Regelungen über Arztgebühren, die dem Arzt gegenüber dem Anstaltsträger zustehen, der Kompetenz auf dem Gebiet des Dienstrechts.46 Ebenfalls dienstrechtlicher Natur sind Regelungen, die dem Arzt im Rahmen seines Dienstverhältnisses zusätzliche Honorarvereinbarungen mit Patienten gestatten.47 Eine einheitliche Bundeskompetenz (auch in Bezug auf Landesund Gemeindebedienstete) besteht hingegen wegen Art 21 Abs 2 B-VG hinsichtlich des Arbeitnehmerschutzes und der Personalvertretung in Betrieben (und somit auch in Krankenanstalten).48 Diese Vielfalt der kompetenzrechtlichen Beziehungen zeigt, dass das Krankenanstaltenrecht - verstanden als die Gesamtheit der auf Krankenanstalten bezogenen Rechtsvorschriften - zwar in seinem Kern dem Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG unterfällt, letztlich aber eine Querschnittsmaterie darstellt.49 Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass nicht einmal das KAKuG des Bundes auf einer einheitlichen Kompetenzgrundlage beruht, sondern mannigfaltige Bestimmungen enthält, die sich auf andere Kompetenztatbestände stützen. Das betrifft etwa § 50 KAKuG (Strafrechtswesen, Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG), das Transplantationsrecht gem § 62a KAKuG sowie die sanitäre Aufsicht gem § 60 KAKuG (Gesundheitswesen, Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG)50, die Legalzession gem § 48 KAKuG bzw die konsumentenschutzrechtliche Bestimmung des § 62d KAKuG (Zivilrechtswesen, Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG), die Zweckzuschüsse des Bundes und die Bundesgesundheitsagentur gem
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Schrammel, ZAS 1990, 110. Zur Abgrenzung auch Schneider, Ordinationen, 31ff. Und zwar auch dann, wenn die Berufsausübung in einer Krankenanstalt stattfindet (VfSlg 16.295/2001 zum Werbeverbot für Ärzte in Abgrenzung zu Werbeverboten für Krankenanstalten als organisatorische Einheit). VfSlg 8833/1980. Näher Schrammel, ZAS 1990, 110; derselbe, FS Schnorr, 431ff; VfSlg 10.066/ 1984. VfSlg 7285/1974, 9800/1983, 10.066/1984. Deshalb durfte § 46 Abs 1 KAKuG (Honorarvereinbarung bei Universitätsärzten) als unmittelbares Bundesrecht iSd Art 10 Abs 1 Z 16 iVm Art 14 Abs 9 B-VG erlassen werden (VfSlg 14.373/1995). VfSlg 16.733/2002 (Personalvertretung und Erweiterung der wirtschaftlichen Mitbestimmung in Landeskrankenanstalten; Verfassungswidrigkeit einer Regelung des Krnt Landeskrankenanstalten-BetriebsG über das Entsendungsrecht der Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsrat der Krankenanstalten-Betriebsgesellschaft); VfSlg 17.206/2004 (Arbeitnehmerschutz in Landeskrankenanstalten; Verfassungswidrigkeit einer Regelung des nö SpitalsärzteG über die Anrechnung der Turnusdienstzulage auf das nach dem ArbeitsruheG gebührende Feiertagsarbeitsentgelt). Schrammel, ZAS 1990, 110. Dazu Kopetzki, Organgewinnung (FN 34), 59ff.
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§§ 56a ff KAKuG (§ 13 F-VG bzw Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG,51 hinsichtlich der Bundesgesundheitsagentur als Fonds Art 10 Abs 1 Z 16 B-VG), die Ärztehonorare an Universitätskliniken gem § 46 Abs 1 KAKuG (Bundesdienstrecht, Art 10 Abs 1 Z 16 B-VG), sonstige Regelungen für Universitätskliniken gem §§ 43ff KAKuG (Schulwesen, Art 14 Abs 1 B-VG)52 sowie den klinischen Mehraufwand gem § 55 KAKuG (Finanzausgleich, § 2 F-VG iVm Art 14 Abs 1 B-VG).53 Umgekehrt finden sich krankenanstaltenrechtliche Bestimmungen im kompetenzrechtlichen Sinn auch außerhalb des KAKuG (vgl zB § 148 ASVG; § 5a StVO).
Diese Zersplitterung der Rechtsquellen und die länderweise zum Teil erheblich abweichenden Regelungen haben zu Recht den Ruf nach einer einheitlichen Kompetenzgrundlage für den Bund laut werden lassen.54
C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Art 152 EGV konstituiert das Gesundheitswesen als Politikbereich der Gemeinschaft und belässt die Verantwortung für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung grundsätzlich in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten.55 Art 152 EGV überträgt der Gemeinschaft auch nach der Neufassung durch den Vertrag von Amsterdam, von wenigen Ausnahmen abgesehen,56 keine Kompetenz zur rechtlichen Harmonisierung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. Spezifische gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für Krankenanstalten sind daher nicht ersichtlich. Da Krankenanstalten 51 52 53 54 55
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Dazu VfSlg 7720/1975. Zum Hochschulwesen als Teil des Schulwesens gem Art 14 Abs 1 B-VG vgl Jonak/ Kövesi, Das österreichische Schulrecht10, 2005, 34 FN 5. VfSlg 14.077/1995, 14.079/1995. Schrammel, ZAS 1990, 121. Art 152 Abs 5 EGV. Vgl ausführlich Berg, Gesundheitsschutz als Aufgabe der EU, 1997; Hanika, Europäische Gesundheitspolitik, MedR 1998, 193; Pitschas, Heilberufe im Europäischen Gemeinschaftsrecht, in: Tomandl (Hrsg), Sozialrechtliche Probleme bei der Ausübung von Heilberufen, 1996, 1 (4ff); Schneider, Art 152 EGV, in: Mayer (Hrsg), Kommentar zu EU- und EG-Vertrag, 2004; Sander, Europäischer Gesundheitsschutz als primärrechtliche Aufgabe und grundrechtliche Gewährleistung, ZEuS 2005, 253; Kment, Offene Fragen zu den Gesundheitskompetenzen der EG, in: Dujmovits ua (Hrsg), Recht und Medizin. 46. Assistententagung Öffentliches Recht, 2006, 37; Sarvat, Die Gesundheitskompetenzen der Europäischen Union, iGid, 63. Vgl Art 152 Abs 4 EGV betreffend die Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs sowie für Blut und Blutderivate und die darauf gestützten RL (zB RL 2002/98/EG zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen, Abl 2003 L 033/30; RL 2004/33/EG hinsichtlich bestimmter technischer Anforderungen für Blut und Blutbestandteile, Abl 2004 L 091/25; RL 2004/23/EG über die Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen, Abl 2004 L 102/48; RL 2006/17/EG über technische Voraussetzungen für die Spende, Beschaffung und Testung von menschlichen Geweben und Zellen, Abl 2006 L 38/40). Dazu auch Schneider, Medizinrechtliche Werbe- und Gewinnverbote und Gemeinschaftsrecht, in: Mayer/Kopetzki (Hrsg), Rechtliche Aspekte der Biotechnologie, 2002, 217; Kopetzki, Die Verwendung menschlicher Körpersubstanzen zu Forschungszwecken, FS Burgstaller, 2004, 601 (615ff).
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jedoch im Schnittpunkt ganz unterschiedlicher und weit über das Krankenanstaltenrecht im engeren Sinn hinaus gehender Rechtsgebiete stehen (zB Arbeits- und Dienstrecht, Berufsrecht der Gesundheitsberufe, Arzneimittel- und Medizinprodukterecht, Sozialversicherungsrecht), entfalten die auf diesen Gebieten maßgeblichen - aufgrund anderer Regelungskompetenzen erlassenen - gemeinschaftsrechtlichen Normen eine ganz beträchtliche Ausstrahlungswirkung auch auf den Betrieb von Krankenanstalten. Auf einige von ihnen kann hier nur hingewiesen werden: Das gilt beispielsweise für das - durch die Arbeitszeitrichtlinie der EU entscheidend beeinflusste - KrankenanstaltenArbeitszeitrecht,57 für berufsrechtliche Richtlinien zur Sicherung der Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit der einzelnen Gesundheitsberufe58, für das europäische Arzneimittel-59 und Medizinprodukterecht,60 insb die GCP-RL betreffend die - überwiegend in Krankenanstalten durchgeführte - klinische
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Vgl die RL über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (2003/88/EG, Abl 2003 L 299/9); dazu zB Stärker, Kommentar zur EU-Arbeitszeit-Richtlinie, 2006; zur Vorgängerregelung Mazal, Arbeitszeitschutz für Turnusärzte - europarechtliche Überlegungen, RdM 1996, 163; Wallner, Auswirkungen der Arbeitszeitrichtlinie der EU auf die Spitalsärzte, RdM 1995, 3; Stärker, Zum Arbeitszeitbegriff der einschlägigen EU-Richtlinie, RdM 2001, 7; EuGH 3. 10. 2000, Rs C-303/98, Medicos de Asistencia Publica, wbl 2000/374; EuGH 3. 7. 2001, Rs C-241/99, Confederacion Intersindical Galega; EuGH 5. 10. 2004, Rs C-397/01 ua, Pfeiffer; EuGH 1. 12. 2005, Rs C-14/04, Dellas. Vgl die unterschiedlichen RL über die Anerkennung von Berufsqualifikationen Ärzte (zuletzt RL 2005/36/EG, Abl 2005 L 255/22), Zahnärzte (zB RL 78/686/EWG, Abl L 233/1; 78/687/EWG, Abl L 233/10), Krankenpflegepersonal (zB RL 77/453/EWG, Abl 1977 L 176/1) oder Hebammen (zB RL 80/154/EWG, Abl 1980 L 33/1; RL 80/155/EWG Abl 1980 L 33/8); dazu zB Rudisch, EURechtsnormen für medizinische Tätigkeiten und medizinische Hilfstätigkeiten, in: Haslinger/Radner/Reinberg, Krankenanstaltenrecht, Sonderband Europarecht, 1999; Fleisch, Europarechtliche Rahmenbedingungen des Medizinrechts, in: Barta/ Schwamberger/Staudinger (Hrsg), Medizinrecht für Gesundheitsberufe, 1999, 369 (insb 387ff); Pitschas (FN 55), 6ff. Vgl statt aller zB RL 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel, Abl 2001 L 331/67; RL 89/105/EWG betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme, Abl 1989 L 40/8. MwN zum europäischen Arzneimittelrecht zB Urlesberger, Das Arzneirecht der Europäischen Union, RdM 1994, 83; Hanika, Europäisches Arzneimittelrecht, MedR 2000, 63; Rebhahn, Die Bereitstellung von Arzneimitteln, in: Grillberger/Mosler (Hrsg), Europäisches Wirtschaftsrecht und soziale Krankenversicherung, 2003, 209. Speziell zur Transparenz-RL und ihren Auswirkungen auf das österreichische Recht zB Liebscher, Heilmittelverzeichnis und EU-Recht, RdM 1997, 145; Rebhahn, Bereitstellung von Arzneimitteln, ibid, 234ff, 261ff; Kopetzki, Das Verfahren der Aufnahme ins Heilmittel- und Leistungsverzeichnis der Sozialversicherung, in: Kneihs/Lienbacher/Runggaldier (Hrsg), Wirtschaftssteuerung durch Sozialversicherungsrecht?, 2005, 311; Mazal (Hrsg), Erstattungskodex, 2005; Radics, Das Verfahren zur Erstellung des Heilmittelverzeichnisses auf dem Prüfstand der Europäischen Gerichtshofes, SoSi 2002, 71; EuGH, 27. 11. 2001, Rs C-424/99, Slg 2001, I-9285. Vgl statt aller zB die RL 93/42/EWG über Medizinprodukte, Abl 1993 L 169, die RL 90/385/EWG über aktive implantierbare medizinische Geräte, Abl 1990 L 189 sowie die RL 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika, Abl 1998 L 331/1.
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Arzneimittelprüfung,61 oder für die Auftragsvergabe bei Leistungen des Gesundheits- und Sozialwesens durch Krankenanstalten oder Versicherungsträger.62 Die größte Bedeutung kommt wegen der Einbindung weiter Bereiche des Krankenanstaltenwesens in das Sachleistungssystem der Sozialversicherung den Regeln auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zu; sie sichern die Freizügigkeit in der EU sozialrechtlich ab und eröffnen den Staatsangehörigen der EU-Mitgliedsstaaten unter bestimmten Voraussetzungen einen weitgehenden Zugang zu österreichischen Gesundheitsleistungen im Wege der aushilfsweisen Sachleistungsgewährung.63 In die gleiche Richtung zielt die Rsp des EuGH, die auch medizinische Leistungen - und zwar unabhängig von allfälligen ethischen Bedenken64 - den Grundfreiheiten (insb der Dienstleistungsfreiheit) unterstellt.65 Schließlich werden auch die medizinspezifischen Verbürgungen der Charta der Grundrechte der EU (Art 3, 35) zunehmend an Bedeutung gewinnen.66 Unter dem Aspekt des Primärrechts stehen - neben vielfältigen Einzelproblemen67 - darüber hinaus zwei grundsätzliche Systementscheidungen des 61
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RL 2001/20/EG zur Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln, Abl 2001 L 121/34. Dazu nur Kopetzki, Die klinische Arzneimittelprüfung vor dem Hintergrund des Europarechts und des Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin, in: Bernat (Hrsg), Recht und Ethik der Arzneimittelforschung, 2003, 26. Vgl dazu zB EuGH Rs C-76/97, Tögel, Slg 1998, I-5357 (Rettungs- und Krankentransporte); Rs C-258/97, Hospital Ingenieure Krankenhaustechnik, Slg 1999, I1405; näher Köck, Die Auswirkungen des EG-Wettbewerbsrechts auf die österreichische Sozialversicherung, in: Tomandl (Hrsg), Der Einfluß des europäischen Rechts auf das Sozialrecht, 2000, 27 (37 f, 55 f). Vgl insb die Verordnung 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit, Abl 1971 L 149, bzw deren Nachfolgeverordnung (EG) 883/2004 über die Koordination der Systeme der sozialen Sicherheit, Abl 2004 L 166/1 (dazu Eichenhofer, Das neue Recht europäischer Sozialrechtskoordination, RdA 2005, 88), sowie die umfassende sozialrechtliche Literatur; zB Schrammel, Der Zugang des EU-Rechts zur sozialen Sicherheit, in: Tomandl (Hrsg), Der Einfluß europäischen Rechts auf das Sozialrecht, 2000, 1; Binder, Kostenfragen des Spitalstourismus. Vorläufige Kostenträgerschaft und Abrechnungsweise bei Erbringung der Anstaltspflege an ausländische Gastpatienten, ASoK 1998, 58; derselbe, Krankenbehandlung im Ausland, DRdA 2001, 383; 519; Grillberger, Krankenanstalten, 487ff; Windisch-Graetz, ZfV 2002, 633ff, 734ff; dieselbe, Europäisches Krankenversicherungsrecht, 2003; dieselbe, Grenzüberschreitende Anstaltspflege, 71ff. Vgl EuGH, Rs C-159/90, The Society fort the Protection of Unborn Children, Slg 1991, I-4685 (Schwangerschaftsabbruch als Dienstleistung). Vgl (zum ambulanten Bereich) zB EuGH, Rs C-120/95, Decker, Slg 1998, I-1831; Rs C-158/96, Kohll, Slg 1998, I-1931; dazu mwN Felix, Gesundheitsleistungen ohne Grenzen in der Europäischen Union?, SoSi 1999/1, 31; zum stationären Bereich nun EuGH, Geraets-Smits und Peerbooms, Rs C-157/99, Slg 2001, I-5473 = EuZW 2001, 464; Rs C-385/99, Müller-Faure und Van Riet, Slg 2003, I.4509; EuGH, 16. 5. 2006, Rs C-372/04, Yvonne Watts. Überblick bei Probst/Felix, Kostenübernahme für Gesundheitsleistungen im Ausland - aktueller Stand, FS Bauer/Maier/Petrag, 2004, 313. Dazu nur Dujmovits, Die EU-Grundrechtscharta und das Medizinrecht, RdM 2001, 7; zum Gesundheitsschutz nach Art 35 der Charta mwN Sander (FN 55), 266ff. Zur gemeinschaftsrechtlichen Problematik der Werbe- und Gewinnverbote im Medizin- und Krankenanstaltenrecht (vgl zB §§ 13, 62a Abs 4 KAKuG) vgl zB
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Krankenanstaltenrechts auf dem Prüfstand des Gemeinschaftsrechts: Zum einen sind die bereits früh geäußerten Bedenken68 gegen die Bedarfsprüfung von Krankenanstalten, insb von selbständigen Ambulatorien, im Lichte der Niederlassungsfreiheit (Art 43 EGV) und Dienstleistungsfreiheit (Art 49 EGV) bis heute nicht verstummt,69 wenngleich die derzeit geltende - wegen VfSlg 13.023/1992 bereits im Hinblick auf die Erwerbsfreiheit erheblich eingeschränkte - Bedarfsplanung wohl einer hinreichenden Rechtfertigung aus zwingendem Allgemeininteresse und zum Schutz der Gesundheit (Art 46 Abs 1 iVm Art 55 EGV) zugänglich sein dürfte.70 VfGH und VwGH haben die Gemeinschaftskonformität jedenfalls erkennbar bejaht.71 Zum zweiten werden die Krankenanstaltenfinanzierung aus öffentlichen Mitteln sowie die marktbeherrschende Stellung der Sozialversicherungsträger im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem europäischen Wettbewerbsrecht (Art 81ff EGV) in Diskussion bleiben;72 dabei wird es letztlich um die Frage gehen, wo das Gemeinschaftsrecht die exakte Grenzlinie zwischen gesundheitspolitischer Steuerung und dem „freien Markt“ im Gesundheitswesen zieht.73
D. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen Schließlich gewinnt auch das Völkerrecht - freilich erst nach Maßgabe der Transformation in nationales Recht - einen wachsenden Einfluss auf das Krankenanstaltenrecht. Abgesehen von bilateralen Staatsverträgen, zB über die dislozierte Führung von Organisationseinheiten einer Krankenanstalt in grenznahen ausländischen Krankenanstalten,74 und dem internationalen Sozialversicherungsrecht kommen als maßgebliche Rechtsquellen vor allem die von
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Schneider, in: Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie (FN 56). Zu gemeinschaftsrechtlichen Bedenken gegen die (als Kompensation des fehlenden Vorsteuerabzugs von Krankenanstalten und Ärzten konzipierte) Beihilfe nach dem Gesundheits- und Sozialbereich-BeihilfenG, BGBl 1996/746 idF 2004/180 vgl Moritz, Die Beihilferegelung für Krankenanstalten und Ärzte gemeinschaftswidrig?, SWI 1997, 114. Vanas, Szenarien der gesetzlichen Krankenversicherung im EG-Binnenmarkt, SoSi 1992, 61 (69). Vgl Pitschas (FN 55), 26; Schneider, Ordinationen, 135ff. Zum Ganzen auch Runggaldier, Bedarfsprüfung für private Ambulatorien aus verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Sicht, FS Krejci, 2001, 1653 (1662ff); Windisch-Graetz, ZfV 2002, 744ff. Nach EuGH, Rs 158/96, Kohll, Slg 1998, I-1931, kann „eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses“ darstellen und damit eine Beschränkung der Grundfreiheiten (hier: Dienstleistungsfreiheit) rechtfertigen. Vgl VfSlg 15.456/1999; VwGH ZfVB 2001/153; ZfVB 1999/1/213. Vgl Felix (FN 65), 32; P. Steiner, 368; neben Köck (FN 62) auch Mazal, Wettbewerb und ärztliches Berufsrecht, in: Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg), Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2000, 85ff; Grillberger, Krankenanstalten, 493ff. Vgl auch die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache EuGH, Rs C-475/99, Ambulanz Glöckner, vom 17. 5. 2001 (Krankentransportleistungen). Vgl dazu statt vieler und mwN Köck (FN 62), 27ff, Grillberger, Krankenanstalten, 493ff; sowie die Beiträge in: Jabornegg/Resch/Seewald, Wettbewerb (FN 72). Vgl dazu nun auch § 3b KAKuG idF des GesundheitsrechtsänderungsG 2006, BGBl I 2006/122.
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Österreich ratifizierten Menschenrechtsverträge (insb die EMRK, die Europäische Sozialcharta sowie die UN-Weltpakte) in Betracht. Sie sichern nicht nur elementare Patientenrechte völkerrechtlich ab,75 sondern enthalten auch Anknüpfungspunkte für staatliche Schutzpflichten in Bezug auf die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen.76 Besondere Bedeutung für die Erbringung medizinischer Dienstleistungen wird die Biomedizinkonvention des Europarates (MRB)77 und ihre (bislang drei) Zusatzprotokolle über das Klonen,78 die Transplantation von Organen und Geweben79 sowie die biomedizinische Forschung80 erlangen, die von Österreich allerdings noch nicht unterzeichnet wurden. Die MRB enthält in bewusster Fortentwicklung der europäischen Grundrechtstradition umfangreiche Regelungen über zentrale Bereiche der Medizin, deren Geltungsanspruch zwar nicht auf den stationären Sektor beschränkt ist, die aber potentiell auf alle Bereiche des Krankenanstaltenbetriebs ausstrahlen können, zumal wesentliche Teile der von der MRB erfassten Sachverhalte (zB biomedizinische Forschung am Menschen, Organ- und Gewebstransplantation) typischerweise in Krankenanstalten stattfinden. Nicht zuletzt sind auch die Anfänge eines „bioethikspezifischen“ Völkergewohnheitsrechts81 sowie der inzwischen unüberschaubare Wildwuchs an einschlägigem „soft law“ in Gestalt von Empfehlungen und Richtlinien mehr82 oder weniger83 legitimierter inter75
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Vgl zB die Art 2, 3, 5 und 8 EMRK. Der Einfluss dieser grundrechtlichen (in Österreich zugleich verfassungsrechtlich verankerten) Verbürgungen wurde etwa bei der Neugestaltung des psychiatrischen Unterbringungsrechts durch das UbG 1990 deutlich; dazu Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 1, 112ff, 235ff. Vgl hier nur Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte des therapeutischen Klonens, in: Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht, 2002, 15 (55 f). Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine: Convention on Human Rights and Biomedicine (European Treaty Series 164, abgedruckt samt Erläuterndem Bericht in HRLJ 1997, 135); zur Bedeutung für das österreichische Recht Kopetzki, Landesbericht Österreich, in: Taupitz (Hrsg), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates - taugliches Vorbild für eine weltweit geltende Regelung?, 2002, 197ff. Derzeit haben 34 von 46 Staaten des Europarates unterzeichnet, 19 davon ratifiziert. Additional Protocol on the Prohibition of Cloning of Human Beings (European Treaty Series 168); dazu mwN Kopetzki, Rechtliche Aspekte des Embryonenschutzes, in: Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?, 2003, 51 (67 f). Additional Protocol concerning Transplantation of Organs and Tissues of Human Origin (European Treaty Series 186); dazu und zur Bedeutung für Österreich mwN Kopetzki, Die Biomedizinkonvention des Europarates und das Transplantationsrecht, in: Barta/Weber (Hrsg), Rechtsfragen der Transplantationsmedizin in Europa, 2001, 121; Dujmovits, Das österreichische Transplantationsrecht und die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin, in: Barta/Kalchschmid/Kopetzki (Hrsg), Rechtspolitische Aspekte des Transplantationsrechts, 1999, 55. Additional Protocol on Biomedical Research (European Treaty Series 195); näher (zur Entwurfsfassung) Taupitz, Biomedizinische Forschung zwischen Freiheit und Verantwortung, 2002, 197ff. Dazu Bodendiek/Nowroth, Bioethik und Völkerrecht, Archiv des Völkerrechts, Bd 37, 1999, 177. Von besonderer Relevanz sind in diesem Zusammenhang die Rechtsakte (Empfehlungen, Richtlinien) der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der UNESCO (zuletzt etwa die Universal Declaration on Bioethics and Human Rights vom
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nationaler Organe als Determinanten zu erwähnen, wenngleich letztere nur eine politisch-moralische Motivationswirkung und keine rechtliche Bindung aufweisen.84
II. Begriff und Arten von Krankenanstalten A. Allgemeines Im österreichischen Gesundheitssystem werden ärztliche Leistungen vorrangig entweder in Krankenanstalten, in ärztlichen Ordinationsstätten (§ 56 ÄrzteG 1998) oder als Gruppenpraxis in der Rechtsform einer offenen Erwerbsgesellschaft (§§ 3 Abs 1, 52a ÄrzteG 1998) erbracht. Die hiefür jeweils geltenden Zulassungsvoraussetzungen und rechtlichen Rahmenbedingungen unterscheiden sich grundlegend voneinander: Die freiberufliche ärztliche Berufsausübung in Ordinationsstätten bedarf - bei Erfüllung der im ÄrzteG normierten Bedingungen - keiner behördlichen Bewilligung; der Arzt darf seinen Beruf freiberuflich aber nur als Einzelunternehmer oder in solchen Gemeinschaften (Gruppenpraxen) ausüben, bei denen die Eigenverantwortlichkeit jedes einzelnen der Gemeinschaft angehörenden Arztes gewahrt bleibt. Für die Ordinationsstätten gelten keine spezifischen Organisationsregeln. Dem gegenüber sind Krankenanstalten bewilligungspflichtig; sie unterliegen einer differenzierten behördlichen Aufsicht, spezifischen Normen über die innere Organisation sowie über den Betrieb; Rechtsbeziehungen bestehen grundsätzlich nur zwischen dem Patienten und dem Rechtsträger der Anstalt, nicht jedoch zum einzelnen Arzt. Funktionelle Überschneidungen ergeben sich allerdings daraus, dass Kranken-
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19. 10. 2005) sowie der Organe des Europarates (zuletzt etwa die Recommendation des Ministerkomitees vom 15. 3. 2006, Rec 2006(4) on research on biological materials of human origin, sowie die Draft Recommendation on management of patient safety and prevention of adverse events in health care, dazu Mierzewski, Mitteilungen der Sanitätsverwaltung 2006, 4). Für einen Überblick am Beispiel der Kommerzialisierungsverbote für Humanmaterial vgl Breyer/van den Daele/Engelhar/Gubernatis/ Kliemt/Kopetzki/Schlitt/Taupitz, Organmangel. Ist der Tod auf der Warteliste unvermeidbar?, 2006, 180ff. Vgl zB die sog Helsinki-Deklaration des Weltärztebundes betreffend ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen oder die Deklaration des Weltärztebundes von Lissabon über die Rechte der Patienten (beide abgedruckt bei Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht5, 2003, 804ff). Die Grenzen zwischen unverbindlichem „soft law“ und verbindlichen Rechtsakten sind freilich fließend, da mitunter „echte“ Rechtsquellen Verweisungen auf derartige Dokumente enthalten können: vgl für viele nur die europäische RL 98/79/EG, Abl 1998 L 331, die auf die Grundsätze der Biomedizinkonvention des Europarates verweist (Erwägungsgrund 33 sowie Art 1 Abs 4) und die der MRB damit eine gewisse Beachtlichkeit auch für jene Staaten der EU verschafft, welche die Konvention gar nicht ratifiziert haben. Im österreichischen Medizin- und Krankenanstaltenrecht sind solche Einflussfaktoren jedenfalls unabhängig von rechtlichen Bindungen faktisch bereits erkennbar, indem Dokumente unabhängig von ihrer Verpflichtungskraft eine Orientierungsfunktion bei der Gesetzgebung entfalten (vgl zur - durch eine WHO-Empfehlung motivierten - Regelung des § 5b KAKuG: 1080 BlgNR 18. GP, 5, oder zur - an Art 17 MRB angelehnten - Formulierung der §§ 42 Abs 2 und 43a AMG: 384 BlgNR 22. GP, 17.
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anstalten nicht zwingend bettenführend sein müssen und daher ambulante ärztliche Behandlungen sowohl in Ordinationsstätten als auch in Krankenanstalten (insb in der Betriebsform des selbständigen Ambulatoriums) erbracht werden können. Der begrifflichen Abgrenzung zwischen „Krankenanstalten“ und anderen Organisationsformen, in denen ärztliche Leistungen erbracht werden, kommt daher zentrale Bedeutung zu.
B. Der Begriff der Krankenanstalt 1. Zweckbestimmung § 1 Abs 1 KAKuG definiert die „Krankenanstalt“ zunächst nach ihrer Zweckbestimmung, also in Bezug auf die zu erfüllenden Aufgaben85: Danach sind unter Krankenanstalten (synonym: Heil- und Pflegeanstalten) Einrichtungen zu verstehen, die zur Feststellung und Überwachung des Gesundheitszustandes durch Untersuchung, zur Vornahme operativer Eingriffe, zur Vorbeugung, Besserung und Heilung von Krankheiten durch Behandlung, zur Entbindung oder für Maßnahmen medizinischer Fortpflanzungshilfe bestimmt sind. Gem § 1 Abs 2 sind ferner als Krankenanstalten auch Einrichtungen anzusehen, die zur ärztlichen Betreuung und besonderen Pflege von chronisch Kranken bestimmt sind. Bestimmte, in § 2 Abs 2 KAKuG aufgezählte Einrichtungen werden allerdings unbeschadet ihres Zwecks vom Begriff der Krankenanstalt ausgenommen (Anstalten für die Unterbringung geistig abnormer oder entwöhnungsbedürftiger Rechtsbrecher, Krankenabteilungen in Justizanstalten,86 Einrichtungen in Betrieben für den Fall der Leistung Erster Hilfe, arbeitsmedizinische Zentren, die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, Kuranstalten87).
Der gesetzlich gebotene Anstaltszweck ist nach der Rsp nicht nach subjektiven Willensäußerungen des Trägers, sondern nach objektiven Kriterien anhand der gesamten Ausstattung und Führung zu beurteilen.88 Es genügt aber bereits, wenn einer der im § 1 Abs 1 KAKuG genannten Zwecke gegeben ist: Krankenanstalten müssen daher weder zwingend der Krankenbehandlung dienen,89 noch müssen sie Betten führen oder - zumindest bei selbständigen Am-
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Vgl Schrammel, ZAS 1990, 112. Sog „Inquisitenspitäler“; sie gelten, obwohl im KAKuG nicht mehr explizit erwähnt, weiterhin als Sonderheilanstalten (VwGH ZfVB 1989/3/856). Die Regelung der Rechtsverhältnisse der Kuranstalten wurde allerdings - nach Aufhebung des G über natürliche Heilvorkommen und Kurorte durch das VerwaltungsreformG 2001, BGBl I 2002/65 - systematisch ebenfalls in das (nun entsprechend umbenannte) KAKuG übernommen (vgl § 42aff KAKuG). ZB VwGH ZfVB 1987/3/1217; Schrammel, ZAS 1990, 112. So können etwa Einrichtungen zur Vornahme kosmetischer Operationen an Gesunden wegen § 1 Abs 1 Z 2 KAKuG nach ihrer Zweckbestimmung Krankenanstalten sein (Schrammel, ZAS 1990, 112), ebenso Einrichtungen zur Durchführung von Invitro-Fertilisationen (vgl VwGH ZfVB 1999/6/2154). Die Durchführung klinischer Arzneimittelprüfungen kann (auch ohne hinzutretende Behandlungsaufgaben) alleiniger Zweck einer Krankenanstalt sein (VwSlg 13.314 A/1990 = ZfVB 1991/56/2128 („Ambulatorium für biopharmazeutische und pharmakokinetische Untersuchungen“).
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bulatorien - überhaupt mit dem Patienten in unmittelbaren Kontakt treten.90 Auf der anderen Seite ist nicht jede Einrichtung, in der Kranke behandelt werden, zwingend eine Krankenanstalt: Pflegeheime etwa, in denen zwar eine fallweise Behandlung durchgeführt wird, die aber nach ihrer Zweckbestimmung nicht der regelmäßigen ärztlichen Betreuung und besonderen Pflege von chronisch Kranken dienen, sind keine „Pflegeanstalten“ und damit auch keine „Krankenanstalten“ iSd KAKuG.
2. Die „anstaltliche“ Einrichtung Die Begriffsbestimmung der Krankenanstalten in § 1 KAKuG hat ihren Schwerpunkt in der Ausdifferenzierung der inhaltlichen Aspekte unterschiedlicher medizinischer Leistungen, sie lässt aber offen, was unter einer „Anstalt“ zu verstehen ist. Denn es liegt auf der Hand, dass sämtliche im § 1 Abs 1 KAKuG genannten medizinischen Tätigkeiten grundsätzlich91 auch außerhalb einer „Krankenanstalt“ erbracht werden können. Zur Abgrenzung zwischen Krankenanstalten und ärztlichen Ordinationsstätten trägt § 1 Abs 1 KAKuG also nichts bei. Zu Recht lehnt auch der VfGH eine rein funktionsbezogene Begriffsbestimmung ab: Das letztlich unterscheidende Merkmal zwischen Krankenanstalten und Ordinationsstätten ist nicht der Inhalt der Tätigkeit, sondern die einer Anstalt entsprechende Organisation.92 Mit dem Rückbezug auf den Begriff der „Anstalt“ tritt somit zur Zweckbestimmung ein notwendiges institutionelles Element hinzu,93 das insb bei der Abgrenzung zwischen selbständigen Ambulatorien und Ordinationsstätten (und in Zukunft umso mehr gegenüber den Gruppenpraxen) beträchtliche Schwierigkeiten bereitet.94 Angesichts seiner weitgehenden Konturlosigkeit verwundert es auch nicht, dass alle Versuche, den Krankenanstaltenbegriff durch einen Rückgriff auf den Anstaltsbegriff des allgemeinen Verwaltungsrechts95 zu präzisieren,96 als obsolet betrachtet werden müssen, zumal dafür nach den üblichen Definitionen zumeist die Erfüllung „öffentlicher“ Aufgaben kennzeichnend ist, was bei Krankenanstalten offenkundig nicht zwingend der Fall sein muss.97
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Vgl FN 112. Ausnahmen können sich aus allgemeinen berufs- und haftungsrechtlichen Gründen sowie aus gesetzlichen Bestimmungen ergeben, die bestimmte medizinische Maßnahmen an die Durchführung in einer Krankenanstalt binden, vgl zB § 4 Abs 2 FMedG (In-vitro-Fertilisation), § 62a Abs 3 KAG (Organentnahme). ZB VwSlg 13.102 A/1990; 13.090 A/1989; ZfVB 1987/3/1218. Vgl Schrammel, ZAS 1990, 112 FN 30. In diesem Zusammenhang taucht der Anstaltsbegriff auch explizit im KAKuG auf: Gem § 2 Abs 3 sind Einrichtungen, die eine gleichzeitige Behandlung von mehreren Personen ermöglichen und deren „Organisation der einer Anstalt entspricht“, nicht als Ordinationsstätten, sondern als Krankenanstalten anzusehen. Vgl VfSlg 3296/1957; näher mwN Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 1, 201 f, 385ff; Pircher, 55ff. Vgl noch Haslinger/Radner/Reinberg, § 2 KAKuG Anm 7; VwGH ZfVB 1987/3/ 1218. Zutreffend gegen eine Vermischung des Krankenanstaltsbegriff mit dem Anstaltsbegriff des Allgemeinen Verwaltungsrechts unter dem Aspekt der „öffentlichen Aufgaben“ VwSlg 13.090 A/1989; Pircher, 59 f.
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ziehung („welcher Art auch immer“) zwischen den Patienten und dem Träger der einer sanitären Aufsicht unterliegenden Einrichtung in den Vordergrund gestellt. Für die ärztliche Behandlung in der Ordination sei weiters die unmittelbare Verantwortung des behandelnden Arztes prägend (VfSlg 13.023/1992). Dagegen ist zu Recht eingewendet worden, dass es sich bei der Anstaltsordnung und der Unterstellung unter die sanitäre Aufsicht um Rechtsfolgen, nicht aber um Begriffsmerkmale einer Krankenanstalt handelt, sodass die Definition des VfGH insofern in einen Zirkelschluss mündet.98 Auch das Abstellen auf die Person des Vertragspartners hat spätestens durch die Einführung von Gruppenpraxen an Signifikanz verloren, sofern man letztere nicht - wofür VfSlg 14.444/1996 sprechen könnte - ohnehin als Krankenanstalten in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums qualifiziert.99 Man kommt also nicht umhin, die Abgrenzung anhand eines beweglichen Systems von Merkmalen vorzunehmen, die im Wesentlichen auf das Ausmaß an Organisiertheit der Einrichtung abstellen: Ist das Ausmaß des personellen und/oder technischen Umfanges der Einrichtung so gestaltet, dass es dem Inhaber der Behandlungsstätte nicht mehr möglich ist, die volle und ausschließliche Verantwortung ohne Aufgabenteilung selbst wahrzunehmen, dann liegt ein selbständiges Ambulatorium und keine Ordinationsstätte vor.100 Oder anders gewendet: Überschreitet die für die Erbringung der jeweiligen ärztlichen Dienstleistung notwendige Organisation jenes Maß, das medizinisch vertretbar ein Einzelner verantworten kann, dann liegt eine Krankenanstalt vor.101 Das gleiche gilt, wenn die Rechtsverhältnisse derart aufgespalten sind, dass sich der Rechtsträger der Einrichtung vom behandelnden Arzt in einer Weise unterscheidet, die mit den ärztegesetzlichen Bestimmungen über Ordinationsstätten nicht vereinbar wäre: Dies ist etwa der Fall, wenn der Rechtsträger - vom Sonderfall der Gruppenpraxen abgesehen102 - eine juristische Person oder eine nicht zur selbständigen ärztlichen Berufsausübung berechtigte Person ist. Für sich genommen keine unterscheidende Bedeutung haben hingegen der Einsatz von Großgeräten,103 die Bezeichnung oder subjektive Parteierklärungen104 oder die
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Windisch-Graetz, RdM 1995, 145. So Schneider, Ordinationen, 63ff. In diesem Sinne immer noch gültig Windisch-Graetz, RdM 1995, 145 (zustimmend Grillberger, Krankenanstalten und Wettbewerb, 111), deren Auffassung allerdings im Lichte der Gruppenpraxen überdacht werden muss. Mazal, Gruppenpraxis versus Anstaltsbegriff, RdM 2000, 129; derselbe, in: Sozialrechtliche Probleme, 44 f. Diesfalls muss es sich um eine offene Erwerbsgesellschaft iSd § 1 Erwerbsgesellschaftsgesetz (EGG), BGBl 1990/257, handeln, der nur zur selbständigen Berufsausübung berechtigte Ärzte, Zahnärzte sowie Dentisten als persönlich haftende Gesellschafter angehören dürfen (§ 52a Abs 3, 4 ÄrzteG). Für die Abgrenzung zwischen Gruppenpraxen und selbständigen Ambulatorien ist daher - sofern man eine solche überhaupt noch für möglich erachtet (dagegen Schneider, Ordinationen, 60ff) - weiterhin das Ausmaß der Organisation maßgeblich: RV 629 BlgNR 21. GP. VwSlg 13.102 A/1990 (Computertomograph); Windisch-Graetz, RdM 1995, 148; Schrammel, ZAS 1990, 112. VwGH ZfVB 1996/1/189 (ein Vorhaben, bei dem ein Arzt von 2 Masseuren als Hilfskräfte unterstützt wird, ist Ordinationsstätte).
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Möglichkeit oder Unmöglichkeit zur gleichzeitigen Behandlung mehrerer Personen:105 Unter bestimmten Voraussetzungen kann nach der Rsp ein Ambulatorium bereits dann gegeben sein, wenn immer nur eine Person behandelt werden kann,106 wie auch umgekehrt die parallele Behandlung mehrerer Personen noch nicht zwingend gegen eine Ordinationsstätte spricht.107
C. Arten von Krankenanstalten Eine Einteilung von Krankenanstalten lässt sich nach vielfachen Kriterien vornehmen; die Zuordnung kann in unterschiedlichen Zusammenhängen Rechtsfolgen auslösen:
1. Einteilung nach Zweck und Betriebsform Nach dem spezifischen Zweck der Krankenanstalt nimmt § 2 KAKuG eine Gliederung in verschiedene „Betriebsformen“ vor, die unter anderem bei der Frage eine Rolle spielt, auf welche Konkurrenzeinrichtungen bei der - auf den jeweiligen Anstaltszweck Bezug nehmenden - Bedarfsprüfung Rücksicht zu nehmen ist. a) Allgemeine Krankenanstalten (§ 2 Abs 1 Z 1) sind Krankenanstalten für Personen ohne Unterschied des Geschlechts, des Alters oder der Art der ärztlichen Betreuung. b) Sonderkrankenanstalten (§ 2 Abs 1 Z 2) sind Krankenanstalten für die Untersuchung und Behandlung von Personen mit bestimmten Krankheiten oder von Personen bestimmter Altersstufen oder für bestimmte Zwecke.108 c) Heime für Genesende (§ 2 Abs 1 Z 3) sind Heime für Personen, die ärztlicher Behandlung und besonderer Pflege bedürfen. d) Pflegeanstalten (§ 2 Abs 1 Z 4) sind Krankenanstalten für chronisch Kranke, die ärztlicher Betreuung und besonderer Pflege bedürfen. Nicht jede Einrichtung, in der chronisch Kranke, die einer ärztlichen Behandlung und besonderen Pflege bedürfen, beherbergt werden, ist allerdings eine Pflegeanstalt iSd KAKuG; maßgeblich ist vielmehr, ob die Zweckbestimmung der Einrichtung bei objektiver Betrachtung in der ärztlichen Betreuung und besonderen Pflege von chronisch Kranken gelegen ist. Daher wird etwa ein Beherbungsbetrieb in einem Kurort nicht schon dadurch zu einer Pflegeanstalt, weil die in der Regel chronisch kranken Kurgäste einer ärztlichen Behandlung und Pflege bedürfen.109 Nach VfSlg 13.237/1992 kommt es für die Unterscheidung zwischen Pflegeanstalten iSd KAKuG und sonstigen Pflegeheimen überdies auf die Art der primär benötigten Behandlung an: In Krankenanstalten (Pflegeanstalten) stehe die Notwendigkeit der (regelmäßigen) ärztlichen Betreuung im
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Das entscheidende Merkmal sei vielmehr die einer Anstalt entsprechende Organisation: VwSlg 12.212 A/1986, 13.102 A/1990. VwSlg 12.212 A/1986 (ein zahnärztlicher Behandlungsstuhl in der Trägerschaft eines Sozialversicherungsträgers), 13.090/1989; zustimmend Pfersmann, 389. Sofern nicht überdies „deren Organisation einer Anstalt entspricht“ (§ 2 Abs 3 KAKuG). Eine unter ärztlicher Leitung stehende Dialysestation, in der 15 Patienten gleichzeitig (unter Einsatz zahlreichen nichtärztlichen Personals) behandelt werden können und deren Organisationsstruktur Behandlungszeiten von Montag bis Samstag von 6-22 Uhr ermöglicht, ist jedenfalls eine Krankenanstalt (VwGH ÖStZB 2002/705). Dazu gehören auch „Rehabilitationszentren“ (VwGH 15. 5. 2002, 2001/12/0230, SVSlg 48.345 = ÖJZ 2003/78A). VwGH ZfVB 1987/2/572; ebenso ZfVB 1987/3/1217.
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Vordergrund, in Pflegeheimen hingegen die Pflege, während die ärztliche Betreuung - wenn überhaupt - nur fallweise hinzutrete. e) Gebäranstalten und Entbindungsheime (§ 2 Abs 1 Z 5); ihr Leistungsspektrum liegt auf dem Gebiet der Geburtshilfe. f) Sanatorien (§ 2 Abs 1 Z 6) sind Krankenanstalten, die durch ihre besondere Ausstattung höheren Ansprüchen hinsichtlich Verpflegung und Unterbringung entsprechen; diese Kennzeichnung deckt sich mit jener in der Sonderklasse gem § 16 Abs 2 KAKuG. g) Selbständige Ambulatorien (§ 2 Abs 1 Z 7) sind organisatorisch selbständige Einrichtungen, die der Untersuchung und Behandlung von Personen dienen, die einer (stationären) Aufnahme in Anstaltspflege nicht bedürfen. Der Verwendungszweck eines selbständigen Ambulatoriums bleibt auch erhalten, wenn das Ambulatorium über eine angemessene Anzahl von Betten verfügt, die für eine kurzfristige Unterbringung zur Durchführung ambulanter diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen unentbehrlich ist. Der zeitliche Horizont ist allerdings eng zu bemessen: Ein „Ambulatorium“ in einer „Kurpension“ zur Durchführung diätetischphysikalischer Therapien mit mehrwöchiger Anwesenheit ist daher im Rechtssinn kein Ambulatorium.110 Vom Leistungsspektrum her betrachtet kann ein selbständiges Ambulatorium - eine entsprechende Organisation vorausgesetzt - jede Tätigkeit iSd § 1 Abs 1 KAKuG zum Gegenstand haben; typische Erscheinungsformen sind Ambulatorien für physikalische Medizin (Physiotherapie), Labordiagnostik, Radiologie, Schwangerenhilfe, Fortpflanzungsmedizin oder - insb in der Trägerschaft der Sozialversicherungsträger - Zahnambulatorien. Es kann sich aber auch um Einrichtungen handeln, die gar nicht der Behandlung Kranker dienen (zB Ambulatorium zur Durchführung klinischer Prüfungen111) oder die nur mittelbar für den Patienten (zB durch Untersuchung eingesendeter Präparate oder Proben) tätig werden.112
2. Einteilung nach Leistungsumfang und Versorgungsstufe Bei allgemeinen Krankenanstalten - und nur bei diesen - ist nach dem Umfang ihres fachlichen Leistungsangebotes und ihrer quantitativen Versorgungsfunktion zwischen Standardkrankenanstalten, Schwerpunktkrankenanstalten und Zentralkrankenanstalten zu unterscheiden (näher § 2a Abs 1 KAKuG). Während Standard- und Schwerpunktkrankenanstalten bettenführende Abteilungen und sonstige Versorgungseinrichtungen (einschließlich der Betreuung durch Konsiliarärzte113) nur für die im Gesetz genannten Sonderfächer und medizinischen Leistungen aufweisen müssen, haben Zentralkrankenanstalten114 grundsätzlich über alle dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden spezialisierten Einrichtungen zu verfügen. An diese Differenzierungen knüpft insb § 18 Abs 2 KAKuG an, der für bestimmte Bevölkerungszahlen jeweils die Errichtung solcher Krankenanstalten vorschreibt.
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VwGH ZfVB 1987/2/573. Vgl FN 89. VwGH 21. 4. 1998, 96/11/0228 = KRSlg 408; VwGH ZfVB 2004/449 (Institut für Pathologie). Zu den Zulässigkeitsgrenzen konsiliarärztlicher Betreuung näher Füszl, IV/7. Das Leistungsangebot von Standard- und Schwerpunktkrankenanstalten darf dadurch jedenfalls keine Ausweitung erfahren. Einschließlich Universitätskliniken und Klinischer Institute Medizinischer Universitäten, die jedenfalls als Zentralkrankenanstalten gelten (§ 2a Abs 2 KAKuG).
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Gem § 2a Abs 3 und 4 KAKuG kann die Landesgesetzgebung aber gewisse Einschränkungen und Modifikationen des Leistungsumfanges und der organisationsrechtlichen Vorgaben vorsehen (zB örtlich dislozierte Abteilungen, Bedarfsdeckung durch andere Krankenanstalten, Errichtung von „Fachschwerpunkten“ mit eingeschränktem Leistungsangebot wegen mangelnder Auslastung etc).
3. Einteilung nach der Versorgungspflicht und der Finanzierung Die Unterscheidung in öffentliche, gemeinnützige und private Krankenanstalten zieht eine Reihe von rechtlichen Folgen nach sich, die vor allem auch aus wirtschaftlicher Sicht bedeutsam sind: a) Gemeinnützige Krankenanstalten Eine Krankenanstalt ist gem § 16 KAKuG gemeinnützig, wenn ihr Betrieb nicht die Erzielung eines Gewinns bezweckt, jeder Aufnahmebedürftige nach Maßgabe der Anstaltseinrichtungen aufgenommen wird, für die Dauer der Unterbringung und die Art der Behandlung und Pflege ausschließlich der Gesundheitszustand maßgeblich ist, die Bediensteten der Krankenanstalt - von wenigen Ausnahmen abgesehen - von den Pfleglingen oder den Angehörigen nicht entlohnt werden dürfen, und wenn für die Leistungen in derselben Gebührenklasse einheitliche LKF-Gebühren oder Pflegegebühren festgesetzt sind; außerdem darf die Zahl der Sonderklassebetten ein Viertel der für die Anstalt bereitstehenden Bettenzahl nicht übersteigen. Die rechtliche Bedeutung der Gemeinnützigkeit liegt - abgesehen von den steuerrechtlichen Aspekten - zum einen darin, dass sie Voraussetzung für die Verleihung des Öffentlichkeitsrechts ist; zum anderen ist die Gemeinnützigkeit eine Bedingung für die Leistungsabgeltung aus öffentlichen Mitteln über die Landesfonds. b) Öffentliche Krankenanstalten Öffentliche Krankenanstalten sind solche, denen das Öffentlichkeitsrecht verliehen wurde (§ 14 KAKuG). Wer Rechtsträger ist, spielt dabei keine Rolle (vgl D), es muss sich aber um eine juristische Person handeln (§ 15 KAKuG). Für den Betrieb öffentlicher Krankenanstalten gelten eine Vielzahl von Sonderbestimmungen (vgl unten VII). Öffentliche Krankenanstalten müssen stets gemeinnützig sein und den Vorgaben des Landeskrankenanstaltenplanes entsprechen. c) Private Krankenanstalten Alle Krankenanstalten, denen das Öffentlichkeitsrecht nicht verliehen wurde, gelten krankenanstaltenrechtlich - unabhängig von der Trägerschaft (vgl D) als „private“ Krankenanstalten (§ 39 Abs 1 KAKuG). Sie können, müssen aber nicht gemeinnützig sein. d) Fondskrankenanstalten Seit der Einführung der leistungsgerechten Krankenanstaltenfinanzierung mit 1. 1. 1997 ist überdies die neue Kategorie der „Fondskrankenanstalten“ rechtlich bedeutsam, die in die LKF-Finanzierung über die Landesgesundheits-
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fonds eingebunden sind.115 Nach Art 14 Abs 3 der Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, BGBl I 2005/73, und den unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der Landes-KAG bzw der LandesGesundheitsfondsG gehören dazu Öffentliche Krankenanstalten gemäß § 2 Abs 1 Z 1 und 2 KAKuG mit Ausnahme der Pflegeabteilungen in öffentlichen Krankenanstalten für Psychiatrie und private Krankenanstalten der im § 2 Abs 1 Z 1 KAKuG bezeichneten Art, die gemäß § 16 KAKuG gemeinnützig geführte Krankenanstalten sind (soweit diese Krankenanstalten im Jahr 1996 Zuschüsse des Krankenanstalten-Zusammenarbeitsfonds erhalten haben).
4. Einteilung nach der Trägerschaft Rechtsträger einer Krankenanstalt kann grundsätzlich jede physische oder juristische Person sein; auch Erwerbsgesellschaften oder sonstige Personengesellschaften (einschließlich Vereinigungen von juristischen Personen) kommen als Träger in Betracht.116 Lediglich die Verleihung des Öffentlichkeitsrecht ist gem § 15 KAKuG auf juristische Personen beschränkt. Private Krankenanstalten können daher ebenso in der Trägerschaft einer Gebietskörperschaft stehen,117 wie umgekehrt öffentliche Krankenanstalten von nichtstaatlichen juristischen Personen (insb des Privatrechts) betrieben werden können. Die Bezeichnung der Krankenanstalt ist als Hinweis auf die Trägerschaft ebenfalls nicht geeignet: Träger ausgegliederter „Landeskrankenanstalten“ ist zB nicht das Land, sondern die jeweilige Trägergesellschaft (in der Regel eine GesmbH). Als Krankenanstaltenträger treten derzeit neben den Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände) insb die Sozialversicherungsträger (Krankenversicherungs-träger,118 Unfallversicherungsträger,119 Pensionsversicherungsträger120), kirchliche Rechtsträger (einschließlich der rechtlich selbständigen Orden und Kongregationen der katholischen Kirche)121, Vereine, Gesellschaften des Handelsrechts (meist 115
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Die Bildung von zwei Kategorien von Krankenanstalten für Finanzierungszwecke wurde im Hinblick auf den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers als verfassungskonform erachtet (VfSlg 17.086/2003). VfSlg 17.328/2004 zu einer GesmbH & Co KEG. Aus den §§ 15, 39 Abs 1 KAKuG ergibt sich, dass „Rechtsträger“ ist, wer eine Krankenanstalt errichtet, verwaltet und betreibt; zur Terminologie (in Abgrenzung zu einem „Tierspital“) vgl auch VfSlg 17.164/2004. Auf welches Zurechnungskriterium für die Begründung der „Trägereigenschaft“ es freilich dann noch ankommen soll, wenn ein Gesetz ausdrücklich die „Errichtung, die Führung und den Betrieb“ von Landeskrankenanstalten auf eine Holding mit eigener Rechtspersönlichkeit überträgt, dem Land aber weiterhin die Funktion als „Rechtsträger“ vorbehält (so § 2 des G über die Errichtung der NÖ Landeskliniken-Holding, nö LGBl 9452-0), bleibt diskussionswürdig. ZB Heeresspitäler und Gefängniskrankenanstalten. Vgl § 149 ASVG (Einweisung in eine eigene Anstalt des Versicherungsträgers); zB das Hanusch-Krankenhaus der Wiener Gebietskrankenkasse oder Unfallkrankenhäuser der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt. Vgl § 191 Abs 2 ASVG. Insb Rehabilitationseinrichtungen, vgl §§ 300ff ASVG. Diese sind (nichtstaatliche) Körperschaften öffentlichen Rechts (Art II des Konkordates, BGBl II 1934/2). Zum Ganzen E. Barta, Krankenanstalten in kirchlicher Trägerschaft, 1998; Kuhn, Rechtliche Aspekte der Zusammenlegung von Ordensprovinzen, Ordensnachrichten 2006/2, 41.
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GesmbH bei ausgegliederten Landeskrankenanstalten122 oder bei Betriebsgesellschaften von Ordenskrankenhäusern123), sondergesetzlich errichtete öffentlichrechtliche Träger124 sowie - bei nichtöffentlichen Anstalten - physische Personen auf. In all diesen Konstellationen ist die Krankenanstalt eine unselbständige (dh nicht rechtsfähige)125 Einrichtung ihres jeweiligen Trägers; eine mehr oder weniger weitgehende Verselbständigung innerhalb der Organisation eines Rechtsträgers126 ändert daran nichts. Eine eigentümliche Sonderstellung aufgrund des Krnt Landeskrankenanstalten-BetriebsG, LGBl 1993/44, weisen die Kärntner Landeskrankenanstalten auf, deren Betriebsführung (einschließlich eines Teils des zweckgebundenen Landesvermögens) an eine eigene „Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft - KABEG“ als Anstalt öffentlichen Rechts übertragen wurde, während die einzelnen Landeskrankenanstalten hinsichtlich der von ihnen (funktionell für das Land) wahrzunehmenden Aufgaben ebenfalls Rechtspersönlichkeit besitzen.127 In Niederösterreich wurde jüngst die Errichtung, die Führung und der Betrieb aller Landeskrankenanstalten auf die als Fonds mit eigener Rechtspersön122
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So etwa in der Steiermark, Tirol, Burgenland, Vorarlberg und Salzburg. In Oberösterreich wurde die Rechtsform einer Aktiengesellschaft gewählt (oö Gesundheitsund Spitals-AG). Vgl dazu jeweils auch die landesrechtlichen Zuweisungen von Landesbediensteten an die Trägergesellschaft (Tir TILAK-G, LGBl 2004/62; stmk LGBl 1985/64 idF 1997/17; bgld LGBl 1993/1; sbg LGBl 2003/119; oö LGBl 2001/81 idF 2005/49; Vbg Abl 2005/24); diesfalls fallen Dienstgeberfunktion (Land) und Trägerschaft bzw Betriebsinhabung iSd ArbVG auseinander (OGH 31. 3. 2004, 9 ObA 32/04b, zu den Krnt Landeskrankenanstalten). Für einen Überblick über die Organisationsformen vgl Baumgartner, Ausgliederung und öffentlicher Dienst, 2006, 200ff. Zu den Grenzen der Ausgliederung hinsichtlich der Diensthoheit über die Landesbediensteten vgl VfSlg 15.946/2000 = RdM 2001/6. Zu den Rechtsproblemen bei der Ausgliederung grundlegend Schneider, Rechtliche Rahmenbedingungen für die Ausgliederung von Krankenanstalten, RdM 2003, 131; derselbe, Übergang öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen anlässlich von Umgründungen, GeS 2004, 4; zur Haftung des neuen Rechtsträgers für „alte“ Behandlungsfehler OGH RdM 2002/74 = RdW 2001/606 = EvBl 2001/151. Vgl die Krankenanstalten der Vinzenz Gruppe und ihrer Tochtergesellschaften (Krankenhäuser der Barmherzigen Schwestern Wien, Linz und Ried, Göttlicher Heiland, Orthopädisches Spital Speising, St. Josef-Spital ua). Vgl zB das Gesetz über die Errichtung des Krankenanstaltenverbandes Waldviertel, nö LGBl 9441-1. Zu den als öffentlichrechtliche Anstalt (KABEG) bzw Fonds (NÖ Landeskliniken-Holding) konstruierten Betriebsgesellschaften in Kärnten und Niederösterreich vgl gleich unten im Text. Für viele VwSlg 12.212 A/1989, 13.090 A/1989, 13.102 A/1990. Vgl § 72a Wr Stadtverfassung (erhöhte Selbständigkeit des Wiener Krankenanstaltenverbunds gegenüber dem Magistrat, jedoch keine eigene Rechtspersönlichkeit gem § 71 Abs 2 WStV; Übertragung von Aufgaben an die einzelnen Krankenanstalten). Näher zum Statut des Krankenanstaltenverbundes Abl der Stadt Wien 2000/52 idF 2004/29. Vgl §§ 2, 4 Krnt Landeskrankenanstalten-BetriebsG (K-LKABG); dazu Mayer, in: Beiträge, 229ff. Gewisse Eigentümerpositionen hinsichtlich der Betriebsmittel verblieben daher beim Land. Die Betriebsgesellschaft ist zB nicht Eigentümerin, sondern nur Verwalterin der meisten Anstaltsliegenschaften und daher hinsichtlich der Kündigung eines Pachtvertrages auch nicht aktivlegitimiert (OGH 9. 8. 2001, 2Ob 180/01m, wobl 2002/126). Mit einem neuen § 3 Abs 2a K-LKABG idF Krnt LGBl 2005/100 wurde allerdings die Rechtsgrundlage für einen Verkauf des den Krankenanstalten bzw der Krankenanstaltengesellschaft zur Verfügung gestellten unbeweglichen Landesvermögens an die Betriebsgesellschaft geschaffen; die dazu erforderliche Ermächtigung des Landtages wurde am 29. 9. 2005 erteilt (vgl StenProt des Krnt Landtages 19. GP, 19. Sitzung, 1601ff).
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lichkeit errichtete „NÖ Landeskliniken-Holding“ (im eigenen Namen und auf Rechnung des Landes) übertragen, während das Land weiterhin Rechtsträger der Landeskrankenanstalten bleibt.128
Nach Maßgabe der Landesgesetzgebung können die Rechtsträger öffentlicher Krankenanstalten (genehmigungsbedürftige) Angliederungsverträge mit Trägern anderer (öffentlicher oder nichtöffentlicher) Krankenanstalten über die Unterbringung von Pfleglingen der Hauptanstalt in der „angegliederten“ Krankenanstalt abschließen (§ 19 Abs 1 KAKuG).129 Diesfalls gelten die von der Hauptanstalt in der angegliederten Anstalt untergebrachten Pfleglinge als Pfleglinge der Hauptanstalt, es kommt also zu einer vom Organisationsrecht und der Rechtsträgerschaft abweichenden funktionellen Zuordnung der Patienten.
5. Universitätskliniken Universitätskliniken sind gem § 31 Abs 2 UG 2002 jene Organisationseinheiten der Medizinischen Universitäten, in denen im Rahmen einer öffentlichen Krankenanstalt neben Forschungs- und Lehraufgaben auch ärztliche Leistungen unmittelbar am Menschen erbracht werden. Sie unterscheiden sich von den „Klinischen Instituten“ dadurch, dass diese medizinische Leistungen nur mittelbar für den Menschen erbringen. Universitätskliniken und Klinische Institute bilden den „Klinischen Bereich“ einer Medizinischen Universität und sind zugleich (sowohl funktionell als auch organisatorisch) „Teil einer öffentlichen Krankenanstalt“ (§ 29 Abs 5 UG 2002). Es handelt sich um eine historisch gewachsene und erst schrittweise ins Krankenanstalten- und Universitätsrecht eingebundene Doppelfunktion,130 bei der universitäre Organe neben den Kernbereichen der Lehre,131 Forschung und Universitätsverwaltung132 auch universitätsfremde Aufgaben der medizinischen Behandlung als Dienstpflicht133 im Rahmen des Anstaltsbetriebes besorgen. Es gelten vielfältige Sonderbestimmungen und Berücksichtigungspflichten der beteiligten Rechtsträ-
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§ 3 des G über die Errichtung der NÖ Landeskliniken-Holdung, nö LGBl 9452-0. Nach § 2 Abs 2 bleibt das Dienstverhältnis der Bediensteten in den Landeskrankenanstalten zum Land ebenfalls unberührt. Dazu Steiner, Angliederungsverträge nach § 19 KAKuG, RdM 2004, 11; Aigner, Leistungsverpflichtung, 47ff. MwN Kopetzki, Rechtsfragen der Drittmittelforschung an Universitätskliniken, FS Winkler, 1997, 481ff; Grimm, 38ff, 106; Barfuß/Steiner, Zu den Dienstpflichten von Klinikvorständen, RdM 1996, 12. Zu Detailfragen eingehend Kopetzki, §§ 29ff UG 2002. Zu Sozialversicherungspflicht von Lehrbeauftragten VwGH 18.2.2004, 2002/08/0173. Im Hinblick auf die Bemessung der Kammerumlage (§ 91 ÄrzteG) gilt allerdings das (gesamte) Bundesgehalt eines Arztes als Leiter einer Universitätsklinik als Einnahme aus „ärztlicher Tätigkeit“ (zB VwGH 19. 12. 1996, 96/11/0121; 6. 7. 2004, 2003/11/0275; 24. 2. 2005, 2003/11/0313). Vgl § 29 Abs 4 Z 1 UG 2002; § 155 Abs 5, 5a BDG, § 49b Abs 2 VBG (Ärzte); § 231a BDG (Krankenpflegedienst). Daher sind diese (funktionell für den Krankenanstaltenträger geleisteten) Tätigkeiten der Bundesärzte (einschließlich der Behandlung in der Sonderklasse) auch sozialversicherungsrechtlich dem B-KUVG zuzuordnen (BMSG 19. 2. 2004, 125.155/3-3/04, ZAS-Judikatur 2005/27).
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ger;134 deren - in der Praxis nicht immer konfliktfreies - Zusammenwirken soll durch eine Vereinbarung zwischen der Medizinischen Universität und dem Träger der Krankenanstalt näher geregelt werden (§ 3a KAKuG, § 29 Abs 5 UG 2002). Die doppelte Funktion der Universitätskliniken für Aufgaben der Lehre/Forschung einerseits und der ärztlichen Behandlung im Rahmen der Krankenanstalt andererseits erfordert eine je nach Funktionsbereich abweichende Zurechnung: Während Tätigkeiten in Lehre, Forschung und Universitätsverwaltung der Universität (als vollrechtsfähige juristische Person öffentlichen Rechts)135 zuzurechnen sind, ist der Aufgabenbereich der Patientenversorgung dem jeweiligen Träger der Krankenanstalt zuzurechnen.136 Daraus ergeben sich unterschiedliche Weisungshierarchien137, eine unterschiedliche Passivlegitimation im zivilrechtlichen Haftungsverfahren138 sowie unerschöpfliche Konfliktzonen an der Schnittstelle krankenanstalten- und universitätsrechtlicher Zuständigkeiten.139
6. Belegkrankenhaus Das sog „Belegkrankenhaus“ ist keine eigene rechtliche Kategorie, sondern ein von Lehre und Praxis entwickeltes Phänomen, bei dem der Träger einer Krankenanstalt (zB eines Sanatoriums oder einer privaten Sonderkrankenanstalt) einem externen (nicht zum Anstaltspersonal gehörenden)140 Arzt („Belegarzt“) 134
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Vgl hier nur § 3a KAKuG, §§ 29ff UG 2002. Insb ist die organisatorische Gliederung des Klinischen Bereichs der Universität und der Krankenanstalt aufeinander abzustimmen (§ 29 Abs 2 UG 2002). Vgl § 4 UG 2002. Funktionell (und damit auch amtshaftungsrechtlich) sind die Lehr- und Forschungstätigkeiten der Medizinischen Universitäten allerdings weiterhin dem Bund zuzurechnen (vgl § 49 Abs 2 UG 2002). Ausdrücklich § 29 Abs 4 Z 1 UG 2002. Grimm, 106; Kopetzki, § 29 UG 2002 Anm IV.3. Fehler bei der ärztlichen Behandlung sind daher grundsätzlich nicht der Universität bzw dem Bund, sondern dem Krankenanstaltsträger zuzurechnen (vgl § 29 Abs 4 Z 1 UG 2002), dieser haftet daher auch nach § 1313a ABGB für das schuldhafte Verhalten des medizinischen und nichtmedizinischen Personals. Daran hat sich (entgegen Haslinger, ÖKZ 2001/5, 19) auch durch die UOG-Nov BGBl I 2001/13 (und die korrespondierenden Nachfolgeregelungen des § 29 Abs 4 UG 2002) nichts geändert. Bei Tätigkeiten, die ausschließlich oder zugleich (zB klinische Prüfungen) Lehr- und Forschungszwecken dienen (und somit in Erfüllung einer funktionellen Bundesaufgabe stattfinden) kommt zusätzlich eine Amtshaftung des Bundes in Betracht (OGH SZ 70/241= RdM 1998/22). Der OGH hat allerdings wegen der engen Verflechtung zwischen Krankenanstalt und Universitätseinrichtung eine Solidarhaftung des Bundes auch bei Routinetätigkeiten im Bereich der Heilbehandlung bejaht (RdM 1999/23), was dogmatisch nicht nachzuvollziehen ist (vgl Kopetzki, Anm zu RdM 1999/23; zustimmend Grimm, Haftungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Tätigkeit bundesbediensteter Ärzte an Universitätskliniken, ÖKZ 2001/6-7, 6 [9]). Zum Ganzen nun auch Kopetzki, § 29 UG 2002 Anm IV.4. sowie unten in und bei FN 274ff. Vgl statt vieler VwGH 24. 3. 2004, 99/12/0114, wonach dem Abteilungsleiter einer Universitätsklinik im (universitätsrechtlichen) aufsichtsbehördlichen Verfahren auch dann kein Beschwerderecht an den VwGH zusteht, wenn es um strittige Fragen der (auch für die Krankenversorgung relevanten) Ressourcenverteilung innerhalb der Klinik geht. Bei der freiberuflichen Tätigkeit als Belegarzt liegt auch dann kein Arbeitsverhältnis zum Anstaltsträger vor, wenn der Arzt zu Anwesenheitsdiensten und Rufbereitschaft verpflichtet ist und die Behandlungstätigkeit im Zusammenwirken mit mehreren Ärzten ausübt (OGH RdM 1994/9).
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das Recht einräumt, Patienten unter Inanspruchnahme der von der Anstalt bereitgestellten Infrastruktur (Räume, medizinische Einrichtungen, gegebenenfalls auch Personal) in der Krankenanstalt stationär zu behandeln.141 Das Belegarztsystem dient meist der Fortsetzung einer vom niedergelassenen Arzt begonnenen ambulanten Behandlung im stationären Bereich. Im Gegensatz zum einheitlichen Leistungsprofil anderer Krankenanstalten kommt es hier zu einer Auftrennung in eine vom Rechtsträger zu gewährende Anstaltspflege („Hotelkomponente“) einerseits und die eigentliche ärztliche Dienstleistung andererseits. Die Lehre hat für diese Aufspaltung der Rechtsbeziehungen die Figur des „gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag“ entwickelt:142 Danach erbringt der Belegarzt aufgrund des mit dem Patienten abgeschlossenen „Belegarztvertrages“ seine medizinische Tätigkeit nicht - wie sonst - als Erfüllungsgehilfe des Anstaltsträgers, sondern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, während das Belegspital aufgrund des Krankenhausaufnahmevertrags die Unterbringung, Verpflegung und sonstige für die Durchführung der Behandlung erforderlichen (insb Pflege)leistungen schuldet.143 Sofern es an klaren Vereinbarungen fehlt, kann die exakte Abgrenzung dieser Aufgabenbereiche, vor allem im Haftungsfall, Probleme bereiten. Die jüngere Rsp tendiert dazu, den Belegarzt auch für das Verschulden jener Personen als seine Erfüllungsgehilfen haften zu lassen, die an der Behandlung unter seiner Ingerenz mitwirken.144 Unabhängig von den zivilrechtlichen Einordnungs- und Haftungsfragen ist zu beachten, dass sich das Belegarztsystem mit dem Krankenanstaltenrecht nur mit erheblichem Argumentationsaufwand vereinbaren lässt,145 da dem KAKuG das Konzept einer einheitlichen und unteilbaren Anstaltspflege146 unter der Ingerenz eines ärztlichen Leiters zugrunde liegt (vgl nur § 7 Abs 1 KAKuG). Hinreichend klar ist dies jedenfalls bei öffentlichen und gemeinnützigen Krankenanstalten; eine Aufteilung der Leistungs141
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Zum Ganzen mwN Krejci, Vertrags- und Haftungsfragen zum Belegsystem, VR 1995, 32; derselbe, Rechtsfragen des Belegsystems, in: Tomandl (Hrsg), Sozialrechtliche Probleme bei der Ausübung von Heilberufen, 1996, 99; Mazal in: Rechtsfragen, 93ff; P. Steiner, Zur inhaltlichen Unterscheidung zwischen Belegarzt und Konsiliararzt, RdM 1998, 70; Hilber/Barta, Der Belegarztvertrag, 1999. Vgl zB Mazal, in: Rechtsfragen, 89ff. Daher ist auch die Einwilligung in eine Operation nur gegenüber dem behandelnden Arzt, nicht auch gegenüber dem Betreiber des Belegspitals abzugeben (OGH 2. 2. 2005, 9 Ob 152/04z). Vgl OGH JBl 2001, 56 = RdM 2000/8 Anm Pitzl/Huber (von der Anstalt bereit gestellte Operationsassistenz), OGH JBl 2001, 58 = RdM 2000/9 Anm Kopetzki (vom Belegarzt ausgewählte Anästhesistin); kritisch Kuhn, Aktuelle OGHEntscheidungen zur Haftung des Belegarztes, ASoK 2000, 160; Bruck/Pfersmann, Wie weit reicht die Haftung des operierenden Chirurgen?, JBl 2001, 64; Fuchs, Zur Haftung des Belegarztes, RdM 2002, 138; weitere Nachweise bei P. Steiner (FN 141), RdM 1998, 71 f; Haberl, Belegarzthaftung und Fremdverschulden, RdM 2005, 100; Griss, Haftung für Dritte im Wettbewerbsrecht und im allgemeinen Zivilrecht, JBl 2005, 69. Der OGH hat an seiner Ansicht entgegen der in der Literatur geäußerten Kritik festgehalten (vgl OGH 10. 2. 2004, 1 Ob 265/03g, RdW 2004, 256). Dazu Mazal, in: Rechtsfragen, 93ff, der zwischen Leistungen „der“ Krankenanstalt und Leistungen „in“ der Krankenanstalt unterscheidet. Für die Zulässigkeit des Belegsystems spricht allerdings eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im Lichte der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, vgl Pitschas (FN 55), 18. Vgl den - gem § 40 Abs 1 lit c - auch für private Krankenanstalten geltenden § 27 Abs 1, 4 und 5 KAKuG.
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pflichten nach dem Muster des Belegarztsystems kommt daher nur bei privaten Krankenanstalten in Betracht.147
III. Errichtungs- und Betriebsbewilligung A. Allgemeines Sämtliche Krankenanstalten unterliegen einem Konzessionssystem: Sie bedürfen grundsätzlich sowohl zu ihrer Errichtung als auch zu ihrem Betrieb einer behördlichen Bewilligung der zuständigen Landesregierung (§ 3 Abs 1 KAKuG). Diese krankenanstaltenrechtlichen Bewilligungen treten zu den sonst vorgeschriebenen Genehmigungen (zB baurechtlicher Art) hinzu; eine gewerbebehördliche Genehmigung ist mangels Anwendbarkeit der GewO 1994 auf den Betrieb von Krankenanstalten (§ 2 Abs 1 Z 11 GewO 1994) nicht erforderlich. Bezugsobjekt der Errichtungs- und Betriebsbewilligung ist die „Krankenanstalt“, wobei das KAKuG von einem im Wesentlichen einheitlichen Standort und einer räumlichen Konzentration der Anstaltseinrichtungen ausgeht. Das schließt zwar die Errichtung von räumlich getrennten Außenstellen einer Krankenanstalt nicht aus,148 doch ist bei der Bewilligung derartiger Auslagerungen ein strenger Maßstab - insb im Hinblick auf die fachliche Leitung der Außenstelle - anzulegen;149 im Einzelfall kann freilich fraglich sein, ob die „Außenstelle“ nicht ihrerseits als eigene Krankenanstalt zu qualifizieren ist und somit einer gesonderten Errichtungs- und Betriebsbewilligung bedarf.150 Für allgemeine Schwerpunkt- und Zentralkrankenanstalten ermöglicht es § 2a Abs 3 KAKuG ausdrücklich, nach Maßgabe des Landesrechts einzelne Abteilungen oder sonstige Organisationseinheiten unter aufrechter Zuordnung zur Krankenanstalt örtlich getrennt unterzubringen, sofern eine hinreichende funktionell-organisatorische Verbindung besteht.151 Mit dem GesundheitsrechtsänderungsG 2006 soll auch eine (genehmigungspflichtige) örtlich getrennte Führung von Abteilungen und sonstigen Organisationseinheiten im grenznahen Gebiet eines Nachbarstaates (bzw eine dislozierte Führung von 147
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Mazal, in: Rechtsfragen, 94ff. Doch auch beim Belegsystem in privaten Krankenanstalten bestehen mannigfaltige Konfliktzonen zwischen der Rechtsordnung und „branchenüblichen“ Praktiken: vgl etwa OGH 23. 5. 2006, 4 Ob 54/06d, wonach ein Arzt, dem von der Krankenhausleitung (eines nicht in Abteilungen gegliederten Sanatoriums) 15 Belegbetten zugesichert worden sind, nicht zur Führung der Berufsbezeichnung „Primar“ iSd § 43 Abs 6 ÄrzteG berechtigt ist, da der bloße „Zuständigkeitsbereich“ eines Facharztes nicht mit dem Begriff „Abteilung“ (im Sinne einer bettenführenden Organisationseinheit) gleichzusetzen ist. Dazu Schneider, Ordinationen, 163 f. Vgl VwGH ZfVB 1999/4/1418 (100 km entfernte „Expositur“ ist wegen der Unmöglichkeit einer fachlich qualifizierten Leitung durch einen Arzt der Hauptanstalt unzulässig). Vgl VwGH ZfVB 2000/722 sowie bei FN 192. Zu dislozierten Abteilungen auch VwGH ZfVB 1991/4/1552. Vgl in diesem Sinn schon VwGH ZfVB 1989/4/1209 mwN. Davon zu unterscheiden ist die Verbindung von je selbständig organisierten Krankenanstalten; vgl VwGH ZfVB 1983/2/564 (mehrere Krankenanstalten mit je einem eigenen Leiter und einer eigenen Anstaltsordnung können nicht funktionell-organisatorisch iSd § 2a Abs 3 KAKuG verbunden sein; die Betreuung mehrerer Anstalten durch eine vom Rechtsträger dafür eingerichtete Stelle entspricht dem § 2a Abs 3 KAKuG nicht). Näher Aigner, Leistungsverpflichtung, 49 f.
Krankenanstaltenrecht
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Abteilungen ausländischer Krankenanstalten in einer österreichischen Krankenanstalt) ermöglicht werden.152
Die näheren materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Erteilung der Errichtungs- und Betriebsbewilligung finden sich in den KAG der Länder; das KAKuG des Bundes sieht allerdings relativ detaillierte Grundsätze vor:
B. Errichtungsbewilligung 1. Allgemeines Einer Errichtungsbewilligung bedürfen alle Krankenanstalten, ausgenommen jene der Krankenversicherungsträger. Die Errichtung einer allgemeinen Krankenanstalt durch Sozialversicherungsträger ist lediglich anzeigepflichtig.153 Nur bei Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums durch Krankenversicherungsträger bedarf es - zum Schutz der niedergelassenen freiberuflichen Ärzte einer Errichtungsbewilligung; diese ist zu erteilen, wenn ein Einvernehmen zwischen dem Versicherungsträger und der Ärztekammer bzw Zahnärztekammer vorliegt (§ 3 Abs 5 KAKuG). Die Errichtungsbewilligung ist bei Vorliegen aller gesetzlichen Voraussetzungen zu erteilen; es besteht kein Ermessen. Bewilligungsvoraussetzungen sind nach § 3 Abs 2 KAKuG und den korrespondierenden Landes-KAG insbesondere, dass ein Versorgungsbedarf gegeben ist (unten 2), dass das Eigentumsrecht oder sonstige Rechte zur Benützung der Betriebsanlage nachgewiesen sind, dass das Gebäude154 den hiefür geltenden bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften entspricht und dass gegen den Bewerber „keine Bedenken bestehen“.155 Für den Fall, dass der Rechtsträger (öffentliche) Mittel auf Grund der Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens in Anspruch zu nehmen beabsichtigt (Fondskrankenanstalten), kommt als zusätzliche Genehmigungsvoraussetzung hinzu, dass die Errichtung nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot dem jeweiligen Landeskrankenanstaltenplan entspricht (§ 3 Abs 2a, § 4 Abs 1 KAKuG).156 152
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Vgl näher § 3b KAKuG idF des GesundheitsrechtsänderungsG 2006, BGBl I 2006/122; AB 1495 BlgNR 22. GP; zu den damit verbundenen Rechtsproblemen schon Aigner, Leistungsverpflichtung, 49 f. Zur sachlichen Rechtfertigung dieser Privilegierung von Krankenanstalten der Sozialversicherungsträger VfSlg 4093/1961, 13.022/1992. In einigen Ländern ist - auf der Grundlage des § 18 Abs 4 KAKuG - eine Enteignung von Grundstücken für die Errichtung von Krankenanstalten vorgesehen (zB § 7 Krnt KAO, § 24a atmk KAG, § 7 Tir KAG, § 11 Abs 3 Vbg SpG). Der VwGH legt dies dahingehend aus, dass die betreffende Person Gewähr für die Beachtung des KAKuG bieten muss; bereits „geringe Zweifel“ begründen derartige Bedenken: VwGH ZfVB 1983/3/1191 (mehrfache Verstöße gegen ärztliche Standesvorschriften und Werbebeschränkungen lassen Bedenken iSd § 3 Abs 2 lit d KAKuG aufkommen). Manche Landes-KAG enthalten nähere Bestimmungen über die Eignung und Verlässlichkeit des Bewerbers, zB § 19 Abs 2 Vbg SpG, § 5 Abs 1 Z 6 oö KAG. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Verknüpfung zwischen Errichtungsbewilligung und Landeskrankenanstaltenplan vgl VfSlg 17.232/2004.
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2. Bedarfsprüfung Im Mittelpunkt des Bewilligungsverfahrens steht eine Bedarfsprüfung, die nach der Aufhebung des Konkurrenzschutzes zugunsten bestehender erwerbswirtschaftlich geführter Krankenanstalten durch den VfGH157 allerdings erheblich eingeschränkt wurde: Nach der nunmehr geltenden Regelung ist die Bedarfsprüfung nur mehr im Hinblick auf das bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei der Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch Ambulanzen der genannten Krankenanstalten und niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf niedergelassene Kassenvertragszahnärzte und Kassenvertragsdentisten vorzunehmen (§ 3 Abs 2 lit a KAKuG).158 Das Versorgungsangebot anderer Anstalten ist bei der Bedarfsermittlung nicht zu berücksichtigen, was vor allem für die Bewilligung von selbständigen Ambulatorien und Sanatorien von praktischer Bedeutung ist. Im Ergebnis folgt daraus, dass der ehemals umfassende Konkurrenzschutz nur mehr in Bezug auf solche Leistungsanbieter besteht, die in das Sachleistungsprinzip des - aus öffentlichen Mitteln finanzierten - Sozialversicherungssystems eingebunden und daher im Rahmen des Versorgungsauftrages der Sozialversicherung tätig sind. Dass in diesen durch die Bedarfsprüfung vermittelten Konkurrenzschutz nicht nur die öffentlichen und gemeinnützigen sowie die sonstigen Krankenanstalten mit Kassenverträgen, sondern im Fall der geplanten Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums auch kasseneigene Einrichtungen,159 Ambulatorien mit Kassenverträgen sowie niedergelassene Kassenvertragsärzte einbezogen sind, hat der VfGH zur Wahrung des bestehenden Gesundheitssystems und einer flächendeckenden ärztlichen Versorgung der sozialversicherten Patienten ausdrücklich für unbedenklich erachtet (VfSlg 15.456/1999): Auch niedergelassene Ärzte mit Kassenverträgen genießen also weiterhin Konkurrenzschutz gegenüber Ambulatorien.160 Ob diese Bedarfsprüfung der Niederlassungsfreiheit (Art 43 EGV) und dem Wettbewerbsrecht (Art 86 EGV) des Gemeinschaftsrechts entspricht, bleibt freilich Gegenstand von Diskussionen.161 Es gehört zum Wesen der Bedarfsprüfung, dass nur solche Krankenanstalten und sonstige Leistungserbringer zum Vergleich herangezogen werden dürfen, die einen gleichartigen oder ähnlichen Anstaltszweck aufweisen wie 157
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VfSlg 13.023/1992 (Konkurrenzschutz von privaten erwerbswirtschaftlich geführten Krankenanstalten untereinander ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Erwerbsfreiheit); VfSlg 13.955/1994. Da das Gesetz bei der Bedarfsprüfung auf den aufrechten Bestand von „Kassenverträgen“ bei den zu schützenden Krankenanstalten abstellt, kommt es nicht darauf an, ob ein Kassenvertrag zur Gebietskrankenkasse besteht; es genügen aufrechte Verträge mit anderen Krankenkassen (VwGH 28. 6. 2005, 2005/11/0093). Vgl VfSlg 14.840/1997, dort auch zur Bedeutung eines vertragslosen Zustands für die Bedarfsprüfung (dazu auch VfSlg 15.988/2000 und VfGH 27. 11. 2000, B 3138/97). Dazu Grillberger, Krankenanstalten und Wettbewerb, 112ff. Ausführlich Schneider, Ordinationen, 135ff; Runggaldier, FS Krejci (FN 69), 1653.
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jene Krankenanstalt, deren Bedarf zu beurteilen ist.162 Ein „Bedarf“ ist nach übereinstimmender Auffassung von VfGH und VwGH dann gegeben, wenn durch die Errichtung der Krankenanstalt die ärztliche Betreuung der Bevölkerung wesentlich erleichtert, beschleunigt, intensiviert oder in anderer Weise „wesentlich“ gefördert wird163. Nicht ausreichend ist hingegen der Umstand, dass etwa der Einsatz eines neuen Gerätes zur Verbesserung der Betreuung „wünschenswert“ erscheint164 oder dass sich durch die neue Einrichtung eine gewisse Zeitersparnis für die Patienten ergeben kann.165 Zu beachten ist also nicht nur die Anzahl und Größe der anderen Anbieter, sondern das in angemessener Entfernung zur Verfügung stehende - unter Einschluss der Verkehrslage und des in Frage kommenden Benützerkreises166 zu beurteilende - Versorgungsangebot insgesamt.167 Die Größe des dabei zu berücksichtigenden Ein-
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Daher war - nach der Rechtslage vor dem GesundheitsreformG 2005, BGBl I 2004/179 - bei der Bedarfsprüfung bei selbständigen Ambulatorien die Bedarfsdeckung durch Krankenanstalten, die keine Ambulatorien sind, nicht zu berücksichtigen (zB VfSlg 15.610, 15.613/1999); vgl zur abweichenden Neuregelung jedoch in und bei FN 176. Das stationäre Versorgungsangebot öffentlicher Krankenanstalten ist auch bei der Bedarfsprüfung hinsichtlich einer (als selbständiges Ambulatorium zu qualifizierenden) Tagesklinik für ambulante chirurgische Eingriffe nicht einzubeziehen (VwGH ZfVB 2004/1004). Bei der Bedarfsprüfung von Sanatorien dürfen wegen ihrer definitionsgemäß „gehobenen“ Ausstattung zwar die Sonderklassebetten (VwGH ZfVB 1998/5/2100), nicht aber das Angebot öffentlicher Krankenanstalten in der allgemeinen Klasse einbezogen werden (VwGH ZfVB 1991/2/590; vgl auch ZfVB 1978/6/2060). Anders zur älteren - seit der Angleichung der Sonderklassebetten an Sanatorien durch die KAG-Nov BGBl 1988/282 überholten - Rechtslage noch VwGH ZfVB 1987/2/575, ZfVB 1979/1/58, ZfVB 1978/6/2060. Statt vieler VwSlg 5823 A/1962, VwGH ZfVB 1999/4/1414, ZfVB 1999/4/1415, ZfVB 2000/1113; ZfVB 2004/453; VfSlg 14.840/1997, 15.449/1999, 15.456/1999 (Ambulatorium); mwN Schneider, Ordinationen, 111ff. Manche Landes-KAG präzisieren den Bedarfsbegriff, vgl zB § 5 Abs 3 nö KAG, § 7 Abs 1 lit a sbg KAG, § 5 Abs 2 oö KAG. Zu den jeweils maßgeblichen Kriterien sind im Verfahren auch entsprechend begründete Feststellungen zu treffen, andernfalls liegt ein Verfahrensfehler vor (zB VwGH ZfVB 2004/453; ZfVB 2004/450). VwGH ZfVB 1999/3/995, ZfVB 1999/4/1416. VwGH ZfVB 1999/4/1415. Vgl auch VwGH ZfVB 1998/4/1228 (zur Beurteilung von Wartezeiten), ZfVB 1991/2/590 (zur Verweildauer in Krankenanstalten), ZfVB 1982/1/62 (Wartezeit von etwa 2 Wochen ist in nicht dringlichen Behandlungsfällen zumutbar; ebenso ZfVB 1977/3/948; VwGH 16. 11. 2004, 2003/11/0219 zu Zahnambulatorien); zustimmend VfSlg 14.840/1997. Zum Aspekt der Wartezeit vgl nun auch VfSlg 15.988/2000 und VfGH 27. 11. 2000, B 3138/97. Nur gelegentlich auftretende unzumutbare Wartzeiten in einer MR-Einrichtung indizieren noch keinen Bedarf (VwGH ZfVB 2004/451; zur Zumutbarkeit längerer Anreisezeiten bei selten in Anspruch genommenen Untersuchungen auch VwGH ZfVB 2005/95); es kommt auf die durchschnittliche Wartezeit an (VwGH 17. 12. 2002, 2000/11/0259). Dabei kann erheblich sein, dass es sich um ältere oder gebrechliche Personen handelt, denen die Zurücklegung größerer Wegstrecken mit öffentlichen Verkehrsmitteln Schwierigkeiten bereitet, ebenso der Umstand, dass sich im Einzugsbereich der geplanten Einrichtung ein Pensionistenheim befindet (VwGH KrSlg 268; VfSlg 14.840/1997; VwGH 16. 11. 2004, 2003/11/0210). Zur Frage der angemessenen Entfernung VfSlg 15.449/1999. VwGH ZfVB 1978/6/2060. Zur Beurteilung der „Kapazität“ auch ZfVB 1977/2/456.
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zugsgebietes kann je nach Art der Leistung unterschiedlich sein;168 auf politische Grenzen (Bezirks- oder Landesgrenzen) kommt es dabei nicht an.169 Maßgeblich ist jedenfalls das gesamte - im Entscheidungszeitpunkt tatsächlich gegebene170 oder für die nähere Zukunft konkret abschätzbare171 - Leistungsspektrum der genannten Ärzte und Einrichtungen: Nach der Rsp sind auch solche Leistungen der vor einer Konkurrenzierung geschützten Ärzte und Einrichtungen bei der Bedarfsprüfung zu berücksichtigen, deren Kosten nicht von den Krankenversicherungen getragen oder ersetzt werden, die aber einen unabdingbaren Bestandteil der Einkünfte der meisten Kassenvertragsärzte darstellen.172 Nicht relevant für die Bedarfsfrage ist, ob die Krankenversicherungsträger bereit sind, mit dem Träger der Krankenanstalt, deren Errichtungsbewilligung beantragt wird, künftig einen Kassenvertrag abzuschließen.173 Nach der früheren Judikatur war unter Hinweis auf die Subsidiarität der medizinischen Betreuung in Anstaltsambulatorien gegenüber der „extramuralen“ medizinischen Versorgung das ambulante Leistungsangebot öffentli168
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VwGH ZfVB 2004/451: Die Größe des Einzugsgebietes hängt wesentlich vom jeweiligen medizinischen Fachgebiet in der Weise ab, dass bei häufig in Anspruch genommenen Leistungen (zB allgemein- oder zahnmedizinische Leistungen) das Einzugsgebiet kleiner ist als bei seltener in Anspruch genommenen Facharztleistungen. Untersuchungen in einer Kernspintomographie-Einrichtung gehören nicht zu jenen ärztlichen Leistungen, die von einem Patienten häufig oder gar regelmäßig in Anspruch genommen werden müssen, das Einzugsgebiet ist daher größer. Folglich sind auch längere Anreisezeiten von mehr als einer Stunde unter Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar (VwGH ZfVB 2005/95, dort auch zur rechtlichen Relevanz von bloßen „Richtwerten“ für die Erreichbarkeit im Österreichischen Großgeräteplan). VwGH ZfVB 2004/452; VwGH 20. 3. 2001, 2001/11/0019, 0020. Zur Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Beschränkung der Bedarfsprüfung auf den jeweiligen politischen Bezirk (VfSlg 16.058/2000 = WBl 2001, 339) oder auf ein Bundesland (VfSlg 16.059/2000). Nicht auf einen abstrakten Versorgungsschlüssel, sondern auf die tatsächlichen Behandlungsmöglichkeiten kommt es an (VwSlg 6059 A/1963; VwGH ZfVB 1977/2/456, ZfVB 1977/3/946, ZfVB 1976/1/18, jeweils mwN). Maßgeblich ist daher auch nicht die Berechtigung zur Leistungserbringung, sondern die Fähigkeit und Bereitschaft dazu (VwGH ZfVB 2000/1112). Dabei kann die Ausstattung der konkurrierenden Einrichtungen und das Behandlungsrisiko in diesen Einrichtungen eine Rolle spielen (VwGH ZfVB 1999/4/1414). VwGH ZfVB 1982/1/62 (auszugehen ist von der tatsächlich gegebenen Versorgungslage; auf künftige Veränderungen ist nur insoweit Bedacht zu nehmen, als diese für einen verhältnismäßig geringen Zeitraum konkret voraussehbar sind). Wird ein bereits bestehendes Leistungsangebot nur umgeschichtet und etwa eine ärztliche Ordination in ein selbständiges Ambulatorium geändert (Übertragung eines seit Jahren als Ordinationsstätte geführten Laboratoriums auf eine juristische Person), dann hat die bisher betriebene Ordination bei der Bedarfsprüfung außer Betracht zu bleiben (zB VwGH 21. 4. 1998, 96/11/0228; VwGH 24. 6. 2003, 2000/11/0208); anderes gilt jedoch, wenn das Leistungsangebot des selbständigen Ambulatoriums wesentlich umfangreicher ist als jenes der bisher betriebenen Ordinationsstätte (VwGH ZfVB 2004/449 - Institut für Pathologie). VwGH ZfVB 2000/1113; VwGH 29. 4. 2003, 99/11/0204. Die Bedarfsprüfung nach Sanatorien hat daher auch bestehende Betten der Sonderklasse in öffentlichen Krankenanstalten einzubeziehen (VwGH ZfVB 1998/5/2100). VwGH ZfVB 2003/728.
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cher Krankenanstalten nicht in die Beurteilung des Bedarfs nach medizinischen Leistungen im nichtstationären Bereich miteinzubeziehen.174 Der Konkurrenzschutz öffentlicher Krankenanstalten beschränkte sich damit auf die stationäre Behandlung.175 Mit dem GesundheitsreformG 2005 wurde die Rechtslage jedoch insofern geändert, als bei der Bedarfsprüfung im Verfahren zur Erteilung der Errichtungsbewilligung für eine Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch das bereits bestehende Versorgungsangebot durch Ambulanzen öffentlicher, privater, gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen zu berücksichtigen ist.176 Der VfGH hatte gegen diese Neuregelung im Hinblick auf die kongruenten Versorgungsangebote von Ambulanzen öffentlicher Krankenanstalten und selbständigen Ambulatorien keine verfassungsrechtlichen Bedenken.177 Eine besondere Art der Bedarfsprüfung sieht § 3a Abs 2 lit a Tir KAG für fondsfinanzierte Krankenanstalten vor: Bei der beabsichtigten Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nach der Vereinbarung gem Art 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens ist nicht nur die Bewilligungserteilung von der Übereinstimmung mit dem Landeskrankenanstaltenplan abhängig (§ 3 Abs 2a KAKuG); sofern bereits der Tiroler Krankenanstaltenplan für Fondskrankenanstalten Festlegungen über das Leistungsangebot und die Ausstattung mit medizinisch-technischen Großgeräten enthält,178 entfällt die Bedarfsprüfung insgesamt und darf die Bewilligung nur erteilt werden, wenn das vorgesehene Leistungsangebot und die vorgesehene Ausstattung diesen Festlegungen entspricht. Die individuelle Bedarfsprüfung wird hier durch die Übereinstimmung mit der generell-abstrakten Bedarfsfestschreibung im Krankenanstaltenplan ersetzt. Eine Bedarfsprüfung entfällt auch bei der Errichtung eines Ambulatoriums durch Krankenversicherungsträger, sofern ein Einvernehmen zwischen Krankenversicherungsträger und Ärztekammer (Zahnärztekammer) vorliegt. Kommt ein Einvernehmen nicht zustande, so darf die Bewilligung wieder nur erteilt werden, wenn der Bedarf durch die Landesregierung festgestellt ist. Dies gilt auch dann, wenn der Krankenversicherungsträger Dritte mit dem Betrieb eines Ambulatoriums betraut (§ 3 Abs 5 KAKuG). In Folge des vom VwGH vertretenen Subsidiaritätsprinzips darf eine über174
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VwGH ZfVB 1994/4/1326 (Dialyse), ZfVB 1999/1/213, ZfVB 1999/4/1414 (Tageschirurgie), ZfVB 1999/6/2154 (In-Vitro-Fertilisation), ZfVB 2000/723 (Dialyse), ZfVB 2002/181 (Allergieambulatorium), VwGH 29. 4. 2003, 98/11/0318 (Physiotherapie) und ZfVB 2004/1004 (tageschirurgische Eingriffe), VfSlg 15.449/1999 (Kernspintomografie), 15.610/1999 (Labordiagnostik), 15.613/1999 (tagesklinische Leistungen auf dem Gebiet der Unfallchirurgie). Das schließt allerdings nicht aus, dass lange Wartezeiten in einem Anstaltsambulatorium als Indiz für das Vorliegen eines bestehenden Bedarfes gewertet werden (VwGH 17. 12. 2002, 2000/11/0259 nuklearmedizinische Untersuchungen). Näher Grillberger, Krankenanstalten und Wettbewerb, 114. § 3 Abs 2 lit a KAKuG idF BGBl I 2004/179, dazu 693 BlgNR 22. GP, 4. VfGH 8. 6. 2006, B 239/06. Die (noch nicht in der Erlassung eines Krankenanstaltenplans zum Ausdruck gekommene) bloße politische Willensbildung in der Bedarfsfrage genügt freilich nicht (VwGH ZfVB 1999/4/1417). Andererseits bilden bloße Planungsrichtwerte des Großgeräteplans 2001 (hier: Planungsrichtwert von 60 Minuten für die Erreichbarkeit eines Magnetresonanz-Tomografen) noch keine taugliche Grundlage für die Annahme eines Bedarfs im Fall regional längerer Anfahrtszeiten, weil es sich dabei nur um an Durchschnittswerten orientierte Empfehlungen handelt (VwGH ZfVB 2005/95).
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schießende Nachfrage nach ärztlichen Leistungen durch kasseneigene Ambulatorien erst dann befriedigt werden, wenn Versorgungsengpässe festzustellen sind;179 das bedeutet allerdings nicht, dass derartige Versorgungslücken seitens der Krankenversicherungsträger primär durch die Schaffung neuer Kassenplanstellen zu erfüllen wären.180 Bei der Errichtung stationärer Krankenanstalten durch Krankenversicherungsträger entfällt die Errichtungsbewilligung insgesamt, eine Bedarfsprüfung findet daher in diesem Fall nicht statt.
Die Errichtungsbewilligung kann - nach Maßgabe der näheren landesrechtlichen Bestimmungen - unter Bedingungen und Auflagen erteilt werden; diese müssen sich aber auf Umstände beschränken, die für den ordnungsgemäßen Betrieb der Krankenanstalt unerlässlich sind.181 Viele Landes-KAG sehen auch eine nachträgliche Vorschreibung weiterer Auflagen nach Bewilligungserteilung vor.182
3. Verfahren Im Verfahren zur Erteilung der Errichtungsbewilligung ist gem § 3 Abs 3 KAKuG ein Gutachten des Landeshauptmanns zur Frage der sanitären Aufsicht einzuholen. Zusätzlich zum Antragsteller kommt der gesetzlichen Interessenvertretung privater Krankenanstalten und den betroffenen Sozialversicherungsträgern eine auf die Bedarfsfrage beschränkte Parteistellung (einschließlich des Beschwerderechts an den VwGH gem Art 131 Abs 2 B-VG) zu, bei der Errichtung selbständiger Ambulatorien auch der zuständigen Landesärztekammer sowie (bei Zahmambulatorien) der zuständigen Zahnärztekammer (§ 3 Abs 6 KAKuG).183 Weitergehende Parteirechte im Sinne einer vollen Parteistellung hat die Ärztekammer (bzw bei Zahnambulatorien die Zahnärztekammer) im Verfahren zur Bewilligung von Ambulatorien eines Krankenversicherungsträgers, wenn das Vorhaben nicht vom Einvernehmen zwischen Kammer und Krankenversicherungsträger gedeckt ist (näher § 3 Abs 7 KAKuG). Anderen Personen, zB den Betreibern von bereits bewilligten Krankenanstalten, kommt im Errichtungsbewilligungsverfahren keine Parteistellung und auch kein Beschwerderecht an den VwGH zu.184 Nähere Vorschriften, insb über die 179 180
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VwGH ZfVB 1997/989. MwN VwGH 25. 2. 2003, 2000/11/0301. Zumindest bei einem aufrechten Gesamtvertrag sei daher der Umstand, dass sich zugleich eine Wahlärztin um einen Kassenvertrag in der Gemeinde bemüht, im Verfahren zur Erteilung der Errichtungsbewilligung nicht zu berücksichtigen; bestätigend VwGH 16. 11. 2004, 2003/11/0210. VwGH ZfVB 1980/5/1576 (das Unterbleiben einer nach gesellschaftsrechtlichen Vorschriften allenfalls erforderlichen Änderung der Bezeichnung des Unternehmensgegenstandes berührt den Anspruch auf Erteilung der Errichtungs- oder Betriebsbewilligung nicht). ZB § 8 oö KAG, § 8 Abs 2 bgld KAG, § 7a Wr KAG. Damit wird den beschwerdeberechtigten Parteien (Ärztekammer, Wirtschaftskammer etc) zwar die Stellung einer Formalpartei zur Wahrung bestimmter Interessen im Bewilligungsverfahren eingeräumt, jedoch keine eigenen subjektiven Rechte verliehen. Eine zusätzliche Beschwerdelegitimation gem Art 144 B-VG an den VfGH besteht für solche Formalparteien daher nicht (VfGH 17. 6. 2005, B 470/05). VwGH 16. 12. 2004, 2004/11/0220; VwGH 28. 6. 2005, 2005/11/0093. Auch im Verfahren zur Errichtungsbewilligung für die Erweiterung einer Krankenanstalt kommt einem Abteilungsleiter keine Parteistellung zu, selbst wenn ihm die erweiterte Bettenzahl vertraglich zugesichert worden ist (VwGH ZfVB 2003/1072).
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Antragstellung, die Anhörung des Landessanitätsrates und die Verfahrensgestaltung (zB mündliche Verhandlung) finden sich in den einzelnen LandesKAG.185
C. Betriebsbewilligung Voraussetzung für Erteilung einer Betriebsbewilligung ist gem § 3 Abs 4 KAKuG das Vorliegen einer Errichtungsbewilligung,186 das Vorhandensein der erforderlichen Apparate und technischen Einrichtungen, die Erfüllung der Vorgaben des Landeskrankenanstaltenplanes sowie der Strukturqualitätskriterien, eine Anstaltsordnung, gegen die keine Bedenken bestehen, die Namhaftmachung eines Leiters des ärztlichen Dienstes und der Leiter der einzelnen Abteilungen und sonstigen Organisationseinheiten sowie die Glaubhaftmachung der nach dem Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot erforderlichen personellen Ausstattung. Bewilligungspflichtig sind auch „wesentliche Veränderungen“, insb der apparativen Ausstattung oder des Leistungsangebotes (§ 4 KAKuG),187 sowie die Verpachtung, die Übertragung auf einen anderen Rechtsträger188 sowie die Änderung der Bezeichnung (§ 5 KAKuG). Nach den näheren Bestimmungen der Landes-KAG ist für bewilligungspflichtige Veränderungen in der Regel sowohl eine Errichtungs- als auch eine Betriebsbewilligung nötig.189 Die Verlegung einer Krankenanstalt ist einer Neuerrichtung gleichzuhalten und bedarf daher ebenfalls einer neuerlichen Errichtungs- und Betriebsbewilligung einschließlich Bedarfsprüfung.190 Räumliche Veränderungen sind hingegen nur anzeigepflichtig. Die Grenzziehung zwischen einer bloß anzuzeigenden räumlichen Veränderung, einer bewilligungspflichtigen wesentlichen Veränderung und der Errichtung einer neuen Anstalt kann im Einzelfall schwierig sein; die meisten Landes-KAG enthalten eine Konkretisierung der „wesentlichen“ Änderungen.191 Nach der Rsp des VwGH liegt eine „Veränderung“ nur bei 185 186
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Zur Frage eines gesonderten Feststellungsbescheides zur Bedarfsfrage VwGH ZfVB 1981/3/845, ZfVB 1991/4/1554, ZfVB 1995/1/182. VwGH ZfVB 1987/2/573. Der Betrieb auf Grund einer aufrechten Betriebsbewilligung bleibt auch dann zulässig, wenn (bloß) die Errichtungsbewilligung aufgehoben worden ist (OGH 14. 11. 2000, 4 Ob 272/00d, RdM 2001/10). Bei Fondskrankenanstalten ist die Bewilligung gem § 4 Abs 1 KAKuG nur dann zu erteilen, wenn die Vorgaben des Landeskrankenanstaltenplanes und die Strukturqualitätskriterien erfüllt sind. Darunter fallen auch Umgründungen: Schneider (FN 122), GeS 2004/1, 11; zur Problematik der Zusammenlegung von Ordensprovinzen Kuhn, Zusammenlegung von Ordensprovinzen (FN 121), 41ff. Vgl die umfassenden Verweisungen auf das Errichtungs- und Betriebsbewilligungsverfahren in § 7 Abs 1 oö KAG, § 19 Abs 3 Krnt KAO, § 7 Abs 2 Wr KAG, § 11 Abs 1 nö KAG, § 6 Abs 3 stmk KAG, § 5 Abs 3 Tir KAG, § 24 Abs 3 Vbg SpG, § 12 Abs 5 bgld KAG, § 14 Abs 2 sbg KAG. In diesem Sinn auch VwGH ZfVB 1989/1/115. VwSlg 5854 A/1962; VwGH ZfVB 1977/2/456, ZfVB 1976/1/18. So ausdrücklich auch § 7 Abs 3 Wr KAG; § 11 Abs 1 lit a nö KAG etc. § 7 oö KAG, § 19 Abs 2 Krnt KAO, § 11 nö KAG, § 6 Abs 3 stmk KAG, § 5 Abs 2 Tir KAG, § 24 Abs 1 Vbg SpG, § 12 Abs 2 bgld KAG, § 14 Abs 2 sbg KAG. Für Beispiele bewilligungspflichtiger Veränderungen vgl nur VfSlg 15.456/1999
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Änderungen innerhalb der genehmigten Betriebsanlage oder bei Ausweitung bzw Änderung des Leistungsangebotes oder Anstaltszwecks vor; räumliche Erweiterungen sind daher nur dann eine „Veränderung“, wenn ein so enger räumlicher Zusammenhang mit der bestehenden Betriebsanlage besteht, dass auch nach Vornahme der Änderung noch von einer Betriebsanlage und von der Identität des Betriebsortes gesprochen werden kann: Die Errichtung von „Außenstellen“ eines Ambulatoriums für Labormedizin, in denen medizinische Leistungen (zB Abnahme von Untersuchungsmaterial verbunden mit Untersuchung und Beratung der Patienten) erbracht werden, ist demnach trotz des organisatorisch-funktionellen Zusammenhangs keine Veränderung des ursprünglichen Labors, sondern die Errichtung eines zusätzlichen selbständigen Ambulatoriums, das eine neuerliche Errichtungsbewilligung (einschließlich der auf den Standort der Außenstelle bezogenen Bedarfsprüfung) erfordert.192 Bei bettenführenden Schwerpunkt- und Zentralkrankenanstalten wird man aus § 2a Abs 3 KAKuG allerdings ableiten müssen, dass dislozierte Abteilungen auch ohne räumliche Nähe der Hauptkrankenanstalt zuzurechnen sind, sofern eine hinreichende „funktionell-organisatorische“ Verbindung besteht.
D. Zurücknahme der Errichtungs- und Betriebsbewilligung Gem § 12 Abs 1 KAKuG ist die Errichtungsbewilligung abzuändern oder zurückzunehmen, wenn eine für die Erteilung der Bewilligung vorgeschriebene Voraussetzung weggefallen ist oder ein ursprünglich bestandener und noch fortdauernder Mangel nachträglich hervorkommt.193 Die Betriebsbewilligung ist gem § 12 Abs 2 abzuändern oder zurückzunehmen, wenn eine für die Erteilung der Bewilligung vorgeschriebene Voraussetzung weggefallen ist oder ein ursprünglich bestandener und noch fortdauernder Mangel nachträglich hervorkommt194 (§ 12 Abs 2 lit a) oder der Betrieb gesetzwidrig unterbrochen bzw die Krankenanstalt aufgelassen worden ist (§ 12 Abs 2 lit b). Nach § 12 Abs 3 KAKuG können auch sonstige schwerwiegende Mängel, die trotz Aufforderung innerhalb einer festgesetzten Frist nicht behoben werden, zum Widerruf der Betriebsbewilligung führen.195 Die näheren materiellen und formellen Voraussetzungen für den Widerruf der Bewilligung enthalten die Landes-KAG.
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(Erweiterung um MR-Diagnostik), VwGH ZfVB 1999/1/213 (Vervielfachung der Fachgebiete im Leistungsangebot). VwGH ZfVB 2000/722 in Abgrenzung vom „reinen Einsendelabor“. Zur Frage der Zuerkennung aufschiebender Wirkung bei einer VwGH-Beschwerde gegen die Zurücknahme der Errichtungsbewilligung vgl zB VwGH 23. 11. 2004, AW 2004/11/0070; 24. 11. 2004, AW 2004/11/0064. ZB wegen Nichteinhaltung der Vorgaben des Landeskrankenanstaltenplans; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Zurücknahme der Bewilligung zum Schutz öffentlicher Interessen vgl VfSlg 17.232/2004 (zum Tir KAG). Etwa auch bei Verstößen gegen die Werbebeschränkungen (§ 17 Abs 4 Krnt KAO, § 13 Abs 4 sbg KAG, § 9 Abs 3 Tir KAG) oder wenn (bei öffentlichen, privaten gemeinnützigen oder Fondskrankenanstalten) die Vorgaben des Spitalsplanes nicht eingehalten werden (§ 26 Abs 2 lit b Vbg SpG).
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E. Sperre Entsprechend § 3 Abs 8 KAKuG sehen die Landesgesetze darüber hinaus auch eine Sperre der Krankenanstalt (oder eines Teilbereiches)196 durch die Landesregierung oder die Bezirksverwaltungsbehörde vor; regelmäßige Voraussetzung dafür ist der Betrieb ohne Errichtungs- bzw Betriebsbewilligung197 sowie - in manchen Ländern - auch die Nichteinhaltung dieser Bewilligungen198 oder sonstige Mängel.199 Der Sperre hat in der Regel ein Mängelbeseitigungsauftrag voranzugehen.200 Einige Landes-KAG sehen Vorkehrungen für die weitere Behandlung der Pfleglinge nach einer behördlichen Sperre vor.201
F. Auflassung Grundsätzlich steht es dem Rechtsträger einer nichtöffentlichen Krankenanstalt frei, den Betrieb der Krankenanstalt zu unterbrechen oder aufzulassen;202 es besteht lediglich eine vorherige Anzeigepflicht an die Landesregierung nach Maßgabe der Landes-KAG.203 Bei Krankenanstalten, die öffentliche Mittel zur Errichtung oder zum Betriebsabgang bzw Zahlungen aus dem Landesgesundheitsfonds erhalten (und die daher gem § 11 Abs 2 KAKuG der Wirtschaftsaufsicht unterliegen), bedarf allerdings sowohl die Unterbrechung als auch die Auflassung der Genehmigung durch die Landesregierung (§ 35 Abs 2 KAKuG)204; die Genehmigungsvoraussetzungen sind länderweise unterschiedlich - und oft zu unbestimmt205 - formuliert.206 Nur Rechtsträger öffentlicher Krankenanstalten haben eine ununterbrochene gesetzliche Betriebspflicht,207 196
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Die Sperre von Teilbereichen ist in dem meisten Ländern explizit vorgesehen (§ 9 Wr KAG, § 10 Abs 1 bgld KAG, § 8 Abs 1 stmk KAG, § 8 Abs 1 Tir KAG, § 27 Abs 1 Vbg SpG); aus Gründen der Verhältnismäßigkeit muss diese Möglichkeit aber auch für die übrigen Länder angenommen werden. ZB § 17 sbg KAG, § 18 Krnt KAO, § 13 nö KAG, § 9 Wr KAG. § 100 oö KAG. § 8 stmk KAG, § 8 Tir KAG; § 27 Abs 2 Vbg SpG; § 10 bgld KAG. § 10 Abs 2 bgld KAG, § 100 Abs 2 oö KAG, § 8 Abs 1 stmk KAG, § 8 Abs 2 Tir KAG, § 27 Abs 2 Vbg SpG. § 18 sbg KAG, § 10 Abs 3 bgld KAG, § 14 nö KAG, § 8 Abs 2 stmk KAG, § 8 Abs 3 Tir KAG, § 27 Abs 3 Vbg SpG. Die Auflassung hat zum Entzug der Betriebsbewilligung zu führen (§ 12 Abs 2 lit b KAKuG). § 46 Abs 3 bgld KAG, § 47 Abs 3 sbg KAG, § 62 lit i Wr KAG (nur für bettenführende Krankenanstalten), § 79 Abs 2 nö KAG, § 52 Abs 3 stmk KAG, § 59 lit g Tir KAG, § 88 Abs 3 oö KAG, § 69 Abs 3 Krnt KAO. Auch die Stilllegung von Betten wegen Personalmangels ist eine bewilligungspflichtige Durchbrechung der Betriebspflicht (VwSlg 5461 A/1980). § 46 Abs 2 bgld KAG, § 52 Abs 2 stmk KAG (keine materiellen Voraussetzungen), § 69 Abs 2 Krnt KAO („im freien Ermessen“), § 62 lit i iVm § 57 Wr KAG (wenn keine schwerwiegenden öffentlichen Interessen dagegenstehen). § 67 Vbg SpG, § 78 Abs 2 oö KAG, § 47 Abs 2 sbg KAG, § 74 Abs 2 nö KAG, § 28 Abs 2 Tir KAG (wenn die Sicherstellung der Krankenanstaltspflege nicht gefährdet ist). Der damit verbundene Ausschluss einer Betriebsauflassung oder -einstellung gilt auch dann, wenn diese Krankenanstalten durch einen vom Land verschiedenen Rechtsträger betrieben werden (VwGH RdM 1996/31).
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die nur durch den (ebenfalls genehmigungspflichtigen) Verzicht auf das Öffentlichkeitsrecht abgewendet werden kann (§ 35 Abs 1 KAKuG). Eine vorübergehende (zB urlaubsbedingte) Schließung einer Abteilung stellt daher eine Verletzung der gesetzlichen Betriebspflicht dar.208 Der VfGH hat diese weitgehenden Beschränkungen der Privatautonomie für die Träger (insb öffentlicher) Krankenanstalten allerdings zutreffend restriktiv interpretiert: Nach VfSlg 12.065/1989 sind die Anzeige- und Genehmigungspflichten bei der Auflassung oder Betriebsunterbrechung von Krankenanstalten, deren Träger nicht das Land selbst ist, nur insofern verfassungsrechtlich gerechtfertigt, als dadurch dem Land der rechtzeitige Eintritt in seine Verpflichtung zur Sicherstellung öffentlicher Krankenanstaltspflege (§ 18 KAKuG) in angemessener Frist ermöglicht werden soll. Dem Recht anderer (vom Land verschiedener) Träger öffentlicher Krankenanstalten, die von ihnen freiwillig betriebenen Anstalten wieder aufzulassen, kann daher wegen der subsidiären Einstandspflicht des Landes auch ein aufrechter Bedarf auf Dauer nicht entgegen gehalten bzw die entsprechende Genehmigung nicht versagt werden.209
IV. Innere Organisation (Personal und Organe) Das KAKuG gibt den Krankenanstalten eine bestimmte interne Organisationsstruktur vor. Nicht alle zwingend vorgesehenen Einrichtungen müssen allerdings innerhalb der Anstaltsorganisation zur Verfügung stehen; mitunter sieht das Landesrecht gemeinsame Einrichtungen für mehrere Krankenanstalten vor.210 Manche Organe sind nur subsidiär vorgesehen, wenn die Aufgabe nicht auf andere Weise besorgt werden kann.211 Vielfach schreibt das Gesetz überhaupt nur die Sicherstellung bestimmter Aufgaben und Leistungen vor und überlässt es den Anstaltsträgern, auf welche Weise sie diese Ziele erreichen.212
A. Kollegiale Führung Neben den fachspezifischen Leitungsfunktionen (ärztlicher Leiter, Verwalter, Leiter des Pflegedienstes) ermächtigt § 6a Abs 1 KAKuG den Landesgesetzgeber, (fakultativ) Vorschriften über eine sogenannte „kollegiale Führung“ durch 208 209
210 211 212
OGH RdM 2004/122. Vgl VwGH ZfVB 1998/3/785 (zu öffentlichen Krankenanstalten von Gemeinden und Gemeindeverbänden); VfSlg 12.065/1989 (allgemeines Krankenhaus der Stadt Bludenz); VfSlg 13.985/1994 (Bezirkskrankenhaus Kufstein-Wörgl). Dazu auch Öhlinger, Darf eine Gemeinde die Rechtsträgerschaft an einer Krankenanstalt zurücklegen. Zulässigkeit und Konsequenzen der Auflassung eines Gemeindespitals, ÖGZ 2004/8, 8. So zB bei Ethikkommissionen, Patientenanwaltschaften, Kinderschutzgruppen, Arzneimittelkommissionen. Vgl zB Konsiliarapotheker und Anstaltsapotheke (§ 20 KAKuG), ärztliche Leitung bei Pflegeanstalten (§ 7 Abs 1 KAKuG). ZB Personalplanung (§ 8d KAKuG), Sicherstellung der Aus- und Fortbildung (§ 8 Abs 1 Z 7 KAKuG; vgl jedoch §§ 7ff ÄrzteG), psychologische und psychotherapeutische Betreuung (§ 11b KAKuG), seelsorgerische Betreuung (§ 5a Z 5 KAKuG). Zur Organisationsverantwortung des Anstaltsträgers vgl insb Schwamberger, Organisationsverantwortung und Schnittstellenmanagement. Krankenanstaltenrechtliche und berufsrechtliche Aspekte, RdM 2002, 68.
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den ärztlichen Leiter, den Verwalter und den Leiter des Pflegedienstes zu erlassen. In Universitätskliniken ist überdies der Rektor oder ein von der Medizinischen Universität vorgeschlagener Universitätsprofessor mit beratender Stimme beizuziehen (§ 6a Abs 2 KAKuG). Die den genannten Führungskräften jeweils zukommenden Aufgaben dürfen hiedurch jedoch nicht beeinträchtigt werden. Die Länder haben diese Ermächtigung in unterschiedlicher Weise ausgeführt.213 Die Einrichtung der kollegialen Führung ändert nichts daran, dass jedes der fachspezifischen Leitungsorgane in seinem Bereich allein zuständig ist und dass keines dem anderen untergeordnet ist. Es besteht also ein Nebeneinander von drei gleichrangigen Führungsebenen, denen - da die „Leitung“ iSd KAKuG neben der Aufsicht auch eine auf den jeweiligen Bereich bezogene Weisungsbefugnis umfasst214 - drei parallele hierarchische Leitungsstrukturen entsprechen.215 Konflikte zwischen den Leitungsorganen sind auf der Ebene der kollegialen Führung nur informell zu bereinigen216, nicht jedoch mit rechtlichen Mitteln autoritativ zu entscheiden. Das gilt insb dann, wenn eine gesetzlich geforderte Einstimmigkeit auch nach Ausschöpfung aller Koordinationsinstrumente nicht erzielt werden kann. Auch die Leitungsorgane bleiben aber ihrerseits dem Rechtsträger der Krankenanstalt untergeordnet; die sich daraus ergebenden Befugnisse der Organe des Rechtsträgers sind unter Einbeziehung des internen Organisationsrechts des Trägers (gegebenenfalls auch des Gesellschaftsrechts)217 und des jeweils anwendbaren Dienstrechts zu beurteilen. Fortdauernde Divergenzen innerhalb der kollegialen Führung können letztlich nur durch Weisung des übergeordneten Rechtsträgers gelöst werden.218
B. Ärztlicher Dienst Gem § 7 Abs 1 KAKuG ist für jede Krankenanstalt ein geeigneter Arzt als verantwortlicher Leiter des ärztlichen Dienstes und für die mit der ärztlichen Behandlung zusammenhängenden Aufgaben zu bestellen („ärztlicher Leiter“); in Krankenanstalten, deren Größe dies erfordert, ist die ärztliche Leitung 213
214
215 216 217 218
Einige Landes-KAG ordnen eine gegenseitige Information, Anhörung und Beratung an (zB § 19 bgld KAG), andere sehen darüber hinaus auch eine gemeinsame Entscheidung vor (zB § 25 Abs 1 Krnt KAO, § 11 Abs 1 Wr KAG, § 16a nö KAG); in der Mehrzahl der Länder wird die genauere Regelung der Anstaltsordnung (und damit dem Rechtsträger) überlassen (§ 10 Abs 6 oö KAG, § 20 Abs 1 lit b sbg KAG, § 9a stmk KAG, § 10a Tir KAG, § 29 Abs 3 Vbg SpG). Von dieser Weisungsbindung ist entgegen einer verbreiteten Auffassung auch der engere Bereich der ärztlichen Berufsausübung nicht ausgenommen (mwN Mayer, FS Tomandl, 556; Mazal, in: Sozialrechtliche Probleme, 33ff), doch wird hier die Grenze zur unbeachtlichen strafgesetzwidrigen Weisung unter Umständen früher erreicht sein (mwN Kopetzki, Turnusärzte, 27 f insb FN 96; Grimm, Weisungsbindung, 48ff). Grundlegend zur arbeitsteiligen Zusammenarbeit in Krankenanstalten Mazal, in: Sozialrechtliche Probleme, 30ff. Zur kollegialen Führung als „institutionalisiertes Miteinander“ vgl Mayer, FS Tomandl, 554; Mazal, in: Sozialrechtliche Probleme, 45ff. Vgl am Beispiel Tirols Staudinger, 298ff. Dazu und zur Abgrenzung der Weisungsbefugnisse innerhalb der drei Leitungsbereiche Mayer, FS Tomandl, 549ff; Mazal, in: Sozialrechtliche Probleme, 49ff; Staudinger, 302ff. Vgl in diesem Kontext etwa das Appellationsrecht an den Träger gem § 9a Abs 3 stmk KAG.
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hauptberuflich auszuüben (§ 7 Abs 2). Die Bestellung bedarf, ebenso wie jene des Leiters der Prosektur, der Genehmigung durch die Landesregierung (§ 7 Abs 5 KAKuG).219 Nur bei Genesungsheimen und Pflegeanstalten für chronisch Kranke kann die Landesregierung von der Bestellung eines ärztlichen Leiters absehen, wenn die Aufsicht durch einen geeigneten Arzt gewährleistet ist (§ 7 Abs 1 KAKuG). Hinsichtlich der Qualifikation des sonstigen ärztlichen Personals verweist das KAKuG grundsätzlich auf das ärztliche Berufsrecht: Gem § 7 Abs 3 KAKuG darf der ärztliche Dienst nur von Ärzten versehen werden, die nach dem ÄrzteG zur Ausübung des ärztlichen Berufes berechtigt sind.220 Das trifft neben Ärzten mit Berechtigung zur selbständigen Berufsausübung („ius practicandi“) als Arzt für Allgemeinmedizin oder Facharzt auch auf Ärzte in Ausbildung (Turnusärzte) zu,221 sofern die im § 3 Abs 3 ÄrzteG vorgesehene „Anleitung und Aufsicht“ durch die ausbildenden Ärzte gewährleistet ist.222 Darüber hinausgehende Qualifikationserfordernisse bestehen nach § 7 Abs 4 KAKuG allerdings für die Führung von Abteilungen, Departments oder Fachschwerpunkten für die Behandlung bestimmter Krankheiten, weiters von Laboratorien, Ambulatorien und Prosekturen, mit der nur Fachärzte des jeweiligen Sonderfaches betraut werden dürfen; nur wenn ein einschlägiges Sonderfach nicht besteht, genügt die Betrauung „fachlich qualifizierter Arzte“. Für den Fall der Verhinderung ist eine in gleicher Weise qualifizierte Vertretung sicherzustellen. Sonderbestimmungen gelten für die Leitungsfunktionen im Klinischen Bereich von Medizinischen Universitäten (Universitätskliniken und klinische Institute) (§ 7a KAKuG; § 32 UG 2002).223 Der gesamte ärztliche Dienst steht unter der Leitung (und daher auch der fachlichen Weisungsbindung) des ärztlichen Leiters. Diese Leitungsbefugnis umfasst etwa die Diensteinteilungen, die dienstliche Verwendung der einzelnen Ärzte,224 die Wahrung der Grundsätze und anerkannten Methoden der medizi219
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Ausnahmen von der Genehmigungspflicht bestehen für jene Stellen, die (an Universitätskliniken und klinischen Instituten) nach universitätsrechtlichen Vorschriften (vgl § 32 UG 2002) besetzt werden (§ 7 Abs 5 KAKuG). Bei historischer und teleologischer Auslegung des § 7 Abs 3 KAKuG sind davon auch Zahnärzte iSd ZahnärzteG, BGBl I 2005/126, umfasst, obwohl das ärztliche Berufsrecht nun zwischen „Ärzten“ und „Zahnärzten“ differenziert. Für Krankenanstalten, die als Ausbildungsstätten anerkannt sind (§§ 9ff ÄrzteG), ist eine bestimmte Mindestanzahl von Ärzten in Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin zu bestellen (näher § 196 ÄrzteG). Dazu Kopetzki, Turnusärzte, insb 24ff. Dazu Kopetzki, § 32 UG 2002. Ein Rechtsanspruch auf „freie Arztwahl“ besteht daher in Krankenanstalten - anders als in Ordinationsstätten und Gruppenpraxen (vgl § 52a Abs 2 ÄrzteG) - nicht, auch nicht in der Sonderklasse (OGH 5. 6. 2003, 12 Os 73/02). Dass nach der Rsp des OGH (RdM 2006/29) unter bestimmten Voraussetzungen („begründete Erwartung“) eine Aufklärungspflicht über die Person des behandelnden Arztes bejaht (und die Wirksamkeit der Einwilligung auf diesen limitiert) wird, ändert daran nichts. Begrenzte Ausnahmen gelten für die Sonderklasse in Universitätskliniken (vgl § 46 Abs 1 KAKuG), nach der (rechtlich bedenklichen) Praxis auch für die Sonderklasse insgesamt (vgl Staudinger, 305; mwN Mazal, in: Rechtsfragen, 91 f; Schrammel, FS Schnorr, 424ff; Th. Radner, 256ff; Aigner, Sonderklasse - freie Arztwahl, RdM 1998, 21; Windisch-Graetz, Grundversorgung und Zusatzleistungen, 122ff; Resch,
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nischen Wissenschaft (§ 8 Abs 2 KAKuG), die Koordination der ärztlichen Tätigkeit und deren fachliche Überwachung. Da der ärztliche Leiter überdies „für die mit der ärztlichen Behandlung der Pfleglinge zusammenhängenden Aufgaben“ (§ 7 Abs 1 KAKuG) zuständig ist, erstreckt sich seine Leitungsaufgabe auch auf jene Aufgaben des Pflegepersonals, die in Erfüllung ärztlicher Anordnungen im Rahmen der Heilbehandlung besorgt werden.225
C. Pflegedienst Für jede Krankenanstalt mit bettenführenden Abteilungen - nicht jedoch für selbständige Ambulatorien - ist gem § 11a KAKuG ein geeigneter Vertreter der gehobenen Dienste für Gesundheits- und Krankenpflege226 als verantwortlicher Leiter des Pflegedienstes zu bestellen. Auch die Leitung des Pflegedienstes ist hauptberuflich auszuüben, wenn es die Größe der Krankenanstalt erfordert; bei Verhinderung ist für eine qualifizierte Vertretung vorzusorgen. Ähnlich wie beim ärztlichen Dienst umfasst die Leitung des Pflegedienstes den planmäßigen Einsatz der vorhandenen personellen und sachlichen Kapazitäten, also im Wesentlichen die dienstliche Verwendung des Pflegepersonals, die Diensteinteilung sowie die Koordination und Überwachung der pflegerischen Tätigkeiten.227 Der fachliche Bereich der Pflege fällt ebenfalls in die Leitungsbefugnis des Pflegeleiters, sofern diese nicht „mit der ärztlichen Behandlung“ zusammenhängt. Im Einzelnen stellen sich hier schwierige Abgrenzungsfragen, insb auch zur Verwaltungsleitung im Hinblick auf die wirtschaftlichen Begleitwirkungen von Pflegemaßnahmen.
D. Verwaltungsleitung Neben dem ärztlichen Leiter und dem Leiter des Pflegedienstes ist als drittes Organ der Anstaltsführung ein verantwortlicher Leiter der wirtschaftlichen, administrativen und technischen Angelegenheiten zu bestellen (§ 11 Abs 1 KAKuG). Die Bestellung ist regelmäßig nicht genehmigungspflichtig, sondern der Landesregierung anzuzeigen. In einigen Ländern kann bei privaten Krankenanstalten von der Bestellung eines eigenen Verwaltungsleiters abgesehen werden, wenn der Inhaber der Betriebsbewilligung eine physische Person ist, die die wirtschaftlichen, administrativen und technischen Angelegenheiten selbst leitet;228 mitunter kann der ärztliche Leiter zugleich auch Verwaltungsleiter sein.229 Der in § 36 Abs 2 sbg KAG festgeschriebene Grundsatz, dass dem Verwaltungsleiter keine Verantwortung für das gesundheitliche Wohl der Pfleglinge übertragen werden darf, spricht die konfliktanfällige Problematik der Abgrenzung zwischen Verwaltungsleitung einerseits und ärztlicher bzw pflegerischer Leitung andererseits an. Ärztliche
225
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Freie Arztwahl in der allgemeinen Gebührenklasse im Umweg des Arzthaftungsrechts?, RdM 2004, 102) sowie für Belegkrankenanstalten. Dazu und zur Abgrenzung von der Leitung des Pflegedienstes und der Verwaltung Mayer, FS Tomandl, 550ff; zur Reichweite der Verantwortung des ärztlichen Leiters auch VwGH ZfVB 1991/1/39. Vgl §§ 11ff GuKG. Vgl Mayer, FS Tomandl, 552 f. § 29 Abs 1 oö KAG, § 14 Abs 1 stmk KAG, § 16 Abs 4 Tir KAG, § 40 Abs 1 Vbg SpG. § 35 Abs 2 Krnt KAO, § 36 Abs 2 sbg KAG.
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und pflegerische Maßnahmen ziehen im Regelfall auch wirtschaftliche Konsequenzen nach sich und berühren daher beide Kompetenzbereiche. Man wird aber zumindest insofern von einer Prävalenz des ärztlichen (bzw pflegerischen) Leiters ausgehen können, als diesem die Definition des gebotenen medizinischen und pflegerischen Standards obliegt, während dem Verwaltungsleiter die Umsetzung dieser Vorgabe nach ökonomischen Aspekten (zB Auswahl unter mehreren gleichwertigen Geräten) zufällt.230 Manche Landes-KAG verlangen bei wirtschaftlichen, administrativen und technischen Verfügungen, die den ärztlichen und pflegerischen Bereich berühren, das Einvernehmen mit dem ärztlichen Leiter bzw dem Leiter des Pflegedienstes.231 Das Letztentscheidungsrecht in ökonomischen Aspekten liegt im Streitfall allerdings auch hier beim Anstaltsträger,232 zumal § 7 Abs 1 KAKuG die Befugnisse der ärztlichen Leitung ausdrücklich unter den Vorbehalt des Verfügungsrechts des Rechtsträgers in wirtschaftlichen Angelegenheiten stellt.
E. Der technische Sicherheitsbeauftragte Gemäß § 8b Abs 1 KAKuG hat der Rechtsträger eine fachlich geeignete Person als Technischen Sicherheitsbeauftragten zur Wahrnehmung der technischen Sicherheit und des einwandfreien Funktionierens der in der Krankenanstalt verwendeten medizinisch-technischen Geräte und technischen Einrichtungen zu bestellen; die Bestellung ist der Landesregierung anzuzeigen. Nach § 8b Abs 2 KAKuG hat der technische Sicherheitsbeauftragte die medizinischtechnischen Geräte und die technischen Einrichtungen der Krankenanstalt zum Schutz der in Behandlung stehenden Personen regelmäßig zu überprüfen bzw für solche Überprüfungen zu sorgen. Er hat ferner für die Beseitigung von Gefahren, die sich aus festgestellten Mängeln ergeben, sowie für die Behebung der Mängel zu sorgen. Vom Ergebnis der Überprüfungen bzw von festgestellten Mängeln und deren Behebung sind unverzüglich der ärztliche Leiter und der Verwalter in Kenntnis zu setzen. Gemäß § 8b Abs 3 KAKuG hat der Technische Sicherheitsbeauftragte mit den zur Wahrnehmung des Strahlenschutzes bestellten Personen und den Präventivdiensten nach dem ASchG zusammenzuarbeiten. Nach § 8b Abs 4 KAKuG hat der Technische Sicherheitsbeauftragte ferner den ärztlichen Leiter und den Verwalter in allen Fragen der Betriebssicherheit und des einwandfreien Funktionierens der medizinisch-technischen Geräte und der technischen Einrichtungen zu beraten.
F. Krankenhaushygieniker Gemäß § 8a Abs 1 KAKuG ist für jede Krankenanstalt ein Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie als Krankenhaushygieniker oder ein sonst fachlich geeigneter, zur selbständigen Berufsausübung berechtigter Arzt als Hygienebeauftragter zur Wahrung der Belange der Hygiene zu bestellen. Das zeitliche Ausmaß der Beschäftigung hat sich nach der Größe und dem Leistungsangebot der Krankenanstalt zu richten. Insb in Ambulatorien müssen der Krankenhaushygieniker bzw der Hygienebeauftragte daher nicht ständig beschäftigt sein; es kann auch ein externer Arzt beigezogen werden, der diese Funktion in mehre230 231 232
Mayer, FS Tomandl, 553 f. § 14 Abs 2 stmk KAG, § 16 Abs 2 Tir KAG, § 40 Abs 3 Vbg SpG. Mazal, in: Sozialrechtliche Probleme, 49 f.
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ren Krankenanstalten gleichzeitig erfüllt.233 In bettenführenden Krankenanstalten ist gem § 8a Abs 3 KAKuG überdies ein „Hygieneteam“ zu bestellen, zu dessen Aufgaben alle Maßnahmen gehören, die der Erkennung, Überwachung, Verhütung und Bekämpfung von Infektionen in Krankenanstalten und der Gesunderhaltung dienen (§ 8a Abs 4 KAKuG). Zur Durchführung dieser Aufgaben hat das Hygieneteam einen Hygieneplan zu erstellen.234
G. Kommission für Qualitätssicherung Zum Zweck der Qualitätssicherung ist in jeder bettenführenden Krankenanstalt eine Kommission für Qualitätssicherung einzusetzen (§ 5b Abs 4 KAKuG), deren Aufgabe die Initiierung, Koordination und Unterstützung der Qualitätssicherungsmaßnahmen sowie die Beratung der Leitungsorgane ist (§ 5b Abs 5 KAKuG).
H. Ethikkommission Gemäß § 8c Abs 1 KAKuG haben die Träger von Krankenanstalten zur Beurteilung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie der Anwendung neuer medizinischer Methoden in der Krankenanstalt Ethikkommissionen einzurichten. Die Landes-KAG können vorsehen, dass eine Ethikkommission auch für mehrere Krankenanstalten eingerichtet wird.235 Regeln für das Verfahren und die Organisation jener Ethikkommissionen, deren Tätigkeit sich auf Krankenanstalten bezieht,236 finden sich in § 8c Abs 4 KAKuG sowie in den Landes-KAG.237 Die Mitglieder der Ethikkommissionen dürfen in Ausübung ihrer Tätigkeit keinen Weisungen unterliegen.238 Nach dem Konzept des KAKuG ist die Ethikkommission, ebenso wie alle anderen Anstaltsorgane, eine Einrichtung des bzw der Anstaltsträger; bedenklich sind daher jene Landes-KAG, welche die Ethikkommission als Landesorgan einrichten.239 Eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Errichtung einer Ethikkommission besteht nur für Universitätskliniken und Klinische Institute, wenn 233 234 235
236 237 238
239
So ausdrücklich auch § 26 Abs 1 bgld KAG, § 28 Abs 1 Krnt KAO, § 34 Abs 1 Vbg SpG. Näher § 8 Abs 4 KAKuG idF des GesundheitsrechtsänderungsG 2006, BGBl I 2006/122. Zur Krankenhaushygiene vgl auch Füszl, IV/20ff. In diesem Sinn § 24 Abs 1 bgld KAG, § 30 Abs 1 Krnt KAO, § 18 Abs 1 oö KAG, § 11c Abs 1 stmk KAG, § 15a Abs 1 Wr KAG. In Niederösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg ist zwingend eine Ethikkommission (in Vorarlberg als Körperschaft des öffentlichen Rechts) für alle Krankenanstalten des Landes einzurichten (§ 19e nö KAG, § 20 Abs 1 sbg KAG, § 12a Abs 1 Tir KAG, § 12 Abs 1 Vbg SpG). Vgl demgegenüber §§ 41 f AMG bzw §§ 58ff MPG betreffend die Organisation der Ethikkommissionen für klinische Prüfungen außerhalb von Krankenanstalten. § 24 bgld KAG, § 30 Krnt KAO, § 19e nö KAG, § 18 oö KAG § 30 sbg KAG, § 11c stmk KAG, § 12a Tir KAG, § 12 Vbg SpG, § 15a Wr KAG. § 8c Abs 6 KAKuG; die Weisungsfreistellung erfolgte wegen Art 20 Abs 1 B-VG meist durch landesverfassungsrechtliche Bestimmungen (§ 24 Abs 7 bgld KAG, § 19e Abs 8 nö KAG, § 18 Abs 8 oö KAG, § 30 Abs 3 sbg KAG, § 11c Abs 7 stmk KAG, § 12a Abs 13 Tir KAG, § 15a Abs 9 Wr KAG, § 12 Abs 9 Vbg SpG; bloß einfachgesetzlich hingegen § 30 Abs 4 Krnt KAO). § 19e Abs 1 nö KAG, § 30 Abs 1 sbg KAG.
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an der Medizinischen Universität eine gleichwertige Kommission nach universitätsrechtlichen Vorschriften eingerichtet ist (§ 8c Abs 8 KAKuG), was nach § 30 UG 2002 zwingend der Fall ist.240 Gem § 8c Abs 1 KAKuG sind die Anstaltsträger (landesgesetzlich) zu verpflichten, durch Bereitstellung der erforderlichen Personal- und Sachausstattung den Ethikkommissionen zu ermöglichen, ihre Tätigkeit fristgerecht durchzuführen. Die Träger sind überdies berechtigt, vom Sponsor einen Kostenbeitrag entsprechend den erfahrungsgemäß im Durchschnitt erwachsenden Kosten einer Beurteilung im Rahmen einer klinischen Prüfung zu verlangen. Die Aufgaben der Ethikkommissionen ergeben sich hinsichtlich der Beurteilung neuer medizinischer Methoden aus § 8c Abs 2 und 3 KAKuG (bzw den korrespondierenden Landes-KAG), hinsichtlich klinischer Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten hingegen auch aus den materienspezifischen Bestimmungen der §§ 40ff AMG bzw §§ 57ff MPG.241 Die nach § 30 UG 2002 eingerichteten Ethikkommissionen haben einen weiteren Zuständigkeitsbereich, der - über klinische Prüfungen und die Anwendung „neuer medizinischer Methoden“ hinausgehend - die gesamte „angewandte medizinische Forschung am Menschen“ umfasst. Einige Landes-KAG haben diese Formulierung auch für nicht-universitäre Krankenanstalten übernommen.242 Weitere Kriterien und Anforderungen ergeben sich für Ethikkommissionen im Rahmen multizentrischer klinischer Arzneimittelprüfungen (§ 41b AMG idF der Novelle BGBl I 2004/35) aus der Verordnung betreffend die besonderen Anforderungen an Ethikkommissionen im Rahmen von multizentrischen klinischen Prüfungen (LeitEthikkommissions-V), BGBl II 2004/214 (öffentlich zugängliche Geschäftsstelle, ausreichende Erfahrung in der Beurteilung von klinischen Prüfungen, Verfahren zur Beiziehung externer Experten, im Internet veröffentlichte Geschäftsordnung, interne Qualitätssicherung, Annahme von Unterlagen in deutscher und englischer Sprache). Derzeit sind alle drei universitären Ethikkommissionen (Wien, Graz, Innsbruck) sowie die Ethikkommissionen der Länder Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und der Stadt Wien durch eine Verordnung gem § 41b Abs 2 AMG als Leit-Ethikkommissionen für multizentrische klinische Prüfungen anerkannt.243
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242 243
Dazu näher Kopetzki, § 30 UG 2002, Anm I ff. Vgl zur Funktion und Bedeutung der Ethikkommissionen zB Krejci, Ethikkommission und Versicherungsfragen, RdM 1995, 27; Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 2, 800ff; Berka, Rechtliche Probleme im Hinblick auf die Tätigkeit der Ethikkommissionen, in: Tomandl (Hrsg), Sozialrechtliche Probleme bei der Ausübung von Heilberufen, 1996, 53; Barta/Kalchschmid, Zur Haftung der Mitglieder von Ethikkommissionen, SoSi 1998, 365; Luf, Zur Ethik der Ethikkommissionen. Tätigkeiten und Rechtsgrundlagen der Ethikkommissionen in Österreich, FS Krejci, 2001, Bd 2, 1969; Kopetzki, § 30 UG 2002; derselbe, Internationaler Überblick und supranationale Regelungen für medizinische Ethikkommissionen, in: Rietschel/Illes (Hrsg), Patentierung von Genen. Molekulargenetische Forschung in der ethischen Kontroverse, 2005, 129. § 13 Abs 1 Vbg SpG, im Ergebnis auch § 12a Tir KAG („biomedizinische Forschungsvorhaben“). Kundmachung der BM für Gesundheit und Frauen im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 10. 6. 2005.
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I. Psychologische Betreuung und psychotherapeutische Versorgung Gemäß § 11b KAKuG hat die Landesgesetzgebung sicherzustellen, dass in den auf Grund des Anstaltszwecks und des Leistungsangebotes in Betracht kommenden Krankenanstalten eine ausreichende klinisch psychologische und gesundheitspsychologische Betreuung und eine ausreichende Versorgung der Patienten auf dem Gebiet der Psychotherapie angeboten wird.244 Die meisten Landes-KAG (mit Ausnahme von Wien, Steiermark und Tirol) schränken diese Verpflichtung allerdings auf bettenführende Krankenanstalten ein.245
J. Kinderschutzgruppen Gemäß § 8e Abs 1 KAKuG sind die Träger der „nach ihrem Anstaltszweck und Leistungsangebot in Betracht kommenden Krankenanstalten“ durch den Landesgesetzgeber zur Einrichtung sog „Kinderschutzgruppen“ zu verpflichten.246 Erfordert die Größe der Krankenanstalt keine eigene Kinderschutzgruppe, können diese auch gemeinsam mit anderen Krankenanstalten errichtet werden. Die Kinderschutzgruppen haben nach dem KAKuG keinen klar umschriebenen Aufgabenbereich, § 8c Abs 3 formuliert lediglich eine sehr allgemeine Zielvorgabe, nämlich die „Früherkennung von Gewalt oder Vernachlässigung von Kindern und die Sensibilisierung der in Betracht kommenden Berufsgruppen für Gewalt an Kindern.“ Die Regelung steht im Zusammenhang mit den ärztegesetzlichen Meldepflichten bei Verdacht auf Kindesmissbrauch (vgl § 54 Abs 5 und 6 ÄrzteG) und soll insb die dort vorgesehene Kooperation mit dem Jugendwohlfahrtsträger erleichtern und eine gesetzliche Grundlage für die erforderlichen (landesrechtlich auszugestaltenden) Informationsflüsse schaffen.247 Organisatorisch trägt die „Kinderschutzgruppe“ Züge eines Kollegialorgans, funktionell ist sie ein informelles Forum unter Einbeziehung unterschiedlicher Berufsgruppen: Zwingend vorgesehen ist die Teilnahme eines Vertreters des ärztlichen Dienstes, eines Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde oder 244
245 246
247
Dazu eingehend Stöger, Der Psychotherapeut in der Krankenanstalt, in: Firlei/ Kierein/Kletecka-Pulker (Hrsg), Jahrbuch für Psychotherapie und Recht Bd IV/V, 2005, 83. § 34 bgld KAG, § 39 Krnt KAO, § 27b nö KAG, § 23 oö KAG, § 23 sbg KAG, § 16c stmk KAG, § 13f Tir KAG, § 38 Vbg SpG, § 22a Wr KAG. Vgl näher § 24b bgld KAG, § 30a Krnt KAO, § 19f nö KAG, § 18a oö KAG, § 30a sbg KAG, § 11g stmk KAG, § 12b Tir KAG, § 39 Vbg SpG. In Wien und der Steiermark fehlen entsprechende Ausführungsbestimmungen in den KAG; vgl jedoch die Kinderschutzeinrichtungen nach dem stmk GewaltschutzeinrichtungsG StGschEG, LGBl 2005/17. Zum Ganzen auch Kletecka-Pulker, Psychotherapie und Kinderschutzgruppe, in: Firlei/Kierein/Kletecka-Pulker (Hrsg), Jahrbuch Psychotherapie und Recht Bd IV/V, 2005, 128. Vgl 384 BlgNR 22. GP, 20: Es sollte sichergestellt werden, dass „die notwendige Kooperation mit dem Jugendwohlfahrtsträger nicht an Bedenken hinsichtlich der Amtsverschwiegenheit scheitert. Es ist Aufgabe des Ausführungsgesetzgebers, eine datenschutzkonforme Ausgestaltung des erforderlichen Informationsflusses vorzunehmen“. Die Landes-KAG kommen diesem Konkretisierungsauftrag teilweise nur unzureichend nach (vgl etwa § 24b Abs 4 bgld KAG, der diese Aufgabe an den Rechtsträger delegiert).
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Kinderchirurgie, eines Vertreters des Pflegedienstes und von Personen, die zur psychologischen oder psychotherapeutischen Versorgung in der Krankenanstalt tätig sind; ein Vertreter des Jugendwohlfahrtsträgers kann beigezogen werden (§ 8e Abs 2 KAKuG).
K. Patientenvertretung, Patientenanwaltschaft § 11e KAKuG verpflichtet die Landesgesetzgebung zur Schaffung unabhängiger Patientenvertretungen (Patientensprecher, Ombudseinrichtungen oder ähnlicher Vertretungen), deren Aufgabe die Prüfung allfälliger Beschwerden und (auf Wunsch) die Wahrnehmung von Patienteninteressen sein soll. Diese Einrichtungen sind von ihrem Funktionsbereich her am Leitbild eines Ombudsmanns orientiert und am ehesten mit einer bereichsspezifischen Volksanwaltschaft vergleichbar. Sie dienen - ganz anders als die formell vertretungsbefugten Patientenanwälte in der Psychiatrie248 oder die Bewohnervertreter nach dem Heimaufenthaltsrecht249 - nicht der verfahrensförmigen Durchsetzung von Rechten, sondern - mit unterschiedlicher Akzentuierung - eher der Kommunikationsförderung und der informellen Konfliktbereinigung und Streitschlichtung als Alternative zu rechts- und gerichtsförmigen Auseinandersetzungen. Verbindliche Entscheidungsbefugnisse besitzen sie nicht.250 Nach Maßgabe des jeweiligen Landsrechts spielen sie aber mitunter eine Rolle bei der Abwicklung von Patientenschäden, bei denen eine Haftung des Rechtsträgers nicht eindeutig gegeben ist.251 Die jüngere Entwicklung des Landesrechts hat eine bunte Vielfalt von unterschiedlich bezeichneten und ausgestalteten, durchwegs weisungsfreien Institutionen hervorgebracht, die organisatorisch nunmehr in fast allen Ländern (außer Vorarlberg) als Verwaltungsorgane zentral auf Landesebene angesiedelt und deren Organisation und Aufgaben teils in den Landes-KAG, teils in Sondergesetzen geregelt sind.252 In Wien, Kärnten, Vorarlberg und Burgenland erfasst ihr Aufgabenbereich - über § 11e KAKuG hinaus und kompetenzrechtlich bedenklich - auch die freiberuflichen Ärzte.253 In Vorarl248
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Vgl §§ 13ff UbG sowie das Vereinssachwalter-, Patientenanwalts- und BewohnervertretungsG - VSPBG (BGBl 1990/156 idF I 2006/92). Zu diesen Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 2, 707ff; derselbe, Patientenvertretung in der Psychiatrie: ein Überblick über die österreichische Rechtslage, Recht&Psychiatrie 1996, 103. Vgl § 8 HeimAufG. Überblick bei Bachinger, Außergerichtliche Streitbeilegung, in: Aigner ua (Hrsg) Handbuch Medizinrecht für die Praxis, 2003ff, II/59ff. Vgl zB § 46a Abs 7 Wr KAG; § 5a Vbg Patienten- und KlientenschutzG, Vbg LGBl 1999/26 idF 2006/4. Vgl dazu näher unten V.A. Patientenvertretungen gem § 13e Tir KAG iVm dem Gesetz über die Tiroler Patientenvertretung, Tir LGBl 2005/40; §§ 12 f oö KAG und § 22 sbg KAG; NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft gem §§ 91ff nö KAG; Patientenvertretung gem §§ 1ff des (stmk) Gesetz über die Patientinnen-/Patienten- und Pflegevertretung (Patientinnen-/Patienten- und Pflegeombudsschaft), stmk LGBl 2003/66; Krnt G über die Patientenanwaltschaft, Krnt LGBl 1990/53 idF 2002/57; G über die Wiener Pflege-, Patientinnen- und Patientenanwaltschaft, Wr LGBl 2006/59; G über die Burgenländische Gesundheits- und Patientenanwaltschaft, bgld LGBl 2000/51 (am Sitz der LReg, Bestellung durch die LReg). § 1 Krnt G über die Patientenanwaltschaft, Krnt LGBl 1990/53 idF 2002/57; § 3 Abs 2 G über die Wiener Pflege-, Patientinnen- und Patientenanwaltschaft, Wr LGBl 2006/59; § 2 G über die Burgenländische Gesundheits- und Patientenanwalt-
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berg hat die Landesregierung mit Vertrag eine gemeinnützige Einrichtung mit der Funktion der Patientenanwaltschaft zu betrauen (und zu finanzieren).254
Von den Patientenanwaltschaften zu unterscheiden sind Schlichtungsstellen, die von unterschiedlichen Rechtsträgern (meist auf freiwilliger Basis)255 eingerichtet wurden und ebenfalls der Herbeiführung einer außergerichtlichen Streitbeilegung dienen.
L. Arzneimittelkommission Gem § 19a KAKuG sind die Anstaltsträger verpflichtet, hinsichtlich der Auswahl und des Einsatzes von Arzneimitteln eine Arzneimittelkommission einzurichten, der unter anderem die Erstellung einer Arzneimittelliste (Liste der in der Krankenanstalt zur Anwendung kommenden Arzneimittel) sowie die Erarbeitung von Richtlinien über die Beschaffung und den Umgang mit Arzneimitteln obliegt.256
V. Allgemeine Vorschriften für den Betrieb A. Rechtsverhältnisse (in) der Krankenanstalt Krankenanstalten bzw ihre Rechtsträger stehen in einem dichten Geflecht rechtlicher Beziehungen, die teils privatrechtlicher (zB Rechtsverhältnis zu Patienten oder zu den Krankenversicherungsträgern), teils öffentlichrechtlicher Natur sind (zB Beziehung zu Aufsichtsbehörden etc); vielfach liegt eine schwer zu entwirrende Gemengelage aus privat- und öffentlichrechtlichen Elementen vor.
1. Rechtsnatur des Anstaltsverhältnisses Die Rechtsbeziehungen zwischen Patient und Krankenanstalt (bzw ihrem Träger) werden heute nach herrschender Auffassung dem Privatrecht zugeordnet. Das ist für private Krankenanstalten wegen § 39 Abs 2 KAKuG unstrittig257, für öffentliche Anstalten zumindest von der Rsp des OGH in einer Weise verfestigt,258 dass die früher als selbstverständlich geltende öffentlichrechtliche Einordnung259 heute - trotz im wesentlichen konstanter Rechtslage - kaum mehr
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schaft, bgld LGBl 2000/51; § 2 Vbg Patienten- und KlientenschutzG, Vbg LGBl 1999/26 idF 2006/4. Vgl § 4 des Vbg Patienten- und KlientenschutzG, Vbg LGBl 1999/26 idF 2006/4. Gesetzlich zwingend vorgesehen ist eine derartige „Schiedskommission“ zur außergerichtlichen Bereinigung von Patientenschäden hingegen in § 7 des Vbg Patientenund KlientenschutzG, Vbg LGBl 1999/26 idF 2006/4. Näher Füszl, IV/39ff. § 39 Abs 2 KAKuG: „Die Rechte und Pflichten, die sich aus der Aufnahme in eine private Krankenanstalt ergeben, sind nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen“. OGH EvBl 1966/257; SZ 42/188 = EvBl 1970/179; SZ 62/53; mwN Juen, Arzthaftungsrecht2, 2005, 52ff; Bydlinski, Verträge über ärztliche Leistungen, FS Kralik, 1986, 345; Engljähringer, Ärztlicher Behandlungsvertrag, ÖJZ 1993, 488. VwSlg 886 A/1902; OGH SZ 3/118; VfSlg 2388/1952; ebenso jüngst wieder OGH 5. 6. 2003, 12 Os 73/02. Zur schrittweisen Umdeutung mwN Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 1, 189ff; Pircher, 105ff.
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vertreten wird. Die Zuordnung des Anstaltsbetriebes auch bei öffentlichrechtlichen Rechtsträgern zur Privatwirtschaftsverwaltung hat etwa zur Folge, dass auch diese - ebenso wie Privatpersonen - im Wettbewerb mit anderen Anbietern (insb niedergelassenen Ärzte) stehen und daher den Vorschriften des Wettbewerbsrechts unterliegen.260 Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die gängige Vorstellung eines zwischen dem Patienten und den Trägern öffentlicher Krankenanstalten abgeschlossenen zivilrechtlichen „Behandlungsvertrages“ jedenfalls dann ins Leere geht, wenn es dem Patienten (zB in der Psychiatrie oder der Notfallmedizin) an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit fehlt und auch kein Vertreter für ihn handelt. Die Lehre behilft sich dann mit der Figur der Geschäftsführung ohne Auftrag.261 Außerdem sind die Vorschriften des KAKuG zumeist in einer Weise formuliert, dass ihr Geltungsanspruch bzw die Einräumung von Rechten von einer vertraglichen Begründung losgelöst ist und daher auch dann greift, wenn ein Vertrag gar nicht zustande gekommen ist. Das gilt etwa für die in aller Regel öffentlichrechtlich konzipierten Bestimmungen über die Kostentragung in öffentlichen Krankenanstalten262 und die Anstaltsordnung. Und schließlich ist das Anstaltsverhältnis in speziellen Bereichen durch öffentlichrechtliche Elemente angereichert, die eine hoheitliche Einordnung nahe legen; das trifft auf zwangsweise begründete Aufnahmen263 oder Untersuchungen264 ebenso zu wie auf die Heranziehung von Patienten zu Lehr- und Forschungszwecken in Universitätskliniken.265
2. Rechtsdurchsetzung Praktische Auswirkung hat diese Einordnungsfrage vor allem für die Eröffnung des gerichtlichen Rechtswegs, sei es bei der Durchsetzung von Haupt- und Nebenpflichten aus dem Behandlungsvertrag,266 sei es bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, die - unabhängig von der Person des Rechtsträgers oder der Unterscheidung in öffentliche bzw private Krankenanstalten gegen den Anstaltsträger im ordentlichen Zivilrechtsweg geltend zu machen 260
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Vgl zu Verfahren nach § 1 UWG zB OGH RdM 1998/23 (unsachliche Werbung für Zahnambulatorium einer Gebietskrankenkasse); OGH 1. 10. 1996, 4 Ob 2228/9t = KRSlg 1655 (Information über Zahnambulatorium in Gratiszeitung); OGH RdM 2000/6 (Ambulanzbetrieb in öffentlichem LKH). ZB Juen (FN 258), 52, 93. § 30 Abs 3 KAKuG (Vollstreckung im Verwaltungsweg aufgrund von Rückstandsausweisen bei LKF-Gebühren und Pflegegebühren). Vgl FN 446. Anhaltung gem § 10 UbG, § 50 KAKuG, § 7 Abs 2 EpidemieG, §§ 14ff TuberkuloseG, §§ 71, 158 Abs 4, 167a StVG; § 429 Abs 4 StPO. ZB § 5 Abs 5 StVO (Duldungspflicht bei Blutalkoholbestimmung). § 44 KAKuG (klinischer Unterricht); §§ 28ff AMG (klinische Prüfung). Vgl zB OGH 57/98 = JBl 1985, 159 (Dokumentation und Einsicht in die Krankengeschichte). Zur Ableitung vertraglicher Pflichten zB auch SZ 67/9, 69/199 (therapeutische Aufklärung), SZ 67/9, RdM 1998/7 (Dokumentation); KRSlg 689 (Schutzpflichten gegenüber Besuchern, einschränkend KRSlg 698; dazu Gaisbauer, Schutzpflicht des Krankenhauses gegenüber Besuchern und Begleitern von Patienten, RdM 1998, 75); RdM 1997/11 (Schutzpflichten gegenüber Begleiter); RdM 1997/19; RdM 2006/51 (Schutz vor Selbstgefährdung); RdM 2002/8 (Schutz vor Gefährdung durch Mitpatienten und betriebliche Einrichtungen der Anstalt).
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sind.267 Zwischen dem Anstaltspersonal und dem Patienten besteht - von den Honoraren gem § 46 Abs 1 KAKuG abgesehen (unten IX. A. 3) - keine vertragliche Beziehung; die Bediensteten der Krankenanstalten werden als Erfüllungsgehilfen des durch den Behandlungsvertrag verpflichteten Anstaltsträgers gem § 1313a ABGB tätig268 und haften selbst nur deliktisch. Abweichungen bestehen aber bei Belegkrankenanstalten, wo neben die Vertragsbeziehung zum Anstaltsträger eine auf die eigentliche ärztliche Behandlung bezogene zweite Rechtsbeziehung zum „Belegarzt“ tritt und der Arzt daher nicht als Erfüllungsgehilfe des Krankenhauses sondern aufgrund eigener vertraglicher Verpflichtung tätig wird.269 Zu einer ähnlichen Aufspaltung der Rechtsbeziehungen kommt es nach überwiegender Auffassung bei der Behandlung in der Sonderklasse in jenen Ländern, die (verfassungswidrigerweise) eine direkte Honorarbeziehung und damit auch ein Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient zulassen.270 Bei hoheitlich ausgestalteten (Zwangs-)aufnahmen haftet hingegen nach dem AHG jener Rechtsträger, dem die Vollziehung der Anhaltung funktionell zuzurechnen ist (in der Regel der Bund), zusätzlich zur ungeteilten Hand auch der Rechtsträger, dem die handelnden Organe organisatorisch zuzuordnen sind (Anstaltsträger).271 Dasselbe gilt bei Patienten, die an Universitätskliniken zu Lehr- und Forschungszwecken herangezogen werden272 oder bei denen neue Behandlungsmethoden angewendet werden.273 Bei der Anwendung von Routi-
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Für viele OGH SZ 62/53; JBl 1995, 453; SZ 69/198; Juen (FN 258), 52ff. Auch bei einer therapeutisch notwendigen Überstellung in eine andere (ausländische) Krankenanstalt wird der Behandlungsvertrag nicht beendet, vielmehr ist auch die weitere Behandlung im anderen Spital vom Behandlungsvertrag umfasst (OGH RdM 2002/10; RdM 2004/122). ZB OGH SZ 69/199. Das gilt nicht nur für Ärzte und Pflegepersonal, sondern zB auch für in der Anstalt tätige Physiotherapeuten (SZ 69/198). Zum Ganzen auch Markl/Pittl, Ausgewählte Fragen der Erfüllungsgehilfenhaftung beim ärztlichen Behandlungsvertrag, ÖJZ 1997, 774; Juen (FN 258), 48ff. Sog „gespaltener Arzt-Krankenhaus-Vertrag“, dazu Mazal, in: Rechtsfragen, 84ff; Juen (FN 258), 68ff. Die Rsp bejaht überdies eine Haftung des Belegarztes für die Operationsassistenz (OGH RdM 2000/7 Anm Pitzl/Huber) und den Anästhesisten (RdM 2000/8 Anm Kopetzki). Zur zivilrechtlichen Einordnung dieser (mit dem KAKuG mE unvereinbaren) Konstruktionen Bydlinski (FN 258), 362ff; Mazal, in: Rechtsfragen, 79ff; Th. Radner, 249ff; Juen (FN 258), 69ff; Pircher, 127ff, dort auch zu den haftungsrechtlichen Aspekten (insb 263ff). Vgl (zur psychiatrischen Unterbringung) zB OGH SZ 61/8, 61/156; SZ 71/196 = RdM 1999/9 = JBl 1999, 325 Anm Pfersmann; RdM 2000/9; RdM 2001/20 Anm Kopetzki = JBl 2001, 725 = EvBl 2001/143; mwN Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2, 2005, Rz 767ff. Auch für Schäden in Vollziehung des HeimAufG haftet der Bund nach dem AHG (vgl § 24 HeimAufG), obgleich hier nur die konkrete freiheitsbeschränkende Maßnahme innerhalb der Krankenanstalt, nicht jedoch das (in der Regel vertragliche und freiwillige) Grundverhältnis der Hoheitsverwaltung zuzuordnen ist. OGH RdM 1999/23. OGH SZ 70/241 = RdM 1998/22. An dieser Haftung des Bundes ändert sich auch durch die Ausgliederung der Medizinischen Universitäten nichts, da die Erfüllung universitärer Lehr- und Forschungsaufgaben weiterhin dem hoheitlichen Bereich
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nebehandlungen in Universitätskliniken verneint der OGH zwar regelmäßig einen Amtshaftungsanspruch;274 wegen der „engen Verflechtung“ zwischen Krankenanstalt und Universität bejahte er aber nichtsdestoweniger eine solidarische Haftung von Bund und Anstaltsträger.275 Diese Judikatur wurde zu Recht kritisiert und ist spätestens seit dem UG 2002 obsolet, da gem § 29 Abs 4 Z 1 UG 2002 die Mitwirkung der in ärztlicher Verwendung stehenden Arbeitnehmer der Medizinischen Universitäten nicht der Medizinischen Universität (und schon gar nicht dem Bund), sondern dem Rechtsträger der Krankenanstalt zuzurechnen ist.276
3. Alternative Modelle der Konfliktlösung In Gestalt der Patientenvertretungen bzw Patientenanwaltschaften (§ 11e KAKuG) sieht das KAKuG eine alternative Art der Konfliktlösung vor, die (nicht nur, aber jedenfalls auch) der Herbeiführung eines außergerichtlichen Vergleichs bei der Abwicklung von Patientenschäden dienen soll. Vergleichbare Zwecke erfüllen die unterschiedlichen Formen von „Schiedsstellen“ oder „Schlichtungsstellen“, die in der Regel ohne gesetzliche Grundlage auf freiwilliger Basis errichtet werden (vgl oben IV.K). In besonders geregelten Bereichen des Anstaltsbetriebs, namentlich beim Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen in Krankenanstalten, bestehen darüber hinaus Kontrollbefugnisse der ordentlichen Gerichte im außerstreitigen Verfahren, denen die Befugnis zu einer (feststellenden) Entscheidung über die Zulässigkeit bestimmter Anstaltsmaßnahmen zukommt.277 Die politische Absicht zur Schaffung eines „Fonds“ zur „verschuldensunabhängigen“ Entschädigung von Patienten278 wurde bisher auf Bundesebene nur insoweit umgesetzt, als in Fondskrankenanstalten gem § 27a Abs 5 und 6 KAKuG vom Anstaltsträger ein Betrag einzuheben ist, der für die Entschädigung nach Schäden gewidmet ist, „bei denen eine Haftung des Rechtsträgers nicht eindeutig gegeben ist“. Die Länder haben in diesem vom Bund nicht besetzten grundsatzfreien Raum völlig divergierende materiell-, verfahrens-
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zuzuordnen ist (vgl § 49 Abs 2 UG 2002; Grimm, RdM 2003, 48; mwN Kopetzki, § 29 UG 2002 Anm IV.4). Für Schäden im Rahmen der (dem Krankenanstaltenträger zuzurechnenden) Krankenversorgung haftet daher aufgrund der Behandlungsvertrages der Rechtsträger der Krankenanstalt im Wege der Erfüllungsgehilfenhaftung (§ 1313a ABGB) für das schuldhafte Verhalten des ärztlichen und nichtärztlichen Personals. Dass die Universitätsärzte in keinem Dienstverhältnis zum Anstaltsträger stehen, ändert daran nichts (dazu sowie zu den Haftungsminderungsregeln des DNHG näher Grimm, RdM 2002, 37ff; derselbe, RdM 2003, 38ff; Kopetzki, § 29 UG 2002 Anm IV.4). OGH RdM 1999/23 Anm Kopetzki. Näher Kopetzki, § 29 UG 2002 Anm IV.2. Vgl §§ 12ff UbG (Unterbringung ohne Verlangen in psychiatrischen Anstalten und Abteilungen); §§ 11ff HeimAufG (Freiheitsbeschränkungen in Krankenanstalten); §§ 14ff TubG (Anhaltung Tuberkulosekranker). Zur Diskussionsentwicklung statt vieler zB Barta, Medizinhaftung, 1995; Bernat, Das Recht des Patientenschadens in der Reformdiskussion: ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück?, VR 1997, 24; derselbe, Der von der Haftung des Krankenanstaltenträges losgelöste Ersatz des Patientenschadens nach § 27a Abs 6 KAKuG, MedR 2004, 310.
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und organisationsrechtliche Regelungsmodelle verwirklicht,279 die in der Literatur den Vorwurf einer „einzigartigen legistischen Regelungschaotik“ und eines „föderalistischen Regelungschaos“280 auf sich gezogen haben. Gemeinsam ist den - in den Ausführungs-KAG, den Regelungen über die Gesundheitsfonds oder in eigenen Landesgesetzen verstreuten - landesrechtlichen Bestimmungen über die Patienten-Entschädigungsfonds281 nur, dass sie keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung vorsehen und dass im Grunde unklar bleibt, wie man eigentlich feststellen soll, ob eine Haftung des Rechtsträgers nicht eindeutig gegeben ist. Denn genau diese Feststellung setzt streng genommen bereits die Anwendung all jener schadenersatzrechtlichen Normen wieder voraus, denen man offenkundig entkommen wollte. Dazu kommt, dass manche Länder - entgegen der bundesrechtlichen Vorgabe - kein Entschädigungsmodell, sondern ein Härtefallmodell verwirklichen, bei dem die Leistungsausschüttung völlig im freien Ermessen steht.282
4. Rechtsbeziehungen zu Krankenversicherungsträgern Die Rechtsbeziehungen zu den Krankenversicherungsträgern sind durch privatrechtliche Verträge zu regeln (§§ 148 f ASVG). Zur Entscheidung über Streitigkeiten aus den zwischen öffentlichen und gemeinnützigen Krankenanstalten einerseits und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger (oder einem Krankenversicherungsträger) andererseits abgeschlossenen Verträgen, einschließlich der Entscheidung über die aus diesen Verträgen erwachsenden Leistungsansprüche gegenüber Sozialversicherungsträgern oder Landesgesundheitsfonds, sind landesgesetzlich eingerichtete Schiedskommissionen zuständig.283 Diesen Schiedskommissionen obliegt auch die Entscheidung über 279
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Zusammenfassender Überblick (teilweise überholt) und Diskussion bei Pitzl/Huber, Verschuldensunabhängige Patientenhaftung - Patientenentschädigungsfonds, RdM 2003, 100; Kossak, Der Entschädigungsfonds gem § 27a Abs 5 und Abs 6 Krankenanstaltengesetz, RdM 2002, 110; Bernat, MedR 2004, 310; Bachinger, Außergerichtliche Streitbeilegung, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis, 2003ff, II/70ff; Leischner, Die Streitbeilegung in medizinischen Haftungsfällen in der Gegenwart, Wiener rechtswissenschaftliche Dissertation, 2005, 167ff. Kossak, RdM 2002, 111, 115. Kritisch auch Kopetzki, Patientenrechte in Österreich - Entwicklungen und Fehlentwicklungen, in: Kern/Kopetzki (Hrsg), Patientenrechte und ihre Handhabung, 2006, 13 (27). § 22 bgld GesundheitswesenG, bgld LGBl 2006/5; § 12 Krnt GesundheitsfondsG K-GFG, Krnt LGBl 2005/83; §§ 98ff nö KAG; §§ 86aff oö KAG; sbg Patientinnenund Patientenentschädigungs-G (PEG), sbg LGBl 2002/59; (stmk) Gesetz über die Patientenentschädigung, stmk LGBl 2002/113 idF 2006/146; Geschäftsordnung der (stmk) Patienten-Entschädigungskommission (GOPEK), stmk LGBl 2003/17; Tir Patientenentschädigungsfonds-G, Tir LGBl 2001/71 idF 2005/39; § 5a Vbg Patienten- und KlientenschutzG, Vbg LGBl 1999/26 idF 2006/4; § 46a Abs 7 Wr KAG iVm den Richtlinien des Wiener Patientenentschädigungsfonds (www.wien.gv.at/ patanw/patientenfonds.htm). So zB § 12 Krnt GesundheitsfondsG - K-GFG, Krnt LGBl 2005/83. Vgl Art 41 der Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, BGBl I 2005/73, und die entsprechenden Landes-KAG (zB § 50 Wr KAG). Eine Gerichtszuständigkeit für konkrete Leistungsbegehren besteht nicht mehr (OGH 26. 4. 2000, 7 Ob 17/00a; 2. 10. 2001, 2 Ob 215/01h; RdM 2004/122). Die Schiedskommissionen sind auch zur Entscheidung über Ersatzansprüche der Krankenversicherungsträger gem § 1042 ABGB gegenüber den Landesgesundheits-
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den Abschluss von Verträgen zwischen dem Hauptverband und den nicht landesfondsfinanzierten öffentlichen Krankenanstalten, die am 31. 12. 1996 bereits bestanden.284
B. Anstaltsordnung Der „innere Betrieb“ jeder Krankenanstalt ist gem § 6 KAKuG und den näheren Vorschriften der Landes-KAG durch eine vom Rechtsträger der Anstalt zu erlassende Anstaltsordnung zu regeln. Diese hat insb die Aufgaben und Einrichtungen, eine allfällige Gliederung in Abteilungen, die Grundzüge ihrer Verwaltung und Betriebsform,285 die Dienstobliegenheiten der in der Krankenanstalt beschäftigten Personen („Dienstordnung“), das von Pfleglingen und Besuchern zu beobachtende Verhalten („Hausordnung“) sowie die Festlegung von Rauchverboten286 zu regeln (§ 6 Abs 1 KAKuG). Die Anstaltsordnung bzw ihre Änderung bedarf der Genehmigung der Landesregierung (§ 6 Abs 5 KAKuG). Das Vorliegen einer einwandfreien und hinreichend bestimmten Anstaltsordnung ist Voraussetzung für die Erteilung der Betriebsbewilligung.287 Die Rechtsnatur der Anstaltsordnung ist nach wie vor strittig.288 Die weithin herrschende zivilrechtliche Deutung als Vertragsschablone vermag jedenfalls nicht zu erklären, weshalb die vom KAKuG als einheitliche Norm konzipierte Anstaltsordnung Personal, Patienten und Besucher gleichermaßen verpflichten soll.289
C. Ärztliche Bereitschaft Gem § 8 Abs 1 Z 1 KAKuG und den im Wesentlichen gleichlautenden LandesKAG muss der ärztliche Dienst in Krankenanstalten so eingerichtet sein, dass ärztliche Hilfe in der Anstalt „jederzeit sofort erreichbar ist“. Dadurch soll
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fonds zuständig, soweit Leistungen, die mit den Pauschalbeträgen zur Krankenanstaltenfinanzierung abgegolten sind, in Fondskrankenanstalten nicht erbracht worden sind (vgl VfSlg 15.972/2000, 16. 959/2003; VfGH 17. 3. 2006, B 304/05; dazu auch FN 13). Streitigkeiten über die Höhe der von den Krankenversicherungsträgern an die Krankenanstaltenträger zu leistenden Gebührenersätze (oder über die Verpflichtung zum Vertragsabschluss) fallen in den Anwendungsbereich des Art 6 Abs 1 EMRK, die Schiedskommission muss daher als unabhängiges Tribunal iSd Art 6 EMRK eingerichtet sein (zuletzt VfSlg 17.086/2003 mwN). Dazu zB VfSlg 17.086/2003. Einschließlich einer allfälligen Funktion als „Tagesklinik“ oder „Nachtklinik“: § 6 Abs 1 lit b KAKuG. Hiebei sind auch die (einschränkenden) Vorgaben des Tabakgesetzes, BGBl 1995/431 idF I 2006/47, zu beachten. VwSlg 8801 A/1975. Zum Meinungsstand Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 2, 433 f mwN; Schneider, Ordinationen, 250ff; Kneihs, Privater Befehl und Zwang, 2004, 334ff. So zutreffend VfSlg 13.023/1992 („sowohl die Patienten als auch die Ärzte“). Gegen eine Deutung der an das Personal gerichteten Teile als dienst- bzw arbeitsrechtliche Norm auch OGH JBl 1990, 59 (die Regelung der Aufgabenaufteilung und des Pflichtenkreises der Beschäftigten ist nicht dienstrechtlicher, sondern ausschließlich krankenanstaltenrechtlicher Natur). Zum Diskussionsstand zuletzt Kneihs (FN 288), 340ff, der eine aus dem Eigentumsrecht und der Dienstgeberstellung zusammengesetzte eigenständige privatrechtliche Anordnungsbefugnis annimmt.
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ärztliche Hilfe zu jeder Tages- und Nachtzeit gewährleistet sein. Nach herrschender Ansicht setzt dies die ständige Anwesenheit eines zur selbständigen Berufsausübung berechtigten diensthabenden Arztes in der Anstalt voraus.290 Ausnahmen bestehen (nur)291 für selbständige Ambulatorien für physikalische Therapie, in denen keine Turnusärzte ausgebildet werden: Hier kann anstelle einer dauernden ärztlichen Anwesenheit der ärztliche Dienst so organisiert sein, dass „ärztliche Hilfe jederzeit erreichbar“ ist und durch regelmäßige tägliche Anwesenheit die erforderlichen ärztlichen Anordnungen und die erforderliche Aufsicht gegeben sind (§ 8 Abs 1 Z 6 KAKuG). Die lange Zeit strittige Frage, welche Qualifikation die diensthabenden Ärzte aufweisen müssen, wurde mit der KAG-Nov BGBl 1996/751 im Sinne eines je nach Versorgungsstufe abgestuften Modells gelöst:292 In Zentralkrankenanstalten muss uneingeschränkt die Anwesenheit von Fachärzten aller in Betracht kommenden Sonderfächer gegeben sein (§ 8 Abs 1 Z 2). In Schwerpunktkrankenanstalten ist die dauernde Facharztpräsenz jedenfalls in bestimmten Abteilungen und Organisationseinheiten (Anästhesiologie und Intensivmedizin, Chirurgie, Innere Medizin, Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Kinderund Jugendheilkunde, Psychiatrie und Unfallchirurgie) zwingend, während im Übrigen für Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienste eine Rufbereitschaft genügt (§ 8 Abs 1 Z 3)293. In Standardkrankenanstalten ist die Einrichtung der bloßen Rufbereitschaft für Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienste generell möglich, wobei lediglich eine sofortige notfallmedizinische Versorgung durch einen anwesenden Facharzt bestimmter Sonderfächer gewährleistet sein muss; im Tagdienst ist die ständige Facharztanwesenheit auf allen Abteilungen aber auch hier obligat (§ 8 Abs 1 Z 4). Auch in Fachschwerpunkten kann außerhalb der Betriebszeiten auf eine dauernde Anwesenheit von Fachärzten zugunsten der Rufbereitschaft verzichtet werden (§ 8 Abs 1 Z 5). Die mit einem solchen System der Rufbereitschaft zwangsläufig einhergehende (vorübergehende) Tätigkeit von Turnusärzten ohne Beaufsichtigung durch einen anwesenden Facharzt wurde durch die ÄrzteG-Nov BGBl 1996/752 unter der Voraus-
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MwN Kopetzki, Zur fachärztlichen Versorgung in Krankenanstalten, RdM 1995, 123; Mayer, in: Beiträge, 237 f. Die Erreichbarkeit durch Funk genügt nicht (VwGH ZfVB 1989/1/113), ebenso wenig die Anwesenheit eines Turnusarztes. Für eine interpretative Ausdehnung auf andere Ambulatorien Stellamor/Steiner, Handbuch des österreichischen Arztrechts, Bd 1, 1999, 587; dagegen Schneider, Ordinationen, 227. Dazu 359 BlgNR 20. GP, 23 f; Steiner, Rechtsfragen der Rufbereitschaft, RdM 1997, 80. Zur Rufbereitschaft - insb auch aus arbeits(zeit)rechtlicher Qualifikation als Arbeitszeit - zB Füszl, IV/19f; Stärker, Rufbereitschaft im Arbeits-, Dienst-, Krankenanstalten- und ärztlichen Berufsrecht, RdM 2003, 84; derselbe, Rufbereitschaft, tägliche Ruhezeit und ausgefallene Normalarbeitszeit im Bereich des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes, RdM 2002, 46; Drs, Aktuelle Fragen zum KA-AZG, RdM 2004, 126; Standeker, Gilt ortsgebundener Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit?, DRdA 2004, 232; Stärker, Kommentar zur EU-Arbeitszeit-Richtlinie, 2006, 43; EuGH 9. 9. 2003, C-151/02, Jaeger.
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setzung für zulässig erklärt, dass der in Ausbildung stehende Arzt bereits über die entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten verfügt.294 Die in § 8 Abs 1 KAKuG vorgeschriebene fachärztliche Mindestversorgungsdichte stellt allerdings nur eine Untergrenze dar; der Landesgesetzgeber kann die darin eröffnete Möglichkeit zur Einführung einer Rufbereitschaft ausschöpfen, muss dies aber nicht. Die unmittelbar anwendbaren Vorschriften für die Einrichtung des ärztlichen Dienstes sind daher nach dem jeweiligen Landes-KAG und allfälligen Durchführungsverordnungen295 zu beurteilen. In jenen Ländern, die keine Rufbereitschaft eingerichtet haben,296 ist somit weiterhin vom Grundsatz auszugehen, dass jedenfalls in Fachabteilungen eine fachärztliche Hilfe „jederzeit sofort erreichbar“ sein muss.297 Für andere Einrichtungen wird das Niveau der jederzeit gebotenen ärztlichen Hilfe freilich unter Berücksichtigung der konkreten Bedürfnisse und Erfordernisse der Patientenbetreuung differenzierter ausfallen müssen: In diesem Sinn hat der OGH die Auffassung vertreten, dass in Außenstellen eines selbständigen Ambulatoriums für medizinische und chemische Labordiagnostik, wo ausschließlich Blutabnahmen durchgeführt werden, die ständige Anwesenheit eines Facharztes für medizinische und chemische Labordiagnostik nicht zwingend erforderlich sei; es genüge vielmehr die Anwesenheit eines Arztes für Allgemeinmedizin, der die Ausbildung zum Notarzt (§ 40 ÄrzteG) absolviert hat.298
D. Ärztliche Behandlung Über den Kernbereich der anstaltlichen Leistungserbringung, die medizinische Behandlung, enthält das KAKuG nur (mehr) rudimentäre Bestimmungen, die sich im Wesentlichen mit den allgemeinen medizinrechtlichen Grundsätzen decken. Eine der wenigen Modifikationen enthält § 8 Abs 2 KAKuG, wonach Pfleglinge nur nach den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft ärztlich behandelt werden dürfen. Durch die Bindung an 294
295 296 297
298
Vgl § 3 Abs 3 ÄrzteG 1998, dazu Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 19882, 2001, § 3 Anm 7ff. Maßgeblich ist der Ausbildungsstand (381 BlgNR 20. GP, 4); näher - auch zu den haftungsrechtlichen Aspekten - Harrer, Zivilrechtliche Arzthaftung und Ressourcenverknappung, in: Kopetzki/Zahrl (Hrsg), Behandlungsanspruch und Wirtschaftlichkeitsgebot, 1998, 39 (47); Wimmer, Rechtsfragen im Turnusarztverhältnis, 2000, 55ff; Hellwagner, Rezepte durch Turnusärzte?, RdM 2005, 6. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der Verweisungen zwischen Ärzte- und Krankenanstaltenrecht Attlmayr, Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des „Bezugnehmens“ auf Normen anderer Rechtssetzungsautoritäten, ÖJZ 2000, 96. Vgl zB die Ermächtigung zur Einschränkung der Rufbereitschaft durch V der Landesregierung in § 19 Abs 2 nö KAG. Vgl § 13 Wr KAG, § 27 sbg KAG. Zur früheren, wenngleich strittigen Rechtslage mwN Kopetzki (FN 290), 123ff; differenzierend Mayer, in: Beiträge, 238ff; Aigner, Leistungsverpflichtung, 44 f. Fehlt es - insb vor dem Hintergrund der strengen Arbeitszeitbestimmungen des KAAZG - an ausreichendem qualifiziertem (fachärztlichem) Personal, so kann dies zumindest bei öffentlichen Krankenanstalten, die von einem oder für ein Land betrieben werden, einen Rechtfertigungsgrund im Hinblick auf Verstöße gegen das Arbeitszeitrecht abgeben (VwSlg 14.501 A/1996 = RdM 1996/31). Bei strafrechtlich relevanten Schädigungen durch personelle Unterversorgung kommt künftig eine Trägerhaftung nach dem VerbandsverantwortlichkeitsG - VbVG (BGBl I 2005/151) in Betracht; dazu zB Pilz, Zur strafrechtlichen Verantwortung von Krankenanstalten nach dem neuen Unternehmensstrafrecht, RdM 2006, 102. OGH RdM 2000/5.
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„anerkannte“ Methoden wird die Anwendung „alternativer“ („schulmedizinisch“ nicht oder noch nicht anerkannter) Methoden weiter eingeschränkt als bei freiberuflichen Ärzten.299 Ein striktes Verbot neuartiger Verfahren folgt daraus allerdings schon deshalb nicht, weil das KAKuG die Anwendung „neuer medizinischer Methoden“ an anderer Stelle (§ 8c Abs 1 - Beurteilung durch Ethikkommissionen) als zulässig voraussetzt. Heilversuche bleiben daher erlaubt, solange keine allgemein anerkannte konventionelle Methode besteht oder diese eine geringere Erfolgsaussicht und/oder höhere Risken aufweist. § 8 Abs 2 verbietet lediglich das Abweichen von anerkannten Methoden zugunsten weniger erprobter und möglicherweise mit größerem Risiko behafteter Verfahren, nicht jedoch den Einsatz neuer Verfahren dann, wenn eine anerkannte Methode überhaupt fehlt oder weniger erfolgversprechend ist.300 Auch die Zulässigkeit klinischer Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten nach AMG und MPG, der Durchführung von Genanalysen nach GTG, von Maßnahmen der Reproduktionsmedizin nach FMedG oder von neuartigen Verfahren der Organtransplantation wird durch § 8 Abs 2 KAKuG nicht berührt. Die vom allgemeinen Zivil- und Strafrecht abweichenden Sonderbestimmungen für die Behandlungszustimmung, insb die abweichenden Altersgrenzen des alten § 8 Abs 3 KAG, wurden durch die Novelle BGBl I 2000/135 zumindest im Ergebnis - beseitigt: Danach dürfen Behandlungen301 nur mit Zustimmung des Pfleglings durchgeführt werden; durch die nicht näher präzisierte Bezugnahme auf die „eigene Handlungsfähigkeit“ enthielt § 8 Abs 3 aber hinsichtlich der Schwelle für die Einwilligungsfähigkeit einen impliziten Verweis auf das Zivilrecht,302 sodass die damit zusammenhängenden Fragen auch in Krankenanstalten nach den einschlägigen Regelungen des ABGB303 zu beurteilen waren.304 Mit dem GesundheitsrechtsänderungsG 2006 wurde die Rege299
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Vgl demgegenüber § 42 und § 49 Abs 1 ÄrzteG; dazu mwN Aigner/Kierein/ Kopetzki, Ärztegesetz 19882, 2001, § 42 Anm 5; Aigner, Leistungsverpflichtung, 42ff; Füszl, IV/20. Näher Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 2, 792ff. Der Begriff der Behandlung iSd § 8 Abs 3 KAKuG ist weit zu verstehen und auf sämtliche medizinische Leistungen zu beziehen, die in einer Krankenanstalt erbracht werden können; so wohl auch Füszl, IV/14. Ausdrücklich in diesem Sinn zB § 13 Abs 3 Wr KAG („unter welchen Umständen die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich ist, richtet sich nach den Bestimmungen des Zivilrechts“). Vgl (für Kinder) §§ 146c ff ABGB; für die Zustimmung von (erwachsenen) Personen unter Sachwalterschaft sind künftig (ab 1. Juli 2007) die § 283 (Einwilligung in die medizinischen Behandlung) und § 284b Abs 3 ABGB (Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger) idF des Sachwalterrechts-ÄnderungsG 2006, BGBl I 2006/92, maßgeblich; dazu Barth, Checkliste: Medizinische Behandlung von Personen unter Sachwalterschaft, RdM 2006, 100. Zur Wirksamkeit von antizipierten Behandlungsablehnungen vgl nun das PatientenverfügungsG, BGBl I 2006/55. Vgl für Einzelheiten Kopetzki, Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, in: Kopetzki (Hrsg), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, 1 (22ff); Resch, Die Fähigkeit zur Einwilligung - zivilrechtliche Fragen, ibid, 38ff. Für eine Übersicht über die Rechtslage (vor dem KindRÄG) mwN Kopetzki, Landesbericht Österreich, in: Taupitz (Hrsg), Zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens, 2000, 1.
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lung schließlich auch terminologisch an § 146c ABGB und das PatVG angepasst und für die Wirksamkeit der Einwilligung ausdrücklich auf die Einsichtsund Urteilsfähigkeit abgestellt: Behandlungen bedürfen der „Einwilligung“ des Pfleglings; bei fehlender Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist - sofern die Vornahme der medizinischen Behandlung nicht durch eine verbindliche Patientenverfügung ausgeschlossen ist - die „Zustimmung“ des gesetzlichen Vertreters erforderlich.305 Eine selbständige normative Bedeutung hat § 8 Abs 3 letzter Satz KAKuG, der - im Kontext der an § 110 Abs 2 StGB angelehnten Regel für die Behandlung Einwilligungsunfähiger bei Gefahr im Verzug - die Entscheidung über Notwendigkeit und Dringlichkeit der Behandlung dem ärztlichen Leiter oder dem für die Leitung der betreffenden Anstaltsabteilung verantwortlichen Arzt überträgt. Für bestimmte Behandlungsmaßnahmen gelten besondere Regelungen über die Einwilligung.306
E. Aufnahme, Entlassung Während freiberufliche Ärzte im Allgemeinen307 nur zur Ersten Hilfe im Fall drohender Lebensgefahr verpflichtet sind (§ 48 ÄrzteG), besteht für Krankenanstalten eine weitergehende Aufnahme- und Behandlungspflicht: Gemäß § 23 Abs 1 KAKuG darf in öffentlichen Krankenanstalten unbedingt notwendige erste ärztliche Hilfe niemandem verweigert werden. Da § 40 Abs 1 lit c KAKuG den Anwendungsbereich dieser Bestimmung auf private Krankenanstalten308 und damit auch auf selbständige Ambulatorien ausdehnt, hat sie im Ergebnis für sämtliche Krankenanstalten Geltung.309 Wann ärztliche Hilfe „unbedingt notwendig“ ist, muss unter Bedachtnahme auf den Anstaltszweck und das verfügbare Leistungsangebot beurteilt werden. Wer etwa einer bestimmten 305
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Vgl § 8 Abs 3 KAKuG idF des GesundheitsrechtsänderungsG 2006, BGBl I 2006/122; AB 1494 BlgNR 22. GP. Welchen Sinn die dadurch auch in § 8 Abs 3 KAKuG eingeführte kunstvolle Differenzierung zwischen „Einwilligung“ (des Patienten) und „Zustimmung“ (des gesetzlichen Vertreters) haben soll, bleibt hier - auch nach Lektüre der Ausschussberichtes 1495 BlgNR 22. GP, 2 - ebenso unerfindlich wie in § 146c ABGB; vgl dazu schon Kopetzki, Einwilligung (FN 304), 21. Das KAKuG hält diese (normativ bedeutungslose) Unterscheidung auch nicht konsequent durch (vgl nur § 8c Abs 2 Z 3, § 44 KAKuG). Vgl zB §§ 35ff UbG (psychiatrische Unterbringung); §§ 38ff AMG, §§ 49ff MPG (klinische Prüfung); § 69 GTG (Genanalyse); § 8 FMedG (medizinisch unterstützte Fortpflanzung); § 8 BSG (Blutspende); § 5 der V über die Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung in der HIV-Diagnostik und die bei der Vornahme von HIV-Tests einzuhaltende Vorgangsweise, BGBl 1994/772 idF II 2004/221 (HIV-Test). Aus dem Kassenvertragsrecht ergeben sich regelmäßig weitergehende Behandlungspflichten. Abweichende Meinungen (zB Th. Radner, Aufnahmepflichten öffentlicher Krankenanstalten, RdM 1996, 7 (8), dagegen zu Recht Aigner, Zur Aufnahmepflicht öffentlicher Krankenanstalten, RdM 1996, 111) sind mit der Neufassung des § 40 Abs 1 lit c durch die Novelle BGBl I 2000/80 überholt. Vgl in diesem Sinn auch § 33 Abs 1 bgld KAG, § 31 Abs 1 Krnt KAO, § 47 iVm § 88 Abs 1 Z 2 oö KAG, § 27 Abs 1 sbg KAG, § 30 Abs 1 iVm § 57 lit c stmk KAG, § 59 lit b Tir KAG, § 36 Abs 1 Vbg SpG, § 62 lit c Wr KAG. Unklar - wenngleich bei grundsatzkonformer Auslegung wohl ebenso - die Rechtslage in Niederösterreich (vgl die in ihrem Umfang nicht eindeutige Verweisung in § 79 Abs 1 nö KAG auf das Hauptstück C, wo § 40 nö KAG nicht gesondert erwähnt wird).
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Spezialbehandlung bedarf, muss nur dann aufgenommen und behandelt werden, wenn und soweit die dafür erforderlichen Einrichtungen auch tatsächlich vorhanden sind;310 trifft dies nicht zu, so ist der Patient einer anderweitigen fachgerechten Behandlung zuzuführen.311 In keinem Fall darf der Zugang zu einer Behandlungseinrichtung oder der Erhalt einer Leistung davon abhängig gemacht werden, dass der Patient eine Patientenverfügung errichtet oder dies unterlässt (§ 15 PatVG). Pfleglinge sind gem § 24 Abs 1 KAKuG zu entlassen, wenn sie wegen des durch anstaltsärztliche Untersuchung festgestellten Behandlungserfolges nicht mehr anstaltsbedürftig sind oder wenn sie zwar anstaltsbedürftig sind, aber etwa weil eine notwendige Behandlung in der Anstalt nicht durchgeführt werden kann - die Überstellung in eine andere Krankenanstalt notwendig wird und sichergestellt ist. Vor jeder Entlassung ist durch Untersuchung festzustellen, ob der Pflegling geheilt, gebessert oder ungeheilt entlassen wird. Bei der Entlassung ist gem § 24 Abs 2 KAKuG neben dem „Entlassungsschein“ ein Arztbrief auszufertigen, der die für eine allfällige weitere medizinische Betreuung maßgebenden Angaben und Empfehlungen sowie allfällige Anordnungen für die Angehörigen der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe (im mitverantwortlichen Tätigkeitsbereich) zu enthalten hat. Empfehlungen hinsichtlich der weiteren Medikation haben (wenn medizinisch vertretbar) den Erstattungskodex312 und die Richtlinie über die ökonomische Verschreibweise313 zu berücksichtigen314. Erforderlichenfalls ist eine Bewilligung des chefund kontrollärztlichen Dienstes des Krankenversicherungsträgers einzuholen315. Diese Regelungen gelten grundsätzlich für alle Krankenanstalten; die Berücksichtigungspflicht in Bezug auf den Erstattungskodex und die Richtlinie über die ökonomische Verschreibweise findet auf private Krankenanstalten hingegen nur dann Anwendung, wenn der Pflegling die Heilmittel auf Kosten eines Krankenversicherungsträgers beziehen wird.316
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Aigner (FN 308), RdM 1996, 112; mwN Schneider, Ordinationen, 286ff, dort auch zur gebotenen Unterscheidung zwischen Erstversorgung und Weiterbehandlung. Radner/Haslinger/Reinberg/Bumberger, § 23 KAKuG Anm 1. Vgl zu dem - an die Stelle des früheren „Heilmittelverzeichnisses“ getretenen Erstattungskodex näher § 31 Abs 3 Z 12, §§ 351c ff ASVG. Er enthält, vereinfacht gesprochen, jene Arzneispezialitäten, die im niedergelassenen Bereich unter näher bezeichneten Voraussetzungen auf Rechnung der Krankenversicherungsträger abgegeben und verschrieben werden können. Dazu mwN Kopetzki, Das Verfahren der Aufnahme ins Heilmittel- und Leistungsverzeichnis der Sozialversicherung, in: Kneihs/Lienbacher/Runggaldier (Hrsg), Wirtschaftssteuerung durch Sozialversicherungsrecht?, 2005, 311, sowie die Beiträge in: Mazal (Hrsg), Erstattungskodex, 2005. Richtlinie über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen (RöV 2005), www.avsv.at, Nr 5/2005. Durch die Verweisungen im Krankenanstaltenrecht (vgl neben § 24 Abs 2 insb auch § 19a Abs 4 Z 3 KAKuG) soll die Steuerungsfunktion des Erstattungskodex bzw der Richtlinie über die ökonomische Verschreibweise auch im stationären Bereich zum Tragen kommen. Vgl auch § 6 Abs 3 der Heilmittel-Bewilligungs- und KontrollV, BGBl II 2004/473. § 24 Abs 2 iVm § 40 Abs 1 lit c KAKuG und die korrespondierenden Landes-KAG.
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Der Patient hat die Wahl, ob dieser Arztbrief ihm selbst, dem einweisenden oder weiterbehandelnden Arzt und der für die weitere Pflege und Betreuung in Aussicht genommenen Einrichtung oder dem entsprechenden Angehörigen der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe übermittelt wird. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen der Patientenautonomie ist der Patient auf seinen eigenen Wunsch bzw den Wunsch seines gesetzlichen Vertreters auch bei fortbestehender Behandlungsnotwendigkeit zu entlassen, doch hat der behandelnde Arzt in diesem Fall gem § 24 Abs 4 KAKuG auf allfällige nachteilige Folgen für die Gesundheit aufmerksam zu machen und darüber eine Niederschrift aufzunehmen.317 Auch diese Bestimmungen gelten wegen der Verweisung in § 40 Abs 1 lit c KAKuG für alle Krankenanstalten.
F. Verschwiegenheit § 9 Abs 1 KAKuG verpflichtet die bei den Trägern von Krankenanstalten und in Krankenanstalten beschäftigten Personen sowie die Mitglieder von Ausbildungs- und Ethikkommissionen zur Verschwiegenheit hinsichtlich aller den Gesundheitszustand betreffenden Umstände sowie der persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse der Pfleglinge, die ihnen in Ausübung ihres Berufes bekannt geworden sind. Diese krankenanstaltenrechtliche Schweigepflicht geht inhaltlich weiter als jene (etwa) des § 54 ÄrzteG, da sie auf sämtliche Tatsachen („Umstände“) abzielt und nicht bloß auf „Geheimnisse“. Der persönliche Anwendungsbereich des § 9 KAKuG ist allerdings schmal, da er gegenüber „anderen gesetzlichen oder dienstrechtlichen Vorschriften“ subsidiär ist.318 Die Verschwiegenheitspflicht der in der Krankenanstalt tätigen Personen richtet sich somit nach deren jeweiligem Dienst- und Berufsrecht und nicht nach dem KAKuG, was vor allem für die unterschiedlich weit gehenden Durchbrechungsmöglichkeiten von Bedeutung ist.319 Unter § 9 KAKuG fallen daher nur jene Personen, die überhaupt keiner anderen gesetzlichen (dienstoder berufsrechtlichen) Schweigepflicht unterliegen, also etwa Medizinstudenten, vorübergehend (vertraglich) verpflichtetes Hilfspersonal oder externe Mitglieder von Ethikkommissionen etc.320 Durchbrechungen der Schweigepflicht sind nach den für die jeweilige Berufsgruppe bestehenden dienst- und berufsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen.321 „Im übrigen“ - also dann, wenn keine sonstigen Regelungen anwendbar 317
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Sogenannte „Entlassung gegen Revers“; dazu Aigner, Leistungsverpflichtung, 41 f. Der in § 24 Abs 4 KAKuG zusätzlich für beachtlich erklärte Entlassungswunsch der „Angehörigen“ kann aus verfassungsrechtlichen Gründen - wenn überhaupt - wohl nur bei einwilligungsunfähigen Patienten relevant sein. Kopetzki, Organgewinnung (FN 34), 211ff; Füszl, IV/28. Für eine Übersicht über die vielfältigen Rechtsgrundlagen vgl mwN zB KleteckaPulker, Schweige-, Anzeige- und Meldepflichten, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis, 2003ff, I/191ff. Zu den (personellen) Grenzen dieser Verschwiegenheitspflicht Aigner, Leistungsverpflichtung, 51. Daher ist etwa die Zulässigkeit der Übermittlung eines ärztlichen Befundes über die alkoholbedingte Fahruntauglichkeit eines Rettungsfahrers an die Führerscheinbehörde durch einen Spitalsarzt nach § 54 ÄrzteG (und nicht nach § 9 KAKuG) zu beurteilen (dazu OGH 12.12.2002, 6 Ob 267/02m = RdM 2003/63).
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sind - besteht die Verschwiegenheitspflicht gem § 9 Abs 2 KAKuG dann nicht, wenn die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt durch ein öffentliches Interesse, insb durch Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege gerechtfertigt ist. Dies bedarf einer umfassenden Interessenabwägung.322 Explizite gesetzliche Meldepflichten323 können als Konkretisierung dieses öffentlichen Interesses gedeutet werden und stellen jedenfalls eine hinreichende Rechtfertigung (und Verpflichtung) für die Informationspreisgabe dar. Neben den erwähnten berufs- und krankenanstaltenrechtlichen Schweigepflichten sind weiters die Bestimmungen des DSG 2000 zu beachten.324 Für bestimmte Sektoren der Medizin bestehen darüber hinaus noch weitergehende bereichsspezifische Verschwiegenheits- und Datenschutzvorschriften.325
G. Dokumentation, Führung von Krankengeschichten 1. Dokumentationspflichten Ergänzend zu berufsrechtlichen und vertraglich begründeten Dokumentationspflichten326 und Aufzeichnungspflichten in speziellen Gebieten der Medizin327 normiert § 10 KAKuG eine - an den Träger der Anstalt gerichtete und landes322
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Wegen der nur demonstrativen Aufzählung der „Gesundheitspflege“ und der „Rechtspflege“ als Beispiele eines hinreichenden „öffentlichen“ Interesses ist der Durchbrechungstatbestand des § 9 Abs 2 KAKuG weiter formuliert als etwa § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG, der nur diese beiden Interessenssphären nennt. Der praktische Unterschied ist allerdings gering, da nach der jüngeren Judikatur des OGH § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG ebenfalls Durchbrechungen zum Schutz anderer öffentlicher Interessen zulässt: OGH 12.12.2002, 6 Ob 267/02m = RdM 2003/63 (alkoholisierter Rettungsfahrer). Übersicht bei Kletecka-Pulker, Schweige-, Anzeige- und Meldepflichten (FN 319), I/211ff; vgl auch Schwaighofer/Steiner, Die Anzeigepflicht der Ärzte und Rechtsträger von Krankenanstalten, RdM 2000, 45. In aller Regel treffen solche Meldepflichten ohnehin jene Berufsgruppen, die eine spezifische berufs- und/oder dienstrechtliche Schweigepflicht haben, sodass die Informationspflicht eine Ausnahme gegenüber der beruflichen Schweigepflicht (und nicht jener nach § 9 KAKuG) darstellt; vgl zB § 54 Abs 2 Z 1 ÄrzteG. Anderes gilt freilich bei den unmittelbar an die Krankenanstalten bzw ihre Träger adressierten Meldepflichten (statt vieler § 148 Z 5 lid ASVG; § 64b Abs 5 Wr KAG): Diese sind - ebenso wie ihre Durchbrechungen - grundsätzlich nach § 9 KAKuG zu beurteilen. Vgl zB Schwamberger, Einige gesundheitsrechtlich relevante Aspekte des Datenschutzgesetzes 2002, RdM 1999, 131. Vgl zB § 62b KAKuG; § 71 GTG; § 20 Abs 1 FMedG; § 39a UbG; § 6 VSPAG; § 15 Abs 5 SMG; § 46 AMG. ZB § 51 ÄrzteG, § 5 GuKG. Dazu und zum Folgenden näher Kletecka-Pulker, Dokumentation, in: Aigner ua (Hrsg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis, 2003ff, I/155ff. Zur Ableitung aus dem Behandlungsvertrag, zum Umfang der ärztlichen Dokumentationspflicht und zu den Rechtsfolgen von Dokumentationsmängeln mwN OGH SZ 2004/122 = RdM 2004/124; SZ 67/9; SZ 68/207 uam; Juen (FN 258), 143ff. Zu möglichen arbeits- und dienstrechtlichen Konsequenzen von Dokumentationsmängeln zB VwGH ZfVB 2004/654 (mangelhafte Führung der Krankengeschichte für Suspendierung ausreichend); OGH RdM 2001/17 (Verfälschung der Krankengeschichte als Entlassungsgrund). Vgl zB § 18 FMedG; § 84 ASchG; § 10 Abs 2, §§ 33ff UbG; § 6 HeimAufG; § 11 BSG; § 36 Z 8, § 46 AMG; § 43 MPG; § 71a GTG; § 18 MedStrSchV.
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gesetzlich unterschiedlich ausgeführte - generelle Dokumentationspflicht im Krankenanstaltsbereich.328 Im Einzelnen sind „Vormerke über die Aufnahme und Entlassung“, die eigentliche „Krankengeschichte“ sowie „Operationsprotokolle, Obduktionsprotokolle und Niederschriften über Organentnahmen“ zu unterscheiden:329 In den Vormerken über die Aufnahme und Entlassung der Pfleglinge (§ 10 Abs 1 Z 1 KAKuG) - auch als Aufnahmebuch oder Aufnahmekartei bezeichnet330 - sind Aufzeichnungen über die Aufnahme und Entlassung der Patienten, die wichtigsten Personaldaten, die zur Aufnahme führende Krankheit sowie der Aufnahme- und Entlassungstag, gegebenenfalls auch der Todestag einzutragen. Im Fall der Ablehnung der Aufnahme sind auch die dafür maßgebenden Gründe zu dokumentieren. In der Krankengeschichte sind die Vorgeschichte der Erkrankung (Anamnese), der Zustand des Pfleglings zur Zeit der Aufnahme (status präsens), der Krankheitsverlauf (decursus morbi), die angeordneten Maßnahmen sowie die erbrachten ärztlichen Leistungen einschließlich der Medikation und Aufklärung zu dokumentieren. Die dabei anfallenden Befunde sind Bestandteil der Krankengeschichte und teilen deren rechtliches Schicksal.331 Mitunter ist der Anschluss bestimmter Dokumente zur Krankengeschichte ausdrücklich vorgeschrieben.332 Ebenfalls zu dokumentieren sind Patientenverfügungen im Sinne des § 2 Abs 1 PatVG,333 sowie Widersprüche gegen Organentnahmen. Schließlich sind auch sonstige angeordnete oder erbrachte wesentliche Leistungen, insb der pflegerischen, psychologischen oder psychotherapeutischen Betreuung sowie Leistungen der medizinisch-technischen Dienste wiederzugeben. Leitender Dokumentationszweck ist, die spätere Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes zu vermeiden. Ungeachtet der terminologischen Vielfalt auf der Ebene der Landes-KAG sind sämtliche erwähnten Dokumente im weiteren Sinn Teil der Krankengeschichte und rechtlich grundsätzlich wie diese zu beurteilen, unabhängig von der Benennung. Auch eine getrennt geführte „Pflegedokumentation“ ist Element der Krankengeschichte (vgl § 10 Abs 1 Z 2 lit b KAKuG). Detaillierte und länderweise unterschiedliche Regelungen bestehen für die Unterfertigung, Aufbewahrung und Vernichtung von Krankengeschichten. Die Mindestaufbewahrungspflicht nach dem KAKuG beträgt 30 Jahre (allenfalls unter Einsatz technischer Informationsträger); für Röntgenbilder und andere Bestandteile, deren Beweiskraft nicht 30 Jahre hindurch gegeben ist, sowie bei ambulanter Behandlung kann die Landesgesetzgebung eine kürzere Frist (mindestens jedoch 10 Jahre) 328
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Dazu Chmelik, Rechtsfragen der Krankengeschichte, Wiener rechtswissenschaftliche Dissertation, 1998/99; Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 2, 876ff; Füszl, IV/29 ff. Vgl für viele § 10 Abs 1 Z 6, § 25 Abs 3 KAKuG; § 17 Abs 1 lit c Wr KAG. ZB § 21 Abs 1 Z 1 oö KAG; § 33 Krnt KAO. ZB Röntgenbilder, dazu auch Lecher/Neugebauer, Aufbewahrungsdauer von Röntgen- und Sonographiebildern, RdM 2002, 146. Biologisches Humanmaterial (zB Tumorabfälle, Biopsieproben etc) ist hingegen nicht Bestandteil der Krankengeschichte und unterliegt daher auch nicht den für diese geltenden Aufbewahrungsregeln; dazu näher Aigner, RdM 2002, 49. Vgl zB § 10 Abs 2, § 39b Abs 1 UbG (fachärztliches Zeugnis bzw amtsärztliche Bescheinigung bei der psychiatrischen Unterbringung); § 14 Abs 1 PatVG (Patientenverfügung). Vgl das PatientenverfügungsG (PatVG), BGBl I 2006/55, und die dort vorgesehenen Dokumentationspflichten (§§ 5, 14 PatVG). Zur Entstehungsgeschichte zB Gmeiner/Kopetzki, Österreichs Weg zu einem Patientenverfügungs-Gesetz, Zeitschrift für Biopolitik 2005/2, 67, sowie mwN - zur Rechtslage vor dem PatVG - die Beiträge in: Kopetzki (Hrsg), Antizipierte Patientenverfügungen, 2000.
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vorsehen.334 Für die Krankengeschichte gelten - auch bei nicht EDV-unterstützter Führung - die Bestimmungen des DSG 2000.
Weitreichende - nicht den individuellen Krankheitsfall betreffende - Dokumentationspflichten für statistische Zwecke der Krankenanstaltenfinanzierung (insb Diagnosen- und Leistungsdokumentation, Dokumentation von Statistikund Kostendaten) enthält das Bundesgesetz über die Dokumentation im Gesundheitswesen (BGBl 1996/745 idF 2004/179) und die dazu ergangenen DurchführungsV.335
2. Einsichts- und Ausfolgungsrechte Ein Recht des Patienten auf Einsicht in die Krankengeschichte ist im KAKuG des Bundes nicht vorgesehen,336 wird aber nach herrschender Ansicht aus dem Behandlungsvertrag abgeleitet337 und in § 5a Z 1 KAKuG als bestehend vorausgesetzt. Die Landes-KAG enthalten demgegenüber - sofern die Frage überhaupt ausdrücklich geregelt ist - unterschiedliche Bestimmungen, deren Palette vom beschränkten (durch therapeutische Rücksichten limitierten) Einsichts- bzw Auskunftsrecht338 bis hin zu einem unbedingten (öffentlichrechtlichen) Anspruch339 reicht. Darüber hinaus bestehen noch weitergehende und von einer Zustimmung des Patienten unabhängige Einsichtsrechte Dritter, etwa für Zwecke der Patientenanwaltschaften,340 der Wirtschaftsaufsicht,341 der Krankenanstaltenfinanzierung342 oder der behördlichen Überwachung im Rah-
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Verletzungen der Aufbewahrungspflicht stellen eine Dokumentationspflichtverletzung dar (OGH SZ 68/207). Diagnosen- und LeistungsdokumentationsV, BGBl II 2003/589; StatistikV für landesfondsfinanzierte Krankenanstalten, BGBl II 2003/639; StatistikV für nichtlandesfondsfinanzierte Krankenanstalten, BGBl II 2003/637; KostenrechnungsV für landesfondsfinanzierte Krankenanstalten, BGBl II 2003/638. Für weitergehende Dokumentationspflichten für statistische Zwecke vgl zB das KrebsstatistikG, BGBl 1969/138 idF 1969/425, die KrebsstatistikV, BGBl 1978/171, sowie die Berichtspflichten gem § 73 GTG und § 19 FMedG iVm der FMedV, BGBl II 1998/362. Vgl allerdings nun § 39 UbG (psychiatrische Unterbringung) und § 20 FMedG (Person des Samenspenders). Vgl OGH SZ 57/98 = JBl 1985, 159; Krückl, Der Anspruch des Patienten auf Einsicht in seine Krankengeschichte, ÖJZ 1983, 281; Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 2, 891ff; zu Einzelfragen näher Kletecka-Pulker, Dokumentation (FN 326), I/168ff. § 21 Abs 7 oö KAG; § 13a Abs 3 stmk KAG. Mit möglichen Einschränkungen (Erläuterung durch behandelnden Arzt) § 21 Abs 3 nö KAG. § 21 Abs 1 Z 1 sbg KAG, § 35 Z 1 bgld KAG. ZB § 3 des G über die Wiener Patientenanwaltschaft, Wr LGBl 1992/19 (Akteneinsicht); § 21 Abs 3 nö KAG; § 48 Abs 8 Vbg SpG. Gleichartige Einsichtsrechte stehen den Patientenanwälten gem UbG (vgl § 39 UbG) sowie den Bewohnervertretern gem HeimAufG zu (§ 9 Abs 1 HeimAufG). Vgl zB § 15 Abs 5 stmk KAG. Vgl zB - bei Fondskrankenanstalten - § 59b KAKuG (Organe des Bundes und Beauftragte der Bundesgesundheitsagentur).
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men der sanitären Aufsicht343 sowie - nach Maßgabe spezieller Materiengesetze - in bestimmten Bereichen der Medizin.344 Von den Einsichtsrechten zu unterscheiden sind Ansprüche auf Ausfolgung der Krankengeschichte (bzw von Kopien). Nach § 10 Abs 1 Z 4 KAKuG und den näheren Bestimmungen der Landes-KAG sind Gerichten und Verwaltungsbehörden in Angelegenheiten, in denen die Feststellung des Gesundheitszustandes für eine Entscheidung im öffentlichen Interesse von Bedeutung ist, ferner den Sozialversicherungsträgern und Organen der Landesgesundheitsfonds (bzw von diesen beauftragten Sachverständigen) sowie einweisenden oder weiterbehandelnden Ärzten kostenlos Kopien von Krankengeschichten und ärztlichen Äußerungen über den Gesundheitszustand des Pfleglings zu übermitteln.345 In manchen Ländern ist der Kreis der Berechtigten noch weiter gezogen.346 Darüber hinaus bestehen für Fondskrankenanstalten vielfältige Einsichts- und Ausfolgungsrechte der Sozialversicherungsträger bzw Verpflichtungen der Krankenanstaltenträger zur elektronischen Übermittlung jener Daten, die zur Erfüllung der Aufgaben der Sozialversicherung erforderlich sind.347 Auch den Sozialhilfeträgern steht aufgrund der Landes-KAG ein Einsichtsrecht in die Unterlagen jener Pflegefälle zu, für deren Kosten sie aufzukommen haben.348 Für private Versicherungen besteht ein Einsichts- bzw Auskunftsrecht nur insoweit, als der Betroffene ausdrücklich zugestimmt hat.349
H. Werbung Die im Gesundheitswesen traditionellen Werbebeschränkungen350 finden sich auch im KAKuG: § 13 KAKuG (bzw die korrespondierenden Bestimmungen der Landes-KAG) verbieten dem Träger einer Krankenanstalt, selbst oder durch andere physische oder juristische Personen351 unsachliche oder unwahre 343
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§ 60 Abs 2 KAKuG. Vgl auch § 48 Abs 8 Vbg SpG, wonach den „mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst betrauten Behörden ... alle Auskünfte zu erteilen [sind], die zur Überwachung und Einhaltung bestehender Vorschriften ... erforderlich sind“. Vgl zB § 2a Z 7, § 46 Abs 5, § 47 Abs 6 AMG (klinische Arzneimittelprüfung); § 55 Abs 4, § 57 Abs 2 MPG (klinische Prüfung von Medizinprodukten); § 18 Abs 3 BSG (Blutspende); § 19 Abs 2 UbG (gerichtliche Zulässigkeitskontrolle der psychiatrischen Unterbringung); § 12 Abs 1 HeimAufG (gerichtliche Zulässigkeitskontrolle von Freiheitsbeschränkungen). Sofern die Landes-KAG keine einschränkende Präzisierung dieser - nicht an die Zustimmung des Patienten gebundenen - Ausfolgungsrechte vorsehen, bestehen dagegen verfassungsrechtliche Bedenken im Lichte des Art 8 Abs 2 EMRK. Vgl zB § 21 Abs 3 nö KAG (Sozialdienste und Sozialstationen). Vgl zB Art 20 Abs 8 der Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens (BGBl I 2005/73); § 148 Z 5 ASVG sowie die LandesausführungsG (zB § 64b Abs 5 Wr KAG; § 63 Abs 6 bgld KAG, § 84 stmk KAG). Vgl § 31 KAKuG und die entsprechenden Ausführungsbestimmungen (zB § 55 Wr KAG). Vgl § 11a VersVG; § 21 Abs 3 nö KAG. Vgl Kostal, Zur Werbung der Gesundheitsberufe, ecolex 1993, 680; VfSlg 14.561/1996; OGH RdM 1996/8; 1998/23 uvam. Zu den ärzterechtlichen Werbebeschränkungen zB Karollus, Grenzen bei der Beratung über Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte, RdM 2006, 4. Vgl auch die umfangreichen Werbebeschränkungen des Arzneimittel- und Medizinprodukterechts, insb §§ 55a, 55b AMG; § 108 MPG. Das schließt eine Verpflichtung ein, gesetzwidrige Veröffentlichungen durch Dritte (insb auch Journalisten) zu verhindern (OGH RdM 1998/23).
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Informationen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Krankenanstalt352 zu geben. Mit dem Wegfall des früheren absoluten Werbeverbotes353 und der Beschränkung auf „unsachliche und unwahre“ Informationen hat der Gesetzgeber - ebenso wie im ärztlichen Berufsrecht - den Anforderungen des Art 10 EMRK (Meinungsäußerungsfreiheit) Rechnung getragen. Wirbt eine Krankenanstalt für ärztliche Leistungen, dann unterliegt sie nach der älteren Rsp zusätzlich zu den Werbebeschränkungen des KAKuG auch jenen des § 53 ÄrzteG einschließlich dessen Konkretisierung durch die von der Österreichischen Ärztekammer gem § 53 Abs 4 ÄrzteG erlassenen Richtlinie „Arzt und Öffentlichkeit“.354 Da § 53 ÄrzteG die unbestimmte Beeinträchtigung des „Standesansehens“ als zusätzliche Werbeschranke enthält355 - und nicht zuletzt auch wegen der Detailfreudigkeit der Kammerrichtlinie -, ergaben sich daraus erheblich weitergehende Schranken, die nicht immer einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhielten.356 Der VfGH hat hingegen aus kompetenzrechtlichen Gründen die undifferenzierte Anwendbarkeit des § 53 ÄrzteG (und der darauf gestützten Kammerrichtlinien) auf die Werbetätigkeit von Krankenanstalten verneint.357 Der OGH hat seine Rsp in der Folge modifiziert und die Anwendung des § 53 ÄrzteG auf Krankenanstalten auf solche Konstellationen beschränkt, in denen die Werbung auf bestimmte Ärzte bzw auf Besonderheiten ärztlicher Leistungen Bezug nimmt.358 Die Werbebeschränkungen
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Der notwendige Zusammenhang fehlt zB bei der Werbung für eine „Kräutersauna“, die sich im selben Haus befindet wie ein Ambulatorium („Kurcenter“) desselben Betreibers (VwGH ZfVB 1987/3/1220). Generelle Werbeverbote, die auch für den Patienten nützliche und sachliche Informationen unterbinden, wurden vom VfGH als überschießende und somit verfassungswidrige Eingriffe in Art 10 EMRK qualifiziert: vgl nur VfSlg 13.554/1993 (Ärzte), 15.291/1998 (oö KAG), 15.292/1998 (stmk KAG). OGH RdM 1998/23, RdM 1999/4, 4. 2. 1999, 4 Ob 337/98g = KRSlg 1722 (Zahnambulatorium). Vgl den Text der aktuell geltenden Richtlinie in ÖÄZ 2005/4 vom 10. 3. 2004. Abgesehen davon enthält das KAKuG kein explizites, dem § 53 Abs 2 ÄrzteG korrespondierendes Provisionsverbot. Vgl jedoch § 55a und § 55b AMG sowie § 108 MPG. Mit guten Gründen hat der OGH gegen das Verbot der Ankündigung unentgeltlicher Behandlungen sowie von Flugblättern und Postwurfsendungen (Art 3 lit d, h der inzwischen außer Kraft getretenen - Richtlinie ÖÄZ 2000/12, 53) verfassungsrechtliche Bedenken formuliert und einen Prüfungsantrag beim VfGH gestellt (OGH 14. 3. 2000, 4 Ob 34/00d; der Antrag wurde allerdings durch VfSlg 16.295/2001 mangels Präjudizialität zurückgewiesen, da es sich im konkreten Fall im die Werbung einer Krankenanstalt handelte, vgl unten in und bei FN 357). Zur beschränkten Zulässigkeit eines Preiswettbewerbs bei ärztlichen Leistungen (und zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Art 3 lit d der Richtlinie „Arzt und Öffentlichkeit“ im Licht des Art 10 EMRK) vgl OGH 18. 1. 2000, 4 Ob 340/99z = RdM 2001/24; zur Werbung im Internet Disziplinarsenat der ÖÄK, RdM 2001/11. VfSlg 16.295/2001. OGH RdM 2002/40; RdM 2003/16 (Werbung für Dentalklinik); 20. 8. 2002, 4 Ob 165/02x (Information über Leistungsspektrum einer Krankenanstalt). Zum Ganzen näher Schneider, Zur Anwendbarkeit ärzterechtlicher Werbebeschränkungen in Krankenanstalten, RdM 2002, 116. Nach der neueren Rsp ist daher auch die Richtlinie „Arzt und Öffentlichkeit“ auf Leistungen der Krankenanstalt als organisatori-
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binden auch Dritte, wenn diese - selbst ohne Beauftragung - für ärztliche Tätigkeiten werben.359 Verboten ist danach insb die Werbung mit Honorarsätzen, die vergleichende Bezugnahme auf Standesangehörige, die Erteilung aufdringlicher und reklamehafter Auskünfte360, eine werbewirksame und über die bloße Sachininformation hinausgehende Plakatserie aus Anlass der Institutsübersiedlung,361 die irreführende Erweckung des Eindrucks medizinischer Exklusivität362 oder das Inaussichtstellen von Gratisleistungen, besonderer Freundlichkeit des Personals363 oder der bevorzugten Behandlung von Patienten.364 Zugelassen wird hingegen in gewissen Grenzen eine entgeltliche Beratungstätigkeit Dritter, bei der der günstigste Leistungsanbieter genannt wird („Preisagentur“).365 Auch gegen die Verlosung von Schönheitsoperationen hatte der OGH keine Bedenken, solange die Teilnahme an der Verlosung an eine entsprechende Risikoaufklärung gebunden ist.366
I. “Patientenrechte” Gem § 5a KAKuG sind die Krankenanstaltenträger durch die Landesgesetzgebung zur Wahrung näher aufgezählter Patientenrechte zu verpflichten.367 Schon die umständliche Formulierung dieser Bestimmung zeigt, dass damit - freilich aus dem unzutreffenden kompetenzrechtlichen Motiv, dem Krankenanstaltengesetzgeber fehle die Zuständigkeit zur Schaffung von Patientenrechten368 keine subjektiven Patientenrechte geschaffen werden sollten, sondern lediglich objektive Pflichten der jeweiligen Träger. Subjektivrechtliche Relevanz erhalten sie erst als Auslegungsmittel für privatrechtliche Verträge oder in ihrer Funktion als Schutzgesetze gem § 1310 ABGB im Haftungsfall369. Inhaltlich gesehen handelt es sich zum einen um Verpflichtungen, bestimmte organisatorische Vorkehrungen zu treffen und konkrete Leistungen zu erbringen (zB ausreichende Besuchs- und Kontaktmöglichkeiten gem Z 4, Berücksichtigung
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sche Einheit nicht anzuwenden (OGH 9. 4. 2002, 4 Ob 73/02t; 29. 1. 2002, 4 Ob 267/01w). OGH RdM 1998/23; 4. 2. 1999, 4 Ob 337/98g = KRSlg 1722; VfSlg 16.791/2003 (Werbung in Medien). OGH 4. 2. 1999, 4 Ob 337/98g = KRSlg 1722. VfSlg 16.608/2002 (Abbildung einer unbekleideten Schwangeren mit Straußenei im Ausmaß von 2 mal 3 Metern als Plakataktion anlässlich der Standortverlegung eines „Instituts für Sterilitätsbetreuung“). VfSlg 16.359/2001. OGH RdM 1998/23; 8. 2. 2005, 4 Ob 258/04a. OGH RdM 1998/23. OGH RdM 2000/12. Wirkt sich das Preisinformationssystem hingegen wegen der geringen Rücklaufquote der ausgesandten Umfragebögen nur zugunsten einzelner weniger Ärzte aus, die ihrerseits durch finanzielle Zuwendungen den Betrieb der Vermittlungstätigkeit unterstützen, dann handelt es sich um unzulässige Vergütungen iSd § 53 Abs 2 ÄrzteG (OGH 8. 7. 2003, 4 Ob 112/03d). OGH 24. 1. 2006, 4 Ob 218/05w = RdM 2006/87. Überblick bei Aigner, Zur Situation der Patientenrechte in Österreich, RdM 2000, 77; Füszl, IV 13ff. Vgl oben I. B. Vgl Juen (FN 258), 83.
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des natürlichen Lebensrhythmus bei der Leistungserbringung gem Z 10, Bereitstellung seelsorgerischer und psychologischer Betreuung gem Z 5, 6, ausreichende Wahrung der Intimsphäre auch in Mehrbetträumen gem Z 7, Sicherstellung würdevollen Sterbens gem Z 9 etc). Zum anderen werden die Träger verhalten, dem Patienten die Ausübung konkreter Rechte zu ermöglichen (Einsicht in die Krankengeschichte gem Z 1, Aufklärung gem Z 2); den letztgenannten Bestimmungen fehlt eine normative Bedeutung, da es sich um bloße Verweisungen auf Rechtspositionen handelt, die in ihrer konkreten Tragweite weiterhin nach anderen (vertraglichen oder gesetzlichen) Normen zu beurteilen sind.370
J. Qualitätssicherung In Umsetzung von Empfehlungen der WHO wurde durch die KAG-Nov 1993 eine „interne“ - von den Krankenanstalten selbst ausgehende - Qualitätssicherung verpflichtend vorgeschrieben:371 § 5b KAKuG verpflichtet (im Wege der Landesausführungsgesetze) die Träger von Krankenanstalten, die Voraussetzungen für derartige Maßnahmen der Qualitätssicherung zu schaffen und dabei auch ausreichend überregionale Belange zu wahren. Dadurch sollen ua auch vergleichende Prüfungen mit anderen Krankenanstalten ermöglicht werden. Als Beispiele werden die ausreichende Ausstattung mit qualifiziertem Personal, medizinisch-technischen Geräten und infrastrukturellen Einrichtungen, die Aus- und Weiterbildung des Personals, die Schaffung bestimmter baulicher und organisatorischer Voraussetzungen sowie im Bedarfsfall die Einbindung externer Fachleute genannt.372 Die Sicherstellung der Durchführung der Qualitätssicherung obliegt der kollegialen Führung (§ 5b Abs 3 KAKuG). Wesentliche, wenngleich an die Länder gerichtete Vorgaben für die Qualitätssicherung ergeben sich überdies aus den Strukturqualitätskriterien im Rahmen der Gesundheitsstrukturplanung373 sowie aus den näheren Bestimmungen des GesundheitsqualitätsG (GQG), BGBl I 2004/179. Zur Qualitätssicherungskommission vgl IV. G.
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Zum Patientenrechtskatalog des § 5a KAKuG vgl Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 2, 770ff. Vgl auch Kopetzki, Patientenrechte in Österreich (FN 280), 13ff. Zur Qualitätssicherung ausführlich Stöger/Szüsz, 127ff; Aigner, Leitlinien und medizinische Standards als Instrumente der Qualitätssicherung in Österreich, in: Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg), Qualitätssicherung für Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003, 81; Drda, Die Implementierung von Risk-Management im Qualitätssicherungssystem der Krankenanstalten, RdM 2002, 11; Entmayr, Qualitätsmanagement - Qualitätssicherung im Gesundheitswesen - Grundlagen und Rechtsnormierungen im österreichischen Gesundheitsrecht, SoSi 2004, 180; Mosler, Qualitätskontrolle (insbesondere auch aus kassenrechtlicher Sicht) in Österreich, in: Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg), Qualitätssicherung, 105; Stöger, Qualitätssicherung (FN 16), 35ff; derselbe, Rechtliche Aspekte von Qualitätssicherung (FN 21), I/249. Vgl 1080 BlgNR 18. GP. Vgl zB Art 6 der Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, dazu insb Stöger, Rechtliche Aspekte von Qualitätssicherung (FN 371), I/267ff.
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K. Blutdepot In Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Blut und Blutbestandteilen374 verpflichtet § 8f KAKuG idF BGBl I 2004/168 jede nach Art und Leistungserbringung in Betracht kommende bettenführende Krankenanstalt zur Führung eines Blutdepots,375 das der Lagerung und Verteilung von Blut und Blutbestandteilen sowie der Durchführung von Kompatibilitätstests für krankenhausinterne Zwecke dient. Es bestehen umfangreiche Anforderungen an die Qualifikation des Personals (§ 8f Abs 1), die Qualitätssicherung (§ 8f Abs 2) sowie die Dokumentation zur Sicherstellung einer lückenlosen Nachvollziehbarkeit der Transfusionskette (§ 8f Abs 3). Die näheren Regelungen zur Einhaltung der sekundärrechtlichen Vorgaben sind den Landes-KAG überlassen, die regelmäßig auch den Kreis der zur Führung eines Blutdepots verpflichteten Krankenanstalten präzisieren (§ 8f Abs 4 KAKuG).376 Vergleichbare Bestimmungen über Sicherheits- und Qualitätsstandards sind künftig auch für die Verwendung von menschlichen Zellen und Geweben zu Transplantationszwecken zu erwarten, da die Umsetzungsfrist der einschlägigen europäischen RL bereits abgelaufen ist.377
L. Anonyme Geburt Durch die ersatzlose Aufhebung des § 197 StGB (Verlassen eines Unmündigen) durch BGBl I 2001/19 sollte eine strafrechtliche Klarstellung erfolgen, dass durch Einrichtungen wie „Babyklappen“ (zum Zweck der „anonymen“ Abgabe eines Neugeborenen) in einer Krankenanstalt kein strafrechtlich relevantes Verhalten mehr gesetzt wird. Die in solchen Fällen von den Krankenanstalten einzuhaltende Vorgangsweise wurde jedoch bundesweit nur im Erlassweg „geregelt“,378 was angesichts nach wie vor ungeklärter personenstandsrechtlicher und auch verfassungsrechtlicher Begleitaspekte unbefriedigend 374
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RL 2002/98/EG zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen, Abl 2003 L 033/30. Vgl auch FN 56. Von der Einrichtung eines Blutdepots kann abgesehen werden, wenn ein solches den Anforderungen des § 8f Abs 1 KAKuG entsprechendes - Blutdepot außerhalb der Krankenanstalt eingerichtet ist und eine ausreichende Versorgung der betreffenden Krankenanstalt gewährleistet ist; näher - auch zu den korrespondierenden Anpassungen des BSG 1999 - BlgNR 676 BlgNR 22. GP. Vgl § 24c blgd KAG, § 30b Krnt KAO, § 37a nö KAG, § 18b oö KAG, § 51b sbg KAG, § 11f stmk KAG, § 32a Tir KAG, § 54 Vbg SpG. Vgl die - bis April 2006 umzusetzende - RL 2004/23/EG über die Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen, Abl 2004 L 102/48; weiters RL 2006/17/EG über technische Voraussetzungen für die Spende, Beschaffung und Testung von menschlichen Geweben und Zellen, Abl 2006 L 38/40. Bestimmungen über Organ- und Gewebebanken findet sich bereits jetzt in § 54 Abs 5 und 6 Vbg SpG. Erlass des BMJ im Einvernehmen mit dem BMI und dem BMSG, JMZ 4600/42-I 1/2001, Mitteilungen der Sanitätsverwaltung 2001/9, 14; dazu Aigner, Durchführungserlass Babynest und anonyme Geburt, RdM 2001, 144.
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ist.379 Einige Landes-KAG haben im grundsatzfreien Raum entsprechende Regelungen über die „anonyme Geburt“ und den Verzicht auf eine Aufnahme der Personaldaten erlassen.380
VI. Aufsicht A. Wirtschaftsaufsicht Grundsätzlich unterliegt jede Krankenanstalt, die öffentliche Mittel - seien es Beiträge zum Betriebsabgang bzw zum Errichtungsaufwand oder Zahlungen aus dem Landesgesundheitsfonds - erhält, der wirtschaftlichen Aufsicht durch die Landesregierung und der Gebarungskontrolle durch den Rechnungshof381 (§ 11 Abs 2 KAKuG). Die Landesgesetzgebung kann vorsehen, dass die wirtschaftliche Aufsicht durch den Landesgesundheitsfonds wahrgenommen wird.382 Nähere Vorschriften über Wirtschaftsaufsicht, Verwaltung und Wirtschaftsführung der Krankenanstalten, insb über eine der Kostenermittlung und Kostenstellenrechnung zweckdienliche Form der Buchführung, sind Gegenstand der einzelnen Landes-KAG.383 Zwingende und für alle Länder geltende Genehmigungsvorbehalte beziehen sich auf die jährlichen Voranschläge,384 Rechnungsabschlüsse385 und Dienstpostenpläne (§ 11 Abs 3) sowie - ausgenommen Anstalten in der Trägerschaft des Landes - auf den Abschluss von Krankenanstaltenverträgen mit dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger gem § 148 Z 10 ASVG (§ 11 Abs 4 KAKuG).386
B. Sanitäre Aufsicht In Ausführung der gem Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG dem Bund vorbehaltenen sanitären Aufsicht über Heil- und Pflegeanstalten überträgt § 60 KAKuG den 379
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Vgl - insb im Lichte eines Rechts des Kindes auf Kenntnis der biologischen Abstammung gem Art 8 EMRK und der einschlägigen Rsp des EGMR im Fall Odièvre - Verschraegen, Schutz des Lebens und Kenntnis der eigenen Abstammung. Zugleich eine Besprechung des Urteils des EGMR 13. 2. 2003, ÖJZ 2004/1. ZB § 21, § 47 Abs 2 nö KAG, § 49 Vbg SpG (dort auch zum Kostenersatz aus Mitteln der Sozialhilfe). Die Zuständigkeit des Rechnungshofes ist allerdings im Einzelfall nach dem RHG zu beurteilen, da dem Hinweis im KAKuG eine eigenständige normative Bedeutung fehlt (VfSlg 15.140/1998). Bei Anstalten, die nicht von Gebietskörperschaften betrieben werden, kann es daher auf eine nähere Untersuchung der wirtschaftlichen Beherrschung ankommen. Die Gebarungskontrolle durch den Rechnungshof schließt auch die ausbezahlten Ärztehonorare in der Sonderklasse ein (dazu und zur notwendigen Datenübermittlung VfSlg 15.140/1998). Vgl in diesem Sinn § 18 Abs 5 Wr KAG, § 23 Abs 1 nö KAG; § 18 Abs 4 bgld KAG; § 37 Abs 1 sbg KAG. Vgl im Detail §§ 18ff, 28 Wr KAG, §§ 22ff nö KAG, §§ 29ff oö KAG, §§ 35 f Krnt KAO, § 18 bgld KAG, §§ 14ff stmk KAG, §§ 36 f sbg KAG, §§ 16ff Tir KAG, § 40 Vbg SpG. Dazu zB VwGH ZfVB 2005/96 = ÖJZ 2005/138A. Dazu und zu den Zielen der Gebarungskontrolle zB VwGH ZfVB 1980/2/453. Nach VwGH ZfVB 1983/2/563 kommt dem Hauptverband gegen den Genehmigungsbescheid kein Beschwerderecht an den VwGH zu.
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Bezirksverwaltungsbehörden die behördliche Überwachung der in ihrem örtlichen Wirkungsbereich liegenden (öffentlichen und privaten) Krankenanstalten hinsichtlich der „Einhaltung der sanitären Vorschriften“.387 Obwohl die „sanitäre Aufsicht“ in der Palette der Entscheidungs- und Überwachungsaufgaben - nicht zuletzt bei der Suche nach Verantwortlichen für Missstände in einzelnen Anstalten - in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, sind ihre Konturen in vielen Punkten immer noch unklar. Feststeht zunächst, dass als Aufsichtsmaßstab nur jene Vorschriften in Betracht kommen, die aufgrund des 1. Teils des KAKuG erlassen wurden (§ 60 Abs 1); das sind die Landesausführungsbestimmungen zu den §§ 1-42 KAKuG einschließlich der darauf gegründeten untergesetzlichen Normen,388 nicht hingegen etwa die Vorschriften des unmittelbaren Bundesrechts (§§ 43ff) und schon gar nicht Normen außerhalb des Krankenanstaltenrechts (zB KA-AZG, UbG, StrahlenschutzG). Auch Bestimmungen in den Landes-KAG, die nicht in Ausführung des Bundes-KAKuG erlassen wurden, sind nicht erfasst. Objekt der Überwachung sind alle Adressaten dieser Vorschriften, im Wesentlichen die Krankenanstalten und ihre Organe sowie deren Rechtsträger.389 Weniger eindeutig ist, was „sanitäre“ Vorschriften iSd § 60 KAKuG sind. Man kann darunter entweder jene Bestimmungen verstehen, die einem gesundheitsbezogenen Schutzzweck (insb Verhütung von Gesundheitsschäden) dienen,390 oder aber die Summe aller Landesausführungsbestimmungen zu §§ 1ff KAKuG (sofern sie nicht bloß ökonomische Aspekte betreffen).391 Bei der ersten Lesart wäre etwa die Einhaltung mancher Patientenrechte (vgl § 5a KAKuG) nicht im Wege der sanitären Aufsicht überprüfbar, weil und sofern diese andere Rechtsgüter als die Gesundheit schützen. Die historische Entwicklung spricht eher für die - weitere - zweite Variante, da die „sanitäre“ Aufsicht als Gegenpol zur wirtschaftlichen Aufsicht konzipiert war392 und beide zusammen die inhaltlich umfassende „Oberaufsicht“ bildeten. Es ist daher anzunehmen, dass die sanitäre Aufsicht inhaltlich den neben der Wirtschaftsaufsicht verbleibenden Bereich der ehemaligen Oberaufsicht zur Gänze abdeckt und nicht auf den Gesundheitsschutz beschränkt ist.393 Als Aufsichtsmittel räumt § 60 Abs 2 KAKuG den Aufsichtsorganen das Recht des unangemeldeten Zutritts (bei selbständigen Ambulatorien während der Betriebszeit) sowie weitreichende Einsichtsrechte ein, denen eine strafbewehrte Duldungs387
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Zur sanitären Aufsicht vgl Füszl, IV/45ff; dieselbe, Behördliche Krankenhauseinschau und sanitäre Aufsicht, Mitteilungen der Sanitätsverwaltung 2001/3, 21; Kellner, Die Krankenhauseinschau in der Praxis, Mitteilungen der Sanitätsverwaltung 2000/Sonderheft, 35; Stöger/Szüsz, 134ff; VfSlg 1990/1950, 4093/1961, 5833/1968. Ob dazu neben den Durchführungsverordnungen auch die in Vollziehung der Landes-KAG erlassenen Bescheide gehören, ist wegen der allgemeinen Vollzugskompetenz der Landesregierung fraglich; bejahend zur Überwachung der Einhaltung von Auflagen Füszl (FN 387), 22. Im Unterschied zur „Oberaufsicht“ der Monarchie (vgl § 2 lit b ReichssanitätsG, RGBl 1870/68) ist Objekt der sanitären Aufsicht allerdings unmittelbar die Krankenanstalt bzw ihr Träger, nicht hingegen die Aufsichtsführung durch die Länder (vgl VfSlg 1990/1950). Stöger/Szüsz, 134. So Füszl (FN 387), 22. Vgl § 53 KAG 1920. Dafür spricht auch § 61 KAKuG, wo zwischen „Missständen“ und „gesundheitlichen Missständen“ unterschieden wird.
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pflicht (§ 62) korrespondiert („Krankenhauseinschau“). Die Sanktionen bei festgestellten Missständen reichen vom bescheidmäßigen Beseitigungsauftrag durch den Landeshauptmann (mittelbare Bundesverwaltung) bis zur Betriebseinstellung (§ 61).
Weithin unklar ist freilich die (zeitliche und inhaltliche) Intensität der Aufsichtstätigkeit394 und ihre Abgrenzung von parallelen Aufsichtsbefugnissen im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht des Rechtsträgers sowie der Überwachungsaufgaben der für die Vollziehung des Landes-KAG primär zuständigen Landesregierung.395
VII. Besondere Bestimmungen für öffentliche Krankenanstalten A. Allgemeines Öffentlich ist eine Krankenanstalt, wenn ihr das Öffentlichkeitsrecht verliehen worden ist (§ 14 KAKuG). Das Öffentlichkeitsrecht löst ein Bündel von Rechtsfolgen aus, welche die öffentliche Krankenanstalt wesentlich von der nichtöffentlichen („privaten“) Anstalt unterscheiden. Die Träger öffentlicher Krankenanstalten trifft eine ununterbrochene Betriebspflicht, es bestehen weitergehende Aufnahmepflichten (insb in Bezug auf die von Krankenversicherungsträgern eingewiesenen Personen), eine Verpflichtung öffentlicher Stellenausschreibung für bestimmte Leitungsfunktionen sowie eine Reihe von Sonderbestimmungen für den Betrieb (zB betreffend den Arzneimittelvorrat, die ambulante Behandlung, die Obduktion, die Verpflegsklassen etc) oder begleitende Vorkehrungen zur Sicherstellung einer effizienten Versorgung396. Dazu kommt ein spezifisches Finanzierungssystem, da die Leistungen öffentlicher Krankenanstalten - ebenso wie bei privaten gemeinnützigen Anstalten - grundsätzlich nach einem leistungsorientierten Vergütungssystem nach einheitlichen Diagnosefallgruppen (LKF-System) über eigene Landesgesundheitsfonds abgegolten werden und überdies der Betriebsabgang (mindestens zur Hälfte) aus öffentlichen Mitteln abgedeckt wird. Auch die Entgelte für jene Leistungen, die nicht aus Mitteln der Landesgesundheitsfonds geleistet werden (zB Sonderklasse), sind gesetzlich festgelegt, sodass hier von einem durchgängigen System der Preisregelung gesprochen werden kann.
B. Verleihung des Öffentlichkeitsrechts, Verzicht, Verlust Das Öffentlichkeitsrecht kann allen Krankenanstalten, mit Ausnahme von Sanatorien und selbständigen Ambulatorien, verliehen werden (§ 14 KAKuG), 394
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Dazu Füszl (FN 387), 23ff. Vgl auch § 47 der auf Gesetzesstufe immer noch in Geltung stehenden (VfSlg 2784/1955, 8318/1978) Dritten Durchführungsverordnung zum G über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens (Dienstordnung für die Gesundheitsämter - Besonderer Teil), GBlÖ 1936/686. Rücknahme der Errichtungs- und Betriebsbewilligung, Sperre (vgl zB § 3 Abs 8, § 12 KAKuG, §§ 98, 100 oö KAG, § 9 Wr KAG). Zum wechselseitigen Verhältnis Stöger/Szüsz, 136. Vgl etwa § 32a Tir KAG (Verpflichtung zur Schaffung und Erhaltung eines Hubschrauberlandeplatzes).
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sofern diese von juristischen Personen oder einer Vereinigung von juristischen Personen betrieben werden. Auf die Verleihung besteht kein Rechtsanspruch. Voraussetzungen für die Zuerkennung des Öffentlichkeitsrechts sind gem § 15 KAKuG die Übereinstimmung mit den Vorgaben des Landeskrankenanstaltenplans, die Gemeinnützigkeit, die Erfüllung der aus dem KAKuG erwachsenden Pflichten sowie die Gewährleistung des gesicherten Bestandes und zweckmäßigen Betriebes. Ist der Rechtsträger keine Gebietskörperschaft, müssen überdies die für den gesicherten Betrieb der Krankenanstalt nötigen Mittel nachgewiesen werden.397 Zuständig zur Verleihung ist die Landesregierung.398 Gem § 36 Abs 1 KAKuG ist das Öffentlichkeitsrecht zu entziehen, wenn eine für die Verleihung vorgeschriebene Voraussetzung weggefallen ist oder ein ursprünglich bestandener und noch fortdauernder Mangel nachträglich hervorkommt (§ 36 Abs 1 KAKuG). Beim Entzug der Errichtungs- oder Betriebsbewilligung erlischt das Öffentlichkeitsrecht ex lege (§ 36 Abs 2 KAKuG). Der freiwillige Verzicht auf das Öffentlichkeitsrecht bedarf wegen des damit verbundenen Entfalls der Betriebspflicht der Genehmigung durch die Landesregierung (§ 35 Abs 2 KAKuG, dazu auch oben III. F).
C. Aufnahme, Entlassung Über die für alle Krankenanstalten geltenden Aufnahme- und Behandlungspflichten (vgl V. E) hinaus gelten für öffentliche Krankenanstalten weiter reichende Bestimmungen über die Aufnahme und Entlassung (§§ 22ff KAKuG): Insb besteht eine gesetzliche Aufnahmepflicht in Bezug auf Personen, für die ein Leistungsanspruch aus der sozialen Krankenversicherung besteht,399 weiters für „unabweisbare“ Personen. Als unabweisbar gelten gem § 22 Abs 4 KAKuG jene, deren geistiger oder körperlicher Zustand wegen Lebensgefahr oder wegen Gefahr einer sonst nicht vermeidbaren schweren Gesundheitsschädigung sofortige Anstaltsbehandlung erfordert, behördlich eingewiesene Personen sowie Frauen, deren Entbindung unmittelbar bevorsteht. Bei Unabweisbarkeit kann die Aufnahme nicht aus Kapazitätsmangel abgelehnt werden, erforderlichenfalls ist der Kranke ohne Verrechnung von Mehrkosten in die Sonderklasse aufzunehmen (§ 22 Abs 5 KAKuG) oder auf Kosten des 397
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Für diesen Nachweis der „nötigen Mittel“ ist nicht entscheidend, ob die zu beurteilende Krankenanstalt einen Gewinn oder Verlust aufweist (VwGH ZfVB 1992/3/997). Vgl näher § 35 Abs 2 oö KAG, § 43 sbg KAG, § 37 Abs 2 bgld KAG, § 44 Abs 1 Krnt KAO, § 34 Abs 1 nö KAG, § 23 Abs 1 stmk KAG, § 27 Abs 1 Tir KAG, § 65 Abs 2 Vbg SpG, § 25 Abs 2 Wr KAG. In aller Regel besteht eine Kundmachungspflicht; die Verleihung wird als Verordnung zu deuten sein. Vgl auch § 148 Z 1 ASVG. Das kann nach Maßgabe gemeinschaftsrechtlicher oder völkerrechtlicher Normen auch dann der Fall sein, wenn die Kosten letztlich von einem ausländischen Versicherungsträger zu tragen sind. Vgl die Verordnung (EWG) 1408/71 bzw deren Nachfolgeverordnung (EG) 883/2004 sowie die zwischenstaatlichen Sozialversicherungsübereinkommen; Binder (FN 63), 58 mwN; Pfeil (Hrsg), Soziale Sicherheit in Österreich und Europa. Durchführung der Verordnung (EWG) 1408/71 in Österreich, 1998; Grillberger, Krankenanstalten, 489ff; weiters die Beiträge in: Tomandl (Hrsg), Der Einfluß europäischen Rechts auf das Sozialrecht (2000) sowie Windisch-Graetz, Europäisches Krankenversicherungsrecht (FN 63).
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Anstaltsträgers in ein anderes (auch ausländisches) Spital zu überstellen.400 Auch ein fehlender Wohnsitz im jeweiligen Land401 oder der Mangel der österreichischen Staatsbürgerschaft402 steht der Aufnahmepflicht nicht entgegen. Das Landesrecht kann gem § 29 KAKuG allerdings die Aufnahmepflicht bei Patienten ohne Wohnsitz im Bundesgebiet - in bestimmten Grenzen - auf den Fall der Unabweisbarkeit einschränken.403 Relativiert wird die Aufnahmepflicht auch durch die gebotene Bedachtnahme auf den Anstaltszweck und die bestehenden Anstaltseinrichtungen.404 Bei Säuglingen besteht überdies eine Aufnahmepflicht gegenüber (nicht anstaltsbedürftigen) Begleitpersonen und umgekehrt (§ 23 Abs 2 KAKuG). Hinsichtlich der Entlassung aus öffentlichen Krankenanstalten normiert § 24 Abs 3 KAKuG zusätzlich (vgl oben V. E) eine Verständigungspflicht gegenüber dem Träger der öffentlichen Fürsorge, wenn der Pflegling nicht sich selbst überlassen werden kann.405
D. Ambulante Behandlung Allgemeine öffentliche Krankenanstalten und öffentliche Sonderkrankenanstalten haben gem § 26 Abs 1 KAKuG Personen, die einer Aufnahme in stationäre Anstaltspflege nicht bedürfen, ambulant zu untersuchen und zu behandeln, wenn dies zur Leistung erster Hilfe (Z 1), zur Behandlung nach erster ärztlicher Hilfe oder in Fortsetzung einer in der Krankenanstalt erfolgten Pflege (Z 2), zur Anwendung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die außerhalb der Anstalt in angemessener Entfernung vom Wohnort des Patienten nicht in geeigneter Weise oder nur in unzureichendem Ausmaß zur Verfügung stehen (Z 3), über ärztliche Zuweisung zur Befunderhebung vor Anstaltsaufnahme (Z 4), im Zusammenhang mit Organ- oder Blutspenden (Z 5), zur Durchführung klinischer Prüfungen (Z 6), für Maßnahmen der Fortpflanzungsmedizin (Z 7) oder zur (anzeigepflichtigen) Durchführung von Vorsorgeuntersuchungen (§ 26 Abs 2) notwendig ist. Gem § 26 Abs 3 KAKuG können die Anstaltsträger ihrer Verpflichtung zur Erbringung ambulanter Leistungen - unter Bindung an die Bestimmungen des KAKuG - auch durch Vereinbarung mit anderen Anstaltsträgern, Gruppenpraxen oder anderen ärztlichen Kooperationsformen entsprechen; diese Verträge bedürfen der Genehmigung der Landesregierung. Ob der in § 26 KAKuG bzw den korrespondierenden Landes-KAG enthaltene Katalog von Ambulanzleistungen - insb die Subsidiaritätsklausel gegenüber extramuraler Betreuung gem Z 3 - nur eine Pflichtaufgabe der Krankenanstalten umschreibt oder ob es sich um eine taxative Aufzählung zum Zweck des 400 401 402 403 404
405
Vgl FN 14. Vgl mwN Mayer, in: Rechtsfragen, 64 f; Aigner, Leistungsverpflichtung, 40. Zur Frage der Kostentragung bei Patienten ohne österreichische Versicherungszuständigkeit Binder (FN 63), 58. ZB § 44 Tir KAG. Vgl zum (strittigen) Meinungsstand zB Aigner (FN 308), RdM 1996, 111 f; derselbe, Leistungsverpflichtung, 40 f; Mayer, in: Rechtsfragen, 62 f; Windisch-Graetz, ZfV 2002, 632; Rebhahn, Auslagerung, 35f; aM Radner (FN 308), RdM 1996, 10. Eine Verletzung dieser Verpflichtung lässt keine Erfolgshaftung des behandelnden Arztes bzw des Anstaltsträgers eintreten (OGH JBl 1982, 491).
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Konkurrenzschutzes der - die gleichen Leistungen anbietenden - freiberuflich tätigen Ärzte handelt, ist strittig; der OGH hat § 26 KAKuG nicht als Schutzgesetz zugunsten des niedergelassenen Sektors gedeutet und einen Unterlassungsanspruch gegenüber den Anstaltsträgern verneint.406
E. Arzneimittelversorgung Zur Gewährleistung einer ausreichenden anstaltsinternen Arzneimittelversorgung muss in öffentlichen Krankenanstalten entweder eine Anstaltsapotheke betrieben407 oder ein hinlänglicher Arzneimittelvorrat angelegt werden (näher § 20 KAKuG). Die für den Arzneimittelvorrat benötigten Arzneimittel dürfen anders als im Fall der Anstaltsapotheke408 - nicht direkt vom Hersteller oder Depositeur, sondern müssen grundsätzlich aus einer Apotheke im Europäischen Wirtschaftsraum bezogen werden (§ 20 Abs 3 KAKuG).409 Der Arzneimittelvorrat unterliegt hinsichtlich seiner ordnungsgemäßen Aufbewahrung und Beschaffenheit einer regelmäßigen amtsärztlichen Überprüfung (§ 20 Abs 2 KAKuG). Weitergehende Überwachungs-, Melde- und Beratungspflichten sind entweder von der beliefernden Apotheke oder, wenn dies nicht erfolgt, durch einen Konsiliarapotheker wahrzunehmen, dessen Bestellung der Genehmigung der Landesregierung bedarf (§ 20 Abs 4, 5 KAKuG). Krankenanstalten ohne Anstaltsapotheke dürfen Arzneimittel zwar an ihre Patienten unmittelbar verabreichen; eine Abgabe ist wegen § 59 Abs 1 AMG aber nicht zulässig. Bei restriktiver Auslegung des arzneimittelrechtlichen Abgabebegriffs bestehen aber gegen das Überlassen geringer Mengen eines Arzneimittels in der für die Behandlung erforderlichen Menge an den (stationären oder ambulanten) Patienten mit genauer Anweisung für die Anwendung und unter Aufsicht und Verantwortung eines Arztes keine Bedenken. Die Arzneimittelabgabe aus Anstaltsapotheken ist, abgesehen von Dringlichkeitsfällen, gem § 36 ApothekenG nur an die in Pflege der Anstalt befindlichen410 oder in der Anstalt wohnhaften Patienten sowie an andere Krankenanstalten und Anstaltsapotheken erlaubt.411
Zur Arzneimittelkommission vgl oben IV. L.
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OGH RdM 2000/6 (Computertomografie und Magnetresonanztomografie); ebenso Grillberger, Zum Konkurrenzschutz gegen ambulante Behandlung im Krankenhaus, WBl 1999, 146. Zum Ganzen ausführlich Mosler, Spitalsambulanzen, 4ff. §§ 35ff ApothekenG, RGBl 1907/5 idF I 2006/90. Vgl § 57 Abs 1 Z 1 AMG. Vgl jedoch die Ausnahmen für die Direktabgabe an Krankenanstalten in § 57 Abs 2 und 9 AMG. Da der Begriff des „Pfleglings“ auch auf die ambulante Betreuung zu beziehen ist (vgl § 27 Abs 5 iVm Abs 4 Z 3 KAKuG), ist eine Abgabe an ambulant behandelte Patienten ebenfalls zulässig; aM Haslinger, Rechtliche Probleme bei der Versorgung von Krankenanstalten mit Arzneimitteln und ihrer Abgabe, ÖKZ 1999/6, 27 (28). § 36 Abs 1 ApothekenG idF BGBl I 2002/33; die bis dahin bestehenden Abgabebeschränkungen an Krankenanstalten wurden aufgehoben (vgl noch OGH KrSlg 1638).
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F. Obduktion Gem § 25 Abs 1 KAKuG sind die in öffentlichen Krankenanstalten verstorbenen Patienten zu obduzieren, wenn die Obduktion sanitätspolizeilich412 oder gerichtlich413 angeordnet worden, oder zur Wahrung anderer öffentlicher oder wissenschaftlicher Interessen,414 insb wegen diagnostischer Unklarheit des Falles oder wegen eines vorgenommenen operativen Eingriffes, erforderlich ist. Einer Zustimmung bedarf es nicht.415 Liegen die Voraussetzungen des § 25 Abs 1 nicht vor, dann bedarf die Obduktion der Zustimmung des Verstorbenen zu Lebzeiten oder (subsidiär) der nächsten Angehörigen (§ 25 Abs 2).416 Diese im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen relativ liberale Erlaubnis zur Vornahme klinischer Obduktionen deckt nicht nur die Leichenöffnung, sondern auch die Entnahme von Leichenteilen, sofern dies im Rahmen des Obduktionszwecks (zu dem auch Interessen der Lehre und Forschung und nicht bloß die Klärung der individuellen Todesursache gehören) erforderlich ist.417 Abgesehen von der nach § 62a KAKuG zulässigen Organentnahme zu Transplantationszwecken sind Organ- oder Gewebsentnahmen zu weitergehenden Zwecken aber mangels Zustimmung grundsätzlich strafrechtswidrig (§ 190 StGB - Störung der Totenruhe).418
G. Gebührenklassen 1. Allgemeine Gebührenklasse Das KAKuG geht für öffentliche und gemeinnützige Krankenanstalten vom Modell eines Zweiklassenspitals aus. Anstaltspflege in öffentlichen und gemeinnützigen Krankenanstalten ist primär in der „allgemeinen Gebührenklasse“ zu erbringen, die in jeder öffentlichen oder gemeinnützigen Krankenanstalt zur Verfügung stehen muss. Sie verkörpert den Standard der aus öffentlichen 412
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§ 5 Abs 2 EpidemieG; V betreffend Leichen von mit anzeigepflichtigen Krankheiten behafteten Personen, RGBl 1914/263; § 12 Wiener Leichen- und BestattungsG, Wr LGBl 2004/38. §§ 127ff StPO. Etwa zur Erforschung neuer Krankheitsformen: OGH RdM 2002/21 (CreuzfeldtJakob). Auch sonst werden privatrechtliche Verfügungsbefugnisse über Leichenteile durch die öffentlichrechtliche Obduktionspflicht weitgehend verdrängt, vgl OGH RdM 2002/21. Zu den Arten der Obduktion vgl Schwamberger, Obduktion in Krankenanstalten, RdM 1998, 77; Kopetzki, Der menschliche Leichnam im privaten und öffentlichen Recht Österreichs und Deutschlands, in: Stefenelli (Hrsg), Körper ohne Leben, 1998, 862. Dazu näher Kopetzki, FS Burgstaller (FN 56), 604ff; Füszl, IV/35; OGH RdM 2002/21. OGH EvBl 1987/105 = RZ 1987/23 (Entnahme von Hypophysen zur Arzneimittelherstellung). Zur Problematik der Übungsoperationen am Leichnam vgl Platzgummer, Sind „Operationen an der Leiche“ eine „Mißhandlung“ iSd § 190 StGB? Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie, 1992/31, 44; Haslinger, Übungsoperationen am Leichnam, ÖKZ 1993/12, 735. Zu sonstigen wissenschaftlichen Studien an Leichen Bernat, Sind sog. Schlittenversuche mit der Leiche nach österreichischem Recht zulässig?, Rechtsmedizin 2005, 352.
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Mitteln getragenen Anstaltsversorgung: Die Krankenanstalten sind verpflichtet, die von den Krankenversicherungsträgern eingewiesenen Patienten in die allgemeine Klasse aufzunehmen.419
2. Sonderklasse Ob, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen neben der allgemeinen Gebührenklasse auch eine Sonderklasse eingerichtet werden darf und unter welchen Bedingungen ein Pflegling in die Sonderklasse aufzunehmen ist, bestimmen gem § 16 Abs 2 KAKuG die Landes-KAG, wobei aber die Zahl der für die Sonderklasse bestimmten Betten ein Viertel der für die Anstaltspflege bereitstehenden Bettenzahl nicht übersteigen darf (§ 16 Abs 1 lit g KAKuG). Die Sonderklasse ist dadurch charakterisiert, dass sie „durch ihre besondere Ausstattung höheren Ansprüchen hinsichtlich Verpflegung und Unterbringung“ entsprechen muss (§ 16 Abs 2 KAKuG);420 Unterschiede hinsichtlich der ärztlichen Behandlung und der Pflege dürfen hingegen nicht bestehen,421 die Erfüllung „höherer Ansprüche“ hat sich auf die „Komfortkomponente“ zu beschränken.422 In der Praxis ist dies freilich nicht immer der Fall. Von der Möglichkeit zur Einrichtung einer Sonderklasse haben alle LandesKAG - wenngleich in unterschiedlichem Umfang - Gebrauch gemacht.423 Voraussetzung für die Aufnahme in die Sonderklasse ist nach Maßgabe des (nicht ganz einheitlichen) Landesrechts424 in der Regel ein eigenes „Verlangen“ bzw ein „Wunsch“ des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters,425 mitunter auch eine obligate schriftliche Verpflichtungserklärung über die Tragung der
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§ 148 Z 1 ASVG; § 22 Abs 2 iVm § 16 Abs 1 lit b KAKuG. Die Sonderklasse (und damit auch die erhöhten Gebühren) finden ihre sachliche Rechtfertigung ausschließlich in der erwähnten Mehrleistung (VfSlg 12.107/1989; Mayer, in: Krankenanstaltenfinanzierung, 147 f; derselbe, RdM 1999, 99 f). Den Sonderklassepatienten darf daher auch nicht jener „Differenzbetrag“ aufgebürdet werden, der sich aus der Differenz zwischen den an die Anstalten ausbezahlten Pflegegebühren-(LKF-Gebühren-)ersätzen gegenüber den amtlich festgesetzten Gebühren in der allgemeinen Klasse ergibt („Differenzbetrag“, VfSlg 14.094/1995). Mazal, in: Rechtsfragen, 80, 90; Schrammel, FS Schnorr, 424; derselbe, Sonderklasse als Wahlanstaltspflege, 107; Th. Radner, 217; Windisch-Graetz, Grundversorgung und Zusatzleistungen, 121ff; Pircher, 131; VfSlg 12.107/1989; VwGH 11. 5. 1978, 2846/77, KrSlg 279; OGH 5. 6. 2003, 12 Os 73/02. So ausdrücklich auch § 49 Abs 3 bgld KAG, § 33 nö KAG, § 28 Abs 1 stmk KAG. ZB Ausstattung und Lage der Krankenzimmer, geringere Bettenanzahl, Qualität und Vielfalt der Verpflegung, sonstige Zusatzleistungen; zur strittigen Frage der freien Arztwahl vgl FN 224. Zur Behandlung in der Sonderklasse eingehend Schrammel, FS Schnorr, 421ff; Mazal, in: Rechtsfragen, 75ff; Th. Radner, 216ff; Mayer, RdM 1999, 99ff. Vgl § 49 bgld KAG, § 53 sbg KAG, § 50 Krnt KAO, § 33 nö KAG, § 45 oö KAG, § 28 stmk KAG, § 29 Tir KAG, § 73 Vbg SpG, § 32 Wr KAG. Überblick bei Th. Radner, 221ff. § 53 Abs 4 sbg KAG, § 49 Abs 4 bgld KAG, § 50 Abs 4 Krnt KAO, § 33 Abs 2 nö KAG, § 45 Abs 3 oö KAG, § 28 Abs 3, 4 stmk KAG, § 30 Tir KAG, § 73 Abs 2 Vbg SpG, § 32 Abs 1 Wr KAG. In Salzburg kann die Aufnahme auch von Dritten, in Oberösterreich (für Geschäftsunfähige) auch von nächsten Angehörigen verlangt werden.
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Gebühren,426 sowie die vorherige Aufklärung über die Kostenfolgen.427 Im Unterschied zur Gebührenschuld in der allgemeinen Klasse, die durch den objektiven Tatbestand der Anstaltspflege entsteht, kann die Kostentragungspflicht in der Sonderklasse daher unter Umständen entfallen, wenn das Aufnahmeverlangen wegen Missachtung zwingender gesetzlicher Bedingungen unwirksam war.428 Andererseits besteht die Verpflichtung zur Bezahlung der Sondergebühren unabhängig davon, ob ein privater Versicherer zur Kostenübernahme bereit ist.429
H. LKF- und Pflegegebühren, Sondergebühren 1. Allgemeines Mit den LKF-Gebühren oder den Pflegegebühren430 der allgemeinen Gebührenklasse sind - von wenigen Ausnahmen abgesehen - alle Leistungen der Krankenanstalt im stationären Bereich abgegolten (§ 27 Abs 1 KAKuG).431 Andere als die gesetzlich vorgesehenen Entgelte dürfen nicht eingehoben werden (§ 27 Abs 5 KAKuG). Die Anstaltsleistung in der allgemeinen Klasse ist eine einheitliche Gesamtleistung,432 der krankenversicherte Patient wird auf 426
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§ 50 Abs 4 Krnt KAO; § 33 Abs 2 nö KAG, § 30 Tir KAG, § 53 Abs 4 sbg KAG („in der Regel“); § 64b Abs 1 Wr KAG (für Fondskrankenanstalten). In den anderen Ländern kann eine solche Erklärung fakultativ verlangt werden. Zu diesem Schriftlichkeitsgebot VwSlg 14.786 A/1997 = ZfVB 1998/2101; VwGH ZfVB 2003/114. Vgl die Landes-KAG (FN 425). Gem § 32 Abs 2 Wr KAG ist die Aufnahme in die Sonderklasse aber ausdrücklich auf Patienten beschränkt, die auf Grund ihres Einkommens oder Vermögens in der Lage sind, die weiteren Entgelte in der Sonderklasse zu entrichten, was ebenfalls eine Information über die Kostenfolgen impliziert. Welche Bedingungen dies im Einzelnen sind, ist nach jeweiligem Landes-KAG differenziert zu prüfen. Der VwGH hat eine Ersatzpflicht ua verneint bei obligater, aber in concreto fehlender vorheriger Verpflichtungserklärung (VwSlg 7735 A/1970; VwGH ZfVB 1998/6/2101), bei einem Aufnahmeverlangen durch nicht vertretungsbefugte Angehörige (VwGH ZfVB 1989/3/854 - Ehegatten; überholt durch Einbeziehung von Angehörigen aufgrund Neufassung des § 45 oö KAG, dazu Radner/Haslinger/Bumberger, Anm zu § 45 oö KAG), bei einem Verlangen durch den (grundsätzlich antragsberechtigten) Sohn wegen gleichzeitiger Anmerkung, die Kosten nicht tragen zu wollen (VwGH 12. 4. 1999, 99/11/0003 = KRSlg 415), bei mangelnder Aufklärung über die Kostenfolgen (VwGH ZfVB 1992/3/1998), oder bei der Vorspiegelung, die weitere Pflege sei wegen Überfüllung der allgemeinen Klasse nur dann gesichert, wenn sich der Patient zur Leistung der Kosten für die Sonderklasse verpflichte (was zur Unwirksamkeit der Erklärung führe: VwSlg 6063 A/1963). Zur Frage des Erklärungsempfängers auch VwGH ZfVB 1977/4/1426 = KRSlg 270 (Vertrauen auf Zuständigkeit des Oberarztes); zur Kostentragung bei fehlender Gegenleistung vgl FN 450. VwGH ZfVB 2003/114. Übersicht bei Schneider/Szüsz, 49ff. Davon können auch bestimmte ambulante Leistungen erfasst sein, die zB der Vorbereitung eines stationären operativen Eingriffs dienen (vgl zur präoperativen Eigenblutspende VfSlg 15.987/2000; OGH RdW 2001/700; Marhold, Behandlungsanspruch und Kostentragung für Eigenblutspende, ASoK 2001, 306). Vgl auch § 16 Abs 1 lit f KAKuG. Damit sind vor allem direkte Honorarbeziehungen zwischen dem Patienten und dem einzelnen Arzt ausgeschlossen; vgl Mayer, FS Stoll, 197; VfSlg 10.066/1984. Zur Frage der Verrechenbarkeit von Zusatzleistun-
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diese Weise von einem direkten Honoraranspruch seitens der Krankenanstalt oder ihrer Bediensteten entlastet.433 Zusätzlich eingehoben werden dürfen gem § 27 Abs 2 KAKuG lediglich Kosten der Beförderung in und aus der Anstalt, die Beistellung eines Zahnersatzes (soweit dies nicht mit der Behandlung zusammenhängt) und von Körperersatzstücken (sofern sie nicht therapeutische Behelfe darstellen), Bestattungskosten, sowie die Kosten für Zusatzleistungen, die der Patient ausdrücklich verlangt und die mit den medizinischen Leistungen nicht im Zusammenhang stehen (zB Telefon). Von sozialversicherten Patienten, deren Spitalsaufenthalt zur Gänze als Sachleistung entweder von einem Landesgesundheitsfonds (LKF-Gebührenersatz) oder einem Sozialversicherungsträger (Pflegegebührenersatz) bestritten wird, ist gem § 27a Abs 1 KAKuG überdies ein Kostenbeitrag pro Verpflegstag für maximal 28 Tage einzuheben; es bestehen zahlreiche Ausnahmen sowie ein begrenzter und zeitlich limitierter Erhöhungsspielraum durch die Landesgesetzgebung (§ 27a Abs 2 KAKuG). Ein weiterer Betrag ist für die Dotierung eines Entschädigungspools einzuheben, mit dem jene Behandlungsschäden in Fondskrankenanstalten abgegolten werden sollen, „bei denen eine Haftung des Rechtsträgers nicht eindeutig gegeben ist“ (§ 27a Abs 5 und 6 KAKuG).
2. Ermittlung und Festsetzung LKF-Gebühren, Pflegegebühren und Sondergebühren sind gem § 28 Abs 1 KAKuG zunächst vom Rechtsträger der Krankenanstalt kostendeckend zu ermitteln. Die LKF-Gebühren sind das Produkt der für den einzelnen Pflegling ermittelten LKF-Punkte und dem von der Landesregierung festgelegten Eurowert je LKF-Punkt. Die Bepunktung erfolgt nach leistungsorientierten Diagnosefallgruppen (LDF). Der für die LKF-Gebühren zur Verrechnung gelangende Eurowert pro LKF-Punkt ist, ebenso wie Pflegegebühren und Sondergebühren, durch Verordnung festzusetzen, wobei aber nur der laufende Betriebsaufwand herangezogen werden darf, nicht jedoch Auslagen, die sich durch die Errichtung, Umgestaltung oder Erweiterung der Anstalt ergeben.434
Auf Einzelheiten der Berechnung kann hier nicht näher eingegangen werden.435 Von praktischer Bedeutung ist insb die Verpflichtung, sämtliche Gebühren bei mehreren in ihrer Ausstattung, Einrichtung und Funktion gleichartigen öffentlichen Krankenanstalten im Bereich einer Gemeinde einheitlich festzusetzen (§ 28 Abs 3 KAKuG). Weiters dürfen die Gebühren einer öffentlichen Krankenanstalt, die nicht von einer Gebietskörperschaft verwaltet wird, nicht niedriger sein, als die Gebühren der nächstgelegenen von einer Gebietskörperschaft betriebenen öffentlichen Krankenanstalt mit gleichartigen oder annähernd gleichwertigen Einrichtungen (§ 28 Abs 4 KAKuG).436 Hinsichtlich jener öffentlichen und gemeinnützigen Krankenanstalten, die nicht Fondskrankenanstalten sind, sowie für jene Patientengruppen in Fondskrankenanstalten,
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434 435 436
gen außerhalb sozialversicherungsrechtlicher Leistungsansprüche Windisch-Graetz, Grundversorgung und Zusatzleistungen, 113ff; Schrammel, Sonderklasse als Wahlanstaltspflege, 103ff. Zur Kostentragung bei Verlegung in eine ausländische Krankenanstalt zB OGH RdM 2002/10. Auch Dolmetscherkosten bei fremdsprachigen Patienten sind grundsätzlich mit den LKF- bzw Pflegegebühren abgegolten; dazu näher P. Steiner, Dolmetschkosten im Krankenhaus, RdM 2005, 110. Vgl §§ 28ff KAKuG. Vgl zB Nusime (FN 22), 10ff; P. Steiner, 343ff. Zur Beurteilung der Gleichwertigkeit zB VwGH ZfVB 1981/2/468, ZfVB 1997/3/984.
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die weiterhin nicht über die Landesgesundheitsfonds abgerechnet werden (zB Fremdpatienten), hat die Landesregierung festzulegen, ob die Leistungen der allgemeinen Gebührenklasse durch LKF-Gebühren oder Pflegegebühren abgegolten werden (§ 28 Abs 2 KAKuG).
3. Gebührenersatz Stationäre Leistungen der Fondskrankenanstalten an sozialversicherte Patienten sind - mit Ausnahme der Sondergebühren - über den in jedem Bundesland eingerichteten Landesgesundheitsfonds437 im Namen der Sozialversicherungsträger und nach den Grundsätzen der leistungsgerechten Finanzierung abzurechnen (§ 27b KAKuG).438 Tatsächlich abgegolten werden aber nicht die LKF-Gebühren, sondern ein (in der Regel geringerer) LKF-Gebührenersatz, dessen Höhe von einem umfangreichen Katalog von Kriterien bestimmt wird (vgl § 27b Abs 2 KAKuG). Dass mit den LKF-Gebühren alle Leistungen in der allgemeinen Klasse abgegolten sind (§ 27 Abs 1 KAKuG) ist daher aus wirtschaftlicher Sicht eine Fiktion. Die Beziehungen der Versicherungsträger zu den Krankenanstalten werden gem § 148 Abs 10 ASVG durch privatrechtliche Verträge geregelt („Krankenanstaltenverträge“), die zwischen dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger (im Einvernehmen mit den in Betracht kommenden Versicherungsträgern) einerseits und dem Rechtsträger der Krankenanstalt andererseits (im Einvernehmen mit dem zuständigen Landesgesundheitsfonds) abzuschließen sind. Die Verträge bedürfen der Schriftform. Die Leistungsabrechnung zwischen Versicherungsträger und Krankenanstalt erfolgt über die Landesgesundheitsfonds, an welche die den Krankenanstalten gebührenden Zahlungen zu entrichten sind (§ 148 Z 2 ASVG); insofern gilt der Landesgesundheitsfonds als Versicherungsträger (§ 148 Z 8 ASVG). Die Einnahmen der Landesgesundheitsfonds setzen sich aus Beiträgen des Bundes, des Landes, der Gemeinden sowie aus dem Beitrag des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger zusammen, der nach einem bestimmten Schlüssel von den angeschlossenen Versicherungsträgern aufgebracht wird. Dazu kommen allenfalls noch Mittel nach landesrechtlichen Vorschriften. Die Zuschüsse des Bundes zur Krankenanstaltenfinanzierung (§ 57 Abs 1 KAKuG) sowie die Beiträge der Sozialversicherungsträger werden über eine eigens (als öffentlichrechtlicher Fonds) eingerichtete Bundesgesundheitsagentur auf die einzelnen Landesgesundheitsfonds aufgeteilt (§§ 56aff); Teile der Mittel sind für spezifische Zwecke gewidmet (zB Förderung des Transplantationswesens, § 59d KAKuG). Organ der Bundesgesundheitsagentur ist die Bundesgesundheitskommission (§ 59g KAKuG). Bundesgesundheitsagentur und Bundesgesundheitskommission haben zentrale Aufgaben der Steuerung und Planung im Rahmen einer umfassenden Reform des Gesundheitswesens zu erfüllen (§ 59a KAKuG). Gemäß § 84a
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Vgl die Gesundheitsfonds-Gesetze der Länder: nö LGBl 9450-1; Krnt LGBl 2005/83 idF 2005/112; oö LGBl 2006/2; stmk LGBl 2006/6; Wr LGBl 2006/3 idF 2006/59; Tir LGBl 2006/2 idF 2006/22; Vbg LGBl 2006/7; bgld LGBl 2006/5; sbg LGBl 2005/90 idF 2006/14. Für die Umsätze der von öffentlichen Körperschaften betriebenen Krankenanstalten besteht gem § 6 Abs 1 Z 18 UStG eine (unechte) Befreiung von der Umsatzsteuer; dies gilt gem § 6 Abs 1 Z 25 UStG auch für andere gemeinnützige Träger. Zur steuerrechtlichen Beurteilung mwN Schneider, Ordination 433ff. Als Kompensation des fehlenden Vorsteuerabzugs wird unter bestimmten Voraussetzungen eine Beihilfe nach § 2 Gesundheits- und Sozialbereichs-BeihilfenG gewährt. Zu europarechtlichen Bedenken vgl Moritz (FN 67).
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ASVG haben auch der Hauptverband sowie die Sozialversicherungsträger an der Planung und Steuerung des Gesundheitswesens mitzuwirken.
Bei der Ausschüttung der Finanzmittel ist zwischen dem „Kernbereich“ und dem „Steuerungsbereich“ zu unterscheiden:439 Der Kernbereich stellt die Abgeltung der einzelnen Krankenhausaufenthalte auf der Grundlage eines bundeseinheitlichen Bepunktungssystems nach leistungsorientierten Diagnosefallgruppen (LDF) dar. Er beruht auf dem Grundgedanken, dass die Behandlung bestimmter Fallgruppen im Prinzip immer denselben Ressourcenaufwand verursacht. Ein beträchtlicher Teil des Finanzvolumens wird jedoch in einem (länderweise gestaltbaren) Steuerungsbereich verteilt, dessen Aufgabe die Bedachtnahme länderspezifischer Erfordernisse ist. Ihre Berücksichtigung erfolgt durch eine unterschiedliche Bepunktung der leistungsorientierten Diagnosefallgruppen nach Maßgabe der in § 27b Abs 2 KAKuG aufgezählten Kriterien, die auf besondere Versorgungsfunktionen bestimmter Krankenanstalten Rücksicht nehmen (zB Zentralversorgung, Schwerpunktversorgung, spezielle regionale Versorgungsfunktionen). Im Ergebnis handelt es sich also um ein nicht rein leistungsorientiertes Mischsystem, bei dem die diagnosespezifischen Punktewerte (durch Zu- oder Abschläge) unterschiedlich gewichtet werden.
Eine Reihe von Leistungen werden nicht leistungsorientiert über die Landesgesundheitsfonds abgegolten. Dazu gehören etwa Leistungen, für die keine Leistungspflicht der Sozialversicherungsträger besteht440 sowie der Pflegebereich. Der Ambulanzbereich soll gem Art 8 der Art 15a-Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens künftig ebenfalls in ein leistungsorientiertes Finanzierungssystem in Analogie zum stationären Bereich integriert werden. Bis zur Einführung eines bundeseinheitlichen Abrechnungssystems für den ambulanten Bereich hat die Landesgesetzgebung zu bestimmen, in welcher Form ambulante Leistungen durch den Landesgesundheitsfonds abgegolten werden (§ 27b Abs 3 KAKuG).
4. Einbringung Entfällt der Leistungsanspruch gegenüber dem Versicherungsträger und besteht auch keine andere gesetzliche Ersatzpflicht (zB eines Sozialhilfeträgers)441, so trifft die Pflicht zur Entrichtung der Pflegegebühren den Patienten bzw die unterhaltspflichtigen Personen.442 Streitigkeiten über die Kostendeckung der Anstaltspflege durch Krankenversicherungsträger sind im Leistungsstreitverfahren auszutragen.443 Da die Gebührenschuld - anders als bei den Entgelten in 439 440
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§ 27b Abs 2 KAKuG. Näher P. Steiner, 348ff; Nusime (FN 22), 11ff. Gem § 27b Abs 1 KAKuG kann die Landesgesetzgebung vorsehen, dass auch Leistungen für nicht sozialversicherte Pfleglinge in Fondskrankenanstalten über den Landesgesundheitsfonds abgerechnet werden. Vgl Pfeil, Der Behandlungsanspruch des nicht sozialversicherten Patienten, insbesondere im Sozialhilferecht, in: Schrammel (Hrsg), Rechtsfragen der ärztlichen Behandlung, 1992, 26ff. Zur erforderlichen Glaubhaftmachung der Hilfsbedürftigkeit bei Kostenersatzansprüchen des Krankenanstaltenträgers an den Sozialhilfeträger zB VwGH ZfVB 2003/456. ZB VwGH ZfVB 1983/6/2658. VwGH ZfVB 1980/5/1577. Das trifft zB bei Leistungsfreiheit des Versicherungsträgers bei Wegfall der medizinischen Notwendigkeit der Behandlung (früher „Asylierung“; § 144 Abs 3 ASVG) zu (VfSlg 8301/1978; VwGH ZfVB 1991/4/1551; VwGH ZfVB 2004/1694 = ÖJZ 2005/93A; VwGH 28. 10. 2003, 2001/11/0143), aber auch bei Fremden, sofern sie keinen sozialversicherungsrechtlichen Leistungs-
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der Sonderklasse - am Tatbestand der Inanspruchnahme der Anstaltsleistung anknüpft und es auf keine Willenserklärungen des Patienten ankommt, besteht die Ersatzpflicht selbst bei einer unfreiwilligen Aufnahme,444 sofern nicht eine Kostentragungspflicht der einweisenden Behörde oder ihres Rechtsträgers vorgesehen ist.445 Die LKF- und die Pflegegebührenforderungen öffentlicher Krankenanstalten sowie die Kostenbeiträge sind öffentlichrechtlicher Natur und verjähren daher grundsätzlich nicht.446 Die näheren Bestimmungen über die Einbringung der Gebühren, allfällige Vorauszahlungen und Verzugszinsen enthalten die Landes-KAG. Zwingend vorzusehen ist gem § 30 Abs 3 KAKuG aber, dass aufgrund von Rückstandsausweisen öffentlicher (nicht bloß gemeinnütziger) Krankenanstalten die Vollstreckung im Verwaltungsweg zulässig ist, wenn die Vollstreckbarkeit von der Bezirksverwaltungsbehörde bestätigt wird.447 Der Zivilrechtsweg ist in diesem Fall ausgeschlossen.448 Entgegen § 30 Abs 3 KAKuG sieht allerdings § 67 sbg KAG den Gerichtsweg als Regelfall und die Verwaltungsexekution als fakultative Ausnahme vor, solange die Leistungspflicht nicht bestritten wird.
5. Sondergebühren Welche Entgelte in der Sonderklasse („Sondergebühren“)449 neben den LKFGebühren und Pflegegebühren eingehoben werden dürfen, richtet sich nach Landesrecht (§ 27 Abs 4 lit a KAKuG). Auch hier besteht aber insofern ein „Taxzwang“, als die Sondergebühren nach gesetzlich vorgezeichneten Kriterien zu ermitteln und durch Verordnung der Landesregierung hoheitlich festzu-
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anspruch haben (vgl OGH 24. 2. 2000, 6 Ob 334/99g = ecolex 2000/155). Vgl zu den Kostenbeiträgen fremder Staatsangehöriger näher § 29 Abs 2 KAKuG. Zur Unterbringung nach dem UbG VwGH ZfVB 1997/3/988; RdM 2001/8; verfassungsrechtliche Bedenken bei Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 2, 904ff. Vgl zB § 52 Wr KAG. Bei Maßnahmehäftlingen ist eine Kostentragung durch den Bund vorgesehen (§ 167a Abs 3 StVG; vgl auch die Vereinbarung gem Art 15a BVG über die Abgeltung stationärer medizinischer Versorgungsleistungen von öffentlichen Krankenanstalten für Insassen von Justizanstalten (BGBl I 2006/28). Besondere Ersatzregelungen bestehen auch für die Inanspruchnahme von Anstaltspflege nach dem HeeresversorgungsG, vgl zB § 83 nö KAG, § 91 sbg KAG; § 61a Tir KAG; § 80 bgld KAG. Die Verpflichtung zur Bezahlung der Pflegegebühren ist eine öffentlichrechtliche Schuld (VwGH ZfVB 1998/5/1619 mwN), daher sind auch die Verjährungsregeln des ABGB nicht anzuwenden (VwGH ZfVB 1994/3/1025). Vgl jedoch § 67 sbg KAG, der öffentlichen Krankenanstalten die gerichtliche Geltendmachung ermöglicht, was nach Auffassung des OGH zur privatrechtlichen Einordnung des Anspruches und zur Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Verjährungsbestimmungen führt (OGH 24. 2. 2000, 6 Ob 334/99g = ecolex 2000/255); ob der Rückschluss von der Behördenzuständigkeit auf die Rechtsnatur zutrifft, mag hier ebenso dahinstehen wie die Grundsatzkonformität der Salzburger Sonderregelung. Dazu Schwamberger, Einige Probleme bei der Hereinbringung von Pflegegebührenforderungen, ZAS 1982, 210; das gilt auch für ausländische Patienten (OGH KrSlg 684). OGH RdM 2004/123. Begrifflich umfassen die Sondergebühren neben den zusätzlichen Entgelten für die Unterbringung in der Sonderklasse insb auch die Ambulanzgebühren sowie Gebühren für den fallweisen Beistand einer nicht in der Krankenanstalt angestellten Hebamme (vgl § 27 Abs 4 KAKuG).
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setzen sind (§ 28 Abs 1, 3 und 4 KAKuG). Die Höhe muss in einem angemessenen Verhältnis zur angebotenen Gegenleistung stehen.450 Länderweise abweichend geregelt ist allerdings - abgesehen von der Bemessung die Aufgliederung und Bezeichnung der einzelnen Sondergebühren sowie insb das rechtliche Schicksal, die Aufteilung und die Höhe jener Anteile der Sondergebühren, die nicht dem Träger der Krankenanstalt („Anstaltsgebühr“), sondern den behandelnden Ärzten zufließen („Ärztehonorare“). Die grundlegenden Divergenzen beginnen schon damit, dass diese Ärztehonorare nur in wenigen Bundesländern - wie es den grundsatzgesetzlichen Vorgaben der §§ 27ff KAKuG und Rsp des VfGH entspricht451 - als Anspruch des Anstaltsträgers gegenüber den Patienten konzipiert sind,452 wobei das Arzthonorar vom Rechtsträger im eigenen Namen einzuheben und schließlich (ganz oder teilweise453) als Gehaltsanteil an die einzelnen Ärzte auszuzahlen ist.454 Für eine darüber hinausgehende direkte Honorarvereinbarung zwischen Arzt und Patient bleibt daher auch im Bereich der Sonderklasse kein Raum; dennoch verrechnete persönliche „Zusatzhonorare“ können strafrechtlich relevant sein.455 Die meisten Landes-KAG sehen 450
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VfSlg 12.107/1989; Mayer, RdM 1999, 99 f, gegen die Auffassung des VwGH, wonach die Pflicht zur Tragung der Sondergebühren unabhängig von einer äquivalenten Gegenleistung bestehe (VwSlg 15.056 A/1998). VfSlg 10.066/1984, 11.579/1987; OGH SZ 70/195 = RdM 1998/13; RdM 1998/1; ausführlich Mayer, FS Stoll, 197ff; Schrammel, FS Schnorr, 432ff; derselbe, Sonderklasse als Wahlanstaltspflege, 108ff; Pircher, 131ff; anders Th. Radner, 242ff. So eindeutig in Kärnten (§ 58 Abs 3 lit b, § 61 Krnt KAO) und in der Steiermark (§ 37 Abs 2, § 37b stmk KAG; dazu OGH RdM 1998/1 und - aus steuerrechtlicher Sicht - VwGH 18. 3. 2004, 2001/15/0034 = ÖStZ 2004/476); bis zur Novelle sbg LGBl 2005/91 auch in Salzburg (§ 61 Abs 2, § 64 Abs 5 sbg KAG alt; dazu VfSlg 10.066/1984; UFS Salzburg 28. 5. 2005, RV/0782-S/02, UFSaktuell 2005, 236 Anm S. Zankl). Vgl zu den von Rechtsträgern einbehaltenen „Hausrücklässen“ mwN Mayer, in: Krankenanstaltenfinanzierung, 156; Kuhn, Zum Thema Honorarrücklässe bei Sondergebühren, RdM 1995, 95; VwGH ZfVB 1995/5/1775 = RdM 1994/26. Solche Ärztehonorare sind aus der Sicht der berechtigten Ärzte somit Ansprüche gegen den Dienstgeber, weil es sich um Vergütungen für Leistungen im Rahmen der Dienstpflichten handelt. Der Rechtsweg im Streitfall hängt von der Art des Dienstverhältnisses ab: Bei einer dienstvertraglichen Beziehung sind daher die Gerichte zuständig (VfSlg 11.579/1987), bei öffentlichrechtlichen Dienstverhältnissen ist das jeweilige Dienstrecht maßgebend (vgl VfSlg 7308/1974, 7470/1975, 8978/1980). Ob und wie die Aufteilung an Ärzte erfolgt, ist Sache des Landesgesetzgebers (VfSlg 9800/1983). Zu den völlig unterschiedlichen Regelungen über Höhe und Aufteilung der Ärztehonorare unter den nachgeordneten Ärzten mwN Mayer, FS Stoll 198; Schrammel, FS Schnorr, 433ff; Th. Radner, 227ff; P. Steiner, Arzthonorar, 17ff; Pircher, 326ff. Wo gesetzliche oder vertragliche Aufteilungsschlüssel fehlen, hat der Träger eine Aufteilung nach billigem Ermessen vorzunehmen (OGH RdM 1998/1 = KRSlg 1685). Zur Durchsetzung des Honoraranspruches nachgeordneter Ärzte mittels Stufenklage und Rechnungslegungsanspruch vgl auch OGH SZ 70/195 = RdM 1998/13. Wenn der Träger der Krankenanstalt landesgesetzlich zur Einhebung im eigenen Namen verpflichtet ist, sind die Sondergebühren nichtselbständige Einkünfte der Ärzte (zur Rechtslage in der Steiermark VwGH 18. 3. 2004, 2001/15/0034 = ÖStZ 2004/476; zur - mittlerweile geänderten - Rechtslage in Salzburg UFS Salzburg 28. 5. 2005, RV/0782-S/02, UFSaktuell 2005, 236 Anm S. Zankl). OGH 5. 6. 2003, 12 Os 73/02: Das Fordern eines gesetzlich ausdrücklich verbotenen Entgelts durch einen leitenden Arzt einer öffentlichen Krankenanstalt ist geeignet, bei einem mit der Rechtslage nicht vertrauten Patienten eine falsche Vorstellung über die Berechtigung dieses Anspruchs zu bewirken und kann den Tatbestand des
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demgegenüber mehr oder weniger eindeutig eine direkte Rechtsbeziehung zwischen den (idR leitenden) Ärzten und den Patienten der Sonderklasse vor und schaffen damit einen zum Gebührenanspruch des Rechtsträgers hinzutretenden (privatrechtlich zu „vereinbarenden“) Honoraranspruch einzelner Ärzte.456 Da das Sondergebührenmodell des KAKuG aber eine solche direkte Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Sonderklassepatienten457 - abgesehen von Universitätskliniken gem § 46 Abs 1 KAKuG458 - nach ganz herrschender Auffassung nicht zulässt, müssen insofern unklare landesrechtliche Bestimmungen verfassungskonform dahingehend interpretiert werden, dass sie lediglich eine Regelung des vom Sonderklassepatienten für die ärztliche Behandlung dem Rechtsträger geschuldeten Entgelts darstellen.459 Gelingt dies wegen des entgegenstehenden klaren Wortlauts nicht, dann sind die entsprechenden Regelungen verfassungswidrig. Bei jeder der beiden Varianten bleibt freilich immer noch die Frage offen, welcher ärztliche Mehraufwand durch die Ärztehonorare eigentlich abgegolten werden soll, da spezifisch medizinische Sonderleistungen in der Sonderklasse gar nicht zulässig wären.460
Für die Einbringung der Sondergebühren gilt grundsätzlich nichts anderes als für die LKF- und Pflegegebühren: Sie sind bei öffentlichen Krankenanstalten vom Anstaltsträger im Verwaltungsweg geltend zu machen (§ 30 KAKuG).461 Einige jener Länder, die das „Arzthonorar“ als direkten Anspruch des berechtigten Arztes gegenüber dem Patienten vorsehen, nehmen dieses Honorar allerdings ausdrücklich aus dem Begriff der Sondergebühr und den
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schweren gewerbsmäßigen Betruges verwirklichen (zur Verrechnung privater Honorare für die Durchführung von Operationen im LKH Klagenfurt). In diesem Sinn § 54 oö KAG, § 45 Abs 3ff, § 49g Abs 5 nö KAG, § 86 Vbg SpG, § 59 bgld KAG, § 61 Abs 3 sbg KAG idF LGBl 2005/91 (wobei die Einbringung durch den Rechtsträger namens der Ärzte vorgesehen ist), § 41 Abs 4ff Tir KAG (Rechnungslegung im Wege einer Verrechnungsstelle des Anstaltsträgers); § 45 Abs 3 Wr KAG. In diesen Ländern besteht der Honoraranspruch der Ärzte daher idR gegenüber dem Patienten und ist im Zivilrechtsweg durchzusetzen; eine gesetzlichen Anspruchsgrundlage gegenüber dem Anstaltsträger besteht nicht (OGH 20. 2. 2002, 9 ObA 270/01y, ASoK 2003, 62, dort auch zur Einbehaltung eines „Hausrücklasses“ durch konkludente Vereinbarung); im Einzelnen ist vieles strittig (näher Th. Radner, 238ff). Zu den divergierenden Versuchen einer zivilrechtlichen Einordnung dieser - zur Beziehung Patient/Anstaltsträger hinzutretenden - Rechtsbeziehungen vgl Bydlinski (FN 258), 363ff; Mazal, in: Rechtsfragen, 80ff; Th. Radner, 249ff; Pircher, 128 f, 219ff. Vgl unten IX.A.3. Die Rsp vertrat eine solche verfassungskonforme Auslegung (wenngleich zu einer inzwischen mitunter geänderten Landesrechtslage) für Salzburg (VfSlg 10.066/1984), Oberösterreich (VfSlg 11.579/1987), Wien (OGH SZ 70/195 = RdM 1998/13), Niederösterreich (OGH 17. 9. 1998, 8 ObA 12/98t = KRSlg 1718) und Vorarlberg (VwGH RdM 2001/7). Zu diesen Harmonisierungsversuchen auch Mayer, FS Stoll, 201. Vgl dazu Schrammel, FS Schnorr, 430; Mazal, in: Rechtsfragen, 90ff; Th. Radner, 249ff; P. Steiner, Arzthonorare, 32ff. Zu den historischen Hintergründen der Honorarberechtigung Pircher, 321ff. Vgl auch FN 421. OGH RdM 2004/123. MwN oben bei FN 446ff.
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dafür geltenden Einbringungsvorschriften heraus, sodass diesbezüglich den Ärzten nur der Zivilrechtsweg offen steht.462
I. Sonderbestimmungen für psychiatrische Anstalten und Abteilungen Für öffentliche Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie und psychiatrische Abteilungen in öffentlichen Krankenanstalten gelten teilweise abweichende Bestimmungen (§§ 37ff KAKuG). Sie tragen insb den besonderen organisatorischen Bedürfnissen Rechnung, die sich aus der Möglichkeit einer freiheitsentziehenden Unterbringung463 in Anwendung des UbG oder des StVG ergeben.464 Diese Einrichtungen sind zwar - in Abkehr von den ehemaligen „geschlossenen“ Anstalten - grundsätzlich offen zu führen (§ 38 KAKuG), doch können mit Genehmigung der Landesregierung (§ 38a Abs 2 iVm § 4 Abs 1 KAKuG) geschlossene Bereiche eingeführt werden. Krankenanstalten, die in die Vollziehung des UbG eingebunden sind - bei privaten Trägern handelt es sich um eine Form der Beleihung mit Hoheitsaufgaben465 - müssen überdies grundsätzlich unter fachärztlicher Leitung stehen (§ 38e Abs 1 KAKuG).466
VIII. Besondere Bestimmungen für private Krankenanstalten Neben den für sämtliche Krankenanstalten geltenden Regelungen der Hauptstücke A und B (vgl V) finden die Sonderbestimmungen für öffentliche Krankenanstalten (Hauptstück C) auf private Krankenanstalten nur teilweise oder in modifizierter Form Anwendung467 (§ 40 Abs 1 KAKuG). Ihre Pflichten und Befugnisse sind geringer ausgeprägt; die Rechte und Pflichten richten sich nach bürgerlichem Recht (§ 39 Abs 2 KAKuG). In fast allen Ländern beste462
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So zB § 48 Abs 4 nö KAG, § 41 Abs 9 Tir KAG (vgl zur Zulässigkeit des Rechtswegs OGH KRSlg 687). MwN zur völlig uneinheitlichen Rechtslage Th. Radner, 238ff. Dazu eingehend Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 2; derselbe, Grundriss Unterbringungsrecht (FN 271). Durch die Neufassung des § 38a Abs 3 KAKuG idF des GesundheitsrechtsänderungsG 2006 (BGBl 2006/122) wurde klargestellt, dass geschlossene Bereiche nicht nur der Unterbringung nach UbG, sondern auch der Anhaltung von Personen dienen, deren Anhaltung oder vorläufige Anhaltung in einer Krankenanstalt oder Abteilung für Psychiatrie gem § 21 Abs 1 StGB, § 167a StVG oder § 429 Abs 4 StPO angeordnet wurde. Zur Einbindung psychiatrischer Krankenanstalten in den strafrechtlichen Maßnahmenvollzug näher Kopetzki, Grundriss Unterbringungsrecht (FN 271) Rz 47, 796ff. Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 1, 205ff. Zum Ganzen Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 2, 469ff. Etwa hinsichtlich der Arzneimittelbevorratung (§ 40 Abs 1 lit e iVm § 20 KAKuG), der Verschreibung von Arzneimitteln (§ 40 Abs 1 lit c iVm § 19a KAKuG), der Verpflichtung zur Leistung erster Hilfe (§ 40 Abs 1 lit c iVm § 23 Abs 1 KAKuG), der Erbringung ambulanter Leistungen (§ 40 Abs 1 lit c iVm § 26 KAKuG), der Entlassung (§ 40 Abs 1 lit c iVm § 24 KAKuG) oder - nach Maßgabe der LandesKAG - der Betriebsunterbrechung und Betriebsauflassung (§ 40 Abs 1 lit c iVm § 35 Abs 3 KAKuG).
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hen überdies Fortbetriebsrechte von nahen Angehörigen nach dem Tod des Bewilligungsinhabers bzw während eines Konkurs- und Ausgleichsverfahrens.468 Gemeinnützige Anstalten unterliegen aber den mit der Gemeinnützigkeit einhergehenden Bindungen.469
A. Aufnahmepflicht Eine den öffentlichen Krankenanstalten entsprechende Aufnahmepflicht besteht für private Krankenanstalten dann, wenn diese gemeinnützig sind.470 Anderenfalls beschränkt sich die Leistungspflicht auf die unbedingt notwendige erste ärztliche Hilfe.471 Aus den mit Krankenversicherungsträgern abgeschlossenen Verträgen kann sich aber eine darüber hinaus gehende (vertragliche) Aufnahmepflicht ergeben. Nur die von Gebietskörperschaften betriebenen Krankenanstalten können subsidiär - bei nicht ausreichender öffentlicher Anstaltspflege - landesgesetzlich zu einer weitergehenden Aufnahme verpflichtet werden (§ 40 Abs 1 lit a KAKuG).
B. Obduktion Leichenöffnungen in privaten Krankenanstalten bedürfen der Zustimmung der nächsten Angehörigen (§ 40 Abs 1 lit b KAKuG); die öffentlichen Interessen der medizinischen Wissenschaft und der Qualitätssicherung im Krankenhaus treten hier zugunsten des privatrechtlichen Totensorgerechts in den Hintergrund.
C. Sonderbestimmungen für psychiatrische Anstalten und Abteilungen Da die Vollziehung des UbG nicht auf öffentliche Krankenanstalten beschränkt ist, gelten die Sonderbestimmungen der §§ 37ff KAKuG auch für die Führung von privaten Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie sowie für Abteilungen für Psychiatrie in privaten Krankenanstalten (§ 41 KAKuG). Mitunter besteht aber nach Landesrecht eine erweiterte behördliche Überwachung.472
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Vgl im Detail § 81 sbg KAG, § 75 Krnt KAO, § 89 oö KAG, § 58 stmk KAG, § 80 nö KAG, § 93 Vbg SpG, § 61 Abs 3 und 4 Wr KAG, § 77 bgld KAG. Insb der Aufnahmepflicht, dem Verbot der Entlohnung des Personals und dem Bettenschlüssel zwischen allgemeiner Gebührenklasse und Sonderklasse (vgl § 16 iVm § 40 Abs 1 lit c KAKuG). Die Einhebung eines Kostenbeitrages von den Patienten ist ebenfalls auf gemeinnützige private Krankenanstalten beschränkt (§ 40 Abs 1 lit d iVm § 27a KAKuG). Zur ökonomischen Verschreibweise von Arzneimitteln nun § 40 Abs 1 lit d iVm § 19a Abs 4 KAKuG. § 40 Abs 1 lit c iVm § 16 Abs 1 lit b und § 22 Abs 2 KAKuG. § 40 Abs 1 lit c iVm § 23 Abs 1 KAKuG. Vgl zB § 60 Abs 3 stmk KAG.
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D. Gebührenklassen, Pflegegebühren, Finanzierung 1. Pflegegebühren Die zwingenden Vorschriften über die Einrichtung einer allgemeinen Gebührenklasse gelten für private Krankenanstalten - sofern sie nicht gemeinnützig sind - nicht. Nach Maßgabe der - uneinheitlichen - Landes-KAG sind allerdings oft auch für private Krankenanstalten „Pflegegebühren“ festzusetzen;473 im Unterschied zu öffentlichen und gemeinnützigen Krankenanstalten handelt es sich dabei aber unbeschadet der Bezeichnung als „Gebühr“474 um privatrechtliche Entgelte, die vom Rechtsträger selbst festzusetzen sind, keiner Verordnung der Landesregierung bedürfen und im Zivilrechtsweg einzutreiben sind.
2. Beziehung zu den Versicherungsträgern Die Leistungsabgeltung für krankenversicherte Patienten, die in privaten gemeinnützigen Fondskrankenanstalten behandelt werden, folgt den gleichen Regeln wie bei öffentlichen Fondskrankenanstalten (LKF-System).475 Für die öffentlichen und gemeinnützig geführten privaten Krankenanstalten, die nicht Fondskrankenanstalten sind, bzw für jene Patienten in Fondskrankenanstalten, die nicht über den Landesgesundheitsfonds abgerechnet werden, hat die Landesgesetzgebung zu bestimmen, ob die Leistungen der allgemeinen Gebührenklasse über leistungsbezogene LKF-Gebühren oder über Pflegegebühren (Tagsatzsystem) abgegolten werden (§ 28 Abs 2 KAKuG). Auch die Beziehungen anderer privater Krankenanstalten zu den Versicherungsträgern werden durch privatrechtliche Verträge geregelt, die insb auch die Höhe des von der Krankenversicherung an den Anstaltsträger zu entrichtenden „Gebührenersatzes“ festlegen.476 Das bei bettenführenden privaten Anstalten früher übliche System einer Abrechnung nach Pflegetagen wurde ab 1. 1. 2002 im stationären und tagesklinischen Bereich ebenfalls auf eine leistungsgerechte Abgeltung über einen Fonds (Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds) nach den näheren Bestimmungen des PRIKRAF-Gesetzes umgestellt.477
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Vgl § 40 Abs 1 lit c iVm § 27 KAG; ähnlich § 62 lit f Wr KAG, § 74 Abs 1 Krnt KAO, § 57 lit d stmk KAG, § 88 Abs 1 Z 2 oö KAG, § 80 Abs 1 sbg KAG. In Niederösterreich, Tirol, dem Burgenland und Vorarlberg bestehen hingegen Pflegegebührenregelungen nur für private gemeinnützige Anstalten: § 79 Abs 1 nö KAG, § 59 lit h Tir KAG, § 75 Abs 2 bgld KAG, § 91 Abs 2 Vbg SpG. Vgl jedoch § 91 Abs 3 Vbg SpG, wonach die Gebühren bei privaten Krankenanstalten als Entgelte zu bezeichnen sind. Vgl § 148 ASVG und die Landes-KAG. Vgl § 149 ASVG, näher § 64f Wr KAG, § 78 bgld KAG, § 89 sbg KAG, § 81 nö KAG, § 90 oö KAG, § 91 stmk KAG, § 60 Tir KAG, § 98 Vbg SpG, § 82 Krnt KAO. Den Versicherungsträgern kommen in diesem Zusammenhang besondere Einschau- und Kontrollrechte zu. Vgl § 149 Abs 3 ASVG sowie das PRIKRAF-G. Einbezogen sind allerdings nur jene privaten Krankenanstalten, die von dem am 31. 12. 2000 geltenden Vertrag zwischen Hauptverband und Wirtschaftskammer Österreich erfasst sind (vgl im Detail die Anlage 1 zum PRIKRAF-G); zur Vorgeschichte zB Haupt, Leistungsorientierte Finanzierung auch für private Krankenanstalten, VWT 2001/1, 10.
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IX. Unmittelbares Bundesrecht Das KAKuG enthält in seinem zweiten Teil auch fugitives unmittelbar anwendbares Bundesrecht, das in einem inhaltlichen Nahebezug zum Krankenanstaltenrecht steht: Es betrifft neben den Regelungen zur Krankenanstaltenfinanzierung durch den Bund (Bundesgesundheitsagentur und Zweckzuschüsse gem §§ 56a ff) und die sanitäre Aufsicht über Krankenanstalten (§§ 60ff) im Wesentlichen Angelegenheiten des Hochschulrechts (Art 14 Abs 1 B-VG), des Zivilrechts (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) und des (sonstigen) Gesundheitswesens (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG):
A. Besondere Vorschriften für Universitätskliniken 1. Erweiterte Patientenaufnahme Abweichend von den allgemeinen Bestimmungen über die Aufnahme in Anstaltspflege dürfen gem § 43 KAKuG an Universitätskliniken ausnahmsweise auch Personen, die nicht anstaltsbedürftig oder sonst für die Aufnahme in die Krankenanstalt nicht geeignet sind, für Zwecke des Unterrichts und der wissenschaftlichen Forschung aufgenommen und länger verpflegt werden, als es nach § 22 KAKuG zulässig wäre.478 Da es in diesen - Lehr- und Forschungszwecken dienenden - Fällen regelmäßig an einer krankenversicherungsrechtlichen Leistungspflicht fehlen wird, sieht § 55 Z 3 KAKuG eine Kostentragung durch den Bund vor.
2. Klinischer Unterricht Personen, die an Universitätskliniken oder an sonstigen Krankenanstalten, in denen klinischer Unterricht erteilt wird (insb Lehrkrankenhäuser gem § 35 UG 2002) behandelt werden, dürfen gem § 44 KAKuG idF BGBl I 2000/80 zu Unterrichtszwecken herangezogen werden, soweit es ihrem Gesundheitszustand nicht abträglich ist und sie der Heranziehung zustimmen. Damit wird nun, entgegen dem früher geltenden Widerspruchsrecht, auch für klinische Falldemonstrationen im Rahmen des Medizinstudiums eine Einwilligung des Pfleglings (bei Einwilligungsunfähigen wohl: seines gesetzlichen Vertreters479) gefordert. Personen, bei denen „nach dem Gesundheitszustand ... die Einholung der Zustimmung nicht in Betracht kommt“, dürfen allerdings weiterhin auch ohne Einwilligung herangezogen werden, solange kein diesbezüglicher Widerspruch des Pfleglings vorliegt. Wann eine derartige Zustimmung „nicht in Betracht“ kommt, scheint zweifelhaft, doch dürften damit lediglich jene Patienten gemeint sein, die - insb wegen Bewusstlosigkeit - selbst nicht einwilligungsfähig sind und auch keinen dafür zuständigen Vertreter haben. Mit diesem Kompromiss zwischen der Patientenautonomie und den Bedürfnissen der medizinischen Lehre sollte insb die Ausbildung im Bereich der Intensivmedizin sichergestellt werden.480 Mit der apodiktischen Aussage des (nicht unmittelbar anwendbaren) Art 20 der Patientencharta, wonach „niemand ... ohne seine ausdrückliche
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Zu diesen „Unterrichts- und Forschungspatienten“ (§§ 43, 44 KAKuG) Grimm, RdM 2003, 44. 182 BlgNR 21. GP. Vgl 182 BlgNR 21. GP.
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Zustimmung zu klinischen Prüfungen und zu Forschungs- und Unterrichtszwecken herangezogen werden“ darf, steht dies freilich nicht im Einklang.481
3. Besondere Honorare in der Sonderklasse Im Gegensatz zu anderen öffentlichen und gemeinnützigen Krankenanstalten, in denen das KAKuG keine direkten Rechtsbeziehungen (und Honoraransprüche) zwischen dem Patienten und den Anstaltsärzten zulässt, dürfen in Universitätskliniken zusätzlich zu den (dem Anstaltsträger zustehenden) Pflege- und Sondergebühren weitere Entgelte vereinbart werden: Gem § 46 Abs 1 KAKuG ist es den Vorständen von Universitätskliniken sowie den Leitern von klinischen Abteilungen gestattet, mit Pfleglingen der Sonderklasse und mit Personen, die auf eigene Kosten ambulant behandelt werden,482 ein „besonderes Honorar“ zu vereinbaren, wenn diese Personen auf eigenen Wunsch durch den Klinikvorstand oder den Leiter der klinischen Abteilung persönlich behandelt werden.483 Es handelt sich um privatrechtliche Vereinbarungen zwischen Patient und Klinikvorstand (Abteilungsleiter), die weder hinsichtlich der Höhe noch hinsichtlich der Einbringung den krankenanstaltenrechtlichen Regeln unterliegen (vgl § 46 Abs 2 KAKuG). Zwingende Voraussetzung ist freilich neben dem eingeschränkten Patientenkreis - die tatsächliche persönliche Behandlung durch den Klinikvorstand oder Abteilungsleiter.484
4. Klinischer Mehraufwand Die finanzausgleichsrechtliche485 Bestimmung des § 55 KAKuG verpflichtet den Bund zum Ersatz jener Mehrkosten, die sich bei der Errichtung, Ausgestaltung und Erweiterung (Z 1) sowie beim Betrieb (Z 2) der zugleich dem Unterricht an Medizinischen Universitäten dienenden öffentlichen Krankenanstalten aus den „Bedürfnissen des Unterrichtes“ ergeben. Dadurch sollen jene Zusatzkosten abgegolten werden, die den Anstaltsträgern durch Lehr- und For481 482
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Kritisch zu diesen Widersprüchlichkeiten Kopetzki, Patientenrechte in Österreich (FN 370) 24ff. Eine Behandlung „auf eigene Kosten“ liegt nicht vor, wenn die Behandlungskosten von einem Sozialversicherungsträger getragen werden. Es muss sich also um „selbstzahlende“ Ambulanzpatienten handeln; vgl auch VfSlg 14.373/1995. Zur - weiter bestehenden - Anwendbarkeit dieser besonderen Honorarbefugnis im System des UG 2002 vgl Kopetzki, § 32 UG Anm I.4. Zur bisherigen Rechtslage Mazal, Sonderklassenhonorare und Abteilungsgliederung an Universitätskliniken, ÖJZ 1991, 366; Barfuß/Steiner (FN 130), RdM 1996, 17 f. Zur kompetenzrechtlichen Deutung des § 46 Abs 1 KAKuG als dienstrechtliche Norm VfSlg 14.373/1995; der Landesgesetzgeber hat daher diesbezüglich keinen Ausgestaltungsspielraum. Zur (in der Lehre umstrittenen) kompetenzrechtlichen Einordnung des § 46 Abs 1 KAKuG vgl auch Schwamberger, § 46 verfassungswidrig?, RdM 1994, 58; P. Steiner, Arzthonorare, 15ff. Dazu und zur strafrechtlichen Beurteilung einer unberechtigten Honorarforderung Schwaighofer/Steiner, Ärztliche Honorarfrage aus strafrechtlicher Sicht, RdM 1999, 8; Pircher, 341ff; vgl weiters - auch zur mangelnden Anwendbarkeit des § 46 Abs 1 KAKuG außerhalb von Universitätskliniken - OGH 5. 6. 2003, 12 Os 73/02, sowie oben in und bei FN 455. Zu zivilrechtlichen Aspekten Eccher/Steiner, Arzthonorare von Privat- und Sonderklassepatienten aus zivilrechtlicher Sicht, RdM 2000, 140. Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers gem § 2 F-VG: VfSlg 12.766/1991, 14.077 und 14.079/1995.
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schungstätigkeiten486 in Medizinischen Universitäten entstehen. § 33 UG 2002 lässt die - auch nach der Ausgliederung der Universitäten weiterhin den Bund treffende - Ersatzpflicht gem § 55 KAKuG unberührt, überbürdet jedoch die Ersatzpflicht „namens des Bundes“ weitgehend auf die rechtsfähige Medizinische Universität.487 Von der durch § 56 KAKuG eröffneten Möglichkeit, nähere Vorschriften über die Kostenersätze im Verordnungsweg zu erlassen, wurde bisher nicht Gebrauch gemacht. Dies sollte in der Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen Medizinischer Universität und Anstaltsträger (§ 29 Abs 5 UG 2002) geregelt werden.488 Im - nicht seltenen - Konfliktfall über die Höhe des Ersatzes ist der Refundierungsanspruch vom (staatlichen oder privaten) Anstaltsträger gegenüber dem Bund beim VfGH gem Art 137 B-VG geltend zu machen, weil hiefür weder ein gerichtlicher noch ein verwaltungsbehördlicher Rechtsweg offen steht.489
5. Kostenersatz im Rahmen der Drittmittelforschung Während die dem Anstaltsträger erwachsenden Mehrkosten durch die „dienstliche“ Lehre und Forschung an Medizinischen Universitäten im Wege des klinischen Mehraufwandes (§ 55 KAKuG) abgegolten werden, unterliegt die Nutzung von Anstaltsressourcen im Rahmen der universitären Drittmittelforschung der Kostenersatzregelung des § 46 Abs 3 KAKuG: Werden anlässlich wissenschaftlicher Arbeiten im Auftrag Dritter Anstaltspersonal oder Anstaltseinrichtungen in Anspruch genommen, kann der Rechtsträger der Krankenanstalt (oder im Fall einer derartigen Kostentragung im Rahmen des klinischen Mehraufwandes: der Bund) eine Vergütung beanspruchen. Die Grundsätze für die Ermittlung dieser Vergütung sind durch Verordnung des Wissenschaftsministers nach Anhörung des Anstaltsträgers festzulegen; eine solche Verordnung wurde bisher aber nicht erlassen. Die Kostenersatzregelung des § 46 Abs 3 KAKuG gilt sowohl für die Auftragsforschung der Medizinischen Universität als rechtsfähiger Einrichtung (§ 27 Abs 1 Z 3 UG 2002) als auch für die ad-personam-Auftragsforschung von Angehörigen des wissenschaftlichen Universitätspersonals (§ 26 Abs 1 UG 2002).490 Bei der zusätzlichen Inanspruchnahme von Sachmitteln und Personal der Universität entsteht darüber 486
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490
Der „Unterricht“ iSd § 55 KAKuG erfasst neben der universitären Lehre auch die universitäre Forschung: VfSlg 12.766/1991, 14. 079/1995; Kopetzki, FS Winkler (FN 130), 489; derselbe, § 33 UG Anm I.4; Grimm, RdM 2003, 44; aM Steiner, 355. Näher Kopetzki, § 33 UG Anm I.2. Zur methodischen Ermittlung des Mehraufwandes vgl § 29 Abs 4 Z 2 und 3 UG 2002; VfSlg 12.766/1991; Grimm, RdM 2003, 44 f; Steiner, ÖHZ 2003/11-12, 12ff; Kopetzki, § 33 UG Anm I.6. Zur Erfassung des Klinischen Mehraufwandes im Rechnungsabschluss der Medizinischen Universitäten vgl § 9 und § 11 Z 6 der Univ.RechnungsabschlussV, BGBl II 2003/292. Vgl VfSlg 12.766/1991; VfGH 20. 12. 2000, A 21/99. Zur Abweisung einer Klage des Bundes auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitserklärung des jüngst zwischen der (klagenden) Stadt Wien und dem Bund geschlossenen Vergleichs über den klinischen Mehraufwand VfGH 14. 2. 2005, A 21/99. Dazu - wenngleich zur Rechtslage nach dem UOG 1993 - mwN Kopetzki, FS Winkler (FN 130), 487ff (insb 495); zum UG 2002 Kopetzki, § 33 UG Anm I.5.
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Kopetzki
hinaus auch eine Refundierungspflicht gegenüber der Medizinischen Universität nach Maßgabe des § 26 Abs 3 und § 27 Abs 3 UG 2002.
B. Legalzession von Schadenersatzansprüchen Gem § 48 KAKuG geht der Schadenersatzanspruch, der aus dem Grunde des Heilungskostenersatzes entstanden ist, bis zur Höhe der noch unbeglichenen LKF-Gebühren oder Pflegegebühren auf den Rechtsträger der Krankenanstalt über, sofern die Erkrankung, die zur Anstaltsbehandlung geführt hat, auf ein Verschulden zurückzuführen ist, für das kraft gesetzlicher Bestimmungen ein Dritter haftet.491 Entgegen der früheren Rechtslage ist diese gesetzliche Zession nicht mehr auf öffentliche Krankenanstalten beschränkt.492 Eine gleichartige Bestimmung enthalten die §§ 332ff ASVG zugunsten der Sozialversicherungsträger.
C. Einweisung von Untersuchungshäftlingen Gem § 50 KAKuG können die Strafgerichte Personen in Untersuchungshaft zum Zwecke der Untersuchung und Beobachtung ihres Geisteszustandes in öffentliche Krankenanstalten für Psychiatrie einweisen; die Einweisung darf nicht die Dauer der Untersuchungshaft, keinesfalls jedoch drei Monate überschreiten. Die Krankenanstalt trifft eine Verpflichtung zur Aufnahme und zur Durchführung der erforderlichen Untersuchungen. Diese fugitive strafprozessuale Bestimmung wirft viele Unklarheiten auf;493 eine klare gesetzliche Regelung über die Kostentragung ist nicht ersichtlich.
D. Organspende Verstorbener Die Entnahme von Körpersubstanzen aus Verstorbenen ist in den transplantationsrechtlichen Bestimmungen der §§ 62a ff KAKuG näher geregelt.494 Wegen des umfassenden Organbegriffs des § 62a KAKuG gelten diese Bestimmungen auch für die Entnahme von Geweben, Zellverbänden oder einzelnen Zellen. Im Wesentlichen gilt hier, wie bei jeder Organentnahme, die sog Widerspruchslösung: Die Entnahme einzelner Organe (und Gewebe) ist grundsätzlich zulässig, sofern den Ärzten keine Erklärung des potentiellen Spenders (bzw vor dessen Tod des gesetzlichen Vertreters) vorliegt, mit welcher dieser eine Entnahme ausdrücklich ablehnt. Im Zweifel und im Fall des Schweigens ist die Entnahme daher zulässig. Durch die KAKuG-Novelle BGBl I 2004/35 wurde 491
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Vgl dazu zB OGH 23. 9. 1999, 2 Ob 225/99y = ZVR 2000/59 (keine Legalzession der Differenz zwischen Pflegegebühr und Pflegegebührenersatz); 20. 6. 2000, 2 Ob 160/00v; SZ 41/39 = EvBl 1968/401. Zum Ganzen auch Bartos/Hoza, Das Drittschadensproblem bei Anstaltspflege, SoSi 2003, 14. Radner/Haslinger/Reinberg, § 48 KAKuG Anm 1. Näher Kopetzki, Unterbringungsrecht, Bd 2, 946 f. Dazu und zum folgenden ausführlich Kopetzki, Organgewinnung (FN 34); derselbe, Rechtliche Aspekte der Widerspruchslösung, in: Barta/Kalchschmid/Kopetzki (Hrsg), Rechtspolitische Aspekte des Transplantationsrechts, 1999, 43; derselbe, Die Biomedizinkonvention des Europarates und das Transplantationsrecht, in: Barta/Weber (Hrsg), Rechtsfragen der Transplantationsmedizin in Europa, 2001, 121.
Krankenanstaltenrecht
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klar gestellt, dass ein verbindlicher Widerspruch zur Organentnahme auch dann „vorliegt“, wenn er in dem beim Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen geführten Widerspruchsregister eingetragen ist.495 Erforderlich ist weiters die Todesfeststellung durch (mindestens) einen unabhängigen, zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Arzt (näher § 62a Abs 2)496 sowie die Wahrung der Pietät der Leiche. Ergänzende transplantationsspezifische Dokumentations- und Schweigepflichten finden sich in § 9 Abs 1, § 10 Abs 1 Z 6, 8 und § 62b KAKuG. Die Zulässigkeit der Organentnahme aus Leichen (nicht hingegen die Transplantation als solche) ist auf bestimmte Krankenanstalten beschränkt (§ 62a Abs 3 KAG); im Wesentlichen handelt sich dabei um gemeinnützige Anstalten einschließlich jener, die von einem Sozialversicherungsträger betrieben werden.
Gem § 62a Abs 4 KAKuG gilt - bezogen auf den Kontext der Transplantationsmedizin - für Leichenorgane und -gewebe ein Gewinnverbot:497 Organe oder Organteile von Verstorbenen dürfen nicht Gegenstand von Rechtsgeschäften sein, die auf Gewinn gerichtet sind. Das schließt insb einen Handel mit solchen Substanzen aus, nicht jedoch die Vergütung von Arbeitsleistungen oder sonstigen Aufwendungen in Bezug auf die Entnahme, die Lagerung oder den Transport. Nicht erfasst ist nach hA weiters der Handel mit Folgeprodukten, für welche die Humansubstanz nur das Ausgangsmaterial war (zB Arzneimittel), ebenso wenig Gewebe von Lebenden. Die Grenze zwischen einem von § 62a Abs 4 KAKuG erfassten „Organ“ und seinen - durch einen technischen Prozess veränderten - Nachfolgeprodukten ist allerdings fließend. Die Entnahme von Organen und Geweben Lebender ist ebenso wenig Gegenstand des KAKuG wie die Entnahme von Leichenmaterial zu anderen Zwecken als jene der Obduktion oder der Transplantation; hiefür gelten die allgemeinen zivil- und strafrechtlichen Voraussetzungen.498
495
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497 498
Dies war freilich schon vorher unbestritten; dazu zB Aigner, Organentnahmen bei Verstorbenen zu Transplantationszwecken gem § 62a KAG; Widerspruchsregister, RdM 1994, 119. Vgl zuletzt die vom Obersten Sanitätsrat beschlossenen Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik vom 17. 12. 2005; abgedruckt bei Unger, Überarbeitung der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme, Mitteilungen der Sanitätsverwaltung 2006/3, 3. Zu Einzelfragen bei invasiven Methoden Haslinger, Hirntodfeststellung ohne Eingriffszustimmung? RdM 2005, 77. Zur gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung im Licht der Warenverkehrsfreiheit vgl Schneider (FN 56). Dazu Kopetzki, Organgewinnung (FN 34), 250ff. Zur Strafbarkeit von Gewebsentnahmen aus Leichen zu Zwecken der Arzneimittelgewinnung (§ 190 StGB - Störung der Totenruhe) OGH RZ 1987/23 = EvBl 1987/105. Zur Verwendung von Körpermaterialien vgl hier nur Taupitz, Forschung mit menschlichen Zellen in Österreich: Profit auf Kosten des Patienten?, JBl 2000, 152; Krejci, Wem gehört die Nabelschnur?, RdM 2001, 67; P. Steiner, Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der Forschung an Humansubstanzen, RdM 2002, 173; Kopetzki, FS Burgstaller (FN 56), 601.
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E. Konsumentenschutz Eine ergänzende zivilrechtliche Regelung unter dem Titel des „Konsumentenschutzes“ trifft § 62d KAKuG: Danach ist eine „Vertragserklärung“, die eine Pflegling während seines Aufenthalts in der Krankenanstalt abgegeben hat, unwirksam, wenn sie unter solchen Umständen abgegeben wurde, die einen Rücktritt gemäß § 3 KonsumentenschutzG rechtfertigen würde. Damit sollte in Anlehnung an die „Haustürgeschäfte“ des KSchG - ein Schutz vor dem wirksamen Zustandekommen von Rechtsgeschäften geschaffen werden, zu denen Patienten in Ausnutzung ihrer Krankheitssituation verleitet werden könnten. Anders als beim Rücktrittsrecht des KSchG bedarf es hier jedoch keines Rücktritts des Patienten.499 Die Voraussetzungen für den (ex-lege) Eintritt dieser Unwirksamkeit sind im § 62d KAKuG allerdings nicht präzise umschrieben.
X. Querbezüge zu anderen Rechtsmaterien Das Krankenanstaltenrecht steht in mannigfaltigen systematischen Zusammenhängen zu anderen Rechtsmaterien, die beim Betrieb einer Krankenanstalt zu beachten sind: 1. Berufsrechte der Heilberufe: ÄrzteG 1998 (BGBl I 1998/169 idF I 2006/122); Ärzte-Ausbildungsordnung 2006 - ÄAO 2006, BGBl II 2006/286; ZahnärzteG - ZÄG (BGBl 2005/126 idF I 2006/39; Gesundheits- und KrankenpflegeG - GuKG (BGBl I 1997/108 idF I 2006/90); Bundesgesetz über die Regelung der gehobenen medizinischtechnischen Dienste - MTD-Gesetz (BGBl 1992/460 idF BGBl I 2006/90); Bundesgesetz über die Regelung des medizinisch-technischen Fachdienstes und der Sanitätshilfsdienste - MTF-SHD-G (BGBl 1961/102 idF I 2006/90); KardiotechnikerG - KTG (BGBl I 1998/96 idF I 2006/90); HebammenG - HebG (BGBl 1994/310 idF I 2006/90); PsychotherapieG (BGBl 1990/361 idF I 2001/98); PsychologenG (BGBl 1990/360 idF I 2001/98); Sanitätergesetz - SanG (BGBl I 2002/30 idF I 2006/90); Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetz - MMHmG (BGBl I 2002/169 idF I 2006/90). 2. Arbeits- und Dienstrecht: Krankenanstalten-ArbeitszeitG - KA-AZG (BGBl I 1997/8 idF I 2005/155); ArbeitnehmerInnenschutzG - ASchG (BGBl 1994/450 idF I 2006/113). Das jeweils anwendbare Dienstrecht hängt von der Art des Beschäftigungsverhältnisses und dem Rechtsträger ab (allgemeines Arbeitsrecht, Dienstrecht des Bundes, der Länder oder Gemeinden etc). 3. Arzneimittel- und Medizinprodukterecht; Apothekenrecht: ArzneimittelG - AMG (BGBl 1983/185 idF I 2005/153); MedizinprodukteG - MPG (BGBl 1996/657 idF I 2005/153); zahlreiche DurchführungsV, zB PharmakovigilanzV 2006, BGBl II 2005/472, betreffend Meldepflichten; RezeptpflichtG (BGBl 1972/413 idF I 2006/122); Heilmittel-Bewilligungs- und KontrollV (BGBl II 2004/473); ApothekenG, RGBl 1907/5 idF I 2006/90), insb betreffend Anstaltsapotheken (§§ 35f). 4. Hochschulrecht: UniversitätsG 2002 - UG 2002 (BGBl I 2002/120 idF I 2006/74); vgl insb die Sonderbestimmungen für Universitätskliniken und Klinische Institute (§§ 29ff UG 2002); Leit-Ethikkommissions-V (BGBl II 2004/214); ForschungsorganisationsG - FOG (BGBl 1981/341 idF BGBl I 2004/74). 5. Unterbringungsrecht: UnterbringungsG - UbG (BGBl 1990/155 idF I 1997/12); § 46 SicherheitspolizeiG - SPG (BGBl 1991/566 idF I 2005/100): Sonderbestimmungen für die freiheitsentziehende Unterbringung in Krankenanstalten und Abteilungen für 499
Dazu 384 BlgNR 22. GP, 20.
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Psychiatrie. Zur gesetzlichen Vertretung der Patienten vgl das Vereinssachwalter-, Patientenanwalts- und BewohnervertretungsG - VSPBG (BGBl 1990/156 idF I 2006/92). 6. Heimaufenthaltsrecht: HeimaufenthaltsG - HeimAufG (BGBl I 2004/11 idF I 2006/94): Voraussetzungen und gerichtliche Kontrolle von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in Heimen und Krankenanstalten; Melde- und Dokumentationspflichten; Bewohnervertretung. 7. Fortpflanzungsmedizin: FortpflanzungsmedizinG - FMedG (BGBl 1992/275 idF I 2004/163): Zulässigkeit von Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung (§§ 1ff); Zulassungspflicht für Krankenanstalten, in denen eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung durchgeführt wird (§§ 4 f); Aufzeichnungspflichten über Samenspender (§ 15); Berichtspflichten (§ 19); V über Meldungen hinsichtlich von Tätigkeiten und Erfahrungen auf dem Gebiet der medizinisch unterstützten Fortpflanzung - FMedV (BGBl II 1998/362); IVF-Fonds-G (BGBl I 1999/180 idF I 2004/42). 8. Gentechnikrecht: GentechnikG - GTG (BGBl 1994/510 idF I 2005/127): Zulassungspflicht für Einrichtungen, die bestimmte Genanalysen zu medizinischen Zwecken durchführen (§§ 68 f) sowie für die Durchführung von somatischen Gentherapien (§ 75); Einwilligung und Beratung bei Genanalysen (§ 69); Datenschutz (§ 71); Dokumentationspflichten (§ 71a); Meldepflichten (§§ 73, 77). 9. Strahlenschutzrecht: StrahlenschutzG - StrSchG (BGBl 1969/227 idF I 2004/137): Sonderbestimmungen über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen; Bewilligungs- und Meldepflichten für Anlagen für den Umgang mit radioaktiven Stoffen (§§ 5ff); Eignungsuntersuchungen für beruflich strahlenexponierte Personen (§§ 30ff); Allgemeine StrahlenschutzV - AllgStrSchV (BGBl II 2006/191); Medizinische StrahlenschutzV - MedStrSchV (BGBl II 2004/409); AtomhaftungsG 1999 - AtomHG (BGBl I 1998/170 idF I 2003/33). 10. Blutsicherheitsrecht: BlutsicherheitsG 1999 - BSG 1999 (BGBl I 1999/44 idF I 2005/107): Sonderbestimmungen für die Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen von Menschen (§§ 1ff); Bewilligungspflicht für Blutspendeeinrichtungen (§ 14); BlutspenderV - BSV (BGBl II 1999/100 idF II 2005/188). 11. Bekämpfung ansteckender Krankheiten: EpidemieG 1950 (BGBl 1950/168 (WV) idF BGBl I 2006/114); V betreffend die Anzeige von übertragbaren Krankheiten (BGBl 1948/189); V betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten (BGBl II 2004/254 idF II 2006/353); V betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und die Bezeichnung von Häusern und Wohnungen (RGBl 1915/39 idF BGBl I 2006/10); TuberkuloseG (BGBl 1968/127 idF I 2002/65); GeschlechtskrankheitenG (StGBl 1945/153 idF 1993/345 idF I 2001/98); AIDS-G 1993 (BGBl 1993/728 (WV) idF I 2001/98); V über die Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung in der HIV-Diagnostik und die bei der Vornahme von HIV-Tests einzuhaltende Vorgangsweise (BGBl 1994/772 idF II 2004/221); V betreffend die Befugnis zur Vornahme medizinisch-diagnostischer Untersuchungen und die hiebei bei Arbeiten mit Krankheitserregern zu beachtenden Vorsichtsmaßnahmen (BGBl 1948/63 idF II 2001/361); ImpfschadenG (BGBl 1973/371 idF I 2005/48). 12. Suchtmittelrecht: SuchtmittelG - SMG (BGBl I 1997/112 idF I 2002/134); SuchtgiftV (BGBl II 1997/374 idF II 2006/451). 13. Sozialrecht und Sozialversicherungsrecht: Vgl neben den Sozialversicherungsgesetzen - statt aller: Allgemeines SozialversicherungsG - ASVG (BGBl 1955/189 idF I 2006/169) - die Mutter-Kind-Pass-V 2002 - MuKiPassV (BGBl II 2001/470); das BundespflegegeldG - BPGG (BGBl 1993/110 idF I 2006/89) sowie die SozialhilfeG der Länder.
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14. Personenstandsrecht: PersonenstandsG - PStG (BGBl 1983/60 idF I 2005/100); PersonenstandsV - PStV (BGBl 1983/629 idF II 2004/107): Anzeigepflichten hinsichtlich Geburten (§ 18) und Todesfällen (§ 27). 15. Straßenverkehrsrecht: Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960 (BGBl 1960/159 idF 2006/54): Vorführung zum diensthabenden Arzt einer öffentlichen Krankenanstalt (§ 5 Abs 4a, 5 und 8); Verpflichtung der Rechtsträger öffentlicher Krankenanstalten zur Bereitstellung der erforderlichen Einrichtungen zur Blutuntersuchung zum Zweck der Alkoholbestimmung (§ 5a, Grundsatzbestimmung). 16. Dokumentation: Bundesgesetz über die Dokumentation im Gesundheitswesen (BGBl 1996/745 idF I 2004/179); KrebsstatistikG (BGBl 1969/138 idF 1969/425): Statistische Erhebungen über Geschwulstkrankheiten; Meldepflichten (§ 4). 17. Datenschutz und Datensicherheit: Datenschutzgesetz 2000 - DSG 2000 (BGBl I 1999/165 idF I 2005/13); Standard- und Muster-V 2004 - StMV 2004 (BGBl II 2004/ 312); GesundheitstelematikG - GTelG (BGBl 2004/179). 18. Qualitätssicherung: GesundheitsqualitätsG - GQG (BGBl I 2004/179). 19. Zivilrecht: Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch - ABGB (JGS 1811/946 idF BGBl I 2006/113): insb Behandlungsvertrag, zivilrechtliche Haftung des Personals bzw des Anstaltsträgers; Einwilligung Minderjähriger (§ 146c ABGB); Sterilisation (§ 146d und § 282 Abs 3 ABGB); Sachwalterrecht (§§ 268ff ABGB idF des SachwalterrechtsÄnderungsG 2006 - SWRÄG 2006, BGBl I 2006/92), einschließlich Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger (§§ 284b ff) und Vorsorgevollmacht § 284f ABGB idF SWRÄG 2006); Patientenverfügungs-G - PatVG (BGBl I 2006/55): Voraussetzungen und Wirksamkeit von (antizipierten) Patientenverfügungen; KonsumentenschutzG KSchG (BGBl 1979/140 idF BGBl I 2004/62) (vgl § 62d KAKuG). 20. Strafrecht: Strafgesetzbuch - StGB (BGBl 1974/60 idF BGBl I 2006/56): Strafrechtliche Haftung des Krankenanstaltenpersonals, insb §§ 83ff (Körperverletzung), § 90 (Einwilligung; Sterilisation; Genitalverstümmelung), §§ 96ff (Schwangerschaftsabbruch), § 110 StGB (eigenmächtige Heilbehandlung), § 121 (Verletzung von Berufsgeheimnissen), §§ 178 f (Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten), § 190 (Störung der Totenruhe); für eine strafrechtliche Haftung des Krankenanstaltenträgers vgl nun auch das VerbandsverantwortlichkeitsG - VbVG (BGBl I 2005/151). 21. Strafprozess- und Strafvollzugsrecht: Strafprozessordnung 1975 - StPO (BGBl 1975/631 idF I 2006/102): Leichenöffnung (§§ 127ff), vorläufige Anhaltung in psychiatrischen Krankenanstalten (§ 429 Abs 4); StrafvollzugsG - StVG (BGBl 1969/144 idF I 2006/113): Maßnahmenvollzug in öffentlichen Krankenanstalten für Psychiatrie (§§ 158 Abs 4, 167a); Überstellung von Strafgefangenen in Krankenanstalten (§ 71 Abs 3 und 4); Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die Abgeltung stationärer medizinischer Versorgungsleistungen von öffentlichen Krankenanstalten für Insassen von Justizanstalten (BGBl I 2006/28). 22. Sonstiges: Weitere, je nach Lage des Falles anwendbare Vorschriften können sich etwa aus dem Abfallrecht (Krankenhausabfall) oder dem Leichen- und Bestattungsrecht der Länder (Obduktion, Totenbeschau) ergeben.
Roland Winkler
Mineralrohstoffrecht (ohne Anlagenrecht)
Rechtsgrundlagen .........................................................................................565 Grundlegende Literatur ...............................................................................566 I. Grundlagen ................................................................................................566 A. Allgemeines............................................................................................566 1. Berggesetze und MinroG ..................................................................566 2. Weitere Rechtsquellen.......................................................................567 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................568 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................569 II. Geltungsbereich, Begriffsbestimmungen und Aufbau des MinroG ....569 A. Anwendungsbereich (§ 2) ......................................................................569 1. Mineralische Rohstoffe .....................................................................570 2. Bergbautechnik..................................................................................572 B. Die Kategorien mineralischer Rohstoffe und die „Speicher“ ...............572 1. Bergfreie mineralische Rohstoffe......................................................572 2. Bundeseigene mineralische Rohstoffe ..............................................573 3. Grundeigene mineralische Rohstoffe ................................................574 4. Speicher.............................................................................................574 C. Bergbautätigkeiten ................................................................................574 D. Bergbauberechtigungswesen.................................................................575 1. Gliederung der Bergbauberechtigungen............................................575 2. Aufsuchungsberechtigungen .............................................................575 3. Gewinnungsberechtigungen und Speicherbewilligung .....................576 4. Bergbauberechtigte............................................................................576 5. Überblick Bergbauberechtigungswesen ............................................577 E. Umweltverträglichkeitsprüfung .............................................................577 III. „Aufsuchen“ mineralischer Rohstoffe und Suchen und Erforschen von Speichern ....................................................................577 A. Allgemeines............................................................................................577 B. Suchen bergfreier und grundeigener mineralischer Rohstoffe..............578 C. Erschließen und Untersuchen bergfreier und grundeigener mineralischer Rohstoffe.........................................................................579 1. Schurfberechtigung ...........................................................................579 2. Erschließen und Untersuchen grundeigener mineralischer Rohstoffe....................................................................580 D. Das Recht des Bundes zum Aufsuchen bundeseigener mineralischer Rohstoffe und zum Suchen und Erforschen von Speichern von Kohlenwasserstoffen in kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen ..............................................................................................581
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Winkler
1. Gegenstand ....................................................................................... 581 2. Überlassen der Ausübung ................................................................. 581 E. Suchen und Erforschen nicht kohlenwasserstoffführende geologischer Strukturen zum Speichern von Kohlenwasserstoffen....... 582 1. Gegenstand ....................................................................................... 582 2. Bewilligung zum Suchen und Erforschen......................................... 583 F. Arbeitsprogramme und Berichte ........................................................... 583 1. Gegenstand ....................................................................................... 583 2. Inhalt des Ansuchens ........................................................................ 584 3. Genehmigung.................................................................................... 584 4. Abschlussbetriebspläne..................................................................... 585 IV. Gewinnung mineralischer Rohstoffe und das Speichern von Kohlenwasserstoffen .................................................................................... 585 A. Allgemeines ........................................................................................... 585 B. Das Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe ......................... 585 C. Das Gewinnen bergfreier mineralischer Rohstoffe (Bergwerksberechtigungen).................................................................. 586 1. Gegenstand ....................................................................................... 586 2. Verleihung von Bergwerksberechtigungen ...................................... 587 3. Betriebspflicht................................................................................... 588 4. Übertragung von Bergwerksberechtigungen und Überlassung der Ausübung ......................................................................................... 589 5. Auflassung von Bergwerksberechtigungen ...................................... 590 D. Das Recht des Bundes zum Gewinnen bundeseigener mineralischer Rohstoffe und zum Speichern von Kohlenwasserstoffen in kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen.......................... 590 1. Gegenstand ....................................................................................... 590 2. Gewinnungsfelder............................................................................. 591 E. Speichern von Kohlenwasserstoffen in nicht kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen (Speicherbewilligung).................. 592 1. Gegenstand ....................................................................................... 592 2. Speicherbewilligung ......................................................................... 592 F. Gewinnungs- und Abschlussbetriebspläne............................................ 593 1. Allgemein.......................................................................................... 593 2. Anwendungsbereich der Gewinnungsbetriebspläne ......................... 594 3. Allgemeine Bestimmungen............................................................... 595 4. Sonderbestimmungen für Gewinnungsbetriebspläne für das obertägige Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe .......... 602 5. Abschlussbetriebspläne..................................................................... 606 V. Tätigkeiten, für deren „bergbautechnische Aspekte“ das MinroG gilt ..................................................................................... 609 VI. Weitere Bestimmungen über die Ausübung der Bergbauberechtigungen mit Ausnahme des Bergbauanlagenrechts.............. 612 A. Allgemeine Bestimmungen .................................................................... 612 B. Aneignungsrechte.................................................................................. 613
Mineralrohstoffrecht
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C. Weitere Befugnisse und Pflichten des Bergbauberechtigten, insbesondere Sicherungspflichten .........................................................613 D. Allgemeine BergpolizeiVO (ABPV) und BohrlochbergbauVO ............614 E. Unfälle, Grubenrettungswesen und Hilfeleistung..................................615 F. Weitere bergpolizeiliche Vorschriften ...................................................615 G. Bergbaukartenwerk, Markscheidewesen...............................................616 H. Verantwortliche Personen und Bergbaubevollmächtigte......................616 I. Dingliche Qualität von Bescheiden ........................................................617 J. Strafbestimmungen .................................................................................618 K. Bergschäden ..........................................................................................619 L. Schutzgebiete .........................................................................................620 VII. Bergbau und Grundeigentum..............................................................620 A. Ausnahmen vom Grundeigentum für mineralische Rohstoffe................620 B. Grundüberlassung .................................................................................620 C. Bergbaugebiete......................................................................................622 D. Sicherung der Oberflächennutzung.......................................................624 VIII. Vollzug, Behörden und Bergbauaufsicht ..........................................625 A. Vollzugsbereiche....................................................................................625 B. Behörden................................................................................................625 C. Bergbauaufsicht.....................................................................................626 1. Aufsicht .............................................................................................626 2. Anordnungsbefugnisse ......................................................................627 3. Erlassung von Schutzvorschriften .....................................................627 IX. Übergangsrecht.......................................................................................627 X. Mineralrohstoffnebenrecht .....................................................................628 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: RL 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL), Abl 1985 L 175/40 idF RL 2003/35/EG Abl 2003 L 156/17; RL 96/82/EG zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso-II-RL), Abl 1997 L 10/13 idF VO 1882/2003/EG, Abl 2003 L 284/1; RL 2002/49/EG über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, Abl 2002 L 189/12; RL 92/91/EWG über Mindestvorschriften zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer in den Betrieben, in denen durch Bohrungen Mineralien gewonnen werden, Abl 1992 L 348/9; RL 92/104/EWG über Mindestvorschriften zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer in übertägigen oder untertägigen mineralgewinnenden Betrieben, Abl 1992 L 404/10; RL 93/15/EWG zur Harmonisierung der Bestimmungen über das Inverkehrbringen und die Kontrolle von Explosivstoffen für zivile Zwecke, Abl 1993 L 121/20 idF VO 1882/2003/EG, Abl 2003 L 284/1; RL 94/9/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Geräte und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen, Abl 1994 L 100/1 idF VO 1882/2003/EG, Abl 2003 L 284/1.
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BG: MineralrohstoffG - MinroG (BGBl 1999 I/38 idF BGBl 2006 I/113); Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 - UVP-G (BGBl 1993/697 idF BGBl 2006 I/149). Als BG geltende VO: Allgemeine BergpolizeiVO - ABPV (BGBl 1959/114 idF BGBl 2006 II/22); BergpolizeiVO für die Seilfahrt (BGBl 1968/14 idF BGBl 2002 I/21); VO zur Sicherstellung der Gasversorgung (dRGBl I 1939/ S 1856; BGBl 1999 I/191: Außerkrafttreten 31.12.2009); BergpolizeiVO für Elektrotechnik - BPV-Elektrotechnik (BGBl 1996/737 idF BGBl 2004 II/309); VO über die Bezeichnung von Grundstücken und Grundstücksteilen als Bergbaugebiete (BGBl 1981/89 idF BGBl 2002 I/21); VO über Freischurf- und Maßengebühren (BGBl 1976/224 idF BGBl 2002 I/21). VO: VO über Förderzinse für Kohlenwasserstoffe - FörderzinsVO 2006 (BGBl 2006 II/83);VO über Sicherheitsabstände zu Anlagen des Kohlenwasserstoffbergbaus und zu Anlagen für vergleichbare Tätigkeiten (BGBl 2006 II/56); VO über die beim Bohrlochbergbau durchzuführenden Maßnahmen - BB-V (BGBl 2005 II/367); VO über verantwortliche Personen im Bergbau - VPB-V (BGBl 2003 II/9); MarkscheideVO (BGBl 2001 II/69); SchaubergwerkeVO (BGBl 2000 II/209); SprengmittelVO (BGBl 2001 II/27); Elektrotechnikverordnung - ETV 2002 (BGBl 2002 II/222 idF BGBl 2006 II/33); § 20 VO über elektrische Betriebsmittel zur Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen (BGBl 1994/45 idF BGBl 2000 II/143); ExplosionsschutzVO 1996 - ExSV 1996 (BGBl 1996/252).
Grundlegende Literatur: Demmelbauer, Die Stellung der Gemeinde im Mineralrohstoffgesetz, RFG 2004, 7; Donninger, Das Verkehrskonzept nach dem Mineralrohstoffgesetz, ecolex 2000, 389; Funk/Fänerich/Schönbäck/Stoiss, Das Mineralrohstoffgesetz 1999 aus rechtswissenschaftlicher, ökonomischer und raumordnungspolitischer Sicht, 2000; Huber, Das neue Mineralrohstoffgesetz, ecolex 1999, 502; Mayer, Keine naturschutzrechtliche Bewilligung für Bergbauanlagen, ecolex 1992, 447; ders, Lassing - Eine juristische Nachlese, ecolex 1999, 201; ders, Die Kompetenzgrundlage des Mineralrohstoffgesetzes, ecolex 1999, 506; Mihatsch, Mineralrohstoffgesetz2, 2002; Randl, Die Neuordnung des Bergrechts durch das Mineralrohstoffgesetz (MinroG), JAP 1998/99, 248; Maier/Christian (Hrsg), Bergrecht - über unsere Köpfe hinweg (1995); Rill/Madner, Bergwesen, Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie und die Raumplanungskompetenz der Länder, ZfV 1996, 209; Rossmann, Anrainer- und Umweltschutz im Bergrecht, RdU 1995, 71; Schäffer, Das Berggesetz 1975, ZfV 1976, 3; Wagner, Die Betriebsanlage im zivilen Nachbarrecht (1997); Tiess/Rossmann/ Pilgram, Die Bedeutung des Vorsorgeprinzips bei der Gewinnung mineralischer Baurohstoffe, RdU 2002, 84 und 130; Weiß, Wichtige Neuerungen des Mineralrohstoffgesetzes, RdU 1999, 139 und 2000, 8; Zdesar, Über Rechte an aufgelassenen Bergwerken, NZ 2001, 293.
I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Berggesetze und MinroG Die Gewinnung mineralischer Rohstoffe untersteht traditionell einem besonderen Regelungsregime, dem Berg(bau)recht. Dafür sind vor allem zwei Umstände maßgeblich: Es wird die besondere volkswirtschaftliche Bedeutung von Bergbauprodukten als Grundstoffe angeführt, deren Verfügbarkeit für das Funktionieren der Wirtschaft unabdingbar ist. Weiters verbindet sich mit der
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Bergbautechnik eine besondere Gefahrenlage, die einen spezifischen rechtlichen Rahmen zur Gefahrenabwehr und Wahrung von Schutzinteressen erforderlich macht. In Österreich bestand mit dem Allgemeinen Berggesetz (ABG) 1854, dem BergG 1954 und dem BergG 1975 eine Rechtslage, die diesen Anforderungen zu genügen suchte, andererseits aber durch eine besondere Behördenstruktur (Bergbehörden) und den weitgehenden Ausschluss von Nachbarrechten zu einer Situation führte, die rechtspolitisch als unbefriedigend empfunden wurde. Daher wurde bereits vor dem Grubenunglück in Lassing (Juli 1998) eine BergG-Novelle erarbeitet, die schließlich unter extremem Zeitdruck in ein neues Gesetz, das MinroG, umgearbeitet wurde.1
2. Weitere Rechtsquellen Die Erfassung des berg- oder mineralrohstoffrechtlichen Normenbestands trifft nach wie vor auf Schwierigkeiten, obwohl die Rechtsbereinigung in diesem Gebiet in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat. Zunächst gelten einige ältere Verordnungen als Bundesgesetze. Dabei handelt es sich in erster Linie um bergpolizeiliche Verordnungen, deren Inhalt meist durch § 217 BergG 1975 in Gesetzesrang erhoben wurde und die nach ausdrücklicher Anordnung vom MinroG unberührt bleiben (§ 195 Abs 1). Ein Problem besteht in der Bestimmung ihres Anwendungsbereichs: Sowohl § 217 BergG wie auch § 195 MinroG sprechen von der Geltung „im bisherigen Umfang“, was sich primär auf den textlichen Umfang bezieht. Insb durch das MinroG ist jedoch der Anwendungsbereich der in ihm enthaltenen bergrechtlichen Vorschriften ausgedehnt worden, namentlich im Hinblick auf die grundeigenen mineralischen Rohstoffe. Eine automatische Ausdehnung des Anwendungsbereichs der als Bundesgesetz geltenden Verordnungen ist aber nicht anzunehmen, da diese grundsätzlich unverändert weiter gelten; allerdings kann das MinroG zur Auslegung von Bestimmungen über den Anwendungsbereich herangezogen werden. So sieht § 1 ABPV vor, dass ihre Bestimmungen für alle Betriebe gelten, „die der Aufsicht der Bergbehörde unterstehen“. Art 2 der MinroG-Novelle 2001 (BGBl 2002 I/21) sieht eine Anpassung der Bestimmungen über die (obsoleten) „Berghauptmannschaften“ in der ABPV vor; damit ist wohl klargestellt, dass die ABPV nunmehr für alle Betriebe gilt, die der Aufsicht der Mineralrohstoffbehörden nach dem MinroG unterstehen. Ein weiteres Problem liegt darin, dass § 195 MinroG (wie bereits § 217 BergG 1975) die Fortgeltung nur vorsieht bis zur „Neuregelung des betreffenden Gebietes oder einer Änderung“ durch eine Verordnung und dass das Außerkrafttreten in der betreffenden Verordnung „festzustellen“ ist. Dies ist unproblematisch, wenn man die „Neuregelung“ durch Verordnung nur als Bedingung für das gesetzlich vorgesehene Außerkrafttreten ansieht2; die verord1
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Dieses wurde mit BGBl 1999 I/38 kundgemacht; die Kundmachung dieses Gesetzes in BGBl 1999 I/36 war nach dem Beschluss des VfGH vom 1.10.1999, B 851/99 wegen der fehlenden Wiedergabe der Namen der beurkundenden bzw gegenzeichnenden Organwalter absolut nichtig. Vgl dazu auch VfSlg 16.152/2001. Zur Entstehung vgl ferner Mihatsch, 1 ff, und den allgemeinen Teil der EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP. Vgl etwa Aichlreiter, Österreichisches Verordnungsrecht, 1988, 1155 ff.
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nungsmäßige „Feststellung“ ist dann rein deklarativ. Trotzdem wurden in der Aufstellung der Rechtsgrundlagen aus Vereinfachungsgründen die aktuellen Fassungen dieser bundesgesetzlichen Vorschriften („idF“) auch nach solchen Verordnungen bestimmt. Das Alter mancher Vorschriften führte dazu, dass sie vom 1. BundesrechtsbereinigungsG (BGBl 1999 I/191) erfasst sind; in diesem ausdrücklich vorgesehenes Weitergelten bzw Daten für das Außerkrafttreten wurden ebenfalls aufgenommen. § 196 MinroG sieht auch das Weitergelten verschiedener auf Grund des BergG 1975 erlassener Verordnungen vor. Ein Weitergelten als Bundesgesetze war in der Stammfassung des MinroG nicht vorgesehen, die MinroG-Novelle 2001 hat dies aber nunmehr (wohl iS einer Klarstellung) ausdrücklich angeordnet.3 Manche weitere auf Grund des BergG 1975 (oft iVm anderen Rechtsgrundlagen, wie der GewO) erlassene Verordnungen werden in § 196 MinroG nicht genannt. Die Geltung dieser Verordnungen hängt davon ab, wie das Verhältnis zwischen Gesetz und DurchführungsVO beurteilt wird; auf dieses Problem kann nur hingewiesen werden. Weiter kompliziert wird die Rechtslage durch die Übertragung des Arbeitnehmerschutzes im Bergbau auf die Arbeitsinspektorate (vgl unten VIII.A.), die auch in §§ 195 und 196 MinroG Niederschlag gefunden hat; arbeitnehmerschutzrechtliche Bestimmungen in bergrechtlichen Verordnungen (auch in solchen, die als Bundesgesetz gelten) werden phasenweise durch solche in arbeitnehmerschutzrechtlichen Verordnungen abgelöst, womit die Rechtslage in der Übergangsphase weiter zersplittert wird.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Gemäß Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG ist das „Bergwesen“ in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Nach VfSlg 13.299/1992 ist über den „Versteinerungsbefund“ hinaus auch hier eine Weiterentwicklung des Begriffsinhalts möglich, für die die bergbaumäßige Methode einer Tätigkeit eine besondere Rolle spielt. Vom Kompetenztatbestand sind demnach „jene Regelungen erfasst ..., die das bergbaumäßige Nutzen der Erdkruste zum Gegenstand haben“; neben der Gewinnung von Mineralien zählen dazu auch Tätigkeiten, die „auf eine für das Gewinnen von Mineralien kennzeichnende Weise erfolgen, also mit Mitteln und Methoden, die sonst für das Gewinnen von Mineralien typisch sind“ (vgl § 2 MinroG). Das Bergwesen nimmt als Kompetenztatbestand insofern eine Sonderrolle ein, als nach dem genannten Erk „primär auf die angewendeten Mittel und Methoden und bloß sekundär auf die zu gewinnenden Produkte abzustellen ist“.4 Zum Bergwesen zählen nach VfSlg 2685/1954 auch weitere Regelungsaspekte auf Grund eines „unlöslichen Zusammenhanges“ mit dem Bergwesen nach Maßgabe des „Versteinerungsbefunds“, so etwa Bauführungen im Be3
4
So auch die EB zu RV 833 BlgNR 21. GP. Die in § 196 Abs 1 Z 9 idF vor dem DeregulierungsG 2006 (BGBl I/113) nach wie vor genannte MarkscheideVO (BGBl 1997 II/134) war bereits mit § 53 MarkscheideVO (BGBl 2001 II/69) aufgehoben worden; die im Zuge der Änderung des § 196 Abs 1 durch die MinroG-Novelle 2001 (BGBl 2002 I/21) aufrecht erhaltene Z 9 war wegen dieses Klarstellungscharakters nicht so zu verstehen, dass damit die „alte“ MarkscheideVO wieder als Bundesgesetz in Kraft gesetzt worden wäre. Vgl auch Mihatsch, Anm 3 zu § 196. Vgl auch den Überblick über den kompetenzrechtlichen Meinungsstand zum „Bergwesen“ bei Funk/Fänerich, Rechtswissenschaftliche Untersuchung, in: Funk ua, 17 (57 ff).
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reich des Bergwesens. Das Raumordnungsrecht der Länder ist nicht anzuwenden, soweit es nicht um die grundeigenen mineralischen Rohstoffe geht.5 Anlagenrechtliche Bezüge fallen dagegen nicht ausschließlich unter das Bergwesen,6 während etwa Aspekte des Naturschutzes in der Landeskompetenz verbleiben.7 Dies ist für Fragen der Kumulation und Behördenzuständigkeit (Art 102 BVG) von großer Bedeutung. Für das Forst- (§ 17 Abs 3 ForstG)8, Wasser- (vgl insb §§ 3 Abs 2, 31c und 98 Abs 3 WRG) und Abfallrecht (§§ 3 Abs 1 Z 3, 10 Abs 6, 37 Abs 2 Z 5 und § 38 AWG) ist grundsätzlich vom Kumulationsprinzip auszugehen.9 Mineralrohstoffrechtliche Regelungen weisen auch Bezüge zu anderen Kompetenztatbeständen auf, so etwa zum Zivilrechtswesen, bzw könnten auf andere Kompetenztatbestände gestützt sein, wie etwa „Gewerbe und Industrie“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG).10
C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Ein gemeinschaftsrechtliches Bergrecht besteht nicht, es gibt jedoch zahlreiche Berührungspunkte, insb solche des Umweltschutzes (vor allem UVP-RL und IPPC-RL11), des Arbeitnehmerschutzes und von Regelungen des In-VerkehrBringens insb von Bergbauausrüstung.
II. Geltungsbereich, Begriffsbestimmungen und Aufbau des MinroG A. Anwendungsbereich (§ 2) Der Anwendungsbereich des MinroG folgt im Grunde den historisch und verfassungsrechtlich relevanten Ansatzpunkten: der Gewinnung mineralischer Rohstoffe und bestimmten bergbautechnischen Gesichtspunkten. 5
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Vgl unabhängiger Umweltsenat 4.1.2005, US 9B/2004/8-53; vgl zum damaligen BergG und Raumordnungsrecht VwGH 15.12.1994, 94/06/0030; 7.11.1996, 95/06/0060. VfSlg 5672/1968. VwGH 15.11.1993, 92/10/0437 unter Ablehnung der Gegenansicht von Mayer, naturschutzrechtliche Bewilligung; VwGH 17.3.1997, 92/10/0398; 12.11.2001, 99/10/0145; 19.12.2005, 2003/10/0209. Vgl VwGH 21.12.2005, 2005/04/0186 (forstrechtliche Bewilligung und bergpolizeilicher Auftrag). Vgl dazu Rossmann. Vgl dazu eingehend Rill/Madner; hinsichtlich der Regelungen für Sand, Schotter und Kies Mayer, Kompetenzgrundlage, 506; dem folgend Funk/Fänerich (FN 4) 68 f, ferner 92 f; offen gelassen in VfSlg 16.125/2001, wonach aber die Regelung dieser Bereiche im MinroG und der Vollzug in mittelbarer Bundesverwaltung jedenfalls kompetenzrechtlich gedeckt ist. Sollte die Gewinnung usw dieser Rohstoffe nicht unter das „Bergwesen“ fallen, so bewirkt dies insb die Geltung raumordnungsund baurechtlicher Vorschriften der Länder. Vgl auch Tiess/Rossmann/Pilgram, 87 ff. Berührungspunkte ergeben sich auch mit naturschutzrechtlichen Bestimmungen; vgl zB zum deutschen Bergrecht Cosack, Bergrechtliche Zulassungsverfahren und Flora-Fauna-Habitat-Verträglichkeitsprüfung, Natur und Recht 2000, 311.
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1. Mineralische Rohstoffe Nach § 2 Abs 1 gilt das MinroG für: a) Das Aufsuchen und Gewinnen mineralischer Rohstoffe (Z 1) Nach der Begriffsbestimmung des § 1 Z 8 ist „mineralischer Rohstoff“ im Wesentlichen jedes „Mineral, Mineralgemenge und Gestein, jede Kohle und jeder Kohlenwasserstoff, wenn sie natürlicher Herkunft sind“. Diese Begriffsbestimmung umfasst die verschiedenen Kategorien mineralischer Rohstoffe, auf die unter II.B. zurückzukommen ist. Das „Aufsuchen“ umfasst jede Form der Suche und Erschließung, das „Gewinnen“ den Abbau; auf die nähere Bestimmung ist unter den Bergbautätigkeiten (II.C.) näher einzugehen. b) Das Aufbereiten dieser Rohstoffe, soweit es durch den Bergbauberechtigten in betrieblichem Zusammenhang mit dem Aufsuchen oder Gewinnen erfolgt (Z 2) Das „Aufbereiten“ erfasst nach der Begriffsbestimmung des § 1 Z 3 eine Reihe von Verarbeitungstechniken, die zu einem „verkaufsfähigen Mineralprodukt“ führen. Für die Bestimmung des Merkmals „verkaufsfähig“ ist wohl auf die (auch veränderlichen) Marktgegebenheiten abzustellen, ob also für ein bestimmtes Mineralprodukt eine Absatzmöglichkeit besteht. Dabei ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten, da je nach Preisflexibilität der Nachfrage ein „Verkauf“ eines unaufbereiteten Mineralprodukts zu einem niedrigen Preis möglich sein kann; ob mit dem Mineralprodukt (irgend)ein „Erlös“ erzielt werden kann12 hilft daher nicht weiter. Letztlich dürfte hier auf Verkehrssitten verwiesen werden. Dieses „Aufbereiten“ wird nur insoweit erfasst, als es durch den Bergbauberechtigten in betrieblichem Zusammenhang mit dem Aufsuchen bzw Gewinnen erfolgt. Die nicht vom MinroG erfassten Weiterverarbeitungstätigkeiten, Aufbereitungstätigkeiten durch Dritte oder durch den Bergbauberechtigten außerhalb eines betrieblichen Zusammenhangs unterliegen anderen Vorschriften, insb der GewO. Das „Aufbereiten im betrieblichen Zusammenhang“ bereitet ebenfalls Abgrenzungsschwierigkeiten; der Zusammenhang ist als technischer bzw räumlicher zu verstehen.13 Insofern besteht eine gewisse Nähe zu den Maßstäben des gewerblichen Betriebsanlagenrechts zur Bestimmung einer einheitlichen Betriebsanlage.14 Ob „öffentliche Straßen mit kurzer Entfernung“ zwischen Gewinnung und Aufbereitung für einen Zusammenhang hinreichen15 ist fraglich, 12 13 14 15
In diesem Sinn die EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 76 mwN und dem folgend Mihatsch, Anm 3 zu § 1. EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 76. Dazu eingehend im vorliegenden Handbuch Potacs, Gewerbliches Betriebsanlagenrecht. So die EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 76 und dem folgend Mihatsch, Anm 2 zu § 2. Vgl auch VfSlg 14.972/1997 zu Leitungen, wonach der Kompetenztatbestand Bergwesen und der entsprechend zu bestimmende Anwendungsbereich des Bergrechts „Regelungen über die Genehmigung von Gasrohrleitungen, welche weit auseinanderliegende, für sich relativ selbständige Betriebseinheiten zwecks Vorberei-
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da diesfalls von zwei getrennten Einheiten ohne betriebliche Verbindung auszugehen ist; versteht man das Merkmal derart weit, so ist zu bedenken, dass kein Anhaltspunkt besteht, welche Entfernungen als „kurz“ einzustufen sind. Ein „betrieblicher Zusammenhang“ ist daher nur anzunehmen, wenn dieser durch betriebliche Einrichtungen (Betriebsstraßen, Förderbänder usw) hergestellt wird; nach Ansicht des VwGH ist darüber hinaus erforderlich, „dass der Vorgang des Aufsuchens oder Gewinnens des aufzubereitenden Rohstoffes [nicht] bereits abgeschlossen“ ist, wobei gegen einen Zusammenhang sprechen dürfte, dass ein Bergbau ohne die gegenständliche Anlage betrieben wurde.16 Diese Auslegung erscheint zu restriktiv, da jede Aufbereitungstätigkeit erst nach einem (mehr oder weniger endgültigen) Abschluss der Gewinnung erfolgen kann; entscheidend dürfte hier vielmehr die Grenze des Erreichens eines verkaufsfähigen Produkts sein,17 nicht die (weitere) Voraussetzung des betrieblichen Zusammenhangs. Das Aufbereiten ist außerdem nur erfasst, wenn es durch den Bergbauberechtigten erfolgt. Daher liegt das Aufbereiten etwa durch Subunternehmer auch dann außerhalb des Anwendungsbereichs des MinroG, wenn ein räumlicher Zusammenhang besteht. c) Das Suchen und Erforschen geologischer Strukturen, die zum Speichern flüssiger oder gasförmiger Kohlenwasserstoffe verwendet werden sollen, für das unterirdische behälterlose Speichern solcher Kohlenwasserstoffe (Z 3) Damit wird das Speichern von und Suchen von Speichern für gasförmige Kohlenwasserstoffe dem MinroG unterstellt. Die näheren Bestimmungen hiezu finden sich insb in §§ 68 ff. d) Das Aufbereiten der gespeicherten Kohlenwasserstoffe, soweit es vom Speicherberechtigten in betrieblichem Zusammenhang mit dem Speichern vorgenommen wird (Z 4) Diese Bestimmung entspricht der des § 2 Abs 1 Z 2. Auch hier besteht das Problem der Feststellung eines „betrieblichen Zusammenhangs“, der hier zB durch Leitungsverbindungen zwischen Speicher und Aufbereitungsanlage hergestellt werden kann. Dabei ist aber zu beachten, dass nach VfSlg 14.972/1997 die Genehmigung von Leitungssystemen, die der weitergehenden Versorgung dienen, nicht zum Bergwesen zählt. e) Ausnahmen Weiters zu beachten ist § 2 Abs 5, wonach das MinroG nicht für Tätigkeiten nach § 2 Abs 1 gilt, „die ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dienen“, sowie „für das Sammeln von Mineralien“ iSd § 1 Z 5.
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tung der - weitere Maßnahmen erfordernden - optimalen Verteilung auf die Verbraucher verbinden“ nicht umfassen. VwGH 8.10.1996, 94/04/0058 zur vergleichbaren Rechtslage nach dem BergG 1975. In diese Richtung wohl auch VwGH 24.6.1998, 97/04/0225 zur selben Anlage.
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2. Bergbautechnik Der zweite Ansatzpunkt des Anwendungsbereichs des MinroG sind die bergbautechnischen Aspekte von Tätigkeiten, die nicht zur Gewinnung usw mineralischer Rohstoffe bzw nicht zum Speichern zählen. Für solche Tätigkeiten ist nach § 2 Abs 2-4 das MinroG teilweise anwendbar, wobei insb das Bergbauberechtigungswesen ausgeklammert ist, da es nicht primär der Regelung bergbautechnischer Aspekte und der damit verbundenen Gefährdungslagen dient. Die Berechtigung zur bzw die Zulässigkeit der Ausübung dieser Tätigkeiten ist daher nach anderen MaterienG zu beurteilen. Die in § 2 Abs 3 bezeichneten Bestimmungen des MinroG gelten für die bergbautechnischen Aspekte der in § 2 Abs 2 angeführten Tätigkeiten (dazu unten V.). Gemäß § 2 Abs 4 sind „natürliche oder juristische Personen oder Personengesellschaften des Handelsrechtes“, die in § 2 Abs 2 angeführte Tätigkeiten ausüben, „hinsichtlich dieser Tätigkeiten einem Bergbauberechtigten gleichgestellt“. Diese Gleichstellung kann sich nur auf die gem § 2 Abs 3 anwendbaren Bestimmungen des MinroG beziehen, womit den Ausübenden insoweit die Rechte und Pflichten eines Bergbauberechtigten zukommen, auch wenn § 2 Abs 4 diese Einschränkung nicht ausdrücklich vorsieht.
B. Die Kategorien mineralischer Rohstoffe und die „Speicher“ Die Kategorien mineralischer Rohstoffe ergeben sich bereits aus den Begriffsbestimmungen des § 1 Z 8-11 und werden in §§ 3-5 näher bestimmt: • „bergfreier mineralischer Rohstoff“: ein mineralischer Rohstoff, der dem Verfügungsrecht des Grundeigentümers entzogen ist und von jedem, der bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt, aufgesucht und gewonnen werden darf (§ 1 Z 9; § 3); • „bundeseigener mineralischer Rohstoff“: ein mineralischer Rohstoff, der Eigentum des Bundes ist (§ 1 Z 10; § 4); • „grundeigener mineralischer Rohstoff“: ein mineralischer Rohstoff, der Eigentum des Grundeigentümers ist (§ 1 Z 11; § 5). Dazu kommen noch die ebenfalls im MinroG geregelten „Speicher“.
1. Bergfreie mineralische Rohstoffe Die bergfreien mineralischen Rohstoffe sind in § 3 Abs 1 Z 1-4 aufgeführt. Rechtsfolge der Bergfreiheit ist gemäß § 3 Abs 2 die Ausnahme vom Eigentumsrecht an Grund und Boden. Diese Rohstoffe gehen mit der „Aneignung“ in das Eigentum des Berechtigten über. Bis zur Aneignung sind sie wegen der Ausnahme vom Grundeigentum herrenlose Sachen. Dies gilt für die Rohstoffe nach § 3 Abs 1 Z 1-3, nicht aber für die der Z 4; auf diese Besonderheit ist zurückzukommen. Bergfreie mineralische Rohstoffe nach § 3 Abs 1 Z 1-3 sind ua Eisen, Edelmetalle, Schwefel, Gips und Kohle. Die rechtspolitische Rechtfertigung der Ausnahme vom Grundeigentum wird in der volkswirtschaftlichen Bedeutung dieser Rohstoffe gesehen, deren Nutzung durch den Verbleib im Grundeigentum fraglich wäre. Die Bergfreiheit fördert die Gewinnung dieser Rohstoffe durch entsprechend befähigte Unternehmen und ohne Rücksicht auf Grundstücksgrenzen.
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Auch die in § 3 Abs 1 Z 4 aufgezählten Rohstoffe werden vom MinroG als bergfrei geführt, dabei bereitet praktisch insb die Abgrenzung nach Mineralgehalten Probleme. Die Bergfreiheit dient hier nur der Zuordnung zu den entsprechenden Bestimmungen im Bergbauberechtigungswesen. Diese Rohstoffe sind dem Grundeigentum nicht entzogen (§ 3 Abs 2 1. Satz) und können daher bestenfalls als „unecht bergfrei“ bezeichnet werden. Dennoch scheinen sie aber nach § 3 Abs 2 2. Satz trotzdem mit Aneignung in das Eigentum des Berechtigten überzugehen. Damit stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Grundeigentums bzw der allfälligen Entschädigung. Die Antwort ergibt sich nicht aus § 3, sondern nur beiläufig aus den Anforderungen an ein Verleihungsgesuch für ein Grubenmaß nach § 27 Abs 4 bzw eine Überschar nach § 35 Abs 3 Z 9. Diese Bestimmungen erfordern ua „Unterlagen zum Nachweis der Überlassung des Gewinnens der im § 3 Abs 1 Z 4 angeführten bergfreien mineralischen Rohstoffe“ auf den nicht dem Verleihungswerber gehörenden Grundstücken. Daraus folgt, dass die Rohstoffe nach § 3 Abs 1 Z 4 als im Eigentum des Grundeigentümers stehend durch eine zivilrechtliche Überlassung des Gewinnens den Eigentümer wechseln sollen, idR wohl durch bedingte Eigentumsübertragung mit der tatsächlichen Gewinnung. Dies ist auch Voraussetzung für die Verleihung einer entsprechenden Berechtigung.18
Unklar bleibt, ob bei einer fehlerhaften Verleihung eines Grubenmaßes oder einer Überschar ohne Überlassung durch den Grundeigentümer Rohstoffe durch den Bergbauberechtigten „angeeignet“ werden können. § 3 Abs 2 2. Satz scheint dies zu stützen. Dagegen ergibt sich aus § 27 Abs 4 und § 35 Abs 3 Z 9, dass die Eigentumsfrage vertraglich zu regeln ist. Bei diesem möglichen Konflikt zwischen Grundeigentümer und Aneignungsberechtigten handelt es sich um eine zivilrechtliche Frage. Der BMWA hat in seinem Bericht an den NR nach § 222 (idF vor der MinroGNovelle 2001) eingestanden, dass bestimmte „Rechtsinstitute“ der herkömmlichen Bergfreiheit für die in § 3 Abs 1 Z 4 angeführten Rohstoffe nicht „passen“.19 Mit der MinroG-Novelle 2001 wurden zwar mehrere Anpassungen vorgenommen, die aber den inhärenten Widerspruch zwischen Grundeigentum und Bergfreiheit nach wie vor nicht wirklich lösen.
2. Bundeseigene mineralische Rohstoffe Die bundeseigenen mineralischen Rohstoffe werden in § 4 Abs 1 aufgezählt; es sind dies im Wesentlichen Steinsalz, Kohlenwasserstoffe (insb Erdöl, Erdgas) sowie Uran. Nach § 4 Abs 2 erstreckt sich das Eigentumsrecht an Grund und Boden nicht auf bundeseigene mineralische Rohstoffe. Im Gegensatz zu den bergfreien Rohstoffen nach § 3 Abs 1 Z 1-3 enthält § 4 Abs 2 keine Regelung über die Aneignung. Die Begriffsbestimmung des § 1 Z 10 besagt, dass ein bundeseigener mineralischer Rohstoff „Eigentum des Bundes ist“. Aus § 69 Abs 1 1. Satz („Der Bund kann die Ausübung der Rechte nach § 68 einschließlich des Rechtes zur Aneignung dieser mineralischen [ie bundeseigenen] Rohstoffe... überlassen.“) folgt jedoch, dass auch diese Rohstoffe erst mit Aneignung in das Eigentum des Bundes bzw anderweitig Berechtigten übergehen und bis dahin herrenlos sind. Eine zu überlassende
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Das Problem einer Enteignung iS von Weiß, 10, stellt sich daher insoweit nicht. Bericht des BMWA gemäß § 222 MinroG, BlgNR 21. GP III-54.
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Ausübung des Aneignungsrechts des Bundes macht keinen Sinn, wenn die Rohstoffe bereits im Eigentum des Bundes stehen.20
3. Grundeigene mineralische Rohstoffe Nach § 5 sind alle in den §§ 3 und 4 nicht angeführten mineralischen Rohstoffe grundeigen; sie stehen im Eigentum des Grundeigentümers. Damit unterliegt der (auch obertägige) Abbau aller grundeigenen mineralischen Rohstoffe dem MinroG, die insoweit früher bestehende Anwendbarkeit der GewO ist beseitigt. Für grundeigene mineralische Rohstoffe bestehen andere Behördenzuständigkeiten und zum Teil Sondervorschriften, insb für das obertägige Gewinnen (§§ 80 ff).
4. Speicher Das MinroG regelt auch das Speichern von Kohlenwasserstoffen in geologischen Strukturen. Dabei ist zwischen kohlenwasserstoffführenden und nicht kohlenwasserstoffführenden Strukturen zu unterscheiden. Das Speichern von Kohlenwasserstoffen in Ersteren ist ein ausschließliches Recht des Bundes (§ 68 Abs 1). Die Ausnahme vom Eigentumsrecht an Grund und Boden gilt nach § 4 Abs 2 auch für „die Hohlräume der Kohlenwasserstoffträger“; dies steht in Zusammenhang mit dem erwähnten Recht des Bundes an Speichern für Kohlenwasserstoffen (vgl § 68 Abs 1). Dagegen begründet das MinroG kein Aneignungs- oder Eigentumsrecht des Bundes an diesen Speichern. Das Nutzungs- und Verfügungsrecht des Bundes dürfte aber für die entsprechenden geologischen Strukturen einer Eigentümerschaft faktisch vergleichbar sein. Nicht kohlenwasserstoffführende Strukturen sind zwar nicht vom Grundeigentum ausgenommen, ihre Nutzung kann aber im Wege einer Speicherbewilligung (§ 89 ff) auch vom Nichteigentümer erlangt werden. Nach § 92 sind die betroffenen Grundeigentümer unter bestimmten Voraussetzungen Partei im Bewilligungsverfahren, ihre Zustimmung bzw eine zivilrechtliche Überlassung ist jedoch nach dem MinroG nicht erforderlich.
C. Bergbautätigkeiten Die Bergbautätigkeiten lassen sich überblicksweise in folgende Schritte unterscheiden: Gemäß § 1 Z 1 umfasst das „Aufsuchen“ • die Suche nach mineralischen Rohstoffen sowie • das Erschließen und Untersuchen natürlicher Vorkommen mineralischer Rohstoffe.
20
Diese Unklarheit bestand auch nach den weitgehend gleichlautenden Bestimmungen der §§ 1 Z 10 bzw 77 Abs 1 BergG 1975; Schäffer, 11, bezeichnete die bergfreien wie bundeseigenen mineralischen Rohstoffe als „ansprüchige Sachen“. Praktisch ist die Unterscheidung wohl bedeutungslos, da ein allfälliges Eigentumsrecht vor Aneignung keine anderen Wirkungen hat als das (ausschließliche) Recht des Bundes zur Suche nach bzw dem Gewinnen von solchen Rohstoffen.
Mineralrohstoffrecht
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Die Suche dient insb der Erkenntnis möglicher Vorkommen durch geologische, geochemische und geophysikalische Methoden, wobei es nur zu geringen Eingriffen in den Boden kommt. Das Erschließen und Untersuchen hingegen besteht in der näheren Bestimmung eines Vorkommens, insb hinsichtlich der Abbauwürdigkeit, wozu es idR zugänglich gemacht wird. Diese Phase bedarf intensiverer Eingriffe in die Erdkruste und ist daher stärker reguliert. Das „Gewinnen“ wird in § 1 Z 2 als „das Lösen oder Freisetzen (Abbau) mineralischer Rohstoffe“ definiert und umfasst auch die „vorbereitenden, begleitenden und nachfolgenden Tätigkeiten“, wie etwa das Abtragen der Humusschicht für einen beabsichtigten Schotterabbau.21 Schließlich besteht das „Speichern“ im Einbringen mineralischer Rohstoffe in geologische Strukturen. Das „Aufsuchen“ von Speichern wird in § 1 nicht bestimmt; §§ 68 und 86 sprechen jedoch vom Suchen und Erforschen von Speichern, worunter ebenfalls vorbereitende Tätigkeiten iSd Aufsuchens mineralischer Rohstoffe zu verstehen sind.
D. Bergbauberechtigungswesen 1. Gliederung der Bergbauberechtigungen Die Gliederung der Bergbauberechtigungen folgt im Wesentlichen den Kategorien mineralischer Rohstoffe und den bergbaulichen Tätigkeiten. Ein erster Überblick lässt sich aus den Begriffsbestimmungen des § 1 gewinnen. Demnach handelt es sich bei der „Bergbauberechtigung“ um den Überbegriff, der nach § 1 Z 14 • die Aufsuchungsberechtigung, • die Gewinnungsberechtigung und • die Speicherbewilligung umfasst.
2. Aufsuchungsberechtigungen Die Aufsuchungsberechtigung untergliedert sich nach § 1 Z 12 in • die Schurfberechtigung (Erschließen und Untersuchen - nicht aber die Suche - bezüglich bergfreier mineralischer Rohstoffe; vgl § 8), • das Recht des Bundes zum Aufsuchen bundeseigener mineralischer Rohstoffe sowie zum Suchen und Erforschen von Speichern für Kohlenwasserstoffe und • die Bewilligung zum Suchen und Erforschen nichtkohlenwasserstoffführender geologischer Strukturen (vgl § 86). Die Suche nach grundeigenen und bergfreien mineralischen Rohstoffen bedarf nach § 6 lediglich der Suchanzeige. Hier entsteht keine Aufsuchungsberechtigung. Personen, die eine Suchanzeige gestellt haben, sind daher auch nicht Bergbauberechtigte iSd MinroG. Die Berechtigung zum Suchen ist demnach im Wesentlichen eine zivilrechtliche, die sich aus dem Grundeigentum ergibt. Das Erschließen und Untersuchen grundeigener mineralischer Rohstoffe ist überhaupt dereguliert, hier ist im Gegensatz zur Suche nicht einmal eine Anzeigepflicht vorgesehen. 21
VwGH 4.9.2002, 2001/04/0120.
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Personen, die grundeigene mineralische Rohstoffe erschließen oder untersuchen, sind ebenfalls nicht Bergbauberechtigte iSd MinroG. Diese Abgrenzung ist für die Anwendbarkeit von Bestimmungen des MinroG von Bedeutung, da insb das zentrale VII. Hauptstück (§§ 97-146) von der „Ausübung der Bergbauberechtigungen“ handelt.
3. Gewinnungsberechtigungen und Speicherbewilligung Die Gewinnungsberechtigung umfasst nach § 1 Z 13 • die Bergwerksberechtigung (Gewinnen bergfreier mineralischer Rohstoffe; vgl § 22), • das Recht des Bundes zum Gewinnen bundeseigener mineralischer Rohstoffe sowie zum Speichern flüssiger oder gasförmiger Kohlenwasserstoffe, sowie • den genehmigten Gewinnungsbetriebsplan für grundeigene mineralische Rohstoffe (vgl § 84). Der genehmigte Gewinnungsbetriebsplan für grundeigene mineralische Rohstoffe zählt nach § 1 Z 13 zu den Gewinnungsberechtigungen; der Inhaber eines solchen genehmigten Gewinnungsbetriebsplans ist daher Bergbauberechtigter, was in § 84 auch ausdrücklich festgehalten wird. Es besteht aber insoweit keine dem Gewinnungsbetriebsplan vorgeschaltete „selbständige“ Bergbauberechtigung. Das MinroG unterscheidet weiters das untertägige und obertägige Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe (vgl § 80 ff hinsichtlich besonderer Bestimmungen für das obertägige Gewinnen). Die Speicherbewilligung wird in § 1 nicht näher bestimmt und (im Gegensatz zu den Rechten des Bundes bezüglich kohlenwasserstoffführender geologischer Strukturen) auch nicht zu den Gewinnungsberechtigungen gezählt, sondern vielmehr neben Aufsuchungs- und Gewinnungsberechtigungen als eigene „Kategorie“ unter den Bergbauberechtigungen aufgeführt. Nach § 89 berechtigt sie zum Speichern von Kohlenwasserstoffen in nichtkohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen. Dagegen wird die Bewilligung zum Suchen und Erforschen solcher Speicher aber bei den Aufsuchungsberechtigungen angeführt. Die Ratio hinter diesen Zuordnungen ist unklar.
4. Bergbauberechtigte Analog zu den Berechtigungen ist „Bergbauberechtigter“ nach § 1 Z 20: • der Aufsuchungsberechtigte (der Inhaber einer Aufsuchungsberechtigung bzw der, dem eine solche überlassen worden ist; § 1 Z 15); • der Gewinnungsberechtigte (der Inhaber einer Gewinnungsberechtigung bzw der, dem eine solche überlassen worden ist; § 1 Z 16); • der Speicherberechtigte (der Inhaber einer Speicherbewilligung; § 1 Z 19). § 1 Z 20 führt weiters den Schurfberechtigten (Inhaber einer Schurfberechtigung; § 1 Z 17) sowie den Bergwerksberechtigten (Inhaber einer Bergwerksberechtigung; § 1 Z 18) an. Da die Schurfberechtigung zu den Aufsuchungsberechtigungen zählt, und die Bergwerksberechtigung zu den Gewinnungsberechtigungen, ist der Zweck der Anführung dieser beiden Kategorien an dieser Stelle unklar. „Bergbaurechtsfähig“ nach dem MinroG sind grundsätzlich natürliche und juristische Personen, aber auch Personengesellschaften des Handelsrechts.
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Das MinroG sieht auch verschiedene Formen der Übertragung einzelner Rechte vor. Da hiefür keine einheitliche Regelung besteht, wird darauf bei den einzelnen Berechtigungen eingegangen.
5. Überblick Bergbauberechtigungswesen22 Grundeigene MRS, obertägig
Grundeigene MRS, untertägig
Bergfreie MRS, § 3 Abs 1 Z 4
Bundeseigene MRS
KW-geologische Strukturen
Schurfberechtigung (§§ 8 ff) Bergwerksberechtigung (§§ 22 ff)
Ex-legeRecht des Bundes (§§68ff) Ex-legeRecht des Bundes (§§68ff)
Ex-legeRecht des Bundes (§§ 68 ff)
Suchanzeige (§ 6)
Suche Erschließen und Untersuchen Gewinnen bzw Speichern
Bergfreie MRS, § 3 Abs 1 Z 1-3
dereguliert
Gewinnungsbetriebsplan (§§ 113 ff; 80 ff)
Gewinnungsbetriebsplan (§§ 113 ff)
Schurfberechtigung (§§ 8 ff) Bergwerksberechtigung (§§ 22 ff)
Ex-legeRecht des Bundes (§§ 68 ff)
NonKWgeologische Strukturen Bewilligung zum Suchen und Erforschen (§§ 86 ff) Speicherbewilligung (§§ 89 ff)
Bergbauberechtigungen sind schattiert dargestellt
E. Umweltverträglichkeitsprüfung Tätigkeiten nach Anlage 1 Z 25-29, 37 und 65 UVP-G unterliegen der Umweltverträglichkeitsprüfung, für sie gilt weiters das konzentrierte Genehmigungsverfahren nach § 3 Abs 3 iVm § 17 UVP-G; mineralrohstoffrechtliche Bestimmungen sind von der UVP-Behörde (LReg) anzuwenden (zu den Behördenzuständigkeiten nach MinroG unten VIII.). „Genehmigung“ für Bergbautätigkeiten ist iSd UVP-G nicht die Bergbauberechtigung,23 sondern erst der jeweilige Betriebsplan (bzw auch ein allfälliges Arbeitsprogramm). Dies trifft im Ergebnis zu: Maßstab ist in solchen mehrstufigen Verfahren nach der Rechtsprechung des EuGH allerdings, dass die Auswirkungen des Projekts idR erst im Verfahren zum Erlass der Betriebspläne beurteilt werden können.24 Ein Vorziehen auf das Verfahren zur Erteilung der Bergbauberechtigung wird demnach jedenfalls praktisch kaum in Frage kommen.
III. „Aufsuchen“ mineralischer Rohstoffe und Suchen und Erforschen von Speichern A. Allgemeines Die Tätigkeit des Aufsuchens mineralischer Rohstoffe lässt sich wie dargestellt in die Phasen des Suchens sowie des Erschließens und Untersuchens unterscheiden. An den Unterschied zwischen Erschließen und Untersuchen knüpft das MinroG keine Rechtsfolgen; relevant ist nur die Abgrenzung des Suchens. Für das Suchen und Erforschen von Speichern wird überhaupt nicht zwischen den beiden Phasen unterschieden. 22 23 24
Vgl auch Weiß, 142. Vgl unabhängiger Umweltsenat 14.11.1997, US 8/1997/2-51; 4.1.2005, US 9B/2004/8-53. EuGH Rs C-201/02, Wells, Slg 2004 I-723, Rn 52.
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B. Suchen bergfreier und grundeigener mineralischer Rohstoffe Diese Tätigkeit wird in den §§ 6 und 7 geregelt, die eine Suchanzeige und einen Arbeitsbericht vorsehen. Dabei wird nicht nach grundeigenen und bergfreien mineralischen Rohstoffen differenziert, da in diesem Stadium eine gezielte Suche nach einem bestimmten Rohstoff nicht immer möglich ist.25 Die Besonderheiten der Lagerstätten bundeseigener mineralischer Rohstoffe (Kohlenwasserstoffe, Salz) bzw die von Uran usw ausgehende ionisierende Strahlung sollen dagegen eine Abgrenzung bereits in diesem Stadium ermöglichen, weswegen diese Suchvorgänge eigens geregelt werden können (vgl § 68).26 Die Suchanzeige muss daher keine Angabe eines bestimmten zu suchenden Rohstoffs enthalten; § 6 sieht auch sonst keine näheren Anforderungen vor. Anzuzeigen ist schlicht „die Suche nach bergfreien und grundeigenen mineralischen Rohstoffen“. Wieweit die „Suche“ zu bestimmen ist, geht aus dem MinroG nicht hervor. Um der Behörde ein Mindestmaß an Überwachung zu ermöglichen, muss wohl zumindest eine Angabe zum räumlichen Umfang der Suche gemacht werden. Eine bescheidmäßige Kenntnisnahme der Anzeige ist nicht vorgesehen. Auch scheint es sich bei § 6 um eine reine Ordnungsvorschrift zu handeln: Das Recht zur Suche folgt entweder aus dem Grundeigentum oder der Zustimmung betroffener Grundeigentümer, worauf auch der Verweis auf § 147 hindeutet (Notwendigkeit der Einholung der Zustimmung des Grundeigentümers vor Benützung fremder Grundstücke). Die Suche (und Erstattung einer Suchanzeige) steht damit jedermann offen, der zivilrechtlich dazu befugt ist.
Es ist indes auch fraglich, ob das Unterlassen der Suchanzeige eine Verwaltungsübertretung darstellt. Grundsätzlich soll zwar § 193 Abs 1 die Ahndung unbefugter Bergbautätigkeiten ermöglichen,27 seine Formulierung ist jedoch enger: die „Suche“ ist zwar eine der „im § 2 Abs. 1 angeführten Tätigkeiten“, Strafbarkeit besteht jedoch nur für den Fall, dass diese nicht „durch eine Bergbauberechtigung gedeckt ist“. Die Suchanzeige vermittelt jedoch keine Bergbauberechtigung, bei wörtlicher Interpretation wäre aber jede Suche strafbar, selbst wenn eine Anzeige erfolgt ist. § 193 Abs 1 ist daher dahingehend zu interpretieren, dass eine im § 2 Abs 1 angeführte Tätigkeit mangels Bergbauberechtigung nur dann strafbar ist, wenn sie eine Bergbauberechtigung auch erfordert. Eine Subsumption unter die anderen Strafbestimmungen erscheint ebenfalls nicht möglich. Nach § 7 ist am Ende jedes Kalenderjahres ein Arbeitsbericht über die erfolgten Sucharbeiten und deren Ergebnis vorzulegen. Auch das Zuwiderhandeln gegen diese Norm wird in den Strafbestimmungen nicht sanktioniert. Zuständige „Behörde“ zur Entgegennahme der Suchanzeige und des Arbeitsberichts ist der BMWA gemäß § 170, da §§ 6 und 7 keine besondere Zuständigkeit vorsehen und § 171 allein an das obertägige Gewinnen und Aufbereiten (nicht jedoch Aufsuchen) grundeigener mineralischer Rohstoffe anknüpft.
25 26 27
EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 80. EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 80. EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 128.
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C. Erschließen und Untersuchen bergfreier und grundeigener mineralischer Rohstoffe Das MinroG geht davon aus, dass mit dem Abschluss der Suche Klarheit darüber besteht, welcher mineralische Rohstoff Gegenstand weiterer Aufsuchungstätigkeiten ist, und sieht für bergfreie und grundeigene mineralische Rohstoffe unterschiedliche Regelungssysteme vor. Dieser Umstand kann auch zur Abgrenzung der Suche vom Erschließen und Untersuchen herangezogen werden, da zumindest solange eine Zuordnung des Vorkommens mineralischer Rohstoffe nicht möglich ist idR noch von Suchtätigkeit auszugehen ist. Sollte die Klärung dieser Frage intensive bergbautechnische Eingriffe in die Erdkruste erfordern, dürfte der Zweck des MinroG es gebieten, dass im Zweifel eine Schurfberechtigung erforderlich ist; erst durch diese liegt eine Bergbauberechtigung vor, woran sich die Anwendbarkeit der meisten Vorschriften über die Ausübung von Bergbauberechtigungen knüpft. Da die Schurfberechtigung aber gemäß § 8 an das Vorhandensein von Vorkommen bergfreier mineralischer Rohstoffe gebunden ist, erscheint es fraglich, ob eine solche teleologische Interpretation zulässig ist, umso mehr, als vergleichbare Tätigkeiten im Bezug auf grundeigene mineralische Rohstoffe gänzlich dereguliert sind.
1. Schurfberechtigung „Zum Erschließen und Untersuchen natürlicher Vorkommen bergfreier mineralischer Rohstoffe und solche enthaltender verlassener Halden zum Feststellen der Abbauwürdigkeit“ bedarf es gemäß § 8 einer Schurfberechtigung. Diese verleiht das ausschließliche Recht, in dem in § 9 Abs 1 näher bestimmten Freischurf bergfreie mineralische Rohstoffe zu erschließen und zu untersuchen, soweit ältere Schurfberechtigungen dem nicht entgegen stehen. Dieses Recht wird durch das Bestehen fremder Bergbaugebiete bzw Gewinnungsfelder auf Vorkommen von Kohlenwasserstoffen beschränkt. Das Erschließen und Untersuchen hat nach von der Behörde zu genehmigenden Arbeitsprogrammen zu erfolgen. Da die erfolgreiche Nutzung einer Schurfberechtigung zur Beantragung eines Grubenmaßes (Bergwerksberechtigung) führen wird, sieht § 9 Abs 2 das Recht vor, „die Verleihung einer Bergwerksberechtigung für ein Grubenmaß an andere auszuschließen“. Eine Zustimmung der Grundeigentümer ist nicht vorgesehen. Dies ist für bergfreie mineralische Rohstoffe, die dem Grundeigentum entzogen sind, konsequent; für solche, die im Grundeigentum stehen (§ 3 Abs 1 Z 4), ist das bloße Erschließen und Untersuchen auch weitgehend unproblematisch. Der Ausschluss der Verleihung von Grubenmaßen im Freischurf führt jedoch dazu, dass den anderen Eigentümern die eigene Gewinnung letztlich versagt wird. Die Verleihung von Grubenmaßen an den Nichteigentümer ist zwar diesfalls an eine Zustimmung des Grundeigentümers gebunden (§ 27 Abs 4), sein Eigentumsrecht an den mineralischen Rohstoffen nach § 3 Abs 1 Z 4 und damit der wirtschaftliche Wert seiner Zustimmung wird jedoch weitgehend ausgehöhlt. § 9 Abs 2 schließt allerdings die Verleihung selbständiger Überscharen nicht ausdrücklich aus, da die Bestimmung insoweit nicht mit der MinroG-Novelle 2001 angepasst worden ist.
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Die Schurfberechtigung kann natürlichen und juristischen Personen oder Personengesellschaften des Handelsrechts auf Antrag hin verliehen werden; zuständige Behörde ist der BMWA. § 10 Abs 2 enthält die näheren Anforderungen für das Ansuchen (für eine oder mehrere Schurfberechtigungen; § 10 Abs 3), insb im Hinblick auf die räumliche Lage des Freischurfs. Genügt das Ansuchen diesen Anforderungen nicht, so ist es zurückzuweisen (§ 10 Abs 4). Nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen der Angaben über die Lage des Freischurfmittelpunkts sind unzulässig (§ 12). § 13 regelt die Dauer der Berechtigung und die Möglichkeit der Verlängerung. Eine Parteistellung Dritter ist nicht vorgesehen; dies gilt auch für einen Eigentümer mineralischer Rohstoffe nach § 3 Abs 1 Z 4. Die Übertragung von Schurfberechtigungen ist möglich; sie ist der Behörde (BMWA) anzuzeigen und nachzuweisen (§ 14 Abs 1). Die Übertragung erfolgt zivilrechtlich; ob der Verstoß gegen die Anzeige- oder Nachweispflicht das Übergehen der Schurfberechtigung hindert, ist unklar. Ein solcher Verstoß stellt aber eine Verwaltungsübertretung nach § 193 Abs 2 dar („Bergbauberechtigte... die diesem Bundesgesetz... zuwiderhandeln“), da der übertragende Schurfberechtigte Bergbauberechtigter ist; mit der Überlassung ist der Übernehmer Inhaber und damit Schurf- und Bergbauberechtigter. Die bloße Ausübung einer Schurfberechtigung kann dagegen nicht überlassen werden (§ 14 Abs 2). §§ 15 und 16 regeln das Erlöschen von Schurfberechtigungen. Von besonderer Bedeutung ist die Möglichkeit anderer Bergbauberechtigter, unter bestimmten Voraussetzungen eine Erklärung des Erlöschens durch die Behörde zu beantragen. Für Schurfberechtigungen sind Freischurfgebühren zu entrichten (§ 191). Für die Ausübung der Schurfberechtigung ist ein Arbeitsprogramm erforderlich (dazu unten III.F.).
2. Erschließen und Untersuchen grundeigener mineralischer Rohstoffe Im Gegensatz zur weitgehend durchnormierten Schurfberechtigung ist das Erschließen und Untersuchen grundeigener mineralischer Rohstoffe gänzlich dereguliert. Bei diesen Tätigkeiten handelt es sich auch nicht um die Ausübung von Bergbauberechtigungen, weswegen die Bestimmungen des VII. Hauptstücks (§§ 97-146) nicht anwendbar wären.28 Die Rechtmäßigkeit der Tätigkeiten des Erschließens und Untersuchens grundeigener mineralischer Rohstoffe unterliegt jedoch dem Zivilrecht. Insb bedürfen Tätigkeiten auf bzw unter fremdem Grund der Zustimmung des Grundeigentümers. Obwohl das MinroG keine ausdrückliche diesbezügliche Regelung enthält, sind auch beim Aufsuchen oder Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe bestehende Bergbauberechtigungen zu beachten. Eine Überlassung des Erschließens und Untersuchens grundeigener mineralischer Rohstoffe ist im MinroG nicht geregelt; dies richtet sich daher allein nach Zivilrecht. Ebenso bedarf die Aneignung anfallender grundeigener mineralischer Rohstoffe eines Zivilrechtstitels (Grundeigentum bzw Zustimmung fremder Grundeigentümer); das MinroG regelt nur das (beschränkte) Aneignungsrecht für bergfreie und bundeseigene mineralische Rohstoffe durch den „zum Aufsuchen oder Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe Berechtigten“ (§ 104 Abs 1).
28
Vgl Rz 118 ff. Manche Bestimmungen stellen entgegen dem Titel des Hauptstücks auf Bergbautätigkeiten ab; vgl dazu etwa im Beitrag Bergbauanlagenrecht II.E.
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D. Das Recht des Bundes zum Aufsuchen bundeseigener mineralischer Rohstoffe und zum Suchen und Erforschen von Speichern von Kohlenwasserstoffen in kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen Im IV. Hauptstück werden das Aufsuchen und Gewinnen bundeseigener mineralischer Rohstoffe sowie das Speichern von Kohlenwasserstoffen in kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen zusammen behandelt. Da die Regelungen für diese Tätigkeiten weitgehend einheitlich sind und das Speichern in kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen eng mit dem Aufsuchen und Gewinnen von Kohlenwasserstoffen verbunden ist, ist es zweckmäßig, die Darstellung nicht nach den einzelnen Tätigkeiten zu trennen, sondern diese wie im MinroG zusammen abzuhandeln.
1. Gegenstand Nach § 68 Abs 1 ist der Bund berechtigt, „nach zu genehmigenden Arbeitsprogrammen bundeseigene mineralische Rohstoffe aufzusuchen“, wobei die Bestimmung auf fremde Bergbaugebiete sowie auf Gewinnungsfelder für Kohlenwasserstoffe Rücksicht nimmt. Es handelt sich dabei um eine ex lege bestehende Aufsuchungsberechtigung des Bundes, die die Suche, das Erschließen und das Untersuchen umfasst. Nach § 68 Abs 1 ist der Bund weiters berechtigt, „kohlenwasserstoffführende geologische Strukturen, die zum Speichern von flüssigen oder gasförmigen Kohlenwasserstoffen verwendet werden sollen, zu suchen und zu erforschen“. Auch bei dieser Berechtigung handelt es sich um eine ex lege bestehende Aufsuchungsberechtigung (vgl § 1 Z 12) des Bundes, die nach zu genehmigenden Arbeitsprogrammen (zu diesen unten III.F.) auszuüben ist.
2. Überlassen der Ausübung Das Überlassen der Ausübung der Aufsuchungsberechtigung (wie der anderen Berechtigungen des Bundes) spielt eine große Rolle. In Umkehrung der Rechtslage bei der Schurfberechtigung sieht das MinroG nur die Überlassung der Ausübung, nicht jedoch der Berechtigung selbst vor. Nach § 1 Z 15 ist „Aufsuchungsberechtigter“ der Inhaber einer Aufsuchungsberechtigung, wenn „jedoch die Ausübung [...] einem anderen überlassen worden ist, dieser“ (eine parallele Regelung besteht für den Gewinnungsberechtigten in § 1 Z 16); dies bedeutet, dass der Ausübende Aufsuchungs- und damit Bergbauberechtigter ist und nicht mehr der Bund, obwohl der Bund nach wie vor Inhaber der Berechtigung ist. Die diesbezüglichen Regelungen differenzieren nach der Art des bundeseigenen mineralischen Rohstoffs. Die Ausübung der Aufsuchungs- und Gewinnungsrechte wird „hinsichtlich des Steinsalzes und aller anderen mit diesem vorkommenden Salze“ der Österreichischen Salinen Aktiengesellschaft überlassen (§ 68 Abs 2). Die Überlassung der Ausübung der Rechte des Aufsuchens (und Gewinnens) von Kohlenwasserstoffen oder von uran- und thoriumhaltigen mineralischen Rohstoffen kann ebenfalls erfolgen und ist in §§ 69 und 70 geregelt. Der zivilrechtliche Vertrag nach § 70 erstreckt sich auf Nebenbestimmungen; die Überlassung selbst erfolgt nach VwGH 19.2.1997,
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94/13/0239 zur parallelen Rechtslage nach dem BergG 1975 durch „eine dem öffentlichen Recht auf Grund nicht weiter disponierbarer Vorgaben zuzuordnende Vereinbarung“. Aus § 70 Abs 1 ergibt sich hinsichtlich der Kohlenwasserstoffe, dass die Rechte des Bundes für ein bestimmtes Gebiet nur in einem „Gesamtpaket“ überlassen werden können, das Aufsuchen und Gewinnen sowie auch das Suchen und Erforschen kohlenwasserstoffführender geologischer Strukturen zum Speichern von Kohlenwasserstoffen und das Speichern von Kohlenwasserstoffen in diesen Strukturen beinhaltet.29 Eine Überlassung der Berechtigung zum Suchen und Erforschen allein kommt somit nicht in Betracht. Ob bei uran- und thoriumhaltigen mineralischen Rohstoffen eine getrennte Überlassung des Aufsuchens und Gewinnens möglich ist, erscheint unklar, dürfte aber eher zu verneinen sein. Der Ausübende ist Aufsuchungs- und damit Bergbauberechtigter. Vertragspartner können „natürliche oder juristische Personen oder Personengesellschaften des Handelsrechtes sein, die über die notwendigen technischen und finanziellen Mittel zur Eröffnung und Führung eines Bergbaus verfügen“ (§ 69 Abs 1). Die Überlassung erfolgt gegen ein „angemessenes Entgelt“; dies sind für Aufsuchen von bundeseigenen mineralischen Rohstoffen sowie der Suche und Erforschung kohlenwasserstoffführender geologischer Strukturen zum Speichern der Flächenzins, für das Gewinnen von bundeseigenen mineralischen Rohstoffen der Feldzins und für das Speichern der Speicherzins. § 69 Abs 2-4 enthält eingehende Bestimmungen für die Berechnung des Förderzinses für Kohlenwasserstoffe, dazu tritt die FörderzinsVO 2006. Im Übrigen ist das Entgelt im Überlassungsvertrag zu regeln. Eine Befreiung ist aus bestimmten volkswirtschaftlichen Gründen durch Verordnung des BMWA im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen vorzunehmen (§ 69 Abs 1 letzter Satz), wobei es sich uU um eine notifizierungspflichtige Beihilfe iSd Art 87 ff EGV handeln kann.
E. Suchen und Erforschen nicht kohlenwasserstoffführender geologischer Strukturen zum Speichern von Kohlenwasserstoffen 1. Gegenstand Das Suchen und Erforschen nicht kohlenwasserstoffführender geologischer Strukturen, die zum Speichern von flüssigen oder gasförmigen Kohlenwasserstoffen verwendet werden sollen, bedarf gemäß § 86 Abs 1 einer Bewilligung der Behörde. Diese verleiht dem Inhaber die Befugnis, nach von der Behörde zu genehmigenden Arbeitsprogrammen solche Strukturen zu suchen und zu erforschen. Die Bestimmung berücksichtigt fremde Bergbaugebiete sowie bestehende Gewinnungsfelder. Nach § 1 Z 12 handelt es sich bei dieser Bewilligung um eine Aufsuchungsberechtigung. Die fraglichen Strukturen sind nicht vom Grundeigentum ausgenommen. Eine Zustimmung betroffener Grundeigentümer ist aber weder für die Erteilung der Bewilligung noch des Arbeitsprogramms oder der schließlichen Speicherbewilligung vorgesehen, auch eine Parteistellung von (bestimmten) Grundeigentümern ist erst bei Verleihung der Speicherbewilligung gegeben (§ 92). 29
Vgl Mihatsch, Anm 1 zu § 70.
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2. Bewilligung zum Suchen und Erforschen Die Bewilligung kann natürlichen oder juristischen Personen oder Personengesellschaften des Handelsrechts auf Antrag erteilt werden; zuständige Behörde ist der BMWA. Das MinroG normiert keine näheren Anforderungen an das Ansuchen oder Bewilligungsvoraussetzungen. Da die Behörde aber zur Erteilung verpflichtet ist (arg: „ist... zu erteilen“), besteht ein Rechtsanspruch auf Erteilung bei Erfüllung der (minimalen) gesetzlichen Voraussetzungen. Gemäß § 86 Abs 5 erlischt die Bewilligung ua „bei Festsetzung einer Frist mit deren Ablauf“; eine Befristung ist aber nicht eigens vorgesehen. Auf Grund des Fehlens jeglicher Determinanten dafür ob und unter welchen Voraussetzungen eine Befristung erfolgen kann und wie eine solche Frist zu bestimmen wäre, verstößt die Bestimmung gegen das Legalitätsprinzip des Art 18 B-VG. Ein möglicher unbedenklicher Fall wäre, dass eine Bewilligung nur für bestimmte Zeit beantragt worden ist. Berechtigungen können zivilrechtlich übertragen werden. Dies ist der Behörde anzuzeigen und nachzuweisen; ein Verstoß stellt eine Verwaltungsübertretung nach § 193 Abs 2 dar. Die bloße Ausübung der Berechtigung kann dagegen nicht überlassen werden (§ 86 Abs 3 und 4). Die Ausübung der Bewilligung unterliegt dem von der Behörde zu genehmigenden Arbeitsprogramm.
F. Arbeitsprogramme und Berichte 1. Gegenstand Das MinroG sieht für die Ausübung der meisten Aufsuchungsberechtigungen von der Behörde zu genehmigende Arbeitsprogramme vor, und zwar: • für die Ausübung von Schurfberechtigungen, also das Erschließen und Untersuchen bergfreier mineralischer Rohstoffe (§§ 17 und 18); • für das Aufsuchen bundeseigener mineralischer Rohstoffe sowie das Suchen und Erforschen von kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen zum Speichern von Kohlenwasserstoffen (§§ 68 Abs 1 iVm 70); • für die Ausübung von Bewilligungen zum Suchen und Erforschen von nicht kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen zum Speichern von Kohlenwasserstoffen (§ 87). Im Zusammenhang mit den Arbeitsprogrammen sind der Behörde am Ende jedes Kalenderjahres Berichte über die durchgeführten Arbeiten und deren Ergebnisse vorzulegen (Schurfbericht nach § 20 bzw Berichte nach §§ 72 und 88). Für das Suchen nach grundeigenen und bergfreien mineralischen Rohstoffen sowie für das Erschließen und Untersuchen grundeigener mineralischer Rohstoffe sind keine Arbeitsprogramme und Berichte vorgesehen. Eine Überlassung nach § 69 Abs 1 1. Satz bezieht sich wie erwähnt auf ein „Gesamtpaket“ des Aufsuchens von Kohlenwasserstoffen und des Suchens und Erforschens kohlenwasserstoffführender Speicher. Das hiefür zu genehmigende Arbeitsprogramm hat ua Art, Umfang und Zweck der beabsichtigten Arbeiten anzugeben; es ist daher möglich, im Rahmen eines bestimmten Arbeitsprogramms lediglich Arbeiten des Suchens und Erforschens von Speichern oder des Aufsuchens von Kohlenwasserstoffen genehmigen zu lassen.
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§ 18 Abs 2 sieht ausdrücklich vor, dass vor Genehmigung des Arbeitsprogramms mit Schurfarbeiten nicht begonnen werden darf. Eine vergleichbare Regelung fehlt für die anderen Arbeitsprogramme; da die Berechtigungen aber durchwegs eine Tätigkeit nur „nach von der Behörde zu genehmigenden Arbeitsprogrammen“ umfassen, dürfte auch hier eine vorangehende Tätigkeit unzulässig sein. Die Regelungen der §§ 17 f (bergfreie mineralische Rohstoffe), 71 (Rechte des Bundes nach § 68) und 87 (Suchen und Erforschen von nicht kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen) sind weitgehend parallel und werden daher im Folgenden zusammen behandelt.
2. Inhalt des Ansuchens Das Arbeitsprogramm hat zu enthalten bzw sind ihm anzuschließen: • Angaben über Art, Umfang und Zweck der beabsichtigten Arbeiten sowie deren Reihenfolge und zeitlichen Ablauf; • die vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen, Maßnahmen zum Schutz der Oberfläche und zur Sicherung der Oberflächennutzung nach Beendigung der Schurfarbeiten; • die Namen der für die Arbeiten Verantwortlichen; • allfällige Zustimmungserklärungen jeweils näher bestimmter betroffener Berechtigter; • näher bestimmte Lagepläne. Für Arbeitsprogramme nach § 71 sind außerdem erforderlich Angaben über die geplanten Bergbauanlagen, für solche nach § 87 Angaben über die zu verwendende technische Ausrüstung und die voraussichtlichen Kosten der Durchführung sowie Unterlagen „zur Glaubhaftmachung des Verfügens über die voraussichtlich erforderlichen technischen und finanziellen Mittel“. Außerdem sehen §§ 71 Abs 1 und 87 Abs 1 im Gegensatz zu § 17 Abs 1 vor, dass die Arbeitsprogramme „besonders“ die näher bestimmten Angaben zu enthalten haben; weitere Anforderungen werden sich aus verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften oder den Genehmigungsvoraussetzungen ergeben.
3. Genehmigung Die Genehmigungsvoraussetzungen sind in §§ 18 Abs 1, 71 Abs 2 und 87 Abs 2 weitgehend einheitlich geregelt. Das Arbeitsprogramm ist zu genehmigen, wenn • die Arbeiten nicht bestimmte betroffene Berechtigte berühren bzw wenn diese zugestimmt haben; • die vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen und Maßnahmen zur Sicherung der Oberflächennutzung nach Beendigung der Arbeiten als ausreichend anzusehen sind („erforderlichenfalls unter Festsetzung geeigneter Bedingungen und Auflagen“); • im Falle des § 87 weiters glaubhaft gemacht wurde, dass die zur Durchführung des Arbeitsprogramms voraussichtlich erforderlichen technischen und finanziellen Mittel gegeben sind. Das Arbeitsprogramm ist „wenn nötig auch nur befristet“ zu genehmigen. Die Befristung des Arbeitsprogramms ist mit der Wendung „wenn nötig“ ohne Angabe der damit verfolgten Ziele kaum determiniert. Liest man dies im Zu-
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sammenhang mit den Genehmigungsvoraussetzungen, so ist die Auslegung möglich, dass eine Befristung nur dann nötig ist, wenn das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen nur für einen bestimmten Zeitraum angenommen werden kann. Bei den Bestimmungen über Auflagen und Bedingungen ist zumindest deren Zweck ersichtlich, wenn auch die betreffenden „Maßnahmen“ und die Schutzinteressen der Maßnahmen nicht näher bestimmt sind.30 Vor Genehmigung der Arbeitsprogramme sind, soweit öffentliche Interessen berührt werden, die zu ihrer Wahrnehmung berufenen Verwaltungsbehörden zu hören. Da Arbeitsprogramme auch Arbeitnehmerschutzinteressen berühren können, ist insoweit auch das Arbeitsinspektorat Partei (§ 12 Abs 1 ArbeitsinspektionsG BGBl 1993/27 idF BGBl 2001 I/159; vgl unten VIII.A.). Wesentliche Änderungen des Arbeitsprogramms bedürfen einer Genehmigung der Behörde (vgl näher die nicht ganz einheitlichen §§ 19, 71 Abs 3 und 87 Abs 3).
4. Abschlussbetriebspläne Wenn die Abschlussbetriebspläne im MinroG auch zusammen mit den Gewinnungsbetriebsplänen behandelt werden, so ist es doch möglich, dass auch für das Einstellen von Aufsuchungstätigkeiten ein Abschlussbetriebsplan erforderlich ist. Darauf ist unter IV.F.5. noch einzugehen.
IV. Gewinnung mineralischer Rohstoffe und das Speichern von Kohlenwasserstoffen A. Allgemeines Die Gewinnung mineralischer Rohstoffe erfolgt auf Grund von Gewinnungsberechtigungen (zu denen auch ein genehmigter Gewinnungsbetriebsplan für grundeigene mineralische Rohstoffe zählt; § 1 Z 13). Dabei wird im Gegensatz zum Aufsuchen nicht nach einzelnen Gewinnungstätigkeiten unterschieden, sondern lediglich nach der Kategorie des mineralischen Rohstoffs bzw der zum Speichern bestimmten geologischen Struktur. Das Ausüben der Gewinnungsberechtigungen erfolgt im Rahmen von Gewinnungs(und Abschluss-)betriebsplänen.
B. Das Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe Im Gegensatz zum BergG 1975 sind nach dem MinroG keine Gewinnungsberechtigungen für grundeigene mineralische Rohstoffe vorgesehen. Vielmehr zählt ein genehmigter Gewinnungsbetriebsplan für grundeigene mineralische Rohstoffe zu den Gewinnungsberechtigungen; nach § 84 gilt der Inhaber eines genehmigten Gewinnungsbetriebsplanes nach den §§ 83 und 116 als Bergbauberechtigter. § 84 zählt zwar zum V. Hauptstück über das „obertägige Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe“; die Formulierung und der Verweis 30
Dagegen sind etwa die nach § 77 Abs 1 GewO vorgesehenen Auflagen dadurch determiniert, dass die Beeinträchtigung bestimmter Schutzinteressen vermieden bzw auf ein zumutbares Maß beschränkt werden muss. Die Begriffe „Sicherheit“ und „Sicherung“ iVm mit „ausreichend“ beinhalten dagegen einen weiter reichenden Spielraum.
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auch auf § 116 (Gewinnungsbetriebsplan für grundeigene mineralische Rohstoffe allgemein) stellen aber klar, dass dies auch für das untertägige Gewinnen gilt. Gewinnungsberechtigungen verleihen jedoch grundsätzlich nur ein Recht, bestimmte Rohstoffe in einem bestimmten Gebiet nach Gewinnungsbetriebsplänen zu gewinnen. Die Rechtstechnik der „Zusammenlegung“ von Gewinnungsbetriebsplan und Gewinnungsberechtigung führt daher nicht dazu, dass sich die Berechtigung zum Gewinnen nun aus dem Gewinnungsbetriebsplan ergibt. Insoweit ist die Berechtigung durch das MinroG nicht geregelt (worüber der Gewinnungsbetriebsplan auch nichts aussagt), was auch nicht erforderlich ist, da sie sich aus dem Grundeigentum bzw dem zivilrechtlichen Überlassen der Gewinnung ergibt. Daher bestimmt etwa auch § 193 Abs 9, dass Bergbauberechtigungen unter bestimmten Voraussetzungen entzogen werden können, ein Gewinnungsbetriebsplan für grundeigene mineralische Rohstoffe jedoch nur „widerrufen“ werden kann. Weitere Erlöschensgründe regelt § 84 Abs 3. Die Berechtigung zum Gewinnen bleibt indes beim Grundeigentümer; dies ist insofern relevant, als etwa die Berechtigung zum Gewinnen nach wie vor übertragen werden kann, was für eine entzogene Bergbauberechtigung natürlich nicht mehr möglich ist. Der genehmigte Gewinnungsbetriebsplan wechselt wohl mit der Übertragung der Berechtigung zum Gewinnen (bzw zur Ausübung) den Adressaten („Inhaber“). An diesen Vorgang dürfte auch die Anzeigepflicht des § 84 Abs 2 anknüpfen. Für das untertägige Gewinnen gelten die allgemeinen Bestimmungen über Gewinnungsbetriebspläne; für das obertägige Gewinnen dagegen enthalten die §§ 80-83 weitreichende zusätzliche Anforderungen (vgl IV.F.4.).
C. Das Gewinnen bergfreier mineralischer Rohstoffe (Bergwerksberechtigungen) 1. Gegenstand Das Gewinnen bergfreier mineralischer Rohstoffe erfolgt auf Grund von Bergwerksberechtigungen. Diese „berechtigen zum ausschließlichen Gewinnen der in einem bestimmten Raum vorkommenden bergfreien mineralischen Rohstoffe und zu deren Aneignung“ (§ 22). Die diesbezüglichen Regelungen sind äußerst umfangreich und detailliert; sie nehmen mit den §§ 22-67a einen Gutteil des gesamten MinroG ein. Ein Grund für diese Regelungsdichte ist das Wesen der Bergfreiheit, die ua eine Betriebspflicht bedingt und Bestimmungen über die Auflassung erfordert; außerdem gelten Bergwerksberechtigungen als unbewegliche Sachen, die in Bergbücher eingetragen werden, was ebenfalls nähere Regelungen erfordert. Bergwerksberechtigungen werden für Grubenmaße und für Überscharen verliehen. Ein Grubenmaß ist gemäß § 24 „ein nach der Tiefe nicht beschränkter Raum... mit einem Flächeninhalt von 48 000 m2“. Dagegen ist eine Überschar ein von Grubenmaßen bzw Überscharen ganz oder weitgehend umgebener, nach der Tiefe nicht beschränkter Raum, in dem ein Grubenmaß nicht Platz findet (§ 33); Überscharen dürfen nur an Bergwerksberechtigte für die
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angrenzenden Grubenmaße oder Überscharen verliehen werden. Überscharen sind daher Ergänzungen zu bestehenden Bergwerksberechtigungen, die mangels Größe nicht als Grubenmaß verliehen werden können und bestehende Bergwerksberechtigungen gleichsam „abrunden“. Entsprechend ist die selbständige Verleihung einer Überschar grundsätzlich nicht möglich; eine Ausnahme besteht seit der MinroG-Novelle 2001 für die in § 3 Abs 1 Z 4 angeführten Rohstoffe (§ 33 Z 1, § 34 Abs 1), da die räumliche Ausdehnung des Abbaus hier von der Zustimmung der Grundstückseigentümer abhängt. Wenn die räumlichen Voraussetzungen für ein Grubenmaß erfüllt sind, kann auch ein solches beantragt werden.31 Mehrere Grubenmaße bilden (zusammen mit etwaigen Überscharen) ein Grubenfeld, wenn sie einem Bergwerksberechtigten verliehen sind und aneinandergrenzen; auch ein einzelnes Grubenmaß kann mit der bzw den angrenzenden Überschar(en) ein Grubenfeld bilden (§ 26 Abs 3). Für die in § 3 Abs 1 Z 4 angeführten Rohstoffe können auch die (selbständigen) Überscharen ein Grubenfeld bilden (§ 202 Abs 1). Eine Zustimmung des betroffenen Grundeigentümers ist hinsichtlich der Verleihung von Grubenmaßen und Überscharen für in seinem Eigentum stehende Rohstoffe nach § 3 Abs 1 Z 4 vorgesehen. Gesetzestechnisch ist die Zustimmung der Grundeigentümer (§ 27 Abs 4, § 35 Abs 3 Z 9) nicht als Genehmigungsvoraussetzung konstruiert, sondern das Fehlen des Nachweises des Überlassens als Zurückweisungsgrund (§ 27 Abs 5, § 35 Abs 4, jeweils mit Verbesserungsmöglichkeit) vorgesehen. Unklar ist, was etwa bei einer erfolgreichen zivilrechtlichen Anfechtung eines Überlassungsvertrags gelten soll, die nach der Stellung des Ansuchens zum Wegfall der Überlassung führt. Nach dem MinroG ist kein entsprechender Versagungsgrund (oder gar Entziehungsgrund) vorgesehen; etwaige Ansprüche des Grundeigentümers können damit nur zivilrechtlich geltend gemacht werden.
2. Verleihung von Bergwerksberechtigungen Bergwerksberechtigungen für Grubenmaße sind natürlichen oder juristischen Personen oder Personengesellschaften des Handelsrechtes auf Ansuchen nach Maßgabe des § 25 zu verleihen. Voraussetzungen sind die in Abs 4 näher bestimmte Abbauwürdigkeit des Vorkommens, dass der Verleihungswerber über die „bis zur Aufnahme eines planmäßigen und systematischen Abbaues voraussichtlich erforderlichen technischen und finanziellen Mittel“ verfügt (was mit der Betriebspflicht zusammenhängt, die nicht wahrgenommen werden kann, wenn die im Vorfeld erforderlichen Investitionen nicht einigermaßen gesichert sind), sowie dass andere Bergbauberechtigungen nicht beeinträchtigt werden. Auf die in Abs 2 (demonstrativ) angeführten öffentlichen Interessen ist „Bedacht zu nehmen“. Wenn anzunehmen ist, dass sich ein (teilweise) erschlossenes Vorkommen (bzw eine Halde) auf weitere beantragte Grubenmaße erstreckt, so sind auch diese auf Antrag hin zu verleihen (§ 26); es dürfen jedoch Bergwerksberechtigungen für höchstens 16 (bzw bei verlassenen Halden 8) Grubenmaße verlie31
AA die EB zu RV 833 BlgNR 21. GP, 32, wonach die Verleihung von Grubenmaßen in diesem Fall nicht mehr vorgesehen wäre. Diese Absicht hat aber in den Bestimmungen über Grubenmaße keinen Niederschlag gefunden und es würde § 27 Abs 4 (Nachweis des Überlassens des Gewinnens) ein sinnloser Inhalt unterstellt. Dagegen Mihatsch, der in Anm 1 zu § 33 die EB im hier vertretenen Sinn interpoliert hat.
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hen werden. Auch eine nachträgliche Verleihung von derart „zusammenhängenden“ Grubenmaßen ist (bis zur Höchstgrenze von 16 bzw 8) möglich. Diese Grubenmaße bilden mit allfälligen Überscharen die oben bereits erwähnten Grubenfelder. Durch die Höchstgrenze wird nicht ausgeschlossen, dass weitere Bergwerksberechtigungen verliehen werden können; diese bedürfen aber „eigener“ erschlossener Vorkommen. § 27 enthält nähere Anforderungen an das Verleihungsgesuch, die teils verbesserungsfähig sind; ihre Nichtbeachtung führt zur Zurückweisung (§ 27 Abs 5). Dazu zählen ua Angaben über das gegenständliche Vorkommen und das beantragte Grubenmaß, eine „Beschreibung der bis zur Aufnahme eines planmäßigen und systematischen Abbaus vorgesehenen Arbeiten“ und gegebenenfalls der Nachweis der Überlassung des Gewinnens der im § 3 Abs 1 Z 4 angeführten bergfreien mineralischen Rohstoffe. Über das (zulässige) Ansuchen um Verleihung der Bergwerksberechtigungen ist eine mündliche Verhandlung an Ort und Stelle durchzuführen, die so genannte „Freifahrung“ (§ 29). Parteien im Verleihungsverfahren sind der Verleihungswerber, die Eigentümer der Grundstücke, auf denen das begehrte Grubenmaß oder Grubenfeld zu liegen kommt, ferner allenfalls berührte Inhaber von bestimmten Bergbauberechtigungen, sowie unter bestimmten Voraussetzungen das betroffene Land als Formalpartei.
Die §§ 34-39 regeln die Verleihung von Bergwerksberechtigungen für Überscharen weitgehend analog zu den für Grubenmaße geltenden Bestimmungen; einzelne Abweichungen ergeben sich aus der Natur der Überscharen als „Ergänzungen“ für Grubenmaße. So fehlt etwa das Erfordernis der finanziellen und technischen Mittel, da diese bei den (allein antragsberechtigten) Bergwerksberechtigten bereits geprüft worden sind; bei selbständigen Überscharen (für die im § 3 Abs 1 Z 4 angeführten bergfreien mineralischen Rohstoffen) entfällt das Erfordernis damit überhaupt. Eine Besonderheit der Bergwerksberechtigungen (mit weitgehender Ausnahme für die im § 3 Abs 1 Z 4 angeführten bergfreien mineralischen Rohstoffe; vgl § 67a) ist, dass sie als „unbewegliche Sachen“ gelten und „Gegenstand der Eintragung in das Bergbuch“ sind (§ 40). Das Bergbuch ist ein öffentliches Buch, das von den in § 118 Z 2 JN bestimmten Bezirksgerichten zu führen ist. Die Eintragung ist nicht Voraussetzung für die Rechtskraft der Verleihung einer Bergwerksberechtigung (vgl § 41 1. Satz: „Die Behörde hat dem Bergbuchsgericht die rechtskräftige Verleihung von Bergwerksberechtigungen zur Eintragung in das Bergbuch anzuzeigen“), wohl aber für den Erwerb der Bergwerksberechtigung als „unbewegliche Sache“. Die Eigenschaft als ins Bergbuch eingetragene unbewegliche Sache bedingt auch Sonderbestimmungen für den Fall der Übertragung (§ 52), der Auflassung (§§ 55 ff) und der Entziehung (vgl §§ 66 und 6732), die zB im Erfordernis der Löschung bzw Neueintragung oder der Möglichkeit der Zwangsversteigerung bestehen.
3. Betriebspflicht In Grubenmaßen und Überscharen besteht grundsätzlich Betriebspflicht. Eine Ausnahme besteht hinsichtlich der im § 3 Abs 1 Z 4 angeführten bergfreien mineralischen Rohstoffe (§ 67a). Die Betriebspflicht liegt im Institut der Bergfreiheit begründet, welches sich auf die wirtschaftliche Bedeutung der Gewinnung der betreffenden mineralischen Rohstoffe stützt. Die Betriebspflicht be32
Zum Verhältnis dieser Bestimmungen zu § 50 VwGH 9.5.2001, 2000/04/0194.
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steht darin, dass binnen zwei Jahren nach rechtskräftiger Verleihung der Bergwerksberechtigung im Grubenmaß bzw in zumindest einem Grubenmaß eines Grubenfeldes mit der Gewinnung zu beginnen ist (§ 44 Abs 1), und diese Gewinnung mindestens vier Monate im Jahr zu betreiben ist (§ 45 Abs 1). Die Behörde hat jedoch auf Ansuchen des Gewinnungsberechtigten Reservefelder anzuerkennen (§ 46), auf die sich die Betriebspflicht nicht erstreckt. Weiters besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, die Betriebspflicht auf Ansuchen zu „fristen“, also den Gewinnungsberechtigten von der Betriebspflicht befristet zu entbinden (§§ 47 und 48). Verletzungen der Betriebspflicht können zur Entziehung der Bergwerksberechtigung führen (§ 50). Für Bergwerksberechtigungen sind Maßengebühren zu entrichten (§ 191).
4. Übertragung von Bergwerksberechtigungen und Überlassung der Ausübung Bergwerksberechtigungen können übertragen werden; daneben ist auch die bloße Überlassung ihrer Ausübung möglich. Die Übertragung einer Bergwerksberechtigung durch Rechtsgeschäft unter Lebenden bedarf zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung der Behörde. Der Erwerber muss dazu glaubhaft machen, dass er über die notwendigen technischen und finanziellen Mittel verfügt. Die Übertragung ist im Bergbuch einzuverleiben. Bergwerksberechtigungen für Überscharen dürfen nur an Personen übertragen werden, die Inhaber von Bergwerksberechtigungen für angrenzende Grubenmaße oder Überscharen sind; ansonsten können sie nur gemeinsam mit Bergwerksberechtigungen für angrenzende Grubenmaße übertragen werden (§ 51). Damit wird das Entstehen von selbständigen Bergwerksberechtigungen für Überscharen verhindert. Die bloße Überlassung der Ausübung einer Bergwerksberechtigung ist der Behörde anzuzeigen und nachzuweisen, eine Überlassung durch Rechtsgeschäft unter Lebenden bedarf zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung der Behörde. Der Übernehmende muss nachweisen, dass er über die notwendigen technischen und finanziellen Mittel verfügt. Bemerkenswerterweise ist die Überlassung der Ausübung bloß einer Überschar nicht untersagt; § 51 steht nur der Übertragung entgegen.33 Nach § 67a gelten für die im § 3 Abs 1 Z 4 angeführten bergfreien mineralischen Rohstoffe insoweit nur § 52 Abs 1 und 2 und § 53. Übertragungen und Überlassungen sind daher ebenso genehmigungspflichtig. Das Erfordernis der „notwendigen technischen und finanziellen Mittel“ (§ 52 Abs 2, § 53 Abs 2) ist hier unsinnig, da es auch bei Begründung selbständiger Überscharen nicht mehr besteht; es ist insoweit wohl als gegenstandslos zu betrachten. Auch die beschränkte Übertragbarkeit von Überscharen, die in § 52 Abs 2 durch Verweis auf den (an sich gemäß § 67a nicht anwendbaren) § 51 angeordnet ist, erscheint wegen der Möglichkeit selbständiger Überscharen für die in § 3 Abs 1 Z 4 angeführten bergfreien mineralischen Rohstoffe unsinnig und wohl ebenso als insoweit gegenstandslos zu betrachten. 33
Dagegen dürften die EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 87 davon ausgehen, dass in Überscharen allein überhaupt keine Gewinnungstätigkeit ausgeübt werden soll. Dies ist inzwischen hinsichtlich der im § 3 Abs 1 Z 4 angeführten bergfreien mineralischen Rohstoffe überholt (§ 33 Z 1), für die § 51 allerdings nicht gilt (§ 67a).
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5. Auflassung von Bergwerksberechtigungen Eine beabsichtigte Auflassung der Bergwerksberechtigung ist der Behörde schriftlich bekannt zu geben. Dieser Auflassungserklärung sind idR ua ein Abschlussbetriebsplan und Unterlagen über die aufzulassende Berechtigung beizufügen (§ 54). Die eingehende Regelung der Auflassung ist durch die Betriebspflicht bedingt; im Gegensatz etwa zum Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe ist die bloße Nichtausübung der Berechtigung nicht zulässig.34 Für die in § 3 Abs 1 Z 4 angeführten bergfreien mineralischen Rohstoffe gelten nach § 67a im Wesentlichen nur die Bestimmungen über Abschlussbetriebspläne. Die Behörde hat die beabsichtigte Auflassung der Bergwerksberechtigung dem Bergbuchsgericht anzuzeigen. Das anschließende Bergbuchverfahren dient ua der Abwicklung von Hypotheken durch eine allfällige Zwangsversteigerung. In weiterer Folge hat die Behörde den Abschlussbetriebsplan zu prüfen und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 58 Abs 1 2. Satz zu genehmigen.35 War der Auflassungserklärung kein Abschlussbetriebsplan beizufügen (wegen früherer Einstellung, für die meist ein Abschlussbetriebsplan nötig gewesen sein wird), so sind bei Bedarf noch bestimmte Maßnahmen anzuordnen. Zu den Parteien im Genehmigungsverfahren für den Abschlussbetriebsplan bzw im Verfahren zur Anordnung von Maßnahmen zählen gemäß § 58 Abs 2 der Bergwerksberechtigte, allenfalls der, dem die Ausübung der Berechtigung überlassen worden ist, die Eigentümer der betroffenen Grundstücke sowie die betroffenen Inhaber von Gewinnungsberechtigungen oder Speicherbewilligungen. Die Beendigung der Abschlussarbeiten ist der Behörde anzuzeigen; nach deren ordnungsgemäßer Durchführung ist die Bergwerksberechtigung für erloschen zu erklären (§ 60). Für den Fall, dass auf Grund der aufzulassenden Bergwerksberechtigung keine Bergbautätigkeiten ausgeübt worden sind, sieht § 61 ein vereinfachtes Auflassungsverfahren vor. Die Bergwerksberechtigung ist mit Bescheid für erloschen zu erklären; in der Folge hat sie das Bergbuchsgericht im Bergbuch zu löschen.
D. Das Recht des Bundes zum Gewinnen bundeseigener mineralischer Rohstoffe und zum Speichern von Kohlenwasserstoffen in kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen 1. Gegenstand Die Rechte des Bundes zum Gewinnen bundeseigener mineralischer Rohstoffe und zum Speichern von Kohlenwasserstoffen in kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen sowie die Überlassung dieser Rechte sind in § 68 ff 34
35
Dies gilt für den Aspekt des Bergbauberechtigungswesens; aus bergbautechnischer Sicht ist für die Einstellung von Bergbautätigkeiten jedenfalls das Erfordernis eines Abschlussbetriebsplans zu beachten (dazu unten IV.F.5.). Zum Verhältnis zu den allgemeinen Bestimmungen über Abschlussbetriebspläne unten IV.F.5.d).
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geregelt; insoweit kann auf die Ausführungen zum Überlassen des Rechts zum Aufsuchen (II.D.2.) verwiesen werden. Das Recht des Bundes zum Gewinnen und Speichern nach § 68 Abs 1 bezieht sich auf „von der Behörde anzuerkennende (vorzumerkende) Gewinnungsfelder“. Die Gewinnungsfelder konkretisieren einzelne Gewinnungsberechtigungen und haben eine den Grubenmaßen usw bei Bergwerksberechtigungen vergleichbare Funktion. Während aber Bergwerksberechtigungen uno actu für Grubenmaße (bzw Überscharen) erteilt werden, ist die Gewinnungsberechtigung bei bundeseigenen mineralischen Rohstoffen in das ex lege bestehende Recht des Bundes zum Gewinnen, das Überlassen seiner Ausübung und die Anerkennung (Vormerkung) von Gewinnungsfeldern untergliedert.
2. Gewinnungsfelder Gemäß § 73 ist ein Gewinnungsfeld „ein nach der Tiefe nicht beschränkter Raum, dessen Schnittfigur im Projektionsniveau des Systems der Landesvermessung ein ebenes Vieleck ist“. Soweit es sich nicht um Kohlenwasserstoffe handelt (also bei Steinsalz und uran- und thoriumhaltigen mineralischen Rohstoffen), darf der Flächeninhalt dieses Vielecks nicht größer als ein Quadratkilometer sein. Da die Überlassung der Ausübung des Rechts zum Gewinnen von Kohlenwasserstoffen und zum Speichern in kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen nur als „Gesamtpaket“ überlassen werden kann, ist insoweit auch kein abgesondertes Gewinnungsfeld nur für das Speichern vorgesehen; das Speichern erfolgt im Rahmen von Gewinnungsfeldern für Kohlenwasserstoffe (§ 68 Abs 1 2. Satz). Gewinnungsfelder für Steinsalze und uran- und thoriumhaltige mineralische Rohstoffe sind auf Ansuchen von der Behörde bescheidmäßig anzuerkennen, wenn ein erschlossenes Vorkommen nachgewiesen wird und die Interessen bestimmter betroffener Bergbauberechtigter gewahrt sind sowie auf „öffentliche Interessen“ Bedacht genommen ist (§ 74 Abs 1-3). Gewinnungsfelder für Vorkommen von Kohlenwasserstoffen sind von der Behörde auf Ansuchen des Bergbauberechtigten „vorzumerken“, wenn die Erfordernisse des § 74 Abs 1 vorliegen (§ 74 Abs 4). Die „Vormerkung“ erfolgt nicht bescheidmäßig; lediglich die Abweisung (und Zurückweisung nach § 75; dazu sogleich) eines Ansuchens auf Vormerkung erfolgt durch Bescheid, und ein vom Ansuchensteller beantragter Feststellungsbescheid über die erfolgte Vormerkung ist vorgesehen. Die Anforderungen für Ansuchen auf Anerkennung oder Vormerkung sind in § 75 zusammen geregelt. Diese erfordern insb nähere Angaben zum Vorkommen und zum Gewinnungsfeld. Entspricht das Ansuchen diesen Anforderungen nicht, so ist (teilweise nach Setzung einer Verbesserungsfrist) zurückzuweisen; da das MinroG hier nicht nach Vormerkung und Anerkennung unterscheidet, ist anzunehmen, dass auch ein Ansuchen auf Vormerkung bescheidmäßig zurückzuweisen ist. Nach § 76 sind „Parteien im Verfahren wegen Anerkennung eines Gewinnungsfeldes“ der Ansuchende, ferner bestimmte allfällig berührte Bergbauberechtigte sowie die Eigentümer der betroffenen Grundstücke. Dies betrifft das „Anerkennungsverfahren“, also Gewinnungsfelder für Steinsalze und uranund thoriumhaltige mineralische Rohstoffe.
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Die unklare Regelung des § 76 letzter Halbsatz aF (Parteistellung der Grundeigentümer bei Erschließung eines Vorkommens von Kohlenwasserstoffen im oberflächennahen Bereich der Grundstücke, obwohl hier nur ein Vormerkverfahren besteht) wurde durch die MinroG-Novelle 2001 als Redaktionsversehen beseitigt.
Weiters vorgesehen sind bestimmte Anhörungsrechte (§ 77) und Anzeigepflichten (§ 78). Gemäß § 79 gelten die §§ 112, 114, 115 und 117 für „die Einstellung der Gewinnung oder des Speicherns in einem Gewinnungsfeld“, darauf ist bei der Behandlung der Abschlussbetriebspläne zurückzukommen (IV.F.5.).
E. Speichern von Kohlenwasserstoffen in nicht kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen (Speicherbewilligung) 1. Gegenstand Das Speichern von flüssigen oder gasförmigen Kohlenwasserstoffen in nicht kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen bedarf einer Speicherbewilligung (§ 89); diese bezieht sich auf ein näher bestimmtes Speicherfeld. Der Inhaber einer Speicherbewilligung ist „Speicherberechtigter“ (§ 1 Z 19); die Speicherbewilligung zählt zu den Bergbauberechtigungen (§ 1 Z 14), jedoch nicht zu den Gewinnungsberechtigungen (§ 1 Z 13). Die fraglichen Strukturen sind nicht vom Grundeigentum ausgenommen; eine Zustimmung betroffener Grundeigentümer ist auch für die Erteilung der Speicherbewilligung nicht vorgesehen. Bestimmte Grundeigentümer haben jedoch Parteistellung im Verfahren zur Verleihung der Speicherbewilligung (§ 92).
2. Speicherbewilligung Die Erteilungsvoraussetzungen sind in § 90 näher geregelt. Erforderlich ist der Nachweis des Bestehens einer geeigneten nicht kohlenwasserstoffführenden geologischen Struktur im beantragten Speicherfeld, die Glaubhaftmachung des Verfügens über die bis zur Aufnahme des ordentlichen Speicherbetriebs erforderlichen technischen und finanziellen Mittel, und die Wahrung der Interessen bestimmter allfällig betroffener Bergbauberechtigter. Weiters ist auf nicht näher bestimmte „öffentliche Interessen“ Bedacht zu nehmen. § 91 regelt die Anforderungen an ein Ansuchen um Erteilung der Speicherbewilligung. Deren Nichtbeachtung führt zur Zurückweisung, teilweise erst nach Setzung einer Verbesserungsfrist. Hervorgehoben sei nur § 91 Abs 1 Z 3, wonach „das bis zur Aufnahme eines planmäßigen und systematischen Speicherbetriebes vorgesehene Arbeitsprogramm“ vorzulegen ist. Dabei handelt es sich aber nicht um ein gesondert zu genehmigendes Arbeitsprogramm iSd §§ 17 ff, 71 und 87; vielmehr geht es um die Angabe vorgesehener „Arbeiten“ (vergleichbar dem § 27 Abs 1 Z 4 im Hinblick auf Bergwerksberechtigungen).
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Parteien im Verfahren sind neben dem Bewilligungswerber allfällig berührte Gewinnungsberechtigte und Speicherberechtigte36, weiters die Eigentümer der betroffenen Grundstücke, wenn die betreffende geologische Struktur „im oberflächennahen Bereich der Grundstücke gelegen ist“. § 93 sieht Anhörungsrechte, § 94 Anzeigepflichten vor. Für die Einstellung des Speicherns in einem Speicherfeld gelten die §§ 112, 114, 115 und 117 über Abschlussbetriebspläne (dazu unten IV.F.5.). Die Übertragung von Speicherbewilligungen (nicht aber die bloße Überlassung des Ausübens) ist möglich; Übertragungen durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung der Behörde. Nach § 96 Abs 3 erlischt die Speicherbewilligung • bei Festsetzung einer Frist mit deren Ablauf; eine Befristung ist jedoch nicht vorgesehen und kommt daher wohl nur in Betracht, wenn die Speicherbewilligung nur für eine bestimmte Zeit beantragt worden ist; • mit dem Untergang der juristischen Person, sofern nicht eine Gesamtrechtsnachfolge eintritt; • durch Erklärung an die Behörde, dass sie zurückgelegt wird; ein bescheidmäßiger Abspruch über das Erlöschen ist nicht vorgesehen; • durch Entziehung nach § 193 Abs 9.
F. Gewinnungs- und Abschlussbetriebspläne 1. Allgemein Die Bestimmungen über Gewinnungs- und Abschlussbetriebspläne („Betriebspläne“) finden sich im VII. Hauptstück über die Ausübung von Bergbauberechtigungen. Sie sind aber eng mit dem Bergbauberechtigungswesen verknüpft. Ein genehmigter Gewinnungsbetriebsplan für grundeigene mineralische Rohstoffe gilt nämlich als Gewinnungs- und damit Bergbauberechtigung (§ 1 Z 13 und 14). Dies würde an sich eine Regelung über grundeigene mineralische Rohstoffe in den Hauptstücken III.-VI. (Bergbauberechtigungswesen) erübrigen; der Gesetzgeber hat sich jedoch entschlossen, ein eigenes V. Hauptstück über das obertägige Gewinnen dieser Rohstoffe in die Hauptstücke über Bergbauberechtigungen aufzunehmen. Diese Vorgangsweise ist unsystematisch, weil das V. Hauptstück praktisch ausschließlich bestimmte Anforderungen an Gewinnungsbetriebspläne stellt, die ansonsten unter der „Ausübung von Bergbauberechtigungen“ im VII. Hauptstück behandelt werden. Weiters finden sich die korrespondierenden Bestimmungen über Gewinnungsbetriebspläne für das untertägige Gewinnen, an die im V. Hauptstück angeknüpft wird, im VII. Hauptstück, und es wird das untertägige Gewinnen in den Hauptstücken zum Bergbauberechtigungswesen nicht behandelt. Bemerkenswert ist auch, dass die den Gewinnungsbetriebsplänen für die Tätigkeit des Aufsuchens entsprechenden Arbeitsprogramme bei den jeweiligen Bergbauberechtigungen normiert sind, obwohl es sich eigentlich auch bei diesen um Vorschriften für
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„Speicherberechtigter“ ist nach § 1 Z 19 nur der Inhaber einer Speicherbewilligung; Personen, die zum Speichern in kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen berechtigt sind, sind Gewinnungsberechtigte.
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die Ausübung von Bergbauberechtigungen (nur eben Aufsuchungsberechtigungen) handelt. Die Gewinnungs- und Abschlussbetriebspläne sind nach § 112 Abs 1 für alle Gewinnungstätigkeiten („Aufschluss und Abbau“) sowie das Speichern maßgeblich mit der Ausnahme des Gewinnens von Kohlenwasserstoffen (die Notwendigkeit von Abschlussbetriebsplänen für das Gewinnen von Kohlenwasserstoffen ist unklar; dazu unten IV.F.5.). Die Betriebspläne sind in §§ 112-117 einheitlich geregelt, die Sonderregelungen für das obertägige Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe finden sich in den §§ 80-85. Abschlussbetriebspläne können auch auf andere Tätigkeiten Anwendung finden; da sie aber primär mit dem Gewinnen zusammenhängen und im MinroG gemeinsam mit den Gewinnungsbetriebsplänen geregelt sind, werden sie hier im Anschluss an die Gewinnungsbetriebspläne behandelt.37
2. Anwendungsbereich der Gewinnungsbetriebspläne Nach § 112 Abs 1 beziehen sich Gewinnungsbetriebspläne „auf den Aufschluss und Abbau von mineralischen Rohstoffen, ausgenommen Kohlenwasserstoffe, sowie auf das Speichern“. a) Aufschluss und Abbau Gewinnungsbetriebspläne sind aufzustellen für den „Aufschluss und Abbau“ mineralischer Rohstoffe. Während der „Abbau“ in § 1 Z 2 als Teil der Tätigkeit des Gewinnens angeführt wird, ist der „Aufschluss“ dort nicht angeführt und wird auch sonst nicht bestimmt. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um das Zugänglichmachen von Vorkommen zum Zweck des Abbaus und damit um eine Tätigkeit, die als mit dem Abbau zusammenhängend und vorbereitend zum „Gewinnen“ iSd § 1 Z 2 zählt. Dagegen zählen Aufsuchungstätigkeiten nicht zum Aufschluss. Dies ergibt sich zunächst aus der Bezeichnung „Gewinnungsbetriebsplan“ und aus dem Bestehen von Arbeitsprogrammen für Aufsuchungstätigkeiten. Weiters ist der Gewinnungsbetriebsplan für das obertägige Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe als Gewinnungsberechtigung vorgesehen (§ 1 Z 13), was ebenfalls gegen eine Einbeziehung von Aufsuchungstätigkeiten spricht, und § 116 Abs 1 Z 1 normiert die Deckung durch Gewinnungsberechtigungen als Genehmigungsvoraussetzung. „Aufschluss und Abbau“ gehen damit nicht über das Gewinnen iSd § 1 Z 2 hinaus, umfassen das Gewinnen aber wohl auch nicht zur Gänze; die „nachfolgenden Tätigkeiten“ (Abschlussarbeiten) sind weder Aufschluss noch Abbau. Abschlussarbeiten unterliegen daher den Abschlussbetriebsplänen, nicht den Gewinnungsbetriebsplänen; dagegen ist die Berechtigung zu diesen Tätigkeiten durch die Gewinnungsberechtigung gedeckt. Der Grund für die unklare Terminologie dürfte in der Übernahme des Aufschlussund Abbauplans für das Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe nach § 100 BergG 1975 idF BGBl 1994/633 liegen. Dieser war erforderlich für die „Aufnahme sowie... Wiederaufnahme des Gewinnens“ und hatte „alle wesentlichen Einzelheiten des beabsichtigten Aufschlusses und Abbaus“ zu enthalten. Während die Ausdehnung auf alle mineralischen Rohstoffe (ausgenommen Kohlenwasserstoffe) unproblematisch ist, 37
Zum Verhältnis zum Bergbauanlagenrecht vgl den Beitrag Bergbauanlagenrecht III.B.
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stellt die „Umfirmierung“ dieser Pläne zu „Gewinnungsbetriebsplänen“ im Hinblick auf die Divergenz zum Umfang der Begriffe „Gewinnen“ und „Gewinnungsberechtigung“ eine terminologische Inkonsistenz dar.38
b) Speichern und die Ausnahme für Kohlenwasserstoffe Ausgenommen von der Gewinnungsbetriebsplanpflicht ist der Aufschluss und Abbau von Kohlenwasserstoffen (§ 112 Abs 1). Dies soll sich darauf gründen, dass diese idR in großer Tiefe gewonnen werden und Auswirkungen auf Schutzgüter im Rahmen des Bergbauanlagenrechts wahrgenommen werden sollen.39 Weiters sind Gewinnungsbetriebspläne erforderlich für „das Speichern“. Nach der Begriffsbestimmung des § 1 Z 4 zählt hiezu das Speichern sowohl in nicht kohlenwasserstoffführenden als auch in kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen. Letzteres ist aber eng mit dem Gewinnen von Kohlenwasserstoffen verknüpft (§§ 68 ff); diese Tätigkeiten des Aufschlusses und Abbaus bzw des Speicherns beziehen sich beide auf die kohlenwasserstoffführenden Schichten bzw Strukturen, weswegen auch diese Differenzierung fragwürdig ist. Da aber anders als für den Aufschluss und Abbau mineralischer Rohstoffe keine Ausnahme vorgesehen ist, gilt das Erfordernis eines Gewinnungsbetriebsplans (eigentlich: Speicherbetriebsplan) auch für das Speichern nach § 68 Abs 1. c) Überblick Gewinnungsbetriebspläne sind demnach erforderlich: • Für den Aufschluss und Abbau grundeigener mineralischer Rohstoffe obertägig mit den Sonderregeln der §§ 80 ff; grundeigener mineralischer Rohstoffe untertägig; bergfreier mineralischer Rohstoffe; der bundeseigenen mineralischen Rohstoffe außer Kohlenwasserstoffe (also Steinsalz sowie uran- und thoriumhaltige mineralische Rohstoffe). • Für das Speichern von Kohlenwasserstoffen in kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen; in nicht kohlenwasserstoffführenden geologischen Strukturen.
3. Allgemeine Bestimmungen Die näheren Bestimmungen über Gewinnungsbetriebspläne ergeben sich aus einer Zusammenschau der §§ 112, 113, 115 und 116. Auf die Besonderheiten der Gewinnungsbetriebspläne für das obertägige Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe wird gesondert eingegangen. § 112 Abs 1 bezeichnet den 38
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Dass keine Ausdehnung auf alle Gewinnungstätigkeiten beabsichtigt war, wird nicht nur durch die Übernahme der Begriffe „Aufschluss und Abbau“, sondern auch durch die Existenz von Abschlussbetriebsplänen für die Einstellung des Gewinnens und die Übergangsbestimmung des § 197 Abs 4 bestätigt, wonach ua nach § 100 BergG 1975 genehmigte Aufschluss- und Abbaupläne als Gewinnungsbetriebspläne weitergelten. Mihatsch, Anm 4 zu § 112.
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Inhalt in allgemeiner Weise; dieser wird durch den Inhalt der Anzeige (§ 113) und die Genehmigungsvoraussetzungen (§ 116) konkretisiert. a) Zeitdauer und Ansuchen Die Bestimmungen über die zeitliche Abfolge von Gewinnungsbetriebsplänen sowie für Ansuchen um deren Genehmigung sind in §§ 112 und 113 in reichlich verklausulierter Form festgehalten. Bevor auf die Details eingegangen wird, ist es zweckmäßig, einen allgemeinen Grundsatz festzuhalten: Aus einer Zusammenschau von § 112 Abs 1 („Gewinnungsbetriebspläne beziehen sich auf den Aufschluss und Abbau von mineralischen Rohstoffen...“) und § 116 Abs 8 („Vor Genehmigung des Gewinnungsbetriebsplanes darf nicht mit dem Gewinnen der mineralischen Rohstoffe oder dem Speichern begonnen werden“) folgt, dass Aufschluss- und Abbautätigkeiten von (genehmigten) Gewinnungsbetriebsplänen gedeckt sein müssen. Nach § 112 Abs 1 2. Satz ist ein Gewinnungsbetriebsplan „für die Gewinnung bergfreier und bundeseigener mineralischer Rohstoffe, für die untertägige und für die unter- und obertägige Gewinnung von grundeigenen mineralischen Rohstoffen, im letzten Fall nur, wenn eine wechselseitige Beeinflussung der unter- und obertägigen Gewinnung gegeben ist“ für die Dauer von fünf Jahren aufzustellen. Daraus folgt e contrario, dass Gewinnungsbetriebspläne für das Speichern oder den rein obertägigen Aufschluss und Abbau grundeigener mineralischer Rohstoffe nicht unbedingt einer zeitlichen Begrenzung unterliegen, wobei jedoch die Befristungsmöglichkeiten des § 116 Abs 1 bzw § 83 Abs 1 zu beachten sind. Darüber hinaus ist Teil des Plans ein „Planungszeitraum“ (§ 113 Abs 1 Z 1), der wohl ebenfalls im Effekt auf eine wenn auch flexiblere Befristung des Gewinnungsbetriebsplans hinausläuft. § 112 Abs 1 enthält iVm § 112 Abs 4 („Bergbaue geringer Gefährlichkeit“) ferner Möglichkeiten zur Verkürzung der Fünfjahresfrist wie auch zur Freistellung von der Erstellung nachfolgender Gewinnungsbetriebspläne. Man gelangt damit zu drei Kategorien: 1. Aufschluss und Abbau bergfreier und bundeseigener mineralischer Rohstoffe, untertägiger bzw „beeinflusster“ obertägiger Aufschluss und Abbau grundeigener mineralischer Rohstoffe: Gewinnungsbetriebspläne für jeweils fünf Jahre. 2. Speichern, „unbeeinflusster“ obertägiger Aufschluss und Abbau grundeigener mineralischer Rohstoffe unbefristet. 3. Speichern, „unbeeinflusster“ obertägiger Aufschluss und Abbau grundeigener mineralischer Rohstoffe befristet. Diese Kategorien sind notwendig, um § 113 zu verstehen. Nach § 113 Abs 1 sind die „beabsichtigte Aufnahme sowie nach einer länger als fünf Jahre dauernden Unterbrechung die Wiederaufnahme des Aufschlusses und Abbaues von Vorkommen mineralischer Rohstoffe oder des Speicherns“ der Behörde anzuzeigen. Dabei besteht die Einschränkung „sofern nicht § 112 Abs 1 zweiter Satz gilt“, der besagt, dass die dort genannten Gewinnungsbetriebspläne für fünf Jahre aufzustellen sind. Damit soll wohl Folgendes zum Ausdruck gebracht werden: Die Anzeigepflicht für Aufnahme bzw Wiederaufnahme besteht nur, soweit unbefristete Gewinnungsbetriebspläne möglich sind, also beim Speichern und dem obertägigen Aufschluss und Abbau grundeigener minerali-
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scher Rohstoffe;40 bei den übrigen Tätigkeiten bedarf die erstmalige Aufnahme wie auch die Wiederaufnahme nach Unterbrechung ohnehin eines idR „fünfjährigen“ Gewinnungsbetriebsplans. § 113 Abs 1 besagt damit im Ergebnis, dass nicht nur bei Aufnahme des Speicherns bzw des obertägigen Aufschlusses und Abbaus grundeigener mineralischer Rohstoffe eine Anzeige zu stellen ist, sondern auch bei einer Wiederaufnahme nach mindestens fünfjähriger Unterbrechung, selbst wenn noch ein unbefristeter Gewinnungsbetriebsplan genehmigt ist. Dies wird wohl auch für den Fall gelten, dass eine Freistellung von nachfolgenden Gewinnungsbetriebsplänen erfolgt ist. Ungeregelt ist der Fall des Ablaufs eines befristeten Gewinnungsbetriebsplans für das Speichern bzw den ausschließlich obertägigen Aufschluss und Abbau grundeigener mineralischer Rohstoffe. Hiebei handelt es sich weder um einen Fall des § 112 Abs 1 2. Satz, noch um eine beabsichtigte Aufnahme oder Wiederaufnahme iSd § 113 Abs 1. Da allerdings auch diese Tätigkeiten nicht ohne Gewinnungsbetriebsplan ausgeübt werden dürfen (dies ergibt sich wohl aus § 116 Abs 8 iVm § 112 Abs 1; vgl oben), ist auch hier um Genehmigung eines nachfolgenden Plans anzusuchen.
Der Anzeige nach § 113 Abs 1 ist ein Gewinnungsbetriebsplan beizufügen, der einer behördlichen Genehmigungspflicht unterliegt; die Anzeige ist daher zugleich als Antrag auf Genehmigung des Plans zu werten.41 Die Anzeige selbst ist nicht Gegenstand eines weiteren Verfahrens. Das „Aufstellen“ eines Gewinnungsbetriebsplans iSd § 112 Abs 1 2. Satz ist als Verfassen und Stellen eines entsprechenden Antrags auf Genehmigung zu verstehen, da nach § 116 Abs 8 ohne genehmigten Gewinnungsbetriebsplan keine Gewinnungs- oder Speichertätigkeit ausgeübt werden darf. Ebenso ist bei Ablauf eines befristeten Gewinnungsbetriebsplans für das Speichern bzw den obertägigen Aufschluss und Abbau grundeigener mineralischer Rohstoffe ein Antrag auf Genehmigung eines neuen Gewinnungsbetriebsplans zu stellen. Darüber hinaus bedürfen „wesentliche Änderungen von Betriebsplänen“ der Genehmigung der Behörde (§ 115 Abs 3). Unvollständige oder mangelhafte Ansuchen sind nach erfolgloser Setzung einer Nachfrist zurückzuweisen (§ 115 Abs 2).
b) Inhalt des Gewinnungsbetriebsplans § 113 Abs 1 2. Satz bestimmt, dass der Anzeige „ein Gewinnungsbetriebsplan beizufügen“ ist, der die in der Folge demonstrativ aufgeführten Elemente zu enthalten hat. § 113 Abs 3 führt „Gewinnungsbetriebspläne nach [§ 113] Abs 1 und aufzustellende Gewinnungsbetriebspläne in den Fällen des § 112 Abs 1 zweiter Satz“ an. Demnach würden die Anforderungen des § 113 Abs 1 lediglich für mit einer Anzeige verbundene Gewinnungsbetriebspläne gelten; § 113 Abs 2 spricht dagegen wieder pauschal von Gewinnungsbetriebsplänen. Es gibt jedoch keinen ersichtlichen Grund, warum hier ein Unterschied bestehen sollte. Der Inhalt des Gewinnungsbetriebsplan(ansuchen)s korrespondiert auch den allgemeinen Genehmigungsvoraussetzungen (zB § 113 Abs 1 Z 5 und § 116 Abs 1 Z 8 - Sicherung der Oberflächennutzung). Es dürfte sich 40 41
AA wohl Mihatsch, Anm 1 zu § 113, wonach der letzte Halbsatz des § 113 Abs 1 1. Satz durch die MinroG-Novelle 2001 „als gegenstandslos anzusehen“ ist. Vgl auch die Formulierung des § 116 Abs 7: „... die Anzeige um Genehmigung eines Gewinnungsbetriebsplanes...“.
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vielmehr um ein Redaktionsproblem handeln, da die Erforderlichkeit eines Ansuchens unsystematisch zwischen § 112 Abs 1 2. Satz („Aufstellen“) und § 113 Abs 1 („Anzeige“) aufgeteilt ist. Der Inhalt des vorzulegenden Gewinnungsbetriebsplans bzw der anzuschließenden Unterlagen entspricht im Grunde den Genehmigungsvoraussetzungen. Allgemein ist zu beachten, dass die Anforderungen des § 113 Abs 1 lediglich demonstrativer Natur sind. Zur Abklärung der Genehmigungsfähigkeit können im Rahmen der verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflicht des Antragstellers weitere Angaben bzw Unterlagen beizubringen sein.
c) Genehmigungsvoraussetzungen Gegenstand der Genehmigung sind nach § 113 Abs 3 die „vorgesehenen Arbeiten und beabsichtigten Maßnahmen“. Damit besteht eine weitreichende Determinierung der Aufschluss- und Abbautätigkeiten durch den Genehmigungsbescheid. § 116 gilt gleichermaßen für erstmalige wie nachfolgende Gewinnungsbetriebspläne, mit Ausnahme der in § 116 Abs 4 bestimmten Abweichungen. Gewinnungsbetriebspläne sind „wenn nötig auch nur befristet“ zu genehmigen. „Nötig“ kann wohl nur dahingehend verstanden werden, dass Befristungen nur zulässig sind, wenn das Bestehen der Genehmigungsvoraussetzungen nur für einen begrenzten Zeitraum anzunehmen ist. Die behördliche Befristungsmöglichkeit kollidiert aber auch mit den Befristungen der Anträge: Nach § 112 Abs 1 2. Satz sind bestimmte Pläne ohnehin für idR fünf Jahre aufzustellen; hier ist unklar, ob die Genehmigungsfähigkeit für weniger als fünf Jahre zur Befristung oder Abweisung führen soll.42 Da § 116 Abs 1 nicht differenziert, ist wohl einer Befristung der Vorzug zu geben. Aber auch bei Plänen ohne starre Befristung ist gemäß § 113 Abs 1 Z 1 der „Planungszeitraum“ anzugeben; diesfalls ist eine Befristung bereits im Antragsgegenstand enthalten, wobei aber auch hier eine kürzere Dauer behördlich vorgesehen werden kann. Die Genehmigung ist weiters „erforderlichenfalls unter Festsetzung von Bedingungen und Auflagen“ zu erteilen. „Erforderlichenfalls“ ist im Hinblick auf die Genehmigungsvoraussetzungen und Schutzinteressen des § 116 Abs 1 zu verstehen. Zulässig sind demnach auflösende und aufschiebende Bedingungen gleichermaßen. Aufschiebende Bedingungen können dabei etwa auf den Eintritt einer Genehmigungsvoraussetzung abstellen, auflösende Bedingungen auf deren Wegfall, aber auch auf andere Ereignisse, die die Wahrung der Schutzinteressen berühren. Letzteres ist insofern problematisch, als § 193 Abs 9 ua den Widerruf eines Gewinnungsbetriebsplans von der bescheidmäßigen Androhung dieses Widerrufs „vor der letzten Zuwiderhandlung“ abhängig macht. Auflösende Bedingungen können demnach nur soweit vorgesehen werden, als sie nicht vom Widerruf (und seinen strengeren Voraussetzungen) erfasst sind. Weiters ist beim Vorsehen auflösender Bedingungen wohl der in § 193 Abs 9 zum Ausdruck kommende Bestandschutz von Gewinnungsbetriebsplänen zu berücksichtigen. 42
Die Verkürzung der Fristen gemäß § 112 Abs 1 soll wohl schon vor dem Antrag auf Genehmigung erfolgen und damit die erst zu beantragenden Gewinnungsbetriebspläne determinieren.
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Die Genehmigungsvoraussetzungen des § 116 Abs 1 beziehen sich insb auf Sicherheit (sicherheitstechnische Erfordernisse, keine Gefährdung von Leben und Gesundheit) und Umweltschutz (Oberflächenschutz, Emissionsvermeidung, Abfallvermeidung, keine unzumutbaren Belästigungen). Damit besteht ein starker Bezug zum Anlagenrecht (vgl auch den Beitrag Bergbauanlagenrecht III.B.). § 116 Abs 1 Z 3 stellt auf wirtschaftliche Gesichtspunkte ab. So muss „gewährleistet“ sein, dass der Abbau den „bergwirtschaftlichen [...] Erfordernissen“ (insb Verhinderung eines „Raubbaus“) entspricht. Das Erfordernis des Verfügens über ausreichende finanzielle Mittel (§ 116 Abs 1 Z 2 aF) ist mit der MinroG-Novelle 2001 entfallen und nur mehr für die Verleihung von Bergwerksberechtigungen (§ 25 Abs 1 Z 2; mit Ausnahme selbständiger Überscharen, vgl Rz 61) und das Überlassen von Rechten des Bundes (§ 69 Abs 1) vorgesehen. Für grundeigene mineralische Rohstoffe war die behördliche „Finanzierungsprüfung“ problematisch, da in einer „auf Wettbewerb beruhenden Wirtschaftsordnung“43 die Beurteilung unternehmerischer Aussichten grundsätzlich Sache des Unternehmers ist.44 Öffentliche Interessen wären allenfalls im Hinblick auf die Wiederherstellung der Oberfläche denkbar, wofür nunmehr die Möglichkeit einer Sicherstellung in § 116 Abs 11 vorgesehen ist. Die verbleibenden bergwirtschaftlichen Rücksichten (§ 116 Abs 1 Z 3) sind für die grundeigenen und die in § 3 Abs 1 Z 4 angeführten mineralischen Rohstoffe fragwürdig: Bei bergfreien und bundeseigenen mineralischen Rohstoffen besteht ein Interesse an weitgehender Nutzung der dem Grundeigentum entzogenen Vorkommen; bei im Grundeigentum stehenden mineralischen Rohstoffen ist es jedoch dem Grundeigentümer überlassen, diese Vorkommen zu nutzen oder nicht, und auch „jeden Andern davon auszuschließen“ (§ 354 ABGB). Ein öffentliches Interesse an einem weit gehenden Abbau ist bei Massenrohstoffen fraglich.
d) Genehmigungsverfahren § 116 enthält ferner zentrale verfahrensrechtliche Regelungen. Zunächst werden in Abs 3 die Parteien des Verfahrens bestimmt. Neben dem Genehmigungswerber sind dies die Eigentümer der Grundstücke, „auf deren Oberfläche der Aufschluss und/oder der Abbau erfolgt“. Maßgeblich ist dabei die Erstreckung der Bergbautätigkeit auf der Oberfläche, wozu wohl auch vorbereitende, begleitende und sichernde Tätigkeiten zählen, aber vielleicht auch Tätigkeiten im oberflächennahen Bereich analog zu § 147 (Zustimmung des Grundeigentümers zur Benützung der Oberfläche und des oberflächennahen Bereichs durch den Bergbauberechtigten). Die Benützung der Grundstücke kann auf zivilrechtlicher Grundlage oder bescheidmäßiger Überlassung der Benützung nach § 149 beruhen. Parteistellung haben auch die näher bestimmten Nachbarn. ISd § 116 Abs 3 Z 3 sind das die Personen, die „durch die Genehmigung des Gewinnungsbetriebsplanes“ in bestimmter Weise berührt sind; gemeint sind dabei nicht die 43 44
Vgl zu diesem Topos der Rspr des VfGH etwa Berka, Die Grundrechte, 1999, 426 f mwN. Vgl etwa VfSlg 12.492/1990, wonach es nicht adäquat ist, „wenn die Entscheidung, ob der abendliche Ladenschluss der Nachfragesituation angepasst werden darf - wie derzeit - einem Verwaltungsorgan übertragen wird“; VfSlg 15.103/1998, wonach für eine Regelung, die „dem Schutz des Konzessionswerbers vor unrentablen Investitionen“ dient, „keine öffentlichen Interessen erkennbar“ sind.
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Rechtswirkungen der Genehmigung, sondern die Auswirkungen der auf Grund der Genehmigung ausgeübten Tätigkeiten. Die Parteistellung der Nachbarn ist auf ihre gesetzlich geschützten Interessen beschränkt. Sie erstreckt sich nicht auf die Geltendmachung aller gesetzlichen Genehmigungshindernisse, die Wahrnehmung öffentlicher Interessen obliegt alleine der Behörde.45 Die Anknüpfungspunkte für die Nachbarseigenschaft sind: • Gefährdung; obwohl nicht angegeben wird, worin die Gefährdung bestehen muss, ergibt sich aus § 116 Abs 1 Z 6 dass sie sich auf Leben oder Gesundheit bezieht; bloß vorübergehender Aufenthalt im Wirkungsbereich des Gewinnungsbetriebsplans reicht nicht aus. • Belästigung; darunter fallen verschiedenste nachteilige Einwirkungen auf den Menschen etwa durch Lärm, Staub, Erschütterung usw; bloß vorübergehender Aufenthalt im Wirkungsbereich des Gewinnungsbetriebsplans reicht nicht aus. • Gefährdung des Eigentums oder sonstiger dinglicher Rechte; die Intensität der Beeinträchtigung, die zur Gefährdung führt, ist nicht klar; aus der erkennbaren Anlehnung an das gewerbliche Betriebsanlagenrecht ist aber auch hier wohl von einem Gefährdungsbegriff iSd § 75 Abs 1 GewO auszugehen46, wonach eine bloße Wertminderung nicht hinreicht; die Schwelle liegt daher bei der Vernichtung der Substanz bzw dem „Verlust der Verwertbarkeit..., der bereits dann anzunehmen ist, wenn die nach der Verkehrsauffassung übliche bestimmungsgemäße Sachnutzung oder Verwertung ausgeschlossen ist“47. Eine Gefährdung sonstiger dinglicher Rechte ist anzunehmen, wenn diese überhaupt „neben dem Aufschluss oder Abbau bestehen können“ und „deren bestimmungsgemäße Nutzung auf Dauer unmöglich gemacht würde“48. Maßgeblich ist im Übrigen die dingliche Berechtigung, nicht der Aufenthalt. • Inhaber von Einrichtungen, in denen sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen; gemeint ist dabei der Schutz vor Gefährdung und Belästigung. • Erhalter von Schulen hinsichtlich des Schutzes der Schüler, der Lehrer und der sonst in Schulen ständig beschäftigten Personen, ebenfalls vor Gefährdung und Belästigung. • Standortgemeinde; im Hinblick auf bestimmte Schutzinteressen des § 116 Abs 1, wobei die Gemeinde diesbezüglich ein subjektives Recht geltend machen kann und Rechtsmittel sowie Beschwerde an die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts erheben kann.49 Die Gemeinde kann daneben andere Schutzinteressen nach Maßgabe der jeweiligen Bestimmungen geltend machen (zB Eigentum).50 45 46 47 48 49 50
VwGH 30.6.2004, 2002/04/0027; 18.5.2005, 2004/04/0099. Ähnlich § 116 Abs 6 MinroG, der aber auf „Sachen“ abstellt, die nur in § 116 Abs 1 Z 7 erwähnt werden. VwGH 30.6.2004, 2002/04/0027; 18.5.2005, 2004/04/0099. VwGH 30.6.2004, 2002/04/0027. Vgl eingehend Demmelbauer. Eine Gefährdung von Einnahmen der Gemeinde ist indes keine Gefährdung des Eigentums; VwGH 10.10.2005, AW 2005/04/0029.
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Die Bestimmungen über die Parteistellung gelten für alle Gewinnungsbetriebspläne mit Ausnahme der Fälle des § 116 Abs 4. Bei nachfolgenden Gewinnungsbetriebsplänen „für bergfreie und bundeseigene mineralische Rohstoffe, für die untertägige und für die unter- und obertägige Gewinnung grundeigener mineralischer Rohstoffe, im letzten Fall nur, wenn eine wechselseitige Beeinflussung der unter- und obertägigen Gewinnung gegeben ist“, haben die in Abs 3 angeführten Personen außer dem Genehmigungswerber nur dann Parteistellung, „wenn insb durch eine wesentliche horizontale oder vertikale Ausweitung des Abbaus die Schutzinteressen nach Abs. 1 beeinträchtigt werden“. Dabei kommen aber nur Schutzinteressen in Betracht, die in Abs 3 als rechtliche Interessen der potentiellen Parteien angeführt sind (insb § 116 Abs 1 Z 5-9; uU auch Z 4). Dieser Verweis führt zu einzelnen Unklarheiten. So ist etwa ein Schutzinteresse nach Abs 1 die Vermeidung unzumutbarer Belästigungen, die Parteistellung nach Abs 3 Z 3 wird aber durch jedwede Belästigung vermittelt. Da etwa die Zumutbarkeit erst im Verfahren geklärt werden wird, ist wohl davon auszugehen, dass die Parteistellung davon abhängt, ob durch „neue“ Tätigkeiten nach dem nachfolgenden Gewinnungsbetriebsplan die in Abs 3 „individualisierten“ Schutzinteressen des Abs 1 berührt sind. Weiters sind gegebenenfalls die zur Wahrnehmung berührter öffentlicher Interessen berufenen Verwaltungsbehörden zu hören (§ 116 Abs 5). Da Gewinnungsbetriebspläne idR Arbeitnehmerschutzinteressen berühren werden, ist insoweit auch das Arbeitsinspektorat Partei (§ 12 Abs 1 ArbeitsinspektionsG BGBl 1993/27 idF BGBl 2001 I/159; vgl unten VIII.A.).
§ 116 Abs 7 schreibt eine mündliche Verhandlung an Ort und Stelle zwingend vor, allerdings über die „Anzeige um Genehmigung eines Gewinnungsbetriebsplanes“. Dem Wortlaut nach ist offen, ob dies auch für „aufzustellende“ Betriebspläne iSd § 112 Abs 1 2. Satz gelten soll. Für eine Differenzierung ist jedoch kein Grund ersichtlich, während § 116 grundsätzlich für alle Gewinnungsbetriebspläne gilt; § 116 Abs 4 stellt sogar allein auf die nach § 112 Abs 1 2. Satz „aufzustellenden“ Gewinnungsbetriebspläne ab. Die Wortfolge in Abs 7 ist daher als „Ansuchen um Genehmigung“ zu lesen. e) Weitere Bestimmungen § 116 Abs 9 sieht eine Anzeigepflicht für „länger als sechs Monate dauernde“ Unterbrechungen sowie für die „Wiederaufnahme des Gewinnens“ vor. Voraussetzung ist, dass diese Zeitpunkte im Rahmen der zeitlichen Geltung eines genehmigten Gewinnungsbetriebsplans liegen; andernfalls ist ohnehin eine neuerliche Genehmigung erforderlich. Bei Wiederaufnahme nach einer mehr als fünfjährigen Unterbrechung gilt § 113 Abs 1. § 116 Abs 11 idF der MinroG-Novelle 2001 sieht Sicherstellungen für Maßnahmen zum Schutz der Oberfläche und zur Sicherung der Oberflächennutzung nach Beendigung des Abbaues vor. § 116 Abs 12 sieht ein Weiterbetriebsrecht für den Fall der Aufhebung eines Genehmigungsbescheides durch den VwGH vor, das dem des § 359c GewO nachgebildet ist.
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4. Sonderbestimmungen für Gewinnungsbetriebspläne für das obertägige Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe a) Allgemeine Probleme Die §§ 80-85 (V. Hauptstück) enthalten besondere Bestimmungen für das obertägige Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe.51 Der Gewinnungsbetriebsplan gilt hier als Gewinnungsberechtigung, weswegen einzelne Aspekte des Bergbauberechtigungswesens in die Gewinnungsberechtigung „integriert“ sind. Die Bestimmungen des V. Hauptstücks sind dabei teilweise abweichend, teilweise nur ergänzend zu den allgemeinen Bestimmungen über Gewinnungsbetriebspläne. Soweit das Gesetz zum Verhältnis zu den allgemeinen Bestimmungen schweigt, ist wohl von deren Anwendbarkeit auszugehen; die §§ 112 ff beziehen sich auf alle Betriebspläne, und das V. Hauptstück steht zu diesen als lex specialis. Einzelne Hinweise auf bloße Ergänzungen zu den §§ 112 ff (zB § 81: „... neben den im § 116 Abs. 3 genannten Parteien...“) sind somit nicht unbedingt Voraussetzung für die Anwendbarkeit der allgemeinen Bestimmungen, auch soweit teilweise abweichende Regelungen bestehen. Schließlich ist zu beachten, dass auch Gewinnungsbetriebspläne für das untertägige Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe als Gewinnungsberechtigungen gelten; insoweit werden aber Aspekte des Bergbauberechtigungswesens bei diesen Gewinnungsbetriebsplänen nicht berücksichtigt, was teilweise zu fragwürdigen Differenzierungen zwischen dem ober- und untertägigen Gewinnen führt.
b) Zeitdauer und Ansuchen Für Gewinnungsbetriebspläne nach §§ 80 ff besteht keine strikte zeitliche Begrenzung. Daher bestimmt sich die Geltungsdauer nach dem vom Antragsteller genannten Planungszeitraum bzw einer allfälligen behördlichen Befristung (§ 83 Abs 1). Wurde das Recht zum Gewinnen auf fremden Grundstücken nur zeitlich begrenzt überlassen, so ist die Genehmigung „für die betroffenen Grundstücke nur auf diese Zeitdauer zu erteilen“ (§ 83 Abs 3). Demnach ist auch im Falle einer Verlängerung der Vereinbarung für diese Grundstücke die Genehmigung eines neuen Gewinnungsbetriebsplans zu beantragen. Eine entsprechende Klausel fehlt für das untertägige Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe auf fremden Grundstücken; praktisch wird das Problem dadurch etwas entschärft, dass solche Gewinnungsbetriebspläne idR für fünf Jahre aufzustellen sind (§ 112 Abs 1 2. Satz). c) Aspekte des Bergbauberechtigungswesens Eher das Bergbauberechtigungswesen betreffende Bestimmungen sind die erforderlichen Unterlagen nach § 80 Abs 2 Z 1 (Beschreibung des Vorkommens), Z 4 (Nachweis des Überlassens des Gewinnens auf fremden Grundstücken), Z 6 (fremde Gewinnungsberechtigungen und Speicherbewilligungen) und Z 7 (Firmenbuchauszug, soweit der Antragsteller52 eingetragen ist). Der 51
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Zur wirtschaftlichen Bedeutung und den ökonomischen Auswirkungen des MinroG vgl eingehend Schönbeck/Stoiss, Ökonomische und raumordnungspolitische Untersuchung, in: Funk ua, 95. Das Gesetz spricht an dieser Stelle vom „Anzeigenden“; § 80 Abs 2 sieht nur ein „Ansuchen um Genehmigung“ vor. Grundsätzlich besteht jedoch auch hier die An-
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Z 4 korrespondiert § 83 Abs 3 (Befristung des Gewinnens auf fremden Grundstücken), der Z 6 § 83 Abs 1 Z 3 (Berücksichtigung fremder Berechtigungen als Genehmigungsvoraussetzung). Fehler oder Mängel der Unterlagen führen zur Zurückweisung des Antrags nach § 115 Abs 2. Hier bestehen zwei Probleme: Zunächst sind diese Bestimmungen auf jeden (auch nachfolgenden) Gewinnungsbetriebsplan anzuwenden, während andere Gewinnungsberechtigungen unabhängig von den Betriebsplänen bestehen. Außerdem sind keine entsprechenden Bestimmungen für das untertägige Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe vorgesehen, wofür teilweise kein Grund ersichtlich ist. So ist nach § 116 kein Versagungsgrund erkennbar, der sich auf die fehlende Überlassung des Gewinnens auf fremden Grundstücken beziehen würde. Denkbar wäre allenfalls, die Überlassung als Bedingung der Genehmigung aufzunehmen, was aber mangels eines Bezugs zu den Genehmigungsvoraussetzungen fragwürdig erscheint. Diese Differenzen zwischen dem ober- und untertägigen Gewinnen grundeigener mineralischer Rohstoffe werfen Probleme der sachlichen Rechtfertigung auf.
d) Inhalt des Gewinnungsbetriebsplans Hinsichtlich des Inhalts eines vorzulegenden Gewinnungsbetriebsplans nach § 80 gilt Folgendes: Es sind die Punkte nach § 113 Abs 1 aufzunehmen. Die beizufügenden Unterlagen richten sich allein nach § 80 Abs 2, der insoweit § 113 Abs 2 vorgeht. Neben den oben angeführten Aspekten des Bergbauberechtigungswesens sind die detaillierteren Lagepläne (insb § 80 Abs 2 Z 553), das Verkehrskonzept (Z 10) und die technischen Unterlagen über Emissionen (Z 11) hervorzuheben, worauf bei den Genehmigungsvoraussetzungen zurückzukommen ist. e) Genehmigungsvoraussetzungen Die Genehmigungsvoraussetzungen ergeben sich aus einer Zusammenschau des § 116 Abs 1 und 2 (ausdrücklicher Verweis in § 83 Abs 1), des § 83 sowie den Versagungsgründen des § 82. § 83 wiederholt die Möglichkeit des Festlegens von Auflagen, Bedingungen und Befristungen, die damit für die Voraussetzungen nach § 116 Abs 1 und 2 sowie § 83 gelten; die Versagungsgründe des § 82 können dagegen nicht durch Nebenbestimmungen „entschärft“ werden. Für § 116 Abs 1 und 2 kann auf das oben Gesagte verwiesen werden. Die zusätzlichen drei Genehmigungsvoraussetzungen des § 83 sind: Erstens die Berücksichtigung fremder Gewinnungs- und Speichertätigkeit (§ 83 Abs 1 Z 3). Dies entspricht ähnlichen Erfordernissen bei der Verleihung von Bergbauberechtigungen. Zweitens das Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Genehmigung (§ 83 Abs 1 Z 1). Hier ist von der Behörde eine Interessenabwägung durchzuführen, und zwar für jeden einzelnen Fall, ohne Einschränkung etwa nach der Sensitivität des Standorts. Die maßgeblichen Interessen werden in
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zeigepflicht nach § 113 Abs 1, der ausdrücklich auf § 80 Abs 1 verweist. Es ist davon auszugehen, dass mit dem der Anzeige beigefügten Gewinnungsbetriebsplan auch ein Ansuchen um Genehmigung desselben besteht. Hier besteht ebenfalls ein gewisser Anklang an das Bergbauberechtigungswesen; vgl etwa § 27 Abs 1 Z 7.
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§ 83 Abs 2 näher bestimmt. Problematisch ist dabei das Abstellen auf die (wohl wirtschaftliche54) „Verfügbarkeit“ des betreffenden mineralischen Rohstoffs. Dies läuft auf eine Art Bedarfsprüfung hinaus, wobei im Ergebnis erst ein Bedarf wegen mangelnder Verfügbarkeit ein den Antragsteller stützendes öffentliches Interesse konstituiert - und selbst der bestehende Bedarf ist noch gegen andere öffentliche Interessen abzuwägen. Diese Konstruktion ist selbst bei äußerst antragsfreundlicher Auslegung nicht mit der Erwerbsfreiheit zu vereinbaren.55 Ähnlich problematisch ist die dritte Voraussetzung, die Einhaltung des Verkehrskonzepts (§ 83 Abs 1 Z 2). Demnach muss die Einhaltung „des nach § 80 Abs 2 Z 10 vorgelegten Konzeptes über den Abtransport grundeigener mineralischer Rohstoffe“ sichergestellt sein. Das Konzept muss gemäß § 80 Abs 2 Z 10 „nach von der Standortgemeinde“ und bestimmten allfällig angrenzenden Gemeinden „bekannt gegebenen Verkehrsgrundsätzen (Routenwahl, Transportgewicht, Transportzeiten udgl) ausgearbeitet“ worden sein. Dabei ist schon nicht klar, was unter „Abtransport“ zu verstehen ist; die äußerste räumliche Grenze ist dabei wohl das Gebiet der genannten Gemeinden. Wo aber innerhalb der Gemeindegrenzen ein „Abtransport“ enden kann oder soll, ist völlig unklar.56
Das Gesetz enthält weiters keine Vorgaben für das Verkehrskonzept, sondern verweist insoweit auf die von den Gemeinden „bekannt gegebenen Verkehrsgrundsätze“. Es gibt aber keine rechtssatzförmige, gesetzlich determinierte gemeindliche Verkehrsplanung.57 Die „Verkehrsgrundsätze“ können daher nur im Einzelfall (dem Genehmigungswerber) bekannt gegeben werden, und was bekannt gegeben wird, kann mangels Determinierung von Fall zu Fall beliebig variieren. Dennoch entspricht ein Verkehrskonzept, das entgegen den Grundsätzen ausgearbeitet worden ist (oder sogar im Fall der Nichtbekanntgabe ohne Bezug auf solche Grundsätze ausgearbeitet worden ist) nicht dem § 83 Abs 1 Z 2, da es nicht „nach § 80 Abs 2 Z 10“ vorgelegt ist. Es handelt sich bei dieser Genehmigungsvoraussetzung um eine Art formalgesetzlicher Delegation ins rechtliche Nichts, die dem Legalitätsprinzip des Art 18 B-VG widerspricht.58 Eine Auslegung, die Angaben der Gemeinde lediglich als Orientierungspunkte auffasst,59 und die Entscheidung über Fragen des Abtransports letztlich der Behörde überantwortet (insb wenn die Gemeinde keine Angaben macht), wäre zwar möglicherweise verfassungskonform, würde aber nicht mehr dem Wortlaut des Gesetzes entsprechen. Außerdem wäre auch eine solche behördliche Entscheidung über ein Verkehrskonzept gesetzlich kaum determiniert.
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Vgl Mihatsch, Anm 7 zu § 83. Unklar ist auch, ob die „Verfügbarkeit“ regional, national oder etwa EU- bzw EWR-weit zu beurteilen ist. AA Funk/Fänerich (FN 4) 78 f, die vom (wohl gänzlichen) Fehlen einer Bedarfsbindung ausgehen. Zu möglichen Auslegungshypothesen vgl Donninger. Vgl dazu Weiß, 13 f. Donninger, 392 f bezeichnet die Verkehrsgrundsätze als von der Gemeinde „vorgebbar“; die Antwort auf die Fragen nach der Rechtsform und den rechtlichen Determinanten für dieses „Vorgeben“ muss aber auch Donninger schuldig bleiben. Noch weiter abschwächend wohl Funk/Fänerich (FN 4) 50, wonach die Gemeinde lediglich eine „Stellungnahme“ als „Beteiligte“ abgeben soll; ähnlich wohl auch Mihatsch, Anm 6 f zu § 80.
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Schließlich enthält § 82 Versagungsgründe, die auf die Raumordnung abstellen.60 Auf Grundstücken der in § 82 Abs 1 Z 1-4 angeführten Widmungen sowie auf Grundstücken in einer Entfernung bis zu 300 Metern von den in Z 1-361 genannten Gebieten darf kein Gewinnungsbetriebsplan genehmigt werden. § 82 Abs 2 und 3 enthalten Ausnahmen von diesem Grundsatz, die sich auf Widmungen als Abbaugebiete, Zustimmung der Standort Gemeinde bzw „besondere örtliche Gegebenheiten“ mit Ausnahme des „Festgesteinsabbaus mit regelmäßiger Sprengarbeit“ beziehen (Abs 2), bzw Erleichterungen für bestehende Abbaue vorsehen (Abs 3). Für beide Ausnahmebestimmungen gilt aber, dass jedenfalls ein Mindestabstand von 100 Metern zu den Gebieten gemäß § 82 Abs 1 Z 1-3 einzuhalten ist (§ 82 Abs 4; vgl ferner die Übergangsbestimmung des § 197 Abs 6).62 Eine weitere Genehmigungsvoraussetzung enthält § 212. Ein Gewinnungsbetriebsplan für das obertägige Gewinnen von grundeigenen mineralischen Rohstoffen darf nicht genehmigt werden, wenn am 1.1.1999 „die Gewinnung derartiger Vorkommen auf Grundstücken, auf die sich der Gewinnungsbetriebsplan bezieht, auf Grund überörtlicher Raumordnungsvorschriften der Länder verboten war“; dies gilt jedoch nicht, wenn sie nach dem 1.1.1999 „durch Änderung überörtlicher Raumordnungsvorschriften zulässig wird“. Damit wird die Beachtung überörtlicher Raumordnungsvorschriften der Länder in ähnlicher Weise zur Genehmigungsvoraussetzung wie die Beachtung solcher Vorschriften der Gemeinden nach § 82; die Gestaltung als Übergangsbestimmung führt jedoch dazu, dass nach dem 1.1.1999 neu eingeführte Verbote der Länder aus Sicht des MinroG irrelevant sind.63
f) Genehmigungsverfahren Das Genehmigungsverfahren richtet sich nach § 116; § 81 sieht lediglich eine erweiterte Parteistellung vor. Parteistellung haben demnach zusätzlich das Land, in dessen Gebiet die Grundstücke liegen, auf die sich der Gewinnungsbetriebsplan bezieht, sowie neben der Standortgemeinde „die unmittelbar angrenzenden Gemeinden“. „Unmittelbar angrenzend“ bezieht sich dabei auf das Aufschluss- und Abbaugebiet, nicht auf die Standortgemeinde;64 ausschlaggebend für „Unmittelbarkeit“ ist wohl, dass sich der einzuhaltende 300-MeterUmkreis um das Aufschluss- und Abbaugebiet auf das Gemeindegebiet erstreckt, da die Gemeinden ua die Interessen nach § 82 als subjektive Rechte geltend machen können. Die Parteistellung der Nachbarn wird nicht erweitert, sie können daher kein Vorbringen auf die Raumordnung stützen.65
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Nach VfSlg 16.125/2001 handelt es sich dabei um eine zulässige Berücksichtigung landesrechtlicher Regelungen; vgl auch VwGH 26.6.2002, 2001/04/0226. Zur raumordnungspolitischen Problematik allgemein Schönbeck/Stoiss (FN 51) 135 ff. Z 4 stellt auf weiträumige Naturschutzgebiete udgl ab, weswegen der Gesetzgeber offenbar davon ausging, dass hier keine weiter reichende Ausschlusszone erforderlich ist. Zu gleichheitsrechtlichen Problemen der Abbauverbotszonenregelung vgl Funk/ Fänerich (FN 4) 74 f; der VfGH teilte derartige Bedenken jedoch nicht (VfGH 10.3.2001, B 1651/99). Teilweise aA wohl Mayer, Kompetenzgrundlage. Vgl die Formulierung in § 80 Abs 2 Z 10; ferner Mihatsch, Anm 6 zu § 81. VwGH 26.6.2002, 2001/04/0226.
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Das Land kann das „Interesse der überörtlichen Raumordnung“, die Gemeinden weiters die Interessen nach § 116 Abs 1 Z 4 bis 9, sowie die nach § 83 als subjektive Rechte geltend machen; in Betracht kommen dabei aber wohl nur § 83 Abs 1 Z 1 und 2, während Z 3 die Gewinnungs- und Speichertätigkeit anderer schützt, die nach § 81 Z 3 ohnehin Parteistellung haben.
5. Abschlussbetriebspläne a) Anwendungsbereich Abschlussbetriebspläne beziehen sich gemäß § 112 Abs 2 auf die „Einstellung der Gewinnung in einem Bergbau oder auf die Einstellung der Tätigkeit eines Bergbaubetriebes, einer selbständigen Betriebsabteilung oder eines größeren Teiles davon“. Gemäß § 114 Abs 1 ist in diesen Fällen ein Abschlussbetriebsplan aufzustellen. Die Einstellung „der Gewinnung in einem Bergbau“ wird bei der Einstellung jedweder dem MinroG unterliegenden Gewinnungstätigkeit (nicht Aufsuchungs- oder Speichertätigkeit) vorliegen, und zwar unabhängig von der Art des mineralischen Rohstoffs und der Größe des Bergbaus. Nach § 79 bzw § 95 ist für das Einstellen des Gewinnens oder Speicherns in Gewinnungsfeldern bzw des Speicherns in Speicherfeldern ein Abschlussbetriebsplan erforderlich. Die Einstellung „der Tätigkeit eines Bergbaubetriebes, einer selbständigen Betriebsabteilung oder eines größeren Teiles davon“ ist schwieriger zu bestimmen. Erkennbare Absicht ist es, auch bestimmte größere bzw selbständige Bereiche eines Bergbaus zu erfassen. Ein maßgebliches Kriterium wird sein, ob dieser Bereich durch Entfernung oder räumliche Abschottung keiner bergbautechnischen Sicherung mehr im Zuge weiter betriebener Tätigkeiten unterliegt. Der Begriff des „Bergbaubetriebs“ ist in § 1 Z 24 definiert als „jede selbständige organisatorische Einheit, innerhalb der ein Bergbauberechtigter unter Zuhilfenahme von technischen und immateriellen Mitteln bergbauliche Aufgaben fortgesetzt verfolgt“. Unklar ist jedoch, ob „Tätigkeit“ iSd § 112 Abs 2 und § 114 Abs 1 sich nur auf Gewinnungstätigkeit bezieht, oder auch Aufsuchungs- oder Aufbereitungstätigkeiten umfassen soll. Bei regulierten Aufsuchungstätigkeiten66 ist ein Arbeitsprogramm zu erstellen und genehmigen zu lassen, das Sicherheitsmaßnahmen für die Beendigung der Tätigkeit enthält; außerdem sehen §§ 54 und 58 für die Auflassung von Bergwerksberechtigungen Abschlussbetriebspläne ausdrücklich vor, jedoch besteht keine vergleichbare Regelung für Schurfberechtigungen. Die Wahl des Wortes „Tätigkeit“ im Gegensatz zu „Gewinnung“ iVm mit der Nennung aller Bergbauberechtigten in der Begriffsbestimmung des Bergbaubetriebs spricht aber doch dafür, andere Tätigkeiten neben dem Gewinnen unter „Tätigkeit“ zu subsumieren. Auch für deren Einstellung ist daher ein Abschlussbetriebsplan aufzustellen, wenn es sich um die Tätigkeit „eines Bergbaubetriebes, einer selbständigen Betriebsabteilung oder 66
Das Aufsuchen grundeigener mineralischer Rohstoffe ist dereguliert, der Aufsuchende ist aber nicht Bergbauberechtigter und daher von vornherein nicht vom Begriff des „Bergbaubetriebs“ erfasst. Daher lässt sich für diese Frage auch aus § 85 nichts gewinnen, der die Geltung der §§ 112, 114, 115 und 117 für „die Einstellung der Gewinnung auf den Grundstücken nach § 80 Abs 2 Z 2“ anordnet.
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eines größeren Teiles davon“ handelt. Unter denselben Voraussetzungen sind wohl auch Aufbereitungstätigkeiten erfasst; da diese praktisch ausschließlich in Bergbauanlagen erfolgen werden, kommt hier subsidiär § 119 Abs 14 (Anzeige anlässlich der „Auflassung“ von Bergbauanlagen außerhalb von Abschlussbetriebsplänen) zur Anwendung. b) „Einstellung“ Abschlussbetriebspläne erfassen auch vorübergehende Einstellungen,67 wobei die Abgrenzung von einer bloßen Unterbrechung Schwierigkeiten bereiten wird. Dabei wird zunächst die subjektive Absicht des Bergbautreibenden maßgeblich sein, ob an eine Wiederaufnahme überhaupt gedacht ist. Ist dies der Fall, so ist die Dauer zu bestimmen, ab der eine Unterbrechung als (wenn auch vorübergehende) Einstellung zu qualifizieren ist. Einen wichtigen Anhaltspunkt für die Obergrenze dieses Zeitraums liefern dabei §§ 112 Abs 1 2. Satz und 113 Abs 1. Demnach sind Gewinnungsbetriebspläne für bergfreie und bundeseigene mineralische Rohstoffe sowie für das untertägige Gewinnen von grundeigenen mineralischen Rohstoffen für eine Dauer von idR fünf Jahren aufzustellen, während eine Wiederaufnahme des obertägigen Gewinnens grundeigener mineralischer Rohstoffe nach mehr als fünfjähriger Unterbrechung eines neuen Gewinnungsbetriebsplans bedarf. Diese Angaben indizieren die Obergrenze der Zeiträume, die nach dem Gesetz durch Gewinnungsbetriebspläne ungeachtet der Nichtausübung der Tätigkeit gedeckt sein können. Eine Untergrenze kann aus § 45 über die Betriebspflicht in Grubenmaßen abgeleitet werden, wonach eine bis zu acht Monaten dauernde Unterbrechung bei bergfreien mineralischen Rohstoffen wohl nicht als Einstellung zu werten ist;68 dieser Gedanke kann zumindest auf die Tätigkeiten iSd § 112 Abs 1 2. Satz übertragen werden.
Innerhalb dieser zeitlichen Eckpunkte obliegt es der Behörde, über das Vorliegen einer Einstellung zu entscheiden. Dabei wird insb der Zweck der Abschlussbetriebspläne zu berücksichtigen sein, Gefahren vorzubeugen, die von inaktiven Bergbauen herrühren. Ein „Abschluss“ wird erforderlich sein, wenn die Risiken für die Dauer der vorübergehenden Einstellung ohne Abschlussbetriebsplan unbeherrschbar erscheinen. Ist das Ob bzw Wann einer Wiederaufnahme so ungewiss, dass eine gänzliche oder vorübergehende Einstellung iSd eben genannten Kriterien möglich ist, wird auf Grund dieses Zwecks ebenfalls von der Notwendigkeit eines Abschlussbetriebsplans auszugehen sein.69 c) Inhalt § 114 Abs 1 enthält eine demonstrative Aufzählung des Inhalts eines Abschlussbetriebsplans. Hervorgehoben seien neben der Darstellung der in Aussicht genommenen Arbeiten die Maßnahmen zum Schutz und zur Wiedernutzbarmachung der Oberfläche. Hier kann eine gewisse Überschneidung70 mit den
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EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 103. EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 103 und dem folgend Mihatsch, Anm 2 zu § 114. Dies ist nur als Anhaltspunkt zu betrachten, umso mehr als für § 114 unterliegende Tätigkeiten nicht immer Betriebspflicht besteht. EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 103. Insb § 113 Abs 1 Z 5: „...Maßnahmen zum Schutz der Oberfläche und zur Sicherung der Oberflächennutzung nach Beendigung des Abbaus...“. Allerdings muss nicht jede Beendigung eines Abbaus eine „Einstellung“ iSd §§ 112 Abs 2 und 114 Abs 1
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entsprechenden Maßnahmen nach einem Gewinnungsbetriebsplan (bzw Arbeitsprogramm) bestehen. Ist ein Gewinnungsbetriebsplan noch aufrecht, so wird der Abschlussbetriebsplan vorgehen. Bezieht sich der Abschlussbetriebsplan auf Bergbautätigkeiten hinsichtlich bergfreier mineralischer Rohstoffe so ist auch eine Bergbauchronik beizufügen. Unvollständige oder mangelhafte Genehmigungsansuchen für Abschlussbetriebspläne sind nach erfolgloser Setzung einer Verbesserungsfrist zurückzuweisen (§ 115 Abs 2). d) Genehmigungsvoraussetzungen und Genehmigungsverfahren Gemäß § 114 Abs 3 bedürfen Abschlussbetriebspläne „hinsichtlich der vorgesehenen Arbeiten und beabsichtigten Maßnahmen der Genehmigung der Behörde“. Die Genehmigungsvoraussetzungen und das Verfahren werden aber nur durch einen Verweis in § 117 Abs 1 geregelt, wonach „die §§ 58, 59 und 62 bis 65 sinngemäß“ gelten. Diese verwiesenen Bestimmungen sind aber zum Teil durch Besonderheiten der Bergwerksberechtigungen geprägt, wie etwa die Bestimmungen über die Bergbuchgerichte.71 Als Genehmigungsvoraussetzungen lassen sich Folgende herauslesen (§ 58 Abs 1 2. Satz): Der Abschlussbetriebsplan ist „erforderlichenfalls unter Festsetzung von Bedingungen, Auflagen und Fristen, zu genehmigen, wenn die zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Personen, ferner zum Schutz von fremden nicht zur Benützung überlassenen Sachen, der Umwelt, von Lagerstätten, der Oberfläche und zur Sicherung der Oberflächennutzung nach Beendigung der Bergbautätigkeit (§ 159) vorgesehenen Maßnahmen als ausreichend anzusehen sind.“ Zu Bedingungen, Auflagen und Fristen kann auf das oben (IV.F.3.c) zu Gewinnungsbetriebsplänen Gesagte verwiesen werden. Die Wendung „als ausreichend anzusehen“ erlaubt einen weiten Auslegungsspielraum; an den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Personen sind dabei die strengsten Anforderungen zu stellen. Eine gewisse Anleitung geben dabei die differenzierteren Genehmigungsvoraussetzungen für Gewinnungsbetriebspläne, wonach keine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit zu erwarten sein darf, die Beeinträchtigung der Umwelt jedoch nur nicht über ein zumutbares Maß hinausgehen darf (§ 116 Abs 1 Z 6 und 7). Für die Parteistellung gilt wohl § 58 Abs 2 sinngemäß. Demnach sind Parteien neben dem Bergbauberechtigten in erster Linie verschiedene betroffene Grundeigentümer. Die sinngemäße Geltung für sämtliche Abschlussbetriebspläne ist nicht eindeutig zu bestimmen, da § 58 Abs 2 auf das Verfahren zur Auflassung einer Bergwerksberechtigung (mit oder ohne Abschlussbetriebsplan) abstellt. Die Bestimmung nennt jedenfalls „die Eigentümer der Grundstücke, auf denen das von der Auflassung der Bergwerksberechtigung betroffene Grubenmaß oder die betroffene Überschar gelegen ist, die Eigentümer der Grundstücke, auf denen sich Bergbauanlagen befinden, ferner die Eigentümer
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bedeuten, so etwa bei der räumlichen Verschiebung nachfolgender Gewinnungsbetriebspläne im Rahmen eines Bergbaubetriebs, einer selbständigen Abteilung usw. Dies gilt insb für § 62, der wegen seines engen Bezugs zum Berechtigungswesen auch für die in § 3 Abs 1 Z 4 angeführten mineralischen Rohstoffe nicht anwendbar ist (§ 67a).
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der Grundstücke im Bergbaugebiet“. Dies ist in sinngemäßer Anwendung so zu verstehen, dass jedenfalls erfasst sind die Eigentümer der von der Einstellung betroffenen Grundstücke bei grundeigenen mineralischen Rohstoffen, bzw die Eigentümer der im Bereich von Gewinnungsfeldern gelegenen Grundstücke soweit Tätigkeiten nach § 68 betroffen sind. Soweit es um Eigentümer der Grundstücke, auf denen sich Bergbauanlagen befinden, sowie Eigentümer der Grundstücke im Bergbaugebiet geht, ist eine unmittelbare Anwendung möglich. Parteien sind nach § 58 Abs 2 weiters „die Inhaber von sich auf dieses [Bergbaugebiet] ganz oder teilweise beziehenden Gewinnungsberechtigungen oder Speicherbewilligungen.“ Es ist unklar, ob sich dies vorrangig auf den Aspekt des Bergbauberechtigungswesens oder auf die Abschlussbetriebspläne bezieht, die beide in § 58 Abs 1 verbunden sind. Im Zweifel wird die Parteistellung der Inhaber von Gewinnungsberechtigungen oder Speicherbewilligungen im Bergbaugebiet zu bejahen sein, da auch diese ein Interesse an ordnungsgemäßen Abschlussbetriebsplänen haben können, zB soweit es um den Schutz von Lagerstätten geht.
§ 58 Abs 3 normiert bestimmte Anhörungsrechte, die ebenfalls zu beachten sind. Da Abschlussbetriebspläne wegen der Genehmigung der durchzuführenden Arbeiten idR Arbeitnehmerschutzinteressen berühren werden, ist insoweit auch das Arbeitsinspektorat Partei (§ 12 Abs 1 ArbeitsinspektionsG BGBl 1993/27 idF BGBl 2001 I/159; vgl unten VIII.A.). Wesentliche Änderungen und Ergänzungen des Abschlussbetriebsplans bedürfen der Genehmigung der Behörde (§ 58 Abs 4 und § 115 Abs 3). Die Beendigung der Abschlussarbeiten ist der Behörde anzuzeigen (§ 59 Abs 1). Zu beachten sind auch die Bestimmungen über die Aufbewahrung bzw Aushändigung von Karten- und Unterlagenmaterial (§ 59 und § 117 Abs 2). § 117 Abs 1 verweist auch ausdrücklich auf die Bestimmungen über die „Sicherstellung“. Deren Leistung kann von der Behörde vorgeschrieben werden, wenn eine regelmäßige Kontrolle des Bergbaugeländes und der Ersatz von allenfalls auftretenden Bergschäden nicht als gesichert gelten kann.
V. Tätigkeiten, für deren „bergbautechnische Aspekte“ das MinroG gilt Gemäß § 2 Abs 2-4 gelten zahlreiche Bestimmungen des MinroG sinngemäß auch „für die bergbautechnischen Aspekte“ • des Suchens und Erforschens von Vorkommen geothermischer Energie sowie des Gewinnens dieser Energie soweit hiezu Stollen, Schächte oder mehr als 300 m tiefe Bohrlöcher hergestellt oder benützt werden (Z 1); • des Untersuchens des Untergrundes auf Eignung zum Lagern von Materialien in unterirdischen Hohlräumen, bei deren Herstellung und Benützung (Z 2); • des Suchens und Erforschens von geologischen Strukturen, die sich zur Aufnahme von einzubringenden Stoffen eignen, sowie des Einbringens und Lagern der Stoffe in diesen (zB für die Abfallverbringung; Z 3 und 4); • der Benützung von Grubenbauen eines stillgelegten Bergwerks zu anderen Zwecken als dem Gewinnen mineralischer Rohstoffe (zB Schaubergwerke; Z 5).
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•
Leitgedanke der Auswahl der geltenden Bestimmungen des MinroG für diese Tätigkeiten dürfte sein, dass die Bestimmungen über das Bergbauberechtigungswesen nicht anzuwenden sind. Berechtigungen richten sich nach anderen einschlägigen Gesetzen, insb der GewO. Für die in Z 1-4 genannten Tätigkeiten gelten die §§ 86-88, 97-151, 159-187e und 193 sowie bestimmte Bergpolizeiverordnungen. Für die in Z 5 genannte Tätigkeit gelten die §§ 97-151, 159-187e und 193 sowie bestimmte Bergpolizeiverordnungen. Behörde dürfte insoweit der BMWA nach § 170 sein; die Geltung des § 171 für diese Tätigkeiten kann wohl nicht so verstanden werden, dass auch hier (teilweise?) „sinngemäß“ mittelbare Bundesverwaltung vorliegen soll. Die Rechtsfolgen der Geltung dieser Bestimmungen lassen sich dort relativ einfach eruieren, wo allgemeine Verpflichtungen des Bergbauberechtigten bestehen (zB § 97), da nach § 2 Abs 4 die Ausübenden von Tätigkeiten nach § 2 Abs 2 einem Bergbauberechtigten gleichgestellt sind. Wo jedoch spezifische Tätigkeiten Gegenstand der „sinngemäß geltenden“ Bestimmungen des MinroG sind, ist der normative Gehalt unklar; daran hat auch die MinroGNovelle 2001 nichts geändert. Dies soll an einigen Beispielen verdeutlicht werden: Nach § 86 Abs 1 bedarf das „Suchen und Erforschen nichtkohlenwasserstoffführender geologischer Strukturen, die zum Speichern von flüssigen oder gasförmigen Kohlenwasserstoffen verwendet werden sollen“, einer Bewilligung der Behörde. Geht man davon aus, dass diese Bestimmung für Tätigkeiten nach § 2 Abs 2 „gilt“, so fehlt ihr jedweder Anwendungsbereich, da diese Tätigkeiten gerade nicht im Suchen und Erforschen nichtkohlenwasserstoffführender geologischer Strukturen zum Zweck des Speicherns von Kohlenwasserstoffen bestehen. Will man den Anwendungsbereich von § 86 Abs 1 1. Satz durch „sinngemäße“ Geltung ausdehnen, so sind hiefür mögliche Auslegungshypothesen, dass jedwede Tätigkeit des § 2 Abs 2 einer Bewilligung bedarf, jede Aufsuchungstätigkeit (Suchen bzw Erforschen) bzgl gelogischer Strukturen im Rahmen des § 2 Abs 2 einer Bewilligung bedarf, oder jedes Aufsuchen von nichtkohlenwasserstoffführenden Strukturen im Rahmen des § 2 Abs 2 einer Bewilligung bedarf. Dabei ist angesichts der Unbestimmtheit der Geltungsanordnung in § 2 Abs 3 der engsten (letzten) Auslegungsvariante der Vorzug zu geben. Nach § 118 ist unter einer Bergbauanlage „jedes für sich bestehende, örtlich gebundene und künstlich geschaffene Objekt zu verstehen, das den im § 2 Abs 1 angeführten Tätigkeiten zu dienen bestimmt ist“. Soll das Bergbauanlagenrecht demnach für Objekte gelten, die Tätigkeiten nach § 2 Abs 2 zu dienen bestimmt sind? Damit wird aber die Frage aufgeworfen, was für die Anwendbarkeit anderer „Anlagenrechte“ gelten soll. Oder soll das Bergbauanlagenrecht für Anlagen gelten, die im Rahmen von Tätigkeiten nach § 2 Abs 2 zu eigentlichen Bergbauzwecken verwendet werden sollen (zB eine Abbauanlage in einem Schaubergwerk72)? Auch hier ist wohl der engeren Auslegungsvariante zu folgen. 72
Wobei hier zusätzlich unklar ist, ob diesfalls nicht ein Bergbaubetrieb mit Fremdenbefahrungen vorliegt; vgl § 189.
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Ähnliche Probleme stellen sich für Betriebspläne. Was ist bei Tätigkeiten nach § 2 Abs 2 „Aufschluss und Abbau“? Man könnte wiederum an eine geringfügige Abbautätigkeit in einem Schaubergwerk denken, oder bedarf etwa auch das Gewinnen geothermischer Energie eines Gewinnungsbetriebsplans? Ist für das Verbringen zB von Abfällen ein Gewinnungsbetriebsplan erforderlich, nachdem sich Gewinnungsbetriebspläne gemäß § 112 Abs 1 auch auf das Speichern beziehen? Man könnte dies bejahen, da die Gewinnungsbetriebspläne vorrangig auf bergbautechnische Aspekte abstellen. Außerdem kann eine Anpassung der Form der Anträge und Genehmigungsvoraussetzungen an die Besonderheiten der Tätigkeiten nach § 2 Abs 2 Schwierigkeiten bereiten. § 3 Abs 2 SchaubergwerkeVO beruht auf einer weiten Interpretation des Verweises auf Betriebspläne. Demnach hat der „Schaubergwerks-Betriebsplan“ nach § 2 Abs 3 iVm § 113 MinroG die in der Anlage zur SchaubergwerkeVO vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen zu beinhalten; er bezieht sich nicht auf „Aufschluss und Abbau“, sondern auf die Tätigkeiten eines Schaubergwerks schlechthin. Auch die Begrenzung auf bergbautechnische Aspekte ist zweifelhaft: Ob die Vorsorge gegen bei Besuchern auftretende Klaustrophobie (Z 9 der Anlage) zu den „bergbautechnischen Aspekten“ zählt, darf bezweifelt werden.
§§ 39 ff VO über verantwortliche Personen im Bergbau sehen die Bestellung verantwortlicher Personen für Tätigkeiten vor, die nur hinsichtlich der bergbautechnischen Aspekte den bergrechtlichen Vorschriften unterliegen. Da sowohl die Bestimmungen des MinroG über verantwortliche Personen als auch die des § 181 Abs 1 2. Satz (Verordnungsermächtigung über die Durchführung bestimmter gefährlicher oder besondere Fachkenntnisse erfordernder Arbeiten) anwendbar sind, ist dies grundsätzlich gesetzlich gedeckt. Allerdings kann auch § 39 Abs 1 der genannten Verordnung die Anwendung auf Tätigkeiten nach § 2 Abs 2-4 nicht näher bestimmen und begnügt sich mit einem offenen Erforderlichkeitskriterium. Schließlich sei noch § 193 Abs 9 erwähnt. Demnach kann die Behörde eine Bergbauberechtigung entziehen, wenn „der Bergbauberechtigte oder einer seiner Bevollmächtigten bereits wiederholt von der Behörde bestraft worden“ sind. Auf Grund der Gleichstellung mit Bergbauberechtigten in § 2 Abs 4 könnte dies auch auf diejenigen zutreffen, die Tätigkeiten nach § 2 Abs 2 ausüben. Allerdings erscheint es eigenartig, wenn die Bergbaubehörde etwa Gewerbeberechtigungen widerrufen würde; auszuschließen ist aber selbst diese Auslegungsvariante nicht, da es sich beim Entzug einer Berechtigung wegen wiederholter Bestrafung wegen Verstößen gegen bergbautechnische Vorschriften vertretbarer Weise um „bergbautechnische Aspekte“ handeln kann. Die Anordnung der sinngemäßen Geltung zahlreicher, in ihrem sachlichen Anwendungsbereich und ihrem Inhalt völlig unterschiedlicher Bestimmungen auf bergbautechnische Aspekte der Tätigkeiten nach § 2 Abs 2 kann je nach verwiesener Bestimmung zu großen Auslegungsproblemen führen, die fallweise jene Grenze überschreiten, ab der die Interpretation zum Ratespiel verkommt. Neben dem Legalitätsprinzip (Art 18 B-VG) wäre auch die sachliche Rechtfertigung der Ausdehnung der Geltung einzelner Bestimmungen zu hinterfragen, immer vorausgesetzt, ihre Verhaltensanordnungen lassen sich soweit bestimmen, dass eine solche Prüfung möglich ist.
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VI. Weitere Bestimmungen über die Ausübung der Bergbauberechtigungen mit Ausnahme des Bergbauanlagenrechts Das MinroG fasst umfangreiche Regelungskomplexe im VII. Hauptstück unter „Ausübung der Bergbauberechtigungen“73 zusammen. Aus diesem Hauptstück wurden die Gewinnungs- und Abschlussbetriebspläne bereits behandelt; das Bergbauanlagenrecht wird in einem eigenen Beitrag im anlagenrechtlichen Teil dieses Handbuchs dargestellt. Die eigentlichen Ausübungsbestimmungen dieses Hauptstücks sollen an dieser Stelle skizziert werden, weiters werden hier wegen des engen Zusammenhangs auch die Strafbestimmungen und die Regelungen für Bergschäden behandelt. Die Bergbausicherheit stellt sich als Leitfaden insb der Betriebspläne und deren Genehmigungsvoraussetzungen dar, findet aber auch in besonderen Bestimmungen Niederschlag (neben der allgemeinen Sicherungspflicht nach § 109 insb in weiteren bergpolizeilichen Vorschriften). Im Folgenden sind auch einige nicht an anderer Stelle behandelte, der Gefahrenabwehr dienende Vorschriften außerhalb des MinroG darzustellen. Teilweise stellen die einzelnen Vorschriften auf bestimmte Tätigkeiten ab, nicht auf die „Ausübung von Bergbauberechtigungen“. Ob im Übrigen Bestimmungen des VII. Hauptstücks auf die nicht von Bergbauberechtigungen erfassten Tätigkeiten (vgl oben II.D.5.) anzuwenden sind, lässt sich wohl nicht einheitlich beantworten. Soweit Tätigkeiten, für die eine Bergbauberechtigung erforderlich ist, unbefugt ausgeübt werden, ist die Anwendbarkeit jedenfalls der Sicherheitsbestimmungen des VII. Hauptstücks zu bejahen.
A. Allgemeine Bestimmungen § 98 sieht Verfahren zur „Feststellung von Begrenzungen und deren Ersichtlichmachung in der Natur“ vor, wenn die räumliche Begrenzung von Bergbautätigkeiten unsicher ist. Diese Verfahren können sowohl von Amts wegen als auch auf Antrag des Bergbauberechtigten eingeleitet werden. Dabei ordnet die Behörde entsprechende Feststellungen bzw Ersichtlichmachungen (bergbauliches Vermessungswesen) an. Bei „Streitigkeiten über Begrenzungen“ entscheidet die Behörde (§ 98 Abs 5); da nach § 98 Abs 4 die berührten Gewinnungs- und Speicherberechtigten „beizuziehen“ sind, ist wohl von deren Parteistellung auszugehen, zumindest soweit sie durch Einwendungen „Streitigkeiten“ hervorrufen. Die Rolle der ebenfalls beizuziehenden betroffenen Grundeigentümer im Falle der Kenntlichmachung ist unklar; nach den Mat soll über das Anbringen der Grenzzeichen „Einvernehmen“ mit den Grundeigentümern herzustellen sein,74 dies kommt jedoch im Gesetzestext nicht zum Ausdruck. Eine Entscheidung über Streitigkeiten betreffend die Kenntlichmachung ist nicht ausdrücklich vorgesehen. Aus der Beiziehung der Grundeigentümer 73
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Zum Problem, dass nicht alle Tätigkeiten iSd § 2 von Bergbauberechtigungen erfasst sind, und zum Problem der unbefugten Ausübung von Bergbautätigkeiten vgl II.D.5., III.C.2. und VI.5. EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 96, die dies mit den Nutzungsrechten der Grundeigentümer begründen. Die Ersichtlichmachung hat die Behörde jedoch nach § 98 Abs 1 „anzuordnen“.
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lässt sich allenfalls schließen, dass sie ihre Interessen an einer möglichst schonenden Kenntlichmachung als Partei geltend machen können. Die §§ 99-101 berufen die Behörde (zur Zuständigkeitsverteilung § 100 Abs 2) zur Entscheidung über gegenseitige Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Bergbauberechtigungen, nämlich zwischen Aufsuchungsberechtigten (§ 99), zwischen Gewinnungsberechtigten (§ 100), zwischen Speicherberechtigten und Gewinnungsberechtigten (§ 101) und zwischen Speicherberechtigten (§ 101). Für einen etwaigen Konflikt zwischen Aufsuchungs- und Gewinnungsberechtigten ist keine Entscheidung vorgesehen.75 Die Entscheidung der Behörde ist nur in äußerst allgemein gehaltenen Worten determiniert („Bedachtnahme auf [...] Notwendigkeit und Dringlichkeit“; „möglichste Schonung aller Gewinnungsrechte“).
B. Aneignungsrechte In den §§ 102-105 werden diverse Aneignungsrechte an mineralischen Rohstoffen behandelt, die nicht von der eigentlichen Bergbauberechtigung erfasst sind. Ein ähnliches Recht ist jenes auf die Nutzung von Grubenwässern unter Tage (§ 106). Die (beschränkten) Aneignungsrechte knüpfen jeweils an eine bestimmte Berechtigung an und beziehen sich auf bestimmte Kategorien mineralischer Rohstoffe. Speichertätigkeiten bzw Tätigkeiten des Aufsuchens von Speichern sind nicht erfasst; dafür besteht für den Bereich der Schurfberechtigten die Sonderbestimmung des § 21. Auf die Kasuistik dieser Regelungen kann hier nicht näher eingegangen werden.
C. Weitere Befugnisse und Pflichten des Bergbauberechtigten, insbesondere Sicherungspflichten § 107 zählt bestimmte Nebenrechte des Bergbauberechtigten auf, nämlich das Aufbereiten mineralischer Rohstoffe (iSd § 1 Z 3), die Herstellung usw von Bergbauanlagen und Bergbauzubehör für eigene Bergbauzwecke, die Abgabe von Lebensmitteln an Arbeitnehmer zum Selbstkostenpreis, die Benützung von Grubenbauen zu anderen Zwecken als dem Gewinnen mineralischer Rohstoffe, und „Stoffe unter Benützung von Bergbauanlagen in geologische Strukturen einzubringen und in diesen zu lagern“.76 Weitere Verarbeitungstätigkeiten, zu denen der Bergbauberechtigte nach § 132 BergG 1975 befugt war, fallen nur teilweise unter den erweiterten Aufbereitungsbegriff des MinroG; im Übrigen unterliegen diese nunmehr idR der GewO. Neben der Anzeigepflicht über Errichtung und Auflösung eines Bergbaubetriebs oder einer selbständigen Betriebsabteilung (§ 108) sieht § 109 „Sicherungspflichten“ vor, die zahlreiche Aspekte der Gefahrenabwehr betreffen. 75
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EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 96, wonach solche Konflikte nicht anzunehmen sind. Die hiefür genannte Notwendigkeit der Zustimmung von Gewinnungsberechtigten zum Aufsuchen ist allerdings nur bei Erteilung der entsprechenden Berechtigung gegeben; spätere Konflikte sind deswegen nicht ausgeschlossen. Wenn es sich beim „Einbringen“ nicht um die bergtechnisch erforderliche Auffüllung der Strukturen handelt, ist allenfalls das Abfallrecht zu beachten. Das AWG ist nach seinem § 3 Abs 1 Z 3 nicht anwendbar; vgl dagegen EuGH Rs C-114/01, AvestaPolarit, Slg 2003 I-8725.
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Nach § 109 Abs 1 hat der Bergbauberechtigte „vorzusorgen“ für den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Personen, von fremden Sachen, der Umwelt, der Lagerstätten und der Oberfläche, sowie für die Sicherung der Oberflächennutzung nach Beendigung der Bergbautätigkeit. Diese Vorsorgepflichten werden zum Teil in § 109 konkretisiert, und sind idR auch noch Gegenstand anderer Bestimmungen (insb Betriebspläne, vgl IV.F.3., und Bergpolizeivorschriften, vgl VI.). Ob die allgemeinen Sicherungspflichten nach § 109 Abs 1 1. Satz für sich genommen als Verhaltensanordnungen zu qualifizieren sind, ist auf Grund ihrer großen Unbestimmtheit fraglich; insb erscheint es problematisch, ihre Übertretung zum Tatbestand einer Verwaltungsstraftat zu machen (dies würde jedoch aus § 193 Abs 2 folgen, vgl ferner den Ausschluss einer Übertragung dieser Verantwortung in § 109 Abs 1). Praktisch ist dies weitgehend unproblematisch, da idR ohnehin detaillierte Vorschriften im Hinblick auf die einzelnen Schutzziele bestehen. § 109 Abs 2 sieht Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer vor. Diese werden meist final bestimmt („der Verhütung von beruflich bedingten Unfällen und Erkrankungen [...] dienen“; „möglichst wirksamer Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer erreicht werden“), wobei verschiedene Standards (Stand der Technik usw) und demonstrativ angeführte Maßnahmen (Einrichtung von Warn-, Alarm- und sonstigen Kommunikationssystemen; schriftliche Anweisungen) eine gewisse Konkretisierung bewirken. § 109 Abs 2 ist als arbeitnehmerschutzrechtliche Vorschrift zu qualifizieren, für deren Vollziehung die Arbeitsinspektorate zuständig sind (vgl unten VIII.A.). In ähnlicher Weise sieht § 109 Abs 3 Maßnahmen zum Schutz der Umwelt vor, insb zur Vermeidung von „Einwirkungen“.
D. Allgemeine BergpolizeiVO (ABPV) und BohrlochbergbauVO Die ABPV, die der Abwehr unterschiedlicher Gefahren dient, gilt als Bundesgesetz und umfassend „für alle Betriebe, die der Aufsicht der Bergbehörde unterstehen“. Ihr Anwendungsbereich umfasst damit nunmehr alle nach dem MinroG den Mineralrohstoffbehörden unterstehenden Betriebe. Ihre Bestimmungen überschneiden sich teilweise mit denen des MinroG bzw seiner Vorgänger; insoweit ist materielle Derogation der älteren Vorschriften anzunehmen. Die ABPV enthält überblicksweise folgende Bestimmungen: Taganlagen und Schutz der Oberfläche (§§ 10-17), Betrieb von Tagbauen (§§ 19-26) und Grubenbauen (§§ 27-35), nähere Vorschriften für einzelne Tätigkeiten (§§ 36-95), über die Fahrung (Befahrung des Bergbaus; §§ 96-113), die Beleuchtung unter Tage (§§ 114-137), die Lagerung brennbarer Flüssigkeiten unter Tage (§ 138), die Feuerpolizei (§§ 185-196), die Bewetterung (Belüftung) bzw Abwehr von Gefahren durch Schlagwetter usw (§§ 197-274), das Rettungswesen neben der Einrichtung von Grubenrettungsdiensten (§§ 286-301; zum Grubenrettungswesen vgl unten VI.E.), Maschinen (§§ 302, 307 und 308) sowie Bestimmungen zB über die Ausbildung der Arbeiter oder die Unfallverhütung (§§ 328-351). Die ABPV ist nach ihrem § 353 aushangpflichtig. Die ähnlich konzipierte und als Bundesgesetz geltende Erdöl-BergpolizeiVO (Erdöl-BPV; BGBl 1937/278 idF BGBl 2004/II 358) trat gemäß dem ersten Bundesrechtsbe-
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reinigungsG mit 31. 12. 2004 außer Kraft. Sie wurde durch die Bohrlochbergbau-VO ersetzt, die für ihren Anwendungsbereich bergpolizeiliche Sondervorschriften enthält.
E. Unfälle, Grubenrettungswesen und Hilfeleistung Gemäß § 97 sind schwere Unfälle (ausgenommen Arbeitsunfälle, hier greift § 98 ASchG) bzw Vorfälle, insb solche mit Personenschaden bzw -gefährdung, sowie (demonstrativ aufgezählte) gefährliche Ereignisse der Behörde anzuzeigen. Nach § 109 Abs 1 letzter Satz hat der Bergbauberechtigte „im Zusammenhang mit Unfällen und Ereignissen der im § 97 genannten Art“ die erforderlichen Veranlassungen zu treffen und für jeden Bergbau einen „Notfallplan für die im § 182 genannten Ereignisse“ (Unfälle bei der Aufbereitung iSd SevesoII-RL) auszuarbeiten. Die als Bundesgesetz geltende BergpolizeiVO Grubenrettungswesen ist gemäß der MinroG-Novelle 2001 mit Ende 2003 außer Kraft getreten. Entsprechende Bestimmungen finden sich nunmehr in §§ 187a-187e MinroG. Die Wirtschaftskammer Österreich hat eine Hauptstelle für das Grubenrettungswesen zu errichten und zu unterhalten, deren Aufgaben in §§ 187a und 187b angeführt sind. Die §§ 187c und 187d regeln die betriebliche Grubenrettung, § 187e die Koordination („Einsatzleitung und überbetriebliches Rettungswerk“). § 111 sieht eine Hilfepflicht bei Unglücksfällen in anderen Bergbaubetrieben vor. Jeder Bergbauberechtigte hat auf Verlangen des von einem Unfall betroffenen Bergbauberechtigten (oder Fremdunternehmers) und ferner auf Verlangen der Behörde nach Maßgabe seiner Möglichkeiten und gegen Entschädigung Mittel bereit zu stellen.
F. Weitere bergpolizeiliche Vorschriften Daneben bestehen bergpolizeiliche VO, die jeweils einer spezifischeren Gefahrenabwehr dienen: Die BPV-Elektrotechnik gilt nach ihrem § 1 „für den Anwendungsbereich des Berggesetzes 1975“; ob mit dem MinroG (insb durch § 196 Abs 1 Z 7) eine Anpassung des Anwendungsbereichs stattgefunden hat, ist unklar (vgl dazu oben Rz 3). Sofern sie nicht Teil einer bewilligungspflichtigen Bergbauanlage sind, dürfen elektrische Betriebsmittel und elektrische Anlagen iSd ElektrotechnikG nur nach Überprüfung durch eine Elektro-Fachkraft in Betrieb genommen werden; weiters bestehen Vorschriften über regelmäßige Nachprüfungen. Die als Bundesgesetz geltende SprengmittelzulassungsVO für den Bergbau sah das Erfordernis einer behördlichen Bewilligung für in Bergbaubetrieben zu verwendende Sprengmittel („Sprengstoffe, Zündmittel, Geräte und Hilfsmittel“; § 1 Abs 1 SprengmittelzulassungsVO) vor. Diese Verordnung wurde durch die SprengmittelVO abgelöst, nach der nur mehr ein Anzeigeverfahren für das In-Verkehr-Bringen vorgesehen ist. Für das In-Verkehr-Bringen und die Verwendung von Bergbauzubehör im allgemeinen gilt § 123. Die als Bundesgesetz geltende BergpolizeiVO für die Seilfahrt regelt nach ihrem § 1 Betrieb und Benützung von „Seilfahrtanlagen und deren Nebenanlagen in Betrieben, die der bergbehördlichen Aufsicht unterstehen“. § 2 Abs 2 der Verordnung definiert
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Seilfahrt im Wesentlichen als die „Benützung von Seilen zur Fahrung von Personen“. Die „Seilfahrt“ (Errichtung und Betrieb) ist bewilligungspflichtig (§ 4 BergpolizeiVO für die Seilfahrt). Im Übrigen enthält die Verordnung detaillierte Vorschriften über die technische Beschaffenheit und den Betrieb bzw die Überwachung von Seilfahrtanlagen. Die Vorschriften der SchaubergwerkeVO gelten nur für Schaubergwerke und Fremdenbefahrungen.
G. Bergbaukartenwerk, Markscheidewesen Nach § 110 ist für jeden Bergbaubetrieb ein Bergbaukartenwerk anzufertigen und auf Stand zu halten, das eine wichtige Hilfe bei der gesetzmäßigen Führung des Bergbaubetriebs und der Ausübung der behördlichen Aufsichtsbefugnisse ist. Nähere Bestimmungen zur Durchführung der Vermessungen und Kartenerstellung finden sich in der MarkscheideVO.
H. Verantwortliche Personen und Bergbaubevollmächtigte Die §§ 125-143 sehen verschiedene verantwortliche Personen (Betriebsleiter, Betriebsaufseher, verantwortliche Markscheider) und Bergbaubevollmächtigte vor. Hinsichtlich der verantwortlichen Personen sind zu unterscheiden: Für jeden Bergbaubetrieb und für jede selbständige Betriebsabteilung ist ein Betriebsleiter für die Leitung „als verantwortliche Person“ zu bestellen. Soweit es die sichere und planmäßige Beaufsichtigung des Bergbaus erfordert, sind für die technische Aufsicht Betriebsaufseher zu bestellen. Die zu bestellende Person muss über die erforderlichen theoretischen Kenntnisse, einschlägige praktische Erfahrung (Verwendung) und Kenntnis bestimmter einschlägiger Rechtsvorschriften verfügen (§ 127 Abs 1; näher zu den einzelnen Voraussetzungen und Nachweisen Abs 2-6). Die Betriebsleiter und Betriebsaufseher bedürfen seit der MinroG-Novelle 2001 nicht mehr der bescheidmäßigen Anerkennung durch die Behörde, vielmehr ist zur positiven Erledigung eine bloße Mitteilung über die Vormerkung vorgesehen.77 Die Zuständigkeiten wurden beim BMWA konzentriert (§ 129). Die Verantwortlichkeit ist insb auch eine verwaltungsstrafrechtliche (vgl § 193 Abs 4 und 6). Parallel gestaltet sind die Bestimmungen über den verantwortlichen Markscheider. Ein solcher ist für jeden Bergbaubetrieb zu bestellen. Sein Aufgabenbereich liegt insb im Bergbaukartenwerk und Vermessungswesen, aber auch in der bergbaulichen Sicherungspflicht. Der Bergbaubevollmächtigte wird im MinroG in einem eigenen Abschnitt nach dem über „verantwortliche Personen“ angeführt (§ 143). Ein Bergbaubevollmächtigter ist zu bestellen, wenn Bergbauberechtigte eine Berechtigung gemeinsam innehaben bzw ausüben, wenn der Bergbauberechtigte den „ordentlichen Wohnsitz“78 im Ausland hat, sowie wenn der Bergbauberechtigte eine juristische Person oder Personengesellschaft des Handelsrechts ist. Der Bergbaubevollmächtigte muss ermächtigt sein, „rechtswirksam Aufträge der Behörden entgegenzunehmen und Schriftstücke der Behörden zu 77 78
Zur Verbesserungsfähigkeit der Anzeigen VwGH 25.2.2004, 2002/04/0205. Die Verwendung des Begriffs „ordentlicher Wohnsitz” ist verfassungswidrig; vgl Art 151 Abs 9 B-VG. Es ist nicht ersichtlich, warum das Gesetz nicht einfach vom „Wohnsitz“ (wie etwa in § 39 GewO) spricht.
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empfangen“. Er ist der zuständigen Behörde gegenüber nur „namhaft“ zu machen, eine Anerkennung ist nicht vorgesehen. Eine verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit besteht wohl als „Bevollmächtigter“ iSd § 193 Abs 4.
Das Inlandswohnsitzerfordernis für den Bergbaubevollmächtigten sowie das Bestellungserfordernis für im Ausland wohnhafte Bergbauberechtigte ist gemeinschaftsrechtlich im Hinblick auf die Grundfreiheiten problematisch; die Sicherung von Zustellmöglichkeiten wurde vom EuGH im ähnlich gelagerten Fall des gewerberechtlichen Geschäftsführers (§ 39 GewO) nicht als Rechtfertigung anerkannt.79 Ob die uU gegebene Bedeutung behördlicher Aufträge usw für den Schutz des Lebens und der Gesundheit zu einem anderen Ergebnis führt, darf bezweifelt werden, da der EuGH schon die Geeignetheit des Inlandswohnsitzerfordernisses weitgehend ausschloss. Nähere Bestimmungen zu verantwortlichen Personen (insb Qualifikationsnachweise) enthält die Verordnung über verantwortliche Personen im Bergbau.
I. Dingliche Qualität von Bescheiden Nach § 144 wird die „Wirksamkeit von Bewilligungen, Genehmigungen, Zulassungen, Anerkennungen und Anordnungen nach diesem Bundesgesetz....“ durch einen Wechsel in der Person des Bergbauberechtigten nicht berührt. Dabei ist zunächst unklar, ob damit sämtlichen individuellen Verwaltungsakten (bzw Bescheiden) eine dingliche Qualität zukommen soll, da der zentrale Begriff der „Berechtigung“ nicht erwähnt wird. Dies führt zu zwei Normhypothesen: Entweder sollen durch einen Übergang der Bergbauberechtigung die weiteren individuellen Verwaltungsakte mit „übergehen“, oder der Wechsel in der Person des Bergbauberechtigten ist als (grundsätzlich zivilrechtliche) Rechtsnachfolge zu verstehen, die den Übergang der Bergbauberechtigung und den Adressatenwechsel der weiteren individuellen Verwaltungsakte nach sich zieht. Keine der beiden Hypothesen wird indes uneingeschränkt zutreffen. Einerseits dürfte kein Ausschluss der „Berechtigungen“ aus den unberührt bestehenden Verwaltungsakten beabsichtigt sein, da zB die „Speicherbewilligung“ nach § 1 Z 14 zu den „Bergbauberechtigungen“ zählt; es ist anzunehmen, dass auch in § 144 keine Unterscheidung strikt nach der förmlichen Bezeichnung beabsichtigt ist. Andererseits bestimmt sich die Rechtsnachfolge des Bergbauberechtigten nicht allein nach Zivilrecht; dieser Wechsel ist teilweise auch im MinroG gesondert geregelt (insb §§ 51 ff über die Übertragung bzw das Überlassen der Ausübung von Bergwerksberechtigungen). Die Auslegung der Wortfolge „Wechsel in der Person des Bergbauberechtigten“ ist daher so zu verstehen, dass grundsätzlich eine zivilrechtliche Rechtsnachfolge gemeint ist (wobei auch die Bergbauberechtigung übergeht), es sei denn, der Übergang der Bergbauberechtigung ist im MinroG anderweitig geregelt (womit bei einem Übergang die weiteren Verwaltungsakte nach § 144 den Adressaten wechseln). Diese Auslegung führt zu einer gewissen Lücke: Eine Person, die bloß zivilrechtlich die Verfügungsbefugnis über den zB eine Bergwerksberechtigung ausübenden Betrieb erhält, wäre demnach mangels Übergang der Bergwerksberechtigung (vgl §§ 51 ff)
79
Vgl EuGH Rs C-350/96, Clean Car, Slg 1998 I-2521.
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nicht Adressat der „zugehörigen“ Verwaltungsakte. Hier kann jedoch die Strafbestimmung des § 193 Abs 1 zur Anwendung kommen.
J. Strafbestimmungen Die Strafbestimmungen sind in § 193 zusammengefasst und sollen im Folgenden auszugsweise kurz erörtert werden. Die Strafbehörde wird in § 193 nicht näher bestimmt, womit die in § 193 genannte „Behörde“ nach § 170 der BMWA wäre, sofern nicht Zuständigkeiten nach § 171 (LH, BVB) bestehen. Damit sollte aber wohl keine abweichende Zuständigkeitsverteilung iSd § 26 Abs 1 VStG begründet werden; Strafbehörde erster Instanz dürfte also durchwegs die BVB sein. § 193 Abs 1 stellt eine unbefugte Ausübung von Bergbautätigkeiten unter Strafe. Es gibt jedoch „im § 2 Abs 1 angeführte Tätigkeiten“, die ohne Bergbauberechtigung ausgeübt werden dürfen, namentlich das Suchen von bergfreien und grundeigenen mineralischen Rohstoffen sowie das Aufsuchen von grundeigenen mineralischen Rohstoffen (vgl oben II.D.5.). Die Strafbestimmung ist dahin auszulegen, dass diese gesetzmäßig ausgeübten Tätigkeiten keine Verwaltungsübertretung konstituieren, und die Wortfolge „ohne dass diese durch eine Bergbauberechtigung gedeckt ist“, durch „sofern eine solche erforderlich ist“ einzuschränken ist. § 193 Abs 4 sieht die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit von verantwortlichen Personen, Bevollmächtigten usw vor. Unter bestimmten Voraussetzungen können auch Arbeitnehmer strafbar sein (§ 193 Abs 5). Hingewiesen sei auf § 109 Abs 1, der eine Übertragung der Verantwortung für die Einhaltung der dort normierten Pflichten ausschließt. Bergbauberechtigte und ihnen gleichgestellte Personen nach § 193 Abs 2 sowie Bevollmächtigte usw iSd § 193 Abs 4 sind auch strafbar, wenn Verwaltungsübertretungen (durch Dritte) „mit ihrem Wissen begangen worden sind“ oder wenn sie die ihnen mögliche Sorgfalt bei der Beaufsichtigung fehlen haben lassen. Sofern die Dritten selbst strafbar sind, bleibt deren Strafbarkeit unberührt.
§ 193 Abs 8 sieht die Verhängung einer primären Arreststrafe „bei Vorliegen besonders erschwerender Umstände“ vor, wenn die Betreffenden „von weiteren Verwaltungsübertretungen der gleichen Art voraussichtlich nicht abzuhalten sind“. Gemeint ist wohl „ohne Verhängung der Arreststrafe nicht abzuhalten sind“, womit im Ergebnis die Spezialprävention von der Strafbemessung auch in den Tatbestand und die damit verbundene Strafdrohung verlagert wird. Hier stellt sich auch die Frage, ob der Tatbestand in der Kombination der Elemente „voraussichtlich nicht abzuhalten“ und „Vorliegen besonders erschwerender Umstände“ ausreichend bestimmt ist. § 193 Abs 9 sieht die Entziehung von Bergbauberechtigungen (bzw, wenn nur die Ausübung überlassen ist, den Ausspruch des Erlöschens des Rechtes der Ausübung) nach wiederholter Bestrafung vor, sofern diese Maßnahme „vor der letzten Zuwiderhandlung mit Bescheid angedroht worden ist“. Dabei besteht Ermessen der Behörde.80
80
Arg: „kann“; bei dem Wort „zu“ vor „widerrufen“ (für genehmigte Gewinnungsbetriebspläne für grundeigene mineralische Rohstoffe) liegt ein Redaktionsversehen vor, da dies ansonsten lauten würde: die Behörde „kann... diesen zu widerrufen“.
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K. Bergschäden Das MinroG sieht in den §§ 160-169 eine besondere Haftung für „Bergschäden“ vor. Grundsätzlich gilt jeder Schaden an Leben, Körper, Gesundheit oder Sachen, der durch eine Bergbautätigkeit iSd § 2 Abs 1 verursacht wird, als Bergschaden. Ausgenommen sind (§ 160 Abs 2) der „Personenschaden“ eines Arbeitnehmers infolge Arbeitsunfall oder Berufskrankheit und der Schaden an einem Grundstück durch dessen rechtmäßige Benützung; letztere Ausnahme ist wohl so zu verstehen, dass nur der vorhersehbare bzw durch die Art der Benützung unvermeidliche Schaden ausgenommen ist. Weiters kein Bergschaden ist der Schaden an einer konsenslos errichteten bewilligungspflichtigen Anlage in einem Bergbaugebiet (§ 160 Abs Z 3) und bei Verletzung einer Abstandsverordnung nach § 181 (§ 160 Abs Z 4). Für den Ersatz eines Bergschadens „haftet“ der Bergbauberechtigte (§ 161 Abs 1 1. Satz), womit eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung statuiert wird. §§ 161 und 162 beinhalten nähere Regeln für die Haftung, wenn eine Bergbauberechtigung zur Ausübung überlassen worden ist oder mehrere Bergbauberechtigte in zeitlicher oder räumlicher Hinsicht als Haftende in Frage kommen. Einem Bergbauberechtigten haftungsrechtlich gleichgestellt ist, wer eine Bergbautätigkeit unbefugt ausübt.
Der Gegenstand des Schadenersatzes richtet sich nach dem EKHG (§ 163 MinroG). Eine Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Bergschaden durch ein unabwendbares Ereignis verursacht worden ist (§ 164). Eine Mitwirkung eines Verschuldens des Geschädigten an der Entstehung des Bergschadens führt zur Minderung des Ersatzanspruchs (§ 165 MinroG iVm § 1304 ABGB). Nach § 166 bleiben Vorschriften „unberührt [...] nach denen der Bergbauberechtigte [...] in weiterem Umfang als nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes haftet oder nach denen ein anderer zum Schadenersatz verpflichtet ist.“ Das Verhältnis zwischen den Schadenersatzansprüchen nach dem MinroG und anderen Rechtsgrundlagen (insb Verschuldenshaftung nach dem ABGB) richtet sich mangels näherer Regelung im MinroG nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln. Die Haftung eines „anderen“ berührt nicht die Haftung des Bergbauberechtigten; hier wird es dem Geschädigten wohl freistehen, wen er in Anspruch nehmen will, und wird im Übrigen ein Regress unter den Haftenden möglich sein. Der Geschädigte muss „binnen drei Monaten, nachdem er vom Bergschaden und von der Person des Haftpflichtigen Kenntnis erlangt hat, diesem den schädigenden Vorgang“ anzeigen, ansonsten tritt (von den im § 169 genannten Ausnahmen abgesehen) Anspruchsverlust ein (§ 169). Unter Anzeige ist ein zur Kenntnis Bringen zu verstehen. Der „schädigende Vorgang“ kann sich jedoch (insb in seinen Details) der Kenntnis des Geschädigten entziehen, weswegen es wohl ausreicht, wenn Angaben gemacht werden, die aus dem eingetretenen Schaden ersichtlich sind;81 gemeint ist wohl eher der Vorgang des Schadenseintritts.
81
Wenn man den EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 120 und Mihatsch, Anm 2 zu § 169 folgt, wonach die „Anzeige“ dem Haftpflichtigen die Sicherung von Entlastungsbeweisen ermöglichen soll, „weil der Haftpflichtige nicht immer erkennen kann, ob durch eine Bergbautätigkeit Schäden verursacht werden oder verursacht worden sind“, ist trotzdem anzunehmen, dass auch der Geschädigte nicht Informationen liefern soll, die für ihn nicht ohne Weiteres ersichtlich sind.
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L. Schutzgebiete Nach § 215 hat der BMWA durch Verordnung die nach den §§ 18 und 222 des ABG 1854 für Heilquellen und Wasserversorgungsanlagen bestimmten Schutzgebiete neu festzusetzen oder gegebenenfalls aufzulassen. In solchen Schutzgebieten dürfen Tätigkeiten iSd § 2 Abs 1 nicht oder nur eingeschränkt ausgeübt werden. Die Festsetzung dieser Schutzgebiete erfolgte durch „individuelle oder generelle Verwaltungsakt[e]“; nach § 196 Abs 1 Z 5 gilt als einzige (neuregelnde) SchutzgebietsVO die VO über die Neufestsetzung des Schutzgebietes für die Heilquellen von Bad Hall (BGBl 1987/624) weiter.
VII. Bergbau und Grundeigentum A. Ausnahmen vom Grundeigentum für mineralische Rohstoffe Eine der wichtigsten Schnittstellen zwischen dem Bergrecht und dem Grundeigentum sind die besonderen Eigentumsverhältnisse an mineralischen Rohstoffen bzw Speichern. Diese wurden oben bei den einzelnen Kategorien bergbaulicher Tätigkeiten bereits behandelt; auch das MinroG behandelt diese nicht mehr in seinem VIII. Hauptstück.
B. Grundüberlassung Die „Grundüberlassung“, wie sie in §§ 147 ff geregelt ist, sieht ein abgestuftes System von Eingriffen in fremdes Grundeigentum und dingliche Rechte vor. Zunächst normiert § 147 als allgemeinen Grundsatz, der sich ohnehin aus den Eigentumsverhältnissen in Abwesenheit besonderer Regelungen ergeben würde, dass die „Benützung der Oberfläche und des oberflächennahen Bereiches von fremden Grundstücken oder Teilen von solchen“ durch den Bergbauberechtigten der Zustimmung des Grundeigentümers bedarf. Interessant ist aber die Frage, was für tiefere (nicht oberflächennahe) Bereiche von Grundstücken gelten soll. Soweit deren Benutzung bergrechtlich nicht gedeckt ist (zB durch Grubenmaße oder Gewinnungsfelder) ist wohl nicht davon auszugehen, dass § 147 deren Benützung allgemein dem Bergbauberechtigten überlässt. Vielmehr wird auch insoweit eine Zustimmung einzuholen sein. Die weiteren Bestimmungen (§§ 148 ff) nehmen jedoch keinerlei Bezug mehr auf Oberfläche oder Oberflächennähe; diese Paragraphen können sich demnach auf beliebige Teile des (dreidimensional zu sehenden) Grundeigentums beziehen. § 148 regelt zunächst den Fall, dass der Grundeigentümer der Benützung seines Grundstücks „gegen eine angemessene Entschädigung“ zustimmt, oder der an einem dem Bergbauberechtigten gehörenden Grundstück dinglich Berechtigte eine solche Zustimmung abgibt. Kommt es diesfalls zu keiner Einigung über die Entschädigung, so kann „jeder der Beteiligten bei der Behörde die Festsetzung dieser Entschädigung begehren“. Die Festsetzung erfolgt durch Bescheid, wobei § 149 Abs 6 sinngemäß gilt, also keine Anfechtung im Verwaltungsrechtsweg möglich ist, sondern sukzessive Zuständigkeit des Bezirksgerichts besteht. § 148 ist jedoch nicht für den Fall anwendbar, dass dingliche
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Rechte an einem nicht dem Bergbauberechtigten gehörenden Grundstück der Benützung entgegen stehen bzw Gegenstand einer Vereinbarung sind. Dagegen regelt § 149 die zwangsweise Überlassung der Benützung eines Grundstücks bzw Nichtausübung von dinglichen Rechten, sowie die zwangsweise Übertragung von Grundstücken und dinglichen Rechten; Ähnliches gilt für die Überlassung der Nutzung von Tagwässern (§ 152). § 149 gilt nach seinem Abs 8 nicht für Bergbaue auf grundeigene mineralische Rohstoffe, mit einer Ausnahme für „sicherheitstechnische Maßnahmen im Zusammenhang mit gefährlichen Ereignissen“. Die ersten beiden Sätze des § 149 Abs 1 betreffen die „zwangsweise Grundüberlassung“; wie sich aus dem dritten Satz des § 149 Abs 1 ergibt, geht es dabei nur um die Überlassung der Benützung.82 Demnach kann die Behörde durch Bescheid mangels Einigung zwangsweise die Überlassung der Benützung von für den Bergbau notwendigen Grundstücken oder Grundstücksteilen gegen eine angemessene Entschädigung auf die Dauer des Bedarfs verfügen. Dasselbe gilt für dingliche Rechte an einem für den Bergbau notwendigen und dem Bergbauberechtigten gehörenden Grundstück oder Grundstücksteil - nicht jedoch für dingliche Rechte an einem nicht dem Bergbauberechtigten gehörenden Grundstück. Die Ansicht der Mat, dass diesfalls (und bei entgegen stehenden obligatorischen Rechten) auch eine zwangsweise Grundüberlassung möglich ist, findet im Gesetz keinerlei Stütze.83
Wenn die bloße Überlassung nicht ausreicht, „kann der Bergbauberechtigte ansuchen, den Grundeigentümer zu verpflichten, ihm die Grundstücke ins Eigentum zu übertragen“. Da hiebei der Grundeigentümer nicht unmittelbar enteignet wird, kann er das Grundstück wohl nicht lastenfrei übertragen; wie eine obligatorische Unmöglichkeit der Übertragung zu behandeln ist, bleibt gänzlich unklar.84 Ein derartiges Ansuchen kann der Bergbauberechtigte auch stellen, „wenn im Zeitpunkt der zwangsweisen Grundüberlassung damit zu rechnen ist“, dass durch Maßnahmen zur Sicherung der Oberflächennutzung nach § 159 Abs 1 eine Wertsteigerung eintritt, „und sich der Grundeigentümer nicht verpflichtet, nach Beendigung der Benützung [...] die eingetretene Werterhöhung in Geld auszugleichen“. Es ist fraglich, ob dieser Grund ausreicht, die Übertragung des Eigentums im Hinblick auf das Eigentumsgrundrecht zu
82 83
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Vgl auch Mihatsch, Anm 3 zu § 149. EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 113 „...so wird der Bergbauberechtigte gleichfalls bei der Behörde um zwangsweise Grundüberlassung anzusuchen haben...“; die EB lassen auch offen, wer hier der Antragsgegner sein soll. Eine Erstreckung oder Schaffung von Eigentumsbeschränkungen im Analogieweg ist abzulehnen (vgl VfSlg 15.633/1999: „Es kann vor dem Hintergrund des rechtsstaatlichen Prinzips nicht der Vollziehung überlassen sein, sich zum Zweck des Eingriffs in das Eigentumsrecht ihre eigene Rechtsgrundlage aus fremden Regelungskomplexen zu schaffen“). Nur wenn das betreffende Grundstück in das Eigentum des Bergbauberechtigten übertragen ist, kann eine Überlassung dinglicher Rechte verfügt werden. Die Unklarheit der Bestimmungen über Eingriffe in Eigentumsrechte begründen möglicherweise eine Verfassungswidrigkeit, insb wenn man an „eingriffsnahe Gesetze“ einen strengeren Maßstab anlegt. Den Topos des „eingriffsnahen Gesetzes“ (vgl dazu etwa Berka (FN 43) 149 f und 269) greift der VfGH nach wie vor gelegentlich auf, etwa in VfSlg 15.633/1999.
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rechtfertigen; insb wird hier kein öffentliches Interesse verfolgt, sondern ein Interesse vorrangig des Bergbauberechtigten.85 Soll eine Grundüberlassung zur Benützung länger als drei Jahre dauern, so ist der Bergbauberechtigte auf Antrag des Grundeigentümers zu verpflichten, die Grundstücke in sein Eigentum zu übernehmen (§ 149 Abs 5). Die Notwendigkeit für den Bergbau wird in § 149 Abs 2 näher bestimmt (vgl dazu auch § 150); § 149 Abs 3, 4 und 6 enthalten Verfahrensbestimmungen, insb über die Zusammenarbeit mit dem Grundbuchsgericht (vgl dazu ferner § 151) und die sukzessive Zuständigkeit der Bezirksgerichte zur Entscheidung über die Höhe der Entschädigung.
Die MinroG-Novelle 2001 hat in § 151a und § 217 Abs 7 (Übergangsbestimmung) Regelungen zur Rückübereignung aufgenommen. Der Bergbauberechtigte hat das Grundstück binnen 15 Jahren zweckentsprechend zu verwenden. Der Rückübereignungsanspruch erlischt binnen einem Jahr ab „Aufforderung“ durch den Enteignungsbegünstigten (sc: zur Geltendmachung des Rückübereignungsanspruchs; relative Frist) bzw binnen 20 Jahren ab Rechtskraft des Enteignungsbescheids (absolute Frist). § 151a soll auch für den Fall der Grundüberlassung gelten; nach Fristablauf würden demnach Benützungsansprüche des Bergbauberechtigten auch ohne Bergbauzweck unbefristet aufrecht bleiben. Ob dies sachlich gerechtfertigt ist darf bezweifelt werden.
C. Bergbaugebiete „Bergbaugebiete“ sind gemäß § 153 Abs 1 ex lege Grundstücke und Grundstücksteile innerhalb der dort genannten Gebiete. Die Behörde hat mit Bescheid weitere Gebiete zu Bergbaugebieten zu erklären86, in denen als Folge der Einwirkungen von Abbau- oder Speichertätigkeiten in den nächsten fünfzehn Jahren (voraussichtlich) derartige Bodenverformungen erfolgen, dass „Bauten und andere Anlagen wesentliche Veränderungen erfahren können“. Der Bergbauberechtigte hat diejenigen Flächen der Behörde bekannt zu geben, auf die die Voraussetzungen für ein Bergbaugebiet voraussichtlich zutreffen werden (§ 154 Abs 1 1. Satz und § 157). Im Verfahren zur Bescheiderlassung haben der Bergbauberechtigte und die Eigentümer der betroffenen Grundstücke Parteistellung (§ 154 Abs 2 letzter Satz). Die Behörde hat nach „Verleihung“ (also mit Rechtskraft des jeweiligen Bescheids) von Berechtigungen, die ein Bergbaugebiet bewirken, sowie nach Eintritt der Rechtskraft eines „Bezeichnungsbescheids“ nach § 154 Abs 2 dem Grundbuchsgericht die als Bergbaugebiete geltenden Flächen bekannt zu geben; das Grundbuchsgericht hat die Eigenschaft als Bergbaugebiet von Amts
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Dies räumen auch die EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 113 ein, die von der Vermeidung einer Art ungerechtfertigter Bereicherung zu Lasten des Bergbauberechtigten sprechen. Das MinroG spricht in § 154 Abs 2 davon, die Behörde habe durch Bescheid die Grundstücke und Grundstücksteile zu bezeichnen, „die als Bergbaugebiete in Betracht kommen“. Es ist aber trotz dieser missverständlichen Wortwahl davon auszugehen, dass es sich nicht um eine (auch ansonsten nicht vorgesehene) Art Vorstufe (arg: „in Betracht“) für eine definitive Erklärung zum Bergbaugebiet handelt; auch wählt § 153 Abs 2 für diesen Fall unter Verweis auf § 154 Abs 2 die klarere Wortfolge „als Bergbaugebiete bezeichnet“.
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wegen ersichtlich zu machen (§ 155).87 § 210 sieht ferner eine Kundmachung von Bergbaugebieten im BGBl Teil II vor, die rein deklarativen Charakter haben dürfte. Bergbaugebiete sind ganz oder teilweise von Amts wegen mit Bescheid aufzulassen, „wenn mit dem Auftreten von Bergschäden nicht mehr zu rechnen ist“ (§ 158). Die wesentlichen Rechtsfolgen der Bezeichnung als Bergbaugebiet sind in § 153 Abs 2 und § 156 normiert. In Bergbaugebieten dürfen „Bauten und andere Anlagen“ (mit Ausnahme von Bergbauanlagen) nur mit Bewilligung der Behörde errichtet werden; ebenso sind „wesentliche Erweiterungen und Veränderungen der Anlagen“88 bewilligungspflichtig. Die Versagungsgründe sind in § 156 näher geregelt89 und dienen der Vermeidung von Beeinträchtigungen der Bergbautätigkeit wie der Vermeidung nachteiliger Auswirkungen auf die Anlage.90 Für Anlagen des Kohlenwasserstoffbergbaus und für vergleichbare Tätigkeiten gelten besondere Sicherheitsabstände (VO BGBl 2006 II/56). Nach § 153 Abs 2 letzter Satz gilt die Bewilligung als erteilt, „wenn sie nicht binnen drei Monaten“ (wobei eine Verlängerung der Frist durch Bescheid auf bis zu sechs Monate möglich ist) „nach Vorlage des Ansuchens von der Behörde versagt wird“. Problematisch ist, dass das MinroG keine Handhabe zur Beseitigung konsenslos errichteter Anlagen bietet. Durch die MinroG-Novelle 2001 wurde wenigstens die Strafbestimmung des § 193 Abs 7 dahingehend angepasst, dass nicht nur Personen, die trotz Versagens einer Bewilligung nach § 153 Abs 2 Bauten und andere Anlagen in Bergbaugebieten errichten bestraft werden können, sondern auch solche, die erst gar nicht um eine Bewilligung angesucht haben. Nach Ansicht des VwGH sind auch bereits errichtete Anlagen genehmigungspflichtig,91 eine Sanktionierung erfolgt aber auch dadurch nicht.
Durch § 211 aF wurden vor dem 31.12.1998 bestehende konsenslose Bauten in bestimmten Bergbaugebieten saniert, da die Genehmigung als erteilt gilt. Der VfGH hat hiefür keine sachliche Rechtfertigung anerkannt und die Wortfolge „Bauten und andere“ mit VfSlg 16.901/2003 aufgehoben. Die restliche Bestimmung (insb im Hinblick auf „Anlagen“) war nicht präjudiziell, dürfte aber ebenso verfassungswidrig sein.92
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Vgl dazu auch die VO über die Bezeichnung von Grundstücken und Grundstücksteilen als Bergbaugebiete. Dies gilt für auch für „Bauten“; arg: „Bauten und andere Anlagen“ in § 153 Abs 2 1. Satz. Zum Versagungsgrund des § 156 Abs 1 Z 1 iVm mit der Ausnahme nach § 156 Abs 4 (Erwarten einer bergbaulichen Inanspruchnahme von Grundstücken) vgl die (obiter erfolgten) Ausführungen in VwGH 8.11.2000, 2000/04/0110. Es handelt sich dabei um keine bergrechtliche Bewilligung die kompetenzrechtlich eine Anwendung von Landesrecht auf die „Anlage“ (insb Baurecht) ausschließen würde, entsprechende Generalklauseln in Landesgesetzen, die ihre Anwendbarkeit bei „bergrechtlichen“ Genehmigungen ausschließen, sind vor diesem Hintergrund restriktiv zu interpretieren; aA jedoch ohne eigentliche Begründung VwGH 23.2.2001, 98/06/0238. VwGH 31.5.2000, 99/04/0176 zu einer bereits bestehenden Erdgasleitung. Der VwGH hat hier einen Bescheid aufgehoben, mit dem ein Ansuchen um Bewilligung dieser Anlage zurückgewiesen worden war. Vgl die Ausführungen in VfSlg 16.901/2003; vgl ferner VfSlg 14.681/1996.
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D. Sicherung der Oberflächennutzung Nach § 159 hat der Bergbauberechtigte Maßnahmen zur Sicherung der Oberflächennutzung nach Beendigung der Bergbautätigkeit zu treffen. Die Planung von Maßnahmen zur Sicherung der Oberflächennutzung ist bereits Gegenstand der diversen Betriebspläne (Arbeitsprogramme, Gewinnungsbetriebspläne, Abschlussbetriebspläne). Nach § 178 Abs 1 iVm § 174 Abs 1 und § 17993 erstreckt sich die Anordnungsbefugnis der Behörde auch auf solche Maßnahmen; auf deren Ausübung besteht jedoch kein subjektives Recht.94 Fremde Grundstücke, die nicht für den Abbau von Vorkommen mineralischer Rohstoffe herangezogen worden sind, sind „wieder in den früheren Zustand zu versetzen“, oder, falls dies rechtlich oder praktisch unmöglich oder wirtschaftlich unvertretbar ist, „anderweitig wieder nutzbar zu machen“. Grundstücke, auf denen ein Abbau eines Vorkommens mineralischer Rohstoffe stattgefunden hat, „sind naturschonend und landschaftsgerecht zu gestalten“; nach § 159 Abs 2 sind „die im Eigentum des Bergbauberechtigten befindlichen, für Bergbauzwecke benützten Grundstücke und Grundstücksteile [...] wieder nutzbar zu machen“. Die einzelnen Differenzierungen nach Eigentum und Nutzungsart sind nicht ganz nachvollziehbar; aus § 159 ergibt sich Folgendes: • Fremde Grundstücke, Bergbauzwecke aber nicht Abbau: Versetzung in den früheren Zustand, oder anderweitige Nutzbarkeit; • Fremde Grundstücke, Abbau: naturschonende und landschaftsgerechte Gestaltung; • Eigene Grundstücke, Bergbauzwecke aber nicht Abbau: Nutzbarmachung, naturschonende und landschaftsgerechte Gestaltung; • Eigene Grundstücke, Abbau: Nutzbarmachung, naturschonende und landschaftsgerechte Gestaltung. Es ist nicht ganz einsichtig, warum der Bergbauberechtigte eigene Grundstücke wieder „nutzbar“ machen soll, wenn ohnehin dem öffentlichen Interesse an naturschonender und landschaftsgerechter Gestaltung Genüge zu tun ist, aber für den Abbau benutzte fremde Grundstücke nicht wieder nutzbar zu machen wären. Da der Bergbauberechtigte aber ganz allgemein Maßnahmen zur Sicherung der Oberflächennutzung zu treffen hat (§ 159 Abs 1 1. Satz), wird auch hier eine Nutzbarkeit herzustellen sein.95
Nach § 159 Abs 3 und 4 hat der Bergbauberechtigte für den nicht durch Maßnahmen ausgeglichenen Vermögensnachteil eines fremden Grundeigentümers eine angemessene Entschädigung zu leisten sowie auf Verlangen für die Einhaltung der Sanierungspflichten und den Ersatzanspruch Sicherstellung zu leisten. Streitigkeiten über Entschädigung und Sicherstellung entscheidet die Behörde unter sinngemäßer Geltung des § 149 Abs 6 (sukzessive Zuständigkeit des Bezirksgerichts; § 159 Abs 5). Die Abgrenzung der sukzessiven Zuständigkeit („Ausspruch über die Entschädigung“) kann uU Probleme bereiten; während bei den Eigentumsbeschränkungen der §§ 147 ff der anspruchsbegründende Titel die behördliche Entscheidung über die Eigentumsbeschrän-
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VwGH 21.12.2005, 2005/04/0186. VwGH 12.11.1996, 94/04/0243. Zur Nachnutzung näher Zdesar.
Mineralrohstoffrecht
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kung ist, besteht er bei § 159 in der erlittenen Vermögensminderung, wobei deren Bestehen selbst strittig sein kann. Höhe und Bestehen des Anspruchs sind viel weniger trennbar als im Falle hoheitlicher Eigentumsbeschränkungen. Die sukzessive Zuständigkeit dürfte in „sinngemäßer“ Anwendung auch die Entscheidung über die Anspruchsgrundlage umfassen.
VIII. Vollzug, Behörden und Bergbauaufsicht A. Vollzugsbereiche Das MinroG enthält eine Vielzahl von Regelungskomplexen, was sich in der Vollzugsklausel des § 224 niederschlägt. Grundsätzlich fällt das MinroG in den Vollzugsbereich des BMWA, teilweise im Einvernehmen mit anderen Bundesministern (§ 224 Abs 1). Der BMJ ist mit der Vollziehung der zahlreichen in § 224 Abs 3 genannten Bestimmungen mit primär zivilrechtlichem Bezug betraut. Hervorgehoben sei noch, dass mit der Vollziehung der Belange des Arbeitnehmerschutzes der BM für Arbeit, Gesundheit und Soziales (nunmehr der BMWA) betraut wurde; mit §§ 183 und 224 Abs 9 MinroG sowie der Änderung des ArbeitnehmerInnenschutzG durch Art II BGBl 1999 I/38 ist daher für den Arbeitnehmerschutz im Bergbau das Arbeitsinspektorat zuständig, womit vom bisherigen Grundsatz der fachbehördlichen Wahrnehmung des Arbeitnehmerschutzes abgegangen wurde.96 Damit bestehen teilweise Zuordnungsprobleme, welche Bestimmungen des MinroG und anderer bergrechtlicher Vorschriften als arbeitnehmerschutzrechtlich zu qualifizieren sind. Da nach dem BMG idgF Arbeitnehmerschutz und Bergwesen zum Vollzugsbereich des BMWA zählen (Anlage zu § 2, L Z 2 und L Z 34 lit b)), kommt es ferner zu eigenartigen Konstellationen nach §§ 12 und 13 ArbeitsinspektionsG (BGBl 1993/27 idF BGBl 2001 I/159). Das Arbeitsinspektorat ist in Verwaltungsverfahren in Angelegenheiten, die den Arbeitnehmerschutz berühren, Partei; nach § 13 ArbeitsinspektionsG ist nunmehr der BMWA berechtigt, in diesen Fällen gegen die eigenen letztinstanzlichen Bescheide nach dem MinroG Beschwerde an den VwGH zu erheben.
B. Behörden Mit dem MinroG wurden auch die früheren Bergbehörden durch eine neue Behördenstruktur abgelöst. Nach § 170 ist „Behörde“ iSd MinroG der BMWA, soweit nicht in einzelnen Bestimmungen und in § 171 anderes bestimmt ist. Der BMWA ist daher idR Behörde erster und letzter Instanz. Lediglich für die „ausschließlich obertägige Gewinnung und Aufbereitung grundeigener mineralischer Rohstoffe“ ist Behörde erster Instanz die BVB und Behörde zweiter (und letzter; Art 103 Abs 4 B-VG) Instanz der LH (mittelbare Bundesverwaltung; § 171 Abs 1). Soweit sich Betriebspläne oder Bergbauanlagen (für die obertägige Gewinnung und Aufbereitung grundeigener mineralischer Rohstoffe) über zwei oder mehrere Verwaltungsbezirke erstrecken, ist für deren Genehmigung bzw Bewilligung Behörde erster Instanz der LH (§ 171 Abs 2); der Instanzenzug geht 96
Vgl Mihatsch, Anm 1 zu § 183.
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Winkler
zum BMWA (Art 103 Abs 4 B-VG). Soweit sich Betriebspläne oder Bergbauanlagen für die obertägige Gewinnung und Aufbereitung grundeigener mineralischer Rohstoffe über zwei oder mehrere Bundesländer erstrecken, ist für deren Genehmigung bzw Bewilligung der BMWA Behörde erster Instanz. Ebenso ist der BMWA Behörde erster Instanz wenn eine wechselseitige Beeinflussung einer unter- und obertägigen Gewinnung mineralischer Rohstoffe gegeben ist (§ 171 Abs 3). Dies bezieht sich nur auf grundeigene mineralische Rohstoffe, da ansonsten ohnehin erstinstanzliche Zuständigkeit des BMWA besteht, unabhängig von der Gewinnungsart. Andere Verwaltungsaufgaben (insb die Bergbauaufsicht) verbleiben jedoch für die obertägige Gewinnung und Aufbereitung grundeigener mineralischer Rohstoffe auch über Bezirksgrenzen hinweg bei der BVB, wobei in Abweichung von § 4 AVG diejenige BVB zuständig ist, „auf deren Verwaltungsbezirk sich die bekannt gegebenen Grundstücke (Grundstücksteile) nach § 80 Abs. 2 Z 2 flächenmäßig zum überwiegenden Teil erstrecken“ (§ 171 Abs 1 letzter Satz idF der MinroG-Novelle 2001).
§ 190 sieht zur Beratung des BMWA in Bergbauangelegenheiten die Bildung eines Bergbaubeirats vor. § 220 bestimmt gemäß Art 118 Abs 2 B-VG die von den Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich wahrzunehmenden Angelegenheiten. Die für weite Vollzugsaufgaben nach dem BergG 1975 zuständigen Berghauptmannschaften waren nach § 217 für die Fortführung von am 1.1.1999 anhängigen Verfahren zuständig; der hiefür einschlägige § 217 Abs 6 ist mit 31.12.2000 außer Kraft getreten, die zu diesem Zeitpunkt nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren waren an die nach §§ 170 und 171 zuständigen Behörden abzutreten (§ 223 Abs 7). Mit der MinroG-Novelle 2001 wurden die als Bundesgesetz geltende VO über Standorte und Amtsbezirke der Berghauptmannschaften (BGBl 1968/3 idF BGBl 1975/259) sowie die bis dahin fortgeltenden §§ 193-196 BergG 1975 aufgehoben.
C. Bergbauaufsicht 1. Aufsicht § 173 bestimmt, dass der Bergbau der „Aufsicht der in §§ 170 und 171 angeführten Behörden“ unterliegt. Eine Abgrenzung erfolgt insoweit, als die Aufsicht zu dem Zeitpunkt, in dem mit dem Auftreten von Bergschäden nicht mehr zu rechnen ist, endet. Gegenstand der Aufsicht sind nach § 174 Abs 1 insb Bergbauberechtigungswesen, Gewinnungsbetriebsplanwesen, Schutz von Personen und Sachen, Umwelt-, Lagerstätten- und Oberflächenschutz, Sicherung der Oberflächennutzung und bergbauliche Ausbildung. Die BVB (obertägige Gewinnung und Aufbereitung von grundeigenen mineralischen Rohstoffen) und die mit Bergbauangelegenheiten befassten „Organe“ des BMWA (übrige Bereiche) sind zu Besichtigungen der Bergbaubetriebe, Bergbauanlagen, Bergbaugelände usw verpflichtet (§ 175). Zu diesem Zweck sieht § 177 Betretungs- und Einsichtsbefugnisse vor sowie allenfalls die Anordnung von Betriebsaufnahmen bzw -unterbrechungen zur Feststellung maßgeblicher Umstände.
Mineralrohstoffrecht
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2. Anordnungsbefugnisse §§ 178 und 179 sehen weit reichende Anordnungsbefugnisse der Behörde vor; Behörde ist iS dieser Bestimmungen die BVB für die obertägige Gewinnung und Aufbereitung von grundeigenen mineralischen Rohstoffen und im Übrigen der BMWA. Die Behörde hat die Behebung vorschriftswidriger Zustände „aufzutragen“; wird dem Auftrag nicht genügt, „so gilt das Verwaltungsvollstreckungsgesetz“ (§ 178 Abs 1). Demnach ist insb eine Ersatzvornahme (§ 4 VVG) möglich. Der Auftrag ist als Bescheid zu qualifizieren. Im Fall der Verletzung einer Sicherheitsvorschrift hat die Behörde bei Gefahr im Verzug (ohne vorherigen Auftrag) „die erforderlichen Maßnahmen selbst zu veranlassen“; lässt sich eine Gefahr so nicht abwenden, so hat die Behörde die Einstellung der gefährdenden Tätigkeiten zu verfügen (§ 178 Abs 2). Nach § 179 Abs 5 kann die Behörde auch dann einschreiten, wenn eine Gefahr ohne Verletzung einer Sicherheitsvorschrift droht.
Treten die in § 179 Abs 1 bestimmten „innerbetrieblichen“ Gefährdungslagen ein, sowie bei Betriebsunfällen, den im § 97 angeführten Unfällen und Ereignissen, der Einstellung des Abbaues und der Auflassung von Bergbauanlagen hat die Behörde Erhebungen durchzuführen und allenfalls erforderliche Sicherheitsmaßnahmen zu verfügen. Bei den im § 179 Abs 2 angeführten „Außenwirkungen“ (Gefährdung fremder Personen oder Sachen, unzumutbare Belästigung fremder Personen, unzumutbare Beeinträchtigung der Umwelt oder von Gewässern) hat die Behörde ebenfalls die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen aufzutragen. Auf die Erlassung eines solchen „Polizeibefehls“ besteht kein Rechtsanspruch.97
3. Erlassung von Schutzvorschriften § 181 enthält umfassende Verordnungsermächtigungen über beim Bergbau zu verschiedenen Schutzwecken durchzuführende Maßnahmen. Die Verpflichtung (arg: „hat“) zur Erlassung einer Verordnung über näher bestimmte Sicherheitsmaßnahmen bei der Aufbereitung (§ 182) dient der Umsetzung der RL 96/82/EG (Seveso-II-RL).
IX. Übergangsrecht Die weit gehende Umgestaltung des Bergrechts durch das MinroG machte es erforderlich, bestehende auf dem BergG beruhende Verwaltungsakte an die neue Rechtslage anzupassen. Dies erfolgt in den §§ 197-208 und 218. Nach § 218 bestehen auch die individuellen Verwaltungsakte weiter, die auf Grund von durch das MinroG außer Kraft getretenen Vorschriften erlassen worden sind, soweit nicht Besonderes bestimmt wird. Grundsätzlich bestehen demnach Genehmigungen udgl weiter, sie werden aber zum teil ex lege in solche nach dem MinroG „umgewandelt“ (zB § 197 Abs 4: Aufschluss, Abbau- und Hauptbetriebspläne gelten als Gewinnungsbetriebspläne weiter98) oder sind bescheidmäßig umzuwandeln (zB § 202: Abbaufelder in Grubenmaße); sofern sie 97
98
So VwGH 28.11.1995, 94/04/0093; 12.11.1996, 94/04/0243; 13.12.2000, 98/04/0153; 24.3.2004, 2001/04/0160; VfSlg 16.013/2000, und nunmehr auch Mihatsch, Anm 5 zu § 179. Vgl auch VwGH 27.1.1999, 98/04/0214.
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kein Gegenstück im MinroG finden, sind sie mit Inkrafttreten des MinroG erloschen (vgl § 197 Abs 2: Schurfbewilligungen) oder erlöschen mit der Erlassung „neuer“ Bescheide (§ 197 Abs 3: Gewinnungsbewilligungen erlöschen mit wohl rechtskräftiger - Genehmigung eines Gewinnungsbetriebsplans). Ähnliches gilt für nach der GewO erlassene Bescheide, sofern der betreffende Bescheid nunmehr nach dem MinroG zu erlassen wäre. Die unübersichtliche Kasuistik dieser Übergangsregelungen kann hier nicht im Detail dargestellt werden.99 Die Übergangsbestimmungen für Bergbaugebiete (§§ 209-211) sehen ähnlich kasuistische Regeln vor; zur Kundmachung von Bergbaugebieten im BGBl Teil II vgl oben VII.C.
X. Mineralrohstoffnebenrecht Das LagerstättenG (BGBl 1947/246) dient der Durchforschung des Bundesgebiets nach nutzbaren Lagerstätten. Dies ist Aufgabe der Geologischen Bundesanstalt, für die zu diesem Zweck Zutritts- und Duldungsrechte hinsichtlich Grundstücken vorgesehen sind. Personen, die Untersuchungen des Untergrunds durchführen, sind zur Information gegenüber der Geologischen Bundesanstalt und der „Bergbehörde“ (nunmehr die nach § 170 bzw § 171 zuständige Mineralrohstoffbehörde) verpflichtet. Mit mechanischer Kraft betriebene Bohrungen sind der Geologischen Bundesanstalt anzuzeigen, die Vernichtung der Bohrund Gesteinsproben bedarf einer behördlichen Genehmigung. Nach dem BergbauförderungsG (BGBl 1979/137 idF zuletzt 1995/837) konnten Bergbauberechtigten auf Antrag Beihilfen für die Aufsuchung, Bestandssicherung und Stilllegung gewährt werden. Das Gesetz trat mit 31. 12. 2002 gemäß seinem § 18 Abs 1 wegen Zeitablaufs außer Kraft.
99
Vgl näher Weiß, 8 ff.
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Zweiter Teil: Wettbewerbsrecht
Friedrich Rüffler/Robert A. Steinwender
Allgemeines Wettbewerbsrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................633 Grundlegende Literatur...................................................................................633 I. Grundlagen ................................................................................................634 A. Allgemeines............................................................................................634 1. Zweck................................................................................................634 2. Darstellung des europäischen Wettbewerbsrechts und des österreichischen Kartellrechts...........................................................634 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................635 1. Die Rechtsgrundlage für die legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft .......................................................635 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit......................................636 C. Völkerrechtliche Grundlagen ................................................................637 D. Das Wettbewerbsrecht in der Rechtsordnung der Gemeinschaft und Österreichs .....................................................................................637 1. EG .....................................................................................................637 2. Österreich ..........................................................................................639 II. Anwendungsbereich ................................................................................639 A. Sachlich .................................................................................................639 1. EG .....................................................................................................639 2. Österreich ..........................................................................................640 B. Räumlich................................................................................................641 1. EG .....................................................................................................641 2. Österreich ..........................................................................................642 C. Zwischenstaatlichkeitsklausel................................................................642 D. Verhältnis des Österreichischen zum europäischen Kartellrecht .........643 1. Materiell ............................................................................................643 2. Verfahrensrechtlich ...........................................................................644 E. Normadressaten.....................................................................................645 1. Unternehmen und Unternehmensvereinigungen ...............................645 2. Exkurs: Konzerne und Handelsvertreter ...........................................647 F. Relevanter Markt ...................................................................................648 III. Verbot der Verhaltenskoordination .....................................................648 A. Formen wettbewerbsbeschränkender Koordination..............................648 1. Vereinbarungen .................................................................................648 2. Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen ...................................649 3. Abgestimmte Verhaltensweisen ........................................................649 B. Wettbewerbsbeschränkung ....................................................................650 1. Allgemeines.......................................................................................650 2. Bezwecken oder Bewirken................................................................651
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Rüffler/Steinwender
3. Spürbarkeit........................................................................................ 651 4. Einschränkungen des Begriffs Wettbewerbsbeschränkungen .......... 653 C. Fallgruppen .......................................................................................... 653 1. Allgemeines ...................................................................................... 653 2. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen........................................ 654 3. Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen............................................ 656 D. Freistellung vom Kartellverbot............................................................. 657 E. Zivilrechtliche Folgen ........................................................................... 659 1. Nichtigkeit ........................................................................................ 659 2. Schadenersatz und Unterlassungsanspruch....................................... 659 IV. Missbrauch einer marktbeherrschender Stellung .............................. 661 A. Allgemeines ........................................................................................... 661 B. Marktbeherrschung ............................................................................... 661 1. EU ..................................................................................................... 661 2. Österreich.......................................................................................... 662 3. Kollektive Marktbeherrschung ......................................................... 662 C. Missbrauch............................................................................................ 663 1. Allgemeines ...................................................................................... 663 2. Behinderungsmissbrauch .................................................................. 663 3. Ausbeutungsmissbrauch ................................................................... 664 D. Rechtsfolgen.......................................................................................... 665 V. Zusammenschlusskontrolle..................................................................... 665 A. Allgemeines ........................................................................................... 665 B. Europäische Fusionskontrolle .............................................................. 666 1. Allgemeines ...................................................................................... 666 2. Anwendungsbereich ......................................................................... 666 3. Beurteilung von Zusammenschlüssen............................................... 668 4. Verfahren .......................................................................................... 669 C. Österreichische Zusammenschlusskontrolle ......................................... 670 1. Anwendungsbereich ......................................................................... 670 2. Beurteilung von Zusammenschlüssen............................................... 671 3. Verfahren .......................................................................................... 671 VI. Verfahren, Behörden und Rechtsdurchsetzung .................................. 672 A. EG ......................................................................................................... 672 1. Allgemeines ...................................................................................... 672 2. Ermittlungsbefugnisse und Entscheidungsmöglichkeiten der Kommission ..................................................................................... 672 3. Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den mitgliedsstaatlichen Wettbewerbsbehörden ..................................... 674 B. Österreich.............................................................................................. 675 1. Kartellgericht und Kartellobergericht ............................................... 675 2. Bundeswettbewerbsbehörde und Wettbewerbskommission ............. 676 3. Bundeskartellanwalt.......................................................................... 677 VII. Verhältnis zwischen KartG 2005 und Sonderwettbewerbsrecht .... 678
Allgemeines Wettbewerbsrecht
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Rechtsgrundlagen: EU-Recht: VO (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Artikel 81 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen (Abl 1999 L 336/21) idF (Abl 2003 L 236/344) - GVO vertikale Verbindungen; VO (EG) Nr. 2658/2000 der Kommission vom 29. November 2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen (Abl 2000 L 304/3) idF (Abl 2003 L 236/344) - GVO Spezialisierungsvereinbarungen; VO (EG) Nr. 2659/2000 der Kommission vom 29. November 2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (Abl 2000 L 304/7) idF (Abl 2003 L 236/344) - GVO Forschung und Entwicklung; VO (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor (Abl 2002 L 203/30) idF (Abl 2003 L 236/344) - GVO Kfz-Vertrieb; VO (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (Abl 2003 L 1/1) idF VO (EG) Nr. 1419/2006 (Abl 2006 L 269/1); Verordnung (EG) Nr. 358/2003 der Kommission vom 27. Februar 2003 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor (Abl 2003 L 53/8) idF VO (EG) Nr. 886/2004 (Abl 2004 L 168/14) - GVO Versicherungen; VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Jänner 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Abl 2004 L 24/1) - EG-Fusionskontrollverordnung; VO (EG) Nr. 772/2004 der Kommission vom 27. April 2004 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen (Abl 2004 L 123/11) idF (Abl 2004 L 127/158) - GVO Technologietransfervereinbarungen; VO (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch die Kommission (Abl 2004 L 123/18); VO (EG) Nr. 802/2004 der Kommission vom 7. April 2004 zur Durchführung der VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Abl 2004 L 133/1) idF (Abl 2004 L 172/9); VO (EG) Nr. 1184/2006 des Rates vom 24. Juli 2006 zur Anwendung bestimmter Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen Erzeugnissen (Abl 2006 L 214/7); BG: BundesG zur Verbesserung der Nahversorgung und der Wettbewerbsbedingungen (BGBl 392/1977) idF (BGBl I 62/2005); BundesG über die Einrichtung einer Bundeswettbewerbsbehörde - WettbG (BGBl I 62/2002) idF (BGBl I 106/2006); BundesG gegen Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen - KartG 2005 (BGBl I 61/2005);
Grundlegende Literatur: Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005; Dalheimer/Feddersen/ Miersch (Hrsg), EU-Kartellverfahrensverordnung, 2005; Eilmansberger/Herzig/Jaeger/ Thyri, Materielles Europarecht, 2005; Emmerich, Kartellrecht10, 2006; Hoffer/Barbist, Das neue Kartellrecht, 2006; Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wettbewerbsrecht3, 1997; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff (Hrsg), Kartellrecht - Europäisches Recht (Band 1), 2005; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2004; Reidlinger/Hartung, Das neue Österreichische Kartellrecht, 2006; Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht, 2006; Schröter/Jakob/Mederer (Hrsg), Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2003; Streinz (Hrsg), EUV, EGV, 2003;
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I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Zweck Dem Wettbewerb wird zunächst eine wirtschaftspolitische Funktion zugeschrieben. Die grundsätzlich knappen Ressourcen werden nicht durch eine staatliche Zuteilung, sondern dadurch am effizientesten verteilt, dass man Anbieter und Nachfrager frei über ihr Angebot und ihre Präferenzen entscheiden lässt. Denn dann signalisiert der Preis, welche Güter am meisten nachgefragt werden, was wegen des Gewinnstrebens der Akteure dazu führt, dass sie auch entsprechend bereitgestellt werden (Steuerungsfunktion). Wettbewerb führt auch wegen des Gewinnstrebens oder Leistungsdrucks zu technischem Fortschritt, höherer Produktionseffizienz und Qualitätsverbesserung (Antriebsfunktion). Zudem ist er rationaler, weil auf Leistung abstellender Maßstab für die Verteilung von Entgelten (Verteilungsfunktion). Wettbewerb hat aber auch eine gesellschaftspolitische Funktion. Denn er gewährt den Marktbeteiligten Freiheitsräume1. Privatautonomie und die marktwirtschaftliche Koordination von Nachfrage und Angebot setzen einander voraus. Denn ohne Freiheit in der Entscheidung, ob, zu welchen Bedingungen und mit wem man kontrahieren möchte, kann der skizzierte Koordinationsmechanismus nicht funktionieren. Ohne Auswahlmöglichkeit ist Entscheidungsfreiheit bedeutungslos2. Marktwirtschaft als Voraussetzung der Privatautonomie birgt jedoch die Gefahr, durch wirtschaftliche Macht und deren Missbrauch eben diese einzuschränken. Dem steht Wettbewerb als Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Wettbewerbern durch seine „entmachtende Wirkung“3 entgegen und gewährleistet die Selbstbestimmung der Marktbeteiligten4. Das Kartellrecht soll gewährleisten, dass diese wirtschafts- und gesellschaftspolitisch erwünschten positiven Wirkungen des Wettbewerbs eintreten können und nicht durch Verhaltenskoordination der Unternehmen oder die Ausübung wirtschaftlicher Macht beeinträchtigt werden.
2. Darstellung des europäischen Wettbewerbsrechts und des österreichischen Kartellrechts Mit 01.01.2006 traten das Kartellgesetz 20055 und die Novelle des Wettbewerbsgesetzes6 in Kraft. Dies führte zu einer weitgehenden Annäherung des österreichischen Kartellrechts an das materielle Kartellrecht der Gemeinschaft. 1 2 3 4 5 6
Vgl grundlegend für Österreich Koppensteiner, § 1 ff; ferner Emmerich, 2 ff; Möschel, Das Recht der Wetttbewerbsbeschränkungen, 1983, § 3. Vgl (auch zum Folgenden) ausführlich Koppensteiner, § 1 ff. Dazu Böhm, Kartelle und Monopole im modernen Recht I, 1961, 3 ff. Zum Verhältnis Wettbewerb und Binnenmarkt siehe unten I.D.1.; vgl Meessen in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Einführung Rz 18 f. Bundesgesetz gegen Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz 2005), BGBl I 61/2005, im Folgenden „KartG 2005“. Bundesgesetz über die Einrichtung einer Bundeswettbewerbsbehörde (Wettbewerbsgesetz), BGBl I 62/2002 idF BGBl I 106/2006, im Folgenden „WettbG“.
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Um Wiederholungen zu vermeiden, werden die Regelungen des Kartellverbotes und des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gemeinsam dargestellt. Auf weiterhin bestehende Besonderheiten des österreichischen Kartellrechts wird gesondert im jeweiligen Abschnitt eingegangen. Der Begriff des Wettbewerbsrechts umfasst im europäischen Sprachgebrauch, im Gegensatz zum österreichischen, in der Regel nur das Kartellrecht7. Gleichwohl wird in diesem Beitrag auch für die europäischen Regelungen der Begriff Kartellrecht verwendet.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Die Rechtsgrundlage für die legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft Der Europäischen Gemeinschaft stehen entsprechend dem Grundsatz der begrenzten Ermächtigung gesetzgeberische Zuständigkeiten nur insoweit zu, als ihr in den Verträgen ausdrücklich Handlungsbefugnisse eingeräumt sind8. Art 83 EGV sieht eine Kompetenz der Gemeinschaft vor, um die in Art 81 und 82 EGV niedergelegten Grundsätze zu verwirklichen9. Diese Ermächtigung ermöglicht ua Zwangsgelder und Geldbußen für Verstöße gegen Art 81 und 82 EGV einzuführen, die Einzelheiten der Anwendung der Ausnahmevorschrift vom Kartellverbot (Art 81 Abs 3 EGV) festzulegen, den Anwendungsbereich für einzelne Wirtschaftsbereiche näher zu bestimmen, die Aufgaben von Kommission und Gerichtshof abzugrenzen sowie das Verhältnis zwischen gemeinschaftlichem und einzelstaatlichem Kartellrecht festzulegen10. Darüber hinaus hat die Kommission auf die Anwendung des Art 86 EGV zu achten, wonach die Mitgliedstaaten auf öffentliche Unternehmen und Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten grundsätzlich keine dem EGV und insbesondere dessen Kartellregelungen widersprechende Maßnahmen anwenden dürfen. Sie kann dazu Richtlinien oder Entscheidungen an die Mitgliedsstaaten richten (Art 86 Abs 3 EGV)11. Basierend auf dieser Ermächtigung wurden ua die Richtlinie über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen 7 8
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Koppensteiner, § 2 Rz 20; Meessen in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Einführung Rz 5. Zum österreichischen Wettbewerbsbegriff siehe unten I.D.2. Dazu Mestmäcker/Schweitzer, § 3 Rz 1; Eilmansberger, Zur gegenwärtigen und zukünftigen vertikalen Kompetenzverteilung in der europäischen Union, JRP 2003, 113; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht3, 2006, 22 f. Gem Art 83 Abs 1 EGV entscheidet der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments. Vgl Sturhahn in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 83 Rz 7 ff; Bechtold ua, EG Art 83 Rz 7 ff; auf dieser Grundlage erlassen zB VO (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (Abl 2003 L 1/1) idF VO (EG) 1419/2006 (Abl 2006 L 269/1); VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Jänner 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Abl 2004 L 24/1) - EG-Fusionskontrollverordnung (Letztere wird auch auf § 308 EGV gestützt). Dazu ausführlich Ehricke in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 86 Rz 133ff; Mestmäcker/Schweitzer, § 3 Rz 19.
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(sog Transparenzrichtlinie) erlassen12, ferner zB Richtlinien in den Bereichen Telekommunikation13.
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Eine eigene Kompetenzgrundlage zur gesetzlichen Regelung des Kartellwesens findet sich im B-VG nicht14. Die Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung ist umstritten. Der Bundesgesetzgeber ist der Auffassung, er habe nicht in allen Wirtschaftsgebieten15 eine umfassende Regelungskompetenz und stützt sich auf eine ganze Reihe kompetenzrechtlicher Tatbestände16. Dabei werden in erster Linie die Kompetenztatbestände „Zivilrechtswesen einschließlich des wirtschaftlichen Assoziationswesen“ (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG), „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG), „Justizpflege“ (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) und „Strafrechtswesen“ (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) herangezogen17. Dem zufolge war das KartG 198818 in Angelegenheiten, die in Gesetzgebung oder Vollziehung Sache der Länder sind, nicht anzuwenden19. Im KartG 2005 wurde durch die Verfassungsbestimmung des § 24 Abs 1 der Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes auch auf kompetenzrechtlich den Ländern zugeordnete Bereiche ausgedehnt. Demgegenüber steht die Ansicht, dass auf Grundlage der Kompetenztatbestände „Zivilrechtswesen einschließlich des wirtschaftlichen Assoziationswesen“ (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) und „Strafrechtswesen“ (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) oder auch „Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) und „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG), dem Bundesgesetzgeber eine umfassende Regelungskompetenz für das Kartellwesen in sämtlichen Wirtschaftsbereichen zukommt20. Auch für das WettbG geht der Gesetzgeber von keiner umfassenden Bundeskompetenz aus und stützt sich auf eine Reihe von Kompetenztatbeständen, in erster Linie auf den Tatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der
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RL 80/723/EWG (Abl L 195/35) idF RL 2005/81/EG (Abl L 312/47) - TransparenzRL. Siehe zB RL 2002/77/EG (Abl L 249/21) - Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste; weitere Nachweise bei Bechtold ua, EG Art 83 Rz 64. Wenger, Wirtschaftsverfassungsrecht und Wettbewerbsrecht, FS Adamovich, 1992, 733 (743); Barfuß, Kartellrecht und Bundesverfassung, FS Adamovich, 2002, 17 (23). Insbesondere auf dem Gebiet der Landwirtschaft vgl Koppensteiner, § 6 Rz 17. Für das Elektrizitätswesen erfolgte die Anwendung des KartG 1988 durch Verfassungsbestimmung in BGBl I 1998/143. ErlRV 473 BlgNr 13. GP, 25 f; ablehnend Tomandl, Zum Geltungsbereich des österreichischen Kartellrechts, 1968; kritisch Barfuß (FN 14), 24. ErlRV 473 BlgNr 13. GP, 25 f. BGBl I 1998/600. Zum unklaren Inhalt der so genannten „Länderbereichsausnahme“ vgl Tomandl (FN 16); OGH, 12 Os 249/68, Linzer Kreis, ÖBl 1969, 114 (krit Tomandl); Barfuß, Einige Gedanken zur kartellgesetzlichen „Länderbereichsausnahme“, FS Frotz, 1993, 587; Barfuß/Wollmann/Tahedl, Österreichisches Kartellrecht, 1996, 6f. Tomandl (FN 16); Binder, Wirtschaftsrecht2, 1999, Rz 1147; Barfuß (FN 14), 24 f.
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Industrie“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG)21. Im Gegensatz zum KartG 2005 fehlt eine Verfassungsbestimmung zur Anwendung dieses Bundesgesetzes auf jene Bereiche, die in Gesetzgebung oder Vollziehung Länder sind. Somit ist davon auszugehen, dass das WettbG auf kompetenzrechtlich den Ländern zugeordnete Bereiche nicht anzuwenden ist.
C. Völkerrechtliche Grundlagen Verbindliche materiellrechtliche Regelungen des Wettbewerbsrechts fehlen im Völkerrecht bis heute22. Erste Versuche internationaler Wettbewerbsregelungen gehen auf die nie in Kraft getretene Havanna Charta for an International Trade Organisation zurück. Der durch die UNCTAD geschaffene Kodex über wettbewerbsbeschränkende Praktiken23 und die Empfehlungen der OECD24 sind unverbindlich. 1995 wurde der durch Wissenschafter konzipierte „Draft International Antitrust Code“ vorgelegt25. Der von der EU initiierte Versuch zur Schaffung eines völkerrechtlich verbindlichen Wettbewerbsrechts im Rahmen der WTO blieb bislang ohne Ergebnis. Im Rahmen der 2001 gegründeten International Competition Network (ICN) findet eine Zusammenarbeit der nationalen Wettbewerbsbehörden mit dem Ziel einer freiwilligen Anpassung von Verfahren und Standards statt26. Um die bei einer extraterritorialen Anwendung von Wettbewerbsregeln drohenden Konflikte möglichst hintan zu halten bzw eine Abstimmung der involvierten Kartellbehörden zu erreichen haben die EU einerseits und die USA, Kanada und Japan jeweils andererseits bilaterale Abkommen über die Kooperation ihrer Wettbewerbsbehörden abgeschlossen27.
D. Das Wettbewerbsrecht in der Rechtsordnung der Gemeinschaft und Österreichs 1. EG Art 2 EGV sieht ua die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes vor. Die Tätigkeit der Gemeinschaft in diesem Sinne umfasst nach Art 3 lit g EGV ein System unverfälschten Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts und eine Wirtschaftspolitik, die sowohl für die Mitgliedsstaaten als auch die Gemein21 22
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ErlRV 768 BlgNr 28. GP, 4 f. Vgl zum Ganzen näher Mestmäcker/Schweitzer, § 6 Rz 115 ff; Koppensteiner, § 2 Rz 25; Benedek in Neuhold/Hummer/Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 2004, Rz 2604. “UN Set of Principles and Rules on Competition”, abrufbar unter http://www.unctad.org/en/docs/tdrbpconf10r2.en.pdf. Vgl die wettbewerbsrechtlichen Regelungen enthaltenden “Guidelines for Multinational Enterprises”, abrufbar unter http://www.oecd.org/dataoecd/56/36/ 1922428.pdf; “Recommendations of the Council concerning Effective Action against Hard Core Cartels”, abrufbar unter http://www.oecd.org/dataoecd/39/4/ 2350130.pdf; “Best Practices for the Formal Exchange of Information between Competition Authorities in Hard Core Cartels Investigations”, abrufbar unter http://www.oecd.org/dataoecd/1/33/35590548.pdf. Fikentscher/Immenga (Hrsg), Draft International Antitrust Code, 1995. Dazu Böge, Die Herausforderung einer internationalen Wettbewerbspolitik in Zeiten globalisierter Märkte, WuW 2005, 590. Dazu näher Mestmäcker/Schweitzer, § 6 Rz 96 ff; auch Eilmansberger in: Streinz, vor Art 81 Rz 18.
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schaft dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist (Art 4 Abs 1 EGV iVm Art 98 EGV). Der Binnenmarkt, als Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist (Art 14 Abs 2 EGV), steht somit im Zusammenhang mit den Regelungen des Wettbewerbs28. Es soll sichergestellt werden, dass nicht durch private Vereinbarungen oder Verhaltensweisen Marktabschottungen bewirkt werden, die die staatengerichteten Grundfreiheiten beseitigt haben29. Art 81 bis Art 86 EGV enthalten die Kartellregelungen für Unternehmer. Art 81 und 82 EGV verbieten wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen und die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen30. Die Kompetenz für legislative Maßnahmen der Gemeinschaft bilden Art 83 EGV und Art 86 EGV, der die Anwendung der Kartellnormen auf öffentliche Unternehmen und Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten regelt31. Zu den wichtigsten auf der Grundlage des Art 83 EGV erlassenen Bestimmungen des Sekundärrechts zählen die VO (EG) Nr 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln32 und die EG-Fusionskontrollverordnung (FKVO)33, welche letztere aber auch auf Art 308 EGV gestützt ist34. Darüber hinaus kommt den Leitlinien, Mitteilungen und Bekanntmachungen der Kommission besondere praktische Bedeutung zu. Diese sind rechtlich unverbindlich, können aber zu einer Selbstbindung der Kommission führen35. Im Hinblick auf die Angleichung des Österreichischen Kartellrechts an das Gemeinschaftsrecht36 sind diese Leitlinien, Mitteilungen und
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Dazu Nowak, Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts und der Grundfreiheiten im Binnenmarkt, EuR-Beiheft 3-2004, 77. Vgl Eilmansberger in: Streinz, vor Art 81 Rz 1; Koppensteiner, § 16 Rz 21 ff; Stockenhuber, Europäisches Kartellrecht, 1999, 2; Mestmäcker/Schweitzer, § 2 Rz 6 ff; Immenga/Mestmäcker, Einleitung, Rz 10 ff. Zur Zwischenstaatlichkeitsklausel siehe unten II.C. Siehe oben I.B.1. VO (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (Abl 2003 L 1/1) idF VO (EG) 1419/2006 (Abl 2006 L 269/1), im Folgenden „VO 1/2003“. VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Jänner 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Abl 2004 L 24/1) - EG-Fusionskontrollverordnung, im Folgenden „FKVO“. Vgl ihren 7. Erwägungsgrund. Dazu ausführlich Slominski, Soft Law in Recht und Politik der Europäischen Gemeinschaft, JRP 2005, 184; eine Bindung nationaler Kartellbehörden und Gerichte befürwortet Schweda, Die Bindungswirkung von Bekanntmachungen und Leitlinien der Europäischen Kommission, WuW 2004, 1133 (1139 ff); dies ablehnend Pohlmann, Keine Bindungswirkung von Bekanntmachungen und Mitteilungen der Europäischen Kommission, WuW 2005, 1005; vgl EuGH, verb Rs C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P bis C-208/02 P und C-213/02 P, Rorindustrie, Slg 2005, I-5425 (Rz 209 ff). Vgl ErlRV 926 BlgNr 22. GP.
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Bekanntmachungen der Kommission auch für die österreichische Rechtsanwendung von großer Bedeutung37.
2. Österreich Der Schutz des Wettbewerbs erfolgt durch das Verbot von wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordination, dem Verbot missbräuchlicher Ausnutzung von Markmacht und der Kontrolle von Zusammenschlüssen. Diesbezügliche Regelungen finden sich vor allem im KartG 2005 und dem WettbG und werden als Kartellrecht bezeichnet. Das KartG 2005 enthält sowohl materiellrechtliche als auch organisations- und verfahrensrechtliche Bestimmungen, das WettbG organisations- und verfahrensrechtliche Bestimmungen der Bundeswettbewerbsbehörde. Darüber hinaus finden sich Vorschriften im Sonderwettbewerbsrecht einzelner Wirtschaftssektoren (TelekomG, ElWOG, GWG etc.)38. Im Nahversorgungsgesetz (NVG) sind Vorschriften enthalten, die einem Missbrauchsverbot ähnlich sind, ohne freilich eine marktbeherrschende Stellung vorauszusetzen39. Andererseits umfasst der österreichische Begriff des Wettbewerbsrechts im Gegensatz zum gemeinschaftsrechtlichen auch das Lauterkeitsrecht. Der Schutz vor unlauteren/unfairen Wettbewerbshandlungen findet sich im UWG40. Ebenso wird vertreten, das Markenrecht dem Wettbewerbsrecht zuzuordnen41.
II. Anwendungsbereich A. Sachlich 1. EG Das Europäische Kartellrecht findet grundsätzlich auf alle Wirtschaftsbereiche Anwendung42. Auf der Grundlage von Art 36 EGV wurden allerdings für die Landwirtschaft Ausnahmen in der VO (EG) Nr. 1184/200643 erlassen. Gem deren Art 2 werden Kartelle, die wesentlicher Bestandteil einer einzelstaatlichen Marktordnung oder zur Verwirklichung der Ziele des Art 33 EGV notwendig sind, vom Anwendungsbereich des Art 81 EGV ausgenommen44. Die kartellrechtlichen Regelungen gelten insbesondere auch für Bereiche mit staatlicher Aufsicht, wie den Bankensektor und die Versicherungswirt-
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Vgl KOG RdW 2007/27 Zum Verhältnis zwischen Kartellrecht und Sonderwettbewerbsrecht siehe unten VII. Vgl dazu Reidlinger/Hartung, 107, 128 ff und unten IV.C.2. Vgl Koppensteiner, § 2 Rz 16; zum Verhältnis von Kartellrecht und UWG siehe Koppensteiner, § 2 Rz 21. Koppensteiner, § 2 Rz 17. Vgl dazu und zum Folgenden ausführlich Schröter in: Schröter/Jakob/Mederer, Vorbem Art 81-85 Rz 42 ff. VO (EG) Nr. 1184/2006 des Rates vom 24. Juli 2006 zur Anwendung bestimmter Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen Erzeugnissen (Abl 2006 L 214/7). Vgl dazu Eilmansberger in: Streinz, vor Art 81 Rz 10.
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schaft45. Auch im Verkehrsbereich sind die Art 81 EGV ff anzuwenden. Dort wurden jedoch für die einzelnen Sektoren (Straßen-, Eisenbahn-, Luft-, Seeund Binnenschifffahrtsverkehr) zahlreiche VO zur näheren Durchführung der Art 81 und 82 EGV erlassen46. Um eine Manipulation und Verfälschung des Wettbewerbs durch staatliche Maßnahmen zu verhindern, ist das Kartellrecht grundsätzlich auch auf öffentliche Unternehmen47 und Unternehmen, denen die Mitgliedsstaaten besondere48 oder ausschließliche49 Rechte gewähren, anzuwenden (Art 86 Abs 1 EGV). Davon ausgenommen sind Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (zB Verkehrswesen, Post, Energie, Telekommunikation) betraut sind oder Finanzmonopole50, soweit die Anwendung der kartellrechtlichen Regelungen die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe verhindert. Diese Ausnahme besteht allerdings nur insoweit, als die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden darf, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft (Art 86 Abs 2 EGV) 51.
2. Österreich Auch das KartG 2005 ist grundsätzlich auf alle Wirtschaftsbereiche anzuwenden, jedoch nicht auf Kreditinstitute, Bausparkassen, private Versicherungsunternehmungen52 und Verkehrsunternehmen53, soweit diese der gesetzlichen Aufsicht der Finanzmarktaufsicht oder des BMVIT unterliegen (§ 24 Abs 3 Z 1 KartG 2005). Ebenso nicht umfasst sind staatliche Monopolunternehmen, soweit sie in Ausübung der ihnen gesetzlich übertragenen Monopolbefugnisse tätig werden (§ 24 Abs 3 Z 2 KartG 2005). Indes sind durch fehlende kartellrechtsrelevante Aufsichtsbefugnisse der FMA und des BMVIT sowie der Abschaffung der meisten Monopolunternehmen diese Regelungen weitgehend bedeutungslos54. Ausschließlich vom Kartellverbot des § 1 KartG 2005 ausgenommen sind die in § 2 Abs 2 KartG 2005 genannten Bereiche. Das sind Bagatellkartelle55, 45 46 47
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Eilmansberger in: Streinz, vor Art 81 Rz 9; Gruber, Versicherungspools und europäisches Kartellrecht, VersRdSch, 2006, 83. Einzelheiten bei Mestmäcker/Schweitzer, § 1 Rz 20 ff. Zum Unternehmensbegriff siehe unten II.E.1; zum Begriff des „öffentlichen Unternehmens“ siehe auch Art 2 der RL 80/723/EWG (Abl L 195/35) idF RL 2005/81/EG (Abl L 312/47) - TransparenzRL; vgl Eilmansberger ua, Rz 516 ff. ZB Gewährung einer ausschließlichen Konzession. ZB Monopolunternehmen. Dazu Ehricke in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 86 Rz 111 ff. Zum Ganzen ausführlich Ehricke in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 86; Hochbaum in: Schröter/Jakob/Mederer, Artikel 86; Pernice/Wernicke in: Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union, Art 86 EGV; Bechtold ua, Art 86 EG; Eilmansberger ua, Rz 506 ff. Prämienbeträge des Unternehmenstarif in der Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherung fallen jedoch unter das KartG 2005 (§ 24 Abs 3 Z 1 letzter Satz KartG 2005). Vgl KOG 27.02.2006, 16 Ok 1/06. Vgl Koppensteiner, § 6 Rz 19 ff; Gruber, Das Kartellgesetz 2005 im Überblick, GesRZ 2005, 235 (236 f); Reidlinger/Hartung, 37 f. Siehe unten III.D.
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Buchpreisbindungen im weiteren Sinn (einschließlich etwa Zeitungen, Zeitschriften, Musikalien), zur Erfüllung des Förderauftrags im Genossenschaftsbereich notwendige Wettbewerbsbeschränkungen56, bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen im landwirtschaftlichen Bereich57, und Wettbewerbsbeschränkungen zwischen den Mitgliedern einer Kreditinstitutgruppe iSd § 30 Abs 2a Bankwesengesetz58. Weiters besteht eine Ausnahme für Kreditinstitute im Bereich der Zusammenschlusskontrolle (§ 19 Abs 1 KartG 2005)59.
B. Räumlich 1. EG Der räumliche Geltungsbereich umfasst das Gebiet aller Mitgliedsstaaten (Art 299 EGV)60. Jede wettbewerbsbeschränkende Handlung, die sich auf den Binnenmarkt auswirkt, mag diese auch von einem Unternehmen aus einem Drittstaat vorgenommen werden, unterfällt dem europäischen Kartellrecht61. Während die Kommission und das EuG62 dieses Wirkungsprinzip vertreten, hält der EuGH formal noch am Territorialprinzip fest, hat sich aber dem Wirkungsprinzip stark genähert, indem er es für die Anwendbarkeit des EGKartellrechts genügen lässt, dass eine Kartellvereinbarung in der Gemeinschaft durchgeführt worden ist63. Folglich ist die extraterritoriale Anwendung des EGKartellrechts grundsätzlich unstrittig64.
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Siehe unten III.D. Die Ausnahme dient der Angleichung an das EG-Kartellrecht vgl ErlRV 926 BlgNr 22. GP. Sie besteht im KartG 2005 nur sofern keine Preisbindung enthalten oder der Wettbewerb ausgeschlossen wird, die gemeinschaftsrechtliche Ausnahme verlangt jedoch auch, dass die Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik des Art 33 EGV nicht gefährdet werden (Art 2 VO (EG) Nr. 1184/2006) vgl Grunicke/Fellner, Kartellgesetz 2005 und Wettbewerbsgesetznovelle 2005 - Teil 1, RdW 2005/543 (462). Die Verweisung des § 2 Abs 2 Z 5 lit b KartG 2005 auf Anhang II des EGV ist ein Redaktionsversehen. Durch den Vertrag von Amsterdam wurde die ursprünglich in Anhang II befindliche Liste Landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu Anhang I (Abl 1997 C 340/66). Vgl Reidlinger/Hartung, 73 f; Gruber (FN 54), 236. Reidlinger/Hartung, 170. Umfasst sind auch die französischen überseeischen Departements, die Azoren, Madeira und die Kanarischen Inseln, nicht hingegen die Färöer, die Hoheitszonen Großbritanniens auf Zypern, die Kanalinseln und die Isle Man. Vgl Koppensteiner, § 16 Rz 28; Stockenhuber (FN 29), 3; ausführlich zum Ganzen Schröter in: Schröter/Jakob/Mederer, Vorbem Art 81-85, Rz 56 ff. Jedenfalls für den Bereich der Fusionskontrolle bei unmittelbarer und wesentlicher Auswirkung EuG, T-102/96, Gencor, Slg 1999, II-753 (Rz 90). EuGH, verb Rs 89/85, 104/85, 114/85, 116/85, 117/85, 125 bis 129/85, Zellstoff, Slg 1988, 5193 (Rz 14 ff); dazu Gugerbauer, Die Anwendung des EG-Kartellrechtes in Österreich, Anmerkungen zum XIII Internationalen Forum EG-Kartellrecht in Brüssel, RdW 1989, 215; vgl Bechtold ua, Einleitung, Rz 15. Vgl Eilmansberger in: Streinz, vor Art 81 EGV Rz 14 ff; derselbe in: Eilmansberger ua, Rz 310 ff.
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2. Österreich Auch dem österreichischen Kartellrecht liegt das Wirkungsprinzip zu Grunde65. Auf einen Sachverhalt, der sich auf den inländischen Markt auswirkt, sind österreichische Kartellregelungen anzuwenden, unabhängig davon, ob er im Inland oder Ausland verwirklicht wurde (§ 24 Abs 2 KartG 2005).
C. Zwischenstaatlichkeitsklausel Art 81 und 82 EGV sind nur bei Vereinbarungen und Verhaltensweisen anwendbar, die geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen. Diese sog Zwischenstaatlichkeitsklausel dient auch dazu, den Anwendungsbereich von nationalem und gemeinschaftlichen Kartellrecht abzugrenzen (Art 3 VO 1/2003)66. Der EuGH legt die Zwischenstaatlichkeitsklausel67 sehr weit aus. Zwischenstaatlichkeit einer wettbewerbsbeschränkenden Maßnahme liegt vor, wenn es aufgrund objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände hinreichend wahrscheinlich ist, dass der Warenverkehr zwischen Mitgliedsstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell beeinflusst wird und dadurch der Errichtung eines gemeinsamen Marktes nachteilig sein kann68. Die tatsächliche Beeinträchtigung ist nicht nötig, es genügt die Eignung69. Der Begriff des Handels umfasst nicht nur den grenzüberschreitenden Austausch von Waren und Dienstleistungen sondern alle grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeiten70. Auch Sachverhalte mit Unternehmen aus nur einem Mitgliedsstaaten können zur Anwendung von EG-Kartellrecht führen71. Sehr wohl muss aber eine Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten gegeben sein72. Vereinbarungen und Verhaltensweisen, die aufgrund der schwachen Marktstellung der beteiligten Unternehmer den fraglichen Produktmarkt nur geringfügig beeinträchtigen, fehlt es an der Spürbarkeit73. Allerdings kann ein einzelner, unbedeutender Vertrag Bestandteil 65 66 67
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Vgl (auch zum Folgenden) ausführlich Koppensteiner, § 6 Rz 2 ff; § 24 Abs 2 KartG 2005 entspricht inhaltlich § 6 KartG 1988, siehe ErlRV 926 BlgNr 22. GP. Dazu unten II. D. Vgl zum Ganzen insbesondere die Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, Abl 2004 C 101/81; Ebner, Leitlinie über Handelsbeeinträchtigung, ecolex 2004, 459; Koppensteiner, § 16 Rz 34 ff; Bechtold ua, Art 81 EG, Rz 102 ff; Mestmäcker/Schweitzer, § 4 Rz 12 ff; Emmerich, 26 f; Schröter in: Schröter/Jakob/ Mederer, Art 81 Abs 1, Rz 192 ff. Vgl EuGH, Rs 56/65, Maschinenbau Ulm, Slg 1966, 282 (303). Vgl EuGH, Rs 19/77, Miller, Slg 1978, 131 (Rz 15); EuGH, Rs C-219/95, Ferriere Nord, Slg 1997, I-4411 (Rz 19). Vgl EuGH, Rs 172/80, Züchner, Slg 1981, 2021 (Rz 18). ZB die wettbewerbsbeschränkende Koordination umfasst das gesamte Gebiet eines Mitgliedsstaates vgl EuGH, Rs 8/72, Cementhandelaren, Slg 1972, 977 (Rz 26/27 ff); EuGH, Rs C-309/99, Wouters, Slg 2002, I-1577 (Rz 95) = wbl 2002, 161; KOG wbl 2006, 192; dazu Eilmansberger in: Streinz, Art 81 Rz 33 ff; derselbe, Die Lombard-Club Entscheidung der Kommission, ecolex 2002, 560. Siehe auch unten III.B.3; vgl EuGH, Rs 22/71, Béguelin, Slg 1971, 949 (Rz 16). Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags (FN 67), Rz 44 ff.
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eines Vertragsbündels sein, das in seiner Gesamtheit geeignet ist, die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen (Bündeltheorie)74.
D. Verhältnis des Österreichischen zum europäischen Kartellrecht 1. Materiell Nach Ansicht des EuGH konnten nationales und europäisches Kartellrecht parallel angewendet werden. Jedoch durfte die Anwendung nationalen Kartellrechts nicht die einheitliche Anwendung und volle Wirksamkeit des EGKartellrechts beeinträchtigen, was auf einen, in den Einzelheiten aber ungeklärten, Vorrang des Gemeinschaftsrechts im Konfliktfall hinauslief75. Art 3 VO 1/2003 enthält nunmehr eine spezielle Regelung über das Verhältnis des nationalen zum gemeinschaftsrechtlichen Kartellrecht76. Danach gilt: Wird auf Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten beinträchtigen können77, österreichisches Kartellrecht angewendet, so muss Art 81 EGV parallel angewendet werden (Art 3 Abs 1 VO 1/2003). Solche Vereinbarungen und Verhaltensweisen können nach Art 3 Abs 2 VO 1/2003 durch österreichisches Kartellrecht nicht verboten werden, wenn sie nach Art 81 EGV zulässig sind, weil sie den Wettbewerb nicht im Sinn von Art 81 EGV beschränken oder unter Art 81 Abs 3 EGV fallen oder von einer FreistellungsVO erfasst sind. Auf Grund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts kann nationales Recht aber auch keinen nach Art 81 EGV verbotenen Sachverhalt erlauben. Mit anderen Worten: Bei Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels setzt sich Art 81 EGV gegenüber der nationalen Regelung durch78. Wird der zwischenstaatliche Handel nicht beeinträchtigt, ist österreichisches Kartellrecht alleine anzuwenden. Ebenso sind mitgliedsstaatliche Gerichte und Behörden bei Anwendung nationaler Missbrauchsregelungen verpflichtet, Art 82 EGV parallel anzuwenden. Es wird den Mitgliedsstaaten aber ermöglicht, strengere innerstaatliche Vorschriften zur Unterbindung oder Ahndung einseitiger Handlungen von Unter74 75
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Vgl EuGH, Rs C.234/89, Delimitis, Slg 1991, I-935; ausführlich dazu mwN Mestmäcker/Schweitzer, § 10 Rz 69 ff; Emmerich, 77. EuGH, Rs 14/68, Walt Wilhelm, Slg 1969, 1; EuGH, verb Rs 253/78 und 1 bis 3/79, Guerlain, Slg 1980, 2327; grundlegend Eilmansberger, Die Bedeutung der Art 85 und 86 EG-V für das österreichische Zivilrecht, Band 6/1 (Wettbewerbsrecht - Kartellrecht) der von Koppensteiner herausgegebenen Reihe Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, 1998, 19 ff. Ausführlich zum Ganzen Dalheimer in: Dalheimer/Feddersen/Miersch, Art 3 nach Art 83 EGV; siehe auch Mestmäcker/Schweitzer, § 5; Weitbrecht, Das neue EGKartellverfahrensrecht, EuZW 2003, 69 (70 f); Reidlinger/Hartung, 25 ff; Görg/ Brandstätter, Das neue EG-Kartellverfahren, RdW 2003/297 (362 f); Petzsche, Das neue EG-Kartellverfahrensrecht, ecolex 2003, 304 (305). Zur Zwischenstaatlichkeitsklausel siehe oben II.C. Vgl Stillfried/Stockenhuber, Vollzug des EG-Kartellrechts nach der neuen EG-Verfahrensverordnung Nr 1 1/2003, ÖZW 2003, 45 (53); KOG ÖBl 2005/41(Gamerith) = wbl 2005, 192.
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nehmern zu erlassen oder anzuwenden (Art 3 Abs 2 VO 1/2003). Somit kann ein durch Art 82 EGV verbotener Sachverhalt nicht durch eine nationale Regelung erlaubt werden, jedoch sind strengere Bestimmungen des nationalen Rechts, im Gegensatz zum Regelungsbereich des Art 81 EGV, zulässig. Im österreichischen Kartellrecht stellen das Verbot von Empfehlungskartellen in § 1 Abs 4 KartG 200579 sowie im Rahmen der Missbrauchskontrolle das Verbot des sachlich nicht gerechtfertigten Verkaufs von Waren unter dem Einstandspreis in § 5 Abs 1 Z 5 KartG 2005 und die Marktbeherrschungsvermutung in § 4 Abs 2 KartG 2005 strengere Regelungen dar80. Darüber hinaus können Regelungen, die überwiegend ein von Art 81 und 82 EGV abweichendes Ziel verfolgen, durch die Mitgliedsstaaten erlassen und angewendet werden (Art 3 Abs 3 VO 1/2003). Art 3 Abs 1 und Abs 2 VO 1/2003 sind hinsichtlich der Zusammenschlusskontrolle nicht anzuwenden. Die Anwendung innerstaatlicher Bestimmungen auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung81 ist ausgeschlossen (One-Stop-Shop). Die Mitgliedsstaaten können aber Maßnahmen zum Schutz anderer berechtigter Interessen82 als denjenigen der FVKO treffen, sofern diese Interessen mit den allgemeinen Grundsätzen und den übrigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts vereinbar sind (Art 21 Abs 3 und 4 FKVO)83. In diesem Sinne unterliegen zum Schutz der Medienvielfalt auch Medienzusammenschlüsse (§ 8 KartG 2005) mit gemeinschaftsweiter Bedeutung der Anmeldung in Österreich84.
2. Verfahrensrechtlich Art 81 EGV sowie Art 82 EGV sind gemäß Art 1 VO 1/2003 unmittelbar anwendbar. Sowohl die Kommission (Art 4 VO 1/2003) als auch die nationalen Wettbewerbsbehörden85 und Gerichte86 (Art 5 und 6 VO 1/2003) sind zur un79
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So Reidlinger/Hartung, 32; Grunicke/Fellner (FN 57), 463 f; Matousek, Die Kartellrechtsreform 2005 im Überblick, ecolex 2005, 501; offenbar auch Urlesberger, Der Wandel im europäischen Kartellverzug, RWZ 2003/29 (99); die Möglichkeit strengere nationale Regelungen anzuwenden auf den Bereich der Missbrauchskontrolle einschränkend Gruber, Das neue Kartellverfahren der europäischen Union, wbl 2004, 1 (3); auch Stillfried/Stockenhuber (FN 78), 53; Petzsche (FN 76), 305; zu den Empfehlungskartellen siehe auch unten III.C.3. Vgl Reidlinger/Hartung, 33; Urlesberger (FN 79), 99; Bauer, Die neue Durchführungsverordnung zu den Art 81 und 82 EG und der Anpassungsbedarf im österreichischen Kartellrecht, ecolex 2003, 846 (849). Siehe unten V.B.2. Als berechtigte Interessen gelten die öffentliche Sicherheit, die Medienvielfalt und Aufsichtsregeln. Andere potenzielle Interessen bedürfen der Zustimmung der Kommission. Dazu Westermann in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 21 FVKO; Bechtold ua, Art 21 FVKO. Dazu Bauer/Reidlinger, Medienfusionskontrolle und Gemeinschaftsrecht, MR 2004, 357; Görg, Nochmals zum Begriff der Medienvielfalt, MR 2004, 427; Reidlinger/ Hartung, 169. Diese sind befugt, die Abstellungen von Zuwiderhandlungen und einstweilige Maßnahmen anzuordnen, Verpflichtungszusagen anzunehmen und Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige im innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktionen zu verhängen (Art 5 VO 1/2003).
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mittelbaren Anwendung berechtigt und verpflichtet. Insbesondere bedarf es im Bereich des Art 81 Abs 3 EGV keiner konstitutiven Freistellungsentscheidung der Kommission mehr (Prinzip der Legalausnahme)87. Die Mitgliedsstaaten haben für die Anwendung der Art 81 und 82 EGV Wettbewerbsbehörden, die auch Gerichte sein können88, zu errichten (Art 35 VO 1/2003). In Österreich ist das Kartellgericht für die Erlassung von Entscheidungen, der Bundeskartellanwalt für die Antragsstellung beim Kartellgericht (§ 83 KartG 2005), die Bundeswettbewerbsbehörde zur Durchführung der in § 4 Abs 1 WettbG genannten Europäischen Wettbewerbsregeln (§ 3 Abs 1 WettbG) zuständig89. Auf Grund der dezentralen Anwendung des Kartellrechts der Gemeinschaft kommt der Koordinierung der Kommission und der mitgliedsstaatlichen Wettbewerbsbehörden bzw Gerichte sowie der mitgliedsstaatlichen Wettbewerbsbehörden bzw Gerichte untereinander besondere Bedeutung zu90. Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung sind ausschließlich von der Kommission zu prüfen, jedoch kann diese Sachverhalte unter bestimmten Voraussetzungen an eine nationale Behörde verweisen (Art 9 FVKO). Auch umgekehrt sind Verweisungen durch einen oder mehrere Mitgliedsstaaten an die Kommission möglich (Art 22 FVKO). Ebenso besteht für beteiligte Unternehmen die Möglichkeit unter bestimmten Bedingungen eine Verweisung an Kommission oder eine nationale Behörde zu erreichen (Art 4 Abs 4 und 5 FVKO)91.
E. Normadressaten 1. Unternehmen und Unternehmensvereinigungen Sowohl das österreichische als auch das europäische Kartellrecht richten sich an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen und gehen von einem funktionalen Unternehmensbegriff aus. Der Begriff des Unternehmens umfasst „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer
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Da österreichische Kartellgerichte wie eine Kartellbehörde agieren, fallen sie unter den Begriff „Wettbewerbsbehörden“ des Art 5 VO 1/2003. Gemäß Art 35 VO 1/2003 können zu den bestimmten Wettbewerbsbehörden auch Gerichte gehören. Vgl zum Begriff der Wettbewerbsbehörde und Gerichte Bechtold ua, Art 5 VO 1/2003 Rz 2 ff und Art 6 VO 1/2003 Rz 9 ff. Bis zur VO 1/2003 galt ein zentralisiertes Anmeldungs- und Erlaubnissystem. Das System der Legalausnahme ist umstritten vgl etwa Mestmäcker, Versuch einer kartellpolitischen Wende der EU, EuZW 1999, 523; Stillfried/Stockenhuber, Der Entwurf einer neuen Verfahrensverordnung zum EG-Kartellrecht, wbl 2001, 145 (150ff); Hossenfelder/Lutz, Die neue Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag, WuW 2003, 118 f. Siehe FN 86. Vgl Reidlinger/Hartung, 200 f und auch unten VI.B. Siehe unten VI.A.3. Zum Ganzen ausführlich Mestmäcker/Schweitzer, § 23 Rz 48 ff; Kofler-Senor/ Scholz, Die neue Europäische Fusionskontrollverordnung, wbl 2004, 266; auch Matousek, FKVO neu: Stille Revolution oder Business as usual?, ecolex 2004, 288 (290 f).
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Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“92. Eine wirtschaftliche Tätigkeit besteht darin, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten93, die Entgeltlichkeit der Leistung ist erforderlich94, jedoch keine Gewinnerzielungsabsicht95. Unternehmen können juristische oder natürliche Personen sowie Angehörige der freien Berufe sein96. Auch sportliche und künstlerische Tätigkeiten können zu einer Unternehmenseigenschaft führen, wenn am Wirtschaftsverkehr teilgenommen wird97. Auf Grund fehlender wirtschaftlicher Tätigkeit fallen Einrichtungen mit ausschließlich sozialem Charakter, die auf dem Gedanken der Solidarität beruhen, insbesondere die Systeme der gesetzlichen Sozialversicherung, nicht unter das Kartellrecht98. Ebenso ist hoheitliches Handeln des Staates vom Unternehmensbegriff ausgenommen99. Dies gilt auch für eine zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben mit staatlichen Sonderrechten ausgestatte private Einrichtung100. Hingegen ist auf öffentliche Unternehmen, die wirtschaftlich tätig werden, Kartellrecht anzuwenden101. Ein wesentlicher Anhaltspunkt dafür, ob das öffentliche Unternehmen oder die privilegierte Einrichtung eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, ist, ob die Tätigkeit auch von Privaten ausgeübt werden könn92
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EuGH, Rs C-41/90, Höfner und Elser, Slg 1991, I-1979 (Rz 21); vgl KOG 15.12.2003, 16 Ok 12/03. Gleichbedeutend wird als Unternehmen „jede selbständige, nicht rein private und außerhalb des Erwerbslebens liegende Tätigkeit einer Person in der Erzeugung oder Verteilung von Waren oder gewerblichen Leistungen“ verstanden; vgl Koppensteiner, § 7 Rz 23 und § 17 Rz 2. EuGH, Rs 118/85, Komm/Italien (Zollspediteure), Slg 1987, 2599 (Rz 7); EuGH, Rs C-35/96, Komm/Italien (Zollspediteure), Slg1998, I-3851 (Rz 36). Auch eine potentielle unternehmerische Tätigkeit genügt vgl Koppensteiner, § 7 Rz 23; Reidlinger/ Hartung, 34. Vgl Eilmansberger ua, Rz 317; Gippini-Fournier in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, Art 81 Abs 1 Rz 41; Bechtold ua, Art 81 EG Rz 11. EuGH, Rs C-67/96, Albany, Slg 1999, I-5751 (Rz 79); KOG 15.12.2003, 16 Ok 12/03. Vgl Reidlinger/Hartung, 34; Bechtold ua, Art 81 EG, Rz 9 und 22. zB Rechtsanwälte EuGH, Rs C-309/99, Wouters, Slg 2002, I-1577 (Rz 48 f) = wbl 2002, 161; Ärzte EuGH, Rs C-180/98 bis C-184/98, Pavlov, Slg 2000, I-6451 (Rz 77) = wbl 2000, 521; Eilmansberger ua, Rz 318 mwN. Vgl Mestmäcker/Schweitzer, § 8 Rz 17 ff; Schwarze/Hetzel, Der Sport im Lichte des europäischen Wettbewerbsrechts, EuR 2005, 581; Schürnbrand, Die Anwendung des Kartellrechts im Bereich des Sports, ZWeR 2005, 396; Hellmann/Bruder, Kartellrechtliche Grundsätze der zentralen Vermarktung von Sportveranstaltungen, EuZW 2006, 359. EuGH, Rs C-159/91 und C-160/91, Poucet et Pistre, Slg 1993, I-637 (Rz 18); EuGH, Rs C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, AOK, Slg 2004, I-2493 = wbl 2004, 172; KOG ecolex 2004/341 (kritisch Hauck) = wbl 2004, 495; kritisch Karl, Sind Krankenversicherungsträger Unternehmen iSd Wettbewerbsrechts? Eine kritische Analyse des EuGH-Urteils AOK Bundesverband, ASoK 2005, 57; Reysen/ Bauer, Health Insurance and European Competition Law, ZWeR 2004, 568; ebenso Reidlinger/Hartung, 35 f; die Unternehmenseigenschaft für Krankenhäuser des deutschen Gesundheitswesen befürworten Soltész/Puffer-Mariette, Krankenhäuser im Fokus des Europäischen Wettbewerbsrechts, EWS, 2006, 438. Vgl Schröter in: Schröter/Jakob/Mederer, Vorbem Art 81-85 Rz 34; Emmerich, 30; Reidlinger/Hartung, 35; KOG ecolex 1996, 689 (Wollmann) = ÖBl 1996, 202. EuGH, Rs C-343/95, Diego Calì & Figli, Slg 1997, I-1547 (Rz 22 ff). Vgl Bechtold ua, Art 81 EG Rz 16 ff; Eilmansberger in: Streinz, Art 81 Rz 26.
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te102. Tätigkeiten als Arbeitnehmer und privater Verbrauch begründen keine Unternehmereigenschaft103. Auch außerhalb des privaten Verbrauchs begründet eine reine Nachfragetätigkeit, etwa durch Sozialversicherungsträger oder die öffentliche Hand, keine Unternehmenseigenschaft104. Das Kartellverbot des § 1 KartG 2005 bzw Art 81 EGV umfasst auch Unternehmensvereinigungen, die sowohl durch Unternehmen als auch wiederum aus Unternehmensvereinigungen gebildet sein können105. Die Rechtsform ist gleichgültig. Ist eine Unternehmensvereinigung wirtschaftlich tätig, wird sie vom Unternehmensbegriff erfasst106.
2. Exkurs: Konzerne und Handelsvertreter Eine Tochtergesellschaft, die ihr Verhalten nicht mehr autonom bestimmen kann, sondern von der Muttergesellschaft abhängig ist, bildet mit der Muttergesellschaft eine wirtschaftliche Einheit. Einerseits werden wettbewerbsbeschränkende Handlungen der Tochter ihrer Mutter zugerechnet107 und andererseits ist auf Vereinbarungen zwischen Mutter und Tochter nicht das Kartellverbot anzuwenden (Konzernprivileg)108. Auch eine Mehrheitsbeteiligung kann zu einer wirtschaftlichen Einheit führen109. Handelsvertreter, die keine der Risiken aus den für den Geschäftsherrn vermittelten Geschäften tragen (echte Handelsvertreterverträge), üben keine selbständige Wirtschaftstätigkeit aus und fallen aus diesem Grund ebenso nicht unter das Kartellverbot110. 102 103 104
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Eilmansberger in: Streinz, vor Art 81 Rz 26 mN. Vgl Schröter in: Schröter/Jakob/Mederer, Vorbem Art 81-85 Rz 24 f. EuGH 11.07.2006, Rs C-205/03 P, FENIN, Slg 2006, I-06295 (Rz 25 ff) = EuZW 2006, 600 (Scheffler) = EWS 2006, 478; Eilmansberger in: Streinz, vor Art 81 Rz 27. Zum Ganzen ausführlich Gippini-Fournier in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 81 Abs 1 Rz 62 ff; vgl Mestmäcker/Schweitzer, § 8 Rz 26 f; Bechtold ua, Art 81 EG Rz 25 ff. Vgl Koppensteiner, § 17 Rz 6. EuGH, Rs 48/69, ICI, Slg 1972, 619 (Rz 132/135); Eilmansberger in: Streinz, Art 81 Rz 8 mwN; Riesenkampff, Haftet die Mutter für Verstöße der Tochter gegen EG-Kartellrecht?, FS Peltzer, 2001, 359. Dazu Koppensteiner, Kartellrecht im Unternehmensverbund, FS Mailänder, 2006, 125; Eilmansberger in: Streinz, Art 81 Rz 6 ff; Thomas, Konzernprivileg und Gemeinschaftsunternehmen - Die kartellrechtliche Beurteilung konzerninterner Wettbewerbsbeschränkungen mit Gemeinschaftsunternehmen, ZWeR 2005, 236; EuGH, Rs C-73/95 P, Viho, Slg 1996, I-5457 (Rz 15 f); KOG ecolex 2005/372 (Tremmel) = wbl 2005, 490. Thomas (FN 108), 242 f. Zuletzt EuG, T-325/01, DaimlerChrysler, Slg 2005, II-03319 = EWiR 2005, 861 (Weidenbach); zu dieser Entscheidung auch Ensthaler/Gesmann-Nuissl, Die rechtliche Stellung des Handelsvertreters innerhalb der Kfz-Vertriebssysteme, EuZW 2006, 167; ebenso einschließlich der Auswirkung auf das nationale Kartellrecht Eilmansberger, Neues zum Handelsvertreterprivileg: Das DaimlerChrysler-Urteil des EuG, ZWeR 2006, 64; vgl Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen Rz 12 ff (Abl 2000 C 291/1); die Eingliederung des Handelsvertreters in das Unternehmen des Geschäftsherrn als zusätzliches Kriterium fordern Pfeffer/Wegner, Handelsvertreterprivileg: Vertrieb über Handelsvertreter - praktikable Ausnahme zum Kartellverbot des Art 81 EG/§ 1 GWB?, EWS 2006, 296.
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F. Relevanter Markt Die Marktmacht ist wichtiges Beurteilungskriterium des Missbrauchverbots und der Fusionskontrolle111. Auch bei der Anwendung des Verbots der Wettbewerbskoordination und der Freistellung von diesem ist sie neben der Marktstruktur zu beachten. Die Marktmacht wird vor allem anhand der Marktanteile der Unternehmen am relevanten Markt bestimmt112. Die Abgrenzung des relevanten Marktes erfolgt in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht. Eine besondere Rolle bei der Bestimmung des sachlich relevanten Marktes spielt einerseits die Nachfragesubstituierbarkeit, dh die Ersetzbarkeit eines Produktes durch ein anderes Produkt aus Sicht des unmittelbaren Abnehmers (Bedarfsmarktkonzept)113 und andererseits die Angebotssubstituierbarkeit, dh die Fähigkeit, durch Umstellung der Produktion eines Unternehmens kurzfristig in den Markt einzutreten. Der räumlich relevante Markt umfasst das Gebiet, in dem die beteiligten Unternehmen die relevanten Produkte anbieten, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und das sich von benachbarten Gebieten auf Grund merklich unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen unterscheidet114.
III. Verbot der Verhaltenskoordination A. Formen wettbewerbsbeschränkender Koordination 1. Vereinbarungen Bringen zumindest zwei Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten, liegt eine Vereinbarung im Sinne des Art 81 Abs 1 EGV bzw § 1 Abs 1 KartG 2005 vor115. Es kommt weder auf die rechtliche Verbindlichkeit116, eine bestimmte 111 112
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Dazu Gruber, Fusionskontrolle und Marktabgrenzung, wbl 2005, 205. Vgl Eilmansberger in: Streinz, vor Art 81 EGV Rz 31 f; Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft Rz 2 (Abl 1997 C 372/5). ZB EuGH, Rs 27/76, United Brands, Slg 1978, 207; Überblick über die gemeinschaftsrechtliche Entscheidungspraxis bei Bergmann in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, Art 82 Rz 36 ff; KOG 04.04.2005 16 Ok 20/04; Koppensteiner, § 12 Rz 18; Reidlinger/Hartung, 109 mwN; zum Bedarfsmarktkonzept kritisch Säcker, Abschied vom Bedarfsmarktkonzept, ZWeR 2004, 1. Vgl Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft (FN 112) Rz 8; EuGH, Rs 27/76, United Brands, Slg 1978, 207 (Rz 10/11); Reidlinger/Hartung, 113. EuGH, Rs 41-69, Chemiefarma, Slg 1970, 661 (Rz 110/114); EuG, T-347/94, MayrMelnhof, Slg 1998, II-01751 (Rz 65); EuG, T-208/01, Volkswagen AG, Slg 2003, II9189 (Rz 30). Zur Abgrenzung von einseitigen Maßnahmen vgl EuGH, Rs C-2/01 P und C-3/01 P, Adalat, Slg 2004, I-23; ausführliche Besprechung dieser Entscheidung von Eilmansberger, ZWeR 2004, 285; EuGH 13.7.2006, Rs C-74/04 P, Volkswagen; dazu Lange, Der Vereinbarungsbegriff des Art. 81 Abs. 1 EG - das VW-Urteil des EuGH, EWS 2006, 481. Emmerich, 48 f; Mestmäcker/Schweitzer, § 9 Rz 3; Stockenhuber in: Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union, Art 81 EGV Rz 91; EuG, T-347/94, Mayr-Melnhof, Slg 1998, II-01751 (Rz 65); zumindest faktische Verbindlichkeit
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Form117, die Art und Weise118 oder den Zweck119 der Vereinbarung an, noch ob diese tatsächlich umgesetzt wurde120. So sind auch gentlemen´s agreements121 und Willensübereinstimmungen, die durch Druck erzwungen wurden, vom Vereinbarungsbegriff umfasst. Ebenso können einem Vertrag angeschlossene allgemeine Geschäftsbedingungen und gerichtliche oder außergerichtliche Vergleiche eine Vereinbarung darstellen122.
2. Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen Voraussetzung eines Beschlusses einer Unternehmensvereinigung ist der zum Ausdruck gebrachte Wille, das Marktverhalten ihrer Mitglieder zu koordinieren123. Die Rechtsverbindlichkeit des Beschlusses ist nicht erforderlich. Auch Empfehlungen einer Unternehmensvereinigung, deren Nichtbefolgung zu rechtlichen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Sanktionen führen kann, sind umfasst. Selbst wenn die Empfehlung die Empfänger auf Grund fehlender Sanktionen nicht faktisch bindet, liegt der Tatbestand des Beschlusses vor, wenn mehrere Mitglieder der Vereinigung freiwillig der Aufforderung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen nachkommen124.
3. Abgestimmte Verhaltensweisen Der EuGH geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass jedes Unternehmen sein Marktverhalten selbständig zu bestimmen hat. Den Unternehmen ist es zwar nicht verwehrt, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten der Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen. Jedoch ist jede unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen Unternehmern untersagt, die bezweckt oder bewirkt125, das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht126. Ebenso ist eine Fühlungnahme verboten, die bezweckt oder bewirkt, dass Wettbewerbsbedingungen entstehen, die
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fordert Weiß in: Calliess/Ruffert (Hrsg), Kommentar zu EUV und EGV2, 2002, Art 81 Rz 58. KomE 89/190/EWG, PVC, Abl 1989 L 74/1 (Rz 30). EuG, T-141/89, Tréfileurope, Slg 1995, II-00791 (Rz 58). Vgl Bechtold ua, Art 81 EG Rz 40. Vgl Eilmansberger ua, Rz 335. Diese können auch den Tatbestand des abgestimmten Verhaltens erfüllen, vgl Koppensteiner, § 17 Rz 15. Vgl Eilmansberger in: Streinz, Art 81 EGV Rz 1. EuGH, Rs 45/85, Verband der Sachversicherer, Slg 1987, 405 (Rz 32). Koppensteiner, § 17 Rz 18; Schröter in: Schröter/Jakob/Mederer, Art 81 Abs 1 Rz 82; Mestmäcker/Schweitzer, § 9 Rz 10; Gippini-Fournier in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, Art 81 Abs 1 Rz 103; EuGH, verb Rs 96-102, 104, 105, 108, 110/82, IAZ, Slg 1983, 3369 (Rz 20); KOG ÖBl 2006/33 (Barbist) = wbl 2006, 192 = bbl 2006/96; auch hier zumindest faktische Verbindlichkeit fordert Weiß in: Calliess/Ruffert (Hrsg), Kommentar zu EUV und EGV2, 2002, Art 81 EGV Rz 62; Siehe unten III.B.2. EuGH, verb Rs 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113, 114-73, Suiker Unie, Slg 1975, 1663 (Rz 173 f).
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nicht den normalen Bedingungen des Marktes entsprechen127. Jede Form der Koordinierung zwischen Unternehmern, die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrages gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risken verbundenen Wettbewerbs treten lässt, stellt eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise dar128. Der Tatbestand abgestimmte Verhaltensweise kann durch den Austausch von Informationen über Preise, Umsätze, Liefermengen, Lagerbestände, Exporte etc erfüllt werden129. Informationsaustauschsysteme sind jedoch nicht generell untersagt, sondern es sind die Marktverhältnisse bzw die Art und Weise des Austausches der Informationen zu berücksichtigen130. Nicht erforderlich ist die Verbindlichkeit, eine bestimmte Form, die Abstimmung durch unmittelbaren Kontakt oder die Ausarbeitung eines Plans131. Ob es neben der koordinierenden Abstimmung, im Gegensatz zum Tatbestand der Vereinbarung, auch zu einer Durchführungshandlung kommen muss, ist umstritten, dürfte aber auf Grund letzter Entscheidungen des EuGH zu bejahen sein132. Ein auf dem Markt festzustellendes Parallelverhalten stellt keine abgestimmte Verhaltensweise dar, wenn es sich bei Betrachtung aller Umstände auch ohne Verhaltenskoordination erklären lässt. Es bedarf weiterer Anhaltspunkte, wie des systematischen Austausches von Informationen oder dass das Marktverhalten der Beteiligten offenkundig ihren wirtschaftlichen Interessen zuwiderläuft133.
B. Wettbewerbsbeschränkung 1. Allgemeines Lediglich Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und abgestimmte Verhaltensweisen, welche eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten. Unter einer Wettbewerbsbeschränkung wird dabei im Ausgangspunkt jede Beeinträchtigung der wettbewerblich relevanten Handlungsfreiheit der betrof-
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EuGH, Rs C-199/92 P, Hüls, Slg 1999, I-4287 (Rz 160). St Rspr: EuGH, Rs 48/69, ICI, Slg 1972, 619 (Rz 64); EuGH, Rs 172/80, Züchner, Slg 1981, 2021 (Rz 13 f); EuGH, verb Rs C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85, C-125/85 bis C-129/85, Ahlström, Slg 1993, I-1307 (Rz 63). Vgl Eilmansberger in: Streinz, Art 81 Rz 19. Dazu Mestmäcker/Schweitzer, § 9 Rz 36 ff; Eilmansberger in: Streinz, Art 81 Rz 19; zu B2B-Plattformen derselbe, EG-Wettbewerbsrecht und Internet, wbl 2001, 501 (506 f). Vgl Bechtold ua, Art 81 EG Rz 48. EuGH, Rs C-199/92 P, Hüls, Slg 1999, I-4287 (Rz 162); EuGH, Rs C-49/92 P, Anic Partecipazioni, Slg 1999, I-4125 (Rz 118); so Eilmansberger ua, Rz 345; Weiß in: Calliess/Ruffert (Hrsg), Kommentar zu EUV und EGV2, 2002, Art 81 Rz 69; Reidlinger/Hartung, 56 f; aA Bechtold ua, Art 81 EG Rz 49. Vgl Koppensteiner, § 17 Rz 20; Eilmansberger ua, Rz 346; dazu näher Mestmäcker/ Schweitzer, § 9 Rz 28 ff.
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fenen Unternehmen verstanden134. Das überzeugt im Grundsatz135, weil Wettbewerb eben jene Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer voraussetzt136. Das Kartellverbot des Art 81 EGV bzw § 1 KartG 2005 schützt den aktuellen und den potentiellen Wettbewerb, den Interbrand- (Wettbewerb zwischen verschiedenen Marken) und Intrabrand-Wettbewerb (Wettbewerb innerhalb einer Marke). Ebenso umfasst sind neben horizontalen auch vertikale Wettbewerbsbeschränkungen137. Nicht in den Schutzbereich fällt der unlautere Wettbewerb. Vereinbarungen von Unternehmern zur Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs sind grundsätzlich zulässig138.
2. Bezwecken oder Bewirken Voraussetzung des Kartellverbots ist, dass die Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt wird. Der wettbewerbsbeschränkende Zweck einer Verhaltenskoordination ist ausgehend vom Vertragsinhalt anhand objektiver Kriterien zu beurteilen. Ist die Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, müssen die konkreten Auswirkungen der Verhaltenskoordination nicht berücksichtigt werden, es genügt die Eignung zur Wettbewerbsstörung139. Liegt kein wettbewerbsbeschränkender Zweck vor, kann eine Verhaltenskoordination dennoch unter das Kartellverbot fallen, wenn sie eine in einem adäquaten Zusammenhang stehende Wettbewerbsbeschränkung potentiell oder tatsächlich bewirkt140. Die Beurteilung erfolgt durch eine Prüfung der wirtschaftlichen, rechtlichen und tatsächlichen Marktverhältnisse, in deren Rahmen ein Vergleich der Wettbewerbsverhältnisse mit und ohne der Verhaltenskoordination anzustellen ist141.
3. Spürbarkeit a) Allgemeines Ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für die Anwendung von Art 81 EGV bzw § 1 KartG 2005 stellt die von der Rechtsprechung142 entwickelte Spürbarkeit der Handelsbeeinträchtigung und der Wettbewerbsbeschränkung dar143. Zwischen der Frage der spürbaren Beschränkung des Wettbewerbs und der 134 135 136 137 138 139
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Vgl nur Eilmansberger in: Streinz, Art 81 Rz 44 mN; EuGH Rs C-306/96, Javico, Slg 1998, I-1983. Zu Einschränkungen unten III.B.4. Oben I.A.1.; Eilmansberger in: Streinz, Art 81 Rz 45. Vgl Koppensteiner, § 17 Rz 21; Eilmansberger ua, Rz 355; Reidlinger/Hartung, 57 f; EuGH, verb Rs 56, 58-64, Grundig/Consten, Slg 1966, 322 (387). Vgl Mestmäcker/Schweitzer, § 10 Rz 33 ff; Bechtold ua, Art 81 EG Rz 60 f. Vgl Koppensteiner, § 17 Rz 34 f; Stockenhuber (FN 29), 24; Schröter in: Schröter/Jakob/Mederer, Art 81 Abs 1 Rz 138 ff; EuGH, Rs 56/65, Maschinenbau Ulm, Slg 1966, 282 (303); KOG RdW 2007/27. Vgl Koppensteiner, § 17 Rz 36; Schröter in: Schröter/Jakob/Mederer, Art 81 Abs 1 Rz 144 f. Vgl Bechtold ua, Art 81 EG Rz 73; Mestmäcker/Schweitzer, § 10 Rz 64 f; EuGH, Rs 56/65, Maschinenbau Ulm, Slg 1966, 282 (303); EuGH, Rs 5/59, Völkl/Vervaecke, Slg 1969, 295 (Rz 7); EuGH, Rs 56/65, Maschinenbau Ulm, Slg 1966, 282 (303). Dazu ausführlich Terhechte, Die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale des europäischen Wettbewerbsrechts, 2004.
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spürbaren Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten144 ist zu unterscheiden145, das Tatbestandsmerkmal wird jedoch in beiden Fällen vom EuGH grundsätzlich gleich, zumeist auf Grund quantitativer Kriterien146 ausgelegt und in der Regel gemeinsam geprüft147. Hinsichtlich der quantitativen Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkungen gibt die „De-minimis-Bekanntmachung“ der Kommission Anhaltspunkte zur Konkretisierung des Begriffs148. Eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung wird bei horizontalen Vereinbarungen angenommen, wenn insgesamt ein Marktanteil von 10% überschritten wird, bei vertikalen Vereinbarungen, wenn jeweils ein Marktanteil von 15% überschritten wird. Nicht von der Bekanntmachung umfasst sind die Kernbeschränkungen149. Auch in der Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels finden sich Hinweise zum Begriff der Spürbarkeit. Die Kommission geht von keiner spürbaren Beeinträchtigung aus, wenn kumulativ der gemeinsame Marktanteil 5% nicht überschreitet und bei horizontalen Vereinbarungen der gesamte Jahresumsatz der beteiligten Unternehmen bzw bei vertikalen Vereinbarungen des Lieferanten mit den von der Vereinbarung erfassten Waren innerhalb der Gemeinschaft den Betrag von 40 Mio. EUR nicht überschreitet. Die Kommission wendet diese widerlegbare Negativvermutung auch auf Kernbeschränkungen an und wird bei Unterschreitung der Betragsgrenze in der Regel weder auf Antrag noch von Amts wegen ein Verfahren einleiten150. b) Österreich Obwohl § 2 Abs 2 Z 1 KartG 2005 (Bagatellkartelle)151 die meisten Fälle fehlender Spürbarkeit erfassen dürfte, wird darüber hinaus auch das Kriterium der fehlenden Spürbarkeit herangezogen werden können152.
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Siehe oben II.C. Vgl Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags Rz 4 (Abl 2004 C 101/81). Zu qualitativen und quantitativen Kriterien Eilmansberger ua, Rz 379 ff. Vgl Mestmäcker/Schweitzer, § 10 Rz 81. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Art 81 Abs 1 EGV nicht spürbar beschränken (de minimis) (Abl 2001 C 368/13). Vgl zu den Spürbarkeitsgrenzen für kumulative Marktabschottungseffekte und den einzelnen nicht erfassten Kernbeschränkungen (zB Festsetzung von Preisen, Aufteilung von Märkten etc) Hoffer/Hornek, „De-minimis-Bekanntmachung“ der Europäischen Kommission, ecolex 2002, 360; zu den Kernbeschränkungen siehe auch unten III.C.2.a. Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags Rz 44 ff (Abl 2004 C 101/81). Siehe unten III.D. Vgl dazu näher Reidlinger/Hartung, 51.
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4. Einschränkungen des Begriffs Wettbewerbsbeschränkungen Der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung ist sehr weit153. Davon werden jedoch aus wettbewerbsimmanent erklärbaren Gründen Ausnahmen gemacht. So sind Wettbewerbsbeschränkungen, die einen Zutritt eines Unternehmens in einen neuen Markt überhaupt erst ermöglichen und damit wettbewerbsfördernd wirken, nicht erfasst (Markterschließungsdoktrin)154. Gleiches gilt für Nebenvereinbarungen, die mit einer wettbewerbsrechtlich unbedenklichen Hauptabrede unmittelbar verbunden und für die Durchführbarkeit erforderlich sind (zB angemessene Wettbewerbsverbote in Unternehmenskaufverträgen; sog Immanenztheorie, ancillary restraints)155. Die aus dieser Praxis der Einschränkung des Wettbewerbsbegriffs entstehende Frage, ob zwischen wettbewerbsfördernden und wettbewerbshemmenden Auswirkungen im Sinne einer „rule of reason“ abzuwägen ist, wird überwiegend verneint. Vielmehr ist diese Abwägung im Rahmen des Art 81 Abs 3 EGV vorzunehmen156. Seit der Umgestaltung von Art 81 Abs 3 EGV zu einer Legalausnahme157 hat dieser Streit freilich an Bedeutung verloren.
C. Fallgruppen 1. Allgemeines Art 81 Abs 1 EGV lit a-e und § 1 Abs 2 KartG 2005 Z 1-5 enthalten eine nicht abschließende Aufzählung von Beispielen typischer Wettbewerbsbeschränkungen, die bei Erfüllung der anderen Tatbestandsvoraussetzungen gegen das Kartellverbot verstoßen158. Zu den wichtigsten Beschränkungen des Wettbewerbs zählen Preisabsprachen, Beschränkungen der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen sowie die Marktaufteilung (Kernbeschränkungen). Sowohl horizontale (Unternehmen auf einer Marktstufe) als auch vertikale159 (Unternehmen auf verschiedenen Marktstufen) Wettbewerbsbeschränkungen unterfallen dem Kartellverbot. Diese zweckmäßige Unterscheidung findet sich auch in den für die Beurteilung von Kartellsachverhalten wertvollen Leitlinien der Kommission über horizontale160 und vertikale161 Zusammenarbeit wieder. 153 154 155 156
157 158 159 160
Oben III.B.1. Vgl Koppensteiner, § 17 Rz 23; Eilmansberger ua, Rz 369 f; EuGH, Rs 56/65, Maschinenbau Ulm, Slg 1966, 282 (304) Vgl Koppensteiner, § 7 Rz 47 ff; Reidlinger/Hartung, 59; Eilmansberger ua, Rz 371 ff. So Bechtold ua, Art 81 EG Rz 114; Amato/Gonzalez Diaz in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 81 Abs 1 Rz 135 ff; Schröter in: Schröter/Jakob/ Mederer, Art 81 Abs 1 Rz 108; aA Eilmansberger ua, Rz 374 f; derselbe, Reform des Vollzuges von Art 81 EG-V und Rule of Reason, FS Koppensteiner, 2001, 317 (331 ff). Unten III.D. Vgl Mestmäcker/Schweitzer, § 11 Rz 1. Vgl schon EuGH, verb Rs 56, 58-64, Grundig/Consten, Slg 1966, 322 (387). Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, (Abl 2001 C 3/2), im Folgenden „Horizontalleitlinie“.
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2. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen a) Kernbeschränkungen Jede unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise ist vom Kartellverbot umfasst. Aus diesem Grund untersagt sind Vereinbarungen über Höchst- oder Mindestpreise, Richtpreise, den Austausch von preisrelevanten Informationen, Preisbestandteile, insbesondere Rabatte und die Koordinierung von Ein- oder Verkaufsbedingungen162. Ebenso verboten sind Beschränkungen der Produktion, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen. Produktionsbeschränkungen können unter anderem durch Quotenvereinbarungen, Absprachen zum Abbau von Überkapazitäten bzw Investitionstätigkeiten und Spezialisierungsvereinbarungen163 erfolgen164. Sowohl die Aufteilung von Märkten anhand von Gebietsgrenzen als auch eine Marktaufteilung nach Kunden sind tatbestandsmäßig. Unter anderem stellen Übereinkünfte in einem bestimmten Gebiet keine Produktionstätigkeit zu beginnen, mengenmäßige Beschränkungen einzuhalten oder Preise nicht zu unterbieten, eine Marktaufteilung dar165. Hingegen sind horizontale Vereinbarungen über die Zusammenarbeit (i) zwischen Nichtwettbewerbern, (ii) zwischen Wettbewerbern, wenn sie die von der Zusammenarbeit erfasste Tätigkeit oder das Projekt nicht eigenständig durch führen können166, sowie (iii) bei einer Tätigkeit, welche die relevanten Wettbewerbsparameter nicht beeinflusst, nicht wettbewerbsbeschränkend, soweit keine Unternehmen mit erheblicher Marktmacht beteiligt sind und die Zusammenarbeit nicht zu Abschottungsproblemen gegenüber Dritten führen kann167. b) Sonstige Formen der Koordination Zahlreiche Koordinationsformen der Unternehmer lassen sich nicht unter die dargestellten Kernbeschränkungen subsumieren. Die Horizontalleitlinie beurteilt diese Kooperationen vor allem anhand der Marktmacht der beteiligten Unternehmen und der Marktstruktur.
161 162 163
164 165 166
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Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen (Abl 2000 C 291/1), im Folgenden „Vertikalleitlinie“. Vgl Koppensteiner, § 17 Rz 67 f; Nachweise bei Wägenbauer in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, Art 81 Abs 1 Rz 208 ff. Durch VO (EG) Nr. 2658/2000 (Abl 2000 L 304/3) idF (Abl 2003 L 236/344) sind auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene gewisse Spezialvereinbarungen vom Anwendungsbereich des Art 81 Abs 1 EGV ausgenommen; dazu vgl Urlesberger, Reform der horizontalen EG-Wettbewerbsregeln für Unternehmerkooperationen, ecolex 2001, 212 (214 f). Nachweise bei Schröter in: Schröter/Jakob/Mederer, Art 81 Abs 1 Rz 175 ff. Nachweise bei Schröter in: Schröter/Jakob/Mederer, Art 81 Abs 1 Rz 185 f. Zu Bietergemeinschaften Karollus/Artmann, Bietergemeinschaften im europäischen Kartellrecht, wbl 2001, 453; Stifter, Bewertung von Bietergemeinschaften nach dem Kartellgesetz 2005, bbl 2006, 51. Horizontalleitlinie (FN 160) Rz 24; Reidlinger/Hartung, 98; Eilmansberger ua, Rz 401.
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Vereinbarungen über gemeinsame Forschung und Entwicklung können den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt fördern und werden infolgedessen grundsätzlich positiv bewertet und sind, sofern der Innovationswettbewerb nicht beeinträchtigt oder eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt wird, nicht vom Kartellverbot umfasst168. Darüber hinaus kann für gemeinschaftsrechtliche Sachverhalte auch eine Freistellung durch die Gruppenfreistellungsverordnung für Forschung und Entwicklung erfolgen169. Bei Produktionsvereinbarungen unterscheidet die Horizontalleitlinie zwischen Vereinbarungen über die (i) gemeinsame Produktion, (ii) Vereinbarungen über einseitige Spezialisierung, bei der die Partner allein oder gemeinsam die Herstellung eines bestimmten Erzeugnisses einstellen und dieses vom anderen Partner beziehen sowie (iii) Zulieferungsvereinbarungen, bei denen der eine Partner dem anderen die Herstellung der Erzeugnisse überlässt170. Jedenfalls wettbewerbsbeschränkend sind nur Kernbeschränkungen in Produktionsvereinbarungen. Andere Beschränkungen werden nach Marktmacht und Marktstruktur beurteilt171. Für Spezialisierungsvereinbarungen gibt es eine GruppenfreistellungsVO172. Vereinbarungen über den gemeinsamen Einkauf können sich sowohl auf den Einkaufs- als auch den Verkaufsmarkt auswirken. Einkaufsvereinbarungen von KMU werden in den Horizontalleitlinien der Kommission als normalerweise wettbewerbsfördernd angesehen und positiv beurteilt. Des Weiteren soll zumeist keine Marktmacht vorhanden sein, wenn die an der Vereinbarung Beteiligten einen gemeinsamen Marktanteil von weniger als 15 % sowohl auf den Einkaufs- als auch Verkaufsmärkten halten. Indes bedeutet das Überschreiten dieser Schwelle nicht automatisch eine Wettbewerbsbeschränkung. Es ist vielmehr eine eingehende Prüfung der Auswirkungen der Vereinbarung erforderlich173. Vereinbarungen über den gemeinsamen Verkauf bewirken in der Regel durch die Vereinheitlichung des Preises eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung. Erfolgt keine Preisfestsetzung, fallen Vereinbarungen ebenso wie bei Einkaufsvereinbarungen zumeist nur unter das Verbot, wenn die an der Vereinbarung Beteiligten einen gemeinsamen Marktanteil von über 15 % halten. Auch müssen bei Überschreiten dieser Schwelle die voraussichtlichen Auswirkungen der Vermarktungsvereinbarung ermittelt werden. Begrenzte Vereinba-
168 169
170 171 172 173
Vgl Reidlinger/Hartung, 100; Bechtold ua, Art 81 EG Rz 167 f. VO (EG) Nr. 2659/2000 der Kommission vom 29. November 2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (Abl 2000 L 304/7) idF (Abl 2003 L 236/344); vgl Reidlinger/Hartung, 100 f; Barbist/Rungg, Reform der EG-Wettbewerbsregeln für Unternehmerkooperationen, RdW 2001/249; Urlesberger (FN 163); Kommentierung Schütze in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Bd 1, 625 ff. Horizontalleitlinie (FN 160) Rz 79. Vgl Reidlinger/Hartung, 101 f; Eilmansberger ua, Rz 404 FN 163. Horizontalleitlinie (FN 160) Rz 115 ff; vgl Eilmansberger in: Streinz, Art 81 EGV Rz 249; Reidlinger/Hartung, 103.
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rungen, die nur eine bestimmte Absatzfunktion (zB Wartung, Werbung) regeln, werden als weniger problematisch eingestuft174.
3. Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen Die Beurteilung von vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen wird vor allem durch die Vertikalleitlinie175 und die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Verbindungen176 bestimmt. Die Vertikal-GVO umfasst grundsätzlich alle Vertriebsverträge, besonders geregelt sind der Kfz-Vertrieb177 und der Technologietransfer178. Einerseits bewertet die Kommission vertikale Verbindungen auf Grund ihrer effizienzsteigernden Wirkung positiv, andererseits beschränken bestimmte vertikale Vereinbarungen den Wettbewerb so schwer, dass sie untersagt sind (Kernbeschränkungen). Dem entsprechend stellt die Vertikal-GVO Beschränkungen von Lieferanten bzw Käufern bei Alleinbelieferungsverpflichtungen, die auf dem relevanten Markt einen Anteil von weniger als 30 % haben, grundsätzlich frei (Art 3), soweit sie keine Kernbeschränkungen enthalten (Art 4). Vereinbarungen im Vertikalverhältnis über die vom Wiederverkäufer zu verrechnenden Preise stellen Kernbeschränkungen dar. Zu diesen tatbestandsmäßigen vertikalen Preisbindungen zählen nicht nur Absprachen über Festoder Mindestpreise, sondern auch die Festlegung einer gewissen Bandbreite der Wiederverkaufspreise, Absprachen über Gewinnspannen oder Nachlässe von Vertriebshändlern sowie Absprachen über Prämien und Vergünstigungen
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Horizontalleitlinie (FN 160) Rz 139 ff; vgl Reidlinger/Hartung, 103 f; Eilmansberger ua, Rz 405; zum Einkauf und Verkauf auf B2B-Plattformen derselbe (FN 130). Siehe FN 161. VO (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Artikel 81 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen (Abl 1999 L 336/21) idF (Abl 2003 L 236/344), im Folgenden „Vertikal-GVO“; dazu Liebscher/Petsche, EG-Kartellrecht: Die neue Gruppenfreistellungsverordnung ist beschlossen, ecolex 2000, 293. VO (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor (Abl 2002 L 203/30) idF (Abl 2003 L 236/344); dazu Creutzig, Die neue Gruppenfreistellungsverordnung für den Kfz-Sektor, EuZW 2002, 560; Ensthaler, Die neue Gruppenfreistellungsverordnung für den Kfz-Vertrieb, WuW 2002, 1042; Kommentierung Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Bd 1, 649 ff. VO (EG) Nr. 772/2004 der Kommission vom 27. April 2004 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von TechnologietransferVereinbarungen (Abl 2004 L 123/11) idF (Abl 2004 L 127/158); dazu Lubitz, Die neue Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung, EuZW 2004, 652; Schultze/Pautke/Wagener, Die neue Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung der Europäischen Kommission - Mission Completed, EWS 2004, 437; Barbist/Rungg, Reform der EG-Wettbewerbsregeln für den Technologietransfer, ecolex 2004, 797; Wissel/Eickhoff, Die neue EG-Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfer-Vereinbarungen, WuW 2004, 1244; Kommentierung von Falck/Schmaltz in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Bd 1, 598 ff.
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bei Einhaltung von bestimmten Wiederverkaufspreisen179. Ebenso zu den Kernbeschränkungen gezählt werden Absprachen, die einem Händler absoluten Gebietsschutz gewähren, Beschränkungen von Vertriebshändlern im Verkauf an Endverbraucher, Beschränkungen von Querlieferungen zwischen Vertriebshändlern und Beschränkungen von Zulieferern, an unabhängige Werkstätten oder Dienstleister zu verkaufen180. Wird eine solche Klausel verwendet, ist eine Freistellung für den gesamten Vertrags ausgeschlossen. Eine Freistellung ist auch für (i) unmittelbare oder mittelbare Wettbewerbsverbote, die über eine Dauer von fünf Jahren hinausgehen, (ii) bestimmte nachvertraglichen Wettbewerbsverbote, sowie (iii) ein an die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems gerichtetes Verbot, die Marken bestimmter konkurrierender Lieferanten zu verkaufen, nicht möglich (Art 5 Vertikal-GVO)181. Andere Absprachen, die Alleinvertriebs- und Alleinbezugsvereinbarungen enthalten sowie selektive Vertriebssysteme182 und Franchising unterliegen dem Kartellverbot, soweit der Anteil am relevanten Markt 30 % übersteigt und wettbewerbsbeschränkende Klauseln enthalten sind. Sie sind darauf zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Freistellung entsprechend Art 81 Abs 3 EGV bzw § 2 Abs 1 KartG 2005 vorliegen183. Das österreichische Kartellrecht enthält zusätzlich in § 1 Abs 4 KartG 2005 ein Verbot einseitiger Empfehlungen zur Einhaltung bestimmter Preise, Preisgrenzen, Kalkulationsrichtlinien etc, durch die eine Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt wird (Empfehlungskartell). Ausgenommen sind Empfehlungen, in denen ausdrücklich auf ihre Unverbindlichkeit hingewiesen wird und zu deren Durchsetzung wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Druck weder ausgeübt werden soll noch ausgeübt wird184.
D. Freistellung vom Kartellverbot Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen sind vom Kartellverbot ausgenommen, wenn sie (i) zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, (ii) die Verbraucher an dem entstehenden Gewinn angemessen beteiligt sind (iii) den beteiligten Unternehmern keine Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind und (iv) keine Möglichkeiten eröffnen, für einen wesentlichen Teil der betreffenden 179
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183 184
Vgl Wägenbauer in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 81 Abs 1 Rz 223 ff; Eilmansberger in: Streinz, Art 81 EGV Rz 151 ff; in KOG 30.05.2005, 16 Ok 8/05 wurde eine vertikale Preisbindung verneint. Vgl Amato/Gonzalez Diaz in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 81 Abs 1 Rz 116; Reidlinger/Hartung, 79 f. Vgl Eilmansberger ua, Rz 419 f. Dazu Bergmann, Selektive vertikale Vertriebsbindungssysteme im Lichte der kartell- und lauterkeitsrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, ZWeR 2004, 28. Vgl zu den einzelnen Vertriebsformen Bechtold ua, Art 81 EG Rz 196 ff; Eilmansberger in: Streinz, Art 81 EGV Rz 168 ff; Reidlinger/Hartung, 86 f. Dies stellt eine strengere Regelung im Sinne von Art 3 Abs 2 VO 1/2003 dar, siehe schon oben II.D.1; vgl (FN 79).
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Waren den Wettbewerb auszuschalten (Art 81 Abs 3 EGV bzw § 2 Abs 1 KartG 2005). Diese vier Voraussetzungen müssen kumulativ gegeben sein185. Durch die VO 1/2003 wurde Art 81 Abs 3 EGV für unmittelbar anwendbar erklärt, die Freistellung wirkt automatisch (Prinzip der Legalausnahme)186. Auch in § 2 Abs 1 KartG 2005 wurde dieses System implementiert („sind Kartelle ausgenommen“)187. Die Unternehmer müssen die Voraussetzungen der Ausnahme selbständig beurteilen. Die dadurch hervorgerufene Rechtsunsicherheit wird freilich durch verschiedene Leitlinien der Kommission gemildert, die Vorgaben für die Anwendbarkeit von Art 81 Abs 3 EGV hinsichtlich bestimmter Vereinbarungstypen enthalten188. Auf sie kann auch zum inhaltsgleichen österreichischen Recht zurückgegriffen werden. Sowohl auf europäischer Ebene (Art 81 Abs 3 EGV), als auch im österreichischen Recht (§ 3 KartG 2005)189 besteht weiterhin die Möglichkeit bestimmte Gruppen von Vereinbarungen vom Kartellverbot freizustellen (Gruppenfreistellungsverordnungen)190. Im europäischen Recht existieren auch eine Reihe von GruppenfreistellungsVO191. Gegenüber der „Selbstveranlagung“ der Unternehmen im Rahmen des Art 81 Abs 3 bietet das natürlich einen erheblichen Rechtssicherheitsgewinn. Im österreichischen Recht ist bislang keine einschlägige VO zum KartG 2005 erlassen worden. Auch hier kann man sich freilich an den europäischen Gruppenfreistellungsverordnung im Rahmen der „Selbstveranlagung“ orientieren. Das österreichische Kartellrecht enthält zudem in § 2 Abs 2 KartG 2002 besondere Ausnahmebestände. So sind Kartelle zwischen Unternehmern ausgenommen, die gemeinsam am gesamten inländischen Markt einen Anteil von nicht mehr als 5 % und an einem allfälligen inländischen räumlichen Teilmarkt
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Vgl Bauer, Zur Legalausnahme nach § 2 Abs 1 KartG 2005, ecolex 2005, 508; zu den einzelnen Voraussetzungen Mestmäcker/Schweitzer, § 13 Rz 34 ff; Eilmansberger in: Streinz, Art 81 EGV Rz 130 ff; Reidlinger/Hartung, 64 ff; KOG RdW 2007/27. Siehe schon FN 87. Vgl ErlRV 926 BlgNr 22. GP. Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag (Abl 2004 C 101/8); Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (Abl 2001 C 3/2); Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Abl 2000 C 291/1). Durch Verordnung des Bundesministers für Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit bzw allenfalls mit dem Bundesminister für Finanzen. Es kann auch auf eine Verordnung nach Art 81 Abs 3 verwiesen werden; vgl Hoffer/Barbist, 21. Dazu ausführlich Fuchs, Die Gruppenfreistellungsverordnung als Instrument der europäischen Wettbewerbspolitik im System der Legalausnahme, ZWeR 2005, 1. VO (EG) Nr. 2658/2000 (Abl 2000 L 304/3) idF (Abl 2003 L 236/344) - GVO Spezialisierungsvereinbarungen; VO (EG) Nr. 2659/2000 (Abl 2000 L 304/7) idF (Abl 2003 L 236/344) - GVO Forschung und Entwicklung; VO (EG) Nr. 2790/1999 (Abl 1999 L 336/21) idF (Abl 2003 L 236/344) - GVO vertikale Verbindungen; VO (EG) Nr. 1400/2002 (Abl 2002 L 203/30) idF (Abl 2003 L 236/344) - GVO KfzVertrieb; Verordnung (EG) Nr. 358/2003 (Abl 2003 L 53/8) idF VO (EG) Nr. 886/2004 (Abl 2004 L 168/14) - GVO Versicherungen; VO (EG) Nr. 772/2004 (Abl 2004 L 123/11) idF (Abl 2004 L 127/158) - GVO Technologietransfervereinbarungen; siehe dazu schon oben III.C.2. und 3.
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von nicht mehr als 25 % haben (Bagatellkartelle)192. Diese Ausnahme gilt im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht auch für Kernbeschränkungen193. Ebenso ausgenommen sind Vereinbarungen über die Bindung des Letztverkäufers im Handel mit Büchern, Kunstdrucken, Musikalien, Zeitschriften und Zeitungen an den vom Verleger festgesetzten Preis, Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Genossenschaftsmitgliedern sowie zwischen diesen und der Genossenschaft in Erfüllung des Förderungsauftrages194, die Landwirtschaft195 und bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen zwischen den Mitgliedern einer Kreditinstitutsgruppe.
E. Zivilrechtliche Folgen 1. Nichtigkeit Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Beschlüsse sind nichtig (Art 81 Abs 2 EGV bzw § 1 Abs 3 KartG 2005). Die Nichtigkeit wirkt absolut und hat die Unwirksamkeit ex tunc zur Folge196. Dies gilt aber nicht für die gesamte Vereinbarung, die Nichtigkeit erstreckt sich nur auf diejenigen Teile, die selbst unmittelbar vom Kartellverbot erfasst sind. Können diese Teile nicht sinnvoll von der restlichen Vereinbarung getrennt werden, tritt Gesamtnichtigkeit ein. Das Schicksal allfälliger selbständig bestandsfähiger Bestandteile der Vereinbarung, also ob Total- oder Teilichtigkeit eintritt, beurteilt sich nach nationalem Recht197. Gemeinschaftsrechtliche Sachverhalte unterliegen auf Grund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art 81 Abs 2 EGV der Zuständigkeit der nationalen Gerichte198. Zur Feststellung der Nichtigkeit kommt es in aller Regel dann, wenn eine Partei auf Vertragszuhaltung der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung geklagt wird und sie die Nichtigkeit einwendet oder das Gericht wegen der absoluten Wirkung des Verbots die Nichtigkeit auch ohne Einwendung von Amts wegen beachtet199.
2. Schadenersatz und Unterlassungsanspruch Neben von der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsstaaten ausgesprochenen Sanktionen200 und der Nichtigkeitsfolge, die zumeist einredeweise von (scheinbar) vertragsbrüchigen Vertragspartners im Zivilprozess eingewandt wird201, sollen auch Schadenersatzklagen Privater zur Durchset192 193 194 195 196 197
198 199 200 201
KOG RdW 2007/27. Vgl Reidlinger/Hartung, 73 f. Das „Genossenschaftsprivileg“ ablehnend Koppensteiner, § 7 Rz 52 ff; ebenso Barfuß/Wollmann/Tahedl (FN 19), 23. Siehe schon FN 57. Zu den Auswirkungen im Gesellschaftsrecht Butschek, Reichweite und Wirkungen EG-kartellrechtlich bedingter Nichtigkeit im Gesellschaftsrecht, 2004. EuGH, Rs 319/82, Ciments et Betons, Slg 1983, 4173 (Rz 11 f); KOG wbl 2001/265 = RdW 2001, 429; grundlegend Eilmansberger (FN 75), 73 ff; ferner Reidlinger/ Hartung, 105 f.; Mestmäcker/Schweitzer, § 22 Rz 6 ff. Siehe oben II.D.2. Vgl Eilmansberger ua Rz 395. Dazu unten VI. Dazu vorstehend III.E.1.
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zung der Wettbewerbsbestimmungen führen202. Sowohl gemeinschaftsrechtliche als auch österreichische Wettbewerbsregeln stellen Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB dar und bilden bei Verletzung Grundlage für Schadenersatzansprüche203. Nach Ansicht des EuGH muss bei Verletzungen des Kartellverbots grundsätzlich jedermann204 ein Schadenersatzanspruch zur Verfügung stehen, wenn zwischen dem erlittenen Schaden und dem Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht205. Ebenso verweist VO 1/2003 auf Schadenersatzansprüche der Geschädigten206. Um dieses „Private enforcement“ weiter zu entwickeln wurde von der Kommission ein Grünbuch mit dem Ziel eines effizienteren Systems der Schadenersatzklagen vorgelegt207. Ein Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche oder österreichische Wettbewerbsregeln kann gleichzeitig auch einen Verstoß gegen § 1 UWG darstellen, wenn sich der Unternehmer schuldhaft über kartellrechtliche Regelungen hinwegsetzt, um im Wettbewerb einen Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern zu erlangen208. 202
203
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206 207
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Vgl dazu grundlegend Eilmansberger (FN 75), 121 ff; Stillfried/Stockenhuber, Schadenersatz bei Verstoß gegen das Kartellverbot des Art 85 EG-V, wbl 1995, 301 ff und 345 ff; Hack, Handlungsmöglichkeiten Einzelner bei Kartellrechtsverletzungen, ecolex 2003, 311; Klauser, „Private Enforcement“ von EU-Kartellrecht, ecolex 2005, 87. Vgl Stillfried/Stockenhuber (FN 202); Gehmacher/Hauck/Madl, Schadenersatz bei Kartellverstoß - Zur Lombard-Club Entscheidung der Kommission, ecolex 2002, 564; Reidlinger/Hartung, 215. Zuletzt auch unter Einbeziehung von Verbrauchern EuGH, verb Rs C-295, 296, 297, 298/04, Manfredi = wbl 2006, 419 = RdW 2007/100 = EuZW 2006, 529 (Lübbig) = EWS 2006, 410 (Seitz); vgl zur strittigen Frage der Einbeziehung von Verbrauchern sowie zur Beurteilung von Verstößen gegen nationales Recht Karollus, Schadenersatz wegen EG-Kartellverstoßes auch für Verbraucher, ecolex 2006, 797; Eilmansberger ua, Rz 398; Wilhelm, Lombard-Club - Schadenersatz bei Kartellverstoß, ecolex 2002, 557; Gehmacher/Hauck/Madl (FN 203), 567; Thyri, Wieviel „Private Enforcment“ braucht die Kartellrechtsdurchsetzung, ecolex 2006, 800 (802). EuGH, verb Rs C-295, 296, 297, 298/04, Manfredi (FN 204) Rz (61); EuGH, Rs C-453/99, Courage/Crehan, Slg 2001, I-6297 = wbl 2001, 471; dazu Hintersteininger, Gemeinschaftsrechtliche Schadenersatzpflicht bei Verstoß gegen Art 81, wbl 2001, 554; Mäsch, Private Ansprüche bei Verstößen gegen das europäische Kartellverbot - "Courage" und die Folgen, EuR 2003, 825; Eilmansberger, Schadenersatz wegen Kartellverstoßes: Zum EuGH-Urteil Courage/Crehan, ecolex 2002, 28. VO 1/2003, Erwägungsgrund 7. Grünbuch Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts, KOM (2005) 672; dazu Eilmansberger, Schadenersatz wegen Verletzung des EUWettbewerbsrechts – Überlegungen zum Grünbuch der Kommission, in: Gruber /Rüffler (Hrsg), Gesellschaftsrecht, Wettbewerbsrecht, Europarecht, Hans-Georg Koppensteiner zum 70. Geburtstag, 2007, 115; Gruber, Schadenersatz und Kartellrecht - Das Grünbuch der Kommission, MR-Int 2006, 17; Weidenbach/Schultze, Das Grünbuch der Europäischen Kommission zu Schadenersatzklagen im EG-Kartellrecht: Der zweite Schritt auf dem langen Weg, GPR 2006, 133. Vgl Eilmansberger (FN 75), 199 ff; Reidlinger/Zellhofer, Die private Durchsetzung von Kartellrecht im Wege von § 1 UWG - Königsweg oder Irrweg?, ecolex 2004, 114; Duursma in: Gumpoldsberger/Baumann, UWG, 2006, Rz 205 f; OGH ÖBl 2003/25 (Wollmann) = wbl 2003/153 = RdW 2003/112; OGH wbl 1998/245 = ÖBl 1998, 256 = RdW 1998/465.
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IV. Missbrauch einer marktbeherrschender Stellung A. Allgemeines Art 82 EGV und § 5 Abs 1 KartG 2005 verbieten den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens209 auf dem relevanten Markt210. Das Verbot richtet sich nicht gegen eine marktbeherrschende Stellung als solche, ebenso nicht gegen die Erlangung einer marktbeherrschenden Stellung. Letzteres ist, sofern der Erwerb einer marktbeherrschenden Stellung auf unternehmensexternem Wachstum beruht, Regelungsbereich der Fusionskontrolle. Eine Freistellung vom Missbrauchsverbot ist nicht möglich. Die Europäische Kommission hat kürzlich ein Diskussionspapier zu der Frage veröffentlicht, wie die Märkte am Besten gegen den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung geschützt werden könnten. Die Kommission möchte wirtschaftswissenschaftlich fundierte Theorien über die schädlichen Wettbewerbsfolgen der häufigsten Marktmissbräuche entwickeln und erläutern211. Diese Diskussion könnte schlussendlich in Leitlinien für Verfahren nach Art 82 EGV münden.
B. Marktbeherrschung 1. EU Der EuGH definiert den Marktbeherrschungstatbestand in ständiger Rechtsprechung „als die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens (…), die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeiten verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und schließlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten“212. Dies erfordert aber nicht, dass überhaupt kein Wettbewerb stattfindet. Es ist entscheidend, ob das Unternehmen auf diesen Wettbewerb Rücksicht nehmen muss oder darauf verzichten kann, ohne dass ihm dies zu Schaden gereicht213. In der Praxis der europäischen Behörden spielen Marktanteile für die Feststellung der marktbeherrschenden Stellung eine erhebliche Rolle, daneben aber auch Faktoren wie die Marktstruktur, Marktzutrittsschranken, Merkmale und Eigenschaften sowie das Verhalten des Unternehmens214. Ab 50% Marktanteil
209 210 211 212 213 214
Zu den Normadressaten vgl oben II.E. Zum relevanten Markt vgl oben II.F. Abrufbar unter http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/others/article_82_ review.html#public_discussion. Vgl EuGH, Rs 27/76, United Brands, Slg 1978, 207 (Rz 63/66); KOG 27.02.2006, 16 Ok 46/05. Vgl EuGH, Rs 85/76, Hoffmann-La Roche, Slg 1979, 461 (Rz 39); Koppensteiner, § 18 Rz 4; Lübbig in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 82 Rz 4. Zum Ganzen mit zahlreichen N zur Entscheidungspraxis Eilmansberger in: Streinz, Art 82 Rz 12 ff; auch Eilmansberger, ua Rz 438.
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ist die Annahme einer marktbeherrschenden Stellung wahrscheinlich, unter 25% praktisch ausgeschlossen215.
2. Österreich Im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht enthält das KartG 2005 in § 4 Abs 1 eine Definition der Marktbeherrschung. So ist ein Unternehmer marktbeherrschend, „der als Anbieter oder Nachfrager, (i) keinem oder nur unwesentlichem Wettbewerb ausgesetzt ist oder (ii) eine im Verhältnis zu den anderen Wettbewerbern überragende Stellung hat; dabei sind insbesondere die Finanzkraft, die Beziehung zu anderen Unternehmern, die Zugangsmöglichkeiten zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten sowie die Umstände zu berücksichtigen, die den Marktzutritt für andere Unternehmer beschränken“. Neben diesen primär das Unternehmen selbst betreffenden Umständen ist bei der Beurteilung der Marktbeherrschung auch die Marktstruktur zu beachten216. § 4 Abs 2 KartG 2005 enthält eine Marktbeherrschungsvermutung. Danach hat ein Unternehmer zu beweisen, dass er nicht marktbeherrschend ist, wenn er als Anbieter oder Nachfrager am gesamten inländischen Markt oder einem anderen örtlich relevanten Markt (i) einen Anteil von mindestens 30 % hat oder (ii) einen Anteil von mehr als 5 % hat und dem Wettbewerber von höchstens zwei Unternehmern ausgesetzt ist oder (iii) einen Anteil von mehr als 5 % hat und zu den vier größten Unternehmern auf diesen Markt gehört, die zusammen einen Anteil von mindestens 80 % haben. Darüber hinaus gilt nach § 4 Abs 3 KartG 2005 auch ein Unternehmer als marktbeherrschend, der im Verhältnis zu seinen Abnehmer oder Lieferanten eine überragende Marktstellung hat217.
3. Kollektive Marktbeherrschung Im Gemeinschaftsrecht kann eine marktbeherrschende Stellung auch durch eine Verbindung mehrerer wirtschaftlich selbständiger Unternehmen gegeben sein218. Entscheidend sind wirtschaftliche Bindungen oder Faktoren, die es den Unternehmern erlauben, gemeinsam unabhängig von ihren Konkurrenten, ihren Abnehmern und den Verbrauchern zu handeln219. Diese Verbindungen können vertraglicher, struktureller oder wirtschaftlicher Art sein220. Danach kann auch die Reaktionsverbundenheit im engen Oligopol eine marktbeherrschende Stellung begründen. Ob die kollektive Marktbeherrschung auch im österreichi215 216 217 218
219 220
Eilmansberger in: Streinz, Art 82 Rz 13 mit wiederum zahlreichen N zur Entscheidungspraxis. Vgl Reidlinger/Hartung, 115 f. Vgl Reidlinger/Hartung, 117 f; KOG wbl 2002, 530. EuG, verb Rs T-68, 77, 78/89, Flachglas, Slg 1992, II-1403; zur kollektiven Marktbeherrschung Lattenmayr, das Konzept der gemeinsamen Marktbeherrschung, RdW 2000, 710; Schuhmacher, Kollektive Marktbeherrschung und koordinierte Effekte im EG-Wettbewerbsrecht, wbl 2005, 245. EuGH, Rs C-395/96 P und C-396/96, Compagnie Maritime Belge Transports, Slg 2000, I-1365 (Rz 42). Zum Ganzen Eilmansberger in: Streinz, Art 82 Rz 8ff; ferner Eilmansberger ua, Rz 435 f; Reidlinger/Hartung, 118 ff; Aigner, Oligopolistische Preisparallelismus unter dem Regime des Art 82 EG, ÖBl 2002/2.
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schen Recht anzuerkennen ist, ist noch offen221, sollte aber bejaht werden, weil sonst normzweckwidrig eine offene Flanke im Schutz der Wettbewerbstruktur222 bestünde.
C. Missbrauch 1. Allgemeines Art 82 EGV bzw § 5 Abs 1 KartG 2005 enthalten eine Generalklausel sowie Beispielsfälle, bei deren Vorliegen von einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung auszugehen ist. Der Missbrauchsbegriff des § 5 Abs 1 KartG 2005 entspricht mit Ausnahme der Erwähnung des sachlich nicht gerechtfertigten Verkaufs von Waren unter dem Einstandspreis fast zur Gänze dem des Gemeinschaftsrechts. Art 82 EGV ist zur Auslegung des § 5 KartG 2005 heranzuziehen223. Der EuGH definiert den Missbrauchsbegriff als „Verhaltensweisen eines Unternehmens in marktbeherrschender Stellung, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, welche von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen“224. Durch das Abstellen auf das Abweichen vom Leistungswettbewerb wird auch klargestellt, dass es dominanten Unternehmern durchaus erlaubt ist, Mitbewerber zu verdrängen. Wenn das seinen Grund in besserer Leistungsfähigkeit hat, ist das geradezu Ausdruck des Leistungswettbewerbs, den das Kartellrecht schützen will. Auch die Verteidigung der eigenen Position, insbesondere der Leistungskraft, ist legitim. Die Schwierigkeit besteht mithin darin, leistungskonforme von solchen Handlungen abzugrenzen, die nicht auf der Qualität der eigenen Leistung beruhen oder primär auf eine Schwächung der Wettbewerbstruktur durch Verdrängung von Mitbewerbern oder durch die Verhinderung des Marktzutritts neuer Wettbewerber abzielen225. Traditionell werden zwei Missbrauchstypen unterschieden, nämlich der sog Behinderungsmissbrauch einerseits, der Ausbeutungsmissbrauch andererseits.
2. Behinderungsmissbrauch Der Behinderungsmissbrauch richtet sich gegen Mitbewerber des Marktbeherrschers und verschlechtert die Wettbewerbsverhältnisse auf den betroffenen Märkten. Die Behinderung des Wettbewerbers ist allerdings zulässig, wenn diese durch leistungsgerechte Mittel (zB besserer Preis, Qualität) erfolgt226 (zur Kampfpreisunterbietung sogleich). Einen Missbrauch stellen Bindungen von 221 222 223 224 225 226
Reidlinger/Hartung, 120. Vgl sogleich unten IV.C. Vgl Koppensteiner, § 12 Rz 33; KOG wbl 2001/353; KOG ÖBl 2004/35 = wbl 2004/42. Vgl EuGH, Rs 85/76, Hoffmann-La Roche, Slg 1979, 461 (Rz 91) Vgl nur Eilmansberger in: Streinz, Art 82 Rz 20. Vgl Eilmansberger ua, Rz 441; Schröter in: Schröter/Jakob/Mederer, Art 82 Rz 275.
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Abnehmern und Lieferanten durch Alleinbezugsverpflichtungen oder Rabattsysteme dar, wenn dadurch die Absatzmöglichkeiten von Mitbewerbern ernsthaft beeinträchtigt werden227. Ebenso können Geschäftsverweigerung228 oder Kopplungsverträge229 zur Behinderung von Wettbewerbern eingesetzt werden. Schließlich sind auch so genannte Kampfpreisunterbietungen tatbestandsmäßig. Günstigere Preise sind wie bemerkt Ausdruck von Leistungswettbewerb230. Missbräuchlich können sie jedoch sein, wenn sie auf die Verdrängung von Mitbewerbern gerichtet sind. Maßgeblich ist danach die Verdrängungsabsicht. Diese wird vermutet, wenn der Marktbeherrscher unter den durchschnittlichen variablen Kosten anbietet, also den Kosten, die je produzierter Einheit variieren. Liegen die Preise über den variablen aber unter den Gesamtkosten, kann die Preisfestsetzung missbräuchlich sein, wenn sie Teil einer auf die Verdrängung des Konkurrenten gerichteten Strategie ist231. Eine Variante der Kampfpreisunterbietung ist nach § 5 Abs 1 Z 5 KartG 2005 verboten, nämlich der sachlich nicht gerechtfertigte Verkauf von Waren unter dem Einstandspreis. Gem § 5 Abs 2 KartG 2005 trifft den marktbeherrschenden Unternehmer die Beweislast für die Widerlegung des Anscheins eine Verkaufs unter dem Einstandspreis sowie für die sachliche Rechtfertigung eines solchen Verkaufs232. Damit ist das nationale Recht in dieser Variante des Missbrauchs strenger als das Gemeinschaftsrecht, was nach der VO 1/2003 zulässig ist233.
3. Ausbeutungsmissbrauch Ausbeutungsmissbrauch richtet sich gegen Abnehmer bzw Lieferanten. Der Marktbeherrscher nützt die Abhängigkeit seiner Marktpartner aus, um geschäftliche Vorteile zu erhalten, die er bei einem normalen Wettbewerbsverhältnis nicht erzielen könnte234. Insbesondere stellt das Erzwingen eines unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreises einen Missbrauch dar235. Ebenso können durch den Marktbeherrscher erzwungene Geschäftsbedingungen 227
228
229 230 231 232
233 234 235
Vgl EuGH, Rs 85/76, Hoffmann-La Roche, Slg 1979, 461 (Rz 89 f); Zum Ganzen mwN Schröter in: Schröter/Jakob/Mederer, Art 82 Rz 181 ff; KOG 27.02.2006, 16 Ok 46/05. Vgl EuGH, verb Rs 6/73, 7/73, Commercial Solvents, Slg 1974, 223 (Rz 25); EuGH, Rs C-53/92 P, Hilti, Slg 1994, I-667; eine Liefer- oder Abnahmeverweigerung kann jedoch sachlich gerechtfertigt sein vgl KOG ecolex 2006/248 (Knyrim/ Podoschek). Vgl EuGH, Rs C-333/94 P, Tetra Pak II, Slg 1996, I-5951 (Rz 34 f); KOG ecolex 2006/56 (Tremmel); KOG ecolex 2005/141 (Priemayer) = MR 2004, 367. Vgl oben IV.C.1. Vgl EuGH, Rs C-62/86, AKZO, Slg 1991, I-3359 (Rz 69 f); KOG SZ 71/103; wbl 2001/95; wbl 2004/14. Dazu Rungg/Barbist, Renaissance des Verbotes von Verkäufen unter dem Einstandspreis?, RdW 1999, 698; vgl Wittmann, Kampf am Tiroler Zeitungsmarkt Der Fall „TT gegen Mediaprint“, MR 2000, 63; KOG ÖBl 2003/66 (Barbist) = wbl 2004/14. Dazu II.D.1. Vgl Koppensteiner, § 12 Rz 34; Eilmansberger in: Streinz, Art 82 Rz 23. Vgl EuGH, Rs 27/76, United Brands, Slg 1978, 248/257; KOG ÖBl 2004/35 (Barbist) = wbl 2004/42; Koppensteiner, § 12 Rz 41 ff; zu den verschiedenen Methoden zur Feststellung unangemessener Preise Eilmansberger in: Streinz, Art 82 Rz 25 f.
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missbräuchlich sein236. Weiters gilt eine Diskriminierung von Handelspartnern durch Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertiger Leistung als missbräuchlich237. Für die österreichische Rechtslage ist zu beachten, dass es Lieferanten gewerberechtlich befugter Wiederverkäufer nach § 2 Abs 1 NVG untersagt ist, diesen bei Vorliegen gleicher Voraussetzungen ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedliche Bedingungen zu gewähren oder anzubieten238. Als missbräuchlich wird auch eine durch ein marktbeherrschendes Unternehmen vorgenommene Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung seiner Produkte angesehen239
D. Rechtsfolgen Verstöße gegen den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung können einerseits zur Verhängung von Geldbußen, Abstellungsaufträgen und Verpflichtungszusagen führen240 und andererseits zivilrechtliche Rechtsfolgen auslösen241. Aus Sicht des Gemeinschaftsrechts ist für die zivilrechtlichen Konsequenzen auf nationales Zivilrecht abzustellen242. Art 82 EGV bzw § 5 KartG 2005 stellen ein gesetzliches Verbot dar, dessen Übertretung die Nichtigkeit eines Vertrages (§ 879 Abs 1 ABGB) begründen kann243. Darüber hinaus können gegen den Marktbeherrscher auch Schadenersatz- und Unterlassungsklagen geltend gemacht werden244.
V. Zusammenschlusskontrolle A. Allgemeines Im Gegensatz zu Art 82 EGV bzw § 5 KartG 2005 richtet sich die Fusionskontrolle nicht gegen den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, sondern will die Entstehung missbrauchsgefährdeter Marktstrukturen verhindern. Sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im österreichischen Recht unterliegen Zusammenschlüsse der, wenn auch im Einzelnen unterschiedlich ausgeformten, präventiven Kontrolle. Das Verhältnis der gemeinschaftsrechtlichen Fusionskontrolle zur österreichischen Zusammenschlusskontrolle wurde schon unter II.D. dargestellt. 236 237 238 239 240 241 242 243 244
Vgl EuGH, Rs 247/86, Alsatel/Novasam, Slg 1988, 5987 (Rz 10); KOG wbl 2005, 290; OGH wbl 2003, 92 = RdW 2003/55. Vgl EuGH, Rs 27/76, United Brands, Slg 1978, 234; KOG wbl 2003/207. Bundesgesetz zur Verbesserung der Nahversorgung und der Wettbewerbsbedingungen BGBl 392/1977 idF BGBl I 62/2005; vgl dazu Reidlinger/Hartung, 128. Vgl EuGH, Rs 53/87, CICRA/Renault, Slg 1988, 6039 (Rz 16); Eilmansberger in: Streinz, Art 82 Rz 32 f. Siehe unten VI. Zu Geldbußen KOG ecolex 2005/142 (Tremmel). Zum Ganzen grundlegend Eilmansberger (FN 75), 112 ff; ders in Streinz, Art 81 Rn 80 ff; ferner Lübbig in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 82 Rz 223 ff. Vgl Bechtold ua, Art 82 EG Rz 68; KOG 27.02.2006, 16 Ok 46/05. Vgl KOG RdW 2005/134; Reidlinger/Hartung, 144; Eilmansberger in: Streinz, Art 82 Rz 80. Vgl Eilmansberger ua, Rz 468; ders in Streinz, Art 82 Rn 81 f; Reidlinger/Hartung, 214 ff; Siehe auch oben III.E.
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B. Europäische Fusionskontrolle 1. Allgemeines Die Europäische Fusionskontrolle findet ihre rechtliche Grundlage in der VO (EG) Nr. 139/2004245 (FKVO). Konkretisiert und ergänzt wird diese durch die VO (EG) Nr. 802/2004246, welche die Einzelheiten des Fusionskontrollverfahrens regelt. Darüber hinaus wurden von der Kommission zahlreiche Mitteilungen und Bekanntmachungen von großer praktischer Bedeutung veröffentlicht247. Das One-Stop-Shop Prinzip regelt das Verhältnis zwischen Fusionskontrolle und Kartellrecht248. Die Anwendung von Art 81 und 82 EGV auf Zusammenschlüsse ist grundsätzlich ausgeschlossen249.
2. Anwendungsbereich Die FKVO ist nur bei Zusammenschlüssen von gemeinschaftsweiter Bedeutung anzuwenden. Diese wird anhand der Umsätze der beteiligten Unternehmen beurteilt. Eine gemeinschaftsweite Bedeutung liegt gem Art 1 Abs 2 FVKO vor, wenn (i) der weltweite Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen mehr als 5 Mrd Euro beträgt und zugleich (ii) mindestens zwei Unternehmer einen gemeinschaftsweiten Gesamtumsatz von jeweils mehr als 250 Mio Euro erreichen. Alternativ hat ein Zusammenschluss nach Art 1 Abs 3 FVKO gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn folgende Tatbestandsmerkmale erfüllt sind: (i) ein weltweiter Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmer zusammen von mehr als 2,5 Mrd Euro, und (ii) ein Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen in mindestens drei Mitgliedsstaaten von jeweils mehr als 100 Mio Euro, und (iii) ein individueller Umsatz in jedem von mindestens drei dieser Mitgliedsstaaten von mindestens zwei beteiligten Unternehmern von jeweils mehr als 25 Mio Euro, und (iv) ein gemeinschaftsweiter Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen von jeweils mehr als 100 Mio Euro. Für beide Schwellenwerte nach Abs 2 und 3 gilt die Ausnahme, dass die FKVO nicht anwendbar ist, wenn die beteiligten Unternehmen jeweils mehr als 245 246
247
248 249
VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Jänner 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Abl 2004 L 24/1) - EG-Fusionskontrollverordnung. VO (EG) Nr. 802/2004 der Kommission vom 7. April 2004 zur Durchführung der VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Abl 2004 L 133/1) idF (Abl 2004 L 172/9). Mitteilung der Kommission über den Begriff des Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens (Abl 1998 C 66/1); Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses (Abl 1998 C 66/5); Mitteilung der Kommission über den Begriff der beteiligten Unternehmen (Abl 1998 C 66/14); Mitteilung der Kommission über die Berechnung des Umsatzes (Abl 1998 C 66/25); Mitteilung der Kommission über zulässige Abhilfemaßnahmen (Abl 2001 C 68/3); Bekanntmachung der Kommission über ein vereinfachtes Verfahren für bestimmte Zusammenschlüsse (Abl 2005 C 56/32); Bekanntmachung der Kommission über die Einschränkung des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind (Abl 2005 C 56/24); Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen (Abl 2005 C 56/2); Vgl dazu auch Reidlinger/Hartung, FVKO neu: Bekanntmachung der Kommission zu Nebenabreden, Verweisungen und vereinfachtem Verfahren, ecolex 2005, 49. Siehe schon oben II.D.1; Vgl Mestmäcker/Schweitzer, § 23 Rz 8 ff; vgl aber auch unten V.B.3.
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zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Umsatzes in ein- und demselben Mitgliedsstaat erzielen. Wird einer der zwei Schwellenwerte erreicht ist die Kommission ausschließlich zuständig250. Für die Berechnung sind die Umsätze der beteiligten Unternehmen und der mit diesen verbundenen Unternehmen nach den näheren Vorgaben von Art 5 FVKO heranzuziehen251. Grundsätzlich umfasst der Tatbestand der FVKO zwei Arten von Zusammenschlüssen, die jeweils zu einer dauerhaften Veränderung der Struktur der beteiligten Unternehmen führen252. Entweder fusionieren zwei oder mehr bisher voneinander unabhängige Unternehmen oder Unternehmensteile oder eine oder mehrere Personen bzw Unternehmen erwerben dauerhaft die Kontrolle über eines oder mehrere Unternehmen (Art 3 Abs 1 FVKO)253. Der Begriff der Fusion umfasst sowohl die Verschmelzung durch Aufnahme als auch durch Neugründung254. Ebenso umfasst sind Zusammenschlüsse von zuvor unabhängigen Unternehmen, wenn sie ihre Aktivitäten so zusammenlegen, dass eine wirtschaftliche Einheit entsteht, ohne dass rechtlich von einer Fusion gesprochen werden kann255. Unter der zweiten Tatbestandsvariante Kontrollerwerb (Art 3 Abs 2 FKVO) wird die Möglichkeit verstanden, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben. Dies ist gegeben, wenn wesentliche unternehmerische, strategische und personelle Entscheidungen nicht mehr autonom erfolgen können. Es genügt die Möglichkeit zur Einflussnahme256. Darunter fällt auch die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, wenn es sich um ein Unternehmen handelt, das auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt (Art 3 Abs 4 FKVO, Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen)257. Anders als bis zur Revision der FKVO im Jahr 1997 ist für die Anwendbarkeit der FKVO nicht mehr entscheidend, ob ein sog konzentratives oder kooperatives Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen vorliegt258. Für letzteres gilt allerdings ein zusätzlicher Prüfungsmaßstab259.
250
251
252 253 254 255
256 257 258 259
Zum Ganzen ausführlich Simon in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 1 FVKO; zu den Verweisungsmöglichkeiten König-Bechter/Klement, Die neue Fusionskontrollverordnung (Teil I), GesRZ 2004, 353 (357 ff). Siehe dazu die Mitteilung der Kommission über die Berechnung des Umsatzes (FN 247); ausführlich Ablasser-Neuhuber in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 5 FVKO. Vgl Eilmansberger ua, Rz 473 Siehe dazu auch die Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses (FN 247) Vgl Mestmäcker/Schweitzer, § 24 Rz 7. Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses (FN 247) Rz 7; vgl Riesenkampff/Lehr in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 3 FVKO Rz 8 ff; zu beachten ist das Konzernprivileg siehe oben II.E.2. Dazu ausführlich Riesenkampff/Lehr in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 3 FVKO Rz 12 ff; Bechtold ua, Art 3 FVKO Rz 4 ff. Vgl dazu die Mitteilung zu Vollgemeinschaftsunternehmen (FN 247). Zur Beurteilung von Gemeinschaftsunternehmen ausführlich Mestmäcker/ Schweitzer, § 24 Rz 36 ff. Sogleich unten V.B.3, dort auch zum Begriff.
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3. Beurteilung von Zusammenschlüssen Ein Zusammenschluss ist für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären, wenn der Zusammenschluss wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindern würde, insbesondere durch die Begründung oder Verstärkung der beherrschenden Stellung (Art 2 Abs 3 FVKO)260. Diese Formulierung des Tatbestands wird als SIEC-Test bezeichnet261. Erfasst werden mit dieser Formulierung, bei der die Begründung einer marktbeherrschenden Stellung nicht mehr notwendiges Tatbestandsmerkmal ist, auch die wohl seltenen Fälle von Zusammenschlüssen, die in oligopolistischen Märkten wirksamen Wettbewerb erheblich behindern können, ohne dass die Oligopolmitglieder durch kollektive Marktbeherrschung ihr Marktverhalten koordinieren262. Ein Zusammenschluss kann mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sein, obwohl er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, wenn der Wettbewerb nicht erheblich behindert wird und der Zusammenschluss ausgleichende Effizienzvorteile mit sich bringt263. Die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung ist anhand verschiedener Faktoren zu beurteilen264. Dazu zählen zB die wirtschaftliche Macht und die Finanzkraft der beteiligten Unternehmen sowie rechtliche oder tatsächliche Markzutrittsschranken (Art 2 Abs 1 lit b FVKO). Zu berücksichtigen sind sowohl Auswirkungen auf die Marktstruktur als auch auf Abnehmer und Lieferanten sowie Veränderung der Markstruktur in verschiedenen Märkten265. Den Wettbewerb einschränkende Nebenabreden, die mit dem Unternehmenszusammenschluss verbunden sind und für die Durchführung tatsächlich notwendig sind, gelten als von einer Zusammenschlussgenehmigung miterfasst266. Wenn die Gründung eines Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens die Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens zwischen unabhängig bleibenden Unternehmen (die Mütter etwa, die auf anderen Märkten miteinander im Wettbewerb stehen) bezweckt oder bewirkt (sog kooperative Gemeinschaftsunternehmen), wird zusätzlich zur Prüfung des Zusammenschlusses danach, ob dieser den Wettbewerb erheblich behindert, auch die Koordinierung zwischen 260 261 262 263 264 265
266
Dazu und zum Folgenden König-Bechter/Klement (FN 250), 354 ff. Dazu Zimmer, Siginficant Impediment to Effective Competition - Das neue Untersagungskriterium der EU-Fusionskontrollverordnung, ZWeR 2004, 250. Vgl Erwägungsgrund 25 der FVKO; dazu näher Eilmansberger ua, Rz 488; Zimmer (FN 261), 253 ff. Vgl Erwägungsgrund 29 der FVKO; dazu Zimmer (FN 261), 260 ff; auch KoflerSenor/Scholz (FN 91), 270. Dazu ausführlich Riesenkampff/Lehr in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 2 FVKO Rz 60 ff. Vgl Bechtold ua, Rz 43 ff; Mestmäcker/Schweitzer, § 25 Rz 64 ff; KomE 2004/143/EG, General Electric/Honeywell, Abl 2004 L 48/1; zu dieser Entscheidung auch Weidenbach/Leupold, Das GE/Honeywell-Urteil des EuG - Spannende Rechtsfragen im Überfluss, EWS 2006, 154. Vgl Bekanntmachung der Kommission über die Einschränkung des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind (FN 247); dazu de Crozals, Die neue Nebenreden-Bekanntmachung der Europäischen Kommission, EWS 2004, 533; Eilmansberger ua, Rz 495; Reidlinger/Hartung (FN 247).
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den unabhängig bleibenden Unternehmen (Müttern) im Fusionskontrollverfahren selbst nach Art 81 Abs 1 und 3 EGV beurteilt (Art 2 Abs 4 FKVO)267.
4. Verfahren Unternehmenszusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung sind bei der Kommission anzumelden (Art 4 FVKO)268. Diese Anmeldepflicht besteht nach Vertragsabschluss, Veröffentlichung des Übernahmeangebots oder Erwerb einer die Kontrolle begründenden Beteiligung und hat vor dem Vollzug zu erfolgen. Gegebenenfalls kann die Anmeldung auch schon vor Vertragsabschluss oder der Stellung eines Übernahmeangebots vorgenommen werden (Art 4 Abs 1 UnterAbs 2 FVKO). Bis zur Freigabe des Zusammenschlusses ist der Vollzug verboten (Art 7 FVKO). Die Anmeldepflicht trifft bei Fusionen oder dem Erwerb gemeinschaftlicher Kontrolle die beteiligten Unternehmen gemeinsam, bei Kontrollerwerb das erwerbende Unternehmen. Für die Anmeldung ist das im Anhang der VO 802/2004269 abgedruckte Formblatt CO zwingend zu verwenden. Nach Eingang der Anmeldung erfolgt eine Vorprüfung. Innerhalb von grundsätzlich 25 Arbeitstagen (berechnet ab aus Sicht der Kommission vollständiger Anmeldung) hat die Kommission zu entscheiden, ob der Zusammenschluss außerhalb des Anwendungsbereiches der FVKO liegt, keinen Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt oder aber Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt. Im letztgenannten Fall hat die Kommission binnen grundsätzlich 90 Arbeitstagen ab Anmeldung über die Genehmigung zu entscheiden. Das Verstreichen der Fristen führt zur automatischen Freigabe des Zusammenschlusses (Art 10 FVKO). Die Beteiligten Unternehmen können Verpflichtungserklärungen abgeben, die als Bedingung oder Auflage in die Genehmigungsentscheidung aufgenommen werden (zB zum Verkauf bestimmter Unternehmensteile). Entscheidungen der Kommission sind beim Gericht erster Instanz anfechtbar, gegen dessen Entscheidung beim EuGH berufen werden kann270.
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Eilmansberger ua, Rz 410 f und 494; näher Mestmäcker/Schweitzer, § 24 Rz 67 ff. Dazu und zum Folgenden ausführlich Bechtold ua, Art 4 FVKO; Ablasser-Neuhuber in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art 4 FVKO; König-Bechter/Klement, Die neu gefasste Fusionskontrollverordnung (Teil II), GesRZ 2005, 34; zur Möglichkeit einer Untätigkeitsklage gegen die Kommission Schedl, Die Untätigkeitsklage von Drittparteien in der EG-Fusionskontrolle, EWS 2006, 257. Siehe FN 246. Vgl zum Ganzen Eilmansberger ua, Rz 502.
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C. Österreichische Zusammenschlusskontrolle 1. Anwendungsbereich Gem § 7 Abs 1 KartG 2005 gelten als Zusammenschluss271: (i) der Erwerb eines Unternehmens, ganz oder zu einem wesentlichen Teil, durch einen Unternehmer, insbesondere durch Verschmelzung oder Umwandlung272; (ii) der Erwerb eines Rechts durch einen Unternehmer an der Betriebsstätte eines anderen Unternehmers durch Betriebsüberlassung- oder Betriebsführungsverträge; (iii) der unmittelbare oder mittelbare Erwerb von Anteilen an einer Gesellschaft, die Unternehmer ist, durch einen anderen Unternehmer sowohl dann, wenn dadurch ein Beteiligungsgrad von 25 % als auch dann, wenn dadurch ein solcher von 50 % erreicht oder überschritten wird273; (iv) das Herbeiführen der Personengleichheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder der zur Geschäftsführung berufener Organe oder der Aufsichtsräte von zwei oder mehreren Gesellschaften, die Unternehmer sind274, (v) jede sonstige Verbindung von Unternehmern, auf Grund derer ein Unternehmer unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben kann275. Wie im Gemeinschaftsrecht unterliegen auch Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen der Zusammenschlusskontrolle (§ 7 Abs 2 KartellG 2005). Die Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens der Mütter bei kooperativen Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen ist ebenso wie im Gemeinschaftsrecht nach § 1 KartG 2005 zu beurteilen. Anders als im EG-Kartellrecht ist aber nicht vorgesehen, dass das im Rahmen des Zusammenschlussverfahrens selbst erfolgen kann276. Gem § 7 Abs 4 KartG 2005 sind konzerninterne Umstrukturierungen kein Zusammenschluss iSd Gesetzes. Denn dadurch ändern sich die Marktverhältnisse nicht277. Anmeldepflichtig sind Zusammenschlüsse nur dann, wenn die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss einen Umsatzerlös von (i) weltweit insgesamt mehr als 300 Mio Euro, (ii) im Inland insgesamt mehr als 30 Mio Euro und (iii) mindestens zwei Unternehmer weltweit jeweils mehr als 5 Mio Euro erzielt haben. Davon ausgenommen sind Zusammenschlüsse bei denen (i) nur eines der beteiligten Unternehmen im Inland mehr als 5 Mio Euro und (ii) die übrigen beteiligten Unternehmen
271
272 273 274 275 276
277
Zu den einzelnen Zusammenschlusstatbeständen näher Reidlinger/Hartung, 145 ff; zu beachten sind die Ausnahmetatbestände des § 19 KartG 2005 für Kreditinstitute und Beteiligungs- oder Kapitalfinanzierungsgeschäfte, siehe Reidlinger/Hartung, 170. Vgl zB KOG 17.12.2001, 16 Ok 8/01; siehe dazu auch Stempkowski, Outsorcing Realisierung eines Zusammenschlusstatbestandes?, ecolex 2003, 920. Vgl zB KOG 17.12.2001, 16 Ok 9/01. Dazu Klement, Personelle Verflechtungen in der österreichischen Fusionskontrolle, wbl 2005, 156. Vgl zB KOG 04.04.2005, 16 Ok 4/05. Vgl Zehetner, Die österreichische Zusammenschlusskontrolle nach dem KartG 2005, Ges 2006, 199 (200) mwN; Reidlinger/Hartung, 152 f; Hoffer/Barbist, 25 f; ErlRV 926 BlgNr 22. GP, 6; zur Rechtslage in der EG oben V.B.2. und 3. Zu diesem Konzernprivileg näher Reidlinger/Hartung, 155 ff.
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weltweit insgesamt nicht mehr als 30 Mio Euro Umsatzerlöse erzielt haben278. Wie die Umsätze zu berechnen sind, ergibt sich aus § 22 KartG. Danach sind insbesondere die Umsatzerlöse von verbundenen Unternehmen grundsätzlich mit einzubeziehen279. Besondere Bestimmungen für die Umsatzberechnung bestehen für Banken-, Versicherungs- und Medienzusammenschlüsse280.
2. Beurteilung von Zusammenschlüssen Zusammenschlüsse werden danach beurteilt, ob eine marktbeherrschende Stellung auf dem relevanten Markt281 entsteht oder verstärkt wird (§ 12 Abs 1 KartG 2005). Unzulässig ist ein Zusammenschluss somit grundsätzlich dann, wenn als seine Folge (i) kein oder kein wesentlicher Wettbewerb mehr besteht oder der schon bisher nicht wesentlicher Wettbewerb weiter geschwächt wird, oder (ii) eine im Verhältnis zu den anderen Wettbewerbern überragende Marktstellung entsteht oder eine bereits bestehende überragende Marktstellung noch weiter ausgebaut wird (§ 4 Abs 1 KartG 2005) 282. Die Beurteilung erfolgt anhand einer Prognose über die Veränderung der Unternehmens- und Marktstrukturen und bezieht alle wettbewerblich relevanten Umstände ein. Der Zusammenschluss muss für die Wettbewerbsveränderung kausal sein283. Medienzusammenschlüsse sind auch dann zu untersagen, wenn eine Beeinträchtigung der Medienvielfalt zu erwarten ist (§ 13 KartG 2005)284. Grundsätzlich tatbestandsmäßige Zusammenschlüsse können trotzdem genehmigt werden, wenn (i) durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten, die die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen, oder (ii) wenn der Zusammenschluss zur Erhaltung oder Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen notwendig und volkswirtschaftlich gerechtfertig ist (§ 12 Abs 2 KartG 2005). Darüber hinaus kann das Kartellgericht eine Nichtuntersagung auch mit Beschränkungen oder Auflagen verbinden (§ 12 Abs 3 KartG 2005)285. Wie im Gemeinschaftsrecht sind wettbewerbsbeschränkende Nebenabreden, die mit dem Unternehmenszusammenschluss verbunden sind und für die Durchführung tatsächlich notwendig sind, von einer Zusammenschlussgenehmigung miterfasst286.
3. Verfahren Tatbestandsmäßige Zusammenschlüsse sind vor ihrer Durchführung bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) anzumelden (§ 9 Abs 1 KartG 2005)287. 278 279 280 281 282 283 284 285 286 287
Vgl Reidlinger/Hartung, 161 ff; Zehetner (FN 276), 200 f. Dazu näher Reidlinger/Hartung, 159 f. Dazu näher Reidlinger/Hartung, 159 f. Siehe oben II.F; OLG Wien 17.06.2004, 29 Kt 90/04. Reidlinger/Hartung, 171 ff; eingehend Wessely, Das Recht der Fusionskontrolle und Medienfusionskontrolle 191 ff. Vgl im Einzelnen Reidlinger/Hartung, 172 ff. Vgl Görg, Der Begriff der Medienvielfalt im neuen KartG, ÖBl 2004, 108 ff; Reidlinger/Hartung 184 f, Grundlegend zum alten Kartellrecht Wessely (FN 282). Zum Ganzen Reidlinger/Hartung, 176 ff; Zehetner (FN 276), 205. Siehe oben V.B.3. Zum Ganzen Solé, Rz 366 ff; Reidlinger/Hartung, 185 ff.
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Hiezu wurde ein Formblatt erarbeitet und veröffentlicht288. Die Anmeldung wird durch die BWB an den Bundeskartellanwalt (BKA) weitergeleitet und öffentlich bekannt gemacht (§ 10 Abs 3 KartG 2005). Binnen 4 Wochen ab Einlangen der Anmeldung bei der BWB können die BWB und der BKA die Prüfung des Zusammenschlusses beim Kartellgericht beantragen (§ 11 KartG 2005). Erfolgt kein Prüfungsantrag der Amtsparteien oder wird auf die Stellung eines solchen verzichtet, fällt das Durchführungsverbot weg (§ 17 Abs 1 KartG 2005). Wird ein Prüfungsantrag gestellt, so ist binnen fünf Monaten ab Einlagen des Prüfungsantrages beim Kartellgericht, von diesem über den Zusammenschluss zu entscheiden (§ 14 KartG 2005). Das Kartellgericht kann den Prüfungsantrag zurückweisen, den Zusammenschluss untersagen oder die Nichtuntersagung aussprechen (§ 12 Abs 1 KartG 2005). Die Nichtuntersagung kann auch mit Beschränkungen oder Auflagen verbunden werden (§ 14 Abs 3 KartG 2005). Erfolgt innerhalb der Fünfmonatsfrist keine Entscheidung, ist das Prüfungsverfahren einzustellen und kann der Zusammenschluss durchgeführt werden (§§ 14 Abs 1, 17 Abs 1 KartG 2005). Entscheidungen des Kartellgerichtes können binnen vier Wochen beim Kartellgericht durch Rekurs an das Kartellobergericht (KOG) angefochten werden, welches binnen zweier Monate zu entscheiden hat (§ 14 Abs 2 KartG). Unternehmer, deren rechtliche oder wirtschaftliche Interessen durch den Zusammenschluss berührt werden, können sowohl nach der Bekanntmachung der Anmeldung als auch im Prüfungsverfahren, dessen Beantragung ebenfalls bekannt zu machen ist (§ 11 Abs 2 KartG 2005), Stellungnahmen abgeben. Eine Parteistellung erlangen sie dadurch jedoch nicht (vgl §§ 10 Abs 4, 11 Abs 3 KartG 2005).
VI. Verfahren, Behörden und Rechtsdurchsetzung A. EG 1. Allgemeines Zentrale Grundlage des Kartellverfahrensrechts ist die VO 1/2003. Sie beruht auf dem System der Legalausnahme, dh nicht nur Art 81 Abs 1 und 82 EGV sind unmittelbar anwendbar, sondern auch Art 81 Abs 3 EGV. Es bedarf daher keiner Freistellungsentscheidung der Kommission289. Der Schwerpunkt der Kommissionstätigkeit liegt in der Verfolgung gravierender Kartell- und Missbrauchsverstöße290.
2. Ermittlungsbefugnisse und Entscheidungsmöglichkeiten der Kommission Die Kommission hat die Möglichkeit, Untersuchungen einzelner Wirtschaftszweige und einzelner Arten von Vereinbarungen durchzuführen und Auskunftsverlangen an Unternehmer und Unternehmensvereinigungen zu richten 288 289 290
Abrufbar unter www.bwb.gv.at; Roninger, Kurzkommentierung des Formblatts für die Anmeldung von Zusammenschlüssen, ecolex 2003, 696. Siehe dazu schon oben II.D.2. Vgl Erwägungsgrund 3 der VO 1/2003.
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(Art 17 und 18 VO 1/2003)291. Darüber hinaus kann die Kommission im Rahmen einer Untersuchung alle natürlichen und juristischen Personen mit deren Zustimmung befragen (Art 19 VO 1/2003). Weiters besteht die Möglichkeit, bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen aber auch Dritten Nachprüfungen vorzunehmen. Darunter versteht man die Ermittlung vor Ort in den Räumlichkeiten von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen aber insbesondere auch in Privatwohnungen von Unternehmensleitern und Mitarbeitern. Im Rahmen der Nachprüfung ist die Kommission befugt, alle Räumlichkeiten zu betreten, Geschäftsunterlagen zu kopieren, Räumlichkeiten oder Behältnisse zu versiegeln und vor Ort befindliche Vertreter und Mitarbeiter des Unternehmens zu befragen (Art 20 und 21 VO 1/2003)292. Die Kommission verfügt über die Möglichkeit, Zuwiderhandlungen gegen Art 81 und 82 EGV festzustellen und deren Abstellungen anzuordnen oder Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art zu erlassen (Art 7 VO 1/2003). Ebenso können einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Wettbewerbsverhältnisse erlassen werden (Art 8 VO 1/2003). Weiters können Verpflichtungszusagen angenommen und mittels Entscheidung für bindend erklärt werden (Art 9 VO 1/2003)293. In Einzellfällen besteht die Möglichkeit, die Nichtanwendbarkeit von Art 81 und 82 EGV mittels Entscheidung festzustellen (Art 10 VO 1/2003). Schließlich kann die Kommission bei Verstößen gegen die gemeinschaftsrechtlichen Kartellvorschriften (erhebliche) Geldbußen294 und Zwangsgelder verhängen (Artt 23, 24 VO 1/2003)295. Ein Erlass einer Geldbuße ist möglich, wenn das Unternehmen als erstes Informationen und Beweismittel vorlegt, die es der Kommission ermöglichen, im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Kartell (a) gezielte Nachprüfungen durchzuführen oder (b) Zuwiderhandlungen gegen Art 81 EGV festzustellen (Kron291
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Dazu ausführlich Miersch in: Dalheimer/Feddersen/Miersch, Art 17 und 18 VO 1/2003; siehe zur Einleitung des Verfahrens, den Ermittlungen der Kommission, der Behandlung von Beschwerden dem rechtlichen Gehör, der Akteneinsicht und Behandlung vertraulicher Informationen auch VO (EG) Nr. 773/2004 (Abl 2004 L 123/18). Dazu ausführlich Miersch in: Dalheimer/Feddersen/Miersch, Art 20 und 21 VO 1/2003; auch Meyer/Kuhn, Befugnisse und Grenzen kartellrechtlicher Durchsuchungen nach VO Nr. 1/2003 und nationalem Recht, WuW 2004, 880. Dazu Hirsbrunner/Rhomberg, Verpflichtungszusagen im EG-Kartellrechtsverfahren - Erste praktische Erfahrungen mit der Neuregelung der Kartellverfahrensverordnung 1/2003, EWS 2005, 61; Gruber, Verpflichtungszusagen im europäischen Kartellrecht, EWS 2005, 310. Siehe dazu die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (Abl 2006 C 210/02); Sünner, Das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen nach Art. 23 II lit. a) der Kartellverfahrensordnung (VerfVo), EuZW 2007, 8; Sharaf, Die neuen Bußgeld-Leitlinien im EG-Kartellrecht vor dem Hintergrund der Entscheidungen der Kommission und der Rechtsprechung, wbl 2007, 1; Gruber, Strengere Strafen im europäischen Kartellrecht, ecolex 2006, 669; Soltész/Rolofs, Rechtsschutz zu Lasten Dritter im Kartellbußgeldverfahren, EuZW 2006, 327; Alemann, Die Abänderung von Bußgeldentscheidungen der Kommission durch die Gemeinschaftsgerichte in Kartellsachen, EuZW 2006, 487. Dazu ausführlich Feddersen in: Dalheimer/Feddersen/Miersch, Art 23 und 24; Bechtold ua, Art 23 und 24 VO 1/2003; Mestmäcker/Schweitzer, § 21 Rz 1 ff.
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zeugenregelung). Dies setzt voraus, dass (i) die Kommission zum Zeitpunkt der Vorlage der Information nicht bereits über ausreichend Beweismittel verfügte (ii) der Kronzeuge seine Teilnahme am Kartell unmittelbar nach der Antragstellung beendet, außer jenen Kartellaktivitäten, die für den Erfolg der Nachprüfungen notwendig sind, (iii) die verfügbaren Beweismittel und Informationen vollständig sind und der Kronzeuge während des Verfahrens weiterhin mit der Kommission zusammenarbeitet, (iv) das Unternehmen auch im Zeitraum, indem ein Antrag auf Geldbußenerlass in Erwägung gezogen wurde, keine Beweise vernichtet, verfälscht oder unterdrückt hat und außer gegenüber anderen Wettbewerbsbehörden nichts über die Antragsstellung offen gelegt hat, und (v) der Kronzeuge andere Unternehmen nicht durch wirtschaftlichen Druck zur Teilnahme am Kartell gezwungen hat. Wurde einem Unternehmen in derselben Sache ein bedingter Geldbußenerlass auf Grund der Ermöglichung einer Nachprüfung gewährt oder konnte das Unternehmen nicht als erstes belastende Beweise für das mutmaßliche Kartell aus dem relevanten Zeitraum erbringen, ist ein Erlass auf Grund der Ermöglichung der Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art 81 EGV ausgeschlossen. Unternehmen, die diese Voraussetzungen nicht vollständig erfüllen, kann gegebenenfalls eine Ermäßigung der Geldbuße gewährt werden296. Entscheidungen der Kommission sind beim Gericht erster Instanz anfechtbar, gegen dessen Entscheidung beim EuGH berufen werden kann.
3. Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den mitgliedsstaatlichen Wettbewerbsbehörden Durch das System der Legalausnahme werden die mitgliedsstaatlichen Wettbewerbsbehörden auch in die Anwendung des Art 81 Abs 3 einbezogen297. Zudem fordert Art 35 VO 1/2003, dass nationale Wettbewerbsbehörden, die auch Gerichte sein können, für eine wirksame Durchsetzung der VO und der Art 81 und 82 EGV eingerichtet werden298. Aus diesem Grund kommt der Koordinierung der Kommission und der mitgliedsstaatlichen Wettbewerbsbehörden bzw Gerichte sowie der mitgliedsstaatlichen Wettbewerbsbehörden bzw Gerichte untereinander besondere Bedeutung zu299. Die Kommission und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsstaaten sind zur engen Zusammenarbeit 296
297 298 299
Siehe Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl 2006 C 298/11); Hartung, Die neue Mitteilung der Europäischen Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, wbl 2007, 63; Hemetsberger, Die Kronzeugenregelung im europäischen Kartellrecht - ein Verstoß gegen das Recht auf Aussageverweigerung bei Gefahr der Selbstbezichtigung?, ÖZW 2004, 8; Hetzel, Die Vielzahl kartellrechtlicher Kronzeugenregelung als Hindernis für die Effektivität der europäischen Kartellbekämpfung, EuR 2005, 735. Dazu und zum Folgenden Miribung, Die Dezentralisierung des EG-Kartellrechts, ecolex 2003, 307; siehe schon oben II.D.2. Zu den danach zuständigen nationalen Wettbewerbsbehörden oben I.D.2. Vgl dazu Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden (Abl 2004 C 101/43); Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedsstaaten bei der Anwendung der Art 81 und 82 des Vertrages (Abl 2004 C 101/54).
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verpflichtet300. Sie unterrichten sich insbesondere gegenseitig über neue Verfahren und in Aussicht genommene Entscheidungen (Art 11 VO 1/2003). Weiters besteht die Befugnis, einander tatsächliche oder rechtliche Umstände einschließlich vertraulicher Angaben mitzuteilen und diese Information als Beweismittel zu verwenden (Art 12 VO 1/2003). Ebenso haben die Mitgliedsstaaten die Kommission über Urteile der einzelstaatlichen Gerichte zu informieren. Grundsätzlich soll ein Fall nur von der Wettbewerbsbehörde behandelt werden, innerhalb dessen Hoheitsgebiet sich die Vereinbarung oder Verhaltensweise in erster Linie auswirkt. Geht bei einer Wettbewerbsbehörde eine Beschwerde wegen eines Falles ein, mit dem bereits eine andere Wettbewerbsbehörde befasst ist, so kann diese Beschwerde zurückgewiesen werden (Art 13 VO 1/2003)301. Leitet die Kommission in einem Fall ein Verfahren ein, entfällt die Zuständigkeit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsstaaten (Art 11 Abs 6 VO 1/2003)302.
B. Österreich 1. Kartellgericht und Kartellobergericht Das KartG 2005 enthält sowohl organisationsrechtliche als auch verfahrensrechtliche Bestimmungen hinsichtlich des Kartellgerichts und des Kartellobergerichts. Das OLG Wien ist als Kartellgericht für das gesamte Bundesgebiet zuständig (§ 58 Abs 1 KartG 2005). Entscheidungen des Kartellgerichts können binnen vier Wochen durch Rekurs an den Obersten Gerichtshof als Kartellobergericht (KOG) angefochten werden. Sowohl die Senate des Kartellgerichts als auch des KOG bestehen aus Berufs- und fachkundigen Laienrichtern (§ 59 KartG 2005)303. Entschieden wird im Verfahren außer Streitsachen, soweit das KartG keine eigenständigen Regelungen enthält (§ 38 KartG)304. Das Kartellgericht entscheidet grundsätzlich nur auf Antrag (§ 36 Abs 1 KartG 2005). Antragsberechtigt sind (i) die BWB und der BKA, (ii) durch bundesgesetzliche Vorschriften zur Regulierung bestimmter Wirtschaftszweige eingerichtete Behörden (Regulatoren, zB Energie-Control GmbH), (iii) die Wirtschaftskammer Österreich, die Bundeskammer für Arbeit und Angestellte und die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammer Österreich, und (iv) jeder Unternehmer und jede Unternehmervereinigung, der oder die ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung hat. Anträge auf Prüfung von Zusammenschlüssen und auf Verhängung von Geldbußen und Zwangsstrafen können jedoch nur von der BWB und dem BKA gestellt werden
300 301
302 303 304
Dazu und zum Folgenden ausführlich Dalheimer in: Dalheimer/Feddersen/Miersch, Art 11 bis 13 VO 1/2003; Bechtold ua, Art 11 bis 13 VO 1/2003. Zum Doppelbestrafungsverbot Soltész/Marquier, Hält "doppelt bestraft" wirklich besser? - Der ne bis in idem-Grundsatz im europäischen Netzwerk der Kartellbehörden, EuZW 2006, 102. Dazu Leopold, Das Aufgreifen eines Verfahrens durch die Kommission nach Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003, EWS 2004, 539. Dazu Solé, Rz 13 ff. Dazu Hoffer/Barbist, 64 f.
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(§ 36 Abs 2 bis 4 KartG 2005)305. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen erfolgt nach Maßgabe des § 39 KartG 2005)306. Sowohl im Anwendungsbereich des KartG 2005 als auch der VO 1/2003307 kann das Kartellgericht Abstellungen von Zuwiderhandlungen und einstweilige Verfügungen anordnen (§§ 26, 48, 83 KartG 2005)308. Weiters können Verpflichtungszusagen angenommen werden, wenn zu erwarten ist, dass die Zusagen der beteiligten Unternehmer künftige Zuwiderhandlungen ausschließen (§ 27 KartG 2005)309 und Geldbußen (§§ 29 ff KartG 2005)310 und Zwangsgelder (§ 35 KartG 2005)311 verhängt werden. Im Anwendungsbereich des KartG 2005 kann das Kartellgericht auch feststellen, ob und inwieweit ein Sachverhalt dem KartG unterliegt und bei berechtigtem Interesse ebenso feststellen, dass ein bereits beendetes Verhalten diesem Bundesgesetz widersprach (§ 28 KartG 2005)312. Demgegenüber sind Feststellungsanträge, ob und inwieweit ein Sachverhalt Art 81 und 82 EGV unterliegt, nicht zulässig313. Zentrale Bedeutung für die Durchsetzung nationalen wie gemeinschaftsrechtlichen Kartellrechts kommt der zivilrechtlichen Rechtsdurchsetzung zu. Die diesbezüglichen Rechtsfolgen (Nichtigkeit, Schadenersatz, Unterlassungsklagen) wurden bereits angeführt314.
2. Bundeswettbewerbsbehörde und Wettbewerbskommission Die Bundeswettbewerbsbehörde ist sowohl im KartG 2005 als auch dem WettbG geregelt. Sie ist als weisungsfreie und unabhängige Aufgriffs- und Ermittlungsbehörde beim BMWA eingerichtet315. Ziel ist es (i) einen funktionierenden Wettbewerb sicherzustellen und Wettbewerbsverzerrungen oder beschränkungen iSd KartG oder Europäischen Wettbewerbsregeln in Einzellfällen entgegenzutreten sowie (ii) eine die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht und den Zusammenhang mit Entscheidungen der Regulatoren wahrende Anwendung des KartG zu gewährleisten (§ 1 WettbG). Zur Erreichung dieser Ziele hat die BWB unter anderem die Befugnis (i) der Wahrnehmung der Parteistellung in Verfahren vor Kartellgericht und KOG, (ii) der Durchführung der Europäischen Wettbewerbsregeln in Österreich, (iii) der allgemeinen Untersuchung eines Wirtschaftszweiges, sofern die Umstände 305 306 307 308
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311 312 313 314 315
Dazu Mair/Solé, Kartellverfahren - (halb) neu!, ecolex 2004, 930; zum Parteibegriff des KartG Solé, Rz 67 ff; vgl KOG ecolex 2006/137 (Tremmel) = RdW 2006/223. Dazu Reidlinger/Hartung, 226 f; Solé, Rz 209 ff. Siehe zur unmittelbaren Anwendung oben II.D.2. Dazu Solé, Rz 422 ff; Wessely, Enge oder weite Formulierung des kartellgerichtlichen Abstellungsauftrages, 2004, 364; KOG ecolex 2005/141 (Priemayer) = MR 2004, 367. Dazu Solé, Rz 451 ff. Dazu Rosbaud, Das Kartellstrafrecht ist tot! Lang lebe das „Kartellstrafrecht“! Zur Rechtsnatur der Geldbuße nach § 142 Z 1 KartG idF KartG-Novelle 2002, JBl 2003, 907; Reidlinger/Hartung, 208 f; ausführlich Solé, 494 ff. Dazu Solé, Rz 329 ff; Dazu Reidlinger/Hartung, 205 f. Vgl Reidlinger/Hartung, 206; KOG wbl 2005, 190 = ecolex 2005/244 (Lukaschek). Oben III.E. und IV.D. Vgl auch zum Folgenden Reidlinger/Hartung, 232 ff.
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vermuten lassen, dass der Wettbewerb in dem betreffenden Wirtschaftszweig eingeschränkt oder verfälscht ist, sowie (iv) der Leistung von Amtshilfe in Wettbewerbsangelegenheiten. Die BWB kann sich unter sinngemäßer Anwendung des AVG Sachverständiger bedienen sowie Zeugen und Beteiligte heranziehen (§ 11 Abs 2 KartG 2005). Die BWB ist, soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem WettbG erforderlich ist, befugt (i) von Unternehmern und Unternehmensvereinigungen die Erteilung von Auskünften innerhalb angemessener Frist anzufordern (ii) Geschäftliche Unterlagen einzusehen und zu prüfen oder durch geeignete Sachverständige einsehen und prüfen zu lassen, Abschriften und Auszüge der Unterlagen anzufertigen, sowie (iii) vor Ort alle für die Durchführung von Ermittlungshandlungen erforderlichen Auskünfte zu verlangen (§ 11a Abs 1 WettbG)316. Weiters kann die BWB beim Kartellgericht die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls beantragen (§ 12 KartG 2005)317. Die Kronzeugenregelung des KartG ermöglicht es der BWB, von einem Antrag auf Verhängung einer Geldbuße gegen Unternehmer oder Unternehmervereinigungen zu abzusehen, wenn die Betroffenen (i) ihre Mitwirkung an einer Zuwiderhandlung gegen § 1 KartG oder Art 81 Abs 1 EGV eingestellt haben, (ii) die BWB über diese Zuwiderhandlung informieren, bevor sie von dem Sachverhalt erfährt, (iii) in der Folge uneingeschränkt und zügig mit der BWB zwecks vollständiger Aufklärung des Sachverhaltes zusammenarbeiten und (iv) andere Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen nicht zur Teilnahme an der Zuwiderhandlung gezwungen haben (§ 11 KartG 2005)318. Es besteht auch die Möglichkeit einer geminderten Geldstrafe, wenn der Sachverhalt bereits bekannt war, alle anderen Voraussetzungen aber vorliegen. Zur Anwendung der Kronzeugenregelung wurde von der BWB ein Handbuch veröffentlicht319. Als beratendes Organ ist bei der BWB die Wettbewerbskommission eingerichtet (§§ 16 f WettbG). Die Mitglieder werden vom Wirtschaftsminister ernannt, einige Sozialpartner haben ein Vorschlagsrecht für je ein Mitglied. Die Wettbewerbskommission erstellt im Auftrag der BWB oder des BMWA Gutachten über allgemeine wettbewerbspolitische Fragestellungen und kann Empfehlungen zu angemeldeten Zusammenschlüssen abgeben320.
3. Bundeskartellanwalt Als zweite Amtspartei ist der Bundeskartellanwalt als weisungsgebundene Behörde beim BMJ eingerichtet. Ziel ist die Vertretung der öffentlichen Inte316 317 318
319 320
Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs und zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vgl KOG wbl 2005, 493 = RdW 2005, 754. Zum Ganzen Roninger/Spallinger, Die Ermittlungsbefugnisse der Bundeswettbewerbsbehörde, ecolex 2002, 407. Dazu Gruber, Die neue Kornzeugenregelung im Kartellrecht, RdW 2005, 535; Öhlberger, Ein verlockendes Angebot? Die österreichische Kronzeugenregelung in einer vergleichenden Analyse, ÖBl 2006/23; Hummer, Kronzeugen - ein neues Zeitalter der Kartellbekämpfung, ecolex 2006, 11. Abrufbar unter www.bwb.gv.at; Gruber, Kartellrecht: Handbuch zur Kronzeugenregelung, RdW 2006/250; Vgl Reidlinger/Hartung, 245 f.
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ressen in Angelegenheiten des Wettbewerbs (§ 75 KartG 2005). Der Bundeskartellanwalt hat die Möglichkeit Anträge einzubringen, jederzeit in kartellrechtlichen Verfahren als Partei aufzutreten und Rechtsmittel gegen kartellgerichtliche Entscheidungen zu erheben321.
VII. Verhältnis zwischen KartG 2005 und Sonderwettbewerbsrecht Die gesetzlichen Regelungen für die liberalisierten Infrastrukturmärkte Telekommunikation (TKG 2003322), Energie (EIWOG323, GWG324, E-RBG325) und Transport (EisbG326) enthalten auch so genanntes Sonderwettbewerbsrecht. Es soll vor allem den diskriminierungsfreien Netzzugang (Infrastrukturzugang) sicherstellen. Vollzogen werden diese Materien durch mit den genannten Gesetzen eingerichteten Regulierungsbehörden (RTR-GmbH und Telekom-Control-Kommission, Energie-Control GmbH und Energie-Control Kommission, Schienen-Control Kommission). Netzbetreiber verfügen in aller Regel über eine marktbeherrschende Stellung, wenn nicht sogar über ein Monopol. Eine Geschäftsverweigerung oder Diskriminierung stellt danach häufig auch einen Verstoß gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot dar327. Es stellt sich damit die Frage, in welchem Verhältnis dieses Sonderwettbewerbsrecht und die Zuständigkeit der Regulierungsbehörden zum allgemeinen Wettbewerbsrecht und der Zuständigkeit der Wettbewerbsbehörden und des KG und KOG stehen328. Die Beantwortung der Frage ist außerordentlich strittig. Die Materiengesetze enthalten häufig die Formulierung, dass die Zuständigkeit des Kartellgerichts unberührt bleibt (§§ 2 Abs 4 TKG, 10 E-RBG Abs 1 Z 1, 53f EisbG). Daraus wurde vom KOG im Anwendungsbereich des TKG auf eine parallele Anwendung von allgemeinem und Sonderwettbewerbsrecht geschlossen329. Dem folgt ein großer Teil der Literatur auch für andere Liberalisierungssektoren330. § 21 Abs 1 ElWOG und § 21 Abs 1 GWG sehen für Streitigkeiten über 321 322 323 324 325 326 327 328 329
330
Vgl Reidlinger/Hartung, 243 f. BGBl I 2003/70 idF BGBl I 2005/133 BGBl I 1998/143 idF BGBl I 2006/106 BGBl I 2000/121 idF BGBl I 2006/106 BGBl I 2000/121 idF BGBl I 2006/106 BGBl 1957/60 idF BGBl I 2006/125 Oben IV.C. Vgl allgemein, aber instruktiv zum Problem Wollmann, Sektorliberalisierung und allgemeine Wettbewerbsaufsicht, ecolex 2000, 548 ff. KOG ÖBl 1999, 297; KOG ÖBl 2004/46 (Barbist) = wbl 2004, 97 = MR 2004, 143, siehe dazu auch VwGH 20.07.2004, 2003/03/0072; KOG ecolex 2005/141 (Priemayer) = MR 2004, 367. Vgl Stockenhuber, Wer entscheidet über den Netzzugang?, ÖZW 2001, 37 (40 f); Lewisch, Eisenbahnregulierungsrecht, 2002, 247 f; Köck, Der Beitrag des allgemeinen Wettbewerbsrechts zur Telekom-Regulierung, in: Wiederin (Hrsg), Wettbewerb im neuem Rechtsrahmen, 2002, 51 (54); Lehofer, Die gerichtliche Kontrolle von Regulierungsentscheidungen: Möglichkeiten und Grenzen, in: Holoubek/Boltz (Hrsg), Strommarktregulierung, 2005, 19 (29 f); Damjanovic ua, Handbuch des Telekomunikationsrechts, 2006, 138 f; ebenso, jedoch für die Beurteilung im Rahmen
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die Verweigerung des Netzzugangs eine Zuständigkeit der Energie-Control Kommission vor, „sofern keine Zuständigkeit des Kartellgerichts (…) vorliegt“. Daraus könnte auf einen Vorrang der kartellgerichtlichen Zuständigkeit geschlossen werden, jedenfalls aber nicht auf eine parallele Zuständigkeit331. Die Lösung sollte jedoch nicht in einer bloßen Wortlautinterpretation gesucht werden, welche zudem nicht eindeutig ist332. Gegen eine parallele Zuständigkeit spricht vor allem eine verfassungskonforme Auslegung. Denn ansonsten würden Gerichte und Verwaltungsbehörden in derselben Sache entscheiden (Art 94 B-VG)333. Daher ist aufgrund der lex specialis Regel grundsätzlich von einem Vorrang des Sonderwettbewerbsrechts und der Zuständigkeit der Regulierungsbehörden auszugehen334. Nicht sondergesetzlich speziell geregelte Fragen, wozu auch Missbrauchstatbestände außerhalb der Diskriminierung beim Netzzugang oder sonstige Kartelltatbestände gehören, verbleiben freilich im Anwendungsbereich des KartG 2005 und der Zuständigkeit der allgemeinen Wettbewerbsbehörden und Kartellgerichte335 Gleichgültig, welchem Auslegungsergebnis man folgt, besteht Bedarf danach, eine divergente Entscheidungspraxis zu vermeiden. Das ist evident, wenn man von einer parallelen Zuständigkeit ausgeht. Aber auch bei einem grundsätzlichen Vorrang des Sonderwettbewerbsrechts und der zu seiner Vollziehung berufenen Behörden, wie sie hier vertreten wird, ist die Verwandtschaft der Materien so eng, dass ein Auseinenderklaffen der Ergebnisse misslich wäre. Dem trägt das Gesetz Rechnung. Es ist Aufgabe der BWB, eine Anwendung des KartG 2005 zu gewährleisten, die den Zusammenhang mit Entscheidungen der Regulatoren wahrt, und den Regulatoren Amtshilfe zu leisten (§§ 1 Abs 1 lit b, 2 Abs 1 Z 4,10 Abs 1 WettbG)336. Umgekehrt kommt den Regulatoren mit Ausnahme der Prüfung von Zusammenschlüssen eine Antragsbefugnis im kartellgerichtlichen Verfahren zu (§ 36 KartG 2005). Auch können sie in Verfahren Stellungnahmen zu den jeweiligen Wirtschaftszweig betreffenden Fragen abgegeben, in denen sie nicht Antragsteller sind (§ 46 KartG 2005)337. Im Telekommunikationsrecht besteht für die Regulierungsbehörde bei Vermutung, dass ein Sachverhalt dem Kartellgesetz unterliegt, eine Antragspflicht (§ 127 TKG 2003)338.
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des § 20 Abs 1 ElWOG eine ausschließende Zuständigkeit der Energie-Kommission annehmend Leitl, Regulierungsbehörden im österreichischen Recht, 2006, 276 f; Reidlinger/Hartung, 141 f. Vgl VfGH 06.06.2005, B 1600/04; ebenso VwGH 28.04.2006, 2004/05/0322. Potacs, Handlungsbefugnisse der Regulierungsbehörden im Gasbereich, in: Potacs (Hrsg), Aktuelle Fragen des Gaswirtschaftsrechts, 2005, 17 (26 ff); derselbe in diesem Band, Energiewirtschaftsrecht, II.B.3.b). Vgl Potacs jeweils aaO (FN 332); vgl auch Leitl (FN 330) 278 f, die im Ergebnis aber einen Verstoß gegen Art 94 B-VG verneint. Potacs jeweils aaO (FN 332); ferner Eisenberg/Zuser, Behörden und Zuständigkeiten nach dem Telekommunikationsgesetz, MR 1998, 90 (97). Daher im Ergebnis zutreffend KOG ÖBl 2004/46 (Barbist) = wbl 2004, 97 = MR 2004, 143. Vgl Zellhofer, Die Kompetenzen der Energie-Control GmbH im Erdgasmarkt, ecolex 2002, 722 (724). Dazu Leitl, (FN 330), 279 f. Vgl Leitl, (FN 330), 281.
Thomas Jaeger
Beihilfe- und Förderungsrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................682 Grundlegende Literatur...................................................................................684 I. Grundlagen ................................................................................................688 A. Allgemeines: Regelungsgrundlagen und Regelungsziele, Gegenstand und wirtschaftliche Bedeutung der Beihilfekontrolle ........688 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................690 1. …des EG-Rechts ...............................................................................691 2. …des österreichischen Förderungsrechts..........................................692 C. Abgrenzung zu verwandten Materien....................................................694 1. Gemeinschaftsbeihilfen .....................................................................694 2. WTO-Subventionsrecht.....................................................................695 II. Beihilfetatbestand ....................................................................................696 A. Beihilfebegriff als objektiver Rechtsbegriff ...........................................696 B. „Beihilfen gleich welcher Art“: Wirtschaftlicher Vorteil......................698 1. Beihilfeformen ..................................................................................699 2. Prüfungsgrundsatz Marktadäquanz ...................................................700 3. Beihilfeäquivalent: Wert der Begünstigung ......................................715 C. „staatliche … Beihilfen“: Doppelte Staatlichkeitsbedingung ...............715 1. Staatliche Zurechnung der Gewährungsentscheidung.......................716 2. Staatliche Herkunft der Beihilfemittel...............................................718 D. „Unternehmen oder Produktionszweige“: Beihilfebegünstigte............720 1. Unternehmensbegriff.........................................................................720 2. Beihilfen an Verbraucher ..................................................................722 E. „Begünstigung bestimmter Unternehmen“: Selektivität des Vorteils....723 F. Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung .....................725 III. Österreichisches Förderungsrecht........................................................729 A. Normen und Gewährungsmodalitäten...................................................730 B. Grundrechtliche Eingriffe durch Subventionen, Gleichbehandlungsgebot und Grenzen der Gleichbehandlung.............733 C. Privatrechtsförmige Förderungsgewährung .........................................736 1. Allgemeines.......................................................................................736 2. Die Allgemeinen Rahmenrichtlinien für Bundesförderungen (ARR)...............................................................738 D. Öffentlich-rechtliche Förderungsgewährung........................................740 IV. Rechtfertigung von Beihilfen: Vereinbarkeitsprüfung .......................742 A. Legalausnahmen....................................................................................743 1. Art 87 Abs 2 ......................................................................................743 2. Art 73 ................................................................................................744 B. Ermessensausnahmen des Art 87 Abs 3 ................................................744
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C. Rechtfertigungsgrund des Art 86 Abs 2 ................................................ 747 D. Ausnahmeregelung aufgrund von Art 88 Abs 2 UA 3........................... 749 E. Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO)........................................... 750 F. Erklärende und auslegende Rechtsakte der Kommission...................... 751 G. Beihilfenprüfschema ............................................................................. 753 V. Grundzüge des Verfahrens der Beihilfeprüfung .................................. 754 A. Allgemeines ........................................................................................... 754 B. Überwachung von bestehenden Beihilfen ............................................. 755 1. Begriff der bestehenden Beihilfe ...................................................... 755 2. Verfahren vor der Kommission und Rechtsfolgen von zweckdienlichen Maßnahmen oder Entscheidungen........................ 757 C. Prüfung neuer Beihilfen........................................................................ 758 1. Begriff der neuen Beihilfe und Umgestaltung bestehender Beihilfen 758 2. Verfahren vor der Kommission ........................................................ 760 3. Durchführungsverbot nach Art 88 Abs 3 letzter Satz....................... 767 4. Rückforderung rechtswidriger Beihilfen .......................................... 772 D. Teilnahme am Verfahren vor der Kommission und Beteiligtenrechte.. 783 VI. Grundzüge des Rechtsschutzes vor den Gemeinschaftsgerichten in Beihilfesachen .......................................... 785 A. Untätigkeitsklage................................................................................... 785 B. Nichtigkeitsklage ................................................................................... 787 1. Allgemeines, Fristen und Rechtswirkungen ..................................... 787 2. Anfechtbare Handlungen .................................................................. 787 3. Aktivlegitimation .............................................................................. 789 Zentrale Rechtsgrundlagen: Primärrecht: Art 86, 87, 88 EG (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft); BA: Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge, Abl 1994 C 241/21, idF Abl 1995 L 1/1; EuGH-Satzung: Protokoll Nr 6 zum EU-, EG- und EAG-Vertrag über die Satzung des Gerichtshofs, Abl 2001 C 80/1, idF Abl 2003 L 188/1; Abl 2003 L 236/37; Abl 2004 L 132/1 und 5; Abl 2004 L 333/7; Abl 2005 L 266/60. VerfO-EUGH: VerfahrensO des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, Abl 1991 L 176/7 idgF (zuletzt Abl 2005 L 288/51). Sekundärrecht: Allgemeine De minimis-GVO: VO 69/2001 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf ‚De-minimis’-Beihilfen, Abl 2001 L 10/30; Allgemeine GVO-KMU: VO 70/2001 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EGVertrag auf staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen, Abl 2001 L 10/33; AusgleichszahlungsE-DAWI: Kom-E 2005/842/EG über die Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen, die bestimmten mit der Erbringung von
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Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen als Ausgleich gewährt werden, Abl 2005 L 312/67; AusgleichszahlungsGR-DAWI: GR für staatliche Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden, Abl 2005 C 297/4; D-VVO: VO 794/2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags, Abl 2004 L 140/1; DelegationsGVO: VO 994/98 über die Anwendung der Artikel 92 und 93 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen, Abl 1998 L 142/1; De minimis-GVO Agrar: VO 1860/2004 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf De-minimis-Beihilfen im Agrar- und Fischereisektor, Abl 2004 L 325/4; GVO-Ausbildungsbeihilfen: VO 68/2001 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf Ausbildungsbeihilfen, Abl 2001 L 10/20; GVO-Beschäftigungsbeihilfen: VO 2204/2002 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf Beschäftigungsbeihilfen, Abl 2002 L 337/3; GVO-KMU Fischerei: VO 1595/2004 der Kommission vom 8. September 2004 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf Beihilfen an kleine und mittlere in der Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Fischereierzeugnissen tätige Unternehmen, Abl 2004 L 291/3; GVO-KMU Landwirtschaft: VO 1/2004 der Kommission vom 23. Dezember 2003 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen an kleine und mittlere in der Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen tätige Unternehmen, Abl 2004 L 1/1; TransparenzRL: RL 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen, Abl 1980 L 195, 35, idF RL 2005/81/EG, Abl 2005 L 312/47; VVO: VO 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags, Abl 1999 L 83/1. Österreichisches Recht (Stammfassungen): ABGB: Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr 1811/946; AMA-G: BG über die Errichtung der Marktordnungsstelle ,’Agrarmarkt Austria’ 1992, BGBl 1992/376; ARR: Allgemeine Rahmenrichtlinien für die Gewährung von Förderungen aus Bundesmitteln 2004, BGBl II Nr 2004/51; AVG: Allgemeines VerwaltungsG 1991, BGBl Nr 1991/51; AWG: AbfallwirtschaftsG 2002, BGBl I Nr 2002/102; BAO: BundesabgabenO, BGBl Nr 1961/194; BHG: BundeshaushaltsG, BGBl Nr 1986/213; B-VG: Bundes-VerfassungsG, BGBl Nr 1930/1; EGVG: EinführungsG zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991, BGBl Nr 1991/50; ElWOG: Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsG, BGBl Nr 1998/143; KartG: KartellG 2005, BGBl I Nr 2005/61; Post-KRV: Post-KostenrechnungsV, BGBl II Nr 2000/71; TKG: TelekommunikationsG 2003, BGBl I Nr 2003/70; TTGV. Telekom-TarifgestaltungsV, BGBl Nr 1996/650; UGB: Unternehmensgesetzbuch 2006, BGBl I Nr 120/2005; UWG: G gegen den unlauteren Wettbewerb, BGBl Nr 1984/448.
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Völkerrecht: EWR-Abk: Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, Abl 1994 L 1/3; Subventionskodex: Annex 1A zum WTO-Abk 1994, Agreement on Subsidies and Countervailing Measures, Abl 1994 L 336/156.
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recht: die Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen, EuZW 1998, 331; Van Calster, Greening the E.C.’s State Aid and Tax Regimes, ECLR 2000, 294; Walzel von Wiesentreu/Hofer, Agrarmarktrecht, in: Holoubek/Potacs [Hrsg], Öffentliches Wirtschaftsrecht - Band II, 2002, 663; Whish, Competition Law5, 2003.
I. Grundlagen A. Allgemeines: Regelungsgrundlagen und Regelungsziele, Gegenstand und wirtschaftliche Bedeutung der Beihilfekontrolle Art 21 nennt die „Errichtung eines Gemeinsamen Marktes“ und die „harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens“ als grundlegende Aufgaben der Gemeinschaft. Art 4 Abs 1 geht dabei von einer Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft aus, die „dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist.“2 Vor diesem Hintergrund sieht Art 3 lit g vor, dass die „Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 […] ein System [umfasst], das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt“. Das Funktionieren des Binnenmarkts3 beruht also schon nach dem System des EG-Vertrages auf der Grundlage eines fairen Wettbewerbs zwischen den Wirtschaftstreibenden der Mitgliedstaaten. Ein wesentliches Element der Gewährleistung des Binnenmarkts ist dabei die Abwehr wettbewerbswidriger Maßnahmen.4 Ein sehr effektives Instrument der wettbewerblichen Kontrolle ist die von der Kommission ausgeübte Aufsicht über staatliche Beihilfen nach Art 87. Art 87 Abs 1 bestimmt, dass „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar [sind], soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“ Diese Vorschrift zielt typischerweise auf Sachverhalte ab, in denen der Staat mit eigenen Finanzmitteln ein bestimmtes Unternehmen oder eine Anzahl von Unternehmen fördert und auf diese Weise auf einem im Normalfall sich selbst überlassenen Markt stützend tätig wird. Solche Interventionen sind, wenn sie wettbewerbsverfälschende Wirkungen besitzen, im Binnenmarkt grundsätzlich verpönt.5 1 2 3
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Artikelnummern ohne nähere Bezeichnung sind solche des EG-Vertrags. Zum (Markt-)Wirtschaftsmodell der EU näher zB Kilian, Wirtschaftsrecht, Rz 196ff; Hatje, Wirtschaftsverfassung, 692ff. Der Vertrag kennt sowohl die Begriffe Binnenmarkt (zB Art 3 lit c und g) als auch Gemeinsamer Markt (zB Art 87 Abs 1). Obwohl der Binnenmarktbegriff konzeptuell etwas weiter ist, sind beide Begriffe beinahe deckungsgleich, vgl etwa EuGH, Rs C-44/01, Pippig Augenoptik, Slg 2003, I-3095, Rz 63; auch Streinz, Art 2, Tz 31 mwN. Der Binnenmarkt ist freilich nach wie vor nicht vollständig verwirklicht, vgl dazu nur Bericht der Kommission über die Umsetzung der Binnenmarktstrategie (2003-2006), KOM(2004) 22 endg, 5ff. Vgl Leiner, Staatsbürgschaften, 41. Vgl EuGH, Rs C-387/92, Banco Exterior de España, Slg 1994, I-877, Rz 12.
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Das Beihilfeverbot des Art 87 Abs 1 besitzt große wirtschaftliche Bedeutung, denn staatliche Politik ist in wesentlichen Teilen Förderungsverwaltung.6 Dies untermauert auch die Statistik, die einen kräftigen Rückgriff der Mitgliedstaaten auf Beihilfen als Mittel der Wirtschaftslenkung ausweist: Nach einer relativ starken Verringerung des EU-weiten Beihilfevolumens zu Anfang der 1990er Jahre fiel das Beihilfevolumen in den Jahren 1997, 1999 und 2002 nur noch leicht, von 67 Mrd € auf 52 Mrd €, und weiter auf 49 Mrd €.7 Letzteres entspricht für das Jahr 2002 etwa 0,56% des EU-weiten BIP. Im EU-weiten Vergleich liegt Österreich mit einem Gesamtbeihilfevolumen von knapp über 0,6% des österreichischen BIP (1,3 Mrd €) im Jahr 2002 im oberen Drittel jener Mitgliedstaaten, die besonders häufig Beihilfen gewähren.8 Rechnet man allerdings den in Österreich (ähnlich wie va in Finnland und Irland) besonders hohen Anteil an agrarischen Beihilfen heraus,9 so ändert sich das Bild grundlegend: An Industriebeihilfen vergab Österreich im Jahr 2002 nur knapp über 0,2% des BIP (hier zumeist im verarbeitenden Gewerbe),10 womit es wiederum im unteren Drittel des Industriebeihilfedurchschnitts von EU-weit 0,39% des BIP liegt.11 Angeführt wird diese Liste von Dänemark, das 2002 ein Industriebeihilfevolumen von 0,72% des BIP erreichte, am wenigsten Industriebeihilfen werden in den Niederlanden, Finnland, Schweden und Großbritannien gewährt (2002 durchwegs unter 0,2% des jeweiligen BIP).12 Deutschland, Spanien und Portugal liegen (mit ca 0,55% des BIP 2002) etwa im Mittelfeld. Diese Zahlen sind außerdem unter dem Vorbehalt zu lesen, dass es sich nur um die der Kommission bekannt gewordenen Beihilfen handelt. Die Dunkelziffer an Beihilfemaßnahmen, die die Kommission weder im Weg der Anmeldung nach Art 88 Abs 3, noch im Beschwerdeweg erreichen, liegt zweifellos höher. Auch berücksichtigen sie noch nicht das durch die fünfte Erweiterungsrunde 2004 gestiegene Gesamtbeihilfevolumen. Nimmt man die Zahl der notifizierten Beihilfen nach Beitritt (612 im Jahr 2004 gegenüber 306 im Jahr 2003)13 als Indikator, so wäre durch die Erweiterung für das Gesamtbeihilfevolumen in der Gemeinschaft in etwa eine Verdoppelung zu erwarten. Auch aus Sicht der Konkurrenten beihilfebegünstigter Unternehmen hat das Beihilfeverbot in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. So nahm die Zahl der bei der Kommission eingelangten Beschwerden über rechtswidrige Beihilfen zwischen 1999 und 2003 von 2 auf 175 zu.14 Im Jahr 2004, nach der jüngsten Erweiterung, erreichte die Zahl der Beschwerden sogar 237 registrierte Fälle. Erfahrungsgemäß werden zwischen 6 7
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Treffend Raschauer, Rahmenbedingungen, 22. Europäische Kommission, Anzeiger für staatliche Beihilfen 2004, Kom(2004) 256 endg, 4; Zahlen ohne Schienenverkehrsbeihilfen, jedoch einschließlich des Bereichs Landwirtschaft. Beihilfenanzeiger 2004 (FN 7) 11f; zum Vergleich soll das österreichische Entwicklungshilfebudget bis 2006 auf zumindest 0,33% des BNE (das iW dem BIP entspricht) erhöht werden, vgl Pkt 2.2, abrufbar unter http://www.bmaa.gv.at/upmedia/1445_oesterreichs_beitrag_zur_erreichung_der_mdgs.pdf v 16. 1. 2006. Auch lt den Förderungsberichten 2003, III-114 BlgNR 7. GP, und 2004, III-188 BlgNR 7. GP, machten die landwirtschaftlichen Subventionen jeweils über 52% des Gesamtförderungsvolumens aus. Das Verhältnis von Beihilfen im verarbeitenden Gewerbe zu landwirtschaftlichen Beihilfen zu Beihilfen im Dienstleistungssektor betrug in Österreich 2002 30:66:5 (in % des Gesamtbeihilfenvolumens); anderen Sektoren wurden keine Beihilfen gewährt; vgl Beihilfenanzeiger 2004 (FN 7) 15. Beihilfenanzeiger 2004 (FN 7) 12. Beihilfenanzeiger 2004 (FN 7) 4. Vgl XXXIV. WB 2004, 208; Zahlen ohne Landwirtschaft, Verkehr und Kohlebergbau. Vgl XXXIV. WB 2004, 208.
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60 und 80% registrierten Beihilfefälle auch insoweit aufgegriffen und erledigt, dass die Kommission dazu eine abschließende Entscheidung erlässt.15
Das Beihilfeverbot des Art 87 ist nicht absolut.16 Beihilfen sind auch im Gemeinschaftsrecht als legitimes Mittel nationaler Wirtschaftspolitik grundsätzlich anerkannt, soweit das nationale oder gemeinschaftliche Interesse an ihrer Gewährung das Interesse an der Unverfälschtheit des Wettbewerbs überwiegt.17 Ob Beihilfen im Einzelfall zulässig sind, wird also erst im Zuge einer Gesamtabwägung legitimer Interessen entschieden. Jene legitimen öffentlichen Interessen, die zur Abwägung herangezogen werden können, sind in den Abs 2 und 3 des Art 87 genannt. Abs 2 führt dabei jene Interessen bzw Tatbestände an, die eine Beihilfegewährung ex lege immer rechtfertigen. Abs 3 enthält demgegenüber eine beispielhafte Aufzählung sonstiger Interessen. Es handelt sich dabei nicht um ‚Ausnahmen’ vom Beihilfetatbestand als solches,18 sondern um gebundene bzw ermessensfreie Genehmigungstatbestände für Beihilfen. Die Abs 2 und 3 berühren den Grundtatbestand der Beihilfe nicht, sondern zählen auf, unter welchen Umständen eine bereits als Beihilfe qualifizierte Maßnahme zulässig ist, bzw zulässig sein kann. Daneben existieren Verordnungen und Gemeinschaftsrahmen, nach denen gewisse Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden können. Damit ergibt sich eine zweistufige Prüfung von Beihilfen: Zunächst ist festzustellen ob eine bestimmte nationale Maßnahme den Beihilfebegriff überhaupt erfüllt, oder ob sie eine - allenfalls nach sonstigen Bestimmungen des EG-Vertrages zu beurteilende - sonstige wirtschaftspolitische Disposition darstellt. Nur wenn die Beihilfequalität unter diesem ersten Prüfungsschritt festgestellt wird, erfolgt zweitens eine Überprüfung der Zulässigkeit dieser Beihilfe im Hinblick auf die von ihr einerseits verfolgten, andererseits beeinträchtigten öffentlichen Interessen.19
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Bei der Verteilung der Regelungs- und Überwachungskompetenzen für Beihilfen in der österreichischen Rechtsordnung sind zwei Regelungsebenen zu unterscheiden: jene des (unmittelbar wirksamen) Gemeinschaftsrechts und jene des nationalen Rechts.20 15
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Vgl zB 2004 - 982 Fälle, 577 Entscheidungen; 2003 - 552 Fälle, 374 Entscheidungen; 2002 - 613 Fälle, 444 Entscheidungen; 2001 - 569 Fälle, 451 Entscheidungen; 2000 - 663 Fälle, 475 Entscheidungen; alle: XXXIV. WB 2004, 208f. Vgl EuGH, Rs 74/76, Iannelli & Volpi, Slg 1977, 557, Rz 11; Rs 78/76, Steinike und Weinling, Slg 1977, 595, Rz 8; Rs C-301/87, Frankreich/Kommission (‚Boussac’), Slg 1990, I-307, Rz 15; Rs C-72/92, Scharbatke, Slg 1993, I-5509, Rz 19; zuletzt Rs C-143/99, Adria-Wien Pipeline, Slg 2001, I-8365, Rz 30. Auch Leiner, Staatsbürgschaften, 45, versteht die Beihilfengenehmigung als ein System der Interessenskoordination. So etwa die Wortwahl bei Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz 44ff; Ähnlich missverständlich die Gegenüberstellung von ‚grundsätzlichem Beihilfeverbot’ und ‚Ausnahmen’ bei Sánchez Rydelski, Handbuch, 96ff, und bei Cichy, Gemeinschaftsbeihilfen, 151f. Näher auch Kapitel IV, unten. Grundlegend Griller, JRP 2000.
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1. …des EG-Rechts Das Gemeinschaftsrecht beansprucht neben dem nationalen Recht bekanntlich eine parallele Geltung seiner Normen, eigenständigen Systemgrundsätze und Begriffe (sog sui generis-Charakter).21 Konflikte zwischen dem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht werden über den Weg des Anwendungsvorrangs zugunsten des Gemeinschaftsrechts gelöst.22 Dies gilt auch für die hier interessierende Gewährung und Kontrolle von Beihilfen, sodass die gemeinschaftliche Regelungskompetenz in diesen Bereichen der nationalstaatlichen Regelungskompetenz im Konfliktfall vorgeht. Auf Gemeinschaftsebene bestehen mit den Gemeinschaftsbeihilfen (Beihilfen, die die Gemeinschaft im Rahmen ihrer Kompetenzen der Leistungsverwaltung selbst vergibt)23 und deren Kontrolle einerseits, und den Bestimmungen der Art 87ff über die Kontrolle von mitgliedstaatlich gewährten Beihilfen andererseits, eigenständige und in sich geschlossene Regime die Gewährung und Kontrolle von Beihilfen. Da es sich bei dem erstgenannten Bereich der Gemeinschaftsbeihilfen um einen in sich geschlossenen Kompetenzbereich der Gemeinschaft handelt, der, außerhalb möglicher Konkurrentenklagen vor nationalen Gerichten gegen Gemeinschaftsbeihilfen,24 keine normative Überschneidung zum österreichischen Wirtschaftsrecht aufweist, werden Gemeinschaftsbeihilfen (über die unten25 noch vorgenommene Abgrenzung zu den mitgliedstaatlichen Beihilfen hinaus) hier nicht behandelt.
Die zweitgenannte Normengruppe zur gemeinschaftlichen Kontrolle mitgliedstaatlich gewährter Beihilfen bildet dagegen den Schwerpunkt der vorliegenden Darstellung. Indem die Gemeinschaft (in Art 87 Abs 1) bestimmte, von ihr autonom definierte Maßnahmen grundsätzlich verbietet, sich weiters die Entscheidung über eine mögliche Rechtmäßigkeit (iW in Artt 86 Abs 2 und 87 Abs 2 und 3) nach eigenständigen Wertungen vorbehält und schließlich (in Art 88) jede Gewährung mitgliedstaatlicher Beihilfen einem strengen Anmeldeund Prüfverfahren unterwirft, greift das Gemeinschaftsrecht in das nationale Subventionsrecht (unabhängig von dessen normativem Rang)26 massiv ein. Damit sind diese Bestimmungen im Rahmen der hier vorgenommenen kompetenzrechtlichen Analyse an erster Stelle zu Reihen; sie derogieren entgegenstehendem nationalem Recht zwar nicht formell, verhindern aber dessen Anwendung in der Praxis qua Verdrängung (Anwendungsvorrang). Das bedeutet insbesondere, dass die österreichischen Gerichte verpflichtet sind, auf Antrag einer betroffenen Partei „entsprechend ihrem nationalen Recht aus einer Verletzung [des Art 88 Abs 3 letzter Satz] sämtliche Folgerungen sowohl bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Rückforderung der unter Verletzung dieser Bestimmung gewährten finanziellen Unterstützungen oder eventueller vorläufiger Maßnah-
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Näher, statt vieler, zB Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 142ff. Umfassend, statt vieler, Schmitt Glaeser, Vorrang, passim. Zu den Kompetenzgrundlagen und materiellen Einsatzbereichen von Gemeinschaftsbeihilfen ausführlich Cichy, Gemeinschaftsbeihilfen, 47ff. Befürwortend Cichy, Gemeinschaftsbeihilfen, 106ff. Vgl Kapitel I.C.1, unten. Zum Anwendungsvorrang auch gegenüber Verfassungsrecht Griller, JRP 2000, Pkt III.A.
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men [zu] ziehen“;27 Verordnungen oder Gesetze sind also unangewendet zu lassen, Bescheide dürfen nicht vollzogen, Verträge nicht durchgeführt werden; wo nötig, hat das Gericht dies durch einstweilige Verfügungen sicherzustellen.28
2. …des österreichischen Förderungsrechts Parallel neben dem Gemeinschaftsrecht gilt für Beihilfen das österreichische Förderungsrecht, jedoch nur so weit, als es dem Gemeinschaftsrecht nicht widerspricht. Beihilfen gemeinschaftsrechtlichen Verständnisses werden in Österreich als Subventionen bzw Förderungen bezeichnet. Diese terminologische Unterscheidung ist insoweit bedeutsam, als der österreichische Förderungsbegriff mit dem gemeinschaftsrechtlichen Beihilfebegriff nur teilweise übereinstimmt:29 „Subventionen sind […]vermögenswerte Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln, die ein Verwaltungsträger oder eine andere mit der Vergabe solcher Mittel betraute Institution einem Privatrechtssubjekt zukommen läßt, wobei sich der Subventionsempfänger zu einem im öffentlichen Interesse gelegenen subventionsgerechten Verhalten verpflichtet, das anstelle eines marktgerechten Entgeltes tritt.“30 Damit sind Subventionen, wie auch Beihilfen iSd Gemeinschaftsrechts, einerseits als vermögenswerte Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln definiert, andererseits umfasst aber der österreichische Subventionsbegriff auch Förderungen an private Haushalte und Nichtunternehmer31 iSd Gemeinschaftsrechts:32 Der Anwendungsvorrang des EG-Beihilferechts gilt für diesen überschießenden Teil des österreichischen Förderungsrechts, der hier auch außer Betracht bleibt, selbstverständlich nicht. Die Bezeichnung als österreichisches Förderungsrecht soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um keine zusammenhängende Regelungsmaterie handelt, ja zT nicht einmal eine gesetzliche Regelung als Grundlage einer Förderung vorliegt.33 So kennt das B-VG keinen allgemeinen Kompetenztatbestand ‚Subventionen’ oder ‚Förderungsvergabe’; es bestehen nur punktuelle Einzelkompetenzen, die zudem überwiegend nicht-wirtschaftliche Förderungen betreffen und daher mit Beihilfen im hier interessierenden, unternehmensgerichteten Verständnis nichts zu tun haben.34 Dieses Bild der 27
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EuGH, Rs C-143/99, Adria-Wien Pipeline, Slg 2001, I-8365, Rz 27; stRsp seit Rs C-354/90, FNCE, Slg 1991, I-5505, Rz 12; und Rs C-39/94, SFEI, Slg 1996, I-3447, Rz 40. Ausführlicher dazu Kapitel V.C.3 und V.C.4.c, unten. Dazu Rüffler, JBl 2005, 410; Rebhahn, Grundlagen, 4. OGH 26. 1. 1995, 6 Ob 514/95 mwN. Zum Unternehmensbegriff des Beihilfenrechts näher Kapitel II.D.1, unten. Vgl § 20 Abs 5 BHG; ähnlich § 1 ARR; dazu auch Förderungsbericht 2004 (FN 9), Tz 3.211ff. Dies erklärt die divergierenden Beihilfenvolumina, die die Kommission (2004 1,3 Mrd €, vgl FN 8) und die Förderungsberichte (2004 13,103 Mrd €, vgl Mitteilung des Parlamentspressedienstes v 12. 12. 2005, Nr 1021/2005) für Österreich ausweisen. Die Förderungsberichte (FN 9) weisen solche Förderungen als Förderungen aufgrund allgemeiner Rahmenrichtlinien aus; vgl auch Raschauer, Rahmenbedingungen, 28; Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 806. ZB Art 10 Abs 1 Z 17 B-VG: Kinderbeihilfen; Art 11 Abs 11 Z 3 B-VG: Wohnbaubeihilfen; Art 14a Abs 2 lit f B-VG: Subventionen zum Personalaufwand bestimmter Schulen; ausführlich Raschauer, Rahmenbedingungen, 21ff; Korinek/Holoubek, ÖZW 1995, 8ff.
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Aufsplitterung in zahllose Förderungsgegenstände und -grundlagen bestätigen auch die dem Nationalrat von der Bundesregierung gem § 54 BHG jährlich vorzulegenden Förderungsberichte,35 in denen die aus Bundesmitteln gewährten Förderungen der Einfachheit halber überwiegend nach Ressorts und spezifischen Förderungsprogrammen aufgegliedert sind. Als systematische Unterscheidung findet sich darin nur jene zwischen direkten Förderungen (Zuschüssen) und indirekten Förderungen (Einnahmenverzicht); diese Unterscheidung ist aber für das Beihilferecht ohne Belang.
Im Ergebnis sind damit für die Gewährung von Beihilfen in Österreich grundsätzlich die normalen Regeln der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung maßgeblich;36 jede Gebietskörperschaft kann also jedenfalls jene Materien durch (hoheitlich oder nicht hoheitlich ausgestaltete)37 Beihilfen fördern, die ihr kompetenzrechtlich zugeordnet sind.38 Zahlreiche Förderungen sind daher entsprechend der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung gesetzlich geregelt (zB Arbeits-, Umwelt-, Parteien-, Presse- und Forschungsförderungen des Bundes).39 In Materien, die außerhalb des verfassungsgesetzlichen Zuständigkeitsbereichs einer Gebietskörperschaft liegen, kann diese ebenfalls Förderungen gewähren. Dies grundsätzlich dann, wenn dabei nicht hoheitlich, sondern im Weg der Privatwirtschaftsverwaltung vorgegangen wird.40 Aufgrund von Art 17 B-VG verfügen Bund und Länder über privatrechtliche Kontrahierungsfähigkeit, die sie weitestgehend ohne Bindung an Zuständigkeitsvorgaben, dh auch in den Kompetenzbereichen anderer Gebietskörperschaften, ausüben können.41 Dies erlaubt prinzipiell auch den Erlass von Selbstbindungsgesetzen als Grundlage der nicht-hoheitlichen Beihilfegewährung im betreffenden Bereich.42 Die einer privatrechtsförmigen Gewährung von Beihilfen in fremden Zuständigkeitsbereichen gesteckten Grenzen sind weit gezogen. So ist die förderungswillige Stelle erstens an die geltenden Gesetze gebunden. Hat daher die kompetenzrechtlich zuständige Gebietskörperschaft den fraglichen Bereich in den für die Förderungsgewährung relevanten Aspekten außenwirksam geregelt,43 kann auch privatrechtsförmig keine gegenteilige Maßnahme gesetzt werden.44 Bloß interne bzw innenwirksame Regelungen der sachlich zuständigen Gebietskörperschaft sind dagegen kein Hindernis für abweichende Förderungen. Weiters sollen mit Raschauer eine privatrechtsförmige Gewährung von Förderungen außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs dann nicht mehr möglich sein, wenn „eine Gebietskörperschaft ihre Mittel verwendet, um sys35 36 37 38 39 40 41 42 43 44
Vgl FN 9, oben. Raschauer, Rahmenbedingungen, 23. Zur Abgrenzung der Begriffe grundlegend Korinek/Holoubek, Grundlagen, 9ff; vgl weiters Kapitel III.C und III.D, unten. Vgl VfSlg 13.140/1992; Raschauer, Rahmenbedingungen, 27. Näher Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 806f. Vgl Raschauer, Rahmenbedingungen, 24f mwN. Vgl etwa VfSlg 2721/1954; dazu Korinek/Holoubek, Grundlagen, 86ff und 102ff; Raschauer, Rahmenbedingungen, 23ff; jeweils mwN. Vgl Raschauer, Rahmenbedingungen, 28; Korinek/Holoubek, Grundlagen, 103f; Korinek/Holoubek, ÖZW 1995, 11. Beispiele bei Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 806 f. Vgl Korinek/Holoubek, Grundlagen, 102f; Korinek/Holoubek, ÖZW 1995, 11.
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tematisch und erheblich Sachpolitik in Bezug auf eine bestimmte Sachmaterie zu betreiben, [sodass] diese Vermögensverwendung in eine ‚Regelung’ der Materie [umschlägt]“.45 Mit Korinek/Holoubek ist auch die in Art 4 B-VG festgelegte Garantie eines einheitlichen österreichischen Binnenmarktes als Grenze der privatrechtsförmigen Beihilfegewährung außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs zu nennen. Förderungen sollen in Anlehnung an die Dassonville-Formel des EuGH46 - demnach schon dann unzulässig sein, wenn sie eine Beschränkung des freien Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Personen oder Kapital in Österreich bewirken und sich dazu auf keine besondere Rechtfertigung stützen können.47
In der Praxis spielen diese Überlegungen freilich keine erkennbare Rolle. So hat sich der Bund in den ARR 2004 ohnedies dazu verpflichtet, privatrechtsförmige Förderungen außerhalb von Bereichen, die ihm in Gesetzgebung und Vollziehung zugewiesen sind auf Angelegenheiten zu beschränken, die über die Interessen eines einzelnen Bundeslandes hinausgehen sowie auf die Bereiche Volksbildung und Erziehungswesen (§ 3 ARR).
C. Abgrenzung zu verwandten Materien 1. Gemeinschaftsbeihilfen Im Gemeinschaftsrecht selbst ist ein umfassendes und zT sehr komplexes System von gemeinschaftseigenen Förderungen (Gemeinschaftsbeihilfen) vorgesehen.48 So erlaubt schon der EG-Vertrag an verschiedener Stelle49 die Einrichtung von Fonds als Mittel zur Verwirklichung verschiedenster, integrationspolitisch opportuner Ziele. Darüber hinaus gewährt die Kommission im Rahmen ihrer Verwaltungsautonomie bzw im Rahmen ihrer institutionellen Vorrechte eine große Anzahl von Finanzhilfen,50 die typischerweise auf Gegenseitigkeit beruhen und die Empfänger bei Verletzung der Förderungsbedingungen regelmäßig zur Rückzahlung verpflichten. Damit ähneln Gemeinschaftsbeihilfen bei grober Betrachtung Subventionen österreichischen Verständnisses.51 Trotzdem fehlt auf Gemeinschaftsebene eine einheitliche Definition der Gemeinschaftsbeihilfen.52 Als Förderungen, die durch die Gemeinschaft selbst vergeben werden, sind Gemeinschaftsbeihilfen schon nach dem Wortlaut des Art 87 Abs 1 nicht vom 45 46 47 48 49 50
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Raschauer, Rahmenbedingungen, 26; ähnlich (bundesstaatliches Rücksichtnahmegebot) Korinek/Holoubek, Grundlagen, 113ff; Korinek/Holoubek, ÖZW 1995, 13. EuGH, Rs 8/74, Dassonville, Slg 1974, 873, Rz 5. Korinek/Holoubek, Grundlagen, 112. Dazu Cichy, Gemeinschaftsbeihilfen, 29ff; Rodi, Subventionsrechtsordnung, 228ff. Vgl etwa die Agrarmarktförderung auf der Basis von Art 34 Abs 2 und die sog Strukturfonds der Art 146 und 159ff. Teil A des Haushaltsplans; s Mitteilung der Kommission, Vorschläge für Basisrechtsakte für Finanzhilfen, KOM (2003) 274endg; VO 1605/2002/EG über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften, Abl 2002 L 248/1, und die zugehörige DurchführungsVO 2342/2002/EG, Abl 2002 L 357/1; vgl allgemein auch den Überblick über Gemeinschaftsförderungen bei Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 808ff. Vgl zum österreichischen Subventionsbegriff Kapitel I.B.2. oben. Vgl auch Rodi, Subventionsrechtsordnung, 29 und 155ff.
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Beihilfeverbot erfasst; dieses hat nur mitgliedstaatliche Maßnahmen zum Gegenstand.53 Gemeinschaftsförderungen unterliegen damit lediglich den ihre Gewährung regulierenden Voraussetzungen und den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Allerdings sind auch die Gemeinschaftsorgane verpflichtet, bei der Gewährung von Gemeinschaftsbeihilfen darauf zu achten, dass sie weder den innergemeinschaftlichen Wettbewerb verfälschen, noch den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.54 Dasselbe gilt auch für Zuwendungen, die zwar aufgrund mitgliedstaatlichen Zuteilungsbeschlusses gewährt, aber aus Gemeinschaftsmitteln finanziert werden.55 Der Mitgliedstaat übernimmt hier bloß die Individualisierung der Empfänger einer im Übrigen auf Veranlassung der Gemeinschaft gewährten Beihilfe nach den von ihr dafür aufgestellten Regeln.56
2. WTO-Subventionsrecht Neben dem Gemeinschaftsrecht bestehen auch auf Ebene des Völkerrechts im Recht der WTO Bestimmungen über die Kontrolle mitgliedstaatlicher Zuwendungen an Unternehmen. Angesichts der hohen Mitgliederzahl der WTO kommt dieses Normengefüge einer universellen Subventionsrechtsordnung sehr nahe.57 Mit Art I Abs 1 des Subventionskodex 1994 (SCM-Agreement)58 besteht erstmalig eine Definition dessen, was als international relevante Subvention anzusehen ist.59 Die Tatbestandsmerkmale des WTOSubventionsbegriffs entsprechen dabei - mutatis mutandis - iW jenen des Beihilfebegriffs nach Art 87;60 lediglich das in Art 87 enthaltene Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeeinträchtigung kennt der Subventionskodex nicht.61 Demgegenüber wurde im Subventionskodex eine grundsätzlich andere Regelung der Subventionskontrolle gewählt: Während im Gemeinschaftsrecht ein grundsätzliches Verbot von Beihilfen vorgesehen ist, die ausnahmsweise genehmigungsfähig sein können, unterscheidet der Subventionskodex zwischen verbotenen Subventionen iSd Art I Subventionskodex, die stets unzulässig sind (Art 3 Subventionskodex), und sonstigen (anfechtbaren) Subventionen, die unzulässig sind, wenn bzw weil sie eine handelsbeeinträchtigende Wirkung entfalten, deren Eintritt von einem WTO-Mitgliedstaat behauptet wird
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Im Ergebnis ebenso Cichy, Gemeinschaftsbeihilfen, 157. Vgl Mederer, Vorbemerkung, Rz 5; Bär-Bouyssière, Artikel 87, Rz 5. So schon verbRs 213 bis 215/81, Will (‚Zollkontingente’), Slg 1982, 3583, Rz 22f; vgl auch Müller-Graff, ZHR 1988, 414f. Angesichts der potentiell Wettbewerbsverzerrenden Wirkungen auch von Gemeinschaftsbeihilfen der Nichteinbeziehung in das Beihilfekapitel gegenüber krit MüllerGraff, ZHR 1988, 414. Vgl Rodi, Subventionsrechtsordnung, 116. Annex 1A zum WTO-Abk 1994, Agreement on Subsidies and Countervailing Measures, Abl 1994 L 336/156; abweichende Bestimmungen gelten für den Bereich Landwirtschaft, vgl Annex 1A zum WTO-Abk 1994, Agreement on Agriculture, Abl 1994 L 336/22. Rodi, Subventionsrechtsordnung, 126f mwN. Zurückhaltend aber Griller, WTO, 183f. So auch Rodi, Subventionsrechtsordnung, 128.
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(Art 5 Subventionskodex).62 Bei letzterer Gruppe, generell als „anfechtbare Subventionen“ bekannt, handelt es sich maW um einen Auffangtatbestand.63. Eine nähere Auseinandersetzung mit dem Subventionsrecht der WTO erfolgt hier nicht.64 Das WTO-Recht erfasst nämlich nur den Bereich Industriegüter, nicht aber zB Subventionen für Dienstleistungen;65 daher unterfällt das WTO-Subventionsrecht der ausschließlichen Außenhandelskompetenz der Gemeinschaft, deren Vollziehung der Kommission zukommt.66 Die Kommission hat das WTO-Subventionsrecht daher in Bezug auf ihre Genehmigungspraxis nationaler Beihilfen zu beachten und seine Einhaltung durch die anderen WTO-Mitglieder zu überwachen. Auf nationaler Ebene erlangt das WTO-Subventionsrecht dagegen keine eigenständige Bedeutung.
II. Beihilfetatbestand A. Beihilfebegriff als objektiver Rechtsbegriff Der gemeinschaftsrechtliche Beihilfebegriff ist aufgrund der Wendung „gleich welcher Art“ in Art 87 Abs 1 besonders weit und entzieht sich einer abschließenden Definition.67 Allerdings definiert Art 87 jene staatlichen Maßnahmen, die vom Beihilfeverboterfasst sind, nach sechs verschiedenen Merkmalen: Begünstigung, Staatlichkeit, Begünstigtenkreis, Bestimmtheit, Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung.68 Liegen diese - nach hL und Rsp tendenziell weit auszulegenden69 - Tatbestandselemente kumulativ vor, so ist die betreffende Maßnahme vom Beihilfeverbot erfasst. Fehlt dagegen eines der Tatbestandselemente, so handelt es sich um keine Beihilfe iSd Gemeinschaftsrechts, sodass die Maßnahme auch zu keinem Zeitpunkt der Anmeldepflicht nach Art 88 unterliegt. Das Gemeinschaftsrecht ist eine Rechtsordnung sui generis, dh dass sie von keiner anderen Rechtsordnung abgeleitet ist und daher insbesondere neben den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen (und dem Völkerrecht) autonome Geltung beansprucht.70 Das Gemeinschaftsrecht verfügt daher auch über eigenständige 62
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Im Originaltext ‚prohibited subsidies’ und ‚actionable subsidies’. Die früher bestehende dritte Gruppe nicht anfechtbarer Subventionen (‚non-actionable subsidies’) war auf fünf Jahre befristet und wurde über 1999 hinaus nicht verlängert, vgl Art 31 Subventionskodex. So auch Rodi, Subventionsrechtsordnung, 131. Ausführlich aber zB Griller, WTO. Vgl Art XV Annex 1B zum WTO-Abk 1994, General Agreement on Trade in Services, Abl 1994 L 336/191. Ausführlich zur Außenhandelskompetenz der Gemeinschaft Lenaerts/Van Nuffel, Constitutional Law, Rz 20-002ff und 20-10ff. Mederer/van Ysendyck, Artikel 87, Rz 5 mwN. Diese Merkmale lassen sich freilich auch anders gruppieren, etwa mit Müller-Graff nach den Kriterien der Zurechenbarkeit, Beihilfeneigenschaft oder -eignung, Adressateneigenschaft und Folgewirkungen, vgl Müller-Graff, ZHR 1988, 412ff. Vgl etwa Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz 69ff; Sutter, Art 87, Rz 19; Frick, Steuervergünstigungen, 16; Bär-Bouyssière, Artikel 87, Rz 1; Mederer/van Ysendyck, Artikel 87, Rz 5; Geiss, Grundsätze, 29ff. Grundlegend EuGH, Rs 6/64, Costa/ENEL, Slg 1964, 1253, 1269f.
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Grundprinzipien und über eine eigenständige Systematik und Begrifflichkeit. Für die hier interessierende Beschreibung des in Art 87 Abs 1 verwendeten Beihilfebegriffs folgt aus alldem zweierlei: Erstens sind die in Art 87 Abs 1 verwendeten Begriffe im Gemeinschaftsrecht definiert und nur aus dessen Sicht zu interpretieren; allenfalls gleichlautende oder ähnliche Begriffe des nationalen Rechts und deren Bedeutung sind für die Interpretation des Beihilfebegriffs unerheblich (Beihilfebegriff als autonomer Rechtsbegriff). So geht zB das Tatbestandsmerkmal der Staatlichkeit über den österreichischen Begriff der staatlichen (Hoheits- oder Privatwirtschafts-)Verwaltung hinaus, der auf im Beihilferecht nicht (allein) ausschlaggebende Gesichtspunkte der Art der Tätigkeit oder der formell-organisatorischen Zuordnung abstellt.71 Aber auch dort, wo das österreichische Recht Begriffe des Gemeinschaftsrechts übernimmt, etwa mit der Ablöse des Kaufmannsbegriffs durch den am Gemeinschaftsrecht orientierten Begriff des Unternehmens in § 1 Abs 2 des neuen UGB, ist Vorsicht geboten: für das Verständnis und die Weiterentwicklung dieses Begriffs bleibt alleine die Gemeinschaftsrechtsprechung maßgeblich, die Rechtsprechung österreichischer Gerichte kann den Unternehmensbegriff des Gemeinschaftsrechts auch in Nuancen nicht abändern. Zweitens folgt aus der Autonomie des Beihilfebegriffs gegenüber dem innerstaatlichen Recht, dass die Form einer Maßnahme für deren Einstufung als Beihilfe keine Rolle spielt (Formneutralität des Beihilfeverbots).72 Das Beihilfeverbot erfasst alle hoheitlichen (zB auf Gesetz, Bescheid oder Urteil beruhenden) oder privatrechtsförmigen (zB Verkauf, Kauf, Schenkung, Bürgschaft) Maßnahmen zugunsten öffentlicher gleichwie privater Unternehmen. Drittens sind schließlich auch die Ziele der Maßnahme (zB sozialer Natur)73 sind im Hinblick auf deren Einstufung als Beihilfe ebenso unerheblich wie die oftmals mangelnde Erkennbarkeit der Beihilfequalität für die mitgliedstaatlichen Organe.74 Das Beihilfeverbot verfolgt einen wirkungsorientierten Ansatz (funktionelle Betrachtungsweise von Beihilfen), wonach es nur auf den Eintritt einer wirtschaftlichen Begünstigung auf Empfängerseite ankommt, selbst wenn diese Begünstigung nicht intendiert war. Formneutralität und funktionelle Betrachtungsweise sind freilich stets vor dem Hintergrund der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des Art 87 Abs 1 zu sehen, sodass Maßnahmen, die lediglich die begünstigende Wirkung von Beihilfen aufweisen, ohne darüber hinaus sämtliche Tatbestandsmerkmale zu erfüllen (sog ‚Maßnahmen gleicher Wirkung wie Beihilfen’, zB PR-Maßnahmen, zwischenstaatliche Gegengeschäfte, allgemeine Änderungen der Rechtsord-
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Zum Begriff der Verwaltung im österreichischen Recht zB Koja, Staatslehre, 272ff; Adamovich/Funk, Verwaltungsrecht, 21ff. IdS schon die Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr 48 von Herrn Burgbacher an die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Abl v 17. 8. 1963, 2235. ZB EuGH, Rs 173/73, Italien/Kommission, Slg 1974, 709, Rz 26-28. IdZ sei etwa nur an den Fall der österreichischen Energieabgabenvergütung erinnert, vgl Adria-Wien Pipeline (Rs C-143/99, Slg 2001, I-8365); idS auch Sinnaeve, Rückforderung, 164, wonach die mangelnde Erkennbarkeit nicht einmal ein schutzwürdiges Vertrauen des Empfängers begründen soll.
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nung oder Produktionsbedingungen udgl)75 keine tatbestandsmäßigen Beihilfen iSv Art 87 Abs 1 sind.76 Bei der Prüfung der Tatbestandsmerkmale des Art 87 Abs 1 kommt der Kommission in rechtlicher Hinsicht keinerlei Ermessen zu. Sie ist daher an den objektiven Charakter des Beihilfebegriffs ebenso gebunden, wie die nationalen Behörden und Gerichte. Dasselbe gilt für die Frage, ob eine Beihilfe als neu oder bestehend iSv Art 88 einzustufen ist. Auch dies „kann nicht von der subjektiven Einschätzung der Kommission abhängen.“77 Die Begriffe neue Beihilfe bzw bestehende Beihilfe sind daher ebenfalls objektive Rechtsbegriffe.78
B. „Beihilfen gleich welcher Art“: Wirtschaftlicher Vorteil Besteht der Verdacht, dass eine staatliche Maßnahme als Beihilfe einzustufen sein könnte, bietet sich als Ausgangspunkt der Prüfung die Frage an, ob bzw welche eine Begünstigung ein Unternehmen durch eine staatliche Maßnahme erfahren haben soll. Insoweit muss ein tatsächlicher wirtschaftlicher Vorteil nachweisbar sein. Ein solcher liegt vor, wenn ein Unternehmen Mittel, die einen wirtschaftlichen Wert aufweisen, über andere Wege als jenen des Leistungswettbewerbs erwirbt (positive Beihilfen) oder in rechts- oder marktunüblicher Weise behalten darf (negative Beihilfen). Dem Eintritt der Begünstigung beim Empfänger korrespondieren eine Ausgabe (positive Beihilfen) oder ein Einnahmenverlust (negative Beihilfen) auf Seiten der öffentlichen Hand, was Gegenstand der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Staatlichkeit ist.79 Da für letzteres das Vorliegen einer Budgetbelastung ausschlaggebend ist, sind einander die Gesichtspunkte der Prüfung der Begünstigung und jener der Staatlichkeit der Maßnahme generell sehr ähnlich.80 Bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Werts einer Leistung ist ein objektiver Maßstab anzusetzen, denn der Beihilfebegriff ist „ein anhand objektiver Kriterien auszulegender Rechtsbegriff“.81 Kommt einer Zuwendung ein objektiver Marktwert (objektive Verwertbarkeit) zu, sind Einwände einer subjektiv mangelnden Notwendigkeit oder Nützlichkeit der Leistung von Seiten des Beihilfebegünstigten unerheblich.82 Das Tatbestandsmerkmal der Begünstigung ist daher immer dann erfüllt, wenn eine Zuwendung objektiv geeignet ist, die wirtschaftliche Betätigung eines Unternehmens auch nur indirekt (Trittbrettfah75 76
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Näher Eilmansberger, wbl 2003, passim. Vgl EuGH, Rs 290/83, Kommission/Frankreich, Slg 1985, 439, Rz 17f. Diese Maßnahmen können freilich anderen Normen des Gemeinschaftsrechts widersprechen, va den Grundfreiheiten oder dem allgemeinen Diskriminierungsverbot. EuGH, Rs C-295/97, Piaggio, Slg 1999, I-3735, Rz 47. Zu den Konsequenzen für den nationalen Rechtsschutz vgl Kapitel V.C.3.b, unten. Vgl Kapitel II.C, unten. Dies zeigt nicht zuletzt der Privatinvestortest (vgl Kapitel II.B.2.b, unten), der sich sowohl als Ausschluss einer Begünstigung als auch als Ausschluss einer Budgetbelastung verstehen lässt. EuG, Rs T-158/99, Thermenhotel Stoiser, Slg 2004, II-1, Rz 106 mwN. So (allerdings in Bezug auf Art 90) EuGH, Rs C-266/91, Celulose Beira Industrial (‚CELBI’), Slg 1993, I-4337, Rz 6 und 17f; vgl weiters EuG, Rs T-14/96, BAI I, Slg 1999, II-139, Rz 79; verbRs T-116/01 und T-118/01, P & O (BAI II), Slg 2003, II-2957, Rz 118ff; Rs T-158/99, Thermenhotel Stoiser, Slg 2004, II-1, Rz 108ff.
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rerproblem)83 oder mittelbar (verbrauchervermittelte Unternehmensbegünstigungen)84 zu fördern.
1. Beihilfeformen Der weite Begünstigungsbegriff des Beihilfeverbotes bedingt es, dass eine abschließende Darstellung der verschiedenen Erscheinungsformen von Beihilfen nicht möglich ist.85 In der Praxis ist die öffentliche Hand bei der Ausgestaltung spezifischer Vorteile für Unternehmen auch durchaus kreativ.86 Es lassen sich jedoch Gruppen häufiger Begünstigungen zusammenfassen, wie etwa in der folgenden, beispielhaften Aufzählung der Kommission aus 1963: „Zuschüsse, Befreiungen von Steuern und Abgaben; Befreiungen von parafiskalischen Abgaben, Zinszuschüsse, Übernahme von Bürgschaften zu besonders günstigen Bedingungen, unentgeltliche oder besonders preiswerte Überlassung von Gebäuden oder Grundstücken, Lieferung von Gütern oder Dienstleistungen zu Vorzugsbedingungen, Übernahme von Verlusten, oder jede andere Maßnahme gleicher Wirkung[…] an jedes Unternehmen oder an jeden Produktionszweig“.87 In jüngerer Zeit unterschied die Kommission für die Jahre 2000 bis 2002 die folgenden Begünstigungsgruppen bzw Beihilfeformen und deren Häufigkeit: Zuschüsse 58,6% (des Gesamtbeihilfevolumens der Gemeinschaft); Steuerbefreiungen 24,0%; zinsgünstige Darlehen 6,0%; Unternehmensbeteiligungen 5,6%; Bürgschaften 3,2%; und Steuerstundungen 2,6%.88
Innerhalb dieser Beihilfegruppen lassen sich grob Fälle zusätzlicher staatlicher Aufwendungen (positive Beihilfen, supporting subsidies) von Fällen staatlichen Einnahmenverzichts (negative Beihilfen, easing subsidies) abgrenzen.89 Die Zuordnung zur Gruppe der positiven oder negativen Beihilfen macht für die Anwendung des Beihilfeverbots allerdings keinen Unterschied; sie dient lediglich der Systematisierung. Die Gruppe der positiven Beihilfen bezeichnet Fälle, in denen die öffentliche Hand zur Finanzierung der Beihilfe Aufwendungen tätigen muss, also va Direktzuschüsse und Naturalzuwendungen.90 Als negative Beihilfen werden demgegenüber bloße Belastungsverminderungen für Unternehmen bezeichnet, also va Befreiungen oder Zahlungsaufschübe bei 83 84 85
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Näher Whish, Competition Law, 592f. Vgl Heidenhain, § 4, Rz 14ff. So auch die Kommission für den Bereich der fiskalischen Beihilfen, vgl Bericht über die Umsetzung der Mitteilung über Beihilfen in der direkten Unternehmensbesteuerung, KOM(2004) 434, Tz 6, abrufbar unter http://www.europa.eu.int/comm/ competition/state_aid/others/business/rapportaidesfiscales_de.pdf. Vgl für den Bereich der Steuergesetzgebung zB Sutter, Beihilfen im materiellen Steuerrecht, 38f. Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 48 von Herrn Burgbacher v 27. 6. 1963, Abl 1963/2235. Beihilfeanzeiger 2004 (FN 7) 43; die angegebenen Zahlen berücksichtigen insbesondere nicht den Bereich Landwirtschaft, in dem typischerweise Direktzuschüsse gewährt werden. Vgl Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz 75 mwN; Sutter, Art 87, Rz 33. Im Schrifttum wurde dies zurecht als die offensichtlichste Form der Beihilfengewährung bezeichnet, vgl Van Calster, ECLR 2000, 307; Schön, CMLRev 1999, 919f.
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Steuern91 und Sozialabgaben,92 aber auch der Verzicht auf Zinsen,93 Mieten und Nutzungsentgelte,94 prämienfreie Haftungsübernahmen, Ankäufe,95 Verkäufe96 und Privatisierungen zu begünstigten Preisen usw. In den Urteilen Ecotrade und Piaggio wurde auch eine Abweichung vom allgemeinen italienischen Konkursrecht, die dem betreffenden Unternehmen die Weiterführung des Betriebs erlaubte, als Beihilfe qualifiziert, da sie mit Einnahmenverlusten verbunden war.97 Die öffentliche Hand ‚finanziert’ in all den genannten Fällen die negative Beihilfe indem sie auf Einkommen verzichtet, das sie üblicherweise erzielen hätte können. Umgekehrt werden die Unternehmen von den Kosten befreit, die sie normalerweise im Rahmen der laufenden Geschäftsführung oder der üblichen Tätigkeiten zu tragen gehabt hätten.98
2. Prüfungsgrundsatz Marktadäquanz Prima facie ist jede (positive oder negative) Zuwendung der öffentlichen Hand an ein Unternehmen beihilfeverdächtig,99 es sei denn, sie entspricht (im zweiseitigen Leistungsverhältnis) einer gleichwertigen Gegenleistung auf Empfängerseite oder erscheint (bei einseitigen öffentlichen Leistungen) als Investition oder aufgrund zwingender Normen (zB deliktischer Schadenersatz) gerechtfertigt. Diese Marktüblichkeit (Marktadäquanz) des Leistungsaustausches ist Hauptmerkmal und Hauptgegenstand der Prüfung des Tatbestandselements der Begünstigung.100 91
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Vgl zB jüngst EuGH Rs C-148/04, Unicredito, Slg 2005, I-11137, Rz 43ff; Rs C-66/02, Italien/Kommission (‚Italienische Bankenstiftungen’), Slg 2005, I-10901, Rz 82; EuG, verbRs T-269/99, T-271/99 und T-272/99, Territorio Histórico de Guipúzcoa, Slg 2002, II-4217, Rz 71; EuGH, Rs C-156/98, Deutschland/Kommission, Slg 2000, I-6857, Rz 22. Vgl zB EuGH, Rs C-5/01, Belgien/Kommission, Slg 2002, I-11991, Rz 34 ff; Rs C-480/98, Spanien/Kommission, Slg 2000, I-8717, Rz 21; Rs C-251/97, Frankreich/Kommission, Slg 1999, I-6639, Rz 35ff. Vgl zB jüngst zB EuGH 23. 2. 2006, verbRs C-346/03 und C-529/03, Atzeni ua, noch nicht in Slg veröff, Rz 5ff; Rs C-278/00, Griechenland/Kommission, Slg 2004, I-3997, Rz 60ff; EuG verbRs T-228/99 und T-233/99, WestLB, Slg 2003, II-435, Rz 243ff. Vgl zB EuGH, Rs C-39/94, SFEI, Slg 3547, Rz 62; EuG, Rs T-95/94, Sytraval, Slg 1995, II-2651, Rz 64f. Vgl zB EuG, Rs T-158/99, Thermenhotel Stoiser, Slg 2004, I-1, Rz 107ff; Rs T14/96, BAI, Slg 1999, II-139, Rz 71ff. Vgl zB EuG, Rs T-274/01, Valmont Nederland, Slg 2004, II-3145, Rz 37ff; EuGH, Rs C-56/93, Belgien/Kommission, Slg 1996, 723, Rz 10. EuGH, Rs C-200/97, Ecotrade, Slg 1998, I-7907, Rz 45; Rs C-295/97, Piaggio, Slg 1999, I-3735, Rz 43; vgl idZ auch jüngst Urteil v 23. 3. 2006, Rs C-237/04, Enirisorse II, noch nicht in Slg veröff, Rz 43ff (Sonderaustrittsrecht für Aktionäre ohne Belastungsverminderung ist keine Beihilfe). Vgl zB EuGH, Rs C-172/03, Heiser, Slg 2005, I-1627, Rz 55; Rs C-156/98, Deutschland/Kommission, Slg 2000, I-6857, Rz 30 mwN. IdS auch EuG, Rs T-158/99, Thermenhotel Stoiser, Slg 2004, I-1, Rz 107; Rs T14/96, BAI, Slg 1999, II-139, Rz 71. Vgl schon EuGH, Rs 61/79, Denkavit, Slg 1980, 1205, Rz 31; ebenso die hM, vgl Geburtig, Konkurrentenrechtsschutz, 13; Koenig/Kühling/Ritter, Beihilfenrecht, Rz 66; Plender, Definition, 7; Sánchez Rydelski, Handbuch, 63; Lübbig/MartínEhlers, Beihilfenrecht, Rz 69; Quigley/Collins, State Aid Law, 5.
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Der Mangel einer marktgerechten Gegenleistung ist immer dort anzunehmen, wo der Beihilfevorteil unentgeltlich oder für eine Leistung gewährt wird, die dem zahlenmäßigen Wert des Vorteils nur zu einem Bruchteil entspricht.101 Neben einem solchen Nichtentsprechen der Höhe der Leistungen kann sich die Marktunüblichkeit aber auch aus den Leistungsbedingungen ergeben, zB aus einer unüblichen staatlichen Vorfinanzierung, unüblichen Zusatzleistungen usw. Der Gerichtshof fasst diesen weiten Begünstigungsbegriff damit zusammen, dass eine Begünstigung immer dort vorliegt, wo ein „Unternehmen eine wirtschaftliche Vergünstigung erhält, die es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte.“102 Indiz für die mangelnde Marktüblichkeit ist es daher auch, wenn die Zuwendung nicht auf bestehenden rechtlichen Pflichten (zB Gesetz, Vertrag, Urteil, außervertagliche Haftung usw) beruht, sondern freiwillig erfolgt.103 Freiwillige Zuwendungen der öffentlichen Hand an ein Unternehmen sind iaR Beihilfen. Gleiches gilt dort, wo zwar ein Vertrag besteht, es diesem aber an Sachlichkeit mangelt, etwa weil die bestellte Leistung gar nicht benötigt wird.104 In der Erfüllung schlichter volkswirtschaftlicher Erwartungen der öffentlichen Hand, zB Arbeitsplatzgarantien, Umstrukturierungszusagen udgl, ist iaR keine marktgerechte Gegenleistung des Beihilfeempfängers zu erblicken.105
Mit einer Gegenüberstellung von Leistung und Gegenleistung und einem Blick auf Leistungsgrund und Leistungsbedingungen lassen sich die meisten Begünstigungssachverhalte einigermaßen leicht abklären. Es gibt aber eine Reihe von Sonderfällen, in denen die Begünstigungswirkung einer staatlichen Maßnahme sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Va ist nicht schon jede zunächst einseitige staatliche Leistung nur aufgrund des Umstands, dass ihr keine unmittelbare Gegenleistung gegenübersteht, eine Beihilfe. Die wichtigsten dieser Fallgruppen werden im Folgenden kurz erörtert.
a) Preisermittlung bei Immobiliar- und Grundstücksverkäufen und Privatisierungen Bei Verkäufen von Immobilien, Grundstücken oder Unternehmen, die sich im Eigentum der öffentlichen Hand befinden, geht es im hier interessierenden Zusammenhang um die Methode der Ermittlung des richtigen Wertes. Hier besteht regelmäßig ein gewisser Spielraum für die Festsetzung des Verkaufspreises, sodass der Verkaufspreis iW dann als beihilfefrei anzusehen ist, wenn eine von der Kommission anerkannte Wertermittlungsmethode eingehalten wurde.106 101 102
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XXX. WB 2000, Tz 314. EuGH, Rs C-39/94, SFEI, Slg 3547, Rz 60; stRsp, vgl zB EuG Rs T-36/99, Lenzing, Slg 2004, II-3597, Rz 149; verbRs T-116/01 und T-118/01, P&O European Ferries, Slg 2003, II-2957, Rz 112; EuGH, Rs C-256/97, DM Transport, Slg 1999, I-3913, Rz 22. Vgl nur die Rsp des EuGH zur beihilfefreien Rückerstattung zu Unrecht eingehobener Abgaben, zB EuGH, Rs 61/79, Denkavit, Slg 1980, 1205, Rz 31; Rs 826/79, Mireco, Slg 1980, 2259, Rz 15. IdS EuG, Rs T-14/96, BAI, Slg 1999, II-139, Rz 76. Vgl Sutter, Art 87 (FN 69) Rz 34 mwN. Zu Privatisierungen im Detail Montag/Leibenath, § 28, passim.
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Die beim Verkauf von Immobilien und Grundstücken einzuhaltenden Grundsätze sind in der Grundstücksmitteilung der Kommission aus 1997 niedergelegt.107 Stets unbedenklich ist demnach erstens ein Verkauf aufgrund öffentlicher Ausschreibung, dh „nach einem hinreichend publizierten, allgemeinen und bedingungsfreien Bietverfahren (ähnlich einer Versteigerung)[.] Es spielt keine Rolle, ob vor dem Bietverfahren eine andere Bewertung des Gebäudes oder des Grundstücks existierte, z. B. für Buchungszwecke oder um ein beabsichtigtes erstes Mindestangebot bereitzustellen.“108 Kann oder soll keine Ausschreibung durchgeführt werden, so kann der Wert auch durch Einholung eines auf allgemein anerkannten Marktindikatoren beruhenden, unabhängigen Gutachtens festgesetzt werden. Ein durch Gutachten festgestellter Marktpreis ist als Mindestkaufpreis anzusetzen, in außergewöhnlichen Fällen (erwiesene Unverkäuflichkeit) ist eine Unterschreitung um bis zu 5 % möglich. Im Gegenzug empfiehlt die Kommission alle Veräußerungsvorgänge (ab 100.000,- €),109 die keinem der beiden Verfahren folgen, automatisch als Beihilfen zu notifizieren. Für Privatisierungen öffentlicher Unternehmen wiederum erklärte die Kommission schon im Jahr 1993 den Verkauf von Anteilen über die Börse und den Ausschreibungswettbewerb für grundsätzlich beihilfefrei.110 Bei Privatisierungen in sensiblen Sektoren (zB Kunstfasern und Textil) empfiehlt die Kommission aber eine vorherige Mitteilung des Vorhabens.111 Auch die Einholung eines unabhängigen Wertgutachtens hat die Kommission - in Analogie zur Grundstücksmitteilung - mittlerweile ausdrücklich für beihilfebefreiend erklärt.112 Die nach der Grundstücksmitteilung mögliche Unterschreitung des Werts laut Gutachten in Sonderfällen ist bei Privatisierungen ebenso zulässig, wie die (kaufpreismindernde) Vereinbarung von im öffentlichen Interesse Verpflichtungen mit dem Käufer, solange diese Verpflichtungen von jedem potentiellen Käufer zu erfüllen wären und erfüllt werden könnten.113 Ist vor dem Verkauf eine Schuldentilgung erfolgt, so bleibt der Verkauf unbedenklich, wenn die Tilgung mit dem Erlös wieder ausgeglichen wird.114 Ebenso werden einer Schuldentilgung aber wohl auch die Alternativkosten einer Liquidation des Unternehmens gegenüberzustellen sein, sodass der Privatisierungsvorgang auch dann noch als beihilfefrei anzusehen ist, wenn die vom Erlös nicht ausgeglichene Schuldentilgung zumindest unter den Liquidationskosten bleibt.115 In Österreich ist die 1946 im Zuge einer Verstaatlichungswelle gegründete Österreichische Industrieholding AG (ÖIAG) seit 1986 mit der Privatisierung ehemaliger Betei-
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Mitteilung der Kommission betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, Abl 1997 C 209/3. Grundstücksmitteilung (FN 107) Pkt II.1. Vgl Art 2 Allgemeine De minimis-GVO. Vgl XXIII. WB 1993, Tz 403. Vgl XXIII. WB 1993, Tz 403. Vgl Kom-E 2000/628/EG, Centrale del Latte di Roma, Abl 2000 L 265/15, Tz 85 ff. Vgl Kom-E 2000/628/EG, Centrale del Latte di Roma, Abl 2000 L 265/15, Tz 87. Vgl zB Kom-E 97/81/EG, Head Tyrolia Mares, Abl 1997 L 25/26, Pkt 7.2.1. Vgl auch Montag/Leibenath, § 28, Rz 29.
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ligungen des Bundes beauftragt.116 Der Großteil dieser Verkäufe wurde mittlerweile durchgeführt, allerdings nur ein Teil davon über die Börse. Für die staatlichen Beteiligungen an den Austrian Airlines (39,7 % öffentliche Beteiligung), der OMV (31,5 %), der Telekom Austria (25,39 %), der GKB-Bergbau (100 %) und der Österreichischen Post (51 %) steht die Privatisierung noch an.117
b) Kapitalzuschüsse und sonstige Maßnahmen des Staates als Investor und Eigentümer: Privatinvestortest Anstatt sich, wie bei Privatisierungen, aus der Wirtschaft zurückzuziehen, kann sich der Staat aber durch Investitionen auch aktiv am Markt betätigen. Diese Investitionen können vielfältige Formen aufweisen: Am häufigsten sind Kredite, Darlehen und Bürgschaften (Fremdkapital), aber auch Anteilskäufe (Verstaatlichungen) und Kapitalerhöhungen (Eigenkapital) kommen vor. Grund für diese Maßnahmen ist in den meisten Fällen die öffentliche Eigentümerschaft am Unternehmen. Ziel der Beihilfenkontrolle ist es hier daher, einerseits eine Bevorzugung öffentlicher gegenüber privaten Unternehmen durch den Staat zu vermeiden, andererseits aber dem Staat die Wahrnehmung seiner Rolle als Eigentümer oder Investor gleich Privaten zu erlauben.118 Für diese Fälle wurde der sog Privatinvestortest (market investor principle) von der Kommission entwickelt119 und von den Gemeinschaftsgerichten in nunmehr stRsp übernommen. Ausschlaggebend für die Ermittlung einer Begünstigung bei Kapitalveranlagungen der öffentlichen Hand ist demnach das Vergleichsverhalten eines strategisch-langfristig denkenden privaten Investors: „Um festzustellen, ob solche Maßnahmen den Charakter staatlicher Beihilfen haben, ist zu prüfen, ob ein privater Investor von vergleichbarer Größe wie die Verwaltungseinrichtungen des öffentlichen Sektors in vergleichbarer Lage hätte veranlasst werden können, Kapitalhilfen dieses Umfangs zu gewähren. […] Bei dem Verhalten des privaten Investors, mit dem die Intervention des wirtschaftspolitische Ziele verfolgenden öffentlichen Investors verglichen werden muß, muß es sich nicht zwangsläufig um das Verhalten eines gewöhnlichen Investors handeln, der Kapital zum Zweck seiner mehr oder weniger kurzfristigen Rentabilisierung anlegt, sondern wenigstens um das Verhalten einer privaten Holding oder einer privaten Unternehmensgruppe, die eine globale oder sektorale Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Rentabilitätsaussichten leiten lässt.“120 Eine staatliche Eigen- oder Fremdkapitalzu116 117 118 119
120
Vgl heute ÖIAG-G 2000, BGBl I Nr 2000/24; sowie ÖIAG-G 1987, BGBl Nr 1986/204. Vgl Website der ÖIAG zum 11. 7. 2006, http://www.oeiag.at/asp/beteiligungen.asp. Vgl idZ auch den in Art 86 Abs 1 verbrieften Grundsatz der Gleichbehandlung öffentlicher und privater Unternehmen. Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 48 von Herrn Burgbacher v 27. 6. 1963, Abl 1963/2235, 2235f; Mitteilung über die Anwendung der Artikel 92 und 93 EG-Vertrag auf staatliche Holdinggesellschaften (‚Beteiligungsmitteilung’), Bull. EG 9-1984; näher auch Montag/Leibenath, §§ 6 und 28, passim. EuGH, Rs C-305/89, Italien/Kommission (‚Alfa Romeo’), Slg 1991, I-1603, Rz 19 und 20; vgl auch verbRs C-278/92, C-279/92 und C-280/92, Spanien/Kommission, Slg 1994, I-4103, Rz 20ff; verbRs C-329/93, C-62/95 und C-63/95, Deutschland/Kommission (‚Bremer Vulkan’), Slg 1996, I-5151, Rz 23; Rs C-303/88, Italien/Kommission (‚ENI-Lanerossi’), Slg 1991, I-1433, Rz 19ff; EuG, Rs T-296/97,
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führung ist daher als Beihilfe anzusehen, wenn ein marktwirtschaftlich denkender Privatinvestor diese Investition zu den gegebenen (Amortisations- oder Rendite-)Bedingungen oder in der fraglichen Höhe nicht mehr vorgenommen hätte. Ein privater Investor würde zB grundsätzlich keine prämienfreien Bürgschaften oder Bürgschaften mit zeitlich oder betraglich unbegrenzter Haftung übernehmen121 oder auf die Verzinsung von Darlehen oder Eigenkapital gänzlich verzichten.122 Ein Indiz für das Vorliegen einer marktwirtschaftlich motivierten Maßnahme dürfte es auch sein, dass die Investitionsentscheidung von einer ausgegliederten staatlichen Gesellschaft getroffen wird, die sich schwerpunktmäßig mit Industriebeteiligungen beschäftigt, und es sich um keine staatliche ad hoc-Maßnahme handelt. Im Fall Ergee123 befasste sich die Kommission etwa mit der 1983 gegründeten österreichischen Gesellschaft des Bundes für Industriepolitische Maßnahmen GmbH (GBI), deren Hauptaufgabe in der Übernahme notleidender Unternehmen, der Wiederherstellung ihrer langfristigen Rentabilität und dem anschließenden Verkauf bestand. Die GBI ließ ihre Vorhaben regelmäßig von externen Wirtschaftsprüfern und Beratungsunternehmen untersuchen und war in ihrer Geschäftsgebarung offenbar rentabel. Entsprechend gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass die Tätigkeit der GBI jener eines privaten Investors gleichzustellen war und daher keine staatlichen Beihilfen beinhaltete.124 Die parallel dazu gesetzten Maßnahmen des Bundes und des Landes Niederösterreich zur Umstrukturierung des Ergee Textilwerks (Bürgschaft; Zinsverzicht bei Darlehen; Rückzahlungsverzicht bei Darlehen) beurteilte die Kommission dagegen sehr wohl als Beihilfen.125
Dem Ziel, Kapitalbeteiligungen der Mitgliedstaaten an öffentlichen Unternehmen wirksam überwachen zu können, dient auch die TransparenzRL. Sie verpflichtet öffentliche Unternehmen sowie Unternehmen, die Inhaber besonderer oder ausschließlicher iSv Art 86 Abs 1 oder mit der Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse iSv Art 86 Abs 2 betraut sind, zur getrennten Buchführung (accounting unbundling). Öffentliche Unternehmen sind nach der Definition der RL solche, auf die „die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann“.126 Ein beherrschender Einfluss wird vermutet, wenn die öffentliche Hand über mehr als 50 % der Stimmrechte verfügt oder in diesem Ausmaß Leitungs- oder Aufsichtsorgane bestellen kann. Aus den Büchern muss hervorgehen, welche öffentlichen Mittel
121
122 123 124 125 126
Alitalia, Slg 2000, II-3871, Rz 96ff; verbRs T-126/96 und T-127/96, BFM und EFIM, Slg 1998, II-3437,Rn 79; Rs T-358/94, Air France, Slg 1996, II-2109, Rz 71f; Rs T-36/99, Lenzing, Slg 2004, II-3597, Rz 150. Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften (‚Mitteilung Haftungsverpflichtungen’), Abl 2000 C 71/14, Tz 2.1.3 und 4.3, vgl auch Eilmansberger, ÖZW 2000, passim; Koenig, EWS 1998, 152; Jaeger, ÖBA 2005, 112ff. Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 48 von Herrn Burgbacher v 27. 6. 1963, Abl 1963/2235, 2235f. Kom-E 1999/589/EG, Ergee Textilwerk, Abl 1999 L 227/1. Kom-E 1999/589/EG, Ergee Textilwerk, Abl 1999 L 227/1, Pkt 5.2. Kom-E 1999/589/EG, Ergee Textilwerk, Abl 1999 L 227/1, Pkt 5.3. Art 2 TransparenzRL.
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dem Unternehmen vom Staat oder anderen öffentlichen Unternehmen zur Verfügung gestellt und wie sie verwendet wurden. c) Quersubventionen zwischen verbundenen Unternehmen Die zuletzt dargestellte TransparenzRL findet auch einen ganz wesentlichen Anwendungsbereich in Bezug auf Querfinanzierungen (Quersubventionen) zwischen verbundenen Unternehmen in ihrem Anwendungsbereich (öffentliche Unternehmen, Monopolunternehmen, Daseinsvorsorgeerbringer).127 Auch Vermögensflüsse zwischen diesen Unternehmen unterliegen den Buchführungspflichten der RL. In der österreichischen Rechtsordnung finden sich, größtenteils in Umsetzung der RL, solche auf die Hintanhaltung von Quersubventionen abzielenden Buchführungspflichten in § 32 Abs 3 AWG,128 § 40 TKG,129 § 8 Abs 5 ElWOG,130 § 3 Abs 2 Post-KRV131 und den §§ 2 bis 5 TTGV.132 Eine Gefahr von Quersubventionen besteht immer dort, wo einzelne Unternehmen oder verbundene Unternehmen auf mehr als einem Markt tätig sind und sie dort zu einem Teil dem freien Wettbewerb ausgesetzt, zum anderen Teil aber durch Monopolrechte geschützt sind oder öffentlich bezuschusst werden. Diese Unternehmen können dann Überschüsse, die sie aufgrund der Monopolstellung oder der öffentlichen Zuschüsse erwirtschaften dazu verwenden, ihre Stellung auf dem nicht geschützten Markt auszubauen indem sie die dort entstehenden Kosten abfedern und zu besonders günstigen Preisen anbieten.133 Ein solches Verhalten ist im Gemeinschaftsrecht nach den Art 82 (Missbrauchskontrolle), 86 (öffentliche und privilegierte Unternehmen) und 87 verboten.134 Für die österreichische Rechtsordnung lässt sich ein Verbot von Quersubventionen aus § 1 UWG ebenso herleiten, wie (in Fällen missbräuchlicher Preisgestaltung) aus § 5 KartG.135 Quersubventionen erfolgen in der Praxis zumeist nicht über einseitige Zuwendungen, sondern über unentgeltliche oder zu besonders günstigen Preisen erfolgende Überlassungen oder Übertragungen von Geschäftsvermögen und sonstigen Ressourcen. Ob die Preise, die zwischen Unternehmen verrechnet werden, ökonomisch gerechtfertigt (also quersubventionsfrei) sind, lässt sich nach verschiedenen Ansätzen der Kostenrech-
127 128 129 130 131 132 133
134 135
Vgl Kapitel II.B.2.c., oben. AbfallwirtschaftsG 2002, BGBl I Nr 2002/102. TelekommunikationsG 2003, BGBl I Nr 2003/70. Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsG, BGBl I Nr 1998/143, idF BGBl I Nr 2004/63. Post-KostenrechnungsV, BGBl II Nr 2000/71. Telekom-TarifgestaltungsV, BGBl Nr 1996/650. Vgl Bekanntmachung der Kommission über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Postsektor und über die Beurteilung bestimmter staatlicher Maßnahmen betreffend Postdienste, Abl 1998 C 39/2, 10; Leitlinien für die Anwendung der EGWettbewerbsregeln im Telekommunikationsbereich, Abl 1991 C 233/2, 20; näher auch Eilmansberger, Quersubventionen, 115ff; Montag/Leibenath, § 27, Rz 12ff. Für Art 82 näher Eilmansberger, Quersubventionen, 123f. IdS, für die Vorgängerbestimmung des § 35 KartG 1988, OGV 11. 10. 2004, 16 Ok 9/04; 17. 11. 2003, 16 Ok 14/03; 5. 9. 2001, 16 Ok 3/01; Eilmansberger, Quersubventionen, 114.
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nung ermitteln;136 nach einer diesbezüglich einige Zeit mehrdeutigen Anwendungspraxis entschied sich der EuGH mit dem Urteil Chronopost aus 2003 zuletzt offenbar bleibend für die Preisbeurteilung anhand der Vollkosten (fully distributed costs, FDC).137 Der Vollkostenansatz ist einerseits die großzügigste der möglichen Berechnungsmethoden, da er es erlaubt, in die an ein Konzernunternehmen bezahlte Vergütung einer Leistung alle in dieser Leistung enthaltenen Kosten (fixe und variable Zusatzkosten sowie Leistungsanteil an den Fixkosten und angemessene Eigenkapitalvergütung)138 einzuberechnen. Jenes Unternehmen, das für seine Leistung bezahlt wird, erhält damit den höchstmöglichen Betrag. Andererseits wirkt der Vollkostenansatz dort sehr restriktiv, wo das Interesse (wie in Chronopost selbst) gerade darin besteht, eine Leistung für ein verbundenes Unternehmen besonders günstig zur Verfügung zu stellen. Hier ist nach Chronopost eine Beihilfe immer dann anzunehmen, wenn die Leistungsvergütung hinter den Vollkosten zurückbleibt. Ob die Anwendung des Vollkostenansatzes verbundenen Unternehmen einen Vorteil bringt, hängt also von der konkreten Unternehmensbeziehung ab.
d) Ausgleichszahlungen für gemeinwirtschaftliche Dienste Besondere Aufmerksamkeit erregten in jüngerer Zeit die Vorgaben des Beihilferechts für die staatliche Finanzierung von Daseinsvorsorgeleistungen139 bzw Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI bzw ‚gemeinwirtschaftliche Dienste’) iSv Art 86 Abs 2.140 Hier sind drei Aspekte von einander zu trennen: So fallen erstens aus dem weiten Feld der Daseinsvorsorgeleistungen überhaupt nur marktbezogene Tätigkeiten (eben die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse) in den potentiellen Anwendungsbereich des Beihilferechts. Dienstleistungen, die außerhalb des Marktes erbracht werden, wie dies der Gerichtshof in der Vergangenheit zB für die hoheitliche Flugüberwachung,141 die Überwachung der Umweltverschmut136 137 138 139
140
141
Zu diesen Montag/Leibenath, § 27, Rz 6ff; Eilmansberger, Quersubventionen, 110ff. EuGH, verbRs C-83/01 P, C-93/01 P und C-94/01 P, Chronopost, Slg 2003, I-6993, Rz 31ff; ausführlich Eilmansberger, Quersubventionen, 119ff. So GA Tizzano in den SA zur verbRs C-83/01 P, C-93/01 P und C-94/01 P, Chronopost, Slg 2003, I-6993, Rz 58. Zur Definition der Begriffe, Daseinsvorsorgeleistung, Dienstleistung im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse, Universaldienst usw, vgl Non-paper der Kommission v 12. 11. 2002, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und staatliche Beihilfen (Rz 8ff), abrufbar unter http://www.europa.eu.int/comm/competition/state_aid/others/1759_sieg_de.pdf; Kahl, Personennahverkehr, 65ff; Linder, Daseinsvorsorge, 123. Vgl dazu XXXIV. WB 2004, Tz 389. Die Festlegung von Daseinsvorsorgeleistungen obliegt den Mitgliedstaaten, die diesbezüglich über ein weites Ermessen verfügen, vgl Mitteilung über Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, Abl 2001 C 17/4, Tz 22. Offenkundige Fehlzuordnungen werden in der Praxis aber durchaus korrigiert, vgl zB EuGH, Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5815, Rz 69 (allgemeine Umwelt- und Raumordnungspflichten); Rs C-242/95, GT-Link, Slg 1997, I-4449, Rz 52 (allgemeiner Hafenbetrieb); Rs C-179/90, Porto di Genova, Slg 1991, I-5889, Rz 27 (bestimmte Hafenarbeiten); Kom-E 97/606, Fernsehwerbung in Flandern, Abl 1997 L 244/18, Tz 14; Kom-E 71/224/EWG, GEMA, Abl 1971 L 134/15, Pkt III.2 (besondere Sozialkasse); ähnlich Rs 66/86, Ahmed Saeed, Slg 1989, 803, Rz 56f (bestimmte Luftverkehrsdienste). Vgl EuGH, Rs C-364/92, SAT/Eurocontrol, Slg 1994, I-43.
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zung in einem Seehafen,142 die allgemeinen staatlichen Bildungssysteme143 oder die Systeme der gesetzlichen Kranken- und Altersversicherung144 festgestellt hat, unterliegen nicht dem Beihilfeverbot.145 Zweitens können auch Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse schon vom Tatbestand des Beihilfeverbots ausgenommen sein, weil ihnen der Begünstigungscharakter fehlt. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen Leistung und ihr Wert einander entsprechen. Unter welchen Bedingungen dies angenommen werden kann, wird hier sogleich besprochen. Drittens schließlich können auch Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, die als tatbestandsmäßige Beihilfe eingestuft werden mussten, noch nach Art 86 Abs 2 gerechtfertigt werden. Diese Rechtfertigungsmöglichkeit wird in Kapitel IV.C besprochen.146 Für Ausgleichszahlungen der öffentlichen Hand an die Erbringer gemeinwirtschaftlicher Dienste kann also unter bestimmten Bedingungen ausgeschlossen werden, dass auf Seiten der Leistungserbringer eine Beihilfe entsteht. IW folgt diese Beurteilung dem schon oben besprochenen Grundsatz der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung, sodass eine Überkompensation des Leistungserbringers ausgeschlossen werden kann. Allerdings sind bei Ausgleichszahlungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen nach der Judikatur über die Frage des Nettosaldos hinaus zusätzliche Kriterien für die Auslegung des Begünstigungsbegriffs heranzuziehen. Im Urteil Altmark aus 2003 erwog der Gerichtshof diese Frage im Detail und formulierte für Ausgleichszahlungen vier Voraussetzungen, bei deren kumulativer Erfüllung ein Zuschuss bereits vom Tatbestand des Art 87 Abs 1 ausgenommen ist:147 „Erstens muss das begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein, und diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein.“148 IdS jedenfalls ausreichend ist eine eindeutige Beauftragung im Vertragsweg oder qua Konzession.149 Eine hinreichend klare staatliche Betrauung wird aber wohl auch im Fall öffentlich-rechtlicher Grün142 143
144 145 146 147
148 149
Vgl EuGH, Rs C-343/95, Diego Calí, Slg 1997, I-1547. Vgl zB EuGH, Rs 263/86, Humbel, Slg 1988, 5365; I-1547; Rs C-109/92, Wirth, Slg 1993, I-6447; an dem mangelnden Dienstleistungscharakter des Kernbereichs Bildung ändert auch die jüngere Rsp des EuGH zum freien Hochschulzugang nichts, da diese auf das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art 12 gestützt ist, vgl zB EuGH Rs C-147/03, Kommission/Österreich, Slg 2005, I-5969. Vgl zB verbRs C-159/91 und C-160/91, Poucet und Pistre, Slg 1993, I-637. Vgl dazu auch Mitteilung über Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, Abl 2001 C 17/4, Rz 28ff. Eine Rechtfertigungsmöglichkeit bei Nichterfüllung der Altmark-Kriterien ablehnend dagegen Kahl, Personennahverkehr, 326. Ähnlich bereits EuGH, Rs C-53/00, Ferring/ACOSS, Slg 2001, I-9067, Rz 27ff; Rs 240/83, ABDHU, Slg 1985, 531, Rz 18; vgl auch (eine Kompensationsmöglichkeit durch Steuervergünstigungen allerdings zu Recht ablehnend) EuG, Rs T-106/95, FFSA, Slg 1997, II-229, Rz 178 (bestätigt durch EuGH, Rs C-174/97 P, FFSA, Slg 1998, I-1303, Rz 3). EuGH, Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747, Rz 89. EuGH, Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5815, Rz 66; Rs 172/80, Züchner, Slg 1981, 2021, Rz 47.
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dung Unternehmens und der Festlegung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben in den Statuten oder der Satzung vorliegen.150 Auch ohne Festlegung der Aufgaben in der Satzung könnte im Einzelfall auch im bloßen Umstand der öffentlich rechtlichen Gründung ein einer hoheitlichen Betrauung vergleichbarer Akt gesehen werden, wenn das Gemeinwohlinteresse an der Gründung hinreichend manifest ist.151 Ist dagegen die Gründung nach allgemeinem Gesellschaftsrecht erfolgt, ist das Vorliegen einer hinreichend klaren Betrauung mE auch dann zweifelhaft, wenn die Satzung durch den öffentlichen Träger genehmigt wurde. Die bloße Erlaubnis, tätig zu werden, dürfte auch bei öffentlichen Unternehmen nicht als hinreichender Auftrag zur Erbringung einer Daseinsvorsorgeleistung hinreichen.152 Anders verhält es sich, soweit die Genehmigung der Satzung oder die Erlaubnis zur Aufnahme einer Tätigkeit Auflagen für das öffentliche Kreditunternehmen enthält, die die Gemeinwohlverpflichtung beinhalten.153 „Zweitens sind die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent aufzustellen“.154 Nach Altmark ist also eine nachträgliche Kompensation der gemeinwirtschaftlichen Mehrkosten ebenso unzulässig wie eine Kompensation aufgrund unklarer (dh: nicht abstrakter bzw verallgemeinerbarer) Bedingungen. Wird einem Unternehmen zB ex ante lediglich eine bestimmte pauschale Summe zugesprochen, wäre diese nach Altmark selbst dann als Beihilfe anzusehen, wenn diese Summe die Kosten gar nicht erreicht, sich also netto kein Vorteil für das Unternehmen ergäbe. Dies ist auch konsequent. Wie gezeigt ist ein beihilferelevanter Vorteil iSv Art 87 Abs 1 va ein solcher, der marktunüblich ist. Pauschale ad hoc oder ex postÜbernahmen nicht zuvor nach Inhalt und Preis definierter und ausdrücklich bestellter Leistungen sind aber gerade nicht marktüblich. Tatbestandsmäßige Beihilfen sind daher alle Ausgleichszahlungen für gemeinwirtschaftliche Dienste, die zwar keine Überkompensation bewirken, mit denen das betreffende Unternehmen aber nicht betraut wurde, für die keine Leistungsbeschreibung vorliegt oder für die die Parameter des Kostenausgleichs unbestimmt sind. „Drittens darf der Ausgleich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken.“155 Mit dem dritten Kriterium greift der Gerichtshof schließlich das Element der Überkompensation auf, sodass es auch bei Erfüllung der eben besprochenen Kriterien der Betrauung und der transparenten Kompensation nicht zu einem Überausgleich der effektiven Kosten kommen darf. Wichtig ist idZ der Verweis auf die Zulässigkeit von angemessenem Gewinn, was man mit der 150 151 152 153 154 155
Vgl EuGH, Rs C-67/96, Albany, Slg 1999, I-5751, Rz 98ff. Vgl EuGH, Rs 172/80, Züchner, Slg 1981, 2021, Rz 7; Rs 127/73, BRT II, Slg 1974, 313, Rz 19ff. Vgl EuGH, Rs 7/82, GVL, Slg 1983, 483, Rz 29ff; Rs 172/80, Züchner, Slg 1981, 2021, Rz 7. So Koenig/Kühling, Art 87, Rz 52 mwN. EuGH, Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747, Rz 90. EuGH, Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747, Rz 92.
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Rsp als jene Gewinnspanne auffassen könnte, zu der sich Unternehmen gerade noch um eine Betrauung mit der betreffenden Leistung bewerben werden.156 „Wenn viertens die Wahl des Unternehmens, das mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut werden soll, im konkreten Fall nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge erfolgt, das die Auswahl desjenigen Bewerbers ermöglicht, der diese Dienste zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringen kann, so ist die Höhe des erforderlichen Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit Transportmitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.“157 Das vierte Kriterium ist eine Variante des Überkompensationsverbots. Der Gerichtshof versucht hier durch die Deckelung des höchstzulässigen Kostenausgleichs mit a) entweder dem Ergebnis einer öffentlichen Ausschreibung oder b) dem Vergleich mit anderen Unternehmen, absehbaren Ineffizienzen der Leistungserbringung entgegenzuwirken. Ohne Kostengrenze hätten Daseinsvorsorgeerbringer nicht nur keine Anreize, ihre Kosten gering zu halten, sondern könnten im Einzelfall sogar von einem hohen Kostenniveau profitieren, nämlich dann, wenn die Gewinnvergütung als Prozentsatz der Kosten festgelegt ist. Die vom Gerichtshof geforderte Festlegung der Vergleichskosten dürfte allerdings in der Praxis einige Schwierigkeiten bereiten, uzw va dort, wo die betreffende Leistung von keinem anderen Unternehmen erbracht wird.158 Im Urteil Chronopost aus 2003 hat der Gerichtshof (bezogen auf den Privatinvestortest) auch bereits anerkannt, dass „es unmöglich ist, die Situation [eines Monopolunternehmens] mit der einer privaten Unternehmensgruppe zu vergleichen, die keine Monopolstellung hat“.159 Monopolunternehmen unterliegen also typischerweise besonderen ökonomischen Bedingungen, die insbesondere die Anwendbarkeit des Privatinvestortests einschränken. Es fragt sich nun, ob diese Feststellung nicht auch auf den Kostenausgleichsstandard nach Altmark übertragen werden müsste, sodass Daseinsvorsorgeerbringer, die (was zumeist der Fall sein wird) eine Monopolstellung am betreffenden Markt innehaben, auch in Bezug auf ihre Kosten nur mit sich selbst verglichen werden können, dh die vollen tatsächlichen Kosten der Leistungserbringung ersetzt bekommen müssen. Ein Indiz für die Richtigkeit dieser Annahme findet sich im kurz nach Altmark ergangenen Urteil Enirisorse I.160 Dort schien der Gerichtshof für monopolistisch erbrachte Daseins156
157 158 159 160
Vgl idZ die Verweise in der Rsp auf das Gebot der Erfüllung von Leistungen zu “wirtschaftlich tragbaren Bedingungen”, zB EuGH, Rs C-475/99, Ambulanz Glöckner, Slg 2001, I-8089, Rz 57; Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533, Rz 16. EuGH, Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747, Rz 93. Vgl dazu Eilmansberger, wbl 2004, 105ff; Thyri, EWS 2004, 447; Thyri, ÖZW 2003, 128. EuGH, verbRs C-83/01 P, C-93/01 P und C-94/01 P, Chronopost, Slg 2003, I-6993, Rz 38. EuGH, verbRs C-34/01 bis C-38/01, Enirisorse I, Slg 2003, I-14243.
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vorsorgeleistung, statt eines Ausgleichs (nur) der hypothetischen Nettokosten, einen Ausgleich der „tatsächlich anfallenden Kosten“161 zu erlauben, obwohl die betreffenden Unternehmen nicht im Weg einer öffentlichen Ausschreibung betraut worden waren. Für die geltende Praxis in Österreich muss zumindest für die Bereiche der Beihilfenbereitstellung für im Allgemeininteresse liegende Bankdienstleistungen,162 die Post,163 den öffentlichen Personennahverkehr164 und den öffentlichen Rundfunk165 konstatiert werden, dass sie den Altmark-Kriterien nicht entsprechen und damit genehmigungsbedürftige (sowie bis Genehmigung nichtige)166 Beihilfen darstellen. Dagegen dürften Daseinsvorsorgeleistungen der Bereiche Strom, Gas und Telekommunikation in Österreich keine beihilferechtlichen Bedenken aufwerfen.167 Für die überwiegende Zahl der Daseinsvorsorgebereiche in Österreich kann zurzeit dennoch davon ausgegangen werden, sodass die diesbezüglichen privat- oder öffentlich-rechtlichen Ausgleichsgrundlagen iSd im Urteil Altmark und von der Kommission168 aufgestellten Kriterien zu überarbeiten sind.
Abschließend sei noch darauf verwiesen, dass die in der TransparenzRL169 festgelegte Pflicht zur getrennten Buchführung auch bei Daseinsvorsorgeerbringern besteht. Sie gilt unabhängig davon, ob der öffentliche Zuschuss nach Prüfung der Altmark-Kriterien als Beihilfe oder als bloße Ausgleichsleistung qualifiziert wird (Art 2 Abs 1 lit d TransparenzRL).
e) Parafiskalische Abgabensysteme Die österreichische Rechtsordnung kennt keinen Begriff der parafiskalischen Abgaben wohl aber (in Abgrenzung zu den Steuern170 und Gebühren) einen Begriff der Beiträge.171 Beiträge werden punktuell an nicht von Gebietskörperschaften kontrollierte172 Rechtspersonen des öffentlichen oder privaten Rechts entrichtet. Eine einheitliche Typologie parafiskalischer Abgaben in Österreich ist dennoch nicht ersichtlich. Insbesondere spielen Art und Zweck der Verwendung eines Beitrages oder einer öffentlichen Abgabe bei der Zuordnung einer Abgabe zum fiskalischen oder parafiskalischen Bereich ebenso wenig eine Rolle, wie der wirtschaftliche Effekt der Abgabenerhebung.173 Die Zuordnung 161 162 163 164 165
166 167 168 169 170 171 172 173
EuGH, verbRs C-34/01 bis C-38/01, Enirisorse I, Slg 2003, I-14243, Rz 38; der Gerichtshof bejahte im Ergebnis allerdings das Vorliegen einer Beihilfe. Vgl Jaeger, JBl 2005, 499ff. So Kahl, Daseinsvorsorge, 254ff. So Kahl, Personennahverkehr, 305f; Kahl, Daseinsvorsorge, 246ff. Vgl Erläuternde Pressemitteilung der Kommission v 3. 3. 2005, MEMO/05/73, Frage 2; näher Thyri/Jaeger, wbl 2006, Pkt III.1; ähnlich schon Kahl, Daseinsvorsorge, 242f. Vgl dazu Kapitel V.C.3.b, unten. Vgl die Analyse bei Kahl, Daseinsvorsorge, 244ff und 250ff. Vgl dazu Kapitel IV.C, unten. Näher Kapitel II.B.2.b, oben. Bzw öffentliche Abgaben, staatliche Zwangsabgaben; zum Abgabenbegriff zB VfGH 1. 3. 1982, G 8/81, VfSlg 9335/1982, Pkt 3.a) mwN. Vgl auch Binder, Wirtschaftsrecht, Rz 894; Doralt/Ruppe, Grundriß II, 158. Vgl zB VfGH 28. 2. 2002, B 1408/01, VfSlg 16454/2002, Pkt III.1.2 mwN. Vgl zB VfGH 28. 2. 2002, B 1408/01, VfSlg 16454/2002, Pkt III.1.2 mwN und II.2.3 mwN; 4. 10. 1991, G 345/90 ua, VfSlg 12843/1991, Pkt VII.3.1.3.1.
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zum Bereich der Steuern oder zum Bereich der (parafiskalischen) Beiträge orientiert sich lt VfGH vielmehr daran, ob die Ertragshoheit (die primäre Verfügungsberechtigung) bei einer Gebietskörperschaft liegt, wobei das Vorliegen einer gesetzlichen Zweckbindung und die explizite Einordnung als Beitrag durch den Gesetzgeber als Indizien herangezogen werden können.174 Nach dieser Definition sind in Österreich bestehende parafiskalische ‚Beiträge’ zB die Agrarmarketingbeiträge, bestimmte Beiträge an Fremdenverkehrsverbände, der KWK-Zuschlag, die Kammerumlagen, Kirchensteuern, der Hochschülerschaftsbeitrag, aber auch Sozialversicherungsbeiträge.175 Für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts macht die Bezeichnung einer Maßnahme als Steuer, Gebühr, Beitrag odgl im österreichischen Recht, wie immer, (Formneutralität) keinen Unterschied.176 So wurde etwa im Fall Brennermaut I die nach österr Recht als Gebühr für direkt beanspruchte öffentliche Leistungen anzusehende Straßenmaut auf der Brennerstrecke nach Gemeinschaftsrecht als parafiskalische Abgabe eingestuft.177 Parafiskalische Abgaben im Verständnis des Gemeinschaftsrechts können iW als Zwangsbeiträge beschrieben werden, die vom Staat zur Finanzierung eines bestimmten Zwecks vorgeschrieben, auf Produkte, Dienstleistungen oder qua Zwangsmitgliedschaft erhoben und idF an ein oder mehrere Unternehmen überwiesen werden.178 Sie begegnen Unternehmen und Konsumenten in der Praxis etwa als Schlachtabgaben, Kammerbeiträge, Tourismusabgaben, Marketingbeiträge, Ökostromzuschläge, Rundfunkgebühren, Sozialfondsabgaben uvm. Parafiskalische Abgabensysteme werfen ein ganzes Bündel beihilferechtlicher Probleme (in Bezug auf die staatliche Zurechenbarkeit; die Ungleichheit der Abgabenerhebung- und der Abgabenverwendung; die Verbindung von Finanzierungsweise und Verwendung;179 Begünstigung durch Befreiung von parafiskalischen Abgaben), von denen hier nur zum Aspekt der ungleichen Verwendung der Abgaben zugunsten bestimmter Unternehmen ein kurzer Überblick gegeben wird.180 Dabei lassen sich grob zwei Situationen 174 175
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VfGH 28. 2. 2002, B 1408/01, VfSlg 16454/2002, Pkt III.1.2. Vgl die Darstellungen bei Korinek/Holoubek, Grundlagen, 239ff; Grabner/Koller, Tourismusrecht, 382ff; Walzel von Wiesentreu/Hofer, Agrarmarktrecht, 714f; Puck, Wirtschaftslenkungsrecht, Rz 639b, 639c und 673; Binder, Wirtschaftsrecht, Rz 894; Doralt/Ruppe, Grundriß II, 158. Vgl dazu schon Kapitel II.A, oben; idS auch Kom-E 2004/393/EG, Charleroi Airport, Abl 2004 L 137/62, Tz 146. Vgl SA v GA Saggio, Rs C-205/98, Kommission/Österreich (‚Brennermaut I’), Slg 2000, I-7367, Rz 2. Eine einheitliche Definition parafiskalischer Abgaben existiert im EG-Recht nicht; für verschiedene Ansätze vgl aber SA von GA Stix-Hackl, verbRs C-34/01 bis C-38/01, Enirisorse I, Slg 2003, I-14243, Rz 167; SA v GA Stix-Hackl, verbRs C-128/03 und C-129/03, AEM, Slg 2005, I-2861, Rz 40; Kom-E 2004/393/EG, Charleroi Airport, Abl 2004 L 137/62, Tz 146; grundlegend Selmer, Deutsche Steuer-Zeitung A 1975, 396; Nußbaum, Parafiskalische Abgaben, 6. Vgl zum Zusammenhang von Erhebung und Verwendung zuletzt ausführlich VwGH 20. 3. 2006, 2005/17/0230, Pkt 2.2.2; Bartosch, EuZW 2005, 398ff. Vgl zur Beihilfeneigenschaft ungleicher Abgabenverwendung aus der stRsp zB EuGH, Rs C-72/92, Scharbatke, Slg 1993, I-5509, Rz 18; Rs C-266/91, Celulose Beira Industrial (‚CELBI’), Slg 1993, I-4337, Rz 21; verbRs C-149/91 und
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unterscheiden: Direkte Begünstigungen, dh Fälle, in denen der Abgabenzuweisung keine eigene Beitragsleistung eines Unternehmens gegenübersteht, und indirekte Begünstigungen, also Fälle, in denen das Abgabenaufkommen an die Abgabenpflichtigen rückverteilt wird, jedoch in ungleicher Weise. Sachverhalte direkter Begünstigung (Begünstigung des Leistungserbringers oder Dritter; Zuweisungsbegünstigung) lassen sich einigermaßen rasch entscheiden. Erbringt ein nicht selbst beitragspflichtiges Unternehmen, dem das Abgabenaufkommen zugewiesen wird, für diese Abgabe eine Leistung, so ist das Vorliegen einer beihilferelevanten Begünstigung auf Seiten dieses Unternehmens nach den oben bereits besprochenen Grundsätzen zu beurteilen: Im Fall, dass es sich um keine im Allgemeininteresse gelegene Leistung, sondern um eine Leistung nur zugunsten einer (iaR der beitragspflichtigen) Gruppe handelt, nach dem Grundsatz des Entsprechens von Leistung und Gegenleistung (zB: Kammerbeiträge, Agrarmarketingbeiträge);181 bei im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse erbrachten Leistungen (zB: Rundfunkgebühren), kann die Begünstigung nach den dargestellten Altmark-Grundsätzen beurteilt werden.182 Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Gruppen müsste sich wohl danach richten, ob ein Allgemeininteresse an der parafiskalischen Finanzierung selbst besteht, oder bloß ein Interesse an den finanzierten Maßnahmen: Wird eine Leistung zwar auch im Allgemeininteresse erbracht, könnte der Leistungsgegenstand (das Leistungsziel) aber den betreffenden Unternehmen auch durch Rechtsvorschrift auferlegt werden, so ist die Wahl einer parafiskalischen Finanzierungsweise wohl überwiegend im Interesse der betroffenen Gruppe gelegen. Es dürfte dies die meisten Fälle parafiskalischer Versicherungs-, Hygiene-, Gesundheits- oder Umweltschutzabgaben betreffen,183 die Unternehmen lediglich die Erfüllung gesetzlicher Standards erleichtern und daher mE nicht nach den Altmark-Kriterien geprüft werden können. Vergleichsweise schwieriger zu beurteilen sind Sachverhalte indirekter Begünstigung (Begünstigung der Beitragspflichtigen; Verteilungsbegünstigung). Eine indirekte Begünstigung kann in zweierlei Form auftreten. So liegt erstens eine Beihilfe vor, wenn die parafiskalisch finanzierte Leistung den Beitrags-
181 182 183
C-150/91, Sanders Adour ua, Slg 1992, I-3899, Rz 24; Rs C-17/91, Lornoy, Slg 1992, I-6523, Rz 28; Rs C-114/91, Claeys, Slg 1992, I-6559, Rz 21; verbRs C-144/91 und C-145/91, Demoor ua, Slg 1992, I-6613, Rz 24; ebenso verbRs C-78/90, C-79/90, C-80/90, C-81/90, C-82/90 und C-83/90, Compagnie Commerciale de l’Ouest ua, Slg 1992, I-1847, Rz 32; Rs C-234/99, Nygård, Slg 2002, I-3657, Rz 53. Näher Kapitel II.B.2, oben. Näher Kapitel II.B.2.d, oben. Vgl zB EuGH, verbRs C-149/91 und C-150/91, Sanders Adour ua, Slg 1992, I-3899 (Getreidelagerung); Rs C-17/91, Lornoy, Slg 1992, I-6523; Rs C-114/91, Claeys, Slg 1992, I-6559; verbRs C-144/91 und C-145/91, Demoor ua, Slg 1992, I-6613; Rs C-234/99, Nygård, Slg 2002, I-3657; Rs C-126/01, GEMO, Slg 2003, I-13769 (alle: Schlachtabgaben für Hygiene- und Seuchenbekämpfungsmaßnahmen); verbRs C-78/90, C-79/90, C-80/90, C-81/90, C-82/90 und C-83/90, Compagnie Commerciale de l’Ouest ua, Slg 1992, I-1847 (Erdölabgabe zur Forschungsförderung); Rs C-266/91, Celulose Beira Industrial (‚CELBI’), Slg 1993, I-4337 (Abgabe auf chemische Pasten zur Absatzförderung); Rs C-355/00, Freskot, Slg 2003, I-5263 (landwirtschaftliche Pflichtversicherung).
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pflichtigen zu günstig erbracht wird. Das ist jedenfalls dort anzunehmen, wo die Leistung unter den Gestehungskosten (dem tatsächlichen wirtschaftlichen Aufwand zur Leistungserbringung) zur Verfügung gestellt wird.184 Zweitens kann eine indirekte Begünstigung darin bestehen, dass das Abgabenaufkommen ungleich verteilt wird, entweder durch ungleiche Rücküberweisung185 oder im (in der Praxis häufigeren) Fall wirtschaftlich ungleicher Naturalleistungen, etwa bei Marketingmaßnahmen nur für bestimmte Produkte von Mitgliedern eines Verbands. Allerdings ist in Umverteilungssystemen nicht schon jede ungleiche Verteilung beihilferelevant, da ein gewisser Umverteilungseffekt ja gerade den Bestandszweck des parafiskalischen Systems ausmacht bzw Ausdruck des diesen Systemen typischerweise innewohnenden Solidaritätsgedankens ist.186 Entscheidend ist vielmehr, ob sich im System strukturelle Nettogewinner befinden. Dies bedeutet, dass punktuelle Nettobegünstigungen solange außer Betracht bleiben, als jeder Beitragsleistende potentiell auch als Leistungsempfänger in Frage kommt (das Umverteilungssystem daher vom Solidaritätsgedanken getragen ist). Weist das Umverteilungssystem dagegen strukturelle Merkmale auf, die zur permanenten bzw einseitigen Nettobegünstigung Einzelner führen, so ist der Solidaritätsgrundsatz durchbrochen und es liegt eine strukturelle Nettobegünstigung vor. Das Konzept der strukturellen Nettobegünstigung lässt sich zwar mittlerweile auch aus der Gemeinschaftsrechtsprechung ableiten,187 seine Entwicklung geht aber auf die diesbezüglich wegweisende Judikatur des VwGH zurück, der sich in jüngerer Zeit wiederholt mit der Frage auseinanderzusetzen hatte, ob die Verteilung des parafiskalischen Abgabenaufkommens (zT innerhalb eines von der Kommission genehmigten Systems) bestimmten Unternehmen einen beihilferelevanten wirtschaftlichen Vorteil verschafft.188 Die Anlassfälle betrafen va Beschwerden gegen die gem AMA-Gesetz189 auf bestimmte inländische Agrarprodukte eingehobenen Beiträge zur Förderung des Agrarmarketings. Der VwGH verlangte hier von der bel Beh die amtswegige Überprüfung, inwieweit eine „Begünstigung einzelner Betriebe“190 oder eine „einseitige[…] 184 185
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So EuGH, Rs C-355/00, Freskot, Slg 2003, I-5263, Rz 84. ZB im Fall ungleicher Prämiensysteme eines Agrarwirtschaftsverbands wie in EuGH, Rs C-283/03, Kuipers, Slg 2005, I-4255 (Qualitätszu- und abschläge bei Rohmilch). So völlig zutreffend GA Stix-Hackl in den SA zu Rs C-355/00, Freskot, Slg 2003, I-5263, Rz 76 und 77; ganz ähnlich auch jüngst SA v GA Stix-Hackl, verbRs C-266/04 bis C-270/04, C-276/04 und C-321/04 bis C-325/04, Nazairdis ua, Slg 2005, I-9481, Rz 51ff. IdS GA Stix-Hackl, vgl dazu die Nachweise in FN 186; ähnlich EuGH, Rs C-355/00, Freskot, Slg 2003, I-5263, Rz 84; Rs C-126/01, GEMO, Slg 2003, I-13769, Rz 44. Va VwGH 24. 10. 2001, 2001/17/0082; 26. 2. 2003, 99/17/0023 (‚AMA-Beitrag Legehennen II’); 20. 3. 2003, 2000/17/0084; 20. 3. 2003, 2001/17/0120; 20. 3. 2003, 2000/17/0106; 20. 3. 2003, 2002/17/0059; 20. 3. 2003, 2001/17/0124; 20. 3. 2003, 2000/17/0175; 28. 4. 2003, 2001/17/0060; 28. 4. 2003, 2002/17/0055; 28. 4. 2003, 2001/17/0201; 21. 5. 2003, 2000/17/0085; 21. 3. 2005, 2004/17/0237; 1. 7. 2005, 2005/17/0070; vgl weiters die Nachweise bei Eilmansberger, ZfV 2003, 535. BGBl Nr 1992/376, idF BGBl I 2001/108; einschlägig ist va Abschnitt 2 (§§ 21a ff). VwGH 4. 7. 2001, 2000/17/200, Pkt 4; weiters 4. 7. 2001, 99/17/0435; 4. 7. 2001, 2000/17/0198; 4. 7. 2001, 2001/17/0121; 20. 2. 2003, 2000/17/0199 (alle: ‚AMABeitrag Legehennen I’).
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Verwendung der Beiträge“191 vorliege, bzw „einzelnen Beitragszahlern ein höherer Nutzen zukommt als anderen.“192 Das Beihilfeverbot verlangt demnach die Klärung, „wie hoch das Beitragsaufkommen [zugunsten der] Unternehmen, welche am [Marketing]-Programm teilnahmen[ gegenüber] Unternehmen [ist], die nicht an diesem Programm teilnahmen, [uzw] über einen längeren Beobachtungszeitraum […], sodass diese Werte zueinander in Relation gesetzt werden können.“193 Nach dieser mE völlig zutreffenden Auffassung des VwGH ist von einer Beihilfe also immer dann auszugehen, wenn die bestimmten Unternehmen bzw einem Sektor zukommende Leistung deren Beitragsleistung dauerhaft übersteigt.194 Als Indiz einer permanenten Einseitigkeit der Abgabenverwendung können zB Tätigkeits- und Jahresberichte verteilenden Stelle dienen.195 Auf subjektive Vorstellungen der (Un-)Nützlichkeit der Abgabenverwendung für ein Unternehmen kommt es, wie schon erwähnt,196 aber nicht an; es ist ein objektiver Leistungsvergleich vorzunehmen.
Für direkte wie indirekte Begünstigungen in parafiskalischen Abgabensystemen gilt, dass bei einer Finanzierung der notwendigen Produktionskosten der Beitragspflichtigen, das Vorliegen einer Beihilfe nach der Rsp (widerleglich) vermutet wird.197 Als notwendige Produktionskosten gilt jeder Kostenpunkt der mit der betreffenden wirtschaftlichen Tätigkeit zwangsläufig verbunden ist, also zB Zuschüsse zu Rohstoffen, Infrastruktur, Arbeitnehmern usw, aber auch Erleichterungen bei der Einhaltung gesetzlicher Auflagen.198 Ob auch Marketingmaßnahmen als notwendiger bzw zwangsläufiger Kostenpunkt anzusehen sind, ist dagegen in der Gemeinschaftsrechtsprechung noch nicht geklärt und sollte mE für den Einzelfall nach der Branchenüblichkeit (typisches Wettbewerbsverhalten) entschieden werden. f) Preisgelder Einen Grenzfall der Begünstigung durch eine staatliche Maßnahme stellen Preisgelder uä dar. Es handelt sich dabei zwar nicht um völlig freiwillige Leistungen der öffentlichen Hand (für ein starkes Indiz der Beihilfeeigenschaft besteht),199 denn mit der Auslobung besteht ein Rechtsgrund. Allerdings wird es hier in vielen Fällen doch an einer marktgerechten Gegenleistung des Gewinners fehlen. Eine beihilfebefreiende Gegenleistung kann nur dort angenommen, wo die Leistung des Gewinners von der öffentlichen Hand angemes-
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VwGH 26. 2. 2003, 99/17/0023 (‚AMA-Beitrag Legehennen II’), Pkt 4. VwGH 20. 3. 2003, 2000/17/0084 (‚AMA-Gütesiegel I’), Pkt 3.2.5. VwGH 20. 3. 2003, 2000/17/0084 (‚AMA-Gütesiegel I’), Pkt 3.4.2.1; ausdrücklich offengelassen dagegen in VwGH 20. 3. 2006, 2005/17/0230, Pkt 2.2.2. Vgl auch VwGH 21. 3. 2005, 2004/17/0237 (‚AMA-Gütesiegel II’), Pkt 2.9. Vgl VwGH 20. 3. 2003, 2000/17/0084 (‚AMA-Gütesiegel I’), Pkt 3.4.2.1. Vgl Kapitel II.B., oben. Vgl EuGH, Rs C-126/01, GEMO, Slg 2003, I-13769, Rz 31; Rs C-355/00, Freskot, Slg 2003, I-5263, Rz 84. Letzteres lag etwa in GEMO (EuGH, Rs C-126/01, Slg 2003, I-13769) und Freskot (Rs C-355/00, Slg 2003, I-5263) vor. Vgl dazu aber das bei Pieper, DÖV 1996, 236, angeführte Beispiel parafiskalisch finanzierter Kläranlagen, bei denen iW Synergieeffekte nutzbar gemacht werden sollen und keine beihilferelevante Befreiung von gesetzlichen Auflagen (Gewässerreinhaltung) vorliegt. Pieper nennt dies „staatlich organisierte Selbsthilfe“. Vgl Kapitel II.B.2., oben.
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sen verwertbar ist (zB bei Planungswettbewerben, Studien und Publikationen usw).
3. Beihilfeäquivalent: Wert der Begünstigung Das Ausmaß der durch eine Beihilfe bewirkten Begünstigung muss nicht in allen Fällen ihrem Bruttobetrag (Nominalbetrag) entsprechen, denn von diesem sind Aufwendungen in Abzug zu bringen, die das begünstigte Unternehmen wegen der Beihilfe oder auf die Beihilfe zu tätigen hatte. Es sind dies in erster Linie Gegenleistungen oder verpflichtende Leistungen an Dritte (va bei nach dem Privatinvestortest zu prüfenden Beihilfen), allfällige Rückzahlungen (va bei Darlehen) sowie für die Beihilfe abzuführende Zinsen oder Steuern.200 Der so errechnete Betrag, der den tatsächlich erlangten wirtschaftlichen Vorteil beziffert, ist das Beihilfe- bzw Subventionsäquivalent. Die Berechnung des Beihilfeäquivalents ist für zahlreiche Fragen im Anwendungsbereich des Beihilfeverbots von Bedeutung,201 so va bei der Rückforderung von Beihilfen und im Rahmen der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit einer Maßnahme zur Bestimmung des genauen Ausmaßes von Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung.202 Während es bei der Rückforderung um die Errechnung des Rückforderungsbetrages geht, wird das Beihilfeäquivalent für die Ermittlung des wettbewerbsverfälschenden Potentials der Beihilfe iaR in Prozentsätzen ausgedrückt, die den höchstzulässigen Beihilfeanteil einer Transaktion bezeichnen. Letzteres ist etwa für die Beurteilung von Regionalbeihilfen von großer Bedeutung.203 Im Grunde lässt sich die Umrechnung in Prozentsätze so erklären, dass etwa das Beihilfeäquivalent eines Darlehens oder einer Investition, bei der pro € 1.000,- ein Anteil von € 85,- vom Staat bezuschusst oder vergütet wird, 8,5 % beträgt.204 Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, ob mehrere Maßnahmen kombiniert werden, sowie deren jeweilige Laufzeit, was die Berechnung der Beihilfeintensität einigermaßen verkompliziert. So errechnete die Kommission etwa für Beihilfen in Höhe von insgesamt 1.201.725.000,- BFR zu Investitionen im Flachglassektor, die in einem Zinszuschuss von 4 % über sechs Jahre für 531.600.000,- BFR, einem weiteren Zuschuss von 4 % über sechs Jahre für 269.550.000,- BFR und einer Befreiung von der Grundsteuer für fünf Jahre für den Gesamtinvestitionsbetrag bestanden, ein Subventionsäquivalent von 5,8 % des Investitionswerts.205
C. „staatliche … Beihilfen“: Doppelte Staatlichkeitsbedingung Private können keine Beihilfegeber iSd Gemeinschaftsrechts sein. Das Beihilfeverbot bezieht sich nur auf solche Maßnahmen, die auf den Staat zurückge200
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Vgl zB EuG, Rs T-16/96, Cityflyer Express, Slg 1998, II-757, Rz 53; Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Artikel 92 und 93 EWG-Vertrag und des Artikels 5 der Kommissionsrichtlinie 80/723/EWG über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, Abl 1993 C 307/3, Tz 41; vgl auch Beihilfeanzeiger 2004 (FN 7) 42. Vgl dazu auch Koenig/Kühling/Ritter, Beihilfenrecht, Rz 107. Vgl auch Koschyk, Steuervergünstigungen, 146. Vgl dazu die Formeln zur Berechnungsmethode in Anhang I der Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, Abl 1998 C 74/9. Ähnlich der Sachverhalt in EuGH, Rs C-409/00, Spanien/Kommission, Slg 2003, I-1487, Rz 6. Vgl EuGH, verbRs 62/87 und 72/87, Glaverbel, Slg 1988, 1573, Rz 3f.
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hen, also von der öffentlichen Hand veranlasst und aus öffentlichen Mitteln finanziert werden.206 Der Tatbestand des Art 87 Abs 1 enthält maW daher eine doppelte Staatlichkeitsbedingung: staatliche Zurechenbarkeit und staatliche Finanzierung - ist eines der beiden Kriterien nicht erfüllt, ist die fragliche Maßnahme keine Beihilfe iSv Art 87 Abs 1.
1. Staatliche Zurechnung der Gewährungsentscheidung Für die Zurechnung von Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen zum Staat sind zwei, wechselseitig verbundene Faktoren ausschlaggebend: ein weiter Staatsbegriff und der Nachweis konkreter staatlicher Einflussnahme auf die Gewährungsentscheidung. Das für das Gemeinschaftsrecht allgemein kennzeichnende, weite Verständnis der Erscheinungsformen staatlicher Autorität (state emanations) ist auch für das Beihilferecht maßgeblich. Staatliche Einrichtungen iSd Gemeinschaftsrechts sind demnach neben öffentlichen Gebietskörperschaften österreichischen Verständnisses (Bundesregierung, Landesregierungen, Gemeinden) und den sonstigen Trägern der Selbstverwaltung (Körperschaften, Anstalten, bestimmte Fonds sowie Universitäten)207 auch die öffentlichen Unternehmen und alle vergleichbaren Einrichtungen, die eine Gebietskörperschaft zur Gewährung von Beihilfen einsetzt,208 sodass deren Zuwendungen grundsätzlich vom Beihilfeverbot erfasst werden. Der Begriff des öffentlichen Unternehmens ist funktional, dh insbesondere von der Rechtsform und der Art der Finanzierung einer Einrichtung unabhängig, zu verstehen.209 Nach der Definition der TransparenzRL,210 sowie nach der fast gleichlautenden Definition im EG-Vergaberecht,211 unterliegen öffentliche Unternehmen dem beherrschen-
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EuGH, Rs C-482/99, Frankreich/Kommission (‚Stardust’), Slg 2002, I-4397, Rz 23; näher zB Kilb, JuS 2003, 1073; Hinnekens, EC Tax Rev 2000, 250; Sànchez Rydelski, Beihilfenrecht, 62; Soltész, EuZW 1998, 752f; Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz 123; Koenig/Kühling/Ritter, Beihilfenrecht, Rz 162; Eilmansberger, Zivilrechtsfolgen, 32; Keppenne, Guide, Tz 144; Mederer/Triantafyllou, Art 87 Abs 1, Tz 26. Vgl die stRsp zu Gebietskörperschaften und Selbstverwaltungskörpern, zB EuGH, Rs 248/84, Deutschland/Kommission, Slg 1987, 4013, Rz 17; Rs 67/85, van der Kooy, Slg 1988, 219, Rz 35; verbRs T-127/99, T-129/99 und T-148/99, Diputación Foral de Álava, Slg 2002, II-1371, Rz 142; näher zB Koenig/Kühling, EStAL 2002, 17f. Vgl für öffentliche Unternehmen und benannte Einrichtungen zB EuGH, Rs C-482/99, Frankreich/Kommission (‚Stardust Marine’), Slg 2002, I-4397, Rz 37; Rs 67/85, van der Kooy, Slg 1988, 219, Rz 35ff; EuG, Rs T-358/94, Air France, Slg 1996, II-2109, Rz 61; EuGH, Rs 248/84, Deutschland/Kommission, Slg 1987, 4013, Rz 17; Rs C-83/98 P, Ladbroke Racing, Slg 2000, I-3271, Rz 50; Rs C-345/02, Pearle, Slg 2004, I-7139, Rz 23; Rs 57/86, Griechenland/Kommission, Slg 1988, 2855, Rz 12; Rs C-379/98, PreussenElektra, Slg 2001, I-2099, Rz 58; Rs C-126/01, GEMO, Slg 2003, I-13769, Rz 23; Rs 65/81, Reina, Slg 1982, 33, Tenor. Dazu auch Potacs, Öffentliche Unternehmen, 41ff. Vgl Kapitel II.B.2.b, oben Art 2 Abs 1 lit b Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. MäRz 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, Abl 2004 L 134/1; Ganz ähnlich die Definition der Einrichtung öffentlichen Rechts in Art 1 Abs 9 Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
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den Einfluss der öffentlichen Hand, zB aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen. Auch Daseinsvorsorgeerbringer sind nach der Definition der TransparenzRL öffentliche Unternehmen. Zur Illustration lässt sich hier die Rsp des EuGH zur Direktwirkung von Richtlinien heranziehen, wonach Einrichtungen und Unternehmen als staatlich gelten, „die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen [haben] und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet [sind], die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt“.212
Für öffentliche Unternehmen und vergleichbare Einrichtungen, die eine von der öffentlichen Hand ieS (iW: einer Gebietskörperschaft)213 unabhängige Willensbildung aufweisen und überwiegend eigenständige Ziele verfolgen, gilt noch eine (gegenüber dem allgemeinen Staatsbegriff) zusätzliche, bzw alternativ auch für sich bereits ausreichende, Zurechnungsbedingung. Diese zusätzliche Zurechnungsbedingung ist der Nachweis einer konkreten Einflussnahme der öffentlichen Hand auf die Entscheidung des Unternehmens: Zuwendungen von öffentlichen Unternehmen und vergleichbaren Einrichtungen sind der Stardust-Judikatur214 nur dann als staatlich iSv Art 87 Abs 1 anzusehen, wenn anhand der für den Einzelfall vorliegenden Indizien eine Einflussnahme bzw Beteiligung einer Gebietskörperschaft an der Gewährungsentscheidung nachzuweisen ist.215 Als Indiz der staatlichen Zurechenbarkeit gilt etwa, dass die fragliche Einrichtung die beanstandete Entscheidung nicht treffen konnte, ohne den Anforderungen der öffentlichen Stellen Rechnung zu tragen,216 oder dass das Unternehmen bei der Beihilfengewährung öffentlich-rechtliche Richtlinien zu beachten hatte; weiters die Art und Weise der Eingliederung des Unternehmens in die Strukturen der öffentlichen Verwaltung, die Art seiner Tätigkeit und deren Ausübung auf dem Markt unter normalen Bedingungen des Wettbewerbs mit privaten Wirtschaftsteilnehmern, der Rechtsstatus des Unternehmens, die Intensität der behördlichen Aufsicht über die Unternehmensführung oder jedes andere Indiz, das im konkreten Fall auf eine Beteiligung der Behörden hinweist. Der Indizienbeweis nach Stardust reicht sogar hin bis zur „Unwahrscheinlichkeit einer
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vom 31. MäRz 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, Abl 2004 L 134/114; vgl auch Hahnl, Kommentar zum BVergG 2002 (2002), 92. EuGH, Rs C-271/91, Marshall II, Slg 1993, I-4367, Rz 23, Hervorhebung des Autors; ebenso Rs C-188/89 Foster, Slg 1990, I-3313, Rz 20, und schon die SA von GA Mancini in Rs 271/82, Auer, Slg 1983, 2727, 2751; näher Eilmansberger, CMLRev 2004, passim. Vgl dazu OGH 16. 7. 2002, 4 Ob 71/02y und 4 Ob 72/02w (Land Steiermark gegenüber Thermalbetreibergesellschaft). EuGH, Rs C-482/99, Frankreich/Kommission (‚Stardust’), Slg 2002, I-4397, Rz 50ff; nunmehr stRsp, vgl Rs C-355/00, Freskot, Slg 2003, I-5263, Rz 81; verbRs C-328/99 und C-399/00, SIM 2 Multimedia, Slg 2003, I-4035, Rz 33; für die laufende Anwendung dieses strengen Nachweisstandards durch die Kommission vgl zuletzt Kom-E 2005/652/EG, SEPI, Abl 2005 L 240/45, Tz 33ff; Kom-E 2005/407/EG, British Energy, Abl 2005 L 142/26, Tz 293f; Kom-E 2005/406/EG, RTP, Abl 2005 L 142/1, Tz 108. Vgl EuGH, Rs C-482/99, Frankreich/Kommission (‚Stardust’), Slg 2002, I-4397, Rz 52; näher Jaeger, EuZW 2004, 560. Vgl auch schon EuGH, Rs 67/85, van der Kooy, Slg 1988, 219, Rz 37.
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fehlenden Beteiligung am Erlass einer Maßnahme“;217 durch diese großzügige Handhabe wird der vergleichsweise aufwendige Indizienbeweis für die Kommission abgemildert. In vielen Fällen wird das unternehmerische Verhalten außerdem in hinreichender Weise gesetzlich determiniert sein oder auf sonstige bindende Regelungen (zB öffentlich festgesetzte Statuten) zurückzuführen sein, was der Gerichtshof ebenfalls für die Zurechnung des davon abgeleiteten Unternehmensverhaltens hinreichen lässt.218
Die durch Stardust eingeführte zusätzliche Zurechnungsbedingung bewirkt bei öffentlichen Unternehmen und vergleichbaren Einrichtungen eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Beihilfebestimmungen. Private Investoren und zur Gänze in privatem Eigentum stehende Unternehmen, deren Geschäftsführung von der öffentlichen Hand unabhängig ist, fallen daher jedenfalls aus dem Anwendungsbereich des Art 87 Abs 1. Umgekehrt wirkt das Abstellen auf die staatliche Einflussnahme für private Unternehmen uU auch den Anwendungsbereich der Beihilfenkontrolle erweiternd, denn wenn der Nachweis gelingt, wirkt er auch für im Übrigen nicht mit dem Staat verbundene Unternehmen (die sich zB nur an einem PPP beteiligen) inkriminierend. Bei alledem darf aber nicht vergessen werden, dass das sogleich nachfolgend besprochene, zweite Element der doppelten Staatlichkeitsbedingung für eine Bejahung der Staatlichkeit insgesamt ebenfalls erfüllt sein muss; auch Unternehmen und Einrichtungen, die dem Staat zugerechnet werden können, unterliegen daher in Bezug auf Zuwendungen nicht in dem Beihilfeverbot, die sie aus privaten bzw selbständig erwirtschafteten Mitteln finanzieren (zB: Zuwendungen durch Daseinsvorsorgeerbringer an Tochterunternehmen aus Gewinnen, die außerhalb des reservierten bzw subventionierten Bereichs erwirtschaftet wurden).
2. Staatliche Herkunft der Beihilfemittel Das zweite Element der doppelten Staatlichkeitsbedingung des Art 87 Abs 1 ist ein Zurechnungserfordernis betreffend die Herkunft der zur Beihilfefinanzierung verwendeten Mittel: Diese haben aus dem staatlichen Haushalt entnommen zu sein, dh die öffentliche Hand muss ein Finanzopfer für die Beihilfe erbringen.219 Maßnahmen ohne budgetäre Auswirkungen, die auf die konkrete Beihilfe rückführbar wären, unterliegen, wie schon eingangs betont,220 nicht der Beihilfenkontrolle. Da der öffentliche Haushalt durch die Beihilfe geschmälert wird, wird dieses Tatbestandsmerkmal als Budgetwirksamkeit be-
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EuGH, Rs C-482/99, Frankreich/Kommission (‚Stardust’), Slg 2002, I-4397, Rz 56; idS zB Kom-E 2005/652/EG, SEPI, Abl 2005 L 240/45, Tz 34; Aufforderung zur Stellungnahme im Verfahren C 76/2002 (ex NN 122/2002), Charleroi, Abl 2003 C 18/3, Tz 19 und 34. Vgl zB EuGH, Rs C-126/01, GEMO, Slg 2003, I-13769, Rz 26. StRsp, zB EuGH, Rs C-72/91 und C-73/91, Sloman Neptun, Slg 1993, I-887, Rz 19; Rs C-189/91, Kirsammer-Hack, Slg 1993, I-6185, Rz 16; verbRs C-52/97 bis C-54/97, Viscido, Slg 1998, I-2629, Rz 13; Rs C-200/97, Ecotrade, Slg 1998, I-7907, Rz 35; Rs C-295/97, Piaggio, Slg 1999, I-3735, Rz 35; Rs C-482/99, Frankreich/Kommission (‚Stardust’), Slg 2002, I-4397, Rz 23; Rs C-379/98, Preussen Elektra, Slg 2001, I-2099, Rz 58; ausführlich Soltész, EuZW 1998, passim; Kruse, ZHR 2001, passim. Vgl Kapitel II.A, oben.
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zeichnet.221 Die Budgetwirksamkeit kann sich sowohl aus einem effektiven Finanztransfer als auch aus einem bloßen Einnahmenverzicht222 ergeben. Dass die genaue Höhe der Budgetbelastung zum Gewährungszeitpunkt bereits feststeht, ist nicht erforderlich.223 Dagegen bleiben bloß inzidente Einnahmenverluste224 bei der Beurteilung der Budgetwirksamkeit außer Betracht:225 Zwischen dem Eintritt der Belastung (des Staatshaushalts) und dem Eintritt der Begünstigung (des Unternehmens) muss ein greifbarer Finanzierungszusammenhang (hinreichend kausaler Nexus) bestehen.226 Dieser fehlt zB, wenn sich die Budgetbelastung lediglich aus einer Änderung des Rechtsrahmens (zB gesetzlicher Fixpreis)227 ergibt und eine damit auch einhergehende Begünstigung von Unternehmen keine maßgeblich beabsichtigte Auswirkung (kein Hauptaugenmerk) dieser Maßnahme ist. Staatliche Mittel iS des Beihilfeverbots sind alle Gelder, über die staatliche Stellen (iSv Gebietskörperschaften)228 in gleicher Weise verfügen können, wie über fiskalisches Vermögen bzw „alle Geldmittel […], auf die der Staat tatsächlich zur Unterstützung von Unternehmen zurückgreifen kann.“229 „Denn der Staat ist [dann] in der Lage, durch die Ausübung seines beherrschenden Einflusses auf diese Unternehmen die Verwendung ihrer Mittel zu steuern“.230 Zentrales Element der Zuordnung von Geldern zum öffentlichen Budget ist also die Verfügungsgewalt (Dispositionsbefugnis). Die stRsp verlangt hier zwar, dass die fraglichen Mittel „ständig unter öffentlicher Kontrolle blei221
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StRsp, grundlegend EuGH, Rs C-379/98, PreussenElektra, Slg 2001, I-2099, Rz 58; vgl auch schon Rs 82/77, van Tiggele, Slg 1978, 25, Rz 23ff; verbRs C-72/91 und C-73/91, Sloman Neptun, Slg 1993, I-887, Rz 19; Rs C-189/91, Kirshammer-Hack, Slg 1993, I-6185, Rz 14; verbRs C-52/97, C-53/97 und C-54/97, Viscidio ua, Slg 1998, I-2629, Rz 14; Rs C-200/97, Ecotrade, Slg 1998, I-7907, Rz 35; Rs C-295/97, Piaggio, Slg 1999, I-3735, Rz 35. Vgl EuGH, Rs C-156/98, Kommission/Deutschland, Slg 2000, I-6857, Rz 26; näher auch Kapitel II.A. und II.B.2., oben. Vgl auch Sutter, Art 87, Rz 25. Vgl für ein Beispiel EuGH, Rs C-379/98, PreussenElektra, Slg 2001, I-2099, Rz 62. Vgl EuGH, Rs C-379/98, PreussenElektra, Slg 2001, I-2099, Rz 62; verbRs C-72/91 und C-73/91, Sloman Neptun, Slg 1993, I-887, Rz 19 und 21; idS auch Mitteilung der Kommission über die Eröffnung des Beihilfeverfahrens im Fall C 68/97, SNIACE, Abl 1998 C 49/2, 7; Kom-E N 504/2000, Obligation für erneuerbare Energiequellen und Kapitalzuschüsse für erneuerbare Energietechnologien, Abl 2002 C 30/14, 15 (12f des Genehmigungsschreibens); Kom-E N 550/2000, GrünerStrom-Zertifikate, Abl 2001 C 330/2, 3 (6f des Genehmigungsschreibens); zu diesen auch XXXI. WB 2001, Tz 363. Näher Jaeger, EuZW 2004, 559; ein Kausalitätserfordernis ablehnend dagegen Jestaedt, § 8, Tz 7. Gesetzliche Fixpreise etwa in EuGH, Rs C-379/98, PreussenElektra, Slg 2001, I-2099; Rs 82/77, van Tiggele, Slg 1978, 25; SA v GA Kokott, Rs C-283/03, Kuipers, Slg 2005, I-4255 (alle: Beihilfe verneint); anders (Ermessen der staatlichen Regulierungsbehörde bei der Preisfestsetzung) etwa EuGH, verbRs C-128/03 und C-129/03, AEM, Slg 2005, I-2861 (Beihilfe bejaht). So zB in OGH 16. 7. 2002, 4 Ob 71/02y und 4 Ob 72/02w (Land Steiermark gegenüber Thermalbetreibergesellschaft). EuGH, Rs C-278/00, Griechenland/Kommission, Slg 2004, I-3997, Rz 52; ebenso Rs C-83/98 P, Ladbroke, Slg 2000, I-3271, Rz 50. EuGH, Rs C-482/99, Frankreich/Kommission (‚Stardust’), Slg 2002, I-4397, Rz 38.
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ben“231 müssen, lässt es aber ausreichen, dass diese Kontrolle zumindest indirekt ausgeübt wird, etwa über eine bloß faktische Einflussnahmemöglichkeit auf die Geschäftsführung.232 Damit sind va die Gelder öffentlicher Unternehmen jedenfalls als staatliche Mittel iSv Art 87 Abs 1 anzusehen.233 Aber auch die Mittel privater Einrichtungen können für die Zwecke der Beihilfeaufsicht wohl dem Staat zugerechnet werden, sofern in Bezug auf eine bestimmte Vermögensmasse eine zumindest indirekte, effektive Dispositionsmöglichkeit der öffentlichen Hand besteht. Ob ein beihilfegewährendes Unternehmen die betreffenden Mittel in wirtschaftlich sinnvoller Weise einsetzt, spielt bei deren Qualifikation als staatlich oder nicht keine Rolle (wohl aber bei der Beurteilung der Begünstigungswirkung).234 Dass Private aufgrund staatlicher Normen zur Finanzierung veranlasst bzw gezwungen wurden, reicht dagegen für eine Annahme der Staatlichkeit (staatlichen Verfügungsgewalt) über diese Mittel grundsätzlich noch nicht hin.235 Lediglich jene Mittel, die von Privaten über parafiskalische Abgaben zwangsweise erhoben werden, werden in stRsp stets der öffentlichen Hand zugerechnet.236 Eine Verneinung der Staatlichkeit ist bei parafiskalischen Abgaben aber über das erste Element der doppelten Staatlichkeitsbedingung (Zurechnung der Gewährungsentscheidung) möglich.237
D. „Unternehmen oder Produktionszweige“: Beihilfebegünstigte 1. Unternehmensbegriff Als Unternehmen iSd Gemeinschaftsrechts gilt jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit.238 Weitere Gesichtspunkte, wie zB die Rechtsform 231
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EuGH, verbRs C-328/99 und C-399/00, SIM 2 Multimedia, Slg 2003, I-4035, Rz 33; ebenso Rs C-482/99, Frankreich/Kommission (‚Stardust’), Slg 2002, I-4397, Rz 37; Rs C-278/00, Griechenland/Kommission, Slg 2004, I-3997, Rz 52; Rs C-83/98 P, Ladbroke, Slg 2000, I-3271, Rz 50; EuG, Rs T-358/94, Air France, Slg 1996, II-2109, Rz 67. Vgl zB EuGH, Rs 290/83, Kommission/Frankreich (‚CNCA’), Slg 1985, 439, Rz 14f; Rz 50; Rs 67/85, van der Kooy, Slg 1988, 219, Rz 36 iVm 38. Vgl dazu zB Kom-E 2002/467/EG, Fertiberia, Abl 2002 L 165/1, Tz 70: „Nachdem die ICO ein in staatlichem Eigentum stehendes Bankinstitut ist, bedeutet jede Mittelübertragung von ICO an ein Unternehmen eine Übertragung von staatlichen Mitteln im Sinne von Art 87 Absatz 1 EG-Vertrag“. Ähnlich Kom-E 2002/458/EG, Griechische Genossenschaften, Abl 2002 L 159/1, Tz 103 ff; Kom-E 2004/393/EG, Charleroi, Abl 2004 L 137/1, Tz 246. So EuG, verbRs T-228/99 und T-233/99, WestLB, Slg 2003, II-435, Rz 181. Vgl EuGH, Rs C-379/98, PreussenElektra, Slg 2001, I-2099, Rz 61; vgl näher Koenig/Kühling, NVwZ 2001, 768ff. Vgl etwa EuGH, verbRs C-78/90, C-79/90, C-80/90, C-81/90, C-82/90 und C-83/90, Compagnie Commerciale de l’Ouest ua, Slg 1992, I-1847, Rz 35 und Tenor; Rs C-17/91, Georges Lornoy, Slg 1992, I-6523, Rz 28; verbRs C-149/91 und C-150/9, Sanders Adour, Slg 1992, I-3899, Rz 24; Rs C-72/92, Herbert Scharbatke, Slg 1993, I-5509, Rz 18. So in EuGH, Rs C-345/02, Pearle, Slg 2004, I-7139, Rz 35ff. Vgl insbesondere EuGH, Rs C-41/90, Höfner und Elser, Slg 1991, I-1979, Rz 21; verbRs C-159/91 und C-160/91, Poucet und Pistre, Slg 1993, I-637, Rz 17; Rs C-244/94, FFSA, Slg 1995, I-4013Rn 14; Rs 118/85, Kommission/Italien, Slg 1987,
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und oder die Art der Finanzierung, sind für diesen funktionalen Unternehmensbegriff ohne Bedeutung. Das Beihilfeverbot erstreckt sich damit gleichermaßen auf private, öffentliche und gemischte Unternehmen und auf selbständige natürliche Personen (zB Freiberufler, Landwirte usw).239 Auch in die staatliche Verwaltung integrierte Einheiten ohne eigene Rechtspersönlichkeit gelten, wenn sie selbständig als Anbieter am Markt auftreten, als Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsvorschriften und damit als potentielle Beihilfeempfänger.240 Die Grenze des Unternehmensbegriffs liegt in der Staatsverwaltung selbst, also dort, wo typischerweise hoheitliche Tätigkeiten ausgeübt werden.241 Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.242 Auf die Gewinnerzielungsabsicht kommt es dabei grundsätzlich nicht an, wenn zumindest potentiell eine Aussicht auf Gewinn bestünde.243 Auch die Erbringung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben kann daher als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen sein.244 Dagegen besteht ein Indiz gegen das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit darin, dass der betreffende Markt überhaupt keine gewinnorientierten Unternehmen kennt.245
Ein Beispiel zum Problem der Gewinnorientierung bietet das PubFG,246 das einerseits die Bildungsarbeit der Parteien und andererseits politische Druckwerke fördert. Die Förderung der staatsbürgerlichen Bildungsarbeit nach diesem G ist beihilfeunbedenklich. Dies allerdings nicht schon deswegen, weil das PubFG eine Zuerkennung von Förderungen an gewinnorientierte Einrichtungen ausschließt, sondern nur, weil es für parteipolitische Bildungsarbeit per se keinen Markt gibt. Für Zuschüsse zu politischen Druckwerken muss dagegen eher die Vermutung gelten, dass es für die Druckwerke oder deren Herstellung einen Markt gibt und der Publizist daher auch bei mangelnder Gewinnerzielungsabsicht als Unternehmer iSd Gemeinschaftsrechts anzusehen ist.
In Österreich ist der Betrieb eines Unternehmens nach den § 1 Abs 2 UGB 2006 eine von mehreren Varianten, die für den Anwendungsbereich des Gesetzes maßgebliche Unternehmereigenschaft zu erlangen.247 Die dort verwendete Definition des Unternehmens deckt sich mit dem gemeinschaftsrechtlichen Unternehmensbegriff. Dagegen weicht der allgemeine Unternehmerbegriff des UGB als Überbegriff, va aufgrund der in § 2 UGB normierten Unternehmerei-
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240 241 242 243 244 245 246 247
2599, Rz 8; Rs C-55/96, Job Centre, Slg 1997, I-7119, Rz 22; näher etwa Schröter, Vorbemerkung, Rz 17ff. So bereits die Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 74 von Herrn Burgbacher v 28. 8. 1963, Abl 1963/2546, 2547; für die stRsp vgl zB EuGH, Rs C-35/96, Kommission/Italien, Slg 1998, I-3851, Rz 36ff; verbRs T-228/99 und T-233/99, WestLB, Slg 2003, II-435, Rz 266. Vgl zB EuGH, Rs 118/85, Kommission/Italien (‚AAMS’), Slg 1987, 2599, Rz 8. Vgl zB EuGH, Rs C-364/92, Eurocontrol, Slg 1994, I-43, Rz 30; vgl idZ auch Kapitel II.B.2.d, oben. Vgl zB EuGH, Rs C-35/96, Kommission/Italien, Slg 1998, I-3851, Rz 36. Näher zB EuGH, Rs C-219/97, Drijvende Bokken, Slg 1999, I-6121, Rz 67ff. StRsp, vgl zB EuGH, Rs C-475/99, Ambulanz Glöckner, Slg 2001, I-8089, Rz 21; 23. 3. 2006, Rs C-237/04, Enirisorse II, noch nicht in Slg veröff, Rz 34. Vgl Kom-E 98/353/EG, Gemeinnützige Abfallverwertung Aachen, Abl 1998 L 159/58, 62. PublizistikförderungsG 1984, BGBl Nr 1984/369, idF BGBl Nr 1991/239. Inkrafttreten zum 1. 1. 2007; näher zB Schmidt, JBl 2004, 31ff.
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genschaft kraft Rechtsform und aufgrund der weitgehenden Ausnahme juristischer Person des öffentlichen Rechts vom Unternehmerbegriff,248 weiterhin vom Gemeinschaftsrecht ab. Kaum eigenständige praktische Bedeutung kommt dem in Art 87 Abs 1 neben dem Unternehmensbegriff ebenfalls verwendeten Begriff des Produktionszweigs zu. Gemeint sind hier alle in einem bestimmten Sektor tätigen Unternehmen, also sowohl industrielle (Güterproduktions-)Betriebe als auch Gruppen von Dienstleistungs- und Handelsunternehmen, sowie alle sonstigen Gewerbezweige und Gruppen freier Berufe.249 Die Unterscheidung zwischen Unternehmen und Produktionszweigen in Art 87 Abs 1 stellt lediglich klar, dass auch Maßnahmen, die alle Unternehmen eines Wirtschaftssektors begünstigen, zweifelsfrei als selektiv und vom Beihilfeverbot erfasst anzusehen sind.250
2. Beihilfen an Verbraucher Staatliche Zuwendungen an natürliche Personen und Einrichtungen, deren Marktteilnahme sich im Konsum von Gütern und Dienstleistungen erschöpft (Verbraucher), sind grundsätzlich nicht beihilferelevant. Entscheidend ist im Beihilferecht allerdings nicht der formelle Empfänger der Beihilfe, sondern der tatsächlich durch die Beihilfe Begünstigte. Daher kann auch eine Verbrauchern gewährte Zuwendung vom Beihilfeverbot erfasst werden, wenn sie (zB über Förderbedingungen oder Zweckbindungen) so ausgestaltet ist, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nur bestimmten Unternehmen wirtschaftlich zugute kommt (Überwälzung).251 In der Praxis ist hier va an staatliche Investitionsförderungen zu denken, die nur in Bezug auf bestimmte Unternehmen gewährt werden oder nur so ausgeübt werden können, dass sie diesen Unternehmen zugute kommen.252 Ein teilweise oder auch überwiegend sozialer Charakter solcher Maßnahmen berührt deren Einstufung als Beihilfen nicht.253 Allerdings muss mit der Verwendungsauflage wohl auch ein marktunüblicher Vorteil verbunden sein (etwa: Absatz zu überhöhten Preisen). Wird kein marktunüblicher Vorteil gewährt, fällt die Maßnahme nicht unter das Beihilfeverbot (sie kann aber zB eine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit darstellen). Insbesondere kann hier mE das Argument nicht greifen, die Verbraucher benötigen die geförderte Leistung überhaupt nicht,254 da es den Verbrauchern in Überwälzungsfällen ja typischerweise frei steht, die Leistung in Anspruch zu nehmen. 248 249
250 251 252 253
254
Vgl auch Bydlinski, ÖJZ 2006; Pkt C; Dehn, ÖJZ 2006, Pkt B.1.d. Vgl etwa EuG, Rs T-298/97, T-312/97, T-313/97, T-315/97, T-600/97 bis 607/97, T-1/98, T-3/98 bis T-6/98 und T-23/98, Alzetta Mauro, Slg 2000, II-2319, betreffend Beihilfen zugunsten italienischer Güterkraftverkehrsunternehmen. Dazu auch Mederer, Art 87 Abs 1, Rz 35. StRsp, zB EuGH, Rs C-143/99, Adria-Wien Pipeline, Slg 2001, I-8365, Rz 48ff; Rs 248/84, Deutschland/Kommission, Slg 1987, 4013, Rz 18. So auch Müller-Graff, ZHR 1988, 427. Vgl EuGH, Rs C-156/98, Deutschland/Kommission, Slg 2000, I-6857, Rz 23; weitere Beispiele bei Seidel, Beihilferecht, 15; Frick, Steuervergünstigungen, 25. Vgl etwa EuGH, Rs C-241/94, Frankreich/Kommission, Slg 1996, I-4551, Rz 21; Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage v MdEP Alvanos, Abl 1996 C 305/102. Vgl idS EuG, Rs T-14/96, BAI, Slg 1999, II-139, Rz 76.
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Ein österreichisches Beispiel für einen potentiellen Überwälzungssachverhalt bietet etwa das Kapitalversicherungs-FörderungsG.255 Dieses sieht eine teilweise Erstattung von Versicherungsprämien für bestimmte Lebensversicherungen vor, die an Versicherungsunternehmen bezahlt wurden, denen eine Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb in Österreich erteilt wurde. Dabei erfolgt eine Gutschrift auf die Lohn- bzw ESt, die aber im Umweg über das Versicherungsunternehmen in Anspruch zu nehmen ist. Eine solche Regelung ist, ungeachtet der damit auch einhergehenden sozialen Ziele, sicherlich zur Förderung der heimischen Versicherungswirtschaft geeignet. Als Beihilfe wäre sie aber nur anzusehen, wenn der den Versicherungsnehmern gewährte Vorteil zumindest teilweise den Versicherungsunternehmen zugute käme, zB im Fall von branchenweit überhöhten Tarifen. Dieses Beispiel illustriert auch, dass die Gefahr einer Überwälzung umso größer ist, je weniger Wettbewerb in jenem Sektor besteht, in dem die Beihilfe verbraucht werden muss. Herrscht, wie etwa im österreichischen Versicherungssektor, ein reger Wettbewerb, so ist die Gefahr einer Überwälzung vernachlässigbar.
E. „Begünstigung bestimmter Unternehmen“: Selektivität des Vorteils Beihilferelevant sind nur spezifisch bzw selektiv gewährte Vorteile. Daher kann eine staatliche Maßnahme, „die unterschiedslos allen Unternehmen im Inland zugute kommt“,256 keine staatliche Beihilfe darstellen. Allgemeine wirtschaftspolitische Maßnahmen, von denen nicht einzelne im Mitgliedstaat ansässige Unternehmen oder Sektoren (Produktionszweige) stärker profitieren als andere, beinhalten daher grundsätzlich keine Beihilfen. Der Gerichtshof legt allerdings dem Tatbestandsmerkmal der Selektivität eine ausgesprochen weite Auslegung zugrunde.257 Vergünstigungen, die nur für einen oder einige Sektoren der heimischen Wirtschaft oder nur für bestimmte Regionen Vorteile bringen (in der Praxis handelt es sich hier besonders häufig um steuerliche oder sozialrechtliche Regelungen), werden vom EuGH in stRsp stets als selektiv beurteilt. Vorläufiger Schlusspunkt dieser weiten Auslegung ist das Urteil Adria-Wien aus 2001, in dem der Gerichtshof eine österreichische Steuererleichterung (Energieabgabenvergütung), die alle güterproduzierenden Unternehmen sektorübergreifend in Anspruch nehmen konnten, als selektiv beurteilte, weil ein Teil der österreichischen Volkswirtschaft (va die Dienstleistungsunternehmen) ausgespart worden war.258 IdF beseitigte der österreichische Gesetzgeber die sektorielle Beschränkung vollständig, doch enthielt die Regelung noch einen Verbrauchsschwellenwert (0,35 % des Nettoproduktionswerts) für die Vergütung; auch dies beurteilte die Kommission zuletzt
255 256 257 258
Kapitalversicherungs-FörderungsG 1982, BGBl Nr 1982/163, idF BGBl Nr 1987/312. EuGH, Rs C-143/99, Adria-Wien Pipeline, Slg 2001, I-8365, Rz 35, Hervorhebung des Autors. Näher auch Heidenhain, § 4, Rz 52ff; Sutter, Art 87, Rz 38ff; Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz 124ff; Koenig/Kühling/Ritter, Beihilfenrecht, Rz 171ff. EuGH, Rs C-143/99, Adria-Wien Pipeline, Slg 2001, I-8365, Rz 37ff; dazu Potacs, ÖZW 2002; Arnold, ÖStZ 2001; Hödl/Lausegger, ecolex 2002; Sutter, EuZW 2002. IdS erklärte die Kommission zuletzt auch die ebenfalls auf güterproduzierende Unternehmen beschränkte schwedische Energiesteuerbefreiung für unzulässig, vgl Kom-E 2005/468/EG, Schwedische Energiesteuerbefreiung, Abl 2005 L 165/21.
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als selektive Begünstigung großer Unternehmen.259 Weitere Beispiele für selektive Maßnahmen sind nach der Rsp etwa: Steuerermäßigungen für alle Güterkraftverkehrsunternehmen;260 Steuerermäßigungen für alle Unternehmen einer bestimmten Region261 oder nur für Regionen mit bestimmter Wirtschaftsleistung;262 Zinsverbilligungen für den Erwerb von Nutzfahrzeugen, die nur für KMU interessant sind;263 Ermäßigungen auf die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung in einer Anzahl verschiedener Sektoren264 bzw nur in der Textil-, Leder-, Bekleidungs- und Schuhindustrie265 oder nur in Sektoren mit einem hohen Anteil weiblicher Beschäftigter;266 Abweichungen von den allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften für in Schwierigkeiten befindliche Großunternehmen267 und Investitionserleichterungen für Großunternehmen268 aller Sektoren; sowie Vorzugsbedingungen für Exporte ohne sektorielle Einschränkung.269
Entscheidend sind dabei stets die konkreten (selektiven) Auswirkungen der Maßnahme, nicht der formelle Adressatenkreis. Es reicht insoweit, wenn diese Auswirkungen vorhersehbar sind, der materielle Adressatenkreis also zumindest abstrakt bestimmbar ist.270
Als nicht selektiv beurteilte die Kommission dagegen zB Steueramnestien und eine Senkung der Sozialabgaben zur Regularisierung der italienischen Schattenwirtschaft, da diese größen- und branchenunabhängig in allen Landesteilen galten.271 Auch im Fall einer Senkung der Sozialversicherungsbeiträge für bestimmte Arbeitszeitmodelle, die automatisch in Bezug auf alle in Belgien ansässigen Unternehmen und für alle Arten von Arbeitnehmern angewandt wurden, verneinte die Kommission die Selektivität.272 Eine Steuervorschrift, die den Gewinn aus dem Verkauf bestimmten Anlagevermögens bei Reinvestitionen in neue Kapitalgesellschaften (ohne Ansehung von Sektor, Größe
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269 270 271
272
Kom-E 2005/565/EG, Energieabgabenvergütung II, Abl 2005 L 190/13, Tz 46; vgl auch XXXII. WB 2003, Tz 422f. EuGH, Rs C-6/97, Italien/Kommission, Slg 1999, I-2981, Rz 17. EuGH, Rs C-156/98, Deutschland/Kommission (‚§ 52 Abs 8 EStG’), Slg 2000, I-6857, Rz 36; vgl aus der umfangreichen Kommissionspraxis zB Kom-E 2003/442/EG, Einkommensteuersenkungen auf den Azoren, Abl 2003 L 150/52, Tz 26; Kom-E 2005/261/EG, Körperschaftssteuerreform in Gibraltar, Abl 2005 L 85/1, Tz 104. EuGH, Rs 248/84, Deutschland/Kommission (‚Gemeinschaftsaufgabe’), Slg 1987, 4013, Rz 18f. EuG, Rs T-55/99, CETM, Slg 2000, II-3207, Rz 39ff. EuGH, Rs C-75/97, Belgien/Kommission (‚Maribel I’), Slg 1999, I-3671, Rz 23ff. EuGH, Rs C-251/97, Frankreich/Kommission, Slg 1999, I-6639, Rz 35ff; Rs 173/73, Italien/Kommission, Slg 1974, 709, Rz 21ff. EuGH, Rs 203/82, Kommission/Italien, Slg 1983, 2525, Rz 4 und 8. EuGH, Rs C-200/97, Ecotrade, Slg 1998, I-7907, Rz 38ff. EuG, VerbRs T-127/99, T-129/99 und T-148/99, Diputación Foral de Álava, Slg 2002, II-1371, Rz 157 und 162ff; verbRs T-92/00 und T-103/00, Ramondín, Slg 2002, II-1385, Rz 39. EuGH, VerbRs 6/69 und 11/69, Kommission/Frankreich, Slg 1969, 523, Rz 21ff. Sutter, Art 87, Rz 38 mwN, spricht insoweit von der ‚gattungsmäßigen Umschreibung des Begünstigtenkreises’. Kom-E N 674/01, Maßnahmen zur Regularisierung der Schattenwirtschaft, Abl 2002 C 30/14, 15; dazu Presseaussendung der Kommission v 13. 11. 2001, IP/01/1572, 1. Kom-E N 232/01, Belgische Arbeitszeitsenkung, Abl 2001 C 268/5, 5; dazu XXXI. WB 2001, Tz 369.
Beihilfe- und Förderungsrecht
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oder Region) begünstigt, ist für sich alleine ebenfalls noch nicht selektiv.273 Dasselbe gilt für allgemeine staatliche Investitionen in Infrastruktur oder Ausbildungsprogramme.274
Die Selektivität einer Maßnahme kann sich nach der Rsp außerdem daraus ergeben, dass die Beschränkung auf bestimmte Unternehmen (Regionen, Sektoren) zwar nicht explizit (selektiver Anwendungsbereich) oder implizit (selektive Auswirkung) normativ festgelegt ist, jedoch den zuständigen Behörden bei der Anwendung der Norm ein Ermessen eingeräumt ist, das eine selektive Vorteilsgewährung zumindest erlaubt.275 Kann zB ein Sozialfonds seinen finanziellen Beitrag an ein Unternehmen durch eine Auswahl der Begünstigten, der Höhe und der Bedingungen der Gewährung anpassen,276 eine Steuerbehörde die für eine Steuergutschrift in Frage kommenden Investitionen sowie die Fristen und Höchstgrenzen selbst festlegen277 oder ein Minister darüber entscheiden, welchen Unternehmen er in Abweichung vom allgemeinen Konkursrecht die Fortsetzung seiner Tätigkeit gestattet,278 so ist die dem zugrunde liegende Norm abstrakt geeignet, bestimmte Unternehmen in eine günstigere Lage zu versetzen als andere und erfüllt damit nach der Rsp das Tatbestandsmerkmal der Spezifizität. Der Nachweis, dass die Handlungsweise Behörden im Einzelfall tatsächlich spezifisch begünstigend bzw willkürlich ist nicht erforderlich,279 kann aber als zusätzliches Indiz für den selektiven Charakter einer formell nicht selektiven Norm dienen.280
F. Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung Der EG-Vertrag schützt nach dem Wortlaut seiner Präambel den „redlichen Wettbewerb“,281 also den Geschäftserfolg aufgrund überlegener Leistung (Leistungswettbewerb).282 Tatbestandsmäßige Beihilfen greifen aber in die Kräfte des Marktes partiell ein und ändern dessen Funktionsbedingungen,283 „verfälschen“ also den Wettbewerb und „beeinträchtigen“ den Handel zwischen Mit273 274 275
276 277
278 279 280 281 282 283
EuGH, Rs C-156/98, Deutschland/Kommission (‚§ 52 Abs 8 EStG’), Slg 2000, I-6857, Rz 8f und 22. So Koenig/Kühling/Ritter, Beihilfenrecht, Rz 172, mit Verweis auf die Kommissionspraxis und EuGH, Rs C-225/91, Matra, Slg 1993, I-3203, Rz 29. StRsp, zB EuGH, Rs C-295/97, Piaggio, Slg 1999, I-3735, Rz 39; Rs C-200/97, Ecotrade, Slg 1998, I-7907, Rz 40; Rs C-256/97, DMT, Slg 1999, I-3913, Rz 27; Rs C-241/94, Frankreich/Kommission (‚Kimberly Clark’), Slg 1996, I-4551, Rz 23f. Vgl EuGH, Rs C-241/94, Frankreich/Kommission (‚Kimberly Clark’), Slg 1996, I-4551, Rz 23f. Vgl EuG, Rs T-127/99, T-129/99 und T-148/99, Diputación Foral de Álava, Slg 2002, II-1275, Rz 151f; verbRs T-92/00 und T-103/00, Ramondín, Slg 2002, II-1385, Rz 31. Vgl EuGH, Rs C-295/97, Piaggio, Slg 1999, I-3735, Rz 39; Rs C-200/97, Ecotrade, Slg 1998, I-7907, Rz 40. Vgl EuG, Rs T-129/99, T-129/99 und T-148/99, Diputación Foral de Álava, Slg 2002, II-1275, Rz 154. Vgl idS Kom-E 1999/395/EG, SNIACE, Abl 1999 L 149/40, Tz 81f. 4. ErwG der Präambel zum EG-Vertrag. Ausführlich Eilmansberger, CMLRev 2005, 132f. Vgl auch Hancher/Ottervanger/Slot, State Aids, Rz 2-044.
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gliedstaaten. Diese Eigenschaft von Beihilfen ist Grundgedanke und Legitimation der Beihilfekotrolle. Während die Wettbewerbsverfälschung primär auf der Ebene der Unternehmen im betreffenden Sektor festgestellt wird, erfolgt die Beurteilung der Handelsbeeinträchtigung auf der Ebene der Mitgliedstaaten.284 Das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsverfälschung untersucht maW die Auswirkungen einer Beihilfe auf die Wettbewerbsbeziehungen des Empfängerunternehmens zu seinen Mitbewerbern auf dem Gemeinsamen Markt, jenes der Handelsbeeinträchtigung grenzt dagegen den Anwendungsbereich des EG-Beihilfeverbots gegenüber dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten ab (grenzüberschreitendes Element).285 Die inhaltliche Prüfung beider Tatbestandselemente erfolgt anhand ganz ähnlicher Parameter, dh dass die Prüfelemente in einander greifen und zT gemeinsam bzw jedenfalls nacheinander geprüft werden. Vereinfacht gesagt löst eine Wettbewerbsverfälschung regelmäßig auch eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels aus,286 bzw mit den Worten des Gerichtshofes: „Wenn […] eine […] Beihilfe die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern im innergemeinschaftlichen Handel verstärkt, muss dieser als von der Beihilfe beeinflusst angesehen werden“.287
Der Prüfung beider Tatbestandsmerkmale legen die Gemeinschaftsgerichte ein sehr weites Verständnis zugrunde, das sich auf der materiellen wie prozessualen Ebene äußert. In materieller Hinsicht muss schon nach dem Wortlaut des Art 87 der Eintritt der Wettbewerbsverfälschung zur Anwendung des Beihilfeverbots nicht abgewartet werden, es genügt bereits die Drohung bzw Gefahr der Verfälschung. Dasselbe gilt nach der stRsp auch für das Tatbestandsmerkmal der Handelsbeeinträchtigung.288 Zur Annahme einer Wettbewerbsverfälschung reicht es daher zumeist schon hin, dass einem Unternehmen Zuschüsse gewährt werden, die es diesem erlauben, seine Produkt- oder Dienstleistungspalette aufrechtzuerhalten oder auszuweiten und so die Marktzutrittschancen von (auch nur potentiellen) Wettbewerbern (potential entrants) zu verringern.289 Va für Betriebsbeihilfen, das sind Zuschüsse zum laufenden Betrieb des Unternehmens ohne weitere Verwendungsbindung (im Unterschied zu Investitionsbeihilfen), ist prima facie immer davon auszugehen, dass sie den Wettbewerb verfälschen, denn sie befreien Unternehmen von (Fix-)Kosten, die sie im Rahmen des üblichen Geschäftsbetriebs normalerweise zu tragen haben.290 Wettbewerbsverfälschend sind auch Förderungen, die bloß darauf abzielen, allge284 285
286 287
288
289 290
Vgl Sánchez Rydelski, Beihilfenrecht, 71f mwN; Mederer, Art 87 Abs 1, Rz 42. Vgl zB EuG, Rs T-93/02, Crédit Mutuel (‚Livret bleu’), Slg 2005, II-143, Rz 82; dazu auch Mederer/Strohschneider, Art 81 Abs 1, Rz 46; Sánchez Rydelski, Beihilfenrecht, 74. Vgl Cichy, Gemeinschaftsbeihilfen, 85. EuGH, Rs C-71/04, Xunta de Galicia, Slg 2005, I-7419, Rz 44; ebenso zB Rs 730/79, Philip Morris, Slg 1980, 2671, Rz 11; Rs C-156/98, Deutschland/Kommission (‚§ 52 Abs 8 EStG’), Slg 2000, I-6857, Rz 33. Vgl zB EuGH, Rs C-148/04, Unicredito, I-11137, Rz 54f; Rs C-66/02, Italien/ Kommission (‚Italienische Bankenstiftungen’), Slg 2005, I-10901, Rz 111; Rs C-372/97, Italien/Kommission, Slg 2004, I-3679, Rz 44. Vgl EuGH, Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747, Rz 78; Rs C-71/04, Xunta de Galicia, Slg 2005, I-7419, Rz 45. Vgl dazu EuGH, Rs C-278/95 P, Siemens/Kommission, Slg 1997, I-2507, Rz 18; Rs C-288/96, Deutschland/Kommission (‚Jadekost’), Slg 2000, I-8237, Rz 85.
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meine (geographische, soziale, klimatische, steuerliche etc) Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Mitgliedstaaten auszugleichen oder sich spezifisch auf die unzulässige Gewährung von Beihilfen durch einen anderen Mitgliedstaat beziehen (Retorsionsbeihilfen).291 Beim Tatbestandsmerkmal der Handelsbeeinträchtigung ist in der jüngeren Judikatur außerdem eine Tendenz erkennbar, von einer Beeinträchtigung bereits dann auszugehen, wenn diese „nicht auszuschließen ist“;292 so etwa im Urteil Heiser aus 2005, betreffend eine österreichische Regelung, wonach ärztliche Leistungen ab 1997 von der Umsatzsteuer befreit waren und die einbehaltene USt im Übergangszeitraum zT nicht mehr abgeführt werden musste. Da also „nicht auszuschließen ist, dass Fachärzte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde wie Herr Heiser im Wettbewerb mit Berufskollegen aus anderen Mitgliedstaaten stehen“,293 könne ein Zahnärzten gewährter finanzieller Vorteil den zwischenstaatlichen Handel iSv Art 87 Abs 1 potentiell beeinträchtigen. Diese vom EuGH sehr tief angesetzte Aufgriffsschwelle (De minimis-Schwelle) für zwischenstaatlich wirksame Beihilfen erinnert stark an die gleich gelagerte Judikatur zur Handelsbeeinträchtigung im Bereich des freien Warenverkehrs und ist insoweit kohärent;294 den Bestrebungen der Kommission, die Beihilfekontrolle auf besonders binnenmarktschädliche Fälle zu konzentrieren,295 ist sie aber nicht förderlich.296 Diese den Anwendungsbereich des Beihilfeverbots stark ausdehnende Judikatur wird in der Praxis aber durch die von der Kommission verwendete De minimis-Schwelle (Spürbarkeitsschwelle) abgemildert. Insoweit besteht auch eine offene Diskrepanz zwischen der stRsp des EuGH, wonach weder der verhältnismäßig geringe Umfang einer Beihilfe noch die verhältnismäßig geringe Größe des begünstigten Unternehmens, der örtliche oder regionale Charakter der erbrachten Dienstleistungen oder die geringe Größe des betreffenden Tätigkeitsgebiets von vornherein die Möglichkeit einer Handelsbeeinträchtigung ausschließen,297 und der in den De minimis-GVO festgelegten Praxis der Kommission, Beihilfen unterhalb bestimmter betraglicher Grenzen nicht zu verfolgen.298 Nach der Rsp entscheidet über die Beurteilung geringfügiger Beihilfen aber nicht deren Betrag, sondern die Intensität des Wettbewerbs im betreffenden Marktsegment.299 Demnach kann zB eine Beihilfe, die zwar nur 291 292
293 294 295 296 297 298 299
Vgl zB EuGH, Rs C-6/97, Italien/Kommission, Slg 1999, I-2981, Rz 21; ebenso schon Rs 78/76, Steinike & Weinling, Slg 1977, 595, Rz 24. EuGH, Rs C-172/03, Heiser, Slg 2005, I-1627, Rz 35; ebenso Rs C-71/04, Xunta de Galicia, Slg 2005, I-7419, Rz 39 und 47; EuG, Rs T-288/97, Regione Friuli Venezia Giulia, Slg 2001, II-1169, Rz 54. EuGH, Rs C-172/03, Heiser, Slg 2005, I-1627, Rz 35. Vgl EuGH, Rs 8/74, Dassonville, Slg 1974, 873, Rz 5. Dazu noch weiter unten in diesem Kapitel. Krit auch d’Ormesson/Bouin, Review of the ECJ Judgment in Case C-172/03, EStAL 2005, 335, 338. Vgl zuletzt zB EuGH, Rs C-71/04, Xunta de Galicia, Slg 2005, I-7419, Rz 40f mwN. Vgl zu den De minimis-GVO auch Kapitel IV.E, unten. Vgl zB EuGH, Rs C-351/98, Spanien/Kommission, Slg 2002, I-8031, Rz 63; Rs C-298/00 P, Italien/Kommission, Slg 2004, I-4087, Rz 54; EuG, Rs T-214/95, Vlaamse Gewest/Kommission, Slg 1998, II-717, Rz 49; Rs T-55/99, CETM, Slg 2000, II-3207, Rz 92.
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geringe Einzelbeträge vorsieht, potenziell aber sehr vielen oder allen nationalen Unternehmen eines Sektors offen steht, in einem Sektor mit einer hohen Zahl kleiner Unternehmen den Handel spürbar beeinträchtigen.300 Ungeachtet dieser Rsp hat der EuGH der Selbstbindung der Kommission an ihre Zusage, Beihilfen unterhalb der De minimis-Grenze nicht zu verfolgen, mehrfach Bindungswirkung zugesprochen.301 In der Praxis ist der strengere Prüfmaßstab des Gerichtshofes daher va im Vorabentscheidungsverfahren von Bedeutung. Trotz dieser geringen Aufgriffsschwellen für Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung gibt es eine Reihe von Beispielen, in denen va der Zwischenstaatsbezug verneint wurde. So hat die Kommission den grenzüberschreitenden Bezug in jüngerer Zeit etwa in Bezug auf einzelne niederländische Jachthäfen ohne Erwerbscharakter als nicht gegeben angesehen,302 ebenso für ein deutsches Freizeitbad mit einem Einzugsbereich von 50km,303 für die Instandsetzung des Brighton West Pier,304 für Zuschüsse für den Neu- oder Ausbau oder die Modernisierung bestimmter irischer Krankenhäuser,305 für den Bau von Rastplätzen für Fernfahrer auf Teneriffa,306 oder für rein lokal tätige Unternehmen aus bestimmten Sparten (Bau- und Gastgewerbe, Kraftfahrzeughandel, bestimmte Reparaturdienstleistungen, Taxidienstleistungen, Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen uä öffentliche Dienstleistungen) in benachteiligten Stadtvierteln.307
In prozessualer Hinsicht trifft die Kommission beim Nachweis der Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung keine Pflicht, die bereits eingetretenen oder drohenden Auswirkungen im Detail zu belegen, also den Markt abzugrenzen und die Marktstruktur und Wettbewerbsbeziehungen zu prüfen.308 Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung sind daher ausreichend belegt, wenn die Kommission in ihrer Entscheidung zumindest die konkreten Sachverhaltsumstände anführt, aus denen sich die Annahme, dass beides vorliegt, schlüssig ergibt.309
300
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308 309
Vgl EuGH, Rs C-71/04, Xunta de Galicia, Slg 2005, I-7419, Rz 43; C-351/98, Spanien/Kommission, Slg 2002, I-8031, Rz 64; Rs C-372/97, Italien/Kommission, Slg 2004, I-3679, Rz 57. Vgl zB EuGH, Rs C-351/98, Spanien/Kommission, Slg 2002, I-8031, Rz 53; Rs C-409/00, Spanien/Kommission, Slg 2003, I-1487, Rz 71; Rs C-382/99, Niederlande/Kommission, Slg 2002, I-5163, Rz 24f. KomE 2004/114/EG, Jachthäfen ohne Erwerbscharakter in den Niederlanden, Abl 2004 L 34/63, Rz 55. KomE N 258/2000, Freizeitbad Dorsten, Abl 2001 C 172/14, 16. KomE N 560/01 und NN 1702, Brighton West Pier, Abl 2002 C 239/2, 3. KomE N 543/01, Abschreibungen für irische Krankenhäuser, Abl 2002 C 154/3, 4. Vgl Pressemitteilung v 17. 7. 2002, IP/02/1081. Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an Unternehmen in benachteiligten Stadtvierteln, Abl 1997 C 146/6, Rz 11 (mittlerweile außer Kraft und dem allgemeinen Regime des Art 87 Abs 3 lit c eingegliedert, vgl Abl 2002 C 119/21, Tz 6). Vgl zB EuG, Rs T-298/97, T-312/97, T-313/97, T-315/97, T-600/97 bis 607/97, T-1/98, T-3/98 bis T-6/98 und T-23/98, Alzetta Mauro, Slg 2000, II-2319, Rz 95. StRsp, vgl etwa EuGH 23. 2. 2006, verbRs C-346/03 und C-529/03, Atzeni ua, noch nicht in Slg veröff, Rz 74; EuGH, Rs C-298/00 P, Italien/Kommission (‚Alzetta Mauro’), Slg 2004, I-4087, Rz 49; EuG, Rs T-55/99, CETM, Slg 2000, II-3207, Rz 100; EuGH, verbRs 296/82 und 318/92, Leeuwarder Papierwarenfabriek, Slg 1985, 809, Rz 24; Rs C-301/87, Frankreich/Kommission (‚Boussac’), Slg 1990, I-307, Rz 32f.
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Nach der Dezentralisierung der Kartell- und Missbrauchskontrolle durch VO 1/2003 und der Reform der Fusionskontrolle durch die neue FKVO 2004310 hat die Kommission nun die Reform des verbleibenden Teils des Wettbewerbskapitels, dh des Beihilferechts, in Aussicht gestellt.311 Beabsichtigt ist dabei ua „ein verfeinerter wirtschaftlicher Ansatz, damit die weniger wettbewerbsschädigenden Beihilfen leichter und schneller genehmigt werden können […] und damit sich die Kommission auf die Fälle konzentrieren kann, die den Wettbewerb und den Handel stärker zu beeinträchtigen drohen“.312 Ein Weg, diese Arbeitsentlastung herbeizuführen, ist es mehr Beihilfen von der Meldepflicht gem Art 88 auszunehmen, indem die Obergrenzen für De minimis-Beihilfen erhöht und weitere GVOs erlassen oder die bestehenden erweitert werden.313 Eine andere Möglichkeit bestünde darin, die Tatbestandselemente der Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung in Judikatur und Kommissionspraxis durch ein Anheben der Aufgriffsschwellen zu beleben, etwa indem Marktanalyse, Marktstruktur und Wettbewerbsbeziehungen ein höherer Stellenwert eingeräumt und der rein lokale Charakter von Unternehmenstätigkeiten großzügiger gehandhabt wird. Für welche Methode man sich die Kommission schlussendlich auch entscheidet, ist für die mittelfristige Entwicklung der Beihilfekontrolle (bis etwa 2009) in jedem Fall eine Aufwertung der Tatbestandselemente der Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung gegenüber dem status quo zu erwarten.
III. Österreichisches Förderungsrecht Die kompetenzrechtlichen Aspekte des österreichischen Förderungsrechts wurden bereits einleitend besprochen.314 Das vorliegende Kapitel stellt nun die Ausgestaltung dieses Rechtsbereichs nach Gewährungsgrundlagen und Gewährungspraxis näher dar. Aufgrund der schon betonten315 Unstimmigkeit zwischen EG-Beihilfebegriff und österreichischem Subventionsbegriff handelt es sich dabei allerdings nur um einen Teilaspekt der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeproblematik. Eine Beihilfe iSd Gemeinschaftsrechts kann auch dort vorliegen, wo die öffentliche Hand gar keine Förderung österreichischen Verständnisses gewähren wollte bzw ihr die Subventions- oder Beihilfeeigenschaft einer Maßnahme nicht erkennbar war.316
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VO 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, Abl 2003 L 1/1; VO 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Abl 2004 L 24/1. Vgl Aktionsplan Staatliche Beihilfen - Weniger und besser ausgerichtete staatliche Beihilfen; Roadmap zur Reform des Beihilferechts 2005-2009, abrufbar unter http://www.europa.eu.int/comm/competition/state_aid/others/action_plan/ saap_de.pdf; dazu Pressemitteilung v 7. 6. 2005, IP/05/680. Pressemitteilung IP/05/680 (FN 311). Vgl auch Aktionsplan (FN 311), Tz 35ff. Vgl zu diesem Kapitel auch die grundsätzlichen Ausführungen in Pkt I.B.2, oben. Vgl Kapitel I.B.1., oben. Vgl dazu Kapitel II.A., oben.
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A. Normen und Gewährungsmodalitäten Ein Gesetz, das allgemeine Fragen der Förderungsvergabe in Österreich horizontal regelt, besteht weder auf Bundes- noch auf Landesebene.317 Sämtliche vom Bund gewährten Förderungen (§ 20 Abs 5 BHG) sind aber im jährlichen Subventionsbericht der BReg (§ 54 BHG) ausgewiesen.318 Ein Teil dieser Förderungen ist gesetzlich geregelt (punktueller Regelungsansatz). So enthält schon das BHG selbst eine Reihe von Bestimmungen, die es dem BMF unter bestimmten Bedingungen ermöglichen, Dritten Vermögensvorteile zu gewähren, etwa Forderungen des Bundes (auch zinsfrei) zu stunden oder auf diese zu verzichten (§§ 61f BHG),319 Bundesvermögen zu schenken (§ 63 Abs 5 BHG; bis 400 € Wert) oder unentgeltlich zur Nutzung zu überlassen (§ 64 Abs 3a BHG) oder Bürgschaften und Garantien zu übernehmen (§ 66 BHG).320 Zahlreiche Gesetzesgrundlagen für die Gewährung von Förderungen finden sich aber auch bei Ökologie- und Agrarförderungen; hier sind va das UFG321 (Wasserwirtschaft, Betriebsökologie, Altlastensanierung, Klimaschutz), das LandwirtschaftsG322 und verwandte Förderbestimmungen323 (Landwirtschafsförderungen außerhalb der EG-Agrarförderung), das ForstG324 (allgemeine Maßnahmen, Waldbrandversicherungszuschuss), das ÖkostromG325 (Abnahme- und Vergütungspflichten, Kostenersatz), das FernwärmeG und das EnFG326 (Fernwärmeausbau, Förderung von Energieversorgungsunternehmen), das WBFG327 (betriebliche Abwassermaßnahmen uvm) und das ÖPNRV-G328 (Entgelte für gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste) zu nennen. Die Wirtschaftsförderung des Bundes ist ebenfalls vielfach gesetzlich geregelt. Hier werden einerseits punktuelle Förderungen durch die öffentliche Hand gewährt, beispielsweise über das AusfuhrförderungsG329 (Übernahme von Haftungen iZm Exportgeschäften), das NeuFöG330 (steuerliche Begünstigung von Neugründungen), das Hafeneinrichtungen-FörderungsG331 (Schuldenerlass für Donau-
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Vgl auch Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 849. Es bestehen aber allgemeine (Selbstbindungs-)Richtlinien der Verwaltung für die privatrechtsförmige Förderungsvergabe, dazu näher Kapitel III.C.2, unten. Zum Förderungsbegriff und dessen Abgrenzung gegenüber dem Beihilfebegriff bereits Kapitel I.B.2., oben. Vgl idZ auch § 236 BAO (idF BGBl I Nr 2005/161), wonach die Steuerbehörden fällige Abgabenschuldigkeiten nach Billigkeit nachsehen können. Erläuternd Kundmachung des BMF v 17. 12. 2004 über die Durchführung des Bundesfinanzgesetzes 2005, AÖF 2005/38, Pkte VII und IX. UmweltförderungsG 1993, BGBl Nr 1993/185, idF BGBl I Nr 2003/71. LandwirtschaftsG 1992, BGBl Nr 1992/375, idF BGBl Nr 1996/420. ZB TierversicherungsförderungsG 1969, BGBl 1969/442; HagelversicherungsFörderungsG 1995, BGBl 1955/64; StärkeförderungsG 1992, BGBl Nr 1992/378. §§ 143ff ForstG 1975, BGBl Nr 1975/440, idF BGBl I Nr 2002/59. § 13 ÖkostromG 2002, BGBl I Nr 2002/149. FernwärmeförderungsG 1982, BGBl Nr 1982/640; EnergieförderungsG 1979, BGBl Nr 1979/567, idF BGBl Nr 1994/80. WasserbautenförderungsG 1985, BGBl Nr 1985/148, idF BGBl I Nr 2003/82. §§ 26ff Öffentlicher Personennah- und RegionalverkehrsG 1999, BGBl Nr 1999/204. AusfuhrförderungsG 1981, BGBl 1981/215, idF BGBl I Nr 2000/63; vgl zur Beihilfeeigenschaft von Haftungsübernahmen die Nachweise in FN 121, oben. Neugründungs-FörderungsG 2000, BGBl I Nr 1999/106, idF BGBl I Nr 2004/180. Hafeneinrichtungen-FörderungsG 1974, BGBl Nr 1974/403, idF BGBl I Nr 2000/32.
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häfen) oder das Erdölbevorratungs-FörderungsG332 (Bürgschaften für Lagergesellschaften). Den Großteil der gewerblichen Förderung besorgt aber seit dem Jahr 2002 die Austria Wirtschaftsservice GmbH.333 Bei ihr sind im Prinzip der Vollzug der in einzelnen Bundesgesetzen334 vorgesehenen unternehmensbezogenen Wirtschaftsförderungen (Beschäftigungsvolumen, Innovationskraft, Strukturverbesserung usw) und die Erbringung von Finanzierungs- und Beratungsleistungen für die Wirtschaft gebündelt. Gemeinsam mit der Forschungsförderungsgesellschaft335 ist die Austria Wirtschaftsservice GmbH auch für die Abwicklung der F&E-Förderung im industriell-gewerblichen Bereich zuständig (Verbesserung von Produkten, Leistung, Verfahren, Qualität usw).336 Daneben sind noch zahlreiche andere Fördergegenstände bundesgesetzlich geregelt, beispielsweise Sport-, Gesundheits-, Presse-, Film-, Kunst- oder Volksgruppenförderung.337 Für einen beträchtlichen Teil der Subventionsvergaben des Bundes bestehen aber keine gesetzlichen Bestimmungen; hier wird von den anweisenden Bundesorganen (§ 5 Abs 2 BHG) nach allgemeinen Richtlinien gefördert.338 Ein ganz ähnliches Bild ergibt sich für die (nicht im Subventionsbericht enthaltenen) Subventionen der Länder und Gemeinden,339 die hier nicht eigens dargestellt werden.
Wie eine Subvention in Österreich effektiv durchgeführt wird, ist im Einzelfall unterschiedlich. Gesetzlich vorgesehene Förderungen können sowohl hoheitlich (mit Bescheid bzw über unmittelbar gesetzliche Finanzierung)340 als auch nicht-hoheitlich (über Förderungsverträge) zuerkannt werden.341 Ob eine Förderung im Wege der Hoheits- oder Privatwirtschaftsverwaltung durchzuführen ist, ergibt sich grundsätzlich aus dem jeweiligen Gesetz. Bei der Festlegung der einen oder anderen Gewährungsart ist der Gesetzgeber weitgehend frei.342 Auch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht sind beide Förderarten grund332 333 334
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Haftungsübernahme-Erdölbevorratungs-FörderungsG 1977, BGBl Nr 1977/161, idF BGBl I Nr 1998/79. Vgl Austria Wirtschaftsservice-G 2002, BGBl I Nr 2002/130, idF BGBl I Nr 2004/119. Insbesondere KMU-FörderungsG 1996, BGBl 1996/432; GarantieG 1977, BGBl 1977/296; §§ 27 Abs 1 lit a, 35 Abs 1 lit a und 51a Abs 3 ArbeitsmarktförderungsG 1969, BGBl Nr 1969/31; ERP-Fonds-G 1962, BGBl 1962/207; näher § 2 Abs 2 Austria Wirtschaftsservice-G (FN 333). Vgl Österreichische ForschungsförderungsgesellschaftmbH-ErrichtungsG 2004, BGBl I Nr 2004/73. Vgl §§ 4 und 16aff Forschungs- und TechnologieförderungsG 1982, BGBl Nr 1982/434, idF BGBl I Nr 2004/73. Bundes-SportförderungsG 2005, BGBl I Nr 2005/143; GesundheitsförderungsG 1998, BGBl I Nr 1998/51; PresseförderungsG 2004, BGBl I Nr 2003/136; FilmförderungsG 1980, BGBl Nr 1980/557; KunstförderungsG 1988, BGBl Nr 1988/146; §§ 8ff VolksgruppenG 1976, BGBl Nr 1976/396; ein Rechtsanspruch auf Volksgruppenförderung besteht aber nicht, vgl OGH 26. 6. 1983, 1 Ob 681/83. Zu den Förderrichtlinien näher in Kapitel III.C.2, unten; vgl auch Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 806. Vgl zB für Kärnten WirtschaftsförderungsG 1993, LGBl 1993/6; RettungsdienstFörderungsG 1992, LGBl 96/1992; KulturförderungsG 2001, LGBl 2002/45; WohnbauförderungsG 1997, LGBl 1997/60. Vgl idS Potacs, Rechtsschutzfragen 92. Vgl dazu auch Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 844ff; Rebhahn, Grundlagen, 4f. Die Grenzen liegen im Rechtsschutz und der Kompetenzverteilung, vgl Korinek/ Holoubek, ÖZW 1995, 12f; Korinek/Holoubek, Grundlagen, 184ff; näher auch Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 844; Raschauer, Rahmenbedingungen, 28f. Der Voll-
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sätzlich zulässig, uzw auch dort, wo die Förderung der Ausführung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben dient.343 Hat der Gesetzgeber die privatrechtsförmige oder hoheitliche Art der Gewährung nicht eindeutig festlegt, ist eine gesetzlich vorgesehene Förderung im Zweifel privatrechtlich durchzuführen (Zweifelsregel).344 Auch soweit keine gesetzliche Grundlage für eine Förderung vorliegt, das Organ also nur aufgrund allgemeiner Richtlinien handelt, scheidet eine hoheitliche Gewährung nach dem Legalitätsprinzip jedenfalls aus;345 die öffentliche Hand muss dann mit Vertrag (bzw Auslobung) vorgehen. Manche Gesetze sehen eine Auslagerung der Förderungsgewährung vor.346 Die zuständige Behörde (iaR: BM) betraut dabei einen Subventionsmittler (sog Abwicklungsstelle; zB Consultingunternehmen, Bank, Fonds) mit der Abwicklung der Förderungen nach dem betreffenden Gesetz. Die Betrauung erfolgt typischerweise im Vertragsweg und gegen Entgelt. Ist eine Abwicklungsstelle zwischengeschaltet, so ist das Verfahren der Förderungsgewährung zweidimensional: Die Abwicklungsstelle übernimmt die Kommunikation mit dem Subventionswerber, dh die Entgegennahme der Ansuchen, deren formale Prüfung und allfällige Ergänzung. Der Behörde steht demgegenüber grundsätzlich Entscheidungsbefugnis über die Gewährung der Förderung zu, wobei die Abwicklungsstelle aber häufig eine Empfehlung abgeben bzw in Bezug auf geringe Förderungen überhaupt selbst entscheiden kann. In diesem Verfahren können ein einheitliches oder zwei getrennte Rechtsverhältnisse mit dem Subventionswerber entstehen, je nachdem, wie die Aufgabenverteilung zwischen Behörde und Abwicklungsstelle gelagert ist. Dabei kann auch jeweils eines der Rechtsverhältnisse hoheitliche bzw privatrechtliche Form (öffentlich-rechtliche Bewilligung durch die Behörde gegenüber privatrechtlicher Ausgestaltung im Vertrag mit der Abwicklungsstelle) annehmen. Diese, in Deutschland entwickelte,347 Zwei-Stufen-Lösung sollte im Interesse des Förderungswerbers, für den sich daraus va Rechtsschutzprobleme ergeben, aber eher vermieden werden.348 Nur ausnahmsweise scheint bei Subventionsmittlern die Annahme zweier selbständiger Rechtsbeziehungen gerechtfertigt; so va wenn die Abwicklungsstelle im Rahmen von bei Darlehen, Bürgschaften oder sonstigen Garan-
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ziehung kommt kein Wahlrecht in Bezug auf die Vorgangsweise zu, vgl zB OGH 26. 1. 2000, 7 Ob 187/99x. Vgl EuGH, Rs C-336/00, Huber, Slg 2002, I-7699, Rz 61f (betreffend privatrechtsförmige Förderungen nach der ÖPUL-Richtlinie). So zB VfSlg 12.049/1989; OGH 28. 3. 2000, 1 Ob 69/00d; 21. 9. 1993, 1 Ob 18/93, mit Anm v Schuster wbl 1994. Eine Ausnahme bilden Subventionen im Anwendungsbereich des Art 137 B-VG, näher Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 845 mwN. Vgl zB OGH v 21. 9. 1993, 1 Ob 18/93, mit Anm v Schuster in wbl 1994; näher auch Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 844f. So etwa §§ 11 und 46 UFG (FN 321), dazu BGBl II Nr 2003/460; § 3 und 5 KMUFörderungsG (FN 334), dazu BGBl I Nr 2002/130; § 28 AMA-G 1992 (idF BGBl I Nr 2001/108); näher auch Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 846 und 853ff; Kalss, ÖZW 1996, 54. Näher zB Stelkens/Stelkens, § 35 VwVfG, Rz 72ff; Gehrlein, § 311, Rz 29f. IdS auch Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 846; Dickersbach, NVwZ 1993, 849; Stelkens/Stelkens, § 35 VwVfG, Rz 72a; Oldiges, NVwZ 2001, 630.
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tieverträgen nur als Botin oder Bevollmächtigte (auf Seiten der Behörde oder des Subventionswerbers) auftritt.349
B. Grundrechtliche Eingriffe durch Subventionen, Gleichbehandlungsgebot und Grenzen der Gleichbehandlung Der Gesetzgeber und alle Vollzugsorgane sind bei der Förderungsgewährung umfassend an die Grundrechte gebunden, uzw unabhängig davon, ob eine Förderung auf Gesetz oder auf Verwaltungsrichtlinien beruht sowie ob sie hoheitlich oder bloß privatrechtsförmig vorgenommen wird.350 Im Stadium der Förderungsgewährung schützen die Grundrechte die Interessen nicht geförderter Konkurrenten. Hier dürfte zunächst eine existenzbedrohende Verdrängung privater Erwerbstätigkeit durch öffentliche Mittel das Grundrecht der Erwerbsfreiheit beeinträchtigen.351 So stellte der OGH mit Blick auf die mögliche Sittenwidrigkeit einer Subventionsgewährung nach § 1 UWG fest, wettbewerbsrechtliche Beschränkungen für den Marktzutritt der öffentlichen Hand „werden nur für den Fall für zulässig gehalten, dass die nicht gebotene Betätigung der öffentlichen Hand den Bestand des Leistungswettbewerbs gefährdet.“352 Wenn (privatrechtsförmige)353 Förderungen Mitbewerber daher lediglich in dem Ausmaß benachteiligen, das den herkömmlichen Konkurrenzverhältnissen privater Unternehmen entspricht, so liegt keine Sittenwidrigkeit (und damit auch keine Beeinträchtigung der Erwerbsfreiheit) vor.354 Insbesondere die Subventionierung kleinerer Unternehmen eines heterogenen Marktes dürfte damit aus Sicht der Erwerbsfreiheit unbedenklich sein. Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, der die selektive Förderung von Betrieben oder Wirtschaftstätigkeiten einem allgemeinen Sachlichkeitsgebot unterwirft.355 Da der Verfassungsgerichtshof in Bereichen der Förderungsverwaltung allerdings (jedenfalls für den Gesetzgeber) einen weiten politischen Gestaltungsspielraum anerkennt,356 wird es Konkurrenten zumeist schwer fallen, eine Subventionsvergabe aus Gründen mangelnder Sachlichkeit erfolgreich zu bekämpfen.
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Vgl Stelkens/Stelkens, § 35 VwVfG, Rz 72c mwN; Oldiges, NVwZ 2001, 630; Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 847. Vgl zB OGH 26. 1. 1995, 6 Ob 514/95, mit Anm v Kalss in ÖZW 1996; OGH 24. 11. 1988, 6 Ob 694/88, mit Anm v Ohms in JBl 1990; näher auch Rüffler, JBl 2005, 411f; Raschauer, Allgemeiner Teil, Rz 172ff; Raschauer, Rahmenbedingungen, 31f. So Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 851; ähnlich Raschauer, Allgemeiner Teil, Rz 178. OGH 16. 7. 2002, 4 Ob 71/02y, 4 Ob 72/02w. Bei hoheitlichen Subventionen ist das UWG gegenüber der öffentlichen Hand nicht anwendbar, vgl näher Kapitel V.C.4.c., unten. Vgl OGH 18. 5. 1999, 4 Ob 124/99k. Ausführlich zB Raschauer, Allgemeiner Teil, Rz 163ff. Dazu Raschauer, Rahmenbedingungen, 30f mwN.
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Auch deswegen stellt sich in der Praxis häufig die Frage, ob bzw wann ein Anspruch auf Ausweitung der Förderung besteht. Hier ist ebenfalls der Gleichheitssatz heranzuziehen. Nach in der österreichischen Judikatur und dem Schrifttum nunmehr herrschender Ansicht darf der fördernde Staat einem Unternehmen eine Subvention nicht vorenthalten, wenn dieses die (wenn auch nur implizit) festgelegten Förderkriterien erfüllt (Gleichbehandlungsgrundsatz).357 Der OGH hat dies wiefolgt formuliert: „Hat sich […] eine Gebietskörperschaft in einem Selbstbindungsgesetz zur Leistung unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, so ist sie von Gesetzes wegen angehalten, diese Leistung jedermann, der diese Voraussetzungen erfüllt, zu erbringen, wenn sie eine solche Leistung in anderen Einzelfällen bereits erbracht hat. Auf eine solche Leistung besteht […] ein klagbarer Anspruch.“358 „Der Förderungsgeber tritt mit Beginn des Verteilungsvorgangs gegenüber allen, die nach dem vorgegebenen Förderungsziel abstrakt als Empfänger in Betracht kommen, in ein der Art nach dem vorvertraglichen Schuldverhältnis vergleichbares - gesetzliches Schuldverhältnis[.] Die Einhaltung [des Gleichbehandlungsgrundsatzes] ist unabdingbar und auch im Fall der privatrechtlichen Ausgestaltung des Verteilungsvorgangs zum Schutz der Leistungsempfänger einer privatautonomen Regelung zu deren Nachteil entzogen“.359 Nach österreichischem Recht besteht damit also grundsätzlich Gleichbehandlungs- bzw Kontrahierungspflicht, die im Weg der sog positiven Konkurrentenklage360 geltend gemacht werden kann.361 Die Kontrahierungspflicht im privatrechtlichen Förderungsverhältnis wird mit der faktischen Übermacht der öffentlichen Hand (Monopolstellung) begründet, die dazu führt, dass ein Nichtkontrahieren ohne sachliche Rechtfertigung als Verstoß gegen die guten Sitten zu werten wäre.362 Die Gründe, aus denen die Förderung mangels Erfüllung der Voraussetzungen im Einzelfall zulässiger Weise verweigert werden darf, sind streng am Förderungszweck auszurichten:363 „Die bloße Berufung auf die in den Richtlinien festgehaltene Tatsache, daß kein Rechtsanspruch auf Förderung bestehe, allein ohne Vorliegen einer objektiv sachlich gerechtfertigten Differenzierung, die nach dem Sinn und Zweck des Förderungszieles zu beurteilen ist, genügt nicht.“364 Lässt sich eine sachliche Rechtfertigung für den 357 358 359 360
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Vgl Rebhahn, Grundlagen, 5 mwN; Raschauer, Rahmenbedingungen, 33ff. OGH 21. 6. 2004, 10 Ob 23/03k; vgl auch 27. 8. 2003, 9 Ob 71/03m. OGH 9. 5. 2001, 9 Ob 95/01p. Daneben bestehen aufgrund der §§ 1 und 15 UWG auch Unterlassungs- bzw Beseitigungsansprüche als Gegenstand der sog negativen Konkurrentenklage, vgl zB Rüffler, JBl 2005, 414f. Vgl Rüffler, JBl 2005, 412f; Raschauer, Rahmenbedingungen, 33ff; Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 874f. Vgl zB OGH 26. 1. 1995, 6 Ob 514/95, mit Anm v Kalss in ÖZW 1996; OGH 9. 5. 2001, 9 Ob 95/01p. Vgl auch Raschauer, Rahmenbedingungen, 33. OGH 26. 1. 1995, 6 Ob 514/95, mit Anm v Kalss in ÖZW 1996; idS auch OGH 21. 6. 2004, 10 Ob 23/03k; 27. 8. 2003, 9 Ob 71/03m; 24. 2. 2003, 1 Ob 272/02k. Zu den damit verbundenen Beurteilungsproblemen krit Rüffler, JBl 2005, 412ff. Zur Ermessensbeschränkung bei auch privatrechtsförmiger Förderung allgemein Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 859ff.
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Ausschluss des nicht begünstigten Dritten nicht finden, ist die Förderung somit auf den Subventionswerber auszuweiten. Dies bedeutet aber nicht, dass jeder Förderungswerber unbedingt mit gleichen Beträgen zu unterstützen ist; auch hier ist sachadäquat zu differenzieren.365 Die Gleichbehandlungs- bzw Kontrahierungspflicht unterliegt freilich Grenzen; sie kommt nur zum Tragen, soweit die Gewährung der ursprünglichen Förderung rechtmäßig war, also insbesondere weder nationalem Verfassungsrecht noch dem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Eine Gleichbehandlung im Unrecht ist sowohl nach österreichischem Recht366 als auch nach Gemeinschaftsrecht367 ausgeschlossen. Unzulässig ist daher insbesondere eine rückwirkende Ausweitung einer nach Art 87 Abs 1 tatbestandsmäßigen Beihilfe; eine rückwirkende Änderung der Maßnahme muss stets (dh selbst wenn die ursprüngliche Maßnahme von der Kommission genehmigt wurde) dem Durchführungsverbot des Art 88 Abs 3 letzter Satz widersprechen. Eine solche Konstellation verdeutlicht der Fall der österreichischen Energieabgabenvergütung. Hier hatte der VfGH zunächst versucht, die vom EuGH im Urteil AdriaWien368 festgestellte Beihilfe durch rückwirkende Ausweitung der Vergütung auf alle Unternehmen unabhängig von ihrer Wirtschaftstätigkeit zu beseitigen.369 Der idF befasste VwGH hegte gegen die vom VfGH in Bezug auf die Energieabgabenvergütung bezogene Position mehrere gemeinschaftsrechtliche Bedenken, darunter auch zur Möglichkeit einer Beseitigung der Beihilfe durch rückwirkende Ausweitung. Mit seinen SA zum Vorabentscheidungsersuchen des VwGH in der Rs Transalpine erteilte GA Jacobs, in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Kommission, der Möglichkeit eine generelle Absage, eine Beihilfe durch Ausweitung des Empfängerkreises zu beheben.370 Verkürzend zusammengefasst ist der GA iW der Ansicht, die rückwirkende Ausweitung laufe va den Zielen des Durchführungsverbots zuwider. Dies ist mE auch zutreffend: Das Prinzip der „Aufhebung einer rechtswidrigen Beihilfe durch Rückforderung [als] logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit“371 ist zur Wirksamkeit des Durchführungsverbots unverzichtbar. Ebenso wie die Kommission aus diesem Grund eine rechtswidrige Beihilfe nicht durch rückwirkende Genehmigung heilen kann,372 kommt auch eine rückwirkende Beseitigung der Tatbestandsmäßigkeit der Beihilfe 365 366
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Vgl Kalss, ÖZW 1996, 54; Korinek/Holoubek, ÖZW 1995, 116. Kein Recht auf gleiches behördliches Fehlverhalten, vgl etwa VfGH 26. 11. 1990, B 259/90; ebenso im deutschen Subventionsrecht (keine Gleichbehandlung im Unrecht), vgl Oldiges, NVwZ 2001, 286. Gebot rechtmäßigen Handelns, vgl zB EuGH, Rs 188/83, Herrmann Witte, Slg 1984, 3465, Rz 15; Rs 134/84, Calvin E. Williams, Slg 1985, 2225, Rz 14; EuG, Rs T-347/94, Mayr-Melnhof, Slg 1998, II-1751, Rz 334; Rs T-63/98, Transpo Maastricht BV, Slg 2000, II-135, Rz 98. Leicht abweichend für den Bereich der Geschlechterdiskriminierung in der Sozialversicherung allerdings EuGH, Rs C-377/89, Cotter und McDermott, Slg 1991, I-1155, Rz 22. EuGH, Rs C-143/99, Adria-Wien Pipeline, Slg 2001, I-8365. VfGH 13. 12. 2001, B 2251/97; zusammenfassend Jaeger, ZfV 2003, 646. SA 29. 11. 2005, Rs C-368/04, Transalpine Ölleitung, noch nicht in Slg veröff, Rz 75ff. EuGH, Rs C-66/02, Italien/Kommission (‚Italienische Bankenstiftungen’), Slg 2005, I-10901, Rz 113; stRsp. Vgl EuGH, verbRs C-261/01 und C-262/01, van Calster, Slg 2003, I-12249, Rz 61f und 73ff; ebenso SA 29. 11. 2005, Rs C-368/04, Transalpine Ölleitung, noch nicht in Slg veröff, Rz 49ff.
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durch Änderung eines ihrer Tatbestandsmerkmale (Selektivität) nicht in Frage. Eine Ausweitung rechtswidriger Beihilfen zur Beseitigung der Selektivität bewirkt daher lediglich zusätzliche rechtswidrige Beihilfen, nicht aber eine Sanierung der alten Rechtslage. Zulässig ist dagegen eine Ausweitung der Zuwendung für die Zukunft, wenn dadurch tatsächlich jede Selektivität beseitigt wird; die Maßnahme unterliegt dann nicht mehr dem Beihilfetatbestand.
C. Privatrechtsförmige Förderungsgewährung 1. Allgemeines Förderungen werden in Österreich überwiegend mit den Mitteln des Privatrechts gewährt.373 Ist die Förderungsbefugnis im Gesetz nicht „in deutlich erkennbarer Weise eingeräumt“,374 muss eine Behörde sogar privatrechtlich vorgehen; ebenso bei Zweifeln über die gesetzliche Einräumung.375 In Frage kommen dabei typischerweise zweiseitige (Vertrag), entgeltliche Rechtsgeschäfte, weniger häufig sind einseitige (Auslobung) oder unentgeltliche (Aufwandsersatz, Schenkung) Rechtsgeschäfte.376 Für Österreich typische Förderungsverträge lassen sich damit als synallagmatische oder konditionale (seltener auch: kausale) Verknüpfung bei nicht marktkonformem Entgelt beschreiben.377 Auf sie ist Privatrecht anzuwenden, für Streitigkeiten aus den Förderverträgen sind die ordentlichen Gerichte zuständig. Das ABGB determiniert alle Aspekte des Förderungsvertrages, etwa Zustandekommen, Vertretungsbefugnis, Auslegung, Beendigung, Haftung, Rückabwicklung udgl.378 Entsprechend nimmt der OGH an, dass bereits vor Abschluss eines Förderungsvertrages ein vorvertragliches Schuldverhältnis besteht, das inhaltlich durch Gleichheitssatz und Sachlichkeitsgebot determiniert ist.379 Das vorvertragliche Schuldverhältnis entsteht mit der Aufnahme des Kontakts und verpflichtet nicht zum Abschluss des Geschäfts selbst, sondern nur zu gegenseitiger Rücksichtnahme bei der Vorbereitung und dem Abschluss des Geschäfts; die Pflichten bestehen unabhängig vom Zustandekommen des Vertrags.380 Die öffentliche Hand verletzt diese vorvertraglichen Pflichten etwa dadurch, dass im Fall unübersichtlicher Förderungsbedingungen keine ausreichenden Informationen zur Verfügung gestellt werden381 oder dadurch, dass über einen Antrag überhaupt nicht entschieden wird.382 Eine Auslobung oder ähnlich unbedingte Zusicherung der Förderung durch (Selbstbindungs-)Gesetz ist als verbindliches Angebot der öffentlichen 373 374 375 376 377 378 379 380 381 382
So Rüffler, Rechtsfolgen, 141, 142 und 144; Rebhahn, Grundlagen, 4; Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 844; Potacs, Rechtsschutzfragen, 91. OGH 21. 9. 1993, 1 Ob 18/93, mit Anm v Schuster in wbl 1994, 202. Vgl dazu auch Kapitel III.A., oben. Vgl Brunner, ÖZW 1988, 7f; Kalss, ÖZW 1996, 54; Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 866. Vgl näher Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 866. Vgl auch Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 856f. Vgl zB OGH 12. 3. 1996, 4 Ob 1529/96; 26. 1. 2000, 7 Ob 187/99x; 26. 1. 1995, 6 Ob 514/95, mit Anm v Kalss in ÖZW 1996. Vgl zB Kalss, ÖZW 1996, 54. Vgl OGH 26. 1. 2000, 7 Ob 187/99x. Dazu Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 857 mwN.
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Hand anzusehen, der Vertrag kommt dann mit Annahme der Zusicherung durch den Förderungswerber zustande.383 Beim Vertragsabschluss wird auf den Empfängerhorizont eines redlichen Erklärungsempfängers abgestellt, sodass die jeweiligen Förderungsbestimmungen mangels ausdrücklicher Abweichung Vertragsinhalt werden.384 Umgekehrt werden Erlässe, die dem Vertragspartner nicht bekannt sind sowie nicht bekannt gegebene Absprachen über die Aufteilung der Förderungsaufgaben mit anderen Gebietskörperschaften nicht Vertragsinhalt.385 Im Schrifttum wurde ein noch weitergehender Schutz der Förderungswerber und eine analoge Anwendung der Grundsätze zur Einbeziehung von AGB gefordert.386
Soweit nichts anderes Vertragsinhalt wurde, gilt das ABGB damit auch für die Durchführung des Förderungsvertrages. Der Förderungsempfänger kann als Hauptpflicht subventionsgerechtes Verhalten, ausnahmsweise aber auch die Verwirklichung eines Erfolges schulden. Sind Dokumentations-, Informationsoder Rechnungslegungspflichten oder die Duldung von Aufsichtsrechten nicht ohnedies schon Hauptpflichten (subventionsgerechtes Verhalten), so können sie Nebenpflichten des Förderungsempfängers darstellen.387 Welche Pflichten konkret bestehen, ergibt sich mangels Abrede oder Verweis anhand der herkömmlichen Vertragsauslegungsregeln. Erbringt der Förderungsempfänger das subventionsgerechte Verhalten nicht, so kommen von den Nichterfüllungssanktionen des ABGB iW (Teil-)Rücktritt bzw Rückforderung seitens der öffentlichen Hand in Betracht.388 Der OGH lässt die Rückforderung insbesondere in Fällen der Erschleichung und der zweckwidrigen Verwendung der Fördergelder zu.389 Erfüllt der Förderer seine vertraglichen Zusagen nicht, so ist dem Förderungsempfänger das Erfüllungsinteresse zu ersetzen.390 Bei (Teil)Nichtigkeit des Förderungsvertrages (zB bei Verletzung des Durchführungsverbotes oder Verstoß gegen nationales zwingendes Recht) bestimmen sich die Rechtsfolgen mangels besonderer Regelung durch geltungserhaltende Reduktion des Vertrags.391 Ist vom aufgelösten, angepassten oder nichtigen Förderungsvertrag ein weiterer Vertrag (der des geförderten Geschäfts) abhängig, so ist dessen Weiterbestand nach den Grundsätzen von Irrtum und Wegfall der Geschäftsgrundlage zu bestimmen.
383 384 385 386 387 388 389 390 391
Vgl OGH 30. 7. 1996, 7 Ob 556/95; 24. 11. 1988, 6 Ob 694/88, mit Anm v Ohms in JBl 1990; 26. 1. 2000, 7 Ob 187/99x. Vgl zB OGH 27. 5. 1992, 2 Ob 594/91; 25. 1. 1995, 3 Ob 505/95; 26. 1. 2000, 7 Ob 187/99x. Vgl OGH 26. 1. 2000, 7 Ob 187/99x; 25. 1. 1995, 3 Ob 505/95; 29. 3. 1994, 1 Ob 27/94. Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 858. Näher Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 848 und 865. Vgl zB OGH 27. 5. 1992, 2 Ob 594/91. Vgl OGH 26. 1. 1995, 6 Ob 514/95, mit Anm v Kalss in ÖZW 1996; krit Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 867. Vgl Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 866. Ausführlich zB Roninger/Maier, Vertragsgestaltung, 127 und 129ff; Rüffler, Rechtsfolgen, 167ff.
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2. Die Allgemeinen Rahmenrichtlinien für Bundesförderungen (ARR) Bereits im Jahr 1977 erließ die BReg erste einheitliche ARR,392 die nach mehreren Überarbeitungen nunmehr durch die ARR 2004 ersetzt wurden. Die ARR regeln die privatrechtsförmige Gewährung von Förderungen aus Bundesmitteln, gleich ob diese auf gesetzlicher Grundlage erfolgt oder ob sie ohne nähere gesetzliche Determinierung gewährt wird. Soweit ein Gesetz die Modalitäten privatrechtsförmiger Förderung näher regelt, geht dies den ARR allerdings vor (§ 5 ARR). Die hoheitliche Gewährung von Förderungen richtet sich dagegen nicht nach den ARR, sondern nach dem jeweiligen Bundesgesetz. Ausgenommen sind auch Haftungsübernahmen durch den Bund, Sachförderungen und Leistungen zwischen Gebietskörperschaften. Die (Nicht-)Einhaltung der in den ARR (oder den einschlägigen Sonderrichtlinien)393 festgelegten Grundsätze dürfte Förderungswerbern und deren Konkurrenten in vielen Fällen einen unmittelbar klagbaren Anspruch verleihen. Zwar handelt es sich bei den ARR zunächst nur um eine Verwaltungsverordnung ohne Drittwirkung,394 doch ist die öffentliche Hand bei der Gewährung von Förderungen, wie gezeigt,395 umfassend an das Gleichbehandlungsgebot gebunden. Daraus ergibt sich zugunsten nicht berücksichtigter Förderungswerber eine aus § 1 UWG abgeleitete Kontrahierungspflicht.396 Wird ein Förderungswerber daher entgegen den ARR abweichend bzw ungleich behandelt, kann darin einerseits eine Verletzung der Gleichbehandlungspflicht liegen (auf die sich der Förderungswerber bei Abweichungen zu seinen Ungunsten berufen kann), sowie andererseits eine Sittenwidrigkeit nach § 1 UWG (auf die sich Konkurrenten bei Abweichungen zugunsten des Förderungswerbers berufen können). Vorausgesetzt ist freilich, dass die Abweichung nicht objektiv gerechtfertigt, also unsachlich ist. Die ARR sehen vor, dass Förderungen unterhalb der in den Durchführungsbestimmungen zum jeweiligen Bundesfinanzgesetz für einzelne Förderarten festgelegten Beträge von jedem anweisenden Organ des Bundes (§ 5 Abs 2 BHG) alleine gewährt werden können; bei Überschreiten der Wertgrenzen ist die Zustimmung des BMF erforderlich. Wird diese binnen einer angemessenen Frist nicht oder ausdrücklich verweigert, kann die Angelegenheit der BReg zur Entscheidung übertragen werden.397 Da das Ziel der Förderungspolitik des Bundes die „Hilfe zur Selbsthilfe“ (§ 2 ARR) ist, müssten über den Anreizeffekt hinausgehende Förderungen als unzulässig angesehen werden. Beim Förderungsbetrag sind außerdem allfällige wirtschaftliche Vorteile des Förderungsempfängers aus der geförderten Leistung zu berücksichtigen, die öffentliche Hand hat hier aber nach Billigkeit zu entscheiden (§ 17 ARR). Au392 393 394 395 396 397
Zu diesen Brunner, ÖZW 1988, passim. Dazu Kapitel III.D., unten. Ebenso in Bezug auf die ARR 1977 Brunner, ÖZW 1988, Pkt III. Vgl Kapitel III.B., oben. Vgl besonders OGH 26. 1. 1995, 6 Ob 514/95, mit Anm v Kalss in ÖZW 1996; OGH 9. 5. 2001, 9 Ob 95/01p. §§ 8 und 12 ARR iVm § 5 Abs 3 letzter Satz BundesministerienG 1986, BGBl Nr 1986/76.
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ßerdem kann eine Abschöpfung von Gewinnen aus der geförderten Leistung vereinbart werden (§ 33 ARR). Förderungen nach den ARR können entweder für eine einzelne abgegrenzte, zeitlich und sachlich bestimmte Leistung (Einzelförderung) oder zur Deckung von Fehlbeträgen der Gesamttätigkeit eines Förderungswerbers innerhalb eines im Förderungsvertrag bestimmten Zeitraumes (Gesamtförderung) gewährt werden. Grundsätzlich besteht kein Rechtsanspruch auf den Erhalt einer Förderung (§ 6 ARR), die Gewährung liegt also prinzipiell im Ermessen der öffentlichen Hand.398 Eine Leistung ist förderungswürdig, wenn an ihr ein erhebliches öffentliches Interesse besteht (Gemeinwohl; internationales Ansehen; geistiger, körperlicher, kultureller, sozialer oder wirtschaftlicher Fortschritt); bei Gesamtförderungen muss die Bundesförderung für das Vorhaben zudem unerlässlich sein (§ 16 Z 2 ARR). Als Förderungsempfänger kommen nur natürliche oder juristische Personen in Betracht, bei denen keine Zweifel an den fachlichen und geschäftsführerischen Fähigkeiten bestehen (§ 14 ARR). Zum Erhalt der Förderung hat der Förderungswerber bei der fördernden Stelle ein Ansuchen samt Finanzierungsplan einzureichen. Die fördernde Stelle erstellt auf dieser Grundlage ein Angebot, sodass der Förderungsvertrag erst mit dessen Annahme durch den Förderungswerber zustande kommt (§ 20 ARR). Über die Tauglichkeit des Förderungsersuchens entscheidet die fördernde Stelle nach Ermessen, doch ergibt sich, wie ausgeführt,399 aufgrund des Gleichbehandlungsgebots in vielen Fällen ein Kontrahierungszwang. Die Ablehnung eines Förderungsansuchens hat schriftlich unter Mitteilung der dafür maßgeblichen Gründe zu erfolgen (§ 20 Abs 4 ARR). Äußert sich die fördernde Stelle zu einem Förderungsersuchen überhaupt nicht, so kann dies eine vorvertragliche Haftung begründen.400
Der Förderungsvertrag muss zeitlich befristet sein (§ 19 ARR) und ist mit zur Sicherstellung des Förderungserfolges notwendigen Auflagen und Bedingungen zu versehen (§ 21 ARR), insbesondere mit solchen, die eine Kontrolle und Evaluierung der geförderten Leistung zulassen. Über die Durchführung der geförderten Leistung ist daher auch ein Sachbericht mit Verwendungsnachweis der Gelder zu erstellen, bei mehrjährigen Verträgen auch Zwischenberichte (§§ 23ff ARR). Eine Rückforderung der Förderung durch die öffentliche Hand kann sich insbesondere auf die Verletzung von Berichts- und Kontrollklauseln gründen (vgl § 22 Abs 1 ARR). Von Bedeutung für die Gültigkeit und Durchführung des Vertrages ist aber auch das Gemeinschaftsrecht. § 42 ARR weist besonders auf den Vorbehalt der Vereinbarkeit jeder Förderung im Rahmen der ARR mit dem Beihilfeverbot hin. Nach Art 88 Abs 3 letzter Satz darf daher eine Förderung nach den ARR, die den Beihilfetatbestand des Art 87 Abs 1 erfüllt, nicht durchgeführt werden, ohne der Kommission angezeigt und von dieser genehmigt worden zu sein. Dies bedeutet, dass die Pflichten aus einem Fördervertrag solange ruhen und kein Teil mit der Leistung beginnen darf, bis die Genehmigung der Kommission vorliegt.
Die ARR erlauben schließlich auch den Erlass von Sonderrichtlinien für Gruppen von Vorhaben (ressortspezifische Fördersparten), deren besondere Merkmale Abweichungen von den ARR erfordern (§§ 40f ARR). Sie sind im Einvernehmen mit dem BMF zu erstellen, dem Rechnungshof zur Kenntnis zu bringen und müssen im Amtsblatt zur Wiener Zeitung und der Website des jeweiligen Ministeriums veröffentlicht werden. Diese strengen Publizitätspflichten für von den ARR abweichende Förderricht398 399 400
Vgl aber Kapitel III.B., oben. Vgl Kapitel III.B., oben. Vgl Kapitel III.C.1., oben.
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linien betonen die hier argumentierte401 Bedeutung des Schutzes von Förderungswerbern und Dritten bei der Durchführung von Förderungen.
D. Öffentlich-rechtliche Förderungsgewährung Die öffentlich-rechtliche Förderungsgewährung bildet in Österreich gegenüber der privatrechtsförmigen die Ausnahme.402 Sie findet sich besonders häufig im Bereich der Sozialförderungen für Verbraucher (zB Familien-, Schüler- oder Studienbeihilfen), doch sind diese EG-beihilferechtlich zumeist irrelevant.403 Beispiele aus dem EG-beihilferechtlich relevanten Bereich der Förderung von Unternehmen sind va die Agrarmarktförderungen der AMA,404 die zT im öffentlich-rechtlichen Verhältnis gewährt werden. So erlässt die AMA als Marktordnungsstelle bei Förderungen aus EU-Geldern iaR Förderungsbescheide (vgl va die einheitliche Betriebsprämie, die eine Anzahl an Einzelförderungen umfasst),405 während für national kofinanzierte Förderungen typischerweise Verträge mit den Förderungswerbern abgeschlossen werden (zB ÖPUL-Prämien, Lagerhaltungsbeihilfen, Förderungen für benachteiligte Gebiete und ländliche Entwicklung; ebenso: Beauftragung der AMA Tochtergesellschaften durch die AMA). Auch Ausfuhrerstattungen aus EU-Geldern werden von den Zollbehörden mit Bescheid gewährt.406 Einen Grenzbereich der EG-beihilferechtlichen Relevanz nehmen zB Subventionen an Privatschulen ein, die ebenfalls mit Bescheid gewährt werden.407 Das Beispiel der Privatschulförderung verdeutlicht auch, dass die Frage, ob eine Zuwendung öffentlichrechtlich oder privatrechtsförmig zu gewähren ist, für manche Gesetze erst im Rechtsweg verlässlich beantwortet werden kann.408 Auch hinsichtlich des Gewährungsverfahrens ist Beispiel der Privatschulen bemerkenswert, die Konkretisierung der Förderung erfolgt hier nämlich in drei Stufen: Als erstes hat der Bundesfinanzgesetzgeber die Zurverfügungstellung der Mittel zu beschließen, die zweite Stufe bildet die generelle Entscheidung der Behörde über die grundsätzliche Aufteilung der Förderung unter den 401 402 403 404
405
406 407
408
Vgl Kapitel III.C.2., oben. So Rüffler, Rechtsfolgen, 142 und 144; Rebhahn, Grundlagen, 4; Potacs, Rechtsschutzfragen, 91. Vgl näher Kapitel II.D.2., oben. Agrarmarkt Austria, vgl AMA-G. Die AMA ersetzte ab 1992 die früheren Milchwirts-, Getreidewirtschafts- und Mühlenfonds und die Vieh- und Fleischkommissionen. Aufgaben im Bereich Agrarmarketing (Gütesiegel- und Qualitätsprogramme, Werbung) werden von den Tochtergesellschaften (vgl § 39a AMA-G) AMA Marketing GmbH und Österreichische Weinmarketingservice GmbH besorgt. Sie erhalten dazu den nach Abzug der Verwaltungskoten der AMA verbleibenden Rest des Aufkommens aus den Agrarmarketingbeiträgen. Vgl Betriebsprämie-V 2004, BGBl II Nr 2004/336, idF BGBl II Nr 2005/331. Es ist dies eine DurchführungsV zum MarktordnungsG 1985, BGBl Nr 1985/210, idF BGBl I Nr 2006/18. Zur hoheitlichen Praxis der AMA vor Betriebsprämie-V 2004 zB VwGH 4. 8. 2005, 2001/17/0142; 11. 8. 2004, 2000/17/0121; 21. 5. 2003, 2002/17/0290; 28. 4. 2003, 98/17/0326; 28. 4. 2003, 2002/17/0285; 18. 9. 2002, 97/17/0412. Vgl AusfuhrerstattungsG 1994, BGBl Nr 1994/660. Vgl PrivatschulG 1962, BGBl 1962/224; Land- und forstwirtschaftliches PrivatschulG 1975, BGBl 1975/318; VwGH 20. 9. 1993, 90/10/0188; 20. 6. 1994, 90/10/0075; 25. 3. 2002, 95/10/0265. Vgl besonders VwGH 20. 6. 1994, 90/10/0075, Pkte 2.3.2ff.
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Werbern, der schließlich erst als dritte Stufe die Zuweisung von Lehrern als lebende Subvention folgt. Bereits ab dem zweiten Schritt ist die Konkretisierung so weit gediehen, dass ein Anspruch der Förderungswerber auf Gleichbehandlung und Rechtsschutz besteht.409
Auf ein öffentlich-rechtliches Gewährungsverfahren kann AVG anzuwenden sein, uzw nach Maßgabe des Art II EGVG oder aufgrund besonderer Anordnung. Für Streitigkeiten aus hoheitlich gewährten Förderungen sind generell die öffentlichen Gerichte zuständig; lediglich Schadenersatz ist vor den ordentlichen Gerichten einzuklagen. Bei der Entscheidung über die Gewährung der Förderung ist die Behörde zT gesetzlich eng gebunden, zT kommt ihr aber auch ein Ermessen hinsichtlich der vom Förderungswerber zu erfüllenden Voraussetzungen zu (etwa: Konkretisierung des subventionsgerechten Verhaltens). Ist Ermessen eingeräumt, so hat die Behörde dieses nicht nur grundrechtskonform und diskriminierungsfrei auszuüben, sondern ihre Entscheidung auch in jedem Fall mit so weit mit einer Begründung zu versehen, dass eine nachprüfende gerichtliche Kontrolle möglich ist. Daher hat sich die Behörde zumindest „mit dem konkreten Subventionsansuchen in Relation zu den vorhandenen Förderungsmitteln [auseinanderzusetzen] und [….] ihren Bescheid […] unter Zugrundelegung eines sachgerechten Verteilungssystems gesetzmäßig [zu] begründe[n].“410 Diese Mindestbegründungspflicht gilt unabhängig davon, ob nach der fraglichen Rechtsgrundlage ein Rechtsanspruch auf die Gewährung der Förderung besteht.411 Wird die Förderung gewährt, so kann das subventionsgerechte Verhalten im Bescheid in Form von Auflagen festgeschrieben werden. Das subventionsgerechte Verhalten kann auch als aufschiebende oder auflösende Bedingung in den Bescheid aufgenommen werden und regelt dann die Modalitäten der Überweisung der Förderung oder ihrer Entziehung.412 In der Antragsphase für die Förderung besteht mit der Amtshaftung ein Rechtsschutzmechanismus, der zwar eine ähnliche Funktion erfüllt, wie die vorvertragliche Haftung bei privatrechtsförmiger Gewährung, dieser aber keineswegs gleichwertig ist. Wie aber schon bei der privatrechtsförmigen Gewährung, kommt auch im hoheitlichen Bereich eine Verletzung von Informationspflichten in der Antragsphase im Prinzip als Haftungsgrund in Betracht.413 Wurde die Förderung vorgeleistet, das subventionsgerechte Verhalten aber nicht gesetzt, so ist die Leistung der öffentlichen Hand rechtsgrundlos. Die Förderung ist daher zurückzufordern, wobei va ein gutgläubiger Empfang oder die Unbilligkeit als Rückforderungsschranken zumeist nicht zum Tragen kommen werden.414 Die Rückforderung kann jedenfalls nach den Bestimmungen des Zivilrechts (Leistungskondiktionen; Verwendungsanspruch) erfolgen.415 409 410 411 412 413 414 415
Vgl dazu VwGH 20. 6. 1994, 90/10/0075, Pkt 2.4.2. Vgl VwGH 20. 6. 1994, 90/10/0075, Pkt 2.4.2. Vgl VwGH 20. 6. 1994, 90/10/0075, Pkt 2.4.2; ebenso 27. 6. 1994, 93/10/0199; vgl dazu die gleich gelagerte Jud des OGH, zit in FN 364, oben. Zur Fristsetzung für das subventionsgerechte Verhalten Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 869. So auch Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 868. Näher zum Ausschluss der Rückforderung Kerschner, Bereicherung, 111ff. Dazu Kerschner, Bereicherung, 12ff und 23ff.
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Daneben wird eine Behörde in der Praxis aber auch im Verwaltungsweg vorgehen können, uzw jedenfalls dann, wenn der Gewährungsbescheid oder die Rechtsgrundlage diesbezügliche Bestimmung enthalten.416 Eine Behebung des Erstbescheids (Gewährungsbescheids) wird dann nicht notwendig sein,417 die Rückforderung erfolgt durch Erlass eines zweiten Bescheids, der ggf nach VVG zu vollstrecken ist. Aber bei Fehlen einer ausdrücklichen Ermächtigung zur Rückforderung im Verwaltungsverfahren kann sich diese implizit aus dem Gewährungsbescheid oder der Rechtsgrundlage ergeben, sodass die Zulässigkeit einer bescheidmäßigen Rückforderung erst anhand der Auslegung der jeweiligen Gewährungsgrundlage zu entscheiden ist.418 Nur soweit sich weder aus dem Gewährungsbescheid, noch aus der Rechtsgrundlage Anhaltspunkte für die Zulässigkeit einer bescheidmäßigen Rückforderung gewinnen lassen, ist privatrechtlich vorzugehen, denn ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch existiert nicht.419
IV. Rechtfertigung von Beihilfen: Vereinbarkeitsprüfung Auch wenn der Wortlaut des Art 87 Abs 1 den Eindruck vermitteln mag, dass es sich bei Beihilfen um eine Ausnahmeerscheinung im Wettbewerbsprozess handelt, sind Beihilfen in der wirtschaftspolitischen Realität ungeachtet der weiten Auslegung des Beihilfetatbestands durch die Judikatur ein häufiges und bedeutsames Steuerungsmittel.420 Die Kommission entspricht der wirtschaftspolitischen Realität dadurch, dass sie die strenge Tatbestandsprüfung nach Art 87 Abs 1 durch großzügigere Handhabe der Vereinbarkeitsprüfung kompensiert.421 Die Frage, ob eine Beihilfe durchgeführt werden kann, ist also nach der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit der Maßnahmen noch nicht beendet, sondern kann erst im Anschluss an die Vereinbarkeitsprüfung endgültig beantwortet werden. Das Beihifenprüfverfahren ist somit zweistufig.422 Zur Entscheidung darüber, ob eine nach Art 87 Abs 1 tatbestandsmäßige Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt nach den Art 87 Abs 2 und 3 vereinbar ist, ist ausschließlich die Kommission zuständig (Prüfmonopol). Ohne bzw vor Erlass einer Vereinbarkeitsentscheidung durchgeführte Beihilfemaßnahmen sind unwirksam423 und rückabzuwickeln.424 416 417 418
419 420 421 422 423
424
Vgl Kerschner, Bereicherung, 15ff und 107ff; Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 869. Vgl aber Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 869. Vgl zB VwGH 30. 3. 1993, 92/08/0183, wo eine bescheidmäßige Rückforderung im Bereich der Arbeitslosenversicherung sogar für den Fall bejaht wurde, dass die Gewährung ohne Bescheid (formlos) erfolgt war. So Kerschner, Bereicherung, 126. Vgl dazu Kapitel I.A., oben. So auch Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz 49. Ebenso Koenig/Kühling/Ritter, Beihilfenrecht, Rz 187. Vgl etwa dt BGH v 4. 4. 2003, mit Glosse von Pechstein in EuZW 2003; weiters Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212 f; Busz/Rosenkötter, NZM 2004, 562 ff; Pechstein, EuZW 1998, passim; Bartosch, EuZW 2001, 654 ff; differenzierend Eilmansberger, ÖZW 2000, 3 ff. Vgl jüngst wieder EuGH, Rs C-261/01 und C-262/01, van Calster und Cleeren, Slg 2003, I-12249, Rz 64 mwN.
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Mit den Abs 2 und 3 des Art 87, die nachfolgend noch genauer beschrieben werden, unterscheidet der Vertrag zwischen Beihilfen, die per se mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind (Legalausnahmen des Abs 2) und solchen Beihilfen, deren Vereinbarkeit unter einem von der Kommission auszuübenden, weiten425 Ermessensvorbehalt steht (Ermessensausnahmen des Abs 3). Gemein ist beiden Ausnahmetatbeständen, dass sie als Ausnahmen „von dem in [ex-]Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag niedergelegten allgemeinen Grundsatz der Unvereinbarkeit staatlicher Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt“426 jeweils restriktiv auszulegen sind. Die Bedingungen, unter denen die an sich verpönten Beihilfen dennoch zu genehmigen sind (Art 87 Abs 2) bzw genehmigt werden können (Art 86 und 87 Abs 3), bringen Wertentscheidungen des Gemeinschaftsgesetzgebers zum Ausdruck. Damit ist die Genehmigung einer Beihilfe stets das Ergebnis einer Abwägung des Interesses der Gemeinschaft am Schutz des fairen Wettbewerbs einerseits, gegenüber den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Interessen der Gemeinschaft und einzelner Mitgliedstaaten andererseits.427
A. Legalausnahmen 1. Art 87 Abs 2 Art 87 Abs 2 lit a bis c sieht für drei eng umschriebene Arten sozialer, schadensbeseitigender oder nachteilsausgleichender Zuwendungen Legalausnahmen vom Beihilfeverbot vor. Den lit a und c kommt kaum428 praktische Relevanz zu und eine nähere Darstellung unterbeleibt hier.429 Die Legalausnahme der lit b besitzt dagegen einen eng gezogenen Anwendungsbereich, zu dem auch immer wieder Entscheidungen der Kommission ergehen.430 Erfasst sind hier aber nur Beihilfen zum Ausgleich außergewöhnlicher Schadensereignisse mit schwerwiegenden Folgen, etwa Unwetterschäden, Tierseuchen, Kriege und Unruhe, Terroranschläge, Industrieunfälle udgl. Die Beihilfen dürfen dann in dem zum Schadensausgleich erforderlichen Ausmaß gewährt werden. Es handelt sich um Legalausnahmen, weil Zuwendungen der beschriebenen Art zwar sämtliche Tatbestandsmerkmale des Beihilfeverbots erfüllen, jedoch schon im Vertrag selbst für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werden. Zwar hat die Kommission auch hier die Vereinbarkeit mit Genehmi425 426
427 428 429 430
StRsp, zB EuGH, Rs C-39/94, SFEI, Slg 1996, I-3547, Rz 36; Rs C-301/87, Frankreich/Kommission (‚Boussac’), Slg 1990, I-307, Rz 15. EuGH, Rs C-301/96, Deutschland/Kommission, Slg 2003, I-9919, Rz 66; stRsp, ebenso zB verbRs C-57/00 P und C-61/00 P, Volkswagen und Volkswagen Sachsen, Slg 2003, I-9975, Rz 23; Rs C-156/98, Deutschland/Kommission, Slg 2000, I-6857, Rz 49. Vgl etwa EuGH, Rs C-169/95, Spanien/Kommission (‚Pyrsa’), Slg 1997, I-135, Rz 17 und 22. Vgl zu lit c EuGH, Rs C-156/98, Deutschland/Kommission (‚Investitionsbeihilfen in den neuen Bundesländern’), Slg 2000, I-6857, Rz 52. Näher aber zB Sutter, Art 87, Rz 80ff; Uerpmann, EuZW 1998, 331ff; Koenig/ Kühling/Ritter, Beihilfenrecht, Rz 190ff. Vgl etwa Kom-E NN 136/98, Ausgleich von Regenschäden, Abl 1999 C 72/4; KomE N 42/A/03, Hochwasserschäden an der Maas, Abl 2003 C 236/22.
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gungsentscheidung auszusprechen, doch ist sie dabei auf die Feststellung des Vorliegens der notwendigen Sachverhaltsvoraussetzungen beschränkt, ohne dass ihr darüber hinaus auch ein inhaltliches Ermessen zukäme.431 MaW verfügt die Kommission im Rahmen von Art 87 Abs 2 lediglich über eine Prüfkompetenz zur Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen der Ausnahmebestimmungen.432 Daraus folgt zugleich, dass Beihilfen, die einer Legalausnahme nach Abs 2 unterfallen sollen, jedenfalls der üblichen Anmeldepflicht bei der Kommission unterliegen.433
2. Art 73 Nach Art 73 sind Beihilfen iSv Art 87 Abs 1, die der Koordinierung des Verkehrs oder der Abgeltung bestimmter öffentlicher Verkehrsdienstleistungen dienen, ex lege mit dem EG-Vertrag vereinbar.434 Die Arten von Beihilfen, die nach Art 73 freigestellt sind, sind allerdings in sekundärrechtlichen Ausführungsbestimmungen abschließend definiert;435 eine unmittelbare Berufung auf Art 73 ist daher ausgeschlossen.436 Im Verhältnis zu Art 87 Abs 1 stellt sich Art 73 als schlichte Legalausnahme, gleich Art 87 Abs 2, dar. Daraus folgt, dass die vom Gerichtshof im Urteil Altmark437 aus 2003 aufgestellten Grundsätze438 für die beihilfefreie Ausgestaltung von Ausgleichszahlungen für Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse auch auf Verkehrsbeihilfen anzuwenden sind. Erfüllt ein Verkehrszuschuss die Altmark-Kriterien, so unterliegt er nicht dem Beihilfetatbestand und braucht nicht über Art 73 (bzw dessen sekundärrechtliche Ausführungsbestimmungen) gerechtfertigt zu werden. Erfüllt ein Verkehrszuschuss die Altmark-Kriterien dagegen nicht und ist er daher als Beihilfe anzusehen, so dürfte Art 73 als lex specialis die Möglichkeit einer Rechtfertigung nach Art 86 Abs 2 verdrängen.439
B. Ermessensausnahmen des Art 87 Abs 3 Art 87 Abs 3 ist eine ausschließlich von der Kommission wahrzunehmende Ermessensbestimmung, aufgrund derer bestimmte Gruppen von Beihilfen für zulässig erklärt werden können.440 Art 87 Abs 3 bestimmt im Einzelnen: 431 432 433 434 435
436 437 438 439 440
Näher etwa Kilb, JuS 2003, 1073; Haus/Cole, JuS 2003, 984. So Koenig/Kühling/Ritter, Beihilfenrecht, Rz 189 mwN. Dazu Sutter, Art 87, Rz 81; Koenig/Kühling, NJW 2000, 1070f; Sinz, VIZ 1992, 430f. Dazu auch Rebhahn, Grundlagen, 10; Muzak, Art 73, Rz 1ff mwN. Vgl VO 1107/70 über Beihilfen im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr, Abl 1970 L 130/1 idgF; VO 1191/69 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs, Abl 1969 L 156/1 idgF; näher Muzak, Art 73, Rz 14. EuGH, Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747, Rz 107. EuGH, Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747. Vgl dazu Kapitel II.B.2.d, oben. Vgl zur Reichweite des Art 86 Abs 2 gegenüber sonstigem Primär- und Sekundärrecht auch Jaeger, JBl 2005, 499. Näher zB auch Sutter, Art 87, Rz 88ff; Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz 61f; Jestaedt/Schweda, § 14, passim.
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„Als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar können angesehen werden: a) Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht;“ Diese Norm betrifft Gebiete, die im Vergleich zum EU-Durchschnitt benachteiligt sind.441 Aus der notwendigen Abgrenzung zu lit c ergibt sich außerdem, dass es sich um erheblich unterentwickelte Gebiete handeln muss.442 „b) Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamen europäischen Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats;“ Unter diesen Rechtfertigungsgrund fallen Vorhaben, (erste Alternative) an deren Durchführung die Gemeinschaft oder mehrere Mitgliedstaaten ein unmittelbares Interesse iSd Ziele des Art 2 haben,443 oder die (zweite Alternative) schwerwiegende wirtschaftliche oder soziale Krisenerscheinungen, die einen Mitgliedstaat in seiner Gesamtheit erschüttern, beheben sollen.444 „c) Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft;“ Lit c ist der in der Praxis wohl am häufigsten angewandte Rechtfertigungsgrund. Hier hin gehören sektorale und regionale Beihilfen, die der Entwicklung der gemeinschaftlichen Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete förderlich sind.445 Der gegenüber lit a größere Spielraum bei der Gewährung von Beihilfen ungeachtet einer besonders ungünstigen Lage der Zielgebiete bzw -sektoren wird durch die besondere Bedachtnahme auf die handelsbeeinträchtigenden Auswirkungen dieser Beihilfen abgefedert. „d) Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft;“ Lit d enthält eine Ausnahmeklausel zugunsten der Kulturförderung, die in engem Zusammenhang mit der Verpflichtung der Gemeinschaft nach Art 151 das kulturelle Leben der Mitgliedstaaten zu achten und zu unterstützen, zu lesen ist. „e) sonstige Arten von Beihilfen, die der Rat durch eine Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission bestimmt.“ Der letzte Rechtfertigungsgrund der lit e erlaubt es, auf Vorschlag der Kommission über eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung des Rates, neben den in lit a bis d genannten Arten von Beihilfen weitere Maßnahmen vom Beihilfeverbot freizu441 442 443 444 445
Vgl etwa EuGH, Rs 248/84, Deutschland/Kommission, Slg 1987, 4013, Rz 19; Kom-E 90/215/EWG, ENCC, Abl 1990 L 114/25, Pkt IX. Vgl etwa EuGH, Rs C-169/95, Spanien/Kommission (‚Pyrsa’), Slg 1997, I-135, Rz 15. Vgl Kom-E 90/215/EWG, ENCC, Abl 1990 L 114/25, Pkt IX; Mederer, Art 87 Abs 1, Rz 188; Bär-Bouyssière, Artikel 87, Rz 54. Vgl etwa verbRs C-57/00 P und C-61/00 P, Volkswagen und Volkswagen Sachsen, Slg 2003, I-9975, Rz 98. Näher EuGH, Rs C-169/95, Spanien/Kommission (‚Pyrsa’), Slg 1997, I-135, Rz 15ff; Kom-E 90/215/EWG, ENCC, Abl 1990 L 114/25, Pkt IX.
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stellen.446 Diese Vorschrift korrespondiert der Sondergenehmigungsbefugnis des Rates im Beihilfeverfahren aufgrund von Art 88 Abs 2 UA 3.447 Abs 3 enthält damit die zur Beurteilung der Zulässigkeit von tatbestandsmäßigen Beihilfen in der Praxis fast ausschließlich relevanten Rechtsnormen. Die Kommission hat die Anwendung dieser Ermessenstatbestände in zahlreichenverbindlichen oder erläuternden Rechtsakten (GVOs, LL, GR usw) für bestimmte Arten von Beihilfen (also thematisch gruppiert) konkretisiert. Sie hat damit zugleich ihre Ermessensausübung beschränkt bzw gebunden.448 Die Vereinbarkeitsentscheidung der Kommission nach Art 87 Abs 3 orientiert sich ausschließlich daran, ob die Bedingungen des Handels zwischen den Mitgliedstaaten durch eine Beihilfe in einer Weise beeinträchtigt werden, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft.449 Die im Vertrag vorgesehenen Ausnahmen werden dabei tendenziell eng ausgelegt: „Sie sind insbesondere nur dann anwendbar, wenn sich die Kommission davon überzeugt hat, daß ohne die Beihilfen die Marktkräfte allein nicht ausreichen würden, die potentiellen Beihilfeempfänger zu einem Verhalten zu bewegen, das zur Erreichung eines der in den Ausnahmebestimmungen genannten Ziele beitragen könnte.“450 Partikularinteressen von Unternehmen oder Mitgliedstaaten können also nur soweit Berücksichtigung auf der Rechtsfolgenseite der Entscheidung finden, als diese sich mit Gemeinschaftsinteressen überschneiden.
Der Kommission wird bei der Anwendung von Art 87 Abs 3 von den Gemeinschaftsgerichten in stRsp überdies ein weiter Ermessensspielraum für die Zulassung von Beihilfen zugestanden.451 So hat die Kommission „[b]ei der Beurteilung, ob eine staatliche Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, […] vielschichtige und raschen Änderungen unterliegende wirtschaftliche Gegebenheiten zu berücksichtigen und zu bewerten“,452 welche die Gemeinschaftsgerichte nur noch einer groben Nachprüfung unterziehen: Die Rechtskontrolle der Feststellungen der Kommission zur Vereinbarkeit beschränkt sich damit iW auf die Korrektur offensichtlichen Beurteilungsfehlern453 und
446 447 448
449
450 451
452 453
ZB VO 1540/98 zur Neuregelung der Beihilfen für den Schiffbau, Abl 1998 L 202/1; näher auch Sutter, Art 87, Rz 106. Dazu näher EuGH, Rs C-110/02, Kommission/Rat, Slg 2004, I-6333, Rz 28ff. StRsp, zB EuGH, Rs C-278/00, Griechenland/Kommission, Slg 2004, I-3997, Rz 98; Rs C-288/96, Deutschland/Kommission, Slg 2000, I-8237, Rz 62; Rs C-310/99, Italien/Kommission, Slg 2002, I-2289, Rz 52. Vgl zB EuGH, Rs C-278/95 P, Siemens/Kommission, Slg 1997, I-2507, Rz 35; verbRs 62 und 72/87, Glaverbel, Slg 1988, 1573, Rz 34; Rs 730/79, Philip Morris Holland, Slg 1980, 2671, Rz 26. Kom-E 85/380/EWG, DEFI, Abl 1985 L 217/20, Pkt III; ganz ähnlich auch Kom-E 90/215/EWG, ENCC, Abl 1990 L 114/25, Pkt VIII. StRsp EuGH, vgl zB EuGH, Rs 78/76, Steinike&Weinling, Slg 1977, 595, Rz 8; Rs C-142/87, Belgien/Kommission (‚Tubemeuse’), Slg 1990, I-959, Rz 56f; Rs 730/79, Philip Morris Holland, Slg 1980, 2671, Rz 17; Rs C-301/87, Frankreich/Kommission (‚Boussac’), Slg 1990, I-307, Rz 15. Vgl EuGH, Rs C-39/94, Syndicat français de l'Express international (‘SFEI’), Slg 1996, I-3547, Rz 36. Vgl etwa EuG, Rs T-109/01, Fleuren Compost, Slg 2004, II-127, Rz 90f; EuGH, verbRs C-57/00 P und C-61/00 P, Volkswagen und Volkswagen Sachsen, Slg 2003, I-9975, Rz 169ff.
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einen möglichen Ermessensmissbrauch.454 In der Praxis bleiben diese Feststellungen daher zumeist455 unangetastet.456
C. Rechtfertigungsgrund des Art 86 Abs 2 Gemäß Art 86 Abs 2 gilt das Beihilfeverbot nicht für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, wenn dies die Erfüllung ihrer besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Ausgleichszahlungen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse können schon vom Beihilfetatbestand (Begünstigung) ausgenommen sein, wenn sie die vom Gerichtshof dazu aufgestellten Voraussetzungen (Altmark-Kriterien)457 erfüllen.458 Ist dies nicht der Fall, kann nach Ansicht der Kommission trotz der inhaltlichen Ähnlichkeit von AltmarkKriterien und Prüfkriterien nach Art 86 Abs 2 zusätzlich noch eine Rechtfertigung von Zuwendungen an solche Unternehmen nach Art 86 Abs 2 versucht werden. Neue Vereinbarungen über Daseinsvorsorgekompensationen sind demnach seit 19. 12. 2005 von der Anmeldepflicht befreit, wenn • der Umsatz des betreffenden Unternehmens in den zwei Jahren vor Betrauung 100 Mio € und die Ausgleichszahlung für die Daseinsvorsorgeleistung 30 Mio € pro Jahr nicht überschreitet (Sonderregeln gelten für Krankenhäuser, sozialen Wohnbau und Flughäfen und Häfen, Luft- oder Seeverkehrsdienste; Transportdienste zu Land sind vom Anwendungsbereich ausgenommen);459 • eine Betrauung durch Rechts- oder Verwaltungsakt vorliegt, aus der Art und Dauer der Daseinsvorsorgeleistung und allfälliger Sonderrechte hervorgehen und die die Parameter für die Berechnung, Überwachung und allfällige Rückerstattung der Ausgleichszahlung enthält;460 • der Ausgleich den Vollkosten der Leistungserbringung (alle variablen Kosten und die Fixkosten bzw bei Mehrproduktunternehmen ein angemessener Beitrag zu den Fixkosten) plus angemessener Rendite, jedoch abzüglich eines allfälligen Gewinns aus der Leistungserbringung, entspricht;461 dieser Ausgleichsstandard darf bis zu 10 % (im sozialen Wohnbau 20 %) überschritten werden (Überkompensation), wenn die Überkompensation auf die Ausgleichszahlung des nachfolgenden Jahres angerechnet wird;462 und 454 455 456 457 458 459 460 461 462
StRsp, vgl EuG, verbRs T-269/99, T-271/99 und T-272/99, Diputación Foral de Guipúzcoa ua, Slg 2002, II-4217, Rz 92 mwN. Offensichtlicher Beurteilungsfehler im Ermessensbereich (falsche Marktabgrenzung) zB in Rs T-155/98, SIDE, Slg 2002, II-1179, Rz 56ff. Vgl auch Jaeger, wbl 2004, 307. Vgl EuGH, Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747, Rz 88ff. Vgl Kapitel II.B.2.d, oben. Vgl Art 2 AusgleichszahlungsE-DAWI. Vgl Art 4 AusgleichszahlungsE-DAWI; ein Teil dieser Bedingungen tritt erst zum 29. 11. 2006 in Kraft; zu tauglichen Betrauungsakten näher Jaeger, JBl 2005, 499f. Vgl Art 5 Abs 2 bis 4 AusgleichszahlungsE-DAWI. Vgl Art 6 AusgleichszahlungsE-DAWI; diese Bedingung tritt erst zum 29. 11. 2006 in Kraft.
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• •
keine abweichenden sektorspezifischen Vorschriften gelten.463 Die Einhaltung der Buchführungspflichten der TransparenzRL464 ist dagegen keine Voraussetzung der Freistellung von der Anmeldepflicht. Die Umgestaltung der bereits bestehenden Ausgleichszahlungen für Daseinsvorsorgeleistungen (außerhalb der Bereiche Transport und Rundfunk) soll nach ganz ähnlichen Grundsätzen erfolgen.465 Die Mitgliedstaaten sind dabei aufgefordert, ihre Zustimmung zur Umgestaltung der Kommission bis 31. 5. 2007 bekanntzugeben; Nichtäußerung wird von der Kommission als Ablehnung gewertet.466
Zusammenfassend unterscheiden sich die Kriterien der Kommission von den Altmark-Kriterien iW durch die Festlegung eines wesentlich großzügigeren Kompensationsstandards: Auch der Ausgleich der Vollkosten plus bis zu 10 % temporäre Überkompensation kann demnach zur Erbringung einer gemeinwirtschaftlichen Leistung iSv Art 86 Abs 2 „notwendig“ sein. Der Kommission dürfte daran gelegen sein, die vergleichsweise restriktiven Altmark-Kriterien für die Praxis in Fällen ein wenig zu verbreitern, in denen die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung vernachlässigbar oder nicht vorhanden ist.467 Dies entspricht auch völlig jener Judikatur des EuGH zu Art 86 Abs 2, nach der eine Derogation von den Bestimmungen des Vertrages bereits dann erlaubt ist, wenn diese der Herbeiführung wirtschaftlich annehmbarer Bedingungen zur Erbringung der Aufgabe dient,468 bzw die Anwendung des Wettbewerbsrechts die Erfüllung der besonderen Verpflichtungen, die einem Unternehmen obliegen, sachlich oder rechtlich gefährden würde.469 Die Kontrolle individueller Ausgleichszahlungen auf Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen erfolgt dabei gegebenenfalls ex post: Die Mitgliedstaaten haben der Kommission in Dreijahresabständen Berichte über die Inanspruchnahme der Freistellung sowie auf schriftliches Ersuchen auch die notwendigen Informationen zur Beurteilung einer bestimmten Ausgleichszahlung zu übermitteln.470
Erfüllt eine Ausgleichszahlung die von der Kommission aufgestellten Voraussetzungen nicht, so bedeutet dies bei neuen Beihilfen im Grunde nur, dass das Privileg der automatischen Freistellung entfällt. Die Maßnahme unterliegt dann der Anmeldepflicht und dem Durchführungsverbot, kann aber grundsätzlich trotzdem für nach Art 86 Abs 2 gerechtfertigt befunden werden. Eine Positiventscheidung ist insbesondere dort zu erwarten, wo die Abweichungen gegenüber den Freistellungsvoraussetzungen nur gering sind; bei wesentlichen Abweichungen (va bei starker Überkompensation oder völlig pauschal gehaltenen Kostenausgleichszusagen) dürfte dagegen eine Negativentscheidung die Folge sein. Mit ähnlichen Rechtsfolgen ist bei bestehenden Ausgleichszahlungen zu rechnen. Stimmt ein Mitgliedstaat der Umgestaltung nicht binnen Frist zu, kann die Kommission das förmliche Prüfverfahren einlei-
463 464 465 466 467 468 469 470
Vgl Art 3 AusgleichszahlungsE-DAWI. Dazu Kapitel II.B.2.d, oben. Vgl AusgleichszahlungsGR-DAWI, Rz 9ff. Vgl AusgleichszahlungsGR-DAWI, Rz 27. So XXXIV. WB 2004, Tz 396. Vgl zB EuGH, Rs C-340/99, TNT Traco, Slg 2001, I-4109, Rz 54; verbRs C-115/97 bis C-117/97, Brentjens, Slg 1999, I-6025, Rz 111. Etwa EuGH, Rs C-159/94, Kommission/Frankreich (‚Strom- und Gasmonopole’), Slg 1997, I-5815, Rz 59. Vgl Art 7 und 8 Kom-E 2005/842/EG (AusgleichszahlungsE-DAWI); XXXIV. WB 2004, Tz 397.
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ten und die Zahlung für die Zukunft abstellen;471 dieser Weg wird sich aber wohl ebenfalls nur bei wesentlichen Abweichungen lohnen.
D. Ausnahmeregelung aufgrund von Art 88 Abs 2 UA 3 Art 88 Abs 2 UA 3 ermächtigt den Rat, durch einstimmige Entscheidung im Einzelfall und nur auf Antrag eines Mitgliedstaats, eine an sich mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe aufgrund außergewöhnlicher Umstände für dennoch mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären. Der Rat macht von dieser Befugnis in der Praxis auch immer wieder Gebrauch.472 Die Bestimmung ist nach der Rsp eng auszulegen und auf außergewöhnliche Umstände beschränkt;473 daher kann auch nur eine vorübergehende Beihilfegewährung durch den Rat in Frage kommen.474 Auch können wohl nur solche Umstände als außergewöhnlich angesehen werden, die in den Abs 2 und 3 des Art 87 keine Berücksichtigung finden.475 Innerhalb dieser Grenzen ist das vom Rat ausgeübte Ermessen aber wohl nur begrenzt richterlich nachprüfbar.476 Das Genehmigungsersuchen eines Mitgliedstaats nach Art 88 Abs 2 UA 3 hat beim Rat einzulangen, bevor die Kommission das förmliche Prüfverfahren abgeschlossen hat. Dieser hat sodann binnen drei Monaten über den Antrag zu entscheiden; danach darf der Rat keine Entscheidung mehr erlassen und die Kommission ist wieder alleine über die Beihilfe entscheidungsbefugt.477 Daher kann der Rat auch keine von der Kommission bereits abgeschlossenen Beihilfeverfahren neu eröffnen.478 Der Rat kann aber auch Negativentscheidungen oder Rückzahlungsanordnungen der Kommission nicht dadurch ihre Wirksamkeit nehmen, dass er eine zweite Maßnahme des Mitgliedstaats, mit der den Empfängern der rechtswidrigen Beihilfe ein Ausgleichsbetrag für die Rückzahlungen zugewiesen wird, nach Art 88 Abs 2 UA 3 vor der Unvereinbarkeitsentschei-
471 472
473 474 475 476 477 478
Vgl dazu Kapitel V.B.2., unten. Vgl zB XVII. WB 1987 (Französische Mutterschafprämie), Tz 274; Rats-E 87/197/EWG, Französische Beteiligung an den Sozialabgaben bestimmter Milcherzeuger, Abl 1987 L 78/51; Rats-E 87/375/EWG, Beihilfe für die kurzfristige private Lagerhaltung von Tafelwein und Most durch Frankreich, Spanien, Griechenland und Italien, Abl 1987 L 200/17; Rats-E 2002/361/EG, Gewährung einer staatlichen Beihilfe durch die Behörden des Königreichs der Niederlande für Unternehmen des Straßengüterverkehrs, Abl 2002 L 131/12; Rats-E 2002/362/EG, Gewährung einer staatlichen Beihilfe durch die Behörden der Italienischen Republik für Unternehmen des Straßengüterverkehrs, Abl 2002 L 131/14; Rats-E 2002/363/EG, Gewährung einer staatlichen Beihilfe durch die französische Regierung für Unternehmen des Straßengüterverkehrs, Abl 2002 L 131/15; Rats-E 2002/114/EG, Portugiesische Schweinezüchter, Abl 2002 L 43/18 (aufgehoben durch EuGH, Rs C-110/02, Kommission/Rat, Slg 2004, I-6333). Die Veröffentlichungspraxis des Rates bei auf Art 88 Abs 2 UA 3 gestützten E ist aber insgesamt mangelhaft, vgl Mederer, Art 88, Rz 74. EuGH, Rs C-110/02, Kommission/Rat, Slg 2004, I-6333, Rz 31 und 46; ähnlich schon Rs 156/77, Kommission/Belgien, Slg 1978, 1881, Rz 16. Ähnlich Mederer, Art 88, Rz 74. Ebenso Mederer, Art 88, Rz 74. So Mederer, Art 88, Rz 74. Vgl EuGH, Rs C-110/02, Kommission/Rat, Slg 2004, I-6333, Rz 32f. Vgl EuGH, Rs C-110/02, Kommission/Rat, Slg 2004, I-6333, Rz 36f.
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dung der Kommission aufgreift und absegnet.479 Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Entscheidung des Rates nur einen Teil der Kommissionsentscheidung betrifft.480 Die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Kommission und Rat im Rahmen von Art 88 Abs 2 UA 3 ist daher insgesamt nach den Zielen der Wahrung der Rechtssicherheit und der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen über ein und dieselbe Beihilfe auszulegen.481
E. Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) Mit dem Erlass der DelegationsVO des Rates zu Art 87 im Jahr 1998 erhielt die Kommission eine Handhabe dafür, sich analog zu der Vorgehensweise im Bereich des Kartellrechts auch bei der Prüfung von Beihilfen reiner Routinefälle zu entledigen. Die von der DelegationsVO erfassten Bereiche (De minimis; KMU; Ausbildung; Beschäftigung; F&E; Umweltschutz; Regionalbeihilfen) unterlagen aber auch davor bereits LL und GR, nach denen sich die Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Beihilferegelungen richteten. GVO bringen eine wesentliche Vereinfachung des Beihilfeverfahrens in den von ihnen abgedeckten Bereichen. Wenn eine Beihilfe die in der GVO näher umschriebenen Voraussetzungen erfüllt, gilt sie als automatisch genehmigt, ohne dass das Verfahren des Art 88 durchlaufen werden müsste. Es besteht dementsprechend für diese Beihilfen auch keine Anmeldepflicht und kein Durchführungsverbot. Die Kommission ist jedoch weiterhin befugt, die Beihilfemaßnahmen zu überwachen und zu prüfen, ob sie mit dem Vertrag im Einklang stehen. Die Mitgliedstaaten müssen daher generell Beihilfeverzeichnisse führen und der Kommission Jahresberichte vorlegen. Die Kommission hat bislang insgesamt sieben GVO erlassen:482 Neben zwei (jeweils eine allgemeine483 und eine agrarspezifische484) GVO über De minimis-Beihilfen noch drei (wiederum eine allgemeine,485 eine landwirtschafts- und eine fischereispezifische486) GVO über Beihilfen zugunsten von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie jeweils eine GVO zu Ausbildungs-487 und zu Beschäftigungsbeihilfen.488 Von diesen dürfte die Allgemeine De minimis-GVO in der Praxis am häufigsten zur Anwendung kommen, da sie einen besonders breiten, nur nach der Beihilfehöhe definierten Anwendungsbereich hat. Sie gilt für Beihilfen an Unternehmen in allen Wirt479
480 481 482 483 484 485 486 487 488
Vgl EuGH, Rs C-110/02, Kommission/Rat, Slg 2004, I-6333, Rz 45; ebenso SA v GA Léger 6. 2. 2006, Rs C-399/03, Kommission/Rat, noch nicht in Slg veröff, Rz 89ff. Vgl SA v GA Léger 6. 2. 2006, Rs C-399/03, Kommission/Rat, noch nicht in Slg veröff, Rz 113. Vgl EuGH, Rs C-110/02, Kommission/Rat, Slg 2004, I-6333, Rz 44f; SA v GA Léger 6. 2. 2006, Rs C-399/03, Kommission/Rat, noch nicht in Slg veröff, Rz 112. Dazu näher zB Sinnaeve, CMLRev 2001; Sinnaeve, EuZW 2001; Bartosch, NJW 2001; Jaeger, AUR 2005. Allgemeine De minimis-GVO. De minimis-GVO Agrar. Allgemeine GVO-KMU. GVO KMU-Landwirtschaft; GVO KMU-Fischerei. GVO-Ausbildungsbeihilfen. GVO-Beschäftigungsbeihilfen.
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schaftsbereichen (vorbehaltlich des Sektors Verkehr) und erlaubt die anmeldefreie Gewährung von Beihilfen gleich welcher Art und Zielsetzung, die den Betrag von € 100.000 im der Gewährung jeweils vorangehenden Dreijahreszeitraum nicht übersteigen. Der gewährende Mitgliedstaat hat De minimisBeihilfen dem Empfänger gegenüber ausdrücklich als solche zu deklarieren.489 Offen bleibt, ob die Deklaration gegenüber dem Empfänger zur Erlangung des De minimis-Vorteils konstitutiv ist,490 oder ob ein Unterlassen sich bloß als Formverletzung auswirkt bzw allenfalls das berechtigte Vertrauen des Empfängers auf die Rechtmäßigkeit der Beihilfe vernichtet.491 Mangels ausdrücklicher Anordnung der Unanwendbarkeit der GVO im Fall des Unterlassens der Deklaration ist allerdings wohl davon auszugehen, dass es sich um ein bloß formelles Erfordernis handelt, das dem Genuss des De minimis-Privilegs als solches nicht schadet. Die Ermächtigungen zur Freistellung von F&E492 und Umweltschutzmaßnahmen sowie für Regionalbeihilfen im Einklang mit den von der Kommission für jeden Mitgliedstaat genehmigten Fördergebieten493 hat die Kommission bislang nicht umgesetzt.
F. Erklärende und auslegende Rechtsakte der Kommission Die Kommission veröffentlicht typischerweise eine große Anzahl an Dokumenten, um ihre Anwendung des Gemeinschaftsrechts gegenüber den Rechtsunterworfenen in verallgemeinerbarer Weise zu erklären bzw festzulegen. Es handelt sich dabei überwiegend494 um in Art 249 (Handlungsformen der Gemeinschaftsorgane) nicht genannte Rechtsakttypen (atypische Rechtsakte). Diese besitzen, mit Ausnahme der von den Mitgliedstaaten zu akzeptierenden Gemeinschaftsrahmen, keine rechtsgestaltende Wirkung; anders als GVO autorisieren diese Rechtsakte insbesondere keine Freistellung von der Anmeldepflicht. Sie binden die Kommission aber in Bezug auf die darin in Aussicht gestellte Beurteilung von Beihilfetypen und Sachverhalten. 495 489 490 491 492
493 494
495
Art 4 Abs 1 De minimis-GVO Agrar; ebenso Art 3 Abs 1 Allgemeine De minimisGVO. So etwa nach Art 3 Abs 2 lit c iVm 19 Abs 1 GVO KMU-Landwirtschaft; Art 3 Abs 2 lit c iVm Art 16 Abs 1 GVO KMU-Fischerei. So etwa nach Art 3 Abs 2 und Art 9 Allgemeine GVO-KMU. Eine Lockerung der Kontrolle von innovationsbezogenen Beihilfen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft wurde erst in jüngerer Zeit angedacht, vgl Vademecum der Kommission v 15. 11. 2004, Community rules on state aid for innovation, SEC(2004) 1453. Vgl dazu Art 1 DelegationsVO. Im Einzelfall entscheidet legen Rat und Kommission solche Auslegungs- und Anwendungsgrundsätze auch im Weg einer VO oder E fest, vgl neben den GVO und GMO va AusgleichszahlungsE-DAWI; VO 1698/2005 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), Abl 2005 L 277/1; VO 2792/1999 zur Festlegung der Modalitäten und Bedingungen für die gemeinschaftlichen Strukturmaßnahmen im Fischereisektor, Abl 1999 L 337/10; VO 1290/2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik, Abl 2005 L 209/1. Vgl zB EuGH, Rs C-382/99, Niederlande/Kommission (‚niederländische Tankstellen’), Slg 2002, I5163, Rz 24; verbRs C-278/92 bis C-280/92, Spanien/Kommission (‚Hytasa’), Slg 1994, I-4103, Rz 57f.
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Jaeger
Auch wenn die von der Kommission selbst verwendete Terminologie nicht ganz einheitlich ist,496 lassen sich iW Mitteilungen, Leitlinien (LL) und Gemeinschaftsrahmen (GR) von einander unterscheiden.497 Mitteilungen498 dienen prinzipiell der Auslegung des Beihilfetatbestands und bestimmter Verfahrensbestimmungen; eine Auslegung der Ausnahmebestimmungen des Art 87 Abs 2 und 3 erfolgt in Mitteilungen dagegen tendenziell nicht. Dem dienen wiederum vorwiegend LL.499 Darin teilt die Kommission im Interesse einer verbesserten Transparenz ihrer Verwaltungspraxis mit, wie sie das Ermessen, das ihr bei der Anwendung der Ausnahmetatbestände des Art 87 Abs 3 zusteht, ausüben wird. LL ermöglichen es den Mitgliedstaaten daher, Beihilfemaßnahmen bereits von vornherein so zu planen, dass mit ihrer Nichtbeanstandung durch die Kommission gerechnet werden kann. Auf bestehende Beihilferegelungen haben LL nur mittelbare Auswirkungen.500 Hier kommen wieder typi-
496 497
498
499
500
Dazu auch Koenig/Kühling/Ritter, Beihilfenrecht, Rz 203. Eine ausführlichere Beschreibung der wichtigsten Mitteilungen, LL und GR findet sich zB bei Mederer, Art 87 Abs 3, Rz 152ff; Koenig/Kühling/Ritter, Beihilfenrecht, Rz 223ff. Vgl va Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, Abl 1998 C 384/3; Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten nach Artikel 93 Absatz 1 EG-Vertrag zur Anwendung der Artikel 92 und 93 EG-Vertrag auf die kurzfristige Exportkreditversicherung, Abl 1997 C 281/4; Mitteilung Staatliche Beihilfen und Risikokapital, Abl 2001 C 235/3; Mitteilung zu bestimmten Rechtsfragen im Zusammenhang mit Kinofilmen und anderen audiovisuellen Werken, 2002 C 43/6; Mitteilung über Folgemaßnahmen zur Mitteilung der Kommission zu bestimmten Rechtsfragen im Zusammenhang mit Kinofilmen und anderen audiovisuellen Werken, Abl 2004 C 123/1; Mitteilung über die Anwendung der Artikel 92 und 93 EWG-Vertrag und des Artikels 5 der Kommissionsrichtlinie 80/723/EWG über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, Abl 1993 C 307/3; Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften, Abl 2000 C 71/14; Mitteilung der Kommission betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, Abl 1997 C 209/3; Mitteilung der Kommission über die Methode zur Festsetzung der Referenz- und Abzinsungssätze, Abl 1997 C 273/3. Vgl va LL der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, Abl 2004 C 244/2; LL für die Prüfung der einzelstaatlichen Beihilfen im FischereI- und Aquakultursektor, Abl 2001 C 19/7; LL für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, Abl 1998 C 74/9; LL der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen im Seeverkehr, Abl 1997 C 205/5; LL für staatliche Beihilfen zur Werbung für in Anhang I des EG-Vertrags genannte Erzeugnisse und bestimmte nicht in Anhang I genannte Erzeugnisse, Abl 2001 C 252/5; LL für die Prüfung der einzelstaatlichen Beihilfen im FischereI- und Aquakultursektor, Abl 2001 C 19/7. Vgl dazu die Auffassung der Kommission in Kom-E 90/381/EWG, Änderung der deutschen Beihilferegelung zugunsten der Kfz-Industrie, Abl 1990 L 188/55, 59: „Zu dem Verlangen nach einer angemessenen Frist zur Änderung der bestehenden Regelungen auf dem Gesetzeswege ist […] zu bemerken, daß der Gemeinschaftsrahmen zwar nur den Charakter einer Empfehlung hat, daß den deutschen Behörden jedoch bereits vierzehn Monate zur Verfügung standen, um ihre Rechtsvorschriften diesem Rahmen anzupassen.“
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scherweise GR501 zum Tragen. GR enthalten Regeln für die Überprüfung von Beihilfen in bestimmten Industriesektoren, legen also neue Auslegungs- und Anwendungsgrundsätze fest, uzw typischerweise mit Blick auf die Umgestaltung bestehender Beihilfen. Da die Kommission nach Art 88 Abs 1 verpflichtet ist, die Überprüfung bestehender Beihilfen gemeinsam mit den Mitgliedstaaten durchzuführen, bedürfen GR insoweit auch der Zustimmung der Mitgliedstaaten.502 Nach Annahme durch die Mitgliedstaaten erhalten sie verbindlichen Charakter und wirken so auch auf bestehende Beihilferegelungen.
G. Beihilfenprüfschema Zur ersten Beurteilung der Chancen einer beihilfeverdächtigen Maßnahme auf Durchführung bzw Genehmigung bietet sich die folgende, in vier Schritte gegliederte Grobprüfung an: • Erstens ist zu überprüfen, ob die betreffenden Maßnahmen überhaupt dem allgemeinen Beihilferecht unterliegen, oder ob für sie etwa ein spezielleres (oder im Ausnahmefall gar kein) Beihilferegime vorgesehen und nur dieses anzuwenden ist. Dies kann zB bei bestimmten agrarischen Beihilfen aufgrund der Gemeinsamen Marktorganisationen503 oder für Kriegsmaterial (Art 296 Abs 1 lit b) der Fall sein. • Sodann ist zweitens bei der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit der Zuwendung zuallererst die De minimis-GVO heranzuziehen. Liegen die in den vergangenen drei Jahren gewährten Vergünstigungen unter 100.000,- € (im Agrarbereich: 3.000,- €), so kann die Zuwendung unter Bekanntgabe der Anwendung der De minimis-GVO gegenüber den betroffenen Unternehmen durchgeführt werden. • Ist die De minimis-GVO nicht anwendbar, und sind die übrigen Tatbestandsmerkmale des Art 87 Abs 1 für die fragliche Maßnahme erfüllt, so ist drittens zu prüfen, inwieweit die Beihilfe aufgrund einer anderen GVO mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist. Handelt es sich bei den Zuwendungsempfängern um KMU, oder werden die Beihilfen als Zuschuss zu Ausbildung oder Beschäftigung gewährt, so ist zunächst zu untersuchen, ob die Ausgestaltung der Beihilfe nach Art und Inhalt nach einer dieser drei GVO freigestellt werden kann. Ist eine GVO anwendbar, so gilt die betreffende Maßnahme als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar und kann sofort ohne weiteres durchgeführt werden. • Ist keine GVO anwendbar, so ist viertens die Vereinbarkeitsprüfung nach Art 87 Abs 2 und 3 (bzw Art 86 Abs 2) vorzunehmen. Hier liegt in den 501
502 503
Vgl va GR für staatliche Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen, Abl 1996 C 45/5; GR für staatliche Umweltschutzbeihilfen, Abl 2001 C 37/3; GR für staatliche Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden, Abl 2005 C 297/4; Multisektoraler Regionalbeihilferahmen für große Investitionsvorhaben, Abl 2002 C 70/8; GR für staatliche Beihilfen im Agrarsektor, Abl 2000 C 28/2; GR für staatliche Beihilfen im Rahmen von TSE-Tests, Falltieren und Schlachtabfällen, Abl 2002 C 324/2; GR für staatliche Beihilfen in der Kfz-Industrie, Abl 1997 C 279/1. Vgl EuGH, Rs C-311/94, Ijssel-Vliet Combinatie, Slg 1996, I-5023, Rz 44. Näher Jaeger, AUR 2005, 189ff.
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meisten Fällen ein einschlägiges Auslegungsdokument der Kommission vor, so dass die Vereinbarkeitsbeurteilung nach diesem erfolgt (zB Regionalbeihilfen - RegionalbeihilfeLL und/oder Multisektoraler Beihilferahmen; Rettungs- oder Umstrukturierungsbeihilfen - UmstrukturierungsLL; landwirtschaftliche Beihilfen - Agrar-GR/AgrarwerbeLL; Fischereibeihilfen - GMO-Fischerei; usw). Nur wenn kein Auslegungsdokument vorliegt, erfolgt die Vereinbarkeitsprüfung direkt auf Grundlage der Vertragsbestimmungen (zB Katastrophenbeihilfen - Art 87 Abs 2 lit b; Beihilfen an benachteiligte Stadtviertel - Art 87 Abs 3 lit c; Kulturbeihilfen - Art 87 Abs 3 lit d; usw). Hier muss man die Vereinbarkeitsbedingungen der rezenten Anwendungspraxis entnehmen. Diese Vorgehensweise dürfte in den gängigen Beihilfefällen eine erste Beurteilung ermöglichen, ob die betreffende Maßnahme die Zustimmung der Kommission finden wird bzw die Parameter einer entsprechenden Umgestaltung vorgeben. Maßnahmen, die nicht von einer GVO erfasst sind, sondern lediglich aufgrund eines Auslegungsdokuments oder eines Rechtfertigungsgrunds des Primärrechts für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar anzusehen sind, müssen jedenfalls bei der Kommission angemeldet und von dieser genehmigt werden.
V. Grundzüge des Verfahrens der Beihilfeprüfung A. Allgemeines Das Verfahren der Beihilfekontrolle ist in seinen Grundzügen in Art 88 geregelt. Die Beihilfekontrolle umfasst in einem ersten Schritt die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit einer Maßnahme (Beihilfequalität), sowie im Bejahungsfall nachfolgend auch die Prüfung der Zulässigkeit der Beihilfe nach den Bestimmungen des Vertrages (Vereinbarkeitsprüfung). Nach Art 88 ist beides grundsätzlich der Kommission zur alleinigen Entscheidung unter der nachprüfenden Kontrolle der Gemeinschaftsgerichte übertragen (Prüfmonopol). Lediglich im Anwendungsbereich des Durchführungsverbots (Art 88 Abs 3 letzter Satz) teilt sich die Kommission die Zuständigkeit zur Prüfung der Beihilfequalität mit den nationalen Gerichten;504 über die Vereinbarkeit der Maßnahme können diese aber auch dann nicht absprechen. Daher ist auch eine auf die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt gerichtete Vorabentscheidungsfrage eines nationalen Gerichts stets unzulässig und nach stRsp zurückzuweisen.505 Gleichzeitig ist eine Feststellung der Kommission über die Vereinbarkeit einer Beihilfe für die nationalen Gerichte bindend.506 Nach Art 88 Abs 1 EG überprüft die Kommission einerseits „fortlaufend in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die in diesen bestehenden Beihilferegelungen [und] schlägt ihnen die zweckdienlichen Maßnahmen vor, welche die 504 505 506
Dazu ausführlich Kapitel V.C.4.c, unten. Vgl zB EuGH 23. 3. 2006, Rs C-237/04, Enirisorse II, noch nicht in Slg veröff, Rz 23; Rs C-297/01, Sicilcassa, Slg. 2003, I-7849, Rz 47. Vgl zB EuGH, Rs C-266/91, Celulose Beira Industrial SA (‚CELBI’), Slg 1993, I-4337, Rz 23.
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fortschreitende Entwicklung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erfordern.“ Andererseits sind die Mitgliedstaaten nach Art 88 Abs 3 EG verpflichtet, die Kommission über neue Beihilfemaßnahmen oder über Änderungen bestehender Beihilfen zu unterrichten. Solche Maßnahmen dürfen nicht durchgeführt werden, „bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat.“ Somit ergibt sich eine Zweiteilung des Beihilfeverfahrens in Vorschriften für bestehende Beihilfen und solche für neue Beihilfen. Dem entspricht auch eine Zweiteilung der Überwachungsfunktion der Kommission:507 In Bezug auf bestehende Beihilfen und bei der Überwachung der Einhaltung von Beihilfeentscheidungen erfüllt die Kommission eine repressive Aufgabe, bei der sie Unzulänglichkeiten oder Unvereinbarkeiten bei der Durchführung einer bestehenden Beihilfemaßnahme oder einer Beihilfeentscheidung ermittelt und abstellt. Zusätzlich kommt der Kommission aber auch eine wichtige präventive Aufgabe zu. Über die in Art 88 Abs 3 EG festgelegte Verpflichtung zur Anmeldung neuer Beihilfen bei der Kommission sollen im Prinzip nur solche Maßnahmen zur Durchführung gelangen, die mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind. Mitgliedstaatliche Unternehmenssubventionen, die das Funktionieren des Gemeinsamen Markts (unverhältnismäßig) beeinträchtigen, werden demgegenüber von der Kommission verhindert. Das von der Kommission bei der Prüfung und Überwachung bestehender und neuer Beihilfen im Detail anzuwendende Verfahrensrecht war lange Zeit nicht kodifiziert und ergab sich lediglich aus der umfangreichen Anwendungspraxis unter nachprüfender Kontrolle der Gemeinschaftsgerichte. Erst 1999 wurde mit der VerfahrensVO zu Art 88 (VVO)508 eine weitestgehend an der früheren Praxis orientierte, kodifizierte Verfahrensregelung zu Art 88 geschaffen. Im Jahr 2004 folgte mit der DurchführungsVO (D-VVO) zur VVO ein Bündel von Vorschriften zur Präzisierung unterschiedlicher Verfahrensbestimmungen, va betreffend Fristen, Rückforderungszinssätze und Form und Inhalt von Anmeldungen und Jahresberichten.509
B. Überwachung von bestehenden Beihilfen 1. Begriff der bestehenden Beihilfe Gemäß der Definition des Art 1 lit b VVO sind bestehende Beihilfen alle nach Art 87 Abs 1 tatbestandsmäßigen Maßnahmen, die • vor Inkrafttreten des Vertrags in einem Mitgliedstaat bestanden (Altbeihilfen); • von der Kommission (oder vom Rat) bereits genehmigt wurden; • angemeldet, aber von der Kommission binnen zweieinhalb Monaten nicht entschieden wurden (Art 4 Abs 6 VVO);
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Näher auch Sinnaeve, §38, Rz 1ff; Sutter, Art 88, Rz 1f. Dazu näher zB Sinnaeve, EuZW 1998; Sinnaeve, EuZW 1999; Bartosch, EuZW 2004; Staebe, Rechtsschutz, 49 ff; Sutter, Art 88, Rz 7ff. Näher WB 2004, Tz 338ff.
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nicht angemeldet, aber von der Kommission binnen zehn Jahren ab Gewährung (Art 15 VVO) nicht aufgegriffen wurden;510 • nur aufgrund der Entwicklung des Marktes zu Beihilfen wurden, ohne formell geändert worden zu sein (zB: Entwicklung des Wettbewerbsumfelds, der Kosten oder Einnahmen, Änderungen des Marktwerts; ausgenommen sind Änderungen aufgrund Liberalisierung).511 Art und Anzahl von Altbeihilfen variieren je nach Mitgliedstaat. Welche Maßnahmen konkret als Altbeihilfen gelten, ist dem jeweiligen Beitrittsvertrag zu entnehmen. Für Österreich ergibt sich aus Art 172 Abs 5 Satz 3 BA 1994 e contrario, dass alle Maßnahmen, die bereits vor Inkrafttreten des EWR-Abk512 gewährt und seither unverändert weitergeführt wurden513 sowie Beihilferegelungen, die von 1. 1. 1994 bis 31. 12. 1994 (Geltung des EWR-Abkommens) ordnungsgemäß notifiziert und von der EFTA-Überwachungsbehörde genehmigt wurden, als Altbeihilfen anzusehen sind. Beihilfen, die schon gegen das Beihilfenregime des EWR-Abkommens verstießen, blieben auch nach dem EU-Beitritt unzulässig. Im Agrarbereich gilt mit Art 144 BA 1994 aber ein abweichendes, strengeres Regime. Demnach mussten Agrarbeihilfen der Kommission nach bis zum 30. 4. 1995 notifiziert werden, um unter das Altbeihilfen-Privileg zu fallen. Für die Staaten der fünften Erweiterungsrunde 2004 wurde folgende Regelung für Altbeihilfen vorgesehen: Als bestehende Beihilfen gelten nach Art 22 iVm Anhang IV BA 2003514 alle Maßnahmen, die entweder in der Anlage zu Anhang IV explizit genannt sind (sog Vertragsliste),515 oder vor dem 10. 12. 1994 in Kraft traten oder zwischen 2003 und dem Beitritt von der nationalen Beihilfekontrollbehörde geprüft und von der Kommission nicht beeinsprucht wurden (sog Interimsverfahren). 559 Maßnahmen wurden dem Interimsverfahren unterzogen und 58 % davon idF auch als bestehende Beihilfen genehmigt (nicht beeinsprucht).516 Abweichende Regelungen gelten für Beihilfen in den Sektoren Verkehr und Landwirtschaft (nicht: Fischerei), zT sind auch besondere Übergangsmaßnahmen für einzelne Gebiete vorgesehen.
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Jedes Tätigwerden der Kommission wirkt aber verfahrensunterbrechend. In EuGH, Rs C-295/97, Piaggio, Slg 1999, I-3735, Rz 45f, bewertete der EuGH sogar sich über 14 Jahre hinziehende Zweifel der Kommission zur Beihilfequalität einer Maßnahme als Ausschlussgrund für das Vorliegen einer bestehenden Beihilfe. Vgl zum Liberalisierungsproblem etwa EuG, verbRs T-298/97, T-312/97, T-313/97, T-315/97, T-600/97 bis 607/97, T-1/98, T-3/98 bis T-6/98 und T-23/98, Alzetta Mauro ua, Slg 2000, II-2319, Rz 142ff (bestätigt durch EuGH, Rs C-298/00 P, Italien/Kommission, Slg 2004, I-4087, Rz 64ff); Rs C-372/97, Italien/Kommission, Slg 2004, I-3679, Rz 94ff; EuG, Rs T-288/97, Regione Fruili Venezia Giulia, Slg 2001, II-1169, Rz 89ff. Vgl Art 129 Abs 3 EWR-Abk. Vgl Art 62 Abs 1 EWR-Abk; dazu auch Schuster, ÖZW 1992, 71 mwN. Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge, Abl 2003 L 236/1, 33ff und 797ff. Die Anlage zu Anhang IV findet sich in Abl 2003 C 227 E/2. Vgl näher WB 2004, Tz 527.
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2. Verfahren vor der Kommission und Rechtsfolgen von zweckdienlichen Maßnahmen oder Entscheidungen Für bestehende Beihilfen sehen Art 88 und die VVO ein System der nachträglichen Kontrolle vor.517 Diese Kontrolle übt die Kommission nach dem Wortlaut des Vertrages „laufend“, also entsprechend den verfügbaren Ressourcen nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen518 aus.519 Bestehende Beihilfen gelten dabei so lange als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar, als die Kommission nicht (als Folge einer laufenden Überprüfung) eine Unvereinbarkeit festgestellt hat.520 Bestehende Beihilfen können daher auch dann, wenn sie materiell mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar geworden sind solange beibehalten werden, als die Kommission die Unvereinbarkeit nicht im Rahmen einer Überprüfung feststellt. Ergeben sich im Zuge einer Überprüfung Bedenken der (weiteren) Vereinbarkeit einer bestehenden Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt, muss die Kommission dem betreffenden Mitgliedstaat (nach dessen Anhörung)521 zweckdienliche Maßnahmen zur Behebung der Bedenken vorschlagen. Zweckdienliche Maßnahmen können nach Art 18 VVO auf die Umgestaltung, Abänderung oder gänzliche Aufhebung der Beihilfe gerichtet sein. Es handelt sich dabei um Empfehlungen an die Mitgliedstaaten iSv Art 249 EG, sodass keine Verpflichtung besteht, den Kommissionsvorschlägen zu entsprechen.522 Stimmt ein Mitgliedstaat den vorgeschlagenen Maßnahmen aber zu, so entsteht eine auch von Dritten durchsetzbare Verpflichtung zur Durchführung dieser Maßnahmen (Art 19 Abs 1 VVO).523 Das Verfahren über die Annahme zweckdienlicher Maßnahmen beschränkt sich auf die Kommission und den betreffenden Mitgliedstaat; es bestehen keine formellen Beteiligtenrechte.524 Wird den zweckdienlichen Maßnahmen dagegen seitens des betreffenden Mitgliedstaats nicht zugestimmt, so muss die Kommission, wenn sie auf der Umgestaltung oder Abschaffung der Beihilfe besteht, das förmliche Prüfverfahren525 einleiten. Eine sofortige Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens ohne Einhaltung der vorgelagerten Kooperationsphase ist unzulässig (Art 17 Abs 1 VVO). Nach Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens ist der Fortgang 517 518 519
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Näher zB auch Koenig/Kühling, NJW 2000, 1072; Sánchez Rydelski, Handbuch, 174 ff; Sutter, Art 88, Rz 22ff. So auch Mederer, Art 88, Rz 33 mwN. Die Kommission ist dabei freilich auf eine Kooperation der Mitgliedstaaten angewiesen, vgl dazu die verschiedenen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung nach Artt 21ff VVO; dazu auch Sinnaeve, § 38, Rz 2ff. StRsp EuGH, vgl Rs C-387/92, Banco Exterior de España, Slg 1994, I-877, Rz 20; Rs C-47/91, Italien/Kommission (‚Italgrani’), Slg 1994, I-4635, Rz 24f. Das Anhörungsrecht vor dem Vorschlag zweckdienlicher Maßnahmen ist ein wesentlicher Verfahrensschritt, vgl Sinnaeve, § 36, Rz 7f. Vgl dazu EuG, Rs T-330/94, Salt Union, Slg 1996, II-1475, Rz 21. Vgl zB EuGH, Rs C-242/00, Deutschland/Kommission (‚Abgrenzung der Fördergebiete’), Slg 2002, I-5603, Rz 28 f; Rs C-311/94, IJssel-Vliet Combinatie, Slg 1996, I-5023, Rz 44; Rs C-313/90, Comité international de la rayonne et des fibres synthétiques (‚CIRFS’), Slg 1993, I-1125, Rz 32. Vgl idS Art 20 Abs 1 VVO und Lenaerts/Arts, Procedural Law, Rz 7-072. Dazu in Kapitel V.C.2.c, unten.
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des Verfahrens derselbe wie bei Neubeihilfen. Insbesondere haben ab diesem Zeitpunkt Beteiligte (Art 1 lit h VVO; Beihilfeempfänger, Wettbewerber, Standesvertretungen) ein Recht auf Teilnahme (Art 20 Abs 1 VVO), das ihnen auch den Zugang zur nachprüfenden Rechtskontrolle eröffnet.526 Nach Durchführung des förmlichen Prüfverfahrens kann die Kommission die Umgestaltung der Beihilfe mit Entscheidung anordnen. Eine bestehende Beihilfe wird erst durch die Abänderungs- oder Negativentscheidung in einem solchen förmlichen Prüfverfahren rechtswidrig.527 Da diese Entscheidung also nur für die Zukunft (ex nunc) wirkt, kann die bestehende Beihilfe bis zum Tag der Rechtskraft der Entscheidung gewährt werden.
C. Prüfung neuer Beihilfen Für neue Beihilfevorhaben sehen Art 88 und die VVO ein Regime der präventiven Kontrolle vor. Dieses fußt maßgeblich auf der Pflicht der Mitgliedstaaten zur Information der Kommission über jede beabsichtigte Einführung oder Umgestaltung einer Beihilfe (Anmelde- bzw Notifikationspflicht). Die Kommission prüft die angemeldete Maßnahme sodann in einem (je nach Schwierigkeit der Beurteilung) ein- oder zweistufigen Verfahren auf Beihilfequalität und Vereinbarkeit. Bis zur abschließenden Entscheidung der Kommission in diesem Verfahren darf die Maßnahme nicht durchgeführt werden (Durchführungsverbot). Verletzungen des Durchführungsverbots (und damit auch: der Anmeldepflicht) können von Konkurrenten vor den nationalen Gerichten angegriffen werden.528
1. Begriff der neuen Beihilfe und Umgestaltung bestehender Beihilfen Neue Beihilfen sind nach der in Art 1 lit c VVO verwendeten Definition alle Beihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind. Eine Zuwendung, die fälschlicherweise unter eine bestehende Beihilfe subsumiert wird oder die zwar im Hinblick auf eine bestehende Beihilfe gewährt, aber von deren Genehmigungsumfang nicht erfasst wird (zB neuer Kredit zur Rückzahlung einer bestehenden Beihilfe), ist eine neue Beihilfe.529 Zudem kann nach Art 1 lit c VVO eine bestehende Beihilfe dadurch zur Neubeihilfe werden, dass sie maßgeblich verändert bzw umgestaltet wird. Zur Frage, welche Änderungen bzw Umgestaltungen bestehender Beihilfen jene Schwelle überschreiten, ab der sie als neue Beihilfen anzusehen sind, lässt sich in der Rsp eine Entwicklung beobachten. Im für die Abgrenzung bestehender und neuer Beihilfen grundlegenden Urteil Namur AC aus 1994 stellte der Gerichtshof noch alleine darauf ab, ob die Rechts- bzw Gewäh-
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Ausführlich Kapitel V.D, unten. Vgl etwa EuGH, Rs C-387/92, Banco Exterior de España, Slg 1994, I-877, Rz 20 mwN. Dazu näher Kapitel V.C.4.c, unten. Vgl dazu EuG 19. 10. 2005, T-318/00, ODS, noch nicht in Slg veröff, Rz 179, 195, 247f und 281.
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rungsgrundlage der Beihilfe abgeändert wurde.530 Nur soweit eine Zuwendung die „strikte und vorhersehbare Anwendung der Bedingungen darstellt, die in der Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen Regelung festgelegt sind“,531 ist sie als bestehende Beihilfe anzusehen und muss nicht neuerlich angemeldet werden. Kann die Zuwendung dagegen nur gewährt werden, weil die in der Gewährungsgrundlage festgelegten Gewährungsmodalitäten und Beschränkungen (zB Laufzeit, Höhe, Gewährungsgrund) geändert wurden, liegt eine neue Beihilfe vor.532 Wie sich aus der Namur AC nachfolgenden Rsp des EuG ergibt, dürfte dabei allerdings nur eine wesentliche Umgestaltung beachtlich sein. Wesentlich ist eine Umgestaltung nach Auffassung des EuG, wenn sie die „die ursprüngliche Regelung […] in ihrem Kern betrifft. Um eine derartige wesentliche Änderung kann es sich jedoch nicht handeln, wenn sich das neue Element eindeutig von der ursprünglichen Regelung trennen lässt.“533 Unwesentliche Änderungen können daher nur solche, sein, die das Funktionieren und die Wettbewerbswirkungen der Beihilfe nicht berühren. Denkbar sind hier zB schlichte Änderungen der Zahlungsmodalitäten, Inflationsanpassungen,534 wirtschaftlich unerhebliche Änderungen der Auszahlungswährung oder ähnliches, wobei aber die Zulässigkeit einer Änderung für den Einzelfall anhand der konkreten Auswirkungen zu beurteilen und dabei jedenfalls ein strenger Maßstab anzulegen sein wird. Jede Änderung, die für die Vereinbarkeitsprüfung durch die Kommission relevant sein könnte, ist jedenfalls anzumelden.535 Beeinflusst die neue Zuwendung das Funktionieren der bestehenden Beihilfe dagegen überhaupt nicht, liegt auch keine Änderung, sondern (nur) eine neue Beihilfe vor (Trennbarkeit). Bei Trennbarkeit ist die Änderung also alleine anzumelden, mangels Trennbarkeit hat eine Neuanmeldung der bestehenden Maßnahme mitsamt der Änderung zu erfolgen.
Demnach lassen sich bei der Abgrenzung von bestehenden und neuen Beihilfen zusammenfassend folgende vier Situationen unterscheiden: Erstens, die Zuwendung ist eine strikte und vorhersehbare Anwendung der Bedingungen der bestehenden Beihilfe; sie muss nicht angemeldet und nicht neuerlich geprüft werden. Zweitens, die Zuwendung lässt sich nicht einwandfrei unter die Regelung der bestehenden Beihilfe subsumieren, konnte aber aufgrund von Modifikationen ohne wesentliche Auswirkungen auf das Funktionieren der Beihilfe gewährt werden; auch sie muss wohl nicht angemeldet und nicht neuerlich geprüft werden. Drittens, die Zuwendung lässt sich nicht unter die ur-
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EuGH, Rs C-44/93, Namur AC, Slg 1994, I-3829, Rz 28f; idS auch EuG, verbRs T127/99, T-129/99 und T-148/99, Diputación Foral de Álava, Slg 2002, II-1371, Rz 174; EuGH 23. 2. 2006, verbRs C-346/03 und C-529/03, Atzeni ua, noch nicht in Slg veröff, Rz 52. EuG, Rs T-176/01, Ferriere Nord, Slg 2004, II-3931, Rz 51; ähnlich EuGH, Rs C-321/99 P, ARAP, Slg 2002, I-4287, Rz 83. Vgl zB EuGH, Rs C-44/93, Namur AC, Slg 1994, I-3829, Rz 28f; EuG, Rs T190/00, Regione Siciliana/Kommission, Slg 2003, II-5015, Rz 73; Rs T-35/99, Keller, Slg 2002, II-261, Rz 61. EuG, verbRs T-195/01 und T-207/01, Gibraltar/Kommission, Slg 2002, II-2309, Rz 111; idS schon EuGH, verbRs 91/83 und 127/83, Heineken, Slg 1984, 3435, Rz 21. Im Ergebnis aber abgelehnt (Erhöhung um das Siebenfache) in EuG, Rs T-35/99, Keller, Slg 2002, II-261, Rz 61 und 63. So auch Sinnaeve, § 33, Rz 3.
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sprüngliche Regelung subsumieren und kann auch nur gewährt werden, weil die bestehende Beihilfe in wesentlichen Punkten abgeändert wurde bzw bewirkt die neue Zuwendung de facto eine Abänderung der bestehenden Maßnahme; hier ist die gesamte Maßnahme neu anzumelden. Viertens, die Zuwendung unterscheidet sich nicht bloß unwesentlich von der ursprünglichen Regelung, kann aber „eindeutig“ neben dieser (dh: getrennt) gewährt werden, ohne auf sie Einfluss zu nehmen; hier ist nur die neue Maßnahme anzumelden, während die bestehende weiterläuft.
2. Verfahren vor der Kommission a) Anmeldepflicht und Freistellungen von der Anmeldung Nach Art 88 Abs 3 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, neue Beihilfenvorhaben (einschließlich von Änderungen bestehender Regelungen) bei der Kommission zur Überprüfung anzumelden (Notifikation). Die Anmeldepflicht bezieht sich nur auf nach Art 87 Abs 1 tatbestandsmäßige Beihilfen;536 auch Maßnahmen, die unter eine bestehende GVO fallen,537 sind von der Anmeldepflicht freigestellt. In den übrigen Fällen gilt die Anmeldepflicht aber unabhängig davon, ob ein Mitgliedstaat die Anwendbarkeit der Ermessensausnahmen des Abs 3 oder der Legalausnahmen des Abs 2 für sich beansprucht; beides hat die Kommission durch Entscheidung zu bestätigen. Die Subsumption einer Maßnahme unter den Beihilfentatbestand erfolgt völlig objektiv, dh dass es zur Beurteilung einer Verletzung der Anmeldepflicht auf eine Entschuldbarkeit des Subsumptionsirrtums bzw auf die vorweg mangelnde Erkennbarkeit der Beihilfeneigenschaft nicht ankommt (objektive ex post-Betrachtung).538 Einen bestimmten Zeitpunkt für die Anmeldung einer in Planung befindlichen Beihilfemaßnahme schreibt der Vertrag zwar nicht vor, doch wird die Anmeldung erst dann sinnvoll sein, wenn die Planung der Maßnahme so weit gediegen ist, dass sie der Kommission in ihren wettbewerbsrelevanten Aspekten beschrieben werden kann;539 gleichzeitig muss die Anmeldung aber so rechtzeitig vor der unbedingten und rechtlich bindenden Inkraftsetzung der Maßnahme (Durchführung) erfolgen, dass sich die Kommission dazu äußern kann (Art 88 Abs 3). Bei Gesetzen wird es aber sinnvoll sein, die Anmeldung jedenfalls noch vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens vorzunehmen, um auf allfällige Beanstandungen durch die Kommission reagieren zu können. Für Österreich wurde idZ argumentiert, der frühest sinnvolle Anmeldungszeitpunkt im Normsetzungsverfahren sei jener, zu dem ein Gesetzesentwurf die Zustimmung des Antragsberechtigten iSd § 69 GOG-NR erhält (zB Ministerratsbeschluss bei RV).540 In inhaltlicher Hinsicht hat die Anmeldung hat in der Beschreibung der Maßnahme vollständig zu sein, dh sie muss bereits alle Informationen zu enthalten, die die Kommission benötigt, um sich eine erste Mei536 537 538 539 540
Dazu auch Kruse, NVwZ 1999, 1051. Zu diesen Kapitel IV.E, oben; näher auch Sutter, Art 88, Rz 34ff. IdS EuG, Rs T-46/97, Sociedade Independente de Comunicação (‘SIC’), Slg 2000, II-2125, Rz 83 mwN; näher bereits Kapitel II.A., oben. Vgl idZ auch die in Kapitel V.C.2.b, unten, besprochene Rs Siemens Bauelemente. Sutter, Art 88, Rz 39 mwN.
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nung über die Vereinbarkeit der Beihilfe zu bilden (Art 8 Abs 2 VVO).541 Eine unvollständige Anmeldung wird von der Kommission in der Praxis durch schriftliche Rückfragen behoben und bleibt damit ohne nachteilige Verfahrensfolgen. Sie verzögert aber das Prüfverfahren und verlängert damit die Dauer des Durchführungsverbots. Die praktische Übermittlung von Anmeldungen an die Kommission ist seit 2004 in der D-VVO genauer geregelt.542 Demnach sind seit 1. 1. 2006 alle Anmeldungen grundsätzlich elektronisch zu übermitteln, wobei grundsätzlich die im Anhang zur DVVO enthaltenen Standardformulare für die Anmeldung der verschiedenen Arten von Beihilfen zu verwenden sind. Die Übermittlung hat durch die ständige Vertretung des betreffenden Mitgliedstaats bei der Kommission zu erfolgen, über die auch jeglicher nachfolgende Schriftverkehr läuft. Die Erstanmeldung erfolgt beim Generalsekretariat der Kommission (Kommissionspräsident). Sie wird danach der zuständigen GD (Wettbewerb; Landwirtschaft; Fischerei; Verkehr) zugeteilt, die den nachfolgenden Schriftverkehr seitens der Kommission übernimmt. Für Österreich ist die Übermittlung von Anmeldungen an die ständige Vertretung beim BMWA (Abteilung Beihilfen) gebündelt, das damit seinerseits als Koordinationsstelle für die Beihilfenanmeldungen der Ministerien, Länder, Gemeinden usw auf innerösterreichischer Ebene fungiert.
b) Vorprüfungsverfahren Das Verfahren bei angemeldeten Neubeihilfen ist zweistufig, wobei zunächst eine vorläufige Prüfung der Maßnahme erfolgt (Vorprüfungsverfahren). Die vorläufige Prüfung soll es der Kommission ermöglichen, sich eine erste Meinung über die Vereinbarkeit des angezeigten Vorhabens zu bilden und so va über Maßnahmen rasch zu entscheiden, bei denen problemlos die Beihilfeeigenschaft verneint oder die Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt bejaht werden kann.543 Ist eine so problemlose Beurteilung nicht möglich, hat die Kommission in die zweite Stufe des Verfahrens einzutreten, dh das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen. Das Vorprüfungsverfahren kann daher mit drei Arten von Entscheidungen enden: Es liegt keine Beihilfe vor; es liegt eine mit dem Gemeinsamen Markt vereinbare Beihilfe vor; die Maßnahme muss hinsichtlich Beihilfequalität und/oder Vereinbarkeit näher untersucht werden (Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens).544 Die Kommission verfügt bei der Entscheidung, ob das förmliche Prüfverfahren eingeleitet werden soll über kein Ermessen: Wirft die Beurteilung der Vertragskonformität „ernsthafte Schwierigkeiten“ auf, so muss das förmliche Prüfverfahren eröffnet werden.545 Ob ernsthafte Schwierigkeiten bei der Beurteilung vorlagen, ist eine objektive Frage, die einer uneingeschränkten Über-
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Vgl auch EuGH, Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens Bauelemente’), Slg 2001, I-1101, Rz 56. Vgl auch WB 2004, Tz 338ff. Vgl dazu EuGH, Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens Bauelemente’), Slg 2001, I-1101, Rz 32. Näher Sinnaeve, § 33 (FN 535) Rz 33ff. StRsp, zB EuGH, Rs C-367/95 P, Sytraval und Brink’s France (‚Sytraval II’), Slg 1998, I-1719, Rz 39; Rs 84/82, Deutschland/Kommission, Slg 1984, 1451, Rz 13; Rs C-198/91, Cook, Slg 1993, I-2487, Rz 29; Rs C-225/91, Matra, Slg 1993, I-3203, Rz 33.
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prüfung durch die Gemeinschaftsgerichte unterliegt.546 Inwieweit das förmliche Prüfverfahren zu Recht (nicht) eröffnet wurde, ist in der Praxis auch von großer Bedeutung, da erst in dieser zweiten Stufe des Verfahrens Stellungnahmerechte der Beteiligten bestehen.547 Daher kann die Kommission eine Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens insbesondere nicht aus Gründen der Verfahrensökonomie oder der administrativen Zweckmäßigkeit ablehnen.548 Um einen umfassenden Konkurrentenrechtsschutz zu gewährleisten, ist die Entscheidung über die Nichteinleitung des förmlichen Prüfverfahrens auch gesondert anfechtbar.549 Die Vorprüfung ist von der Kommission binnen zwei Monaten ab Anmeldung abzuschließen (Lorenz-Frist).550 Geht dem betreffenden Mitgliedstaat bis dahin keine Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens zu,551 gilt die Beihilfe als genehmigt und die Kommission kann sie nur mehr im Rahmen des Verfahrens für bestehende Beihilfen beanstanden (Art 1 lit b Z iii VVO). Die VVO (Art 4 Abs 6) sieht nach Ablauf der Lorenz-Frist allerdings noch eine Korrekturmöglichkeit für die Kommission vor. Der Mitgliedstaat hat die Kommission demnach auf die beabsichtigte Durchführung ausdrücklich aufmerksam zu machen (Inkraftsetzungsanzeige).552 Geht danach binnen einer Stillhaltefrist von weiteren fünfzehn Tage keine Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens zu, kann die Beihilfe tatsächlich durchgeführt werden.553 Daneben unterliegt die Berufung auf die Lorenz-Frist (bzw auf Art 4 Abs 6 VVO) aber noch weiteren Einschränkungen. So kann die LorenzFrist nur in Bezug auf angemeldete Beihilfen geltend gemacht werden; sie gilt nicht im Rahmen eines Verfahrens, das die Kommission im Zusammenhang mit einer nicht angemeldeten Beihilfe eingeleitet hat.554 Weiters beginnt die Lorenz-Frist erst ab der vollständigen Anmeldung zu laufen, dh erst nachdem allfällige Rückfragen der Kommission beantwortet wurden.555 546 547 548
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Näher Sinnaeve, § 33, Rz 29. Vgl auch Sinnaeve, § 33, Rz 24. Vgl EuG, Rs T-73/98, Société chimique Prayon-Rupel, Slg 2001, II-867, Rz 45; Rs T-46/97, Sociedade Independente de Comunicação (‘SIC’), Slg 2000, II-2125, Rz 72. StRsp, zB EuGH, Rs C-367/95 P, Sytraval und Brink's France (‚Sytraval II’), Slg 1998, I-1719, Rz 40; näher va Kapitel VI.B.2, unten. EuGH, Rs 120/73, Gebrüder Lorenz, Slg 1973, 1471, Rz 3ff; stRsp, vgl Rs 84/82, Deutschland/Kommission, Slg 1984, 1451, Rz 11f; Rs C-39/94, SFEI, Slg 1996, I-3447, Rz 38; Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens Bauelemente’), Slg 2001, I-1101, Rz 74; Rs C-312/90, Spanien/Kommission, Slg. 1992, I-4117, Rz 18; EuG, verbRs T-116/01 und T-118/01, P&O European Ferries, Slg 2003, II-2957, Rz 216. Vgl für die Maßgeblichkeit des Zugangs, nicht des Datums der Entscheidung, EuGH, Rs C-398/00, Spanien/Kommission, Slg 2002, I-5643, Rz 31. Ebenso schon die Rechtslage vor VVO, vgl zB EuGH, Rs C-99/98, Österreich/ Kommission (‚Siemens Bauelemente’), Slg 2001, I-1101, Rz 32. Eine Mitteilung darüber ist gem Art 26 Abs 4 VVO im Abl zu veröffentlichen. Vgl zB verbRs T-116/01 und T-118/01, P&O European Ferries, Slg 2003, II-2957, Rz 217. Näher zB EuGH, Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens Bauelemente’), Slg 2001, I-1101, Rz 45ff.
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Im Urteil Siemens Bauelemente556 aus 2001 hatte der Gerichtshof Gelegenheit, einige sich aus der Lorenz-Frist ergebende praktische Schwierigkeiten zu klären. Dabei ging es um eine Beihilfe zu einer betrieblichen Investition in Kärnten, von der die Kommission aus der Presse erfuhr. Sie forderte Österreich zur Bekanntgabe näherer Informationen über die Beihilfe auf und erhielt zur Antwort, die Maßnahme sei noch in Planung und werde danach angemeldet. Diese Anmeldung erfolgte auch, doch hatte die Kommission dazu insgesamt fünf schriftliche Rückfragen; auch informierte Österreich die Kommission erst im dritten Antwortschreiben über eine die Investitionsbeihilfe flankierende Förderung nach dem ArbeitsmarktförderungsG. Nachdem sich der Schriftverkehr über knapp eineinhalb Jahre hingezogen hatte, setzte Österreich die Kommission schließlich von der Durchführung der Maßnahme in Kenntnis; die Lorenz-Frist sei nämlich bereits abgelaufen. Die Kommission untersagte die Inkraftsetzung zunächst per Fax, die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens ging Österreich aber erst knapp einen Monat nach Absendung der Inkraftsetzungsanzeige zu. Im darauf folgenden Verfahren vor dem EuGH stellte sich die Frage, ob die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens noch zulässig war, oder die Beihilfe nach der Lorenz-Frist nicht etwa bereits in eine bestehende Beihilfe übergegangen war. Der Gerichtshof hielt dazu zunächst fest, dass die Pressemeldung, aufgrund derer die Kommission auf die Beihilfe aufmerksam geworden war, kein geeigneter Nachweis für eine „unbedingte und rechtlich bindende Förderzusage“ und damit für eine rechtswidrige Durchführung vor Anmeldung sei; die Inanspruchnahme der Lorenz-Frist sei daher nicht verwirkt.557 Auch sei gegenüber dem Unternehmen für die Förderung nachweislich ein Vorbehalt der Kommissionsgenehmigung ausgesprochen worden. Zur Frage, wie viele Rückfragen zur Anmeldung zulässig seien bzw ob die Kommission den Ablauf der Lorenz-Frist dadurch verhindern könne, dass sie knapp vor Ablauf der zwei Monate eine neue Frage stelle führte der Gerichtshof aus, eine Anmeldung sei vollständig, sobald die Kommission im Schriftwechsel über alle Informationen verfüge, um sich „eine erste Meinung“ über die Vereinbarkeit zu bilden.558 Kommen dagegen im Schriftwechsel neue Details hervor (hier: die flankierende Förderung nach ArbeitsmarktförderungsG im Ausmaß von 2 % des Gesamtvolumens), so kann dies kein Grund für die Verlängerung der Vorprüfungsphase sondern allenfalls Anlass für die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens sein: „Die Beantwortung der in dem dritten Schreiben der Kommission gestellten Frage war somit wegen ihrer sehr beschränkten Tragweite für eine erste Meinungsbildung der Kommission über die Vereinbarkeit des gesamten Förderungsvorhabens mit dem EG-Vertrag nicht erforderlich. […] Das Schreiben bezweckte in Wirklichkeit nicht, Erläuterungen zu den in dem zweiten Schreiben der Kommission gestellten Fragen zu erhalten, sondern der Kommission eine zusätzliche Bedenkzeit für die Prüfung anderer Aspekte des Beihilfevorhabens zu verschaffen. Folglich führte der Umstand, dass sich die Kommission auf diese Weise zusätzliche Zeit verschaffen wollte, zu einer künstlichen Verlängerung der Vorprüfungsphase.“559 Die Lorenz-Frist begann daher mit der Beantwortung des zweiten Schreibens der Kommission zu laufen. Eine Verlängerung der Vorprüfungsphase aufgrund einer etwaigen besonderen Komplexität des Falles kommt nicht in Frage, da solche Fälle aus Gründen 556 557 558 559
EuGH, Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens I-1101. EuGH, Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens I-1101, Rz 38, Hervorhebung des Autors. EuGH, Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens I-1101, Rz 56. EuGH, Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens I-1101, Rz 62 und 65; vgl aber Sinnaeve, § 33, Rz 27.
Bauelemente’), Slg 2001, Bauelemente’), Slg 2001, Bauelemente’), Slg 2001, Bauelemente’), Slg 2001,
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der Rechtssicherheit ja gerade im förmlichen Prüfverfahren zu erledigen sind.560 Unerheblich sei es idZ, inwieweit Österreich zu der Verzögerung der Vorprüfung durch lediglich schleppende Beantwortungen beigetragen habe: Der EG-Vertrag kenne keine Pflicht der Mitgliedstaaten, „zusätzliche Auskunftsersuchen der Kommission rasch zu beantworten.“561 Da die Lorenz-Frist ohnedies erst mit Erhalt der vollständigen Anmeldung beginnt, schadet ein Mitgliedstaat damit zwar seinem eigenen Interesse an der raschen Durchführung des Vorhabens, er kann aber nicht die Inanspruchnahme der Lorenz-Frist verwirken. Schließlich stellte der EuGH auch klar, dass ein allfälliger Widerspruch der Kommission gegen die Inkraftsetzungsanzeige bzw die damit angekündigte Durchführung keine beachtliche Verfahrenshandlung ist. Der Kommission steht es in dieser Phase nur mehr offen, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten.562 Verabsäumt sie dies (wie hier) binnen fünfzehn Tagen, kann die Beihilfe durchgeführt werden. Das Urteil Siemens Bauelemente verdeutlicht auch die praktische Bedeutung der Lorenz-Frist für einmalig gewährte Beihilfen (Einzelbeihilfen); während Einzelbeihilfen durch Fristversäumnis unangreifbar werden, kann die Kommission (wiederkehrende Zahlungen im Rahmen von) Beihilferegelungen auch nach Fristversäumnis für die Zukunft nach den Regeln für bestehende Beihilfen abstellen.563
c) Förmliches Prüfverfahren (Hauptprüfungsverfahren) Gelangt die Kommission im Vorprüfungsverfahren zu der Ansicht, dass gegen die Vereinbarkeit der angemeldeten Beihilfe Bedenken bestehen, hat sie als zweite Stufe der Beihilfeprüfung das förmliche Prüfverfahren (Hauptprüfungsverfahren) zu eröffnen (Art 4 Abs 4 VVO). Die Bestimmungen über das förmliche Prüfverfahren finden außerdem als zweite Phase der Prüfung bei bestehenden (bei Scheitern der Verständigung über zweckdienliche Maßnahmen) und rechtswidrigen (nach Abschluss der Vorprüfung) Beihilfen Anwendung.564 Das förmliche Prüfverfahren dient der Detailprüfung der Beihilfequalität und/oder Vereinbarkeit bei komplexen Maßnahmen unter Einbeziehung beteiligter Dritter. Dabei ist die Einbeziehung eines weiteren Kreises an Beteiligten gegenüber den im Übrigen rein zwischen der Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat ablaufenden Verfahren der Beihilfenkontrolle ein wesentliches Merkmal des förmlichen Prüfverfahrens.565 Die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens wird nur dem beihilfegewährenden Mitgliedstaat zugestellt; zur Sicherung der Teilnahmerechte von Beteiligten (einschließlich des Beihilfebegünstigten) genügt demgegenüber die verbindliche (Art 26 Abs 2 VVO) Veröffentlichung der Eröffnungsentscheidung im Abl.566 Die Eröffnungsentscheidung enthält 560 561 562 563 564 565 566
Vgl EuGH, Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens Bauelemente’), Slg 2001, I-1101, Rz 73. EuGH, Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens Bauelemente’), Slg 2001, I-1101, Rz 77. EuGH, Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens Bauelemente’), Slg 2001, I-1101, Rz 84f. Zur Unterscheidung von Einzelbeihilfen und Beihilferegelungen vgl Art 1 lit d und e VVO. Näher Kapitel V.B.2., oben, und V.C.2.d, unten. Zum Beteiligtenbegriff und den Beteiligtenrechten im Detail Kapitel V.D, unten. StRsp, vgl zuletzt Beschluss, EuG 21. 11. 2005, Rs T-426/04, Tamarin, noch nicht in Slg veröff, Rz 53 mwN; weiters EuGH, Rs 323/82, Intermills, Slg 1984, 3809, Rz 17; Rs C-367/95 P, Sytraval und Brink's France (‚Sytraval II’), Slg 1998, I-1719,
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auch eine Frist „von normalerweise höchstens einem Monat“ (Art 6 Abs 1 VVO), binnen derer der Mitgliedstaat und die Beteiligten Stellungnahmen bei der Kommission einreichen können. Die Frist läuft ab Zustellung (Mitgliedstaat) bzw Veröffentlichung der Entscheidung (Beteiligte). Der beihilfegewährende Mitgliedstaat erhält danach, wiederum iaR mit Monatsfrist, nochmals Gelegenheit zur Gegenäußerung zu den eingereichten Stellungnahmen. Informationen, die dem beihilfegewährenden Mitgliedstaat nicht zur Gegenäußerung vorgelegt wurden (zB Geschäftsgeheimnisse), dürfen von der Kommission in der Entscheidung nicht verwertet werden.567 Darüber hinaus gibt es keinen allgemeinen Austausch der Stellungnahmen bzw ein allgemeines Recht auf Akteneinsicht; insbesondere haben die Beteiligten (einschließlich anderer Mitgliedstaaten) keinen Zugang zu den Stellungnahmen des beihilfegewährenden Mitgliedstaats.568 Das förmliche Prüfverfahren sollte „möglichst“ innerhalb von 18 Monaten mit Entscheidung abgeschlossen werden, wobei die Entscheidung grundsätzlich erlassen werden soll, sobald die in der Verfahrenseröffnung geäußerten Bedenken ausgeräumt oder bestätigt sind (Art 7 Abs 6 VVO).569 Das Auslaufen der Frist von 18 Monaten aber lediglich zur Folge, dass die Kommission auf Wunsch des beihilfegewährenden Mitgliedstaats innerhalb von zwei Monaten eine Entscheidung zu erlassen hat (Art 7 Abs 7 VVO). Da die Gefahr einer Negativentscheidung in einem solchen Fall aber vergleichsweise hoch ist (andernfalls hätte die Kommission iaR ja schon entschieden) und eine Anfechtung der Entscheidung die Beihilfegewährung noch weiter verzögern würde, dürfte diese Bestimmung in der Praxis kaum Bedeutung erlangen. Insgesamt kommt man damit für Vor- und Hauptprüfungsverfahren noch immer auf eine zulässige Verfahrensdauer von zwei Jahren und ggf mehr.
Möglich sind drei Arten von verfahrensbeendenden Entscheidungen: Die Feststellung, dass die Maßnahme keine Beihilfe darstellt oder die Erklärung der Unvereinbarkeit (Negativentscheidung) oder Vereinbarkeit (Genehmigungs- oder Positiventscheidung) der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt; die Genehmigungsentscheidung kann auch mit Auflagen verbunden werden (Art 7 Abs 4 VVO).570 In der Praxis werden getrennte Bestandteile von Beihilfemaßnahmen durchaus auch unterschiedlich bewertet, sodass eine Kommissionsentscheidung zT genehmigend, zT negativ ausfallen kann (gemischte Entscheidung).
567 568
569 570
Rz 58f; EuG, Rs T-188/95, Waterleiding Maatschappij, Slg 1998, II-3713, Rz 60; Rs T-613/97, UFEX, Slg 2000, II-4055, Rz 88; verbRs T-371/94 und T-394/94, British Airways, Slg 1998, II-2405, Rz 59. StRsp, vgl zB EuGH, Rs 234/84, Belgien/Kommission, Slg 1986, 2263, Rz 29; Rs C-288/96, Deutschland/Kommission (‚Jadekost’), Slg 2000, I-8237, Rz 99f mwN. Vgl EuGH, Rs C-323/02 P (R), Technische Glaswerke Ilmenau, Slg 2002, I-8977, Rz 76; EuG, verbRs T-371/94 und T-394/94, British Airways, Slg 1998, II-2405, Rz 76; Rs T-613/97, UFEX, Slg 2000, II-4055, Rz 90; zur möglichen Bedeutung der VO 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, Abl 2001 L 145/43, idZ näher Sinnaeve, § 33, Rz 41 in FN 143. Zu Bedeutung und Rechtsfolgen dieser Bestimmung ausführlicher Sinnaeve, § 33, Rz 42ff. Ausführlich Sinnaeve, § 33, Rz 47ff.
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d) Verfahren bei nicht angemeldeten Beihilfen Informationen über nicht angemeldete, rechtswidrig durchgeführte Beihilfen sind von der Kommission unverzüglich zu prüfen (Art 10 Abs 1 VVO). Woher diese Informationen stammen (Beschwerde, Presse, Vorabentscheidungsersuchen oä), ist für die Pflicht der Kommission, tätig zu werden, nicht von Belang. Die Kommission hat dabei „sorgfältig und unvoreingenommen“ und ohne Beschränkung auf ein allfälliges Beschwerdevorbringen vorzugehen,571 sodass hinsichtlich der zu verfolgenden Fälle grundsätzlich kein Ermessen der Kommission besteht. Die Kommission hat dabei iW eine Vorprüfung der Maßnahme vorzunehmen, dh sie muss eine der zum Abschluss des Vorprüfungsverfahrens vorgesehenen Entscheidungen (keine Beihilfe; Beihilfe, aber vereinbar; Eröffnung des Hauptverfahrens) treffen oder dem Informanten mitteilen, dass ihr „keine ausreichenden Gründe[ vorliegen], zu dem Fall eine Auffassung zu vertreten“ (Art 20 Abs 2 VVO) und sie das Verfahren daher einstellt.572 Geht das Tätigwerden auf eine Mitteilung (Beschwerde) zurück, erlangt der Informant Beteiligtenstatus und ist über das Schicksal seiner Beschwerde zu unterrichten - entweder, indem die Kommission ihm gegenüber darlegt, warum sie keinen Anlass zur Verfolgung sieht, oder indem sie ihm eine Kopie der in der Sache ergangenen Entscheidung übermittelt (Art 20 Abs 2 VVO). Gegen Verletzungen der Untersuchungs- und Begründungspflicht der Kommission kann der Beteiligte Untätigkeitsklage,573 gegen förmliche Entscheidungen in der Sache auch Nichtigkeitsklage574 erheben. Im Übrigen ist das Verfahren bei rechtswidrigen Beihilfen dem Vorprüfungsverfahren und dem förmlichen Prüfverfahren analog ausgestaltet, sodass die Kommission sich auch hier durch Auskunftsersuchen eine erste Meinung über die Maßnahme zu verschaffen (Art 10 Abs 2 VVO) und bei Bedenken über die Vereinbarkeit das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen hat (Art 13 Abs 1 VVO). Dieses wird dann nach den allgemeinen Bestimmungen für das Hauptprüfungsverfahren durchgeführt. Eine bedeutsame Abweichung zu den Bestimmungen für das Vor- und Hauptprüfungsverfahren bei angemeldeten Beihilfen ist aber, dass die Kommission im Verfahren über rechtswidrige Beihilfen weder an die Lorenz-Frist (Vorprüfung), noch an die Frist von 18 Monaten im förmlichen Prüfverfahren gebunden ist (Art 13 Abs 2 VVO). Massive Überschreitungen dieser Verfahrensdauer dürften der Kommission im Hinblick auf das Recht des Beihilfeempfängers auf einen fairen Prozess innerhalb angemessener Frist (Art 6 Abs 1 EMRK) aber ohnedies nicht erlaubt sein.575 571
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573 574 575
EuGH, Rs C-367/95 P, Sytraval und Brink's France (‚Sytraval II’), Slg 1998, I-1719, Rz 62; ebenso EuG, Rs T-95/96, Gestevisión Telecinco, Slg 1998, II-3407, Rz 53; Rs T-46/97, Sociedade Independente de Comunicação (‘SIC’), Slg 2000, II-2125, Rz 105; Rs T-17/96, TF1, Slg 1999, II-1757, Rz 73. Vgl zu diesen Entscheidungsalternativen zB EuG 5. 4. 2006, Rs T-351/02, Deutsche Bahn, noch nicht in Slg veröff, Rz 45; Rs T-95/96, Gestevisión Telecinco, Slg 1998, II-3407, Rz 55; Sinnaeve, § 34, Rz 4. StRsp, zB EuG, Rs T-17/96, TF1, Slg 1999, II-1757, Rz 27; näher Kapitel VI.A, unten. Vgl Kapitel V.C.2.b, oben. Vgl idS EuGH, Rs C-185/95 P, Baustahlgewebe, Slg 1998, I-8417, Rz 28ff.
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e) Widerruf von Entscheidungen Art 9 VVO erlaubt der Kommission den Widerruf von im Vor- oder Hauptprüfungsverfahren ergangenen Entscheidungen, mit denen das Nichtvorliegen einer Beihilfe festgestellt oder die Vereinbarkeit einer Beihilfe (allenfalls auch unter Auflagen) ausgesprochen wurde. Die Widerrufsmöglichkeit besteht unabhängig vom Verfahrenstyp (rechtswidrige, angemeldete oder bestehende Beihilfe).576 Diese Revision begünstigender Beihilfeentscheidungen kommt allerdings nur zum Tragen, wenn die Entscheidung auf „während des Verfahrens übermittelten unrichtigen Informationen beruht“ und nachdem dem betreffenden Mitgliedstaat Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Um einen Widerruf zu rechtfertigen, müssen die unrichtigen Informationen damit jedenfalls entscheidungserheblich sein; wer sie zu verschulden hat bzw ob Verschulden vorliegt ist demgegenüber unerheblich.577 Der Widerruf hat im Rahmen eines (wiedereröffneten) förmlichen Prüfverfahrens zu erfolgen, dh dass die widerrufene Entscheidung gleich durch eine neue Entscheidung ersetzt wird. Die Folgen eines Widerrufs für den (im Ersatzverfahren wieder stellungnahmeberechtigten) Beihilfenempfänger sind vor dem Hintergrund der ex tuncund unmittelbaren Wirkung des Durchführungsverbots potentiell sehr weitreichend, ohne dass Art 9 VVO diesbezüglich Vorsorge träfe (oder in Bezug auf den unmittelbar im Vertrag verankerten Konkurrentenrechtsschutz vor nationalen Gerichten Vorsorge treffen könnte). Wie die Kommission dieses Problem in der Praxis in der Ersatzentscheidung abfedern und ein berechtigtes Vertrauen der Beihilfenempfänger auf die Rechtmäßigkeit der Zuwendung über einen eigenen Verzicht auf die Rückforderung hinaus schützen kann, ist nicht ohne weiteres ersichtlich.
3. Durchführungsverbot nach Art 88 Abs 3 letzter Satz a) Grundsatz Zur Absicherung des Prüfmonopols und der Anmeldepflicht sieht Art 88 Abs 3 Satz 3 ein Verbot vor, eine neue Beihilfemaßnahme durchzuführen, bevor sie von der Kommission mit Entscheidung genehmigt wurde bzw die erweiterte Lorenz-Frist578 verstrichen ist (Durchführungsverbot).579 Gegenstand des Art 88 Abs 3 ist also insgesamt nicht eine bloße Anmeldepflicht, sondern eine Verpflichtung zur vorherigen Anmeldung, die in Bezug auf die Beihilfe aufschiebende Wirkung hat.580 Maßnahmen, bei denen sich herausstellt, dass es sich nicht um tatbestandsmäßige Beihilfen handelt, unterliegen von Anfang an keinem Durchführungsverbot. Als idS rechtswidrige Durchführung sieht der EuGH nicht erst die Auszahlung der Beihilfe an, sondern bereits jedes Inkrafttreten bzw Wirksamwerden der Rechtsgrundla576 577 578 579
580
Vgl Sinnaeve, § 33, Rz 52. So auch Sinnaeve, § 33, Rz 50. Vgl Kapitel V.C.2.b, oben. Dazu auch Europäische Kommission, Wettbewerbsrecht, 39; weiters Eilmansberger, Zivilrechtsfolgen, 39ff und 60f; Sutter, Durchführungsverbot, 153 ff; Tilmann/ Schreibauer, GRUR 2002, 213f; Jaeger, ZfV 2003, 645ff. Vgl EuGH, Rs C-332/98, Frankreich/Kommission (‚CELF’), Slg 2000, I-4833, Rz 32.
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ge der Beihilfe in der Weise, dass der Anspruch auf Förderung unbedingt und rechtlich bindend wird und die Gewährung ohne weitere Formalität erfolgen kann.581 Adressaten des Durchführungsverbots sind alle an der Gewährung der Beihilfe beteiligten staatlichen Stellen, sodass der Gewährungsprozess in jeder beliebigen Phase zu stoppen ist, sobald die Beihilfequalität einer Maßnahme und damit die Anwendbarkeit des Durchführungsverbots offenbar wird.582 Wie seine Einhaltung konkret sichergestellt wird, hat jeder Mitgliedstaat selbst zu entscheiden.583 Für Österreich wurde idZ argumentiert, das Durchführungsverbot verpflichte im Legislativprozess va den Bundeskanzler als Kundmachungsorgan;584 auf Ebene der Vollziehung bindet das Durchführungsverbot jede beteiligte Behörde, die die weitere Gewährung von Amts wegen auszusetzen hat.585
b) Rechtswirkungen Nach Art 87 Abs 1 tatbestandsmäßige Maßnahmen, die unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot eingeführt werden, sind werden als rechtswidrige Beihilfen bezeichnet (Art 1 lit f VVO), für deren Prüfung die VVO eigene Verfahrensbestimmungen vorsieht.586 Die Kommission muss nämlich auch bei nicht angemeldeten bzw rechtswidrig durchgeführten Beihilfen eine vollständige Vereinbarkeitsprüfung vornehmen; eine Negativentscheidung aus dem rein formellen Grund des Verstoßes gegen das Durchführungsverbot ist nicht zulässig.587 Die Kommission erlässt auch in diesen Fällen eine abschließende Entscheidung. Die frühere Streitfrage,588 inwieweit die rechtswidrige Beihilfe durch diese Entscheidung rückwirkend saniert (geheilt) werden kann, ist mittlerweile vom EuGH geklärt: Die Kommissionsentscheidung wirkt ausschließlich ex nunc,589 die Kommission kann damit von der Anordnung einer Rück-
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582 583 584 585 586 587
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Vgl zB EuGH, Rs C-99/98, Österreich/Kommission (‚Siemens Bauelemente’), Slg 2001, I-1101, Rz 38; Rs C-332/98, Frankreich/Kommission (‚CELF’), Slg 2000, I-4833, Rz 31; EuG, verbRs T-127/99, T-129/99 und T-148/99, Diputación Foral de Álava, Slg 2002, II-1371, Rz 181ff; Sinnaeve, § 33, Rz 19; Kruse, NvWZ 1999, 1052; Keppenne, Guide, Rz 261. IdS auch Sutter, Art 88, Rz 67f. IdS zB EuG, Rs T-188/95, Waterleiding Maatschappij, Slg 1998, II-3713, Rz 118. Ausführlich Sutter, Durchführungsverbot, 209ff mwN. Vgl Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht, 71f; Lang, Rechtsschutzfragen, 77f; Sutter, Durchführungsverbot, 227ff. Vgl Kapitel V.C.2.d, oben. StRsp seit EuGH, Rs C-301/87, Frankreich/Kommission (‚Boussac’), Slg 1990, I-307, Rz 9ff; weiters Rs C-354/90, FNCE, Slg 1991, I-5505, Rz 13; Rs C-142/87, Belgien/Kommission (‚Tubemeuse’), Slg 1990, I-959, Rz 14ff. Zusammenfassend VwGH 12. 8. 2004, 2003/17/0001, Pkt 4.6 (Vorlagebeschluss zu EuGH, Rs C-368/04, Transalpine Ölleitung); weiters VwGH 20. 3. 2006, 2005/17/0230, Pkt 2.2.2; wieder aufgeworfen zuletzt allerdings von den Klägern in der beim EuG noch anhängigen Rs T-375/04, Grandits, Abl 2004 C 300/45. EuGH, verbRs C-261/01 und C-262/01, van Calster, Slg 2003, I-12249, Rz 56 und 73; Rs C-71/04, Xunta de Galicia, Slg 2005, I-7419, Rz 31; SA v GA Geelhoed verbRs C-174/02 und C-175/02, Streekgewest, Slg 2005, I-85, Rz 58; zuletzt auch SA v GA Jacobs 29. 11. 2005, Rs C-368/04, Transalpine Ölleitung, noch nicht in Slg veröff, Rz 49ff; vgl auch schon Rs C-312/90, Spanien/Kommission (‚Cenemesa’), Slg 1992, I-4117, Rz 23; Rs C-354/90, FNCE, Slg 1991, I-5505, Rz 16f; EuG, Rs T-195/01 und T-207/01, Gibraltar/Kommission, Slg 2002, II-2309, Rz 84; anders noch Rs T-110/98, RJB Mining, Slg 1999, II-2585, Rz 78.
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forderung Abstand nehmen,590 nicht aber die rechtswidrige Abwicklung auf nationaler Ebene (ex tunc) heilen. Eine positive Kommissionsentscheidung führt also nur zur Beendigung, nicht Beseitigung des Durchführungsverbots. Die Beihilfe ist nicht im Zeitraum vor Entscheidung unzulässig, sondern für diesen. Dagegen können noch ausstehende Teile der Maßnahme nach der Genehmigungsentscheidung für die Zukunft rechtmäßig durchgeführt werden. Vor diesem Hintergrund entfaltet das Durchführungsverbot seine maßgebliche Wirkung auf der Ebene des nationalen Rechtsschutzes. Schon frühzeitig stellte der EuGH dessen unmittelbare Anwendbarkeit fest,591 sodass Art 88 Abs 3 letzter Satz damit die einzige Bestimmung des Beihilfekapitels ist, auf die sich Einzelne vor den nationalen Gerichten unmittelbar berufen können.592 So obliegt es nach der stRsp des EuGH Sache den nationalen Gerichten, „den […] Begriff der staatlichen Beihilfe auszulegen und anzuwenden, um zu bestimmen, ob eine ohne Berücksichtigung [der Anmeldepflicht] eingeführte staatliche Maßnahme [dem Anmeldev-]erfahren hätte unterworfen werden müssen“.593 Praktisch bedeutsam ist diese Befugnis der nationalen Gerichte für die Wettbewerber des Beihilfeempfängers, die unter Berufung auf Art 88 Abs 3 letzter Satz die Rückabwicklung einer rechtswidrigen Beihilfe verlangen können. Die nationalen Gerichte müssen nach stRsp nämlich „zugunsten der Einzelnen entsprechend ihrem nationalen Recht aus einer Verletzung dieser Bestimmung sämtliche Folgerungen sowohl bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Rückforderung der unter Verletzung dieser Bestimmung gewährten finanziellen Unterstützungen oder eventueller vorläufiger Maßnahmen ziehen“.594 Rechtswidrig durchgeführte Beihilfen sind daher grundsätzlich rückabzuwickeln, wobei die konkreten Rechtsfolgen für die zur Durchführung gesetzten Rechtsakte vom nationalen Gericht nach nationalem Recht zu bestimmen sind.595 In Österreich und Deutschland ist dabei für privatrechtliche Rechtsgeschäfte jedenfalls von deren absoluter (Teil)Nichtigkeit auszugehen.596 Eine schwebende Unwirksamkeit des Vertrages bis zur allfälligen Genehmigung durch die Kommission597 kommt aufgrund deren mangelnder Befugnis zur Behebung von Verstößen gegen das Durchführungsverbot nicht in Frage, denn zumindest ein Teil des Gesamtvertrages muss zwangsläufig unheilbar nichtig 590
591 592 593 594
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Näher zur Sinnhaftigkeit nicht rückwirkender Positiventscheidungen über durchgeführte Beihilfen SA v GA Jacobs 29. 11. 2005, Rs C-368/04, Transalpine Ölleitung, noch nicht in Slg veröff, Rz 52ff; Jaeger, EuZW 2004, 80. Grundlegend EuGH, Rs 120/73, Lorenz, Slg 1973, 1471, Rz 8f. Vgl dazu va EuGH, Rs 77/72, Capolongo, Slg 1973, 611, Rz 4ff. EuGH, Rs C-71/04, Xunta de Galicia, Slg 2005, I-7419, Rz 33; ebenso Rs C-44/93, Namur AC, Slg 1994, I-3829, Rz 16. EuGH, C-143/99, Adria-Wien Pipeline, Slg 2001, I-8365, Rz 27; vgl auch Rs C-354/90, FNCE, Slg 1991, I-5505, Rz 12; Rs C-39/94, SFEI, Slg 1996, 3547, Rz 40. Vgl auch Strievi/Werner, JuS 2006, 108f; aA (Nichtigkeit direkt aufgrund Gemeinschaftsrechts) Heidenhain, EuZW 2005, 138f. Vgl für Österreich: Eilmansberger, Zivilrechtsfolgen, 81f; Rüffler, Rechtsfolgen, 167ff; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht, 134; für Deutschland: BGH 4. 4. 2003, mit Glosse von Pechstein in EuZW 2003; Koenig, EuZW 2003, 417; Strievi/Werner, JuS 2006, 108f; Schmidt-Räntsch, NJW 2005, 108f; Busz/Rosenkötter, NZM 2004, 565f; krit Pütz, NJW 2004, 2200. Dafür zB Sutter, Art 88, Rz 73; Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 841.
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bleiben bzw bedarf geltungserhaltender Auslegung.598 Bei hoheitlichen Durchführungsakten geht die überwiegende Meinung dagegen dahin, dass hier keine automatische Durchbrechung der Bestandskraft erfolgt,599 sondern grundsätzlich bloß materielle Rechtswidrigkeit vorliegt.600 Diese ist primär nach den Bestimmungen des AVG bzw der Materiengesetze zur Behebung rechtswidriger Bescheide zu beheben.601 Lediglich in dem Fall, dass das nationale Recht keinerlei Möglichkeiten zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands vorsieht, müsste auch in Bezug auf Bescheide absolute Nichtigkeit anzunehmen sein (Effektivitätsgebot).602 Nur ganz ausnahmsweise könnte dem Effektivitätsgebot dabei ein schützenswertes Vertrauen auf Seiten des Empfängers einer rechtswidrigen Beihilfe entgegenstehen.603
c) Zweiteilung des Systems der Beihilfekontrolle Wettbewerber des Empfängers einer rechtswidrigen Beihilfe können sich zur Wahrung ihrer Rechte sowohl an die Kommission, als auch an die nationalen Gerichte wenden. In der Praxis attraktiv ist dabei aber nur der nationale Rechtsschutz, denn, wie gezeigt,604 entfalten Missachtungen der Anmeldepflicht und des Durchführungsverbots je nachdem, ob sich die Kommission oder ein nationales Gericht damit zu befassen hat, unterschiedliche Rechtswirkungen. Das System der Beihilfekontrolle ist über Art 88 Abs 3 letzter Satz nämlich zweigeteilt: Die Kommission ist zur Prüfung auch rechtswidriger Beihilfen verpflichtet und hat bei Vorliegen der Vereinbarkeitsbedingungen eine Genehmigung auszusprechen, die nicht zurückwirkt; dieses, zudem typischerweise langwierige, Verfahren ist für Wettbewerber daher völlig unattraktiv. Dagegen haben die nationalen Gerichte eine Beihilfe schon bzw gerade dann rückabzuwickeln, wenn diese bloß formell rechtswidrig ist, weil sie verfrüht durchgeführt wurde. Der Verstoß gegen das Durchführungsverbot ist hier ohne Rücksicht auf eine allfällige spätere Genehmigung durch die Kommission Verletzungen des Durchführungsverbots mit Rückabwicklung zu ahnden; damit wird jedenfalls die kurzfristige Begünstigung beseitigt.
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IdS auch Heidenhain, EuZW 2005, 137. Vgl idS zuletzt auch SA v GA Colomer 16. 3. 2006, verbRs C-392/04 und C-422/04, I-21 Germany, noch nicht in Slg veröff, Rz 65ff. Vgl idS für Österreich: Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht, 75f; Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 841; Lang, Rechtsschutzfragen, 81f; Potacs, Bestandskraft, 245; Potacs, Rechtskraftdurchbrechungen, 197; Gassner, Aufhebung, 285; Frank, ZÖR 2000, 55; für Deutschland: Jestaedt/Loest, § 52, Rz 9; aA Pechstein, EuZW 1998, 496. Vgl allgemein Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht, 133f; zum AVG Potacs, Rechtsschutzfragen, 102f; Jaeger, Rückforderungsanspruch, 170ff; zur BAO Lang, Rechtsschutzfragen, 81; Gassner, Aufhebung, 285ff; Staringer, Wiederaufnahme, 302ff; Potacs, Bestandskraft, 255; Lang, Aufhebung, 264ff; Bauer, Wiederaufnahme, 284f. So zutreffend Lang, Aufhebung, 265; vgl idS EuGH, Rs C-24/95, Alcan II, Slg 1997, I-1591, Rz 38. Vgl zB EuGH, verbRs 205/82 bis 215/82, Deutsche Milchkontor, Slg 1983, 2633, Rz 30ff; C-5/89, Kommission/Deutschland (‚BUG-Alutechnik’), Slg 1990, I-3437, Rz 16; Rs 94/87, Kommission/Deutschland (‚Alcan I’), Slg 1989, 175, Rz 12; Rs C-24/95, Alcan II, Slg 1997, I-1591, Rz 25. Vgl dazu Kapitel V.C.3.b, oben.
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Die Zuständigkeit der nationalen Gerichte im System der Beihilfekontrolle definiert sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der vom Kläger beanstandeten Handlung. Diese sind für im vom Durchführungsverbot erfassten Zeitraum verwirklichte Sachverhalte (Durchführungsmaßnahmen) immer zuständig und bleiben dies auch nach Kommissionsentscheidung. Ergibt die Beihilfenprüfung der Kommission die Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt, so sind die Gerichte zur Betreibung der Rückforderung alleine zuständig. Im Fall von mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren, rechtswidrig durchgeführten Beihilfen besteht eine parallele Zuständigkeit von Kommission und nationalen Gerichten. Nur wenn dies Kommissionsentscheidung negativ ausfällt, so kann neben den nationalen Gerichten auch die Kommission die Rückforderung anordnen. Für alle anderen Fragen der Beihilfengewährung ist die Kommission alleine zuständig, also insbesondere zur Entscheidung über die Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt und zur laufenden Überprüfung genehmigter Beihilfemaßnahmen.605
Die Bindung der nationalen Gerichte an rechtskräftige Beihilfeentscheidungen der Kommission in diesem System erstreckt sich trotz auch auf die Feststellungen der Kommission zur Beihilfequalität (einschließlich der Beurteilung als bestehende oder neue Beihilfe). Zwar ist der Beihilfebegriff objektiv definiert606 und die Beurteilung einer Maßnahme als Beihilfe daher nach der Rsp insbesondere nicht von subjektiven Einschätzungen der Kommission abhängig.607 Dies ließe zunächst vermuten, es könnte für ein nationales Gericht zulässig sein, rechtskräftige Feststellungen der Kommission über die Beihilfequalität einer Maßnahme (insbesondere Entscheidungen nach Art 4 Abs 2 und 20 Abs 2 VVO) im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens in Zweifel zu ziehen;608 da sich die Kompetenzen der nationalen Gerichte unmittelbar auf Art 88 Abs 3 letzter Satz gründen, wäre der Anwendungsvorrang der rechtskräftigen Kommissionsentscheidung für das nationale Gericht idZ unbeachtlich. Die Unzulässigkeit einer nachträglichen Überprüfung der Beihilfequalität vor den nationalen Gerichten ergibt sich aber aus der stRsp des EuGH zu Art 241 (Ungültigkeitseinrede). Demnach ist die Behauptung der Ungültigkeit einer Entscheidung nach Ablauf der Rechtsmittelfrist generell nicht mehr gestattet, wenn der betreffende Mitgliedstaat oder eine Einzelperson diese Entscheidung mit Nichtigkeitsklage anfechten hätte können.609 Dies gilt auch im Verfahren vor den nationalen Gerichten.610 So ist es zunächst dem Empfänger einer Beihilfe, der eine „Entscheidung der Kommission, die diese Beihilfe zum Gegenstand hatte, zweifellos hätte anfechten können und die hierfür in Artikel 230 Absatz 5 EG vorgesehene Ausschlussfrist hat verstreichen lassen, [verwehrt], vor den nationalen Gerichten anlässlich einer Klage gegen die von den nationalen Behörden getroffenen Maßnahmen zur Durchführung dieser Entscheidung deren Rechtmäßigkeit erneut in
605 606 607 608 609 610
Vgl schon Kapitel V.A., oben. Vgl Kapitel II.A., oben. EuGH, Rs C-295/97, Piaggio, Slg 1999, I-3735, Rz 47. Ebenso Sinnaeve, Rückforderung, 163f mwN. Vgl idZ EuGH, Rs 314/85, Foto Frost, Slg 1987, 4199, Rz 20. StRsp, zB EuGH, Rs 156/77, Kommission/Belgien, Slg 1978, 1881, Rz 20; ausführlich Lenaerts/Arts, Procedural Law, Rz 9-005. Vgl zB EuGH, Rs C-241/01, National Farmers’ Union, Slg 2002, I-9079, Rz 39; Rs C-355/95 P, TWD, Slg 1997, I-2549, Rz 13ff.
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Frage zu stellen“.611 Ebenso muss auch eine von Konkurrenten vor den nationalen Gerichten vorgetragene Einrede der fehlerhaften Beurteilung der Beihilfequalität scheitern: Deren Befugnis zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art 230 UA 4 ist iW davon abhängig, ob eine hinreichend klare Wettbewerbsbeziehung zum Beihilfeempfänger besteht (unmittelbare und individuelle Betroffenheit durch die Beihilfe);612 kaum anders kann aber die Berechtigung zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot verstanden werden: auch dieses schützt nach der Rsp nur die „Rechte [eines] Einzelnen, der hierzu berechtigt ist“.613 Daraus ergibt sich, dass ein Unternehmen, das zur Berufung auf das Durchführungsverbot vor einem nationalen Gericht berechtigt ist, iaR auch erfolgreich Nichtigkeitsklage erheben könnte und umgekehrt.614 Erhebt ein solcher Konkurrent daher keine Nichtigkeitsklage, muss ihn später dieselbe Präklusionsfolge treffen, wie den Empfänger der Beihilfe. Allerdings bleibt zu bedenken, dass im nationalen Recht grundsätzlich auch großzügigere Voraussetzungen der Klagslegitimation vorgesehen werden könnten (Grundsatz der Verfahrensautonomie) und so eine Berufung auf das Durchführungsverbot auch Personen oder Einrichtungen zukommen könnte, die nach dem Gemeinschaftsrecht keine Klagslegitimation besäßen; ob dem nationale Gericht auch in diesem Fall eine Vorabentscheidungsfrage zur Gültigkeit der Beihilfeentscheidung verwehrt wäre, ist offen. Soweit in Österreich Konkurrentenklagen auf UWG gestützt werden, stellt sich diese Frage aber nicht, da auch das UWG die Wettbewerbsbeziehung voraussetzt.615
4. Rückforderung rechtswidriger Beihilfen Das System der Verschränkung von Repression und Prävention bei der Beihilfenkontrolle616 ist an sich lückenlos konzipiert, soll also den Gemeinsamen Markt umfassend vor Beeinträchtigungen durch Beihilfen schützen. Würde dieses Kontrollsystem einwandfrei funktionieren, bestünde für eine Rückforderung zu Unrecht gewährter Beihilfen keine Notwendigkeit. Eine Rückforderung muss daher immer erst im Zuge eines Anwendungsfehlers im System bzw aufgrund einer Vertragsverletzung durch den betreffenden Mitgliedstaat erfolgen. Dennoch kommt die Anordnung einer Rückforderung durch die Kommission vergleichsweise häufig vor. Im Jahr 2004 belief sich die Gesamtsumme an Beihilfen, für die die Kommission eine Rückforderung angeordnet hatte, auf etwa 9,7 Mrd €, was etwa 35 % des Volumens der im Jahr 2002 genehmigten Beihilfen entspricht.617 Die Mehrzahl der Rückforderungsfälle betrifft Deutschland und Spanien, zwei Drittel sind Rückforderungen von Einzelbeihilfen, der Rest Beihilferegelungen.618
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EuGH, Rs C-239/99, Nachi Europe, Slg 2001, I-1197, Rz 30; stRsp, vgl Rs C-355/95 P, TWD, Slg 1997, I-2549, Rz 17 und 24; Rs C-178/95, Wiljo, Slg 1997, I-585, Rz 20f; Rs C-241/01, National Farmers’ Union, Slg 2002, I-9079, Rz 35. Vgl näher Kapitel VI.B.3., unten. EuGH, verbRs C-144/91 und C-145/91, Demoor, Slg 1992, I-6613, Rz 26. IdS auch Tilman/Schreibauer, GRUR 2002, 216f. Zu den Rechtsmitteln von Konkurrenten vor österreichischen Gerichten näher Kapitel V.C.4.c, unten. Vgl Kapitel V.A., oben; ausführlich auch Jaeger, Rückforderungsanspruch, 156ff. Vgl XXXIV. WB 2004, Rz 610. Vgl XXXIV. WB 2004, Rz 609.
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a) Rückforderung durch die Kommission Die Rückforderung rechtswidrig durchgeführter Beihilfen durch die Kommission ist nach stRsp eine „logische Folge“619 der Verletzung des Durchführungsverbots;620 dies freilich nur, wenn die Prüfung eine Unvereinbarkeit der rechtswidrigen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt ergeben hat (Negativentscheidung).621 Gelangt die Kommission aber zu einer Negativentscheidung und wurde die Beihilfe bereits ausbezahlt, muss dem Mitgliedstaat die Beihilfenrückforderung aufgetragen werden. Nach Art 14 VVO steht der Kommission diesbezüglich kein Ermessen mehr zu.622 Der Ausspruch der Unvereinbarkeit und der Ausspruch der Rückforderung bereits erlangter Vorteile sind daher mit einem Automatismus verbunden, der nur unterbrochen wird, wenn die Rückforderung „gegen einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts verstoßen würde “ (Art 14 Abs 1 VVO).623 Das Recht der Kommission, eine Rückforderung zu verlangen, verjährt allerdings binnen zehn Jahren ab Gewährung der Beihilfe (Präklusion; Art 15 Abs 1 VVO). Die Rückforderung wird von der Kommission zumeist schon zusammen mit der Negativentscheidung über die Beihilfe angeordnet, es kann aber auch eine gesonderte Entscheidung ergehen.624 Neben einer Rückforderung nach Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens erlaubt die VVO bei Dringlichkeit zur Abwendung eines erheblichen und nicht wiedergutzumachenden Schadens für einen Konkurrenten und nach Anhörung des betreffenden Mitgliedstaats ausnahmsweise auch eine einstweilige Anordnung der Rückforderung (Art 11 VVO). Voraussetzung der einstweiligen Rückforderung ist aber, dass die Kommission über die Beihilfequalität der Maßnahme bereits hinreichend Klarheit erlangt hat und im Hinblick auf die abschließende Entscheidung nur noch die Frage der Genehmigungsfähigkeit der Beihilfe zu klären ist.625 Bei der einstweiligen Rückforderung handelt es sich daher um eine Teilentscheidung in der Sache, die auch gesondert anfechtbar sein dürfte, da eine Klage gegen die abschließende Entscheidung im Fall einer Rechtswidrigkeit kaum hinreichenden Rechtsschutz bieten kann.626 Da die Kommission im Übrigen aus dem bloß formellen Grund eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot keine Rückforderung anordnen kann (Rückforderungsausschluss bei bloßem Formalverstoß),627 verleiht die VVO der Kommission hier für die Dauer des Verfahrens weitergehende Befugnisse.628
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EuGH, verbRs C-328/99 und C-399/00, SIM 2 Multimedia, Slg 2003, I-4035, Rz 66 mwN; ebenso zB Rs C-305/89, Italien/Kommission (Alfa Romeo), Slg 1991, I-1603, Rz 41 mwN. Weiterführend etwa Schluck-Ahmed, Rückforderung, passim; Potacs, Rechtsschutzfragen, 91; Quardt, § 50 und § 51, passim. Vgl dazu Kapitel V.C.3.b, oben. Ebenso schon davor die hM, vgl Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz 593 mwN; abwägend Sinnaeve, Rückforderung, 49ff. Vgl Kapitel V.C.4.b, unten. Vgl etwa EuGH, Rs C-301/87, Frankreich/Kommission (‚Boussac’), Slg 1990, I-307, Rz 22; Kom-E 2002/14/EG, Scott Paper, ABL 2002 L 12/1, Tz 239. Näher Jaeger, Rückforderungsanspruch, 152ff. Vgl dazu EuGH, Rs C-312/90, Spanien/Kommission, Slg 1992, I-4117, Rz 20f; Rs C-47/91, Italien/Kommission, Slg 1994, I-4635, Rz 22ff. Vgl Kapitel V.C.3.b, oben. Zu den sich daraus ergebenden Problemen Jaeger, Rückforderungsanspruch, 154.
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Adressat der Rückforderungsentscheidung der Kommission ist immer nur der betreffende Mitgliedstaat; ein Durchgriff der Kommission auf das beihilfenbegünstigte Unternehmen ist nicht möglich. Die Kommission hat den Rückforderungsauftrag in der Entscheidung allerdings hinreichend genau zu konkretisieren. Neben dem Umfang der Rückabwicklung sind dabei grundsätzlich auch jene Unternehmen zu bezeichnen, von denen zurückgefordert werden soll. Insoweit genügt allerdings die Bestimmbarkeit der Rückforderungsschuldner; eine abschließende Nennung durch die Kommission ist nicht erforderlich.629 Als Rückzahlungsschuldner in Betracht kommt generell jedes Unternehmen, das einen effektiven Nutzen aus der Beihilfe hatte;630 die Identität der Begünstigten ist von der Kommission schon als Teil der Tatbestandsprüfung des Art 87 Abs 1 (Selektivität) festzustellen. Unterscheidet sich der formelle Beihilfenempfänger vom tatsächlichen Beihilfenbegünstigten, so betrifft die Rückforderung nur letzteren.631 Im Einzelfall kann sich die mitgliedstaatliche Rückforderungspflicht aufgrund der Negativentscheidung daher auch gegen Dritte richten, die etwa nach Insolvenz des Beihilfenempfängers beihilfenfinanziertes Anlagevermögen der Rückforderung entziehen und so die Kommissionsentscheidung umgehen könnten.632 Die vertraglichen oder deliktischen Rechtsbeziehungen zwischen Beihilfegeber, Beihilfeempfänger und einem allenfalls davon verschiedenen Beihilfebegünstigten richten sich generell nach nationalem Recht.633 Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass nicht eine verbotene und rückabzuwickelnde Beihilfe über den Umweg eines bereicherungs- oder schadenersatzrechtlichen Anspruchs wiedergewährt wird. Soweit solche Ansprüche des Rückzahlungsschuldners nach nationalem Recht bestehen, sind sie daher schon aufgrund Gemeinschaftsrechts ausgeschlossen.
Auch hinsichtlich des zurückzufordernden Betrags genügt es nach der Rsp Bestimmbarkeit.634 Die Rückforderungsanordnung hat aber zumindest die Berechnungsmethode so präzise vorzugeben, dass dem betreffenden Mitgliedstaat bei der Durchführung der Berechnung (und daher in Bezug auf den Rückforderungsumfang) kein Ermessen verbleibt.635 Ergeben sich für den Mitgliedstaat trotzdem Unklarheiten hinsichtlich Rückzahlungsschuldner oder -höhe, so hat der betreffende Mitgliedstaat bei der Kommission rückzufragen (Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit).636 Der Inhalt der Rückforderungsanordnung umfasst „alle notwendigen Maßnahmen [...], um die Beihilfe vom Empfänger zurückzufordern“ (Art 14 629 630
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Vgl Sinnaeve, §34, Tz 23. Vgl EuGH, verbRs C-329/93, C-62/95 und C-63/95, Deutschland ua/Kommission, Slg 1996, I 5151, Rz 56; Rs C-303/88, Italien/Kommission (‚ENI/Lanerossi’), Slg 1991, I-1433, Rz 57. Vgl etwa Kom-E 2000/625/EG, Gaelic Ferries, Abl 2000 L 263/17, Rz 73; Kom-E 2001/856/EG, Verlipack, Abl 2001 L 320/28, Rz 110. Vgl etwa Kom-E 2000/536/EG, Seleco, Abl 2000 L 227/24, Rz 116ff; Kom-E 2000/796/EG, CDA, Abl 2000 L 318/62, Rz 117ff; Kom-E 1999/720/EG, Gröditzer Stahlwerke, Abl 1999 L 292/27, Rz 104f; näher Sinnaeve, § 34 (FN 629) Rz 24ff. Dazu Kapitel V.C.4.c, unten. StRsp, vgl zB EuGH, Rs C-382/99, Niederlande/Kommission (‚Niederländische Tankstellen’), Slg 2002, I-5163, Rz 87ff. Sinnaeve, § 34, Rz 19. Vgl EuGH, Rs C-382/99, Niederlande/Kommission (‚Niederländische Tankstellen’), Slg 2002, I-5163, Rz 92.
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Abs 1 VVO). Daher besteht Raum für Flexibilität, die im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten und die vielfältigen Erscheinungsformen rechtswidriger Beihilfen auch geboten ist. Die Kommission belässt es in der Praxis regelmäßig auch bei diesem allgemeinen Verweis, ohne die Rückforderungsmaßnahmen genauer anzuführen. Die Rückforderungsanordnung ist von den Mitgliedstaaten „unverzüglich“ nach nationalem Recht abzuwickeln (Art 14 Abs 3 VVO),637 gegebenenfalls auch im Gerichtsweg.638 Die nationale Verfahrenshoheit ist allerdings beschränkt, soweit die nationalen Verfahrensregeln zur effektiven Vollstreckung der Kommissionsentscheidung nicht geeignet sind.639 In einem solchen Fall sind jene Teile der nationalen Verfahrensvorschriften, die die wirksame Durchsetzung der Rückabwicklung beschränken, unangewendet zu lassen.640 Um seiner Rückforderungsverpflichtung nachzukommen, muss der Mitgliedstaat klare Schritte setzen, die für die Kommission und für Beteiligte eindeutig als Rückforderungsmaßnahmen identifizierbar sind.641 Daher dürfen die ergriffenen Maßnahmen auch nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden.642 Ebenso ist es dem Mitgliedstaat grundsätzlich verwehrt, die Rückforderungsanordnung in einer dort nicht vorgesehenen Weise in ihren Wirkungen abzuschwächen, zB indem ein Zahlungsaufschub gewährt wird.643 Es ist aber möglich, dass ein Mitgliedstaat die Rückforderung nicht im Wege einer Barzahlung vornimmt, sondern alternative Maßnahmen wählt, durch die eine Wiederherstellung der Wettbewerbsbedingungen in gleichwertiger Weise gewährleistet ist. Vorausgesetzt ist dabei, dass diese Maßnahmen hinreichend transparent und einer Überprüfung durch die Kommission potentiell zugänglich sind.644 Der Mitgliedstaat hat zur Rückforderung aber auch nicht mehr zu unternehmen, als angeordnet; insbesondere ist daher eine mitgliedstaatliche Vorgehensweise bei der Rückforderung unzulässig, die anderen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts645 oder den allgemeinen Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes646 widerspricht.
Ist die Rückforderungsanordnung in Rechtskraft erwachsen und hat ein Mitgliedstaat nach Ansicht der Kommission nicht alle in seiner Rechtsordnung zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Umsetzung der Rückforderung aus-
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Ebenso die stRsp, zB C-5/89, Kommission/Deutschland (‚BUG-Alutechnik’), Slg 1990, I-3437, Rz 12 mwN; weiterführend Jestaedt/Loest, § 52, passim. Vgl EuGH, Rs C-24/95, Alcan II, Slg 1997, I-1591, Rz 24. Vgl dazu die stRsp, etwa EuGH, Rs 193/81, Bay Wa, Slg 1982, 1503, Rz 21f; Rs C-228/96, Aprile, Slg 1998, I-7141, Rz 18; Rs C-260/96, Spac, Slg 1998, I-4997, Rz 18; Rs C-231/96, Edilizia Industriale Siderurgica (‘Edis’), Slg 1998, I-4951, Rz 34; Rs C-343/96, Dilexport, Slg 1999, I-579, Rz 25. Zu den Geboten der Effektivität und Äquivalenz des nationalen Verfahrensrechts vgl näher, für viele, Streinz, Art 10, Rz 17 mwN und 26ff mwN. Vgl dazu EuGH, Rs C-24/95, Alcan II, Slg 1997, I-1591, Rz 38, 43 und 54; Eilmansberger, Rechtsfolgen, 51ff. Sinnaeve, § 34, Rz 31. Vgl EuGH, Rs C-209/00, Kommission/Deutschland (‚WestLB’), Slg 2002, I-11695, Rz 58. Vgl Sinnaeve, § 34, Rz 31; EuGH, Rs C-209/00, Kommission/Deutschland (‚WestLB’), Slg 2002, I-11695, Rz 58. Sinnaeve, § 34, Rz 31. EuGH, Rs C-209/00, Kommission/Deutschland (‚WestLB’), Slg 2002, I-11695, Rz 36. Vgl dazu FN 648, unten.
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geschöpft, kann sie den Gerichtshof im verkürzten Verfahren (Art 228 Abs 2 UA 2) anrufen.647 b) Vertrauensschutz und Unmöglichkeit Der Rückforderung können allgemeine Rechtsgrundsätze entgegenstehen (Art 14 Abs 1 VVO), in erster Linie der Schutz des Vertrauens der Empfänger auf die Rechtmäßigkeit der Beihilfe.648 Da es sich beim Vertrauensschutz um einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts handelt,649 bindet er über die VVO und die Kommission hinaus va auch die nationalen Gerichte,650 wenn diese die Rückforderung aufgrund einer Konkurrentenklage nach Art 88 Abs 3 letzter Satz oder auf Betreiben des rückforderungsverpflichteten Mitgliedstaats anordnen. Allerdings kann ein idS berechtigtes Vertrauen des Beihilfeempfängers nach stRsp des EuGH grundsätzlich nur für Zuwendungen begründet werden, die der Kommission nach Art 88 Abs 3 angezeigt und von dieser für nicht tatbestandsmäßig oder für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar befunden wurden: „Einem sorgfältigen Gewerbetreibenden ist es regelmäßig möglich, sich zu vergewissern, daß [das Anmelde-]Verfahren eingehalten wurde“.651 Diese Sorgfaltspflicht des Beihilfeempfängers besteht über die Anmeldung der Beihilfe hinaus für das gesamte Beihilfeverfahren, sodass er sich also auch über dessen Ausgang zu informieren hat.652 Berechtigtes Vertrauen kann daher nur ganz ausnahmsweise entstehen, wobei die dafür in Frage kommenden Gründe im Prinzip offen sind.653 In der Praxis erwägt der Gerichtshof ein berechtigtes Vertrauen auf den Empfang einer rechtswidrigen Beihilfe aber nur in Fällen, in denen das Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit durch ein Gemeinschaftsorgan hervorgerufen oder verstärkt wurde.654 Kein berechtigtes Vertrau647 648
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Dazu etwa EuGH, Rs C-301/87, Frankreich/Kommission (‚Boussac’), Slg 1990, I-307, Rz 23; XXXIV. WB 2004, Rz 610. StRsp, vgl zB EuGH, Rs 94/87, Kommission/Deutschland (‚Alcan I’), Slg 1989, 175, Rz 10ff; Rs C-24/95, Alcan II, Slg 1997, 1624, Rz 25; EuG, Rs T-129/96, Preussag, Slg 1998, II-609, Rz 77ff mwN; Rs T-366/00, Scott, Slg 2003, II-1763, Rz 52ff. Ausführlich dazu zB Hatje, Vertrauensschutz, 149ff mwN; Reimer, Vertrauensschutz, 212ff; weiters Happe, NVwZ 1993, 35f; Quardt, § 51, Rz 6ff. Vgl zB EuGH, Rs C-24/95, Alcan II, Slg 1997, 1624, Rz 25; Rs C-5/89, Kommission/Deutschland (‚BUG-Alutechnik’), Slg 1990, I-3437, Rz 13; verbRs 205/82 bis 215/82, Deutsche Milchkontor, Slg 1983, 2633, Rn. 30; für Österreich vgl etwa OGH 26. 1. 2000, 7 Ob 187/99x. EuGH, Rs C-24/95, Alcan II, Slg 1997, 1624, Rz 25; ebenso zB Rs C-5/89, Kommission/Deutschland (‚BUG-Alutechnik’), Slg 1990, I-3437, Rz 13f; Rs C-169/95, Spanien/Kommission, Slg 1997, I-135, Rz 51; EuG, Rs T-129/96, Preussag, Slg 1998, II-609, Rz 77; verbRs T-126/96 und T-127/96, BFM und EFIM, Slg 1998, II-3437, Rz 69; verbRs T-127/99, T-129/99 und T-148/99, Diputación Foral de Álava, Slg 2002, II-1371, Rz 236; vgl dazu zB OGH v 26. 1. 2000, 7 Ob 187/99x. Ebenso Quardt, § 51, Rz 11 mwN. So EuGH, Rs C-5/89, Kommission/Deutschland (‚BUG-Alutechnik’), Slg 1990, I-3437, Rz 16. Vgl idS EuGH, Rs C-169/95, Spanien/Kommission, Slg 1997, I-135, Rz 53; Rs 15/85, Consorzio Cooperative d'Abruzzo, Slg 1987, 1005, Rz 13ff; Rs 223/85, RSV, Slg 1987, 4617, Rz 17; EuG, Rs T-129/96, Preussag, Slg 1998, II-609, Rz 77;
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en dürfte daher insbesondere das Argument begründen, dass die Beihilfequalität Staat und Empfänger vorweg nicht erkennbar war. Ein Irrtum über den Beihilfebegriff als objektiven Rechtsbegriff655 wird (auch) der Sphäre des Empfängers zuzurechnen sein, sodass dieser also die Rechtslage bzw Rechtswidrigkeit hätte kennen müssen.656 Eine Verletzung des Vertrauensschutzgrundsatzes ist im Rechtsmittel gegen die Rückforderungsanordnung vorzubringen; nach Rechtskraft der Rückforderungsanordnung kann auch eine Verletzung allgemeiner Prinzipien des Gemeinschaftsrechts weder vom Mitgliedstaat noch vom Beihilfeempfänger behauptet werden.657 Im Prinzip kann sich der Mitgliedstaat auch einer rechtskräftigen Rückforderungsanordnung aber dann widersetzen, wenn ihre Umsetzung absolut unmöglich ist.658 Der vom EuGH für die Behauptung der Unmöglichkeit gesetzten Hürden sind allerdings kaum überwindbar. So werden weder politische,659 noch technische und rechtliche Schwierigkeiten660 oder finanzielle Probleme661 des Beihilfebegünstigten akzeptiert. Auch dass eine Rückforderung aufgrund des spezifischen Charakters der rechtswidrigen Beihilfemaßnahme effektiv kaum durchzuführen sein könnte, etwa bei der Rückforderung steuerlicher Beihilfen, ist nach der Rechtsprechung unerheblich.662 Die Unmöglichkeit muss überdies tatsächlich, dh bereits erwiesen sein, der Mitgliedstaat also zumindest einen Rückforderungsversuch unternommen haben.663 Darüber hinaus unterliegen die Mitgliedstaaten schließlich nach Art 10 EG der Pflicht, im Fall unvorhergesehener tatsächlicher Schwierigkeiten im Zuge einer Rückforderung die Kommission davon zu unterrichten und diese um entsprechende Änderung der Rückforderungsentscheidung zu ersuchen.664 Soweit ersichtlich, hat der Gerichtshof aufgrund dieser strengen Anforderungen bisher alle Vorbringen absoluter Unmöglichkeit verworfen.665 Die absolute
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verbRs T-127/99, T-129/99 und T-148/99, Diputación Foral de Álava, Slg 2002, II-1371, Rz 238. Vgl dazu Kapitel II.A., oben. IdS auch Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht, 134; abwägend Hatje, Vertrauensschutz, 156. Ebenso Sinnaeve, § 34, Rz 33. Näher zB Quardt, § 51, Rz 16ff. Etwa EuGH, Rs C-6/97, Italien/Kommission, Slg 1999, I-2981, Rz 32. Etwa EuGH, Rs C-298/00 P, Italien/Kommission, Slg 2004, I-4087, Rz 77; Rs C-378/98, Kommission/Belgien (‚Maribel II’), Slg 2001, I-5107, Rz 40ff; Rs C-280/95, Kommission/Italien, Slg 1998, I-259, Rz 23ff; Rs C-303/88, Italien/ Kommission (‚ENI/Lanerossi’), Slg 1991, I-1433, Rz 60. Etwa EuGH, Rs 52/84, Kommission/Belgien, Slg 1986, 89, Rz 14; Rs 63/87, Kommission/Griechenland, Slg 1988, 2875, Rz 14; Rs C-404/97, Kommission/Portugal, Slg 2000, I-4897, Rz 53. Etwa EuGH, Rs C-404/00, Kommission/Spanien (‚AIE/SEPI’), Slg 2003, I-6695, Rz 50. Vgl etwa EuGH, Rs C-99/02, Kommission/Italien, Slg 2004, I-3353, Rz 18; Rs C-278/00, Griechenland/Kommission, Slg 2004, I-3997, Rz 112f; Rs C-378/98, Kommission/Belgien (‚Maribel II’), Slg 2001, I-5107, Rz 40ff. StRsp, vgl etwa EuGH, Rs 52/84, Kommission/Belgien, Slg 1986, 89, Rz 16; Rs C-378/98, Kommission/Belgien (‚Maribel II’), Slg 2001, I-5107, Rz 40ff; Rs C-183/91, Kommission/Griechenland, Slg 1993, I-3131, Rz 19. Ebenso Sinnaeve, § 34, Rz 33.
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Unmöglichkeit als Grenze einer Beihilfenrückforderung rückt damit in die Nähe des Hypothetischen.666
c) Rückforderung, Konkurrentenrechtsschutz und Schadenersatz bei rechtswidrigen Beihilfen durch österreichische Behörden und Gerichte Die Notwendigkeit zur Rückabwicklung oder Rückforderung nach österreichischem Recht kann sich sowohl aus einem Widerspruch der Subvention zum Gemeinschaftsrecht (oder sonstigen zwingenden Rechtsnormen) als auch aus einem schlichten Nichterreichen bzw einer Nichterfüllung des Förderungszwecks ergeben. Entsprechend unterscheiden sich auch die Rechtsfolgen je nachdem, ob Rechtswidrigkeit oder eine bloße Leistungsstörung vorliegt. Die Rechtsfolgen sind außerdem jeweils für Fälle der privatrechtsförmigen und solche der öffentlich-rechtlichen Beihilfegewährung getrennt zu beurteilen. In Fällen schlichter Nichterfüllung oder Schlechterfüllung des gesetzlich, vertraglich oder bescheidmäßig festgelegten Förderungszwecks lassen sich Zuwendungen bei öffentlich-rechtlicher Förderung nach den in der jeweiligen Rechtsgrundlage festgelegten Rückforderungsbedingungen667 hoheitlich oder zivilrechtlich,668 sowie bei privatrechtlicher Förderung nach den Bestimmungen des allgemeinen Zivilrechts für Leistungsstörungen zivilrechtlich (teil-)rückfordern.669 Bei schuldhafter Verletzung der Pflichten des Förderungsempfängers kommt zudem Schadenersatz in Frage.670 In Fällen der Verletzung des Durchführungsverbots bei privatrechtsförmiger Gewährung sind die vertraglichen Grundlagen der Förderung insgesamt oder zT nichtig.671 Die Nichtigkeit ist absolut, kann also von jedermann geltend gemacht werden.672 Sie erfasst alle auf die Gewährung der Beihilfe für den vom Durchführungsverbot erfassten Zeitraum gerichteten Teile des Vertrages. Handelt es sich dabei um Grundlagen des Vertrages (zB bei bestimmten Investitionsbeihilfen), so fällt damit der ganze Vertrag. Bilden die vom Durchführungsverbot erfassten Bestimmungen dagegen nur einen sonstigen Bestandteil des Vertrages (zB 666
667
668 669 670 671 672
Vgl dazu EuGH, Rs C-261/99, Kommission/Frankreich, Slg 2001, I-2537, Rz 23; Rs C-348/93, Kommission/Italien, Slg 1995, I-673, Rz 16; Rs C-404/97, Kommission/Portugal, Slg 2000, I-4897, Rz 39. Vgl zB als Rechtsgrundlagen mittelbarer Gemeinschaftsförderungen Titel IV VO 796/2004 über Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur Modulation und zum Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem nach der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 des Rates mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, Abl 2004 L 141/18; Art 70 VO 817/2004 über Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 des Rates über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), Abl 2004 L 153/30. Zur alternativen hoheitlichen oder zivilrechtlichen Rückabwicklung bei öffentlichrechtlichen Förderungen Kapitel III.D, oben. Vgl OGH 26. 1. 2000, 7 Ob 187/99x; 26. 1. 1995, 6 Ob 506/95; weiters Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 867, 869 und 877. Dazu weiter unten in diesem Kapitel. Vgl dazu die Nachweise in FN 596, oben. Vgl Rüffler, Rechtsfolgen, 168.
Beihilfe- und Förderungsrecht
779
wenn die Beihilfe nur in einem Aspekt eines Kauf-, Haftungs- oder Darlehensvertrag besteht oder bei von der Kommission genehmigten und nach Genehmigung fortlaufenden Beihilferegelungen), so bestimmt sich die Reichweite der Nichtigkeit nach dem Grundsatz der geltungserhaltenden Reduktion anhand des hypothetischen Parteiwillens.673 Bei der Bestimmung des hypothetischen Parteiwillens der öffentlichen Hand ist aber deren Bindung an die Grundrechte und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Förderungswerber zu berücksichtigen.674
Die Nichtigkeit des Fördervertrages kann von Konkurrenten des Beihilfeempfängers vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden (negative Konklurrentenklage). Dabei kommen in erster Linie Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche (verzinste Rückzahlungsanordnung) gegen den fördernden Staat und/oder gegen das geförderte Unternehmen nach §§ 1 iVm 14 und 15 UWG in Frage.675 Zumindest in dem Fall, dass die Kommission eine Rückforderungsentscheidung erlassen hat, wohl aber auch im Fall eines den Verstoß bestätigenden Urteils des EuGH oder einer bloßen Feststellung des Vorliegens einer rechtswidrigen Beihilfe durch die Kommission ohne Rückforderungsanordnung (bei Positiventscheidungen; Loyalitätsgebot),676 ist die Nichtigkeit auch von der öffentlichen Hand als Vertragspartei aus eigenem gerichtlich geltend zu machen. Zu denken ist dabei iW an eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung.677 In Fällen der Verletzung des Durchführungsverbots bei öffentlichrechtlicher Gewährung ist der Gewährungsbescheid grundsätzlich mit bloß relativer Nichtigkeit bzw mit Rechtswidrigkeit behaftet;678 er entfaltet dann so lange Rechswirkungen, als er nicht formell aufgehoben wird. Treffen daher weder das FörderungsG679 noch der Gewährungsbescheid Vorkehrungen für den Fall der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit und/oder Rückforderung, so setzt die Rückforderung durch die öffentliche Hand zunächst die Aufhebung des (bereits in Rechtskraft erwachsenen) Gewährungsbescheids voraus. Diese Aufhebung erfolgt wiederum durch (anfechtbaren) Bescheid.680
Ist AVG anzuwenden, so kann nach § 68 Abs 4 Z 4 AVG bei Verletzungen des Durchführungsverbots eine Aufhebung durch die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde (zB das zuständige Bundesministerium) erfolgen.681 Ebenso gangbar dürfte 673 674 675
676
677 678 679
680 681
Ausführlich Eilmansberger, Zivilrechtsfolgen, 82ff. IdS etwa OGH 26. 1. 1995, 6 Ob 506/95. Ausführlich Rüffler, Rechtsfolgen, 144 ff; Rüffler, JBl 2005, 414f; Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 886 ff; Rüffler, Einfluss, 475 ff; zum Konkurrentenrechtsschutz nach deutschem Recht weiterführend Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz 667 ff. Vgl idS EuGH, Rs C-453/00, Kühne&Heitz, Slg 2004, I-837, Rz 14ff; ausführlich zur Präjudizwirkung von EuGH-Urteilen nach Kühne&Heitz für österreichische Behörden Köhler, Bestandskraft, 327ff. Vgl auch Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 882. Vgl dazu schon Kapitel V.C.3.b, oben. Für Beispiele ausdrücklicher Bestimmungen über Bescheidbehebung und Rückzahlung vgl zB § 103 MarktordnungsG 1985, BGBl Nr 1985/210, idF BGBl I Nr 2001/108; § 5 AusfuhrerstattungsG 1994, BGBl Nr 1994/660, idF BGBl I Nr 2003/124. Vgl Potacs, Rechtsschutzfragen, 107. Näher Budischowsky, ZfV 2000, 10; Potacs, Rechtsschutzfragen, 105ff mwN.
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Jaeger
auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs 3 AVG sein.682 Auch im Anwendungsbereich der BAO dürften mit den §§ 299 (Aufhebung) und 303 (Wiederaufnahme) tragfähige Rechtsgrundlagen einer die Rückforderung eröffnenden Beseitigung beihilferelevanter Steuerbescheide bestehen.683 Die Behörde hat die Aufhebung oder Wiederaufnahme von Amts wegen vorzunehmen, uzw nicht nur soweit die Kommission eine Rückforderung anordnet, sondern darüber hinaus wohl in jedem Fall, wo der Bestand einer rechtswidrigen Beihilfe durch ein EuGH-Urteil oder eine Kom-E offenbar wird (Loyalitätsgebot).684
Da die relative Nichtigkeit beihilfegewährender Bescheide bloß von den Parteien geltend gemacht werden kann, stellt sich für Konkurrenten im öffentlichen Rechtsweg das Problem der Antragsberechtigung zur Überprüfung des Gewährungsbescheids. AVG und BAO als die hier in der Praxis wichtigsten G enthalten kein Antragsrecht für Konkurrenten; auch können diese nicht generell als Parteien iSd § 8 AVG im Verfahren zur Beihilfegewährung angesehen werden. Da Art 88 Abs 3 letzter Satz EG Konkurrenten subjektive Rechte verleiht, ist ein Antragsrecht auf Bescheidüberprüfung aber gemeinschaftsrechtlich geboten. Erkennt ein G (etwa § 98 AVG oder §§ 299 iVm 302 Abs 1 lit c BAO) nur der Behörde die Möglichkeit zur amtswegigen Behebung zu, während der Konkurrent dies lediglich anregen kann ohne selbst Partei zu sein, ist dies vor dem Hintergrund des Effektivitätsgebots unzureichend und gemeinschaftsrechtswidrig. Zur Lösung dieses Problems wurden im Schrifttum verschiedene Lösungswege überlegt; zwei vermögen besonders zu überzeugen: So könnte man erstens ein Recht des Konkurrenten auf Erwirkung eines Feststellungsbescheids, der eine automatische Handlungspflicht der Behörde (nach § 69 AVG oder § 299 BAO) zur Folge hätte, annehmen.685 Lässt sich auf diesem oder anderem Weg kein Antragsrecht begründen, so kann zweitens vor dem Hintergrund des Effektivitätsgebots wohl auch argumentiert werden, dass solche Bescheide absolut nichtig sein müssen.686 Wie aber im Schrifttum überzeugend dargelegt wurde, lässt sich eine etwa bestehende Lücke des Konkurrentenrechtsschutzes vor den öffentlichen Gerichten zumindest teilweise durch die ordentlichen Gerichte schließen: So ist davon auszugehen, dass auch Konkurrenten des Beihilfeempfängers ungeachtet einer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung eine Rückabwicklung auf Grundlage der §§ 1 iVm 14 und 15 UWG verlangen können.687 Anders als im Fall privatrechtsförmiger Förderungsvergabe dürfte dieser Anspruch bei bescheidmäßiger Gewährung aber nur gegenüber dem Beihilfeempfänger in 682 683 684 685
686 687
Näher Jaeger, Rückforderungsanspruch, 172ff. Vgl Lang, Aufhebung, 266ff; Potacs, Bestandskraft, 255; Bauer, Wiederaufnahme, 276ff; Jaeger, Rückforderungsanspruch, 169ff. Vgl dazu schon wieter oben in diesem Kapitel. So Potacs, Rechtsschutzfragen, 102f; zustimmend Sutter, Durchführungsverbot, 357f; Lang, Rechtsschutzfragen, 87ff; idS nun auch GA Tizzano, SA v 30.3.2006, Rs C-393/04 und C-41/05, Air Liquide, noch nicht in Slg veröff, Rz 33. So Lang, Aufhebung, 265; idS auch EuGH, Rs C-24/95, Alcan II, Slg 1997, 1624, Rz 38. Vgl zB Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 890; Rüffler, Anwendbarkeit, 80ff; Pechan, ecolex 2001, 786f; aA allerdings ein Teil der Lehre, zB Potacs, Rechtsschutzfragen, 99; Sutter, AnwBl 2004, passim; Thurnher, ecolex 1996, 281; Tiefenthaler, wbl 1998, 512.
Beihilfe- und Förderungsrecht
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Frage kommen; gegen den hoheitlich fördernden Staat kann auf Grundlage des UWG wohl nicht vorgegangen werden, da dieser nicht im geschäftlichen Verkehr iSd § 1 UWG handeln dürfte;688 in Frage kommt hier nur Schadenersatz.689 Dagegen ist der Beihilfeempfänger auch im Fall der rechtswidrigen Beihilfengewährung aufgrund Gesetzes und per Bescheid keineswegs zur Annahme der Beihilfe verpflichtet. Daher ist in der Annahme der Beihilfe eine eigenständige Rechts- bzw Sittenwwidrigkeit zu erblicken und die auf UWG gestützte Konkurrentenklage gegen ihn vor den ordentlichen Gerichten zulässig.690 Ggen die öffentliche Hand ist eine UWG-Klage aber ausgeschlossen, da sie bei der Bescheiderlassung nicht im geschäftlichen Verkehr handelt. 691 Die in Art 15 Abs 1 VVO normierte absolute Frist von zehn Jahren für die Anordnung einer Rückforderung bzw Rückabwicklung bindet auch die mit Rückabwicklungsklagen von Konkurrenten befassten nationalen Gerichte. Da es sich bei solchen Maßnahmen um bestehende Beihilfen handelt, besteht keine Zuständigkeit der nationalen Gerichte nach Art 88 Abs 3 letzter Satz mehr. Wie bei den schlichten Leistungsstörungen können auch im Fall der (Teil-) Nichtigkeit des Förderungsvertrages oder der Rechtswidrigkeit des Förderungsbescheids wegen Verstoß gegen EG-Beihilferecht grundsätzlich Schadenersatzansprüche entstehen. Dies gilt sowohl im Außenverhältnis (Staat und Beihilfeempfänger gegenüber Konkurrenten) als auch im Innenverhältnis (Förderungsverhältnis zwischen Staat und Beihilfeempfänger). Im Außenverhältnis kann ein Anspruch auf Ersatz des Schadens aus der Verletzung des Durchführungsverbots grundsätzlich sowohl auf österreichisches Recht (§ 1311 ABGB; § 1 UWG; § 1 AHG; Art 137 B-VG) wie auf Gemeinschaftsrecht (Staatshaftung nach der Francovich-Rsp)692 gegründet werden.693 In der Praxis werden Konkurrenten zunächst auf das UWG zurückgreifen, da diese Rechtsgrundlage aufgrund der Möglichkeit zur Geltendmachung entgangenen Gewinns (§ 16 UWG) und den erleichterten Voraussetzungen zur Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes (§ 24 UWG) für Konkurrenten besonders attraktiv ist.694 Andere Rechtsgrundlagen für den Konkurrentenrechtsschutz (einschließlich der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung) sind daher dort von Bedeutung, wo das UWG nicht herangezogen werden kann. Dies betrifft in erster Linie Schadenersatzansprüche gegen den Staat bei hoheitlicher Förderungsgewährung.695 Im Binnenverhältnis, dh zwischen der öffentlichen Hand und dem Beihilfeempfänger, sind Schadenersatzansprüche grundsätzlich ebenfalls denkbar, vorausgesetzt der Schadenersatz führt nicht zur Umgehung des 688 689 690 691 692 693 694 695
So zB OGH 11. 3. 1997, 4 Ob 68/97x; dazu auch Potacs, Rechtsschutzfragen, 95ff mwN; krit Rüffler, JBl 2005, 414. Dazu sogleich weiter unten in diesem Kapitel. So zutreffend Rebhahn, Subventionsrecht, Rz 890; weiters Rüffler, Anwendbarkeit, 80ff; Pechan, ecolex 2001, 786f. So zB OGH v 11.3.1997, 4 Ob 68/97x; krit Rüffler, JBl 2005, 414. EuGH, Rs C-6/90, Francovich, Slg 1991, I-5357, Rz 32ff; Rs C-46/93 ua, Brasserie du Pêcheur, Slg 1996, I-1029, Rz 27ff. Vgl zu diesen Anspruchsgrundlagen Rüffler, Rechtsfolgen, 156ff; Tiefenthaler, wbl 1998, Pkt IV.3; Tilman/Schreibauer, GRUR 2002, 219ff. Vgl Eilmansberger, Zivilrechtsfolgen, 210; Rüffler, Rechtsfolgen, 165. Vgl dazu wieter oben in diesem Kapitel und die Nachweise in FN 688, oben.
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Jaeger
Beihilfeverbots.696 Als Anspruchsgrundlagen kommen grundsätzlich wiederum österreichisches Recht (culpa in contrahendo nach § 878 ABGB) und das Gemeinschaftsrecht (Staatshaftung) in Frage, wobei aber auch hier in der Praxis nur die nationale Anspruchsgrundlage zur Anwendung kommen wird: Die vorvertragliche Haftung nach ABGB ist auf den Vertrauensschaden beschränkt und insoweit beihilferechtlich unbedenklich;697 ein darüber hinausgehender Ersatz des Erfüllungsinteresses könnte auch nach Gemeinschaftsrecht nicht begründet werden (Umgehung des Beihilfeverbots). Veranlassung zum Rückgriff auf die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung bestünde daher höchstens insoweit, als das österreichische Recht Verschulden erfordert, das Gemeinschaftsrecht aber nicht.698 Im Fall von Verletzungen der Anmeldepflicht wird aber regelmäßig davon auszugehen sein, dass die öffentliche Hand die Rechtswidrigkeit (er-)kennen müsste bzw den Vertragspartner in zumindest fahrlässiger Weise darüber nicht aufgeklärt hat, sodass ABGB als Anspruchsgrundlage herangezogen werden kann. Allerdings stellt sich im Binnenverhältnis auch bei zivilrechtlich begründeter Haftung sehr wohl die Frage, ob ein Schadenersatzanspruch nicht überhaupt in Analogie zur Rsp des EuGH699 zum Mangel schützenswerten Vertrauens bei der Beihilferückforderung auszuschließen bzw auf Fälle absichtlicher oder grob fahrlässiger Falschinformation zu beschränken wäre. Im Schrifttum wird dagegen unter Verweis darauf, dass sich das Durchführungsverbot nur an den Mitgliedstaat richtet und auch nur von diesem eingehalten werden kann, auch bei gleicher Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit der Beihilfe für Förderer und Empfänger Schadenersatz zugunsten des Empfängers bejaht.700 Dem dürfte aber mit Blick auf die Rsp des EuGH, wonach auch bei Mitverschulden für Gemeinschaftsrechtsverletzungen Schadenersatz zugesprochen werden kann, wenn dies der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts dient,701 gerade nicht zu folgen sein: Eine Durchbrechung des Prinzips der Berücksichtigung des Mitverschuldens bzw der Schadensteilung im Anwendungsbereich des Art 88 Abs 3 letzter Satz würde dessen Wirksamkeit eher mindern, da das Ziel der Bestimmung ja darin besteht, jedweden Geldfluss an den Empfänger zu unterbinden.
d) Umfang der Rückforderung Der Umfang einer Rückabwicklung rechtswidriger Beihilfen bestimmt sich nach der Zielsetzung des Durchführungsverbots, das im Schutz von Markt und Unternehmen vor beihilfebedingten, unverhältnismäßigen Verzerrungen besteht. Daraus folgt sich sowohl für den Fall einer Negativentscheidung der Kommission als auch für die Rückabwicklung durch nationale Gerichte, dass die Auswirkungen der Beihilfe möglichst umfassend zu neutralisieren sind: Die Rückforderung zielt daher dem Grunde nach auf die Wiederherstellung der früheren Lage ab:702 „Durch die Rückzahlung der Beihilfe verliert der Be696 697 698 699 700 701 702
Vgl Eilmansberger, Zivilrechtsfolgen, 26 und 95. Eilmansberger, Zivilrechtsfolgen, 95. Vgl EuGH, Rs C-46/93 ua, Brasserie du Pêcheur, Slg 1996, I-1029, Rz 66. Vgl Kapitel V.C.4.b, oben. So Eilmansberger, Zivilrechtsfolgen, 97 mwN. So für Art 81 EuGH, Rs C-453/99, Courage, Slg 2001, I-6297, Rz 26ff. Vgl zB EuGH, Rs C-382/99, Niederlande/Kommission (‚Niederländische Tankstellen’), Slg 2002, I-5163, Rz 89.
Beihilfe- und Förderungsrecht
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günstigte den unlauteren Vorteil, den er gegenüber Wettbewerbern im Markt genossen hat, und werden die Wettbewerbsbedingungen, wie sie vor der Auszahlung der Beihilfe bestanden, wieder hergestellt.“703 Daher ist insbesondere auch gegenüber insolventen Beihilfeempfängern zurückzufordern, zumal von den Unternehmen, die Insolvenz angemeldet haben, zwei Drittel ihre wirtschaftliche Tätigkeit (unter der Aufsicht eines vom Gericht eingesetzten Insolvenzverwalters) ohnedies fortsetzen.704 Einen über die Neutralisierung der Wettbewerbsverzerrung hinausgehenden Sanktionscharakter besitzt die Beihilfenrückforderung dagegen nicht.705 Das Gemeinschaftsrecht deckt daher keine über die Neutralisierung der rechtswidrigen Begünstigung hinausgehenden Pönalen.
Die Rückforderung hat zunächst den gesamten Beihilfenbetrag und weiters Zinsen zu umfassen (Art 14 Abs 2 VVO).706 Vom Beihilfebetrag ist nur der Nettovorteil zurückzufordern, Aufwendungen auf die Beihilfe, Steuern, verringerte Abschreibungsmöglichkeiten uä sind daher in Abzug zu bringen.707 Wie auch die Frage des Vorliegens einer tatbestandsmäßigen Begünstigung, kann auch die effektive Höhe des zurückzufordernden Vorteils im Einzelfall über Marktvergleiche zu ermitteln sein, etwa bei Quersubventionen, Kapitalbeteiligungen, der Bereitstellung von Ressourcen, der Übernahme von Bürgschaften oder Ausfallshaftungen uä.708 Die Zinsen berechnet die Kommission nach einem festgelegten Satz nach der Zinseszinsmethode.709 Sie fallen ab dem Zeitpunkt, zu dem die rechtswidrige Beihilfe dem Empfänger zur Verfügung stand, bis zur tatsächlichen Rückzahlung an.
D. Teilnahme am Verfahren vor der Kommission und Beteiligtenrechte Die Verfahren zur Prüfung bestehender, neuer oder rechtswidriger Beihilfen durch die Kommission sind nach der VVO im Grunde durchgängig als bilaterales Verfahren zwischen der Kommission und dem beihilfegewährenden Mitgliedstaat ausgestaltet.710 Nur ihm gegenüber kann das Verfahren wirksam eröffnet und beendet werden und nur er hat umfassenden Zugang zu allen Verfahrensdokumenten.711 Rechte Dritter (Beteiligtenrechte) bestehen erst, wenn die Kommission in die zweite Phase des Prüfverfahrens (förmliches Prüfver703 704 705 706
707
708 709 710 711
Mitteilung der Kommission über die bei der Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen anzuwendenden Zinssätze Abl 2003 C 110/21. Vgl XXXIV. WB 2004, Rz 609. Vgl Quardt, § 50, Rz 5; Sinnaeve, Rückforderung, 40; Koenig/Kühling/Ritter, Beihilfenrecht, Rz 434. Vgl Mitteilung Zinssätze (FN 703); EuGH, Rs C-169/95, Spanien/Kommission (‚Cook II’), Slg 1997, I-135, Rz 47; C-74/00 P und C-75/00 P, Falck ua, Slg 2002, I-7869, Rz 159. Vgl auch Kapitel II.B.3., oben; weiters Mitteilung der Kommission über Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung (RegionalbeihilfeLL), Abl 1998 C 74/9, Anhang I, Tz 2.1. Vgl dazu Kapitel II.B.2.b und II.B.2.c, oben. Gesamtzins = (Kapital x (1 + Zinssatz) x Anzahl Jahre) - Kapital; vgl Mitteilung Zinssätze (FN 703), 21f. Vgl näher Kapitel V.B.2 und V.C.2, oben. Vgl auch Kapitel V.C.2.c, oben.
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fahren) eintritt, also nachdem zweckdienliche Maßnahmen gescheitert sind (bestehende Beihilfen), sich im Vorprüfungsverfahren Schwierigkeiten bei der Beurteilung von Beihilfequalität oder Vereinbarkeit ergaben (neue Beihilfen) oder Auskunftsersuchen gestellt wurden (rechtswidrige Beihilfen). Beteiligte iSd Art 1 lit h VVO sind „[andere] Mitgliedstaaten, Personen, Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, deren Interessen aufgrund der Gewährung einer Beihilfe beeinträchtigt sein können, insbesondere der Beihilfeempfänger, Wettbewerber und Berufsverbände.“712 Anders als etwa das Verfahren der Nichtigkeitsklage kennt die VVO aber keinen Begriff des privilegierten Beteiligten bzw privilegierten Klägers; weder anderen Mitgliedstaaten, noch dem Beihilfenempfänger selbst kommen gegenüber dritten Beteiligten besondere Rechte im Verfahren zu. Beteiligte nach dieser Definition sind zunächst alle, die sich bei der Kommission über eine rechtswidrige Beihilfe beschweren (Art 20 Abs 2 VVO).713 Jedermann erlangt daher aufgrund einer Beschwerde über eine rechtswidrige Beihilfe ein Recht zur Teilnahme am Verfahren. Erhärten die daraufhin grundsätzlich verpflichtend714 einzuleitenden ersten Erhebungen (Auskunftsersuchen) der Kommission diese Behauptung, so hat die Kommission das Hauptprüfungsverfahren zu eröffnen und der Informant erlangt das Recht zur Abgabe einer Stellungnahme. Aber auch mangels Abgabe einer Stellungnahme ist ihm eine Kopie der Entscheidung in der Sache zuzustellen, auf Verlangen überdies jede sonstige im förmlichen Prüfverfahren ergangene Entscheidung (Art 20 Abs 3 VVO). Erhärtet sich die Behauptung einer rechtswidrigen Beihilfe nicht, so ist der Informant von der Einstellung des Verfahrens zu unterrichten. Er kann gegen die Verfahrenseinstellung unter den allgemeinen Voraussetzungen Nichtigkeits- bzw im Fall der Nichtäußerung der Kommission auch Untätigkeitsklage erheben.715 Aufgrund der obligatorischen Veröffentlichung (Art 26 Abs 2 VVO) von Entscheidungen über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens in Teil C des Abl kann sich darüber hinaus jedes Unternehmen, jeder Selbständige und jeder Interessenverband über laufende Beihilfeprüfverfahren informieren und sich durch Abgabe einer Stellungnahme am Verfahren beteiligen. Die erfolgreiche Beteiligung am Verfahren vermittelt neben dem schriftlichen716 rechtlichen Gehör auch das Recht auf Zustellung einer Kopie der verfahrensbeendenden, sowie auf Verlangen auch jeder sonstigen im förmlichen Prüfverfahren getroffenen Entscheidung (Art 20 Abs 1 und 3 VVO). Gegen sie kann unter
712
713 714 715 716
Grundlegend EuGH, Rs 323/82, Intermills, Slg 1984, 3809, Rz 16ff; ebenso Rs C-367/95 P, Sytraval und Brink’s France (‚Sytraval II’), Slg 1998, I-1719, Rz 41; Rs C-198/91, Cook, Slg 1993, I-2487, Rz 24; Rs C-225/91, Matra, Slg 1993, I-3203, Rz 18. Ausführlicher zum Beschwerderecht Sinnaeve, §37, Rz 7ff. Vgl dazu Kapitel V.C.2.d, oben. Vgl dazu Kapitel V.C.2.d, oben, sowie Kapitel VI, unten. Ein Recht auf individuelle Anhörung durch die Kommission besteht nicht, vgl zB EuG, Rs T-158/96, Acciaierie di Bolzano, Slg 1999, II-3927, Rz 44f; verbRs T129/95, T-2/96 und T-97/96, Neue Maxhütte Stahlwerke ua, Slg 1999, II-17, Rz 230f.
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den allgemeinen voraussetzungen Nichtigkeitsklage erhoben werden.717 Erfüllt der Verfasser einer Stellungnahme, was aber in der Praxis kaum vorkommen wird, die Voraussetzungen der weit gefassten Definition des Beteiligtenbegriffs in der VVO offensichtlich nicht, braucht die Kommission - unbeschadet der Rechtsschutzmöglichkeiten des Verfassers - grundsätzlich weder die Stellungnahme noch deren Verfasser im weiteren Verfahren zu berücksichtigen. In allen anderen Fällen sind die Stellungnahmen dem Mitgliedstaat zur Gegenäußerung vorzulegen (Art 6 Abs 2 VVO), allerdings erlangt der Beteiligte vom Inhalt der Gegenäußerung keine Kenntnis (kein Recht auf Akteneinsicht).718
VI. Grundzüge des Rechtsschutzes vor den Gemeinschaftsgerichten in Beihilfesachen Die spezifisch österreichischen Aspekte des Rechtsschutzes von Förderungswerbern (auf Gewährung der Förderung)719 und Konkurrenten (auf Durchsetzung von Unterlassung, Rückabwicklung und Schadenersatz)720 wurden bereits in den Kapiteln III.B und V.C.4.c besprochen. Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich demgegenüber mit den Grundzügen des Rechtsschutzes vor den Gemeinschaftsgerichten in Beihilfesachen. Für Mitgliedstaaten, Beihilfeempfänger und Dritte kommen grundsätzlich drei Rechtsmittel gegen Handlungen der Kommission in Betracht: Die Untätigkeitsklage, die Nichtigkeitsklage (einschließlich der Nichtigkeitseinrede gegen rechtskräftige Kommissionsentscheidungen) und die Schadenersatzklage. Nach Art 51 der EuGH-Satzung sind alle diese Klagen (auch Klagen von Mitgliedstaaten) nunmehr in erster Instanz vom EuG zu behandeln; der EuGH ist als kassatorische Rechtsmittelinstanz zuständig.721 Rechtsmittel haben grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, alle Kläger haben aber die Möglichkeit, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und/oder den Erlass einstweiliger Anordnungen zu beantragen (Art 242 und 243).
A. Untätigkeitsklage Die Untätigkeitsklage nach Art 232 kommt für jene Beteiligten (Unternehmen, Verbände, aber auch andere Mitgliedstaaten) in Frage, die der Kommission gem Art 20 Abs 2 VVO Mitteilung über eine behauptete rechtswidrige Beihilfe gemacht haben. Der Kommission hat dann eine Vorprüfung der Maßnahme vorzunehmen und eine der zum Abschluss des Vorprüfungsverfahrens vorgesehenen Entscheidungen zu treffen und dem Beschwerdeführer zu übermitteln oder ihm mitzuteilen, dass ihr „keine ausreichenden Gründe[ vorliegen], zu dem Fall eine Auffassung zu vertreten“ (Art 20 Abs 2 VVO) und sie das Verfahren einstellt.722 Unterlässt es die Kommission aber, sich zur Beschwerde überhaupt zu äußern, so erfüllt dies iaR die Zulässigkeitsvoraussetzungen der 717 718 719 720 721 722
Näher Kapitel VI.B, unten. Vgl dazu die Nachweise in FN 568, oben. Vgl Kapitel III.B., oben. Vgl Kapitel V.C.4.c, oben. Art 225 Abs 1 UA 2 EG; Vgl auch Art 56 EuGH-Satzung; Artt 110ff VfO-EuGH. Vgl dazu Kapitel V.C.2.d, oben.
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Untätigkeitsklage (Aufforderung zur Vornahme einer bindenden Handlung, zu der die Kommission verpflichtet ist und die den Kläger unmittelbar und individuell betroffen hätte).723 Die Kommission hat zur Äußerung im Regelfall zwei Monate Zeit, nur „außergewöhnliche Umstände“724 können eine längere Frist rechtfertigen. Ob die Stellungnahme der Kommission den Beschwerdeführer zufrieden stellt, ist dagegen unerheblich, da hier Nichtigkeitsklage erhoben werden kann.725 Die unmittelbare Betroffenheit eines beschwerdeführenden Konkurrenten liegt nach der Rsp bereits dann vor, wenn die Absicht der nationalen Behörden, das Beihilfevorhaben zu verwirklichen, „außer Zweifel“ steht, also anhand konkreter Durchführungsmaßnahmen belegt werden kann.726 Berührt die Beihilfe die Stellung des Klägers im Wettbewerb daher nicht oder sind zu ihrer Durchführung noch mehrere Schritte ungewissen Ausgangs notwendig (zB: Einbringung einer RV), so ist die Untätigkeitsklage nicht zulässig. Inwieweit der Kläger vor der Untätigkeitsklage den nationalen Rechtsweg beschreitet, also eine auf Art 88 Abs 3 letzter Satz gestützte Klage vor einem nationalen Gericht erhebt, ist für die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage unerheblich.727 Wird die Kommission nach Erhebung der Klage, aber vor Verkündung des Urteils tätig bzw äußert sie sich zu der Beschwerde, ist die Weiterführung der Untätigkeitsklage nicht mehr zulässig; die Klage ist dann gegenstandslos.728
Die Untätigkeitsklage ist binnen angemessener Frist ab jenem Zeitpunkt einzubringen, ab dem der Entschluß der Kommission, untätig zu bleiben, für den Kläger erkennbar geworden ist. Der Gerichtshof hat hier einerseits das Verstreichen von achtzehn Monaten ab Aufforderung für nicht mehr zulässig erachtet,729 andererseits wurden in Fällen wiederholter Anfragen durch den Kläger und bloß schleppender Beantwortung durch die Kommission auch 26 bzw 47 Monate ab der ersten Aufforderung für zulässig erachtet.730 Ein bestätigendes Urteil begründet lediglich die Verpflichtung der Kommission zum Tätigwerden; die Kommissionsentscheidung selbst kann es nicht ersetzen.731 723
724 725 726 727
728
729 730 731
StRsp, zB EuG, Rs T-95/96, Gestevisión Telecinco, Slg 1998, II-3407, Rz 57ff. Diese Zulässigkeitsvoraussetzungen betreffen aber nicht Untätigkeitsklagen von Mitgliedstaaten; diese sind „privilegierte Kläger“, näher Lenaerts/Arts, Procedural Law, Rz 8-012. EuG, Rs T-95/96, Gestevisión Telecinco, Slg 1998, II-3407, Rz 81; grundlegend verbRs T-213/95 und T-18/96, SCK und FNK, Slg 1997, II-1739, Rz 55. Vgl EuGH, Rs C-44/00 P, Sodima, Slg 2000, I-11231, Rz 83; EuG, verbRs T297/01 und T-298/01, SIC, Slg 2004, II-743, Rz 31. StRsp, zB EuG, Rs T-435/93, ASPEC, Slg. 1995, II-1281, Rz 60; Rs T-95/96, Gestevisión Telecinco, Slg 1998, II-3407, Rz 61. Vgl EuG, Rs T-398/94, Kahn Scheepvaart, Slg 1996, II-477, Rz 50; Rs T-95/96, Gestevisión Telecinco, Slg 1998, II-3407, Rz 68. Freilich sollte sich ein nationales Gericht aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts unabhängig davon, ob es vor oder nach der Kommission befasst wurde, regelmäßig gehalten sehen, das bei ihm anhängige Verfahren bis zum Abschluss des Verfahrens auf Gemeinschaftsebene auszusetzen. StRsp, zB EuGH, Rs C-44/00 P, Sodima, Slg 2000, I-11231, Rz 83; EuG, verbRs T297/01 und T-298/01, SIC, Slg 2004, II-743, Rz 31; Rs T-105/96, Pharos, Slg 1998, II-285, Rz 41f. EuGH, Rs 59/70, Niederlande/Kommission, Slg 1971, 639, Rz 15/19. Vgl EuG, Rs T-95/96, Gestevisión Telecinco, Slg 1998, II-3407, Rz 4ff und 80. Vgl Lenaerts/Arts, Procedural Law, Rz 8-025.
Beihilfe- und Förderungsrecht
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B. Nichtigkeitsklage 1. Allgemeines, Fristen und Rechtswirkungen Grundsätzlich muss zu jedem begonnenen Beihilfenprüfverfahren bzw zu jeder Beschwerde eine verfahrensbeendende, hinreichend begründete und bindende Entscheidung der Kommission ergehen.732 Die Nichtigkeitsklage nach Art 230 erlaubt dem beihilfegewährenden Mitgliedstaat und sonstigen Mitgliedstaaten, dem Beihilfeempfänger, konkurrierenden Unternehmen, Interessensverbänden udgl die Nachprüfung der verfahrensbeendenden Entscheidung sowie bestimmter anderer Handlungen der Kommission im Beihilfeprüfverfahren. Die Nichtigkeitsklage ist binnen zwei Monaten733 ab Bekanntgabe (Veröffentlichung oder Zugang) oder (mangels Bekanntgabe) ab Kenntnis von der angefochtenen Handlung einzubringen.734 Als Nichtigkeitsgründe können im Hinblick auf Negativentscheidungen und Rückforderungsanordnungen die mangelhafte Feststellung des Sachverhalts, die Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung, die Verletzung von Verfahrensvorschriften oder wesentlichen Formerfordernissen sowie Ermessensmissbrauch durch die Kommission vorgetragen werden. Im Bereich des Beihilfenrechts und der Rückforderungsproblematik praktisch unerheblich ist dagegen der in Art 230 UA 2 EG ebenfalls vorgesehene Nichtigkeitsgrund der Unzuständigkeit der Kommission für den angefochtenen Rechtsakt. Die in Art 230 UA 2 EG aufgezählten Rechtsmittelgründe sind abschließend. Das Nichtigkeitsurteil beseitigt den bekämpften Rechtsakt erga omnes und ex tunc;735 die Rückwirkung kann in besonderen Fällen aus Gründen der Rechtssicherheit ausgeschlossen werden (Art 231).736 Eine solche Beschränkung hat im Beihilfebereich aber, soweit ersichtlich, noch nicht stattgefunden. Aufgrund dieser weitreichenden Urteilswirkungen lässt ein Nichtigkeitsurteil zu einer Positiventscheidung über eine vereinbare Beihilfe das Durchführungsverbot (außer in dem Fall, dass das EuG die Beihilfequalität verneint) in vollem Umfang (ex tunc) wieder aufleben.
2. Anfechtbare Handlungen Schon aus dem Wortlaut des Art 230 ergibt sich, dass nur rechtlich bindende Handlungen Gegenstand der Nichtigkeitsklage sein können. Ob eine Handlung dazu bestimmt ist, Rechtswirkungen zu erzeugen (eine „Rechtsstellung in qualifizierter Weise [zu] verändern“),737 bestimmt sich aber grundsätzlich nach dem Inhalt, nicht der Form der Handlung.738 Daher können auch Handlungen 732 733 734 735 736 737
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Artt 4 Abs 3, 7, 19 Abs 2 VVO. Dazu kommt noch die sog Entfernungsfrist für den Postlauf von 10 Tagen gem Art 81 § 2 VerfO-EuGH und Art 102 § 2 VerfO-EuG. Vgl zB Beschluss, EuG 19. 9. 2005, Rs T-321/04, Air Bourbon, noch nicht in Slg veröff, Rz 34ff; näher Lenaerts/Arts, Procedural Law, Rz 7-125ff. Vgl zB EuGH, Rs 22/70, Kommission/Rat, Slg 1971, 263, Rz 59f. Näher Lenaerts/Arts, Procedural Law, Rz 7-134f. EuG 5. 4. 2006, Rs T-351/02, Deutsche Bahn, noch nicht in Slg veröff, Rz 35; vgl auch EuGH, Rs 60/81, IBM, Slg 1981, 2639, Rz 9; EuG, Rs T-112/99, Métropole Télévision, Slg 2001, II-2459, Rz 35. StRsp, vgl nur EuG 5. 4. 2006, Rs T-351/02, Deutsche Bahn, noch nicht in Slg veröff, Rz 35; EuGH, Rs 22/70, Kommission/Rat (‚AETR’), Slg 1971, 263, 38/42;
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eines einzigen Kommissionsmitglieds (zB Brief des Wettbewerbskommissars) als verbindlich angesehen werden, obwohl hier formal das Kollegium zu entscheiden hätte.739 Gegen bloß vorbereitende Rechtsakte, die die Position der Kommission noch nicht abschließend festlegen, ist eine gesonderte Nichtigkeitsklage nicht zulässig; hier bietet im Fall der Rechtswidrigkeit eine Klage gegen die das Verfahren abschließende Entscheidung hinreichenden Schutz.740 Mitteilungen, die meisten LL und vergleichbare allgemeine Rechtsakte der Kommission, die erst durch Individualisierung verbindlich werden, können demnach typischerweise nicht mit Nichtigkeitsklage bekämpft werden.741 Im Beihilfeprüfverfahren sind nach diesen Grundsätzen insbesondere die folgenden Entscheidungen gesondert anfechtbar: Alle verfahrensbeendenden Entscheidungen der Kommission im Vor- und Hauptprüfungsverfahren (Entscheidungen nach Art 4 Abs 2 und 3, und 7 Abs 2 bis 5 VVO),742 einschließlich der abschlägigen Mitteilung über die Verfolgung einer Beschwerde (Art 20 Abs 2 VVO); die Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens bei neuen bzw rechtswidrigen Beihilfen (weil ihre Durchführung bis zur Endentscheidung blockiert wird; Art 4 Abs 4 VVO);743 die Entscheidung der Kommission über die eintweilige Rückforderung (Art 11 Abs 2 VVO). Zulässig ist auch die Nichtigkeitsklage des beihilfegewährenden Mitgliedstaats gegen eine positive Endentscheidung in der Sache (etwa, weil die Maßnahme als Beihilfe eingestuft wurde).744 Nicht gesondert anfechbar ist dagegen insbesondere die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens bei bestehenden Beihilfen (hier kann die Beihilfe ja bis zur abschließenden Entscheidung fortgeführt werden, sodass keine nachteiligen Rechtswirkungen eintreten können).745 Das beihilfenbegünstigte Unternehmen oder der beihilfegewährende Mitgliedstaat werden typischerweise die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens, Negativentscheidungen im förmlichen Prüfverfahren und Rückforderungsanordnungen bekämpfen. Auf Seiten der Wettbewerber werden Nichtigkeitsklagen in allen Fällen einer Unbedenklichkeits- oder Positiventscheidung im Vor- und Hauptprüfungsverfahren bzw bei Absehen von einer Rückforderungsanordnung trotz Negativent-
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EuG, Rs T-3/93, Air France, Slg 1994, II-121, Rz 55ff mwN; näher Lenaerts/Arts, Procedural Law, Rz 7-008ff; EuG, Rs T-353/00, Le Pen, Slg 2003, II-1729, Rz 77. Vgl EuG 5. 4. 2006, Rs T-351/02, Deutsche Bahn, noch nicht in Slg veröff, Rz 58. Vgl EuGH, Rs C-312/90, Spanien/Kommission, Slg 1992, I-4117, Rz 21; Rs 53/85, AKZO, Slg 1986, 1965, Rz 19. IdS auch Lenaerts/Arts, Procedural Law, Rz 7-015f. Vgl zu Entscheidungen im Vorprüfungsverfahren zB EuGH Rs C-78/03 P, Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, Slg 2005, I-10737, Rz 35; EuG 5. 4. 2006, Rs T351/02, Deutsche Bahn, noch nicht in Slg veröff, Rz 40ff und 63; Rs T-95/96, Gestevisión Telecinco, Slg 1998, II-3407, Rz 64; Rs T-95/94, Sytraval, Slg 1995, II-2651, Rz 47; EuGH, Rs C-198/91, Cook, Slg 1993, I-2487, Rz 23; Rs C-225/91, Matra, Slg 1993, I-3203, Rz 17; EuG, Rs T-106/95, FFSA, Slg 1997, II-229, Rz 172 und 178. Vgl EuGH, Rs C-312/90, Spanien/Kommission, Slg 1992, I-4117, Rz 14ff; Rs C-47/91, Italien/Kommission, Slg 1992, I-4145, Rz 22ff. Vgl EuGH, Rs C-241/94, Frankreich/Kommission (‚Kimberly Clark’), Slg 1996, I-4551, Rz 6. So auch Lenaerts/Arts, Procedural Law, Rz 7-023.
Beihilfe- und Förderungsrecht
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scheidung in Frage kommen. Wie auch schon im Fall der Untätigkeitsklage ist es Wettbewerbern auch im Rahmen von Art 230 freigestellt, die Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe über eine Nichtigkeitsklage gegen die Kommissionsentscheidung nach Gemeinschaftsrecht oder (aufgrund der unmittelbaren Wirkung von Art 88 Abs 3 letzter Satz EG) vor einem nationalen Gericht anzustrengen.
3. Aktivlegitimation Der beihilfengewährende Mitgliedstaat ist der einzige Adressat einer im Beihilfeprüfverfahren ergangenen Entscheidung.746 Er ist daher befugt, gegen die an ihn gerichtete Negativ- und/oder Rückforderungsentscheidung Nichtigkeitsklage zu erheben, ohne dass es für diese Klage des Nachweises eines besonderen Rechtsschutzinteresses bedürfte; dasselbe gilt für die übrigen Mitgliedstaaten sowie die Organe der Gemeinschaft (sog privilegierte Kläger). Sonstige Beteiligte haben dagegen gem Art 230 UA 4 EG als Zulässigkeitsvoraussetzung ihre unmittelbare und individuelle Betroffenheit durch die angefochtene Entscheidung nachzuweisen. Dies betrifft einheitlich sowohl das beihilfenbegünstigte Unternehmen, das kein formeller Adressat der Entscheidung ist, als auch dessen Wettbewerber, egal, ob diese sich am Verfahren individuell oder als Unternehmens- oder Interessensvereinigungen beteiligen. Nach der immer noch gültigen Formel des Urteils Plaumann aus 1963 können diese Gruppen ihre individuelle Betroffenheit durch die Beihilfeentscheidung nur nachweisen, wenn diese sie wegen „bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, [sie] aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und [sie] daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten“.747 Der Beihilfeempfänger (oder dessen Interessensvertretung)748 erfüllen diese Voraussetzungen hinreichender unmittelbarer und individueller Betroffenheit typischerweise ohne Schwierigkeiten. Sie sind daher regelmäßig zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens, gegen eine abschließende Negativentscheidung und gegen die vorläufige oder endgültige und Rückforderungsanordnung berechtigt.749 Die VVO entspricht dem in der Praxis, indem sie für jeden Empfänger einer Einzelbeihilfe vorschreibt, dass ihnen eine Kopie der verfahrensbeendenden Entscheidung im Hauptverfahren zu übermitteln ist. Individuell oder kollektiv750 auftretende Wettbewerber treffen demgegenüber auf vergleichsweise größere Nachweisschwierigkeiten. Die Nichtigkeitsklage kann sich gegen alle abschließenden Entscheidungen im Vorprüfungsver746
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Dass die Kom-E irrtümlicherweise nicht an den Mitgliedstaat adressiert ist (weil die Kommission meint, es handle sich um eine Ablehnung nach Art 20 Abs 2 VVO), schadet der Einordnung als abschließende Entscheidung nicht, vgl EuG 5. 4. 2006, Rs T-351/02, Deutsche Bahn, noch nicht in Slg veröff, Rz 50 und 55. EuGH, Rs 25/62, Plaumann, Slg 1963, 213, 238; vgl auch Rs C-50/ P, Unión de Pequeños Agricultores, Slg 2002, I-6677, Rz 44f; Rs C-78/03 P, Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, Slg 2005, I-10737, Rz 33; Rs C-198/91, Cook, Slg 1993, I-2487, Rz 20; Rs C-298/00 P, Italien/Kommission, Slg 2004, I-4087, Rz 36. Vgl EuG, Rs T-55/99, CETM, Slg 2000, II-3207, Rz 23f. Weiterführend Lenaerts/Arts, Procedural Law, Rz 7-072 mwN. Zur Klagslegitimation von Interessensverbänden gegen Beihilfeentscheidungen grundlegens EuGH, Rs 323/82, Intermills, Slg 1984, 3809, Rz 16.
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fahren (Entzug des Rechts auf Stellungnahme im förmlichen Prüfverfahren)751 oder gegen die abschließende Positiventscheidung im Hauptverfahren richten.752 Generell gilt, dass die Klage umso eher Erfolg haben wird, je eher die betreffenden Beihilfen individueller Art sind. Es kommt also darauf an, inwieweit die Empfänger hinreichend klar bestimmbar sind und inwieweit daher die wettbewerbsverzerrende Wirkung der Beihilfen gegenüber dem klagenden Wettbewerber entsprechend klar bestimmt werden kann. Nur bei hinreichend klarem Wettbewerbsverhältnis kann daher eine Klagsbefugnis von nicht beihilfebegünstigten Unternehmen überhaupt in Frage kommen. Wettbewerbern sollte es daher gelingen nachzuweisen, dass ihre „Marktstellung […] durch die Beihilfe[…] spürbar beeinträchtigt wird“;753 bei Interessensverbänden reicht es, wenn deren Verhandlungsposition durch die Beihilfe geschwächt wird.754 Handelt es sich dagegen um eine „Beihilferegelung, deren potentiell Begünstigte nur allgemein und abstrakt bestimmt sind“755, so ist eine Klagsbefugnis von Wettbewerbern generell zu verneinen.756 Wettbewerber können ihre hinreichende unmittelbare und individuelle Betroffenheit dadurch wirksam unterstreichen, dass sie sich durch Abgabe einer Stellungnahme (Art 20 Abs 1 VVO) bereits am Verfahren vor der Kommission beteiligt haben;757 auch hier entspricht die VVO dieser Überlegung, indem die Beteiligten, die eine Stellungnahme abgegeben haben, eine Kopie der abschließenden Entscheidung zu übermitteln ist. Trotzdem reicht die bloße Verfahrensbeteiligung für sich alleine nach der Rsp nicht aus, um in allen Fällen eine Aktivlegitimation zu begründen, wenn die Betroffenheit im Übrigen zweifelhaft ist (dies betrifft typischerweise Interessensverbände).758
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Vgl zB EuGH, Rs C-78/03 P, Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, Slg 2005, I-10737, Rz 35; EuG 5. 4. 2006, Rs T-351/02, Deutsche Bahn, noch nicht in Slg veröff, Rz 40ff und 63; Rs T-95/96, Gestevisión Telecinco, Slg 1998, II-3407, Rz 64. Vgl zB EuGH, Rs 169/84, Cofaz, Slg 1986, 391, Rz 22ff; EuG, verbRs T-447/93, T448/93 und T-449/93, AITEC, Slg 1995, II-1971, Rz 33ff; Rs T-149/95, Ducros, Slg 1997, II-2031, Rz 30ff. EuGH, Rs C-78/03 P, Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, Slg 2005, I-10737, Rz 37; idS auch Rs 169/84, Cofaz, Slg 1986, 391, Rz 22ff; Rs C-409/96 P, Sveriges Betodlares, Slg 1997, I-7531, Rz 45. StRsp, vgl zuletzt EuGH, Rs C-78/03 P, Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, Slg 2005, I-10737, Rz 53ff. Etwa EuG, Rs T-398/94, Kahn, Slg 1996, II-4477, Rz 49. Vgl auch EuG, Rs T-188/95, Waterleiding Maatschappij, Slg 1998, II-3713, Rz 50ff. Vgl etwa EuGH, Rs C-198/91, Cook, Slg 1993, I-2487, Rz 13ff; Rs C-225/91, Matra, Slg 1993, I-3203, Rz 15ff; EuG, Rs T-149/95, Ducros, Slg 1997, II-2031, Rz 34. IdS zuletzt EuGH, Rs C-78/03 P, Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, Slg 2005, I-10737, Rz 53ff; Beschluss EuG 10. 1. 2006, Rs T-227/01, Territorio Histórico de Álava, noch nicht in Slg veröff, Rz 10.
Michael Holoubek/Claudia Fuchs
Vergaberecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................793 Grundlegende Literatur...................................................................................794 I. Grundlagen ................................................................................................796 A. Grundfragen und Struktur des Rechts der öffentlichen Auftragsvergabe ....................................................................................796 1. Der Staat als Nachfrager am Markt ...................................................796 2. Notwendigkeit rechtlicher Vorgaben für die öffentliche Auftragsvergabe................................................................................797 3. Funktionsweise und Zielsetzungen des Vergabeverfahrens..............800 4. Wirtschaftliche Bedeutung ................................................................801 B. Öffentliche Auftragsvergabe als privatwirtschaftliche Tätigkeit des Staates..............................................................................802 C. Völkerrechtliche Grundlagen ................................................................803 1. Agreement on Government Procurement (GPA) ..............................803 2. Weitere völkerrechtliche Rechtsgrundlagen......................................806 D. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................806 1. Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe .....................................................807 2. Primärrechtliche Grundlagen ............................................................808 3. Harmonisierung des Vergaberechts durch Vergaberichtlinien..........812 II. Das BVergG 2006.....................................................................................816 A. Kompetenzrechtliche Grundlagen .........................................................816 B. Struktur und Aufbau ..............................................................................819 III. Persönlicher Geltungsbereich des BVergG..........................................820 A. Entwicklung des Auftraggeberbegriffs ..................................................820 B. Klassische öffentliche Auftraggeber ......................................................821 C. Einrichtungen öffentlichen Rechts.........................................................822 1. Teilrechtsfähigkeit.............................................................................823 2. Im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art ..823 3. Staatliche Beherrschung ....................................................................826 D. Verbände öffentlicher Auftraggeber......................................................828 E. Sektorenauftraggeber ............................................................................828 1. Tätigkeitsbezogene Auftraggeberdefinition ......................................829 2. Auftraggebertypen.............................................................................830 3. Doppelnatur öffentlicher Auftraggeber .............................................830 F. Sonstige Auftraggeber ...........................................................................831 IV. Sachlicher Geltungsbereich des BVergG .............................................832 A. Umfassender Geltungsbereich...............................................................833 B. Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge ............................................834
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C. Gemischte Aufträge............................................................................... 835 D. Entgeltlichkeit ....................................................................................... 836 E. Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen .......................................... 837 F. Konzessionsvergaben ............................................................................ 838 1. Baukonzessionsverträge.................................................................... 838 2. Dienstleistungskonzessionsverträge ................................................. 839 3. Anwendungsfelder............................................................................ 841 G. Ausnahmen vom Geltungsbereich......................................................... 842 H. Inhouse-Vergaben................................................................................. 843 J. Schwellenwerte ...................................................................................... 847 V. Das Vergabeverfahren nach dem BVergG............................................ 848 A. Grundsätze des Vergabeverfahrens ...................................................... 848 1. Freier, fairer und lauterer Wettbewerb.............................................. 849 2. Gleichbehandlungsgebot................................................................... 850 3. Transparenzgebot.............................................................................. 850 4. Vorarbeiten ....................................................................................... 851 5. Vergabe an befugte, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmer ................................................................ 852 6. Vergabe zu angemessenen Preisen ................................................... 852 7. Tatsächliche Absicht zur Auftragsvergabe ....................................... 852 8. Berücksichtigung „vergabefremder“ Kriterien ................................. 853 B. Arten und Wahl der Vergabeverfahren ................................................. 855 1. Vergabeverfahrensarten .................................................................... 855 2. Ein- und zweistufige Vergabeverfahren ........................................... 855 3. Offenes Verfahren ............................................................................ 856 4. Nicht offenes Verfahren.................................................................... 857 5. Verhandlungsverfahren..................................................................... 859 6. Rahmenvereinbarung ........................................................................ 861 7. Dynamisches Beschaffungssystem ................................................... 862 8. Wettbewerblicher Dialog.................................................................. 863 9. Direktvergabe ................................................................................... 865 10. Elektronische Auktion .................................................................... 865 11. Wettbewerb..................................................................................... 866 C. Grundstruktur des Ablaufs eines Vergabeverfahrens ........................... 867 1. Bekanntmachung .............................................................................. 867 2. Ausschreibung der Leistung ............................................................. 868 3. Das Angebot ..................................................................................... 876 4. Entgegennahme und Öffnung der Angebote .................................... 878 5. Eignungsprüfung............................................................................... 879 6. Angebotsprüfung .............................................................................. 881 7. Zuschlagsverfahren........................................................................... 883 8. Widerruf............................................................................................ 884 VI. Besonderheiten für Auftragsvergaben in den Sektoren ..................... 886 A. Auftragsvergabe an verbundene Unternehmen..................................... 886 B. Wahl des Vergabeverfahrens ................................................................ 887
Vergaberecht
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C. Freistellung vom Anwendungsbereich ..................................................888 VII. Rechtsschutz ..........................................................................................889 A. Allgemeines............................................................................................889 B. Innerstaatlicher Rechtsschutz................................................................890 1. Rechtsschutzverfahren vor dem Bundesvergabeamt.........................891 2. Nachprüfungsverfahren.....................................................................892 3. Provisorialverfahren ..........................................................................896 4. Feststellungsverfahren.......................................................................898 5. Gebühren ...........................................................................................900 6. Landesrechtliche Besonderheiten......................................................901 7. Rechtsschutz durch ordentliche Zivilgerichte ...................................901 C. Rechtsschutz durch Europäische Instanzen...........................................903 1. Europäische Kommission..................................................................903 2. Europäischer Gerichtshof..................................................................904 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht RL 89/665/EWG, Abl 1989 L 395/33 idF RL 92/50/EWG, Abl 1992 L 209/1 (RechtsmittelRL); RL 92/13/EWG, Abl 1992 L 76/14 (Sektoren-RechtsmittelRL); VO 2195/2002/EG, Abl 2002 L 340/1 idF VO 2151/2003/EG, Abl 2003, L 329/1 (CPVVO); RL 2004/17/EG, Abl 2004 L 134/1 (SektorenRL); RL 2004/18/EG, Abl 2004 L 134/114 (allgemeine VergabeRL); VO 1564/2005/EG; Abl 2005 L 257/1 (StandardformularVO); VO 2083/2005/EG, Abl 2005, L 333/28 (SchwellenwertVO). Grünbuch Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union: Überlegungen für die Zukunft, 27.11.1996. Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM(2003), 270 endg. Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den Gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen, KOM(2004) 327 endg (Grünbuch ÖPP). Grünbuch Beschaffung von Verteidigungsgütern, KOM(2004) 608 endg. Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat zur Vollendung des Binnenmarkts, KOM(85) 310 endg. Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, Abl 2000/C 121/2. Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, Abl 2006/C 179/2. Mitteilung der Kommission an den Rat über „fairen Handel“, KOM(1999) 619 endg. Interpretierende Mitteilung der Kommission über das auf das Öffentliche Auftragswesen anwendbare Gemeinschaftsrecht und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, KOM(2001) 274 endg. Mitteilung der Kommission über die Auslegung des gemeinschaftlichen Vergaberechts und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung sozialer Belange bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, KOM(2001) 566 endg.
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Holoubek/Fuchs
Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Bericht über die Umsetzung der Binnenmarktstrategie (2003-2006), KOM(2004) 22 endg. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zu öffentlichprivaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für das öffentliche Beschaffungswesen und Konzessionen, (KOM)2005 569 endg. Mitteilung zu Auslegungsfragen bezüglich der Anwendung des Artikels 296 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) auf die Beschaffung von Verteidigungsgütern, KOM(2006) 779 endg. Aktionsplan zur Umsetzung und Anwendung der Rechtsvorschriften über die elektronische Vergabe öffentlicher Aufträge, 13.12.2004. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates zwecks Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, KOM(2006) 195 endg. Folgende Dokumente sind auf der Webseite der Europäischen Kommission, GD Binnenmarkt abrufbar: Erläuterungen - Rahmenvereinbarung - Klassische Richtlinie. Erläuterungen - Wettbewerblicher Dialog - Klassische Richtlinie. Explanatory Note - Utilities Directive - Contracts involving more than one activity. Explanatory Note - Utilities Directive - Definition of exclusive or special rights. Innerstaatliches Recht Bundesvergabegesetz 2006 - BVergG 2006, BGBl I 17/2006 (BVergG). Schwellenwerteverordnung 2006, BGBl II 193/2006 (SchwellenwerteVO 2006). Kundmachung betreffend die Verfahren für die Übermittlung von Bekanntmachungen und Mitteilungen, BGBl II 36/2006 (Bekanntmachungskundmachung).
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I. Grundlagen Das Vergaberecht befasst sich mit den Rechtsgrundlagen der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen durch öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber. Wenngleich die Vergabe öffentlicher Aufträge seit geraumer Zeit zu den Instrumenten staatlicher Wirtschaftstätigkeit zählt1, ist das Vergaberecht ein vergleichsweise junges Rechtsgebiet. Der mittlerweile hohe Grad rechtlicher Durchdringung ist zu einem guten Teil auf europarechtliche Regelungsvorgaben zurückzuführen. Besonders die (gemeinschaftsrechtlich gebotene) Einführung effektiver Rechtsschutzmöglichkeiten hat zur Herausbildung eines detaillierten Regelungsrahmens und einer umfangreichen Judikatur im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe beigetragen. Dem europäischen Vergaberecht kommt mithin eine Schlüsselposition für die (Fort-) Entwicklung des Rechts der öffentlichen Auftragsvergabe zu, wiewohl das Vergaberecht in seiner heutigen Struktur auch ganz maßgeblich von innerstaatlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Anforderungen bestimmt ist. Zudem ist eine ansteigende Internationalisierung des Vergaberechts zu konstatieren, was wiederum Rückwirkungen auf den europäischen und innerstaatlichen Regelungsrahmen zeitigt.
A. Grundfragen und Struktur des Rechts der öffentlichen Auftragsvergabe 1. Der Staat als Nachfrager am Markt Der Staat in seinen verschiedenen Ausformungen benötigt zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben Sachgüter und Dienstleistungen. Diese Bedürfnisse können zu einem gewissen Ausmaß durch staatliche „Eigenleistung“ gedeckt werden2. Regiebetriebe, in erster Linie aber öffentliche Unternehmen (vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge) erbringen die gewünschten Leistungen. Das in der Praxis weitaus bedeutendste Instrument der Beschaffungstätigkeit des Staates ist die öffentliche Auftragsvergabe. Dabei bezieht der Staat die benötigten Güter und Leistungen „vom Markt“ und damit grundsätzlich unter denselben Bedingungen wie ein Privater: Er tritt am Markt als Nachfrager auf und beauftragt anbietende Unternehmen, indem er entsprechende Verträge (öffentliche Aufträge) abschließt. Für die Erbringung der Leistungen erhält der beauftragte Unternehmer eine Gegenleistung, üblicherweise in Form eines Entgelts.
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Vgl dazu etwa die Untersuchungen von Bös, Öffentliche Aufträge in Österreich, 1968 und Wenger, Das Recht der öffentlichen Aufträge, 1977. Die Möglichkeit zur Bedarfsdeckung durch zwangsweise Beschaffung (zB durch Enteignung) sei an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber genannt. Aufgrund der verfassungsrechtlichen, insb grundrechtlichen Vorgaben kommt der zwangsweisen Beschaffung außerhalb von Krisen- und Notsituationen keine tragende Bedeutung zu.
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2. Notwendigkeit rechtlicher Vorgaben für die öffentliche Auftragsvergabe Die Notwendigkeit rechtlicher Vorgaben für die öffentliche Auftragsvergabe ergibt sich aus mehrfachen Gründen3. Zum einen nimmt zwar der Staat bei der Vergabe öffentlicher Aufträge grundsätzlich „wie ein Privater“ am allgemeinen Marktgeschehen teil; in seiner Eigenschaft als Nachfrager unterscheidet er sich aber in vielerlei Hinsicht von den sonstigen Marktteilnehmern. Zum anderen ist es von erheblicher Bedeutung, dass den Bietern in einem Vergabeverfahren durchsetzbare Rechte gegenüber der oftmals übermächtigen öffentlichen Hand eingeräumt werden, und zwar auch dann, wenn der Staat mit Mitteln des Privatrechts (und eben nicht hoheitlich) tätig wird. Diese beiden, für die rechtliche Regelung der öffentlichen Auftragsvergabe zentralen Gesichtspunkte, lassen sich mit den Schlagworten Effizienz und Rechtsschutz zusammenfassen. Darüber hinaus können auch organisationswirtschaftliche und wirtschaftspolitische Argumente für eine rechtliche Regelung der öffentlichen Auftragsvergabe ins Treffen geführt werden4. a) Effizienzargumente Der Staat als Nachfrager ist im Regelfall nicht den Kräften des freien Marktes ausgesetzt. Im Unterschied zu privaten Unternehmen, die auf einem bestimmten Markt im Wettbewerb tätig sind, wird „unwirtschaftliches Handeln“ der öffentlichen Hand im Regelfall nicht unmittelbar vom Markt sanktioniert. Darüber hinaus steht dem Staat in Form von Steuergeldern und sonstigen Abgaben eine fortwährende Einnahmequelle zur Verfügung, weshalb er grundsätzlich auch nicht dazu angehalten ist, zur Deckung seines Finanzbedarfs Gewinne zu erzielen und mit seiner Tätigkeit auch keinem „Insolvenzrisiko“ unterliegt. Im Ergebnis funktioniert bei der öffentlichen Hand eine Wirtschaftlichkeitskontrolle durch den Markterfolg nicht in dem Sinne, in dem der Markt eine Kontrollfunktion gegenüber privaten Unternehmen wahrnimmt. Die genannten Gesichtspunkte tragen auch dazu bei, dass der staatliche Beschaffungsapparat in besonderem Maße für Intervention und Korruption anfällig ist. Darüber hinaus ist die staatliche Auftragsvergabe in vielfacher Weise der Versuchung ausgesetzt, für „externe“, also nicht (rein) wirtschaftliche, sondern für andere Zielsetzungen wirtschafts-, sozial- oder strukturpolitischer Art eingesetzt zu werden. An dieser Ausgangssituation knüpfen die für eine rechtliche Regelung der öffentlichen Auftragsvergabe ins Treffen geführten Effizienzargumente an: Da der öffentlichen Auftragsvergabe in der Regel die Verwendung öffentlicher
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Zur grundsätzlichen Notwendigkeit der (gesetzlichen) Regelung des Vergabeverfahrens vgl Korinek, Das Konzept der Regierungsvorlage zu einem Vergabegesetz und seine rechtsstaatliche sowie bundesstaatliche Bedeutung, in Korinek/Rill (Hrsg), Reform, 1 ff sowie Aicher, Wettbewerbsrechtliche und wettbewerbspolitische Überlegungen zur Regierungsvorlage eines Vergabegesetzes, in Korinek/Rill (Hrsg), Reform, 111 ff; weiters Korinek, Vergaberecht, Rz 703. Siehe zum Folgenden näher Holoubek/Fuchs/Weinhandl, Vergaberecht, 2 ff, denen die Darstellung hier folgt.
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Mittel zu Grunde liegt5, soll durch rechtliche Rahmenbedingungen für den Ablauf eines Vergabeverfahrens ein effizienter Einsatz der den Auftraggebern zur Verfügung stehenden Mittel sichergestellt werden. Ein rechtlich geregeltes Vergabeverfahren soll, als organisierter Parallelwettbewerb der Bieter6, einen marktkonformen Wettbewerb simulieren, dem die Leistungsvergabe durch die öffentliche Hand sonst nicht notwendig unterworfen wäre. Der solcherart organisierte Vergabewettbewerb soll für öffentliche Auftraggeber somit jenes Korrektiv darstellen, das für private Auftraggeber der Markt bildet. Das europäische Vergaberecht zielt nun grundsätzlich darauf ab, Beschaffungsvorgänge der öffentlichen Hand nach Maßgabe ökonomischer Effizienzkriterien auszurichten. Die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dienen der Durchsetzung der Grundfreiheiten der EG, das heißt der Herstellung eines grenzüberschreitenden, fairen und gleichen Vergabewettbewerbs zwischen den Unternehmen in der Europäischen Gemeinschaft und damit der Verwirklichung des Binnenmarktes auch im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens. Dadurch sollen letztlich bei den Beschaffungsvorgängen der öffentlichen Hand das ökonomisch günstigste Ergebnis erzielt und möglichst weitgehende Einsparungseffekte für die öffentlichen Haushalte bewirkt werden. Diese an sich strikte Ausrichtung des Vergaberechts an ökonomischen Effizienzkriterien bringt es mit sich, dass Beschaffungsvorgänge auch tatsächlich auf den ökonomischen Beschaffungseffekt fokussiert sein sollen. Das geltende Vergaberecht wendet sich insofern bewusst gegen das historische Verständnis der öffentlichen Auftragsvergabe, die lange Zeit auch als wirtschafts-, sozial-, umweltpolitisches Instrument zum Einsatz gelangte („government by procurement“)7. Es beruht somit auf dem Grundgedanken der Trennung staatlicher Beschaffungsvorgänge von politischen Steuerungsinstrumenten, um die gewünschten Einsparungseffekte für die öffentlichen Haushalte zu erzielen8. Diesem Konzept folgend ist der öffentlichen Auftragsvergabe die Funktion als politisches Gestaltungsinstrumentarium nach geltendem Vergaberecht weitgehend entzogen9.
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Für Auftragsvergaben in den Sektoren (Pkt III.E) trifft dies nur beschränkt zu. So Aicher, Wettbewerbsrechtliche und wettbewerbspolitische Überlegungen zur Regierungsvorlage eines Vergabegesetzes, in Korinek/Rill (Hrsg), Reform, 111 f; ders, Die Vergabekontrollkommission in ihrer Bedeutung für die österreichische Rechtsentwicklung und für die Angleichung an das Recht der EG, in Korinek/ Aicher, Vergabekontrollkommission, 19. So räumte das österreichische Vergaberecht ursprünglich die Möglichkeit sog Lokalpräferenzierungen - also der Bevorzugung ortsansässiger Bieter - ein, ein Instrument, das durch gezielte Förderung typischer Weise das Ziel der Stärkung der heimischen Wirtschaft vor Augen hatte. Bei diesem volkswirtschaftlichen Argument kommt es allerdings nicht darauf an, ob der behauptete Einsparungseffekt bei jedem individuellen Vergabevorgang auch tatsächlich erzielt wird. Hiezu weiterführend Westphal, Vergaberecht ökonomisch betrachtet: Hat sich der juristische Aufwand gelohnt?, in Rill/Griller (Hrsg), Grundfragen, 305 ff. Zu den dargelegten Zusammenhängen weiters Holoubek, ZUV 2002, 13 (22 f). Vgl aber die Ausführungen zur Möglichkeit der Berücksichtigung sog vergabefremder Kriterien, Pkt V.A.8.
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Es sind freilich auch eine Reihe von Argumenten denkbar, die gegen die dargestellte Prämisse angeführt werden können. Zu nennen sind hierbei vor allem die hohen Transaktionskosten, die komplexe und oft lang dauernde Vergabeverfahren mit sich bringen. Weiters ist in Betracht zu ziehen, dass das Vergabeverfahren zwar in Kernbereichen staatlicher Beschaffungstätigkeit (insbesondere im Bereich von Liefer- und Bauaufträgen) durchaus die geschilderte marktöffnende und damit effizienzsteigernde Wirkung nach sich gezogen hat, dass aber eine zu weitgehende Ausdehnung der Anwendung des Vergabeverfahrens im technischen Sinn auch auf komplexe staatliche Leistungsvergaben vor allem im Sozial- und Daseinsvorsorgebereich wegen der damit verbundenen, einseitig auf Kostenstrukturen ausgerichteten Effizienzbetrachtung überwiegend negative Folgen für Qualität und Dauerhaftigkeit dieser Leistungen mit sich bringen kann10. b) Rechtsschutzargumente Zum Zweiten können - vor dem Hintergrund, dass die Funktionsfähigkeit eines vergaberechtlichen Regelungssystems die Möglichkeit seiner Kontrolle notwendig macht - auch Rechtsschutzargumente für eine rechtliche Regelung der öffentlichen Auftragsvergabe vorgebracht werden. Sollen sich Bieter gegen die Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber zur Wehr setzen und einen Verstoß gegen die Vergabevorschriften geltend machen können, muss ein effizientes vergabespezifisches Rechtsschutzinstrumentarium zur Verfügung stehen, das eine objektive Nachprüfbarkeit von Vergabeentscheidungen gewährleistet. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit eindeutiger und präziser Vorschriften, die den Ablauf des Vergabevorgangs regeln, auf deren Einhaltung der übergangene Bieter „klagen“ kann. Dieses Rechtsschutzargument zugunsten der Bieter hat auch eine wesentliche Bedeutung für die Sicherung fairen Bieterverhaltens. Dadurch, dass sich sowohl der nachfragende Staat als auch die sich um einen Auftrag bewerbenden Bieter an klar vorgegebene Verfahrensregeln halten müssen, die ein faires und gleiches Vergabeverfahren sicherstellen, soll auch unsachliches Bieterverhalten (wettbewerbswidrige Absprachen, „Vergabekartelle“ der Bieter) verhindert werden. Staatliche Auftragsvergaben erfolgen in vielen Bereichen - man denke etwa an den Tiefbaubereich, wie insbesondere den Straßen-, oder Tunnelbau – aber auch unter Rahmenbedingungen, die dem Staat eine starke Stellung zuweisen und ihn den Anbietern gegenüber mit einer gewissen Marktmacht ausstatten. Das daraus resultierende Machtungleichgewicht zwischen dem nachfragenden Staat und den einzelnen Bietern kann eine missbräuchliche Ausnutzung der Nachfrageübermacht der öffentlichen Hand auf der einen Seite bzw unfaire wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen durch die Bieter auf der anderen Seite zur Folge haben. In dieser Konstellation kann ein rechtlich organisierter Vergabeprozess machtneutralisierende Wirkung entfalten und wett-
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Vgl zu diesem Themenkreis etwa Neumann/Nielandt/Philipp, Sozialleistungen, 50 ff.
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bewerbsbeschränkende oder missbräuchliche Verhaltensweisen auf beiden Seiten weitgehend unterbinden11. Rechtliche Regelungen des Vergabeverfahrens, deren Einhaltung die Bieter überprüfen und durchsetzen können, sichern somit nicht nur das Vertrauen der Bieter in das Vergabeverfahren und damit die Akzeptanz des Ergebnisses, ihnen kommt auch eine Präventivwirkung zu. Gleichzeitig wird jenen Zielsetzungen zum Durchbruch verholfen, die den Effizienzargumenten zu Grunde liegen. Das Rechtsschutzargument zielt somit darauf ab, auch bei der öffentlichen Auftragsvergabe und damit in einem Bereich, in dem der Staat den Bürgern nicht mit Hoheitsgewalt (imperium), sondern mit Mitteln des Privatrechts gegenübertritt, ein entsprechendes, effizientes Rechtsschutzsystem zu schaffen und den Bietern effektiv durchsetzbare Rechte gegenüber den Auftraggebern einzuräumen. Die beiden zentralen Zielsetzungen des Vergabeverfahrens - Effizienz und Rechtsschutz - greifen in der Regel ineinander und können einander insoweit auch wechselseitig befördern. So steht, wie bereits dargestellt, die Einräumung subjektiver Bieterrechte nicht nur im Dienste von Rechtsschutzerwägungen, sondern ist in erheblichem Maße auch der Durchsetzung von Effizienzgesichtspunkten zuträglich. Die mitunter divergierende Stoßrichtung der Zielsetzungen des Vergabeverfahrens kann aber in bestimmten Verfahrenskonstellationen auch ein Spannungsverhältnis zur Folge haben, dessen Ausgleich nicht immer einfach zu finden ist. Überdies können auch organisationswirtschaftliche Argumente für eine rechtliche Regelung des Vergabevorgangs vorgebracht werden. Diese zielen auf ein Vereinfachungs- und Vereinheitlichungspotential ab, das bei wiederkehrenden Abläufen (wie im gegebenen Fall Beschaffungen) durch standardisierte Regeln ausgeschöpft werden kann12. Insofern soll ein rechtlich geregeltes Vergabeverfahren, indem es standardisierte Regeln für den Prozess der Entscheidungsfindung aufstellt, eine weitergehende Prozessökonomie bewirken. Standardisierte Verfahren und transparente Entscheidungsabläufe tragen - vor allem in Großorganisationen (wie insbesondere auch der öffentlichen Verwaltung) - schließlich auch dazu bei, das Risiko von Betrug und Korruption einzudämmen13.
3. Funktionsweise und Zielsetzungen des Vergabeverfahrens Da die inhaltliche Determinierung der eigentlichen Vergabeentscheidung, also der Entscheidung, wer den öffentlichen Auftrag erhalten soll, aufgrund der Bandbreite möglicher Auftragsgegenstände nur beschränkt bzw kaum möglich ist, organisiert das rechtlich geregelte Vergabeverfahren einen allen Bietern faire und gleiche Chancen ermöglichenden Wettbewerb. Das Verhalten des Auftraggebers wird nicht inhaltlich, sondern weitgehend prozedural, also durch 11
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Zu diesen Überlegungen auch Aicher, Wettbewerbsrechtliche und wettbewerbspolitische Überlegungen zur Regierungsvorlage eines Vergabegesetzes, in Korinek/Rill (Hrsg), Reform, 112. Ähnlich etwa die Beschaffungshandbücher größerer Unternehmen. Hiezu auch Korinek, Sind Vergabefehler unvermeidlich? Die Kontrolle öffentlicher Aufträge, in Kraus/Schwab (Hrsg), Wege zur besseren Finanzkontrolle (1992) 66 ff.
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Vorgabe eines stark regulierten Verfahrens, in dessen Rahmen der Vergabewettbewerb stattzufinden hat, gesteuert („Vergabeverfahrensrecht“). Das Ergebnis des Vergabeverfahrens ist von den Beteiligten zu akzeptieren, da das Vergaberecht von der Prämisse ausgeht, dass - gerade und nur - ein nach den rechtlichen Regeln durchgeführtes Vergabeverfahren die Effizienz der öffentlichen Beschaffung und die Sicherung der Bieterrechte garantiert. Das Ergebnis des Vergabewettbewerbs hat daher - sind die Verfahrensregeln und damit die „Spielregeln“ korrekt eingehalten worden - die Vermutung der Sachangemessenheit für sich.
4. Wirtschaftliche Bedeutung Obgleich das Wirtschaftsvolumen öffentlicher Auftragsvergabe nur schwer an Hand konkreter Zahlen festzumachen ist, wird im Allgemeinen - sowohl innerstaatlich, als auch gemeinschaftsweit - von einer erheblichen volkswirtschaftlichen Relevanz des öffentlichen Auftragswesens ausgegangen14. Das Ausmaß der in Österreich jährlich vergebenen öffentlichen Aufträge wird auf über € 35 Mrd geschätzt. Gemeinschaftsweit wurde von der Europäischen Kommission für die von der öffentlichen Hand vergebenen Auftragsvolumina zuletzt (2004) ein Annäherungswert von über € 1.500 Mrd ermittelt, was in etwa 16% des gesamten BIP der EU entspricht15. Gleichwohl konnte für direkte grenzüberschreitende Beschaffungsvorgänge nur ein Volumen von 3% festgestellt werden, was die Gemeinschaft - in Fortführung des bereits eingeschlagenen Weges - dazu veranlasste, die Bemühungen um eine Liberalisierung des „Vergabebinnenmarktes für öffentliche Aufträge“ noch zu verstärken16. Die genannten Zahlen müssen allerdings interpretiert werden. Insbesondere der niedrige Anteil Binnengrenzen überschreitender Auftragsvergaben ist der Vermutung gegenüberzustellen, dass vielfach multinationale Konzerne Leistungserbringer für die öffentliche Hand sind, die über eigene Niederlassungen in den einzelnen Mitgliedstaaten verfügen, womit Auftragsvergaben an derartige Konzernunternehmen von der Statistik nicht als „grenzüberschreitend“ erfasst werden17. Das wesentliche Ergebnis des europäischen Vergaberechts dürfte denn vor allem auch darin liegen, die jeweiligen mitgliedstaatlichen Beschaffungsmärkte aufgebrochen und zu Wettbewerbsmärkten umgewandelt zu haben. Die sekundärrechtliche Harmonisierung konnte, indem sie gerade auch den Unternehmen in den einzelnen Mitgliedstaaten durchsetzbare Bieterrechte zur Verfügung gestellt hat, insoweit mehr an Liberalisierungswirkung erreichen als die Grundfreiheiten des EGV, die ihre marktöffnende Wirkung tatsächlich nur im grenzüberschreitenden Beschaffungswesen entfalten18. 14
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Dazu - für die Europäische Gemeinschaft - überblicksweise Hailbronner in Grabitz/Hilf (Hrsg), EU Kommentar, EL 25, 2005, B1, Rz 6 ff. Weiters Westphal, Vergaberecht ökonomisch betrachtet: Hat sich der juristische Aufwand gelohnt?, in Rill/Griller (Hrsg), Grundfragen, 305 ff. Vgl Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 3.2.2004 (IP/04/149). Die Europäische Kommission geht davon aus, dass, würden nur 10% der gegenwärtigen Ausgaben für öffentliche Beschaffungen eingespart, alle Mitgliedstaaten die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes erfüllen könnten. Siehe dazu den Bericht über die Umsetzung der Binnenmarktstrategie (2003-2006) aus dem Jahr 2004, 12. Dazu auch Holoubek, ZUV 2002, 13 (16). Wenn es der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung für den notwendigen grenzüberschreitenden Bezug schon ausreichen lässt, dass mangelnde Transparenz in ei-
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Der Markt der öffentlichen Auftragsvergabe ist nach wie vor in Expansion begriffen. Die Bandbreite der nachgefragten Leistungen erstreckt sich immer mehr vom ursprünglichen Bereich der Liefer- und Bauleistungen über komplexe Planungsvorhaben hinein in den hochspezialisierten Dienstleistungsbereich19. Darüber hinaus führen auch Ausgliederungen ehemals vom Staat erbrachter Dienstleistungen und eine damit verbundene Privatisierung von Staatsaufgaben zu einer erhöhten staatlichen Nachfrage nach Leistungen am Markt. Insoweit könnten zwischen öffentlicher Unternehmenstätigkeit und staatlicher Auftragsvergabe gewisse Substitutionsbeziehungen bestehen, womit die mit den Schlagworten „von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantworten“ beschriebene derzeitige Entwicklung staatlicher Aufgaben und staatlichen Selbstverständnisses auch auf eine Expansion des Instruments der öffentlichen Auftragsvergabe hindeutet20.
B. Öffentliche Auftragsvergabe als privatwirtschaftliche Tätigkeit des Staates Die öffentliche Auftragsvergabe erfolgt auf Grundlage privatrechtlicher Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen, womit sich letztere verpflichten, für den öffentlichen Auftraggeber eine bestimmte Leistung gegen Entgelt zu erbringen. Soweit der Staat in engerem Sinn als öffentlicher Auftraggeber tätig wird, zählt diese Tätigkeit - trotz Heranziehung privatrechtlicher Gestaltungsmittel - zur staatlichen Verwaltungstätigkeit, genauer zur Privatwirtschaftsverwaltung21. Aber auch ausgegliederte Rechtsträger, die weiterhin staatlich beherrscht sind, unterliegen als öffentliche Auftraggeber nach insoweit ganz herrschender Lehre und Rechtsprechung den verfassungsrechtlichen Bindungen, wie sie den im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung agierenden Staat selbst treffen. Der öffentliche Auftraggeber ist bei Vergabe öffentlicher Aufträge daher stärker als ein Privater in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt und unterliegt verschiedenen (verfassungs-) rechtlichen Bindungen.
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nem Vergabeverfahren dazu führt, dass Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten gar keine Möglichkeit hatten, sich an dem Vergabeverfahren zu beteiligen (siehe zB EuGH Rs C-324/98, Telaustria, Slg 2000, I-10745; Rs C-231/03, Coname, Slg 2005, I-7287, Rz 17 f; Rz 61; Rs C-458/03, Parking Brixen, Slg 2005, I-8612, Rz 54 f), so baut diese Rechtsprechung doch auf dem Bestand eines harmonisierten europäischen Vergaberechts mit entsprechenden Grundsätzen auf. Insoweit verschwimmen in der jüngeren Rechtsprechung des EuGH allgemeine Grundsätze des Vergaberechts, wie sie sich aus dem kodifizierten europäischen Vergaberecht der beiden Richtlinien ableiten lassen, und primärrechtliche Regelungsinhalte der Grundfreiheiten etwas ineinander. Dazu noch unten Pkt I.D. Zur Entwicklung des Vergaberechts vom Beschaffungs- insbesondere Bauvergaberecht zum allgemeinen Recht staatlicher Leistungsnachfrage vgl Holoubek, ZUV 2002, 13 (18 f). Siehe zu diesen Zusammenhängen Holoubek, VVDStRL 60, 515 f. Zur rechtlichen Qualifikation der Auftragsvergabe als privatwirtschaftliches Handeln des Staates vgl aus der Rechtsprechung zB VfSlg 15.578/1999, 16.327/2001. Aus der Lehre grundlegend Korinek, Das Konzept der Regierungsvorlage zu einem Vergabegesetz und seine rechtsstaatliche sowie bundesstaatliche Bedeutung, in Korinek/Rill (Hrsg), Reform, 2 ff sowie Korinek/Holoubek, Privatwirtschaftsverwaltung, insb 79 ff.
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Insbesondere ist der dem Staat zuzurechnende öffentliche Auftraggeber bei der Auftragsvergabe nach herrschender Lehre und Rechtsprechung an die Grundrechte gebunden (Fiskalgeltung der Grundrechte), wobei dem Gleichheitssatz der sich vergaberechtlich insbesondere im Diskriminierungsverbot manifestiert - besondere Bedeutung zukommt. Die Geltung des Legalitätsprinzips für die Privatwirtschaftsverwaltung wird von der überwiegenden Lehre und Judikatur zwar abgelehnt. Im Anwendungsbereich vergabegesetzlicher Regelungen ist der privatrechtliche Gestaltungsspielraum der öffentlichen Hand aber infolge der weitgehenden Determinierung durch außenrechtswirksame gesetzliche Regelungen in erheblichem Maß eingeschränkt22. Man kann heute davon ausgehen, dass das Handeln öffentlicher Auftraggeber bei Beschaffungsvorgängen in einer Weise gesetzlich determiniert ist, die dem Determinierungsgrad vieler Bereiche auch klassischer Hoheitsverwaltung um nichts nachstehen. Diese außenrechtswirksamen Regelungen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe hat der Gesetzgeber in Umsetzung des Gemeinschaftsrechts primär aus Rechtsschutzüberlegungen getroffen. Ebenfalls aufgrund von Vorgaben des Gemeinschaftsrechts hat der Gesetzgeber, in für die Privatwirtschaftsverwaltung untypischer Weise, den Privatrechtsschutz durch die ordentliche Gerichtsbarkeit durch ein spezifisches öffentlich-rechtliches Rechtsschutzsystem überlagert und überformt. Im Unterschied zum Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe ist die öffentlich-rechtlich ausgestaltete Vergabekontrolle vor Verwaltungsbehörden Teil der staatlichen Hoheitsverwaltung.
C. Völkerrechtliche Grundlagen Das öffentliche Auftragswesen unterliegt einer Reihe von völkerrechtlichen Vorgaben, die für die Ausgestaltung des Vergaberechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung ebenso wie in den nationalen Rechtsordnungen Bedeutung erlangen.
1. Agreement on Government Procurement (GPA) Das Agreement on Government Procurement (GPA)23 wurde - in Nachfolge des GATT-Beschaffungskodex’ aus dem Jahr 1979 - 1994 im Rahmen der Uruguay-Runde der WTO abgeschlossen. Das GPA, das am 1.1.1996 in Kraft trat, ist als so genanntes plurilaterales Abkommen nur für diejenigen Mitgliedstaaten der WTO verbindlich, die es unterzeichnet haben. Die Annahme des GPA stellt keine Bedingung für den Beitritt zur WTO dar24. 22
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Außerhalb dieses Anwendungsbereichs können intern verbindliche Verwaltungsvorschriften (zB interne Dienstanweisungen) bzw ÖNormen (insb die ÖNORM A 2050) als Konkretisierung des Gleichheitsgrundsatzes fungieren. Diese werden von der Rechtsprechung als Maßstab für die den Auftraggeber im Rahmen des vorvertraglichen Schuldverhältnisses treffenden Sorgfaltspflichten angesehen, sodass ihre Verletzung gleichzeitig einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz indiziert und Schadenersatzansprüche (unten Pkt VII.B.6.) zur Folge haben kann. Abl 1994 L 336/273. Die - nicht authentische - deutsche Übersetzung des GPA wurde im Abl 1996 C 256/1 veröffentlicht. Gleichwohl zählt die Unterzeichnung auch des GPA in der Praxis immer mehr zu den Voraussetzungen für einen Beitritt zur WTO. Der Beitritt zum GPA wird
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Das GPA wurde zwar von der EG25, nicht aber von allen ihren Mitgliedstaaten ratifiziert. Dies geht auf eine zwischen dem Rat und der Europäischen Kommission geführte Diskussion über die Frage zurück, ob sich die EG für den Abschluss des GPA auf eine ausschließliche Gemeinschaftskompetenz berufen konnte oder ob diesbezüglich auch eine Kompetenz der Mitgliedstaaten anzunehmen ist26. Die heute wohl hL27 geht davon aus, dass die EG das GPA zwar hinsichtlich der Lieferungen abgeschlossen hat, das Abkommen allerdings hinsichtlich des größten Teils der Dienstleistungen und der Bauleistungen von den Mitgliedstaaten zu unterzeichnen ist. Insofern wäre für die Frage, ob die Regelungen des GPA für den Bau- bzw Dienstleistungsbereich maßgeblich sind, darauf abzustellen, ob der betreffende Mitgliedstaat das GPA ratifiziert hat28. Diese Frage ist aber umstritten und insbesondere nicht durch gerichtliche Entscheidungen oder Entschließungen im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens der WTO geklärt. Der Anwendungsbereich des GPA ist im Wesentlichen durch drei Voraussetzungen bestimmt: Erstens unterliegen nur Auftragsvergaben durch die dem GPA unterstellten Auftraggeber (wobei zwischen zentralen, dezentralen und anderen öffentlichen Auftraggebern sowie bestimmten, meist in den Versorgungssektoren tätigen privaten Unternehmen unterschieden wird) den einschlägigen rechtlichen Regelungen29. Zweitens muss es sich um die Beschaffung von Waren oder Leistungen handeln, die in den jeweiligen Anhängen des Abkommens verzeichnet sind. Dazu zählen die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen ebenso wie die Erbringung von Bauleistungen30. Und Drittens kommt das GPA erst ab bestimmten Schwellenwerten zur Anwendung, die
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schließlich auch als Bedingung für die Aufnahme neuer EU-Mitglieder formuliert. Vgl für eine Übersicht über die Regelungen des GPA Kunnert, WTO-Vergaberecht, 1998, 196 ff; Hilf/Oeter, WTO-Recht, 2005, 467 ff. Weitere Mitglieder des GPA sind zB Japan, Kanada, Norwegen, die Schweiz, Singapur, Südkorea und die USA. Seit dem 1.5.2004 gilt das GPA auch für die EUMitgliedstaaten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. Würde man die ausschließliche Zuständigkeit der EG verneinen, würde das GPA konsequenter Weise nur gegenüber jenen Mitgliedstaaten Rechtswirkungen entfalten, die das Abkommen - zusätzlich zur EG - tatsächlich abgeschlossen haben. Vgl dazu insb Griller, Das General Procurement Agreement als Bestandteil des Europarechts und des nationalen Rechts, in Rill/Griller (Hrsg), Grundfragen, 79 (117 ff). Siehe dazu Griller, Internationales Vergaberecht, in Griller/Holoubek (Hrsg), Grundfragen, 245 (254 ff). Österreich hat das Abkommen nicht ratifiziert, weshalb das GPA für die betreffenden Bereiche innerstaatlich keine rechtliche Wirkung entfalten würde. AA - die innerstaatliche Verbindlichkeit bejahend - zB Schnitzer, Zehn Jahre WTO-Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA), ZVB 2006, 12 (16) mwN. Der Kreis der zu den einzelnen Auftraggeberkategorien zählenden Beschaffungsstellen ist durch die Anhänge zum Übereinkommen definiert. Das GPA kommt dabei aber nur insoweit zur Anwendung, als die zu beschaffenden Dienst- oder Bauleistungen den in den Anhängen zum GPA näher aufgeschlüsselten Leistungskategorien zu subsumieren sind. Dabei wird auf die Central Product Classification (CPC) der Vereinten Nationen Bezug genommen (siehe dazu noch bei FN 161). Warenlieferungen unterfallen demgegenüber im Allgemeinen dem GPA, sofern nicht im Einzelnen anderes bestimmt ist.
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mittels so genannter Sonderziehungsrechte (SZR31) angegeben und mit den Vertragsstaaten gesondert ausverhandelt werden. Die maßgeblichen Schwellenwerte bestimmen sich jeweils danach, welcher Auftraggeberkategorie die Beschaffungsstelle und welcher Auftragsart die Beschaffung zuzurechnen ist. Dieser grundsätzliche Anwendungsbereich des GPA ist relativ flexibel und kann durch entsprechende Übereinkunft sowohl in persönlicher, wie auch in sachlicher Hinsicht eingeschränkt bzw auch erweitert werden, was im Ergebnis eine gewisse Unübersichtlichkeit hinsichtlich der jeweils geltenden Regelungen bewirkt.
Der Regelungsgehalt des GPA umfasst - in Umsetzung der allgemeinen Grundsätze des GATT - im Kern das Prinzip der Nichtdiskriminierung sowie ein Gebot der Inländergleichbehandlung. Das Diskriminierungsverbot untersagt Diskriminierungen aufgrund der ausländischen Beteiligung an inländischen Unternehmen sowie Diskriminierungen von Waren, die von einem inländischen Unternehmen angeboten werden und aus einem Vertragsstaat stammen. Dem Gebot der Inländergleichbehandlung entsprechend dürfen Produkte, Dienstleistungen und Anbieter von anderen Vertragsparteien nicht ungünstiger behandelt werden als diejenigen aus dem Inland32. Darüber hinaus dürfen Waren, Dienstleistungen und Anbieter anderer Vertragsparteien im Verhältnis zueinander nicht ungleich behandelt werden. Entsprechend dem Gebot der Meistbegünstigung ist die günstigste Behandlung, die einem Vertragsstaat zuteil wird, auch den anderen Mitgliedern zu gewähren. Das GPA kennt vier Vergabearten33: • Im Rahmen des offenen Verfahrens (open tendering) können alle interessierten Anbieter - auf Grundlage der öffentlichen Ausschreibung und der vom Auftraggeber bereitgestellten Vergabeunterlagen - ein Angebot abgeben. • Im beschränkten Verfahren (selective tendering) können nur diejenigen Anbieter ein Angebot abgeben, die von der Beschaffungsstelle hierzu aufgefordert wurden. Der Auftraggeber muss dabei, im Sinne eines effektiven internationalen Wettbewerbs, eine größtmögliche Zahl in- und ausländischer Unternehmer zur Angebotsabgabe einladen. • Bei der freihändigen Vergabe (limited tendering), die nur eingeschränkt zulässig ist, setzt sich die Beschaffungsstelle direkt mit einzelnen Anbietern in Verbindung, um die Auftragsbedingungen festzusetzen. • Im Rahmen des Verhandlungsverfahrens (competitive tendering oder competitive negotiation), das ebenfalls nur eingeschränkt zulässig ist, nimmt die Beschaffungsstelle Verhandlungen mit bestimmten Unternehmern auf.
Die innergemeinschaftliche und damit auch die innerstaatliche Wirksamkeit des GPA ist aufgrund der restriktiven Judikatur des EuGH zur (fehlenden) unmittelbaren Anwendbarkeit von WTO-Recht relativ beschränkt. Demnach ist die Durchsetzung des GPA in der Gemeinschaft grundsätzlich nur nach Maß-
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SZR ist die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) verwendete Währungseinheit. Nicht vom Gleichbehandlungsgebot erfasst sind demgemäß Ungleichbehandlungen inländischer oder ausländischer Anbieter, die Waren oder Dienstleistungen aus Nicht-GPA-Ländern anbieten. Vgl dazu die Übersicht bei Haase, Internationale Harmonisierung des öffentlichen Auftragswesens, 1997, 93 f.
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gabe der Vergaberichtlinien möglich, die die völkerrechtlichen Vorgaben entsprechend umzusetzen haben34. Auch für das GPA gelten die Bestimmungen über das Streitbeilegungssystem der WTO35, auf Grund dessen Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien vor den zuständigen Streitbeilegungsorganen („Panel“ und „Appellate Body“) verbindlich geschlichtet werden können. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Bietern, die vom Anwendungsbereich des GPA erfasst sind, nicht-diskriminierende, transparente und effektive Rechtsschutzverfahren vor einer unabhängigen und unparteiischen Instanz zur Verfügung zu stellen36.
2. Weitere völkerrechtliche Rechtsgrundlagen Weitere Abkommen der EG mit Drittstaaten ergänzen den völkerrechtlichen Vergaberechtsrahmen. Insbesondere bestehen - meist nur auf gewisse Sektoren bezogene - Übereinkommen mit den USA, der Schweiz und bestimmten anderen Ländern37. Außerhalb des Anwendungsbereiches internationaler Abkommen sind die EG-Mitgliedstaaten im Wesentlichen frei, wie sie Anbieter aus Drittstaaten behandeln38. Schließlich ist auf das im Rahmen der Kommission der Vereinten Nationen für Internationales Handelsrecht (United Nations Commission on International Trade Law-UNCITRAL) erarbeitete UNCITRAL-Modellgesetz über die öffentliche Auftragsvergabe hinzuweisen, das, als rechtlich per se unverbindliche Rechtsgrundlage, auf eine Verstärkung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz im öffentlichen Auftragswesen abzielt. Das Modellgesetz soll interessierten Staaten Anhaltspunkte dafür geben, wie nationale Gesetzgebungsmaßnahmen zu einer sinnvollen Ausgestaltung des Vergaberechts beitragen können und ist insoweit vom Gedanken einer internationalen Vereinheitlichung des Vergaberechts getragen.
D. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Protektionistisches Vorgehen der Mitgliedstaaten und national unterschiedliche Gepflogenheiten bringen im Bereich des öffentlichen Auftragswesens die Gefahr einer Abschottung nationaler Märkte mit sich. Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des Beschaffungswesens und des traditionell hohen Grades seiner Ausrichtung an nationalen, wiewohl auch regionalen und lokalen Märkten, wird die Auftragsvergabe vom europäischen Gemeinschaftsrecht als einer 34
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Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des EuGH (siehe dazu die Nachweise bei Eilmansberger et al, Europarecht, 366 f) ist davon auszugehen, dass grundsätzlich weder eine unmittelbare Anwendbarkeit von Regelungen des GPA, noch die Kontrolle von EG-Sekundärrechtsakten anhand der Vorgaben des GPA in Betracht kommen. Vgl Art XXII GPA. Art XX GPA; dazu Hilf/Oeter, WTO-Recht, 485 ff. Für einen Überblick siehe Öhler/Schramm, Europäisches und internationales Vergaberecht, in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, Rz 68 ff sowie Prieß, Handbuch, 42 ff. Siehe nur § 19 Abs 2 BVergG. Allgemein dazu Griller, Internationales Vergaberecht, in Griller/Holoubek (Hrsg), Grundfragen, 245 (246 ff).
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der Kernbereiche der europäischen - wirtschaftlichen - Integration und insbesondere der Verwirklichung des EG-Binnenmarkts angesehen. Das Gemeinschaftsrecht kennt sowohl auf primär- wie auch auf sekundärrechtlicher Ebene Regelungen mit Bedeutung für die Vergabe öffentlicher Aufträge39. Daneben enthalten auch die, meist als Vorstufe zu einem EUBeitritt abgeschlossenen Assoziationsabkommen (so genannte Europaabkommen) zum Teil vergaberechtliche Regelungen40.
1. Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe Spezielle Vorschriften, die explizit auf die öffentliche Auftragsvergabe abstellen, finden sich weder im EGV noch im EUV41. Die allgemeinen primärrechtlichen Regelungen wie insbesondere jene zur Verwirklichung des Binnenmarktes kommen aber auch für Auftragsvergaben zum Tragen. Mittels Anwendung der Grundfreiheiten, ergänzt durch das - subsidiär geltende - allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, soll eine Öffnung nationaler Märkte für Auftragsvergaben bewirkt und der grenzüberschreitende Wettbewerb gefördert werden42. In Konkretisierung und Ergänzung der EG-primärrechtlichen Grundlagen wurden beginnend in den 1970er Jahren Richtlinien erlassen, die Vorgaben für die mitgliedstaatlichen Verfahren für die Vergabe zunächst öffentlicher Bauund Lieferaufträge, in weiterer Folge auch für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen sowie die Vergabe durch Auftraggeber in den so genannten Sektoren enthielten43. Diese Richtlinien setzten sich die Liberalisierung der Ausschreibungsmärkte zum Ziel und verpflichteten die Auftraggeber zunächst vor allem zur europaweiten Ausschreibung öffentlicher Aufträge. Die Schaffung eines sekundärrechtlichen Rechtsrahmens für öffentliche Auftragsvergaben wurde auf Gemeinschaftsebene vor allem deshalb als erforderlich erachtet, weil sich die aus den Grundfreiheiten ergebende Verbotswirkung nicht als ausreichend erwies, um den Binnenmarkt zu verwirklichen. Mit dem Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarkts aus dem Jahr 1985 machte die Europäische Kommission die vollständige Liberalisierung des öf39
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Für einen Überblick über die gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen der öffentlichen Auftragsvergabe siehe Eilmansberger et al, Europarecht, 365 ff; weiters Erhart, Europarechtliche Rahmenbedingungen im Vergaberecht, in Potacs (Hrsg), Kärntner Vergaberecht, 15 ff; eingehend Prieß, Handbuch, 6 ff. Dazu zählen vor allem Vorschriften, die eine Öffnung des Vergabemarktes zugunsten der assoziierten Staaten vorsehen. Näher und mwN Griller, Internationales Vergaberecht, in Griller/Holoubek (Hrsg), Grundfragen, 245 (265 ff); Prieß, Handbuch, 39 f. Auf das öffentliche Auftragswesen wird lediglich in vereinzelten Bestimmungen ausdrücklich Bezug genommen; so spricht etwa Art 163 Abs 2 EGV im Zusammenhang mit den Zielen und Aufgaben der Gemeinschaft im Bereich Forschung und technologische Entwicklung von der Öffnung des einzelstaatlichen öffentlichen Auftragswesens. Weiterführend Arrowsmith, Public Procurement, 181 ff. Für einen Überblick über die historische Entwicklung der Vergaberichtlinien siehe Hailbronner in Grabitz/Hilf (Hrsg), EU Kommentar, EL 25, 2005, B3, Rz 1 ff; Prieß, Handbuch, 84 ff.
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fentlichen Auftragswesens schließlich zu einem Hauptanliegen der Gemeinschaft. Als wesentliche Gründe für das Vorantreiben des Liberalisierungsprozesses wurden der Abbau technischer Hindernisse und Einsparungen im Staatshaushalt, vor allem aber auch eine durch Marktöffnung und grenzüberschreitenden Wettbewerb bewirkte Steigerung der Rationalität von Vergabeentscheidungen und die Verbesserung der Produktionsstruktur in der Gemeinschaft angeführt44.
2. Primärrechtliche Grundlagen a) Allgemeines Anders als die Vergaberichtlinien, die nur für Aufträge zur Anwendung gelangen, deren Wert gewisse Schwellen erreicht45, greifen die primärrechtlichen Rechtsgrundlagen unabhängig vom Auftragswert, also sowohl unter-, als auch oberhalb der in den Vergaberichtlinien festgelegten Schwellenwerte. Den primärrechtlichen Rechtsgrundlagen kommt vor allem dann besondere Bedeutung zu, wenn die betreffende Auftragsvergabe nicht vom Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien erfasst ist. Dies ist insbesondere bei Vergabeverfahren unterhalb der für die Anwendung der Vergaberichtlinien maßgeblichen Schwellenwerte, bei Aufträgen über so genannte nicht prioritäre Dienstleistungen, die nur zu einem Teil unter die Vergaberichtlinien fallen46, sowie bei vergabeähnlichen Vorgängen, die vom sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien ausgenommen sind (zB die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen) der Fall. Die Grundfreiheiten und das allgemeine Diskriminierungsverbot des EGV, aus denen der EuGH eine Reihe von Grundanforderungen für die Auftragsvergabe ableitet47, sind somit auch in diesen Fällen von den öffentlichen Auftraggebern zu beachten48.
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Die Steigerung gemeinschaftsweiten Wettbewerbs wurde insb auch vor dem Hintergrund, dass zu diesem Zeitpunkt weniger als ein Viertel der den Vergaberichtlinien unterliegenden Beschaffungsvorhaben gemeinschaftsweit veröffentlicht wurden, als Ziel definiert. Zu den sog Schwellenwerten siehe unten Pkt IV.J. Die Vergaberichtlinien beziehen nicht prioritäre Dienstleistungen, das sind Dienstleistungen iSd Anhanges II B der allgemeinen VergabeRL sowie der SektorenRL, nur sehr begrenzt in ihren Anwendungsbereich ein. Zur Unterscheidung zwischen prioritären und nicht prioritären Dienstleistungen und der Umsetzung im österreichischen Vergaberecht siehe noch unten Pkt IV.B. und E. Siehe dazu sogleich unter c). Vgl bspw EuGH Rs C-264/03, Kommission/Frankreich, Slg 2005, I-8831, Rz 32 f („Allein die Tatsache, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber der Auffassung war, dass die in den Richtlinien über öffentliche Aufträge vorgesehenen besonderen strengen Verfahren nicht angemessen sind, wenn es sich um öffentliche Aufträge von geringem Wert handelt, bedeutet nicht, dass diese vom Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ausgenommen sind […]“); Rs C-234/03, Contse, Slg 2005, I-9315, Rz 47 ff (Beachtlichkeit der Grundfreiheiten und des Diskriminierungsverbotes für nicht prioritäre Dienstleistungen); Rs C-324/98, Telaustria, Slg 2000, I-10745, Rz 59 ff (Beachtlichkeit der „Grundregeln des Vertrages im Allgemeinen und [des] Verbot[es] der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Besonderen“ für Dienstleistungskonzessionen). Siehe dazu weiters die Mitteilung der Kommission zu Auftragsvergaben, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen.
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Die Normen des Primärrechts sind auch im Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien zu beachten. Die Entwicklung in der Rechtsprechung dürfte dabei dahin gehen, die aus den Grundfreiheiten abgeleiteten insbesondere Transparenzverpflichtungen49 auch dort anzuwenden, wo die Vergaberichtlinien bestimmte Auftragsvergaben nur eingeschränkt erfassen, wie dies insbesondere bei nicht prioritären Dienstleistungen der Fall ist50. Begründet wird das vor allem damit, dass andernfalls die Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen, die zumindest teilweise unter die Vergaberichtlinien fällt, im Hinblick auf die Transparenz weniger strengen Vorschriften unterliegen würde als beispielsweise die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen, die überhaupt aus dem Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie herausfällt51. Der damit angesprochene Wertungswiderspruch liegt zwar auf der Hand; doch resultiert dieser vor allem daraus, dass der EuGH im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge aus den Grundfreiheiten mit der Transparenzpflicht Rechtswirkungen richterrechtlich entwickelt, die speziell auf das Vergaberecht gemünzt sind. Er fällt damit eine politische Grundentscheidung einer generellen Wettbewerbsorientierung staatlicher Leistungsnachfrage im Allgemeinen, die der Gemeinschaftsgesetzgeber in den Vergaberichtlinien bewusst nicht getroffen und etwa Dienstleistungskonzessionen überhaupt und nicht prioritäre Dienstleistungen weitestgehend vom vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz ausgenommen hat. Ob und inwieweit die aus der allgemeinen Grundfreiheitenrechtsprechung des EuGH resultierende und grundsätzlich auch in seiner vergaberechtlichen Rechtsprechung anerkannte52 Möglichkeit, mitgliedstaatliche Beschränkungen der Grundfreiheiten aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses rechtfertigen zu können und insoweit eben Ausnahmen auch vom Transparenzgebot der Grundfreiheiten im Vergaberecht vorsehen zu können, ein Regulativ für diese weitreichende Ausdehnung des Wettbewerbsprinzips durch den EuGH darstellen kann, ist derzeit offen53.
Da die Vergaberichtlinien aber ihrerseits den Gehalt der primärrechtlichen Vorgaben konkretisieren, beschränkt sich die Bedeutung der Grundfreiheiten bzw des allgemeinen Diskriminierungsverbots im Anwendungsbereich des Sekundärrechts im Allgemeinen auf einen Auslegungsgrundsatz: Die Richtlinien sind im Lichte der Bestimmungen und Ziele des EGV auszulegen54. Umgekehrt führt gerade die Tatsache, dass die Vergaberichtlinien im Wesentlichen die primärrechtlichen Rechtsgrundlagen konkretisieren, dazu, dass der EuGH für das Verständnis der Grundfreiheiten mitunter auf die Bestimmungen der Richtlinien zurückgreift55. Insofern besteht eine Wechselwirkung zwischen Primär- und Sekundärrecht: Beide Rechtsgrundlagen kommen nicht nur parallel zur Anwendung, sie werden wechselseitig
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Siehe dazu unten Pkt I.D.2.c. Vgl hiezu die Schlussanträge von GA Stix-Hackl vom 14.9.2006, Rs C-507/03, Kommission/Irland (ZVB 2006, 61). Schlussanträge GA Stix-Hackl (FN 50) Rz 68. Siehe EuGH Rs C-231/03, Coname, Slg 2005, I-7287, Rz 19 und Eilmansberger et al, Europarecht, 369. Ansätze in diese Richtung in den Schlussanträgen von GA Stix-Hackl, Rs C-507/03 (FN 50), wo insb auch auf Art 86 Abs 2 EGV als Rechtfertigungstatbestand Bezug genommen wird. Vgl aus der Rechtsprechung EuGH Rs C-92/00, Hospital Ingenieure, Slg 2002, I-5553, Rz 42 ff; siehe auch Erwägungsgrund 2 der allgemeinen VergabeRL. Hiezu Prieß, Handbuch, 23.
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bisweilen auch zur Auslegung herangezogen56. Die Grundfreiheiten erweisen sich als Hebel, mit dem bestimmte grundsätzliche Entscheidungen wie diejenige der ökonomischen Ausrichtung des Instruments der öffentlichen Auftragsvergabe und die Wettbewerbs- und Marktorientierung öffentlicher Aufträge, wie sie den durch die Vergaberichtlinien harmonisierten Bereich öffentlicher Auftragsvergaben kennzeichnen, auch auf andere Bereiche öffentlicher Leistungsnachfrage übertragen werden. Empirisch ist damit festzuhalten, dass die in der allgemeinen VergabeRL über die Begrenzung ihres sachlichen Anwendungsbereichs zum Ausdruck kommende bereichsspezifische Begrenzung ihres grundsätzlichen Regulierungsansatzes durch die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten unterlaufen wird.
b) Die Rechtsgrundlagen des EGV Das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art 12 EGV) untersagt unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Unzulässig sind demnach nicht nur staatliche Maßnahmen, die rein an der Herkunft bzw der Staatsangehörigkeit anknüpfen und aufgrund dessen eine ausdrückliche Ungleichbehandlung vorsehen (zB Vergabe von Aufträgen nur an ortsansässige Unternehmen), sondern auch formal unterschiedslos für alle Bieter geltende Maßnahmen, die aber in ihrer tatsächlichen Wirkung von Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten schwerer bzw gar nicht zu erfüllen sind. Das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit spielt im Vergaberecht - Stichwort: Abschottung nationaler Märkte durch „heimatnahe“ Auftragsvergabe - eine besondere Rolle. Gegenüber den spezielleren Grundfreiheiten, die ihrerseits Diskriminierungsverbote enthalten, kommt das allgemeine Diskriminierungsverbot allerdings nur subsidiär zur Anwendung57. Zudem enthalten auch die Vergaberichtlinien explizite Diskriminierungsverbote58. Auf Ebene der Grundfreiheiten sind neben der Warenverkehrsfreiheit, die im Regelfall bei Lieferaufträgen betroffen ist, vor allem die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit, die im Wesentlichen für Bau- und Dienstleistungsaufträge bedeutsam sind, als die für Auftragsvergaben primär einschlägigen Rechtsgrundlagen anzusehen. Daneben kann mitunter auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit berührt sein59. Im Bereich der Warenverkehrsfreiheit bewirken vor allem so genannte Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen eine Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels. Die an die Unternehmer bzw vor allem an die nachgefragten Leistungen gestellten Anforderungen können - gemeinschaftsrechtlich verbotene Maßnahmen gleicher Wirkung darstellen. Verboten ist jede Art der Bevorzugung inlän56 57 58
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Vgl - mH auf die Judikatur - Eilmansberger et al, Europarecht, 367 f; Hailbronner in Grabitz/Hilf (Hrsg), EU Kommentar, EL 25, 2005, B2, Rz 61 ff. Zur Subsidiarität des allgemeinen Diskriminierungsverbotes Holoubek in Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000, Art 12 EGV, Rz 11 f. Siehe zB Art 2 allgemeine VergabeRL. Insofern ist, wenn der EuGH das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit als eines der tragenden Prinzipien des europäischen Vergaberechts hervorhebt, nicht immer zu erkennen, auf welche Rechtsgrundlage er sich dabei stützt. Der Arbeitnehmerfreizügigkeit kann vor allem dann Relevanz zukommen, wenn die Leistung von einem Auftragnehmer aus einem anderen Mitgliedstaat mit eigenem Personal erbracht wird. Demgegenüber kommt die Kapitalverkehrsfreiheit vergaberechtlich kaum zum Tragen. Es ist jedenfalls für den Einzelfall festzustellen, welche Grundfreiheit(en) den relevanten Prüfungsmaßstab darstellt.
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discher Produkte oder Unternehmen, wie sie etwa Lokalpräferenzierungen oder die Spezifizierung technischer Merkmale ausschließlich an Hand innerstaatlicher Kriterien (sofern der öffentliche Auftraggeber nicht zumindest die Möglichkeit eröffnet, den jeweiligen Nachweis auch auf andere Art und Weise zu erbringen) zur Folge haben könnten60.
Die primärrechtlichen Anforderungen an die Auftragsvergabe kommen nur im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts zum Tragen. Es muss mit anderen Worten ein Sachverhalt mit grenzüberschreitendem Bezug gegeben sein61, wiewohl der EuGH der Beurteilung, ob die in Rede stehende Auftragsvergabe dem Gemeinschaftsrecht unterfällt, ein großzügiges Verständnis zugunsten des Anwendungsbereiches des Gemeinschaftsrechts zu Grunde legt62.
Die „Binnenmarktrelevanz“ einer Auftragsvergabe bejaht der EuGH im Allgemeinen schon deswegen, weil Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten potentiell Interesse an einem Auftrag haben könnten (und zB durch mangelnde Transparenz gar nicht vom Auftrag erfahren konnten). Nur wenn besondere Umstände - wie beispielsweise die geringfügige wirtschaftliche Bedeutung des Auftrages - vorliegen, die vernünftigerweise davon ausgehen lassen, dass Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat kein Interesse an dem betreffenden Auftrag hätten, ist die Binnenmarktrelevanz und damit eine Anwendung der Grundfreiheiten zu verneinen63.
c) Die aus dem EG-Primärrecht abgeleiteten Grundanforderungen für Auftragsvergaben Der EuGH leitet aus dem Primärrecht eine Reihe von Grundsätzen für die öffentliche Auftragsvergabe ab64. Neben den aus der allgemeinen Grundfreiheitenrechtsprechung bekannten Verboten der Diskriminierung und unverhältnismäßiger Beschränkungen schließt etwa das Diskriminierungsverbot nach der Rechtsprechung des EuGH im Vergaberecht auch eine Verpflichtung zur Transparenz mit ein65, kraft derer der Auftraggeber für einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit zu Gunsten potentieller Bieter Sorge tragen muss. Auf diesem Wege sollen - indem „Informationsdefizite“ über Auftragsvergaben 60
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Vgl aus der Rechtsprechung EuGH Rs 45/87, Kommission/Irland (Dundalk), Slg 1988, 4929: Verwendung nationaler technischer Normen in den Produktbeschreibungen; Rs 21/88, Du Pont de Nemours, Slg 1990, I-889: Bezug der Materialien aus bestimmten entwicklungsschwachen Regionen; Rs C-243/89, Kommission/Dänemark (Storebaelt), Slg 1993, I-3353: Verwendung einheimischen Materials und örtlicher Arbeitskräfte; Rs C-359/93, Kommission/Niederlande (UNIX), Slg 1995, I-157: Verwendung bestimmter Warenzeichen in den Ausschreibungsunterlagen. ZB EuGH Rs C-132/93, Steen, Slg 1994, I-2715. Vgl bspw EuGH Rs C-87/94, Kommission/Belgien (Wallonische Busse), Slg 1996, I-2043, Rz 31 ff: Auch die ausschließliche Beteiligung inländischer Unternehmen am Vergabeverfahren hat nicht zur Folge, dass ein rein inländischer, nicht dem Gemeinschaftsrecht unterliegender Sachverhalt vorliegt. Unter diesen Voraussetzungen wären die Auswirkungen auf die betreffenden Grundfreiheiten zu zufällig und zu mittelbar, als dass auf eine Verletzung dieser Freiheiten geschlossen werden könnte; so EuGH Rs C-231/03, Coname, Slg 2005, I7287, Rz 20. Siehe Erwägungsgrund 2 der allgemeinen VergabeRL. Vgl dazu auch die Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen, Abl 2006/C 179, 2 und dazu Fruhmann, Das Vergaberegime des EG-Vertrags, ZVB 2006, 261 ff. So zB EuGH Rs C-275/98, Unitron, Slg 1999, I-8291, Rz 31; Rs C-324/98, Telaustria, Slg 2000, I-10745, Rz 91.
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gegenüber Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten abgebaut werden - mitgliedstaatliche Beschaffungsmärkte dem - gemeinschaftsweiten - Wettbewerb geöffnet werden66. Zur Durchsetzung des Diskriminierungsverbotes trägt das Transparenzgebot aber vor allem auch insoweit bei, als diskriminierende Auftragsvergaben, wenn aufgrund der Publizität des Verfahrens festgestellt werden kann, ob das Verbot beachtet und das Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt wurde, erheblich erschwert werden. Insofern konsequent leitet der EuGH im Vergaberecht aus den Grundfreiheiten und dem aus diesen folgenden Transparenzgebot auch ein Gebot effektiven Rechtsschutzes für die Bieter ab67. Ob der EuGH in seiner Rechtsprechung damit soweit geht, aufgrund des an sich unbestrittenen Äquivalenzgrundsatzes, demzufolge für gemeinschaftsrechtlich begründete Rechte ein vergleichbar effektiver Rechtschutz im innerstaatlichen Recht vorgesehen sein muss wie für vergleichbare innerstaatliche Rechtsansprüche, ein den jeweiligen innerstaatlichen Nachprüfungsverfahren im Anwendungsbereich der Rechtsmittelrichtlinie vergleichbares Rechtsschutzverfahren auch für alle anderen, den Grundfreiheiten unterfallenden Konstellationen öffentlicher Leistungsnachfrage zu fordern, ist in der Rechtsprechung bislang eine offene Frage. Die Interpretation der Europäischen Kommission geht jedenfalls in diese Richtung68.
Mit dem Diskriminierungsverbot eng verknüpft ist der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, den der EuGH ebenfalls aus den Grundfreiheiten herleitet69. Die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung und Transparenz stehen über weite Strecken zueinander in einem Bedingungszusammenhang.
3. Harmonisierung des Vergaberechts durch Vergaberichtlinien In Ergänzung und Konkretisierung der primärrechtlichen Grundlagen verfolgen die EG-Vergaberichtlinien das Ziel, innerstaatliche Beschaffungsmärkte zu öffnen und einen europaweiten Wettbewerb um öffentliche Aufträge herbeizuführen. Dies soll durch eine Harmonisierung (die Richtlinien sprechen von „Koordinierung“) mitgliedstaatlicher Rechtsvorschriften zwecks Verwirklichung der Grundfreiheiten im Bereich der Auftragsvergabe erreicht werden70. 66
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Der Auftraggeber muss Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind, vor der Vergabe Zugang zu Informationen über den betreffenden Auftrag gewähren, sodass diese gegebenenfalls Interesse am Erhalt dieses Auftrages bekunden können; EuGH Rs C-231/03, Coname, aaO, Rz 21. Der kraft des Transparenzgebots herzustellende angemessene Grad von Öffentlichkeit soll auch die „Nachprüfung“ ermöglichen, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt wurden (EuGH Rs C-324/98, Telaustria, Slg 2000, I-10745, Rz 62; Rs C-458/03, Parking Brixen, Slg 2005, I-8612, Rz 49). Siehe die Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen, 11. Vgl mwN EuGH Rs C-458/03, Parking Brixen, Slg 2005, I-8612, Rz 48 ff. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist darüber hinaus in den Vergaberichtlinien explizit verankert. Die Gemeinschaftsorgane haben als Rechtsgrundlagen für den Erlass der Vergaberichtlinien neben den einschlägigen Rechtsangleichungskompetenzen der jeweiligen Grundfreiheit insb auch die allgemeine Rechtsangleichungskompetenz des Art 95 EGV im Binnenmarkt herangezogen.
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Im Unterschied zum EG-Primärrecht kommen die Vergaberichtlinien auch dann zur Anwendung, wenn in concreto kein grenzüberschreitender Vorgang oder eine sonstige Auslandsbeziehung gegeben ist71. Gleichwohl folgen die Vergaberichtlinien nicht dem Anspruch, das Vergaberecht abschließend zu regeln. Sie bewirken daher keine Voll-, sondern eine Teilharmonisierung des Vergaberechts72, wenn sie auch über die Regelung wesentlicher Grundzüge des Vergabeverfahrens bzw des Vergaberechtsschutzes vielfach hinausgehen und mitunter sehr präzise Bestimmungen enthalten, die den Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten entsprechend einschränken. Innerhalb der von den Richtlinien abgesteckten Grenzen kommt den Mitgliedstaaten aber ein Regelungsspielraum zu, der in manchen Bereichen auch strengere nationale Regelungen zulässt73. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten wie der politische Gestaltungsspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers werden durch die - weitreichende - Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Vergaberecht signifikant eingeschränkt. So ist der EuGH etwa dazu übergegangen, Bereiche, die keine ausdrückliche Regelung in den Richtlinien erfahren haben, durch allgemeine Vergabegrundsätze (wie insbesondere Gleichbehandlung der Bieter und Transparenz) „aufzufüllen“74. Zudem trägt ein großzügiges Verständnis des Anwendungsbereiches der Vergaberichtlinien, gepaart mit einer restriktiven Interpretation von Ausnahmebestimmungen zu einer dynamischen, den Geltungsbereich des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens beinahe kontinuierlich erweiternden Rechtsentwicklung bei. Schließlich zeugt auch die - durchwegs restriktive - Judikatur des EuGH zur Zulässigkeit so genannter vergabefremder Kriterien, also zur Heranziehung insbesondere ökologischer oder sozialer Kriterien im Rahmen eines Vergabeverfahrens, von einer Tendenz, den Anwendungsbereich des EG-Vergaberechts - zu Lasten der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten - stetig auszuweiten75. Der sekundärrechtliche Vergaberechtsrahmen besteht aus derzeit vier in Geltung stehenden Vergaberichtlinien. Zwei dieser Richtlinien befassen sich mit der Auftragsvergabe selbst und regeln das Vergabeverfahren als solches (materielle Vergaberichtlinien); die beiden anderen Richtlinien beziehen sich
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ZB EuGH Rs C-87/94, Kommission/Belgien, Slg 1996, I-2034, Rz 33; Rs C-411/00, Swoboda, Slg 2002 Seite I-10567, Rz 33. EuGH Rs 31/87, Beentjes, Slg 1988, 4635, Rz 20 (“Es ist darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie kein einheitliches und erschöpfendes Gemeinschaftsrecht schafft, sondern daß es den Mitgliedstaaten […] unbenommen bleibt, materiellrechtliche oder verfahrensrechtliche Bestimmungen […] aufrechtzuerhalten oder zu erlassen.”); dazu auch Arrowsmith, Public Procurement, 132 f; Hailbronner in Grabitz/Hilf (Hrsg), EU Kommentar, EL 25, 2005, B2, Rz 35. Vgl hiezu Holoubek, ZUV 2002, 13 (15 ff). Vgl zur ergänzenden Heranziehung von Primärrecht in der Rechtsprechung des EuGH die zusammenfassenden Ausführungen von GA Stix-Hackl in den SA vom 17.9.2006, Rs C-507/03, Kommission/Irland, Rz 40 ff (nicht prioritäre Dienstleistungen) und zum Ganzen schon oben Pkt I.D.2.a. Zur Berücksichtigung vergabefremder Kriterien im Vergabeverfahren siehe näher unten Pkt V.A.8.
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auf den vergaberechtlichen Rechtsschutz (Rechtsmittelrichtlinien). Die Vergaberichtlinien werden durch weitere Sekundärrechtsakte ergänzt76. a) Materielle Vergaberichtlinien Die Richtlinien • über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (RL 2004/18/EG) = allgemeine VergabeRL (wird auch als Richtlinie für den „klassischen“ Bereich bezeichnet) • zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (RL 2004/17/EG) = SektorenRL vereinheitlichen die Vergabeverfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten und verpflichten die Auftraggeber im Wesentlichen dazu, ihre Beschaffungswünsche gemeinschaftsweit auszuschreiben und im Rahmen bestimmter Verfahren zu vergeben. Auf diesem Weg soll mehr Wettbewerb und Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge hergestellt werden. Die allgemeine VergabeRL erfasst Auftragsvergaben der öffentlichen Hand und ihr zurechenbarer Auftraggeber. Sie regelt Aufträge im Bau-, Liefer- und Dienstleistungsbereich und tritt insofern an die Stelle der früher in einzelne (Bau-, Liefer- und Dienstleistungs-) Koordinierungsrichtlinien aufgespaltenen Rechtsgrundlagen. Adressaten der SektorenRL sind Auftraggeber in bestimmten Versorgungssektoren, wozu unter gewissen Umständen auch private Unternehmen zählen können77. Für Auftragsvergaben im Sektorenbereich bestehen im Vergleich zu klassischen öffentlichen Auftragsvergaben einige Besonderheiten, insbesondere werden Sektorenauftraggebern größere Freiräume bei der Auftragsvergabe zugemessen78. Beide Richtlinien traten am 30.4.2004 in Kraft und waren von den Mitgliedstaaten bis 31.1.2006 umzusetzen. Dieser Verpflichtung kam Österreich mit einer Neuerlassung des Bundesvergabegesetzes als BVergG 2006 nach. b) Rechtsmittelrichtlinien Zur Verstärkung der in den materiellen Vergaberichtlinien enthaltenen Garantien und Grundsätze sowie zu ihrer effektiven Durchsetzung wurden spezifische Rechtsschutzrichtlinien - die so genannten Rechtsmittelrichtlinien erlassen, um ein gemeinschaftsweites Instrumentarium für eine wirksame und
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Dazu zählen insb die Schwellenwerte-Verordnungen, die CPV-VO sowie die Entscheidung der Kommission über die Durchführung des Freistellungsverfahrens gem Art 30 SektorenRL (zur Freistellung bestimmter Auftraggeber aus dem Sektorenbereich siehe unten Pkt VI.C.). Die Einbeziehung privater Auftraggeber in das Sektorenvergaberecht ist vor allem auf die ihnen vom Staat für die Ausübung ihrer Tätigkeit eingeräumten besonderen oder ausschließlichen Rechte zurückzuführen. Siehe dazu noch Pkt III.E. Zu den wesentlichen Besonderheiten der Auftragsvergabe im Sektorenbereich siehe unten Pkt VI.
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rasche Nachprüfung von Vergabeentscheidungen zu schaffen79. Zusätzlich zum Vergabevorgang selbst, der in den eigentlichen (materiellen) Vergaberichtlinien harmonisiert wurde, sind mit den Rechtsmittelrichtlinien auch für den Rechtsschutzbereich gemeinschaftsweite Grundstandards geschaffen worden, denen die Mitgliedstaaten bei der innerstaatlichen Umsetzung verpflichtet sind. Bemerkenswert ist, dass mit den Rechtsmittelrichtlinien verfahrens- und organisationsrechtliche Aspekte des innerstaatlichen Vollzuges von Gemeinschaftsrecht aufgegriffen und harmonisiert wurden, also Bereiche, die typischer Weise als jene Agenden gesehen werden, deren Regelung primär Sache der Mitgliedstaaten ist („Organisationsund Verfahrensautonomie“ der Mitgliedstaaten)80. Die Notwendigkeit für ein legislatives Tätigwerden im Bereich des vergaberechtlichen Rechtsschutzes ergab sich für die Gemeinschaft vor allem infolge der unterschiedlichen nationalen Rechtsschutzstandards. Deren Unübersichtlichkeit und Uneinheitlichkeit stellte ein Hemmnis für die grenzüberschreitende Beteiligung an Vergabeverfahren dar und führte zu Ungleichbehandlungen der innerhalb der Gemeinschaft tätigen Unternehmen.
Die Rechtsmittelrichtlinien zielen vor allem darauf ab, die tatsächliche Anwendung der materiellen Vergaberichtlinien in den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Zudem sollen sie die einheitliche Anwendung des EG-Vergaberechts gemeinschaftsweit gewährleisten. Zu diesem Zweck statuieren die Rechtsmittelrichtlinien ein einheitliches (Mindest)Rechtsschutzniveau für Auftragsvergaben81. Neben verfahrensrechtlichen Regelungen, die insbesondere die Einräumung individuell durchsetzbarer Bieterrechte vorsehen, treffen die Rechtsmittelrichtlinien Vorgaben hinsichtlich der Organisation der Rechtsschutzinstanzen. Beide Aspekte - Verfahren und Organisation - dienen letztlich der Durchsetzung der in den materiellen Vergaberichtlinien grundlegend vorgegebenen Zielsetzungen. Die Einräumung durchsetzbarer Bieterrechte trägt nicht nur Gesichtspunkten des subjektiven Rechtsschutzes Rechnung, sie dient gleichzeitig in hohem Maße der Gewährleistung der objektiven Rechtsrichtigkeit der Vergabeverfahren. Ähnlich verfolgen auch organisationsrechtliche Vorgaben für die mit der Vergabekontrolle betrauten Nachprüfungsinstanzen nicht nur die Zielsetzung einer unabhängigen und sachlich objektiven Nachprüfung; entsprechende Vorgaben an die organisatorische Ausgestaltung sollen letztlich auch die Vorlageberechtigung der Kontrollinstanzen an den EuGH absichern, was wiederum den Zugang zum EuGH im Wege von Vorabentscheidungsverfahren und damit eine europaweit einheitliche Auslegung und Anwendung der materiellen Vergabebestimmungen gewährleisten soll.
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Zu Zielsetzungen und Funktionsweise der Rechtsmittelrichtlinien vgl Pietzker in Grabitz/Hilf (Hrsg), EU Kommentar, EL 22, 2003, B18, Rz 13 ff; Prieß/Niestedt, Rechtsschutz, 5 ff; weiters Öhler, Rechtsschutz, 85 ff; für einen Überblick über die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH vgl Gruber in Gruber/Gruber/Sachs (Hrsg), Europäisches Vergaberecht, 489 ff. Vgl hiezu grundlegend EuGH Rs 205-215/82, Deutsche Milchkontor, Slg 1983, 2633, Rz 17; aus der Lehre mzwN Holoubek, Rechtsschutz und Verwaltungsautonomie: Die Rechtsschutzanforderungen des europäischen Verwaltungsrechts als Begrenzung der institutionellen Autonomie der Mitgliedstaaten, in IliopoulosStrangas/Bauer (Hrsg), Die Neue Europäische Union, Schriftenreihe der SIPE, Bd 1, 2006, 255 ff. Siehe mwN Öhler, Rechtsschutz, 88.
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Wie im materiellen Bereich wurden Auftragsvergaben durch öffentliche Auftraggeber und Auftragsvergaben im Sektorenbereich auch für den Rechtschutzbereich in zwei Richtlinien aufgegliedert. Derzeit stehen sohin zwei Rechtsmittelrichtlinien in Geltung82: • Rechtsmittelrichtlinie für die Bereiche der Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge (RL 89/665/EWG - wird auch als Rechtsmittelrichtlinie für den „klassischen Bereich“ bezeichnet) und • Rechtsmittelrichtlinie für den Sektorenbereich (RL 92/13/EWG).
II. Das BVergG 2006 Das Vergaberecht wurde in Österreich auf Bundesebene erstmals mit dem BVergG 199383 gesetzlich geregelt. Zuvor fungierte die ÖNORM A 2050, deren wesentliche Elemente später in die Gesetzgebung einflossen, als zentrale Rechtsgrundlage für Auftragsvergaben. Die nicht per se rechtsverbindliche Empfehlung des Österreichischen Normungsinstitutes bedurfte jeweils der Verbindlicherklärung durch Gesetz, Verordnung oder Vertrag. Im Einzelnen wurde die ÖNORM A 2050 entweder - jeweils mit unterschiedlichen Adaptionen - von den Bundes-, Landes- oder Gemeindeorganen für verbindlich erklärt, oder es wurden so genannte Vergabeordnungen erlassen, die sich inhaltlich wiederum an der ÖNORM A 2050 orientierten84. Da das BVergG 1993 aufgrund der damaligen Kompetenzverteilung nur Auftragsvergaben durch den Bund bzw dem Bund zurechenbare Einrichtungen erfasste, war zusätzlich die Erlassung von Landesvergabegesetzen für Vergaben im Landes- und Gemeindebereich erforderlich85. Auch die 1997 ergangene Novelle zum BVergG (BVergG 1997)86 war (noch) von einer kompetenzrechtlichen Zweiteilung zwischen Bund und Ländern geprägt. Konsequenz dessen war eine zunehmende Zersplitterung des Rechtsgebietes mit 10 einander zwar ähnelnden, im Detail aber doch unterschiedlichen Vergabegesetzen.
A. Kompetenzrechtliche Grundlagen Die allgemeine Kompetenzverteilung des B-VG kannte lange Zeit keinen Kompetenztatbestand „Vergabewesen“, weshalb die kompetenzrechtliche Zuord82
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Die Rechtsmittelrichtlinien befinden sich in einem Überarbeitungsstadium, womit im Wesentlichen die Zielsetzung verfolgt wird, die Wirksamkeit des Nachprüfungsverfahrens durch zusätzliche gemeinschaftsweite Regelungen noch zu erhöhen; vgl dazu den Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission vom 4.5.2006, KOM(2006) 195 endg. BGBl 1993/462; das BVergG 1993 trat am 1.1.1994, dem Zeitpunkt des Beitritts Österreichs zum EWR, in Kraft. Zur damaligen Rechtslage ausführlich Aicher, Schlußbericht des Forschungsprojekts „Vergabe von Bauleistungen, Verfahren und Kriterien zur Ermittlung des Bestbieters“ der Österreichischen Gesellschaft für Baurecht, in Korinek/Rill (Hrsg), Reform, 195 (208 ff). In den Jahren 1994 bis 2002 sorgten sohin zehn Vergabegesetze (ein Bundesgesetz sowie neun Landesgesetze) für die Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. BGBl I 1997/56.
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nung des Vergaberechts immer wieder Gegenstand der Diskussion war. Auffassungsunterschiede bestanden in der Lehre vor allem bezüglich der Regelungen über das Vergabeverfahren selbst, durch die die vergebenden Stellen gebunden und den Bietern subjektive Rechte eingeräumt werden sollten. Dabei wurde sowohl vertreten, dass der jeweilige Materiengesetzgeber zur Regelung des Vergabeverfahrens zuständig sei87, wie auch, dass die Regelungszuständigkeit für das Vergabeverfahren Ausfluss der Organisationskompetenz der jeweiligen Gebietskörperschaften ist88. Einer weiteren Auffassung zufolge war das Vergaberecht dem Kompetenztatbestand des Zivilrechtswesens (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) - mit der Konsequenz einer allgemeinen Regelungszuständigkeit des Bundes - zuzuordnen89. Der VfGH90 gab dieser Diskussion 1998 insoweit eine Richtung vor, als er die Zuständigkeit für die Regelung des Vergabeverfahrens und des Rechtsschutzes • soweit die öffentliche Hand selbst vergibt als Ausfluss der Organisationshoheit, • soweit privatrechtlich organisierte Auftraggeber gebunden werden sollten, als Ausfluss der Zivilrechtskompetenz ansah. Dem Bundesgesetzgeber kam nach dem Erkenntnis des VfGH folglich die Regelungskompetenz für Vergaben im Bundesbereich und für private Sektorenauftraggeber zu, während der Landesgesetzgeber für Vergaben im Landesund Gemeindebereich zuständig war. Insoweit perpetuierte die Rechtsprechung des VfGH die kompetenzrechtliche Zergliederung des Vergaberechts. Um diesem Phänomen entgegenzuwirken, bedurfte es einer kompetenzrechtlichen Neuordnung. Diese erfolgte im Jahr 2002 durch einen neu in das B-VG eingeführten Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens“ in Gestalt des Art 14b B-VG91.
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Korinek/Schwarzer, Verfassungsrechtliche Grundlagen der Auftragsvergabe, 1981, 64 ff. Pernthaler, Die innerstaatliche Umsetzung der Vergaberichtlinie der EG aus Sicht der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung in Österreich, in: Funk/Marko/ Pernthaler, Die innerstaatliche Umsetzung der Vergaberichtlinien der EG, 1992, 47 (86 f). Thienel, Bundesvergaberecht und Zivilrechtswesen, ÖJZ 1993, 609 ff; Holzinger, Die Zuständigkeit zur Regelung der öffentlichen Auftragsvergabe, in FS Wenger, 1983, 139 ff. Siehe dazu auch Rill in Rill/Griller (Hrsg), Grundfragen der öffentlichen Auftragsvergabe, 55 ff. VfSlg 15.286/1998: Der VfGH leitete sein Ergebnis allerdings nicht aus der allgemeinen Kompetenzverteilung des B-VG, sondern aus einer speziellen Verfassungsbestimmung im damaligen § 6 BVergG 1993 ab, die die Regelungszuständigkeit hinsichtlich bestimmter öffentlicher Unternehmen zwischen Bund und Ländern und damit implizit auch die vom VfGH angenommene Auslegung der Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Vergabewesens im Allgemeinen klarstellte. Der Kompetenzbegriff „öffentliches Auftragswesen“ ist der gemeinschaftsrechtlichen Terminologie entlehnt und erfasst Auftragsvergaben durch klassische öffentliche Auftraggeber ebenso wie durch - auch private - Sektorenauftraggeber. Zudem sind Wettbewerbe sowie insb auch Bau- und Dienstleistungskonzessionsvergaben dem Kompetenztatbestand zuzurechnen. Dazu Rill in Rill/Schäffer (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Art 14b B-VG, Rz 5 ff; Denk in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Art 14b B-VG.
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Hinsichtlich der diesem neuen Kompetenztatbestand unterfallenden Regelungsbereiche ist zwischen „Vergabeverfahren“ und „Vergabekontrolle“ zu unterscheiden. Während das Vergabeverfahrensrecht, gleichwohl als „materielles“ Vergaberecht, die Vorgehensweise bei der Auftragsvergabe umschreibt (dazu zählen etwa Vorschriften betreffend Ausschreibung, Prüfung der Eignung der Bieter, Festlegung von Zuschlagskriterien, etc), umfasst die Vergabekontrolle verfahrens- und organisationsrechtliche Bestimmungen des vergabespezifischen - behördlichen - Rechtsschutzverfahrens. Für die Regelung des Vergabeverfahrens weist Art 14b Abs 1 B-VG die Zuständigkeit zur Gesetzgebung dem Bund zu, während die „Vollziehung“92 in diesem Bereich gemäß Art 14b Abs 2 B-VG zwischen Bund und Ländern geteilt ist. Dem Bund kommt demzufolge die Vollzugskompetenz bei Auftragsvergaben durch den Bund, durch öffentliche Einrichtungen des Bundes, durch diesem zuzuordnende Unternehmen sowie durch private Sektorenauftraggeber zu. Landessache ist die Vollziehung hinsichtlich der Auftragsvergaben durch die Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie durch die diesen zuzuordnende Unternehmen. Bei Vergaben, die vom Bund und den Ländern gemeinsam durchgeführt werden, ist der Bund mit der Vollziehung betraut, wenn der Anteil des Bundes am geschätzten Gesamtauftragswert mindestens gleich groß ist wie derjenige der Summe der Länder. Im gegenteiligen Fall ist die Vollziehung Landessache. Im Unterschied dazu ist die Nachprüfung im Rahmen der Vergabe von Aufträgen (Art 14b Abs 3 B-VG) - die Vergabekontrolle bzw der vergabespezifische Rechtsschutz - kompetenzrechtlich in Gesetzgebung und Vollziehung zwischen Bund und Ländern geteilt. Gesetzgebung und Vollziehung sind im Vollzugsbereich des Bundes und hinsichtlich privater Sektorenauftraggeber dem Bund, im Vollzugsbereich der Länder bzw der Gemeinden den Ländern zugewiesen93. Als Ergebnis der kompetenzrechtlichen Neuordnung wurde für das materielle Vergaberecht erstmals mit dem BVergG 200294 - sowie in weiterer Folge mit dem nunmehr in Geltung stehenden BVergG 2006 - ein einheitliches Regelungsregime für Auftragsvergaben sämtlicher öffentlicher Auftraggeber - sowohl im Bundes- als auch im Landesbereich - geschaffen. Ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu Bund oder Ländern gelten zwar die materiellen Sektorenregelungen des BVergG gleichermaßen für alle Sektorenauftraggeber, der kompetenzrechtlich zwischen Bund und Ländern geteilte vergabespezifische Rechtsschutz macht allerdings eine Differenzierung nach Bund 92
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Anzumerken ist, dass der Begriff „Vollziehung“ in diesem Zusammenhang die Durchführung des Vergabeverfahrens, also die inhaltliche Anwendung der materiellen vergabegesetzlichen Regelungen durch den jeweiligen Auftraggeber bezeichnet und nicht auf das für die Kompetenzbestimmungen sonst typische Verständnis von „Vollziehung“ als hoheitliches (Verwaltungs-) Handeln abstellt. Vollziehung in diesem Sinn des Art 14b Abs 2 B-VG meint sohin die Durchführung öffentlicher Auftragsvergaben. Der Begriff „Vollziehung“ wird an dieser Stelle wieder iSd herkömmlichen Terminologie als hoheitliche Vollziehung von Gesetzen, also Vollziehung durch Verwaltungsbehörden und Gerichte, verstanden. BGBl I 2002/99.
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oder Ländern nach wie vor erforderlich: Entsprechend der durch Art 14b B-VG getroffenen kompetenzrechtlichen Zuordnung unterliegen private Sektorenauftraggeber dem Rechtsschutz durch den Bund, während sowohl öffentliche Unternehmen im Sinne des § 165 BVergG als auch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, sofern sie eine Sektorentätigkeit ausüben95, je nach den für die Rechnungshofkontrolle jeweils maßgeblichen Beteiligungs- bzw Beherrschungsverhältnissen dem Bundes- oder dem Landesvollzugsbereich zugerechnet werden. Aufgrund der Sonderregelung des Art 14b Abs 4 B-VG hat der Bund den Ländern Gelegenheit zu geben, an der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben, die von seinem Kompetenzbereich erfasst sind, mitzuwirken. Soweit dies gesetzliche Bestimmungen betrifft, die in Vollziehung Landessache sind, bedarf die Kundmachung der Zustimmung der Länder.
B. Struktur und Aufbau Die infolge der Neukodifikation auf europäischer Ebene erforderliche innerstaatliche Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gab Anlass, auch das Bundesvergabegesetz selbst neu zu strukturieren und auf diesem Wege einer Vereinfachung und Konsolidierung zuzuführen96. Die Struktur des BVergG 2006 folgt im Wesentlichen einer Dreiteilung in Verfahrensbestimmungen für öffentliche Auftraggeber, Verfahrensbestimmungen für Sektorenauftraggeber und Rechtsschutzvorschriften97. Die verfahrensrechtlichen Teile sind dabei wiederum für sich in thematische Abschnitte untergliedert, die für einen gleichlaufenden Aufbau der Bestimmungen im „klassischen“ Vergabeverfahren und der Regelungen im Sektorenbereich sorgen. Basierend auf Bestimmungen über den Geltungsbereich, Begriffsbestimmungen und allgemeinen Grundsätzen sowie über Arten und Wahl der Vergabeverfahren wird der Ablauf des Vergabeverfahrens näher geregelt; ein dritter Bereich sieht ergänzende und spezielle Verfahrensbestimmungen vor. Im Unterschied zum BVergG 2002 sind damit für öffentliche Auftragsvergaben und für Sektorenvergaben jeweils weitgehend eigenständige Regelungsblöcke geschaffen worden; auf Verweisungen zwischen den beiden Bereichen, wie sie noch das Bild der Vorgängerregelung prägten, konnte so - freilich zum Preis eines aufgrund notwendiger „Verdoppelung“ gewisser Vorschriften deutlichen zahlenmäßigen Anstiegs der Paragraphen - weitgehend verzichtet werden.
Die Vorschriften des Rechtsschutzteils gelten für klassische öffentliche Auftragsvergaben und Sektorenauftragsvergaben gleichermaßen. Selbiges gilt für die im Anschluss enthaltenen Bestimmungen über außerstaatliche Kontrol-
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Siehe § 164 BVergG. Wesentliche Überlegungen für die Neustrukturierung des BVergG gehen auf Vorschläge zurück, die im Rahmen eines von Univ.Prof. Dr. Josef Aicher und Univ.Prof. Dr. Michael Holoubek in Kooperation mit Univ.Prof. Dr. Rudolf Thienel durchgeführten, am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht der Wirtschaftsuniversität Wien angesiedelten, rechtswissenschaftlichen Forschungsprojekts zu „Grundfragen der Struktur und Systematik des Vergaberechts“ erstattet wurden. Siehe näher Holoubek, Überlegungen zur Struktur eines neuen Bundesvergabegesetzes, in Sachs (Hrsg), Schwerpunkte, 161 ff. Dazu kommen Regelungen betreffend die außerstaatliche Kontrolle sowie zivilrechtliche Bestimmungen.
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le98 und die besonderen zivilrechtlichen Vorschriften, sowie die Schluss- und Übergangsbestimmungen.
III. Persönlicher Geltungsbereich des BVergG Die Bestimmungen zum persönlichen Geltungsbereich des BVergG legen fest, welche Auftraggeber im Zuge ihrer Beschaffungstätigkeit zur Anwendung des BVergG verpflichtet sind. Die in den §§ 3 und 164 bis 166 BVergG enthaltenen Kriterien definieren den persönlichen Geltungsbereich des BVergG abschließend, was bedeutet, dass das BVergG nur auf die Beschaffungstätigkeiten derjenigen Rechtsträger Anwendung findet, die als Auftraggeber vom Anwendungsbereich des BVergG erfasst sind99. Den genannten Bestimmungen ist weiters zu entnehmen, welche materiellen vergaberechtlichen Vorschriften - nämlich diejenigen für Sektorenaufträge oder für Aufträge im klassischen Bereich - für den konkreten Rechtsträger beachtlich sind. Demzufolge wird zwischen (klassischen) öffentlichen Auftraggebern, auf die die Bestimmungen des 2. Teiles des BVergG zur Anwendung gelangen, und Sektorenauftraggebern, für die vor allem die Regelungen des 3. Teiles relevant sind, unterschieden.
A. Entwicklung des Auftraggeberbegriffs Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers orientierte sich lange Zeit an einem klassischen, an der rechtlichen Stellung der jeweiligen Institutionen anknüpfenden Verständnis. Der Kreis der erfassten Auftraggeber war typischer Weise stark von der institutionellen Eingliederung der vergebenden Stelle in die Staatsorganisation im eigentlichen Sinn geprägt (institutioneller Auftraggeberbegriff). Dies hatte zur Konsequenz, dass primär die Gebietskörperschaften und andere juristische Personen des öffentlichen Rechts als öffentliche Auftraggeber zur Einhaltung vergaberechtlicher Regelungen verpflichtet wurden. Nur unspezifisch wurden in einzelnen Vergabeordnungen auch privatrechtlich organisierte Rechtssubjekte in den Kreis öffentlicher Auftraggeber einbezogen, sofern sie zu einem für öffentliche Auftraggeber typischen Verhalten verpflichtet werden konnten, organisatorisch unter dem Einfluss der Gebietskörperschaften standen und/oder zur Finanzierung ihrer Aufträge öffentliche Mittel erhielten. Die Einbeziehung privatrechtlich organisierter Einrichtungen beruhte im Wesentlichen auf dem Gedanken, dass eine rein auf die Rechtsform und institutionelle Zugehörigkeit zum Staat im eigentlichen Sinn abstellende Begriffsbestimmung zu wenig Spielraum biete, um die verschiedenartigen Organisationsformen staatlicher Aufgabenwahrnehmung möglichst konzis erfassen zu können. Mit fortschreitender Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens erwies sich auch auf Ebene des Gemeinschaftsrechts eine Definition des Auftraggebegriffs allein anhand formaler Kriterien nicht als ausreichend. Von den Vergabevorschriften sollten auch Beschaffungen von Einrichtungen erfasst 98 99
Pkt VII.C.1. Holoubek/Fuchs in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 7, Rz 1; Knauff, Dispositionsfreiheiten, 25.
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werden, die staatliche Aufgaben wahrnehmen, ohne selbst formell Bestandteil des Staates zu sein. Basierend auf einem funktionellen Verständnis der Zurechnung der Tätigkeit des Auftraggebers zum Staat wurde daher der „funktionelle Auftraggeberbegriff“ als ein „Schlüsselbegriff der Vergaberechtsdogmatik“100 geprägt, der nicht mehr nur auf die formale Einbindung einer Einrichtung in die Staatsorganisation im eigentlichen Sinn abstellt, sondern auf die von ihr wahrzunehmende „staatliche“ Aufgabe und damit auf die funktionelle Zurechnung zum Staat101. Solcherart sollte naturgemäß vor allem die Möglichkeit der Mitgliedstaaten zur Disposition über die Anwendung des EG-Vergaberechts - etwa durch Wahl der Organisationsform des Aufgabenträgers („Flucht ins Privatrecht“) - eingedämmt werden. Zudem erwies sich ein einheitlicher persönlicher Anwendungsbereich der harmonisierten vergaberechtlichen Regelungen als erforderlich, um die vollständige Öffnung der Beschaffungsmärkte der Mitgliedstaaten voranzutreiben. Das Konzept des funktionellen Auftraggeberverständnisses wurde in den Vergaberichtlinien auch ausdrücklich sekundärrechtlich verankert: Neben dem Staat und den Gebietskörperschaften erfassen die Vergaberichtlinien auch Einrichtungen, die vom Staat beherrscht werden als öffentliche Auftraggeber (so genannte Einrichtungen öffentlichen Rechts). Auf diese Weise wird, unabhängig von der Rechtsform des Rechtsträgers, auf die funktionelle Zuordnung zum Staat abgestellt. Im Sektorenbereich werden Auftraggeber aufgrund ihrer Tätigkeit in bestimmten Bereichen, den so genannten Sektoren, dem Vergaberechtsregime unterstellt. Neben öffentlichen Auftraggebern und öffentlichen Unternehmen können unter bestimmten Voraussetzungen auch private Rechtsträger, bei denen grundsätzlich keine funktionelle Zurechnung zum Staat (mehr) vorliegt, zur Anwendung des Vergaberechts verpflichtet sein.
B. Klassische öffentliche Auftraggeber Gemäß § 3 Abs 1 Z 1 BVergG sind öffentliche Auftraggeber der Bund, die Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände. Dazu zählen auch alle diesen formal-organisatorisch zugehörige Untergliederungen (insbesondere deren nachgeordnete Dienststellen) ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Irrelevant ist,
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Holoubek, ZUV 2002, 13 (17). Zur Entwicklung vom institutionellen zum funktionellen Auftraggeberbegriff vgl insb Hailbronner, EWS 1995, 285 ff sowie ders in Grabitz/Hilf (Hrsg), EU Kommentar, EL 25, 2005, B4, Rz 1 ff. Wegweisend führte der EuGH in seinem Urteil in der Rs 31/87, Beentjes, Slg 1988, I-4635, Rz 11 aus, dass der Begriff des Staates im funktionellen Sinn zu verstehen sei, da anderenfalls das Ziel der Vergaberichtlinien (die Verwirklichung der Grundfreiheiten) gefährdet wäre, wenn diese allein deswegen unanwendbar wären, weil ein öffentlicher Auftrag von einer Einrichtung vergeben wird, die geschaffen wurde, um staatliche Aufgaben zu erfüllen, die jedoch nicht förmlich in die staatliche Verwaltung eingegliedert ist. Vgl weiters insb EuGH Rs C-360/96, BFI Holding, Slg 1998, I-6821, Rz 62.
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ob das Organ im gegebenen Fall der gesetzgebenden, der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt zuzurechnen ist102. Abgrenzungs- und Zuordnungsfragen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden können sich dann stellen, wenn Einrichtungen als Auftraggeber für eine Gebietskörperschaft tätig werden, ohne dieser in einem formalorganisatorischen Sinn anzugehören. Das ist vor allem im Bereich der so genannten Auftragsverwaltung- meist durch Landesbehörden für den Bund - der Fall103. Vor dem Hintergrund des jeweils betroffenen Auftragsprojekts ist das Beschaffungsverhalten der - organisatorisch - Landesorgane dem Bund als dem jeweils dahinter stehenden „wahren“ Auftraggeber funktionell zuzurechnen.
C. Einrichtungen öffentlichen Rechts Zu den öffentlichen Auftraggebern gehören nach § 3 Abs 1 Z 2 BVergG weiters - im Sinne des funktionellen Auftraggeberbegriffs - Einrichtungen, die i. zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, und ii. zumindest teilrechtsfähig sind und iii. überwiegend von öffentlichen Auftraggebern finanziert werden oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch letztere unterliegen oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die von öffentlichen Auftraggebern ernannt worden sind. Für diese Einrichtungen hat sich allgemein der Begriff der „Einrichtungen (des) öffentlichen Rechts“ durchgesetzt. Es handelt sich dabei grundsätzlich um Einrichtungen, die mit der öffentlichen Hand „eng verbunden“ sind und die Grund zur Annahme hervorrufen, dass sie sich bei ihren Vergabeentscheidungen wesentlich auch von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lassen (können)104. 102
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Dies halten auch die Mat (1171 BlgNR 22. GP 23) ausdrücklich fest; vgl auch EuGH Rs C-323/96, Kommission/Belgien, Slg 1998, I-5063 (Qualifikation eines belgischen Gesetzgebungsorgans als öffentlicher Auftraggeber). Siehe Art 104 Abs 2 B-VG. Dabei nehmen etwa Landesbehörden, die im Rahmen der ihnen vom ressortmäßig zuständigen BM übertragenen Aufgaben (insb Bundeshochbau, Verwaltung bundeseigener Liegenschaften) als Auftraggeber tätig werden, inhaltlich Agenden des Bundes wahr, ohne allerdings diesem organisatorisch zuzugehören. Vgl allgemein zur Auftragsverwaltung Raschauer in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, 4. Lfg, 2001, Art 104; zu Fragen der vergaberechtlichen Auftraggebereigenschaft bei Auftragsvergaben im Rahmen der Auftragsverwaltung siehe Holoubek/Fuchs in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 20 Z 4, Rz 6. Den EG-Mitgliedstaaten wurde die Möglichkeit zur Auflistung derjenigen innerstaatlichen Institutionen gegeben, die nach ihrem Verständnis als Einrichtungen öffentlichen Rechts zu qualifizieren sind. Diese mitgliedstaatlichen Verzeichnisse, die in Anhang III der allgemeinen VergabeRL wiedergegeben sind, haben allerdings nur deklarativen Charakter (und sind daher nicht konstitutiv). Österreich verzichtete im Unterschied zu anderen Mitgliedstaaten auf eine namentliche Auflistung und formulierte stattdessen in Anhang III der allgemeinen VergabeRL, dass „[a]lle Einrichtungen ohne industriellen oder kommerziellen Charakter, die der Finanzkontrolle des Rechnungshofes unterliegen“, als Einrichtungen öffentlichen Rechts zu qualifizieren sind.
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Der Begriff der Einrichtung öffentlichen Rechts stellt nicht auf die Unterscheidung zwischen „öffentlichem“ und „privatem“ Recht ab, vielmehr können auch Privatrechtssubjekte bei Erfüllen der entsprechenden Voraussetzungen als Einrichtungen öffentlichen Rechts zu qualifizieren sein. Allerdings kann eine Einrichtung nur dann als Einrichtung öffentlichen Rechts im Sinne des § 3 Abs 1 Z 2 BVergG eingestuft werden, wenn die drei der oben unter i) bis iii) genannten Tatbestandsmerkmale kumulativ vorliegen, also sämtliche der genannten Voraussetzungen (Teilrechtsfähigkeit, Gründung zum Zweck der Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben nicht gewerblicher Art sowie überwiegende Finanzierung oder Beherrschung durch einen öffentlichen Auftraggeber) für sich erfüllt sind105. Umgekehrt gewendet ist eine Einrichtung (schon) dann nicht öffentlicher Auftraggeber, wenn eines der drei genannten Merkmale nicht gegeben ist.
1. Teilrechtsfähigkeit Das Erfordernis der „zumindest“ Teilrechtsfähigkeit erfüllen jedenfalls vollrechtsfähige juristische Personen des öffentlichen Rechts (Körperschaften, Anstalten, Fonds) bzw des Privatrechts (zB Kapitalgesellschaften, Vereine, Privatstiftungen, Genossenschaften). Dazu sind nach überwiegender Ansicht auch privatrechtliche Gesellschaften im Gründungsstadium (zB Vor-GmbH, Vor-AG) zu zählen106.
2. Im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art Das zweite Tatbestandsmerkmal, die Wahrnehmung von Aufgaben, die im Allgemeininteresse liegen und nicht gewerblicher Art sind, bereitet nicht zuletzt aufgrund der beiden zentralen, unbestimmt formulierten Teilkriterien „im Allgemeininteresse liegend“ und „nicht gewerblicher Art“ - erhebliche Auslegungsschwierigkeiten. Es bietet sich daher an, die beiden Merkmale im Folgenden getrennt näher darzustellen. Nichts desto trotz handelt es sich bei „im Allgemeininteresse liegende(n) Aufgaben, die nicht gewerblicher Art sind“ letztlich nur um ein Tatbestandsmerkmal der Einrichtungen öffentlichen Rechts, dessen Vorliegen wiederum das Vorliegen beider Teilmerkmale voraussetzt. a) Tätigkeiten im Allgemeininteresse Als im Allgemeininteresse liegende Aufgaben können generell solche Aufgaben angesehen werden, die nicht ausschließlich der Förderung von (subjektiven) Einzelinteressen, sondern (auch) der Beförderung von (objektiv) gemeinsamen Interessen der Gesamtbevölkerung oder einzelner Bevölkerungsgruppen zuträglich sind. Sie umfassen ein breites Spektrum an Agenden, die im Interesse des Gemeinwohles vom Staat als Träger des Interesses der Gesamtheit be105 106
So die ständige Rsp des EuGH, vgl nur Rs C-44/96, Mannesmann, Slg 1998, I-73, Rz 21. Wenngleich die Vergaberichtlinien die „Rechtspersönlichkeit“ der betreffenden Einrichtungen voraussetzen, ist im Lichte der Zielsetzungen der Richtlinien die Teilrechtsfähigkeit als ausreichend anzusehen; so Potacs, Der persönliche Geltungsbereich des BVergG 2002, in Griller/Holoubek (Hrsg), Grundfragen, 43 (47 f); Prieß, Handbuch, 158 f.
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sorgt werden (zB im Bereich der Daseinsvorsorge). Mit Aufgaben des Allgemeininteresses werden somit grundsätzlich Tätigkeiten bezeichnet, an deren Erbringung ein öffentliches Interesse besteht bzw die einer gemeinwohlorientierten Zielsetzung entsprechen107. Darüber hinaus kann auch die Beförderung von Drittinteressen eine Tätigkeit im Allgemeininteresse sein, was vor allem dann anzunehmen ist, wenn diese Tätigkeit geeignet ist, wirtschaftspolitische Zielsetzungen des Staates zu verwirklichen108. Ein Blick auf die bisherige Rechtsprechung sowohl auf Gemeinschafts- als auch auf innerstaatlicher Ebene zeigt, dass der Begriff des Allgemeininteresses von den Kontrollinstanzen durchaus weit verstanden wird109. b) Aufgaben nicht gewerblicher Art Das Kriterium der Erfüllung von Aufgaben nicht gewerblicher Art stellt darauf ab, ob die betreffende Einrichtung unter Marktbedingungen tätig wird, also ihre Tätigkeiten in einer Wettbewerbssituation zu Privaten erbringt. Nicht gewerblich ist eine Tätigkeit, wenn der Staat - unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf die Unternehmensgebarung nehmen und damit die Stellung dieses Unternehmens gegenüber potentiellen Mitbewerbern am Markt verbessern kann110. Mit dem Kriterium der „Nichtgewerblichkeit“ kommt ein dem Vergaberecht zu Grunde liegender Gedanke zum Ausdruck, der daran anknüpft, ob die Tätigkeit einer Einrichtung prinzipiell an den gleichen wirtschaftlichen Zielsetzungen ausgerichtet ist wie die Tätigkeit anderer Wirtschaftsunternehmen. Es geht mit anderen Worten darum, ob die betreffende Einrichtung so vollständig unter Wettbewerbsbedingungen agiert, dass der Markt ein hinreichendes Korrektiv dagegen bietet, dass die fragliche Einrichtung „sich von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt“111. Ist dies nicht der Fall, haben dieses Korrektiv die vergaberechtlichen Regelungen zu übernehmen112. Ob eine Einrichtung in diesem Sinne vollständig unter Wettbewerbsbedingungen agiert, ist dabei nicht (nur) im Hinblick auf ihre Zielsetzungen zu beurteilen113, sondern vor allem auch nach einer objektiven Bewertung der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten des konkret in Rede stehenden Marktes. In diesem Sinn ist darauf abzustellen, ob die Einrichtung ihre Aufgaben in einer Wettbe107
108 109 110
111 112 113
Vgl EuGH Rs C-360/96, BFI Holding, Slg 1998, I-6821, Rz 51 f: Aufgaben, „die der Staat aus Gründen des Allgemeininteresses selbst erfüllen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluß behalten möchte“; zum Teil stellt der EuGH auf einen Zusammenhang, eine „wesensmäßige“ Verknüpfung mit der öffentlichen Ordnung ab; zB Rs C-283/00, Kommission/Spanien, Slg 2003, I-11697, Rz 86. EuGH Rs 18/01, Korhonen, Slg 2003, I-5321, Rz 44. Siehe für einen Überblick Holoubek/Fuchs in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 7, Rz 33 ff. Allein der Umstand, dass die betreffenden Aufgaben auch von Privatunternehmen erfüllt werden (können), schließt das Vorliegen von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art nicht aus. EuGH Rs BFI Holding, aaO, Rz 40 ff. ZB EuGH Rs C-470/99, Universale-Bau, Slg 2002, I-11617, Rz 52 mwN. Hailbronner, EWS 1995, 285 (288); Holoubek, ZUV 2002, 13 (17). Etwa im Hinblick auf den statuten- oder satzungsmäßig festgelegten Unternehmensgegenstand.
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werbssituation zu privaten bzw an privatwirtschaftlichen Maximen orientierten Unternehmen erfüllt, oder ob sie einer dadurch bewirkten „Konkurrenzsituation“ aufgrund einer besonderen rechtlichen oder faktischen Stellung am einschlägigen Markt zumindest ein Stück weit entzogen ist114. Da es sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff handelt, ist der Terminus der „nicht gewerblichen Art“ nicht (allein) anhand des nationalen Rechts115, sondern autonom, anhand des Gemeinschaftsrechts auszulegen. Entscheidend bleibt dabei freilich, unter welchen konkreten Umständen der Markt nicht mehr als hinreichendes Korrektiv fungieren kann bzw in welchen Fallkonstellationen die Gefahr diskriminierungsgeneigter Auftragsvergabe besteht. Der Judikatur des EuGH können mehrere Aspekte entnommen werden, die jeweils für das Vorliegen einer Tätigkeit nicht gewerblicher Art sprechen116, wie etwa das Fehlen einer grundsätzlichen Gewinnerzielungsabsicht, das Fehlen von Wettbewerb, die Risikotragung durch andere als die Einrichtung selbst sowie die Finanzierung der Tätigkeit aus öffentlichen Mitteln. Diese Kriterien sind lediglich als Anhaltspunkte für das Vorliegen nicht gewerblichen Tätigwerdens zu charakterisieren und sind für eine rechtliche Beurteilung der Aufgabenerfüllung weder abschließend, noch müssen sie kumulativ vorliegen. Eine endgültige Definition von Aufgaben nicht gewerblicher Art lässt sich anhand dieser Gesichtspunkte nicht gewinnen; vielmehr ist davon auszugehen, dass die einzelnen Gesichtspunkte zueinander in einem beweglichen System stehen und die rechtliche Beurteilung der jeweiligen Tätigkeit einer Gesamtschau bedarf. Die Auftraggebereigenschaft einer Einrichtung hängt nicht davon ab, ob ausschließlich oder überwiegend im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art erfüllt werden. An der Qualifikation einer Einrichtung als öffentlicher Auftraggeber ändert sich nämlich selbst dann nichts, wenn die Erbringung von Aufgaben nicht gewerblicher Art einen nur unbedeutenden Anteil an der Gesamttätigkeit darstellt. Der nicht gewerbliche Teil der Aufgabenerbringung vermag den gewerblichen Teil im Hinblick auf die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber gleichsam zu „infizieren“, weshalb auch vom so genannten Infizierungsprinzip117 bzw dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“118 die Rede ist. Umgekehrt lässt sich daraus schließen, dass ein öffentlicher Auftraggeber insbesondere durch Ausgliederung seiner „gewerblichen“ Tätigkeiten auf Tochterunternehmen durch organisatorische Trennung auch eine Trennung in vergaberechtlicher Hinsicht bewerkstelligen kann.
114 115 116 117 118
Insofern kommt es für die Beurteilung (auch) auf den räumlich und sachlich relevanten Markt an; siehe zu all dem B-VKK 11.7.2001, G 1/01 = bbl 2001/167. Etwa anhand des Begriffs der Gewerbsmäßigkeit in der GewO oder im Steuerrecht. Für einen Überblick über die Judikatur des EuGH siehe Holoubek/Fuchs in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 7, Rz 50 ff. Bzw auch „Infektionstheorie“; siehe etwa Heid in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht, 41. Griller/Tremmel, Ausgegliederte Rechtsträger im Vergaberecht - alles oder nichts?, ecolex 1998, 369 (372).
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c) Besonderer Gründungszweck Die Wahrnehmung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art muss sich schließlich - wie aus dem Wortlaut des § 3 Abs 1 Z 2 lit a BVergG („zu dem besonderen Zweck gegründet“) folgt - auch im Gründungszweck der Einrichtung manifestieren. Der EuGH119 bejaht allerdings die Auftraggebereigenschaft einer Einrichtung auch dann, wenn diese zwar ursprünglich zu einem anderen Zweck gegründet wurde, später aber mit der Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben nicht gewerblicher Art betraut wird. Zu diesem Schluss kommt der EuGH deshalb, weil die praktische Wirksamkeit der Vergaberichtlinien gefährdet wäre, wenn die Anwendung der Richtlinienbestimmungen auf eine Einrichtung allein deshalb verhindert werden könnte, weil die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art, die die Einrichtung erfüllt, ihr nicht zum Zeitpunkt ihrer Gründung übertragen wurden. Daraus folgt, dass eine Einrichtung von einem ehemals privaten Auftraggeber zum öffentlichen Auftraggeber werden kann, wenn ihr nachträglich und über den ursprünglichen Gründungszweck bzw über den Inhalt der dem Gründungsakt zu Grunde liegenden Rechtsakte (zB Gesetz, Satzung, Gesellschaftsvertrag, Statuten) hinaus im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art übertragen werden120. Ausschlaggebend ist allein die tatsächlich ausgeübte, objektiv feststellbare Tätigkeit. Folgerichtig muss dieselbe Argumentation auch umgekehrt zum Tragen kommen.
3. Staatliche Beherrschung Eine Einrichtung muss vom Staat beherrscht werden, um als öffentlicher Auftraggeber eingestuft zu werden. Staatliche Beherrschung liegt vor, wenn die Gebietskörperschaften oder andere öffentliche Auftraggeber durch überwiegende staatliche Finanzierung, durch Aufsicht über die Leitung oder durch Einfluss auf die Zusammensetzung der Organe eine besondere Kontrolle auf die betreffende Einrichtung ausüben können. Es handelt sich dabei um alternative Tatbestandsmerkmale121, sodass die Auftraggebereigenschaft erfüllt ist, wenn eines der drei genannten Kriterien vorliegt. a) Überwiegende staatliche Finanzierung Das Kriterium der überwiegenden staatlichen Finanzierung ist als erfüllt anzusehen, wenn die Finanzierung ohne spezifische Gegenleistung durch die Einrichtung erfolgt, auf deren Basis die Tätigkeiten der betreffenden Einrichtung überwiegend (also zu mehr als der Hälfte) finanziert und unterstützt werden122. Dabei ist auf die Gesamtmittel, über die die Einrichtung verfügt (inklusive solcher, die aus gewerblicher Tätigkeit stammen), abzustellen. Die Qualifikation als öffentlicher Auftraggeber verliert eine Einrichtung auch dann nicht, wenn sie teilweise aus anderen, nicht-öffentlichen Mitteln finanziert wird.
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EuGH Rs C-470/99, Universale-Bau, Slg 2002, I-11617, Rz 57. Siehe schon Eilmansberger, Vergaberechtliche Schranken von Ausgliederungen und Privatisierungen, JBl 2001, 562 (569). EuGH Rs C-380/98, University of Cambridge, Slg 2000, I-8035, Rz 20. EuGH Rs C-380/98, University of Cambridge, aaO, Rz 21.
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Sofern die Zusammensetzung der Gesamtfinanzierung einer Einrichtung variiert, kann sich auch ihre Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber im Laufe der Zeit ändern123, sodass eine Einrichtung je nach den gegebenen Finanzierungsmodalitäten einmal als öffentlicher Auftraggeber einzustufen sein kann, während sie ein anderes Mal das Kriterium der überwiegenden staatlichen Finanzierung nicht erfüllt124. b) Leitungsaufsicht Entscheidend für das Vorliegen von Leitungsaufsicht ist, ob die bestehende Aufsicht eine Einflussnahme nach spezifisch staatlichen Kriterien ermöglicht, sodass der Staat - wenn auch nur mittelbar - die konkreten (Beschaffungs-) Entscheidungen dieser Einrichtung in Bezug auf eine bestimmte Art und Weise der Auftragsvergabe beeinflussen kann125. Eine bloß nachprüfende Kontrolle der Leitung der betreffenden Einrichtung kann dies im Regelfall aber nicht gewährleisten126. Die spezielle „Leitungsaufsicht“, die eine staatliche Beherrschung im Sinne des § 3 Abs 1 Z 2 lit c BVergG begründet, unterscheidet sich von anderen Formen staatlicher Aufsicht. Die Leitungsaufsicht muss eine staatliche Einflussnahme auf die operative Führung der Einrichtung eröffnen, die es staatlichen Organen ermöglicht, Vergabeentscheidungen dieser Einrichtung dahingehend zu beeinflussen, dass andere als wirtschaftliche127 Zielsetzungen die Vergabeentscheidung bestimmen. Darin liegt der wesentliche Unterschied zu Formen staatlicher Aufsicht, die zwar oft ebenfalls weitreichend in die Tätigkeit der beaufsichtigten Einrichtung einwirken können, dies aber anhand gesetzlich festgelegter Aufsichtskriterien und Aufsichtsziele, die eine solche Einflussnahme gerade nicht vermitteln128. c) Zusammensetzung der Organe Schließlich kann auch die Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans der Einrichtung eine enge Verbindung mit dem Staat herbeiführen. Hier kommt es auf eine mehrheitliche Beschickung der für die Geschicke einer Unternehmung - und damit auch für den Bereich der Auftragsvergabe - verantwortlichen Organe durch die öffentliche 123 124
125 126 127 128
EuGH Rs C-380/98, University of Cambridge, aaO, Rz 37 ff. Um der Rechtssicherheit und Transparenz Rechnung zu tragen, ist die Berechnung der Finanzierung auf jährlicher Basis vorzunehmen. Während eines konkreten Vergabeverfahrens darf der vergaberechtliche Status einer Einrichtung allerdings keine Änderung erfahren. Vgl EuGH Rs C-380/98, University of Cambridge, aaO, Rz 40 ff sowie BVA 17.5.1996, N-17/96-34. EuGH 17.12.1998, Rs C-306/97, Connemara, Slg 1998, I-8761, Rz 34; siehe auch 1171 BlgNR 22. GP 25. EuGH Rs C-373/00, Truley, Slg 2003, I-1931, Rz 70. Sondern eben bestimmte sonstige, von diesen staatlichen Organen verfolgte Ziele. Daher macht etwa die staatliche Kapitalmarktaufsicht oder auch die „Regulierung“ von Unternehmen durch eine sektorspezifische Marktregulierung zB im Energieoder Telekommunikationsbereich die beaufsichtigten oder regulierten Unternehmen nicht schon deshalb zu staatlich beherrschten Unternehmen iSd § 3 Abs 1 Z 2 lit c BVergG.
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Hand an. Die Bestellungsbefugnisse können dabei vom Staat unmittelbar oder mittelbar wahrgenommen werden. d) Zusammenspiel der Beherrschungskriterien Wenngleich dem Wortlaut zufolge zumindest eines der in § 3 Abs 1 Z 2 lit c BVergG genannten Beherrschungskriterien vollständig erfüllt sein muss, wird angesichts der Zielsetzung der Bestimmung eine zwar weitgehende, wenn auch nicht vollständige Erfüllung mehrerer Kriterien als ausreichend anzusehen sein, um das Vorliegen staatlicher Beherrschung zu bejahen („bewegliches System“ der Beherrschung). Es spricht viel dafür, die in § 3 Abs 1 Z 2 lit c BVergG statuierten Merkmale als vertypte Erscheinungsformen staatlicher Beherrschung zu verstehen129.
D. Verbände öffentlicher Auftraggeber Nach § 3 Abs 1 Z 3 BVergG sind auch Verbände aus einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern im Sinne der Z 1 oder 2 leg cit als öffentliche Auftraggeber zu qualifizieren.
E. Sektorenauftraggeber Mit der Einbeziehung von Sektorenauftraggebern in den persönlichen Geltungsbereich des BVergG werden neben öffentlichen unter bestimmten Voraussetzungen auch „echte“ private Auftraggeber den Vergabebestimmungen unterstellt. Der Begriff Sektorenauftraggeber130 bezeichnet ganz generell und ungeachtet ihrer Rechtsform Auftraggeber, die auf bestimmten Märkten - den so genannten Sektoren - tätig sind. Entscheidend für die Einstufung als Sektorenauftraggeber ist das Ausüben einer der in den §§ 167 bis 172 BVergG genannten Tätigkeiten. Bei diesen handelt es sich zusammengefasst um die Infrastrukturbereiche der Energie-, Wasser- und Verkehrsversorgung, der Postdienste, dem Aufsuchen und der Förderung von Brennstoffen sowie der Bereitstellung von Häfen und Flughäfen. Nur ein Auftraggeber, der Aktivitäten in einem dieser Bereiche verfolgt, kann als Sektorenauftraggeber qualifiziert werden. Vom Begriff des Sektorenauftraggebers sind grundsätzlich öffentlichrechtliche wie privatrechtlich organisierte Auftraggeber umfasst, wobei es für die Einbeziehung in das Vergaberegime auch darauf ankommt, ob der Auftraggeber aufgrund bestehender Nahebeziehungen dem Einflussbereich des Staates zuzuordnen ist.
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Insoweit lassen sich gute Argumente dafür ins Treffen führen, die Auftraggebereigenschaft einer Einrichtung auch dann zu bejahen, wenn mehrere der aufgezählten Beherrschungskriterien weitgehend erfüllt sind und eine Gesamtbetrachtung keinen Zweifel an einer staatlichen Beherrschung offen lässt. In diese Richtung, wenn auch nicht explizit, geht die Beurteilung des EuGH in der Rs C-44/96, Mannesmann, Slg 1998, I-73, Rz 28, der alle drei Merkmale unter einem prüfte und in einer Gesamtbetrachtung ein Naheverhältnis zur öffentlichen Hand bejahte; idS auch B-VKK 1.3.2001, G-2/00-3 (Salzburger Festspielfonds). Näher Holoubek/Fuchs in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 7, Rz 75. Siehe dazu die §§ 164 bis 166 BVergG.
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1. Tätigkeitsbezogene Auftraggeberdefinition Die Gefahr einer nicht oder nicht ausschließlich an markt- und betriebswirtschaftlichen Maximen orientierten Auftragsvergabe besteht bei Auftragsvergaben im Sektorenbereich aus zweierlei Gründen, die sich mit den Schlagworten staatlicher Einfluss und fehlender Wettbewerb zusammenfassen lassen: Zum einen handelt es sich bei den Sektoren um Bereiche, die aufgrund ihrer (Neigung zu) Netzgebundenheit im Allgemeinen zur Monopol- bzw Oligopolbildung tendieren und daher herkömmlicher Weise nicht vollständig wettbewerblich geprägt sind131. Zum anderen profitieren (private) Leistungserbringer in den Sektoren traditionell von staatlich eingeräumten besonderen oder ausschließlichen Rechten. Mit Regeln zur Auftragsvergabe in den Sektoren soll daher die in diesen Bereichen typischer Weise stark ausgeprägte staatliche Einflussnahme auf das Beschaffungsverhalten der auf dem Markt agierenden Einrichtungen hintangehalten werden132. Der Begriff des Sektorenauftraggebers knüpft an die Besonderheiten des spezifischen Tätigkeitsbereichs der jeweiligen Auftraggeber an und unterstellt Auftragsvergaben im Sektorenbereich einem im Vergleich zu den allgemeinen Vergaberegelungen gelockerten Vergaberechtsregime. Die Sektorenbestimmungen - die Regelungen für Auftragsvergaben in den Sektoren sind im Wesentlichen im 3. Teil des BVergG enthalten133 - kommen allerdings nur dann zur Anwendung, wenn der konkrete Beschaffungsvorgang der Ausübung einer Sektorentätigkeit dient. Wäre zwar der Auftraggeber an und für sich als Sektorenauftraggeber zu qualifizieren, dient die konkrete Auftragsvergabe aber nicht der Ausübung einer Sektorentätigkeit, ist der Auftraggeber für diesen Vergabevorgang auch nicht als Sektorenauftraggeber einzustufen134. Das ist insoweit konsequent, als für den Fall, dass ein Beschaffungsvorhaben nicht in Zusammenhang mit einer Sektorentätigkeit steht, auch - zumindest aus dem Titel des Sektorenvergaberechts - die Rechtfertigung für eine regulierte Auftragsvergabe fehlt. Für die konkrete Beschaffungstätigkeit wäre der Auftragge-
131
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Zur Regulierung der Sektorenvergabe insb als Begleitmaßnahme der Privatisierung und Entstaatlichung bestimmter Märkte siehe bspw Appel, Präqualifikationsverfahren in den Sektoren (1999) 19 ff. Bei den vom Sektorenvergaberecht erfassten - auch privaten - Einrichtungen wird also davon ausgegangen, dass diese aufgrund ihrer „Staatsnähe“ bzw der Innehabung einer besonders privilegierten Position - ähnlich wie öffentliche Auftraggeber keiner Konkurrenz und damit keinem Wettbewerbsdruck auf dem Markt ausgesetzt sind. Hiezu auch Appel, Präqualifikationsverfahren, aaO, 22. Siehe dazu im Einzelnen die entsprechenden Ausführungen im weiteren Verlauf. Um die Zuordnung von Beschaffungsvorhaben zu ermöglichen, die mehrere (Sektoren-) Tätigkeiten des Auftraggebers betreffen, normieren § 1 Abs 2 (Abgrenzung zwischen dem klassischen Bereich und dem Sektorenbereich) und § 173 BVergG (Abgrenzung innerhalb der Sektorentätigkeiten sowie zwischen dem Sektorenbereich und dem ungeregelten Bereich) Abgrenzungsregelungen. Die rechtliche Zuordnung bestimmt sich dabei im Wesentlichen nach derjenigen Tätigkeit, die den Hauptgegenstand des Auftrags darstellt; im Zweifel bestimmt sich die Auslegung zugunsten des Anwendungsbereichs des (strengeren) Vergaberechts. Vgl dazu auch die Erläuterungen der Europäischen Kommission („Explanatory Note - Utilities Directive - Contracts involving more than one activity“).
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ber - sofern er nicht gleichzeitig öffentlicher Auftraggeber ist und damit wieder dem allgemeinen Vergaberegime unterfällt135 - daher frei136.
2. Auftraggebertypen Auftraggeber im Sektorenbereich sind gemäß § 164 bis 166 BVergG entweder öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 3 Abs 1 BVergG, öffentliche Unternehmen oder private Unternehmen, die eine Sektorentätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben. Den erfassten Auftraggebertypen ist gemein, dass ein Naheverhältnis zum Staat bzw eine besondere staatliche Einflussmöglichkeit auf das Beschaffungsverhalten der betreffenden Einrichtung besteht: So sind „öffentliche Unternehmen“ im Sinne der Legaldefinition des § 165 Abs 2 BVergG Unternehmen, auf die ein öffentlicher Auftraggeber einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Auch mittels Einräumung „besonderer oder ausschließlicher Rechte“137 zur Erbringung einer bestimmten Tätigkeit kann privaten Einrichtungen eine besondere, staatlichen Stellen oder öffentlichen Unternehmen ähnliche Stellung vermittelt werden. Während öffentliche Auftraggeber ohnedies bereits gemäß § 3 Abs 1 dem BVergG unterliegen, wird der persönliche Geltungsbereich des BVergG im Sektorenbereich um öffentliche Unternehmen und private Einrichtungen, denen ein besonderes oder ausschließliches Recht zukommt (also Auftraggeber, die per se nicht vergaberechtspflichtig sind) erweitert. „Echte“ Private, mithin private Rechtsträger außerhalb eines staatlichen Beherrschungsverhältnisses, unterliegen allerdings nur insoweit dem BVergG, als sie auf Grundlage besonderer oder ausschließlicher Rechte eine Sektorentätigkeit ausüben. Dagegen werden öffentliche Unternehmen bereits mit Wahrnehmung einer Sektorentätigkeit zu Sektorenauftraggebern.
3. Doppelnatur öffentlicher Auftraggeber Sektorenauftraggeber, die gleichzeitig öffentliche Auftraggeber sind, sind nur soweit als Sektorenauftraggeber einzustufen, als der betreffende Auftrag zur 135 136
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Man spricht von der sog Doppelnatur öffentlicher Auftraggeber; dazu sogleich. Die Anhänge der SektorenRL enthalten Verzeichnisse der den Richtlinienbestimmungen unterliegenden Auftraggeber. Diese Aufzählung ist allerdings weder abschließend noch rechtsverbindlich und beschränkt die Anwendbarkeit der Sektorenbestimmungen nicht auf die verzeichneten Einrichtungen. Insb wird dadurch die Anwendung der klassischen Vergaberegelungen auf Beschaffungsvorhaben der betreffenden Einrichtungen nicht ausgeschlossen. Besondere oder ausschließliche Rechte sind in § 166 Abs 2 BVergG als Rechte definiert, die „von der zuständigen Behörde mittels Rechts- oder Verwaltungsvorschriften gewährt wurden und dazu führen, dass die Ausübung einer Sektorentätigkeit einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und dass die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird.“ Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Rechte, die der betreffenden Einrichtung für die Erbringung ihrer Tätigkeit ein Monopol bzw eine beherrschende Stellung einräumen. Zu Begriff und Inhalt besonderer oder ausschließlicher Rechte vgl Fuchs, Die neue EG-Sektorenrichtlinie (Teil I), ZVB 2004, 208 (210 f); Schramm/ Öhler/Zellhofer in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 20 Z 8, Rz 1 ff, 14 ff; weiters die Erläuterungen und Hinweise der Europäischen Kommission in „Explanatory Note - Utilities Directive - Definition of exclusive or special rights“.
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Besorgung einer Sektorentätigkeit vergeben wird. Bei darüber hinausgehenden Beschaffungsvorhaben ist das BVergG zur Gänze anzuwenden. Der tätigkeitsbezogene Sektorenauftraggeberbegriff kann mithin eine Doppelnatur öffentlicher Auftraggeber, die auch Sektorentätigkeiten ausüben, zur Folge haben: Je nach Aufgabe, der die konkrete Auftragsvergabe dient, unterliegt der öffentliche Auftraggeber dem Sektoren- oder dem klassischen Vergaberegime. Die Eigenschaft als Sektorenauftraggeber bei einem konkreten Beschaffungsvorhaben schließt - jedenfalls in demselben Vergabeverfahren - die Einstufung als öffentlicher Auftraggeber aus. Im Hinblick auf öffentliche Auftraggeber stellt sich damit die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung dafür, sie bei Ausübung einer Sektorentätigkeit einer gelockerten vergaberechtlichen Bindung zu unterwerfen. Diese Rechtfertigung kann weniger bis gar nicht in dem Hinweis gesehen werden, dass im Sektorenbereich auch private Auftraggeber an das Vergaberecht gebunden sind138. Die Begründung für die flexibleren und weniger strikten Bindungen der Sektorenauftraggeber liegt wohl darin, dass diese jedenfalls bei einer Durchschnittsbetrachtung - in einer doch weitgehenden Wettbewerbssituation stehen und somit die Marktgegebenheiten einen nicht unerheblichen Druck dahingehend ausüben, Beschaffungsvorgänge an Effizienzüberlegungen auszurichten. Der typische öffentliche Auftraggeber im Sektorenbereich (zB Verkehrsbetriebe, Energieversorgungsunternehmen) unterliegt anderen wettbewerblichen Rahmenbedingungen als etwa Gebietskörperschaften im klassischen Bereich.. Überlegungen der Wettbewerbsgleichheit können dann herangezogen werden, um die Differenzierung in der Behandlung öffentlicher Auftraggeber je nachdem zu rechtfertigen, ob sie im klassischen oder im Sektorenbereich tätig sind.
F. Sonstige Auftraggeber § 3 Abs 2 bis 5 BVergG bezieht zusätzlich Auftraggeber, die nicht bereits als öffentliche Auftraggeber im Sinne des Abs 1 zu qualifizieren sind, in den persönlichen Geltungsbereich des BVergG ein. Dabei handelt es sich um private Förderungsnehmer, die zu mehr als 50% von öffentlichen Auftraggebern direkt subventioniert werden139 und die bestimmte (gemeinnützige) Aufträge vergeben140, um private Baukonzessionäre141 sowie um Einrichtungen, die aufgrund 138
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Zum einen sind empirisch Sektorenauftraggeber zunächst einmal öffentliche Auftraggeber im Sektorenbereich, dann öffentliche Unternehmen, die im Sektorenbereich tätig sind (und die nicht notwendig auch klassische öffentliche Auftraggeber sein müssen) und schließlich eher in untergeordnetem Ausmaß gänzlich in privatem Eigentum stehende Unternehmen, deren tragende Begründung für die Bindung an das Vergaberecht in den ihnen verliehenen Ausschließlichkeitsrechten liegt. Zum anderen würde das allein die unterschiedliche Behandlung klassischer öffentlicher Auftraggeber nicht rechtfertigen. Zum Begriffsverständnis siehe 1171 BlgNR 22. GP 26 sowie die - noch zur Rechtslage nach dem BVergG 2002 angestellten - Überlegungen von Holoubek/Fuchs in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 8, Rz 12 ff. Dazu zählen Bauaufträge über Tiefbauarbeiten iSd Anhanges I zum BVergG sowie Bauaufträge iSd Anhanges II (Krankenhäuser, Sportanlagen, Schulen und Hochschulen, etc) und damit verbundene Dienstleistungsaufträge. Mit der Erstreckung des Vergaberechts auf private „projektbezogene“ (so Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 342) Auftraggeber soll verhindert werden, dass vergaberechtliche Verpflichtungen des Staates durch Zwischenschalten privater, aber staatlich subventionierter Auftraggeber umgangen werden.
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besonderer oder ausschließlicher Rechte142 tätig werden. Letztere unterliegen dem BVergG allerdings nur dann, wenn in dem Rechtsakt über die Zuerkennung des besonderen oder ausschließlichen Rechts die Beachtlichkeit der Bestimmungen des BVergG bestimmt ist. Gemeinsam ist diesen Auftraggebertypen, dass die Vorschriften des BVergG nur eingeschränkt, mitunter nur punktuell zur Anwendung gelangen.
IV. Sachlicher Geltungsbereich des BVergG Während die Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs maßgeblich dafür ist, welche Auftraggeber das BVergG zu beachten haben, wird mit dem sachlichen Geltungsbereich definiert, welche Auftragsvergaben vom BVergG erfasst sind. Der sachliche Geltungsbereich des BVergG ist durch mehrere Faktoren determiniert: Zum einen ist der Geltungsbereich auf „Leistungsverträge“ begrenzt: Gemäß § 1 findet das BVergG auf „Verfahren zur Beschaffung von Leistungen (Vergabeverfahren)“ Anwendung. Bei diesen Leistungen handelt es sich um sachlich näher umschriebene „Aufträge“, worunter im Kern öffentliche Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge fallen143. Darüber hinaus sind vom Begriff des „Vergabeverfahrens“ auch die Vergabe von Bau- und Dienstleistungskonzessionsverträgen sowie Wettbewerbe erfasst144. In den sachlichen Geltungsbereich werden also zunächst nur Aufträge einbezogen, deren Vergabe auf vertraglicher Grundlage beruht145. Damit sind umgekehrt Vorgänge, denen ebenfalls eine bestimmte „Auswahlfunktion“ zu Grunde liegt, die aber mittels Hoheitsaktes erfolgen, nicht dem Begriff des öffentlichen Auftrags zu subsumieren146.
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Zu Begriff und Vergabe von Konzessionsverträgen siehe näher unten Pkt IV.F. Vgl FN 137. Siehe zu den einzelnen Auftragsarten §§ 4 bis 8 BVergG. Siehe dazu §§ 26, 35, 153 ff BVergG. Vgl Art 1 Abs 2 lit a allgemeine VergabeRL, wonach „’öffentliche Aufträge’ […] zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern geschlossene schriftliche entgeltliche Verträge […] (sind)“. Die Qualifizierung des Vertrages als privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich muss angesichts des gemeinschaftsrechtlich gebotenen funktionalen Begriffsverständnisses für die Zuordnung zum Vergaberechtsregime unmaßgeblich sein. Auch dem öffentlichen Recht zuzuzählende „Konzessionsverträge“, wie sie in mehreren Mitgliedstaaten durchaus üblich sind, unterliegen insoweit dem Vergaberecht. Anders als dies die RL tut, wurde das Schriftlichkeitserfordernis für öffentliche Aufträge nach dem BVergG nicht ausdrücklich übernommen (siehe §§ 4 ff BVergG; vgl allerdings 1171 BlgNR 22. GP 27, wonach als Aufträge iSd BVergG „entgeltliche schriftliche Verträge über bestimmte Leistungen“ gelten). Zu beiden Aspekten Aicher in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 1, Rz 12 f und § 101, Rz 15 f. Das trifft vor allem für die hoheitliche „Vergabe“ von Berechtigungen zu, und zwar selbst dann, wenn diese gegen Entgelt erfolgt. Schwierig und weitgehend ungeklärt sind „Mischkonstruktionen“ hoheitlicher und vertraglicher Leistungssicherung durch den Staat, wie sie in anderen Mitgliedstaaten durchaus üblich sind (näher Holoubek, VVDStRL 60, 546 ff). Allein die innerstaatliche Zuordnung kann nicht für die Reichweite des sachlichen Geltungsbereichs der Vergaberichtlinien ausschlaggebend sein. Es wird darauf ankommen, ob die rechtliche Ausgestaltung eine einseitige Festlegung der „essentialia negotii“ durch den Staat ermöglicht.
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Nicht dem BVergG unterliegen weiters „Vergabeverfahren“, für die aufgrund einschlägiger Spezialgesetze besondere Bestimmungen gelten. Zwar ist auch in diesen Fällen mitunter eine Bewerberauswahl nach sachlichen Gesichtspunkten erforderlich, sie erfolgt jedoch nach einem im Vergleich zum BVergG spezialgesetzlich geregelten Prozedere147.
A. Umfassender Geltungsbereich Das BVergG gilt unabhängig vom Auftragswert grundsätzlich für sämtliche sachlich erfassten Aufträge, also sowohl im OSB als auch im USB, und zwar für klassische wie auch für Sektorenvergaben. Je nach Auftragsart und Auftragshöhe ist für bestimmte Konstellationen allerdings ein erleichtertes, flexibleres System vorgesehen148 bzw gelten die vergaberechtlichen Regelungen für bestimmte Auftragsvergaben nur eingeschränkt149. Der - im Vergleich zu den Vergaberichtlinien, die nur im OSB zum Tragen kommen - umfassende Geltungsbereich des BVergG ist wesentlich als Konsequenz der Rechtsprechung des VfGH zu den in den Vorgängerregelungen (BVergG 1993 bzw BVergG 1997) enthaltenen Schwellenwertregelungen zu sehen. Dem VfGH150 zu Folge widersprach es nämlich einerseits dem verfassungsgesetzlichen Gleichheitsgrundsatz, außenwirksame gesetzliche Regelungen lediglich für den OSB vorzusehen, hingegen den Bewerbern und Bietern unterhalb der Schwellenwerte keine subjektiven Rechte einzuräumen, sowie den vergabespezifischen Rechtsschutz im USB gänzlich auszuschließen151. Zudem konstatierte der VfGH im Fehlen eines vergabespezifischen Rechts-
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Ferner unterliegen „Veräußerungsgeschäfte“, bei denen der Staat als Leistungsanbieter und nicht als Leistungsnachfrager auftritt, nicht dem BVergG. Das gilt grundsätzlich vor allem für die sog Vermögensprivatisierung, die per se keinen Beschaffungsvorgang darstellt. Auch der Abschluss von Gesellschaftsverträgen unterliegt als solcher nicht dem Vergaberecht (sondern nur dann, wenn damit im Zusammenhang, und sei es über gesellschaftsvertragliche Nebenpflichten, entgeltliche Leistungen für den öffentlichen Auftraggeber vergeben werden [siehe dazu noch unten im Zusammenhang mit der sog „Inhouse“-Vergabe unter Pkt IV.H.]). So ist etwa für die Auswahl der Mitarbeitervorsorgekasse auf die einschlägigen Bestimmungen des BMVG, BGBl I 100/2002 idgF, Bedacht zu nehmen, eine Anwendung des BVergG kann demgegenüber ausgeschlossen werden; vgl dazu BVKK 24.5.2002, Siehe-46/02-2 = ZVB 2002,196 (Holoubek); weiters Stockinger, Leistungen der Mitarbeitervorsorgekassen - ausschreibungspflichtig?, ZVB 2002, 294 sowie die Stellungnahme des BVA-VD, GZ 600.883/072-V/A/8/2002. Auch die Vergabe von Kassenplanstellen nach dem ASVG unterfällt nicht den vergaberechtlichen Regelungen des BVergG (VfSlg 17.367/2004). ZB Vereinfachungen insb in Form verkürzter Fristen, erleichterter Bekanntmachungsvorschriften und der Zurverfügungstellung vereinfachter Vergabeverfahren. Vgl dazu etwa die Regelungen für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionsverträgen oder für die Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen; dazu unten Pkt IV.E. und F. Siehe für die Rechtslage nach dem BVergG 1993 VfSlg 16.027/2000; für die Rechtslage nach dem BVergG 1997 VfSlg 16.073/2001 sowie VfSlg 16.315/2001 und VfSlg 16.445/2002 ua; auf Länderebene zB VfSlg 16.510/2002 (Stmk VergG); VfSlg 16.577/2002 (Tir VergG). Zur „doppelten Bedingtheit“ des innerstaatlichen Gesetzgebers siehe nur Korinek, Die doppelte Bedingtheit von gemeinschaftsrechtsausführenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften, in FS Öhlinger, 2004, 131 ff. VfSlg 16.027/2000.
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Holoubek/Fuchs
schutzes für bestimmte Vergaben in einigen Erkenntnissen auch einen Widerspruch zum Rechtsstaatsgebot, da den Bewerbern und Bietern auf diese Weise ein „den besonderen Anforderungen des Vergabewesens entsprechender, umfassender, rascher und effektiver Rechtsschutz“ vorenthalten werde152. Als - weitreichende - Konsequenz dieser verfassungsgerichtlichen Judikatur unterstellt das BVergG (wie bereits zuvor das BVergG 2002) grundsätzlich sämtliche öffentlichen Aufträge einem gesetzlich geregelten Vergabeverfahren und unterwirft diese grundsätzlich ebenso dem vergabespezifischen Rechtsschutz153.
B. Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge Das BVergG gilt in erster Linie für die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen. Bauaufträge154 sind entgeltliche Aufträge, deren Vertragsgegenstand • die Ausführung oder die gleichzeitige Ausführung und Planung von Bauvorhaben im Zusammenhang mit einer der in Anhang I genannten Tätigkeiten, oder • die Ausführung eines Bauwerkes155, oder • die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen ist. Die für Bauaufträge maßgeblichen Berufsbilder sind in Anhang I des BVergG aufgelistet, der sich seinerseits an der Allgemeinen Systematik der Wirtschaftszweige der Europäischen Union (NACE) orientiert. Das Baugewerbe gliedert sich demnach in vier Untergruppen: Allgemeines Baugewerbe, Rohbaugewerbe/Hochbau, Tiefbau, Bauinstallation und Hausbaugewerbe/Ausbaugewerbe, die wiederum durch weitere Untergruppen näher aufgeschlüsselt sind. Lieferaufträge156 sind entgeltliche Aufträge, deren Vertragsgegenstand der Kauf, das Leasing, die Miete, die Pacht oder der Ratenkauf von Waren157 ist. Dienstleistungsaufträge sind entgeltliche Aufträge, deren Vertragsgegenstand Dienstleistungen sind. Der maßgebliche § 6 BVergG fungiert insoweit als Auffangtatbestand, als Leistungen, die weder Gegenstand eines Liefer-, noch eines Bauauftrags sind, als Dienstleistungen einzustufen sind158.
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VfSlg 15.106/1998; so auch VfSlg 15.204/1998; 15.321/1998; in den konkreten Fällen ging es um den Ausschluss eines vergabespezifischen Rechtsschutzes im Sektorenbereich. Zum vergabespezifischen Rechtsschutz siehe noch ausführlich unten Pkt VII. § 4 BVergG. Zur Begriffsdefinition siehe § 2 Z 11 BVergG. § 5 BVergG. Vom Warenbegriff sind iSd Rechtsprechung des EuGH sämtliche Erzeugnisse erfasst, die einen Geldwert haben und Gegenstand von Handelsgeschäften sein können; dazu zählt insb auch Elektrizität. Vgl auch die Ausführungen in den Mat (1171 BlgNR 22. GP 28). So der ausdrückliche Wortlaut der Regelung. Dazu Schramm/Öhler in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 4, Rz 2; zu den diesbezüglichen Regelungen der allgemeinen VergabeRL Jochum in Grabitz/Hilf (Hrsg), EU Kommentar, EL 25, 2005, B7, Rz 39.
Vergaberecht
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Das BVergG differenziert zwischen Dienstleistungen im Sinne des Anhanges III (so genannte prioritäre Dienstleistungen) und Dienstleistungen im Sinne des Anhanges IV (so genannte nicht prioritäre Dienstleistungen). Während Anhang III eine taxative Aufzählung der prioritären Dienstleistungen enthält, findet sich in Anhang IV hinsichtlich der nicht prioritären Dienstleistungen eine demonstrative Aufzählung samt Generalklausel, derzufolge alle nicht genannten Dienstleistungen als „sonstige Dienstleistungen“ zu den nicht prioritären Dienstleistungen zu zählen sind159. Die Unterscheidung zwischen prioritären und nicht prioritären Dienstleistungen geht auf die in der allgemeinen VergabeRL getroffene Differenzierung zwischen Dienstleistungen des Anhanges II A und solchen des Anhanges II B der RL zurück. Die volle Anwendung der EG-Vergaberichtlinien soll nämlich zunächst auf solche Dienstleistungsaufträge beschränkt bleiben, bei denen die vergaberechtlichen Regelungen dazu beitragen, das Potenzial für grenzüberschreitende Geschäfte voll auszunutzen. Aufträge, die ihrer Art nach für ein Vergabeverfahren im technischen Sinn nicht als geeignet angesehen werden (zB Dienstleistungen im sozialen und kulturellen Bereich), sollen demgegenüber für einen Übergangszeitraum beobachtet werden, bevor es zur vollen Anwendung des Vergaberechts kommt160. Der Gemeinschaftsgesetzgeber geht insofern davon aus, dass sich nicht prioritäre Dienstleistungen aufgrund der Art der erbrachten Leistung nicht in demselben Maße wie prioritäre Dienstleistungen dafür eignen, einem geregelten Vergabeverfahren unterworfen zu werden161. Auch das BVergG gilt für nicht prioritäre Dienstleistungsaufträge demzufolge nur eingeschränkt.162
C. Gemischte Aufträge Sollen gemischte Aufträge zur Vergabe gelangen, die Elemente verschiedener Auftragsarten beinhalten, ist für die vergaberechtliche Zuordnung eine Katego159
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Zu den prioritären Dienstleistungen zählen bspw Dienstleistungen der Kategorie Instandhaltung und Reparatur, Transport- und Finanzdienstleistungen, Unternehmensberatung oder Abfall- und Abwasserbeseitigung. Als nicht prioritäre Dienstleistungen werden demgegenüber zB der Eisenbahnverkehr, Rechtsberatung, Arbeits- und Arbeitskräftevermittlung oder Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit und Soziales sowie Kultur und Sport qualifiziert. Weiterführend Arrowsmith, Public Procurement, 310 ff. Siehe dazu Erwägungsgrund 19 der allgemeinen VergabeRL sowie 1171 BlgNR 22. GP 91; weiters Holoubek/Fuchs, Der sachliche Geltungsbereich des BVergG 2002, in Griller/Holoubek (Hrsg), Grundfragen, 73 f. Der EuGH unterläuft diese Entscheidung des Gemeinschaftsgesetzgebers allerdings durch seine Rechtsprechung zu den Vorgaben der Grundfreiheiten im Bereich des Vergaberechts und ihrer Anwendung auch auf in der allgemeinen VergabeRL nur beschränkt geregelte Vergaben wie diejenige von nicht prioritären Dienstleistungen ein gutes Stück weit, siehe dazu bereits oben Pkt I.D.2.a. und c. Die exakte Zuordnung einer Dienstleistung zu einer der in den Anhängen III und IV genannten Dienstleistung ist anhand eines international vorgegebenen Klassifizierungssystems vorzunehmen. Den in den Anhängen aufgezählten Dienstleistungskategorien sind jeweils Referenznummern zugewiesen, die auf die Nomenklatur der CPC (Central Product Classification) - ein aus dem Zollbereich stammendes Güterklassifizierungssystem der Vereinten Nationen - verweisen. Anhand dieses Katalogs wird die in Rede stehende Dienstleistung näher aufgegliedert, was eine möglichst treffsichere Zuordnung als prioritäre oder nicht prioritäre Dienstleistung ermöglichen soll. Sogleich Pkt IV.E.
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risierung des gesamten zur Vergabe gelangenden Auftrags als Bau-, Lieferoder Dienstleistungsauftrag erforderlich. Für einige solcher gemischten Auftragskonstellationen kennt das BVergG besondere Vorschriften, die eine vergaberechtliche Zuordnung ermöglichen: Bei Aufträgen, die sowohl Lieferungen als auch Dienstleistungen umfassen, ist gemäß § 9 Abs 1 BVergG eine Qualifikation des Gesamtvertrags als Lieferoder Dienstleistungsauftrag anhand des jeweiligen Wertes der Auftragsbestandteile zu treffen (so genannter main value test). Zu beachten ist dabei, dass vom Begriff des Lieferauftrags auch Nebenarbeiten wie das Verlegen oder die Installation erfasst sind163. Aufträge, die sowohl Bauleistungen als auch Dienstleistungen erfassen, sind vergaberechtlich gemäß § 9 Abs 2 BVergG danach zu beurteilen, welcher Leistungsbestandteil den Hauptgegenstand des Auftrags bildet (so genannter main object test). Soweit ein Bauauftrag auch Dienstleistungen umfasst und dadurch am Hauptgegenstand des Vertrages, nämlich der Durchführung von Bauleistungen, keine inhaltliche und funktionale Änderung eintritt, ist der Auftrag in seiner Gesamtheit als Bauauftrag zu qualifizieren. Umgekehrt gelten Aufträge über die Erbringung von Dienstleistungen, die als Nebenarbeiten im Verhältnis zum Hauptauftragsgegenstand auch Bauleistungen umfassen, als Dienstleistungsaufträge. Die Vergabe eines Auftrags zur gleichzeitigen Ausführung und Planung von Bauvorhaben ist allerdings gemäß § 4 Z 1 BVergG als Bauauftrag zu qualifizieren, und zwar (jedenfalls dem Wortlaut nach) ungeachtet dessen, ob in concreto das Bau- oder das Dienstleistungselement überwiegt. Wird die Planungsleistung getrennt von der Bauleistung vergeben, ist sie demgegenüber als Dienstleistungsauftrag zu qualifizieren. Bei gemischten Dienstleistungsaufträgen, die sich aus prioritären wie nicht prioritären Dienstleistungen zusammensetzen, kommt es für die vergaberechtliche Einordnung des Gesamtvertrags auf das finanzielle Überwiegen der jeweiligen Dienstleistung an (main value test)164.
D. Entgeltlichkeit Bei den vom BVergG erfassten Leistungsverträgen handelt es sich um entgeltliche Verträge165. Der Begriff der Entgeltlichkeit ist in einem weiten Sinn zu verstehen und umfasst neben Geld auch andere in Geld bewertbare Leistungen. Es geht also um eine vermögenswerte Gegenleistung im Allgemeinen, die nicht unbedingt in einer einmaligen Gegenleistung bestehen muss. Einseitige Leis-
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§ 5 BVergG. Insoweit kann also ein Lieferauftrag auch Dienstleistungselemente beinhalten, ohne dass diese selbst als Dienstleistungsaufträge einzuordnen sind. Das gilt allerdings nur für Nebenarbeiten, also für Dienstleistungen, die angesichts des dominierenden Lieferelements wertmäßig nicht ins Gewicht fallen. EuGH Rs C-76/97, Tögel, Slg 1998, I-5357 (zur Frage der Qualifikation von Dienstleistungen des Rettungs- und Krankentransports unter Begleitung eines Sanitäters als prioritäre [„Landverkehr“] oder als nicht prioritäre Dienstleistung [„Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen“]) sowie EuGH Rs C-411/00, Swoboda, Slg 2002, I-10567 (Umzug einer Zentralbank). Siehe §§ 4 ff BVergG („entgeltliche Aufträge“).
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tungszusagen des Unternehmers ohne geldwerte Verpflichtung des Auftraggebers erfüllen das Begriffsmerkmal der Entgeltlichkeit aber im Regelfall nicht166.
E. Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen Für nicht prioritäre Dienstleistungen gilt das BVergG nur eingeschränkt. Neben den in § 141 BVergG selbst enthaltenen Vorschriften finden ausschließlich jene Bestimmungen Anwendung, auf die § 141 verweist167. Dies bedeutet vor allem, dass der Auftraggeber für die Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungsaufträge keinen besonderen Vorgaben hinsichtlich der Wahl des Vergabeverfahrens unterliegt. Insbesondere ist er nicht an den im BVergG verankerten Katalog der Vergabeverfahrensarten sowie die jeweiligen besonderen Voraussetzungen für ihre Wahl gebunden168, sondern vielmehr lediglich gehalten, die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten sowie das Diskriminierungsverbot zu beachten. Dem Auftraggeber steht es sohin im Wesentlichen offen, ein Vergabeverfahren zu konzipieren und durchzuführen, das den auftragsbezogenen Anforderungen ebenso wie den gesetzlichen Vorgaben genügt. Dies gilt allerdings mit zwei wesentlichen Einschränkungen: Zum einen sind nicht prioritäre Dienstleistungen, soweit es aufgrund des Wertes und des Gegenstandes des Auftrags erforderlich erscheint, in einem Verfahren mit mehreren Unternehmern zu vergeben, durch das ein angemessener Grad von Öffentlichkeit gewährleistet ist und das dem Grundsatz des freien und lauteren Wettbewerbs entspricht169. Zum anderen ist die Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen in einem formfreien Verfahren unmittelbar an einen Unternehmer (Direktvergabe) - wie für andere Auftragsvergaben auch - nur bis zu einer bestimmten Wertgrenze zulässig170. Ungeachtet der deutlich geringeren Regelungsdichte kommen die Rechtsschutzbestimmungen des BVergG auch für die Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen zur Gänze zum Tragen. Damit wird sich in der Praxis die Frage stellen, inwieweit sich die Nachprüfungsinstanzen bei der Beurteilung, ob eine Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen den genannten Anforderungen entsprochen hat171, für die Konkretisierung der diese Vorgaben umschreibenden unbestimmten Rechtsbegriffe wiederum an den konkreten Regelungen des BVergG orientieren werden. Weil der Gemeinschaftsgesetzgeber in der 166 167
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Näher Aicher in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 1, Rz 14 ff. Dazu zählen - neben allgemeinen Vorschriften über den Regelungsgegenstand und Anwendungsbereich des BVergG, Begriffsbestimmungen, Vorschriften über die Berechnung des Schwellenwerts, statistische Verpflichtungen des Auftraggebers sowie die Bestimmungen über die freiwillige Bekanntmachung von Beschaffungswünschen auf Gemeinschaftsebene - vor allem die Regelungen über die Festlegung technischer Spezifikationen sowie die Rechtsschutzvorschriften des BVergG. Zu den Regelungen betreffend die Wahl des Vergabeverfahrens siehe Pkt V.B. Für die Beurteilung, ob ein „angemessener“ Grad an Öffentlichkeit hergestellt ist, ist auf die Umstände des Einzelfalles (Auftragsgegenstand, Höhe des Auftragswertes) abzustellen (vgl 1171 BlgNR 22. GP 91). Eine Sonderregelung ist für die Vergabe sog geistiger Dienstleistungen vorgesehen, siehe § 141 Abs 3 BVergG sowie Pkt V.B.5.b. Diese sind durch § 141 Abs 2 BVergG jedenfalls als Maßstab der Vergabekontrolle statuiert.
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allgemeinen VergabeRL und der innerstaatliche Umsetzungsgesetzgeber in § 141 Abs 2 BVergG nicht prioritäre Dienstleistungsaufträge wegen ihrer aus Sicht des Gesetzgebers mangelnden Eignung für ein Vergabeverfahren im technischen Sinn von diesen konkreten Regelungen ausgenommen hat, sollten die Nachprüfungsbehörden auch einen entsprechenden Kontrollmaßstab anlegen und gerade nicht davon ausgehen, dass die Einzelregelungen des BVergG die allgemeinen Grundsätze des § 141 Abs 2 BVergG auch für die Zwecke der Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungsaufträge konkretisieren. Insoweit besteht zwischen den allgemeinen Vergabegrundsätzen des § 19 Abs 1 BVergG und den Vergabegrundsätzen, denen die Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungsaufträge gemäß § 141 Abs 2 BVergG unterliegt, ein wesentlicher Unterschied.
F. Konzessionsvergaben Etwas modifiziert gilt das BVergG auch für Baukonzessionsvergaben und Vergaben durch Baukonzessionäre wie überhaupt sehr eingeschränkt für Dienstleistungskonzessionsvergaben. Als Konzessionsverträge werden ganz allgemein Verträge bezeichnet, bei denen die Gegenleistung für die vom Konzessionär erbrachte Leistung statt oder neben einem Entgelt in der Einräumung des Rechts an den Konzessionär besteht, das eingeräumte Recht oder eine Sache zu nutzen und von Dritten Entgelte einzuheben, die diese für die Leistung des Konzessionärs zahlen. Damit trägt der Konzessionär insbesondere das wirtschaftliche Risiko (mit), das sich bei Erbringung der jeweiligen Leistung ergibt. Dieses Risikoelement ist ein elementarer Bestandteil des Konzessionsbegriffs.
1. Baukonzessionsverträge Baukonzessionsverträge sind Verträge, deren Vertragsgegenstand von Bauaufträgen nur insoweit abweicht, als die Gegenleistung für die Bauleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung des Bauwerks oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht172. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zum Bauauftrag ist daher, dass dem Bauunternehmer als Gegenleistung das Recht zur Nutzung des Bauwerkes gewährt wird. Dieses Recht liegt im konzessionsvertraglichen Sinn darin, dass der Konzessionär das Bauwerk oder dessen Nutzung Dritten zur Verfügung stellt und sich (auch) aus den von diesen Dritten dafür erbrachten Entgelten oder Gebühren finanziert173. Das BVergG enthält besondere Bestimmungen für die Vergabe von Baukonzessionsverträgen und die Vergabe von Bauaufträgen an Dritte durch Baukonzessionäre174: Für Baukonzessionsverträge sind erleichterte Vergaberegeln vorgesehen, insbesondere stehen dem Auftraggeber zusätzliche Möglichkeiten für die Wahl des Vergabeverfahrens zur Verfügung. Für die Auftragsvergabe durch einen Baukonzessionär, der nicht selbst öffentlicher Auftraggeber ist 172 173 174
§ 7 BVergG. Weiterführend Franke in Grabitz/Hilf (Hrsg), EU Kommentar, EL 30, 2006, B8, Rz 13 ff §§ 142 ff BVergG.
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(privater Baukonzessionär)175, kommen nur einige besondere Bestimmungen zur Anwendung176.
2. Dienstleistungskonzessionsverträge Dienstleistungskonzessionsverträge sind Verträge, deren Vertragsgegenstand von Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweicht, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht177. Es kommt zu einem wirtschaftlichen Risikoübergang an den Konzessionär, der - im Unterschied zum herkömmlichen Dienstleistungsauftrag das wesentliche wirtschaftliche Risiko an der Erbringung der Dienstleistung und deren Nutzung selbst (mit)trägt178. Auch hier geht es also darum, dass der Konzessionär seine ihm im Konzessionsvertrag übertragenen Leistungen Dritten zur Verfügung stellt und sich aus den Entgelten oder Gebühren, die diese Dritten dafür leisten, (mit)finanziert. Anders als Baukonzessionen sind Dienstleistungskonzessionen nicht von den gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien erfasst179. Der EuGH hat allerdings gewisse Anforderungen an die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen aus dem Primärrecht entwickelt180. Insbesondere haben, so der EuGH, die Auftraggeber „die Grundregeln des Vertrages (gemeint: EGV) im Allgemeinen und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Besonderen zu beachten.“181 Damit ergeben sich für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen mehrere Vorgaben aus dem Primärrecht: Der Auftraggeber ist an das Diskriminierungsverbot gebunden und hat zu Gunsten potenzieller Bieter einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherzustellen (Transparenzgebot)182, der den Dienstleistungsmarkt dem Wettbewerb öffnet (Wettbewerbsprinzip) und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch geführt wurden (Unparteilichkeit des Konzessionsgebers). Im Ergebnis hat damit die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen, die an sich eben gerade nicht den Vergaberichtlinien unterliegt, nach jenen Grundsätzen zu erfolgen, wie sie sich im Wesentlichen auch in den Richtlinien wieder finden: 175 176 177 178
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Vgl bereits oben Pkt III.F. Siehe §§ 142 Abs 3 iVm 145 BVergG. § 8 BVergG. Die Tragung des maßgeblichen wirtschaftlichen Risikos durch den Konzessionär wird in der Literatur auch als Tatbestandsmerkmal der Dienstleistungskonzession bezeichnet; so Ruhland, Dienstleistungskonzession, 66 ff; Schramm/Öhler in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 4, Rz 79 und 98 ff, sprechen von einem „Definitionselement“. EuGH Rs C-324/98, Telaustria, Slg 2000, I-10745. Dazu schon oben Punkt I.D.2. EuGH Rs Telaustria, aaO, Rz 60 ff. In seinem Urteil in der Rs C-231/03, Coname, Slg 2005, I-7287, Rz 18 f, führte der EuGH aus, dass eine ohne jede Transparenz erfolgende Konzessionsvergabe Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, die Möglichkeit nehme, ihr Interesse an einer Ausschreibung kundzutun. Der GH gelangte dabei zu dem Schluss, dass eine solche unterschiedliche Behandlung in- und ausländischer Unternehmen - sofern sie nicht durch objektive Umstände gerechtfertigt ist - einen Verstoß gegen Art 43 und 49 EGV darstelle.
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Durchführung eines Vergabeverfahrens nach einer Art öffentlicher Bekanntmachung bzw Ausschreibung183 und Möglichkeit zur Nachprüfung der Vergabeentscheidung. Mit dieser Interpretation „unterstellt“ der EuGH den primärrechtlichen Rechtsgrundlagen einen Bedeutungsgehalt, den er gleichzeitig als den wesentlichen Gehalt der Richtlinien betrachtet184. Das BVergG bezieht Dienstleistungskonzessionen nur sehr begrenzt in seinen Geltungsbereich ein. Gemäß § 11 sind Dienstleistungskonzessionen unter Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten sowie des Diskriminierungsverbotes und, soweit dies auf Grund des Wertes und des Gegenstandes des Vertrages erforderlich erscheint, grundsätzlich in einem Verfahren mit mehreren Unternehmern, durch das ein angemessener Grad an Öffentlichkeit gewährleistet ist und das den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs entspricht, zu vergeben. Darüber hinaus werden bloß punktuell Bestimmungen des BVergG für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionsverträgen für anwendbar erklärt185. Zusammenfassend folgt daraus im Wesentlichen, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen durch das BVergG nur dazu verpflichtet ist, ein den genannten Anforderungen entsprechendes Vergabeverfahren einschließlich entsprechender Bekanntmachung durchzuführen. Die einschlägigen Detailregelungen, etwa betreffend die Wahl der Vergabeart im technischen Sinn, kommen demgegenüber nicht zur Anwendung. Wesentlich ist weiters, dass der vergabespezifische Rechtsschutz keine Anwendung auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen findet, womit es diesfalls beim zivilrechtlichen Bieterschutz bleibt. Auch für die in § 11 BVergG verankerten allgemeinen Grundsätze, die auch bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen zu beachten sind, gilt, dass sich diese in einem Punkt wesentlich von den allgemeinen Vergabegrundsätzen des § 19 Abs 1 BVergG unterscheiden: Während letztere durch die Regelungen des BVergG im Einzelnen konkretisiert werden, gilt das für die allgemeinen Grundsätze des § 11 BVergG gerade nicht. Vielmehr sollen die konkreten Regelungen des BVergG über den technischen Ablauf und die Auswahl der Vergabeverfahren für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen gerade nicht zur Anwendung kommen. Insoweit folgt aus § 11 BVergG also ein besonderer, weiter Maßstab
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Ausdrücklich auf das Erfordernis einer - öffentlichen - Ausschreibung stellt der EuGH in der Rs C-458/03, Parking Brixen, Slg 2005, I-8612, Rz 52, ab („Demnach dürfen die Mitgliedstaaten keine nationale Regelung fortgelten lassen, die die Vergabe öffentlicher Dienstleistungskonzessionen ohne Ausschreibung ermöglicht, da eine solche Vergabe gegen die Artikel 43 EG oder 49 EG oder gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz verstößt.“). Zur wechselseitigen Beachtlichkeit von EG-Primärrecht und den Vergaberichtlinien in der Rechtsprechung des EuGH siehe bereits allgemein oben Pkt I.D.2. sowie näher Holoubek/Fuchs, Der sachliche Geltungsbereich des BVergG 2002, in Griller/ Holoubek (Hrsg), Grundfragen, 63 (74 ff). Dies betrifft neben Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen insb die Vorschrift zur freiwilligen Bekanntmachung des Beschaffungswunsches auf Gemeinschaftsebene, die Bestimmungen zur außerstaatlichen Kontrolle durch die Europäische Kommission sowie Straf- und Übergangsbestimmungen.
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für die Beurteilung der Vergabe von Dienstleistungskonzessionsverträgen, was auch beim zivilrechtlichen Rechtsschutz zu beachten ist.
3. Anwendungsfelder Als Instrument zur Übertragung von Aufgaben an einen Privaten/ein privates Unternehmen kommen Bau- und Dienstleistungskonzessionen vor allem im Zusammenhang mit der Auslagerung der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge (Infrastrukturaufgaben) in den privaten Sektor zum Tragen. Dabei geht die Beauftragung zur Leistungserbringung mit der Übertragung der Nutzungsberechtigung an der zu erbringenden Leistung auf den privaten Betreiber (Konzessionär) einher. Je nach konkreter Ausgestaltung kann der solcherart für die betreffende Leistungserbringung begründeten Partnerschaft zwischen der öffentlichen Hand und dem Privaten (Public Private Partnership)186 ein Bau- oder Dienstleistungskonzessionsvertrag zugrunde liegen: Bestimmt der öffentliche Auftraggeber die zu errichtenden Bauwerke bzw die durchzuführenden Bauleistungen und erhält der Auftragnehmer anstatt des vollen Entgelts das Recht zur Nutzung dieses Bauwerks auf bestimmte Zeit, liegt ein Baukonzessionsvertrag vor187. Von einem Dienstleistungskonzessionsvertrag ist beispielsweise dann auszugehen, wenn dem Privaten das Nutzungsrecht an einer Infrastruktureinrichtung übertragen und er dazu ermächtigt wird, seine Leistungen durch Einhebung von Entgelten oder Gebühren bei den Leistungsempfängern zu finanzieren188. Die Vorzüge solcher „Konzessionsmodelle“, die ursprünglich der englischen bzw der französischen Rechtstradition entstammen, können gerade in Infrastruktursektoren (insbesondere Verkehr, Siedlungswasserwirtschaft) für den öffentlichen Partner darin gesehen werden, dass die - oft kostenintensive - Herstellung der (baulichen) Infrastruktur sowie deren nachfolgender Betrieb/die Bewirtschaftung auf Private übertragen werden kann, während die Gegenleistung zur Gänze oder zu einem guten Teil „lediglich“ darin besteht, dass dem Privaten das Nutzungsrecht an der von ihm erbrachten Leistung eingeräumt wird. Demgegenüber können die Anreize für den privaten Partner darin gesehen werden, dass er seine Leistungen eigenwirtschaftlich gegenüber Dritten, den eigentlichen Leistungsbeziehern, erbringen und verwerten kann, wenngleich damit freilich - wie bereits dargelegt - auch das unternehmerische Risiko an der Erbringung und Bewirtschaftung der erbrachten Leistung zu einem maßgeblichen Teil vom privaten Partner zu tragen ist.
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Zum Begriff und den Erscheinungsformen von Public Private Partnerships siehe überblicksweise Holoubek in Potacs/Rondo-Brovetto (Hrsg), Abfallwirtschaft, 31 (39 ff); näher Byok, Verhandlungsverfahren, 31 ff; Mitterndorfer/Weber (Hrsg), Public Private Partnerships, 2004; zu verfassungsrechtlichen, wettbewerbsrechtlichen und privatrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Einrichtung von PPPs vgl die einzelnen Beiträge in Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg), Public Private Partnership. So werden etwa Planung, Errichtung, Finanzierung und Betrieb höherrangiger Straßennetze - gegen Erstattung einer sog Schattenmaut an den Konzessionär - von der ASFINAG als Auftraggeberin als Baukonzession („PPP-Ostregion“) ausgeschrieben. In der Rs C-458/03, Parking Brixen, Slg 2005, I-8612, qualifizierte der EuGH die Übertragung des Betriebes eines Parkplatzes gegen das Recht auf Einhebung von Parkgebühren durch den Betreiber als Dienstleistungskonzession.
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G. Ausnahmen vom Geltungsbereich Das BVergG nimmt bestimmte, taxativ aufgezählte Auftragsvergaben von seinem Geltungsbereich explizit aus189. Das gilt ua für bestimmte Auftragsvergaben im Bereich der Landesverteidigung, für „Programmeinkäufe“ von öffentlichen Rundfunkanstalten, für Aufträge über Immobilien, für Arbeitsverträge, für bestimmte Aufträge über Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen sowie für finanzielle Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem „public debt management“190. Nach der ständigen Judikatur des EuGH sind die - im Wesentlichen im BVergG wörtlich aus den Vergaberichtlinien übernommenen - Ausnahmetatbestände, da sie die Anwendung des Vergaberechts ausschließen, eng auszulegen191. Bei richtigem Verständnis bedeutet das freilich nur, dass diese Ausnahmetatbestände nicht mit dem Ziel extensiv interpretiert werden dürfen, die Anwendung des Vergaberechts zu umgehen. Soweit freilich von seiner Begründung und seiner Zielsetzung, also seinem Normprogramm her ein Ausnahmetatbestand reicht, soweit will der (Gemeinschafts-) Gesetzgeber derartige Leistungsnachfragen auch nicht nach den Regelungen des Vergaberechts im technischen Sinn gestaltet wissen. Problematisch wäre es daher auch, auf diese ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommenen Fallkonstellationen unbesehen jene Grundsätze zu übertragen, die der EuGH für die aus ebenso ganz bestimmten Gründen aus dem (umfassenden) Regelungsbereich der Vergaberichtlinien ausgenommenen Auftragsvergaben entwickelt hat. Wenn, um ein Beispiel zu nennen, der Erwerb von Rechten an Grundstücken oder bestehenden Gebäuden wegen der mangelnden Eignung derartiger Rechtsgeschäfte für einen Vergabewettbewerb aus dem Vergaberecht ausgenommen ist (§ 10 Z 8 BVergG) oder Vergabeverfahren aufgrund gesetzlicher Bestimmungen für geheim erklärt sind (§ 10 Z 1 BVergG), dann wäre es mehr als widersprüchlich, diese Rechtsgeschäfte über allgemeine primärrechtliche Grundsätze erst recht wieder einem öffentlichen Vergabewettbewerb zu unterwerfen. Zu Recht weist der EuGH aber immer wieder darauf hin, dass die Beweislast dafür, dass die Umstände, die eine Inanspruchnahme des Ausnahmetatbestands rechtfertigen, demjenigen obliegt, der sich auf die betreffende Bestimmung berufen will192.
Im Einzelnen liegt den Ausnahmebestimmungen des § 10 BVergG eine jeweils unterschiedliche Begründung zugrunde. Einmal werden bestimmte Vergabeverfahren aus öffentlichen Ordnungs- und Sicherheitsinteressen vom Anwendungsbereich des BVergG ausgenommen193. Andere Ausnahmebestim189 190 191
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§ 10 BVergG. Vgl dazu forum Vergabe e.V. (Hrsg), Die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch die öffentliche Hand, 2001. So zB EuGH Rs C-414/97, Kommission/Spanien, Slg 1999, I-5585, Rz 21 f. Zur Auslegung der Ausnahmetatbestände vgl mwH auf die Judikatur Fruhmann in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 6, Rz 11 ff. Vgl zB EuGH Rs C-318/94, Kommission/Deutschland, Slg 1996, I-1949, Rz 13. Dies gilt etwa für aufgrund von bundes- oder landesgesetzlichen Bestimmungen für geheim erklärte Vergabeverfahren oder solche, die besondere Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen der Republik Österreich erfordern oder für bestimmte Vergabeverfahren im Bereich der militärischen Landesverteidigung, siehe § 10 Z 1 und Z 2 BVergG sowie dazu wie zu den Ausnahmebestimmungen des § 10 BVergG mutatis mutandis die Ausführungen von Fruhmann in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, zu § 6. Bei einzelnen Ausnahmetatbeständen wie etwa derjenigen zu bestimmten Finanzdienstleistungen für die öffentliche Hand ist allerdings zu beachten, dass die allgemeinen VergabeRL hier ge-
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mungen setzen an der mangelnden Eignung der in Rede stehenden Leistungen für Vergabeverfahren an. Dies betrifft in bestimmter Hinsicht etwa in § 10 Z 11 BVergG näher umschriebene Finanzinstrumente, die aufgrund der Eigengesetzlichkeiten der Kapitalmärkte oder der besonderen Sensibilität der Kapitalbeschaffung von öffentlichen Auftraggebern vom Anwendungsbereich des BVergG ebenso ausgenommen sind wie beispielsweise Arbeitsverträge, Aufträge über Schiedsgerichts- und Schlichtungstätigkeiten, Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen, soweit es sich nicht um „reine“ Auftragsforschung handelt194. Schließlich enthält § 10 BVergG auch Ausnahmetatbestände, die sozusagen „systemimmanent“ erforderlich sind. Dies gilt insbesondere für § 10 Z 15 BVergG, womit die Leistungsbeziehungen zwischen einer zentralen Beschaffungsstelle und denjenigen öffentlichen Auftraggebern, für die diese zentrale Beschaffungsstelle tätig wird, vom Anwendungsbereich des BVergG ausgenommen werden. Der Sinn der zentralen Beschaffungsstelle liegt ja darin, für die öffentlichen Auftraggeber gebündelt deren Leistungsnachfrage dem Vergabewettbewerb zu unterwerfen.
H. Inhouse-Vergaben Zentrales Anliegen des Vergaberechts ist es, die Nachfrage des Staates nach Leistungen auf dem Markt als Ergebnis eines Wettbewerbs der anbietenden Unternehmen zu organisieren. Leistungen, die der Staat selbst, also ohne Nachfrage am Markt und mit eigenen Ressourcen erbringt, sind demgegenüber, so die daraus im Allgemeinen gezogene Schlussfolgerung, vom Normzweck des Vergaberechts nicht umfasst. Insofern zählt die klassische staatliche „Eigenleistung“, also die Leistungserbringung durch (unselbständige) Einrichtungen, die dem leistungsnachfragenden Rechtsträger zuzurechnen sind (insbesondere Regiebetriebe), nicht zum Anwendungsbereich des Vergaberechts. In Weiterführung dieses Gedankens wird die Geltung des Vergaberechts auch für Auftragsvergaben an rechtlich verselbständigte, meist aus der staatlichen Verwaltung ausgegliederte Rechtsträger verneint, da, soweit der Rechtsträger (aufgrund der gewählten Organisationsform oder staatlicher Beherrschung) nach wie vor dem Staat zuzurechnen und damit vor allem wirtschaftlich nicht eigenständig ist, die begründete Rechtsbeziehung funktionell betrachtet einer staatlichen Eigenleistung äquivalent ist. Diese - im Allgemeinen als „Inhouse-Ver-
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genüber der früheren Rechtslage Modifikationen mit sich gebracht hat, die im konkreten Fall die Ausnahme vom Anwendungsbereich des Vergaberechts für derartige von öffentlichen Auftraggebern vergebenen Finanzdienstleistungen erweitern sollte; siehe dazu die Mat (1171 BlgNR 22. GP 31) sowie die Stellungnahme des BKA-VD vom 7.11.2006; weiters Jochum in Grabitz/Hilf (Hrsg), EU Kommentar, EL 25, 2005, B7, Rz 47 ff. Gemeint ist, dass die Ergebnisse der Forschungs- oder Entwicklungsleistungen ausschließlich im Eigentum des Auftraggebers für seinen Gebrauch bei der Ausübung seiner eigenen Tätigkeit verbleiben und die Dienstleistung auch vollständig vom Auftraggeber vergütet wurde. Werden daher einschlägige Ergebnisse publiziert, Dritten zur Verfügung gestellt oder auch nur teilweise vergütet, weil der Auftraggeber nur einen Teilbetrag zu den Forschungs- und Entwicklungskosten leistet, greift die Ausnahmebestimmung des § 10 Z 13 BVergG.
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gabe“195 bezeichnete - Ausnahme vom Anwendungsbereich des Vergaberechts soll, dem maßgebenden Urteil des EuGH in der Rechtssache Teckal196 folglich, allerdings nur dann zulässig sein, "wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben". Diese beiden so genannten Teckal-Kriterien wurden in der weiteren Judikatur des EuGH zum Teil konkretisiert, wenngleich sie nach wie vor viel Auslegungsspielraum für sich beanspruchen können. In Umsetzung der EuGH-Judikatur nimmt § 10 Z 7 BVergG Aufträge, die ein öffentlicher Auftraggeber durch eine Einrichtung erbringen lässt, über die er eine Aufsicht197 wie über eine eigene Dienststelle ausübt und die ihre Leistungen im Wesentlichen für den oder die öffentlichen Auftraggeber erbringt, die ihre Anteile innehaben oder aus denen sie sich zusammensetzt, aus seinem Geltungsbereich aus. Unter Berufung auf das „Inhouse-Privileg“ wurde es infolge der TeckalEntscheidung zunächst im Allgemeinen als zulässig angesehen, Aufträge an gemischt wirtschaftliche Unternehmen, die sich - mit öffentlicher Mehrheitsbeteiligung - aus einem public partner (der öffentlichen Hand: zB Gemeinde, Wasserverband) und einem oder mehreren Privaten (private partner) zusammensetzen, ohne Durchführung eines formellen Vergabeverfahren vergeben zu können. Nach Gründung der Kooperationsgesellschaft, die - als rein gesellschaftsrechtlicher Vorgang - „vergaberechtsneutral“ gewertet wurde, erfolgte die unmittelbare Betrauung der Kooperationsgesellschaft mit der Leistungserbringung für die öffentliche Hand. Dieses Modell des Public Private Partnership (so genanntes Kooperationsmodell) konnte vor allem von der Unbestimmtheit des vom EuGH statuierten „Beherrschungskriteriums“ profitieren, da in der Praxis vielfach bereits eine einfache Beteiligungsmehrheit der öffentlichen Hand an der Kooperationsgesellschaft als ausreichend für eine InhouseVergabe betrachtet wurde. Der EuGH hat schließlich in der Rechtssache Stadt Halle198 eine durchaus überraschende Klarstellung getroffen, indem er entschied, dass die - auch nur minderheitliche - Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist, 195
196 197
198
Die Terminologie ist uneinheitlich. Zum Teil wird bei der hier beschriebenen Konstellation auch von „Quasi-Inhouse-Vergaben“ - in Abgrenzung zur echten staatlichen Eigenleistung, der „wirklichen“ Inhouse-Vergabe - gesprochen. Vgl allgemein zum Geltungsbereich des Vergaberechts im Zusammenhang mit Ausgliederungen und Privatisierungen Eilmansberger, JBl 2001, 562 (563 ff) sowie mzwN Holoubek/ Segalla, Instrumente kommunaler Daseinsvorsorge - Evaluierung und Fortentwicklung, in FS Gemeindeverfassungsnovelle 2002, 63; für einen Überblick über die Judikatur des EuGH siehe Hardraht, In-house-Geschäfte, 21 ff. EuGH Rs C-107/98, Slg 1999, I-8121. Zwischen dem vom BVergG gebrauchten Begriff der „Aufsicht“ und dem Begriff der „Kontrolle“, wie er in der Judikatur des EuGH Verwendung findet, dürfte - auch in Ansehung der diesbezüglichen Ausführungen in den Mat - kein signifikanter Unterschied liegen. EuGH Rs C-26/03, Slg 2005, I-1.
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es auf jeden Fall ausschließt, dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen199. Zudem ist, der weiteren Rechtsprechung folgend, die Veräußerung von Anteilen einer öffentlichen Eigengesellschaft an einen Privaten in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Auftragsvergabe als - unzulässige Umgehung des Vergaberechts zu qualifizieren200. Selbst die verfahrensfreie Vergabe an eine vollständig im Eigentum des öffentlichen Auftraggebers stehende Gesellschaft ist nicht in jedem Fall zulässig, da das Kontrollkriterium auch dann als nicht erfüllt anzusehen ist, wenn der Gesellschaft im Verhältnis zum öffentlichen Auftraggeber eine weitreichende Selbstständigkeit eingeräumt ist. In diesem Zusammenhang hat der EuGH festgehalten, dass für das Vorliegen des Beherrschungskriteriums im Einzelfall zu prüfen ist, ob die fragliche Einrichtung einer Kontrolle unterworfen ist, die es der konzessionserteilenden öffentlichen Stelle ermöglicht, auf die Entscheidungen dieser Einrichtung einzuwirken. Es muss sich dabei um die Möglichkeit handeln, sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen201. Unter diesem Gesichtspunkt widerspricht es insbesondere auch dem Vergaberecht, Verwaltungskooperationen, also vertragliche Beziehungen zwischen Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung, schlechthin vom Anwendungsbereich des Vergaberechts auszuschließen202. Vielmehr sind öffentliche Auftraggeber auch dann, wenn sie ihrerseits nur mit öffentlichen Auftraggebern kontrahieren, nicht grundsätzlich von der Durchführung eines Vergabeverfahrens befreit203. Die Rechtsprechung des EuGH lässt allerdings nach wie vor eine Reihe von Fragen offen bzw beantwortet sie nur unvollständig. So kann aus der Judikatur abgeleitet werden, dass eine Inhouse-Beziehung nur dann vorliegt, wenn tatsächlich ein öffentlicher Auftraggeber die ausgegliederte Einrichtung beherrscht204. Damit wäre es unzulässig, wenn beispielsweise drei Gemeinden einen ihnen anteilsmäßig zu gleichen Teilen zuzurechnenden ausgegliederten Rechtsträger mit der Erbringung von Leistungen ausschließlich für diese drei Gemeinden betrauen. Von der Begründung wäre das nur dann konsequent, wenn man205 ausschließlich darauf abstellt, dass bei einer Inhouse-Beziehung 199 200 201
202 203 204
205
Siehe dazu die Anmerkungen von Potacs, ZfV 2005, 513 ff sowie Damjanovic/ Fuchs, Juridikum 2005, 138 ff. EuGH Rs C-29/04, Stadt Mödling, Slg 2005, I-9705. EuGH Rs C-458/03, Parking Brixen, Slg 2005, I-8612, Rz 64 ff; vgl auch EuGH Rs C-340/04, Carbotermo, Slg 2006, I-4137, sowie weiters Rs C-410/04, ANAV, Slg 2006, I-3303, Rz 30, wonach die freihändige Vergabe an eine vollständig im Eigentum der vergebenden Gemeinde stehende Aktiengesellschaft dann mit dem Gemeinschaftsrecht in Konflikt geraten kann, wenn das Kapital der Gesellschaft während der Laufzeit des in Rede stehenden Vertrags privaten Aktionären geöffnet würde (vgl dazu die Urteilsbesprechung von Kämmerer, JZ 2006, 964 ff). EuGH Rs C-84/03, Kommission/Spanien, Slg 2005, I-139, insb Rz 37 ff. EuGH 18.1.2007, Rs C-220/05, Auroux. Siehe dazu mwH Potacs, Aktuelle EuGH-Judikatur: Konsequenzen aus EuGH Stadt Halle und Parking Brixen, in: Schramm/Aicher (Hrsg), Vergaberecht und PPP III, 2006, 121 (131 f). Wie etwa Eilmansberger, Vergaberechtliche Schranken von Ausgliederungen und Privatisierungen, JBl 2001, 562 (565).
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keine echte Vertragsfreiheit auf beiden Seiten herrscht, weil der eine Vertragspartner durch den anderen auch beim konkreten Vertragsabschluss bestimmt werden kann. Fasst man demgegenüber die Begründung für die InhouseVergabe weniger instrumental denn funktional auf und stellt auf die Frage ab, ob eine Leistungsnachfrage am Markt erfolgt oder nicht, dann eröffnet ein solches Ergebnis Wertungswidersprüche. Es bliebe dann nämlich den organisationsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten überlassen, ob eine Inhouse-Beziehung vorliegt oder nicht. Unter diesem Blickwinkel erschiene es konsequenter, darauf abzustellen, ob die Leistungserbringung durch den ausgegliederten Rechtsträger grundsätzlich im konkreten Fall für den privaten Sektor geöffnet werden oder ausschließlich im Verbandsbereich der öffentlichen Hand erfolgen soll. Diesem Ansatz folgend wäre es dann auch konsequent, „öffentliche Konzernbeziehungen“ solange vom Vergaberecht auszunehmen, als die genannte Voraussetzung - dass nämlich keine Leistungsnachfrage am Markt erfolgt und auch der Leistungserbringer seinerseits nicht der Sphäre des Marktes, sondern funktional betrachtet der Verbandssphäre der öffentlichen Hand zuzurechnen ist, weil er am Markt keine, oder genauer: nur untergeordnete Tätigkeiten im Sinne des zweiten Teckal-Kriteriums erbringt - vorliegt. Wählt man diesen Begründungsansatz, sind weitergehende Inhouse-Konstellationen im öffentlichen Rechtsträgerverbund, also insbesondere bei Verwaltungskooperationen, möglich. Daraus folgt aber auch, dass ein Tätigwerden der leistungserbringenden Verwaltungseinrichtungen206 am Markt nur in wirklich untergeordnetem Ausmaß erfolgen darf. Das zweite Teckal-Kriterium ist in dieser Auslegung daher nur die konsequente Fortsetzung der Begründung des ersten207. Hinsichtlich des Kriteriums der „wesentlichen“ Leistungserbringung für den beherrschenden öffentlichen Auftraggeber wurde in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH denn auch klargestellt, dass es darauf ankommen soll, ob die betreffende Einrichtung hauptsächlich für diese Körperschaft tätig wird und jede andere wirtschaftliche Tätigkeit rein nebensächlich ist. Für die Beurteilung sind alle Tätigkeiten zu berücksichtigen, die diese Einrichtung aufgrund einer Vergabe durch den öffentlichen Auftraggeber verrichtet, unabhängig davon, wer diese Tätigkeit vergütet208. Daraus kann geschlossen werden, dass in bestimmtem, jedenfalls untergeordnetem Ausmaß auch Leistungen für Dritte am Markt durch den ausgegliederten Rechtsträger zulässig sind, sofern es sich dabei nicht um einen bedeutenden Teil seiner wirtschaftlichen Tätigkeit handelt, der es für sich nicht (mehr) rechtfertigen würde, Auftragsvergaben an eine an sich am Markt im Wettbewerb mit anderen Unternehmen tätige Einrichtung vom Vergaberecht auszunehmen. Klargestellt ist in der Rechtsprechung des EuGH, dass die Konstellation einer „Inhouse-Vergabe“ auch bei Dienstleistungskonzessionen mit der Folge vorliegen kann, dass die an sich aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Anforde206 207
208
Das ist jetzt rechtsformunabhängig gemeint. In diese Richtung geht die Begründung des EuGH in der Rs C-458/03, Parking Brixen, Slg 2005, I-8612, Rz 67, wenn für das Vorliegen des Kontrollkriteriums auf den Grad der (erreichten bzw zu erwartenden) Marktausrichtung des betreffenden Rechtsträgers abgestellt wird. EuGH Rs C-340/04, Carbotermo, Slg 2006, I-4137, Rz 60 ff.
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rungen an die Vergabe derartiger Konzessionsverträge auf die InhouseBeziehung nicht zur Anwendung kommen209.
J. Schwellenwerte Das BVergG erfasst Aufträge ober- wie unterhalb der Schwellenwerte. Mit dem Erreichen der Schwellenwerte der Vergaberichtlinien sind jedoch besondere Rechtsfolgen verbunden. So gelangt im USB ein flexibleres vergaberechtliches Regime zur Anwendung, dem Auftraggeber kommt bei der Wahl der Vergabeverfahrensart eine größere Auswahlmöglichkeit zu, bestimmte Fristen verkürzen sich für den USB entsprechend, etc. Die Höhe der Schwellenwerte ist einerseits bestimmt durch die Richtlinienvorgaben, andererseits durch jene Auftragswerte, die für die Anwendung des GPA maßgeblich sind und dort in SZR (Sonderziehungsrechten) ausgedrückt werden. Das BVergG gibt - wie auch die Vergaberichtlinien - die Schwellenwerte in Euro an210. Die Schwellenwerte variieren je nach den einzelnen Auftragsarten und betragen zusammengefasst und vereinfacht211: klassischer Bereich Lieferaufträge Bauaufträge und Baukonzessionsverträge Dienstleistungsaufträge und Dienstleistungskonzessionsverträge Sektorenbereich Liefer- und Dienstleistungsaufträge sowie Dienstleistungskonzessionsverträge Bauaufträge und Baukonzessionsverträge
Schwellenwert EUR 211.000,EUR 5.278.000,EUR 211.000,Schwellenwert EUR 422.000,EUR 5.278.000,-
Für Auftragsvergaben durch bestimmte, in Anhang V BVergG verzeichnete so genannte zentrale öffentliche Auftraggeber, gelten besondere - etwas niedrigere - Schwellenwerte212. Für die Berechnung der Schwellenwerte kennt das BVergG besondere Berechnungsvorschriften213. Ganz grundsätzlich bestimmen sich die Schwellenwerte nach dem geschätzten Auftragswert, also dem Gesamtwert ohne USt, der 209 210
211 212
213
EuGH Rs C-458/03, Parking Brixen, Slg 2005, I-8612; Rs C-410/04, ANAV, Slg 2006, I-3303, Rz 24 ff; Rs C-340/04, Carbotermo, Slg 2006, I-4137, Rz 34 ff. Die Schwellenwerte sind in Anbetracht möglicher Kursschwankungen zwischen Euro und SZR von der Europäischen Kommission regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls neu festzusetzen (Art 78 allgemeine VergabeRL). Siehe dementsprechend die Verordnung (EG) 2083/2005 der Kommission vom 19.12.2005 zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Schwellenwerte für die Anwendung auf Verfahren zur Auftragsvergabe, Abl L 333 vom 20.12.2005, 28. §§ 12, 180 BVergG idF der SchwellenwerteVO 2006. Die Differenzierung zwischen „normalen“ und zentralen öffentlichen Auftraggebern hat ihre Ursache in der entsprechenden Kategorisierung des GPA („central government entities“, „sub-central government entities“).. §§ 13 ff, 181 ff BVergG.
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vom Auftraggeber voraussichtlich zu zahlen ist. Die Berechnung des geschätzten Auftragswerts ist vom Auftraggeber in sachkundiger Weise vorzunehmen. Die Wahl der angewandten Berechnungsmethode darf nicht mit der Absicht erfolgen, die Anwendung des BVergG zu umgehen. Unzulässig ist es insbesondere, gleichartige, sachlich und zeitlich in Zusammenhang stehende Aufträge zu splitten, um das Erreichen der maßgeblichen Schwellenwerte zu vermeiden214. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des geschätzten Auftragswerts ist die Einleitung des Vergabeverfahrens durch den Auftraggeber215. Der geschätzte Auftragswert ist somit vom Auftraggeber ex ante zu ermitteln; stellt sich im Laufe des Vergabeverfahrens heraus, dass der Auftragswert tatsächlich höher ist, schadet dies nicht, solange die ex ante Schätzung sachgerecht und angemessen erfolgt und auch entsprechend dokumentiert ist.
V. Das Vergabeverfahren nach dem BVergG A. Grundsätze des Vergabeverfahrens Das BVergG enthält in den §§ 19 ff allgemein gefasste Grundsätze des Vergabeverfahrens für Auftragsvergaben ober- und unterhalb der Schwellenwerte. Schlagwortartig lassen sich diese wie folgt zusammenfassen: • Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten und des Diskriminierungsverbots • freier und lauterer Wettbewerb • Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter216. Diese Grundsätze, insbesondere der Grundsatz des fairen und gleichen Vergabewettbewerbs, umschreiben das Leitbild der vom BVergG geregelten Vergabeverfahren, auf das letztlich das genannte Regelungsregime ausgerichtet ist. Darüber hinaus finden sich eine Reihe weiterer Grundsätze, die aber ihrerseits immer zu diesem Leitbild in Bezug zu setzen sind: • Vergabe an befugte, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmer • Vergabe zu angemessenen Preisen • tatsächliche Vergabeabsicht des Auftraggebers • Bedachtnahme auf die Umweltgerechtheit der Leistung • Möglichkeit zur Berücksichtigung sozialer Aspekte. Zusammengefasst sind Aufträge über Leistungen nach einem im BVergG vorgesehenen Verfahren, unter Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten sowie des Diskriminierungsverbots entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs und der Gleichbehandlung aller Bewerber
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Vgl hiezu § 13 Abs 4 BVergG. Dies wird im offenen Verfahren etwa durch die Absendung der Vergabebekanntmachung bewirkt. Zur Unterscheidung zwischen Bietern und Bewerbern siehe § 2 Z 12 und 13 BVergG sowie unten Pkt V.B.2. Soweit im Folgenden nicht näher zwischen Bietern und Bewerbern differenziert wird, wird der Begriff „Bieter“ als Oberbegriff verstanden.
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und Bieter an befugte, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmer zu angemessenen Preisen zu vergeben. Diesen Grundsätzen des Vergabeverfahrens kommt im System des BVergG herausragende Bedeutung zu. Zahlreiche Einzelvorschriften betreffend das Vergabeverfahren lassen sich als Konkretisierung und Ausgestaltung dieser allgemeinen Grundsätze eines fairen und gleichen Vergabewettbewerbs verstehen. Das bedeutet aber auch, dass diese Einzelvorschriften im Lichte der allgemeinen Grundsätze zu interpretieren sind. Ihnen kommt also wesentliche auslegungssteuernde Funktion zu. Die Vergabegrundsätze bauen zu einem Großteil auf den entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen - vor allem den primärrechtlichen - Vorgaben bzw deren einschlägiger Konkretisierung durch die Rechtsprechung des EuGH auf217.
1. Freier, fairer und lauterer Wettbewerb Die Grundsätze des freien, fairen und lauteren Wettbewerbs sowie der Gleichbehandlung der Bieter sind bestimmend für den Verlauf des Vergabeverfahrens und für die Vorgehensweise der daran Beteiligten. An ihrem Maßstab sind die Entscheidungen des Auftraggebers und die Verhaltensweisen der Bieter zu bewerten. Angesprochen ist damit sowohl das Verhältnis des Auftraggebers zu den Bietern, als auch dasjenige der Bieter untereinander. Freier Wettbewerb bezeichnet den ungehinderten, also keinen unzulässigen Zugangs- oder Ausübungsbeschränkungen unterliegenden Wettbewerb. Das Gebot des fairen Wettbewerbs muss im Verhältnis des Auftraggebers zu den Bietern bzw in den Beziehungen der Bieter untereinander verwirklicht sein. Der Auftraggeber hat sich in diesem Sinne bei der Auftragsvergabe auf sachliche und objektive Forderungen zu beschränken. Der unlautere Wettbewerb betrifft schließlich das Verhältnis zwischen den Bietern und richtet sich gegen wettbewerbswidrige Absprachen auf Unternehmerseite. Das BVergG sieht spezifische Mechanismen vor, die wettbewerbswidriges Verhalten der Bieter für den konkreten Vergabewettbewerb unterbinden sollen. Zudem stellt es dem Auftraggeber Instrumente zur Verfügung, anhand derer dem Vergabewettbewerb abträgliche Verhaltensweisen der Bieter für das betreffende Vergabeverfahren sanktioniert werden können bzw müssen218. Obgleich das Vergaberecht im Rahmen des Wettbewerbsprinzips gewisse Aspekte des Verhältnisses der Bieter untereinander aufgreift, ist doch das Verhältnis der Unternehmer untereinander primär eine Frage des allgemeinen Wettbewerbsrechts219. So ist es vor allem Aufgabe des Kartellrechts, dafür Sorge zu tragen, dass der Anbieterwett217 218
219
Insofern sei auf die Ausführungen zu den primärrechtlichen Grundlagen des Vergaberechts verwiesen (Pkt I.D.2.). Insbesondere zählen wettbewerbswidrige Unternehmensabsprachen zu den Gründen, die zum Ausscheiden des betreffenden Angebots/der Angebote aus dem Vergabeverfahren führen. Unten Pkt V.C.6.c. So hat der OGH auf das UWG gestützte Ansprüche eines Bieters gegen einen anderen Mitbieter in einem Vergabeverfahren daraufhin zugelassen, dass der Bieter seine Teilnahme am Vergabeverfahren unterlässt, weil er den Auftraggeber bewusst zu einem seinen Wettbewerb fördernden gesetzwidrigen Handeln veranlasste; zB OGH 13.9.1999, 4 Ob 155/99v.
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bewerb nicht durch kartellrechtswidrige Vorgehensweisen unterlaufen wird220. Die Teilnahme subventionierter Unternehmen am Wettbewerb und damit auch am Vergabewettbewerb ist eine Frage des Beihilfenrechts und daher auch keine solche, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Ausschlussgründe in einem Vergabeverfahren zu prüfen hat221.
2. Gleichbehandlungsgebot Das vergaberechtliche Gleichbehandlungsgebot hat seine Wurzeln im gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot, das die Gleichstellung aller Bieter gebietet und die Diskriminierung von Staatsangehörigen der EU gegenüber Inländern untersagt. Auch der verfassungsrechtlich verankerte Gleichbehandlungsgrundsatz wird durch die Bestimmungen des BVergG näher ausgestaltet. Konkretisiert wird der Gleichbehandlungsgrundsatz in zahlreichen Bestimmungen des BVergG, unter anderem durch das Gebot der neutralen Leistungsbeschreibung, auf deren Grundlage keinem Bieter Wettbewerbsvorteile eingeräumt werden dürfen222 oder durch das Verbot diskriminierender technischer Spezifikationen223. Produktspezifische Ausschreibungen zählen zu den klassischen Fällen der Verletzung des Gleichbehandlungsgebots, weil damit anderen Herstellern von vornherein die Möglichkeit genommen würde, am Vergabeverfahren mit Erfolgschancen teilzunehmen. Die Verwendung von Produktbezeichnungen ist daher nur im Ausnahmefall (wenn der Auftragsgegenstand sonst nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann) und nur unter der Bedingung zulässig, dass durch den ausdrücklichen Zusatz „oder gleichwertig“ klargestellt wird, dass auch andere funktionsäquivalente Produkte die Leistungsanforderung erfüllen224.
3. Transparenzgebot Dem Diskriminierungsverbot bzw dem Gleichbehandlungsgebot entnimmt die Rechtsprechung ein Gebot zur Transparenz, das dem gesamten Vergaberecht zu Grunde liegt225. Transparenz ist die Voraussetzung von Wettbewerb. Indem ein angemessener Grad an Öffentlichkeit zugunsten potentieller Bieter hergestellt wird, wird nicht nur ein größerer Interessentenkreis angesprochen, es wird ganz allgemein das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfah220
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225
Die Konsequenzen eines Verstoßes gegen kartellrechtliche Bestimmungen sind demzufolge ebenfalls anhand des Kartellrechts zu beurteilen und können die Nichtigkeit der Kartellabsprache sowie Schadenersatz- und Unterlassungsansprüche bewirken. EuGH Rs C-94/99, ARGE Gewässerschutz, Slg 2000, I-11037, Rz 27; siehe auch Eilmansberger, Die Bedeutung der Subventionierung von Auftraggebern und Bietern im Vergabeverfahren, RPA 2004, 78 ff. § 96 Abs 3 BVergG. Siehe § 98 BVergG. § 98 Abs 7 BVergG. Vgl aus der Spruchpraxis zB BVA 24.5.2006, N/0025BVA/04/2006-28: Soweit es sich bei den zu liefernden Produkten um alltägliche persönliche Gebrauchs- und Verbrauchsgüter handelt, die hinreichend genau in einer allgemein verständlichen Bezeichnung in einer Ausschreibung beschrieben werden können, stellt der namentliche Verweis auf bisher verwendete Produkte einen Verstoß gegen § 98 BVergG dar. Zum gemeinschaftsrechtlichen Transparenzgrundsatz siehe bereits oben Pkt I.D.2.b.
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rens gefördert und die Grundlage für eine objektive Nachprüfbarkeit des Vergabevorgangs geschaffen. Ausgestaltet wird das Transparenzgebot zunächst durch eine Vielzahl von Bekanntmachungsvorschriften226. Transparenz soll aber insbesondere auch sicherstellen, dass die Spielregeln in einem Vergabeverfahren bereits am Anfang feststehen und den Bietern auch bekannt sind.
4. Vorarbeiten Als besondere Ausprägung des Grundsatzes eines fairen und lauteren Vergabeverfahrens ist die Bestimmung des § 20 Abs 5 BVergG hinsichtlich der Durchführung so genannter Vorarbeiten zu verstehen: Unternehmer, die an der Erarbeitung der Unterlagen für das Vergabeverfahren mittelbar oder unmittelbar beteiligt waren sowie mit diesen verbundene Unternehmen sind von der Teilnahme am Vergabeverfahren um die Leistung auszuschließen227, soweit durch ihre Teilnahme ein fairer und lauterer Wettbewerb ausgeschlossen wäre228. Vergaberechtlich problematisch ist die Mitarbeit an der Erarbeitung von Unterlagen für das Vergabeverfahren vor allem deshalb, weil der Unternehmer durch seine vorarbeitende Tätigkeit spezifische Vorkenntnisse des Sachverhalts erwerben kann, die ihn gegebenenfalls im späteren Vergabeverfahren von einem Wissens- und Zeitvorsprung und damit von einem Wettbewerbsvorteil den anderen Bietern gegenüber profitieren lassen. Nicht jede Beteiligung eines Unternehmens an Vorarbeiten muss allerdings zwingend zum Ausschluss vom Vergabeverfahren führen. Zum einen kommt es darauf an, ob eine solche Beteiligung tatsächlich einen (relevanten) Wettbewerbsvorsprung bewirkt, was unter Berücksichtigung von Art und Gegenstand des zur Vergabe stehenden Auftrags zu beurteilen ist229. Kann der Wissens- oder Zeitvorsprung des an Vorarbeiten beteiligten Bieters im Verhältnis zu den anderen Bietern ausgeglichen werden (zB durch Weitergabe der relevanten Informationen an alle Bieter und durch entsprechende Verlängerung der Angebotsfrist) und damit die Gleichheit der Wettbewerbschancen der Bieter wiederhergestellt werden, entfällt auch die Notwendigkeit des Ausschlusses vom Vergabeverfahren230. Zum anderen ist das Absehen vom Ausschluss vom Vergabeverfahren jedenfalls dann zulässig, wenn auf die Beteiligung des vorarbeitenden Unternehmers in begründeten Ausnahmefällen nicht verzichtet werden kann. Ein 226 227 228
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Siehe dazu noch unten Pkt V.C.1. Zum Gebot, das betreffende Angebot vom Verfahren auszuscheiden, siehe § 129 Abs 1 Z 1 BVergG. Der EuGH hat in seinem Urteil in der Rs C-21/03 ua, Fabricom, Slg 2005, I-1559, Rz 36, ausgesprochen, dass einem Unternehmer, der an Vorarbeiten beteiligt war, jedenfalls die Möglichkeit gegeben werden muss, darzulegen, dass nach den Umständen des Einzelfalles die von ihm erworbene Erfahrung den Wettbewerb nicht verfälschen konnte. In den Mat (1171 BlgNR 22. GP 42) heißt es dazu, dass marginale Wettbewerbsbeeinträchtigungen durch die Beteiligung an Vorarbeiten von dieser Regelung toleriert werden. Da aber jedenfalls auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles und den tatsächlich entstandenen Wettbewerbsvorteil abzustellen ist, ist ein kategorischer Ausschluss von an Vorarbeiten beteiligten Bietern unzulässig; siehe VfSlg 16.211/2001. Jedenfalls hat der Auftraggeber den Beweis dafür zu führen, dass eventuelle Wettbewerbsvorteile durch entsprechende Maßnahmen ausgeglichen wurden.
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solcher „begründeter Ausnahmefall“ wird vor allem dann vorliegen, wenn die Teilnahme des vorarbeitenden Bieters am Vergabeverfahren notwendig ist, um überhaupt einen Vergabewettbewerb zu ermöglichen.
5. Vergabe an befugte, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmer Der Auftragnehmer muss nach dem Grundsatz der Vergabe an befugte, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmer zur Leistungserbringung nicht nur berechtigt, sondern auch wirtschaftlich und technisch leistungsfähig und zuverlässig sein. Angebote, die diese Kriterien nicht erfüllen, sind im Zuge der Eignungsprüfung231 auszuscheiden.
6. Vergabe zu angemessenen Preisen Der Grundsatz der Vergabe zu angemessenen Preisen dient der Gewährleistung effektiven Wettbewerbs. Die Angemessenheit eines Preises soll Ausdruck der am relevanten Markt bestehenden Verhältnisse sein. Solange das Verhältnis zwischen Preis und Leistung nicht ungewöhnlich ist, ist von der Preisangemessenheit auszugehen. Werden die Regelungen des Vergaberechts eingehalten, so streitet für das Ergebnis des Vergabeverfahrens die Richtigkeitsgewähr des Vergabewettbewerbs. Konkretisiert wird der Grundsatz der Preisangemessenheit in den §§ 123 ff BVergG: Die eingelangten Angebote sind ua auf ihre Preisangemessenheit zu prüfen. Dabei hat der Auftraggeber von vergleichbaren Erfahrungswerten, von den vorliegenden Unterlagen und den jeweils relevanten Marktverhältnissen auszugehen. Weisen die geprüften Angebote im Verhältnis zur Leistung ungewöhnliche Preise auf, sind sie einer vertieften Angebotsprüfung zu unterziehen232.
7. Tatsächliche Absicht zur Auftragsvergabe Als weiteren Vergabegrundsatz enthält § 19 Abs 4 BVergG das Gebot, Vergabeverfahren nur durchzuführen, wenn tatsächlich die Absicht zur Auftragsvergabe besteht. Dem Auftraggeber ist es demnach insbesondere untersagt, ein Vergabeverfahren zum bloßen Zweck durchzuführen, die Marktlage bzw das Preisniveau für die gewünschte Leistung zu erkunden oder Lösungsvorschläge von interessierten Unternehmern einzuholen233. Der Grundsatz der Leistungsvergabe beinhaltet aber nicht nur ein subjektives Wollenselement, sondern auch die objektive Möglichkeit, das beabsichtigte Vergabeverfahren tatsächlich durchzuführen. Der Auftraggeber muss mit anderen Worten Vorsorge für die technische und finanzielle Abwicklung treffen234, also insbesondere die budgetäre und personelle Deckung für die Projektdurch-
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Unten Pkt V.C.5. Näher Pkt V.C.6.a. 1171 BlgNR 22. GP 39. 1171 BlgNR 22. GP 39.
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führung sicherstellen, andernfalls hat eine Verfahrenseinleitung zu unterbleiben235. Gleichwohl ist der Auftraggeber nicht verpflichtet, ein Vergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden (kein „Zwang zum Zuschlag“)236, das Verfahren kann auch mittels Widerruf ergebnislos abgebrochen werden. Freilich hat die schuldhafte Verwirklichung eines Widerrufsgrundes durch den Auftraggeber im Regelfall schadenersatzrechtliche Konsequenzen237.
8. Berücksichtigung „vergabefremder“ Kriterien Im Zuge öffentlicher Beschaffungsvorhaben dürfen - dem Gedanken wirtschaftlicher Effizienz folgend - grundsätzlich nur solche Kriterien eine Rolle spielen, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Auftrag stehen und die Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots nach betriebswirtschaftlichen Effizienzgesichtspunkten ermöglichen. Das Vergaberecht sieht allerdings Durchbrechungen von diesem marktwirtschaftlichen Konzept des Vergabeverfahrens vor und ermöglicht es den Auftraggebern, auch andere als rein ökonomische Belange zu verfolgen. Diese anderen Aspekte, die für den Auftraggeber bei der Beschaffung ebenfalls eine Rolle spielen können, die als solche allerdings nicht rein wirtschaftlicher Natur sind, werden gemeinhin als Sekundärzwecke der Vergabe oder vergabefremde Kriterien (weil nicht mit dem Auftragsgegenstand in unmittelbarem Zusammenhang stehend) bezeichnet238. Das BVergG enthält mehrere Bestimmungen, die auf die Einbeziehung von Sekundärzwecken in den Beschaffungsvorgang Bezug nehmen, wobei zwischen den verfolgten Zwecken differenziert wird und im Hinblick darauf wiederum unterschiedliche Regelungen zum Tragen kommen. Die zentralen Bestimmungen für die Möglichkeit zur Berücksichtigung sekundärer Ziele im Rahmen öffentlicher Auftragsvergaben bilden § 19 Abs 5 und 6 BVergG, die im Wesentlichen zwischen der Berücksichtigung ökologischer und sozialer Belange unterscheiden und in zahlreichen weiteren Bestimmungen näher konkretisiert werden. Gemäß § 19 Abs 5 BVergG hat der Auftraggeber im Vergabeverfahren auf die Umweltgerechtheit der Leistung Bedacht zu nehmen. Demgegenüber ist er gemäß § 19 Abs 6 BVergG zur Berücksichtigung sozialpolitischer Belange 235
236 237 238
Mit dem Grundsatz der Vergabeabsicht korrespondieren die Vorschriften über den Widerruf der Ausschreibung: Zwar ist ein Widerruf bei einem nachträglichen und unvorhergesehenen Wegfall der budgetären Deckung oder bei einem durch überhöhte Angebotspreise bewirkten Überschreiten des vorgesehenen, anhand sorgfältiger Auftragswertschätzung ermittelten Kostenrahmens als zulässig anzusehen (siehe VwGH 2001/04/0106, sowie B-VKK 27.1.1997, Siehe-4/97). Ein Auftraggeber, der nur unverbindlich den Markt erkunden will und sich im Rahmen eines Vergabeverfahrens Lösungsvorschläge oder Preisvergleiche erhofft, dem es also an der Vergabeabsicht mangelt, wird hingegen, wenn er das Vergabeverfahren aus diesem Grund widerruft, im Allgemeinen den Bietern gegenüber schadenersatzpflichtig werden. In diesem Sinne die ständige Rechtsprechung des EuGH (zB Rs C-244/02, Kauppatalo Hansel Oy, 2003 Seite I-12139, Rz 24 ff). Zum Vergaberechtsschutz durch Schadenersatz siehe unten Pkt VII.B.6. Vgl eingehend Benedict, Sekundärzwecke, 69 ff; Burgi in Grabitz/Hilf (Hrsg), EU Kommentar, EL 23, 2003, B13, Rz 1 ff; weiters Scharpenack, Sekundärzwecke im Vergaberecht, 2004.
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(Beschäftigung von Frauen, von Personen im Ausbildungsverhältnis, von Langzeitarbeitslosen, von Menschen mit Behinderung und älteren Arbeitnehmern, etc) ausdrücklich nur berechtigt, nicht jedoch verpflichtet. Ungeachtet dessen, ob im Einzelnen auf ein Umwelt- oder auf ein Sozialkriterium abgestellt werden soll, bedarf die Einbeziehung vergabefremder Kriterien - im Sinne des vergaberechtlichen Transparenzgebotes - einer entsprechenden Festlegung des Auftraggebers zu Beginn des Vergabeverfahrens, also in der Bekanntmachung bzw der Ausschreibung. Bei der Anwendung der von ihm festgelegten Kriterien hat der Auftraggeber zudem auf die Gleichbehandlung aller Bieter und Bewerber Bedacht zu nehmen, insbesondere darf der freie und lautere Vergabewettbewerb nicht beeinträchtigt werden239. Im Laufe eines Vergabeverfahrens kommen verschiedene Stadien in Betracht, die prinzipiell für eine Berücksichtigung vergabefremder Aspekte Bedeutung gewinnen können. Dem chronologischen Ablauf eines Vergabeverfahrens folgend zählen dazu die Bestimmung des Leistungsgegenstandes, die Leistungsbeschreibung und die Festlegung der technischen Spezifikationen, die Berücksichtigung im Rahmen der Ausschlussgründe und bei der Festlegung der Eignungskriterien, die Festlegung der Zuschlagskriterien sowie die Festlegung von Bedingungen für den Leistungsvertrag240. Nach der Rechtsprechung des EuGH241 dürfen vergabefremde Aspekte nur soweit berücksichtigt werden, als • sie mit dem konkreten Auftragsgegenstand zusammenhängen, • das Diskriminierungsverbot und die wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts Beachtung finden und • dem Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit eingeräumt wird. Soweit der EuGH sohin darauf abstellt, dass nur auftragsbezogene Kriterien (also Kriterien, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Auftrag stehen) eine objektive und nichtdiskriminierende Auswahl des wirtschaftlich und technisch günstigsten Angebotes sicherstellen können, ist davon auszugehen, dass sozialpolitische Zielsetzungen, die typischer Weise Eigenschaften des Unternehmens, nicht hingegen des Auftragsgegenstandes zum Gegenstand haben242,
239 240 241
242
§ 19 Abs 1 BVergG. Diese Aufzählung geht über den Katalog des § 19 Abs 5 bzw 6 BVergG hinaus, dem offenbar demonstrativer Charakter zukommen soll (arg „insbesondere“). Als wesentliche Eckpunkte der Judikatur des EuGH zur Frage der Zulässigkeit vergabefremder Kriterien können die Urteile Rs 31/87, Beentjes, Slg 1988, 4635; Rs C-225/98, Nord-Pas-de-Calais, Slg 2000, I-7445; Rs C-513/99, Concordia Bus Finland, Slg 2002, I-7213 sowie Rs C-448/01, EVN und Wienstrom, Slg 2003, I-14527, genannt werden, wobei zu konstatieren ist, dass sich in der Rsp des EuGH zur Reichweite der Zulässigkeit vergabefremder Kriterien - insbesondere auch zur Frage, inwieweit die vom GH entwickelten Kriterien gleichermaßen auf ökologische wie auf soziale Aspekte zutreffen - (noch) keine eindeutige Linie entwickelt hat. Wenn insb auf Aspekte der Personalstruktur des anbietenden Unternehmens abgestellt wird.
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nach der derzeit geltenden Rechtslage im Vergabeverfahren nur in eingeschränktem Ausmaß Berücksichtigung finden dürfen243. Auftraggeber sind darüber hinaus gemäß § 21 BVergG berechtigt, bestimmte Aufträge geschützten Werkstätten oder integrativen Betrieben vorzubehalten. Bekanntmachungen haben auf diese Einschränkung hinzuweisen.
B. Arten und Wahl der Vergabeverfahren 1. Vergabeverfahrensarten Der Auftraggeber kann sich einem gewissen Spektrum an Verfahrensarten bedienen, um den Unternehmer zu ermitteln, der die von ihm gewünschte Leistung erbringen soll. Das BVergG enthält detaillierte Regelungen, wann welches Vergabeverfahren gewählt werden kann. Ganz grundsätzlich stehen dem Auftraggeber das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren, die Rahmenvereinbarung, das dynamische Beschaffungssystem, der wettbewerbliche Dialog und die Direktvergabe zur Verfügung244. In Kombination mit anderen Verfahren kann der Auftraggeber zur Ermittlung des Angebotes, dem der Zuschlag erteilt werden soll, auch die elektronische Auktion heranziehen. Die Aufzählung der Vergabeverfahren ist insofern als abschließend zu betrachten, als sich der Auftraggeber bei der Auftragsvergabe immer eines der genannten Vergabeverfahren bedienen muss („numerus clausus“ möglicher Verfahrensarten)245, ohne dabei die einzelnen Vergabeverfahrensarten zu vermischen (Typenzwang). Insbesondere ist es nicht zulässig, während eines laufenden Verfahrens zwischen den verschiedenen Verfahren zu wechseln. Das Verfahren muss in der am Beginn gewählten Form beendet werden, andernfalls hat der Auftraggeber das gewählte Verfahren zu widerrufen246.
2. Ein- und zweistufige Vergabeverfahren Die einzelnen Vergabeverfahrensarten unterscheiden sich vor allem im Verfahrensablauf sowie in der Methode der Bestimmung des Bieterkreises. Anhand ihrer Grundstruktur wird im Allgemeinen zwischen ein- und zweistufigen Vergabeverfahren unterschieden. Als einstufige Vergabeverfahren werden jene Verfahren bezeichnet, die mit der an einen unbestimmten Interessentenkreis adressierten Einladung des Auftraggebers zur Erstellung von Angeboten beginnen. Interessierte Unternehmer haben zusammen mit ihrem Angebot alle zusätzlich geforderten Unterlagen, insbesondere auch die für die Eignungsprüfung erforderlichen Nachweise vorzulegen. Nach Angebotsöffnung prüft der Auftraggeber zunächst die Eignung 243
244 245 246
Angesichts dessen ist der Spielraum für die Bedachtnahme auf Sozialkriterien zumindest nach derzeitiger Rechtslage wesentlich geringer als es der Wortlaut des § 19 Abs 6 BVergG vermuten ließe. § 25 Abs 1 BVergG. Dazu Knauff, Dispositionsfreiheiten, 33 f. Siehe - unter Hinweis auf EuGH Rs C-87/94, Kommission/Belgien, Slg 1996, I-2043 - 1171 BlgNR 22. GP 44. Weiters Schramm/Öhler in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 23, Rz 3, 12.
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des jeweiligen Bieters. Lediglich die Angebote der geeigneten Bieter werden in weiterer Folge nach ihrem Inhalt beurteilt. Wenngleich Eignungsprüfung und Angebotsbewertung zumeist zeitlich zusammenfallen, bleiben sie doch zwei getrennte Vorgänge, die nach Maßgabe jeweils eigener Prüfkriterien erfolgen. Schließlich trifft der Auftraggeber die Entscheidung darüber, welcher Bieter den Zuschlag erhalten soll (Zuschlagsentscheidung). Abgeschlossen wird das Vergabeverfahren durch die Zuschlagserteilung, die den privatrechtlichen Vertragsschluss mit dem ausgewählten Bieter bewirkt. Da der Auftraggeber im Rahmen einstufiger Vergabeverfahren keine Vorauswahl trifft, wen er zur Angebotsabgabe auffordert, findet im Wesentlichen nur eine „Auswahlentscheidung“ statt - nämlich die Beurteilung, welches Angebot den Zuschlag erhält. Auf diese Weise wird eine vergleichsweise rasche und einfache Durchführung des Vergabeverfahrens ermöglicht. Einstufige Verfahren eignen sich daher in besonderem Maße für Auftragsvergaben, deren Anforderungen es nicht erforderlich machen, den Kreis der Unternehmer bereits vorab einzuschränken. Als typisches einstufiges Vergabeverfahren ist das offene Verfahren anzusehen.
In einem zweistufigen Vergabeverfahren wird zunächst ein - unbeschränkter - Interessentenkreis zur Abgabe von Teilnahmeanträgen aufgefordert. Auf der ersten Verfahrensstufe wird die Eignung der Bewerber, also derjenigen Unternehmer, die einen Teilnahmeantrag gestellt haben, geprüft. Dies erfolgt anhand von Eignungskriterien, die die vom Auftraggeber definierten Mindestanforderungen darstellen, und gegebenenfalls anhand von Auswahlkriterien. Diese sind einer vergleichenden Wertung zugänglich und ermöglichen es, den Teilnehmerkreis zusätzlich anhand objektiver, unternehmensbezogener Merkmale einzuschränken. An die vom Auftraggeber als geeignet qualifizierten und entsprechend ausgewählten Bewerber ergeht auf der zweiten Verfahrensstufe die Aufforderung zur Angebotsabgabe. Nach deren Einlangen werden die Angebote der Bieter247 vom Auftraggeber geprüft, der in weiterer Folge die Zuschlagsentscheidung trifft und den Zuschlag erteilt. Im Rahmen zweistufiger Vergabeverfahren hat der Auftraggeber sohin bereits auf Ebene der Eignungsprüfung eine „Auswahlentscheidung“ zu treffen, die dazu dient, den Kreis der Bewerber noch vor Angebotslegung einzugrenzen; nur die vom Auftraggeber als geeignet erkannten Bewerber werden zum weiteren Verfahren und zur Angebotserstellung zugelassen. Auf diese Weise kann der Auftraggeber den Anforderungen komplexer Beschaffungsvorhaben adäquat begegnen. Es steigt aber auch der Zeit- bzw Kostenaufwand für die Vorbereitung und Durchführung des Vergabeverfahrens. Zu den zweistufigen Vergabeverfahren zählen insbesondere das nicht offene Verfahren mit Bekanntmachung sowie das Verhandlungsverfahren mit Bekanntmachung.
3. Offenes Verfahren Das offene Verfahren kann als das prototypische Vergabeverfahren angesehen werden. Im offenen Verfahren hat der Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmern öffentlich zur Abgabe von Angeboten aufzufordern. Es steht jedem potenziell interessierten Unternehmer frei, mittels Erstellung eines Angebots am Verfahren teilzunehmen. Der Zugang zum offenen Verfahren
247
Sobald ein Bewerber ein Angebot abgegeben hat, wird er als Bieter bezeichnet (§ 2 Z 13 BVergG).
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darf vom Auftraggeber nicht beschränkt werden. Dadurch wird ein hoher Grad an Transparenz und Wettbewerb hergestellt. Anzahl und Namen der Unternehmer, die ein Angebot gelegt haben, sind bis zur Angebotsöffnung geheim zu halten248. Die Angebotsöffnung erfolgt kommissionell an einem vorab festgesetzten Ort, zu einem festgelegten Zeitpunkt. Die Bieter sind berechtigt, an der Angebotsöffnung teilzunehmen. Wesentliche Angebotsinhalte (dazu zählen vor allem Angaben zum Bieter und die Gesamtpreise der Angebote) werden verlesen und in eine Niederschrift aufgenommen. Die im Verfahren als Konkurrenten auftretenden Unternehmer wissen daher bereits aufgrund der Angebotsöffnung um die preisliche Position ihres Angebots im Wettbewerb mit den anderen Bietern. Auf diesem Weg wird eine zusätzliche Kontrolle des Vergabeverfahrens durch die Bieter hergestellt, zumal das Preiskriterium im offenen Verfahren regelmäßig eine beachtliche bis oft dominante Rolle spielt. Der Auftraggeber darf im offenen Verfahren nicht mit dem Bieter über eine Angebotsänderung verhandeln (Verhandlungsverbot, § 101 Abs 4 BVergG)249. Die Bieter sind innerhalb der - mit Ablauf der Angebotsfrist beginnenden - Zuschlagsfrist an ihr Angebot gebunden und insbesondere nicht (mehr) berechtigt, dieses inhaltlich zu verändern (§ 106 Abs 8 BVergG). Dies dient der Sicherstellung, dass keinem Bieter unsachliche Vorteile in Bezug auf die Erteilung des Zuschlags zukommen und dass der Zuschlag einem Angebot erteilt wird, das - mit diesem Inhalt - schon bei Angebotsöffnung bestanden hat. Das offene Verfahren ist im BVergG - neben dem nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung - als ein Regelverfahren konzipiert. Die Wahl des offenen Verfahrens ist sowohl oberhalb als auch unterhalb der Schwellenwerte uneingeschränkt möglich. Der Auftraggeber kann sohin - je nach dem, welches Verfahren sich in der konkreten Situation als für ihn vorteilhaft erweist - frei zwischen dem offenen Verfahren und dem nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung wählen (§ 27 BVergG). Das offene Verfahren hat nicht zuletzt aufgrund seiner einstufigen, vergleichsweise „anwenderfreundlichen“ Ausgestaltung in der Praxis große Bedeutung erlangt. Die Wahl des offenen Verfahrens bietet sich vor allem dann an, wenn eine Vorauswahl von Bewerbern nicht geboten erscheint und die Leistung von vornherein so eindeutig beschrieben werden kann, dass eine Vergleichbarkeit der Angebote gegeben ist.
4. Nicht offenes Verfahren Im nicht offenen Verfahren werden zunächst Unternehmer zur Teilnahme am Vergabeverfahren eingeladen. Im Rahmen des auf erster Stufe stattfindenden Teilnahmewettbewerbs stellt der Auftraggeber die Eignung der Bewerber fest. Aus dem Kreis der geeigneten Bewerber wird sodann eine beschränkte Anzahl von Unternehmern zur Angebotsabgabe aufgefordert. 248 249
§ 117 Abs 2 BVergG. Aufklärungsgespräche zur Einholung von Auskünften über die wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit sowie Auskünfte, die zur Prüfung der Preisangemessenheit und Gleichwertigkeit von Alternativangeboten erforderlich sind, widersprechen dem Verhandlungsgebot nicht und sind daher grundsätzlich zulässig (§ 127 BVergG).
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Je nach dem, ob sich der Auftraggeber im Zuge der Einladung zur Teilnahme am nicht offenen Verfahren an einen unbeschränkten oder einen beschränkten Interessentenkreis wendet, wird zwischen dem nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung (§ 25 Abs 3 BVergG) und dem nicht offenen Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung (§ 25 Abs 4 BVergG) unterschieden. a) Nicht offenes Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung Im Rahmen des nicht offenen Verfahrens mit vorheriger Bekanntmachung fordert der Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmern mittels Bekanntmachung öffentlich zur Abgabe von Teilnahmeanträgen auf. Die Anträge auf Teilnahme am Verfahren (Teilnahmeanträge) sind innerhalb einer bestimmten Frist (Teilnahmefrist250) zu stellen. Die Anzahl der zur Angebotsabgabe einzuladenden Bewerber, die der Auftraggeber entsprechend der nachgefragten Leistung bestimmt, wird in der Bekanntmachung angegeben. Die festgelegte Anzahl muss geeignet sein, einen echten Wettbewerb zu gewährleisten, darf dabei aber nicht unter fünf liegen251. Wird nach Prüfung der Eignung der Bewerber die vorgesehene Teilnehmerzahl überschritten, wählt der Auftraggeber unter den geeigneten Bewerbern anhand von Auswahlkriterien die besten Bewerber aus252. Dabei handelt es sich um unternehmensbezogene Kriterien, nach Maßgabe derer die Qualität der Bewerber beurteilt wird und die vom Auftraggeber in der Reihenfolge ihrer Bedeutung im Vorhinein festzulegen sind253. Im Unterschied zu Eignungskriterien sind Auswahlkriterien keine absoluten (Ausschluss)Kriterien, sondern lassen eine qualitativ-quantitative Wertung im Sinne von „besser qualifiziert“/„schlechter qualifiziert“ zu. Welche Auswahlkriterien ein Auftraggeber bestimmt, liegt - sofern dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung Rechnung getragen wird und eine Abstimmung mit dem Auftragsgegenstand erfolgt ist - grundsätzlich in seinem Ermessen254. Nach Bewerberauswahl hat der Auftraggeber die ausgewählten Bewerber zur Angebotsabgabe einzuladen, womit die zweite Stufe des Verfahrens beginnt. Aufgrund seiner zweistufigen, komplexen Struktur kommt dem nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung im Vergleich zum offenen Verfahren eine deutlich geringere praktische Bedeutung zu. Dies kann zum Teil darauf zurückgeführt werden, dass die Abhaltung eines Auswahlverfahrens eine vertiefte Kenntnis über die Marktbeschaffenheit voraussetzt. Hingegen kann ein nicht offenes Verfahren mit Bekanntmachung dann als vorzugswürdig angesehen werden, wenn die Durchführung eines offenen Verfahrens im Hinblick auf die Eigenart oder den Wert der Leistung wirtschaftlich nicht vertretbar erscheint (etwa wenn zu viele Angebote eingehen würden
250 251 252 253 254
Die Teilnahmefrist ist vom Auftraggeber in der Bekanntmachung festzusetzen und beträgt im OSB mindestens 37, im USB mindestens 14 Tage (§§ 59, 64 BVergG). § 103 Abs 6 BVergG. § 103 Abs 7 BVergG. § 2 Z 20 lit a BVergG. Regelmäßig wird eine Bewertung der Referenzen des Bewerbers oder der Ausbildung und Erfahrung seines Personals vorgenommen.
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und der Prüfaufwand des Auftraggebers in keiner Relation zum Wert des Auftragsgegenstandes stünde)255.
b) Nicht offenes Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung Beim nicht offenen Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung wird eine beschränkte Anzahl geeigneter Unternehmer unmittelbar zur Abgabe von Angeboten eingeladen. Die Eignungsvoraussetzungen sind vom Auftraggeber vorab (also vor Aufforderung zur Angebotsabgabe) zu prüfen und festzuhalten. Die Auswahl der Unternehmer hat in nicht diskriminierender Weise stattzufinden. Die Anzahl der aufgeforderten Unternehmer darf nicht unter fünf liegen (§ 102 BVergG). In Anbetracht seiner herabgesetzten Transparenz ist die Durchführung eines nicht offenen Verfahrens ohne vorherige Bekanntmachung nur im USB und nur bis zum Erreichen zusätzlicher, strengerer Wertgrenzen erlaubt: Bauaufträge dürfen im nicht offenen Verfahren ohne Bekanntmachung nur bis zu einem geschätzten Auftragswert von EUR 120.000,-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge nur bis EUR 80.000,- vergeben werden (§ 37 BVergG).
5. Verhandlungsverfahren Auch beim Verhandlungsverfahren wird zwischen dem Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung (§ 25 Abs 5 BVergG) und dem Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung unterschieden (§ 25 Abs 6 BVergG). Beim Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung werden, nachdem eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmern öffentlich zur Abgabe von Teilnahmeanträgen aufgefordert wurde, ausgewählte Bewerber zur Abgabe von Angeboten aufgefordert (§ 103 BVergG). Beim Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung wird demgegenüber eine beschränkte Anzahl von geeigneten (befugten, leistungsfähigen und zuverlässigen) Unternehmern zur Abgabe von Angeboten eingeladen. Die Anzahl der einzuladenden Unternehmer ist entsprechend der Leistung festzulegen und darf nicht unter drei liegen256. a) Struktur und Wahl des Verhandlungsverfahrens Charakteristikum des Verhandlungsverfahrens ist, dass der Auftraggeber mit den Bietern über den gesamten Auftragsinhalt, also den Auftragsgegenstand samt den damit verbundenen Bedingungen der Leistungserbringung, verhandelt257. Da das Verhandlungsverfahren keinen einheitlich ausgestalteten Strukturen folgt und ein detaillierter rechtlicher Rahmen weitgehend fehlt, steht es dem Auftraggeber grundsätzlich frei, eine oder mehrere Verhandlungsrunden durchführen. In letzterem Fall werden die Bieter nach jeder Runde zu einer Überarbeitung ihres Angebots aufgefordert und die Verhandlungen auf Grund255 256 257
Siehe auch 1171 BlgNR 22. GP 45 sowie Schramm/Öhler in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 23, Rz 26 f. § 102 BVergG. Ein explizites Verbot reiner Preisverhandlungen, wie es noch das BVergG 2002 vorsah, kennt das BVergG 2006 nicht. Die diskrimierende Weitergabe von (Preis) Informationen, um gewisse Bieter zu begünstigen, ist allerdings rechtswidrig (§ 105 Abs 1 BVergG); siehe auch 1171 BlgNR 22. GP 79.
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lage des verbesserten Angebotes weitergeführt. Im Verlauf des Verfahrens kann der Auftraggeber auch die Anzahl der Angebote im Wege des so genannten short-listing anhand eines festgelegten Prozederes verringern258. Gerade weil ein durchgehendes Regelungskorsett zu einem guten Teil fehlt - und die Spielräume für Auftraggeber und Bieter dementsprechend größer werden - kommt den allgemeinen Grundsätzen des Vergabeverfahrens für das Verhandlungsverfahren eine besondere Bedeutung zu. Das gilt in erster Linie für den Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatz, aber auch für den Wettbewerbsgrundsatz. Das Verhandlungsverfahren ist als Ausnahmeverfahren konzipiert. Nur bei Vorliegen bestimmter, im BVergG abschließend genannter Umstände, darf der Auftraggeber vom Verhandlungsverfahren Gebrauch machen. Die Gründe für das Heranziehen des Verhandlungsverfahrens sind nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH259 einschränkend zu verstehen. Zusammengefasst und vereinfacht ist die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens zulässig, wenn im Rahmen eines bereits durchgeführten offenen oder nicht offenen Verfahrens mit vorheriger Bekanntmachung keine ordnungsgemäßen Angebote abgegeben worden sind, wenn die Leistung ihrer Natur nach oder wegen der mit der Leistungserbringung verbundenen Risiken eine vorherige globale Preisgestaltung nicht zulässt, wenn die Leistung aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Unternehmer ausgeführt werden kann oder wenn dringliche, zwingende Gründe die Durchführung eines offenen oder nicht offenen Verfahrens mit vorheriger Bekanntmachung nicht zulassen260. Im USB sind zusätzliche Möglichkeiten für die Wahl des Verhandlungsverfahrens vorgesehen261. Da der Auftragsgegenstand (erst) im Zuge der Verhandlungen mit den Bietern konkretisiert wird und dabei auf die Wünsche des Auftraggebers Bedacht genommen werden kann, bietet sich die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens vor allem dann an, wenn der Leistungsgegenstand vom Auftraggeber nicht ausreichend beschrieben werden kann. Die flexible(re)n Strukturen des Verhandlungsverfahrens bieten Raum für innovative Lösungen der Bieter. Allerdings ist gerade dann, wenn der Auftragsgegenstand nicht umfassend konkretisiert werden kann, besonderer Bedacht auf die Vergleichbarkeit der Angebote zu nehmen, zumal auch für das Verhandlungsverfahren der dem Gleichbehandlungsgebot immanente Grundsatz gilt, dass die Vergabeentscheidung auf einem objektiven Vergleich der Angebote beruhen muss. Im konkreten Einzelfall hat der Auftraggeber in aller Regel einen gewissen Spielraum, ob er wegen der mangelnden Beschreibbarkeit der Leistung insbesondere ein Verhandlungsverfahren wählt, oder sich beispielsweise in einem nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung in der zweiten Stufe der Technik einer so genannten funktionalen im Gegensatz zu einer konstruktiven Leistungsbeschreibung bedient, bei der nicht der Leistungsgegenstand nach zu erbringenden Teilleistungen in einem Leistungsverzeichnis aufgegliedert, sondern im Sinne des § 95 Abs 3 BVergG die Leis258 259 260 261
Siehe dazu § 105 BVergG. ZB EuGH Rs C-20/01 ua, Kommission/Deutschland, Slg 2003, I-3609; EuGH Rs C-107/92, Kommission/Italien, Slg 1993, I-4655. Siehe §§ 28 ff BVergG. § 38 BVergG.
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tung als Aufgabenstellung durch Festlegung von Leistungs- oder Funktionsanforderungen beschrieben wird.
b) Exkurs: Geistige Dienstleistungen Das Problem der Vergleichbarkeit von Angeboten stellt sich in besonderer Weise bei der Vergabe von geistigen Dienstleistungen. Darunter sind Dienstleistungen zu verstehen, für die ihrer Art nach zwar eine Ziel- oder Aufgabenbeschreibung, nicht aber eine vorherige eindeutige und vollständige Leistungsbeschreibung möglich ist262. Für die Qualifikation als geistige Dienstleistung soll es daher im Allgemeinen darauf ankommen, ob der Leistung ein kreatives oder innovatives Element zu Grunde liegt263. An die Qualifikation einer Dienstleistung als geistige Dienstleistung knüpfen unterschiedliche Konsequenzen für das Vergabeverfahren, die ihre Ursache im Wesentlichen in der mangelnden Beschreibbarkeit der zu erbringenden Leistung haben. Das gilt naturgemäß für die Leistungsbeschreibung und - aufgrund der Schwierigkeit der Vergleichbarkeit der Angebote - für die Gewichtung der Zuschlagskriterien. Zudem enthält das BVergG Sonderregelungen für die Wahl des Vergabeverfahrens. Jedenfalls ist die Vergabe geistiger Dienstleistungen im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens zulässig264. Darüber hinaus ermöglicht eine Sonderbestimmung im USB die Vergabe geistiger Dienstleistungen in einem Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung mit nur einem Unternehmer, wobei allerdings für die Zulässigkeit dieses Verfahrens eine zusätzliche (Sub-) Schwelle normiert ist265.
6. Rahmenvereinbarung Rahmenvereinbarungen sind Vereinbarungen zwischen einem oder mehreren Auftraggebern und einem oder mehreren Unternehmern, die zum Ziel haben, die Bedingungen für Aufträge, die während eines bestimmten Zeitraums (drei, ausnahmsweise fünf Jahre) vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere 262
263
264
265
Siehe die Definition in § 2 Z 18 BVergG. Der Begriff der geistigen Dienstleistung entspricht dem noch im BVergG 2002 gebrauchten Begriff der „geistigschöpferischen Dienstleistung“. Vgl hiezu insb Aicher, Die Vergabe geistigschöpferischer Dienstleistungen, in Griller/Holoubek (Hrsg), Grundfragen, 203 ff. Als geistige Dienstleistungen können Planungs- und Forschungsleistungen, Softwareentwicklung (IT-Lösungen), Werbekonzepte, Bauplanungsdienstleistungen, etc gelten (siehe 1171 BlgNR 22. GP 15 f). § 30 Abs 1 Z 3 BVergG. Die Mat (AB 1245 BlgNR 22. GP 9) weisen darauf hin, dass die Vergabe geistiger Dienstleistungen jedenfalls im Verhandlungsverfahren zu erfolgen habe (Pflicht zum Verhandlungsverfahren), da solche Dienstleistungen gemäß ihrer Definition einer vorherigen Festlegung des Leistungsgegenstandes nicht zugänglich sind und Angebote sohin erst durch Verhandlungen miteinander vergleichbar gemacht werden können. Diese Auffassung wird auch in der Literatur vertreten, vgl bspw Aicher, Die Vergabe geistig-schöpferischer Dienstleistungen, in Griller/Holoubek (Hrsg), Grundfragen, 203 ff; Heid in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht, 236; Schramm/Öhler in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 25, Rz 30. Zum Ablauf eines Verfahrens zur Vergabe geistiger Dienstleistungen vgl die Skizzierung bei Casati/Holoubek, BVergG 2006, 78 f. § 38 Abs 3 BVergG. Diese Bestimmung hat insb komplexe Planungsleistungen vor Augen; vgl dazu Vavrosky, Zur Vergleichbarkeit von Angeboten bei der Vergabe von geistig-schöpferischen Leistungen, ÖZW 2000, 11.
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in Bezug auf den in Aussicht genommenen Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge266. Nach Durchführung eines „fiktiven“ - weil nicht mit Zuschlags- und damit Auftragserteilung endenden - Vergabeverfahrens (dabei muss es sich um ein offenes Verfahren, ein nicht offenes Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung oder ein Verhandlungsverfahren handeln) wird eine Rahmenvereinbarung mit einem oder mehreren - dann mindestens mit drei - Unternehmern abgeschlossen267. Damit wird der Bieterkreis für künftige Einzelaufträge eingeschränkt. Während der Laufzeit der Rahmenvereinbarung sind die an der Rahmenvereinbarung beteiligten Unternehmer an ihr Angebot gebunden. Der Auftraggeber kann auf Basis der in der Rahmenvereinbarung festgelegten Preise, Mengen und Bedingungen Aufträge an den (die) jeweiligen Unternehmer, mit dem/denen eine Rahmenvereinbarung geschlossen wurde, erteilen. Erst diese Leistungsverträge stellen dann die eigentliche Auftragsvergabe dar, für die deutlich erleichterte Bedingungen zum Tragen kommen268. Ein besonderes Merkmal der Rahmenvereinbarung ist, dass der Auftraggeber nicht verpflichtet ist, die Leistungen während der Dauer der Rahmenvereinbarung tatsächlich abzurufen, selbst dann nicht, wenn die Rahmenvereinbarung nur mit einem einzigen Unternehmer abgeschlossen wurde (keine Abnahmeverpflichtung). Mittels Abschluss einer Rahmenvereinbarung kann der Auftraggeber eine Art „Vorselektion“ unter den in Frage kommenden Unternehmern durchführen und einen Pool an Interessenten für künftige Auftragsvergaben erstellen. Der Auftraggeber soll so in die Lage versetzt werden, auch auf Märkten, die stetigen (insbesondere technologischen) Weiterentwicklungen unterworfen sind, seine Leistungen möglichst optimal zu beziehen. Ein zusätzlicher Vorteil ist darin zu sehen, dass während der Laufzeit der Rahmenvereinbarung für den jeweiligen Vertragsschluss vergleichsweise geringe Kosten erwachsen.
Rahmenvereinbarungen können ober- und unterhalb der Schwellenwerte zum Einsatz kommen.
7. Dynamisches Beschaffungssystem Das dynamische Beschaffungssystem ähnelt seiner Struktur nach der Rahmenvereinbarung, wird aber im Unterschied dazu ausschließlich auf elektronischem Weg eingerichtet und betrieben und ist während seiner Laufzeit für alle Unternehmer offen, sodass der Eintritt interessierter Unternehmer (als so genannte Newcomer) grundsätzlich jederzeit möglich ist. Die Einrichtung eines dynamischen Beschaffungssystems erfolgt auf Basis eines „fiktiven“ offenen Verfahrens ohne Zuschlagserteilung269. Durch öffentliche Bekanntmachung wird eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmern zur 266
267 268 269
§ 25 Abs 7 BVergG. Zum Ablauf der Rahmenvereinbarung vgl überblicksweise Aicher in Hauer (Hrsg), An der Schwelle zu einem neuen Vergaberecht, 2006, 1 (8 f) sowie Werschitz/Ragoßnig, Vergaberecht, 84 ff; siehe weiters die Ausführungen der Europäischen Kommission in „Erläuterungen - Rahmenvereinbarung - Klassische Richtlinie“. §§ 32, 151 BVergG. Siehe § 152 BVergG. § 156 BVergG. Für einen Überblick über den Ablauf des dynamischen Beschaffungssystems siehe Aicher in Hauer (Hrsg), An der Schwelle zu einem neuen Vergaberecht, 2006, 1 (7 f) sowie Werschitz/Ragoßnig, Vergaberecht, 86 ff.
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Abgabe unverbindlicher Erklärungen zur Leistungserbringung270 aufgefordert. Alle geeigneten Unternehmer, die zulässige Erklärungen zur Leistungserbringung abgegeben haben, werden zur Teilnahme am System, dessen Laufzeit vier Jahre nicht überschreiten darf, zugelassen271. Kosten für die Teilnahme dürfen den Unternehmern nicht verrechnet werden. Die eigentliche Leistung wird dann - wiederum auf elektronischem Wege - nach einer gesonderten Aufforderung zur Angebotsabgabe mittels Vergabe eines Einzelauftrags von einem Teilnehmer am System bezogen. Der Zuschlag kann mittels elektronischer Auktion oder anhand vorab vom Auftraggeber definierter Zuschlagskriterien erfolgen272. Die Einrichtung eines dynamischen Beschaffungssystems ist unabhängig vom Auftragswert im OSB und USB zulässig. Das dynamische Beschaffungssystem darf allerdings nur für die Beschaffung marktüblicher Leistungen herangezogen werden, bei denen die allgemein auf dem Markt verfügbaren Merkmale den Anforderungen des Auftraggebers genügen273.
8. Wettbewerblicher Dialog Beim wettbewerblichen Dialog handelt es sich um ein mehrstufiges Vergabeverfahren, das strukturell als Weiterentwicklung des Verhandlungsverfahrens gesehen werden kann274. Er soll dem Auftraggeber dann zur Verfügung stehen, wenn besonders komplexe Aufträge vergeben werden275 oder die Vergabe im Wege eines offenen oder nicht offenen Verfahrens nach Ansicht des Auftraggebers nicht möglich ist. Der wettbewerbliche Dialog gliedert sich im Wesentlichen in drei Phasen276:
270
271 272 273 274
275
276
Darin liegt eine wesentliche Divergenz zur Rahmenvereinbarung, da die Teilnehmer an einem dynamischen Beschaffungssystem nicht an die von ihnen erstellten Erklärungen zur Leistungserbringung gebunden sind. Zur Begriffsdefinition siehe § 2 Z 37 BVergG. § 157 BVergG. Anstatt der Zuschlagserteilung erfolgt die Zulassung zum System daher „fiktives“ Vergabeverfahren. § 158 BVergG. Siehe 1171 BlgNR 22. GP 44 und 99. Das dynamische Beschaffungssystem ist daher insb der Beschaffung geistiger Dienstleistungen unzugänglich. Zum Teil wird der wettbewerbliche Dialog auch als Unterfall des Verhandlungsverfahrens bezeichnet; vgl zB Werner/Freitag, Wettbewerblicher Dialog" - Vorschlag für eine neue Form des Verhandlungsverfahrens, NZBau 2000, 551 ff. Als besonders komplex ist ein Auftrag gem § 34 Abs 2 BVergG anzusehen, wenn der Auftraggeber objektiv nicht in der Lage ist, die technischen Spezifikationen des Auftragsgegenstandes, mit denen seine Bedürfnisse und Anforderungen erfüllt werden können, oder die rechtlichen oder finanziellen Konditionen des Vorhabens genau zu beschreiben. Zum Begriff der besonderen Komplexität vgl auch Knauff, Dispositionsfreiheiten, 113 f; vgl dazu weiters die Bemerkungen der Europäischen Kommission in „Erläuterungen - Wettbewerblicher Dialog - Klassische Richtlinie“. Für einen Überblick über den Ablauf des wettbewerblichen Dialogs siehe Aicher in Hauer (Hrsg), An der Schwelle zu einem neuen Vergaberecht, 2006, 1 (10 f) sowie Werschitz/Ragoßnig, Vergaberecht, 88 ff; vgl weiters Arrowsmith, Public Procurement, 629 ff sowie die Ausführungen der Europäischen Kommission in „Erläuterungen - Wettbewerblicher Dialog - Klassische Richtlinie“.
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In einem ersten Schritt begibt sich der Auftraggeber auf Interessentensuche, indem er eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmern öffentlich zur Abgabe von Teilnahmeanträgen auffordert277. Daraufhin tritt der Auftraggeber mit - zumindest drei - anhand der bekannt gemachten Auswahl- und Eignungskriterien ausgewählten Bewerbern in die so genannte Dialogphase ein, deren Zielsetzung darin liegt, eine oder mehrere den Bedürfnissen und Anforderungen des Auftraggebers entsprechende Lösung(en) zu ermitteln278. Während der Dialogphase werden sämtliche Aspekte des Auftrags - sowohl des Leistungsgegenstandes als auch der Bedingungen zur Leistungserbringung - erörtert. Dabei hat der Auftraggeber die einzelnen, von den Teilnehmern erarbeiteten Lösungen vertraulich zu behandeln und darf Informationen nicht in einer andere Teilnehmer begünstigenden Weise weitergeben. Der Dialog ist so lange zu führen, bis eine bzw mehrere geeignete Lösung(en)279 ermittelt wurden; ist dies nicht möglich, ist der Dialog abzubrechen. Teilnehmer, deren Lösungen nicht weiter berücksichtigt werden, sind hievon unverzüglich zu verständigen. Auf Basis der in der Dialogphase erarbeiteten Lösung(en) fordert der Auftraggeber den oder die verbliebenen Teilnehmer in der dritten Phase auf, ein Angebot zu erstellen280. Wesentlich ist, dass die Angebote nur aufgrund der vom jeweiligen Teilnehmer selbst vorgelegten und in der Dialogphase näher ausgeführten Lösung(en) erstellt werden281, weshalb die vom Auftraggeber ausgewählten Lösungen den anderen Teilnehmern bei Abschluss der Dialogphase nur in Grundzügen bekannt gegeben werden dürfen. Auf Verlangen des Auftraggebers kann der Bieter sein Angebot klarstellen und ergänzen, sofern dies nicht zu einer Änderung der grundlegenden Elemente des Angebots oder der Beschreibung führt, die den Wettbewerb verfälschen oder sich diskriminierend auswirken könnte. Aus den eingelangten Angeboten hat der Auftraggeber anhand der von ihm festgelegten Zuschlagskriterien das technisch und wirtschaftlich günstigste Angebot auszuwählen. Der wettbewerbliche Dialog gibt dem Auftraggeber die Möglichkeit, die Konditionen von Beschaffungsvorhaben, deren technische, finanzielle und rechtliche Anforderungen er nicht exakt definieren kann, in vertraulich geführten Gesprächen mit den Teilnehmern zu erarbeiten und nur mit jenen Teilnehmern, die eine geeignete Lösung präsentiert haben282, in Verhandlungen über die Auftragsvergabe einzutreten283. Gerade dies erweist sich aber auch als potentielle Schwäche des wettbewerblichen Dialogs, denn für die teilnehmenden Unternehmer liegt es nahe, die für die Erarbeitung eines 277 278 279 280 281 282
283
§ 160 BVergG. Siehe § 161 BVergG. Zur Begriffsdefinition siehe § 2 Z 21 BVergG. § 162 BVergG. So auch 1171 BlgNR 22. GP 102. Daher kann auch zulässigerweise der Fall eintreten, dass bei Abschluss der Dialogphase nur ein Bieter eine nach Maßgabe der Zuschlagskriterien als geeignet qualifizierte Lösung anbieten kann, womit - nichts anderes sagt § 161 Abs 6 zweiter Satz BVergG - in diesem speziellen Fall auch die Durchführung der Vergabephase mit nur einem Bieter zulässig ist. Bei richtiger Ansicht sind daher auch in der dritten, der sog Vergabephase des wettbewerblichen Dialogs Verhandlungen über den Leistungsgegenstand zulässig. Vgl dazu weiterführend die Ausführungen von Knauff, Dispositionsfreiheiten, 111 ff.
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Lösungsvorschlags erforderliche Kreativität und Arbeitsleistung nur dann zu investieren, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass sie den Auftrag selbst erhalten, oder zumindest gewährleistet ist, dass ihre schöpferische Leistung nicht ungehindert von anderen Unternehmern verwendet wird. Das Interesse des Auftraggebers kann demgegenüber gerade darin bestehen, unterschiedliche Lösungsansätze zu kombinieren und auf diese Weise die Leistungsgestaltung zu optimieren. In diesem Spannungsfeld kommt der Bestimmung des § 161 Abs 4 BVergG wesentliche Bedeutung zu, derzufolge der Auftraggeber auch Teile von Lösungen oder vertrauliche Informationen eines Teilnehmers nur mit dessen Zustimmung an die anderen Teilnehmer des wettbewerblichen Dialogs weitergeben darf.
Die Wahl des wettbewerblichen Dialoges ist - unter den bereits genannten Voraussetzungen284 - ober- und unterhalb der Schwellenwerte zulässig.
9. Direktvergabe Mittels Direktvergabe wird eine Leistung formfrei - also insbesondere ohne Vergleichsangebote einzuholen oder mit mehreren Bietern zu verhandeln unmittelbar von einem ausgewählten befugten, leistungsfähigen und zuverlässigen Unternehmer gegen Entgelt bezogen285. Mit der Möglichkeit, Aufträge direkt vergeben zu können, wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass dem BVergG zwar auch Aufträge im USB zur Gänze (also ab dem „1-Cent-Auftrag“) unterliegen, die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens bei wertmäßig geringfügigen Auftragsvergaben aber in keinerlei ökonomischer Relation zum Wert der Leistung steht und ein aufwendiges Verfahren zur Bestbieterermittlung in diesen Fällen weitgehend ineffizient wäre. Im Wege der Direktvergabe kann die gewünschte Leistung daher (nahezu) ohne Verfahrenskosten und sehr rasch bezogen werden.
Aufgrund ihrer Formfreiheit und der dadurch bedingten Anfälligkeit für sachfremde Einflüsse ist die Direktvergabe nur bis zum geschätzten Auftragswert von EUR 40.000,- zulässig286.
10. Elektronische Auktion In Abweichung zu den bereits genannten Vergabeverfahrensarten stellt die elektronische Auktion kein vollständiges, für sich selbstständiges Vergabeverfahren dar, sondern dient - eingebettet in ein anderes, eigenständiges Vergabeverfahren - lediglich der Ermittlung des Angebots, das den Zuschlag erhalten soll. Eine elektronische Auktion kann mit einem offenen Verfahren, einem nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung, bestimmten Verhandlungsverfahren, sowie Auftragsvergaben im Wege einer Rahmenvereinbarung oder eines dynamischen Beschaffungssystems kombiniert werden287. Wie das dynamische Beschaffungssystem ist auch die elektronische Auktion ein vollelektronischer Vorgang. Im Rahmen der elektronischen Auktion werden vom Auftraggeber gewünschte standardisierte Leistungen bis zu einem bestimmten Auftragswert im Internet unter geeigneten Unternehmen gleichsam versteigert, indem diese Unternehmer in einem iterativen elektronischen Verfahren Angebote legen und 284 285 286 287
§ 34 BVergG. § 25 Abs 10 BVergG. § 41 BVergG. §§ 31 Abs 2, 146 BVergG.
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die gebotenen Preise damit stetig nach unten korrigieren. Zur elektronischen Auktion sind grundsätzlich alle Bieter am Verfahren zuzulassen, die im vorgelagerten, eigentlichen Vergabeverfahren zulässige Angebote gelegt haben288. Der Ablauf der Auktion richtet sich nach einer vom Auftraggeber erstellten und in den Ausschreibungsunterlagen bekannt gegebenen Auktionsordnung289. Die Identität der Bieter unterliegt während der Auktion der Geheimhaltung290. Die elektronische Auktion kann sich nur auf Angebote/Angebotsteile beziehen, die in eindeutiger und objektiv nachvollziehbarer Weise so quantifizierbar sind, dass sie in Zahlen bzw Prozentangaben darstellbar sind. Bau- oder Dienstleistungen, die geistige Leistungen zum Gegenstand haben, sind demgegenüber mangels Quantifizierbarkeit und damit mangels hinreichender Vergleichbarkeit der Angebote einer elektronischen Auktion nicht zugänglich. Das BVergG unterscheidet zwischen der einfachen elektronischen Auktion, in deren Rahmen der Zuschlag nur dem Angebot mit dem niedrigsten Preis (Preisauktion) erteilt werden darf (Billigstbieterprinzip), und der sonstigen elektronischen Auktion, in deren Rahmen der Zuschlag dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot (Bestbieterprinzip) erteilt wird291. Dem Auftraggeber kommt insoweit freie Wahlmöglichkeit zu. Die elektronische Auktion stellt für den Auftraggeber eine vergleichsweise kostengünstige Form der Auftragsvergabe dar. Umgekehrt führt sie vor allem in der Anfangsphase zu erheblichen Anschaffungskosten im technischen Bereich, was gerade die Bieterseite und hier insbesondere kleinere Unternehmer mit erhöhten finanziellen Belastungen konfrontiert. Die Funktionsweise der elektronischen Auktion lässt den Auftraggeber zwar vom unmittelbaren Preiswettbewerb der Bieter profitieren, der damit entstehende Preisdruck kann sich allerdings erheblich auf die Märkte auswirken und negative Konsequenzen für den Qualitätswettbewerb entfalten.
Das Verfahren der elektronischen Auktion darf vom Auftraggeber - unter den gegebenen Voraussetzungen - ober- und unterhalb der Schwellenwerte herangezogen werden.
11. Wettbewerb Das BVergG kennt die Möglichkeit der Vergabe eines Auftrags nach Durchführung eines so genannten Wettbewerbs292. Dabei handelt es sich um Auslobungsverfahren, die dem Auftraggeber dazu dienen, sich etwa auf den Gebieten der Raumplanung, der Stadtplanung, der Architektur, der Werbung oder der Datenverarbeitung einen Plan oder eine Planung zu verschaffen (so genannter Ideenwettbewerb). Die Auswahl dieser Pläne erfolgt durch ein Preisgericht mit oder ohne Preisverteilung. Je nachdem, in welcher Weise die Bestimmung des Teilnehmerkreises erfolgen soll, kann ein Wettbewerb als offener, nicht offener oder geladener Wettbewerb durchgeführt werden293, wobei letzterer nur im USB zulässig ist294. 288 289 290 291 292 293
§§ 146 Abs 4, 147 Abs 1 BVergG. Vgl zum Ablauf der elektronischen Auktion die Darstellung von Mugli-Maschek/ Stiefelmeyer in Bundesvergabeamt (Hrsg), 43 (48 f). § 147 Abs 9 BVergG. § 31 BVergG. § 26 BVergG. Siehe § 154 BVergG.
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Die Durchführung eines Wettbewerbs als Ideenwettbewerb dient vor allem der Suche nach Ideen bzw der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen durch die Wettbewerbsteilnehmer, ohne damit eine Verpflichtung zur nachfolgenden Auftragsvergabe einzugehen. Insofern können Wettbewerbe zwar, sie müssen aber nicht einem späteren Vergabeverfahren vorausgehen. Eine besondere, privilegierende Regelung ist für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen vorgesehen, die im Anschluss an einen Wettbewerb an den oder an einen der Gewinner erfolgt: In diesem Fall - man spricht vom so genannten Realisierungswettbewerb - ist die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung zulässig295. Die Zielsetzung des Realisierungswettbewerbs geht sohin über diejenige des bloßen Ideenwettbewerbs hinaus und ist auf Vertragsabschluss und Leistungsbezug gerichtet.
C. Grundstruktur des Ablaufs eines Vergabeverfahrens Bei aller Unterschiedlichkeit basieren die einzelnen Vergabeverfahrensarten doch auf einem gemeinsamen Grundmuster. Die folgenden Ausführungen beschreiben die Grundstruktur eines Vergabeverfahrens und orientieren sich dabei am Ablauf des offenen Verfahrens - dem vergaberechtlichen Regelverfahren.
1. Bekanntmachung Beschaffungsvorhaben eines öffentlichen Auftraggebers unterliegen gewissen Bekanntmachungspflichten296. Für den OSB besteht zunächst eine Pflicht zur Bekanntmachung auf Gemeinschaftsebene. Der Auftraggeber hat Bekanntmachungen und Mitteilungen unverzüglich der Europäischen Kommission zu übermitteln297. Dabei sind entsprechende Formularvorgaben zu berücksichtigen, die in der EG-StandardformularVO festgelegt sind298. Um gemeinschaftsweit einheitliche Bezeichnungen sicherzustellen, ist die Beschreibung des Auftragsgegenstandes anhand der Bezeichnungen und Codes des Gemeinsamen Vokabulars für das öffentliche Auftragswesen (Common Procurement Vocabulary - CPV) vorzunehmen299. Die gemeinschaftsweite Veröffentlichung erfolgt schließlich in der Datenbank Tender Electronics Daily (TED)300. 294 295 296 297 298
299
300
Siehe § 39 BVergG. § 30 Abs 2 Z 6 BVergG. Siehe § 46 BVergG. Dies hat gemäß der Bekanntmachungskundmachung des BK im online-Verfahren über die Internetseite http://simap.eu.int zu erfolgen. Die Standardformulare können online auf der SIMAP-Homepage ausgefüllt werden. Vgl das bei Werschitz/Ragoßnig, Vergaberecht, 180 ff, abgebildete Standardformular für EU-weite Bekanntmachungen. Beim CPV handelt es sich um eine von der EU entwickelte Nomenklatur für öffentliche Auftragsvergaben, die, als einheitliches Klassifikationssystem, eine einheitliche Beschreibung des Auftragsgegenstandes durch die Auftraggeber sicherstellen soll; siehe dazu die CPV-VO. Dabei handelt es sich um die Datenbank für öffentliche Aufträge, die im Supplement Siehe zum Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht sind (abrufbar unter http://ted.europa.eu). Zum Konzept des TED vgl weiterführend Cranfield, Electronic Publishing of European calls for tender - TED as a key to the internal market, in Sachs (Hrsg), Schwerpunkte II, 85 ff.
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Zusätzlich dazu ist der Beschaffungswunsch auch in nationalen Publikationsmedien zu veröffentlichen. Diese bestimmen sich je nach Vollziehungsbereich durch die VO des Bundeskanzlers bzw durch VO der jeweiligen LReg301. Im USB erschöpft sich die Verpflichtung des Auftraggebers in einer rein nationalen Bekanntmachungspflicht. Die Bekanntmachung des Beschaffungswunsches hat dementsprechend nur in nationalen Publikationsmedien zu erfolgen (die sich mit denjenigen für den OSB vorgesehenen im Wesentlichen decken). Eigene Standardformulare sind für den USB nicht festgelegt. Der Mindestinhalt von Bekanntmachungen ist in Anhang VIII zum BVergG geregelt. Aus der Bekanntmachung hat insbesondere auch hervorzugehen, bei welcher Stelle die Ausschreibungsunterlagen angefordert werden können und welche Kosten dafür allenfalls zu entrichten sind.
2. Ausschreibung der Leistung Zentraler Bestandteil eines Vergabeverfahrens ist die Ausschreibung. Der Begriff „Ausschreibung“ wird in § 2 Z 10 BVergG definiert als die an eine bestimmte oder unbestimmte Zahl von Unternehmern gerichtete Erklärung des Auftraggebers, in der er festlegt, welche Leistung er zu welchen Bestimmungen erhalten möchte. Die Ausschreibung erfasst als Überbegriff neben der Bekanntmachung unter anderem auch die Ausschreibungsunterlagen. In den Ausschreibungsunterlagen umschreibt der Auftraggeber die gewünschten Leistungen in technischer, kaufmännischer und rechtlicher Hinsicht und definiert die Bedingungen für die Leistungsausführung. Ausschreibungsunterlagen bestehen somit im Wesentlichen aus der Leistungsbeschreibung und aus den vertraglichen Bestimmungen für die Leistungserbringung. Die konkrete Ausgestaltung, also insbesondere die Aufgliederung und der Inhalt der einzelnen Teile der Ausschreibungsunterlagen, richtet sich in erster Linie nach der zu beschaffenden Leistung. Danach, sowie nach der gewählten Vergabeverfahrensart unterscheidet sich auch der Konkretisierungsgrad der Ausschreibungsunterlagen. Das BVergG enthält detaillierte Vorgaben für die Ausgestaltung der Ausschreibungsunterlagen302. Der Auftraggeber kann nach technischen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten grundsätzlich frei entscheiden, ob er Leistungen gemeinsam oder getrennt - etwa für die einzelnen Teilgewerke eines Bauvorhabens - aus-
301
302
Siehe § 52 BVergG. Auftragsvergaben im Vollziehungsbereich des Bundes sind in der online-Ausgabe des Amtlichen Lieferungsanzeigers, der als Teil des Amtsblattes zur Wiener Zeitung erscheint, bekannt zu machen (siehe die PublikationsmedienVO 2006 und das bei Werschitz/Ragoßnig, Vergaberecht, 189 ff, abgebildete Muster einer nationalen Vergabebekanntmachung im OSB); Auftragsvergaben im Vollziehungsbereich des Landes Wien sind im Internet unter der Adresse www.gemeinderecht.wien.at zu veröffentlichen (siehe VO der Wr LReg v 2.6.2006 über die Festlegung des Publikationsmediums für Bekanntmachungen gem dem BVergG 2006, LGBl 33/2006). Siehe die §§ 79 ff BVergG. Vgl weiters das bei Werschitz/Ragoßnig, Vergaberecht, 173 ff, abgebildete Muster einer Ausschreibung für das offene Verfahren.
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schreibt303. Für die Berechnung des Auftragswerts ist bei zusammengehörigen Auftragskomponenten auf die Gesamtsumme abzustellen304. a) Leistungsbeschreibung Den Kern der Ausschreibung bildet die Leistungsbeschreibung (§§ 95 ff BVergG). Der Auftraggeber muss die gewünschte Leistung genau und neutral beschreiben und hat darauf Bedacht zu nehmen, dass dadurch weder bestimmte Bieter diskriminiert, noch gewissen Bietern von vornherein Wettbewerbsvorteile eingeräumt werden. Darüber hinaus sind technische Spezifikationen anzugeben305. Darunter sind technische Anforderungen sowie sonstige Merkmale der gewünschten Leistung zu verstehen, wozu Umweltleistungsstufen, Vorgaben für die Gebrauchstauglichkeit oder Qualitätssicherungsverfahren ebenso zählen können wie Verpackung und Beschriftung, Gebrauchsanleitungen sowie Produktionsprozesse und -methoden306. Mit der konstruktiven und der funktionalen Leistungsbeschreibung stellt das BVergG zwei gleichberechtigte Methoden der Leistungsbeschreibung zur Verfügung, zwischen denen der Auftraggeber frei wählen kann307. Im Rahmen der konstruktiven Leistungsbeschreibung sind die Leistungen so eindeutig, vollständig und neutral zu beschreiben, dass die Vergleichbarkeit der Angebote gewährleistet ist. Dabei werden die vom Auftraggeber gewünschten Leistungen in einem Leistungsverzeichnis in einzelne Teilleistungen aufgegliedert und beschrieben308. Von wenigen Ausnahmen abgesehen309 sind die Bieter genau an die Vorgaben im Leistungsverzeichnis gebunden. Dadurch wird der Handlungs- und Gestaltungsspielraum auf Auftraggeber- und Bieterseite signifikant eingeschränkt. Eine konstruktive Leistungsbeschreibung wird also insbesondere dann nicht zielführend sein, wenn gerade (auch) Lösungsvorschläge der Bieter gewünscht sind. Kennt ein Auftraggeber nur das zu realisierende Ziel seines Auftrags, kann aber nicht das „Wie“ der Zielerreichung definieren, besteht die Möglichkeit einer funktionalen Leistungsbeschreibung, also einer Beschreibung der gewünschten Leistung als Aufgabenstellung mit bestimmten Leistungs- oder Nutzungsanforderungen. Aus der Beschreibung der Leistung müssen ihr Zweck und die an die Leistung gestellten Anforderungen in technischer, wirtschaftlicher, gestalterischer, funktionsbedingter und sonstiger Hinsicht erkennbar sein. Leistungs- und Funktionsanforderungen müssen jedenfalls so ausreichend präzisiert werden, dass sie den Unternehmern eine klare Vorstellung über den Auftragsgegenstand vermitteln und dem Auftraggeber die Vergabe des Auftrags ermöglichen. Eine funktionale Leistungsbeschreibung wird sich in 303 304 305 306 307 308 309
§ 22 Abs 1 BVergG. Vgl hiezu die Bestimmungen zur Berechnung des Auftragswertes, §§ 13 ff BVergG. Zum Auftragssplitting siehe bereits oben Pkt IV.J. Siehe §§ 80 Abs 5, 98 BVergG. Vgl § 2 Z 34 BVergG. § 95 Abs 2 und 3 BVergG. § 97 BVergG. Siehe dazu im Weiteren die Ausführungen zu Alternativ-, Abänderungs- und Variantenangeboten, Pkt V.C.2.d.
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jenen Fällen anbieten, in denen den Bietern nach der Art der nachgefragten Leistung ein kreativer Gestaltungsspielraum zukommen kann und soll und dem Auftraggeber eine hinreichend genaue Beschreibung der relevanten Leistungsparameter nicht möglich ist310. Ungeachtet des gewählten Lösungsweges hat der Auftraggeber mit der Leistungsbeschreibung jedenfalls dafür Sorge zu tragen, dass die spätere Vergleichbarkeit der Angebote gewährleistet und die Gleichbehandlung der Bieter sichergestellt ist311. b) Bestimmungen über den Leistungsvertrag Die Ausschreibungsunterlagen enthalten weiters Bestimmungen über den Leistungsvertrag. Soweit sich die Vertragsbestimmungen nicht schon aus der Beschreibung der Leistung ergeben, sind sie eindeutig und so umfassend festzulegen, dass ein eindeutiger Leistungsvertrag zustande kommen kann312. In Frage kommen grundsätzlich sämtliche Regelungen, wie sie für einen zivilrechtlichen Vertrag Gültigkeit haben können. Darunter fallen zB Bestimmungen über den Erfüllungszeitraum, Vertragsstrafen, Prämien, anzuwendendes Recht und Gerichtsstand, Gewährleistung, Versicherungen, etc. c) Anforderungen an die Eignung der Bieter Das BVergG schreibt vor, dass öffentliche Aufträge nur an befugte, leistungsfähige und zuverlässige Bieter vergeben werden dürfen. Unternehmer müssen daher über die einschlägigen Nachweise verfügen, die ihre Befugnis, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit belegen. Die Festlegung der Eignungsanforderungen an die Unternehmer erfolgt mittels abstrakter Kriterien, den so genannten Eignungskriterien. Darunter sind gemäß § 2 Z 20 lit c BVergG unternehmerbezogene Mindestanforderungen zu verstehen, die von den Bewerbern und Bietern verpflichtend zu erfüllen sind, um am weiteren Vergabeverfahren teilnehmen zu können (K.O.-Kriterien)313. Sie dürfen nicht diskriminieren und müssen auf den Leistungsinhalt abgestimmt sein. Die Nachweise der Befugnis, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Unternehmer, die der Auftraggeber verlangen kann, sind in den §§ 70 ff BVergG aufgelistet. Die im Gesetz genannten Nachweismittel können vom Auftraggeber ausgeschöpft bzw auch erweitert werden, sofern dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist. Jedenfalls dürfen von den Unternehmern nur auf den jeweiligen Auftragsgegenstand abgestimmte, sachlich gerechtfertigte und verhältnismäßige Nachweise eingefordert werden314. Der Auftragge-
310
311 312 313
314
Zur konstruktiven und funktionalen Leistungsbeschreibung vgl weiterführend insb Platzer in Sachs (Hrsg), Schwerpunkte II, 165 (168 ff) sowie Pachner in Schramm er al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 74, Rz 24 ff. § 79 Abs 3 BVergG. § 99 BVergG. Die Eignungsnachweise sind insofern von den - dahinter stehenden - Eignungskriterien zu unterscheiden. Zwar enthält das BVergG keinen Katalog an Eignungskriterien, implizit kann aber aus der Auflistung der Nachweise auf die damit jeweils angesprochenen Eignungskriterien geschlossen werden. Es geht sohin um die Eignung für eine konkrete Leistung.
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ber hat die erforderlichen Nachweise verbindlich in der Bekanntmachung bzw in den Ausschreibungsunterlagen anzugeben. Zur Vereinfachung des Nachweissystems können allgemein zugängliche Verzeichnisse (zB Kataster) in Anspruch genommen werden, die von einem Dritten, dem die vom Auftraggeber geforderten Unterlagen vorliegen, geführt werden315.
d) Alternativ-, Abänderungs- und Variantenangebote In den Ausschreibungsunterlagen sind Angaben darüber zu treffen, ob und welche Art von Alternativangeboten zulässig sind (§ 81 BVergG). Nach der Definition des BVergG handelt es sich bei Alternativangeboten um Angebote über einen alternativen Leistungsvorschlag des Bieters (§ 2 Z 2 BVergG). Alternativangebote weichen also vom ausgeschriebenen Vertragsinhalt in gewisser Weise ab (Ausnahme vom Grundsatz der Kongruenz zwischen Ausschreibung und Angebot316). Auf diesem Weg kann der Auftraggeber die Möglichkeit zur Einbringung neuer Ideen durch die Bieter, die eine der ausgeschriebenen Leistung qualitativ gleichwertige alternative Leistung anbieten können, ausschöpfen. Alternativangebote können sich auf die Gesamtleistung oder auf Teile der Leistung bzw die wirtschaftlichen oder die rechtlichen Bedingungen der Leistungserbringung beziehen. Alternativangebote dürfen nur bei Aufträgen, die nach dem Bestbieterprinzip vergeben werden, für zulässig erklärt werden, und zwar - sofern nicht ausdrücklich anderes festgelegt ist - nur neben einem ausschreibungskonformen Angebot. Hat der Auftraggeber keine Angabe über die Zulässigkeit von Alternativangeboten getroffen, sind diese nicht zugelassen. Da Alternativangebote nicht der ausgeschriebenen Leistung entsprechen, ist auf die spätere Vergleichbarkeit der Angebote Bedacht zu nehmen. Aus diesem Grund hat der Auftraggeber in den Ausschreibungsunterlagen jene Mindestanforderungen anzuführen, denen Alternativangebote im Hinblick auf ihre Vergleichbarkeit mit der ausgeschriebenen Leistung zu genügen haben. Abänderungsangebote sind demgegenüber Angebote, die im Hinblick auf die ausgeschriebene Leistung eine lediglich geringfügige technische, jedoch gleichwertige Änderung beinhalten und insoweit von der ausgeschriebenen Leistung nicht in einem so weitgehenden Ausmaß wie Alternativangebote abweichen317. Sie sind dementsprechend - neben einem ausschreibungskonformen Angebot - grundsätzlich, und zwar auch bei Auftragsvergaben nach dem Billigstbieterprinzip, zulässig, sofern der Auftraggeber in der Ausschreibung nicht anderes festlegt318. Angesichts des fließenden Übergangs zwischen „lediglich geringfügigen“ und mehr als geringfügigen Änderungen ist freilich im Einzelfall genau zu prüfen, ob ein konkretes Angebot als Abänderungs- oder als Alternativangebot zu qualifizieren ist319.
315 316 317 318 319
Ein solches Verzeichnis stellt bspw der Österreichische Auftragnehmerkataster (ANKÖ) dar. Siehe dazu unten Pkt V.C.3.a. Siehe § 2 Z 1 BVergG. § 82 BVergG. So auch die Mat (1171 BlgNR 22. GP 11).
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Im Unterschied zu Alternativ- und Abänderungsangeboten geht das Variantenangebot auf eine Ausschreibungsvariante des Auftraggebers zurück320. Der Auftraggeber gibt dabei die Möglichkeit für die Bieter frei, ihr Angebot aufgrund von technischen oder vertraglichen Spezifikationen (= Varianten) zu erweitern und so das Hauptangebot durch das Variantenangebot zu ersetzen321. Die Ausschreibung kann Varianten für die ganze Leistung oder für Teile derselben vorsehen322. e) Subunternehmerleistungen Der Bieter kann zur Erbringung einzelner Tätigkeiten Subunternehmer heranziehen, also Leistungsbestandteile untervergeben (subvergeben). Von eminenter praktischer Bedeutung ist die Möglichkeit zur Subvergabe bei größeren, auch komplexeren Auftragsgegenständen und für die Substituierung fehlender Leistungsfähigkeit beim Bieter selbst. Die Ausschreibungsunterlagen haben Informationen bezüglich der Erbringung von Subunternehmerleistungen zu enthalten323. Grundsätzlich ist lediglich die Weitergabe von - auch wesentlichen - Teilen der Leistung, nicht hingegen des gesamten Auftrags zulässig. Demgegenüber ist ein generelles Verbot der Subvergabe durch den Auftraggeber als gemeinschaftsrechtlich problematisch einzustufen324. Der Auftraggeber hat festzulegen, ob nur die wesentlichen oder alle Teile des Auftrags, die der Bieter an Subauftragnehmer weiter zu vergeben beabsichtigt, bekannt zu geben sind. Benötigt der Bieter die Leistungsfähigkeit von Subunternehmern, um seine fehlende Leistungsfähigkeit zu substituieren, muss er die dafür vorgesehenen Subunternehmer im Angebot benennen325 und nachweisen, dass er tatsächlich über die Mittel und Kapazitäten des Subunternehmers verfügt326. In jedem Fall muss der in Aussicht genommene Subunternehmer die für die Ausführung seines Teiles erforderliche Eignung aufweisen327.
320 321
322
323 324 325 326
327
§ 2 Z 38 BVergG. Während Alternativ- und Abänderungsangebote sohin auf Initiative der Bieter eingebracht werden, gehen Variantenangebote auf eine Vorgabe des Auftraggebers zurück. § 79 Abs 6 BVergG. Auch in diesen Fall ist bei Erarbeitung der Ausschreibungsunterlagen besonders auf die Vergleichbarkeit der einlangenden Angebote Bedacht zu nehmen (siehe § 179 Abs 3 BVergG). § 83 BVergG. Schramm/Öhler/Pachner in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 70, Rz 11 ff. Siehe § 79 Abs 1 BVergG. Dies ist im Regelfall anzunehmen, wenn bereits ein verbindliches Angebot des Subunternehmers vorliegt. Konzernbeziehungen reichen für sich nicht aus, eine entsprechende tatsächliche Verfügungsmöglichkeit über die Leistungen anderer Konzernunternehmen als Subunternehmer zu belegen. Auch hier muss diese tatsächliche Verfügbarkeit im konkreten Einzelfall nachgewiesen werden. Vgl dazu die Rechtsprechung des EuGH, insb Rs C-176/98, Holst Italia, Slg 1999, I-8607. Der Nachweis der Eignung erstreckt sich diesfalls nur auf jene Teile der Leistung, die vom Subunternehmer erbracht werden sollen, nicht aber auf die Gesamtleistung.
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f) Angebots- und Zuschlagsfrist In der Ausschreibung sind weiters jene Fristen anzugeben, die den zeitmäßigen Ablauf des weiteren Vergabeverfahrens bestimmen328. Die Angebotsfrist gibt den Zeitraum an, in dem ein Bieter ein Angebot legen muss. Sie ist vom Auftraggeber so zu bemessen, dass den Bietern unter Berücksichtigung des Postlaufs hinreichend Zeit zur Erstellung der Angebote verbleibt329. Das BVergG normiert - für OSB und USB unterschiedliche - Mindestfristen, die in bestimmten Fällen unterschritten werden dürfen330. Die Zuschlagsfrist beschreibt demgegenüber jene Zeitspanne, die zwischen dem Ende der Angebotsfrist und der Zuschlagserteilung liegt331. Sie ist kurz zu halten und darf außer in Ausnahmefällen fünf Monate nicht überschreiten332. Die Dauer der Zuschlagsfrist ist von eminenter Bedeutung für die Bieter, die während dieses Zeitraums an ihr Angebot gebunden sind333. g) Zuschlagsprinzip, Zuschlagskriterien In der Ausschreibung ist darüber hinaus anzugeben, ob der Zuschlag dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot (Bestbieterprinzip) oder dem Angebot mit dem niedrigsten Preis (Billigstbieterprinzip) erteilt werden soll334. Während die Vergabe nach dem Bestbieterprinzip die Festlegung der maßgeblichen Zuschlagskriterien durch den Auftraggeber voraussetzt, definiert das Billigstbieterprinzip den Preis als einziges Zuschlagskriterium335. Um dennoch die qualitative Gleichwertigkeit der einlangenden Angebote sicherstellen zu können, ist die Wahl des Billigstbieterprinzips nur unter der Voraussetzung zulässig, dass der Qualitätsstandard der Leistung klar und eindeutig definiert ist336. Bei den Zuschlagskriterien handelt es sich um angebotsbezogene, mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängende337 Kriterien (beispielhaft sind im BVergG Qualität, Preis, technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Umwelteigenschaften, Betriebskosten, Kundendienst, etc genannt). Bei der Festlegung 328 329 330 331 332 333 334 335 336
337
Zur Berechnung der Fristen siehe §§ 56 ff BVergG. §§ 57 iVm 60 und 65 BVergG. Siehe für einen Überblick die tabellarische Darstellung in Kropik/Mille/Sachs, Das Vergaberecht in Österreich, 2006, 61 (klassischer Bereich), 93 (Sektorenbereich). § 112 BVergG. Ist in der Ausschreibung keine Zuschlagsfrist angegeben, wird sie ex lege mit einem Monat festgesetzt (§ 112 Abs 1 BVergG). § 112 Abs 2 BVergG. § 80 Abs 3 BVergG. § 2 Z 20 lit d BVergG. Im USB ist demgegenüber für die Wahl des Zuschlagsprinzips keine Präferenz zugunsten des Bestbieterprinzips normiert, sodass der Auftraggeber grundsätzlich frei zwischen Best- und Billigstbieterprinzip wählen kann (§ 100 BVergG), wiewohl auch hier Bedacht auf die Vergleichbarkeit der Angebote zu nehmen ist (1171 BlgNR 22. GP 77). Auch im Sektorenbereich ist die freie Wahl zwischen Best- und Billigstbieterprinzip vorgesehen (§§ 237 Abs 3, 271 BVergG). Zum (fehlenden) Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand vgl EuGH Rs C-234/03, Contse, Slg 2005, I-9315, Rz 69 ff (Zuschlagskriterium bezog sich nicht auf den Leistungsgegenstand, sondern auf die maximale Produktionskapazität der dem Bieter gehörenden Anlagen).
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dieser Kriterien kommt dem Auftraggeber ein großer Spielraum zu, wenngleich auf mehrere Grundsätze Bedacht zu nehmen ist338: • Die Zuschlagskriterien müssen zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots tauglich sein339. • Der Auftraggeber muss die Zuschlagskriterien klar und eindeutig sowie im Verhältnis ihrer Bedeutung festlegen, er muss sie also gewichten340. Die bloße Angabe der Zuschlagskriterien in der Reihenfolge ihrer Bedeutung (ohne Gewichtung) ist nur ausnahmsweise zulässig341. • Die Zuschlagskriterien müssen dem Diskriminierungsverbot entsprechen und eine nachvollziehbare und überprüfbare Bestbieterermittlung ermöglichen. h) Mittel zur Sicherstellung, Vadium Zur Absicherung, dass der Bieter nicht während der Zuschlagsfrist von seinem Angebot zurücktritt, kann der Auftraggeber in der Ausschreibung bestimmte Mittel zur Sicherstellung verlangen. Dazu zählen Vadium, Kaution, Deckungsrücklass und Haftungsrücklass342.
Wird die Hinterlegung eines Vadiums343 gefordert, darf dieses 5 % des geschätzten Auftragswerts nicht überschreiten344. Dem Angebot des Bieters ist ein Nachweis über den Erlag des Vadiums beizulegen. Spätestens 14 Tage nach Erteilung des Zuschlags bzw nach Widerruf der Ausschreibung ist das Vadium zurückzustellen.
338
339
340
341 342 343
344
Zu den für die Festlegung der Zuschlagskriterien maßgeblichen Prinzipien siehe ausführlich Dullinger/Damjanovic, Eignungs- und Zuschlagskriterien, in Griller/ Holoubek (Hrsg), Grundfragen, 159 (192 ff). In gewissem Ausmaß können auch vergabefremde Kriterien für die Wahl des wirtschaftlich günstigsten Angebotes herangezogen werden; siehe dazu bereits oben Pkt V.A.8. Vgl insb EuGH Rs C-448/01, EVN und Wienstrom, Slg 2003, I-14527 (Belieferung von Verwaltungsdienststellen mit elektrischem Strom - hinsichtlich der Zuschlagskriterien wurde folgende Gewichtung festgelegt: 55% Gewicht für „Nettopreis pro Kilowattstunde“ und 45% Gewicht für „Energie aus erneuerbaren Energieträgern“). Bspw: Preis 65%, Qualität 25%, Kundendienst 10%. Diese Angabe kann auch mittels Festlegung einer Marge, deren größte Bandbreite angemessen sein muss, erfolgen. Siehe § 80 Abs 3 BVergG. Siehe § 85 sowie § 2 Z 32 BVergG. Das Vadium dient gem § 2 Z 32 lit a BVergG als Sicherstellung für den Fall, dass der Bieter während der Zuschlagsfrist von seinem Angebot zurücktritt oder der Bieter nach Ablauf der Angebotsfrist behebbare wesentliche Mängel trotz Aufforderung des Auftraggebers schuldhaft nicht behebt (Anmerkung: und damit darüber disponieren kann, ob sein Angebot aus dem Vergabeverfahren auszuscheiden ist). Zur Behebbarkeit von Angebotsmängeln siehe Pkt V.C.6.b. § 86 BVergG. Bei größeren Auftragsvorhaben kann die Festsetzung eines Vadiums mitunter bewusst dazu führen, finanzschwache oder zu knapp kalkulierende Unternehmen aus Risikogründen von der Teilnahme am Vergabeverfahren „abzuschrecken“.
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i) Bindung an die Ausschreibungsunterlagen Der Auftraggeber ist an die Ausschreibungsbedingungen gebunden und darf davon grundsätzlich nicht mehr abgehen; das würde insbesondere dem Gleichbehandlungsgebot widersprechen345. Auch die Bieter haben sich im offenen und nicht offenen Verfahren bei der Erstellung ihrer Angebote strikt an die Ausschreibungsunterlagen zu halten346. Dieser Grundsatz gilt im Verhandlungsverfahren naturgemäß nicht, da bei dieser Verfahrensart über den gesamten Auftragsinhalt verhandelt werden darf und daher auch die Vorgaben der Ausschreibungsunterlagen verändert werden können. j) Fehlerhafte Ausschreibung, Berichtigung Fehlerhafte Ausschreibungsunterlagen können vom Auftraggeber während der Angebotsfrist berichtigt werden; erforderlichenfalls ist die Angebotsfrist entsprechend zu verlängern347. Ein Ausschreibungsmangel kann - sofern er vom Auftraggeber nicht berichtigt wird oder berichtigt werden kann - den Widerruf der Ausschreibung oder - wenn Unternehmer im Wege der Nachprüfung dagegen vorgehen - allenfalls die Nichtigerklärung der Ausschreibung bzw der betreffenden Ausschreibungsbedingung durch die Vergabekontrollbehörden zur Folge haben348. Bieter, die eine Berichtigung der Ausschreibung für angezeigt erachten, trifft die Obliegenheit, dies dem Auftraggeber unverzüglich anzuzeigen349. 345
346
347 348 349
In der vergaberechtlichen Spruchpraxis heißt es dazu: Der Auftraggeber ist verpflichtet, die von ihm festgelegten Ausschreibungsbedingungen, insb die Zuschlagskriterien, soweit sie nicht bekämpft wurden, dem Vergabeverfahren zugrunde zu legen und davon ausgehend eine Prüfung der Angebote vorzunehmen und schließlich die Zuschlagsentscheidung zu treffen (VKS Wien 25.1.2006, VKS2791/05). Alle Bieter müssen im Sinne dieser Grundsätze nämlich darauf vertrauen können, dass der Auftraggeber seine eigenen Ausschreibungsbedingungen einhält und die Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote über die gleichen Chancen verfügen (zB BVA 2.2.2006, 07N-126/05-60 mwN). Als unzulässig wäre es daher anzusehen, wenn der Auftraggeber zur Bestbietermittlung andere Zuschlagskriterien heranziehen wollte, als diejenigen in der Bekanntmachung oder in den Ausschreibungsunterlagen genannten (siehe § 80 Abs 3 iVm § 130 Abs 1 BVergG). § 106 Abs 1 BVergG. Damit steht die Verpflichtung des Auftraggebers in Zusammenhang, die konstruktive Leistungsbeschreibung in einem offenen oder nicht offenen Verfahren so abzufassen, dass sie in derselben Fassung sowohl für das Angebot als auch für den Leistungsvertrag verwendet werden kann (siehe § 79 Abs 4 BVergG). § 90 BVergG. Zur Zuständigkeit der Rechtsschutzbehörden im Rahmen sog Nachprüfungsverfahren siehe noch Pkt VII.B.2. § 106 Abs 6 BVergG. Eine Missachtung der Rügeobliegenheit zeitigt zwar keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen, ist aber in einem allfälligen Rechtsschutzverfahren entsprechend zu „bewerten“ und kann eine Verminderung von Schadenersatzansprüchen des Bieters nach sich ziehen. Diese Regelung dient in erster Linie dazu, Fehler, die in einem Vergabeverfahren passieren, möglichst frühzeitig aufgreifen und beheben zu können. Gleichzeitig soll ein Bieter, dem ein solcher Fehler bereits frühzeitig bekannt war, der den Auftraggeber aber nicht darauf hingewiesen hat, nicht nachträglich etwa im Wege von Schadenersatzforderungen von einer solchen Verhaltensweise profitieren können.
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3. Das Angebot a) Allgemeine Anforderungen Aufgrund der Ausschreibung und der Ausschreibungsunterlagen können interessierte Bieter innerhalb der Angebotsfrist ihre Angebote350 legen. Im offenen und nicht offenen Verfahren müssen sich die Bieter bei Erstellung ihres Angebots genau an die Ausschreibung halten, der vorgeschriebene Text der Ausschreibungsunterlagen darf weder geändert noch ergänzt werden (Kongruenz zwischen Ausschreibung und Angebot)351. Angebote müssen unterschiedliche Formvorschriften erfüllen: Sie sind an die in den Ausschreibungsunterlagen vorgeschriebene Form gebunden352, grundsätzlich in deutscher Sprache zu erstellen und haben alle Beträge in Euro auszuweisen. Sie müssen vollständig, frei von Zahlen- oder Rechenfehlern und so ausgefertigt sein, dass Veränderungen bemerkbar oder nachweisbar wären353. Jedes Angebot hat zudem gewisse inhaltliche Kriterien zu erfüllen. So zählen Name und Geschäftssitz des Bieters, Nachweis über das erlegte Vadium, Preisangaben sowie rechtsgültige Unterfertigung des Bieters354 zu den unbedingten Angebotsbestandteilen355. Angebote müssen sich zudem auf die ausgeschriebene Gesamtleistung beziehen. Die Abgabe von Teilangeboten ist nur zulässig, wenn dies in der Ausschreibung ausdrücklich vorgesehen ist356. Für die Angebotserstellung gebührt grundsätzlich keine gesonderte Vergütung357. Wird das Vergabeverfahren hingegen aus Gründen, die der Auftraggeber zu vertreten hat, widerrufen, sind den Bietern auf Verlangen die Kosten der Ausschreibungsunterlagen zurückzuerstatten. Mit Abgabe des Angebots ist der Bieter bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist zivilrechtlich an sein Angebot gebunden. Lediglich bis zum Ende der Angebotsfrist kann ein bereits eingereichtes Angebot vom Bieter geändert oder er-
350 351 352
353 354
355 356 357
Siehe die Begriffsdefinition des § 2 Z 3 BVergG. § 106 Abs 1 BVergG. Angebote werden im Regelfall in Papierform eingereicht. Hat der Auftraggeber die Zulässigkeit der elektronischen Angebotsabgabe (spätestens in den Ausschreibungsunterlagen) bekannt gegeben, können Angebote elektronisch übermittelt werden. Zur elektronischen Angebotsübermittlung siehe die besonderen Bestimmungen der §§ 91 ff und 113 ff BVergG. § 107 BVergG. Meist wird in den Ausschreibungsunterlagen eine „firmenmäßige Fertigung“ des Angebots verlangt. Zur Frage, ob das Fehlen einer solchen Fertigung einen behebbaren Mangel darstellt oder ob das nicht ordnungsgemäß gefertigte Angebot zwingend auszuscheiden ist vgl die Judikaturdivergenz zwischen VwGH, der erstgenannter Auffassung anhängt (zB 15.12.2006, 2005/04/0091 mwN), und OGH (2.7.2002, 4 Ob 154/02d). Siehe § 108 Abs 1 BVergG. § 106 Abs 3 BVergG. § 111 BVergG. Werden besondere Ausarbeitungen verlangt (dies kann vor allem bei funktionalen Ausschreibungen der Fall sein), ist hierfür eine angemessene Vergütung vorzusehen (§ 111 Abs 3 BVergG).
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gänzt werden358. Innerhalb dieses Zeitraums ist auch ein Rücktritt vom Angebot möglich359. b) Angebote von Arbeits- und Bietergemeinschaften Angebote können auch von Arbeitsgemeinschaften und Bietergemeinschaften eingebracht werden. Das BVergG definiert Arbeitsgemeinschaften (ARGE) als Zusammenschluss mehrerer Unternehmer, die sich dem Auftraggeber solidarisch zur vertragsgemäßen Erbringung einer Leistung verpflichten. Diese Verpflichtung kann sich auf die gleiche Fachrichtung oder verschiedene Fachrichtungen beziehen360. ARGEs sind nicht auf den Betrieb eines bestimmten Geschäftszweiges hin ausgerichtet, sondern als Gelegenheitsgesellschaften auf Durchführung eines bestimmten Geschäfts bedacht. Als Bietergemeinschaft wird demgegenüber der Zusammenschluss mehrerer Unternehmer zum Zweck des Einreichens eines gemeinsamen Angebots bezeichnet361. Arbeits- und Bietergemeinschaften sind nicht verpflichtet, zwecks Einreichens des Angebots eine bestimmte Rechtsform anzunehmen362. Die Vorteile des Zusammenschlusses mehrerer Unternehmer zu einer ARGE bzw einer Bietergemeinschaft liegen - vor allem bei größeren, komplexen Auftragsprojekten - in der Ermöglichung einer breiteren Streuung des finanziellen Risikos sowie der Zusammenarbeit verschiedener Unternehmer, die für sich fachlich, technisch oder personell nicht zur Auftragsausführung in der Lage wären. Damit gehen auch die potentiellen Nachteile einher, denn Zusammenschlüsse zu Arbeits- bzw Bietergemeinschaften sind grundsätzlich geeignet, den Vergabewettbewerb zu behindern oder einzuschränken. Um diese Gefahr hintanzuhalten, kann der Auftraggeber die Teilnahme oder die Bildung von Arbeits- oder Bietergemeinschaften in der Ausschreibung für unzulässig erklären, sofern dafür sachliche Gründe vorliegen, die sich auf die Art und die Rahmenbedingungen der zu beschaffenden Leistung beziehen363. Er hat ferner die Möglichkeit, die Mitgliederanzahl zu beschränken oder Beschränkungen
358 359 360 361 362
363
Zur - eingeschränkt bestehenden - Möglichkeit, Angebotsmängel zu beheben, siehe Pkt V.C.6.b. § 106 Abs 8 BVergG. § 2 Z 7 BVergG. Siehe § 2 Z 14 BVergG. Dadurch wird es mehreren Rechtspersonen ermöglicht, ein gemeinsames Angebot im Vergabeverfahren zu legen, ohne für die gemeinsame Angebotslegung das „gemeinsame Dach“ einer juristischen Person mit eigener Rechtspersönlichkeit wählen zu müssen (VwGH 30.6.2004, 2002/04/011). Der Auftraggeber kann jedoch von einer Arbeits- oder Bietergemeinschaft verlangen, im Auftragsfall eine bestimmte Rechtsform anzunehmen. Dies kann insb mit der Beschaffenheit des Marktes, der Anbieterstruktur, etc in Zusammenhang stehen (siehe dazu die Bemerkungen in den Mat, 1171 BlgNR 22. GP 40 f). Für die Zulässigkeit einer solchen Beschränkungsmöglichkeit siehe auch EuGH Rs C-57/01, Makedoniko Metro, Slg 2003, I-1091, Rz 60.
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hinsichtlich der Zusammensetzung (etwa Verbot der Mehrfachbeteiligung) vorzusehen364. Zur kontrovers diskutierten Frage, wie der Nachweis der Befugnis im Falle der Angebotslegung durch eine Bietergemeinschaft zu erfolgen habe, trifft nunmehr § 70 Abs 5 BVergG eine klarstellende Regelung365: Umfasst der Leistungsgegenstand ausschließlich Leistungen, für die dieselbe Befugnis erforderlich ist, so haben alle Mitglieder der Bietergemeinschaft die entsprechende Befugnis nachzuweisen. Ist eine Gesamtleistung ausgeschrieben, die unterschiedliche Befugnisse in verschiedenen Fachrichtungen erfordert, hat jedes Mitglied einer Bietergemeinschaft - nur - die Befugnis für den ihm konkret zufallenden Leistungsteil nachzuweisen.
Bietergemeinschaften haben für die Zwecke der ihnen gemäß dem BVergG eingeräumten Rechte auch Parteifähigkeit zur Geltendmachung dieser Rechte366.
Ungeachtet ihrer grundsätzlichen vergaberechtlichen Zulässigkeit können Bieterund Arbeitsgemeinschaften (als Submissionsabsprachen bzw -kartelle) verbotene Kartelle im Sinne des allgemeinen Wettbewerbsrechts sein. Dies kann dazu führen, dass Angebote kartellrechtswidriger Bieter- bzw Arbeitsgemeinschaften (wenn kein Ausnahmetatbestand des KartG zum Tragen kommt) vom Auftraggeber gemäß § 129 Abs 1 Z 8 BVergG ausgeschieden werden müssen367.
4. Entgegennahme und Öffnung der Angebote Das gesamte Vergabeverfahren ist von besonderen Geheimhaltungsverpflichtungen des Auftraggebers geprägt. Die Öffnung der Angebote erfolgt beim offenen und beim nicht offenen Verfahren an einem festgesetzten Ort zu festgesetzter Zeit. Die Bieter haben das Recht, anwesend zu sein368. Gewisse Angaben, wie Name und Geschäfts364
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Siehe § 20 Abs 2 BVergG. Beim nicht offenen Verfahren und beim Verhandlungsverfahren haben die aufgeforderten Bewerber dem Auftraggeber gem § 20 Abs 2 BVergG die Bildung einer Bieter- oder Arbeitsgemeinschaft vor Ablauf der halben Angebotsfrist mitzuteilen. Damit soll dem Auftraggeber noch die Möglichkeit gegeben werden, auf die dadurch bewirkte Verkleinerung des Bieterkreises - durch zusätzliche Aufforderungen zur Angebotsabgabe - reagieren zu können. Vgl dazu das Erkenntnis VfSlg 17.230/2004, auf das die nunmehrige gesetzliche Regelung im Wesentlichen zurückgeht; in diese Richtung bereits Holoubek, Gewerbebefugnis und Bietergemeinschaften - zum Verhältnis von Gewerbe- und Vergaberecht, RPA 2003, 263 ff. Zur früheren Rechtslage siehe zusammenfassend Öhler/ Schramm in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 30, Rz 34 ff.. § 20 Abs 2 BVergG. Auch zur Einbringung von Rechtsschutzanträgen nach dem BVergG ist daher bloß die Arbeits- oder Bietergemeinschaft legitimiert, nicht hingegen ihre einzelnen Mitglieder (so 1171 BlgNR 22. GP 41 unter Hinweis auf EuGH Rs C-129/04, Espace Trianon, Slg 2005, I-7805); zur Parteifähigkeit von Bietergemeinschaften auch schon VwGH 30.6.2004, 2002/04/0011. Zum Zusammenspiel von Kartell- und Vergaberecht vgl näher Gruber in Bundesvergabeamt (Hrsg), Standpunkte, 17 (20 f); Gruber/Keznickl, Auswirkungen des KartG 2005 und des BVergG 2006 auf Arbeits- und Bietergemeinschaften, ZVB 2006, 69 ff; vgl weiters Elsner, BVergG 2006, Rz 20 ff. Beim Verhandlungsverfahren ist keine formalisierte Vorgehensweise reglementiert; die Bieter sind bei der Angebotsöffnung auch nicht zugegen, weil im Verhandlungsverfahren grundsätzlich Geheimhaltungspflicht besteht (siehe § 118 Abs 2 BVergG). Im Sektorenbereich entfällt das Erfordernis einer formalisierten Angebotsöffnung zur Gänze (§ 264 BVergG).
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sitz des Bieters, der Gesamtpreis sowie wesentliche Erklärungen der Bieter sind zu verlesen und in einer Niederschrift festzuhalten369. In der Folge hat der Auftraggeber die Angebote zu prüfen. Im Wesentlichen geschieht dies zweistufig: Zunächst werden die Eignungskriterien geprüft und nicht geeignete Bieter und deren Angebote ausgeschieden. Im Weiteren kommt es anhand der festgelegten Zuschlagskriterien zur Auswahl des Bestbieters und damit zur Zuschlagsentscheidung.
5. Eignungsprüfung In der Phase der Eignungsprüfung werden die Bieter einer unternehmensbezogenen Bewertung unterzogen. Ziel der Eignungsprüfung ist es, die Angebote derjenigen Unternehmer vom Vergabeverfahren auszuschließen, die aus verschiedenen Gründen eine ordnungsgemäße Auftragsausführung nicht erwarten lassen. Zu diesem Zweck normiert das BVergG zunächst jene Gründe, die den zwingenden Ausschluss eines Bieters vom Vergabeverfahren zur Folge haben (Ausschlussgründe). Überdies werden Vorschriften bezüglich des Vorliegens der (positiven) Eignung der Unternehmer getroffen. Diese untergliedern sich näher in Bestimmungen hinsichtlich der Befugnis, der beruflichen Zuverlässigkeit sowie der finanziellen, wirtschaftlichen und technischen Leistungsfähigkeit. Anhand dessen lässt sich der Vorgang der Eignungsprüfung im Wesentlichen in zwei Abschnitte - das Ausschlussverfahren und die eigentliche Eignungsbeurteilung - strukturieren. Gemäß § 68 BVergG sind Unternehmer von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen, wenn bestimmte, taxativ genannte Ausschlussgründe vorliegen. Dazu zählen zB rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen, Liquidation des Unternehmers, schwere Verfehlungen gegen Arbeits- und Sozialrecht, Verstoß gegen die Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, etc. Von einem Ausschluss kann trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes insbesondere dann Abstand genommen werden, wenn auf die Beteiligung des betreffenden Unternehmers aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses nicht verzichtet werden kann370. Die in § 69 erster Satz BVergG definierte Eignung der Bieter setzt sich aus deren Befugnis, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit zusammen. Diese Eignungsbestandteile müssen kumulativ erfüllt werden. Der Auftraggeber hat die Eignung der Bieter anhand der von ihm in der Ausschreibung bzw Bekanntmachung festgelegten Nachweise zu prüfen371. Die Befugnis umschreibt gemäß § 71 BVergG die Berechtigung des Unternehmers, eine bestimmte berufliche Tätigkeit ausüben zu dürfen oder Mitglied in einem Berufs- oder Handelsregister zu sein. Mit der - allgemeinen und besonderen372 - beruflichen Zuverlässigkeit wird das berufliche Verhalten eines Unternehmers und seine rechtliche Situation bewertet. Die Nachweise, die für das Vorliegen der beruflichen Zuverlässigkeit
369 370 371 372
§ 118 Abs 5 und 6 BVergG. Siehe § 68 Abs 3 BVergG. Zur Festlegung der Eignungsnachweise und -kriterien siehe Pkt V.C.2.c. Für die Unterscheidung siehe §§ 72 und 73 BVergG.
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abverlangt werden können, korrespondieren weitgehend mit den Ausschlussgründen gemäß § 68 BVergG373. Die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit umfasst gemäß § 74 BVergG in erster Linie die Bonität des Unternehmers, den Unternehmensumsatz sowie Haftungsvorkehrungen. Als Nachweise können insbesondere Bankenerklärungen, die Vorlage von Bilanzen oder sonstige Angaben über die finanzielle Ausstattung des Unternehmens gefordert werden. Die technische Leistungsfähigkeit ist gemäß § 75 BVergG anhand der materiellen und personellen Fähigkeit des Unternehmers, die ausgeschriebene Leistung zu erbringen, zu beurteilen. Zu den möglichen - im Unterschied zur finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Gesetz taxativ genannten - Nachweisen zählen vor allem Referenzprojekte, Ausbildungsnachweise sowie Erklärungen hinsichtlich der technischen Ausstattung des Unternehmers374. Gemäß § 76 BVergG kann der Unternehmer die fehlende Leistungsfähigkeit durch die Leistungsfähigkeit eines anderen Unternehmers substituieren, sofern er nachweisen kann, dass ihm die Mittel des Dritten für die Auftragsausführung tatsächlich zur Verfügung stehen375. Unter den gleichen Voraussetzungen können sich auch ARGEs und Bietergemeinschaften auf die Kapazitäten ihrer Mitglieder oder anderer Unternehmer stützen.
Während im offenen Verfahren die Eignung erst nach Angebotsöffnung zu prüfen ist (aber im Zeitpunkt der Angebotsöffnung vorliegen muss376), muss sie im nicht offenen Verfahren und im Verhandlungsverfahren grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe gegeben sein377. Für den USB kommen grundsätzlich dieselben Regelungen wie für den OSB zum Tragen, allerdings kann der Auftraggeber bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen von einem Nachweis der Eignung absehen378. Im Sektorenbereich sind im Hinblick auf die Eignungsprüfung der Unternehmer umfassende Vereinfachungen vorgesehen379; darüber hinaus steht Sektorenauftraggebern die Möglichkeit offen, im Rahmen eines Prüfsystems die Qualifikation der Bieter bereits vorab zu überprüfen (so genannte Präqualifikation380). Angebote ungeeigneter Unternehmen, also von Unternehmern, die einen der Eignungsbestandteile nicht erfüllen können, sind vom Auftraggeber gemäß § 129 BVergG auszuscheiden381. 373
374 375 376 377 378 379 380 381
Im Falle der Zulässigkeit einer ARGE oder Bietergemeinschaft ist der Nachweis der beruflichen Zuverlässigkeit für alle dergestalt am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmer zu erbringen. Siehe § 75 BVergG. Zu den Voraussetzungen der Substitution der Leistungsfähigkeit durch Subunternehmer siehe oben Pkt V.C.2.e. § 69 Z 1 BVergG. § 69 Z 2 und 3 BVergG. Siehe § 78 BVergG. Siehe die §§ 228 ff BVergG. Zum Prüfsystem siehe § 232 BVergG; dazu noch Pkt VI.B. (FN 419). Zum Ausscheiden von Angeboten siehe sogleich. Im Unterschied zu Auswahlkriterien sind Eignungskriterien somit absolute Kriterien, die entweder erfüllt werden oder nicht erfüllt werden (K.O.-Kriterien). Eine qualitativ-quantitative Wertung iSv „besser qualifiziert“ - „schlechter qualifiziert“ ist nicht möglich.
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6. Angebotsprüfung In einem zweiten Prüfschritt werden die Angebote der geeigneten Bieter im Zuge der so genannten Angebotsprüfung bewertet und im Hinblick auf die in der Ausschreibung genannten Leistungsanforderungen überprüft. Die Prüfung der Angebote hat in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht nach den in der Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen festgelegten Kriterien zu erfolgen. Dabei werden insbesondere die Formrichtigkeit und Vollständigkeit der Angebote, die rechnerische Richtigkeit der Angebote sowie die Angemessenheit der Preise einer Prüfung unterzogen (§ 122 ff BVergG)382. Im Interesse einer der ausgeschriebenen Leistung entsprechenden Zuschlagserteilung und der Sicherung der Vertragsausführung trifft das BVergG schließlich auch Regelungen über das Ausscheiden bestimmter, nicht für die Zuschlagserteilung und Auftragsausführung geeigneter Angebote vom Vergabeverfahren. a) Angemessenheit der Preise, vertiefte Angebotsprüfung Der Auftraggeber hat die Angemessenheit der Preise in Bezug auf die ausgeschriebene Leistung zu prüfen. Dabei ist von vergleichbaren Erfahrungswerten, vorliegenden Unterlagen sowie den jeweils relevanten Marktverhältnissen auszugehen383. Sind bei Angeboten die Gesamtpreise ungewöhnlich niedrig, die Einheitspreise zu hoch oder zu niedrig oder bestehen begründete Zweifel an der Angemessenheit der Angebotspreise, hat der Auftraggeber eine vertiefte Angebotsprüfung einzuleiten und vom Bieter Aufklärung über die Positionen des Angebots zu verlangen384. Durch eine solche besondere, vertiefte Prüfung der Angebote soll eine spekulative bzw unseriöse Angebotsgestaltung ausgeschlossen werden385. Den Bietern ist Gelegenheit zu geben, die Seriosität ihrer Angebote darlegen zu können, also die Preise betriebswirtschaftlich erklärbar und für den Auftraggeber nachvollziehbar zu machen. Kann der Bieter die Zusammensetzung der Angebotspreise trotz vertiefter Angebotsprüfung nicht plausibel darlegen, ist das betreffende Angebot auszuscheiden386. Ein automatisches Ausscheiden (ohne vertiefte Angebotsprüfung) unangemessen erscheinender Angebote ist unzulässig387. 382
383 384
385 386 387
Über die Prüfung der Angebote und ihr Ergebnis ist eine Niederschrift zu verfassen, in welcher alle für die Beurteilung der Angebote wesentlichen Umstände festzuhalten sind (§ 128 BVergG). § 125 BVergG. Der Auftraggeber hat bei der vertieften Angebotsprüfung ua die am Ort der Leistungserbringung geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen sowie die etwaige Gewährung einer staatlichen Beihilfe (zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Teilnahme subventionierter Bieter am Vergabeverfahren vgl EuGH Rs C-94/99, ARGE Gewässerschutz, Slg 2000, I-11037 sowie oben Pkt V.A.1.) zu berücksichtigen. Zu den Instrumenten der Preisangemessenheitsprüfung sowie zur vertieften Angebotsprüfung näher Kropik in Sachs (Hrsg), Schwerpunkte II, 151 ff. § 129 Abs 1 Z 3 BVergG. Siehe dazu EuGH 27.11.2001, Rs C-285/99 ua, Impresa Lombardini, Slg 2001, I-9233, Rz 53 ff, 67 ff.
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b) Mangelhaftigkeit der Angebote, behebbare und unbehebbare Mängel Bieter sind nach Ablauf der Angebotsfrist - und damit jedenfalls bereits zum Zeitpunkt der Angebotsprüfung - an ihr Angebot gebunden. Zwar können unter bestimmten Voraussetzungen nach wie vor Angebotsmodifikationen vorgenommen werden, allerdings liegt diese Möglichkeit nicht mehr unbeschränkt beim Bieter. Für die Beurteilung, ob eine nachträgliche Angebotsänderung vorgenommen werden darf, unterscheidet das BVergG zwischen behebbaren und unbehebbaren Mängeln. Diese Differenzierung ergibt sich aus § 129 Abs 1 Z 7 BVergG, wonach fehlerhafte oder unvollständige Angebote auszuscheiden sind, wenn deren Mängel nicht behoben wurden oder nicht behebbar sind388. Ob ein Mangel demgemäß behebbar oder unbehebbar ist, hat der Auftraggeber anhand eines objektiven, an den allgemeinen Vergabegrundsätzen (insbesondere Wettbewerbsgebot, Gleichbehandlungsgebot) orientierten Maßstabes zu beurteilen389. Im Allgemeinen wird ein Mangel dann als verbesserungsfähig anzusehen sein, wenn die Mängelbehebung nicht zu einer Veränderung der Wettbewerbsstellung führt, also für den betroffenen Bieter insbesondere keine Besserstellung im Vergabewettbewerb bewirkt390. c) Ausscheiden von Angeboten Aufgrund der Ergebnisse der Angebotsprüfung hat der Auftraggeber bestimmte Angebote vom Vergabeverfahren auszuscheiden. Zu den Ausscheidensgründen zählen sowohl formale Kriterien, die auf das Vorliegen eines vollständigen und ordnungsgemäßen Angebots abstellen, als auch bieter- bzw unternehmensbezogene Aspekte. Im Wesentlichen nennt § 129 BVergG folgende Ausscheidensgründe: • Verwirklichung eines Ausschlussgrundes durch den Bieter • mangelnde Eignung des Bieters • keine plausible Zusammensetzung des Gesamtpreises • keine Preisangabe im Angebot • Nachweis des Vadiums fehlt • verspätetes Einlangen des Angebots 388
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Weist ein Angebot hingegen einen derart gravierenden Mangel auf, dass dem Auftraggeber die Bearbeitung nicht zugemutet werden kann, ist das Angebot - ohne weitere Aufklärungsgespräche - auszuscheiden (§ 126 Abs 3 BVergG). Zur Behebbarkeit von Mängeln vgl insb VwGH 29.6.2005, 2005/04/0024 mwN. Mangels konkreter gesetzlicher Vorgaben ist bei der Beurteilung jeweils auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen. Das Hauptfeld für die Sanierung von behebbaren Mängeln liegt bei unvollständigen Angeboten bzw Angeboten, die einen Formalfehler aufweisen: zB Vorlage einer zu alten Strafregisterauskunft; bloßes Fehlen der rechtmäßigen Fertigung eines Angebots. So handelt es sich nach der Judikatur des VwGH etwa beim Fehlen eines Nachweises einer im maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorhandenen Befugnis um einen behebbaren Mangel (VwGH 24.2.2006, 2004/04/0078). Als unbehebbar wurden demgegenüber zB qualifiziert: fehlende Angabe der bewertungsrelevanten Preise; Nichtangabe des Auftragsbestandteils, der subvergeben werden soll; Nichtangabe der Subunternehmer; Verweis auf die Geltung eigener Geschäftsbedingungen, etc. Diese und weitere Judikaturbeispiele bei Fink/Schiefer in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht, 405f. Vgl dazu VwGH 2003/04/0186 und EuGH Rs C-87/94, Kommission/Belgien, Slg 1996, I-2043, Rz 56.
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Widerspruch des Angebots zu den Ausschreibungsunterlagen Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit des Angebots391 wettbewerbswidrige Unternehmensabsprachen rechnerische Fehlerhaftigkeit des Angebots392.
7. Zuschlagsverfahren Im Rahmen des Zuschlagsverfahrens wird schließlich jenes Angebot ermittelt, dem der Zuschlag erteilt werden soll. Das Zuschlagsverfahren verläuft in mehreren Etappen (s §§ 131 ff BVergG). a) Auswahl des Best- oder Billigstbieters Unter jenen Angeboten, die nach dem Ausscheiden der anderen Angebote übrig bleiben, ist der Zuschlag in Entsprechung der vom Auftraggeber in der Ausschreibung gemachten Angaben entweder dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot (Bestbieterprinzip) oder dem Angebot mit dem niedrigsten Preis (Billigstbieterprinzip) zu erteilen (§ 130 Abs 1 BVergG). Im Zuschlagsverfahren ist der Best- bzw Billigstbieter zu ermitteln und damit zu entscheiden, welchem Angebot der Zuschlag erteilt werden soll. Zum Zwecke der Angebotsbewertung können verschiedene Methoden zum Einsatz gelangen393. Zu beachten ist, dass Eignungs- und Zuschlagskriterien deutlich zu differenzieren sind und zwei voneinander getrennte (wenn auch im offenen Verfahren zeitlich regelmäßig zusammenfallende) Prüfungsvorgänge im Rahmen eines Vergabeverfahrens darstellen. Unzulässig wäre demnach die Heranziehung eines Eignungskriteriums als Zuschlagskriterium oder umgekehrt (Doppelverwertungsverbot). Auch Auswahl- und Zuschlagskriterien sind voneinander zu unterscheiden und dürfen nicht wechselseitig zur Prüfung herangezogen werden, allerdings wirft hier eine trennscharfe Abgrenzung gewisse Probleme auf.
b) Zuschlagsentscheidung Als Zuschlagsentscheidung wird die Entscheidung des Auftraggebers bezeichnet, welchem Bieter der Zuschlag erteilt werden soll. Sie ist den im Vergabeverfahren verbliebenen Bietern unverzüglich und nachweislich (elektronisch oder mittels Telefax) mitzuteilen394. Die Zuschlagsentscheidung selbst bewirkt als bloße - nicht verbindliche - Absichtserklärung des Auftraggebers, an welchen Bieter die Zuschlagserteilung erfolgen soll395, (noch) keine Auftragsvergabe. Allerdings ist die Zuschlagsentscheidung notwendige Vorstufe für eine erfolgreiche Zuschlagserteilung: An die Mitteilung der Zuschlagsentscheidung knüpft eine vierzehntägige „Stillhaltefrist“, innerhalb derer der
391 392 393 394 395
Wenn die Mängel nicht behoben wurden bzw nicht behebbar sind, oben Pkt V.C.6.b. § 126 Abs 4 BVergG. Zur Frage der Behebbarkeit von Rechenfehlern siehe weiters Pointner/Prünster in Bundesvergabeamt (Hrsg), Standpunkte, 29 (31 ff). Zu möglichen Bewertungsverfahren eingehend Platzer in Sachs (Hrsg), Standpunkte II, 165 ff. § 131 BVergG. Siehe dazu die Definition in § 2 Z 48 BVergG.
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Auftraggeber den Zuschlag nicht erteilen darf396. Ein unter Verstoß gegen die Verpflichtung zur Mitteilung zur Zuschlagsentscheidung bzw ein verfrüht abgegebener Zuschlag ist ex tunc - absolut - nichtig. c) Zuschlagserteilung Erst nach Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung und nach Ablauf der Stillhaltefrist darf der Auftraggeber dem in Aussicht genommenen Bieter den Zuschlag erteilen. Die Zuschlagserteilung (Zuschlag) bezeichnet die Erklärung des Auftraggebers an den Bieter, sein Angebot anzunehmen und hat schriftlich zu erfolgen397. Das Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und Bieter kommt grundsätzlich im Zeitpunkt der schriftlichen Verständigung des Bieters zustande. Hat der Auftraggeber die Zuschlagsfrist hingegen überschritten, bedarf es - da der Bieter nicht mehr an sein Angebot gebunden ist - zusätzlich einer schriftlichen Erklärung des Bieters, den Auftrag annehmen zu wollen398. Der Zuschlag darf grundsätzlich nur auf die gesamte ausgeschriebene Leistung erteilt werden (Gesamtvergabe). Eine Teilvergabe ist ausnahmsweise zulässig, wenn die Vergabe getrennter Teile der Leistung bereits in der Ausschreibung vorgesehen wurde399. Über die erfolgreiche Auftragsvergabe hat der Auftraggeber einen Vergabevermerk anzufertigen400.
8. Widerruf Ein Vergabeverfahren kann auch durch Widerruf der Ausschreibung enden401. Mangels Zuschlagserteilung kommt es im Fall des Widerrufs zu keinem Vertragsschluss, also auch zu keiner Auftragserteilung. Ähnlich der zweistufigen Struktur der Zuschlagserteilung hat der Auftraggeber auch für den Fall des Widerrufs des Vergabeverfahrens zunächst eine Widerrufsentscheidung zu treffen, bevor der (endgültige) Widerruf erfolgt. Die Widerrufsentscheidung bezeichnet gemäß § 2 Z 44 BVergG die an die Unternehmer abgegebene, nicht verbindliche Absichtserklärung, ein Vergabeverfahren widerrufen zu wollen402. Sie ist allen im Verfahren verbliebenen Bietern unverzüglich und nachweislich mitzuteilen. An die Mitteilung knüpft eine 14-tägige Stillhaltefrist, innerhalb welcher der Widerruf bei sonstiger 396 397 398 399
400 401 402
§ 132 BVergG. § 2 Z 49 BVergG. § 134 BVergG. § 59 BVergG. In der Praxis erfolgen Teilvergaben zumeist im Baubereich, man spricht in diesem Fall von der Vergabe sog Lose bzw Gewerke (zB Tiefbauarbeiten/Trockenbauarbeiten, etc als Teilleistungen/Gewerke des gesamten Bauvorhabens). § 136 BVergG. Siehe die §§ 138 ff BVergG; dazu überblicksweise Elsner, BVergG 2006, Rz 79 ff. Die Unterscheidung zwischen Widerrufsentscheidung und Widerrufserklärung geht im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des EuGH (Rs C-92/00, Hospital Ingenieure, Slg 2002, I-5553; Rs C-15/04, Koppensteiner, Slg 2005, I-4855) zurück und hat seine Ursache in der differenzierten Ausgestaltung der gegen die jeweiligen Entscheidungen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten. Siehe dazu noch unten Pkt VII.B.2.a., bei FN 458.
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Unwirksamkeit nicht erklärt werden darf403. Weiters darf vor Ablauf der Stillhaltefrist kein neues Verfahren über den gleichen Auftragsgegenstand eingeleitet werden, sofern die Beschaffung nicht aus dringlichen zwingenden Gründen erforderlich ist. Die Widerrufserklärung (Widerruf) darf erst nach Ablauf der Stillhaltefrist erfolgen. Sie bezeichnet die an die Unternehmer abgegebene Erklärung des Auftraggebers, ein Vergabeverfahren ohne Zuschlagserteilung bzw ohne Ermittlung des Gewinners bzw des Teilnehmers zu beenden404. Der Widerruf beendet das Vergabeverfahren. Eine weitere Bindung der Unternehmer an die eingereichten Angebote entfällt ebenso wie die Verpflichtung des Auftraggebers, das eingeleitete Vergabeverfahren fortzuführen405. Für die vergaberechtliche Zulässigkeit des Widerrufs ist danach zu unterscheiden, ob dieser vor oder nach Ablauf der Angebotsfrist erfolgen soll406.
Vor Ablauf der Angebotsfrist407 ist ein Vergabeverfahren zwingend zu widerrufen, wenn Umstände bekannt werden, die, wären sie schon vor der Ausschreibung bekannt gewesen, eine Ausschreibung ausgeschlossen oder zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung geführt hätten (zB mangelnde budgetäre Bedeckung, Wahl des falschen Vergabeverfahrens408). Sollten andere sachliche Gründe vorliegen, kann das Vergabeverfahren widerrufen werden (fakultativer Widerruf). Den Gesetzesmaterialien zufolge muss es sich dabei weder um schwerwiegende noch um außergewöhnliche Umstände handeln, sodass an das Erfordernis der Sachlichkeit kein allzu strenger Maßstab anzulegen ist409. Nach Ablauf der Angebotsfrist ist das Vergabeverfahren aus den Gründen des § 139 Abs 1 BVergG zwingend zu widerrufen. Dies trifft dann zu, wenn Umstände bekannt werden, die, wären sie schon vor der Ausschreibung bekannt gewesen, eine Ausschreibung ausgeschlossen oder zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung geführt hätten, wenn kein Angebot eingelangt ist oder wenn nach dem Ausscheiden von Angeboten kein Angebot im Vergabeverfahren verbleibt. Demgegenüber kann das Vergabeverfahren nach Ablauf der Angebotsfrist widerrufen werden, wenn nur ein Angebot eingelangt ist, nach dem Ausscheiden von Angeboten nur ein Angebot verbleibt oder dafür sonstige sachliche Gründe bestehen410.
Zusätzlich zu den dargelegten Widerrufsmöglichkeiten kennt § 140 Abs 8 BVergG eine besondere Form des Widerrufs: Wird durch eine Vergabekontrollbehörde rechtskräftig festgestellt, dass der Auftraggeber nach erheblicher Überschreitung der Zuschlagsfrist und entgegen dem Ersuchen des Bieters um Fortführung des Verfahrens ein Verfahren zur Vergabe eines Auftrags weder durch Widerruf noch durch Zuschlag beendet noch das Verfahren in angemes-
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§ 140 Abs 3 BVergG. In gewissen Fällen ist eine kürzere Stillhaltefrist vorgesehen (§ 140 Abs 4 BVergG). § 2 Z 45 BVergG. Vgl § 140 Abs 7 BVergG („Mit der Erklärung des Widerrufs nach Ablauf der Stillhaltefrist gewinnen Auftraggeber und Bieter ihre Handlungsfreiheit wieder.“) Im Sektorenbereich ist eine solche Unterscheidung nicht vorgesehen, sondern der Widerruf ganz allgemein dann zulässig, wenn dafür sachliche Gründe bestehen. Siehe § 138 BVergG. Vgl bereits unten FN 235. 1171 BlgNR 22. GP 89. § 139 Abs 2 BVergG.
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sener Weise fortgeführt hat, so gilt dies als Erklärung des Widerrufs im Sinne des BVergG411. Von der Frage der Rechtmäßigkeit des Widerrufs ist die Frage nach dem Entstehen von Schadenersatzansprüchen zu trennen: Selbst wenn ein Widerruf im Sinne des dargelegten Bestimmungen gerechtfertigt ist, können - sofern die Gründe, die zum Widerruf geführt haben, vom Auftraggeber verschuldet sind die Bieter Schadenersatzansprüche gegen den Auftraggeber geltend machen412.
VI.Besonderheiten für Auftragsvergaben in den Sektoren Das BVergG sieht für Auftragsvergaben in den Sektoren vereinfachte Regelungen vor, wodurch Sektorenauftraggebern grundsätzlich mehr Gestaltungsfreiheit als öffentlichen Auftraggebern zukommt. Die Bestimmungen des 3. Teils des BVergG enthalten besondere Regelungen für Auftragsvergaben im Sektorenbereich bzw spezifische weitergehende Ausnahmebestimmungen. Die wesentlichen Besonderheiten sollen im Folgenden kurz dargestellt werden413.
A. Auftragsvergabe an verbundene Unternehmen Die Sektorenbestimmungen kennen besondere Privilegierungen für Leistungsbeziehungen zwischen („im Konzern“) verbundenen Unternehmen414 sowie zwischen Gemeinschaftsunternehmen und ihren Gesellschaftern. Leistungsvergaben durch Sektorenauftraggeber sind innerhalb bestehender Unternehmensgruppen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen, sodass grundsätzlich weder konzerninterne Beschaffungen415 noch Leistungsbeziehungen zwischen joint ventures und ihren Gründungsunternehmen416 einer vergaberechtlichen Ausschreibungspflicht unterliegen. Diese für Sektorenauftraggeber vorgesehene besondere Ausnahmebestimmung des § 176 BVergG417 für „Aufträge an verbundene Unternehmen“ ist im Wesentlichen darauf zu-
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Diese besondere Feststellungskompetenz der Rechtsschutzbehörden soll ein „Aussitzen“ des Auftraggebers vermeiden helfen. Vgl zum Feststellungsverfahren unten Pkt VII.B.3. Zum vergaberechtlichen Rechtsschutz durch Schadenersatzverfahren siehe unten Pkt VII.B.6.a. Für einen Überblick über die Regelungen des Vergabeverfahrens für Sektorenauftraggeber siehe Elsner, BVergG 2006, Rz 107 ff. Zur Begriffsdefinition verbundener Unternehmen siehe § 2 Z 39 BVergG. Voraussetzung für die Ausnahmeregelung ist, dass die Haupttätigkeit des verbundenen Unternehmens darin besteht, seine Leistungen der Unternehmensgruppe bereitzustellen, der es angehört und nicht darin, sie auf dem Markt anzubieten. Zu diesem Zweck normiert § 176 Abs 2 BVergG bestimmte Umsatzgrenzen. Hiezu allgemein Schramm/Öhler/Zellhofer in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 121, Rz 19 ff. Um in den Genuss der Ausnahmeklausel zu gelangen, muss die Beziehung zwischen dem Gründungsunternehmen und dem gemeinsamen Unternehmen eine gewisse zeitliche Dauer aufweisen (§ 176 Abs 4 BVergG). Die Ausnahmeregelung für Vergaben an verbundene Unternehmen tritt im Sektorenbereich zur Regelung für Inhouse-Vergaben hinzu.
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rückzuführen, dass der Anbietermarkt gerade in den (netzgebundenen) Infrastruktursektoren stark von konzernartigen Strukturen geprägt ist418.
B. Wahl des Vergabeverfahrens Die Wahl des Vergabeverfahrens ist für Sektorenauftraggeber in den §§ 194 ff BVergG gesondert geregelt. Grundsätzlich können Sektorenauftraggeber frei zwischen dem offenen Verfahren, dem nicht offenen Verfahren nach vorherigem Aufruf zum Wettbewerb und dem Verhandlungsverfahren nach vorherigem Aufruf zum Wettbewerb wählen. Das Verhandlungsverfahren zählt sohin im Sektorenbereich zu den Regelverfahren. Voraussetzung ist, dass ein Aufruf zum Wettbewerb durchgeführt wird, was im Wesentlichen mittels öffentlicher Bekanntmachung oder durch Bekanntmachung über das Bestehen eines Prüfsystems419 erfolgen kann420. Vom vorherigen Aufruf zum Wettbewerb kann nur unter den in § 195 BVergG genannten Gründen abgesehen werden. Mit der im Unterschied zu den klassischen Auftraggebern erweiterten Wahlfreiheit soll den Sektorenauftraggebern mehr Flexibilität im wirtschaftlichen Wettbewerb ermöglicht werden421. Angesichts dieser Privilegierung steht Auftraggebern im Sektorenbereich der wettbewerbliche Dialog nicht zur Verfügung422. Die rechtspolitische Sinnhaftigkeit dieser Differenzierung zwischen klassischem und Sektorenbereich ist allerdings zu hinterfragen. Wenn der wettbewerbliche Dialog für bestimmte Fallkonstellationen eine leistungsfähigere Alternative zum Verhandlungsverfahren darstellen soll, dann kann der Verweis auf die freie Wahlmöglichkeit des Verhandlungsverfahrens nicht rechtfertigen, dass dieses Instrument den Sektorenauftraggebern nicht zur Verfügung steht, zumal gerade im Sektorenbereich die Vergabe komplexer Infrastrukturvorhaben eine besondere Rolle spielt.
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Die rechtliche Verselbständigung bestimmter Teilbereiche des Tätigkeitsspektrums und damit die Bildung von Konzernstrukturen ist nicht zuletzt auch notwendige Konsequenz gemeinschaftsrechtlicher Liberalisierungsmaßnahmen in den Sektoren. Sektorenauftraggebern wird es gem § 232 BVergG ermöglicht, ein System zur Prüfung von Unternehmern einzurichten und zu betreiben und damit die Eignungsprüfung - losgelöst von einem konkreten Vergabevorgang - als „abstraktes“ Präqualifikationsverfahren durchzuführen. Vgl dazu weiterführend Fuchs in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, zu § 129. Siehe § 213 BVergG. Zusätzlich dazu besteht die Möglichkeit des Aufrufs zum Wettbewerb durch regelmäßige nichtverbindliche Bekanntmachung des Auftraggebers darüber, welche Aufträge er in den nächsten 12 Monaten vergeben will (siehe § 214 BVergG). Besonders bei öffentlichen Auftraggebern, die gleichzeitig Sektorenauftraggeber sein können (zur Doppelnatur öffentlicher Auftraggeber siehe oben Pkt III.E.3.) oder bei Aufträgen, die mehrere Tätigkeiten betreffen ist für die zur Verfügung stehenden Vergabeverfahren daher die genaue Zuordnung des jeweiligen Beschaffungsvorhabens zum klassischen oder zum Sektorenbereich von erheblicher Bedeutung. Auch die Rahmenvereinbarung unterscheidet sich im Sektorenbereich von dem im klassischen Bereich vorgesehenen Verfahren (siehe § 192 Abs 7 BVergG). Die Rahmenvereinbarung im Sektorenbereich ermöglicht die Vergabe von Aufträgen im Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb.
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Im USB hat der Sektorenauftraggeber die freie Wahl zwischen allen Vergabeverfahren, ausschließlich der Direktvergabe, die lediglich bis zu einem – im Vergleich zur klassischen öffentlichen Auftragsvergabe erhöhten - Auftragswert von EUR 60.000,- zulässig ist423.
C. Freistellung vom Anwendungsbereich Die Regulierung der Auftragsvergabe in den Sektoren zielt auf Tätigkeitsfelder ab, in denen sich wettbewerblich geprägte Märkte - insbesondere aufgrund staatlicher Einflussnahme - (noch) nicht etablieren konnten424. Nicht dem (Sektoren) Vergaberecht unterfallen sollen demgegenüber Tätigkeiten, die auf Märkten ohne Zugangsbeschränkungen dem freien Wettbewerb ausgesetzt sind425. In Umsetzung des Art 30 SektorenRL426 sieht § 179 BVergG ein Verfahren vor, das die Freistellung von Sektorentätigkeiten aus dem Anwendungsbereich der Vergabebestimmungen für alle Sektorentätigkeiten ermöglicht427, wenn die Sektorentätigkeit in Österreich auf einem Markt mit freiem Zugang unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt ist428. Der freie Marktzugang wird vermutet, wenn bestimmte gemeinschaftliche Rechtsvorschriften zur Liberalisierung des betroffenen Sektors oder Teilsektors in Österreich umgesetzt wurden und angewendet werden429. Basiert der freie Zugang zum Markt hingegen nicht auf gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, etwa weil in diesem Bereich noch keine gemeinschaftsweiten Liberalisierungsakte erlassen wurden, muss dieser „de iure und de facto“ nachgewiesen werden. Ob die betroffene Sektorentätigkeit unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt ist, bestimmt sich nach den allgemeinen Wettbewerbsregeln des EGV. Maßgeblich dabei sind die Merkmale der betreffenden Waren und Dienstleistungen, das Vorhandensein von Alternativen sowie die Preis- und Anbieterstruktur auf dem relevanten Markt430. Die Freistellung vom Sektorenvergaberecht setzt eine entsprechende Feststellungsentscheidung der Europäischen Kommission voraus431. Das Verfahren 423 424 425
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§ 201 BVergG. Siehe bereits oben Pkt III.E. Siehe dazu insb die Erwägungsgründe 40 f SektorenRL. Weiterführend Fuchs, Sektoren-News, ZVB 2005, 145; Jochum in Grabitz/Hilf (Hrsg), EU Kommentar, EL 25, 2005, B21, Rz 60 ff; ausführlich Arrowsmith, Public Procurement, 879 ff. Vgl dazu Fuchs, Die neue EG-Sektorenrichtlinie (Teil 2), ZVB 2004, 250 (251 f). Da die Freistellungsregelung für alle Sektorentätigkeiten gleichermaßen gilt, wird sie in der Literatur auch als „horizontale Liberalisierungsklausel“ bezeichnet. Zu den materiellen Freistellungsvoraussetzungen Lenneis, Das Verfahren zur Freistellung vom Geltungsbereich des Sektorenvergaberechts, RPA 2005, 281 f. Eine Auflistung der maßgeblichen Gemeinschaftsvorschriften findet sich in Anhang XVIII BVergG. Nähere Maßgaben für die Beurteilung, wann eine Tätigkeit unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt ist (insb zur Frage des relevanten Marktes), trifft die Entscheidung 2005/15/EG der Europäischen Kommission. Die von der Europäischen Kommission bislang getroffenen Freistellungsentscheidungen betreffen vornehmlich den Energiebereich (vgl zB die Entscheidung 2006/211/EG zur Freistellung der Stromerzeugung in England, Schottland und Wales sowie 2007/141/EG zur Freistellung der Lieferung von Strom/Erdgas in die-
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kann von einem Mitgliedstaat, einem Sektorenauftraggeber oder von Amts wegen eingeleitet werden432. Infolge einer positiven Freistellungsentscheidung der Kommission sind die betroffenen Sektorenauftraggeber zur Gänze vom Anwendungsbereich des BVergG ausgenommen, sie unterliegen daher auch nicht mehr dem Anwendungsbereich der klassischen Vergabebestimmungen433.
VII. Rechtsschutz A. Allgemeines Die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Vergabewettbewerbs und damit die Vorsorge für eine wirtschaftliche, effiziente Auftragsvergabe ist eng mit der Sicherung und Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens verschränkt. Die Gewährleistung von Individualrechtsschutz für die Bieter trägt in hohem Maße zur Intensität des Vergabewettbewerbs bei, indem sie insbesondere das Vertrauen in eine rechtsrichtige Vergabeentscheidung und damit auch die Bereitschaft, sich an einem Vergabewettbewerb zu beteiligen, erhöht. Insofern kommt der Vergabekontrolle für die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Vergabewettbewerbs und den Bieterschutz herausragende Bedeutung zu434. Die öffentlich-rechtliche Kontrolle der Vergabeentscheidungen war in Österreich lange Zeit auf die allgemeinen Möglichkeiten der öffentlichen Verwaltungskontrolle (dazu zählen insbesondere die Kontrolle durch Rechnungshof, Volksanwaltschaft, politisch-parlamentarische Kontrolle oder Aufsichtsbeschwerde) beschränkt. Zu den signifikanten Schwachpunkten dieser Kontrollmechanismen zählte neben dem Umstand, dass sie im Regelfall auf eine bloße ex post Kontrolle hinausliefen, zudem, dass der einzelne Bieter auf das Tätigwerden der jeweiligen Einrichtung regelmäßig keinen Einfluss nehmen konnte. Im Ergebnis mangelte es an effektiven Rechtsschutzmechanismen435. Der Grundstock für eine nachhaltige Ausgestaltung des Bieterschutzes im Vergaberecht entwickelte sich aus dem Zivilrecht. In der Rechtsprechung der Zivilgerichte wurden zum einen den übergangenen Bietern bei Verletzung der vorvertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten Schadenersatzansprüche aus culpa in contrahendo zugesprochen436. Zum anderen wurde den von der Auftragsvergabe ausgeschlossenen Interessenten ein auf die Fiskalgeltung des
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sen Ländern; zur Freistellung von Stromerzeugung und -verkauf in Finnland siehe die Entscheidung 2006/422/EG). Durchführungsmodalitäten enthalten § 179 BVergG, Art 30 SektorenRL sowie die Entscheidung 2005/15/EG der Europäischen Kommission. Siehe § 179 Abs 1 BVergG („Vergabeverfahren von Sektorenauftraggebern fallen nicht unter dieses Bundesgesetz …“) sowie Art 12 Abs 1 allgemeine VergabeRL. Zu den Zielsetzungen des Vergaberechts und zu deren Zusammenwirken siehe schon oben Pkt I.A.2. Zu den Defiziten gerichtsförmiger Kontrolle des Vergabeverfahrens vgl insb Aicher, Die Vergabekontrollkommission in ihrer Bedeutung für die österreichische Rechtsentwicklung und für die Angleichung an das Recht der EG, in Korinek/Aicher, Vergabekontrollkommission, 19 (30 ff). Für einen Überblick über die Entwicklung der diesbezüglichen Judikatur siehe insb Reinbacher, Schadenersatz, 91 ff; vgl weiters Wilhelm, Vergaberechtsschutz durch das Vergaberecht - eine Judikaturkritik, in Rill/Griller (Hrsg), Grundfragen, 265.
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Gleichheitssatzes gestützter privatrechtlicher Anspruch auf Teilnahme am Vergabeverfahren eingeräumt437. Der gerichtliche Bieterschutz vermochte so einen zentralen Beitrag zur weiteren Entwicklung des Rechtsschutzes im Vergaberecht zu leisten. Das im Vergleich zum verwaltungsbehördlichen Verfahren hohe Prozesskostenrisiko, das ein Bieter auf sich nehmen muss, wenn er etwa seinen Anspruch auf Teilnahme am Vergabewettbewerb einzuklagen beabsichtigt, und die verhältnismäßig lange Dauer der Verfahren ließen - zumal im Vorfeld des Beitritts Österreichs zum EWR bzw zur EU - an einem effizienten Rechtsschutz, wie ihn das Gemeinschaftsrecht vor Augen hatte, zweifeln438. Vor diesem Hintergrund wurde für die Nachprüfung und Kontrolle von Vergabeverfahren der Weg eines öffentlich-rechtlich ausgeformten, vergabespezifischen Rechtsschutzes vor Vergabekontrolleinrichtungen eingeschlagen. Für die Erlangung von Schadenersatz ist - zusätzlich dazu - (nach wie vor) die Anrufung ordentlicher Zivilgerichte erforderlich. Daneben treten die Regelungen des allgemeinen Wettbewerbsrechts. Schließlich sind auch auf europäischer Ebene Mechanismen vorgesehen, die den Bietern Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnen.
B. Innerstaatlicher Rechtsschutz Die kompetenzrechtliche Grundlage für Gesetzgebung und Vollziehung im Bereich des vergabespezifischen Rechtsschutzes bildet Art 14b B-VG. Dieser weist „Angelegenheiten der Nachprüfung“ im Rahmen der Vergabe von Aufträgen durch die dem Bund zurechenbaren Auftraggeber in die Gesetzgebungsund Vollzugskompetenz des Bundes. Hinsichtlich der Nachprüfung von Auftragsvergaben durch die den Ländern zurechenbaren Auftraggeber ist die Gesetzgebung und Vollziehung hingegen Landessache (Art 14b Abs 3 iVm Abs 2 Z 2 B-VG). Auftragsvergaben im Vollzugsbereich der Länder unterliegen somit einem geteilten vergaberechtlichen Regelungsregime, das für die „materiellen“ Vergaberegelungen vom Bund, für den vergaberechtlichen Rechtsschutz vom Land wahrgenommen wird. Die im BVergG enthaltenen Regelungen über den vergabespezifischen Rechtsschutz finden daher grundsätzlich nur auf jene Vergabeverfahren Anwendung, die von Organen des Bundes bzw dem Bund zurechenbaren öffentlichen Auftraggebern durchgeführt werden439. Umgekehrt hat die Beurteilung, welche Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Auftragsvergaben von Organen der Länder bzw den Ländern zurechenbaren öffentlichen
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Zur Fiskalgeltung des Gleichheitssatzes im Vergaberecht vgl bspw OGH 19.10.1994, SZ 67/182; 8.6.2000, 2 Ob 149/00a. Zum privatrechtlichen Anspruch auf Beteiligung am Vergabeverfahren siehe Aicher, Die Vergabekontrollkommission in ihrer Bedeutung für die österreichische Rechtsentwicklung und für die Angleichung an das Recht der EG, in Korinek/Aicher, Vergabekontrollkommission, 19 (28 ff). Vgl hiezu die Ausführungen von Aicher, Die Vergabekontrollkommission in ihrer Bedeutung für die österreichische Rechtsentwicklung und für die Angleichung an das Recht der EG, in Korinek/Aicher, Vergabekontrollkommission, 19 (32 ff). Art 14b Abs 2 Z 1 B-VG.
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Auftraggebern zur Verfügung stehen, auf Basis der Vergabenachprüfungsgesetze der Länder440 zu erfolgen.
1. Rechtsschutzverfahren vor dem Bundesvergabeamt Der vergabespezifische Rechtsschutz wird im Bundesbereich vom Bundesvergabeamt (BVA) wahrgenommen441. Dabei handelt es sich um eine durch entsprechende Verfassungsbestimmungen abgesicherte oberste Kollegialbehörde eigener Art. Die Mitglieder des beim BMWA eingerichteten BVA sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und weisungsfrei442. Die im Geschäftsapparat tätigen Bediensteten unterstehen fachlich nur den Weisungen des Vorsitzenden443. Zudem ist das BVA - wie auch sämtliche Vergabekontrollbehörden der Länder - gemäß Art 14b Abs 6 B-VG zur Kontrolle von Entscheidungen der obersten Verwaltungsorgane ermächtigt444. Das BVA entscheidet grundsätzlich in Dreiersenaten. Jeder Senat besteht aus einem Senatsvorsitzenden, der hauptberuflich tätig ist, und zwei Beisitzern, von denen jeweils einer dem Kreis der Arbeitgeber und einer dem Kreis der Arbeitnehmer angehört445. Über Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung entscheidet alleine der jeweilige Vorsitzende des zuständigen Senates446. Die Geschäftsordnung und die Geschäftsverteilung des BVA werden im vorhinein für das folgende Kalenderjahr beschlossen (feste Geschäftsverteilung)447. Das BVA übt die ihm auf Grund des BVergG zugewiesenen Zuständigkeiten gleichzeitig in erster und letzter Instanz aus. Gegen Bescheide des BVA ist 440 441
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Eine überblicksweise Zusammenstellung der Landesvergaberechtsschutzgesetze findet sich auf der Homepage des Bundeskanzleramts - Verfassungsdienst. Eine Sonderstellung im vergaberechtlichen Rechtsschutz kam der BundesVergabekontrollkommission (B-VKK) zu, die als „Vorbote“ für die Errichtung des vergabespezifischen Rechtsschutzsystems bereits 1990 beim BMWA eingerichtet wurde und mit Ergehen des BVergG 1993 zunächst als obligatorische Schlichtungsund Gutachtensinstanz (ohne behördliche Befugnisse) der Vergabekontrolle durch das BVA vorgeschalten war. Mit dem BVergG 2002 ist die Einschaltung der BVKK auf eine rein freiwillige Inanspruchnahme zurückgeschraubt worden, das BVergG 2006 hat die B-VKK nunmehr mangels praktischer Relevanz gänzlich aufgelöst. Zur Entwicklung des Schlichtungsverfahrens im Gefüge des vergaberechtlichen Rechtsschutzes vgl überblicksweise Gutknecht in Sachs (Hrsg), Schwerpunkte II, 191 ff. § 295 BVergG (Verfassungsbestimmung). § 309 Abs 2 BVergG (Verfassungsbestimmung). Die Absicherung dieser Kontrollbefugnis als Verfassungsbestimmung war notwendig, um die (nachprüfende) Kontrolle von Vergabeentscheidungen oberster Bundesund Landesorgane (und deren Behebung im Fall ihrer Rechtswidrigkeit) durch Verwaltungsbehörden - was der besonderen Stellung oberster Organe iSd Art 19 Abs 1 B-VG widersprechen würde - verfassungsrechtlich zu ermöglichen; siehe VfSlg 15.578/1999. § 303 BVergG. Die Anzahl der Senate ist in der Geschäftsverteilung zu regeln. Neben dem Vorsitzenden und dem stellvertretenden Vorsitzenden gehören dem BVA derzeit 13 weitere Senatsvorsitzende und 36 sonstige Mitglieder an. § 306 Abs 1 BVergG. Siehe § 308 BVergG. Die Geschäftsordnung und die Geschäftsverteilung sind im Internet kundzumachen (http://www.bva.gv.at).
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Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts möglich448. Auf das Verfahren vor dem BVA kommen die Bestimmungen des AVG zur Anwendung449. Die Ausgestaltung des Rechtsschutzverfahrens vor dem BVA ist als Folge umfassender gemeinschaftsrechtlicher, vor allem sekundärrechtlicher Vorprägung zu verstehen. Die Rechtsmittelrichtlinien setzen nicht nur die Einräumung subjektiv durchsetzbarer Rechte der Bieter und Bewerber auf Einhaltung der Vergabebestimmungen voraus und verpflichten die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer wirksamen und raschen Nachprüfung450, sie legen auch fest, welchen organisatorischen Anforderungen die Kontrollinstanzen zu entsprechen haben und mit welchen Befugnissen diese auszustatten sind. Den Vorgaben der Rechtsmittelrichtlinien ist demzufolge zu entnehmen, dass die zur Vergabekontrolle berufene Instanz mit der Befugnis zur Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen des Auftraggebers, zum Erlass vorläufiger Maßnahmen im Wege einstweiliger Verfügungen sowie zur Entschädigung von infolge eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften eingetretenen Nachteilen auszustatten ist451. Im Lichte dieser gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen wurde das Rechtsschutzverfahren vor dem BVA in mehrere Verfahrensarten untergliedert452. Konkret finden vor dem BVA drei Arten von Verfahren statt: Nachprüfungsverfahren, Provisorialverfahren und Feststellungsverfahren.
2. Nachprüfungsverfahren Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens werden Auftraggeberentscheidungen, die in einem noch laufenden Vergabeverfahren getroffen wurden, einer begleitenden453 Rechtmäßigkeitskontrolle unterzogen. Nachprüfungsverfahren sind demgemäß nur bis zur Beendigung des Vergabeverfahrens durch Zuschlagserteilung oder Widerrufserklärung zulässig; die Zuschlagserteilung bzw Widerrufserklärung selbst können demgegenüber mittels Nachprüfungsantrags nicht (mehr) überprüft werden. Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens ist das BVA ermächtigt, Entscheidungen des Auftraggebers mit Bescheid für nichtig zu erklären454. Dadurch tritt das Vergabeverfahren in den Zustand vor Ergehen der rechtswidrigen Auftraggeberentscheidung zurück und der Auftraggeber hat die Entscheidung erneut 448
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Die Beschwerdemöglichkeit an den VwGH wurde - im Zuge einer organisatorischen Neuausrichtung des BVA - erst mit dem BVergG 2002 vorgesehen. Hiezu Sachs in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 135, Rz 25 ff. Art II Abs 2 lit C Z 40a EGVG. Siehe Art 1 Abs 1 RechtsmittelRL. Art 2 Abs 1 RechtsmittelRL. Die genannten Befugnisse müssen allerdings nicht bei einer Instanz konzentriert sein, sondern können auf unterschiedliche Einrichtungen verteilt werden (Art 2 Abs 2 RechtsmittelRL). Für einen Überblick über die Rechtsschutzverfahren vor dem BVA vgl Sachs in Sachs/Thanner (Hrsg), Sonderbehörden, 283 (298 ff). Die Vergabekontrolle im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens ist durch die jeweilige bekämpfbare Auftraggeberentscheidung (siehe sogleich) mit dem Gang des Vergabeverfahrens verflochten. § 325 BVergG.
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zu treffen. Das BVA ist allerdings nicht befugt, Handlungen anstelle des Auftraggebers zu setzen, etwa indem Auftraggeberentscheidungen abgeändert oder durch die Behörde „suppliert“ werden455. a) Gesondert und nicht gesondert anfechtbare Entscheidungen Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens sind Entscheidungen des Auftraggebers, wobei das BVergG den Begriff „Entscheidung“ als „jede Festlegung eines Auftraggebers im Vergabeverfahren“456 definiert. Nur bestimmte, so genannte gesondert anfechtbare Entscheidungen können unmittelbar - mittels Nachprüfungsantrags - angefochten werden. Die gesondert anfechtbaren Entscheidungen des Auftraggebers sind in § 2 Z 16 lit a BVergG abschließend genannt457. Die Festlegung, welche Entscheidungen gesondert anfechtbar sind, differiert je nach Verfahrensart. Alle übrigen Entscheidungen, die den gesondert anfechtbaren Entscheidungen zeitlich vorangehen, werden als nicht gesondert anfechtbare Entscheidungen bezeichnet (§ 2 Z 16 lit b BVergG). Nur gesondert anfechtbare Entscheidungen können von den rechtsschutzsuchenden Bietern mittels Nachprüfungsantrags angefochten und von den Vergabekontrollbehörden für nichtig erklärt werden458. Die Rechtswidrigkeit aller anderen - nicht gesondert anfechtbaren - Entscheidungen des Auftraggebers
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Dem BVA kommt daher bspw keine Befugnis zu, den Bestbieter festzulegen oder anstelle des Auftraggebers die Ausscheidung von Angeboten vorzunehmen. Vgl mzwN auf Judikatur und Literatur Madl/Hauck in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht, 595 f. § 2 Z 16 BVergG. Die Frage, inwieweit bereits die interne Willensbildung oder erst deren Manifestierung in außenwirksamen Handlungen als Entscheidung des Auftraggebers iSd § 2 Z 16 BVergG zu qualifizieren ist, wird in Rechtsprechung und Literatur bisher uneinheitlich beantwortet (vgl aber insb VfSlg 16.462/2002 - keine Nichtigerklärung bloßer Beschlüsse im Rahmen der internen Willensbildung des Auftraggebers). Fraglich ist zudem, wie umfassend rechtswidrige Unterlassungen des Auftraggebers als Entscheidungen angefochten werden können, oder ob diesbezüglich auf den nächsten, nach außen in Erscheinung tretenden Teilakt im Vergabeverfahren abzustellen ist (vgl hiezu VfSlg 17.041/2003 - keine Zuständigkeit des BVA zur Nichtigerklärung der Unterlassung des Widerrufs); weiterführend und mwN Sachs in Schramm et al (Hrsg) BVergG 2002 Kommentar, § 20 Z 13, Rz 8 ff. Zum taxativen Charakter der Aufzählung vgl Sachs in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 20 Z 13, Rz 55. § 322 Abs 2 Z 1 BVergG. Welche Festlegungen des Auftraggebers als gesondert bekämpfbare Entscheidungen des Auftraggebers definiert sind, ist durch das europäische Vergaberecht (mit) bestimmt. So geht die Aufspaltung des Zuschlags in eine mittels Nachprüfungsantrag bekämpfbare - Zuschlagsentscheidung und eine Zuschlagserteilung, die den zivilrechtlichen Vertragsschluss bewirkt (§ 2 Z 48 und 49, §§ 130 ff BVergG), im Wesentlichen auf das Urteil des EuGH in der Rs C-81/98, Alcatel, Slg 1999, I-7671, zurück. In weiterer Folge hat der Gesetzgeber aufgrund der Judikatur des EuGH (vgl dazu insb Rs C-92/00, Hospital Ingenieure, Slg 2002, I-5553 und Rs C-15/04, Koppensteiner, Slg 2005, I-4855) auch für den Widerruf des Vergabeverfahrens den Weg der Aufteilung in eine - gesondert anfechtbare - Widerrufsentscheidung und eine Widerrufserklärung gewählt (§ 2 Z 44 und 45, § 140 BVergG). Schließlich beruht auch die Aufnahme der Ausscheidensentscheidung in den Katalog der gesondert anfechtbaren Entscheidungen auf gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen (vgl EuGH Rs C-21/03 ua, Fabricom, Slg 2005, I-1559).
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kann nur im Wege der Bekämpfung der nächstfolgenden gesondert anfechtbaren Entscheidung releviert werden459. b) Anfechtungsfristen und Präklusion Mit dieser Differenzierung der Auftraggeberentscheidungen nach Maßgabe ihrer Anfechtungsmodalität geht ein System von Antragsfristen einher: Anträge auf Nachprüfung gesondert anfechtbarer Entscheidungen sind - bei sonstiger Unzulässigkeit - innerhalb bestimmter Anfechtungsfristen einzubringen460. Erfolgt keine Anfechtung innerhalb der vorgesehenen Antragsfristen, kommt es zur Präklusion. Die betreffende gesondert anfechtbare Entscheidung (und die ihr vorangehenden nicht gesondert anfechtbaren Entscheidungen) können in weiterer Folge nicht mehr mittels Nachprüfungsantrags bekämpft werden461. Mittels Statuierung einer Präklusionswirkung soll sichergestellt werden, dass möglichst frühzeitig über eine allfällige Rechtswidrigkeit von Auftraggeberentscheidungen abgesprochen wird und nicht die Rechtmäßigkeit vorangegangener Verfahrensstadien erst zu einem späteren Zeitpunkt, in dem das Vergabeverfahren möglicher Weise bereits sehr weit fortgeschritten ist, in Frage gestellt werden kann462. Die Anfechtungsfrist beträgt im OSB grundsätzlich vierzehn Tage, ausnahmsweise ist eine Frist von sieben Tagen einzuhalten. Im USB ist die Anfechtungsfrist demgegenüber grundsätzlich mit sieben Tagen festgesetzt463. c) Inhalt und Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags Das Nachprüfungsverfahren vor dem BVA ist antragsbedürftig. Zur Einleitung des Nachprüfungsverfahrens legitimiert ist gemäß §§ 320 Abs 1 BVergG ein Unternehmer, der am Abschluss eines dem BVergG unterliegenden Vertrages interessiert ist, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Die Antragsvoraussetzungen müssen kumulativ vorliegen464. 459
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§ 2 Z 16 lit b BVergG. Vgl zum Regelungssystem ausführlich insb Thienel, Gesondert und verbunden anfechtbare Entscheidungen, in Griller/Holoubek (Hrsg), Grundfragen, 335 sowie ders in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 162, Rz 100 ff. §§ 321 iVm 322 Abs 2 Z 2 BVergG. Voraussetzung für den Beginn des Fristenlaufes ist, dass die Bieter über Mitteilung des Auftraggebers Kenntnis von der anzufechtenden gesondert anfechtbaren Entscheidung erlangt haben oder erlangen hätten können (vgl 1171 BlgNR 22. GP 138). Siehe 1171 BlgNR 22. GP 138 („bestandskräftige“ Auftraggeberentscheidungen). Im gegenteiligen Fall würden Bieter, die die Auswirkungen von Rechtsverstößen, die sich in einem Frühen Verfahrensstadium ereignet haben, auf das weitere Vergabeverfahren „abwarten“ möchten, verleitet, die in Rede stehende Entscheidung des Auftraggebers erst möglichst spät zu bekämpfen (insbesondere erst bei Anfechtung der Zuschlagsentscheidung), was neben zeitlichen Verzögerungen der Auftragsvergabe auch einen Kostenanstieg herbeiführt. Zu den Wirkungen der Präklusion vgl mwN Fuchs, Rechtskraftähnliche Wirkungen im Verwaltungsverfahren, in Holoubek/Lang (Hrsg), Rechtskraft im Verwaltungs- und Abgabenverfahren, 2007 (in Druck). § 321 Abs 1 Z 5 BVergG. Zur Fristenregelung siehe § 321 BVergG.
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Nachprüfungsanträge haben jedenfalls folgenden Inhalt aufzuweisen465: • genaue Bezeichnung des betreffenden Vergabeverfahrens und der angefochtenen gesondert anfechtbaren Entscheidung, • genaue Bezeichnung des Auftraggebers, • Sachverhaltsdarstellung, • Darlegung des Interesses des Antragstellers am Vertragsabschluss, • Angaben über den entstandenen oder drohenden Schaden für den Antragsteller, • Bezeichnung des verletzten Rechts, • Gründe der Rechtswidrigkeit, • Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung • Angaben, die zur Beurteilung der Fristgerechtigkeit des Antrages erforderlich sind. Anträge, die sich gegen eine nicht gesondert anfechtbare Entscheidung richten, die nicht innerhalb der Anfechtungsfrist gestellt wurden oder die nicht ordnungsgemäß vergebührt wurden, sind unzulässig466. Der Eingang eines Nachprüfungsantrags ist vom zuständigen Senatsvorsitzenden unverzüglich im Internet bekannt zu machen. Der im Nachprüfungsantrag bezeichnete Auftraggeber ist vom Senatsvorsitzenden des BVA persönlich vom Eingang des Nachprüfungsantrags zu verständigen; im Fall der Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung ist darüber hinaus auch der für den Zuschlag in Aussicht genommene Bieter zu verständigen467. d) Parteistellung Parteien des Nachprüfungsverfahrens sind jedenfalls der Antragsteller und der Auftraggeber468. Parteistellung kommt ferner jenen Unternehmern zu, die durch die vom Antragsteller begehrte Entscheidung unmittelbar in ihren rechtlich geschützten Interessen nachteilig betroffen sein können (Antragsgegner). Insbesondere ist im Falle der Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung der für den Zuschlag in Aussicht genommene Bieter Partei des Nachprüfungsverfahrens. Die Bieter verlieren allerdings ihre Parteistellung, wenn sie ihre begründeten Einwendungen gegen die vom Antragsteller begehrte Entscheidung nicht binnen einer Frist von zwei Wochen ab Bekanntmachung der Verfahrenseinleitung469 erheben470.
e) Entscheidung des BVA Das BVA ist bei seiner Prüfung an das gestellte Begehren und den geltend gemachten Beschwerdepunkt gebunden471. Es ist dem BVA damit grundsätz465
§ 322 Abs 1 BVergG. § 322 Abs 2 BVergG. Zu den Gebühren des Verfahrens vor dem BVA siehe noch Pkt VII.B.4. 467 § 323 BVergG. 468 § 324 Abs 1 BVergG. 469 Für den Fall der Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung ist die persönliche Verständigung durch den Senatsvorsitzenden fristauslösendes Ereignis (§ 323 Abs 4 BVergG). 470 § 324 Abs 3 BVergG. Findet vor Ablauf dieser Frist eine mündliche Verhandlung statt, müssen die Einwendungen spätestens in der mündlichen Verhandlung erhoben werden. 466
Holoubek/Fuchs
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lich verwehrt, die angefochtene Auftraggeberentscheidung umfassend und in jede Richtung auf ihre Rechtmäßigkeit zu untersuchen. Vielmehr dient das Nachprüfungsverfahren der Klärung der Frage, ob das vom Antragsteller bezeichnete subjektive Recht, in dem er sich durch den Auftraggeber als verletzt erachtet, tatsächlich verletzt wurde. Andere als die vom Antragsteller geltend gemachten Rechtswidrigkeiten dürfen vom BVA nicht aufgegriffen werden472. Kommt das BVA zum Ergebnis, dass der Antrag begründet ist, so hat es die angefochtene, gesondert anfechtbare Entscheidung gemäß § 325 Abs 1 BVergG für nichtig zu erklären473, wenn sie oder eine ihr vorangegangene nicht gesondert anfechtbare Entscheidung die im Rahmen des Beschwerdepunktes geltend gemachten subjektiven Rechte des Antragstellers verletzt und wenn die festgestellte Rechtswidrigkeit für den Verfahrensausgang von wesentlichem Einfluss ist. Zur Nichtigerklärung einer Auftraggeberentscheidung sollen sohin nur jene Rechtsverstöße führen, die ein anderes Ergebnis des Vergabeverfahrens bewirken können474.
3. Provisorialverfahren Da die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens keine Suspensivwirkung für das laufende Vergabeverfahren zeitigt475, soll mit der Gewährleistung von Provisorialrechtsschutz verhindert werden, dass der Auftraggeber im Vergabeverfahren unumkehrbare Tatsachen schafft, bevor über die vom Antragsteller behauptete Rechtswidrigkeit in der Hauptsache entschieden ist. Um das laufende Vergabeverfahren für einen gewissen Zeitraum aussetzen und damit insbesondere die Zuschlagserteilung an einen anderen Bieter aufschieben zu können, steht dem Unternehmer die Möglichkeit zur Beantragung einer einstweiligen Verfügung offen. Das Provisorialverfahren ist zwar grundsätzlich als eigenständiges, antragsgebundenes Verfahren vor dem BVA ausgestaltet, steht aber nicht vollkommen losgelöst neben dem Hauptsacheverfahren, sondern ist mit dessen prinzipiellem 471
472
473
474 475
Dies wird im Allgemeinen aus § 322 Abs 1 Z 5 BVergG (Bezeichnung des Rechts, in dem sich der Antragsteller als verletzt erachtet) und § 312 Abs 2 Z 2 BVergG, wonach das BVA „zur Nichtigerklärung gesondert anfechtbarer Entscheidungen des Auftraggebers im Rahmen der vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerdepunkte“ zuständig ist, geschlossen. Vgl dazu statt vieler Thienel in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 162, Rz 197. So auch 1171 BlgNR 22. GP 133. Ergänzend wird in den Materialien ausgeführt, dass das BVA auch nicht im Rahmen allfälliger „obiter dicta“ Aussagen zu nicht vorgebrachten Beschwerdepunkten treffen darf (1171 BlgNR 22. GP 133). § 325 Abs 2 BVergG stellt klar, dass als Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen auch die Streichung diskriminierender Ausschreibungsbedingungen in Betracht kommt. Reisner in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 174, Rz 12. So ausdrücklich § 320 Abs 3 BVergG. Eine gewisse Einschränkung dieses Grundsatzes ergibt sich daraus, dass die Zuschlagsfrist, also der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Treffen der Zuschlagserteilung durch den Auftraggeber, für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens gehemmt wird (§ 112 Abs 4 BVergG). Die fortlaufshemmende Wirkung tritt aber nur für den Fall der Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung ein und soll den Auftraggeber in die Lage versetzen, die für die Erteilung des Zuschlags verbleibende Frist nach Abschluss des Nachprüfungsverfahrens noch in Anspruch nehmen zu können.
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Bestehen verwoben: Sofern noch kein Nachprüfungsantrag gestellt wurde, sind Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nur zulässig, wenn sie binnen offener Nachprüfungsfrist beim BVA eingebracht werden476. Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung selbst ist nur ausnahmsweise mit Suspensivwirkung verbunden, im Regelfall bewirkt erst die stattgebende Entscheidung des BVA und damit die - bescheidförmliche - Erlassung der einstweiligen Verfügung das Eintreten des Provisorialrechtsschutzes477. Lediglich solche Anträge, die die Untersagung der Zuschlagserteilung oder der Widerrufserklärung bzw die Unterlassung der Angebotsöffnung mittels einstweiliger Verfügung begehren, entfalten bis zur behördlichen Entscheidung über den Antrag aufschiebende Wirkung478. Die Regelungen des Provisorialverfahrens sind durch die Rechtsmittelrichtlinien gemeinschaftsrechtlich vorgezeichnet. Das betrifft ganz grundsätzlich die Notwendigkeit zur Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes, als auch die Vorgehensweise bei der Erlassung einstweiliger Maßnahmen (Interessenabwägung) sowie insbesondere die Art und den Umfang der der Nachprüfungsbehörde im Rahmen einstweiliger Maßnahmen zukommenden Befugnisse479. In Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben ist das BVA gemäß § 329 Abs 2 BVergG ermächtigt, mit einer einstweiligen Verfügung das gesamte 476
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§ 328 Abs 3 BVergG. Wird kein zulässiger Nachprüfungsantrag „nachgereicht“ oder dieser zurückgezogen, ist das Provisorialverfahren einzustellen, eine gegebenenfalls bereits erlassene einstweilige Verfügung tritt außer Kraft (§ 328 Abs 4 BVergG). Zu dem noch im BVergG 2002 verankerten - gemeinschaftsrechtlich problematischen - System der Verknüpfung von Provisorial- und Hauptsacheverfahren, demgemäß als Voraussetzung für die Beantragung einer einstweiligen Verfügung die spätestens gleichzeitige Erhebung eines Nachprüfungsantrags statuiert war, vgl die Judikatur des EuGH (Rs C-214/00, Kommission/Spanien, Slg 2003, I-4667, Rz 99, sowie Rs C-236/95, Kommission/Griechenland, Slg 1996, I-4459). Dazu auch Sachs in ders (Hrsg), Schwerpunkte II, 263 (265 f). Im Provisorialverfahren ist das BVA, im Unterschied zum Nachprüfungsverfahren, dementsprechend auch an verkürzte Entscheidungsfristen gebunden. Gem § 330 Abs 3 BVergG hat das BVA unverzüglich, längstens aber binnen einer Woche (bzw ausnahmsweise binnen zehn Tagen) über Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu entscheiden. § 328 Abs 5 BVergG. Diese Sonderregeln erklären sich im Wesentlichen daraus, dass sowohl die Zuschlagserteilung, als auch die Widerrufserklärung das Vergabeverfahren beenden und damit für den vergaberechtlichen Primärrechtsschutz im Wege des Nachprüfungsverfahrens unangreifbar werden. Dementsprechend sollen Anträge auf einstweilige Verfügung, die sich gegen die Zuschlagsentscheidung bzw die Widerrufsentscheidung als „letzte“ im Nachprüfungsverfahren gesondert anfechtbare Auftraggeberentscheidungen richten, dem Antragsteller die Sicherheit bieten, dass der Auftraggeber nicht vor Entscheidung über den Provisorialantrag unumkehrbare Tatsachen schafft. In ähnlicher Weise stellt sich das erhöhte Rechtsschutzbedürfnis für die Untersagung der Angebotsöffnung dar. Auch hier hat ein Bieter, dessen Hauptsacheantrag sich etwa gegen die Ausschreibungsunterlagen richtet, ein evidentes Interesse daran, die Öffnung der Angebote zu verhindern, will er nicht Gefahr laufen, dass das Vergabeverfahren vor Entscheidung über seinen Nachprüfungsantrag abgeschlossen wird. So muss die Vergabekontrollbehörde insb befugt sein, dem Auftraggeber sowohl Handlungs-, als auch Unterlassungspflichten aufzutragen, oder das Vergabeverfahren zum Teil oder zur Gänze auszusetzen. Für einen Überblick siehe Öhler, Rechtsschutz, 189 ff.
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Vergabeverfahren oder einzelne Auftraggeberentscheidungen bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorübergehend auszusetzen oder sonstige geeignete Maßnahmen anzuordnen480. Zu diesem Zweck ist eine Interessenabwägung zwischen den Interessen der Öffentlichkeit, jenen des Auftraggebers und der Bieter vorzunehmen: Die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahme für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers, der sonstigen Bewerber oder Bieter und des Auftraggebers sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens sind gegeneinander abzuwägen. Es handelt sich dabei naturgemäß um Einzelfallbeurteilungen. Zu prüfen ist daher für den jeweiligen Einzelfall nicht nur, ob es besondere öffentliche Interessen an der Fortführung des Vergabeverfahrens gibt, sondern diese besonderen öffentlichen Interessen sind auch den Interessen des Bieters oder allfälligen öffentlichen Interessen an einer Klärung des Rechtsstreits vor Weiterführung des Vergabeverfahrens gegenüber zu stellen481. Ergibt diese Abwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abzuweisen. Einstweilige Verfügungen sind sofort vollstreckbar482 und vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts bekämpfbar. Sie dürfen nur befristet ergehen und treten spätestens mit der Hauptsachentscheidung (Entscheidung über den Nachprüfungsantrag) außer Kraft483.
4. Feststellungsverfahren Nach Beendigung des Vergabeverfahrens durch Zuschlagserteilung oder Widerruf können die das Verfahren abschließenden Entscheidungen des Auftraggebers auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Es handelt sich dabei um einen nachträglichen Kontrollmechanismus, da das Vergabeverfahren grundsätzlich bereits abgeschlossen ist und nicht - jedenfalls nicht im Rahmen des Rechtsschutzverfahrens vor dem BVA - wieder aufgerollt werden kann484. Demgemäß sind Feststellungsanträge auf die bescheidmäßige Feststellung eines Rechtsverstoßes des Auftraggebers gerichtet485. Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens kann das BVA auf Antrag mit Bescheid feststellen, dass486: 480 481
482 483 484
485
486
Dabei ist jeweils das gelindeste Mittel zu verfügen. Zur Interessenabwägung im Provisorialverfahren vgl mit zahlreichen Hinweisen auf die Spruchpraxis Holoubek/Fuchs, Provisorialverfahren, ÖZW 2003, 66 (74 ff); Sachs in Bundesvergabeamt (Hrsg), Standpunkte, 117 (128 ff). § 329 Abs 4 BVergG. § 329 Abs 3 BVergG. Ein Feststellungsantrag ist daher in erster Linie auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Zuschlagserteilung oder der Widerrufserklärung gerichtet. Zu den zivilrechtlichen Folgen rechtswidriger Auftragsvergabe vgl zB Rummel, Zivilrechtliche Probleme, 1. Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens kann das BVA mit Bescheid insb feststellen, dass der Zuschlag nicht dem Best- oder Billigstbieter erteilt wurde (§ 312 Abs 3 BVergG). In bestimmten Fällen kann damit die Feststellung verbunden sein, ob der Antragsteller auch bei rechtmäßigem Vorgehen des Auftraggebers keine echte Chance auf Zuschlagserteilung gehabt hätte; dazu sogleich. § 331 BVergG.
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•
die Wahl der Direktvergabe oder eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung rechtswidrig war; • der Zuschlag rechtswidriger Weise nicht dem Best- oder Billigstbieter erteilt wurde; • die Widerrufserklärung rechtswidrig war; • die Zuschlagserteilung, die ohne Verfahrensbeteiligung weiterer Unternehmer direkt an einen Unternehmer erfolgte, offenkundig unzulässig war. Diese Feststellungen hat das BVA nur dann zu treffen, wenn die Rechtswidrigkeit für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss war487. Erst das Vorliegen eines Feststellungsbescheids eröffnet den Rechtszug zu den Zivilgerichten und damit die Möglichkeit des im Vergabeverfahren rechtswidriger Weise nicht zum Zug gekommenen Bieters, vom Auftraggeber Schadenersatz zu erlangen488. Im Hinblick darauf sind Gegenanträge des Auftraggebers und des Zuschlagsempfängers auf Feststellung, dass der Antragsteller auch bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG und der dazu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags gehabt hätte, im Feststellungsverfahren zur Überprüfung der Zuschlagserteilung und der Rechtmäßigkeit der Widerrufserklärung grundsätzlich zulässig489. Überdies besteht für den am Vertragsschluss interessierten Bieter die Möglichkeit, Feststellung darüber zu beantragen, dass der Auftraggeber nach erheblichem Überschreiten der Zuschlagsfrist und entgegen dem Ersuchen des Bieters um Fortsetzung des Verfahrens das Verfahren weder beendet (durch Zuschlag oder Widerruf) noch in angemessener Frist fortgeführt hat490. Das Feststellungsverfahren vor dem BVA ist ein subsidiäres Verfahren: Hätte die geltend gemachte Rechtswidrigkeit bereits in einem Nachprüfungsverfahren vor dem BVA angefochten werden können, ist der Feststellungsantrag unzulässig und vom BVA zurückzuweisen491. Diese Bestimmung greift das Regelungsanliegen der Ausschlussfristen im Nachprüfungsverfahren für das Feststellungsverfahren auf und soll verhindern, dass rechtswidrige Auftraggeberentscheidungen erst relativ spät geltend gemacht werden, nämlich dann, wenn kein Primärrechtsschutz (durch Nachprüfung und Nichtigerklärung) mehr gewährt werden kann. Diese Regelung hat aber auch wesentliche Auswirkungen auf die Möglichkeit, gestützt auf die einschlägigen Anspruchsgrundlagen des BVergG492 Schadenersatz zu erlangen, weil § 341 Abs 2
487 488 489 490 491 492
§ 334 BVergG. § 341 Abs 2 BVergG. Das Gericht und die Parteien des Verfahrens vor dem BVA sind an die Feststellungen des BVA gebunden. Vgl näher §§ 312 Abs 3 und 4 und 338 Abs 2 BVergG. §§ 312 Abs 5, 331 Abs 2 BVergG. Diese Feststellung gilt gem § 140 Abs 8 BVergG ex lege als Widerrufserklärung. Dazu bereits oben Pkt V.C.8. § 332 Abs 4 BVergG. Ob und inwieweit daneben die allgemeinen schadenersatzrechtlichen Anspruchsgrundlagen des ABGB subsidiär herangezogen werden können, ist eine nicht unumstrittene Frage. Siehe für einen Überblick über Judikatur und Meinungsstand Aicher in Schramm et al (Hrsg), BVergG 2002 Kommentar, § 181, Rz 10 ff; Reinbacher,
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BVergG für die Einbringung einer Schadenersatzklage ausdrücklich das Vorliegen eines Feststellungsbescheids des BVA als Zulässigkeitsvoraussetzung normiert. Das bedeutet, dass in der Regel immer dann, wenn der Bieter die (objektive) Möglichkeit hatte, eine behauptete Rechtswidrigkeit im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens zu bekämpfen, kein Feststellungsverfahren und damit in der Folge auch kein Schadenersatzanspruch des Bieters zulässig ist. Das Feststellungsverfahren spielt daher praktisch vor allem dort eine Rolle, wo mangels entsprechender Transparenz potentielle Bewerber oder Bieter objektiv gar keine Möglichkeit hatten, von der Durchführung eines Vergabeverfahrens Kenntnis zu erlangen und daher auch kein Nachprüfungsverfahren beantragen konnten. In diesem Zusammenhang ist auch der besondere „Feststellungstatbestand“ des § 331 Abs 1 Z 4 BVergG zu sehen, demzufolge das BVA dann, wenn eine Zuschlagserteilung ohne Verfahrensbeteiligung weiterer Unternehmer direkt an einen Unternehmer erfolgte, auch festzustellen hat, ob dies „offenkundig unzulässig“ war. Eine solche Feststellung ist insofern von Bedeutung, als das mit einer Zuschlagserteilung begründete Vertragsverhältnis ex nunc, also ab dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Feststellung, nichtig ist, wenn eine Zuschlagserteilung offenkundig unzulässiger Weise direkt an einen Unternehmer ohne Beteiligung Dritter am Vergabeverfahren erfolgte493. Eine „einfache“ Rechtswidrigkeit, also etwa die zwar letztlich als rechtswidrig erkannte, aber auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruhende Durchführung einer Direktvergabe oder eines Verhandlungsverfahrens ohne Bekanntmachung mit nur einem Unternehmer löst demgegenüber keine entsprechende Nichtigkeitsfolge aus und lässt sohin den geschlossenen Leistungsvertrag weiterhin aufrecht. Parteien des Feststellungsverfahrens sind der Antragsteller, der Auftraggeber und ein allfälliger Zuschlagsempfänger494. Die Frist zur Stellung eines Feststellungsantrags beträgt gemäß § 332 Abs 2 BVergG sechs Monate ab dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller vom rechtswidrigen Auftraggeberhandeln Kenntnis erlangt hat oder erlangen hätte können (subjektive Frist)495. Der Feststellungsantrag ist jedoch längstens innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten zu stellen, nachdem der Zuschlag erteilt oder das Vergabeverfahren widerrufen wurde (objektive Frist)496.
5. Gebühren Für die Inanspruchnahme des BVA sind Gebühren zu entrichten. Es handelt sich dabei um Pauschalgebühren, die je nach Erreichen der Schwellenwerte
493 494 495
496
Schadenersatz, 88 ff; Wilhelm, Vergaberechtsschutz durch das Schadenersatzrecht, in Rill/Griller (Hrsg), Grundfragen, 265 ff. § 132 Abs 3 BVergG. § 333 BVergG. Das Recht auf Feststellung einer offenkundig unzulässigen Direktvergabe erlischt binnen einer Frist von 30 Tagen ab Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis von der rechtswidrigen Zuschlagserteilung. Bei dieser Gleichstellung von subjektiver und objektiver Rechtsmittelfrist dürfte es sich um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers handeln. Der Entwurf für eine Novelle des BVergG sieht nunmehr - bei gleichbleibender objektiver Frist - eine subjektive Frist von 6 Wochen vor.
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bzw je nach dem vom Auftraggeber durchgeführten Verfahren variieren497. Weitere Gebühren (nach dem Gebührengesetz) sind nicht vorgesehen. Pauschalgebühren fallen - jeweils gesondert - für Nachprüfungsanträge, Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung sowie für Feststellungsanträge an. Die Gebühr ist bei Antragstellung fällig. Wird sie trotz erfolgtem Verbesserungsauftrag nicht entrichtet, ist der Antrag vom BVA als unzulässig zurückzuweisen. Der vor dem BVA - wenn auch nur teilweise - obsiegende Antragsteller hat gemäß § 319 BVergG Anspruch auf Ersatz der von ihm entrichteten Gebühr durch den Antragsgegner (Auftraggeber). Ein Gebührenersatzanspruch steht dem Antragsteller ferner dann zu, wenn er während eines anhängigen Verfahrens klaglos gestellt wird498. Über den Gebührenersatz entscheidet das BVA. Der VfGH hat die - frühere - Gebührenregelung des BVergG 2002 aufgrund ihrer Konsequenz, auch für einzelne Lose, die für sich um USB liegen, die Gebühr für den OSB entrichten zu müssen499 sowie aufgrund der Kumulierung und Multiplizierung der - hohen - Gebühren bei verschiedenartigen Anträgen in mehreren Entscheidungen als verfassungswidrig erkannt500. Da diese Regelung teilweise auch in das BVergG 2006 übernommen wurde, sieht sich der Gesetzgeber nunmehr zu einer Neufassung der Gebührenregelung veranlasst501.
6. Landesrechtliche Besonderheiten In den Ländern sind mit Ausnahme von Salzburg und Wien, welche jeweils eine eigene, mit der Vergabekontrolle betraute Verwaltungsbehörde geschaffen haben (Vergabekontrollsenat)502, die UVS mit dem vergabespezifischen Rechtsschutz betraut. Die Landes-Vergaberechtsschutzgesetze orientieren sich hinsichtlich der Ausgestaltung der Rechtsschutzverfahren weitestgehend an den Vorschriften des BVergG für das Verfahren vor dem BVA.
7. Rechtsschutz durch ordentliche Zivilgerichte a) Schadenersatzverfahren Die Zuerkennung von Schadenersatz an übergangene Bieter oder Bewerber fällt in den Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Zivilgerichte. Das BVergG enthält jedoch diesbezüglich materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche 497 498
499 500
501 502
§ 318 iVm Anh XIX BVergG. Anspruch auf Ersatz der Gebühren für einen Antrag auf einstweilige Verfügung besteht nur, wenn die einstweilige Verfügung erlassen wird oder der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nur aufgrund einer Interessenabwägung abgewiesen wird und der Antragsteller auch im Hauptverfahren obsiegt. Siehe VfGH 3.3.2006, G 91/05 ua und die Folgejudikatur. Vgl die grundlegenden Erkenntnisse VfGH 3.3.2006, G 91/05 ua sowie 4.3.2006, G 154/05 ua. Zur Entrichtung der Pauschalgebühr nach dem BVergG 2002 siehe für einen Überblick Ditz in Bundesvergabeamt (Hrsg), Standpunkte, 101. Eine entsprechende Novelle zum BVergG ist derzeit in Vorbereitung. Dabei handelt es sich um Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag iSd Art 133 Z 4 B-VG; die Anrufung des VwGH wurde jeweils für zulässig erklärt (siehe § 2 Abs 2 Salzburger Vergabekontrollgesetz sowie § 2 Abs 4 Wiener Vergaberechtsschutzgesetz).
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Sonderbestimmungen, lässt im Übrigen jedoch nach anderen Rechtsvorschriften bestehende Ansprüche unberührt503. Ein übergangener Bewerber, Bieter oder Bestbieter hat bei schuldhafter Verletzung des BVergG oder der auf dessen Grundlage ergangener Verordnungen gegen den Auftraggeber, dem das Verhalten der vergebenden Stelle zuzurechnen ist, Anspruch auf Schadenersatz. Der öffentliche Auftraggeber ist zur Gleichbehandlung der Bieter oder Bewerber und zur Vergabe nach objektiven Kriterien verpflichtet504. Der Bieter oder Bewerber darf aufgrund des zum Auftraggeber bestehenden vorvertraglichen Schuldverhältnisses darauf vertrauen, zumindest eine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags zu haben. Bei Verletzung der Bestimmungen des BVergG ist der Bieter oder Bewerber so zu stellen, als hätte er nie auf eine solche echte Chance auf Zuschlagserteilung vertraut; es ist ihm sohin der Vertrauensschaden (auch über die im BVergG normierten ersatzfähigen Kosten hinaus505) zu ersetzen. Bereits wiederholt hat der OGH ausgesprochen, dass dem übergangenen Bieter auch das Erfüllungsinteresse zugesprochen werden kann, wenn der Vertrag ohne die Verletzung vergabegesetzlicher Vorschriften zustande gekommen wäre506. Dem übergangenen Bieter muss also der Nachweis gelingen, dass er tatsächlich Bestbieter gewesen wäre. Im Zuge des Ersatzes des Erfüllungsinteresses ist grundsätzlich der entgangene Geschäftsgewinn zu ersetzen. Zulässigkeitsvoraussetzung für die Einbringung einer Schadenersatzklage ist ein Feststellungsbescheid des BVA507. Stellt das BVA - auf Antrag des Auftraggebers - fest, dass der Geschädigte auch bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags gehabt hätte, besteht kein Anspruch auf Schadenersatz508. Dasselbe gilt für den Fall, dass der Schaden durch Beantragung einer einstweiligen Verfügung sowie durch Stellen eines Nachprüfungsantrags abgewendet hätte werden können509. Das Gericht ist an die Feststellungen des BVA gebunden. Hält es den Bescheid für rechtswidrig, hat es das Verfahren zu unterbrechen und beim VwGH die Feststellung der Rechtswidrigkeit gemäß Art 131 Abs 2 B-VG zu begehren510. Zur Entscheidung über Schadenersatzansprüche sind ungeachtet des Streitwerts die Gerichtshöfe erster Instanz zuständig; die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach dem (Wohn-) Sitz des Auftraggebers.
503 504 505 506 507 508
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§§ 338 ff BVergG. OGH 19.10.1994, 7 Ob 568/94=SZ 67/182 und die ständige Judikatur. Das BVergG normiert in § 338 Abs 1 zunächst nur den Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der Kosten der Teilnahme am Vergabeverfahren. OGH 27.06.2001, 7 Ob 148/01t; 27.06.2001, 7 Ob 200/00p; 10.4.2003, 8 Ob 183/02y. § 341 Abs 2 BVergG. Die „echte Chance“ ist nach den Mat zum BVergG danach zu beurteilen, ob der betreffende Bieter in den engeren Auswahlkreis hinsichtlich der Auftragsvergabe gekommen wäre (1171BlgNR 22. GP 134). § 338 Abs 2 BVergG. § 341 Abs 4 BVergG.
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b) Wettbewerbsrecht Auch im Verhältnis der Bieter untereinander entfalten die Vergaberechtsbestimmungen bindende Wirkung, schützen sie doch auch die Bieter wechselseitig vor unlauteren Vorgangsweisen. Das BVergG selbst enthält keine dem einzelnen Bieter gegen Mitbieter eingeräumte Ansprüche wegen Verletzung der Vergaberechtsvorschriften. Eine gesetzliche Grundlage zur Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen gegen Mitbieter bildet aber die Auffangbestimmung des § 1 UWG511. Ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1 UWG gegen einen Mitbieter besteht etwa, wenn dieser selbst an der Ausschreibung mitgewirkt hat und daher von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren ausgeschlossen war; denn der Mitbewerber trägt mit seinem Angebot zum Gesetzesverstoß des Auftraggebers bei und veranlasst diesen bewusst zu gesetzwidrigem Handeln512. Wie Schadenersatzansprüche sind auch Ansprüche aus dem Lauterkeitsrecht von der Feststellung eines Verstoßes gegen das BVergG durch die zuständige Vergabekontrollbehörde abhängig513.
C. Rechtsschutz durch Europäische Instanzen Neben dem Rechtsschutz durch innerstaatliche Instanzen kann es - parallel oder unabhängig davon - zu einem Rechtsschutzverfahren vor europäischen Instanzen kommen. Zuständig für die Vergabekontrolle auf europäischer Ebene ist neben dem EuGH vor allem die Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
1. Europäische Kommission a) Korrekturmechanismus Die Europäische Kommission kann die Republik Österreich und einen (öffentlichen oder Sektoren-) Auftraggeber bei einem klaren und eindeutigen Verstoß gegen die im Gemeinschaftsrecht enthaltenen Vergabevorschriften zur Beseitigung dieses Verstoßes auffordern. Der Korrekturmechanismus zielt auf eine gütliche Beilegung von Vergabekonflikten ab und ist insofern als eigenständiges Instrument objektiver Rechtskontrolle konzipiert. Zwar sieht der Korrekturmechanismus selbst keine besondere Sanktion für den Fall der Nichtbeseitigung des gerügten Vergabeverstoßes vor, es besteht aber insoweit eine Verschränkung mit dem Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art 226 EGV, als die im Rahmen des Korrekturmechanismus erstattete Mitteilung an den Mitgliedstaat, den Vergabeverstoß durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen, zugleich die rechtlichen Anforderungen eines Mahnschreibens erfüllt, auf deren Grundlage die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren 511 512
513
Vgl aus der neueren Judikatur zu diesem Problemkreis OGH 23.5.2006, 4 Ob 23/06w. OGH 13.09.1999, 4 Ob 155/99v. Mit einem Unterlassungsanspruch gem § 1 UWG kann auch unmittelbar dem Auftraggeber die Vergabe von öffentlichen Aufträgen ohne vorangehende Ausschreibung untersagt werden, siehe OGH 12.03.1996, 4 Ob 10/96. § 341 Abs 2 vorletzter Satz BVergG.
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beim EuGH einleiten kann. Nähere Regelungen zum Ablauf des Verfahrens treffen Art 3 RechtsmittelRL sowie § 335 BVergG514. b) Bescheinigungsverfahren Eine besondere Methode zur Überprüfung der Verfahren und Praktiken der Auftragsvergabe stellt das Bescheinigungsverfahren dar, das allerdings nur von Sektorenauftraggebern wahrgenommen werden kann. Diesen steht es frei, mittels Überprüfung ihrer Vergabepraktiken durch einen Attestor oder eine Bescheinigungsstelle eine Bescheinigung darüber zu erlangen, dass ihre Vorgehensweisen mit dem Gemeinschaftsrecht und dem BVergG übereinstimmen515. Solcherart soll das Vertrauen der Bieter in eine ordnungsgemäße Vergabe gestärkt und mögliche Rechtswidrigkeiten in den Vergabeverfahren der Auftraggeber sollen von vornherein vermieden werden. c) Außerstaatliche Schlichtung Das Schlichtungsverfahren ist ein besonderes Rechtsschutzinstrument, das, ebenfalls ausschließlich im Sektorenbereich, zu den allgemeinen Rechtsschutzverfahren hinzutritt. Jeder Unternehmer, der Interesse an einem bestimmten Auftrag im Bereich der Sektorenvergabe hat oder hatte und der behauptet, dass ihm aufgrund einer rechtswidrigen Vorgehensweise im Vergabeverfahren ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht, kann vor der Europäischen Kommission ein außerstaatliches Schlichtungsverfahren beantragen516. Wesentliches Merkmal des Schlichtungsverfahrens ist seine Freiwilligkeit - neben dem Antrag des Unternehmers auf Schlichtung bedarf es auch der Zustimmung des Auftraggebers. Ziel des Schlichtungsverfahrens ist eine gütliche Einigung der Beteiligten517.
2. Europäischer Gerichtshof Der Rechtsschutz durch den EuGH wird im Vergaberecht im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens und des Vorabentscheidungsverfahrens gewährleistet. Als Gerichte im Sinne des Art 234 EGV und damit zur Vorlage an den EuGH befugt sind sowohl das BVA, als auch die UVS518 und die besonderen Vergabekontrollbehörden der Länder (VKS Salzburg, VKS Wien)519 anzusehen. 514
515 516 517
518 519
§ 335 BVergG enthält insb Vorschriften betreffend die Kommunikation zwischen der Republik Österreich und der Europäischen Kommission; zudem werden Mitteilungs- und Informationspflichten der Auftraggeber gegenüber dem Bundeskanzler normiert. Näher zum Korrekturmechanismus gem Art 3 RechtsmittelRL Öhler, Rechtsschutz, 270 ff. Die Europäische Kommission schägt in ihrem Richtlinienvorschlag zur Änderung der Rechtsmittelrichtlinien, KOM(2006) 195 endg, vor, den Korrekturmechanismus künftig ausschließlich auf schwere Verstöße auszurichten. § 336 BVergG. Als Akkreditierungsstelle fungiert gem § 8 AkkG der BMWA. Näher dazu Art 11 Sektoren-RechtsmittelRL und § 337 BVergG. Vgl dazu auch Öhler, Rechtsschutz, 220 ff. Weder vom Bescheinigungsverfahren noch vom Schlichtungsverfahren wurde von den maßgeblichen Akteuren in nennenswerter Weise Gebrauch gemacht, weshalb die Europäische Kommission (siehe FN 514) vorschlägt, diese Verfahren in Hinkunft ersatzlos zu streichen. EuGH Rs C-258/97, Hospital Ingenieure, Slg 1999, I-1405. EuGH Rs C-103/97, Köllensperger, Slg 1999, I-551.
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Dritter Teil: Regulierungsrecht
Michael Potacs
Energiewirtschaftsrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................908 Grundlegende Literatur...................................................................................909 I. Grundlagen ................................................................................................909 A. Allgemeines............................................................................................909 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................911 1. Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft ....................................................................................911 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit......................................912 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen .................913 1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben...................................................913 2. Völkerrechtliche Verpflichtungen.....................................................913 II. Elektrizitätsrecht .....................................................................................914 A. Ziele und Grundsätze.............................................................................914 B. Netzbetreiber .........................................................................................914 1. Allgemeines.......................................................................................914 2. Anspruch auf Netzzugang .................................................................915 3. Verweigerung des Netzzugangs ........................................................916 4. Ausgleichsenergieorganisation..........................................................921 5. Rechnungslegung und Entflechtung..................................................923 C. Erneuerbare Energieträger und KWK-Anlagen....................................924 D. Stromimporte aus Drittstaaten ..............................................................926 E. Preisregelungen.....................................................................................927 F. Sanktionen .............................................................................................928 III. Gasrecht ..................................................................................................928 A. Ziele .......................................................................................................928 B. Allgemeines zu Erdgasunternehmen......................................................929 C. Erdgashändler .......................................................................................930 D. Netzbetreiber .........................................................................................930 1. Fernleitungs- und Verteilerunternehmen...........................................930 2. Anspruch auf Netzzugang .................................................................932 3. Verweigerung des Netzzuganges ......................................................932 E. Sanktionen .............................................................................................937 IV. Regulierungsbehörden ...........................................................................937 A. Allgemeines............................................................................................937 B. Elektrizitäts-Control GmbH...................................................................938 C. Energie-Control Kommission................................................................940
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Rechtsgrundlagen: EU-Recht: RL 2001/10/27, Abl L 283/33 (Förderung erneuerbarer Energie); RL 2003/54/EG, Abl L 176/37 (Elektrizitätsbinnenmarkt-RL); RL 2003/55/EG, Abl L 176/57 (Erdgasbinnenmarkt-RL); RL 2004/8/EG, Abl L 52/20 (KWK-RL); RL 2004/67/EG, Abl L 127/92 (Erdgasversorgungs-RL); RL 2005/89/EG, Abl L 33/22 (Elektrizitätsversorgungs-RL); V (EG) Nr 1228/2003, Abl L 176/1 (Grenzüberschreitender Stromhandel-V); V(EG) Nr 1775/2005, Abl L 289/1 (Zugang zu Erdgasfernletungsnetzen) Völkerrechtliche Verträge: Übereinkommen über die Nutzbarmachung von Wasserkräften (BGBl 1927/55); Übereinkommen über ein Internationales Energieprogramm (BGBl 1976/317 idF 1976/497); Vertrag über die Energiecharta (BGBl 1998 III/81); Abkommen zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Tschechoslowakischen Republik über die Ausbeutung der gemeinsamen Erdgas- und Erdöllagerstätten (BGBl 1985/53 idF BGBl 1994/1047 (Slowakei) idF BGBl 1997 III/123 (Tschechien); Übereinkommen über die Gründung der Europäischen Gesellschaft für die chemische Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe-EUROCHEMIC (BGBl 1959/243 idF BGBl 1967/163); Statuten der Internationalen Atomenergiebehörde (BGBl 1957/216 idF BGBl 1990/153); Übereinkommen zur Einrichtung einer Sicherheitskontrolle auf dem Gebiet der Kernenergie (BGBl 1960/20); Ratsbeschluß über die Gründung der Europäischen Kernenergieagentur vom 20. Dezember 1957 (BGBl 1961/141 idF BGBl 1967/62); Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen (BGBl 1988/186); Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial (BGBl 1989/53); Übereinkommen über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder strahlungsbedingten Notfällen (BGBl 1990/87); Übereinkommen über nukleare Sicherheit (BGBl 1998 III/39); BG: G über das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung in Österreich - AtomsperrG (BGBl 1978/676); Bundesverfassungsgesetz über Eigentumsverhältnisse in der Elektrizitätswirtschaft (BGBl 1998 I/143); ElektrizitätswirtschaftsG ElWOG (BGBl 1998 I/143 idF BGBl 2006 I/106); Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich - BVG Atomfreiheit (BGBl 1999 I/49); Energie-RegulierungsbehördenG - E-RBG (BGBl 2000 I/121 idF BGBl 2006 I/106); VerrechnungsstellenG (BGBl 2000 I/121 idF BGBl 2004 I/25); GaswirtschaftsG - GWG (BGBl 2000 I/121 idF BGBl 2006 I/106); ÖkostromG (BGBl 2006 I/105). LG: Burgenländisches ElektrizitätswesenG 2001-ElWG 2001 (LGBl 2001/41); Kärntner Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsG 2001-K-ElWG 2001 (LGBl 2001/75); NÖ ElektrizitätswesenG 2005-NÖ ElWG 2005 (LGBl 7800-0104/05); Oö. Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsG 2006-Oö. ElWOG 2006 (LGBl 2006/1); Salzburger LandeselektrizitätsG 1999-LEG (LGBl 1999/75 idF 2006/18 [WV]); Steiermärkisches Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsG 2005-Stmk. ElWOG 2005 (LGBl 2005/70); Tiroler ElektrizitätsG 2003 (LGBl 2003/88); (Vorarlberger) G über die Erzeugung, Übertragung und Verteilung von elektrischer EnergieElektrizitätswirtschaftsG (LGBl 2006/2); Wiener ElektrizitätswirtschaftsG 2005WElWG 2005 (LGBl 2005/46); VO: SystemnutzungstarfifV (BGBl 1999 II/51 idF BGBl 2006 II/216).
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Grundlegende Literatur: Aicher (Hrsg), Rechtsfragen der öffentlichen Energieversorgung, 1987; Pauger, Marktwirtschaft durch EU-Recht, 1996; derselbe, Die Neuordnung der Elektrizitätswirtschaft in Österreich, ÖZW 1998, 97; Schanda, Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes in Österreich, WBl 1999, 45; Steffek/Schmelz/Mayer, ElWOG2, 1999; Pauger, Reform des Strom- und Gasrechts durch das Energieliberalisierungsgesetz, ÖZW 2000, 97; ÖZW 2001, 1; derselbe (Hrsg), Ein Jahr ElWOG. Rückblick und Ausblick auf die Liberalisierung der österreichischen Elektrizitätswirtschaft, 2001; Schanda, Strom aus erneuerbaren Energieträgern in Österreich, 2001; Pauger (Hrsg), Das Elektrizitätsrecht nach der ElWOG-Novelle, 2001; Hofer/Sawerthal, Rechtliche und energiepolitische Aspekte der Energieliberalisierung, 2002; Pauger/Pichler, Das neue Elektrizitätsrecht2, 2002; Hauer (Hrsg), Aktuelle Fragen des Energierechts 2002, 2003; derselbe (Hrsg), Aktuelle Fragen des Energierechts 2003, 2003; Mayer (Hrsg), Hauptfragen des Elektrizitätswirtschaftsrechts, 2003; Schanda, Energierecht3, 2003; Hauer (Hrsg), Aktuelle Fragen des Energierechts 2004/2005, 2005; Holoubek/Boltz (Hrsg), Strommarktregulierung, 2005; Potacs (Hrsg), Aktuelle Fragen des Gaswirtschaftsrechts, 2005; Zabukovec, Ökostromgesetz und Elektrizitätswesen, 2005; Gruber, Grenzüberschreitende Stromlieferungen, 2006; Leitl, Die Regulierungsbehörden im österreichischen Recht, 2006; Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006; Raschauer (Hrsg), Aktuelles Energierecht, 2006.
I. Grundlagen A. Allgemeines Das Energierecht umfasst grundsätzlich ein relativ weites Spektrum, das neben der Regelung des Gas- und Elektrizitätsmarktes etwa auch die Versorgung mit Fernwärme umfasst.1 Besondere Bedeutung kommt dabei im Hinblick auf seinen wirtschaftlichen Stellenwert freilich dem Gas- und Elektrizitätsrecht zu, das in der jüngeren Vergangenheit völlig neu geregelt wurde. Ausgangspunkt dieser Neuregelung waren dabei die Entwicklungen zur Liberalisierung des Energiemarktes in der EU. Mit der Liberalisierung des Energiemarktes hat sich die Europäische Gemeinschaft relativ spät auseinander zusetzen begonnen. Als Gründe dafür werden die Unterschiedlichkeit der nationalen Ordnungssysteme, die besondere Sensibilität der Mitgliedstaaten bis hin zu technischen Hindernissen angesehen.2 Zweifellos dürfte dabei eine wesentlich Rolle gespielt haben, dass die Versorgung mit Energie als „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ angesehen wurde, die durch Marktmechanismen nicht hinreichend sichergestellt werden kann. Gerade für solche Dienstleistungen ist in Art 86 Abs 2 EGV ja auch eine Ausnahmeregelung von den Bestimmungen des Vertrages vorgesehen, wenn deren Anwendung die Erfüllung der diesen Unternehmen übertragenen Aufgaben verhindert. Die Rechtsprechung des EuGH bestätigte diese Einschätzung, weil der Gerichtshof im Hinblick darauf große 1 2
Zur Regelungszuständigkeit („Energierecht als Querschnittsmaterie“) siehe unten I.B.2. Pauger, ÖZW 1998, 98; Wimmer/Arnold, Wirtschaftsrecht in Österreich2, 1998, 272.
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Zurückhaltung gegenüber Marktprivilegien von Elektrizitätsversorgungsunternehmen übte.3 Dennoch haben beginnend mit dem Weißbuch 1988 „Der Binnenmarkt für Energie“4 Liberalisierungsbemühungen eingesetzt, die zunächst hinsichtlich der Stromversorgung in der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL5 aus dem Jahre 1996 und in Bezug auf die Gasversorgung in der Erdgasbinnenmarkt-RL6 aus dem Jahre 1998 sowie in weiterer Folge in den „Beschleunigungs-Richtlinien“7 aus dem Jahre 2003 (Elektrizitätsmarkt-RL 20038 und Erdgasbinnenmarkt-RL 20039) ihren Niederschlag gefunden haben. Freilich sind Liberalisierungen im Elektrizitäts- und Erdgasmarkt - ähnlich wie etwa auch im Telekommunikationsbereich10 - von vorneherein gewisse Grenzen gesetzt. Ist doch dieser Markt durch eine weitgehend flächendeckende Struktur „natürlicher“ Monopole der Leitungsnetze gekennzeichnet.11 Als solche stellen sie „essential-facilities“12 dar, dh eine „Einrichtung oder Infrastruktur, ohne deren Nutzung ein Wettbewerber seinen Kunden keine Dienste anbieten kann“13. Ein freier Einkauf von Elektrizität und Erdgas ist daher nur unter Öffnung dieser Infrastruktur möglich, indem zwischen Kunden und Lieferanten liegende Netzbetreiber eine „Einspeisung“ bzw Abnahme von Strom oder Erdgas gestatten.14 Mit gutem Grund werden daher die Regelungen der Richtlinien über den Netzzugang bzw die Netzzugangsverweigerung als ihr „Kernbereich“15 oder ihr „Herzstück“16 angesehen und ihnen „zentrale Bedeutung“17 beigemessen. Im ElWOG und im GWG wurden diese Vorschriften (richtlinienkonform) in Form 3
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Siehe EuGH, Rs C-393/92, Almelo, Slg 1994, I-1477, Rz 48; Rs C-157/94, Kommission/Niederlande, Slg 1997, I-5699, Rz 43 und 58; Rs C-159/94, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg 1997, I-5815, Rz 59. Kritisch dazu etwa Oberndorfer, Die Bedeutung der EuGH-Urteile über die Stromimport- und Stromexportmonopole für die Auslegung des Art 90 Abs 2 EGV und für den Elektrizitätsbinnenmarkt, JBl 1999, 575 ff. KOM (88) 128 endg. RL 96/92/EG (Abl L 27/20). RL 98/30/EG (Abl L 204/1). Siehe Lecheler/Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des EnergieBinnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom und Gas, EuZW 2003, 621 ff. RL 2003/54/EG (Abl L 176/37); dazu Rabl, Energierechtsreform 2003 in Europa endlich freier Strommarkt?, ecolex 2003, 877 ff. RL 2003/55/EG (Abl L 176/57). Pauger, ÖZW 1998, 103. Änderung der RV zu 66 BlgNR 21. GP, S 36. Dazu Potacs, Netzzugang und Netzzugangsverweigerung, in: Pauger (Hrsg), Ein Jahr ElWOG, 2001, 101 (102 ff). E 94/19/EG, Sea Containers, Abl L 15/8, Rz 66. Dazu Gruber, Stromlieferungen, 34 ff. Siehe allgemein zum Anspruch auf Netzzugang in verschiedenen Rechtsbereichen Raschauer, Mitbenutzung von Leitungen und Netzzugang, ÖZW 2000, 65; Urbantschitsch, Netzzugangsmodelle in Telekommunikation und Strom, in: Mayer (Hrsg), Hauptfragen des Elektrizitätswirtschaftsrecht, 2003, 35 ff. Steffek/Schmelz/Mayer, ElWOG2, 71. Wimmer/Arnold (FN 2), 273. So auch Raschauer, Energierecht, 70. RV 66 BlgNR 21. GP, S 37.
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eines „geregelten Netzzuganges“ auf Grund regulierter und genehmigter allgemeiner Tarife umgesetzt. Zu betonen ist allerdings, dass sowohl die Elektrizitätsbinnenmarkt-RL 2003 als auch die Erdgasbinnenmarkt-RL 2003 eine Marktöffnung erst ab Juli 2007 verlangen. Sowohl das ElWOG als auch das GWG gehen somit über die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen hinaus, indem sie schon zuvor einen Netzzugang für alle Verbraucher vorsehen („Vollliberalisierung“). Damit wird dem von den Richtlinien angestrebten Ziel eines offenen und wettbewerbsfähigen Energiebinnenmarktes entsprochen. Andererseits sehen die Richtlinien Verpflichtungen zur Gewährleistung einer Versorgungssicherheit vor18. Diesem Ziel wird durch gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im ElWOG19 und im GWG20 Rechnung getragen. Als Besonderheit im Energiebereich ist auch noch zu erwähnen, dass die Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung in Österreich (verfassungs)gesetzlich verboten ist.21
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft Zwar zählt der EGV22 in Art 3 Abs 1 lit u) Maßnahmen im Bereich der Energie zu den Aufgaben der Gemeinschaft, doch enthält der EGV keine eigene Kompetenz für legislative Maßnahmen in diesem Bereich. Die Liberalisierungsmaßnahmen der Gemeinschaft stützen sich daher auf allgemeinere Kompetenzen für Sekundärrechtsakte wie Art 47 Abs 2 EGV zur Niederlassungsfreiheit und Art 55 EGV zur Dienstleistungsfreiheit. Vor allem aber beruft sich der Gemeinschaftsgesetzgeber bei Erlassung der hier relevanten Maßnahmen auf Art 95 EGV, der als Rechtsgrundlage für Rechtsakte zur Verwirklichung des Binnenmarktes herangezogen werden kann. Haben diese Maßnahmen doch zum Ziel, zur Vollendung des Binnenmarktes durch Schaffung eines „wettbewerbsorientierten Elektrizitätsmarktes“23 bzw eines „wettbewerbsorientierten Erdgasmarktes“24 beizutragen. Die RL über Maßnahmen zur Gewährleistung 18
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Siehe Art 3 Abs 3 der RL 2003/54/EG (Abl L 176/42), Art 3 Abs 3 der RL 2003/55/EG (Abl L 176/62), sowie die RL 2004/67/EG (Abl L 127/92) über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Erdgasversorgung und RL 2005/89/EG (Abl L 33/22) über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und von Infrastrukturbestimmungen. Dazu näher Pomaroli, Versorgungspflicht im liberalisierten Strommarkt?, Wbl 2002, 385 ff; Holoubek, Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen in einem liberalisierten Markt, in: Mayer (Hrsg), Hauptfragen des Elektrizitätswirtschaftsrechts, 2004, 19 ff. Siehe dazu Kahl, Versorgungssicherheit - Gewährleistung und Verantwortung, in: Potacs (Hrsg), Aktuelle Fragen des Gaswirtschaftsrechts, 2005, 81 ff. AtomsperrG (BGBl 1978/676); diese Eigentumsbeschränkung wurde vom VfGH für verfassungskonform erachtet; VSlg 9911/1983. Siehe nunmehr § 2 BVG Atomfreiheit. Der Euratomvertrag ist auf Grund des AtomsperrG nur von sehr beschränkter Bedeutung für Österreich. 2. Erwägungsgrund der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL aus 1998. 3. Erwägungsgrund der Erdgasbinnenmarkt-RL aus 1998.
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der sicheren Erdgasversorgung25 wurde auf Art 100 EGV gestützt, der eine Regelungskompetenz der Gemeinschaft vorsieht, „falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren auftreten“.
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Das Energierecht ist eine „Querschnittsmaterie“, die sich über mehrere Kompetenztatbestände der Art 10 bis 15 B-VG erstreckt.26 So fällt der Betrieb von Elektrizitätsunternehmen unter versorgungspolitischen Gesichtspunkten gemäß Art 12 Abs 1 Z 5 B-VG („Elektrizitätswesen“) in die Grundsatzgesetzgebung des Bundes und in die Ausführungsgesetzgebung sowie Vollziehung der Länder.27 Dementsprechend stellt das ElWOG ein Grundsatzgesetz des Bundes dar, zu dem Ausführungsgesetze der Länder erlassen wurden. Nach Auffassung des VfGH fallen auch Regelungen über die „Aufbringung von Ausgleichsenergie“ (VerrechnungsstellenG) wegen ihres „funktionalen Zusammenhangs“ mit der Sicherstellung und Organisation der Stromversorgung unter Art 12 Abs 1 Z 5 B-VG.28 Durch Verfassungsbestimmung in § 1 ElWOG wurde allerdings die Vollziehung bestimmter Vorschriften des ElWOG abweichend von Art 12 B-VG zur Bundessache erklärt.29 Die gewerbsmäßige Versorgung mit Fernwärme30 und Gas31 ist gemäß Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG („Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“) in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Während die gewerbsmäßige Versorgung mit Fernwärme unter die GewO fällt32, ist die Tätigkeit von Erdgasunternehmen im GWG geregelt, das aber ebenfalls auf Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG gestützt wird.33 Das Gassicherheitsrecht hingegen, das vor allem die Gasleitungen in Wohnhäusern und die Gasgeräte in privaten Haushalten betrifft, ist gemäß Art 15 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Landessache.34
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RL 2004/67/EG (Abl L 127/92). Dazu eingehend Funk, Übersicht über das Energierecht, in: Aicher (Hrsg), Rechtsfragen der öffentlichen Energieversorgung, 1987, 21 (25 ff). Demgegenüber fällt der Bereich der elektrotechnischen Sicherheit unter Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG. Das Elektrizitätswegerecht ist hingegen zwischen Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG und Art 12 Abs 1 Z 5 B-VG aufgeteilt. Siehe dazu näher Funk (FN 26), 47. VfSlg 17160/2004. Kritisch dazu Pauger, ÖZW 1998, 99 f. Funk (FN 26), 38; vgl auch Fremuth, Rechtsfragen der Energielenkung, in: Aicher (Hrsg), Rechtsfragen der öffentlichen Energieversorgung (1987) 97 (104). VfSlg 3640/1959; 5801/1968. Vgl dazu etwa VwGH 13.9.1988, 87/04/0246. Weiters basiert das GWG aber auch noch im Hinblick auf Enteignungsmaßnahmen auf Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG („Zivilrechtswesen“) und in Bezug auf Export und Import von Erdgas auf Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG („Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland“); RV 66 BlgNR 21. GP, S 43 und 52. Die im GWG enthaltenen preisrechtlichen Regelungen werden nach RV 66 BlgNR 21. GP, S 43, auch auf den Sonderkompetenztatbestand in Art I des PreisG 1992 gestützt; kritisch dazu allerdings Pauger, ÖZW 2000, 98. Pauger, ÖZW 2000, 98; RV 66 BlgNR 21. GP, S 43.
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Schließlich ist noch zu erwähnen, dass Regelungen, die den Export und Import von Energieträgern zum Inhalt haben35, dem Kompetenztatbestand „Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland“ in Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG zugeordnet werden.36
C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen 1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben Von zentraler Bedeutung für die Liberalisierung des Energiemarktes sind freilich nunmehr die Elektrizitätsbinnenmarkt-RL 2003 und die Erdgasbinnenmarkt-RL 2003. Aber schon vor Erlassung der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL und Erdgasbinnenmarkt-RL aus 1998 war der Energiemarkt der Gemeinschaft einzelnen sekundärrechtlichen Regelungen unterworfen. Dies betraf zunächst die Richtlinie zur Einführung eines gemeinschaftlichen Verfahrens zur Gewährleistung der Transparenz der vom industriellen Endverbraucher zu zahlenden Gas- und Strompreise.37 Zu erwähnen sind hier aber auch die Richtlinien über den Transit von Elektrizitätslieferungen38 und Erdgas39 über große Netze, die aber mittlerweile aufgehoben wurden. Die Elektrizitätsbinnenmarkt-RL 2003 und die Erdgasbinnenmarkt-RL 2003 werden durch weitere Sekundärrechtsakte der Gemeinschaft ergänzt. Der Intensivierung des Stromhandels dient die VO über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel.40 Im Interesse der Versorgungssicherheit wurden die Richtlinien über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Erdgasversorgung41 und über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und von Infrastrukturinvestitionen42 erlassen.
2. Völkerrechtliche Verpflichtungen Österreich hat eine Reihe von völkerrechtlichen Abkommen abgeschlossen, die von Bedeutung für das Energierecht sind.43 So ist Österreich dem Übereinkommen über ein Internationales Energieprogramm (IEP) beigetreten44, das zur Erlassung des Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG45 geführt hat.46 Aus jüngerer Zeit ist der Vertrag über die Energiecharta hervorzuheben, der von Österreich ebenfalls ratifiziert wurde47 und der eine Förderung der langfristigen Zusam35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
Siehe etwa unten Kapitel II.D. Funk (FN 26), 31 f. RV 66 BlgNR 21. GP, S 43. RL 90/377/EWG, Abl 185/16 idF RL 93/87/EWG, Abl 277/32. RL 90/547/EWG, Abl 313/30 idF RL 98/75/EG, Abl 276/9. RL 91/296/EWG. VO (EG) Nr 1228/2003, Abl L 176/1. RL 2004/67/EG, Abl L 127/92. RL 2005/89/EG, Abl L 33/22. Dazu näher auch Funk (FN 26), 28 ff. BGBl 1976/317. Siehe dazu den Beitrag von Koller zum Erdöl-Bevorratungs- und Meldegesetz. Dazu Fremuth (FN 30), 105 ff. BGBl 1998 III/81. Siehe auch Energiechartaprotokoll über Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte; BGBl III 1998/82.
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menarbeit im Energiebereich (zB durch Verringerung der Wettbewerbsbeschränkungen, Erleichterungen beim Energietransit48) zum Inhalt hat. Zu erwähnen sind auch mehrere Abkommen, die dem nuklearen Schutz dienen, wie etwa das Abkommen über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder strahlungsbedingten Notfällen49 sowie das Übereinkommen über nukleare Sicherheit.50 Von Bedeutung ist dabei wohl auch das Abkommen zwischen Österreich und Tschechien sowie der Slowakei zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit der nuklearen Sicherheit und dem Strahlenschutz.51
II. Elektrizitätsrecht A. Ziele und Grundsätze Gemäß § 3 ElWOG ist es zum einen Ziel des ElWOG, der österreichischen Bevölkerung kostengünstige Energie in hoher Qualität zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig gehört nach dieser Vorschrift aber auch zu den Zielen des ElWOG, eine EU-konforme Marktorganisation zu schaffen, Kraft-WärmeKopplung (KWK) zu nutzen und einen Ausgleich für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen von Elektrizitätsunternehmen zu erreichen, die sich auf die Sicherheit, einschließlich Versorgungssicherheit, die Regelmäßigkeit, die Qualität, den Preis und den Umweltschutz beziehen. Die Ausführungsgesetze der Länder haben gemäß § 5 ElWOG zu bestimmen, dass Elektrizitätsunternehmen (das sind Unternehmen, die Elektrizität erzeugen, übertragen, verteilen, liefern oder kaufen52) die ihnen auferlegten Allgemeinverpflichtungen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln anzustreben haben.
B. Netzbetreiber 1. Allgemeines Zur Verwirklichung eines wirksamen Energiemarktes werden den Netzbetreibern besondere Verpflichtungen auferlegt. Zwar besteht für diese nicht mehr wie noch vor Einführung der Vollliberalisierung - eine Versorgungspflicht.53 Doch haben sie - als wesentlichsten Aspekt der Strommarktliberalisierung nach wie vor gemäß § 4 ElWOG eine Verpflichtung zum Abschluss von privatrechtlichen Verträgen54 mit Netzbenutzern über den Anschluss an ihr Netz
48 49 50 51 52 53 54
Vgl zB Schanda, Energierecht3, 44. BGBl 1990/87. BGBl 1998 III/39. BGBl 1990/565 idF BGBl 1994/1046 und BGBl 1997 III/123. § 7 Z 8 ElWOG. So auch Kahl (FN 20) 85 f. Nach Pauger, ÖZW 2001, 2, findet die Deregulierung im Wegfall der Versorgungspflicht ihren signifikantesten Ausdruck. Zu diesen Verträgen siehe etwa Thurnher, Energielieferverträge im neuen Umfeld, ÖZW 1999, 97; Rabl, Liberalisierung des Strommarkts: Neues und Altes zum Vertragsrecht, ecolex 2000, 544; Thurnher, Durchleitungs- und Stromlieferverträge, in: Pauger (Hrsg), ein Jahr ElWOG, 2001, 75; Sawerthal, Aspekte der Vertragsgestal-
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(Allgemeine Anschlusspflicht) und eine Verpflichtung zur diskriminierungsfreien Behandlung aller Kunden eines Netzes (Diskriminierungsverbot). Den Netzbetreibern sind gemäß § 4 ElWOG durch die Ausführungsgesetze noch weitere Verpflichtungen aufzuerlegen, wie die Mitwirkung an Maßnahmen zur Beseitigung von Netzengpässen und an Maßnahmen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Solche Verpflichtungen finden im „Monopolcharakter des Netzes“55 ihre Berechtigung.
Innerhalb der Netzbetreiber unterscheidet das ElWOG zwischen Betreibern von Übertragungsnetzen (ds Hochspannungsnetze56) und Betreibern von Verteilernetzen (ds Netze mit mittlerer oder niederer Spannung57). Nur für Verteilernetzbetreiber ist gemäß § 26 ElWOG ein Konzessionssystem vorzusehen. Dafür haben Verteilernetzbetreiber (und nicht auch Übertragungsnetzbetreiber) gemäß § 27 ElWOG grundsätzlich ein Recht darauf, innerhalb des von ihrem Verteilernetz abgedeckten Gebietes alle Endverbraucher und Erzeuger an ihr Netz anzuschließen (Recht zum Netzanschluss). Damit wird das „natürliche“ Monopol von Netzbetreibern in Bezug auf Verteilernetze überdies rechtlich abgesichert.
2. Anspruch auf Netzzugang Sowohl Übertragungs- als auch Verteilernetzbetreiber haben Netzzugang zu gewähren.58 Gemäß § 15 ElWOG sind sie durch die Ausführungsgesetze zu verpflichten, Netzzugangsberechtigten den Netzzugang zu den genehmigten Allgemeinen Bedingungen und bestimmten Systemnutzungstarifen zu gewähren (geregelter Netzzugang). Netzzugangsberechtigt sind ab 1.10.2001 gemäß § 43 Abs 1 ElWOG „alle Kunden“, also Endverbraucher, Stromhändler und Elektrizitätsunternehmen. Sie haben damit das Recht mit Erzeugern, Stromhändlern und Elektrizitätsunternehmen Verträge über die Lieferung von elektrischer Energie zu schließen und hinsichtlich dieser Strommengen Netzzugang zu begehren. Anspruch auf Netzzugang besteht nach dem ElWOG demnach nur für den nachfragenden Kunden und nicht auch für Erzeuger und Stromhändler als Verkäufer.59 Allerdings können Elektrizitätsunternehmen gemäß § 43 Abs 2 ElWOG den Netzzugang im Namen ihrer Kunden begehren. Die Allgemeinen Bedingungen für den Netzzugang müssen gemäß § 18 ElWOG nicht diskriminierend sein60 und bestimmte Mindestregelungen enthalten. Besondere
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tung im Bereich des Elektrizitätsrechts, in: Mayer (Hrsg), Hauptfragen des Elektrizitätswirtschaftsrechts, 2003, 63 ff. RV zu 66 BlgNR 21. GP, S 47. § 7 Z 40 ElWOG. § 7 Z 44 ElWOG. AA Raschauer, Energierecht, 83, demzufolge sich der Anspruch auf Netzzugang nicht auf Übertragungsnetze bezieht. Schanda, WBl 2001, 61. AA Parschalk/Zitter, Netzzugang im liberalisierten Strommarkt, WBl 2001, 512 (514). Siehe dazu auch Schanda, Stromeinkauf im liberalisierten Markt aus Kundensicht, ÖZW 2002, 8 ff. Dazu VwGH 28.1.2003, 2002/05/0072.
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Netzzugangsbedingungen gelten kraft unmittelbar anwendbarem EG-Recht für den grenzüberschreitenden Stromhandel.61
3. Verweigerung des Netzzugangs a) Ansprüche nach dem ElWOG Die Bedingungen für den Zugang zum Netzzugang dürfen gemäß § 18 ElWOG nicht diskriminierend sein und keine missbräuchlichen Praktiken oder ungerechtfertigten Beschränkungen enthalten. Konkretisiert wird dieses Missbrauchsverbot in den im ElWOG umschriebenen Gründen über die Verweigerung des Netzzuganges. Solche Verweigerungsgründe sind in § 20 Abs 1 ElWOG geregelt.62 Die Verweigerung ist gemäß § 20 Abs 1 ElWOG gegenüber dem Netzzugangsberechtigten zu begründen. Nach dem AB zur Stammfassung des ElWOG handelt es sich dabei allerdings um keine erschöpfende Aufzählung, weil danach die „Ausführungsgesetze weitere Verweigerungstatbestände enthalten könnten“63. Es stellt sich die Frage, welches Ausführungsgesetz für den Zugang zu einem sich über mehrere Bundesländer erstreckenden Netz gilt. Dazu bestimmt nunmehr § 20 Abs 3 ElWOG, dass für die Beurteilung der Netzzugangsberechtigung die Vorschriften des Landes anzuwenden sind, in dem der Antragsteller seinen Sitz (Hauptwohnsitz) hat. Im Hinblick auf die Verweigerungsgründe sind demgegenüber die Vorschriften jenes Landes maßgeblich, die am Sitz des Netzbetreibers gelten.
aa) Störfälle § 20 Abs 1 ElWOG erwähnt als ersten Verweigerungsgrund außergewöhnliche Netzzustände und erläutert diese Worte durch den in Klammern beigefügten Begriff „Störfälle“. Wie in den EB zur RV ausgeführt wird, stellt dieser Tatbestand auf einen Umstand ab, bei dem „der Netzbetreiber faktisch nicht in der Lage ist, seinen Netzdienstleistungsverpflichtungen“64 nachzukommen. bb) Mangelnde Netzkapazitäten Unabhängig davon wird die „mangelnde Netzkapazität“ in § 20 Abs 1 ElWOG als eigener Verweigerungstatbestand erwähnt. Diese Vorschrift wird durch § 19 ElWOG weiter konkretisiert, der eine Rangfolge des Netzzuganges bei mangelnder Netzkapazität festlegt.65 Demnach gelten in diesem Fall grundsätz-
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VO (EG) Nr 1228/2003 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel; Abl L 176/1. Siehe dazu insbesondere auch im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht näher Potacs (FN 12), 108 ff. AB 1305 BlgNR 20. GP, S 4. Da § 20 Abs 1 ElWOG keine erschöpfende Aufzählung von Verweigerungsgründen enthält (AB 1305 BlgNR 20. GP, S 4), sind wohl auch in den Ausführungsgesetzen zusätzlich festgelegte Verweigerungstatbestände „Voraussetzungen für die Verweigerung des Netzzuganges gemäß Abs. 1“, über die gemäß § 20 Abs 2 ElWOG die Elektrizitäts-Control Kommission zu befinden hat. 1108 BlgNR 20. GP, S 56. Die Regelungen des § 19 ElWOG gelten allerdings nur bei „regelzonenübergreifenden Lieferungen“ (dazu unten II.B.4.), weil innerhalb der Regelzonen einzelne Transporte nicht mehr identifizierbar seien; RV zu 66 BlgNR 21. GP, S 48. Auf grenzüberschreitende Lieferungen finden die Regelungen des § 19 außerdem nur
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lich die Regelungen der Verordnung (EG) Nr 1228/2003 über den grenzüberschreitenden Stromhandel und die auf Grund dieser Verordnung erlassenen Leitlinien der EG-Kommission. Soweit es diese Regelungen zulassen, ist gemäß § 19 ElWOG in den Ausführungsgesetzen vorzusehen, dass bei mangelnder Kapazität elektrischer Energie aus erneuerbaren Energieträgern und KWKAnlagen Vorrang zu gewähren. Nach Art 6 der Verordnung (EG) Nr 1228/2003 wird Netzengpässen grundsätzlich durch nichtdiskriminierende marktorientierte Lösungen begegnet (wie etwa „Auktionen“). Der Vorrang erneuerbarer Energieträger und KWK-Anlagen gilt gemäß § 19 ElWOG „unbeschadet“ der Bestimmungen dieser Verordnung. Daher gilt dieser Vorrang wohl nicht in Bezug auf Engpässe, die bei „grenzüberschreitenden Stromflüssen“ entstehen.66 Hier sind gemäß Art 6 Abs 1 der VO (EG) Nr 1228/2003 Engpässe vorzugsweise durch Methoden zu bewältigen, „die keinen Unterschied zwischen den Verträgen einzelner Marktteilnehmer machen“. Unzulässig ist etwa ein vorrangiger Netzzugang für grenzüberschreitende Stromlieferungen auf Grund von „Altverträgen“ (ds vor Inkrafttreten der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL abgeschlossene Verträge).67 Gleiches gilt für einen Vorrang der auf einer Vereinbarung beruht, die Art 81 EGV widerspricht.68 Für Engpässe beim nicht „grenzüberschreitenden Stromhandel“ (Verteilernetze) gilt explizit nur der in § 19 ElWOG verankerte Vorrang erneuerbarer Energie und von Energie aus KWK-Anlagen. Die unterschiedliche Behandlung zu Engpässen beim „grenzüberschreitenden Stromhandel“ ist im Hinblick auf den Gleichheitssatz nicht unbedenklich. Im Übrigen findet sich aber keine Vorrangregelung für „rein interne Sachverhalte“. Offen bleibt daher etwa, wie bei Engpässen vorzugehen ist, wenn keine erneuerbare Energie bzw Energie aus KWK-Anlagen im Spiel ist. Die Netzbetreiber können demnach wohl einerseits selbst diskriminierungsfrei (§ 18 ElWOG) bestimmen, wie sie bei Engpässen vorgehen. Dies ist von ihnen dann gemäß § 20 Abs 1 ElWOG entsprechend zu begründen. Andererseits spricht nichts dagegen, § 19 ElWOG als nicht erschöpfend anzusehen, weshalb die Länder in den Ausführungsgesetzen insoweit auch weitere nicht diskriminierende Regelungen treffen können.
cc) Reziprozitätsklausel § 20 Abs 1 Z 3 ElWOG sieht einen Netzzugangsverweigerungsgrund wegen mangelnder Reziprozität vor. Danach darf der Netzzugang für Stromlieferungen für einen Kunden abgelehnt werden, der in dem System, aus dem die Belieferung erfolgt oder erfolgen soll, nicht als zugelassener Kunde gilt. Diese Regelung findet derzeit ihre gemeinschaftsrechtliche Deckung in der Übergangsregelung von Art 21 Abs 2 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL 2003. Durch sie soll offenbar vermieden werden, dass Unternehmen, die von einem weitgehend geschützten Markt aus operieren, die dabei erlangten Vorteile zum Nachteil der
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Anwendung, wenn keine anderen Regelungen mit ausländischen Netzbetreibern getroffen wurden. Darunter ist gemäß Art 2 Abs 2 lit b) der VO (EG) Nr 1228/2003 „das physikalische Durchströmen einer elektrischen Energiemenge durch ein Übertragungsnetz eines Mitgliedstaates aufgrund der Auswirkungen der Tätigkeit von Erzeugern und/oder Verbrauchern außerhalb dieses Mitgliedstaats auf dessen Übertragungsnetz“, zu verstehen. Dazu EuGH Rs C-17/03 (Vereiniging voor Energie), Slg 2005, I-4983, Rz 57 ff, und Oberndorfer, Netzzugang Strom - zurück an den Start?, ecolex 2005, 803 ff. Siehe nunmehr auch VwGH 28.4.2006, 2004/05/0322. Siehe VwGH 7.9.2004, 2003/05/0094.
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dortigen Unternehmen ausnützen.69 Gleichzeitig wird durch eine solche Reziprozitätsklausel auch der Druck zur Liberalisierung in den Mitgliedstaaten gefördert.70 Nach der Judikatur des VwGH findet diese Reziprozitätsklausel nicht nur gegenüber EU-Mitgliedstaaten, sondern auch gegenüber Drittstaaten Anwendung.71
dd) Vorrang umweltschonender Stromerzeugung Gemäß § 20 Abs 1 Z 4 ElWOG kann der Netzzugang verweigert werden, wenn ansonsten Elektrizität aus fernwärmeorientierten, umwelt- und ressourcenschonenden sowie technisch-wirtschaftlich sinnvollen KWK-Anlagen oder aus Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien trotz Eingehens auf die aktuellen Marktpreise verdrängt würde, wobei Möglichkeiten zum Verkauf dieser elektrischen Energie an Dritte zu nutzen sind. Diese Vorschrift ist entgegen einer im AB vertretenen Auffassung72 auch gegenüber netzzugangsberechtigten Endverbrauchern anzuwenden.73 Allerdings dürfte dieser Verweigerungsgrund für die Netzbetreiber eher schwierig zu handhaben sein. Ist danach die Verweigerung des Netzzuganges doch nur dann zulässig, wenn ansonsten die Energie aus umweltschonenden Anlagen „trotz Eingehens auf die aktuellen Marktpreise verdrängt würde, wobei Möglichkeiten zum Verkauf dieser elektrischen Energie an Dritte zu nutzen sind“. Nach den Gesetzesmaterialien soll mit dieser Regelung bewirkt werden, „dass alle Möglichkeiten, elektrische Energie, die in diesen Anlagen erzeugt wird, zu marktkonformen Preisen im Europäischen Binnenmarkt abzusetzen, ausgeschöpft werden, bevor ein Netzzugang verweigert wird“. Der Verweigerungstatbestand bilde somit ein „letztmögliches“ Instrument „für den Weiterbestand dieser Erzeugungsanlagen“74. Allerdings dürfte die Ausschöpfung marktkonformer Maßnahmen durch die betreffenden Anlagen für den Netzbetreiber nicht leicht festzustellen sein; und zwar einerseits weil die Ermittlung eines „aktuellen Marktpreises“ an sich schon schwierig sein kann75 und andererseits weil der Netzbetreiber häufig nicht über ausreichende Informationen über die Betriebsführung umweltschonender Erzeugungsanlagen verfügen wird. Dies fällt umso mehr ins Gewicht, als die Verweigerung des Netzzuganges gemäß § 20 Abs 1 letzter Satz gegenüber dem Netzzugangsberechtigten vom Netzbetreiber zu begründen und das Vorliegen ihrer Voraussetzungen gemäß § 20 Abs 2 ElWOG vom Netzbetreiber auch nachzuweisen ist.
ee) Rechtsschutz Nach dem in Verfassungsrang stehenden § 20 Abs 2 ElWOG76 hat die Energie-Control Kommission „über den Antrag desjenigen, der behauptet, durch 69 70 71 72 73 74 75 76
Thurnher, ElWOG, 82, Rz 206. Steffek/Schmelz/Mayer, ElWOG2, 57. VwGH 24.10.2000, 2000/05/0080. Siehe dazu auch VwGH 22.5.2001, 2000/05/0073. AB 1305 BlgNR 20. GP, S 7. Ebenso Steffek/Schmelz/Mayer, ElWOG2, 73; Schanda, Energierecht3, 54 f; Thurnher, ElWOG, 160, Rz 11. Pauger, ÖZW 1998, 104; Potacs (FN 12) 114. RV BlgNR 1108 20. GP, S 56. Thurnher, ElWOG, 159, Rz 10. Weiters sieht § 21 Abs 1 ElWOG unter der Überschrift „Streitbeilegungsverfahren“ vor, dass ein in „Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Netzzuganges ... - sofern keine Zuständigkeit des Kartellgerichts ... vorliegt - die Energie-Control Kommission“
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die Verweigerung des Netzzuganges in seinem gesetzlich eingeräumten Recht auf Gewährung des Netzzuganges verletzt worden zu sein, innerhalb eines Monats festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Verweigerung eines Netzzuganges gemäß Abs 1 vorliegen“.77 § 20 Abs 2 ElWOG stellt zwar ausdrücklich nur auf die in § 20 Abs 1 ElWOG genannten Verweigerungsgründe ab, obwohl zusätzliche Verweigerungsgründe durch die Ausführungsgesetze eingeräumt werden können78. Aus dem Rechtsschutzzweck des § 20 Abs 2 ElWOG ist aber wohl zu schließen79, dass die Elektrizitäts-Control Kommission auch über die in den Ausführungsgesetzen zusätzlich normierten Verweigerungsgründe zu befinden hat.80
Eine solche bescheidmäßige Feststellung81 ist vor allem auch für sonstige Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern von Bedeutung. Für manche dieser Angelegenheiten ist in § 16 Abs 3a E-RBG eine sukzessive Kompetenz vorgesehen: Wer mit der Entscheidung der EnergieControl Kommission nicht einverstanden ist, kann ein Zivilgericht anrufen. Mit der rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts tritt die Entscheidung der Energie-Control Kommission außer Kraft. Voraussetzung der Zulässigkeit einer solchen Klage ist freilich der vorangegangene Bescheid der EnergieControl Kommission.82 Das betrifft gemäß § 16 Abs 3a E-RBG etwa „Streitigkeiten zwischen Marktteilnehmern in jenen Fällen, in denen der Netzzugangszugangsberechtigte Ansprüche gegen den Netzbetreiber geltend macht“83. Darunter fallen nach der Judikatur der VfGH etwa auch Beiträge, die durch Netz-
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entscheidet. Mit diesem „Streitbeilegungsverfahren“ ist das in § 20 Abs 2 geregelte Verfahren gemeint, weil kaum vorstellbar ist, dass der Gesetzgeber ein zusätzliches Verfahren über die Netzzugangsverweigerung vor der Elektrizitäts-Control Kommission normieren wollte; ebenso im Ergebnis Stockenhuber, Wer entscheidet über den Netzzugang? ÖZW 2001, 37 (41); vgl aber Schanda, Energierecht3, 55 f. Nach dem AB ist „die Netzzugangsberechtigung des Antragstellers“ Voraussetzung für die Antragstellung gemäß § 20 Abs 2 ElWOG. „Liegt eine derartige Netzzugangsberechtigung des Antragstellers nicht vor“, so ist der Antrag nach dem AB „mangels rechtlichen Interesses zurückzuweisen (kein Anspruch auf ein Verfahren)“; AB 1305 BlgNR 20. GP, S 4. Diese Äußerungen könnten den Eindruck erwecken, dass bereits im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages die Netzzugangsberechtigung zu klären ist. Ein solches Verständnis dürfte aber deshalb abzulehnen sein, weil die Netzzugangsberechtigung Gegenstand der Prüfung in der Sache ist. Ebenso wie nach der Judikatur zu den insoweit ähnlich formulierten Regelungen des Art 131 und Art 144 B-VG (zB Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts9, 2000, 408, Rz 953) wird ein Antrag dann zurückzuweisen sein, wenn eine Rechtsverletzung von vorneherein nicht möglich ist. Das ist etwa anzunehmen, wenn der Antragsteller gar nicht zum prinzipiell zugangsberechtigten Personenkreis gehört. Ist die Entscheidung von einer Vorfrage abhängig, so darf die Behörde wegen der Verpflichtung zur Erlassung des Bescheides binnen Monatsfrist das Verfahren nicht gemäß § 38 AVG unterbrechen; VwGH 22.5.2001, 2001/05/0029. Siehe II.B.3.a). Siehe auch § 21 Abs 1 ElWOG, der schlechthin von „Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern“ spricht. Vgl auch VwGH 24.10.2000, 2000/05/0080. Pauger, ÖZW 1998, 103. OGH 14.3.2005, 4 Ob 287/04s; 4.10.2005, 5 Ob 176/04z. § 16 Abs 1 Z 5 E-RBG.
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betreiber zur Finanzierung von „stranded costs“ von Endverbrauchern einzuheben sind.84 Für sonstige Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen (zB Tarife) besteht grundsätzlich eine Zuständigkeit der Gerichte. Soweit sich diese Ansprüche auf eine Verweigerung des Netzzuganges gründen, kann die Klage gemäß § 21 Abs 3 ElWOG erst nach rechtskräftiger Entscheidung der Energie-Control Kommission eingebracht werden. Zusätzlich zur Kompetenz der Energie-Control Kommission besteht gemäß § 10a E-RBG auch eine Zuständigkeit der Energie-Control GmbH zur unverbindlichen Streitschlichtung. Wegen dem Verfassungsrang von § 20 Abs 2 ElWOG wurde in der Lehre die Frage aufgeworfen, ob das Recht auf Netzzugang nicht verfassungsrechtlich verbürgt ist und daher nach dieser Vorschrift erlassene Feststellungsbescheide grundsätzlich vor dem VfGH anzufechten wären.85 Dies ist aber zu verneinen86, weil der erklärte Zweck des Verfassungsranges dieser Bestimmung in einer Durchbrechung der Kompetenzverteilung des B-VG (konkret des Art 12 B-VG) liegt87. Hingegen besteht kein Hinweis darauf, dass der Verfassungsgesetzgeber damit auch einen verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch einräumen wollte, zumal in § 20 Abs 2 ElWOG ausdrücklich von einem „gesetzlich“ (und nicht „verfassungsgesetzlich“) eingeräumten Recht auf Gewährung des Netzzuganges die Rede ist. Entscheidungen der Elektrizitäts-Control Kommission sind daher auch grundsätzlich beim VwGH und nur bei Behauptung besonders qualifizierter - in die Verfassungssphäre reichender Rechtsverletzungen - auch beim VfGH anzufechten.
b) Sonstige Ansprüche Fraglich ist, ob und inwieweit Ansprüche gegen Netzbetreiber auch auf das KartG gestützt werden können. Im vorliegenden Zusammenhang sind dabei die Bestimmungen über marktbeherrschende Unternehmen im KartG von Bedeutung. Sind doch Netzbetreiber als solche in der Regel keinem oder nur unwesentlichem Wettbewerb ausgesetzt und damit marktbeherrschende Unternehmer iS von § 4 Abs 1 Z 1 KartG88. So stellt sich etwa die Frage, ob die Verweigerung des Netzzuganges nicht nur vor der Energie-Control Kommission wegen Verletzung des ElWOG und seiner Ausführungsgesetze, sondern zusätzlich auch vor dem Kartellgericht wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung des Netzbetreibers geltend gemacht werden kann. Ein Teil der Lehre geht von einer parallelen Zuständigkeit zwischen Regulierungsbehörden und Kartellgericht aus.89 Gegen diese Auffassung lassen sich 84 85 86 87 88 89
VfSlg 17148/2004. Schanda, Energierecht3, 54. So auch Pauger, ÖZW 1998, 103. RV 1108 BlgNR 20. GP, S 41. Thurnher, ElWOG, 93, Rz 237. So Stockenhuber (FN 76) 39; derselbe, die Elektrizitätswirtschaft im europäischen und österreichischen Kartellrecht, in: Pauger (Hrsg), Das Elektrizitätsrecht nach der ElWOG-Novelle, 2001, 29 (47); Schanda, Energierecht3, 57; AA Pauger/Pichler, Elektrizitätsrecht2, 2002, 109, Rz 1; siehe auch Wollmann, Wettbewerbsaufsicht in der Elektrizitätswirtschaft - Kooperation oder Konkurrenz zwischen Regulierungsbehörde und Kartellgerichtsbarkeit?, in: Mayer (Hrsg), Hauptfragen des Elektrizitätswirtschaftsrechts, 2003, 135 (138 ff); Leitl, Regulierungsbehörden, 278 f.
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jedoch gute Gründe anführen:90 So wird in § 21 Abs 1 ElWOG die Zuständigkeit der Energie-Control Kommission unter dem Vorbehalt, „sofern keine Zuständigkeit des Kartellgerichts besteht“, normiert. Der Wortsinn dieser Bestimmung legt nicht unbedingt eine parallele Zuständigkeit nahe.91 Gegen eine solche parallele Zuständigkeit spricht jedoch eine verfassungskonforme Auslegung, weil ansonsten in derselben Angelegenheit (mit demselben Prozessziel) sowohl ein Gericht als auch eine Verwaltungsbehörde (gegebenenfalls gegensätzlich) entscheiden würde, was aber mit der verfassungsrechtlich (Art 94 B-VG) gebotenen Trennung zwischen Justiz und Verwaltung schwer zu vereinbaren wäre. Es ist daher eher anzunehmen, dass die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des Energierechts eine lex specialis gegenüber den (allgemeineren) Bestimmungen des Kartellrechts sind. Eine Zuständigkeit des Kartellgerichtes ist demnach nur dort gegeben, wo in der Hauptfrage92 keine Zuständigkeit der Regulierungsbehörden besteht. Zu erwähnen ist auch, dass nach der Judikatur des OGH ein allgemeiner Kontrahierungszwang bei einer Monopolstellung eines Unternehmens angenommen wird.93 Das Recht auf Netzzugang wird als „Ausfluss“ dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes vom Kontrahierungszwang angesehen94, das nur aus sachlich gerechtfertigten Gründen verweigert werden darf. Aus den dargelegten Gründen dürfte ein solcher Anspruch nur subsidiar gegenüber den im Energierecht gewährten Ansprüchen bestehen, die in die Zuständigkeit der Regulierungsbehörden fallen.
4. Ausgleichsenergieorganisation Elektrischer Strom ist nicht speicherbar, weshalb die Versorgung nur bei einem permanenten Ausgleich von Nachfrageschwankungen gesichert ist. Insbesondere in einem System der „Vollliberalisierung“ ist wegen der Schwierigkeit, den exakten Verbrauch zu prognostizieren, eine genaue Planung des Stromverbrauchs aber kaum möglich. Vielmehr ergeben sich in der Regel Abweichungen, die durch Ausgleichsenergie ausgeglichen werden müssen. Wurde mehr Energie als geplant entnommen, dann ist ein „positiver“ Ausgleich, wurde weniger als geplant entnommen, so ist ein „negativer“ Ausgleich vorzunehmen.95 Zur Sicherstellung eines solchen Ausgleichs wurde im ElWOG und im VerrechnungsstellenG ein eigenes Ausgleichssystem eingerichtet.96
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Potacs, Handlungsbefugnisse der Regulierungsbehörden im Gasbereich, in: Potacs (Hrsg), Aktuelle Fragen des Gaswirtschaftsrechts, 2005, 16 (26 f). Gleiches gilt für § 10 Abs 1 Z 1 E-RBG, demzufolge von der Wettbewerbsaufsicht der Regulierungsbehörde die Zuständigkeit des Kartellgerichts „unberührt“ bleibt. Als Vorfrage können solche Fragen (zB Vorliegen eines Kartells) allerdings auch von den Regulierungsbehörden entschieden werden; siehe dazu VwGH 7.9.2004, 2003/05/0094. Dazu die Nachweise bei Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung (1993) 150 ff; Thurnher, ElWOG, 38 f, Rz 85 f. Thurnher, ElWOG, 40, Rz 89. Dazu näher RV zu 66 BlgNR 21. GP, S 41 ff; . Siehe dazu auch Schmelz/Tremmel, ecolex 2000, 552 f; Pauger, ÖZW 2001, 3; Schanda, WBl 2001, 62; Raschauer, Energierecht, 102 ff.
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Gemäß § 22 ElWOG sind durch die Ausführungsgesetze die vom Übertragungsnetz der „Verbund-Austrian Power Grid GmbH“ (Ostösterreich), der „Tiroler Regelzonen AG“ (Tirol und Teile Salzburgs) und der „Vorarlberger Kraftwerke - Übertragungsnetz AG“ jeweils abgedeckten Netzbereiche Regelzonen vorzusehen. Diese Gesellschaften sind auch Regelzonenführer. Damit gibt es in Österreich drei „historisch gewachsene“97 Regelzonen von Übertragungsnetzen. Zu den Aufgaben eines Regelzonenführers gehört gemäß § 22 Abs 2 Z 8 ElWOG, „den physikalischen Ausgleich zwischen Aufbringung und Bedarf in dem von ihnen abzudeckenden System sicherzustellen“. Der Regelzonenführer hat dazu Kraftwerke, die Ausgleichsenergie anbieten, kurzfristig anzuweisen, eine bestimmte Leistung einzustellen.98 Die Ausgleichsenergie wird in diesem System somit vom Regelzonenführer für den gesamten Regelzonenbereich zur Verfügung gestellt.99 Innerhalb der einzelnen Regelzonen sind gemäß § 46 ElWOG Bilanzgruppen zu bilden. Unter einer „Bilanzgruppe“ ist die Zusammenfassung von Lieferanten und Kunden zu einer virtuellen Gruppe zu verstehen, innerhalb der ein Ausgleich zwischen Aufbringung und Abgabe von elektrischem Strom erfolgt.100 Die Bilanzgruppe ist durch einen Bilanzgruppenverantwortlichen101 zu bilden. Zu dessen Aufgaben gehört weiters etwa die Erstellung von „Fahrplänen“ betreffend den voraussichtlichen Stromverbrauch sowie die Meldung bestimmter Erzeugungs- und Verbrauchsdaten für technische Zwecke.102 Vor allem hat der Bilanzgruppenverantwortliche Ausgleichsenergie für die Bilanzgruppe zu beschaffen103 und an den Regelzonenführer dafür Entgelte zu entrichten bzw diese an die Bilanzgruppenmitglieder weiterzuverrechnen.104 Eine wesentliche Funktion kommt in diesem System den Bilanzgruppenkoordinatoren zu, die eine Verrechnungsstelle für Transaktionen und Preisbildung der Ausgleichsenergie betreiben und im VerrechnungsstellenG geregelt sind. Der Betrieb einer solchen Verrechnungsstelle bedarf danach einer Konzession und ist grundsätzlich nur für eine Regelzone zu erteilen.105 Zu den Aufgaben des Bilanzgruppenkoordinators gehört etwa die Verwaltung der Bilanzgruppen in organisatorischer und abrechnungstechnischer Hinsicht sowie die Berechnung und Zuordnung der Ausgleichsenergie.106 Die Bilanzgruppenverantwortlichen haben die Preise von Ausgleichsenergie zu ermitteln und zu veröffentlichen.107
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RV zu 66 BlgNR 21. GP, S 40. § 22 Abs 2 Z 6 ElWOG; RV zu 66 BlgNR 21. GP, S 42. RV zu 66 BlgNR 21. GP, S 43. § 7 Z 2 ElWOG. Zu den Anforderungen des Bilanzgruppenverantwortlichen siehe § 46 Abs 2, 3 und 4 ElWOG. Wechselt ein Bilanzgruppenmitglied die Bilanzgruppe, dann sind seine Daten gemäß § 47 Abs 3 ElWOG der neuen Bilanzgruppe weiterzugeben. § 47 Abs 2 Z 5 ElWOG. § 47 Abs 1 Z 6 ElWOG. § 3 ff VerrechnungsstellenG. § 9 Abs 1 Z 1 und 2 VerrechnungsstellenG. § 9 Abs 3 Z 3 VerrechnungsstellenG.
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Nach Berechnung der Planabweichungen jeder Bilanzgruppe erfolgt die gegenseitige Verrechnung der Ausgleichsenergie innerhalb der Regelzone. Eine Bilanzgruppe, die dem System der Regelzone mehr Energie entnommen oder weniger eingespeist hat als vorgeplant, zahlt für diese Energie den „positiven“ Ausgleichspreis. Hat die Bilanzgruppe hingegen weniger Energie entnommen oder mehr eingespeist als vorgeplant, wird ihr diese Energie mit dem „negativen“ Ausgleichspreis vergütet.108
Verträge haben die Bilanzgruppenkoordinatoren nach Maßgabe von Allgemeinen Bedingungen abzuschließen, die von der Elektrizitäts-Control GmbH zu genehmigen sind.109 Für die Erfüllung ihrer Aufgaben ist von der Elektrizitäts-Control GmbH eine „Claringgebühr“ tarifmäßig zu bestimmen110, die von den Bilanzgruppenverantwortlichen an die Bilanzgruppenkoordinatoren zu entrichten ist111.
5. Rechnungslegung und Entflechtung Alle Netzbetreiber haben gemäß § 8 Abs 1 ElWOG Jahresabschlüsse zu veröffentlichen, sofern die Summe aus mittelbarer und unmittelbarer Energieabgabe neun GWh pro Jahr überschreitet.112 Geschäfte mit bestimmten Unternehmen (zB mit Aktionären mit einem Anteil von mehr als 20% des Grundkapitals) sind dabei im Anhang zum Jahresabschluss gesondert auszuweisen. Zur Vermeidung von Diskriminierungen, „Quersubventionen“113 und Wettbewerbsverzerrungen sehen § 8 Abs 3 und § 9 ElWOG eine Verpflichtung zur Entflechtung (Unbundling) der verschiedenen Geschäftsbereiche sogenannter „integrierter Elektrizitätsunternehmen“ vor. Darunter sind einerseits Elektrizitätsunternehmen oder Gruppen solcher Unternehmen zu verstehen, die von den Geschäftsbereichen Erzeugung, Stromhandel, Übertragung und Verteilung von Elektrizität mindestens zwei wahrnehmen („vertikal integrierte Elektrizitätsunternehmen“)114. Andererseits fallen darunter auch Elektrizitätsunternehmen, die zusätzlich eine Tätigkeit außerhalb des Elektrizitätsbereichs ausüben („horizontal integriertes Elektrizitätsunternehmen“)115 Sie haben gemäß § 8 Abs 3 ElWOG eigene Konten im Rahmen von Rechnungskreisen für die einzelnen Energiebereiche zu führen, die Bilanzen der einzelnen Rechnungskreise zu veröffentlichen und konsolidierte Konten für Aktivitäten außerhalb des Elektrizitätsbereiches zu führen. Außerdem haben integrierte Elektrizitätsunternehmen gemäß § 9 ElWOG zumindest die verwaltungsmäßigen Maßnahmen zu treffen, dass ihre Tätigkeit als Betreiber eines Übertragungsnetzes getrennt von der Erzeugungs- und Verteilungstätigkeit erfolgt. Schließlich ist vorgesehen, 108 109 110 111
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RV zu 66 BlgNR 21. GP, S 44. § 11 Abs 1 VerrechnungsstellenG. § 12 VerrechnungsstellenG. § 47 Abs 1 Z 5 ElWOG. Die Verrechnung an die Bilanzgruppenverantwortlichen erfolgt gemäß § 9 Abs 2 Z 10 AusgleichsenergieG durch die Bilanzgruppenkoordinatoren. Sonstige Elektrizitätsunternehmen haben nach dieser Vorschrift eine Ausfertigung der Jahresabschlüsse in der Hauptverwaltung zur Verfügung der Öffentlichkeit zu halten. Dazu zB Pauger, Marktwirtschaft, 97. § 7 Z 46 ElWOG. § 7 Z 17b ElWOG.
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dass bei vertikal integrierten Unternehmen der Netzbereich hinsichtlich seiner Rechtsform, Organisation und Entscheidungsgewalt unabhängig von den übrigen Tätigkeitsbereichen sein.116 Die Unabhängigkeit nach der Rechtsform erfordert eine eigene Rechtspersönlichkeit des Netzbetreibers.117 In § 26 ElWOG sind (aus der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL 2003 übernommene) Kriterien zur Sicherstellung der Unabhängigkeit von Verteilernetzbetreibern enthalten (zB dürfen Personen in der Leitung des Netzbetreibers nicht bestimmten anderen Bereichen des Unternehmens angehören). Nach begründeter Auffassung handelt es sich dabei um keine zusätzlichen Kriterien zur geförderten Unabhängigkeit hinsichtlich Organisation und Entscheidungsgewalt, sondern um Mindestkriterien dieser „funktionalen Entflechtung“.118
C. Erneuerbare Energieträger und KWK-Anlagen Durch die RL 2001/77/EG zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen119 wurde Österreich verpflichtet, seinen Anteil an Strom aus erneuerbaren Energieträgern am Bruttoinlandsverbrauch von 70 auf 78,1% zu erhöhen. Der Erreichung dieses Zieles dient das ÖkostromG.120 Diesem Ziel (sowie anderen Zielen121) wird nach diesem Gesetz durch verschiedene Fördermaßnahmen entsprochen. Dazu gehört einmal ein System der Abnahme- und Vergütungspflicht für Ökostromanlagen. Unter einer Ökostromanlage ist eine Erzeugungsanlage zu verstehen122, die (ausschließlich) aus erneuerbaren Energieträgern123 (Wind, Sonne, Erdwärme, Wellen- und Gezeitenenergie, Wasserkraft, Biomasse, Abfall mit hohem biogenem Anteil124, Deponiegas, Klärgas und Biogas) Ökostrom erzeugt und als solche vom Landeshauptmann mit Bescheid anerkannt worden sind125. Diesen Anlagen gegenüber besteht grundsätzlich eine Verpflichtung 116 117 118 119 120
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§ 26 Abs 3 ElWOG; Art 10 Abs 1 und Art 15 Abs 1 der ElektrizitätsbinnenmarktRL 2003. Hauer, Die neuen Entflechtungsregeln, in: Hauer (Hrsg), Aktuelle Fragen des Energierechts 2004/2005, 2005, 25 (33). Hauer (FN 117) 35 f. Abl L 283/33. Siehe etwa RV 655 BlgNR 22.GP, S 9. Siehe auch § 4 Abs 2 ÖkostromG, wonach bis zum Jahr 2010 der Abschluss von Verträgen über die Abnahme von elektrischer Energie aus erneuerbaren Energieträgern (ausgenommen Wasserkraft) in einem Ausmaß von 10% der jährlichen Stromabgabe aller Netzbetreiber Österreichs an die an öffentlichen Netzen angeschlossenen Endverbraucher anzustreben ist. Zur aktuellen Rechtslage siehe auch Urbantschitsch, Aktuelle Entwicklungen im Elektrizitätswirtschaftsrecht, in: Raschauer (Hrsg), Aktuelles Energierecht, 2006, 37 (43 ff). Siehe § 4 Abs 1 Z 2 bis 8 ÖkostromG. § 5 Abs 1 Z 27 ÖkostromG. § 5 Abs 1 Z 11 ÖkostromG. Zur Auslegung dieser Wendung siehe Raschauer, Erneuerbare Energie im ElWOG, in: Pauger (Hrsg), Das Elektrizitätsrecht nach der ElWOG-Novelle, 2001, 99 (117 ff); Schanda, Strom aus erneuerbaren Energieträgern in Österreich, 2001, 28 ff. § 7 ÖkostromG, und dazu VwGH 31.1.2006, 2004/05/0179. Gefördert werden damit nur österreichische Ökostromanlagen, wogegen Bedenken im Hinblick auf die Warenverkehrsfreiheit geäußert werden; so Rihs, Ökostromförderung in Österreich aus gemeinschafts- und verfassungsrechtlicher Sicht, ÖZW 2006, 21, 34 (34 ff). Zu Bedenken im Hinblick auf das EG-Beihilferecht siehe etwa Tremmel, Beihilferecht,
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der „Ökostromabwicklungsstelle“126 (Ökoenergie-AG127) zur Abnahme der erzeugten Energie, die allerdings verschiedenen Einschränkungen (zB keine Abnahmepflicht für mit Ablauge, Tiermehl und Klärschlamm erzeugter Energie) unterliegt und nach der ÖkostromG-Novelle 2006 überdies für „neu in Betrieb gehende Ökostromanlagen“128 nur im Rahmen eines „kontrahierbaren Einspeisetarifvolumens“129 besteht. Die Vergütung durch die Ökostromabwicklungsstelle bestimmt sich gemäß § 10 ElWOG (differenziert nach Art und Alter der Anlage) auf Grund gesetzlicher Regelung und einer vom BMWA im Einvernehmen mit dem BMLFUW und dem BMSGK erlassenen Verordnung130. Allerdings besteht eine Abnahmepflicht zu diesen Preisen gemäß § 10 ÖkostromG nur „nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Fördermittel“.131 Besondere Investitionszuschüsse sieht das ÖkostromG für elektrische Energie aus mittleren Wasserkraftanlagen vor132, die von der Kommunalkredit Public Consulting GmbH als Abwicklungsstelle gewährt werden133. Das ÖkostromG enthält aber auch Regelungen zur Produktion elektrischer Energie aus KWK-Anlagen.134 Betreibern von solchen Anlagen wird einerseits ein Kostenersatz durch die Energie-Control GmbH zuerkannt.135 Andererseits ist im ÖkostromG eine Förderung in Form von durch die Kommunalkredit Public Consulting GmbH ausgezahlten Investitionszuschüssen vorgesehen. Eine solche Förderung ist gemäß § 12 Abs 1 nur unter der Voraussetzung zu-
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Warenverkehrsfreiheit und Ökostromförderung, ecolex 2001, 573 ff; Oberndorfer, Aktuelle Fragen des ElWOG im Lichte des Gemeinschaftsrechts, in: Hauer (Hrsg), Aktuelle Fragen des Energierechts 2002, 2003, 63 (65 ff). Siehe auch Zakubovec, Ökostromgesetz, 48 ff. Dazu §§ 14 ff ÖkostromG. Siehe RV 655 BlgNR 22. GP, S 12. § 10 Abs 4 ÖkostromG. Zu dessen Berechnung siehe § 21a ÖkostromG. Kann mit dem „kontrahierbaren Einspeisevolumen“ kein Auslangen gefunden werden, so besteht eine Abnahmepflicht nur gegenüber jenen Anlagen, die vor Ausschöpfung des „kontrahierbaren Einspeisevolumens“ einen Antrag auf Abnahme von Ökostrom gestellt haben („First come - first serve“ Prinzip; RV 655 BlgNR 22. GP, S 12). Siehe § 11 ÖkostromG. Dazu heißt es in den EB der RV, dass „der Gesetzgeber im Falle von Finanzierungslücken, unter Bedachtnahme insbesondere auf die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, jene Maßnahmen ergreifen“ wird, „die zur Wahrung des Vertrauensschutzes der Ökostromanlagenbetreiber erforderlich sind“; RV 655 BlgNR 22. GP, S 12. Da die Vergütungspflicht zu den geregelten Preisen von vorneherein nur „nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Fördermittel für Ökostromanlagen“ besteht, wird der Vertrauensschutz nicht allzu schwer wiegen. § 13a ÖkostromG. § 13c ÖkostromG. Auch im ElWOG wurden durch das Energieversorgungssicherheitsgesetz 2006 in den §§ 42a ff in Umsetzung der RL 2004/8/EG über die Förderung einer am Nutzwärmebedarf orientierten Kraft-Wärme-Koppelung im Energiebinnenmarkt (Abl L 52/50) Regelungen über KWK-Anlagen betreffend den Wirkungsgrad, den Herkunftsnachweis und das Berichtswesen getroffen. § 13 ÖkostromG. Siehe zur vorangegangenen (im Hinblick auf Art 18 B-VG) unterdeterminierten Regelung des § 13 Abs 1 betreffend die Berechnung der Kosten VfGH 4.3.2006, G 143/05.
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lässig, dass der Betrieb der öffentlichen Fernwärmeversorgung dient136 und damit eine vergleichsweise Einsparung des Primärträgereinsatzes und der CO2Emissionen erzeugt wird. Die Finanzierung all dieser Maßnahmen erfolgt durch einen Förderbeitrag (Zählpunktpauschale), der von allen an das öffentliche Netz angeschlossenen Verbrauchern zu leisten ist und von den Netzbetreibern einzuheben ist.137 Die Höhe des Förderbeitrages ist bis einschließlich 2009 gesetzlich festgelegt und wird ab dann mit Verordnung der Energie-Control Kommission festgesetzt138.
D. Stromimporte aus Drittstaaten Stromimporte aus Drittstaaten deren Bedarfsdeckung aus Anlagen erfolgt, die nicht dem hohen Umweltstandard österreichischer Elektrizitätserzeugungsanlagen entsprechen, sind gemäß § 13 ElWOG unzulässig. Da die Stromimporte aus dem jeweiligen Gesamtnetz des ausländischen Partners erfolgen und sich keinem einzelnen Kraftwerkstypen zuordnen lassen, wird in § 13 Abs 1 ElWOG auf den gesamten Kraftwerkspark des jeweiligen Drittstaates abgestellt.139 Dabei ist einerseits ausreichend, dass in dem betreffenden Staat die Energie zur Bedarfsdeckung „auch“ in Anlagen erzeugt wird, die nicht dem Stand der Technik entsprechen oder von denen eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen ausgeht. Andererseits genügt auch, dass die betreffenden Drittstaaten nicht den „Nachweis“ einer ordnungsgemäßen Entsorgung von Energieabfällen bzw eines entsprechenden Entsorgungskonzepts für künftig anfallende Energieabfälle erbringen können. Diese Vorschrift zielt vor allem auf Importe aus Atomstrom ab. Da Österreich in dieser Hinsicht gegenüber EU-Mitgliedstaaten die Hände gebunden sind140, beschränkt sich § 13 auf Importe aus Drittstaaten.141 Aber auch an der Vereinbarkeit von Importverboten von elektrischen Strom aus Drittstaaten mit dem Gemeinschaftsrecht werden Zweifel erhoben, weil die gemeinsame Außenhandelspolitik gemäß Art 133 EGV in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt.142 § 13 Abs 2 sah eine Regelung vor derzufolge die Energie-Control GmbH durch Verordnung jene Staaten zu benennen hatte, auf die die in § 13 Abs 1 ElWOG genannten Voraussetzungen zutreffen. Der VfGH hob diese Bestimmung auf, weil damit in verfassungswidriger Weise ein beliehenes Unternehmen mit „Kernaufgaben“ des Staates 136
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Die Eigenversorgung durch KWK-Anlagen wird demnach nicht gefördert. Das stößt im Hinblick auf den Gleichheitssatz auf verfassungsrechtliche Bedenken; siehe Schanda, Energirecht3, 346. § 22 Abs 1 ÖkostromG. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche Verordnungsermächtigung hegt Mayer, Das Ökostromgesetz - Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Probleme, in: Hauer (Hrsg), Aktuelle Fragen des Energierechts 2004/2005, 2005, 1 (3 f). RV zu 66 BlGNR 21. GP, S 45. Strom ist unbestrittenermaßen eine „Ware“ im Sinne des Gemeinschaftsrechts; zB EuGH, Rs C-393/92, Almelo, Slg 1994, I-1477, Rz 27. Daher verstößt ein Importverbot für durch die Elekrizitätsbinnenmarkt-RL liberalisierten elektrischen Strom grundsätzlich auch gegen die Warenverkehrsfreiheit; vgl zur Rechtslage vor der Elektrizitätsbinnemarkt-RL zB EuGH, Rs C-159/94, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg I-5813. Pauger, ÖZW 2001, 5. Dazu näher Schanda, Energierecht3, 38 f.
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(„Außenpolitik“) betraut wird.143 Nunmehr ist unmittelbar auf Grund der Kriterien von § 13 Abs 1 ElWOG jeweils zu prüfen hinsichtlich welcher Drittstaaten Stromlieferungen unzulässig sind. Dies ist auch deshalb erforderlich, weil Verletzungen von § 13 ElWOG gemäß § 64 Abs 1 Z 2 ElWOG mit Verwaltungsstrafe sanktioniert sind.
E. Preisregelungen Das ElWOG enthält mehrere Vorschriften über Preisregelungen. Da es ein System des „geregelten Netzzuganges“ gewährleistet, sind hier vor allem die Bestimmungen über das Entgelt für die Netzbenutzung (Systemnutzungstarife) zu erwähnen.144 Die Festlegung dieses Entgelts hat gemäß § 25 Abs 2 ElWOG grundsätzlich kostenorientiert zu erfolgen und der Kostenwahrheit zu entsprechen. Ansonsten ist die Bestimmung der Systemnutzungstarife in § 25 ElWOG sehr detailliert geregelt145, wobei der wesentliche Regelungsinhalt einer vom VfGH aufgehobenen146 Systemnutzungsverordnung ins Gesetz übernommen wurde147. Das Verfahren der Preisbestimmung ist in § 55 ElWOG geregelt. Demnach sind die Systemnutzungstarife von Amts wegen oder auf Antrag festzulegen. Antragsberechtigt sind neben den betroffenen Unternehmen die WKÖ, die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, die Bundesarbeitskammer und der ÖGB. Die Elektrizitäts-Control GmbH hat zunächst ein Ermittlungsverfahren und dann eine Begutachtung durch den Elektrizitätsbeirat148 durchzuführen. Die Festsetzung der Systemnutzungstarife hat dann durch die Elektrizitäts-Control Kommission mit Verordnung oder Bescheid zu erfolgen.149 Abweichungen vom Systemnutzungstarif kann es auf Grund von (vor Inkrafttreten des ElWOG abgeschlossenen) Altverträgen geben, die gemäß § 70 Abs 1 ElWOG von den Regelungen dieses Gesetzes (und auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen) unberührt bleiben.150 Eine weitere amtliche Preisregelung ist gemäß § 22 ÖkostromG für die Festsetzung der (von Verbrauchern zu bezahlenden) Förderbeiträge zur Finanzierung der Förderung der Produktion von Ökostrom und KWK-Anlagen.151 Zur Abde143 144
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VfGH 2.10.2003 G 21/03 ua; siehe dazu Walzel von Wiesentreu, ÖZW 2004, 127 ff. Siehe dazu näher etwa Raschauer, Die Systemnutzungstarife im Elektrizitätsrecht, Wbl 2002, 241 ff; Pichler, Rechtsfragen der Systemnutzungstarife im Strombereich, in: Hauer (Hrsg), Aktuelle Fragen des Energierechts 2003, 2003, 133 ff; derselbe, Tarifgestaltung im Elektrizitätsbereich, in: Mayer (Hrsg), Hauptfragen des Elektrizitätswirtschaftsrechts, 2003, 79 ff; Binder, Systemnutzungstarife im Elektrizitätsrecht, in: Hauer (Hrsg), Aktuelle Fragen des Energierechts 2004/2005, 2005, 51; Würthinger, Systemnutzungstarife für Elektrizitätsnetze, 2005. Diese Vorschrift befindet sich in Abschnitt 2a, der an sich Übertragungsnetze regelt. Dessen ungeachtet bezieht sich § 25 ElWOG auch auf Systemnutzungstarife für Verteilernetzbetreiber; vgl RV zu 66 BlgNR 21. GP, S 49. Siehe VfSlg 15888/2000, und nunmehr VfSlg 17348/2004, sowie dazu etwa Rabl/Hauenschild, Finale Derminierung und Sachlichkeit im Energiepreisrecht, ecolex 2005, 254 ff. Pauger, ÖZW 2001, 3. Zur Zusammensetzung dieses Beirates siehe § 26 Abs 3 E-RBG. § 25 Abs 4 ElWOG. Siehe auch RV zu 66 BlgNR 21. GP, S 49. Diese Wahlmöglichkeit wurde vom VfGH für unbedenklich erachtet; siehe VfSlg 17087/2003, sowie VfGH 11.10.2005, V 133/03. Zur gemeinschaftsrechtlichen Rechtfertigung einer solchen Übergangsregelung siehe EuGH Rs C-76/97, Tögel, Slg 1998, I-5337, Rz 54. Siehe II.C.
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ckung von auf Grund des mit dem ElWOG nicht rentabel gewordenen Investitionen („stranded costs“) sieht § 69 ElWOG Betriebsbeihilfen vor, die über Beiträge finanziert werden, die von Kunden aufzubringen sind und durch Verordnung des BMWA festgesetzt werden.152 Schließlich ist im vorliegenden Zusammenhang auch noch zu erwähnen, dass § 56 ElWOG eine gesetzliche Preisregelung enthält, wonach bei gänzlichem oder teilweisem Entfall von in Preisen von Sachgütern oder Leistungen enthaltenen Steuern, Abgaben oder Zollbeträgen, die Preise um diese Beträge herabzusetzen sind.
F. Sanktionen Die Verletzung von Vorschriften des Elektrizitätsrechtes wird unterschiedlich sanktioniert. Bei unzulässiger Verweigerung des Netzzuganges etwa ist mit einer Entscheidung der Elektrizitäts-Control Kommission gemäß § 20 Abs 2 ElWOG auf Grund des dort vorgesehenen Rechtsschutzverfahrens zu rechnen.153 Eine Reihe von Verletzungen wie etwa die Nichteinhaltung von preisrechtlichen Regelungen („Preistreiberei“) oder des Importverbotes gemäß § 13 ElWOG sowie die widerrechtliche Offenbarung und Verwertung von Daten wird gemäß § 62 ff ElWOG mit Verwaltungsstrafe geahndet. Eine besondere Sanktion sieht § 38 ElWOG für den Fall vor, dass der Betreiber eines Übertragungsnetzes seine Pflichten verletzt und Gefahren für Leben und Gesundheit oder die schwere volkswirtschaftliche Schäden drohen. Diesfalls kann der BMWA gemäß § 38 ElWOG ein anderes Elektrizitätsunternehmen in die Aufgaben des Netzbetreibers mit Bescheid „einweisen“, wodurch dieses Unternehmen in die vertraglichen Rechte und Pflichten des Übertragungsnetzbetreibers eintritt.
III. Gasrecht A. Ziele Die österreichische Gaswirtschaft154 ist zunächst durch einen kontinuierlichen Anstieg des Erdgasverbrauches gekennzeichnet. Außerdem besteht eine relativ große Importabhängigkeit, weshalb sich eine breitere Bezugsbasis auf Grund freier Marktstrukturen hier besonders günstig auswirkt. Hinzu kommt, dass die Erdgaswirtschaft in Österreich von ganz überwiegend im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden Unternehmen mit Monopolcharakter besorgt wird.155 Ein liberalisierter Zugang zum internationalen Gasmarkt unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung bestimmter Allgemeinverpflichtungen für Erdgasunternehmen kommt diesen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach Auffassung des Gesetzgebers im Interesse einer möglichst kostengünstigen Gasversorgung besonders entgegen.156 Mit 1.10.2002 wurde allen Kunden das Recht auf Ab152 153 154 155 156
Siehe dazu Verordnung BGBl 1999 II/52, und Verordnung BGBl 2001 II/354, sowie dazu VfSlg 17210/2004. Siehe oben II.B.3.a)ee). Zum wirtschaftlichen Umfeld siehe auch Pauger, ÖZW 2000, 99. Zur Eigentümerstruktur der österreichischen Gaswirtschaft siehe RV 66 BlgNR 21. GP, S 39. RV 66 BlgNR 21. GP, S 55.
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schluss von Gaslieferungsverträgen und Netzzugang gewährt („Vollliberalisierung“).157 Ziel des GWG ist daher gemäß seinem § 3 neben einer EU-konformen (liberalisierten) Marktorganisation der österreichischen Bevölkerung und Wirtschaft Erdgas umweltfreundlich, kostengünstig, ausreichend und sicher und in hoher Qualität zur Verfügung zu stellen und dessen effizienten Einsatz, insbesondere auch bei der Umwandlung von Strom und Wärme, zu gewährleisten. Zu diesem Zweck legt das Gesetz bestimmte Rahmenbedingungen für die Tätigkeit von Erdgasunternehmen fest und trägt insbesondere Netzbetreibern auch gewisse Allgemeinverpflichtungen auf. Ziel des Gesetzes ist es gemäß § 3 GWG aber auch einen Ausgleich für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen zu schaffen, die sich auf die Sicherheit, einschließlich der Versorgungssicherheit158, die Regelmäßigkeit, die Qualität und den Preis der Lieferungen sowie auf den Umwelt- und Klimaschutz beziehen.
B. Allgemeines zu Erdgasunternehmen Regelungsgegenstand des GWG sind „Erdgasunternehmen“, worunter das Gesetz natürliche oder juristische Personen versteht, die in Gewinnabsicht von den Funktionen Fernleitung („Fernleitungsunternehmen“), Verteilung („Verteilerunternehmen“), Lieferung oder Kauf („Erdgashändler“) von Erdgas mindestens eine wahrnehmen.159 Für die Beurteilung, ob im gegebenen Zusammenhang Gewinnabsicht vorliegt, wird nach den EB zur RV zum GWG in der Regel die Frage maßgeblich sein, ob die Verrechnung der Aufwendungen nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt. Im Übrigen wird auf die Rechtsprechung zu § 1 GewO hingewiesen.160
Diesen Unternehmen wird gemäß § 5 GWG die allgemeine Verpflichtung auferlegt, als Unternehmensziel die Funktion eines umfassenden Energiedienstleistungsunternehmens vorzusehen.161 Haben doch nach dieser Vorschrift Erdgasunternehmen als kunden- und wettbewerbsorientierte Anbieter von Energiedienstleistungen nach den Grundsätzen einer sicheren, kostengünstigen, umweltverträglichen und effizienten Bereitstellung der nachfragenden Dienstleistungen sowie eines wettbewerbsorientierten und wettbewerbsfähigen Erdgasmarktes zu agieren. Diese Grundsätze haben Erdgasunternehmen gemäß § 5 GWG auch „als Unternehmensziele zu verankern“. Eine solche „Verankerung“ hat bei juristischen Personen und bei Personengesellschaften des Handelsrechts wohl im Gesellschaftsvertrag bzw in der Satzung zu erfolgen. Fraglich ist allerdings, wie diese Verpflichtung von einzelnen natürlichen Personen einzulösen ist, die ein Erdgasunternehmen (zB Erdgashändler) betreiben. Für sie wird die Verpflichtung zur „Verankerung“ wohl kaum gelten können.
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§ 41 GWG. Siehe dazu Ermacora, Das neue Gaswirtschaftsgesetz - Liberalisierung ohne Wenn und Aber?, ecolex 2002, 726 ff; Gruber, Regulierung des österreichischen Erdgasmarktes durch die GWG-Novell2 2002, 104 ff; Klauninger, Die Gaswirtschaftsgesetz-Novelle 2002, Wbl 2002, 496 ff. Siehe eingehend Kahl (FN 20). Siehe § 6 Z 13 GWG. RV 66 BlgNR 21. GP, S 57. RV 66 BlgNR 21. GP, S 56.
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Weiters bestimmt das GWG für Erdgasunternehmen noch eine Reihe weiterer allgemeiner Verpflichtungen, wie das Erfordernis einer Rechnungslegung162, die Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen163, besondere Meldepflichten164 und vor allem die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Netzbetreiber und Inhaber von Transportrechten hinsichtlich der Rechtsform, Organisation und Entscheidungsgewalt von anderen Tätigkeitsbereichen („Unbundling“)165. Daneben regelt das GWG aber insbesondere auch noch besondere Antritts- und Ausübungsvorschriften für die einzelnen Arten von Erdgasunternehmen.
C. Erdgashändler Unter Erdgashändlern versteht das GWG166 natürliche oder juristische Personen, die Erdgas in Gewinnabsicht kaufen oder verkaufen ohne gleichzeitig eine Fernleitungs- oder Verteilerfunktion167 wahrzunehmen. Die Tätigkeit eines Erdgashändlers, der im Bundesgebiet kauft oder verkauft, ist nach dem GWG der Energie-Control GmbH vor der Aufnahme lediglich anzuzeigen.168 Gemäß § 2 Abs 1 Z 20 GewO sind „Erdgasunternehmen (§ 6 Z 6 GWG)“ nunmehr169 vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen, “die nicht Erdgashändler sind“. Erdgashändler unterliegen demnach der GewO.170 Zusätzlich enthält aber auch das GWG Regelungen für die Tätigkeit von Erdgashändlern. Diese haben etwa bei Konsumenten iS des KSchG die Möglichkeit zum Abschluss von nichtunterbrechenbaren Erdgasverträgen vorzusehen.171 Änderungen von Lieferbedingungen sind den Netzbenutzern in geeigneter Weise bekannt zu geben.172
D. Netzbetreiber 1. Fernleitungs- und Verteilerunternehmen Netzbetreiber sind Fernleitungs- oder Verteilerunternehmen.173 Unter einer Fernleitung ist dabei eine Anlage zum Zwecke des Transports von Erdgas durch eine Hochdruckleitung oder ein Hochdrucknetz zu verstehen, die zum Transit oder Transport zu anderen Fernleitungs- oder Verteilerunternehmen oder für grenzüberschreitende Transporte bestimmt ist.174 Die einzelnen Fernleitungsanlagen (wie zB die Trans-Austria-Gasleitung) sind in Anlage 2 zum GWG aufgezählt. Diese Liste kann gemäß § 31 Abs 2 GWG durch Verordnung des BMWA erweitert werden. Verteilerleitungen dienen zumindest vorwie162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174
§ 7 GWG. § 9 GWG. § 10 GWG. Dazu eingehend Schneider, Rechtsfragen des Unbundling, in: Potacs (Hrsg), Aktuelle Fragen des Gaswirtschaftsrechts, 2005, 33 ff. § 6 Z 10 GWG. Dazu unten III.C.1. § 40 Abs 1 GWG. Art 3 EnergieliberalisierungsG (BGBl 2000 I/121). Grabler/Stolzlechner/Wendl, Gewerbeordnung2, 2003, 83, Rz 69. § 40 Abs 2 GWG. Siehe dazu auch Oberndorfer, Unterbrechbare Verträge in der Gaswirtschaft, ecolex 2005, 172 ff. § 40 Abs 3 GWG. Vgl § 6 Z 33 GWG. § 6 Z 15 iV mit § 6 Z 16 GWG.
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gend dem Transport von Erdgas zur unmittelbaren Versorgung von Kunden.175 Die Ausübung der Tätigkeit eines Fernleitungs- oder Verteilerunternehmens bedarf gemäß § 13 WG der Genehmigung durch die Energie-Control Kommission. Die Genehmigung ist gemäß § 14 GWG zu erteilen, wenn zu erwarten ist, dass der Genehmigungswerber in der Lage ist, die den Netzbetreibern vom GWG auferlegten (auch gemeinwirtschaftlichen) Verpflichtungen zu erfüllen. Weitere Genehmigungsvoraussetzung ist gemäß § 14 GWG der Abschluss einer Haftpflichtversicherung. Bei natürlichen Personen wird außerdem Eigenberechtigung und Vollendung des 24. Lebensjahres, Staatsbürgerschaft eines EU- oder EWR-Mitgliedstaates und Hauptwohnsitz in einem solchen sowie das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen (§ 13 GewO findet sinngemäß Anwendung) gefordert. Juristische Personen und Personengesellschaften des Handelsrechts müssen ihren Sitz in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat haben und einen Geschäftsführer gemäß § 16 GWG bestellen. Dieser hat die Genehmigungsvoraussetzungen für natürliche Personen zu erfüllen und haftet (ebenso wie der gewerberechtliche Geschäftsführer gemäß § 39 Abs 1 GewO) der Behörde für die Einhaltung des GWG (verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit). Auch natürliche Personen als Netzbetreiber können gemäß § 16 Abs 1 GWG einen solchen Geschäftsführer bestellen, was der Behörde innerhalb von zwei Monaten anzuzeigen ist.
Die Funktion der Netzbetreiber ist für die Liberalisierung des Gasmarktes von zentraler Bedeutung, weil sie den Zugang zu den verschiedenen Anbietern gewährleisten. Dementsprechend sieht das GWG auch besondere Pflichten für Netzbetreiber vor. So normiert § 4 GWG gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen für Netzbetreiber wie die Errichtung und Erhaltung einer für die inländische Erdgasversorgung ausreichenden Erdgasinfrastruktur. Netzbetreiber haben weiters etwa gemäß § 15 Abs 1 GWG eine natürliche Person als Betriebsleiter für die technische Leitung und Überwachung des Betriebes der Netze (Technische Betriebsleiter) zu bestellen. Außerdem wird das österreichische Leitungsnetz in drei Regelzonen eingeteilt: in die Regelzone Ost, die Regelzone Tirol und die Regelzone Vorarlberg.176 Jede Regelzone wird von einem Regelzonenführer177 geleitet, der für die Drucksteuerung in der Regelzone verantwortlich ist.178 Dementsprechend gehört zu seinen Pflichten die Bereitstellung der Systemdienstleistung (Leistungs- und Druckregelung bzw Druckerhaltung) durch Vornahme des technisch-physikalischen Ausgleichs oder Abschluss entsprechender Verträge mit Dritten179 bzw Erdgas zur Aufbringung von Ausgleichsenergie abzurufen.180
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§ 6 Z 60 GWG. § 12 GWG. Gemäß § 12a GWG sind dies für die Regelzone Ost, das von der OMV Erdgas GmbH, für die Regelzone Tirol das von der Tiroler Ferngas AG und für die Regelzone Vorarlberg das von der Vorarlberger Ferngas AG benannte Erdgasunternehmen. § 6 Z 43 GWG. § 12b Abs 1 Z 1 GWG. § 12b Abs 1 Z 8 GWG.
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2. Anspruch auf Netzzugang So wie im Elektrizitätsrecht stellt auch im Gasrecht der Netzzugang das zentrale Element der Marktöffnung („Liberalisierung“) dar.181 Ebenso wie im ElWOG besteht auch im GWG (in Umsetzung der Erdgasbinnenmarkt-RL 2003182) das System des geregelten Netzzugangs183, wonach der Netzzugang zu behördlich genehmigten allgemeinen Bedingungen184 und gesetzlich bestimmten Preisen185 zu gewähren ist.186 Besondere Regelungen sind für grenzüberschreitende Transporte vorgesehen.187 Die Netzzugangsberechtigung richtet sich hier grundsätzlich nach den Bestimmungen des Zielstaates.188 Einer Sonderregelung unterliegt auch der Netzzugang zu Speicheranlagen.189 Der Netzzugang wird gemäß § 41 GWG „Kunden“ eingeräumt. Darunter sind „Endverbraucher, Erdgashändler oder Erdgasunternehmen, die Erdgas kaufen“, zu verstehen.190 Um den Kunden den Netzzugang zu erleichtern, können Erdgasunternehmen allerdings gemäß § 41a GWG Netzzugang im Namen ihrer Kunden (für die Lieferung an diese) begehren. Nähere Festlegungen (betreffend harmonisierte Grundsätze für die Tarife, Dienstleistungen für den Netzzugang Dritter, Kapazitätszuweisungen und Engpassmanagement) wurden in der Verordnung (EG) Nr 1775/2005 über die Bedingung für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen getroffen.191
Die Allgemeinen Netzbedingungen haben bestimmten Anforderungen zu entsprechen, die für Verteilernetzbetreiber in § 26 GWG und für grenzüberschreitende Transporte in § 31g GWG näher geregelt sind. Ganz allgemein haben Netzbetreiber jegliche Diskriminierung gegenüber den Netzbenutzern oder bestimmten Kategorien von Netzbenutzern zu unterlassen und Netzzugang nach Maßgabe der des gesetzlich verbürgten Netzzuganges einzuräumen.192 Besondere Bedeutung kommt dabei den Regelungen über die Verweigerung des Netzzuganges zu.
3. Verweigerung des Netzzuganges Trotz der prinzipiellen Verpflichtung zur Gewährung von Netzzugang, gestattet § 19 GWG den Netzbetreibern aus bestimmten Gründen die Verweigerung des Netzzuganges. Dabei kann die Verweigerung des Netzzuganges auch „über 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191
192
Pauger, ÖZW 2000, 102. Art 18 Abs 1 RL 2003/55/EG; Abl L 176/57. Siehe bereits 66 BlgNR 21. GP, S 53. Siehe § 17 Abs 1 und § 26 GWG. Siehe § 17 Abs 1 und §§ 23 ff GWG. Zu privatrechtlichen Aspekten siehe Rabl, Privatrechtliche Beziehungen im neuen Gaswirtschaftsgesetz, ecolex 2002, 716 ff. §§ 31c ff GWG. Dazu eingehend Potacs, Rechtsfragen der Gasmarktliberalisierung, ÖZW 2003, 2 (4, 9 ff). § 39 GWG. § 6 Z 23 GWG. Abl L 289/1. Zur Anpassung des GWG an die Anforderungen dieser Verordnung Painz, Aktuelle Entwicklungen im Gaswirtschaftsrecht, in: Raschauer (Hrsg), Aktuelles Energierecht, 2006, 57 (61 ff). § 17 Abs 1 Z 6 und 7 GWG.
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Aufforderung eines dritten Erdgasunternehmens“193 erfolgen. Die Verweigerung des Netzzuganges ist gemäß § 19 Abs 1 GWG schriftlich zu begründen und kann gemäß § 21 Abs 1 GWG bei der Energie-Control Kommission angefochten werden. Außerdem besteht in § 19 Abs 6 GWG eine spezielle Haftungsregelung, wenn festgestellt wird, dass der Netzzugang zu Unrecht verweigert worden ist.194 a) Störfälle Als ersten Grund für eine Netzzugangsverweigerung werden in § 19 Abs 1 Z 1 GWG außergewöhnliche Netzzustände (Störfälle) genannt. In diesem Fall ist der Netzbetreiber auf Grund besonderer technischer Umstände „faktisch nicht in der Lage, seinen Netzdienstleistungsverpflichtungen“195 nachzukommen. Wie schon die Worte „außergewöhnlich“ und „Störfälle“ zum Ausdruck bringen, kann sich ein Netzbetreiber aber nur ausnahmsweise auf diesen Verweigerungstatbestand berufen.196 b) Mangelnde Netzkapazitäten Als weiterer Verweigerungsgrund ist in § 19 Abs 1 Z 2 GWG „mangelnde Netzkapazitäten oder mangelnder Netzverbund“ normiert.197 Diesfalls ist der Netzzugang gemäß § 21 Abs 2 GWG unter Einhaltung folgender Grundsätze zu gewähren: 1. Transporte auf Grund bestehender oder an deren Stelle tretender vertraglicher Verpflichtungen („Rucksackprinzip“), sofern diese mit den Wettbewerbsregeln im Einklang stehen198; 2. Anträge auf Nutzung von zusätzlichen Kapazitäten sind in zeitlicher Reihung zu berücksichtigen, wobei in der Regelzone Transporte für Zwecke der Endkundenversorgung Vorrang gegenüber sonstigen Transporten haben; 3. Transporte zur Belieferung von Kunden, die gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen zu erfüllen haben199 In § 19 Abs 2 GWG ist für den Fall einer Konkurrenz zwischen den verschiedenen Grundsätzen eine Prioritätenreihung nur beschränkt ausdrücklich verankert. Schon auf Grund verfassungskonformer Auslegung sind jedoch gewisse Vorrangregeln implizit 193 194 195 196 197 198
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§ 21 Abs 3 und 4 GWG. Dazu Rabl, Neues Gaswirtschaftsgesetz: Haftung, Regress und andere Neuerungen, ecolex 2002, 418 ff; Potacs (FN 188) 5 f. RV 66 BlgNR 21. GP, S 62. Potacs (FN 188) 7. Dazu auch Oberndorfer, Die Verwaltung knapper Gasleitungskapazitäten, ÖZW 2005, 2 ff. Siehe dazu RV 1411 BlgNR 22. GP, S 35, sowie Schnichels, Marktabschottung durch langfristige Gasverträge, EuZW 2003, 171 ff. Im Hinblick auf VwGH 28.4.2006, 2004/05/0322, ist aber fraglich, ob diese Regelung nicht durch den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts verdrängt wurde; so zutreffend Raschauer, Einführung und Überblick, in: Raschauer (Hrsg), Aktuelles Energierecht, 2006, 11 (16). Nach RV 66 BlgNR 21. GP, S 62, umfassen solche gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen etwa auch Transporte für die Belieferung von Spitälern oder öffentlichen Verkehrsunternehmen. Dazu auch Kahl (FN 20) 86 ff.
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anzunehmen, weil andernfalls § 19 Abs 2 GWG im Sinne von Art 18 B-VG nicht ausreichend determiniert wäre. Explizit geregelt ist in § 19 Abs 2 GWG, dass im Engpassfall im Rahmen der zugeordneten Kapazitäten für die Endkundenversorgung notwendige Mindesteinspeisungen vorzunehmen sind. Ferner ist aus § 17 Abs 1 letzter Satz zu schließen, dass nach dem GWG der Grundsatz des Vorranges „bestehender oder an deren Stelle tretender vertraglicher Verpflichtungen“ prinzipiell oberste Priorität besitzt. Heißt es doch in dieser Regelung, dass die für den Kunden bisher im Leitungsnetz verwendete Leitungskapazität dem Kunden auch „im Fall eines Lieferantenwechsels zur Verfügung“ steht. Ansonsten bedarf eine Prioritätenreihung gemäß § 19 Abs 2 GWG mitunter wohl auch einer Abwägung.200 Außerdem normiert § 19 Abs 2 GWG, dass nicht genutzte Leitungskapazitäten Dritten zugänglich gemacht werden müssen und bei Nichtanmeldung oder nicht rechtzeitiger Anmeldung von Leitungskapazitäten ein Anspruch auf Netzzugang nur nach Maßgabe der freien Leitungskapazitäten besteht.
c) Behinderung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen Gemäß § 19 Abs 1 Z 3 GWG kann der Netzzugang auch dann verweigert werden, wenn der Netzzugang den Netzbetreiber daran hindern würde, die ihm auferlegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen gemäß § 4 GWG zu erfüllen. Das ist etwa bei einer Behinderung der Erfüllung der dem Netzbetreiber durch Rechtsvorschriften im öffentlichen Interesse auferlegten Pflichten201 anzunehmen. Dieser Verweigerungsgrund kann auch dann geltend gemacht werden, wenn kein unmittelbarer Engpass bei den Netzkapazitäten besteht. Offenbar gestattet es diese Bestimmung dem Netzbetreiber, den Zugang unter Hinweis auf die zur Erfüllung gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen erforderliche Leistungsfähigkeit zu verweigern. Den Netzbetreibern wird damit ein in Bezug auf Art 18 B-VG verfassungsrechtlich nicht unbedenklicher Beurteilungsspielraum eingeräumt.202 Das an der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen behindert Unternehmen muss dabei der verweigernde Netzbetreiber selbst (und kein anderer an diesen „anschließender“ Netzbetreiber) sein. Zwar ließe die Formulierung „einen Netzbetreiber“ in § 19 Abs 1 Z 3 GWG auch eine andere Deutung zu, doch basiert dieser Verweigerungsgrund auf Art 21 Abs 1 der Erdgasbinnenmarkt-RL 2003, wo auf die Behinderung der Pflichterfüllung durch das verweigernde Unternehmen abgestellt wird.
d) Reziprozitätsklausel Eine Verweigerung des Netzzuganges aus Gründen der Reziprozität ist in § 19 Abs 1 Z 4 GWG geregelt. Danach kann der Netzzugang verweigert werden, wenn der Netzzugang für einen Kunden abgelehnt wird, der in dem Netz, aus dem die Belieferung erfolgt oder erfolgen soll, keine Netzzugangsberechtigung hat und dies von der Energie-Control Kommission festgestellt wurde. Dieser Verweigerungsgrund hat seine gemeinschaftsrechtliche Basis in Art 23 Abs 2 lit a) der Erdgasbinnenmarkt-RL 2003. Gemäß Art 23 Abs 2 lit b) der RL kann allerdings die EG-Kommission der Partei auferlegen, die gewünschten Lieferungen auszuführen.
200 201 202
Potacs (FN 189) 8. § 4 Abs 3 Z 2 GWG. Potacs (FN 189) 8.
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e) Technische Spezifikationen Der Netzzugang kann gemäß § 19 Abs 1 Z 5 GWG auch dann verweigert werden, wenn die technischen Spezifikationen nicht auf zumutbare Weise miteinander in Übereinstimmung gebracht werden können. Unzumutbarkeit im Sinne dieser Vorschrift wird wohl dann anzunehmen sein, wenn der mit der Herstellung der Kompatibilität verbundene Kostenaufwand den mit der Gewährung des Netzzuganges zu erwartenden Ertrag übersteigt. f) Spürbare Beeinträchtigungen der Wettbewerbsfähigkeit Einen Versagungsgrund wegen Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit sieht § 19 Abs 1 Z 6 GWG auf Grund von Take or Pay-Verpflichtungen vor. Darunter werden (im Erdgassektor europaweit übliche) Verträge mit Mindestabnahmeverpflichtung verstanden. Danach ist der Abnehmer verpflichtet, den vollen Liefer- und Transportpreis bis zur Mindestabnahmemenge zu bezahlen, auch wenn er diese nicht erreicht („Verträge mit unbedingter Zahlungsverpflichtung“203). Haben solche Verträge bereits bei Inkrafttreten der GWGNovelle 2002 bestanden, so ist gemäß § 22 GWG ein bestimmter Anteil der davon betroffenen Erdgasmenge von einer von der Energie-Control Kommission zu benennenden Stelle abzukaufen, die diese wiederum über eine Börse oder im Wege der Versteigerung weiterverkaufen kann. Ist eine Verwertung gemäß § 22 GWG nicht möglich oder zumindest zu befürchten, dass durch einen begehrten Netzzugang die Wettbewerbsfähigkeit eines Netzbetreibers „spürbar beeinträchtigt wird“, dann kann der Netzzugang gemäß § 19 Abs 1 Z 6 GWG verweigert werden. Auf Grund richtlinienkonformer Auslegung204 ist darunter die Gefahr einer „ernsthaften wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeit“ zu verstehen.205 Der Netzbetreiber hat daraufhin spätestens eine Woche nachdem die Ablehnung dem Netzzugangsberechtigten zugegangen ist, gemäß § 20 Abs 1 GWG bei der Energie-Control Kommission einen Antrag auf bescheidmäßige Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine befristete Ausnahme von der Verpflichtung zur Gewährung von Netzzugang zu stellen. Erfolgt die Verweigerung über Aufforderung eines dritten Erdgasunternehmens, dann trifft dieses Unternehmen diese Verpflichtung. Hat die Energie-Control Kommission das Vorliegen der Voraussetzungen mit Bescheid festgestellt, dann hat er gemäß § 20 Abs 6 GWG mit VO zu bestimmen, dass einem Netzbetreiber eine befristete Ausnahme von der Verpflichtung zum Netzzugang gewährt wird. Nach den EB zur RV dient die zuletzt genannte Regelung dem Rechtsschutz der Kunden, weil diese zwar keine Parteistellung im Verfahren zur Erlassung des Feststellungsbescheides haben, aber die Verordnung mit Individualantrag gemäß Art 139 B-VG anfechten können.206
203 204 205 206
Siehe § 22 GG. Siehe dazu Pauger, ÖZW 2000, 103, sowie insbesondere RV 66 BlgNR 21. GP, S 62 ff. Siehe Art 27 Abs 1 Erdgasbinnenmarkt-RL 2003. Potacs (FN 189) 9. Vgl dazu auch Schanda, Energierecht3, 197 f. RV 66 BlgNR 21. GP, S 64.
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Die (im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ kundzumachende Verordnung207 ist gemäß § 20 Abs 8 GWG gemeinsam mit dem Feststellungsbescheid von der Energie-Control Kommission der EG-Kommission zu übermitteln. Verlangt diese ein Rückgängigmachen der Ausnahme, dann hat der BMWA gemäß § 20 Abs 9 GWG den Bescheid und die Verordnung aufzuheben oder abzuändern.
g) Neue Infrastrukturen Nach § 19 Abs 1 Z 7 GWG stellt die Erteilung einer befristeten Ausnahme im Sinne von § 20a GWG ebenfalls einen Netzverweigerungsgrund darf. In einer solchen Ausnahme gemäß § 20a GWG kann die Energie-Control Kommission mit Bescheid aussprechen, dass Teile des GWG (darunter das Recht auf Netzzugang) auf eine größere neue Infrastruktur oder Teile davon für einen bestimmten Zeitraum keine Anwendung findet.208 h) Rechtsschutz Die anspruchsberechtigten Kunden209 können die Verweigerung des Netzzuganges gemäß § 21 Abs 1 GWG bei der Energie-Control Kommission bekämpfen. Diese hat § 19 Abs 4 GWG über „Antrag desjenigen, der behauptet, durch die Verweigerung in seinem gesetzlich eingeräumten Recht verletzt zu sein, festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Verweigerung eines Netzzuganges“ vorliegen.210 Die Energie-Control Kommission hat allerdings in jeder Lage des Verfahrens gemäß § 19 Abs 5 GWG auf eine gütliche Einigung zwischen Netzbetreiber und Netzzugangsberechtigten hinzuwirken.
Nach den EB zur RV211 ist ein Antrag zur Einleitung eines Verfahrens gemäß § 19 Abs 4 GWG auch dann zulässig, wenn der Netzbetreiber einen Antrag auf Ausnahme von der Gewährung des Netzzuganges gemäß § 22 GWG212 bereits gestellt hat. Gemäß § 19 Abs 5 GWG trifft die Pflicht zur Beweisführung im Verfahren grundsätzlich den Netzbetreiber (und nicht den antragstellenden zugangsberechtigten Kunden). Dieser hat danach das Vorliegen der Verweigerungstatbestände nachzuweisen. Erfolgt die Netzzugangsverweigerung über Aufforderung eines dritten Erdgasunternehmens, kann der Nachweis auch von diesem Unternehmen erbracht werden. Ein „auffordernder Dritter“ hat im Übrigen gemäß § 19 Abs 4 GWG im Verfahren Parteistellung.
Eine bescheidmäßige Feststellung durch die Energie-Control Kommission ist auch für sonstige Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern, über die gemäß § 21 Abs 2 GWG die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (zB wegen Schadenersatz), von Bedeutung. Eine Klage über solche Ansprüche kann grundsätzlich erst nach Rechtskraft des Feststellungsbescheides eingebracht werden.213 Ist kein Verfahren bei der EnergieControl Kommission anhängig und wurde Klage erhoben, dann ist das gerichtliche Verfahren gemäß § 21 Abs 2 GWG bis zu der rechtskräftigen Entscheidung zu unterbrechen. Die Rechtmäßigkeit der Verweigerung ist daher ausschließlich von der Ener207 208 209 210 211 212 213
§ 20 Abs 7 GWG. Siehe dazu RV 1411 BlgNR 22. GP, S 36. Siehe oben III.B.2. Siehe zur gleichlautenden Regelung in § 20 Abs 2 ElWOG oben II.B.3.a)ee). RV 66 BlgNR 21. GP, S 62. Siehe dazu oben III.D.3.f). Siehe dazu oben II.B.3.a)ee).
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gie-Control Kommission festzustellen und kann von den Gerichten auch nicht als Vorfrage geprüft werden.214
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 21 Abs 1 GWG die Energie-Control Kommission über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Netzzuganges entscheidet, „sofern keine Zuständigkeit des Kartellgerichtes“ vorliegt. Eine (im Hinblick auf die Trennung von Justiz und Verwaltung gemäß Art 94 B-VG) verfassungskonforme Interpretation dieser Vorschrift sowie eine historische Auslegung unter Bedachtnahme auf die Erläuterungen zu ihrer Stammfassung führt zum Ergebnis, dass keine Überschneidung mit der Zuständigkeit des Kartellgerichts vorliegt.215
E. Sanktionen Für eine Reihe von Verletzungen des GWG (zB Nichterfüllung der Bestimmungen zur Rechnungslegung, der Bestellung eines technischen Betriebsleiters) sieht § 71 GWG als Sanktion die Verhängung einer Verwaltungsstrafe bis zu EUR 14.600,- vor. Als „Preistreiberei“ werden in § 73 Abs 1 GWG Verstöße gegen eine behördliche Preisregelung (zB im Rahmen der Versorgungspflicht gemäß § 24 Abs 2 GWG) mit Verwaltungsstrafe bis zu EUR 36.500,(im Wiederholungsfall bis zu EUR 58.400,-) geahndet. Schließlich sieht auch das GWG216 in § 38e die Möglichkeit einer behördlichen „Einweisung“ vor.217 Kommt ein Netzbetreiber seinen Verpflichtungen (zB zur Gewährung von Netzzugang218) nicht nach, dann kann nach dieser Vorschrift durch Bescheid219 ein anderer Netzbetreiber mit der Erfüllung der Aufgaben des Unternehmens betraut werden, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen oder schwerer volkswirtschaftlicher Schäden notwendig ist. Der „eingewiesene“ Netzbetreiber tritt in die Rechte und Pflichten aus den Verträgen des Unternehmens ein.220
IV. Regulierungsbehörden A. Allgemeines Wegen der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Sicherstellung eines funktionsfähigen Strom- und Gasmarktes sowie zur Gewährleistung gemeinschaftskonformen Umsetzung der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL 2003221 und der Erdgasbinnenmarkt-RL 2003222 unterliegt die Elektrizitätswirtschaft einer relativ 214 215 216 217 218
219 220 221 222
Siehe RV 66 BlgNR 21. GP, S 65. Näher Potacs (FN 90) 26 f. Siehe auch § 38 ElWOG. Dazu Kahl (FN 20) 95 f. Nach der RV 66 BlgNR 21. GP, S 68, liegt eine Pflichtverletzung „insbesondere auch dann vor, wenn ein Erdgasunternehmen, trotz Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung, dass die Voraussetzungen für eine Netzzugangsverweigerung nicht vorliegen, Netzzugangsberechtigten den Netzzugang verweigert“. § 41 Abs 5 GWG. § 41 Abs 3 GWG. Art 23 RL 2003/54/EG. Art 25 RL 2003/55/EG.
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strengen behördlichen Einflussnahme. Diese umfasst die Kontrolle der Einhaltung und Erfüllung der gesetzlichen Rahmenbedingungen einschließlich der Sicherung eines ordnungsgemäßen und fairen Wettbewerbs. Sie erstreckt sich darüber hinaus aber auch auf eine gestaltende Funktion wie die Ausarbeitung von Vorschlägen für Marktregeln oder Regeln über technische und organisatorische Vorkehrungen. Insgesamt wird dabei relativ streng in die Wirtschaftsabläufe durch „Regulierungsbehörden“ eingegriffen, die im E-RBG geregelt ist. Dieses Gesetz nennt als Regulierungsbehörde die Energie-Control GmbH und die Energie-Control Kommission. Beide Behörden greifen durch ihre Maßnahmen unmittelbar regulierend in die Gas- und Elektrizitätswirtschaft ein. Sie unterliegen dabei allerdings ihrerseits der Aufsicht durch den BMWA223. Dieser hat etwa gegenüber der Energie-Control GmbH eine „Richtlinienkompetenz“224. Im Rahmen dieser Kompetenz kann er auch Verordnungen225 oder „Grundsätze“226 (zB zur Bestimmung des Systemnutzungstarifs) erlassen.
Bei diesen „Grundsätzen“ handelt es sich um atypische Rechtsakte227, die zwar auch für die Rechtsunterworfenen (mittelbar) verbindlich sind, doch als solche im Rahmen des Rechtsschutzsystems nicht bekämpft werden können. Aus diesem Grund handelt es sich dabei um eine verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche Rechtsform.228 Festzustellen ist auch noch, dass dem BMWA und der Regulierungsbehörde gemäß § 26 E-RBG ein „Elektrizitätsbeirat“ und gemäß § 26a E-RBG ein „Erdgasbeirat“ zur Beratung zur Seite steht.
B. Elektrizitäts-Control GmbH Die Elektrizitäts-Control GmbH ist eine Gesellschaft, deren Anteile zu 100% im Eigentum des Bundes stehen229 und die mit der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben betraut ist. Als „beliehenes“ Unternehmen unterliegt sie in Einklang mit verfassungsrechtlichen Anforderungen230 den Weisungen des BMWA.231 Zur Finanzierung ihrer Tätigkeit ist sie berechtigt, von Netzbetreibern ein „die 223 224 225 226 227
228 229 230
231
§ 21 E-RBG. § 3 Abs 2 Z 3 E-RBG. § 3 Abs 3 Z 1 E-RBG. § 3 Abs 3 Z 2 E-RBG. Gegen eine Deutung dieser „Grundsätze“ als Rechtsverordnungen spricht vor allem, dass § 3 Abs 3 E-RBG systematisch zwischen „Verordnungen“ und „Grundsätzen“ unterscheidet. Einer Deutung als „Weisung“ kann entgegengehalten werden, dass die „Grundsätze“ etwa gemäß § 3 Abs 3 Z 2 lit a) Energie-ControlG auch die Energie-Control Kommission, die als weisungsfreie Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag eingerichtet ist, bei der Genehmigung der Allgemeinen Bedingungen binden. Siehe dazu näher Holoubek, Organisation und Aufgaben der Elektrizitätsaufsicht, in: Pauger (Hrsg), Das Elektrizitätsrecht nach der ElWOG-Novelle, 2001, 55 (63 f). Siehe aber auch Stöger, Die Behörden der Elektrizitätsaufsicht nach der Nov 2002 des E-RBG, in: Mayer (Hrsg), Hauptfragen des Elektrizitätswirtschaftsrechts, 2003, 96 (108), der die Grundsätze für unverbindliche Empfehlungen hält. Siehe zB VfSlg 13223/1992; 13699/1993. § 5 Abs 2 E-RBG. Grundlegend VfSlg 14473/1996, sowie weiters zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Elektrizitäts-Control GmbH Feiel/Urbantschitsch, ecolex 2000, 826 (827 f); Holoubek (FN 227), 71 ff; Leitl, Regulierungsbehörden, 196 ff. § 21 Abs 2 E-RBG.
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Kosten ihrer Tätigkeit deckendes Finanzierungsentgelt“ einzuheben.232 Die Elektrizitäts-Control GmbH hat sämtliche Aufgaben wahrzunehmen, die gesetzlich der Regulierungsbehörde zugewiesen werden und nicht der Elektrizitäts-Control Kommission vorbehalten sind.233 Dazu gehört konkret etwa die Genehmigung von Allgemeinen Bedingungen für Verträge von Bilanzgruppenkoordinatoren234 und die Prüfung der Einhaltung der Bestimmungen über den Bezug von Ökostrom.235 Vor allem hat die Energie-Control GmbH Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Energiemarkt zu schaffen. Dazu hat sie in Zusammenarbeit mit den Marktteilnehmern „Sonstige Marktregeln“ zu erstellen, in Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern Regeln für technische und organisatorische Regeln ausarbeiten sowie Informationen über ihren Tätigkeitsbereich zu veröffentlichen.236 Nicht unproblematisch ist die Erlassung Sonstiger Marktregeln, die gemäß § 9 Abs 1 Z 1 E-RBG „in Zusammenarbeit mit den Marktteilnehmern“ zu erstellen sind. Den Marktteilnehmern (zB Netzbetreibern) muss dabei lediglich ein Anhörungsrecht eingeräumt werden.237 Verbindlichkeit erlangen diese Sonstigen Marktregeln allerdings über die (genehmigungspflichtigen) Allgemeinen Bedingungen, die einen Verweis darauf zu enthalten haben.238 In der Praxis enthalten diese Bedingungen „dynamische Verweisungen“ auf die Sonstigen Marktregeln (in ihrer jeweils geltenden Fassung)239, wodurch sie den Charakter einseitig verbindlicher Anordnungen annehmen können. Deren Bekämpfung im Rahmen des Rechtsschutzsystems ist allerdings schwierig („atypische Verwaltungsakte“), weshalb die Konstruktion der Sonstigen Marktregeln insoweit verfassungsrechtlich bedenklich ist.240
Die Elektrizitäts-Control GmbH übt aber gemäß § 10 E-RBG auch eine Überwachungs- und Aufsichtsfunktion aus. Dazu gehört die Wettbewerbsaufsicht über alle Marktteilnehmer und Netzbetreiber, insbesondere hinsichtlich der Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer, wobei die Zuständigkeit des Kartellgerichts unberührt bleibt241. Weiters nimmt die Energie-Control GmbH in dieser Funktion auch die Überwachung der Entflechtung, die Aufsicht über Bilanzgruppenverantwortliche, Bilanzgruppenkoordinatoren und Regelzonenführer sowie die Aufsicht über die Einfuhr von Energie aus Drittstaaten wahr. Bei Ausübung ihrer Überwachungs- und Aufsichtsfunktion kann die EnergieControl GmbH gemäß § 10 Abs 2 E-RBG zunächst eine Verfahrensanordnung zur 232 233 234 235 236 237
238 239
240 241
§ 6 E-RBG; dazu Leitl, Regulierungsbehörden, 252 ff. § 7 Abs 1 E-RBG. § 11 Abs 1 VerStG. § 11 Abs 1 E-RBG. § 9 Abs 1 E-RBG. Zellhofer, Die Kompetenzen der Energie-Control GmbH im Erdgasmarkt, ecolex 2002, 722 (723); Kossuth, Marktregeln im Energiemarkt - Entstehung und Änderung, ÖZW 2003, 78 (86 f); Potacs (FN 90) 21. Siehe § 18 Abs 3 Z 1 ElWOG und § 26 Abs 3 Z 1 GWG. Potacs (FN 90) 20 f; Damjanovic, Die rechtliche Steuerung der Stromwirtschaft durch Marktregeln: Möglichkeiten und Rahmenbedingungen im Vergleich zu den Entwicklungen der Wettbewerbsregulierung im Telekommunikationsbereich, in: Holoubek/Boltz (Hrsg), Strommarktregulierung, 2005, 123 (126). Potacs (FN 90) 23; Damjanovic (FN 239) 133 f. Dazu Potacs (FN 90) 28.
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Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes unter Setzung einer angemessenen Frist erlassen. Wenn der Verpflichtete dieser Anordnung nicht fristgerecht nachkommt, kann die Energie-Control GmbH einen Bescheid erlassen.242 Andererseits kann sie gemäß § 10 Abs 3 E-RBG „alle Anordnungen“ treffen, um den gesetzmäßigen Zustand „herzustellen und sicherzustellen“. Daraus ist wohl zu schließen, dass die Behörde gegebenenfalls auch ohne vorangehende Verfahrensordnung einen Bescheid erlassen kann. Die Entscheidung, ob nach Abs 2 oder Abs 3 des § 10 E-RBG vorzugehen ist, hat die Behörde (bei verfassungskonformer Auslegung) unter Bedachtnahme auf den Gleichheitssatz aus sachlichen Gründen zu treffen. Ohne vorangehende Verfahrensordnung ist demnach ein Bescheid zu erlassen, wenn besonders rasches Handeln gefordert ist.
Außerdem übt die Energie-Control Kommission gemäß § 10a E-RBG die Funktion einer Schlichtungsstelle bei Streitigkeiten etwa zwischen Netzbenutzern und Netzbetreibern aus. In dieser Funktion hat sie sich darum zu bemühen, innerhalb von sechs Wochen eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte und der Energie-Control Kommission für Streitigkeiten bleibt davon unberührt. Schließlich ist auch noch auf Regelungen über die Zusammenarbeit mit anderen Behörden wie der Bundeswettbewerbsbehörde243 sowie der EG-Kommission und den Wettbewerbsbehörden anderer Mitgliedstaaten244.
C. Energie-Control Kommission Als zweite Regulierungsbehörde wurde die Energie-Control Kommission in Form einer weisungsfreien Kollegialbehörde gemäß Art 133 Z 4 B-VG eingerichtet.245 Sie ist bei der Energie-Control GmbH angesiedelt, der auch die Geschäftsführung für die Energie-Control Kommission obliegt,246 und besteht aus drei Mitgliedern (von denen eines dem Richterstand anzugehören hat), die durch die Bundesregierung ernannt werden.247 Von den Aufgaben der Energie-Control Kommission ist zunächst einmal zu erwähnen, dass sie Berufungsinstanz gegen Entscheidungen der EnergieControl GmbH ist.248 Bestimmte in § 16 Abs 1 E-RBG genannte behördliche Angelegenheiten sind allerdings der Energie-Control Kommission zur Entscheidung in erster Instanz vorbehalten. Dazu gehört die Genehmigung allgemeiner Bedingungen für die Inanspruchnahme von Verteiler- und Übertragungsnetzen, die Bestimmung der Systemnutzungstarife und die Gewährung von Rechtsschutz bei Netzzugangsverweigerung. 242 243 244
245 246 247 248
Siehe dazu VwGH 31.7.2006, 2006/05/0057. Siehe § 10 Abs 1 WettbG und dazu Potacs (FN 90) 28 ff; Leitl, Regulierungsbehörden, 281 f. Dazu Art 11 Abs 1, 12 Abs 1, 15 Abs 3 und 22 der Verordnung (EG) 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (Abl L 1/1). Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung dieser Behörde siehe etwa Feiel/ Urbantschitsch (FN 230), 828 f; Holoubek (FN 227), 71 ff. § 15 Abs 2 E-RBG. § 17 Abs 1 E-RBG. § 16 Abs 2 Elektrizitäts-ControlG. Nach dieser Vorschrift ist die ElektrizitätsControl Kommission allerdings nur Berufungsbehörde „sofern im Abs 3 nicht anderes bestimmt wird“. Dieser Verweis geht jedoch ins Leere, weil Abs 3 keine Abweichung regelt; siehe bereits Holoubek (FN 227), 65.
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Gegen manche dieser Entscheidungen (zB über die Höhe oder die Rückforderung überhöhter Systemnutzungstarife249) kann gemäß § 16 Abs 3 EnergieControlG bei den ordentlichen Gerichten vorgegangen werden. Durch die rechtskräftige Entscheidung des Gerichts tritt die Entscheidung der EnergieControl Kommission außer Kraft (sukzessive Zuständigkeit). Im Übrigen können Entscheidungen der Energie-Control Kommission beim VwGH (sowie beim VfGH) angefochten werden.250 Soweit das Elektrizitäts-ControlG eine „sukzessive Zuständigkeit“ vorsieht, ist allerdings eine Anrufung des VwGH (und auch des VfGH) nach herrschender Ansicht ausgeschlossen.251
249 250
251
OGH 14.3.2005, 4 Ob 287/04s. § 20 Abs 2 Energie-ControlG. Siehe dazu Lehofer, Die gerichtliche Kontrolle von Regulierungsentscheidungen: Möglichkeiten und Grenzen, in: Holoubek/Boltz (Hrsg), Strommarktregulierung, 2005, 19 ff. Dazu zB Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1983, 47.
Hubert Resch
Verkehrsrecht TEIL I: Infrastrukturrecht..........................................................................951 Kapitel 1: Straßenverkehrsinfrastruktur ...................................................951 I. Grundlagen ................................................................................................952 A. Allgemeines............................................................................................952 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................953 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft .............................................................953 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit......................................957 3. Rechtsverwirklichung im Bereich des Straßenwesens ......................960 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen .................961 1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die Erlassung nationaler Rechtsvorschriften ............................................................................961 2. Infrastrukturpolitische Maßnahmen der Gemeinschaft .....................962 3. Sonderregime für Beihilfen und Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen...................................................965 4. Völkerrechtliche Grundlagen für die Straßenverkehrsinfrastruktur ............................................................966 II. Die Genehmigung des Baus von Bundesstraßen ...................................966 A. Entwicklung und Systematik des Bundesstraßengenehmigungsregimes ...................................................966 1. Entwicklung des Bundesstraßengenehmigungsregimes....................966 2. Systematik des Bundesstraßengenehmigungsregimes.......................967 B. Technische Gestaltung der Bundesstraße..............................................967 C. Die Bestimmung des Trassenverlaufes von Bundesstraßen ..................968 1. Strategische Umweltprüfung bei Bundesstraßen...............................968 2. Von der Trassenverordnung zur bescheidförmigen Genehmigung der Trasse ..................................................................969 3. Genehmigungspflichtige Maßnahmen gemäß § 4 BStG ...................970 4. Verfahren zur Erteilung einer Genehmigung gemäß § 4 BStG.........972 5. Der Planungsspielraum bei der Trassenfestlegung............................973 6. Die Trassen-UVP für Bundesstraßen ................................................977 7. Sicherung der Planung ......................................................................981 III. Bau und Erhaltung von Bundesstraßen ...............................................981 A. Bau von Bundesstraßen .........................................................................981 1. Grundeinlöse und Enteignung...........................................................981 2. Weitere verwaltungsbehördliche Genehmigungen............................982 3. Umsetzung des Bauvorhabens...........................................................982 B. Erhaltung der Bundesstraßen................................................................983 IV. Finanzierung ...........................................................................................983
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Resch
A. Straßenbau und -erhaltung durch ausgegliederte Rechtsträger: Die ASFINAG ....................................................................................... 983 1. Sondergesellschaften in der Bundesstraßenverwaltung.................... 983 2. Die ASFINAG .................................................................................. 984 B. Mauteinhebung an Bundesstraßen........................................................ 986 1. Bundesgesetzlich vorgeschriebene Maut- und Benützungsgebühren ........................................................................ 986 2. Mautentrichtung - hoheitliche Abgabe oder privatrechtliches Entgelt? ............................................................................................ 986 3. Mauteinhebung an Bundesstraßen: Das Bundesstraßen-Mautgesetz ....................................................... 987 4. Ein Relikt: Maut für Pkw auf Grund der StraßensonderfinanzierungsG .......................................................... 990 5. Finanzierung von Eisenbahnbauvorhaben aus Mauten..................... 990 Kapitel 2: Schieneninfrastruktur................................................................ 991 I. Grundlagen................................................................................................ 992 A. Allgemeines ........................................................................................... 992 B. Kompetenzrechtliche Einordnung ......................................................... 993 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft ............................................................. 993 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit ..................................... 993 3. Rechtsverwirklichung im Bereich des Eisenbahnwesens ................. 994 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen ................. 995 1. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen für die Eisenbahninfrastruktur ..................................................................... 995 2. Völkerrechtliche Grundlagen............................................................ 996 II. Die Genehmigung von Eisenbahnen ...................................................... 996 A. Systematik der Genehmigungen für den Eisenbahnbau........................ 996 1. Die eisenbahnrechtliche Konzession ................................................ 996 2. Sonderregime für Hochleistungsstrecken: Die Trassengenehmigung ................................................................. 997 3. Geteilte UVP: Trassen-UVP und konzentriertes Genehmigungsverfahren .................................................................. 998 4. Eisenbahnrechtliche Baugenehmigung und Genehmigung von Schienenfahrzeugen ......................................................................... 998 5. Exkurs: Neuregelung des Genehmigungsregimes für Seilbahnen .... 998 B. Die Genehmigung von Nicht-Hochleistungsstrecken............................ 998 1. Konzession zum Bau und Betrieb von Haupt- und Nebenbahnen.... 998 2. Die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung..................................... 1000 3. UVP-pflichtige Eisenbahnprojekte ................................................. 1001 4. Betriebsbewilligung ........................................................................ 1002 C. Die Genehmigung von Hochleistungsstrecken ................................... 1003 1. Eine neue Kategorie von Eisenbahnen: Hochleistungsstrecken ..... 1003 2. Verkehrspolitische Entscheidung der BReg und strategische Umweltprüfung .............................................................................. 1003
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3. Von der Trassenverordnung zur bescheidförmigen Genehmigung der Trasse ................................................................1004 4. Erfordernis der Trassengenehmigung nach HLG: Neubau- und Ausbauhochleistungsstrecken.........................................................1005 5. Trassengenehmigung nach HLG .....................................................1005 6. Die Trassen-UVP für Hochleistungsstrecken..................................1007 7. Rechtsschutz gegen die Trassengenehmigung ................................1009 8. Weitere verwaltungsbehördliche Bewilligungen und Betriebsbewilligung ........................................................................1010 9. Sicherung der Planung ....................................................................1010 D. Bauartgenehmigung für Schienenfahrzeuge und eisenbahnsicherheitstechnische Einrichtungen...................................1010 E. Technische Vorschriften für Bau und Betrieb und Eisenbahnsicherheit ............................................................................1011 F. Interoperabilität des Eisenbahnsystems ..............................................1012 G. Europäische Eisenbahnagentur ..........................................................1013 III. Bau, Betrieb und Finanzierung der Schieneninfrastruktur ............1014 A. Bau und Betrieb der Schieneninfrastruktur der Österreichischen Bundesbahnen .....................................................................................1014 1. Die Neuordnung der Österreichischen Bundesbahnen....................1014 2. Bau und Betrieb der Schieneninfrastruktur .....................................1014 B. Finanzierung von Bau und Betrieb der Schieneninfrastruktur der ÖBB ...........................................................1015 C. Ausbau der Brennerachse ...................................................................1016 D. Bau und Erhaltung der Schieneninfrastruktur der Privatbahnen .......1017 E. Fachbehördliche Aufsicht über Eisenbahninfrastrukturunternehmen...................................................1017 Kapitel 3: Binnenschifffahrtsinfrastruktur ..............................................1017 I. Grundlagen ..............................................................................................1018 A. Allgemeines..........................................................................................1018 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .......................................................1019 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft ...........................................................1019 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit....................................1019 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen ...............1020 II. Die Genehmigung von Schifffahrtsanlagen und Wasserstraßen......1021 A. Genehmigung der Errichtung von Schifffahrtsanlagen .......................1021 1. Begriff der Schifffahrtsanlage .........................................................1021 2. Schifffahrtsrechtliche Baugenehmigung .........................................1022 B. Betrieb von Schifffahrtsanlagen ..........................................................1023 1. Benützungsbewilligung...................................................................1023 2. Laufende fachbehördliche Aufsicht ................................................1024 3. Sonderbestimmungen für Häfen......................................................1024 C. Behörden .............................................................................................1024 D. Bau von Wasserstraßen.......................................................................1025
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1. Strategische Umweltprüfung für Wasserstraßen ............................ 1025 2. Planung, Bau und Instandhaltung von Wasserstraßen.................... 1025 E. UVP für Schifffahrtsanlagen und Wasserstraßen ............................... 1026 III. Instandhaltung von Wasserstraßen: Bundes-Wasserstraßenverwaltung (via donau)................................ 1026 IV. Finanzierung......................................................................................... 1027 Kapitel 4: Luftverkehrsinfrastruktur....................................................... 1028 I. Grundlagen.............................................................................................. 1028 A. Allgemeines ......................................................................................... 1028 B. Kompetenzrechtliche Einordnung ....................................................... 1029 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft ........................................................... 1029 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit ................................... 1030 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen ............... 1030 II. Die Genehmigung von Flugplätzen...................................................... 1031 A. Systematik der Genehmigungen für den Bau von Zivilflugplätzen...... 1031 B. Genehmigung eines Flugplatzes ......................................................... 1031 1. Zivilflugplatz-Bewilligung ............................................................. 1031 2. Genehmigung der zivilen Bodeneinrichtungen .............................. 1032 3. UVP für Flugplätze......................................................................... 1033 III. Betrieb von Flugplätzen ...................................................................... 1034 A. Betriebsaufnahmebewilligung............................................................. 1034 B. Betriebspflicht und Zivilflugplatzbenützung........................................ 1034 D. Bodenabfertigung ............................................................................... 1035 E. Die Zuteilung von Slots ....................................................................... 1035 F. Harmonisierte Vorschriften für die Sicherheit der Zivilluftfahrt auf Flughäfen...................................................................................... 1037 G. Fachbehördliche Aufsicht über den Betrieb von Zivilflugplätzen ...... 1038 H. Flughafenbetreibergesellschaften....................................................... 1038 IV. Rechtliche Ordnung des Luftraums und einheitlicher europäischer Luftraum....................................................................... 1038 TEIL II: Marktzulassung von Transportunternehmen.......................... 1040 Kapitel 1: Marktzulassung von Straßentransportunternehmen........... 1040 I. Grundlagen.............................................................................................. 1041 A. Allgemeines ......................................................................................... 1041 B. Kompetenzrechtliche Einordnung ....................................................... 1042 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen ............... 1042 II. Marktzulassung von Gelegenheitsverkehrsunternehmen ................ 1043 A. Genehmigungsvorbehalt - Unternehmensgegenstand eines Personenbeförderungsunternehmens.................................................. 1043 B. Arten von Konzessionen ...................................................................... 1044 C. Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession ......................... 1045 1. Konzession für in Österreich niedergelassene Unternehmer .......... 1045 2. Gemeinschaftslizenz ....................................................................... 1045
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D. Ausübungsvorschriften........................................................................1046 E. Behörden..............................................................................................1046 III. Marktzulassung von Güterbeförderungsunternehmen ...................1047 A. Genehmigungsvorbehalt - Unternehmensgegenstand eines Güterbeförderungsunternehmens........................................................1047 B. Arten von Konzessionen.......................................................................1047 C. Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession..........................1048 1. Konzession für in Österreich niedergelassene Unternehmer...........1048 2. Gemeinschaftslizenz........................................................................1048 D. Ausübungsvorschriften........................................................................1049 E. Behörden..............................................................................................1049 IV. Marktzulassung von Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen...........1049 A. Genehmigungsvorbehalt - Unternehmensgegenstand des Kraftfahrlinienverkehrsunternehmens.................................................1049 B. Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession und Genehmigungsverfahren .....................................................................1050 1. Genehmigungsvoraussetzungen ......................................................1050 2. Genehmigungsverfahren .................................................................1051 3. Befristung der Konzession und Auflagen .......................................1051 4. Übertragung der Konzession...........................................................1052 C. Gemeinschaftslizenz ............................................................................1052 D. Ausübungsvorschriften........................................................................1052 1. Allgemeine Vorschriften .................................................................1052 2. Beförderungspreise und Beförderungsbedingungen .......................1053 3. Fahrpläne.........................................................................................1053 4. Haltestellen......................................................................................1053 5. Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen und Ausschreibung von Verkehrsdiensten ............................................1053 E. Behörden..............................................................................................1054 F. Fachbehördliche Aufsicht über Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen ..................................................1055 Kapitel 2: Marktzulassung von Eisenbahnverkehrsunternehmen........1055 I. Grundlagen ..............................................................................................1055 A. Allgemeines..........................................................................................1055 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .......................................................1056 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen ...............1056 II. Marktzulassung von Eisenbahnverkehrsunternehmen......................1058 A. Systematik der Genehmigung von Eisenbahnverkehrsunternehmen ...1058 B. Marktzulassung von in Österreich niedergelassenen Eisenbahnverkehrsunternehmen .........................................................1059 1. Gemeinschaftsweite Verkehrsgenehmigung für österreichische Eisenbahnverkehrsunternehmen .....................................................1059 2. Verkehrskonzession für den Regional-, Stadt oder Vorortverkehr .1059 C. Marktzulassung von EU/EWR- und Drittstaatseisenbahnverkehrsunternehmen .........................................1060
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1. EU/EWR-Eisenbahnverkehrsunternehmen..................................... 1060 2. Drittstaats-Eisenbahnverkehrsunternehmen.................................... 1060 III. Ausübungsvorschriften ....................................................................... 1060 A. Vielzahl relevanter Rechtsvorschriften ............................................... 1060 B. Bauartgenehmigung und Betriebsbewilligung für Schienenfahrzeuge 1060 C. Sicherheitsbescheinigung.................................................................... 1061 D. Das Eisenbahnbeförderungsgesetz..................................................... 1061 E. Fachbehördliche Aufsicht über Eisenbahnverkehrsunternehmen....... 1062 1. Allgemeine Gegenstände und Mittel fachbehördlicher Aufsicht über Eisenbahnverkehrsunternehmen.............................. 1062 2. Aufsichtsbefugnisse der Regulierungsbehörden............................. 1063 IV. Die Eisenbahnverkehrsunternehmen der ÖBB................................. 1063 Kapitel 3: Marktzulassung von Schifffahrtsunternehmen ..................... 1063 I. Grundlagen.............................................................................................. 1064 II. Marktzulassung von Schifffahrtsunternehmen .................................. 1064 A. Genehmigungsvorbehalt - Unternehmensgegenstand eines Schifffahrtsunternehmens.................................................................... 1064 B. Arten von Konzessionen ...................................................................... 1065 C. Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession ......................... 1065 D. Ausübungsvorschriften ....................................................................... 1066 E. Fachbehördliche Aufsicht über Schifffahrtsunternehmen................... 1067 F. Behörden ............................................................................................. 1067 III. Schiffsführerschulen............................................................................ 1067 Kapitel 4: Marktzulassung von Luftfahrtunternehmen ......................... 1068 I. Grundlagen.............................................................................................. 1068 A. Allgemeines ......................................................................................... 1068 B. Kompetenzrechtliche Einordnung ....................................................... 1068 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen ............... 1069 1. Die völkerrechtliche Ordnung des gewerblichen Luftverkehrs ...... 1069 2. Der europäische Binnenmarkt für Luftverkehrsdienste .................. 1073 II. Marktzulassung von Luftfahrtunternehmen...................................... 1074 A. Zusammenwirken von innerstaatlichem und gemeinschaftsrechtlichen Genehmigungsregime................................ 1074 1. Gemeinschaftsweite Betriebsgenehmigung .................................... 1074 2. Luftverkehrsunternehmen - Luftfahrtunternehmen Luftbeförderungsunternehmen ....................................................... 1074 B. Gemeinschaftsluftverkehr und Drittstaatsluftverkehr ......................... 1075 1. Das Single-licence-Prinzip im Gemeinschaftsluftverkehr .............. 1075 2. Weitere Genehmigungen im Drittstaatsluftverkehr ........................ 1075 C. Betriebsgenehmigung nach der V (EWG) Nr 2407/92........................ 1076 1. Das Luftverkehrsbetreiberzeugnis (AOC) ...................................... 1076 2. Exkurs: Harmonisierung der technischen Vorschriften und Einrichtung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit............. 1077 3. Die Genehmigungsvoraussetzungen der V (EWG) Nr 2407/92..... 1079 D. Verfahren zur Erteilung der Betriebsgenehmigung............................ 1083
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1. Zuständiger Mitgliedstaat................................................................1083 2. Zuständige österreichische Behörde und Besonderheiten des Genehmigungsverfahrens ...............................................................1083 III. Ausübungsvorschriften........................................................................1084 A. Vielzahl relevanter Rechtsvorschriften................................................1084 B. Leasing von Luftfahrzeugen.................................................................1084 1. Staatszugehörigkeit geleaster Luftfahrzeuge...................................1084 2. Gebrauchsüberlassung von Luftfahrzeugen durch österreichische Luftfahrtunternehmen ............................................1085 3. Übernahme fremder Luftfahrzeuge durch österreichische Luftfahrtunternehmen zum Gebrauch.............................................1085 C. Behördliche Bewilligung von Code-Sharing .......................................1086 D. Vorschriften für Entschädigungen bei Verspätungen, Nichtbeförderung oder Annullierung von Flügen ...............................1086 IV. Fachbehördliche Aufsicht über Luftfahrtunternehmen ..................1086 A. Allgemeine Gegenstände und Mittel fachbehördlicher Aufsicht über Luftfahrtunternehmen ...................................................1086 B. Besondere Gegenstände und Mittel fachbehördlicher Aufsicht über Luftfahrtunternehmen ...................................................1087 1. Einhaltung der EG-Klausel .............................................................1087 2. Überwachung der wirtschaftlich-finanziellen Verhältnisse ............1088 TEIL III: Wettbewerbsregulierung ..........................................................1089 I. Grundlagen ..............................................................................................1089 A. Verwirklichung des Binnenmarktes .....................................................1089 B. Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Landverkehr ..........1089 1. Entwicklung und geltende Rechtslage ............................................1089 2. Das Altmark-Urteil des EuGH ........................................................1091 3. Der Vorschlag für eine Neuordnung der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen.................................................1092 II. Regulierung im Straßenverkehr...........................................................1093 A. Gelegenheitsverkehrsunternehmen......................................................1093 1. Innerösterreichischer Verkehr .........................................................1093 2. Gemeinschaftsverkehr .....................................................................1093 3. Drittstaatsverkehr ............................................................................1093 B. Güterverkehrsunternehmen .................................................................1094 1. Innerösterreichischer Verkehr .........................................................1094 2. Gemeinschaftsverkehr .....................................................................1094 3. Drittstaatsverkehr ............................................................................1095 C. Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen ..................................................1095 1. Innerösterreichischer Verkehr .........................................................1095 2. Gemeinschaftsverkehr .....................................................................1095 3. Drittstaatsverkehr ............................................................................1095 III. Regulierung des Schienenverkehrs.....................................................1096 A. Die Regulierungsbehörden im liberalisierten Eisenbahnverkehr........1096
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1. Schienen-Control GmbH ................................................................ 1096 2. Die Schienen-Control Kommission ................................................ 1096 B. Zugang zur Schieneninfrastruktur auf Haupt- und Nebenbahnen ...... 1097 1. Räumlicher, persönlicher und sachlicher Umfang des Zugangsrechts ................................................................................ 1097 2. Voraussetzungen für die Ausübung von Zugangsrechten und Sicherheitsbescheinigung ............................................................... 1098 3. Benützungsentgelt und sonstige Entgelte sowie Reservierungskosten....................................................................... 1098 4. Zuweisung von Zugtrassen: Verfahren vor der Zuweisungsstelle.. 1099 5. Zuweisung von sonstigen Leistungen und Serviceleistungen......... 1101 6. Beschwerde an die Schienen-Control Kommission........................ 1101 C. Anschluss und Mitbenützung, Zugang auf anderen Eisenbahnen und zu Schulungseinrichtungen .......................................................... 1103 1. Anschluss und Mitbenützung.......................................................... 1103 2. Zugang auf anderen Eisenbahnen ................................................... 1103 3. Zugang zu Schulungseinrichtungen................................................ 1103 4. Rechtsschutz ................................................................................... 1104 IV. Regulierung des öffentlichen Personennahverkehrs......................... 1104 V. Regulierung der Binnenschifffahrt ...................................................... 1105 A. Innerösterreichischer Verkehr ............................................................ 1105 B. Gemeinschaftsverkehr ......................................................................... 1106 1. Kabotage innerhalb der Mitgliedstaaten ......................................... 1106 2. Transnationaler Binnenschiffsverkehr zwischen Mitgliedstaaten .. 1106 C. Drittstaatsverkehr ............................................................................... 1107 D. Strukturbereinigung in der Binnenschifffahrt..................................... 1108 VI. Regulierung des gewerblichen Luftverkehrs..................................... 1108 A. Innerösterreichischer Luftverkehr....................................................... 1108 B. Gemeinschaftsluftverkehr.................................................................... 1108 1. Marktzugang im Gemeinschaftsluftverkehr.................................... 1108 2. Tarifbildung im Gemeinschaftsluftverkehr..................................... 1110 C. Drittstaatsluftverkehr .......................................................................... 1112 1. Marktzugang im Drittstaatslinienverkehr ....................................... 1112 2. Tariffestsetzung im Drittstaatslinienverkehr................................... 1113 3. Marktzugang im Bedarfsverkehr nach Drittstaaten ........................ 1113 4. Tariffestsetzung im Bedarfsverkehr nach Drittstaaten.................... 1114 5. Sicherheit von Luftfahrtunternehmen aus Drittstaaten im Luftverkehr innerhalb der Gemeinschaft ....................................... 1114
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Teil I: Infrastrukturrecht Kapitel 1: Straßenverkehrsinfrastruktur Rechtsgrundlagen: EU-Recht: TEN-Leitlinie - Entscheidung 1692/96/EG (Abl L 228/1 idF Entscheidung 884/2004/EG, Abl L 167/1); V (EWG) Nr 1191/69 [Abl L 156/1 idF V (EWG) Nr 1893/91, Abl L 169/1]; V (EWG) Nr 1107/70 [Abl L 130/1 idF V (EG) Nr 543/97, Abl L 84/6]; WegekostenRL - RL 1999/62/EG (Abl L 187/42 idF RL 2006/38/EG, Abl L 157/8); RL europäischer Mautdienst - RL 2004/52/EG (Abl L 166/124); UVP-RL - RL 85/337/EWG (Abl L 175/40 idF RL 2003/35/EG, Abl L 156/17). BG: BundesstraßenG - BStG (BGBl 1971/286 idF BGBl I 2006/58); SP-V-G (BGBl I 2005/96); Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 - BStMG (BGBl I 2002/109 idF BGBl I 2006/26); ASFINAG-Gesetz (BGBl 1982/591 idF BGBl I 2006/26); ASFINAGErmächtigungsG (BGBl I 1997/113 idF BGBl I 2006/26); UmweltverträglichkeitsprüfungsG 2000 - UVP-G (BGBl 1993/697 idF BGBl I 2006/149). LG: Bgld Straßengesetz 2005 (LGBl 2005/79); Krnt StraßenG 1991 (LGBl 1991/72 idF LGBl 2006/26); NÖ LandesstraßenG (LGBl 8.500-3); OÖ StraßenG 1991 (LGBl 1991/84 idF LGBl 2005/61); Sbg LandesstraßenG 1972 (LGBl 1972/119 idF LGBl 2005/58); Gesetz, mit dem die im Land Salzburg bisher bestehenden Bundesstraßen als Landesstraßen übernommen werden (LGBl 2002/61); Stmk Landes-StraßenverwaltungsG 1964 (LGBl 1964/154 idF LGBl 2002/89); Stmk BundesstraßenÜbernahmeG (LGBl 2002/89); Tir StraßenG (LGBl 1989/13 idF LGBl 2006/35); Vlbg StraßenG (LGBl 1969/8 idF LGBl 2006/22); Wr BauO (LGBl 1966/20 idF LGBl 2005/41). VO: Mauttarifverordnung (BGBl II 2002/406); Vignettenpreisverordnung (BGBl II 2000/254).
Grundlegende Literatur: C. Baumgartner, Berücksichtigung der Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Zulassung von Bundesstraßen, ZfV 2003, 310; G. Baumgartner, Straßenrecht, in: Bachmann et al (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht5, 2004; Berka, Das Planungsermessen bei der Trassierung von Bundesstraßen, FS Winkler, 1997, 67; Brunner, Enteignung für Bundesstraßen, 1983; Bußjäger, Verfassungsrechtliche Fragen der Anwendung des Naturschutzrechtes der Länder auf Verkehrsprojekte, RdU 2000, 83; Frohnmeyer, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 131 und 132; Funk, Sondergesellschaften in der Bundesstraßenverwaltung, ÖZW, 1984, 65; Hecht, Die Rechtsstellung der Nachbarn öffentlicher Straßen, 1995; derselbe, Enteignung, Trassenverordnung und Umweltverträglichkeitsprüfung, ZfV 2004, 616; Kahl, Der öffentliche Personennahverkehr auf dem Weg zum Wettbewerb, 2005; Krzizek, Das öffentliche Wegerecht, 1967; Küpper, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 3; Merli, Öffentliche Nutzungsrechte und Gemeingebrauch, 1995; derselbe, Öffentliches Gut als Gegenstand von Public Private Partnerships - Das Beispiel der Bundesstraßen, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg), Public Private Partnership, 2003, 59; derselbe, Strukturwandel im österreichischen und deutschen Bundesstraßenrecht, in: Eisenberger et al (Hrsg), FS Funk, 2003, 335; Morscher, Zu den Grenzen der Bundeskompetenzen „Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen und der Luftfahrt“ (Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG), FS Schambeck, 1994, 527; Mückenhausen, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 14; Öhlinger, Zur Kompetenzlage auf dem Gebiet des Stra-
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ßenverkehrs II, ZVR 1979, 257; Raschauer, Umweltschutzrecht, 1986; Rill, Betriebe an Bundesautobahnen und Bundesschnellstraßen im Spannungsfeld zwischen Bundesstraßenrecht und Landesraumplanungsrecht, ZfV 1980, 100; Rill/Schäffer, Die Rechtsnormen für die Planungskoordinierung seitens der öffentlichen Hand im Raumordnungsrecht, 1975; Schmelz/Schwarzer, Die neue „Verkehrs-UVP“, ecolex 2005/271; SchulevSteindl, TrassenV, BGBl II 352/2000, betreffend die Bestimmung des Straßenverlaufes der B 301 Wiener Südrand Straße, ÖZW 2004, 19; Stolzlechner/Kostal, Das Bundesstraßenfinanzierungsgesetz 1996, ZVR-Sonderheft 1999; Stolzlechner, Verkehrsgewerberecht - ein im Umbruch begriffenes Gebiet des öffentlichen Wirtschaftsrechts, in: Stolzlechner (Hrsg), Recht der Verkehrsgewerbe, 2002, 1; Winkler, Gesetzgebung und Verwaltung im Wirtschaftsrecht, 1970; Zeleny, Verkehrsanlagenrecht, in: Stolzlechner (Hrsg), Recht der Verkehrsgewerbe, 2002, 211.
I. Grundlagen A. Allgemeines Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist ein entscheidender Standortfaktor im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb. Aufgrund der dominierenden Rolle des motorisierten Verkehrs kommt der Qualität der Straßeninfrastruktur dabei übergeordnete Bedeutung zu. Eisenbahnen und Binnenschifffahrt sind heute schon auf Grund der Konfiguration ihrer Streckennetze und ihrer Systemspezifika - ungeachtet der umweltpolitisch durchaus wünschenswerten Stärkung ihrer Bedeutung - nicht in der Lage, eine Trendumkehr im Wettbewerb der landgebundenen Verkehrsträger zu bewirken1. Die österreichische Verkehrspolitik ist in die europäische Verkehrspolitik eingebunden (vgl das Weißbuch der Kommission „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellungen für die Zukunft“2). Obzwar die Regelung von Bau und Erhaltung von Verkehrsinfrastruktur weiterhin in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt, gibt die Union auch für den Bereich der (Verkehrs-)Infrastruktur einen Rahmen vor, der insbesondere in der Leitlinie zum Aufbau transeuropäischer Verkehrsnetze (TEN-Leitlinie)3 niedergelegt ist. Die österreichische Verkehrsinfrastrukturpolitik ist im „Generalverkehrsplan Österreich 2002“4 niedergelegt. Der Generalverkehrsplan legt die verkehrspolitischen Ziele und Grundsätze fest. Der Plan enthält weiters ein „Infrastrukturprogramm“ für Straße, Schiene und Donau, in dem eine Bewertung (insbesondere im Hinblick auf die Finanzierbarkeit) und Priorisierung der zu realisierenden Verkehrsprojekte vorgenommen wird. Die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Verkehrsinfrastruktur sind auf die Gestaltung grenzüberschreitender Verkehrsnetze
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Kommission „Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ im Auftrag des (deutschen) Bundesministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen - Schlussbericht (Pällmannstudie) 2000, 16. KOM 2001, 370. FN 67. Abrufbar unter www.bmvit.gv.at/verkehr/gesamtverkehr/general-verkehrsplanung/.
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beschränkt.5 Auf das österreichische Straßennetz bezogen, entspricht dies in etwa dem hochrangigen Straßennetz, für dessen Ausbau und Erhaltung seit 1. Jänner 1997 ein ausgegliederter Rechtsträger, die Autobahnen- und Schnellstraßen Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG), zuständig ist. In etwa entlang dieser Trennlinie hochrangiges/niederrangiges Straßennetz verläuft nunmehr auch die Abgrenzung der Straßenrechtskompetenzen von Bund und Ländern. Nach mehreren Anläufen6 kam es 2002 zu einer „Verländerung“ der so genannten Bundesstraßen B: Mit dem in Art 5 des BundesstraßenÜbertragungsgesetzes7 erlassenen Bundesgesetz über die Auflassung und Übertragung von Bundesstraßen wurden die bisher im Verzeichnis 3 des BStG angeführten Bundesstraßen B als Bundesstraßen aufgelassen; auf Grund der Kompetenzrechtslage (Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG) fallen diese Straßen damit in die Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz der Länder. Damit findet auch die Rechtsfigur der Auftragsverwaltung gemäß Art 104 Abs 2 B-VG (Verwaltung des Bundesvermögens durch den Landeshauptmann im Auftrag des Bundes)8 keine praktische Anwendung mehr, weil Bau und Erhaltung der Bundesstraßen (nunmehr nur noch Autoahnen und Schnellstraßen) durch die ASFINAG besorgt wird und Bau und Erhaltung des restlichen öffentlichen Straßennetzes in Eigenverantwortung der Länder und Gemeinden erfolgt.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft a) Der Titel „Verkehr“ Die Verkehrspolitik9 ist als eine der sektoriellen Politiken ausdrücklich im EGVertrag (Titel V) erwähnt. Wie bei der Landwirtschaft, der ebenfalls ein eigner Titel gewidmet ist, wollten die Gründerstaaten durch die Regelung in einem eigenen Titel den Besonderheiten des Verkehrsmarktes im Hinblick auf das allgemein-marktwirtschaftliche Konzept des EG-Vertrages Rechnung tragen10.
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Dies ergibt sich schlicht dem Begriff „transeuropäisch“ [siehe dazu oben I.B.1.e)], für die Zuständigkeit zur Erlassung der „sonstigen zweckdienlichen Vorschriften“ (Art 71 Abs 1 lit d EG-Vertrag) aus dem Subsidiaritätsprinzip. Vgl dazu die Übersicht in der Vorauflage, 809. BGBl I 2002/50. Zur rechtlichen Gestaltung der Auftragsverwaltung im Bereich der Bundesstraßen siehe die Vorauflage, 810 f. Aus systematischen Gründen werden an dieser Stelle die Grundsätze der EGVerkehrpolitik für alle Verkehrsträger dargestellt, sodass bei der Darstellung der einzelnen Verkehrssektoren nur noch ausnahmsweise Bestimmungen des Titels V EG-Vertrag beschrieben werden. Erdmenger, in: von der Gröben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag I5, 1997; Vor-Art 74 bis 84, Rz 7. Zu den Besonderheiten des Verkehrs siehe Kahl, Personennahverkehr, 112 ff. Kritisch zu den „Besonderheiten“ des Verkehrsmarktes Nemitz, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 4, Rz 88, und Stolzlechner, Verkehrsgewerberecht, 9.
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Über die rechtliche Qualifikation der Zuweisung in einen eigenen Titel in Bezug auf die allgemeinen Bestimmungen des EG-Vertrages bestand lange Uneinigkeit bis diese Streitfrage vom EuGH im „Seeleute-Urteil“11 entschieden wurde, in welchem sich der Gerichtshof der Ansicht der Kommission von der Universalität des EG-Vertrag anschloss12. Danach verdrängen die Vorschriften des Titels Verkehr insbesondere die Grundsatzbestimmungen der in Ex-Art 2 und 3 EG-Vertrag beschriebenen Vertragsziele nicht, sondern dienen dazu, diese Vorschriften zu ergänzen13. b) Trennung in Binnenverkehrsträger einerseits und See- sowie Luftfahrt andererseits Art 80 Abs 1 EG-Vertrag bestimmt, dass der Titel „Verkehr“ auf den Luftverkehr und den Seeverkehr nicht anzuwenden ist, der Anwendungsbereich der Art 70 bis 79 EG-Vertrag ist daher auf die Binnenverkehrsträger (Straße, Schiene und Binnenschifffahrt) beschränkt14. Dieser eigentümliche Aufbau des Titels Verkehr erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte des EWGV. Bestanden unter den Gründerstaaten schon über die Gestaltung der Verkehrpolitik für Binnenverkehrsträger erhebliche Auffassungsunterschiede15, konnte man sich auf eine rechtliche Ordnung für die typischerweise eher interkontinentalen Verkehrsträger Luftfahrt und Seeschifffahrt, die vorwiegend Drittstaatsbezug aufweisen und, was den Luftverkehr betrifft, in eine multilaterale Ordnung eingebunden sind, nicht einigen. Mit der Ermächtigung des Rates, damals noch einstimmig16 die Luftverkehrspolitik zu gestalten, haben die Gründerstaaten die Entscheidung über die gemeinsame See- und Luftverkehrspolitik gleichsam vertagt. Die im EG-Vertrag vorgenommene Trennung in Binnenverkehrsträger einerseits und See- und Luftfahrt andererseits ist daher historisch bedingt. Sie ist aus heutiger Sicht jedoch sachlich nicht begründet und sollte rechtspolitisch überwunden werden17. c) Materieller Gehalt der Zuständigkeitsvorschrift Nach Art 70 EG-Vertrag verfolgen die Mitgliedstaaten die Ziele des Vertrages im Rahmen einer gemeinsamen Verkehrspolitik. Der Kompetenztatbestand „Verkehr“ ist jedoch nicht umfassend zu verstehen, sondern eingeschränkt auf die Beförderung von Personen und Sachen18 als Dienstleistung19. Die Bestim11 12 13 14 15 16 17 18
EuGH, Rs 167/73, Slg 1974, 359, insb Rz 24 bis 28. Näher Lenz, Die Verkehrspolitik der Europäischen Gemeinschaften im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes, EuR, 1988, 158 (160). Erdmenger, Die Anwendung des EWG-Vertrages auf Seeschiffahrt und Luftfahrt, 1962, 67 f, bezeichnet dies als „Konkurrenzverhältnis der Addition“. Zur Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Bereich der gewerblichen Luftfahrt siehe unten Kapitel 4 I.B.1. Frohnmeyer, in: Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union 1, Vor-Art 70 EG-Vertrag, Rz 4. Seit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte entscheidet der Rat mit qualifizierter Mehrheit. Erdmenger (FN 10), Art 84, Rz 3 und Art 74 EG-Vertrag, Rz 12. Nicht erfasst ist der Rohrleitungsverkehr, die Übermittlung elektrischer Energie und der Nachrichtenverkehr; Erdmenger (FN 10), Art 74 EG-Vertrag, Rz 2.
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mungen des Vertrages sind also auf die Verkehrsleistung, das durch den Verkehr geschaffene wirtschaftliche Gut bezogen. Über die Anordnung zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit hinaus fallen aber auch Vorschriften über technische und organisatorische Einrichtungen der Dienstleistungserbringung, über Eigenverkehr und Nebengewerbe, sowie hinsichtlich der Verkehrssicherheit, technischem und sozialem Fortschritt und der Verkehrsinfrastruktur in die Zuständigkeit der Gemeinschaft. Für die Verkehrsinfrastruktur gilt nebenher insbesondere der Titel XV EG-Vertrag über die transeuropäischen Netze; die Gesetzgebung für transeuropäische Verkehrsnetze ist aber weiterhin Teil der gemeinsamen Verkehrspolitik20. d) Mittel der gemeinsamen Verkehrspolitik Zur Durchführung der gemeinsamen Verkehrspolitik kann der Rat im Verfahren der Mitentscheidung nach Art 251 EG-Vertrag Rechtsvorschriften in folgenden Bereichen (Art 71 Abs 1 EG-Vertrag) erlassen: • Gemeinsame Regeln für den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates oder für den Durchgangsverkehr durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten (Art 71 Abs 1 lit a EG-Vertrag). • Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaates, in dem sie nicht ansässig sind (Art 71 Abs 1 lit b EG-Vertrag). • Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit (Art 71 Abs 1 lit c EG-Vertrag). • Alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften (Art 71 Abs 1 lit d EGVertrag). Die in Art 71 Abs 1 EG-Vertrag angesprochenen Maßnahmen fallen teils in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft (Art 71 Abs 1 lit a und b EG-Vertrag), bei Art 71 Abs 1 lit c und d EG-Vertrag handelt es sich um konkurrierende Zuständigkeiten21. Die Zuständigkeit auf Grund der Generalklausel des Art 71 Abs 1 lit d EG-Vertrag ermächtigt zur Erlassung von Vorschriften, die dem Zweck der Verwirklichung der Ziele des Vertrages im Transportsektor dienen22, jedoch unter strenger Beachtung des Subsidiaritätsprinzips nur so weit, als einzelstaatliche Maßnahmen zur Erreichung des Gemeinschaftsziels nicht ausreichen.23
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Erdmenger (FN 10), Art 74 EG-Vertrag, Rz 2; Frohnmeyer (FN 15), Art 70 EGVertrag, Rz 1. Erdmenger (FN 10), Art 74 EG-Vertrag, Rz 4; Frohnmeyer (FN 15), Art 70 EGVertrag, Rz 3. Frohnmeyer (FN 15), Art 71 EG-Vertrag, Rz 1. Dies ist für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips (Art 5 EG-Vertrag) von Bedeutung, weil dieses sich nur in Bereichen auswirken kann, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, [Erdmenger (FN 10), Art 75 EG-Vertrag, Rz 52]. Erdmenger (FN 10), Art 75 EG-Vertrag, Rz 48. Frohnmeyer (FN 15), Art 71 EG-Vertrag, Rz 33.
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e) Transeuropäische Netze Durch den EU-V ist der Titel XII, nunmehr Titel XV (Art 154-156 EGVertrag), über die transeuropäischen Netze in den Bereichen Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur in den EG-Vertrag eingefügt worden. Bis zum Inkrafttreten des EU-V wurden infrastrukturpolitische Rechtsakte der Gemeinschaft auf Ex-Art 75 Abs 1 lit d EG-Vertrag gestützt. Seither dürfen Rechtsakte, welche die Verkehrsinfrastruktur betreffen, nur noch aushilfsweise auf die Art 71 Abs 1 lit d und Art 80 Abs 2 EG-Vertrag (See- und Luftverkehrsinfrastruktur) gestützt werden. Gleichwohl gehört die Gestaltung der transeuropäischen Verkehrswege nach Art 154 EG-Vertrag weiterhin zur gemeinsamen Verkehrspolitik iSd Art 70 ff EG-Vertrag24. Mit dem Auf- und Ausbau der transeuropäischen Netze soll ein Beitrag zur Verwirklichung des Binnenmarktes und zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft geleistet werden.25 Von grundsätzlicher Bedeutung ist, dass die Gemeinschaft zum Auf- und Ausbau der Infrastrukturnetze bloß „beiträgt“, das heißt, Herren über Planung, Bau und Betrieb der Infrastruktur bleiben in erster Linie die Mitgliedstaaten oder deren Gebietskörperschaften.26 Durch den Begriff „transeuropäisch“ wird angeordnet, dass die Gemeinschaft auf den grenzüberschreitenden Zusammenhang der Netze hinzuwirken hat, der Begriff „Netz“ stellt in den Vordergrund, dass es sich um Verbindungslinien und um die Ausgestaltung von Knoten- und Schnittstellen dieser (transeuropäischen) Linien handelt27 sowie der Interoperabilität der Netze Beachtung zu schenken ist28.
Nach Art 155 Abs 2 EG-Vertrag haben die Mitgliedstaaten untereinander in Verbindung mit der Kommission die einzelnen Politiken, die sich erheblich auf die Verwirklichung von transeuropäischen Netzen auswirken können, zu koordinieren. Die Gemeinschaft kann gemäß Art 155 Abs 3 EG-Vertrag beschließen, mit dritten Ländern zur Förderung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse sowie zur Herstellung der Interoperabilität der Netze zusammenzuarbeiten, womit der Gemeinschaft eine konkurrierende Kompetenz eingeräumt wird.29 Zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Verkehrsnetze stellt die Gemeinschaft Leitlinien auf (Art 155 Abs 1 EG-Vertrag), siehe dazu unten bei I.C.2.b). f) Verkehrspolitischer Handlungsspielraum der Gemeinschaft gegenüber Drittstaaten Die Reichweite der Vertragsschließungsgewalt der Europäischen Gemeinschaften, also ob und inwieweit die EG zum Abschluss von Abkommen mit Dritt-
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Frohnmayer (FN 15), Vor-Art 129 b bis d EG-Vertrag, Rz 11. Ausführlich: Erdmenger, in: von der Gröben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag III5, 1999, Art 129 b, Rz 13. Erdmenger (FN 25), Art 129 b, Rz 3. Erdmenger (FN 25), Art 129 b, Rz 2. Frohnmayer (FN 15), Vor-Art 129 b bis d EG-Vertrag, Rz 3. Erdmenger (FN 25), Art 129 c EG-Vertrag, Rz 43.
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staaten berechtigt sind, ist nicht zuletzt im Anschluss an das WTO-Gutachten30 eine äußerst strittige Frage31. Für den Verkehrsbereich kann als gesichert angenommen werden, dass internationale Verkehrsabkommen nicht in den Bereich der GHP nach Art 133 EG-Vertrag fallen32 und eine sonstige ausdrückliche ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft in Bezug auf Verkehrsabkommen im EG-Vertrag nicht enthalten ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH33 verlieren die Mitgliedstaaten aber das Recht zum Eingehen von Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten in dem Ausmaß, wie gemeinsame Rechtsnormen erlassen wurden, die durch Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber Drittstaaten beeinträchtigt werden können. Diese Rechtsprechung, welche Teile der Lehre bereits veranlasste, vom Parallelismus zwischen Innen- und Außenkompetenzen zu sprechen34, hat allerdings im Gutachten 1/94 zwei Einschränkungen erfahren: Zum einen stellt der Gerichtshof im Gutachten 1/94 für das Entstehen einer externen Zuständigkeit in Bezug auf den Handel mit Dienstleistungen darauf ab, ob die Gemeinschaft in ihre internen Rechtsetzungsakte Klauseln über die Behandlung von Drittstaatsangehörigen aufgenommen hat, zum anderen - selbst in Ermangelung einer derartigen Klausel entsteht nach dem Gutachten 1/94 eine externe Zuständigkeit nur dann, wenn die Gemeinschaft eine vollständige Harmonisierung des Zuganges zu einer selbständigen Tätigkeit verwirklicht hat35. Eine abstrakte Abgrenzung der Vertragsschließungsgewalt kann daher nur schwer vorgenommen werden, sondern ist von Fall zu Fall je nach Entwicklung des Sekundärrechts zu treffen.
Im seinem auf Grund eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen mehrere Mitgliedstaaten, darunter Österreich, wegen des Abschlusses von Luftverkehrsabkommen der Type „Open skies“ ergangenen Urteil36 hat der Gerichtshof diese im Gutachten 1/94 skizzierte Abgrenzung bestätigt.
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit a) Entwicklung der Zuständigkeit zur Regelung des Straßenwesens Straßenrechtliche Vorschriften gehen historisch gesehen bis auf das römische Recht zurück37, Straßenrecht im Sinne eines öffentlichen Wegerechts entwickelte sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts38. Aus straßenrechtlicher Sicht sind öffentliche Straßen von Privatstraßen zu unterscheiden. Öffentliche Straßen 30 31
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EuGH, Gutachten 1/94, Slg 1994, I-5267. Hilf, Ungeschriebene EG-Kompetenzen im Außenwirtschaftsrecht, ZfV 1997, 293; Gilsdorf, Die Gemeinsame Handelspolitik - Eine ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft?, ZfV 1996, 793. Zustimmend im Ergebnis auch Bentzien, Die Zuständigkeit der EU für Luftverkehrsabkommen mit Drittstaaten, ZLW 1998, 439 (446). EuGH, Rs 22/70, AETR, Slg 1971, 263; EuGH, verb Rs 3, 4 und 6/76, Kramer, Slg 1976, 1219; Rz 19/20; EuGH, Gutachten 1/76, Slg 1977, 741, Rz 3 und Gutachten 1/94, FN 30, Rz 77. Schweitzer/Hummer, Europarecht5, 1996, Rz 654. Näher Resch, Das Recht der Luftfahrtunternehmen, 2001, 66 f. Unter anderem EuGH, Rs C-466/98, Kommission gegen Vereinigtes Königreich, Slg 2002, I-9496 (= ÖZW 2003/112 mit Anmerkung von Resch). Vgl insbesondere die Schlussanträge des Generalanwalts, welche eine breite Übersicht der Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Fragen der Außenkompetenzen der Gemeinschaft bieten. Krzizek, 1. Krzizek, 4.
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sind solche, an denen Gemeingebrauch besteht, an einer Privatstraße besteht kein Gemeingebrauch39. Aus dem Blickwinkel der Kompetenzverteilung der österreichischen Bundesverfassung40 betrachtet sind öffentliche Straßen entweder Bundesstraßen, für die das BundesstraßenG41 gilt, oder Landesstraßen deren Bau und Erhaltung in den einzelnen Landesstraßengesetzen42 geregelt ist. Mit Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG wurde eine Kompetenz-Kompetenz des einfachen Bundesgesetzgebers geschaffen.43 Indem der Bundesgesetzgeber bestimmte Straßenzüge zu Bundesstraßen erklärt, begründet er seine eigene Zuständigkeit zur Regelung der Angelegenheiten dieser Straße. Der Bundesgesetzgeber ist dabei lediglich daran gebunden, dass es sich um Straßen handelt, die gegenwärtig oder auch erst nach deren Bau44 für den Durchzugsverkehr von Bedeutung sind. Strittig war ursprünglich die Bedeutung des Kriteriums „Durchzugsverkehr“. Entgegen Winkler45, welcher verlangt, dass Endpunkte des Bundesstraßennetzes nur Grenzorte sein dürfen, hat sich in der Lehre eine von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gebilligte, weniger restriktive Interpretation durchgesetzt, welche für das Vorliegen des Tatbestandes bloß ein überregionales Verkehrsaufkommen voraussetzt.46 Aus versteinerungstheoretischer Sicht ist Folgendes festzuhalten: Die Erklärung zu Bundesstraßen erfolgte durch ein Straßenverzeichnis (§ 1 Abs 1 iVm den Verzeichnissen in BStG 192147), welches bestimmte Relationen (von, über, nach) fixiert. Was alles die bauliche Anlage Bundesstraße ausmacht wurde durch diese Erklärung zu Bundesstraßen nicht festgelegt, dies war vielmehr den §§ 12 und 24 BStG 1921 zu entnehmen. Darin wurde nicht nur die Fahrbahn zum Bestandteil der Straße erklärt, sondern auch andere bauliche Anlagen wie „Straßengräben, Stütz- und Futtermauern, Brücken, Durchlässe u.dgl.“. Die Einrichtung der Bundesstraßen mit all ihren Teilen unterlag nicht den Bauordnungen der Länder, sie wurde vielmehr als eine Straßen-, näher als eine Bundesstraßenrechtsangelegenheit verstanden.
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Merli, Gemeingebrauch, 191 f. Die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern im Straßenwesen besteht jedenfalls seit der Verfassung von 1867. Gemäß Art 11 lit d des Staatsgrundgesetzes über Reichsvertretung (RGBl 1867/141) war das „Reichskommunikationswesen“ in Gesetzgebung und Vollziehung Reichssache, während die übrigen Angelegenheiten des öffentlichen Wegerechts in Gesetzgebung und Vollziehung den Ländern zustanden. Die Aufteilung knüpfte ausschließlich an die rechtliche Qualität der Straße an: Danach war der Reichstag für Reichsstraßen (Staatsstraßen, erarische Straßen) zuständig, die Länder dagegen für alle übrigen Straßen. Die Einrichtung der Republik Österreich hat die verfassungsrechtliche Situation auf dem Gebiet des Straßenwesens nur unwesentlich geändert. BGBl 1971/286 idF BGBl I 2006/58. Zur den einzelnen Kategorien von Landesstraßen siehe G. Baumgartner, 244. Öhlinger, Verfassungsrecht,1997, 108; Walter, Bundesverfassungsrecht, 1972, 190; Hecht, Nachbarn, 7; Wiederin, Bundesrecht und Landesrecht, 1995, 101, der von einer Bedarfskompetenz des Bundes spricht. Hecht, Nachbarn, 7. Winkler, 66. Öhlinger, ZVR 1979, 258. BGBl 1921/387.
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b) Abgrenzung von anderen Kompetenztatbeständen Straßenpolizei: Seit der B-VG-Novelle 1925 sind Angelegenheiten des Straßenwesens von der Straßenpolizei abzugrenzen, die vor Inkrafttreten der zitierten B-VG-Novelle eine kompetenzrechtliche Einheit bildeten48. Nach der neueren Rechtssprechung des VfGH49 ist für die Abgrenzung zwischen Straßenpolizei und Straßenangelegenheiten im engeren Sinne entscheidend, ob die Regelung letztendlich der Ermöglichung des Gemeingebrauches oder aber der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs dient. Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP): Gemäß Art 11 Abs 1 Z 7 B-VG ist UVP für Vorhaben, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, Bundessache in Gesetzgebung und Landessache in Vollziehung. Davon ausgenommen sind gemäß Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG letzter Halbsatz idF der mit der UVP-G-Novelle 2004 mitbeschlossenen B-VG Novelle50 „Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung für Bundesstraßen und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist.“ Für diese Angelegenheiten ist der Bund in Gesetzgebung und Vollziehung zuständig. Raumplanungskompetenz der Länder: Aus dem Blickwinkel der Raumplanung betrachtet beinhaltet Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG für alle darin angeführten Verkehrssektoren eine so genannte Fachplanungskompetenz des Bundes. In seinem Kompetenzfeststellungserkenntnis VfSlg 2674/1954 hat der VfGH mit der Geltungskraft einer bundesverfassungsgesetzlichen Bestimmung festgestellt, dass die Raumordnung51 insoweit Landessache ist, „als nicht etwa einzelne dieser planenden Maßnahmen, wie im besonderen solche auf den Gebieten des Eisenbahnwesens, des Bergwesens, des Forstwesens und des Wasserrechts, nach Art 10-12 B-VG in der Fassung 1929 der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes ausdrücklich vorbehalten sind.“ Schon seinem Wortlaut nach lässt der Bundesstraßenkompetenztatbestand erkennen, dass er auch zu jenen Kompetenztatbeständen zählt, die im zitierten Rechtssatz von VfSlg 2674/1954 als Ausnahmen von der Raumplanungskompetenz der Länder angesprochen sind52. In seiner Reichweite erstreckt sich die Fachplanungskompetenz nicht nur auf den Straßenkörper als solchen, sondern auf alle mit der Bundesstraße in einem funktionellen Zusammenhang stehende Bestandteile der Bundesstraße53, das sind, unbeschadet einer weiteren systematischen Fortentwicklungsmöglichkeit des Versteinerungsmaterials durch den Bundesgesetzgeber54, die in § 3 BStG aufgezählten Bestandteile der Bundesstraße.
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Öhlinger, ZVR 1979, 260. VfSlg 12.187/1989. Art 1 UVP-G-Novelle 2004, BGBl I 2004/153. „Die planmäßige und vorausschauende Gesamtgestaltung eines Gebietes in bezug auf seine Verbauung, insbesondere für Wohn- und Industriezwecke einerseits und für die Erhaltung von im Wesentlichen unbebauten Flächen andererseits ...“. Pernthaler, Raumordnung und Verfassung I, 1975, 146; Rill/Schäffer, 37; Rill, ZfV 1980, 100 (101) mwH. Rill, ZfV 1980, 100 (104). Vgl die demonstrative Aufzählung in § 24 Abs 1 BStG 1921, BGBl 1921/387: „Straßengräben, Stütz- und Futtermauern, Brücken, Durchlässe u.dgl.“.
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Baurechtskompetenz der Länder: Im Schrifttum55 wird das Verkehrswesen als ein Kompetenztatbestand verstanden, der eine Sonderbaurechtskompetenz für bauliche Anlagen miteinschließt, und zwar im Sinne der in VfSlg 2685/1954 umschriebenen funktionellen Zweckwidmung. Dies gilt auch für Bundesstraßen, denn es ist kein einsichtiger Grund zu finden, weshalb der Unterschied in der Art der Verkehrswege (Straße, Schienen- und Seilwege, Flugplatz und Luftweg, Wasserweg) mit einer unterschiedlichen kompetenzrechtlichen Einordnung des Baurechts betreffend Verkehrsanlagen verbunden sein soll, sind doch alle Verkehrsträger im selben Kompetenztatbestand enthalten. Im Zweifel darf auch dem Verfassungsgesetzgeber eine sachlich nicht einsichtige Differenzierung nicht zugesonnen werden. Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG enthält daher Sonderbaurechtskompetenzen für Bundesstraßen nach Maßgabe des in VfSlg 2685/1954 angesprochenen unlöslichen Zusammenhangs.
Naturschutzkompetenz der Länder: Seit dem Semmering-Basis-TunnelErkenntnis des VfGH56 ist klargestellt, dass das Naturschutzrecht der Länder auf sämtliche Vorhaben der in Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG angeführten Verkehrssektoren grundsätzlich anzuwenden ist57.
Für Bundesstraßen wurde schon relativ früh anerkannt, dass kumulativ zu den nach den bundesrechtlichen Vorschriften erforderlichen Bewilligungen und der Trassenfestlegung durch VO die Landesgesetzgebung befugt ist, Bewilligungstatbestände unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes anzuordnen.58 Im Sinne des Semmering-BasisTunnel-Erkenntnisses müssen jedoch im Rahmen einer zwingend erforderlich naturschutzrechtlichen Interessensabwägung die Interessen der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft Berücksichtigung finden.
3. Rechtsverwirklichung im Bereich des Straßenwesens a) Zusammenspiel von Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung Die Rechtsverwirklichung im Straßenwesen erfolgt durch ein Zusammenspiel von hoheitlichen Akten der Straßenrechtsbehörde mit Maßnahmen der Privatwirtschaftsverwaltung oder des privatrechtlichen Handelns ausgegliederter Rechtsträger unter Aufsicht staatlicher Behörden. Während die Fachplanungsakte und die Durchsetzung der Planungsakte mit hoheitlichen Mitteln, sei es durch VO oder Bescheid, gesetzt werden, sind Bau und Erhaltung von Straßen 55
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Krzizek, System des österreichischen Baurechts I, 1972, 157; Geuder, Österreichisches Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, 1996, 43; Mayer, Baurechtskompetenz und Luftfahrtwesen, bbl 1998, 3. AA Morscher, 535. VfSlg 15.552/1999. Zu Hintergrund und Entstehung des Erkenntnisses Mayer, Jenseits des Rechtsstaates. Zur rechtlichen Pathologie des Semmering-Basistunnels, JRP 2000, 248. Bezüglich Bundesstraßen vgl auch VwGH 24.9.1999, 98/10/0347, das ausdrücklich auf das Erkenntnis des VfGH Bezug nimmt und VwGH 29.5.2000, 2000/10/0021. Raschauer, Naturschutzrecht und Verfassung, in: Potacs (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Naturschutzrecht, 1999, 1 (8); Liehr/Stöberl, Kommentar zum NÖ Naturschutzgesetz, 1986, 17. AA Mayer, Die Kompetenzen des Bundes zur Regelung des Eisenbahnwesens, ÖJZ 1996, 292 (295) und Hecht, Nachbarn, 26.58 Bußjäger, Verfassungsrechtliche Fragen der Anwendung des Naturschutzrechtes der Länder auf Verkehrsprojekte, RdU 2000, 83 (84).
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sowohl nach dem BStG wie nach den einzelnen Landesstraßengesetzen Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung - genauer der Vorsorgeverwaltung59. Das BStG bringt dies etwa dadurch zum Ausdruck, dass es durchgehend zwischen der „Behörde“ und der „Bundesstraßenverwaltung“ (Bund als Träger von Privatrechten) unterscheidet. Die jeweilige Straßenverwaltung trifft die Straßenerhaltungspflicht und eine allfällige Haftung aus der Verletzung dieser Pflicht. Die Straßenbaulast trägt im Allgemeinen der hinter der zuständigen Straßenverwaltung stehende Rechtsträger, in Ortsgebieten haben die Gemeinden für bestimmte Kosten der Bundes- bzw. Landesverwaltung aufzukommen und gewisse Arbeiten zu leisten.
Die straßenbehördliche Vollziehung für Angelegenheiten der Bundesstraßen ist seit B-VG-Novelle 197460 in mittelbarer Bundesverwaltung zu besorgen. b) Bundesstraßen Die Straßenverwaltung für Bundesstraßen (Bundesstraßenverwaltung) ist ausschließlich die ASFINAG: § 34b BStG scheint zwar auch noch andere Formen zuzulassen, weil die Bestimmung anordnet, dass nur hinsichtlich jener Bundesstraßen, über welche die ASFINAG mit dem Bund einen Fruchtgenussvertrag geschlossen hat, alle Rechte und Pflichten des Bundes der ASFINAG zukommen. Gemäß § 2 Abs 1 ASFINAG-ErmächtigungsG61 ist der ASFINAG jedoch der Fruchtgenuss an allen Bestandteilen bestehender und künftig zu errichtender Bundesstraßen einzuräumen, sodass (bis auf weiteres) die ASFINAG an allen Bundesstraßen fruchtgenussberechtigt ist folglich gemäß § 34b BStG auch die Bundesstraßenverwaltung für alle Bundesstraßen ist.
c) Landesstraßen Für alle übrigen Straßen, Landesstraßen iSd Art 15 B-VG, erfolgt die Rechtsverwirklichung ebenfalls durch ein Zusammenspiel von Hoheitsverwaltung und Privatwirtschaftsverwaltung. Die hoheitliche Vollziehung erfolgt in unmittelbarer Landesverwaltung. Straßenverwaltung ist entweder das Land oder die Gemeinde (Landes- oder Gemeindestraßenverwaltung).
C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen 1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die Erlassung nationaler Rechtsvorschriften Mit der Entscheidung des Rates vom 21. 3. 1962 über die Einführung eines Verfahrens zur Prüfung und Beratung künftiger Rechtsvorschriften für den Straße, Schiene und Binnenschifffahrt62 wurde ein „Konsultationsverfahren“ zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten vor Erlassung nationaler Verkehrsvorschriften, welche geeignet sind, die Verwirklichung der gemeinsamen Verkehrspolitik wesentlich zu berühren, vorgeschrieben. In verschiedenen 59 60 61 62
Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung, 1993, 235. BGBl 1974/444. Art 1 Infrastrukturfinanzierungsgesetz 1997, BGBl I 1997/113. Abl 23/720 idF der Entscheidung 73/402/EWG, Abl L 347/48.
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Bereichen wurde der Rats-Entscheidung allerdings durch Sekundärrecht bereits derogiert. So ist etwa für den Bereich der WegekostenRL (RL 1999/62/EG) das Vorabinformations- und Abstimmungsverfahren nach Art 2 der Entscheidung des Rates durch eine nachträgliche Mitteilungspflicht der Mitgliedstaaten ersetzt worden, soweit die Mitgliedstaaten im Rahmen der Richtlinie handeln63.
2. Infrastrukturpolitische Maßnahmen der Gemeinschaft a) Verkehrswege des Straßenverkehrs Bereits im Hinblick auf ein künftiges Abgeltungssystem für die Benützung der Verkehrswege hat die V (EWG) Nr 1108/7064 den Mitgliedstaaten ein einheitliches Verbuchungsschema für ihre Ausgaben für Verkehrswege vorgegeben, woran anknüpfend die V (EWG) Nr 2598/7065 den Begriff der Straße durch eine Aufzählung der den Verkehrsweg des Straßenverkehrs umfassenden Anlagen beschreibt. b) Leitlinien zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Verkehrsnetze Zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Verkehrsnetze (TEN-V) stellt die Gemeinschaft Leitlinien auf (Art 155 Abs 1 EG-Vertrag). Leitlinien werden gemäß Art 156 EG-Vertrag im Verfahren der Mitentscheidung erlassen und sollen insbesondere Ziele, Prioritäten und Grundzüge der Maßnahmen enthalten. Weiters sollen „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ ausgewiesen werden66. Die geltende Leitlinie für die Verkehrsinfrastruktur ist die Entscheidung 1692/96/EG über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes67. Welche Strecke jeweils Teil des TEN-V ist, ergibt sich aus den Karten in Anhang I der Leitlinie, die „Vorhaben von gemeinsamen Interesse“ ergeben sich aus den in den Karten als „geplant“ bezeichneten Abschnitten des Netzes. Art 2 der Leitlinie fasst die Ziele für die Verkehrsinfrastrukturplanung zusammen und stellt entsprechend der Übung in den nationalen Verkehrswegeplänen einen Zeithorizont (das Jahr 2020) für den Aufbau des transeuropäischen multimodalen Verkehrsnetzes auf. Art 5 der Leitlinie enthält Prioritätenreihungen68. Die Liste in Anhang III stellt in Verbindung mit Art 19 und Art 19a der Leitlinie eine vorsichtige Form dar, 30 ausge63
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Dieses Ergebnis folgt insbesondere aus Art 7 Abs 2 b RL 1999/62/EG, wonach das Verfahren nach der Entscheidung des Rates ausnahmsweise doch noch Anwendung findet, wenn Maut- und Benutzungsgebühren „auch für die Benutzung anderer Abschnitte des primären Straßennetzes erhoben werden“ sollen. Die ausdrückliche Erwähnung der Verfahrensweise nach der Entscheidung des Rates an (nur) dieser Stelle ergibt im Umkehrschluss, dass im Übrigen lediglich das Verfahren nach Art 12 Abs 2 RL 1999/62/EG Anwendung findet. Abl L 130/4. Abl L 278/1. Erdmenger (FN 25), Art 129 c, Rz 3. Abl L 228/1 idF der Entscheidung 884/2004/EG, Abl L 167/1. Hinsichtlich der Rechtswirkung der Leitlinien ist nicht zu verkennen, dass den Mitgliedstaaten Verhaltenspflichten auferlegt werden, diese aber nicht verpflichtet werden, das Ergebnis zu gewährleisten; insoweit haben die Leitlinien eher Orientierungscharakter. Näher Erdmenger (FN 25), Art 129 c, Rz 16-18. Ausführlich zur TEN-Leitlinie: Frohnmeyer, 131, Rz 1. Zu den Prioritäten: Frohnmeyer, 131, Rz 47.
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wählten Großvorhaben im Verkehrsnetz eine zeitliche Priorität einzuräumen (so genannte vorrangige Vorhaben). Für diese Projekte enthält Art 19a der Leitlinie Sonderfinanzierungsvorschriften. Zur koordinierten Durchführung der Vorhaben kann die Kommission auf Grund und nach dem Verfahren gemäß Art 17a der Leitlinie eine Person als „Europäischen Koordinator“ bestellen. Mit der Entscheidung 884/2004/EG wurde die Liste der vorrangigen Vorhaben nach Anhang III der Leitlinie erheblich erweitert. Für Österreich von besonderer Bedeutung ist dabei die Eisenbahnachse BerlinVerona/Mailand-Bologna-Neapel-Messina-Palermo, mit den Abschnitten KufsteinInnsbruck und Brenner-Tunnel (Art III Z 1), die Eisenbahnachse Paris-StraßburgStuttgart-Wien-Bratislava, mit den Abschnitten München-Salzburg, Salzburg-Wien und Wien-Bratislava (Art III Z 17), die Eisenbahnachse Athen-Sofia-Budapest-Wien-PragNürnberg/Dresden mit den Abschnitten Budapest-Wien und Prag-Linz (Art III Z 22), die Eisenbahnachse (Gdansk)Danzig-Warschau-Brno(Brünn)/Bratislava-Wien (Art III Z 23) und die Autobahnachse (Gdansk)Danzig-Brno(Brünn)/Bratislava-Wien mit dem Abschnitt Autobahn Brno(Brünn)-Wien (Art III Z 25).
Bei all ihren Maßnahmen hat die Gemeinschaft die potenzielle wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Vorhabens zu berücksichtigen (Art 155 Abs 1 EGVertrag).69 Betreffend Zuschüsse und eine allfällige (Mit-)Finanzierung aus Gemeinschaftsmitteln ist auf die V (EG) Nr 2236/95 zu verweisen; siehe gleich unten bei c). Die Gemeinschaft hat nach Art 155 Abs 1 EG-Vertrag „Aktionen durchzuführen“, die sich als notwendig erweisen, um die Interoperabilität der Netze zu gewährleisten. Darunter sind alle Voraussetzungen für ein reibungsloses Ineinandergreifen der Netze und ihrer Teile, insbesondere die Verbundfähigkeit zu verstehen70.
Zur Herstellung der Interoperabilität spielt vor allem die Harmonisierung der technischen Standards und Normen durch den europäischen Normenausschuss (CEN) eine besondere Rolle71. Mittlerweile ist allerdings die Gemeinschaft selbst im Bereich der Interoperabilität rechtsetzend tätig geworden, weil die Kommission - zumindest was die Normung im Bereich elektronischer Mautsysteme betrifft - die in den Normungsgremien erzielten Ergebnisse offenbar für unzureichend befunden hat72 . Dies hat zur Erlassung der RL 2004/52/EG73 über die Interoperabilität elektronischer Mautsysteme in der Gemeinschaft geführt. Im Bereich der Interoperabilität von Eisenbahnen waren zuvor bereits RL über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems und des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems (RL 96/48/EG bzw 2001/16/EG) erlassen worden.
c) Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur: Haushalts- und Nutzerfinanzierung Die Gemeinschaft selbst trägt zur Finanzierung von Vorhaben zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Verkehrsnetze bei. Diese Vorhaben müssen in den Leitlinien als Vorhaben von gemeinsamem Interesse ausgewiesen sein und von 69 70 71 72
73
Näher Erdmenger (FN 25), Art 129 c, Rz 37 bis 39. Näher Erdmenger (FN 25), Art 129 c, Rz 19 f. Vgl dazu die Entschließung des Rates zum Ausbau der Telematik im Straßenverkehr, insbesondere zur elektronischen Gebührenerfassung, Abl 1997 C 194/5. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über die allgemeine Einführung und die Interoperabilität elektronischer Mautsysteme in der Gemeinschaft, KOM (2003) 132, 27 f. Abl L 166/124.
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den Mitgliedstaaten (vor-) finanziert werden. Nähere Vorschriften über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen für transeuropäische Netze enthält die V (EG) Nr 2236/9574. Die Gemeinschaft trägt auch durch den auf Grund von Art 161 EG-Vertrag errichteten Kohäsionsfonds zu Verkehrsinfrastrukturvorhaben der Mitgliedstaaten bei75. Gerade angesichts der schwierigen Haushaltslage in den Mitgliedstaaten sehen jüngere Vorschläge der Kommission eine stärkere Einbindung des privaten Sektors bei Errichtung, Betrieb, insbesondere aber bei der Finanzierung im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften (Public Private Partnerships) vor.76 Ein weiterer wesentlicher Ansatzpunkt für die Infrastrukturfinanzierung, der in engem Zusammenhang mit öffentlich-privaten Partnerschaften steht, besteht in der Erhebung von Maut- und Benützungsgebühren. Der Bereich der Maut- und Benützungsgebühren ist innerhalb des EG-Vertrages dort anzusiedeln wo die Gemeinschaftspolitiken Verkehr (wegen der Auswirkung dieser Abgaben auf den innergemeinschaftlichen Verkehr) und Steuerharmonisierung (wegen des parafiskalischen Charakters dieser Abgaben) zusammentreffen77. Zur Festlegung eines stabilen und berechenbaren Gemeinschaftsrahmens für die Erhebung von Maut- und Benützungsgebühren wurde die RL 1999/62/EG78 über die Erhebung von Gebühren für die Benützung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge (so genannte WegekostenRL) erlassen. Der Geltungsbereich der RL 1999/62/EG ist auf Kraftfahrzeugsteuern und Mautund Benützungsgebühren, die von Fahrzeugen, die ausschließlich für den Güterverkehr bestimmt sind und deren zulässiges Gesamtgewicht mindestens 12 t beträgt, begrenzt. Die Richtlinie trägt den Mitgliedstaaten zunächst auf, die einzelstaatlichen Abgabensysteme für die Verwendung von Nutzfahrzeugen anzugleichen, wofür in der Richtlinie Mindestsätze für die in den Mitgliedstaaten derzeit geltenden Kraftfahrzeugsteuern (bzw. Steuern, die gegebenenfalls die Kraftfahrzeugsteuern ersetzen) festgelegt werden (Art 3 bis 6 RL 1999/62/EG)79. Kapitel III der RL 1999/62/EG enthält nähere Vorschriften über die Einhebung von Maut- und Benützungsgebühren, zu deren Auslegung sich der EuGH jüngst im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich80 geäußert hat81. Eine Mautgebühr ist gemäß Art 2 lit b RL 1999/62/EG eine für die Fahrt eines Fahrzeuges zu leistende Zahlung, deren Höhe sich nach der zurückgelegten Wegstrecke und 74 75 76
77 78
79 80 81
Abl L 228/1 idF V (EG) Nr 1655/1999, Abl L 197/1; näher Frohnmeyer, 132, Rz 1. Näher Erdmenger (FN 25), Art 129 c, Rz 29 f. Mitteilung der Kommission zum Ausbau des transeuropäischen Verkehrssystems (Neue Formen der Finanzierung/Interoperable elektronische Mautsysteme), KOM (2003) 132, 12 ff; vgl auch das Grünbuch der Kommission zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen (KOM [2004] 327) Zu den öffentlich-privaten Partnerschaften im Bereich der Bundesstraßen vgl auch Merli, Public Private Partnership, 59. Schlussanträge des Generalanwalts in EuGH, Rs C-205/98, Kommission gegen Österreich, Slg 2000, I-7369 Rz 2. Abl L 187/42 idF RL 2006/38/EG, Abl 157/8; Zur Entstehungsgeschichte Mückenhausen, 14, Rz 7 ff; vgl auch Hummer, Faktische, politische und rechtliche Handlungsspielräume in der österreichischen Straßenverkehrspolitik, ZÖR 56 (2001) 1 (37 ff). Ausführlich Mückenhausen, 14, Rz 56 ff. EuGH, Rs C-205/98, Kommission gegen Österreich; Slg 2000, I-7401. Vgl auch VfSlg 16.107/2001 und Hummer (FN 78), 58.
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dem Fahrzeugtyp richtet (fahrleistungsabhängige Maut). Eine Benützungsgebühr hingegen ist gemäß Art 2 lit c RL 1999/62/EG eine Zahlung, die während eines bestimmten Zeitraums zur Benutzung bestimmter Verkehrswege durch ein Fahrzeug berechtigt (zeitabhängige Maut). Maut- und Benützungsgebühren dürfen nur für die Benutzung von Autobahnen82 oder anderen mehrspurigen Straßen, die ähnliche Merkmale, wie Autobahnen aufweisen, sowie für die Benutzung von Brücken, Tunnel und Gebirgspässen erhoben werden dürfen. Art 7 Abs 3 RL 1999/62/EG beinhaltet das Verbot der Doppelbemautung ein- und desselben Straßenabschnitts durch Maut- und Benützungsgebühren. Art 7 Abs 4 RL 1999/62/EG verbietet die Diskriminierung durch Maut- oder Benützungsgebühren auf Grund der Staatsangehörigkeit des Verkehrsunternehmers oder des Ausgangs- oder Zielpunktes des Fahrzeuges83. Maut- und Benützungsgebühren müssen weiters derart erhoben werden, dass dies den Verkehrsfluss möglichst wenig beeinträchtigt, keinesfalls dürfen Zwangskontrollen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft vorgesehen sein (Art 7 Abs 5 RL 1999/62/EG). Die Höhe der Benützungsgebühren ist mit den in Anhang II der RL 1999/62/EG angeführten Beträgen begrenzt; die Höhe der Mautgebühren muss sich an den Kosten für den Bau, den Betrieb und den Ausbau des betreffenden Verkehrswegenetzes orientieren84. Eine Differenzierung der Höhe der Mautgebühren nach Emissionsklassen oder Tageszeit der Benützung ist unter den Bedingungen des Art 7 Abs 10 RL 1999/62/EG zulässig.
Die Kurzbezeichnung WegekostenRL entspricht auch dem bisherigen (wenngleich nicht ausschließlichem) Inhalt der RL 1999/62/EG, wonach sich die Mautgebühren an den Kosten des betreffenden Verkehrswegenetzes zu orientieren haben. Ob und welche weiteren Kosten dem Straßenverkehr über Mautgebühren angelastet werden können und welche Vorhaben mit den Mitteln finanziert werden können (Querfinanzierung der Schiene), ist zum Zankapfel europäischer Verkehrspolitik geworden. In ihrer durch die RL 2006/38/EG85 geänderten Fassung lässt die RL 1999/62/EG nunmehr zahlreiche umweltpolitisch motivierte Differenzierungen in den Tarifen zu, und Art 7 Abs 11 RL 1999/62/EG ermächtigt zu Aufschlägen auf die Mautgebühren um bis zu 25 % in stark belasteten Regionen, sofern diese zur Finanzierung prioritärer TEN-Projekte verwendet werden.
3. Sonderregime für Beihilfen und Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen Getragen von der Vorstellung, dass die Behandlung staatlicher Beihilfen im Verkehrsbereich auf Grund der Besonderheiten des Verkehrs (Art 71 EGVertrag) besonderer, vom allgemeinen Beihilferegime der Gemeinschaft abweichender Sonderregelungen bedarf, stellt Art 73 EG-Vertrag einerseits Beihilfen zur Koordinierung des Verkehrs und andererseits Beihilfen zur Abgeltung bestimmter mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängender Leistungen vom allgemeinen Subventionsverbot frei, wobei mit der V (EWG) Nr 1191/69 und V (EWG) Nr 1107/70 detaillierte Vorschriften über 82 83 84 85
Die Definition der Autobahn in Art 2 lit a RL 1999/62/EG entspricht im Wesentlichen dem Begriff der Bundesautobahn oder Bundesschnellstraße nach BStG. Vgl EuGH (FN 80) Rz 48 ff. Vgl EuGH (FN 80) Rz 116 und EuGH 5.2.2004, Rs 157/02, Rieser Internationale Transporte. Abl 157/8.
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gemeinwirtschaftliche Leistungen und die Behandlung dieser Beihilfen erlassen wurden86. Ausführlich dazu unten Teil III I.B.
4. Völkerrechtliche Grundlagen für die Straßenverkehrsinfrastruktur Abgesehen von der Alpenkonvention87 haben die für Österreich geltenden multilateralen Abkommen nahezu gänzlich straßenpolizeilichen und kraftfahrrechtlichen Charakter oder betreffen den Marktzugang von Beförderungsunternehmen (siehe dazu unten Teil II, Kap 1, I.C.).
II. Die Genehmigung des Baus von Bundesstraßen A. Entwicklung und Systematik des Bundesstraßengenehmigungsregimes 1. Entwicklung des Bundesstraßengenehmigungsregimes In der auch heute noch praktizierten Rechtstechnik hat schon das BStG 1921 bestimmte Straßenzüge zu Bundesstraßen erklärt und deren Bau und Erhaltung dem Bund aufgetragen (§§ 1, 2, 5 BStG 1921). Die Erklärung zu Bundesstraßen erfolgte durch ein Straßenverzeichnis, in welchem bestimmte Relationen (von, über, nach) fixiert sind (§ 1 Abs 1 iVm dem Anhang BStG 1948, BGBl 1948/59). Bis zur Erlassung des BStG 1971 wurde aus dieser Gesetzeslage abgeleitet, dass auch die konkrete Festlegung der Trasse durch einen Akt der Privatwirtschaftsverwaltung zu erfolgen habe.88 Die Erlassung des BStG 1971 bedeutete in Bezug auf die hoheitlichen Planungsakte von Bundesstraßen insoweit eine Zäsur, als nunmehr gesetzlich vorgesehen wurde, dass der Straßenverlauf im Rahmen der Verzeichnisse des BStG durch Festlegung Straßenachse mit VO des zuständigen Ministers zu bestimmen ist. Weiters wurde vorgesehen, dass die Verordnungserlassung unter Bedachtnahme auf bestimmte gesetzlich festgelegte Gesichtspunkte und unter Einhaltung eines gesetzlich geregelten Verfahrens unter Beteiligung der Betroffenen zu erfolgen hat. Eine weitere Zäsur im hoheitlichen Planungsregime bedeutete die Umsetzung der UVP-RL89. Obzwar das Prinzip der verordnungsmäßigen Trassenbestimmung zunächst beibehalten wurde, wurde der Kreis der bei der Verordnungserlassung zu berücksichtigenden Kriterien erheblich verdichtet und das Gewicht innerhalb der zu berücksichtigenden Kriterien zu Gunsten des Umweltschutzes verlagert, der Kreis der im Verordnungserlassungsverfahren anzuhörenden Personen erheblich erweitert und das Verfahren stärker verrechtlicht. Die vorerst letzten entscheidenden Änderungen im bundesstraßenrechtlichen Genehmigungsregime erfolgten einerseits im Zuge der Umsetzung der 86 87 88 89
Zu Art 73 EG-Vertrag, insbesondere zum Verhältnis der Bestimmung zur V (EG) Nr 1107/70/EWG siehe Kahl, Personennahverkehr, 326 ff. Hummer (FN 78), 23 f. Winkler, 66 ff. RL 85/377/EWG, Abl L 175/40 idF RL 97/11/EG, Abl L 73/5.
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SUP-RL durch Vorschaltung einer „strategischen Prüfung“ vor Änderung der Verzeichnisse des BStG auf Grund des Bundesgesetzes über die strategische Prüfung im Verkehrsbereich (SP-V-Gesetz) und andererseits durch die Umstellung des Trassenverordnungsverfahrens auf eine bescheidförmige Festlegung der Trasse (zu beiden gleich unten bei II.C).
2. Systematik des Bundesstraßengenehmigungsregimes Erster Schritt zum Neubau bzw einer sonstigen wesentlichen Änderung des Bundesstraßennetzes ist die Aufnahme der neuen Strecke bzw Streckenänderung in die Verzeichnisse des BStG, dem grundsätzlich eine strategische Umweltprüfung nach den Bestimmungen des SPV-G vorgeschaltet ist. Nach Aufnahme eines Straßenzugs in die Verzeichnisse des BStG ist zu unterscheiden, ob für das das Vorhaben eine UVP nach dem 3. Abschnitt des UVP-G durchzuführen ist (für die allermeisten Neubauvorhaben trifft dies zu) oder nicht: Ist für eine Bundesstraßenbauvorhaben eine UVP durchzuführen, ist das bescheidförmige Trassenfestlegungsverfahren nach den Bestimmungen des BStG iVm den Bestimmungen des 3. Abschnitts des UVP-G zu führen. Besteht keine UVP-Pflicht, ist das Verfahren ausschließlich nach BStG zu führen, bestimmte geringfügige Ausbaumaßnahmen bedürfen weder einer UVP noch einer (neuerlichen) Trassenfestlegung nach BStG. In allen Varianten sind nach Trassenfestlegung überdies in gesonderten Verfahren - je nach Eingriff und bestehendem Konsens - sonstige materienrechtliche Genehmigungen einzuholen, wobei im Falle der UVP-Pflicht des Vorhabens für alle bundesgesetzlich geregelten Genehmigungstatbestände ein so genanntes „teilkonzentriertes Genehmigungsverfahren“ vorgesehen ist. Eine besondere (Bundesstraßen-) Baugenehmigung ist weiterhin nicht vorgesehen. Danach ergibt sich, je nach Umfang des Bauvorhabens, folgende Abstufung: 1. UVP-Pflicht im ordentlichen oder vereinfachten Verfahren gemäß § 23a UVP-G (das Trassenfestlegungsverfahren gemäß § 4 Abs 1 BStG wird integriert) und materienrechtliche Genehmigungen für den Neubau und bestimmte Ausbaumaßnahmen. 2. Keine UVP-Pflicht, aber Trassenfestlegungsverfahren gemäß § 4 Abs 1 BStG, allenfalls materienrechtliche Genehmigungen für Ausbaumaßnahmen sonstiger Art. 3. Keine UVP-Pflicht und kein Trassenfestlegungsverfahren gemäß § 4 Abs 1 BStG, allenfalls aber materienrechtliche Genehmigungen für Ausbaumaßnahmen sonstiger Art iSd § 4 Abs 2 BStG.
B. Technische Gestaltung der Bundesstraße Der Bau einer Bundesstraße bedarf keiner (Bundesstraßen-) Baugenehmigung.90 Die rein technische Planung der Bundesstraße erfolgt durch die Bundesstraßenverwaltung, das ist die ASFINAG (§ 34b BStG). Nach dem bisher geltenden Trassenverordnungsregime wurden mit der Planung der ASFINAG gleichzeitig die Grundlagen für die Erlassung der VO gemäß § 4 BStG erarbeitet; das immer noch teils anwendbare Trassenverord90
Berka, 70, mwH.
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nungsregime wird auf Grund der geänderten Rechtslage nicht weiter dargestellt91. Wie bisher dient freilich die Planung, neben dem eigentlichen Zweck einer technischen Planung ieS, die letztlich in die öffentliche Ausschreibung eines Bauauftrages mündet, der Erarbeitung der Grundlagen für das „Einreichprojekt“, welches letztlich die Grundlage der bescheidförmigen Festlegung der Trassenführung gemäß § 4 BStG bildet (arg: „beides auf Grundlage eines konkreten Projekts“, § 4 Abs 1 BStG). Die technische Ausgestaltung und Anlage des Straßenkörpers (Krümmungsradien, Steigung/Gefälle etc) ergibt sich aus der Funktion der Straße (Bundesstraße A oder S) in Zusammenhang mit den für den Straßenbau relevanten Vorschriften, den Richtlinien und Vorschriften für den Straßenbau (RVS)92, welche für die ASFINAG durch Vertrag auf Grund von § 7 Abs 2 BStG für verbindlich erklärt wurden.
C. Die Bestimmung des Trassenverlaufes von Bundesstraßen 1. Strategische Umweltprüfung bei Bundesstraßen Die Umsetzung der SUP-RL93 erforderte auch eine Änderung des Planungsund Festlegungsregimes für das bundesweite hochrangige Verkehrswegenetz. Idealiter - von den Zielsetzungen der SUP-RL her betrachtet - wäre wohl der Generalverkehrsplan und dessen Änderungen einer strategischen Umweltprüfung zu unterziehen, offenkundig konnte man sich politisch allerdings zu einer rechtsverbindlichen Erlassung des Generalverkehrsplans nicht durchringen. Umgesetzt wurde die SUP-RL mit dem Bundesgesetz über eine strategische Prüfung im Verkehrsbereich (SP-V-Gesetz)94. Für den Bereich der Bundesstraßen ordnet das SP-V-Gesetz an, dass der parlamentarischen Beschlussfassung über bestimmte Änderungen der Verzeichnisse zum BStG zwingend das im SPV-Gesetz geregelte Prüf- und Anhörungsverfahren vorzuschalten ist. Die Vorschaltung eines gesetzlich geregelten Konsultationsverfahrens vor parlamentarischer Beschlussfassung war der österreichischen Rechtsordnung bisher fremd. Damit stellt sich die Frage, ob die Nichteinhaltung des gesetzlich angeordneten Verfahrens oder Verfahrensfehler auch eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzesbeschlusses zur Folge haben würde. Dies ist mE insbesondere deshalb zu verneinen, weil das SP-VGesetz nicht als (partielle) Änderung des GOG-NR (Art 30 Abs 2 B-VG), sondern als besondere Regelung eines ministeriellen Begutachtungsverfahrens zu deuten ist; dieses Ergebnis wird auch durch eine verfassungskonforme Interpretation gestützt (vgl die qualifizierten Beschlusserfordernisse des Art 30 Abs 2 B-VG). Insoweit geht die spezielle einfach-gesetzliche Festlegung der Änderung der Verzeichnisse der generellen Regelung des Verfahrens im SP-V-Gesetz vor. Anderes gilt mE für EisenbahnHochleistungsstrecken95: Da deren Neufestsetzung durch VO zu erfolgen hat, ist das 91 92 93 94 95
Siehe dazu in der Vorauflage, 820 ff. Richtlinien und Vorschriften für den Straßenbau herausgegeben von der österreichischen Forschungsgesellschaft Straße und Verkehr (FSV). RL 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, Abl L 197/30. BGBl I 2005/96. Siehe dazu unten Kap 2, II.C.
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Gesetz mE als besondere Regelung des Verfahrens zur Erlassung einer VO zu deuten, und kann bei Verletzung der Vorschriften zur Gesetzwidrigkeit der VO führen. In beiden Fällen wäre die Nichteinhaltung des Verfahrens freilich gemeinschaftsrechtswidrig.
Einer strategischen Umweltprüfung sind gemäß § 3 Abs 1 Z 3 SP-V-Gesetz Netzveränderungen zu unterziehen, welche Gesetzesentwürfe erfordern, mit denen zusätzliche Straßenzüge in die Verzeichnisse zum BStG aufgenommen werden oder bereits festgelegte Straßenzüge aus den Verzeichnissen gestrichen oder geändert werden; geringfügige Netzveränderungen iSd § 3 Abs 2 und 3 SP-V-Gesetz bedürfen keiner strategischen Umweltprüfung. Die Durchführung einer strategischen Umweltprüfung ist allerdings auf jene Fälle beschränkt, in denen der Verkehrsminister beabsichtigt, diese der Bundesregierung zur Beschlussfassung vorzulegen, die Prüfung erfasst sohin ausschließlich Gesetzesentwürfe, die in Form einer Regierungsvorlage96 dem Parlament übermittelt werden. Das Initiativrecht für eine Netzänderung kommt den in § 2 Abs 6 SP-VGesetz genannten „Initiatoren“ zu, das sind für Bundesstraßen der Verkehrsminister, die Länder, die ASFINAG oder sonstige „befugte Errichtungsgesellschaften“ (vgl § 2 Abs 7 SP-V-Gesetz). Dem Recht zur Initiative folgt die Pflicht zur Erstellung des Umweltberichtes (§ 6 SP-V-Gesetz) durch den Initiator (§ 4 SP-V-Gesetz), welcher die zentrale Grundlage des gemäß §§ 8 f SP-VGesetz durchzuführenden Anhörungsverfahrens und Entscheidungsgrundlage für die Erstellung der Gesetzesentwürfe zur Netzänderung ist. Sondervorschriften gelten für Vorhaben mit grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen (§ 7 SP-V-Gesetz).
2. Von der Trassenverordnung zur bescheidförmigen Genehmigung der Trasse Das seit dem BStG 1971 (und auch für Eisenbahn-Hochleistungsstrecken) geltende Genehmigungsregime durch so genannte TrassenVO97 wurde 2004 entscheidend geändert und auf ein Verfahren umgestellt, in dem die Trasse nunmehr bescheidförmig festzulegen ist. Hintergrund und Anlass zur Systemänderung waren Erkenntnisse von VfGH und VwGH zur Trassenfestsetzung der vormaligen B 301, nunmehr S 1: In zwei Erkenntnissen98 zur betreffenden TrassenVO hat der VfGH die Festlegung der Trasse durch VO auch und gerade in Verbindung mit der Durchführung einer UVP nach UVP-G bzw der UVP-RL gebilligt. Allerdings hat der Gerichtshof festgestellt, dass die in der VO vorgesehenen „Auflagen, Bedingungen, Befristungen, sonstigen Vorschreibungen, Ausgleichsmaßnahmen oder Projektmodifikationen“ einer Vorschreibung in Verordnungsform nicht zugänglich seien, jedoch könne den entsprechenden Anforderungen des UVP-G 96
97 98
Gesetzlich nicht vorgesehen ist daher die Durchführung einer strategischen Umweltprüfung bei Netzänderungen, welche durch parlamentarischen Initiativantrag vorgenommen werden. Eine solche - auf Grund rein innerstaatlicher Rechtslage an sich zulässige - Netzänderung wäre freilich mangels Durchführung des in der SUPRL vorgesehenen Verfahrens gemeinschaftsrechtswidrig. Siehe dazu die Vorauflage, 820 ff. VfSlG 16.567/2002; vgl dazu C. Baumgartner, 310, Hecht, ZfV 2004, 616, und Schulev-Steindl, 19.
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bzw der UVP-RL auch dadurch Rechnung getragen werden, indem die Sicherstellung der Einhaltung der Maßnahmen und Vorschreibungen durch Selbstbindung des Bundes bzw, bei fremder Projektträgerschaft, durch Überbindung, in concreto durch verbindlich zu erklärende „Dienstanweisungen“, erfolgt. Kurz darauf hat der VwGH - zwar unter ausdrücklicher Billigung der Erkenntnisse des VfGH - in einem Bescheidbeschwerdeverfahren betreffend einen Enteignungsbescheid für die S 1 ausgesprochen, dass die TrassenVO keine „Genehmigung“ iSd UVP-RL sei und daher eine andere Genehmigung bzw ein anderes zur Genehmigung führendes Verfahren diese Funktion übernehmen müsse99. Auf Grund der Erkenntnisse der Höchstgerichte sah der Gesetzgeber offenbar Handlungsbedarf für eine größere Reform, die in die UVP-G-Novelle 2004100 integriert wurde. Leider wurde in einem parlamentarischen Schnellschuss101 bloß eine – überdies viele Fragen offen lassende – Minimalvariante erlassen, die sich mehr oder weniger auf eine bloße Umstellung der Rechtsform von der TrassenVO auf eine bescheidförmige Genehmigung der Trasse beschränkt. Damit wurde die Chance auf eine sinnvolle Gestaltung des aufwendigen Bundesstraßengenehmigungsregimes (Trassen-UVP und Materienverfahren) ausgelassen.
3. Genehmigungspflichtige Maßnahmen gemäß § 4 BStG Nach Aufnahme einer Bundesstraße in die Verzeichnisse des BStG hat der Verkehrsminister den Straßenverlauf einer Bundesstraße durch Festlegung der Straßenachse mit Bescheid zu bestimmen. Die Vorhaben, welche einer Genehmigung nach § 4 BStG bedürfen, sind in § 4 Abs 1 BStG taxativ aufgezählt. Dazu zählen der Bau einer neuen Bundesstraße oder ihrer Teilabschnitte, die Zulegung einer zweiten Richtungsfahrbahn, Ausbaumaßnahmen sonstiger Art, jedoch „jedenfalls“102 nicht jene in § 4 Abs 2 BStG genannten (geringfügigen) Ausbaumaßnahmen sonstiger Art. Handelt es sich überdies um ein Vorhaben iSd § 23a UVP-G (vereinfacht gesagt, Neu- und wesentliche Ausbauvorhaben) ist dieses überdies einer UVP nach dem 3. Abschnitt des UVP-G zu unterziehen. Wesentlich für das Verständnis des hoheitlichen Bundesstraßenplanungsregimes ist zunächst, dass der Inhalt der Genehmigung kein Detailplan ist, der den genauen Umfang des Straßenkörpers samt aller Bauwerke konkret be99 100 101
102
An der Richtigkeit der Begründung und der Schlussfolgerungen des VwGH bestehen durchaus Zweifel. Vgl dazu die zutreffende Kritik von Hecht, ZfV 2004, 618 ff. BGBl I 2004/153; hinsichtlich der Änderung des BStG: BGBl I 2004/154. Nach mehreren Varianten in ME und RV wurde vom Umweltausschuss - im Wesentlichen ohne Erläuterung und Begründung - letztlich eine gänzlich neue Variante vorgeschlagen und beschlossen. Zur Entstehungsgeschichte siehe Schmelz/ Schwarzer, 272 f. Aus der Verwendung des Wortes „jedenfalls“ in § 4 Abs 2 BStG ergibt sich, dass die Aufzählung der nicht genehmigungspflichtigen Ausbaumaßnahmen sonstiger Art bloß demonstrativen Charakter hat. Soweit andere, in § 4 Abs 2 BStG nicht erwähnte (geringfügige) Ausbaumaßnahmen in Art und Umfang jenen in der Bestimmung genannten Vorhaben entsprechen, sind diese daher ebenfalls von der Genehmigungspflicht ausgenommen.
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stimmt, sondern im Bescheid (lediglich) die Straßenachse durch grobe verbale Beschreibung unter Bezugnahme auf einen Plan festgelegt wird. Die Breite der Straßentrasse muss im Bescheid und den einen Bestandteil davon bildenden Planunterlagen nicht festgelegt sein, weil diesbezüglich im Gesetz nichts angeordnet ist103. Wohl aber muss gemäß § 15 Abs 2 BStG die Breite des beiderseits der Straßenachse liegenden Geländestreifens festgelegt sein, der das Bundesstraßenbaugebiet bildet. Dieser Grundstreifen kann innerhalb der Höchstgrenzen so breit sein, dass er Raum für Variationsmöglichkeiten bei der Detailplanung (Bauprojekt) der Straße lässt und die künftigen Schutzzonen gemäß § 21 umfasst104. Die genaue technische Ausgestaltung wird durch die Richtlinien und Vorschriften für den Straßenbau (RVS)105 vorgegeben. An diesem Ergebnis hat weder die Einfügung der Wortfolge „aufgrund eines konkreten Projektes“ durch die BStG-Novelle 1999106 noch die Durchführung einer UVP im Rahmen des Trassenfestlegungsverfahrens etwas geändert107: Wie der VfGH in VfSlG 16.567/2002 ausdrücklich festgehalten hat, bestehen die normativen Teile einer TrassenVO sowohl aus dem im BGBl kundgemachten Text, mit dem der Straßenverlauf annähernd beschrieben wird, als auch die Planunterlagen, „welche den Straßenverlauf mit hinreichender Genauigkeit festlegen“ (in der Praxis ist dies ein Plan im Maßstab 1:2000 und ein Übersichtsplan im Maßstab 1:20 000, auf die der VfGH ausdrücklich hingewiesen hat). Allen übrigen Unterlagen, wie der „schriftlichen Darlegung der wesentlichen Entscheidungsgründe“ oder der nach Schutzgütern getrennten „Aufstellung der Einzelmaßnahmen mit Vorschreibungen“ etc spricht der VfGH explizit normative Qualität ab.
Die Bundesstraßenverwaltung hat daher bei der konkreten baulichen Ausgestaltung durchaus Spielraum solange der (im Maßstab 1:2000) beschriebene Trassenverlauf nicht geändert wird und die vormals durch „Innenbindung“ bzw „Überbindung“, nunmehr die in der bescheidförmigen Genehmigung festgelegten Auflagen eingehalten werden. Derselbe Spielraum gilt auch für Aus- oder Umbaumaßnahmen nach Fertigstellung der Straße: Soweit die Auflagen eingehalten werden und die Straßenachse nicht geändert wird, bedürfen Zu- und Umbauten, etwa eine Begradigung aber auch die Errichtung eines Parkplatzes oder die Anbindung einer Raststation an Autobahnen, grundsätzlich keiner Neu- oder Änderungsgenehmigung108, es sei denn, es handelt sich bereits um die Umlegung109 einer Bundesstraße oder bestimmte Ausbauvorhaben werden
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104 105 106 107 108 109
So VwSlg. 8688 A/1974 noch zur alten Rechtslage mit Festlegung der Trasse durch Verordnung, was mE auch nach Systemumstellung auf den Bescheid gemäß § 4 BStG zutrifft, da dies durch die Änderung nicht berührt wurde. Brunner, 13. FN 92. BGBl I 1999/182. AM offenbar C. Baumgartner, 161. Koja, Zur Auslegung des § 4 Abs 1 Bundesstraßengesetz 1971, ZVR 1978, 225 (230). Nach VfSlg 5677/1968 liegt eine von sonstigen Ausbaumaßnahmen zu unterscheidende Umlegung erst dann vor, wenn die bestehende Trasse zumindest in einem Teilbereich völlig verlassen, also verlegt wird, wofür der VfGH etwa das Beispiel einer Ortsumfahrung nennt (Vgl auch VfSlg 6227/1970, 6776/1972 7072/1973).
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durch das BStG ausdrücklich für genehmigungspflichtig erklärt, wie etwa größere Ausbaumaßnahmen sonstiger Art (§ 4 Abs 1 und 2 BStG) oder der Bau neuer Anschlussstellen (§ 26 Abs 1 BStG).
4. Verfahren zur Erteilung einer Genehmigung gemäß § 4 BStG Seit Umstellung des Verfahrens auf eine bescheidförmige Genehmigung hat der Verkehrsminister im Trassenfeststellungsverfahren das AVG anzuwenden. Antragslegitimiert ist gemäß § 4 Abs 1 BStG die Bundesstraßenverwaltung, das ist die ASFINAG (§ 34b BStG). Die Parteistellung im Verfahren ergibt sich grundsätzlich aus § 8 AVG, wobei mit der BStG-Novelle 2006110 in § 7a Abs 2 BStG eine Präzisierung hinsichtlich der Parteistellung der Nachbarn einer Bundesstraße vorgenommen wurde. Parteistellung haben danach jene Personen, deren Leben oder Gesundheit oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte durch Bau und Betrieb der Bundesstraße gefährdet werden, eine bloße Belästigung der Nachbarn führt nicht zur Parteistellung. In verfahrensrechtlicher Hinsicht bestimmt § 4 Abs 5 BStG, dass vor Erlassung von Bescheiden gemäß § 4 Abs 1 BStG ausreichende Plan- und Projektunterlagen über 6 Wochen in den berührten Gemeinden zur öffentlichen Einsicht aufzulegen sind. Zeit und Ort der Auflage sind im Amtsblatt der Wiener Zeitung und in einer im betreffenden Bundesland weit verbreiteten Tageszeitung sowie durch Anschlag an der Amtstafel des Gemeindeamtes der berührten Gemeinden kundzumachen. Innerhalb dieser Frist kann jedermann schriftlich eine Stellungnahme und können Nachbarn schriftlich Einwendungen beim Verkehrsministerium einbringen. Was die Einwendungen der Nachbarn betrifft, ist die Sondervorschrift des § 7a BStG zu beachten, wonach Einwendungen abgewiesen werden können, mit denen andere subjektive Rechte als die in § 7a Abs 1 BStG genannten Rechte (Leben, Gesundheit, Eigentum) geltend gemacht werden, wenn das öffentliche Interesse an der Errichtung der Straße höher ist als der Nachteil, welcher der Partei durch die Bestimmung der Straße erwächst. Hinsichtlich der Geltendmachung der Eigentumsrechte der Nachbarn wird gemäß § 7a Abs 4 BStG explizit auf die Möglichkeit zur Enteignung gemäß den §§ 17 ff BStG verwiesen. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass eine Geltendmachung anderer subjektiver Rechte als der Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit nur dann erfolgversprechend sein wird, wenn der Eingriff gravierend ist, weil ein Überwiegen privater subjektiver Rechte gegenüber den öffentlichen Interessen am Bau der Straße schwer nachweisbar sein wird, bzw, was das Eigentum betrifft, der Bundesstraßenverwaltung die Möglichkeit der Enteignung offen steht.
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Ausführlich zur Abgrenzung von Ausbaumaßnahme und Umlegung Koja, FN 108, 225 ff mwH. Zum Begriff der Umlegung nach dem BStG 1948 vgl Krzizek, 116. BGBl I 2006/58.
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5. Der Planungsspielraum bei der Trassenfestlegung a) Das magische Dreieck: Technik - Wirtschaftlichkeit - Umweltschutz Auch nach der neuen Rechtslage hat der Verkehrsminister gemäß § 4 Abs 1 BStG die Straßenachse in erster Linie unter Bedachtnahme111 auf technische Erfordernisse (§ 7 Abs 1 BStG), die Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens und die Umweltverträglichkeit (einschließlich des Schutzes der Nachbarn gemäß § 7a BStG)112 festzulegen. Raschauer113 hat die Kriterien technische Gestaltung - Wirtschaftlichkeit der Ausführung - Umweltverträglichkeit als „magisches Dreieck“ bezeichnet, weil innerhalb dieses Dreiecks jede Dezision in unwiderlegbarer Weise gerechtfertigt ist, sodass eine VO nach § 4 BStG praktisch nie gesetzwidrig sein könne und damit der nachprüfenden Kontrolle des VfGH entzogen sei114. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle von TrassenVO zeigt allerdings ein durchaus differenzierteres Bild115. Neben der Einrichtung eines besonderen Verfahrens zur Verordnungserlassung unter Beiziehung der Betroffenen hat der Gesetzgeber einen weiten Katalog von Kriterien angeführt, die von der Behörde genau zu untersuchen sind und gegeneinander abzuwägen sind, sodass die VO deshalb gesetzwidrig werden kann, weil die Grundlagen nicht ausreichend erhoben wurden (VfSlg 13.191/1992). Die Behörde hat nach VfSlg 12.785/1991 die für beachtlich erklärten Umstände besonders genau zu erheben, wobei mangels Erhebung aller relevanten Umstände die vorgeschriebene Interessensabwägung nicht vorgenommen werden kann und die TrassenVO diesfalls gesetzwidrig ist116.
Die Genehmigungskriterien wurden durch die Umstellung auf die bescheidförmige Genehmigung nur unwesentlich geändert. Freilich wird sich allerdings zeigen, ob auch der VwGH der bisherigen Rechtsprechung des VfGH folgen wird, wonach § 4 Abs 1 BStG dem Verkehrsminister ein (eher breites) Planungsermessen eingeräumt117. Jedenfalls wurde das Verfahren schon infolge der aus der Bescheidform iVm dem EGVG folgenden Anwendung des AVG stärker verrechtlicht und kommt dem Verkehrsminister daher bei der Verfahrensgestaltung nicht mehr jener in VfSlG 16.567/2002 erwähnte breite Spielraum zu. Auch dürfte das Netz der nachprüfenden Kontrolle auf Grund der Möglichkeit zur Anrufung des VwGH gemäß Art 131 B-VG, insbesondere was Tatsachenfeststellungen betrifft, nun feinmaschiger sein als im Verfahren nach Art 139 B-VG.
111 112 113 114
115 116 117
Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1996, 377. Zum Kriterium der Umweltverträglichkeit vgl jüngst VfGH, 27.6.2006, V 89/02, V 55/03. Raschauer, Umweltrecht, 191. Raschauer, Umweltrecht, 191 f, der § 4 Abs 1 BStG daher als verfassungswidrig erachtet; Hintze, Der Bau von Bundesstraßen und das Rechtsschutzdefizit der Betroffenen, ZfV 1991, 11 (12). Ausführlich Berka, 77 ff. Hecht, Nachbarn, 89, mwH. Ausführlich Berka, 81 ff mwH; zuletzt auch VfSlG 16.567/2002.
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b) Technische Parameter Der Trassenverlauf ist nach § 4 BStG nach den Erfordernissen des Verkehrs118, darüber hinaus der funktionellen Bedeutung des Straßenzuges im Rahmen der Verzeichnisse des BStG und weiters unter Bedachtnahme auf § 7 BStG zu bestimmen. Gemäß § 7 BStG sind Bundesstraßen derart zu planen, dass sie nach Maßgabe der straßenpolizeilichen und kraftfahrrechtlichen Vorschriften von allen Straßenbenützern unter Bedachtnahme auf die Witterungsverhältnisse oder durch Elementarereignisse bestimmte Umstände ohne Gefahr benutzbar sind. Die durch die Bundesstraße zu erfüllenden Verkehrserfordernisse sind durch die Aufnahme und Qualifikation der Straße119 in den Verzeichnissen des BStG (Bundesstraßen A oder S) weitgehend gesetzlich bestimmt, sodass dafür kein Planungsspielraum mehr besteht. Die Behörde hat von den (gesetzlich festgelegten) Verkehrserfordernissen auszugehen, das heißt, der sachlogische Ablauf des Planungsprozesses hat vom gesetzlich bestimmten Ausmaß des Verkehrserfordernisses auszugehen, ohne dass damit eine Rang- oder Reihenfolge der gesetzlichen Entscheidungskriterien festgelegt ist.120 Die genauen bautechnischen Anforderungen an die Gestaltung der Bundesstraße (Steigung, Krümmungsradien etc) sind in den auf Grund von § 7 Abs 2 BStG als Dienstanweisung für verbindlich erklärten RVS (Richtlinien und Vorschriften für den Straßenbau)121 geregelt, welche für die ASFINAG verbindlich sind122.
c) Umweltverträglichkeit und Schutz der Nachbarn Auf den Gesichtspunkt der Umweltverträglichkeit war bereits vor Inkrafttreten des UVP-G123 auf Grund von § 4 Abs 1 BStG Bedacht zu nehmen. Die Anordnung der Bedachtnahme auf die Umweltverträglichkeit bedeutet jedoch auch nach Inkrafttreten des UVP-G nicht, dass in jedem Trassenfestlegungsverfahren eine Trassen-UVP durchzuführen ist. Für Trassenfestlegungen, welche einer UVP zu unterziehen sind, gelten freilich die zusätzlichen umweltrelevanten Genehmigungskriterien des § 24 h UVP-G. Wesentlich ist, dass der Immissionsschutz des BStG im Wesentlichen ein Lärmschutz ist und das Gesetz auf Abgas- und Schadstoffimmissionen nicht unmittelbar eingeht124. Eine Berücksichtigung von Schadstoffimmissionen kann allenfalls mit dem Kriterium „Umweltverträglichkeit“ bei der Trassenfestlegung berücksichtigt werden. Steht auf Grund des Abwägungsprozesses allerdings fest, wo eine Trasse verläuft, lässt sich durch die weitere Planung und Ausgestaltung der Bundesstraße, wie dies § 7a BStG vor Augen hat, straßenrechtlich kein weiterer Schutz erreichen, weil die Straße selbst weder raucht noch stinkt.125 Der Abgasbeeinträchtigung ist durch straßenplanerische Mittel 118 119 120 121 122 123 124 125
Vgl P. Antoniolli/Hrazdera, Die Trassenfestlegung nach dem BStG 1971, ÖJZ 1973, 477 (479). Bundesstraßen A (§ 2 Abs 1 lit a BStG), S (§ 2 Abs 1 lit b BStG). VfSlg 13.481/1993; Berka, 82. Siehe dazu oben FN 92. § 10 ASFINAG-ErmächtigungsG und Pkt III (7) und Pkt IV (2) des zwischen dem Bund und der ASFINAG abgeschlossenen Fruchtgenussvertrages. Vgl dazu insbesondere VfGH, 27.6.2006, V 89/02, V 55/03. Raschauer, Umweltrecht, 194. Raschauer, Umweltrecht, 188.
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eben nicht beizukommen126, vielmehr ist mit straßenpolizeilichen und den im Immissionsschutzgesetz-Luft127 vorgesehenen Maßnahmen128 vorzugehen. Unklar ist die Anordnung von § 20 Abs 1 Satz 2 Immissionsschutzgesetz-Luft, wonach die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte „anzustreben“ ist, wenn im Zuge des Neubaus von Straßen oder Straßenabschnitten Schadstoffkonzentrationen „auf Grund straßenbaulicher Maßnahmen“ zu erwarten sind. Gerade vor dem Hintergrund obiger Ausführungen, dass sich ein Immissionsschutz für Abgase durch die bauliche Ausgestaltung der Straße nicht erreichen lässt, dürfte jene Interpretation zutreffend sein, wonach sich die Anordnung bloß auf tatsächliche Bautätigkeiten im Zuge des Neubaus von Straßen bezieht (arg: „auf Grund straßenbaulicher Maßnahmen“)129, was die praktische Bedeutung der Anordnung freilich erheblich einschränkt.
Der Schutz bestimmter Schutzgüter der Nachbarn130 vor Gefährdung wurde mit der BStG-Novelle 2006 neu geregelt. Das BStG unterscheidet nun zwischen objektivem (§ 7 Abs 3 - 7 BStG) und subjektivem Nachbarschutz (§ 7a BStG): Auf objektiven Schutz besteht kein Rechtsanspruch (§ 7 Abs 11 BStG), bei diesen Bestimmungen handelt es sich bloß Planungsparameter, welche auch bei der Trassenfestlegung gemäß § 4 Abs 1 BStG zu berücksichtigen sind, und um eine Ermächtigung der Straßenverwaltung bestimmte Maßnahmen vorzusehen bzw zu finanzieren. Letzteres ist insbesondere während des Betriebes der Straße von Bedeutung, wenn es auf Grund der Steigerung des Verkehrsaufkommens zu Grenzwertüberschreitungen kommt.
Hinsichtlich des Lärmschutzes unterscheidet das BStG Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes, etwa durch Lärmschutzwände (§ 7 Abs 3 BStG) und des passiven Lärmschutzes, etwa durch Lärmschutzfenster (§ 7 Abs 4 BStG). Ob aktiver oder passiver Lärmschutz zusteht, ist letztlich eine Kostenfrage, weil nach § 7 Abs 3 letzter Satz BStG aktiver Lärmschutz nur soweit zusteht, als dies im Hinblick auf den Zweck mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand erreicht werden kann. Nach der den Lärmschutz regelnden „Dienstanweisung Lärm“131 werden straßenseitige Schallschutzmaßnahmen auch dann noch als wirtschaftlich vertretbar erachtet, wenn die hiefür aufzuwendenden Kosten das Dreifache der Herstellungskosten erforderlicher objektseitiger Maßnahmen nicht übersteigen. Praktisch führt dies dazu, dass größere Siedlungen regelmäßig durch Lärmschutzwände, einzelne Objekte durch Lärmschutzfenster „geschützt“ werden. In Fällen, in denen mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln kein hinreichender Schutz erreicht werden kann, können mit Zustimmung des betroffenen Eigentümers auch Grundstücke eingelöst werden; Gleiches gilt, wenn eine solche unzumutbare Beeinträchtigung durch bauliche Anlagen einer Bundesstraße erfolgt, etwa durch Beeinträchtigung des Lichtraums.
126 127 128
129 130 131
Raschauer, Umweltrecht, 193. BGBl I 1997/115 idF BGBl I 2003/34. Dazu Schmelz, Verkehrsimmissionen und Maßnahmen nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft - Rechtliche Sicht, in: Institut für Umweltrecht/Österreichischer Wasser- und Abfallwirtschaftsverband (Hrsg), Jahrbuch des österreichischen und europäischen Umweltrechts, 2006, 179, 182 ff. Schmelz, aaO. Der Nachbarbegriff des BStG ist ein über den bloßen Anrainer hinausgehender immissionsseitig abzugrenzender Begriff (Hecht, Nachbarn, 47). Dienstanweisung für Lärmschutz an Bundesstraßen, BMwA, Zl 890.040/2VI/14a/99.
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§ 7a BStG enthält ua die Genehmigungskriterien hinsichtlich des Nachbarschutzes für Genehmigungen gemäß § 4 Abs 1 BStG (§ 7a Abs 1 BStG) und regelt mittelbar die Parteistellung der Nachbarn im Trassenfestlegungsverfahren (§ 7a Abs 2 BStG). Letztlich ist noch auf die Bestimmungen des Bundes-Umgebungslärmschutzgesetz (Bundes-LärmG)132 hinzuweisen, welches auch den Umgebungslärm erfasst, dem Menschen durch Verkehr, ua auf Bundesstraßen, ausgesetzt sind (§ 2 Z 1 Bundes-LärmG). Zwar sind die Vorschriften des Gesetzes im Trassenfestlegungsverfahren nicht anzuwenden, jedoch kann sich aus den gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen, etwa aus den vom Verkehrsminister gemäß § 7 Abs 2 und 4 Bundes-LärmG zu erstellenden „Aktionsplänen“, die Notwendigkeit von Lärmschutzmaßnahmen ergeben. Die Maßnahmen selbst sind mE allerdings gemäß oben genannten Bestimmungen des BStG umzusetzen. d) Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens Das Erfordernis der Bedachtnahme auf die Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens bedeutet, dass die Behörde bei der Trassenfestlegung Kosten-NutzenÜberlegungen anzustellen hat, in die alle anderen Kriterien einfließen133. Nach VfSlg 12.949/1991 erfordert dies eine detaillierte Gesamtprognose und einen Variantenvergleich, bei dem versucht wird, den Kosten der einzelnen Trassenvarianten den jeweiligen Nutzen gegenüber zu stellen. Der Trassenvergleich muss sich freilich nicht auf alle nur möglichen Varianten beziehen134. e) Rechtsschutz gegen die Trassenfestlegung Soweit noch bestehende TrassenVO erlassen werden oder geltende TrassenVO umgesetzt werden, lässt der VfGH in stRspr135 den Individualantrag gemäß Art 139 Abs 1 B-VG von durch die TrassenVO unmittelbar betroffenen Grundeigentümern zu. Da seit der BStG-Novelle 2004 die Trassenfestlegung durch Bescheid erfolgt, ist nach den allgemeinen Grundsätzen die Möglichkeit einer Bescheidbeschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts eröffnet. Neu ist dabei auch, dass der Kreis der Anfechtungsberechtigten dadurch erheblich erweitert wurde, weil nunmehr auch die Nachbarn einer Bundesstraße beschwerdelegitimiert sind, wo hingegen die Legitimation zur Antragstellung gemäß Art 139 B-VG gegen TrassenVO den unmittelbar betroffenen Grundeigentümern vorbehalten war. Die Umstellung auf die bescheidförmige Genehmigung ist freilich insoweit auch positiv für den Projektwerber, weil die Genehmigung der Trassen nunmehr rechtskraftfähig ist und die Genehmigung - anders als bei
132 133 134 135
BGBl I 2005/60. Hintze, Wirtschaftlichkeit als Voraussetzung einer Verordnung gemäß § 4 Bundesstraßengesetz, ZfV 1985, 148. VfSlg 13.579/1993; vgl auch Berka, 79 mwH. StRspr seit VfSlg 9823/1983. Vgl auch Hecht, Nachbarn, 116 ff mwH. Insbesondere zur Frage der Zumutbarkeit des Umweges Hintze, Zur Frage der Zulässigkeit von Individualanträgen gegen Trassenverordnungen gemäß § 4 Bundesstraßengesetz 1971, ZfV 1982, 217 ff.
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Anträgen gemäß Art 139 B-VG - binnen 6 Wochen nach Erlassung anzufechten ist.
6. Die Trassen-UVP für Bundesstraßen a) Das UVP-Sonderregime für Bundesstraßen Für Bundesstrassenbauvorhaben ist keine (Bundesstraßen-) Baugenehmigung erforderlich. Die straßenrechtliche „Genehmigung“ erfolgt vielmehr in Form einer bescheidförmigen Trassenfestlegung nach BStG. Der österreichische Bundesgesetzgeber hat daher die Anforderungen der UVP-RL für Straßenbauvorhaben durch eine Verbindung des Trassenfestlegungsverfahrens gemäß § 4 Abs 1 BStG mit den Bestimmungen des 3. Abschnitts des UVP-G umgesetzt. In seiner Stammfassung hat das UVP-G noch den 3. Abschnitt fast ausschließlich durch Verweis auf die Bestimmungen über das konzentrierte Genehmigungsverfahren nach dem 2. Abschnitt des UVP-G geregelt und bloß geringfügige Anpassung an das Trassenverordnungsregime vorgenommen. Mittlerweile ist aus dem 3. Abschnitt des UVP-G ein nahezu eigenständiger Sonderverfahrensabschnitt für Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken geworden, obgleich eine Berücksichtigung der Besonderheiten des Verordnungsverfahrens (wie vor der UVP-G-Novelle 2004) nicht mehr erforderlich ist. Eben jene UVP-G-Novelle 2004 brachte eine Systemumstellung von der TrassenVO zu einem bescheidförmigen Genehmigungsverfahren gemäß § 4 Abs 1 BStG iVm dem 3. Abschnitt des UVP-G136, für eine gänzliche Integration des Bundesstraßengenehmigungsverfahrens in das UVP-G und folglich eine Umstellung auf ein vollkonzentriertes Genehmigungsverfahren konnte der dafür notwendige breite politische Konsens nicht erzielt werden. Systematisch betrachtet sind Bundesstraßenbauvorhaben, für die eine UVP durchzuführen ist, sind - entgegen der allgemeinen Systematik des Gesetzes nicht im Anhang 1 UVP-G angeführt, sondern in § 23a UVP-G abschließend aufgezählt. Dies ist überdies deshalb verwirrend, weil die Z 9 des Anhanges 1 UVP-G bestimmte Straßenprojekte, wie Schnellstraßen, anführt, nach der ausdrücklichen Anordnung von Z 9 Anhang 1 gilt dieser jedoch nicht für Bundesstraßen. Z 9 Anhang 1 ist für Landesstraßen von Bedeutung, soweit dem Vorhabensbegriff einer Schnellstraße137 iSd Z 9 Anhang 1 entsprechen oder sonst die Schwellenwerte der Z 9 Anhang 1 UVP-G übersteigen. Rechtstechnisch gesehen ordnet § 23a UVP-G an, dass für die meisten größeren Bundesstraßenbauvorhaben iSd § 4 BStG eine UVP gemäß dem 3. Abschnitt UVP-G durchzuführen ist. Das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung ist bei der Trassenfestlegung gemäß § 4 Abs 1 BStG zu berücksichtigen, wobei jene Trassenvarianten ausscheiden, die gemäß § 24h Abs 4 UVP-G 136
137
Zur UVP-Novelle 2004 in Bezug auf Verkehrsprojekte siehe Schmelz/Schwarzer, 271 ff und Merl, Umweltverträglichkeit neu, RdU, 2005, 52 (55 ff). Zur alten Rechtslage und zur Trassen-UVP im Verordnungserlassungsverfahren einschließlich der Übersicht über das einschlägige Schrifttum siehe die Vorauflage, 825 ff. Der Begriff der Schnellstraße ist nicht jener der des § 2 Abs 1 lit b BStG, sondern ist nach den Begriffsbestimmungen des Europäischen Übereinkommens über die Hauptstraßen des internationalen Verkehrs vom 15. November 1975 zu ermitteln (Z 9 Anhang 1 Spalte 3 FN 1 UVP-G).
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nicht genehmigungsfähig sind. Nach dem allgemeinen Rechtsschutzsystem der Bundesverfassung steht daher allen Parteien iSd BStG und UVP-G die Möglichkeit einer Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts offen; eine Zuständigkeit des Umweltsenates ist weiterhin nicht vorgesehen (e contrario § 40 Abs 1 UVP-G). b) UVP-pflichtige Vorhaben Wie das UVP-G im Allgemeinen unterscheidet auch der 3. Abschnitt des UVPG Vorhaben, die einer UVP im ordentlichen Verfahren zu unterziehen sind (§ 23a Abs 1 UVP-G), und Vorhaben, die eine UVP im vereinfachten Verfahren zu unterziehen sind (§ 23a Abs 2 UVP-G). Im ordentlichen Verfahren nach dem 3. Abschnitt ist die UVP für folgende Vorhaben138 durchzuführen: • Neubau von Bundesstraßen oder deren Teilabschnitten, ausgenommen Anschlussstellen, generell (Z 1). • Ausbau einer bestehenden Bundesstraße von zwei auf vier oder mehr Fahrstreifen mit einer durchgehenden Länge von 10 km (Z 2). • Errichtung einer zweiten Richtungsfahrbahn139 auf einer durchgehenden Länge von 10 km (Z 3). Für folgende, in § 23a Abs 2 UVP-G genannten Vorhaben, ist eine UVP im vereinfachten Verfahren nach dem 3. Abschnitt durchzuführen: • Neubau zusätzlicher Anschlussstellen140 ab einer bestimmten bestehenden oder in einem Prognosezeitraum zu erwartenden Verkehrsbelastung. • Vorhaben gemäß § 23a Abs 1 Z 2 und 3 UVP-G, wenn gemeinsam mit daran anschließenden, noch nicht oder in den letzten 10 Jahren dem Verkehr freigegebenen Teilstücken eine Länge von 10 km erreicht wird. • Ausbaumaßnahmen sonstiger Art, wenn im Einzelfall ein schutzwürdiges Gebiet der Kategorie A, B, C, D oder E des Anhanges 2 UVP-G berührt wird und dies vereinfacht gesagt den Schutzzweck des Gebietes gefährden würde. Davon ausgenommen aber wieder bestimmte geringfügige Ausbaumaßnahmen sonstiger Art, wie die Errichtung zusätzlicher Parkplätze mit weniger als 750 Stellplätzen oder Raststationen mit weniger als 5 ha Flächeninanspruchnahme etc sowie zwangsläufig durchzuführende Baumaßnahmen zur Beseitigung von Gefahrenbereichen oder auf Grund von Katastrophenfällen oder durch Brückenneubauten bedingte Umlegungen von Trassen. Bei dieser Entscheidung im Einzelfall ist gemäß § 23a Abs 2 letzter Satz UVP-G das Feststellungsverfahren gemäß § 24 Abs 5 UVP-G anzuwenden (dazu gleich unten). Der Unterschied zwischen der UVP im ordentlichen Verfahren und der im vereinfachten Verfahren liegt im Wesentlichen im Entfall des Umweltverträg138
139 140
Die genannten Vorhabensbegriffe sind entsprechend dem allgemeinen Grundsatz des UVP-G nach dem verwiesenen Sachrecht zu interpretieren [Raschauer, Umweltverträglichkeitsprüfung und Genehmigungsverfahren, ZfV 1992, 100 (101); derselbe, Der Anwendungsbereich des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes, RdU 1994, 10 (11)]. Vgl die Definition des § 2 Abs 3a StVO. Vgl § 26 BStG.
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lichkeitsgutachtens (§ 24c Abs 1 UVP-G), an dessen Stelle die „Zusammenfassende Bewertung der Umweltauswirkungen“ tritt (§ 24 Abs 9 UVP-G) und der Entfall der Parteistellung für Bürgerinitiativen iSd § 19 Abs 4 UVP-G (§ 24h Abs 8 UVP-G). c) Feststellungsbescheid bei Zweifel an der UVP-Pflicht Ist es zweifelhaft, ob ein Bundesstraßenbauvorhaben einer UVP zu unterziehen ist, hat der Verkehrsminister unter Anschluss von Projektunterlagen, die zur Identifikation des Vorhabens und zur Abschätzung seiner Auswirkungen dienen, die mitwirkenden Behörden, den Umweltanwalt und die Standortgemeinde zu informieren. Diese können innerhalb von 6 Wochen ab Zustellung der Unterlagen die Feststellung beantragen, dass für das Vorhaben eine UVP durchzuführen ist, worüber der Verkehrsminister (§ 24 Abs 2 UVP-G) binnen acht Wochen mit Feststellungsbescheid zu entscheiden hat (§ 24 Abs 5 UVP-G). d) Verfahren Abgesehen von den Zuständigkeiten und den Bestimmungen über die bloß teilkonzentrierten Genehmigungsverfahren entspricht der Ablauf des UVPVerfahrens, im Hinblick auf die vorzulegenden und zu erörternden Unterlagen (Umweltverträglichkeitserklärung und -gutachten) sowie die Parteistellung im Wesentlichen dem Verfahren nach dem 2. Abschnitt UVP-G141. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Verfahren nach dem 2. Abschnitt und dem Verfahren nach dem 3. Abschnitt UVP-G ist, dass kein konzentriertes Genehmigungsverfahren durch die Landesregierung gemäß dem Abschnitt 2 UVP-G durchzuführen ist, vielmehr sieht § 24 Abs 1 UVP-G die Durchführung einer UVP und ein mit der Genehmigung nach § 4 Abs 1 BStG verbundenes „teilkonzentriertes“ Genehmigungsverfahren142 durch den Verkehrsminister für jene bundesrechtlich geregelten Genehmigungen vor, über die ein Bundesminister in erster Instanz zu entscheiden hat. Das sind jedoch ausschließlich Genehmigungsverfahren nach ForstG (§ 170 Abs 2 ForstG), allenfalls noch eisenbahnrechtliche Genehmigungen für Hauptbahnen iSd § 4 EisbG (§ 12 Abs 3 EisbG). Für alle weiteren bundesgesetzlich geregelten Genehmigungsverfahren ordnet § 24 Abs 3 UVP-G ein teilkonzentriertes Genehmigungsverfahren vor dem Landeshauptmann an, über die Erteilung der landesgesetzlich geregelten Genehmigungen ist grundsätzlich separat abzusprechen. Für alle Verfahren, für die der Verkehrsminister nicht zuständig ist, ordnet § 24h Abs 7 UVP-G allerdings eine Koordinierung durch den Verkehrsminister an. Ob und inwieweit durch die Umstellung auf die bescheidförmige Genehmigung, die vorgesehenen „Teilkonzentrationen“ beim Verkehrsminister und Landeshauptmann, sowie die Koordinierungspflicht des Verkehrsministers eine Bindungswirkung für die jeweils nachfolgenden Genehmigungen entsteht, ist fraglich.143 141 142 143
Vgl den Beitrag von Madner in diesem Handbuch. Vgl Schmelz/Schwarzer, 273. Zu Ansätzen für eine mögliche Bindungswirkung vgl Schmelz/Schwarzer, 273 f.
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e) Genehmigungskriterien und Planungsspielraum bei der Trassenfestlegung Das Trassenfestlegungsverfahren nach § 4 BStG wird in der Praxis zusammen mit dem UVP-Verfahren durchgeführt, das UVP-Verfahren ist, wie es der VfGH144 ausdrückt, „ein gesonderter, vom Thema und Verfahren her ausschließlich den Vorschriften des UVP-G unterworfener Abschnitt im Zuge der Erlassung der TrassenVO nach § 4 BStG 1971.“ Das bedeutet, dass hinsichtlich subjektiver Rechten und zulässiger Einwendungen im Verfahren jeweils zwischen UVP-G und BStG zu unterscheiden ist. Folglich können beispielsweise Bürgerinitiativen iSd § 19 Abs 4 UVP-G oder Umweltorganisationen iSd § 19 Abs 7 UVP-G nur jene im UVP-G ihnen zuerkannten subjektiven Rechte beanspruchen, hinsichtlich der Kriterien des § 4 Abs 1 BStG kommt auch ihnen lediglich das jedermann offen stehende Recht zur Stellungnahme zu.
Das Erfordernis der Berücksichtigung der Genehmigungskriterien des § 17 UVP-G, hat das Gewicht innerhalb des „magischen Dreiecks“145, somit den Planungsspielraum des Verkehrsministers deutlich zu Gunsten des Umweltschutzes verschoben. Der Planungsspielraum des Verkehrsministers kann sich nur innerhalb der nach Berücksichtigung des § 24h UVP-G noch möglichen Trassenvarianten entfalten146. Es bleiben daher nur jene Varianten offen, bei denen keine schwerwiegende Umweltbelastungen zu erwarten sind oder solche auch durch Auflagen etc zumindest nicht auf ein erträgliches Maß vermindert werden können (§ 24h Abs 3 UVP-G). Der Schutz des Lebens und der Gesundheit der Nachbarn sowie deren Schutz vor unzumutbarer Belästigung lässt sich in der Praxis auch durch Einlöse der Grundstücke gemäß § 7a Abs 3 BStG erreichen, wenn ein entsprechender Schutz nur mit unvertretbarem wirtschaftlichem Aufwand erreichbar wäre. Da nicht anzunehmen ist, dass innerhalb der weitmaschigen Verzeichnisse des BStG147 für den Bau einer Bundesstraße nur Trassenvarianten bestehen, die nach § 24h Abs 3 UVP-G nicht verordnet werden dürfen, bleibt die „Null-Variante“148 für eine gesetzlich vorgesehene Bundesstraße eher eine theoretische Annahme.
Die Umsetzung der Ergebnisse der UVP in der Genehmigung ist durch die Umstellung auf die bescheidförmige Genehmigung der Trassenführung rechtstechnisch gesehen - erheblich einfacher geworden. Musste man zur Begründung der Gesetzes- bzw Gemeinschaftsrechtskonformität der TrassenVO den nicht besonders belastbaren Umweg über eine besondere Bindung der Bundesstraßenverwaltung149 gehen, weil etwa Auflagen in einer (Trassen-)Verordnung nach VfSlG 16.567/2002 selbst nicht angeordnet werden können, können nunmehr die Ergebnisse der UVP als Auflagen, Bedingungen und durch weitere in § 24h Abs 3 UVP-G vorgesehene Mittel im Genehmigungsbescheid vorgeschrieben werden.
144 145 146 147 148 149
VfSlg 16.567/2002. FN 113. Berka, 86. Beispiel hinsichtlich der in Planung befindlichen A 5 Nord Autobahn: Großebersdorf (B 7, B 305) - Wolkersdorf - Staatsgrenze bei Drasenhofen. Berka, 86. VfSlG 16.567/2002 und die Vorauflage, 830.
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f) Fugitive Enteignungsbestimmung Gemäß § 24h Abs 15 UVP-G kann für die Durchführung von Maßnahmen, die nach den Ergebnissen der UVP eine Voraussetzung für die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens bilden, das Eigentum an Liegenschaften entzogen werden. Die in Rede stehende Bestimmung ist insbesondere für den Erwerb von naturschutzrechtlichen Ausgleichsflächen, die eine Voraussetzung für die (naturschutzrechtliche) Genehmigungsfähigkeit des Projektes bilden, vorgesehen. Eine Enteignung für naturschutzrechtliche Ausgleichsflächen kann, wie der VfGH klargestellt hat150, nicht auf § 17 BStG gestützt werden und ist daher ein föderalistischer Stolperstein für Projektanten von Bundesstraßenbauten, weil ohne die Drohung der zwangsweisen Entziehung des Eigentums, Liegenschaften nur schwer bzw zu unerschwinglichen Preisen erworben werden können. Mit § 24h Abs 15 UVP-G wurde versucht, eine auf den UVPKompetenztatbestand gestützte kompetenzkonforme Grundlage unter anderem zur Enteignung naturschutzrechtlicher Ausgleichsflächen zu schaffen.
7. Sicherung der Planung Zur Sicherung des Baus einer in die Verzeichnisse aufgenommenen Bundesstraße kann der Verkehrsminister das Gelände, das für die spätere Führung der Bundesstraße in Betracht kommt, durch VO zum Bundesstraßenplanungsgebiet erklären (§ 14 BStG). Diese VO darf nur erlassen werden, wenn die Planungsarbeiten hinreichend gediehen sind; sie bewirkt im verordneten Gebiet eine Bausperre für fünf Jahre. Die Rechtsfolgen der VO sind auf höchstens fünf Jahre beschränkt, mit Bestimmung des Straßenverlaufs treten diese Rechtsfolgen jedenfalls außer Kraft151. Mit Erlassung der Trassenfestlegung gemäß § 4 Abs 1 BStG tritt für einen je nach Art der Bundesstraße unterschiedlich breiten Geländestreifen ebenfalls Bausperre ein (§ 15 BStG).
III. Bau und Erhaltung von Bundesstraßen A. Bau von Bundesstraßen 1. Grundeinlöse und Enteignung Unmittelbar nach Erlassung der Trassenfestlegung gemäß § 4 BStG erfolgt die Einlösung der für den Bau der Bundesstraße erforderlichen Grundflächen. Entsprechend den Vorgaben der §§ 17 ff BStG iVm dem EisenbahnenteignungsG hat die Bundesstraßenverwaltung zunächst zu versuchen, eine privatrechtliche Übertragung der erforderlichen Grundflächen zu erreichen. Das Einlöseverfahren erfolgt weitgehend formalisiert unter Beiziehung von
150 151
VfSlg 13.369/1993. Auch hier handelt es sich um eine legistisch verunglückte Bestimmung, weil nicht angeordnet wird, dass die Verordnung außer Kraft tritt, sondern die Rechtsfolgen der Verordnung auf fünf Jahr beschränkt sind bzw mit Erlassung der Trassenverordnung „die Rechtsfolgen“ und nicht etwa die Verordnung selbst außer Kraft treten.
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gerichtlich beeideten Sachverständigen an deren Schätzung die Bundesstraßenverwaltung grundsätzlich gebunden ist.152 Kommt es zu keiner Einigung, kann die Bundesstraßenverwaltung beim zuständigen Landeshauptmann die Enteignung oder sonstige Beschränkung dinglicher oder obligatorischer Rechte an Liegenschaften nach den Bestimmungen der §§ 17 ff BStG iVm mit den Bestimmungen des EisenbahnenteignungsG153 beantragen. Über eine allfällige Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmanns entscheidet der Verkehrsminister.
2. Weitere verwaltungsbehördliche Genehmigungen Das BStG kennt anders als das Eisenbahnrecht oder Landesstraßengesetze kein Baubewilligungsverfahren154, was oftmals als Nachteil für die Betroffenen und rechtsstaatliches Manko empfunden wurde.155 Auch das mit der BStG-Novelle 2004 eingeführte bescheidförmige Trassenfestlegungsverfahren gemäß § 4 BStG ist kein Baugenehmigungsverfahren, sondern die Bestimmung der Trassenführung. Berka wies aber zu Recht darauf hin, dass bei Beibehaltung des Trassenverordnungsverfahrens die Einführung einer Baugenehmigung allein, angesichts der den Bescheid präjudizierenden Wirkung der Planungsverordnung156, den rechtsstaatlichen Standard nicht verbessern würde: „Die unabdingbaren Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte des Einzelnen, die ein Parteiengehör im rechtsstaatlich geordneten Verfahren vermittelt, müssen daher insoweit bereits im Verordnungsverfahren gesichert sein“157. Diese Feststellung gilt mE grundsätzlich auch für das Trassenfestlegungsverfahren gemäß § 4 BStG, wobei allerdings hinsichtlich der Ausgestaltung der Parteistellung der Nachbarn durch Anwendung des § 8 AVG bzw die Definition des § 7a Abs 2 BStG eine deutliche rechtsstaatliche Verbesserung eingetreten ist.
Ansonsten hat die Bundesstraßenverwaltung alle sonstige nach den Materiengesetzen erforderlichen Bewilligungen, wie forst-, wasser- oder naturschutzrechtliche Bewilligungen einzuholen, im Anwendungsbereich des UVPG erfolgt dabei eine Teilkonzentration der bundesgesetzlich geregelten Verfahren beim Landeshauptmann (§ 24 Abs 3 UVP-G).
3. Umsetzung des Bauvorhabens Der Neu- und Ausbau des hochrangigen Straßennetzes (Bundesstraßen A und S) werden auf Grund des ASFINAG-ErmächtigungsG durch die ASFINAG und deren Tochtergesellschaften besorgt158.
152 153 154 155 156 157 158
Dienstanweisung über die Vorgangsweise bei Grundeinlösen, BMwA Zl 810.100/3VI/13-90. Näher: Brunner, Enteignung für Bundesstraßen, 1983, 24 ff. Berka, 70, mwH. Raschauer, Umweltrecht, 199; Pernthaler, Raumordnung und Verfassung II, 1978, 383. Zu den enteignungsrechtlichen Vorwirkungen, vgl Oberndorfer, Zur enteignungsrechtlichen Vorwirkung behördlicher Planungen, ÖZW 1975, 81 ff. Berka, 76. Siehe dazu unten IV.2.
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B. Erhaltung der Bundesstraßen Bundesstraßen sind gemäß § 7 Abs 1 BStG derart zu erhalten, dass sie nach Maßgabe und Beachtung der straßenpolizeilichen und kraftfahrrechtlichen Vorschriften von allen Straßenbenützern unter Bedachtnahme auf die durch die Witterungsverhältnisse und durch Elementarereignisse bestimmten Umstände ohne Gefahr benutzbar sind. Auch bei der Erhaltung ist auf die Umweltverträglichkeit Bedacht zu nehmen. Neben der Bauverbotsbestimmung des § 21 BStG159 werden Anrainern und Nachbarn von Bundesstraßen insbesondere hinsichtlich der Erhaltungsmaßnahmen zahlreiche Duldungspflichten auferlegt (vgl die §§ 22 bis 24 BStG). Bundesstraßen sind nach der Judikatur160 behördlich genehmigte Anlagen im Sinne des § 364a ABGB, die Lehre ist darüber geteilter Auffassung161. Zumindest nach der Rspr sind daher zivilrechtliche Unterlassungsansprüche ausgeschlossen, nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche bestehen dann, wenn die Immissionen das ortsübliche Ausmaß übersteigen162. Zu den Lärmschutzbestimmungen für Nachbarn von Bundesstraßen siehe oben II.C.5.c).
Werbung an Autobahnen (§ 25 BStG), die Errichtung und der Betrieb von Raststationen (§ 27 BStG)163 und die Sondernutzung von Bundesstraßengrund (§ 28 BStG) sind nur nach Zustimmung164 der ASFINAG (§ 34 b BStG) zulässig. Auch die Erhaltung der Bundesstraßen erfolgt durch die ASFINAG bzw deren Tochtergesellschaften auf Grundlage des ASFINAG-ErmächtigungsG (dazu gleich unten bei IV.2.).
IV. Finanzierung A. Straßenbau und -erhaltung durch ausgegliederte Rechtsträger: Die ASFINAG 1. Sondergesellschaften in der Bundesstraßenverwaltung Außerbudgetäre Finanzierung des Baus und der Erhaltung von Autobahnen und Schnellstraßen durch ausgegliederte Rechtsträger hat Tradition.165
159 160 161
162 163 164
165
Vgl hiezu Wessely, Zur Bewilligungspflicht gemäß § 21 BStG nach der Bundesstraßengesetz-Novelle 1996, ZfV 1997, 580 ff. SZ 63/133. Vgl die Übersicht bei Hecht, Nachbarrechtlicher Untersagungsanspruch und Immissionen von Straßen, ÖJZ 1993, 289 (292 f). Vgl auch Kerschner/Wagner, Verkehrsverlagerung durch Verkehrsimmissionsschutz, in: Kerschner (Hrsg), Österreichisches und Europäisches Verkehrsrecht, 2001, 183 (207). SZ 63/133. Rill, ZfV 1980, 100 ff. Die Zustimmung ist ein privatrechtlicher Akt der ASFINAG, wobei für die Zustimmung zum Betrieb von Raststationen bzw zur Sondernutzung von Bundesstraßengrund ein Entgelt zu zahlen ist (§§ 25, 27, 28 iVm § 8 Abs 2 BStG; vgl zu § 25 BStG OGH, 30.6.1998, 1 Ob 135/98d) Von der Pflicht zur Leistung eines Entgelts ausgenommen ist nur die Errichtung von Telekommunikationslinien, weil § 6 TKG und § 1 Abs 4 TWG Inhabern von Konzessionen zur Erbringung öffentlicher Telekommunikationsdienste, Leitungsrechte an öffentlichem Gut, wie Straßen, unentgeltlich einräumen; die Zustimmungspflicht bleibt davon allerdings unberührt. Zur Entwicklung Funk, 65ff, und Merli, Public Private Partnership, 60 ff.
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Am Beginn der Entwicklung, die sich rechtlich gesehen in der Erlassung von Selbstbindungsgesetzen und Sondergesellschaftsrecht des Bundes manifestierte, mit denen einer im mehrheitlich im Eigentum des Bundes, teils auch unter Beteiligung der jeweiligen Länder, stehenden privatrechtlich organisierten Gesellschaft Bau und Erhaltung von meist kostenintensiven (alpenquerenden) Autobahnen übertragen wurde166. Eine Zäsur der Entwicklung dieser „Bundesstraßengesellschaften“ trat mit der Gründung der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) auf Grund des ASFINAG-G167 ein: Waren die bis dahin gegründeten Sondergesellschaften sowohl mit Bau- als auch mit Finanzierungsaufgaben betraut, wurde mit Einrichtung der ASFINAG eine zentrale Finanzierungsgesellschaft geschaffen, welche die bisher bei den einzelnen Sondergesellschaften gelegenen Finanzierungsaufgaben übernommen hat, sodass diesen Gesellschaften seither die Funktion von Bau- und Erhaltungsgesellschaften zukam. Mit § 1 Abs 1 und § 3 Abs 1 des Bundesgesetzes betreffend Maßnahmen im Bereich der Bundesstraßengesellschaften168 wurden die Straßenbausondergesellschaften (FN 166) auf zwei Bundesstraßengesellschaften, und zwar auf die Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Aktiengesellschaft (ÖSAG) sowie auf die Alpen Straßen Aktiengesellschaft (ASG) verschmolzen.
Eine weitere bedeutende Zäsur in der Entwicklung der Sondergesellschaften hat das mit Art I Infrastrukturfinanzierungsgesetz 1997 erlassene ASFINAG-ErmächtigungsG169 bewirkt, mit welchem die ASFINAG als eine Straßenplanungs-, Straßenerrichtungs- und Straßenfinanzierungsgesellschaft mit umfassenden Zuständigkeiten für das hochrangige Straßennetz eingerichtet wurde170. Der letzte Schritt der Entwicklung war, dass auch die verbliebenen Bundesstraßengesellschaften auf Grund der Ermächtigung in § 2 Abs 6 bzw § 4 Abs 4 des Bundesgesetzes betreffend Maßnahmen im Bereich der Bundesstraßengesellschaften171 auf die ASFINAG verschmolzen bzw durch Umgründung direkt in die neue Struktur der ASFINAG eingegliedert wurden.
2. Die ASFINAG Mit dem in Art I Infrastrukturfinanzierungsgesetz 1997 beschlossenen ASFINAG-ErmächtigungsG172 in Verbindung mit dem zwischen dem Bund und der ASFINAG abgeschlossenen Fruchtgenussvertrag wurde der ASFINAG das Recht der Fruchtnießung an bestehenden und künftig zu errichtenden Bun166
167 168 169 170
171 172
Brenner-Autobahn AG (BGBl 1964/135), Tauernautobahn AG (BGBl 1969/115), Pyhrn Autobahn AG (BGBl 1971/479), Arlberg Straßentunnel AG (BGBl 1973/113), Autobahnen- und Schnellstraßen-AG (BGBl 1981/300), Wiener Bundesstraßen Aktiengesellschaft (BGBl 1985/372) und eine Sondergesellschaft zum Bau von Teilen der Karawanken Autobahn (BGBl 1978/442). Über eine Zwischenstufe in der Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Aktiengesellschaft (ÖSAG) sowie der Alpen Straßen Aktiengesellschaft (ASG) wurden die Gesellschaften mittlerweile auf die ASFINAG verschmolzen. BGBl 1982/591 idF BGBl I 2006/26. BGBl 1992/826 idF BGBl I 2004/174. BGBl I 1997/113 idF BGBl I 2006/26. Stolzlechner/Kostal, 2 ff; Potacs, Unterliegt der Akt der Ausgliederung dem Vergaberecht? in: Rill/Griller (Hrsg), Grundfragen der öffentlichen Auftragsvergabe, 2000, 35 (40). FN 168. FN 169.
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desstraßen A (Bundesautobahnen) und mehrspurigen Bundesstraßen S (Bundesschnellstraßen) eingeräumt (§ 2 ASFINAG-ErmächtigungsG). Dem Recht der Fruchtnießung entsprechend hat die ASFINAG gemäß § 6 ASFINAG-ErmächtigungsG das Recht der Einhebung von Mauten und Benützungsgebühren entsprechend den Bestimmungen des Bundesstraßenfinanzierungsgesetzes (nunmehr Bundesstraßen-Mautgesetz) und sonstigen gesetzlich festgelegten Mauten und Benützungsgebühren. Als Entgelt für die Einräumung des Rechtes der Fruchtnießung hatte die ASFINAG dem Bund ATS 77.913.039.159,- zu bezahlen, welches mit der in der Bilanz der ASFINAG vom 31.12.1996 ausgewiesenen Forderung aus dem Straßenbau gegen den Bund in der gleichen Höhe aufgerechnet wurde (§ 5 ASFINAGErmächtigungsG). Im Gegenzug wurde die ASFINAG auf Grund von § 9 ASFINAGErmächtigungsG in Verbindung mit dem zwischen Bund und ASFINAG abgeschlossenen Fruchtgenussvertrag verpflichtet, die Verpflichtungen des Bundes gemäß § 7 und 7a BStG und die Verpflichtung, die übertragenen Bundesstraßen zu planen, zu bauen und zu erhalten, zu übernehmen und den Bund diesbezüglich schad- und klaglos zu halten.
Nach mehreren Anläufen wurden die verbliebenen Bundesstraßengesellschaften ÖSAG und ASG auf die ASFINAG verschmolzen und der Konzern neu umgestaltet, wobei sich die ASFINAG selbst auf eine Holdingfunktion zurückzog und das operative Geschäft durch ihre Tochtergesellschaften besorgt wird. Näheres zur Struktur unter www.asfinag.at. Vor allem die Straßenerhaltung wird nunmehr ausschließlich durch Tochtergesellschaften der ASFINAG besorgt. Jene Form der Straßenerhaltung durch die Länder für die ASFINAG auf Grundlage von „Werkverträgen“, die im Schrifttum173 kritisiert wurde, gibt es seit der Umstrukturierung der ASFINAG ebenfalls nicht mehr. Kritisch wurde vor allem gesehen, dass die vormaligen Strukturen der Auftragsverwaltung iSd Art 104 Abs 2 B-VG praktisch inhaltlich unverändert, jedoch nur auf vertraglicher Grundlage durch die Länder für die ASFINAG weitergeführt wurden. An der Übertragung bestanden wohl auch vergaberechtliche Bedenken. Tatsächlich waren in den Werkverträgen im Wesentlichen die finanzausgleichsrechtlichen Regelungen der Auftragsverwaltung fortgeführt worden. Dies offenbar, weil bei Übertragung der Gesamtverantwortung im Straßenbau auf die ASFINAG mit dem Infrastrukturfinanzierungsgesetz 1997 in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit (Maastrichtrelevanz der Ausgliederung) keine gänzliche Neuorganisation geschaffen werden konnte.
Die Finanzierung des Baus und der Erhaltung des hochrangigen Straßennetzes erfolgt durch die Einhebung einer zeitabhängigen und fahrleistungsabhängigen Maut nach Bundesstraßen-Mautgesetz bzw durch fahrleistungsabhängige Mauten nach den oben genannten Straßensonderfinanzierungsgesetzen (dazu gleich unten bei B.) und durch sonstige Einnahmen der ASFINAG, etwa aus dem Entgelt für den Betrieb von Raststationen, Werbung an Bundesstraßen und sonstiger Sondernutzung von Bundesstraßengrund.
173
Raschauer, Entscheidungsbesprechung, ÖZW 2000, 62 (63 f); Merli, Public Private Partnership, 72; vgl auch VfGH 2. 3. 2000, B 1383/98.
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B. Mauteinhebung an Bundesstraßen 1. Bundesgesetzlich vorgeschriebene Maut- und Benützungsgebühren Als Benützungsgebühr174 iSd RL 1999/62/EG175 hat der Bundesgesetzgeber eine zeitabhängige Maut (Vignette) gemäß den §§ 10 ff BundesstraßenMautgesetz (BStMG)176 vorgesehen. Als Mautgebühr177 iSd RL 1999/62/EG wird eine fahrleistungsabhängige Maut auf allen Bundesstraßen von Kraftfahrzeugen mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t eingehoben; von Pkw auch auf Teilstücken des hochrangigen Straßennetzes auf Grund der Straßensonderfinanzierungsgesetze178.
2. Mautentrichtung - hoheitliche Abgabe oder privatrechtliches Entgelt? § 14 Abs. 1 Z 7 FAG weist „Mautabgaben für die Benützung von Höhenstraßen von besonderer Bedeutung“ als ausschließliche Landes-(Gemeinde-)abgaben aus179. Dies entspricht früherer Auffassung, wonach Straßenmauten selbstverständlich als hoheitliche Abgaben verstanden wurden.180 Wenngleich eine Maut von Verfassung wegen durch den jeweils zuständigen Straßengesetzgeber auch in Abgabenform vorgeschrieben werden könnte181, wurde beginnend mit den Straßensonderfinanzierungsgesetzen für alle bundesgesetzlich festgelegten Maut- und Benützungsgebühren angeordnet, dass der Bund für die Benutzung jeweiligen Straßenstrecke ein „Entgelt“ einzuheben hat. So legt schon das Bundesgesetz betreffend die Finanzierung der Autobahn Innsbruck-Brenner182 fest, dass die Benützer der jeweiligen Straßenabschnitte dem Bund ein Entgelt zu entrichten haben. Allein die Verwendung des Begriffes Entgelt spricht dafür, dass der Gesetzgeber von einer privatrechtlichen Einhebung der Maut ausgeht, was auch durch eine subjektiv-historische Auslegung bestätigt wird183.
Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass Maut sowohl als öffentlich-rechtliche Abgabe als auch privatrechtliches Entgelt eingehoben werden 174 175 176 177
178 179
180
181 182 183
Eine Benützungsgebühr ist eine Zahlung, die während eines bestimmten Zeitraums zur Benutzung der Verkehrswege berechtigt (Art 2 lit c RL 1999/62/EG). FN 78. BGBl I 2002/109 idF BGBl I 2006/26. Eine Mautgebühr ist eine für eine Fahrt eines Fahrzeuges zwischen zwei Punkten auf einem Verkehrsweg zu leistende Zahlung, deren Höhe sich nach der zurückgelegten Wegstrecke und dem Fahrzeugtyp richtet. FN 166. Ruppe, Finanzverfassungsrechtliche Aspekte der Finanzierungsinstrumente im Verkehrswesen, in: Schönbäck (Hrsg), Neuordnung der Kompetenzen und Finanzierungsmöglichkeiten im Verkehrswesen Österreichs, 1994, 69 (83 f). Herrnritt, Grundlehren des Verwaltungsrechts, 1921, 387; Perlmann, Über Eigentum an Straßen, JBl 1903, 267, 279, 292, 304 (281); Ulbrich, Über öffentliche Rechte und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1875, 45. Merli, Gemeingebrauch, 272 f; vgl auch Binder/Griebler, Preispolitik, in: Kerschner (Hrsg), Österreichisches und Europäisches Verkehrsrecht, 2001, 601 (628). BGBl 1964/135. RV zum Finanzierungsgesetz der Autobahn Innsbruck-Brenner 396 BlgNR 10. GP; vgl auch Soche, Die Brennerautobahn-Maut, ZVR 1976, 69 f.
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kann184, wobei gegenwärtig alle bundesgesetzlich festgelegten Maut- und Benützungsgebühren als privatrechtliches Entgelt zu qualifizieren sind185.
3. Mauteinhebung an Bundesstraßen: Das Bundesstraßen-Mautgesetz a) Entwicklung des Mautregimes für Bundesstraßen Der Beginn der Umstellung der Finanzierung des gesamten österreichischen Bundesstraßennetzes von der Haushaltsfinanzierung auf eine Nutzerfinanzierung186 geht - abgesehen von den Sondermautstrecken für alpenquerende Straßen - auf Mitte der 1990er zurück: Im Budgetkonsolidierungsprogramm der Bundesregierung vom Jänner 1996 wurden neue Modelle für die außerbudgetäre Finanzierung öffentlicher Aufgaben angekündigt, wobei „neue Wege der Finanzierung der Schienen- und Straßeninfrastruktur (Schieneninfrastrukturfonds, neue Modelle für Lkw- und Pkw-Bemautung, Vignette bzw. RoadPricing)“ beschritten werden müssten. Diese Überlegungen flossen in die Erlassung des Bundesstraßenfinanzierungsgesetzes 1996 (BStFG)187 ein, mit dem die Einführung einer fahrleistungsabhängigen Maut ab dem Jahr 1998 für Kraftfahrzeuge mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von über 3,5 t und ab dem Jahr 2001 für - vereinfacht gesagt - Pkw gesetzlich verheißen wurde. Bis zur Einführung der fahrleistungsabhängigen Bemautung für Pkw im Jahr 2001 wurde als „Provisorium“188 die Einhebung einer zeitabhängigen Maut (Vignette) mit 1.1.1997 vorgesehen. Mit der BStFG-Novelle 1999 wurde jedoch die Zielbestimmung zur Einführung einer fahrleistungsabhängigen Maut für Pkw aus dem BStFG gestrichen, sodass nunmehr die als Zwischenlösung vorgesehene Vignette zu einem dauerhaften Institut bei der Bemautung des hochrangigen Straßennetzes geworden sein dürfte, auch das BStMG enthält keine Zielbestimmung zur Einführung einer fahrleistungsabhängigen Maut für Pkw. Freilich wird eine solche Bemautung des Individualverkehrs auch als verkehrspolitisches Steuerungselement politisch diskutiert.
Die Einführung der fahrleistungsabhängigen Bemautung von Lkw (Kraftfahrzeuge mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t), deren Beginn bereits für das Jahr 1998 verheißen war, war von zahlreichen politischen Auseinandersetzungen gekennzeichnet.189 Nach mehreren Anläufen ist es mit 1.1.2004190 gelungen, Kraftfahrzeuge mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t mittels eines elektronischen Mautsystems am gesamten Bundesstraßennetz fahrleistungsabhängig zu bemauten (2. Teil 184
185
186 187 188 189 190
Zur Mauteinhabung allgemein, insbesondere aber unter Berücksichtigung des steiermärkischen Landesstraßenverwaltungsgesetzes, siehe Prantl, Private Entgelteinhebung auf öffentlichen Straßen, ZfV 1994, 405 ff. So ausdrücklich nun der allgemeine Teil zur RV zum Bundesstraßen-Mautgesetz, 1139 BlgNR 21. GP. OGH 22.1.2001, 2 Ob 32/01v, 26.4.2001, 2 Ob 133/00y; VfSlg 16.107/2001 = JBl 2001, 441; VwGH 27.2.1998, 98/06/0002; vgl auch Merli, Strukturwandel, 349 f. Vgl Merli, Strukturwandel, 336 ff. BGBl 1996/201 (gemäß § 34 Abs 1 BStMG nicht mehr in Geltung). RV zu § 7 BStFG 1996, 72 BlgNR 20. GP, 231; Stolzlechner/Kostal, 10. Ausführlich Stolzlechner, Neue Entwicklungen bei der Bundesstraßenfinanzierung, in: FS Dietrich, 2000, 787 (792), und die Vorauflage, 840 f. Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend den Beginn der Einhebung der fahrleistungsabhängigen Bemautung, BGBl II 2003/568. Zur Entwicklung vgl auch Merli, Public Private Partnerships, 63.
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BStMG). Für Kraftfahrzeuge unter 3,5 t ist weiterhin eine zeitabhängige Bemautung in Form einer Vignette vorgesehen (3. Teil BStMG). b) Mauteinhebung gemäß Bundesstraßen-Mautgesetz Dem Titel des Gesetzes entsprechend unterliegen alle Bundesstraßen iSd Verzeichnisse des BStG, sohin alle Autobahnen und Schnellstraßen, der Mautpflicht (§ 1 BStMG). Gemäß § 1 Abs 2 BStMG sind durch VO191 lediglich jene Bundesstraßenstrecken von der Mautpflicht auszunehmen, die im Ausbaugrad noch nicht einer Autobahn oder Schnellstraße entsprechen, weil auf diesen Strecken eine fahrleistungsabhängige Bemautung von Kraftfahrzeugen mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 12 t gemeinschaftsrechtlich unzulässig wäre (Art 7 Abs 2 lit a RL 1999/62/EG), soweit nicht auf Grund von Art 7 Abs 2 lit b RL 1999/62/EG nach Anhörung der EUKommission eine Ausnahme zum Tragen kommt.
Das Rechtsverhältnis zwischen Benützer und Mautgläubiger ist privatrechtlicher Natur, nach den Erläuterungen zur RV192 handelt es sich um ein gesetzliches Schuldverhältnis des Privatrechts, nicht um einen Vertrag193. Mautgläubiger ist die ASFINAG, weil alle Bundesstraßen dem Fruchtgenuss der ASFINAG unterliegen (§ 3 BStMG), Mautschuldner sind der Kraftfahrzeuglenker und der Zulassungsbesitzer, welche zur ungeteilten Hand haften (§ 4 BStMG). Einzelheiten der Mautstreckenbenützung hat die ASFINAG in einer Mautordnung194 festzulegen (§ 14 Abs 1 BStMG) und im Internet zu veröffentlichen (§ 16 Abs 1 BStMG), wobei der Inhalt der Mautordnung weitestgehend gesetzlich vorgegeben ist.195 Die Höhe der Mauttarife ist gemeinschaftsrechtlich determiniert: Auch nach der Änderung der RL 1999/62/EG durch die RL 2006/38/EG196 müssen sich die gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren an den Baukosten und den Kosten für den Betrieb, Instandhaltung und Ausbau des betreffenden Verkehrswegenetzes orientieren (Art 7 Abs 9 RL 1999/62/EG)197, was bedeutet, dass zwar ein Spielraum bei der Ausgestaltung besteht, aber eine erhebliche Kostenüberschreitung jedenfalls unzu-
191 192 193
194
195 196 197
Mautstreckenausnahmenverordnung, BGBl II 2004/329. Allgemeiner Teil der RV 1139 BlgNR 21. GP; vgl auch Merli, Public Private Partnerships, 78 mwH. Von einem Vertragsverhältnis bei der zeitabhängigen Maut (allerdings zur Rechtslage nach dem Bundesstraßenfinanzierungsgesetz) geht der OGH aus (OGH JBl 2001, 453 = ZVR 2001/53, ZVR 2001/90 (mit Anm Schwarzenegger); vgl auch Merli, Public Private Partnerships, 78, FN 90 mwH. Die Mautordnung hat nach den Erläuterungen der RV zu §§ 14 - 16 BStMG den Charakter allgemeiner Geschäftsbedingungen; so auch VfGH 25.9.2001, B 1658/00, wenngleich zur (vergleichbaren) Rechtslage nach dem BundesstraßenfinanzierungsG. Rechtsschutzdefizite ergeben sich daraus keine, weil eine Kontrolle durch die Zivilgerichte in analoger Anwendung der Bestimmungen für allgemeine Geschäftsbedingungen möglich ist und die Gültigkeit als Vorfrage von Strafbehörden und den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts beurteilt werden kann (Merli, Public Private Partnerships, 79). Merli, Strukturwandel, 350; vgl auch Merli, Public Private Partnerships, 79. FN 85. Zur Frage der Höhe der Mauttarife EuGH, Rs 205/98, Kommission/Österreich, Slg 2000, I-7367.
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lässig ist.198 In ihrer durch die RL 2006/38/EG geänderten Fassung lässt Art 7 Abs 10 RL 1999/62/EG verschiedene Differenzierungen der Mauttarife zu, wobei eine Differenzierung nach Schadstoffklassen grundsätzlich ab 2010 vorzusehen ist (Art 7 Abs 10 lit b RL 1999/62/EG). In Bergregionen kann unter den in Art 7 Abs 11 RL 1999/62/EG genannten Bedingungen und dem dort vorgesehenen Verfahren ein Aufschlag auf die auf Grund der Infrastrukturkosten ermittelten Mauttarife von bis zu 25 % vorgesehen werden, wenn die erhöhten Einnahmen zur Finanzierung prioritärer TEN-V-Projekte in diesen Regionen verwendet werden.
Mauttarife und Vignettenpreise sind gemäß § 9 bzw § 12 BStMG durch VO199 des Verkehrsministers im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen festzulegen. Bei der fahrleistungsabhängigen Maut erfolgt die Tarifstaffelung nach Achsen des Kraftfahrzeuges, wobei die Tarifverhältnisse gesetzlich festgelegt sind (§ 9 Abs 2 BStMG). Wesentlich für die Einhebung einer fahrleistungsabhängigen Bemautung ist die Technologie der Mauteinhebung, um den Verkehrsfluss möglichst wenig zu beeinträchtigen, eine diskriminierungsfreie200 Mauteinhebung zu gewährleisten und die Interoperabilität der Mautsysteme sicherzustellen. Insbesondere um der Gefahr entgegenzuwirken, dass es durch mangelnde Interoperabilität der neu eingeführten Mautsysteme zu einer Beschränkung der Waren- und Dienstleistungsfreiheit kommt, weil die Straßenbenützer eine Vielzahl miteinander nicht kompatibler Abbuchungsgeräte mitführen müssten, wurde eine RL über den europäischen elektronischen Mautdienst (RL 2004/52/EG)201 erlassen. Eine Grundbedingung ordnungsgemäßer Funktion eines Mautsystems ist die Verhinderung der Mautprellerei: In einer Art IX Abs 1 Z 2 EGVG (Schwarzfahren) nachempfundenen Strafbestimmung erklärt auch § 20 BStMG die nicht ordnungsgemäße Entrichtung der zeit- bzw fahrleistungsabhängigen Maut zur Verwaltungsübertretung, wobei § 20 Abs 3 BStMG die Straflosigkeit der Tat anordnet, wenn der Mautschuldner fristgerecht eine in der Mautordnung festgelegte Ersatzmaut entrichtet. In § 25 BStMG hat der Gesetzgeber eine Haftung des Zulassungsbesitzers für Geldstrafen und Verfahrenskosten vorgesehen, welche in Zusammenhang mit den spezifischen Regelungen über vorläufige Sicherheiten und Anordnung der Fahrtunterbrechung (§§ 27, 28 BStMG)202 steht.
Obgleich eine Kontrolle der Mautentrichtung durch Organe der Straßenaufsicht weiterhin gesetzlich vorgesehen ist (§ 29 BStMG), wird die Kontrolle der Mautentrichtung weitestgehend von (privaten) Mautaufsichtsorganen (§ 18 BStG) durchgeführt, welche von der ASFINAG zu bestimmen sind, funktional jedoch für die Bezirksverwaltungsbehörde tätig werden und von dieser zu ver-
198 199 200 201 202
Merli, Strukturwandel, 350, mwH. Mauttarifverordnung, BGBl II 2002/406 und Vignettenpreisverordnung, BGBl II 2000/254. Hinsichtlich der Technologie: § 7 Abs 2 BStMG, welcher auf Art 7 Abs 4 RL 1999/62/EG verweist. Vgl auch Merli, Strukturwandel, 347 f. Abl L 166/137. Dabei wurde bewusst davon abgesehen, die Mautaufsichtsorgane mit Festnahmebefugnissen auszustatten oder Befugnisse zur Beschlagnahme verwertbarer Sachen vorzusehen, der Schwerpunkt liegt auf der Befugnis zur Einhebung vorläufiger Sicherheiten und der Befugnis zur Fahrtunterbrechung bis zur Leistung einer vorläufigen Sicherheit. Vgl die Erläuterungen der RV zu § 27, 1139 BlgNR 21. GP.
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eidigen sind (§ 17 Abs 2 BStMG)203. Die Ermächtigungen der Mautaufsichtsorgane zum Einsatz von Befehl und Zwang sind auf das unabdingbare Ausmaß beschränkt und halten sich im Rahmen dessen, was privaten Organen der öffentlichen Aufsicht seit jeher zugestanden wird.204
4. Ein Relikt: Maut für Pkw auf Grund der StraßensonderfinanzierungsG Abgesehen von der Einhebung der einer bundesweiten fahrleistungsabhängigen Maut auf Grund des BStMG wird für Kraftfahrzeuge mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von unter 3,5 t eine fahrleistungsabhängige Maut bereits auf jenen Strecken eingehoben, die ursprünglich einer Bundesstraßengesellschaft zur Errichtung und Finanzierung übertragen worden waren. Die Bemautung auf diesen Strecken erfolgt weiterhin auf Grundlage der Straßensonderfinanzierungsgesetze205. Da es sich auch bei diesen Strecken um im Fruchtgenussrecht der ASFINAG gelegene Bundesstraßenstrecken handelt, ist der Mautgläubiger ebenfalls die ASFINAG. Die Tarife auf diesen Strecken werden durch Erlass des Verkehrsministers an die ASFINAG festgelegt206. Für Kraftfahrzeuge mit über 3,5 t höchstes zulässiges Gesamtgewicht erfolgt die Mauteinhebung auch auf diesen Strecken nach dem BStMG (e contrario § 31 Abs 3 BStMG).
Rechtsstaatlich bedauerlich ist, dass es nicht gelungen ist, die Rechtsvorschriften über die Bemautung auf diesen Strecken in das - ansonsten legistisch vorbildlich gestaltete - BStMG zu integrieren.207
5. Finanzierung von Eisenbahnbauvorhaben aus Mauten Wie oben erwähnt, lässt die WegekostenRL (RL 1999/62/EG) seit ihrer Änderung durch die RL 2006/38/EG208 Aufschläge um bis zu 25 % auf die auf Grund der Straßeninfrastrukturkosten ermittelte Mauthöhe zu, wenn die erzielten (Mehr-)Einnahmen zur Finanzierung grenzüberschreitender Abschnitte von prioritären TEN-V-Projekten in Berggebieten investiert werden (Art 7 Abs 11 RL 1999/62/EG). Der österreichische Gesetzgeber hat dem bereits Rechnung getragen und eine Verpflichtung der ASFINAG zur Bildung von Rückstellungen im Ausmaß von 20 % der auf der A 13 erhobenen Mauten angeordnet, welche nach besonderer gesetzlicher Regelung der Finanzierung des auf österreichischem Staatsgebiet zu errichtenden Teils des Eisenbahntunnels auf der Brennerachse zu widmen sind (Art II § 8a ASFINAG-Gesetz).
203 204
205 206 207 208
Vgl dazu Merli, Public Private Partnerships, 79 f; derselbe, Strukturwandel 351 f. Nach Merli gehen die entsprechenden Ermächtigungen relativ weit, sind jedoch relativ sorgfältig ausgestaltet worden, „sodass einer rechtsstaatskonformen Anwendung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nichts im Wege steht“ (Merli, Public Private Partnerships, 80). FN 166. Zu den durchaus diffizilen Auslegungsfragen vgl Merli, Public Private Partnerships, 80 ff. Merli, Public Private Partnerships, 83. FN 85.
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Kapitel 2: Schieneninfrastruktur Rechtsgrundlagen: EU-Recht: TEN-Leitlinie - Entscheidung 1692/96/EG (Abl L 228/1 idF Entscheidung 884/2004/EG, Abl L 167/1); V (EWG) Nr 1191/69 [Abl L 156/1 idF V (EWG) Nr 1893/91, Abl L 169/1]; V (EWG) Nr 1107/70 [Abl L 130/1 idF V (EG) Nr 543/97, Abl L 84/6]; InteroperabilitätsRL - RL 96/48/EG (Abl L 235/6 idF RL 2004/50/EG, Abl 164/114); EisenbahnRL - RL 91/440/EWG (Abl L 237/25 idF RL 2004/51/EG, Abl L 220/58); RL 95/18/EG (Abl L 143/70 idF RL 2004/49/EG, Abl L 220/16); RL 2001/14/EG (Abl L 75/29 idF RL 2004/49/EG, Abl L 220/16); InteroperabilitätsRL RL 2001/16/EG (Abl L 110/1 idF RL 2004/50/EG, Abl 164/114); EisenbahnsicherheitsRL - RL 2004/49/EG (Abl L 220/16); AgenturVO - V (EG) Nr 881/2004 (Abl 220/3); UVP-RL - RL 85/337/EWG (Abl L 175/40 idF RL 2003/35/EG, Abl L 156/17). BG: EisenbahnG - EisbG (BGBl 1957/60 idF BGBl I 2006/125); SP-V-G (BGBl I 2005/96); EisenbahnbeförderungsG - EBG (BGBl 1988/180 idF BGBl I 2002/32); Bundesbahngesetz - BBG (BGBl 1992/825 idF BGBl I 2005/80); HochleistungsstreckenG - HLG (BGBl 1989/135 idF BGBl I 2004/154); SchieneninfrastrukturfinanzierungsG - SCHIG (BGBl I 1997/113 idF BGBl I 2005/163); Bundesgesetz zur Errichtung einer Brenner Eisenbahn GmbH - BEGG (BGBl 1995/502 idF BGBl I 2005/163); Bundesgesetz zur Errichtung einer Brenner Basistunnel Aktiengesellschaft - BBT AGGesetz (BGBl I 2004/87 idF BGBl I 2006/125); Privatbahngesetz 2004 - PrivbG (BGBl 2004/39); Seilbahngesetz 2003 - SeilbG (BGBl I 2003/103 idF BGBl I 2006/59); UmweltverträglichkeitsprüfungsG 2000 - UVP-G (BGBl 1993/697 idF BGBl I 2006/149). VO: VO geringfügiger Baumaßnahmen (BGBl II 2005/5); 1. - 4. Hochleistungsstrecken-Verordnung (BGBl 1989/370 idF BGBl II 1998/397; BGBl 1989/675; BGBl 1994/83; BGBl II 1997/273); StraßenbahnVO 1999 - StrabVO (BGBl II 2000/76); EisenbahnVO 2003 (BGBl II 2003/209 idF BGBl 2005/104).
Grundlegende Literatur: Catharin, Die Eisenbahnsicherheit und ihre Vorschriften im Schienenverkehrsmarkt, ZVR 2004, 80; derselbe, Recht der Eisenbahnunternehmen des Schienenmarktes, in: Stolzlechner (Hrsg), Recht der Verkehrsgewerbe, 2002, 103; Feik, Die Umweltverträglichkeitsprüfung im Eisenbahnrecht, ZVR 1998, 362; Geuder, Die rechtliche Stellung der Eisenbahnanlage im gemeindlichen Planungs- und Baurecht, ÖGZ 1969, 36; Gutknecht, Privatisierung und Unternehmenspolitik, ÖZW 1997, 97; Hauer, Nachbarschutz und Eisenbahnbau, 2002; Hofmann, Zur Rechtssituation der Seilförderanlagen in Österreich, FS Kühne, 1984, 279; Holst, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EGVerkehrsrecht, 21, 22 und 23; Holoubek, Die Regulierung des liberalisierten Eisenbahnverkehrs, in: Dullinger/Holoubek/Segalla (Hrsg), Recht und Praxis der Eisenbahnliberalisierung, 2004, 106; Kahl, Widersprüche zum gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbot bei der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs in Österreich, ZVR 1999, 326; Lewisch, Eisenbahnregulierungsrecht, 2002; Liebmann, Eisenbahngesetz 1957, 2004; Raschauer, Der vertragsersetzende Bescheid, in: FS Krejci, 2001, 2053; Rill/Schäffer, Die Rechtsnormen für die Planungskoordinierung seitens der öffentlichen Hand auf dem Gebiete der Raumordnung, 1975; Rohregger, Eisenbahnrechtliche Genehmigungsverfahren und verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz, ZfV 1996, 671; Schäffer, Neue Entwicklungen im österreichischen Eisenbahnrecht und der zugehörigen Praxis, Jahrbuch der Universität Salzburg, 1991, 115; derselbe, Wirtschaftsaufsichtsrecht, in: Raschauer (Hrsg), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, 1998, Rz 506; Segalla, Offener Netzzugang im Schienenverkehr, 2002; derselbe, Gemeinschafts-
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rechtliche und innerstaatliche Grundlagen der Eisenbahnliberalisierung, in: Dullinger/ Holoubek/Segalla (Hrsg), Recht und Praxis der Eisenbahnliberalisierung, 2004, 106; Volk, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 133 und 134; Wagner, Verkehrsverlagerung auf die Bahn, in: Kerschner (Hrsg), Österreichisches und Europäisches Verkehrsrecht, 2001, 288; Urbantschitsch/Feiel, SchienenverkehrsmarktRegulierungsgesetz: verfassungs- und verwaltungsrechtliche Fragestellungen, JBl 2000, 431; Zeleny, Eisenbahnplanungs- und -Baurecht, 1994.
I. Grundlagen A. Allgemeines Obgleich das Eisenbahngenehmigungsregime anders als das Bundesstraßenbauregime grundsätzlich für den Bau und Betrieb von Eisenbahnen durch Private offen ist, kommt den Privatbahnen209 keine wesentliche Bedeutung zu. Überhaupt fand seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges der Eisenbahnbau, insbesondere der Neubau, lange Zeit de facto überhaupt nicht statt. Auf der Ebene der Entwicklung des Rechts des Eisenbahnbaus wurde allerdings mit der Erlassung des EisenbahnG 1957 (EisbG)210 ein Markstein gesetzt, hat das EisbG doch 36 bis dahin in Geltung stehende Rechtsvorschriften vereinheitlicht211. Nachdem das Eisenbahnrecht danach lange Zeit stabil blieb, befindet es sich seit einigen Jahren im dauernden Umbruch. Dies zunächst auf Grund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben: Als Grundvoraussetzung für einen diskriminierungsfreien Wettbewerb auf den Schienenmärkten hat der Gemeinschaftsgesetzgeber ua mit der RL 91/440/EWG212 eine Trennung von „Betreiber der Infrastruktur“ und „Erbringer der Fahrleistung“ angeordnet. Das erforderte letztlich eine Umgestaltung des tradierten österreichischen Eisenbahngenehmigungsregimes, das grundsätzlich auf eine Einheit von „Betreiber der Infrastruktur“ und „Erbringer der Fahrleistung“ angelegt war. Neben dem gemeinschaftsrechtlich bedingten Strukturwandel kam es auch auf Grund rein österreichischer Verkehrspolitik zu einer Renaissance im Eisenbahnneubau213, die auch rechtlich ihren Niederschlag fand, so ua durch Erlassung des HochleistungsstreckenG (HLG). Wiederum gemeinschaftsrechtlich bedingt war die Einführung einer strategischen Prüfung vor Netzveränderungen im Bereich von Hochleistungsstrecken durch das Bundesgesetz über die strategische Prüfung im Verkehrsbereich (SP-V-Gesetz)214. Als wirklich sinnvolle legistische Trennung kann die jüngst erfolgte Neuordnung des Genehmigungsregimes für Seilbahnen mit dem Seilbahngesetz 2003 (SeilbG)215 bezeichnet werden. Für die Genehmigung von Seilbahnen, 209 210 211 212 213 214 215
Übersicht bei Zeleny, 105 ff. BGBl 1957/60 idF BGBl I 2006/125. Marhold, Das neue österreichische Eisenbahngesetz, ZVR 1958, 7, 26 (31). Abl L 237/25 idF RL 2004/51/EG, Abl L 220/58. Näher Schäffer, Entwicklungen, 116 ff. Zum SP-V-Gesetz siehe oben Kap 1, II.C.1. FN 240.
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welche vormals nach dem EisbG zu genehmigen waren, gelten seither ausschließlich die Bestimmungen des SeilbG.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft ist auf Teil I Kapitel 1: Straßeninfrastruktur zu verweisen, weil die relevanten Bestimmungen des EG-Vertrages für alle Binnenverkehrsträger (Straße-, Schiene- und Binnenschifffahrt) gleichermaßen gelten.
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Auch das Eisenbahnwesen ist Teil des Verkehrswesens iSd Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG, welches oben in Teil I Kapitel 1 I.B. dargestellt wurde; an dieser Stelle werden nur einzelne Fragen behandelt. Die Frage, ob Eisenbahnbauvorhaben dem Naturschutzrecht der Länder unterworfen sind, war lange Zeit strittig216. Seit dem Semmering-Basis-TunnelErkenntnis des VfGH217 ist zumindest in der Rechtsprechung eindeutig, dass das Naturschutzrecht der Länder auf sämtliche Vorhaben der in Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG angeführten Verkehrssektoren grundsätzlich anzuwenden ist218. Die weitreichende, alle Aspekte des Eisenbahnwesens umfassende Bundeskompetenz gemäß Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG schließt Regelungen der Länder, die auch die Eisenbahnen betreffen, etwa das Naturschutzrecht, nicht von Vornherein aus, es bleibt Raum für eine landesgesetzliche Regelung unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten. Diese Regelungen dürfen aber nicht einen Inhalt haben, der eine Beachtung des verfassungsrechtlichen Berücksichtigungsgebotes nicht zulässt und dadurch ein Unterlaufen der Kompetenz der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft ermöglicht. Eisenbahnanlagen (§ 10 EisbG) unterliegen allerdings nach Maßgabe des in VfSlg 2685/1954 angesprochenen „unlöslichen Zusammenhangs“ der Sonderbaurechtskompetenz des Bundes gemäß
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Bejahend Liehr/Stöberl, Kommentar zum NÖ Naturschutzgesetz (1986) 17 ff; Morscher, FS Schambek, 527 ff, derselbe, Raumordnungskompetenz im Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen und der Luftfahrt, ZfV 1998, 758 ff. Auch der VwGH bejahte dies in stRspr VwSlg 14.274 A/1995, VwGH 23.8.1988, 87/10/0151; 29.1.1996, 94/10/0084. AA Mayer, Die Kompetenzen des Bundes zur Regelung des Eisenbahnwesens, ÖJZ 1996, 292 ff. VfSlg 15.552/1999. Zu Hintergrund und Entstehung des Erkenntnisses Mayer, Jenseits des Rechtsstaates. Zur rechtlichen Pathologie des Semmering-Basistunnels, JRP 2000, 248 ff. Eine ausführliche Analyse der Folgerungen aus dem Erkenntnis bietet Bußjäger, Verfassungsrechtliche Fragen der Anwendung des Naturschutzrechtes der Länder auf Verkehrsprojekte, RdU 2000, 83 (86 ff). Bußjäger, Verfassungsrechtliche Fragen der Anwendung des Naturschutzrechtes der Länder auf Verkehrsprojekte, RdU 2000, 83 (84). Raschauer, Naturschutzrecht und Verfassung, in: Potacs, (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Naturschutzrecht (1999) 8. Vgl auch VfSlg 5019/1965, 5578/1967 und VwSlg 6123 A/1963, VwGH 20.10.1963, 1830/60; 17.1.1966, 7175/64; 28.2.1996, 94/03/0314; 29.9.1993, 91/06/0166.
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Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG219, die Bauordnungen der Länder sind nicht anwendbar. Der Betrieb von Eisenbahnunternehmen samt Hilfseinrichtungen und Hilfstätigkeiten ist kompetenzrechtlich dem Verkehrswesen und nicht den Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) zugeordnet. Dementsprechend ist auch der Betrieb von Eisenbahnunternehmen, der Hilfseinrichtungen der Eisenbahnunternehmen220 und die Ausübung von Hilfstätigkeiten221 eines Eisenbahnunternehmens (§ 18 Abs 5 EisbG) gemäß § 2 Z 15 GewO vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen. Auch die Bewirtschaftung in Speisewägen, sofern diese durch das Eisenbahnunternehmen selbst erfolgt, fällt unter den Ausnahmetatbestand, jedoch nicht der Betrieb von Eisenbahnnebenbetrieben (§ 50 EisbG)222.
3. Rechtsverwirklichung im Bereich des Eisenbahnwesens Anders als im Straßeninfrastrukturrecht ist das rechtliche Regime zur Errichtung von Schieneninfrastruktur grundsätzlich nicht auf ein Zusammenspiel von Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes angelegt, weil das EisbG ursprünglich auf die Errichtung einer Eisenbahn durch einen (vom Staat unabhängigen) Konzessionär abstellte. Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts gab es jedoch kaum noch Privatbahnen223. Daher wurden bis zur Ausgliederung der ÖBB die allermeisten Bauvorhaben durch den Bund (den unselbständigen Wirtschaftskörper ÖBB) besorgt, sodass es zu einem ähnlichen Zusammenwirken von Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung wie im Bereich der Straßeninfrastruktur kam, wenngleich im Eisenbahnwesen der Bund von der Ermächtigung des Art 104 Abs 2 B-VG zur Einbeziehung der Landeshauptmänner keinen Gebrauch gemacht hat. Seit Ausgliederung und Betrauung der ÖBB (und nunmehr deren Tochtergesellschaften und der BEG) mit Eisenbahnbauvorhaben erfolgt die Errichtung der bundeseigenen Schieneninfrastruktur durch ein Zusammenspiel privatrechtlichen Handels von mit einzelnen Bauvorhaben betrauten ausgegliederten Rechtsträgern mit Hoheitsakten der Eisenbahnbehörde (Baugenehmigung, Enteignung etc).
Soweit der Staat hoheitlich handelt, ist das Eisenbahnwesen ist in unmittelbarer Bundesverwaltung zu vollziehen, da es dem Verkehrswesen (Art 102 Abs 1 B-VG) zuzuordnen ist. Der einfache Gesetzgeber hat aber von der Ermächtigung des Art 102 Abs 3 B-VG Gebrauch gemacht und dem Landeshauptmann oder der Bezirksverwaltungsbehörde bestimmte Zuständigkeiten zugewiesen (§ 12 Abs 1 und 2 EisbG).
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Schottergewinnungsanlagen, Schwellentränkanstalten, Ausbesserungswerke, die der Instandhaltung und Modernisierung des Wagenparks dienen, nicht jedoch Anlagen für den Neubau von Lokomotiven, Waggons und sonstigen Fahrbetriebsmitteln (RV zu § 18 Abs 5 EisbG, 189 BlgNR 8. GP, 19). Arbeiten, die dem Bau, Betrieb und Verkehr der Eisenbahn dienen: Beschotterungs-, Gleisverlegungs- sowie alle sonstigen Bahnerhaltungsarbeiten, Reinigungs- und Instandhaltungsarbeiten, wie Anstricharbeiten und dgl (RV zu § 18 Abs 5 EisbG, 189 BlgNR 8. GP, 19). Bahnhofsgastwirtschaften, Buchhandlungen, Frisierbetriebe und dgl. Vgl die ausführliche Übersicht bei Zeleny, 105 ff.
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C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen 1. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen für die Eisenbahninfrastruktur Schon im Hinblick auf ein künftiges Abgeltungssystem für die Benützung der Verkehrswege wurde mit der V (EWG) Nr 1108/70224 den Mitgliedstaaten ein einheitliches Verbuchungsschema für die Ausgaben für ihre Verkehrswege vorgegeben, woran anknüpfend Anhang 1 Teil A der V (EWG) Nr 2598/70225 den Begriff des Verkehrsweges für die Eisenbahnen durch eine Aufzählung der den Verkehrsweg einer Eisenbahn umfassenden Anlagen beschreibt. Der Neu- und Ausbau der Schieneninfrastruktur wird zum weitaus überwiegenden Teil unmittelbar aus staatlichen Mitteln finanziert, ein enger beihilferechtlicher Bezug ist daher inhärent. Diesbezüglich ist zunächst ganz allgemein auf die sekundärrechtliche Konkretisierung beihilferechtlicher Ausnahmen (Art 73 EG-Vertrag) für den Verkehrsbereich226 durch die V (EWG) Nr 1191/69227 sowie durch die V (EWG) Nr 1107/70228 hinzuweisen. Die für die rezente und künftige Entwicklung des Eisenbahnrechts entscheidende Weichenstellung war freilich die Vorgabe der zumindest rechnerischen Trennung von Betreiber der Infrastruktur und Erbringer der Verkehrsleistung in den Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft und die Einräumung von bestimmten Zugangsrechten zur Infrastruktur im grenzüberschreitenden Verkehr mit der RL 91/440/EWG. Hinsichtlich der Finanzierung der Schieneninfrastruktur wird durch die RL 91/440/EWG angeordnet, dass der Verkehrs- und der Infrastrukturbereich von Eisenbahnunternehmen unterschiedlichen Regimes nach dem Prinzip einer strikten Trennung beider Bereiche unterworfen ist, wobei eine Quersubventionierung ausdrücklich verboten ist (Art 6 Abs 1 RL 91/440/EWG). Soweit diese Trennung eingehalten wird, kann die Finanzierung des Bau und Betriebs der Schieneninfrastruktur unmittelbar durch die öffentliche Hand erfolgen, oder, soweit Bau und Erhaltung der Infrastruktur ausgegliedert wird, können die Mitgliedstaaten der Gesellschaft Mittel zuweisen, die in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben, der Größe und dem Finanzbedarf stehen, und zwar insbesondere für Neuinvestitionen (Art 7 Abs 3 RL 91/440/EWG). Zudem hat der Betreiber der Infrastruktur Anspruch auf Entrichtung eines Benützungsentgeltes. Jüngst ist die Gemeinschaft noch zur Herstellung der Interoperabilität der europäischen Eisenbahnsysteme gesetzgebend tätig geworden, und zwar einerseits für das konventionelle transeuropäische Eisenbahnsystem (RL 2001/16/EG229) und andererseits für das transeuropäische Hochgeschwindigkeitsbahnsystem (RL 96/48/EG230). 224 225 226 227 228 229 230
Abl L 130/4. Abl L 278/1. Ausführlich Kahl, ZVR 1999, 329 f. Abl L 156/1; ausführlich zur V (EWG) Nr 1191/69 unten Teil III I.B. Abl L 130/1 idF V (EG) Nr 543/97. Abl L 110/1 idF RL 2004/50/EG, Abl 164/114. Abl L 235/6 idF RL 2004/50/EG, Abl 164/114.
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Während das „erste Eisenbahnpaket“ der EG der Präzisierung und Erweiterung des Rechtes zum Marktzugang (Art 10 RL 91/440/EG) diente, war das zweite Eisenbahnpaket der Gemeinschaft der Sicherheit gewidmet und enthielt eine „Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit“ (RL 2004/49/EG231) und die V (EG) Nr 881/2004232 über die Errichtung einer „Europäischen Eisenbahnagentur“. Die umfangreichsten Änderungen im österreichischen Recht hat das Gemeinschaftsrecht freilich im Bereich der Marktzulassung und Wettbewerbsregulierung von Eisenbahnunternehmen bewirkt, welche unten Teil II Kap 2, I.C. dargestellt werden. Zu den Vorschriften über die TEN-Netze siehe oben Kapitel 1 I.B.1 e).
2. Völkerrechtliche Grundlagen An völkerrechtlichen Grundlagen sind das Übereinkommen über das internationale Regime der Eisenbahnen (BGBl 1927/53), der Beitritt der Republik Österreich zur „Technischen Einheit im Eisenbahnwesen, Fassung 1938“ (BGBl 1951/56), das COTIF (BGBl 1985/225), das „Landverkehrsabkommen“ EG/Schweiz233 sowie zahlreiche Abkommen über die Erleichterung der Grenzabfertigung234 zu nennen.
II. Die Genehmigung von Eisenbahnen A. Systematik der Genehmigungen für den Eisenbahnbau 1. Die eisenbahnrechtliche Konzession a) Konzession und Verkehrsgenehmigung bzw Verkehrskonzession für Hauptund Nebenbahnen In etwa entsprechend dem Anwendungsbereich der wichtigsten gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften für die Eisenbahnen, so ist der Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr gemäß Art 2 Abs 2 RL 91/440/EWG vom Anwendungsbereich der RL ausgenommen, wurde die Trennung von Betreiber der Infrastruktur und Erbringer der Verkehrsleistung gemäß EisbG nur für Haupt- und vernetzte Nebenbahnen (§ 4 EisbG) vorgegeben. Für den Bau und Betrieb von Haupt- und vernetzten Nebenbahnen ist daher eine separate, ausschließlich auf Bau und Betrieb der Schieneninfrastruktur beschränkte Konzession (§ 14 Abs 1 Z 1 EisbG) erforderlich, wobei bundeseigene Bahnen von der Konzessionspflicht ausgenommen sind (§ 14 Abs 2 EisbG). Ein Unternehmen, dessen Gegenstand Bau und Betrieb von solchen Bahnen ist, ist gemäß der Definition des § 1 a EisbG ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU). 231 232 233
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Abl L 220/16. Abl 220/3. Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Straße, Abl 2002 L 114/91. Vgl dazu die Kommentierung von Mückenhausen, in Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg) EG-Verkehrsrecht, 151. Etwa für Slowenien, BGBl III 2001/94 und BGBl III 2001/100.
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Hinsichtlich der Erbringung von Verkehrsleistungen unterscheidet das EisbG: • Für Verkehrsleistungen auf Haupt- und vernetzten Nebenbahnen in Österreich sowie in anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten und der Schweiz ist gemäß § 15 EisbG eine „Verkehrsgenehmigung“ erforderlich. • Soweit das Unternehmen nicht über eine solche Verkehrsgenehmigung verfügt, ist für die Erbringung von Personenverkehrsleistungen (ausschließlich) im Stadt- oder Vorortverkehr oder für Güterverkehrsleistungen im Regional- Stadt- oder Vorortverkehr eine „Verkehrskonzession“ erforderlich (§ 16 EisbG). Ein Unternehmen, dessen Gegenstand die Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen auf der Schieneninfrastruktur von EIU ist, ist gemäß der Definition des § 1 b EisbG ein Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU). b) Einheitliche Konzession für die übrigen Eisenbahnen Für alle übrigen Eisenbahnen, das sind nach Herausnahme der Seilbahnen aus dem EisbG mit dem SeilbG im Wesentlichen noch Straßen- und U-Bahnen iSd § 5 EisbG, blieb die Identität von Betreiber der Infrastruktur und Erbringer der Verkehrsleistung erhalten. Auf solchen Bahnen ist daher eine einheitliche Konzession für Bau und Betrieb sowie zur Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen erforderlich (§ 14 Abs 1 Z 1 EisbG). Ein Unternehmen, das die Funktionen eines EIU (§ 1a EisbG) und eines EVU (§ 1b EisbG) vereint, ist nach der Definition des § 1c EisbG ein integriertes Eisenbahnunternehmen. Spricht das EisbG bloß von Eisenbahnunternehmen, sind grundsätzlich alle genannten Unternehmen (EIU, EVU und integrierte Eisenbahnunternehmen) angesprochen.
2. Sonderregime für Hochleistungsstrecken: Die Trassengenehmigung Das Fachplanungsregime für Haupt- und Nebenbahnen wurde bereits 1989 mit Einführung einer neuen Kategorie von Eisenbahnen, den so genannten Hochleistungsstrecken, durch das Hochleistungsstreckengesetz (HLG)235 grundlegend geändert236. Denn mit HLG wird dem eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsverfahren auf jenen durch VO der Bundesregierung zu Hochleistungsstrecken erklärten Bahnen237 ein dem BStG nachempfundenes Trassenfestlegungsverfahren vorgeschaltet. Allerdings erfolgt die Festlegung der Trasse, insbesondere auf Grund der Entwicklung in Zusammenhang mit der Genehmigung von Bundesstraßen238, seit der HLG-Novelle 2004239 nicht mehr durch VO sondern durch Bescheid.
235 236 237 238 239
BGBl 1989/135 idF BGBl I 2004/154. Näher Schäffer, Entwicklungen, 115. Für alle übrigen Bahnen erfolgt die grundlegende Festlegung des Verlaufes der Eisenbahn im Konzessionsverfahren. Siehe dazu oben Kapitel 1 II.C.2. BGBl I 2004/154.
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3. Geteilte UVP: Trassen-UVP und konzentriertes Genehmigungsverfahren Für Hochleistungsstrecken ist, vergleichbar den Bundesstraßen, die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) in Rahmen des Trassengenehmigungsverfahrens nach dem HLG iVm 3. Abschnitt des UVP-G durchzuführen. Für Nicht-Hochleistungsstrecken, bei denen die Baumaßnahmen den Vorhabensbegriffen entsprechen bzw die Schwellenwerte von Anhang 1 Z 10 und 11 UVP-G übersteigen, ist die UVP in einem konzentrierten Genehmigungsverfahren nach dem 2. Abschnitt des UVP-G durchzuführen, in dem die Eisenbahnbehörde mitwirkende Behörde ist.
4. Eisenbahnrechtliche Baugenehmigung und Genehmigung von Schienenfahrzeugen Für den Bau aller Eisenbahnanlagen und nicht ortsfesten eisenbahnsicherungstechnischen Einrichtungen (auch von Hochleistungsstrecken) ist eine eisenbahnrechtliche Baugenehmigung (§§ 31 ff EisbG) und eine Betriebsbewilligung (§ 34 ff EisbG) erforderlich. Für die Inbetriebnahme von Schienenfahrzeugen ist eine Bauartgenehmigung erforderlich (§ 32 ff EisbG).
5. Exkurs: Neuregelung des Genehmigungsregimes für Seilbahnen Für die Genehmigung von Seilbahnen hat sich 2003 eine entscheidende Änderung ergeben. Seither ist die Genehmigung des Baus und Betriebs von Seilbahnen zur Gänze außerhalb des EisbG in einer separaten Rechtsvorschrift, dem Seilbahngesetz 2003 (SeilbG)240, geregelt. Seilbahnen iSd § 2 SeilbG sind nunmehr auch die Schlepplifte (§ 2 Z 4 SeilbG), womit die vormals erforderliche Abgrenzung zur GewO241, der die Genehmigung von Schleppliften bis dahin unterstellt war, nicht mehr erforderlich ist. Für den Bau und Betrieb einer öffentlichen Seilbahn (§ 5 SeilbG) ist eine Konzession nach den §§ 21 ff SeilbG erforderlich, für den Bau und Betrieb nicht öffentlicher Seilbahnen eine Genehmigung nach den §§ 110 ff SeilbG (§ 16 SeilbG). Im Konzessionserteilungsverfahren ist auch der „Bauentwurf“ gemäß § 31 SeilbG zu prüfen, für die Genehmigung des Baus ist allerdings eine separate Baugenehmigung erforderlich.
B. Die Genehmigung von Nicht-Hochleistungsstrecken 1. Konzession zum Bau und Betrieb von Haupt- und Nebenbahnen Eine eisenbahnrechtliche Konzession ist gemäß § 14 Abs 1 EisbG erforderlich für: • Bau und Betrieb von sowie zur Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen auf Straßenbahnen und nicht vernetzten Nebenbahnen • Bau und Betrieb von Hauptbahnen und vernetzten Nebenbahnen Die Unterscheidung in § 14 Abs 1 EisbG entspricht der Trennung von „Betreiber der Infrastruktur“ und „Erbringer der Verkehrsleistung“ auf Hauptbahnen und vernetzten 240 241
BGBl I 2003/103 idF BGBl I 2006/59. Klecatsky, Plädoyer für eine legislative und administrative Konzentration des Seilbahn- und Schleppliftwesens in Österreich, ZVR 1975, 289; Zeleny, 96, mwH.
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Nebenbahnen. Auf diesen umfasst die Konzession nur Bau und Betrieb, wobei Betrieb nicht als Fahrbetrieb, sondern als Betrieb der Schieneninfrastruktur (Wartung, Inspektion und Instandhaltung242) zu verstehen ist. Für den Fahrbetrieb auf solchen Bahnen ist je nach Umfang der Verkehrsleistung - eine „Verkehrsgenehmigung“ gemäß § 15 EisbG oder eine „Verkehrskonzession“ gemäß § 16 EisbG erforderlich. Nur bei Straßenbahnen und nicht vernetzten Nebenbahnen (Schmalspurbahnen oder Zahnradbahnen) ist gemäß § 14 Abs 1 Z 1 EisbG eine einheitliche Konzession für Bau und Betrieb sowie zur Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen zu erteilen.
Handelt es sich um bundeseigene Eisenbahnen, ist gemäß § 14 Abs 2 EisbG keine Konzession erforderlich. Was unter bundeseigenen Eisenbahnen zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht definiert. Vor dem Hintergrund des zentralen Genehmigungskriteriums für die Konzessionserteilung, das Vorliegens eines öffentlichen Interesses, sind mE bundeseigene Eisenbahnen als solche zu verstehen, welche auf Grund eines besonderen gesetzlichen Auftrages (vgl etwa § 31 BBG) durch Eisenbahngesellschaften des Bundes errichtet werden243, weil sich auf Grund eines solchermaßen gesetzlich determinierten Auftrages und dessen finanzieller Bedeckung durch den Bund (vgl § 42 f BBG) die Prüfung des öffentlichen Interesses und der erforderlichen Geldmittel (§ 14 a Abs 1 EisbG) an der Bahnstrecke erübrigt. Im Übrigen sind die jeweiligen EIU des Bundes ohnehin von der Konzessionspflicht befreit (§ 51 BBG und § 5 Abs 1 BEGG).
Im Antrag auf Erteilung der Konzession ist glaubhaft zu machen, dass die Eisenbahn öffentlichen Interessen dient, und anzugeben, wie die erforderlichen Geldmittel beschafft werden sollen (§ 14a Abs 1 EisbG). Dem Antrag sind eine Darstellung des Bauvorhabens, ein Kostenvoranschlag, eine Wirtschaftlichkeitsberechnung mit Verkehrsschätzung, ein Bauentwurf und ein Bau- und Betriebsprogramm beizugeben (§ 14a Abs 2 EisbG). Die Konzession darf nur erteilt werden, wenn öffentliche Interessen nicht entgegenstehen oder wenn das öffentliche Interesse am Eisenbahnbauvorhaben die entgegenstehenden Interessen überwiegt (Gemeinnützigkeit der Eisenbahn)244. Für Eisenbahnen, die keine Hochleistungsstrecken sind, wird mit der Konzessionserteilung die Trassenführung ungefähr bestimmt245, bei Hochleistungsstrecken erfüllt die TrassenVO in Bezug auf die räumliche Festlegung die Funktion der Konzession. 242 243
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Vgl auch die Aufgaben der ÖBB Infrastruktur Betrieb AG gemäß § 26 Bundesbahngesetz. AA offenbar Hauer, 6, der die Ausnahme lediglich auf den Bund selbst beschränken will und die Eisenbahnunternehmen des Bundes nicht von der Ausnahme erfasst sieht. Öffentliche Interessen sind insbesondere das Interesse an der Vereinheitlichung oder Rationalisierung des Eisenbahnverkehrs, das Verkehrsvolumen, die Streckenlänge, die sonstige verkehrswirtschaftliche Bedeutung der Eisenbahn, eine dem Verkehrsbedürfnis entsprechende Umstellung vom Straßenverkehr (vgl Rill/Schäffer, 176) aber auch Interessen des Umweltschutzes (VwSlg 14.896A/1998); vgl auch Hauer, 7 f mwH. Arg: „Darstellung des Bauvorhabens und Kostenvoranschlag“ (§ 17 Abs 2 EisbG). Die Erteilung der Konzession erfolgt also auf Basis eines Vorhabensplans, der das Ergebnis einer Detailplanung und nicht eines generellen Projekts (das der Detailplanung eine Reihe von Gestaltungsvarianten offen lassen würde) ist; Vgl auch Rohregger, ZfV 1996, 671 (FN 34), der vom objektsbezogenen Charakter der Konzession spricht.
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Das Konzessionsverfahren ist idR ein Einparteienverfahren, in welchem die betroffenen Grundeigentümer keine Parteistellung haben246, obgleich die Konzession für die Baugenehmigung und ein allfälliges Enteignungsverfahren präjudizierende Wirkung entfaltet. Vor Erteilung der Konzession ist gemäß § 14a Abs 3 EisbG dem jeweiligen Landeshauptmann, soweit dieser für die Erteilung nicht selbst zuständig ist, und den Gemeinden, deren örtlicher Wirkungsbereich durch die geplante Eisenbahn berührt wird, Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von 30 Tagen zu geben. Gemäß § 14b EisbG ist die Konzession zwingend befristet zu erteilen und eine angemessene Betriebseröffnungsfrist festzusetzen, deren Nichteinhaltung zum Erlöschen der Konzession führt (§ 14f Z 2 EisbG). Die Konzessionsdauer kann auf Antrag verlängert werden, wenn nicht bestimmte öffentliche Interessen, wie Vereinheitlichung oder Rationalisierung des Eisenbahnverkehrs, entgegenstehen; für den Fall, dass die Behörde vor Ablauf der Befristung nicht über die Verlängerung entscheidet, gilt diese als um ein Jahr verlängert (§ 14d EisbG).
2. Die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung Für den Bau oder die Veränderung von Eisenbahnanlagen (§ 10 EisbG) und nicht ortsfesten sicherheitstechnischen Einrichtungen ist gemäß § 31 EisbG eine eisenbahnrechtliche Baugenehmigung erforderlich. Bestimmte geringfügige Änderungen an Eisenbahnanlagen und sicherheitstechnischen Einrichtungen sind unter den in § 36 EisbG genannten Voraussetzungen, welche durch VO des Verkehrsministers247 näher bestimmt werden können, genehmigungsfrei. Eisenbahnanlagen sind gemäß § 10 EisbG Bauten, ortsfeste sicherungstechnische Einrichtungen und Grundstücke, die ganz oder teilweise, unmittelbar oder mittelbar der Abwicklung oder Sicherung des Betriebes einer Eisenbahn, des Betriebes von Schienenfahrzeugen auf einer Eisenbahn oder des Verkehrs auf einer Eisenbahn dienen, wobei ein räumlicher Zusammenhang mit der Schieneninfrastruktur nicht erforderlich ist248.
Seit der Änderung der Bestimmungen über die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung mit der EisbG-Novelle 2006249 unterliegen auch nur noch Eisenbahnanlagen und „eisenbahnsicherungstechische“ Anlagen der Bewilligungspflicht. Die bisher in § 36 EisbG vorgesehene Genehmigung eisenbahntechnischer Anlagen ist entfallen.250 Als weitere Verfahrensvereinfachung wurde mit der EisbG-Novelle 2006 eine „Bauartgenehmigung“ eingeführt (§§ 33 ff
246 247
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Rohregger, ZfV 1996, 671 (674 f); Hauer, 9 mwH. Etwa die Verordnung geringfügiger Baumaßnahmen, BGBl II 2005/5; die Geltung der VO wurde durch die EisbG-Novelle 2006 nicht berührt, teils wird allerdings eine Anpassung an die geänderte gesetzliche Grundlage erforderlich sein. Zur den Eisenbahnanlagen vgl Geuder, Die rechtliche Stellung der Eisenbahnanlage im gemeindlichen Planungs- und Baurecht, ÖGZ, 1969, 36 f; Maschke, Eisenbahnrechtliches Baugenehmigungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes, ÖJZ 1960, 365 (366 f); derselbe, Verwaltungsgebäude der ÖBB: Keine Eisenbahnanlagen? ZVR 1965, 35; Krzicek, Baurecht I, 1972, 158; Schlossarek, 19. BGBl I 2006/125. Allgemeiner Teil der Erläuterungen der RV EisbG-Novelle 2006, 1412 BlgNR 22. GP, 3.
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EisbG), mit der eine unbestimmte Anzahl baugleicher sicherungstechnischer Anlagen oder deren Veränderung genehmigt werden kann. Das Eisenbahnbauverfahren ist ein weitestgehend bautechnisches Verfahren, in welchem die Behörde im Wesentlichen zu prüfen hat, ob das Bauvorhaben im Zeitpunkt der Antragstellung dem Stand der Technik (§ 9b EisbG) entspricht (§ 31 f Z 1 EisbG) und das Interesse am Vorhaben die Interessen anderer Gebietskörperschaften und die Verletzung eingewandter subjektiv öffentlicher Rechte überwiegt (§ 31 f Z 1 EisbG)251. Einem drohenden Schaden von Leben oder Gesundheit hat die Behörde durch die Vorschreibung von Auflagen zu begegnen, wobei dies auch für Lebens- oder Gesundheitsgefahren gilt, die mit Immissionen einhergehen.252 Das Baugenehmigungsverfahren ist in folgende Abschnitte gegliedert: • Auflage des Bauentwurfs zur Einsicht durch mindestens zwei Wochen in den Gemeinden, deren örtlicher Wirkungsbereich berührt wird. • Stellungnahmerecht der Dienststellen der berührten Gebietskörperschaften. • Bauverhandlung nach Maßgabe von § 31c EisbG. Parteien des Bauverfahrens sind gemäß § 31d EisbG insbesondere253 der Bauwerber, die Eigentümer und dinglich Berechtigten der betroffenen Liegenschaften. Betroffene Liegenschaften sind die durch den Bau in Anspruch genommenen Liegenschaften und die Liegenschaften im Bauverbotsbereich (§ 42 EisbG) und Feuerbereich (§ 43a EisbG). Weitere Parteien254 sind die Wasserberechtigten und die Bergwerksberechtigten. Welche Einwendungen zuzulassen sind, ist nicht klar geregelt. Jedenfalls können die Grundeigentümer eisenbahnfachliche Gesichtspunkte zur Abwehr von Gefahren für ihr Eigentum, die durch die Errichtung oder den Betrieb der Eisenbahn ausgelöst werden, ins Treffen führen. Im Übrigen ist der Kreis zulässiger Einwendungen für die Parteien des Eisenbahnverfahrens ernüchternd.255 Dies nicht zuletzt auf Grund einer sehr restriktiven Rechtsprechung des VwGH, nach der Nachbarn von Eisenbahnen insbesondere kein subjektives Recht auf die Abwehr von Immissionen (auch nicht von Erschütterungen) haben.256
3. UVP-pflichtige Eisenbahnprojekte Die Umweltverträglichkeit von Eisenbahnbauvorhaben, die keine Hochleistungsstrecken sind, ist in einem konzentrierten Genehmigungsverfahren nach dem 2. Abschnitt des UVP-G zu prüfen. Bedingt durch die dadurch notwendige Berücksichtigung der Genehmigungskriterien des § 17 UVP-G wurde der 251 252 253
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Zur Interessenabwägung vgl Hauer, 13 ff. VwGH 13.3.1991, 90/03/0038; siehe dazu insb Hauer, 16 mwH. Die Aufzählung der Parteien in § 31d EisbG ist auch weiterhin demonstrativ [Hauer, 18 (FN 77)], zumal mit EisbG-Novelle 2006 die Vorgängerregelung des § 34 Abs 4 EisbG übernommen wurde (RV zu § 31d, 1412 BlgNR 22. GP). Ausführlich Hauer, 21 ff; Zeleny, Alternativvarianten im eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsverfahren, ZVR 2001, 2 ff. Rohregger, ZfV 1996, 671 (675 f); Zeleny, 215 ff. Ausführlich Hauer, 20 mwH. Vgl die Übersicht über die Rspr bei Lewisch, 136 ff, und bei Liebmann, § 35 Rz 3 ff.
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Umweltstandard im eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsverfahren, über die ebenfalls im Rahmen der UVP zu entscheiden ist, erheblich angehoben. Die UVP-pflichtigen Eisenbahnvorhaben257, die keine Hochleistungsstrecken sind, sind in Anlage 1 Z 10 und 11 UVP-G, jene für Seilbahnen in Anlage 1 Z 12 enthalten. Spalte 1 nennt dabei die Vorhaben, die einer UVP im „ordentlichen Verfahren“, und Spalte 2 jene Vorhaben, die einer UVP im „vereinfachten Verfahren“ zu unterziehen sind. Spalte 3 nennt Vorhaben, die in schutzwürdigen Gebieten bei Erreichen eines bestimmten Schwellenwertes und nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung einer UVP im „vereinfachten Verfahren“ zu unterziehen sind. Über die Umweltverträglichkeit des Vorhabens, die Erteilung der Baugenehmigung sowie über die sonst erforderlichen materienrechtlichen Genehmigungen ist in einem konzentrierten Genehmigungsverfahren nach dem 2. Abschnitt des UVP-G durch die Landesregierung (§ 39 UVP-G) abzusprechen. Die zuständige Eisenbahnbehörde ist in diesem Verfahren mitwirkende Behörde im Sinn des § 2 Abs 1 UVP-G. Die Konzessionserteilung ist seit der UVP-G-Novelle 2000258 bedenklicherweise259 nicht mehr in das konzentrierte Genehmigungsverfahren miteinzubeziehen, das heißt, über die Erteilung der Konzession, in der auch eine grobe Bestimmung der Linienführung erfolgt260, ist zuvor durch die Eisenbahnbehörde abzusprechen. Das UVP-Verfahren nach dem 2. Abschnitt (ordentliches und vereinfachtes Verfahren) wird in diesem Handbuch von Madner dargestellt.
4. Betriebsbewilligung Vor Inbetriebnahme von Eisenbahnanlagen und nicht ortsfesten eisenbahnsicherheitstechnischen Einrichtungen ist eine Betriebsbewilligung gemäß den §§ 34 ff EisbG einzuholen, wenn für diese Anlagen eine eisenbahnrechtliche Baugenehmigung erforderlich war und erteilt wurde (§ 34 Abs 1 EisbG). Für die Inbetriebnahme von Schienenfahrzeugen ist eine Betriebsbewilligung erforderlich, wenn hiefür eine Bauartgenehmigung erforderlich war (§ 34 Abs 2 EisbG). Die Betriebsbewilligung für Eisenbahnanlagen und nicht ortsfeste eisenbahnsicherheitstechnische Einrichtungen ist ohne weiteres zu erteilen, wenn
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Abgesehen von den in Anhang 1 Z 11 UVP-G genannten Vorhaben, wie Verschubbahnhöfe, Frachtenbahnhöfe, Güterterminals oder Güterverkehrszentren entsprechen die angeführten Vorhabensbegriffe jenen in § 23b UVP-G angeführten Vorhabensbegriffen, sodass auf die Ausführungen in Zusammenhang mit der Trassen-UVP (siehe unten II.C.6.) verwiesen wird. BGBl I 2000/89. Dies ist vor dem Hintergrund der Zwecke der UVP-RL und, da für NichtHochleistungsstrecken keine strategische Prüfung vorgesehen ist, auch vor denen der SUP-RL (FN 93) bedenklich, weil die Konzession, insbesondere was den Trassenverlauf betrifft, präjudizierende Wirkung für die nachfolgenden Genehmigungsverfahren, in denen der Kreis der Parteien weiter ist, entfaltet. Das bedeutet aber, dass für Trassenvarianten und eine wirksame Prüfung der Kriterien des § 17 UVP-G im Baugenehmigungsverfahren kaum Spielraum bleibt. Hauer, 12.
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diese unter der Leitung von im Verzeichnis gemäß § 40 EisbG261 eingetragenen Personen ausgeführt wurde und keine Bedenken bestehen, dass - vereinfacht gesagt - ein sicherer Betrieb der Eisenbahn gewährleistet ist. Ansonsten, dh bei Nichteinbindung der genannten Personen oder bei Bedenken der Behörde, ist zu prüfen, ob die Anlagen und Einrichtungen der Baugenehmigung entsprechen (§ 35 Abs 1 EisbG). Für Schienenfahrzeuge ist, wenn keine Sicherheitsbedenken bestehen, die Betriebsbewilligung unter der aufschiebenden Bedingung zu erteilen, dass eine Erklärung von im Verzeichnis gemäß § 40 EisbG eingetragenen Personen vorgelegt wird, welche - vereinfacht gesagt - eine anstandslose Erprobung des Schienenfahrzeuges ausweisen muss. Mit Vorlage der Erklärung wird die Betriebsbewilligung rechtswirksam. Ansonsten, dh bei Nichteinbindung der genannten Personen oder bei Bedenken der Behörde, ist zu prüfen, ob die Schienenfahrzeuge der Baugenehmigung entsprechen (§ 35 Abs 2 EisbG).
C. Die Genehmigung von Hochleistungsstrecken 1. Eine neue Kategorie von Eisenbahnen: Hochleistungsstrecken Das Hochleistungsstreckengesetz (HLG)262 dient der Förderung des Ausbaus des Schienennetzes für einen leistungsfähigen Personen- und Güterverkehr auf der Schiene durch Erhöhung der Fahrgeschwindigkeiten263. Da zur Durchsetzung dieses Ziels große Um- und Neubauten erforderlich sind, wurde mit dem HLG ein dem eigentlichen eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsverfahren vorgeschaltetes behördliches Planungsverfahren eingeführt, für das die Regelungen des BStG erklärtermaßen Vorbild waren.264
2. Verkehrspolitische Entscheidung der BReg und strategische Umweltprüfung Die Bundesregierung kann unter den Voraussetzungen des § 1 Abs 1 HLG durch VO bestehende oder geplante Eisenbahnen (Strecken oder Streckenteile einschließlich der notwendigen Eisenbahnanlagen) zu Eisenbahn-Hochleistungsstrecken erklären, wenn diesen eine besondere Bedeutung für einen leistungsfähigen Verkehr mit internationalen Verbindungen oder für den Nahverkehr zukommt265. Nach Maßgabe von § 1 Abs 2 HLG können auch bestehende oder geplante Eisenbahnen zu Teilen von Hochleistungsstrecken erklärt werden. Die ErklärungsVO der BReg ist verkehrspolitische Entscheidung, die
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In das vom Verkehrsminister gemäß § 40 Abs 1 EisbG zu führende Verzeichnis können verlässliche und gemäß Abs 2 besonders qualifizierte Eisenbahnbedienstete eingetragen werden. Ihnen gleichzuhalten sind gemäß § 40 Abs 4 EisbG bestimmte Organisationen oder Personen, wie Anstalten des Bundes, akkreditierte Stellen, Ziviltechniker udgl. BGBl 1989/135 idF BGBl I 2004/154. Zu den sonstigen Mitteln der Verbesserung der Eisenbahninfrastruktur Schäffer, Entwicklungen, 116 ff. AB zum HLG, 873 BlgNR 17.GP, 1. 1. - 4. Hochleistungsstrecken-Verordnung: BGBl 1989/370 idF BGBl II 1998/397; BGBl 675/1989; BGBl 83/1994; BGBl II 1997/273.
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für Hochleistungsstrecken durch Verwaltungsakt, für Bundesstraßen durch Gesetz getroffen wird. Die Umsetzung der Vorgaben der SUP-RL266 erforderte auch Änderungen in den rechtlichen Vorgaben für Netzveränderungen im Eisenbahnbereich. Die Umsetzung der RL wurde auf Hochleistungsstrecken beschränkt. Wie für bedeutsame Netzveränderungen bei Bundesstraßen ist für bestimmte Netzveränderungen bei Hochleistungsstrecken eine strategische (Umwelt-)Prüfung nach dem Bundesgesetz über eine strategische Prüfung im Verkehrsbereich (SP-VGesetz)267 durchzuführen. Gegenstand der Prüfung sind Verordnungsentwürfe, die eine Erklärung von weiteren geplanten oder bestehenden Eisenbahnen gemäß § 1 HLG oder eine Änderung von VO gemäß § 1 HLG zum Gegenstand haben (§ 3 Abs 1 Z 1 SP-V-Gesetz). Das Verfahren nach dem SP-V-Gesetz entspricht grundsätzlich dem der Netzänderung im Bereich der Bundesstraßen, sodass auf die Ausführungen268 dazu verwiesen wird. Allerdings führt die Verletzung von Vorschriften des SP-V-Gesetz bei Hochleistungsstrecken, im Gegensatz zu Bundesstraßen, für die die Netzänderung durch Gesetz erfolgt, zu einer Gesetzwidrigkeit der VO der BReg, weil das Gesetz mE als besondere Regelung des Verordnungserlassungsverfahrens zu deuten ist. Die Erklärung zur Hochleistungsstrecke kann durch contrarius actus des Verordnungsgebers wieder aufgehoben werden, wenn die in § 1 HLG genannten Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.269
3. Von der Trassenverordnung zur bescheidförmigen Genehmigung der Trasse Vergleichbar den Bundesstraßen war dem eisenbahnrechtlichen Bauverfahren für Hochleistungsstrecken ein Trassenverordnungsverfahren270 vorgeschaltet. Offenbar auf Grund ähnlicher Bedenken gegen die Genehmigung einer Trasse durch VO wurde zeitgleich mit der Änderung des Genehmigungsregimes für Bundesstraßen271 auch das für Hochleistungsstrecken geändert. An die Stelle einer TrassenVO ist nunmehr auch für Hochleistungsstrecken die bescheidförmige Trassengenehmigung gemäß § 3 HLG getreten. Nach der Absicht des Gesetzgebers272 sollte, trotz der Änderung in der Rechtsform, das Genehmigungsregime im Übrigen materiell gleich belassen werden. Die Umstellung auf die bescheidförmige Genehmigung sollte lediglich die Berücksichtigung der Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung in rechtsverbindlicher Weise ermöglichen.
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RL 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, Abl L 197/30. BGBl I 2005/96. Siehe oben Kapitel 1 II.C.1. AA offenbar Zeleny, Einige Bemerkungen zu den Erklärungsverordnungen nach § 1 HLG, ZVR 1996, 354 (357), der eine Analogie zu § 4 Abs 2 BStG erwägt. Siehe dazu die Vorauflage, 858 ff. Zu Hintergrund und Genese der Umstellung siehe oben Kap 1, II.C.2. Bericht und Antrag des Umweltausschusses zu Art 2, 758 BlgNR 22. GP.
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4. Erfordernis der Trassengenehmigung nach HLG: Neubau- und Ausbauhochleistungsstrecken Nach § 3 Abs 1 HLG ist grundsätzlich nur für Hochleistungsstrecken, die nicht durch Ausbaumaßnahmen iSd HLG eingerichtet werden können (Neubauhochleistungsstrecken), zur Sicherstellung des Trassenverlaufes eine bescheidförmige Trassengenehmigung erforderlich. Für Ausbauhochleistungsstrecken ist keine solche Genehmigung vorgesehen.273 Zu Ausbaumaßnahmen zählt § 3 Abs 1 HLG auch Ausbaumaßnahmen geringen Umfanges oder die Zulegung eines weiteren Gleises auf einer durchgehenden Länge von weniger als 10 km, wenn in diesen Fällen die Mitte des äußersten Gleises der geänderten Trasse von der Mitte des äußersten Gleises der bestehenden Trasse nicht mehr als 100 m entfernt ist. Eine Änderung der Trasse bestehender Eisenbahnen um mehr als 100 m ist somit als Neubauhochleistungsstrecke zu qualifizieren (§ 23b Abs 1 UVP-G), deren Verlauf gemäß § 3 HLG durch Bescheid festzulegen ist.
Eine Trassengenehmigung ist gemäß § 3 Abs 2 HLG auch dann erforderlich, wenn für den Bau oder die Änderung einer Hochleistungsstrecke oder für eine Begleitmaßnahme eine UVP durchzuführen ist. Denkbar wäre, diese Bestimmung so zu verstehen, dass auch eine UVP-Pflicht auf Grund von Z 10 Anhang 1 UVP-G eine Pflicht zur Trassengenehmigung nach § 3 HLG auslösen würde. Systematisch interpretiert, wird man die Anordnung richtigerweise jedoch bloß auf jene in § 23b UVP-G angeführten Vorhaben beziehen.
5. Trassengenehmigung nach HLG a) Der Planungsspielraum bei der Trassenfestlegung Die gesetzliche Ausgestaltung des Planungsspielraums bei der Trassengenehmigung von Hochleistungsstrecken274 erfolgte in Anlehnung an das BStG: Nach § 3 Abs 1 HLG hat der Verkehrsminister den Trassenverlauf einer Hochleistungsstrecke nach den Erfordernissen einer leistungsfähigen und wirtschaftlichen Eisenbahn und die sonstigen öffentlichen Interessen sowie die Ergebnisse der Anhörung nach § 4 HLG zu bestimmen. Mit der HLG-Novelle 1994275 wurde das Kriterium des Erfordernisses einer leistungsfähigen Eisenbahn um das Erfordernis einer leistungsfähigen wirtschaftlichen Eisenbahn ergänzt, wobei die RV276 ausdrücklich auf den Begriff der Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens nach § 4 Abs 1 BStG hinweist. Somit ist auch das Kriterium der Gesamtkosten und Erträge des konkreten Bauvorhabens in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen, wobei sich die für die Wirtschaftlichkeit einer Eisenbahn relevanten Gesichtspunkte von den für die Wirtschaftlichkeit eines Straßenbauvorhabens relevanten Gesichtspunkten unterscheiden.277 Im Abwägungsprozess sind auch sonstige öffentliche Interessen zu berücksichtigen, wozu auch der Umwelt- und Nachbarschutz zu zählen ist. Letztlich ist auf die Ergebnisse der Anhörung nach § 4 HLG Bedacht zu nehmen, was eine sachliche und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit 273
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So zur bisherigen Rechtslage, jedoch weiterhin zutreffend Zeleny, 152; aA Raschauer, Kommentar zum UVP-G, 1995, 142. Die Qualifikation als Ausbauhochleistungsstrecke hat zur Folge, dass bloß die sonstigen Bestimmungen des HLG, etwa die Möglichkeit der Übertragung der Planung und des Baus an die ÖBB Infrastruktur Bau AG anzuwenden sind. Zu den Determinanten der Trassenfestlegung siehe Hauer, 33 ff. BGBl 1994/655. 1670 BlgNR 18.GP, 4. Zeleny, Die HLG-Novelle 1994, ÖJZ 1996, 761 (765).
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den eingelangten Stellungnahmen vor Erlassung der Trassengenehmigung von der Behörde verlangt.278
b) Trassengenehmigungsverfahren und Parteistellung Nach § 4 Abs 1 HLG sind vor Erlassung des Trassengenehmigungsbescheides nach Maßgabe von § 4 Abs 2 HLG erstellte Planunterlagen den Ländern, deren örtlicher Wirkungsbereich von der geplanten Trassenfestlegung berührt wird, und den in ihrem Wirkungsbereich berührten gesetzlichen Interessenvertretungen zu übermitteln und sind diese Anzuhörenden zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb einer vom Verkehrsminister festzulegenden Frist zu ersuchen. Ebenso sind die Gemeinden, deren örtlicher Wirkungsbereich von der geplanten Trassenfestlegung berührt wird, gemäß § 4 Abs 3 HLG zu hören, wobei die zu übermittelnden Planunterlagen auf den örtlichen Wirkungsbereich der jeweiligen Gemeinde beschränkt werden können. Es ist jedoch nicht vorgesehen, dass der einzelne Betroffene das Recht zur Abgabe einer Stellungnahme hat, wie dies etwa § 4 Abs 5 BStG vorsieht, was die Materialien279 zum HLG damit begründen, dass die Bürger - im Unterschied zu Bundesstraßen - ohnehin Parteistellung im eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsverfahren hätten. Dies vermag freilich den Entfall des Stellungnahmerechts nur teilweise zu kompensieren. Dies führt allerdings zur Frage, ob nicht infolge der Umstellung von der VO auf die bescheidförmige Genehmigung bestimmten Personen nunmehr Parteistellung auf Grund von § 8 AVG zukommt. Der schlichte Wortlaut des § 8 AVG spricht für die Parteistellung der von den Rechtswirkungen der Trassengenehmigung, wie ein Bauverbot gemäß § 5 Abs 1 HLG, in ihren Rechten verletzten Grundeigentümer, uU auch der Nachbarn. Im Hinblick auf eine mögliche Parteistellung ordnet § 4 Abs 2 letzter Satz HLG lediglich an, dass subjektive Rechte „hierdurch“ nicht begründet werden, wobei sich die Bestimmung lediglich auf die Darstellung der Umweltauswirkungen bezieht und damit die Geltendmachung subjektiver Rechte der betroffenen Grundeigentümer jedenfalls nicht ausschließt. Verfassungsrechtlich zwingend wäre Anordnung einer Parteistellung allerdings nicht, weil das Gesetz auch Ausnahmegenehmigungen von den Verboten des § 5 Abs 1 HLG zulässt (§ 5 Abs 3 - 5 HLG) und - zumindest wenn man VfSlg 14.387/1995 zu Grunde legt - der Trassenfestlegung keine bindende Wirkung für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren zukommt. Letztere Feststellung lässt sich freilich für UVP-pflichtige Trassengenehmigungsverfahren keinesfalls mehr aufrecht erhalten, weil es gerade Ziel der Gesetzesänderung mit der UVP-G-Novelle 2004 war, die Ergebnisse der UVP verbindlich vorzuschreiben. Verfassungsnäher, vor allem im Hinblick auf das Rechtsstaatsgebot, wäre es ohnedies, eine Parteistellung im Zweifel zu bejahen. Ein Ergebnis, das der Gesetzgeber aber wohl nicht bedacht hat.
Die Frage der Parteistellung im Trassenverordnungsverfahren wird allerdings durch den Umstand entschärft, dass die Tatbestände, welche eine Pflicht zur Trassengenehmigung auslösen, regelmäßig ein Vorhaben iSd § 23b UVP-G darstellen, sodass den in Frage kommenden Personen ohnehin Parteistellung gemäß § 24h Abs 8 UVP-G iVm § 19 Abs 1 Z 1 zukommt. Diese Parteistellung 278 279
VfSlg 13.191/1992; vgl auch Berka, Das Planungsermessen bei der Trassierung von Bundesstraßen, FS Winkler, 1997, 67 (78). AB 873 BlgNR 17. GP, 3.
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ist allerdings auf die Geltendmachung subjektiver Rechte nach UVP-G beschränkt. c) Rechtswirkungen einer Trassenfestlegung Gemäß § 3 Abs 3 HLG ist der Verlauf der Trasse derart zu bestimmen, dass ein für den Bau der Eisenbahnanlagen, Nebenanlagen und Begleitmaßnahmen erforderlicher und den örtlichen Verhältnissen entsprechender Geländestreifen, welcher eine Breite von 150 m nicht überschreiten darf, festgelegt wird (Hochleistungsstrecken-Baugebiet)280. Im Hochleistungsstrecken-Baugebiet dürfen nach § 5 Abs 1 HLG Neu-, Zu- und Umbauten nicht vorgenommen werden, keine Anlagen sonst errichtet oder geändert werden, keine Gewinnung mineralischer Rohstoffe aufgenommen werden sowie keine Deponien errichtet oder erweitert werden; Ausnahmen von der Rechtswirkung der TrassenVO können auf Grund von § 5 Abs 3 bis 5 HLG erteilt werden. Die Trassengenehmigung nach HLG ist eine weit weniger konkrete Festlegung als die nach § 4 BStG, am ehesten ist sie mit der Wirkung des Bundesstraßenplanungsgebietes (§ 14 BStG) vergleichbar.281 Die Rechtswirkungen der Trassengenehmigung sind gemäß § 5 Abs 8 HLG für unwirksam zu erklären, insoweit sie zur Sicherstellung des geplanten Trassenverlaufs nicht mehr notwendig ist. Daraus wird deutlich, dass die TrassenVO nach § 3 HLG keine rechtsverbindliche - und in diesem Sinne sozusagen endgültige - Bestimmung des Trassenverlaufes zum Gegenstand hat. Der Zweck der planerischen Festlegung eines „Geländestreifens“ (§ 3 Abs 2 HLG), also noch nicht des Gleisverlaufes selbst, liegt in der Verhinderung baulicher Veränderungen in diesem Gelände (Bauverbot)282. Ebenso wenig, wie das Bundesstraßenplanungsgebiet eine Rechtsgrundlage der Trassengenehmigung nach § 4 BStG bildet, ist auch die Festlegung des Hochleistungsstreckenbaugebietes keine Rechtsgrundlage für die rechtsverbindliche Festlegung der Eisenbahntrasse im Baugenehmigungsverfahren. Wenn nämlich - so VfSlg 14.387/1995 - der Bundesminister (zum Zeitpunkt des Erkenntnisses noch) die TrassenVO außer Kraft zu setzen hat, wenn und insoweit sie zur Sicherstellung des geplanten Trassenverlaufs nicht mehr notwendig ist, wird jede Interpretation einer TrassenVO nach § 3 Abs 1 HLG als Rechtsgrundlage des eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungs- und Betriebsbewilligungsverfahrens hinfällig. Daher erachtete der VfGH auch die TrassenVO in einem gegen einen eisenbahnrechtlichen Baubescheid gerichteten Verfahren nach Art 144 Abs 1 B-VG als nicht präjudiziell283.
6. Die Trassen-UVP für Hochleistungsstrecken a) UVP-pflichtige Vorhaben Für folgende Vorhaben ist gemäß § 23b Abs 1 UVP-G eine UVP nach dem 3. Abschnitt UVP-G im ordentlichen Verfahren durchzuführen: 280 281 282
283
Vgl Schäffer, Entwicklungen, 118. Zeleny, 154, FN 191. VfSlg 14.387/1995 (Die dem Erkenntnis zugrunde liegende Rechtslage hat sich seither geändert). Jedoch auch in seiner geltenden Fassung spricht § 5 HLG von den „vom künftigen Trassenverlauf betroffenen Grundstücksteilen (§ 5 Abs 1 HLG)“ und ordnet § 5 Abs 8 HLG an, dass die Rechtswirkungen der Trassengenehmigung für unwirksam zu erklären sind, „wenn oder insoweit sie zur Sicherstellung des geplanten Trassenverlaufes nicht mehr notwendig sind“. VfSlg 14.387/1995.
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Neubau von Eisenbahn-Fernverkehrsstrecken oder ihrer Teilabschnitte. Neubau von sonstigen Eisenbahnstrecken oder ihrer Teilabschnitte auf einer durchgehenden Länge von mindestens 10 km. • Änderung von Eisenbahnstrecken oder ihrer Teilabschnitte auf einer durchgehenden Länge von mindestens 10 km, sofern die Mitte des äußersten Gleises der geänderten Trasse von der Mitte des äußersten Gleises der bestehenden Trasse mehr als 100 m entfernt ist. Der Begriff der Eisenbahn-Fernverkehrsstrecke ist dem österreichischen Eisenbahnrecht fremd. Es handelt es sich um einen unmittelbar aus der UVP-RL übernommenen Begriff, der nicht wie sonst üblich284 anhand des verwiesenen Sachrechts interpretiert werden kann. Der Begriff der Eisenbahn-Fernverkehrsstrecke ist jedenfalls nicht deckungsgleich mit dem Begriff der Hochleistungsstrecke, sonst wäre die Unterscheidung zwischen Eisenbahn-Fernverkehrsstrecken und sonstigen Eisenbahnstrecken in § 23b Abs 1 UVP-G überflüssig. Sofern aber eine Hochleistungsstrecke (zusätzlich) als EisenbahnFernverkehrsstrecke zu qualifizieren ist, ist jeder Neubau derartiger Strecken, soweit es sich nicht bloß um Ausbaumaßnahmen handelt285, oder ihrer Teilabschnitte UVPpflichtig. Ist eine HL-Strecke nicht als Eisenbahn-Fernverkehrsstrecke zu qualifizieren, ist das Vorhaben UVP-pflichtig gemäß § 23 Abs 1 Z 2 UVP-G, wenn es sich um einen Neubau von „Eisenbahnstrecken“ oder deren Teilabschnitten auf einer durchgehenden Länge von 10 km handelt, oder, bei einer Änderung von Eisenbahnstrecken oder deren Teilabschnitten auf einer durchgehenden Länge von 10 km, wenn die Neugleistrasse um mehr als 100 m von der bestehenden abweicht (§ 23b Abs 1 Z 3 HLG).
§ 23b Abs 2 Z 1 UVP-G nennt jene Eisenbahnvorhaben, die bei Erreichen eines bestimmten Schwellenwertes und nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung einer UVP im „vereinfachten Verfahren“ zu unterziehen sind, wenn bestimmte, in Anhang 2 UVP-G genannte schutzwürdige Gebiete berührt werden. Wenn UVP-pflichtige Begleitmaßnahmen mit dem Bau der Hochleistungsstrecke in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehen, sind diese in die Hochleistungsstrecken-UVP einzubeziehen oder der Bau der Hochleistungsstrecke, sofern dafür eine Trassengenehmigung vorgesehen ist, wird dadurch erst UVP-pflichtig (§ 23b Abs 3 UVP-G). In den nachfolgenden Genehmigungsverfahren für die Begleitmaßnahme ist dann kraft ausdrücklich gesetzlicher Anordnung keine neuerliche UVP durchzuführen (§ 23b Abs 4 UVP-G)286. Dem Problem der Umgehung einer UVP durch die bisher mögliche „Stückelung“ von Trassengenehmigungen287 versucht § 23b Abs 2 Z 2 UVP-G nun dadurch zu begegnen, dass für die Kumulierung von Vorhaben eine UVP im vereinfachten Verfahren angeordnet wird. So ist eine UVP durchzuführen, 284 285
286 287
Raschauer, Umweltverträglichkeitsprüfung und Genehmigungsverfahren, ZfV 1992, 100 (101). Hier spielt die Begrifflichkeit des HLG wiederum insoweit eine Rolle, als eine nicht weiter als 100 m überschreitende Verlegung der Eisenbahntrasse als Ausbau und nicht als Neubau zu qualifizieren ist. Zur UVP kraft Begleitmaßnahme vgl Hauer, 48. Raschauer, Kommentar zum UVP-G, § 24, Rz 6; Bergthaler/Weber/Wimmer, Die Umweltverträglichkeitsprüfung, 1998, 517 f. Zur UVP-Pflicht qua Zusammenrechnung vgl Hauer, 47 f. Zur Stückelung von Straßenbauvorhaben vgl auch VwGH 20.7.2004, 2004/05/0100.
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wenn Vorhaben des § 23b Abs 2 Z 2 und 3 (richtig wohl Z 1 und 2) UVP-G unter 10 km gemeinsam mit daran unmittelbar anschließenden, noch nicht oder in den letzten 10 Jahren dem Verkehr frei gegebenen Teilstücken, eine Länge von 10 km erreichen und auf Grund der Kumulierung nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist. Der Unterschied zwischen der UVP im ordentlichen Verfahren und der im vereinfachten Verfahren liegt im Wesentlichen im Entfall des Umweltverträglichkeitsgutachtens (§ 24c Abs 1 UVP-G), an dessen Stelle die „Zusammenfassende Bewertung der Umweltauswirkungen“ tritt (§ 24 Abs 9 UVP-G) und der Entfall der Parteistellung für Bürgerinitiativen iSd § 19 Abs 4 UVP-G (§ 24h Abs 8 UVP-G). b) Feststellungsbescheid bei Zweifel an der UVP-Pflicht Ist es zweifelhaft, ob ein Bundesstraßenbauvorhaben einer UVP zu unterziehen ist, hat der Verkehrsminister unter Anschluss von Projektunterlagen, die zur Identifikation des Vorhabens und zur Abschätzung seiner Auswirkungen dienen, die mitwirkenden Behörden, den Umweltanwalt und die Standortgemeinde zu informieren. Diese können innerhalb von 6 Wochen ab Zustellung der Unterlagen die Feststellung beantragen, dass für das Vorhaben eine UVP durchzuführen ist, worüber der Verkehrsminister (§ 24 Abs 2 UVP-G) binnen acht Wochen mit Feststellungsbescheid zu entscheiden hat (§ 24 Abs 5 UVP-G). c) Verfahren Das Verfahren der Trassengenehmigung richtet sich nach dem 3. Abschnitt des UVP-G288. Der wesentliche Unterschied zum Verfahren nach dem 2. Abschnitt ist, dass über die Trassengenehmigung nicht in einem konzentrierten Genehmigungsverfahren durch die Landesregierung, sondern in einem so genannten „teilkonzentrierten Genehmigungsverfahren“289 durch den Verkehrsminister zu entscheiden ist (§ 24 Abs 1 UVP-G). Neben der Genehmigung nach ForstG (§ 170 Abs 2 ForstG), ist auch über die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung in diesem Verfahren zu entscheiden, weil auch für deren Erteilung der Verkehrsminister in erster Instanz zuständig ist (§ 12 Abs 3 Z 1 EisbG). Über die übrigen bundesgesetzlich geregelten Genehmigungen, für deren Erteilung nicht ein Bundesminister zuständig ist, hat der Landeshauptmann ebenfalls in einem teilkonzentrierten Genehmigungsverfahren zu entscheiden (§ 24 Abs 3 UVP-G).
7. Rechtsschutz gegen die Trassengenehmigung Vor der Umstellung auf die bescheidförmige Genehmigung stellte sich die Frage, ob bei TrassenVO für Hochleistungsstrecken der Individualantrag gemäß Art 139 B-VG zulässig ist, was mit VfSlg 14.074/1995 verneint wurde290. Infolge der Umstellung auf die bescheidförmige Genehmigung kann dies frei288 289 290
Zum Verfahren vgl Hauer, 54 ff. Das Verfahren ist ident mit dem für Bundesstraßen; siehe dazu oben Kap 1, II.C.6.d). Siehe dazu die Vorauflage, 862.
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lich nun dahingestellt bleiben, weil damit allen Parteien291 des Verfahrens die Möglichkeit einer Bescheidbeschwerde an den VwGH bzw VfGH offen steht.
8. Weitere verwaltungsbehördliche Bewilligungen und Betriebsbewilligung Über alle nicht in das teilkonzentrierte Genehmigungsverfahren vor dem Verkehrsminister oder Landeshauptmann einbezogenen Genehmigungen, wie etwa die naturschutzrechtliche Genehmigung, ist ein gesondertes Verfahren durchzuführen. Vor Inbetriebnahme der Eisenbahnanlagen ist auch für Hochleistungsstrecken eine Betriebsbewilligung gemäß § 34 EisbG einzuholen.
9. Sicherung der Planung Ist bei Einleitung des Trassenverordnungsverfahrens zu befürchten, dass durch Veränderung im vorgesehenen Gelände der geplante Bau einer Hochleistungsstrecke erheblich erschwert oder wesentlich verteuert werden würde, kann der Verkehrsminister in einem abgekürzten Verordnungsverfahren nach § 5a HLG einen Geländestreifen als geplante Trasse vorläufig ausweisen, wenn mit der Erlassung der Trassengenehmigung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist (§ 5a Abs 1 HLG). Dieser VO kommt nach § 5a Abs 5 HLG die Wirkung eines Bauverbotes zu, Ausnahmegenehmigungen können jedoch erteilt werden. VO nach § 5 a Abs 5 HLG treten jedenfalls drei Jahre nach ihrem Inkrafttreten außer Kraft (§ 5a Abs 11 HLG). Sie sind durch den Verkehrsminister mittels VO aufzuheben, wenn eine Trassengenehmigung erlassen wird oder der Sicherungszweck wegfällt (§ 5a Abs 10 HLG).
D. Bauartgenehmigung für Schienenfahrzeuge und eisenbahnsicherheitstechnische Einrichtungen Mit der EisbG-Novelle 2006 wurden auch die Vorschriften für die Genehmigung von Schienenfahrzeugen und eisenbahnsicherheitstechnische Einrichtungen erheblich vereinfacht, für Schienenfahrzeuge und eisenbahnsicherheitstechnische Einrichtungen genügt nunmehr eine „Bauartgenehmigung“. Die Änderung in den Genehmigungsvorschriften trägt der technischen Entwicklung Rechnung, wonach Schienenfahrzeuge und sicherheitstechnische Einrichtungen meist standardisiert hergestellt werden. Ob nicht bauartgenehmigungsfähige (Teile von) Eisenbahnanlagen oder nicht ortsfesten sicherungstechnischen Einrichtungen weiterhin einer Baugenehmigung bedürfen, ist unklar. Hinsichtlich sicherungstechnischer (Teile von) Anlagen spricht der Wortlaut des Gesetzes für eine Baubewilligungspflicht gemäß § 31 EisbG [arg: „ist die Erteilung einer Bauartgenehmigung zulässig (§ 33 EisbG)], soweit dies nicht ohnehin gemäß § 36 Abs 1 Z 2 EisbG von der Bewilligungspflicht ausgenommen ist. Der Neu- oder Umbau herkömmlicher technischer, also nicht sicherungstechnischer (Teile von) Anlagen, ist nach dem Wortlaut des Gesetzes bewilligungspflichtig, soweit dieser nicht auf Grund von § 36 Abs 1 Z 1 EisbG von der Bewilligungspflicht ausgenommen ist. Die Materialien gehen allerdings allgemein von einer Bewilligungsfreiheit für solche Anlagen aus292, was allerdings durch den Wortlaut des Gesetzes nicht gedeckt ist, soweit es sich 291 292
Siehe dazu gerade oben Kap 2, II.C.5.b). Allgemeiner Teil der Erläuterungen zur RV, 1412 BlgNR 22. GP, 3.
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um Teile von Eisenbahnanlagen handelt und keine Ausnahme auf Grund von § 36 EisbG zutrifft oder diese durch Verordnung gemäß § 36 Abs 2 EisbG293 für bewilligungsfrei erklärt wurden.
Eine Genehmigung der Schienenfahrzeuge ist freilich nur für EVU und integrierte Eisenbahnunternehmen (§ 1c EisbG) erforderlich, welche auch den Fahrbetrieb besorgen, dh in erster Linie bei Straßenbahnen und U-Bahnen. Reine EIU (§ 1a EisbG) verfügen zumindest nicht in größerem Ausmaß über Schienenfahrzeuge, sodass eine solche Genehmigung für diese zumeist nicht erforderlich ist. Vor Erteilung einer Betriebsbewilligung ist für die Inbetriebnahme einzelner oder zahlenmäßig unbestimmter baugleicher Schienenfahrzeuge oder in solchem Ausmaß veränderter Schienenfahrzeuge eine Bauartgenehmigung gemäß den §§ 32 ff EisbG erforderlich. Keine Bauartgenehmigung ist gemäß § 32 Abs 2 EisbG für in anderen Staaten zugelassene Schienenfahrzeuge ausländischer Unternehmen erforderlich, wenn diese einheitlichen internationalen Baumustern entsprechen. Dem Antrag auf Bauartgenehmigung ist ein Gutachten einer der in § 32a Abs 6 EisbG genannten (akkreditierten) Stellen beizulegen, in dem gemäß § 32a Abs 3 EisbG bestätigt wird, dass das Schienenfahrzeug dem Stand der Technik (§ 9b EisbG) unter Berücksichtigung der Sicherheit und Ordnung des Betriebes der Eisenbahn, des Betriebes anderer Schienenfahrzeuge und des Verkehrs auf der Eisenbahn (einschließlich der Anforderungen des Arbeitnehmerschutzes) entspricht. Diesem Gutachten kommt die widerlegbare Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit zu (§ 32a Abs 3 EisbG), dh die Behörde ist nur bei begründeten Zweifeln an der Richtigkeit des Gutachtens zur Überprüfung durch eigens bestellte Gutachter befugt. Wird die Einhaltung der genannten Kriterien im Gutachten bestätigt, ist die Bauartgenehmigung zu erteilen (§ 32b Abs 3 EisbG). In praktisch gleicher Weise ist die Bauartgenehmigung für eisenbahnsicherheitstechnische Einrichtungen geregelt (§§ 33 ff EisbG).
E. Technische Vorschriften für Bau und Betrieb und Eisenbahnsicherheit Vorschriften für die Sicherheit und technische Vorschriften für den Bau von Eisenbahnen im Allgemeinen waren zunächst in unternehmensinternen Vorschriften enthalten und im Übrigen im EisbG in Form von Generalklauseln geregelt.294 Nicht zuletzt auf Grund der Öffnung des Schienennetzes für andere Unternehmen ließ sich die bloße Ausgestaltung durch unternehmensinterne Vorschriften nicht mehr aufrechterhalten. Gleichzeitig wurde auch der Bereich der Eisenbahnsicherheit stärker verrechtlicht: Auf Ebene des Gemeinschaftsrechts diente vor allem das „zweite Eisenbahnpaket“ der Eisenbahnsicherheit, und zwar insbesondere die RL über die Eisenbahnsicherheit (RL 2004/49/EG295) und die Agenturverordnung [V (EG) 293 294 295
Etwa die Verordnung geringfügiger Baumaßnahmen, BGBl II 2005/5. Catharin, ZVR 2004, 80 ff. Abl L 220/16.
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Nr 881/2004296]. Innerstaatlich wurden technische Vorschriften für Straßenbahnen mit der StraßenbahnVO 1999 (StrabVO)297 und für Haupt- und Nebenbahnen mit der EisenbahnVO 2003298 erlassen. Neben den genannten VO und Generalklauseln (etwa § 19 Abs 1 EisbG) dienen vor allem die Genehmigungsvorbehalte (Bau- und Bauartgenehmigung) der Eisenbahnsicherheit, weil damit die Übereinstimmung mit dem Stand der Technik und Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung des Eisenbahnbetriebes geprüft wird (§ 31f Z 1, §§ 32b Abs 1 und 33b Abs 1 EisbG). Neu ist, dass für den Betrieb von Hauptbahnen und vernetzten Nebenbahnen eine Sicherheitsgenehmigung erforderlich ist (§§ 38 ff EisbG). Ein EIU hat in einem Zeitraum von 5 Jahren regelmäßig den Nachweis der Übereinstimmung mit den erteilten Genehmigungen und der Gewährleistung der Sicherheit und Ordnungsgemäßheit des Eisenbahnbetriebes zu erbringen (§ 38a Abs 1 EisbG). Die Behörde hat auf Antrag des Unternehmens darüber eine auf längstens fünf Jahre befristete Sicherheitsgenehmigung auszustellen, wenn das Unternehmen überdies ein, im Übrigen nicht obligatorisches, zertifiziertes Sicherheitsmanagementsystem (§ 39 ff EisbG) eingeführt hat. Ein Sicherheitsmanagementsystem ist ein unternehmensinternes, möglicherweise zertifiziertes (§ 39c EisbG), Kontroll-, Informations- und Ausbildungssystem, in dem die Erreichung der „gemeinsamen Sicherheitsziele“ (§ 9a EisbG), die Erfüllung der Anforderungen der Sicherheit und der Interoperabilität und die Anwendung der „gemeinsamen Sicherheitsmethoden“ (§ 9 EisbG) überprüft werden (§ 39 EisbG). Für EVU gelten besondere (sicherheits-)technische Vorschriften (Sicherheitsbescheinigung Teil A und B), welche unten Teil II Kap 2, III.C. dargestellt werden.
F. Interoperabilität des Eisenbahnsystems Wesentlich zur Verwirklichung des Marktzuganges und zur Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen durch Unternehmen aus anderen Staaten ist die Interoperabilität der europäischen Eisenbahninfrastruktur und Schienenfahrzeuge, dh, dass den EVU die Benutzung von Schienennetzen anderer Mitgliedstaaten mit eigenen Schienenfahrzeugen, im besten Fall ohne jegliche Adaptierungen, und mit unternehmenseigenem Personal möglich ist. Die vom Gemeinschaftsgesetzgeber getroffenen Vorgaben unterscheiden zwischen der Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems (RL 96/48/EG299) und der des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems (RL 2001/16/EG300). Dem folgt der Aufbau der Umsetzung im EisbG: Die §§ 88 ff EisbG regeln die Interoperabilität des österreichischen 296 297 298 299 300
Abl L 220/3. BGBl II 2000/76. BGBl II 2003/209 idF BGBl II 2005/104. Abl L 235/6 idF RL 2004/50/EG, Abl 164/114. Vgl dazu die Kommentierung von Volk, 133. Abl L 110/1 idF RL 2004/50/EG, Abl 164/114. Vgl dazu die Kommentierung von Volk, 134.
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Hochgeschwindigkeitsbahnsystem301, die §§ 104 ff die des österreichischen konventionellen Eisenbahnsystems302. Beide Eisenbahnsysteme und ihre Teilsysteme müssen „grundlegenden Anforderungen“ entsprechen, die im Anhang III RL 96/48/EG bzw RL 2001/16/EG geregelt sind. Im Übrigen unterscheidet das Gesetz zwischen „Interoperabilitätskomponenten“ (§§ 93 bzw 112 EisbG) und „Teilsystemen“ (§§ 98 bzw 117 EisbG). Interoperabilitätskomponenten und Teilsysteme müssen den grundlegenden Anforderungen entsprechen, wobei für die Beurteilung der Konformität den so genannten „Technischen Spezifikationen Interoperabilität“ (TSI) entscheidende Bedeutung zukommt. TSI sind Spezifikationen, die für ein Teilsystem im Hinblick auf die grundlegenden Anforderungen gelten. TSI sind Entscheidungen der EU-Kommission auf Grund der RL 96/48/EG bzw RL 2001/16/EG303, welche unter Einbindung der Europäischen Eisenbahnagentur von den in Art der RL genannten Arbeitsgruppen erstellt werden. Soweit erforderlich, ist für Interoperabilitätskomponenten vom Hersteller eine „EG-Erklärung“ abzugeben (§§ 96 bzw 115 EisbG), die Prüfung der Übereinstimmung der Teilsysteme mit den grundlegenden Anforderungen hat durch „benannte Stellen“ iSd §§ 91 bzw 109 EisbG, das sind akkreditierte oder auf Grund der RL von der Kommission zugelassene Stellen, zu erfolgen. Das Eisenbahnunternehmen hat für ein Teilsystem eine von den benannten Stellen erstellte „EG-Prüferklärung“ vorzulegen, welche Voraussetzung für die Erteilung der Betriebsbewilligung ist (§§ 101 Abs 4 bzw 120 Abs 4 EisbG). Eng in Zusammenhang mit der Interoperabilität und weitere Voraussetzung für den gegenseitigen Marktzugang steht die einheitliche Ausbildung und wechselseitige Anerkennung der Ausbildung der Schienenfahrzeugführer. Auch in diesem Bereich ist eine Harmonisierung geplant (Vorschlag für eine RL über die Zertifizierung von mit dem Führen von Triebfahrzeugen und Lokomotiven betrautem Eisenbahnpersonal304).
G. Europäische Eisenbahnagentur Die Europäische Eisenbahnagentur ist eine auf Grund der VO (EG) Nr 881/2004305 eingerichtete Stelle, welche eigene Rechtspersönlichkeit besitzt [Art 22 VO (EG) Nr 881/2004]. Die Agentur hat keine behördlichen Aufgaben, sie kann Empfehlungen an die Kommission und Stellungnahmen an die Kommission und die betreffenden Behörden der Mitgliedstaaten richten [Art 2 VO (EG) Nr 881/2004]. Die Aufgaben der Agentur liegen im Bereich der Eisenbahnsicherheit (Kapitel 2) und Interoperabilität (Kapitel 3), im Bereich der 301
302
303 304 305
Das sind die für Österreich ausgewiesenen als Hochgeschwindigkeitsbahnsystem TEN-V Projekte, welche bestimmte, in § 88 Z 1 EisbG näher festgelegte Fahrgeschwindigkeiten erlauben, samt den für diese Geschwindigkeiten ausgelegten Schienenfahrzeugen (§ 88 Z 2 EisbG); vgl Volk, 133, Rz 40. Das sind Nebenbahnen und nicht zum Hochgeschwindigkeitsbahnsystem gehörende Hauptbahnen, soweit diese ebenfalls in der TEN-Leitlinie enthalten sind (§ 103 Z 1 EisbG) samt den dafür geeigneten Schienenfahrzeugen; vgl Volk, 133, Rz 26. Vgl Volk, 133, Rz 69 ff. Zu den TSI auch Liebmann, § 86, Rz 4 und § 90, Rz 1. KOM (2004) 142. Abl L 220/3.
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Interoperabilität auch hinsichtlich der beruflichen Befähigung des Betriebsund Instandhaltungspersonals.
III. Bau, Betrieb und Finanzierung der Schieneninfrastruktur A. Bau und Betrieb der Schieneninfrastruktur der Österreichischen Bundesbahnen 1. Die Neuordnung der Österreichischen Bundesbahnen Seit der Ausgliederung der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) zu einer Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit mit dem BundesbahnG 1992 (BBG)306 erfolgt Planung, Bau und Erhaltung bundeseigener Schieneninfrastruktur nicht mehr im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes, sondern durch privatrechtliches Handeln ausgegliederter Rechtsträger. Im Zuge der Umstrukturierung der ÖBB durch das Bundesbahnstrukturgesetz 2003307 wurden auch die bisher für den Bau von Hochleistungsstrecken zuständigen EIU, und zwar die ursprünglich nach Abschnitt II HLG eingerichtete Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG (HL-AG) und die auf Grund des Bundesgesetzes zur Errichtung einer Brenner Eisenbahn GmbH (BEGG)308 eingerichtete Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BEG), in den Konzern der Österreichischen Bundesbahnen unter die Dachgesellschaft ÖBB-Holding AG eingegliedert. Dazu wurde die Gesellschaft der Österreichischen Bundesbahnen, nach Abspaltung mehrer Teilbetriebe (Güter-, Personenverkehr, Betrieb etc), in die ÖBB-Infrastruktur Bau AG umgewandelt, die HL-AG wurde mit der ÖBBInfrastruktur Bau AG (§§ 29 ff BBG) als aufnehmende Gesellschaft verschmolzen (§ 32 BBG) und die Anteilsrechte des Bundes an der BEG wurden in die ÖBB-Infrastruktur Bau AG eingebracht (§ 34 BBG). Für den Bereich des Baus von Schieneninfrastruktur der ÖBB sind daher zwei Gesellschaften zuständig, die ÖBB-Infrastruktur Bau AG und deren Tochtergesellschaft BEG. Für den Betrieb des Schienennetzes (Wartung, Inspektion und Instandhaltung) ist die ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG zuständig (§§ 25 ff BBG). Alle genannten EIU des Bundes sind von der Konzessionspflicht befreit (§ 51 BBG und § 5 Abs 1 BEGG). Die Erbringung der Verkehrsleistung erfolgt durch die EVU ÖBBPersonenverkehrs AG und die Rail Cargo Austria AG unterstützt durch deren Tochtergesellschaften ÖBB-Traktion GmbH und ÖBB-Technische ServicesGmbH (dazu unten Teil II Kap 2, IV.).
2. Bau und Betrieb der Schieneninfrastruktur Planung und Bau der Schieneninfrastruktur, Ersatzinvestitionen, welche über Wartung und Instandsetzung hinausgehen, sowie die Zurverfügungstellung der 306 307 308
BGBl 1992/825. BGBl I 2003/138. BGBl 1995/502 idF BGBl I 2005/163.
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Schieneninfrastruktur obliegen der ÖBB-Infrastruktur Bau AG und der BEG, wobei die Aufgaben der BEG grundsätzlich auf den Ausbau der Strecke Staatsgrenze bei Kufstein bis Innsbruck beschränkt sind. Das bisherige Regime der Betrauung der ÖBB und der HL-AG mit Bauvorhaben durch VO wurde durch eine vertragliche Beauftragung ersetzt309. Die Beauftragung der Gesellschaften mit Infrastrukturvorhaben erfolgt auf Grund eines sechsjährigen und jährlich zu aktualisierenden Rahmenplans, welcher der Genehmigung durch den Verkehrsminister und Finanzminister bedarf (§ 43 Abs 1 BBG), bzw auf Grund von Einzelverträgen mit der BEG (§ 3 Abs 2 BEGG). Der Bund fördert Planung und Bau von Schieneninfrastruktur nach Maßgabe des Rahmenplanes, wobei über die Höhe der Mittelzuführung durch den Bund jährlich zu entscheiden ist (§ 43 Abs 1 BBG). Bereitstellung, Betrieb und Erhaltung (Wartung, Inspektion und Instandhaltung) der Schieneninfrastruktur obliegen der ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG. Der Gesellschaft obliegen auch die Betriebsplanung und der Verschub. Der Bund leistet auch für diese Gesellschaft einen Zuschuss auf Grundlage eines sechsjährigen und jährlich zu aktualisierenden Vertrages (§ 42 BBG). Die ÖBB-Infrastruktur Bau AG hat die Schieneninfrastruktur samt Anlagen und Einrichtungen der ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG auf Grund eines entgeltlichen Nutzungsvertrages zur Verfügung zu stellen (§ 35 Abs 1 BBG). Auf vertraglicher Grundlage sind auch die für den Bau erforderlichen Leistungen der ÖBBInfrastruktur Betrieb AG durch die ÖBB-Infrastruktur Bau AG abzugelten (§ 35 Abs 2 BBG).
B. Finanzierung von Bau und Betrieb der Schieneninfrastruktur der ÖBB Die Finanzierung von Bau und Betrieb der Schieninfrastruktur erfolgt grundsätzlich durch die ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG und die ÖBB-Infrastruktur Bau AG selbst, wobei der Bund nach Maßgabe des Vertrages mit der ÖBBInfrastruktur Betrieb AG und des Rahmenplanes mit der ÖBB-Infrastruktur Bau AG Zuschüsse leisten kann (§ 42 Abs 1 bzw § 43 Abs 2 BBG). Der Bund hat im Rahmen des Vertrages und Rahmenplans für eine ausreichende Liquidität der Gesellschaften zu sorgen. Die Gesellschaften wiederum finanzieren sich [neben den Zuschüssen oder Förderungen des Bundes oder auch von Dritten (§ 44 BBG)] aus den Entgelten für die Benützung der Schieneninfrastruktur (§ 67 ff EisbG), wobei die Entgelte unmittelbar der ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG zufließen, von denen ein Teil auf Grund des Nutzungsvertrages gemäß § 35 Abs 1 BBG wiederum der ÖBBInfrastruktur Bau AG zukommt. Die festzulegenden Benützungsentgelte bedürfen der Zustimmung des Verkehrsministers (§ 46 EisbG). Die bislang auf Grund des SchieneninfrastrukturfinanzierungsG 1997 (SCHIG)310 vorgenommene Finanzierung der Eisenbahnbauvorhaben des Bun309
310
Die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes geltenden Übertragungsverordnungen für ÖBB und HL-AG wurden materiell in den neuen Vertragsmechanismus übernommen (§ 54 Abs 3 BBG, § 7 Abs 4 BEG, § 16 Abs 2 HLG). BGBl I 1997/113 idF BGBl 2005/163.
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des durch die Schieneninfrastrukturfinanzierungs-Gesellschaft mbH (Schi-G)311 wurde mit dem Bundesbahnstrukturgesetz 2003 aufgegeben. In diesem Zusammenhang wurden alle Nicht-Finanzierungsaufgaben und die diesen Aufgaben zugeordneten Vermögensgegenstände und Schulden in die neu gegründete Schieneninfrastruktur-Dienstleistungsgesellschaft mbH abgespalten. Dieser neuen Schieneninfrastruktur-Dienstleistungsgesellschaft mbH kommen daher nur noch die (vergleichsweise wenig bedeutsamen) Aufgaben gemäß § 3 Abs 1 Z 1 - 6 SCHIG zu. Die hohen Schulden der Schi-G verblieben in der Gesellschaft, jedoch wurde diese gemäß § 33 BBG auf die ÖBB-Infrastruktur Bau AG verschmolzen, womit auch die Schulden in die ÖBB-Infrastruktur Bau AG übertragen wurden. Der Bundesminister für Finanzen wurde allerdings ermächtigt, auf Forderungen bis zu EUR 3,2 Mrd gegenüber der Schi-G zu verzichten (§ 11 Abs 1 SCHIG). Gleichzeitig wurde der bis 31.12.2004 entstandene Anspruch der Schi-G auf ein Infrastrukturbenützungsentgelt (von den vormaligen ÖBB) zu einer Forderung an den Bund (§ 11 Abs 1a SCHIG), wobei mit 1.1.2005 die ÖBB-Infrastruktur Bau AG in die Rechtsstellung des Bundes für die bestehenden Verbindlichkeiten eingetreten ist.
C. Ausbau der Brennerachse Der Ausbau der Eisenbahnachse Berlin-Verona/Mailand-Bologna-NeapelMessina-Palermo ist ein vorrangiges Vorhaben iSd Anhang III der geltenden TEN-Leitlinie312, zu dem auch der Ausbau der Eisenbahnachse über den Brenner (Kufstein-Innsbruck und Brenner-Tunnel) zählt (Z 1 Anhang III der Leitlinie). Der Ausbau des Vorhabens in Österreich erfolgt zweigeteilt: Für den Ausbau der Strecke von der Staatsgrenze bei Kufstein bis Innsbruck ist die BEG auf Grundlage des BEGG313 zuständig. Für die Planung des Brenner Basistunnels zwischen Innsbruck und Franzensfeste ist nach Verschmelzung der Brenner Basistunnel AG auf eine „Galleria di Base del Brennero - Brenner Basistunnel BBT SE“ (BBT SE) die BBT SE auf Grundlage des Bundesgesetzes zur Errichtung einer Brenner Basistunnel Aktiengesellschaft (BBT AG-Gesetz)314 und eines zwischen Italien und Österreich geschlossenen Staatsvertrages (BGBl III 2006/177) zuständig. Ob die BBT SE auch mit dem Bau des Tunnels betraut werden wird, ist noch offen. An der BBT SE halten Österreich und Italien jeweils 50 % der Anteile. Die österreichischen Anteile werden zu je 25 % vom Bund und dem Land Tirol gehalten, wobei der Bund ermächtigt ist, seine Anteile an die ÖBBInfrastruktur Bau AG zu übertragen (§ 5 BBT AG-Gesetz). Die Finanzierung des gesamten Bauvorhabens ist noch offen. Der Bund leistet jedoch für vorbe311 312 313
314
Vgl dazu die Vorauflage, 867. FN 67. FN 308. Die bisher für den Bereich Innsbruck - Staatsgrenze am Brenner von der BEG getätigten Vorbereitungsarbeiten wurden auf Grund von § 4 BBT AG-Gesetz (nunmehr) auf die BBT SE abgespalten. BGBl I 2004/87. Subsidiär sind gemäß § 7 BBT AG-Gesetz die Bestimmungen des BEGG anwendbar.
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reitende Arbeiten Zuschüsse nach Maßgabe von § 6 BBT AG-Gesetz. Zur Querfinanzierung aus Mauten der Brennerautobahn siehe oben Kap 1, IV.B.5.
D. Bau und Erhaltung der Schieneninfrastruktur der Privatbahnen Bau und Erhaltung der Infrastruktur der Privatbahnen, das sind im Wesentlichen Eisenbahnen, die nicht von den ÖBB erhalten werden, erfolgt durch den Konzessionär, soweit nicht sondergesetzliche Regelungen bestehen. Der Bund kann nach Maßgabe des Privatbahngesetz 2004 (PrivbG)315 einerseits die Erbringung gemeinwirtschaftliche Leistungen abgelten (§ 3 PrivbG) and andererseits Finanzierungsbeiträge zur Schieneninfrastruktur gewähren (§ 4 PrivbG).
E. Fachbehördliche Aufsicht über Eisenbahninfrastrukturunternehmen Eisenbahnunternehmen, so auch EIU, unterliegen einer besonderen fachbehördlichen Aufsicht, welche grundsätzlich der Aufsicht über EVU entspricht (siehe dazu unten Teil II Kap 2, III.E.). Allein die Entsendung eines Staatskommissärs gemäß § 13 Abs 3 EisbG ist nur noch für EIU vorgesehen.
Kapitel 3: Binnenschifffahrtsinfrastruktur Rechtsgrundlagen: EU-Recht: TEN-Leitlinie - Entscheidung 1692/96/EG (Abl L 228/1 idF Entscheidung 884/2004/EG, Abl L 167/1); RL 87/540/EWG, Abl L 322/20; V (EWG) Nr 3921/91, Abl L 373/1; V (EG) Nr 1356/96, Abl L 175/7; UVP-RL - RL 85/337/EWG (Abl L 175/40 idF RL 2003/35/EG, Abl L 156/17). BG: SchiffahrtsG - SchiffG (BGBl I 1997/62 idF BGBl I 2005/123); BinnenschifffahrtsfondsG (BGBl I 2000/69); SP-V-G (BGBl I 2005/96); WasserstraßenG (BGBl I 2004/177); WasserbautenförderungsG - WBFG (BGBl 1985/148 idF BGBl I 2003/82); UmweltverträglichkeitsprüfungsG 2000 - UVP-G (BGBl 1993/697 idF BGBl I 2006/149). VO: Eignungsprüfungsverordnung Binnenschiffahrtsgewerbe - EPVO-BSG (BGBl 1995/4 idF BGBl II 2002/225); SchiffahrtsanlagenVO - SchiA-VO (BGBl 1991/334 idF BGBl II 2006/241).
Grundlegende Literatur: Merli, Öffentliche Nutzungsrechte und Gemeingebrauch, 1995; Muzak, Binnenschifffahrtsrecht, 2004; Nonn, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 26 bis 28; Possler, Binnenschifffahrtsunternehmen, in: Stolzlechner (Hrsg), Recht der Verkehrsgewerbe, 2002, 171; Rill/Schäffer, Die Rechtsnormen für die Planungskoordinierung seitens der öffentlichen Hand auf dem Gebiete der Raumordnung, 1975; Schäffer, Wirtschaftsaufsichtsrecht, in: Raschauer (Hrsg), Grundriß des österreichischen 315
BGBl I 2004/39.
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Wirtschaftsrechts, 1998, Rz 501; Wambach, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EGVerkehrsrecht, 26; Zemanek, Die Schiffahrtsfreiheit auf der Donau und das künftige Regime der Rhein-Main-Donau-Großschiffahrtsstraße, ÖZöR Supplementum 4, 1976.
I. Grundlagen A. Allgemeines In diesem Beitrag wird nur das rechtliche Regime der Binnenschifffahrt, und zwar in erster Linie das SchiffG (SchiffG)316 dargestellt, auf das Seeschiffahrtsgesetz317 und die Seeschiffahrts-VO318 sei bloß verwiesen. Die Ursprünge des nominellen (Binnen-) Schifffahrtsverwaltungsrechts gehen auf das Schiffahrtspolizeigesetz 1927 (BGBl 1927/121) und auf das Binnenschiffahrtsverwaltungsgesetz 1935 (BGBl 1935/550) zurück. Auf Grundlage der beiden Gesetze wurden in der Folge die Nummernzwang VO (BGBl 1927/352), die Schiffsführer VO (BGBl 1932/134), die SchiffspatentVO (BGBl 1936/120) und die SchiffsführerschulenVO (BGBl 1936/353) erlassen. In der Folge wurde das Binnenschiffahrtsverwaltungsgesetz aufgehoben und die darin enthaltenen Gegenstände im Schiffahrtsanlagengesetz (BGBl 1973/12) und im Binnenschiffahrts-Konzessionsgesetz (BGBl 1978/533) geregelt.
Mit dem SchiffG 1990 (BGBl 1989/87) wurde das gesamte Verwaltungsrecht der Binnenschifffahrt kodifiziert319. Hervorhebenswert ist die SchiffGNovelle 1995 (BGBl 1995/429), mit der eine Umsetzung zahlreicher gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften und Anpassung des SchiffG 1990 an unmittelbar anwendbare gemeinschaftsrechtliche Vorschriften erfolgte. Eine weitere Anpassung an gemeinschaftsrechtliche Vorschriften erfolgte mit der SchiffGNovelle 1997320, mit der gleichzeitig das SchiffG neu erlassen wurde. Das SchiffG ist neben einem allgemeinen Teil in die Teile Schifffahrtspolizei (zweiter Teil), Schifffahrtsanlagen (dritter Teil), Schifffahrtsgewerberecht (vierter Teil), Schiffseichung (fünfter Teil), Schiffszulassung (sechster Teil), Schiffsführung (siebenter Teil) und Schiffsführerschulen (achter Teil) gegliedert, wobei diese Teile aus kompetenzrechtlichen Gründen (Art 10 Abs 1 Z 9 und Art 11 Abs 1 Z 6 B-VG) jeweils besondere Vorschriften über die Behörden und deren Zuständigkeiten enthalten. Das SchiffG gilt für weitgehend321 alle öffentlichen fließenden Gewässer nach § 2 WRG, für die in Anlage 1 zum SchiffG angeführten öffentlichen Gewässer und Privatgewässer und größtenteils auch für sonstige schiffbare Privatgewässer (§ 1 Abs 2 SchiffG)322. Der vierte und siebente Teil gelten auch auf ausländischen Binnengewässern (§ 1 Abs 3 SchiffG). Auf öffentlichen Gewässern ist gemäß § 4 Abs 1 SchiffG die Schifffahrt323 unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften jedem gestattet (schiff316 317 318 319 320 321 322 323
BGBl I 1997/62 idF BGBl I 2005/123. BGBl 1981/174 idF BGBl I 2005/41. BGBl 1981/189 idF BGBl II 1998/365. Zur Entwicklung vgl auch Possler, 172 f. BGBl I 1997/62. Vgl die in § 1 Abs 4 SchiffG angesprochenen Ausnahmen für den Bodensee; vgl auch Merli, Gemeingebrauch, 176, FN 5. Zum Geltungsbereich des SchiffG ausführlich Muzak, 193 ff. Zum Schifffahrtsbegriff: Merli, Gemeingebrauch, 177 ff.
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fahrtsrechtlicher Gemeingebrauch)324, auf Privatgewässern ist die Schifffahrt nur mit Zustimmung des Verfügungsberechtigten gestattet (§ 4 Abs 2 SchiffG).
Das Schifffahrtsregime weist naturgemäß enge Wechselbezüge325 zum WasserrechtsG auf. Die Gesetze sind nach deren Zielen, Schutz des und vor dem Wasser einerseits und Nutzung der tragenden Kraft des Wassers zur Beförderung andererseits, zu unterscheiden. Die Anwendung des WRG auf Angelegenheiten der Schifffahrt ist nicht ausgeschlossen.326 Bau und Betrieb von Schifffahrtsanlagen sind daher nur unter Beachtung der Bestimmungen des WRG zulässig. Wasserbenutzungsanlagen wiederum dürfen öffentliche Interessen, zu denen § 105 Abs 1 lit b WRG auch die Schifffahrt zählt, nicht beeinträchtigen. Die eigentliche Instandhaltung der Gewässer richtet sich nach wasserrechtlichen Vorschriften, eine allgemeine Vorschrift über die Instandhaltung der schiffbaren Gewässer kennt das SchiffG nicht327. So mögen zwar Schutzund Regulierungsbauten mittelbar der Schifffahrt dienen, ihr wasserrechtlicher Zweck liegt jedoch in der Abwehr der schädlichen Wirkungen des Wassers328. Die Aufgaben des Bundes als Träger von Privatrechten zur Instandhaltung der Wasserstraßen oder Verwaltung des öffentlichen Wassergutes waren ursprünglich der Wasserstraßendirektion übertragen. Mit dem WasserstraßenG329 wurden die Aufgaben und Organisation der Bundes-Wasserstraßenverwaltung neu geordnet und der via donau - Österreichische Wasserstraßengesellschaft m.b.H. übertragen.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften für die Binnenschifffahrtsinfrastruktur können auf Grundlage der Bestimmungen des Titels „Verkehr“ erlassen werden; es wird daher auf Teil I Kapitel 1: Straßeninfrastrukturrecht verwiesen.
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Der Kompetenztatbestand „Verkehrswesen bezüglich der Schifffahrt, soweit diese nicht unter Art 11 fällt“ (Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG)330 beinhaltet nach ständiger Rechtsprechung des VfGH331 alle Regelungen, welche die Errichtung, Erhaltung oder Beseitigung von Schifffahrtsanlagen betreffen, soweit sich diese auf die Donau, den Bodensee, den Neusiedlersee oder auf Grenzstrecken sonstiger Gewässer beziehen. Die kompetenzrechtliche Ermächtigung des 324 325 326 327 328 329 330 331
Merli, Gemeingebrauch, 176 ff. Zum Verhältnis SchiffG und WRG ausführlich Muzak, 102 ff Merli, Gemeingebrauch, 161, FN 84 mwH; aA Raschauer, Kommentar zum Wasserrecht, 1993, § 6, Rz 1 und § 8, Rz 5. Merli, Gemeingebrauch, 181. Näher zur Erhaltung der Gewässer siehe unten III; vgl auch VwGH 28.6.1962, 1418/61. Oberleitner, Wasserrechtsgesetz, 2000, E 5 ff zu § 41 WRG mwH; vgl auch OGH 14.6.1989, 1 Ob 597/89. BGBl I 2004/177. Ausführlich Muzak, 11 ff. VfSlg 2685/1954, 2805/1955, 5019/1965, 5578/1967.
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Bundes schließt Regelungen in Planform und nicht-planerische Regelungen mit ein und bezieht sich auch auf die bauliche Nutzung332. Weiters beinhaltet der Kompetenztatbestand Regelungen hinsichtlich der Schifffahrtskonzessionen und der Schifffahrtspolizei333. Für alle übrigen Gewässer sind die eben angeführten Angelegenheiten der Schifffahrt in Art 11 Abs 1 Z 6 B-VG enthalten334. Die Ermächtigung, die Regulierung und Instandhaltung der Gewässer zum Zwecke der Schifffahrt zu regeln, ist in Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG enthalten.335 Angelegenheiten der Schifffahrt auf den in Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG genannten Gewässern sind auf Grund der Zuordnung der Schifffahrt zum Verkehrswesen (Art 102 Abs 2 B-VG), wie die in Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG genannte Regulierung und Instandhaltung der Gewässer zum Zwecke der Schifffahrt hinsichtlich der Donau (Art 102 Abs 2 B-VG - Regulierung und Instandhaltung der Donau) in unmittelbarer Bundesverwaltung zu vollziehen. Auf allen übrigen Gewässern ist die Regulierung und Instandhaltung der Gewässer zum Zwecke der Schifffahrt in mittelbarer Bundesverwaltung (Art 102 Abs 1 B-VG) und Angelegenheiten der Schifffahrt iSd Art 11 Abs 1 Z 6 B-VG in Landesverwaltung zu vollziehen.
C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen Das Binnenschifffahrtsrecht der Europäischen Gemeinschaft ist geprägt durch das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft zur Regelung des Verkehrs auf deren wichtigster Wasserstraße - dem Rhein336. Dabei galt es die auf die Schlussakte zum Wiener Kongress von 1821 zurückgehenden liberalen Regelungen der „Mannheimer revidierten Rheinschiffahrtsakte von 1868“337 mit den jedenfalls in Bezug auf die Regelung der Schifffahrt mit Drittstaaten restriktiveren Vorschriften des Gemeinschaftsrechts abzustimmen, wobei besonders die Schweiz als Nichtmitgliedstaat der EG daran interessiert war, die Privilegien der Rhein-Schifffahrt unangetastet zu lassen338. Bereits im Hinblick auf ein künftiges Abgeltungssystem für die Benützung der Verkehrswege hat die V (EWG) Nr 1108/70339 den Mitgliedstaaten ein einheitliches Verbuchungsschema für die Ausgaben für die Verkehrswege vorgegeben. Der Begriff der Binnenwasserstraße wird durch eine Aufzählung der die Binnenschifffahrt umfassenden Anlagen in der V (EWG) Nr 2598/70340 beschrieben. Die RL 87/540/EWG über den Zugang zum Beruf des Unternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Binnenschiffsgüterverkehr341 harmonisiert die Berufszugangsregeln für den Gütertransport auf Binnenschiffen, der Fahrgastverkehr wurde 332 333 334 335 336 337 338 339 340 341
Rill/Schäffer, 37. RV zu Art I, 182 BlgNR 13. GP, 9. Rill/Schäffer, 37. Näher Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht2, 1997, I.10 zu Art 10 B-VG. Näher Zemanek, 38 ff. Ausführlich Zemanek, 29 ff. Näher Erdmenger (FN 10), Vor-Art 74 bis 84, Rz 39 ff. Abl L 130/4. Abl L 278/1. Abl L 322/20. Zu Inhalt und Entstehungsgeschichte vgl Muzak, 137 ff und Wambach, 26, Rz 1;
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auf Grund seiner geringen Bedeutung jedoch ausgenommen342. Bis zur Vollendung des Binnenmarktes war die Kabotage im gewerblichen Binnenschifffahrtsverkehr innerhalb der Mitgliedstaaten den dort ansässigen Unternehmen vorbehalten. Mit V (EWG) Nr 3921/91343 wurden Bedingungen über die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Binnenschiffsgüterverkehr und -personenverkehr innerhalb des Mitgliedstaates, in dem sie nicht ansässig sind, harmonisiert und die Kabotage durch Schifffahrtsunternehmen der Gemeinschaft zugelassen. Nach der V (EG) Nr 1356/96344 über gemeinsame Regeln zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Binnenschiffsgüter- und -personenverkehr haben Schifffahrtsunternehmen der Gemeinschaft das Recht, grenzüberschreitende Transportleistungen zu erbringen. Die RL 96/75/EG345 regelt die Frachtratenbildung im grenzüberschreitenden Binnenschiffsgüterverkehr, sie liberalisiert die Preisbildung (Art 2 RL 96/75/EG) und verleiht der Kommission nur im Falle schwerer Marktstörungen besondere Befugnisse (Art 7 RL 96/75/EG). Weitere Vorschriften dienen der Strukturbereinigung in der Binnenschifffahrt, etwa hinsichtlich Abwrackungsmaßnahmen und deren Finanzierung346, der Festlegung der Bedingungen des Zugangs zum Beruf des Binnenschifffahrtsverkehrs347, der gegenseitigen Anerkennung der einzelstaatlichen Schifffahrtspatente348 sowie Einzelheiten der Befrachtung und Frachtratenbildung349. Mit der V (EG) Nr 718/1999, welche die V (EWG) Nr 1101/89 über die Strukturbereinigung in der Binnenschifffahrt abgelöst hat, wurden Vorschriften für kapazitätsbezogene Maßnahmen für die Binnenschifffahrtsflotten der Gemeinschaft erlassen.
Die völkerrechtlichen Abkommen Österreichs hinsichtlich der Schifffahrt sind naturgemäß geprägt durch die Regelung der internationalen Schifffahrt auf der Donau, in erster Linie durch die Donaukonvention350 samt Zusatzprotokoll351 und Regierungsübereinkommen mit Donauanrainerstaaten. Für die Schifffahrt am Bodensee gilt das Übereinkommen über die Schifffahrt auf dem Bodensee352.
II. Die Genehmigung von Schifffahrtsanlagen und Wasserstraßen A. Genehmigung der Errichtung von Schifffahrtsanlagen 1. Begriff der Schifffahrtsanlage Schiffe, das SchiffG spricht von Fahrzeugen (§ 2 Z 1 SchiffG), sind die Betriebsmittel der Schifffahrtsunternehmen. Schifffahrtsanlagen hingegen sind gemäß § 2 Z 19 SchiffG Anlagen, die unmittelbar Zwecken der Schifffahrt dienen, wie beispielsweise Häfen (§ 2 Z 20 SchiffG), Länden (§ 2 Z 23 342 343 344 345 346 347 348 349 350 351 352
Wambach, 26, Rz 18. Abl L 373/1. Zu Inhalt und Entstehungsgeschichte vgl Nonn, 28, Rz 1. Abl L 175/7. Zu Inhalt und Entstehungsgeschichte Nonn, 28, Rz 1. Abl L 304/12. Ausführlich Frohnmeyer (FN 15), Art 70 EG-Vertrag, Rz 98. RL 87/540/EWG, Abl L 322/20. RL 91/672/EWG, Abl L 373/29. RL 96/75/EG, Abl L 304/12. BGBl 1960/40. Ausführlich Zemanek, 1 ff, und Muzak, 54 ff. BGBl III 1999/188. BGBl 1975/632.
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SchiffG), Schleusen, Fähranlagen, Schiffsumschlagsanlagen, Versorgungsanlagen (§ 2 Z 24 SchiffG) und Sportanlagen (§ 2 Z 25 SchiffG)353. Eine Anlage an Land, die nur mittelbar Zwecken der Schifffahrt dient, wie insbesondere Tanklager, ein Lagerhaus oder eine Werkstätte ist keine Schifffahrtsanlage. Es gibt öffentliche oder nichtöffentliche Schifffahrtsanlagen: An öffentlichen Schifffahrtsanlagen besteht ein schifffahrtsrechtlicher Gemeingebrauch (§ 46 Abs 2 SchiffG)354. Schifffahrtsanlagen wiederum sind keine Wasserbenutzungsanlagen iSd § 9 WRG355. Auch Wasserstraßen, wie künstliche Schifffahrtswege (Kanäle), zählen nicht (mehr) zu den Schifffahrtsanlagen. Das SchiffahrtsanlagenG356 hat künstliche Schifffahrtswege (Kanäle) noch den Schifffahrtsanlagen zugerechnet (§ 2 Abs 1 leg cit). Die Errichtung künstlicher Schifffahrtswege unterlag daher den Bestimmungen über die Genehmigung von Schifffahrtsanlagen, die heute im 3. Teil SchiffG geregelt sind. In der demonstrativen Aufzählung des § 2 Z 19 SchiffG sind allerdings künstliche Schifffahrtswege (Kanäle) nicht mehr enthalten. Da die demonstrativ aufgezählten Beispiele des § 2 Z 19 SchiffG ausschließlich Anlagen an bereits bestehenden Gewässern sind, ist auch im Wege extensiver Interpretation eine Zuordnung von Schifffahrtswegen zum Begriff der Schifffahrtsanlagen nach geltendem Recht nicht mehr möglich. Dies bedeutet nun einerseits, dass die Errichtung eines Schifffahrtsweges bzw einer Wasserstraße, soweit nicht UVP-pflichtig, keiner schifffahrtsrechtlichen Bewilligung bedarf. Einem Projektbetreiber stehen damit allerdings auch die in den §§ 61 ff SchiffG angeführten Zwangsrechte für die Errichtung von Schifffahrtswegen nicht zu.
2. Schifffahrtsrechtliche Baugenehmigung Die Errichtung einer neuen Schifffahrtsanlage, die Wiederverwendung einer Schifffahrtsanlage nach Erlöschen oder Widerruf der Bewilligung und die wesentliche Änderung357 einer bestehenden Schifffahrtsanlage bedürfen einer behördlichen Genehmigung (§ 47 Abs 1 SchiffG)358. Voraussetzung für die Erteilung einer Bewilligung ist, dass eine nach dem Wasserrechtsgesetz erforderliche Bewilligung, zumeist eine Bewilligung nach § 38 WRG erteilt wurde, und bestehende Rechte nicht entgegenstehen. Bestehende Rechte in diesem Sinn sind auf Grund dieses Teils des SchiffG erworbene Rechte und dingliche Rechte an einer Liegenschaft oder Schifffahrtsanlage, soweit sie nicht durch gütliche Übereinkunft oder Einräumung von Zwangsrechten nach den §§ 61 bis 65 SchiffG eingeschränkt werden können (§ 49 Abs 3 SchiffG). Im Übrigen ist eine Bewilligung zu erteilen, wenn auf folgende Gesichtspunkte Bedacht359 genommen wurde (§ 49 Abs 1 SchiffG):
353 354 355 356 357
358 359
Zum Begriff der Schifffahrtsanlage vgl Muzak, 429 ff. Zu den Begriffen Hafen, Lände, Versorgungsanlage und Sportanlage vgl Z 20, Z 23, Z 24 und Z 25 SchiffG. Vgl Merli, Gemeingebrauch, 183 ff. VwSlg 4647 A/1958 und VwSlg 5363 A/1961. BGBl 1973/12. Maßnahmen zur Instandsetzung und Instandhaltung der Anlage, auch wenn damit eine Verbesserung vorhandener Einrichtungen verbunden ist, gelten nicht als wesentliche Änderung (§ 47 Abs 3 SchiffG). Zur Bewilligungspflicht und den Bewilligungskriterien: Muzak, 434 ff. Zum Begriff der Bedachtnahme: Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1996, 377.
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•
Erfordernisse der Schifffahrt (Sicherheit der Schifffahrt, auf Wasserstraßen darüber hinaus Ordnung der Schifffahrt und Flüssigkeit des Verkehrs der gewerbsmäßigen Schifffahrt). • Erfordernisse des Umweltschutzes, insbesondere der Reinhaltung der Gewässer und der Luft, soweit sie nicht nach anderen bundesgesetzlichen Vorschriften zu berücksichtigen sind. • Öffentliche Interessen, wie Sicherheit von Personen, Sicherheit und Ordnung des Verkehrs auf Straßen mit öffentlichem Verkehr, den Betrieb von Kraftwerken und die Regulierung und Instandhaltung von Wasserstraßen (§ 49 Abs 5 SchiffG). • Zwischenstaatliche Vereinbarungen über die Schifffahrt. • Bestimmungen über den Bau, Ausgestaltung, Erhaltung, Benützung und Betrieb von Schifffahrtsanlagen (§ 58 SchiffG). • Erfordernisse des Arbeitnehmerschutzes. Auf Wasserstraßen360 darf die Bewilligung zur Errichtung von Schifffahrtsanlagen für den gewerbsmäßigen Umschlag darüber hinaus nur dann erteilt werden, wenn ein hiefür volkswirtschaftliches Interesse besteht, wobei auf die gesetzlich vorgesehenen Pflichten bereits bewilligter öffentlicher Häfen Bedacht zu nehmen ist (§ 49 Abs 7 SchiffG). Nähere Bestimmungen über den Bau, die Ausgestaltung und Erhaltung sowie Benützung von Schifffahrtsanlagen enthält die SchiffahrtsanlagenV (SchiA-V)361. § 48 SchiffG enthält Vorschriften über den Inhalt und Umfang des Antrages, § 49 Abs 9 SchiffG sieht Anhörungsrechte für Interessenvertretungen und Verwaltungsorgane vor.
B. Betrieb von Schifffahrtsanlagen 1. Benützungsbewilligung Nach Anzeige der Bauvollendung hat die Behörde eine als Kollaudierung gestaltete Überprüfung der Schifffahrtsanlagen, die der gewerbsmäßigen Schifffahrt oder anderen gewerblichen Zwecken oder Schulungszwecken dienen, nach § 52 Abs 1 iVm § 53 Abs 1 SchiffG durchzuführen und über die Erteilung einer Benützungsbewilligung362 abzusprechen. Dabei können geringfügige Abweichungen nachträglich bewilligt werden, sofern dies die Erfordernisse der Schifffahrt sowie die Reinhaltung der Gewässer und der Luft zulässt 360
361 362
Was als Wasserstraße im Sinne dieser Bestimmung gilt, ist nicht eindeutig, weil einerseits § 2 Z 18 SchiffG eine Wasserstraße allgemein als ein Gewässer, an das wegen seiner besonderen Bedeutung für die gewerbsmäßige Schifffahrt oder auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen erhöhte Anforderungen an die Schifffahrt gestellt werden, definiert. Andererseits weist aber § 15 SchiffG in einer taxativen Aufzählung lediglich die die Donau (einschließlich Wiener Donaukanal), die March, die Enns und die Traun, mit allen ihren Armen, Seitenkanälen, Häfen und Verzweigungen, ausgenommen die in der Anlage 2 SchiffG angeführten Gewässerteile, als „Wasserstraße“ aus. Wie Muzak (Muzak, 188 ff) aber nachgewiesen hat, sind als Wasserstraßen iSd SchiffG lediglich jene in § 15 SchiffG genannten Gewässer anzusehen. BGBl 1991/334 idF BGBl II 2006/241. Dazu Muzak, 475.
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(§ 53 Abs 1 SchiffG). Vor Erteilung einer Benützungsbewilligung darf die Schifffahrtsanlage weder benützt noch betrieben werden (§ 52 Abs 1 SchiffG).
2. Laufende fachbehördliche Aufsicht Schifffahrtsanlagen sind gemäß § 58 Abs 1 SchiffG in einem der Bewilligung entsprechenden Zustand zu erhalten und so zu betreiben, dass die Erfüllung der Genehmigungserfordernisse gewährleistet ist363. Die SchiA-V364 enthält nähere Bestimmungen über Erhaltung, Betrieb und Benützung von Schifffahrtsanlagen. Falls die Behörde die in der SchiA-V geregelten Vorschriften zur Wahrung der bei Erteilung der Genehmigung zu berücksichtigenden Erfordernisse für nicht ausreichend erachtet, hat sie gemäß § 54 Abs 1 SchiffG die Vorlage einer von ihr wiederum zu genehmigenden Betriebsvorschrift vorzuschreiben. Die Behörde hat an Schifffahrtsanlagen wiederkehrende Überprüfungen durchzuführen, und zwar jährlich bei Umschlagsanlagen für gefährliche Güter, alle drei Jahre bei Fähranlagen sowie Schifffahrtsanlagen, die der Fahrgastschifffahrt oder Schulungszwecken dienen und alle sieben Jahre bei sonstigen Schifffahrtsanlagen. Im Falle eines schlechten Erhaltungszustandes der Anlage kann die Behörde die Überprüfungsfristen entsprechend verkürzen (§ 52 Abs 2 SchiffG); unter besonderen Umständen kann die Behörde die Schifffahrtsanlage jederzeit überprüfen (§ 52 Abs 3 SchiffG).
3. Sonderbestimmungen für Häfen § 58 SchiffG, insbesondere aber die §§ 8 ff SchiA-V, enthalten zahlreiche Vorschriften für den Betrieb von Häfen365. Das fünfte Hauptstück im zweiten Teil über die Schifffahrtspolizei enthält weitere Vorschriften über Häfen, wie etwa hinsichtlich des Gemeingebrauchs an öffentlichen Häfen und hinsichtlich einer Verpflichtung zur Erlassung einer Hafenordnung gemäß § 35 Abs 1 SchiffG. Für die Benützung öffentlicher Häfen kann gemäß § 68 Abs 1 SchiffG ein Entgelt auf Grund von Tarifen verlangt werden, welche gegenüber jedermann in gleicher Weise anzuwenden sind und im Übrigen diskriminierungsfrei366 zu gestalten sind. Die jeweils geltenden Tarife bedürfen einer Genehmigung des Verkehrsministers bzw der jeweiligen LReg (§ 71 Abs 1 lit c bzw § 71 Abs 1 Z 3 SchiffG)367. Die Grundsätze der Tarifgestaltung sind durch VO des Verkehrsministers (§ 71 Abs 5 SchiffG) festzusetzen.
C. Behörden Entsprechend der Kompetenzverteilung zwischen den in Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG und den in Art 11 Abs 1 Z 6 B-VG angeführten Gewässern und hinsichtlich der dort angeführten Wasserstraßen ist die Zuständigkeit für die Genehmigung von Schifffahrtsanlagen und allgemein die Vollziehung des dritten Teils 363 364 365 366 367
Zur Benützung von Schifffahrtsanlagen vgl Merli, Gemeingebrauch, 183 ff. FN 361. Ausführlich Muzak, 512. Vgl EuGH, Rs C-18/93, Corsica Ferries, Slg 1994, I-1812. Die Tarife bestimmen die Höhe des für die Benützung des Hafens vorgeschriebenen Entgelts. Näher Merli, Gemeingebrauch, 183 ff.
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des SchiffG in § 71 Abs 1 SchiffG zwischen Verkehrsminister, Landeshauptmann, Landesregierung und Bezirksverwaltungsbehörde gemäß § 71 Abs 1 SchiffG aufgeteilt. Zur Erlassung von VO nach dem dritten Teil ist, abgesehen von den in § 71 Abs 6 SchiffG angeführten VO, der Verkehrsminister zuständig (§ 71 Abs 5 SchiffG).
D. Bau von Wasserstraßen 1. Strategische Umweltprüfung für Wasserstraßen Die Umsetzung der Vorgaben der SUP-RL368 erforderte auch Änderungen in den rechtlichen Vorgaben für Netzveränderungen bei Wasserstraßen. Eine Umweltprüfung für Wasserstraßen ist nach dem Bundesgesetz über eine strategische Prüfung im Verkehrsbereich (SP-V-Gesetz)369 durchzuführen. Gegenstand der Prüfung sind Gesetzesentwürfe über die Erklärung von weiteren Gewässern zu Wasserstraßen iSd § 15 SchiffG (§ 3 Abs 1 Z 2 SP-V-Gesetz). Das Verfahren nach dem SP-V-Gesetz entspricht grundsätzlich dem der Netzänderung im Bereich der Bundesstraßen, sodass auf die Ausführungen370 dazu verwiesen wird.
2. Planung, Bau und Instandhaltung von Wasserstraßen Gemäß § 3 Abs 1 WasserstraßenG sind Wasserstraßen371 sind derart zu planen, zu errichten und instand zu halten, dass sie nach Maßgabe und bei Beachtung der schifffahrtsrechtlichen Vorschriften von allen Benützern unter Bedachtnahme auf die durch die Witterungsverhältnisse, die zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten und durch Elementarereignisse bestimmte Umstände ohne Gefahr benutzbar sind (§ 3 WasserstraßenG). Gemäß § 3 Abs 2 WasserstraßenG sind diese Maßnahmen unter größtmöglicher Schonung der Umwelt sowie naturnah vorzunehmen; Eingriffe in das Landschaftsgefüge und Ökosystem sind zu vermeiden bzw gering zu halten, unvermeidbare Eingriffe soweit wie möglich durch Kompensationsmaßnahmen auszugleichen. Wie oben ausgeführt wurde, sind Wasserstraßen keine Schifffahrtsanlagen und unterliegen daher an sich auch nicht diesem Genehmigungsregime. Soweit die Errichtung oder Ausbau der Wasserstraße nicht UVP-pflichtig ist, ist daher für die Errichtung der Wasserstraße an sich keine besondere Genehmigung vorgesehen. Freilich werden regelmäßig eine wasserrechtliche Genehmigung und meist auch eine naturschutzrechtliche Genehmigung einzuholen sein. Ist der Bau oder Ausbau der Wasserstraße UVP-pflichtig, ist im Verfahren nach dem 2. Abschnitt UVP-G lediglich über die Umweltverträglichkeit des Vorhabens und die allenfalls erforderlichen weiteren materienrechtlichen Genehmigungen abzusprechen.
368 369 370 371
RL 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, Abl L 197/30. BGBl I 2005/96. Siehe oben Kap 1, II.C.1. FN 360.
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E. UVP für Schifffahrtsanlagen und Wasserstraßen Folgende Vorhaben sind vor Genehmigung einer UVP im ordentlichen Verfahren (Anhang 1 Z 15 Spalte 1 UVP-G) zu unterziehen: • Neubau von Häfen, Kohle- oder Ölländen, die Schiffen mit einer Tragfähigkeit von mehr als 1350 t zugänglich sind. • Änderung von Häfen durch Erweiterung der Wasserfläche oder Vertiefung um jeweils 25 %. • Neubau von Wasserstraßen372, die Schiffen mit einer Tragfähigkeit von mehr als 1350 t zugänglich sind. Jene in Anhang 1 Z 15 Spalte 3 UVP-G genannten Vorhaben, das sind im Wesentlichen Neu- und Ausbauvorhaben geringen Ausmaßes als die in Spalte 1 genannten, sind einer UVP im „vereinfachten Verfahren“ zu unterziehen, wenn sie in Schutzgebieten der Kategorie A oder C nach Anhang 2 UVP-G liegen. Die genannten Vorhabensbegriffe sind wie allgemein nach dem UVP-G nach dem verwiesenen Sachrecht373 zu interpretieren374. Ordentliches Verfahren und vereinfachtes Verfahren sind als konzentriertes Genehmigungsverfahren durch die Landesregierung nach dem 2. Abschnitt UVP-G zu führen, in dem auch über die über die Erteilung der schifffahrtsrechtlichen Baugenehmigung zu entscheiden ist bzw die Umweltverträglichkeit der Errichtung der Wasserstraße iVm der Entscheidung über weitere materienrechtliche Genehmigungen zu beurteilen ist. Die zuständige Schifffahrtsbehörde ist in diesem Verfahren mitwirkende Behörde im Sinn des § 2 Abs 1 UVP-G. Zum UVP-Verfahren nach dem 2. Abschnitt UVP-G siehe den Beitrag von Madner in diesem Handbuch.
III. Instandhaltung von Wasserstraßen: Bundes-Wasserstraßenverwaltung (via donau) Die in § 2 Abs 1 WasserstraßenG genannten Aufgaben der BundesWasserstraßenverwaltung, darunter Regulierung, Instandhaltung und Ausbau der Gewässer, Errichtung und Instandhaltung von Bundeshäfen und Bundesländen (§ 33 Abs 2 SchifffahrtsfondsG) und die Verwaltung des öffentlichen Wassergutes von Wasserstraßen und bestimmten, in § 1 WasserstraßenG genannten weiteren Gewässern wurden gemäß § 10 Abs 1 Z 1 WasserstraßenG der via donau - Österreichische Wasserstraßengesellschaft m.b.H. (via donau) übertragen, ausgenommen die strategische Planung, Steuerung und Kontrolle dieser Aufgaben, welche dem Verkehrsminister vorbehalten ist (§ 2 Abs 2 WasserstraßenG). Die via donau ist eine auf Grundlage von den §§ 4 ff WasserstraßenG seit 1.1.2005 eingerichtete Eigengesellschaft des Bundes mit einem Stammkapital 372 373
374
Zum Begriff FN 360. Raschauer, Umweltverträglichkeitsprüfung und Genehmigungsverfahren, ZfV 1992, 100 (101); derselbe, Der Anwendungsbereich des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes, RdU 1994, 10 (11). Zum Begriff des Hafens siehe § 2 Z 20 SchiffG, zum Begriff der Lände allgemein siehe § 2 Z 23 SchiffG, zum Begriff der Öllände siehe § 2 Z 10 SchiA-V, zum Begriff der Wasserstraße siehe FN 360.
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von EUR 2 Mio. Neben den Aufgaben der Bundes-Wasserstraßenverwaltung sind der Gesellschaft weitere privatrechtlich zu besorgende Aufgaben (§ 10 Abs 2 Z 2 und 3 WasserstraßenG), aber auch die in § 10 Abs 2 WasserstraßenG genannten Hoheitsaufgaben übertragen. Die Finanzierung der Gesellschaft erfolgt aus den von der Gesellschaft einzuhebenden Entgelten gemäß § 17 WasserstraßenG und durch Zuschüsse des Bundes auf Grund von § 18 WasserstraßenG.
IV. Finanzierung Die Finanzierung des Baus und der Erhaltung von Schifffahrtsanlagen erfolgt grundsätzlich durch den Betreiber der Schifffahrtsanlage, der für die Benützung der Schifffahrtsanlagen ein Entgelt verlangen kann. Wenngleich die Errichtung von Schutzwasser und Regulierungsbauten Gegenstand der §§ 41 ff WRG ist, weil sie in erster Linie dem Schutz vor dem Wasser dienen, dienen diese Maßnahmen mittelbar auch der Schifffahrt. Die Förderung von Instandhaltungsmaßnahmen an Flüssen ist allerdings Gegenstand des WasserbautenförderungsG (WBFG)375. Das WBFG legt dem Bund die Instandhaltungskosten für die Donau, Grenzgewässer und eine Reihe anderer in § 8 Abs 2 WBFG aufgezählter Gewässer auf, welche weiterhin durch den Bund (Bundes-Wasserstraßenverwaltung), wahrzunehmen sind (e contrario § 10 Abs 1 Z 1 iVm § 2 Abs 1 Z 12 WasserstraßenG), ohne dass damit eine Instandhaltungspflicht ieS begründet wird376. Die Instandhaltungspflicht ieS ist Aufgabe der via donau (§ 10 Abs 1 Z 1 iVm § 2 Abs 1 Z 1 WasserstraßenG). Für andere Gewässer enthält das WBFG Förderungsbestimmungen, wobei die Gewährung einer Zuwendung idR and die Übernahme von Instandhaltungspflichten gebunden ist (§ 3 Abs 1 Z 9 WBFG). Soweit es sich um der via donau übertragene Aufgaben handelt, erfolgt deren Finanzierung unmittelbar durch diese Gesellschaft. Die Planung und Errichtung des Marchfeldkanalsystems wurde ursprünglich der Errichtungsgesellschaft Marchfeldkanal übertragen. Nach weitgehender Fertigstellung des Kanalsystems wurden deren Rechte und Verpflichtungen mit dem Marchfeldkanal-Bundesbeitragsgesetz377 auf die Betriebsgesellschaft Marchfeldkanal378 übertragen und wurde die Errichtungsgesellschaft aufgelöst. Weiterhin leistet der Bund auf Grund von § 3 Marchfeldkanal-Bundesbeitragsgesetz Zuwendungen für die Fertigstellung des Kanalsystems und dessen Betrieb.
375 376 377 378
BGBl 1985/148 idF BGBl I 2003/82. Merli, Gemeingebrauch, 170. BGBl I 2003/87; Vgl auch die Art 15a-Vereinbarung zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich, BGBl I 2003/86. § 1 NÖ Marchfeldkanalgesetz, LGBl 6961-1.
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Kapitel 4: Luftverkehrsinfrastruktur Rechtsgrundlagen: Völkerrecht: Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt - ICAO-Abkommen (BGBl 1949/97). EU-Recht: 3. Liberalisierungspaket: V (EWG) Nr 2407 - 2409/92 (Abl L 240/1); SlotV - V (EWG) Nr 95/93 [Abl L 14/1 idF V 793/2004, Abl L 138/50]; BodenabfertigungsRL - RL 96/67/EG [Abl 272/36 idF V (EG) Nr 1882/2003, Abl L 284/1]; FlughafensicherheitsV - V (EG) Nr 2320/2002 [Abl L 355/1 idF V (EG) Nr 849/2004, Abl L 158/1]; AußenkompetenzenV - VO (EG) Nr 847/2004 (Abl L 157/7); Paket einheitlicher europäischer Luftraum: V (EG) Nr 549 - 552/2004 (Abl L 96/1); UVP-RL - RL 85/337/EWG (Abl L 175/40 idF RL 2003/35/EG, Abl L 156/17). BG: Luftfahrtgesetz - LFG (BGBl 1957/253 idF BGBl I 2006/149); BG über den zwischenstaatlichen Luftverkehr - BGzLV (BGBl I 1997/101 idF BGBl I 2006/88); BG über die Austro Control GmbH (BGBl 1993/898 idF BGBl I 2004/193); FlughafenBodenabfertigungsG - FBG (BGBl I 1998/97 idF BGBl I 2006/149); BG über Sicherheitsmaßnahmen bei Luftfahrzeugen aus Drittstaaten (BGBl I 2006/150); UmweltverträglichkeitsprüfungsG 2000 - UVP-G (BGBl 1993/697 idF BGBl I 2006/149). VO: VO betreffend die Voraussetzungen für die Erteilung des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses 2004 - AOCV 2004 (BGBl II 2004/425 idF BGBl II 2006/206); Zivilflugplatz-VO - ZFV 1972 (BGBl 1972/313); Zivilflugplatz-Betriebsordnung - ZFBO (BGBl 1972/72 idF BGBl 1986/610); SlotkoordinationsVO - SlotKV (2003/131).
Grundlegende Literatur: Funk, Gutachten Funk, in: Funk/Novak/Aicher (Hrsg), Militärische Luftfahrt und Verfassung, 1988, 11; Halbmayer/Wiesenwasser, Luftfahrtrecht; W. Hauer, Kommt dem Bund auf dem Gebiet des Eisenbahn- und Luftfahrtwesens eine Kompetenz zur Raumordnung zu? ZfV 1997, 577; Mayer, Baurechtskompetenz und Luftfahrtwesen, bbl 1998, 3; Mendel, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 114; Morscher, Zu den Grenzen der Bundeskompetenzen „Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen und der Luftfahrt“ (Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG), in: FS Schambek, 1994, 527; derselbe, Raumordnungskompetenz im Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen und der Luftfahrt, ZfV 1998, 758; Niejahr, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 51 und 52; Nonnenmacher, Luftverkehrsunternehmen, in: Stolzlechner (Hrsg), Recht der Verkehrsgewerbe, 2002, 137; Resch, Das Recht der Luftfahrtunternehmen, 2001; Rill/Schäffer, Die Rechtsnormen für die Planungskoordinierung seitens der öffentlichen Hand auf dem Gebiete der Raumordnung, 1975; Schäffer, Wirtschaftsaufsichtsrecht, in: Raschauer (Hrsg), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, 1998, Rz 501; Stiehl, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 111; Woerz, Deregulierungsfolgen im Luftverkehr, 1996.
I. Grundlagen A. Allgemeines Luftverkehrsinfrastruktur ist ein knappes Gut. Wer konnte diese Erfahrung etwa anlässlich vielfacher Umrundung eines zentralen europäischen Flughafens in einer Warteschleife in der Luft selbst noch nicht machen? Der „Stau am
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Himmel“ ist neben allgemeiner Überlastung einerseits auf fehlende und teils schlecht genutzte Kapazitäten der europäischen Flughäfen, andererseits auf eine bisher uneinheitliche Ordnung und Leitung des europäischen Luftraums zurückzuführen. Was die Ordnung des Luftraums betrifft, wurde 2004 ein wesentlicher Schritt zur effizienteren Abwicklung des Flugverkehrs in Europa mit der Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen für einen einheitlichen europäischen Luftraum getan. Hinsichtlich der Flughafenkapazitäten bereitet die EUKommission eine Mitteilung zu Flughafenkapazitäten, Effizienz und Sicherheit in Europa379 vor. Dessen ungeachtet ist festzustellen, dass dem zu erwartenden Verkehrswachstum380 in Ermangelung ausreichender Erweiterungs- und Neubaumöglichkeiten, nicht zuletzt zum Schutz der Nachbarn von Flughäfen, auch natürliche Grenzen gesetzt sind. Flughäfen sind gemäß § 64 LFG381 öffentliche Flugplätze382, die für den internationalen Luftverkehr bestimmt sind und über die hiefür erforderlichen Einrichtungen verfügen. Alle öffentlichen Flugplätze, die keine Flughäfen sind, bezeichnet der Gesetzgeber als Flugfelder (§ 65 LFG). Die Vorschriften über die Genehmigung von Flugplätzen blieben seit Inkrafttreten des LFG 1957 bis zur Novelle BGBl I 2006/149 weitgehend unverändert. Während durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union vor allem im Bereich der Marktzulassung und der Wettbewerbsregulierung für Luftfahrtunternehmen ein Paradigmenwechsel des wirtschaftsordnungsrechtlichen Ansatzes im LFG samt Nebengesetzen vollzogen wurde, blieben die Vorschriften über die Genehmigung von Flugplätzen durch den Gemeinschaftsbeitritt im Wesentlichen unberührt. Eine wesentliche Änderung in der Genehmigung des Baus und Ausbaus von Flughäfen bedeutete allerdings, dass bestimmte Vorhaben seit dem UVP-G 1993 einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft Art 80 Abs 1 EG-Vertrag bestimmt, dass der Titel „Verkehr“ auf den Luftverkehr (wie auch auf den Seeverkehr) nicht anzuwenden ist. Gleichzeitig räumt Art 80 Abs 2 EG-Vertrag dem Rat im Bereich des See- und Luftverkehrs eine äußerst weite, vom reinen Wortlaut aus betrachtet, - unbegrenzte - Befugnis zur
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Commission staff workig document „Airport capacity, efficiency and safety in Europe“ (unveröffentlicht, zugänglich über die Website der Kommission http://ec.europa.eu/transport/index_de.html); nach Z 6 des Dokumentes ist nach Durchführung des Konsultationsverfahrens die Erlassung einer Mitteilung über den Gegenstand geplant. Nach Z 2 des Commission staff workig documents (FN 379) könnten im Jahr 2025 ohne Gegenmaßnahmen 17 % der erwarteten Flüge mangels ausreichender Kapazitäten am Boden nicht stattfinden. BGBl 1957/253 idF BGBl I 2006/149. Nach § 63 LFG ist ein öffentlicher Flugplatz Zivilflugplatz (§ 60 LFG), für den Betriebspflicht besteht und der von allen Teilnehmern am Luftverkehr unter den gleichen Bedingungen benutzt werden kann.
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Vertragsergänzung383 ein, die grundsätzlich auch die Regelung der Drittstaatsbeziehungen der Gemeinschaft umfasst. Im Übrigen ist aber auch die Luftverkehrspolitik Teil der “Gemeinsamen Verkehrspolitik“ der Gemeinschaft, die Anbindung der Flughäfen ist weiters in die Entwicklung der Transeuropäischen Verkehrsnetze384 einzubeziehen. Zu den zwischen Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft geteilten Kompetenzen zum Abschluss von Luftverkehrsabkommen siehe unten Teil II Kap 4, I.C.1.b).
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Angelegenheiten des Verkehrswesens bezüglich der Luftfahrt sind gemäß Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Wie dies bereits für die Straßeninfrastruktur dargestellt wurde, enthält auch das Luftfahrtwesen eine Fachplanungskompetenz des Bundes385 und verdrängt hinsichtlich der baulichen Anlagen auf einem Flugplatz die Baurechtskompetenz der Länder386. Vorschriften, welche die gewerbsmäßige Ausübung des Verkehrswesens bezüglich der Luftfahrt regeln, können auf Grund von Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG erlassen werden. Der Betrieb von Zivilflugplätzen fällt daher nicht in Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG387. Dementsprechend ist der Betrieb von Zivilflugplatzunternehmen gemäß § 2 Z 16 GewO auch vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen. Das Luftfahrtwesen als Teil des Verkehrswesens ist gemäß Art 102 Abs 2 B-VG in unmittelbarer Bundesverwaltung zu vollziehen.
C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen In der Vorauflage konnte noch festgestellt werden, dass - abgesehen von den Vorschriften der UVP-RL - die EG hinsichtlich der Luftverkehrsinfrastruktur lange Zeit nur soweit rechtsetzend tätig geworden ist, als dies für Liberalisierung des Marktes der Luftfahrtunternehmen notwendig war, und zwar bis dahin etwa durch Vorschriften über die Verteilung von Start- und Landerechten sowie den Zugang zu Bodenabfertigungsdiensten388. Auch dies scheint nun im Wandel: 2004 wurde ein Legislativpaket mit den V (EG) Nr 549 - 552/2004389 erlassen, das erstmals konkrete (raumplanerische) Vorgaben für eine neue europäische Luftraumarchitektur enthält. Zur effizienteren Nutzung der Flughafenkapazitäten ist vorläufig die Ausarbeitung einer 383 384 385 386 387
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Erdmenger, in: GThE I5 (FN 10), Art 84 EG-Vertrag, Rz 14. Siehe dazu oben Kap 1, I.B.1. Rill/Schäffer, 37. Mayer, bbl 1998, 3 ff. W. Hauer, ZfV 1997, 577 ff; Morscher, FS Schambek, 527; derselbe, ZfV 1998, 758 ff. Mayer, bbl 1998, 3 ff. Gemäß dem für den Versteinerungszeitpunkt relevanten LFG 1919, StGBl 1919/578 idF BGBl 1925/277, durften Flugplätze und die sonstigen dem Luftverkehr dienenden Anlagen nur mit Genehmigung der Behörde angelegt und betrieben werden (§ 6 LFG 1919); gemäß § 10 Abs 3 leg cit bedurfte es neben dem in diesem Gesetz vorgesehenen Genehmigungen „weder der Erwerbung einer Konzession und einer Genehmigung der Betriebsanlage nach der Gewerbeordnung“ noch einer besonderen Bewilligung iSd Bauordnungen. Zu den luftfahrtrechtlichen Betriebsanlagen vgl auch Schwarzer, Die Genehmigung von Betriebsanlagen, 1992, 100 ff. Siehe dazu gleich unten in diesem Kap, III.D. (Bodenabfertigung) und III.E. (Slots). Abl L 96/1; siehe dazu gleich unten in diesem Kap, IV.
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Mitteilung der Kommission in Planung, wobei im Konsultationsverfahren bereits die Erlassung möglicher Rechtsakte betreffend Flughafenplanung und Flughafenvernetzung angedeutet wird.390 Aus völkerrechtlicher Sicht ist auch das Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt (ICAO-Abkommen)391, insbesondere Kapitel XV über Flughäfen und andere Flugsicherungseinrichtungen sowie Annex 1 über Flughäfen, zu beachten.
II. Die Genehmigung von Flugplätzen A. Systematik der Genehmigungen für den Bau von Zivilflugplätzen Eine Zivilflugplatz-Bewilligung berechtigt zur Errichtung und zum Betrieb eines Zivilflugplatzes392, sie widmet eine bestimmte Fläche als Zivilflugplatz393. Gleichzeitig hat sie den Charakter einer (sonder-) gewerberechtlichen Bewilligung, weil der Betrieb von Zivilflugplatzunternehmen samt deren Hilfsbetrieben (§ 75 Abs 1 LFG) gemäß § 2 Abs 1 Z 16 GewO vom Geltungsbereich der GewO ausgenommen ist. Die Widmung als Flugplatz umfasst allerdings noch nicht das Recht, bauliche Anlagen zu errichten. Diese müssen vielmehr als „zivile Bodeneinrichtungen“ 394 genehmigt werden. Vor Aufnahme des Betriebes ist eine Betriebsaufnahmebewilligung nach § 73 LFG einzuholen.
B. Genehmigung eines Flugplatzes 1. Zivilflugplatz-Bewilligung Zum Betrieb von Flugplätzen ist gemäß § 68 Abs 1 LFG eine ZivilflugplatzBewilligung erforderlich, wobei für die Genehmigung von Flughäfen der Verkehrsminister zuständig ist (§ 68 Abs 2 LFG), für die Bewilligung von Flugfeldern dagegen die BVB. Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn die in Aussicht genommene Fläche für den geplanten Zweck (§ 70 Abs 1 LFG) und vom technischen Standpunkt aus geeignet ist (§ 71 Abs 1 lit a LFG), der Bewilligungswerber verlässlich und zur Führung des Betriebes geeignet (§ 71 Abs 1 lit b LFG) sowie hinreichend finanziell ausgestattet ist (§ 71 Abs 1 lit c LFG) und sonstige öffentliche Interessen nicht entgegenstehen (§ 71 Abs 1 lit d LFG)395.
390 391 392 393 394
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Commission staff working document (FN 379). Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt, BGBl 1949/97. RV zu § 68 LFG, 307 BlgNR 8. GP, 35. Halbmayer/Wiesenwasser, § 68 LFG, Rz 1. Bodeneinrichtungen sind gemäß § 59 LFG Bauten, Anlagen und sonstige ortsfeste Einrichtungen, die sich auf Flugplätzen befinden und für den ordnungsgemäßen Betrieb eines Flugplatzes notwendig oder zweckmäßig sind. Flugsicherungsanlagen gemäß § 122 LFG gelten nicht als Bodeneinrichtungen (Vgl die diesbezügliche Änderung mit der LFG-Novelle 2004, BGBl I 2004/173, und VwGH 30.5.1995, 94/05/0053). Näher Funk, 17 f.
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Die technische Eignung des Vorhabens ist danach zu beurteilen, ob die das Vorhaben geeignet ist, die Vorgaben der Zivilflugplatz-VO (ZFV 1972)396 in Bezug auf die Standortwahl, bauliche Gestaltung und technische Ausrüstung von Zivilflugplätzen zu erfüllen. Ob das Vorhaben diesen Vorschriften aber tatsächlich entspricht, wird erst im Rahmen der Erteilung der Betriebsaufnahmebewilligung geprüft (§ 73 Abs 2 LFG).
Voraussetzung für die Genehmigung von öffentlichen Flugplätzen ist ein Bedarf danach (§ 71 Abs 2 LFG). Für die Errichtung von Flughäfen müssen überdies besondere öffentliche Interessen397 sprechen398. Die Bedarfsfrage ist bei Flughäfen dahingehend objektiviert, dass eine Errichtung eines Flughafens gemäß § 71 Abs 2 LFG keinesfalls im öffentlichen Interesse liegt, wenn der geplante Standort weniger als 100 km von einem bewilligten Flughafen entfernt ist und geeignet ist, dessen Verkehrsaufgeben zu gefährden und der Betreiber des bestehenden Flughafens in der Lage und gewillt ist, binnen sechs Monaten die in Aussicht genommenen Aufgaben selbst zu übernehmen. Der Antrag auf Erteilung einer Zivilflugplatz-Bewilligung hat weiters einen Vorschlag über die Dimensionierung der für einen Flughafen jedenfalls (§ 86 Abs 2 LFG) erforderlichen Sicherheitszone zu enthalten. Wenngleich die Sicherheitszone letztlich in einem gesonderten Verfahren durch den Verkehrsminister zu verordnen ist (§ 87 Abs 1 LFG), ist der von der Behörde zu prüfende Vorschlag das wesentliche Kriterium für die für die Abgrenzung der Parteistellung der Nachbarn eines Flughafens im Genehmigungsverfahren. Nach stRspr des VwGH399 haben im Verfahren betreffend Zivilflugplatz-Bewilligungen nur jene Eigentümer von Grundstücken Parteistellung, deren Grundstücke für Zwecke der Luftfahrt, sei es für das Flugfeld in engerem Sinn oder für eine außerdem geplante Sicherheitszone, in Anspruch genommen werden400. Denn die Erteilung einer Zivilflugplatz-Bewilligung kann durch die darin enthaltene Umschreibung der in Aussicht genommenen Sicherheitszonen-VO die Eigentümer von Liegenschaften im Sicherheitszonen-Bereich insoweit in ihren Rechten berühren, als dadurch ihr Eigentumsrecht beeinträchtigt wird. Durch die Festlegung der Sicherheitszone werden öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen für die betroffenen Grundstücke bewirkt401. Keine Parteistellung haben jedoch Anrainer und Nachbarn, deren Liegenschaften nicht in diesem Sinn in Anspruch genommen wird.
Ergibt sich aus der mündlichen Verhandlung über den Antrag, dass die Sicherheitszone weiter zu ziehen sein wird als im Antrag vorgesehen, ist nach Änderung des Anbringens neuerlich eine mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 70 Abs 4 LFG).
2. Genehmigung der zivilen Bodeneinrichtungen Bodeneinrichtungen sind alle Bauten und Anlagen und sonstige ortsfeste Einrichtungen, die sich auf Flugplätzen befinden und unmittelbar für die Abwick396 397 398
399 400
401
BGBl 1972/313. Zu den relevanten öffentlichen Interessen, Rill/Schäffer, 187. Spätestens mit der Erteilung des Bewilligungsbescheides hat der Betreiber eines Flughafens den Enteignungstitel nach den §§ 98 ff LFG erworben, weil bescheidförmig festgestellt wurde, dass die Errichtung des Flughafens im öffentlichen Interesse gelegen ist (vgl VfSlg 6052/1969). VwGH 25. 1. 1995, 93/03/0188, 0189, 0190, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur. Vgl auch Wagner, Umweltverträglichkeit beim Bau von Verkehrsflächen, in: Kerschner (Hrsg), Österreichisches und Europäisches Verkehrsrecht, 2001, 437 (458). Vgl VwGH, 5. 11. 1997, 97/03/0187.
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lung des Flugverkehrs bestimmt sind (§ 59 LFG). Die Errichtung, die Benützung und jede wesentliche Änderung einer Bodeneinrichtung bedarf einer Bewilligung nach § 78 LFG. In Umsetzung der Seveso-RL (RL 96/82/EG402) ordnet § 80a LFG nun an, dass im Genehmigungsverfahren die §§ 84a Abs 4, 84b, 84c Abs 1 - 4 und 84e GewO sinngemäß anzuwenden sind, wenn auf einem Flugplatz bestimmte Stoffe in solchen Mengen vorhanden sind, welche die in der RL 96/82/EG genannten Schwellenwerte übersteigen. Zivilflugplatzhalter dürfen weiters solche Hilfsbetriebe führen, die unmittelbar und ausschließlich den Verkehrsaufgaben seines Flugplatzes dienen (§ 75 Abs 1 LFG).
3. UVP für Flugplätze Folgende Vorhaben403 sind vor Genehmigung einer UVP im ordentlichen Verfahren (Anhang 1 Z 14 Spalte 1 UVP-G) zu unterziehen: • Neubau von Flugplätzen, ausgenommen Segelflugfelder und Flugplätze für Hubschrauber, die überwiegend Rettungseinsätzen, der Sicherheitsverwaltung, Landesverteidigung oder Verkehrsüberwachung dienen. • Neuerrichtung von Pisten mit einer Grundlänge von mindestens 2100 m. • Änderungen von Flugplätzen durch Neuerrichtung oder Verlängerung von Pisten404, wenn dadurch die Gesamtpistenlänge um mindestens 25 % erweitert wird. • Änderung von Flugplätzen, wenn dadurch eine Erhöhung der Flugbewegungen um mindestens 15.000 in einem Prognosezeitraum von 5 Jahren405 zu erwarten ist. Jene in Anhang 1 Z 14 Spalte 3 UVP-G genannten Vorhaben, das sind im Wesentlichen Ausbauvorhaben geringeren Ausmaßes als die in Spalte 1 genannten, sind einer UVP im „vereinfachten Verfahren“ zu unterziehen, wenn sie in Schutzgebieten der Kategorie A, D oder E nach Anhang 2 UVP-G liegen. Die genannten Vorhabensbegriffe sind, wie allgemein nach dem UVP-G406, nach dem verwiesenen Sachrecht, sohin nach dem LFG407 zu interpretieren. Ordentliches Verfahren und vereinfachtes Verfahren sind als konzentriertes Genehmigungsverfahren durch die Landesregierung nach dem 2. Abschnitt UVP-G zu führen408, in dem auch über die Zivilflugplatz-Bewilligung zu ent-
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ABL L 10/13. Zur Spruchpraxis des Umweltsenates betreffend die Vorhaben der Z 14 siehe Baumgartner/Niederhuber, Die Judikatur des Umweltsenates 2000 - 2004, RdU 2005, 17 (18). Zum Ausbau von Flughäfen vgl EuGH, Slg 1999, I-5613. Insbesondere zur Prognose: US 12.3.2003, 6A/2002/9-19 (Wiener Neustadt Ost IV) und US 15.7.2004, 6B/2003/5-36 (Graz Thalerhof II). Raschauer, Umweltverträglichkeitsprüfung und Genehmigungsverfahren, ZfV 1992, 100 (101); derselbe, Der Anwendungsbereich des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes, RdU 1994, 10 (11). Zivilflugplatz (§ 63 LFG) Piste [§ 1 Zivilflugplatz-Verordnung (FN 396)]; vgl Baumgartner/Niederhuber, FN 403, 18. Zum UVP-Verfahren siehe den Beitrag von Madner in diesem Handbuch.
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scheiden ist. Die zuständige Luftfahrtbehörde ist in diesem Verfahren mitwirkende Behörde im Sinn des § 2 Abs 1 UVP-G. In einem Eilverfahren am Ende der 22. GP hat der Gesetzgeber offensichtlich eine „Lex Flughafen Wien“409 beschlossen (BGBl I 2006/149), mit der das LFG und das UVP-G geändert wurden: Mit einem neu eingefügten § 145b LFG werden zunächst, offensichtlich in Anlehnung an § 7a BStG, auch objektseitige (Lärmschutz-)Maßnahmen vorgesehen, um eine Vorsorge gegen Beeinträchtigungen der Nachbarn zu ermöglichen. Weiters wurde angeordnet, dass Schwellenwerte für Lärmimmissionen sowie die Art und Weise der Berechnung der Lärmindizes für Fluglärm durch Verordnung des Verkehrsministers festzulegen sind (§ 145b Abs 3 LFG). Ein neu eingefügter letzter Satz in § 17 Abs 3 UVP-G verweist hinsichtlich der Zumutbarkeit der Belästigung durch Flughäfen auf die besonderen (luftfahrtrechtlichen) Immissionsschutzvorschriften. Ganz offensichtlich bestand die Sorge, dass zumindest ein Flughafenprojekt den bis dahin geltenden allgemeinen Immissionsschutz-Vorschriften (insbesondere § 17 Abs 2 Z 2 UVP-G) nicht entsprechen könnte, was freilich jedenfalls die Frage der sachlichen Rechtfertigung der Abweichung in den Raum stellt.
III. Betrieb von Flugplätzen A. Betriebsaufnahmebewilligung Erst die Erteilung der Betriebsaufnahmebewilligung berechtigt zur Inbetriebnahme des Flugplatzes. Sie ist zu erteilen, wenn der Genehmigungswerber nachweist, dass ein geordneter Flugbetrieb gewährleistet ist, der Flugplatz den Anforderungen der Zivilflugplatz-VO entspricht (§ 73 Abs 2 LFG) und die Behörde im Rahmen einer mündlichen Verhandlung festgestellt hat, dass die in der Zivilflugplatz-Bewilligung auferlegten Verpflichtungen erfüllt wurden (§ 73 Abs 3 LFG)410.
B. Betriebspflicht und Zivilflugplatzbenützung Für Zivilflugplätze besteht Betriebspflicht und diese unterliegen dem Gemeingebrauch. Zivilflugplatzhalter411 dürfen daher den Betrieb nur mit Genehmigung der Behörde einstellen (§ 75 Abs 5 LFG) und haben allen Teilnehmern am Luftverkehr die Benützung zu den gleichen Bedingungen zu gestatten (§ 63 Abs 1 iVm § 74 Abs 2 LFG). Die näheren Vorschriften für den Betrieb von Flughäfen sind in der Zivilflugplatz-Betriebsordnung (ZFBO)412 geregelt. 409
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Der Bezug der Novelle des LFG bzw UVP-G zum UVP-Verfahren für die Erweiterung des Flughafens Wien geht aus der parlamentarischen Diskussion (22. GP, 160. Sitzung, S 82 ff) eindeutig hervor, die Eile in der dies beschlossen wurde, indiziert dies. Näher Funk, 20. Der Zivilflugplatzhalter ist der Inhaber der Zivilflugplatz-Bewilligung (vgl Halbmayer/Wiesenwasser, Luftfahrtrecht, § 61 LFG, Rz 11).412 BGBl 1972/72 idF BGBl 1986/610.
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Das Rechtsverhältnis zwischen Zivilflugplatzhalter und Zivilflugplatzbenützer beruht auf Privatrecht. Gemäß § 15 ZFBO hat sich ein Benützer eines Flughafens durch die Benützung der Anlagen diesen Bedingungen unterworfen. Der Flugplatzbetreiber unterliegt einem Kontrahierungszwang413 und das Schuldverhältnis kommt durch Vertragsschluss414 zustande, wobei - angesichts der Anordnung des § 15 ZFBO - die Willensfreiheit des Flugplatzbenutzers bloß eine Abschlussfreiheit, nicht aber eine Inhaltsfreiheit ist. Die Rechte und Pflichten zwischen Zivilflugplatzhalter und Benützer sind vom Zivilflugplatzhalter in den „Zivilflugplatz-Benützungsbedingungen“ zu regeln, die vor Anwendung dem Verkehrsminister zur Genehmigung vorzulegen sind. Die Zivilflugplatz-Benützungsbedingungen müssen insbesondere eine Tarifordnung enthalten (§ 20 ZFBO), in der das Entgelt für die Inanspruchnahme der einzelnen Dienste festzulegen ist.
D. Bodenabfertigung Mit der RL 96/67/EG des Rates über den Zugang zum Markt der Bodenabfertigungsdienste auf den Flughäfen der Gemeinschaft415 wurde der Zugang zu den so genannten Bodenabfertigungsdiensten (Ground Handling Services) auf Flughäfen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft liberalisiert416. Österreich hat die Richtlinie mit dem Flughafen-BodenabfertigungsG (FBG)417 umgesetzt.
E. Die Zuteilung von Slots Angesichts der Überlastung des Luftraumes und begrenzter Möglichkeiten für Erweiterungen von Flughafenkapazitäten herrscht an vielen Flughäfen chronische Verknappung der Start- und Landerechte, so genannter Slots418. Zur Verteilung knapper Güter bedarf es einer Mangelverwaltung, die einen Ausgleich zwischen dem Interesse an der Wahrung bestehender Rechte eingesessener Unternehmen gleichzeitig aber auch dem Interesse an der Bereitstellung ausreichender Slots für Markteintrittswillige Rechung tragen muss, um nicht die
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OGH, 14.10.1992, 2Ob 555/92. Halbmayer/Wiesenwasser, Luftfahrtrecht, § 74 LFG, Rz 7. Abl L 272/36 idF V (EG) Nr 1882/2003, Abl L 284/1; zur Auslegung der RL vgl EuGH 16.10.2003, Rs C363/01, Flughafen Hannover. Zur RL 96/67/EG siehe Rau/Mengelkoch, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 58. Vgl auch Rittner, Zur Neuordnung der Bodenverkehrsdienste (groundhandling) auf den Flughäfen der Europäischen Union, NVwZ 1994, 429. BGBl I 1998/97 idF BGBl I 2006/149. Näher zum FBG, Resch, 162 f. Eine solche Zeitnische ist nach Art 2 lit a V (EWG) Nr 95/93 über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft [Abl L 14/1 idF V (EG) Nr 793/2004, Abl L 138/50)] die von einem Koordinator gemäß dieser Verordnung gegebene Erlaubnis, die für den Betrieb eines Luftverkehrsdienstes erforderliche Flughafeninfrastruktur eines koordinierten Flughafens an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Uhrzeit, die von einem Koordinator zugewiesen werden, in vollem Umfang zum Starten und Landen zu nutzen. Zum Begriff: Tschentscher/Koenig, Rechtsqualität, Vergabe und Übertragbarkeit so genannter „Slots“ nach dem deutschen Luftverkehrsrecht, NVwZ 1991, 219 f; Kilian, Der Handel mit Slots, TranspR 2000, 159.
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gesetzlich vorgesehene Liberalisierung des Marktes der Luftfahrtunternehmen zu konterkarieren.. Weltweit sind verschiedene Allokationsmodelle gebräuchlich, wobei außerhalb der EU und den USA das herrschende Modell noch immer die Verteilung der Slots nach den IATA-Vorschriften ist. Die Vergabe von Slots erfolgt vergleichbar einer großen Börse von „Flugplankoordinatoren“ (§ 142 LFG). Die Verhandlungen sind am so genannten „grandfather principle“ orientiert, wobei eingesessene Unternehmen, die über so genannte „grandfather rights“ verfügen, bei der Verteilung bevorzugt behandelt werden. Seit der Deregulation haben die USA für amerikanische Flughäfen ein eigenständiges Verteilungsmodell entwickelt. Für vier amerikanische „High-Density-Airports“ wurde 1986 von der Amerikanischen Luftfahrtbehörde durch VO die so genannte „Buy-SellRule“419 als US-Verteilungsmodell erlassen. Tragendes Prinzip der VO ist, dass Slots zu handelbaren vermögenswerten Rechten werden420, die von spezialisierten Maklern gehandelt werden.
Im Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften wurde für den Luftverkehr von und zu überlasteten Flughäfen - im Gegensatz zu den USA also auch für den Drittstaatsverkehr mit der V (EWG) Nr 95/93421 ein eigenständiges Verteilungsmodell geschaffen. Das europäische Verteilungsmodell stellt, vereinfacht gesagt, einen Mittelweg zwischen dem US- und dem IATA-Modell dar. Die für die Durchführung der V (EWG) Nr 95/93 erforderlichen Maßnahmen Österreich betreffend sind in § 142 LFG und in der SlotkoordinationsVO (SlotKV)422 geregelt. Die SlotKV erklärte die Flughäfen Salzburg, Linz, Innsbruck, Graz und Klagenfurt zu koordinierten Flughäfen (§ 3 Abs 1 SlotKV) und den Flughafen Wien zum „vollständig koordinierten“ Flughafen (§ 3 Abs 1 SlotKV). Die Erklärung zum „vollständig koordinierten“ Flughafen führt zumindest zu einer potenziellen Einschränkung des Marktzuganges, die Erklärung zum koordinierten Flughafen verpflichtet zur Einhaltung allgemeiner Grundsätze, wie Transparenz, Unparteilichkeit und Nichtdiskriminierung bei der Verteilung der Slots, ohne dass damit Einschränkungen des Marktzugangs verbunden sind.423 Dem § 4 SlotKV wurde durch die Änderung des § 142 LFG mit der LFG-Novelle 2005424 materiell derogiert. Zum österreichischen Flugplanvermittler und Flugplankoordinator wird durch § 142 Abs 3 LFG die „SCA Schedule Coordination Austria GmbH“ bestellt, welche für ihre Tätigkeit Gebühren auf zivilrechtlicher Grundlage (§ 142 Abs 4 LFG letzter Satz) einheben kann. Der „Flugplanvermittler“ und der „Koordinator“ nehmen an den durch das Gemeinschaftsrecht zugelassenen Flugplankonferenzen teil [Art 4 Abs 3 V (EG) Nr 95/93], der Koordinator ist für die Zuweisung von Zeitnischen zuständig [Art 4 Abs 5 V (EG) Nr 95/93].
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50 Fed. Reg. 52,180 (1985). Ausführlich zum Handel mit Slots: Kilian (FN 418) 160 ff. V (EWG) Nr 95/93, Abl L 14/1 idF V (EG) Nr 793/2004, Abl L 138/50; vgl dazu die Kommentierung von Niejahr, 52. BGBl II 2003/131. Niejahr, 52, Rz 6 und 7. BGBl I 2005/98.
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F. Harmonisierte Vorschriften für die Sicherheit der Zivilluftfahrt auf Flughäfen Als Reaktion auf die Anschläge am 11. September 2001 in New-York und Washington wurden mit der V (EG) Nr 2320/2002425 einheitliche Vorschriften erlassen, um Sicherheitslücken zu schließen und den potenziellen Drohungen des Terrorismus Rechnung zu tragen. Die V gilt für alle im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten befindlichen Flughäfen. Zentrale Regelungen der V sind die „gemeinsamen grundlegenden Normen“ für die Sicherheitsmaßnahmen im Luftverkehr. Diese stützen sich auf die Empfehlungen der Europäischen Zivilluftfahrtkonferenz und werden durch den Anhang der V für verbindlich erklärt [Art 4 Abs 1 V (EG) Nr 2320/2002]. Der Anhang sieht ua eine strikte Kontrolle des Zugangs zu Flughäfen und Durchsuchungen von Flugzeugen, Fluggästen, Gepäck und Personal, einschließlich der Besatzung und ihres Gepäcks, vor. Die EU-Kommission wird durch Art 4 Abs 2 iVm Art 9 Abs 2 V (EG) Nr 2320/2002 ermächtigt, die notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung und technischen Anpassung dieser gemeinsamen grundlegenden Normen zu erlassen: Mit der V (EG) Nr 622/2003426 der Kommission wurden konkrete Maßnahmen für die Verbesserung der Sicherheit des Luftverkehrs vorgesehen und mit der V (EG) Nr 68/2004427 eine Liste von Gegenständen festgelegt, die an Bord und in den Frachträumen von Passagierflugzeugen verboten sind. Die jeweiligen Maßnahmen und Listen wurden in den Anhängen der V geregelt, wobei diese allerdings aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht werden, was durch Art 8 V (EG) Nr 2320/2002 gedeckt ist. Mit der V (EG) Nr 1138/2004428 der Kommission wurden „sensiblen Teile“ der Sicherheitsbereiche auf Flughäfen definiert, in denen auch das Personal, einschließlich der Flugbesatzungen, und mitgeführte Gegenstände vor jedem Zugang zu durchsuchen sind. Die notwendigen Anpassungen und Ergänzungen im österreichischen Recht wurden im Luftfahrtsicherheitsgesetz429 und durch Einfügung eines neuen § 134a LFG430 vorgenommen. Nach § 134a Abs 1 LFG ist für die Erteilung der nach der V (EG) Nr 2320/2002 erforderlichen Genehmigungen der Verkehrsminister zuständig, soweit dies nicht in den Vollzugsbereich des Bundesministers für Inneres oder für Landesverteidigung fällt. Die Definition des Sicherheitsbereiches eines Flughafens hat durch Bescheid des Verkehrministers zu erfolgen (§ 2 Luftfahrtsicherheitsgesetz iVm § 134a LFG). Die Einhaltung der Vorschriften der Verordnung wird teils auch unmittelbar durch die EU-Kommission überwacht, welche nach Maßgabe der Vorschriften des Art 7 V (EG) Nr 2320/2002 Inspektionen an Flughäfen durchzu-
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Abl L 355/1 idF V (EG) Nr 849/2004, Abl L 158/1 (Berichtigung); vgl dazu die Kommentierung von Mendel, 114. Abl L 89/9 idF V (EG) Nr 1448/2006, Abl L 271/31. Abl L 10/14. Abl L 221/6. BGBl 1992/824 idF BGBl I 2004/136. BGBl I 2004/136.
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führen hat. Die näheren Vorschriften zur Durchführung der Inspektionen wurden durch die V (EG) Nr 1486/2003431 der Kommission geregelt.
G. Fachbehördliche Aufsicht über den Betrieb von Zivilflugplätzen Zivilflugplätze unterliegen der fachbehördlichen Aufsicht der für die Erteilung der Bewilligung des Betriebs zuständigen Behörde (§ 141 Abs 1 LFG), für Flughäfen ist das der Verkehrsminister (§ 68 Abs 2 LFG).
H. Flughafenbetreibergesellschaften Errichtung und Betrieb von Flughäfen werden idR nicht durch Gebietskörperschaften sondern durch Flughafenbetreibergesellschaften besorgt. An den Bundesländerflughäfen war neben den Ländern bisher auch der Bund beteiligt, wobei die Anteile des Bundes an der Salzburger Flughafen GmbH, der Kärntner Flughafenbetriebsgesellschaft mbH und der Flughafen Graz Betriebsgesellschaft mbH auf Grund bundesgesetzlicher Ermächtigung durch BGBl I 2001/158 an die jeweiligen Länder übertragen wurden.
IV. Rechtliche Ordnung des Luftraums und einheitlicher europäischer Luftraum Aus der vollen Souveränität des Staates über seinen Luftraum (Lufthoheitstheorie) folgt dessen Recht, die Benutzung seines Luftraumes zu regeln. Die nationale Ordnung des Luftraums erfolgt auf Grundlage des ICAO-Abkommens und wird weltweit im Rahmen der ICAO koordiniert. Der „kontrollierte Luftraum“ und „Luftraumbeschränkungen“ werden durch (meist im Einvernehmen mit dem Verteidigungsminister zu erlassende) Verordnungen des Verkehrsministers festgelegt (§§ 3 ff LFG). Die rein nationale Ordnung des jeweiligen Luftraums zusammen mit der Uneinheitlichkeit der nationalen europäischen Flugsicherungen wurden lange Zeit als entscheidender Grund für den „Stau am Himmel“ angesehen432. Auf diese Kritik hat die Gemeinschaft mit einem Legislativpaket „Einheitlicher europäischer Luftraum", bestehend aus vier Verordnungen433, reagiert. Das Paket umfasst eine RahmenV [V (EG) Nr 549/2004] und drei technische V über die Erbringung von Flugsicherungsdiensten [Flugsicherungsdienste-V, V (EG) Nr 550/2004], die Ordnung und Nutzung des Luftraums [Luftraum-V, V (EG) Nr 551/2004] und die Interoperabilität des europäischen Flugverkehrsmanagementnetzes [Interoperabilitäts-V, V (EG) Nr 552/2004]. Ziel dieser Verordnungen ist vor allem die Erhöhung der Sicherheit und die Umstrukturierung des Luftraums nach Maßgabe des Verkehrs und nicht nach nationalen Grenzen.
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Abl L 213/3. Mitteilung der Kommission, Die Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums, KOM (1999) 614. V (EG) Nr 449 - 552/2004, Abl L 96/1.
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Die Rahmen-V ermächtigt die Kommission insbesondere zur Erlassung von Durchführungsvorschriften, wobei die Kommission dabei vom „Ausschuss für den einheitlichen Luftraum“ unterstützt wird, der sich aus zwei Vertretern jedes Mitgliedstaates zusammensetzt und in dem ein Vertreter der Kommission den Vorsitz führt [Art 5 Abs 1 V (EG) Nr 549/2004]. Fallen Durchführungsvorschriften in die Zuständigkeit der Eurocontrol434, ist diese nach Maßgabe des Art 8 V (EG) Nr 549/2004 am Verfahren zu beteiligen. Die Kommission hat weiters auf Grundlage von Art 11 V (EG) Nr 549/2004 eine Leistungsüberprüfung und ein Leistungsvergleich in der Flugsicherung vorzunehmen. Bemerkenswert und gleichzeitig Zeichen eines hohen Integrationsgrades des innereuropäischen Luftverkehrsmarktes ist, dass mit der Luftraum-V [V (EG) Nr 551/2004] die Gemeinschaft selbst erstmals unmittelbar (raum)planend tätig geworden ist. Die neue europäische Luftraumarchitektur unterscheidet grundsätzlich zwischen „oberem“ und „unterem Luftraum“, der durch die „Trennfläche“ iSd Art 2 V (EG) Nr 551/2004 (= 8700 m) getrennt wird. Für den oberen Luftraum wurde ein einheitliches, von den nationalen Grenzen unabhängiges, europäisches Fluginformationsgebiet (European Upper Flight Information Region - EUIR) geschaffen. Die Schaffung dieses Fluginformationsgebietes für den oberen Luftraum ermöglicht es, diesen Raum in grenzübergreifende Flugsicherungssektoren umzustrukturieren [vgl Art 5 V (EG) Nr 551/2004], was eine effizientere Nutzung sowohl des Luftraumes, als auch der Systeme und des Personals gestattet. Mit der V (EG) Nr 730/2006435 hat die Kommission eine Luftraumklassifizierung und eine Regelung des Zugangs nach Sichtflugregeln oberhalb der Flugfläche 195 vorgenommen.
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Europäische Organisation für die Sicherung der Luftfahrt, die durch das Internationale Übereinkommen über die Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt, BGBl 1993/282, gegründet wurde. Abl L 128/3.
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Teil II: Marktzulassung von Transportunternehmen Kapitel 1: Marktzulassung von Straßentransportunternehmen Rechtsgrundlagen Personenverkehr (Gelegenheitsverkehr und Kraftfahrlinien): EU-Recht: V (EWG) Nr 1191/69 [Abl L 156/1 idF V (EWG) Nr 1893/91, Abl L 169/1]; V (EWG) Nr 1107/70 [Abl L 130/1 idF V (EG) Nr 543/97, Abl L 84/6]; BerufszugangsRL - RL 96/26/EG (Abl L 124/1 idF RL 2004/66/EG, Abl L 168/35); V (EWG) Nr 684/92 [Abl L 74/1 idF V (EG) Nr 11/98, Abl L 4/1]; V (EG) Nr 12/98 (Abl L 4/10); RL 2004/66/EG (Abl L 168/35). BG: Gelegenheitsverkehrs-G - GelverkG (BGBl 1996/102 idF BGBl I 2006/153); KraftfahrlinienG - KflG (BGBl I 1999/203 idF BGBl I 2006/1532); Öffentlicher Personennah- und Regionalverkehrsgesetz - ÖPNRV-G (BGBl I 1999/204 idF BGBl I 2002/32). VO: BerufszugangsV Kraftfahrlinien- und Gelegenheitsverkehr - BZP-V (BGBl 1994/889 idF BGBl II 2001/46); Betriebsordnung für den nicht-linienmäßigen Personenverkehr (BGBl 1993/951 idF BGBl I 2005/165); KraftfahrliniengesetzDurchführungsverordnung - KflG-DV (BGBl II 2001/45).
Rechtsgrundlagen Güterverkehr: EU-Recht: BerufszugangsRL - RL 96/26/EG (Abl L 124/1 idF RL 2004/66/EG, Abl L 168/35); V (EWG) Nr 3118/93 (Abl L 279/1); V (EWG) Nr 881/92 [Abl L 95/1 idF V (EG) Nr 484/2002, Abl 76/1]; RL 2004/66/EG (Abl L 168/35). BG: GüterbeförderungsG - GütBefG (BGBl 1995/593 idF BGBl I 2006/153). VO: Berufszugangs-Verordnung Güterkraftverkehr - BZGü-V (BGBl 1994/221 idF BGBl II 2000/280).
Grundlegende Literatur: Benes, Das Personen- und Güterbeförderungsrecht im Straßenverkehr, 1967; Fenz, Rechtsgrundlagen der Personenbeförderungsgewerbe, ZVR 1960, 217; Ipsen, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 16 und 17; Jung, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 9; Kafka, Gefahrguttransport, in: Stolzlechner (Hrsg), Recht der Verkehrsgewerbe, 2002, 189; Kahl, Der öffentliche Personennahverkehr auf dem Weg zum Wettbewerb, 2005; Kostal, Kraftfahrlinienunternehmen, in: Stolzlechner (Hrsg), Recht der Verkehrsgewerbe, 2002, 79; Maiworm, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 11 und 12; Schäffer, Wirtschaftsaufsichtsrecht, in: Raschauer (Hrsg), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, 1998, Rz 510; Somereder/Grundtner, KraftfahrlinienG und GelegenheitsverkehrsG, 2004; Thann, Personenbeförderung auf der Straße, in: Stolzlechner (Hrsg), Recht der Verkehrsgewerbe, 2002, 23; derselbe, Güterbeförderung auf der Straße, in: Stolzlechner (Hrsg), Recht der Verkehrsgewerbe, 2002, 45; Wagner, Verkehrsverlagerung auf den ÖPNV, in: Kerschner (Hrsg), Österreichisches und Europäisches Verkehrsrecht, 2001, 229; Werner, Die Organisation der Wirtschaftsverwaltung im Personenbeförderungsgewerbe unter besonderer Berücksichtigung der Stellung der Verkehrsverbünde, Wirtschaft und Verwaltung, 2001, 89; Wimmer/Kahl, Der öffentliche Personennahverkehr im Spannungsfeld von Wettbewerb und Subsidiarität ÖGZ 1999, 5; Wimmer/Kahl/
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Werner, Die neue österreichische Gesetzgebung zum öffentlichen Personennahverkehr aus der Sicht des Europarechts, ÖGZ 2000, 4.
I. Grundlagen A. Allgemeines Die Rechtsquellen des Personenbeförderungsgewerbes auf der Straße gehen auf Rechtsvorschriften des 17. Jahrhunderts über die Fiaker zurück436, sie weisen historisch gesehen einen engen Konnex zur GewO auf und waren bis 1938 auch in der GewO geregelt.437 Folglich sind sie kompetenzrechtlich auch den Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) und nicht dem Verkehrswesen nach Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG zuzuordnen. Allerdings hat der Gesetzgeber Antritt und Ausübung der Transportgewerbe nicht in der GewO geregelt, sondern spezialgesetzlichen Regelungen, dem Gelegenheitsverkehrs-Gesetz (GelverkG)438, dem Güterbeförderungsgesetz (GütBefG)439 und dem KraftfahrlinienG (KflG)440 unterworfen. Anders als das KflG weisen das GütBefG und GelverkG einen noch engeren Bezug zur GewO auf, weil subsidiär zu den Bestimmungen des GütBefG und GelverkG auch die GewO anzuwenden ist (§ 1 Abs 3 GütBefG bzw § 1 Abs 2 GelverkG). Das KflG trifft hingegen für die linienmäßige Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen eine abschließende Regelung441. Auch vom Steuerungsansatz her betrachtet sind die Ordnungsregimes von GütBefG und GelverkG einerseits und KflG andererseits zu unterscheiden: Während Gelegenheitsverkehr und Güterbeförderung im Rahmen gewerbepolizeilicher Vorschriften ausgeübt werden dürfen, ist die behördliche Überwachung des Betriebs von Kraftfahrlinien dem Wirtschaftsaufsichtsrecht zuzurechnen.442 Seit dem Beitritt Österreichs zu den EG und im Gefolge der Rspr des VfGH zu Art 6 StGG hat sich das Ordnungsregime der Straßentransportgewerbe stark verändert: War ursprünglich der Marktzugang in allen oben angesprochen Transportregulativen durch unterschiedliche Instrumente des Konkurrenzschutzes, etwa in Form einer Bedarfsprüfung für Gelegenheitsverkehr und Güterbeförderung oder dem Erfordernis eines Verkehrsbedürfnisses oder öffentlichen Interesses am Betrieb einer Kraftfahrlinie charakterisiert443, sind solche Elemente nur noch im KflG (§ 7 Abs 1 Z 4 lit b und lit c KflG) enthalten. Im Gelegenheitsverkehr und Güterbeförderungsverkehr mit Kraftfahrzeugen herrscht dagegen freier Marktzugang. 436 437 438 439 440 441 442 443
Fenz, Rechtsgrundlagen der Personenfuhrwerks-Gewerbe, ZVR 1960, 217 ff. Thann, Personenbeförderung, 24. BGBl 1996/102 idF BGBl I 2006/153. BGBl 1995/593 idF BGBl I 2006/153. BGBl I 1999/203 idF BGBl I 2006/153. Vgl auch die Ausnahme in § 2 Abs 1 Z 15 GewO. Die Unterscheidung ist im Wesentlichen historisch gewachsen, vgl Benes, 2 f. Näher Schäffer, Wirtschaftsaufsicht, ÖZW 1978, 33 (71). Ausführlich Stolzlechner, Formen und Instrumente des Konkurrenzschutzes im öffentlichen Wirtschaftsrecht, ÖZW 1982, 97 (99 ff).
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B. Kompetenzrechtliche Einordnung Kompetenzrechtlich ist das Transportgewerbe der Straße, wie bereits einleitend erwähnt, dem Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) zuzuordnen. Aus dieser Zuordnung folgt, dass die Rechtsvorschriften für Transportgewerbe, auch das KflG, nicht wie das Verkehrswesen in unmittelbarer Bundesverwaltung, sondern in mittelbarer Bundesverwaltung zu vollziehen sind.
C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen Ein ganz wesentlicher Ansatz des gemeinschaftsrechtlichen Rahmens für Straßenverkehrsgewerbe ist, dass der Marktzugang für den Güter- und Personenverkehr, bei letzterem auch für Linien- und Gelegenheitsverkehr im Wesentlichen gleich geregelt ist. Dies wird schon dadurch deutlich, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Bedingungen des Marktzuganges in einer Richtlinie, der RL 96/26/EG über den Zugang zum Beruf des Güter- und Personenkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr444 einheitlich geregelt hat. Der Anwendungsbereich der RL ist allerdings auf die Beförderung in, vereinfacht gesagt, großen Kraftfahrzeugen445 beschränkt. Die besonderen Voraussetzungen für den grenzüberschreitenden Verkehr und für die Zulassung zur Kabotage für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten wurden für die einzelnen Transportsektoren in je einer separaten V geregelt: Personenverkehr: Die V (EWG) Nr 684/92446 zur Einführung gemeinsamer Regeln für den grenzüberschreitenden Personenverkehr mit Kraftfahromnibussen idF V (EG) Nr 11/98447 regelt die Voraussetzungen für die Zulassung von Kraftfahromnibusunternehmen ab einer Beförderungskapazität von mehr als neun Personen einschließlich des Fahrers im grenzüberschreitenden Linien- und Gelegenheitsverkehr. Die V (EG) Nr 12/98 enthält die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Personenkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaates, in dem sie nicht ansässig sind (Kabotage). Güterverkehr: Die V (EWG) Nr 3118/93448 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Güterverkehr innerhalb eines Mitgliedstaates, in dem sie nicht ansässig sind, garantiert die stufenweise Verwirklichung der Kabotage für die in der Gemeinschaft niedergelassenen Güterbeförderungsunternehmen in Mitgliedstaaten, in denen diese Unternehmen nicht niedergelassen sind. Die V (EWG) Nr 881/92449 über den Zugang zum Güterverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförde444 445
446 447 448 449
Abl L 124/1 idF RL 2004/66/EG, Abl L 168/35. Ausführlich Jung, 9, Rz 1 ff. Im Personenverkehr erstreckt sich der Geltungsbereich der RL 96/26/EG nur auf Fahrzeuge, die geeignet sind, einschließlich des Fahrers mehr als neun Personen zu befördern (Art 1 Abs 2 RL 96/26/EG), im Güterverkehr nur auf die Beförderung mit Fahrzeugen mit einer höchst zulässigen Nutzlast von mehr als 3,5 t oder einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 6 t (Art 2 Abs 1 RL 96/26/EG); Näher Jung, 9, Rz 32 ff. Abl L 74/1. Abl L 4/1. Abl L 279/1. Abl L 95/1 idF V (EG) Nr 484/2002, Abl 76/1; vgl dazu die Kommentierung von Maiworm, 11.
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rungen aus oder nach einem Mitgliedstaat durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten regelt die Aufhebung der Kontingente zwischen den Mitgliedstaaten und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Gemeinschaftslizenz [Art 3 ff V (EWG) Nr 881/92]. Diese Gemeinschaftslizenz berechtigt zum grenzüberschreitenden Gütertransport in andere Mitgliedstaaten und zur Beförderung innerhalb anderer Mitgliedstaaten (Kabotage). Seit Erlassung der V (EWG) Nr 4058/89 über die Preisbildung im Güterverkehr zwischen den Mitliedstaaten450 gilt im Güterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten das Prinzip freier Preisbildung. Eine behördliche oder mittelbar behördliche Preisfestsetzung ist seither unzulässig. Die V (EWG) Nr 3916/90451 enthält besondere Ermächtigungen der Kommission zur Erlassung lenkungsrechtlicher Maßnahmen bei Krisen im Güterkraftverkehrsmarkt.
Mit der RL 2003/59/EG452 wurden für den Personen- und Güterverkehr die Grundqualifikation und Weiterbildung der Fahrer harmonisiert; die RL wurde mit entsprechenden Novellen zum GelverkG, GütBefG und KflG453 umgesetzt. Völkerrechtlichen Grundlagen für die Marktzulassung selbst bestehen keine besonderen. Der Marktzugang im Drittstaatsverkehr ist allerdings durch zahlreiche bilaterale Abkommen geregelt. An multilateralen Abkommen ist das ASOR-Abkommen (Übereinkommen über die Personenbeförderung mit Kraftomnibussen zwischen der EG, Norwegen, der Schweiz und der Türkei)454 und das Interbus-Übereinkommen455 der EU mit Bosnien-Herzogowina, Bulgarien, Kroatien, Moldawien, Rumänien und der Türkei zu erwähnen. Eine Heranführung der Schweiz an den Europäischen Binnenmarkt wurde mit dem Landverkehrsabkommen EG/Schweiz456 vorgenommen.
II. Marktzulassung von Gelegenheitsverkehrsunternehmen A. Genehmigungsvorbehalt - Unternehmensgegenstand eines Personenbeförderungsunternehmens Die gewerbsmäßige Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen, sofern sie nicht im Wege des Linienverkehrs (§ 1 Abs 1 KflG) erfolgt, darf nur auf Grund einer Konzession ausgeübt werden (§ 2 Abs 1 iVm § 1 Abs 1 GelverkG). Da gemäß § 1 Abs 2 GelverkG subsidiär die Bestimmungen der GewO, und zwar jene für reglementierte Gewerbe (§ 1 Abs 2 GelverkG), gelten457, ist der Begriff der Gewerbsmäßigkeit nach den Kriterien des § 1 GewO zu beurteilen. 450 451 452 453 454 455 456
457
Abl L 390/1. Abl L 375/10. Abl L 226/4. BGBl I 2006/153. BGBl 1987/17. Abl 2002 L 321/11. Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Straße, Abl 2002 L 114/91. Vgl dazu die Kommentierung von Mückenhausen, in Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg) EG-Verkehrsrecht, 151. Nach Kinscher/Sedlak, Die Gewerbeordnung6, 1996, 1808, FN 2, betrifft dies in erster Linie das I. Hauptstück der GewO vom II. Hauptstück der GewO die Bestimmungen über das bewilligungspflichtige gebundene (nunmehr reglementierte) Ge-
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B. Arten von Konzessionen Das GelverkG teilt den nicht-linienmäßigen Transport von Personen auf der Straße in verschiedene Arten von Personentransportgewerben ein, für die je eine besondere Konzession458 vorgesehen ist: Ausflugswagen- und Stadtrundfahrten-Gewerbe: Personenbeförderung mit Omnibussen, die zu jedermanns Gebrauch unter Einzelvergebung der Sitzplätze an öffentlichen Orten bereitgehalten oder angeboten werden; ist der Unternehmensgegenstand auf das Gebiet einer Gemeinde beschränkt, spricht das Gesetz von Stadtrundfahrten-Gewerbe (§ 3 Abs 1 Z 1 GelverkG). Mietwagengewerbe: Die Beförderung eines geschlossenen Teilnehmerkreises mit Kraftfahrzeugen unter Beistellung des Lenkers (ohne Beistellung des Lenkers wäre dies dem freien Gewerbe des Vermietens von Kraftfahrzeugen zuzuordnen) auf Grund besonderer Aufträge bzw. Bestellungen (§ 3 Abs 1 Z 2 GelverkG). Taxi-Gewerbe: Personenbeförderung mit Personenkraftwagen, die zu jedermanns Gebrauch an öffentlichen Orten bereitgehalten werden oder durch Zuhilfenahme von Fernmeldeeinrichtungen angefordert werden (§ 3 Abs 1 Z 3 GelverkG). Gästewagen-Gewerbe: Beförderung von Wohngästen und Bediensteten von gastgewerblichen Beherbergungsbetrieben, Heilanstalten und dgl vom eigenen Betrieb zu Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs und umgekehrt, sowie die Beförderung nicht in Beherbergung genommener Gäste von Gastgewerbebetrieben gemäß § 124 Z 8 GewO durch Kraftfahrzeuge dieser Unternehmen vom eigenen Betrieb zu Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs und umgekehrt oder von ihrer Unterkunft und umgekehrt (§ 3 Abs 1 Z 4 GelverkG). Gemeinschaftslizenz gemäß Art 3a V (EWG) Nr 684/92: Beförderung von Personen im grenzüberschreitenden Verkehr mit Kraftomnibussen, die nach ihrer Bauart und Ausstattung geeignet und dazu bestimmt sind, mehr als neun Personen - einschließlich des Fahrers - zu befördern [Art 1 Abs 1 V (EWG) Nr 684/92459]. Eine Konzession für das mit Omnibussen ausgeübte Mietwagen-Gewerbe oder Ausflugswagen-Gewerbe berechtigt nach Maßgabe des Umfangs der Konzession auch zur Durchführung von Fahrten im Auftrag eines Unternehmens, der eine Kraftfahrlinie betreibt (§ 3 Abs 2 GelverkG); eine Konzession auf Grund des KflG gilt umgekehrt auch als Konzession für das Ausflugswagen- und Mietwagen-Gewerbe mit Omnibussen (§ 2 Abs 2 GelverkG).
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werbe; weiters werden die Vorschriften des VI. Hauptstücks der GewO über die EWR-Anpassung als maßgeblich bezeichnet, was mE jedoch eher zweifelhaft erscheint, werden doch diese Voraussetzungen durch das GelverkG bzw die BZP-VO (FN 460) abschließend geregelt. Vgl dazu auch Thann, Personenbeförderung, 24 f. Abl L 74/1 idF V (EG) Nr 11/98, Abl L 4/1. Näher Wagner, 237 f.
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C. Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession 1. Konzession für in Österreich niedergelassene Unternehmer Der Systematik des Gesetzes folgend, muss jeder Konzessionswerber gemäß § 5 Abs 1 GelverkG die allgemeinen Voraussetzungen der GewO für die Ausübung eines reglementierten Gewerbes erfüllen. Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit gilt die Sondervorschrift des § 6 Abs 1 GelverkG, welche für natürliche Personen EU/EWR-Staatsbürgerschaft und Sitz oder nicht nur vorübergehende Niederlassung in Österreich, und für juristische Personen und Personengesellschaften, ebenfalls Sitz oder nicht nur vorübergehende Niederlassung in Österreich sowie EU/EWR-Staatsbürgerschaft der Geschäftsführer fordert. Weiters hat der Genehmigungswerber gemäß § 5 Abs 1 GelverkG nachzuweisen, dass er in der in Aussicht genommenen Standortgemeinde oder einer daran unmittelbar angrenzenden Gemeinde über die erforderliche Zahl von Abstellplätzen abseits von Straßen mit öffentlichem Verkehr verfügt. Darüber hinaus muss der Antragsteller zuverlässig, finanziell leistungsfähig und fachlich geeignet sein (§ 5 Abs 1 Z 1 - 3 GelverkG). Der Nachweis der fachlichen Eignung ist durch einen Befähigungsnachweis iSd § 5 Abs 5 GelverkG zu erbringen. Für das Ausflugswagen-(Stadtrundfahrten-) Gewerbe und das mit Omnibussen ausgeübte Mietwagen-Gewerbe sowie das mit Personenwagen ausgeübte Mietwagengewerbe und das Taxigewerbe ist unter den in § 17 Abs 1 GewO geregelten Voraussetzungen ein Befähigungsnachweis nicht erforderlich (§ 5 Abs 7 GelverkG). Nähere Vorschriften über den Zugang zum Personenbeförderungsgewerbe im Gelegenheitsverkehr enthält die BerufszugangsVO Kraftfahrlinien- und Gelegenheitsverkehr (BZP-V)460, so über den Nachweis der finanziellen Leistungsfähigkeit (§§ 2 und 3 BZP-V) sowie Vorschriften über die Erbringung des Befähigungsnachweises (§§ 4 bis 13 BZP-V) und Anrechnungsvorschriften für den Befähigungsnachweis zum Gelegenheitsverkehrsgewerbe (§ 14 BZP-V). § 15 BZP-V setzt die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften hinsichtlich des Nachweises der Zuverlässigkeit, der finanziellen Leistungsfähigkeit und hinsichtlich der Anerkennung des Befähigungsnachweises um.
2. Gemeinschaftslizenz Die Liberalisierung der grenzüberschreitenden Personenbeförderung beschränkt sich auf Kraftfahromnibusse461, das heißt, der Taxi- und Mietwagenverkehr ist nicht erfasst. Eine dauerhafte Ausübung dieser Tätigkeiten ist daher nur auf Grund einer Genehmigung gemäß § 11 GelverkG462, welcher ua auf biund multilaterale Abkommen verweist, zulässig. Die Kommission beabsichtigt anscheinend nicht, eine Marktzugangsregelung für den Taxiverkehr vorzuschlagen, auch die Mitgliedstaaten scheinen sie übereinstimmend für entbehrlich zu halten463. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Gemeinschaftslizenz sind in Art 3a und Art 5 ff V (EWG) Nr 684/92464 geregelt: 460 461
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BGBl 1994/889 idF BGBl II 2001/46. Hierunter verstehen die EG-Verordnungen Kraftfahrzeuge, die nach ihrer Bauart und Ausstattung dazu geeignet sind, mehr als neun Personen einschließlich des Fahrers zu befördern. Siehe dazu unten Teil III Kap 1 II.A.3. Ipsen, 16, Rz 4. Abl L 74/1 idF V (EG) Nr 11/98, Abl L 4/1. Näher Ipsen, 16, Rz 40 ff.
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Danach ist eine Gemeinschaftslizenz zu erteilen, wenn ein Unternehmen im Niederlassungsstaat die Genehmigung als Personenbeförderungsunternehmen erhalten hat und die Voraussetzungen der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den Zugang zum Beruf des Personenkraftverkehrsunternehmers (RL 96/26/EG465), einschließlich der Rechtsvorschriften über die Sicherheit im Straßenverkehr für Fahrer und Fahrzeuge, erfüllt sind. Durch den Verweis auf die in der Richtlinie geregelten Voraussetzungen zum Zugang zum Beruf des Personenkraftverkehrsunternehmers werden die darin geregelten Genehmigungskriterien zum Inhalt der Verordnung und damit zu unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht.
Die Gemeinschaftslizenz berechtigt einerseits zur Erbringung grenzüberschreitender Verkehrsdienste iSd V (EG) Nr 684/92/EWG und andererseits zur Kabotage in anderen EWR-Mitgliedstaaten entsprechend den Vorschriften der V (EG) Nr 12/98466. Kabotage ist jedoch im Wesentlichen nur im Gelegenheitsverkehr und nur für bestimmte Arten des grenzüberschreitenden Linienverkehrs (Anschlusskabotage) zulässig [Art 3 V (EG) Nr 12/98]. Für die Erteilung der Gemeinschaftslizenz ist gemäß § 16 Abs 1 GelverkG der jeweilige Landeshauptmann zuständig.
D. Ausübungsvorschriften Die Ausübungsvorschriften für Personenbeförderung im Gelegenheitsverkehr sind insbesondere in der Betriebsordnung für den nicht-linienmäßigen Personenverkehr467 näher geregelt.468 Weiters kann gemäß § 14 Abs 1 GelverkG der Landeshauptmann Beförderungstarife durch VO für das ganze Bundesland oder für einzelne Verwaltungsbezirke festlegen. § 14 Abs 2 GelverkG enthält offensichtlich eine „Lex Flughafen Wien“, weil sie den Verkehrsminister zur Festlegung von Beförderungstarifen für den mit Personenkraftwagen ausgeübten Flughafenzubringer- und -abholverkehr ermächtigt, wenn eine Stadt und der dazugehörige Flughafen in verschiedenen Bundesländern gelegen sind.
Der VfGH469 hält die Preisfestsetzung zumindest im Hinblick auf die Erwerbsfreiheit für zulässig, die Vereinbarkeit mit dem Kartellverbot des Art 81 EG-Vertrag scheint aber mE zweifelhaft.
E. Behörden Obgleich das Gelegenheitsverkehrsgesetz ein Spezialgesetz der GewO ist, obliegt die Vollziehung des Gesetzes gemäß § 21 Abs 1 GelverkG dem Verkehrsminister. Da das Gelegenheitsverkehrsgesetz in mittelbarer Bundesverwaltung zu vollziehen ist, ist für die Erteilung der Konzessionen und Gemeinschaftslizenzen nach § 16 Abs 1 bis 3 GelverkG der Landeshauptmann zuständig.
465 466 467 468 469
Abl L 124/1 idF RL 98/76/EG, Abl L 277/17. Abl L 4/10. Näher Wagner, 239 f. BGBl 1993/951 idF BGBl II 2005/165. Zum Charakter der Regelungen der Betriebsordnung vgl VfSlg 17.133/2004. Vgl die Darstellung bei Thann, Personenbeförderung, 35 ff. VfSlg 16.538/2002.
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III. Marktzulassung von Güterbeförderungsunternehmen A. Genehmigungsvorbehalt - Unternehmensgegenstand eines Güterbeförderungsunternehmens Unternehmensgegenstand eines Güterbeförderungsunternehmens und damit Gegenstand des Genehmigungsvorbehaltes des Güterbeförderungsgesetzes (GütBefG)470 ist die gewerbsmäßige Beförderung von Gütern durch Beförderungsunternehmen mit Kraftfahrzeugen des Straßenverkehrs oder solchen mit Anhängern, bei denen die Summe der höchsten zulässigen Gesamtgewichte 3,5 t übersteigt. Die Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen unter 3,5 t höchstes zulässiges Gesamtgewicht stellt ein freies Gewerbe dar, ausgenommen wiederum jene gemäß § 2 Abs 1 Z 2 GewO von der GewO und vom GütBefG (§ 1 Abs 1 GütBefG) ausgenommenen (landwirtschaftlichen) Fuhrwerksdienste. Wie für den Personengelegenheitsverkehr gilt auch für das Güterbeförderungsgesetz gemäß § 1 Abs 3 GütBefG subsidiär die GewO, mit der Maßgabe dass die Güterbeförderung als reglementiertes Gewerbe gilt. Die Gewerbsmäßigkeit der Beförderung ist daher nach § 1 GewO zu bestimmen. Das Güterbeförderungsgewerbe ist vom Gewerbe des Spediteurs gemäß § 124 Z 15 GewO zu unterscheiden. Für die Beförderung von Gütern auf Grund einer Berechtigung für Spediteure ist allerdings eine Konzession nach GütBefG nicht erforderlich (§ 4 Abs 1 Z 2 GütBefG). Weiters ist gemäß § 4 Abs 1 GütBefG für den Werkverkehr (§ 10 GütBefG), die Beförderung des Gepäcks der Fahrgäste durch Unternehmen für die Personenbeförderung und für die Ausübung des Rollfuhrdienstes sowie des Schienenersatzverkehrs durch Eisenbahnunternehmen und für die Beförderung von Postsendungen durch die Post eine Konzession nicht erforderlich.
B. Arten von Konzessionen Das GütBefG unterscheidet folgende Berechtigungen: • Konzession für den innerstaatlichen Güterverkehr (§ 2 Abs 2 Z 1 GütBefG). • Konzession für den grenzüberschreitenden Güterverkehr (§ 2 Abs 2 Z 2 GütBefG). • Gemeinschaftslizenz nach der V (EWG) Nr 92/881471: Konzession zum Güterfernverkehr, die zur Ausübung des grenzüberschreitenden Gütertransportes nach anderen Mitgliedstaaten und zur Beförderung innerhalb anderer Mitgliedstaaten (Kabotage) berechtigt. Eine Konzession für den grenzüberschreitenden Güterverkehr berechtigt auch zur Ausübung des innerstaatlichen Güterverkehrs. Eine Konzession für den innerstaatlichen Güterverkehr berechtigt zur einer Beförderung, bei der Ausgangsort und Ziel im Inland liegen (§ 2 Abs 3 GütBefG), dh wohl auch zur Beförderung über die Grenze, soweit das Ziel im liegt. 470 471
BGBl 1995/593 idF BGBl I 2006/153. FN 473.
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C. Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession 1. Konzession für in Österreich niedergelassene Unternehmer Der Systematik des Gesetzes folgend, muss jeder Konzessionswerber gemäß § 5 Abs 1 GütBefG die allgemeinen Voraussetzungen der GewO für die Ausübung eines reglementierten Gewerbes erfüllen. Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit gilt die Sondervorschrift des § 5 Abs 7 GelverkG, welche für natürliche Personen EU/EWR-Staatsbürgerschaft und Sitz oder nicht nur vorübergehende Niederlassung in Österreich, und für juristische Personen und Personengesellschaften, ebenfalls Sitz oder nicht nur vorübergehende Niederlassung in Österreich sowie EU/EWR-Staatsbürgerschaft der Geschäftsführer fordert. Darüber hinaus muss der Antragsteller zuverlässig, finanziell leistungsfähig und fachlich geeignet sein (§ 5 Abs 1 Z 1 - 3 GütBefG). Der Nachweis der fachlichen Eignung ist durch einen Befähigungsnachweis iSd § 5 Abs 4 GütBefG zu erbringen. Die Eckpunkte für die Beurteilung der Zuverlässigkeit sind in § 5 Abs 2 GütBefG, jene für die finanzielle Leistungsfähigkeit in § 5 Abs 2 GütBefG geregelt, eine weitere Präzisierung der Kriterien, auch hinsichtlich der Nachweise für Bürger und Unternehmen aus anderen EWRMitgliedstaaten, ist in der Berufszugangs-Verordnung Güterkraftverkehr (BZGü-V)472 enthalten. Weiters hat der Genehmigungswerber gemäß § 5 Abs 1 GütBefG nachzuweisen, dass er in der in Aussicht genommenen Standortgemeinde oder einer daran unmittelbar angrenzenden Gemeinde über die erforderliche Zahl von Abstellplätzen abseits von Straßen mit öffentlichem Verkehr verfügt. Formal gelten für die Konzession für den innerstaatlichen Güterverkehr und für den grenzüberschreitenden Güterverkehr dieselben Voraussetzungen. Eine Unterscheidung wird sich in der Praxis freilich schon daraus ergeben, dass für grenzüberschreitenden Güterverkehr allein auf Grund des größeren Radius der Transporte höhere Anforderungen etwa an die finanzielle Leistungsfähigkeit zu stellen sein werden.
2. Gemeinschaftslizenz Güterbeförderungsunternehmen ist eine Gemeinschaftslizenz gemäß den Bestimmungen der Art 3 bis 5 V (EWG) Nr 881/92473 auszustellen, wenn sie in einem EWR-Mitgliedstaat niedergelassen sind und in diesem gemäß den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und des Mitgliedstaates zum grenzüberschreitenden Güterverkehr zugelassen sind. Die Gemeinschaftslizenz berechtigt zur grenzüberschreitenden Beförderung und zur Beförderung innerhalb fremder Mitgliedstaaten (Kabotage).
472 473
BGBl 1994/221 idF BGBl II 2000/280. FN 449. Vgl Maiworm, 11, Rz 1.
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D. Ausübungsvorschriften Auch für Güterbeförderungsunternehmen bestehen neben den §§ 6 ff GütBefG zahlreiche weitere Ausübungsvorschriften474, ua für die Beförderung von gefährlichen Gütern475 oder für den Tiertransport476. § 12 Abs 1 GütBefG ermächtigt den Fachverband für das Güterbeförderungsgewerbe, vorbehaltlich der Genehmigung des Verkehrsministers, verbindliche Beförderungstarife für Beförderungen von mehr als 65 km bzw für den Verkehr über die Grenze festzusetzen. Für Baustellentransporte oder Kühltransporte kann der Verkehrsminister im Einvernehmen mit dem BMWA gemäß § 14 Abs 1 GütBefG durch VO verbindliche Beförderungstarife festlegen. Eine derartige Preisfestsetzung steht mE im Widerspruch mit dem Kartellverbot des Art 81 EG-Vertrag. Soweit es sich allerdings um grenzüberschreitenden Verkehr in andere EWR-Mitgliedstaaten handelt, wäre eine Preisfestsetzung auf Grund der V (EWG) Nr 4058/89 über die Preisbildung im Güterverkehr zwischen den Mitliedstaaten477 unzulässig. Bei Beförderungen ist gemäß § 17 Abs 1 GütBefG ein Begleitpapier oder sonstiger Nachweis mitzuführen, in dem das beförderte Gut, der Be- und Entladeort und der Auftraggeber angegeben werden (etwa Frachtbrief).
E. Behörden Da das GütBefG in den Kompetenztatbestand der Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) fällt, ist das Gesetz in mittelbarer Bundesverwaltung zu vollziehen, die Vollziehung auf Ebene der obersten Organe des Bundes ist jedoch dem Verkehrsminister zuwiesen. Für die Erteilung einer Konzession für den innerstaatlichen Güterverkehr ist die Bezirksverwaltungsbehörde (§ 20 Abs 1 GütBefG) zuständig, für die zum grenzüberschreitenden Güterverkehr und eine Gemeinschaftslizenz der Landeshauptmann (§ 20 Abs 2 GütBefG).
IV. Marktzulassung von Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen A. Genehmigungsvorbehalt - Unternehmensgegenstand des Kraftfahrlinienverkehrsunternehmens Unternehmensgegenstand eines Kraftfahrlinienverkehrsunternehmens ist die regelmäßige Beförderung von Personen durch natürliche oder juristische Personen mit Kraftfahrzeugen, welche nach ihrer Bauart und Ausstattung geeignet und dazu bestimmt sind, mehr als neun Personen einschließlich des Lenkers zu 474 475
476 477
Vgl die Übersicht bei Thann, Güterbeförderung, 57 ff. Gefahrgutbeförderungsgesetz, BGBl I 1998/145 idF BGBl I 2005/118, und die GefahrgutbeförderungsV, BGBl II 1999/303 idF BGBl II 2005/214; vgl dazu die ausführliche Darstellung von Kafka, 189 ff. TiertransportG-Straße, BGBl 1994/411 idF BGBl I 2003/139; vgl dazu die ausführliche Darstellung bei Thann, Güterbeförderung, 68 ff. Abl L 390/1.
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befördern (§ 1 Abs 1 iVm § 1 Abs 2 Z 1 und 2 KflG). Die Ausübung dieser Tätigkeit innerhalb Österreichs und nach Drittstaaten bedarf einer Konzession nach KflG, der grenzüberschreitende Kraftfahrlinienverkehr nach Mitgliedstaaten des EWR einer Zulassung nach der V (EWG) Nr 684/92478. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal des KflG im Vergleich zum GütBefG und GelverkG ist, dass der Tatbestand der Konzessionspflicht nicht die gewerbsmäßige Ausübung im Sinne des § 1 GewO erfordert, sondern an die Umschreibung der Beförderung im „Kraftfahrlinienverkehr“ anknüpft, unabhängig davon, ob dies zu Erwerbszwecken erfolgt oder nicht. Die Beförderung unterliegt jedoch nur dann der Konzessionspflicht, wenn sie gegen „Vergütung“, sei es durch die beförderte Person oder durch Dritte, ausgeführt wird (§ 1 Abs 2 Z 1 KflG).
B. Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession und Genehmigungsverfahren 1. Genehmigungsvoraussetzungen Für die Erteilung einer Konzession zum Betrieb eines Kraftfahrlinienverkehrsunternehmens ist die Zuverlässigkeit, die finanzielle Leistungsfähigkeit und fachliche Befähigung des Konzessionswerbers (§ 7 Abs 1 Z 1 KflG) sowie die österreichische Staatsbürgerschaft und ein Sitz im Inland erforderlich. Staatsangehörige aus anderen EWR-Mitgliedstaaten und Unternehmen aus diesen Staaten, die einen Sitz oder eine ständige geschäftliche Niederlassung in Österreich haben, sind österreichischen Konzessionswerben gleichgestellt (§ 7 Abs 1 Z 2 KflG). § 12 KflG regelt die Möglichkeit der Gleichstellung von Drittstaatsangehörigen mit österreichischen Staatsbürgern. Die unbestimmten Gesetzesbegriffe der Zuverlässigkeit, der fachlichen Eignung und finanziellen Leistungsfähigkeit werden in den §§ 8 bis 11 KflG und in der BZP-V479 näher bestimmt. Die Neuerlassung des KflG hat die Geltung der BZP-V nicht berührt480. Der Antrag auf Erteilung einer Konzession hat dem Muster der Anlage 1 der Kraftfahrliniengesetz-Durchführungsverordnung (KflG-DV)481 zu entsprechen (§ 1 KflG-DV). Neben den oben angeführten subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen sieht das KflG auch eine Reihe objektiver Marktzugangsschranken vor: Demnach ist eine Konzession nur dann zu erteilen, wenn die Linienführung eine zweckmäßige und wirtschaftliche Befriedigung des in Betracht kommenden Verkehrsbedürfnisses gewährleistet (§ 7 Abs 1 Z 3 KflG) und die Erteilung der Konzession 478
479 480
481
Abl L 74/1 idF V (EG) Nr 11/98, Abl L 4/1. Die Beförderung auf Grund einer Gemeinschaftslizenz nach Art 3a V (EWG) Nr 684/92 innerhalb fremder Mitgliedstaaten (Kabotage) ist in Form einer so genannten Anschlusskabotage [Art 3 Z 3 V (EG) Nr 12/98, Abl L 4/10] oder in einer Sonderform des Linienverkehrs nach Art 3 Z 1 V (EG) Nr 12/98 zulässig. FN 460. § 46 Z 2 KflG enthält eine Verordnungsermächtigung, die für den Inhalt der BZPVO im Zusammenhang mit den übrigen gesetzlichen Bestimmungen eine hinreichend determinierte gesetzliche Grundlage zu bilden; mit der Novelle BGBl II 2001/46 wurde die BZP-VO an das neue KflG angepasst. BGBl II 2001/45.
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keinen Widerspruch zu sonstigen öffentlichen Interessen darstellt (§ 7 Abs 1 Z 4 KflG). Der zuletzt genannte Ausschließungsgrund liegt insbesondere dann vor, wenn die in Aussicht genommene Straße aus Gründen der Verkehrssicherheit oder wegen ihres Bauzustandes für den Verkehr nicht geeignet ist (§ 7 Abs 1 Z 4 lit a KflG), wenn die beantragte Kraftfahrlinie die Erfüllung der Verkehrsaufgaben durch die Verkehrsunternehmer, in deren Verkehrsbereich die beantragte Linie ganz oder teilweise fällt, zu gefährden geeignet ist (§ 7 Abs 1 Z 4 lit b KflG). Die Genehmigung ist weiters zu versagen, wenn der beantragte Kraftfahrlinienverkehr einer dem öffentlichen Bedürfnis entsprechenden Ausgestaltung des Verkehrs durch Verkehrsunternehmer, in deren Verkehrsbereich die neue Linie fällt, vorgriffe und dieser die notwendige Verbesserung der Verkehrsbedienung innerhalb einer von der Konzessionsbehörde festzusetzenden angemessenen Frist von höchstens sechs Monaten vornimmt (§ 7 Abs 1 Z 4 lit c KflG)482.
Diese objektiven Zugangsschranken des § 7 Abs 1 Z 3 und 4 KflG für die Erteilung einer Konzession widersprechen dem Gemeinschaftsrecht, weil mit der RL 96/26/EG483 die Voraussetzungen für den Berufszugang auch zum Kraftfahrlinienverkehr harmonisiert wurden und daher kein Raum für derartige Genehmigungskriterien besteht484.
2. Genehmigungsverfahren Vor Erteilung einer Konzession oder einer Genehmigung nach gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften sind bei sonstiger Nichtigkeit (§ 68 Abs 4 Z 4 AVG) die in § 5 Abs 1 KflG genannten Organe und Personen (Landeshauptmann, die betroffenen Gemeinden, bestimmte Interessenvertretungen, Unternehmen, deren Verkehrsbereich berührt wird, und Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften nach § 17 ÖPNRV-G485) anzuhören. Dieses Anhörungsverfahren ist auch auf die Änderung oder Wiedererteilung der Konzession und das Koppeln von Kraftfahrlinien (§ 17 KflG) sowie in Verfahren zur Änderung oder Erneuerung der Genehmigungen anzuwenden.
3. Befristung der Konzession und Auflagen Konzessionen zum Betrieb einer Kraftfahrlinie sind auf höchstens acht Jahre befristet zu erteilen. Die in der ursprünglichen Fassung des § 30 KflG vorgesehene (mehr oder weniger ohne Weiteres zu erteilende) Verlängerung der Konzession auf Antrag des bisherigen Inhabers wurde auf Grund eines Mahnschreibens der EU-Kommission wegen potenzieller Verletzung des aus dem 482
483 484 485
Nähere Ausführung über die Eignung der Straßen und eine allfällige Gefährdung der Erfüllung der Verkehrsaufgaben sind in den §§ 13 und 14 KflG enthalten. Die Textierung des § 14 entspricht, wie die Materialien (IA zu § 14, 1118 BlgNR 20. GP) ausführen, der langjährigen Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes. Der Verwaltungsgerichtshof stellt in seiner Rechtsprechung (VwGH 11.12.1965, 1220/65; 15.12.1965, 1308/65; VwSlg A 11627/1984; VwGH 10.09.1986, 86/03/0012; 11.03.1987, 86/03/0150, 0151, 0152; 17.06.1986, 86/03/0045, 0046 und VwGH 16.12.1987, 87/03/0191) klar, dass ein konkurrenzierendes Unternehmen des öffentlichen Verkehrs einen Rechtsanspruch darauf hat, durch die Neuverleihung oder Erweiterung einer Konzession in der Führung seiner stehenden Linien nicht einschneidend beeinträchtigt zu werden. Näher dazu die Materialien a.a.O. Abl L 124/1 idF RL 98/76/EG, Abl L 277/17. Vgl Jung, 9, Rz 24. BGBl I 1999/204.
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Diskriminierungsverbot der EG-Grundfreiheiten fließenden Transparenzgebotes aufgehoben486. Nach Ablauf der Befristung ist daher ein neues Verfahren zu führen. Auflagen können nach Maßgabe des § 16 KflG erteilt werden.
4. Übertragung der Konzession Die Übertragung einer Konzession ist grundsätzlich nicht zulässig, nur die Übertragung der Führung des Betriebes der Kraftfahrlinie ist unter den Voraussetzungen des § 22 Abs 2 KflG zulässig. Für den Fall einer Verschmelzung, Spaltung, Umwandlung udgl von Unternehmen entspricht dies nicht den heutigen Anforderungen des Wirtschaftslebens, weil es derartige Umstrukturierungen auf Grund des damit verbundenen Risikos der Nichterteilung der Konzession infolge der objektiven Marktzugangsschranken für den neuen Rechtsträger zumindest erheblich erschwert würden. Dem tragen § 28 Abs 4 und 5 KflG nun auch Rechnung, welche eine Übertragung der Konzession im Gefolge solcher Umstrukturierungen vorbehaltlich behördlicher Genehmigung ermöglichen, wenn der neue Rechtsträger die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 und 2 KflG erfüllt.
C. Gemeinschaftslizenz Die Liberalisierung der grenzüberschreitenden Personenbeförderung beschränkt sich auf Kraftfahromnibusse. Hierunter verstehen die relevanten VO, das sind die V (EWG) Nr 684/92487 und V (EG) Nr 12/98488, Kraftfahrzeuge, die nach ihrer Bauart und Ausstattung dazu geeignet sind, mehr als neun Personen einschließlich des Fahrers zu befördern. Dies entspricht auch der Definition des Kraftfahrlinienverkehrs (§ 1 Abs 2 Z 1 KflG). Was die Marktzulassung betrifft, unterscheiden die Vorschriften grundsätzlich nicht zwischen Linien- und Gelegenheitsverkehr, sodass auf die Ausführungen im Zusammenhang mir dem Gelegenheitsverkehr zu verweisen ist489.
D. Ausübungsvorschriften 1. Allgemeine Vorschriften Für den Betrieb einer Kraftfahrlinie besteht Betriebspflicht (§ 20 Z 1 KflG) und ein gesetzlich angeordneter Kontrahierungszwang (§ 20 Z 2 KflG). Beförderungspreise und Beförderungsbedingungen sind in gleicher Weise gegenüber allen Benützern der Kraftfahrlinie zur Anwendung zu bringen (§ 20 Z 3 KflG). Die §§ 39 und 40 KflG enthalten besondere Vorschriften über die einzusetzenden Kraftfahrzeuge, die §§ 41 bis 43 KflG Anforderungen an die im Betrieb einzusetzenden Personen.
486 487 488 489
Vgl dazu die Erläuterungen zu § 30 KflG, 1170 BlgNR 22. GP. Abl L 74/1 idF V (EG) Nr 11/98, Abl L 4/1. Abl L 4/10. Oben Teil II Kap 1, II.C.2.
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2. Beförderungspreise und Beförderungsbedingungen Das Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen erhält für die Beförderung vom Fahrgast einen so genannten Regelbeförderungspreis, dessen jährliche Erhöhung durch die Wirtschaftskammer Österreich nach den Vorgaben des § 31 Abs 3 KflG erfolgt. Die für einen Verkehrsverbund festgesetzten Verbundregelbeförderungspreise sind von der jeweiligen Verkehrsverbundorganisationsgesellschaft den Konzessionsbehörden anzuzeigen. Über die Regelungspreise hinausgehende Beförderungspreise dürfen nur nach Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde verlangt werden (§ 31 Abs 6 KflG). Auf Grund der Ermächtigung des § 46 Z 4 KflG hat der Verkehrsminister durch VO einheitliche Beförderungsbedingungen festgesetzt490. Soweit das Unternehmen von den allgemeinen Beförderungsbedingungen abweichende besondere Beförderungsbedingungen aufstellen will, hat es diese der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorzulegen (§ 32 KflG).
3. Fahrpläne Das Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen hat für jede Fahrplanperiode Fahrplanentwürfe nach den Vorgaben des § 36 KflG der Aufsichtsbehörde so rechtzeitig vor ihrem Inkrafttreten vorzulegen, dass eine Herausgabe im österreichischen Kraftfahrlinienkursbuch und Verbundkursbuch zeitgerecht veranlasst werden kann (§ 36 Abs 2 KflG).
4. Haltestellen Die §§ 33 und 34 KflG und § 2 KflG-DV491 enthalten nähere Vorschriften über die Anlage und die Kennzeichnung von Haltestellen. Die Festsetzung oder auch die Verlegung von Haltestellen bedarf einer Genehmigung des Landeshauptmanns gemäß § 33 Abs 1 KflG nach einer verpflichtend durchzuführenden mündlichen Verhandlung mit Lokalaugenschein.
5. Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen und Ausschreibung von Verkehrsdiensten Der Betrieb einer Kraftfahrlinie kann oftmals nicht einmal kostendeckend erfolgen und bedarf, soweit der Betrieb einer Linie verkehrs- oder regionalpolitisch gewünscht wird, der Teilfinanzierung durch die öffentliche Hand. Die Verteilung der Verantwortung und Finanzierung dieser Dienste regelt das Öffentlicher Personennah- und Regionalverkehrsgesetz 1999 (ÖPNRV-G 1999)492. Vorschriften über die Abgeltung solcher Dienste stehen in einem Spannungsverhältnis zum (gemeinschaftsrechtlich determinierten) Vergaberecht, weil die Erbringung dieser Verkehrsleistungen gegen Entgelt der öffentlichen Hand regelmäßig ein öffentlicher Auftrag iSd Vergaberechtsvorschriften493, und zwar bezogen auf den Kraftfahrlinienverkehr eine so genannte „prioritäre
490 491 492 493
BGBl II 2001/47. FN 481. BGBl I 1999/204 idF BGBl I 2002/32. Zum ÖPNRV-G siehe unten Teil III, I.B.1. Kahl, Personennahverkehr, 367 ff.
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Dienstleistung“494 ist. Auf Grund des aus dem Diskriminierungsverbot der EGGrundfreiheiten fließenden Transparenzprinzips käme eine Beauftragung ohne Ausschreibungsverfahren auch in Konflikt mit den Grundfreiheiten. Gegen die bisher geltende Rechtslage hegte die EU-Kommission auch Bedenken495 aus dem Blickwinkel der genannten EU-Rechtsvorschriften, auf die der Gesetzgeber mit der KflG-Novelle 2006496 reagiert hat. § 23 KflG trägt nunmehr den Bestellern497, gemeinwirtschaftlicher, also durch die öffentliche Hand geförderter Dienste die Ermittlung von geeigneten Unternehmen unter Berücksichtigung vergaberechtlicher Vorschriften ausdrücklich auf. Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: • Es wird bereits eine Linie betrieben, das von der öffentlichen Hand gewünschte Angebot geht aber über das vorgesehene Fahrplanangebot hinaus: In diesem Fall hat die Bestellung der zusätzlichen Dienste gemäß § 23 Abs 1 KflG unter Berücksichtigung vergaberechtlicher Vorschriften zu erfolgen. Ergibt sich daraus, dass ein anderer Unternehmer als der Konzessionsinhaber mit der Dienstleistung zu betrauen ist, ist der Konzessionsinhaber verpflichtet, diesen Unternehmer mit der Durchführung der zusätzlichen Dienste iSd § 22 Abs 3 KflG zu betrauen. • Wird auf der von der öffentlichen Hand nachgefragten Strecke mangels Eigenwirtschaftlichkeit (§ 3 Abs 2 ÖPNRV-G 1999) der Strecke noch keine Kraftfahrlinie betrieben, so ist vom Besteller unter Anwendung vergaberechtlicher Vorschriften ein geeigneter Personenkraftfahrunternehmer zu ermitteln, dem vor Betriebsaufnahme eine Konzession zum gemeinwirtschaftlichen Betrieb (§ 3 Abs 3 ÖPNRV-G 1999) unter den Voraussetzungen des § 23 Abs 2 KflG zu erteilen ist. Näher dazu in Zusammenhang mit den Ausführungen über den ÖPNV unten Teil III, I.B.
E. Behörden Die Vollziehung des KflG ist auf Ebene der obersten Verwaltungsorgane dem Ressort des Verkehrsministers zugeordnet. Da der Betrieb von Kraftfahrlinien dem Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) zuzuordnen ist, ist das KflG in mittelbarer Bundesverwaltung zu vollziehen. Für die Erteilung der Konzessionen ist der Landeshautmann zuständig (§ 3 Abs 1 KflG). Für Kraftfahrlinien, die sich über zwei oder mehrere Bundesländer erstrecken, ist „der Antrag“ auf Erteilung der Konzession nach Wahl des Unternehmens beim Landeshauptmann jenes Bundeslandes einzubringen, in dem sich der Anfangs- oder der End-
494
495 496 497
Kat 2 Anhang III BVergG 2006; ausführlich Kahl, Personennahverkehr, 369 ff sowie Koller, Vergaberechtliche Fragen des öffentlichen Personennahverkehrs, ÖZW 2004, 104. Vgl das in der RV zur KflG-Novelle 2006, 1170 BlgNR 22. GP, angeführte Mahnschreiben der Kommission. BGBl I 2006/12. Das sind regelmäßig die Gebietskörperschaften oder für diese die Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften.
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punkt der Kraftfahrlinie befinden. Die mit der KflG-Novelle 2006498 eingefügte Bestimmung will nach der Systematik499 der Novelle und Absicht des Gesetzgebers500 bei Bundesländerüberschreitenden Linien eine einheitliche Zuständigkeit jenes Landeshauptmanns anordnen, bei dem der Antrag eingebracht wird. Der Wortlaut der Bestimmung bringt dies freilich keineswegs zum Ausdruck, weil der Gesetzgeber bloß anordnet, das „der Antrag“ wahlweise bei einem Landeshauptmann gestellt werden kann, was ebenfalls Sinn machen könnte, weil damit für das Unternehmen eine vereinfachte Antragstellung verbunden wäre, welche die Zuständigkeit an sich nicht berührt. Es liegt daher eine widersprüchliche Regelung der Zuständigkeit vor, was im Hinblick auf Art 83 Abs 2 B-VG verfassungsrechtlich bedenklich ist.
Für die Erteilung der in § 1 KflG vorgesehenen Konzessionen (Genehmigungen) für den grenzüberschreitenden Kraftfahrlinienverkehr ist gemäß § 3 Abs 2 KflG der Verkehrsminister zuständig. Gegen die § 21 Z 1 bis 4 KflG angeführten Bescheide des Landeshauptmanns ist die Berufung an den UVS des jeweiligen Landes zu richten, in allen übrigen Fällen entscheidet über die Berufung gegen Bescheide des Landeshauptmanns der Verkehrsminister.
F. Fachbehördliche Aufsicht über Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen Aufsichtsbehörden iSd KflG sind die zur Erteilung der Konzession zuständigen Behörden (§ 45 iVm § 3 KflG)501. Die Organe der Aufsichtsbehörde dürfen unter anderem gemäß § 45 Abs 2 KflG sämtliche Liegenschaften und Betriebsanlagen betreten und alle Linienfahrzeuge kontrollieren.
Kapitel 2: Marktzulassung von Eisenbahnverkehrsunternehmen Rechtsgrundlagen und grundlegende Literatur: Die Rechtsgrundlagen und die grundlegende Literatur wurde bereits Teil I Kapitel 2: Schieneninfrastruktur dargestellt, weshalb hier auf diese Ausführungen verwiesen wird.
I. Grundlagen A. Allgemeines Auch für die Entwicklung der Eisenbahnunternehmen war ist die Verwirklichung des EG-Binnenmarktes im Verkehrsbereich von entscheidender Bedeutung. Das verkehrspolitische Ziel der Kommission, den Eisenbahnverkehr im Wettbewerb gegenüber anderen Verkehrssektoren zu stärken, verfolgt die Ge498 499
500 501
BGBl I 2006/12. Erstens steht die Regelung steht im selben Absatz wie die Anordnung der Zuständigkeit des Landeshauptmanns im Allgemeinen und zweitens ist gemäß § 5 Abs 1 Z 2 eine Anordnung der Anhörung der offenbar eben nicht zuständigen Landeshauptmänner im Ermittlungsverfahren vorgesehen. Die Erläuterungen zu § 3 KflG, 1170 BlgNR 22. GP, drücken klar eine einheitliche Zuständigkeit aus. Näher zur Aufsicht über Kraftfahrlinienunternehmen Schäffer, Rz 510 ff.
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meinschaft in erster Linie durch die Einführung und Stärkung des Wettbewerbsprinzips im Bereich der Eisenbahnverkehrsleistungen. Dies einerseits durch die Vorgabe einer Trennung der Unternehmensbereiche „Betreiber der Infrastruktur“ und „Erbringer der Verkehrsleistung“, damit dieser Bereich den Status eines unabhängigen Betreibers erhält, der sich eigenwirtschaftlich nach Maßgabe der Erfordernisse des Marktes verhalten kann.502 Andererseits wurden zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit und zur Förderung des transnationalen Wettbewerbes den Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft schrittweise Zugangsrechte zur jeweiligen nationalen Eisenbahninfrastruktur im transnationalen Verkehr gewährt. Der österreichische Gesetzgeber hat bereits mit dem EisenbahnrechtsanpassungsG 1997503 und dem SchienenverkehrsmarktregulierungsG504 das gesamte Netz von Haupt- und Nebenbahnen für alle EWR-EVU mit Sitz in Österreich geöffnet. Was die Zugangsrechte von nicht in Österreich ansässigen EU/EWREisenbahnverkehrsunternehmen betrifft, wurde die Marktöffnung im Einklang mit dem gemeinschaftsrechtlichen Fortschritt vorgenommen. Mit der Öffnung des Zugangs zur Schieneninfrastruktur in einem Markt, der sich im Zustand eines natürlichen Monopols befindet505 und wegen Art 30 RL 2001/14/EG, der eine Entscheidung ua über den Netzzugang durch eine unabhängige Regulierungsstelle gebietet, wurde die Einrichtung einer Regulierungsbehörde erforderlich, deren Organisation in Anlehnung an die Regulierungsbehörden des Telekombereichs mit einer Behörde gemäß Art 133 Z 4 BVG gestaltet wurde, weil regelmäßig über „civil rights“ zu entscheiden ist.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Eisenbahnverkehrsrechtliche Vorschriften können auf Grund von Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG erlassen werden, weshalb an dieser Stelle auf die Ausführungen zur Eisenbahninfrastruktur (Teil I Kap 2 I.B.) verwiesen wird.
C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen Die EU-Wettbewerbsordnung des Schienenmarktes basiert auf zwei nebeneinander stehenden Modellen506, dem Liberalisierungsmodell und dem Modell des kontrollierten Wettbewerbes um gemeinwirtschaftliche Leistungen. Das Liberalisierungsmodell sieht vor, allen Unternehmen, die Dienste anbieten wollen, diskriminierungsfreien Zugang zur Schieneninfrastruktur zu gewähren und damit den Wettbewerb am Schienenmarkt zu ermöglichen und zu fördern. Dieses Modell wird von der Kommission im Eisenbahnfernverkehr verfolgt. Konsequenterweise ist daher auch der Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr von der MarktöffnungsRL (RL 91/440/EWG) ausgenommen (Art 2 Abs 2 RL 91/440/EWG). 502 503 504 505 506
3. Erwägungsgrund RL 91/440/EWG (FN 508). BGBl I 1998/15. BGBl I 1999/166. Vgl den 40. Erwägungsgrund RL 2001/14/EG. Vgl die Mitteilung der Kommission: Fortsetzung der Integration des europäischen Eisenbahnsystems - drittes Eisenbahnpaket, KOM (2004) 140, 10.
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Das Modell des kontrollierten Wettbewerbes sieht nicht den Wettbewerb mehrer Unternehmen am (räumlich begrenzten) Schienennetz vor, sondern vielmehr einen Wettbewerb um die Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen, wobei auch Alleinrechte eingeräumt werden können. Dieses Modell wird von der Kommission im Bereich des Vorort- und Regionalverkehrs verfolgt und ist Grundlage des Vorschlags für die Novellierung der V (EWG) 1191/69 zur die Neuordnung der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen507. Bereits in ihrer Stammfassung hat die RL 91/440/EWG508 eingeschränkte Zugangsrechte von Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft zur Schieneninfrastruktur vorgesehen. Auf Grund der Änderung der RL durch zwei mittlerweile in Kraft getretene Eisenbahnpakete hat bis 1.1.2007 schrittweise eine vollkommene Öffnung der Schieneninfrastruktur für alle Arten von Schienenfrachtdiensten zu erfolgen (Art 10 Abs 3 RL 91/440/EWG509), nach einem zur Verabschiedung anstehenden dritten Eisenbahnpaket510 hat eine gänzliche Öffnung der Eisenbahnmärkte im Fernverkehr, und zwar bis 2010 auch für den Personenfernverkehr, zu erfolgen. Mit den ersten beiden EG-Eisenbahnpaketen wurde nicht nur eine schrittweise Marktöffnung angeordnet, es wurden auch in Zusammenhang mit der Marktöffnung erforderliche flankierende Maßnahmen beschlossen, wobei der Schwerpunkt des ersten Eisenbahnpaketes im Bereich der Präzisierung Wettbewerbsbedingungen lag und das zweite Eisenbahnpaket schwerpunktmäßig der Eisenbahnsicherheit diente: Im ersten Eisenbahnpaket wurden neben der weiteren Ausdehnung der Verpflichtung zur Marktöffnung (Zugangsrechte) die Genehmigungsvorschriften für die Zulassung von Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) harmonisiert (RL 95/18/EG511). Mit der RL 2001/14/EG512 wurden Modalitäten der in Art 10 RL 91/440/EWG Zugangs- und Transitrechte genauer spezifiziert und mit der RL 2001/14/EG wurden präzisere Bedingungen für die Zuweisung der Fahrwegkapazität geschaffen, insbesondere hinsichtlich der Berechnung der Höhe der Infrastrukturbenützungsentgelte und des Verfahrens der Zuweisung von Fahrwegekapazität. Das zweite Eisenbahnpaket, „Schaffung eines integrierten europäischen Eisenbahnraumes“513, war in erster Linie ein „Eisenbahnsicherheitspaket“ und umfasste - neben weiterer Marktöffnung514 - folgende Rechtsakte: Eine „Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit“ (RL 2004/49/EG515), eine RL 2004/50/EG zur Änderung der Vorschriften über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems und des konventionellen 507 508 509 510 511 512 513 514 515
Siehe dazu unten Teil III, I.B.3. Abl L 237/25. Zu Entwicklung und Inhalt der RL vgl die Kommentierung von Holst, 21, Rz 1 und Segalla, Eisenbahnliberalisieurung, 50 ff. RL 91/440/EWG idF RL 2004/51/EG, Abl L 220/58. KOM (2004) 140. Abl L 143/70 idF RL 2004/49/EG, Abl L 220/16; vgl die Kommentierung von Holst, 22. Abl L 75/29 idF RL 2004/49/EG, Abl L 220/16; vgl die Kommentierung von Holst, 23. KOM (2002) 18. Änderung von Art 10 RL 91/440/EWG durch RL 2004/51/EG, Abl L 220/58. Abl L 220/16.
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transeuropäischen Eisenbahnsystems516 und die V (EG) Nr 881/2004 über die Errichtung einer „Europäischen Eisenbahnagentur“ 517. Das dritte, noch nicht beschlossene Eisenbahnpaket518 enthält neben einem Vorschlag für eine schrittweise Öffnung der Märkte für grenzüberschreitende Personenverkehrsdienste bis 2010 [KOM (2004) 139], einen Vorschlag für eine RL über die Zertifizierung von mit dem Führen von Triebfahrzeugen und Lokomotiven betrauten Eisenbahnpersonal [KOM (2004) 142], einen Vorschlag für eine V über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Personenverkehr [KOM (2004) 143] und einen Vorschlag für eine V über Entschädigungen bei Nichterfüllung vertraglicher Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr [KOM (2004) 144]. Zu den völkerrechtlichen Grundlagen der EVU siehe oben Teil I Kap 2, I.C.2.
II. Marktzulassung von Eisenbahnverkehrsunternehmen A. Systematik der Genehmigung von Eisenbahnverkehrsunternehmen Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) ist gemäß § 1b EisbG ein Eisenbahnunternehmen, das Eisenbahnverkehrsleistungen auf der Schieneninfrastruktur von Hauptbahnen oder vernetzten Nebenbahnen519 erbringt sowie die Traktion sicherstellt und dem eine Verkehrsgenehmigung, eine Verkehrskonzession oder eine einer Verkehrsgenehmigung gemäß § 41 EisbG gleichzuhaltende Genehmigung erteilt wurde. § 1b EisbG unterscheidet demnach die Verkehrsgenehmigung (§§ 15 ff EisbG), die Verkehrskonzession (§§ 16 ff EisbG) und diesen gemäß § 41 EisbG gleichzuhaltende (ausländische) Genehmigungen. Mit den Bestimmungen über die Verkehrsgenehmigung werden die Vorgaben der RL 95/18/EG über die Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen520 umgesetzt, die Genehmigungskriterien entsprechen denen der RL. Die Verkehrsgenehmigung ist die vom Umfang her weiteste Berechtigung, sie berechtigt zur Erbringung von Verkehrsleistungen auf Haupt- und vernetzten Nebenbahnen in Österreich, in anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten und der Schweiz (§ 15 EisbG). Demgegenüber hat der österreichische Gesetzgeber die Möglichkeit des Art 1 Abs 2 RL 95/18/EG zur Ausnahme von Eisenbahnunternehmen, die bloß im 516 517 518 519
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Abl L 220/40. Abl 220/3. Zum 3. Eisenbahnpaket: Christ, Das dritte Eisenbahnpaket, ecolex 2005, 80. Die Beschränkung auf die Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen auf Hauptund vernetzten Nebenbahnen ergibt sich aus der auf Grund der RL 91/440/EG erforderlichen Trennung von Betreiber Infrastruktur und Erbringer der Fahrleistung. Auf allen anderen Eisenbahnen, wie Straßenbahnen und U-Bahnen, besteht weiterhin eine einheitliche Konzession für Bau, Betrieb und Erbringung der Verkehrsleistung (§ 14 Abs 1 Z 1 EisbG). Abl L 143/70 idF RL 2004/49/EG, Abl L 220/16; vgl die Kommentierung von Holst, 22.
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Stadt-, Vorort oder Regionalverkehr tätig sind, genützt und für solcherart räumlich begrenzt tätige Unternehmen eine Verkehrskonzession gemäß § 16 EisbG vorgesehen. Für die Ausübung des Schienenzugangs durch EVU ist weiters eine Bauartgenehmigung (§§ 32 EisbG) samt Betriebsbewilligung (§ 34 Abs 2 EisbG) der Schienenfahrzeuge und darüber hinaus eine Sicherheitsbescheinigung gemäß den §§ 37 ff EisbG erforderlich.
B. Marktzulassung von in Österreich niedergelassenen Eisenbahnverkehrsunternehmen 1. Gemeinschaftsweite Verkehrsgenehmigung für österreichische Eisenbahnverkehrsunternehmen Für die Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen auf Österreichs Hauptund vernetzten Nebenbahnen, in anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten und der Schweiz durch natürliche Personen mit Wohnsitz in Österreich oder Gesellschaften bzw juristische Personen des öffentlichen Rechts mit Sitz in Österreich ist eine vom Verkehrsminister (§ 15a EisbG) zu erteilende Verkehrsgenehmigung gemäß den §§ 15 ff EisbG erforderlich. § 15b EisbG nennt als Voraussetzungen für die Erteilung der Verkehrsgenehmigung: • Zuverlässigkeit, • finanzielle Leistungsfähigkeit, • fachliche Eignung und • ausreichende Deckung der Haftpflicht durch Abschluss einer Haftpflichtversicherung oder gleichwertige Vorkehrungen für die Ausübung der Zugangsrechte. Die Begriffe der Zuverlässigkeit, finanziellen Leistungsfähigkeit und fachlichen Eignung werden in den §§ 15c - 15e EisbG näher bestimmt, die dafür erforderlichen Nachweise sind in § 15a EisbG genannt. Über Anträge auf Erteilung einer Verkehrsgenehmigung ist spätestens binnen drei Monaten zu entscheiden. Für die Erteilung einer Verkehrsgenehmigung in Österreich ist ein Sitz in Österreich erforderlich (§ 15 EisbG). Die Verkehrsgenehmigung ermöglicht österreichischen Unternehmen auch den Zugang zur Schieneninfrastruktur in anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten und in der Schweiz nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Marktöffnung (Prinzip der single licence). Die Verkehrsgenehmigung schließt auch die Verkehrskonzession mit ein, wenn die Verkehrsgenehmigung auf die betreffenden Dienste (Personen- oder Güterverkehr) ausgestellt ist (§ 16 EisbG).
2. Verkehrskonzession für den Regional-, Stadt oder Vorortverkehr Für die Erbringung folgender Eisenbahnverkehrsleistungen auf Österreichs Haupt- und vernetzten Nebenbahnen, durch natürliche Personen mit Wohnsitz in Österreich oder Gesellschaften bzw juristische Personen des öffentlichen Rechts mit Sitz in Österreich ist eine vom Verkehrsminister (§ 16a EisbG) zu erteilende Verkehrsgenehmigung gemäß den §§ 16 ff EisbG erforderlich: • Personenverkehrsleistungen im Stadt- oder Vorortverkehr • Güterverkehrsleistungen im Regional-, Stadt oder Vorortverkehr
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Die Genehmigungskriterien entsprechen den Voraussetzungen für die Erteilung einer Verkehrsgenehmigung.
C. Marktzulassung von EU/EWR- und Drittstaatseisenbahnverkehrsunternehmen 1. EU/EWR-Eisenbahnverkehrsunternehmen Genehmigungen, die Unternehmen aus anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten und der Schweiz erteilt wurden und die inhaltlich den Genehmigungen nach EisbG entsprechen (idR Genehmigungen auf Grund der RL 95/18/EG), werden gemäß § 41 EisbG ex lege der Verkehrsgenehmigung gleichgehalten, dh es bedarf keiner Anerkennung oder dgl. Solche Genehmigungen berechtigen daher zum Schienenzugang in Österreich nach Maßgabe des § 57 EisbG, welcher den Stand der gemeinschaftsrechtlichen Marktöffnung umsetzt.
2. Drittstaats-Eisenbahnverkehrsunternehmen EVU aus Drittstaaten, welchen Bewilligungen für den grenzüberschreitenden Netzzugang erteilt wurden, können, soweit hiefür nicht spezielle staatsvertragliche Regelungen bestehen, gemäß § 41 EisbG durch den Verkehrsminister bescheidförmig anerkannt werden, wenn der Antragsteller einen zugrunde liegenden gleichwertigen Sicherheitsstandard belegt.
III. Ausübungsvorschriften A. Vielzahl relevanter Rechtsvorschriften Zu den Ausübungsvorschriften für EVU zählen zunächst zahlreiche Bestimmungen des EisbG, welche allgemeine Pflichten für Eisenbahnunternehmen (und damit auch für EVU) normieren (etwa §§ 19 ff EisbG), aber auch die Vorschriften über den Zugang zur Schieneninfrastruktur. Darüber hinaus zählen dazu etwa auch Vorschriften über die Beförderung besonderer Güter, wie von Tieren521 oder von gefährlichen Gütern522.
B. Bauartgenehmigung und Betriebsbewilligung für Schienenfahrzeuge Vor Inbetriebnahme müssen die im Betrieb eines EVU eingesetzten Schienenfahrzeuge bauartgenehmigt sein (§ 32 EisbG)523 und bedürfen gemäß § 34 Abs 2 EisbG einer Betriebsbewilligung.
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BGBl I 1998/43; vgl Catharin, Eisenbahnunternehmen, 129 f mwH. Anlage I zum COTIF (RID) und RL 96/49/EG, Abl L 235/25, sowie das GefahrgutbeförderungsG, BGBl I 1999/194. Zum Gefahrguttransport im Allgemeinen und auf Eisenbahnen vgl Kafka, Gefahrguttransport, in: Stolzlechner (Hrsg), Recht der Verkehrsgewerbe, 2002, 189. Zur Bauartgenehmigung siehe oben Teil I Kap 2, II.D.
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C. Sicherheitsbescheinigung Weitere Voraussetzung für den Zugang zum Schienennetz ist das Vorliegen einer Sicherheitsbescheinigung, wobei für österreichische EVU eine Sicherheitsbescheinigung Teil A und B, und für EU/EWR-EVU oder EVU aus der Schweiz neben ihrer im Sitzstaat ausgestellten Sicherheitsbescheinigung eine Sicherheitsbescheinigung Teil B erforderlich ist (§ 37 EisbG). Für die Ausstellung einer Sicherheitsbescheinigung Teil A und B sind ein zertifiziertes Sicherheitsmanagementsystem gemäß den §§ 39 ff EisbG und gemäß § 37a EisbG genehmigte Vorkehrungen zur Gewährleistung der Sicherheit des Betriebes von Schienenfahrzeugen nachzuweisen (§ 37b Abs 1 Z 1 EisbG). Für die Ausstellung einer Sicherheitsbescheinigung Teil B ist der Nachweis der Genehmigung der Vorkehrungen iSd § 37a EisbG ausreichend (§ 37b Abs 1 Z 2 EisbG). Beide Sicherheitsgenehmigungen sind auf höchstens fünf Jahre befristet zu erteilen.
D. Das Eisenbahnbeförderungsgesetz Das EisenbahnbeförderungsG (EBG)524 gilt für die Beförderung von Personen und Sachen mit den öffentlichen Eisenbahnen in Österreich, ausgenommen Straßenbahnen und Seilbahnen. Das EBG enthält, soweit es sich um die Beförderung von Personen handelt, sonderzivilrechtliche Vorschriften, soweit es um die Beförderung von Gütern nach Teil V EBG geht, sonderhandelsrechtliche Normen, genauer um Sondervorschriften für das Frachtgeschäft nach dem 6. Abschnitt des HGB. Das Rechtsverhältnis zwischen EVU und Fahrgast der Eisenbahn ist ein privatrechtliches525, das auf Grund eines Vertragsschlusses zustande kommt526. Im Übrigen normiert das EBG zahlreiche sowohl die Reisenden als auch das EVU bindende Anordnungen, wozu unter anderem die Beförderungspflicht nach § 3 EisbG zählt527. Teil V EBG enthält detaillierte Vorschriften über den eisenbahnrechtlichen Frachtvertrag. Eine zentrale Rolle im Eisenbahnbeförderungsrecht spielen die Beförderungsbedingungen und Tarife, wobei das EBG den Begriff „Tarif“ als Oberbegriff verwendet, die Beförderungsbedingungen sind daher Bestandteil der Tarife528. Die Tarife werden durch das Eisenbahnunternehmen festgelegt, sie sind gemäß § 6 Abs 4 EBG zu veröffentlichen und sind gegenüber jedermann in gleicher Weise anzuwenden (§ 6 Abs 2 EBG). Eisenbahntarife sind Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des EVU und daher privatrechtlicher Na-
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BGBl 1988/180 idF BGBl I 2002/32. So im Ergebnis auch Muzak, Rechtsfragen der Personenbeförderung nach dem EBG, ZVR 1997, 219, der von einer Durchsetzbarkeit der aus dem Beförderungsverhältnis resultierenden Ansprüche vor den Zivilgerichten ausgeht (Muzak, aaO, 228). AA Muzak, aaO, 223, der von einem gesetzlichen Schuldverhältnis des Privatrechts ausgeht. Zur Beförderungspflicht vgl. Wiesentreu/Müller, Anmerkungen zum Kontrahierungszwang bei alpinen Aufstiegshilfen, ZVR 1991, 4. Muzak (FN 525), 220.
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tur529. Nähere Bestimmungen zu Tarifen und Fahrplan sind in §§ 22 EisbG enthalten.
E. Fachbehördliche Aufsicht über Eisenbahnverkehrsunternehmen 1. Allgemeine Gegenstände und Mittel fachbehördlicher Aufsicht über Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahnunternehmen als Träger einer volkswirtschaftlichen Schlüsselbranche unterliegen staatlicher Wirtschaftsaufsicht530. Die im EisbG vorgesehenen allgemeinen Mittel eisenbahnbehördlicher Aufsicht gelten grundsätzlich für alle Eisenbahnunternehmen, also für EIU und EVU gleichermaßen. Die Eisenbahnbehörde hat die Aufsicht über Eisenbahnunternehmen zu führen und überwacht sowohl den eisenbahntechnischen wie auch den Geschäftsbetrieb mit folgenden Aufsichtsmitteln: • Allgemeine Überwachung (§ 13 Abs 1 EisbG): Die Behörde erteilt die zum Betrieb einer Eisenbahn erforderlichen Genehmigungen. • Genehmigungsvorbehalte betreffend Rechtsgeschäfte (§ 25 EisbG): Die Veräußerung oder Verpachtung einer öffentlichen Eisenbahn oder die (wenn auch nur teilweise) Überlassung des Betriebes einer öffentlichen Eisenbahn oder von Teilen einer solchen Eisenbahn bedarf der Genehmigung der Behörde. • Technische Organe (§ 13 Abs 2 EisbG): Die Behörde kann aus Gründen der Sicherheit zur Überwachung der Bauausführung und ordnungsgemäßen Erhaltung von Eisenbahnanlagen, eisenbahntechnischen Einrichtungen und Schienenfahrzeugen technische Organe entsenden. • Auskunftspflichten (§ 26 EisbG): Das Eisenbahnunternehmen hat über seinen Betrieb so Buch zu führen, dass die Behörde jederzeit die für die Wahrnehmung des Aufsichtsrechtes erforderlichen Feststellungen treffen kann, und diesbezüglich erforderliche Auskünfte erteilen kann. • Regelmäßig wiederkehrende Überprüfungen(§ 19a EisbG): Seit der EisbG-Novelle 2006 erfolgt die Überprüfung der Sicherheit entweder auf Grund eines zertifizierten Sicherheitsmanagementsystems gemäß § 39c EisbG durch das Unternehmen selbst oder durch Prüfbescheinigungen von Anstalten, akkreditierten Stellen, Ziviltechnikern etc an die Behörde. • Einstellung aus Sicherheitsgründen (§ 19b EisbG): Auf Grund und nach Maßgabe des § 19b EisbG ist die Behörde berechtigt, die gänzliche oder teilweise Einstellung des Betriebes aus Sicherheitsgründen zu verfügen. • Staatskommissär (§ 13 Abs 3 EisbG): Die Bestellung eines Staatskommissärs ist grundsätzlich nur noch für EIU vorgesehen. • Bestellung eines Verwalters (§ 128 EisbG): Wenn der Konzessionsinhaber, Betriebsunternehmer oder verantwortliche Betriebsleiter des Eisen529
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Lehofer, Replik zum Art „Rechtsfragen der Personenbeförderung nach Eisenbahnbeförderungsgesetz (ZVR 1997, 219) von Univ.-Ass. Mag. Dr. Gerhard Muzak, ZVR 1997, 363f. AA Muzak, Rechtsfragen, 219 ff; derselbe, nochmals zur Rechtsnatur der Eisenbahntarife iSd EBG, ZVR 1997, 364 f. Näher Schäffer, Rz 506 ff.
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bahnunternehmens die auf Grund des EisbG ergehenden behördlichen Anordnungen beharrlich missachten, kann die Behörde gemäß § 128 Abs 1 EisbG einen Verwalter bestellen, der gemäß § 128 Abs 2 EisbG zu allen gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen befugt ist, die zur ordentlichen Verwaltung der Eisenbahn gehören.
2. Aufsichtsbefugnisse der Regulierungsbehörden Besondere Aufsichtsbefugnisse wurden den Eisenbahn-Regulierungsbehörden531 zugewiesen: So unterliegen Eisenbahninfrastruktur- und EVU einer besonderen sektoriellen Wettbewerbsaufsicht durch die Schienen-Control Kommission (§ 74 EisbG)532. Wie alle Regulierungsbehörden hat die SchienenControl GmbH eine allgemeine Zuständigkeit zur Marktbeobachtung533. In diesem Zusammenhang sind alle durch Zuweisungsstellen geschlossenen Verträge und Urkunden der Schienen-Control GmbH vorzulegen (§ 73a EisbG), und es bestehen für alle Eisenbahnunternehmen Auskunftspflichten gegenüber der Schienen-Control GmbH und der Schienen-Control Kommission (§§ 74a und 26 Abs 2 EisbG).
IV. Die Eisenbahnverkehrsunternehmen der ÖBB Seit Umstrukturierung der ÖBB534, nicht zuletzt auf Grund der gemeinschaftsrechtlich erforderlichen Trennungsmaßnahmen (§ 55 EisbG)535, werden die Verkehrsleistungen durch die ÖBB-Personenverkehrs AG und die Rail Cargo Austria AG unterstützt durch deren gemeinsame Tochtergesellschaften, die ÖBB-Traktion GmbH und die ÖBB-Technische Services GmbH erbracht. Anders als für die EIU der ÖBB bestehen für die EVU der ÖBB keine Privilegierungen im Hinblick auf die einzuholenden Genehmigungen. Für den Zugang zur Schieneninfrastruktur haben die EVU ein Benützungsentgelt gemäß den §§ 67 ff EisbG zu entrichten. Die Abgeltung von gemeinwirtschaftlichen Leistungen536 der EVU der ÖBB erfolgt auf Grund eines mehrjährigen Bestellrahmens auf Grund von § 48 BBG.
Kapitel 3: Marktzulassung von Schifffahrtsunternehmen Rechtsgrundlagen und grundlegende Literatur: Die Rechtsgrundlagen und die grundlegende Literatur wurde bereits Teil I Kapitel 3: Binnenschifffahrtsinfrastruktur dargestellt, weshalb hier auf diese Ausführungen verwiesen wird.
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Siehe dazu unten Teil III, III.A. Näher Holoubek, 121 f. Näher Holoubek, 122 f. Siehe dazu oben Teil I Kap 2, III.A.1. Vgl dazu Segalla, Eisenbahnliberalisieurung, 57 ff. Zum Rechtsrahmen für die Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen siehe unten Teil III, I.B.
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I. Grundlagen Die Grundlagen des Schifffahrtsrechts wurden bereits in Teil I Kapitel 3: Binnenschifffahrtsinfrastruktur dargestellt, weshalb auf diese Ausführungen verwiesen wird. Aus kompetenzrechtlicher Sicht ist ergänzend festzuhalten, dass der Betrieb von Schifffahrtsunternehmen dem Art 10 Abs 1 Z 9 bzw dem Art 11 Abs 1 Z 6 B-VG zuzuordnen ist und nicht den „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ nach Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Dementsprechend ist der Betrieb von Schifffahrtsunternehmen gemäß § 2 Z 15 GewO vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen. Die zentralen gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen für den Zugang zum Schifffahrtsgewerbe sind in der RL 87/540/EWG über den Zugang zum Beruf des Unternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Binnenschiffsgüterverkehr537 enthalten.
II. Marktzulassung von Schifffahrtsunternehmen A. Genehmigungsvorbehalt - Unternehmensgegenstand eines Schifffahrtsunternehmens Unternehmensgegenstand eines Schifffahrtsunternehmens und damit Konzessionsgegenstand im Sinne des § 75 Abs 1 SchiffG ist die gewerbsmäßige Ausübung der Schifffahrt mittels Fahrzeugen (§ 2 Z 1 SchiffG)538 und Schwimmkörpern (§ 2 Z 12 SchiffG)539 auf den dem Geltungsbereich des SchiffG unterworfenen Gewässern sowie im grenzüberschreitenden Verkehr auf ausländischen Binnengewässern auf Grund zwischenstaatlicher Abkommen. § 75 Abs 2 SchiffG definiert die Gewerbsmäßigkeit in Anlehnung an die Definition des § 1 GewO540. Ausdrücklich stellt § 75 Abs 3 SchiffG das Anbieten einer den Gegenstand eines Schifffahrtsgewerbes bildenden Tätigkeit an einen größeren Kreis von Personen oder die Ausschreibung der Ausübung des Schifffahrtsgewerbes gleich541. Für den Werkverkehr (§ 76 Abs 2 SchiffG)542, 537 538
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Abl L 322/20. Fahrzeuge sind gemäß § 2 Z 1 SchiffG Binnenschiffe einschließlich der Kleinfahrzeuge, Fährgastschiffe, Sportfahrzeuge, Fähren, schwimmende Geräte und Seeschiffe. Schwimmkörper sind gemäß § 2 Z 12 SchiffG Flöße und andere fahrtaugliche Konstruktionen, Zusammenstellungen oder Gegenstände mit oder ohne Maschinenantrieb, die weder Fahrzeuge noch schwimmende Anlagen sind, wie insbesondere Segelbretter, unbemannte Schlepp- und Wasserskischleppgeräte. Im Unterschied zur Regelung des SchiffahrtskonzessionsG, nach welchem nur die Schifffahrt mittels Wasserfahrzeugen mit Maschinenantrieb konzessionspflichtig war, wurde mit dem SchiffG 1990 jede gewerbsmäßige Ausübung der Schifffahrt mittels Fahrzeugen oder Schwimmkörpern der Konzessionspflicht unterworfen, weil damit die üblich gewordenen gewerbsmäßig durchgeführten Floßfahrten mit Fahrgästen (Rafting) erfasst werden sollten (RV zu § 75, 705 BlgNR 17. GP, 57). Zum Begriff der Gewerbsmäßigkeit und dem Verhältnis zu § 1 GewO siehe Muzak, 337 ff. Nach den Materialien (RV zu § 75 Abs 3; 77 BlgNR 19. GP, 9) soll dadurch ausgedrückt werden, dass bereits das bloße Anbieten der Tätigkeit einer Konzession be-
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zur Durchführung von Transporten gemäß der V (EWG) Nr 3921/91543, deren Quell- und Zielpunkt sich auf österreichischem Hoheitsgebiet befindet, und zur Personen- und Güterbeförderung in dem Ausmaß, als dies in zwischenstaatlichen Abkommen vereinbart ist (§ 76 Abs 4 SchiffG), ist eine Konzession gemäß § 76 SchiffG nicht erforderlich.
B. Arten von Konzessionen Gemäß § 77 Abs 1 SchiffG dürfen folgende Arten von Konzessionen544 zur gewerbsmäßigen Ausübung der Schifffahrt erteilt werden: • Personenbeförderung im Linienverkehr • Personenbeförderung im Gelegenheitsverkehr • Güterbeförderung • Remork545 • Fährverkehr546 • Personenbeförderung im Gelegenheitsverkehr mit Schwimmkörpern (§ 2 Z 12 SchiffG), wie etwa Rafting und dgl • Erbringung sonstiger Leistungen mit Fahrzeugen (§ 2 Z 1 SchiffG), wie insbesondere Bugsieren in Häfen, Schleppen von Wasserskifahrern oder Fluggeräten und Eisbrecherdienste
C. Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession für Schifffahrtsunternehmen wurden mit der SchiffG-Novelle 1995547 an die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften angepasst. Mit dieser Novelle wurde auch die RL 87/540/EWG über den Zugang zum Beruf des Unternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Binnenschiffsgüterverkehr548 umgesetzt. Die nach dem Binnenschiffahrts-Konzessionsgesetz vorgesehene Bedarfsprüfung549 wurde mit dem SchiffG 1990 auf die Verleihungsvoraussetzung des „volkswirtschaftlichen Interesses“ eingeschränkt. Seit der Anpassung des SchiffG 1990 an das Gemeinschaftsrecht ist auch der Nachweis des Erfordernisses des „volkswirtschaftlichen Inte-
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darf, was allerdings, sofern man in systematischer Interpretation die Auslegung des Gewerbsmäßigkeitsbegriffs anhand der GewO vornimmt vornimmt, eine überschießende Regelung darstellt, weil auch nach § 1 GewO das bloße Anbieten an einen größeren Personenkreis gewerbsmäßig im Sinne des Gesetzes ist. Näher Possler, 176. Abl L 373/1. Vgl Muzak, 366 ff. Remork ist das Schleppen, Schieben oder gekuppelte Mitführen von Fahrzeugen oder Schwimmkörpern, soweit diese nicht in der Verfügungsberechtigung des Remorkierenden stehen, mit Motorfahrzeugen (§ 2 Z 30 SchiffG). Fährverkehr ist eine dem öffentlichen Verkehr dienende, fahrplanmäßige Beförderung von Fahrgästen oder Gütern zwischen bestimmten Anlegestellen einander gegenüberliegender Ufer eines Gewässers (§ 2 Z 31 SchiffG). BGBl 1995/429. Abl L 322/20. Näher dazu Stolzlechner, Formen und Instrumente des Konkurrenzschutzes im öffentlichen Wirtschaftsrecht, ÖZW 1982, 97 (102) und Schäffer, Wirtschaftsaufsicht, ÖZW 1978, 33 (72).
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resses“ nicht mehr erforderlich, die Voraussetzungen für den Zugang zum Beruf des Binnenschifffahrtsunternehmers wurden auf Zuverlässigkeit, finanzielle Leistungsfähigkeit und fachliche Eignung550 und auf die potenzielle Verfügungsbefugnis über Schifffahrtsanlagen beschränkt.
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession sind gemäß § 78 SchiffG551: • EWR-Staatsbürgerschaft bzw bei Personengesellschaften und juristischer Personen eine Anteilsmehrheit von EWR-Bürgern • Sitz oder eine nicht nur vorübergehende geschäftliche Niederlassung im Inland bzw bei Personengesellschaften und juristischer Personen in einem EWR-Mitgliedstaat nach Maßgabe des § 78 Abs 1 Z 2 und 3 SchiffG • Finanzielle Leistungsfähigkeit (§ 78 Abs 2 Z 2 SchiffG) • Fachliche Eignung des Konzessionswerbers oder eines zu benennenden Betriebsleiters (§ 78 Abs 2 Z 1 SchiffG)552 • Persönliche Verlässlichkeit (§ 78 Abs 1 Z 1 lit b SchiffG) • Nachweis der wenngleich künftigen553 Verfügungsberechtigung über die erforderlichen Schifffahrtsanlagen an den vorgesehenen Anlegestellen (§ 78 Abs 2 Z 3 SchiffG) und über die erforderlichen Fahrzeuge oder Schwimmkörper (§ 78 Abs 2 Z 4 SchiffG) • Auf einem Privatgewässer überdies die Zustimmung des Verfügungsberechtigten (§ 78 Abs 2 Z 5 SchiffG) Die unbestimmten Gesetzesbegriffe der Zuverlässigkeit (§ 78 Abs 1 lit b SchiffG) und der finanziellen Leistungsfähigkeit werden in den §§ 79 und 81 SchiffG näher beschrieben. Weitere Vorschriften über die fachliche Befähigung sind in § 80 SchiffG und in der auf Grund § 80 Abs 4 SchiffG ergangenen Eignungsprüfungsverordnung Binnenschifffahrtsgewerbe (EPVO-BSG)554 enthalten. Für weniger bedeutsame Transporte auf Binnengewässern, wie Güterbeförderung ohne Verbindung zum Binnenwasserstraßennetz eines EWR-Staates, mit Fahrzeugen mit einer Tragfähigkeit von nicht mehr als 200 metrischen Tonnen, Fährverkehr oder Personenbeförderung im Gelegenheitsverkehr mit Schwimmkörpern, ist gemäß § 78 Abs 3 SchiffG lediglich der Nachweis der EWR-Staatsangehörigkeit bzw des EWRSitzes sowie der Nachweis der Zuverlässigkeit, der finanziellen Leistungsfähigkeit und der fachlichen Eignung erforderlich.
§ 82 SchiffG regelt die Anerkennung von Nachweisen für die Verlässlichkeit, fachliche Eignung und finanzielle Leistungsfähigkeit von Konzessionswerbern aus anderen EWR-Mitgliedstaaten. § 85 SchiffG enthält Vorschriften über das Erlöschen, den Widerruf und die Fortführung der Konzession für bestimmte Fortbetriebsberechtigte (§ 85 Abs 4 SchiffG).
D. Ausübungsvorschriften Der Konzessionsberechtigte hat, abgesehen von Fortbetriebsrechten nach § 85 Abs 4 SchiffG das Schifffahrtsunternehmen selbst zu betreiben, eine Verpach550 551 552 553 554
RV 77 BlgNR 19. GP, 9. Ausführlich Muzak, 353 ff. Ausführlich Possler, 178. Arg: „wird verfügen können ... “, § 78 Abs 2 Z 3 SchiffG. BGBl 1995/481 idF BGBl II 2002/225.
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tung oder Übertragung der Konzession ist gemäß § 84 Abs 1 SchiffG unzulässig. Linien-Schifffahrtsunternehmen und Fährunternehmen haben Beförderungspreise, Beförderungsbedingungen und Fahrpläne zu erstellen und diese der Behörde anzuzeigen, sowie diese alljährlich, spätestens zwei Wochen vor Betriebsbeginn durch Aushang allenfalls auch in anderer zweckdienlicher Weise zu veröffentlichen (§ 84 Abs 2 SchiffG). Ausgehängte Fahrpläne, Beförderungspreise und Beförderungsbedingungen sind für die Schifffahrtsunternehmen verbindlich, sie sind gegenüber jedermann, ausgenommen Gruppenreisen, in gleicher Weise anzuwenden (§ 84 Abs 2 SchiffG).
E. Fachbehördliche Aufsicht über Schifffahrtsunternehmen Schifffahrtsunternehmen unterliegen in Bezug auf die Einhaltung der in diesem Bundesgesetz geregelten Angelegenheiten und der sich aus der Konzession ergebenden Verpflichtungen der Aufsicht der für die Konzessionserteilung zuständigen Behörde (§ 87 SchiffG). Schifffahrtsunternehmen haben der Aufsichtsbehörde die zur Wahrnehmung des Aufsichtsrechts erforderlichen Auskünfte zu erteilen (§ 87 SchiffG)555.
F. Behörden Entsprechend der Kompetenzverteilung zwischen Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG und Art 11 Abs 1 Z 6 B-VG hinsichtlich der dort angeführten Wasserstraßen ist die Zuständigkeit für die Erteilung von Konzessionen für Schifffahrtsunternehmen zwischen Verkehrsminister, Landeshauptmann und Landesregierung geteilt (§ 86 Abs 1 SchiffG)556.
III. Schiffsführerschulen Die gewerbsmäßige (vgl § 75 Abs 2 SchiffG) Schulung von Schiffsführern (§ 116 ff SchiffG) bedarf einer behördlichen Bewilligung (§ 141 SchiffG), für deren Erteilung der Landeshauptmann zuständig ist (§ 146 SchiffG). Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn der Genehmigungswerber EWRStaatsangehöriger ist, persönlich verlässlich ist und das 24. Lebensjahr vollendet hat (§ 142 Abs 1 Z 1 SchiffG). Ein besonderer Befähigungsnachweis ist nicht vorgesehen, gemäß § 142 Abs 4 SchiffG darf die Schulung jedoch nur durch Lehrpersonen erfolgen, die über einen Befähigungsnachweis verfügen, der in seinem Berechtigungsumfang zumindest der vorgesehenen Ausbildung entspricht.
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Zur Aufsicht über Schifffahrtsunternehmen Schäffer, Rz 519. Zu Behördenzuständigkeiten und Verfahren im Binnenschifffahrtsrecht: Muzak, 530 ff.
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Kapitel 4: Marktzulassung von Luftfahrtunternehmen Rechtsgrundlagen und grundlegende Literatur: Die Rechtsgrundlagen und die grundlegende Literatur wurde bereits Teil I Kapitel 4: Luftverkehrsinfrastruktur dargestellt, weshalb hier auf diese Ausführungen verwiesen wird.
I. Grundlagen A. Allgemeines Das Inkrafttreten des so genannten dritten EG-Liberalisierungspaketes557 im Zuge des EWR-Beitritts Österreichs bedeutete einen Paradigmenwechsel im luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsregime. Mit dem durch das Paket verwirklichten Binnenmarkt für Luftfahrtunternehmen trat für den Bereich der gewerblichen Luftfahrt im Anwendungsbereich der EG-Verordnungen wurde dem bisherigen Genehmigungsregime des Luftfahrtgesetzes (LFG)558, einem traditionellen Genehmigungsregime für gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeiten im Verkehrsbereich, gekennzeichnet durch objektive Marktzugangsschranken, wie Bedarfsprüfung oder des Nachweises des Vorliegens öffentlicher Interessen an der Neugründung, materiell derogiert; das LFG wurde mittlerweile angepasst. Abgesehen von der Liberalisierung des Marktzugangs unterlag und unterliegt das Luftverkehrsrecht seither, insbesondere bedingt durch gemeinschaftsrechtliche Gesetzgebung und die Rechtsprechung des EuGH, gravierenden Veränderungen: So dürfte die Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten betreffend die Kompetenz zum Abschluss von Luftverkehrsabkommen die globale Ordnung des Luftverkehrs nachhaltig verändern, die Aktivitäten der Gemeinschaft die Sicherheit von Luftfahrtunternehmen aus Drittstaaten betreffend („Black List“) ergänzen dies. Innergemeinschaftlich ist eine einheitliche europäische Luftraumarchitektur entstanden und es wurde begonnen, die Verwaltungsvorschriften für die Sicherheit der Luftfahrtunternehmen zu vereinheitlichen. Schon allein auf Grund der Neuordnung der Drittstaatsbeziehungen dürfte das Luftverkehrsrecht daher auch weiterhin entscheidenden Änderungen unterliegen, ein Ende der Entwicklung ist mE noch nicht absehbar.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Vorschriften für Luftfahrtunternehmen können auf Grund von Art 80 Abs 2 EG-Vertrag durch den Gemeinschaftsgesetzgeber und auf Grundlage von Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG durch den österreichischen Bundesgesetzgeber erlassen werden, welche in Bezug auf den Luftverkehr bereits in Zusammenhang mit der Luftverkehrsinfrastruktur dargestellt wurden. 557 558
V (EWG) Nr 2407/92 bis 2410/92, Abl L 240/1. Zur Entwicklung der Liberalisierung des EG-Luftverkehrs, Niejahr, 51, Rz 11 ff. FN 381.
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C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen 1. Die völkerrechtliche Ordnung des gewerblichen Luftverkehrs a) Der multilaterale Ordnungsrahmen Der vollen Souveränität des Staates über seinen Luftraum (Lufthoheitstheorie) folgt dessen Recht, die Benutzung des Luftraumes durch staatsfremde Luftfahrzeuge559 von seiner Bewilligung abhängig zu machen und jegliche Benutzung des Luftraumes besonderen Vorschriften zu unterwerfen, also Vorschriften über den Ein- und Ausflug sowie über den Betrieb und Verkehr der Luftfahrzeuge innerhalb des Hoheitsgebietes zu erlassen. Das Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt560 oder ICAO-Abkommen561, erhob diese Lufthoheitstheorie zum Prinzip der multilateralen Ordnung562 des globalen Luftverkehrs und wies, mangels einer Einigung über die gegenseitige Gewährung von Nutzungsrechten für fremden Luftraum im Abkommen selbst, den Weg zum Bilateralismus. Lediglich die wechselseitige Gewährung des Rechts des Überfluges und des Rechts zu technischen Zwecken zu landen haben einander rund 100 Staaten, darunter auch Österreich, im so genannten Transitabkommen563 gewährt. Ansonsten ist der Marktzugang im globalen Linienluftverkehr in einem Geflecht von weltweit mehr als 3000564 bilateralen Luftverkehrsabkommen geregelt, woran auch das Inkrafttreten des GATS nichts geändert hat565. Die Rechtsgewährung erfolgt streng nach dem Prinzip der Reziprozität, wobei die wechselseitige Rechtseinräumung typisierend in die so genannten Freiheiten der Luft566 eingeteilt wird. Die ersten beiden Freiheiten werden als technische Freiheiten bezeichnet, die übrigen sechs als gewerbliche Freiheiten: 559
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Die Staatsangehörigkeit eines Zivilluftfahrzeuges ist an die Registrierung des Luftfahrzeuges geknüpft (§ 15 LFG: Zivilluftfahrzeuge, die in das Luftfahrzeugregister eingetragen sind, sowie alle Militärluftfahrzeuge des österreichischen Bundesheeres besitzen die österreichische Staatszugehörigkeit). BGBl 1949/97. Zum Abkommen von Chicago vgl auch Niejahr, 51, Rz 4 ff. Letztere Bezeichnung bezieht sich auf die im Vertrag vorgesehene Gründung der ICAO, der International Civil Aviation Organisation. Art 1 und Art 6 ICAO-Abkommen. Danach bedarf der planmäßige internationale Luftverkehr über das Hoheitsgebiet eines Staates dessen besonderer Genehmigung; Ebke/Wenglorz, Liberalisierung des Linienluftverkehrs in der EG, RIW, 1990, 468. International Air Service Transit Agreement, December 7, 1944, 59 Stat. 1693, 84 UNTS 389; = Vereinbarung über den Durchflug im internationalen Linienflugverkehr, BGBl 1959/46. Woerz, 12. Das GATS selbst ist auf Maßnahmen, welche bereits gewährte Verkehrsrechte oder Dienstleistungen betreffen, die mit der Ausübung von Verkehrsrechten in unmittelbarem Zusammenhang stehen, nicht anzuwenden (Art XXIX Z 2 GATS). Der Begriff „Freiheiten der Luft“ ist irreführend. Es handelt sich um keine Freiheiten etwa im Sinn von Grundfreiheiten, die Eingriffe der Staaten nur ausnahmsweise gestatten, sondern umgekehrt um ausnahmsweise Durchbrechungen des ansonsten unbedingt geltenden Verbotes, in fremdes Staatsgebiet vor allem zu gewerblichen Zwecken einzufliegen. Besonders die gewerblichen Rechte vielmehr noch als technische Freiheiten gleichen eher Regalien mit besonderem wirtschaftlichem Wert für einen Staat, die Drittstaaten nur ausnahmsweise und auf Basis der Gegenseitigkeit zugestanden werden.
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1. Freiheit: Das Recht, das Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates ohne Landung zu überfliegen. 2. Freiheit: Das Recht, im Hoheitsgebiet eines Staates zu nicht gewerblichen Zwecken (Treibstoffaufnahme, Notreparaturen) zu landen. 3. Freiheit: Das Recht, Fluggäste, Fracht und Post vom Heimatstaat des Luftfahrzeuges in einen anderen Vertragsstaat zu befördern und dort abzusetzen. 4. Freiheit: Das Recht, Fluggäste, Fracht und Post im anderen Vertragsstaat aufzunehmen und in den Heimatstaat des Luftfahrzeuges zu befördern. 5. Freiheit: Das Recht, Fluggäste, Fracht und Post zwischen dem anderen Vertragsstaat und dritten Staaten zu befördern. 6. Freiheit: Das Recht, Fluggäste, Fracht und Post im anderen Vertragsstaat aufzunehmen und nach Zwischenlandungen im Heimatstaat des Luftfahrzeuges in einen Drittstaat weiterzubefördern und umgekehrt. 7. Freiheit: Das Recht, Fluggäste, Fracht und Post zwischen zwei anderen Vertragsstaaten zu befördern, ohne dass dieser Verkehr Teil einer Fluglinienverbindung mit dem Heimatstaat des Luftfahrzeuges ist. 8. Freiheit: Das Recht, Fluggäste, Fracht und Post innerhalb eines anderen Staates zwischen den dort vorgesehenen Flughäfen zu befördern (Kabotage).
Die Preisbildung im globalen Linienluftverkehr erfolgte lange Zeit ausschließlich im Rahmen des Tarifsetzungsverfahrens der IATA. Überdies mussten die im Rahmen der IATA vereinbarten Tarife den Behörden der von der Linie betroffenen Staaten zur Genehmigung vorgelegt werden, wobei die Tarife in aller Regel erst nach beiderseitiger staatlicher Genehmigung (double-approvalrule) angewendet werden durften. Diese Genehmigungen wurden allerdings regelmäßig erteilt, wenn die Tarife nach den Verfahrensregeln des IATA-Tarifbildungsverfahrens zustande gekommen waren567. Diese Preisbildung in Verknüpfung mit den staatlichen Genehmigungsvorbehalten bildete im Ergebnis einen völlig regulierten Markt, auf dem es den Unternehmen nicht möglich war, über die Tarife miteinander in Preiswettbewerb zu treten. Die USA haben in der Folge begonnnen, ihr liberales Modellabkommen qua Luftverkehrsabkommen in die Welt hinauszutragen, in welchem sie anstatt einer double-approval-rule eine double-disapproval-rule568 vereinbarten: Die Attraktivität des Zugangs zum US-Luftverkehrsmarkt und die Notwendigkeit einer Luftanbindung eines Staates an die USA allgemein verleiht den USA ein erhebliches Gewicht in bilateralen Verhandlungen und daher einen hohen Gestaltungsspielraum für den Inhalt der Abkommen. Der letzte Schritt der Entwicklung und die liberalste Form der Abkommen ist jene der Type „Open skies“, die zumindest keinen zahlenmäßig beschränkten wechselseitigen Zugang mehr vorsehen und Tarifgenehmigungsverfahren ausschließen. Diese zwischen mehreren EU-Mitgliedstaaten und den USA bereits abgeschlossenen Abkommen waren Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen mehrere Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, in
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So ausdrücklich § 7 Abs 3 BGzLV 1961, BGBl 1961/157, wonach die Tarifgenehmigung jedenfalls zu erteilen ist, wenn die Tarife den vom internationalen Lufttransportverbandes (IATA) festgesetzten Tarifen entsprechen. Anstatt beiderseitiger Genehmigung vor Inkrafttreten, können Tarife frei vereinbart werden und dürfen nur dann nicht angewendet werden, wenn beide Staaten dies untersagen.
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denen die EU-Kommission eine Verletzung ausschließlicher Zuständigkeiten der Gemeinschaft zum Abschluss dieser Abkommen nachweisen konnte. b) Gemeinschaftsrechtlicher Rahmen für den Drittstaatsluftverkehr Die rechtliche Ordnung des Drittstaatsluftverkehrs ist im Wandel: Das Urteil des EuGH569 in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen mehrere Mitgliedstaaten wegen des Abschlusses von Luftverkehrsabkommen der Type „Open skies“ hat und wird den Rahmen der Luftverkehrspolitik gegenüber Drittstaaten entscheidend ändern. Aber schon aus dem Urteil selbst fließen unmittelbare rechtliche Folgen für die Luftverkehrspolitik gegenüber Drittstaaten570: Erstens unterliegen mehrere Bereiche, die regelmäßig Gegenstand von Luftverkehrsabkommen sind, und zwar nicht nur jener der Abkommen der Type „Open skies“ sondern auch von herkömmlichen Abkommen, der ausschließlichen Außenkompetenz der Gemeinschaft571. Zweitens verstoßen die in nahezu allen Abkommen vorhandenen Nationalitätsklauseln gegen das Diskriminierungsverbot des Art 43 EG-Vertrag. Insbesondere auf Grund des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot verletzen daher auch Abkommen, welche die von der ausschließlichen Zuständigkeit der Gemeinschaft erfassten Klauseln nicht enthalten, das Gemeinschaftsrecht572. Der Gerichtshof hat weiters bestätigt, dass schon jede geringe, wenn auch nur redaktionelle Änderung der Abkommen einer Neuaushandlung gleichkommt, weil die bestehenden Bestimmungen dadurch bestätigt würden. Den Mitgliedstaaten ist es aber nicht nur untersagt, keine neuen internationalen Verpflichtungen einzugehen, sie dürfen auch solche Verpflichtungen nicht aufrechterhalten, wenn sie gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen.573 Der sicherste Weg zur Beseitigung von Diskriminierungen in den Luftverkehrsabkommen wäre die Ersetzung der Nationalitätsklauseln in den bilateralen Abkommen durch eine „EG-Klausel“. Dem wird freilich der Drittstaat oftmals nicht zustimmen574, weil er zwar den Markt für alle Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft öffnen müsste, sein Vertragspartner, der jeweilige EU-Mitgliedstaat, jedoch nicht die Kompetenz hat, seinerseits Zugangsrechte zu anderen EU-Staaten einzuräumen.
Moderne Luftverkehrsabkommen etwa der Type „Open skies“ sind folglich gemischte Abkommen iSd Art 300 EG-Vertrag, weil sie teils in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft, teils in die der Mitgliedstaaten fallen. 569
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Unter anderem EuGH, Rs C-466/98, Kommission gegen Vereinigtes Königreich, Slg 2002, I-9496 (= ÖZW 2003/112 mit Anmerkung von Resch). Zu den Außenkompetenzen der Gemeinschaft siehe oben Teil I, Kap 1, I.B.1.f). Vgl dazu die Mitteilung der Kommission über die Konsequenzen der Urteile des Gerichtshofs vom 5. November 2002 für die europäische Luftverkehrspolitik, KOM (2002) 649, und die Mitteilung der Kommission über die Luftverkehrsbeziehungen zwischen der Gemeinschaft und Drittstaaten, KOM (2003) 94. Das sind zunächst die im Urteil ausdrücklich genannten Bestimmungen über die freie Preisbildung nach Art 1 Abs 3 VO (EWG) Nr. 2409/92, Bestimmungen über Zeitnischen gemäß der V (EWG) Nr 95/93 und die Bestimmungen des Art 1 Abs 7 VO (EWG) Nr. 2299/89 über Computerreservierungssysteme, sondern auf Grund analoger Anwendung der Grundsätze des AETR-Urteils auch weitere Bereiche, die von den Abkommen und vom Gemeinschaftsrecht erfasst sind [KOM (2002) 649 Z 31 und 32]. Zu den praktischen Konsequenzen für die Bezeichnung von Luftfahrtunternehmen auf Grund der Abkommen, vgl KOM (2003) 94, Z 11. ZB EuGH 4.7.2000, Rs C-62/98, Kommission/Portugal, Slg 2000, I-5117. So auch die EU-Kommission, KOM (2003) 94 Z 39, vgl auch Niejahr, 51, Rz 42.
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Abgesehen von der rechtlichen Unsicherheit der Wirkungen des Urteils für bestehende Abkommen, besteht die entscheidende Schwierigkeit der Umsetzung der Konsequenzen des EuGH-Urteils darin, dass der Gerichtshof zwar eine ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft zum Abschluss bestimmter Abkommensinhalte festgestellt hat, der Rat jedoch nur zögerlich die Kommission zum Abschluss von Luftverkehrsabkommen ermächtigt. Soweit der Rat der Kommission kein Mandat zur Aushandlung von Gemeinschaftsabkommen erteilt, bleibt es beim Bilateralismus. Um einen gemeinschaftsrechtskonformen Abschluss von bilateralen Abkommen mit einem dem Stand der Entwicklung im internationalen Luftverkehr entsprechenden Inhalt zu ermöglichen, wurden mit der VO (EG) Nr 847/2004575 die Bedingungen und das Verfahren für den Abschluss von Luftverkehrsabkommen durch die Mitgliedstaaten geregelt. Dies nach Art 1 Abs 1 VO (EG) Nr 847/2004 auch in Bereichen, die in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, wenn die so genannten zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission ausgearbeiteten „Standardklauseln“ in die Verhandlungen einbezogen werden und das in Art 1 der VO vorgesehne Mitteilungsverfahren eingehalten wird. Sofern Luftfahrtunternehmen an den Verhandlungen beteiligt werden, sind gemäß Art 2 VO (EG) Nr 847/2004 alle Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft mit Niederlassung im jeweiligen Mitgliedstaat gleich zu behandeln. Art 3 VO (EG) Nr 847/2004 verbietet Abkommen mit denen die Zahl der Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft verringert wird. Wird in einem Abkommen die Zahl der für die Nutzung der Verkehrsrechte in Betracht kommenden Unternehmen begrenzt, so hat die Verteilung der Verkehrsrechte gemäß Art 4 VO (EG) Nr 847/2004 auf Grund eines nicht diskriminierenden und transparenten Verfahrens unter Einhaltung der Veröffentlichungsvorschriften des Art 5 VO (EG) Nr 847/2004 zu erfolgen.
Zuletzt hat freilich auch der Rat anerkannt, dass sich die Fragen der Luftverkehrsbeziehungen zu den USA nur auf Basis eines Gemeinschaftsabkommens sachadäquat lösen lassen und daher der Kommission im Juni 2003 ein entsprechendes Mandat zur Aushandlung eines solche Abkommens erteilt, das zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Manuskripts noch verhandelt wird. Demzufolge ruht die Luftfahrtaußenpolitik der EG und der Mitgliedstaaten nach der Mitteilung der Kommission über die Weiterentwicklung der Luftfahrtaußenpolitik576 auf mehreren Säulen: • Bilaterale Abkommen der Mitgliedstaaten auf Grundlage der V (EG) Nr 847/2004 unter Zugrundelegung der „Standardklauseln“ im jeweiligen Abkommen. • Bilaterale Abkommen im Rahmen des so genannten „horizontalen Mandates“, dh gleichzeitiger Abschluss von bilateralen Abkommen mit einem Drittstaat und allen Mitgliedstaaten im Wege eines von der Kommission ausgehandelten Abkommens (zB wurden derartige Abkommen für Chile, Georgien, Libanon, Aserbaidschan, Kroatien und Bulgarien bereits abgeschlossen577). • Abschluss von Gemeinschaftsabkommen gemäß Art 300 EG, etwa mit den USA. 575 576 577
Abl L 157/7. KOM (2005) 79. Pkt 1.2 KOM (2005) 79.
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Im Wege des Abschlusses von Gemeinschaftsabkommen will die Kommission bis 2010 einen gemeinsamen Luftraum mit einheitlichen Marktbedingungen unter Einbeziehung ihrer südlichen und östlichen Nachbarn entwickeln. Dabei sollen in einem ersten Schritt die Nachbarstaaten im Osten, welche auch einen Beitritt zur Union anstreben, und in einem weiteren Schritt die das Mittelmeer umgrenzenden Länder einbezogen werden.578 Erklärtes Ziel ist weiters die Einbeziehung Russlands und des asiatischen Raums, insbesondere von China und Indien. Durch Einbindung dieser Staaten verfolgt die Kommission mittelfristig den Abschluss globaler Luftverkehrsabkommen.579 c) Bilaterale Luftverkehrsabkommen Bilaterale Luftverkehrsabkommen bestehen in der Regel aus zwei Teilen, dem (eigentlichen) Vertrag, der auf unbestimmte Zeit geschlossen wird, und einem Anhang, der einen Flugstreckenplan enthält. Es ist internationale Übung, die Stammverträge in der Form von Regierungsübereinkommen zu schließen, während die Anhänge durch Ressortübereinkommen geschlossen werden580. Gesetzliche Grundlage für den Abschluss derartiger bilateraler581 Luftverkehrsabkommen ist das Bundesgesetz über den zwischenstaatlichen Luftverkehr (BGzLV)582. Das BGzLV erfüllt - vereinfacht gesagt - zwei Funktionen. Einerseits bildet es die gesetzliche Grundlage für die in Form von Regierungs- und Ressortübereinkommen abgeschlossenen Luftverkehrsabkommen, andererseits enthält es die Genehmigungstatbestände zur Bewilligung von Flugverkehr von und nach Österreich. Regelungstechnisch löst das BGzLV die in der völkerrechtlichen Praxis geübte Teilung der Zuständigkeit zu Abschluss und Änderung von Luftverkehrsabkommen - eigentlicher Vertrag durch die BReg/Flugstreckenplan durch den Verkehrsminister - in der Vollzugsklausel des Gesetzes. Danach ist ua die Gewährung von Verkehrsrechten, die Art der Namhaftmachung von Unternehmen (Designierung) durch die Bundesregierung zu vereinbaren. Die Vereinbarung der Flugstreckenpläne fällt in die Zuständigkeit des Verkehrsministers (§ 19 Abs 1 iVm § 7 BGzLV).
2. Der europäische Binnenmarkt für Luftverkehrsdienste Seit 1. Jänner 1993, dem Inkrafttreten der V (EWG) Nr 2408/92583, besteht für Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft freier Marktzugang zu inter- und innermitgliedstaatlichen584 Flugverbindungen. Die V ist der bedeutsamste Rechts578 579 580
581
582 583 584
Pkt 2.1 KOM (2005) 79. Pkt 2.2 KOM (2005) 79. Zu Regierungsübereinkommen, Ressortübereinkommen und Verwaltungsübereinkommen: Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts9, 2000, Rz 225; Posch, Regierungsübereinkommen - Ressortübereinkommen - Verwaltungsübereinkommen, ZÖR 34, 1983, 202 ff. Der Begriff zwischenstaatliche Übereinkommen bedeutet, das ist auch aus dem Zusammenhang ableitbar, ausschließlich bilaterale Luftverkehrsabkommen. Das BGzLV kann somit nicht als Grundlage für den Beitritt zu einem multilateralen Luftverkehrsabkommen dienen. BGBl I 1997/101 idF BGBl I 2004/173. Abl L 240/8. Kabotagevorbehalte zugunsten nationaler Unternehmen, also das ausschließliche Recht nationaler Unternehmen, Menschen oder Sachen innerhalb der Grenzen des
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akt des dritten Liberalisierungspaketes des Rates585 zur Liberalisierung der Zivilluftfahrt innerhalb des gemeinsamen Marktes, wurde durch sie doch das bis dahin auch zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft noch bestehende System bilateraler Luftverkehrsabkommen abgelöst. Flüge von und nach Drittstaaten durch Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft oder durch Drittstaatsunternehmen sowie inter- und innermitgliedstaatliche Flüge von Drittstaatsunternehmen fallen nicht in den Anwendungsbereich der V, diese Flüge unterliegen weiterhin der oben beschriebenen Ordnung des globalen Luftverkehrs und der Neuregelung der EG-Außenkompetenzen.
II. Marktzulassung von Luftfahrtunternehmen A. Zusammenwirken von innerstaatlichem und gemeinschaftsrechtlichen Genehmigungsregime 1. Gemeinschaftsweite Betriebsgenehmigung Grundlage für die Genehmigung von Luftfahrtunternehmen ist die V (EWG) Nr 2407/92586, mit der gemeinschaftsweit ein einheitliches Genehmigungsregime für in der Gemeinschaft niedergelassene Luftfahrtunternehmen587 eingeführt wurde. Die V trifft eine abschließende Regelung für die Erteilung der Betriebsgenehmigung, soweit die V selbst nicht die Regelung besonderer Voraussetzungen, wie für die Erteilung eines Luftverkehrsbetreiberzeugnisses, den Mitgliedstaaten überlässt [Art 9 Abs 2 V (EWG) Nr 2407/92]. Österreich hat diese gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung588 zur Erlassung von Vorschriften über die flugbetrieblichen und technischen Voraussetzungen mit einer V betreffend die Voraussetzungen für die Erteilung eines Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (AOC) - AOCV589 erfüllt.
2. Luftverkehrsunternehmen - Luftfahrtunternehmen Luftbeförderungsunternehmen Das LFG unterscheidet zwischen Luftverkehrsunternehmen, Luftfahrtunternehmen und Luftbeförderungsunternehmen (§ 101 LFG): Unternehmen, die gewerblichen Luftverkehr betreiben, sind entweder Luftfahrtunternehmen oder Luftbeförderungsunternehmen, beide werden unter dem Überbegriff Luftverkehrsunternehmen zusammengefasst.
585 586 587
588 589
eigenen Mitgliedstaats zu befördern, sind erst seit 1. 4. 1997 unanwendbar geworden (Art 3 Abs 4 V [EWG] Nr 2408/92). FN 557. Abl L 240/1. Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist ein Luftfahrtunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung, die von einem Mitgliedstaat gemäß der V (EWG) Nr 2407/92 ausgestellt wurde [Art 2 lit b V (EWG) Nr 2408/92]. Eine Umsetzungsverpflichtung ist hier anzunehmen, weil die nationalen Vorschriften zur unmittelbaren Vollziehung der Verordnung erforderlich sind. BGBl II 2004/425 idF BGBl II 2006/206.
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Die Unterscheidung von Luftfahrtunternehmen und Luftbeförderungsunternehmen ist rechtserheblich: Luftfahrtunternehmen, die wirtschaftlich bedeutenden Träger des internationalen Luftverkehrs, sind nach den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen der V (EWG) Nr 2407/92 zu bewilligen. Hingegen sind Luftbeförderungsunternehmen, das sind jene gemäß Art 1 Abs 2 V (EWG) Nr 2407/92 vom Anwendungsbereich der V ausgenommenen Unternehmen590, nach dem Genehmigungsregime der §§ 104 ff LFG zu bewilligen.
B. Gemeinschaftsluftverkehr und Drittstaatsluftverkehr 1. Das Single-licence-Prinzip im Gemeinschaftsluftverkehr Das System der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen des gewerblichen Luftverkehrs geht davon aus, dass jedem Unternehmen nur eine Betriebsgenehmigung zu erteilen ist, auf Grund der das Unternehmen Verkehrsrechte591 innerhalb des gesamten gemeinsamen Marktes ausüben darf. Mit dem Prinzip der Single-licence wird die Dienstleistungsfreiheit innerhalb des gemeinsamen Marktes verwirklicht: Zur Ausübung gewerblicher Rechte im Luftverkehr innerhalb Europas bedarf es keiner weiteren Gleichstellung oder Anerkennung mit Staatsbürgern oder juristischen Personen anderer Mitgliedstaaten [vgl Art 3 Abs 1 V (EWG) Nr 2408/92].
2. Weitere Genehmigungen im Drittstaatsluftverkehr Im Verkehr mit Drittstaaten hingegen ist die Betriebsbewilligung notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung zur Beförderung von Personen und Sachen im gewerblichen Luftverkehr. In diesem Bereich stellt die Betriebsgenehmigung eine Art Grundgenehmigung dar, die teilweise Tatbestandswirkung zur Erlangung der erforderlichen Bewilligungen für Drittlandsflüge entfaltet. So ist eine gültige Betriebsgenehmigung Genehmigungsvoraussetzung für die Erteilung einer Flugplanbewilligung nach § 10 BGzLV oder für die Bewilligung der gewerbsmäßigen Beförderung von und nach Drittstaaten im Bedarfsverkehr nach § 11 BGzLV. Vor Erteilung der Bewilligungen für die einzelnen Flugstrecken muss im Drittstaat um „Zulassung“ angesucht werden. Luftverkehrsabkommen bezeichnen diese Zulassung zumeist als Betriebsbewilligung („operating authorization“). Ob eine solche Zulassung erforderlich und nach welchen Kriterien diese zu erteilen ist, richtet sich nach dem jeweiligen Luftverkehrsabkommen oder, falls im Abkommen nichts geregelt ist oder kein solches Abkommen besteht, nach dem nationalen Recht des Drittstaates. Zumeist hat das Betriebsbewilligungsverfahren allerdings bloß summarischen Charakter, in welchem nur die
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Unternehmen, welche Fluggäste, Post und/oder Fracht durch Luftfahrzeuge ohne Motorantrieb, ultraleichte Luftfahrzeuge sowie auf Rundflügen, mit denen keine Beförderung zwischen Flughäfen verbunden ist, befördern [Art 2 lit b V (EWG) Nr 2407/92]. Verkehrsrecht ist das Recht eines Luftfahrtunternehmens zur Beförderung von Fluggästen, Fracht und/oder Post auf einem Flugdienst zwischen zwei Flughäfen der Gemeinschaft [Art 2 lit f V (EWG) Nr 2408/92].
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Zulassung im Sitzstaat und das Vorliegen einer hinreichenden Haftpflichtversicherung geprüft werden.
C. Betriebsgenehmigung nach der V (EWG) Nr 2407/92 1. Das Luftverkehrsbetreiberzeugnis (AOC) Art 9 Abs 2 V (EWG) Nr 2407/92 überlässt die Regelung der Voraussetzungen für die Erteilung eines Luftverkehrsbetreiberzeugnisses, mit welchem dem Unternehmen das Vorliegen der flugbetrieblichen und technischen Grundlagen zum Betrieb eines Luftfahrtunternehmens bescheinigt wird, den Mitgliedstaaten. Österreich hat diese Voraussetzungen durch VO des Verkehrsministers betreffend die Voraussetzungen für die Erteilung des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (Air Operators Certificate - AOC) 2004 (AOCV 2004)592 geregelt. Für die Ausstellung des AOC ist die Austro Control GmbH zuständig (§ 102 Abs 2 letzter Satz LFG). Die AOCV enthält sowohl Genehmigungsvoraussetzungen als auch Ausübungsvorschriften. Rechtstechnisch drückt die AOCV dies grundsätzlich593 so aus, dass immer dann, wenn das „Unternehmen“ genannt ist, es sich um eine Genehmigungsvoraussetzung handelt, wenn die AOCV vom Luftfahrtunternehmen spricht, eine Ausübungsvorschrift normiert ist. Gemäß § 2 Abs 1 AOCV haben die Unternehmen ihren Betrieb nach den Bestimmungen der AOCV sowie entsprechend den Regelungen der JAR-OPS 1 bzw JAR-OPS 3594 durchzuführen. Ein AOC darf nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen der AOCV und der JAR-OPS 1 bzw JAR-OPS 3 einschließlich der von den Joint Aviation Authorities festgelegten Interpretationen und Erläuterungen (Section 2) erfüllt sind (§ 1 Abs 2 AOCV) und die Interessen der Sicherheit der Luftfahrt nicht entgegenstehen (§ 1 Abs 4 AOCV). Neben Regelungen über die Organisation von Luftfahrtunternehmen (§ 5 AOCV), Manuals (§ 8 AOCV), flugbetriebliches Personal (§ 13 AOCV), die technische Organisation (§ 17 AOCV) und Luftfahrzeuge (§ 18 AOCV) verweist die AOCV daher in erster Linie auf die „JAR-OPS“, welche im Folgenden dargestellt werden.
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BGBl II 2004/425 idF BGBl II 2006/206. In ihrer Stammfassung (BGBl II 1998/181) drückte dies Verordnungsgeber noch klarer durch unterschiedliche Definitionen aus: So war das „Unternehmen“ definiert als ein „Lufttransportunternehmen, für welches ein Luftverkehrsbetreiberzeugnis ausgestellt werden soll“ (§ 2 Z 1 AOCV 1998). Ein Luftfahrtunternehmen im Sinn der Verordnung hingegen ist ein „Lufttransportunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung“. Auch wenn sich die Definitionen nicht mehr explizit in der AOCV 2004 finden, unterscheidet der Verordnungsgeber weiterhin beide Begriff, sodass dieses Ergebnis auf Grund eine systematischen Interpretation weiterhin anzunehmen ist, soweit Wortlaut und Zweck der Bestimmung nicht anderes indizieren. Zu den JAR gleich unten bei II.C.2.a).
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2. Exkurs: Harmonisierung der technischen Vorschriften und Einrichtung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit a) Von den JAR zu den EU-OPS Auch im Bereich der technischen Vorschriften und Verwaltungsverfahren für die Sicherheit der Luftfahrt ist die Gemeinschaft um eine Harmonisierung bemüht. Ein erster Schritt dahingehend wurde bereits mit der V (EWG) Nr 3922/91 zur Harmonisierung der technischen Vorschriften und der Verwaltungsverfahren in der Zivilluftfahrt595 unternommen. Die V greift auf die im Rahmen der Joint Aviation Authorities (JAA)596, einer Organisationseinheit der European Civil Aviation Conference (ECAC), entwickelten Standards, die so genannten Joint Aviation Reqirements (JAR), zurück. Das Grundproblem der JAR - aus dem Blickwinkel des Binnenmarktes betrachtet liegt in deren Unverbindlichkeit, sodass durch unterschiedliche Übernahme der JAR in den einzelnen Mitgliedstaaten weiterhin uneinheitliche Standards bestanden. Um dem entgegenzusteuern, wurden daher in einem ersten Schritt mit der V (EWG) Nr 3922/91 bestimmte, im Anhang II der V aufgezählte JAR für verbindlich erklärt und damit zum unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrecht. Im Zuge der Neuordnung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften für die Zivilluftfahrt im Allgemeinen597 wurde allerdings der Anhang II durch die V (EG) Nr 1592/2002598 aufgehoben. Die V (EWG) Nr 3922/91 stellt in der geltenden Fassung einen Torso dar, weil Art 1 der V noch immer auf einen Anhang II verweist, den es nicht mehr gibt.
Im Zuge der Diskussion um die Aufnahme der für den Betrieb von Luftfahrzeugen im gewerblichen Luftverkehr wichtigsten JAR, die JAR-OPS 1, welche 1995 von den JAA angenommen wurden, stellte sich jedoch heraus, dass eine direkte Übernahme der JAR-OPS 1, in den Anhang zur V (EWG) Nr 3922/91 nicht ohne Anpassungen möglich ist.599 Die Kommission hat daher vorgeschlagen, die JAR-OPS 1 zwar in die V (EWG) Nr 3922/91 zu übernehmen, die V aber durch einen neuen Anhang III zu ergänzen, in welchem die notwendigen Anpassungen der JAR-OPS 1 an das Gemeinschaftsrecht vorgenommen werden (so genannte EU-OPS).600 Über den Vorschlag wird seither heftig diskutiert, wobei einer der Knackpunkte die Regelung für die Begrenzung der Flugdienstzeiten war, über den, wie über den restlichen Inhalt des Vorschlags, mittlerweile in einem gemeinsamen Standpunkt eine Einigung erzielt werden konnte.601 Es ist daher zu erwarten, dass eine Harmonisierung der technischen Vorschriften für den ge595 596
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Abl L 373/4 idF V (EG) Nr 1592/2002, Abl L 240/1; vgl die Kommentierung der V (EG) Nr 1592/2002 durch Stiehl, 111. Ausführlich Stiehl, 111, Rz 7 ff. Die JAA sind ein Zusammenschluss der nationalen Luftfahrtverwaltungen von 37 europäischen Ländern, einschließlich der 25 EU-Mitgliedstaaten, der zur Harmonisierung der von ihnen angewandten Vorschriften zur Reglementierung der Flugsicherheit geschaffen wurden. Dazu gleich unten bei II.C.2b). FN 595. KOM (2000) 121, Z 3. Vorschlag der Kommission zur Änderung der V (EWG) Nr 3922/91, KOM (2000) 121. Vgl die Mitteilung der Kommission, KOM (2006) 128 und Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr 9/2006, Abl C 179E/1.
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werblichen Luftverkehr im Rahmen so genannter EU-OPS in absehbarer Zeit gelingen wird. b) Eine europäischen Regulierungsbehörde: Die Europäische Agentur für Flugsicherheit Die eben beschriebene Harmonisierung im Rahmen der V (EWG) Nr 3922/91 betrifft, soweit über die EU-OPS Einigung erzielt werden kann, nur den gewerblichen Luftverkehr [Anhang II der V (EWG) Nr 3922/91 wurde aufgehoben]. Es zeigte sich jedoch auch, dass der mit der V (EWG) Nr 3922/91 geschaffene Rechtsrahmen für die Harmonisierung technischer Vorschriften nicht sachadäquat ist, weil weder eine wirksame und zeitnahe Annahme bzw Änderung der JAR sichergestellt ist, noch die V die erforderliche Flexibilität bietet.602 Um dies zu vermeiden, wurde mit der V (EG) Nr 1592/2002603 ein neuer Rechtsrahmen für die Harmonisierung technischer Vorschriften für die Zivilluftfahrt im Allgemeinen geschaffen, der nicht auf den gewerblichen Luftverkehr beschränkt ist. Seitdem verfügt die Gemeinschaft über eine ausschließliche Zuständigkeit auf dem Gebiet der Lufttüchtigkeit und der Umweltverträglichkeit von Luftfahrterzeugnissen, Teilen und Ausrüstungen. Diese müssen ebenso wie die mit der Konstruktion, Herstellung oder Instandhaltung befassten Stellen künftig den von der Kommission auf Grundlage von Art 5 Abs 4 oder Art 6 Abs 3 V (EG) Nr 1592/2002 festgelegten einheitlichen und verbindlichen Vorschriften entsprechen. Solche einheitliche Vorschriften wurden bisher von der Kommission mit den V (EG) Nr 1702/2003 über die Erteilung von Lufttüchtigkeits- und Umweltzeugnissen für Luftfahrzeuge und zugehörige Erzeugnisse, Teile und Ausrüstungen sowie für die Zulassung von Entwicklungs- und Herstellungsbetrieben604 und der V (EG) Nr 2042/2003 über die Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit von Luftfahrzeugen und luftfahrttechnischen Erzeugnissen, Teilen und Ausrüstungen und die Erteilung von Genehmigungen für Organisationen und Personen, die diese Tätigkeit ausführen605, erlassen.
Mit Kapitel III der V (EG) Nr 1592/2002 wurde nach dem Vorbild der US Federal Aviation Administration606 eine europäische Regulierungsbehörde, die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA), eingerichtet.
Die EASA stellt der der Kommission das erforderliche Fachwissen zur Verfügung und unterstützt sie insbesondere bei der Ausübung ihrer Legislativ- und Kontrollfunktionen. Die EASA richtet außerdem ein Marktüberwachungssystem ein, um die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu kontrollieren, seine Auswirkungen zu bewerten und zweckdienliche Vorschläge zu unterbreiten. Die Zulassungen bzw Zeugnisse und Genehmigungen, die die Übereinstimmung der Luftfahrterzeugnisse und der Organisationen mit dem Gemeinschaftsrecht bestätigen, werden entweder von der EASA oder von den zuständigen nationalen Behörden erteilt. So ist die EASA für die Zertifizierung des 602
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Pkt 1.1.3 der Begründung eines Vorschlags der Kommission für eine Verordnung zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit, KOM (2000) 595. FN 595. Abl L 243/6. Abl L 315/1. Pkt 1.1.6 der Begründung des Vorschlags der Kommission, FN 602.
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Erzeugnistyps und für die in Drittstaaten ansässigen Organisationen zuständig, während die nationalen Behörden die einzelnen Zulassungen bzw Zeugnisse und die Genehmigungen erteilen.
Zuständige nationale Behörde Österreichs iSd genannten Vorschriften ist gemäß § 24a LFG die Austro Control GmbH. Gegen Entscheidungen der EASA nach Art 15 über Lufttüchtigkeits- und Umweltzeugnisse, Art 46 über Untersuchungen in Unternehmen und Art 53 über vorzuschreibende Gebühren ist gemäß Art 35 eine Beschwerde an die auf Grund der Art 31 ff V (EG) Nr 1592/2002 eingerichteten Beschwerdekammern zulässig. Gegen die Entscheidungen der Beschwerdekammern kann gemäß Art 41 V (EG) Nr 1592/2002 wiederum Klage beim Gerichtshof nach Maßgabe des Art 230 EG-Vertrag erhoben werden.
3. Die Genehmigungsvoraussetzungen der V (EWG) Nr 2407/92 a) Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft: EG-Klausel Die Liberalisierung des Luftverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten der EG inmitten eines auf Reziprozität beruhenden globalen Marktes, erfordert die Abschottung des liberalisierten Binnenmarkts von Drittstaatsunternehmen. Anderenfalls hätte dies eine einseitige Öffnung des EG-Luftverkehrsmarktes bedeutet, dem keine entsprechende Gegenleistung in Form einer Marktöffnung der Drittstaaten zugunsten der EG gegenüber gestanden wäre.607 Dieser Absicherung des gemeinsamen Marktes dient der Begriff vom Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, das ist ein Luftfahrtunternehmen, dem eine Betriebsgenehmigung nach der V (EWG) Nr 2407/92 erteilt worden ist [Art 2 lit b V (EWG) Nr 2408/92]. Nach der Art 4 Abs 1 V (EWG) Nr 2407/92 müssen sich die Hauptniederlassung und, soweit vorhanden, der eingetragene Sitz des Unternehmens in ein und demselben Mitgliedstaat [arg: „diesem Mitgliedstaat“ Art 4 Abs 1 lit a V (EWG) Nr 2407/92] der Gemeinschaft befinden. Das Anknüpfen an den Sitz bildet gleichzeitig eine gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift zur Führung der fachbehördlichen Aufsicht (Prinzip der Herkunftslandskontrolle608). Nach Art 4 Abs 2 V (EWG) Nr 2407/92 muss sich das Unternehmen dauernd im Mehrheitseigentum („substantial ownership“) und unter der tatsächlichen Kontrolle („effective control“)609 von Gemeinschaftsbürgern oder der Mitgliedstaaten selbst befinden. Dies gilt gemäß Art 4 Abs 4 V (EWG) Nr 2407/92
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Niejahr, 51, Rz 42. Wie die Kommission in der Entscheidung Swissair/Sabena ausführt, sollen diese Beschränkungen gewährleisten, dass die im Rahmen der Luftverkehrsabkommen gegenseitig gewährten (und nunmehr innerhalb des Binnenmarktes garantierten) Verkehrsrechte tatsächlich zum Nutzen der Beteiligten ausgeübt werden und weder direkt noch über Tochtergesellschaften Unternehmen aus Drittländern zugute kommen [Entscheidung 95/404/EG der Kommission, Abl L 239/19 (23 f); im Folgenden Entscheidung Swissair/Sabena]. Danach ist grundsätzlich die Sitzlandsbehörde zur Überwachung der gemeinschaftsweiten Tätigkeit der in ihrem Zuständigkeitsbereich zugelassenen Luftfahrtunternehmen zuständig; vgl Schäffer, Rz 531. Der Begriff „tatsächliche Kontrolle“ ist irreführend, weil naturgemäß auch diese tatsächliche Kontrolle eine rechtliche ist, kann sie doch auch nur über Verträge und sonstige Rechtsverhältnisse ausgeübt werden. Der englische Begriff der „effective control“ ist wesentlich präziser.
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auch für Unternehmen, die unmittelbar oder mittelbar einen Anteil am maßgeblichen Aktienbesitz an einem Luftfahrtunternehmen halten610. Nach der Kommission611 ist der Begriff des Eigentums im Sinne der V am Begriff des Beteiligungskapitals612 orientiert. Beteiligungskapitalgeber haben in der Regel das Recht auf Teilhabe an den Entscheidungen zur Geschäftsführung des Unternehmens sowie auf Teilhabe am erwirtschafteten Gewinn oder, bei dessen Auflösung, an den nach Erfüllung aller Verbindlichkeiten verbleibenden Vermögenswerten613. Durch Vereinbarung der Anteilseigner kann eine Zuordnung zum Begriff des Eigentums im Sinne des Art 4 Abs 2 V (EWG) Nr 2407/92 jedoch ausgeschlossen werden, wenn vereinbart wird, dass das Kapital den Kapitalgebern keines der vorgenannten Rechte in merklichem Ausmaß verleiht. Diesfalls können derartige Anteile bei der Beurteilung der Eigentumsverhältnisse an einem Unternehmen für die Zwecke der V (EWG) Nr 2407/92 außer Betracht bleiben. So hat die Kommission etwa im Swissair-Sabena-Vertrag vorgesehene nicht stimmberechtigte und nicht liquidationserlösbeteiligte Sonderanteilsscheine als nicht „eigentumsvermittelnd“ im Sinne der V (EWG) Nr 2407/92 gewertet614.
Art 2 lit g V (EWG) Nr 2407/92 definiert den Begriff der tatsächlichen Kontrolle als eine Beziehung, die durch Rechte, Verträge oder andere Mittel, die einzeln oder zusammen und unter Berücksichtigung der tatsächlichen oder rechtlichen Umstände die Möglichkeit bietet, unmittelbar oder mittelbar bestimmenden Einfluss auf das Unternehmen auszuüben, und zwar insbesondere • durch das Recht, die Gesamtheit oder Teile des Vermögens des Unternehmens zu nutzen oder • durch Rechte und Verträge, die einen bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung, das Abstimmungsverhalten oder Beschlüsse der Organe des Unternehmens, oder in einer anderen Weise einen bestimmenden Einfluss auf die Führung des Geschäfts des Unternehmens gewähren. Für die Auslegung des Begriffes der tatsächlichen Kontrolle iSd V (EWG) Nr 2407/92 ist mE eine teleologische Interpretation615 maßgeblich. Die Anforderungen des mehrheitlichen Gemeinschaftseigentums und der tatsächlichen Kontrolle gelten auch für alle an einem Luftfahrtunternehmen beteiligten „Unternehmen“616, die unmittelbar oder mittelbar einen Anteil am
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Der Begriff „maßgeblicher Aktienbesitz“ ist in Zusammenhang mit dem Erfordernis tatsächlicher Kontrolle zu lesen, sodass jener Aktienbesitz der maßgebliche ist, der dem Anteilseigner tatsächliche Kontrolle über das Luftfahrtunternehmen im Sinne der V (EWG) Nr 2407/92 ermöglicht. Damit verwirft die Verordnung die völkerrechtliche Sitztheorie. Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft wird in jedem Fall mittels Durchgriff auf die dahinterstehenden natürlichen Personen oder Mitgliedstaaten ermittelt. Entscheidung Swissair/Sabena, FN 607, 24 f. Niejahr, 51, Rz 44. Vgl die Entscheidung 94/653/EG der Kommission über die angemeldete Kapitalerhöhung der Air France, Abl L 254, 73 (84). Entscheidung Swissair/Sabena, FN 607, 24 f. Zweck der EG-Klausel ist es, zu verhindern, dass sich die tatsächliche Kontrolle an den in der Gemeinschaft niedergelassenen Unternehmen in Händen von Drittstaatsunternehmen befindet und auf diese Weise der bilaterale Austausch durch Luftverkehrsabkommen umgangen wird; vgl Niejahr, 51, Rz 49. Also nicht allein Luftfahrtunternehmen; vgl den meines Erachtens auch hier maßgeblichen weiten Unternehmensbegriff des Art 2 lit a V (EWG) Nr 2407/92.
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maßgeblichen Aktienbesitz617 eines Luftfahrtunternehmens halten [Art 4 Abs 4 V (EWG) Nr 2407/92]. b) Haupttätigkeit gewerblicher Luftverkehr Die Haupttätigkeit des Unternehmens muss gewerblicher Luftverkehr sein [Art 4 Abs 1 lit b V (EWG) Nr 2407/92] entweder allein oder in Zusammenhang mit jeder sonstigen Form des gewerblichen Betriebes von Luftfahrzeugen oder der Instandsetzung und Wartung von Luftfahrzeugen618. c) Relative Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung Die Behörde hat im Rahmen des Genehmigungsverfahrens die Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung anhand der Kriterien des Art 6 Abs 1 V (EWG) Nr 2407/92 zu prüfen, wobei die Begriffe Insolvenz, strafbare Handlungen und standeswidriges Verhalten als demonstrative Aufzählung von Kriterien zu verstehen sind, welche die relative Zuverlässigkeit näher beschreiben. Dabei wird die Behörde unter Ermessensübung im Sinne der genannten Bestimmung eine wertende Gesamtbetrachtung vornehmen müssen, weil die demonstrativ aufgezählten Beispiele nicht den Charakter absoluter Ausschlussgründe haben. Hinsichtlich der Anerkennung von Nachweisen über persönliche Anforderungen an die Personen, „die auf Dauer die tatsächliche Leitung des Unternehmens übernehmen“, ist die Behörde relativ frei.619 d) Wirtschaftlich-finanzielle Ausstattung Ein Luftfahrtunternehmen, das einen erstmaligen Antrag620 auf Erteilung einer Betriebsgenehmigung stellt, muss den zuständigen Genehmigungsbehörden nachweisen können, dass es unter realistischen Annahmen seinen derzeitigen und künftigen Verpflichtungen während eines Zeitraumes von 24 Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit jederzeit nachkommen kann [Art 5 Abs 1 lit a V (EWG) Nr 2407/92] und für die ermittelten fixen und variablen Kosten der Tätigkeit innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit ohne Berücksichtigung von Betriebseinnahmen aufkommen kann [Art 5 Abs 1 lit b V (EWG) Nr 2407/92]. Der Nachweis der Erfüllung der in Art 5 V (EWG) Nr 2407/92 angeführten Voraussetzungen ist durch Vorlage eines Wirtschaftsplanes, der mindestens die ersten beiden Jahre der Tätigkeit erfassen muss, zu erbringen. Daraus haben alle finanziellen Verflechtungen zwischen dem Antragsteller und anderen Unternehmen, die sonstige ge617
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Die Bestimmung ist bloß eine wiederholende Klarstellung, denn kann ein an einem Luftfahrtunternehmen maßgeblich beteiligtes Unternehmen die Voraussetzungen des Art 4 Abs 4 V (EWG) Nr 2407/92 nicht erfüllen, weil es unter Drittstaatsbeherrschung steht, so steht das Luftfahrtunternehmen selbst mittelbar unter tatsächlicher Kontrolle von Drittstaatsangehörigen, was schon auf Grund von Art 4 Abs 2 iVm Art 2 lit g V (EWG) Nr 2407/92 unzulässig ist. Niejahr, 51, Rz 40. Näher Resch, 139 f. Der Begriff „erstmaliger Antrag“ ist ein Pleonasmus, weil ein Antrag auf Erteilung einer Betriebsgenehmigung in jedem Fall erstmalig gestellt wird. Will man dies dem Gemeinschaftsgesetzgeber nicht zusinnen, ist der Begriff „erstmaliger Antrag“ so auszulegen, dass damit Neubewerber und bestehende Unternehmen unterschieden werden. Vgl auch Niejahr, 51, Rz 68 ff.
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werbliche Tätigkeiten ausüben und an denen Antragsteller direkt oder über verbundene Unternehmen beteiligt ist, hervorzugehen [Art 5 Abs 2 V (EWG) Nr 2407/92]. Die Angaben haben ferner alle sachdienlichen Auskünfte, insbesondere jene, die im Abschnitt A des Anhanges der V genannt sind, zu umfassen. Aufgrund der Angaben des Antragstellers hat die Behörde zu prüfen, ob die Annahmen des Wirtschaftplans realistisch sind und andererseits, ob die Vorgaben des Art 5 Abs 1 V (EWG) Nr 2407/92 eingehalten werden.
Für Luftfahrtunternehmen, die ausschließlich Luftfahrzeuge unter zehn Tonnen Starthöchstgewicht oder mit weniger als 20 Sitzplätzen einsetzen, gilt hinsichtlich der wirtschaftlich-finanziellen Anforderungen grundsätzlich ein vereinfachtes Genehmigungsregime [Art 5 Abs 7 lit a V (EWG) Nr 2407/92]. Die Behörde kann jedoch auch für diese Unternehmen den Nachweis der Erfüllung der herkömmlichen Genehmigungskriterien vorschreiben, wenn ein Unternehmen Fluglinienverkehr betreibt oder einen Umsatz von jährlich mehr als EUR 3 Mio erwirtschaftet. e) Mindestens ein Luftfahrzeug Die Mitgliedstaaten dürfen nicht vorschreiben621, dass das Unternehmen Eigentümer von Luftfahrzeugen sein muss. Allerdings muss das Unternehmen gemäß Art 8 Abs 1 V (EWG) Nr 2407/92 über mindestens ein Luftfahrzeug, entweder als Eigentümer oder auf Grund eines Leasingvertrages, verfügen. Die eingesetzten Luftfahrzeuge müssen in ein Luftfahrzeugregister eines Mitgliedstaates eingetragen sein. Jeder zur Erteilung einer Betriebsgenehmigung zuständige Mitgliedstaat kann - mit gewissen Einschränkungen für geleaste Luftfahrzeuge622 - gemäß Art 8 Abs 2 lit a V (EWG) Nr 2407/92 wahlweise die Eintragung im nationalen Register verlangen623 oder sich mit der Eintragung im Register eines anderen Mitgliedstaates begnügen und diese wie eine Eintragung in sein Register werten. f) Haftpflichtversicherung und Haftung der Luftfahrtunternehmen Nach Art 7 V (EWG) Nr 2407/92 muss das Luftfahrtunternehmen gegen die im Rahmen seiner Haftpflicht zu ersetzenden Schäden, insbesondere an Fluggästen, Gepäck, Fracht, Post und Dritten versichert sein. Grundlage des internationalen Luftfahrzeughaftpflichtrechts624 war lange Zeit das Abkommen zu Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 12. 10. 1929, das so genannte „Warschauer Abkommen“625 samt Zusatzabkommen. Das Warschauer Abkommen wurde auf der im Rahmen der ICAO abgehaltenen Konferenz von Montreal zu Gänze durch ein neues Abkommen ersetzt, das nunmehr die Grundlage des internatio621
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Die Mitgliedstaaten könnten dies etwa auf Grund ihrer Zuständigkeit zur Regelung der Voraussetzungen für das Luftverkehrsbetieberzeugnis nach Art 9 Abs 2 AOCV anordnen. Niejahr, 51, Rz 94 ff. Nach Niejahr (Niejahr, 51, Rz 93) machen alle Mitgliedstaaten davon Gebrauch, die Eintragung im jeweiligen nationalen Register zu verlangen. Vgl Stefula, Haftung für Personenschäden an Fluggästen, ecolex 2000, 569 ff. BGBl 1961/286; zur Entwicklung vgl die Erläuterungen zur RV LFG-Novelle 2006, 1429 BlgNR 22.GP.
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nalen Luftfahrzeughaftpflichtrechts bildet626, das Abkommen wurde als gemischtes Abkommen iSd Art 300 EG-Vertrag geschlossen. Innerhalb der Gemeinschaft wurde das Haftpflichtrecht für Luftfahrtunternehmen mit der V (EG) Nr 2027/97627 harmonisiert. Mit der V (EG) Nr 785/2004628 wurden weiters die Vorgaben für Luftfahrtversicherungsverträge harmonisiert. Das österreichische Haftpflichtrecht für Luftfahrtunternehmen wurde mit der LFG-Novelle 1997, BGBl I 1997/102, an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben angepasst und in das LFG eingebaut629 und mit BGBl I 2006/88 neuerlich an die geänderten internationalen und gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften angepasst.
D. Verfahren zur Erteilung der Betriebsgenehmigung 1. Zuständiger Mitgliedstaat Das System der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen für den gewerblichen Luftverkehr geht davon aus, dass jedem Unternehmen nur eine Betriebsgenehmigung zu erteilen ist, auf Grund der das Unternehmen Verkehrsrechte innerhalb des gemeinsamen Marktes ausüben darf (Prinzip der single licence). Der Anknüpfungspunkt gemäß Art 4 Abs 1 lit a V (EWG) Nr 2407/92 ist der Ort, wo sich die Hauptniederlassung und der eingetragene Sitz des Unternehmens in diesem Mitgliedstaat befinden.630
2. Zuständige österreichische Behörde und Besonderheiten des Genehmigungsverfahrens a) Zuständige österreichische Behörde und anzuwendendes Verfahren Der Verkehrsminister ist die sachlich und örtlich allein zuständige Behörde für die Erteilung einer Betriebsgenehmigung an Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft mit Sitz (oder Hauptniederlassung) in Österreich (§ 102 Abs 2 LFG. b) Beschwerde an die Kommission Nach Art 13 Abs 3 V (EWG) Nr 2407/92 kann ein Luftfahrtunternehmen, dessen Antrag auf Erteilung einer Betriebsgenehmigung abgelehnt (abgewiesen oder zurückgewiesen) worden ist, die Kommission anrufen. Gelangt die Kommission zur Auffassung, dass die Anforderungen dieser V nicht erfüllt worden sind, weil die Anforderungen durch die Behörde falsch angewendet wurden, äußert sie sich, unbeschadet der Möglichkeit zur Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens, zur richtigen Auslegung der V. 626
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Beschluss des Rates 2001/539/EG zur Genehmigung des Montrealer Abkommens, Abl L 194/38. Näher samt Abdruck des Textes des Abkommens Müller/Rostin, Diplomatische Konferenz über die Modernisierung des Warschauer Abkommens, ZLW 1999, 324 ff. Abl L 285/1 idF V (EG) Nr 889/2002, Abl L 140/2. Abl L 138/1. Das Haftpflichtrecht für den Betrieb von Luftfahrzeugen war bis dahin in den §§ 19 bis 30 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) dRGBl 1936 I 653 (GBlÖ 1938/62), geregelt. Niejahr, 51, Rz 38.
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Nach Mitteilung der Äußerung der Kommission hat die Behörde zwei Wahlmöglichkeiten: Ist sie der Meinung, dass die Auslegung der Kommission richtig ist, hat sie den Bescheid nach § 68 Abs 2 AVG aufzuheben. Ist die Behörde aber der Ansicht, dass die Auslegung der Kommission nicht zutreffend ist, so belässt sie es bei ihrer Entscheidung. Aus der Verpflichtung zur redlichen Zusammenarbeit, wie sie die Beziehungen der Mitgliedstaaten zueinander allgemein prägen631 und aus der besonderen Anordnung des Art 18 Abs 1 V (EWG) Nr 2407/92, dass die Mitgliedstaaten und die Kommission bei Durchführung der V zusammenarbeiten, ergibt sich die Verpflichtung der Behörde, der Kommission mitzuteilen, dass und aus welchen Gründen sie bei ihrer Entscheidung bleibt.
Die Erhebung einer Beschwerde nach Art 13 Abs 3 V (EWG) Nr 2407/92 ist jedoch keine Prozessvoraussetzung für Beschwerden vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts.632
c) Veröffentlichung der Einleitung von Genehmigungsverfahren Die Einleitung eines Genehmigungsverfahrens ist vom Mitgliedstaat kundzumachen und die Kommission davon zu unterrichten. Entscheidungen der Mitgliedstaaten über die Erteilung oder auch den Widerruf von Betriebsgenehmigungen sind im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften kundzumachen.
III. Ausübungsvorschriften A. Vielzahl relevanter Rechtsvorschriften Ausübungsvorschriften für die Tätigkeit der Luftfahrtunternehmen sind über zahlreiche Rechtsquellen verstreut. Zu den Ausübungsvorschriften zählen auch Regelungen über den Marktzugang und Tarifkontrolle, welche jedoch erst im Abschnitt „Wettbewerbsregulierung“ dargestellt werden. Neben der Grundsatzbestimmung des § 134 LFG sind die den Flugbetrieb ieS regelnden Ausübungsvorschriften über Flugscheine, Manuals, Kenntnisse des flugbetrieblichen Personals sind in der AOCV633 geregelt. Neben den Vorschriften der AOCV bestehen zahlreiche Vorschriften für die Beförderung besonderer Güter, wie etwa für Gefahrguttransporte nach den Vorschriften des Gefahrgutbeförderungsgesetzes oder für den Transport von Tieren nach dem TiertransportG-Luft634.
B. Leasing von Luftfahrzeugen 1. Staatszugehörigkeit geleaster Luftfahrzeuge Gegenstand luftverkehrsrechtlicher Vorschriften für das Leasing von Luftfahrzeugen liegt in der Regelung der Fragen der grenzüberschreitenden Gebrauchsüberlassung von Luftfahrzeugen, wenn ein in einem bestimmten Staat eingetra-
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EuGH, Rs C-65/93, Slg 1995, I-643 (668). Resch, 157 f. FN 592; zur Unterscheidung von Genehmigungsvoraussetzungen und Ausübungsvorschriften in der AOCV siehe FN 593. BGBl 1996/152 idF BGBl I 2002/32.
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genes Luftfahrzeug von einem Luftfahrtunternehmen eines anderen Staates entgeltlich oder unentgeltlich genützt wird. In aller Regel fallen Staatszugehörigkeit des Luftfahrzeuges635 und Staatszugehörigkeit des jeweiligen Unternehmens636 zusammen. Für jene Fälle aber, in denen ein österreichisches Luftfahrtunternehmen im Ausland zugelassene Luftfahrzeuge einsetzt, bedarf es besonderer Ausübungsvorschriften, weil die österreichische Genehmigungsbehörde zwar die Verantwortung für die Sicherheit des im Betrieb eines österreichischen Luftfahrtunternehmens eingesetzten Luftfahrzeuges trägt, ihr aber selbst die Ingerenzmöglichkeiten des Registrierstaates für Luftfahrzeuge fehlen.
Zur Einhaltung der Sicherheitsstandards und Verantwortlichkeit ist daher nach Art 10 Abs 1 V (EWG) Nr 2407/92 sowohl für die Gebrauchsüberlassung von Luftfahrzeugen an andere Unternehmen als auch für die Übernahme zum Gebrauch von Luftfahrzeugen anderer Unternehmen (auch Drittstaatsunternehmen)637 eine Bewilligung der Genehmigungsbehörde erforderlich.
2. Gebrauchsüberlassung von Luftfahrzeugen durch österreichische Luftfahrtunternehmen § 10 Abs 1 AOCV bindet jede „Weitergabe“ eines im Betrieb eines österreichischen Luftfahrtunternehmens eingesetzten Luftfahrzeuges an die Bewilligung der Genehmigungsbehörde. Die Vermietung eines im Betrieb eines Luftfahrtunternehmens eingesetzten Luftfahrzeuges mit Turbinenantrieb an Betriebsfremde, die nicht im Besitz einer Betriebsgenehmigung sind, ist generell unzulässig.
3. Übernahme fremder Luftfahrzeuge durch österreichische Luftfahrtunternehmen zum Gebrauch Hinsichtlich der Genehmigung der Gebrauchsübernahme unterscheidet die AOCV zwischen Gebrauchsüberlassung eines Luftfahrzeuges eines fremden Unternehmens einschließlich dessen Besatzung (wet lease) und Gebrauchsüberlassung ohne Besatzung (dry lease)638. Die Verwendung eines „wet“ geleasten Luftfahrzeuges ist nach § 9 Abs 2 AOCV nur zur Deckung eines vorübergehenden Bedarfs und weiters nur dann zulässig, wenn das verleasende Unternehmen im Besitz eines entsprechenden Luftverkehrsbetreiberzeugnisses ist und nachgewiesen wird, dass der in Frage kommende Halter oder Eigentümer die flugbetriebliche und wartungstechnische Verantwortung bei der Durchführung des Betriebes trägt. Zur Verwendung eines „dry“ geleasten Luftfahrzeuges ist der Be635 636 637
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Die Staatszugehörigkeit eines zivilen Luftfahrzeuges folgt der Eintragung in das jeweilige Luftfahrtregister (Art 17 ICAO-Abkommen und § 15 Abs 1 LFG). Die Staatszugehörigkeit des Unternehmens folgt auch innerhalb der Gemeinschaft der Zuständigkeit zur Erteilung der Betriebsgenehmigung. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat mE den weiten Begriff des Unternehmens [Art 2 lit a V (EWG) Nr 2407/92] gewählt, weil er bewusst die Gebrauchsüberlassung von und an Drittstaatsunternehmen zulassen wollte [10. Erwägungsgrund Art 2 lit a V (EWG) Nr 2407/92]. Hätte der Gesetzgeber den Begriff des Luftfahrtunternehmens [Art 2 lit b Art 2 lit a V (EWG) Nr 2407/92] gewählt, wäre mE das Leasen von Drittstaatsunternehmen unzulässig. Die Möglichkeit, von Drittstaatsunternehmen zu leasen oder auch an diese zu verleasen, wird durch das Erfordernis der Eintragung in ein mitgliedstaatliches Register [Art 8 Abs 2 lit a Art 2 lit a V (EWG) Nr 2407/92] jedoch praktisch erheblich eingeschränkt. Niejahr, 51, Rz 90.
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hörde gemäß § 9 Abs 3 AOCV zunächst die ausschließliche Halterschaft des ausländischen Unternehmens am in Rede stehenden Luftfahrzeug nachzuweisen. Ferner, dass die flugbetriebliche und technische Verantwortung uneingeschränkt vom dry-leasenden Luftfahrtunternehmen getragen wird, Flugbetrieb und Instandhaltung der behördlichen Aufsicht der obersten Zivilluftfahrtbehörde unterliegen und die ausländische Behörde dieser Vorgangsweise zustimmt (§ 9 Abs 3 AOCV).
C. Behördliche Bewilligung von Code-Sharing Code-Sharing-Übereinkommen sind Verträge zwischen Luftfahrtunternehmen, in denen vereinbart wird, dass die Passagiere oder Fracht eines Unternehmens unter Verwendung des eigenen Designierungscodes durch ein anderes Luftfahrtunternehmen befördert werden, welches die alleinige Verantwortung für die Durchführung des Fluges behält. Während Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft auf Flügen innerhalb des gemeinsamen Marktes ohne weiteres ihre Flugdienste betrieblich verbinden und die gleiche Flugnummer verwenden dürfen (Code-Sharing), bedarf die Durchführung von Linienflügen im Drittstaatsverkehr auf der Grundlage von Code-Sharing-Übereinkommen, einer luftverkehrsbehördlicher Bewilligung, soweit die Luftverkehrsabkommen nicht anderes bestimmen. Zum Schutz der Konsumenten ordnet Art 11 V (EG) Nr 2111/2005639 allerdings nun an, dass die Luftfahrtunternehmen ihre Kunden schon bei der Buchung über die Identität des tatsächlich ausführenden Unternehmens zu informieren haben.
D. Vorschriften für Entschädigungen bei Verspätungen, Nichtbeförderung oder Annullierung von Flügen Gemäß Art 14 V (EG) Nr 261/2004 („ÜberbuchungsV“)640 haben Luftfahrtunternehmen ihre Fluggäste beim Abflug klar lesbar über die ihnen auf Grund der V (EG) Nr 261/2004 zukommenden Rechte betreffend Ausgleichsleistungen und sonstige Ansprüche der Passagiere im Falle der Nichtbeförderung gegen ihren Willen, Annullierung des Flugs und Verspätung des Flugs zu informieren. Die Ansprüche aus der V selbst sind zivilrechtlicher Natur.
IV. Fachbehördliche Aufsicht über Luftfahrtunternehmen A. Allgemeine Gegenstände und Mittel fachbehördlicher Aufsicht über Luftfahrtunternehmen Luftfahrtunternehmen als Träger einer volkswirtschaftlichen Schlüsselbranche unterliegen staatlicher Wirtschaftsaufsicht641. Dem Prinzip der Single-Licence im Genehmigungsverfahren642 folgend, wird die gesamte Geschäftstätigkeit 639 640
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Abl L 344/15. Abl L 46/1. Vgl dazu das von der IATA angestrengte Verfahren gegen die Bestimmungen der Verordnung und die Entscheidung des EuGH vom 10.1.2006, Rs 344/04, The Queen/Department for Transport. Schäffer, Rz 514 ff. Zum Single-Licence-Prinzip siehe oben Teil II Kap 4, II.B.1.
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innerhalb des EWR nur noch von der Aufsichtsbehörde jenes Mitgliedstaates überwacht, in welchem das Unternehmen zugelassen ist (Prinzip der Herkunftslandskontrolle)643. Aufsichtsbehörde über in Österreich genehmigte Luftfahrtunternehmen iSd V (EWG) Nr 2407/92 ist gemäß § 141 Abs 1 LFG grundsätzlich die für die Erteilung der Genehmigung zuständige Behörde, sohin der Verkehrsminister (§ 102 Abs 2 LFG). In Angelegenheiten des Flugbetriebes und in technischen Angelegenheiten unterliegen die Luftfahrtunternehmen allerdings der Aufsicht der Austro Control GmbH (§ 141 Abs 1 letzter Satz LFG). Luftfahrtunternehmen haben gemäß § 141 Abs 2 LFG der Aufsichtsbehörde jede im Interesse der Verkehrssicherheit oder der Luftverkehrsstatistik erforderliche Auskunft über ihren Betrieb zu erteilen, Kapitalgesellschaften haben gemäß § 141 Abs 4 LFG alle Haupt-, Generalversammlungen und Aufsichtsratssitzungen der Aufsichtsbehörde rechtzeitig bekannt zu geben. Die Aufsichtsbehörde ist gemäß § 141 Abs 5 LFG berechtigt, zu den gerade angeführten Versammlungen und Sitzungen einen rechtskundigen Vertreter zu entsenden, der an den Sitzungen mit beratender Stimme teilnehmen und alle erforderlichen Aufklärungen verlangen kann, die zur Beurteilung der vorgesehenen Beschlüsse erforderlich sind und dergleichen mehr.
B. Besondere Gegenstände und Mittel fachbehördlicher Aufsicht über Luftfahrtunternehmen 1. Einhaltung der EG-Klausel Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft müssen, wie bereits dargestellt644, mehrheitlich im Eigentum von Mitgliedstaaten der Gemeinschaft oder deren Bürgern stehen, von diesen tatsächlich kontrolliert werden [Art 4 Abs 1 und 2 V (EWG) Nr 2407/92] und dies jederzeit nachweisen können [Art 4 Abs 5 V (EWG) Nr 2407/92]645. Neben den Behörden der Mitgliedstaaten wird die Einhaltung dieser Verpflichtung auch durch die EU-Kommission nach Maßgabe des Art 4 V 2407/92 überwacht. In Zusammenhang mit der Einhaltung der EG-Klausel [Art 4 V (EWG) Nr 2407/92] ist auch die Bestimmung des Art 11 Abs 3 leg cit zu sehen. Dieser sieht vor, dass bei einer Änderung eines oder mehrerer Umstände, die sich auf die rechtlichen Gegebenheiten des Unternehmens auswirken, insbesondere im Fall von Unternehmenszusammenschlüssen oder -übernahmen, die mitgliedstaatlichen Behörden die Betriebsgenehmigung aussetzen und das Unternehmen verpflichten müssen, neuerlich einen Antrag auf Erteilung einer Betriebsgenehmigung zu stellen. Für die Dauer des Verfahrens der neuerlichen Erteilung darf das betreffende Unternehmen seinen Betrieb fortsetzen, es sei denn, die Behörde gelangt zur Auffassung, dass die Sicherheit gefährdet ist646. Solange der Markt aus mehrheitlich durch die öffentliche Hand kontrollierten Unternehmen bestand, bereitete die Kontrolle der Einhaltung der EGKlausel keine besonderen Schwierigkeiten. Je mehr auch die Luftfahrtunter643 644 645 646
Zum Begriff Schäffer, Rz 531. Oben Teil II Kap 4, II.C.3.a). Niejahr, 51, Rz 60 ff. Art 11 Abs 3 letzter Satz Art 2 lit a V (EWG) Nr 2407/92.
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nehmen zu Publikumsgesellschaften werden, umso schwieriger dürfte der Nachweis der Einhaltung dieser Bestimmungen durch das Unternehmen und die Überwachung der Einhaltung durch die Behörde. Während Deutschland zu diesem Thema ein eigenes Gesetz, das Luftverkehrsnachweissicherungsgesetz (LuftNaSiG)647 erlassen hat, wurden de lege lata in Österreich keine Vorkehrungen getroffen. Auf Grundlage des österreichischen Aktiengesetzes könnte die Einhaltung der EGKlausel durch die Ausgabe vinkulierter Namensaktien, die nur mit Zustimmung der AG übertragen werden dürfen648, sichergestellt werden. Auch der Gesetzgeber könnte beispielsweise anlässlich der Privatisierung etwa der Austrian Airlines eine Vinkulierung anordnen, ähnlich der früheren Bestimmung des § 5 Abs 1 Z 3 BinnenschiffahrtsKonzessionsG649. Ansonsten bleibt nur der Weg der Aufrechterhaltung des Eigentums der Gebietskörperschaften über mehr als 50 % oder, bei einer Unterschreitung dieses Anteils, ein Zusammenschluss einer ausreichenden Zahl nachweisbar im Eigentum von Gemeinschaftsbürgern stehender institutioneller Anleger mit der Anteilsverwaltungsgesellschaft der Gebietskörperschaften (etwa ÖIAG) etwa im Wege eines Syndikatsvertrages.
2. Überwachung der wirtschaftlich-finanziellen Verhältnisse Luftfahrtunternehmen haben gemäß Art 5 Abs 6 V (EWG) Nr 2407/92 jährlich den Genehmigungsbehörden ohne unangemessene Verzögerung den geprüften Abschluss für das vorangegangene Geschäftsjahr vorlegen. Die Unternehmen müssen auf Anfrage der Behörde alle für die Anwendung des Art 5 Abs 5 V (EWG) Nr 2407/92 (finanzielle Leistungsfähigkeit und Insolvenzgefahr) erforderlichen Auskünfte, insbesondere aber Angaben gemäß Abschnitt C des Anhanges vorlegen. Meldepflichtig sind weiters alle beabsichtigten Zusammenschlüsse und Übernahmen sowie jede Änderung des Eigentums an Einzelbeteiligungen, die zehn Prozent oder mehr des gesamten Beteiligungskapitals des Luftfahrtunternehmens oder seiner Mutter- oder der Dachgesellschaft ausmachen [Art 5 Abs 3 V (EWG) Nr 2407/92]. Bei Hinweisen auf finanzielle Probleme eines Luftfahrtunternehmens hat die Behörde die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens neu zu bewerten und die in Art 5 Abs 5 V (EWG) Nr 2407/92 vorgesehenen Maßnahmen zu treffen.
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Gesetz zur Sicherung des Nachweises der Eigentümerstellung und der Kontrolle von Luftfahrtunternehmen für die Aufrechterhaltung der Luftverkehrsbetriebsgenehmigung und der Luftverkehrsrechte (Luftverkehrsnachweissicherungsgesetz LuftNaSiG), BGBl I 1997/1322. Kastner/Doralt/Nowotny, Grundriß des Gesellschaftsrechts5, 1990, 197. BGBl 1978/533.
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Teil III: Wettbewerbsregulierung Rechtsgrundlagen und grundlegende Literatur: Die Rechtsgrundlagen und die grundlegende Literatur wurden bereits im jeweiligen Kapitel für die einzelnen Verkehrssektoren dargestellt, weshalb hier auf diese Ausführungen verwiesen wird.
I. Grundlagen A. Verwirklichung des Binnenmarktes Nach jahrelanger Untätigkeit hat der Rat erst im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarktes begonnen, die seit Gründung der Gemeinschaft bestehenden Zuständigkeiten des EG-Vertrages zur Gesetzgebung im Verkehrsbereich wahrzunehmen: Nunmehr bestehen grosso modo in allen Verkehrssektoren sekundärrechtliche Vorschriften für den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates (Art 71 Abs 1 lit a EG-Vertrag) und Vorschriften für die Zulassung von Verkehrsunternehmen in Mitgliedstaaten, in denen sie nicht ansässig sind (Art 71 Abs 1 lit b EG-Vertrag). Für eine Zulassung zu Verkehrsdiensten sieht der Gemeinschaftsgesetzgeber für alle Verkehrssektoren im Prinzip die gleichen subjektiven Voraussetzungen vor: Sitz in einem Mitgliedstaat, Zuverlässigkeit, finanzielle Leistungsfähigkeit und fachliche Befähigung des Genehmigungswerbers. Objektive Marktzugangsschranken, etwa das Erfordernis besonderer öffentlicher Interessen am Betrieb, wie sie lange Zeit das österreichische Verkehrswirtschaftsrecht geprägt haben, sind dem sekundären Verkehrsrecht der Gemeinschaft weitgehend fremd.
B. Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Landverkehr 1. Entwicklung und geltende Rechtslage Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Betreiber öffentlicher Verkehrsdienste im Personen- und Güterverkehr - insbesondere im Schienenverkehr - gezwungen, unrentable Dienste anzubieten, wobei ihrer Tarifpolitik enge Grenzen gesetzt waren. In den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts setzte weiters ein sprunghafter Rückgang des Schienenverkehrs zugunsten des Autos ein. In Frankreich beispielsweise fiel die Nutzung des regionalen Zugverkehrs zwischen 1964 und 1969 von 6,4 auf 5,2 Milliarden Fahrgastkilometer. Damals erhielt die staatliche Eisenbahngesellschaft SNCF nahezu keine Zuschüsse, zehn Jahre später beliefen sich die Zuschüsse für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen bereits auf rund zwei Milliarden Franc650.
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Begründung für einen geänderten Vorschlag der Kommission über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, KOM (2005) 319, 2.
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Im Verkehrsbereich ermächtigen auch die Gemeinschaftsvorschriften die Mitgliedstaaten, gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen einzuführen, und zwar „Verpflichtungen, die das Verkehrsunternehmen im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht oder nicht im gleichen Umfang und nicht unter den gleichen Bedingungen übernehmen würde“ (Art 2 Abs 1 V 1191/69). Anders als etwa im Bereich des Luftverkehrs, wo das Gemeinschaftsrecht die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge im Wettbewerb vorsieht651, beschränkt sich das Gemeinschaftsrecht im Landverkehrssektor darauf, genaue Verfahren zur Berechnung der Ausgleichsbeträge für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufgrund von Artikel 73 EG-Vertrag vorzuschreiben, der die für einen Ausgleich geltenden Rahmenbedingungen festlegt. Artikel 73 EG-Vertrag wird durch zwei V umgesetzt652: die V (EWG) Nr 1107/70 über „Koordinierungsbeihilfen“653 und die V (EWG) Nr 1191/69 über öffentliche Dienstleistungen654. Die V (EWG) Nr 1191/69 legt die allgemeinen Bedingungen fest, die für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen gelten, und schreibt die Berechnungsverfahren für Ausgleichszahlungen vor. Diese V ermächtigt die Mitgliedstaaten bestimmte gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufzuerlegen oder aufrechtzuerhalten [Art 2 V (EWG) Nr 1191/69]. Wenn diese Verpflichtungen für die Betreiber zusätzliche Kosten verursachen, müssen die Mitgliedstaaten ihnen einen finanziellen Ausgleich leisten [Art 6 Abs 2 V (EWG) Nr 1191/69]. Die V legt außerdem detaillierte Berechnungsverfahren fest, die gewährleisten sollen, dass der Ausgleichsbetrag weder zu hoch noch zu niedrig ist. Hinsichtlich eines nach diesen Verfahren gewährten Ausgleichs gilt eine Ausnahme von der Pflicht zur Unterrichtung der Kommission gemäß Art 88 Abs 3 EG-Vertrag, ohne dass zuvor zu überprüfen ist, ob der Ausgleich als staatliche Beihilfe zu werten ist. Ursprünglich fand die V keine Anwendung auf Unternehmen, die hauptsächlich Nah- und Regionalverkehr betrieben. Mit der Novellierung der V durch die V (EG) Nr 1893/91655 wurden auch die Betreiber des Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrs in den Anwendungsbereich der V einbezogen. Es wurde den Mitgliedstaaten jedoch ermöglicht, diese Unternehmen von der Vorschrift auszunehmen [Art 1 Abs 1 V (EWG) Nr 1191/69]. Als allgemeine Regel gilt allerdings seither, dass die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen durch den Abschluss von Verträgen zu ersetzen ist [Art 4 Abs 1 V (EWG) Nr 1191/69]. Lediglich Art 1 Abs 5 und 6 V (EWG) Nr 1191/69 ermächtigt die zuständigen Behörden, für den Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr und im Bereich der im Interesse besonderer sozialer Gruppen festgelegten Beförderungstarife das Instrument der Auferlegung von „Verpflichtungen“ beizubehalten [].
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Art 4 Abs 1 lit d V (EWG) Nr 2408/92. Zum Verhältnis von Art 73 EG-Vertrag und den zitierten Verordnungen vgl Kahl, Personennahverkehr, 326 ff; Zorn, Die Sicherstellung gemeinwirtschaftlicher Leistungen im wettbewerbsorientierten Umfeld der Europäischen Union, Europäische Hochschulschriften, V/2688, 150 ff. Abl L 130/1 idF V (EG) Nr 543/97, Abl L 84/6; Vgl dazu die Kommentierung von Nemitz, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 4. Abl L 156/1 idF V (EWG) Nr 1893/91, Abl L 169/1. Vgl dazu die Kommentierung von Küpper, 3; Ausführlich zu Entstehungsgeschichte und Inhalt der V, Kahl, Personennahverkehr, 330 ff und Wagner, Verkehrsverlagerung auf den ÖPNV, in: Kerschner (Hrsg), Österreichisches und Europäisches Verkehrsrecht, 2001, 229 (243 ff). Abl L 169/1.
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Allerdings regelt die Verordnung auch in der geänderten Fassung nicht die Art und Weise, in der Verträge über Verkehrsdienste vergeben werden müssen und insbesondere nicht, ob und in welcher Form sie öffentlich auszuschreiben sind. Nicht nur auf Grund der Harmonisierung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge, sondern auch auf Grund des aus dem Diskriminierungsverbot der EG-Grundfreiheiten fließenden Transparenzgebotes, steht die Vergabe solcher Verkehrdienstverträge in latentem Konflikt656 mit dem Gemeinschaftsrecht, zumal die Bereitschaft der Mitgliedstaaten solche Verträge auszuschreiben nicht besonders hoch sein dürfte. Um ua eine rechtssichere und sachadäquate Abgrenzung zu Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge herzustellen, hat die Kommission 2000 einen Vorschlag657 für eine V über Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen vorgelegt, welche die V (EWG) Nr 1191/69 ablösen soll. Über diesen mehrfach geänderten Vorschlag der Kommission konnte allerdings lange Zeit im Rat keine politische Einigung erzielt werden (dazu gleich unten bei B.3.).
2. Das Altmark-Urteil des EuGH Auf Grund eines Rechtsstreites über die Ausschreibungspflicht von Ausgleichsleistungen für Linienverkehr mit Bussen wurde der EuGH mit der Frage befasst, ob die Behörden Ausgleichsleistungen gewähren durften, ohne die Gemeinschaftsregeln für staatliche Beihilfen zu berücksichtigen. In seinem Urteil in der Rs Altmark Trans658 hat der EuGH anerkannt, dass Ausgleichszahlungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen keinen finanziellen Vorteil darstellen und nicht als staatliche Beihilfe einzustufen sind, wenn folgende vier Kriterien bei Gewährung der Ausgleichszahlung eingehalten werden: 1. Das begünstigte Unternehmen ist tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut worden und diese Verpflichtungen sind klar definiert worden; 2. Die Parameter zur Berechnung des Ausgleichs sind zuvor objektiv und transparent aufgestellt worden; 3. Der Ausgleich geht nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen zu decken; 4. Wenn keine Ausschreibung erfolgt ist, ist die Höhe des Ausgleichs auf der Grundlage eines Vergleichs mit einem „durchschnittlichen, gut geführten, angemessen ausgestatteten Unternehmen“ zu bestimmen.
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Vgl das in den Erläuterungen für die KflG-Novelle 2006, 1170 BlgNR 22. GP, erwähnte Mahnschreiben der Kommission an Österreich oder das in KOM (2005) 319 FN 20, erwähnte Verstoßverfahren 2002/5033 gegen Deutschland. KOM (2000) 7. EuGH, Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747. Ausführlich zu Hintergrund und Inhalt des Urteils Kahl, Personennahverkehr, 481 ff.
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Wenngleich das Urteil für viele Mitgliedstaaten vorerst scheinbar eine Erleichterung bedeutet haben dürfte, weil sie vordergründig nicht mit der Rückforderungspflicht wegen nicht notifizierter Beihilfen konfrontiert sind, so nur auf den ersten Blick. Denn mittelfristig dürfte insbesondere das vierte Kriterium den Druck in Richtung Ausschreibung und Wettbewerb erhöhen, weil die Höhe der Ausgleichszahlungen mit dem gedeckelt ist, was ein durchschnittliches, gut geführtes und angemessen ausgestattetes Unternehmen brauchen würde. Insgesamt dürfte daher das Urteil der Kommission in ihren Bemühungen um die Schaffung eines neuen Rechtsrahmens hilfreich gewesen sein.
3. Der Vorschlag für eine Neuordnung der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen Im Verkehrsministerrat am 11.12.2006 konnte nunmehr eine politische Einigung über die Annahme eines gemeinsamen Standpunktes659 betreffend den mehrfach geänderten Vorschlag der Kommission für eine V über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße660 erzielt werden. Der Vorschlag gilt für den gesamten innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Personenverkehr mit der Eisenbahn und andere Arten des Schienenverkehrs sowie auf der Straße (Art 1 Abs 2 des Vorschlages). Inhaltlich wurde das ursprüngliche Konzept der Kommission661 des „Wettbewerb um die Subvention“662 in den Grundsätzen beibehalten: • Die Beziehungen zwischen der zuständigen Behörde und dem oder den ausgewählten Betreiber(n) von Verkehrsdiensten sind durch Vertrag zu regeln, und zwar von dem Zeitpunkt an, da Ausgleichszahlungen oder ausschließliche Rechte gewährt werden; • Die Klauseln des Vertrags sind regelmäßig zu überprüfen, auch seine Laufzeit ist zu beschränken; • Öffentliche Dienstleistungsaufträge müssen ausgeschrieben werden außer in jenen Fällen, in denen eine „Direktvergabe“ an ein staatliches Eigenunternehmen möglich ist. Kern des Vorschlages der Kommission und des gemeinsamen Standpunktes ist nun die Wahlmöglichkeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zwischen einer Ausschreibung (und Vergabe der Leistungen an Dritte) und der Möglichkeit, die Leistungen selbst zu erbringen oder direkt an einen „internen Betreiber“663 zu vergeben. Letztere Möglichkeit unterliegt freilich der Einhal659 660 661 662
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Text des Gemeinsamen Standpunktes im Zeitpunkt des Abschlusses des Manuskripts noch nicht veröffentlicht. KOM (2000) 7 idF KOM (2005) 319. KOM (2005) 319, 4. Wimmer/Kahl/Werner, Die neue österreichische Gesetzgebung zum öffentlichen Personennahverkehr aus der Sicht des Europarechts, ÖGZ 2000, 4 (6). Zur Politik der Kommission, vor allem im Bereich des ÖPNV ausführlich: Kahl, Kontrollierter Wettbewerb als Marktöffnungsinstrument der Kommission am Beispiel des öffentlichen Personennahverkehrs, wbl 2001, 49. Art 2 lit j des Vorschlages: „Ein Betreiber, über den die zuständige Behörde eine vollständige Kontrolle ausübt, die der über ihre eigenen Dienstellen entspricht.“ Damit entspricht die Definition - abgesehen vom Fehlen des Kriteriums der Erbringung der Leistungen für den öffentlichen Auftraggeber - im Wesentlichen der auf
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tung des Grundsatzes verstärkter Transparenz, geographischer Eingrenzung der Tätigkeit der Behörde oder des internen Betreibers und der Festlegung genauer Kriterien, die für den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen gelten. Soweit sich die zuständige Behörde für eine Ausschreibung entscheidet, hat sie das Verfahren insbesondere nach Art 5 Abs 3 des Vorschlages zu gestalten. Dieser verpflichtet im Wesentlichen zu einem fairen und für alle Betreiber offenen Verfahren, das den Grundsätzen der Transparenz und Nichtdiskriminierung entspricht. Eine Direktvergabe an Dritte ist nur für geringfügige Aufträge (Art 5 Abs 4), als Notmaßnahme (Art 5 Abs 5) oder für den Eisenbahnregional- oder -fernverkehr (Art 5 Abs 6) möglich. Sollte der Vorschlag im Gesetzgebungsprozess angenommen werden, würden die V (EWG) Nr 1191/69, aber auch die V (EWG) Nr 1107/70 aufgehoben werden (Art 10 des Vorschlages).
II. Regulierung im Straßenverkehr A. Gelegenheitsverkehrsunternehmen 1. Innerösterreichischer Verkehr Der Markt für die Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen im nichtlinienmäßigen Verkehr ist ein Nachfragermarkt, es herrscht vollkommene Konkurrenz. Dementsprechend enthält das Gelegenheitsverkehrs-G, abgesehen von der Ermächtigung zur Tariffestsetzung, keine besonderen Regulierungen für den innerösterreichischen Markt.
2. Gemeinschaftsverkehr Im Personenverkehr mit Kraftomnibussen wird Inhabern einer Gemeinschaftslizenz iSd Art 3a V (EWG) Nr 684/92664 auf Grund von Art 3 V (EWG) Nr 684/92 das Recht zum diskriminierungsfreien Zugang zu grenzüberschreitenden Verkehrsdiensten eingeräumt. Mit der V (EG) Nr 12/98665 wurde den Inhabern dieser Gemeinschaftslizenz überdies das Recht zur Beförderung innerhalb anderer Mitgliedstaaten (Kabotage), in denen diese Unternehmen nicht ansässig sind, eingeräumt. Zur Durchführung der V (EWG) Nr 684/92 hat die Kommission mit der V (EG) Nr 2121/98666 Vorschriften über Beförderungsdokumente für den Personenverkehr mit Kraftomnibussen erlassen. Die V (EWG) Nr 684/92 gilt allerdings nur für die Beförderung in Kraftfahrzeugen mit mehr als neun Personen [Art 1 Abs 1 V (EWG) Nr 684/92].
3. Drittstaatsverkehr Die Zuständigkeit der EG-Mitgliedstaaten zum Abschluss von Verkehrsabkommen mit Drittstaaten oder, anders gewendet, die Reichweite der Vertrags-
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Grund der EuGH-Rechtsprechung „Teckal“ et al entwickelten und nun in § 10 Z 7 BVergG 2006 übernommenen Ausnahme für die so genannte Inhouse-Vergabe. Abl L 74/1 idF V (EG) Nr 11/98, Abl L 4/1. Abl L 4/10. Abl L 268/10.
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schlussgewalt der Europäischen Gemeinschaften für Verkehrsabkommen mit Drittstaaten ist überaus strittig, wie bereits dargestellt wurde667, Als gesichert kann angenommen werden, dass bestehende Rechte und Pflichten aus Abkommen aus der Zeit vor dem Gemeinschaftsbeitritt auf Grund von Art 307 EGVertrag nicht berührt werden. Der Harmonisierungsgrad des Sekundärrechts im Bereich des Personenverkehrs hat für den Bereich der Beförderung mit Kraftfahromnibussen jedoch ein solches Ausmaß erreicht, dass es mE fraglich ist, ob die Mitgliedstaaten im Sinne der AETR-Doktrin668 zum Abschluss von Verkehrsabkommen mit Drittstaaten noch zuständig sind. Mit dem ASOR-Abkommen669 und Interbus-Übereinkommen670 wurden bestimmte sekundärrechtliche Vorschriften auf den Personengelegenheitsverkehr mit europäischen Drittstaaten ausgedehnt671.
Die grenzüberschreitende Personenbeförderung ist grundsätzlich an Bewilligung des Verkehrsministers gebunden (§ 11 GelverkG). Ausgenommen von dieser Bewilligungspflicht sind Fahrten, welche auf Grundlage einer Gemeinschaftslizenz nach der V (EWG) Nr 684/92, einer Genehmigung auf Grund des Landverkehrsabkommens mit der Schweiz672, einer Grund bilateraler Abkommen erteilter Genehmigung gemäß § 12 Abs 1 GelverkG, einer Genehmigung nach dem Interbus-Übereinkommen oder auf Grund der Vorschriften des ASOR-Abkommen genehmigungsfrei durchgeführt werden (§ 11 Abs 1 GelverkG)
B. Güterverkehrsunternehmen 1. Innerösterreichischer Verkehr Der Güterbeförderungsmarkt ist ein Nachfragermarkt. Abgesehen von Teilmärkten zur Beförderung spezieller Produkte, herrscht vollkommene Konkurrenz, weshalb es keiner besonderen Regulierung zur optimalen Ressourcenallokation bedarf.
2. Gemeinschaftsverkehr Die Marktordnung des Güterverkehrs zwischen und innerhalb der EG-Mitgliedstaaten war lange Zeit durch bilateral vereinbarte Kontingentierungen und Kabotagevorbehalte zugunsten der nationalen Verkehrsunternehmen gekennzeichnet. Die bilateral vereinbarten Kontingente zwischen den Mitgliedstaaten wurden erst im Zuge der Vollendung des Binnenmarktes für unzulässig erklärt [V (EWG) Nr 1841/88673] und damit der grenzüberschreitende Güterverkehr liberalisiert. Die Kabotage, also der effektive Zugang zu den Verkehrsmärkten 667 668 669 670 671
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Siehe oben Teil I Kap 1, I.B.1.f). FN 33. Übereinkommen über den grenzüberschreitenden Personenverkehr mit Kraftomnibussen (ASOR), Abl L 230/38 und V (EWG) Nr 56/83, Abl L 10/1. Abl 2002 L 321/11. Erdmenger (FN 10), Vor-Art 74 bis 84 EG-Vertrag, Rz 32. Österreich hat das angesprochene ASOR-Abkommen vor dem Gemeinschaftsbeitritt als Staatsvertrag iSd Art 50 B-VG abgeschlossen und zu dessen Durchführung das ASOR-Durchführungsgesetz (BGBl 1987/521) erlassen. Abl 2002 L 114/91. Vgl dazu die Kommentierung von Mückenhausen, in Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, 151. Abl L 163/1.
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der Mitgliedstaaten für Güterbeförderungsunternehmen aus Mitgliedstaaten, in denen sie nicht ansässig sind, ist erst seit Inkrafttreten der V (EWG) Nr 3118/93674 ohne besondere Genehmigung zulässig.
3. Drittstaatsverkehr Wie oben im Zusammenhang mit dem Gelegenheitsverkehr ausgeführt, ist die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zum Abschluss von Verkehrsabkommen mit Drittstaaten beschränkt675. Jedoch vermögen die Liberalisierungsvorschriften, insbesondere jene der V (EWG) Nr 881/92676, gemäß Art 307 EG-Vertrag die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber Drittstaaten nicht zu beeinträchtigen, sodass gemäß Art 1 Abs 2 V (EWG) Nr 881/92 festgelegt wird, dass bei Beförderungen aus einem Mitgliedstaat nach einem Drittstaat und umgekehrt die V für die in dem Mitgliedstaat zurückgelegte Wegstrecke erst dann gilt, wenn hiefür ein Abkommen zwischen der Gemeinschaft und dem betreffenden Drittland geschlossen ist. Die gewerbsmäßige Beförderung von Österreich nach Drittstaaten oder von Drittstaaten nach Österreich unterliegt weiterhin zahlreichen Beschränkungen, idR in Form von Kontingentierungen. Die Vergabe der Kontingente wird durch § 7 GütBefG und die Kontingenterlaubnis-Vergabeverordnung (KVV)677 geregelt.
C. Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen 1. Innerösterreichischer Verkehr Das KflG enthält objektive Marktzugangsschranken (§ 7 Abs 1 Z 3 und 4 KflG), die jedoch, wie oben dargestellt wurde678, gemeinschaftsrechtlich bedenklich sind. Die Betrauung mit durch die öffentliche Hand gestützten Liniendiensten ist nunmehr gemäß § 23 KflG grundsätzlich öffentlich auszuschreiben.679
2. Gemeinschaftsverkehr Was die Rechte von österreichischen Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen im intermitgliedstaatlichen Verkehr und von Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft betrifft, ist auf die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Gelegenheitsverkehr zu verweisen, die Vorschriften sind im Wesentlichen gleich.
3. Drittstaatsverkehr Aufgrund von § 4 KflG können durch den Verkehrsminister (§ 54 KflG) im Wege von Verwaltungsübereinkommen zwischenstaatliche Vereinbarungen 674 675 676 677 678 679
Abl L 279/93. Zu Entwicklung und Inhalt der V vgl die Kommentierung von Maiworm, 12, Rz 1. Siehe gerade II.A.3. FN 449. BGBl II 1999/519 idF 2001/207. Siehe oben Teil II Kap 1, IV.B.1. Siehe dazu oben Teil II Kap 1, IV.D.5.
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geschlossen werden. Die Vereinbarungen für grenzüberschreitende Kraftfahrlinien sind gemäß § 4 Abs 2 KflG auf Grundlage der Reziprozität mit den berührten Staaten nach Maßgabe der in § 4 Abs 3 KflG geregelten Bedingungen zu schließen. Auf Grundlage dieser Verwaltungsübereinkommen können Konzessionen für den Betrieb von Kraftfahrlinien nach Drittstaaten erteilt werden680. Grenzüberschreitende Kraftfahrlinien zwischen zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, bei denen ein Drittland durchquert wird, unterliegen den Vorschriften der V (EWG) Nr 684/92681, auch wenn die im Drittland geltenden Rechtsvorschriften berücksichtigt werden müssen. Bis zum Abschluss entsprechender Abkommen der Europäischen Gemeinschaft mit dem jeweiligen Drittland sind die bilateralen Vereinbarungen zwischen dem Drittstaat und Österreich weiter anzuwenden.
III. Regulierung des Schienenverkehrs A. Die Regulierungsbehörden im liberalisierten Eisenbahnverkehr 1. Schienen-Control GmbH Nach der RV682 zum Schienenverkehrsmarkt-Regulierungsgesetz wurden die Regulierungsbehörden im Eisenbahnverkehrsmarkt nach dem Vorbild des Telekom-Bereichs geschaffen683. Gemäß § 76 EisbG ist eine Gesellschaft mit der Firma Schienen-Control Österreichische Gesellschaft für Schienenverkehrsmarktregulierung mit beschränkter Haftung (Schienen-Control GmbH) mit einem Stammkapital von EUR 726.728 mit Sitz in Wien einzurichten, deren Anteile zur Gänze dem Bund vorbehalten sind. Die Schienen-Control GmbH ist gemäß § 77 Abs 1 Z 4 EisbG für die Geschäftsführung der Schienen-Control Kommission zuständig. Sie hat daher alle organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, um die Aufgabenerfüllung der Schienen-Control Kommission zu ermöglichen. Die Schienen-Control GmbH hat im Verwaltungsverfahren das AVG anzuwenden. Gegen Bescheide der Schienen-Control GmbH ist Berufung an die Schienen-Control Kommission zulässig. Die Tätigkeit der Schienen-Control GmbH unterliegt der Aufsicht des Verkehrsministers. Die Deckung des Personal- und Sachaufwands der Schienen-Control GmbH ist aus Kostenbeiträgen der Schieneninfrastrukturnutzer gemäß § 80 EisbG zu decken. Die Aufgaben der Schienen-Control GmbH sind in § 77 EisbG genannt684.
2. Die Schienen-Control Kommission Die Schienen-Control Kommission ist eine Kollegialbehörde iSd Art 133 Z 4 B-VG, deren wichtigste Kompetenz die Entscheidungsbefugnis über die Zu680 681 682 683 684
Es bestehen nur vereinzelt Ressortübereinkommen, etwa für Bulgarien, BGBl 1970/279. FN 664. 1835 BlgNR 20. GP, 14. Zum Vergleich der Eisenbahn-Regulierungsbehörden mit anderen Regulierungsbehörden siehe Holoubek, 106 ff. Ausführlich dazu: Urbantschitsch/Feiel, JBl 2000, 432, und Holoubek, 113 ff.
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gangsberechtigung zur Schieneninfrastruktur ist. Das Erfordernis der Einrichtung einer derartigen Behörde685 ist vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich gebotenen Rechtschutzsystems zu sehen, weil es sich um einen Bereich handelt, in dem über Civil Rights im Sinn des Art 6 MRK abgesprochen wird. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist über die den offenen Netzzugang betreffende Angelegenheiten durch eine unabhängige Regulierungsstelle zu entscheiden (Art 30 RL 2001/14/EG). Die Schienen-Control Kommission hat bei bescheidförmiger Erledigung gemäß § 84 EisbG das AVG anzuwenden686, die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist zulässig.
B. Zugang zur Schieneninfrastruktur auf Haupt- und Nebenbahnen 1. Räumlicher, persönlicher und sachlicher Umfang des Zugangsrechts Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) bzw deren Zuweisungsstellen haben gemäß § 56 EisbG den in § 57 EisbG genannten Zugangsberechtigten, den Zugang zur Schieneninfrastruktur (§ 10a EisbG)687 für Haupt- oder vernetzte Nebenbahnen durch Zuweisung von Zugtrassen diskriminierungsfrei einzuräumen688. Das allgemeine Zugangsrecht zum Schienennetz ist daher in räumlicher Hinsicht auf Haupt- und vernetzte Nebenbahnen (§ 4 EisbG)689, und in persönlicher Hinsicht auf die in § 57 EisbG genannten Zugangsberechtigten beschränkt. In Übereinstimmung mit den Zugangsrechten gemäß Art 10 RL 91/440/EWG räumt § 57 EisbG folgenden Eisenbahnunternehmen Zugang zur Schieneninfrastruktur ein: • Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) mit Sitz in Österreich (Z 1). • Internationalen Gruppierungen (§ 1d EisbG) unter näher genannten Bedingungen (Z 2); • EU/EWR-EVU und aus der Schweiz für Eisenbahnverkehrsleistungen im grenzüberschreitenden kombinierten Güterverkehr (Z 3); • EU/EWR-EVU und aus der Schweiz für sonstige grenzüberschreitende Eisenbahnverkehrsleistungen im Güterverkehr (Z 4); • Sonstige ausländische Eisenbahnunternehmen, soweit dies staatsvertragliche Regelungen vorsehen oder im Falle der Gegenseitigkeit, wenn der Zugang im öffentlichen Interesse gelegen ist (Z 5 und 6).
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Ausführlich zur Schienen-Control Kommission, insbesondere vor dem Hintergrund von VfSlg 14.437/1996, Urbantschitsch/Feiel, JBl 2000, 434; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit auch Holoubek, 112 f. Zu den Verfahrensvorschriften siehe Lewisch, 285 ff. Zum Begriff der Schieneninfrastruktur siehe Lewisch, 173 ff. Raschauer, vertragsersetzender Bescheid, 2057; vgl auch Raschauer, Mitbenutzung von Leitungen und Netzzugang, ÖZW, 2000, 65 (68). Ausgenommen sind daher eigenständige und nicht vernetzte Nebenbahnen (Schmalspur- oder Zahnradbahnen), Straßenbahnen iSd § 5 EisbG (Straßen-, U-Bahnen u dgl) und Anschlussbahnen iSd § 7 EisbG.
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In sachlicher Hinsicht umfasst das Zugangsrecht in erster Linie die Zuweisung einer Zugtrasse gemäß den §§ 63 ff EisbG. Um tatsächlich eine diskriminierungsfreie Nutzung des Zugangsrechts zu ermöglichen, hat das EIU Zugangsberechtigten auch die in § 58 EisbG genannten „sonstigen Leistungen“ zur Verfügung zu stellen. Dazu zählt § 58 EisbG ein „Mindestpaket“ (ua die Nutzung von Weichen, Zugsteuerung oder Kommunikationssysteme) und unter näheren Bedingungen auch Serviceleistungen (ua Ausbildung, Versorgungseinrichtungen für Traktionsstrom), Zusatzleistungen (ua Traktionsstrom, Verschub) und Nebenleistungen (ua technische Inspektion des rollenden Materials). Diese Leistungen sind diskriminierungsfrei (§ 58 Abs 1 EisbG), transparent, angemessen, wirtschaftlich realistisch und entbündelt anzubieten (§ 58 Abs 1 EisbG).
Für den Zugang zur Schieneninfrastruktur und für die Zurverfügungstellung sonstiger Leistungen haben EIU nach Maßgabe von § 59 EisbG SchienennetzNutzungsbedingungen zu erstellen, welche die wesentlichen administrativen, technischen und finanziellen Modalitäten für den Zugang zu enthalten haben. Diese Bedingungen sind rechtzeitig (§ 59 Abs 2 iVm § 65 Abs 3 EisbG) und unentgeltlich im Internet bereitzustellen und der Schienen-Control GmbH innerhalb eines Monats ab Erstellung oder Änderung vorzulegen (§ 59 Abs 2 EisbG).
2. Voraussetzungen für die Ausübung von Zugangsrechten und Sicherheitsbescheinigung Neben dem Nachweis der erforderlichen Marktzulassung als EVU690 haben Zugangsberechtigte mit Sitz in Österreich eine Sicherheitsbescheinigung Teil A und B, und EU/EWR-EVU oder aus der Schweiz neben ihrer im Sitzstaat ausgestellten Sicherheitsbescheinigung eine Sicherheitsbescheinigung Teil B vorzulegen (§ 56 EisbG)691. EIU können mit Rücksicht auf „legitime Erwartungen hinsichtlich ihrer künftigen Erlöse und Fahrwegnutzung“ Anforderungen an Zugangsberechtigte festlegen, die angemessen und diskriminierungsfrei sein müssen (§ 57a Abs 1 EisbG). Insbesondere dürfen die Anforderungen für eine Finanzgarantie nur in angemessener Höhe zum geplanten Umfang der Zugangs vorgeschrieben werden (§ 57a Abs 1 EisbG). Diese Anforderungen sind in den SchienennetzNutzungsbedingungen zu veröffentlichen und der EU-Kommission mitzuteilen (§ 57a Abs 1 EisbG).
3. Benützungsentgelt und sonstige Entgelte sowie Reservierungskosten Benützungsentgelte für den Zugang zur Schieneninfrastruktur sind gemäß § 67 Abs 1 EisbG grundsätzlich692 in der Höhe der Kosten zu ermitteln, die unmittelbar auf Grund des Zugbetriebes („Kosten des rollenden Rades“) anfallen693. 690 691 692
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Zur Marktzulassung siehe oben Teil II Kap 2, II. Zur Sicherheitsbescheinigung siehe oben Teil II Kap 2, III.C. § 67 Abs 2 bis 4 EisbG erlauben unter bestimmten Bedingungen Zuschläge zu den ermittelten Kosten; zur Problematik auf Grund der dominierenden Stellung der ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG vgl Holoubek, 120. Zu den Kriterien für die Festlegung des Benützungsentgeltes siehe Lewisch, 214 ff.
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Benützungsentgelte können über einen angemessenen Zeitraum, etwa ein Kalenderjahr oder eine Netzfahrplanperiode pro Art und Zeit der Eisenbahnverkehrsleistungen gemittelt werden (§ 67 Abs 5 EisbG). Ein EIU hat Benützungsentgeltregeln zu erstellen, die für das Schienennetz des Unternehmens anzuwenden sind. Diese Regeln haben zwischen einzelnen Teilen des Netzes (unter Vermeidung von Diskriminierungen) zu differenzieren (§ 67 Abs 6 EisbG) und müssen leistungsabhängige Bestandteile enthalten (§ 67 Abs 7 EisbG). Die Benützungsentgeltregeln sind von der Zuweisungsstelle (§ 62 EisbG) festzusetzen, dies auf Vorschlag des EIU, soweit dieses nicht selbst Zuweisungsstelle ist. Die Regeln sind vom EIU in die Schienennetz-Nutzungsbedingungen (§ 59 EisbG) aufzunehmen.
Auf Grundlage der Benützungsentgeltregeln hat die Zuweisungsstelle das jeweilige Benützungsentgelt festzusetzen (§ 68 Abs 3 EisbG). Verhandlungen über die Höhe des Benützungsentgeltes sind gemäß § 68a EisbG nur zulässig, wenn sie unter Aufsicht der Schienen-Control GmbH geführt werden. Das für den Zugang festgesetzte Benützungsentgelt ist an das EIU zu entrichten (§ 69 Abs 1 EisbG). Die Entgeltregelung im Einzelfall erfolgt daher im Zugangsvertrag bzw der Zugangsurkunde und unterliegt daher der Beschwerdemöglichkeit gemäß § 72 EisbG.694 Zugangsberechtigte, die im Zuge des Netzplanfeststellungsverfahrens die Zuweisung von Zugtrassen begehrt haben, haben im Falle einer selbst zu vertretenden Nichtzuweisung einer Trasse dem EIU gemäß § 59b EisbG angemessene Reservierungskosten zu ersetzen.
4. Zuweisung von Zugtrassen: Verfahren vor der Zuweisungsstelle a) Zuständigkeit zur Zuweisung einer Zugtrasse: Zuweisungsstelle Zuständig für die Zuweisung von Zugtrassen gemäß den §§ 63 ff EisbG ist die Zuweisungsstelle, das ist gemäß § 62 Abs 1 EisbG grundsätzlich das EIU. Die Wahrnehmung dieser Funktion durch ein EIU, das rechtlich, organisatorisch und in seinen Entscheidungen nicht unabhängig ist, ist jedoch unzulässig. Ein solches Unternehmen hat diese Funktion an die SchieneninfrastrukturDienstleistungsgesellschaft mbH (vgl § 3 Abs 1 Z 5 SchiG) oder eine andere geeignete unabhängige Stelle mit schriftlichem Vertrag zu übertragen (§ 62 Abs 3 EisbG). Auf Grund der Neustrukturierung der ÖBB kann die Funktion der Zuweisungsstelle nun von den ÖBB selbst wahrgenommen werden, die Zuweisung erfolgt durch die ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG. b) Zuweisungsgrundsätze Die Zuweisung von Zugtrassen ist nach den Grundsätzen der Gleichbehandlung und einer effizienten Nutzung der Schieneninfrastruktur vorzunehmen (§ 63 Abs 1 EisbG). Die zugewiesene Zugtrasse ist nicht übertragbar (§ 63 Abs 2 EisbG). Die Dauer der Zuweisung ist grundsätzlich mit einer Netzfahrplanperiode begrenzt, Zuweisungsstelle und Zugangsberechtigter können jedoch eine Rahmenregelung nach Maßgabe des § 64 EisbG vereinbaren, die eine Laufzeit von mehr als einer Netzfahrplanperiode hat (§ 63 Abs 3 EisbG). Hinsichtlich der Zuweisung ist zwischen einer (langfristigen) Zuweisung im Rahmen der Netzfahrplanerstellung gemäß den §§ 65 ff EisbG und einem Zu694
Holoubek, 120. Zur Beschwerdemöglichkeit siehe unten Teil III, III.B.6.
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weisungsverfahren auf Grund von Ad-hoc-Anträgen gemäß § 71 Abs 3 EisbG695 zu unterscheiden. c) Zuweisung von Zugtrassen im Rahmen der Netzplanerstellung Sämtliche geplanten Zugbewegungen und Bewegungen rollenden Materials sind gemäß § 65 EisbG in einem Netzfahrplan festzulegen, der von der Zuweisungsstelle einmal im Kalenderjahr zu erstellen ist. Die Erstellung erfolgt in Zusammenarbeit mit anderen Zuweisungsstellen unter Berücksichtigung aller Anträge auf Zuweisung von Zugtrassen. Das Verfahren für die Behandlung von Begehren auf die Zuweisung von Zugtrassen im Rahmen der Netzplanfestlegung richtet sich nach § 71 iVm §§ 65 ff EisbG696. Gemäß § 71 Abs 1 EisbG ist das Begehren schriftlich bei der Zuweisungsstelle, wenn mehrere Zuweisungsstellen betroffen sind, bei der Zuweisungsstelle nach Wahl des Antragstellers einzubringen. Kann einem Zuweisungsbegehren nicht entsprochen werden, ist das betroffene Unternehmen zu hören und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Ergeben sich bei der Netzfahrplanerstellung Unvereinbarkeiten hat sich die Zuweisungsstelle um eine einvernehmliche Lösung im Rahmen des Koordinierungsverfahrens gemäß § 65b EisbG zu bemühen. Lässt sich dabei keine Lösung erzielen, ist der betroffene Schienenabschnitt für überlastet zu erklären ist (§ 65c Abs 1 EisbG)697, eine Kapazitätsanalyse iSd § 65d EisbG durchzuführen oder ein Plan zur Erhöhung der Fahrwegkapazität (§ 65e EisbG) umzusetzen698. Erst dann dürfen auf Grund der Engpässe Zuschläge zum Benützungsentgelt gemäß § 67 Abs 2 EisbG festgesetzt werden. Wenn auch dies nicht möglich ist oder zu keinem befriedigenden Ergebnis führt, ist eine Priorisierung der Anträge nach Maßgabe von § 65c Abs 3 EisbG vorzunehmen.
Soll ein Antrag bei der Netzfahrplanerstellung berücksichtigt werden, ist über diesen spätestens binnen einem Monat nach Antragstellung, im Falle eines Koordinierungsverfahrens iSd § 65b EisbG spätestens binnen einem Monat nach Abschluss des Verfahrens zu entscheiden (§ 71 Abs 3 EisbG). Im Falle positiver Erledigung ist entweder gemäß § 70a Abs 1 EisbG ein schriftlicher Vertrag zu schließen oder, im Falle eines integrierten Eisenbahnunternehmens, eine Urkunde gemäß § 70a Abs 2 EisbG zu unterfertigen. Falls dem Begehren nicht stattgegeben werden kann, hat dies durch eine schriftlich begründete Ablehnung zu erfolgen (§ 71 Abs 3 EisbG). Gegen die Ablehnung oder im Falle der Nichteinigung innerhalb bestimmter Fristen kann gemäß § 72 Abs 1 EisbG Beschwerde an die Schienen-Control Kommission erhoben werden, welche darüber mit Bescheid zu entscheiden hat. Daraus erklärt sich auch, dass dem Netzfahrplan keine eigenständige normative Wirkung zukommt und dieser daher nicht als VO zu qualifizieren ist, weil über die Begehren auf die Zuweisung von Trassen, soweit diesen nicht ohnehin 695 696 697 698
Erläuterungen zu § 71 EisbG, 349 BlgNR 22. GP. Vgl dazu Segalla, Eisenbahnliberalisieurung, 62 ff. Vgl dazu Segalla, Eisenbahnliberalisieurung, 65 ff. Die in der RV noch angedeutete Versteigerung der Trasse, für den Fall, dass im Koordinierungsverfahren keine Lösung erzielt werden kann, wurde durch Abänderungsantrag des Ausschusses (AB 1501 BlgNR 22.GP) noch aus dem Gesetz genommen. Ein solches Verfahren hätte auch gemeinschaftsrechtliche Probleme mit sich gebracht, vgl Segalla, Eisenbahnliberalisieurung, 63 FN 72 mwH.
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entsprochen wird, individuell und letztlich bescheidförmig nach dem eben beschriebenen Verfahren zu entscheiden ist. Die Ausweisung im Netzfahrplan ist hat daher keine normative Wirkung. d) Ad-hoc-Trassenzuweisung Im Einklang mit Art 23 RL 2001/14/EG sieht § 73 Abs 3 EisbG auch die Möglichkeit von Ad-hoc-Anträgen auf Trassenzuweisung vor, über die innerhalb von fünf Arbeitstagen (ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des Netzfahrplanfestlegungsverfahrens) zu entscheiden ist. Soweit dem Begehren nicht stattgegeben wird oder eine Einigung nicht binnen fünf Arbeitstagen zustande kommt, ist auch dagegen Beschwerde an die Schienen-Control Kommission gemäß § 72 Abs 1 EisbG zulässig.
5. Zuweisung von sonstigen Leistungen und Serviceleistungen Auch über Begehren für sonstige Leistungen iSd § 58 EisbG hat die Zuweisungsstelle zu entscheiden, über die Zurverfügungstellung von Serviceleistungen iSd § 58 Abs 2 EisbG hat das EIU selbst zu entscheiden. Die Entscheidung erfolgt nach dem in § 71 EisbG vorgesehenen Verfahren entweder durch Vertragsschluss bzw Urkunde (§ 70a EisbG) oder durch schriftlich begründete Ablehnung. Auch dagegen ist die Beschwerde an Schienen-Control Kommission zulässig.
6. Beschwerde an die Schienen-Control Kommission Nach eben beschriebener Ablehnung oder Nichteinigung über das Begehren auf Zuweisung einer Zugtrasse, Gewährung von sonstigen Leistungen oder von Serviceleistungen steht dem Zugangsberechtigten das Recht auf Beschwerde an die Schienen-Control Kommission zu. Das Begehren699 hat gemäß § 72 Abs 1 EisbG wahlweise zu enthalten: • Einen Antrag auf Zuweisung der begehrten Zugtrasse samt Bezeichnung des wesentlichen Inhaltes des angestrebten Vertrages oder der Urkunde (Z 1), oder • einen Antrag auf Zurverfügungstellung sonstiger Leistungen samt Bezeichnung des wesentlichen Inhaltes des angestrebten Vertrages oder der Urkunde (Z 2), oder • einen Antrag auf Feststellung, dass die Zuweisung der Zugtrassen entgegen den Bestimmungen des EisbG nicht an den beschwerdeführenden Antragsteller, sondern an einen anderen Zugangsberechtigten erfolgt ist (Z 3). Die Schienen-Control Kommission hat nach Anhörung der Zuweisungsstelle und des Zugangsberechtigten und, gemäß § 8 AVG700 wohl auch des EVU, das anstatt des Antragstellers die Zugtrasse erhalten soll, binnen zwei Monaten701 mit Bescheid zu entscheiden. Einem Antrag, mit dem die Zuweisung einer 699 700
701
Die Beschwerde stellt ein Anbringen iSd § 13 AVG dar. Zur Bindung an den Antrag vgl Raschauer, vertragsersetzender Bescheid, 2070. Gemäß § 84 EisbG ist im Verfahren vor der Schienen-Control Kommission das AVG einschließlich der Vorschriften über die unabhängigen Verwaltungssenate anzuwenden. Zu den Verfahrensvorschriften siehe Lewisch, 285 ff. Zur Entscheidungsfrist und zur Möglichkeit der Erhebung einer Säumnisbeschwerde an den VwGH Raschauer, vertragsersetzender Bescheid, 2073.
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Zugtrasse begehrt wird, ist stattzugeben, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen und die Zugtrasse noch keinem anderen Unternehmen zugewiesen worden ist. Ist die Zugtrasse schon vergeben, ist der Antragsteller auf die Feststellung gemäß § 72 Abs 1 Z 3 EisbG verwiesen. Dies wirft freilich, vergleichbar mit der Entwicklung im Vergaberecht zur Trennung von Mitteilung der Zuschlagsentscheidung und Zuschlagserteilung, Rechtsschutzdefizite auf, weil die Zuweisungsstelle die Antragstellung nach § 72 Abs 1 Z 1 EisbG durch Vertragsschluss unterlaufen kann, sodass der Antragsteller bloß auf die Feststellung gemäß § 72 Abs 1 Z 3 EisbG und daran anknüpfende Schadenersatzansprüche verwiesen ist. Holoubek702 schlägt daher unter Hinweis auf das Vergaberecht die Einführung einer „Stillhaltefrist“ beim Vertragsschluss bis zur Entscheidung der Schienen-Control Kommission vor.
Der Bescheid der Schienen-Control Kommission ersetzt den Abschluss eines Vertrages über die Zuweisung von Zugtrassen (§ 69 Abs 4 EisbG) und hat sämtliche Bedingungen im Hinblick auf die administrativen, technischen und finanziellen Modalitäten vorzusehen (vertragsersetzender Bescheid703). Letztlich entsteht durch den Bescheid ein zivilrechtliches Schuldverhältnis zwischen EIU und Zugangsberechtigten, das konsequenterweise nach privatrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist704. Streitigkeiten aus dem Schuldverhältnis sind daher vor den ordentlichen Gerichten auszutragen705. Ob auf Grunde der Rechtskraft des Bescheides eine Bindung des Zivilgerichts an den Bescheid anzunehmen ist und deshalb eine Überprüfung des Vertragsinhaltes am § 879 ABGB durch die Zivilgerichte ausscheidet, ist fraglich706. Den Vertragsparteien steht aber jedenfalls die Möglichkeit einer Neuvereinbarung offen, der gemäß § 72 Abs 8 EisbG ein Bescheid der Schienen-Control Kommission nicht entgegensteht707. Das EVU hat auch die Möglichkeit, ein neuerliches Begehren an das EIU zu richten, über dessen allfällige Ablehnung die Schienen-Control Kommission neuerlich zu entscheiden hat.
Das Verfahren über die Zurverfügungstellung von sonstigen Leistungen richtet sich nach § 72 Abs 6 EisbG, das für Serviceleistungen nach § 73 EisbG; auch über diese Leistungen ist im Falle der Stattgebung mit vertragsersetzendem Bescheid zu entscheiden. Verhindert ein Eisenbahnunternehmen trotz Vorliegen eines Vertrages oder eines vertragsersetzenden Bescheides faktisch den Zugang zur Infrastruktur oder zu sonstigen Leistungen, kann die Schienen-Control Kommission nach Maßgabe von § 75 EisbG auch Zwangsmaßnahmen verfügen.
702 703
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Holoubek, 118. Raschauer, vertragsersetzender Bescheid, 2073 ff; vgl dazu auch Holoubek, 116. Zum Schicksal des Bescheides nach Vertragsabschluss siehe Segalla, Offener Netzzugang, 75 f. Urbantschitsch/Feiel, JBl 2000, 438. Hingewiesen sei allerdings darauf, dass bestimmte Vorschriften des Privatrechts, wie etwa die §§ 914 ff ABGB, nicht anwendbar sein werden; vgl Raschauer, vertragsersetzender Bescheid, 2075. Raschauer, vertragsersetzender Bescheid, 2077. Vorsichtig in Richtung einer Prüfkompetenz der Zivilgerichte im Hinblick auf § 879 ABGB Urbantschitsch/Feiel, JBl 2000, 439, und Segalla, Offener Netzzugang, 72. AA offenbar Raschauer (Raschauer, vertragsersetzender Bescheid, 2074), nach dem ua Verstöße gegen § 879 ABGB als inhaltliche Rechtswidrigkeit vor dem VwGH geltend zu machen sind. Unter Bezugnahme auf Raschauer auch Lewisch, 235. Vgl Segalla, Offener Netzzugang, 73.
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C. Anschluss und Mitbenützung, Zugang auf anderen Eisenbahnen und zu Schulungseinrichtungen 1. Anschluss und Mitbenützung Eisenbahnunternehmen haben nach § 53a Abs 1 EisbG für die Verknüpfung ihrer Eisenbahn mit einer anderen, den Anschluss oder die Mitbenützung ihrer Schieneninfrastruktur sowie die für den Betrieb notwendigen Anlagen durch andere Eisenbahnunternehmen gegen angemessenen Kostenersatz und branchenübliches Entgelt diskriminierungsfrei zu gestatten708. Überdies hat ein EIU Unternehmen, die Schienenfahrzeuge erzeugen, die Mitbenützung der Schieneninfrastruktur für eine behördlich genehmigte Erprobung der Schienenfahrzeuge gegen Kostenersatz zu gestatten (§ 53a Abs 2 EisbG). Im Unterschied zur Öffnung der Schieneninfrastruktur im Allgemeinen, welche sich nur auf Haupt- und vernetzte Nebenbahnen erstreckt, gelten die Regelungen für Anschluss und Mitbenützung für alle Eisenbahnen. Bei diesem Zugangsrecht handelt es sich um ein seit langem, bereits in § 24 der Stammfassung des EisbG verankert gewesenes Rechtsinstitut, welches einerseits die Verknüpfung von Eisenbahnstrecken verschiedener Unternehmen regelt (beispielsweise Anschluss einer Anschlussbahn an eine Haupt- oder Nebenbahn), andererseits die notwendige Mitbenützung von Schieneninfrastruktur und Anlagen, beispielsweise bei Verknüpfung einer Regionalbahn mit einer Hauptbahn eines anderen Unternehmens im Bahnhofsbereich, ermöglicht709.
Das Verfahren zur Einräumung von Anschluss und Mitbenutzung entspricht im Wesentlichen dem für den Zugang zur Schieneninfrastruktur, ist jedoch stark vereinfacht. Eine Beschwerde an die Schienen-Control Kommission ist freilich ebenfalls zulässig (§ 53c EisbG)710.
2. Zugang auf anderen Eisenbahnen Ein dem Zugangsrecht auf Haupt- und Nebenbahnen vergleichbares Recht (einschließlich der Beschwerdemöglichkeit an die Schienen-Control Kommission) gewährt § 75a EisbG für den Fall, dass die Anbindung von Güterterminals oder Häfen im öffentlichen Verkehr nur durch Zugang zu einer anderen Eisenbahn als einer Haupt- oder vernetzten Nebenbahn erfolgen kann (§ 75a Abs 1 EisbG), oder für Anschlussbahnen (§ 75a Abs 2 EisbG).
3. Zugang zu Schulungseinrichtungen Gemäß den §§ 75c ff EisbG haben die Betreiber einer Schulungseinrichtung zur Schulung von Eisenbahnbediensteten Eisenbahnverkehrunternehmen diskriminierungsfreien Zugang zu diesen Einrichtungen für die Schulung solcher Eisenbahnbediensteter zu gewähren, deren Schulung zur Ausstellung einer Sicherheitsbescheinigung (§ 37 EisbG) erforderlich ist.
708 709 710
Zu Anschluss und Mitbenützung siehe Lewisch, 168 ff. RV zu § 55 EisbG, 1835 BlgNR 20. GP, 15. Dazu Segalla, Offener Netzzugang, 77 f.
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4. Rechtsschutz Für Anschluss und Mitbenützung, Zugang auf anderen Eisenbahnen und zu Schulungseinrichtungen ist ein der Einräumung von Zugtrassen vergleichbarer Rechtsschutz vorgesehen (§§ 53c, 75a und 75e EisbG).
IV. Regulierung des öffentlichen Personennahverkehrs Auch die Rechtsvorschriften für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)711 sind im Umbruch712 begriffen. Die (Neu-)Ordnung dieses Sektors wird weitgehend durch die offenbar unmittelbar bevorstehende gemeinschaftsrechtliche Neuordnung dieses Sektors durch eine EG-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße bestimmt werden, welche bereits oben Teil III, I.B. dargestellt wurde. Die (noch) geltende Organisation und Finanzierung des ÖPNV sind im ÖPNRV-G 1999713 geregelt714. Die zentrale Organisationsform des ÖPNV sind Verkehrsverbünde (Abschnitt II ÖPNRV-G)715. Innerhalb eines Verkehrsverbundes sollen die Verkehrsunternehmen zusammenarbeiten, eine Beteiligung der Unternehmen an den Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften ist jedoch unzulässig (§ 17 Abs 2 ÖPNRV-G). Der Verkehrsverbundorganisationsgesellschaft obliegt gemäß § 18 Abs 1 ÖPNRV-G etwa die Erstellung von Rahmenvorgaben für den Gemeinschaftstarif, die Koordination der Bestellung (Auferlegung) von Verkehrsdiensten, die Kontrolle der Erfüllung der Qualitätskriterien sowie der Abschluss von Verkehrsdienstverträgen, Marketing- und Vertriebstätigkeiten, Vorbereitung und Durchführung der Bestellung sowie die Durchführung des Ausschreibungsverfahrens und Abwicklung von Verkehrsdienstverträgen im Auftrag Dritter.
Die Gewährleistungs- und Bestellerkompetenz im Straßenpersonenverkehr ist geteilt: Nach § 10 Abs 2 und 3 ÖPNRV-G sind die Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften für die Bestellung von regionalen Verkehrsleistungen insoweit zuständig, als diese mit Bundesmitteln finanziert werden. Soweit dies nicht erfolgt, sind die Länder und Gemeinden zuständig (§ 13 ÖPNRV-G). Weiters ist es Aufgabe von Ländern und Gemeinden, Planungen im Hinblick auf Reduzierung, Ausweitung oder Umschichtung der Verkehrsleistungen des Grundangebotes im Busverkehr vorzunehmen (§ 11 ÖPNRV-G). Die Bestellung im Nahverkehr obliegt somit ausschließlich den Ländern und Gemeinden. 711 712
713 714 715
Zum Begriff des ÖPNV siehe Kahl, Personennahverkehr, 243 ff. Zur (noch) geltenden Rechtslage vgl Kahl, Personennahverkehr, 493 ff; Wimmer/ Kahl/Werner, ÖGZ 2000, 4. Allgemein zum ÖPNV: Werner, Wirtschaft und Verwaltung, 2001, 89; Wimmer/Kahl, ÖGZ 1999, 5; Kahl, Widersprüche zum gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbot bei der Finanzierung des öffentlichen Personenverkehrs in Österreich, ZVR 1999, 326 (327 f); Wagner, 259 ff. BGBl I 1999/204. Zum ÖPNRV-G vgl Wimmer/Kahl/Werner, ÖGZ 2000, 9, und Wagner, 259 ff. Verkehrsverbünde im Sinn des ÖPNV-G sind Kooperationsformen von Verkehrsunternehmen zur Optimierung des Gesamtangebotes des öffentlichen Personennahund -regionalverkehrs. Ihr Zweck ist die Sicherstellung einer „einheitlichen Benutzeroberfläche“ bei einer Inanspruchnahme unterschiedlicher öffentlicher Verkehrsmittel in einem Verbundraum, der sich gemäß § 14 Abs 1 ÖPNRV-G an den Fahrgastströmen auszurichten hat.
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Im Bereich des Kraftfahrlinienverkehrs musste auf Druck der EU-Kommission mit der KflG-Novelle 2006 § 23 KflG geändert werden, indem für den gemeinwirtschaftlichen Verkehr grundsätzlich eine Ausschreibungspflicht gilt (siehe dazu oben Teil II Kap 1, IV.D.5.). Im Schienenpersonenverkehr ist es gemäß § 7 ÖPNRV-G Aufgabe des Bundes, ein Grundangebot, dessen Basis der Umfang der im Fahrplanjahr 1999/2000 bestellten oder erbrachten Verkehrsleistungen ist, sicherzustellen. Aufgabe von Ländern und Gemeinden ist es, Planungen im Hinblick auf die Reduzierung, Ausweitung oder Umschichtung der Verkehrsleistungen des Grundangebotes des Schienenpersonenverkehrs vorzunehmen (§ 11 ÖPNRV-G). Die bei einer Reduktion eingesparten Mittel sind vorrangig für qualitätssichernde Maßnahmen im ÖPNV zu verwenden. Sollte, was zu erwarten ist, die Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch oben dargestellten Vorschlag für eine V über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße716 neu geregelt werden, bleibt für eine Anpassung des ÖPNRV-G in erster Linie die Verteilung der Finanzierungsverantwortung zwischen den Gebietskörperschaften und die Organisation und Aufgaben der Verkehrverbünde zu regeln. Für die 22. Legislaturperiode war noch eine Neuordnung des ÖPNV durch Neuerlassung eines Bundesgesetzes über die Ordnung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs (Öffentlicher Personennah- und Regionalverkehrsgesetz - ÖPNRV-G)717 geplant gewesen, welche jedoch nicht mehr beschlossen werden konnte.
V. Regulierung der Binnenschifffahrt A. Innerösterreichischer Verkehr Das Netz von Wasserstraßen, einschließlich der übrigen isoliert stehenden oder fließenden öffentlichen Gewässer, welche der Schifffahrt dienen, stellt ein natürliches Monopol dar. Angesichts offensichtlich nicht ausgeschöpfter Trassen auf Wasserstraßen und sonstigen öffentlichen Gewässern bedarf es allerdings keiner Mangelverwaltung. Im Gegenteil. Auf Grund bestehender Überkapazitäten an Schiffsraum und -antriebsleistung718 erließ der Rat mit der V (EWG) Nr 1101/89 über die Strukturbereinigung in der Binnenschifffahrt719 Vorschriften zur Durchführung von Abwrackungsmaßnahmen einschließlich deren Finanzierung. Da die Maßnahmen das Ziel erreicht haben720, wurde die Geltung der befristet erlassenen V im Jahr 1999 nicht mehr verlängert. Die V (EWG) Nr 1101/89 wurde durch die V (EG) Nr 718/1999721 über kapazitätsbezogene Maßnahmen für die Binnenschifffahrtsflotten ersetzt, deren Ziel die 716 717 718 719
720 721
FN 660. Ministerialentwurf, 376/ME 22. GP. RV BinnenschiffahrtsfondsG, 84 BlgNR 21. GP, 5. Abl L 116/26. Zur Strukturbereinigung in der Binnenschifffahrt vgl auch Wagner, Verkehrsverlagerung auf das Binnenschiff, in: Kerschner (Hrsg), Österreichisches und Europäisches Verkehrsrecht, 2001, 357 (365). RV BinnenschiffahrtsfondsG, 84 BlgNR 21. GP, 5. Abl L 90/1.
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Verhinderung des Entstehens neuer Überkapazitäten ist. Zur Durchführung dieser Maßnahmen wurde der „Österreichische Binnenschifffahrtsfonds“ eingerichtet722. Abgesehen von diesen Maßnahmen zum Abbau der Überkapazitäten besteht keine besondere staatliche Wettbewerbsregulierung mehr, seitdem mit der SchiffG-Novelle 1995723 das Erfordernis des „volkswirtschaftlichen Interesses“ als Voraussetzung für die Erteilung einer Konzession für Schifffahrtsunternehmen beseitigt wurde.
B. Gemeinschaftsverkehr 1. Kabotage innerhalb der Mitgliedstaaten Mit der V (EWG) Nr 3921/91724 wurde den Binnenschifffahrtsunternehmen der Mitgliedstaaten, sofern diese zum grenzüberschreitenden Güter- und Personenverkehr zugelassen sind, das Recht zur Erbringung von Verkehrsleistungen innerhalb anderer Mitgliedstaaten (Kabotage) eingeräumt. Gemäß Art 2 V (EWG) Nr 3921/91 ist das Schifffahrtsunternehmen allerdings nur dann zur Kabotage berechtigt725, wenn es - vereinfacht gesagt - Schiffe im Eigentum von Gemeinschaftsbürgern verwendet. Art 3 V (EWG) Nr 3921/91 verpflichtet die Schifffahrtsunternehmen zur Beachtung bestimmter Verwaltungsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaates. Art 5 V (EWG) Nr 3921/91 verbietet den Mitgliedstaaten die Einführung neuer Beschränkungen der tatsächlich erreichten Freiheit des Dienstleistungsverkehrs; Art 6 V (EWG) Nr 3921/91 enthält eine salvatorische Klausel hinsichtlich der Rheinschiffahrtsakte (Mannheimer Akte)726.
2. Transnationaler Binnenschiffsverkehr zwischen Mitgliedstaaten Mit der V (EG) Nr 1356/96 wurde den in einem Mitgliedstaat zum Binnenschiffsverkehr zugelassenen Schifffahrtsunternehmen das Recht eingeräumt, grenzüberschreitende Verkehrsleistungen zwischen den Mitgliedstaaten ohne Diskriminierung auf Grund seiner Staatsangehörigkeit und seines Niederlassungsortes zu erbringen [Art 2 V (EG) Nr 1356/96]727. Die Voraussetzungen der Zulassung zum grenzüberschreitenden Verkehr sind in Art 2 V (EWG) Nr 3921/91 geregelt728. Art 3 V (EG) Nr 1356/96 enthält ebenfalls eine salvatorische Klausel729 hinsichtlich der Rheinschifffahrt (Mannheimer Akte), aber auch hinsichtlich der Regelung der Schifffahrt auf der Donau (Donaukonvention)730.
722 723 724 725 726 727 728 729 730
BGBl I 2000/69; näher unten V.D. BGBl 1995/429. Abl L 373/1. Zu den Voraussetzungen für die Marktzulassung zur Kabotage: Nonn, 28, Rz 7 ff. FN 337. Abl L 175/7. Zu den Voraussetzungen für die Marktzulassung im grenzüberschreitenden Verkehr: Nonn, 27, Rz 9. Nonn, 27, Rz 10. BGBl 1960/40.
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C. Drittstaatsverkehr Wie oben ausgeführt731, ist das völkerrechtliche Regime österreichischer Binnenschifffahrtsvorschriften durch die Donau geprägt. Die Schifffahrt auf der Donau wird teils durch Donaukonvention, teils durch bilaterale Abkommen geregelt. Art 1 der Donaukonvention stellt den Grundsatz der Schifffahrtsfreiheit auf, der auch als eine Verkehrsfreiheit zu kommerziellen Zwecken angesehen wird732. Wirtschaftliche Fragen der Schifffahrtsgesellschaften werden durch das Abkommen allerdings nicht geregelt. Fragen des Marktzuganges und der Aufteilung der Kapazitäten sind hingegen in den von Österreich geschlossenen bilateralen Abkommen betreffend die Regelung der Donauschifffahrt enthalten733. Das Abkommen mit Russland wurde als Staatsvertrag iSd Art 50 B-VG, alle übrigen Abkommen als Regierungsübereinkommen geschlossen. Abgesehen vom Vertrag mit Russland, beinhalten diese Abkommen eine Verpflichtung der Schifffahrtsunternehmen der jeweiligen Länder, durch Vereinbarung eine Aufteilung der Warentransporte zu treffen. Da die Erfahrungen jedoch gezeigt haben, dass diese zwischenstaatlichen Abkommen die Befriedigung der wirtschaftlichen Bedürfnisse der österreichischen Binnenschifffahrt nicht sicherzustellen vermochten, wurde ein Bundesgesetz über den zwischenstaatlichen Binnenschiffsverkehr auf Wasserstraßen734 nach dem Vorbild735 des Bundesgesetzes über den zwischenstaatlichen Luftverkehr736 erlassen. § 1 leg cit unterwirft die Übereinkommen zwischen den Binnenschifffahrtsunternehmen einer Genehmigungspflicht, sofern bestehende Abkommen die Genehmigung durch die zuständigen Behörden nicht ausschließen (§ 1 Abs 2 leg cit). Die Genehmigung der Übereinkommen ist zu erteilen, wenn diese den in § 1 Abs 1 Z 1 bis 6 leg cit genannten Kriterien entsprechen, zusammengefasst, wenn sie den Interessen der österreichischen Verkehrspolitik, insbesondere hinsichtlich der Binnenschifffahrt ausreichend Rechnung tragen. § 2 leg cit unterwirft die Errichtung, Betrieb und Besetzung von Agentien einer behördlichen Genehmigung. Schließlich regelt der II. Abschnitt des Bundesgesetzes über den zwischenstaatlichen Binnenschiffsverkehr auf Wasserstraßen den Abschluss und Inhalt zwischenstaatlicher Abkommen über den Binnenschiffsverkehr auf Wasserstraßen in Form von Regierungsübereinkommen. Die BReg wird ermächtigt, mit Drittstaaten auf der Stufe von VO stehende Regierungsübereinkommen im Wesentlichen auf Grundlage der Reziprozität schließen. Sofern diese Abkommen den Schiffsverkehr auf der Donau betreffen, stehen sie in Widerspruch mit der in Art 1 der Donaukonvention festgeschriebenen Schifffahrtsfreiheit737. Die Erbringung von Verkehrsdienstleistungen durch österreichische Binnenschifffahrtsunternehmen in Drittstaaten und von Drittstaatsunternehmen in Österreich ist auf Grundlage der angesprochenen Regierungsübereinkommen zulässig. 731 732 733
734 735 736 737
Siehe oben Teil I Kap 4, I.C. Ausführlich Zemanek, 11 ff. Ungarn: BGBl 1955/195; Tschechoslowakei: BGBl 1956/74; Jugoslawien: BGBl 1956/118; Bulgarien: BGBl 1956/140; Rumänien: BGBl 1956/186; UdSSR: BGBl 1958/4. BGBl 1983/143. RV 1269 BlgNR 15. GP, 6. FN 582. Zemanek, 10. AA die RV zum Bundesgesetz über den zwischenstaatlichen Binnenschiffsverkehr auf Wasserstraßen, 1269 BlgNR 15. GP, 6 f.
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D. Strukturbereinigung in der Binnenschifffahrt Mit dem Beitritt Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften mussten Vorkehrungen zur Erfüllung der Anforderungen der V (EWG) Nr 1101/89738 über die Strukturbereinigung in der Binnenschifffahrt getroffen werden. Dem diente das Bundesgesetz über die Strukturbereinigung in der Binnenschifffahrt739, mit dem ein öffentlich-rechtlicher Fonds mit der Bezeichnung „Österreichischer Abwrackungsfonds für die Binnenschifffahrt“ eingerichtet wurde. Aufgabe des Fonds war im Wesentlichen die Erhebung der in der V (EWG) Nr 1101/89 vorgesehenen Beiträge und deren Verteilung. Nach zehnjähriger Laufzeit wurde die Geltung der befristet erlassenen V (EWG) Nr 1101/89 nicht mehr verlängert, vielmehr wurde diese durch die V (EG) Nr 718/1999740 über kapazitätsbezogene Maßnahmen für die Binnenschifffahrtsflotten ersetzt, deren Ziel die Verhinderung des Entstehens neuer Überkapazitäten ist. Die Anpassung an die Vorschriften zur Regulierung der Kapazitäten durch Österreich erfolgte mit dem BinnenschifffahrtsfondsG741, mit dem das Bundesgesetz über die Strukturbereinigung in der Binnenschifffahrt aufgehoben wurde. Auf Grund des BinnenschifffahrtsfondsG wurde der „Österreichischer Abwrackungsfonds für die Binnenschifffahrt“ in den „Österreichischen Binnenschifffahrtsfonds“ umbenannt und diesem die Erfüllung der in der V (EG) Nr 718/1999 vorgesehenen Aufgaben übertragen (§ 2 Abs 1 BinnenschifffahrtsfondsG).
VI. Regulierung des gewerblichen Luftverkehrs A. Innerösterreichischer Luftverkehr Der innerösterreichische Verkehr unterliegt keiner besonderen Wettbewerbsregulierung, zum Erbringen von innerösterreichischen Luftverkehrsdienstleistungen reicht die bloße Marktzulassung als Luftfahrtunternehmen nach der V (EWG) Nr 2407/92.
B. Gemeinschaftsluftverkehr 1. Marktzugang im Gemeinschaftsluftverkehr a) Genehmigungsverfahren Nach Art 3 Abs 1 V (EWG) Nr 2408/92 wird den Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft von den vom Verkehr betroffenen Mitgliedstaaten die Genehmigung erteilt, Verkehrsrechte auf Strecken in der Gemeinschaft auszuüben. Hinsichtlich der Frage, ob dies den Unternehmen bereits das Recht verleiht, ohne weiteres Genehmigungsverfahren Verkehrsrechte auszuüben, hat Kommission
738 739 740 741
Abl L 116/26. BGBl 1996/386. Abl L 90/1 idF V (EG) Nr 336/2002, Abl L 53/1. BGBl I 2000/69. Zum BinnenschifffahrtsfondsG siehe Muzak, 170 ff.
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schon in der Entscheidung Viva Air742 festgestellt, dass die Bestimmung des Art 3 Abs 1 V (EWG) Nr 2408/92 nicht unmittelbar zur Ausübung von Verkehrsrechten berechtigt, sondern die Mitgliedstaaten ein förmliches Genehmigungsverfahren vorschreiben können743. Österreich hat auf die Anordnung einer formellen Genehmigungspflicht für Flüge im Anwendungsbereich der V (EWG) Nr 2408/92 verzichtet744 und bloß eine Meldepflicht vorgesehen: Spätestens 30 Tage vor dem beabsichtigten Zeitpunkt des Betriebes (§ 12 BGzLV iVm § 10 Abs 1 BGzLV) sind die Flugpläne der Austro Control GmbH zur Kenntnisnahme vorzulegen. b) Interventionsmöglichkeiten und verkehrspolitischer Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten Ziel der Luftverkehrspolitik der EU-Kommission ist es, dass der Luftverkehrssektor im Binnenmarkt engere und schnellere Verbindungen zwischen den zentralen Regionen der Gemeinschaft, aber auch zwischen den zentralen Regionen der Gemeinschaft und den am Rande der Gemeinschaft gelegenen Gebieten bereitstellt745. Zur Erreichung dieser Ziele, insbesondere um die Anbindung von Rand- und Entwicklungsgebieten zu gewährleisten, gesteht die V (EWG) Nr 2408/92 den Mitgliedstaaten auch Interventions- und Gestaltungsmaßnahmen zu. So können Luftfahrtunternehmen auf bestimmten Strecken Ausschließlichkeitsrechte746 im Gegenzug gegen die Auferlegung von gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen eingeräumt und für die Neuanbindung von Regionalflughäfen befristete Beförderungsvorbehalte gewährt werden [Art 4 V (EWG) Nr 2408/92]. Die Mitgliedstaaten haben weiters die Möglichkeit, die Verteilung von Flügen innerhalb von Flughafensystemen zu gestalten747, beispielsweise die Flüge nach gewissen Kriterien, wie etwa nach regional- oder transkontinentalen Verbindungen innerhalb des Systems zu verteilen [Art 8 Abs 2 V (EWG) Nr 2408/92]. Ein Mitgliedstaat kann sich auf Grund der V auch dafür entscheiden, die Entwicklung eines einzelnen Flughafen, der zu einem Flughafensystem gehört, zu Lasten des anderen Flughafens des Systems zu begünstigen748. Im Falle ernsthafter Überlastung oder bei Umweltproblemen kann der verantwortliche Mitgliedstaat gemäß Art 9 Abs 1 V (EWG) Nr 2408/92 die Ausübung von Verkehrsrechten von bestimmten Bedingungen abhängig machen, einschränken oder verweigern, insbesondere wenn andere Verkehrsträger Dienstleistungen in ausreichendem Umfang zur Verfügung stellen können. 742 743 744 745 746 747 748
Entscheidung 347/93 der Kommission, Flugdienste der Viva Air nach Paris (Charles de Gaulle), Abl L 140, 51. Niejahr, 51, Rz 152 f. So auch die Erläuterungen zu § 10 BGzLV, 741 BlgNR 20. GP, 9. Vollendung der Zivilluftfahrtpolitik in der Europäischen Gemeinschaft mit Blick auf den Binnenmarkt, KOM (91) 275, 2. Vgl Niejahr, 51, Rz 167. Niejahr, 51, Rz 204 ff. Vgl dazu die Entscheidung 290/94 der Kommission, Verkehrsrechte der TAT auf der Strecke Paris (Orly) - London, Abl L 127/22; ebenso Entscheidung 259/95 der Kommission, Französische Verkehrsaufteilungsregelung für das Pariser Flughafensystem, Abl L 162/25.
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c) Verteilung von Start- und Landerechten (Slots) Die chronische Überlastung des Luftraums bewirkt insbesondere auf den großen Verteilerflughäfen auch eine Verknappung der für den Start und/oder Landung vorgesehenen Zeitnischen (Slots). Um einen wirksamen Wettbewerb auch tatsächlich zu gewährleisten und nicht alteingesessene Unternehmen unsachlich zu begünstigen, musste ein Verteilungsregime geschaffen werden, das in die bestehenden Rechte nicht unverhältnismäßig eingreift, gleichzeitig aber auch zeitlich und finanziell attraktive Slots für Markteintrittswillige bereitstellt. Dazu bestehen weltweit unterschiedliche Verteilungsmechanismen, welche in Zusammenhang mit der Luftverkehrsinfrastruktur dargestellt wurden (oben Teil I Kap 4, III.E.).
2. Tarifbildung im Gemeinschaftsluftverkehr a) Freie Preisbildung für Flugpreise und Luftfrachtraten Für innergemeinschaftliche Flugdienste gilt seit Inkrafttreten der V (EWG) Nr 2409/92749 das Prinzip freier Preisbildung. Mit Rücksicht auf die Einbindung Europas in den globalen Linienluftverkehr hat der Rat allerdings die Kommission zur Erlassung einer Gruppenfreistellungsverordnung für Konsultationen der Unternehmen über die Tarife im Drittstaats-Fluglinienverkehr ermächtigt750. Die Kommission hat darauf Preisabsprachen unter bestimmten Umständen von der Anwendung des Kartellverbotes freigestellt751. Die Preisführerschaft auf innergemeinschaftlichen Strecken bleibt jedoch den Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft vorbehalten [Art 1 Abs 3 V (EWG) Nr 2409/92]. Die V regelt somit in der Hauptsache die dem Fluggast vom Luftfahrtunternehmen direkt angebotenen Preise für die eigene Beförderung und die Beförderung des Gepäcks, wobei die V (EWG) Nr 2409/92 nicht zwischen Linien- und Bedarfsverkehr unterscheidet. Die V (EWG) Nr 2409/92 gilt für die Aufstellung von Flugpreisen und Frachtraten bei Beförderungen ausschließlich innerhalb der Gemeinschaft [Art 1 Abs 1 V (EWG) Nr 2409/92] durch Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft. Flüge von Drittstaatsunternehmen innerhalb der Gemeinschaft, beispielsweise im Wege der fünften Freiheit, fallen nicht in den Anwendungsbereich der V (EWG) Nr 2409/92752. Die V findet weiters keine Anwendung auf mit Drittstaatstarifen kombinierte Flugpreise auf Gemeinschaftsstrecken. Überdies gilt die V kraft ausdrücklicher Anordnung des Art 1 Abs 2 lit b V (EWG) Nr 2409/92 nicht für Flugpreise und Luftfrachtraten, die einem Unternehmen als gemeinwirtschaftliche Verpflichtung im Sinne des Art 4 V (EWG) Nr 2408/92 auferlegt wurden.
b) Hinterlegung der Tarife Nach Art 5 Abs 2 V (EWG) Nr 2409/92 können die Mitgliedstaaten verlangen, dass Flugpreise in einer von den Mitgliedstaaten näher vorzuschreibenden Form hinterlegt werden, wobei dies nicht zur einer Diskriminierung auf Grund der Nationalität oder Identität des Luftfahrtunternehmens führen darf. Eine 749 750
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Abl L 240/15. Art 2 Abs 2 V (EWG) Nr 3976/87 zur Anwendung von Art 85 Abs 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und abgestimmte Veraltensweisen im Luftverkehr, Abl L 374/9. Art 2 lit a V (EWG) Nr 1617/93, Abl L 155/18. Art 1 Abs 2 lit a Art 2 lit a V (EWG) Nr 2409/92.
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Hinterlegung ist bis längstens 24 Stunden (einschließlich eines Arbeitstages) vor Inkrafttreten der Tarife zulässig. Wollen Luftfahrtunternehmen ihre Preise bloß anpassen, ist es nicht erforderlich, die Tarife zu hinterlegen, es genügt die vorherige Mitteilung an die Behörde über die Preisangleichung [Art 5 Abs 2 V (EWG) Nr 2409/92]. c) Interventionsmöglichkeiten Gemäß Art 6 Abs 1 V (EWG) Nr 2409/92 können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen einen Grundpreis753 außer Kraft setzen wenn der Grundpreis unter Berücksichtigung der gesamten Preisstruktur für die betreffende Strecke sowie anderer einschlägiger Faktoren einschließlich der Wettbewerbslage, im Verhältnis zu den langfristig voll zugewiesenen einschlägigen Kosten des Luftfahrtunternehmens und einer angemessenen Kapitalverzinsung zum Nachteil der Benutzer unangemessen hoch erscheint754. Im Fall drastischer Preissenkungen haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, weitere Preissenkungen auf einem Markt (sowohl für eine Strecke als auch für ein Streckenbündel) zu untersagen, wenn die Marktkräfte zu einem anhaltenden Verfall der Flugpreise führen, der sich deutlich von gewöhnlichen jahreszeitlich bedingten Schwankungen abhebt, und damit bei allen betroffenen Luftfahrtunternehmen auf den betreffenden Flugdiensten zu umfangreichen Verlusten geführt hat, wobei die langfristig voll zugewiesenen einschlägigen Kosten zu berücksichtigen sind [Art 6 Abs 1 lit b V (EWG) Nr 2409/92]755. d) Interventionsverfahren Erfolgt innerhalb von 24 Stunden nach Hinterlegung des Tarifs keine Intervention der Luftfahrtbehörde, so kann der Flugpreis veröffentlicht und angewandt werden. Die beschriebenen Interventionsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten bestehen aber auch während der Anwendung der Tarife, denn nach Art 6 Abs 1 V (EWG) Nr 2409/92 haben die Behörden „jederzeit“ die Möglichkeit zu intervenieren. Nach § 13 Abs 1 BGzLV kann der Verkehrsminister vorschreiben, dass die von einem Unternehmen, welches Flugverkehr in oder nach Österreich betreibt, zur Anwendung kommenden Beförderungsbedingungen und Beförderungstarife zur Kenntnis und756 zur Bewilligung vorzulegen sind. Die Bestimmung differenziert nicht zwischen Bedarfs- und Fluglinienverkehr („Flugverkehr“) und nicht zwischen Gemeinschaftsluftverkehr und Drittstaatsflügen757. § 13 Abs 1 BGzLV enthält damit in Bezug auf die Tarifingerenz nach der V (EWG) Nr 2409/92 auch eine innerstaatliche Zuständigkeitszuweisung.
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Ein Grundpreis ist gemäß Art 2 lit k Art 2 lit a V (EWG) Nr 2409/92 der niedrigste voll flexible Flugpreis, der für einfache Flüge- und für Hin- und Rückflüge mindestens im gleichen Umfang zum Verkauf angeboten wird wie jeder andere voll flexible Flugpreis für denselben Flugdienst. Niejahr, 51, Rz 289 ff. Niejahr, 51, Rz 293 ff. Gemeinschaftsrechtskonform interpretiert wohl „oder“. § 13 Abs 2 und 3 BGzLV ist hingegen nur auf den Drittstaatsverkehr anwendbar.
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C. Drittstaatsluftverkehr 1. Marktzugang im Drittstaatslinienverkehr a) Drittstaatslinienverkehr auf Grund eines Luftverkehrsabkommens Der Marktzugang im Drittstaatsverkehr ist auf Grund der oben (Teil II Kap 4, I.C.1.b).) dargestellten Änderungen im Bereich der Abgrenzung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten von denen der Gemeinschaft im Umbruch begriffen. Dennoch sind für den Marktzugang grundsätzlich758 auch weiterhin die jeweiligen bilateralen Luftverkehrsabkommen maßgeblich: Zulässigkeit und der Umfang der Aufnahme von Fluglinienverkehr759 eines österreichischen Luftfahrtunternehmens760 nach einem Drittstaat oder die Aufnahme eines Fluglinienverkehrs eines Drittstaatsunternehmens nach Österreich sind daher nach den Vorschriften des jeweiligen Luftverkehrsabkommens zu beurteilen. Um Rechte aus einem Luftverkehrsabkommen nutzen zu dürfen, muss das Unternehmen von der Regierung des jeweiligen Staates gegenüber dem Partnerstaat vorab als das Unternehmen bezeichnet (designiert) werden, das berechtigt ist, Verkehrsrechte auf vereinbarten Strecken auszuüben. Diese Designierung individualisiert das Verkehrsrecht. Sie verleiht dem Unternehmen ein subjektives Recht auf Erteilung der erforderlichen Bewilligungen durch die zuständige österreichische Behörde im Rahmen der im Abkommen vereinbarten Verkehrsrechte und Flugstrecken. Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft mit Sitz in Österreich und Drittstaatsunternehmen, die auf Grund der Luftverkehrsabkommen designiert oder nach § 9 des Bundesgesetzes über den zwischenstaatlichen Luftverkehr (BGzLV)761 zugelassen wurden, benötigen für die Beförderung von Personen oder Sachen von Österreich nach Drittstaaten und umgekehrt eine Flugplanbewilligung der Austro Control GmbH. Bewilligungen oder bewilligte Änderungen sind gemäß § 10 Abs 4 BGzLV zu widerrufen, wenn dies auf Grund öffentlicher Interessen, im Interesse der Sicherheit der Luftfahrt, im luftverkehrswirtschaftlichen Interesse oder auf Grund einer völkerrechtlichen Verpflichtung erforderlich ist.
b) Drittstaatslinienverkehr von und nach Österreich ohne Luftverkehrsabkommen Österreichische Unternehmen, die Fluglinienverkehr mit Drittstaaten aufnehmen wollen, mit denen kein Luftverkehrsabkommen besteht, müssen, vereinfacht gesagt, im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung einer Flugplanbewilligung den Nachweis der Erfüllung jener Voraussetzungen erbringen, die zur Designierung eines österreichischen Unternehmens auf Grund eines Abkommens erforderlich sind (§ 4 Abs 3 BGzLV). Luftfahrtunternehmen aus Drittstaaten, mit denen kein Luftverkehrsabkommen besteht, müssen zuvor nach § 9 BGzLV zugelassen werden, das heißt, die Unternehmen haben eine Betriebs758 759 760 761
Soweit nicht auf Grund des EuGH-Urteils „Open skies“ (FN 36) eine Verletzung von Gemeinschaftsrecht vorliegt. § 1 Z 1 BGzLV: „die dem öffentlichen Verkehr dienende, regelmäßige Beförderung auf bestimmten Strecken“. Österreichische Luftfahrtunternehmen sind solche, denen in Österreich eine Betriebsgenehmigung nach der Art 2 lit a V (EWG) Nr 2407/92 erteilt wurde. BGBl I 1997/101 idF BGBl I 2004/173.
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bewilligung des Verkehrsministers zu beantragen762. Nach erfolgter Zulassung kann das Unternehmen die Flugplanbewilligung zu beantragen.
2. Tariffestsetzung im Drittstaatslinienverkehr Die Art der Tarifbildung und die behördliche Tarifaufsicht haben sich im Gefolge der US-Deregulierung auch internationalen Verkehr abseits der USA deutlich geändert. Während ursprünglich die beiderseitige behördliche Tarifgenehmigung das bestimmende Prinzip von Luftverkehrsabkommen war, verleihen jüngere Abkommen den Behörden bloß Befugnisse, bestimmte unbillige diskriminierende Preise und Praktiken zu verhindern. Die double-approval-rule des „Bermuda-I-Abkommen“ hat sich zu einer double-disapproval-rule gewandelt - vom Genehmigungsvorbehalt zur Missbrauchsaufsicht. In den für Österreich geltenden Luftverkehrsabkommen ist heute noch eine Reihe unterschiedlicher Tarifgenehmigungsverfahrensarten vorgesehen. Dementsprechend ermächtigt § 13 BGzLV den Verkehrsminister (nach den Vorschriften des jeweiligen Luftverkehrsabkommens) vorzuschreiben, dass Beförderungsbedingungen und Beförderungstarife zur Kenntnis oder zur Bewilligung vorzulegen sind.
3. Marktzugang im Bedarfsverkehr nach Drittstaaten Das Marktzugangsregime des ICAO-Abkommens ist auf den Fluglinienverkehr beschränkt, lediglich die allgemeinen, nicht auf den Fluglinienverkehr bezogenen Bestimmungen, finden auch auf den Bedarfsverkehr763 Anwendung. Auch auf bilateraler Ebene wurden kaum764 Vereinbarungen über den Bedarfsverkehr getroffen und multilaterale Regelungen blieben regional beschränkt (Pariser Abkommen)765. Aufgrund der vollen Souveränität der Staaten über ihren Luftraum ist auch im Bedarfsverkehr nach Drittstaaten regelmäßig eine Erlaubnis des Herkunftsals auch des Zielstaates einzuholen, die nach den Bedingungen des nationalen Rechts zu erteilen ist766. Österreichische Luftfahrtunternehmen haben zur Beförderung von Personen und Fracht von oder nach Drittstaaten eine Genehmigung gemäß § 11 Abs 1 BGzLV einzuholen. Die Genehmigungsvoraussetzun762
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Die Vorschrift des § 9 BGzLV ist auch dann anzuwenden, wenn in den Abkommen keine Vorschriften über die Betriebsbewilligung enthalten sind, oder auf die nationalen Vorschriften verwiesen wird. § 1 Z 2 BGzLV: „Jede andere Beförderung als Fluglinienverkehr“. Vgl aber das Luftverkehrsabkommen Österreich/USA, das nicht mehr zwischen den Verkehrssegmenten differenziert. In seiner geltenden Fassung bezieht sich das Abkommen nur mehr auf „den Luftverkehr, der durch Luftfahrzeuge zur öffentlichen Beförderung von Fluggästen Fracht und Post betrieben wird“ (Art 1 lit c Luftverkehrsabkommen Österreich/USA). Multilaterales Abkommen über die kommerziellen Rechte im nichtplanmäßigen Luftverkehr in Europa, BGBl 1957/163. Aufgrund der eher weitreichenden Beschränkungsmöglichkeiten konnte das Abkommen praktisch kaum Bedeutung erlangen, weil die Pariser Konferenz vom Geist des Schutzes des Fluglinienverkehrs getragen war. Seit der Liberalisierung des EG-Luftraumes ist das Abkommen praktisch bedeutungslos. Zur Rechtslage in Deutschland Götting, Zuteilung von Streckenrechten für Linienflug- und gewerblichen Gelegenheitsverkehr, ZLW 1999, 499 (512).
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gen sind im Wesentlichen dieselben wie für Erteilung einer Flugplanbewilligung (§ 10 BGzLV), wobei auch die Erfüllung der Kriterien des § 4 Abs 2 BGzLV (Designierung) nachzuweisen ist767. Für Drittstaatsunternehmen, die Bedarfsverkehr nach Österreich durchführen wollen, ist zu differenzieren: Besteht mit dem Heimatstaat des Luftfahrtunternehmens ein Luftverkehrsabkommen, in welchem das betreffende Unternehmen - wenngleich zum Fluglinienverkehr - designiert und dem Unternehmen im Hinblick darauf eine Betriebsbewilligung erteilt wurde, so hat das Unternehmen bloß um die Bewilligung nach § 11 BGzLV anzusuchen. Besteht mit dem betreffenden Staat kein Luftverkehrsabkommen, so hat das Unternehmen zuvor um eine Zulassung nach § 9 BGzLV anzusuchen. Gleiches gilt für den Fall, dass zwar ein Luftverkehrsabkommen besteht, das betreffende Unternehmen aber nicht designiert wurde oder keine Betriebsbewilligung in Österreich besitzt, weil es den Verkehr bisher nicht aufgenommen hat.
4. Tariffestsetzung im Bedarfsverkehr nach Drittstaaten Die Tarifbildung und Tarifaufsicht im Bedarfsverkehr wurde weder bi- noch multilateral geregelt, es gilt der Grundsatz freier Preisbildung.
5. Sicherheit von Luftfahrtunternehmen aus Drittstaaten im Luftverkehr innerhalb der Gemeinschaft a) Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen der Mitgliedstaaten Zur wirksameren Durchsetzung internationaler Sicherheitsstandards wurden die Regeln und Verfahren zur Kontrolle der Sicherheit von Luftfahrtunternehmen aus Drittstaaten, die Flughäfen in den Mitgliedstaaten anfliegen, mit der RL 2004/36/EG768 harmonisiert. Österreich hat die RL mit dem Bundesgesetz über Sicherheitsmaßnahmen bei Luftfahrzeugen aus Drittstaaten769 umgesetzt. Das Gesetz sieht Kontrollmaßnahmen durch die Austro Control GmbH (§ 3 Abs 1 leg cit), insbesondere die Durchführung so genannter „Vorfeldinspektionen“ vor (§ 5 f leg cit), und ermächtigt von der Austro Control GmbH ernannte „befugte Organe“ (§ 3 Abs 1 leg cit) - - je nach Sicherheitsrisiko - mit Befehls- und Zwangsbefugnissen eine Mängelbehebung anzuordnen, allenfalls auch die Durchführung des Fluges zu verbieten (§ 7 leg cit; vgl auch § 171 Abs 2 - 5 LFG). b) Gemeinschaftsweite „Black list“ von Luftfahrtunternehmen Ergänzend zur eben angeführten Harmonisierung der Sicherheitsmaßnahmen der Mitgliedstaaten hat die Gemeinschaft mit der V (EG) Nr 2111/2005 selbst die Grundlagen für die Erstellung einer „gemeinschaftlichen Liste“ von Luftfahrtunternehmen geschaffen, gegen die aus Sicherheitsgründen unter Anwen-
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Nach § 4 Abs 3 BGzLV gelten die Kriterien des § 4 Abs 2 BGzLV auch für Unternehmen, die Flugverkehr nach Drittstaaten, mit denen kein Luftverkehrsabkommen besteht, durchführen wollen. Abl L 143/76. BGBl I 2006/150.
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dung „gemeinsamer Kriterien“770 eine Betriebsuntersagung in der Gemeinschaft ergangen ist. Die Entscheidung über die Betriebsuntersagung wird von der Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten durch Aufnahme eines Unternehmens in die bzw Streichung von der gemeinschaftlichen Liste getroffen, wobei die Kommission mindestens alle drei Monate eine Aktualisierung der gemeinschaftlichen Liste zu prüfen hat [Art 4 V (EG) Nr 2111/2005]. Die Verordnung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten in dringenden Fällen als Reaktion auf ein unvorhergesehenes Sicherheitsproblem eine Betriebsuntersagung für ihr eigenes Hoheitsgebiet auf Grundlage der „gemeinsamen Kriterien“ erlassen können [Art 6 Abs 1 V (EG) Nr 2111/2005]771, und ermächtigt die Kommission zu vorläufigen Maßnahmen in Form einer „Aktualisierung“ der gemeinschaftlichen Liste, wenn ein gravierendes Sicherheitsrisiko besteht und dies nicht durch Maßnahmen des oder der Mitgliedstaaten gemäß Art 6 Abs 1 V (EG) Nr 2111/2005 beseitigt werden kann [Art 5 V (EG) Nr 2111/2005]. Auf Grund der Ermächtigung des Art 8 Abs 1 V (EG) Nr 2111/2005 hat die Kommission in der V (EG) 473/2006772 Durchführungsbestimmungen zur V (EG) Nr 2111/2005 erlassen, in der auch eine nähere Präzisierung der „Verteidigungsrechte“ des betroffenen Luftfahrtunternehmens vorgenommen wird: Das Verfahren zur Erlassung einer Betriebsuntersagung ist - wie in Art 7 V (EG) Nr 2111/2005 allerdings vorgezeichnet - ein bloßes Anhörungsverfahren. Antragsrechte, insbesondere auch solche auf Streichung von der gemeinschaftlichen Liste, kommen ausschließlich den Mitgliedstaaten zu. Auf Antrag kann das betroffene Unternehmen lediglich erwirken, dass es Gelegenheit erhält, „seinen Standpunkt mündlich vorzutragen“. Die Entscheidung über die Anordnung einer Betriebsuntersagung erfolgt durch Verordnung, und zwar durch Aufnahme in die gemeinschaftliche Liste [arg: „Die gemeinschaftliche Liste wird aktualisiert, um eine Betriebsuntersagung … zu erlassen“, Art 4 Abs 1 lit a V (EG) Nr 2111/2005]. Den betroffenen Unternehmen dürfte allerdings das Recht auf eine individuelle Nichtigkeitsklage gemäß Art 230 Abs 4 EG-Vertrag zustehen773, weil sie durch die Entscheidung, obgleich sie in der Rechtsform der Verordnung ergangen ist, unmittelbar und individuell betroffen sind. Die erste „gemeinschaftliche Liste“ der Kommission wurde im März 2006 mit der V (EG) Nr 474/2006774 erlassen und mittlerweile mit V (EG) Nr 770
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Art 3 Abs 4 V (EG) Nr 2111/2005, welcher auf den Anhang der Verordnung verweist. Der Anhang der Verordnung kann wiederum von der Kommission nach dem in Art 15 Abs 3 der Verordnung vorgesehenen Verfahren geändert werden. Das oben bereits dargestellte Bundesgesetz über Sicherheitsmaßnahmen bei Luftfahrzeugen aus Drittstaaten (FN 769) sieht als außerordentliche Maßnahmen ua die Abweisung bzw den Widerruf von Flugplanbewilligungen gemäß § 10 und 11 BGzLV oder der Genehmigung des Leasings von Luftfahrzeugen von den betroffenen Unternehmen sowie die Verweigerung des Einflugs in das Bundesgebiet vor (§ 7 Abs 4 leg cit). Abl L 84/8. Die Nichtigkeitsklage gemäß Art 230 Abs 4 EG steht auch Drittstaatsangehörigen offen, Callies/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag und EG-Vertrag², 2002, Art 230, Rz 24. Abl L 84/14.
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910/2006775 aktualisiert. Die Gründe für die Aufnahme der einzelnen Luftfahrtunternehmen in die Liste, und damit für die Verhängung des Flugverbotes in der Gemeinschaft, sind in den Erwägungsgründen der Verordnung angeführt.
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Abl L 168/16.
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Telekommunikationsrecht Rechtsgrundlagen .........................................................................................1118 Grundlegende Literatur.................................................................................1120 I. Grundlagen ..............................................................................................1121 A. Allgemeines..........................................................................................1121 1. Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte.............................1121 2. Regulierung der Telekommunikationsmärkte - staatliche Gewährleistungsverantwortung im Telekommunikationsbereich...1123 3. Ein neuer Rechtsrahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte - das TKG 2003.......................................1124 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .......................................................1126 1. Die Rechtsgrundlagen für die legislativen Maßnahmen der EG im Bereich der elektronischen Kommunikation .............................1126 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit....................................1127 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen ...............1129 1. Das internationale Telekommunikationsrecht .................................1129 2. Die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.........................................1133 II. Der ordnungsrechtliche Rahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte .......................................................................1136 A. Marktzutrittsregulierung......................................................................1136 1. Allgemeines.....................................................................................1136 2. Prinzip der Allgemeingenehmigung................................................1137 3. Rechte und Pflichten einer Allgemeingenehmigung .......................1139 B. Technische Sicherheit der Telekommunikation ...................................1141 1. Betriebsanlagen - Funkanlagen .......................................................1141 2. Telekommunikationsendgeräte........................................................1143 V. Verwaltung knapper Ressourcen .........................................................1143 A. Verwaltung und Vergabe von Frequenzen ..........................................1143 1. Bedeutung der Frequenzen..............................................................1143 2. Internationale Frequenzverwaltung.................................................1144 3. Europäische Frequenzverwaltung ...................................................1145 4. Nationale Frequenzverwaltung........................................................1145 C. Rufnummernverwaltung ......................................................................1151 1. Allgemeines.....................................................................................1151 2. Plan für Kommunikationsparameter................................................1152 3. Zuteilung von Kommunikationsparametern....................................1152 4. Portierung von Rufnummern...........................................................1153 D. Telekommunikationswegerechte..........................................................1154 1. Einleitung ........................................................................................1154 2. Begründung neuer Leitungsrechte ..................................................1155
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Holoubek/Damjanovic
3. Nutzungsrecht an durch Recht gesicherten Leitungen oder Anlagen .................................................................................. 1156 4. Mitbenutzungsrechte....................................................................... 1156 5. Durchsetzung der Wegerechte ........................................................ 1156 VI. Wettbewerbsregulierung ..................................................................... 1157 A. Allgemeines versus sektorspezifisches Wettbewerbsrecht................... 1157 B. Allgemeines zum neuen System der Wettbewerbsregulierung............. 1158 1. Marktdefinition ............................................................................... 1159 2. Marktanalyse - Feststellung beträchtlicher Marktmacht................. 1161 3. Aufhebung, Beibehaltung, Abänderung oder Auferlegung von spezifischen Verpflichtungen .................................................. 1163 V. Universaldienst und Nutzerrechte ....................................................... 1170 A. Infrastrukturverantwortung in einem liberalisierten Umfeld.............. 1170 1. Das Universaldienstregime - sozialpolitischer Hintergrund ........... 1170 2. Umfang und Begriff des Universaldienstes .................................... 1171 3. Universaldiensterbringer................................................................. 1172 4. Finanzierung des Universaldienstes................................................ 1173 B. Nutzerrechte ........................................................................................ 1173 VI. Datenschutz .......................................................................................... 1174 VII. Organisation der Regulierung auf den Telekommunikationsmärkten.......................................................... 1176 A. Grundlagen - Das Konzept der „independent regulatory agencies“.. 1176 B. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zu den NRBs ............................... 1177 C. Behördenstruktur nach dem TKG ....................................................... 1177 1. Überblick ........................................................................................ 1177 2. Telekom Control Kommission - Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag.................................................................. 1179 3. RTR-GmbH - ausgegliedertes beliehenes Privatrechtssubjekt ....... 1179 VIII. Verfahren und Rechtsschutz............................................................ 1181 A. Verfahrensrechtliche Aspekte.............................................................. 1181 1. Anwendbares Verfahrensrecht........................................................ 1181 2. Verfahrensrechtliche Sonderbestimmungen des TKG 2003........... 1181 3. Streitschlichtungsverfahren ............................................................ 1182 B. Rechtsschutz ........................................................................................ 1184 1. Ordentliche Rechtsmittel ................................................................ 1184 2. Vorläufiger Rechtsschutz................................................................ 1185 3. Durchsetzung von Betreiberverpflichtungen .................................. 1185 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht RL 88/301/EWG, Abl 1988 L 131/73 idF RL 94/46/EG, Abl 1994 L 268/15 (RL betreffend die Satelliten-Kommunikation); Entscheidung 128/1999, Abl 1999 L 17/1 (UMTSEntscheidung); RL 1999/5/EG, Abl 1999 L 91/10 (RL über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen); VO 2000/2887, Abl 2000 L 336/4 (VO über den entbündelten Zugang); RL 2002/19/EG, Abl 2002 L 108/7 (ZugangsRL); RL 2002/20/EG,
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Abl 2002 L 108/21 (GenehmigungsRL); RL 2002/21/EG, Abl 2002 L 108/33 (RahmenRL); RL 2002/22/EG, Abl 2002 L 108/51 (UniversaldienstRL); RL 2002/58/EG, Abl 2002 L 201/37 (DatenschutzRL für elektronische Kommunikation) idF RL 2006/24/EG, Abl 2006 L 105/54/EG (VorratsspeicherungsdatenRL); RL 2002/77/EG, Abl 2002 L 249/21 (WettbewerbsRL); Entscheidung 676/2002/EG, Abl 2002 L 108/1 (Frequenzentscheidung); RL 91/287/EWG, Abl 1991 L 144/45; RL 90/544/EWG, Abl 1990 L 310/28; RL 87/372/EWG, Abl 1987 L 196/85 Empfehlung der Kommission 2003/311/EG über relevante Produkt- und Dienstemärkte, Abl 2003 L 114/45; Empfehlung der Kommission 2003/561/EG zu den Notifizierungen, Fristen und Anhörungen gemäß Art 7 der RahmenRL, Abl 2003 L 190/13; Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht, Abl 2002 C 165/6. Innerstaatliches Recht Fernsprechentgeltzuschussgesetz - FeZG (BGBl I 2000/142 idF BGBl I 2002/32); Bundesgesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen - FTEG (BGBl I 2001/134 idF BGBl I 2005/133); KommAustria-Gesetz - KOG (BGBl I 2001/32 idF BGBl I 2006/9); Telekommunikationsgesetz 2003 - TKG 2003 (BGBl I 2003/70 idF BGBl I 2005/133); Signaturgesetz - SigG (BGBl I 1999/190 idF BGBl I 2005/164) Verordnungen der RTR-GmbH (siehe Telekommunikation/Rechtsinfos/Verordnungen unter http://www.rtr.at): Entgeltverordnung 2003 - EVO 2003; Einzelentgeltnachweisverordnung - EEN-V; Kommunikationsparameter-, Entgelt- und Mehrwertdiensteverordnung - KEM-V; Kommunikationsparameter-Verordnung - SKP; Richtsatzverordnung - R-VO; Telekommunikationsmärkteverordnung 2003 - TKMVO 2003; Verordnung der Telekom-Control-Kommission (siehe Telekommunikation/Rechtsinfos/ Verordnungen unter http://www.rtr.at): Fernsprechentgeltzuschussverordnung - FEZVO (BGBl II 2001/90 idF BGBl II 2001/388); Frequenzwidmungsverordnung (BGBl 1996/313); Frequenzbereichszuweisungsverordnung 2005 - FBZV 2005 (BGBl II 2005/306); Frequenznutzungsverordnung 2005 - FNV 2005 (BGBl II 2005/307); Gebührenverordnung- Mobilfunk (BGBl II 2004/210); Kommunikations-Erhebungs-Verordnung - KEV (BGBl II 2004/365); Nummernübertragungsverordnung - NÜV (BGBl II 2003/513); Telekommunikationsgebührenverordnung - TKGV (BGBl II 1998/29 idF BGBl II 2004/161); Rahmenrichtlinienverordnung (BGBl II 1994/756); Schwellenwertverordnung Telekommunikation 2006 - SVO-TK 2006; Signaturverordnung - SigV (BGBl II 2000/30); Telekom - Tarifgestaltungsverordnung (BGBl 1996/650); Überwachungsverordnung - ÜVO (BGBl II 2001/418 idF BGBl II 2003/559); Universaldienstverordnung - UDV (BGBl II 1999/192 idF BGBl II 2000/173); Zusammenschaltungsverordnung - ZVO (BGBl II 1998/14). Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Annex 1b zum Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation), BGBl 1995/1 (189 ff) idF BGBl III 1999/61. Beschluss 97/838/EG, Abl 1997 L 347/45 (WTO-Beschluss). Satzung der internationalen Fernmeldeunion samt Anlage und Vertrag der internationalen Fernmeldeunion (Genf 1992) samt Anlagen und Fakultativprotokoll sowie Änderungsurkunden von Kyoto 1994 samt Anlage und Vorbehalte der Republik Österreich, BGBl III 1998/17 idF BGBl III 2003/48.
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Holoubek/Damjanovic
Grundlegende Literatur: Ausführlich zum Gegenstand dieses Beitrags Damjanovic/Holoubek/Kassai/ Lehofer/Urbantschitsch,, Handbuch des Telekommunikationsrechts, 2006∗; weiters: Aicher, Wettbewerbsregulierung im Lichte der Konvergenz, JRP 2001, 177; Büchner ua (Hrsg), Beck´scher TKG Kommentar2, 2000; Damjanovic, Regulierung der Kommunikationsmärkte unter Konvergenzbedingungen, 2002, 5 ff; Feiel/Felder, Mobile Virtual Network Operators - Ökonomische und juristische Betrachtungen, MR 2002, 249; Feiel, Das Konsultationsverfahren zwischen nationaler Regulierungsbehörde und der Europäischen Kommission im Bereich der elektronischen Kommunikation, wbl 2003, 112; Feiel/Lehofer, Telekommunikationsgesetz 2003. Praxiskommentar zum TKG 2003; Geppert/Ruhle/Schuster, Handbuch Recht und Praxis der Telekommunikation2, 2002; Grewlich, Konflikt und Ordnung in der globalen Kommunikation, 1997; Gschweitl/Langmantel/Reichinger, Voice over IP - Rechtliche Einordnung eines neuen Konzepts, MR 2005, 503; Hoffmann-Riem, Telekommunikationsrecht als europäisiertes Verwaltungsrecht, DVBl 1999, 125; Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, 2000; Hoffmann-Riem (Hrsg), Innovation und Telekommunikation, 2000; Holoubek/Damjanovic/Traimer (Hrsg), Regulating Content - European Regulatory Framework for the Media and Related Creative Sectors, 2006 (in Druck); Holoubek, Liberalisierung und Regulierung im Telekommunikationsbereich, 100 Jahre Wirtschaftsuniversität Wien - dargebracht vom Fachbereich Rechtswissenschaft, 1998, 307; Holoubek, Frequenzzuweisung für die Mobilfunktelefonie - gemeinschaftsrechtlich determinierter Rechtsschutz, ÖZW 1999, 82; Holoubek/Damjanovic, Medienregulierung unter „Konvergenz“-Bedingungen, MR, Beilage zu Heft 2/2000; Holoubek, Die Organisation der Medienregulierung im Lichte der Konvergenz, JRP 2001, 216; Holoubek, Aktuelle rechtsstaatliche Fragen des Telekommunikationsregulierungsrechts, in: Raschauer (Hrsg), Aktuelles Telekommunikationsrecht, 2005, 71; Koenig/Loetz, Infrastruktur- und Dienstewettbewerb im EG-Telekommunikationsrecht, TKMR 2004, 132; Korinek, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen staatlicher Regulierung der Medien vor dem Hintergrund der Konvergenz, JRP 2000, 129; Krüger, Marktabgrenzung im Telekommunikationssektor und die Definition von beträchtlicher Marktmacht, K & R 2003, Beilage H 1, 9; Kühling, Sektorspezifische Regulierung in Netzwirtschaften, 2004; Larouche, Competition Law and Regulation in European Telecommunications, 2000; Lehofer, Die Regulierung der Infrastruktur im Lichte der Konvergenz, JRP 2000, 202; Müller ua, Konsistente Entgeltregulierung in der Telekommunikation, 2003; Öhlinger, Internationaler Dienstleistungshandel und Wettbewerbsaspekte - Lösungsansätze im Telekommunikationsbereich, 2001; Raschauer, Mobilkommunikation. Rechtsfragen der Sendeanlagen, 1998; Raschauer, Der vertragsersetzende Bescheid, FS-Krejci, 2001, 2053; Schaginger/Vavra, Fernmelderecht, 1965; Schoch, Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen einer Informationsordnung, VVDStRL 57, 1997, 158; Schweitzer, Daseinsvorsorge, „service public“, Universaldienst, 2001, 278; Spoerr/Deutsch, Das Wirtschaftsverwaltungsrecht der Telekommunikation - Regulierung und Lizenzen als neue Schlüsselbegriffe des Verwaltungsrechts, DVBl 1997, 300; Vartian, Telekommunikationsrecht, 2004; Voeth, Entmonopolisierung von Märkten - Das Beispiel Telekommunikation, 1996; Wagner, Nachbarschutz bei Mobilfunkanlagen, RdU 1998, 121; Windhorst, Der Universaldienst im Bereich der Telekommunikation, 1999.
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Die Darstellung folgt über weite Strecken diesem Handbuch, wofür wir uns bei Klaus Kassai, Hans Peter Lehofer und Wolfgang Urbantschitsch bedanken.
Telekommunikationsrecht
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I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte Die Telekommunikation - früher vorwiegend als „Fernmeldewesen“ bezeichnet - ist seit ihren Anfängen1 durch ein hohes Maß an staatlicher Einflussnahme gekennzeichnet. Bald nach ihrer kommerziellen Markteinführung verstaatlicht2 stellte die Telekommunikation in nahezu allen Industrienationen über Jahrzehnte hinweg ein typisches Beispiel staatlicher Leistungsverwaltung zu Zwecken der „Daseinsvorsorge“ dar, die teils auch organisatorisch im Rahmen der staatlichen Verwaltung, teils durch mehr oder weniger selbständige öffentliche Monopolunternehmen besorgt wurde. Dabei lag bei den staatlichen Fernmeldeorganisationen - in Österreich lange Zeit die „Post- und Telegraphenverwaltung“ - sowohl die Errichtung und der Betrieb der Telekommunikationsnetze als auch die Erbringung von Telekommunikationsdiensten in einer Hand. In Österreich wurde die Telekommunikation lange Zeit als integrierender Bestandteil eines einheitlich gesehenen Aufgabenbereichs „Post- und Fernmeldewesen“ verstanden3. Die „Post“ besorgte als „graue“ in Differenzierung zur „gelben“ Post auch die staatlichen Telekommunikationsaufgaben. Organisatorisch war dabei die Post lange Zeit als Anstalt des Bundes ohne eigene Rechtspersönlichkeit im Wege der Generaldirektion für die Post- und Telegraphenverwaltung und der ihr untergeordneten Postverwaltung in die allgemeine staatliche Ministerialverwaltung eingegliedert. In dieser Organisationsform und auf Grund der weitreichenden Monopolstellung des öffentlichen Unternehmens war es konsequent, diesen Organisationseinheiten auch verwaltungsbehördliche Aufgaben bei der Vollziehung von Angelegenheiten des Post- und Fernmeldewesens zu überantworten. Die „Post“ war damit lange Zeit nicht nur einziger Anbieter sondern zugleich auch Zulassungs- und Aufsichtsbehörde am Telekommunikationsmarkt.4 Diese hoheitliche wie privatwirtschaftliche staatliche Fernmeldeverwaltung beruhte auf mehreren Begründungen: Zentrales Argument für die Aufrechterhaltung von Monopolrechten in den Infrastrukturbereichen Post und Telekommunikation war die „Theorie des natürlichen Monopols“, der zufolge es in einem Wirtschaftsbereich, der im gesamtwirtschaftlich relevanten Nachfragebereich durch starke Größen- und Verbundvorteile gekennzeichnet ist, volkswirtschaftlich gesehen am kostengünstigsten ist, die Produktion in einem und nicht in mehreren Unternehmen durchzuführen.5 Wettbewerb am Telekommunikationsmarkt, insbesondere der Aufbau von Konkurrenznetzen wurde also aus 1
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Zur Entwicklung der Telekommunikation vgl Schmidli, Das Zeitalter der Telekommunikation - Historische und soziale Aspekte einer zukünftigen Telekommunikationsnutzung, 1997, insb 41 ff (mwH). In Österreich wurden die privaten Telephongesellschaften, die insb. in Ballungsräumen Telephonnetze errichtet haben, Ende des 19. Jahrhunderts verstaatlicht. Vgl G 29. 09. 1892 betreffend die Verstaatlichung städtischer Telephonnetze, RGBl 1892/234 und G 28. 05. 1895 betreffend die Verstaatlichung der Telegraphen- und Telegraphenanlagen der Wiener Privat-Telegraphengesellschaft, RGBl 1895/76. Aus diesem Grund fasst Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG diesen Bereich auch in einem Kompetenztatbestand „Post- und Fernmeldewesen“ zusammen. Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1987, 210 f. Zu den damaligen ökonomischen Rahmenbedingungen der Telekommunikation Bauer, Ökonomische Rahmenbedingungen und die Auswirkungen des Telekommunikationsrechts, in: Korinek/Stampfl-Blaha (Hrsg), Beiträge zum Telekommunika tionsrecht, 1989, 25, 38.
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Holoubek/Damjanovic
gesamtwirtschaftlichen Gründen als unzweckmäßig angesehen. Neben dieser ökonomischen Begründung spielten aber auch gemeinwirtschaftliche Aspekte eine wichtige Rolle bei der Legitimation der staatlichen Monopolunternehmen. Kommunikationsinfrastrukturen haben eine essentielle Basisfunktion für das soziale und wirtschaftliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsnetzen und -diensten zu erschwinglichen und gleichen Bedingungen und geförderte Zugangsmöglichkeiten für sozial schwache Bevölkerungsgruppen sind daher wichtige gemeinwirtschaftliche Leistungen des Staates. Diese sozial- und verteilungspolitischen Ziele ließen sich, so die lange Zeit herrschende Auffassung, verlässlich und effizient nur durch eigene staatliche Aufgabenwahrnehmung sicherstellen.6
Mit den umwälzenden und äußerst rasanten technologischen Entwicklungen Anfang der Achtzigerjahre veränderte sich auch das ökonomische Umfeld der Telekommunikation maßgeblich. Die Einführung digitaler Technologien, die damit verbundenen Ausweitungen von Übertragungskapazitäten, schnellere und qualitativ bessere Kommunikationsmöglichkeiten und damit auch das Entstehen neuer Dienste und Anwendungsmöglichkeiten haben Potentiale im Telekommunikationssektor geschaffen, die von den einzelnen staatlichen Monopolunternehmen nicht mehr auch nur annähernd ausgeschöpft werden konnten. Dies und eine in Zusammenhang mit der Globalisierung der Wirtschaft rasant steigende Nachfrage nach Telekommunikationsdiensten führte zu erheblichen Marktdefiziten. Auch die Kostenstrukturen veränderten sich durch die neuen Technologien wesentlich.7 Verbunden mit einer grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Neuorientierung insbesondere in den USA und in Großbritannien führten diese Entwicklungen Anfang der Achtzigerjahre zu einem grundsätzlichen ordnungspolitischen Strategiewechsel im Bereich der Telekommunikation. Das alte Verständnis der Telekommunikation als natürliches Monopol war nicht mehr aufrecht zu erhalten. Es setzte sich die Auffassung durch, dass Telekommunikation auch in offenen Märkten wirtschaftlich betrieben werden kann. Die monopolistischen Strukturen wurden aufgebrochen, wobei die Vereinigten Staaten, Japan und in Europa Großbritannien eine Vorreiterrolle bei diesem Umwandlungsprozess eingenommen haben.8 Damit ging auch eine veränderte Sichtweise der Rolle des Staates auf den Telekommunikationsmärkten einher. In Europa brachte vor allem im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft die Umsetzung des Binnenmarktkonzepts auch im Telekommunikationssektor den wesentlichen Anstoß zur Öffnung der Telekommunikationsmärkte. In bemerkenswerter Geschwindigkeit hat die Kommission durch den Erlass einer
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Zu den verschiedenen Motiven der staatlichen Einflussnahme im Telekommunikationssektor Holoubek, Liberalisierung und Regulierung im Telekommunikationsbereich, in: FS 100 Jahre WU-Wien, 1998, 307 (312); Voeth, Entmonopolisierung von Märkten - Das Beispiel Telekommunikation, 1996, 19 ff. Zur Ineffizienz monopolistischer Staatsbetriebe auf den Telekommunikationsmärkten siehe Voeth (FN 6), 35 ff. Zur Liberalisierung der Telekommunikationsordnungen in den Vereinigten Staaten, im Vereinigten Königreich und in Japan siehe Koenig/Kühling/ifo (Hrsg), Liberalisierung der Telekommunikationsordnungen. Ein Rechtsvergleich, 2000 (mwN).
Telekommunikationsrecht
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Vielzahl von Richtlinien - den sog Liberalisierungsrichtlinien - die Liberalisierung des Telekommunikationsbereichs durchgesetzt.9
2. Regulierung der Telekommunikationsmärkte - staatliche Gewährleistungsverantwortung im Telekommunikationsbereich Wenngleich mit der Abschaffung der staatlichen Monopole grundsätzlich intendiert war, die weitere Entwicklung des Telekommunikationssektors im Wesentlichen dem ökonomischen Markt anzuvertrauen, so haben verschiedene Faktoren und die ökonomischen Besonderheiten10, die dieser Wirtschaftszweig aufweist, gerade auch nach der Öffnung der Telekommunikationsmärkte weitreichende regulatorische Eingriffe notwendig gemacht.11 Den Kern dieser regulatorischen Eingriffe in die geöffneten Märkte bilden dabei jene Bestimmungen, die in Ergänzung zu den allgemeinen Wettbewerbsregeln besondere Verhaltenspflichten für marktmächtige Telekommunikationsbetreiber normieren und damit neuen, den sog alternativen Betreibern den Zugang zu den geöffneten Telekommunikationsmärkten überhaupt erst ermöglichen. Diese über die allgemeinen Wettbewerbsregeln hinausgehenden staatlichen Eingriffe in die Freiheit der Wirtschaftssubjekte, die das Entstehen von Wettbewerb fördern und wettbewerbsbeschränkendes Verhalten der ehemaligen Monopolisten schon im Vorfeld verhindern sollen, werden unter dem Begriff des „sektorspezifischen Wettbewerbsrechts“ zusammengefasst. 12 Zusätzlich zu diesem auf die Schaffung von Wettbewerb ausgerichteten Regelungskomplex, hat die Öffnung der Telekommunikationsmärkte auch die Notwendigkeit eines neuen ordnungsrechtlichen Rahmens mit sich gebracht. Solange der Telekommunikationsmarkt von einem staatlichen Monopolunternehmen betrieben worden ist, konnte der Staat bestimmte öffentliche Ordnungsinteressen einfach durch seine bzw die von ihm bestimmte Unternehmenspolitik umsetzen. In einem offenen Markt mit einer Vielzahl privater Unternehmen bedarf es hierfür rechtlicher Vorschriften, die den Marktzugang und die Tätigkeit der Unternehmen einer gewissen staatlichen Kontrolle unterwerfen. Dies ist durch die Einrichtung eines Marktzutrittsregulierungssystems für die Erbringung von Telekommunikationsdiensten und eines Zertifizierungssystems für das Errichten und Inverkehrbringen von Telekommunikationsanlagen erfolgt. Die Öffnung der Märkte hat auch Regelungen für eine effiziente und strukturierte Bewirtschaftung von Ressourcen notwendig gemacht, die für die Errichtung von Telekommunikationsnetzen und die Erbringung von Telekommunikationsdiensten unabdingbar sind. Zu diesen Ressourcen - auch als Infrastrukturvoraussetzungen bezeichnet - zählen die Wegerechte, die Frequenzen sowie die Nummern und sonstigen Adressierungselemente. Ihre Nutzung durch ein einziges Unternehmen erforderte kaum rechtliche Regelungen. Eine Vielzahl von Marktteilnehmern hingegen 9 10
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Zu den gemeinschaftsrechtlichen Initiativen bei der Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte siehe unten Pkt C.2.a. Zu den ökonomischen Besonderheiten von Netzwerkindustrien siehe Koenig/Vogelsang/Kühling/Loetz/Neumann, Funktionsfähiger Wettbewerb auf den Telekommunikationsmärkten 2002, 90 ff. Zum Zusammenhang von Liberalisierung und Regulierung siehe Holoubek (FN 6), 315 f; Allgemein zum Regelungskonzept des Telekommunikationsrechts HoffmannRiem/Eifert, Regelungskonzepte des Telekommunikationsrechts und der Telekommunikationspolitik: Innovativ und innovationsgeeignet?, in: Hoffmann-Riem (Hrsg), Innovation und Telekommunikation, 2000, 10. Ausführlich zu diesem Regelungskomplex unten Pkt IV.
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Holoubek/Damjanovic
setzt Vorschriften voraus, die eine effiziente und faire Verwaltung und Zuteilung ihrer Nutzung ermöglichen; insb dann, wenn es sich um knappe Ressourcen handelt, wie dies etwa bei bestimmten Frequenzen der Fall ist.13 Weiters waren Regelungen zu definieren, die auch in einem wettbewerbsorientierten Umfeld eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsdiensten sowie die Achtung grundlegender Rechte der Nutzer sicherstellen können. Dies ist durch die Festlegung des sog Universaldienstregimes sowie die Erlassung telekomspezifischer Nutzerrechte und Datenschutzbestimmungen erfolgt.14 Zur effektiven Kontrolle und Umsetzung all dieser neuen Regulierungsmaßnahmen war schließlich die Aufsicht über den Telekommunikationssektor neu zu organisieren. Denn das staatliche Telekommunikationsunternehmen konnte nach der Liberalisierung nicht gleichzeitig als einer von mehreren Teilnehmern und als staatliche Ordnungsmacht im Markt auftreten. Für eine qualitätsvolle Regulierung waren vielmehr von allen kommerziellen oder anders gelagerten Interessen unabhängige, mit dem notwendigen technischen, ökonomischen und juristischen Sachverstand ausgestattete Regulierungsbehörden einzurichten.15
Wie bei der Liberalisierung hat auch bei den Regulierungsmaßnahmen die Europäische Gemeinschaft verbindliche Vorgaben mit dem Ziel geschaffen, einheitliche rechtliche Grundlagen für die gemeinschaftsweiten Telekommunikationsmärkte sicherzustellen. In österreichisches Recht sind diese Maßnahmen erstmals umfassend mit dem Telekommunikationsgesetz 199716 umgesetzt worden.
3. Ein neuer Rechtsrahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte - das TKG 2003 Die Öffnung der Telekommunikationsmärkte, begleitet von der sektorspezifischen Regulierung, hat - wie erhofft - zum Eintritt einer Vielzahl neuer Marktteilnehmer, zu steigendem Wettbewerb und, damit verbunden, zu einem enormen wirtschaftlichen Wachstum in dieser Branche geführt.17 Der sich entwickelnde Wettbewerb und das stetige Wachstum haben wiederum eine Reihe von Innovationen und technologischen Fortschritten mit sich gebracht, die die Strukturen der Telekommunikationsindustrie maßgeblich beeinflusst und sie einem rapiden Veränderungsprozess unterworfen haben. Dieser Veränderungsprozess beinhaltet unter anderem, dass der Telekommunikationssektor, der zum Zeitpunkt seiner Öffnung Ende der 80er Jahre noch klar vom Sektor der audiovisuellen Medien und der Informationstechnologie abgegrenzt werden konnte, nunmehr schrittweise, und zwar sowohl auf der Ebene der Technologien, der Dienstleistungen und Anwendungen, als auch auf der Ebene der Unternehmen mit der IT- und der Rundfunk-Branche zu verschmelzen beginnt.18 13 14 15 16 17
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Ausführlich zu diesem Regelungskomplex unten Pkt III. Ausführlich zu diesem Regelungskomplex unten Pkt V und VI. Ausführlich zu diesem Regelungskomplex unten Pkt VII. Stammfassung: BGBl 1997 I/100. Dies belegen die jährlichen Umsetzungsberichte der Europäischen Kommission, abrufbar unter http://europa.eu.int/information_society/topics/ecomm/all_about /implementation_enforcement/index_en. htm. Zu diesen sog Konvergenzentwicklungen Holoubek/Damjanovic, Medienregulierung unter „Konvergenz“-Bedingungen, MR, Beilage zu Heft 2000; Damjanovic, Regulierung der Kommunikationsmärkte unter Konvergenzbedingungen, 5 ff.
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Dieser Wandel im Bereich der elektronischen Kommunikation sowie der Umstand, dass das gemeinschaftliche Regelwerk für die Telekommunikationsmärkte zum Stand 1998 höchst unübersichtlich war, weil es nur schrittweise im Lauf des Liberalisierungsprozesses entwickelt worden ist,19 haben eine Überprüfung des Telekommunikationsrechts erforderlich gemacht. Diese Überprüfung wurde von der Europäischen Gemeinschaft mit dem sog „review 1999“20 initiiert. Ergebnis dieses „reviews“ war die Verabschiedung eines neuen Rechtsrahmens für die elektronischen Kommunikationsmärkte auf europäischer Ebene im Jahr 2002, der in innerstaatliches Recht mit dem Telekommunikationsgesetz 2003 (TKG 2003) umgesetzt worden ist. Entsprechend den auf den Telekommunikationsmärkten stattgefundenen Veränderungen - dem verstärkten Wettbewerb und den Konvergenzentwicklungen - verfolgte die Neuordnung der kommunikationsrechtlichen Vorschriften im Wesentlichen folgende zwei Ziele:21 • erstens, eine Feinjustierung der Regulierungsinstrumente, um sie den nunmehr wettbewerbsorientierteren und damit dynamischeren und komplexeren Telekommunikationsmärkten anzupassen: In manchen Bereichen war dies mit einer Rücknahme der Intensität der regulatorischen Eingriffe verbunden, wie etwa bei der Marktzutrittsregulierung. Diese ist weiter liberalisiert und damit wesentlich vereinfacht worden, sodass das Anbieten von Kommunikationsnetzen und -diensten nunmehr wohl zu den in rechtlicher Hinsicht am einfachsten aufzunehmenden wirtschaftlichen Tätigkeiten in Österreich zählt.22 Bei der sektorspezifischen Wettbewerbsregulierung, bei der unbestrittenermaßen die weitreichendsten Neuerungen gegenüber dem alten Rechtsrahmen vorgenommen worden sind, bedeutet Feinjustierung hingegen nicht notwendigerweise ein Weniger an regulatorischen Eingriffen, sondern eher eine stärker ausdifferenzierte Anwendung der Regulierungsmaßnahmen, was dann erst in weiterer Folge in einen schrittweisen Abbau dieser Maßnahmen münden soll.23 In verfahrensrechtlicher Hinsicht schließlich hat die Neuordnung zu einer verstärkten Einbeziehung der Europäischen Kommission bei der Tätigkeit der Regulierungsbehörden sowie zu einer verstärkten Zusammenarbeit der verschiedenen nationalen Regulierungsbehörden untereinander geführt. Hierfür
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Die Regulierungsmaßnahmen mussten bei jedem Liberalisierungsschritt neu angepasst werden und waren daher unsystematisch in einer Vielzahl von Richtlinien den sog Liberalisierungs- und HarmonisierungsRL - verstreut. Für einen Überblick zu diesen Richtlinien siehe Damjanovic ua, Handbuch des Telekommunikationsrechts, 2006, 18ff. Kommunikationsbericht 1999: Mitteilung der Kommission: Entwicklungen neuer Rahmenbedingungen für elektronische Kommunikationsinfrastrukturen und zugehörige Dienste, KOM (1999) 539. Überblicksmäßig zu diesen zwei Zielsetzungen siehe auch Klotz, Der neue EURegulierungsrahmen für elektronische Kommunikation, wbl 2002, 296 ff. So Feiel/Lehofer, Telekommunikationsgesetz 2003. Praxiskommentar zum TKG 2003, V. Ausführlich zu diesen Vorschriften unten Pkt II. Dazu näher unten Punkt IV.
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sind komplexe Koordinations-, Kooperations- und Konsultationsverfahren eingerichtet worden.24 zweitens eine technologieneutrale Regulierung der mittlerweile nicht mehr wesentlich voneinander unterscheidbaren Telekom-, Informationstechnologie- und Rundfunknetze sowie der dazugehörigen Dienste: Damit ist ein einheitlicher Rechtsrahmen für sämtliche elektronischen Kommunikationsnetze und Kommunikationsdienste geschaffen worden. Elektronische Kommunikationsnetze werden dabei allgemein als Übertragungssysteme definiert, die die elektronische Übertragung von Signalen ermöglichen.25 Dazu zählen neben den traditionellen Sprachtelefonnetzen und den Mobilfunksystemen, insb auch die neuen Multiplattformen für digitales Fernsehen und Hörfunk sowie die digitalen Breitbandnetze (zB ADSL). Unter elektronischen Kommunikationsdiensten versteht man Dienstleistungen, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Kommunikationsnetze bestehen.26 Dazu gehört etwa die Sprachtelephonie, Dienste, die Internet Service Provider anbieten sowie für die Übermittlung von Inhalten relevante Transportdienste, wie etwa im Bereich des digitalen Fernsehens die sog Conditional Access Systeme. Bei letzteren handelt es sich um technische Systeme, die den Empfang von entgeltlichen Inhalten (zB Filmen) über digitales Fernsehen autorisierten Zuschauern vorbehalten sollen. Der Regelungsrahmen gilt jedoch nicht für die Inhalte selbst (zB Fernsehsendungen, Online Zeitungen, Musikfiles), die über diese Plattformen übertragen werden. Insofern wird der Regelungsrahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte auch als die Infrastrukturregulierung der Informationsgesellschaft im Gegensatz zur Inhalteregulierung der Informationsgesellschaft bezeichnet. Letztere wird im Wesentlichen durch den Regelungsrahmen für die audiovisuellen Mediendienste27 sowie zum Teil auch durch den Regelungsrahmen für e-commerce28 abgedeckt.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Die Rechtsgrundlagen für die legislativen Maßnahmen der EG im Bereich der elektronischen Kommunikation Das gemeinschaftsrechtliche Maßnahmenpaket für die elektronischen Kommunikationsmärkte 2002 basiert im Wesentlichen auf Art 95 EGV (der allgemeinen Rechtsangleichungskompetenz der EG). Die WettbewerbsRL hingegen, welche die Liberalisierungsrichtlinien aus dem Regelungswerk der ersten Ent24
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Feiel, Das Konsultationsverfahren zwischen nationaler Regulierungsbehörde und der Europäischen Kommission im Bereich der elektronischen Kommunikation, wbl 2003, 112. Vgl Art 2 lit a RahmenRL; § 3 Z 11 TKG 2003. Vgl Art 2 lit c RahmenRL; § 3 Z 9 TKG 2003. Zu diesem Regelungsrahmen siehe Holoubek, Das Recht der Massenmedien, in diesem Band. Zu diesem siehe Damjanovic, Öffentlich-rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs, in diesem Band.
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wicklungsphase des EG-Telekommunikationsrechts zusammenfasst29, ist von der Kommission auf Basis von Art 86 Abs 3 EGV erlassen worden. Art 86 EGV regelt die Stellung der öffentlichen und monopolartigen Unternehmen innerhalb der Gemeinschaft und zielt dabei in erster Linie darauf ab, eine Vertragsverletzung der Mitgliedstaaten durch die Ausübung ihres Einflusses auf die genannten Unternehmen, zu verhindern.30 Insofern verpflichtet Art 86 Abs 1 EGV die Mitgliedstaaten in Bezug auf ihre öffentlichen Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem Vertrag und insbesondere dessen Wettbewerbsregeln widersprechenden Maßnahmen zu treffen. Ausnahmen davon sieht Art 86 Abs 2 EGV für Finanzmonopole sowie für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinen wirtschaftlichen Interesse betraut sind, vor, sofern dies zur Sicherstellung der diesen Unternehmen übertragenen besonderen Aufgaben notwendig ist. Die Überwachung der Einhaltung dieser Vorschriften durch die Mitgliedstaaten kommt gemäß Art 86 Abs 3 EGV der Kommission zu, die erforderlichenfalls hierfür geeignete Richtlinien und Entscheidungen gegenüber den Mitgliedstaaten erlassen kann. Auf diese Rechtsetzungsbefugnis hat sich die Kommission bei der Schaffung der Liberalisierungsrichtlinien im Telekommunikationsbereich gestützt, was im Vergleich zum Kodezisionsverfahren nach Art 95 EGV den entscheidenden Vorteil hatte, dass weder Parlament noch Rat in den Rechtssetzungsprozess einbezogen werden mussten und daher ein besonders rasches Vorgehen bei der Neuordnung der europäischen Telekommunikationsmärkte gewährleistet werden konnte. Das hat der EuGH auch gebilligt und den von den Mitgliedstaaten vorgebrachten Einwand, dass Art 86 Abs 3 EGV keine Maßnahmen zur Abschaffung bestehender Ausschließlichkeitsrechte decke, da er von deren Bestand gleichermaßen ausgehe,31 nicht gelten lassen: Art 86 Abs 3 EGV räumt der Kommission im Rahmen des ihr durch diese Bestimmung übertragenen spezifischen Aufsichtsrechts die Befugnis ein, die sich aus dem Vertrag für die Mitgliedstaaten ergebenden Verpflichtungen in Bezug auf deren öffentliche Unternehmen durch den Erlass allgemeiner Regelungen zu konkretisieren und daher insbesondere auch mittels Richtlinien jene besonderen und ausschließlichen Rechte, die nicht mit dem Vertrag vereinbar sind,32 aufzuheben.33
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Die Regulierung der elektronischen Kommunikationsmärkte obliegt nach den Kompetenzbestimmungen des B-VG dem Bund. Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG erklärt das „Fernmeldewesen“ sowohl in Gesetzgebung als auch in Vollziehung
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Im Einzelnen zu den Liberalisierungsrichtlinien Damjanovic ua (FN 19) 19 ff. Umfassend dazu Emmerich, Monopole und öffentliche Unternehmen, in: Dauses (Hrsg), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Band 2, H II, 1; von Burchard, Art 86 EGV, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000. Näher zu den anfänglich geführten Kontroversen hinsichtlich Art 86 Abs 3 EGV als geeigneter Rechtsgrundlage für die Erlassung diverser Richtlinien Alexiadis, European Union Telecommunications Policy, in: Long (Hrsg) Telecommunications Law and Practice, 1995, 223. Der EuGH stellt hierzu fest, dass Art 86 EGV zwar von der Existenz von Unternehmen, die bestimmte besondere oder ausschließliche Rechte innehaben ausgehe, dass deshalb aber nicht notwendigerweise alle besonderen oder ausschließlichen Rechte mit dem Vertrag vereinbar sein müssen. Vgl EuGH, Rs C-202/88, TelekomEndgeräte, Slg 1991, I-1223, 1265. Vgl EuGH (FN 32); EuGH, Rs C -271/90, C-281/90 und C 289/90, Spanien ua gg Kommission, Slg 1992, I-5833.
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zur Bundessache.34 Unter diesen Kompetenztatbestand fallen - wie vom VfGH und VwGH in mehreren Judikaten geklärt - sämtliche Regelungen, die die Infrastrukturebene, das heißt die übertragungstechnischen Aspekte der Kommunikationsmärkte betreffen; erfasst sind, wie dies auch dem technologieneutralen Ansatz des neuen Rechtsrahmens entspricht,35 sämtliche Arten von Kommunikationsnetzen einschließlich der Übertragungsvorgänge auf diesen Netzen.36 Aber auch die Regulierung der über diese Kommunikationsnetze übertragenen Inhalte - die entsprechend dem Grundsatz der getrennten Regulierung von übertragungstechnischen und inhaltebezogenen Aspekten nicht Gegenstand des neuen kommunikationsrechtlichen Rahmens sind37 - gehört zum Kompetenztatbestand „Fernmeldewesen“. Denn der VfGH hat dem Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG eine umfassende Rundfunkzuständigkeit entnommen, indem er das Rundfunkwesen zur Gänze - in organisatorischer, technischer und kultureller Beziehung - dem Fernmeldewesen zugeordnet hat.38 Im Hinblick auf die übertragungstechnischen Aspekte der Kommunikationsmärkte - die Kommunikationsnetze und -dienste - schließt der Kompetenztatbestand des „Fernmeldewesens“ im Sinne der so genannten Versteinerungstheorie39 all jene Regelungen mit ein, die deren Errichtung und Betrieb in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht betreffen,40 sowie die typischerweise 34
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Der Begriff des Fernmeldewesens ist mit der B-VG-Novelle 1974 (BGBl 1974/444) eingeführt worden und hat die ursprünglichen Begriffe „Telegraphen- und Fernsprechwesen“ ersetzt. Damit ist aber keine inhaltliche Änderung dieses Kompetenztatbestandes eingetreten; EB 182 BlgNR XII. GP, 10 und in weiterer Folge VfSlg 7593/1975. Zum technologieneutralen Ansatz des neuen Rechtsrahmens siehe oben Pkt A.3. In den Worten des VfGH, der schon 1954 einen derart technologieneutralen Ansatz zugrunde gelegt hat: „Alle technischen Anlagen für Übertragung, Aussendung oder zum Empfang von Zeichen, Schriften, Bildern, Schallwellen oder Nachrichten jeder Art, sei es auf dem Draht- oder Funkweg, auf optischem Weg oder mittels anderer elektromagnetischer Systeme“, einschließlich des Vorganges der Übertragung von Nachrichten jeder Art (VfSlg 2720/1954). Vgl dazu auch Schaginger/Vavra, Fernmelderecht, 1, Stampfl-Blaha, Rechtsgrundlagen und Probleme des Fernmelderechts, in: Korinek/Stampfl-Blaha (Hrsg), Beiträge zum Telekommunikationsrecht, 1989, 85. Zum Grundsatz der getrennten Regulierung im neuen Rechtsrahmen vgl oben Pkt A.3. Zum rechtlichen Rahmen der Inhalte siehe Holoubek (FN 27); sowie umfassend zur Inhaltregulierung auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene Holoubek/ Damjanovic/Traimer (Hrsg), Regulating Content - European Regulatory Framework for the Media and Related Creative Sectors, 2006 (in Druck). VfSlg 2721/1954; in VfSlg 7593/1975 bestätigt. Seit Inkrafttreten des BVGRundfunks ist dies nunmehr auch verfassungsrechtlich ausdrücklich verankert. Näher zur Kompetenzlage im Rundfunkbereich Holoubek (FN 27). Relevant ist im vorliegenden Kontext das Telegraphengesetz 1924. Das Telegraphengesetz 1924 hatte in erster Linie die technischen und wirtschaftlichen Aspekte der Errichtung und des Betriebs von Telegraphenanlagen zum Gegenstand. Viele der erst mit der Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte erforderlich gewordenen Regelungsbereiche, wie insb der große Regelungskomplex der Wettbewerbsregulierung waren dem Telegraphengesetz 1924 freilich noch nicht bekannt. Dennoch lassen sich auch diese neuen Regelungen, weil sie nach ihrem Inhalt dem betreffenden Sachgebiet angehören unter dem Kompetenztatbestand des „Fernmeldewesens“ subsumieren (die Versteinerungstheorie lässt eine Fortentwick-
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dazugehörigen Regelungsaspekte, „wie die Sicherung des ungestörten Betriebs anderer Fernmeldeanlagen und die Abwehr von durch die Fernmeldeanlage typischerweise ausgehenden Gefahren.“41 Nicht von der Regelungskompetenz des Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG erfasst sind hingegen die bau-, raumordnungs- und naturschutzrechtlichen Regelungsaspekte von Kommunikationsnetzen und dazugehörigen Diensten.42 Entsprechend der Gesichtspunktetheorie43 sind diese Fragen unter den Kompetenztatbeständen Bau-, Raumordnungs-, und Naturschutzrecht abzuhandeln und gehören damit in die Angelegenheit der Länder.44
Der Bund darf die von ihm in Anspruch genommenen hoheitlichen Agenden des „Fernmeldewesens“ im oben entwickelten Umfang durch eigene Bundesbehörden, also in unmittelbarer Bundesverwaltung führen, „da Art 102 Abs 2 B-VG unter jenen Angelegenheiten, die der Bund abweichend von der allgemeinen Regel des Art 102 Abs 1 B-VG auch in den Ländern durch eigene Bundesorgane besorgen darf, ua das Telegraphen- und Fernsprechwesen [Anm.: entspricht dem Begriff des Fernmeldewesens] - selbstredend in der oben entwickelten Bedeutung dieser Kompetenzbegriffe aufzählt.“45 Als derartige unmittelbare Bundesbehörden für die Regulierung der übertragungstechnischen Aspekte der Kommunikationsmärkte sind die Telekom-ControlKommission und die Rundfunk- und TelekomRegulierungs-GmbH (Fachbereich Telekommunikation) eingerichtet worden.46
C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen 1. Das internationale Telekommunikationsrecht a) Allgemeines Die Öffnung der nationalen Telekommunikationsmärkte und die damit verbundenen technologischen Entwicklungen haben ein enormes Wachstum des inter-
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lung des Rechts zu, sofern ein inhaltlich-systematischer Zusammenhang besteht; siehe dazu VfSlg 2721/1954). VwGH 20.6.1995, 93/05/0244. Ausführlich dazu auch Raschauer, Mobilkommunikation. Rechtsfragen der Sendeanlagen, 1998, 16 ff. Ausführlich zum Verhältnis des Kompetenztatbestandes des Fernmeldewesens zu den Kompetenztatbeständen Baurecht und Naturschutzrecht siehe Wagner, Nachbarschutz bei Mobilfunkanlagen, RdU 1998, 121 ff. Sachverhalte können unter verschiedenen Gesichtspunkten geregelt werden; nach dem einen Gesichtspunkt kann dabei eine Zuständigkeit des Bundes, nach dem anderen eine Zuständigkeit der Länder gegeben sein (vgl Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrecht9, 2000, Rz 297). VwGH 20.6.1995, 93/05/0102; 19.9.1995, 94/05/0216; 16.9.1997, 97/05/0194. So VfSlg 2721/1954; das Erkenntnis bezog sich noch auf die ursprüngliche Fassung der Kompetenzbestimmung: „Telegraphen- und Fernsprechwesen“. Diese entspricht dem nunmehrigen Wortlaut der Kompetenzbestimmung „Fernmeldewesen“. Vgl FN 34. Siehe auch Korinek, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen staatlicher Regulierung der Medien vor dem Hintergrund der Konvergenz, JRP 2000, 129, 133. Für die inhaltebezogenen Aspekte der Regulierung der Kommunikationsmärkte sind die KommAustria und der Fachbereich Rundfunk der RTR-GmbH zuständig. Näher zur Organisation der Regulierungsbehörden auf den Kommunikationsmärkten unten PktVII.
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nationalen Handels mit Telekommunikationsdienstleistungen möglich gemacht.47 Um diesen Entwicklungen gerecht zu werden, ist die Liberalisierung der Telekommunikation Anfang der 90er Jahre auch auf multilateraler Ebene vorangetrieben worden, insb im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO)48 und der Internationalen Fernmeldeunion (ITU)49. Die daraus resultierenden multilateralen Verpflichtungen - zurzeit Gegenstand weiterer Verhandlungen50 - beeinflussen den regulatorischen Rahmen auf nationaler Ebene maßgeblich. b) WTO und GATS Die WTO51 ist 1995 mit Abschluss der achten Welthandelsrunde - der Uruguay-Runde - gegründet worden.52 Damit ist ein institutioneller Rahmen für das GATT und die anderen multilateralen Handelsabkommen geschaffen worden.53 Von diesen multilateralen Handelsabkommen ist für den internationalen Telekommunikationsverkehr das GATS (General Agreement on Trade in Services),54 welches eine progressive Liberalisierung des Welthandels für sämtliche Dienstleistungssektoren vorsieht, einschlägig. Das GATS besteht aus einem allgemeinen Teil - dem Rahmenabkommen (Art I-XXIX), acht Anlagen sowie den nationalen Listen der spezifischen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten: Der allgemeine Teil legt den Geltungsbereich des Abkommens, institutionelle Bestimmungen sowie die wichtigsten Disziplinen und Prinzipien des GATS fest.55 Zu letztgenannten gehört insb der sog Grundsatz der Meistbegünstigung (Art II Abs 1 GATS; „most-favoured-nation treatment“), gemäß dem alle Mitgliedstaaten der WTO verpflichtet sind, die einem Handelspartner gewährte günstige Behandlung auch allen anderen WTO-Mitgliedern unverzüglich und bedingungslos einzuräumen. Erfasst werden von dieser Verpflichtung alle staatlichen Maßnahmen (im weiten Sinn), die den grenzüberschreitenden Dienstleistungshandel56 irgendwie beeinflussen.57 Insofern liegt 47
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Heute stellt der Telekommunikationsverkehr die dynamischste Komponente des internationalen Dienstleistungshandels dar. Vgl Öhlinger, Internationaler Dienstleistungshandel und Wettbewerbsaspekte - Lösungsansätze im Telekommunikationsbereich, 2001, 218. Allgemein zur WTO Senti, WTO - System und Funktionsweise der Welthandelsordnung, 2000 sowie unter www.wto.org. Umfassend zu Aufgaben und Arbeitsweise der ITU Tegge, Die internationale Telekommunikations-Union, 1994. Näher dazu weiter unten in Pkt b. Innerstaatlich siehe BGBl 1995/1 idF BGBl III/61. Der österreichische Nationalrat hat das Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation einschließlich dessen Anhänge ohne Erfüllungsvorbehalt genehmigt. Vgl das WTO-Abkommen. Zu den wesentlichen Aufgaben der WTO zählt die Ausführung und Implementierung der multilateralen Handelsabkommen, die Aufsicht über die Mitgliedstaaten im Handel sowie die Lösung von Handelskonflikten. Vgl Art III des WTOAbkommens. Es ist dem Abkommen zur Errichtung der WTO als Anhang beigefügt und damit integraler Bestandteil der Welthandelsorganisation. Allgemein zum Rahmenabkommen des GATS Öhlinger (FN 47) 67 ff. Ein Dienstleistungshandel mit grenzüberschreitendem Element liegt 1) bei der grenzüberschreitenden Erbingung der Dienstleistung im engeren Sinn, 2) dem
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eine „weniger günstige Behandlung“ nicht nur bei Maßnahmen vor, die rechtlich, sondern auch bei solchen, die faktisch diskriminieren.58 Im sektorspezifischen Anhang über die Telekommunikation - „Annex on Telecommunications“ - wird die besondere Stellung der Dienstleistungen des Telekommunikationssektors im Welthandel zum Ausdruck gebracht. Der Anhang verpflichtet die Mitgliedstaaten, allen Dienstleistungsanbietern eines anderen Mitgliedstaats zu angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen das Recht auf Zugang zu und die Benutzung von öffentlichen Telekommunikationsnetzen und -diensten einzuräumen. Dieses Recht umfasst allerdings nur den Zugang zu Nutzungen, die auch den Endverbrauchern des jeweiligen Mitgliedstaats offen stehen.59 Die nationalen Listen spezifischer Verpflichtungen („Schedules of Specific Commitments“) enthalten schließlich die Bedingungen der einzelnen Mitgliedstaaten, unter welchen die Öffnung der Märkte für Dienste und Diensteunternehmen anderer Mitgliedstaaten (Marktzutritt)60 und die Nichtdiskriminierung gegenüber inländischen Diensten und Diensteunternehmen (Inländerbehandlung)61 im Telekommunikationsbereich erfolgt (= eigentliche Liberalisierungsverpflichtungen). Anfänglich hatten 67 WTOStaaten62 spezifische Liberalisierungsverpflichtungen für Telekommunikationsdienstleistungen übernommen. Die Mehrheit der Listen betraf vorerst jedoch nur die sog Mehrwertdienste,63 da in den Verhandlungen über Basistelekommunikationsdienste64 zunächst keine Einigung erzielt werden konnte.65 Erst 1997 verpflichteten sich 72 Mitgliedsländer in ihren Listen nach dem sog „basic telecommunications agreement“66
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Verbrauch im Ausland, 3) der Erbingung von Dienstleistungen durch eine geschäftliche Niederlassung im Ausland oder 4) durch eine grenzüberschreitende Personenbewegung vor. Durch die Einbeziehung der Niederlassungsfreiheit geht das GATS über den traditionellen Handelsbegriff hinaus, vgl insb auch mit Bezug auf die Telekommunikation Grewlich, Konflikt und Ordnung in der globalen Kommunikation, 1997, 179 f. Art I Abs 1 und 2 iVm Art XXVIII GATS. Vgl WTO, Report of the Apellate Body 9. 9. 1997, WT/DS27/AB/R, European Communities - Regime for the importation, sale and distribution of bananas. Zur Auslegung des GATS anhand der GATT-Praxis vgl Art XVI Abs 1 WTOAbkommen. Ausführlicher zum sektorspezifischen Anhang über die Telekommunikation vgl Moritz, Liberalisierung des internationalen Handels mit Basis Telekommunikationsdienstleistungen - Die rechtliche Relevanz der WTO-Vereinbarung, MMR 1998, 393 ff. Art XVI GATS Art XVII GATS Nachdem die EG-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Liste festlegelegt haben, gibt es nur mehr 56 Schedules. Mehrwertdienste sind e-mail, voice mail, ISDN-Dienste, „video on demand“ und zahlreiche andere Sonderdienste. Vgl hierzu die Begriffsbestimmung unter http://www.wto.org/english/tratop_e/serv_e/ telecom_e/telecom_e.htm. Zu diesen zählen Sprachtelefonie-, Paketvermittlungs-, Durchschaltvermittlungs-, Telex-, Telegraphen-, Telefax-, Mietleitungsdienste udgl. Siehe ausführlicher Moritz (FN 59) 394 sowie unter http://www.wto.org/english/tratop_e/serv_e/ telecom_e/ telecom_e.htm. Zur Entwicklung vgl den GATS-Anhang über Verhandlungen über Fernmeldegrunddienste und Öhlinger (FN 47) 96 ff. Das „basic telecoms agreement“ als integraler Bestandteil des GATS steht in Österreich im Gesetzes-, beziehungsweise, soweit es das Telekommunikationsgesetz konkretisiert, im Verordnungsrang. Vgl das Vierte Protokoll zum GATS, BGBl III 1998/44 und den Beschluss 97/838/EG, Abl 1997 L 347/45.
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ihre Inlandsmärkte auch für Basistelekommunikationsdienste zu öffnen und die ausländischen Unternehmen bei der Erbringung dieser Dienste nicht schlechter als die inländischen zu behandeln.67 Darüber hinaus wurden im sog „Reference Paper“ Grundsätze zum ordnungspolitischen Rahmen für Basistelekommunikationsdienste niedergelegt,68 um auch denjenigen Beschränkungen des Welthandels wirksam zu begegnen, die durch das wettbewerbsbeeinträchtigende Marktverhalten dominanter privater Anbieter entstehen. Dafür sind vorgesehen: allgemeine Regeln zum Schutz des Wettbewerbs, die Sicherstellung kostenorientierter und nichtdiskriminierender Zusammenschaltung,69 die Zuweisung knapper Ressourcen zu objektiven, nichtdiskriminierenden und transparenten Bedingungen, die Einrichtung unabhängiger Regulierungsbehörden, eine möglichst große Transparenz bei der Lizenzierung und Regulierung sowie das Recht jedes Mitgliedstaates, die von ihm jeweils gewünschte Art der Verpflichtung zu Universaldienstleistungen festzulegen. Die Mitgliedstaaten sind zu Beginn des Jahres 2000 auf Grundlage von Art XIX GATS in Verhandlungen für eine weitergehende Liberalisierung des Dienstleistungssektors eingetreten („GATS 2000“). Für den Telekommunikationssektor wird bei diesen Verhandlungen das Ziel verfolgt, die noch bestehenden Beschränkungen weiter zu reduzieren und nur insoweit aufrecht zu erhalten, als dies zur Gewährleistung der Qualität der Dienste, insb des Universaldienstes, und der Verwaltung knapper Ressourcen notwendig ist. Nach der Minister Deklaration von Hong Kong70 sollen diese Verhandlungen im Jahr 2006 abgeschlossen werden.
c) ITU Neben der WTO kommt auch der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) bei der Etablierung internationaler Rahmenbedingungen für die Telekommunikation eine zentrale Rolle zu.71 Die ITU ist eine Unterorganisationen der UNO, bestehend aus 189 Mitgliedstaaten. Ihr Aufbau und ihre Funktionsweise sind im internationalem Fernmeldevertrag72 geregelt, der sich in die Konstitution73 und Konvention74 67
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Die Verpflichtungslisten enthalten jedoch länderspezifisch weiterhin eine Reihe von Marktzutrittsbeschränkungen, vor allem betreffend die Anzahl der Diensteerbringer, die Form juristischer Personen oder ausländischer Beteiligungen an diesen. Ausführlich zu den nationalen Listen spezifischer Verpflichtungen im Telekommunikationsbereich Öhlinger (FN 47) 233. Dieses wurde von 62 Mitgliedern im Wesentlichen akzeptiert. Das Reference Paper hat als „model schedule“ über seinen (sektor-)spezifischen Gehalt auch für den Liberalisierungsprozess anderer Sektoren Vorbildfunktion. Ausführlich zu den internationalen Regeln im Bereich der Zusammenschaltung, Klett/Moos, WTO-rechtliche Vorgaben für die Zusammenschaltungsregulierung, MMR 2004, 735 ff. WTO (Ministerial Conference) 18.12.2005, WT/MIN(05)/DEC. Sie ist im Jahre 1864 als International Telegraph Union gegründet und 1876 in International Telegraph and Telephone Union umbenannt worden. Seit 1934 besteht die älteste der heutigen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen unter dem Namen International Telecommunications Union. Umfassend siehe Tegge (FN 49). Die Satzung samt dem Vertrag der Internationalen Fernmeldeunion (Genf 1992) sowie Anlagen, Fakultativprotokoll und Änderungsurkunden von Kyoto 1994 samt Anlage und Vorbehalte der Republik Österreich wurde durch den österreichischen Nationalrat genehmigt. BGBl III 1998/17 idF BGBl III 2003/48. Die Konstitution (Satzung) regelt den Aufbau und die Aufgaben der ITU, legt Rechte und Pflichten der Mitglieder fest und enthält grundlegende Bestimmungen
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der ITU gliedert. Oberstes Organ ist die Konferenz der Regierungsbevollmächtigten, die alle vier Jahre als Vollversammlung der Internationalen Fernmeldeunion zusammentritt. Weitere Organe der ITU sind der Rat, die Weltweiten Konferenzen für internationale Fernmeldedienste sowie das Generalsekretariat. Die wichtigsten Aufgaben der ITU liegen in der Frequenzzuteilung auf internationaler Ebene,75 der Setzung internationaler Standards für die Telekommunikation76 sowie der Förderung der Entwicklung des Telekommunikationssektors überhaupt.77 Einige dieser Tätigkeitsbereiche, wie insb die Normung, werden allerdings auch zunehmend von anderen Akteuren besetzt. So zeigt sich etwa bei der Standardisierung eine wachsende Tendenz, technische Spezifikationen außerhalb der anerkannten Organisationen zu erarbeiten. Dabei kommt va Herstellerkonsortien multinationaler Konzerne, wie zB der 10 Gigabit Ethernet Alliance78, dem DSL Forum79, dem World Wide Web Consortium (W3C)80 oder der Bluetooth Special Interest Group81, aber auch Kooperationen zwischen diesen und anerkannten Standardisierungsorganisationen eine steigende Bedeutung zu.
2. Die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben a) Der rechtliche Rahmen in der Marktöffnungsphase Die ordnungspolitische Neuorientierung im Telekommunikationssektor wurde auf europäischer Ebene im Jahr 1987 mit dem Grünbuch über die Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsendgeräte82 eingeleitet. Darin legte die Kommission ihr Konzept zur schrittweisen Öffnung der europäischen Telekommunikationsmärkte fest. Zusammenfassend formuliert sah dieses eine Liberalisierung in den Berei-
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über den Funk- und Fernmeldedienst. Vgl Geppert/Ruhle/Schuster, Handbuch Recht und Praxis der Telekommunikation2, 2002, Rz 703 ff. Die Konvention (Vertrag) enthält Regelungen über die Arbeitsweise der ITU und ihrer Sektoren sowie über die Einberufung von Konferenzen und Tagungen. Siehe Geppert/Ruhle/Schuster (FN 73) Rz 707 f. Zur internationalen Frequenzzuteilung siehe unten Pkt III.2. Zur internationalen, europäischen und nationalen Normung siehe Holoubek, Technisches Sicherheitsrecht: Normung, in diesem Band. Den wichtigsten Aufgaben entspricht die Gliederung in drei Abteilungen: Den Bereich Radiokommunikation (Abteilung ITU-R), Telekommunikationsstandardisierung (ITU-T) und Telekommunikationsentwicklung (ITU-D). Für einen Überblick der Tätigkeit der ITU siehe auch Noll, The International Telecommunications Union (ITU). Its Inception, Evolution and Innate, Constant Reform Process, MMR 1999, 465; ders, Telecom Developments. Selected Aspects Relating to the International Telecommunication Law, MMR 1999, 597. 10 Gigabit Ethernet Alliance mit über 100 der größten Netzwerk-, Computer- und Zubehörunternehmen; näheres unter http://www.10gea.org. Ein Konsortium mit mehr als 330 der größten privaten Akteure aus den Bereichen Telekommunikation, Computer, Netzwerk und Service Provider; näheres unter http://www.adsl.com. 485 Mitglieder; vgl http://www.w3.org/Consortium/Member/List. Beteiligt sind etwa 3Com, Agere, Ericsson, IBM, Intel, Microsoft, Motorola, Nokia and Toshiba; vgl http://www.bluetooth.com. Grünbuch über die Entwicklung des Telekommunikationsmarktes: Grünbuch über die Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsendgeräte, KOM (1987) 290.
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chen Telekommunikationsendgeräte, -dienste und -netze durch folgende Regelungsansätze vor83: •
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Die schrittweise Aufhebung der bestehenden ausschließlichen und besonderen Rechte im Telekommunikationssektor bei gleichzeitiger Sicherstellung der Erfüllung des öffentlichen Versorgungsauftrags durch die bestehenden staatlichen Telekommunikationsmonopolunternehmen. Die Angleichung der einzelstaatlichen Rahmenbedingungen für die Errichtung von Telekommunikationsnetzen und die Erbringung von Telekommunikationsdiensten. Die Gewährleistung von fairem und chancengleichem Wettbewerb durch die Anwendung der Wettbewerbsregeln des EGV.
Die rechtliche Umsetzung dieser im Grünbuch entwickelten ordnungspolitischen Grundsätze für die Telekommunikationsmärkte erfolgte durch eine Vielzahl von Richtlinien mit vielfältigen Vorgaben für die Mitgliedstaaten, einerseits zur Öffnung ihrer Telekommunikationsmärkte (die sog „Liberalisierungsrichtlinien“) und andererseits zur Harmonisierung der diese Öffnung begleitenden Rechtsvorschriften (die sog „Harmonisierungsrichtlinien“). Begleitet wurden diese Richtlinien von einer Reihe unverbindlicher Empfehlungen, Leitlinien und Stellungsnahmen.84 Gemeinsam werden diese Maßnahmen, die in innerstaatliches Recht mit dem TKG 1997 umgesetzt worden sind, als das „Europäische Telekommunikationsrecht der Marktöffnungsphase“ bezeichnet. b) „Review 1999“ des europäischen Telekommunikationsrechts: ein neuer Rechtsrahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte Während der ersten Entwicklungsphase des EG-Telekommunikationsrechts also seit dem Grünbuch im Jahr 1987 bis zur vollständigen Liberalisierung im Jahr 1998 - hat sich der Telekommunikationsmarkt, sowohl aus technologischer als auch aus ökonomischer Sicht, maßgeblich verändert.85 Das hat die Europäische Kommission veranlasst, nachdem das erste Maßnahmenpaket für die Telekommunikationsmärkte gerade einmal zu einem Abschluss gebracht worden ist, gleich eine Überprüfung dieses „Pakets“ vorzunehmen. Auf Grundlage dieser Überprüfung, deren Ergebnisse im Kommunikationsbericht 1999 festgehalten wurden, sowie der darauf folgenden Konsultationsverfahren hat die Europäische Kommission ein neues Maßnahmenpaket für die elektronischen Kommunikationsmärkte ausgearbeitet,86 welches im Februar 2002 verabschiedet wurde.87 83
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Neben diesen allgemeinen Grundsätzen sind im Grünbuch über die Entwicklung des Telekommunikationsmarktes auch konkrete Schritte für die Öffnung des Endgerätemarktes und der sog Mehrwertdienste niedergeschrieben worden. Für einen Überblick zu all diesen Maßnahmen siehe Damjanovic ua (FN 19) 18 ff. Zur Entwicklung der europäischen Telekommunikationsmärkte siehe die jährlichen Umsetzungsberichte der Europäischen Kommission, abrufbar: http://europa.eu.int/ information_society/policy/ecomm/implementation_enforcement/index_en.htm. Näher zur Entwicklung dieses neuen Rechtsrahmens Geppert/Ruhle/Schuster, (FN 73) Rz 44 ff. Dieses neue Maßnahmenpaket war bis Juli 2003 von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen gewesen. In Österreich wurde es mit dem TKG 2003 im August 2003 umgesetzt. Mittlerweile ist auch schon die Überprüfung dieses Maßnahmenpakets von der europäischen Kommission eingeleitet worden. Nähere Infos dazu unter: http://europa.eu.int/information_society/policy/ecomm/index_en.htm
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Im Einzelnen besteht das neue Maßnahmenpaket für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste aus der Rahmenrichtlinie und den vier sog Einzelrichtlinien:
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Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie)88. Sie legt zum einen die Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden und eine Reihe von Verfahren fest, die die gemeinschaftsweit harmonisierte Anwendung des Rechtsrahmens gewährleisten sollen. Zum anderen stellt sie allgemeine Bestimmungen, Grundsätze und Ziele, die für die weiteren spezifischen Harmonisierungsrichtlinien gemeinsam gelten sollen, auf. Richtlinie 2002/19/EG über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie)89, mit der die Regulierung des Zugangs zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung durch die Mitgliedstaaten harmonisiert wird. Richtlinie 2002/20/EG über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste (Genehmigungsrichtlinie)90, mit der eine Harmonisierung und Vereinfachung der Genehmigungsvorschriften und -bedingungen auf den elektronischen Kommunikationsmärkten verfolgt wird. Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie)91, welche Regelungen zur Sicherstellung einer Grundversorgung der Bevölkerung sowie zur Achtung grundlegender Rechte der Nutzer enthält. Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation)92.
Neben diesen fünf Richtlinien gehören zum derzeit aktuellen europäischen Rechtsrahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte weiters die folgenden Rechtsakte: •
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Richtlinie 2002/77/EG der Kommission über den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Wettbewerbsrichtlinie)93, in welcher die verschiedenen Liberalisierungsrichtlinien des Europäischen Telekommunikationsrechts der Marktöffnungsphase konsolidiert und vereinfacht werden. Entscheidung 2002/676/EG über einen Rechtsrahmen für die Funkfrequenzpolitik in der Europäischen Gemeinschaft (Frequenzentscheidung)94, die am selben Tag wie das Maßnahmenpaket im Amtsblatt veröffentlicht wurde und die einen politischen und rechtlichen Rahmen schaffen soll, um die Verfügbarkeit und Nutzung des Frequenzspektrums in der Gemeinschaft zu koordinieren.
RL 2002/21/EG, Abl 2002 L 108/33. RL 2002/19/EG, Abl 2002 L 108/7. RL 2002/20/EG, Abl 2002 L 108/21. RL 2002/22/EG, Abl 2002 L 108/51. RL 2002/58/EG, Abl 2002 L 201/37 idF RL 2006/24/EG, Abl 2006 L 105/54/EG. RL 2002/77/EG, Abl 2002 L 249/21. Entscheidung 676/2002/EG, Abl 2002 L 108/1. Daneben bestehen im Bereich der Frequenzpolitik noch spezifische Richtlinien, die eine koordinierte Einführung bestimmter Funktechnologien sicherstellen sollen: RL 91/287/EWG, Abl 1991 L 144/45; RL 90/544/EWG, Abl 1990 L 310/28; RL 87/372/EWG, Abl 1987 L 196/85.
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Verordnung 2887/2000 über den entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss,95 die vor den sonstigen Maßnahmen schon in Kraft getreten ist und die Richtlinie 1999/5/EG über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen und die gegenseitige Anerkennung ihrer Konformität (FTE-Richtlinie)96, die ebenfalls schon Bestandteil des alten Rechtsrahmens war. Sie enthält die rechtlichen Grundlagen für die Zulassung von Kommunikationsendgeräten in der EG.
Schließlich sind auch die auf Grundlage der Rahmenrichtlinie erlassenen Empfehlungen und Leitlinien der Europäischen Kommission bei der Umsetzung des neuen Rechtsrahmens von besonderer Relevanz: •
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Empfehlung 2003/311/EG der Kommission über relevante Produkt- und Dienstmärkte des elektronischen Kommunikationssektors, die für eine Vorabregulierung in Betracht kommen;97 Empfehlung 2003/561/EG der Kommission zu den Notifizierungen, Fristen und Anhörungen gemäß Art 7 der Rahmenrichtlinie;98 Leitlinien 2002/C 165/03 der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht.99
Der neue Rechtsrahmen war von den Mitgliedstaaten bis 24.Juli 2003 umzusetzen.100
II. Der ordnungsrechtliche Rahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte A. Marktzutrittsregulierung 1. Allgemeines Mit der Öffnung der Telekommunikationsmärkte änderte sich das Ordnungsmodell für den Telekommunikationssektor grundlegend. Das Modell staatlicher Selbstvornahme wurde durch ein Regulierungsmodell101 abgelöst.102 In einem Regulierungsmodell spielen Marktzugangsregelungen eine wichtige Rolle. Sie ermöglichen dem Staat auch einen an sich privatwirtschaftlich strukturierten Wirtschaftssektor einer gewissen Kontrolle und Steuerung zu unterwerfen. Eine solche Kontrolle und Steuerung des Telekommunikationssektors war gerade zu Beginn der Liberalisierung, als sich der Markt noch in einer Übergangsphase vom Monopol zum Wettbewerb befand, von großer Bedeutung. Aus diesem Grund haben die meisten Mitgliedstaaten in der ersten Phase der Regulierung der liberalisierten Telekommunikationsmärkte relativ strenge 95
VO 2000/2887, Abl 2000 L 336/4. RL 1999/5, Abl 1999 L 91/10. 97 Abl 2003 L 114/45. 98 Abl 2003 L 190/13. 99 Abl 2002 C 165/6. 100 Zum Stand der Umsetzung Ende 2005 siehe den 11. Umsetzungsbericht der Europäischen Kommission, abrufbar: http://europa.eu.int/information_society/policy/ ecomm/implementation_enforcement/index_en.htm. 101 Umfassend zum Regulierungsmodell und ganz grundlegend zum Begriff der Regulierung (mwH), Kühling, Sektorspezifische Regulierung in Netzwirtschaften, 2004, 11 ff. 102 Näher zum Wandel des Ordnungsmodells im Telekommunikationsbereich Hoffmann-Riem/Eifert (FN 11) 17. 96
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Marktzutrittsregelungen eingeführt. Das Erbringen von Telekommunikationsdiensten war in der Regel an eine Einzelgenehmigung103 geknüpft. Mit zunehmendem Wettbewerb und damit verbunden der höheren Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Telekommunikationsmärkte haben sich diese Regelungen jedoch als zu schwerfällig erwiesen. Zudem waren die Genehmigungsbedingungen und -verfahren in den Mitgliedstaaten zu unterschiedlich ausgestaltet. Das Marktzutrittsregulierungssystem wurde mit dem neuen Rechtsrahmen für die Kommunikationsmärkte daher grundlegend geändert. Die wichtigste Neuerung besteht in der Ablösung eines Systems, das sowohl Einzel- als auch Allgemeingenehmigungen vorsah, durch ein System, das auf dem Prinzip der Allgemeingenehmigungen aufbaut.
2. Prinzip der Allgemeingenehmigung Nach dem neuen Genehmigungssystem im TKG 2003 darf die Bereitstellung aller elektronischen Kommunikationsnetze und -dienste nur mehr von einer Allgemeingenehmigung abhängig gemacht werden.104 Dadurch soll den Betreibern der Zugang zu den Kommunikationsmärkten wesentlich erleichtert werden. Lediglich bei der Zuteilung von Nutzungsrechten für Funkfrequenzen und Nummern darf in Hinkunft noch das Prinzip der Einzelgenehmigung zur Anwendung kommen.105 Die Rechtfertigung für diese Ausnahme liegt in der Notwendigkeit einer koordinierten Zuteilung von Funkfrequenzen und Nummern, um eine optimale Nutzung dieser Güter sicherstellen zu können. Entsprechend dem technologieneutralen Ansatz des neuen Rechtsrahmens erfasst die Anzeigepflicht gemäß § 15 Abs 1 TKG 2003 nunmehr alle Bereitsteller von „öffentlichen Kommunikationsnetzen und -diensten“.106 Neben den Anbietern, die bereits nach dem TKG 1997 einer Konzessions-107 oder Anzeigepflicht108 unterlagen, sind somit nunmehr insb auch Unternehmen anzeigepflichtig, die Rundfunknetze öffentlich bereitstellen109 sowie jene, die 103
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Einzelgenehmigungen erfordern, im Gegensatz zu Allgemeingenehmigungen, vor Ausübung der mit der Genehmigung verbundenen Rechte eine ausdrückliche Entscheidung oder einen anderen Verwaltungsakt der nationalen Regulierungsbehörde. Die Terminologie stammt aus dem gemeinschaftlichen Sekundärrecht. In behördlicher innerstaatlicher Terminologie entspricht die Einzelgenehmigung mehr oder weniger dem „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“, die „Allgemeingenehmigung“ Anmeldesystemen. Darüber hinaus sind die Bereitsteller von Kommunikationsnetzen und -diensten, die unter das Genehmigungsregime nach dem TKG 2003 fallen, gemäß § 2 Z 3 TKG 2003 vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung generell ausgenommen. Näher zur Anwendung der Einzelgenehmigung bei der Zuteilung von Funkfrequenzen und Nummern siehe unten Pkt III.4.b. Für eine Begriffsbestimmung von Kommunikationsnetzen und -diensten vgl FN 25 und 26. Konzessionspflichtig waren nach dem alten Rechtsrahmen Anbieter von öffentlichen Mobilfunk-, von öffentlichen Festnetzsprachtelefondiensten sowie von Mietleitungen. Anzeigepflichtig waren alle nicht unter die Konzessionspflicht fallenden Anbieter von öffentlichen Telekommunikationsdiensten, wie zB Fax- und Rückrufdienste oder Dienste der ISPs. Rundfunkunternehmen, die Rundfunknetze nur zur Weiterverbreitung ihrer eigenen Rundfunkprogramme betreiben, stellen diese nicht öffentlich bereit. Nur wenn sie
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Übertragungsdienste in Rundfunknetzen anbieten, wie zB Kabelnetzbetreiber110, sowie all jene, die neuartige „Kommunikationsdienste“111 anbieten. Nicht betroffen von der Neuregelung sind entsprechend dem Gebot der getrennten Regulierung von Infrastruktur und Inhalt allerdings die Rundfunkinhalte oder sonstige über elektronische Kommunikationsnetze und -dienste angebotenen Inhalte sowie Dienste, die eine redaktionelle Kontrolle über sie ausüben.112 Weiters gehören nicht zum Begriff des „elektronischen Kommunikationsdienstes“ und damit auch nicht zum Anwendungsbereich der Anzeigepflicht nach § 15 TKG die sog „Dienste der Informationsgesellschaft“,113 die nicht ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über elektronische Kommunikationsnetze bestehen.114 Darüber hinaus bedarf es generell keiner Anzeige nach § 15 TKG 2003, wenn die Erbringung eines Kommunikationsdienstes lediglich als Nebenleistung im Rahmen eines Geschäftsbetriebes erfolgt. Damit bleiben auch weiterhin Betreiber einer Nebenstellenanlage in einem Hotel, in Businessparks, auf Flughäfen oder in Krankenhäusern von der Anzeigepflicht ausgenommen.115 Ebenso wenig besteht - wie dies auch bisher der Fall war - für „corporate networks“ oder sonstige „closed user groups“ (geschlosse-
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ihre Rundfunknetze auch anderen Unternehmen zur Verfügung stellen, ist von einer anzeigepflichtigen Tätigkeit iSd § 15 Abs 1 TKG 2003 auszugehen. Siehe auch Kaufmann/Tritscher, TKG 2003 - Der neue Rechtsrahmen für „elektronische Kommunikation“ (Teil I), MR 2003, 273, 276. Kabelnetzbetreiber waren auch schon nach der alten Rechtslage für das Anbieten von Telekommunikations- oder Internetdiensten vom telekommunikationsrechtlichen Genehmigungsregime erfasst, nicht jedoch für die Weiterverbreitung von Rundfunkprogrammen. Dieser Dienst war bislang nur nach § 9 Abs 1 letzter Satz PrTV-G anzeigepflichtig idF vor der Novelle BGBl I 2004/97. Neben der Kabelnetzverbreitung von Rundfunk fällt auch die terrestrische und sonstige Verbreitung von Rundfunk unter die Anzeigepflicht nach § 15 TKG 2003. Zur Anzeigepflicht der Rundfunkdienste siehe auch Feiel/Lehofer (FN 22) 51. Zu derartigen neuen, innovativen Dienstleistungen zählen zB öffentlich angebotene Voice Over IP-Dienste, sofern sie als Kommunikationsdienst iSd TKG 2003 eingestuft werden können. Dies ist bei ‚Internet Only’ Voice Diensten, bei denen es sich vereinfacht dargestellt - lediglich um Internet Applikationen handelt, nicht der Fall. Ausführlich zur Einstufung der verschiedenen Voice over-IP Dienste und damit zu ihrer Anzeigepflicht iSd § 15 TKG vgl Gschweitl/Langmantel/Reichinger, Voice over IP - Rechtliche Einordnung eines neuen Konzepts, MR 2005, 503, 504 f; RTRGmbH, Richtlinien für Anbieter von VoIP-Diensten, abrufbar: www.rtr.at/voip. Die programmschöpfende Tätigkeit der Kabel- und anderer Rundfunkveranstalter zB ist demnach nicht Gegenstand der Anzeigepflicht; vgl dazu § 9 PrTV-G, BGBl I 2001/84 idF BGBl I 2004/169. Im Einzelnen zu den Diensten der Informationsgesellschaft Damjanovic (FN 28) in diesem Band. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein und ist Aufgabe der Regulierungsbehörde. Anhaltspunkte liefert Anhang I des NotifG (BGBl I 1999/183), in dem beispielhaft einige „Dienste der Informationsgesellschaft“ aufgelistet sind, die keinesfalls zugleich auch als „elektronische Kommunikationsdienste“ einzustufen sind. Dazu gehören etwa Online-Informationsangebote, Online-Werbung, OnlineGewinnspiele oder Online-Shops. Für diese Dienste ist keine Anzeigepflicht nach dem TKG 2003 erforderlich. Erbringt zB der Vermieter von Wohn- oder Büroräumlichkeiten Telekommunikationsdienste nicht selbst, sondern werden diese etwa von Tochterfirmen des Vermieters angeboten, so handelt es sich freilich nicht mehr bloß um eine Nebenleistung.
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ne Benutzerkreise),116 dh für Netze und Dienste, die nicht an die Allgemeinheit gerichtet sind, eine Anzeigepflicht. Bloße Wiederverkäufer von Telekommunikationsdiensten, wie etwa Betreiber von Call-Shops oder Internetcafés sind allerdings im Gegensatz zur Rechtslage nach dem TKG 1997117 nunmehr von der Anzeigepflicht erfasst.
Die verfahrensrechtlichen Erfordernisse der Allgemeingenehmigung beschränken sich gem § 15 TKG 2003 auf eine Anzeige. Diese hat lediglich die Erklärung über die beabsichtigte Bereitstellung eines Kommunikationsnetzes oder -dienstes sowie gegebenenfalls dessen Änderung oder Einstellung und bestimmte Mindestangaben zu enthalten, die zur Identifikation des betreffenden Unternehmens erforderlich sind.118
Praktisch wird die Form der Anzeige von der Regulierungsbehörde durch ein Standardformular im Rahmen eines auf ihrer Website zur Verfügung gestellten WebInterfaces119 vorgegeben. Die von der Regulierungsbehörde gemäß § 15 Abs 3 TKG 2003 auszustellende Bestätigung über die erfolgte Anzeige, ist für die Aufnahme der Tätigkeit nicht Voraussetzung, sondern bloß von deklarativer Natur. Sie soll den Unternehmen zum Nachweis ihrer mit dem Anbieten von Kommunikationsdiensten und -netzen verbundenen Rechte dienen.
Wer die Bereitstellung eines Kommunikationsnetzes oder -dienstes entgegen § 15 Abs 1 TKG 2003 nicht anzeigt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist gemäß § 109 Abs 4 Z 1 TKG 2003 mit einer Geldstrafe bis zu 58 000 Euro zu bestrafen.
3. Rechte und Pflichten einer Allgemeingenehmigung Unternehmen, die das Bereitstellen von öffentlichen Kommunikationsnetzen oder -diensten bei der Regulierungsbehörde anzeigen und damit im Register der genehmigten Dienste120 verzeichnet sind, genießen bestimmte Mindestrechte auf den Kommunikationsmärkten. Neben dem sich aus der Allgemeingenehmigung selbstverständlich ergebendem Recht zur Bereitstellung der Kommunikationsnetze und -dienste sind sie insb auch berechtigt: 116
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Zum Begriff der geschlossenen Benutzergruppen, siehe das von der Regulierungsbehörde auf ihrer Website (www.rtr.at) bereitgestellte Glossar. Danach wird der Begriff der geschlossenen Benutzergruppe (CUG - closed user group) folgendermaßen umschrieben: „Gruppe festgelegter Benutzer eines Dienstes, deren Kommunikationsmöglichkeiten auf die Gruppe eingeschränkt sind. Anbieter können den Zugriff auf bestimmte Anwendungen auf eine solche Gruppe einschränken. Dieses Dienstmerkmal kann zur Verbesserung des Zugriffsschutzes in nicht öffentlichen Kommunikationsnetzen eingesetzt werden.“ § 13 Abs 2 TKG 1997 hat den bloßen Wiederverkauf von Telekommunikationsdienstleistungen ausdrücklich von der Anzeigepflicht ausgenommen. Nunmehr ist der Wiederverkauf als Hauptdienstleistung vom Begriff des Kommunikationsdienstes mit umfasst. Art 3 Abs 3 GenehmigungsRL 2002 versteht unter Mindestangaben solche, die für die nationalen Regulierungsbehörden zur Führung eines Registers oder Verzeichnisses der Anbieter elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste notwendig sind. Die Website: http://www.rtr.at/web.nsf/deutsch/Telekommunikation_Markt_Allgemeingenehmigung enthält allgemeine Ausführungen der Regulierungsbehörde zur Allgemeingenehmigung nach dem neuen Rechtsrahmen sowie einen Link zum entsprechenden Web-Interface. Über die website der Regulierungsbehörde (www.rtr.at) kann auf dieses Register („Liste der gem § 15 TKG 2003 angezeigten Dienste“) zugegriffen werden.
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mit anderen Anbietern öffentlich verfügbarer elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste in der Gemeinschaft eine Zusammenschaltung zu verhandeln bzw den Zugang zu den Netzen zu verlangen und die Zusammenschaltung oder den Zugang gegebenenfalls gewährt zu bekommen; • einen Antrag auf Erteilung von Wegerechten, zu denen Leitungs- und Mitbenutzungsrechte zählen, zu stellen sowie • die Möglichkeit zu erhalten, für die Erfüllung bestimmter Elemente einer Universaldienstverpflichtung benannt zu werden. Diese auf Grund der Allgemeingenehmigung bestehenden Mindestrechte sind in Art 4 GenehmigungsRL 2002 ausdrücklich aufgelistet. Aus dem TKG 2003 ergeben sie sich als aus der Allgemeingenehmigung erfliesende Rechte nur implizit. Die Verpflichtungen, die an eine Allgemeingenehmigung geknüpft werden können, sind im Teil A des Anhanges zur GenehmigungsRL 2002 aufgezählt. Diese Aufzählung stellt eine Maximalliste an möglichen Bedingungen dar, die die Mitgliedstaaten Betreibern elektronischer Kommunikationsnetze und dienste, die über eine Allgemeingenehmigung verfügen, auferlegen dürfen.121 Dabei haben sie die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz zu beachten. Allgemein sind die Bedingungen an das betreffende Netz bzw den betreffenden Dienst anzupassen und haben sich auf das absolut Notwendige zu beschränken. Außerdem sollte es sich bei den Bedingungen nur um branchenspezifische, dh speziell für den Bereich der elektronischen Kommunikation geltende Bedingungen handeln. Sie sind darüber hinaus rechtlich und konzeptionell von besonderen Verpflichtungen, die Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht oder Universaldiensterbringern auferlegt werden können,122 zu trennen. Konkret können nach der in Teil A des Anhanges zur GenehmigungsRL 2002 enthaltenen Liste folgende Verpflichtungen mit einer Allgemeingenehmigung verknüpft werden: • • • • • • • • • 121 122 123
Leistung eines finanziellen Beitrags zur Finanzierung des Universaldienstes; Entrichtung von Verwaltungsabgaben; Sicherstellung der Interoperabilität der Dienste und die Zusammenschaltung der Netze; Gewährung des Zugangs zu Nummern des nationalen Nummerierungsplans für Endnutzer sowie die Sicherstellung sonstiger in der UniversaldienstRL enthaltener Verpflichtungen betreffend die Nummerierung123; Auflagen aus Gründen des Umweltschutzes, der Städte- und Raumplanung sowie Auflagen in Verbindung mit der Gewährung von Wege- und Mitbenutzungsrechten; Übertragung bestimmter audiovisueller Inhalte; Einhaltung der kommunikationsrechtlichen Datenschutzbestimmungen Einhaltung der speziell die elektronische Kommunikation betreffenden Verbraucherschutzbestimmungen sowie der sonstigen in der UniversaldienstRL enthaltenen Verbraucherschutzbestimmungen; Beschränkungen in Bezug auf die Ausstrahlung illegaler und schädlicher Inhalte; Vgl Art 6 Abs 1 GenehmigungsRL 2002. Zu diesen siehe unten Punkt IV. E und V.A. Zu diesen ausführlich unten Pkt IV.E.f und V.B.
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Übermittlung von Informationen, die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens, zur Überprüfung der Erfüllung der den Kommunikationsunternehmern auferlegten Verpflichtungen sowie zu statistischen Zwecken erforderlich sind; Ermöglichung der Überwachung des Telekommunikationsverkehrs; Nutzung der Kommunikation im Katastrophenfall Einhaltung von Maßnahmen, die die Exposition der Bevölkerung gegenüber elektromagnetischen Feldern begrenzen sollen; andere Zugangsverpflichtungen als jene, die lediglich Unternehmer mit beträchtlicher Marktmacht betreffen; Verpflichtungen, die der Wahrung der Integrität öffentlicher Kommunikationsnetze dienen; Bedingungen für die Frequenznutzung, sofern diese nicht ohnehin der Erteilung mittels Einzelgenehmigung unterworfen ist, sowie Maßnahmen, die die Vereinbarkeit mit Normen oder Spezifikationen gewährleisten sollen.
B. Technische Sicherheit der Telekommunikation 1. Betriebsanlagen - Funkanlagen Das Errichten und Betreiben elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste unterliegt nicht dem Anwendungsbereich der GewO124, sodass insbesondere auch die - vor allem der Gefahrenabwehr und dem Umweltschutz dienenden Bestimmungen der GewO über Betriebsanlagen nicht zum Tragen kommen. Das Telekommunikationsrecht enthält auch kein dem gewerblichen Betriebsanlagenrecht vergleichbares geschlossenes System des „KommunikationsAnlagenrechts“. Lediglich im Hinblick auf Funkanlagen125 finden sich spezifische Regelungen zur Abwehr möglicher Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen. Für sonstige „Infrastruktureinrichtungen und Kommunikationsnetze“ stellt § 16 Abs 2 TKG 2003 bloß die allgemeine Anforderung auf, dass diese - sofern sie zur Zusammenschaltung mit öffentlichen Kommunikationsnetzen oder zur Erbringung eines öffentlichen Kommunikationsdienstes bestimmt sind - in ihrem Aufbau und ihrer Funktionsweise den anerkannten Regeln der Technik betreffend die Sicherheit des Netzbetriebes, der Aufrechterhaltung der Netzintegrität und der Interoperabilität entsprechen müssen.126 Eine besondere kommunikationsrechtliche Bewilligung ist für deren Betrieb aber nicht erforderlich.
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Vgl FN 104. Sowie für Telekommunikationsendeinrichtungen. Bei diesen handelt es sich idR aber nicht um „Betriebsanlagen“ des Anbieters (dh Anlagen, die der regelmäßigen Ausübung einer gewerbsmäßigen Tätigkeit dienen), sondern um Produkte, die von dessen Kunden verwendet werden. Dies umfasst auch die Einhaltung der Bedingungen zur Vermeidung elektromagnetischer Störungen zwischen elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten gemäß der Richtlinie über die elektromagnetische Verträglichkeit (RL 2004/108/EG); vgl dazu im Hinblick auf Störungen durch Power LineCommunication VwGH 8.6.2006, 2005/03/0245.
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Dies schließt nicht aus, dass bei der Errichtung von Kommunikationsanlagen bauoder straßenrechtliche Bewilligungserfordernisse oder Bestimmungen über den Ortsbild- oder Denkmalschutz zu berücksichtigen sind.127
Der Betrieb von Funkanlagen128 ist nach § 74 TKG 2003 hingegen grundsätzlich nur mit Bewilligung zulässig,129 wobei der BMVIT Errichtung und Betrieb von Funkanlagen allgemein für bestimmte Gerätearten oder -typen auch für generell bewilligt erklären kann. Mit Verordnung130 hat der BMVIT nach dieser Bestimmung zahlreiche Funkanlagen für generell bewilligt erklärt; darunter fallen insbesondere alle für Endnutzer relevanten Funkanlagen, wie zB Fernsteuerungen, Mobiltelefone oder Schnurlostelefone.
Das Funkanlagenbewilligungsverfahren nach § 74 iVm § 81 TKG 2003131 sieht keine Parteistellung für Anrainer oder sonstige möglicherweise von Immissionen betroffene Personen vor.132 Die Bewilligungen sind auf höchstens zehn Jahre zu befristen und können Bedingungen und Auflagen vorsehen, die zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, zur Vermeidung von Sachschäden, zur Einhaltung internationaler Vereinbarungen und zur Sicherung des ungestörten Betriebes anderer Fernmeldeanlagen geboten erscheinen. Die Bewilligung ist zu versagen, wenn die Anlage den technischen Anforderungen nach § 73 TKG 2003 nicht entspricht, insbesondere wenn Störungen anderer Funkanlagen zu erwarten sind. Zuständige Behörde ist das Fernmeldebüro, in dessen örtlichen Wirkungsbereich die Funkanlage betrieben werden soll; für Rundfunksendeanlagen ist die KommAustria zuständig.133
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Nach stRsp des VfGH wird durch die Zuweisung einer bestimmten Materie zu einem bestimmten Kompetenztatbestand nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Sachgebiete nach verschiedenen Gesichtspunkten (sog Gesichtspunktetheorie) geregelt werden können. Daher können auch Kommunikationsanlagen unter den Gesichtspunkten des Telekommunikationsrechts, des Baurechtes, des Naturschutzrechtes, des Raumplanungsrechtes, des Arbeitnehmerschutzrechtes udgl geregelt und den Kumulativbeschränkungen aller dieser Rechtsbereiche unterworfen sein (Kumulationsprinzip); vgl dazu etwa VfSlg 13.234/1992 uva. Gemäß § 3 Z 6 TKG (gleichlautend § 2 Z 3 RL 1999/5, Abl 1999 L 91/10) ist eine Funkanlage „ein Erzeugnis oder ein wesentlicher Bauteil davon, der in dem für terrestrische/satellitengestützte Funkkommunikation zugewiesenen Spektrum durch Ausstrahlung und/oder Empfang von Funkwellen kommunizieren kann; als Funkanlagen gelten auch elektrische Einrichtungen, deren Zweck es ist, mittels Funkwellen Funkkommunikation zu verhindern“ Die Bewilligung von Funkanlagen wird in der Öffentlichkeit va unter dem Schlagwort „Handymasten“ teilweise recht kontrovers diskutiert, sowohl unter dem Gesichtspunkt des Ortsbild- oder Naturschutzes, als auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Gesundheitsgefährdung durch elektromagnetische Felder. Verordnung des BM für Verkehr, Innovation und Technologie, mit der generelle Bewilligungen erteilt werden, BGBl II 2003/542 idF BGBl II 2004/461. In den Fällen des § 54 Abs 3 Z 3 TKG 2003 sind in diesem Bewilligungsverfahren zugleich die Frequenznutzungsrechte zuzuteilen. Vgl dazu Raschauer (FN 41) 55; zweifelnd Postl, Nachbarrechtliche Abwehransprüche gegen die Errichtung von Handymasten, 2001, 31 f (jeweils zur diesbezüglich vergleichbaren Rechtslage nach dem TKG 1997). Vgl § 81 Abs 2 TKG 2003; § 2 Abs 1 KOG.
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2. Telekommunikationsendgeräte Telekommunikationsendeinrichtungen sind im Unterschied zu Betriebsanlagen zur Verwendung für den Endkunden bestimmt. Sie werden als ein „die Kommunikation ermöglichendes Erzeugnis oder ein wesentlicher Bauteil davon, der für den mit jedwedem Mittel herzustellenden direkten oder indirekten Anschluss an Schnittstellen von öffentlichen Telekommunikationsnetzen bestimmt ist“134 definiert. Für das Inverkehrbringen von Telekommunikationsendeinrichtungen ist das Regime nach der FTE-Richtlinie135 und das zu ihrer Umsetzung erlassene FTEG136 maßgeblich. Mit Ausnahme der Errichtung und den Betrieb - also für die Einfuhr, den Vertrieb und den Besitz - gilt für Funkanlagen im Wesentlichen derselbe rechtliche Rahmen. Die FTE-RL ist eine so genannte „New Approach“-RL nach der „Neuen Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung“137 bzw dem so genannten „Gesamtkonzept“. Dies bedeutet im Wesentlichen, dass sich die Harmonisierung auf grundlegende Anforderungen beschränkt und Produkte, die den grundlegenden Anforderungen entsprechen, im Binnenmarkt in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden können. Die Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen wird vermutet, wenn die Produkte harmonisierten Normen138 entsprechen. Diese Übereinstimmung ist in einem Konformitätsbewertungsverfahren zu prüfen, wobei je nach Produkt verschiedene „Module“ - von der internen Fertigungskontrolle des Herstellers bis zur Einzelprüfung des Produkts durch eine Prüfstelle - zur Auswahl stehen.139
V. Verwaltung knapper Ressourcen A. Verwaltung und Vergabe von Frequenzen 1. Bedeutung der Frequenzen Die Nutzung des Funkfrequenzspektrums ist sowohl für Anbieter von Kommunikationsnetzen und -diensten, als auch für zahlreiche andere Unternehmen oder Organisationen (insbesondere in den Bereichen Verkehr, Wissenschaft und Militär) von hoher Bedeutung. Aus physikalischen Gründen ist das hierfür nutzbare Frequenzspektrum allerdings beschränkt. Daher bedarf es zur Sicher134 135 136 137 138
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§ 3 Z 22 TKG 2003; § 2 Z 2 RL 1999/5, Abl 1999 L 91/10 (FTE-RL). RL 1999/5, Abl 1999 L 91/10. BGBl I 2001/134 idF BGBl I 2005/133. Allgemein zur Normung auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene Holoubek (FN 76). Harmonisierte Normen werden von europäischen Normungsorganisationen - im Telekommunikationsbereich vorwiegend die ETSI (European Telecommunications Standard Institute; www.etsi.org) - im Auftrag der Europäischen Kommission ausgearbeitet; die Fundstellen dieser Normen werden im Amtsblatt veröffentlicht. Vgl dazu näher den von der Europäischen Kommission herausgegebenen Leitfaden für die Umsetzung der nach dem neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Richtlinien, verfügbar auf http://europa.eu.int/comm/enterprise/newapproach/ legislation/guide/index.htm. Details zu den Richtlinien und harmonisierten Normen finden sich auf www.newapproach.org.
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stellung einer effizienten und störungsfreien Nutzung der Frequenzen und zur fairen und gleichmäßigen Befriedigung der Bedürfnisse der Unternehmen, einer angemessenen Koordinierung. Naturgemäß sind dafür zunächst internationale Vereinbarungen von großer Relevanz.
2. Internationale Frequenzverwaltung Eine der wichtigsten Vereinbarungen im Bereich der internationalen Frequenzverwaltung ist die Vollzugsordnung für den Funkdienst140, welche die weltweite Nutzung des Frequenzspektrums für die Mitgliedstaaten der ITU141 verbindlich regelt, indem sie die derzeit genutzten Funkfrequenzen in den drei ITU-Regionen142 bestimmten Funkdiensten143 zuweist. Von dieser Frequenzbereichszuweisung („allocation“), die alle zwei bis drei Jahre auf den von der ITU veranstalteten Weltfunkkonferenzen zu überprüfen ist, ist die Verteilung eines Frequenzbereichs an eine bestimmte Region oder ein Land durch Eintragung in einen vereinbarten Plan („allotment“) sowie die Zuteilung an eine individuelle Funkstelle („assignment“) zu unterscheiden. Letztere werden häufig in regionalen Plänen festgelegt, die nach den Bestimmungen der Satzung der ITU bzw der Vollzugsordnung für den Funkdienst vereinbart und der ITU notifiziert werden und somit Teil des internationalen Fernmeldevertragsrechts sind. Wesentliche praktische Bedeutung haben in Europa insbesondere die regionalen Rundfunkpläne sowie die „Berliner Vereinbarung“ über die Koordination von Frequenzen zwischen 29,7 MHz und 39,5 GHz für den festen Funkdienst und für den mobilen Landfunkdienst.144
Auf europäischer Ebene erfolgt die Abstimmung im Rahmen der internationalen Frequenzverwaltung vor allem durch das ECC,145 einem Ausschuss der Europäischen Konferenz der Verwaltungen für Post- und Telekommunikation (CEPT)146. Das ECC wird dabei vom ERO147 als ständigem Büro unterstützt.
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Die Vollzugsordnung für den Funkdienst, auf Englisch „radio regulations“, ist auf der Weltfunkkonferenz in Genua 1995 beschlossen (WRC-95) und im Jahre 1997 (WRC-97) sowie im Jahre 2000 (WRC-2000) abgeändert worden. Siehe http://www.itu.int/itudoc/gs/subscirc/itu-r/(119-01).html. Allgemein zur ITU vgl FN 49. Region 1: Europa (einschließlich des asiatischen Teils der früheren Sowjetunion) und Afrika; Region 2: Nord- und Südamerika, Region 3: Asien und Australien/Ozeanien. Eine Aufzählung und Definition der Funkdienste - zB „fester Funkdienst“, „Rundfunkdienst“, „mobiler Landfunkdienst“, aber auch sehr spezifische Dienste wie etwa „Weltraumfernwirkfunkdienst“ oder „Normalfrequenz- und Zeitzeichenfunkdienst“ - erfolgt in Nr. 1.19 bis 1.60 der Vollzugsordnung. http://ba.bmwa.bund.de/deutsch/index.htm. Electronic Communication Committee (Ausschuss für Angelegenheiten der elektronischen Kommunikation); zu den Aufgaben des ECC vgl die Terms of Reference (abrufbar: www.ero.dk/ecctor). www.cept.org. European Radiocommunication Office (abrufbar: www.ero.dk).
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3. Europäische Frequenzverwaltung Die Rolle der Europäischen Union ist im Bereich der Frequenzverwaltung traditionell von deutlich geringerer Bedeutung als im sonstigen Telekommunikationsrecht, zumal die internationale Abstimmung im Rahmen von ITU bzw CEPT erfolgt und die EU keine geschlossene geografische Region darstellt, sodass praktisch alle relevanten Frequenznutzungsfragen mit Nicht-EU-Mitgliedstaaten zu koordinieren sind. In jüngerer Zeit hat die EU jedoch - vor allem vor dem Hintergrund der gestiegenen ökonomischen Bedeutung der Frequenznutzung im Mobilfunkbereich - die Bemühungen verstärkt, im Bereich der Frequenzverwaltung einheitliche EU-Positionen zu finden und einzelne Frequenzfragen auch mittels Richtlinien oder Entscheidungen für die Mitgliedstaaten verbindlich festzulegen.148 Dies findet seinen Ausdruck auch im neuen regulatorischen Rahmen, in dem Frequenzfragen in der Frequenzentscheidung149 sowie in Art 9 RahmenRL und Art 5 und 7 der GenehmigungsRL behandelt werden.150 Während die Rahmen- und die GenehmigungsRL regulatorische Grundsätze für die Verwaltung und Zuteilung der Frequenzen durch die Mitgliedstaaten festlegen, liegt der Schwerpunkt der Frequenzentscheidung auf technischen und wirtschaftspolitischen Aspekten im Zusammenhang mit der Frequenzverwaltung auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene. Die in der Entscheidung vorgesehenen Maßnahmen betreffen im Wesentlichen die Einrichtung eines Funkfrequenzausschusses und die Möglichkeit, der CEPT Aufträge zur Ausarbeitung von technischen Umsetzungsmaßnahmen zu geben, sowie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bestimmte Informationen über die Frequenzzuweisung und Frequenznutzung zu veröffentlichen.
4. Nationale Frequenzverwaltung a) Nationale Frequenzpläne Die Frequenzverwaltung obliegt nach § 51 Abs 1 TKG 2003 dem BMVIT. Ausgenommen davon sind jene Frequenzbereiche, die im Frequenznutzungsplan und in einem allfälligen Frequenzzuteilungsplan für Rundfunk iSd BVG-Rundfunk ausgewiesen sind.151 Für deren Verwaltung ist nach § 51 Abs 4 TKG 2003 die KommAustria zuständig.
Die Frequenzverwaltung umfasst administrative und technische Maßnahmen zur Sicherstellung der effizienten und störungsfreien Verwendung des Frequenzspektrums, die Koordinierung (einschließlich internationaler Vereinbarungen) sowie die Überwachung der Frequenznutzung. 148
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Zentrales strategisches Dokument der Europäischen Kommission hierzu ist das Grünbuch zur Funkfrequenzpolitik vom 19.12.1998, KOM(1998) 596 endg.; vgl dazu auch die Mitteilung der Kommission „Nächste Schritte in der Funkfrequenzpolitik“ vom 10.11.1999, KOM(1999) 538, betreffend die Ergebnisse der öffentlichen Konsultation zu diesem Grünbuch. Dazu und zu den sonstigen aktuellen Entwicklungen in der Funkfrequenzpolitik in der Europäischen Gemeinschaft siehe http://europa.eu.int/information_society/topics/radio_spectrum/index_en.htm. Entscheidung 676/2002/EG; Abl 2002 L 108/1. Vor Beschlussfassung über den neuen regulatorischen Rahmen waren in der EU verbindliche Festlegungen über die Frequenzwidmung für DECT, GSM, ERMES und UMTS getroffen worden: Siehe dazu FN 94. Dies betrifft die für den Rundfunkdienst bzw Rundfunkdienst über Satelliten durch die Vollzugsordnung für Funk ausgewiesenen Bereiche.
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Wesentliche Instrumente der Frequenzverwaltung sind Pläne, in denen die Frequenzbereichszuweisung an Funkdienste erfolgt und die Bedingungen für konkrete Frequenzzuteilungen in den jeweiligen Frequenzbereichen spezifiziert werden. Das TKG 2003 unterscheidet den Frequenzbereichszuweisungsplan (§ 51 Abs 2), den Frequenznutzungsplan (§ 52) und den Frequenzzuteilungsplan (§ 53). Bei der Planung der Frequenznutzungen ist ua zu prüfen, inwieweit Frequenzen im Verhältnis zur Nachfrage knapp sind und daher deren Zuteilung zahlenmäßig zu beschränken ist. Gemäß § 52 Abs 3 TKG 2003 ist diese Entscheidung durch den BMVIT im Frequenznutzungsplan zu treffen und in angemessenen Abständen, längstens aber in einem Abstand von zwei Jahren, zu überprüfen. Diese Regelungen gehen auf Art 7 GenehmigungsRL zurück, der die Beschränkung der Einräumung von Frequenznutzungsrechten nur unter Einhaltung bestimmter - vor allem prozeduraler - Rahmenbedingungen zulässt.
b) Frequenzzuteilung152 Auf der Grundlage der allgemeinen Festlegungen im Frequenzbereichszuweisungs-, Frequenznutzungs- und (allenfalls) Frequenzzuteilungsplan kann sich die konkrete Berechtigung zur Nutzung des Frequenzspektrums aus einer „generellen Bewilligung“ oder einer im Einzelfall bescheidmäßig vorgenommenen Zuteilung ergeben. Der neue regulatorische Rahmen enthält eine klare Präferenz dafür, auch Frequenzzuteilungen nicht im Rahmen individueller Genehmigungsverfahren durchzuführen, sondern so weit als möglich allgemein - also mit genereller Rechtsnorm - zu genehmigen.153 Dies betrifft insbesondere Frequenznutzungen, bei denen die Gefahr funktechnischer Störungen gering ist, also vor allem bei Geräten mit kurzer Reichweite oder geringer Sendeleistung. Dementsprechend sieht § 54 Abs 13 TKG 2003 vor, dass für Frequenzen, die auf Grund entsprechender Festlegung im Frequenznutzungsplan durch generell bewilligte Funkanlagen genutzt werden, keine gesonderte Frequenzzuteilung erforderlich ist.154 In diesen Fällen ist durch die generelle Bewilligung sichergestellt, dass der Betrieb der Funkanlagen in bestimmten dafür vorgesehenen Frequenzbereichen erfolgt und keine schädlichen Störungen hervorruft.155
Individuelle Frequenzzuteilungen können nach dem TKG 2003 je nach Art der Frequenz bzw dem vorgesehenen Einsatzzweck durch vier verschiedene Behörden vorgenommen werden:156 • KommAustria: Zuteilung von Frequenzen zur Veranstaltung von Rundfunk;157 152 153 154 155
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Zu den aktuellen Frequenzvergaben im Telekommunikationsbereich siehe http://www.rtr.at/web.nsf/deutsch/Telekommunikation_Frequenzvergabe. Vgl Art 5 Abs 1 GenehmigungsRL. Dies gilt nur, wenn diese Funkanlagen den Anforderungen der Verordnung, mit der generelle Bewilligungen erteilt werden (FN 130), entsprechen. Allerdings muss in diesen Fällen - mangels „exklusiver“ Frequenzzuteilung - mit Beeinträchtigungen durch andere (generell) bewilligte Funkanlagen gerechnet werden. Nach § 2 TKG 2003 sind diese Bestimmungen des TKG 2003 auf ausschließlich für Zwecke der Landesverteidigung oder der Fernmeldebehörden errichtete und betriebene Funkanlagen allerdings nicht anwendbar. § 54 Abs 3 Z 1 TKG 2003; die Frequenzzuteilung richtet sich in diesem Fall auch nach den rundfunkrechtlichen Bestimmungen des PrR-G, BGBl I 2001/20 idF BGBl
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Telekom-Control-Kommission für Frequenzen, für die im Frequenznutzungsplan eine zahlenmäßige Beschränkung vorgesehen wurde;158 • BMVIT im Rahmen von Ausnahmebewilligungen zum Zweck der technischen Erprobung;159 • das örtlich für den vorgesehenen Einsatzort der Frequenzen zuständige Fernmeldebüro in allen anderen Fällen.160 Für alle Behörden und die von ihnen im Rahmen der Frequenzzuteilung einzuhaltenden Verfahren gelten die Grundsätze der Diskriminierungsfreiheit (Vermeidung sachlich nicht gerechtfertigter unterschiedlicher Vorgangsweisen), der Nachvollziehbarkeit (damit verbunden die Begründungspflicht und weitgehende Transparenz des Entscheidungsvorgangs) und der Objektivität (Unparteilichkeit).161 Die konkrete Ausgestaltung des Zuteilungsverfahrens unterscheidet sich dann je nach zuständiger Behörde. Für die von den Fernmeldebüros zuzuteilenden Frequenzen, ist die Vergabe entsprechend dem Antrag und der Verfügbarkeit vorzunehmen. Gemäß dem „first come, first served“-Prinzip werden die Anträge nach dem Zeitpunkt ihres Einlangens beurteilt. •
Da in diesen Bereichen nicht von aktueller Frequenzknappheit auszugehen ist - andernfalls hätte der BMVIT eine Festlegung über deren zahlenmäßige Beschränkung treffen müssen162 - kann idR allen Anträgen, welche die allgemeinen Voraussetzungen erfüllen, Rechnung getragen werden, sodass besondere Regeln über die Auswahl unter konkurrierenden Antragstellern nicht erforderlich sind.
Frequenzen, die auf Grund einer vom BMVIT festgelegten zahlenmäßigen Beschränkung von der Telekom-Control-Kommission zuzuteilen sind, werden hingegen grundsätzlich im Weg einer Versteigerung vergeben. Nach § 55 Abs 1 TKG 2003 hat die Telekom-Control-Kommission die ihr überlassenen Frequenzen demjenigen Antragsteller zu überlassen, der zum einen die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt163 und zum anderen „die effizienteste Nutzung der Frequenzen gewährleistet.“ Nach der unwiderleglichen Rechtsvermutung des § 55 Abs 1 zweiter Satz TKG 2003 ist davon auszugehen, dass derjenige Antragsteller, der das höchste Frequenznutzungsentgelt anbietet, auch die effizienteste Frequenznutzung gewährleistet. Das Vergabeverfahren nach § 55 TKG 2003 verlangt in jedem Fall eine öffentliche Ausschreibung, wobei nach dem Gesetzeswortlaut die Initiative von der Regulierungsbehörde selbst oder von einem Interessenten ausgehen
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I 2004/169 und des PrTV-G, BGBl I 2004/169. Die Zuständigkeit der KommAustria betrifft nur die für den Rundfunkdienst (dh für Aussendungen, die zum unmittelbaren Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt sind) verwendeten Frequenzen, nicht aber zB die für die Signalzubringung zu Rundfunksendeanlagen allenfalls erforderlichen Richtfunk-Frequenzen. § 54 Abs 3 Z 2 iVm § 117 Z 9 TKG 2003; zur zahlenmäßigen Beschränkung siehe auch oben Pkt a). § 4 TKG 2003. § 54 Abs 3 Z 3 TKG 2003. § 54 Abs 1 TKG 2003, in Umsetzung von Art 9 Abs 1 RahmenRL. Gemäß § 52 Abs 3 TKG 2003. ISd § 55 Abs 2 Z 2 TKG 2003 muss der Antragsteller dafür die Regulierungsbehörde davon überzeugen können, dass er in der Lage ist, die mit dem Recht auf Frequenznutzung verbundenen Nebenbestimmungen zu erfüllen.
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kann. Primär ist nach § 55 Abs 2 Z 1 TKG 2003 von der Regulierungsbehörde auch ohne ausdrücklichen Antrag auszuschreiben, „wenn ein Bedarf von Amts wegen festgestellt worden ist;“ für eine antragsgebundene Ausschreibung bleibt damit wenig Raum. Die Ausschreibung durch die Regulierungsbehörde kann erst erfolgen, wenn der BMVIT seine Zustimmung164 zu den von der Regulierungsbehörde festgelegten Ausschreibungsbedingungen gegeben hat. Dieses Zustimmungsrecht soll dem BMVIT als Oberster Fernmeldebehörde ermöglichen, zu überprüfen, dass durch die Gestaltung der Ausschreibungsunterlagen die Bedingungen der Frequenzüberlassung nach § 51 Abs 3 TKG 2003 oder nationale und internationale Rahmenbedingungen der Frequenzverwaltung nicht verletzt werden.
Die im Amtsblatt zur Wiener Zeitung zu veröffentlichende Ausschreibung165 hat die Frequenzbereiche zu benennen, die in einem gemeinsamen Verfahren zur Zuteilung vorgesehen sind, weiters den Verwendungszweck der Frequenzen und die Nutzungsbedingungen; weiters sind in der Ausschreibung die Voraussetzungen für die Zurverfügungstellung der Ausschreibungsunterlagen anzugeben. Die Ausschreibungsunterlagen haben „die Grundsätze des Verfahrens zur Ermittlung des höchsten Frequenznutzungsentgelts“ - also der eigentlichen Versteigerung - darzustellen und die Anforderungen an Form und Inhalt der Anträge so zu beschreiben, dass die Vergleichbarkeit der Anträge sichergestellt ist. Weiters kann in den Ausschreibungsunterlagen ein Mindestgebot festgelegt werden, das sich in der Höhe an der „für die zuzuteilenden Frequenzen voraussichtlich zu entrichtenden Frequenzzuteilungsgebühren zu orientieren“ hat.166 Das eigentliche Vergabeverfahren beginnt mit der Prüfung der auf Grund der Ausschreibung eingelangten Anträge. Antragsteller, die unvollständige oder in unzulässiger Weise abweichende Anträge eingebracht haben, sind mit Bescheid vom Frequenzzuteilungsverfahren auszuschließen,167 ebenso jene Antragsteller, die nicht über die erforderliche Eignung iSd § 55 Abs 2 Z 2 TKG 2003 verfügen. Jene Antragsteller, deren Anträge nicht in der ersten Verfahrensstufe abzuweisen waren, nehmen an der Versteigerung teil, bei der es sich in rechtlicher Hinsicht um ein in besonderer Weise ausgestaltetes Ermittlungsverfahren zur Feststellung des höchsten Gebotes handelt. Für 164
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Bei dieser Zustimmung handelt es sich um einen sog Interorganakt. Diesem Akt kommt, weil er nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers an eine andere Verwaltungsstelle und nicht an eine Partei adressiert ist, keine selbständige Rechtskraftfähigkeit zu; ein Bescheid ist nicht gesollt. Ein solcher Akt fällt unter die Kategorie „informales Verwaltungshandeln“. Dazu Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht², 2003, Rz 878. In der Praxis werden alle Ausschreibungen darüber hinaus auch auf der Website der Regulierungsbehörde veröffentlicht. Da im Falle einer Zuteilung nach § 55 TKG 2003 gemäß § 82 Abs 2 letzter Satz TKG 2003 keine Frequenzzuteilungsgebühren zu entrichten sind, wird diese Bestimmung wohl dahingehend zu verstehen sein, dass sich das Mindestgebot an der Höhe jener Frequenzzuteilungsgebühren zu orientieren hat, die bei einer Vergabe ohne Versteigerung zu entrichten wären. Im Ergebnis wird damit erreicht, dass Antragsteller im Hinblick auf die ihnen erwachsenden Kosten einer Frequenzzuteilung nicht benachteiligt sind, wenn trotz Festlegung einer zahlenmäßigen Beschränkung nach § 52 Abs 3 TKG 2003 die Nachfrage gegenüber dem Angebot zurückbleibt und daher kein das Mindestgebot übersteigender „Knappheitspreis“ zu bezahlen ist. Dh der Antrag ist abzuweisen.
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diesen Teil des Verfahrens hat die Telekom-Control-Kommission eine Verfahrensanordnung („Versteigerungsregeln“) zu erlassen,168 in der die Details der Versteigerung - zB Rundenzeiten, Mindestinkremente, Informationen, Voraussetzungen für gültige Gebote, Sicherstellungen und schließlich Regeln für das Ende der Versteigerung - festgelegt werden. Bislang hat die Regulierungsbehörde ausschließlich (simultane) offene aufsteigende Mehrrundenverfahren eingesetzt. Dem Antragsteller, der aus der Auktion als Höchstbieter hervorgeht, sind die Frequenzen zuzuteilen. Da die Antragsteller eine Verfahrensgemeinschaft bilden, erfolgt die Zuteilung an den Höchstbieter und die Abweisung der übrigen Anträge in einem Bescheid. Die abgewiesenen Antragsteller können gegen die Zuteilung an den Höchstbieter Beschwerde an den VwGH oder VfGH erheben. Das Zuteilungsverfahren ist binnen einer Höchstfrist von acht Monaten bzw jedenfalls innerhalb von sechs Monaten ab Veröffentlichung der Ausschreibung mit der Frequenzzuteilung (bzw der Abweisung von Anträgen) abzuschließen. Im Frequenzzuteilungsbescheid können gemäß § 55 Abs 10 TKG 2003 bestimmte Nebenbestimmungen zur bestmöglichen Erfüllung der Zielsetzungen des TKG 2003 bzw der EU-Richtlinien festgelegt werden. Diese Nebenbestimmungen können vor allem den Verwendungszweck der Frequenzen und technische Bedingungen zur Vermeidung von Störungen und zur Begrenzung elektromagnetischer Felder festlegen sowie Regeln über die Betriebsaufnahme und die Versorgung169 beinhalten. Befristungen (die schon nach § 54 Abs 11 TKG 2003 zwingend vorgesehen sind) sowie Regeln betreffend die Überlassung nach § 56 TKG 2003 sind ebenfalls typischer Inhalt von Nebenbestimmungen. Die Aufzählung der möglichen Nebenbestimmungen in § 55 Abs 10 TKG 2003 ist taxativ; andere als die dort genannten Auflagen dürfen nicht erteilt werden.170 Der Grundsatz eines offenen und diskriminierungsfreien Verfahrens erfordert es, dass alle Antragsteller bereits in den Ausschreibungsunterlagen über die von der Behörde vorgesehenen Nebenbestimmungen informiert werden.
c) Änderungen der Frequenzzuteilung, Frequenzhandel und Widerruf der Frequenzzuteilung • Änderungen der Frequenzzuteilung Art und Umfang der Frequenzzuteilung durch die Regulierungsbehörde können nach § 57 TKG von dieser geändert werden, wenn auf Grund der Weiterentwicklung der Technik erhebliche Effizienzsteigerungen möglich sind oder die Änderung auf Grund der Fortentwicklung des internationalen Fernmeldevertragsrechts erforderlich ist.171 Bei dieser Eingriffsmöglichkeit handelt es sich allerdings um eine „ultima ratio“. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und die wirtschaftlichen Auswirkungen für den Betroffenen sind zu berücksichtigen. Änderungen der durch die Regulierungsbehörde bescheidmäßig vorgeschriebenen Frequenznutzung können nach § 57 Abs 4 TKG 2003 168
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Diese wird Teil der Ausschreibungsunterlagen, vergleichbar den Spielregeln in einem Verfahren nach den vergaberechtlichen Bestimmungen. Diese Verfahrensanordnung kann nicht abgesondert, sondern nur mit Beschwerde gegen den das Verfahren abschließenden Bescheid bekämpft werden. “Roll-out” und “Coverage Requirements”. Vgl dazu auch Abschnitt B des Anhangs zur GenehmigungsRL. § 57 Abs 1 TKG 2003.
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nunmehr auch über Antrag des Zuteilungsinhabers bewilligt werden. Voraussetzung dafür ist die Vereinbarkeit der Änderungen mit dem Verwendungszweck und den technischen Nutzungsbedingungen, wie sie in der Überlassung der Frequenzen an die Regulierungsbehörde gemäß § 51 Abs 3 TKG 2003 festgelegt wurden. Weiters sind die Auswirkungen auf den Wettbewerb zu berücksichtigen. • Frequenzhandel Frequenzzuteilungen erfolgen durch Verwaltungsakt und sind als persönliches Recht grundsätzlich an den Zuteilungsinhaber gebunden. Für jene Frequenzen, die von der Telekom Control Kommission zugeteilt wurden172 - bei denen also eine zahlenmäßige Beschränkung besteht - sieht der neue regulatorische Rahmen allerdings die Möglichkeit der Überlassung173 der Frequenzen („frequency trading“) vor.174 Dadurch soll eine möglichst effiziente Frequenznutzung sichergestellt werden. Gleichzeitig darf durch die Übertragung allerdings nicht der Wettbewerb auf den Telekommunikationsmärkten verzerrt werden. Davon ist in der Regel auszugehen, wenn es durch die Überlassung zu einer Verringerung der Anzahl der Wettbewerber auf dem Markt kommt.175 Die Behörde hat im Einzelfall die technischen Auswirkungen und die Auswirkungen auf den Wettbewerb zu beurteilen und darf eine Genehmigung nur dann erteilen, wenn - gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Auferlegung von Nebenbestimmungen176 - eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs unwahrscheinlich ist. Um Umgehungen zu vermeiden, sieht § 56 Abs 2 TKG 2003 vor, dass auch wesentliche Änderungen der Eigentümerstruktur von Unternehmen, denen Frequenznutzungsrechte in Verfahren nach § 55 TKG 2003 zugeteilt wurden, der Genehmigung durch die Telekom-Control-Kommission bedürfen.
• Widerruf der Frequenzzuteilung Der Inhaber einer Frequenzzuteilung ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die ihm zugeteilten Frequenzen auch tatsächlich in Betrieb zu nehmen. Im Sinne des Grundsatzes der effizienten Frequenznutzung kann das Recht jedoch wi172 173
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Von der Komm-Austria übertragene Rundfunkfrequenzen (vgl FN 157) sind demnach nicht von den Bestimmungen zum „frequency trading“ nach TKG 2003 erfasst. „Überlassen“ kann nur werden, was dem „Überlasser“ zugeteilt wurde: durch die Überlassung ändert sich daher nichts an den technischen Nutzungsbedingungen sowie den Nebenbestimmungen der Frequenzzuteilung einschließlich allfälliger im Auswahlverfahren begründeter Pflichten des überlassenden Unternehmens wie zB Versorgungspflichten. Dies gilt auch für die nach dem Fernmeldegesetz 1993 oder nach dem TKG 1997 vergebenen Frequenzen. Vgl TKK vom 15.12.2003, K 15/00g-135. Rundfunkfrequenzen können hingegen derzeit nicht nach § 56 TKG 2003 überlassen werden. Keine Auswirkungen auf den Wettbewerb (und auf die Versorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsdienstleistungen) hat der Wegfall eines von zwei Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit darstellen, zwischen denen daher auch keine Wettbewerbssituation besteht. Dazu die Entscheidung der TKK vom 15.12.2003, K 15g/00-135, mit der sie die Genehmigung der Änderung der Eigentumsverhältnisse an der 3G Mobile Telecommunications GmbH erteilt hat. (Die Änderung der Eigentumsverhältnisse hat sich durch den Übergang von 100% der Anteile an der 3G Mobile Telecommunications GmbH an die Mobilkom Austria AG & Co KG ergeben). ZB, einen Teil des übertragenen Spektrums anderen Unternehmen zur Nutzung weiter zu übertragen; vgl TKK (FN 175).
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derrufen werden, wenn die Frequenzen über einen längeren Zeitraum nicht genützt werden, unabhängig davon, ob dem Zuteilungsinhaber ein Verschulden an der unterbliebenen Nutzung trifft. Frequenzzuteilungen der Fernmeldebüros können (Ermessen) gemäß § 54 Abs 12 TKG 2003 von diesen widerrufen werden, wenn die zugeteilte Frequenz nicht längstens innerhalb von sechs Monaten genutzt wird oder eine begonnene Nutzung für mehr als sechs Monate eingestellt wird. Eine Frequenzzuteilung der Telekom-Control-Kommission ist nach § 60 Abs 3 TKG 2003 zwingend zu widerrufen, wenn sie vom Zuteilungsinhaber durch mehr als ein Jahr nicht ausgeübt wurde. Neben dem Widerruf einer Frequenzzuteilung wegen Nichtnutzung der Frequenzen stellen darüber hinaus die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit177, Pflichtverletzungen des Zuteilungsinhabers178, und schließlich der Wegfall der für die Zuteilung notwendigen Voraussetzungen179 weitere Widerrufsgründe dar.
C. Rufnummernverwaltung 1. Allgemeines Der mit dem TKG 2003 neu eingeführte Begriff „Kommunikationsparameter“ bezeichnet die Gesamtheit aller Zeichen, Buchstaben, Ziffern und Signale, die unmittelbar zur Netzsteuerung von Kommunikationsverbindungen dienen. Dazu gehören primär die klassischen „Telefonnummern“, wie sie vom Nutzer eines Telefondienstes an seinem Endgerät eingegeben werden können, um einen anderen Teilnehmer oder Dienst anzuwählen.180 Neben der technischen Bedeutung der Nummerierung zur Zielauswahl und Leitweglenkung, spielen Nummern seit der Liberalisierung insbesondere auch für die Schaffung von Wettbewerb eine zentrale Rolle. Eine effiziente und strukturierte Verwaltung sowie eine objektive, transparente und nichtdiskriminierende Zuweisung der Kommunikationsparameter ist daher auch aus wettbewerbsrechtlichen Gründen besonders wichtig. Sie hat, um auch grenzüberschreitende Kommunikation ermöglichen zu können, auf internationaler Ebene anzusetzen, wie dies durch die für die Rufnummernstruktur bestehenden internationalen Vorgaben der ITU181 erfolgt. Die zentrale Grundlage bildet hier die Empfehlung E.164,182 auf der auch die nationalen Rufnummernpläne aufbauen.
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Konkurseröffnung oder Abweisung des Konkursantrags mangels Masse (§ 60 Abs 4 TKG 2003). Die Fortführung im Interesse der Gläubiger ist möglich. § 60 Abs 3 bzw § 85 Abs 3 TKG 2003. § 60 Abs 3 erster Satz bzw § 85 Abs 3 Z 4 TKG 2003 Dies betrifft im Falle von Zuteilungen durch die Regulierungsbehörde vor allem den Wegfall der nach § 55 Abs 8 iVm Abs 2 TKG 2003 erforderlichen Eignung. Auch wenn die Begriffsbestimmung eine weite ist, sind die Domainnamen vom Anwendungsbereich des TKG 2003 nicht umfasst, weil diese nicht „unmittelbar“ zur Netzsteuerung von Kommunikationsverbindungen dienen; ebenso wenig fallen aber auch IP Adressen unter das TKG 2003. Diese werden international verwaltet. Dazu näher Damjanovic (FN 28). Allgemein zur ITU FN 49. ITU-T Recommendation E.164 „The international public telecommunication numbering plan“ (1997).
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2. Plan für Kommunikationsparameter Auf nationaler Ebene legt der Plan für Kommunikationsparameter, der gemäß § 63 Abs 1 TKG 2003 von der Regulierungsbehörde183 als Verordnung zu erlassen ist, die Struktur der Rufnummern (und sonstigen Kommunikationsparameter), sowie die - je nach Nummernbereich unterschiedlichen - Voraussetzungen für die Zuteilung und Verhaltensvorschriften für die Nutzung fest. Gegenwärtig liegt er in zwei im Umfang höchst unterschiedlichen Teilplänen vor: zum einen der SKP-V,184 die im Wesentlichen jene („speziellen“) Kommunikationsparameter regelt, die lediglich für Netzbetreiber von Bedeutung sind, nicht aber Endkunden zum Auswählen von Kommunikationszielen dienen,185 und zum zweiten der KEM-V,186 die den öffentlichen Rufnummernplan im engeren Sinn - also die Rufnummernbereiche und die Struktur der Rufnummern - sowie den Wählplan187 festlegt. Weiters enthält die KEM-V zu den einzelnen Rufnummernbereichen Grundsätze der Tarifierung und Abrechnung und für bestimmte Rufnummern (zB Mehrwertdienste) auch konkrete Entgeltbeschränkungen.188 Neben den geografischen Rufnummern bestehen nach der KEM-V folgende Rufnummernbereiche: - Öffentliche Kurzrufnummern für Notrufdienste - Öffentliche Kurzrufnummern für besondere Dienste - Öffentliche Kurzrufnummern für Telefonstörungsannahmestellen - Öffentliche Kurzrufnummern für Telefonauskunftsdienste - Rufnummern für private Netze - Teilnehmernummern für öffentliche mobile Kommunikationsdienste - Teilnehmernummern für Dial-Up Zugänge - Teilnehmernummern im Bereich für standortunabhängige Festnetznummern - Teilnehmernummern im Bereich für konvergente Dienste (ENUM) - Teilnehmernummern im Bereich für Dienste mit geregelter Entgeltobergrenze - Betreiberkennzahlen für Routingnummern189 - Teilnehmernummern im Bereich für frei kalkulierbare Mehrwertdienste - Betreiberauswahl-Präfix
3. Zuteilung von Kommunikationsparametern Die Zuteilung von Kommunikationsparametern hat nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben190 durch die Regulierungsbehörde auf objektiver, transpa183 184 185
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Konkret die RTR-GmbH gem § 115 iVm § 117 TKG 2003. Kommunikationsparameter-Verordnung - SKP, abrufbar unter http://www.rtr.at/ web.nsf/deutsch/Telekommunikation_Telekommunikationsrecht_Verordnungen. Dabei handelt es sich um Netzwerkindikatoren, internationale und nationale Signaling Point Codes sowie Identifizierungscodes für Datennetzwerke, mobile Netzwerke und internationale geschlossene Benutzergruppen. Vgl Kommunikationsparameter-, Entgelt- und Mehrwertdiensteverordnung - KEMV, abrufbar unter http://www.rtr.at/web.nsf/deutsch/Telekommunikation_Telekomm unikationsrecht_Verordnungen. Der Wählplan wiederum legt fest, wie die im Nummerierungsplan vorgesehenen Rufnummern zu wählen sind. Siehe näher Damjanovic ua (FN 19) 109 ff. Routingnummern sind für Teilnehmer nicht wählbar, sondern dienen der Steuerung der Verkehrsführung zwischen Netzbetreibern.
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renter und nichtdiskriminierender Grundlage zu erfolgen. Gemäß § 63 Abs 1 TKG 2003 sind die Voraussetzungen für die Zuteilung von Kommunikationsparametern im Plan für Kommunikationsparameter festzulegen. Solche Zuteilungsvoraussetzungen schränken den Kreis der in Betracht kommenden Zuteilungsinhaber je nach Rufnummernbereich unterschiedlich ein. Geografische und mobile Rufnummern können nur von Kommunikationsdiensteanbietern, die entweder selbst Netzbetreiber sind oder mit einem Netzbetreiber kooperieren,191 beantragt werden. Diensterufnummern für free-phone- oder Mehrwertdienste können auch "Dienstleistern", die nicht zwingend Anbieter von Kommunikationsdiensten sein müssen, jedoch unter Nutzung einer Dienstenummer Informationen anbieten wollen, zugeteilt werden.
In der Regel werden Rufnummern in dekadischen Blöcken zugeteilt, deren Größe je nach Rufnummernbereich unterschiedlich festgelegt ist.192 Weiters wird in der KEM-V für die Zuteilung von Rufnummern der Grundsatz „first come, first served“ festgelegt, wonach die Bearbeitung der Anträge in der Reihenfolge des Einlangens erfolgt. Rufnummern werden mittels Bescheid, der die in § 65 Abs 4 TKG 2003 angeführten Nebenbestimmungen enthalten kann, durch die RTR-GmbH zugeteilt. Die Zuteilung begründet ein öffentlich-rechtliches Nutzungsrecht, jedoch „kein Besitzrecht“, wie dies in § 66 TKG 2003 ausdrücklich festgehalten ist.193 Rufnummernzuteilungen können von der Behörde gemäß § 65 Abs 6 TKG 2003 im öffentlichen Interesse geändert werden.
4. Portierung von Rufnummern Die Rufnummernportabilität - die Möglichkeit der Mitnahme einer Rufnummer auch bei Wechsel des Anbieters - ist von wesentlicher Bedeutung für die Förderung des Wettbewerbs auf den liberalisierten Kommunikationsmärkten. Für geografische Rufnummern und im festen Telefonnetz realisierte Dienstenummern war sie bereits im TKG 1997 bzw der damals gültigen Nummerierungsverordnung194 vorgesehen. Mit dem neuen Rechtsrahmen ist sie nunmehr auch für die mobilen Rufnummern festgelegt worden.195 Die näheren Bedingungen hierzu, dh der Ablauf der Portierung und die dabei zwischen Teilnehmer und abgebenden (alten) und aufnehmenden (neuen) Netzbetreiber durchzuführenden Prozesse - sind in der Nummernübertragungsverordnung (NÜV) geregelt. Der Teilnehmer hat ein Recht auf Übertragung der Rufnummer. Der abgebende Netzbetreiber darf dafür kein abschreckendes Entgelt verlangen. Außerdem ist die Tariftransparenz zu gewährleisten: Ist das Endkundenentgelt nicht aus der Rufnummer ableitbar, so hat eine Ansage über die Identität des Zielnetzes zu erfolgen.
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Art 10 RahmenRL, Abl 2002 L 108/33 und Art 5 und 6 GenehmigungsRL, Abl 2002 L 108/21. Mobile Rufnummern können daher auch direkt einem MVNO zugeteilt werden. Ein dekadischer Rufnummernblock bezeichnet nach § 3 Z 4 KEM-V „einen maximal großen geschlossenen Rufnummernbereich, wobei alle umfassten Rufnummern mit einer bestimmten gleichlautenden Ziffernfolge beginnen.“ Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass bekannte Rufnummern zivil- bzw wettbewerbsrechtlich Schutz gegen Eingriffe Dritter genießen können. BGBl II 1997/416 idF BGBl II 2001/100 (außer Kraft). Vgl Art 30 UniversaldienstRL, Abl 2002 L 108/51 und § 23 TKG 2003.
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Rufnummernportabilität setzt voraus, dass die Netzbetreiber Zusammenschaltungsvereinbarungen über das Routing der Anrufe zu portierten Rufnummern abschließen. Hierfür sind kostenorientierte Entgelte festzulegen. Können die Netzbetreiber keine vertragliche Einigung über die konkrete Ausgestaltung der Zusammenschaltung erzielen, ist diese gemäß § 50 TKG 2003 von der Telekom Control Kommission anzuordnen.196
D. Telekommunikationswegerechte 1. Einleitung Die ursprünglich auf Basis des TelegraphenwegeG 1929197 der Post- und Telegraphenverwaltung eingeräumten Vorrechte hinsichtlich der Nutzung von öffentlichem und privatem Grund wurden im Zuge der Öffnung der Telekommunikationsmärkte 1997 auf sämtliche Inhaber einer Konzession zur Erbringung eines öffentlichen Telekommunikationsdienstes ausgeweitet. Die rechtlichen Grundlagen dafür waren bislang sowohl im TKG 1997 als auch in einem eigenen Telekommunikationswegegesetz198 festgehalten, was zu etlichen Rechtsunsicherheiten führte. Nunmehr ist das Telekommunikationswegerecht im 2. Abschnitt des TKG 2003 über Leitungs- und Mitbenutzungsrechte (§§ 5 bis 13) zusammengefasst.199 Die einschlägigen Bestimmungen gestalten die Bedingungen, unter denen Kommunikationsbetreiber Infrastrukturen errichten und nutzen können, äußerst liberal. So ist gemäß § 16 Abs 1 TKG 2003 sowohl das Errichten als auch das Betreiben von Infrastruktureinrichtungen und Kommunikationsnetzen grundsätzlich bewilligungsfrei. Dadurch wird einerseits den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, die für sämtliche Kommunikationsbetreiber ein Recht zur Errichtung eigener Infrastrukturen sowie zur gemeinsamen Nutzung bereits bestehender Infrastrukturen normieren,161 Rechnung getragen, sowie eines der zentralen Ziele des TKG 2003 - die Schaffung einer modernen Kommunikati196
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Siehe dazu die Entscheidungen der TKK vom 30.07.2004 (Z 16/03-155) und 27.10.2004 (M 15a-e/03) zur Übertragung mobiler Rufnummern, die mit Erkenntnissen des VwGH vom 31.01.2005 (VwGH 2004/03/0151) und vom 31.03.2006 aufgehoben wurden. Die Gründe dafür lagen im Wesentlichen darin, dass keine Entgeltfestlegung für die Kosten der Portierung zwischen den Betreibern getroffen wurde, da die TKK in ihren Entscheidungen diese erst nach einem Beobachtungszeitraum von einem Jahr festlegen wollte. Weiters wurde die Festlegung von Kosten für die Portierung gegenüber den Endkunden durch die Festlegung einer Obergrenze von Euro 4,- beanstandet, zumal eine solche Festlegung nicht in einer Zusammenschaltungsanordnung getroffen werde dürfe, da man gegenüber dem Endkunde zu hoch verrechneten Entgelte im Wege von Aussichtsverfahren zu ahnden seien. Durch die Aufhebung der Bescheide der TKK traten die Verfahren in den Zeitpunkt vor Bescheiderlassung zurück. Die Durchführung von Portierungen wurde jedoch ungeachtet der Aufhebung der Entscheidungen weiterhin zwischen allen Betreibern fortgeführt. BGBl 1929/435 idF BGBl 1970/20 (außer Kraft). BGBl 1929/435 idF BGBl I 1997/100 (außer Kraft). Hier wird auch die Möglichkeit der Enteignung normiert, wenn die Errichtung einer Kommunikationslinie (oder einer öffentlichen Sprechstelle) im öffentlichen Interesse liegt und die Inanspruchnahme von Leitungs- oder Mitbenutzungsrechten nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln zum Ziel führt.199
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onsinfrastruktur zur Förderung der Standortqualität auf hohem Niveau162 verwirklicht. Allerdings sind bei der Errichtung von Infrastrukturen, da diese in der Regel mit der Nutzung von öffentlichen und/oder privaten Grundstücken verbunden ist, die Bestimmungen zu den Wegerechten zu beachten, sowie vergleichbare bundes- bzw landesgesetzliche Vorschriften, wie zB bau- oder naturschutzrechtliche Vorschriften.200
2. Begründung neuer Leitungsrechte Leitungsrechte umfassen gemäß § 5 Abs 1 Z 1 TKG 2003 zunächst das Recht zur Errichtung und zur Erhaltung von Kommunikationslinien201 im Luftraum oder unter der Erde. Darüber hinaus wird ausdrücklich auch das Recht zur Anbringung und Erhaltung von Leitungsstützpunkten, Vermittlungseinrichtungen und sonstigen Leitungsobjekten und anderem Zubehör erwähnt. Ferner wird nun ausdrücklich die Führung von Kabelleitungen in Gebäuden und sonstigen Baulichkeiten genannt.202 Schließlich umfassen die Leitungsrechte auch den Betrieb der genannten Anlagen sowie das Recht zur „Ausästung“ - die bis zum Fällen einzelner Bäume reicht - sowie zur Vornahme von Durchschlägen durch Waldungen. Bereitstellern eines Kommunikationsnetzes stehen sowohl am öffentlichen Gut als auch am privaten Grund weitgehende Leitungsrechte zu. Öffentliches Gut,203 wie etwa Strassen, Fußwege, öffentliche Plätze und der darüber liegende Luftraum, kann unentgeltlich und ohne besondere Bewilligung, in Anspruch genommen werden, sofern nicht öffentliche Interessen im Wege stehen. Auch die Eigentümer oder sonst Nutzungsberechtigten eines privaten Grundstücks haben, sofern sich auf dem Grundstück noch keine Leitung oder Anlage befindet, grundsätzlich die Errichtung, den Betrieb, die Erweiterung oder Erneuerung von Kommunikationslinien für öffentliche Kommunikationsnetze zu dulden. Dies gilt allerdings nur, wenn durch die Nutzung nicht die widmungsgemäße Verwendung des Grundstücks dauernd eingeschränkt ist bzw keine sonstigen überwiegenden öffentlichen Rücksichten im Wege stehen. Der Eigentümer oder sonst Nutzungsberechtigte ist mit einer Abgeltung für die Wertminderung zu entschädigen.
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Ebenso lässt das TKG Vorschriften aus dem WRG, dem LuftfahrtG oder dem DenkmalschutzG unberührt, vgl Schmelz/Stratil, Das neue Telekommunikationsgesetz, ecolex 1998, 267, 268. Auch Bewilligungspflichten nach dem RohrleitungsG, (zB § 30) bleiben unberührt. Allerdings ersetzt das TKG das Anlagenrecht der Gewerbeordnung. Gemäß § 2 Abs 1 TKG 2003 findet die GewO generell keine Anwendung auf das Betreiben von Kommunikationsnetzen. Für eine Begriffsbestimmung siehe § 3 Z 10 TKG 2003 (unter- oder oberirdisch geführte feste Übertragungswege einschließlich deren Zubehör wie Schalt-, Verstärker - oder Verzweigungseinrichtungen, Kabelschächte und Rohre). Vgl VwGH 3.9.2002, 2000/03/79. Zum Begriff des öffenltichen Gutes im gegebenen Zusammenhang vgl § 5 Abs 3 TKG 2003 sowie VwGH 15.12.2003, 2003/03/0163, MR 2003, 416.
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3. Nutzungsrecht an durch Recht gesicherten Leitungen oder Anlagen Besteht auf einem Grundstück eine durch Recht gesicherte Leitung oder Anlage (zB Erdöl-, Erdgas- oder Wasserleitungen), so unterliegt der Grundstückseigentümer gem § 7 TKG 2003 einer besonderen Duldungspflicht. Er hat die erweiterte Nutzung dieser Leitung oder Anlage durch dessen Inhaber für die Errichtung, den Betrieb, die Erweiterung oder die Erneuerung von Kommunikationslinien zu dulden, wenn dadurch die widmungsgemäße Verwendung des Grundstücks nicht dauerhaft zusätzlich eingeschränkt wird. Für die erweiterte Nutzung ist dem Grundstückseigentümer eine Entschädigung zu bezahlen. Auf Grundlage von § 7 TKG 2003 hat die Regulierungsbehörde - die RTR-GmbH bzw im Fall von Rundfunknetzen die KommAustria - im Einvernehmen mit Vertretern der betroffenen Parteien hierfür mittels Verordnung bundesweit einheitliche Richtsätze festgelegt.204
4. Mitbenutzungsrechte Um eine effiziente Nutzung bestehender Ressourcen sicherzustellen, sieht das TKG 2003 auch Regelungen für die Mitbenutzung vorhandener Infrastrukturen für Dritte vor. Gemäß § 8 Abs 1 TKG 2003 hat derjenige, der ein Leitungsrecht nach TKG 2003 oder Wegerechte nach anderen Bundesgesetzen bereits in Anspruch genommen hat, die Mitbenutzung der aufgrund dieser Rechte errichteten Kommunikationslinien - sofern wirtschaftlich zumutbar und technisch vertretbar - zu gestatten, wenn demjenigen, der die Mitbenutzung begehrt, die Inanspruchnahme öffentlichen Guts nicht möglich oder untunlich ist. Hierfür ist dem Mitbenutzungsverpflichteten ein angemessener geldwerter Ausgleich zu leisten. Daneben hat der Gesetzgeber im § 8 Abs 2 TKG 2003 die Mitbenutzung („site-sharing“) von Mobilfunkantennen bzw Starkstromleitungen gesondert geregelt. Mit diesen Bestimmungen wird auf die in diesem Zusammenhang bestehenden spezifischen Bedürfnisse von Mobilfunkbetreibern eigens abgestellt.
5. Durchsetzung der Wegerechte Kommt binnen einer Frist von sechs Wochen ab Einlangen der Nachfrage eine Einigung über (die Abgeltung der) Leitungsrechte an privaten Liegenschaften oder Mitbenutzungsrechte an einer Kommunikationslinie oder einem Mast nicht zustande, kann jeder der Beteiligten betreffend der Leitungsrechte das zuständige Fernmeldebüro205 oder betreffend Mitbenutzungsrechten die TKK206 zur Entscheidung anrufen. Sofern ein Vorschlag des Fernmeldebüros über die Höhe der Abgeltung abgelehnt wird, ist die Höhe von einem Sachverständigen zu bestimmen. Erfolgt eine bescheidmä204 205
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Vgl die Richtsatzverordnungen der RTR-GmbH und der KommAustria, abrufbar unter www.rtr.at. Gemäß § 113 Abs 3 TKG 2003 das jeweils örtlich in Betracht kommende Fernmeldebüro. Über Berufungen gegen Entscheidungen der Fernmeldebüros entscheidet der BMVIT. Vgl § 9 Abs 3 TKG 2003.
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ßige Festsetzung der Abgeltung durch das Fernmeldebüro, so kann jede Partei binnen drei Monaten das Gericht anrufen, was das Außerkrafttreten des Bescheides hinsichtlich des Ausspruchs über die Abgeltung zur Folge hat.207 Mit dem Bau der Leitung kann jedoch bereits ab Rechtskraft des entsprechenden Bescheidteils, der das Bestehen eines Leitungsrechts feststellt, begonnen werden. Hinsichtlich der Bekämpfung der Entscheidung der TKK bestehen keine Sonderbestimmungen.
VI. Wettbewerbsregulierung A. Allgemeines versus sektorspezifisches Wettbewerbsrecht Die zentrale Aufgabe der Regulierung auf den elektronischen Kommunikationsmärkten liegt in der Sicherung eines nach kompetitiven Strukturen funktionierenden Marktes. Weil angesichts der vormals vorherrschenden Monopolunternehmen in diesem Bereich und der ökonomischen Besonderheiten der Kommunikationsindustrie als Netzwerkindustrie208 zur Durchsetzung dieses Anliegens das Instrumentarium des allgemeinen Wettbewerbsrechts (zumindest noch) nicht ausreichend ist, sind in Ergänzung zu den allgemeinen Bestimmungen des UWG und KartG209 telekomspezifische Wettbewerbsregeln entwickelt worden. Diese übertragen den Regulierungsbehörden besondere Eingriffsbefugnisse gegenüber Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht, zu denen in erster Linie der ehemalige Monopolist zählt. In diesem Sinn wird im Zusammenhang mit dem telekomspezifischen Wettbewerbsrecht auch von asymmetrischer Wettbewerbsregulierung gesprochen. Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht kann die Regulierungsbehörde, unabhängig von einem allfälligen Missbrauch dieser Marktmacht, „Vorabverpflichtungen“ auferlegen, um einen funktionsfähigen Wettbewerb zu sichern. Die Regulierungsbehörden greifen damit - und darin liegt der wesentliche Unterschied zum allgemeinen Wettbewerbsrecht - gewissermaßen präventiv in den Markt ein. Stand in der ersten Phase der telekomspezifischen Wettbewerbsregulierung, dh im TKG 1997, das Aufbrechen der früheren Monopole im Vordergrund durchgesetzt durch eine vergleichsweise undifferenzierte Anwendung der in den Richtlinien vorgegebenen Regulierungsinstrumente auf normativ abgegrenzten Märkten - nähert sich das Regulierungsregime des TKG 2003 entsprechend den veränderten, weitaus wettbewerbsintensiveren Strukturen in der 207 208
209
§ 6 Abs 6 TKG 2003. Die Telekommunikationsmärkte zeichnen sich insb durch das Vorliegen von Skalen- und Verbundvorteilen, versunkenen Kosten und Netzwerkexternalitäten aus, was zur Folge hat, dass auf diesen Märkten auch nach der Liberalisierung nur einige wenige Unternehmen über eine beträchtliche Marktmacht verfügen, welche aufgrund der infolge hoher Investitionskosten und hoher Risiken bestehenden Marktzutrittsbarrieren für die potentiellen Newcomer nur schwer angreifbar ist. Zu den ökonomischen Besonderheiten der Telekommunikationsmärkte vgl etwa Koenig/Vogelsang/Kühling/Loetz/Neumann (FN 10) 23ff, 65ff. Zur Komplementarität, das heißt parallelen Anwendbarkeit von allgemeinem und sektorspezifischem Wettbewerbsrecht, vgl VwGH 18.11.2003, 2002/03/0284; sowie Entscheidung der Europäischen Kommission vom 21.5.2003 in einem Verfahren nach Art 82 EGV: COMT/C-1/37.451 ua - deutsche Telekom AG, Abl L 263/9, Rz 55 (= MMR 2003, 656 ff).
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Kommunikationsbranche substantiell an das allgemeine Wettbewerbsrecht an. Auf welchen Märkten welchen Unternehmen welche besonderen Verpflichtungen aufzuerlegen sind, haben nunmehr die nationalen Regulierungsbehörden im Einzelfall zu entscheiden. Dabei haben sie Marktdefinition, Marktanalyse und die Feststellung einer beträchtlichen Marktmacht im Wesentlichen nach denselben Grundsätzen, die auch für das allgemeine Wettbewerbsrecht gelten, vorzunehmen. Weiterhin unterschiedlich bleiben im Kern lediglich die an diese Analysen knüpfenden Rechtsfolgen.210
B. Allgemeines zum neuen System der Wettbewerbsregulierung Der Bereich der Wettbewerbsregulierung ist im TKG 2003 im 5. Abschnitt festgelegt und gemeinschaftsrechtlich vor allem durch die RahmenRL211 sowie durch Bestimmungen der ZugangsRL212 und der UniversaldienstRL213 voll harmonisiert, und zwar sowohl in materiellrechtlicher als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Die verfahrensrechtlichen Aspekte umfassen Pflichten zur Konsultation bzw zur Koordination zwischen den nationalen Regulierungsbehörden und der Europäischen Kommission,214 sowie verfahrensrechtlich angelegte Anknüpfungen an materiell nicht bindende Rechtsinstrumente der Europäischen Kommission, den Leitlinien und Empfehlungen.215 Dadurch soll eine stärkere Harmonisierung der Regulierungstätigkeiten der einzelnen nationalen Behörden in den Mitgliedstaaten der EU erreicht werden. Materiellrechtlich sieht die Systematik der neuen Regelungen im Wesentlichen einen dreistufigen Prozess vor: • In einem ersten Schritt sind die relevanten Teilmärkte, dh die Produkt- und Dienstmärkte im elektronischen Kommunikationssektor festzulegen, auf denen die Auferlegung besonderer Vorabverpflichtungen in Betracht kommt. Nicht in Betracht für solche besonderen Verpflichtungen kommen nur jene Teilmärkte, auf denen bereits effektiver Wettbewerb herrscht (Marktdefinition). • Im zweiten Schritt sind auf den relevanten Märkten jene Unternehmen zu eruieren, die über eine beträchtliche Marktmacht verfügen (Marktanalyse und Bestimmung beträchtlicher Marktmacht) 210
211 212 213 214 215
Zu den leitenden Aspekten für die Zukunft der Telekommunikationsregulierung näher Koenig/Loetz, Infrastruktur- und Dienstewettbewerb im EG-Telekommunikationsrecht, TKMR 2004, 132 ff; Holoubek, Aktuelle rechtsstaatliche Fragen des Telekommunikationsregulierungsrechts, in: Raschauer (Hrsg), Aktuelles Telekommunikationsrecht, 2005, 71, 75 ff. Abl 2002 L 108/33. Abl 2002 L 108/7. Abl 2002 L 108/51. Dazu ausführlich unten Pkt VII.B. Empfehlung der Kommission 2003/311/EG über relevante Produkt- und Dienstemärkte, Abl 2003 L 114/45 und Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht, Abl 2002 C 165/6. Diese „soft-law“-Instrumente sind in Verfahren vor den nationalen Regulierungsbehörden insofern tatbestandlich zu berücksichtigen, als eine inhaltliche Abweichung zwar möglich, aber nur unter Einhaltung eines besonderen Verfahrens zulässig ist.
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•
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Im dritten Analyseschritt hat die Regulierungsbehörde dann schließlich zu ermitteln, zu welchem Wettbewerbsproblem (wenn überhaupt) die beträchtliche Marktmacht auf dem jeweiligen Teilmarkt führt und mit welchem Regulierungsinstrument, also mit welcher besonderen Verhaltenspflicht diesem Wettbewerbsproblem am sinnvollsten entgegengewirkt werden kann (Auferlegung spezifischer Verpflichtungen).
1. Marktdefinition Eine der grundlegendsten Änderungen des neuen Rechtsrahmens gegenüber der zuvor geltenden Rechtslage ist die Abkehr vom „Vier-Märkte-Dogma“216: nach dem TKG 1997 waren - in Übereinstimmung mit den Vorgaben der ZusammenschaltungsRL217 - vier normativ festgelegte, nicht nach wirtschaftswissenschaftlichen bzw allgemein wettbewerbsrechtlichen Kriterien abgegrenzte sachliche „Märkte“ relevant.218 Die Regulierungsbehörde hatte diesbezüglich keine eigene Marktabgrenzung vorzunehmen, sondern lediglich festzustellen, welchem Unternehmen auf diesen „Märkten“ beträchtliche Marktmacht im Sinne der ZusammenschaltungsRL bzw im Sinne des § 33 TKG 1997 zukam.219 Der neue Rechtsrahmen verlangt nun eine Marktdefinition „im Einklang mit den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts“,220 die von der nationalen Regulierungsbehörde vorzunehmen ist, allerdings unter weit gehender Berücksichtigung der nach Art 15 RahmenRL zu erlassenden Empfehlung der Europäischen Kommission in Bezug auf relevante Produkt- und Dienstmärkte („Märkteempfehlung)221. Von dieser kann die Regulierungsbehörde nur nach Durchführung eines Konsultations- und Koordinationsverfahrens nach Art 6 und 7 RahmenRL (bzw §§ 128 und 129 TKG 2003) abweichen. Zur Vornahme der Marktabgrenzung sind die wesentlichen Wettbewerbskräfte, denen die Unternehmen unterliegen, zu beurteilen: die Austauschbarkeit auf Nachfrageseite (Nachfragesubstitution) und die Angebotsumstellungsflexibilität anderer Unternehmer, die das bestimmte Produkt aktuell nicht anbieten (Angebotssubstituierbarkeit). Zur Beurteilung der Nachfrage- und Angebots-
216 217 218
219
220 221
Vgl Vartian, Telekommunikationsrecht, 2004, 63. RL 97/33/EG, Abl 1997 L 199/32 (außer Kraft). Bei diesen vier Teilmärkten handelte es sich um die 1) Sprachtelefonie im Festnetz, 2) die Sprachtelefonie im Mobilfunknetz, 3) das Anbieten von Mietleitungen und 4) das Anbieten von Zusammenschaltungsleistungen. Im Hinblick auf die räumliche Marktabgrenzung ging der frühere Rechtsrahmen im Wesentlichen davon aus, dass der zu berücksichtigende Markt mit dem „Lizenzgebiet“ übereinstimmte; die österreichische Regulierungsbehörde hat als räumlichen Markt nach dem TKG 1997 für alle vier sachlichen „Märkte“ jeweils das gesamte Bundesgebiet angenommen. Zur Marktbeherrschung nach dem TKG 1997 vgl Rothmüller/Ruhle, Die Regulierung der marktbeherrschenden Stellung in der Telekommunikation im internationalen Vergleich, MR 2001, 333. Die von der TKK vorgenommene Feststellung der marktbeherrschenden Stellung auf Basis der normativ vorgegebenen Märkte wurde durch den VwGH bestätigt: VwGH 18.11.2003, 2002/03/0284. Art 15 Abs 1 und 3 RahmenRL. Vgl FN 215.
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substituierbarkeit wird in der Regel auf den hypothetischen Monopolistentest222 zurückgegriffen. Damit ein nach der Methode des hypothetischen Monopolistentests abgegrenzter Markt auch als relevanter Markt im Sinne des Art 15 RahmenRL festgelegt werden kann, müssen des weiteren die folgenden drei in den Erwägungsgründen der Märkteempfehlung genannten Kriterien vorliegen: • auf dem Markt müssen beträchtliche, anhaltende strukturell oder rechtlich bedingte Zugangshindernisse bestehen, • der Markt tendiert nicht zu wirksamem Wettbewerb, und • dem Marktversagen kann mit Hilfe des Wettbewerbsrechts allein nicht entgegengewirkt werden. Nach den oben dargestellten Grundlagen223 hat die Europäische Kommission in der Märkteempfehlung 18 sachliche Märkte festgelegt, die für eine Vorabregulierung in Betracht kommen. Dabei wird unterschieden zwischen 7 Märkten für Dienste oder Produkte für Endnutzer (Endkundenmärkte) und 11 Märkten für Vorleistungen, die Betreiber benötigen, um Endnutzern Dienste und Produkte bereit zu stellen (Großkundenmärkte). Die Endkundenmärkte umfassen ausschließlich den Festnetzbereich, wobei neben dem Angebot an Mietleitungen für Endkunden zwischen dem Zugangsmarkt und dem Markt für Verbindungsleistungen unterschieden wird.224 Die Marktdefinition auf innerstaatlicher Ebene im Telekommunikationsbereich erfolgte durch die am 17.10.2003 in Kraft getretene Telekommunikationsmärkteverordnung 2003.225 In Entsprechung zur Märkteempfehlung der Europäischen Kommission legt sie im Einzelnen die folgenden Endkundenmärkte fest: 1. Zugang von Privatkunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten 2. Zugang von Nichtprivatkunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten 3. Inlandsgespräche für Privatkunden über das öffentliche Telefonnetz an festen Standorten 4. Inlandsgespräche für Nichtprivatkunden über das öffentliche Telefonnetz an festen Standorten 5. Auslandsgespräche für Privatkunden über das öffentliche Telefonnetz an festen Standorten 6. Auslandsgespräche für Nichtprivatkunden über das öffentliche Telefonnetz an festen Standorten
Als Großkunden-(Vorleistungs-)märkte gelten nach der TKMV bzw Märkteempfehlung: 222
223 224 225
EuGH, Rs C-83/91,Tetrapack/Kommission, Slg 1994, II-755, Rz 68; und zur Anwendung auf dem Telekommunikationssektor Krüger, Marktabgrenzung im Telekommunikationssektor und die Definition von beträchtlicher Marktmacht, K&R 2003, Beilage H 1, 9, 12. Sowie in Anknüpfung an ihre bisherige Entscheidungspraxis auf Grundlage der VO 17/62 und der EG-FusionskontrollVO. Die Märkteempfehlung ist nach Art 15 Abs 1 RahmenRL von der Europäischen Kommission regelmäßig zu überprüfen. Veröffentlicht auf www.rtr.at; von einer Aufzählung der Märkte wird hier abgesehen, weil diese im Wesentlichen mit der Märkteempfehlung der Europäischen Kommission übereinstimmen. Näher zur Marktdefinition durch die Regulierungsbehörde Damjanovic ua (FN 19) 152 ff.
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7. Originierung im öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten (Vorleistungsmarkt) 8. Terminierung in individuellen öffentlichen Telefonnetzen an festen Standorten (Vorleistungsmarkt) 9. Transitdienste im öffentlichen Festtelefonnetz (Vorleistungsmarkt) 10. Mindestangebot an Mietleitungen mit bestimmten Mietleitungstypen bis einschließlich 2 Mbit/s (Endkundenmarkt) 11. Trunk-Segmente von Mietleitungen (Vorleistungsmarkt) 12. Terminierende Segmente von Mietleitungen (Vorleistungsmarkt) 13. Entbündelter Zugang einschließlich gemeinsamer Zugang zu Drahtleitungen und Teilabschnitten davon für die Erbringung von Breitband- und Sprachdiensten (Vorleistungsmarkt) 14. Zugang und Originierung in öffentlichen Mobiltelefonnetzen (Vorleistungsmarkt) 15. Terminierung in individuellen öffentlichen Mobiltelefonnetzen (Vorleistungsmarkt) 16. Nationaler Vorleistungsmarkt für internationales Roaming in öffentlichen Mobiltelefonnetzen (Vorleistungsmarkt) 17. Markt für den breitbandigen Zugang (Vorleistungsmarkt)
2. Marktanalyse - Feststellung beträchtlicher Marktmacht Die Grundlagen des Marktanalyseverfahrens sind in Art 16 RahmenRL und in Umsetzung dieser Bestimmung in § 37 TKG 2003 festgelegt. Ziel dieses Verfahrens ist zunächst die Feststellung, ob auf dem jeweils relevanten Markt ein oder mehrere Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfügen oder aber effektiver Wettbewerb gegeben ist; in weiterer Folge sind - je nach dem Ergebnis der Marktanalyse - spezifische Verpflichtungen226 aufzuheben, beizubehalten, zu ändern oder aufzuerlegen. Bei dieser Entscheidung haben die nationalen Behörden die von der Europäischen Kommission auf Grundlage von Art 15 Abs 2 RahmenRL erlassenen Leitlinien zur Marktanalyse und zur Bewertung beträchtlicher Marktmacht (die „SMP-Leitlinien“227) weitestgehend zu berücksichtigen.
Gemäß Art 14 RahmenRL gilt ein Unternehmen als Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht, wenn es entweder allein oder gemeinsam mit anderen eine der Beherrschung gleichkommende Stellung einnimmt, dh eine wirtschaftlich starke Stellung, die es ihm gestattet, sich in beträchtlichem Umfang unabhängig von Wettbewerbern, Kunden und letztlich Verbrauchern zu verhalten. Diese Definition beruht auf der Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der beherrschenden Stellung nach Art 82 EGV,228 wobei in der Formulierung („der Beherrschung gleichkommende Stellung“) keine vollständige Gleichsetzung der „beherrschenden Stellung“ im Sinne des Art 82 EGV mit der „beträchtlichen Marktmacht“ im Sinne des Art 14 RahmenRL erfolgte; es ist daher zwar in aller Regel davon auszugehen, dass ein Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht auch über eine beherrschende Stellung im
226
227 228
Als „spezifische Verpflichtungen“ oder „Vorabverpflichtungen“ werden jene Pflichten bezeichnet, die dem Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht auf Grund der ZugangsRL und/oder UniversaldienstRL (bzw §§ 38 bis 46 und § 47 Abs 1 TKG 2003) durch die Regulierungsbehörde auferlegt werden können, um einem bestimmten Wettbewerbsproblem abzuhelfen (englisch als „remedies“ bezeichnet). Vgl FN 215. Vgl dazu näher SMP-Leitlinien, Rz 70 (mwH).
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Sinne des allgemeinen Wettbewerbsrechtes verfügt (und umgekehrt), dies ist jedoch nicht in jedem Fall zwingend.229
Bei der Feststellung beträchtlicher Marktmacht hat die Regulierungsbehörde eine vorausschauende Analyse vorzunehmen, die sich auf die bestehenden Marktverhältnisse stützt. Erster Anhaltspunkt sind dabei in der Regel die Marktanteile auf dem betreffenden Markt.
Die SMP-Leitlinien führen dazu aus, dass bei Marktanteilen von nicht mehr als 25% die betreffenden Unternehmen auf dem relevanten Markt keine (alleinige) beherrschende Stellung haben dürften; die Europäische Kommission hat die Schwelle für eine beherrschende Stellung in der Regel erst ab einem Marktanteil von über 40% angesetzt. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH liefern besonders hohe Marktanteile - über 50% - ohne weiteres, von außergewöhnlichen Umständen abgesehen, den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung. Sinkende Marktanteile schließen das Vorliegen einer beträchtlichen Marktmacht nicht aus.230
Die Betrachtung der Marktanteile allein reicht jedoch in der Regel nicht aus, um verlässliche Feststellungen über das Vorliegen von Wettbewerb treffen zu können; dazu ist die Prüfung einer Reihe weiterer Kriterien erforderlich, die sich auf die Marktstruktur, das Marktverhalten und schließlich das Marktergebnis beziehen. Der österreichische Gesetzgeber hat in § 35 Abs 2 TKG 2003 einen Kriterienkatalog aufgenommen, der im Wesentlichen auf die Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte zur beherrschenden Stellung nach Art 82 EGV und nach Art 2 EG-FusionskontrollVO zurückgeht, wie sie auch in den SMP-Leitlinien zusammengefasst dargestellt wird.231 Neben der „Einzelmarktbeherrschung“ durch ein besonders starkes Unternehmen, wie dies vor allem auf den Festnetzmärkten durch die historisch starke Position des früheren Monopolisten gegeben sein kann, besteht auch die Möglichkeit, dass mehrere Unternehmen gemeinsam einen Markt dominieren, wie dies etwa auf Mobilfunkmärkten mit wenigen starken Teilnehmern denkbar ist. Die gemeinsame Marktbeherrschung232 229
230
231 232
Vgl SMP-Leitlinien, Rz 30: die Feststellung von beträchtlicher Marktmacht bedeutet auch noch nicht, „dass das Unternehmen diese beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 82 EG-Vertrag oder vergleichbarer nationaler wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen missbräuchlich ausgenutzt hat. Es bedeutet lediglich, dass der Betreiber aus struktureller Sicht kurz- bis mittelfristig in der Lage ist und sein wird, auf dem relevanten Markt eine wirtschaftlich so starke Stellung einzunehmen, dass er sich in beträchtlichem Umfang unabhängig von Mitbewerbern, Kunden und letztlich Verbrauchern verhalten kann, und dies ausschließlich im Sinne von Artikel 14 der Rahmenrichtlinie.“ Vgl auch Krüger (FN 222) 14. Siehe SMP-Leitlinien, Rz 75. Die SMP-Leitlinien enthalten auch zu den weiteren im Gesetz genannten Kriterien nähere, auf der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte und der Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission aufbauende Ausführungen. Die Telekom-Control-Kommission geht in ihren Entscheidungen im Rahmen der Marktanalyse (veröffentlicht auf www.rtr.at) in aller Regel umfassend auf die Kriterien, soweit diese im jeweiligen Fall relevant sind, ein. Insb Rz 72-85 der SMP-Leitlinien. Weiters Schröter/Jakob/Mederer (Hrsg), Kommentar zum europäischen Wettbewerbsrecht, 2003, Rz 78 ff zu Art 82. „Joint dominance“; die gemeinsame Marktbeherrschung setzt mehrere rechtlich und wirtschaftlich voneinander unabhängige Unternehmen voraus; verbundene Unternehmen sind im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise bei der nach allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Kriterien vorzunehmenden Marktanalyse dagegen als ein einheitliches Unternehmen zu beurteilen. Allgemein zur „joint dominance“ Schröter/Jakob/Mederer (Hrsg) (FN 231) Rz 81 ff zu Art 82.
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ist ebenfalls ein in der Rechtsprechung des EuGH233 zu Art 82 EGV entwickelter Begriff; sie setzt voraus, dass die betreffenden Unternehmen gegenüber ihren Konkurrenten, Geschäftspartnern und Kunden eine Einheit darstellen, was dann der Fall ist, wenn zwischen den Unternehmen kein wirksamer Wettbewerb stattfindet und die Unternehmen sich einheitlich verhalten. Art 14 Abs 2 RahmenRL verweist zur Beurteilung des Vorliegens gemeinsamer Marktbeherrschung auf eine in Anhang II zur RahmenRL enthaltene Kriterienliste, die von den nationalen Regulierungsbehörden zu berücksichtigen ist. Art 15 Abs 3 RahmenRL bzw § 35 Abs 5 TKG 2003 erfasst die Übertragung von Marktmacht auf einen benachbarten Markt („leveraging“).
Das Ergebnis der Marktanalyse, dh die Beurteilung, ob wirksamer Wettbewerb besteht oder ob ein oder mehrere Unternehmen über beträchtliche Marktmacht auf dem analysierten Markt verfügt/verfügen - sind einem Konsultations- und Koordinationsverfahren nach §§ 128 und 129 TKG 2003 zu unterziehen.
3. Aufhebung, Beibehaltung, Abänderung oder Auferlegung von spezifischen Verpflichtungen a) Aufhebung von spezifischen Verpflichtungen Kommt die Regulierungsbehörde zum Ergebnis, dass auf dem analysierten Markt wirksamer Wettbewerb vorliegt, so erlegt sie nach § 37 Abs 3 TKG 2003234 keine spezifischen Verpflichtungen auf und stellt das Verfahren durch Beschluss ein. Soweit noch spezifische Verpflichtungen auf diesem Markt bestehen, sind diese mit Bescheid aufzuheben. Hinsichtlich der Vorleistungsmärkte „Trunk-Segmente von Mietleitungen“, „Zugang und Originierung in öffentlichen Mobiltelefonnetzen“ und „Auslandsgespräche für Privatkunden über das öffentliche Telefonnetz an festen Standorten“ hat die TelekomControl-Kommission die Marktanalyse abgeschlossen und die jeweiligen Verfahren mit Beschluss eingestellt, da auf den untersuchten Märkten wirksamer Wettbewerb besteht.235 Auch auf dem Vorleistungsmarkt „Transitdienste im öffentlichen Festtelefonnetz“ ist die Telekom-Control-Kommission zum Ergebnis gekommen, dass wirksamer Wettbewerb besteht und hat daher in einem Entwurf der geplanten Vollziehungshandlung die Aufhebung der bisher die Telekom Austria AG treffenden bestehenden Verpflichtungen auf diesem Markt vorgesehen. Mit Entscheidung vom 20.10.2004 hat die Europäische Kommission jedoch die Telekom-Control-Kommission gemäß Art 7 Abs 4 RahmenRL aufgefordert, diesen Maßnahmenentwurf zurückzuziehen.236 Die TelekomControl-Kommission hat daraufhin dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die Vorlage wurde vom EuGH jedoch mit der Begründung, es handle sich bei der vorliegenden Frage nicht um Rechtssprechung, zurückgewiesen.237
233 234 235
236 237
Vgl insb EuGH, Rs C-395 und 396/96, Compagnie maritime Belge, Slg 2000, I-1365. Vgl Art 16 Abs 3 RahmenRL. Beschluss vom 19.7.2004, M 11/03-39 (Trunk-Segmente von Mietleitungen); Beschluss vom 5.7.2004, M 14/03-34 (Zugang und Originierung in öffentlichen Mobiltelefonnetzen); Beschluss vom 4.2.2005, M 5a/03-18 (Auslandsgespräche für Privatkunden). Entscheidung der Europäischen Kommission vom 20.10.2004, K(2004)4070 endg (AT/2004/0090). Vgl EuGH v 6.10.2005, Rs C-256/05 (unveröffentlicht).
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b) Auferlegung, Beibehaltung oder Änderung von spezifischen Verpflichtungen Ergibt die Marktanalyse, dass auf dem relevanten Markt kein effektiver Wettbewerb besteht, so hat die Regulierungsbehörde dem oder den Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht „geeignete spezifische Verpflichtungen“ nach den §§ 38 bis 46 oder nach § 47 Abs 1 TKG 2003 aufzuerlegen. Bereits bestehende spezifische Verpflichtungen, die den relevanten Markt betreffen, sind nach Maßgabe der Ergebnisse des Verfahrens unter Berücksichtigung der Regulierungsziele zu ändern oder neuerlich aufzuerlegen.238 Kein effektiver Wettbewerb besteht nach den Marktanalysen der TKK auf allen in der TKMVO als relevant definierten Märkten mit Ausnahme der in FN 235 genannten Märkte. Für die Terminierung in öffentliche Mobilfunknetze hat die TKK festgestellt, dass jedes Mobilfunknetz einen eigenen Markt bildet und dessen Anbieter auch „beträchtliche Marktmacht“ besitzt.239
Parteistellung im Marktanalyseverfahren kommt nach § 37 Abs 5 TKG 2003 nur dem Unternehmen zu, dem gegenüber die Aufhebung, Auferlegung, Beibehaltung oder Änderung von Verpflichtungen erfolgt. In der Praxis verständigt die Regulierungsbehörde nach Vorliegen des Marktanalyse-Gutachtens jene Unternehmen, die nach den vorläufigen Ergebnissen des Marktanalyseverfahrens als Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht anzusehen sind und bezieht diese in das von Amts wegen geführte Verfahren als Partei mit ein.240 Ob damit in jedem Fall gewährleistet ist, dass Parteien, die von einer Entscheidung betroffen sind, auch über die nach Art 4 RahmenRL erforderliche Möglichkeit verfügen, einen Rechtsbehelf zu ergreifen, ist fraglich. Der VwGH hat zu dieser Frage ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet.241
Auf Grund der besonderen Bedeutung spezifischer Verpflichtungen im Bereich der Vorleistungsmärkte unterliegt die Auferlegung, Abänderung oder Aufhebung der Verpflichtungen nach den §§ 38 bis 42 TKG 2003 dem Koordinierungsverfahren nach § 129 TKG 2003 („Art 7-Verfahren“); anders als bei der Marktdefinition und der Marktanalyse besteht hinsichtlich der Auferlegung von Verpflichtungen jedoch kein „Veto-Recht“ der Europäischen Kommission nach Art 7 Abs 4 RahmenRL.242
238 239 240
241 242
Die relevanten Bescheide der TKK sind unter www.rtr.at veröffentlicht (Kategorie: Marktbeherrschung). Siehe die Entscheidung der TKK vom 27.10.2004, M 10/03 sowie die Entscheidungen vom 06.02.2006, M 2/05 - 7/05. Vgl dazu die Darstellung des Verfahrensablaufes in den von der Telekom-ControlKommission bereits erlassenen Bescheiden (zB Bescheid vom 27.10.2004, M 10/0352), abrufbar auf www.rtr.at. Vgl EuGH, Rs C-426/05, Tele2 UTA Telecommunication GmbH gegen TelekomControl-Kommission, Abl 2006 C 22/9. Im Verfahren AT/2004/0090 betreffend Transitmärkte (20.10.2004, K(2004)4070 endg) hatte die Telekom-Control-Kommission die Aufhebung der bestehenden Verpflichtungen der Telekom Austria AG vorgesehen; die Entscheidung der Europäischen Kommission, die Telekom-Control-Kommission gemäß Art 7 Abs 4 RahmenRL zur Zurückziehung des Maßnahmenentwurfs aufzufordern, bezog sich dabei nicht auf die Aufhebung, sondern auf das der Aufhebung zu Grunde liegende Ergebnis der Marktanalyse, wonach auf dem Transitmarkt kein Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfüge.
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Für die Auferlegung spezifischer Verpflichtungen in Bezug auf den Zugang, die über die Instrumente der §§ 38 bis 42 TKG 2003 hinausgehen, bedarf es nicht bloß der Koordination mit der Europäischen Kommission, sondern deren ausdrücklicher Erlaubnis nach Art 8 Abs 3 RahmenRL.243
c) Die spezifischen Verpflichtungen (Regulierungsinstrumente) im Einzelnen Die der Regulierungsbehörde zur Verfügung stehenden Regulierungsinstrumente für Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht ergeben sich aus Art 16 bis 19 UniversaldienstRL und Art 7 und 8 ZugangsRL bzw den §§ 38 bis 46 und 47 Abs 1 TKG 2003. Die ZugangsRL definiert die Verpflichtungen auf der Vorleistungsebene (§§ 38-42 und 47 Abs 1 TKG 2003), die UniversaldienstRL jene auf der Endkundenebene. Bei der Entscheidung, welche Verpflichtung(en) im Einzelfall aufzuerlegen ist/sind, haben sich die Regulierungsbehörden zum einen von den Regulierungszielen leiten zu lassen. Diese ergeben sich aus Art 8 RahmenRL bzw § 1 Abs 2 und § 34 Abs 1 TKG 2003. Zum anderen haben sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Die auferlegten Verpflichtungen müssen geeignet und erforderlich sein, den bestehenden Wettbewerbsproblemen zu begegnen, und sie müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem zu lösenden Wettbewerbsproblem stehen; von mehreren geeigneten Maßnahmen ist die am wenigsten belastende zu wählen.244 Wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Regulierungsinstruments in einem konkreten Fall liefert ein gemeinsames Dokument der European Regulators Group (ERG)245. In diesem Dokument - dem sog Remedies Paper246 - werden vier wesentliche Marktkonstellationen auf den elektronischen Kommunikationsmärkten und dazu insgesamt 27 „Standard-Wettbewerbsprobleme“ beschrieben und diesen dann in weiterer Folge die jeweils entsprechenden geeigneten Abhilfemaßnahmen aus den im neuen Rechtsrahmen zur Verfügung stehenden Regulierungsinstrumenten zugeordnet.
Bei den Regulierungsinstrumenten, dh den spezifischen Verpflichtungen, handelt es sich im Einzelnen um folgende: • Zugang zu Netzeinrichtungen und Netzfunktionen
243
244
245 246
§ 47 Abs 1 TKG 2003. Siehe Holoubek, Zur Begründung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - Verwaltungs-, verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Aspekte, in: FS Rill, 1995, 97, 117 ff, 125 f. Zur Struktur des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Verfahren zum Ausgleich und zur Abwägung von (öffentlichen und Individual-)Interessen siehe Holoubek, Zur Begründung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - verwaltungs-, verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Aspekte, in: FS Rill, 117 ff, 125 f; zur Verhältnismäßigkeit im konkreten Regelungskontext siehe die SMP-Leitlinien, Rz 117 f. Die European Regulators Group für die Telekommunikation ist ein Verbund der nationalen Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten, die das Verfahren und die Regulierungsformen durch Vorgabe unverbindlicher Muster standardisieren wollen. Vgl http://erg.eu.int. Abrufbar unter: „ERG Common Position on the approach to Appropriate remedies in the new regulatory framework“, ERG(03)30rev1; http://www.erg.eu.int/ doc/whatsnew/erg_0330rev1_remedies_common_position.pdf („Remedies-Paper“).
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Der Zugang zu Netzen247 auf der Vorleistungsebene ist ein zentrales Element der sektorspezifischen Regulierung zur Erreichung wirksamen, nachhaltigen Wettbewerbs auf den elektronischen Kommunikationsmärkten. Die Möglichkeit der Auferlegung einer Verpflichtung, berechtigten Anträgen auf Zugang zu bestimmten Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen und auf deren Nutzung stattzugeben, ist in § 41 TKG 2003 (Art 12 ZugangsRL) vorgesehen. § 42 TKG 2003 (Art 13 ZugangsRL) sieht darüber hinaus auch die Möglichkeit vor, Verpflichtungen im Hinblick auf die Entgelte für den Zugang festzulegen. Nach § 41 Abs 2 Z 1 TKG 2003 kann die Verpflichtung zur Gewährung des Zugangs zum Netz und zu entbündelten Teilen desselben auferlegt werden. Der Zugang zu entbündelten Teilen eines Netzes bezieht sich vor allem auf die Teilnehmeranschlussleitung oder Teile davon, wie er bereits nach der EntbündelungsVO vom „gemeldeten Betreiber“248 bereitzustellen ist. Die Telekom-Control-Kommission hat das Marktanalyseverfahren betreffend den Markt „Entbündelter Zugang einschließlich gemeinsamen Zugangs zu Drahtleitungen und Teilabschnitten davon für die Erbringung von Breitband- und Sprachdiensten (Vorleistungsmarkt)“ mit Bescheid vom 27.10.2004 abgeschlossen;249 die der Telekom Austria AG in diesem Bescheid auferlegten spezifischen Verpflichtungen zur Zugangsgewährung samt den „Nebenverpflichtungen“ wie etwa zur Veröffentlichung eines Standardangebots entsprechen im Wesentlichen jenen Pflichten, die die Telekom Austria AG bereits zuvor als gemeldeten Betreiber nach der EntbündelungsVO getroffen hatten.250
§ 41 Abs 2 Z 2 TKG 2003 sieht weiters das Angebot bestimmter Dienste zu Großhandelsbedingungen zum Zweck des Vertriebs durch Dritte (Wiederver247
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§ 3 Z 23 TKG 2003 definiert den Zugang als „die ausschließliche oder nicht ausschließliche Bereitstellung von Einrichtungen und/oder Diensten für ein anderes Unternehmen unter bestimmten Bedingungen, zur Erbringung von Kommunikationsdiensten. Darunter fallen unter anderem: Zugang zu Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen, wozu auch der feste oder nicht feste Anschluss von Einrichtungen gehören kann (dies beinhaltet insbesondere den Zugang zum Teilnehmeranschluss sowie zu Einrichtungen und Diensten, die erforderlich sind, um Dienste über den Teilnehmeranschluss zu erbringen); Zugang zu physischen Infrastrukturen wie Gebäuden, Leitungen und Masten; Zugang zu einschlägigen Softwaresystemen, einschließlich Systemen für die Betriebsunterstützung; Zugang zur Nummernumsetzung oder zu Systemen, die eine gleichwertige Funktion bieten; Zugang zu Festund Mobilfunknetzen, insbesondere um Roaming zu ermöglichen; Zugang zu Zugangsberechtigungssystemen für Digitalfernsehdienste und Zugang zu Diensten für virtuelle Netze;“ Zusammenschaltung ist nach § 3 Z 25 TKG 2003 ein Sonderfall des Zugangs. Das ist nach Art 2 lit a der EntbündelungsVO der „Betreiber des öffentlichen Telefonfestnetzes, der von seiner nationalen Regulierungsbehörde als Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht im Bereich der Bereitstellung öffentlicher Telefonfestnetze und entsprechender Dienste im Sinne von Anhang I Abschnitt 1 der Richtlinie 97/33/EG bzw. der Richtlinie 98/10/EG gemeldet wurde“. M 13/03-52. Die TA ist demnach verpflichtet, Zugang zur TASL einschließlich zu Teilabschnitten der TASL, gemeinsamen Zugang (shared use) „und dafür notwendige AnnexLeistungen“, zB Kollokation (gemeinsame Nutzung von Einrichtungen), zu gewähren. Die Auferlegung einer Verpflichtung zur Entgeltkontrolle erfolgte in diesem Bescheid nicht, wohl aber zur Kostenrechnung nach § 42 Abs 1 TKG 2003. Feiel/Felder, Mobile Virtual Network Operators - Ökonomische und juristische Betrachtungen, MR 2002, 249 ff.
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kauf von Kommunikationsdiensten)251 als mögliche spezifische Verpflichtung vor. Als weitere mögliche spezifische Zugangsverpflichtung nennt § 41 Abs 2 Z 9 TKG 2003 ausdrücklich die Zusammenschaltung von Netzen oder Netzeinrichtungen, also die physische und logische Verbindung öffentlicher Kommunikationsnetze, um Nutzern eines Unternehmens die Kommunikation mit Nutzern eines anderen Unternehmens oder den Zugang zu den von einem anderen Unternehmen angebotenen Diensten zu ermöglichen.252 Davon zu unterscheiden ist die alle Betreiber öffentlicher Kommunikationsnetze unabhängig von ihrer Marktstellung nach Art 4 Abs 1 ZugangsRL bzw § 48 Abs 1 TKG 2003 - somit unabhängig von einer Entscheidung der Regulierungsbehörde - treffende Verpflichtung, mit anderen Unternehmen auf Antrag über die Zusammenschaltung zu verhandeln. Diese Verpflichtung stellt kein Regulierungsinstrument ieS dar. Sie soll allgemein die übergreifende Kommunikation zwischen den verschiedenen Netzen gewährleisten.
• Entgeltkontrolle und Kostenrechnung für den Zugang Voraussetzung für die Auferlegung dieser spezifischen Verpflichtungen nach § 42 TKG 2003 (Art 13 ZugangsRL) ist, dass ein Unternehmer mit beträchtlicher Marktmacht seine Preise zum Nachteil der Endnutzer auf einem übermäßig hohen Niveau halten oder Preisdiskrepanzen253 praktizieren könnte. In diesem Fall kann die Regulierungsbehörde dem Unternehmer Verpflichtungen betreffend Kostendeckung und Entgeltkontrolle einschließlich kostenorientierter Entgelte sowie Auflagen in Bezug auf Kostenrechnungsmethoden auferlegen.254 Wie auch schon nach dem früheren Rechtsrahmen wird zur Ermittlung der kostenorientierten Entgelte die Methode zukunftsorientierter, langfristiger
251 252
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Dazu zählt zB die Tätigkeit des Mobile Virtual Network Operators (MVNO). Näher Feiel/Felder (FN 250). Siehe auch die Begriffsbestimmung in § 3 Z 25 TKG 2003 bzw Art 2 lit b ZugangsRL; sowie die Bescheide der TKK vom 20.12.2004, M 7/03 und M 8a/03, mit welchen der Telekom Austria die spezifische Verpflichtung auferlegt wurde, die direkte und indirekte Zusammenschaltung mit ihrem öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten zu gewährleisten; siehe in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung der TKK vom 20.12.2004, M 8b-k/03 sowie die Entscheidungen vom 06.02.2006, M 2/05 - M 7/05. Vor allem im Sinne eines „price squeeze“ (zweifacher Preisdruck oder KostenPreis-Schere), der dann vorliegt, wenn die dem Vorleistungsmarkt nachgeordneten „downstream“ - Bereiche (zB der Retail-Bereich) des Unternehmens mit beträchtlicher Marktmacht selbst nicht wirtschaftlich arbeiten könnte, wenn für die Nutzung des vorgelagerten - „upstream“ - Bereichs der den Wettbewerbern verrechnete Preis zu Grunde gelegt würde; vgl dazu auch die im Rahmen der allgemeinen Wettbewerbsaufsicht ergangene Entscheidung der Europäischen Kommission vom 21.5.2003 betreffend die Deutsche Telekom AG, COMP/C-1/37.451 ua - Deutsche Telekom AG, Abl 2003 L 263/9 (= MMR 2003, 656 f). Zum Zusammenspiel von retail und wholesale und der konreten Problematik der „Preis-Kosten-Schere“ vgl auch Müller ua, Konsistente Entgeltregulierung in der Telekommunikation, 2003, 58 ff. Vgl etwa Bescheid vom 20.03.2006, M 4/03-81 (Inlandsgespräche von Nichtprivatkunden - Festnetz), mit welchem die Telekom Austria ua verpflichtet wurde, ihre Endkundenentgelte kostenorientiert auszugestalten.
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inkrementeller Durchschnittskosten255 herangezogen, wonach für die Berechnung der Zugangsentgelte lediglich die Kosten effizienter Leistungsbereitstellung zu berücksichtigen sind. Es werden über einen sehr langen Zeitraum (long run) die Kosten eines modernen effizienten Netzwerkes berücksichtigt (forward looking), die für die Leistungserbringung der Zusammenschaltung notwendig sind (incremental). Die Summe aller Netzkosten wird dabei unter den Netzbetreibern, die das Netz nutzen, je nach Anteil gleich aufgeteilt und dazu eine Durchschnittseinheit (Kosten pro Minute der Benützung) gebildet (average).
• Gleichbehandlungsverpflichtung In Bezug auf den Zugang können Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht auch Gleichbehandlungsverpflichtungen auferlegt werden (Art 10 ZugangsRL bzw § 38 TKG 2003); diese haben insbesondere sicherzustellen, dass ein Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht anderen Unternehmen, die gleichartige Dienste erbringen, unter den gleichen Umständen gleichwertige Bedingungen anbietet und Dienste und Informationen für Dritte zu den gleichen Bedingungen und mit der gleichen Qualität bereitstellt wie für seine eigenen Dienste oder Dienste verbundener Unternehmen.256 • Transparenzverpflichtung Auf Grundlage dieser spezifischen Verpflichtung nach § 39 TKG 2003 (Art 9 ZugangsRL) kann die Regulierungsbehörde die Veröffentlichung von Informationen zur Buchhaltung und Kostenrechnung, zu technischen Spezifikationen, Netzmerkmalen, Bereitstellungs- und Nutzungsbedingungen sowie von Entgelten einschließlich Rabatten vorschreiben. Die Regulierungsbehörde kann dabei festlegen, welche konkreten Informationen in welchem Detailgrad und in welcher Form zu veröffentlichen sind. In der Regel sind derartige Informationen Bestandteil von „Standardangeboten“, zu deren Veröffentlichung Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht gemäß § 38 Abs 3 TKG 2003 verpflichtet werden können.257 • Getrennte Buchführung Ziel der Verpflichtung nach § 40 TKG 2003 zur getrennten Buchführung ist, „unerlaubte Quersubventionierungen“258 zu verhindern. Zu diesem Zweck kann insbesondere ein vertikal integriertes Unternehmen aufgefordert werden, seine Großhandelspreise und internen Verrechnungspreise transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Die Verpflichtung zur getrennten Buchführung ist eine typische „Begleitverpflichtung“, die im Wesentlichen zur Sicherung anderer spezifischer Verpflichtungen - insbesondere der Entgeltkontrolle - dient.259 255 256 257 258
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FL-LRAIC (forward looking long run average incremental costs). Dazu ausführlich Damjanovic ua (FN 19). Vgl zB TKK vom 20.12.2004, M 8a/03. Vgl zB TKK vom 20.12.2004, M 8a/03. Die Quersubventionierung, verstanden als die Verwendung von Überschüssen aus dem Zugangs- und Zusammenschaltungsbereich zur Subventionierung von für sich genommen nicht kostendeckenden Endkundenpreisen, kann ein Wettbewerbsproblem darstellen, dem im Wesentlichen mit einer Entgeltkontrolle im Zugangsbereich, verbunden mit der Verpflichtung zur getrennten Buchführung (um eine mögliche Quersubventionierung überprüfen zu können), zu begegnen ist. Vgl zB TKK vom 20.03.2006, M 4/03-81.
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• Regulierungsmaßnahmen in Bezug auf Dienste für Endkunden Da die Regulierung auf den Endkundenmärkten als aufwendiger und eingriffsintensiver empfunden wird, ist ein ausdrücklicher Vorrang der Regulierung auf Vorleistungsebene festgeschrieben.260 Danach setzt die Regulierung auf der Endkundenebene voraus, dass auf dem relevanten Endnutzermarkt kein wirksamer261 Wettbewerb herrscht und dass spezifische Verpflichtungen auf Vorleistungsmärkten sowie die Verpflichtung zur Ermöglichung von Betreiber(vor)auswahl nach § 46 TKG 2003262 nicht zur Erreichung der Regulierungsziele des TKG 2003 führen würden.263 Zu den einzelnen spezifischen Verpflichtungen auf Endkundenebene, die von der Regulierungsbehörde einem Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen auferlegt werden können, zählen: • allgemeine Verhaltenspflichten nach § 43 Abs 2 TKG 2003 Nach dieser Bestimmung kann dem betroffenen Unternehmen verboten werden, überhöhte Preise zu verlangen, den Eintritt neuer Marktteilnehmer zu behindern, Kampfpreise zur Ausschaltung des Wettbewerbs anzuwenden, bestimmte Endnutzer unangemessen zu bevorzugen oder Dienste ungerechtfertigt zu bündeln.264 • Bereitstellung eines Mindestangebots von Mietleitungen nach § 44 TKG 2003 • Betreiber(vor)auswahl gemäß § 46 Abs 2 TKG 2003265. „Bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände“ kann die Regulierungsbehörde gemäß § 47 Abs 1 TKG 2003 mit Zustimmung der Europäischen Kommission Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht auch andere als die in den §§ 38 bis 42 festgelegten Verpflichtungen in Bezug auf Zugang auferlegen.266
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Von der Europäischen Kommission betont in einer Entscheidung vom 28.01.2005, HU 2005/0130-0131. § 43 Abs 1 TKG 2003 setzt voraus, dass auf dem relevanten Endkundenmarkt „kein Wettbewerb herrscht“; dies ist im Hinblick auf § 37 Abs 1 TKG 2003 sowie Art 17 Abs 1 lit a UniversaldienstRL jedoch dahingehend zu verstehen, dass damit auf den „wirksamen Wettbewerb“ abzustellen ist. Dazu siehe auch unten Pkt V.B. Näher zu den Hintergründen und Annahmen dieser politisch gewollten Zurückführung einer durchgängigen Regulierung von Endkundendienstleistungsmärkten Koenig/Loetz (FN 210) 140 f. Die Erl zur RV 128 BlgNR 22 GP, führen dazu aus, dass diese Verpflichtungen sowohl die Genehmigung von Entgelten als auch von AGB beinhalten können: In der Praxis hat die Telekom-Control-Kommission in den Endkundenmärkten Zugang (von Privatkunden und Nichtprivatkunden) zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten und für Auslandsgespräche für Nichtprivatkunden sowie für Inlandsgespräche von Privatkunden und Nichtprivatkunden allgemein eine Genehmigungspflicht für AGB und Entgelte festgelegt; vgl die Bescheide M1/03 und M 2/03 vom 20.12.2004, M 6/03 vom 4.2.2005, sowie M 3/03 und M 4/03 vom 21.2.2005. Dazu näher unten Pkt VI.B. Diese könnten dann vorliegen, wenn die Ziele des § 1 Abs 2 TKG 2003 bzw des Art 8 RahmenRL ungeachtet der Anwendung der ausdrücklich geregelten spezifischen Verpflichtungen nicht erreicht werden können.
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V. Universaldienst und Nutzerrechte A. Infrastrukturverantwortung in einem liberalisierten Umfeld 1. Das Universaldienstregime - sozialpolitischer Hintergrund Das Universaldienstregime beruht auf einem sozialpolitischen Konzept, nach dem bestimmte Kommunikationsdienste für die volle Teilnahme am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben erforderlich sind und daher jedermann Zugang zu ihnen haben sollte.267 Weil der Markt aus sich heraus268, aufgrund der besonderen technischen und ökonomischen Gegebenheiten des Kommunikationssektors269, ein solches Angebot an Basiskommunikationsdienstleistungen nicht gewährleisten kann, trägt nach diesem sozialpolitischem Konzept der Staat die Verantwortung dafür, eine bestimmte Grundversorgung der Bevölkerung mit Kommunikationsdienstleistungen sicherzustellen.270 Vor der Öffnung der Telekommunikationsmärkte ist der Staat dieser Verantwortung nachgekommen, indem er - quasi im Gegenzug zur Gewährung von Monopolrechten die staatliche Fernmeldeorganisation271 verpflichtet hat, Basistelekommunikationsdienste für die gesamte Bevölkerung zu gleichen und erschwinglichen Bedingungen zu erbringen.272 Aufgrund ihres Monopolstatus konnte die staatliche Fernmeldeorganisation Defizite, die ihr aus dieser Verpflichtung, etwa bei der Versorgung der Bevölkerung in Randgebieten, entstanden sind, mit in Ballungsgebieten lukrierten Gewinnen quersubventionieren.
Mit der Öffnung der Telekommunikationsmärkte ist es für den Staat freilich viel komplexer geworden, seine Verantwortung für eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Kommunikationsdienstleistungen wahrzunehmen. In einem wettbewerbsorientierten Umfeld hat er die privaten Marktteilnehmer zu verpflichten, bestimmte Basistelekommunikationsdienste für jedermann zu erbringen, dabei aber gleichzeitig sicherzustellen, dass diese Verpflichtung die Entwicklung des freien Marktes nicht hemmt, dh zu keinen Wettbewerbsverzerrungen führt.273 267 268 269 270
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Umfassend zum Universaldienstkonzept im Telekommunikationsbereich Windhorst, Der Universaldienst im Bereich der Telekommunikation, 1999, 112 ff. Gemeint ist hier, dass die Marktkräfte alleine das gewünschte Mindestangebot an Telekommunikationsdienstleistungen für die Gesellschaft nicht bereitstellen können. Vgl FN 10. Ausführlich zum sozialpolitischen Hintergrund des Universaldienstkonzepts Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, 235 ff. Diese Verantwortung ist in Deutschland (anders als in Österreich) auch verfassungsrechtlich verankert. In Österreich die Post- und Telegrafenverwaltung, später die PTA. So gesehen hat der Staat die Dienste selbst erbracht. Deshalb ist auch von der sog Eigenerbringung oder Erfüllungsverantwortung im Gegensatz zur heute bestehenden Gewährleistungsverantwortung die Rede. Allgemein zur Erfüllungs- und Gewährleistungsverantwortung Holoubek, VVDStRL 60, 513 ff; Der Regelungsrahmen für die Telekommunikation beruht grundsätzlich auf der Prämisse, dass die Bedürfnisse der Nutzer mit Hilfe des Wettbewerbs und der Marktkräfte am wirksamsten befriedigt werden können. Den nationalen Regulierungsbehörden kommen zwar die erforderlichen Befugnisse zu, in den Markt regulatorisch einzugreifen, um die Interessen der Nutzer zu schützen; allerdings nur, wenn dies notwendig ist. Der Universaldienst ist demnach auf eine Weise zu verwirkli-
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Das erfordert einen Regelungsrahmen, der festlegt, • welche Dienste die privaten Marktteilnehmer unter welchen Bedingungen verpflichtend zu erbringen haben, kurz was der Umfang des Universaldienstes ist; • welcher Marktteilnehmer den Universaldienst de facto zu erbringen hat bzw nach welchem Verfahren der/die Universaldiensterbringer zu ermitteln ist/sind; • wer den Universaldienst finanziert, dh wie etwaige durch die Erbringung des Universaldienstes entstandene Kosten zu tragen sind und schließlich • wie die effektive Durchsetzung dieser Universaldienstverpflichtungen zu erfolgen hat. Diese Regelungen sind im neuen Rechtsrahmen für die Kommunikationsmärkte auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene in der UniversaldienstRL und auf innerstaatlicher Ebene im 4. Abschnitt des TKG 2003 enthalten. Sie werden unter dem Begriff des Universaldienstregimes zusammengefasst.
2. Umfang und Begriff des Universaldienstes Da das Konzept des Universaldienstes nur auf eine Grundversorgung der Bevölkerung ausgelegt ist, umfasst der Umfang des Universaldienstes lediglich folgendes Mindestangebot an Dienstleistungen:274 • den Zugang zu einem öffentlichen Telefonnetz an einem festen Standort, der Sprach-, Fax- und Datenkommunikation ermöglichen soll. Die Datenkommunikation muss für einen funktionalen275 Internetzugang ausreichen;276 • die Erbringung eines betreiberübergreifenden Auskunftsdienstes; • die Erstellung eines betreiberübergreifenden Teilnehmerverzeichnisses sowie den Zugang zu diesem Verzeichnis sowie; • die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Sprechstellen. Diese Dienstleistungen sind jedermann in einer bestimmten Qualität und zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung zu stellen.
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chen, die zu möglichst geringen Marktverzerrungen führt. Zur Marktkompatibilität des Universaldienstkonzepts siehe auch Hoffmann-Riem/Eifert (FN 11) 43 ff; Schweitzer, Daseinsvorsorge, „service public“, Universaldienst, 2001, 278 ff. In einer Mitteilung vom 24.5.2005, KOM (2005) 0203, schlägt die Kommission eine Überprüfung der Universaldiensteverpflichtungen nach Art 15 der UniversaldienstRL vor. In dieser Mitteilung führt sie auch aus, dass sie den Breitbandanschluss für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben derzeit als nicht erforderlich erachtet. Sie erwägt aber Mobiltelefonieleistungen in den Universaldienst mit einzubeziehen, stellt angesichts der Verbreitung des Mobiltelefons gleichzeitig aber auch die Aufrechterhaltung von Münzfernsprechern als Teil des Universaldienstes in Frage. Auch die Möglichkeit der Finanzierung des Universaldienstes aus dem allgemeinen Steueraufkommen wird hinterfragt. Dieser gewährleistet, dass ein Internetzugang zumindest mit einer Übertragungsrate von 56 kbit/s ermöglicht wird. Ein diensteintegriertes digitales Netz (ISDN), das zwei oder mehr gleichzeitig benutzbare Anschlüsse bereitstellt, oder ein xDSLZugang ist vom Begriff „funktional“ jedoch (noch) nicht umfasst. Art 4 Abs 2 UniversaldienstRL und § 26 Abs 2 Z 1 TKG 2003.
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Das Gemeinschaftsrecht zählt außerdem besondere Maßnahmen für behinderte Endnutzer,277 die den Zugang zu oben genannten Diensten für diese sicherstellen sollen, sowie die Unterstützung von Verbrauchern mit niedrigen Einkommen oder besonderen sozialen Bedürfnissen278 zum Umfang des Universaldienstes. Im TKG 2003 ist diese Bestimmung nicht übernommen worden. Das Fernsprechentgeltzuschussgesetz279 sieht allerdings in Form einer Grundgebührenbefreiung finanzielle Zuschüsse für die Inanspruchnahme von Basiskommunikationsdiensten für diese besonderen Personengruppen vor.280 Ob damit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben Genüge getan ist, ist fraglich.
3. Universaldiensterbringer Sämtliche Universaldienstleistungen werden derzeit in Österreich auf der Grundlage einer ex-lege Verpflichtung281 von der Telekom Austria AG erbracht. In Zukunft sollen die Universaldienstleistungen mittels eines Vergabeverfahrens ausgeschrieben werden. Solange ein solches nicht abgeschlossen wird, ist die Telekom Austria AG bis auf weiteres zur Erbringung des Universaldienstes verpflichtet. Der BMVIT hat bis Ende 2004 zu überprüfen gehabt, ob die Voraussetzungen für eine Ausschreibung vorliegen. Davon ist nur auszugehen, wenn die Fähigkeit sowie die Bereitschaft alternativer Telekommunikationsbetreiber zur Übernahme zumindest eines Teils der Universaldienstverpflichtungen besteht; dies ist in Österreich offensichtlich282 noch nicht der Fall.
Im Einzelnen wirft die Bestimmung des § 30 TKG 2003 über die Ausschreibung des Universaldienstes nach den „Verfahrensvorschriften über die Vergabe von Leistungen“ zahlreiche Fragen auf.
Ua ist unklar, ob der Verweis in § 30 Abs 1 TKG als solcher auf die Bestimmungen des BVergG283 zu verstehen ist und damit zusammenhängend, in welcher Rechtsform (Leistungsvertrag oder Bescheid) die Beauftragung erfolgen soll, inwieweit auch Qualitätskriterien bei der Beauftragung eine Rolle spielen können sowie insb, wie die unterschiedlichen Ansätze zur Kostenermittlung im TKG 2003 und BVergG 2006 aufzulösen sind.284 In der Praxis hat man sich mit diesen Fragen bislang noch nicht auseinanderzusetzen gehabt. 277 278 279
280
281 282 283 284
Art 7 UniversaldienstRL, vgl auch Erwägungsgrund 7der UniversaldienstRL. Art 9 Abs 2 und 3 UniversaldienstRL. Das FeZG, BGBl I 2000/142 idF BGBl I 2002/32, gewährt bestimmten sozial bedürftigen Personen eine Zuschussleistung für die Fernsprechentgelte. Die Höhe der Zuschüsse hat der BMVIT mit Verordnung festzulegen (vgl Fernsprechentgeltzuschussverordnung - FEZVO, BGBl II 2001/90 idF BGBl II 2001/388). Die Entscheidung über die Gewährung von Zuschüssen obliegt hingegen der Gebühreninkasso Service GmbH (GIS Gebühren Info Service GmbH), die in dieser Funktion als beliehenes Unternehmen tätig wird. Diese Zuschussleistungen werden vom Bund finanziert, jedoch zunächst von den Telekommunikationsbetreibern aufgebracht, die dann auf Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung mit dem BMVIT die entsprechenden Beträge periodisch durch die Gebühreninkasso Service GmbH refundiert erhalten. § 3 FeZG zählt die zuschussbedürftigen Personen auf: ua Bezieher von Leistungen nach pensionsrechtlichen Bestimmungen, nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz; nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz usw. § 133 Abs 9 TKG 2003. Offizielle Dokumente des BMVIT zu dieser Überprüfung liegen nicht vor. BGBl I 17/2006. Zu diesen Fragen siehe auch Damjanovic ua (FN 19) 194 ff.
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4. Finanzierung des Universaldienstes Das Gemeinschaftsrecht sieht zwei verschiedene Finanzierungssysteme für den Universaldienst vor. Die Finanzierung • aus öffentlichen Mitteln, dh dem allgemeinem Staatshaushalt, oder • aus Mitteln des Marktes, dh durch die einzelnen Marktteilnehmer.285 Der österreichische Gesetzgeber hat sich für letzteres Finanzierungssystem entschieden. Danach kommt dem Universaldiensterbringer ein Anspruch auf finanziellen Ausgleich zu, wenn er nachweisen kann286, dass ihm aufgrund der Universaldienstverpflichtungen Kosten angefallen sind, die trotz betriebswirtschaftlicher Führung nicht hereingebracht werden können und diese Kosten für ihn eine unzumutbare Belastung287 darstellen. Gem § 31 Abs 2 TKG 2003 ist jedenfalls dann nicht von einer unzumutbaren Belastung auszugehen, wenn der Universaldiensterbringer auf dem relevanten Markt288 umsatzmäßig über einen Marktanteil von mehr als 80% verfügt. Auch wenn die Telekom Austria mittlerweile über weniger als 80% Marktanteil verfügt, sind ihr bisher noch keine Ausgleichszahlungen auf dieser rechtlichen Grundlage gewährt worden.289
Für die Kostenberechnung des Universaldienstes gibt die UniversaldienstRL und in deren Umsetzung § 31 Abs 1 TKG 2003 eine Reihe von Leitlinien vor. Im Kern sind nur die direkten Nettokosten des Universaldienstes abzüglich der indirekten Effekte, dh der Marktvorteile, die aus dem Status Universaldiensterbringer resultieren, zu ersetzen. Zur Finanzierung des Universaldienstes sieht das TKG 2003 die Errichtung eines Universaldienstfonds durch die Regulierungsbehörde vor, in welchen alle Marktteilnehmer, die zumindest einen Jahresumsatz von € 5.000.000,- erreichen, nach dem Verhältnis ihrer Umsätze Beiträge zu leisten haben.290
B. Nutzerrechte Über den Universaldienst hinaus sieht der Regelungsrahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte eine Reihe weiterer Bestimmungen vor, die dem Schutz der Endkunden auf diesen Märkten dienen. Es handelt sich hier um spezifisches Verbraucherschutzrecht, das neben dem allgemeinen Konsumen-
285 286 287
288 289
290
Vgl Art 13 Abs 1 lit a und b UniversaldienstRL; allgemein zu den verschiedenen Finanzierungsmechanismen Schweitzer (FN 273) 254 f. Es ist demnach in erster Linie die Aufgabe des Universaldiensterbringers, die Höhe der angefallenen Kosten zu ermitteln. Nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl Rs C-146/00) ist davon jedenfalls nicht auszugehen, wenn der Universaldiensterbringer ein nahezu umfassendes Monopol beim Festsprachtelefondienst hat, wie es in der konkreten Sache 1997 in Frankreich noch der Fall war. Beim relevanten Markt handelt es sich um den Gesamtmarkt des öffentlichen (festen und mobilen) Sprachtelefondienstes. Vgl Feiel/Lehofer, (FN 22) 123. Bisher beruht die Höhe der Ausgleichszahlungen auf einer privatrechtlichen Einigung zwischen der Telekom Austria AG und den zur Leistung der Universaldienstabgabe verpflichteten Unternehmen. Ein solcher ist bislang in Österreich nicht eingerichtet worden.
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tenschutzgesetz (KSchG)291 auf den Kommunikationsmärkten zur Anwendung gelangt. Im Einzelnen wird festgelegt: •
• • • •
•
•
die Verpflichtung zur Erlassung und Veröffentlichung von allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) mit einem bestimmten Mindestinhalt. Insbesondere sind in den AGBs Entgeltbestimmungen für die angebotenen Dienste festzulegen (Tarifpflicht);292 ein spezifisch telekomrechtlicher Kontrahierungszwang, welcher den Endkunden einen Anspruch auf Vertragsabschluss nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des jeweiligen Betreibers verleiht;293 eine Einschränkung der Möglichkeit des Diensteanbieters auf Zahlungsverzug des Teilnehmers mit Diensteunterbrechung, -abschaltung oder Vertragsauflösung zu reagieren;294 die Verpflichtung zur detaillierten Abrechnungskontrolle durch den Diensteanbieter. Im Streitfall hat er jedenfalls nachzuweisen, dass er die dem Kunden in Rechnung gestellten Leistungen tatsächlich erbracht hat;295 die Einrichtung von transparenten, einfachen, kostengünstigen außergerichtlichen Verfahren zur Beilegung von Streitfällen mit Verbrauchern. Hierfür ist bei der Regulierungsbehörde ein besonderes Streitbeilegungsverfahren eingerichtet worden („Alternative Dispute Resolution - ARD“);296 die Möglichkeit für die Teilnehmer, durch Wahl eines vierstelligen Auswahlcodes (Betreiberauswahl) oder Vereinbarung der fixen Voreinstellung des Auswahlcodes (Betreibervorauswahl) Gespräche nicht über den Betreiber des Anschlussnetzes abzuwickeln, sondern einen anderen Betreiber auszuwählen, dabei aber weiterhin Kunde des Anschlussnetzbetreibers zu bleiben.297 die Möglichkeit für die Teilnehmer, bei einem Wechsel ihres Festnetzanbieters ebenso wie bei einem Wechsel ihres Mobilnetzanbieters die Rufnummer zu ihrem neuen Netzbetreiber mitzunehmen (Rufnummernportabilität). 298
VI. Datenschutz Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien - insbesondere das Internet - haben die Sammlung und Verknüpfung von Daten Einzelner in einem fast unbegrenzten Ausmaß ermöglicht und damit zu einer besonderen Gefährdung der Privatsphäre des Einzelnen sowie auch der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Unternehmer geführt. Die besonderen datenschutzrechtlichen Vorschriften für die Kommunikationsmärkte - in einer eigenen EKDatenschutzrichtlinie und im 12. Abschnitt des TKG 2003 festgehalten, die
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297
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BGBL 135/1983 idF BGBl I 62/2004. Art 17 und 20 UniversaldienstRL und § 25 TKG 2003. § 69 TKG 2003 Vgl § 70 TKG 2003. § 71 Abs 1 TKG 2003. Vgl Art 34 UniversaldienstRL und § 122 TKG 2003 sowie die jährlichen Bericht der RTR-GmbH über ihre Tätigkeit als Streitschlichtungsstelle, verfügbar unter: www.rtr.at. Die Verpflichtung zur Betreiber(vor)auswahl ist im TKG 2003 als spezifische Verpflichtung gem § 46 Abs 2 TKG 2003, die einem Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht von der Regulierungsbehörde auferlegt werden kann, festgelegt. Siehe dazu auch oben Pkt III.C.4.
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neben dem allgemeinen Datenschutzbestimmungen299 zur Anwendung gelangen - sollen diesem erhöhten Schutzbedürfnis der Daten des Einzelnen Rechnung tragen: Sie verpflichten die Betreiber von Informations- und Kommunikationstechnologien300 zum einen von den technischen Möglichkeiten der Datensammlung und -verarbeitung nicht wahllos Gebrauch zu machen: Stammdaten (= personenbezogene Daten, wie zB Name, Adresse) dürfen nur für die Zwecke der Abwicklung (einschließlich der Entgeltverrechnung) und nur für die Dauer des Rechtsverhältnisses mit dem Teilnehmer verwendet werden. Verkehrsdaten (= Daten des Teilnehmers, die für die Weiterleitung von Nachrichten erforderlich sind, zB Rufnummer, IP-Adresse) sind nach dem Ende der Verbindung bzw nach Abschluss der Übertragung unverzüglich und unwiederbringlich zu löschen oder zu anonymisieren. Inhaltsdaten (= Inhalte der übertragenen Nachricht, zB Telefongespräch, e-mail) dürfen grundsätzlich nicht gespeichert werden, außer die Speicherung ist wesentlicher Bestandteil des Kommunikationsdienstes selbst (zB Mobilbox eines Handys). Die Verwendung von Standortdaten (=Daten, die den geografischen Ort des Endgerätes eines Teilnehmers genauer angeben), zB für sog location based services setzen eine Zustimmung des Teilnehmers voraus.301 Zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten werden auf Grundlage der sog VorratsspeicherungsdatenRL Verkehrs- und Standortdaten in Abweichung zu den bislang gültigen Grundsätzen der EK-DatenschutzRL in Hinkunft prinzipiell auf Vorrat zu speichern sein. Die RL, die bis spätestens 15. September 2007 umzusetzen ist, verpflichtet die Mitgliedstaaten hierfür geeignete Maßnahmen zu erlassen und dabei insbesondere sicherzustellen, dass die so gespeicherten Daten nur in bestimmten Fällen und in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht an die zuständigen nationalen Behörden weitergegeben werden. Eine weitere wichtige allgemeine Ausnahme von den kommunikationsspezifischen Datenschutzbestimmungen stellt die beschränkte Zulässigkeit und Verpflichtung von Betreibern öffentlicher Telefondienste und -netze dar, bestimmte Daten an Notrufdienste zu übermitteln.302
Nach den kommunikationsspezifischen Datenschutzbestimmungen haben die Betreiber von Informations- und Kommunikationstechnologien des weiteren auch Maßnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit (= zur Gewährleistung einer störungsfreien und gegen Missbrauch gesicherten Datenverwendung) zu ergreifen. Welche konkreten Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen sind (zB Datenverschlüsselung), ist von der Art der Daten, dem Umfang und dem Zweck der Verwendung, vom Stand der Technik und der wirtschaftlichen Vertretbarkeit abhängig. Die sichere Nutzung des Internet und sonstiger neuer Online-Technologien soll darüber hinaus auch durch das EUFörderprogramm „Mehr Sicherheit im Internet“ verbessert werden.303 299 300 301
302 303
Zu diesen siehe Duschanek, Datenschutzrecht, in diesem Band Näher zum Kreis der Verpflichteten Damjanovic ua (FN 19) 244 ff. Zu den einzelnen Datenarten siehe die Definitionen in § 92 TKG 2003 und den für diese jeweils geltenden Zweckbindungsregelungen § 96 TKG 2003. Ausführlich zu diesen Bestimmungen Damjanovic ua (FN 19) 248 ff. § 98 TKG 2003. § 95 TKG 2003.
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Weiters sehen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen Schutzmaßnahmen vor belästigenden Anrufen („Telefonterror“) und vor unerwünschten Nachrichten (zB „Spams“) vor. Denn der Einzelne soll nicht nur entscheiden können, welche Daten seine Privatsphäre verlassen, sondern auch umgekehrt, welche in seine Privatsphäre gelangen können. Telefonterror soll durch die Möglichkeit der Einrichtung einer Fangschaltung hintangehalten werden.304 Anrufe oder die Zusendung elektronischer Post zu Werbezwecken oder „massenhaft“ ist grundsätzlich nur mehr nach vorheriger Zustimmung des Teilnehmers zulässig.305
VII. Organisation der Regulierung auf den Telekommunikationsmärkten306 A. Grundlagen - Das Konzept der „independent regulatory agencies“ Zur effektiven Kontrolle und Umsetzung des spezifischen kommunikationsrechtlichen Rahmens sind auch besondere Behörden eingerichtet worden. Für eine qualitätsvolle Regulierung sind diese entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben307 als von allen kommerziellen oder anders gelagerten Interessen, unabhängige, mit dem notwendigen technischen, ökonomischen und juristischen Sachverstand ausgestattete Behörden einzurichten gewesen. Bei der Ausgestaltung auf Gemeinschaftsebene hat man sich maßgeblich an das aus dem angloamerikanischen Raum stammende Konzept der „independent regulatory agencies“308 orientiert.309 Kennzeichnend für diese „agencies“ ist zum einen ihre relativ autonome Stellung innerhalb der staatlichen Verwaltungsorganisation sowie ihre Unabhängigkeit gegenüber den der Regulierung unterliegenden Unternehmen.310 Zum anderen sind sie typischerweise auf eine bestimmte Branche spezialisiert und vereinen dabei sowohl administrative, verwaltende, regelsetzende als auch judizielle Funktionen.311
304 305 306 307 308
309 310
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§ 106 TKG 2003. Zur Rechtslage hinsichtlich unerwünschter Nachrichten vgl im Einzelnen Damjanovic (FN 28), in diesem Band. Für einen Überblick siehe Eisenberger/Zuser, Behörden und Zuständigkeiten nach dem Telekommunikationsgesetz 1997, MR 1998, 90. Siehe gleich unten unter Pkt B. Zum Konzept der „independent regulatory agencies“ und zu deren Übernahme in Europa Majone, The rise of statutory regulation in Europe, in: derselbe (Hrsg), Regulating Europe, 1996, 47; allgemein zur Stellung und Bedeutung dieser Einrichtungen Lepsius, Verwaltungsrecht unter dem Common Law, 1997, insb 19 ff, 164 ff. Majone, Regulation and its modes, in: derselbe (Hrsg), Regulating Europe, 1996, 9 (15 ff). Holoubek, Die Organisation der Medienregulierung im Lichte der Konvergenz, JRP 2001, 216 (218); Yataganas, Delegation of regulatory authority in the European Union. The relevance of the American model of independent agencies, Harvard Jean Monnet Working Paper 3/2001, 47 ff. Holoubek, Die Organisationsstruktur der Regulierung audiovisueller MedienTypologie und Entwicklungstendenzen, ZUM 1999, 665 (669).
Telekommunikationsrecht
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B. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zu den NRBs Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene sind die Vorgaben zur Organisation und Tätigkeit der nationalen Regulierungsbehörden (NRB) in der RahmenRL festgehalten. Betreffend die Organisation wird die strukturelle Trennung hoheitlicher Funktionen der nationalen Regulierungsbehörden (NRB) von Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Eigentumsverwaltung und die rechtliche und funktionale Unabhängigkeit der NRB von allen Unternehmen, die elektronische Kommunikationsnetze, -geräte oder -dienste anbieten, vorgeschrieben.312 Betreffend die Tätigkeit der nationalen Regulierungsbehörden enthält die Richtlinie über die Festlegung politischer Ziele und regulatorischer Grundsätze in Art 8 gewisse Leitlinien für die NRBs. Im Kern haben sie bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Technologieneutralität zu beachten, den Wettbewerb zu fördern und zur Entwicklung des Binnenmarktes beizutragen und gleichzeitig die sozialpolitischen Ziele auf den elektronischen Kommunikationsmärkten (Universaldienst, Nutzerrechte und Datenschutz) sicherzustellen. Ganz allgemein haben sie ihre Kompetenzen transparent und unparteilich auszuüben.313
Weiters sieht die RahmenRL in Form der sog Koordinations- und Konsultationsverfahren spezielle horizontale und vertikale verfahrensrechtliche und organisatorische Harmonisierungsmechanismen vor, die eine verstärkte Zusammenarbeit zum einen unter den verschiedenen NRBs und zum anderen zwischen den NRBs und der Europäischen Kommission sicherstellen sollen.314 Schließlich sind die MS nach Art 4 Abs 1 RahmenRL verpflichtet, für ein Verfahren zu sorgen, in dem die von einer Entscheidung der NRB betroffene Partei bei einer von den beteiligten Parteien unabhängigen Stelle einen wirksamen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung ergreifen kann.315 Fraglich ist, ob § 37 TKG 2003 diesen Anforderungen gerecht wird. Im Rahmen der sektorspezifischen Wettbewerbsregulierung wird nur dem Unternehmen, dem gegenüber spezifische Verpflichtungen auferlegt, abgeändert oder aufgehoben werden sollen eine Parteistellung gewährt, nicht jedoch seinen Wettbewerbern, die von einer solchen Entscheidung idR auch betroffen sein werden. Die Frage ist Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH.316
C. Behördenstruktur nach dem TKG 1. Überblick In Österreich sind zur Wahrnehmung der neuen regulatorischen Aufgaben auf den elektronischen Kommunikationsmärkten die Telekom-Control Kommission (TKK) als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag gemäß Art 20 312 313
314 315 316
Art 3 RahmenRL. Art 3 Abs 2 und 3 RahmenRL; dazu gehört gem ErwG 11 der RahmenRL, dass die NRBs in Bezug auf Personal, Fachwissen und finanzielle Ausstattung über die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben notwendigen Mittel verfügen. Art 6 und 7 RahmenRL; sowie insb zum Konsultationsverfahren Feiel (FN 24) 112 ff. Siehe auch Art 34 UniversaldienstRL für die Möglichkeit der außergerichtlichen Streitbeilegung. Vgl FN 241.
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Abs 2 iVm Art 133 Z 4 B-VG und ursprünglich die Telekom-Control-GmbH als ein aus der allgemeinen staatlichen Verwaltungsorganisation ausgegliedertes, mit hoheitlichen Aufgaben beliehenes Privatrechtssubjekt geschaffen worden. Letztere ist mit dem Inkrafttreten des KOG in die Rundfunk- und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH) aufgegangen. Mit dieser Zweiteilung der Struktur der Regulierungsbehörde in Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag und beliehene Kapitalgesellschaft nach GmbH-Recht hat das Telekommunikationsrecht eine Vorbildfunktion für andere liberalisierte und regulierte Infrastruktursektoren eingenommen. Neben der TKK und der RTR-GmbH sind für die traditionellen fernmeldepolizeilichen Aufgaben im Bereich Frequenzverwaltung, Funkanlagen und Endgeräte die bereits aus dem Fernmeldegesetz 1993 bekannten Fernmeldebehörden - der BMVIT, die Fernmeldebüros und das Büro für Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen (ehemals Zulassungsbüro) - zuständig.317 Vergleichbar sind für den Bereich des Rundfunks durch das KOG eine weisungsgebundene, dem Bundeskanzler unmittelbar nachgeordnete Verwaltungsbehörde, die Kommunikationsbehörde Austria („KommAustria“), die die Verwaltungsangelegenheiten im Bereich der Rundfunkregulierung wahrnimmt, und eine (weisungsfreie) Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag, der Bundeskommunikationssenat (BKS), der als Berufungsinstanz gegenüber Entscheidungen der KommAustria fungiert sowie die Rechtsaufsicht über den ORF ausübt, eingerichtet worden.318 Im Überblick lässt sich die Behördenstruktur auf den österreichischen elektronischen Kommunikationsmärkten wie folgt darstellen: Behördenorganisation auf den Kommunikationsmärkten im Überblick
Weisungsrecht Geschäftsapparat
VfGH / VwGH
Rechtszug Beratung
Bundeskanzler(amt)
BMVIT
Bundeskommunikationssenat
KommAustria (Kommunikationsbehörde)
Geschäftsführer Rundfunk
317
318
Beiräte
TKK
Fernmeldebüros
(Telekom-ControlKommission)
BFT
RTR - GmbH (Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH)
Geschäftsführer Telekom
Im Einzelnen zur Ausgestaltung der Behördenorganisation auf den österreichischen Kommunikationsmärkten Damjanovic ua (FN 19) 305 ff. Näher zur Ausgestaltung der Behördenorganisation auf den Rundfunk- bzw audiovisuellen Medienmärkten vgl Holoubek (FN 27). Zur Organisation der Rundfunkregulierung näher Holoubek (FN 27).
Telekommunikationsrecht
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2. Telekom Control Kommission - Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag Die TKK besteht aus drei Mitgliedern und je einem Ersatzmitglied, wobei gemäß § 118 Abs 1 TKG 2003 ein Mitglied dem Richterstand angehören, ein Mitglied über einschlägige technische und das andere über juristische und ökonomische Kenntnisse verfügen muss. Die Mitglieder werden von der Bundesregierung auf fünf Jahre ernannt und sind gemäß Art 20 Abs 2 B-VG bei der Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden (§ 116 Abs 3 TKG 2003). Die Vollzugszuständigkeiten der TKK sind in § 117 TKG 2003 taxativ aufgezählt. Zu ihnen gehören die Marktanalyse samt der Auferlegung spezifischer Verpflichtungen (Z 6), Streitentscheidungskompetenz mit vertragsersetzenden Anordnungsbefugnissen (Z 1, 2, und 7), Zuteilung von im Frequenznutzungsplan zahlenmäßig beschränkten Frequenzen gemäß § 54 Abs 3 Z 2 TKG 2003 (Z 9) sowie weitere einschneidende Aufsichtsmaßnahmen, wie etwa die Entscheidung über das Recht Kommunikationsnetze oder -dienste bereit zu stellen als teilweises Surrogat für den Entzug der Konzession und die Entscheidung über „einstweilige Verfügungen“ gemäß § 91 Abs 3 und 4 TKG 2003 (Z 12 und 13) sowie die Genehmigung von Geschäftsbedingungen und Entgelten (Z 8). Mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Einrichtung einer Art 133 Z 4- Behörde für die Telekommunikationsregulierung hat sich der VfGH in seinem Erkenntnis vom 24.2.1999319 auseinanderzusetzen gehabt. Darin hat er die Umstände, dass es sich bei der Regulierung im Bereich der Telekommunikation um einen weitgehend neuen Verwaltungsbereich handelt, dessen Bewältigung nicht nur juristischen und wirtschaftlichen, sondern im hohem Maß auch technischen Sachverstand erfordert und dass regelmäßig Entscheidungen über „civil rights“ zu treffen sind, als gewichtige Gründe, die eine Rechtfertigung für die Einrichtung einer solchen Behörde darstellen, angesehen. Die Rechtmäßigkeit dieser Behörde hat der VfGH letztendlich aber nur bejaht, indem er obwohl in der Stammfassung des TKG nicht vorgesehen - aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen auch die Anrufung des VwGH gegen Bescheide der Telekom-Control Kommission für zulässig erklärt hat. Dabei hat der Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmung des Art 5a Abs 3 RL 90/387/EWG idF RL 97/51/EG angenommen, die kraft des gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrangs die Vorschrift des Art 133 Z 4 B-VG verdrängt. Dieses nicht unumstrittene Ergebnis ist auch vom EuGH bestätigt worden ist.320 Mit der Novelle BGBl I 2000/26 zum TKG 1997 ist die Beschwerdemöglichkeit an den VwGH schließlich auch gesetzlich verankert worden.
3. RTR-GmbH - ausgegliedertes beliehenes Privatrechtssubjekt Als eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung unterliegt die RTR-GmbH grundsätzlich den Bestimmungen des GmbHG.321 Das KOG enthält jedoch 319 320 321
VfSlg 15.427/1999. EuGH 22.5.2003, Fall Connect, Rs C-462/99 (= MR 2003, 196). Das KOG und das TKG 2003 lassen diesbezüglich - anders als noch § 108 Abs 5 TKG (aufgehoben durch BGBl I 2001/32) - zwar eine ausdrückliche Bestimmung
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gesellschaftsrechtliche Sonderregelungen und Konkretisierungen.322 Die Gesellschaftsanteile sind zu 100% dem Bund vorbehalten, wobei die Verwaltung der Anteilsrechte dem Bundeskanzler im Einvernehmen mit dem BMVIT obliegt. Kapitalerhöhungen sind im Einvernehmen zwischen Bundeskanzler, BMVIT und BMF vorzunehmen.323 Entsprechend ihrer Kernaufgaben gliedert sich die RTR-GmbH in zwei Fachbereiche: Den Fachbereich Rundfunk zur Wahrnehmung der Zuständigkeiten betreffend die KommAustria und den Fachbereich Telekommunikation zur Wahrnehmung der auf die TKK bezogenen und anderer Kompetenzen des Telekommunikationsbereichs. Diese Gliederung, die nicht reinen Innencharakter hat, zieht, insbesondere auch im Zeichen des „technologieneutralen Ansatzes“ des neuen Rechtsrahmens, den Bedarf einer konvergenten Regulierung nach sich.324 Dennoch hat die Gesellschaft einen Geschäftsführer für jeden Bereich. Diesem kommt, abgesehen von den Einwirkungsbefugnissen im Rahmen der Aufsicht nach § 6 KOG,325 die alleinige fachliche Leitung in Angelegenheiten des jeweiligen Fachbereichs zu. In sonstigen Angelegenheiten haben die Geschäftsführer einvernehmlich vorzugehen.
Neben ihrer zentralen Funktion als Geschäftsapparat der TKK (und im Bereich der Rundfunkregulierung der KommAustria) kommen der RTR-GmbH nach der Generalklausel in § 115 Abs 1 TKG 2003 weiters sämtliche Aufgaben zu, die auf Grund des TKG 2003 und den hierzu ergangenen Verordnungen der „Regulierungsbehörde“ übertragen sind, sofern nicht die TKK gem § 117 TKG 2003 oder - für Aufgaben betreffend die Verbreitung von Rundfunk - die KommAustria gem § 120 TKG 2003 zuständig sind. Zusammenfassend handelt es sich hierbei va um Aufgaben, mit denen ein größeres Ausmaß an Informationsmanagement verbunden ist (zB Beobachtung der Märkte, Veröffentlichung von Informationen). Die klassisch hoheitlichen Agenden im Telekommunikationsbereich sind der TKK vorbehalten. Ohne erkennbaren Grund ist der RTR-GmbH aber etwa auch die bedeutsame Aufgabe der Definition der relevanten Märkte (§ 36 TKG 2003) zugewiesen. Auch die erweiterte Verordnungskompetenz betreffend Diensteentgelte326 und die neue Verordnungskompetenz betreffend den Entgeltnachweis327 wurde der RTR-GmbH übertragen. Ferner kommen ihr die Behandlung der Anzeigen öffentlicher Kommunikationsdienste
322 323 324
325
326 327
vermissen; die Anwendbarkeit des GmbHG ergibt sich aber etwa aus § 6 Abs 1 1. HS KOG. Vgl § 5 KOG. Vgl auch im Folgenden § 5 Abs 1 KOG. Siehe den Kommunikationsbericht der RTR-GmbH 2001, 139 f und den Tätigkeitsbericht der RTR-GmbH 2001, 71 f, abrufbar unter http://www.rtr.at (Über uns/RTR/Tätigkeitsberichte). Neben der Ministerialaufsicht gem § 6 Abs 1 KOG ist das Personal der RTR-GmbH des jeweiligen Fachbereichs, soweit es im Telekommunikationsbereich für die Telekom-Control-Kommission bzw im Rundfunkbereich für die KommAustria tätig wird, gem § 6 Abs 3 KOG dem Vorsitzenden der TKK (bzw des in der Geschäftsordnung bezeichneten Mitgliedes) oder gem § 6 Abs 4 KOG dem Behördenleiter der KommAustria gegenüber weisungsgebunden. § 24 Abs 1 und 2 TKG 2003 (KEM-V). § 100 Abs 2 TKG 2003 (EEN-V).
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und -netze (§ 15 TKG 2003) sowie auch maßgebliche Zuständigkeiten aufsichtsbehördlicher Prägung zu, wie die Anordnung angemessener Maßnahmen bei qualifiziert rechtswidrigem Verhalten von Marktteilnehmern (§ 91 Abs 2 TKG 2003).328
Die Finanzierungsregelung für die RTR-GmbH (§ 10 KOG) wurde mit Erkenntnis vom 7.10.2004, G 3/04-20 vom VfGH teilweise - zum einen wegen ihrer unsachlichen Ausgestaltung, zum anderen wegen ihrer unzureichenden Determinierung - aufgehoben und in weiterer Folge vom Gesetzgeber neu formuliert.329 Die Finanzierung der RTR-GmbH erfolgt demnach nunmehr über ein Mischsystem. Zur Finanzierung des Fachbereiches Rundfunk wird vom Bund der jährliche Betrag von € 750.000 und für den Fachbereich Telekommunikation der Betrag von € 2 Mio bereitgestellt. Die restlichen Aufwände der RTR-GmbH sind wie bisher von den finanzierungspflichtigen Marktteilnehmern zu tragen. Klargestellt wurde mit der Novelle, dass als finanzierungspflichtige Unternehmen für den Bereich Rundfunk nur noch die in Österreich niedergelassenen Rundfunkveranstalter und nicht mehr die Anbieter von Rundfunkinfrastrukturen gelten.
VIII. Verfahren und Rechtsschutz A. Verfahrensrechtliche Aspekte 1. Anwendbares Verfahrensrecht Soweit die Tätigkeit der Fernmeldebehörden (BMVIT, Fernmeldebüros und das BFT), der RTR-GmbH, der TKK oder der KommAustria auf die Erlassung von Bescheiden gerichtet ist, haben diese, abgesehen von verfahrensrechtlichen Spezialbestimmungen insbesondere dem TKG 2003 und Nebengesetzen, die Verwaltungsverfahrensgesetze, insbesondere das AVG anzuwenden. Für die Tätigkeit der Regulierungsbehörde ist freilich auch Verwaltungshandeln außerhalb förmlicher Verfahren (zB informelle „Hearings“, Gespräche, Verhandlungen etc mit Unternehmen oder Veröffentlichungen von Mitteilungen) typisch kennzeichnend. Das TKG 2003 enthält hiefür kaum verfahrensrechtliche Vorgaben.
2. Verfahrensrechtliche Sonderbestimmungen des TKG 2003 Das TKG 2003 kennt für das Verfahren das Regulierungsbehörde freilich eine Reihe abweichender Regelungen: Diese betreffen etwa Fristen, insbesondere Entscheidungsfristen, Änderungen und Ergänzungen des Verfahrens im Rahmen der (Ausschreibung und) Vergabe des Universaldienstes, von Frequenzen oder Kommunikationsparametern oder spezielle Verfahrensvorschriften für die
328
329
Diese Zuständigkeit ist Feiel/Lehofer (FN 22) 277, zufolge auf Fälle zu reduzieren, in denen Anordnungen keinen Eingriff in „civil rights“ iSd Art 6 EMRK bedeuten; vgl für die Begründung und zum Verhältnis zu Art 10 GenehmigungsRL, der ua durch diese Bestimmung umgesetzt werden sollte Feiel/Lehofer, aaO. Im Rundfunkbereich besteht gem § 120 Abs 1 Z 8 TKG 2003 eine Zuständigkeit der KommAustria. Näher dazu Holoubek (FN 27).
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gemeinschaftsweite Zusammenarbeit der Behörden auf den Kommunikationsmärkten.330 Praktisch besonders wesentlich ist zunächst die Ausdehnung der Möglichkeit der Erlassung von Mandatsbescheiden gemäß § 91 Abs 4 TKG 2003. Ein Mandatsbescheid - § 117 Z 13 TKG 2003 nennt ihn „einstweilige Verfügung“ kann außer in Fällen der Gefahr im Verzug auch dann erlassen werden, wenn ein Verstoß gegen das TKG 2003 zur ernsten Gefährdung wirtschaftlicher oder betrieblicher Interessen führt. Trotz wenig zweckmäßiger Namensgleichheit, die aus der Anlehnung an den Begriff des umgesetzten Art 10 Abs 6 GenehmigungsRL resultiert („einstweilige Maßnahmen“), wird im Unterschied zur einstweiligen Verfügung gemäß § 381 Z 2 EO nicht auf den Eintritt eines unwiederbringlichen Schadens, sondern auf den Eintritt bestimmter Probleme von einer größeren Erheblichkeit abgestellt.331 Weiters hervorzuheben ist, dass gemäß § 121 Abs 3 TKG 2003 in Abweichung von § 39 Abs 3 AVG nach Schluss des Ermittlungsverfahrens Neuerungsverbot besteht. Die Bestimmung wendet sich an die TKK332 und soll dazu dienen, Möglichkeiten der Verfahrensverzögerung hintanzuhalten, die daraus resultieren, dass im AVG kein klarer Schluss des Ermittlungsverfahrens vorgesehen ist.333 § 121 Abs 4 TKG 2003 schneidet den Parteien im Verfahren vor der TKK die Möglichkeit ab, neue Tatsachen oder Beweismittel vorzubringen. Auch im weiteren Rechtszug vor dem VwGH können diese grundsätzlich dann nicht mehr berücksichtigt werden. Schwierige Fragen ergeben sich im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren insbesondere in Mehrparteienverfahren vor der Regulierungsbehörde.334 Insbesondere das Spannungsfeld von Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen und den Parteirechten (Dritter) ist auch im TKG 2003 noch nicht angemessen gelöst.335 Ebenso erhebliche Probleme stellen sich im Zusammenhang mit Informations- und Auskunftspflichten außerhalb behördlicher Verfahren im engeren Sinn.336
3. Streitschlichtungsverfahren a) „Alternative dispute resolution“ § 115 Abs 3 TKG 2003 sieht vor, dass die RTR-GmbH zu „Verhandlungen über sich aus diesem Bundesgesetz ergebende Meinungsverschiedenheiten“ 330 331 332 333 334 335
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Zu dieser näher Damjanovic ua (FN 19) 332 ff. Näher Damjanovic ua (FN 19) 326, insbesondere auch zu den Auswirkungen auf Konsultations- und Koordinationsverfahren (§§ 128 und 129 TKG 2003). Und nicht auch die RTR-GmbH oder die KommAustria, siehe Damjanovic ua, Handbuch, 326 mit näherer Begründung. Zur Problematik Lehofer, in: ÖJK (Hrsg), Entstaatlichung, 213. Dazu näher Damjanovic ua (FN 19) 329 ff. Der VwGH hat klargestellt, dass es in einem „rechtsstaatlichen Verfahren […] keine geheimen Beweismittel geben (darf); wenn sich die […] Behörde in ihren Feststellungen auf ein Beweismittel stützt, hat sie den Verfahrensparteien zuvor hiezu Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.“ „Dabei ist es unerheblich, ob diese Daten […] Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse […] darstellen.“ (VwGH 25.2.2004, 2002/03/0273; 17.6.2004, 2003/03/0157). Siehe dazu VfGH 28.11.2001, B 2271/00 und näher Damjanovic ua (FN 19) 330.
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beigezogen werden kann und macht damit Formen so genannter „alternativer Streitbeilegung“ der RTR-GmbH zur Aufgabe. Ein entsprechendes, auf Moderation gerichtetes Ersuchen hat schriftlich zu erfolgen, des Weiteren hat die RTR-GmbH nähere Bestimmungen und Voraussetzungen veröffentlicht.337 In dieser Funktion wird dieRTR-GmbH nur unterstützend tätig. Die „alternative disput resultion“ soll als Moderationsverfahren primär Unternehmen eine kostengünstige und rasche Möglichkeit bieten, freiwillig unter Beiziehung von Experten eine sachangemessene Kompromisslösung zu finden. Der RTRGmbH kommen weder behördliche Funktionen zu, noch kann sie unverbindliche Schlichtungsempfehlungen abgeben. b) Streitschlichtung (Streitbeilegung) Nach § 122 TKG 2003 können Betreiber, Nutzer, aber auch „Interessenvertretungen“ die RTR-GmbH oder die KommAustria als Schlichtungsstelle im Hinblick auf demonstrativ angeführte Streitigkeiten über Qualität und Zahlung338 sowie Verletzungen des TKG 2003 anrufen. Die Betreiber treffen auch jenseits behördlicher Befugnisse und damit der Anwendbarkeit des AVG Mitwirkungs, insbesondere Auskunftspflichten, die jedoch nur über die Inanspruchnahme des § 90 Abs 1 Z 2 bzw § 91 Abs 1 TKG 2003 (verwaltungsstrafrechtlich) sanktioniert sind. Das Schlichtungsverfahren endet durch eine einvernehmliche Lösung (Vergleich) oder eine rechtlich unverbindliche Schlichtungsempfehlung („Lösungsvorschlag“). Dabei bildet aber die Veröffentlichung der Empfehlungen und eines jährlichen Schlichtungsberichts einen bedeutsamen Anreiz, diesen Empfehlungen nachzukommen. Weitere verfahrensrechtliche Vorgaben enthält § 8 KOG, der nach dem Wortlaut allerdings nur für die RTR-GmbH gilt. Die RTRGmbH veröffentlicht nach dieser Bestimmung nähere Verfahrensrichtlinien für die Durchführung der Streitschlichtung,339 in denen auch angemessene Fristen für die Beendigung des Verfahrens festzulegen sind. c) „Uneigentliche“ Streitschlichtung im Vorfeld regulierungsbehördlicher Anordnungsbefugnisse (Streitschlichtung) Der Gesetzgeber hat von der gemeinschaftsrechtlich eingeräumten Möglichkeit,340 im Vorfeld einer verbindlichen Entscheidung der TKK - nicht der KommAustria - ein Streitschlichtungsverfahren vorzusehen, Gebrauch gemacht. Mit der Durchführung betraut das Gesetz die RTR-GmbH. Aus Zweckmäßigkeitsgründen wurde dabei eine begriffliche Unterscheidung zwischen dieser obligatorischen „Streitschlichtung“ (§ 121 Abs 2 TKG 2003) und der im Hinblick auf deren Einleitung (Beantragung) fakultativen „Streitbeile-
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339 340
http://www.rtr.at/adr. Betreiber von Kommunikationsdiensten haben gemäß § 25 Abs 4 Z 5 TKG 2003 einen Hinweis auf die Möglichkeit der Anrufung der Schlichtungsstelle samt Kurzbeschreibung des Verfahrens in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufzunehmen. Veröffentlicht auf www.rtr.at. Art 20 und 21 RahmenRL; vgl aber ERL RV 128 BlgNR NR 22. GP zu § 122.
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gung“ (§ 122 TKG 2003), die je nach Bereich entweder in die Zuständigkeit der RTR-GmbH oder der KommAustria fällt, eingeführt. Das Verfahren der Streitschlichtung (§ 121 Abs 2 TKG 2003) wird dadurch ausgelöst, dass aufgrund von Verhandlungen zwischen im Wege der Wettbewerbsregulierung spezifisch verpflichteten Netz- und Dienstebetreibern und anderen Betreibern, die in keine Vereinbarung münden, einer der Beteiligten die TKK bzw die KommAustria anruft.341 Die TKK hat in diesem Fall (noch) nicht zu entscheiden, sondern die Anträge zunächst der RTR-GmbH zur Durchführung eines Streitschlichtungsverfahrens und damit zu sechswöchigen (Vergleichs-)Verhandlungen zu übermitteln. Ein erzieltes Einvernehmen führt zur Einstellung des Verfahrens vor der TKK, womit eine behördliche Entscheidung subsidiär gegenüber einer privatautonomen Vereinbarung ist, deren Vorliegen die Zuständigkeit der Regulierungsbehörde ausschließt.342 Kommt es zu keinem Einvernehmen, spätestens aber sechs Wochen nach Antragstellung, leitet die RTR-GmbH den Fall wieder der TKK zu, ohne eine Schlichtungsempfehlung abzugeben. Die TKK bzw die KommAustria hat dann binnen einer Frist von vier Monaten ab „Einlangen des Antrags“, das heißt für das Verfahren vor der TKK abzüglich der Dauer des Schlichtungsverfahrens, mit vertragsersetzendem Bescheid zu entscheiden.343
B. Rechtsschutz 1. Ordentliche Rechtsmittel Zur Entscheidung über Rechtsmittel gegen Bescheide der Fernmeldebüros und des BFT ist, mit Ausnahme der Verwaltungsstrafsachen,344 die den UVS zugewiesen sind, der BMVIT zuständig.345 Das TKG 2003 sieht - wie Vorgängerregelungen - keine Regelung über die Berufung gegen Bescheide der RTRGmbH vor. Nach herrschender Auffassung finden mangels einer gesetzlichen Regelung und angesichts der organisatorischen Ausgliederung der Regulierungsbehörde aus der Bundesverwaltung auch die allgemeinen Bestimmungen über den Instanzenzug in der unmittelbaren Bundesverwaltung keine Anwendung.346 Über ordentliche Rechtsmittel gegen Bescheide der KommAustria entscheidet der BKS - wiederum mit Ausnahme der Verwaltungsstrafsachen, in denen Berufung an den UVS erhoben werden kann - und zwar gemäß § 66 Abs 4 AVG in der Sache selbst. Dies wirft insbesondere im Hinblick auf die nur für „Regulierungsbehörden“ geltenden verfahrensrechtlichen Sonderbestimmungen eine Reihe von Problemen auf.347 Die TKK entscheidet ihrer Stel341 342 343 344 345 346 347
Näher Damjanovic ua (FN 19) 339. So zu § 41 Abs 2 TKG 1997 VwGH 20.7.2004, 2000/03/0285. Im Hinblick auf die KommAustria siehe insbesondere Damjanovic ua, Handbuch, 340/FN 1892. § 109 TKG 2003; § 16 FTEG. § 113 Abs 5 Z 3 TKG 2003; § 13 Abs 2 FTEG. VfGH 28.11.2001, B 2271/00; weitere Nachweise bei Damjanovic ua (FN 19) 341. Siehe Damjanovic ua (FN 19) 341 f.
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lung als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag gemäß Art 20 Abs 2 iVm Art 133 Z 4 B-VG gemäß nach § 121 Abs 5 TKG 2003 in oberster (und einziger) Instanz. Sowohl gegen Entscheidungen des BKS wie gegen Entscheidungen der TKK steht die Beschwerde an Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof offen.
2. Vorläufiger Rechtsschutz Dem öffentlichen Interesse an der Marktregulierung - und einer mittelbaren Stärkung der Stellung der Regulierungsbehörde348 - entspricht es, eine „automatische“ aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen Regulierungsentscheidungen nicht zuzulassen. Dies kommt ansatzweise auch schon in Art 4 Abs 1 letzter Satz RahmenRL zum Ausdruck. Die Bestimmungen über die beschlussmäßige Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung für das Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts (§ 30 VwGG, § 85 VfGG) sind insoferne richtlinienkonform ausgestaltet. Im Sinne des öffentlichen Interesses an der Marktregulierung wird den Beschwerden von beiden Gerichten auch nur ausnahmsweise aufschiebende Wirkung zuerkannt349 und den öffentlichen Interessen regelmäßig hoher Stellenwert eingeräumt. Auch für Rechtsmittel gegen Entscheidungen der KommAustria, die Fragen der Wettbewerbsregulierung betreffen350 kommt - abweichend von § 64 AVG - keine aufschiebende Wirkung zu, der BKS kann die aufschiebende Wirkung allerdings im betreffenden Verfahren nach Durchführung einer Interessenabwägung auf Antrag zuerkennen.
3. Durchsetzung von Betreiberverpflichtungen Während die Fernmeldebehörden die von ihnen erlassenen Bescheide nach VVG selbst vollstrecken351, sind zur Vollstreckung der Entscheidungen der TKK, KommAustria, BKS und der RTR-GmbH nach § 1 Abs 1 Z 2 lit a VVG die BVB berufen.352 Weiters besteht die Möglichkeit der Einleitung eines aufsichtsbehördlichen (§ 91 TKG 2003) oder eines Verwaltungsstrafverfahrens (§ 109 TKG 2003) bzw der Anregung eines solchen Verfahrens. Angesichts des veränderten gesetzlichen Zulassungssystems ist letztes Aufsichtsmittel nunmehr nicht der Entzug der Konzession, sondern - im Ergebnis gleichwertig - die Untersagung der weiteren Bereitstellung von Kommunikationsnetzen und -diensten oder auch der Widerruf der Zuteilung von Frequenzen oder Kommunikationsparametern. Die nicht an ein (Verwaltungs-)Strafverfahren gekoppelte „Abschöpfung der Bereicherung“ (§ 111 TKG 2003), die von der TKK bzw der Komm-
348 349 350 351 352
Siehe schon Wiederin, Probleme des Rechtsschutzes, in: Wiederin (Hrsg), Wettbewerb im neuen Rechtsrahmen, 2002, 23 (38). Rechtsprechungsnachweise etwa bei Wiederin, Wettbewerb, 36 ff; siehe auch VfGH 21.1.2002, B 1706/01; 4.4.2001, B 2271/00. Siehe näher § 14 Abs 1 KOG idF BGBl I 2006/9. Sofern keine Geldleistung eingetrieben werden soll, siehe § 114 Abs 2 TKG 2003. Näher und zu Einzelfragen Damjanovic ua (FN 19) 346.
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Holoubek/Damjanovic
Austria beim Kartellgericht beantragt werden kann, ergänzt die Reaktionsmöglichkeiten auf rechtswidrige Handlungen von Betreibern.353
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Zu Neuerungen in den verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionen und den Kriterien der Strafzumessung Damjanovic ua (FN 19) 346.
Michael Holoubek/Dragana Damjanovic/Gregor Ribarov
Recht der Massenmedien Rechtsgrundlagen .........................................................................................1189 Grundlegende Literatur.................................................................................1190 I. Entwicklung und rechtliche Rahmenbedingungen im Überblick .......1191 A. Bedeutung und Wirkung von Massenmedien in einer demokratischen Gesellschaft...............................................................1191 B. Das Recht der Massenmedien - ein Netzwerk aus verschiedenen Regelungssystemen..............................................................................1191 1. Die Regelungen im Überblick.........................................................1191 2. Das Recht der Massenmedien in Abgrenzung zum Telekommunikations- und E-Commerce-Recht .............................1193 C. Gegenstand des Medienrechts - neue Entwicklungen .........................1195 1. Die traditionellen Massenmedien ....................................................1195 2. Neue Herausforderungen aufgrund technologischer Entwicklungen ................................................................................1196 3. Der Anpassungsprozess - ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und Rechtsetzungsvorhaben ..................................1197 II. Europäisches Medienrecht - gemeinschaftsrechtliche Grundlagen und Rahmenbedingungen ................................................1199 A. Entwicklung und derzeitige Struktur einer europäischen Medienrechtsordnung..........................................................................1199 B. Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Medienrechts.......................1202 C. Primärrechtliche Regelungen..............................................................1202 1. Die Grundfreiheiten, insbesondere Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit ....................................................................1202 2. Das europäische Wettbewerbsrecht.................................................1204 D. Sekundärrechtliche Regelungsbereiche ..............................................1213 1. Fernsehrichtlinie - Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste.......1213 2. E-commerce Richtlinie....................................................................1217 3. Gemeinschaftliche Rechtsrahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte..................................................................1217 III. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Medienrechts.............1217 A. Die kompetenzrechtliche Einordnung nach dem B-VG .......................1217 B. Die Kommunikationsfreiheit................................................................1219 C. Die Pressefreiheit ................................................................................1220 D. Die Rundfunkfreiheit ...........................................................................1221 IV. Medienordnungsrecht ..........................................................................1224 A. Allgemeines..........................................................................................1224 B. Ordnungsrahmen nach dem Mediengesetz..........................................1224
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Holoubek/Damjanovic/Ribarov
1. Grundbegriffe des MedienG ........................................................... 1224 2. Die einzelnen ordnungsrechtlichen Vorschriften des Mediengesetzes ........................................................................ 1226 C. Rundfunkordnung................................................................................ 1230 1. Das duale Rundfunksystem ............................................................ 1230 2. Die rechtlichen Rahmenbedingungen des öffentlichen Rundfunks (public broadcasting) ................................................... 1231 3. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Veranstaltung von privatem Rundfunk.................................................................. 1241 D. Sektorübergreifendes Rundfunkrecht.................................................. 1250 1. FERG .............................................................................................. 1251 2. Rundfunkspezifisches Kommunikationsinfrastrukturrecht Frequenzverwaltung ....................................................................... 1257 V. Medienwettbewerbsrecht...................................................................... 1262 A. Die medienspezifischen Wettbewerbsvorschriften im Überblick......... 1262 B. Anwendbarkeit der innerstaatlichen Wettbewerbsregelungen im Verhältnis zum europäischen Wettbewerbsrecht ........................... 1263 C. Die Sonderregelungen für Medienzusammenschlüsse im KartG 2005 .................................................................................... 1264 D. Die Medienverbundregelungen im Rundfunkrecht ............................. 1267 E. Die sektorspezifischen Wettbewerbsregelungen nach dem TKG 2003 ........................................................................... 1270 VI. Medienwerbung.................................................................................... 1271 A. Bedeutung und Erscheinungsformen der Werbung in den Massenmedien.............................................................................. 1271 B. Die Werberegelungen im Überblick.................................................... 1272 C. Die Werberegelungen für den audiovisuellen Bereich ....................... 1273 1. Begriff der Werbung/der audiovisuellen kommerziellen Kommunikation.............................................................................. 1274 2. Allgemeine Grundsätze: Kennzeichnung und Trennung ................ 1274 3. Zeitliche Werbebeschränkungen..................................................... 1276 4. Inhaltliche Werbebeschränkungen.................................................. 1276 D. Werbeabgabe ...................................................................................... 1277 VII. Medienförderung................................................................................ 1278 A. Europäische Förderprogramme.......................................................... 1278 B. Medienförderung in Österreich........................................................... 1279 1. Presse- und Publizistikförderung .................................................... 1279 2. Filmförderung ................................................................................. 1280 3. Produktion und Digitalisierung des Fernsehens ............................. 1281 VIII. Medienaufsichtsrecht - Die Organisationsstruktur der audiovisuellen Medienregulierung .................................................. 1282 A. Allgemeines ......................................................................................... 1282 B. Verwaltungsbehördliche Zuständigkeiten ........................................... 1282 C. Gerichtliche Zuständigkeiten .............................................................. 1283 D. Behördenstruktur im Rundfunkbereich............................................... 1283
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1. KommAustria ..................................................................................1284 2. RTR-GmbH.....................................................................................1284 3. Bundeskommunikationssenat..........................................................1285 Rechtsgrundlagen: Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen: (Protocol amending the) European Convention on Transfrontier Television, 5.5.1989 (1.10.1998), ETS 132 (ETS 171); Protokoll Nr. 32 zum EGV, Abl 1997 C 340/109; Verordnung 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Abl 2004 L 24/1; RL 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen, Abl 1980 L 195/35 idF RL 2000/52/EG; RL 89/552/EWG zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, Abl 1989 L 298/23 idF RL 97/36/EG, Abl 1997 L 202/60; RL 91/250/EWG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, Abl 1991 L 122/42 idF RL 93/98/EWG, Abl 1993 L 290/9; RL 92/100/EWG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, Abl 1992 L 346/61 idF RL 2001/29/EG, Abl 2001 L 167/10; RL 93/83/EWG zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, Abl 1993 L 248/15; RL 93/98/EWG zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, Abl 1993 L 290/9 idF RL 2001/29/EG, Abl 2001 L 167/10; RL 95/47/EG über die Anwendung von Normen für die Übertragung von Fernsehsignalen, Abl 1995 L 281/51; RL 96/9/EG über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, Abl 1996 L 77/20; RL 98/27/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, Abl 1998 L 166/51; RL 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, Abl 2000 L 178/01; RL 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, Abl 2001 L 167/10; Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit vom 13.12.2005 Verfassungsrechtliche Grundlagen: EMRK, BGBl 1958/210 idF BGBl III 1998/30; StGG, RGBl 1867/142 idF BGBl 1988/684; Beschl ProvNV, StGBl 1918/3 idF BGBl 1920/1; BVG-Rundfunk, BGBl 1974/396. Einfachgesetzliche Grundlagen: ArzneimittelG, BGBl 1983/185 idFBGBl. I Nr. 153/2005; ChemikalienG, BGBl I 1997/53 idF BGBl. I Nr. 13/2006; FERG, BGBl I 2001/85; Fernmeldegebührenordnung Anlage zum FernmeldegebührenG BGBl 1970/170 idF BGBl. I Nr. 71/2003; Filmförderungsgesetz, BGBl 1980/557 idF BGBl. I Nr. 170/2004; Journalistengesetz, StGBl 1920/88 idF BGBl. I Nr. 100/2002; KommAustria-Gesetz - KOG, BGBl. I Nr. 32/2001 idF BGBl. I Nr. 9/2006; Kunstförderungsbeitragsgesetz 1981, BGBl 1981/573 idF BGBl. I Nr. 34/2005; MedienG, BGBl 1981/314 idF BGBl. I Nr. 151/2005; ORF-G, BGBl 1984/379 idF BGBl. I Nr. 159/2005; Preisbindung bei Büchern, BGBl I 2000/45 idF BGBl. I Nr. 113/2004; Presseförderungsgesetz 2004, BGBl. I Nr. 136/2003; PrR-G, BGBl I 2001/20 idF BGBl. I Nr. 169/2004; PrTV-G, BGBl I 2001/84 idF BGBl. I Nr. 66/2006; Publizistikförderungsgesetz 1984, BGBl 1984/369 idF BGBl. I Nr. 113/2006; RGG, BGBl I 1999/159 idF BGBl. I Nr. 71/2003; TabakG, BGBl 1995/431 idF BGBl
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I Nr. 47/2006; UrhG, BGBl 1936/111 idF BGBl. I Nr. 81/2006 ; UWG, BGBl 1984/448 idF BGBl. I Nr. 106/2006; Anbietungs- und Ablieferungspflicht bei sonstigen Medienwerken nach dem Mediengesetz, BGBl II 2001/65; V über Bibliotheksstücke, BGBl 1981/544; Verordnung der Bundesregierung über Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung, BGBl II 2001/305.
Grundlegende Literatur: Aicher/Holoubek (Hrsg), Das Recht der Medienunternehmen, 1998; Barendt, Freedom of speech2, 2005; Bauer/Reidlinger, Medienfusionskontrolle und Gemeinschaftsrecht, MR 2004, 357; Beck/Münger/Pitum/Sauer, Service Public unter Druck? Die Auswirkungen der EU-Transparenzrichtlinie auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, 2004; Berka, Programmauftrag Internet, 2004; Berka, Die Kommunikationsfreiheit, in: Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg), Grund- und Menschenrechte in Österreich, Bd II 1992; Berka/Höhne/Noll/Poley, Mediengesetz Praxiskommentar2, 2005; Berka/Grabenwarter/ Holoubek (Hrsg), Medienfreiheit versus Inhalteregulierung, 2006; Berka/Grabenwarter/ Holoubek (Hrsg), Gemeinschaftsrecht und Rundfunk - Revolution oder Anpassung, 2007; Bogdandy, von, Europäischer Protektionismus im Medienbereich. Zu Inhalt und Rechtmäßigkeit der Quotenregelungen in der Fernsehrichtlinie, EuZW 1999, 9; Fechner, Medienrecht7, 2006; Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, 2003; Gersdorf, Chancengleicher Zugang zum digitalen Fernsehen, 1998; Grabenwarter, Zur Zukunft des dualen Rundfunks in Österreich, Schriftenreihe der RTR-GmbH, Band 3, 2004; Gruber, Medienrecht und neue Medien: mit besonderer Berücksichtigung des Internet, 2006; Helberger, Controlling access to content: regulating conditional access in digital broadcasting, 2005; Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, 2000; Holoubek/Kassai/Traimer, Grundzüge des Rechts der Massenmedien3, 2006; Holoubek/ Damjanovic/Traimer (Hrsg), Regulating Content - European Regulatory Framework for Media and Related Creative Sectors, 2007; Holoubek, Die Organisation der Medienregulierung im Lichte der Konvergenz, JRP 2000, 216; Holoubek/Damjanovic, Medienregulierung unter „Konvergenzbedingungen, Beilage MR 2000; Holoubek, Die Organisationsstruktur der Regulierung audiovisueller Medien - Typologie und Entwicklungstendenzen, ZUM 1999; Korinek, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen staatlicher Regulierung der Medien vor dem Hintergrund der Konvergenz, JRP 2000, 131; Korinek, Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Rundfunks in Österreich, in: Österreichische Juristenkommission: Rechtsstaat - Liberalisierung und Strukturreform, 1998, 33; Kogler/Kramler/Traimer, Österreichische Rundfunkgesetze, 2002; Ladeur, Das Werberecht der elektronischen Medien 2004; Laiß, Presseförderung neu, MR 2004, 165; Lamping/Ludwig, Die kartellrechtliche Bedeutung des Buches als Wirtschafts- und Kulturgut nach europäischem Gemeinschaftsrecht: Sind Bücher anders?, ZfRV 1999, 51; Riesenhuber, Das österreichische Verwertungsgesellschaftengesetz 2006: Einführung im Lichte der europäischen und der deutschen Rechtsentwicklung nebst Materialien, 2006; Roßnagel (Hrsg), Neuordnung des Medienrechts: neuer rechtlicher Rahmen für eine konvergente Technik?, 2005; Roßnagel/Strothmann, Die duale Rundfunkordnung in Europa, Schriftenreihe der RTR-GmbH, Band 2, 2004; Roßnagel, Der Zugang zur digitalen Satellitenverbreitung, 2004 ; Roßnagel (Hrsg), Recht der Multimediadienste, 2000; Schuhmacher, Kollektive Marktbeherrschung und koordinierte Effekte im EGWettbewerbsrecht, wbl 2005, 245; Wessely, Das Recht der Fusionskontrolle und der Medienfusionskontrolle, 1995; Schulz/Seufert/Holznagel, Digitales Fernsehen, 1999; Strohmeier, Politik und Massenmedien, 2004; Zöchbauer, MedienG-Nov 2005, MR 2005, 164.
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I. Entwicklung und rechtliche Rahmenbedingungen im Überblick A. Bedeutung und Wirkung von Massenmedien in einer demokratischen Gesellschaft Den Massenmedien kommt in unserer Gesellschaft in vielfacher Hinsicht eine herausragende Bedeutung zu. Zum einen nehmen sie als Wirtschaftsfaktor einen zentralen Stellenwert ein, insbesondere seitdem die technologischen Fortschritte der Digitalisierung eine Vielzahl an neuen Verbreitungsplattformen für massenkommunikative Inhalte hervorgebracht und damit enorme Potentiale für diesen Sektor eröffnet haben.1 Zum anderen besitzen die Massenmedien auch in kultureller Hinsicht hohen Eigenwert. Als wichtigste Quellen von Information und Unterhaltung in einer Gesellschaft prägen sie die Kultur und Entwicklung eines Landes in ganz besonderer Weise. Schließlich wird ihnen und dies hängt mit der enormen Wirkung, die sie auf das Verhalten von Menschen entfalten können, zusammen2 - die zentrale Aufgabe eines „public watchdog“ zugeschrieben. Sie tragen eine Verantwortung dafür, die Bürger zu informieren, die öffentliche Meinung zu artikulieren, dazu Stellung zu nehmen und Staat und Wirtschaft zu kontrollieren und zu kritisieren.3 Insofern sind die Massenmedien auch in demokratiepolitischer Hinsicht von zentraler Bedeutung. Als „Träger und Mittler der öffentlichen Meinungsbildung“4 sind sie für die Herausbildung demokratischer Prozesse geradezu konstituierend.5
B. Das Recht der Massenmedien - ein Netzwerk aus verschiedenen Regelungssystemen 1. Die Regelungen im Überblick Aus der vielfältigen und herausragenden Bedeutung und Wirkung der Massenmedien für eine demokratische Gesellschaft ergeben sich besondere Regelungserfordernisse, weshalb die Massenmedien - verstanden als Medien, die massenkommunikative Inhalte vermitteln - im Rahmen der Regulierung der
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Zur wirtschaftlichen Bedeutung der neuen digitalen Verbreitungsplattformen in Europa vgl. EITO (European Information Technology Observatory http://www.eito.com) 2005, The online content market and distribution in Western Europe, 88ff. Zur Medienwirkung vgl. Strohmeier, Politik und Massenmedien, 2004, 177 ff. Vgl. Paschke, Medienrecht, 2001, 13; Berka, Medien zwischen Freiheit und Verantwortung, in: Aicher/Holoubek (Hrsg), Das Recht der Medienunternehmen, 1998, 1 (12 ff); für den Bereich des Rundfunks Korinek, Die Gewährleistung der Kommunikationsfreiheit im österreichischen Rundfunkrecht, RfR 1980, 1 (4 ff). So das deutsche BVfG in seinem grundlegenden „Fernsehurteil“ vom 28. 2. 1961 (BVfGE 12, 205); zur konstituierenden Bedeutung der Massenmedien für die Freiheit demokratischer Staatsordnungen, siehe auch EGMR, Fall Sunday Times Nr 1, A-30 (= EuGRZ 1979, 386 ff); EGMR, Fall Handyside, A - 24 (= EuGRZ 1977, 38 ff); EGMR, Fall Lingens, A-103 (= EuGRZ 1986, 424 ff); VfSlg. 11297/1987; VfSlg. 13725/1994. Vgl. Paschke (FN 3) 13; Berka, (FN 3); für den Bereich des Rundfunks Korinek, (FN 3).
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Kommunikationsmärkte6 auch eine rechtliche Sonderstellung einnehmen. Die besonderen Rechtsvorschriften, die sich auf die Massenmedien beziehen, werden dabei unter dem Begriff des Medienrechts zusammengefasst. Bei diesem handelt es sich um kein einheitliches Rechtsgebiet. Vielmehr greifen eine Reihe von Vorschriften auf verschiedenen Ebenen - Verfassungsbestimmungen, gemeinschaftsrechtliche Vorgaben und einfache Gesetze - ineinander, die insgesamt ein Netzwerk von Regelungssystemen bilden, innerhalb dessen der Sektor der Massenmedien zu agieren hat. Auf verfassungsrechtlicher Ebene sind für die Massenmedien von besonderer Relevanz: Art 10 EMRK7 und Art 13 StGG,8 die die umfassende Kommunikationsfreiheit garantieren, der Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung (ProvNV) vom 30. 10. 1918,9 der jede Form der Vorzensur ausdrücklich verbietet, sowie das BVGRundfunk,10 in dem der österreichische Verfassungsgesetzgeber Grundlinien für das Rundfunkrecht besonders verankert hat. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene sind die Vorschriften über die Warenverkehrs- und Dienstleistungfreiheit (Art 23 ff, 49 ff EGV) sowie die wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des EGV (Art 81 ff), die nach stRspr des EuGH auch auf grenzüberschreitende Mediendienstleistungen Anwendung finden,11 sowie als die zentrale sekundärrechtliche EG-Vorschrift im Bereich der Medien die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen,“12 an deren Weiterentwicklung zu einer Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste gerade gearbeitet wird,13 zu nennen. Einschlägige einfachgesetzliche Bestimmungen sind schließlich das Mediengesetz,14 die im Besonderen für den Rundfunk geltenden Regelungen im ORF-Gesetz,15 im Privatradiogesetz (PrR-G),16 im Privatfernsehgesetz (PrTV-G),17 und im Fernseh-Exklusivrechtegesetz
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Für einen gesamtheitlichen Überblick der Regelungen für die Kommunikationsmärkte siehe Griller/Holoubek, Europäisches und öffentliches Wirtschaftsrecht, Band II3, Recht der Informationsgesellschaft, 2006, 167ff. Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl 1958/210 idF BGBl III 1998/30. Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder, RGBl 1867/142 idF BGBl 1988/684. StGBl 1918/3 idF BGBl 1920/1. Bundesverfassungsgesetz vom 10. Juli 1974 über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks, BGBl 1974/396. StRspr seit EuGH, Rs 155/73, Sacchi, Slg 1974, 409. Zur Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln des EGV auf den Medienbereich vgl. Pkt II.C.2. RL 89/552/EWG, Abl 1989 L 298/23 idF RL 97/36/EG, Abl 1997 L 202/60. KOM(2005) 646 endg, Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit. Die konsolidierte Fassung des Vorschlags ist unter http://ec.europa.eu/comm/avpolicy/docs/reg/ modernisation/proposal_2005/avmsd_cons_amend_0307_en.pdf abrufbar. BGBl 1981/314 idF BGBl I Nr. 151/2005. BGBl 1984/379 idF BGBl I Nr. 159/2005. BGBl I 2001/20 idF BGBl I Nr. 169/2004 BGBl I 2001/84 idF BGBl I Nr. 66/2006.
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(FERG),18 sowie des weiteren das Presse- und Publizistikförderungsgesetz,19 das Filmförderungsgesetz20 und das Journalistengesetz.21 In einem weiteren Sinn zählen auch horizontale Maßnahmen, die nicht speziell auf den Sektor der Massenmedien zugeschnitten sind, für diesen aber von besonderer Relevanz sind, zum Medienrecht. So etwa bestimmte Verbraucherschutzvorschriften in Form von produktspezifischen Werberegelungen,22 der gesamte Regelungskomplex des Urheberrechts,23 sowie insb auch das Medienwettbewerbsrecht.24 Schließlich werden die Massenmedien auch durch eine ganze Reihe von „soft law“ Maßnahmen25 gesteuert. Diese bestehen zum einen in einer Vielzahl von Förderprogrammen, sowohl auf EG26 als auch auf innerstaatlicher Ebene,27 und zum anderen in Selbstregulierungsmechanismen der Wirtschaft, etwa zur Sicherstellung gemeinsamer Standards und damit der Interoperabilität auf den elektronischen Medienmärkten28 oder zur Durchsetzung von Jugendschutzbestimmungen im Internet.29
2. Das Recht der Massenmedien in Abgrenzung zum Telekommunikations- und E-Commerce-Recht Auch wenn ein Großteil dieser Bestimmungen die unterschiedlichen Massenmedien (Printmedien, Rundfunk, usw) keiner einheitlichen und geschlossenen Regelung unterzieht, so ist ihnen allen doch gemeinsam, dass sie an die medienübergreifenden Struktur- und Wirkungseigenarten der Massenkommunikation anknüpfen. Die Massenkommunikation und ihre besondere Wirkung und Bedeutung für eine demokratische Gesellschaft bildet insofern den rechtssystematischen Bezugspunkt der rechtlichen Ordnung des Medien-
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BGBl I 2001/85. Presseförderungsgesetz 2004 BGBl. I Nr. 136/2003 und Publizistikförderungsgesetz BGBl 1984/369 idF BGBl. I Nr. 113/2006. BGBl 1980/557 idF BGBl. I Nr. 170/2004. StGBl 1920/88 idF BGBl. I Nr. 100/2002. Beispielsweise betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse oder Arzneimittel. Zu diesen näher unten Pkt VI, vgl. FN 591. Zu diesem, va unter dem Blickwinkel seiner Bedeutung für die Massenmedien, Nemetz/Neubauer/Wiebe, Copyright and related rights, in: Holoubek/ Damjanovic/Traimer (Hrsg), Regulating Content - European Regulatory Framework for Media and Related Creative Sectors, 2007, 151ff. Zu diesem ausführlich unten Punkt V. Allgemein zu „soft law“ Maßnahmen Senden, Soft law in European Community law, 2004. Zu den für die Medienindustrie relevanten Förderprogrammen siehe Seifert, Fundamentals of Community Law and Policies Governing the Content Industry, in: Holoubek/Damjanovic/Traimer (Hrsg) (FN 23), 25ff; sowie näher unter Pkt VII.A. Siehe Pkt VII.B. Damjanovic, Sector-specific Regulation at Infrastructure Level, in: Holoubek/ Damjanovic/Traimer (Hrsg) (FN 23), 112f. Zu der Frage nach einem „interessengerechten System“, das einerseits einen möglichst umfassenden Jugendschutz gewährleisten soll, andererseits aber auch Interessen der Nutzer und Anbieter iSd Informationsfreiheit nicht zu stark einschränkt, vgl. Spoerr/Sellmann, Informations- und Kommunikationsfreiheit im Internet, K&R 2004, 372. Siehe auch Pöschl, Die Gewährleistung von Jugendschutz durch das Rundfunkrecht - Möglichkeiten und Grenzen, in: Berka/Grabenwarter/Holoubek, Medienfreiheit versus Inhaltsregulierung, 2006, 111 ff.
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wesens,30 insbesondere auch in Abgrenzung zu den zwei anderen zentralen Regelungskomplexen für die Kommunikationsmärkte, dem Telekommunikations-31 und dem E-Commerce-Recht.32 Gegenstand des Telekommunikationsrechts sind die Kommunikationsinfrastrukturen, dh die technischen Plattformen, über die ua auch massenkommunikative Inhalte vermittelt werden;33 im Unterschied zum Medienrecht behandelt das Telekommunikationsrecht also die rein technischen und ökonomischen Fragen des Mediensektors.34 Das ECommerce-Recht wiederum bezieht sich auf die interaktiven elektronischen Dienste (bezeichnet als „Dienste der Informationsgesellschaft“) und damit im Unterschied zum Medienrecht primär auf die individuelle Kommunikation, die zB im Rahmen eines Online-Vertragsabschlusses erfolgt. Es erfasst aber auch bestimmte Mediendienste, nämlich jene, die zwar grundsätzlich an die Allgemeinheit gerichtet, allerdings individuell abrufbar sind (die sog „On Demand Services“)35 und insofern sowohl Elemente der Massen- als auch der Individualkommunikation enthalten. In diesem Bereich weist das E-Commerce-Recht gewisse Überschneidungen zum Medienrecht auf, jedoch nur den Regelungsgegenstand betreffend. Der Regulierungszugang dieser beiden Rechtsmaterien ist ein jeweils anderer: während das E-Commerce-Recht die betreffenden Mediendienste nur unter ökonomischen Gesichtspunkten erfasst,36 verfolgt das Medienrecht vor allem auch kulturelle, demokratiepolitische und soziale Aspekte bei der Regulierung dieser Dienste.
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Die Massenkommunikation ist damit auch Ansatzpunkt für ein disziplinbildendes Verständnis dieser Rechtsmaterie. Siehe auch Paschke (FN 3), Rz 7. Zu diesem im Einzelnen Holoubek/Damjanovic, Telekommunikationsrecht, in diesem Band. Zu diesem im Einzelnen Damjanovic, Öffentlich-rechtliche Aspekte des E-Commerce, in diesem Band. TV/Radiodistributionssysteme (analog/digital: digitales Fernsehen), mobile Plattformen, PC Breitband etc. Für eine Definitionsbestimmung der Kommunikationsinfrastrukturen siehe Holoubek/Damjanovic, The European Content Industry, in: Holoubek/Damjanovic/Traimer (Hrsg) (FN 23), 17f. Also somit vor allem Fragen der Standardisierung und der Gewährung von Zugang zu Plattformen. Allerdings werden auch in diesen Fragen medienpolitisch (Stichwort Meinungsvielfalt) wichtige Entscheidungen getroffen. Besonders klar wird dies bei der Frequenzvergabe. Obwohl an sich eine technische Angelegenheit und damit eigentlich nicht Inhalteregulierung im engeren Sinn, hat die Vergabe von Frequenzen, die zur Vermittlung von massenkommunikativen Inhalten genutzt werden, wesentliche Auswirkungen für die Frage nach der Gewährleistung einer Vielfalt des Angebots von Medieninhalten, und ist deshalb Sache des Medienrechts (konkret des Rundfunkrechts). Zur Bedeutung der Infrastrukturregulierung nach dem (Tele-)Kommunikationsrecht siehe auch Damjanovic (FN 28). Zum Begriff der „nicht-linearen Mediendienste“ siehe gleich unten Punkt I.C.3. Siehe dazu auch Pkt II.D.2.
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BETÄTIGUNGSFELDER
Regulierung der einzelnen Tätigkeitsbereiche auf den elektronischen Kommunikationsmärkten im Überblick
elektronische Kommunikationsnetze
BEISPIELE
elektronische Kommunikationsdienste
Breitband
Mobilfunknetz
Sprachtelefonie Conditional Access Systeme
Anbieten von „audiovisuellen Mediendiensten“
nicht linear Online-Verkauf
Festnetz [Telefon]
REGELUNGSRAHMEN
Anbieten von „Diensten der Informationsgesellschaft“
Betreiben von Infrastrukturen
Zugang zum Internet
linear
Online-Zeitung
Datenbanken
Suchmaschinen E-mail
Video On Demand
klassisches Fernsehen Webcasting
individuell abrufbare Unterhaltungsspiele
Multiplattformen f Digital-TV
Streaming
Rechtsrahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte
Rechtsrahmen für E-Commerce (ECRL)
FernsehRL bzw geplanter Rechtsrahmen für audiovisuelle Mediendienste
Telekommunikationsgesetz 2003
E-Commerce Gesetz
ORF-G, PrTV-G, PrR-G
Abb. 1: Regulierung der einzelnen Tätigkeitsbereiche auf den elektronischen Kommunikationsmärkten im Überblick
C. Gegenstand des Medienrechts - neue Entwicklungen 1. Die traditionellen Massenmedien Auch wenn das Phänomen der Massenkommunikation primärer Bezugspunkt der rechtlichen Ordnung des Medienwesens ist, so knüpft das Medienrecht für die Bestimmung und Abgrenzung seines Geltungsbereiches traditionellerweise nicht an die massenkommunikativen Inhalte - verstanden als von einem einzelnen oder von einigen wenigen an eine Vielzahl von Menschen in indirekter und einseitiger Form kollektiv verbreitete Inhalte37 - selbst an, sondern an die Medien, die solche Inhalte vermitteln. Zu diesen Medien - allgemein als Massenmedien bezeichnet - zählt man traditionellerweise: • die Printmedien in den Erscheinungsformen Zeitung, Magazin, Buch und Datenverzeichnisse;38 • physische Datenträger (zB CDs, Videos, DVDs), • das Kino und
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Maletzke hat hierfür den Terminus „disperses Publikum“ geprägt. Siehe Maletzke, Psychologie der Massenkommunikation, 1963, 36; Strohmeier (FN 2), 26 f (mwN): Zu den verschiedenen Erscheinungsformen von Printmedien vgl. Strohmeier (FN 2) 30 ff; sowie den Publishing Market Watch Final Report 2005, der unter http://europa.eu.int/information_society/media_taskforce/doc/pmw_20050127.pdf abrufbar ist.
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die Medien des Rundfunks (klassisch analoge terrestrische Funknetze, Satelliten- und Kabelnetze). Diesen Massenmedien werden bestimmte Medieninhalte zugeordnet:
Verlagsinhalt (im Wesentlichen auf Text und Bild basierender Inhalt bzw eine Kombination von beiden) wird über den Vertriebskanal Printmedien vermittelt. Audiovisuelle Inhalte, wie zB Musik, Filme oder Unterhaltungsspiele werden über physische Datenträger (CDs, DVDs usw) bzw der Film auch über das Kino an die Öffentlichkeit verbreitet; für die Vermittlung von Rundfunkinhalten, verstanden als besondere audiovisuelle Inhalte in der Form von redaktionell gestalteten, fix vorgegebenen audio- bzw audiovisuellen Programminhalten (Fernseh- und Hörfunkprogramme) werden analoge terrestrische Funknetze, Satelliten- und Kabelnetze (die sog Rundfunkmedien) genutzt.
Entlang dieser Zuordnung einzelner Medieninhalte zu bestimmten Vertriebskanälen werden die in der Massenmedienindustrie tätigen Akteure klassifiziert und voneinander unterschieden, in das Buch- und Verlagswesen, die Musikindustrie, die Video- und Kinobranche und den Rundfunksektor. Auf diesen Kategorien bauen im Wesentlichen auch die medienrechtlichen Bestimmungen auf. So gelten für die einzelnen Branchen unterschiedliche Förderbedingungen39 oder für den Rundfunksektor - zum einen aufgrund seiner besonderen Verbreitungsform der elektronischen Vermittlung zum anderen aufgrund seiner besonderen massenmedialen und damit demokratiepolitischen Bedeutung - andere Vorschriften als für die sonstigen Medien. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene konzentrieren sich die harmonisierenden sekundärrechtlichen Vorschriften für die Massenmedien bislang überhaupt nur auf den Fernsehsektor. Die einzelnen Regelungen definieren ihren Anwendungsbereich dabei in erster Linie über das Medium und den ihm zugeordneten Medieninhalt.40
2. Neue Herausforderungen aufgrund technologischer Entwicklungen Mit dem Einsatz digitaler Technologien in der Massenmedienindustrie können sämtliche Medieninhalte (Verlagsinhalt, Musik, Film, Unterhaltungsspiele und Rundfunkinhalte)41 nunmehr auch online über die verschiedenen Multiplattformen (PC-Breitband, digitales Fernsehen, mobile Plattformen) übertragen werden. Aus diesen Entwicklungen ist eine Vielzahl an neuen Mediendiensten42 - Online-Zeitungen und Online-Magazine, Online-Musikstores, Weblogs, Webcasting, Streaming oder Video On Demand sind nur einige wenige Beispiele davon43 - und damit überhaupt eine neue Branche innerhalb der Mas39
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Zu den Vorraussetzungen für eine Förderung siehe zB § 2 PresseförderungsG, § 11 FilmförderungsG und § 9g KOG iVm den dort genannten Richtlinien über die Bedingungen der Gewähr von Förderungen für Fernsehproduktionen. Vgl. etwa den Begriff der Fernsehsendung in der FernsehRL (FN 12) oder die Begriffsbestimmung Rundfunk nach dem BVG-Rundfunk. Zu letzterem vgl. auch unten Pkt II.D. Solche Medieninhalte werden auf europäischer Ebene auch mit dem Überbegriff Ebzw. Online-Content umschrieben: EITO (FN 1), 92ff. Diese werden va in Deutschland auch als Multimediadienste bezeichnet, zB Roßnagel (Hrsg), Recht der Multimediadienste, 2000. Zu den Entwicklungen auf den Online-Contentmärkten näher in EITO 2005, 96ff.
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senmedienindustrie - die sog Online-Contentindustrie44 - hervorgegangen. Deren Einordnung in die bisherigen Kategorien des Medienrechts (in Buchbzw Verlagswesen, Musikindustrie, Video- und Kinobranche oder Rundfunksektor) gelingt kaum noch. Strittig ist zunächst, ob diese Dienste (und wenn ja, welche) überhaupt unter das Medienrecht fallen (sollen) oder ob sie nach den sonstigen kommunikationsrechtlichen Vorschriften, entweder dem Telekommunikationsrecht oder dem E-Commerce-Recht,45 zu behandeln sind. Sofern sie unter das Medienrecht zu subsumieren sind, stellt sich weiters die Frage, ob sie den rundfunkspezifischen oder den sonstigen medienrechtlichen Vorschriften unterliegen (sollen) oder überhaupt, ob neue Rahmenbedingungen für diese neue Kategorie von Mediendiensten zu schaffen sind.
3. Der Anpassungsprozess - ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und Rechtsetzungsvorhaben Diese Fragen zur zukünftigen rechtlichen Behandlung der neuen Mediendienste werden derzeit im Rahmen der Überarbeitung der FernsehRL46 zu einer Richtlinie über „audiovisuelle Mediendienste“47 intensiv diskutiert.48 Auf innerstaatlicher Ebene ist mit der sog „Internet-Novelle 2005“ zum Mediengesetz49 und insbesondere der dabei erfolgten Einführung des Begriffs der „abrufbaren elektronischen Medien“50 der dringendste Anpassungsbedarf betreffend die neuen Mediendienste befriedigt worden.51 Eine kohärente Abstimmung der innerstaatlichen medienrechtlichen Vorschriften insgesamt und vor allem eine Anpassung der rundfunkrechtlichen Bestimmungen entsprechend der angedachten Neukonzeption der Regulierung des audiovisuellen Bereichs auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene52 ist allerdings noch nicht in Sicht, wäre zur Schaffung von Rechtssicherheit und -klarheit und zur Sicherstellung einer positiven Entwicklung dieses Wirtschaftszweiges jedoch dringend erforderlich. Die erfolgten Anpassungen bzw derzeitigen Arbeiten an der Weiterentwicklung des Medienrechts (vor allem auf europäischer Ebene) zeigen ein Abgehen von den bislang vorherrschenden technologieorientierten Kriterien zur Festlegung des Anwendungsbereichs der einzelnen medienrechtlichen Vorschriften an. Welche Regelungen im Einzelnen zur Anwendung gelangen, soll sich in Hinkunft nicht mehr nach den für die Medieninhalte genutzten technischen
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Vgl. Holoubek/ Damjanovic (FN 33), 15 ff. Zu diesen Regelungsbereichen vgl. FN 31 und 32 FN 13. Zu dem neuen Vorschlag und insb seinem neuen Anwendungsbereich im Einzelnen unten Pkt II.D.1. Dazu s etwa Stender-Vorwachs/Theißen, Die Revision der FernsehRL, ZUM 5/2006, 362ff; Bezemek/Ribarov, Sector-specific Regulation at Content Level, in : Holoubek/Damjanovic/Traimer (Hrsg) (FN 23), 119ff. BGBl I Nr. 151/2005. Dazu noch im Einzelnen unten Pkt IV.B.1 insbes FN 240. Vgl. Berka, in Berka/Höhne/Noll/Polley Praxiskommentar Mediengesetz, 2005, 9, Rz 27. Siehe Pkt II.D.1.
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Verbreitungsplattformen bestimmen,53 sondern nach funktionalen Kriterien, die in erster Linie die massenmediale Bedeutung des jeweiligen Dienstes widerspiegeln sollen.54 Als übergeordnetes funktionales Kriterium zur Beschreibung sämtlicher Massenmediendienste wird dabei (wie auch bisher) das Merkmal „für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmt“55 fungieren. Nur dann ist Massenkommunikation und insofern ein Bezugspunkt zum Medienrecht gegeben. Weiters wird es für die Geltung medienordnungsrechtlicher Vorschriften wesentlich darauf ankommen, ob die Dienste im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit, dh grundsätzlich gegen Entgelt erbracht werden, oder bloß eine private Aktivität (zB Weblogs) darstellen. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene sollen nur erstere, weil der Gemeinschaft nur für diese eine Kompetenz zukommt, einem spezifischen medienordnungsrechtlichen Regime unterworfen werden.56 Innerhalb dieses spezifischen medienordnungsrechtlichen Regimes soll dann wiederum eine Abstufung der Regulierungsintensität im Kern nach dem Einfluss und der Wirkung der einzelnen Medieninhalte auf die Meinungsbildung der Menschen vorgenommen werden. Die audiovisuellen Mediendienste, verstanden als Medieninhalte, die bewegte Bilder mit oder ohne Ton übertragen, werden dabei aufgrund ihrer besonderen Breitenwirkung eine besondere regulatorische Behandlung erfahren. Insbesondere sind nur für diese Dienste spezifische, auch auf die kultur-, demokratiepolitischen und sozialen Aspekte dieser Dienste bezogene gemeinschaftsrechtliche Vorgaben geplant.57 Die Regulierung der sonstigen Mediendienste - Hörfunk, elektronische Ausgaben von Zeitungen, Zeitschriften oder Büchern uä, sowie sämtliche offline, dh über physische Datenträger (Printmedien, CDs, Platten, DVDs, Kino) verbreiteten Medieninhalte - erfolgt hingegen primär im Rahmen der einzelnen mitgliedstaatlichen Medienordnungssysteme: auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene werden sie lediglich aus einem ökonomischen Blickwinkel erfasst, dh im Wesentlichen bloß den allgemeinen (horizontalen) Vorschriften zur Verwirklichung des Binnenmarktes (Grundfreiheiten und Wettbewerbsrecht)58
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Wie das derzeit noch der Fall ist. Zur derzeitigen Regelungsstruktur des Medienrechts vgl. oben Pkt I.B.1. So soll es in Zukunft betreffend die regulatorische Behandlung der einzelnen Mediendienste nicht mehr darauf ankommen, ob zB Rundfunkprogramme etwa im Internet oder im sog „Broadcast-Bereich“ übertragen werden. Dh, die der Übertragung zugrunde liegende Kommunikationsplattform soll kein Abgrenzungskriterium mehr sein. So die derzeitige Diktion für die Begriffsbestimmung der audiovisuellen Mediendienste im Vorschlang für die neue RL (vgl. FN 13), wo es in Art 1 lit a konkret heißt: „[…] zur Information, Unterhaltung oder Bildung der allgemeinen Öffentlichkeit.“ Der Vorschlag für eine RL über audiovisuelle Mediendienste etwa bezieht sich nur auf wirtschaftliche Tätigkeiten, das Mediengesetz hingegen gilt allgemein sowohl für wirtschaftliche als auch für nicht-wirtschaftliche Mediendienste, unterwirft diese dann aber unterschiedlich strengen Regelungen, wie bspw einem beschränkten Gegendarstellungsrecht im Hinblick auf „persönliche Homepages“ gemäß §21 MedienG. Siehe dazu noch näher unten Pkt IV. Siehe FN 44. Dazu noch näher unten Pkt II.C.
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sowie punktuellen sekundärrechtlichen Harmonisierungsmaßnahmen mit dieser Zielsetzung unterworfen.59 Für den Bereich der audiovisuellen Mediendienste wiederum ist geplant, Abgrenzungskriterien einzuführen, die auf die Auswahl- und Steuerungsmöglichkeiten der Nutzer und damit letztlich auf das Einflusspotential der Dienste auf die Nutzer abstellen. Sie sollen unterschieden werden in lineare Dienste das sind nach Sendeplan übertragene, also zeitlich festgelegte, audiovisuelle Programme, die dem Rezipienten nicht die Wahl überlassen, wann er eine Sendung konsumiert60 - und nicht-lineare Dienste (Abrufdienste, die es dem Rezipienten freistellen, zu welchem Zeitpunkt er den audiovisuellen Dienst konsumiert, zB Video-On-Demand). Letztere sollen einem weniger strengen Regulierungsregime unterworfen werden.61
II. Europäisches Medienrecht - gemeinschaftsrechtliche Grundlagen und Rahmenbedingungen A. Entwicklung und derzeitige Struktur einer europäischen Medienrechtsordnung Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Kabel- und Satellitentechnik und der Einführung digitaler Technologien, die zum einen grenzüberschreitenden Rundfunk, zum anderen die Öffnung der Fernsehmärkte in den Mitgliedstaaten ermöglicht haben, sind Anfang der achtziger Jahre die ersten medienpolitischen Maßnahmen auf EU-Ebene gesetzt worden.62 Diese bezogen sich zunächst allein auf den audiovisuellen Bereich - Fernsehen und Film/Kino - der auch heute noch im Zentrum der europäischen Medienpolitik steht. Kernstück des europäischen Medienrechts bildet bislang die 1989 erlassene und 1997 zuletzt revidierte Fernsehrichtlinie,63 die gewisse Mindeststandards (insb Sendestaatprinzip, Quotenregelung, Werbebegrenzungen, Jugendschutz) für die Erbringung von Fernsehsendungen definiert.64 Diese medienspezifische regulatorische Maßnahme wird ergänzt durch eine Reihe medienspezifischer EUFördermaßnahmen, die bis vor kurzem ebenfalls den audiovisuellen Sektor im primären Blickfeld hatten. Zu nennen ist hier insb das Programm MEDIA.65 Mit der Einführung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und damit verbunden der Entwicklung der Informationsgesellschaft hat 59 60 61 62
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ZB die E-Commerce-Richtlinie; dazu noch näher unter Pkt II.D.2. Darunter fallen va die herkömmlichen Fernsehsendungen, Near-Video-On-Demand, oder Webübertragungen (webcasting). Im Einzelnen vgl. Pkt II.D.1. Zu den Anfängen siehe Goldberg/Prosser/Verhulst, EC media law and policy, 1998, 8 ff; insb in Bezug auf die Rundfunkmärkte: Roßnagel/Strothmann, Die duale Rundfunkordnung in Europa, Schriftenreihe der RTR-GmbH, 30 ff. FN 12. Dazu im Einzelnen noch unten Pkt II.D.1. In seiner jeweiligen Fassung MEDIA, MEDIA II, MEDIA plus, MEDIA 2007, vgl. http://ec.europa.eu/comm/avpolicy/media/index_en.html. Näher zu den verschiedenen medienspezifischen Fördermaßnahmen siehe unten Pkt VII.A.
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die EG seit etwa Mitte der neunziger Jahre ihre Aktivitäten im Medienbereich auf die elektronischen Medien (den sog eContent) allgemein ausgedehnt und deutlich ausgebaut.66 Das Internet und eContent steht nunmehr im Fokus der diversen Förderprogramme67 der EU für den Mediensektor und auch die auf diesen Wirtschaftszweig bezogenen in den letzten Jahren verabschiedeten Sekundärrechtsakte haben allgemein den eContent und nicht bloß Fernsehen und Film in ihrem Blick. Es ist ein gemeinsamer Rechtsrahmen für die zur Verbreitung der elektronischen Medien erforderlichen Kommunikationsinfrastrukturen erlassen worden.68 Weiters ist durch die Verabschiedung der E-CommerceRL69 2001 ein koordinierter Rahmen für sämtliche elektronischen, individuell abrufbaren Informationsdienste geschaffen worden, wodurch neben den durch die FernsehRL derzeit erfassten traditionellen Fernsehsendungen auch die elektronischen individuell abrufbaren Mediendienste sektorspezifischen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben unterworfen worden sind. Schließlich hat die EG für den eContentbereich auch die immaterialgüterrechtlichen Schutzsysteme70 deutlich ausgebaut. Die wesentlichen Sekundärrechtsakte in diesem Bereich sind die InfoRL,71 die DatenbankRL,72 die Satelliten- und KabelRL,73 die FolgerechtsRL,74 die EnforcementRL,75 sowie die Vermiet- und die VerleihRL.76 Außerdem bilden angesichts der typisch grenzüberschreitenden Tätigkeiten in diesem Wirtschaftssektor (insb dem eContentbereich) die Funktionsgarantien des Binnenmarktes - die Grundfreiheiten und die Wettbewerbsregeln einen wesentlichen Bestandteil der europäischen Medienrechtsordnung. Die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der allgemeinen Wettbewerbsregeln und der Grundfreiheiten auf den Mediensektor (bzw zu den möglichen
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Begründend: Aktionsplan Europa auf dem Weg in die Informationsgesellschaft, 1994. Aktuell: Public Consultation on Content Online in the Single Market, IP/06/1071; European Charter for Film Online, IP/06/672 (http://ec.europa.eu/ comm/avpolicy/docs/other_actions/film_online_de.pdf). Holoubek/Damjanovic, The ‘System’ of European Content Regulation, in: Holoubek/Damjanovic/Traimer (Hrsg) (FN 23), 226f. Dieser Rechtsrahmen bezog sich in seiner ersten Phase zunächst nur auf die Telekommunikationsinfrastrukturen im engeren Sinn, wurde allerdings 2002 grundlegend überarbeitet und technologieneutral ausgestaltet, sodass er nunmehr sämtliche elektronischen Kommunikationsinfrastrukturen und -dienste, insb auch jene die Medieninhalte übermitteln können (PC Breitbandplattform, digitale TV-Plattform, mobile Plattform und die traditionellen analogen Rundfunkdistributionssysteme) erfasst. Für einen Überblick siehe http://europa.eu.int/information_society/policy/ecomm/index_en.htm und Holoubek/Damjanovic (FN 31). RL 2001/31/EG, Abl 2000 L 178/1. Für die Medienmärkte sind in erster Linie das Urheberrecht und die Leistungsschutzrechte von Relevanz. RL 2001/29/EG, Abl 2001 L 167/10. RL 96/09/EG, Abl 1996 L 77/20. RL 93/83/EWG, Abl 1993 L 248/15. RL 2001/84/EG, Abl 2001 L 272/32 RL 2004/48/EG, Abl 2004 L 195/16. RL 92/100/EWG, Abl 1992 L 346/61.
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Regelungsziele
Regelungsbereiche
„Rechtfertigungsgründen“ für mitgliedstaatliche Ausnahmen und Beschränkungen) ist umfangreich.77 Die europäische Medienrechtsordnung stellt damit ein Netzwerk von verschiedenen Regelungssystemen dar, in welchem unterschiedliche Politik- und Regelungsbereiche ineinander greifen. Diese haben den Mediensektor dabei entweder im primären Fokus ihrer Politikgestaltung oder stellen in ihrer Funktion als horizontale Maßnahmen auch für den Mediensektor adäquate und taugliche Rahmenbedingungen zur Verfügung. Die einzelnen Regelungsbereiche machen dabei jeweils unterschiedliche Sachprobleme der Medienmärkte zum Gegenstand ihrer Regulierung.78 Kategorisch zusammengefasst verfolgen sie die zwei folgenden grundlegenden Zielsetzungen: a) die Sicherstellung funktionierender Marktstrukturen und b) die Durchsetzung bestimmter kultur-, demokratie- und sozialpolitischer Anliegen auf diesen Märkten.79 Grafisch lässt sich das Netzwerk der europäischen Medienrechtsordnung wie folgt darstellen:
Vorgaben aus dem EGV [insb Kulturkompetenztatbestand, Grundfreiheiten]
Sektorspezifische Marktregulierung allgemeine Wettbewerbsregeln
Förderprogramme Steuerrecht
Immaterialgüterrecht
Contentebene
Infrastrukturebene
sonstige inhaltliche Contentregulierung
Sicherung funktionierender Marktstrukturen
Durchsetzung bestimmter sozial- & kulturpolitischer Anliegen
Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerb
Direkte Unterstützung der Produktion & Verbreitung von Content
Erhaltung des Binnenmarktes
Schaffung der Grundlagen für die Etablierung eines funktionierenden Contentmarktes
Sicherstellung von Drittschutzinteressen [„Verbraucherschutz iwS“]
Basisversorgung der Bevölkerung mit Content & Infrastrukturen
Abb. 2: Das Netzwerk europäischer Contentregulierung
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78 79
Vgl. etwa Rs C-288/89, Mediawet I, Slg 1991, I-4001; Rs C-353/89, Mediawet II, Slg 1991, I-4069; Rs C-148/91, Veronica, Slg 1993, I-486; Rs C-23/93, TV 10, Slg 1994, I-4795; Rs C-6/98, Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rundfunkanstalten (ARD), Slg 1999, I-7599; Rs C-262/02, Kommission vs Frankreich, Slg 2004, I-6569; Rs C429/02, Bacardi France, Slg 2004, I-6613. Zu diesen Problemen gehören zB Piraterie, Fragen des Daten- und Jugendschutzes, usw. Zu alledem ausführlich Holoubek/Damjanovic (FN 67), 215 ff.
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Holoubek/Damjanovic/Ribarov
B. Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Medienrechts Die primärrechtliche Kompetenzverteilung belässt die Medienpolitik als Teilbereich der Kulturpolitik grundsätzlich in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Art 151 EGV sieht hier nur eine spezifische und begrenzte „Ergänzungskompetenz“ der Gemeinschaft, insbesondere zur Förderung spezifischer kulturelle Ziele des EG-Vetrages, jedoch explizit unter Ausschluss einer Zuständigkeit zur Rechtsvereinheitlichung, vor. Aufgabe der Union ist es demnach nicht, eine europäische Einheitskultur zu schaffen, sondern lediglich einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten zu leisten.80 Die Massenmedien sind aber nicht bloß Kulturgut; sie stellen insbesondere auch ein bedeutendes Wirtschaftsgut dar und werden in ständiger Rechtsprechung des EuGH81 entweder als Waren oder Dienstleistungen im Sinne der Waren- bzw der Dienstleistungsverkehrsfreiheit qualifiziert.82 Damit geht die Anwendung der Grundfreiheiten auf den Mediensektor einher,83 die als Querschnittskompetenzen84 in einem bereits weitreichenden Ausmaß der EG als Basis zur Erlassung einer Vielzahl von Sekundärrechtsakten im Medienbereich gedient haben.85 Konsequenz dieser im EG-Vertrag ausdrücklich verankerten Einschränkung der Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft auf rein ökonomische Aspekte der Massenmedien ist die Entwicklung einer europäischen Medienrechtsordnung, die schwergewichtig ein ökonomisches Marktmodell verfolgt, und kultur-, demokratie- und sozialpolitische Ziele bloß als externe Gestaltungsziele begreift, die weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen sind. Unter globalisierten Wettbewerbsbedingungen laufen die mitgliedstaatlichen medien- und kulturpolitischen Einzelregelungen aber Gefahr, nicht effektiv wirken zu können, insbesondere auch gegenüber dem ökonomischen Regulierungsansatz der EG.86
C. Primärrechtliche Regelungen 1. Die Grundfreiheiten, insbesondere Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit Die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten der EG auf den Mediensektor - in erster Linie relevant sind die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit 80 81 82 83 84
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Fechner, Medienrecht7, 2006, Rz 547; Blanke, in: Caliess/Ruffert, Kommentar zum EUV/EGV3, 2006, Art 151 EGV. Vgl. zB EuGH Rs C-412/93, Leclerc-Siplec, Slg 1995, I-179. Siehe dazu Seifert (FN 26), 26. Dazu noch im Einzelnen unten Pkt II.C.1. Der EG kommt auf Grundlage der Grundfreiheiten iVm den allgemeinen Rechtsangleichungskompetenzen in Art 94 und 95 EGV die Befugnis zu, im Medienbereich all jene Maßnahmen zur Rechtsangleichung zu setzen, die für das Funktionieren des gemeinsamen Marktes erforderlich sind. Für einen Überblick siehe oben Pkt II.A. Holoubek/ Damjanovic, Basic Principles and Structural Elements of European Content Regulation, in Holoubek/Damjanovic/Traimer (Hrsg) (FN 23), 240ff.
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ergibt sich aus der nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH erfolgten Einordnung der in körperlicher Form vorliegenden Medien - der Bücher, Schallplatten, Zeitungen und Zeitschriften - als Waren iSd Art 28 EGV und der unkörperlichen Massenmedien, insbesondere der audiovisuellen elektronischen Medien (inkl Rundfunk) als Dienstleistungen iSd Art 49 EGV. Aber auch der Niederlassungsfreiheit kommt eine steigende Bedeutung zu, etwa in den Fällen, in denen sich ausländische Rundfunkveranstalter um eine nationale (digitale) Lizenz bemühen und planen, eine Zweigniederlassung in dem betreffenden Mitgliedstaat zu gründen.87
Als allgemeine Beschränkungsverbote verbieten die Grundfreiheiten nicht nur mitgliedstaatliche Maßnahmen, die den Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker behindern, als dies für inländische Produkte oder Dienstleistungen der Fall ist (Diskriminierungsverbot), sondern darüber hinaus auch sämtliche die Medienwirtschaft einschränkende staatliche Maßnahmen, die für nationale Medienprodukte und -dienstleistungen gleichermaßen wie für ausländische gelten. Die Grundfreiheiten belassen den Mitgliedstaaten jedoch gewisse Spielräume für regulatorische Interventionen zur Verfolgung kultur-, demokratieund sozialpolitischer Zielsetzungen im Medienbereich und damit zur Ausgestaltung einer nationalen (auch diese außerökonomischen Zielsetzungen berücksichtigenden) Medienrechtsordnung. Voraussetzung dafür ist, entsprechend der vom EuGH ausgehend vom Cassis-de-Dijon Fall88 zur Rechtfertigung unterschiedsloser Beschränkungen entwickelten Judikatur, dass diese Interventionen nicht-diskriminierender Natur sind, im Allgemeininteresse gerechtfertigt, sowie geeignet und erforderlich (= verhältnismäßig ausgestaltet) zur Verwirklichung des verfolgten Ziels sind.89 Als derartige, mit den Grundfreiheiten vereinbare medienpolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten hat der EuGH bislang unterschiedslos ausgestaltete Regelungen zum Schutz der Kultur und der Erhaltung eines pluralistischen Medienwesens,90 zur Sicherung eines bestimmten Programmstandards91 und zum Schutz des Verbrauchers vor einem Übermaß an Werbung92 anerkannt. Dazu kommen in einem anderen Kontext vom EuGH entwickelte, für den Mediensektor aber ebenfalls relevante Rechtfertigungsgründe, wie der Schutz der Menschenwürde, die Lauterkeit des Handelsverkehrs oder der Verbraucherschutz im allgemeinen.93 87
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Hinsichtlich der grenzüberschreitenden Sitzverlegung von Gesellschaften sei nur auf einige wesentliche EuGH Fälle wie etwa EuGH, Rs C-212/97, Centros, Slg 1999, I1459, Rs C-208/00, Überseering, Slg 2002, I-9919 sowie Rs C-9/02, Lasteyrie du Saillant Slg 2004, I-2409 verwiesen. EuGH, Rs 120/78, Cassis de Dijon, Slg 1979, 649. Grundlegend EuGH Gebhard, Rs C 55/94, Slg 1995, I-4165, Rz 37. EuGH, Rs C-6/98, Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rundfunkanstalten (ARD), Slg 1999, I-7599; EuGH, Rs C-148/91, Veronica, Slg 1993, I-487. EuGH, Rs C-245/01, RTL, Slg 2003, I-12489; Vgl. Rs C-288/89, Mediawet I, Slg 1991, I-4001; Rs C-353/89, Mediawet II, Slg 1991, I-4069; Rs C-262/02, Kommission gg Frankreich, Slg 2004, I-6569; Vgl. etwa Rs C-36/02, Omega Spielhallen und Automatenaufstellungs-GmbH, Slg 2004, I-9709. Zudem kann der im Vertrag ausdrücklich genannte Rechtfertigungsgrund des Schutzes des nationalen Kulturguts von Bedeutung sein. Holoubek/ Damjanovic (FN 67), 220f.
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Medienpolitische Vorschriften mit diskriminierender Wirkung hat der EuGH bislang hingegen stets für unzulässig erklärt,94 wie zB gesetzliche Regelungen, die zum Schutz der kulturellen Vielfalt im Buchwesen Mindestpreise für Bücher festlegen und dabei den Import von Büchern oder den Absatz reimportierter Bücher besonders erschweren,95 ebenso wie eine nationale Regelung, die bei der Vergabe einer Rundfunklizenz auf den Sitz der Gesellschaften abstellt96 oder nationale Werberegelungen, die ausländische Sender zur Gänze daran hindern Werbesendungen auszustrahlen.97
2. Das europäische Wettbewerbsrecht a) Zur Funktion der Wettbewerbsregelungen und den relevanten Märkten im Mediensektor Die europäischen Wettbewerbsregelungen sind als horizontale Maßnahmen auf den Mediensektor ebenso anwendbar wie auf jeden anderen Wirtschaftszweig auch.98 Sie dienen der Verwirklichung einer offenen Marktwirtschaft mit fairem Wettbewerb, dh der Sicherstellung funktionierender Marktstrukturen im Bereich der Massenmedien. Angesichts des hohen wirtschaftlichen Potenzials, das von diesem Sektor in Europa erwartet wird, kommt ihnen ein besonderer Stellenwert innerhalb der europäischen Medienpolitik zu.99 Während das Kartellverbot des Art 81 EGV, die Zusammenschlusskontrolle aufgrund der FusionskontrollVO und das Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer 94
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Weil diskriminierende staatliche Maßnahmen nur unter den engen Voraussetzungen der im EGV (Art 30 bzw. Art 46 iVm 55 EGV) ausdrücklich aufgezählten Schutzgüter (öffentliche Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, Schutz des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert sowie Schutz des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums) zulässig sind. Die medienpolitischen Erwägungen lassen sich unter diese idR nicht subsumieren. Siehe EuGH, Rs 229/83, Leclerc, Slg 1985, 1; Trotz dieser Rspr-Linie des EuGH wird die Buchpreisbindung de facto geduldet (Entschließung des Rates über die Festsetzung der Buchpreise, veröffentlicht im Abl 2001 C 73/5). Dazu noch näher unten Pkt II.C.2.b).1. EuGH, C-211/91, Belgien/Kommission, Slg 1992, I-6757, Rz 1. Ebenso wäre eine Regelung zu beurteilen, nach der sich das Kapital von Rundfunkveranstaltern mehrheitlich in der Hand eigener Staatsangehöriger befinden muss. Vgl. Roßnagel/ Strothmann (FN 62), 55. Nach § 10 PrTV-G müssen Rundfunkveranstalter oder ihre Mitglieder österreichische Staatsbürger bzw juristische Personen oder Personengesellschaften des Handelsrechts mit Sitz im Inland bzw im EWR-Raum sein (vgl. auch § 7 PrR-G). EuGH Rs 352/85, Bond van Adverteerders, Slg 1988, 2085. Bei der Bewertung des diskriminierenden Charakters der Regelung ist nicht die Lage der niederländischen Fernsehveranstalter, die selbst auch keine Werbung senden durften, mit der der ausländischen Sender zu vergleichen, sondern auf die Gesamtlage des niederländischen Rundfunks im Vergleich zu der Situation der ausländischen Sender abzustellen. Roßnagel/Strothmann (FN 62), 66. Abgesehen von Art 21 Abs 3 FusionskontrollVO (dazu noch näher unten Pkt V.B) bestehen keine Sonderregeln für die Medien im Bereich des europäischen Wettbewerbsrechts. Die Rechtsprechung des EuGH und die Entscheidungen der Kommission in diesem Bereich bilden einen wesentlichen Bestandteil der europäischen Medienrechtsordnung.
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marktbeherrschenden Stellung dabei an die Unternehmen100 und Unternehmensvereinigungen gerichtet sind und damit vor Verfälschungen des Wettbewerbs durch die Marktteilnehmer schützen sollen, gewährleisten die europäische Beihilfenkontrolle gemäß 87 EGV und die auf die öffentlichen Unternehmen bezogene besondere Rechtsvorschrift des Art 86 EGV die Absicherung eines unverfälschten Wettbewerbs direkt vor mitgliedstaatlichen Interventionen.
Der Anwendung der Wettbewerbsbestimmungen geht die Abgrenzung des relevanten Marktes in seiner sachlichen und räumlichen Dimension voran, dh die Definition desjenigen Marktes, auf dem die Wettbewerbswirkungen des Verhaltens der Unternehmen/Unternehmensvereinigungen bzw im Fall von Art 86 und 87 EGV der Mitgliedstaaten zu beurteilen sind. Angesichts der durch die technologischen Innovationen ausgelösten enormen Dynamik und Entwicklung des Mediensektors ist die Marktdefinition in diesem Bereich besonders komplex. Sie ist notwendigerweise einzelfallbezogen und besitzt in einem nur engen zeitlichen Rahmen Aussagekraft.101 In einem groben Überblick zeigt sich folgendes Bild: Grundsätzlich wird in sachlicher Hinsicht in Produktion bzw Erwerb von Medieninhalten („upstream“) und Vertrieb an die Endkunden („downstream“) unterschieden, wobei diese beiden Ebenen sich gegenseitig auf vielfältige Weise beeinflussen.102 Auf Produktionsebene unterscheidet die Europäische Kommission weiters nach den Medieninhalten bzw der Natur der an diesen jeweils erworbenen Rechten. So definiert sie beispielsweise einen eigenen Markt für Erwerb und Weiterverkauf von Fußballübertragungsrechten betreffend der jährlich abgehaltenen Veranstaltungen,103 oder unterscheidet zwischen einem Markt für die Übertragung von „feature“-Filmen gegenüber für das Fernsehen produzierten Programmen.104 Auf der Vertriebsebene trifft die europäische Kommission eine wichtige Unterscheidung zwischen dem Endkundenmarkt für „Pay-TV“ und dem so genannten „Free-TV-Markt“.105 Weitere Unterscheidungen beziehen sich auf die verschiedenen technischen Arten der Verbreitung. So wird etwa zwischen den traditionellen TVDistributionssystemen (Kabel, Satellit, Terrestrik) und den neuen Medienplatt100
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Der Begriff des Unternehmens muss, um die einheitlich Anwendung der Vorschriften zu gewährleisten, ein gemeinschaftsrechtlicher sein, der auf das Vorhandensein einer Persönlichkeit abstellt, welcher Sachen und Rechte als selbständigem Rechtssubjekt zugerechnet werden können und die wirtschaftlich tätig ist, wobei Gewinnerzielungsabsicht nicht erforderlich ist. Streinz, Europarecht7, 2005, Rz 987. Thyri, The Content Industry and General Competition Law, in: Holoubek/ Damjanovic/Traimer (Hrsg) (FN 23), 64. Vgl. ebd. KOM, Comp/M.2483, Canal+/RTL/GJCD/JV, Abl 2005 C 130/9, Pressemitteilung der Kommission vom 12.11.2001, IP/01/1579. KOM, IV/M.2050, Vivendi/Canal+/Seagram, Abl 2000 C 311/3; dazu die Pressemitteilung der Kommission vom 13.10.2000, IP/00/1162. Roßnagel/Strothmann (FN 62), 85: dabei meint der Begriff „Free-TV-Markt“ den Markt, in dem die Veranstalter von frei empfangbaren Fernsehen um Werbeeinnahmen konkurrieren, so dass der Markt präziser als Markt für Werbeeinnahmen im frei empfangbaren Fernsehen bezeichnet werden könnte. Siehe bspw KOM, IV/M.779 Bertelsmann/CLT, Rn. 14; KOM, IV/M.1958 Bertelsmann/GBL/Pearson TV, Rn. 10.
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formen (insb 3G-Mobiltelefone) unterschieden.106 Für den Bereich des Musikvertriebs zeichnet sich für die Zukunft eine Differenzierung nach den Kontrollmöglichkeiten der Verwertungsgesellschaften hinsichtlich der Verwendung der Urheberrechte durch unterschiedliche Kategorien von Abnehmern ab.107 In räumlicher Hinsicht werden aufgrund sprachlicher und kultureller Unterschiede zumeist nationale bzw sprachlich hinreichend homogene Märkte definiert. Für den Bereich des online-Musikvertriebs zeichnet sich durch die Auflösung der nationalen Gebietsmonopole der Verwertungsgesellschaften erstmals eine grenzüberschreitende Marktdefinition ab.108 b) Kartellverbot, Missbrauchsaufsicht und Zusammenschlusskontrolle aa) Das Kartellverbot Art 81 EGV statuiert ein Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen. Dieses betrifft alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Im Mediensektor können insbesondere die in der Praxis gängigen Exklusivvereinbarungen beim Erwerb von Übertragungsrechten an Medieninhalten derartige negative Wettbewerbswirkungen entfalten. Sie kommen va bei Sportinhalten und sonstigen so genannten „Premiuminhalten“ - Inhalte von besonders hohem Marktwert (zB bestimmte Spielfilme) - vor. Meist treten sie mit angebotsseitiger oder nachfrageseitiger Unternehmenszusammenarbeit zur gemeinsamen Vermarktung oder zum gemeinsamen Einkauf109 der Rechte auf. Die gemeinsame Vermarktung der UEFA Champions League,110 die kollektive Rechteverwertung der Verwertungsgesellschaften111 oder die derzeit besonders aktuelle plattformübergreifende Bündelung (cross-platfom bundeling) bei Sportinhalten112 sind Beispiele für erstere, der gemeinsame Einkauf von Sport-
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Siehe Europäische Kommission, Concluding report on the Sector Inquiry into the provision of sports content over third generation mobile networks, , 7 July 2006, Rz 14 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/others/sector _inquiries/new_media/3g/final_report. pdf). Siehe die Fälle Kom, 2003/300/EG, IFPI „Simulcasting“, Abl 2003 L 107/58; COMP/C2/38.126, Santiago Agreement, Abl 2001 C 145/2; COMP/C2/38.377, Barcelona Agreement, Abl 2002 C 132/18; siehe auch Capobianco, Licensing of Music Rights: Media Convergence, Technological Developments and EUCompetition Law, EIPR, 2004, 120. Thyri (FN 101). ZB im Fall KOM, 2000/400/EG, Eurovision, Abl 2000 L 151/18., KOM, 2003/778/EG, UEFA Champions League, Abl 2003 L 291/25. Nemetz/Neubauer/Wiebe (FN 23), 156. Thyri (FN 101) 68. Plattformübergreifende Bündelung meint, dass Rechte zur Übertragung an verschiedensten Plattformen (digitale Terrestrik, Satellit, UMTS usw…) bestehen. Eine solche kann eine Marktzutrittsschranke darstellen, weil sie zB Anbieter von Mobildiensten am Erwerb verwertungsfähiger Rechte hindert. Europäische Kommission (FN 106), Rz 32 ff.
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fernseh- und anderen Programmrechten durch die European Broadcasting Union (EBU)113 ein Beispiel für zweitere. Viele dieser Praktiken führen zu erheblichen Marktzutrittsschranken für neue Wettbewerber und damit zu Hindernissen beim Entstehen neuen Produktwettbewerbs. Sie sind daher in der Regel an Art 81 EGV zu messen. Bei der Beurteilung ihrer Konformität mit dem Gemeinschaftsrecht sind Länge und Reichweite der untersuchten Vereinbarung sowie die durch die Zusammenarbeit erreichten Vorteile, wie insbesondere die Amortisation getätigter oder zukünftig notwendiger Investitionen und damit eine effiziente Produkteverwertung, die letztlich auch an den Endverbraucher weitergegeben wird, die zentralen Faktoren.114 Grenzüberschreitende Vereinbarungen zwischen deutschen und österreichischen Verlegern und Importeuren zur Buchpreisbindung wurden von der Kommission als unvereinbar mit dem gemeinschaftsrechtlichen Kartellverbot (Art 81 EGV) angesehen und waren bis zum 30. Juni 2000 außer Kraft zu setzen.115 Wie im Bereich der Warenverkehrsfreiheit116 stand auch hier die Frage im Mittelpunkt, ob das Buch ein Wirtschaftsgut wie jedes andere ist, oder ob die besondere kulturelle Bedeutung des Buchs die Buchpreisbindung zu rechtfertigen vermag. Als Folge wurde im Jahr 2000 in Österreich das Bundesgesetz über die Preisbindung bei Büchern erlassen,117 das österreichische Verleger oder Importeure verpflichtet, Letztverkaufspreise für Bücher festzusetzen, an welche die Buchhändler (mit gewissen Ausnahmen118) gebunden sind. Gleichzeitig sind auch die Importeure an die von den Verlegern des jeweiligen Verlagsstaates (zB Deutschland) festgesetzten oder empfohlenen Letztver113
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Die European Broadcasting Union („EBU“) ist eine Non-Profit-Organisation, die 1950 von verschiedenen Radio- und Fernsehorganisationen gegründet wurde. Sie verhandelt ua über die Ausstrahlungsrechte für große Sportevents, betreibt das Eurovisionsnetzwerk, versorgt seine Mitglieder mit verschiedenen Serviceleistungen und repräsentiert die Interessen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gegenüber den Einrichtungen der EU (http://www.ebu.ch/). So hat die Kommission zB die Zusammenarbeit zwischen den Verwertungsgesellschaften und die Einführung einer Globallizenz als nicht nachteilig eingestuft, weil diese Vereinbarung auch Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften geschaffen hat (KOM 2003/300/EG, IFPI „Simulcasting“, Abl 2003 L 107/58); ebenso die gemeinsame Vermarktung durch die UEFA, weil hier der Verbraucher in den Genuss eines zentral vertriebenen Medienangebots kommt, das andernfalls nicht mit der gleichen Effizienz produziert und vertrieben werden könnte. Vgl. die Begründung zum Initiativantrag 126/A XXI.GP (Bundesgesetz über die Preisbindung bei Büchern, BGBl. I Nr. 45/2000 idF BGBl. I Nr. 113/2004 ). Im Fall Leclerc (FN 95) hat der EuGH eine im französischen Recht festgelegte nationale Maßnahmen der Preisbindung von Büchern unter den Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung nach Art 28 EG subsumiert. Die Regelung sei geeignet, den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern. Den Einwand der französischen Regierung, die französische Buchpreisregelung diene zwingenden Erfordernissen des Verbraucherschutzes ließ der EuGH nicht gelten. Denn Art 30 EG sei eng auszulegen und nenne weder den Verbraucherschutz noch den Schutz der Kreativität und kulturellen Vielfalt im Buchwesen. Vgl. FN 115. So ist zB gemäß § 6 Z 2 ein Abweichen von maximal 20 % des Letztverkaufspreises möglich beim Verkauf von Büchern eines an einer Universität Vortragenden gegen Vorlage eines Hörerscheins.
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kaufspreis gebunden. Da das Gesetz selbst keine grenzüberschreitenden Sachverhalte regelt und weder eine Ein- noch eine Ausfuhrbeschränkung enthält, wird es auch im Hinblick auf die Warenverkehrsfreiheit als gemeinschaftsrechtskonform angesehen.119 Es erfasst sämtliche Vertriebsformen, mit Ausnahme des elektronischen Handels, für welchen die E-Commerce-RL eine Preisbindung nicht erlaubt.120 bb) Zusammenschlusskontrolle Angesichts zunehmender Konzentrationstendenzen im Mediensektor (insbesondere im elektronischen Bereich)121 kommt der gemeinschaftsrechtlichen Zusammenschlusskontrolle auf Basis der Fusionskontrollverordnung,122 die ex ante die Behinderung wirksamen Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt verhindern soll,123 heute eine zentrale Rolle bei der Regulierung der europäischen Medienindustrie zu. Auf ihrer Grundlage hat die europäische Kommission bereits eine Reihe von Unternehmenszusammenschlüssen im Medienbereich untersagt, insbesondere solche, die zum Entstehen vertikal integrierter, dh auf mehreren Wertschöpfungsstufen tätiger Unternehmen geführt hätten. Das Verbot der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zwischen Bertelsmann, der deutschen Telekom und Taurus (Kirch),124 welches verschiedenste Dienstleistungen für Pay-TV und andere entgeltfinanzierte Kommunikationsdienste (Video On Demand, Tele-Shopping, Tele-Banking, Bereitstellung von Decodern, Abwicklung der Zugangskontrolle, Abonnentenverwaltung etc) erbringen sollte, oder das Verbot der geplanten Teilnahme des marktbeherrschenden niederländischen Programmproduzenten Endemol an HMG, einem Gemeinschaftsunternehmen zum Zwecke der gemeinsamen 119
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Wesentlich für die Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht ist auch § 3 Abs 1, wonach der Importeur von Büchern aus Handelsvorteilen erzielte Preisvorteile an die Endverbraucher weitergeben kann. Vgl. Wilhelm, ecolex 2000, 848 ff. Vgl. Holoubek/Kassai/Traimer, Grundzüge des Rechts der Massenmedien3, 2006, 21. Vgl. Grünbuch zur Konvergenz der Branchen Telekommunikation, Medien und Informationstechnologie und ihren ordnungspolitischen Auswirkungen, KOM(97) 623 endg. (nicht im Amtsblatt veröffentlicht). Für aktuelle Daten dazu siehe Europäische Audiovisuelle Informationsstelle, Film, Fernsehen, Video und Multimedia in Europa, Jahrbuch 2005. Verordnung 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammen-schlüssen, Abl 2004 L 24/1 (FKVO). Die FKVO verpflichtet zur Anmeldung aller Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung bei der Kommission (Art 4). Daran anknüpfend haben sich die betreffenden Unternehmen an ein Vollzugsverbot (Art 7) zu halten, solange die Vereinbarkeit mit dem gemeinsamen Markt nicht festgestellt wurde, außer der Zusammenschluss fällt unter einen der Ausnahmetatbestände des Art 7 Abs 3 und 4. Sie ermächtigt die europäische Kommission Unternehmenszusammenschlüsse, die eine beherrschende Stellung begründen oder verstärken, durch die wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde, zu untersagen. Entscheidung der Kommission 94/922/EG, MSG Media Service, Abl 1994 L 364/1; in anderen Fällen beurteilte die Kommission Zusammenschlüsse zwischen Fernsehsendern und Anbietern technischer Dienstleistungen hingegen als wettbewerbsbelebend und damit positiv (zB Kirch/Mediaset, Abl 1999 C 255/3 und Bsky/ KirchPayTV, Abl 2000 C 110/45 - Entscheidungstext jeweils nicht im Abl veröffentlicht).
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Erstellung und dem Vertrieb von Fernseh- und Radioprogrammen,125 können hier als Beispiele angeführt werden.
Aber nicht nur die vor- und nachgelagerten Märkte, sondern auch benachbarte oder eng mit dem Markt des Gemeinschaftsunternehmens verbundene Märkte sind bei der Zusammenschlusskontrolle im Medienbereich, insb im Zusammenhang mit den Märkten des digitalen Fernsehens, zu berücksichtigen (sog konglomerate Zusammenschlüsse). Bei horizontalen Zusammenschlüssen zwischen Unternehmen derselben Marktstufe hat die Kommission im Medienbereich die Gefahr des Entstehens einer marktbeherrschenden Stellung hingegen eher verneint und sie daher genehmigt.126 cc) Missbrauchsaufsicht Art 82 EGV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung, soweit sie von gemeinschaftsweiter Bedeutung ist. Einen Spezialfall eines solchen Missbrauchs bildet die Verweigerung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung.127 Darunter sind Güter oder Dienstleistungen zu verstehen, die wesentlich für den Zugang zu nachgelagerten Märkten sind. Im Mediensektor können etwa Rechte an Inhalten, dh Lizenzen (Urheberrechte) an Medienprodukten solche wesentlichen Einrichtungen sein, weshalb Exklusivvereinbarungen neben Art 81 EGV auch an Art 82 EGV zu prüfen sind.128 Darüber hinaus ist für die Frage des Zugangs zu bestimmten Inhalten der besondere Regelungsrahmen für die Kurzberichterstattung der sog Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung von Relevanz.129
Im elektronischen Bereich stellen in der Regel auch die für die Übermittlung von Inhalten notwendigen Kommunikationsinfrastrukturen130 Engpässe für die meisten Marktteilnehmer dar. Insbesondere die zur Übermittlung von 125 126
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Entscheidung der Kommission 96/649/EG, RTL/Veronica/Endemol, Abl 1996 L 294/14. Die Entscheidung der Kommission zur Fusion zwischen Sony/BMG, M.3333 (IP 04/200), siehe dazu auch Thyri (FN 101) 71, wurde jedoch durch das EuG (CJE/06/60) aufgehoben. Die Kommission prüft den Fall daher erneut; Abl 2007 C 29/12. Vgl. auch ihre Bedenken im Fall EMI/Time Warner (vgl. Pressemitteilung der Kommission IP/00/1122 vom 5.10.2000, „EMI and Time Warner withdraw their notification to the Commission“) oder die Untersagung des Zusammenschlusses Newscorp/Telepiu (KOM 2004/311/EG, Newscorp/Telepiu, Abl 2004 L 110/73). Entsprechend der „essential facilities Doktrin“, die versucht den Wettbewerb zu sichern, indem der Eigentümer sogenannter „essential facilities“ unter bestimmten Voraussetzungen gezwungen wird, seinen Konkurrenten Nutzungsrechte für ebendiese einzuräumen. Vgl. dazu Eilmansberger, The Essential Facilities Doctrine under Art 82, KCLJ, 2005, 329. Eine im Zusammenhang mit einer Exklusivvereinbarung stehende Lizenzverweigerung kann einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen. Überaus hohe Forderungen für die Erlaubnis zur Übertragung bestimmter Inhalte können auch in die Kategorien des Behinderungs- oder Ausbeutungsmissbrauch nach Art 82 EGV fallen. Zu alledem näher Thyri (FN 101) 69f sowie 76f; Heidinger, Kartellrechtliche Zwangslizenzen: Die Anwendung der Essential-Facilities-Doktrin auf Immaterialgüterrechte, MR 2006, 221. Dazu noch näher unten Pkt IV.D.1. Zu den unter den (tele)kommunikationsrechtlichen Rahmen fallenden Kommunikationsinfrastrukturen und -diensten siehe Holoubek/Damjanovic (FN 31).
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digitalem Fernsehen entwickelten Plattformen sind mit einer Reihe neuer Zugangsbarrieren für die Konkurrenten der Betreiber dieser Infrastrukturen131 typischerweise vertikal integrierte Unternehmen - verbunden. Für die mit diesen Zugangsbarrieren verbundenen Wettbewerbsprobleme gelten neben der allgemeinen Wettbewerbsvorschrift des Art 82 EGV auch die sektorspezifischen Zugangsregelungen auf Grundlage der Zugangsrichtlinie,132 eine der sechs Richtlinien des 2002 erneuerten gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmenpaktes für die europäischen Kommunikationsmärkte.133
Ein Hauszustellungssystem für den Vertrieb von Tageszeitungen stellt nach der Rechtsprechung des EuGH hingegen keine derartige wesentliche Einrichtung dar - die Verweigerung des Zugangs zu einem solchen für einen Mitbewerber somit auch keine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung.134
c) Das europäische Beihilfenrecht Finanzielle Fördermaßnahmen stellen sowohl auf gemeinschaftlicher als auch staatlicher Ebene ein wichtiges Steuerungsinstrument im Kultur- und Medienbereich dar. Dem gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbot des Art 87 EGV kommt daher in diesem Sektor eine spezielle Bedeutung zu. Diese spiegelt sich im Kulturtatbestand des Art 87 Abs 3 lit d EGV wieder. Als besonderer Ausnahmetatbestand vom europäischen Beihilferecht sieht er vor, dass „Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes als mit dem gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden können, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft.“ Art 87 Abs 3 lit d EGV kann als spezieller Ausdruck des Art 151 Abs 4 EGV angesehen werden, wonach die Gemeinschaft aufgerufen ist, bei ihrer Tätigkeit der Beihilfenkontrolle auf Grund anderer Bestimmungen des Vertrags den kulturellen Aspekten Rechnung zu tragen, insbesondere kulturelle Vielfalt zu wahren und zu fördern.
Für den Bereich der Filmförderung (Kinofilme und Fernsehproduktionen), für den diese Freistellungsmöglichkeit bislang hauptsächlich angewendet wurde, hat die Kommission in einer Mitteilung135 nähere Kriterien definiert, bei deren Vorliegen von einer nach Art 87 Abs 3 lit d EGV mit dem Gemeinsamen
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Bei diesen handelt es sich um die Programmbündelung als Verkaufs- und Verbreitungsplattform, das Zugangskontrollsystem, die Schnittstellen für Programmapplikationen, die Programmnavigatoren (elektronische Programmführer uä) und das Multiplexing. Vgl. Damjanovic (FN 27), 97 (mwN). Abl 2002 L 108/7. Zu diesem näher Holoubek/Damjanovic, FN 31. EuGH, Rs 97/7, Standard/Mediaprint, Slg 1998, I-7791. Das Kartellgerichte und der OGH folgten in ihren Entscheidungen dem Tenor des EuGH. Vgl. OGH 15.5.2000, 16 Ok 4/00. Mitteilung zu bestimmten Rechtsfragen im Zusammenhang mit Kinofilmen und anderen audiovisuellen Werken, Abl 2002 C 43/6. Die Kommission bringt darin zum Ausdruck, dass Beihilfen für Film- und Fernsehproduktionen in erster Linie als zur Entstehung von Trägern der nationalen Kultur betrachtet werden, und nicht zur Entwicklung eines Wirtschaftszweiges.
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Markt kompatiblen Beihilfe ausgegegangen werden kann (sog Kompatibilitätskriterien136).137 Hinsichtlich der Vereinbarkeit der staatlichen Finanzierungssysteme von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit dem europäischen Beihilfenrecht, bestehen derzeit hingegen noch eine Reihe von Unklarheiten.138 Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten gelten als öffentliche Unternehmen iSd Art 86 Abs 2 EGV,139 die besondere gemeinwohlorientierte Aufgaben wahrnehmen bzw in der Diktion des Art 86 Abs 2 EGV „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ erbringen. Konkret haben sie einen „öffentlichen Auftrag“ zu erfüllen.140 Nach dem einschlägigen sog Protokoll zum Amsterdamer Vertrag141 obliegt es grundsätzlich den Mitgliedstaaten, die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, konkreter seines öffentlichen Aufrags, festzulegen. Daraus wird insbesondere eine Definitionskompetenz der Mitgliedstaaten über Inhalt und Reichweite des öffentlichen Auftrags abgeleitet. Entsprechend der Rspr des EuGH zur Zulässigkeit der Gewährung von Ausgleichszahlungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse142 haben die Mitgliedstaaten dabei aber sicherzustellen, dass die öffentlichen Gelder (die idR durch die Einhebung von Rundfunkgebühren143 generiert werden) tatsächlich nur zur Erfüllung des öffentlichen Auftrags verwendet werden. Denn nur ein derart ausgestaltetes Finanzierungssystem kann gleichzeitig die Existenz eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks einerseits und eines funktionierenden privaten Rundfunksektors andererseits sicherstellen. Dazu ist erforderlich: - erstens, den öffentlichen Auftrag klar zu definieren und diesen den öffentlichen Rundfunkanstalten im Wege eines öffentlichen Rechtsaktes zu übertragen; - zweitens, die Kriterien, nach denen die Kosten für die Erbringung des öffentlichen Auftrags zu ermitteln sind, vorab in transparenter und objektiver Weise festzulegen; - drittens, diese Kriterien so auszugestalten, dass tatsächlich nur die für den öffentlichen Auftrag angefallenen Kosten, die auch einem vergleichbaren, in diesem Bereich tätigen durchschnittlich geführten Unternehmen anfallen würden, ersetzt wer136 137
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Näher zu diesen Kompatibilitätskriterien, Seifert (FN 26). So wurde zB der österreichische Fernsehfilmförderungsfonds (siehe unter VI.2.3) von der EK genehmigt: Schreiben vom 16.12.2003, C (2003) 4634 und 13.07.2005, K(2005) 2571, Staatliche Beihilfe Nr. N 77/2005. Sie stehen derzeit im Mittelpunkt der beihilferechtlichen Kontrolltätigkeit der EK im Medienbereich. Siehe die Vielzahl an Entscheidungen sowie anhängigen Verfahren der EK in diesem Bereich: N 37/2003 BBC Digital Curriculum - U.K.; E 3/2005 (ex CP 232/2002, CP 2/2003, CP 43/2003, CP 195/2004 und CP 243/2004) Finanzierung der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten - Deutschland; E 4/2005 (ex NN 99/99) RTÉ und TnaG (TG4) - Irland. Zur Beihilfenproblematik iVm mit der finanziellen Förderung der Digitalisierung vgl. Koenig/Haratsch, "Ring frei im DVB-T-Beihilfenstreit vor der Europäischen Kommission - Terrestrischer digitaler Rundfunk vor dem Aus?", ZUM 4/2005, 275. Grundlegend EuGH, Rs 155/73, Sacchi, Slg 1974, 409. Für den ORF gliedert sich dieser in einen Versorgungsauftrag (§ 3 ORF-G), einen Programmauftrag (§ 4 ORF-G) und besondere Aufträge (§ 5 ORF-G). Protokoll (Nr.32) über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten zum Vertrag von Amsterdam, Abl 1997 C 340/109. EuGH, Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747. Zur Frage, ob Gebühren als staatliche Zuwendungen iSd europäischen Beihilferechts gelten, ausführlich Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht der EU, 2003, 142ff.
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den. Wird ein öffentlicher Rundfunkveranstalter nicht nur im Rahmen seines öffentlichen Auftrags, sondern auch im kommerziellen Bereich tätig,144 folgen aus diesem Grundsatz die Verpflichtungen • zu getrennter Buchführung und • zu marktkonformem Verhalten - was insbesondere im Hinblick auf die Beziehung zu kommerziell tätigen Tochtergesellschaften Folgendes bedeutet: Erbringt der Rundfunkveranstalter die kommerzielle Tätigkeit durch eine Tochtergesellschaft, hat er den Grundsatz „at arm’s length“ zu beachten. Demnach dürfen zwischen dem Rundfunkveranstalter und seinen Tochtergesellschaften nur solche Preise verrechnet werden, die auch als Preise einer Transaktion zwischen unabhängigen Einheiten festehen könnten. Im Ergebnis bedeutet dies zweierlei: einmal müssen die Leistungsbeziehungen, insb die verrechneten Preise, einem Fremdvergleich standhalten („steuerlich“ würde man formulieren, sie müssen „fremdüblich“ sein) und somit marktüblich sein; zum Zweiten muss der Rundfunkveranstalter auch bereit sein, Vorteile, die er seinen Tochtergesellschaften gewährt, anderen Unternehmen zu gewähren (Gleichbehandlungsgebot, der Rundfunkveranstalter darf also seinen Tochtergesellschaften zB keine Bedingungen einräumen, die er anderen Unternehmen, die gleichartige Leistungen erbringen, verwehrt). Dadurch sollen Quersubventionen und sonstige Wettbewerbsverzerrungen im Rundfunksektor insgesamt vermieden werden.145 Während der EuGH derartige im „allgemeinen wirtschaftlichen Interesse“ erfolgte Ausgleichszahlungen als wettbewerbsrechtlich neutral und damit beihilfenrechtlich nicht tatbestandlich ansieht,146 subsumiert die Europäische Kommission sie grundsätzlich unter den Beihilfebegriff des Art 87 Abs 1 EGV und behandelt sie als zur Finanzierung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nach Art 86 Abs 2 EGV gerechtfertigte Beihilfen.147 Die praktische Konsequenz dieser zwei unterschiedlichen Ansätze liegt darin, dass nach dem Verständnis des EuGH bei solchen Ausgleichszahlungen der Kommission keine Kompetenz zur ex ante Prüfung zukommt, nach der Auffassung der Kommission hingegen schon.148
In der Praxis betrachtet die Kommission jedenfalls neue Systeme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkfinanzierung als grundsätzlich anmeldepflichtig nach Art 88 Abs 3 EGV. Dies ist gerade dann bedeutsam, wenn für neue Aktivitäten der öffentlichen Rundfunkveranstalter, wie zB zum Ausbau der Digitalisierung, staatliche Unterstützungsleistungen gewährt werden sollen. Bestehende Beihilfen - und damit nach Ansicht der Kommission der schon bisher
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Was in den meisten europäischen Mitgliedstaaten der Fall ist, außer im Fall der BBC. Für einen Überblick siehe Beck/Münger/Pitum/Sauer, Service Public unter Druck? Die Auswirkungen der EU-Transparenzrichtlinie auf den öffentlichrechtlichen Rundfunk, 2004. Zu diesen Kriterien im Einzelnen siehe auch die Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über Staatliche Beihilfen auf den öffentlichrechtlichen Rundfunk, Abl 2001 C 320/5. So der EuGH in der Entscheidung C 280/00, Altmark Trans GmbH, Slg 2003, I-00747. Im Bereich der öffentlichen Rundfunkanstalten steht ein Urteil noch aus. Vgl. dazu die Mitteilung der Kommission zu den Leistungen der Daseinsvorsorge, KOM (2000) 580 endg. EuGH, Rs C-53/00, Ferring SA/ACOSS, Slg 2001, I-9067; Dazu Lübbig/MartínEhlers (FN 143), 146, Rz 393.
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festgeschriebene öffentliche Auftrag der Rundfunkanstalten - unterliegen der fortlaufenden Überprüfungspflicht nach Art 88 Abs 1 EGV.149 Auf dieser Grundlage wurde der österreichische Digitalisierungsfonds, der im KOG150 mit jährlich EUR 6,8 Mio dotiert ist, der Europäischen Kommission vorab notifiziert und von dieser genehmigt.151 Genehmigt hat die Kommission weiters etwa die Inanspruchnahme von Gebührengeldern zur Finanzierung der Spartensender Kinderkanal und Phoenix.152 Hingegen kam die Europäische Kommission bei der Überprüfung der Finanzierung des dänischen Senders TV2/Danmark zu dem Ergebnis, dass teilweise eine verbotene Beihilfe vorlag:153 Die Gebühreneinnahmen überstiegen die Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags (Überkompensation).154 Da es sich um eine nicht angemeldete Beihilfe handelte, forderte die Europäische Kommission in ihrer Entscheidung Dänemark auf, den Differenzbetrag von TV2/Danmark zurückzufordern. Die Entscheidungen zur Gemeinschaftskonformität etwa der Finanzierung der deutschen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ARD und ZDF155 oder des österreichischen Rundfunks sind noch ausständig. In diesen Verfahren steht va die Frage, ob und inwieweit öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten auch ihre Aktivitäten in den „neuen Medien“ (Internet, Handy-TV) aus Gebühren finanzieren dürfen, auf den Prüfstand.156 Finanzielle Förderungen für den Ausbau neuer digitaler Infrastrukturen hat die Kommission - konkret im Fall DVB-T Projekt Berlin/Brandenburg157 - bereits für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt.
D. Sekundärrechtliche Regelungsbereiche 1. Fernsehrichtlinie - Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste Die FernsehRL158 bildet bislang die zentrale sektorspezifische159 EGsekundärrechtliche Vorgabe für den Medienbereich. 1989 erlassen, ist sie noch auf die analoge TV-Welt zugeschnitten. Demgemäß beschränkt sich ihr Anwendungsbereich allein auf Fernsehsendungen, definiert als „die drahtlose oder drahtgebundene, erdgebundene oder durch Satelliten vermittelte, unverschlüs-
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Sog „Repressives Verfahren“ für all jene Beihilfen, die vor In-Kraft-Treten des Vertrages eingeführt worden sind, sowie genehmigte Beihilfen und nach Art. 1 lit. b der VO Nr 659/1999 als genehmigt oder bestehend geltende Beihilfen. Vgl. Lübbig/ Martín-Ehlers (FN 143), 190, Rz 497ff. KommAustria-Gesetz - KOG, BGBl. I Nr. 32/2001 idF BGBl. I Nr. 9/2006. Entscheidung der Kommission vom 16. 3. 2005 zum Digitalisierungsfonds (C(2005)586, Staatliche Beihilfe Nr. N 622/2003). Entscheidung der Kommission Beihilfensache NN 70/98, Abl 1999 C 238/3. Entscheidung der Kommission 2005/217/EG, TV2/Danmark, Abl 2006 L 85/1. Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über Staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Abl 2001 C 320/5, Rz 16 ff. FN 138. Vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 3. März 2005, IP/05/250, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/. Dazu insb Berka, Programmauftrag Internet, 2004, 29ff, insb 47ff. Abl 2004 C 216/5. FN 12. Zu den horizontal wirkenden sekundärrechtlichen Maßnahmen bzw den, in erster Linie für andere Wirtschaftszweige entwickelten aber auch für die Massenmedien relevanten Maßnahmen siehe im Überblick oben Pkt I.B.1.
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selte oder verschlüsselte Entsendung von Fernsehprogrammen, die zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt ist.“ Für diese normiert die Richtlinie als zentralen Grundsatz das Sendestaatprinzip, wonach die Fernsehveranstalter nur der Rechtshoheit jenes Mitgliedstaates, in welchem sie niedergelassen sind, unterliegen.160 Daran anknüpfend verbietet Art 2 a der Fernsehrichtlinie den Mitgliedstaaten, die Ausstrahlung und Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus einem anderen Gemeinschaftsland in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen zu behindern, welche Bereiche betreffen, die durch die Richtlinie harmonisiert wurden. Zu diesen von der Richtlinie harmonisierten Rechtsbereichen zählen im Wesentlichen die 1997 in die Richtlinie neu aufgenommene Regelung über „Ereignisse von besonderer gesellschaftlicher Bedeutung,“161 die in Art 4 und 5 RL 97/36/EG enthaltenen Quotenregelungen, mit denen die Herstellung und Verbreitung europäischer Werke gefördert werden soll,162 die Bestimmungen über Fernsehwerbung, Sponsoring und Teleshopping, durch die die Werbemöglichkeiten für die Fernsehanbieter gemeinschaftsweit harmonisiert und deutlich erweitert wurden,163 sowie Vorschriften, die dem Schutz Minderjähriger und der öffentlichen Ordnung sowie dem Persönlichkeitsschutz164 dienen sollen.165
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Siehe Art 2 der FernsehRL (FN 12), wo auf den Sitz der Hauptverwaltung, den Beschäftigungsort der Majorität des Personals sowie darauf abgestellt wird, in welchem Mitgliedstaat die wesentlichen Entscheidungen in Bezug auf das Programmangebot getroffen werden (Abs. 3). Kann der Mitgliedstaat der Niederlassung durch die genannten Kriterien nicht bestimmt werden, kommen die Angelpunkte der Frequenzzuteilung durch einen Mitgliedstaat, der Nutzung von staatlichen Übertragungskapazitäten eines Satelliten sowie des Bestehens von Erd-SatellitenSendestationen zum Zug (Abs. 4). Vgl. Bezemek/Ribarov, Sector-specific Regulation at Content Level, in: Holoubek/Damjanovic/Traimer (Hrsg) (FN 23), 143. Mit diesen Regelungen können die MS über ein System der gegenseitigen Anerkennung von ihnen genannte Ereignisse - in der Praxis vor allem große Fußballveranstaltungen - an denen Fernsehveranstalter exklusive Fernsehrechte erworben haben, von der alleinigen Ausstrahlung im pay-TV ausschließen. In Österreich ist dieser Umstand durch die auf Grundlage des FERG (BGBl. I Nr. 85/2001) erlassene Verordnung der Bundesregierung über Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung, BGBl II 2001/305, geregelt. Sie erfasst das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, den Wiener Opernball, Olympische Sommer- oder Winterspiele, Fußballspiele der FIFA-Weltmeisterschaft und der Europameisterschaft (Herren) sofern an diesen Spielen die österreichische Nationalmannschaft teilnimmt - sowie die Eröffnungs- Halbfinal- und Endspiele, Finalspiele des österreichischen Fußballpokals und Alpine und Nordische FIS Skiweltmeisterschaften (§ 1 Z 1 - 8). Siehe auch Damjanovic (FN 28), 106. Europäischer Werke sind gem Art 6 FernsehRL Werke aus den MS, aber auch solche aus Drittländern, soweit die Herstellung einen überwiegend europäischen Bezug hat. Diesen soll durch die Quotenregelung ein bestimmter Programmanteil garantiert und damit die Dominanz, insb u.s.-amerikanischer Produktionen hintangehalten werden. Näher zur Quotenregelung und insb deren Rechtmäßigkeit von Bogdandy, Europäischer Protektionismus im Medienbereich. Zu Inhalt und Rechtmäßigkeit der Quotenregelungen in der Fernsehrichtlinie, EuZW 1999, 9 (10 ff). Zu den Werberegelungen im Einzelnen siehe unten Pkt VI. Vgl. Artikel 22 (Schutz Minderjähriger und öffentliche Ordnung) und Art 23 (Recht auf Gegendarstellung) der FernsehRL. Zu diesen Maßnahmen näher Bezemek/ Ribarov (FN 160) 123ff. Näher zum Inhalt der FernsehRL 1989 idF 1997 Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, 2003, Rz 574 ff.
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Um den technologischen und ökonomischen Entwicklungen im audiovisuellen Bereich166 Rechnung zu tragen, wird derzeit an der Novellierung der FernsehRL gearbeitet.167 Angestrebt wird ein integriertes Gesamtkonzept der Regulierung elektronisch bereitgestellter audiovisueller Inhalte und damit faire Wettbewerbsvoraussetzungen (ein „level playing field“) im audiovisuellen Sektor zu schaffen. Dementsprechend soll der Anwendungsbereich der RL auf sämtliche audiovisuellen Mediendienste, insb auch auf jene, die individuell abrufbar sind, erstreckt (und damit verbunden ihre Bezeichnung auf „Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“ geändert) werden. Der derzeitige Vorschlag erfasst als audiovisuelle Mediendienste:168 • Dienstleistungen im Sinn von Art 49 und 50 EG (und insofern nur wirtschaftliche Tätigkeiten169), • deren Hauptzweck in dem Angebot bewegter Bilder mit oder ohne Ton170 • zur Information, Unterhaltung oder Bildung171 • der allgemeinen Öffentlichkeit172 • über elektronische Kommunikationsnetze im Sinne von Art 2 lit a RahmenRL 2002/21/EG173 166
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Gemeint ist hier insb die, durch Internet und digitales Fernsehen (sowie allgemein durch Konvergenzentwicklungen) hervorgerufene Entstehung neuer elektronischer Mediendienste. Diese neuen Formate stellen die althergebrachte Definition von ‚Fernsehen’ in Frage (Bsp: IP-TV/Streaming) und werden mitunter regulatorisch anders behandelt als traditionelle Fernsehsendungen, was wiederum zu ungleichen wettbewerblichen Voraussetzungen im audiovisuellen Sektor führen kann. Siehe (FN 13). Art 1 lit a des Vorschlags (FN 13); zu den einzelnen Definitionselementen siehe auch Kleist/ Scheuer, Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen, MMR 2006, 127 ff. Vgl. etwa die Abgrenzung zu rein privaten Webseiten in Erwägung 14 des Vorschlags (FN 13). Siehe auch (FN 56). Damit werden insb Hörfunk und sonstige nicht audiovisuelle elektronische Inhalte, wie zB Online Printmedien ausgenommen. Bei der Frage des Hauptzwecks wird eine qualitative Betrachtung dahingehend maßgeblich sein, ob das audiovisuelle Angebot als eigenständiger Inhalt angeboten wird bzw angeboten werden könnte und nicht nur im Sinne einer additiven bildlichen Aufbereitung, zB zu einem online angebotenen Zeitungsartikel, und insofern nur als Nebenzweck erfolgt. Bei der Beurteilung, ob ein audiovisuelles Angebot eigenständig denkbar ist, wird in erster Linie auf den Nutzer und auf die Frage abzustellen sein, ob dieser auch ein dementsprechendes eigenständiges Interesse für den audiovisuellen Inhalt haben kann. Damit soll die Definition des Medialen auf Dienste, deren Inhalte redaktionell gestaltet worden sind und die von Meinungsrelevanz sind, beschränkt werden. Diese Definitionselemente werfen allerdings Abgrenzungsschwierigkeiten auf. So stellt sich bspw bei Computerspielen, deren Erfassung an sich nicht intendiert war, die Frage, ob diese nicht auch Unterhaltung sind und somit dem Begriff unterfallen. Hierbei handelt es sich um ein klassisches Definitionselement der Massenmedien, das auch individuell abrufbare Dienste umfassen kann, sofern diese für die Allgemeinheit bestimmt sind, also der Zugang grundsätzlich für jedermann möglich ist. Alle Formen privater Korrespondenz, zB an eine begrenzte Anzahl von Empfängern versandte Post (Erwägungsgrund 14 des Vorschlags (FN 13)) sind jedenfalls ausgeschlossen. Erfasst alle Kommunikationsinfrastrukturen (technologieneutral); nicht hingegen „offline“ dargebrachte audiovisuelle Inhalte, zB mittels DVD oder Kino. Zur Definition elektronischer Kommunikationsnetze siehe Holoubek/Damjanovic, (FN 31).
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Holoubek/Damjanovic/Ribarov
besteht. Unter diesen so definierten audiovisuellen Mediendiensten soll dann zwischen linearen audiovisuellen Mediendiensten (den nach Programmplan erbrachten Diensten, wie zB tradionelles Fernsehen, IP-TV und Streaming) und nicht-linearen audiovisuellen Mediendiensten (den auf Abruf bereitgestellten Diensten, wie zB Video-On-Demand) unterschieden werden, die dem Konzept einer abgestuften Regulierung entsprechend, aufgrund ihrer unterschiedlich starken massenmedialen Wirkung, auch unterschiedlich stark reguliert werden sollen. Regelungstechnisch soll dies dadurch umgesetzt werden, dass die von der Richtlinie vorgesehenen Regelungen auf die jeweiligen Dienste in jeweils unterschiedlicher Intensität Anwendung finden. Bestimmte Mindeststandards174 und insb das Sendestaatsprinzip sollen dabei für alle Dienste, andere Maßnahmen, wie zB die restriktiven Bestimmungen zur Unterbrecherwerbung, hingegen nur für den linearen Bereich gelten.175 Die von der Richtlinie vorgesehenen Regelungen entsprechen dabei weitgehend den schon in der FernsehRL 1997 enthaltenen Maßnahmen: Sendestaatsprinzip, Maßnahmen zum Jugendschutz, zur Wahrung der Menschenwürde, Quotenregelungen, Werberegelungen sowie Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten. Von diesen sollen durch die Neufassung im Grunde nur die Werberegelungen eine wesentliche Änderung erfahren. Die Tendenz geht hier in Richtung Vereinfachung und Liberalisierung, um den Einsatz neuer Werbetechniken und insbesondere eine ausreichende Flexibilität der Vorschriften in Bezug auf die linearen audiovisuellen Mediendienste zuzulassen.176 Betreffend die Umsetzung der RL sind - weiters neu - Maßnahmen der „Co-Regulierung“ (zusätzlich zu den bislang normierten klassischen Umsetzungsinstrumenten) vorgesehen, allerdings nicht in Form einer verbindlichen Festlegung sondern bloß als Empfehlung. Und neu ist schließlich die geplante Einführung eines Kurzberichterstattungsrechtes177 auf EU-Ebene, wobei bislang noch unklar ist, ob dieses Recht auf EU-Ebene bloß in Form einer „Nichtdiskriminierungsklausel“ oder als unmittelbar durch die Richtlinie eingeräumter Rechtsanspruch (mit der Festlegung bestimmter Mindestgrundsätze, wie zB Höchstdauer des Kurzberichts) verankert werden soll.
174 175
176 177
Zu Mindeststandards betreffend den Jugendschutz und die Menschenwürde vgl. Bezemek/Ribarov (FN 160) 123ff. Art 4, der die Quotenregelung enthält, bleibt unverändert und wird demnach nicht auf den linearen Bereich ausgedehnt. Erwägungsgrund 35 des Vorschlags (FN 13) hält jedoch fest, dass nicht-lineare Dienste „im Rahmen des praktisch Durchführbaren die Produktion und Verbreitung europäischer Werke vorantreiben und damit einen aktiven Betrag zur Förderung der kulturellen Vielfalt leisten“ sollen. Dazu näher Bezemek/Ribarov (FN 160) 142. Dazu noch im Einzelnen unten Punkt VI. So hält Artikel 3b des Vorschlags (FN 13) fest: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass der Zugang zu Ereignissen, die von großem öffentlichen Interesse sind und die von einem ihrer Rechtshoheit unterliegenden Fernsehveranstalter übertragen werden, zum Zwecke der Kurzberichterstattung Fernsehveranstaltern, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, nicht verwehrt wird.“Zum Recht auf Kurzberichterstattung siehe Lerche/Ulsamer, Das Recht auf Kurzberichterstattung im Fernsehen, 1989; und aktuell Berka, Das Recht zur Kurzberichterstattung im Spannungsfeld von Informationsfreiheit und Erwerbsfreiheit, wbl 2006, 61.
Recht der Massenmedien
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2. E-commerce Richtlinie Individuell abrufbare elektronische Massenmedien - zu denen neben den linearen audiovisuellen Mediendiensten178 auch sonstige interaktive, elektronisch übermittelte Medieninhalte zählen, wie zb Online-Zeitungen oder sog „Online Musicstores“179 - werden auf EU-Ebene durch die „E-Commerce Richtlinie, “180 die allgemein für die Dienste der Informationsgesellschaft gilt, erfasst.181 Daraus ergibt sich, bei Inkrafttreten der neuen überarbeiteten FernsehRL, eine Doppelregulierung auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für den Bereich der linearen audiovisuellen Mediendienste, die einige Unklarheiten mit sich bringen könnte. Widersprüchlichkeiten, die sich daraus für die Regulierung der linearen audiovisuellen Mediendienste auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene ergeben können, könnten allerdings durch die in Art 3 Abs 4 E-Commerce Richtlinie verankerte Ausnahmeklausel vom Herkunftslandprinzip „zum Schutz der öffentlichen Ordnung […] einschließlich des Jugendschutzes“ bereinigt werden. Eine ausdrückliche Klarstellung des Verhältnisses der beiden Regelungsbereiche zueinander wäre dennoch wünschenswert.
3. Gemeinschaftliche Rechtsrahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte Für die elektronischen Massenmedien sind schließlich die sekundärrechtlichen Maßnahmen der Gemeinschaft, die sich auf die Infrastrukturebene der Kommunikationsmärkte beziehen, von besonderer Relevanz, weil die elektronischen Kommunikationsnetze und -dienste eine unabdingbare Voraussetzung darstellen, um elektronische Inhalte überhaupt verbreiten und anbieten zu können. Die relevanten Bestimmungen sind im sogenannten „EG Maßnahmenpaket für die elektronischen Kommunikationsmärkte“ (aus dem Jahr 2002) niedergelegt.182
III. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Medienrechts A. Die kompetenzrechtliche Einordnung nach dem B-VG Die Verfassung kennt keinen einheitlichen und abgeschossenen Kompetenztatbestand Medienrecht. Aus den einzelnen für den Bereich der Medien relevanten kompetenzrechtlichen Bestimmungen ergibt sich aber, dass das Schwergewicht der Zuständigkeiten beim Bund liegt. Zentraler kompetenzrechtlicher Anknüpfungspunkt ist Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG, der im Bereich des Pressewesens183 die Kompetenzen in Gesetzgebung 178 179
180 181 182 183
Für eine Begriffsdefinition siehe oben FN 60. In diesem Zusammenhang sind vor allem Apple’s iTunes, Napster, Sony Connect und MSN Music zu nennen. Wobei der Marktführer iTunes seit seiner Einführung bereits 230 Millionen Songs vertreiben hat. Vgl. IFPI, Digital Music Report, 2005 (abrufbar unter: http://www.phono.at/downloads /IFPI_Report _final. pdf). FN 69. Für eine Begriffsbestimmung der Dienste der Informationsgesellschaft siehe Damjanovic (FN 32). Zu diesem Regelungskomplex siehe Holoubek/Damjanovic (FN 33). Siehe dazu ausführlich Berka (FN 188), 99 ff.
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und Vollziehung dem Bund zuweist. Nach der Rspr des VfGH184 fallen unter diesen Kompetenztatbestand - entsprechend der Versteinerungstheorie - all jene Medien, die unter den Begriff des Druckwerks, auf den das PresseG 1922185 Bezug nimmt, bzw unter Berücksichtigung der intrasystematischen Fortentwicklung unter den Begriff des „Medienwerks“186 iSd § 1 Abs 1 Z 3 MedienG zu subsumieren sind. Dazu gehören grundsätzlich alle in einem Massenherstellungsverfahren in Medienstücken vervielfältigten Träger von Mitteilungen oder Darbietungen mit gedanklichem Inhalt, die zur Verbreitung an einen größeren Personenkreis bestimmt sind. Demnach ist der Bund unter dem Titel Pressewesen für die Erlassung und Vollziehung all jener Regelungen zuständig, die bei der Herstellung und dem Vertrieb von Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, sowie sonstigen Bild- und Tonträgern, wie zB Schallplatten, Videokassetten oder auch Filmen187 zu beachten sind;188 kurz: für sämtliche ‚offline’, dh nicht elektronisch angebotene Medienprodukte.
Im Rundfunkbereich kommt dem Bund auf Grundlage des Kompetenztatbestandes „Fernmeldewesen“ (Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG) die Zuständigkeit in Gesetzgebung und Vollziehung zu. Die Kompetenznorm „Fernmeldewesen“ betrifft zwar in erster Linie nur die Regelung der technischen Seite der Informationsübertragung. Der VfGH hat aber im sog „Rundfunkkompetenzerkenntnis“ diesem Tatbestand eine umfassende Rundfunkzuständigkeit entnommen.189 Demnach ist das Rundfunkwesen nicht nur in technischer, sondern auch in organisatorischer und kultureller Hinsicht gem Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Ausdrücklich verankert ist diese Kompetenzlage seit Inkrafttreten des BVG-Rundfunk.190
In Anknüpfung an das Rundfunkompetenzerkenntnis kann durch einen Größenschluss die Zuständigkeit des Bundes auch zur Regulierung (Gesetzgebung und Vollziehung) sämtlicher neuer elektronischer Medien begründet werden: Wenn Rundfunk unter den Kompetenztatbestand „Fernmeldewesen“ fällt, dann sind jedenfalls auch solche elektronischen Mediendienste darunter zu subsumieren, die eine Mischform zwischen traditionellem Rundfunk und Telekommunikation darstellen (also insb sämtliche sog On-Demand Inhaltedienste). Eine selbständige medienrechtliche Kompetenz kommt den Ländern hingegen im Bereich des Filmwesens zu, sofern es sich um Regelungen und deren Vollziehung im Bereich öffentlicher Filmvorführungen handelt.191 Derartige Bestimmungen über Filmvorführungen fallen nämlich ebenso wie die Bestimmungen über die sachlichen und
184 185 186 187
188 189 190 191
VfSlg 2282/1952; VfSlg 2527/1953; VfSlg 6999/1973. BGBl 1922/218 Zum Begriff des Medienwerks vgl. Berka ua (FN 51), § 1 Rz 16ff. Filme sind als Medienwerke anzusehen, wenn sie als körperliche Informationsträger vervielfältigt und verbreitet werden, nicht jedoch wenn sie öffentlich (zB im Kino) vorgeführt werden. Brandstetter/Schmid, Kommentar zum Mediengesetz, 1999, §1 Rz 24. Berka, Das Recht der Massenmedien, 1989, 99 f. VfSlg 2721/1954. Zu diesem Erkenntnis und seiner Begründung ausführlicher Berka (FN 188), 101 ff; Wittmann, Rundfunkfreiheit, 1981, 54 ff. Art I Abs 2 und Art II BVG-Rundfunk (FN 10). Filmkopien oder Videobänder sind hingegen körperliche Informationsträger und als solche Gegenstand von Bestimmungen zu Medienwerken nach § 1 Abs 1 Z 3 MedienG, die in die Kompetenz des Bundes nach Art 1 Abs 1 Z 6 B-VG fallen.
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persönlichen Voraussetzungen zum Betrieb von Lichtspieltheatern gemäß Art 15 Abs 1 B-VG in den Verantwortungsbereich der Länder.192
Die Länder können ferner in Anknüpfung an Materien ihres eigenen Regelungsbereichs und nach den daraus entspringenden Gesichtspunkten Angelegenheiten von Druck-, bzw Medienwerken mitregeln und etwa den Vertrieb von Werbeschriften bei bestimmten Veranstaltungen oder das Anbringen von Plakaten in geschützten Ortsteilen administrativen Beschränkungen unterwerfen.193
B. Die Kommunikationsfreiheit Art 10 EMRK194 und Art 13 StGG195 garantieren jedermann das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Davon umfasst ist sowohl die Meinungsäußerungsfreiheit, dh das Recht, jegliche Ideen, Meinungen und Informationen mitzuteilen, als auch die Informationsfreiheit, verstanden als das Recht zum Empfang von Ideen und Nachrichten. In ihrem Zusammenwirken gewährleisten sie, indem sie den offenen Meinungsaustausch zwischen den Individuen ermöglichen, die umfassende Kommunikationsfreiheit in unserer Gesellschaft.196 Im Rahmen der umfassenden Kommunikationsfreiheit wird der Meinungsäußerung über die Massenmedien ein besonders hoher Stellenwert eingeräumt. Denn erst über die Massenmedien kann eine Meinung öffentlich kommuniziert werden und insofern ein öffentlicher Kommunikationsprozess und damit auch eine umfassende und freie Meinungsbildung der Bevölkerung ermöglicht werden. Diesen für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft unentbehrlichen Funktionen des Massenkommunikationswesens tragen die einschlägigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen besonders Rechnung, indem sie die Medienfreiheit, die das Recht zur freien Meinungsäußerung über alle Massenmedien erfasst, nochmals besonders hervorheben.197 So ordnen Art 13 StGG und der im Rang eines Verfassungsgesetzes stehende Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung des Jahres 1918198 zugunsten der Presse ausdrücklich das Verbot einer Vorzensur und eines Konzessionssystems an. Im BVG-Rundfunk199 findet außerhalb des allgemeinen Grundrechtskatalogs die Sonderstellung von Fernsehen und Radio eine eigene Ausformung. Und auch Art 10 EMRK, dessen Garantiegehalt sich unbestrittenermaßen auf alle Massenmedien erstreckt, trägt den Besonderheiten der audiovisuellen Medien, denen eine sehr hohe Breitenwirkung und somit auch ein eminenter Beeinflussungseffekt zugeschrieben wird, ausdrücklich Rechnung, indem er in Abs 1 Satz 3 für Rundfunk-, Lichtspiel- und Fernsehunternehmen einen Genehmigungsvorbehalt vorsieht.
192 193 194 195 196 197 198 199
Berka (FN 188), 101; VfSlg 2527/1953. VfSlg 4927/1965; 5573/1967. FN 7. FN 8. Vgl. Berka, Die Grundrechte: Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich, 1999, Rz 544; vgl auch VfSlg 11.297/1987, 12.104/1989. Berka (FN 3), 1 ff. FN 9. FN 10.
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C. Die Pressefreiheit Die Pressefreiheit umfasst das Recht, Nachrichten und Meinungen durch das Mittel der Presse frei äußern und verbreiten zu dürfen. Der Begriff der „Presse“ ist in diesem Zusammenhang nicht nur auf die klassischen periodischen Massenmedien, insb die Tages- und Wochenzeitungen zu beschränken, sondern umfasst grundsätzlich alle Druckwerke, also insb auch Bücher, Plakate und Flugblätter.200 Nichtsdestotrotz hat die Pressefreiheit schon seit jeher eine verstärkte Ausrichtung auf die klassischen periodischen Massenmedien, also jene Presseerzeugnisse, denen eine entsprechende massenmediale Bedeutung zukommt, erfahren. In ständiger Rechtsprechung betonen sowohl der VfGH als auch der EGMR deren wichtige Funktion für eine liberale und pluralistische Demokratie.201 So ist es Aufgabe der Presse, Nachrichten und Ideen über Angelegenheiten von politischem und sonstigem öffentlichem Interesse zu verbreiten.202 Sie hat eine Verantwortung als „Wächter der Öffentlichkeit“ („public watchdog“)203 wahrzunehmen und damit zur offenen geistigen Auseinandersetzung und zum Meinungsbildungsprozess in der Bevölkerung beizutragen. Die Erfüllung dieser für eine demokratische Gesellschaft konstitutiven Aufgaben der Presse zu ermöglichen, ist Sinn und Zweck der Pressefreiheit.204 Pressefreiheit ist insoweit zunächst einmal vor allem Presseunternehmerfreiheit. Jeder hat das Recht - vorausgesetzt er ist dazu wirtschaftlich in der Lage und findet sein Publikum - Informationen und Meinungen über die Presse öffentlich zu verbreiten und dabei über die Inhalte frei und unabhängig zu bestimmen.205 Darüber hinaus schützt die Pressefreiheit aber auch den gesamten Prozess der Sammlung und Verbreitung von Informationen durch die Presse, wie insb die journalistischen Gestaltungsmittel und Quellen sowie ihre Distribution über beliebige Vertriebswege.206 Die Ausübung dieser Freiheiten wird jedoch nicht schrankenlos gewährt. Der Pressefreiheit können insb dann Grenzen gesetzt werden, wenn sie auf Rechte anderer trifft. Angesichts der essenziellen Bedeutung der Presse für eine demokratische Gesellschaft bedürfen Einschränkungen ihrer Freiheit aber einer 200
201 202 203 204
205
206
Entsprechend dem Verständnis des in Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG enthaltenen Kompetenztitels „Pressewesen“. Zum Begriff der Presse in grundrechtlicher Hinsicht („alles was aus der Druckerpresse kam“) Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, 1997, 208 f; Berka (FN 3), 68 ff. Vgl. grundlegend EGMR (FN 4); VfGH, VfSlg 13.577/1993; 13.725/1994. Ausführlich hierzu Holoubek (FN 200), 210 ff. StRspr seit EGMR, Fall Sunday Times (FN 4); siehe auch EGMR, Fall Observer and Guardian, A-216 (= EuGRZ 1995, 16 = ÖJZ 1992, 378). Vgl. ebd EGMR, Fall Observer and Guardian. Vgl. dazu Damjanovic/Oberkofler, Neue Akzente aus Strassburg - Die Rechtssprechung zu Art 10 EMRK, MR 2000, 70, 71; Swoboda, Das Recht der Presse2, 1999, 2. Insofern ist die Pressefreiheit in erster Linie ein individuelles Grundrecht. Ein unmittelbar grundrechtliches Gebot zum Schutz der Institution „freie Presse“ lässt sich weder aus Art 10 EMRK noch aus Art 13 StGG ableiten. Dass „institutionelle Grundrechtsgehalte“ bei der Presse keine selbständige Rolle spielen, bedeutet aber nicht, dass die Pressefreiheit nicht doch von bestimmten Funktionen der „Institution Presse“ ausgeht. Dazu ausführlich Holoubek (FN 200), 220 ff; Berka (FN 188), 69 f. EGMR, Fall Goodwin, RDJ 1996 - III, 483 ( = ÖJZ 1996, 795 ff).
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besonderen Rechtfertigung. Gemessen am Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung, an Art 13 StGG iVm Art 10 EMRK sind diese grundsätzlich nur dann zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind, nicht gegen ein absolutes Eingriffsverbot, dh das Zensurverbot207 und das Verbot eines Zulassungssystems verstoßen, einem der in Art 10 Abs 2 EMRK angeführten Ziele dienen und in einer demokratischen Gesellschaft unentbehrlich sind.208 Die Entscheidung, ob eine konkrete staatliche Maßnahme als unentbehrlich anzusehen ist, unterliegt der nachprüfenden Kontrolle des VfGH bzw des EGMR, wobei insb letzterer, wenn es um Beschränkungen der Informationsvermittlung durch die Presse geht, bei dieser Prüfung besonders strenge Maßstäbe anlegt:209 die Notwendigkeit einer Beschränkung der Pressefreiheit muss „überzeugend dargelegt“210 werden und einem „dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis“211 dienen.
D. Die Rundfunkfreiheit Die Konzeption der Rundfunkfreiheit unterscheidet sich in Österreich wesentlich von der Pressefreiheit,212 da im österreichischen Verfassungssystem die Ausgestaltung der Rundfunkordnung (sowohl im Hinblick auf den öffentlichen als auch im Hinblick auf den privaten Rundfunksektor) nicht nur durch Art 10 EMRK, sondern entscheidend auch durch das BVG-Rundfunk213 vorgegeben wird. Während Art 10 EMRK dabei - ebenso wie bei der Pressefreiheit - anerkanntermaßen grundsätzlich von einem individualrechtlichen Verständnis der Rundfunkfreiheit ausgeht,214 geht es dem BVG-Rundfunk,215 indem es 207
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Die dabei in Österreich umstrittene Frage, inwieweit sich das absolute Zensurverbot lediglich auf präventive verwaltungsbehördliche oder auch auf gerichtliche Maßnahmen vor Erscheinen erstreckt, wird von hL und Rspr unterschiedlich beantwortet: Ohne Unterscheidung etwa Berka (FN 188), 71 f; ders (FN 208), Kommunikationsfreiheit, 437 f; aA (nur verwaltungsbehördliche Maßnahmen sind vom speziellen Zensurverbot umfasst): OLG Wien, MR 1986 H 5, 11; OLG Wien, MR 1994, 231; Holoubek (FN 209), 218. Berka (FN 196), Rz 559; ders, Die Kommunikationsfreiheit, in: Machacek/ Pahr/Stadler (Hrsg), Grund- und Menschenrechte in Österreich, Bd II 1992, 393 (438 ff). Auf europäischer Ebene (Art 10 EMRK) ist die Vorzensur nicht absolut verboten; bei der Beurteilung ihrer Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft ist der EGMR jedoch – wie bereits erwähnt – besonders streng. Vgl. hierzu insb EGMR, Fall Observer and Guardian (FN 202), sowie die Kommentierung dazu: Holoubek, MR 1992, 218 f. Grundlegend EGMR, Fall Observer and Guardian (FN 202); aktuell EGMR, Urteil vom 24. Juni 2004, 59320/00, Caroline von Hannover / Deutschland. Dazu auch Holoubek, Caroline und die Rechtsprechung des EGMR zu Art 10 EMRK, in: Österreichische Juristenkommission, 2005, Grabenwarter, Schutz der Privatsphäre versus Pressefreiheit: Europäische Korrektur eines deutschen Sonderweges? AfP 2004, 309-316. StRspr seit EGMR, Fall Handyside (FN 4). Siehe näher Holoubek (FN 200), 226. Siehe FN 10. Dazu mit weiteren Nachweisen Berka, Rundfunkmonopol auf dem Prüfstand, 1988, 36 ff; Holoubek, Rundfunkfreiheit und Rundfunkmonopol, 1990, 152 ff Zur Rundfunkfreiheit iSd österreichischen Verfassungsrechts Berka, Die Zulassung von Privatradios in Österreich, ZfV 1995, 437 (439 ff). Holoubek (FN 214), 163 ff;
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Rundfunk zur „öffentlichen Aufgabe“ erklärt216 und für die österreichische Rundfunkordnung eine Gewährleistungspflicht des Gesetzgebers im Sinne einer Funktionsverantwortung normiert, um die institutionellen Aspekte von Rundfunkfreiheit.217 In ihrem Zusammenwirken konstituieren diese beiden Verfassungsbestimmungen eine umfassende Rundfunkfreiheit: Verfassungsgesetzlich gewährleistet ist die individuelle Rundfunkveranstaltungsfreiheit, verfassungsrechtlich ausdrücklich verankert ist aber im BVG-Rundfunk ebenso was auch im Genehmigungsvorbehalt des Art 10 Abs 1 Satz 3 EMRK zum Ausdruck kommt - eine besondere Verantwortung des Staates für eine funktionierende Rundfunkordnung.218 Konkret trägt das BVG-Rundfunk dem Gesetzgeber dabei auf, durch die gesetzliche Ausgestaltung der Rundfunkordnung die „Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe“, die Rundfunk veranstalten, sicherzustellen.219 Nach herrschender Ansicht220 und Rechtssprechung221 folgt aus dieser Bestimmung, dass Rundfunk nur aufgrund einer bundesgesetzlichen Ermächtigung veranstaltet werden darf. Demnach steht die Rundfunkfreiheit in Österreich - was als Legalkonzessionssystem bezeichnet wird222 - unter dem Vorbehalt eines Gesetzes, das die organisatorischen und programminhaltlichen Verfassungsaufträge für die Veranstaltung von Rundfunk näher auszuführen und ihre Einhaltung zu gewährleisten hat. Diese organisatorischen und programminhaltlichen Verfassungsaufträge des BVGRundfunk - Objektivität, Unparteilichkeit, Meinungsvielfalt, Ausgewogenheit und Unabhängigkeit - haben dabei in ihrer Summe eine Rundfunkordnung vor Augen, die eine ausgewogene öffentliche Meinungsbildung ermöglicht und vor einer einseitigen Inbesitznahme durch den Staat oder gesellschaftliche Kräfte geschützt sein soll. Im einzelnen sollen die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung sachgemäße, umfassende und wahrheitsgetreue Informationen gewährleisten, das Gebot der Berücksichtigung der Meinungsvielfalt soll alle in einer pluralistischen Ge-
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ders, Rundfunkgesetz wohin? Stand und Entwicklungstendenzen des öffentlichrechtlichen Rundfunks in Österreich, 1995, 9 ff. Art I Abs 3 BVG-Rundfunk. Zu diesen zwei unterschiedlichen Konzeptionen der Rundfunkfreiheit siehe Barendt, Broadcasting Law2, 1995, 32 ff; Brugger, Rundfunkfreiheit und Verfassungsinterpretation, 1991; Holoubek, Die Rundfunkfreiheit des Art 10 EMRK. Bedeutung und Konsequenzen des Rundfunkmonopol-Urteils des EGMR für Österreich, MR 1994, 6. Dazu insb Funk, Rundfunkmonopol aus verfassungsrechtlicher Sicht in Österreich Gesetzesvorbehalt, Art 10 EMRK, Rechtsstaatsprinzip, in: FS Ermacora, 1998, 349. Holoubek, Rundfunkgesetz wohin? (FN 215), 10 ff; Korinek, Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Rundfunks in Österreich, in: Österreichische Juristenkommission, Kritik und Fortschritt im Rechtsstaat. Rechtsstaat - Liberalisierung und Strukturreform, 1998, 33 (40). Art I Abs 2 BVG-Rundfunk. Statt aller Berka (FN 214), 15 ff; mit einer näheren Darstellung der in den Begründungsansätzen teilweise unterschiedlichen Lehrmeinungen, Holoubek (FN 214), 143 ff. VfSlg 9909/1983; VwSlg 12206 A/1986; 13479 A/1991; 13681 A/1992. Vgl. Wittmann (FN 189), 19.
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sellschaft vertretenen Ansichten zum Ausdruck kommen lassen und das Prinzip der Ausgewogenheit ein breites Angebot verschiedenartiger Programme sicherstellen. Durch die Garantie der Unabhängigkeit des Rundfunks und der ihn besorgenden Personen und Organe soll schließlich eine staatliche Einflussnahme bzw die Abhängigkeit dieses Mediums von einzelnen oder wenigen gesellschaftlichen Gruppen ausgeschlossen werden.223 Diese Organisations- und Programmprinzipien beziehen sich nach herrschender Auffassung224 nicht auf jeden einzelnen Rundfunkveranstalter sondern auf den Rundfunk in seiner Gesamtheit.225
Der „Rundfunk“, auf den sich die Rundfunkfreiheit bezieht, wird dabei im BVG-Rundfunk definiert als „die für die Allgemeinheit bestimmte Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, Ton und Bild unter Benützung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung bzw längs oder mittels eines Leiters sowie den Betrieb von technischen Einrichtungen, die diesem Zweck dienen“.226 Diese sehr weit und äußert unklar gefasste Begriffsbestimmung - dem Wortlaut nach erfasst sie auch sämtliche neuen elektronischen Mediendienste, sofern sie sich nur an ein breites Publikum richten - stellt sich in der heutigen Medienlandschaft zunehmend problematisch dar, va aufgrund der aus dieser Bestimmung abgeleiteten Funktionsgarantien des Staates. Würde man die Bestimmung tatsächlich so weit verstehen, hätte dies etwa zur Folge, dass die im BVG-Rundfunk enthaltenen organisatorischen und programminhaltlichen Verfassungsaufträge auch bei der Errichtung jeder einzelnen Website zu beachten wären und das für diese darüber hinaus - entsprechend dem im BVG-Rundfunk enthaltenen Gesetzesvorbehalt - auch eine gesetzliche Ermächtigung vorhanden sein müsste.227 Ein derart absurdes und in der Realität auch kaum umsetzbares Ergebnis kann dem Verfassungsgesetzgeber aber nicht zugesonnen werden. Die Praxis wendet den Rundfunkbegriff zweckmäßigerweise daher nur auf solche elektronischen Inhaltedienste an, die mit dem herkömmlichen Rundfunk vergleichbar sind, also insb eine dem herkömmlichen Rundfunk gleichkommende meinungsbildende Relevanz haben (zB Near Video On Demand, web-streaming). In gemeinschaftsrechtlicher Diktion sind das die sog linearen audiovisuellen Mediendienste.228
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227 228
Ausführlicher zu diesen rundfunkverfassungsrechtlichen Grundsätzen Berka (FN 214), 83 ff. So etwa Berka (FN 214), 31f; Holoubek (FN 214) 143 ff. Der Gesetzgeber ist insofern nur verpflichtet, die Rundfunkordnung durch alle existierenden Programme so auszugestalten, dass die genannten Grundsätze insgesamt erfüllt werden. Zwischen dem öffentlichen und dem privaten Rundfunk differenzierend, in dem Sinne, dass der öffentliche Rundfunk für sich und die privaten Rundfunkveranstalter nur insgesamt, dh durch alle existierenden Rundfunkprogramme zusammengenommen (außenplurales System), diese Grundsätze zu gewährleisten haben: Korinek (FN 218), 37f. Der nicht programmschöpfende „passive“ Kabelrundfunk, dh die zeitlich synchrone, vollständige und unveränderte Weiterleitung von Rundfunksendungen über Kabel, fällt nach VwSlg 13681 A/1992 nicht unter diesen Begriff; ebenso die hL, siehe mit weiteren Hinweisen Holoubek (FN 214), 141 f; aA Korinek (FN 3), 2 f; Twaroch/ Buchner, Rundfunkrecht in Österreich, 20005, 34, die auf den Wortlaut der Bestimmung und das schöpferische Element bereits der Auswahl der weitergeleiteten Programme verweisen. So auch Korinek, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen staatlicher Regulierung der Medien vor dem Hintergrund der Konvergenz, JRP 2000, 131 (132). Für eine Begriffsbestimmung vgl. Pkt I.C.3 und II.D.1.
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Die nicht-linearen audiovisuellen Mediendienste229 fallen natürlich dennoch - wie die linearen - in den Schutzbereich von Art 10 EMRK.
IV. Medienordnungsrecht A. Allgemeines Spezifisch medienrechtlich motivierte Ordnungsvorschriften, die unter dem Begriff des Medienordnungsrechts zusammengefasst werden können, finden sich auf innerstaatlicher Ebene in einer Reihe unterschiedlicher Gesetzestexte dem Medien-, dem Privatradio-, dem Privat-TV- und dem ORF-Gesetz230 verstreut. Unter diesen bildet das MedienG die generelle (und insofern im Medienbereich horizontal wirkende) Norm; es findet gemäß seiner technologieneutralen Begriffsbestimmung eines „Mediums“ in § 1 Abs 1 grundsätzlich auf alle Formen der Massenkommunikation, dh auf alle Medientypen Anwendung. Mit der Novelle 2005231 wurde nochmals explizit festgelegt und damit klargestellt, dass das MedienG grundsätzlich auch auf elektronische Medien Anwendung findet. Bestimmte Formen der elektronischen Kommunikation waren zwar schon bisher den Regelungen des MedienG unterstellt worden,232 mit der Neuregelung wurde jedoch versucht offene Fragen zu klären und Abgrenzungsprobleme zu lösen, die sich in der Praxis ergaben.
Für den Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) sind darüber hinaus im Privatradio-, Privatfernseh- und ORF-Gesetz weitergehendere spezifische Ordnungsvorschriften festgelegt, die unter dem Begriff der Rundfunkordnung zusammengefasst werden können. Die Notwendigkeit eines solchen eigenen Ordnungsrahmens für das Rundfunkwesen wird vor allem mit den demokratiepolitischen und kulturellen Besonderheiten,233 die dieses Massenmedium von anderen Medientypen abhebt, begründet.234
B. Ordnungsrahmen nach dem Mediengesetz235 1. Grundbegriffe des MedienG Die ordnungsrechtlichen Vorschriften des Mediengesetzes haben grundsätzlich - differenzierend nach den jeweiligen Medientypen bzw den Personen, die mit der Herausgabe, Herstellung und Verbreitung der Medien befasst sind - einen unterschiedlichen Anwendungsbereich. Um diesen deutlich abgrenzen zu kön229 230 231 232 233 234
235
Vgl. FN 228. Vgl. FN 14-17. BGBl I 2005/49; zu dieser im Überblick vgl. Berka (FN 51), 9f. Vgl. zB OLG Wien MR 1996, 142; OLG Wien MR 2000, 140. Zur Bedeutung der Massenmedien in unserer Gesellschaft siehe oben Pkt I.A. Das technologische Argument, der terrestrische Rundfunk nütze Frequenzen, die als knappes Gut in einem besonderen Verfahren vergeben werden müssen, rückt aufgrund der Digitalisierung und den damit einhergehenden Möglichkeiten, Frequenzen mehrfach zu nutzen, immer mehr in den Hintergrund. Vom Kern her ist das Mediengesetz - va historisch betrachtet - ein Regulativ für die periodische Presse, weshalb im vorliegenden Zusammenhang idR oft auch nur vom Ordnungsrecht der Presse die Rede ist. Vgl. Berka (FN 188).
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nen, empfiehlt es sich daher zunächst auf die in § 1 MedienG enthaltenen medienrechtlichen Grundbegriffe näher einzugehen, die zum einen die verschiedenen Medientypen und zum anderen die verschiedenen mit der Herausgabe, Herstellung und Verbreitung von Medien verbundenen Personen definieren, an die die übrigen Bestimmungen des MedienG anknüpfen: Den Grundtatbestand des gesetzlichen Begriffssystems bildet zunächst der Begriff des Mediums, worunter „jedes Mittel zur Verbreitung von Mitteilungen oder Darbietungen mit gedanklichem Inhalt in Wort, Schrift, Ton oder Bild an einen größeren Personenkreis im Wege der Massenherstellung oder der Massenverbreitung“236 zu verstehen ist. Davon erfasst sind grundsätzlich alle Formen der Massenkommunikation, unabhängig von der eingesetzten Technologie.237 „Medium“ sind daher einerseits die Printmedien, die Bild- und Tonträger (CDs, DVDs, Platten) und das Kino (welche auch als die sog „offline“-Medien bezeichnet werden können) und andererseits die elektronischen Medien, wozu Fernsehen, Hörfunk und sämtliche neuen elektronischen Mediendienste zählen (welche auch als die sog „online“-Medien bezeichnet werden können).238 Zur Klarstellung, dass auch der online-Bereich und dabei insb. Websites vom MedienG erfasst sind,239 wurde mit der Novelle 2005 der Begriff des „periodischen elektronischen Mediums“ in die Z 5a eingefügt.240 Die „offline“-Medien werden gem § 1 Abs 1 Z 3 MedienG nochmals mit dem Begriff des Medienwerks eigens erfasst. Sofern sich diese ausschließlich der Schrift oder dem Standbild (Fotografie) als Darstellungsart bedienen, sind sie gemäß § 1 Abs 1 Z 4 MedienG Druckwerke.241 Wenn sie dabei unter demselben Namen in fortlaufenden Nummern mit einem selbständigen, aber im Gesamtzusammenhang stehenden Inhalt wenigstens viermal im Jahr wiederkehrend erscheinen, handelt es sich gemäß § 1 Abs 1 Z 5 MedienG um periodische Medien- bzw Druckwerke,242 die unter den Medien, angesichts ihrer gesteigerten publizistischen Wirkungen, wiederum eine rechtliche Sonderstellung einnehmen. Medienunternehmen243 sind diejenigen wirtschaftlichen Organisationseinheiten, in denen jedenfalls die inhaltliche Gestaltung des Mediums erfolgt und darüber hinaus
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§ 1 Abs 1 Z 1 MedienG. Der Begriff ist insb auch offen für technologische Entwicklungen. Vgl. Berka ua (FN 51), § 1, Rz 4; und zur Abgrenzung zwischen dem offline und online Bereich Holoubek/Damjanovic (FN 33). Das war an sich zwar unstrittig, in der Praxis haben sich dennoch im Zusammenhang mit dem Begriff des Mediums Unsicherheiten aufgetan, die man mit dieser Neuregelung schließen wollte, Berka ua (FN 51), Einleitung Rz 27; § 1 Rz 24a; Es sind darunter Medien zu verstehen, die auf elektronischem Wege ausgestrahlt bzw verbreitet werden oder abrufbar sind oder wenigstens vier Mal im Kalenderjahr in vergleichbarer Gestaltung („wiederkehrende elektronische Medien,“ wie z.B. Newsletter) verbreitet werden. Berka ua (FN 51), § 1 Rz 24a, der den Begriff „periodisch“ für misslungen hält, da „jederzeit“ also ständig abrufbar eben gerade nicht gleich „periodisch“ sei. Als in diesem Zusammenhang passender könnte sich der Terminus „permanent“ erweisen. Etwa Bücher, Zeitungen und Zeitschriften. Auf Druckwerke im speziellen bezieht sich insb § 48 MedienG (Anschlagen von Druckwerken). Brandstetter/Schmid (FN 187), §1, Rz 26 ff; Brandstetter/Schmid (FN 187), §1, Rz 33 ff, die für das Vorliegen eines Medienunternehmens weiters ein Mindestmaß an unternehmerischer Struktur fordern (Rz 35); so auch Berka ua (FN 51), § 1 Rz 25.
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auch seine Herstellung und Verbreitung entweder besorgt oder veranlasst wird.244 Mit der MedienG-Nov 2005245 wurde der Begriff „Verleger“ zugunsten des einheitlichen Begriffs „Medieninhaber“ gestrichen, da an die beiden Begriffe an sich keine unterschiedlichen Rechtsfolgen gekoppelt waren. Als Medieninhaber246 gelten weiterhin die Betreiber von Medienunternehmen und Mediendiensten, jedoch außerdem noch diejenigen, die die inhaltliche Gestaltung des Medienwerks und dessen Herstellung und Verbreitung entweder besorgen oder veranlassen.247 Als Herausgeber248 wird gemäß § 1 Abs 1 Z 9 MedienG diejenige natürliche oder juristische Person bezeichnet, die die grundlegende Richtung, dh die politische, konfessionelle, weltanschauliche, künstlerische und wissenschaftliche Ausrichtung eines periodischen Mediums bestimmt. Seine Stellung wird idR durch einen Vertrag mit dem Medieninhaber begründet, allerdings kann die Funktion des Herausgebers und des Medieninhabers auch in einer Person vereinigt sein.249 Hersteller250 schließlich ist, wer die technische Massenherstellung der sog körperlichen Medien besorgt,251 wie zB Druckereiunternehmen.252
2. Die einzelnen ordnungsrechtlichen Vorschriften des Mediengesetzes a) Impressumspflicht Die im § 24 MedienG festgelegte Impressumspflicht verfolgt den Zweck, das Medienpublikum über diejenigen Personen zu informieren, die für die Herstellung und Verbreitung eines bestimmten Mediums verantwortlich sind. Demnach sind auf jedem Medienwerk der Name bzw die Firma des Medieninhabers und des Herstellers sowie der Verlags- und Herstellungsort (Abs 1) und auf 244
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§ 1 Abs 1 Z 6 MedienG. Etwa Zeitungs- und Zeitschriftenunternehmen, Rundfunkanstalten, Filmproduktionen und Buchverlage. Näher Brandstetter/Schmidt (FN 187), § 1, Rz 33 ff. Vgl. FN 231. Dieser steht im Zentrum der mediengesetzlichen Verantwortlichkeit. Ausführlich Brandstetter/Schmid (FN 187), §1, Rz 42 ff. Er haftet für die publizistische Tätigkeit, ist Partei des Redaktionsstatutes, ist Antragsgegner in Gegendarstellungsbegehren, ist derjenige der zur Veröffentlichung des Impressums verpflichtet ist, muss für die Offenlegung der Eigentümerverhältnisse sorgen und hat entgeltliche Veröffentlichungen zu kennzeichnen. Vgl. Berka ua (FN 51), § 1 Rz 3. Im Falle eines elektronischen Mediums ist es die Besorgung der inhaltlichen Gestaltung und die Besorgung bzw. Veranlassung der Ausstrahlung, Abrufbarkeit oder Verbreitung desselben. Als Medieninhaber wird hier demnach derjenige angesehen, der die Verantwortung für den Content trägt. Bei moderierten Internetforen ist dies bspw. die Person, die jene Beiträge auswählt, die schlussendlich im Forum zu lesen sind. Vgl. Berka ua (FN 51), § 1 Rz 30. Der Herausgeber ist im MedienG von geringer Bedeutung, da lediglich die Bestimmungen über Impressum (§ 24 f MedienG) und Anklageberechtigung (§ 42 MedienG) an diesen Begriff Rechtsfolgen knüpfen. Näheres bei Brandstetter/Schmid (FN 187), §1, Rz 49 ff; Brandstetter/Schmidt (FN 187), § 1 Rz 49. Der Hersteller ist zur Anbietung bzw Ablieferung von Bibliotheksstücken gem § 43 Abs 2 MedienG verpflichtet, wenn das Druckwerk (bzw Medienwerk gem §43a MedienG) im Ausland verlegt wird und erscheint, jedoch im Inland hergestellt wird Vgl. Berka ua (FN 51), § 1 Rz 35. „Besorgen“ meint nicht die konkrete manuelle Tätigkeit, sondern die notwendigen Schritte und Vorkehrungen zur Herstellung zu treffen. Berka ua (FN 51), § 1 Rz 34. § 1 Abs 1 Z 10 MedienG. Siehe Berka (FN 188), 110.
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jedem periodischen Medienwerk darüber hinaus auch noch die Anschrift des Medieninhabers und der Redaktion des Medienunternehmens sowie Name und Anschrift des Herausgebers anzugeben (Abs 2). Der Pflicht ein Impressum anzuführen unterliegen auch die wiederkehrenden elektronischen Medien. Auch bei Websites und Newslettern sind daher Name bzw. Firma und Anschrift des Medieninhabers anzugeben.253 Damit soll in erster Linie dem von einer Veröffentlichung Betroffenen ermöglicht werden, seine Rechtsansprüche ohne vorhergehende langwierige Nachforschungen durchsetzen zu können. Auch dem Staat soll dadurch die Kontrolle über die Medienunternehmen und allenfalls die Strafverfolgung erleichtert werden.254 Die Verletzung dieser Bestimmung ist gem § 27 Abs 1 Z 1 MedienG mit Verwaltungsstrafen bis zu EUR 2.180,- bedroht. b) Offenlegungspflicht In Form der in § 25 MedienG normierten Offenlegung wird die Impressumpflicht zum Abdruck der Urspungsangaben um Angaben über die Beteiligungsverhältnisse an Medienunternehmen oder Mediendiensten,255 über Mehrfachbeteiligungen an mehreren Medienunternehmen256 sowie über die grundlegende Richtung des Mediums257 ergänzt.258 Die Offenlegungspflicht gilt für alle periodischen Medien, daher für regelmäßig erscheinende Zeitungen, Zeitschriften, sowie die Rundfunkprogramme aber auch für sonstige periodische elektronische Medien nach §1 Z 5a.259 Sie trifft den Inhaber dieser Medien, der die Angaben jährlich jeweils zu Beginn des Jahres im Anschluss an das Impressum260 oder, im Falle von elektronischen Medien, zB Rundfunk, in der Wiener Zeitung zu veröffentlichen hat. Um eine praxisfremde Verpflichtung eines jeden Betreibers einer Website zu vermeiden,261 wurde eine permanente Offenlegungspflicht der jeweiligen Angaben statuiert und um das Kriterium der leichten und unmittelbaren Auffindbarkeit ergänzt.262 Eine Ausnahmebestimmung enthält § 25 Abs 5 für sog „kleine Websites“, bei denen nur der Name bzw. Firma, der Unternehmensgegenstand sowie Wohnort bzw. Sitz des Medieninhabers anzuführen sind.263 253 254
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Klargestellt wurde dies mit der MedienG-Nov (FN 231). Vgl. oben Pkt IV.A. So Berka (FN 188), 119. Aufgrund der auch durch das Impressum gegebenen gesteigerten Offenkundigkeit enthält § 32 MedienG eine Sonderregelung über die Verjährung von Medieninhaltsdelikten (§ 1 Abs 1 Z 12 MedienG). Vgl. dazu Berka ua (FN 51), § 32 Rz 2. § 25 Abs 2 MedienG. § 25 Abs 3 MedienG § 25 Abs 4 MedienG. Näher Berka (FN 188), 120 ff; Brandstetter/Schmidt (FN 186), § 25, Rz 5 f; Wittmann, Einführung in das Medienrecht, 1981, 36 ff. Für letztere wurde dies mit der MedienG-Nov 2005 (FN 231) klargestellt. Bei periodischen Medienwerken, etwa Zeitungen oder Zeitschriften. Siehe RV 784 BlgNR 22. GP 15 f. Vgl. § 25 Abs 1 MedienG. Als „kleine Websites“ gelten solche Seiten, die über die Darstellung des persönlichen Lebensbereiches oder die Präsentation des Medieninhabers nicht hinausgehen. In den Genuss der eingeschränkten Offenlegungspflicht kommen bspw Websites von Wissenschaftlern mit Angaben über akademische Karriere, Publikationen und
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Mit der Verpflichtung zur Veröffentlichung derartiger Informationen über die wirtschaftlichen Verhältnisse sowie über die Beziehungen der Medienunternehmen untereinander soll die Transparenz am Medien- bzw Meinungsmarkt gefördert und der Medienkonsument über das publizistische Profil eines Massenmediums aufgeklärt werden.264 Mit Ausnahme der Pflicht zur Veröffentlichung einer Erklärung über die grundlegende Richtung des Mediums ist die Verletzung der Offenlegungspflichten mit Verwaltungsstrafen bis zu EUR 2.180,- bedroht.265 c) Veröffentlichungspflicht Eine weitere Veröffentlichungspflicht normiert § 46 Abs 1 MedienG für periodische Medienwerke, die regelmäßig „offline“ vermittelten Medien, in erster Linie Zeitungen und Zeitschriften.266 Diesen kann, wenn sie auch sonst Anzeigen veröffentlichen, der Abdruck bestimmter behördlicher Mitteilungen - nämlich von Aufrufen und Anordnungen von Bundes- und Landesbehörden in Krisen- und Katastrophenfällen sowie von gerichtlichen Entscheidungen aufgetragen werden. Sie sind jedoch nur gegen Vergütung eines üblichen Einschaltungsentgeltes zu erfüllen. Ihre Verletzung wird als Verwaltungsübertretung gem § 46 Abs 4 MedienG mit einer Verwaltungsstrafe bis zu EUR 2.180,geahndet. d) Kennzeichnungspflicht Alle entgeltlichen Veröffentlichungen in sämtlichen periodischen Medien zB Ankündigungen, Empfehlungen, Beiträge und Berichte in Zeitungen, Zeitschriften, im Fernsehen, Hörfunk oder auf Websites, für die ein Entgelt geleistet wird müssen gemäß § 26 MedienG entweder als Anzeige, als entgeltliche Einschaltung oder als Werbung deutlich gekennzeichnet sein,267 außer es bestehen aufgrund der Gestaltung oder Anordnung eines Beitrages über die Entgeltlichkeit keine Zweifel. Derartige Zweifel entstehen in der Regel wenn Werbeeinschaltungen bewusst so gestaltet werden, dass der flüchtige Leser sie für einen redaktionellen Beitrag hält268 oder im Rundfunk durch das „Product Placement“,269 eine Werbeform, bei der Markenprodukte außerhalb von Werbe-
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Projekte oder von Unternehmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen anpreisen und die „Firmenphilosophie“ erörtern. Es geht darum, ob der Inhalt der jeweiligen Seite tatsächlich der Selbstdarstellung dient. Nur im Fall, dass diese bloß einen Vorwand darstellt, um allgemeine Fragen und Probleme zu erörtern, fällt die Website nicht unter die Ausnahme des §25 Abs 5. Siehe Berka ua (FN 51), § 25 Rz 14. Zum Zweck dieser Bestimmung und ihrer Verfassungsmäßigkeit im Lichte der Pressefreiheit Berka (FN 188), 121 ff. § 27 Abs 1 Z 1 MedienG. Zu den entsprechenden Pflichten im Rundfunk vgl. § 18 PrR-G, § 48 PrTV-G, § 6 Abs 2 § ORF-G. Zur Kennzeichnungspflicht der Werbung im Bereich des Rundfunks siehe auch unten Pkt VI.C.2. ZB Image-Kampagnen oder ganzseitige Inserate. Vgl. OGH 29. 9. 1992, 4 Ob 79/92, MR 1992, 207; nach § 14 Abs 5 f ORF-G nunmehr im öffentlichen Rundfunk grundsätzlich unzulässig.
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sendungen werbewirksam platziert werden.270 Mit dieser Vorschrift soll eine klare Trennung von redaktionellem und Anzeigeteil sichergestellt und damit eine Irreführung einerseits der Konsumenten und andererseits der Mitbewerber hintangehalten werden.271 Wird die Kennzeichnungspflicht verletzt, drohen dem Medieninhaber gem § 27 Abs 1 Z 2 MedienG Verwaltungsstrafen bis zu EUR 2.180,-. Außerdem können die Mitbewerber, gestützt auf § 1 UWG272, zivilrechtlich gegen das Medienunternehmen vorgehen.273 e) Ablieferung von Bibliotheksstücken Um die gesamte inländische literarische und publizistische Produktion der Öffentlichkeit gesammelt zugänglich machen zu können,274 werden die Inhaber bzw Verleger von Medienwerken275 - ausgenommen der Schallträger und der Träger von Laufbildern - des weiteren auch verpflichtet, bestimmten österreichischen Bibliotheken Exemplare ihrer Medienwerke zur Verfügung zu stellen. f) Verbreitung von Druckwerken Von besonderer Bedeutung sind schließlich jene medienrechtlichen Ordnungsvorschriften, die die Verbreitung von Druckwerken regeln, ist doch die Verbreitungsfreiheit eines der Wesenselemente der Meinungsfreiheit.276 In diesem Sinne hebt das Mediengesetz im § 47 Abs 1 auch ausdrücklich das Recht hervor, periodische Druckwerke sowohl von einem festen Standort als auch auf der Straße zu verbreiten.277 Dieser Freiheitsraum wird durch das MedienG jedoch nicht umfassend gewährt, da Beschränkungen, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, davon unberührt bleiben. So sieht etwa die StVO eine Bewilligungspflicht wegen Sondernutzung für den Straßenverkauf von Zeitungen durch Kolporteure oder für das Aufstellen von Straßenverkaufs-
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ZB die „Römerquelleflasche“, die „zufällig“ gut sichtbar auf dem Tisch vor dem Moderator steht. Vgl. BKS 19.5.2003, GZ 611.923/005-BKS/2003. Zum Product Placement siehe weiter unten Pkt VI.C.2. Vgl. Brandstetter/Schmidt (FN 186), § 26, Rz 1. Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 - UWG, BGBl 1984/448 idF BGBl I 2001/136. StRspr: OGH, ÖBl 1989, 74; MR 1992, 207 uva. So Berka (FN 188), 123. Durch die Mediengesetznovelle BGBl 2000/75 wurde ein neuer § 43a eingefügt, der die Anbietungs- und Ablieferungspflichten gemäß § 43 (danach sind nur Druckwerke erfasst) grundsätzlich auf sämtliche Medienwerke erweitert, um auch neue digitale Medienwerke, wie zB CD-Roms, zu erfassen. Konkretisiert durch die Verordnung des Bundeskanzlers über die Anbietungs- und Ablieferungspflicht bei sonstigen Medienwerken nach dem Mediengesetz, BGBl II 2001/65. Vgl. auch die Verordnung des Bundesministers für Justiz vom 4. Dezember 1981 über die Ablieferung und Anbietung von Bibliotheksstücken nach dem Mediengesetz, BGBl 1981/544. In die Meinungsäußerungsfreiheit wird nicht nur eingegriffen, wenn der Inhalt von Meinungsäußerungen einer Sanktion oder sonstigen Beschränkung unterworfen wird, sondern auch, wenn in einer anderen Weise die freie Kommunikation behindert wird, wie etwa durch Vertriebsbeschränkungen. Siehe etwa Berka (FN 196), Rz 558. Zur Kolportagefreiheit Brandstetter/Schmidt (FN 186), § 48, Rz 5.
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ständern278 vor.279 Absolut verboten ist darüber hinaus - in erster Linie aus konsumentenschutzrechtlichen Gründen - der „Vertrieb von Haus zu Haus.“280 g) Plakatieren von Druckwerken Ebenfalls einer besonderen medienrechtlichen Aufsicht unterworfen ist das Plakatieren von Druckwerken. So legt § 48 MedienG fest, dass zum Anschlagen, Aushängen und Auflegen eines Druckwerks keine behördliche Bewilligung erforderlich ist, und garantiert die sogenannte „Plakatierfreiheit“, relativiert diese aber gleichzeitig, indem sie Bezirksverwaltungs- und Bundespolizeibehörden ermächtigt, durch Erlass einer Verordnung für ihren Wirkungsbereich örtliche Beschränkungen anzuordnen.281 Außerdem können Bewilligungspflichten auch durch andere - va straßenpolizeiliche Vorschriften - erforderlich sein.282
C. Rundfunkordnung 1. Das duale Rundfunksystem Das duale Rundfunksystem ist in Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erst relativ spät etabliert worden. Geradezu als Unikat in Europa kam dem öffentlich-rechtlichen Veranstalter (ORF) in Österreich bis Mitte der neunziger Jahre ein Veranstaltungsmonopol im Rundfunkbereich zu. Erst unter dem Druck von Beschwerden283 beim EGMR hat der österreichische Gesetzgeber mit der Erlassung des Regionalradiogesetzes 1993284 zunächst den Hörfunkmarkt und in weiterer Folge 1997 mit dem Kabel- und Satellitenrundfunkgesetz285 den Markt für Kabel- und Satellitenrundfunk geöffnet. Mit der
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Auch als sog stumme Verkäufer bezeichnet. Siehe § 82 StVO (Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl 1960/159 idF BGBl. I Nr. 152/2006): Für die Benutzung von Straßen [...] zu anderen Zwecken als zu solchen des Straßenverkehrs [...] ist unbeschadet sonstiger Rechtsvorschriften eine Bewilligung nach diesem Bundesgesetz erforderlich. Der VfGH hat diese Bestimmung als grundsätzlich mit Art 10 EMRK vereinbar angesehen. VfSlg 11651/1988, 11733/1988; VwGH 28. 4. 1993, 92/02/0204, ZVR 1994, 26. Vgl. auch Berka (FN 196), 569. Zur Rechtfertigung dieser Vertriebsbeschränkung Berka (FN 188), 131. Verfassungsrechtlich unbedenklich (tlw zur vergleichbaren Vorgängerbestimmung in § 11 Pressegesetz, BGBl 218/1922) VfSlg 8019/1977; 9591/1982; 10886/1986; zur Reichweite dieser Verordnungsermächtigung bzw den verfassungsrechtlichen Schranken, VfSlg 5913/1969; 6999/1973; 8014, 8018, 8019/1977 ua, näher Berka (FN 188), 132f; Siehe § 84 Abs 2 und 3 StVO, wonach außerhalb von Ortsgebieten Werbungen und Ankündigungen an Straßen innerhalb einer Entfernung von 100 m vom Fahrbahnrand grundsätzlich verboten sind. Siehe im Ergebnis EGMR, Fall Informationsverein Lentia, Serie A Nr 276 [=EuGRZ 1994, 549]. BGBl 1993/506 idF BGBl I 2000/51; 2001 mit der Erlassung des Privatradiogesetzes - PrR-G (vgl. FN 286) außer Kraft getreten. BGBl I 1997/42 idF BGBl I 2001/32; 2001 mit der Erlassung des Privatfernsehgesetzes - PrTV-G (vgl. FN 286) außer Kraft getreten.
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Novellierung des gesamten Rundfunkrechts im Jahr 2001,286 die insb auch eine rechtliche Grundlage für die Veranstaltung von privatem terrestrischem Fernsehen mit sich gebracht hat, ist schließlich ein umfassendes duales Rundfunksystem eingerichtet worden. Das duale Rundfunksystem baut in Österreich - ähnlich wie in anderen europäischen Staaten287 - auf dem Grundprinzip auf, dass eine umfassende Rundfunkfreiheit, wie sie dem österreichischen Rundfunkverfassungsrecht zugrunde liegt,288 durch ein binnenpluralistisches Konzept beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und ein außenpluralistisches Modell im privaten Rundfunkbereich erreicht werden soll. Demnach soll beim öffentlichen Rundfunk Meinungsvielfalt und damit auch Rundfunkfreiheit durch eine entsprechende organisationsrechtliche Ausgestaltung des ORF und einen konkret definierten Programmauftrag an diesen gewährleistet werden. Im privaten Rundfunkbereich hingegen soll Meinungspluralität und kulturelle Vielfalt in erster Linie durch eine Mehrzahl an privaten Rundfunkveranstaltern sichergestellt werden. Davon ausgehend, dass auch in diesem Bereich ökonomische Vielfalt alleine zur Verwirklichung der medienpolitischen Pluralismusziele nicht ausreichen wird, unterwirft der Gesetzgeber allerdings auch die privaten Rundfunkveranstalter einer Reihe, den Erfordernissen der Pluralismussicherung Rechnung tragender sektorspezifischer Bestimmungen. Diese sind, verglichen mit den für den öffentlichen Rundfunkveranstalter geltenden Bestimmungen, allerdings weicher formuliert, dh im Hinblick auf die unternehmerische Freiheit der Rundfunkveranstalter weniger eingriffsintensiv ausgestaltet.289
2. Die rechtlichen Rahmenbedingungen des öffentlichen Rundfunks (public broadcasting) a) Konzept und Begriff des öffentlichen Rundfunks „Public service broadcasting“ ist die vor allem in Europa entwickelte Antwort auf das Problem, dass dem Staat wegen der besonderen demokratiepolitischen und kulturellen Bedeutung des Rundfunks und dem grundsätzlichen „Angewiesensein“ sowohl des Staates wie seiner Bürger auf diese Dienstleistung eine Verantwortung dafür zugeschrieben wird, dass diese Dienstleistung auch tatsächlich jedermann zur Verfügung steht und ihre demokratiepolitische und kulturelle Funktion auch tatsächlich erfüllen kann. Dabei stand zunächst das technische und ökonomische „Knappheitsargument“ insoferne im Vordergrund, als Rundfunk nicht einem oder einigen wenigen privaten Betreibern überantwortet, sondern wegen der fehlenden Konkurrenzbedingungen in staat286
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Durch die Erlassung des Privatradiogesetzes - PrR-G (BGBl I 2001/20 idF BGBl I 2004/97) und des Privatfernsehgesetzes - PrTV-G (BGBl I 2001/84 idF BGBl I 2004/97), sowie mit der umfassenden Novellierung (BGBl I 2001/83) des ORFGesetzes (BGBl 1984/379, zuletzt geändert BGBl I 2004/97). Zu den unterschiedlichen Ansätzen eines dualen Rundfunksystems in ausgewählten Mitgliedstaaten der EU vgl. RTR-GmbH, Die duale Rundfunkordnung in Europa, Schriftenreihe RTR, Band 2/2004. Siehe dazu näher oben Pkt III.D. Zum Konzept der Regulierung privaten Rundfunks vgl. Vesting, in: Hahn/Vesting (Hrsg), Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, Einführung, Rz 8ff.
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licher Verantwortung betrieben werden sollte. Die Gründung öffentlicher Rundfunkanstalten war der Ausweg aus dem Problem, dass der Staat zwar Erfüllungsverantwortung für die Rundfunkveranstaltung übernehmen, gleichzeitig diese aber unabhängig von staatlichem Einfluss erfolgen sollte. In der Folge ist es auch unter geänderten technischen und wirtschaftlichen Vielfaltsbedingungen bei der Wahrnehmung staatlicher Erfüllungsverantwortung durch Aufrechterhaltung des öffentlichen Rundfunks geblieben, nur hat sich die Begründung von der erwähnten Knappheitsargumentation hin zur besonderen demokratiepolitischen und kulturellen Bedeutung des Rundfunks, also auf eine inhaltliche, rundfunkpolitische Ebene verschoben. Das Konzept des öffentlichen Rundfunks290 ist also das eines staatlich verantworteten, gemeinnützigen „public service“ durch vom Staat getragene, gleichwohl von diesem unabhängige Non Profit Organisationen.291 Zu diesem Konzept des öffentlichen Rundfunks zählen - bei aller Unschärfe und Überschneidungen einer derartigen typologischen Betrachtung - die allgemeine Verfügbarkeit (Versorgungsauftrag), die Unabhängigkeit sowohl von staatlichem als auch kommerziellem Einfluss, gewisse inhaltliche Grundsätze wie Unparteilichkeit, Programmvielfalt und das Konzept eines „Integrationsrundfunks“, das sich zumeist auch in entsprechenden Organisationsstrukturen niederschlägt, sowie schließlich eine mehr oder weniger weitgehende staatliche Grundfinanzierung über „Rundfunkgebühren“ .292 Für dieses inhaltliche Konzept des „public service broadcasting“ hat sich auf Grund der insbesondere in Deutschland von allem Anfang an gewählten rechtlichen Ausgestaltung durch öffentlich-rechtliche Anstalten im deutschsprachigen Raum der Begriff des „öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ eingebürgert. Auch in Österreich wurde dieser Begriff mit der Umwandlung des früheren privatwirtschaftlich organisierten öffentlichen Unternehmens „Österreichische Rundfunkgesellschaft mbh“ in die öffentlichrechtliche Anstalt ORF durch die Rundfunkreform 1974293 bald allgemein akzeptiert. Man muss sich dabei freilich im Klaren sein, dass es sich beim „öffentlichrechtlichen Rundfunk“ nicht (oder genauer: nicht vorwiegend294) um ein organisatorisches, sondern um ein inhaltliches Modell und damit beim Begriff des „öffentlichrechtlichen Rundfunks“ um einen materiellen, nicht um einen organisationsrechtlichen Begriff handelt. Er umschreibt eine, in staatlicher Erfüllungsverantwortung erbrachte, bestimmten inhaltlichen Konzepten verpflichtete Dienstleistung, keine spezifische Organisationsform. Ob diese Dienstleistung von einem staatlich getragenen Unternehmen in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Rechtsform erbracht wird ist dafür grundsätzlich ebenso unerheblich wie die Zuordnung der Rechtsgrundlagen der Tätig290 291
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Siehe dazu Barendt (FN 217), 51 ff. Siehe ausführlich Barendt (FN 217), 51 ff; Blumler (Hrsg), Television and the public interest, 1992; Merli, Medien und Demokratie, in Hoffmann/Marko/ Merli/Wiederin (Hrsg), Information, Medien und Demokratie, 1997, 31 (35 ff); und Holznagel, Rundfunkrecht in Europa, 1996, 195 ff. Näher dazu Barendt (FN 217), 52. Siehe zu diesen Entwicklungen ausführlich Wittmann (FN 258), 72 ff; Holoubek (FN 218), 4 ff. Zur Organisationsstruktur des ORF als Stiftung siehe gleich unten Pkt IV.C.2.b. Dass das inhaltliche Konzept auch gewisse Rückwirkungen auf die organisationsrechtliche Ausgestaltung des öffentlichen Rundfunkunternehmens hat, ist eine Folge seiner inhaltlichen Anforderungen, siehe dazu Holoubek (FN 218), 47 ff.
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keit dieses Unternehmens zum öffentlichen oder privaten Recht. Dass in Österreich zur Ausgestaltung des Konzepts des „public service broadcasting“ öffentlich-rechtliche Systeme näher liegen als privatrechtliche, hängt mit den spezifischen Bedingungen des österreichischen Verfassungssystems zusammen.
Um diese inhaltliche Konzeption des „public service broadcasting“ zu betonen, wird hier vorgeschlagen, dafür den Begriff des „öffentlichen Rundfunks“ zu verwenden. b) Die Organisation des ORF Der ORF ist als eine „Stiftung öffentlichen Rechts“ eingerichtet,295 die, ebenso wie die Anstalt öffentlichen Rechts, die vor der Novelle des RundfunkG296 bestand, eigene Rechtspersönlichkeit mit entsprechender Rechts- und Handlungsfähigkeit besitzt. Die Tätigkeit des öffentlichen Rundfunks ist somit nicht als staatliche (Verwaltungs-) Tätigkeit, sondern als Handeln im Rahmen der dem ORF durch das ORF-G übertragenen Autonomie zu qualifizieren.297 Insofern unterliegt der ORF nicht den für Verwaltungsorgane geltenden verfassungsrechtlichen Bindungen, wie etwa der Amtsverschwiegenheit und der Amtshilfe, der parlamentarische Kontrolle oder der Kontrolle durch die Volksanwaltschaft.
Der ORF handelt im Rahmen und nicht auf Grund der Gesetze.298 Seine Tätigkeit ist allerdings durch das ORF-G in mehrfacher Weise beschränkt.299 Er wird weiters einer speziellen rundfunkrechtlichen Aufsicht nach Maßgabe des ORF-G300 sowie kraft ausdrücklicher Verfassungsbestimmung301 einer Finanzkontrolle durch den Rechnungshof unterworfen. Die organisationsrechtliche Ausgestaltung des ORF, durch die die Unabhängigkeit des Rundfunks sowie die Objektivität, Pluralität und Ausgewogenheit seiner Programme sichergestellt werden soll, beruht auf drei grundlegenden Prinzipien: Dem Prinzip der pluralistischen Repräsentation der gesellschaftlichen Kräfte, der Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Anstalt als solcher, insbesondere durch Unabhängigkeitsgarantien für die Träger der Programmverantwortung, sowie dem Prinzip innerer Medienfreiheit durch Unabhängigkeits- und Eigenständigkeitsgarantien der programmgestaltenden Rundfunkmitarbeiter.302 Das Prinzip der pluralistischen Repräsentation wird dabei zum einen durch die Einrichtung des Stiftungsrates, als oberstem Leitungsorgan des ORF, umgesetzt.303 Der Stiftungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die von den politischen Parteien (6 Mitglieder), von den Bundesländern (9 Mitglieder), von der Bundesregierung (9 Mitglieder), vom 295 296 297 298 299 300 301 302 303
Vgl. § 1 Abs 1 ORF-G. Vgl. Buchner, Sechs Thesen zum neuen ORF-G, ecolex 2001, 592 (592). BGBl. I Nr. 83/2001. Umfassend dazu - dabei jedoch noch auf die alte Rechtslage bezugnehmend - Berka (FN 220), 139 ff. Hierzu Funk (FN 218), 592; Holoubek (FN 218), 39; Berka (FN 188), 140; VfSlg 7717/1975. Insb. zum zulässigen Unternehmensgegenstand des ORF vgl. § 2 ORF-G und unten Pkt IV.C.2.c. Dazu näher unten Pkt. IV.C.2.e. § 31a ORF-G. Siehe Holoubek (FN 218) 39f. Vgl. §§ 20 und 21 ORF-G.
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Publikumsrat (6 Mitglieder) und schließlich dem Zentralbetriebsrat des ORF (5 Mitglieder) bestellt werden und dadurch die wesentlichen politischen und gesellschaftlichen Kräfte im Bund und in den Ländern darstellen sollen.304 Als wesentliche Aufgaben, die dem Stiftungsrat obliegen, sind unter anderem wichtige Personalentscheidungen, wie insbesondere die Bestellung und Abberufung des Generaldirektors sowie auf dessen Vorschlag der übrigen Führungskräfte des ORF, die Mitentscheidung in zentralen Fragen der Unternehmenspolitik sowie die Genehmigung der Programmrichtlinien und die Festsetzung von Programmentgelt und Werbetarifen zu nennen.305 Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben sind die Mitglieder des Stiftungsrates ausdrücklich an keine Weisungen und Aufträge gebunden, sondern haben lediglich die sich aus den Gesetzen und der Geschäftsordnung ergebenden Pflichten zu erfüllen. Jedoch kann der Bestellungsmodus der Mitglieder des Stiftungsrates zu einem beachtlichen - im ORF-G aber auch durchaus bewusst angelegten - Einfluss der Regierung führen.306 Gänzlich neu ist die Statuierung einer Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Mitglieder nach dem Vorbild von Aufsichtsratsmitgliedern einer Aktiengesellschaft.307 Zum anderen kommt in der Einrichtung des sogenannten Publikumsrates,308 dem ebenfalls 35 Mitglieder angehören, die zu einem Teil durch große gesellschaftliche Institutionen, wie Sozialpartner oder Kirchen und zum anderen Teil durch den Bundeskanzler auf Vorschlag repräsentativer Einrichtungen und Organisationen der verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche bestellt werden, die Idee eines Integrationsrundfunks zum Ausdruck. Die wesentliche Funktion dieses Gremiums ist eine beratende.309 Das Anliegen der Unabhängigkeitssicherung des Rundfunks, im RFG (BGBl. Nr. 379/1984 idF BGBl. I Nr. 32/2001) weitgehend durch ein System der Gewaltenteilung hinsichtlich der Befugnisse der monokratischen Organe der Führungsebene des ORF verwirklicht, findet sich im ORF-G (BGBl. Nr. 379/1984 idF BGBl. I Nr. 159/2005) kaum noch. Dem Generaldirektor, der an die Stelle des Generalintendanten tritt, kommen gem § 25 Abs 1 neben der Geschäftsführung und Außenvertretung des ORF auch umfassende Weisungsrechte gegenüber der zweiten Führungsebene zu, die sich gemäß § 24 ORF-G aus vier bis sechs Direktoren und Landesdirektoren zusammensetzt.310
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Zur Zusammensetzung des Kuratoriums nach dem RFG (BGBl. 379/1984 idF BGBl. Nr. 563/1985) siehe Berka (FN 220) 143; gleiches gilt auch für die Zusammensetzung des, mit der durch die RFG-Nov 2001 (FN 296) erfolgten Änderung in ORF-G, neu eingerichteten Stiftungsrates. Zu den Kompetenzen des Stiftungsrates im Einzelnen Twaroch/Buchner (FN 226), 136 ff. Deren Ausführungen beziehen sich zwar noch auf die Aufgaben des Kuratoriums nach dem RFG, diese sind jedoch mit den nunmehr festgelegten Aufgaben des Stiftungsrates im ORF-G im Wesentlichen ident. Dazu, allerdings noch auf die Stiftungsratsmitglieder nach dem alten RFG (BGBl. 379/1984 idF BGBl. Nr. 505/1993) Bezug nehmend Holoubek (FN 218) 40 ff. Vgl. § 20 Abs 2 ORF-G iVm §§ 99 und 84 AktG. Danach haben sie bei ihrer Tätigkeit die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden, widrigenfalls sie der Stiftung - vertreten durch den Generaldirektor - bzw subsidiär den Gläubigern zum Ersatz des daraus resultierenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet sind. Vgl. §§ 28, 29, 30 ORF-G. Ausführlich zur Einrichtung der „Hörer- und Sehervertretung“ nach dem alten RFG (BGBl. 379/1984 idF BGBl. Nr. 563/1985), die jedoch im Wesentlichen dem nun bestehenden Publikumsrat entspricht, Berka (FN 220) 143 f. Im Gegensatz zur Rechtslage nach dem RFG idF BGBl. I Nr. 32/2001 ist deren Geschäftsbereich nunmehr auch nicht mehr gesetzlich verankert, sondern vom Stiftungsrat auf Vorschlag des Generaldirektors festzulegen. Vgl. § 24 Abs 2 ORF-G.
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Das Prinzip der inneren Medienfreiheit findet in der im ORF-G garantierten Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit der programmgestaltenden Mitarbeiter311 sowie der Freiheit der journalistischen Berufsausübung aller journalistischen Mitarbeiter312 seinen Ausdruck.313
c) Der Unternehmensgegenstand und der öffentliche Auftrag des ORF Das ORF-Gesetz unterscheidet zwischen dem Unternehmensgegenstand des ORF314 und dem „öffentlichen Auftrag“ und macht damit klar, dass dem ORF kommerzielle Aktivitäten nicht verwehrt sind, diese aber nicht zum öffentlichen Auftrag zählen.315 Der Unternehmensgegenstand des ORF umfasst gemäß § 2 Abs 1 ORF-G die Veranstaltung von Rundfunk (§ 2 Abs 1 Z 1 ORF-G) sowie die Durchführung von mit dieser Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Online-Diensten und Teletext und den Betrieb von für diese Tätigkeit notwendigen technischen Einrichtungen (§ 2 Abs 1 Z 2 ORF-G) sowie schließlich alle Geschäfte und Maßnahmen, die für derartige Tätigkeiten und die Vermarktung dieser Tätigkeiten geboten sind (§ 2 Abs 1 Z 3 ORF-G). Der ORF ist weiters gemäß § 2 Abs 2 ORF-G zur Gründung von Tochtergesellschaften und zur Beteiligung an Unternehmen berechtigt, sofern diese den gleichen Unternehmensgegenstand haben oder der Unternehmensgegenstand des ORF eine solche Aktivität erfordert. § 9 Abs 1 bis 5 ORF-G enthalten eine Konkretisierung des zulässigen Unternehmensgegenstandes des ORF für den Fall, dass der ORF über den öffentlichen Auftrag (§§ 3 bis 5 und 9a ORF-G) hinaus über Tochtergesellschaften bzw über diese in vertraglicher Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen bestimmte Rundfunkprogramme veranstaltet. § 9 Abs 6 ORF-G enthält schließlich eine spezielle Begrenzung des Unternehmensgegenstands des ORF im Hinblick auf § 2 Abs 1 Z 3 ORF-G, in dem zum einen die Herausgabe und der Vertrieb bestimmter Produkte sowie die Werbemittlung für Dritte
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Programmgestaltende Mitarbeiter sind im Sinne des § 23 Abs 2 ORF-G alle Personen, die an der inhaltlichen Gestaltung von Hörfunk- und Fernsehsendungen mitwirken. Als journalistische Mitarbeiter definiert § 32 Abs 3 ORF-G alle Personen, die an der journalistischen Gestaltung von Programmen im Hörfunk und Fernsehen mitwirken, insb Redakteure, Reporter, Korrespondenten und Gestalter. Vgl. § 32 Abs 1 ORF-G. Näher Holoubek (FN 218) 45ff zur bisherigen Rechtslage, die durch das ORF-G übernommen wurde. Der Unternehmensgegenstand ist in § 2 Abs 1 ORF-Gesetz festgelegt. Insb gehören bloße Randnutzungen und Hilfstätigkeiten nicht zum öffentlichen Auftrag des ORF. Nicht zutreffend erscheint die Auffassung von Kogler/ Kramler/Traimer, Österreichische Rundfunkgesetze, 2002, 8, dass auch alle „angelagerten Tätigkeiten“ des ORF zum öffentlichen Auftrag zählen. Eine solche Auffassung ist jedenfalls im Hinblick auf das EG-Beihilferegime problematisch, welches nur die Finanzierung von „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ über öffentliche Gebühren zulässt. Vgl. dazu oben Pkt II.C.2.c. Zur Bedeutung der Trennung des öffentlichen Auftrags von den sonstigen kommerziellen Tätigkeiten, insb. unter beihilferechtlichen Gesichtspunkten, vgl. Dörr, Die Gebührenfrage und die Debatte um die Strukturreform, in: Bröhmer ua (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte: FS Ress, 1151 (1156 ff).
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oder vergleichbare Vermarktungsaktivitäten für Dritte explizit vom Unternehmensgegenstand des ORF ausgeschlossen werden.316 § 2 Abs 2 ORF-G ermöglicht es dem ORF also, für alle im Bereich seines Unternehmensgegenstandes liegende Tätigkeiten Tochtergesellschaften zu gründen.317 Tochtergesellschaften des ORF sind dabei, ungeachtet, ob sie im Alleineigentum des ORF stehen oder auch Dritte an diesen Gesellschaften beteiligt sind, hinsichtlich ihres Unternehmensgegenstandes an die Regelungen des ORF-G und auch an jene gesetzlichen Bindungen des ORF gebunden, die dessen Marktverhalten beschränken.318 Das System des ersten Abschnitts des ORF-G über Einrichtung und Aufgaben des ORF unterscheidet also zwischen dem Unternehmensgegenstand des ORF und seinem „öffentlichen Auftrag“. Der Unternehmensgegenstand des ORF (bzw gemäß § 2 Abs 2 seiner Tochtergesellschaften) umfasst einerseits grundsätzlich alle Tätigkeiten im Rahmen des öffentlichen Auftrags des ORF, das sind - neben anderen, speziellen, im ORF-G so geregelten (siehe § 9a ORFG) - die Tätigkeiten im Rahmen des Versorgungsauftrags des § 3 ORF-G, des Programmauftrags des § 4 ORF-G und der besonderen Aufträge des § 5 ORF-G, sowie andererseits Tätigkeiten, die über diese Tätigkeiten im öffentlichen Auftrag hinausgehen (§ 2 Abs 3 ORF-G). Letztere sind den besonderen Regelungen des § 2 Abs 3 ORF-G unterworfen.319 Nach der Spruchpraxis des Bundeskommunikationssenats darf der ORF etwa Infrastrukturdienstleistungen für Dritte unter Nutzung seiner technischen Einrichtungen als über den Versorgungsauftrag hinausgehende, kommerzielle Tätigkeit im Rahmen seines Unternehmensgegenstandes erbringen.320 Soweit der ORF über den Versorgungsauftrag hinausgehende Aktivitäten gemäß § 2 Abs 3 ORF-G erbringt, unterliegt er 316
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Siehe zur Reichweite des Unternehmensgegenstandes insb im Hinblick auf den Betrieb von technischen Einrichtungen einschließlich der Frage des zulässigen Unternehmensgegenstandes von Tochtergesellschaften des ORF BKS 25.11.2005, GZ 611.933/0016-BKS/2005 und BKS 25.9.2006, GZ 611.933/0006-BKS/2006. Die nicht ausschließlich in seinem Eigentum stehen müssen, siehe § 9 Abs 1 ORF-G und BKS 25.9.2006, GZ 611.933/0006-BKS/2006. Siehe zu § 7 ORF-G und § 15 PrR-G (Verpflichtung des ORF, im Rahmen der technischen Möglichkeiten anderen Rundfunkveranstaltern die Mitbenutzung seiner Sendeanlagen gegen angemessenes Entgelt zu gestatten) BKS 29.1.2007, GZ 611.189/0001-BKS/2007. Siehe BKS 25.9.2006, GZ 611.933/0006-BKS/2006. Darauf können Dritte wegen § 2 der auf Grundlage der §§ 27b Abs 1 und 27c PrTVG bzw § 16 Abs 3 und 5 TKG 2003 ergangenen Zugangsberechtigungssysteme und Interoperabilitätsverordnung der KommAustria vom 16. März 2005, die ihrerseits nur die Bestimmungen des Art 5 Abs 1 iVm Anhang I Teil I lit b der Zugangsrichtlinie (RL 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Zugang zur elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung, Abl L 108 vom 24.4.2002, 7 ff) umsetzt, etwa dann einen Anspruch haben, wenn der ORF oder eine seiner Tochtergesellschaften als „Anbieter von Zugangsberechtigungsdiensten“ für das digitale Fernsehen und den digitalen Rundfunk am Markt auftritt (siehe dazu ausführlich BKS 9.1.2006, GZ 611.933/0016-BKS/2005). Derartige im Rahmen des Unternehmensgegenstandes zulässige technische Dienstleistungen kann der ORF auch grenzüberschreitend beispielsweise für den deutschen Rundfunkmarkt erbringen (dazu BKS 25.9.2006, GZ 611.933/0006-BKS/2006).
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insbesondere dem Diskriminierungsverbot des § 2 Abs 4 ORF-G und dem speziellen „Trennungsgebot“ des § 2 Abs 3 ORF-G, demzufolge über den „öffentlichen Auftrag“ des ORF hinausgehende Tätigkeiten organisatorisch und rechnerisch von Tätigkeiten im Rahmen dieses öffentlichen Auftrags zu trennen sind. Zielsetzung dieses Trennungsgebots ist es, dass nachvollziehbar gewährleistet wird, dass die Mittel aus dem Programmentgelt ausschließlich für Aktivitäten im Rahmen des öffentlichen Auftrags herangezogen werden bzw anders formuliert, dass sonstige Tätigkeiten im Rahmen des Unternehmensgegenstandes, die vom ORF auch gewinnorientiert betrieben werden können, nicht durch Mittel aus dem Programmentgelt „quersubventioniert“ werden und insoweit unzulässige Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Dieses Trennungsgebot des § 2 Abs 3 ORF-G steht selbständig neben jenem des § 39 Abs 4 ORF-G und dient insbesondere auch der Sicherstellung der Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen an die Finanzierung der Tätigkeiten im Rahmen des öffentlichen Auftrags durch das Programmentgelt.321 Diskriminierungsverbot und Trennungsgebot gelten dabei auch dann, wenn der ORF derartige Aktivitäten über Tochtergesellschaften erbringt.322 Der öffentliche Auftrag des ORF, der alleine mittels der Rundfunkgebühren finanziert werden darf, umfasst einen Versorgungsauftrag (§ 3 ORF-G), einen Programmauftrag (§ 4 ORF-G) und die sog besonderen Aufträge (§ 5 ORFG). Der Versorgungsauftrag verpflichtet den ORF in technischer Hinsicht für eine Grundversorgung der Bevölkerung zu sorgen. Demnach hat er eine flächendeckende und angemessene Versorgung aller Bewohner Österreichs mit mindestens drei Hörfunk und zwei Fernsehprogrammen sicherzustellen.323 In inhaltlicher Hinsicht, im Rahmen seines Programmauftrages, ist der ORF - kurz zusammengefasst - zu einer ausgewogenen und objektiven Programmgestaltung, die der umfassenden Information über alle wichtigen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Fragen, der Bildung, sowie der einwandfreien Unterhaltung der Bevölkerung dienen soll, verpflichtet.324 Er hat sich dabei - dies ist nunmehr ausdrücklich gesetzlich verankert325 - durch die Einhaltung bestimmter Qualitätskriterien bei der Programmgestaltung von der privaten Konkurrenz deutlich abzugrenzen.326 Durch die Hervorhebung der besonderen Bedeutung von Information, Kultur und Wissenschaft in § 4 Abs 2 ORF-G wird die aus den programminhaltlichen Gestaltungsnormen ohnehin eindeutig zum Ausdruck kommende Informations-, Bildungs- und Kulturfunktion des ORF nochmals besonders betont.
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Siehe grundlegend BKS 25.11.2005, GZ 611.933/0016-BKS/2005. Vgl. ebd. § 3 Abs 1 ORF-G. § 4 Abs 1 ORF-G. Zu diesen Grundsätzen im Einzelnen Kogler/Kramler/Traimer (FN 315), siehe auch Holoubek/Damjanovic, Länderbericht Kulturquotenregelungen in Österreich, in: Weber ua, 2006, 372 (377ff). § 4 Abs 3 ORF-G. Was dabei als „anspruchsvolle Sendungen“ iSd § 4 Abs 3 ORF-G, die im Hauptabendprogramm zur Wahl stehen müssen, anzusehen ist, lässt sich nur schwer eindeutig bestimmen. Allgemein zu den Möglichkeiten und Grenzen der gesetzlichen Festlegung des öffentlichen Programmauftrags Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, 2000, 97ff; Degenhardt, Öffentlich-rechtlicher Rundfunkauftrag und Rundfunkgebühr, K&R 7/2005, 295-302 (297f).
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Die Definition des öffentlichen Auftrags (§§ 3 bis 5 ORF-Gesetz) ist relativ weit gefasst; insbesondere erfolgt die Umschreibung des öffentlichen Auftrags lediglich funktional, das heißt über die Festlegung von Zielen, die der ORF als öffentlich-rechtliche Anstalt zu erfüllen hat sowie über die Festlegung allgemeiner Grundsätze, wie zB dass die Sendungen anspruchsvoll zu sein oder sich durch hohe Qualität auszuzeichnen haben. Die Definition wird vor dem Hintergrund der Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission bei der Beihilfenkontrolle im Bereich des öffentlichen Rundfunks dennoch als hinreichend klar iSd EG-beihilferechtlichen Vorgaben327 angesehen werden können. Insb. verlangt die Europäische Kommission in ihrer Entscheidungspraxis (in dem Bewusstsein, dass dies praktisch einfach nicht möglich ist) keine trennscharfe Abgrenzung zwischen kommerziellem und öffentlichem Bereich und akzeptiert bei den traditionellen Rundfunkprogrammen auch bewusst einen durchaus breit gefassten Programmauftrag. Eine nähere Konkretisierung fordert sie allerdings für die OnlineAktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten,328 die zum öffentlichen Auftrag gezählt werden sollen.329 Für Berka330 ergibt sich aus § 4 iVm § 18 ORF-G dass sich „der öffentlich-rechtliche Online-Auftrag des ORF auf eine umfassende Aktualinformation über alle relevanten gesellschaftlichen Lebensbereiche, auf die Vermittlung kultureller, künstlerischer und wissenschaftlicher Inhalte, auf ein Unterhaltungsangebot, die Bereitstellung von Bildungsangeboten und die Sportförderung“ erstreckt.331
d) Die Finanzierung des ORF Zur Finanzierung des vom ORF zu erfüllenden Versorgungsauftrags ist eine duale Finanzierungsstruktur aus Programmentgelt und Werbeerlösen vorgesehen.332 Die Festsetzung der Höhe des zu entrichtenden Programmentgelts und damit die konkrete Festsetzung des Finanzbedarfs für den öffentlichen Auftrag, obliegt nach § 31 ORF-G dem Stiftungsrat. § 31 ORF-G legt dabei nicht ausdrücklich fest, dass die Festsetzung auf Grundlage der Berechnung des Finanzbedarfs nach § 39 ORF-G333 zu erfolgen hat, sondern regelt in sehr allgemeiner Form, dass bei der Festsetzung dafür zu sorgen ist, dass „unter Zugrundelegung einer sparsamen Verwaltung die gesetzmäßigen Aufgaben des Rundfunks kostendeckend erfüllt werden können; hierbei ist auf die 327 328
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Zu diesen siehe oben Pkt II.C.2.c. Zu den Online-Aktivitäten des ORF vgl. www.orf.at; Wittmann, Der ORF als WebAnbieter im Internet - Fragen des Programmbezugs und der Werbefinanzierung, Studie des Instituts für Medien & Recht. Siehe dazu etwa Heim, Online-Dienste öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, K&R 3/2004, 121-126. Berka (FN 156). Berka (FN 156), 67. Diese Auffassung dürfte mit der Entscheidungspraxis der Europäischen Kommussion zum zulässigen Umfang der Festlegung von OnlineDiensten zum öffentlichen Auftrag vereinbar sein, fraglich ist nur inwieweit diese Bestimmungen auch den Anforderungen der Europäischen Kommission an eine konkrete Festlegung eines solchen genügen. An Erträgen aus dem Programmentgelt sind im Finanzplan 2006 458,9 Mio. Euro und an Erträgen aus klassischer Werbung 294,4 Mio. Euro vorgesehen. http://kundendienst.orf.at/fakten/gremien/finanzplan.html. § 39 ORF-G iVm § 2 Abs 3 ORF-G verpflichtet in Umsetzung von Art 3a TransparenzRL (FN 336) den ORF, zur organisatorischen und rechnerischen Trennung seiner kommerziellen Tätigkeiten von jenen, die er im Rahmen des öffentlichen Auftrags zu erbringen hat, wodurch sichergestellt werden soll, dass nur die dem öffentlichen Auftrag zuzurechnenden Tätigkeiten aus dem Programmentgelt finanziert werden.
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gesamtwirtschaftliche Entwicklung Bedacht zu nehmen.“334 Sinnvollerweise, in gesetzessystematischer (iVm § 2 Abs 3 ORF-G und § 39 ORF-G) und gemeinschaftskonformer Interpretation,335 kann diese Bestimmung nur so verstanden werden, dass der Stiftungsrat bei der Festlegung, was als kostendeckend anzusehen ist und damit allgemein bei der Festlegung der Höhe des Programmentgelts, an die Berechnung gemäß § 39 ORF-G gebunden ist. Über die Einbindung des Publikumsrats in das Verfahren gemäß Abs § 31 Abs 2 ORF-G sowie der Verpflichtung gem § 8 ORF-G, die Jahresberichte dem Nationalrat und Bundesrat zu übermitteln, soll den Transparenzerfordernissen nach der TransparenzRL336 Rechnung getragen werden. Das Programmentgelt wird gem § 31 Abs 4 ORF-G gleichzeitig mit der Rundfunkgebühr337 von der ,,Gebühren Info Service GmbH''338 eingehoben. Die Rundfunkgebühr gemäß § 2 Abs 1 RGG ist eine Form einer (nutzungsunabhängigen) Abgabe auf den Betrieb oder die Betreibsbereitschaft einer Rundfunksempfangseinrichtung und fällt unabhängig davon an, ob das Fernsehgerät tatsächlich benützt wird, ob damit Programme des ORF oder ausschließlich privater (ausländischer) Rundfunkanbieter empfangen werden sowie von der Nutzung des Fernsehgerätes innerhab eines bestimmten Zeitabschnitts. Daher ist für das Entstehen der Gebührenpflicht die Wahrnehmbarkeit oder Nicht-Wahrnehmbarkeit von Rundfunkprogrammen, die verschiedene Ursachen haben kann, nicht maßgeblich.339 Die GIS ist ein beliehenes Unternehmen,340 dass gem § 4 RGG das gesamte „Einbringungsmanagement“341 zu besorgen hat. Davon sind die Entscheidung über eine Befreiung von der Entgelt- bzw Gebührenpflicht,342 gezielte Öffentlichkeitsarbeit zur Information über die Gebührenpflicht, die Erfassung der Rundfunkteilnehmer, die Aufforderung zur Abgabe einer Mitteilung über das Vorliegen der Gebührenpflicht, wenn nötig die Veranlassung der Einbringung im Verwaltungsweg, die Abrechnung der eingehobenen Gebühren usw. umfasst.
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Derzeit beträgt das Programmentgelt für Radio und Fernsehen EUR 13,80 für Radio allein EUR 3,83 pro Monat. Zu den beihilferechtlichen Vorgaben in diesem Zusammenhang vgl. Pkt II.C.2.c. Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen i.d.F. der Richtlinie 2000/52/EG der Kommission vom 26.07.2000, Abl 2000 L 193/75. Derzeit werden gem § 3 Abs 1 RGG monatlich für Radio-Empfangseinrichtungen EUR 0,36, für Fernseh-Empfangseinrichtungen EUR 1,16 für den Bund eingehoben (gs jeweils unbeschränkte Anzahl; § 3 Abs 3 RGG). Daneben knüpfen bundes- und landesabgabenrechtliche Bestimmungen an Empfangseinrichtungen an, etwa das Bundesgesetz vom 9. Dezember 1981 über den Kunstförderungsbeitrag, BGBl 1981/573 idF BGBl. I 34/2005. Ein ausgegliederter Rechtsträger, ehemals Tochter der PTA, nunmehr zu 100% im Besitz des ORF. Näher unter http://www.orf-gis.at. VfGH 16.3.2006, G 85, 86/05. Vgl. VfSlg 17.421/2004 zur Beleihung der GIS im Zusammenhang mit der Übertragung der Aufgabe der Einhebung des Wiener Kulturförderungsbeitrags. Vgl. Bericht des Verfassungsausschusses, 2039 BlgNR, XX. GP. § 31 Abs 3 und 4 ORF-G (iVm §§ 3 Abs 5 und 4 Abs 1 RGG iVm §§ 47 ff („Befreiungsbestimmungen“) der Anlage zum Fernmeldegebührengesetz (Fernmeldegebührenordnung), BGBl 1970/170 idF BGBl. I 71/2003). Siehe dazu VfGH 16.3.2006, G 85, 86/05 - eine Gebührenbefreiung für gehörlose oder schwer gehörbehinderte Menschen ist verfassungsrechtlich nicht geboten.
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Die detailierten Bestimmungen über die Entrichtung der Gebühren finden sich im RundfunkgebührenG.343 Die Rundfunkgebührenrechnung (Radio und Fernsehen) setzt sich zusammen aus: • der Gebühr für Rundfunkempfangseinrichtungen,344 die dem Bund zufließt; • dem Programmentgelt, das dem ORF zufließt; • der je nach Bundesland unterschiedlich hohen Landesabgabe, die direkt ins jeweilige Landesbudget fließt • und dem Kunstförderungsbeitrag, der im Verhältnis 70:30 zwischen Bund und Ländern aufgeteilt wird. Auf das zweite finanzielle Standbein des ORF, die Maßnahmen zur Werbefinanzierung, - insbesondere Product-Placement und Sponsoring - wird unter Pkt VI.D. näher eingegangen. e) Die Aufsicht und Kontrolle über den ORF Aufgrund der besonderen Gemeinwohlverantwortung, die dem ORF zukommt, wird er neben der finanziellen Kontrolle durch den Rechnungshof345 vor allem auch einer spezifischen rundfunkverwaltungsrechtlichen Staatsaufsicht durch eine besondere Verwaltungsbehörde - den Bundeskommunikationssenat346 - unterstellt. Gegenstand der Tätigkeit dieser Behörde ist die Rechtsaufsicht über den ORF, die dabei als Kontrollmaßstab die Bestimmungen des ORF-G heranzuziehen hat.347 Die Rechtsaufsicht des BKS besteht dabei auch über jene Aktivitäten des ORF bzw seiner Tochtergesellschaften, die grenzüberschreitend im Ausland erbracht werden, weil auch diesbezüglich die Bindungen des ORF-G, insbesondere die Regelungen über den Unternehmensgegenstand und die einschlägigen Beschränkungen gemäß § 2 ORF-G zu beachten sind.348 Konkret hat der Bundeskommunikationssenat über die Verletzung von Bestimmungen des ORF-G auf Grund von Beschwerden einzelner Personen, die durch eine Rechts-
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Bundesgesetz betreffend die Einhebung von Rundfunkgebühren (Rundfunkgebührengesetz - RGG), BGBl I 1999/159 idF BGBl. I 71/2003. Als Rundfunkempfangseinrichtung gem § 2 RGG gelten neben den klassischen Fernseh- und Radiogeräten auch PCs, sofern sie „den Empfang von Rundfunk ermöglichen“, also etwa mit einer TV-Tuner Karte ausgestattet sind, vgl. Kogler/Kramler/Traimer (FN 315), 86. Die GIS-GmbH geht auch bei UMTSMobiltelefonen von einer Meldepflicht aus, sofern diese nicht ausschließlich mobil betrieben werden und verweist auf den Wortlaut des § 2 RGG („Wer eine Rundfunkempfangseinrichtung im Sinne des § 1 Abs. 1 in Gebäuden betreibt…“). Pro Standort wird die Gebühr allerdings nur einmal fällig, solange nicht über zehn Einrichtungen betrieben werden (§ 3 Abs 2 RGG). Neben dieser in § 31a ORF-G geregelten unternehmensexternen Gebarungskontrolle über den ORF sieht das ORF-G darüber hinaus in § 40 auch eine interne Prüfung des ORF durch die sog Prüfungskommission vor. Zur Ausgestaltung dieser Rechtsaufsichtsbehörde siehe unten Pkt. VII.D. § 35 Abs 1 ORF-G. Gemäß § 35 Abs 6 ORF-G gelten die Aufsichtsbefugnisse des BKS respektive die einschlägigen Beschwerdemöglichkeiten auch gegenüber Tochtergesellschaften des ORF. Siehe dazu BKS 25.9.2006, GZ 611.933/0006-BKS/2006.
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verletzung geschädigt349 oder zumindest in ihrer Person liegenden Interessen betroffen zu sein behaupten350 (Beschwerdeverfahren) sowie auf Grund eines Antrags des Bundes, eines Landes, des Publikumsrates, des Stiftungsrates und in bestimmten Fällen des Vereins für Konsumenteninformationen oder einer gesetzlichen Interessensvertretung zu entscheiden.351 Beschwerdemöglichkeiten bestehen ferner für „Konkurrenten“ des Österreichischen Rundfunks, deren rechtliche oder wirtschaftliche Interessen durch die behauptete Verletzung berührt werden.352 In Umsetzung der RL 98/27/EG353 wurde gem § 36 Abs 1 Z 2 lit. e ORF-G nun auch ein Antragsrecht für Einrichtungen und Organisationen eines anderen Mitgliedstaates der EU zum Schutz von Verbraucherinteressen eingeführt. Schließlich sieht das ORF-G auch die Möglichkeit einer sog Popularbeschwerde354 vor, die von jedem Rundfunkteilnehmer, sofern er die Unterstützung von mindestens 300 weiteren Personen hat, eingebracht werden kann.
Die Entscheidung des BKS in all diesen Verfahren besteht in der Regel in der Feststellung, ob und wodurch eine Verletzung des ORF-G erfolgt ist. Bei fortdauernder Rechtsverletzung kommt dem BKS aber auch die Möglichkeit zu, die Entscheidung des betreffenden Organs aufzuheben, des weiteren dieses aufzulösen oder abzuberufen und schließlich kann der BKS auch die Veröffentlichung seiner Entscheidung anordnen.355
3. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Veranstaltung von privatem Rundfunk a) Allgemeines Entsprechend dem dualen Rundfunksystem und dem darin zugrundegelegten außenpluralen Modell für die Säule des privaten Rundfunks,356 zielen die recht349
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§ 36 Abs 1 Z 1 lit. a ORF-G; zur Beschwerdelegitimation bzw den Begriffsinhalten (entsprechend § 27 Abs 1 Z 1 lit a RFG), vgl. VfSlg 11958/1989; 12125/1989; 13512/1993; RFK, RfR 1980, 57; 1990, 49; 1992, 31; 1997, 44. Nunmehr ist ausgeschlossen, dass alle Beschwerdemöglichkeiten in Anspruch genommen werden, um ein und dieselbe Verletzung (selbst durch verschiedene Personen) zu rügen. Näher § 36 Abs 1 Z 1 lit. c (insb letzter HS) ORF-G. § 36 Abs 1 Z 2 lit. a-d ORF-G; zur Zuständigkeit der Kommission zur Wahrung des RFG nach § 27 Abs 1 Z 1 und 2 RFG in Abgrenzung zu den Gerichten und Verwaltungsbehörden, VfSlg 7897/1976; 8579/1979; 8581/1979; RFK, RfR 1982, 18; 1983, 53. Gleiches gilt nach unveränderter Rechtslage hinsichtlich der Zuständigkeit des BKS nach § 36 Abs 1 Z 1 und 2 ORF-G. Vgl. § 36 Abs 1 Z 1 lit d ORF-G. ZB aufgrund von Verstößen gegen die Werbebeschränkungen (dazu unten Pkt. VI.D) oder zur Geltendmachung des Rechts auf Kurzberichterstattung nach FERG (dazu unten Pkt IV.D.1). Zu dem damit geforderten Wettbewerbsverhältnis für das Vorliegen dieser Beschwerdelegitimation siehe etwa BKS 14.12.2004, GZ 611.933/0003-BKS/2004; dort auch dazu, dass ein aktueller Schadenseintritt nicht notwendig vorliegen muss, um in wirtschaftlichen Interessen berührt zu sein. RL über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, Abl 1998 L 166/51. § 36 Abs 1 Z 1 lit. b ORF-G. Gegenüber § 27 Abs 1 Z 1 lit b RFG ist die Anzahl der Unterstützungserklärungen in Angleichung an § 61 Abs 1 Z 2 PrTV-G auf 300 reduziert worden. Zur Frage, wann die Beschwerdevoraussetzungen vorliegen müssen, RFK, RfR 1978, 8; 1980, 61; 1985, 35; 1991, 34; 2000, 66. Siehe im Einzelnen § 37 ORF-G; Feststellungen von Rechtsverletzungen, die dem ORF als Medium unterlaufen, sind grundsätzlich immer zu veröffentlichen (VfSlg 12497/1990). Dazu vgl. oben Pkt IV.C.1.
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lichen Bestimmungen für die Veranstaltung von privatem Rundfunk in Österreich im Grundsatz auf eine Stärkung des publizistischen Wettbewerbs und damit verbunden der programmlichen Meinungsvielfalt auf den Rundfunkmärkten ab. Sie sind nach den jeweiligen Verbreitungsarten differenzierend357 im Privatradio-358 und im Privatfernsehgesetz359 geregelt. Im Folgenden wird zwecksmäßigerweise eine gemeinsame Überblicksdarstellung dieser Vorschriften gegeben. b) Marktzutrittsregulierung aa) Bedeutung der Marktzutrittsregulierung: Zulassung und Anzeige Die Marktzutrittsregulierung ist im privaten Rundfunkbereich ein zentrales Instrument der staatlichen Kontrolle über die privaten Rundfunkunternehmen. Insb. im Bereich des terrestrischen Rundfunks bildet sie ein notwendiges Mittel, um die knappen Ressourcen, die dieser nutzt - die Frequenzen - zweckmäßig vergeben zu können. Insofern wird die Veranstaltung von Fernsehen und Hörfunk in Österreich grundsätzlich an eine Zulassung, mit welcher im Bereich des terrestrischen Rundfunks grundätzlich360 die Zuteilung der erforderlichen Frequenzen einhergeht,361 gekoppelt.362 Lediglich für das Anbieten von Kabelrundfunkveranstaltungen ist gem § 9 PrTV-G eine Anzeige bei der Behörde ausreichend.363
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Das PrTV-G (FN 17) regelt die Veranstaltung von Fernsehen auf drahtlosem terrestrischen Weg sowie von Hörfunk und Fernsehen in Kabelnetzen und über Satellit (§ 1 Abs 1); das PrR-G (FN 16) die Veranstaltung von Hörfunkprogrammen mittels analoger terrestrischer Übertragungstechniken (§ 1 Abs 1). Die Gesetzestexte differenzieren demnach nicht (bloß) nach den jeweiligen Inhaltstypen (Fernsehen/Hörfunk), wie ihre missverständliche Bezeichung vermuten ließe, sondern in erster nach den jeweils genutzten Verbreitungsplattformen. Dieser Zugang (den Anwendungsbereich von Rundfunkregelungen nach den genutzten Verbreitungsplattformen zu bestimmen) entspricht an sich nicht der gemeinschaftsrechtlich, für den Bereich der elektronischen Kommunikation, vorgegebenen getrennten Regulierung von Infrastruktur und Inhalt sowie dem hier auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene verfolgten technologieneutralen Ansatz. FN 16. FN 17. Vgl. gleich unten die Ausführungen zur Multiplex-Plattform. Vgl. unten Pkt IV.D.2 (FN 465). Zum Verfahren der Frequenzzuteilung siehe auch die allgemeine Regelung in § 54 TKG 2003 (FN 31), der im Hinblick auf die Frequenzen zur Veranstaltung von Rundfunk auf das PrTV-G und PrR-G verweist. Konkret zu den Zuständigkeiten bei der Frequenzzuteilung vgl. auch Lehofer/Feiel, Praxiskommentar zum TKG 2003, 193. Vgl. für den terrestrischen Hörfunk § 1 Abs 2 PrR-G und für terrestrisches Fernsehen sowie Satellitenrundfunk (Hörfunk und Fernsehen) § 3 Abs 1 PrTV-G. Gem § 3 Abs 6 PrTV-G bedarf auch die Weiterverbreitung von nach dem PrTV-G veranstalteten Kabelrundfunkprogrammen über Satellit einer Zulassung. Für diese Art des Rundfunks werden keine Frequenzen genutzt und es sind insofern auch keine knappen Ressourcen zu vergeben. Neben der Veranstaltung von Kabelrundfunk (der Schaffung von Fernseh- oder Hörfunkprogrammen für die Verbreitung in Kabelnetzen, vgl. die Begriffsbestimmung in § 2 Z 1 PrTV-G), ist auch die Weiterverbreitung durch den Kabelnetzbetreiber anzuzeigen. Kogler/Kramler/ Traimer (FN 315), 137.
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bb) Ausschreibung einer Zulassung Anträge auf Erteilung einer Zulassung für Satelliten- oder terrestrischen Rundfunk können bei der zuständigen Regulierungsbehörde - der KommAustria364 - grundsätzlich jederzeit eingebracht werden. Da Zulassung und Frequenzzuteilung für die Veranstaltung terrestrischen Rundfunks in der Regel zusammenfallen, werden Anträge überwiegend dann gestellt, wenn die Behörde freie Frequenzen für die Veranstaltung von Rundfunk ausschreibt.365 Für die Teilnahme an einem solchen Ausschreibungsverfahren sind die von der Regulierungsbehörde gem § 13 Abs 2 PrR-G366 und § 16 Abs 1,367 § 17 Abs 2368 sowie § 23 Abs 1 PrTV-G369 zu bestimmenden Fristen zu beachten. Eine erstmalige Ausschreibung für bundes- und nicht bundesweite Zulassungen für analoges terrestrisches Fernsehen ist vier Wochen nach Inkrafttreten des PrTV-G370 erfolgt.371 Weitere Ausschreibungen analoger terrestrischer Übertragungskapazitäten sind nach §§ 11 - 13 PrR-G und § 17 PrTV-G - kurz zusammengefasst - für den Fall des Ablaufens und Erlöschens einer Zulassung, nach Aufhebung der Zulassung durch VfGH oder VwGH, nach Entzug einer erteilten Zulassung sowie bei Vorliegen eines begründeten Einspruchs372 gegen eine beantragte Zulassung vorgesehen.373 Sie sind in geeigneter Weise - insb durch Veröffentlichung im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ - von der Regulierungsbehörde kundzumachen.374 364 365 366 367 368 369 370
371
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Näheres zu den Behörden auf den Rundfunkmärkten siehe unten Pkt VIII. Vgl. FN 361. Betreffend die Übertragungskapazitäten für analogen terrestrischen Hörfunk ist eine Frist von 2 Monaten zu beachten. Bei Übertragungskapazitäten für analoges terrestrisches Fernsehen beträgt die Frist mindestens drei Monate. Für weitere Ausschreibungen von Übertragungskapazitäten für analoges terrestrisches Fernsehen ist eine Frist von mindestens 2 Monaten zu beachten. Bei der Ausschreibung der technischen Kapazitäten für die Errichtung einer digitalen Multiplex-Plattform ist es eine Frist von mindestens sechs Monaten. Zu den einschlägigen Verfahren, siehe die Homepage der RTR-GmbH (http://www.rtr.at/web.nsf/deutsch/Rundfunk_Regulierung_Entscheidungen_Entsch eidungen_EntscheidungenGesamtRF). Vergleichbare erstmalige Ausschreibungen für den Bereich des analogen terrestrischen Hörfunks (den Anwendungsbereich des PrR-G) hat es nicht gegeben. Hier sind bereits vor Inkraft-Treten des PrR-G Frequenzen an den ORF und auf Grundlage des RRG (BGBl 1993/506 idF BGBl 2000/51, gem § 33 Abs 1 PrR-G seit 1. 4. 2001 außer Kraft) an private Veranstalter zugeteilt worden; auf dieser Frequenzsituation baut das PrR-G auf. Ein begründeter Einspruch liegt gem § 12 Abs 6 PrR-G bzw gem § 15 Abs 6 PrTVG vor, wenn in nachvollziehbarer Weise behauptet wird, die Übertragungskapazität könnte 1. zur Verbesserung der Versorgung in einem anderen bestehenden Versorgungsgebiet oder 2. zur Erweiterung eines bestehenden Versorgungsgebietes oder 3. zur Schaffung eines neuen Versorgungsgebietes herangezogen werden. Im Bereich des analog terrestrischen Fernsehrundfunks haben diese Ausschreibungen ihre praktische Relevanz verloren, da alle zur Verfügung stehenden Übertragungskapazitäten in Zukunft ausschließlich für die digitale Terrestrik herangezogen werden. Siehe dazu auch unten Pkt IV.D.2.b. Für analogen terrestrischen Hörfunk veranlasste die KommAustria am 19.07.2005 (KOA 1.705/05-002) die Ausschreibung der Übertragungskapazität für das Versorgungsgebiet „WIEN 98,3 MHz.“ § 13 Abs 1 PrR-G, § 16 Abs 1, § 17 Abs1 und § 23 Abs 1 PrTV-G. Außer im „Amtsblatt der Wiener Zeitung“ kann die Ausschreibung auch in weiteren österreichischen Tageszeitungen und in sonstiger geeigneter Weise erfolgen. Sonst geeignet
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cc) Formelle und materielle Voraussetzungen Für die Erteilung einer Zulassung haben die Antragsteller bestimmte formelle und materielle Voraussetzungen zu erfüllen: Zu den formellen Zulassungsvoraussetzungen zählen zum einen die in § 7 PrR-G und § 10 PrTV-G festgelegten Anforderungen an die Eigentümerstruktur der Rundfunkveranstalter, durch welche der Zugang zu den österreichischen Rundfunkmärkten für Bewerber, die nicht aus dem Europäischen Wirtschaftsraum stammen, begrenzt werden soll. Demnach müssen die Rundfunkveranstalter grundsätzlich österreichische Staatsbürger bzw juristische Personen oder Personengesellschaften mit Sitz im Inland sein, EWRAngehörige bzw juristische Personen oder Personengesellschaften mit Sitz im Europäischen Wirtschaftsraum werden diesen gleichgestellt.375 Ist der Programmveranstalter in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, Personengesellschaft oder Genossenschaft organisiert, dürfen höchstens 49% der Anteile im Eigentum Fremder oder eines Unternehmens mit Sitz im Ausland bzw eines Unternehmens, bei dem Fremde über Einflussmöglichkeiten nach § 244 Abs 2 iVm Abs 4 und 5 des Unternehmensgesetzbuches376 verfügen, stehen.377 Zur Effektuierung dieser Vorschriften wird festgelegt, dass Aktien auf Namen zu lauten haben, Treuhandverhältnisse offen zu legen sind und Anteile einer Privatstiftung den Anteilen des Stifters gleichgehalten werden, sofern dem Stifter Einfluss auf die Tätigkeit der Privatstiftung zukommt.378 Weiters werden die Zulassungswerber verpflichtet, ihre bestehenden Eigentums- und Mitgliederverhältnisse der Regulierungsbehörde sowohl zum Zeitpunkt der Antragsstellung als auch bei jeder diesbezüglichen Änderung mitzuteilen.379
Zum anderen werden im Rahmen der formellen Zulassungsvoraussetzungen mit der Zielsetzung bestimmte staatliche bzw staatsnahe Institutionen von vornherein von der Programmträgerschaft bzw auch nur von der Beteiligung an einer solchen ausgeschlossen,380 was die Unabhängigkeit des Rundfunks vom Staat sichern soll. So dürfen gem § 8 PrR-G und § 10 Abs 2 PrTV-G an juristische Personen des öffentlichen Rechts, Parteien im Sinne des Parteiengesetzes, den Österreichischen Rundfunk, vergleichbare ausländische Rechtspersonen, sowie auch an juristische Personen oder Personengesellschaften, an denen die oben genannten Rechtsträger unmittelbar381 beteiligt sind, keine Zulassungen erteilt werden. Lediglich für die Verbreitung von Kabelrundfunkprogrammen wird für die Dauer von 120 Minuten pro Tag eine Ausnah-
375 376 377 378 379 380 381
wird wohl die Kundmachung der Ausschreibung auf der Website der Regulierungsbehörde (KommAustria: http://www.tkc.at/ www/ tkc_main.nsf/ pages/ willkommen-RF) sein. § 7 Abs 1 und 3 PrR-G, § 10 Abs 1 und 4 PrTV-G. Diese Bestimmungen folgen dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot der Nichtdiskriminierung BGBl. I 2005/120. § 7 Abs 2 PrR-G, § 10 Abs 3 PrTV-G. § 7 Abs 4 PrR-G; § 10 Abs 5 PrTV-G. § 7 Abs 5 PrR-G, § 10 Abs 6 PrTV-G. Diese Bestimmungen entsprechen § 9 RRG (FN 371). Zu § 9 RRG Holoubek, Programmträgerschaft nach dem Regionalradiogesetz, MR 86, 87. Dieses bloß direkte Beteiligungsverbot wird vom Gesetzgeber damit begründet, dass - auch im Hinblick auf Art 10 EMRK und den Gleichheitsgrundsatz - nur diese staatlich verfestigten Institutionen selbst von der Veranstaltung von Hörfunk ausgeschlossen sein sollen bzw deren direkter Einfluss auf diese verhindert werden soll. Holoubek (FN 380), 87.
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me gemacht, um etwa Gemeinden auch die Möglichkeit zur Veranstaltung von lokalen Programmen zu geben.382
Schließlich enthalten die formellen Zulassungsregelungen Bestimmungen über mögliche Beteiligungen von „Medieninhabern“ an Rundfunkveranstaltern (die sog Medienverbundregelungen).383 Diese dienen in erster Linie der Schaffung eines publizistischen Wettbewerbs, der Konzentrationen, insbesondere zwischen den verschiedenen Medienbranchen, verhindern soll.384 In materieller Hinsicht wird von den potentiellen Interessenten durch die Vorlage eines Programmkonzepts, des geplanten Programmschemas sowie des in Aussicht genommenen Redaktionsstatuts auch a) die Glaubhaftmachung der finanziellen, fachlichen und organisatorischen Eignung für eine regelmäßige Veranstaltung und Verbreitung des geplanten Programms sowie b) die Einhaltung bestimmter Programmgrundsätze geprüft.385 dd) Auswahlentscheidung im Bereich des terrestrischen Rundfunks Bewerben sich mehrere Antragsteller, die die oben dargelegten gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, um eine Zulassung zur Veranstaltung von terrestrischem Fernsehen oder Hörfunk386 und sind nicht ausreichend technische Übertragungskapazitäten, dh Frequenzen vorhanden, so hat die Regulierungsbehörde nach Maßgabe der in § 6 PrR-G bzw der in §§ 7, 8 und 24 PrTV-G enthaltenen Grundsätze eine Auswahlentscheidung zu treffen. Bei dieser Entscheidung hat sie - auf einen allgemeinen Nenner gebracht - insb zu berücksichtigen, welcher Antragsteller die Zielsetzungen des Privatradio- bzw Privatfernsehgesetzes am besten gewährleistet, wobei unter Zugrundelegung des bereits bestehenden Marktangebots387 insbesondere darauf abzustellen ist, wer insgesamt eine bessere Gewähr für eine größere Meinungsvielfalt bietet und ein eigenständiges, auf die Interessen im Verbreitungsgebiet Bedacht nehmendes Programmangebot bereitzustellen imstande ist.388
382 383 384 385 386
387
388
Vgl. § 10 Abs 2 PrTV-G. Vgl. § 9 PrR-G und § 11 PrTV-G. Zu diesen Vorschriften näher unten Pkt V.D. § 5 Abs 3 PrR-G, § 4 Abs 3 PrTV-G. Im Kabel- und Satellitenrundfunkbereich bedarf es einer derartigen Auswahlentscheidung nicht, da hier keine knappen Ressourcen von den Programmveranstaltern genutzt werden. Dies gilt nur für den Hörfunkbereich, da für terrestrisches Fernsehen in Österreich abgesehen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk - noch kein Marktangebot vorhanden ist. Mit dieser Bestimmung soll sichergestellt werden, dass bei der Vergabe der Zulassungen auch die Situation des gesamten Medienbereiches im Verbreitungsgebiet im Hinblick auf die Meinungsvielfalt beachtet wird. Zu dieser Vergabe nach materiellen Kriterien, die auch als „beauty contest“ bezeichnet wird, siehe Berka (FN 215) 448 ff; Ruhle/Freund/Kronegger/Schwarz, Das neue österreichische Telekommunikations- und Rundfunkrecht, 36; Kogler/Kramler/Traimer (FN 315) zu § 6 PrR-G, 259ff. Durch die Verankerung dieser traditionell rundfunkrechtlichen Auswahlkriterien soll eine pluralistische Medienordnung und damit die Umsetzung der rundfunkverfassungsrechtlichen Grundsätze gewährleistet werden.
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ee) Erteilung der Zulassung/Auflagen Die Erteilung der Zulassung389 durch die Regulierungsbehörde erfolgt durch Bescheid.390 Dieser stellt eine einheitliche Bewilligung in rundfunk- und fernmelderechtlicher Hinsicht dar, in welchem neben der Genehmigung der Programmgattung, des Programmschemas und der Programmdauer auch das Versorgungsgebiet festzulegen und die Übertragungskapazitäten zuzuordnen sind.391 Im Bescheid kann die Regulierungsbehörde auch Auflagen392 für die Rundfunkveranstalter vorsehen. Das soll ihr ermöglichen, rundfunkrechtliche Zielsetzungen (zB Meinungsvielfalt) über vollstreckbare393 Leistungspflichten im Bescheid umzusetzen. ff) Zulassung zu Errichtung und Betrieb einer terrestrischen MultiplexPlattform Mit der digitalen Technik ist es nunmehr möglich die bestehenden Übertragungskapazitäten mehrfach zu nutzen, indem mehrere Programme auf einer Frequenz übertragen werden. Dies geschieht über die sogenannten digitalen Multiplex-Plattformen.394 Eine Ausschreibung für Zulassungen, die zur Errichtung und zum Betrieb einer solchen Plattform berechtigen, wird von der Regulierungsbehörde nach Maßgabe des Digitalisierungskonzeptes395 durchgeführt. In einem „beauty contest“396 ist dann demjenigen Antragsteller auf einen Zeitraum von 10 Jahren die Multiplex-Zulassung zu erteilen, der iSd Meinungsvielfalt das pluralistischste Angebot an digitalen Programmen verbreitet, der rasch einen hohen Versorgungsgrad der Bevölkerung mit digitalen Signalen in technisch hervorragender Qualität gewährleisten kann und ein nutzerfreundliches Konzept für die Konsumenten bietet.397
389 390 391
392
393
394
395 396 397
Vgl. dazu auch die Begriffsbestimmung von „Zulassung“ in § 2 Z 2 PrR-G, § 2 Z 2 PrTV-G; Wittmann, Das neue Privatradiogesetz, MR 2001, 12 (13). Einschlägige Bescheide sind auf der Homepage der RTR-GmbH (FN 370) abrufbar. Vgl. zB den Bescheid der KommAustria vom 12.09.2006 (KOA 1.705/06-63) über die Erteilung der Übertragungskapazität für das Versorgungsgebiet „WIEN 98,3 MHz“ mitsamt der Zulassung zur Veranstaltung eines Hörfunkprogrammes an die Sunshine Radio GmbH. § 3 Abs 2 PrR-G, § 5 Abs 3 PrTV-G. Siehe zB die an ATV+ erteilten Auflagen eines Versorgungsgrades von mindestens 75% der Bevölkerung und eines Eigenproduktionsanteils von mindestens 20% (KOA 3.005/02-24). Zur Abgrenzung von Auflagen und Bedingungen siehe VwGH 14. 10. 1991, 91/10/0028; und Duschanek, Nebenbestimmungen im Bescheid, ÖZW 1985, 7. Regelmäßig wird es sich dabei um nach § 5 VVG (BGBl.Nr. 53/1991 idF BGBl. I Nr. 137/2001) zu vollstreckende Leistungen oder Unterlassungen handeln. Einer Vollstreckung zugänglich sind aber nur relativ bestimmte Verpflichtungen, vgl. VwSlg 6071 A/1963; 9414 A/1977; ua. Vgl. die Begriffsbestimmungen in § 2 Z 6 und 7 PrTV-G sowie RV 635 BlgNR 21. GP, 41. Danach stellt „Multiplex“ eine technische Einrichtung zur Umwandlung von analogen in digitale Signale und/oder Bündelung derselben in einen digitalen Datenstrom dar. Eine „Multiplex-Plattform“ bezeichnet die technische Infrastruktur zur Verbreitung und Bündelung der in einem solchen digitalen Datenstrom zusammengefassten digitalen Programme und Zusatzdienste. § 21 PrTV-G; dazu noch näher unten FN 485. Vgl. zum Konzept des „beauty contest“ FN 388. Zu den Auswahlgrundsätzen im Detail siehe § 24 PrTV-G.
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Konkret wurde die Zulassung für Errichtung und Betrieb der ersten MUX im Mai 2005 ausgeschrieben398 und draufhin im Februar 2006 an die Österreichischen Rundfunksender GmbH & Co KG (ORS)399 für einen Zeitraum von 10 Jahren vergeben.400
Der Betreiber einer Multiplex-Plattform hat die Aufgabe die technische Infrastruktur für das digitale terrestrische Fernsehen zur Verfügung zu stellen.401 Die Auswahl der über die Plattform zu übertragenden Programme wird einerseits durch das Gesetz und den Bescheid der KommAustria vorgegeben, andererseits erfolgt sie durch den Betreiber selbst.402 Digitale Programme und Zusatzdienste sind von dem MUX-Betreiber unter fairen, ausgewogenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen zu verbreiten.403 Da dem MUX-Betreiber also letztendlich die Auswahl derjenigen Programme obliegt, die er über seine Plattform vertreibt, hat die KommAustria bestimmte Auflagen auszusprechen, um das dem PrTV immanente Regelungsziel der Sicherung der Meinungsvielfalt dennoch gewährleisten zu können.404 Die zentrale Auflage ist die „must carry“ Verpflichtung405 für die zwei analog ausgestrahlten Fernsehprogramme des ORF und das jenes Rundfunkveranstalters, dem eine Zulassung für bundesweites Fernsehen erteilt wurde, auf Nachfrage und gegen angemessenes Entgelt, wenn diese Programme im jeweiligen Versorgungsgebiet noch nicht elektronisch verbreitet werden.
Da der Multiplex-Betreiber nur die Verbreitung von Programmen besorgt, solche aber nicht selbst gestaltet, fällt die Zulassung für die Veranstaltung von Rundfunk nicht mehr zwingend mit dem Auswahlverfahren der Frequenzzuteilung zusammen.406 Er beantragt nach § 23 PrTV-G zwar eine MultiplexZulassung, diese betrifft aber bloß den Betrieb der technischen Infrastruktur, weshalb auch die dafür notwendige Frequenz vergeben wird.407
398
399
400 401 402 403 404 405 406
407
KOA 4.200/05-05 vom 10.05.2005; Vgl. § 23 Abs. 1 iVm § 21 Abs. 5 PrTV-G und darüber hinaus die „Verordnung zur näheren Festlegung der Auswahlgrundsätze für die Erteilung einer terrestrischen Multiplex-Zulassung 2005 (MUXAuswahlgrundsätzeverordnung 2005 - MUX-AG-V 2005)“, die unter http://www.rtr.at/ web.nsf/deutsch/Rundfunk_Rundfunkrecht _Verordnungen_RFVerordnungen_MU XAGV2005? OpenDocument abrufbar ist. 2005 wurde der Bereich Sendetechnik aus dem ORF ausgeliedert und eine eigenständige Kommanditgesellschaft mit Sitz in Wien gegründet. Kommanditisten sind der Österreichische Rundfunk (ORF) mit einer Hafteinlage von 60 % und die Medicur Sendeanlagen GmbH mit einer Hafteinlage von (40 %). Gesellschafter der ORS sind ebenfalls der ORF zu 60 % und die Medicur Sendeanlagen GmbH zu 40 %. KOA 4.200/06-002 vom 23.02.2006. Vgl. § 2 Z 8 PrTV-G. Nach Maßgabe der Beilage zum Bescheid KOA 4.200/06-002 über Verfahren und Kriterien zur Programmbelegung. Vgl. § 27 PrTV-G. Vgl. § 25 Abs 2 und § 27 Abs 3 PrTV-G. Vgl. § 25 Abs 2 Z 2 und 3 PrTV-G. Auch die ORS selbst verfügt als eigenständiges Unternehmen über keine Zulassung zur Veranstaltung von Rundfunk; ihr Hauptgesellschafter der ORF sehr wohl (Legalkonzession im ORF-G). Zur Frage ob es damit nicht um den Betrieb eines „Kommunikationsnetzes“ iSd GenehmigungsRL geht und das Auswahlverfahren dem Gemeinschaftsrecht widerspricht siehe unten Pkt IV.D.2.b.
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Inhaltliche Gestaltung und technische Ausstrahlung liegen bei digitaler Übertragung demnach nicht mehr in der Hand des Rundfunkveranstalters. Dieser benötigt zwar weiterhin eine Zulassung, ihm wird aber keine Frequenz zugeteilt. Stattdessen ist nach § 28 Abs 1 PrTV-G neben den allgemeinen Voraussetzungen für Rundfunkveranstalter, die sich aus den §§ 10 und 11 PrTV-G ergeben, eine Vereinbarung mit einem terrestrischen Multiplex-Betreiber über die Verbreitung im Fall der Zulassung nachzuweisen.408
§ 23 PrTV-G
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Abb. 3: Betrieb einer terrestrischen Multiplex-Plattform
c) Inhaltliche Anforderungen an private Rundfunkprogramme Auch die privaten Rundfunkveranstalter haben im Sinn der umfassenden Rundfunkfreiheit,409 nach welcher auch im Bereich des privaten Rundfunks ein Grundstandard gleichgewichtiger Vielfalt sichergestellt werden soll,410 gewisse inhaltliche Anforderungen an ihr Programm zu beachten. Diese sollen durch die im PrTV-G und PrR-G verankerten Vorgaben (§ 16 PrR-G und § 30 ff PrTV-G) betreffend die inhaltliche Gestaltung der privaten Rundfunkprogramme sichergestellt werden. Die Bestimmungen sind an den für den öffentlichen Rundfunkveranstalter formulierten Programmdirektiven411 angelehnt; sie 408 409 410
411
Himberger (FN 482). Vgl. dazu oben Pkt III.D. Es ist unbestritten, dass der Gesetzgeber angesichts der rundfunkverfassungsrechtlichen Vorgaben auch im Bereich des privaten Rundfunks durch geeignete inhaltliche Programmanforderungen seiner rundfunkrechtlichen Funktionsverantwortung nachzukommen hat. Dazu etwa Berka (FN 215) 440 ff. Dazu oben Pkt. IV.C.2.c.
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gehen allerdings lang nicht so weit, wie die mit dem umfassenden Programmauftrag an den ORF verbundenen Bindungen.412 Die Verpflichtungen sind auf grundlegende und allgemein gehaltene Programmgrundsätze und Sorgfaltsmaßstäbe betreffend Objektivität und Meinungsvielfalt der Programme, der Einhaltung bestimmter kultureller Standards, dem Schutz von Jugendlichen und dem Persönlichkeitsschutz allgemein sowie der Achtung der Menschenwürde und der Grundrechte anderer beschränkt.413 d) Rechtsaufsicht Instrument zur Durchsetzung dieser gesetzlichen Verpflichtungen im privaten Rundfunkbereich ist die Rechtsaufsicht über die privaten Rundfunkveranstalter, die zu weiten Teilen dem Aufsichtssystem über den ORF gemäß §§ 35 ff ORF-G nachgebildet ist. So sieht auch das Privatradio- und Privatfernsehgesetz die Möglichkeit einer Individualbeschwerde bei der KommAustria414 für jeden, der aufgrund einer Rechtsverletzung unmittelbar geschädigt zu sein behauptet415 sowie die Möglichkeit einer Popularbeschwerde jeder Person, die über die Unterstützung von mind 100 Personen gem § 25 Z 2 PrR-G bzw 300 Personen gem § 61 Abs 1 Z 2 PrTV-G verfügt, vor. Darüber hinaus gewährt das Privatfernsehgesetz für die Verletzung bestimmter Vorschriften dieses Bundesgesetzes416 auch Personen, die in spezifisch in ihrer Person liegenden Interessen betroffen zu sein behaupten,417 Unternehmen, deren rechtliche oder wirtschaftliche Interessen berührt werden sowie gesetzlichen Interessensvertretungen, Vereinen für Konsumenteninformationen und Einrichtungen und Organisationen eines anderen Mitgliedstaates der EU zum Schutz von Verbraucherinteressen418 ein Beschwerderecht.419 Diese Bestimmungen, die die KommAustria ua zur Entscheidung über 412
413 414
415 416
417
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Diese Differenzierung ist im Lichte der individuellen Rundfunkveranstaltungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich, solange sich der Unterschied in den Bindungen in verhältnismäßigen Relationen bewegt und insgesamt zu einer ausgewogenen Rundfunkordnung führt, siehe VfGH 1.12.2006, B 3269/05: Es ist zulässig, den ORF, der aufgrund seines öffentlich-rechtlichen Auftrages in § 1 ORF-G eine Sonderstellung einnimmt, strengeren Vorschriften zu unterwerfen (in diesem Sinn ist auch Art 3 iVm Art 10 und 11 der Fernsehrichtlinie 89/552/EWG zu verstehen). Dazu schon Holoubek, Der Regionalradiogesetz-Entwurf vor dem Hintergrund der rundfunkverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreich auf dem Weg zum dualen Rundfunksystem (1991) 21, 53. Näher zu diesen Programmdirektiven siehe Holoubek/Kassai/Traimer (FN 120) 86. Nach § 24 Abs 1 PrR-G und § 61 PrTV-G entscheidet die Regulierungsbehörde (gem § 1 Abs 1 KOG (FN 150) die KommAustria) über behauptete Verletzungen von Bestimmungen dieser Gesetze aufgrund von Beschwerden. Vgl. § 25 Z 1 PrR-G, § 61 Abs 1 Z 1 PrTV-G. Betrifft die inhaltlichen Anforderungen an alle privaten Rundfunkprogramme im Allgemeinen und zum Schutz von Minderjährigen sowie die Werberegelungen (§§ 31f, 34 bis 45 und 46 Abs 2 bis 5 PrTV-G). Dies jedoch nur, sofern die in dieser Beschwerde relevierten Beschwerdepunkte nicht schon Gegenstand einer gem § 61 Abs 1 Z 1 und 2 PrTV-G eingebrachten Beschwerde sind. Sie können gegenüber diesen nur subsidiär geltend gemacht werden. Es handelt sich hier um Stellen und Organisationen eines anderen MS, die gem Art 4 Abs 3 RL 98/27/EG (FN 353) zu veröffentlichen sind. Ihnen kommt ein Beschwerderecht, jedoch nur bei Verletzungen der Bestimmungen der §§ 34-46 PrTV-G hinsichtlich von Fernsehwerbung, zu (§ 61 Abs 1 Z 7 PrTV-G). Vgl. § 61 Abs 1 Z 3-7 PrTV-G.
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Unternehmensbeschwerden berufen,420 machen sie in gewisser Weise auch zu einem spezifischen Wettbewerbsregulator im Fernsehbereich.
Die Entscheidung der Regulierungsbehörde besteht grundsätzlich in der Feststellung einer Rechtsverletzung, die der Rundfunkveranstalter, wenn die Regulierungsbehörde ihn dazu beauftragt, auch zu veröffentlichen hat.421 Darüber hinaus kennen das Privatradio- und das Privatfernsehgesetz auch ein Sanktionssystem, das bei wiederholten oder schwerwiegenden Rechtsverletzungen letztendlich im Entzug einer Zulassung gipfeln kann.422 Zuständig für die Rechtsaufsicht im privaten Rundfunkbereich ist die KommAustria.423 Das Sanktionssystem gegenüber dem ORF einer- und privaten Rundfunkveranstaltern andererseits unterscheidet sich aber, worauf der VfGH nachdrücklich hinweist424 insofern wesentlich, als unterschiedliche Sanktionsformen vorgesehen sind. Insbesondere sind die Sanktionswirkungen von Geldstrafen nach dem ORF-G und dem PrTV-G nicht isoliert vergleichbar. Während die Verurteilung eines Privatfernsehveranstalters zu einer Geldstrafe einen Schritt in Richtung eines Verfahrens zum Entzug der Sendelizenz bedeuten kann, stellt für den ORF die in § 38 Abs 1 ORF-G vorgesehene Geldstrafe die einzig mögliche Sanktionsform bei Verletzungen des ORF-G dar. Der Regulierungsbehörde steht also bei wiederholten oder schwerwiegenden Rechtsverletzungen durch einen Privatfernsehveranstalter die Möglichkeit offen, ein Verfahren zum Entzug der Zulassung einzuleiten. Demgegenüber kann die Regulierungsbehörde auf den Unrechtsgehalt einer Rechtsverletzung oder auf wiederholte Verstöße425 des ORF lediglich mittels Festsetzung der Strafhöhe reagieren.
D. Sektorübergreifendes Rundfunkrecht Neben den spezifischen Maßnahmen für den ORF (ORF-G)426 und den spezifischen Vorschriften für den privaten Rundfunk (PrTV-G und PrR-G)427 sieht das Rundfunkrecht Bestimmungen vor, die sich sektorübergreifend auf den öffentlichen und die privaten Rundfunkveranstalter gleichermaßen beziehen und dabei teilweise, wie insbesondere das Rundfunkwerbe- und -wettbewerbsrecht, auch das im dualen Rundfunksystem angelegte besondere Verhältnis zwischen diesen beiden Sektoren zum Gegenstand ihrer Regelungen haben. Zu diesen sektorübergreifend ausgestalteten rundfunkrechtlichen Bestimmungen zählen neben dem Regelungskomplex über die „Fernsehereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung“ (FERG) und den Maßnahmen, die
420 421 422 423 424 425
426 427
So insb § 61 Abs 1 Z 4 PrTV-G; Vgl. § 26 PrR-G, § 62 PrTV-G. § 28 PrR-G, § 63 PrTV-G. § 1 Abs 1 KOG (FN 150). Näheres zur KommAustria und ihrem Aufgabenbereich unten Pkt. VIII.D.1. VfGH 1.12.2006, B 3269/05. Sieht man von der durch § 37 Abs 2 ORF-G eingeräumten Möglichkeit, unter detailliert geregelten Voraussetzungen einzelne Organe des ORF abzuberufen oder aufzulösen, ab. FN 15. FN 17, 16.
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die Nutzung der für den Rundfunkbereich bestimmten Frequenzen428 regeln,429 das rundfunkspezifische Wettbewerbsrecht,430 die rundfunkspezifischen Werberegelungen431 sowie die Bestimmungen zur Organisation der Behördenstruktur und zum Verfahren auf den Rundfunkmärkten.432
1. FERG Das Fernseh-Exklusivrechtegesetz433 enthält zwei Regelungskomplexe, denen gemeinsam ist, dass sie allfällige Exklusivrechte an der Fernsehübertragung bestimmter Ereignisse mit der Zielsetzung beschränken, die Berichterstattung über ein solches Ereignis ganz oder in gewisser Weise mehreren Fernsehveranstaltern zugänglich zu machen. Die Regelungen des FERG gelten434 nur für den ORF und in Österreich nach dem PrTV-G zugelassene Fernsehveranstalter. Die Rechtsaufsicht sowohl über den ORF als auch über private Fernsehveranstalter im Hinblick auf die Bestimmungen des FERG obliegt dem BKS, der bei Verstößen auch Geldstrafen verhängen kann. a) Das „Listensystem“ für „Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung“ Der erste Regelungskomplex des FERG betrifft „Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung“ (§ 2 bis 4 FERG). Diese Regelungen des FERG setzen Art 3a der Fernsehrichtlinie um. Zielsetzung der Regelungen ist es, die Zugänglichkeit derartiger Ereignisse im Free-TV zu sichern und auf diese Weise „das Recht auf Informationen zu schützen und der Öffentlichkeit breiten Zugang zur Fernsehberichterstattung über nationale oder nicht nationale Ereignisse zu verschaffen“.435 Art 3a Abs 1 der Fernsehrichtlinie ermöglicht den Mitgliedstaaten die Einführung eines solchen Regelungsregimes, verpflichtet sie aber nicht dazu. Österreich hat im FERG von dieser Möglichkeit, die seiner Rechtshoheit unterworfenen Fernsehveranstalter zu verpflichten, die Übertragung derartiger Ereignisse nicht „unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit“ vorzunehmen,436 Gebrauch gemacht. Was im Sinne des § 2 FERG ein „Ereignis von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung“ ist, bestimmt sich danach, ob es in einer Verordnung der Bundesregierung als solches taxativ aufgezählt ist. Voraussetzung für die Auf-
428 429 430 431 432 433 434
435 436
Wie auch deren Digitalisierung nach dem Digitalisierungskonzept, vgl. FN 485. Zu diesen beiden Regelungskomplexen siehe die nachfolgenden Ausführungen in diesem Abschnitt unter Pkt a) und b). Vgl. Pkt V.D. Vgl. Pkt VI. Vgl. Pkt VIII.D. Bundesgesetz über die Ausübung exklusiver Fernsehübertragungsrechte (FernsehExklusivrechtegesetz - FERG), BGBl I 2001/85. Mit Ausnahme der Bestimmung des § 5 FERG (dazu noch näher unten im Text), die Fernsehveranstalter im europäischen Rundfunkbinnenmarkt insgesamt berechtigt (aber nur in Österreich zugelassene Fernsehveranstalter verpflichtet). Vgl. den 18. Erwägungsgrund der Fernsehrichtlinie (FN 12) und RV 285 BlgNR, 21. GP. Siehe RV 285 BlgNR, 21. GP.
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nahme eines Ereignisses in eine solche Verordnung ist, dass auf das Ereignis mindestens zwei der folgenden Voraussetzungen zutreffen: 1. Das Ereignis findet bereits bisher, insbesondere aufgrund der Medienberichterstattung, in der österreichischen Bevölkerung breite Beachtung; 2. das Ereignis ist Ausdruck der kulturellen, künstlerischen oder sozialen Identität Österreichs; 3. das Ereignis ist, insbesondere durch die Teilnahme österreichischer Spitzensportler- und -sportlerinnen, eine Sportveranstaltung von besonderer nationaler Bedeutung oder findet aufgrund seiner internationalen Bedeutung bei den Fernsehzusehern und -zuseherinnen in Österreich breite Beachtung; 4. das Ereignis wurde bereits in der Vergangenheit im frei zugänglichen Fernsehen ausgestrahlt. In der Verordnung ist jeweils auch festzulegen, ob das Ereignis im frei zugänglichen Fernsehen zeitgleich oder zeitversetzt sowie ob es in seiner Gesamtheit oder nur in Teilen verfolgbar sein muss.437 Dieses Regelungssystem hat seine Grundlage in der Vorgabe des Art 3a der Fernsehrichtlinie, derzufolge die Mitgliedstaaten jene Ereignisse, die sie als solche von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung verstehen, in einer Liste zusammenzufassen und diese der Europäischen Kommission mitzuteilen haben. Die Kommission hat diese Listen - nach Einholung einer Stellungnahme des Kontaktausschusses nach Art 23a der Fernsehrichtlinie - im Amtsblatt zu veröffentlichen.438 Die derzeit geltende österreichische Verordnung nach § 4 FERG enthält neben dem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker und dem Wiener Opernball ausschließlich Sportveranstaltungen.439 An einem in der genannten Verordnung enthaltenen Ereignis von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung können zwar nach wie vor ausschließliche Übertragungsrechte erworben werden. Hat dies ein Fernsehveranstalter getan, hat er dann aber zu ermöglichen, dass dieses Ereignis in einem frei zugänglichen Fernsehprogramm in Österreich verfolgt werden kann, wobei als frei zugängliche Fernsehprogramme alle jene gelten, die der Fernsehzuseher ohne zusätzliche und ohne regelmäßige Zahlungen für die Verwendung von technischen Einrichtungen zur Entschlüsselung empfangen kann.440 Das Ereignis muss also - je nach Regelung in der Verordnung auch nur teilweise oder zeit437 438
439 440
Siehe näher § 4 Abs 2 FERG; § 4 Abs 3 FERG sieht eine Art Konsultationsverfahren vor Erlassung dieser Verordnung vor. Die Kommission trifft dabei eine Entscheidung im Sinne des Art 249 EGV, durch die Rechteinhaber unmittelbar und individuell betroffen sein können, siehe EuG Rs T-33/01, Infront, Slg 2005, II 5897. § 4 Abs 3 FERG sieht demzufolge auch vor, dass der Entwurf für eine Verordnung gemäß § 4 FERG nach Durchführung des innerstaatlichen Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommission vorzulegen ist und erst erlassen werden darf, wenn sich die Europäische Kommission nicht binnen einer Frist von drei Monaten ab der Vorlage gegen die Erlassung der Verordnung ausgesprochen hat. Verordnung der Bundesregierung über Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung, BGBl II 305/2001. Die Rundfunkgebühren oder eine Anschlussgebühr an ein Kabelnetz oder dergleichen zählen nicht als zusätzliche Zahlungen in diesem Sinn, siehe zu all dem näher § 3 FERG.
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versetzt - in einem Fernsehprogramm des Free-TV ausgestrahlt werden.441 Ein Fernsehveranstalter, der ausschließliche Übertragungsrechte an einem solchen Ereignis erworben hat, muss also „in nachweislicher und zumutbarer Weise unter Zugrundelegung angemessener marktüblicher Bedingungen“442 den frei zugänglichen Empfang des Ereignisses ermöglichen. Kommt es in einem solchen Fall zu keiner Einigung zwischen dem Exklusivrechteinhaber und dem Free-TV-Veranstalter, dann kann auf Antrag der BKS nach Durchführung eines Vermittlungsversuchs in Form eines vertragsersetzenden Bescheids gemäß § 3 Abs 4 FERG die angemessenen und marktüblichen Bedingungen im Sinne des § 3 Abs 3 FERG festlegen. Bemerkenswert ist, dass die Verpflichtung nach § 3 Abs 1 FERG, einschlägige Ereignisse im Free-TV entsprechend zugänglich zu machen, gemäß § 3 Abs 5 FERG ausdrücklich auch schadenersatzrechtlich sanktioniert ist.443 Der objektive Zweck des Regelungssystems liegt in der Sicherstellung, dass Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung im Free-TV ausgestrahlt werden. Insofern dienen die Regelungen dem Informations- bzw Unterhaltungsinteresse des Fernsehpublikums. Um dieses übergeordneten, öffentlichen Interesses Willen nimmt die Regelung auch in Kauf, dass damit in wettbewerblicher Hinsicht eine gewisse Ungleichbehandlung zwischen marktmächtigen Free-TV-Veranstaltern und anderen Fernsehveranstaltern entsteht: erstere, wie in Österreich der ORF, können damit ausschließliche Übertragungsrechte an derartigen Ereignissen erwerben und in ihrem Programm ausstrahlen, ohne aufgrund der Regelungen des FERG einer Verpflichtung etwa zur Sublizenzierung zu unterliegen. Anderen Fernsehveranstaltern, deren Programme die Voraussetzungen des § 3 Abs 2 FERG hinsichtlich der freien Zugänglichkeit nicht erfüllen, ist mit den einschlägigen Regelungen des FERG die Möglichkeit genommen, ausschließliche Übertragungsrechte an derartigen Ereignissen allein auszuüben.444 b) Das Kurzberichterstattungsrecht nach § 5 FERG Der zweite Regelungskomplex des FERG betrifft das so genannte Recht auf Kurzberichterstattung. Es ist in § 5 FERG geregelt und geht auf Art 9 des im Rahmen des Europarats ausgearbeiteten Europäischen Übereinkommens über 441
442 443
444
Das bedeutet, der über ein allfälliges ausschließliches Übertragungsrecht verfügende Fernsehveranstalter muss es in einem solchen Programm vefügbar machen; zu den Bedingungen und zur Regelung der Frage, wieweit diese Verpflichtung zur Verfügbarmachung geht, siehe § 3 FERG. § 3 Abs 3 FERG. Wobei der Anspruch auf Schadenersatz auch den Ersatz des entgangenen Gewinns umfasst. Das Gesetz lässt es offen, wer derartige Schadenersatzansprüche „nach den zivilrechtlichen Vorschriften“ (§ 3 Abs 5 FERG) geltend machen kann und welche näheren Voraussetzungen vorliegen müssen. Der Schadenersatzanspruch gemäß § 3 Abs 5 FERG ist allerdings davon abhängig, dass eine Entscheidung des BKS gemäß § 3 Abs 4 FERG vorliegt. § 3 Abs 6 und 7 FERG enthalten diesbezüglich nähere Verfahrensvorschriften einschließlich eines inzidenten Vorlageverfahrens zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Bescheiden gemäß § 3 Abs 4 FERG vor dem VwGH. Siehe dazu auch Kogler/Kramler/Traimer (FN 315) , 364 ff.
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das grenzüberschreitende Fernsehen zurück.445 Die Fernsehrichtlinie kennt ein solches Recht auf Kurzberichterstattung - noch446 - nicht. Auch das Europaratsübereinkommen stellt die Frage, ob sie ein solches Kurzberichterstattungsrecht einführen wollen, in das Ermessen der Vertragsparteien. Kern des Kurzberichtserstattungsrechts nach § 5 FERG ist der Anspruch jedes im EWR-Raum oder in einem Vertragsstaat des oben erwähnten Europaratsübereinkommens zugelassenen Fernsehveranstalters auf Kurzberichterstattung zu angemessenen Bedingungen und zu eigenen Sendezwecken über ein „Ereignis von allgemeinem Informationsinteresse“, an dem ein in Österreich zugelassener, also dem Geltungsbereich des FERG unterliegender Fernsehveranstalter ausschließliche Übertragungsrechte erworben hat oder dem aufgrund der faktischen Verhältnisse die ausschließliche Möglichkeit zukommt, über ein solches Ereignis zu berichten. Der Anspruch auf Kurzberichterstattung besteht also nach der österreichischen Ausgestaltung447 gegenüber dem Fernsehveranstalter, der ausschließliche Übertragungsrechte an einem solchen Ereignis erworben hat. Ein allgemeines Informationsinteresse liegt nach § 5 Abs 1 FERG dann vor, wenn zu erwarten ist, dass das Ereignis aufgrund seiner Bedeutung breiten Niederschlag in der Medienberichterstattung in Österreich oder in einem sonstigen Mitgliedstaat des EWR-Raums oder des Europaratsübereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen finden wird. Unter den „Ereignisbegriff“ des § 5 Abs 1 FERG fallen organisierte wie nicht organisierte, singuläre wie regelmäßig wiederkehrende und Ereignisse jedweden Inhalts, soferne dieser von allgemeinem Informationsinteresse ist, also sportliche, kulturelle, gesellschatliche oder politische Ereignisse.448 Das Recht auf Kurzberichterstattung umfasst die Berechtigung zur Aufzeichnung des Signals des verpflichteten Fernsehveranstalters, also desjenigen, der ausschließliche Übertragungsrechte an dem Ereignis erworben hat, und zur Herstellung und Sendung eines Kurzberichts. Dieser ist auf eine dem Anlass entsprechende nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung beschränkt. Die zulässige Dauer der Kurzberichterstattung bemisst sich nach der Länge der Zeit, die notwendig ist, um den nachrichtenmäßigen Informationsgehalt des Ereignisses zu vermitteln und beträgt mangels anderer Vereinbarung höchstens 90 Sekunden. Bei mehrtägigen Ereignissen umfasst das Recht der Kurzberichterstattung die tägliche Verbreitung eines Kurzberichts. Die Sendung des Kurzberichts darf jedenfalls nicht vor Beginn der Sendung durch den Fernsehveranstalter, der ein ausschließliches Übertragungsrecht erworben hat, erfolgen. Nach den 445 446
447
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Näher EB RV 285 BlgNR, 21. GP. Im Zuge der derzeit in Ausarbeitung befindlichen Revision der Fernsehrichtlinie zu einer Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste wird auch die Einführung eines Kurzberichterstattungsrechts überlegt, siehe Schulz, Zum Vorschlag über eine Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, in: Berka ua, Gemeinschaftsrecht und Rundfunk - Revolution oder Anpassung, Schriftenreihe REM Bd 2, 2007, 1 (16). Anders ist das etwa nach dem Kurzberichterstattungsrecht des § 4 des Deutschen Rundfunkstaatsvertrags, wo der Anspruch gegenüber dem Veranstalter des Ereignisses besteht. Vgl. VwGH 20.12.2005, 2004/04/0199.
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Gesetzesmaterialien449 sind unter den „angemessenen Bedingungen“, unter denen das Kurzberichterstattungsrecht einzuräumen ist, „nicht die Entrichtung eines Entgelts im Sinne einer finanziellen Beteiligung an den Kosten erworbener Fernsehrechte“ zu verstehen. Weil das Gesetz selbst aber diese Begrenzung nicht zum Ausdruck bringt, sondern allgemein von den „angemessenen Bedingungen“ spricht und für die Rechtseinräumung die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Rechte des Exklusivinhabers insgesamt gewährleistet werden muss, ist es nach der Rechtsprechung des VwGH in verfassungskonformer Interpretation „möglich und aus Gründen rechtlicher Konsequenz geboten, bei der Festsetzung der angemessenen Abgeltung des Wertes der Kurzberichterstattung auch auf das Entgelt für den Erwerb der Exklusivrechte Bedacht zu nehmen - freilich nur in einem solchen Ausmaß, dass dadurch das Recht der Kurzberichterstattung nicht konterkariert wird.“450 Durch die Begrenzung auf eine nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung, die Festlegung einer maximalen Länge der Kurzberichterstattung und die Regelung über den frühest möglichen Sendetermin des Kurzberichts sowie durch die Festlegung, dass die „angemessenen Bedingungen“ auch einen gewissen Kostenersatz enthalten, gibt der Gesetzgeber jene Kriterien vor, anhand derer im konkreten Fall ein angemessener Ausgleich zwischen dem eigentumsgrundrechtlich geschützten Exklusivitätsanspruch des verpflichteten Fernsehveranstalters und dem Informationsinteresse des ein Kurzberichterstattungsrecht geltend machenden Fernsehveranstalters herzustellen ist.451 Zur Durchsetzung des Rechts auf Kurzberichterstattung kann ein dieses Recht geltend machender Fernsehveranstalter den BKS anrufen. Dieser hat nach einem Schlichtungsversuch im Wege eines vertragsersetzenden Bescheids festzulegen, ob und zu welchen Bedingungen dem Fernsehveranstalter das Recht auf Kurzberichterstattung einzuräumen ist. Nach richtigem Verständnis sind unter diesen „Bedingungen“ im Sinne des § 5 Abs 4 FERG, die der BKS im Streitfall festzulegen hat, sowohl die technischen Bedingungen der Ausübung des Rechts der Kurzberichterstattung wie inhaltlich Festlegungen im Sinne des § 5 Abs 3 (nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung und Dauer und Zeitpunkt der Kurzberichterstattung) sowie die finanziellen Bedingungen der Ausübung des Kurzberichterstattungsrechts zu verstehen.452
449 450 451
452
RV 285 BlgNR, 21. GP, 13. VwGH 20.12.2005, 2004/04/0199. Siehe im Grundsatz VfGH 1.12.2006, B 551/06, B 567/06: „§ 5 FERG gibt … ausreichend Kriterien vor, die eine angemessene Berücksichtigung sowohl der privatrechtlichen Rechtsstellung des Rechtsinhabers als auch jener des Fernsehveranstalters und dessen Publikum ermöglicht und die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Richtung beider Grundrechte Rechnung trägt.“ Zu den verfassungsrechtlichen Implikationen eines Kurzberichterstattungsrechts auch BvfGE 97, 228 und aus der deutschen umfangreichen Literatur zum Thema nur Lerche/Ulsamer, Das Recht auf Kurzberichterstattung im Fernsehen, 1989. Einschränkend nur auf die technischen und finanziellen Bedingungen VfGH 1.12.2006, B 551/06, B 567/06, dessen Begründung jedoch methodisch verfehlt und in sich auch widersprüchlich ist, weil der VfGH unter anderem selbst auf die Dauer der Kurzberichterstattung abstellt.
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Das Recht auf Kurzberichterstattung hat bislang in Österreich ausschließlich im Zusammenhang mit Übertragungsrechten an der Fußballbundesliga eine Rolle gespielt und dort zu einer Reihe von Verfahren geführt.453 Von der Zielsetzung her unterscheidet sich das Kurzberichterstattungsrecht des § 5 FERG von der Regelung über die Zugänglichmachung der Berichterstattung über Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung im Sinne der §§ 2 ff FERG. Zunächst besteht das Kurzberichterstattungsrecht unabhängig davon, ob der das Recht Ausübende den Kurzbericht im Free-TV oder im Pay-TV sendet. Nach der Ausgestaltung in § 5 FERG hat das Kurzberichterstattungsrecht in gewisser Hinsicht eine wettbewerbsregulierende Funktion. Ziel des Kurzberichterstattungsrechts ist ein spezielles Informationsinteresse der Öffentlichkeit454 an der bildlichen Darstellung des Informationswerts des Ereignisses. Es geht dem Kurzberichterstattungsrecht weniger um die Information über das Ereignis als solche - diese kann und wird über verschiedenste elektronische und andere Medien in aller Regel tatsächlich schneller und effizienter verbreitet als über Kurzberichte - sondern um die audiovisuelle Vermittlung des Nachrichtenwerts des Ereignisses. Mit dem Recht auf Kurzberichterstattung wird sichergestellt, dass Fernsehveranstalter zumindest in einem gewissen, engen Umfang (weil von der Dauer her und inhaltlich auf eine nachrichtenmäßige Berichterstattung beschränkt) auch bildlich über Ereignisse von allgemeinem Informationsinteresse berichten können. Damit wird verhindert, dass die für die Attraktivität von Fernsehprogrammen ganz entscheidende bildliche Information über solche Ereignisse von einem Fernsehveranstalter aufgrund erworbener Ausschließlichkeitsrechte zur Gänze monopolisiert werden kann. Der publizistische Wettbewerb zwischen den Fernsehprogrammen soll nicht ausschließlich durch einen ökonomischen Wettbewerb um einschlägige Exklusivrechte ersetzt werden. Eine zweite mögliche Zielsetzung des Rechts auf Kurzberichterstattung liegt darin, „die Pluralität der Informationsquellen zu gewährleisten“455, weil durch das Kurzberichterstattungsrecht auch sichergestellt sein soll, dass von einem Ereignis von allgemeinem Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht nur zugänglich gemacht wird, was der über ausschließliche Übertragungsrechte verfügende Fernsehveranstalter beschließt zu senden, sondern ebenso das, was von Dritten gerade im Hinblick auf die bildliche Darstellung für berichtenswert 453
454 455
Siehe BKS 9.9.2004, GZ 611.003/0023-BKS/2004, VwGH 20.12.2005, 2004/04/0199, BKS 3.2.2006, GZ 611.003/0006-BKS/2006 und VfGH 1.12.2006, B 551/06, B 567/06 sowie parallel zu diesen verwaltungsbehördlichen und verwaltungs-/verfassungsgerichtlichen Verfahren eine Reihe zivilrechtlicher Wettbewerbsverfahren, siehe etwa OGH 14.6.2005, 4 Ob 66/05t, MR 2005, 330; OGH 14.6.2005, 4 Ob 49/05t, MR 2005, 333; OGH 11.8.2005, 4 Ob 155/05f, MR 2005, 386; OGH 20.10.2005, 3 Ob 79/05x; aus der kommentierenden Literatur dazu zB Christ, Zum Recht auf Kurzberichterstattung, MR 2005, 212; Fischer-See, Das Match um die Matches des Fußball-Bundesliga im Rahmen des Rechts auf Kurzberichterstattung, RfR 2005, 1; Korn, Ausgewählte Fragen des gesetzlichen Kurzberichterstattungsrechts, MR 2006, 39. Siehe grundsätzlich OGH 14.6.2005 4 Ob 49/05t, MR 2005, 337. Vgl. Rz 140 des Erläuternden Berichts zum Europaratsübereinkommen, zitiert nach Kogler/Kramler/Traimer (FN 315), 370.
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gehalten wird. Diese Zielsetzung kommt aber bei einer Ausgestaltung des Kurzberichterstattungsrechts, wie sie § 5 FERG mit der Verpflichtung des Fernsehveranstalters, der ausschließliche Übertragungsrechte erworben hat, vorsieht, wenig zum Tragen. Denn der Kurzberichterstattungsberechtigte bleibt hier auf den Zugang zu jenen Aufzeichnungen beschränkt, die der verpflichtete Fernsehveranstalter vom Ereignis aufnimmt.456 Diese Zielsetzung des Kurzberichterstattungsrechts, die für die demokratische Funktion der Informationsfreiheit wesentlich ist, kommt in einer gesetzlichen Ausgestaltung des Kurzberichterstattungsrechts, wie sie § 4 des Deutschen Rundfunkstaatsvertrags vorsieht, der den Veranstaler verpflichtet und damit den berechtigten Fernsehveranstalter unmittelbar Zugang zum Ereignis und zu eigener Aufzeichnung von Bildmaterial einräumt, viel stärker, wenn nicht überhaupt nur hier zur Umsetzung. Die Regelung des § 5 FERG beschränkt sich darauf, die Rechtsbeziehung zwischen dem verpflichteten Fernsehveranstalter (der ausschließliche Übertragungsrechte erworben hat) und dem das Recht auf Kurzberichterstattung geltend machenden, berechtigten Fernsehveranstalter zu regeln. Fernsehveranstalter, die ihrerseits Ausstrahlungsrechte vertraglich etwa durch Sublizenzierung von dem Fernsehveranstalter, der die ausschließlichen Übertragungsrechte an dem Ereignis inne hat, erworben haben, sind durch § 5 FERG ebenso weder berechtigt noch verpflichtet und haben daher in einem Verfahren nach § 5 Abs 4 FERG auch ebenso wenig Parteistellung457 wie der ursprüngliche Inhaber der Rechte an dem in Rede stehenden Ereignis.458
2. Rundfunkspezifisches Kommunikationsinfrastrukturrecht Frequenzverwaltung Auch im Rundfunksektor stellen Frequenzen - der Gesetzgeber verwendet den Terminus „Übertragungskapazität“ - ebenso wie im Telekommunikationsbereich eine knappe Ressource dar, deren Verwaltung - auf Grundlage des internationalen und europäischen Frequenzverwaltungssystems459 - in der Frequenznutzungs460- und der FrequenzbereichszuweisungsVO461 geregelt und Aufgabe der KommAustria ist.462
456
457 458 459
460
Deutlich wird dies in § 5 Abs 2 FERG: Das Recht auf Kurzberichterstattung umfasst die Berechtigung zur Aufzeichnung des Signals des verpflichteten Fernsehveranstalters. VfGH 12.10.2006, B 543/06; VwGH 20.12.2004, 2005/04/0126, 01207. VfGH 27.9.2006, B 428/06-13. Dazu im Einzelnen Holoubek/Damjanovic, Telekommunikationsrecht (FN 31), sowie die zusätzlichen, spezifisch für den Rundfunkbereich getroffenen Vereinbarungen wie etwa das Regionale Abkommen für die europäische Rundfunkzone, Stockholm 1961, und die Multilaterale Koordinationsvereinbarung über technische Kriterien, Koordinierungsgrundsätze und -verfahren für die Einführung des terrestrischen digitalen Fernsehrundfunks (DVB-T), Chester 1997, oder der Plan für terrestrisches digitales Fernsehen in Europa, Genf 2006. Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend die Frequenznutzung (Frequenznutzungsverordnung 2005 - FNV 2005), BGBl. II Nr. 307/2005.
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Sie hat bei der Frequenzverwaltung zu bestimmen, wofür die bestehenden Übertragungskapazitäten genutzt werden sollen. Dies geschieht mittels der sog Frequenzzuordnung, die eine freie Kapazität einem bestimmten Anbieter zuteilt. Für die Zuteilung an private Rundfunkveranstalter ist allerdings - anders als bei der Zuteilung von Frequenzen für sonstige Kommunikationsdienste463 eine Zulassung zur Veranstaltung von Rundfunk notwendige Voraussetzung.464 Insofern sind die Fragen der Frequenzverwaltung - also der Zuteilung von Übertragungskapazitäten - mit denjenigen der Zulassung grundsätzlich verknüpft.465 Eine vom Zulassungsverfahren getrennte Frequenzzuordnung findet allerdings dann statt, wenn ein Veranstalter um zusätzliche Frequenzen zur besseren Versorgung des von ihm bedienten Gebietes ansucht. 466 Um privaten Rundfunkanbietern Frequenzen überhaupt entsprechend zuteilen zu können, muss freilich eine Entscheidung darüber getroffen werden, welche Übertragungskapazitäten für den öffentlichen Rundfunk und welche für die privaten Anbieter reserviert sind. Im Vordergrund steht hier die Vollversorgung des ORF, die iSd §§ 3 ORF-G iVm § 10 PrR-G und §12 PrTV-G zu gewährleisten ist. Das bedeutet in der Praxis, dass nur diejenigen Frequenzen dem privaten Rundfunk zugeteilt werden dürfen, die nicht vom ORF genutzt werden.467
Neben der Zuordnung selbst gehört auch die laufende Überprüfung der erfolgten Zuordnungen zu den Aufgaben der Frequenzverwaltung. So hat die Regulierungsbehörde jene Übertragungskapazitäten von Amts wegen zu entziehen, die länger als zwei Jahre nicht regelmäßig genutzt wurden oder die zu einer Doppel- bzw Mehrfachversorgung468 führen.469 a) Verwaltung der Rundfunkfrequenzen - analoge Terrestrik Bezüglich der Verwaltung von Hörfunkfrequenzen finden sich in § 10 Abs 1 PrR-G Bestimmungen über Zuordnungen an den ORF (Z 1), Zuordnungen zur
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Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend die Frequenzbereichszuweisung (Frequenzbereichszuweisungsverordnung 2005 - FBZV 2005), BGBl. II Nr. 306/2005. Grundsätzlich obliegt die Frequenzverwaltung in Österreich dem BMVIT, wobei für den Bereich Rundfunk mit der KommAustria in § 51 Abs 4 TKG iVm § 1 KOG eine Ausnahme vorgesehen ist. Dafür siehe Holoubek/Damjanovic (FN 31). Siehe hierzu oben Pkt IV.C.3.b. Ruhle/Freund/Kronegger/Schwarz (FN 388), 284. Etwas anders stellt sich die Lage bei der digitalen Terrestrik dar, vgl. dazu die Ausführungen über die MUX oben Pkt IV.C.3.b. Auch bei der Zuordnung von Frequenzen an den ORF gibt es diese Trennung, da er keiner Zulassung bedarf, sondern kraft Legalkonzession Rundfunkveranstalter ist. Ihm sind beantragte Frequenzen schlicht dann zuzuordnen, wenn dies zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit seinen Programmen erforderlich ist. Die einzelnen Frequenzen für Fernsehrundfunk finden sich beispielsweise in der Anlage 1 des PrTV-G. Eine Doppel- oder Mehrfachversorgung liegt dann vor, wenn die zusätzliche Übertragungskapazität nicht notwendig ist, um das Rundfunkprogramm in zufrieden stellender Qualität empfangen zu können. VwGH 27.1.2006, 2004/04/0219. § 11 PrR-G und § 14 PrTV-G.
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Verbesserung eines bestehenden Versorgungsgebietes470 (Z 2), die Schaffung eines bundesweiten Privatradios (Z 3), die Erweiterung bestehender Versorgungsgebiete471 und die Schaffung neuer Versorgungsgebiete (Z 4). Diese Regelungen nennen die Zielsetzungen der Frequenzverwaltung, die im Verfahren bezüglich der Zuteilung der Übertragungskapazitäten472 zu berücksichtigen sind, in der Reihenfolge der Priortät des Gesetzgebers. Danach ist zuerst der Bedarf des ORF zu decken. An zweiter Stelle stehen Verbesserungen der bestehenden Versorgungsgebiete (auch „Verdichtung“ genannt). Ist die Vollversorgung des ORF gewährleistet und sind auch keine Lücken in bestehenden Versorgungsgebieten zu schliessen,473 dann kommt die Schaffung eines Versorgungsgebiets für bundesweiten privaten Hörfunk in Betracht. Zuletzt werden zwei weitere, gleichrangige Möglichkeiten, darüber hinaus vorhandene Übertragungskapazitäten zu nutzen, genannt: die Erweiterung bestehender oder die Schaffung neuer Versorgungsgebiete. Eingeleitet wird das Verfahren grundsätzlich auf Antrag. Werden für ein und dieselbe Übertragungskapazität mehrere Anträge für unterschiedliche Verwendung gestellt, ist anhand der in § 10 PrR-G genannten Zielsetzungen vorzugehen und die jeweils prioritäre zu bevorzugen. Die KommAustria hat bei der Zuteilung zumeist zwischen Verbesserung und Erweiterung bestehender bzw der Schaffung neuer Versorgungsgebiete zu entscheiden.474 Dabei muss die Behörde auch auf die von § 10 Abs 2 PrR-G proklamierte Anordnung achten, Doppel- und Mehrfachversorgungen475 - gemeint ist hier, dass für ein und dasselbe Gebiet mehrere Frequenzen herangezogen werden, also dort ein Programm etwa auf 99 und 101 MHz zu empfangen ist - „nach Möglichkeit“ zu vermeiden.476
470
§ 2 Z 3 PrR-G definiert das Versorgungsgebiet als einen geografischen Raum, der in der Zulassung durch Angabe der Übertragungskapazität sowie der zu versorgenden Gemeindegebiete näher umschrieben ist. Daher ist die Zuordnung der Übertragungskapazitäten das begründende Element des Versorgungsgebietes. So der VwGH in seinem Erkenntnis vom 24.5.2006, 2004/04/0024. 471 Bei der Bestimmung der zu erweiternden Versorgungsgebiete kommt es nicht darauf an, welche Gebiete tatsächlich durch Übertragungskapazitäten versorgt werden, sondern welcher geografische Raum in der Zulassung umschrieben und solcherart festgelegt ist. VwGH 30.6.2006, 2004/04/0070. 472 Vgl. §§ 10 - 14 PrR-G. 473 Bestimmte Lücken nimmt der Gesetzgeber in Kauf. Eine in jedem Fall durchgehende Versorgung eines Versorgungsgebietes kann laut VwGH schon deswegen nicht gefordert werden, da das Versorgungsgebiet ja durch die jeweilige Übertragungskapazität bestimmt wird. Daher sind die entsprechenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Funkwellenausbreitung in der jeweiligen speziellen, topografischen Situation schon der Natur der Sache nach zu berücksichtigen. VwGH 24.5.2006, 2004/04/0024. 474 Ruhle/Freund/Kronegger/Schwarz, FN 388, 285. 475 Zum Begriff der Doppel- oder Mehrfachversorgung vgl. Kogler/Kramler/Traimer, FN 315, 235. 476 Vgl. KOA 1.140/02-20, 22.11.2002 Die Entscheidung zwischen Verbesserung der Versorgung, Erweiterung eines bestehenden und der Schaffung eines neuen Versorgungsgebietes wurde hier mit einem frequenztechnischen Gutachten gelöst, aufgrund dessen Aussage, dass die gegenständliche Übertragungskapazität in der Lage war, bestehende Versorgungslücken schließen zu können, die Frequenz gem § 10 Z 2 PrR-G zur Verdichtung des Versorgungsgebietes herangezogen wurde.
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Stellt ein Veranstalter den Antrag auf Zuordnung zusätzlicher Frequenzen zur Verbesserung der Versorgung in einem bestehenden Versorgungsgebiet, so ist dies den anderen Rundfunkveranstaltern, die im Gebiet, das von der zusätzlichen Übertragungskapazität versorgt werden könnte, zugelassen sind, mitzuteilen. Diese haben dann das Recht binnen 2 Wochen ebenfalls einen Antrag zu stellen. Beantragen daraufhin mehrere Rundfunkveranstalter die Übertragungskapazität zur Verbesserung, dann ist sie jenem Veranstalter zuzuteilen, für den sie eine größere Verbesserung darstellt (§ 12 Abs 3 Z 2 PrR-G). Das Ausmaß der Verbesserung ist nach dem Grundsatz der Frequenzökonomie, insbesondere unter Bedachtnahme auf die schon erwähnte Doppel- und Mehrfachversorgung, die Anzahl der von den Versorgungsmängeln betroffenen Personen, die flächemäßigen Ausdehnung und die Schwere der Versorgungsmängel zu beurteilen.
Richtet sich ein Antrag auf die Erweiterung eines bestehenden oder die Schaffung eines neuen Versorgungsgebietes, dann hat die Behörde im nächsten Schritt eine Ausschreibung der Übertragungskapazität gem § 13 Abs 1 Z 3 PrR-G vorzunehmen. Hier fällt die Zuordnung mit der Zulassung zusammen, in der gem § 3 Abs 1 PrR-G die Versorgungsgebiete festgelegt werden. Demnach wird bei der Prüfung der eingegangenen Anträge auf Kriterien wie Meinungsvielfalt im Verbreitungsgebiet, Bevölkerungsdichte, Wirtschaftlichkeit der Hörfunkveranstaltung sowie politische, soziale und kulturelle Zusammenhänge Bedacht genommen und die Auswahl in einem „beauty contest“ nach § 6 PrRG getroffen. Die Verwaltung der Frequenzen für analoges terrestrisches Fernsehen spielt aufgrund des absoluten Vorrangs der Frequenznutzung für digitales terrestrisches Fernsehen an sich keine Rolle mehr. Alle nicht bis 01.08.2003 beantragten Übertragungskapazitäten bzw solche, die Betreibern entzogen wurden,477 sind bei technischer Eignung in einen Frequenzpool für digitales terrestrisches Fernsehen aufzunehmen.478 Da sich technisch gesehen jede Frequenz dafür eignet, blieben keine zusätzlichen Kapazitäten für analoge Nutzung übrig. b) Verwaltung der Rundfunkfrequenzen - digitale Terrestrik Die Digitalisierung verschiedenster Bereiche hat auch den Rundfunk erfasst und wird sowohl von der Europäischen Union479 forciert als auch in den Mitgliedstaaten mit zahlreichen Maßnahmen vorangetrieben.480 Die wesentlichen Fragen bezüglich der Verwaltung von digitalen terrestrischen Übertragungskapazitäten stellen sich im Bereich des Fernsehrundfunks, da eine Digitalisierung für den Radiobereich erst versuchsweise erprobt wird.481
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Vgl. FN 469. § 18 Abs 2 PrTV-G. Siehe zB die Mitteilung der Europäischen Kommission über den Übergang vom analogen zum digitalen Rundfunk (digitaler Übergang und Analogabschaltung), KOM (2003) 541. Zu der damit verbundenen Beihilfen-Problematik der finanziellen Förderung des digitalen terrestrischen Rundfunks siehe Koenig/Haratsch, Ring frei im DVB-T Beihilfenstreit vor der Europäischen Kommission, ZUM 4/2005, 275. Vgl. § 4 PrR-G.
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Die Umstellung des terrestrischen Rundfunks auf digitale Übertragung bringt grundsätzliche Veränderungen mit sich, die vor allem Auswirkungen auf die Frequenzverwaltung haben, da sich die frequenzplanerische Situation bei digitaler Ausstrahlung grundlegend anders darstellt als im analogen TV.482 Mit der digitalen Technologie ist es nunmehr möglich, mehrere Programme auf einer Frequenz zu senden. Der Gesetzgeber hat auf diese neuen technischen Möglichkeiten vor allem mit dem 6. Abschnitt des PrTV-G reagiert und dort entsprechende Regeln festgelegt.483 Eine spezielle Arbeitsgemeinschaft, die „Digitale Plattform Austria“484, wurde extra dafür geschaffen, die KommAustria bei der Erarbeitung eines „Digitalisierungskonzeptes“485 zu unterstützen, das erstmal 2003 präsentiert und 2005 ergänzt wurde. Laut diesem Konzept soll das über die digitale Terrestrik verfügbare Angebot über die derzeit analog empfangbaren TV-Programme hinausgehen, zumindest aber von Anfang an, also bereits in der Simulcast-Phase,486 die bestehenden terrestrisch verbreiteten, frei empfangbaren TV-Angebote („Free-TV“) beinhalten. Weitere von der Regulierungsbehörde als notwendig definierte Leistungsmerkmale bilden der sog digitale Mehrwert, der neben der verbesserten Bildqualität auch interaktive Zusatzdienste487 umfasst, und die neuen portablen Empfangsmöglichkeiten. Da sich die genannten Merkmale nicht mit der Bandbreite eines einzigen TV-Kanals realisieren lassen, zielen die Bestrebungen der Regulierungsbehörde in der vorbereitenden Frequenzplanung und -koordination darauf ab, jeweils zwei Kanäle für das digitale Fernsehen zu sichern. Dieses Ziel ist jedoch vor der Abschaltung analog genutzter Frequenzen nicht umfassend realisierbar, da die notwendigen Kapazitäten nicht in allen Regionen Österreichs (insbesondere in Wien und Niederösterreich) verfügbar sind.
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Dazu im Detail Himberger, Digitales terrestrisches Fernsehen in Österreich, MR 2005, 159. Auf Basis des Gesetzes hat die Rundfunkregulierungsbehörde KommAustria mit dem Digitalisierungskonzept vom Dezember 2003 die näheren Bedingungen für die Umstellung fixiert. Vgl. FN 485. In der "Digitalen Plattform Austria" vertreten sind Rundfunkveranstalter, Diensteanbieter, Netzbetreiber, Industrie, Handel, Wissenschaft, Länder und Verbraucher. Vgl. § 21 PrTV-G. Mit 19.12.2003 wurde das Digitalisierungskonzept zur Einführung von digitalem terrestrischen Fernsehen in Österreich gemäß § 21 Abs. 5 Privatfernsehgesetz (PrTV-G), BGBl. I Nr. 84/2001 idF. BGBl. I Nr. 71/2003, veröffentlicht. Es enthält die von der Regulierungsbehörde vorgelegte Strategie für die flächendeckende Einführung von digitalem terrestrischen Fernsehen (DVB-T) in Österreich sowie einen Zeitplan für die Umsetzung dieser Strategie bis zum Jahr 2010. Das Digitalisierungskonzept ist unter http://www.rtr.at/web.nsf/lookuid/ 545C3FD314D5ECBEC 12571A0004F50FE/$file/Digitalisierungskonzept.pdf abrufbar. Die Simulcastphase bezeichnet jenen Zeitraum, indem simultan über analoges und digitales Signal ausgestrahlt wird, um den Konsumenten Zeit zu geben, ihre Empfanggeräte umzurüsten und an die digitale Übertragung anzupassen. Mit Zusatzdiensten sind jene Dienste gemeint, die die neuen Möglichkeiten von digitalem Fernsehen unter Berücksichtigung europäischer Software-Standards (MHP) erlebbar machen, also etwa elektronische Programmführer, digitaler Videotext uä.
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Die Einführung von digitalem terrestrischen Fernsehen beginnt daher mit einer Multiplex-Plattform, für die zwar zwei Bedeckungen vorgesehen sind, die verfügbaren Programme ORF1, ORF2 sowie ATV+ aber vorerst in ein und derselben Multiplex-Bedeckung zu verbreiten sind. Weiterere MultiplexPlattformen werden erst nach Abschluss der Simulcast-Phase also dann ausgeschrieben und vergeben, wenn die analog genutzten Frequenzen frei geworden sind.488 Die KommAustria schrieb daher 2005 nicht einzelne digitale Übertragungskapazitäten, sondern die Zulassung zur Planung, Errichtung und Betrieb einer bundesweiten terrestrischen Multiplex-Plattform - also, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, den gesamten Frequenzpool für digitales terrestrisches Fernsehen - aus.489 Die Möglichkeit der Übertragung mehrerer Programme auf einer Frequenz bringt mit sich, dass der klassische Rundfunkveranstalter einem Kommunikationsnetzbetreiber weicht, der nach § 2 Z 8 PrTV-G die technische Infrastruktur zur terrestrischen Verbreitung und Bündelung der in einem digitalen Datenstrom zusammengefassten digitalen Programme und Zusatzdienste zur Verfügung stellt. Dieser kann unter Umständen auch Aufgaben der Frequenzverwaltung - § 23 PrTV-G spricht von „Planung“ -, wie es etwa auch der Betreiber eines Mobilfunknetzes tut, übernehmen. Insofern nähert sich daher die Frequenzverwaltung im Bereich der digitalen Terrestrik an den Telekommunikationsbereich an.490 Erfolgte die Auswahl des derzeitigen MUX-Betreibers, der Österreichischen Rundfunksender GmbH & Co KG (ORS), noch in einem „beauty contest“, bei dem sowohl technische wie inhaltliche Aspekte491 eine Rolle spielten, könnte sich dies in Zukunft - die Zulassung wurde der ORS für 10 Jahre erteilt - anders gestalten. Da das Erfordernis einer Zulassung zum Betrieb eines Kommunikationsnetzes der gemeinschaftsrechtlichen Genehmigungsrichtlinie492 widerspricht, wäre eine Umstellung auf das Konzept der Allgemeingenehmigung angebracht.
V. Medienwettbewerbsrecht A. Die medienspezifischen Wettbewerbsvorschriften im Überblick Wettbewerbsprobleme auf Medienmärkten sind nicht nur aus einer ökonomischen, sondern insbesondere auch aus einer medienpolitischen Perspektive von Relevanz, da sie neben den funktionierenden Marktstrukturen vorallem auch die Meinungsvielfalt gefährden. Aus diesem Grund hat der österreichische Gesetzgeber speziell den Medienbereich betreffende Wettbewerbsvorschriften 488 489 490 491
492
Digitalisierungskonzept zur Einführung von digitalem terrestrischen Fernsehen gemäß § 21 Abs. 5 PrTV-G, KOA 4.000/03-08, S. 3. KOA 4.200/05-05 vom 10.05.2005, vgl. auch die Ausführungen über die MUX oben Pkt IV.C.3.b. Ruhle/Freund/Kronegger/Schwarz (FN 388), 287. Gem § 24 PrTV-G ist die Zulassung demjenigen Antragsteller zu erteilen, der iSd Meinungsvielfalt das pluralistischste Angebot an digitalen Programmen verbreitet, der rasch einen hohen Versorgungsgrad der Bevölkerung mit digitalen Signalen in technisch hervorragender Qualität gewährleisten kann und ein nutzerfreundliches Konzept für die Konsumenten bietet. Richtlinie 2002/20/EG über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste (Genehmigungsrichtlinie), Abl. 2002 L 108/21. Ein Auswahlverfahren ist nach Art 7 nur für die Frequenzzuteilung erlaubt.
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erlassen, die vor allem auch diese medienpolitischen Aspekte in den Blick nehmen.493 Zu diesen zählen: • die Sonderregelungen für Medienzusammenschlüsse im KartellG; 494 • die Medienverbundregelungen im Rundfunkrecht,495 und • die sektorspezifischen Wettbewerbsregelungen nach dem TKG 2003, 496 die sämtliche elektronischen Kommunikationsinfrastrukturen und damit insbesondere auch jene, die zur Übertragung von massenmedialen Inhalten genutzt werden, betreffen. Neben diesen besonderen auf die Medienmärkte zugeschnittenen Wettbewerbsvorschriften kommt im Medienbereich schließlich auch den allgemeinen Wettbewerbsregelungen des UWG, insbesondere jenen zum Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, Kredit, Erwerb oder Fortkommen des Betroffenen zu gefähren (vgl § 7 UWG iVm § 1330 UWG) eine zentrale Bedeutung zu.497
B. Anwendbarkeit der innerstaatlichen Wettbewerbsregelungen im Verhältnis zum europäischen Wettbewerbsrecht Wettbewerbliche Probleme auf Medienmärkten - durch Unternehmenszusammenschlüsse, Kartelle oder missbräuchliche Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen hervorgerufen - sind in der Praxis in der Regel grenzüberschreitender Natur und damit zunächst einmal primär Gegenstand des europäischen Wettbewerbsrechts.498 Denn im Bereich der Fusionskontrolle und des Verbots wettbewerbswidriger Kartelle kommen innerstaatliche Wettbewerbsregelungen generell nur dann zur Anwendung, wenn die Sachverhalte nicht bereits vom Gemeinschaftsrecht erfasst sind, was grundsätzlich nur dann der Fall ist, wenn eine gemeinschaftsweite Bedeutung nicht gegeben ist.499 Lediglich im Rahmen der Miss493
494 495 496 497
498 499
Diesen medienspezifischen Wettbewerbsvorschriften gehen alle von der Prämisse aus, dass eine entsprechende Vielfalt selbständiger Wettbewerbsteilnehmer auch eine entsprechende Vielfalt an Meinungen garantiert. Vgl. dazu etwa Bullinger, Elektronische Medien als Marktplatz der Meinungen, AöR 1983, 161 Siehe unten Punkt V.C. Siehe unten Punkt V.D. Siehe unten Punkt V.E. Da es sich hier um allgemeines und nicht um medienspezifisches Wettbewerbsrecht handelt und sich ein Verstoß gegen diese Regelungen in erster Linie nach den Grenzen einer zulässigen Einschränkung in die Kommunikationsfreiheit entsprechend der EGMR-Rspr (dazu im Einzelnen oben Pkt III.D) bestimmt, soll auf die UWG Regelungen in weiterer Folge nicht näher eingegangen werden. Dazu im Einzelnen Korn/Neumayer, Persönlichkeitsschutz im Zivil- und Wettbewerbsrecht, 1991, 35 ff; Berka, Der Schutz der freien Meinungsäußerung im Verfassungsrecht und Zivilrecht, ZfRV 1990, 35 (55f). Zur Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts im Bereich der Medien siehe oben Pkt II.C.2. Das ist bei Zusammenschlüssen, die eine gewisse Größenordnung nicht erreichen bzw Kartellen, die keine grenzüberschreitenden Elemente aufweisen und damit von keiner gemeinschaftsweiten Bedeutung sind, der Fall. Allgemein zum Verhältnis zwischen europäischem und nationalem Wettbewerbsrecht siehe Bieber/Epiney, Die Europäische Union, 414f.
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brauchsaufsicht haben die Mitgliedstaaten im Verhältnis zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften allgemein die Möglichkeit, strengere Regelungen als die des europäischen Rechts zu erlassen oder anzuwenden. Das KartellG 1988 enthielt eine solche strengere Missbrauchsaufsichtsregelung speziell für den Medienbereich. § 35 Abs 2 KartG 1988 sah die Möglichkeit vor, Maßnahmen aufzutragen, durch die eine marktbeherrschende Stellung im Medienbereich abgeschwächt oder beseitigt werden konnte.500 Mit dem KartellG 2005 ist diese Sonderbestimmung allerdings entfallen.
Speziell für den Medienbereich sieht das EG-Recht darüber hinaus eine weitere Möglichkeit für die Mitgliedstaaten vor, tätig zu werden: Bei Medienzusammenschlüssen können sie selbst bei ausschließlicher Anwendbarkeit der FusionskontrollVO und damit ausschließlicher Zuständigkeit der Kommission zur Verfolgung bestimmter medienpolitischer Anliegen (zB Sicherung der Meinungsvielfalt) innerstaatliches Recht anwenden. Die Grundlage dafür bildet Art 21 Abs 3 FusionskontrollVO, wonach die MS in Bezug auf Medien geeignete Maßnahmen zum Schutz anderer berechtigter Interessen als derjenigen, die in der FKVO berücksichtigt werden,501 treffen können. Damit bleiben auch bei gemeinschaftsweiten Zusammenschlüssen die besondere Zusammenschlusskontrolle nach dem KartG502 sowie die rundfunkrechtlichen Sonderregelungen über den sog Medienverbund503 anwendbar. Die sektorspezifischen Wettbewerbsbestimmungen nach dem TKG 2003 sind entsprechend dem Grundsatz der Komplementarität504 ohnehin neben den allgemeinen Wettbewerbsregeln (und damit auch neben den allgemeinen Wettbewerbsregeln auf EG-Ebene) anwendbar.
C. Die Sonderregelungen für Medienzusammenschlüsse im KartG 2005 Im Kartellgesetz finden sich besondere Bestimmungen für Medienzusammenschlüsse,505 die nicht nur der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs, sondern auch dem, dem Kartellrecht an sich fremden Ziel der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt dienen.506 So werden etwa Medienzusammenschlüsse mit Rück500
501
502 503 504 505
506
Dazu Gugerbauer, Kommentar zum Kartellgesetz2, 1994, § 35, 262ff. Durch die KartGNov 1993 wurden Medienunternehmer im Bereich der Missbrauchsaufsicht insofern einer Sonderregelung unterworfen, als auch die Gefährdung der Medienvielfalt einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung iSd § 35 darstellt. Das EG-Wettbewerbsrecht verfolgt im Allgemeinen nur ökonomische Zielsetzungen, unabhängig auf welchen Sektor die Bestimmungen zur Anwendung gelangen. Vgl. Holoubek/Damjanovic (FN 33) Zu den besonderen Zielsetzungen im innerstaatlichen Recht vgl. Pkt V.C. Zu diesen gleich unten unter V.C. Zu diesen gleich unten V.D. Siehe dazu Damjanovic/Holoubek/Kassai/Lehofer/Urbantschitsch, Handbuch des Telekommunikationsrechts, 2005, 131ff. Vgl. Hoffer/Barbist, Das neue Kartellrecht, 2005, 26ff. Zu der, dem § 8 KartG 2005 entsprechenden, Regelung des §42c KartG nach alter Rechtslage vgl. Gugerbauer (FN 500), § 42c. Vgl. die EB zur KartGNov 1993, NR: GP XVIII RV 1096, S. 20, wonach es Ziel der Bestimmungen ist, durch die Medienvielfalt die Meinungsvielfalt in einer demokratischen Gesellschaft zu fördern. Begründet wird dies mit der Annahme, dass ein rein
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sicht auf diesen zusätzlichen Schutzzweck in Bezug auf die Anmeldebedürftigkeit strenger behandelt.507 Ein Medienzusammenschluss ist nach § 8 Abs 1 KartG dann gegeben, wenn an diesem Zusammenschluss mindestens zwei Unternehmen, die zur Gruppe der Medienunternehmen,508 der Mediendienste,509 der Medienhilfsunternehmen510 oder jener Unternehmen, die zwar selbst keine Medienunternehmen sind, an diesen, an Mediendiensten oder an Medienhilfsunternehmen aber einzeln oder gemeinsam, mittelbar oder unmittelbar zu mindestens 25% beteiligt sind, gehören. Ein Medienzusammenschluss liegt aber auch dann vor, wenn nur eines der beteiligten Unternehmen zu den genannten Unternehmen gehört und an mindestens einem weiteren, am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen ein oder mehrere Medienunternehmen, Mediendienste oder Medienhilfsunternehmen einzeln oder gemeinsam, mittelbar oder unmittelbar zu mindestens 25% beteiligt sind.511 Die Kontrolle über derartige Medienzusammenschlüsse ist nun im Vergleich zur allgemeinen Fusionskontrolle besonders ausgestaltet. Zum einen werden bei der Berechnung der für die Anmeldebedürftigkeit beim Kartellgericht maßgeblichen Umsatzschwellen des § 9 KartG (die allgemein gültige Grenze beträgt EUR 300 Mio) die Umsatzerlöse von Medienunternehmen und Mediendienste mit dem Faktor 200, von Medienhilfsunternehmen mit dem Faktor 20 multipliziert.512 Zum anderen sind Medienzusammenschlüsse nicht nur zu untersagen, wenn durch sie eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, sondern auch dann, wenn zu erwarten ist, dass durch sie
507
508 509
510 511
512
wettbewerbsrechtlicher Ansatz der Forderung einer pluralistischen Medienlandschaft, als Voraussetzung eines für eine demokratische Gesellschaft adäquaten Meinungsbildungsprozesses, nicht gerecht werden kann. So Görg, Der Begriff der Medienvielfalt im neuen KartG, ÖBl 2004/31, 108-113. So, in Bezug auf die Vorgängeregelung § 42c Abs 4 nach der KartGNov 1993 die EB, NR: GP XVIII RV 1096, S. 20. Vgl. etwa die Aufgriffsschwelle für im Medienbereich tätige Unternehmen im § 9 Abs 3 KartG und dazu gleich weiter unten FN 512. § 8 Abs 1 Z 1 KartG verweist auf § 1 Abs 1 Z 6 MedienG. Zum Begriff des Medienunternehmens nach § 1 Abs 1 Z 6 MedienG vgl. FN 243. § 8 Abs 1 Z 1 KartG iVm §1 Abs 1 Z 7 MedienG. Mediendienste sind demnach Unternehmen, die Medienunternehmen wiederkehrend mit Beiträgen in Wort, Schrift, Ton oder Bild versorgen. Als Medienhilfsunternehmen iSd § 8 Abs 2 gelten Verlage, die nicht Medienunternehmen sind, wie Druckereien, Werbeagenturen und Pressegroßvertriebe. § 8 Abs 3 KartG. Die Zusammenschlusstatbestände des § 8 KartG 2005 entsprechen denen des § 42c KartG nach der alten Rechtslage. Zu diesen ausführlich Aicher, Medienfusionskontrolle, in: Aicher/Holoubek (FN 3), 91 f. Vgl. § 9 Abs 3 KartG und Hoffer/Barbist (FN 505), 27ff. Nach der neuen Rechtslage ist diese Multiplikation nun in Bezug auf alle Umsatzschwellen des Abs 1 vorzunehmen. Früher galt dies nur betreffend der Z1 und 2 der Vorgängerbestimmung des § 42a Abs1 KartG. Des Weiteren greift der Ausnahmetatbestand des Abs 2 im Mediensektor nur dann, wenn die Aufgriffsschwellen trotz Multiplikation nicht erreicht werden.
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die Medienvielfalt beeinträchtigt wird,513 selbst wenn keine nachteiligen Auswirkungen für die Wettbewerbsstruktur eines konkreten Marktes drohen.514 Unter Medienvielfalt ist gemäß §13 Abs 2 „eine Vielfalt von selbständigen Medienunternehmen, die nicht im Sinne des § 7 miteinander verbunden sind und durch die eine Berichterstattung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Meinungen gewährleistet wird“ zu verstehen.515 Damit ist nicht nur eine Vielfalt an Titeln gemeint. Die Bestimmung verlangt auch, dass die Unabhängigkeit der Medien in der Berichterstattung durch eine entsprechende Eigentümerstruktur sichergestellt wird.516 Ob die Medienvielfalt beeinträchtigt wird und ein Zusammenschluss iSd § 13 KartG vorliegt, wird daher in der Judiaktur vornehmlich an der Beeinträchtigung der Eigentümervielfalt gemessen.517 Dafür mag zwar die ursächliche Verknüpfung mit der Eigentümerstruktur in § 13 KartG sprechen, allerdings findet sich dort auch die Formulierung „selbständige“ Unternehmen. Das wiederum kann als Argument für die Verwendung des zusätzlichen Kriteriums der publizistischen Unabhängigkeit herhalten.518 Zur Beurteilung der Frage, ob eine marktbeherrschende Stellung entsteht bzw verstärkt oder die Medienvielfalt beeinträchtigt wird, ist vorgelagert stets die Bestimmung des sachlich und örtlich relevanten Marktes vorzunehmen.519 Der örtlich relevante Markt bestimmt sich dabei in erster Linie nach dem Verbreitungsgebiet des jeweiligen Mediums.520 Die Marktabgrenzung des sachlich relevanten Marktes ist nach dem sog Bedarfsmarktkonzept vorzuneh513 514
515
516 517 518 519
520
§ 13 KartG. Nicht einmal eine etwaige Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen könnte die Untersagung verhindern. Insofern basieren die im Kartellgesetz in die allgemeine Zusammenschlusskontrolle eingebetteten Maßnahmen gegen Medienkonzentrationen sowohl auf dem sog Marktmachtkonzept, welchem als Kontrollansatz die Gefährdung des Schutzgutes Wettbewerb zugrunde liegt, als auch auf dem sog publizistischem Konzept, das bei der Kontrolle von Medienzusammenschlüssen an die Gefährdung des Schutzgutes Meinungsvielfalt anknüpft. Ausführlich zu diesen zwei verschiedenen Konzepten bei der Kontrolle von Medienzusammenschlüssen Aicher (FN 511), 87 ff. Anlass für diese Regelung war die massive Kritik an der Genehmigung der Fusion „News-Gruppe“ mit der „Kurier-Gruppe“ unter nur sehr geringfügigen Auflagen durch das KG in seiner Entscheidung vom 26.01.2001. Görg (FN 506), 109. So, in Bezug auf die inhaltlich entsprechende Vorgängeregelung des § 35 Abs 2a nach der KartGNov 2002 die EB, NR: GP XXI RV 1005, S. 26. Sog „Außenpluralität“, vgl. OLG Wien, 26 Kt 342, 369, 380 - 383/00, MR 2001, 49; OLG Wien 5.8.2004, 26 Kt 132/04. So Görg (FN 506), 110. Marktbeherrschung bzw die Beeinträchtigung der Medienvielfalt besteht nicht an sich, sondern nur im Hinblick auf einen konkreten Markt, der sog. „area of effective competition“ Die Regelungen der Marktbeherrschung wurden inhaltlich unverändert aus dem IV. Abschnitt des KartG übernommen, vgl. daher Aicher (FN 511), 93 und Wessely, Die Abgrenzung des relevanten Marktes bei der Medienfusionskontrolle, MR 1993, 206. Dies gilt jedenfalls für den Bereich der Printmedien. Bei den elektronischen Medien, die auch international verbreitet werden können, sind sprachliche und kulturelle Barrieren, sowie unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen als weitere Kriterien für die Festlegung des örtlichen Marktes heranzuziehen. Siehe Aicher (FN 511), 95.
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men, das darauf abstellt, ob für einen Durchschnittsverbraucher eine funktionelle Austauschbarkeit der angebotenen Dienstleistungen nach Verwendungszweck, Preis und Qualität besteht.521 Aufgrund der beschränkten Austauschbarkeit der Leistungsangebote wird beispielsweise ein gemeinsamer Markt im Printmedien und Rundfunkbereich verneint.522 Bei Printmedien wird darüber hinaus der Leser- vom Anzeigenmarkt,523 im Rundfunk der Seher-/Hörer-524 vom Werbemarkt und bei den Neuen Medien der sog Benutzermarkt vom Werbemarkt525 unterschieden. Bei einer derart starken Ausdifferenzierung der Märkte ist eine marktbeherrschende Stellung sehr bald feststellbar, was für die Effizienz der Fusionskontrolle von Vorteil ist. Im Medienbereich bringt dies jedoch den Nachteil mit sich, dass die Frage der Beeinträchtigung der Medienvielfalt nur für einen sehr „engen“ Markt, nicht aber für den gesamten Medienmarkt beurteilt werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich angesichts der rasch fortschreitenden Digitalisierung im Medienbereich die Frage, ob nicht eher von übergreifenden sachlichen Medienmärkten auszugehen ist. Dagegen spricht allerdings das bereits angeführte Modell des Bedarfsmarktkonzepts mit Hilfe dessen die Abgrenzung vorgenommen wird. Dabei zeigt sich, dass für die Rezipienten die Austauschbarkeit von visuellen und gedruckten Medien aufgrund ihrer Nutzung und Wirkungsweise noch nicht gegeben ist.526 Mit der Entscheidung des Bundeskartellamtes zur geplanten Fusion der Axel Springer AG mit der ProSiebenSat.1 Media AG527 wurde in Deutschland jedoch erstmals auch die Auswirkung medienübergreifender Effekte auf die Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes anerkannt.528
D. Die Medienverbundregelungen im Rundfunkrecht Besonders für den Rundfunkbereich sehen das Privatradio- und Privat-TVGesetz weitere wettbewerbsspezifische Vorschriften vor. Die einschlägigen Bestimmungen legen Grenzen für die Beteiligungen zwischen den Rundfunkveranstaltern untereinander und zwischen den Rundfunkveranstaltern und sonstigen Medieninhabern529 fest,530 die im Rahmen des Zulassungsverfahrens531
521 522 523 524
525 526 527
528 529
Wessely, Fusionskontrolle im Rundfunkbereich, RfR 1994, 43, mwN in FN 15. So etwa die Judikatur in Deutschland; vgl. WuW/E BKartA 1921, 1924 - Burda/ Springer. Vgl. WuW/E BGH 1854, 1856 - Zeitungsmarkt München; WuW/E BGH 1685,1690 - Springer/Elbe Wochenblatt. Das Bestehen eines eigenen Seher-/Hörermarktes wird beim werbefinanzierten Fernsehen/Radio unter Hinweis auf das Fehlen einer unmittelbaren Gegenleistung für die Programmnutzung jedoch auch teilweise verneint. Für die Annahme eigener Seher-/Hörermärkte beim werbefinanzierten Fernsehen siehe aber Wessely (FN 521), 44 f. Vgl. hierzu Trafkowski, Zur sachlichen Abgrenzung der Märkte im Internet, MMR 1999, 630. Bohne, Cross-mediale Effekte in der Fusionskontrolle, WRP 2006, 540 (546). Beschluss des BKartA, Az. B 6-92202-Fa-103/05, abrufbar unter www.bundeskartellamt.de; Beschluss der KEK, Az. KEK 293-1 bis 5, abrufbar unter www.kek-online.de. Siehe dazu im Detail Bohne (FN 526). Medieninhaber ist gem § 2 Z 6 PrR-G und § 2 Z 12 PrTV-G „ein in- oder ausländischer Inhaber einer Tages- oder Wochenzeitung oder ein in- oder ausländischer Fernseh- oder Hörfunkveranstalter“.
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geprüft werden. Dabei wird zum einen auf die Versorgungsgebiete532 und damit auf die Anzahl der von den miteinander verbundenen Medienunternehmen erreichbaren Einwohner abgestellt. Zum anderen ist die Anzahl der empfangbaren Programme eines Medienverbundes533 in einem bestimmten Gebiet relevant.534 So normieren § 9 Abs 1 PrR-G und § 11 Abs 1 PrTV-G, dass sich die eigenen bzw die einer Person bzw Personengesellschaft zuzurechnenden Versorgungsgebiete nicht überschneiden dürfen.535 Ein Versorgungsgebiet ist dann zuzurechnen, wenn derjenige Veranstalter unmittelbar - das heißt mit mehr als 25% - direkt beteiligt ist oder auf andere Art und Weise einen beherrschenden Einfluß ausübt.
B A
1. Versorgungsgebiet von
Versorgungsgebiet von
B
A
Auf C übt B beherrschenden Einfluss aus.
C
B möchte sich nun an A mit 30 % beteiligen
Versorgungsgebiet von
C
2. Versorgungsgebiet von
B
Weder B‘s eigene Versorgungsgebiete noch das ihm zurechenbare von C überschneiden sich. Die Beteiligung an A verstößt jedoch gegen Wettbewerbsrecht, da B dann auch das Versorgungsgebiet von A zurechenbar wäre, das sich mit einem der seinen überschneidet.
Abb. 4: Medienverbundregelungen
530 531 532
533
534 535
Zu der in der Praxis besonders relevanten Berücksichtigung der Beteiligungskriterien im Auswahlverfahren für die Vergabe von Zulassungen siehe Pkt IV.C.3.b). Zum Verfahren der Zulassung nach PrR- und PrTV-G siehe weiter oben unter Pkt IV.C.3.b. Gem § 2 Z 3 PrR-G und § 2 Z 3 PrTV-G wird das Versorgungsgebiet als der in der Zulassung durch Angabe der Übertragungskapazität sowie der zu versorgenden (Gemeinde)Gebiete umschriebene Raum definiert. Ein Medienverbund liegt gem § 2 Z 7 PrR-G bzw § 2 Z 13 PrTV-G dann vor, wenn zumindest zwei Personen oder Personengesellschaften, darunter jedenfalls ein Medieninhaber, die aufgrund der in § 9 Abs 4 PrR-G bzw der in „§ 11 Abs 5“ (gemeint ist § 11 Abs 6) PrTV-G angeführten Beteiligungs- oder Einflussverhältnisse (vgl. hierzu weiter unten) als miteinander verbunden anzusehen sind. Siehe EB zur RV 401 BlgNr 21. GP zu § 9 PrR-G. Sind also die Versorgungsgebiete der Zulassungsinhaber A und C dem Zulassungsinhaber B zuzurechnen, dürfen sich auch nicht die Versorgungsgebiete des A und C überschneiden.
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Damit wird zwar grundsätzlich ermöglicht, dass ein und dieselbe Person bzw Personengesellschaft das gesamte Bundesgebiet mit analogen terrestrischen Hörfunk- bzw Fernsehprogrammen versorgen kann, gleichzeitig wird durch die Verankerung der Überschneidungsverbote sichergestellt, dass ein und dieselbe Person weder durch die Innehabung mehrerer Zulassungen noch durch unmittelbare Beteiligungen bzw direkte Einflussmöglichkeiten an Hörfunk- bzw Fernsehveranstaltern zugleich bundesweites und regionales oder lokales bzw zugleich regionales und lokales Radio bzw Fernsehen betreibt. Denn das bundesweite Versorgungsgebiet deckt sich zwangsläufig mit jedem regionalen. Ebenso überschneiden sich die Versorgungsgebiete auf regionaler und lokaler Ebene. Für den Bereich des analogen terrestrischen Hörfunks normiert § 9 Abs 2 PrR-G weiters, dass, wenn ein und dieselbe Person durch Innehabung von mehreren Zulassungen oder durch unmittelbare Beteiligungen bzw direkte Einflussmöglichkeiten 8 Mio Einwohner erreicht und damit das gesamte Bundesgebiet abdeckt, ihr jede weitere Zulassung oder jede direkte Beteiligungsbzw Einflussmöglichkeit an einem anderen Hörfunkveranstalter verwehrt ist. Diese Person bzw Personengesellschaft darf dann nur mehr über mittelbare Beteiligungen bzw indirekte Einflussmöglichkeiten an Hörfunkveranstaltern weitere 4 Millionen Einwohner - dies ist die sogenannte 12 Millionen-Grenze erreichen. In diesem Fall536 dürfen Personen bzw Personengesellschaften, die als zu demselben Medienverbund gehörig zu betrachten sind, aber ein und denselben Ort nicht mehr als zweimal versorgen.537 Das PrTV-G definiert zusätzlich bestimmte Schwellenwerte (vgl § 11 Abs 1), bei deren Überschreiten ein Medieninhaber von vornherein von der Veranstaltung von Rundfunk nach dem Privatfernsehgesetz auszuschließen ist. Konkret ist dies bei bundesweitem Fernsehen gem § 11 Abs 2 PrTV-G der Fall, wenn ein Medieninhaber auf dem bundesweitem terrestrischen Hörfunkmarkt, dem Tagespressemarkt oder dem Wochenpressemarkt 30% Reichweite überschreitet bzw auf dem bundesweiten Kabelnetzmarkt mehr als 30% Versorgungsgrad erlangt. Bei nicht bundesweitem Fernsehen liegt hingegen gem § 11 Abs 3 PrTV-G ein Ausschlussgrund erst dann vor, wenn ein Medieninhaber die oben angeführten Schwellenwerte auf mehr als einem der oben genannten Märkte in den jeweiligen Verbreitungsgebieten, für welche eine Zulassung beantragt wird, erreicht. Schließlich normiert auch das PrTV-G - ähnlich dem PrR-G - als weiteren Grundsatz dieser Beteiligungsregel, dass ein Medienverbund an einem Ort höchstens ein analoges terrestrisches Hörfunk- und Fernseh,538 sowie nicht mehr als zwei digitale terrestrische Fernsehprogramme539 ausstrahlen darf. Ab wann überhaupt von einem Medienverbund iS dieser Bestimmungen gesprochen wird, regeln die gleichlautenden Vorschriften des § 9 Abs 4 PrR-G 536
537 538 539
Dies kann grundsätzlich nur auf mittelbare/indirekte Beteiligungen/ Einflussmöglichkeiten bezogen sein, da ja nur bei diesen, nicht jedoch bei unmittelbaren/direkten Beteiligungen/Einflussmöglichkeiten Überschneidungen möglich sind. Vgl. § 9 Abs 3 PrR-G. § 11 Abs 4 PrTV-G. § 11 Abs 5 PrTV-G.
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und § 11 Abs 6 PrTV-G. Danach gelten -zusammenfassend dargestellt - Personen oder Personengesellschaften als mit einem Medieninhaber verbunden,540 die • zu ihm in einem direkten oder indirektem Beteiligungsverhältnis von über 25 % stehen • auf ihn einen beherrschenden Einfluss ausüben • bei welchen wechselseitige Einflussmöglichkeiten bestehen, wie sie als sogenannte „Control-Tatbestände“541 gemäß der bilanzrechtlichen Vorschrift des § 244 UGB542 eine Verpflichtung zur Aufstellung eines Konzernabschlusses begründen.543
E. Die sektorspezifischen Wettbewerbsregelungen nach dem TKG 2003 Mit dem TKG 2003 wurden die vormals rein auf Telekommunikationsinfrastrukturen bezogenen sektorspezifischen Wettbewerbsbestimmungen allgemein auf die elektronischen Kommunikationsinfraskturen ausgedehnt.544 Damit finden sie nunmehr insbesondere auch auf die Kommunikationsplattformen, die für Rundfunk und sonstige elektronischen Mediendienste genutzt werden, Anwendung.545 Marktdefinition, Marktanalyse und eine allfällige Auferlegung der im TKG 2003 genannten spezifischen Verpflichtungen546 für Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht hat demnach auch für den Rundfunkmarkt zu erfolgen. Auf dem Markt für die Verbreitung von Rundfunk ist für diese Regulierungsmaßnahmen gem § 120 TKG die KommAustria zuständig. Diese hat auf Grundlage des § 36 in der Rundfunkmarktdefinitionsverordnung547 als die, der sektorspezifischen Regulierung unterliegenden, relevanten nationalen Märkte für Rundfunk-Übertragungsdienste den Markt für terrestrische Über540
541
542
543
544
545
546 547
Zu dieser auch bereits im RRG (FN 371) verankerten Umschreibung des Medienverbundes Holoubek, Rundfunkrechtliche Probleme des Medienverbundes, in: Aicher/Holoubek (Hrsg), Das Recht der Medienunternehmer, 1998, 107 (123 f). Der Begriff „Control Tatbestände“ ist im Sinne von bestimmten Einflussrechten der Muttergesellschaft in den Tochtergesellschaften zu verstehen. Krejci, Handelsrecht3, 2005, 187. Da das UGB (BGBl. I 2005/120) diesbezüglich keine Neuerungen enthält vgl. auch Nowotny, in: Straube (Hrsg) HGB-Kommentar, 2. Band, Rechnungslegung2, 2000, § 244, Rz 26 ff. Dieses Anteilsmodell zur Regelung von Medienkonzentrationen scheitert allerdings dort, wo juristisch fassbare Bindungen überhaupt fehlen. Siehe hierzu Holoubek (FN 540), 130. Zu den Anpassungen des TKG aufgrund der Konvergenzentwicklungen und allgemein zu den kommunikationssepezifischen Wettbewerbsbestimmungen nach dem TKG siehe Holoubek/Damjanovic (FN 31). Mit der Ausweitung der Definition von "Kommunikationsnetz" auf Netze für Hörfunk und Fernsehen sowie Kabelrundfunknetze (Rundfunknetze), unabhängig von der Art der übertragenen Informationen, setzt das TKG einen Schritt zur Gleichbehandlung der unterschiedlichen Netze bei der Infrastrukturregulierung. Vgl. § 3 Z 11 TKG. Zu diesen siehe Holoubek/Damjanovic (FN 31). RFMVO 2004, abrufbar unter http://www.rtr.at/web.nsf/deutsch/Rundfunk _Rundfunkrecht_Verordnungen_ RFVerordnungen_RFMVO2004.
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tragung von TV-Signalen und den Markt für terrestrische UKW-Übertragung von Hörfunksignalen festgelegt. Die KommAustria führt von Amts wegen in regelmäßigen Abständen eine Analyse dieser relevanten Märkte durch548 und stellt daraufhin fest, ob aufgrund der beträchtlichen Marktmacht eines Unternehmens kein effektiver Wettbewerb mehr besteht und sie diesem deshalb spezifische Verpflichtungen gem den §§ 38 bis 46 oder nach § 47 Abs 1 aufzuerlegen hat. Den Vorleistungsmarkt „(analoge) terrestrische Übertragung von TV-Signalen zum Endkunden“549 und den Vorleistungsmarkt „Terrestrische UKW-Übertragung von Hörfunksignalen zum Endkunden“550 betreffend hat die KommAustria der Österreichischen Rundfunksender GmbH & Co KG beträchtliche Marktmacht attestiert und dieser auch spezifische Verpflichtungen auferlegt.551
VI. Medienwerbung A. Bedeutung und Erscheinungsformen der Werbung in den Massenmedien Die Werbung ist fester Bestandteil der Massenmedien. Auf der einen Seite gehören die Massenmedien angesichts der Öffentlichkeit, die sie in der Lage sind herzustellen, zu den wichtigsten Werbeträgern überhaupt, auf der anderen Seite stellt die Werbung für die Massenmedien eine der wichtigsten, teilweise sogar die einzige Finanzierungsquelle dar. Die Erscheinungsformen sind mittlerweile vielfältig, insbesondere im elektronischen Bereich: hier haben technologische Entwicklungen, vor allem jene der Digitalisierung, eine Reihe neuer Werbeformate hervorgebracht, die nicht nur im Internet, sondern insbesondere auch im Fernsehen sehr innovative Formen annehmen. Der Trend geht in Richtung Split-Screens (Formate, bei denen in einem Bild - getrennt in zwei Fenstern - sowohl Werbung als auch Programm präsentiert werden), Logo-Morphing (das Logo einer Sendung verwandelt sich im Programmumfeld in das Logo des Werbenden) und virtuelle Werbung, bei der der Einbau eines Produktes in jeden beliebigen Bestandteil einer Sendung besonders einfach wird, was Werbeformen, 548 549 550 551
§ 37 Abs 1 TKG. KOA 6.300/06-014 KOA 6.300/06-015 Sie hat bspw gemäß § 41 TKG 2003 auf zumutbare Nachfrage nicht diskriminierenden Zugang zu gewähren, Zugangsleistungen gemäß § 42 TKG 2003 an den Kosten der effizienten Leistungserstellung zu orientieren oder gem § 40 getrennte Bücher zu führen. Siehe dazu auch BKS 29.1.2007, GZ 611.188/0001-BKS/2007 und BKS 29.1.2007, GZ 611.189/0001-BKS/2007. Der BKS hat in diesen Entscheidungen insbesondere festgehalten, dass neben spezifischen Zugangsverpflichtungen der §§ 7 ORF-G und 15 PrR-G bzw § 19 PrTV-G die spezifischen Zugangsregelungen des § 41 TKG 2003 jeweils eigenständig anwendbar sind. Das Regulierungsinstrument der Entgeltkontrolle gemäß § 42 TKG 2003 enthält jedoch, so der BKS in den genannten Entscheidungen, keine Ermächtigung zum Eingriff in bereits bestehende Verträge. Eine Verpflichtung zur Anpassung vertraglich bereits vereinbarter Entgelte lässt sich daher nicht auf § 42 TKG 2003 stützen, eine Verpflichtung, neu abzuschließende Verträge laufend anzupassen (was auch Fälle einer Vertragsverlängerung aufgrund eines einseitigen Gestaltungsrechts einschließt), hingegen schon.
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wie etwa das Product Placement forciert. Die werberechtlichen Regelungen stehen hier stets in einem Wettlauf mit den Entwicklungen.
B. Die Werberegelungen im Überblick Werbung in Massenmedien wird aus verschiedenen Gründen einer relativ detaillierten und weitreichenden Reglementierung unterworfen. Zu den wesentlichen Regelungszielen zählen: • die Sicherstellung funktionierender Wettbewerbsstrukturen (insbesondere eines fairen Wettbewerbs zwischen öffentlichen und privaten Rundfunkveranstaltern); • die Gewährleistung von Meinungsvielfalt und Pluralismus, insbesondere die Bewahrung der journalistischen Unabhängigkeit (und der „Reinheit der medialen Botschaft“) vor der Werbewirtschaft, sowie • der Schutz der Rezipienten, in erster Linie vor Irreführung durch Werbung. Diese Anliegen werden durch eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungen verwirklicht, welche sich in horizontale, produktbezogene und medienspezifische Maßnahmen einordnen lassen. Gemeinsam bilden sie den Rechtsrahmen, innerhalb dessen sich die auf den Medienmärkten agierenden Werbeunternehmen zu bewegen haben. Als horizontale Maßnahmen sind in erster Linie die Bestimmungen des UWG552 zu nennen, die allgemein das „Handeln im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs“ zum Gegenstand haben. Darunter ist die Werbung bzw kommerzielle Kommunikation jedenfalls zu subsumieren. Diese Werberegelungen haben in erster Linie die Gewährleistung von fairem Wettbewerbsverhalten auf den Werbemärkten zum Ziel. So verbietet die Generalklausel des UWG ganz allgemein Werbung, welche gegen die guten Sitten verstößt553 (zB bei der Ankündigung von Gewinnspielen den Eindruck zu erwecken, dass jemand gewonnen hat, wenn ihm bloß eine Gewinnchance zu Teil wird,554 oder bei der Werbung mit statistisch ermittelten Reichweiten damit zu werben, dass eines der Medien „mehr Leser“ als das andere hat, obwohl der Unterschied zwischen der Reichweite dieser zwei Medien innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegt555).556
Die produkt- oder tätigkeitsbezogenen Regelungen regulieren aufgrund der spezifischen Eigenschaften bzw Wirkungsweisen des in Rede stehenden Produkts bzw der in Rede stehenden Tätigkeit auch die Werbung im Zusammenhang mit dem Produkt/der Tätigkeit. Die einschlägigen Vorschriften betreffend
552 553 554 555 556
BGBl.Nr. 448/1984 idF BGBl. I Nr. 106/2006. Vgl. § 879 Abs 1 ABGB. Zum Begriff der Sittenwidrigkeit siehe Koppensteiner, Sittenwidrigkeit und Wettbewerbswidrigkeit, wbl 1995,1. OGH, ecolex 1993, 537. OGH, ÖBl 1993, 237 Neben der Generalklausel des UWG spielt im Medienbereich, insb im Bereich der periodischen Druckwerke auch § 9a UWG eine zentrale Rolle: er regelt die Zulässigkeit von Zugaben als geldwerte Vorteile, die dem Käufer einer Sache unentgeltlich oder zu einem bloßen Scheinpreis zusätzlich zur gekauften Sache geboten werden.
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Tabakwaren,557 Arzneimittel,558 Chemikalien559 oder zB die Tätigkeit560 von Rechtsanwälten, Notaren sowie Ärzten sind Beispiele dafür.561 Schließlich sind spezifisch auf bestimmte Medien bezogene Werberegelungen entwickelt worden. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene beziehen sich diese bislang lediglich auf das Fernsehen,562 sollen aber mit der Überarbeitung der FernsehRL in etwas abgeänderter Form - zumindest in ihren Grundsätzen auf sämtliche audiovisuellen Mediendienste und jegliche Form audiovisueller kommerzieller Kommunikation563 erstreckt werden. Auf innerstaatlicher Ebene finden sich medienspezifische Werberegelungen zum einen im MedienG, das in allgemeiner Form für alle periodischen Medien eine Kennzeichnungspflicht für entgeltliche Veröffentlichungen vorsieht564 und in § 48 MedienG grundsätzlich die Plakatierfreiheit festlegt. Mit der gleichzeitigen Ermächtigung an die Bezirksverwaltungsbehörde (Bundespolizeidirektion), durch Verordnung regeln zu können, dass das Anschlagen eines Druckwerks nur an bestimmten Plätzen erfolgen darf, wird die Plakatierfreiheit de facto aber in ihr Gegenteil verkehrt.565
Darüber hinaus enthalten die rundfunkrechtlichen Vorschriften (das ORF-G, das Privatradio- und das Privatfernsehgesetz) auf den Hörfunk und das Fernsehen (=Rundfunk) bezogene besondere Werberegelungen.
C. Die Werberegelungen für den audiovisuellen Bereich Die auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene spezifisch für das Fernsehen (in Zukunft: die audiovisuellen Mediendienste) und auf innerstaatlicher Ebene spezifisch für den Rundfunk (Fernsehen und Hörfunk) vorgesehenen Werberegelungen legen zum einen in Form des Kennzeichnungs- und Trennungsgebotes und des damit verbundenen Verbotes von Schleichwerbung bestimmte allgemeine Grundsätze für Werbung im Rundfunk (im audiovisuellen Bereich), einschließlich des Teleshopping, sowie für weitere besondere Werbeformen, wie das Sponsoring und das Product Placement, fest; zum anderen normieren sie zeitliche sowie inhaltliche Beschränkungen für die Werbung.
557 558 559 560 561
562 563
564 565
§ 11 TabakG (BGBl 1995/431 idF BGBl I 2001/98), TabakwerbeRL § 51 ArzneimittelG (BGBl 1983/185 idF BGBl I 2001/98), ArzneimittelRL § 28 ChemikalienG (BGBl. I Nr. 53/1997 idF BGBl. I Nr. 13/2006), Vorschlag für einen neuen europäischen Rechtsrahmen für Chemikalien, KOM (2003) 644. Siehe auch Holoubek/Kassai/Traimer (FN 120), 116. Vgl. zB § 45 RL-BA 1977 oder § 17 TierärzteG (BGBl.Nr. 16/1975 zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 476/1995). Früher hatte das Berufsrecht bestimmter freier Berufe absolute Werbeverbote enthalten, die der VfGH wegen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit aufgehoben hat, siehe zB VfSlg 13128/1992. Siehe das Kapitel IV (Art 10 bis 20) der FernsehRL (FN 12) zu Fernsehwerbung, Sponsoring und Teleshopping und dem Fernsehübereinkommen niedergelegt Die Definition ist in Art 1 lt g des Kommissionsvorschlags (siehe FN 13) weiter gefasst als „Werbung“ und umfasst auch mittelbare Absatzförderung sowie Image Werbung. § 26 MedienG (FN 14). § 48 MedienG (FN 14).
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1. Begriff der Werbung/der audiovisuellen kommerziellen Kommunikation Die einschlägigen Bestimmungen definieren als ihren primären Anknüpfungspunkt die „(Fernseh)werbung“ als „jede Äußerung, die im Zusammenhang mit bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die im Fernsehen von einem öffentlichrechtlichen oder privaten Unternehmen entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung im Fernsehen mit dem Ziel gesendet wird, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt, zu fördern.“566 Davon mitumfasst ist zweifelsohne „Teleshopping“, verstanden als „eine Sendung direkter Angebote an die Öffentlichkeit für den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt.“567 Um auch Formen der mittelbaren Absatzförderung im audiovisuellen Bereich, die nicht vom Begriff der Werbesendung mitumfasst sind, wie zB Sponsoring568 oder Product Placement569 in Hinkunft adäquat erfassen zu können, soll mit der RL über audiovisuelle Mediendienste zusätzlich zum Begriff der Werbung die „audiovisuelle kommerzielle Kommunikation“ als neue Legaldefinition eingeführt und umschrieben werden mit: „bewegte Bilder mit oder ohne Ton, die audiovisuelle Mediendienste begleiten und die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds natürlicher oder juristischer Personen, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, dienen“.570
2. Allgemeine Grundsätze: Kennzeichnung und Trennung Zur Sicherung der Erkennbarkeit von Werbung, die in erster Linie den Verbraucher vor Irreführung schützen soll, schreiben die einschlägigen Bestimmungen571 die Verpflichtung zur Kennzeichnung von Werbung und zur Trennung von Werbung und anderen Programmteilen vor.572 Demnach darf Werbung grundsätzlich nur in Werbeblöcken und zwischen den Sendungen ausgestrahlt werden;573 Unterbrecherwerbung, dh das Einfügen von 566 567 568 569 570 571 572
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So im Vorschlag Art 1 lit g, ähnlich § 13 Abs 1 ORF-G, § 34 Abs 3 PrTV-G, § 19 Pr-RG. Siehe Art 1 lt j der FernsehRL (FN 12). Siehe Art 1 lt i der FernsehRL (FN 12). Siehe Art 1 lt k der FernsehRL (FN 12). Siehe Art 1 lt f der FernsehRL in der Fassung des Kommissionsvorschlags (FN 13). Art 10 FernsehRL, § 13 ORF-G, § 38 PrTV-G. Gebot der akustischen oder optischen Trennung gilt auch für Teleshopping-Fenster. (Art 18 a Abs 2 Satz 2 FernsehRL, § 38 PrTV-G). Zur differenzierten Anwendung des Trennungsgebotes bei Split-Screen Techniken: Damjanovic, Die Regulierung von Werbeformaten, in: Berka/Grabenwarter/Holoubek (Hrsg.), Medienfreiheit versus Inhalteregulierung, 2006, 68. Grabenwarter, Inhaltliche und zeitliche Beschränkungen der Rundfunkwerbung, in: Berka/Grabenwarter/Holoubek (FN 572), 33 ff; In der neuen RL für audiovisuelle Mediendienste wird das Blockwerbegebot insofern abgeschwächt, als die Mitgliedstaaten nunmehr bloß dafür sorgen, dass „durch in laufende Sendungen eingefügte Werbung oder Teleshopping-Spots der Gesamtzusammenhang der Programme nicht beeinträchtigt und die Rechte von Rechteinhabern nicht verletzt werden.“ Zuvor
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Werbung in das laufende Programm, ist nur unter bestimmten sehr kasuistisch geregelten Voraussetzungen zulässig.574 Schleichwerbung575 und andere subliminale Werbetechniken sind verboten, da sie eindeutig den Grundsätzen der Erkennbarkeit von Werbung und der Trennung von redaktionellen und werblichen Inhalten widersprechen. In diesem Zusammenhang bislang heftig umstritten ist die regulatorische Behandlung der Sonderwerbeform „Product Placement“ (=Produktplatzierungen im Sendungsumfeld): inwieweit ist sie als Schleichwerbung zu qualifizieren oder als Sondewerbeformen zuzulassen? Auf innerstaatlicher Ebene besteht hierzu lediglich für den ORF eine explizite Regelung (nicht jedoch für den privaten Rundfunk576). Nach dieser wird dem ORF ProductPlacement gegen geringfügiges Entgelt577 gestattet. Übersteigt das Entgelt die Grenze der Geringfügigkeit578 liegt, sofern kein Ausnahmetatbestand zum Tragen kommt, verbotenes Product-Placement vor.579 Das Verbot von Product-Placement gilt beispielsweise nicht für Kinofilme, Fernsehfilme und Fernsehserien.580 Ebenso ist ProductPlacement bei der Übertragung oder Berichterstattung über Sport-, Kultur- oder Wohltätigkeitsveranstaltungen erlaubt.581 Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene fehlen bislang noch ausdrückliche Vorschriften zum Product Placement, sollen aber in die RL über audiovisuelle Mediendienste aufgenommen werden.582 Nach dem derzeitigen Vorschlag soll Product Placement unter
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hatte es in Art 11 der FernsehRL noch geheißen: „Fernsehwerbung und Teleshopping-Spots müssen zwischen den Sendungen eingefügt werden.“ Der Gesamtzusammenhang der Programme darf nicht beeinträchtigt und die Rechte von Rechteinhabern nicht verletzt werden. Das ORF-G stellt strengere Anforderungen: So darf nur in gewissen Sendungsformaten Werbung eingefügt werden, was in erster Linie Programmqualität sichern soll, jedoch auch wettbewerbsregulierenden Charakter hat. Siehe dazu Grabenwarter (FN 573), 39f. Vgl. § 14 ORF-G und § 32 PrTV-G wonach Werbung die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen in Programmen, wenn sie vom Österreichischen Rundfunk absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zweckes dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann, Schleichwerbung darstellt. Der BKS hat in seinem Bescheid vom 1. 6. 2005, GZ 611.001/0011-BKS/2005 in der Frage der Zulässigkeit des Product-Placements für den privaten Rundfunkbereich im Wesentlichen darauf abgestellt, dass sich die jeweilige Erwähnung in einem vertretbaren Rahmen zu bewegen hat. Entscheidend ist nicht, ob ein Entgelt vereinbart wurde sondern vielmehr, ob es sich um eine Erwähnung oder Darstellung bestimmter Art handelt, nämlich um eine solche, die nach der Verkehrsauffassung üblicher Weise gegen Entgelt erfolgt. Vgl. VwGH 16.03.2006, 2004/04/0114. Die Materialien zur Regierungsvorlage erwähnen in diesem Zusammenhang einen Betrag von 1.000,- EUR; RV, 634 BlgNR, 21. GP, S 36. Die Auffassung des BKS (BKS 19.5.2003, GZ 611.923/005-BKS/2003), im Falle fehlender Notwendigkeit sei Product-Placement auch dann zulässig, wenn es gegen geringfügiges Entgelt erbracht werde, teilte der VwGH nicht und hob den entsprechenden BKS-Bescheid in seinem Erkenntnis VwGH 16.03.2006, 2004/04/0114 auf. Vgl. § 14 Abs. 5 zweiter Satz und auch dritter Satz ORF-G, wonach die mediale Unterstützung gemäß § 17 Abs. 7 des Glücksspielgesetzes nicht als ProductPlacement gilt. Vgl. § 14 Abs. 6 ORF-G. Vgl. die Legaldefinition in Art 1 lit k des Vorschlags (FN 13).
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denselben Voraussetzungen wie das Sponsoring583 grundsätzlich für zulässig erklärt werden.584 Demnach dürfen derartige Werbeformen die redaktionelle Verantwortung und Unabhängigkeit des Mediendiensteanbieters nicht beeinträchtigen, sie müssen hinreichend gekennzeichnet sein, um eine Irreführung des Zuschauers zu verhindern und sie dürfen nicht in Nachrichtensendungen und Sendungen zum aktuellen Zeitgeschehen eingesetzt werden. Produktplatzierungen sind darüber hinaus auch in audiovisuellen Mediendiensten für Kinder- und Dokumentarfilme unzulässig.585 Diese Bestimmung ist weitestgehend der in der derzeitigen Fassung der FernsehRL schon verankerten Regelung zum Sponsoring,586 die in innerstaatliches Recht im Wesentlichen wortgleich übernommen worden ist,587 nachgebildet.
3. Zeitliche Werbebeschränkungen Zeitliche Werbebeschränkungen, die die zulässige Dauer von Werbesendungen reglementieren, sollen vor übermäßiger Kommerzialisierung der Rundfunkprogramme bewahren und dadurch zur Aufrechterhaltung einer gewissen Programmqualität und zum Schutz des Verbrauchers vor übermäßiger Belästigung durch Werbung beitragen. Die einschlägigen Bestimmungen normieren hierfür bestimmte werbefreie Tage588 sowie ein höchstzulässiges Maß an Werbesendezeit pro Jahr/Tag und Stunde. Die Zeitvorgaben unterscheiden sich dabei erheblich voneinander, je nachdem ob sie für den öffentlich-rechtlichen oder privaten Rundfunkbereich und je nachdem, ob sie für Fernsehen oder Hörfunk gelten.589 Auf Gemeinschaftsebene ist für Fernsehen die Begrenzung von 15% der täglichen Sendezeit (Teleshopping nicht eingerechnet) sowie von 20% pro Stunde harmonisiert.590 Die auf die tägliche Sendezeit bezogene Begrenzung soll mit der Überarbeitung der FernsehRL entfallen, da sie von den Fernsehveranstaltern ohnehin nicht ausgereizt worden ist. Hinsichtlich der 20%-pro-Stunde Begrenzung wird klargestellt, dass in diese Eigenwerbung, Sponsorenhinweise und Produktplatzierungen nicht einzurechnen sind.
4. Inhaltliche Werbebeschränkungen Zu den Vorgaben, die sich auf den zulässigen Inhalt von Werbung beziehen, zählen: • produktbezogene Werbebeschränkungen betreffend Tabakprodukte, Alkohol und Arzneimittel (sowie auch therapeutische Behandlungen)591
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Art 1 lit i des Vorschlags (FN 13). Sie müssen jedoch bestimmten Voraussetzungen genügen. Insbesondere müssen die Zuschauer eindeutig auf das Bestehen einer entsprechenden Vereinbarung über Product-Placement oder Sponsoring hingewiesen werden. Vgl. Art 3h des Vorschlags (FN 13). Art 17 der FernsehRL (FN 12). Vgl. § 17 ORF-G; § 46 Abs 1 PrTV-G und für weiter Nachweise zu den Regelungen über das Sponsoring Damjanovic (FN 572), 74f. § 13 Abs 5 Satz 2 ORF-G. Einen guten Überblick bietet Grabenwarter (FN 573). Vgl. Art 18 FernsehRL (FN 12). Vgl. Art 3g lit d des Vorschlags (FN 13), §§ 19 Abs 2, 20 PrR-G, §§ 39, 40, 41, 42 PrTV-G. Vgl. § 13 Abs 4 ORF-G.
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• • •
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Beschränkungen aus Gründen des Jugendschutzes, wonach die Inhalte nicht zur körperlichen oder seelischen Beeinträchtigung Minderjähriger führen und insb keine direkten Kaufappelle enthalten dürfen; Beschränkungen zum Schutz der Menschenwürde und sonstiger öffentlicher Interessen (Verbot der Rassendiskriminierung, der Verletzung religiöser oder politischer Überzeugungen, …);592 und im weiteren Sinn auch jene Regelungen, die zur Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks ein Werbeverbot für bestimmte Moderatoren593 normieren und zur Sicherung eines funktionsfähigen Wettbewerbs und damit indirekt auch zur Sicherung von Meinungspluralismus die Eigenwerbung (sog Cross Promotion Verbot)594 sowie die Werbung von Printmedien im Fernsehen595 beschränken.596
D. Werbeabgabe Durch das WerbeabgabeG 2000 und die begleitende FinanzausgleichsgesetzNovelle597 ist eine bundeseinheitliche Regelung für die Werbeabgabe eingeführt worden, mit dem Ziel die Probleme, die durch die vormals unterschiedlichen Besteuerung von Werbung in Printmedien, Hörfunk und Fernsehen auf Grund unterschiedlicher Anzeigen- und Ankündigungsabgabegesetze der Länder und Verordnungen der Gemeinden entstanden sind, zu lösen.598 Die Werbeabgabe nach dem WerbeabgabeG 2000 besteuert die Verbreitung von Werbung, soweit Dritte (Auftragnehmer) dem Werbeinteressenten gegenüber Dienstleistungen gegen Entgelt erbringen. Als Bemessungsgrundlage wird dieses Entgelt herangezogen. Werbung, für die der Werbeinteressent nichts aufwenden muss, bzw die Eigenwerbung, die ohne die Heranziehung Dritter selbst betrieben wird, unterliegt keiner Abgabe. Der Werbeabgabe unterliegen (nur) Werbeeinschaltungen in Druckwerken,599 Hörfunk und Fernsehen und die Duldung der werblichen Benützung von 592 593 594 595
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§ 14 ORF-G, §§ 31 PrTV-G, § 14 Abs 3 ORF-G § 35 PrTV-G, § 19 Abs 4 lit c PrR-G, § 13 Abs 9 ORF-G. Siehe dazu VfSlg 17.006/2003. Laut § 13 Abs 8 ORF-G dürfen im ORF insgesamt nicht mehr als 2 Minuten der wöchentlichen Werbezeit und dabei auch nicht für die Inhalte, sondern lediglich für den Titel und die Blattlinie werben. Der VfGH erachtet diese Bestimmung für verfassungskonform, siehe VfSlg 16.911/2003 und Grabenwarter, TV-Werbung für Printmedien und Art 10 EMRK, ÖZW 2002, 1 ff. Für die privaten Rundfunkveranstalter gibt es keine vergleichbare Bestimmung. Zu diesen insb Grabenwarter (FN 573). Bundesgesetz, mit dem das Finanzausgleichsgesetz 1997 geändert wird, BGBl I 2000/30. Die Neuregelung gründet auf einem Erkenntnis des VfGH vom 17. 12. 1998, VfSlg 15.395/1999, wonach die Besteuerungsrechte derart abzugrenzen waren, dass eine Gemeinde nur den Reklamewert der in ihrem Gebiet verbreiteten Ankündigungen besteuern darf. Dies hat für Rundfunkwerbung zu erheblichen Belastungen in der Administration geführt. Vgl. schon Taucher, ZfV 1997, 165; allgemein zur Werbeabgabe Kutschera-Heller, persaldo 2000 H 3, 8 (idF BGBl I 2000/29); ferner Wittmann, MR 2002, 10. Eine „Veröffentlichung von Werbeeinschaltungen in Druckwerken“ (iSd §1 Abs 2 Z 1 WerbeabgabeG 2000) erfasst nach VfSlg 16635/2002 auf Grund gleichheits-
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Flächen und Räumen (zB Plakate). Dabei werden nur solche entgeltlichen Werbeleistungen erfasst, die in Österreich erbracht werden oder - in Hörfunk und Fernsehen - für Österreich bestimmt sind.600 Die Werbeabgabe beträgt 5 % der Bemessungsgrundlage. Abgabenschuldner ist derjenige, der den Entgeltanspruch für die Werbeleistung hat, wobei Beträge unter EUR 50,- nicht entrichtet werden müssen.601
VII. Medienförderung A. Europäische Förderprogramme Die Förderprogramme der EG versuchen im Rahmen von regelmäßigen Ausschreibungen, die bei der Kommission beantragt werden können, finanzielle Unterstützung zu gewährleisten und damit positive Anreize zur Förderung der europäischen Medien zu schaffen. Für den Medienbereich sind sowohl das Programm MEDIA Plus602 als auch das Programm MEDIA Fortbildung relevant.603 Diese, an sich für die Periode 2001-2005 geltenden, Programme wurden noch im Jahre 2004 bis zum 31. Dezember 2006 verlängert.604 Das Programm MEDIA Plus fördert die europäische audiovisuelle Industrie durch unterstützende Maßnahmen in der Entwicklung des Vertriebes und der Öffentlichkeitsarbeit innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft. Diese Maßnahmen konzentrieren sich auf die Vor- und auf die Postproduktionsphase audiovisueller Werke. Die Förderung der eigentlichen Produktion des Vorha-
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rechtlicher Überlegungen auch Druckwerke, die ausschließlich aus Werbebotschaften bestehen (Direktwerbung). Dh zB auch sog Österreich-Werbefenster deutscher Fernsehveranstalter. Eine Jahresabgabenerklärung muss nicht eingereicht werden, wenn die Summe der abgabepflichtigen Entgelte im Veranlagungszeitraum unter EUR 10.000,- beträgt, vgl. näher §§ 3 und 4 WerbeabgabeG 2000. Beschluss 2000/821/EG des Rates vom 20. Dezember 2000 zur Durchführung eines Programms zur Förderung von Entwicklung, Vertrieb und Öffentlichkeitsarbeit hinsichtlich europäischer audiovisueller Werke (MEDIA PLUS - Entwicklung, Vertrieb und Öffentlichkeitsarbeit) (2001-2005). Beschluss Nr. 2001/163/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Januar 2001 zur Durchführung eines Fortbildungsprogramms für die Fachkreise der europäischen audiovisuellen Programmindustrie (MEDIA-Fortbildung) (20012005). Siehe dazu Beschluss Nr. 846/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Änderung des Beschlusses 2000/821/EG des Rates zur Durchführung eines Programms zur Förderung von Entwicklung, Vertrieb und Öffentlichkeitsarbeit hinsichtlich europäischer audiovisueller Werke (MEDIA PLUS Entwicklung, Vertrieb und Öffentlichkeitsarbeit) (2001-2005) sowie Beschluss Nr. 845/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Änderung des Beschlusses Nr. 163/2001/EG zur Durchführung eines Fortbildungsprogramms für die Fachkreise der europäischen audiovisuellen Programmindustrie (MEDIA-Fortbildung) (2001-2005). Dabei wurde auch der Finanzrahmen für MEDIA Plus für die Gesamtlaufzeit von 350 Millionen EUR auf 453,6 Millionen EUR und der für MEDIA Fortbildung von 52 Millionen EUR auf 59,40 Millionen EUR ausgedehnt.
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bens fällt hingegen dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend, in die Kompetenz der Mitgliedstaaten.605 Das Programm MEDIA Fortbildung will dagegen die Wettbewerbsfähigkeit der audiovisuellen Branche stärken, in dem es die berufliche Weiterbildung der entsprechenden Fachkreise fördert. Explizit als Ziele nennt das Programm Schulungen hinsichtlich des Einsatzes neuer, insbesonderer digitaler Technologien zur Produktion und zum Vertrieb audiovisueller Programme mit hohem kommerziellen und künstlerischen Mehrwert.606 Die Generation 2007-2013 wird statt der zwei gegenwärtigen Programme nur mehr ein Programm MEDIA 2007 umfassen.607 Der Fokus liegt weiterhin auf dem Vertrieb Europäischer Werke, der Projektentwicklung und der beruflichen Fortbildung einschlägiger Fachkreise. Mit dem neuen Programm, das eine Förderungssumme von insgesamt ca 750 Mio EUR umfassen wird, soll jedoch sowohl die Zahl der unterstützten Maßnahmen als auch die der einbezogenen Bürgerinnen und Bürger steigen.608
B. Medienförderung in Österreich 1. Presse- und Publizistikförderung Die, seit 1975 in Österreich bestehende Presseförderung wurde mit dem neuen PresseförderungsG 2004609 grundlegend reformiert. So ist etwa die Förderung von Tages- und Wochenzeitungen in einem sog „Dreisäulenmodell“ organisiert. Neben einer „Vertriebsförderung“ und einer „besonderen Förderung zur Erhaltung der regionalen Vielfalt der Tageszeitungen“ gibt es auch eine „Förderung für Qualität und Zukunftssicherung.“610 Die Vertriebsförderung kommt allen Tages- und Wochenzeitungen zu Gute. Für Verleger von förderungswürdigen Zeitungen stehen, entsprechend der im Bundesfinanzgesetz vorgesehenen Mittel, Beträge von je ca 200.000 EUR zur Verfügung. Handelt es sich um eine Wochenzeitung, dann wird der Vertrieb von höchstens 15000 Abonnementen gefördert, wobei auch innerhalb dieser Grenze kleinere Wochenzeitungen durch ein Modell der negativen Progression begünstigt werden. Zur Erhaltung der regionalen Vielfalt der Tageszeitungen soll die „besondere Förderung“ dienen. Von ihr sind daher jene Zeitungen ausgeschlossen, die national oder regional marktführend sind bzw. eine Verkaufsauflage von über 100.000 Stück haben. Als Sockelbetrag erhalten die förderungswürdigen Blätter einen Betrag von 500.000 EUR. Der Rest wird aufgeteilt, in dem die ver605 606 607
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So die Kommission in ihrer Mitteilung, KOM (2000) 0658 endg, 38 f. Art 2 des Beschlusses Nr. 2001/163/EG. Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Umsetzung eines Förderprogramms für den europäischen audiovisuellen Sektor (MEDIA 2007), KOM (2004) 0470 endg. Siehe dazu KOM (2004) 0154 endg, 20. Siehe FN 19. Im Jahr 2005 wurden von insgesamt 12,8 Mio EUR, die zur Verfügung standen 4,5 Mio für den Vertreib, 6,6 Mio für die „besondere Förderung“ sowie 1,7 Mio für die „Qualität und Zukunftssicherung“ aufgewendet. Vgl. Medien in Österreich2, 2006, herausgegeben vom Bundespressedienst des BKA.
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kaufte Auflage im regionalen Hauptverbreitungsgebiet mit der Anzahl der jährlichen Nummern multipliziert wird, wobei wiederum höchstens 25000 Exemplare gefördert werden, um eine Ausschöpfung der Mittel durch größere Zeitungen zu verhindern. Die „Förderung für Qualität und Zukunftssicherung“611 ist eine Maßnahme der Journalistenausbildung und soll den Nachwuchs sowie die Anstellung von Auslandskorrespondenten fördern. Sie umfasst außerdem ein Paket zur Leseförderung an den Schulen. Unter dem Titel Publizistikförderung werden neben Zeitungen auch Zeitschriften gefördert. Darunter sind viermal bis höchstens vierzigmal jährlich erscheinende und sich überwiegend mit politischen, kulturellen oder weltanschaulichen Themen beschäftigende, der staatsbürgerliche Bildung dienende periodische Druckschriften.612
2. Filmförderung Neben Maßnahmen der Länder,613 fördert auch der Bund das heimische Filmschaffen und bedient sich dabei verschiedener Formen indem er gemeinnützige Vereine und Institutionen ebenso unterstützt, wie er Arbeitsstipendien, Reisekostenzuschüsse, Drehbuch- bzw. Herstellungs-förderungen sowie Preise vergibt.614 Es handelt sich damit um eine Mischung von Struktur- und Individualförderungen,615 die zum überwiegenden Teil616 das Österreichische Filminstitut (ÖFI) auf der Grundlage des FilmfördG617 abwickelt. Das ÖFI als bundesweite Filmförderungseinrichtung nach §1 FilmFG ist eine juristische Person öffentli611
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Siehe Abschnitt IV des PresseförderungsG. Dieser enthält eine Reihe von Maßnahmen zur Förderung der Qualität des österreichischen Journalismus. Neben der bisherigen Förderung von Einrichtungen der Journalistenausbildung und Presseklubs ist vorgesehen, dass Tages- und Wochenzeitungen einen Zuschuss zu den Kosten der angestellten Auslandskorrespondenten und zu den Kosten von Ausbildungsmodulen (Print- und Onlinebereich), die zur Ausbildung ihrer journalistischen Mitarbeiter durchgeführt werden, erhalten können. Neu sind auch die Leseförderung und die Förderung von einschlägigen Forschungsprojekten. So der Bericht des Verfassungsausschusses, 323 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP abrufbar unter http://www.parlinkom.gv.at/pls/portal/docs/page/ PG/DE/XXII/I/I_00323/fname_011496.pdf. Indirekt werden solche Zeitschriften, wie auch Bücher, Broschüren oder Kinos, mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 10% gefördert. Vgl. § 10 Abs 2 UStG und Anlage 1. In sämtlichen neun Bundesländern wird Filmförderung gewährt. Zu den institutionalisierten, selbständig agierenden Förderstellen zählen jene der Bundesländer Wien, Kärnten, Steiermark, Tirol, Oberösterreich und Salzburg. Vgl. zB Filmfonds Wien und dessen Filmförderungsrichtlinien (http://www.filmfonds-wien.at/), die steirische Filmförderung (http://www.cinestyria.at) oder die Filmförderung des Landes Tirol (http://www.cinetirol.com/). Vgl. den Bericht zur Kulturfinanzierung des Bundes 2005, online abrufbar unter http://www.mdw.ac.at/I124/html/Docs/Kulturfinanzierungsbericht 2005.pdf. Zu den verschiedenen Ansätzen betreffend den Förderungsgegenstand siehe Hofstetter, Politische und rechtliche Aspekte von Kunst und Kultur in Österreich, 2004, 128. Abseits des ÖFI übernimmt das BKA auch selbst ein Teil der Förderung des österreichischen Films. BGBl. Nr. 557/1980 idF BGBl. I Nr. 170/2004
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chen Rechts und die nationale Förderungsstelle für professionell konzipierte Spielfilme, die Fördermittel nach dem Modell der Referenz- und als projektbezogene Filmförderung zur Verfügung stellt.618 Das FilmFG619 hat u.a. die Unterstützung von Filmen, die geeignet sind internationale Anerkennung zu erreichen und dadurch die kulturelle Identität des österreichischen Filmschaffens zu steigern, zum Ziel. Aber auch die wirtschaftliche und kulturelle Ausstrahlung des österreichischen Films im Ausland soll verbessert sowie die Unterstützung österreichisch-ausländischer Koproduktionen intensiviert werden. Gefördert werden laut § 2 Abs 5 FilmFG in Eigenverantwortung von österreichischen Filmherstellern produzierte österreichische Filme und internationale Koproduktionen mit österreichischer Beteiligung. Hierzu ist auszuführen, dass das ÖFI einerseits nach wirtschaftlichen Kriterien die österreichische Filmwirtschaft fördert und andererseits mit künstlerischen Kriterien bei der kreativ-künstlerischen Qualität ansetzt. Die dafür gewährleisteten finanziellen Förderungen oder fachlich-organisatorische Hilfestellungen versuchen ein bestimmtes Umfeld zu schaffen. In diesem sollen Ideen der Künstler Chance auf Verwirklichung haben, wobei insbesondere darauf geachtet wird, den Nachwuchs zu fördern und eine personelle Vielfalt an Filmschaffenden zu generieren, um so die heimische Filmindustrie zu stärken. Eine genauere Analyse der Förderungsvorrausetzungen zeigt außerdem eine relativ weite Definition von förderungsfähigen Projekten. Als österreichischer Film iSd FilmfördG gelten nämlich nicht nur österreichisch-ausländische Koproduktionen sondern auch ein ausländischer Film, bei dem sich der österreichische Beitrag auf eine finanzielle Minderheitsbeteiligung beschränkt.620 Insofern wird zumindest bestimmten, nicht rein österreichischen Projekten der Zugang zu Förderungen gewährt und auf verstärkte internationale Kooperation hingearbeitet. Bezüglich des Erfordernisses der österreichischen Staatsbürgerschaft kann vom Aufsichtsrat des ÖFI zur Berücksichtigung von bestimmten Personen wie Staatenlosen oder Flüchtlingen eine Ausnahme gemacht werden.
3. Produktion und Digitalisierung des Fernsehens Mit dem KOG621 wurden zwei weitere Förderungsmaßnahmen ins Leben gerufen, deren Verwaltung der RTR-GmbH obliegen. Die Mittel des Fernsehfilmförderungsfonds,622 mit dem die Produktion von Fernsehfilmen, -serien, und -dokumentationen unterstützt werden sollen, sind mit 7,5 Mio EUR dotiert und werden aus einem Teil der Rundfunkgebühren lukriert.623 Um den Umstieg von analoger zur digitalen Rundfunkverbreitung zu beschleunigen, wurde der Digitalisierungsfonds eingerichtet. Die jährlich zur Verfügung gestellten 6,8 Mio. EUR werden vor allem für Planung und Testbetrieb der Digitaltechnologie sowie für die Vorbereitung und Durchführung des 618 619 620 621 622 623
Korinek /Potz/Bammer/Wieshaider, Kulturrecht im Überblick, 2004, 66f. Vgl. § 2 Abs 1 FilmFG. Vgl. § 11 Abs 3 und 4 FilmFG. Siehe FN 150. Vgl. dessen Tätigkeitsbericht vom 30. März 2005, abrufbar unter http://www.rtr.at/. Vgl. § 3 Abs 1 RGG.
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kostspieligen Simulcast-Betriebes“624 verwendet, wobei ein technologieneutraler Ansatz verfolgt wird, nach dem jede Form der digitalen Verbreitung, sei es Kabel, Satellit oder terrestrisches Signal gleichsam als förderungswürdig gilt.625
VIII. Medienaufsichtsrecht - Die Organisationsstruktur der audiovisuellen Medienregulierung A. Allgemeines Die Organisation der Aufsicht bzw der Regulierung auf dem Gebiet des Medienwesens ist - was die zuständigen Behörden anlangt - vielschichtig ausgestaltet. So nehmen in diesem Bereich sowohl klassische staatliche Verwaltungsbehörden als auch sektorspezifische Regulierungsbehörden sowie schließlich die Gerichte bestimmte Aufgaben wahr.626
B. Verwaltungsbehördliche Zuständigkeiten Verwaltungsbehörden, die in die allgemeine weisungsgebundene Ministerialverwaltung eingebunden sind, werden zum einen sicherheitspolizeilich zum Zwecke der Durchsetzung der ordnungsrechtlichen Vorschriften nach dem MedienG627 tätig.628 Es sind dies die jeweiligen Bezirksverwaltungsbehörden bzw. im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde eben diese. Ihnen obliegt konkret die Aufsicht über die Einhaltung der Impressums-, der Offenlegungs-, der Veröffentlichungs- und der Kennzeichnungspflicht, der Pflicht zur Ablieferung von Bibliotheksstücken sowie der Bestimmungen über die Verbreitung und das Plakatieren von Druckwerken.629 Bei Verletzung dieser Pflichten wird ein Verfahren wegen Verwaltungsübertretung eingeleitet, in dem die UVS der Länder die Berufungsinstanz sind. Auch den Fernmeldebehörden kommen im Rahmen der fernmeldetechnischen Aufsicht, dh zur Aufsicht über die Errichtung und den Betrieb von jenen Einrichtungen, die zur Aussendung, Übermittlung und zum Empfang von elektronischen audiovisuellen Medien erforderlich sind, Zuständigkeiten zu.630 Schließlich ist gemäß § 1 Abs 1 KOG zur Regulierung der Veranstaltung von privatem Rundfunk eine eigene weisungsgebundene Verwaltungsbehörde - die KommAustria - eingerichtet worden. Diese soll unten im Zusammenhang mit der sonstigen Organisation der Rundfunkregulierung näher behandelt werden. 624
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Beim sog „Simulcast-Betrieb“ handelt es sich um die gleichzeitige Ausstrahlung des analogen wie digitalen Signals, die den Zweck hat den Rundfunkempfängern Zeit für den Umstieg auf die neue Technologie zu geben. Medien in Österreich2, 2006, herausgegeben vom Bundespressedienst des BKA. Für eine Darstellung der Typologie der Organisationsstrukturen der Medienregulierung Holoubek, Die Organisationsstruktur der Regulierung audiovisueller Medien Typologie und Entwicklungstendenzen, ZUM 1999, 665 ff. Siehe oben Pkt. IV.B. § 2 SPG zählt das Pressewesen (zur Definition von Pressewesen siehe oben Pkt. I.B.1.) zu den Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung. Siehe Funk, Medienaufsicht, in: Aicher/Holoubek (Hrsg), Das Recht der Medienunternehmen, 1998, 45 (47 ff). Zu diesen näher Funk (FN 629), 49 ff.
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C. Gerichtliche Zuständigkeiten Den Gerichten kommen typischerweise in weiten Bereichen des Schutzes fundamentaler Rechte, insb der Persönlichkeitsrechte im Rahmen der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, Kompetenzen zu.631 So sind die ordentlichen Gerichte bspw für die Strafverfahren aufgrund eines Medieninhaltedelikts zuständig. Ebenso im Falle von Streitigkeiten im Zuge von Presse-, Publizistik- oder Filmförderung, bei denen es sich um Privatwirtschaftsverwaltung handelt. Darüber hinaus finden sich auch im Wettbewerbsrecht genuin gerichtliche Zuständigkeiten, die den Mediensektor umfassen.632 Und schließlich werden der VfGH und der VwGH im Medienbereich als nachprüfende gerichtliche Instanzen, zweiterer aufgrund § 11 Abs 3 KOG, für die von den weisungsgebundenen sowie auch teilweise von den unabhängigen Verwaltungsbehörden ergangenen Entscheidungen tätig.
D. Behördenstruktur im Rundfunkbereich Die Kontrolle und Durchsetzung der Einhaltung der besonderen Rechtsvorschriften für den Rundfunkbereich obliegt eigens dafür eingerichteten sektorspezifischen Rundfunkbehörden. Deren Organisation wurde durch die Erlassung des Bundesgesetzes über die Einrichtung einer Kommunikationsbehörde Austria („KommAustria“) und eines Bundeskommunikationssenates, kurz dem KommAustria-Gesetz,633 im Jahr 2001 völlig neu gestaltet. Anlass für diese Neuorganisation auf den Rundfunkmärkten, mit der das bislang bestehende System, das eine Mehrzahl von Rundfunkbehörden vorsah,634 ersetzt wurde, war ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, in dem er ausgesprochen hat, dass die vormals als unabhängige Regulierungsbehörde ausgestaltete Privatrundfunkbehörde, der die Aufgabe der Vergabe von Privatrundfunkzulassungen zukam, verfassungswidrig war.635 Konsequenz dieses Erkenntnisses ist, dass in Österreich die Einrichtung einer unabhängigen Regulierungsbehörde für die oben genannten Aufgaben im Rundfunkbereich grundsätzlich nur mehr im Wege einer Verfassungsbestimmung möglich ist. Da die hierfür erforderliche Mehrheit im Nationalrat aber nicht gefunden werden konnte, hat man in der Folge auf einfachgesetzlicher Basis - mit dem KOG - die Aufgaben der „Verwaltungsführung“ im Rundfunkbereich einer dem Bundeskanzler weisungsgebundenen Behörde - der KommAustria - übertragen. Es handelt sich bei ihr um eine Dienststelle des Bundeskanzleramtes, die als erstinstanzliches monokratisches Organ eingerich631
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Trotz des zivilrechtlichen Charakters der im Mediengesetz geregelten Persönlichkeitsrechte sind, insb historisch erklärbar, dabei die Strafgerichte zur Entscheidung berufen. Siehe §§ 8 f, 14, 40 f MedienG. Siehe insb die medienspezifischen Bestimmungen im Kartellrecht (§ 42 KartG). BG 30. 03. 2001, über die Einrichtung einer Komunikationsbehörde Austria („KommAustria“) und eines Bundeskommunikationssenates (KommAustria-GesetzKOG), BGBl I 2001/32. Für einen Überblick der bislang bestehenden Behördenstruktur auf den Rundfunkmärkten Holoubek, Die Organisation der Medienregulierung im Lichte der Konvergenz, JRP 2000, 216 (insb 217). VfGH v 29. 06. 2000, G 175-266/99-17.
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tet ist. Für die Aufgaben der „Verwaltungskontrolle“ wurde, ebenfalls beim Bundeskanzeramt, eine unabhängige Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag, der Bundeskommunikationssenat, 636 eingerichtet. Die im Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ in eine Audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie637 enthaltene Bestimmung des Art 23b sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden zu gewährleisten und dafür Sorge zu tragen haben, dass diese ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausüben.638 Die Bestimmung wird vor allem aufgrund der mangelnden Gemeinschaftskompetenz in Angelegenheiten der nationalen Behördenorganisation kritisiert. 639
1. KommAustria Als Aufgaben der KommAustria nennt § 2 Abs 1 KOG insbesondere: • die Erteilung von Zulassungen für die Veranstaltung von Rundfunk nach dem PrR-G und dem PrTV-G, • die Verwaltung, Zuordnung und Bewilligung sämtlicher Rundfunkfrequenzen, • die Erteilung der Bewilligung für den Betrieb der für die Veranstaltung von Rundfunk notwendigen technischen Einrichtungen sowie • die Wahrnehmung der Rechtsaufsicht und Verwaltungsstrafbehörde über private Rundfunkveranstalter.640 Weitere wichtige Aufgaben stellen die Vorbereitung und Einführung von digitalem Rundfunk in Zusammenhang mit dem Digitalisierungskonzept des § 21 PrTV-G, die Zulassungserteilung für Multiplex-Betreiber oder die Beobachtung der Einhaltung der Werbebestimmungen des ORF-G und der Privatrundfunkgesetze dar.
2. RTR-GmbH Zur administrativen Unterstützung bei der Ausübung dieser Tätigkeit wird der KommAustria dabei als Geschäftsapparat die Rundfunk und Telekom Regu636 637 638
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Die Organisationsvorschriften über den BKS sind verfassungskonform, siehe VfSlg 16625/2002. Vgl. FN 13. In der allgemeinen Ausrichtung des Rates vom 15. November 2006, Ratsdokument 15277/06, wurde diese Bestimmung abgelehnt. Bei der Ausrichtung handelt es sich zwar um kein rechtliches Instrument, sie repräsentiert jedoch eine erste Einigung über den Vorschlag der Kommission. Zum Inhalt der allgemeinen Ausrichtung vgl. Traimer, Vorschlag für eine Audiovisuelle Mediendienste Richtlinie - das erste Jahr der Verhandlungen im Rat, in: Berka ua, Gemeinschaftsrecht und Rundfunk - Revolution oder Anpassung, Schriftenreihe REM Bd 2, 2007, 19 (20). Der Grundsatz der Unabhängigkeit selbst wird allerdings nicht in Frage gestellt. Vgl. etwa die Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats vom 20.12.2000, Rec.(2000) 23, über die Unabhängigkeit und Aufgaben von Regulierungsbehörden im Rundfunksektor. Ob die Bestimmung in der endgültigen Richtlinienfassung enthalten sein wird, ist aufgrund der Position der Kommission und des Parlaments, die beide an der Vorschreibung der Unabhängigkeit festhalten, fraglich. Vgl. Traimer (FN 638), 30. Insofern übernimmt die KommAustria die bisherigen Agenden der Privatrundfunkbehörde, der Kommission zur Wahrung des Regionalradiogesetzes und der Kommission zur Wahrung des Kabel- und Satellitenrundfunkgesetzes.
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lierungs-GmbH (RTR-GmbH), ein aus der allgemeinen Verwaltung in Privatrechtsform ausgegliederter Rechtsträger, zugeordnet.641 Der RTR-GmbH kommen neben diesen Agenden im Rundfunkbereich darüber hinaus aber auch Aufgaben im Telekommunikationsbereich zu,642 weshalb diese Behörde insbesondere auch „Know-How Träger“ hinsichtlich der auf den Kommunikationsmärkten stattfindenden Konvergenzentwicklungen643 sein soll.644
3. Bundeskommunikationssenat Der Bundeskommunikationssenat ist, wie bereits erwähnt, als weisungsfreies Kollegialorgan iSd Art 20 iVm Art 133 Z 4 B-VG zur Kontrolle der Verwaltungsangelegenheiten der Rundfunkregulierung und zur Rechtsaufsicht über den Österreichischen Rundfunk eingerichtet. Konkret hat er dabei über Rechtsmittel gegen Entscheidungen der KommAustria645 (mit Ausnahme von Rechtsmitteln in Verwaltungsstrafsachen) sowie über Beschwerden, Anträge und in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen aufgrund der Bestimmungen des ORF-Gesetzes646 zu entscheiden.647 Außerdem ist der BKS für das Verfahren nach dem FERG in erster wie in letzter Instanz zuständig.648 Der BKS besteht aus fünf Mitgliedern - drei davon müssen dem Richterstand angehören - die auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten für die Dauer von sechs Jahren bestellt werden und in Ausübung ihres Amtes unabhängig und weisungsfrei sind.649
Entscheidungen des Bundeskommunikationssenates, die in Bescheidform ergehen, unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Jedoch wird die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes ausdrücklich für zulässig erklärt.650 Darüber hinaus können sie auch vor dem Verfassungsgerichtshof, allerdings nur wegen behaupteter Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts bzw wegen einer Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm, insbesondere eines verfassungswidrigen Gesetzes, angefochten werden.651 641 642
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646 647 648 649 650 651
Vgl. § 5 Abs 1 KOG. Näher zur Struktur der RTR-GmbH und deren Verfassungsmäßigkeit Holoubek/Damjanovic (FN 31). So ist die RTR-GmbH nicht nur Geschäftsapparat der KommAustria, sondern auch Geschäftsapparat der Telekom Control Kommission. Darüber hinaus ist die RTRGmbH auch für sämtliche Aufgaben zuständig, die ihr gem § 109 TKG sowie gem § 15 SigG. Zu den Aufgaben der RTR-GmbH siehe § 5 Abs 3 KOG. Zu diesen Holoubek/Damjanovic (FN 31). § 5 Abs 3 Z 5 KOG. Den gegen Entscheidungen der KommAustria eingebrachten Rechtsmitteln kommt keine aufschiebende Wirkung zu (§14 Abs 1 KOG). Der BKS kann eine solche aber auf Antrag zuerkennen, wenn nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des Bescheides oder mit der Ausübung der mit dem Bescheid eingeräumten Berechtigungen für den Berufungswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Vgl. VerwGesRÄG 2006, BGBl. I Nr. 9/2006. Zu diesen Bestimmungen siehe auch oben Pkt. IV.C.2.d. § 11 Abs 2 KOG. § 7 FERG. Zur Zusammensetzung des Bundeskommunikationssenates siehe § 12 KOG. § 11 Abs 3 KOG. Art 144 Abs 1 B-VG.
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VfGH
VwGH Instanzenzug
Bundeskommunikationssenat W
Instanzenzug
Geschäftsapparat un e is
Bundeskanzler(amt)
g
W eis
KommAustria
Rundfunkbeirat
un g
(Kommunikationsbehörde) angesiedelt bei der RTR-GmbH Geschäftsapparat
Fachbereich Rundfunk
RTR - GmbH (Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH)
Abb. 5: Organisation der Rundfunkregulierung
Michael Holoubek/Dragana Damjanovic
Postrecht I. Grundlagen ..............................................................................................1288 A. Einleitung: die Neuordnung des Postwesens.......................................1288 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .......................................................1289 II. Internationale und gemeinschaftsrechtliche Vorgaben......................1290 A. Die internationale Post: Weltpostverein und Weltpostvertrag ............1290 B. Die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben .............................................1291 1. PostRL.............................................................................................1292 2. Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln ........................................1298 III. Der innerstaatliche Rahmen für das Postwesen ................................1304 A. Neuordnung durch das Postgesetz 1997: Zweck und Anwendungsbereich ............................................................................1304 B. Rechtliche Grundlagen für die Erbringung des Universaldienstes .....1306 1. Begriff und Umfang ........................................................................1306 2. Der Universaldienstbetreiber...........................................................1307 3. Finanzierung des Universaldienstes ................................................1308 C. Regulierung des Marktzugangs und der Marktausübung auf den Postmärkten.........................................................................................1308 1. Anzeigepflicht .................................................................................1308 2. Allgemeine Geschäftsbedingungen und Entgelte............................1308 3. Zugangsregulierung.........................................................................1309 4. Wahrung des Postgeheimnisses.......................................................1310 5. Organisationsstruktur der Aufsichtsbehörden im Postsektor ..........1311 Rechtsgrundlagen: RL 97/67/EG, Abl 1997 L 15/14 idF RL 2002/39/EG, Abl 2002 L 176/21 (PostRL); Poststrukturgesetz (BGBl 1996/201 idF BGBl 2003/71); Postgesetz 1997 (BGBl I 1998/18 idF BGBl I 2006/70); ZustellG (BGBl 1982/200 idF BGBl I 2004/10); Weltpostverein Beijing 1999 (BGBl III 2002/61) Post-Kostenrechnungsverordnung (BGBl II 2000/71); BrieffachanlagenVO (BGBl II 2004/77); Post-UniversaldienstVO (BGBl II 2002/100).
Grundlegende Literatur: Badura/von Danwitz/Herdegen/Sedemund/Stern (Hrsg), Beck`scher PostG-Kommentar, 2000; Geradin (Hrsg), The Liberalization of Postal Services in the European Union, 2002; Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 1999; Schaginger/Trpin, Postgesetz und Postordnung, 1958; Tettinger, Das aktuelle deutsche Postrecht, NVwZ 2000, 633; von Danwitz, Alternative Zustelldienste und Liberalisierung des Postwesens, 1999; Zorn, Die Sicherstellung gemeinwirtschaftlicher Leistungen in der Europäischen Union, 2000, 180 ff.
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I. Grundlagen A. Einleitung: die Neuordnung des Postwesens Im Rahmen staatlicher Daseinsvorsorge (konkret: um eine flächendeckende und einheitliche Postversorgung sicherstellen zu können)1 wurde die Post in Europa traditionell von staatlichen Monopolunternehmen betrieben.2 In Österreich wurden Briefdienste3 bis zu Beginn der 90er Jahre allein durch die Postund Telegrafendirektion, ein im Regiebetrieb des Bundes geführtes, mit ausschließlichen Rechten ausgestattetes öffentliches Unternehmen, erbracht.4 1992 hat die EG mit dem Grünbuch über die Entwicklung des Binnenmarktes für Postdienste5 die ersten Schritte zur Öffnung dieses Sektors für den Wettbewerb gesetzt.6 Seitdem werden in Europa die für die öffentlichen Postunternehmen in den jeweiligen Mitgliedstaaten noch bestehenden ausschließlichen und besonderen Rechte schrittweise und kontrolliert abgeschafft. Ende 2009 soll dieser Prozess der Marktöffnung und damit die Verwirklichung eines Binnenmarktes für Postdienste vollständig abgeschlossen sein.7 Die von der EG vorgegebene Liberalisierung des Postsektors hat auf innerstaatlicher Ebene zum einen die Privatisierung der österreichischen Post mit sich gebracht.
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Zur Bedeutung und Funktion der Post und ihrer Zuordnung zu den Daseinsvorsorgebereichen siehe Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, 224 f. Für einen Überblick zur Entstehung der Postmonopole in Europa siehe Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 1999, 9 ff. Zu den ökonomischen Gründen der Gewährung von Ausschließlichkeitsrechten für die Postunternehmen Panzar, Is Postal Services a Natural Monopoly?, in: Crew/Kleindorfer (Hrsg), Competition and Innovation in Postal Services, 1991, 219 ff. Vgl auch VfSlg 11494/1987: „Die die Erwerbsfreiheit beschränkenden Regelungen über den Beförderungsvorbehalt der Post sind als im öffentlichen Interesse gelegene Einschränkungen anzusehen.“ Paketsendungen und Mehrwertdienste (zB Express-Zustellung uä) sind bereits seit längerem auch durch private Unternehmen erbracht worden. Vgl § 4 altes PostG (BGBl 1957/58 idF BGBl 1996/765): „Die der Post übertragenen Beförderungsleistungen haben in Unterordnung unter die örtlich zuständige Post- und Telegraphendirektion und die Generaldirektion für die Post- und Telegraphenverwaltung die Postämter und ihre Hilfsstellen zu besorgen.“ Näher zur Besorgung der Angelegenheiten des Postwesens durch den Bund Schaginger/Trpin, Postgesetz und Postordnung, 1958, 11 f. KOM (1991) 476. Diese Politik steht im Zusammenhang mit der Liberalisierung der sonstigen Infrastrukturbereiche, wie der Telekommunikation, des Rundfunks, des Strom und Gassowie des Verkehrssektors (Eisenbahn-, Straßen-, Binnenschiffs-, See- und Luftverkehr). Für einen Überblick der gemeinschaftlichen Liberalisierungs- und Regulierungsmaßnahmen in diesen Wirtschaftssektoren siehe Henry/Matheu/Jeunemaître (eds), Regulation of Network Utilities. The European Experience, 2001. Im Einzelnen siehe unten Pkt II.B.1.a. Zur Postpolitik auf europäischer Ebene siehe die verschiedenen Beiträge bei Geradin (Hrsg), The Liberalization of Postal Services in the European Union, 2002. Aktuelle Informationen und ein Überblick zu den einschlägigen Maßnahmen finden sich auch auf der website der Europäischen Kommission http://ec.europa.eu/internal_market/post/index_de.htm.
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1996 erfolgte mit dem Poststrukturgesetz8 zunächst die Umwandlung der Post- und Telegrafenverwaltung in die Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft, von der 1999 die Unternehmensbereiche Post und Postauto abgespalten und auf die neugegründete Österreichische Post Aktiengesellschaft übertragen wurden.9 In weiterer Folge beschloss der Ministerrat Anfang 2006 insgesamt 49% der Österreichischen Post AG über die Börse zu privatisieren10 Zum anderen sind mit dem Postgesetz 199711, derzeit idF BGBl I 2006/70, die Weichen für ein wettbewerbsorientiertes Umfeld auf den Postmärkten gestellt worden.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Das Postwesen ist gemäß Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung. Der Begriff des „Postwesens“ umschreibt dabei alles, was der „Post“12 wesentlich ist. Dazu gehört - so der VfGH in einem Judikat aus den 70er Jahren - jedenfalls die „Beförderung von Briefen durch die Postanstalt des Staates.“ Heute wird man (entsprechend den aktuellen Begriffsbestimmungen in den einschlägigen Rechtsgrundlagen) darunter ganz allgemein sämtliche „Dienste im Zusammenhang mit der Abholung, dem Sortieren, dem Transport und der Zustellung von Postsendungen“ subsumieren können.13 Darüber hinaus gehört, neben der Technik der Beförderung von Sendungen, auch die Technik (das Verfahren) der Entgegennahme der Sendungen zur Beförderung (dh Aufgabe) und zur Abgabe der beförderten Sendungen an die Adressaten zum Wesen der Post. Daher gehört die Regelung der betreffenden Techniken ebenfalls systematisch zum Postwesen. Auch einschlägige Regelungen, die „selbst in völliger Abweichung von den früheren Vorschriften den jeweiligen Erfordernissen und Möglichkeiten entsprechen und neue Techniken zum Gegenstand haben“, gehören zum Postwesen. Daher „fällt auch die Begründung von Zwangsrechten oder Zwangsverpflichtungen zur Verwirklichung dieser Techniken“ unter diesen Kompetenztatbestand.14 Dies jedoch schließt nicht aus, dass in einem Landesgesetz eine baupolizeiliche Regelung über die Art der Anbringung von Hausbrieffachanlagen getroffen wird.“15
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BGBl 1996/201. Zur Organisationsprivatisierung der Post siehe auch die Informationen auf der website der österreichischen Post: www.post.at (unter Meilensteine). Für nähere Informationen zur Vermögensprivatisierung der Post siehe auf der website der österreichischen Post: www.post.at. Derzeit ist die ÖIAG noch zu 51% Eigentümerin der Post, die restlichen Anteile befinden sich im Streubesitz. BGBl I 1998/18. Dieses hat das PostG (BGBl 1957/58 idF BGBl 1996/765), welches den Postsektor als staatliches Monopol organisiert hat, außer Kraft gesetzt. Zum Begriff „Post“ siehe Schaginger/Trpin (FN 4) 7 f sowie VfSlg 6137/1970. Vgl § 2 Z 3 PostG und für den Begriff der Postsendung Z 4: „eine adressierte Sendung in der endgültigen Form, in der sie von Anbietern von Universaldienstleistungen oder anderen Anbietern von Postdiensten übernommen wird.“ Wie zB eine Regelung, die Gebäudeeigentümer zur Errichtung einer Brieffachanlage bzw zur Sicherstellung des Zugangs zu bestehenden Hausbrieffachanlagen für alle Anbieter von Postdienstleistungen verpflichtet. Zur Prüfung dieser Regelung durch den VfGH siehe noch unten Pkt III.C.3. VfSlg 6137/1970.
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II. Internationale und gemeinschaftsrechtliche Vorgaben A. Die internationale Post: Weltpostverein und Weltpostvertrag Der Weltpostverein (WPV) mit Sitz in Bern wurde 1874 gegründet.16 Mit 189 Mitgliedern17 ist er das Hauptforum18 für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit im Postbereich.19 Der organisatorisch institutionelle Rahmen des Weltpostvereins ist in der beim Weltpostkongress von Wien 1964 angenommenen Satzung20 grundgelegt. Ergänzt wird die Satzung durch ein „Übereinkommen zwischen den Vereinten Nationen und dem Weltpostverein“ von 1947 und durch ein Zusatzübereinkommen aus dem Jahr 1949.21 Danach werden als ständige Organe des Vereins22 der Verwaltungsrat, der sich mit den rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Fragen des Vereins befasst, der Rat für Postbetrieb, in dessen Kompetenz Fragen wirtschaftlicher, betrieblicher und technischer Art fallen und das internationale Büro als Sekretariat des Vereins tätig. Daneben tritt alle fünf Jahre der Weltpostkongress, der sich aus den Vertretern aller Mitgliedstaaten des WPV konstituiert, zusammen. Die wesentliche Funktion des Kongresses besteht in der regelmäßigen Revision der allgemeinen Rechtsvorschriften, die auf internationale Postdienste anwendbar sind.23 Der (materielle) Regelungsrahmen für die Erbringung von Postdiensten auf internationaler Ebene ist im Weltpostvertrag und in den zusätzlich im Rahmen des Weltpostvereins angenommenen Abkommen zwischen den nationalen Postverwaltungen enthalten.24 Gegenstand dieser Regelungen ist in erster Linie die Zusammenarbeit der nationalen Postverwaltungen, der Aufbau eines internationalen Postnetzes und damit auch die einheitliche Gestaltung des Weltpostverkehrs. Diese Rahmenbedingungen sind beim Weltpostkongress in Beijing 1999 und zuletzt beim Kongress in Bukarest 2004 maßgeblich reformiert worden, um sie den durch die
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Durch den Abschluss des Vertrages von Bern (am 9. Oktober 1874) noch unter der Bezeichnung „Allgemeiner Postverein“ gegründet. Angesichts der rasch zunehmenden Beitritte anderer Staaten wurde der „Allgemeine Postverein“ vier Jahre später zum „Weltpostverein“ umbenannt. Zur Entstehung des Weltpostvereins siehe auch Neu (FN 2) 30 ff. Nähere Informationen zu den Mitgliedstaaten des Weltpostvereins unter www.upu.int. Im europäischen Raum: Europäischer Ausschuss für Regulierungsfragen im Postsektor (CERP); zur europäischen Normung im Postwesen siehe noch unten Pkt II.B.I.b6. Seit 1947 ist der Weltpostverein eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. (WPV-UN Abkommen vom 4.7.1947 und Zusatzabkommen vom 13/27.7.1949). SgWPV vom 10.6.1964, abrufbar unter www.upu.int. Zu den Übereinkommen vgl FN 19. Zur Organisation und Zusammensetzung des Weltpostvereins siehe unter www.upu.int; weiters Neu (FN 2), 41 ff. In den letzten Jahren hat der Kongress jedoch wichtige legislative Zuständigkeiten an die Räte delegiert und selbst im Wesentlichen nur mehr die wesentlichen Leitlinien festgelegt. Die Unterlagen sind unter www.upu.int/acts/en/index.shtml abrufbar.
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Liberalisierung veränderten Rahmenbedingungen auf den Postmärkten in den Industrienationen anzupassen.25
Daneben ist für die Regulierung des Weltpostverkehrs auch das WTORecht und hier insbesondere das GATS (General Agreement on Trade and Services) von Bedeutung.26 Zu letzterem hat die Europäische Kommission ein bedingtes Angebot für Postdienste unterbreitet, welches der Marktöffnung im Postbereich in der Europäischen Gemeinschaft Rechnung trägt.27 Österreich ist der Satzung des Weltpostvereins28 und dem Weltpostvertrag samt Anhang29 sowie den jeweiligen Änderungen30 beigetreten. Nach § 7a PostG nimmt die Österreichische Post die Rechte und Pflichten wahr, die sich für die Republik Österreich (und die österreichische Postverwaltung) im Verhältnis zu den Nutzern und zu anderen Postverwaltungen aus den Bestimmungen des Weltpostvertrages und den sonstigen Abkommen des Weltpostvereins ergeben.
B. Die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben Zielsetzung der Gemeinschaftspolitik im Postsektor ist die Verwirklichung des Binnenmarktes, dh eines gemeinschaftsweit vollständig für den Wettbewerb geöffneten Marktes für Postdienste bei gleichzeitiger Sicherstellung einer Grundversorgung auf diesen Märkten, welche in der Erbringung eines bestimmten Mindestangebots an Postdiensten zu erschwinglichen Preisen und in einer zufriedenstellenden Qualität an alle Bürger in der Union besteht (= der sog Universaldienst). Die Umsetzung dieser (auch für die anderen Infrastruk-
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Zu den Änderungen im Einzelnen siehe unter www.upu.int/acts/en/index.shtml. Zum internationalen Regelungsrahmen für die Post und insb. auch der Anwendung des WTO-Rechts in diesem Bereich im Einzelnen Luff, International Regulation of Postal Services: UPU vs WTO-Rules, in: Geradin (Hrsg), The Liberalization of Postal Services in the European Union, 2002, 39 ff; The Study of Relationship between the Constitution, Rules and Practice of the Universal Postal Union, the WTO Rules (in particular the GATS), and the European Community Law. Final Report. Submitted by T.M.C. Asser Instituut, The Hague, 30. June 2004 (abrufbar: http://ec.europa.eu/internal_market/post/studies_de.htm In diesem Angebot erklärt sich die EU (grob zusammengefasst) dazu bereit, die Märkte für die Zustellung von Paketen und Zeitungen, die Expresszustellung und den Bereich der Briefe über 350 Gramm zu öffnen, sowie sich auf internationaler Ebene zur Einhaltung (in der EU bereits geltender) wettbewerbsfördernder Grundsätze zu verpflichten. Das bedingte Angebot kann unter http://ec.europa.eu/ internal_market/post/intactivities_de.htm heruntergeladen werden. BGBl 1965/350. BGBl 1954/109. Der Anhang enthält neben dem Übereinkommen zwischen der Organisation der Vereinten Nationen und dem Weltpostverein samt Zusatzübereinkommen sowie den Bestimmungen über die Flugpostbriefsendungen samt Schlussprotokoll, das Übereinkommen betreffend a) die Briefe und Schachteln mit Wertangabe, b) die Postpakete c) die Postanweisungen und die Reisegutscheine, d) die Postüberweisungen e) die Nachnahmesendungen f) die Postaufträge und g) den Bezug von Zeitungen und Zeitschriften. Zuletzt 6. Zusatzprotokoll zur Satzung, Allgemeine Verfahrensordnung, Vertrag und Abkommen des Weltpostvereins (Beijing 1999), BGBl III 2002/61. Die im Rahmen des Kongresses in Bukarest beschlossenen Änderungen (vgl FN 24) sind im BGBl noch nicht veröffentlicht worden.
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turbereiche charakteristischen)31 doppelten Stoßrichtung der gemeinschaftlichen Postpolitik erfolgt zum einen durch die Festlegung eines sekundärrechtlich harmonisierten Rechtsrahmens, der gemeinsame Grundsätze für die Liberalisierung und Regulierung des Postsektors in den Mitgliedstaaten vorgibt und zum anderen durch die Anwendung und Durchsetzung der EG-Wettbewerbsregeln auf diesen Sektor.
1. PostRL a) Abgestuftes Liberalisierungskonzept Die PostRL 97/67/EG bildet den Gesamtrahmen für die Liberalisierung und Regulierung des europäischen Postsektors. Um eine dauerhafte Grundversorgung mit Postdiensten zu finanziell ausgewogenen Bedingungen auch in einem wettbewerbsorientierten Umfeld sicherstellen zu können, sieht sie ein abgestuftes Liberalisierungskonzept, dh einen gemäßigten und schrittweisen Übergang von den traditionellen Monopolstrukturen zu einem vollständig geöffneten Markt vor: dem Unternehmen, welchem die Grundversorgung (= Erbringung des Universaldienstes) aufgetragen wird,32 werden für einen bestimmten Bereich - den sog „reservierten Bereich“ - für einen Übergangszeitraum besondere und/oder ausschließliche Rechte vorbehalten, die ihm die Generierung eines bestimmten Umsatzes sichern und damit die Finanzierung der im Rahmen der Grundversorgung zu erbringenden unprofitablen Dienste ermöglichen sollen.33
Für die erste Phase der Marktöffnung setzte die Postrichtlinie 199734 (die „erste Postrichtlinie“) als derart reservierten Bereich folgende Dienste fest: • Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Inlandsbriefsendungen entweder als beschleunigte Sendungen oder normale Sendungen, mit einem Gewicht von weniger als 350g und zu einem Preis unter dem Fünffachen des öffentlichen Tarifs für eine Briefsendung der ersten Gewichtsklasse der, soweit vorhanden, schnellsten Kategorie der Standardsendungen“35 sowie, • innerhalb dieser Preis- und Gewichtsgrenzen die grenzüberschreitende Post und Direktwerbung.36 Gleichzeitig nannte sie als Zeitpunkt für weitere Liberalisierungsschritte den 1.Jänner 2003. Dementsprechend erfolgte mit der RL 2002/39/EG (der „zweiten Postricht31 32
33
34 35 36
Für eine Querschnittsbetrachtung dieser Aspekte siehe im Grünbuch der Europäischen Kommission: Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, Abl 2001 C 17/4. Derzeit erbringen de facto ausschließlich die ehemaligen staatlichen Monopolunternehmen die Universaldienstleistungen; zur Bestimmung des Universaldiensterbringers in Hinkunft siehe unten Pkt 1.b1. Zur Notwendigkeit der Aufrechterhaltung von Ausschließlichkeitsrechten im Postbereich zur Sicherstellung der Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse iSd Art 86 Abs 2 EGV siehe schon EuGH, Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993 I-2533; kritisch dazu: Geradin/Humpe, The Liberalization of Postal Services in the European Union: An Analysis of Directive 97/67/EG, in: Geradin (Hrsg), The Liberalization of Postal Services in the European Union, 2002, 91 ff. Das Konzept der abgestuften Liberalisierung stellt insofern ein Modell (von mehreren) für die Finanzierung des Universaldienstes dar. Zu den anderen Optionen siehe unten Pkt 1.b1. In der Stammfassung: Abl 1998 L 15/14. Vgl Art 7 Abs 1 PostRL 97/67/EG (in der Stammfassung). Vgl Art 7 Abs 2 PostRL 97/67/EG (in der Stammfassung).
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linie“)37, mit welcher die ursprüngliche Postrichtlinie 97/67/EG geändert wurde, eine Einschränkung des reservierten Bereichs: • zunächst, ab dem 1. Januar 2003, auf Inlandsbriefsendungen und eingehende grenzüberschreitende Briefsendungen bis 100g, deren Preis unter dem Dreifachen des Standardtarifs liegt • und in weiterer Folge, ab dem 1. Januar 2006 auf Inlandsbriefsendungen und eingehende grenzüberschreitende Briefsendungen bis 50g, deren Preis unter dem Zweieinhalbfachen des Standardtarifs liegt. Darüber hinaus ist in der zweiten PostRL der 1. Januar 2009 als provisorisches Datum für die Vollendung des Binnenmarktes für Postdienste genannt. Mittlerweile liegt ein Vorschlag der Kommission für eine weitere PostRL (die „dritte Postrichtlinie“)38 vor, die diesen Termin für die vollständige Öffnung des europäischen Postmarktes (basierend auf den Schlussfolgerungen verschiedener dazu im Vorfeld durchgeführter Studien39) bestätigt.40
b) Die Regulierungsmaßnahmen im liberalisierten Postsektor Bei den derzeit gültigen Regulierungsmaßnahmen, die den Liberalisierungsprozess im Postsektor begleiten sollen, wie zB den Maßnahmen zur Sicherung des Universaldienstes in einem wettbewerbsorientiertem Umfeld, handelt es sich um Übergangsregelungen, die noch vom Bestehen eines reservierten Bereichs in diesem Markt41 ausgehen. Mit der vollständigen Öffnung der Postmärkte für den Wettbewerb werden sie - wie das der Vorschlag für eine dritte Postrichtlinie vorsieht - wesentlich an das neue Umfeld anzupassen sein. So ist etwa mit Wegfall des reservierten Bereichs die Finanzierung des Universaldienstes grundlegend neu auszugestalten. Auch bestimmte sektorspezifische Wettbewerbsregelungen, wie etwa die Kontrolle von Quersubventionen, werden nicht mehr in dem Ausmaß erforderlich sein.
Der folgende Überblick zu den Regulierungsmaßnahmen erfolgt im Wesentlichen auf Grundlage der derzeit geltenden Regelungen nach der zweiten Postrichtlinie, allerdings maßgeblich unter Bezugnahme auf den Vorschlag der Kommission für eine dritte Postrichtlinie (= die Weiterentwicklung dieser Bestimmungen).
37 38
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Abl 2002 L 176/21. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 97/67/EC hinsichtlich der Vollendung des Binnenmarkts für gemeinschaftliche Postdienste - KOM/2006/594 endg. (abrufbar: http://ec.europa.eu/ internal_market/post/index_de.htm). Bericht an den Rat und das Europäische Parlament mit dem Titel " Prospektivstudie der Kommission über die Auswirkungen der Vollendung des Binnenmarkts für Postdienste in 2009 auf den Universaldienst", KOM/2006/596 endg; einer Folgenabschätzung; Bericht an den Rat und das Europäische Parlament zur Anwendung der Postrichtlinie (Richtlinie 97/67/EC wie geändert durch Richtlinie 2002/39/EC) (KOM/2006/595 endg.) mit einem detaillierten Anhang in der Form eines Kommissionsarbeitspapiers, alle abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/ post/index_de.htm. Der Vorschlag bedarf eines Beschlusses im Mitentscheidungsverfahren (Art 151 EGV) durch das Europäische Parlament und den Rat. Dh eines Bereichs, der vom Wettbewerb ausgenommen ist. Zu diesem siehe oben Pkt a.
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aa) Sicherstellung des Universaldienstes Art 3 Abs 1 PostRL verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung eines Universaldienstes, der „ständig flächendeckend postalische Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer bietet.“42 Dafür haben die Mitgliedstaaten die Dichte der Abhol- und Zugangspunkte den Bedürfnissen der Nutzer entsprechend zu regeln,43 und Qualitätsnormen betreffend die Laufzeiten, die Regelmäßigkeit und die Zuverlässigkeit der Dienste44 sowie bestimmte Grundanforderungen an die Bereitstellung (Nichtdiskriminierung, Weiterentwicklung entsprechend den technischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen) festzulegen.45 Als vom Universaldienst umfasstes Mindestangebot, welches von den Mitgliedstaaten nicht unterschritten werden darf,46 wird in Art 3 Abs 3 und 4 eine Abholung und eine Hauszustellung an allen Arbeitstagen, mindestens aber an fünf Tagen pro Woche von Postsendungen bis 2 kg, Postpaketen bis 10kg47 und Diensten für Einschreib- und Wertsendungen bestimmt.
Als Mechanismus zur Bestimmung des Universaldiensterbringers sieht die PostRL bislang in Art 4 die verbindliche Vorabfestlegung durch die Mitgliedstaaten auf einen oder mehrere Universaldienstanbieter vor. Nach der Neufassung des Art 4 gemäß dem Entwurf für die dritte PostRL sollen die Mitstaaten in Hinkunft selbst den effizientesten und am besten geeigneten Mechanismus für die Erbringung des Universaldienstes bestimmen können. Der Universaldienst kann den Marktkräften überlassen, über öffentliche Ausschreibung bereitgestellt oder durch die nach den Grundsätzen der Objektivität, Transparenz, Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit, geringst möglichen Marktverzerrung und zeitlichen Beschränkungen erfolgende Benennung eines oder mehrerer Unternehmer als Universaldienstanbieter erbracht werden.
Die Finanzierungsoption, aus dem reservierten Bereich zur Abdeckung der im Rahmen der Universaldiensterbringung anfallenden Nettokosten quer zu subventionieren, wird mit Aufhebung sämtlicher Ausschließlichkeitsrechte auf den Postmärkten ab 1. Januar 2009 wegfallen. Als Alternativen, die den Mitgliedstaaten (bei Notwendigkeit einer externen Finanzierung des Universaldienstes) zur Verfügung stehen, sieht Art 7 des Entwurfs für eine dritte PostRL öffentliche Ausgleichzahlungen durch direkte staatliche Subventionen oder auf indirektem Weg durch öffentliche Ausschreibungen sowie die Möglichkeit einen Augleichfonds einzurichten, in den Beiträge von Diensteanbietern und/oder Nutzern fließen können, vor.
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Entsprechend der in der Mitteilung für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (FN 31) für diese Dienstleistungen aufgestellten Grundsätze der Universalität, Gleichheit und Kontinuität. Art 3 Abs 2 PostRL. Art 16 PostRL. Zu den in Österreich auf dieser Grundlage erlassenen Normen siehe unten Pkt III.B.1. Für grenzüberschreitende innergemeinschaftliche Dienste sind die Qualitätsnormen im Anhang der RL festgelegt. Art 5 PostRL. Den Mitgliedstaaten steht es demnach frei weitere Dienstleistungen in den Umfang des Universaldienstes mit einzubeziehen. Die Gewichtsobergrenze für Paketdienste kann gemäß Art 3 Abs 5 PostRL von den Mitgliedstaaten auf 20kg angehoben werden.
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bb) Marktzutrittsregulierung Nach Art 9 PostRL können die Mitgliedstaaten für Postdienste, die nicht zum Universaldienst gehören Allgemeingenehmigungen48 vorsehen; für jene, die zum Universaldienst zählen, auch Einzelgenehmigungen.49 Zur stärkeren Harmonisierung der Auflagen, die mit einer Genehmigung verknüpft werden können, sowie der für diese Auflagen und Verfahren geltenden Grundsätze, wird im Vorschlag für eine Änderung der PostRL50 neben einer Liste zulässiger51 auch eine Liste unzulässiger Auflagen aufgenommen. So kann eine Genehmigung etwa mit Universaldienstpflichten oder mit der Verpflichtung, einen Beitrag in den Ausgleichsmechanismus zu leisten, verknüpft werden. Zu den unzulässigen Auflagen zählen: die Begrenzung der Zahl der Genehmigungsinhaber; die gleichzeitige Anforderung eines Beitrags zu einem Ausgleichsmechanismus mit der Auferlegung von Universaldienst- oder Qualitätsverpflichtungen; Parallelauflagen für Unternehmen aufgrund anderer und nicht sektorspezifischer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften und unverhältnismäßige oder ungerechtfertigte technische oder betriebliche Auflagen.52
cc) Entgeltregulierung Im Bereich der Entgeltregulierung enthält die PostRL Vorschriften 1. betreffend die Verbraucherentgelte (konkret die Tarife der Universaldienste) und 2. hinsichtlich der Endvergütungen. Darunter sind jene Beträge zu verstehen, die im grenzüberschreitenden Postverkehr vom Postbetreiber des Landes, in welchem die Postsendung aufgegeben wird, an den Anbieter, in welchem die Sendung zugestellt wird, zu entrichten sind. Betreffend die Tarife der Universaldienste schreibt die Richtlinie die Grundsätze der Erschwinglichkeit53, Transparenz, Nichtdiskriminierung und der Kostenorientierung vor.54 Auf dieser Grundlage legen die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet derzeit in der Regel Einheitstarife für den Universaldienst fest.55 In Zukunft sollen Einheitstarife allerdings auf Sendungen, die Einzelsendungstarifen unterliegen,56 beschränkt werden, um dem Universaldienstanbieter die erforderliche Flexibilität für das dann voll wettbewerbsorientierte Umfeld zu gewähren.57 48 49
50 51 52 53 54 55 56
Für eine Begriffsbestimmung von Allgemein- und Einzelgenehmigung vgl Art 2 Z 14 PostRL. Art 9 PostRL unterscheidet bislang noch zwischen dem reservierten und nichtreservierten Bereich und ist nur auf den nichtreservierten Bereich anwendbar. Mit der Abschaffung sämtlicher Ausschließlichkeitsrechte werden diese Vorschriften in Hinkunft für sämtliche Postdienste anwendbar sein. Vgl Art 9 idF Kommissionsvorschlag für eine Änderung der PostRL (FN 38). FN 38. Vgl Art 9 Abs 2 PostRL. Vgl Art 9 Abs 2 gemäß dem Kommissionsvorschlag für eine Änderung der PostRL (FN 38). Es ist dabei Aufgabe der Mitgliedstaaten entsprechend den jeweiligen nationalen Gegebenheiten zu bestimmen, was als erschwinglich anzusehen ist. Zu den Tarifierungsgrundsätzen siehe Art 12 PostRL. Zur Regulierung der Entgelte für Universaldienste in Österreich siehe unten Pkt III.C.2. Wie zB die durch Briefmarken gezahlten.
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Die Berechnung der Kosten des Universaldienstes hat gemäß Art 14 der RL auf einer getrennten Rechnungslegung zwischen den, dem Universaldienst zuzurechnenden Diensten (für die ein besonderer finanzieller Ausgleich erfolgen kann) und den sonstigen Diensten zu beruhen.58 Für die dabei vorzunehmende Kostenaufschlüsselung legt die RL gewisse allgemeine Grundsätze fest. Das in der derzeitigen Fassung der PostRL noch vorgesehene Gebot, die Quersubventionierung von Universaldiensten mit Hilfe sektorspezifischer Vorschriften zu kontrollieren,59 wird in Zukunft (mit Wegfall des reservierten Bereichs) auch entfallen. Die Mitgliedstaaten sollen in Hinkunft selbst entscheiden, ob und welche spezifische Vorabkontrollen sie einführen wollen, um Wettbewerbsverzerrungen durch den beherrschenden Marktakteur zu verhindern.60
Betreffend die Berechnung der Endvergütungen sieht die Richtlinie ebenfalls nur allgemeine Prinzipien vor, nach denen die Höhe des Entgelts kostenorientiert, entsprechend der Qualität der Dienstleistung, transparent und nichtdiskriminierend festzulegen ist.
Die genaue Kalkulation dieser Entgelte ist in einer multilateralen Vereinbarung zwischen den Universaldiensteanbietern der jeweiligen Mitgliedstaaten - der sog REIMS II Vereinbarung61 - festgehalten. Diese ist von der Kommission mit einer Entscheidung nach Art 81 Abs 3 EG unter der Bedingung, dass neue Marktteilnehmer im Bereich der abgehenden Auslandspost unter gleichen Bedingungen wie die REIMS-IIVertragsparteien die Zustellung grenzüberschreitender Postsendungen in Anspruch nehmen können, vom Kartellverbot bis Ende 2006 freigestellt worden.62
dd) Zugangsregulierung Art 11 PostRL sieht bislang ein Zugangsrecht für alle Nutzer und den bzw die Universaldienstanbieter zum öffentlichen Postnetz vor. Fraglich ist, ob Nutzer im Sinn dieser Bestimmung bloß Endkunden oder auch die Wettbewerber des etablierten Betreibers (der in der Regel auch der Betreiber des öffentlichen Postnetzes ist) meint; in anderen Worten: ob die Vorschrift in Verbindung mit den sonstigen Universaldienstbestimmungen bloß auf die Sicherstellung der Grundversorgung in den Postmärkten zielt oder auch wettbewerbsregulatorischer Natur ist, also
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Einheitstarife sollen dann lediglich noch zur Sicherstellung anderer öffentlicher Interessen, zB für die Verteilung von Presseerzeugnissen vorgesehen werden können. Vgl Art 12 lit b idF Kommissionsvorschlag für eine Änderung der PostRL (FN 38). Derzeit ist auch noch eine Trennung zwischen dem reservierten und dem nichtreservierten Bereich verankert - eine Vorgabe, die mit Einführung des vollständigen Wettbewerbs ebenfalls wegfallen wird. Vgl Art 14 Abs 2 Kommissionsvorschlag für eine Änderung der PostRL (FN 38). Vgl Art 12, 6. Gedankenstrich PostRL, der die MS verpflichtet diesbezüglich Vorschriften zu erlassen. Vgl Pkt 3.3.3. im Kommissionsvorschlag für eine Änderung der PostRL (FN 38). Allgemein zum Gebührensystem der Postunternehmen für den grenzüberschreitenden Postverkehr Campbell Jr., Evolution of Terminal Dues and Remail Provisions in European and International Postal Law, Journal of Network Industries 2002, 1 ff. Siehe auch die Informationen auf der website des Bundesverbandes Deutscher Postdienstleister e.V. (www.bvpd.de). Entscheidung 1999/695/EG vom 23.10.2003. Dazu noch unten Punkt 2.c)3.
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über die Sicherung des Zugangs der alternativen Betreiber zu wesentlicher Infrastruktur auch die Marktöffnung bezweckt.63
Zu diesen bislang noch strittigen Fragen sieht der Kommissionsvorschlag zur Änderung der PostRL64 durch die Einfügung eines neuen Art 11a eine Klarstellung vor: In Hinkunft haben die Mitgliedstaaten entsprechend den nationalen Bedingungen zu bewerten, ob ein solches besonderes Zugangsrecht für die Mitbewerber zum Schutz der Interessen von Nutzern und/oder zur Förderung eines effektiven Wettbewerbs erforderlich ist und dementsprechend „transparente und nichtdiskriminierende Zugangsbedingungen für folgende Komponenten der postalischen Infrastruktur oder der Dienste vorzusehen: Postleitzahlsystem, Adressendatenbank, Briefkästen, Hausbrieffachanlagen, Postfächer, Information über Adressänderungen, Umleitung von Sendungen, Rückleitung an Absender.“ Von dieser vorgeschlagenen neuen Vorschrift bleibt die Regulierung des nachgelagerten Zugangs zu den Netzbereichen Sortierung und Zustellung, wie sie in Art 12 der PostRL (dzt. Fassung) vorgesehen ist, unberührt. Danach haben die Anbieter von Universaldienstleistungen Sondertarife, die sie beispielsweise Massenversendern oder Konsolidierern anbieten, entsprechend den Grundsätzen der Transparenz und Nichtdiskriminierung allen Kunden zu gewähren, die Sendungen unter vergleichbaren Bedingungen einliefern. ee) Verbraucherschutz Zur Stärkung des Verbraucherschutzes legt Art 19 PostRL den Mitgliedstaaten auf, Beschwerdeverfahren einzurichten, die bestimmten Mindeststandards zu entsprechen haben. Sie sind insbesondere effizient und kostengünstig auszugestalten. Diese bislang nur für den Universaldienstbereich geltende Vorschrift soll in Hinkunft nach dem Kommissionsvorschlag zur Änderung der PostRL auf sämtliche Postsendungen ausgedehnt werden.65 Zusätzlich sollen die Mitgliedstaaten die Entwicklung unanhängiger außergerichtlicher Mechanismen zur Beilegung von Streitigkeiten fördern.
ff) Technische Normung Die technische Normung im Postsektor konzentriert sich auf die • gemeinschaftsweite Harmonisierung der technischen Verfahren für den Universaldienst, insbesondere der Verfahren zur externen Messung der Dienstqualität, und die • Verbesserung der Fähigkeit aller Beteiligten zur Zusammenarbeit im Postwesen (Interoperabilität). Die Entwicklung dieser technischen Normen für den Postsektor ist gemäß Art 20 PostRL dem Europäischen Komitee für Normung (CEN) übertragen: Bei
63
64 65
Oder ob Zugangssicherung nur auf Grundlage des allgemeinen Wettbewerbsrechts, konkret der essential facilities Doktrin erfolgt. Vgl dazu auch Geradin/Humpe (FN 33), 103 ff. FN 38. Vgl Art 19 und 22 des Kommissionsvorschlag für eine Änderung der PostRL (FN 38).
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diesem ist ein eigener Ausschuss (TC/331) für den Postbereich eingerichtet worden.66 Die von diesem Ausschuss angenommenen Normen werden im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Die Umsetzung der meisten dieser Normen erfolgt auf freiwilliger Basis. In bestimmten Fällen, zB zur Messung der Dienstequalität unter genormten Bedingungen, schreibt die PostRL den Mitgliedstaaten die zwingende Verwendung dieser Normen vor.
gg) Nationale Regulierungsbehörden Hinsichtlich der Organisationsstruktur der Aufsicht im Postsektor enthält die Richtlinie bislang nur die Vorgabe zur Einrichtung einer oder mehrerer nationaler Regulierungsbehörden, die von den Postbetreibern rechtlich getrennt und betrieblich unabhängig sind. Mit der Neufassung der PostRL sollen, zur Steigerung der Effizienz dieser Einrichtungen und zur stärkeren Absicherung ihrer Unabhängigkeit, diese Vorgaben konkretisiert werden. In Anknüpfung an die aus ähnlich regulierten Bereichen67 bislang gesammelten Erfahrungen, sieht Art 22 des Kommissionsvorschlags zur Änderung der PostRL im Zusammenhang mit den nationalen Regulierungsbehörden im Postsektor nunmehr ausdrücklich vor: • die Sicherstellung der wirksamen strukturellen Trennung der Regulierungsfunktionen von Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Eigentum oder der Kontrolle, wenn Mitgliedstaaten weiterhin an Unternehmen beteiligt sind, die Postdienste bereitstellen, oder diese kontrollieren; • die Veröffentlichung der von den nationalen Regulierungsbehörden wahrzunehmenden Aufgaben in leicht zugänglicher Form; • die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten sowie • einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörde bei einer von den beteiligten Parteien unabhängigen Beschwerdestelle.
2. Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln Neben den in der PostRL festgelegten sektorspezifischen Liberalisierungs- und Regulierungsmaßnahmen kommt im Postsektor (zur Verwirklichung eines Binnenmarktes) auch der Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln eine zentrale Bedeutung zu. Der Postsektor zeichnet sich dabei (zumindest derzeit noch) durch die Besonderheit aus, dass hier öffentliche Unternehmen iSd Art 86 Abs 1 EG (die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen) als Marktakteure auftreten, denen für bestimmte Bereiche (den sog reservierten Bereich) Ausschließlichkeitsrechte gewährt 66
67
Allgemein zum Normungsausschuss für den Postbereich siehe unter www.cenorm.be. Die Normungsaufträge der Kommission an das CEN im Bereich der Postdienste (M/240 und M/312) sind unter http://ec.europa.eu/ internal_market/post/standardisation_de.htm abrufbar. Die Vorgaben orientieren sich in erster Linie an Art 3 und 4 der Rahmenrichtlinie für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, Abl 2002 L 108/33; zu den Vorgaben in der RahmenRL und allgemein der Organisationsstruktur der Aufsichtsbehörden im Telekommunikationsbereich vgl Holoubek/Damjanovic, Telekommunikationsrecht, in diesem Band.
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werden. Für solche Unternehmen bestimmt Art 86 Abs 2 EG, dass die Wettbewerbsregeln gelten68 und insb. auch die Mitgliedstaaten in Bezug auf diese Unternehmen keine Maßnahmen treffen dürfen, die der faktischen Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln entgegenstehen, sofern die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln nicht die Erbringung der den öffentlichen Unternehmen übertragenen Dienstleistungen von allgemeinen wirtschaftlichen Interesse gefährdet.
Damit ist im Postsektor zum einen das Verhalten der Postunternehmen selbst anhand der Wettbewerbsregeln (konkret dem Kartellverbot nach Art 81 EG, dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art 82 EG und der Fusionskontrolle nach der FKVO) iVm Art 86 Abs 2 EG zu beurteilen, zum anderen sind die staatlichen Maßnahmen in Bezug auf diese Unternehmen gemäß Art 86 Abs 1 EG auf ihre Vereinbarkeit mit den Wettbewerbsregeln sowie insb auch gemäß Art 87 EG mit dem gemeinschaftsrechtlichen Beihilferegime zu überprüfen. Bei der Entscheidung, ob ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht vorliegt, ist immer eine Abwägung mit der Zielsetzung der Sicherstellung der Dienstleistungen von allgemeinen wirtschaftlichen Interesse - im Postsektor: eine flächendeckenden Versorgung mit (zumindest) Standardbriefsendungen zu erschwinglichen Preisen sicherzustellen vorzunehmen.69
a) Wettbewerbsrechtliche Beurteilung der staatlichen Maßnahmen im Postsektor gemäß Art 86 Abs 1 EG Auf Grundlage dieses Regelungsrahmens hat der EuGH in der für den Postsektor richtungsweisenden Entscheidung Corbeau70 (die einen wichtigen Schritt im Rahmen des Liberalisierungsprozesses in diesem Bereich bildet)71 festgehalten, dass die Mitgliedstaaten keine spezifischen Dienstleistungen verbieten oder erschweren dürfen, die besonderen Bedürfnissen von Wirtschaftsteilnehmern entsprechen und bestimmte zusätzliche Leistungen verlangen, die der herkömmliche Postdienst nicht anbietet.
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Zusätzlich sind diese Unternehmen vergaberechtlich als Sektorenauftraggeber zu qualifizieren. Vom Anwendungsbereich der SektorenRL (Abl 2004 L 358/35) erfasst sind die im Postsektor iSd Art 6 SRL tätigen öffentlichen Auftraggeber und öffentliche Unternehmen (Art 2 II lit a SRL) sowie andere - auch private - Auftraggeber, denen vom Mitgliedstaat besondere oder ausschließliche Rechte eingeräumt sind (Art 2 II lit b SRL). Gemäß Art 30 SRL besteht jedoch die Möglichkeit, die von der SRL erfassten Sektoren vom Anwendungsbereich der SRL auszunehmen, wenn in diesen freier Wettbewerb herrscht. Dazu näher Holoubek/Fuchs, in diesem Band; Huber/Wollenschläger, Post und Vergaberecht, VergabeR 2006, 431 ff. Wie die EG- Wettbewerbsregeln im Einzelfall auf den Postmarkt unter Beachtung der Bedürfnisse der im allgemeinem wirtschaftlichen Interesse liegenden Postdienste anzuwenden sind, hat die Kommission in einer Mitteilung „über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Postsektor und über die Beurteilung bestimmter staatlicher Maßnahmen betreffend Postdienste“ (Abl 1998 C 39/18) näher festgelegt. Vgl FN 33. Zu den der Entscheidung des EuGH zeitlich vorangehenden Entscheidungen der Kommission auf Grundlage von Art 86 Abs 3 EG, mit denen sie bereits Ende der 80er Jahre die Marktöffnung im Bereich der internationalen Kurierdienste erreicht hat, s Hochbaum/Klotz, Art 86 EG, in: Groeben/Schwarze (Hrsg), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag6, Rz 204 ff.
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Dies ist zB der Fall bei der Abholung beim Absender, bei einer schnelleren und zuverlässigeren Verteilung oder bei der Möglichkeit, den Bestimmungsort der Sendung während der Beförderung zu ändern, sofern diese Dienstleistungen das wirtschaftliche Gleichgewicht der vom Inhaber des ausschließlichen Rechts übernommenen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nicht grundsätzlich in Frage stellen.
Daran anknüpfend hat die Kommission ein italienisches Dekret, das bestimmte Sonderdienstleistungen, wie zB die tag- oder zeitgenaue physische Zustellung von elektronisch erzeugten Sendungen (sog Hybrid-Postdienste) dem traditionellen Postbetreiber vorbehält, als mit Art 86 Abs 1 iVm Art 82 EGV unvereinbar erklärt.72 Weiters bewertete die Kommission das Fehlen von Mechanismen zur Kontrolle derjenigen tariflichen und technischen Bedingungen, zu denen das französische Postunternehmen La Poste Postvorbereitern (mit denen sie im Vorfeld des reservierten Bereichs im Wettbewerb steht) Zugang zu den reservierten Diensten gewährt, als Verstoß gegen Art 86 Abs 1 iVm Art 82 EGV. Da ein Großteil der von den Postvorbereitern bearbeiteten Postsendungen unter das Postmonopol fällt, ist La Poste für sie ein nicht zu umgehender Vertragspartner. Aufgrund fehlender Kontrollmechanismen besteht die Gefahr, dass La Poste ihre Wettbewerber diskriminiert, indem sie beispielsweise die Preise nach Belieben ändert, technische Standards festsetzt, durch die bestimmte Postvorbereiter von diesem Markt ausgeschlossen werden, usw.73
Ähnlich hat die Kommission Bestimmungen aus dem deutschen Postgesetz, welche es dem deutschen etablierten Postbetreiber (der Deutschen Post AG) ermöglicht haben, zwischen den Postvorbereitungsunternehmen zu diskriminieren,74 als mit Art 86 Abs 1 iVm Art 82 EG für unvereinbar erklärt. Aber auch eine Regelung, die das Recht anderer Wirtschaftsteilnehmer nicht zum Universaldienst gehörende Eilkurierdienstleistungen zu erbringen, davon abhängig macht, dass diese an das mit dem Universaldienst betraute Unternehmen eine Postgebühr entrichten, kann Art 82 iVm Art 86 Abs 1 EGV entgegenstehen, nämlich wenn derartige Zahlungen nicht unbedingt erforderlich sind um einen postalischen Universaldienst unter wirtschaftlich annehmbaren Bedingungen zu erbringen und der Universaldienstanbieter selbst, wenn er Eilkurierdienstleistungen anbietet, nicht zur Zahlung einer solchen Postgebühr verpflichtet ist.75
b) Beihilfenrechtliche Beurteilung staatlicher Subventionen im Postsektor Finanzielle Unterstützungsmaßnahmen im Postbereich hat die Europäische Kommission bislang idR als mit dem EG-Beihilfenrecht für vereinbar erklärt.76 72 73 74
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Vgl IP/00/1522. Entscheidung vom 21.12.2000. Vgl IP/01/1476. Entscheidung vom 23.10.2001, welche durch eine Beschwerde von SNELPD eingeleitet wurde. Während es großen Postkunden gestattet wird, selbst vorbereitete Post direkt in die Sortierstellen einzuspeisen und dafür Preisnachlässe zu erhalten, werden diese Rabatte kommerziellen Postvorbereitungsfirmen verwehrt. EuGH, Rs C-340/99, TNT Traco SpA/Poste Italiana SpA ua, 17. Mai. 2001 (= wbl 2001, 316 ff; ELR 2001, 208 ff.) Vgl Kom N 514/2001 - United Kingdom - Dok C (2002) 311 vom 13.12.2002; Kom N 749/2001 Statligt stöd - Sverige - Dok C(2002) 2402 vom 2.7.2002; Kom 2002/782/EG - Poste Italiane - Abl 2002 L 282/29 (siehe dazu auch den Beschluss des EuG in der Rs T-358/02 - Deutsche Post AG/Kommission (vom 27.4.2004, mit welchem der EuG die Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kom-
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Ihren Entscheidungen liegt dabei, in Anknüpfung an die Rechtsprechung des EuGH in der Sache Altmark77, die sog Saldierungsmethode zugrunde. Danach sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich berechtigt, finanzielle Unterstützungen zur Erfüllung von Aufgaben im allgemeinen Interesse zu gewähren, sofern die Unterstützung nicht die zusätzlichen Nettokosten der untersuchten Leistung im Gemeinwohlinteresse übersteigt, also keine Überkompensation der Dienstleistungen im wirtschaftlichen Interesse mit sich bringt. Dann ist die Maßnahme nicht als staatliche Beihilfe zu betrachten, weil das Unternehmen in Wahrheit nicht im Sinn von Art 87 Abs 1 EG begünstigt wird, dh durch die finanzielle Unterstützung keinen wirtschaftlichen Vorteil genießt.78 Bei der im Rahmen dieser Saldierungsmethode durchzuführenden Berechnung der Nettokosten sind sämtliche Leistungen einzubeziehen, für die eine Daseinsvorsorgeverpflichtung besteht, also sowohl rentable als auch unrentable Leistungen.79
c) Wettbewerbsrechtliche Beurteilung des Verhaltens der Postunternehmen aa) Relevante Märkte im Postsektor Betreffend die im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Verhaltens der Postunternehmen vorgelagert vorzunehmenden Bestimmung des sachlich und geografisch relevanten Marktes hält die Kommission in ihrer Mitteilung zur Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Postsektor80 folgende Grundsätze fest: Die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten stellen gesonderte räumliche Märkte für die Zustellung von Inlandssendungen und die Zustellung von eingehenden grenzüberschreitenden Sendungen im Inland dar und jeder dieser räumlichen Märkte ist wiederum als wesentlicher Teil des gemeinsamen Marktes anzusehen. In sachlicher Hinsicht ist zum einen nach den Tätigkeitsfeldern der Post - Abholung, Sortieren, Transport, Zustellung - und zum anderen nach der jeweiligen Eigenart der Dienste, also etwa zwischen Briefdienst, Direktwerbung, grenzüberschreitender Post, Kurierdienst, Dokumentenaustausch und neue Postdienste zu differenzieren. Diese sind grundsätzlich als eigenständige sachlich relevante Märkte zu qualifizieren.81
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mission als unzulässig abgewiesen hat); anders in der Entscheidung zur deutschen Bundespost: Kom 2002/753/EG, Abl 2002 L 247/27. Zuletzt hat die Europäische Kommission Ausgleichszahlungen, die die ‚Poste Italiane’ von 2000 bis 2005 für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen erhalten hat, genehmigt. Dafür hat sie allerdings auf der Grundlage der EG-Beihilfevorschriften ein förmliches Verfahren zur Prüfung der Zinssätze eingeleitet, die seit 2005 auf Kundengelder der Poste Italiane angewandt werden, die von der Post beim Schatzamt eingelegt worden sind (IP IP/06/1256 v. 26.9.2006). EuGH, Rs C-280/00 - Altmark - Slg .2003 I-07747 Ausführlich Schebstadt, Der Kostenausgleich für Daseinsvorsorgeverpflichtungen in der europäischen Beihilfeaufsicht, DVBl 2004, 737 ff. Zu der Berechnung der Nettokosten der Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse im Postbereich siehe insb. auch EuG T-613/97, UFEX ua gg Kommission, 2000, ECR II-4055. FN 69. Vgl Pkt 2.1-2.5 der Mitteilung der Kommission (FN 69). Dazu noch im Einzelnen (mit zahlreichen Hinweisen zur Bestimmung der relevanten Märkte bei der praktischen Anwendung der Wettbewerbsregeln im Postsektor): Baker/Dodgson, Market
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bb) Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung Ein Unternehmen, das in einem relevanten Markt über ein gesetzliches Monopol verfügt - wie es im Postsektor im reservierten Bereich der Fall ist - ist jedenfalls als Unternehmen mit beherrschender Stellung im Sinn des Art 82 EGV zu qualifizieren.82 Ansonsten richtet sich die Bestimmung der beherrschenden Stellung im Postsektor nach den vom EuGH dazu allgemein entwickelten Grundsätzen.83 Die traditionellen Postbetreiber sind, angesichts der ihnen vormals generell zukommenden Monopolstellung auch heute noch in vielen Bereichen marktbeherrschend. Nach Art 82 EGV trägt ein Unternehmen mit beherrschender Stellung eine besondere Verantwortung dafür, „dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt.“ Als unzulässiges, gegen diese Grundsätze und damit gegen Art 82 EGV verstoßendes Verhalten kommen im Postbereich zB84 die Einschränkung einer Leistung beziehungsweise die Bereitstellung eines völlig unzulänglichen Dienstes,85 die Nichtnutzung neuer technischer Fortschritte, die Weigerung des Postbetreibers, seinen Wettbewerbern den Zugang zu seinem Postnetz zu gewähren,86 der Verdrängungswettbewerb,87 missbräuchliche Kopplungen88 oder selektive Preisnachlässe89 in Betracht.
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Definition in Postal Services, in: Geradin (Hrsg), The Liberalization of Postal Services in the European Union, 2002, 121 ff. EuGH, Rs C-179/90, Merci convenzionali porto di Genova SpA, Slg. 1991, I -5889, Rdnr 14; Rs C-18/88, RTT, Slg. 1991, I-5941, Rdnr 17; Rs C-320/91 (FN 33), Rdnr 9. Danach ist die beherrschende Stellung eine wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich dem Verbraucher gegenüber in einem wesentlichen Umfang unabhängig zu verhalten. Zuerst EuGH 14. 2. 1978, Slg. 1978, 207, 286 Rz 63/66 - United Brands/ Kommission; im Einzelnen Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht2, 2004, Rdnr 24 ff.. Allgemein dazu Pkt 2.7-2.8 der Mitteilung der Kommission (FN 69). Siehe zB COMP/C-1/36.915 - Deutsche Post AG - Abl L 331, 15.12.2001: Die Deutsche Post AG hat gegen Artikel 82 EG-Vertrag verstoßen, indem sie eingehende grenzüberschreitende Briefsendungen aus dem Vereinigten Königreich, die von Absendern außerhalb Deutschlands aufgegeben wurden, aber in ihrem Inhalt einen Verweis auf ein in Deutschland ansässiges Unternehmen enthielten, zurückhielt, mit Zuschlägen belegte und verzögerte. Zur Regulierung des Netzzugangs im Postbereich auf Grundlage des allgemeinen Wettbewerbsrechts Flynn, Access to the Postal Network: The Situation after Bronner, in: Geradin (Hrsg), The Liberalization of Postal Services in the European Union, 2002, 181 ff, Dazu vgl etwa COMP/35.141 - Deutsche Post AG - Abl 2001 L 125/27: Die DPAG bot ihre eigenen Paketdienste zu einem Preis an, der unter den durchschnittlichen variablen Kosten lag, was einen Preissmißbrauch zu Zwecken der Verdrängung von Wettbewerbern darstellt. COMP/C-37.859 - La Poste - Abl 2002 L 61/32; IP/01/1738, 5.12.2001: Der belgische Postbetreiber De Post - La Poste ("La Poste") hat seine beherrschende Stellung missbraucht, indem er die Gewährung eines Vorzugstarifs bei der allgemeinen Briefpost vom Abschluss eines zusätzlichen Vertrags über einen neuen Business-to-
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Auch eine Quersubventionierung - die Abwälzung von in einem räumlich oder sachlichen Markt anfallenden Kosten auf einen anderen räumlichen oder sachlichen Markt - ist grundsätzlich nicht mit Art 82 EGV vereinbar, wenn sie zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs führt. Dies ist auf den Postmärkten bei der Quersubventionierung der reservierten Bereiche untereinander90 beziehungsweise der Wettbewerbsdienste untereinander91 grundsätzlich nicht der Fall,92 bei der Subventionierung von Wettbewerbsdiensten durch Einkünfte aus dem Monopolbereich aber grundsätzlich anzunehmen,93 sofern die Quersubventionierung nicht der Erbringung bestimmter im Allgemeininteresse liegender Postdienste dient.94 Jedenfalls als missbräuchlich anzusehen ist die Finanzierung einer aggressiven Preisstrategie, mit der im Wettbewerbsbereich (zB Paketzustellung) die Preise der alternativen Betreiber unterboten werden, aus staatlichen Mitteln, die eigentlich der Grundversorgung dienen.95
cc) Das Kartellverbot nach Art 81 EG Die Vereinbarung der europäischen Postunternehmen betreffend ein System der gegenseitigen Vergütung der Zustellung grenzüberschreitender Postsendungen im Bestimmungsland („REIMS-II-Vereinbarung“)96 stellt ein Kartell iSd Art 81 Abs 1 EGV dar. Mit einer Entscheidung der Kommission vom 23.10.2003 ist dieses auf Grundlage von Art 81 Abs 3 EG bis Ende 2006 freigestellt worden, unter der Bedingung, dass neue Marktteilnehmer im Bereich der abgehenden Auslandspost unter gleichen Bedingungen wie die REIMS II Vertragsparteien die Zustellung grenzüberschreitender Postsendungen in Anspruch nehmen können.97 dd) Die Fusionskontrolle Der Postsektor hat, seit seiner Öffnung, eine tiefgreifende Umstrukturierung erfahren: insbesondere seit 1999 sind eine Reihe von Zusammenschlüssen und strategische Allianzen gebildet worden, an denen idR öffentliche Postunternehmen beteiligt gewesen sind; sie haben in erster Linie neue wachsende
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Business ("B2B") Postdienst abhängig machte. Diese neue Dienstleistung konkurriert mit dem B2B-Dokumentenaustausch-Dienst, den Hays, ein im Vereinigten Königreich niedergelassenes privates Unternehmen, in Belgien anbietet. Damit hat La Poste die finanziellen Ressourcen seines Monopols im allgemeinen Briefdienst ausgenutzt, um seine beherrschende Stellung in den gesonderten Markt für B2BDienstleistungen auszudehnen. Dazu vgl COMP/C-1/36.915 (FN 85). Denn hier ist kein Wettbewerb vorhanden und insofern eine Beschränkung des Wettbewerbs auch nicht möglich. Im nichtreservierten Bereich stehen sich die Marktteilnehmer gleichberechtigt gegenüber. Daher bedeutet hier eine Quersubventionierung nicht zwangsläufig auch eine Verzerrung des Wettbewerbs. Vgl Pkt 3.4. der Mitteilung der Kommission (FN 69). Vgl Pkt 3.3. der Mitteilung der Kommission (FN 69). Vgl Pkt 3.4 der Mitteilung der Kommission (FN 69). Vgl COMP/35.141 (FN 87); IP/02/890. FN 61. Vgl FN 62; IP/03/1438 v. 23.10.2003.
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Märkte, die der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich des elektronischen Handels (e-commerce) vor- oder nachgelagert sind, betroffen.98 Die Europäische Kommission hat diese Zusammenschlüsse im Rahmen der Fusionskontrolle auf Grundlage der FKVO99 bislang idR genehmigt, mit der Begründung, dass die mit den Zusammenschlüssen verbundenen Effizienzvorteile (die Erweiterung des Dienstleistungsspektrums der traditionellen Betreiber auf neue sog „value-added services“) in den konkreten Fällen überwiegen und die Gefahr der Übertragung einer beherrschenden Stellung, über welche die an den Zusammenschlüssen beteiligten traditionellen Postbetreiber in vielen Bereichen verfügen, nicht gegeben ist.100 Auf die im Rahmen dieser Fusionsaktivitäten weiters aufgeworfene und umstrittene Frage der Gefahr der Finanzierung dieser Zusammenschlüsse durch die öffentlichen Postbetreiber mit Quersubventionierungen aus den reservierten Bereichen ist die Kommission im Rahmen der Fusionskontrolle nicht näher eingegangen;101 ebensowenig auf das, angesichts der regen Akquisitionstätigkeit der öffentlichen Postbetreiber vorgebrachte Argument, dass die weitere Aufrechterhaltung eines reservierten Bereichs im Postsektor nicht mehr zu rechtfertigen ist.102
III. Der innerstaatliche Rahmen für das Postwesen A. Neuordnung durch das Postgesetz 1997: Zweck und Anwendungsbereich Mit dem Postgesetz 1997103 (am 1.1.1998 in Kraft getreten) ist die Öffnung des österreichischen Postmarktes eingeleitet worden. Mittlerweile ist das PostG, im Einklang mit den Vorgaben des EG-Rechts mehrmals novelliert worden, zuletzt grundlegend mit der Postgesetznovelle 2005 (BGBl I 2/2006). Zweck des PostG ist es, ausweislich seines § 1: „die Grundlagen für die Erfüllung des Versorgungsauftrages bei dem Erbringen des Universaldienstes sowie die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb auf dem Gebiet des Postwesens festzulegen.“
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Für einen Überblick zu den bei der Europäischen Kommission gemeldeten Zusammenschlüssen Art, Merger Control in the Post Sector, in: Geradin (Hrsg), The Liberalization of Postal Services in the European Union, 2002, 209f; und den Entwicklungen in jüngerer Zeit Main Developments in the Postal Sector. wik Consult. Final Report, Bad Honnef, July 2004, 169f. (abrufbar unter: http://ec.europa.eu/ internal_market/post/studies_de.htm). Aktuelle Informationen zu den Marktentwicklungen in Europa bietet auch die website des Bundesverband Deutscher Postdienstleister (www.bvpd.de). VO Nr 139/2004, Abl 2004 L 24/1. . Siehe die Nachweise in FN 2 bei Art (FN 98). Bedenken hat sie hingegen zB bei der geplanten Fusion Deutsche Post/Trans-o-flex angemeldet (M.1447, 4.3.1999), welche in der Folge zurückgezogen worden ist. Mit der Begründung, dass die Fusionskontrolle auf die Überprüfung der Auswirkungen der Fusion auf den jeweiligen Markt beschränkt ist, vgl etwa M. 1347, Deutsche Post/Securior, 23.2.1999. Dazu Art (FN 98) 217f. Vgl FN 11.
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Postwesen meint allgemein das Anbieten von Postdiensten, die nach § 2 Z 3 PostG als „Dienste, im Zusammenhang mit der Abholung104, dem Sortieren, dem Transport und der Zustellung105 von Postsendungen“ definiert werden. Postsendungen wiederum sind „adressierte Sendungen in der endgültigen Form, in der sie von Anbietern von Universaldienstleistungen106 oder anderen Anbietern von Postdiensten übernommen werden.“107
Die im PostG enthaltenen Regelungen für das Postwesen sollen gewährleisten, „dass Postdienste für alle Nutzer im gesamten Bundesgebiet zufriedenstellend, preiswert und nach gleichen Grundsätzen erbracht werden“.108
In dieser Zielbestimmung dokumentiert sich auch der grundlegende Paradigmenwechsel im Postwesen. Der Staat zieht sich als Leistungserbringer zurück, übernimmt aber in Hinkunft eine Verantwortung dafür, dass die Postdienstleistungen in privatwirtschaftlicher Tätigkeit durch private Anbieter flächendeckend und angemessen erbracht werden, indem er einen funktionierenden Wettbewerb auf den Postmärkten und die Erbringung eines Universaldienstes gewährleistet. In diesem Zusammenhang ist auch von der „Gewährleistungsverantwortung“ bzw „Infrastrukturverantwortung“ die Rede.109
Dieser Paradigmenwechsel vollzieht sich im Postsektor entsprechend dem diesem Bereich zugrundeliegenden gestuften Liberalisierungskonzept110 allerdings nur schrittweise, so dass heute noch auf dem österreichischen Postmarkt ein öffentliches Unternehmen (die Österreichische Post111), welches weiterhin gewisse Ausschließlichkeitsrechte genießt, einen wesentlichen Teil der Leistungen (va den Universaldienst) erbringt. Der Österreichischen Post vorbehalten ist nach dem derzeitigen Stand noch „das Erbringen von Postdienstleistungen für persönlich beanschriftete Briefsendungen bis zu einem Gewicht von 50 Gramm.“112 104
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§ 2 Z 3c PostG: „das Einsammeln der Postsendungen an Zugangspunkten“ (=„die Einrichtungen, einschließlich der für die Allgemeinheit bestimmten Postbriefkästen auf öffentlichen Wegen oder in den Räumlichkeiten der Anbieter von Universaldienstleistungen, wo die Nutzer ihre Postsendungen in das öffentliche Postnetz geben können“, vgl § 2 Z 3b). Darunter sind „die Bearbeitungsschritte vom Sortieren in den Zustellzentren bis zur Aushändigung der Sendungen an den Empfänger“ (§ 2 Z 3d PostG) zu verstehen. Zu den Universaldienstbetreibern vgl unten Pkt B.2. § 2 Z 4 PostG. Vgl § 1 1. Satz PostG. Dazu grundlegend Tettinger, Das aktuelle deutsche Postrecht, NVwZ 2000, 633, 634; Badura, in: Beck´scher PostG-Kommentar, 2000, § 2. Dazu oben Pkt II.B.1.a. Gem § 2 Z 2 PostG: „die Österreichische Post Aktiengesellschaft und die mit dem Erbringen von Postdiensten befassten Unternehmen, an denen die Österreichische Post Aktiengesellschaft zu mehr als der Hälfte an Kapital oder an Stimmrechten beteiligt ist.“ Nach dem Börsegang der Post AG (vgl FN 10) noch zu 51% im Eigentum des Bundes. Die Anteile werden vom BMF gehalten. Die Rechtsbeziehungen der Österreichischen Post zu ihren Nutzern sind grundsätzlich privatrechtlicher Natur (vgl § 17 PostG); die Bestimmungen des Zustellgesetzes über die Zustellung behördlicher Schriftstücke bleiben davon unberührt; datenschutzrechtlich wird sie ebenfalls dem privaten Bereich zugeordnet (§ 18 PostG). Der sog reservierte Bereich gem § 6 Abs 1 PostG. Davon wiederum ausgenommen sind gem Abs 2: „1. abgehende grenzüberschreitende Briefsendungen; 2. Sendungen, deren Entgelt mindestens das Zweieinhalbfache des Standardentgelts einer In-
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Die Erbringung dieser Dienste wird jedenfalls noch bis 1.1.2009 vom Wettbewerb ausgenommen sein.113 In einem nächsten Schritt soll dann die vollständige Öffnung der Postmärkte entsprechend den Vorgaben auf EGEbene114 erfolgen.
B. Rechtliche Grundlagen für die Erbringung des Universaldienstes 1. Begriff und Umfang Im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben legt § 4 Abs 1: „1. Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postsendungen bis 2 kg, 2. Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postpaketen bis 20 kg und 3. Dienste für Einschreib-115 und Wertsendungen116“ als Universaldienst fest.117 Außerdem zählt gemäß § 7 Abs 1 PostG die Zustellung behördlicher Schriftstücke zu den im Rahmen des Universaldienstes zu erbringenden Leistungen.118
Diese Dienstleistungen sind flächendeckend, zu allgemein erschwinglichen Preisen119, entsprechend bestimmter durch Verordnung zu konkretisierender Qualitätsmerkmale zu erbringen.120
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landbriefsendung der Post beträgt; 3. der Dokumentenaustausch; 4. Sendungen, mit schriftlichen Mitteilungen oder sonstigen Nachrichten, die vom Absender selbst oder von einem Beauftragten des Absenders befördert werden, sofern die Beförderung nicht für Rechnung mehrerer Absender oder Empfänger erfolgt; 5. Direktwerbung, jedoch nur jene Direktwerbung, die als persönlich beanschriftete Sendung offen (unverpackt und unverschlossen) versendet wird, als solche klar erkennbar ist und neben dem Adressfeld keine weitere Individualisierung enthält und 6. Begleitpapiere zu einem Warenversand.“ Vgl § 6 Abs 3 PostG. Dazu oben Pkt II.B.1.a. Darunter ist gemäß § 2 Z 9 PostG „die entgeltpflichtige Sonderbehandlung für Briefsendungen, die gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt werden und für die im Falle eines Verlustes, einer Beschädigung oder einer Verzögerung in der Beförderung gehaftet wird“ zu verstehen. Nach § 2 Z 10 PostG als „die entgeltpflichtige Sonderbehandlung für Postsendungen, für die bis zur Höhe des vom Absender angegebenen Wertes im Falle eines Verlustes oder einer Beschädigung gehaftet wird“ definiert. § 4 Abs 2 PostG sieht die Möglichkeit der Weiterentwicklung des Universaldienstes entsprechend den technischen Entwicklungen und den Bedürfnissen der Nutzer vor. Von den Universaldienstleistungen zu unterscheiden sind die Postdienstleistungen, die im gemeinwirtschaftlichem Interesse unentgeltlich erbracht werden: gemäß § 23 PostG der Vermisstensuchdienst des Roten Kreuzes und Blindensendungen. Auch diese Dienstleistungen hat die Post AG zu erbringen, anders als beim Universaldienst werden die Kosten dieser Dienste allerdings vom Bund getragen. Was als erschwingliche Preise im Sinn dieser Bestimmung gilt, wird weder im PostG noch in der PostVO näher definiert. Die Beurteilung obliegt damit dem Ermessen der Regulierungsbehörde (zu dieser siehe unten Pkt C.5.) die gemäß § 25a Abs 5 PostG zur Überprüfung der Entgelte für den Universaldienst zuständig ist. § 4 Abs 4 PostG. Die näheren Bestimmungen in der VO können sich auf die Dichte der Abhol- und Zugangspunkte, die Abhol- und Zustellfrequenz, die Berichtspflicht
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Auf dieser Grundlage ist die UniversaldienstVO121 erlassen worden. Sie gibt nähere Anforderungen im Hinblick auf die Zustellung, die Zustellfrequenz und die Laufzeiten für Brief- und Paketsendungen vor,122 und verpflichtet den Universaldienstbetreiber weiters, um die Erbringung dieser Postsendungen auch für jedermann sicherstellen zu können, für eine ausreichende und flächendeckende Versorgung mit Post-Geschäftsstellen (=Postämter oder Postagenturen)123 und Briefkästen124 zu sorgen.125 Außerdem legt die UniversaldienstVO dem Universaldienstbetreiber bestimmte Informationspflichten gegenüber der Regulierungsbehörde auf, die dieser die Kontrolle der Einhaltung der festgelegten Qualitätsmerkmale ermöglichen sollen.
2. Der Universaldienstbetreiber Den bundesweiten Universaldienst hat gemäß § 5 Abs 1 PostG grundsätzlich die Österreichische Post126 zu erbringen. Falls die Post AG dieser Verpflichtung nicht ordnungsgemäß nachkommt, besteht - nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten, den Universaldienst wieder herzustellen - die Möglichkeit zur Übertragung entweder des gesamten oder bestimmter Bereiche des Universaldienstes und somit auch der reservierten Postdienste an einen anderen Postbetreiber.127 Neben einer solchen Übertragung auf Grund mangelhafter Leistungen des Universaldienstverpflichteten können andere Postbetreiber gemäß § 5 Abs 3 PostG auch über Antrag zur Erbringung von Universaldienstleistungen in bestimmten sachlichen oder räumlichen Teilbereichen berechtigt werden. Die Berechtigung ist dabei, sofern im Hinblick auf die Finanzkraft, die Erfahrung und die Fachkunde des Antragstellers davon auszugehen ist, dass dieser die Leistungen ordnungsgemäß wird erbringen können, mittels Bescheid zu erteilen. Dieser kann Nebenbestimmungen, insbesondere aufschiebende und auflösende Bedingungen, Beginnund Erfüllungsfristen sowie Auflagen enthalten, die dazu dienen, die Zielsetzungen und Bestimmungen des Postgesetzes bestmöglich zu erfüllen.128 Über die Übertragung des reservierten Bereiches an einen anderen Betreiber entscheidet gemäß § 27 Abs 1 Z 3 PostG die oberste Postbehörde - der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie - und über einen Antrag auf Erbringung von Universaldienstleistungen in bestimmten sachlichen oder räumlichen Teilbereichen gemäß § 26 Abs 2 PostG das Postbüro.129
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an die Regulierungsbehörde und die Weiterentwicklung des Universaldienstes beziehen. BGBl III 2002/100. §§ 6-9 UniversaldienstVO. Die Qualitätsmerkmale (zB die Laufzeiten) sind von einer unabhängigen Einrichtung gemäß § 12 PostG regelmäßig zu überprüfen. Die Prüfberichte werden von der obersten Postbehörde (dem BMVIT) im Internet veröffentlicht. Vgl http://www.bmvit.gv.at/telekommunikation/post/information/ index.html. § 3 UniversaldienstVO. § 5 UniversaldienstVO. § 11 UniversaldienstVO. Zu Organisation und Struktur der Österreichischen Post vgl FN 111. Vgl § 5 Abs 2 PostG und die RV 940 BlgNR 20. GP, 14. § 5 Abs 4 PostG. Bislang ist ein solcher Antrag nicht gestellt worden. Näher zu den Postbehörden und deren Zuständigkeiten unten Pkt 5.
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3. Finanzierung des Universaldienstes Die Finanzierung des Universaldienstes erfolgt nach der derzeitigen Konzeption des Postgesetzes durch die Aufrechterhaltung eines reservierten Bereichs für den Universaldienstbetreiber.130 Dieser soll ihm bestimmte Einnahmequellen sichern, die ihm wiederum die Abdeckung der Kosten des Universaldienstes ermöglichen sollen. Mit der von der Europäischen Kommission mit 1.1.2009 angestrebten Aufhebung sämtlicher besonderer und ausschließlicher Rechte im Postsektor wird eine Neuregelung der Finanzierung des Universaldienstes notwendig werden.131
C. Regulierung des Marktzugangs und der Marktausübung auf den Postmärkten 1. Anzeigepflicht Außerhalb des reservierten Bereichs ist jedermann berechtigt Postdienste anzubieten. Sie sind unter Angabe bestimmter Daten des Diensteanbieters, die Art des Dienstes und allfälliger betrieblicher Merkmale lediglich bei der Regulierungsbehörde anzuzeigen.132
2. Allgemeine Geschäftsbedingungen und Entgelte Im reservierten Bereich133 und im Bereich des Universaldienstes sind allgemeine Geschäftsbedingungen zu erlassen, in welchen insbesondere auch die Entgelte für die jeweiligen Dienste festzulegen sind.134 Für diese schreibt § 10 Abs 3 PostG in Anlehnung an die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben135 die Grundsätze der Einheitlichkeit136, Erschwinglichkeit und Kostenorientierung vor. Auf dieser Grundlage wird in einer Verordnung des BMVIT - der sog PostKostenrechnungsverordnung137 - näher bestimmt, nach welchen Regeln die Ermittlung von derart kostenorientierten und bundesweit einheitlichen Entgelten für Postdienstleistungen im reservierten und im Universaldienstbereich zu erfolgen hat. Danach 130 131 132 133 134
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Vgl § 6 Abs 4 PostG. Zu dem vom Gemeinschaftsrecht dazu vorgegebenen Rahmen siehe oben Pkt II.B.1.b1. Neben der Erbringung ist auch die Änderung und Einstellung eines Dienstes der Regulierungsbehörde anzuzeigen. Vgl § 15 PostG. Vgl FN 112. Vgl § 9 Abs 1 PostG. In den AGBs ist auch zu regeln, wann sie in Kraft treten. Änderungen der AGBs, die zum Nachteil der Kunden sind, treten frühestens drei Monate nach Veröffentlichung in Kraft. Als geeignete Form der Veröffentlichung gilt ein Hinweis in der Wiener Zeitung, dass die AGBs bei den Postämtern aufliegen oder zu erwerben sind. Vgl RV 940 BlgNR 20. GP, 15. (Die AGBs der Post AG sind unter www.postaustria.at abrufbar). Siehe dazu oben Pkt II.B.1.b3. Der Grundsatz der Einheitlichkeit schließt nicht das Recht des Betreibers des Universaldienstes aus, mit Nutzern individuelle Preise zu vereinbaren, dh für bestimmte Kunden Sonderkonditionen oder Rabatte vorzusehen. Vgl § 10 Abs 2 PostG. In Zukunft sollen nach dem Kommissionsvorschlag für eine Änderung der PostRL (FN 38) einheitliche Tarife nur mehr in Ausnahmefällen (zur Sicherstellung bestimmter öffentlicher Interessen) zulässig sein. Vgl Pkt II.B.1.b3. Auf Grund des § 10 Abs 5 PostG erlassen, BGBl II 2000/71.
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sind die Kosten - auf das Wesentlichste zusammengefasst - auf Basis der im jeweiligen Regulierungszeitraum voraussichtlich anfallenden Verkehrsmengen und der Prognosekosten, unter Bedachtnahme auf die Istmengen und Istkosten in den abgelaufenen Zeiträumen und die voraussichtlichen Entwicklungen zu ermitteln und in nach den veschiedenen Dienstetypen (reservierte/nicht reservierte Postdienste/Universaldienst) zu trennenden Konten zu führen.
Die AGBs und Entgelte für die reservierten Postdienste bedürfen einer Genehmigung durch die Regulierungsbehörde, die dabei durch eine beim BMVIT gebildete Preiskommission beraten wird.
Die Genehmigung ist zu versagen, wenn Kunden- und Marktbedürfnisse nicht ausreichend gedeckt werden, die Qualität des Dienstleistungsangebotes oder die Angemessenheit der Entgelte nicht ausreichend sichergestellt sind oder die Geschäftsbedingungen gegen zwingendes Recht verstoßen.138
Die Entgelte für den Universaldienst unterliegen hingegen lediglich einer Anzeigepflicht.139 Nach § 10a kann die Regulierungsbehörde aber bei Bedarf (wenn Tatsachen bekannt werden, die die Annahme rechtfertigen, dass die Entgelte nicht den Grundsätzen „Einheitlichkeit, Erschwinglichkeit und Kostenorientierung“ entsprechen) eine Überprüfung von Amts wegen einleiten. Die der Entgeltberechnung sowohl der reservierten Postdienste als auch der Universaldienste zugrundeliegenden Kostenrechnungssysteme wiederum sind von der obersten Postbehörde in wiederkehrenden Abständen zu überprüfen.140
3. Zugangsregulierung Zur Sicherung eines fairen und gleichen Zugangs zu den Hausbrieffachanlagen - einer für die alternativen Betreiber zur Erbringung von Postdiensten wesentlichen Komponente des öffentlichen Postnetzes141 - gibt § 14 PostG iVm mit der Brieffachanlagenverordnung142 gewisse Standards betreffend die Beschaffenheit solcher Hausbrieffachanlagen vor. Sie haben sich in unmittelbarer Nähe des Gebäudeeingangs bzw an der an einer öffentlichen Verkehrsfläche angrenzenden Grundstücksgrenze zu befinden, über einen ausreichend großen Einwurfsschlitz zu verfügen, so dass jedenfalls die Abgabe von Postsendungen ohne große Schwierigkeiten gewährleistet ist, dabei gleichzeitig aber auch die Sendungen vor dem Zugriff Dritter geschützt sind, usw.
Ursprünglich hat das PostG (idF BGBL I 2006/33) den Gebäudeeigentümer zur Einhaltung dieser Standards verpflichtet143. Die entsprechenden Passagen 138 139 140 141
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§ 9 Abs 2 PostG. Weil hier im Unterschied zum reservierten Bereich davon auszugehen ist, dass ein funktionierender Markt gegeben ist. Vgl § 1 Abs 3 Post-KostenrechnungsVO (BGBl II 2000/71). In § 3a PostG definiert als „die Gesamtheit der Organisation und der Mittel jeglicher Art, die von den Anbietern von Universaldienstleistungen eingesetzt werden, so dass insbesondere folgende Leistungen erbracht werden können: die Abholung der unter die Universaldienstpflichten fallenden Postsendungen von Zugangspunkten im gesamten Hoheitsgebiet; die Weiterleitung und Bearbeitung dieser Sendungen vom Zugangspunkt des Postnetzes bis zum Zustellzentrum; die Zustellung an die auf der betreffenden Sendung befindliche Anschrift. BGBl II 2004/77. Und damit, wenn erforderlich, auch zum Austausch der alten Hausbrieffachanlagen der Österreichischen Post durch neue, diesen Standards entsprechende Hausbrieffachanlagen.
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sind jedoch gestrichen worden,144 nachdem der VfGH145 diese als Verstoß gegen die Eigentumsfreiheit qualifiziert und aufgehoben hat.146
4. Wahrung des Postgeheimnisses Sowohl Absender als auch Empfänger von Postdiensten haben ein Recht darauf, dass der Inhalt von Schriftstücken auch dann geheim bleibt, wenn sie diese zum Zweck der Beförderung in die Hände von Anbietern von Postdienstleistungen geben. Verfassungsrechtlich abgesichert ist dieses Recht in Art 10 StGG, der die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses verankert, in Art 8 EMRK, der die Privatsphäre eines Menschen und dabei auch seinen Briefverkehr schützt, sowie in § 1 Abs 1 DSG, wonach jedermann einen grundrechtlichen Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat. Auf Grundlage dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben sieht § 3 PostG auf einfachgesetzlicher Ebene den Schutz des Postgeheimnisses vor. Danach haben Personen, die Postdienstleistungen erbringen, während und nach Beendigung ihrer Tätigkeit jede wie immer geartete Mitteilung über Postsendungen an andere Personen als an den Absender oder Empfänger zu unterlassen. Zum Schutz der Allgemeinheit sieht das Postgesetz jedoch bestimmte Ausnahmen vom Postgeheimnis vor. So sind gerichtlich strafbare Handlungen, die von Amts wegen zu verfolgen sind grundsätzlich anzuzeigen, auch wenn damit die Geheimhaltungspflicht verletzt wird.147 Weiters dürfen aus Praktikabilitätsgründen Postsendungen, deren Übernahme vom Empfänger zu bestätigen ist, auch an Personen abgegeben werden, die an der auf der Sendung angegebenen Abgabenstelle des Empfängers anwesend sind, wenn nur dadurch die Abgabe der Sendung möglich ist und weder Absender noch Empfänger diese Abgabemöglichkeit ausgeschlossen haben.148 Bestimmte Pakete dürfen darüber hinaus auch an Wohnungs- oder Hausnachbarn abgegeben werden, wenn weder Absender noch Empfänger diese Abgabemöglichkeit ausgeschlossen haben.149 Schließlich darf der Betreiber auch verschlossene Sendungen, deren Abgabe weder an den Empfänger noch an den Absender möglich oder zulässig ist, zur Ermittlung des Absenders oder Empfängers sowie zur Verhinderung von Schäden öffnen. Eine Verletzung des Postgeheimnisses stellt, solange Beamte mit den postdienstlichen Verrichtungen betraut sind, stets auch einen Missbrauch der Amtsgewalt nach
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BGBl I 2006/70. Erkenntnis vom 25.4.2006, G100/05ua. Mit der durchaus zu hinterfragenden Begründung, es läge kein öffentliches Interesse an einer solchen Eigentumsbeschränkung vor; sie diene nur dem Interesse der mit der Österreichischen Post konkurrierenden Anbieter. Die Sicherstellung eines offenen Zugangs zu den Hausbrieffachanlagen dient aber gleichzeitig auch der Sicherstellung eines funktionierenden Wettbewerbs im Postsektor, der wiederum letztlich den Kunden, dh der österreichischen Bevölkerung, zugute kommen soll. Insofern liegt uE ein öffentliches Interesse an derart beschaffenen Hausbrieffachanlagen vor. Eine andere Frage ist, ob eine Regelung, die dem Gebäudeeigentümer die Einhaltung dieser Standards aufbürdet, als verhältnismäßig (insb erforderlich) iSd Rspr des VfGH angesehen werden kann. Vgl § 3 Abs 2 PostG Vgl § 3 Abs 3 PostG. Vgl § 3 Abs 4 PostG.
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§ 302 StGB dar und ist insofern danach zu bestrafen.150 Da mit der Umwandlung der Post- und Telegraphenverwaltung in eine Aktiengesellschaft immer weniger Mitarbeiter der PTA Beamte sind und insofern auch nicht mehr unter § 74 Abs 4 StGB zu subsumieren sind,151 war es erforderlich, einen eigenen gerichtlichen Tatbestand „Verletzung des Postgeheimnisses“ zu schaffen: § 30 PostG normiert, dass derjenige, der eine Verletzung des Postgeheimnisses begeht, um sich oder einem Anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder um einen Anderen einen Nachteil zuzufügen mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 300 Tagessätzen zu bestrafen ist.
5. Organisationsstruktur der Aufsichtsbehörden im Postsektor Das PostG sieht als Aufsichtsbehörden für den Postsektor zum einen die Postbehörden und zum anderen die Regulierungsbehörden im Sinn der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben vor.152 Postbehörden sind der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie als oberste Postbehörde und das ihm unterstehende Postbüro als Postbehörde erster Instanz.153 Örtlich ist sowohl die oberste Postbehörde als auch das Postbüro für das gesamte Bundesgebiet zuständig.154 Sachlich wird die oberste Postbehörde zum einen als Rechtsmittelinstanz gegenüber Entscheidungen des Postbüros tätig. Zum anderen werden ihr nach dem PostG im Wesentlichen Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Sicherstellung der Erbringung des Universaldienstes stehen, konkret: • zur Überprüfung des vom Universaldienstbetreiber vorzulegenden Universalidienstkonzepts gemäß § 4 Abs 5 PostG, • zur Entscheidung über eine allfällige Übertragung der reservierten Postdienste an einen anderen Betreiber als die Österreichische Post gemäß § 5 Abs 2 PostG und • zur Beauftragung einer unabhängigen Einrichtung mit der Kontrolle der Einhaltung der für den Universaldienst festgelegten Qualitätsnormen gemäß § 12 Abs 2 PostG, zugewiesen. Das Postbüro hingegen ist nach der Generalklausel des § 26 Abs 2 PostG für sämtliche im Postgesetz vorgesehene Amtshandlungen, sofern nichts anderes bestimmt ist, zuständig. Auf dieser Grundlage entscheidet das Postbüro etwa über einen Antrag alternativer Betreiber zur Erbringung von Universaldienstleistungen gemäß § 5 Abs 3 PostG.155
Als „unabhängige“ Regulierungsbehörde im Postsektor fungiert bislang noch der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie.
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Zu ergänzen ist, dass zur Erfüllung des Straftatbestandes des § 302 Abs 1 StGB zusätzlich das Handeln mit Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, erforderlich ist. Anderes gilt jedoch, wenn das Handeln der Mitarbeiter der PTA hoheitlicher Natur ist. Dies ist bei der Zustellung behördlicher Schriftstücke gemäß § 1 ZustellG der Fall. Hier werden die Mitarbeiter der PTA als Beliehene mit staatlicher Hoheitsgewalt tätig und stellen insofern funktionell Beamte iSd § 74 Ab 4 StGB dar. Siehe hierzu auch den Beschluss des VfGH vom 06.03.2000, B 377/98 (siehe auch Potacs, ÖZW 2001, 49); vgl auch OGH 7. 5. 1997, 13 Os 211/96. Zu den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben vgl oben Pkt II.B.1.b7. § 25 Abs 1 PostG. Vgl § 26 PostG. Außerdem ist das Postbüro gemäß § 28 PostG zur Streitschlichtung berufen. Parallel dazu nach § 28a PostG ist hierfür auch die Regulierungsbehörde zuständig. Eine Systematik bei der Aufgabenzuweisung an die einzelnen Aufsichtsbehörden im Postbereich ist kaum zu erkennen.
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Holoubek/Damjanovic
Solange der Bund an der Post AG beteiligt ist, kann allerdings in Frage gestellt werden, inwieweit die Unabhängigkeit des Regulators (wie es das Gemeinschaftsrecht vorschreibt) und dabei insb die Trennung der Funktionen der Regulierung von Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit Eigentum oder Kontrolle über die Post AG stehen, tatsächlich gewährleistet ist.156
Angesichts dieser Unsicherheiten und der geplanten Konkretisierungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene in diesem Punkt157 sollen gemäß § 25 iVm § 25a PostG die Aufgaben, die bislang der BMVIT als Regulierungsbehörde wahrgenommen hat, ab dem 1.1.2008 auf die „Telekom“-Regulierungsbehörden, die Telekom-Control-Kommission und die Rundfunk- und Telekom Regulierungs-GmbH übertragen werden.158 Konkret soll die Telekom-Control-Kommission, bei der für diese Zwecke ein zweiter Senat zu bilden ist,159 zuständig sein für • die Genehmigung von Geschäftsbedingungen und Entgelten für reservierte Postdienste gemäß §§ 9 und 10 PostG • zur Überprüfung der Entgelte für den Universaldienst gemäß §§ 4 und 10a PostG • zum Setzen von Aufsichtsmaßnahmen nach §§ 27 und 10a PostG. Bei diesen Aufsichtsmaßnahmen gemäß § 27 PostG handelt es sich vor allem um solche, die zur Sicherung des Universaldienstes erforderlich sind. Als solche kommen in abgestufter Reihenfolge Erhebungen und Untersuchungen zur Überprüfung des Universaldienstes, der Auftrag zur Behebung von generellen Leistungsmängeln sowie die Übertragung des reservierten Postdienstes an einen anderen Betreiber in Betracht.160 Für die übrigen Aufgabenbereiche, die nach dem PostG und auf dessen Grundlage erlassener Verordnungen der Regulierungsbehörde übertragen sind, ist nach § 25a Abs 3 PostG die RTR-GmbH zuständig,161 die darüber hinaus auch als Geschäftsapparat der Telekom-Control-Kommission (ua in Postangelegenheiten) fungiert.
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Die Problematik wird insofern abgeschwächt, als die Eigentumsrechte an der Post AG für den Bund nicht der Verkehrs- sondern der Finanzminister und dieser wiederum die Rechte über die ÖIAG nur mittelbar wahrnimmt. Dazu oben Pkt II.B.1.b7. Zu den ’Telekom’-Regulierungsbehörden näher Holoubek/Damjanovic, in diesem Band. Diesem Senat soll anstelle des Mitglieds mit einschlägigen technischen Kenntnissen ein Mitglied mit Kenntnissen im Postwesen angehören. Vgl § 25a Abs 2 PostG. Vgl § 27 Abs 1 Z 1 bis 3 PostG. ZB Streitschlichtung nach § 28a PostG.
Benjamin Kneihs
Abfallwirtschaftsrecht (ohne Anlagenrecht)
Rechtsgrundlagen .........................................................................................1314 Grundlegende Literatur.................................................................................1314 I. Grundlagen ..............................................................................................1315 A. Allgemeines..........................................................................................1315 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .......................................................1315 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen ...............1318 II. Abfallwirtschaftsrecht des Bundes.......................................................1319 A. Abfallbegriff.........................................................................................1319 1. Objektiver Abfallbegriff..................................................................1320 2. Subjektiver Abfallbegriff ................................................................1322 3. Der Altstoffbegriff des AWG und das Abfallende..........................1324 4. Ausnahmen und gemeinschaftsrechtliche Problematik des Abfallbegriffs..................................................................................1324 5. Gefährliche Abfälle; Ausstufung.....................................................1325 B. Sachlicher Geltungsbereich des AWG.................................................1326 1. Geltung des AWG für nicht gefährliche Abfälle.............................1326 2. Geltung des AWG für gefährliche Abfälle......................................1326 3. Ausnahmen vom Geltungsbereich des AWG..................................1327 C. Persönlicher Geltungsbereich des AWG .............................................1328 1. Allgemeines.....................................................................................1328 2. Pflichten für Abfallbesitzer .............................................................1328 3. Bestimmungen für Abfallsammler und -behandler .........................1329 4. Pflichten für Unternehmer...............................................................1332 5. Pflichten für Gemeinden und Gemeindeverbände ..........................1335 6. Pflichten für den (jeweiligen) Liegenschaftseigentümer.................1335 D. Ziele und Grundsätze der Abfallwirtschaft .........................................1336 E. Bundes-Abfallwirtschaftsplan und Umweltprüfung.............................1337 F. Sammel- und Verwertungssysteme ......................................................1338 G. Übergabe und Beförderung von gefährlichen Abfällen und Altölen...1338 H. Altöl.....................................................................................................1339 1. Altölverwertung, Beimischungsverbot............................................1339 2. Abgabe von Motorölen und Ölfiltern..............................................1340 3. Schmiermittel und Schmiermittelzusätze ........................................1340 4. Meldepflichten ................................................................................1340 I. Behandlungsaufträge, Überprüfung .....................................................1341 1. Behandlungsaufträge.......................................................................1341 2. Überprüfungspflichten und -befugnisse ..........................................1342 J. Einfuhr, Ausfuhr, Durchfuhr von Abfällen...........................................1343
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Kneihs
K. Strafbestimmungen.............................................................................. 1345 L. Organisation und Verfahren ............................................................... 1346 II. Zum Abfallwirtschaftsrecht der Länder ............................................. 1347 A. Anwendungsbereich der Abfallwirtschaftsgesetze der Länder............ 1347 B. Typische Regelungsgegenstände ......................................................... 1347 C. Typische Regelungsinhalte.................................................................. 1348 III. Altlastenrecht ....................................................................................... 1351 A. Allgemeines ......................................................................................... 1351 B. Erfassung, Abschätzung und Bewertung von Altlasten ....................... 1351 C. Durchführung der Altlastensanierung ................................................ 1352 D. Altlastenbeitrag................................................................................... 1352 E. Organisation und Verfahren, Strafbestimmungen .............................. 1354 1. Erfassung, Abschätzung und Bewertung von Altlasten.................. 1354 2. Durchführung der Altlastensanierung............................................. 1354 3. Altlastenbeitrag............................................................................... 1354 4. Strafbestimmungen ......................................................................... 1355 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Art 23 ff und Art 49 ff EGV iVm Art 95 EGV; RL 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Abfälle, Abl 2006 L 114/9; RL 91/689/EWG des Rates über gefährliche Abfälle, Abl 1991 L 377/20 idF der RL 94/31/EG; RL 94/67/EG des Rates über die Verbrennung gefährlicher Abfälle; Abl 1994 L 365/28 idF der VO 1882/2003, Abl 2003 L 284/1; VO 2006/1013/EG des Europäischen Parlaments und des über die Verbringung von Abfällen, Abl 2006 L 190/1. BG: Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG; AWG 2002 des Bundes, BGBl 2002/102 idF BGBl I 2006/34; Altlastensanierungsgesetz (ALSAG), BGBl 1989/299 idF BGBl I 2004/136; Altölverordnung 2002, BGBl II 2002/389; LG: Bgld AWG, LGBl 1994/10 idF LGBl 2001/43; Krnt Abfallwirtschaftsordnung 2004 (K-AWO 2004), LGBl 2004/17 idF 2005/22; NÖ AWG 1992, LGBl 8240 (zuletzt geändert 17.2.2005); OÖ AWG, LGBl 1997/86 idF LGBl 2005/61; Sbg AWG 1998, LGBl 1999/35 idF LGBl 2002/53; Stmk AWG 2004, LGBl 2004/65; Tir AWG, LGBl 1990/50 idF LGBl 2003/44; Vlbg Abfallwirtschaftsgesetz, LGBl 2006/1; Wr AWG, LGBl 1994/13 idF LGBl 2006/17.
Grundlegende Literatur: B.Davy, Wertvoller Abfall, in: Griller/Korinek/Potacs (Hrsg), Grundfragen und aktuelle Probleme des öffentlichen Rechts - FS für Heinz Peter Rill, 1995, 383; Florian Ermacora, Abfall-Produkt - Der europäische Abfallbegriff und seine nationale Umsetzung im Beispiel des österreichischen Rechts, 1999; Funk, Das Recht der Abfallwirtschaft und Altlastensanierung im System der österreichischen Rechtsordnung, in: Funk (Hrsg), Abfallwirtschaftsrecht - Grundfragen in Einzelbeiträgen, 1993, 1; Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) Kommentar (2004); Hochholdinger/Niederhuber/Wolfslehner, AWG - Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (2002); Jahnel, Abfallwirtschaftsrecht, in: Bachmann et al (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht5 (2004) 255; Madner, Die Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen, 1995; Pauger, Bedarfsgesetzgebung und Landesrecht - am Beispiel des Abfallwirtschafts-
Abfallwirtschaftsrecht
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rechts, in: Funk (Hrsg), Staatsrecht und Staatswissenschaften in Zeiten des Wandels, FS Ludwig K. Adamovich, 1992, 515; ders, Rechtsprobleme der Abfallvermeidung, in: Funk (Hrsg), Abfallwirtschaftsrecht - Grundfragen in Einzelbeiträgen, 1993, 31; Pillichshammer, Die Dienstleistungsrichtlinie der Kommission und ihre möglichen Auswirkungen auf das österreichische Recht der Abfallwirtschaft, Dipl.Arb. WU Wien (2006); Piska, Der Abfallbegriff des AWG 2002 - Ein gelungenes Reformprodukt? JAP 2003/2004, 6; Pöschl, Der österreichische Abfallbegriff im Lichte des Gemeinschaftsrechts, JBl 1995, 545; Potacs/Rondo-Brovetto (Hrsg), Abfallwirtschaft in Kärnten, 2002; B. Raschauer, Der Abfallbegriff des Abfallwirtschaftsgesetzes, ecolex 1990, 645; Stolzlechner, Rechtsfragen der Abfallerfassung, -sortierung, -beförderung und Verwertung, in: Funk (Hrsg), Abfallwirtschaftsrecht - Grundfragen in Einzelbeiträgen, 1993, 71; Thienel/Piska, Diplomprüfung aus Verwaltungsrecht, JAP 2 - 2000/2001, 91; Weber, Abfallbegriff und Abfallkompetenz, in: Schäffer et al (Hrsg), Staat - Verfassung - Verwaltung, FS für Friedrich Koja, 1998, 479; Wimmer, Zum Abfallbegriff im österreichischen Recht, ÖJZ 1992, 719; Wolfslehner/Hochholdinger, Das Abfallwirtschaftsgesetz 2002, RdU 2002, 44; Zehetner, Abfall, Altstoff und Wertstoff, ecolex 1992, 649.
I. Grundlagen A. Allgemeines Abfall ist ein wichtiges Wirtschaftsgut. Er ist großteils unvermeidbar und fällt sowohl in Haushalten als auch im Wirtschaftsprozess an. Seine fachgerechte Erfassung, Sammlung und Verwertung erfordert besonderen Sachverstand; zugleich ist der ordnungsgemäße Umgang mit Abfall in besonderem Maße im öffentlichen Interesse gelegen, weshalb entsprechend strenge Regelungen sowohl auf nationaler als auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene bestehen. Dadurch ist die fachgerechte Abfallentsorgung und -verwertung zu einer teuren und entsprechend nachgefragten Dienstleistung geworden. Auch eine möglichst umfassende Vermeidung von Abfall liegt allerdings im öffentlichen Interesse und wird daher vom Abfallwirtschaftsrecht angestrebt. Daraus ergeben sich wiederum Regulierungs- und Steuerungseffekte für den Produktionsprozess. Im vorliegenden Handbuch ist das in Österreich geltende Abfallwirtschaftsrecht nicht vollständig in aller Tiefe darzustellen. Ein systematischer Überblick über das geltende Recht ist aber im gegebenen Rahmen genauso angezeigt wie ein punktueller Einblick in seine besonders wirtschaftsrelevanten Fragestellungen.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Lange Zeit hindurch war „Abfallwirtschaft“ kein Verfassungsbegriff. Auf diesem Gebiet war die Kompetenzrechtslage in der Gesetzgebung wie auch in der Vollziehung geteilt, was eine Folge des so genannten Annexcharakters des Abfallrechts war. Im Zuge der Bestrebungen, einerseits gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gerecht zu werden, andererseits aber auch wichtige umweltrechtliche Zuständigkeiten beim Bund zu konzentrieren, hat sich allerdings der Bundesverfassungsgesetzgeber des Jahres 1988 dazu entschlossen, einen eigenen Kompetenztatbestand für das Abfallwirtschaftsrecht einzuführen1. Damit 1
Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG idF der Nov BGBl Nr 685/1988.
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wurde zugleich der Annexcharakter des Abfallwirtschaftsrechtes aufgegeben2. Das B-VG normiert aber weiterhin - nunmehr ausdrücklich - eine zwischen Bund und Ländern geteilte Zuständigkeit im Abfallwirtschaftsrecht, wobei das Schwergewicht der Kompetenzen beim Bund angesiedelt ist. Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG weist das Abfallwirtschaftsrecht hinsichtlich gefährlicher Abfälle jedenfalls, hinsichtlich anderer Abfälle nur insoweit dem Bund in Gesetzgebung und Vollziehung zu, als ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften vorhanden ist. Beide Teile dieser auf den ersten Blick klar scheinenden Kompetenzbestimmung gaben Anlass zu literarischer Diskussion3. Dabei war zunächst schon der Kompetenztatbestand „Abfallwirtschaftsrecht“ zu interpretieren. Eine Versteinerung 1988 vorhanden gewesener abfallwirtschaftsrechtlicher Regelungen ist zwar methodisch nicht abzulehnen; sie führt allerdings - wie auch ihre Befürworter eingestehen - nicht weit4. Der Bundesverfassungsgesetzgeber konnte aber von einem einfachgesetzlich vorgeprägten Begriffsverständnis wenigstens hinsichtlich des Ausdruckes „Abfall“ ausgehen5. Wie die Kompetenztatbestände für die Umweltverträglichkeitsprüfungen, so wurde auch der Kompetenzbegriff des Abfallwirtschaftsrechts parallel zum entsprechenden einfachen Recht konzipiert. Mit denselben Einschränkungen wie dort ist daher auch hier zusätzlich ein Rückgriff auf den - erst später geschaffenen - einfachgesetzlichen Abfallbegriff zulässig, um den Inhalt des Kompetenztatbestandes zu klären6. Hinzu treten Argumente, die sich aus der finalen Ausrichtung und der in den Materialien belegten Absicht des historischen Gesetzgebers ableiten lassen, eine umfassende Kompetenzgrundlage für alle abfallwirtschaftsrechtlichen Maßnahmen zu schaffen7.
Abfall im Sinne dieses Kompetenztatbestandes sind dabei alle Sachen, die vom Berechtigten aufgegeben werden oder wurden oder deren fachgerechte Behandlung, Verwertung oder Beseitigung zur Vermeidung von Gefahren für die Umwelt (im weitesten Sinn) geboten ist. Abfallwirtschaft ist die Summe aller Maßnahmen zur Vermeidung, Verminderung, Verwertung und schadlosen Behandlung oder Beseitigung von Abfällen aller Art8. Eine Veränderung des einfach-gesetzlichen Abfallbegriffes wirkt auf diesen verfassungsrechtlichen Kompetenzbegriff nicht zurück. Dies auch dann nicht, wenn sie gemeinschaftsrechtlich indiziert ist. Gerade hinsichtlich der Kompetenzordnung gilt vielmehr der Grundsatz der „doppelten Bindung“ des Gesetzgebers, der gemeinschaftsrechtliche Vorgaben kompetenzkonform umsetzen muss. Wird also durch den den Anwendungsbereich des Gesetzes mit bestimmenden - einfach-gesetz2
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VfSlg 13.019/1992 mit Hinweis auf Merli, Zum Verhältnis von Bundes- und Landesrecht bei abfallwirtschaftlichen Anlagengenehmigungen, ÖZW 1991, 104 f. Abseits der Bedarfskompetenz besteht demnach nunmehr eine reine Gesetzgebungsund Vollziehungszuständigkeit der Länder gemäß Art 15 Abs 1 B-VG. Der von Funk, Die neuen Umweltschutzkompetenzen des Bundes, in: Walter (Hrsg), Verfassungsänderungen 1988, 1989, 63 (78, 112) befürchteten Zersplitterung bestehender (Bundes-) Zuständigkeit steht eben die Bedarfskompetenz des Bundes entgegen. Ausführlich Madner, 36 ff, insbes 65 ff. Vgl zum einen Weber, 487 ff; zum anderen Pauger, 1992, jeweils mwN zum Gegenstand. Madner, 34 f. Weber, 481 ff. Vgl Weber, 480 f; zum UVP-G Madner, 75 f. Madner, 34 ff; Merli (FN 2), 102; Weber, 484 ff. RV 607 BlgNR 17. GP, 8; Davy, 393 f mwN.
Abfallwirtschaftsrecht
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lichen Abfallbegriff der Kompetenztatbestand transzendiert, dann ist dieser Abfallbegriff insoweit verfassungswidrig9. Der eben dargelegte Kompetenztatbestand umfasst neben der typisch polizeirechtlichen Gefahrenabwehr auch Elemente des (Fach-) Planungs-, Lenkungs- und Wirtschaftsaufsichtsrechtes. Mit der Einführung dieses umfassenden Kompetenztatbestandes wurde der bis dahin bestehende Annexcharakter des Abfallrechtes aufgegeben10. Dies schließt aber Regelungen des jeweils gegenbeteiligten Gesetzgebers unter den von ihm wahrzunehmenden Gesichtspunkten nicht aus11. Was die ausschließliche Bundeskompetenz für die Abfallwirtschaft hinsichtlich gefährlicher Abfälle anbelangt, so bedarf auch dieser Begriff der Interpretation. Es muss sich dabei um eine gegenüber dem - wenigstens teilweise schon an sich gefahrenbezogenen - verfassungsrechtlichen Abfallbegriff erhöhte Gefährlichkeit im Hinblick auf die abfallwirtschaftsrechtlichen Schutzgüter handeln. Es ist aber auch der finale Charakter der in Rede stehenden Kompetenzbestimmung zu berücksichtigen. Daher sind gefährliche Abfälle solche, hinsichtlich derer eine begründete Besorgnis besteht, dass sie - wenn sie nicht schon zu vermeiden sind - auf Grund ihrer spezifischen Eigenschaften ohne entsprechende fachgerechte Behandlung die Umwelt ernsthaft schädigen könnten12. Dieser Kompetenzbegriff bedarf weiterer Konkretisierung. Es liegt in der Hand des einfachen Gesetzgebers, innerhalb der umschriebenen Grenzen die näheren Kriterien für die Bestimmung gefährlicher Abfälle festzulegen12.
Die Bedarfskompetenz des Bundes für nicht gefährliche Abfälle ist nach der Rechtsprechung dahin zu verstehen, „dass der Bundesgesetzgeber für seine Regelung objektive, mithin sachlich nachvollziehbare Gründe ins Treffen führen“ können muss. Solche Gründe können insbesondere „für eine gleiche rechtliche Beurteilung gefährlicher und nicht gefährlicher Abfälle sprechen“13. Die Unzuständigkeit der Landesgesetzgeber entsteht nicht schon mit dem Bedürfnis nach einheitlicher Regelung, sondern erst mit Inanspruchnahme der Bedarfskompetenz durch den Bund14. Nach zutreffender Auffassung wird entgegenstehenden Landesgesetzen durch ein Bedarfsgesetz des Bundes derogiert15. 9 10 11 12 13
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Vgl zu dieser Problematik gleich unten II A. Siehe oben FN 2. VfSlg 13.299/1992. Weber, 490 f; Madner, 39 ff. VfSlg 13.019/1992; kritisch dazu Wiederin, Bundesrecht und Landesrecht, 1995, 102 f mit FN 238. Zum Gemeinschaftsrecht als Faktor für die Inanspruchnahme der Bedarfskompetenz Lienbacher, Europäisches Abfallrecht und Gesetzgebungskompetenz der Länder, in: Potacs/Rondo-Brovetto (Hrsg), Abfallwirtschaft in Kärnten, 2002, 1 (9 f). Madner, Die Standortregelung im Abfallwirtschaftsgesetz, ZfV 1992, 523; Pauger, 1992, 522 ff; Mayer, Abfallwirtschaft: Bemerkungen zur Bedarfskompetenz des Bundes, ecolex 1997, 54; ebenso VfSlg 13.019/1992. Pauger, 1992, 524 ff; ausführlich Wiederin (FN 13) 102 ff mit eingehender Kritik an der anders lautenden herrschenden Lehre. Unklar Raschauer, Landesgesetzgebungsbefugnis im Abfallrecht, ecolex 1991, 356 (357 mit FN 9, 14). Die Judikatur hat zu diesem Problem bislang nicht Stellung bezogen. Sie hat sich allerdings, was die Verfassungskonformität landesgesetzlicher Regelungen betrifft, mit einer salvatorischen Klausel zugunsten bestehenden Bundesrechtes zufrieden gegeben (vgl VfSlg 15.637/99 und dazu List, Behandlung nicht gefährlicher Abfälle - wer ist zuständiger Gesetzgeber? ecolex 2000, 319).
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C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen Das Abfallwirtschaftsrecht ist umfassend durch Gemeinschaftsrecht determiniert. Einerseits ist Abfall eine Ware im Sinne der Warenverkehrsfreiheit, andererseits ist die Abfallentsorgung eine Dienstleistung im Sinne der Dienstleistungsfreiheit16. Daher schöpft die Gemeinschaft einmal aus den Art 23 ff und den Art 49 ff EGV iVm Art 95 EGV die Kompetenz für die Erlassung von Regelungen auch auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft. Vor allem aber ist die Abfallwirtschaft ein bedeutender Faktor der Umweltpolitik der EG, weshalb auch die Art 174 ff EGV eine bedeutsame Rechtsgrundlage für das Tätigwerden der Gemeinschaft auf diesem Gebiet sind17. Schließlich können Förderungen, wie sie etwa für die Altlastensanierung vergeben werden, nach den Art 87 ff EGV relevant sein. Die Gemeinschaft hat von ihren Kompetenzen zur Rechtsetzung auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft Gebrauch gemacht18. Die Richtlinie 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Abfälle, Abl 2006 L 114/9 enthält den gemeinschaftsrechtlichen Abfallbegriff und stellt Grundsätze der Abfallwirtschaft auf. Die Richtlinie 91/689/EWG über gefährliche Abfälle idF der RL 94/31/EG des Rates wurde in Ausführung der erstgenannten Richtlinie erlassen und dient der Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die kontrollierte Bewirtschaftung gefährlicher Abfälle. Sie enthält einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff des gefährlichen Abfalls und stellt Grundsätze für die kontrollierte Bewirtschaftung dieser Abfälle auf. Eine eigene Richtlinie regelt die Sammlung und Beseitigung von Altölen19; hinsichtlich der Verpackungen und der aus ihnen entstehenden Abfälle bestehen ebenfalls eigene Richtlinien20. Darüber hinaus gelten für zahlreiche Einzelfragen des Abfallwirtschaftsrechts besondere Regelungen, wie etwa die Richtlinie 94/67/EG des Rates über die Verbrennung gefährlicher Abfälle21 idF der VO 1882/200322. Wegen der Warenverkehrsfreiheit besonders sensibel ist die Regelung der Verbringung von Abfällen innerhalb der EG und von der EG in das Ausland sowie des Abfallimports. Die EG ist neben ihren Mitgliedstaaten Vertragspartei des Baseler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden
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EuGH, Rs C-2/90, Kommission gegen Belgien, Slg 1992, I-4431; EuGH, Rs C-422/92, Kommission gegen Deutschland, Slg 1995, I-1097. EuGH, Rs C-155/91, Kommission gegen Rat, Slg 1993, I-0939; EuGH, Rs C-187/93, Parlament gegen Rat, Slg 1994, I-2857; vgl aber auch EuGH, Rs C-300/89, Kommission gegen Rat, Slg 1991, I-2867. Vgl zur Gewichtverschiebung zwischen diesen Polen mwN Winter, Die Steuerung grenzüberschreitender Abfallströme, DVBl 2000, 657 (658). Zu den Grundsätzen des gemeinschaftlichen Abfallwirtschaftsrechts eingehend Jahnel, Wohin mit dem Müll? - Grundsätze des Abfallwirtschaftsrechts in der EG und in Österreich, ZfV 1991, 549. RL 75/439/EWG des Rates über die Altölbeseitigung idF der RL 2000/76/EG, Abl L 332/91. RL 94/62/EG des Rates über Verpackungen und Verpackungsabfälle, ABL 1994 L 365/10 idF der RL 2005/20/EG, Abl L 70/17. Abl 1994 L 365/34. Abl 2003 L 284/1.
Abfallwirtschaftsrecht
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Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung23. Diesen Bereich regelt die VO 1013/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verbringung von Abfällen24.
II. Abfallwirtschaftsrecht des Bundes Erst spät hat sich der Bund mit dem AWG 1990 ein eigenes Abfallwirtschaftsrecht gegeben. Dieses neue Gesetz wurde in der Folge mehrfach novelliert und 2002 durch ein wieder neues Gesetz abgelöst, das allerdings im Wesentlichen auf dem AWG 1990 aufbaut. Veränderungen hat das AWG 2002 vor allem beim Abfallbegriff, hinsichtlich der (stärkeren Betonung der) Nachhaltigkeit, im Zusammenhang mit der Behandlung von Abfällen, bei den Sammel- und Verwertungssystemen sowie beim hinkünftig elektronischen Datenmanagement gebracht. Der Bund hat im AWG 2002 seine Bedarfskompetenz umfassend genützt; in der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder verbleibt im Wesentlichen nur noch die kommunale Abfallwirtschaft25. Mit der AWG-Novelle 200426 wurden weitere Anpassungen des AWG an geänderte Bedürfnisse vorgenommen. Diese betreffen die Durchführung einer Umweltprüfung und die verstärkte Einbeziehung der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Erstellung des Bundes-Abfallwirtschaftsplanes sowie die Sammlung, Koordinierung und Finanzierung der Entsorgung von Elektro- und Elektronik- Altgeräten.
A. Abfallbegriff Konsequenterweise legt das AWG noch vor seinem Geltungsbereich seinen Regelungsgegenstand fest. Dieser Abfallbegriff des AWG wurde mit dem AWG 2002 auf neue Beine gestellt. Nunmehr gilt zufolge § 2 AWG eine bewegliche Sache als Abfall, die unter die in Anhang 1 des AWG angeführten Gruppen fällt und deren sich entweder ihr Besitzer entledigen will oder entledigt hat (subjektiver Abfallbegriff) oder deren Behandlung als Abfall erforderlich ist, um die spezifisch abfallwirtschaftsrechtliche öffentlichen Interessen des § 1 Abs 3 leg cit nicht zu beeinträchtigen (objektiver Abfallbegriff). Beiden genannten Varianten gemeinsam ist, dass es sich um bewegliche Sachen handeln muss27. Als Abfälle gelten Sachen, deren ordnungsgemäße Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall im öffentlichen 23 24
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BGBl Nr 1993/229 idF BGBl III/6/2000; Abl 1997 L 272/45. Abl 2006 L 190/1. Dazu noch unten. Siehe auch die VO 1420/99 des Rates zur Festlegung gemeinsamer Regeln und Verfahren für die Verbringung bestimmter Arten von Abfällen in bestimmte nicht der OECD angehörende Länder, Abl 1999 L 166/6 idF der VO 105/2005, Abl 2005 L 20/9. Zum Regelungswerk des Basler Übereinkommens und seinen Zusammenhängen mit dem Gemeinschaftsrecht ausführlich Hummer/Obwexer, Probleme des Abfallexports aus Österreich, ÖZW 1994, 1; siehe auch Baier/Moser, Das Baseler Übereinkommen auf dem Weg zu einem internationalen Abfallregime, RdU 1996, 113. Pillichshammer, 56. BGBl I 155/2004. Vgl den Einleitungssatz von § 2 Abs 1 AWG. Näher differenzierend Madner, 97 f und Piska, 7: Mit der „Beweglichkeit“ ist nicht auf zivilrechtliche Kategorien, sondern auf Faktizität abgestellt.
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Interesse erforderlich ist, auch dann, wenn sie eine die Umwelt beeinträchtigende Verbindung mit dem Boden eingegangen sind28. Durch den Abfallbegriff des AWG 2002 werden grundsätzlich Sachen jeglichen Aggregatzustandes erfasst29. Diese müssen, um Abfall iSd AWG 2002 zu sein, in Anhang 1 des Gesetzes aufgezählt sein. Sie können unter dieser Voraussetzung entweder deswegen Abfall sein, weil bestimmte objektive Voraussetzungen für diese Qualifikation vorliegen (gleich unten 1), oder weil sie aus der subjektiven Sicht ihres Besitzers als Abfall zu beurteilen sind (siehe unten bei 2)30. Die Qualifikation einer Sache als Abfall oder Nichtabfall steht nicht ein für allemal fest31. Die Abfalleigenschaft einer Sache kann je nach den Gegebenheiten enden oder entstehen. Ist - oder wird - eine Sache (nach der Lebenserfahrung oder wegen ihrer Eigenschaften) Abfall, dann greift das Konzept des Abfallwirtschaftsrechts ein, das auf Abfallvermeidung, Abfallverwertung und Abfallbehandlung ausgerichtet ist, weshalb der Abfallbegriff eine nicht zu unterschätzende Vorwirkung auf den Produktionsprozess hat. Bestehen im Einzelfall begründete Zweifel ob der Abfalleigenschaft einer Sache oder darüber, welcher Abfallart eine Sache zuzuzählen ist, so ist darüber gemäß § 6 AWG 2002 von Amts wegen oder auf Antrag ein Feststellungsbescheid zu erlassen. Mit der Einführung des Erfordernisses der Zugehörigkeit zu einer der im Anhang 1 zum AWG aufgeführten Gruppen wurde der Abfallbegriff des AWG 1990 modifiziert. Er wurde allerdings durch dieses Erfordernis nicht erweitert; vielmehr wurde er gegenüber dem früheren Abfallbegriff eingeschränkt, weil dieses Erfordernis kumulativ zum objektiven und/oder subjektiven Abfallbegriff erfüllt sein muss, damit Abfall iSd AWG 2002 vorliegt. Der kompetenzrechtliche Abfallbegriff wird durch diese Neubestimmung daher nicht überschritten; der neue Abfallbegriff ist verfassungsgemäß.
1. Objektiver Abfallbegriff Bewegliche Sachen, deren Erfassung und Behandlung als Abfall im Interesse der Schutzgüter und -ziele des AWG geboten ist, sind Abfall32. Das AWG geht dabei von abstrakten Gefahren bzw Bedrohungen aus, was zur Erreichung der umfassenden, nicht bloß verwaltungspolizeilichen Ziele des Abfallwirtschaftsrechtes auch notwendig ist. Daher ist eine Interpretation abzulehnen, die aus einem verwaltungspolizeilichen Übermaßverbot ableiten will, dass die objektive Abfallqualifikation nur als „ultima ratio“ der Gefahrenabwehr dienlich sein kann33. Diese Auffassung weist allerdings zutreffend darauf hin, dass zur Be28
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§ 2 Abs 2 AWG 2002. Auch hier zeigt sich, dass es auf „Beweglichkeit“ im zivilrechtlichen Sinne nicht ankommen kann. Dazu auch Raschauer, 645 f. Zur Vereinbarkeit dieser Klausel mit dem - engeren - gemeinschaftsrechtlichen Abfallbegriff zutreffend Pöschl, 545 f, 551 f. Für Abgase und Abwässer bestehen allerdings Ausnahmen von der Anwendung des AWG. Siehe noch unten B. 3. Das Gesetz stellt die subjektive Merkmalalternative als ersten Fall voran. Es erscheint aber sinnvoll, zunächst von den objektiven Kriterien für den Abfallbegriff auszugehen, weil diese auf die Beschreibung der subjektiven Merkmale von Einfluss sind. Raschauer, 645; Madner, 97; Wimmer, 721 f. Vgl den Schutzgüterkatalog des § 1 Abs 3 AWG. So aber ausdrücklich Wimmer, 722 f. Ausführlich kritisch Davy, 396 ff, 399 ff.
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gründung der Abfalleigenschaft die geordnete Erfassung und Behandlung der zu beurteilenden Sachen als Abfall geboten sein muss, um die genannten abstrakten Gefahren abzuwenden. In verfassungskonformer Interpretation ist daher immer dann davon auszugehen, dass kein Abfall vorliegt, wenn die in § 1 Abs 3 AWG genannten Gefahren auch durch gelindere Maßnahmen abwendbar sind34. Dem trägt § 2 Abs 3 AWG 2002 auch dadurch Rechnung, dass es Sachen von der objektiven Abfalleigenschaft solange ausnimmt, als sie nach allgemeiner Verkehrsauffassung neu sind oder in einer nach allgemeiner Verkehrsauffassung bestimmungsgemäßen Verwendung stehen35,36. Damit tritt das AWG einerseits hinter anderen (ebenso Gefahren vermeidenden) Regelungswerken zurück37, sichert sich andererseits für die Vermeidung, Verwertung oder sonstige Behandlung die volle Anwendbarkeit38. Die Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung von Mist, Jauche, Gülle und organisch kompostierbarem Material als Abfall ist dann nicht im öffentlichen Interesse 34
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Weshalb auch die verfassungsrechtlichen Bedenken von Piska, 10 insoweit ins Leere gehen, als sie gegen den objektiven Abfallbegriff selbst gerichtet sind. Es wird also - verfassungskonform gelesen - in § 2 Abs 1 Z 2 AWG keineswegs angeordnet, dass jede Sache Abfall ist, die die öffentlichen Interessen des § 1 Abs 3 beeinträchtigt; vielmehr muss ihre Behandlung als Abfall erforderlich sein, um diese Beeinträchtigung hintan zu halten. Dies ist nicht nur im Falle der bestimmungsgemäßen Verwendung, sondern auch dann nicht der Fall, wenn die Sache auf andere Weise unschädlich gelagert oder aufbewahrt werden kann (so bezeichnet Piska selbst aaO die Aufzählung der Ausnahmen vom Abfallbegriff in § 2 Abs 3 AWG 2002 als „demonstrativ“). Neu ist die Sache demnach dann, wenn sie ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung noch harrt; bestimmungsgemäß ist eine Verwendung schon dann, wenn sie der allgemeinen Verkehrsauffassung, nicht erst dann, wenn sie dem Gesetz entspricht (vgl Piska, 10 f). Die Wiederverwertung (der Bestandteile) einer Sache ist keine bestimmungsgemäße Verwendung und nimmt sie daher nicht von der Abfalleigenschaft aus (siehe gleich unten bei FN 42). Es ist aber auch nicht jedes Zwischenprodukt einer Wiederverwertung eine neue Sache iSd AWG (Davy, 407 ff mit Kritik an Zehetner, 671 ff). Aus dem systematischen Gesamtzusammenhang ergibt sich vielmehr, dass eine Sache erst iSd AWG neu sein kann, wenn der Prozess der Verwertung ihrer Bestandteile und Vorprodukte abgeschlossen ist. Auf Grund dieser - aus dem alten AWG übernommenen - Bestimmung dürfte auch das von Wimmer, 722 ins Treffen geführte Beispiel vom den Verkehr behindernd abgestellten Fahrzeug nicht schlagend sein, zumal es fraglich ist, ob dadurch eine Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit überhaupt bewirkt werden kann. Arg: „bestimmungsgemäß“. Für Sachen, die noch im Produktionsprozess stehen, ist primär an die GewO, für fertige Produkte an das Produkthaftungsrecht, aber auch an allgemeinere zivil- und strafrechtliche Bereiche gedacht. Sachen, die keine bestimmungsgemäße Verwendung (mehr) haben, unterliegen dem Abfallbegriff des AWG. Es sollen schließlich nicht Güter und ihre bestimmungsgemäße Verwendung, sondern ihre bestimmte Schutzgüter beeinträchtigende Wirkung vermieden werden. Es liegt maW geradezu im Interesse einer geordneten Abfallwirtschaft, dass ein Gut möglichst lange in bestimmungsgemäßer Verwendung steht. Befindet sich eine Sache im Wiederverwertungsprozess, so steht sie nicht mehr in ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung und unterliegt dem Abfallwirtschaftsrecht, das gerade diesen Vorgang zu regeln hat. Es lässt sich für diesen Fall daher auch nicht behaupten, dass die Abfalleigenschaft ausgeschlossen wäre, weil den zu besorgenden Gefahren schon mit den Mitteln etwa des Anlagenrechtes vorgebeugt werden kann. Ebenso muss eine vorausschauende Betrachtung von Gütern im Hinblick auf die Abfallvermeidung zulässig sein (arg: „solange“ in § 2 Abs 3 AWG).
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erforderlich, wenn diese im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs anfallen und im unmittelbaren Bereich eines solchen Betriebs einer zulässigen Verwendung zugeführt werden. Auch diese - nach der Rechtsprechung bloß demonstrative39 - Aufzählung der Ausnahmen vom Abfallbegriff lässt darauf schließen, dass der Abfallbegriff grundsätzlich denkbar weit ist. In allen genannten Fällen handelt es sich um Sachen, die bei Vorliegen der Voraussetzungen des objektiven Abfallbegriffes Abfall wären, für die allerdings das Gesetz eine gegenteilige Anordnung trifft. Das bedeutet einerseits, dass die Sachen nur dann von den Ausnahmetatbeständen erfasst sind, wenn ohne sie eine geordnete Behandlung als Abfall im öffentlichen Interesse geboten wäre40; andererseits bedeutet es, dass die erfassten Sachen ohne die ausdrückliche Ausnahme gegebenenfalls Abfall wären. Der Abfallbegriff des AWG lässt sich daher in beide Richtungen nicht ohne Blick auf die Ausnahmetatbestände beschreiben. So schließt das Gesetz auch nur die Gebotenheit der abfallrechtlichen Behandlung der genannten Sachen auf Grund öffentlicher Interessen des § 1 Abs 3 „jedenfalls“ aus. Werden neue oder für eine bestimmungsgemäße Verwendung taugliche Sachen weggeworfen, so werden sie auf Grund der Erfüllung der subjektiven Seite des Abfallbegriffs Abfall. Die Erfassung und Behandlung einer Sache als Abfall kann auch dann im öffentlichen Interesse geboten sein, wenn für sie ein Entgelt erzielt werden kann41. Die Gefährlichkeit der zu beurteilenden Sachen kann sich aus qualitativen und quantitativen Aspekten ergeben. Unter Umständen werden daher für sich genommen ungefährliche Sachen durch die Mengen zu Abfall, in denen sie anfallen42.
2. Subjektiver Abfallbegriff Auch neue oder (wieder-) verwendbare Sachen, deren sich ihr Besitzer entledigen will oder entledigt hat, sind Abfall43. In verfassungskonformer Interpretation ist anzunehmen, dass der „Besitzer“ iSd § 2 Abs 1 Z 1 AWG 2002 auch zur Verfügung über die Sache berechtigt sein muss. Dadurch kann ausgeschlossen 39 40 41
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VwGH 20.10.1992, 92/04/0137; 21.3.1995, 93/04/0241. Vgl schon Wimmer, 723. § 2 Abs 2 letzter Satz AWG. Dies deckt einmal Fälle ab, in denen es trotz entsprechenden Marktwerts eine bestimmungsgemäße Verwendung nicht gibt; zum anderen wird damit klargestellt, dass die Gefahrenvorsorge vom Wert einer Sache nicht abhängig ist. Eine Sache ist daher nicht schon deswegen kein Abfall, weil sie noch auf dem Markt gehandelt wird. Vgl auch die bei Niederhuber, Der österreichische Abfallbegriff - ein Sanierungsfall? RdU 2000, 55 (59) zitierte Judikatur des EuGH. Davy, 401 f; in ähnlichem Sinne EuGH, Rs C-2/90, Kommission gegen Belgien, Slg 1992, I-4431, Rz 30. § 2 Abs 1 Z 1 AWG. Vgl schon Raschauer, 646 f. Nach Art 1 lit a der RL 2006/12/EG gilt dies auch dann, wenn sich der Besitzer der Sache entledigen „muss“. Um überschießende Ergebnisse zu vermeiden, ist hier allein auf abfallrechtliche Entledigungspflichten abzustellen. Dies führt zum objektiven Abfallbegriff zurück, der in dieser Wendung zum Ausdruck gelangt und der darauf abstellt, ob die Behandlung einer Sache als Abfall im Sinne der Ziele der Abfallvermeidung geboten ist. Ein relevanter Unterschied zwischen dem österreichischen und dem gemeinschaftsrechtlichen Abfallbegriff besteht im Ergebnis dann nicht.
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werden, dass etwa der Dieb oder eine andere nicht befugte Person sich einer (neuen oder einer bestimmungsgemäßen Verwendung zugänglichen) Sache mit der Folge begibt, dass sie als Abfall zu behandeln, etwa einer thermischen oder stofflichen Verwertung zuzuführen wäre. Dagegen ist auch nicht die Begriffsbestimmung des § 2 Abs 6 Z 1 AWG 2002 ins Treffen zu führen44: Diese Bestimmung definiert den „Abfallbesitzer“45 als ihren Erzeuger oder jede (wohl: andere) Person, welche die Abfälle innehat. Man erkennt sofort, dass diese Definition auf den „Besitzer“ iSd § 2 Abs 1 Z 1 leg cit nicht zu beziehen sein kann. Denn weder ist die Aufgabe einer Sache eine „Tätigkeit“, bei der diese Sache dann als Abfall „anfällt“, noch hat derjenige eine Sache inne, der sie aufgibt; im Gegenteil. Die in Rede stehende Definition des § 2 Abs 6 Z 1 AWG setzt vielmehr die Abfalleigenschaft der jeweils in Rede stehenden Sachen bereits voraus; sie ist daher zur näheren Bestimmung des Vorganges, durch den eine Sache zu Abfall wird, schon deshalb ungeeignet, weil ansonsten ein Zirkelschluss entstünde, der dem Gesetzgeber nicht zusinnbar ist. Der „Besitzer“ iSd § 2 Abs 1 Z 1 AWG 2002 ist Inhaber einer Sache, der „Abfallbesitzer“ iSd § 2 Abs 6 Z 1 von Abfall. § 2 Abs 6 Z 1 AWG 2002 definiert damit lediglich den Kreis jener Personen, auf die sich die allgemeinen und besonderen Pflichten nach §§ 15 ff AWG beziehen und hat mit der Entstehung der Abfalleigenschaft einer Sache gar nichts zu tun46. Es kommt für die „Entledigung“ nicht auf eine Dereliktion im zivilrechtlichen Sinn an47. Allerdings muss der Besitzer die Sache entweder (idR rechtswidrig, insbesondere abfallwirtschaftsrechtswidrig) derelinquieren oder in der Intention aufgeben, sie dabei als Abfall zu behandeln48. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass durch einen solchen Abfallbegriff die Ziele der Abfallwirtschaft unterlaufen würden, weil es damit der Besitzer in der Hand hätte, die Abfalleigenschaft einer Sache auszuschließen49: Die (tatsächliche) Erfüllung abfallrechtlicher Pflichten durch die Entledigung setzt die vorangegangene Abfallqualifikation schon voraus und kann daher kein Kriterium für die Abfalleigenschaft sein50. Ist aber eine Sache bereits aus objektiven Gründen als Abfall zu qualifizieren, kommt es nicht mehr darauf an, ob auch der subjektive Abfallbegriff erfüllt ist oder nicht. Deshalb spricht das Gesetz auch davon, dass eine Sache dem objektiven Abfallbegriff unter Umständen unterfällt, selbst wenn für sie ein Entgelt erzielt werden kann41.
Der VwGH hat ausgesprochen, dass es für die Beurteilung der Abfalleigenschaft nach der subjektiven Seite des Abfallbegriffes nicht allein auf den Letzt-
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So aber Piska, 7. Nicht: Den „Besitzer“! Gleiches gilt für das Verhältnis von Art 1 a) und c) der RL 2006/12/EG. Madner, 98 f. Zur Übergabe an eine Altpapiersammlung VwSlg 13764 A/1993; Davy, 402 ff et passim; vgl aber noch (unklar) Raschauer, 646. Differenzierend Zehetner, 669 ff und Piska, 7 f. Siehe schon oben FN 43. Ähnlich Wimmer, 720 f; gleichsinnig Piska, 7. Vgl die entsprechende Kritik an den Ausführungen vom Zehetner und von Wimmer bei Davy, 402 ff et passim. Vgl aber Davy, 403. Es wird auch aus den folgenden Ausführungen deutlich, dass Davy in Wahrheit die objektive Seite des Abfallbegriffes vor Augen hat.
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besitzer ankommt. Eine Sache kann daher auch deshalb Abfall sein, weil sich ihrer ein Vorbesitzer im Sinne des § 2 Abs 1 Z 1 AWG entledigt hat51.
3. Der Altstoffbegriff des AWG und das Abfallende Abfälle, die getrennt von anderen Abfällen gesammelt werden und Stoffe, die durch eine Behandlung aus Abfällen gewonnen werden, um diese Abfälle nachweislich einer zulässigen Verwendung zuzuführen, sind Altstoffe52. Die Sache bleibt solange Abfall, bis sie oder die aus ihr gewonnenen Stoffe einer zulässigen Verwendung oder Verwertung zugeführt werden53. Für Altstoffe kann der BMLFUW hinsichtlich der Aufzeichnungspflichten Erleichterungen vorsehen (§ 23 Abs 3 Z 2); der Altstoffbegriff spielt ansonsten primär im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Betrieb von eigenen Sammelzentren eine Rolle (§ 54). Der BMLFUW ist ermächtigt, in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Abfallwirtschaft, unter Wahrung der öffentlichen Interessen des § 1 Abs 3 sowie unter Bedachtnahme auf die Vorgaben des BundesAbfallwirtschaftsplanes mit Verordnung festzulegen, unter welchen Voraussetzungen, zu welchem Zeitpunkt und für welchen Verwendungszweck bei bestimmten Abfällen die Abfalleigenschaft endet. Diese Bestimmung ist wegen ihres systematischen Zusammenhanges (arg: „abweichend zu Abs. 1“ - dort ist das Ende der Abfalleigenschaft von Altstoffen geregelt53) auf Altstoffe zu beziehen und erlaubt es dem BMLFUW, für bestimmte Altstoffe schon zu einem früheren Zeitpunkt im Verwertungsprozess, also schon bevor sie oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe unmittelbar als Substitution von Rohstoffen oder von aus ihnen erzeugten Produkten verwendet werden, die Abfalleigenschaft zu beenden, wenn die im Gesetz genannten näheren Voraussetzungen erfüllt sind54.
4. Ausnahmen und gemeinschaftsrechtliche Problematik des Abfallbegriffs Da es für die Unterwerfung der einzelnen Arten von Sachen unter das Abfallwirtschaftsrecht entscheidend darauf ankommt, ob sie dem rechtlichen Abfallbegriff unterfallen, kann sich in diesem Zusammenhang in zweifacher Hinsicht die Frage nach der Gemeinschaftsrechtskonformität der österreichischen Rechtslage stellen: Einmal könnten Sachen vom Abfallbegriff ausgenommen sein, die vom gemeinschaftsrechtlichen Abfallbegriff erfasst werden; zum anderen könnten Sachen Abfall sein, für die das Abfallwirtschaftsrecht der Gemeinschaft nicht gilt55. Der österreichische Abfallbegriff entsprach allerdings schon vor dem AWG 2002 trotz abweichender Terminologie im Großen und Ganzen den Vorgaben 51 52 53
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VwGH 21.3.1995, 93/04/0241 = ecolex 1995, 602 = RdU 1996, 46 mit Anm Raschauer = WBl 1996, 171 = ÖJZ 1996, 74 = ZfVB 1996/1794. § 2 Abs 4 Z 1 AWG 2002. Genauer: Bis sie oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe unmittelbar als Substitution von Rohstoffen oder von aus Primärrohstoffen erzeugten Produkten verwendet werden (§ 5 Abs 1). Näher zur Abgrenzung zwischen Abfall und Produkt List, in: Hauer et al, 50 ff. Ausführlich Pöschl, 545 f et passim.
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des Gemeinschaftsrechts56. Die problematische Regelung des § 2 Abs 2 Z 3 AWG 1990 wurde mit dem AWG 2002 gestrichen. Soweit der österreichische Abfallbegriff jetzt noch enger ist als der des Gemeinschaftsrechtes57, lassen sich die daraus resultierenden Umsetzungsprobleme durch entsprechende Regelungen in anderen Materiengesetzen lösen58; soweit der österreichische Abfallbegriff weiter wäre, bestünde kein Hindernis für die Rechtfertigung dieser strengeren Regelungen vor dem Gemeinschaftsrecht56.
5. Gefährliche Abfälle; Ausstufung. a) Gefährliche Abfälle Der Kompetenzbegriff des „gefährlichen Abfalls“ bedarf einer Konkretisierung durch den einfach Gesetzgeber12. Dieser ist dabei allerdings auch an gemeinschaftsrechtliche Vorgaben gebunden. Insbesondere besteht die Verpflichtung, den Europäischen Abfallkatalog gemäß der Entscheidung 2000/532/EG idgF im nationalen Abfallwirtschaftsrecht abzubilden. Die dort genannten Stoffe und Verbindungen sind, wenn sie die Bedingungen des Abfallbegriffes erfüllen, jedenfalls als gefährlicher Abfall zu behandeln. Gemäß § 2 Abs 4 Z 3 gilt ein Abfall dann als gefährlich, wenn er in einer Verordnung des BMLFUW gemäß § 4 (Abfallverzeichnis) als gefährlich eingestuft ist. Jene Abfallarten, die aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht gefährlich sind, sind dabei jedenfalls als gefährlich zu erfassen; darüber hinaus sind die für Gefahren relevanten Eigenschaften gemäß Anhang 3 zum AWG 2002 heranzuziehen. Diese Regelungstechnik ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es handelt sich nicht bloß um eine formalgesetzliche Delegation. Das Gesetz nennt die Kriterien, die für die Gefährlichkeit der festzulegenden Abfälle entscheidend sein sollen und fordert vom Verordnungsgeber die Festsetzung für alle Stoffe, die aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht als gefährlicher Abfall anzusehen sind. Das Gesetz gibt somit sowohl für die Verordnungserlassung als auch für eine allfällige Verordnungsprüfung hinreichend Maß; die Befugnis
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Madner, Stand der Umsetzung und Umsetzungsprobleme des EG-Umweltrechts in Österreich, in: Österreichischer Wasser- und Abfallwirtschaftsverband (Hrsg), Umweltrecht zwischen Gemeinschaftsrecht und Deregulierung, 1998, 39 (55 f); eingehend Pöschl mit zahlreichen Nachweisen. AA offenbar - mit jeweils unterschiedlichen Argumenten - Ermacora, 35 ff, der einen dreigliedrigen gemeinschaftsrechtlichen Abfallbegriff entdecken will; differenzierend Hecht, Abfallbegriff und Abfallverbringung, ecolex 1999, 658 (659 ff), der den objektiven Abfallbegriff des Gemeinschaftsrechts in Zweifel zieht. Siehe auch Niederhuber, (FN 41). Ausführlich zu Geschichte und Systematik des Europäischen wie des österreichischen Abfallbegriffes Kind/List/Schmelz, Anm III und V, die freilich letztlich die Frage nach der Übereinstimmung dieser Abfallbegriffe offen lassen. Dies könnte etwa hinsichtlich der oben genannten land- und forstwirtschaftlichen Abfälle behauptet werden, da diese von der denkbar weiten Aufzählung in Anhang I der RL 2006/12/EG erfasst sein düften. Diesbezügliche Defizite sind nicht dem AWG anzulasten und berühren die Gemeinschaftsrechtskonformität des Abfallbegriffes dieses Gesetzes nicht, was Niederhuber (FN 41) 56, 60 offenbar übersieht: Dem Abfallrecht der EG kommt es nur darauf an, dass alle danach Abfall darstellenden Sachen im Ergebnis als Abfall behandelt werden.
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zur Ausfüllung des Kompetenzbegriffes „gefährlicher Abfall“ wird damit nicht unzulässiger Weise an den Verordnungsgeber weitergereicht. b) Ausstufung Will der Besitzer eines bestimmten Abfalls oder der Erzeuger von Abfällen aus einem definierten Prozess in gleich bleibender Qualität den betreffenden Abfall trotz Erfüllung der Kriterien der Festsetzungsverordnung als nicht gefährlich einstufen (lassen), so hat er einen diesbezüglichen Nachweis zu führen (Ausstufung)59. Der Besitzer oder Erzeuger erstattet eine entsprechende Anzeige, die zur Ausstufung des Abfalls führt, wenn sich der zuständige Bundesminister nicht innerhalb von sechs Wochen ab Einlangen äußert oder einen Verbesserungsauftrag hinsichtlich Form oder Inhalt der Anzeige erteilt60. Die Ausstufung tritt nicht ein, wenn der Abfall während der Ausstufung einem Dritten übergeben wird oder wenn der Anzeige eine falsche oder verfälschte Beurteilung zugrunde liegt61.
B. Sachlicher Geltungsbereich des AWG 1. Geltung des AWG für nicht gefährliche Abfälle Das AWG 2002 hat von der Bedarfskompetenz des Bundes für nicht gefährliche Abfälle in weit umfassenderer Weise Gebrauch gemacht als das AWG 1990. Das AWG des Bundes gilt nunmehr auch im Bereich der nicht gefährlichen Abfälle für die Ziele und Grundsätze der Abfallwirtschaft, die Feststellungsbescheide, die sowohl hinsichtlich der Abfalleigenschaft als auch im Anlagenrecht vorgesehen sind, die Abfallvermeidung und Abfallverwertung, die Behandlungs- und Aufzeichnungspflichten, die Registrierungs- und Meldepflichten, hinsichtlich der Einrichtung und Führung elektronischer Register, der Berechtigung zur Sammlung und Behandlung sowie der Sammel- und Verwertungssysteme, im gesamten Anlagenrecht, hinsichtlich der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen sowie mit Bezug auf Behandlungsaufträge und Kontrolle62. Den Ländern verbleibt damit praktisch nur noch die Regelung der kommunalen Abfallwirtschaft.
2. Geltung des AWG für gefährliche Abfälle Entsprechend der Kompetenzbestimmung des Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG gilt das AWG des Bundes uneingeschränkt für gefährliche Abfälle im Sinne der oben dargestellten Definition. Es gilt aber auch für alle Abfälle, deren Trennung und gesonderte Sammlung, Lagerung und Behandlung im Hinblick auf ihre Gefähr-
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§§ 4, 7 AWG 2002. Im Einzelnen § 7 AWG 2002. Eine Beurteilung gilt als falsch, wenn die Nichtgefährlichkeit bestätigt wurde, obwohl eine gefahrenrelevante Eigenschaft offensichtlich zutrifft. Sie gilt als verfälscht, wenn der Inhalt betreffend das Vorliegen einer gefahrenrelevanten Eigenschaft verändert wird. Wolfslehner/Hochholdinger, 46.
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lichkeit nicht lückenlos durchgeführt wird; die Landeskompetenz auf dem Gebiete des Abfallrechts ist insofern noch weiter eingeschränkt63.
3. Ausnahmen vom Geltungsbereich des AWG In § 3 Abs 1 AWG 2002 wird der Geltungsbereich dieses Gesetzes durch eine Aufzählung von Stoffen näherhin abgegrenzt, die generell nicht in diesen Anwendungsbereich fallen sollen. Solche Stoffe sind idR nach der eingangs dargestellten Definition Abfälle iSd AWG. Sie sollen aber teils aus kompetenzrechtlichen, teils aus sachbezogenen Gründen eigenständigen Regelungen unterworfen werden64. a) Ausnahme für Abwässer Ganz generell vom Anwendungsbereich des AWG ausgenommen sind Stoffe, die in Übereinstimmung mit den wasserrechtlichen Vorschriften in Gewässer oder in eine Kanalisation eingebracht werden65. Solche Stoffe können bei Zutreffen des Abfallbegriffes Abfälle sein; ihre Regelung erfolgt aber im Rahmen anderer Bestimmungen. Es kann sich dabei grundsätzlich um Stoffe jeglichen Aggregatzustandes handeln; der wichtigste Anwendungsfall wird freilich der von Abwässern sein. Für sie gelten die speziellen Regelungen des WRG. Stoffe, die entgegen wasserrechtlichen Vorschriften in die Gewässer eingebracht werden, unterliegen e contrario neben den einschlägigen Bestimmungen des WRG auch dem Abfallwirtschaftsgesetz. Ebenso unterliegen dem AWG Ablagerungen und Behandlungen, die nicht mit einer Einbringung in Gewässer verbunden sind, also etwa auch Anlagen zur Lagerung oder Leitung und Deponien66. b) Ausnahmen für Abgase Die Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung von beweglichen Sachen setzt ihre Beherrschbarkeit logisch voraus. Dies gilt aber nicht unbedingt für die Standorte- und sonstige Bewirtschaftungsplanung und für die Abfallvermeidung. Entgegen dem ersten Eindruck besteht daher die Ausnahme des AWG für Abgase nicht ohne Grund. Das AWG stellt aber mit dieser Ausnahme klar, dass Abgase, die an die freie Luft abgegeben werden, dem Abfallwirtschaftsrecht nicht unterliegen und durch andere Regelungswerke erfasst werden sollen. Auch diese Ausnahme gilt aber nur insoweit, als die Abgabe an die Luft in Übereinstimmung mit den einschlägigen (luftreinhalterechtlichen) Vorschriften erfolgt.
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Davy, Rechtsfragen der Abfallentsorgungsanlagen, in: Funk (Hrsg), Abfallwirtschaftsrecht - Grundfragen in Einzelbeiträgen, 1993, 99 (105 ff); Madner, 115 f. Madner, 117 ff, Pöschl, 554 mwN in FN 72 und 73. Dazu gehört gemäß §§ 2, 3 Abs 1 lit a WRG auch das Grundwasser. Es sind daher gegebenenfalls auch Versickerungen und sonstige Bodenkontaminationen erfasst. Vgl Madner, 118. Der wasserrechtliche geht über den abfallrechtlichen Abfallbegriff hinaus, weshalb der wasserrechtliche Deponietatbestand vom abfallrechtlichen auch im Falle einer Anlage nach dem AWG nicht zur Gänze konsumiert wird.
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c) Sonstige Ausnahmen Die übrigen Ausnahmen vom Geltungsbereich des AWG sind zum Teil kompetenzrechtlich motiviert, zum Teil entsprechen sie dem Vorbild des EG-Abfallrechts, zum Teil knüpfen sie am Vorhandensein oder der Notwendigkeit eigener, besonderer Regelungswerke an64.
C. Persönlicher Geltungsbereich des AWG 1. Allgemeines § 3 Abs 2 AWG 2002 ordnet in einer nicht auf den jeweiligen Stoff, sondern auf den Adressatenkreis bezogenen weiteren Ausnahmebestimmung an, dass das Bundesheer und die Heeresverwaltung hinsichtlich bestimmter Einsätze und ihrer Vorbereitung dem Abfallwirtschaftsgesetz nicht unterliegen. Ansonsten aber gilt das AWG für jedermann, der Abfälle erzeugt, besitzt, sammelt, befördert, behandelt oder vermeiden kann67. Der persönliche Geltungsbereich des AWG ist also denkbar weit. Das AWG differenziert allerdings in seinen Bestimmungen je nach dem Regelungsziel auch den Adressatenkreis aus. Dabei ist nicht immer leicht festzustellen, wer Adressat von Verpflichtungen oder Strafbestimmungen ist. Aus diesem Grund erscheint es angezeigt, zunächst überblicksweise die Regelungskreise des AWG im Hinblick auf den jeweils betroffenen Personenkreis darzustellen.
2. Pflichten für Abfallbesitzer Allen voran definiert das AWG allgemeine Behandlungspflichten für (jeden) Abfallbesitzer (§ 15). Sie müssen bei der Sammlung, Beförderung, Lagerung und Behandlung sowie beim sonstigen Umgang mit Abfällen die Ziele und Grundsätze des AWG beachten und Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen iSd § 1 Abs 3 vermeiden. Die Vermischung oder Vermengung von Abfällen mit anderen Abfällen oder Sachen ist nur unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, die Sammlung, Lagerung und Behandlung von Abfällen auf die dafür genehmigten Anlagen und die dafür vorgesehenen geeigneten Orte beschränkt. Abfälle sind nach Maßgabe des Gesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen zu verwerten; ist der Abfallbesitzer zu einer entsprechenden Behandlung seiner Abfälle nicht berechtigt oder in der Lage, hat er sie an einen dazu Berechtigten zu übergeben. § 16 trifft besondere Behandlungspflichten für die Besitzer gefährlicher Abfälle und von Altöl sowie von Problemstoffen68, Altspeisefetten und Abfällen, die im Zuge von Bautätigkeiten anfallen. Diese Verpflichtungen gelten grundsätzlich für jeden Abfallbesitzer iSd § 2 Abs 6 Z 1, also für jeden Abfallersterzeuger (auch für private Haushalte) und jeden,
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Vgl im Hinblick auf die Steuerungsfunktion für den Produktions- und Verpackungsprozess bloß Schwarzer, Abfallrecht als Produktrecht: Das Pouvoir des Verordnungsgebers, ecolex 1990, 652. Das sind gemäß § 2 Abs 4 Z 4 AWG 2002 gefährliche Abfälle, die üblicherweise in privaten Haushalten anfallen. Weiters gelten als Problemstoffe jene gefährlichen Abfälle aller übrigen Abfallerzeuger, die nach Art und Menge mit üblicherweise in privaten Haushalten anfallenden gefährlichen Abfällen vergleichbar sind.
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der Abfälle innehat69. Schon die Aufzeichnungs- und Meldepflichten, die zufolge der Überschrift zu § 17 und gemäß § 20 iVm § 2 Abs 6 AWG 2002 auf „Abfallbesitzer“ bezogen sind, treffen aber eine Reihe von Abfallbesitzern, darunter private Haushalte, nicht70. Für Abfälle, die im Rahmen von Bautätigkeiten anfallen, gilt, dass verwertbare Materialien einer Verwertung zuzuführen sind, sofern dies ökologisch zweckmäßig, technisch möglich und nicht unverhältnismäßig kostspielig ist. Nicht verwertbare Abfälle sind einer sonstigen Behandlung zuzuführen71. Nicht ohne weiteres klar ist, wen die Verantwortung für die Einhaltung dieser Vorschriften trifft. Neben dem Bauherren und dem Grundstückseigentümer kommt auch das Abbruchunternehmen in Betracht. Auch die Strafbestimmung des § 79 Abs 2 Z 5 AWG 2002 bringt diesbezüglich keine Klarheit. „Abfallbesitzer“ iSd §§ 2 Abs 6 und 16 Abs 7 AWG 2002 kann freilich auch der Bauherr sein, für den der Bauunternehmer Besitzmittler ist. Der Bauherr könnte allerdings nur am Abbruchort eine Trennung der Stoffgruppen vornehmen; die Durchführung der Trennung in Behandlungsanlagen aber übersteigt idR wohl seine Ingerenzmöglichkeit. Daher ist anzunehmen, dass die Haftung des Bauherren nur neben, nicht auch an Stelle jener des von ihm beauftragten Unternehmers besteht72.
3. Bestimmungen für Abfallsammler und -behandler Gemäß § 2 Abs 6 Z 3 AWG 2002 ist Abfallsammler, wer von Dritten erzeugte Abfälle selbst oder durch andere abholt, entgegennimmt oder über deren Abholung oder Entgegennahme rechtlich verfügt. § 2 Abs 6 Z 4 AWG 2002 bestimmt denjenigen zum Abfallbehandler, der Abfälle verwertet73 oder beseitigt74.
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Zu ihrer näheren Bestimmung im Rahmen der Ziele und Grundsätze der Abfallwirtschaft ist der BMLFUW ermächtigt, unter Bedachtnahme auf den Bundes-Abfallwirtschaftsplan und im Einvernehmen mit dem BMWA mit Verordnung weitere Festlegungen zu treffen (§ 23). Der Gesetzgeber war dabei zwar offenbar von der Vorstellung geleitet, dass in privaten Haushalten typischer Weise gefährliche Abfälle nicht in einer Art und Menge anfallen, die eine entsprechende Buchführung und Meldungslegung erforderlich macht. Die Ausnahme gilt aber nach ihrem klaren Wortlaut auch für solche private Haushalte, in denen Abfälle der genannten Art und Menge (außergewöhnlicher Weise) anfallen. § 16 Abs 7 AWG 2002. Hochholdinger/Niederhuber/Wolfslehner, 75. Abfälle sind zu verwerten, soweit dies ökologisch zweckmäßig und technisch möglich ist und die dabei entstehenden Mehrkosten im Vergleich zu anderen Verfahren der Abfallbehandlung nicht unverhältnismäßig sind und ein Markt für die gewonnenen Stoffe oder die gewonnene Energie vorhanden ist oder geschaffen werden kann (§ 1 Abs 2 Z 2). Nicht verwertbare Abfälle sind je nach ihrer Beschaffenheit durch biologische, thermische, chemische oder physikalische Verfahren zu behandeln. Feste Rückstände sind möglichst reaktionsarm und ordnungsgemäß abzulagern (Abfallbeseitigung; § 1 Abs 2 Z 3).
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a) Erlaubnispflicht Wer gefährliche Abfälle oder Altöle (einschließlich Problemstoffe, nicht aber Altstoffe75) sammelt oder behandelt, bedarf einer Erlaubnis des Landeshauptmanns76. Die Erlaubnis ist zu erteilen, wenn die Art der Sammlung oder Behandlung den Zielen und Grundsätzen der Abfallwirtschaft entspricht, die öffentlichen Interessen (§ 1 Abs 3) nicht beeinträchtigt sind und die Art der Sammlung oder Behandlung für die jeweiligen Abfälle geeignet ist, die Lagerung oder Behandlung in einer geeigneten, genehmigten Anlage sichergestellt ist, der Erlaubniswerber die fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nachweisen kann und in Bezug auf die auszuübende Tätigkeit verlässlich ist77. Jedenfalls hat der Erlaubniswerber über ein entsprechendes Zwischenlager zu verfügen78. Die Erlaubnis ist für bestimmte Abfallarten und Behandlungsverfahren und erforderlichenfalls unter Auflagen, Bedingungen und Befristungen zu erteilen79. Wird die Tätigkeit nicht von einer physischen Person ausgeübt oder weist der Abfallsammler oder -behandler nicht selbst die erforderliche Befähigung nach, so ist ein hauptberuflich tätiger Geschäftsführer zu bestellen80. Zum Geschäftsführer darf nur bestellt werden, wer die erforderliche Fähigkeit und Verlässlichkeit aufweist, die Voraussetzungen eines verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 VStG erfüllt und in der Lage ist, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen. Der Geschäftsführer ist verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 VStG und für die einwandfreie Ausübung der Tätigkeiten des Betriebes verantwortlich81. Die Bestellung des Geschäftsführers bedarf der Erlaubnis gemäß § 25 Abs 182. Scheidet der bestellte abfallrechtliche Geschäftsführer aus, so hat der Erlaubnisinhaber unverzüglich einen neuen abfallrechtlichen Geschäftsführer zu bestellen. Erfolgt dies nicht innerhalb von drei Monaten, so ist die Abfallsammlung und -behandlung einzustellen83. Eine ähnliche Pflicht zur Bestellung einer fachkundigen Person trifft die Gemeinden gemäß § 26 Abs 4 AWG 2002.
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§ 2 Abs 3 und 6 AWG. Dazu und zum Übergangsrecht für bestehende Konzessionen siehe auch Stolzlechner, 77. § 25 Abs 1 AWG 2002. Zur mangelnden Determinierung der fachlichen Kenntnisse Stolzlechner, 78 f; vgl auch Donninger, Die Erlaubnis nach dem Abfallwirtschaftsgesetz, ecolex 1991, 286 (287). Diese Bedenken treffen auch auf das AWG 2002 zu. Zur Verlässlichkeit vgl § 25 Abs 5 AWG. Dies galt schon im alten AWG 1990. Vgl zB VwGH 28.6.1996, 95/07/0195. § 25 Abs 6 AWG 2002. § 26 AWG 2002. Die Bestellung mehrerer hauptberuflich tätiger Geschäftsführer mit eindeutig abgegrenzten Tätigkeitsbereichen ist zulässig. § 15 Abs 5 AWG. § 26 Abs 2. § 25 Abs 3 Z 4 und 5, Abs 4 Z 3 und 4 sowie Abs 5 bis 7 und 9 sind anzuwenden. § 26 Abs 5.
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Die Abfallbehörde hat regelmäßig zu kontrollieren, ob die Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung noch vorliegen und verneinendenfalls die Erlaubnis zu entziehen84. b) Ausnahmen von der Erlaubnispflicht Von der Erlaubnispflicht nach § 25 Abs 1 AWG 2002 ausgenommen sind Unternehmen, die ausschließlich im eigenen Betrieb anfallende Abfälle behandeln85,86. Diese Ausnahme gilt nicht für die Verbrennung und Ablagerung. Ebenfalls von der Erlaubnispflicht befreit sind Unternehmen, die erwerbsmäßig Waren abgeben, in Bezug auf die Rücknahme von Abfällen oder Altölen dieser Waren zur Weitergabe an befugte Abfallsammler oder -behandler, sofern die Menge der abgegebenen zur Menge der zurückgenommenen Stoffe noch im Verhältnis steht, Transporteure, soweit sie Abfälle im Auftrag des Abfallbesitzers nur befördern sowie für Deponiebetreiber hinsichtlich jener Abfälle, die aus dem Kreis gefährlicher Abfälle ausgestuft sind. Ausgenommen sind außerdem Personen, die Asbestzement sammeln und behandeln, Sammel- und Verwertungssysteme nach §§ 29 ff sowie Inhaber einer gleichwertigen Erlaubnis eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Staates, der Vertragspartei des EWR ist. c) Anzeigepflicht Wer nicht gefährliche Abfälle sammelt oder behandelt, hat dem Landeshauptmann die Aufnahme dieser Tätigkeit und jede Änderung ihrer Art anzuzeigen (§ 24 AWG 2002). Der Landeshauptmann hat diese Anzeige schriftlich zur Kenntnis zu nehmen; über Antrag ist darüber auch ein Bescheid auszustellen. Erforderlichenfalls kann der Landeshauptmann die Sammlung oder Behandlung mit Bescheid untersagen oder die Anzeige unter Vorschreibung von Auflagen zur Kenntnis nehmen, wenn zu erwarten ist, dass (andernfalls) die Art der Sammlung oder Behandlung für die jeweiligen Abfälle den Anforderungen nicht entspricht, die an das Gesetz an den Umgang mit Abfällen stellt oder die öffentlichen Interessen iSd § 1 Abs 3 beeinträchtigen. Von der Anzeigepflicht für die Sammlung oder Behandlung nicht gefährlicher Abfälle sind die gleichen Tätigkeiten bzw Personengruppen ausgenommen wie von der Erlaubnispflicht hinsichtlich der Sammlung und Behandlung gefährlicher Abfälle nach § 25 leg cit (ausgenommen die Sammler und Behandler von Asbestzement, auf die § 24 gerade anwendbar ist). Darüber hinaus sind von der Anzeigepflicht 84 85
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§ 25 Abs 7 AWG 2002. Dies galt bereits nach dem AWG 1990: Vgl etwa VwGH 28.6.1996, 95/07/0195. Die Bestimmung enthält keine Beschränkung auf die Betriebsstätte (Stolzlechner, 79 f). Anders als nach der Ausnahme der Z 3 ist der Transport auf Grund der Ausnahme nach Z 2 unter den Voraussetzungen des § 10 Güterbeförderungsgesetz auch von der Bewilligung nach diesem Gesetz dispensiert (§ 4 Abs 1 Z 3 leg cit). Die von einer Bewilligung unabhängigen Vorschriften für den Transport (§ 19) gelten aber auch für den Transport zwischen Betriebsstätten für die Zwecke der Ausnahme der Z 2. Die Ausnahme dispensiert von der Erlaubnispflicht, nicht aber von der Anwendung des Anlagenrechtes der GewO und des AWG, soweit es auf die innerbetriebliche Verwertung anwendbar ist.
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aber auch Gebietskörperschaften im Rahmen ihrer Verpflichtungen und Personen ausgenommen, die Abfälle zum Nutzen der Ökologie auf den Boden aufbringen. d) Kompetenz- und gewerberechtliche Problematik Der Annexcharakter des Abfallrechts wurde durch die B-VG-Novelle 1988 beseitigt10. Die umfassende neue Abfallwirtschaftsrechtskompetenz hat andere Kompetenzen verdrängt; abfallwirtschaftsrechtliche Regelungen können auf andere Kompetenztatbestände nicht mehr gestützt werden87. Das schließt gewerberechtliche Regelungen, die diesem Kompetenztatbestand zuzuordnende Aspekte der in Rede stehenden Tätigkeiten betreffen, keineswegs aus: Auf Grund der Erlassung des AWG und zeitgleichen Abschaffung der gewerberechtlichen Konzessionspflichten für die in Rede stehenden Tätigkeiten waren diese aber nach der Rechtsprechung des VwGH dem Regime der GewO gänzlich entzogen88. Spätestens seit der Novellierung des § 32 Abs 5 GewO 1994 durch BGBl I 2003/48 unterliegt aber das Sammeln und Behandeln von Abfällen, soweit es nicht bereits durch § 32 Abs 1 Z 7 GewO (als Nebenrecht) abgedeckt ist, neben dem AWG auch der GewO89. Diese Tätigkeiten sind gewerberechtlich als freies Gewerbe anzusehen und unterliegen daher neben der abfallrechtlichen Erlaubnis- auch der gewerberechtlichen Anmeldungspflicht. e) Sonstige Regelungen für Abfallsammler und -behandler Abfallsammler und -behandler sind neben den oben erörterten spezifisch berufsrechtlichen auch all jenen Verhaltenspflichten unterworfen, die sich auf jeden Abfallbesitzer beziehen. Darüber hinaus haben sie sich vor Aufnahme ihrer Tätigkeit elektronisch über die Internetseite der Umweltbundesamt GesmbH beim BMLFUW unter Angabe bestimmter Daten zu registrieren (§ 21); die Führung dieses elektronischen Registers ist in § 22 AWG 2002 geregelt. Hinsichtlich der Registrierungspflicht gibt es Ausnahmen und Erleichterungen.
4. Pflichten für Unternehmer Die Erlaubnispflicht sowie die Bestimmungen über den Umgang mit Abfällen sind vom abfallrechtlichen Gefahrenbegriff her konzipiert und nicht auf eine Regelung unternehmerischer Tätigkeit ausgerichtet90. Die Erlaubnispflicht für Abfallsammler und -behandler stellt demgemäß nicht auf eine Gewerbsmäßig87
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Raschauer (FN 15) 356 f mit FN 11 und 12; ausführlich und differenziert Madner, 36 ff, 47 ff und insbesondere 65 ff mit zahlreichen weiteren Hinweisen. Dies ist vor allem im Hinblick auf die Kompetenz der Länder im vom Bund nicht in Anspruch genommenen Bereich relevant. VwGH 28.2.1995, 93/04/0231 = ZfVB 1996/1411 und 1565 = ecolex 1995, 456 mit Anm Schmelz; bestätigt ua in VwGH 21.3.1995, 93/04/0058 und 11.9.1997, 97/07/0135. Nußbaumer, in: Hauer et al, 143. Diese Ausgestaltung entspricht auch der Kompetenzlage (siehe oben): Der Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 12 ermächtigt nur zur Regelung der spezifisch abfallwirtschaftsrechtlichen Aspekte des Stoffkreislaufs, wenn auch in sehr umfassender Weise.
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keit dieser Tätigkeit ab. Abfallsammler und -behandler im Sinne der oben dargestellten Regelung müssen daher nicht unbedingt Unternehmer sein, wenngleich dies der Regelfall sein wird; sie müssen auch nicht ausschließlich oder vorwiegend mit der Sammlung und Behandlung von Abfällen beschäftigt sein. Zwar ist dem AWG-Gesetzgeber sichtlich die iwS unternehmerische Abfallsammlung und -behandlung als Regelfall vor Augen gestanden. Dadurch wird aber nicht das gesamte Abfallsammlungs- und -behandlungsrecht zu spezifischem Unternehmerrecht, mögen auch in erster Linie Unternehmer betroffen sein91. Dennoch stellen manche Bestimmungen des AWG erkennbar auf iwS unternehmerische Tätigkeit ab. Es handelt sich dabei zunächst um jene Vorschriften, die im Sinne des Zieles der möglichst umfassenden Abfallvermeidung schon die Gestaltung von Produkten und ihren Verpackungen im Auge haben92. Sodann sind jene Vorschriften zu erwähnen, die den Produktionsprozess selbst betreffen und am Betrieb einer Anlage anknüpfen93. Spezifisch unternehmerische Pflichten werden auch begründet, wo die gewerbsmäßige Abgabe von Motorölen, der Versandhandel oder die Rücknahme von alten Elektro- und Elektronikgeräten geregelt werden94. a) Produktbezogene Unternehmerpflichten Mit den §§ 8, 9 und 14 AWG werden umfangreiche Regelungen getroffen, die auf eine möglichst weitgehende Vermeidung, aber auch eine möglichst schadstoffarme bzw auf Wiederverwertung angelegte Beschaffenheit von Abfällen abzielen. Im Bundes-Abfallwirtschaftsplan nach § 8 AWG 2002 sind unter anderem Vorgaben für die Reduktion der Mengen und Schadstoffgehalte der Abfälle zu treffen. Produkte sind möglichst langlebig und reparaturfähig und auf eine Weise herzustellen, dass die nach ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung zurück bleibenden Abfälle möglichst gut zerlegt oder getrennt und verwertet werden können und dass sowohl bei als auch nach ihrem Gebrauch möglichst wenige und möglichst schadstoffarme Abfälle zurückbleiben (§ 9). Soweit dies zur Erreichung der Ziele und Grundsätze der Abfallwirtschaft, insbesondere der Ziele gemäß § 9 erforderlich ist, wird der BMLFUW ermächtigt, Maßnahmen zur Wahrung der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs 3) unter Bedachtnahme auf den Bundes-Abfallwirtschaftsplan und im Einvernehmen mit dem BMWA durch Verordnung festzulegen (§ 14). Dabei können insbesondere Kennzeichnungs- und Informationspflichten, Verkehrsverbote für
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Diejenigen Bestimmungen, die kraft ausdrücklicher Anordnung nicht für private Haushalte und vergleichbare Einrichtungen gelten, betreffen deshalb nicht unbedingt nur Unternehmer. Sie können auf alle Arten von natürlichen sowie juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Rechts zutreffen, die mit Abfällen der jeweils erfassten Art zu tun haben oder für sie verantwortlich sind. So war etwa die Arbeiterkammer in ihrer Eigenschaft als Letztverbraucher (nicht aber als privater Haushalt) Antragstellerin in einem Verfahren vor dem VfGH über die Verpackungsverordnung (vgl VfSlg 14.319/1995). §§ 8, 9, 14 AWG 2002. §§ 10, 11 AWG 2002. §§ 12, 13, 13a ff AWG 2002.
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Produkte mit bestimmten Inhaltsstoffen und die Abführung eines Behandlungsbeitrags angeordnet werden. b) Produktionsbezogene Unternehmerpflichten Nicht nur für das Endprodukt und seine Verpackung soll das Ziel der Abfallvermeidung gelten. Auch im Produktionsprozess selbst sollen Abfälle nach Möglichkeit vermieden, sogleich verwertet oder zumindest ordnungemäß entsorgt werden. Die §§ 10 f AWG treffen entsprechende Anordnungen, die für Anlagen, bei deren Betrieb Abfälle anfallen und in denen mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt sind, ein Abfallwirtschaftskonzept sowie in bestimmten Fällen die Bestellung eines betrieblichen Abfallbeauftragten vorsehen: Gemäß § 11 AWG 2002 ist „in Betrieben“ mit 100 oder mehr Arbeitnehmern ein fachlich qualifizierter Abfallbeauftragter zu bestellen und der Behörde zu melden95. Für den Fall seiner Verhinderung ist ein Stellvertreter zu bestellen. Der Abfallbeauftragte hat die Einhaltung der den Betrieb betreffenden abfallrechtlichen Vorschriften und darauf beruhender Bescheide zu überwachen und über seine Wahrnehmungen, insbesondere über festgestellte Mängel, den Betriebsinhaber unverzüglich zu informieren, ihn in allen den Betrieb betreffenden abfallwirtschaftlichen Fragen zu beraten und auf eine sinnvolle Organisation der Umsetzung der den Betrieb betreffenden abfallrechtlichen Bestimmungen hinzuwirken. Im Zuge der Erstellung oder Fortschreibung des Abfallwirtschaftskonzepts hat er die Kosten der Abfallbehandlung und die Erlöse der Altstoffe dem Betriebsinhaber darzustellen. Dem Abfallbeauftragten kann im Zusammenhang mit seiner Bestellung keine Verantwortlichkeit für die Einhaltung von abfallrechtlichen Vorschriften rechtswirksam übertragen werden (§ 11 Abs 4). Der Abfallbeauftragte ist demnach nicht selbst für ihre Einhaltung verantwortlich; ihm kommt auch vom Gesetz her keine Leitungsfunktion zu. Der Abfallbeauftragte ist daher auch kein nach § 9 VStG verantwortlicher Beauftragter. Durch die Bestellung eines Abfallbeauftragten wird denn auch die Verantwortung des Betriebsinhabers für die Einhaltung der Vorschriften des AWG und der darauf beruhenden Verwaltungsakte „nicht berührt“ (§ 11 Abs 4); dieser hat den Abfallbeauftragten bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben „zu unterstützen“, was auf eine eigenständige Aufgabenbesorgung hinweisen dürfte. Das AWG lässt aber entscheidende Fragen, vor allem nach der innerbetrieblichen Stellung des Abfallbeauftragten und seines Stellvertreters nach wie vor offen96.
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Die Bestimmung stellt nicht auf Anlagen, schon gar nicht auf Anlagen nach Abs 1 ab. Sie verweist vielmehr mangels anderer Anhaltspunkte auf den Betriebsbegriff des ArbVG. Ein Abfallbeauftragter ist daher auch in gewerblichen oder Bergbaubetrieben oder landwirtschaftlichen Großbetrieben zu bestellen. Die erforderliche Qualifikation ist ebenso unbestimmt wie jene nach § 15 AWG (vgl oben in FN 77). Zum Bestellungsvorgang und seiner rechtlichen Qualifikation Hochreiter, Die Rechtsstellung des Umweltbeauftragten im Betrieb am Beispiel des Abfallbeauftragten, RdU 1994, 43, 95 (48 ff). Ausführlich Hochreiter (FN 95) 46 ff, zu Haftungsfragen 95 ff.
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c) Sonstige auf Unternehmen bezogene Regelungen § 12 AWG 2002 trifft besondere Bestimmungen über die gewerbsmäßige Abgabe von Motorölen an Letztverbraucher. § 13 regelt Meldepflichten für den Versandhandel, bei dem naturgemäß in hohem Ausmaß Verpackungsabfall anfällt. § 13a regelt die Rücknahme von Elektro- und Elektronikgeräten. Die Maßnahmenverordnung nach § 14 AWG 2002 kann neben den erwähnten produktbezogenen auch Bestimmungen über Rückgabe und Rücknahme von Produkten oder Abfällen, die Einhaltung entsprechender Rücknahmequoten, über die Erhebung eines Pfandbetrages, die Abgabe von Produkten in einer die Abfallsammlung und -behandlung wesentlich entlastenden Form und Beschaffenheit sowie über Aufzeichnungs-, Nachweis- und Meldepflichten enthalten. Zur Koordinierung der Sammlung, Bereitstellung, Abholung und Verwertung von Abfällen, die einer solchen Verordnung unterliegen, ist der BMLFUW berufen (§ 13b), der damit auch eine Koordinierungsstelle betrauen darf, die er zu beaufsichtigen hat (§ 13d). Spezifisch unternehmensbezogen sind auch jene Strafdrohungen des AWG 2002, die für die Verankerung einer Mindeststrafe darauf abstellen, dass der Täter „gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft tätig ist“ (§ 79 Abs 1 und 2 jeweils am Ende)97.
5. Pflichten für Gemeinden und Gemeindeverbände Soweit Gemeinden und Gemeindeverbände als Abfallerzeuger, -sammler oder -behandler auftreten, treffen sie die gleichen Sorgfaltspflichten im Umgang mit Abfällen wie jeden anderen auch. Daneben aber bestehen spezifische Verpflichtungen der Gemeinden und Gemeindeverbände. So haben sie gemäß § 28 Abs 1 AWG 2002 bei Bedarf, mindestens jedoch zweimal jährlich eine getrennte Sammlung (Abgabemöglichkeit) für Problemstoffe, ausgenommen Elektro- und Elektronik-Altgeräte durchzuführen oder durchführen zu lassen, soweit für deren Sammlung oder Entgegennahme im Bereich der Gemeinde oder des Gemeindeverbands nicht in anderer Weise Vorsorge getroffen ist. Für die Sammlung und Behandlung von Problemstoffen, für die Rücknahmepflichten der Erzeuger oder Händler bestehen, zu deren Entgegennahme also jemand anderer rechtlich verpflichtet ist, oder die nicht von privaten Haushalten abgegeben werden, kann die Gemeinde ein Entgelt festlegen; andere Problemstoffe sind kostenlos zu sammeln oder entgegenzunehmen. Für Elektro- und Elektronik-Altgeräte aus privaten Haushalten haben die Gemeinden (Gemeindeverbände) eine Sammelstelle einzurichten. Die Aufgaben der Gemeinde sind solche des eigenen Wirkungsbereichs98.
6. Pflichten für den (jeweiligen) Liegenschaftseigentümer Verschiedene Rechtsvorschriften befassen sich mit der Haftung des Liegenschaftseigentümers für auf seinem Grund abgelagerte Gefahrenstoffe, kontami-
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Vgl zur - auch verfassungsgerichtlichen - Vorgeschichte dieser Bestimmungen Kneihs, Verfassungswidrigkeit der Mindeststrafe nach § 39 Abs 1 lit a AWG Zugleich eine Besprechung der Entscheidung des VfGH G 312/97 ua vom 16.3.2000, ÖZW 2001, 114. § 85 AWG 2002.
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niertes Erdreich oder sonstige Umweltbeeinträchtigungen99. Der Liegenschaftseigentümer ist als Abfallbesitzer wie jeder andere für die Einhaltung der jeweils geltenden Vorschriften über den Umgang mit Abfall verantwortlich. Darüber hinaus treffen ihn uU zivilrechtliche Wegesicherungspflichten und andere mit dem Grundeigentum verbundene Lasten und Sorgfaltspflichten. Das AWG unterwirft den Liegenschaftseigentümer der Verpflichtung, Erhebungen zu dulden, die für die Beurteilung der Auswirkungen einer Behandlungsanlage Voraussetzung sind100. Besonders einschneidend ist aber die subsidiäre Haftung des Liegenschaftseigentümers für widerrechtlich auf seinem Grundstück zurückgelassene oder deponierte gefährliche Abfälle101.
D. Ziele und Grundsätze der Abfallwirtschaft Das AWG definiert den Begriff der Abfallwirtschaft nicht. Es stellt aber gleich zu Beginn Ziele und Grundsätze für die Abfallwirtschaft auf, nach denen diese auszurichten ist. Diese Ziele und Grundsätze können für das gesamte Gesetz als Interpretationshilfe herangezogen werden. An manchen Stellen des AWG wird auch explizit auf sie verwiesen. Aus den Bestimmungen über Ziele und Grundsätze der Abfallwirtschaft wird der enorm weite Anwendungsbereich des Abfallwirtschaftsrechtes deutlich, der von der Abfallvermeidung durch Produktgestaltung über den spezifisch abfallwirtschaftsrechtlichen Landschafts- und Ortsbildschutz bis zur Regelung der Entsorgungsverfahren für unvermeidbare Abfälle reicht: Die Abfallwirtschaft ist gemäß der Bestimmung des § 1 AWG danach auszurichten, dass schädliche oder nachteilige Einwirkungen auf Menschen sowie auf Tiere, Pflanzen, deren Lebensgrundlagen und natürliche Umwelt vermieden und sonst das allgemeine menschliche Wohlbefinden beeinträchtigende Einwirkungen so gering wie möglich gehalten werden. Die Emissionen von Luftschadstoffen und klimarelevenaten Gasen soll so gering wie möglich gehalten werden. Ressourcen (Rohstoffe, Wasser, Energie, Landschaft, Flächen, Deponievolumen) sollen geschont werden; bei der stofflichen Verwertung dürfen die Abfälle oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe kein höheres Gefährdungspotential aufweisen als vergleichbare Primärrohstoffe oder aus ihnen gewonnene Produkte und es sollen nur solche Stoffe als Abfälle zurückbleiben, deren Ablagerung kein Gefährdungspotential für nachfolgende Generationen darstellt (§ 1 Abs 1 AWG 2002). Die Abfallmengen und deren Schadstoffgehalte sind gemäß § 1 Abs 2 AWG 2002 so gering wie möglich zu halten (Abfallvermeidung). Abfälle sind zu verwerten, soweit dies ökologisch zweckmäßig und technisch möglich ist und die dabei entstehenden Mehrkosten im Vergleich zu anderen Verfahren der Abfallbehandlung nicht unverhältnismäßig sind. Nicht verwertbare Abfälle sind je nach ihrer Beschaffenheit durch biologische, thermische, chemische oder physikalische Verfahren zu behandeln. Feste Rückstände sind möglichst reaktionsarm und ordnungsgemäß abzulagern (Abfallbeseitigung). 99 100 101
Vgl vor allem §§ 31, 138 WRG und das Altlastensanierungsgesetz. § 46 Abs AWG 2002. § 74 Abs 1 bis 3 AWG 2002. Siehe dazu noch unter I. 1.
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Im öffentlichen Interesse ist die Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich, wenn andernfalls die Gesundheit der Menschen gefährdet oder unzumutbare Belästigungen bewirkt werden können, Gefahren für die natürlichen Lebensbedingungen von Tieren oder Pflanzen oder für den Boden verursacht werden können, die nachhaltige Nutzung von Wasser oder Boden beeinträchtigt werden oder die Umwelt über das unvermeidliche Ausmaß hinaus verunreinigt werden kann, Brand- oder Explosionsgefahren herbeigeführt oder das Auftreten oder die Vermehrung von Krankheitserregern begünstigt werden können, die öffentliche Ordnung und Sicherheit gestört oder Orts- und Landschaftsbild erheblich beeinträchtigt werden können (§ 1 Abs 3). Diese Ziele- und Grundsatzbestimmung stellt die Ziele der Abfallvermeidung, -verwertung und -deponie nicht gleichberechtigt nebeneinander, sondern sie stellt nach den klaren Intentionen des Gesetzgebers und in Übereinstimmung mit der RL 2006/12/EG eine Präferenzordnung zugunsten von Abfallvermeidung vor Abfallverwertung vor Abfalldeponie auf102.
E. Bundes-Abfallwirtschaftsplan und Umweltprüfung § 8 AWG sieht vor, dass zur Verwirklichung der eben genannten Ziele und Grundsätze ein Bundes-Abfallwirtschaftsplan zu erlassen ist. Er gilt für einen Planungszeitraum von fünf Jahren und ist unter Beachtung zahlreicher Anhörungsrechte zu erstellen und zu publizieren. Der Bundes-Abfallwirtschaftsplan umfasst eine Bestandaufnahme der Situation der Abfallwirtschaft, die regionale Verteilung der Anlagen zur Beseitigung von Abfällen sowie aus den Zielen und Grundsätzen der Abfallwirtschaft abgeleitete konkrete Vorgaben zur Reduktion der Mengen und Schadstoffgehalte der Abfälle, zur umweltgerechten und volkswirtschaftlich zweckmäßigen Verwertung von Abfällen, zur Beseitigung der nicht vermeidbaren oder verwertbaren Abfälle, zur Verbringung von Abfällen nach oder aus Österreich und zur Förderung der Verwertung von Abfällen, insbesondere im Hinblick auf eine Ressourcenschonung. Im BundesAbfallwirtschaftsplan sind insbesondere die zur Erreichung dieser Vorgaben geplanten Maßnahmen des Bundes einschließlich besonderer Vorkehrungen für bestimmte Abfälle darzustellen. Der LH hat den „erstellten“ LandesAbfallwirtschaftsplan dem BMFLUW vorzulegen. Seine Inhalte betreffend Anlagen zur Beseitigung nicht gefährlicher Abfälle sind in den BundesAbfallwirtschaftsplan zu übernehmen. Damit nimmt der Bundesgesetzgeber seine diesbezügliche Bedarfskompetenz in Anspruch und entzieht den Ländern insoweit das Fachplanungsrecht.103 Erfordert ein Bestandteil des LandesAbfallwirtschaftsplanes eine Umweltprüfung iSd RL 2001/42/EG, so ist diese Umweltprüfung vor Übernahme in den Bundes-Abfallwirtschaftsplan auf Landesebene durchzuführen. Legt der Bundes-Abfallwirtschaftsplan einen Rahmen für die künftige Genehmigung von Vorhaben fest, die im Anhang 1 des UVP-G 102 103
Art 3. Vgl im Übrigen dazu Nußbaumer, Abfallwirtschaftsrechtliche Planung, in: Andreas Hauer/Markus L. Nußbaumer (Hrsg), Österreichisches Raum und Fachplanungsrecht (2006) 381 (387 f, 402 ff).
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angeführt sind, oder hat seine Umsetzung voraussichtlich Auswirkungen auf ein Natura-2000-Gebiet, so ist eine Umweltprüfung nach § 8a, im Falle grenzüberschreitender Auswirkungen auch nach § 8b AWG 2002 durchzuführen.
F. Sammel- und Verwertungssysteme Gemäß § 2 Abs 8 Z 5 AWG 2002 ist ein Sammel- und Verwertungssystem „eine „Rechtsperson, welche die Verpflichtungen einer Verordnung gemäß § 14 Abs 1 und nach Maßgabe dieser Verordnung die Verpflichtungen gemäß § 13a betreffend die Sammlung und Behandlung von bestimmten Produkten oder Abfällen und die diesbezügliche Nachweisführung rechtswirksam übernehmen kann.“ Die §§ 29 ff leg cit enthalten bundesweit einheitliche Regelungen über Sammel- und Verwertungssysteme, deren Einrichtung, Betrieb und wesentliche Änderung einer Genehmigung des BMLFUW bedarf. Die Genehmigung ist längstens für einen Zeitraum von 10 Jahren zu erteilen. Genehmigte Systeme unterliegen der Aufsicht des BMLFUW. Für Sammel- und Verwertungssysteme, welche in privaten Haushalten anfallende Abfälle sammeln, bestehen besondere Pflichten und eine Missbrauchsaufsicht (§§ 32, 35). Nähere Bestimmungen erlässt der BMLFUW im Einvernehmen mit dem BMWA und in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Abfallwirtschaft sowie unter Bedachtnahme auf den Bundes-Abfallwirtschaftsplan (§ 36). Dabei sind insbesondere festzulegen: • Voraussetzungen und Kriterien für die Errichtung und Betriebsweise solcher Sammel- und Verwertungssysteme und deren Leistungen, einschließlich Erfassungs-, Sammel- und Verwertungsquoten, wobei die verfügbaren Behandlungskapazitäten insbesondere thermischen Charakters zu berücksichtigen sind; • Tarifgrundsätze und Effizienzkriterien; • Die erforderlichen Aufzeichnungs-, Nachweis- und Meldepflichten.
G. Übergabe und Beförderung von gefährlichen Abfällen und Altölen Das österreichische Abfallwirtschaftsrecht hinkt notorisch dem Gemeinschaftsrecht hinterher. Kaum hat Österreich eine Richtlinie umgesetzt oder einer Verordnung Rechnung getragen, wird diese novelliert oder neu erlassen. So enthält die neue VO 2006/1013/EG des Europäischen Parlaments und des Rates Bestimmungen auch über die Verbringung von Abfällen innerhalb der Mitgliedstaaten. Darin wird allerdings lediglich den Mitgliedstaaten die Pflicht auferlegt, geeignete Bestimmungen zu erlassen, die mit dem übrigen Verbringungssystem der Gemeinschaft kompatibel sind104. Diesen Vorgaben dürften die Regelungen des AWG 2002 entsprechen: Wer gefährliche Abfälle, ausgenommen Problemstoffe, einem Übernehmer übergibt oder sie zum Zwecke einer solchen Übergabe zu diesem befördert oder befördern lässt, hat Art, Menge, Herkunft und Verbleib der gefährlichen Abfälle und seine Identifikationsnummer (§ 22 leg cit) in einem Begleitschein zu deklarie104
Art 33 Abs 1.
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ren und besondere mit der Behandlung verbundene Gefahren bekannt zu geben. Die Pflichten über die Verwertung und Behandlung von Abfällen gehen mit der Übernahme des Begleitscheines auf den Übernehmer über105. Im Fall einer nach den Bestimmungen des AWG notifizierungspflichtigen Verbringung von gefährlichen Abfällen oder Altölen sind Art, Menge, Herkunft und Verbleib der gefährlichen Abfälle im Notifizierungsbegleitschein zu deklarieren106. Abfallsammler und -behandler, die gefährliche Abfälle oder Altöle übernehmen, sowie Abfallbesitzer, die eigene gefährliche Abfälle oder Altöle selbst behandeln, haben innerhalb einer durch Verordnung des BMLFUW gemäß § 23 Abs 3 AWG 2002 festzulegenden Frist dem Landeshauptmann Art, Menge, Herkunft und Verbleib dieser Abfälle zu melden107. Fraglich könnte bloß sein, ob auch für innerstaatliche Verbringungen Sicherstellung und Rücknahmepflicht erforderlich sind, um die geforderte „Kohärenz“ sicherzustellen. § 19 AWG 2002 trifft nähere Bestimmungen über die Deklaration gefährlicher Abfälle bei ihrem Transport. Können gefährliche Abfälle oder Altöle nicht bestimmungsgemäß zugestellt werden, hat der Transporteur diese Abfälle oder Altöle dem Übergeber zurückzustellen, soweit dies möglich und wirtschaftlich zumutbar ist, wobei die Zumutbarkeit mit der ansonsten angeordneten Veranlassung einer korrekten Behandlung des gefährlichen Abfalls in Beziehung zu setzen sein wird108.
H. Altöl Altöle sind eine besondere Art des gefährlichen Abfalls109. Nach dem AWG 2002 sind sie definiert als „mineralische (einschließlich synthetische) Schmierund Industrieöle, die für den Verwendungszweck, für den sie ursprünglich bestimmt waren, ungeeignet geworden sind, insbesondere gebrauchte Verbrennungsmotoren- und Getriebeöle, mineralische Maschinen-, Turbinen- und Hydrauliköle“110. Da das AWG diese Öle nunmehr konsequent als gefährliche Abfälle einstuft, entfällt die für das AWG 1990 typische Wendung „gefährliche Abfälle oder Altöle“; wo von gefährlichen Abfällen die Rede ist, sind Altöle mit gemeint und erfasst. Dennoch enthält auch das AWG 2002 für Öle und Altöle einige besondere Regelungen.
1. Altölverwertung, Beimischungsverbot Eine Verwertung von Altölen ist nur in Form einer stofflichen oder thermischen Verwertung zulässig111. Altöle mit einem bestimmten Schadstoffgehalt 105
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§ 18 Abs 1 AWG 2002. Dies kann allerdings, soweit es die Rechtzeitigkeit der geplanten Behandlung betrifft, nur insoweit gelten, als nicht schon die Übergabe verspätet erfolgt. Überflüssiger Weise verweist der letzte Halbsatz auf bestehende (arg: „bleiben unberührt“), im Zivilrecht begründete Regressansprüche des Übernehmers. § 18 Abs 2 AWG 2002. § 18 Abs 3 und 4 AWG 2002. § 19 Abs 2 AWG 2002. Raschauer, 647; Hochholdinger/Niederhuber/Wolfslehner, 40. § 2 Abs 4 Z 5 AWG 2002. § 16 Abs 3 Z 1 und 2 AWG 2002.
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sind umweltgerecht zu beseitigen112. Die stoffliche Verwertung steht unter dem Vorbehalt einer bestimmten Qualität des Verwertungsprodukts. Altölen dürfen im Vorprodukt charakteristischer Weise nicht enthaltene sowie bestimmte andere Stoffe nicht beigemischt werden. Bei einer stofflichen Verwertung dürfen allerdings die aus technologischen Gründen erforderlichen Zuschlagsstoffe zugesetzt werden113.
2. Abgabe von Motorölen und Ölfiltern Das AWG enthält strenge Regelungen über die Abgabe von Motorölen und Ölfiltern sowie die Rücknahme zurückgebrachter Altöle oder Ölfilter. Die gewerbsmäßige Abgabe von Motorölen an Letztverbraucher ist danach nur durch Betreiber von Tankstellen, Kfz-Mechaniker und Maschinen-ServiceStellen, den Mineralölfachhandel und durch Personen zulässig, die die Genannten mit Motorölen beliefern114. Die Genannten haben von einzelnen Letztverbrauchern zurückgebrachte gebrauchte Motoröle bis zur Menge der jeweils abgegebenen Motoröle zurück zu nehmen. Bis zu einer Menge von 24 Litern pro Abgabe hat dies jedenfalls unentgeltlich zu erfolgen115. Ölfilter für Kfz dürfen gewerbsmäßig nur bei gleichzeitiger Rücknahme des gebrauchten Filters mitsamt den darin befindlichen Ölen oder unter Einhebung eines Pfandbetrages von 3 Euro an Letztverbraucher abgegeben werden. In diesem Fall hat der Abgeber den ersetzten gebrauchten Ölfilter unentgeltlich zurück zu nehmen und muss das Pfand erstatten.
3. Schmiermittel und Schmiermittelzusätze In einer Verordnung nach § 14 AWG116 kann unter anderem die Untersagung der Verwendung einzelner Schmiermittelarten auf herkömmlicher Mineralölbasis angeordnet werden, soweit für den jeweiligen Verwendungszweck technisch gleichwertige, biologisch abbaubare Schmiermittel in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen. Weiters können Zusätze zu biologisch abbaubaren Schmiermitteln verboten sowie Mindest- und Höchstgehalte an pflanzlichem und mineralischem Ölanteil und deren Abbauarten verordnet werden.
4. Meldepflichten Abfallersterzeuger, bei denen Altöle in einer Jahresmenge von mindestens 200 Litern oder sonstige gefährliche Abfälle wiederkehrend, mindestens einmal jährlich anfallen, haben diesen Umstand binnen einem Monat nach der Aufnahme ihrer Tätigkeit dem Landeshauptmann zu melden. Die Meldung hat unter Angabe der allgemeinen Firmendaten, einschließlich der Branchenbeschreibung zu erfolgen. Änderungen dieser Daten oder die Einstellung der Tätigkeit sind ebenfalls innerhalb eines Monats zu melden. Zuständig ist der 112 113 114 115
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§ 16 Abs 3 Z 3 AWG 2002. § 16 Abs 3 Z 4 AWG 2002. § 12 Abs 1 AWG 2002. § 12 Abs 2 AWG 2002. Nach dem AWG 1990 war schon die Abgabe mit der genannten Menge begrenzt; nunmehr soll die Abgabe offenbar durch die Rücknahmepflicht gesteuert werden. Siehe oben nach FN 94.
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Landeshauptmann jenes Bundeslandes, in dem die Abfälle erstmals anfallen (§ 20 Abs 1, 3 und 4 AWG). Diese Meldepflichten entfallen bei Teilnahme an dem elektronischen Register gemäß § 22 AWG 2002. Sie gelten von vornherein nicht für private Haushalte70 und für nicht buchführungspflichtige land- und forstwirtschaftliche Betriebe hinsichtlich der bei ihnen anfallenden Problemstoffe sowie jener gefährlichen Abfälle, die einem rücknahmeberechtigten Abfallsammler und -behandler übergeben werden (§ 20 Abs 2).
I. Behandlungsaufträge, Überprüfung Neben den noch zu erörternden Strafbestimmungen ist die Einhaltung der Regelungen des AWG auch durch die Möglichkeit abgesichert, vor Ort Überprüfungen durchzuführen und Aufträge zur sachgerechten und vorschriftsmäßigen Behandlung von Abfällen zu erteilen. Diese Ermächtigungen bilden den achten Abschnitt des AWG.
1. Behandlungsaufträge Werden Abfälle nicht gemäß den Bestimmungen des AWG oder der nach diesem Gesetz erlassenen Verordnungen gesammelt, gelagert oder behandelt, werden Abfälle nicht gemäß den Bestimmungen des AWG oder der EG-Verbringungsverordnung befördert oder verbracht oder ist die schadlose Behandlung der Abfälle zur Vermeidung von Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen im Sinne des § 1 Abs 3 AWG geboten, so hat die Behörde die entsprechenden Maßnahmen, einschließlich der Untersagung des rechtswidrigen Handelns, dem Verpflichteten mit Bescheid oder - bei Gefahr im Verzug mittels unmittelbaren Befehls aufzutragen und gegen Ersatz der Kosten nötigenfalls durchführen zu lassen117. Ist der Verpflichtete nicht feststellbar, rechtlich zur Entsorgung nicht imstande oder kann er aus anderen Gründen dazu nicht verhalten werden, so ist der Auftrag dem Eigentümer der Liegenschaft zu erteilen, auf der sich die Abfälle befinden118. Eine solche Haftung des Liegenschaftseigentümers besteht, wenn er der Lagerung oder Ablagerung entweder zugestimmt oder diese geduldet und ihm zumutbare Abwehrmaßnahmen unterlassen hat. Die Rechtsnachfolger des Liegenschaftseigentümers haften, wenn sie von der Lagerung oder Ablagerung Kenntnis hatten oder bei gehöriger Aufmerksamkeit haben mussten. Im Falle gesetzlicher Duldungspflichten besteht keine Haftung119. Für vor Inkrafttreten des AWG 1990 gelagerte oder abgelagerte Abfälle gilt eine Sonderregelung, die dem Vertrauensschutz der davon betroffenen Liegenschaftseigentümer dienlich sein soll120. Kann auch der Liegenschaftseigentümer nicht in Anspruch genommen werden, sind Siedlungsabfälle von der Gemeinde, übrige Abfälle von der Behörde nach Zustim-
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§ 73 Abs 1 und 2 AWG 2002. Wer iS dieser Bestimmung verpflichtet ist, ergibt sich wiederum aus dem Kontext, in dem der Auftrag steht. § 74 Abs 1 AWG 2002. § 74 Abs 2 AWG 2002. § 74 Abs 3 AWG 2002. Vgl dazu im Einzelnen Thienel, Unmittelbare Abfallentsorgungspflicht des Grundeigentümers? WBl 1992, 345 (246 ff) mwN.
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mung des BMLFUW durchzuführen, die wiederum unter der Maßgabe der budgetären Bedeckung steht121. Sind nach rechtlicher oder faktischer Stilllegung oder Schließung bei einer Deponie Maßnahmen wie Untersuchungen, regelmäßige Proben, die Vorlage eines Sicherungs- oder Sanierungskonzeptes oder Sicherungs- oder Sanierungsmaßnahmen im öffentlichen Interesse erforderlich, so hat die Behörde sie demjenigen in angemessener Frist mit Bescheid aufzutragen, der die Deponie betrieben hat (§ 73 Abs 4). In diesen Fällen ist zwar nicht die subsidiäre Haftung des Liegenschaftseigentümers, wohl aber die der Gemeinde und des Bundes ausgeschlossen (§ 74 Abs 4 letzter Satz und Abs 5).
2. Überprüfungspflichten und -befugnisse Der Landeshauptmann hat Ersterzeuger gefährlicher Abfälle, ausgenommen von Problemstoffen sowie Abfallsammler und -behandler regelmäßig angemessen zu überprüfen. Abfallsammer und -behandler, die gemäß § 25 AWG die Erlaubnis zur Sammlung oder Behandlung gefährlicher Abfälle besitzen, sind längstens alle fünf Jahre zu überprüfen. Der Landeshauptmann kann die Bezirksverwaltungsbehörde mit der Durchführung der Überprüfungen betrauen und sie ermächtigen, an seiner Stelle Entscheidungen zu fällen (§ 75 Abs 1). Die Überprüfung der Einhaltung von Verpflichtungen betreffend Meldepflichten, Pflichten für Hersteller und Importeure, betreffend die Koordinierungsaufgaben des BMLFUW bzw der Koordinierungsstelle gemäß § 13c obliegt dem BMLFUW (§ 75 Abs 2). Besondere Kosten der Überprüfung können dem Verpflichteten vorgeschrieben werden, wenn die Überprüfung zur Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens geführt hat, das mit einer rechtskräftigen Bestrafung abgeschlossen wurde (§ 75 Abs 3). Soweit dies zur Vollziehung des AWG und der darauf beruhenden Verordnungen erforderlich ist, sind die mit der Vollziehung betrauten Behörden und Organe der öffentlichen Aufsicht und der Zollwache sowie die von ihnen herangezogenen Sachverständigen ermächtigt, Liegenschaften und Gebäude zu betreten und zu besichtigen, Transportmittel anzuhalten, Behältnisse und Transportmittel zu öffnen und zu besichtigen „und Überprüfungen vorzunehmen“122. Sie dürfen die notwendigen Auskünfte sowie die Vorlage der notwendigen Unterlagen, einschließlich der Aufzeichnungen des Lagerbestands und der sonstigen Betriebsaufzeichnungen verlangen und Einsicht in die notwendigen Unterlagen nehmen. Der Eigentümer der Liegenschaft bzw der Betriebsinhaber oder der Vertreter dieser Personen ist spätestens beim Betreten der Liegenschaft oder des Betriebes nach Tunlichkeit zu verständigen123. Diesen Be-
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§ 74 Abs 4 und 5 AWG 2002. § 75 Abs 4 AWG 2002. Der Ausdruck „und Überprüfungen vorzunehmen“ ist mehr als kryptisch, sind doch die genannten Vorgangsweisen allesamt als Kontrollrechte zu deuten. Eine entsprechende Verständigungspflicht ist für die Anhaltung und Öffnung von Transportmitteln nicht statuiert. Bei Gefahr im Verzug oder Unerreichbarkeit von Personen, die verständigt werden sollen oder können genügt die nachträgliche Verständigung.
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stimmungen korrespondieren entsprechende Duldungsbefehle an die jeweils Verpflichteten124. Die genannten Behörden und Organe bzw die durch sie herangezogenen Sachverständigen sind außerdem befugt, Proben in einer für Zwecke der Untersuchung erforderlichen Menge entschädigungslos zu entnehmen, soweit dies notwendig ist. Nach Möglichkeit ist eine gleichartige Gegenprobe amtlich verschlossen auszufolgen, es sei denn, der Verfügungsberechtigte verzichtet darauf125. Die genannten Kontrollrechte stehen unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit: Von ihnen darf nur Gebrauch gemacht werden, wenn und soweit dies erforderlich ist. Außerdem haben die befugten Behörden und Organe jede nicht unbedingt erforderliche Störung oder Behinderung „des Betriebes“ zu vermeiden126.
J. Einfuhr, Ausfuhr, Durchfuhr von Abfällen Die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Abfällen ist durch die Verordnung 1013/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verbringung von Abfällen geregelt, die am 12. Juli 2007 in Kraft tritt127. Die Verordnung unterscheidet zunächst zwischen Verbringungen innerhalb der Gemeinschaft (Titel II), Ausfuhr aus der Gemeinschaft (Titel IV), Einfuhr in die Gemeinschaft (Titel V) und Durchfuhr durch die Gemeinschaft aus und in Drittstaaten (Titel VI). Neu ist Titel III über die Verbringung von Abfällen innerhalb eines Mitgliedstaates128. Generell gilt, dass die Mitgliedstaaten die zuständigen Behörden benennen und die zur Durchsetzung der Verordnung erforderlichen Vorschriften erlassen müssen (Art 50). Die Verordnung unterscheidet weiters zwischen Verbringungen zur Verwertung und solchen zur Beseitigung. Die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen ist wesentlich strenger geregelt als die Verbringung zur Verwertung. Jede Verbringung von Abfällen innerhalb der Gemeinschaft ist den zuständigen Behörden des Ausgangs-, des Bestimmungs- und allfälliger Transitstaaten unter Erstattung umfangreicher Angaben schriftlich zu notifizieren. Die Verbringung zu Zwecken der Beseitigung unterliegt einem Zustimmungsvorbehalt129. Die Verbringung zur Verwertung unterliegt nur hinsichtlich bestimm124
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§ 75 Abs 5 AWG 2002. Wer durch diese Bestimmungen verpflichtet ist, richtet sich nach dem jeweiligen systematischen Zusammenhang, in dem die Überprüfung erfolgt. § 75 Abs 6 AWG 2002. § 75 Abs 4 letzter Satz AWG 2002. Sinngemäß muss dies auch gelten, wenn gar kein Betrieb vorliegt. Es ist dann eben jede nicht unbedingt notwendige Störung oder Behinderung des Verpflichteten untersagt. Vgl oben bei FN 24. § 66 Abs 1 AWG kommt diesbezüglich nur deklarative Bedeutung zu, da die Geltung und Anwendung von Verordnungen nicht von nationalen Anordnungen abhängig gemacht werden darf. Siehe oben bei FN 104. Wobei die Zustimmung aber auch stillschweigend durch Verstreichenlassen der Frist erteilt werden kann; vgl Art 9 Abs 1. Die Zustimmung kann auch mit Auflagen
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ter Abfälle einem Zustimmungsvorbehalt. Diesfalls gelten die gleichen Regelungen wie für die Verbringung zur Beseitigung130. Jede notifizierungspflichtige Verbringung muss Gegenstand eines Vertrages zwischen dem Notifizierenden und dem Empfänger sein, in dem die Verwertung oder Beseitigung sowie eine Rücknahmepflicht des Notifizierenden (Art 22 ff) geregelt sind (Art 5). Für jede notifizierungspflichtige Verbringung müssen außerdem Sicherheitsleistungen hinterlegt oder entsprechende Versicherungen abgeschlossen werden (Art 6)131. Spezielle Vorschriften bestehen für Verbringungen innerhalb der Gemeinschaft mit Durchfuhr durch Drittstaaten, etwa von Frankreich nach Italien durch die Schweiz (Art 31 f). Die Ausfuhr von Abfällen aus der Gemeinschaft zur Beseitigung ist verboten, wenn Zielstaat nicht ein EFTA-Staat ist, der dem Basler Übereinkommen angehört (Art 34 f). Für die Ausfuhr zum Zwecke der Verwertung gelten weniger strenge Verbotsregelungen (Art 36 ff). Ähnliches gilt für die Einfuhr von Abfällen in die Gemeinschaft (Art 41 ff). Auch die Ein- und Ausfuhr von Abfällen ist zu notifizieren und unterliegt der Kontrolle der zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten132. § 66 Abs 2 AWG bestimmt als für die Durchführung der Verordnung zuständige Behörde den BMLFUW. Der BM wird ermächtigt, mit Verordnung aus Gründen des Umweltschutzes für bestimmte Abfälle eine Überwachung der Verbringung vorzusehen133. § 69 AWG unterwirft jede notifizierungspflichtige Abfallverbringung einem Genehmigungsvorbehalt. Die Bewilligung ist nur einem zugelassenen Abfallsammler oder -behandler, einem Inhaber gleichwertiger ausländischer Konzessionen, dem Abfallerzeuger, der ausschließlich eigene Abfälle verbringt, oder einem Unternehmen zu erteilen, das die gefährlichen Abfälle verbringt, hinsichtlich derer es zur Rücknahme befugt ist. Die Bewilligung darf nur erteilt werden, wenn eine ordnungsgemäße Behandlung der betreffenden Abfälle in einer dafür genehmigten Anlage am Bestimmungsort gesichert er-
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erteilt werden. Wird die Zustimmung verweigert, so müssen Einwände gemäß Art 11 (Beseitigung) der VO erhoben werden. Einwendungen gegen die Verbringung richten sich dann allerdings nach Art 12 der VO. Für bestimmte Verwertungsanlagen können die Behörden des Mitgliedstaates auch eine Vorabzustimmung erteilen. Durch die Versicherung müssen die Kosten der Beförderung einschließlich der allenfalls vorgesehenen Rücksendung und der Beseitigung oder Verwertung abgedeckt sein. Solche Sicherheitsleistungen werden erst freigegeben, wenn der Abfall nachweislich seinen Bestimmungsort innerhalb der Gemeinschaft erreicht oder das Gebiet der Gemeinschaft verlassen hat Vgl Art 35, 37 f, 42, 44 der Verordnung. Im Titel VI enthält die Verordnung weiters Bestimmungen über die Durchfuhr von Abfällen von außerhalb der Gemeinschaft durch die Gemeinschaft zu einem Bestimmungsort außerhalb der Gemeinschaft. Auch hier ist eine entsprechende Notifizierung und allfällige Untersagung durch die Mitgliedstaaten vorgesehen. § 72 AWG 2002. Diese Regelungen dienten noch der Umsetzung der alten Verbringungsverordnung, sind aber soweit ersichtlich auch mit der neuen kompatibel. Ob aber für die dort ebenfalls vorgesehene Verordnungskompetenz hinsichtlich der Notifizierungsbegleitpapiere im neuen Verordnungsregime noch ausreichend Raum verbleibt, könnte allerdings zweifelhaft sein.
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scheint, die über eine ausreichende Kapazität verfügt134. Sie ist zu versagen, wenn die notifizierende Person oder der Empfänger mindestens zweimal wegen einer illegalen Verbringung von Abfällen bestraft worden ist und die Bestrafungen noch nicht getilgt sind (§ 69 Abs 5).
K. Strafbestimmungen § 79 AWG 2002 enthält einen äußerst umfangreichen Katalog von Strafdrohungen. Sie richten sich gegen die Übertretung der verschiedensten Bestimmungen des AWG und der dazu ergangenen Verordnungen sowie der EGVerordnung über die Abfallverbringung135. Die Tatbestände dieser Strafbestimmungen sind daher jeweils in der verwiesenen Bestimmung festgelegt. Diese Verweistechnik hat zur Konsequenz, dass die überaus schwierige Erfassung des jeweiligen Adressatenkreises der Verhaltensanordnungen auf die Bestimmung des in Frage kommenden Täterkreises Rückwirkungen hat. § 80 AWG 2002 trifft im Sinne des VStG erforderliche Sonderregelungen über die Strafbarkeit des Versuches und den Tatort bei Delikten im Zusammenhang mit der Verbringung von Abfällen. § 80 Abs 2 AWG 2002 macht neben dem abfallwirtschaftsrechtlichen Geschäftsführer eines Abfallsammlers oder -behandlers diesen selbst für Übertretungen verantwortlich, die er wissentlich duldet oder die ein unsorgfältig ausgewählter Geschäftsführer zu verantworten hat136. In § 79 Abs 7 AWG wird die Nichtbeteiligung an einem Sammel- und Verwertungssystem gemäß mit Strafe bedroht. Das Gesetz sagt nichts über das Verhältnis dieser Strafdrohung zu jener des § 79 Abs 2 Z 1 und Abs 3 Z 4 AWG (Verstöße ua gegen Verordnungen nach § 14 AWG 2002). ME handelt es sich bei § 79 Abs 7 um eine lex specialis, die eine Anwendung anderer Bestimmungen auf denselben Tathergang ausschließt. Auch liegt im Hinblick auf §§ 180 ff StGB mE keine verfassungswidrige Doppelbestrafung vor, weil der durch § 79 Abs 7 AWG erfasste Aspekt der Obstruktion einer umweltpolitisch notwendigen geordneten Abfallwirtschaft durch diese Strafbestimmungen nicht vollständig erfasst wird.
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§ 69 Abs 4 AWG. Das Gesetz verlangt darüber hinaus die ordnungsgemäße Behandlung der bei der Behandlung der Abfälle anfallenden Abfälle. Dieses sowie das Erfordernis der ausreichenden Kapazität können sich nur auf den Fall der Verbringung in das Inland beziehen, weil widrigenfalls der durch die Verordnung eröffnete Gestaltungsspielraum überschritten würde. Vereinzelt wird auch der Verstoß gegen Bescheide oder Bescheidauflagen strafbar gemacht. Der abfallwirtschaftsrechtliche Geschäftsführer ist kraft ausdrücklicher Anordnung im Gesetz verantwortlicher Beauftragter iSd § 9 VStG (siehe FN 81). Der Fall der wissentlichen Duldung ist wohl dem der vorsätzlichen Nichtverhinderung in § 9 Abs 6 VStG gleichzuhalten; eine Erweiterung bringt daher nur die verwaltungsstrafrechtliche Haftung für Auswahlverschulden. Diese ist freilich verfassungsrechtlich bedenklich, weil nicht jedes Auswahlverschulden für jede Verwaltungsübertretung kausal sein muss; verfassungskonform ist die Bestimmung daher auf solche Fälle zu reduzieren, in denen sich das Auswahlverschulden bei der konkreten Übertretung auch ausgewirkt hat.
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§ 80 Abs 3 und 4 AWG 2002 sehen eine Abschöpfung wesentlicher Bereicherungen vor, die durch Übertretungen nach § 39 Abs 1 lit a und b zustandegekommen sind; die Abschöpfung steht allerdings unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Die Bestimmungen erfassen auch Zuwendungen von dritter Seite, die für die Begehung der Verwaltungsübertretung gewährt worden sind; § 39 Abs 5 AWG ist insofern lex specialis zu §§ 17 f VStG. § 81 AWG 2002 trifft von § 31 VStG abweichende Anordnungen über die Verfolgungsverjährung und die Einrechnung von Zeiten einer Aussetzung des Verfahrens137. Ob diese Bestimmungen im Hinblick auf Art 11 Abs 2 B-VG verfassungskonform sind, ist zweifelhaft. Der VfGH hat allerdings vom VStG abweichende Verjährungsregelungen im Lebensmittelgesetz, die mit ähnlichen Argumenten begründet waren, für zulässig gehalten138.
L. Organisation und Verfahren Das AWG wird in mittelbarer Bundesverwaltung vollzogen. Zur Vollziehung des AWG ist daher grundsätzlich die Bezirksverwaltungsbehörde in erster und der Landeshauptmann in zweiter Instanz zuständig. Davon abweichend wird durch einige Bestimmungen der Landeshauptmann in erster, durch andere der BMLFUW in erster und einziger Instanz zuständig gemacht139. Die zu verschiedenen Aufgaben im Rahmen des AWG berufenen Zollorgane werden gemäß § 83 AWG 2002 funktionell für den Landeshauptmann tätig. Die zur Vollziehung des AWG berufenen Behörden haben die allgemeinen Verfahrensgesetze AVG, VStG und VVG anzuwenden140. Das AWG enthält allerdings in manchen Bereichen Modifikationen, deren Rechtfertigung im Hinblick auf Art 11 Abs 2 B-VG nicht immer auf der Hand zu liegen scheint141.
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Diese Frist beträgt nunmehr generell ein ganzes Jahr. Bei (wohl: Verletzung von) Verpflichtungen, über die Meldungen zu erstatten sind, beginnt die Frist mit dem Einlangen der jeweiligen Meldung bei der zuständigen Behörde. Die Zeit der Aussetzung gemäß § 30 Abs 2 VStG ist nicht in die Verjährungsfristen nach den §§ 31 Abs 2 und 3 sowie 51 Abs 7 VStG einzurechnen. VfSlg 9214 und 9215/1981. Vgl auch VfSlg 11.060/1986 zu Verjährungsregeln im Disziplinarrecht der Jäger. Die Fragestellung ist zwar auf Grund ihrer Rechtsschutzbezogenheit näher bei jener des Erk VfSlg 15.218/1998, das der VfGH in etlichen Folgeentscheidungen bekräftigt hat als bei jener des Erk VfSlg 15.351/1998, in dem es um vom AVG abweichende Kostentragungsregelungen im Zivilluftfahrtrecht ging, die der VfGH mit Hinweis auf seine einschlägige Vorjudikatur zum Berggesetz für zulässig hielt; dennoch ist auf Grundlage der einschlägigen Vorjudikatur mit einer Aufhebung der in Rede stehenden Bestimmungen nicht zu rechnen. Ähnliche Regeln existieren auch sonst im Umweltrecht; vgl bloß § 74 ChemG, § 137 Abs 9 WRG. Anzeige der Sammlung und Behandlung nicht gefährlicher und Genehmigung der Sammlung und Behandlung gefährlicher Abfälle (§§ 24 f), verschiedene Meldepflichten (Landeshauptmann); Einrichtung elektronischer Register, Bewilligung der Errichtung, des Betriebs oder einer wesentlichen Änderung von Sammel- und Verwertungssystemen, Notifizierung und Bewilligung von Verbringungen, zuständige Behörde im Rahmen der Verbringungsverordnung (BMLFUW). Vgl Art II EGVG. Siehe gerade oben bei den Strafbestimmungen.
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II. Zum Abfallwirtschaftsrecht der Länder Das Abfallwirtschaftsrecht der Länder wurde durch das AWG 2002 in seiner Bedeutung stark reduziert. Für die Länder verbleibt nach der umfassenden Inanspruchnahme der Bedarfskompetenz durch den Bund im Wesentlichen nur mehr die kommunale Abfallwirtschaft. Den neuen Bedarfsbestimmungen des AWG 2002 entgegen stehenden Regelungen auf Länderebene wurde durch das AWG 2002 derogiert. Im Einzelnen herauszufinden, welche Bestimmungen der großteils seit 2002 unveränderten Abfallwirtschaftsgesetze der Länder nun noch in Geltung stehen, ist aber im Rahmen des vorliegenden Beitrags weder leistbar noch erforderlich. Stattdessen soll hier nur ein Überblick über das unbestreitbar geltende Abfallwirtschaftsrecht der Länder gegeben werden. Dabei wird keines der Gesetze im Detail beleuchtet; vielmehr sollen nur wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede Erwähnung finden.
A. Anwendungsbereich der Abfallwirtschaftsgesetze der Länder Das AWG 2002 des Bundes regelt auch zentrale Fragen wie jene des Abfallbegriffes. Die Abfallwirtschaftsgesetze der Länder versuchen regelmäßig, ihre Abfalldefinitionen durch salvatorische Klauseln zu retten142. Diese Bestimmungen gehen offenbar davon aus, dass der Bundes- und Bedarfsgesetzgeber durch seine Definition des Abfallbegriffes nur hinsichtlich bestimmter nicht gefährlicher Abfälle seine Regelungskompetenz in Anspruch genommen hat, während ein Bereich anderer nicht gefährlicher Abfälle bundesrechtlich ungeregelt und daher im Wirkungsbereich der Länder verbleibt. Eine solche Interpretation verbietet sich indes: Hat der Bundgesetzgeber einen Bedarf nach einer einheitlichen Begriffsfestlegung bejaht und seine Regelungskompetenz dafür in Anspruch genommen, so ist damit die Zulässigkeit auch nur in Teilbereichen abweichender Abfallbegriffe ausgeschlossen; der Abfallbegriff wird auch für nicht gefährliche Abfälle bundeseinheitlich festgelegt. Den Ländern kommt maW keine (Rest-) Kompetenz zur Festlegung eines Abfallbegriffes zu. Den diesbezüglichen Bestimmungen der Landesabfallwirtschaftsgesetze wurde daher durch das AWG des Bundes derogiert, auch wenn sie inhaltlich jenen des Bundes-AWG entsprechen dürften.
B. Typische Regelungsgegenstände Alle Landes-Abfallwirtschaftsgesetze enthalten Bestimmungen über Ziele und Grundsätze der Abfallwirtschaft, die im Hinblick auf §§ 1, 3 Abs 2 AWG nur insoweit verfassungskonform sein dürften, als sie sich auf Pflichten der Länder und der Gemeinden beziehen143. Allen Abfallwirtschaftsgesetzen ist gemeinsam, dass sie schwerpunktmäßig die Entsorgung von Haus- und Sperrmüll sowie betrieblichen Abfällen und die (gemeindliche) Müllabfuhr regeln. Die Abfallwirtschaftsgesetze sehen regelmäßig die Einhebung von Abgaben, Gebühren oder Beiträgen vor. Von den Gemeinden zu bildende Abfallwirtschafts142 143
Vgl zB § 1 Abs 2 Bgld AWG; § 2 NÖ AWG; § 1 Abs 3 OÖ AWG. Siehe schon oben. Vgl zB § 1 NÖ AWG; § 3 Sbg AWG; § 1 Wr AWG.
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verbände stellen einen weiteren typischen Regelungsgegenstand des Landesabfallwirtschaftsrechts dar144. Die Abfallwirtschaftsgesetze sehen regelmäßig überörtliche Planungen auf dem Gebiete des Abfallwirtschaftsrechts vor145.
C. Typische Regelungsinhalte Der durch das Gesetz eingerichtete burgenländische Müllverband hat für die Sammlung, Beförderung und Behandlung des anfallenden Haushalts- und Spermülls zu sorgen. Er hat zu diesem Zweck eine öffentliche Müllabfuhr einzurichten sowie öffentliche Einrichtungen zur Abfallbehandlung zu errichten und zu betreiben. Er kann sich zur Erfüllung dieser Aufgaben auch von ihm ausgegliederterer Rechtsträger, gewerblicher Unternehmen oder anderer Personen bedienen, die er in den Formen des Privatrechts verpflichtet146. Das Gesetz trifft ausführliche Regelungen über die Beschaffenheit der Sammel- und Transportbehältnisse, über Anschlusspflicht und freiwilligen Anschluss, Abfallsammelstellen sowie Sammlung und Behandlung betrieblicher Abfälle. In weiteren Bestimmungen werden Pflichten und Verbote für den Einzelnen sowie Organisation und Finanzierung des Müllverbands geregelt. Die Kärntner Abfallwirtschaftsordnung enthält Bestimmungen über besondere Maßnahmen der Abfallvermeidung und Umweltberatung sowie über Fördermaßnahmen auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft147. Den Bestimmungen über allgemeine Rechte und Pflichten folgen Vorschriften über die Erfassung und Entsorgung von Abfällen und insbesondere über die Sammlung von Haus- und Sperr- sowie Betriebsmüll148. Für die Abfuhr von Haus- und Sperrmüll hat grundsätzlich die Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich Sorge zu tragen149. Für die Entsorgung betrieblichen Abfalls ist vorbehaltlich eines anders lautenden Bescheides der Gemeinde der Betriebsinhaber selbst verantwortlich150. Eigene Bestimmungen regeln die Entsorgung von Klärschlamm, Bioabfall und Grünabfallkompost sowie die Bodenzustandsinventur151. Ein jeweils eigener Abschnitt regelt die Abfallwirtschaftsverbände und die Gebühren. Auch das niederösterreichische AWG enthält Bestimmungen über die Förderung abfallwirtschaftsrechtlich erwünschter Maßnahmen152. Darüber hinaus werden die Errichtung und der Betrieb einer Müllabfuhr durch die Gemeinde, die Erfassung des Hausmülls außerhalb des von der Gemeinde versorgten Bereiches sowie die Entsorgung 144 145
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ZB §§ 15 ff OÖ AWG; §§ 40 ff Ktn AWO; §§ 42 ff Blgd AWG; siehe aber auch § 38 Sbg AWG. Vgl § 7 Bgld AWG: Abfallwirtschaftsplan; § 2 Wr AWG: Abfallwirtschaftskonzept; § 4 Sbg AWG: Abfallwirtschaftsrechtliche Planung des Landes. Das Verhältnis dieser Planungen zur abfallwirtschaftsrechtlichen Fachplanung des Bundes ist fraglich: § 8 AWG 2002 gilt auch für nicht gefährliche Abfälle; der Bund hat also hinsichtlich der planerischen Aspekte des Abfallwirtschaftsrechts von seiner Bedarfskompetenz Gebrauch gemacht. Allerdings bleiben die „den Bundesländern zustehenden Planungsbefugnisse“ ausdrücklich „unbeschadet“. Es bleibt dabei freilich für die Landesgesetzgebung nur noch Raum für eine dem Bundes-Abfallwirtschaftsplan nicht widersprechende, sondern ihn näher ausführende und konkretisierende landesrechtliche Planung, weil nur insoweit „Planungsbefugnisse“ der Länder anzunehmen sind. § 9 Bgld AWG. §§ 5 f. §§ 15 ff. §20. § 25. §§ 26 ff. §§ 6 f.
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betrieblichen Abfalls geregelt und eine Pflicht zur Beseitigung widerrechtlicher Abfallablagerungen statuiert153. Ein eigener Abschnitt widmet sich den Abgaben und Gebühren. Sonderbestimmungen bestehen für die von der Gemeinde zu erlassende Abfallwirtschaftsverordnung für den örtlichen Bereich, für Baulichkeiten auf fremdem, die dingliche Wirkung von Bescheiden und die Pflicht zur Duldung der Inanspruchnahme von Grundstücken154. Das oberösterreichische AWG regelt minutiös die Sammlung und Erfassung einschließlich der Trennung von Abfällen. Die Gemeinde hat grundsätzlich Abfälle abzuholen, sie kann aber auch in der von ihr zu erlassenden Abfallordnung Bereiche bestimmen, die vom Holsystem ausgenommen sind und in dem die anfallenden Abfälle abzuliefern sind. Eigene Bestimmungen betreffen biogene Abfälle und Altstoffe sowie die Beschaffenheit von Abfallbehältern155. Die Gemeinde hat für die Bereitstellung von Behältnissen zur Sammlung von Abfällen auf allgemein zugänglichen Plätzen Sorge zu tragen156. Das Gesetz regelt die Verpflichtung zur Beseitigung gesetzwidriger Lagerungen und Ablagerungen, den Übergang des Eigentums am zu entsorgenden Abfall und die Genehmigungspflicht für Abfallsammler und -behandler157. Ein eigener Abschnitt ist den Abfallverbänden gewidmet; jeweils eigene Abschnitte befassen sich mit Beiträgen und Gebühren sowie mit dem von der Landesregierung zu erlassenden Abfallwirtschaftsplan. Das Salzburger AWG sieht zunächst allgemeine Anforderungen an die Abfallbehandlung und die Verpflichtung zu ihrer Einhaltung vor158. Sodann regelt es die Übernahme von Abfällen im Hinblick auf deren örtliche Verteilung im Landesgebiet159. Die Gemeinden haben eine Abfuhrordnung zu erlassen, für die Erfassung des in ihrem Gebiet anfallenden Haus- und Sperrmülls, von Altstoffen und - nach Maßgabe einer entsprechenden Verordnung der Landesregierung - auch sonstiger Abfälle Sorge zu tragen und die Öffentlichkeit über die Anliegen des Abfallwirtschaftsrechts zu informieren und zu beraten160. Die Behandlungsgrundsätze gelten für alle Abfallbesitzer. Besondere Pflichten legt das Gesetz für die Liegenschaftseigentümer hinsichtlich der auf ihren Grundstücken anfallenden Abfälle fest161. Die Landesregierung kann erforderlichenfalls durch Verordnung Abfallverbände bilden. Die Tätigkeit des Sammelns und Behandelns von Abfällen unterliegt einer Meldepflicht und besonderen Ausübungsregeln162. Ein jeweils eigener Abschnitt regelt Gebühren und Sicherstellung der Rechtmäßigkeit. In der Steiermark haben die Gemeinden für die Sammlung und Abfuhr, die Abfallwirtschaftsverbände für die Behandlung (Verwertung und Beseitigung) häuslicher Abfälle zu sorgen. Unternehmen, die nach dem AWG des Bundes zur Erstellung eines Abfallwirtschaftskonzeptes verpflichtet sind, können unter Vorlage dieses Konzeptes auf Antrag von der „Andienungspflicht“ entbunden werden. Ein eigener zweiter Abschnitt des Gesetzes regelt die Sammlung und Abfuhr, der dritte Abschnitt die Behandlung von Abfällen und die Abfallwirtschaftsverbände samt ihrer Organisation. Das
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§§ 8 ff. §§ 23 ff; §§ 28 ff. §§ 8 ff. § 11. §§ 12 ff. Diesen Bestimmungen wurde wohl durch das AWG 2002 derogiert. §§ 5 f. § 7. § 8, §§ 10 ff. § 12. Diese und die zuvor genannten Bestimmungen wurden durch §§ 15 ff, 73 f AWG 2002 materiell aufgehoben. §§ 17 ff. Auch diesen Bestimmungen wurde durch das AWG 2002 derogiert.
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Gesetz sieht sowohl einen Landes-Abfallwirtschaftsplan (§ 5) als auch regionale Abfallwirtschaftspläne vor (§ 15). In Tirol hat die Gemeinde für eine öffentliche Müllabfuhr Sorge zu tragen, die folgende Aufgaben bewältigt: Abholung des Hausmülls; Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Sammelstellen für den nicht abzuholenden Hausmüll; Abfuhr des Mülls zur Behandlungsanlage oder Deponie; Bereitstellung der erforderlichen Anzahl von Sammelstellen für zu trennenden Müll; Errichtung und Betrieb einer Kompostieranlage für kompostierfähigen Müll163. Für die Sammlung und Abfuhr betrieblicher Abfälle ist der Betriebsinhaber selbst verantwortlich164. Die Gemeinde hat eine Müllabfuhrordnung zu erlassen, in der die Sammelstellen, der Abholbereich sowie die Beschaffenheit der Müllbehälter und die Organisation der Sammlung und Abfuhr festzulegen sind165. In Vorarlberg sind die Gemeinden umfassend verpflichtet, für die Abfuhr von Hausabfällen Sorge zu tragen. Dieses Gebot steht allerdings unter dem Vorbehalt der Subsidiarität. Das heißt, dass die Gemeinde dieser Verpflichtung nicht unterliegt, wenn nicht von ihr beauftragte Private die Abfuhr besorgen. Die Gemeinde kann sich zur Besorgung ihrer Aufgaben allerdings ihrerseits auch privater Unternehmen bedienen. Die Landesregierung kann die Gemeinden auch dazu verpflichten, andere als Hausabfälle abzuführen166. Die Gemeinden haben eine Abfuhrordnung zu erlassen, die das Nähere bestimmt167. Den Liegenschaftseigentümer trifft die Verantwortung für die „Verwahrung“ und Abfuhr aller anfallenden Abfälle168. Abfallsammler und -behandler unterliegen in Wien einem Kontrahierungszwang, der jenem nachgebildet ist, der früher im Bundes-AWG vorgesehen war. Die Bundeshauptstadt Wien hat gemäß § 10 des Wiener AWG als Trägerin von Privatrechten in ihrer Beschaffungspolitik auf die Ziele der Abfallvermeidung zu achten. Die abfallwirtschaftsrechtlichen Ziele sind auch im Rahmen der Förderpolitik zu beachten169. Der Gemeinde Wien obliegt mit ausdrücklich geregelten Ausnahmen die Sammlung und Abfuhr des gesamten im Gebiet des Landes Wien anfallenden Mülls170. Jeder Abfallbesitzer hat den nicht von der öffentlichen Müllabfuhr erfassten Müll sowie sonstige Abfälle den Zielen des AWG entsprechend zu behandeln oder behandeln zu lassen171. Ein eigener Abschnitt regelt die Sammlung und Abfuhr von Altstoffen172. Ein weiterer Abschnitt regelt die für die Belange der Abfallwirtschaft zu entrichtende Abgabe173. Besondere Bestimmungen finden sich hinsichtlich der Inanspruchnahme von Grundstücken und der Auskunftspflicht von Eigentümern und Verfügungsberechtigten174. 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174
§§ 11, 14. § 12. § 15. Vgl § 5. § 8. § 7. § 10. §§ 16 ff. § 8. § 24. §§ 34 ff. § 46. Ansonsten nimmt das Wr AWG den Abfallbesitzer in die Pflicht. Das Verhältnis dieser Bestimmung zu den einschlägigen Bestimmungen des AWG 2002 ist nicht ganz einfach zu klären: In der salvatorischen Einleitungsklausel wird auf die Notwendigkeit „zur Vollziehung dieses Gesetzes“ abgestellt. Bereinigt man das Gesetz um alle durch das AWG 2002 materiell aufgehobenen Bestimmungen, so bleibt eine kompetenzrechtlich unbedenkliche, aber möglicherweise über keinen Anwendungsbereich verfügende Bestimmung übrig.
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III. Altlastenrecht A. Allgemeines Altlasten sind - mit den verba legalia ausgedrückt - „Altablagerungen und Altstandorte sowie durch diese kontaminierte Böden und Grundwasserkörper, von denen - nach den Ergebnissen einer Gefährdungsabschätzung - erhebliche Gefahren für die Gesundheit des Menschen oder die Umwelt ausgehen. Kontaminationen, die durch Emissionen in die Luft verursacht werden, unterliegen nicht dem Geltungsbereich des (Altlastensanierungs-) Gesetzes“175. Es fällt auf, dass das Gesetz durch Luftemissionen hervorgerufene Kontaminationen ausdrücklich von seinem Anwendungsbereich ausnimmt, durch Abwässer hervorgerufene Kontaminationen an Böden und am Grundwasserkörper hingegen nicht. Der Anwendungsbereich des Altlastensanierungsgesetzes ist also nicht deckungsgleich mit jenem des AWG. Das Gesetz verfolgt allerdings auch einen anderen Zweck. Es dient der Finanzierung der Sicherung und Sanierung von Altlasten, nicht der vorausschauenden Planung und Lenkung der Vermeidung, Verwertung und Ablagerung. Demgemäß ist das Gesetz - abgesehen von seinen Begriffsfestlegungen - im wesentlichen in drei Abschnitte unterteilt: Zum einen soll die Erfassung, Abschätzung und Bewertung von Altlasten, zum anderen die Durchführung der Altastensanierung geregelt werden; ein eigener Abschnitt widmet sich der Finanzierung dieser Aufgaben durch den Altlastenbeitrag.
B. Erfassung, Abschätzung und Bewertung von Altlasten Der Landshauptmann hat dem BMLFUW Verdachtsflächen bekanntzugeben. Der BMLFUW hat zur Erfassung von Altlasten die bundesweite Erfassung, Abschätzung und Bewertung von abgrenzbare Bereiche von Altablagerungen als Verdachtsflächen im Zusammenwirken mit dem BMWA zu koordinieren und ergänzende Untersuchungen zu veranlassen176. Die aus der Erfassung gewonnenen Daten und Kenntnisse sind an das Umweltbundesamt zu übermitteln, durch dieses zu verwerten und in einem Verdachtsflächenkataster zu führen. Die Maßnahmen der Erfassung und Abschätzung des Gefährdungspotentials der Verdachtsflächen sind vom BLMFUW zu koordinieren. Die auf Grund der Gefährdungsabschätzung festgestellten sicherungs- und sanierungsbedürftigen Flächen sind in einem Altlastenatlas auszuweisen, der vom Umweltbundesamt zu führen ist und Verordnungscharakter hat. Das Umweltbundesamt hat hat als Dienstleister für den BMLFUW eine Datenbank über die Gefährdungsabschätzungen zur führen und diese Daten auf seiner Internetseite zu veröffentlichen.
Das Gesetz sieht eine Einstufung der gemeldeten Altlasten nach ihrem Gefährdungsgrad und dem sich daraus ergebenden Umfang sowie der Dringlichkeit der (Finanzierung der) erforderlichen Sicherungs- und Sanierungsmaß-
175
176
§ 2 Abs 1 Altlastensanierungsgesetz, BGBl 1989/299 idF BGBl I 2004/136. Auf die Altstandorte wird wegen der thematischen Beschränkung dieses Beitrages nicht näher eingegangen. § 12.
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nahmen vor (Prioritätenklassifizierung)177. Sind dafür zusätzlich zu den im Rahmen der Erfassung vorgenommenen Abschätzungen Untersuchungen erforderlich, so hat sie der BMLFUW zu veranlassen. Altlasten, die gesichert oder saniert sind, sind durch Änderung der Prioritätenklassifizierung als gesichert oder saniert auszuweisen. Auch die Prioritätenklassifizierung ist auf der Internetseite des Umweltbundesamtes kundzumachen.
C. Durchführung der Altlastensanierung Schon zur Untersuchung und Beurteilung, aber auch zur Sicherung und Sanierung stehen den zuständigen Behörden umfangreiche Zwangsrechte zu, die mit entsprechenden Duldungspflichten des Liegenschaftseigentümers oder Bergbauberechtigten korresponideren178. Das AlSAG bezieht auch die Sanierungsvorschriften anderer Bundesgesetze mit ein und schafft eine partielle Zuständigkeitskonzentration beim Landeshauptmann179. Die Liegenschaftseigentümer sind verpflichtet, nach Maßgabe entsprechender Anordnungen die auf ihren Grundstücken befindlichen Altlasten zu sichern und zu sanieren oder ihre Sicherung und Sanierung zuzulassen. Parteien im Verwaltungsverfahren sind die betroffenen Liegenschaftseigentümer und die an deren Liegenschaften dinglich oder obligatorisch Berechtigten, die betroffenen Wassernutzungsberechtigten sowie der Bund als Träger von privaten Rechten und Pflichten. Dieser hat nach Maßgabe der Prioritätenklassifizierung die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherung und Sanierung durchzuführen, soweit diese nicht einem Verpflichteten aufgetragen werden können180. Dabei dürfen dem Bund keine über den Ertrag der Altlastenbeiträge hinausgehenden Kosten erwachsen. Wer rechtswidrig und schuldhaft eine Altlast verursacht oder als Liegenschaftseigentümer einer solchen Ablagerung zugestimmt oder eine solche geduldet hat, ist zum Kostenersatz verpflichtet; diese Kostentragungspflicht kann bei geringem Verschulden gemildert werden. Soweit durch Maßnahmen nach dem AlSAG oder einer anderen einschlägigen Bestimmung Unbeteiligten ein Schaden entsteht, ist dieser zu ersetzen; das Gesetz schafft dafür eine sukzessive Kompetenz.
D. Altlastenbeitrag Zur Finanzierung sowohl der Erfassung und Abschätzung als auch der Durchführung der Sanierung und Sicherung von Altlasten wird ein Altlastenbeitrag eingehoben181. Gegenstand dieser ausschließlichen Bundesabgabe ist • das Ablagern von Abfällen oberhalb oder unterhalb der Erde; • das Verbrennen von Abfällen in einer Verbrennungs- oder Mitverbrennungsanlage; • das Verwenden von Abfällen zur Herstellung von Brennstoffprodukten; 177 178 179 180 181
Vgl den Kriterienkatalog des § 14 Abs 1. §§ 16 f AlSAG. Siehe unten E. Dem in diesem Zusammenhang nicht hoheitlich handelnden Bund sind durch § 17 Abs 4 AlSAG besondere Zwangsrechte eingeräumt. §§ 3 ff AlSAG.
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•
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das Befördern von Abfällen zu einem der genannten Vorgänge außerhalb des Bundesgebiets. Von der Beitragspflicht ausgenommen sind unter anderem: • Berge (taubes Gestein) und Abraummaterial, die beim Aufsuchen, Gewinnen, Speichern und Aufbereiten mineralischer Rohstoffe anfallen; • Radioaktive Stoffe; • Sprengstoffabfälle; • Boden- und Erdaushubmaterial, sofern dieses zulässiger Weise zum Verfüllen von Geländeunebenheiten verwendet wird; • Mineralische Baurestmassen; • Abfälle mit hohem biogenen Anteil für eine zulässige thermische Verwertung. Ebenso von der Beitragspflicht ausgenommen sind • das Ablagern, Verbrennen oder Befördern von Abfällen, die nachweislich im Zuge der Sanierung von Verdachtsflächen und Altlasten anfallen; • das Umlagern von Abfällen innerhalb einer Deponie und • eine beitragspflichtige Tätigkeit, für die der Sanierungsbeitrag bereits entrichtet wurde; • Rekultivierungsmaßnahmen; • Beseitigungsmaßnahmen nach Katastrophen. Die Höhe des Beitrags bemisst sich nach der Art des Abfalls und der Modalität der Ablagerung. Die Beitragssätze begünstigen Ablagerungen, die nach dem Stand der Technik gesichert sind oder die sonst möglichst umweltschonend vonstatten gehen182. Der Beitragsschuldner hat fortlaufend Aufzeichnungen zu führen, aus denen die Bemessungsgrundlage sowie Umfang und Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld zu ersehen sind. Bei der erstmaligen Anmeldung des Beitrages sind weiters entsprechende Unterlagen über Art und Modalitäten der Ablagerung vorzulegen183. Das Gesetz sieht vor, dass alle Behörden, die Ablagerungen oder Transporte iSd AlSAG bewilligen, oder die Verdachtsmomente betreffend die nicht ordnungsgemäße Abführung des Altlastensanierungsbeitrages wahrnehmen, die entsprechenden Daten den für die Abgabenerhebung zuständigen Behörden zu übermitteln haben. Desgleichen haben die für die Aufsicht über Deponien zuständigen Behörden Daten über die insgesamt abgelagerten Abfallmengen, gegliedert nach Abfallart und Abfallbesitzer, zu übermitteln. Der BMLUFW hat die Daten über Abfallverbringungen in das Ausland dem BMF zu übermitteln184. In begründeten Zweifelsfällen hat die Behörde auf Antrag des in Betracht kommenden Beitragsschuldners oder der Beitragsbehörde mit Bescheid festzustellen, • ob eine Sache Abfall (iSd AlSAG) ist, • ob ein Abfall dem Altlastensanierungsbeitrag unterliegt, • ob eine beitragspflichtige Tätigkeit vorliegt, 182 183 184
Vgl § 6 AlSAG. § 8 AlSAG. § 9a AlSAG.
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• •
welche Abfallkategorie vorliegt, ob die Voraussetzungen für die Anwendung bestimmter Zuschläge vorliegen185, • welcher Deponietyp vorliegt. Das Beitragsaufkommen ist für die Erfassung und Bewertung, sowie die Sicherung und Sanierung der Altlasten, sowie für zweckbezogene Studien und Projekte sowie für die Finanzierung der für die Abgeltung der Abwicklungsstelle gemäß § 11 Umweltförderungsgesetz für die Abwicklung der Altlastenförderung entstehenden Kosten zweckgewidmet186. Das Gesetz trifft Vorsorge für die Überweisung und die entsprechende Verwendung der Beiträge187.
E. Organisation und Verfahren, Strafbestimmungen Soweit nichts anderes bestimmt ist, ist die Bezirksverwaltungsbehörde die Behörde des AlSAG188. In zahlreichen Zusammenhängen ist freilich Abweichendes festgelegt:
1. Erfassung, Abschätzung und Bewertung von Altlasten Die Verdachtsflächen sind vom Landeshauptmann dem BMLFUW bekanntzugeben; ihre Erfassung und Bewertung ist vom BMLFUW im Zusammenwirken mit dem BMWA zu koordinieren. Der Verdachtsflächenkataster, und der Altlastenatlas sind beim Umweltbundesamt zu führen; die Prioritätenklassifizierung beim BMLFUW.
2. Durchführung der Altlastensanierung Für die Entscheidung über Sanierungsmaßnahmen nach dem AlSAG sowie nach anderen Bundesgesetzen (WRG, GewO, AWG) ordnet das Gesetz eine Zuständigkeitskonzentration beim Landeshauptmann an. Oberbehörde ist in Verfahren nach dem WRG und dem AWG der BMLFUW, in Verfahren nach der GewO der BMWA.
3. Altlastenbeitrag Für die Erhebung der Altlastenbeiträge sind die Hauptzollämter zuständig. Die Übermittlung der Gelder an den BMLFUW erfolgt durch den BMF, ihre Verwaltung durch den BMLFUW. Die Verpflichtungen zur Datenübermittlung treffen einerseits die Hauptzollämter, andererseits alle mit Fragen der Altlastensanierung betrauten Behörden, hinsichtlich der Ausfuhren den BMLFUW, der nach dem AWG dafür zuständig ist. Der zuvor erwähnte Feststellungsbescheid ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen und dem BMLFUW zu übermitteln, der ihn innerhalb von sechs Wochen nach Einlangen abändern oder aufheben kann, wenn • der dem Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt unrichtig festgestellt oder aktenwidrig angenommen wurde oder • sein Inhalt rechtswidrig ist. 185 186 187 188
§ 10 AlSAG. § 11 AlSAG. § 12 AlSAG. § 21 leg cit.
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Abfallwirtschaftsrecht
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Dem Bund, vertreten durch das Hauptzollamt, steht gegen diesen Bescheid eine Amtsbeschwerde gemäß Art 131 Abs 2 B-VG zu189.
4. Strafbestimmungen Die sich aus dem AlSAG ergebenden (Duldungs-) Pflichten werden mit einer Strafbestimmung flankiert, die einen recht hohen Strafrahmen aufweist. Eine der aufgehobenen Bestimmung des § 39a Abs 1 AWG vergleichbare Mindeststrafe oder vom VStG abweichende Verjährungsregeln finden sich aber nicht.
189
Vgl zu diesem Instrument ausführlich Kneihs, Amtsbeschwerden im geltenden Recht - Verfassungsrechtliche Grundlagen und Überblick, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Das Senatsverfahren in Steuersachen, 2001, 293.
Doris Hattenberger
Wasserversorgung - Abwasserentsorgung Rechtsgrundlagen .........................................................................................1358 Grundlegende Literatur.................................................................................1360 I. Grundlagen ..............................................................................................1361 A. Einleitung ............................................................................................1361 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .......................................................1361 C. Gemeinschaftsrechtliche Rahmenbedingungen...................................1364 1. Primäres Gemeinschaftsrecht ..........................................................1364 2. Sekundäres Gemeinschaftsrecht......................................................1367 D. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen: GATS General Agreement on Trade in Services............................................1370 II. Einschlägige nationale Regelungen - Wasserversorgung ...................1372 A. Wasserrechtsgesetz ..............................................................................1372 1. Der Zugriff auf das Wasser .............................................................1373 2. Sicherung der Wasserversorgung....................................................1374 3. Organisation der Wasserversorgung ...............................................1376 B. Landesrechtliche Bestimmungen – (Gemeinde-)Wasserversorgungsgesetze..............................................1376 1. Anwendungsbereich ........................................................................1376 2. „Betreiben einer Gemeindewasserversorgungsanlage“ Begriffsbestimmung........................................................................1377 3. Anschlusszwang ..............................................................................1378 4. Weitere Verpflichtungen der Gemeinden........................................1379 5. Eingriffsbefugnisse..........................................................................1379 6. Vermischungsverbot........................................................................1379 7. Wassergebühren ..............................................................................1379 C. Lebensmittelrecht ................................................................................1380 III. Einschlägige nationale Regelungen - Abwasserentsorgung.............1381 A. Wasserrechtsgesetz ..............................................................................1381 B. Landesrechtliche Bestimmungen .........................................................1382 1. Einleitung ........................................................................................1382 2. Pflichtaufgabe der Gemeinde ..........................................................1383 3. Anschlusszwang ..............................................................................1384 4. Kanalisationsgebühren ....................................................................1385 IV. Zur Frage der Liberalisierung der Wasserversorgung.....................1386 A. Einleitung ............................................................................................1386 B. „Wie viel Markt“ lässt die geltende Rechtslage zu? ...........................1390 1. Keine Pflichtaufgabe der Gemeinde................................................1390 2. Beteiligung Privater an der Wasserversorgung (PPP-Modelle) ......1392 3. Flexibilität bei der Entgeltgestaltung...............................................1394
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Hattenberger
C. Zulassung von „mehr Markt“ - Möglichkeiten und notwendige rechtliche Begrenzungen ................................................. 1397 V. Beteiligung Privater an der Abwasserentsorgung .............................. 1399 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Primärrecht: insbesondere Art 174f EGV; Sekundärrecht: RL 75/440/EWG über die Qualitätsanforderungen an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten (Abl 1975 L 194/26 idF 1991 L 377/48) - Rohwasser-RL; RL 76/464/EWG betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft (Abl 1976 L 129/23 idF 2000 L 327/1); RL 80/68/EWG über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe (Abl 1980 L 20/43 idF 1991 L 377/48) - Grundwasser-RL; RL 91/676/EWG zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (Abl 1991 L 375/1 idF 2003 L 284/1) - Nitrat-RL; RL 91/271/EWG über die Behandlung von kommunalem Abwasser (Abl 1991 L 135/40 idF 2003 L 284/1) - Kommunalabwasser-RL; RL 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (Abl 1996 L 257/26 idF 2006 L 33/1) IPPC-RL; RL 98/83/EG über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Abl 1998 L 330/32 idF 2003 L 284/1) - neue Trinkwasserrichtlinie; Richtlinie 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (Abl 2000, L 327/1 idF 2001 L 331/1) - WasserRahmenrichtlinie; Entscheidung Nr 2455/2001/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2001 zur Festlegung der Liste prioritärer Stoffe im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG (Abl 2001, L 331/1). Bundesgesetze: Wasserrechtsgesetz 1959 - WRG 1959 (BGBl 1959/215 (WV) idF BGBl I 2006/123); Lebensmittelgesetz (BGBl 1975/86 idF BGBl I 2006/13) Landesgesetze: Burgenland: Gesetz vom 13. Juli 1956 über die Bildung eines Verbandes zur Errichtung und zum Betrieb einer öffentlichen Wasserleitung für Gemeinden des nördlichen Burgenlandes (LGBl 1956/10 idF LGBl 1973/12); Gesetz vom 28. Dezember 1961 über die Einhebung einer Wasserleitungsabgabe durch die Gemeinden (LGBl 1962/6 idF LGBl 2002/36); Kärnten: Gemeindewasserversorgungsgesetz 1997 (LGBl 1997/107 (WV) idF LGBl 2001/78) - K-GWVG; Niederösterreich: Niederösterreichisches Gemeindewasserleitungsgesetz 1978 (6930-4 (WV)); Niederösterreichisches Wasserleitungsanschlußgesetz 1978 (6951-2 (WV)); Oberösterreich: Oberösterreichisches Wasserversorgungsgesetz (LGBl 1997/24 (WV) idF LGBl 2001/90); Salzburg: Gesetz vom 7. Juli 1976 über die Wasserversorgung aus Gemeindewasserleitungen (LGBl 1976/78 idF LGBl 2001/46) - Salzburger Gemeindewasserleitungsgesetz; Gesetz vom 20. März 1963 über die Erhebung von Gebühren für die Benützung von gemeindeeigenen Trinkwasserversorgungs- und Abwasseranlagen (LGBl 1963/31 idF 1998/49) Benützungsgebührengesetz; Steiermark: Gesetz vom 16. Februar 1971 über die von den Gemeinden errichteten öffentlichen Wasserleitungen (LGBl 1971/42 idF LGBl 2002/7) - Steiermärkisches Gemeindewasserleitungsgesetz 1971; Gesetz vom 13. März 1962 über die Erhebung von Wasserleitungsbeiträgen durch die Gemeinden des Landes mit Ausnahme der Landeshauptstadt Graz (LGBl 1962/137 idF LGBl 2001/62) - Wasserleitungsbeitragsgesetz; Vorarlberg: Gesetz über die öffentliche Wasserversorgung durch die Gemeinden in Vorarlberg (LGBl 1999/3 idF LGBl 2001/58) - Wasserversorgungsgesetz; Wien: Gesetz betreffend die Zuleitung und Abgabe von Wasser (LGBl 1960/10 idF LGBl 2001/117) - Wasserversorgungsgesetz - WVG.
Wasserversorgung - Abwasserentsorgung
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Burgenland: Gesetz vom 22. Jänner 1990 über den Anschluß an öffentliche Kanalisationsanlagen und deren Benützung sowie über die Aufhebung einer Bestimmung der Bgld Bauordnung (LGBl 1990/27 idF LGBl 2001/32) - Burgenländisches Kanalanschlußgesetz 1989; Gesetz vom 25. Juni 1984 über die Einhebung von Kanalabgaben (LGBl 1984/41 idF LGBl 2005/28) - Kanalabgabegesetz - KAbG; Kärnten: Kärntner Gemeindekanalisationsgesetz (LGBl 1999/62 (WV) idF LGBl 2005/12) K-GKG; Niederösterreich: Niederösterreichische Bauordnung 1996 (8200-13); Niederösterreichisches Kanalgesetz 1977 (8230-6); Oberösterreich: Gesetz vom 12. Juli 1958, womit die Gemeinden zur Erhebung bestimmter Interessentenbeiträge von Grundstückseigentümern und Anrainern ermächtigt werden (LGBl 1958/28 idF LGBl 1973/57) - Interessentenbeiträge-Gesetz 1958; Landesgesetz, mit dem die Entsorgung von Abwasser geregelt und die Oö Bauordnung 1976 aufgehoben wird (LGBl 2001/27) - Oberösterreichisches Abwasserentsorgungsgesetz 2001; Salzburg: Gesetz vom 7. Juli 1976 über bestimmte Versorgungsaufgaben der Gemeinde und Anliegerleistungen (LGBl 1976/77 idF LGBl 2001/99) - Anliegerleistungsgesetz; Gesetz vom 20. Juni 1962 über die Leistung von Interessentenbeiträgen für die Herstellung gemeindeeigener Abwasseranlagen in Gemeinden des Landes Salzburg mit Ausnahme der Landeshauptstadt Salzburg (LGBl 1962/161 idF LGBl 1988/55) - Salzburger Interessentenbeiträgegesetz; Gesetz über die Erhebung von Gebühren für die Benützung von gemeindeeigenen Trinkwasserversorgungs- und Abwasseranlagen (LGBl 1963/31 idF LGBl 1998/49) - Benützungsgebührengesetz; Steiermark: Gesetz vom 28. Juni 1955 über die Erhebung der Kanalabgaben durch die Gemeinden des Landes Steiermark (LGBl 1955/71 idF LGBl 2005/81) - Kanalabgabengesetz 1955; Gesetz vom 17. Mai 1988 über die Ableitung von Wässern im bebauten Gebiet für das Land Steiermark (LGBl 1988/79 idF LGBl 1998/82) - Kanalgesetz 1988; Tirol: Gesetz vom 8. November 2000 über öffentliche Kanalisationen (LGBl 2001/1) - Tiroler Kanalisationsgesetz 2000 - TiKG 2000; Vorarlberg: Gesetz über öffentliche Abwasserbeseitigungsanlagen (LGBl 1989/5 idF LGBl 2001/58) - Kanalisationsgesetz; Wien: Kanalanlagen und Einmündungsgebührengesetz (LGBl 1955/22 idF LGBl 2001/36); Gesetz über die Einhebung von Umweltabgaben auf Wasser, Abwasser und Müll (LGBl 1989/43 idF LGBl 2001/52) - Umweltabgabengesetz - UAG; Gesetz über den Betrieb und die Räumung von Kanalanlagen und über die Einhebung von Gebühren für die Benützung und Räumung von Unratsanlagen (LGBl 1978/02 idF LGBl 2000/45) - Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetz - KKG. Verordnungen: zahlreiche Abwasseremissionsverordnungen (AEV): zB Verordnung über die allgemeine Begrenzung von Abwasseremissionen in Fließgewässer und öffentliche Kanalisationen (BGBl 1996/186) - AAEV; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus Abwasserreinigungsanlagen für Siedlungsgebiete (BGBl 1996/210 idF BGBl II 2000/392) - 1. AEV für kommunales Abwasser; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus Abwasserreinigungsanlagen für Einzelobjekte in Extremlage (BGBl II 2006/249) - 3. Emissionsverordnung für kommunales Abwasser; Verordnung über die Begrenzung von Sickerwasseremissionen aus Abfalldeponien (BGBl II 2003/263 idF BGBl II 2005/103) – AEV Deponiesickerwässer; weiters zahlreiche branchenspezifische Abwasseremissionsverordnungen, zB Verordnung über die Begrenzung der Abwasseremissionen aus der Erzeugung von gebleichtem Zellstoff (BGBl II 2000/219) – AEV Gebleichter Zellstoff; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der Schlachtung und Fleischverarbeitung (BGBl II 1999/12) AEV Fleischwirtschaft; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der Milchbearbeitung und Milchverarbeitung (BGBl II 1999/11) - AEV Milchwirtschaft; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus Gerbereien, Lederfabriken und Pelzzurichtereien (BGBl II 1999/10) - AEV Gerberei; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der Reinigung von Verbrennungsgas
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(BGBl II 2003/271) - AEV Verbrennungsgas; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der Tierkörperverwertung (BGBl 1995/891) - AEV Tierkörperverwertung; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der Herstellung von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln (BGBl 1996/668) AEV Pflanzenschutzmittel; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der physikalisch-chemischen oder biologischen Abfallbehandlung (BGBl II 1999/9) - AEV Abfallbehandlung; und viele andere mehr. Verordnung betreffend Schwellenwerte für Grundwasserinhaltsstoffe (BGBl 1991/502 idF BGBl II 2002/147) - Grundwasserschwellenwerteverordnung; Verordnung über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe (BGBl II 2000/398) - Grundwasserschutzverordnung; Verordnung betreffend Anlagen zur Lagerung und Leitung wassergefährdender Stoffe (BGBl II 1998/4); Verordnung betreffend Abwassereinleitungen in wasserrechtlich bewilligte Kanalisationen (BGBl II 1998/222 idF BGBl II 2006/523) - Indirekteinleiterverordnung (IEV); Verordnung über bewilligungspflichtige wassergefährdende Stoffe (BGBl 1969/275); Verordnung über die Festlegung des Zielzustandes für Oberflächengewässer (BGBl II 2006/96) - Qualitätszielverordnung Chemie Oberflächengewässer - QZV Chemie OG; Verordnung über die Qualitätsanforderungen an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung (BGBl 1995/359) - Oberflächen-Trinkwasserverordnung; Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (BGBl II 304/2001) - Trinkwasserverordnung - TWV.
Grundlegende Literatur: Akyürek, Wasserrecht, in: N. Raschauer/Wessely (Hrsg), Handbuch Umweltrecht, 2006, 216; Baumgartner, Wasserrecht, in: Bachmann ua (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht6, 2006, 189; F. Ermacora, Wasserrecht, in: Ermacora/Krämer, Die Umsetzung des europäischen Umweltrechts in Österreich, 2000, 81; Grabmayr/Rossmann, Das österreichische Wasserrecht2, 1978; Hattenberger, Kärntner Umweltschutzrecht am Beispiel der Abwasserbewirtschaftung, in: Rebhahn (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Landesrecht, 1995, 133; Hattenberger, Liberalisierung der Wasserversorgung, bbl 2006, 1; Hödl, Wasserrahmenrichtlinie und Wasserrecht, 2005; Kaan/Braumüller, Handbuch Wasserrecht, 2000; Kahl, Wasserrechtsgesetz, in: Rath-Kathrein/Weber (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht3, 1999, 137; Kerschner/Weiß, Wasserrechtsgesetz 1959 idF der WRG-Novelle 2003, 2003; Knauder, Zur Privatisierung und Liberalisierung des Wasserrechts, in: Reichelt (Hrsg), Europäisierung des Wasserrechts, 2002, 65; Krzizek, Kommentar zum Wasserrechtsgesetz, 1962, Ergänzungsband, 1974; Novak, Kärntner Gemeindekanalisationsgesetz, 2001; Oberleitner, WRG - Wasserrechtsgesetz 1959 idF der WRG-Novelle 1999 – Kommentar, 2000; Oberleitner, Das österreichische Wasserrechtsgesetz 1959 – Kommentar, 2004; Pernthaler/Attlmayr/Schöpf, Ausverkauf des Wasserstocks der Alpen, ecolex 1997, 701; Pöcherstorfer, Ressource Wasser - Liberalisierungsvorhaben der Europäischen Kommission, RFG 2004, 29; Ramsebner, Das Recht am Grundwasser - Zivil-, verwaltungs-, und europarechtliche Aspekte, 2003; Raschauer, Kommentar zum Wasserrecht, 1993; Reitshammer, Kanalanschlusszwang im Bundesländervergleich, bbl 2003, 1; Rossmann, Das österreichische Wasserrechtsgesetz3, 1993; Schnedl, Rechtliche Rahmenbedingungen der kommerziellen Nutzung österreichischer Quellwasserressourcen - Zur rechtlichen Zulässigkeit des Exports von Trinkwasser, RdU 2001, 3; Vogl, Wasserrecht, in: Norer (Hrsg), Handbuch des Agrarrechts, 2005 329; Weiß, Liberalisierung der Wasserversorgung, 2004.
Wasserversorgung - Abwasserentsorgung
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I. Grundlagen A. Einleitung Der Beitrag zielt zunächst darauf ab, die rechtlichen Rahmenbedingungen der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung in Grundzügen darzustellen. Diese Darstellung erfolgt für den Bereich der Wasserversorgung vor dem Hintergrund der - mitunter sehr heftig geführten - Diskussion1 um ihre Liberalisierung2. Nach einer Beschreibung der einschlägigen Regelungen soll zum einen der Frage nachgegangen werden, welche Liberalisierungspotentiale und -grenzen die geltende Rechtslage aufweist, zum anderen soll auch auf Anpassungsbedarfe hingewiesen werden.3 Die Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Abwasserentsorgung erfolgt vor dem Hintergrund ihrer Organisation. Dabei soll das Augenmerk auf verschiedene Formen der Beteiligung Privater an der Abwasserentsorgung gelegt werden.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Im Hinblick auf die kompetenzrechtliche Einordnung ist zunächst festzuhalten, dass es einen Kompetenztatbestand „Wasserversorgung“ oder „Abwasserentsorgung“ in den Aufzählungen der Art 10 bis 14b B-VG nicht gibt. Daraus darf allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass diese Angelegenheiten den Ländern vorbehalten seien. Vielmehr ist von kompetenzrechtlich „komplexen“ Materien auszugehen, deren einzelne Regelungseinheiten sowohl Bundes-, als auch Landeskompetenzen zuzuordnen sind. Im Hinblick auf die kompetenzrechtliche Einordnung der Wasserversorgung sind mE drei Kompetenztatbestände von Relevanz, nämlich die Bundeskompetenzen „Wasserrecht“ und „Gesundheitswesen“ sowie die Baurechtskompetenz der Länder. Gemäß Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG ist das „Wasserrecht“ sowohl in Gesetzgebung als auch in Vollziehung eine Angelegenheit des Bundes. Der Inhalt dieses Kompetenzgrundes ist zunächst nach der Auslegungsregel des Versteinerungsprinzips4 zu ermitteln. Demnach ist der Begriff „Wasserrecht“ in jener Bedeutung zu verstehen, die ihm im Zeitpunkt seines Wirksamwerdens - das ist der 1. Oktober 1925 - nach dem Stand und der Systematik der einfachgesetzlichen Rechtslage zugekommen ist. Den maßgeblichen einfachgesetzlichen Normenbestand bilden die damals in Geltung stehenden Wasserrechtsgesetze der Länder.5 Mit Rücksicht auf diesen Regelungsbestand ist die Bundeskompetenz „Wasserrecht“ weitreichend. Sie erfasst zunächst die chemische Verbindung 1 2
3 4 5
Dazu ausführlich Weiß, 15ff. Der vielschichtige Begriff der Liberalisierung soll im Rahmen dieses Beitrags im Sinne einer (wie auch immer gearteten) verstärkten Beteiligung Privater an der Wasserversorgung verstanden werden. Erfasst ist nicht nur die Schaffung von Wettbewerb, sondern sind auch verschiedene Formen der Beteiligung Privater an der Aufgabenerbringung durch die öffentliche Hand. Zu den Begriffen „Liberalisierung“ und „Privatisierung“ Weiß, 27ff. Zu diesem Thema ist in bbl 2006, 1ff ein Aufsatz der Verfasserin erschienen. ZB VfSlg 2721/1954; 2005/1950; 3670/1960; 5092/1965; 5679/1968 ua. Vgl dazu Raschauer, 4 mit Hinweis auf Haager-Vanderhaag, Das neue österreichische Wasserrecht, 1936, 26ff; Pernthaler/Schöpf, 7f und 10ff.
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H2O umfassend, dh unabhängig von ihrem Aggregatzustand (zB Eis (§ 15) oder atmosphärischer Niederschlag (§ 4)), von einer allfälligen chemischen Verbindung mit anderen Stoffen (Heilmoore, Heilquellen), vom Grad der Verunreinigung (Abwässer)6 und vom Ort des Vorkommens (Tagwässer, Grundwasser).7 Sie umfasst weiters Regelungen über Teile der Erdoberfläche, sofern sie wasserwirtschaftlich von Bedeutung sind,8 und auch hinsichtlich des Regelungszieles bestehen keine Einschränkungen. Auf den Kompetenzgrund des Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG lassen sich Regelungen zum Schutz vor dem Wasser, zur Gewässerbenutzung und zur Reinhaltung9 des Wassers stützen. Nach der Judikatur des VfGH10 ist allerdings entscheidend, dass fremde Rechte oder öffentliche Gewässer betroffen sind. Wasser ist auch ein Lebensmittel. Und mit Rücksicht darauf stellt sich die Frage der Abgrenzung zwischen dem Wasserrecht einerseits und dem Lebensmittelrecht andererseits. Diese ist wie folgt vorzunehmen: Während die Normierung der Voraussetzungen für die Bewilligung einer Wasserversorgungsanlage dem Kompetenztatbestand „Wasserrecht“ zuzuordnen ist, erfolgt die Normierung der Bedingungen für die Abgabe von Wasser an Letztverbraucher unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung des allgemeinen Gesundheitszustandes unter dem Tatbestand „Gesundheitswesen“.11 Fraglich ist, inwiefern die Wasserversorgung von der Baurechtskompetenz der Länder erfasst ist. Zum Verhältnis Wasserrecht - Baurecht hat der VfGH in mehreren Erkenntnissen die grundsätzliche Geltung des Kumulationsprinzips festgestellt, im Einzelnen aber mitunter fragwürdige Differenzierungen vorgenommen.12 In Bezug auf Wasserversorgungsanlagen geht der VfGH davon aus, dass die Regelung derselben einschließlich der Regelung eines Anschlusszwanges an diese unter den Kompetenzbegriff „Wasserrecht“ falle.13 Diese Feststellung liegt auf der Linie mit einer Reihe von Erkenntnissen, wonach bei „Wasserbauten im engeren Sinn“ eine Zu6
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Mit der WRG-Nov 2003, BGBl I 2003/82 wurde, der WRRL folgend, der Begriff der „künstlichen und erheblich veränderten“ Oberflächengewässer eingeführt (§ 30b WRG). Raschauer, 4f. ZB das Ufer (§§ 8f WRG) oder das Wasserbett (§ 5 WRG). Ob auch der Gewässerschutz vom Kompetenztatbestand „Wasserrecht“ erfasst ist, wurde - wenn ich richtig sehe - bislang nur von Pernthaler/Schöpf, 10ff, in Frage gestellt. Sie gelangen in ihrer Analyse des Versteinerungsmaterials zur - mE anzweifelbaren - Auffassung, dass das „historisch“ vorgefundene Wasserrecht lediglich ein Wassernutzungsrecht gewesen sei, und demnach der Gewässerschutz nicht von der Bundeskompetenz „Wasserrecht“ erfasst sei. Der Gewässerschutz sei vielmehr eine „kompetenzrechtlich komplexe Materie, in der Bundes- und Landeszuständigkeit untrennbar miteinander verknüpft sind“. VfSlg 4387/1963. Vgl Kichl, Umweltschutz durch Wasserrecht, Innsbrucker rechtswissenschaftliche Dissertation 2002, 46. Vgl dazu Hattenberger, Anlagenrelevante Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes, in diesem Handbuch. VfSlg 4883/1964. Es ist daher festzuhalten: Der Anschlusszwang hinsichtlich einer öffentlichen Kanalanlage fällt in die Kompetenz des Landesgesetzgebers (VfSlg 4387/1963; siehe oben), jener an eine Wasserversorgungsanlage ist hingegen Bundessache.
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ständigkeit des Landesgesetzesgebers ausgeschlossen sei.14 Und als Wasserbauten im engeren Sinne gelten solche, die unmittelbar der Wassernutzung dienen. Begründet wird diese exklusive Zuständigkeit des Bundes für Wasserbauten im engeren Sinn mit der Auslegungsregel der Versteinerungstheorie.15 Die vom VfGH vorgenommene Begrenzung der Zuständigkeit des Landesgesetzgebers ist zwar auf Kritik gestoßen,16 mittlerweile hat sich ihr aber ein Teil der Lehre17 und auch der VwGH angeschlossen.18
In Bezug auf die Abwasserentsorgung sind mit Rücksicht auf diese Ausführungen zunächst zwei Kompetenztatbestände von Relevanz. Soweit es um die Begrenzung der Schadstoffe in Abwässern geht, erfolgt eine Einordnung unter den Kompetenztatbestand Wasserrecht. Abgrenzungsfragen ergeben sich auch hier wiederum im Hinblick auf die Baurechtskompetenz der Länder. In VfSlg 4387/196319 sprach der VfGH aus, dass es möglich ist, die Ableitung von Abwässern sowohl unter baurechtlichen als auch unter wasserrechtlichen Gesichtspunkten zu regeln.20 Die Regelung der Abwasserbeseitigung von bebauten Liegenschaften sei insoweit Bundessache, als sie die Einwirkung der Abwässerbeseitigung auf fremde Rechte oder auf öffentliche Gewässer betrifft. Die Frage des Anschlusszwanges an eine öffentliche Kanalanlage fällt hingegen in die Kompetenz des Landesgesetzgebers.21
Die Abwasserbeseitigung kann auch noch von anderen Bundeskompetenzen erfasst sein. Handelt es sich um Schutzmaßnahmen hinsichtlich gefährlicher Abwässer aus Betrieben, so ist der Bund als für die Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie berufener Kompetenzträger (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) zuständig.22 Dient die geordnete Beseitigung der Abwässer der Abwehr von Gefahren für den allgemeinen Gesundheitszustand, so kommt die Bundeskompetenz in den Angelegenheiten des Gesundheitswesens in Betracht (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG).23
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VfSlg 13.234/1992 (Verlegung einer Gussrohr- und einer Triebwasserleitung); weiters VfGH 1.12.1992, B 1057/91. Dazu Krzizek, System des österreichischen Baurechts, 1972, Band I 145f. So angedeutet von Raschauer, 6 FN 25. Der VfGH verweist begründend auf die Ausführungen von Krzizek, (FN 15) Band I 145f, wonach Wasserbauten am 1.10.1925 grundsätzlich nicht genehmigungspflichtig waren. Vgl dazu Mayer, Bewilligung 214 mwN. Mayer begründet seine Auffassung historisch. Der Kompetenztatbestand „Wasserrecht“ umfasse auch die Kompetenz, baurechtliche und sonstige Regelungen zur Bodennutzung zu erlassen, sofern die Maßnahme zur Verwaltungsmaterie „Wasserrecht“ zählt. VwGH 23.3.1999, 98/05/0204; nicht differenzierend für die Geltung der Gesichtspunktetheorie VwGH 10.12.1991, 91/05/0063. Ebenso VfSlg 10.329/1985; 12.842/1991; VwGH 22.10.1998, 97/06/0272 = RdU 185/1999. So auch der VwGH im Erkenntnis vom 25.1.1996, 95/05/0012 in Bezug auf die Sicherung der Abflussverhältnisse eines Grundstücks. Ebenso VwGH 19.2.2004, 97/05/0248. VfSlg 2162/1951. Keine kompetenzrechtlichen Bedenken sah der VfGH hinsichtlich einer Bestimmung des Wr Kanalgesetzes, nach der keine festen oder flüssigen Stoffe in einer den Bestand, den Betrieb oder die Kontrolle des Straßenkanals oder einer zum Kanalsystem gehörenden die Anlage gefährdenden oder beeinträchtigenden Beschaffenheit, Menge oder Konzentration eingeleitet werden durften, und die für bestimmte Stoffe und Säuren ein Einleitungsverbot vorsah (VfSlg 6658/1972). VfSlg 5222/1966. VfSlg 12.842/1991; vgl Reitshammer, 3.
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C. Gemeinschaftsrechtliche Rahmenbedingungen 1. Primäres Gemeinschaftsrecht Für die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung sind zunächst jene Bestimmungen des Primärrechts von Relevanz, die für Leistungen der Daseinsvorsorge24 im Allgemeinen gelten. Dazu zählt einmal Art 295 EGV, demzufolge die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten durch den EG-Vertrag unberührt bleibt. Es ist danach Sache der Mitgliedstaaten, einzelne Unternehmen oder Wirtschaftszweige zu verstaatlichen oder zu privatisieren.25 Dazu zählt des Weiteren die Zielbestimmung des Art 4 EGV, nach der die Tätigkeit der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten eine Wirtschaftspolitik umfasst, die neben anderen Zielen auch dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist. Die Bedeutung dieser in Art 4 EGV festgelegten Orientierung auf die offene Marktwirtschaft hin relativiert sich, wenn man zum einen in Betracht zieht, dass der EG-Vertrag auch zu anderen Zielen verpflichtet, die zu diesem Prinzip in einem Verhältnis der Spannung stehen, und wenn man zum anderen auch erwägt, dass das Gemeinschaftsrecht zahlreiche Bestimmungen enthält, die dirigistische Eingriffe in den Wettbewerb gestatten.26 Zu den allgemeinen primärrechtlichen Rahmenbedingungen zählt dann noch Art 86 Abs 1 EGV, der eine Gleichstellung der öffentlichen mit den privaten Unternehmungen verlangt. Auf die Leistungserbringung im Bereich der Daseinsvorsorge im Speziellen zugeschnitten ist Art 86 Abs 2 EGV. Dieser nimmt Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, unter bestimmten Voraussetzungen vom Anwendungsbereich des Vertrages aus, wenn ansonsten die Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben verhindert würde. Als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse werden nun jene wirtschaftlichen Aktivitäten verstanden, die der Sicherung einer Infrastruktur und der Daseinsvorsorge dienen. Für sie ist kennzeichnend, dass sie wegen der Unwirtschaftlichkeit der Bereitstellung über den Markt nicht erbracht würden. Zieht man in Betracht, dass der EuGH beispielsweise Verkehrsdienstleistungen auf defizitären Strecken, die ununterbrochene und flächendeckende Versorgung mit elektrischer Energie, bestimmte Postdienste oder Fernsehdienste als „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ im Sinne des Art 86 Abs 2 EGV qualifiziert hat, so ist davon auszugehen, dass auch eine flächendeckende Versorgung mit Trinkwasser und die „geordnete“ Abwasserentsorgung zu jenen Dienstleistungen zu zählen sind, für die eine Suspendierung der Bestimmungen des Vertrages unter den weiteren Voraussetzungen des Art 86 Abs 2 EGV in Betracht kommt.27 24 25
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Zu diesem Begriff näher Weiß, 98ff. Vgl dazu Brinker, Kommentar zu Art 295 EGV, in: Schwarze (Hrsg), EUKommentar, 2000, Rz 1ff; Schroeder, Daseinsvorsorge durch öffentliche Unternehmen und der EG-Vertrag, ÖGZ 1/2003, 9 (10f); Kahl, Neue Bedeutung der „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ durch den Vertrag von Amsterdam, wbl 1999, 189 (196) jeweils mwN. Schroeder, (FN 25) 11; Weiß, 122ff. Siehe zum Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Kahl, (FN 25) 192 ff. Zu Art 86 EGV eingehender Pöcherstorfer, 30.
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Speziell auf Leistungen im Bereich der Daseinsvorsorge ausgerichtet ist des Weiteren der mit dem Vertrag von Amsterdam eingefügte Art 16 EGV. Darin wird der Stellenwert dieser Leistungen hervorgehoben und der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten aufgetragen dafür Sorge zu tragen, „dass die Grundsätze und das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, dass sie ihren Aufgaben nachkommen können“. Welche konkreten Auswirkungen diese Bestimmung haben wird, ist freilich fraglich.28 In der Literatur ist man sich - so weit zu sehen - dahingehend einig, dass ihre Bedeutung nicht überschätzt werden darf.29 Art 16 EGV ist geeignet, das Gemeinwohlprinzip gegenüber dem Wettbewerbsprinzip aufzuwerten. Spezifischen Bezug zur Daseinsvorsorge weist sodann noch Art 36 der EUGrundrechtscharta auf, der in Relation zu Art 16 EGV ohne Einschränkungen textiert ist. Auch Art 36 der Grundrechtscharta der EU hat die Bedeutung, Leistungen der Daseinsvorsorge gegenüber dem Wettbewerbsprinzip aufzuwerten. Speziell zum Thema Wasserversorgung ist zunächst auf die Bestimmung des Art 175 EGV zu verweisen. Zu beachten ist dabei insbesondere Abs 2 lit b zweiter Spiegelstrich des Art 175 EGV, mit dem eine Kompetenz der EU geschaffen wurde, Maßnahmen zu erlassen, die „die mengenmäßige Bewirtschaftung der Wasserressourcen berühren oder die Verfügbarkeit dieser Ressourcen mittelbar oder unmittelbar betreffen“.30 Zu betonen ist, dass eine solche Maßnahme vom Rat nur einstimmig beschlossen werden kann, und Wasserressourcen demnach weiterhin der Gebietshoheit der Mitgliedstaaten unterstehen. Erfasst sind quantitative Aspekte der Wasserbewirtschaftung. Von Relevanz für das Thema Wasserversorgung und jenes der Abwasserentsorgung ist Art 175 Abs 1 EGV iVm Art 174 EGV, der die Grundlage für Rechtsakte auf dem Gebiet des Wasserschutzes - demnach qualitative Aspekte betrifft bildet.31 Eine weitere im Hinblick auf die Liberalisierungsdiskussion betreffend die Wasserversorgung uU relevante Kompetenzgrundlage bildet Art 95 EGV. Diese Bestimmung, die durch die EEA eingeführt wurde, ermächtigt zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Harmonisierungsmaßnahmen auf der Grundlage des Art 95 EGV sind nach dem Verfahren der Mitentscheidung gemäß Art 251 EGV zu treffen; 28 29
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Die Bestimmung selbst ist relativierend formuliert, weil sie nur „unbeschadet der Art 73, 86 und 87“ zur Anwendung kommt. So misst Wimmer, Daseinsvorsorge durch die Kommunen unter dem Einfluss des EG-Rechts, ÖGZ 1/2003, 13 (15), Art 16 EGV lediglich die Bedeutung einer „mehr oder minder atmosphärischen Relativierung der Liberalisierungsbemühungen der Gemeinschaft“ bei, die an der grundsätzlichen Unterordnung der Daseinsvorsorge unter das Prinzip des Wettbewerbs nichts ändern werde. Siehe dazu weiters Schroeder, (FN 25) 11f; Kahl, (FN 25) 195f. Diese Kompetenz wurde durch den Vertrag von Nizza präzisiert und lässt nunmehr keinen Zweifel offen, dass es sich um ausschließlich quantitative Aspekte der Wasserbewirtschaftung handelt. Zur Diskussion über die Auslegung dieser Bestimmung nach der früheren Fassung siehe Ramsebner, 142ff. Eingehender dazu Ramsebner, 142ff.
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es genügt demnach im Rat die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit. Diese Rechtsangleichungskompetenz gilt aufgrund einer ausdrücklichen Bezugnahme auch für den Bereich Umweltschutz.32 Und sie erstreckt sich - wiederum aufgrund einer ausdrücklichen Erwähnung in Art 175 Abs 2 EGV33 auch auf jene quantitativen Aspekte der Bewirtschaftung der Wasserressourcen, die in Art 175 Abs 2 zweiter Spiegelstrich EGV genannt sind. Der Zugriff auf das Wasser ist nun sehr wohl als ein Anwendungsfall einer Harmonisierungsmaßnahme auf der Grundlage des Art 95 EGV denkbar. Nationale Vorschriften, die die Wasserentnahme beschränkenden Regelungen unterwerfen, sind durchaus geeignet, den internationalen Handel mit Trinkwasser zu behindern. Solcherart „Behinderungen“ könnten auf der Grundlage des Art 95 EGV auch beseitigt werden. Dessen ungeachtet ist der Verwirklichung des Binnenmarktes kein absoluter Vorrang eingeräumt. Ein Korrektiv gegen weiter reichende Liberalisierungsmaßnahmen bildet Abs 3 des Art 95 EGV, der die Organe der Gemeinschaft darauf verpflichtet, in bestimmten, sensiblen Bereichen - und dazu wird ausdrücklich auch der Umweltschutz gezählt - von einem hohen Schutzniveau auszugehen. Davon abgesehen ist regelmäßig Art 6 EGV zu beachten, wonach der Umweltschutz bei jeder Maßnahme der Gemeinschaft zu beachten ist. Das Verhältnis zwischen Art 95 EGV einerseits, der zur Rechtsangleichung mit qualifizierter Mehrheit ermächtigt, und Art 175 Abs 2 EGV andererseits, der in Bezug auf die mengenmäßige Bewirtschaftung der Wasserressourcen Einstimmigkeit verlangt, ist umstritten. Diese Diskussion, an deren beiden Polen der Vorrang der jeweiligen Kompetenzgrundlage steht, soll hier nicht nachvollzogen werden.34 Vorziehen würde ich den von Herrnfeld35 aufgezeigten, vermittelnden Lösungsweg, wonach es auf die primäre Zweckbestimmung ankommen soll. So soll Art 95 EGV dann zur Anwendung kommen, wenn die betreffende Maßnahme vorrangig auf die Verwirklichung des Binnenmarktes abzielt. Dient die Maßnahme hingegen vorrangig dem Umweltschutz, so bildet Art 175 EGV die einschlägige Kompetenzgrundlage. Für diesen Ansatz spricht auch der dem Art 175 Abs 2 EGV zukommende Ausnahmecharakter, der eine enge Auslegung gebietet.36
Reduziert man nun diese primärrechtlichen Vorgaben auf den für die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung als eine Aufgabe der Daseinsvorsorge relevanten Gehalt, so lässt eine zusammenfassende Betrachtung den Schluss zu, dass es prinzipiell Sache der Mitgliedstaaten ist, den Umfang von Leistungen der Daseinsvorsorge zu bestimmen und ihre Erbringung zu organisieren.37
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Art 95 Abs 3 EGV. „Unbeschadet des Artikels 95“. Vgl dazu Ramsebner, 144ff. Herrnfeld, Kommentar zu Art 95 EGV, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000, Rz 15. Jahns-Böhm, Kommentar zu Art 175 EGV, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000, Rz 12. So auch Weiß, 122ff. Diese Schlussfolgerung steht freilich unter dem Vorbehalt, dass die Europäische Gemeinschaft nicht selbst Vorschriften zur Regelung der Daseinsvorsorge getroffen hat. Das ist bekanntermaßen in einigen Sektoren - wie zB der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft oder der Telekommunikation - geschehen.
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2. Sekundäres Gemeinschaftsrecht Es existieren zahlreiche Sekundärrechtsakte, die für die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung von Relevanz sind. Zunächst zu erwähnen sind die bestehenden Gewässerschutzrichtlinien der EU. Diese Richtlinien beziehen sich ausschließlich auf Aspekte des Gewässerschutzes, in dem abstellend auf bestimmte Nutzungsarten Gewässergüteziele vorgegeben werden (immissionsseitiger Ansatz)38 oder die Beeinträchtigung der Wasserqualität Grenzen unterworfen wird (emissionsseitiger Ansatz)39. In Bezug auf die Abwasserentsorgung ist die RL 91/271/EWG des Rates vom 21.5.1991 über die Behandlung von kommunalem Abwasser40 zu nennen. Gemäß Art 3 dieser RL tragen die MS dafür Sorge, dass alle Gemeinden bis zu bestimmten Zeitpunkten41 mit einer Kanalisation ausgestattet werden. Sie verlangt des Weiteren, dass in Kanalisationen eingeleitete Abwässer vor ihrer Einleitung in geeigneter Weise behandelt werden müssen (Art 7).42 Sodann zu erwähnen ist die Wasserrahmenrichtlinie. Mit dieser Richtlinie, die in der Folge auch einzelne der noch geltenden Gewässerschutzrichtlinien ablösen wird43, wird in mehrfacher Hinsicht Neuland betreten. Zunächst wird mit ihr der nutzungsorientierte Gewässerschutz aufgegeben und ein sowohl Oberflächen- als auch Grundwasser integrierender Schutz verwirklicht. Sie ist des Weiteren medienübergreifend ausgestaltet, weil sie auf die Erhaltung der aquatischen Ökosysteme und der „direkt von ihnen abhängigen Landökosysteme und Feuchtgebiete“ abzielt (Art 1 lit a).44 Mit der WRRL wird der sog „kombinierte“, dh immissions- und emissionsbezogene Kriterien verbindende Ansatz verwirklicht (Art 10); das vorgesehene Instrumentarium ist primär ein planungsrechtliches. Und erstmals werden auch wirtschaftliche Elemente integriert.45 Die WRRL ist primär auf den Schutz und die Verbesserung der Wasserqualität ausgerichtet. In einzelnen Bestimmungen werden aber sehr wohl auch quantitative Aspekte der Wasserwirtschaft geregelt.46 Der Zugriff auf 38
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Dieser immissionsseitige Ansatz, der Gewässergüteziele vorgibt, ist für die 1. Generation von Gewässerschutzrichtlinien der EG typisch. Dazu zählen beispielsweise die Trinkwasser- oder die Badegewässerrichtlinie. Dazu zählt beispielsweise die Richtlinie über die kommunale Abwasserbehandlung oder die Richtlinie über die Nitratbelastung in der Landwirtschaft. Abl L 135 vom 30.5.1991, 40-52. Das ist der 31.12.2000 in Gemeinden mit mehr als 15.000 Einwohnerwerten, und der 31.12.2005 in Gemeinden mit Einwohnerwerten zwischen 2.000 und 15.000. Näher dazu Reitshammer, 2f. Art 22 WRRL. So tritt beispielsweise die RL 75/440/EWG über die Qualitätsanforderungen an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten sieben Jahre, die RL 78/659/EWG über die Qualität von Süßwasser, das schutz- und verbesserungsbedürftig ist, um das Leben von Fischen zu erhalten, die Richtlinie 80/68/EWG über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe und die RL 76/464/EWG betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft 13 Jahre nach dem In-Kraft-Treten der WRRL außer Kraft. Vgl Kerschner/Weiß, 28f. Vgl Interwies/Kraemer, Ökonomische Aspekte der EU-Wasserrahmenrichtlinie, in: Von Keitz/Schmalholz (Hrsg), Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie, 2002, 263; Kerschner/Weiß, 60ff. So wird im 23. Erwägungsgrund darauf hingewiesen, dass „allgemeine Grundsätze benötigt“ werden, „um Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Verbesserung des Ge-
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heimische Wasserressourcen ist hingegen nicht erfasst.47 In Bezug auf die Bereiche Wasserversorgung und Abwasserentsorgung ist dann noch zu beachten, dass die Richtlinie auch auf die sog „Wasserdienstleistungen“ Bezug nimmt. Unter dem Begriff der Wasserdienstleistungen sind definitionsgemäß (Art 2 Z 38) alle „klassischen“ Tätigkeiten der Wasserver- und der Abwasserentsorgung zu verstehen. Art 9 Abs 1 WRRL ordnet an, dass die Mitgliedstaaten den Grundsatz der Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen einschließlich umwelt- und ressourcenbezogener Kosten zu „berücksichtigen“ haben. Und eine entscheidende Neuerung besteht darin, dass nicht nur die betriebswirtschaftlichen, sondern auch die Umwelt- und Ressourcenkosten gedeckt werden müssen.48 Die Mitgliedstaaten sind gefordert, eine Wassergebührenpolitik zu verwirklichen, die angemessene Anreize für die Benutzer darstellt, Wasserressourcen effizient zu nutzen und somit zu den Umweltzielen der Richtlinie beizutragen. Die MS haben des Weiteren dafür zu sorgen, dass die verschiedenen Wassernutzungen, zumindest aufgeteilt auf die Sektoren Industrie, Haushalte und Landwirtschaft, einen angemessenen Beitrag zur Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen leisten (Art 9 Abs 1). Den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Kostendeckung und den geografischen und klimatischen Gegebenheiten kann dabei Rechnung getragen werden. Für bestimmte Wassernutzungen ist es den Mitgliedstaaten erlaubt, vom Prinzip der Kostendeckung abzuweichen, wenn dadurch die Zwecke der Richtlinie und die Verwirklichung ihrer Ziele nicht in Frage gestellt werden (Art 9 Abs 4 WRRL). Diese Verpflichtung zur Verwirklichung des Prinzips der Kostenwahrheit wird als die „brisanteste“ Neuerung der WRRL gesehen.49
Wenn man sich vor dem Hintergrund der aktuellen Liberalisierungs- und Privatisierungsdiskussion nun die Frage stellt, ob sekundärrechtliche Akte zu „mehr Markt“ im Bereich der Wasserversorgung oder der Abwasserentsorgung verhalten, so ist dies in Bezug auf die Gewässerschutzrichtlinien zunächst einmal auszuschließen. Nicht ganz so eindeutig fällt diese Einschätzung in der Literatur hinsichtlich der Wasserrahmenrichtlinie aus.
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wässerschutzes in der Gemeinschaft hinsichtlich der Wassermenge und -güte zu koordinieren,“ und „einen nachhaltigen Wassergebrauch zu fördern“. Art 1 lit b WRRL nennt als Richtlinienziel die „Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung auf der Grundlage eines langfristigen Schutzes der vorhandenen Ressourcen“. Und schließlich nennt Art 11 Abs 3 als Mindestinhalt von Maßnahmenprogrammen auch „Begrenzungen der Entnahme von Oberflächensüßwasser und Grundwasser“. Vgl auch Rossmann, Die Wasserrahmenrichtlinie der EU, 2003, 12f. Dazu bedürfte es gemäß Art 175 Abs 2 EGV eines einstimmigen Beschlusses des Rates. Zu den Begriffen „Umwelt- und Ressourcenkosten“ siehe die Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Preisgestaltung als politisches Instrument zur Förderung eines nachhaltigen Umgangs mit Wasserressourcen KOM (2000) 477, 10. Aus der Literatur Kerschner/Weiß, 68f; Hödl, 103; Interwies/Kraemer (FN 45) 286f; Hansjürgens/ Messner, Die Erhebung kostendeckender Preise in der EU-Wasserrahmenrichtlinie, in: Von Keitz/Schmalholz (Hrsg), Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie, 2002, 304ff. Rossmann, (FN 46) 21f; Hödl, 93ff; Kerschner/Weiß, 60ff; Dörr/Schmalholz Die rechtlichen Grundlagen der Ausnahmen und Spielräume, in: Von Keitz/Schmalholz (Hrsg), Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie, 2002, 51 (61ff); Interwies/ Kraemer (FN 45) 263ff; Hansjürgens/Messner, (FN 48) 293.
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So wird zuweilen vertreten, dass diese gravierende Auswirkungen auch im Bereich der Wasserversorgungswirtschaft erzeugen wird.50 Von manchen wird sie als der erste Schritt in die Richtung einer integrierten, europäischen Wasserpolitik gesehen, die demnächst auch die gemeinsame Bewirtschaftung der Wasserressourcen erfassen kann.51 Die Entwicklung der europäischen Wasserpolitik ist freilich schwer einschätzbar52, die Textierung der Wasserrahmenrichtlinie bietet für mich allerdings keinen Anhaltspunkt dafür, dass im Bereich der Wasserversorgung und Wassernutzung von den Mitgliedstaaten die Zulassung von „mehr Markt“ eingefordert würde. Man könnte sogar geradezu vom „Gegenteil“ ausgehen: Im ersten Erwägungsgrund der Wasserrahmenrichtlinie wird festgehalten, dass „Wasser keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut ist, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss“. Und auch ein oberflächlicher Überblick über die Inhalte der Richtlinie erweist, dass sie geradezu ausschließlich auf den Gewässer-53 und Ressourcenschutz54 abzielt. Zwar sind in die WRRL auch ökonomische Aspekte integriert - sie beinhaltet die schon erwähnte Verpflichtung zu kostendeckenden Preisen für Wasserdienstleistungen55 - diese Verpflichtung steht aber wiederum ganz im Zeichen des Gewässerschutzes, denn verlangt wird eine Gebührenpolitik, die angemessene Anreize für den Benutzer darstellt, die Wasserressourcen effizient zu nutzen und somit zu den Umweltzielen der Richtlinie beizutragen. Demgegenüber lässt die Wasserrahmenrichtlinie die Eigentumsstruktur unberührt, sie fordert keine Marktöffnung im Bereich der Wasserwirtschaft und greift auch nicht in die Verwaltungsstrukturen der Mitgliedsstaaten ein.
Auf der Grundlage dieses - freilich nur kursorischen - Überblicks über die Regelungsinhalte der Wasserrahmenrichtlinie ist der Schluss zu ziehen, dass
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Fuhrmann, Umbruch in der Wasserversorgungswirtschaft - Chancen und Ziele aus Sicht der Wasserwirtschaftsverwaltung, in: 15. Trinkwasserkolloquium am 22. Februar 2001, Liberalisierung - Deregulierung - Privatisierung, Europäische Wassermärkte im Umbruch, 2001, 7. So Pernthaler/Attlmayr/Schöpf, 703f; in diese Richtung auch Ramsebner, 162ff. So existiert beispielsweise eine Studie über die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts im Wassersektor, http://www.europa.eu.int/comm/competition/publications/studies/water_sector_report.pdf (16.10.2006), in der die Wasserversorgungsstrukturen der EG-Länder verglichen werden. Darin werden aber auch die Erfordernisse der Sorge für die Trinkwasserqualität, die Sicherheit der öffentlichen Gesundheit und umweltschützende Aspekte genannt. So wird der Schutz der Gewässer auf alle Gewässer Europas (und nicht nur bestimmte Arten von Gewässer) erstreckt. Die RL verpflichtet dazu, innerhalb von 15 Jahren einen guten Zustand zu erreichen bzw zu erhalten und gleichzeitig Qualität und Quantität der Grund- und Oberflächengewässer zu überwachen. Grundlage der Wasserwirtschaft sollen dabei die Flussgebietseinheiten bilden, demnach Gewässerstrecken über Verwaltungs- und politische Grenzen hinweg, zu deren Schutz bestimmte, neuartige Instrumente entwickelt wurden (zB die Erstellung von Maßnahmeprogrammen, ein kombinierter, sowohl Emissions- als auch Immissionskriterien integrierender Ansatz sowie rechtsverbindliche Maßnahmen für die Einstellung der Ableitung von besonders gefährlichen Stoffen). Vgl dazu näher Blöch, Das Wasserrecht der Europäischen Gemeinschaft, in: Reichelt (Hrsg), Europäisierung des Wasserrechts, 2002, 47. Die Wasserrahmenrichtlinie verlangt, dass im Maßnahmenprogramm für jedes Flussgebiet ein Gleichgewicht zwischen Entnahme und Wiederanreicherung sichergestellt werden muss. Dazu Blöch, (FN 53) 50. Art 9 WRRL.
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auch das sekundäre Gemeinschaftsrecht derzeit nicht zu einer Privatisierung oder Liberalisierung im Bereich der Wasserversorgung verhält.56 Das gilt auch für die nunmehr nach langer und heftig geführter Diskussion57 erlassene Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (sog Dienstleistungsrichtlinie)58. Diese erfasst grundsätzlich jede selbständige wirtschaftliche Tätigkeit, bei der einer Leistung eine wirtschaftliche Gegenleistung gegenübersteht (Art 4 Abs 1 DL-RL). Damit sind prinzipiell auch weite Bereiche der Daseinsvorsorge erfasst, jene nämlich, die gegen eine Gebühr oder ein sonstiges Entgelt erbracht werden. Art 17 der RL nimmt allerdings die Dienste der Wasserverteilung und -versorgung sowie der Abwasserbewirtschaftung (Abs 1 lit d) ausdrücklich von der Dienstleistungsfreiheit aus. Es kann daher auch in Bezug auf die Dienstleistungsrichtlinie festgehalten werden, dass sie die Mitgliedstaaten nicht zu einer Liberalisierung der Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung verhält. Wenn also nach diesen Ausführungen mit der Feststellung geschlossen werden kann, dass das geltende Gemeinschaftsrecht keine Öffnung des Wassermarktes verlangt, so ist doch auch auf die Tatsache hinzuweisen, dass die Kommission mittelfristig eine Liberalisierung des Wassermarktes anstrebt.59
D. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen: GATS - General Agreement on Trade in Services Aus dem derzeit geltenden60 Dienstleistungsabkommen der WTO61 ergeben sich für Österreich im Bereich der Wasserversorgung - wenn ich richtig sehe eingeschränkte Liberalisierungsverpflichtungen. Österreich ist diesem Abkommen ohne Vorbehalt beigetreten, während für die Mitgliedstaaten der EU mit Stand vor 1995 eine sogenannte horizontale Bereichsausnahme für „public utilities“ gilt. Diese Ausnahme erlaubt den (ersten) 12 EU-Mitgliedstaaten im Bereich staatlicher Versorgungsleistungen Monopole aufrecht zu erhalten und
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In diesem Sinne auch Blöch, (FN 53) 47ff; Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung, Studie zur „Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in der EU“, Zusammenfassung, 2003, 13; Knauder, 75ff; Weiß, 120ff; Pöcherstorfer, 33ff; auch Pernthaler/Attlmayr/Schöpf, 703f, die zur Feststellung gelangen, dass an eine Ausbeutung wasserreicher zugunsten wasserarmer Gebiete in der Richtlinie noch nicht gedacht ist. Vgl dazu Wagner, EU-Dienstleistungsrichtlinie: Gefahr für die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, juridikum 2005, 148. P6_TA(2006)0490, 15.11.2006. Vgl Geiger/Freund, Europäische Liberalisierung des Wassermarktes, EuZW 16/2003, 490ff; Huemer, Die Daseinsvorsorge der Gemeinden unter Liberalisierungsdruck, juridikum 2005, 160; Hassler, Wasser ist keine Handelsware wie jede andere, Privatisierung des Wassersektors in Europa, Reformbedarf oder Kapitalinteressen, Bericht über die Städtebund/Arbeiterkammer-Wien-Tagung, ÖGZ 4/2005, 37ff. Die auf der 4. WTO-Ministerratskonferenz im November 2001 in Doha/Qatar begonnene neue WTO-Verhandlungsrunde wurde - entgegen dem ursprünglich in Aussicht genommenen Zeitplan (Abschluss mit 1.1.2005) - noch nicht abgeschlossen. BGBl 1995/1.
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Exklusivrechte an Private zu vergeben. Für Österreich gilt diese Bereichsausnahme nicht.62 Das Dienstleistungsabkommen der Welthandelsorganisation umfasst grundsätzlich auch öffentliche Dienstleistungen63; Daseinsvorsorgeleistungen also, bei denen, würden sie nicht unter staatlicher Verantwortung erbracht, die Gefahr eines Marktversagens besteht.64 In Bezug auf die Wasserversorgung besteht nun für Österreich eine beschränkte Verpflichtung zur Marktöffnung. So ist zunächst zu betonen, dass das GATS nur den Dienstleistungsaspekt (zB die Verteilung von Wasser), nicht aber den Zugriff auf das Wasser erfasst. Davon abgesehen ist es gestattet, die Versorgung weiterhin in Form eines privaten oder öffentlichen (Gebiets-)Monopols aufrecht zu erhalten. Es verbleibt in der autonomen Entscheidung Österreichs, die Versorgung für inländische und ausländische Anbieter zu öffnen. Im Bereich der Versorgungsdienstleistungen besteht die Möglichkeit einer vollen oder eingeschränkten Öffnung für Ausländer, die dann den Prinzipien des Marktzuganges und der Inländerbehandlung entsprechen muss.65 Herauszustreichen ist aber, dass durch diese Liberalisierungsverpflichtungen die innerstaatlichen Vorschriften betreffend Qualität der Dienstleistungen, Umwelt oder Schutz der Konsumenten nicht berührt werden. Weder ist ihre Lockerung gefordert, noch gelten Ausnahmen für ausländische Marktzutrittswerber.66 Hinsichtlich der Abwasserentsorgung gilt das GATS in vollem Umfang.67 Dienstleistungen im Bereich der Abwasserentsorgung müssen den Prinzipien der Meistbegünstigung, des Marktzutritts und der Inländerbehandlung entsprechen. Nur schwer einschätzen lässt sich die „weitere Entwicklung“ des GATS-Abkommens. Dieses Abkommen ist „dynamisch“ angelegt, denn es verpflichtet die Mitgliedstaaten in seinem Artikel XIX. 1 dazu, durch weitere Verhandlungsrunden, die spätestens fünf Jahre nach seinem In-Kraft-Treten beginnen und danach regelmäßig einberufen werden sollen, die Liberalisierungsstandards schrittweise zu erhöhen. Die im Rahmen der 4. WTO-Ministerratskonferenz im November 2001 in Doha/Qatar begonnene Verhandlungsrunde, ist - entgegen dem vorgesehenen Zeitplan68 - noch nicht abgeschlossen. Die auffindbaren Berichte zum Verhandlungsstand und den Verhandlungspositionen liegen inhaltlich weit auseinander. Nach einem Teil einschlägiger Meldungen sei an eine weitergehende Liberalisierung im Bereich der Wasserversorgung 62 63
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Pospischill/Unger, Das GATS - General Agreement on Trade in Services, ÖGZ 3/2003, 23 (25). Zum Diskussionsstand und zum Problem der Abgrenzung öffentlicher Dienstleistungen Raza, GATS und Gemeinden - ein aktueller Zwischenbericht, ÖGZ 6/2003, 44. Ausgenommen sind nur jene öffentlichen Dienstleistungen, die im Rahmen staatlicher Zuständigkeit in Ausübung von hoheitlicher Gewalt erbracht werden (Art 1 Abs 3 lit b). Vgl dazu Mayer, GATS-Verhandlungen und Gemeinden, ÖGZ 3/2003, 19 (20). Mayer, (FN 65) 20. Pospischill/Unger, (FN 62) 25. Die Verhandlungen sollten bis zum 1.1.2005 abgeschlossen sein. Sie wurden im August 2006 wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten den Agrarsektor betreffend abgebrochen. Erst kürzlich wurde die Forderung zur Fortsetzung der Verhandlungen erhoben. Online-Standard vom 19.11.2006.
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derzeit nicht gedacht. Im „Gegenteil“: Der für die 12 EU-Staaten geltende Vorbehalt für öffentliche Dienstleistungen solle auf die (damals noch) 15 Mitgliedstaaten der EU ausgedehnt werden.69 Andere dagegen sehen die Gefahr einer vermehrten Einbeziehung öffentlicher Dienstleistungen, und vor allem auch der Wasserversorgung, in den Kreis der erfassten Dienstleistungen70, und kritisieren den Verhandlungsprozess deshalb zuweilen sehr scharf.71
II. Einschlägige nationale Regelungen Wasserversorgung Auf der Ebene des nationalen Rechts sind für die Wasserversorgung insbesondere drei Rechtsbereiche von Relevanz. Zum einen - geradezu selbstverständlich - das Wasserrechtsgesetz 1959, zum zweiten die landesrechtlichen Wasserversorgungsgesetze sowie zum dritten das Lebensmittelrecht, das verschiedene Instrumente zur Sicherung der Versorgung mit einem qualitativ einwandfreien „Trinkwasser“ bereithält.
A. Wasserrechtsgesetz Das Wasserrechtsgesetz 1959 setzt der Wasserversorgung - thematisch gegliedert - in vielfacher Hinsicht einen Rahmen. Zum einen sind die Regelungen über den „Zugriff“ auf das Wasser einschlägig;72 des Weiteren die Bestimmun69
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Dazu Mayer, (FN 65) ÖGZ 3/2003, 21; weiters Pospischill/Unger, (FN 62) 25; Pospischill, Einheitliche Stellungnahme der Länder zu GATS, ÖGZ 6/2003, 48; Raza, (FN 63) 47. Weder wurde an Österreich die Forderung einer weitergehenden Liberalisierung der Wasserdienstleistungen gerichtet, noch ist beabsichtigt, Wasserdienstleistungen als mögliche Dienstleistung zu nennen. So auch Zeitungsberichte, vgl Standard vom 6. März 2003, 2 und 39; vom 17.2.2003 oder vom 1.3.2003. Das bestätigt auch das Konsultationspapier der Europäischen Kommission betreffend die Anträge der WTO-Mitglieder an die EG und ihre Mitgliedstaaten auf verbesserten Marktzugang für Dienstleistungen, http://europa.eu.int/comm/trade/issues/ sectoral/services/docs/imas_de.pdf 41; weiters dazu Raza, (FN 63) 46ff; Pospischill/ Unger, (FN 62) 25. So habe die EU ihrerseits an 72 Länder die Forderung gestellt, ihre Wasserversorgung zu liberalisieren. Damit würde der Sektor „Umweltdienstleistungen“ um den Subsektor „Wasser für menschlichen Gebrauch und Abwassermanagement“ erweitert (http://europa.eu.int/comm/trade/issues/sectoral/services/docs/imas_de.pdf 41; darin auch die Forderungen der anderen Mitgliedsländer an die EG). Vgl dazu Hachfeld, Neues vom GATS: Die Daumenschrauben werden angezogen … http://www.attac.de/gats/ (16.10.2006) mit weiteren Nachweisen. Es sei geradezu logisch, dass derartige Liberalisierungsforderungen an andere wohl mit gleichartigen Liberalisierungsforderungen der EU gegenüber gekontert würden. Oder mit anderen Worten: wer von anderen die Liberalisierung der Wasserversorgung fordert, wird sie selbst „wohl zuerst“ liberalisieren müssen. Abgesehen davon erlegt schon der Abkommenstext einen - wenn auch völlig im Unbestimmten bleibenden - Liberalisierungsdruck auf, den die Europäische Kommission angeblich (Non-Paper on Complementary Methods for the Services Negotiations, http://www.attac.de/gats/non-paper0509.php) noch zu automatisieren sucht. Und nicht zuletzt wird angesichts der für den Wasserbereich prognostizierten hohen Gewinne befürchtet, dass die Regierungen dem Druck internationaler Konzerne nachgeben könnten. Insbesondere die Vorschriften des ersten Abschnitts und der §§ 5 bis 13 WRG.
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gen über den Schutz von gemeinnützigen Wasserversorgungsanlagen.73 Das WRG stellt darüber hinaus zur Sicherung der gegenwärtigen und künftigen Wasserversorgung eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung.74 Und mit Blick auf die Regelungen über Wassergenossenschaften und Wasserverbände sind auch Regelungen betreffend die Organisation der Wasserversorgung vorgesehen.75 Nicht zuletzt sind dann noch die Bestimmungen des 3. Abschnittes über die Reinhaltung und den Schutz der Gewässer von Relevanz, deren Ziel es ist, „alle Gewässer einschließlich des Grundwassers“ (…) „so reinzuhalten und zu schützen, dass die Gesundheit von Mensch und Tier nicht gefährdet“ wird und „Grund- und Quellwasser als Trinkwasser verwendet werden“ kann.76
1. Der Zugriff auf das Wasser Eine Festlegung, die für die „Zulassung von mehr Markt“ im Bereich der Wasserversorgung von grundsätzlicher Bedeutung ist, ist die Eigentumsfähigkeit des Wassers. Jegliches Wasser - sei es das Oberflächenwasser in Flüssen, Bächen und Seen oder das Grund- und Quellwasser - steht in irgendjemandes Eigentum.77 Das in diesem Zusammenhang wohl primär interessierende Grundund Quellwasser zählt zu den (absoluten)78 Privatgewässern und ist grundsätzlich Eigentum des Liegenschaftseigentümers.79 Wasser ist demnach einer kommerziellen Nutzung grundsätzlich zugänglich.80 Die Freiheit des Eigentums am Wasser ist allerdings eine beschränkte. Sie wird durch die öffentlichrechtlichen Nutzungs- und Duldungsbeschränkungen des WRG weitgehend eingeengt. Abgesehen von der Pflicht zur Duldung des „Gemeingebrauchs“81 bedarf seine Nutzung unter bestimmten Voraussetzungen der Bewilligung der Wasserrechtsbehörde. So ist bei öffentlichen Gewässern jede über den Gemeingebrauch hinausgehende Nutzung
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§§ 34 Abs 1 und 36 WRG. § 34 Abs 2 bis 7 WRG; § 35 WRG; weiters die Bestimmungen über wasserwirtschaftliche Rahmenpläne und Rahmenverfügungen nach § 53 und § 54 WRG. Die Bestimmungen des 7. und 8. Abschnittes (§§ 73 bis 97 WRG). Insbesondere die §§ 30 bis 33g WRG. Zur Eigentumsordnung des Wasserrechts siehe Raschauer, 2; Aicher, Das Wasser als Gegenstand privatrechtlicher Ordnung und Verfügung, in: Pernthaler (Hrsg), Das Recht des Wassers in nationaler und internationaler Perspektive, 1998, 21; Schnedl, 3; Renoldner, Wasserrecht und Liegenschaftsrecht, ZfV 1979, 178f; Pernthaler/Attlmayr/Schöpf, 701; Knauder, 65; Ramsebner, 11ff uam. Es kann auch nicht nach § 61 WRG für öffentlich erklärt werden. Der Begriff „Eigentum“ ist in diesem Zusammenhang - worauf Oberleitner zu Recht verweist - im Sinne eines Aneignungsrechts zu verstehen, zumal eine Beherrschung weder der (fließenden) Wasserwelle noch des Grundwasserkörpers denkmöglich ist. So Oberleitner, Wasser: Frei verfügbares Privateigentum oder öffentliches Gut?, politicum 89, 2001, 47 (48f). Nach § 5 Abs 2 WRG steht die Benutzung der Privatgewässer mit den durch Gesetz oder durch besondere Rechtstitel begründeten Beschränkungen demjenigen zu, dem sie gehören. Man spricht vom „großen Gemeingebrauch“ bei öffentlichen Gewässern, der die Rechte des § 8 Abs 1 WRG umfasst, und vom „kleinen Gemeingebrauch“ bei Privatgewässern (§ 8 Abs 2 WRG).
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oder die Gewässerbenutzung mit Anlage82 bewilligungspflichtig. Aber auch die Nutzung privater Tagwässer bedarf einer Bewilligung, dann nämlich, wenn - nunmehr stark verkürzt ausgedrückt - die Gewässerbenutzung geeignet ist, Auswirkungen auf fremde Rechte oder andere, öffentliche oder private Gewässer bzw Grundstücke herbeizuführen.83 Und auch die Erschließung und Benutzung des Grundwassers und die damit im Zusammenhang stehenden Eingriffe in den Wasserhaushalt sind - von den dem Grundeigentümern vorbehaltenen Grundwassernutzungen abgesehen84 - bewilligungspflichtig.85 Bewilligungsfähig sind Gewässerbenutzungen, wenn weder öffentliche Interessen86 beeinträchtigt noch fremde Interessen verletzt werden. Zu diesen öffentlichen Interessen zählen ua auch die Hintanhaltung eines schädlichen Einflusses auf Höhe, Lauf, Gefälle oder Ufer der natürlichen Gewässer, die Verhinderung einer nachteiligen Beeinflussung der Beschaffenheit des Wassers, der Schutz der notwendigen Wasserversorgung oder die Vermeidung einer Verschwendung des Wassers. Zu den geschützten fremden Rechten zählen zum einen die rechtmäßig geübten Wasserbenutzungen, zum anderen die bewilligungsfreie Benutzung von Privatgewässern und das Grundeigentum.87
Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass die mit der Wasserversorgung in Zusammenhang stehenden Wassernutzungen regelmäßig wasserrechtlich bewilligungspflichtig sind.
2. Sicherung der Wasserversorgung Dem besonderen Stellenwert, der einer ausreichenden und qualitativ einwandfreien Wasserversorgung zukommt, wird durch zahlreiche Bestimmungen des WRG Rechnung getragen. So ist die notwendige Wasserversorgung als öffentliches Interesse in § 105 WRG ausgewiesen und damit regelmäßig Voraussetzung der Bewilligungsfähigkeit von Vorhaben wie zB Wasserbenutzungen88 oder Einwirkungen89 auf Gewässer. Die Sicherung der Wasserversorgung ist beispielsweise auch bei der Bestimmung des Maßes der Wasserbenutzung
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Dazu zählen selbstverständlich auch Trink- und Nutzwasserversorgungsanlagen. Dazu eingehender Hattenberger, (FN 12) 581f. Gemäß § 9 Abs 2 WRG bedarf die Benutzung der privaten Tagwässer sowie die Errichtung der hiezu erforderlichen Anlagen dann einer wasserrechtlichen Bewilligung, wenn hiedurch in fremde Rechte oder infolge eines Zusammenhanges mit öffentlichen Gewässern oder fremden Privatgewässern auf das Gefälle, auf den Lauf oder die Beschaffenheit des Wassers, namentlich in gesundheitsschädlicher Weise, oder auf die Höhe des Wasserstandes in diesen Gewässern Einfluss geübt oder eine Gefährdung der Ufer, eine Überschwemmung oder Versumpfung fremder Grundstücke herbeigeführt werden kann. Zu den Bewilligungsvoraussetzungen im einzelnen Schnedl, 4f; Hattenberger, (FN 12) 580ff; Knauder, 68ff. Bewilligungsfreiheit ist für die Grundwassernutzung nur dann gegeben, wenn die Benutzung für den notwendigen Haus- und Wirtschaftsbedarf erfolgt, wenn die Förderung nur durch handbetriebene Pump- oder Schöpfwerke erfolgt oder die Entnahme in einem angemessenen Verhältnis zum eigenen Grunde steht (§ 10 Abs 1 WRG). Das Gesetz stellt demnach auf den Zweck, auf die „Entnahmetechnik“ oder auf die Fläche ab. § 10 Abs 2 WRG. Eine Definition der öffentlichen Interessen enthält § 105 WRG. Zu diesen Bedingungen eingehend Schnedl, 5 und 7. § 12 Abs 1 WRG. § 32 Abs 6 WRG.
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zu berücksichtigen.90 Des Weiteren können zum Schutz von Wasserversorgungsanlagen gegen Verunreinigung oder gegen eine Beeinträchtigung ihrer Ergiebigkeit bestimmte Maßnahmen angeordnet werden. In Betracht kommen behördliche Anordnungen über die Bewirtschaftung oder die sonstige Benutzung von Grundstücken oder die Bestimmung entsprechender Schutzgebiete. Darüber hinaus könnte die Errichtung von Anlagen untersagt oder der Betrieb bestehender Anlagen eingeschränkt werden.91 § 34 Abs 2 WRG ermächtigt beispielsweise den Landeshauptmann, durch Verordnung für Einzugsgebiete einer Wasserversorgungsanlage Beschränkungen zu verfügen - zB eine Anzeige- oder Bewilligungspflicht oder überhaupt ein Verbot bestimmter Maßnahmen.92 Ziel dieser Beschränkungen ist der „Schutz der allgemeinen Wasserversorgung“. Die erwähnten Maßnahmen sind unter näher bestimmten Voraussetzungen auch zur Sicherung des künftigen Trinkund Nutzwasserbedarfes zulässig.93 Und nicht zuletzt enthält dann noch § 36 Abs 1 WRG einschlägige Schutzbestimmungen: So kann zur Wahrung der Interessen eines gemeinnützigen öffentlichen Wasserversorgungsunternehmens ein Anschlusszwang vorgesehen werden; ferner kann die Errichtung eigener Wasserversorgungsanlagen eingeschränkt beziehungsweise auch deren Auflassung verfügt werden, sofern die Weiterbenutzung bestehender Anlagen die Gesundheit gefährden oder die Errichtung neuer Anlagen den Bestand der öffentlichen Wasserleitung in wirtschaftlicher Beziehung bedrohen könnte. Diese Maßnahmen nach § 36 WRG sind allerdings nicht unmittelbar anwendbar. Sie sind einer näheren Ausgestaltung durch die Landesgesetzgebung vorbehalten.94
Nicht zuletzt zu erwähnen sind wasserwirtschaftliche Rahmenverfügungen, die der zuständige Bundesminister für bestimmte Gewässer, Gewässerstrecken, Einzugs-, Quell- oder Grundwassergebiete erlassen kann.95 Gegenstand einer solchen Rahmenverfügung kann unter anderem auch die Widmung für Zwecke der Trinkwasserversorgung sein.96 Zu beachten ist dann noch § 134 Abs 1 WRG, der eine „qualifizierte Form der Eigenüberwachung“97 vorsieht. Danach sind Wasserberechtigte verpflichtet, öffentliche Wasserversorgungsanlagen einschließlich der Schutzgebiete auf ihre Kosten durch Sach90 91 92 93 94
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§ 13 Abs 4 WRG. § 34 Abs 1 WRG. Zuständig ist die für die Anlagenbewilligung zuständige Behörde, die diese Maßnahmen mit Bescheid zu verfügen hat (zB Schutzgebietsbescheide). Voraussetzung ist, dass diese Maßnahmen die Beschaffenheit, die Ergiebigkeit oder die Spiegellage des Wasservorkommens zu gefährden vermögen (§ 34 Abs 2 WRG). § 35 WRG. Der Wasserrechtsgesetzgeber hat damit von der ihm nach Art 10 Abs 2 B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht, die Landesgesetzgebung zur Ausführungsgesetzgebung zu bestimmt zu bezeichnenden Angelegenheiten zu ermächtigen. Zum Anschlusszwang siehe Hauer, Wien ist anders - ein Beitrag zur Problematik verfassungsrechtlicher Fragen der Verpflichtung zum Anschlusszwang an öffentliche Wasserversorgungsanlagen, ZfV 1994, 622; Moritz, Baurecht, Wasserrecht und Anschlusszwang an Wasserversorgungsanlagen, bbl 1999, 58; Reitshammer, 1ff. § 54 WRG. Steht ein konkretes Vorhaben mit einer wasserwirtschaftlichen Rahmenverfügung in Widerspruch, so hat die Wasserrechtsbehörde gemäß § 54 Abs 3 WRG die entsprechende Bewilligung zu versagen. Eine Bewilligung wäre nur dann möglich, wenn das öffentliche Interesse an der Maßnahme jenes an der Einhaltung der Rahmenverfügung überwiegt. ZB die Verordnung zum Schutze der Wasservorkommen im Hochschwabgebiet, BGBl 1975/345. So Raschauer, § 134 Rz 1.
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verständige oder geeignete Anstalten und Unternehmungen hygienisch und technisch überprüfen zu lassen. Durch diese Verpflichtung Bericht zu erstatten, werden den Wasserrechtsbehörden die Grundlagen für ihre polizeiliche Tätigkeit übermittelt.98
3. Organisation der Wasserversorgung Das WRG enthält dann noch Bestimmungen betreffend die Organisation der Wasserversorgung. So können Wassergenossenschaften auch zu dem Zwecke der Versorgung mit Trink-, Nutz- und Löschwasser einschließlich der notwendigen Speicherungs-, Anreicherungs- und Schutzmaßnahmen gebildet werden.99 Und zu demselben Zweck können auch Wasserverbände eingerichtet werden, wenn sich die vorgesehenen Maßnahmen über den Bereich mehrerer Gemeinden erstrecken. Bei beiden Organisationsformen handelt es sich um Körperschaften öffentlichen Rechts und um Einrichtungen der Selbstverwaltung. Die Mitgliedschaft bei Wasserverbänden ist auf Gebietskörperschaften, Wassergenossenschaften und zur Erhaltung öffentlicher Verkehrswege Verpflichtete beschränkt.
B. Landesrechtliche Bestimmungen – (Gemeinde-)Wasserversorgungsgesetze Weitere für die Wasserversorgung einschlägige Regelungen finden sich auf der Ebene der Landesgesetze. Mit der Ausnahme Tirol existieren in allen österreichischen Bundesländern - wenn auch unter verschiedenen Bezeichnungen Wasserversorgungsgesetze. Sie weisen über weite Strecken gleiche oder zumindest ähnliche Regelungsinhalte auf, die nunmehr - insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Etablierung von „mehr Markt“ im Bereich der Wasserversorgung - vorgestellt werden sollen.
1. Anwendungsbereich Vom Anwendungsbereich der Gesetze erfasst sind bestimmte Aspekte der Errichtung und des Betriebes von Wasserversorgungsanlagen, sofern sie von Gemeinden betrieben werden. Nur im Burgenland wird durch ein eigenes Gesetz ein Gemeindeverband, nämlich der Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland, errichtet, dem Aufgaben im Bereich der Wasserversorgung zukommen. Anders als etwa im Bereich der Abwasserentsorgung ist aber der Betrieb einer Wasserversorgungsanlage in den meisten Bundesländern in das Ermessen der Gemeinde gestellt - demnach eine freiwillige Aufgabe der Gemeinde. Die Gesetze finden daher nur dann Anwendung, wenn sich die Gemeinde der Aufgabe Wasserversorgung angenommen hat. Eine Ausnahme diesbezüglich bildet zunächst das Vorarlberger Wasserversorgungsgesetz. Es statuiert eine subsidiäre Verpflichtung der Gemeinde, für die Errichtung und den Betrieb einer Gemeindewasserversorgungsanlage zu sorgen. Diese Verpflichtung besteht dann nicht, wenn eine entsprechende Wasserversorgung auf andere Weise gesichert ist.100 „Herausragend“ ist des Weiteren § 3a des Wiener Wasserversorgungs98 99 100
Krzizek, 520. § 77 Abs 1 lit b WRG. § 1 Vlbg Wasserversorgungsgesetz.
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gesetzes, durch den per Verfassungsbestimmung verfügt wird, dass zum einen die Wiener Wasserversorgung durch städtische Wasserversorgungsanlagen keine Verringerung erfahren darf und dass „darüber hinaus“ die Wiener Wasserversorgung durch städtische Wasserversorgungsanlagen im erforderlichen Ausmaß zu gewährleisten ist (Abs 1). In Abs 2 des § 3a wird dann noch bestimmt, dass die Veräußerung von bzw veräußerungsgleiche oder veräußerungsähnliche Verfügungen über Liegenschaften oder Anlagen der Gemeinde, die der Wiener Wasserversorgung dienen oder für sie von wesentlicher Bedeutung sind, nur mit Zweidrittelmehrheit im Gemeinderat beschlossen werden kann. Die Erforschung des Bedeutungsgehaltes dieser Bestimmungen bereitet Probleme. Die Anordnung des Abs 1 spricht zunächst für die Deutung als Vorbehalt zugunsten städtischer Wasserversorgungsanlagen. Nur das, was über die sehr im Unbestimmten bleibende Grenze „im jeweils erforderlichen Ausmaß“ hinausgeht, könnte von „Privaten“ geleistet werden. Für diese (wenn auch sehr eingeschränkte) Zulässigkeit privater Wasserversorgung lässt sich auch ein systematisches Argument anführen. § 1 des Wiener Wasserversorgungsgesetzes grenzt den Anwendungsbereich des Gesetzes auf die Zuleitung und Abgabe von Wasser aus städtischen Wasserversorgungsanlagen ein und schließt damit eine von Privaten geleistete Versorgung nicht aus. Die Wendung „im jeweils erforderlichen Ausmaß“ könnte aber auch iSe Subsidiärverpflichtung der städtischen Wasserversorgungsanlagen verstanden werden. Nur soweit Private nicht versorgen, ist eben die Versorgung durch städtische Anlagen zu leisten. In einem Spannungsverhältnis zueinander stehen mE auch die Bestimmungen der Abs 1 und 2 zueinander. Während Abs 1 eine Verringerung der bestehenden Versorgung durch städtische Wasserversorgungsanlagen verbietet, gestattet Abs 2 einen Verkauf derselben oder gleich gelagerte Verfügungen, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Angeordnet ist demnach ein „Verkauf ohne Verringerung“. Eine harmonisierende Interpretation führt zu folgendem Ergebnis: Ein Verkauf ist nur dann zulässig, wenn die Versorgung durch städtische Anlagen, dadurch nicht verringert wird. Ein Verkauf wäre daher nur dann zulässig, wenn durch Kapazitätsausweitung im Bereich der städtischen Wasserversorgungsanlagen jene Verringerung, die durch den Verkauf stattfindet, wettgemacht wird. Dieses mit Mühe gewonnene Interpretationsergebnis ist dann immer noch nicht frei von „Widersprüchen“. Wird nämlich die verbotene Verringerung der Wasserversorgung durch städtische Versorgungsanlagen durch Ausbau wettgemacht, dann kann man nicht mehr davon sprechen, dass die zum Verkauf anstehende Anlage für die Wasserversorgung „von besonderer Bedeutung“ ist. Das wiederum aber ist eine Voraussetzung für die verfahrensrechtliche Erschwerung des Abs 2. Die Interpretation wird zudem noch dadurch erschwert, dass der Begriff der städtischen Versorgungsanlage - wenn ich richtig sehe - nicht definiert ist. Sieht man über die aufgezeigten Ungereimtheiten hinweg, so wird man § 3a des Wiener Wasserversorgungsgesetzes zum einen iSe Subidiärverpflichtung zur Versorgung durch städtische Wasserversorgungsanlagen deuten müssen und zum anderen als Pflicht zur Erhaltung zumindest des Status quo an „städtischer Versorgungsleistung“.
Pflichtaufgabe ist die Wasserversorgung auch für den Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland.101
2. „Betreiben einer Gemeindewasserversorgungsanlage“ Begriffsbestimmung In manchen Landesgesetzen wird das „Betreiben“ von Gemeindewasserversorgungsanlagen näher definiert. Das erscheint mir in diesem Rahmen deshalb 101
Gemäß § 23 ist der Verband verpflichtet, die Wasserleitungsrohre in allen öffentlichen Straßen, Gassen und Plätzen innerhalb des geschlossenen Ortes zu legen.
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erwähnenswert, weil damit auch eine Aussage über die Beteiligung Privater an einer Aufgabe der Daseinsvorsorge durch die Gemeinde getroffen wird. So bestimmt etwa das Vorarlberger Wasserversorgungsgesetz, dass als Gemeindewasserversorgungsanlage auch die „Gesamtheit aller Einrichtungen“ zu verstehen ist, die einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gehört, „an der eine Gemeinde mit mindestens 51% beteiligt“ ist.102 Als „gemeindeeigen“ im Sinne des oberösterreichischen Wasserversorgungsgesetzes gilt eine Wasserversorgungsanlage auch dann, „wenn sich die Gemeinde ihrer zur Erfüllung der ihr obliegenden öffentlichen Aufgaben bedient“. Das gilt auch für den Fall, dass die Anlage nicht oder nicht zur Gänze im Eigentum der Gemeinde steht.103 Und auch das Kärntner Gemeindewasserversorgungsgesetz enthält Regelungen über eine Beteiligung Privater. So gilt als „Errichtung und Betrieb einer Gemeindeversorgungsanlage“ auch die Beteiligung der Gemeinde an der Errichtung und dem Betrieb einer Wasserversorgungsanlage eines anderen gemeinnützigen und öffentlichen Wasserversorgungsunternehmens. Auch das einschlägige Kärntner Landesgesetz ermächtigt die Gemeinden, sich zur Sicherstellung und Abwicklung der Versorgung der Bevölkerung mit gesundheitlich einwandfreiem Trinkwasser (...) einer natürlichen oder nicht natürlichen Person zu bedienen.
3. Anschlusszwang Regelmäßiger Regelungsinhalt der Landeswasserversorgungsgesetze ist ein Anschlusszwang.104 Grundsätzlich müssen Gebäude im räumlichen Nahebereich einer gemeinnützigen öffentlichen Wasserversorgungsanlage an diese angeschlossen werden. Ausnahmen bestehen regelmäßig für bereits bestehende Anlagen, die eine gesundheitlich unbedenkliche Versorgung gewährleisten. Zu betonen ist auch, dass der Anschlusszwang nur im räumlichen Nahebereich zu einer öffentlichen, gemeinnützigen Anlage besteht. Dieser Nahebereich wird entweder durch Verordnung der Gemeinde festgelegt („Versorgungsbereich“)105, oder im Wege eines Höchstabstandes zwischen anzuschließendem Objekt und öffentlicher Wasserleitungsanlage bestimmt.106 Manche Landesgesetze legen darüber hinaus noch ausdrücklich einen Benützungszwang fest.107 Und einzelne Landesgesetze ermächtigen auch dazu, die Auflassung bestehender Wasserversorgungsanlagen zu verfügen, sofern die Weiterbernützung der Anlagen die Gesundheit gefährden würde. Im Versorgungsbereich einer Ge102 103 104
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§ 2 Abs 1 Vlbg Wasserversorgungsgesetz. § 1 Abs 4 oö Wasserversorgungsgesetz. Die Landesgesetzgeber machen damit von der durch § 36 WRG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch. § 17 bgld Gesetz über den Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland; § 2 Wr WVG iVm § 91 Abs 2 Wr Bauordnung; § 4 Vlbg WVG; § 1 stmk Gemeindewasserleitungsgesetz; § 3 Sbg Gemeindewasserleitungsgesetz; § 1 Abs 1 oö Wasserversorgungsgesetz; § 1 nö Wasserleitungsanschlussgesetz; § 6 Ktn Gemeindewasserversorgungsgesetz. ZB § 2 Ktn Gemeindewasserversorgungsgesetz. Dieser Höchstabstand liegt zwischen 30m (§ 91 Wr Bauordnung) und 150m (stmk Gemeindewasserleitungsgesetz). So bestimmt etwa § 2 Abs 1 des oö Wasserversorgungsgesetzes, dass der Anschlusszwang die Wirkung hat, dass der Bedarf an Trinkwasser in den Objekten und an Trink- und Nutzwasser innerhalb von Gebäuden ausschließlich aus der öffentlichen Wasserversorgungsanlage gedeckt werden muss. Ähnliche Regelungen enthalten § 12 nö Wasserleitungsanschlussgesetz und § 6 Abs 1 des Kärntner Gemeindewasserversorgungsgesetzes.
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meindewasserversorgungsanlage kann auch die Errichtung neuer Anlagen untersagt werden, wenn diese den Bestand der öffentlichen Wasserleitung in wirtschaftlicher Beziehung bedrohen könnten.108
4. Weitere Verpflichtungen der Gemeinden Die Landesgesetze sehen sodann weitere Verpflichtungen für die Gemeinden vor, die eine Wasserversorgungsanlage betreiben. Dazu zählt insbesondere die Verpflichtung zur Versorgung mit ausreichendem und qualitativ einwandfreiem Wasser, darüber hinaus die Pflicht zu einer der Größe und Nutzung des Versorgungsbereiches angemessenen Planung und Errichtung, eine Betriebspflicht oder die Pflicht zur Erhaltung und zur Überwachung.109 Manche Landesgesetze schließen einen Anspruch auf eine bestimmte Wasserqualität oder einen bestimmten Wasserdruck ausdrücklich aus.110
5. Eingriffsbefugnisse Einige der Landesgesetze sehen für den Fall des Wassermangels Eingriffsbefugnisse vor, die je nach Dringlichkeit der zu befriedigenden Ansprüche eine Beschränkung der Wassernutzung vorsehen können.111
6. Vermischungsverbot Erwähnenswert erscheint mir des Weiteren, dass manche Wasserversorgungsgesetze eine Vermischung des Wassers aus einer öffentlichen Anlage mit Wasser einer anderen Wasserversorgungsanlage untersagen.112
7. Wassergebühren Nicht zuletzt ist ein typischer Regelungsinhalt der Landeswasserversorgungsgesetze113 die Gebührenpflicht. In diesem Bereich zeigt sich eine beeindru108
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So zB § 6 Abs 4 Ktn Gemeindewasserversorgungsgesetz; gleichartig § 2 Abs 5 oö Wasserversorgungsgesetz. Die Bedeutung dieser Anordnungen ist für mich allerdings nicht erschließbar. Die Errichtung neuer Anlagen kann nämlich nur dann untersagt werden, wenn sich diese neue Anlage im Versorgungsbereich der Gemeindewasserversorgungsanlage befindet. Da aber ohnedies Anschluss- und Benützungszwang an die öffentliche Anlage besteht, ist nicht verständlich, inwiefern der Bestand der öffentlichen Anlage in wirtschaftlicher Hinsicht gefährdet werden kann. Da der Anschlusszwang nichts anderes als ein Gebietsmonopol bewirkt ist davon auszugehen, dass ein Interesse eines Konkurrenzunternehmers mangels „Absatzmöglichkeit“ gar nicht besteht. Ähnlich auch die Regelung im § 14 Abs 2 nö Wasserleitungsanschlussgesetz. ZB § 1 Abs 3 stmk Gemeindewasserleitungsgesetz; § 5 nö Wasserleitungsanschlussgesetz; § 24 bgld Gesetz über den Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland; § 6 Vlbg Wasserversorgungsgesetz; § 2 Sbg Gemeindewasserleitungsgesetz oder §§ 3 und 5 Ktn Gemeindewasserversorgungsgesetz. ZB § 3 Wr WVG. § 5 Abs 2 Ktn Gemeindewasserversorgungsgesetz; § 5 Wr WVG; § 9 nö Wasserleitungsanschlussgesetz. Zum Teil verweisen die Landesgesetze auf Ausführungsbestimmungen in einer zu erlassenden Wasserleitungsordnung. ZB § 14 Wr WVG; § 6 Abs 2 lit f Vlbg Wasserversorgungsgesetz, § 3 oö Wasserversorgungsgesetz. Zum Teil wird die Gebührenpflicht in eigenen Gesetzen geregelt. So zB das bgld Gesetz vom 28. Dezember 1961 über die Einhebung einer Wasserleitungsabgabe durch die Gemeinden, oder das stmk Wasserleitungsbeitragsgesetz.
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ckende Vielfalt an Regelungsmodellen sowohl in Bezug auf den Gebührengegenstand als auch in Bezug auf die Bestimmung der Gebührenhöhe. Üblicherweise wird zur Erhebung einer Anschlussgebühr und einer Wasserbezugsgebühr ermächtigt, wobei die Bezugsgebühr beispielsweise nach dem Ktn Gemeindewasserversorgungsgesetz aus einer Bereitstellungs- und einer Benützungsgebühr bestehen kann. Für die Errechnung der Gebührenhöhe werden unterschiedliche Parameter verwendet. Dabei wird nach manchen Gesetzen eine Begrenzung der Höhe nach dem Prinzip der Kostendeckung vorgenommen.114 Einzelne landesgesetzliche Regelungen gestatten demgenüber iSd bundesgesetzlichen Ermächtigung des § 15 Abs 3 Z 4 FAG 2005 zur Gebührenvorschreibung bis zum doppelten Jahreserfordernis der anfallenden Kosten.115
C. Lebensmittelrecht Zieht man nun im Rahmen dieser Darstellung des innerstaatlichen Rechts auch noch die Sicherung der Qualität des Wassers als Trinkwasser und ihrer Kontrolle ins Kalkül, so ist auf die Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes und insbesondere die dazu ergangenen Ausführungsverordnungen zu verweisen. Das Trinkwasser ist als Lebensmittel vom Anwendungsbereich des Lebensmittelgesetzes erfasst, es gilt daher zunächst das allgemeine Verbot des § 7 Abs 1 LMG, wonach Lebensmittel, die gesundheitsschädlich, minderwertig, falsch bezeichnet sind oder den verordnungsförmig festgelegten Anforderungen nicht entsprechen, nicht in Verkehr gebracht werden dürfen. Für das Trinkwasser einschlägige Bestimmungen sind sodann in mehreren Ausführungsverordnungen116 enthalten, von denen in diesem Rahmen zwei genannt werden sollen; zum einen die Verordnung über die Qualitätsanforderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung117 und zum anderen die Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch.118 Diese Verordnungen bestimmen zunächst das der menschlichen Gesundheit zuträgliche Qualitätsniveau des Wassers. Die Trinkwasserverordnung verpflichtet des Weiteren die Betreiber einer Wasserversorgungsanlage, diese nach dem Stand der Technik zu errichten, in ordnungemäßen Zustand zu halten sowie Vorsorge für die Hintanhaltung einer negativen Beeinflussung zu treffen,119 sodann in festgelegten zeitlichen Abständen Kontrolluntersuchungen durchführen zu lassen120, im Falle von „bedenklichen“ Untersuchungsergebnissen unverzüglich notwendige Anordnungen zu treffen121 sowie die Abnehmer über die aktuelle Qualität des 114 115 116
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§ 20 Abs 4 Wr WVG; § 4 Abs 5 stmk Wasserleitungsbeitragsgesetz. 10 Abs 5 nö Gemeindewasserleitungsgesetz. So zB die Mineral- und Quellwasserverordnung, BGBl II 1999/309. Diese enthält Bestimmungen auch über das In-Verkehr-Bringen von Quellwasser, sofern dieses in Behältnisse abgefüllt ist, die zur Abgabe an den Letztverbraucher bestimmt sind. Oberflächen-Trinkwasserverordnung. Trinkwasserverordnung. § 5 Z 1 Trinkwasserverordnung. § 5 Z 2 Trinkwasserverordnung. Dazu zählt beispielsweise die Verständigung der Abnehmer und die Information über etwaige Vorsichtsmaßnahmen sowie die Information der zuständigen Behörde; § 5 Z 5 Trinkwasserverordnung.
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Wassers zu informieren.122 Die Verpflichtung zu regelmäßigen Kontrollen trifft auch den Betreiber einer Trinkwasserversorgungsanlage, der aufbereitetes Trinkwasser in Verkehr bringt.123
III. Einschlägige nationale Regelungen Abwasserentsorgung A. Wasserrechtsgesetz Auch für die Abwasserentsorgung gilt, dass ihr das WRG in mehrfacher Hinsicht Grenzen setzt. Der Schwerpunkt der die Abwasserentsorgung betreffenden Regelungen zielt auf den Schutz der Gewässerqualität. In dieser Hinsicht einschlägig ist zunächst die Bestimmung des § 32 WRG, derzufolge ganz allgemein „Einwirkungen auf Gewässer, die unmittelbar oder mittelbar deren Beschaffenheit beeinträchtigen“ nur nach wasserrechtlicher Bewilligung zulässig sind. Zu diesen bewilligungspflichtigen Maßnahmen zählen insbesondere auch die „Einbringung von Stoffen in festem, flüssigem oder gasförmigem Zustand in Gewässer mit den dafür erforderlichen Anlagen“ (§ 32 Abs 2 lit a WRG) oder die „Reinigung von gewerblichen oder städtischen Abwässern durch Verrieselung oder Verregnung“ (§ 32 Abs 2 lit d WRG). Darüber hinaus bestehen mehrere Ermächtigungen dazu, die Anforderungen für Abwässer per Verordnung näher festzulegen. So ist der BMLFUW durch § 32a WRG ermächtigt, die Einbringung bestimmter Stoffe in Oberflächenwasserkörper oder Kanalisationen oder direkt in Grundwasserkörper überhaupt zu verbieten (Abs 1) oder zu beschränken (Abs 2). Auf der Grundlage des § 33b Abs 3, 4, 5 und 7 WRG kann der BMLFUW Emissionswerte in Form von Grenzwerten oder Mittelwerten für Konzentrationen oder spezifische Frachten festlegen.124 Bei der Bewilligung von Abwassereinleitungen in Gewässer oder in eine bewilligte Kanalisation hat die Behörde jene Auflagen zur Begrenzung von Frachten und Konzentrationen schädlicher Abwasserinhaltsstoffe vorzuschreiben, die nach dem Stand der Technik möglich sind (§ 33b Abs 1 WRG). Eine Einleitung gefährlicher Abwasserinhaltsstoffe ist nur so weit bewilligungsfähig, als dies die wasserwirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere bestehende Nutzungen und die vorhandene Belastung zulassen, und die Vermeidung nach dem Stand der Technik nicht möglich ist (§ 33b Abs 2 WRG). Für Indirekteinleiter, das sind Einleitungen in eine wasserrechtlich bewilligte Kanalisationsanlage, gilt Folgendes: Sofern Indirekteinleitungen die Qualität von häuslichen Abwässern haben, sind sie wasserrechtlich nicht weiter von Bedeutung. Indirekteinleitungen, die „nicht nur geringfügig“ von den häuslichen Abwässern abweichen, sind vom Kanalisationsunternehmen zu erfassen und zu überwachen.125 Und einer Bewilligungspflicht bedürfen jene Indirekteinleitungen, die in einer Verordnung des BMLFUW bestimmt wurden.126 Grundlage einer Indirekteinleitung ist ein Vertrag zwischen dem Indirekteinleiter und dem Kanalisationsunternehmen. Das Kanalisationsunternehmen bleibt für die Einhaltung der in der wasserrechtlichen Bewilligung vorgeschriebenen Grenzen verantwortlich.127
122 123 124 125 126 127
§ 6 Trinkwasserverordnung. Dazu näher die §§ 3 und 4 Oberflächen-Trinkwasserverordnung. Auf diese Ermächtigung stützten sich die zahlreichen Abwasseremissionsverordnungen. Oberleitner, Kommentar 2004, § 32b Rz 3. Indirekteinleiter-Verordnung. Oberleitner, Kommentar 2004, § 32b Rz 7.
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Nur vereinzelt finden sich Regelungen, die den Betrieb von Kanalisationsund Abwasserreinigungsanlagen betreffen. Diesfalls ist zunächst auf die Regelung des § 33g WRG hinzuweisen, die kleine Abwasserreinigungsanlagen128, die am 1. Juli 1990 bestanden haben und ordnungsgemäß betrieben und instand gehalten werden, von der Bewilligungspflicht nach § 32 WRG freistellt. Diese „Bewilligungsfiktion“129 lief grundsätzlich bis zum 31. Dezember 2005, sie kann aber durch Verordnung des Landeshauptmannes unter bestimmten Voraussetzungen bis zum 22. Dezember 2015 verlängert werden.130 Diese Privilegierung kleinerer Altanlagen wurde und wird in der Literatur heftig kritisiert.131 Zum einen deshalb, weil damit festgestellte Vollzugsdefizite in der ordnungsgemäßen Abwasserbeseitigung nachträglich legalisiert wurden, zum anderen, weil sie „absolut unbestimmt und vollzugsuntauglich“ sei und ein „massives Ungleichgewicht“ zu jenen Anlagen besteht, die nach dem 1. Juli 1990 bewilligt wurden.132 Zu kritisieren ist auch, dass die ursprünglich eingeführte Erleichterung für Kleinanlagen in der Folge mehrfach verlängert und ausgeweitet wurde.133 Zur Frage der Organisation ist - wie schon bei der Wasserversorgung134 auf die Möglichkeit der Bildung von Wassergenossenschaften und Wasserverbänden hinzuweisen. Als Zweck einer Wassergenossenschaft nennt § 73 WRG auch die „Beseitigung und Reinigung von Abwässern sowie die Reinhaltung von Gewässern“ (Abs 1 lit d). Kraft der Verweisungsnorm des § 87 Abs 1 WRG kann zu demselben Zweck auch ein Wasserverband gegründet werden. Zuletzt sei in diesem Zusammenhang noch auf § 134 Abs 2 WRG hingewiesen, der Wasserberechtigte verpflichtet, das Maß ihrer Einwirkung auf ein Gewässer sowie den Betriebszustand und die Wirksamkeit der bewilligten Abwasserreinigungsanlagen auf ihre Kosten überprüfen zu lassen.
B. Landesrechtliche Bestimmungen 1. Einleitung Eine Vielzahl von Landesgesetzen nimmt auf die Abwasserentsorgung Bezug. Typischerweise sind das die Raumordnungsgesetze, die Bauordnungen und Bautechnikgesetze sowie spezielle Kanalisationsgesetze und Interessentenbeitrags- und Gebührengesetze. Die Raumordnungsgesetze nehmen insofern auf die Abwasserbeseitigung Bezug, als die Erschließung von Grundflächen mit einer dem Stand der Technik entsprechenden 128 129 130
131 132 133
134
Mit einer maximalen täglichen Schmutzfracht von 50 EW60. Raschauer, § 33g Rz 4. Beispielsweise die V des Landeshauptmannes der Steiermark, mit der für bestehende Abwasserreinigungsanlagen die Frist für die Ausnahme von der wasserrechtlichen Bewilligungspflicht verlängert wird, LGBl 2005/72. Raschauer, § 33g, Rz 2; Oberleitner, Kommentar 2004, § 33g, Rz 2. Oberleitner, Kommentar 2004, § 33g Rz 2. So durch die Novellen BGBl 1996/795, BGBl I 1999/155, BGBl I 2001/109 und BGBl I 2003/82. Ursprünglich war die Bewilligungsfreistellung bis maximal Ende 2003 vorgesehen und galt bloß für Anlagen mit einer maximalen täglichen Schmutzfracht von 10 EGW60. Siehe daher auch oben Pkt II.A.3.
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und mit wirtschaftlich vernünftigen Mitteln herstellbaren Abwasserentsorgung eine notwendige Bedingung der Baulandwidmung ist.135 Im örtlichen Entwicklungskonzept sind beispielsweise grundsätzliche Aussagen auch über die Abwasserentsorgung zu treffen.136 In den Bauvorschriften der Länder ist die Abwasserentsorgung in mehrfacher Hinsicht ein Thema. Die Sicherstellung einer entsprechenden Abwasserbeseitigung ist regelmäßig Voraussetzung der Bewilligung von Bauten und sonstigen baulichen Anlagen.137 Für das Sammeln und die Beseitigung der anfallenden Abwässer muss in technisch und hygienisch einwandfreier Weise vorgesorgt werden.138 Und eine Privilegierung ist für Abwasserreinigungsanlagen insofern vorgesehen, als sie bewilligungsfrei gestellt werden.139
Im Folgenden soll ein kursorischer Überblick über die „typischen“ Inhalte der Kanalisations- und Abwasserentsorgungsgesetze140 und der Bezug habenden Gebühren- und Beitragsgesetze gegeben werden, der angesichts der Fülle des einschlägigen Rechtsmaterials keinesfalls Vollständigkeit beanspruchen kann.
2. Pflichtaufgabe der Gemeinde Alle „Kanalisationsgesetze“141 machen es den Gemeinden zur Pflicht, eine öffentliche Kanalisationsanlage zu betreiben. So verpflichtet beispielsweise § 2a des bgld Kanalanschlußgesetzes die Gemeinden dazu, für die Errichtung, den Betrieb und die Instandhaltung von öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlagen in jenen Gebieten zu sorgen, in welchen durch Besiedelung oder durch wirtschaftliche Aktivitäten Abwässer von mehr als 2000 Einwohnerwerten anfallen. Gemäß § 1 Abs 1 des Kärntner Gemeindekanalisationsgesetzes hat die Gemeinde jedenfalls in jenen geschlossenen Siedlungen, in denen häusliche Abwässer mit einer Schmutzfracht von mehr als 50 EGW60 anfallen, Kanalisationsanlagen zu errichten und zu betreiben. Dabei gilt als „Errichtung und Betrieb“ einer Kanalisationsanlage auch die Beteiligung der Gemeinde an der Errichtung und dem Betrieb einer Kanalisationsanlage eines anderen Rechtsträgers, soweit diese der Sammlung, Ableitung, Reinigung, Behandlung oder Beseitigung der Abwässer des Gemeindegebietes oder von Teilen davon dient (§ 1 Abs 5 K-GKG). Und die Gemeinde darf sich zur Sammlung, Ableitung, Reinigung, Behandlung oder Beseitigung der Abwässer des Gemeindegebietes einer natürlichen oder nicht natürlichen Person bedienen, sofern dies im Interesse der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit oder Zweckmäßigkeit gelegen ist (§ 1 Abs 6 K-GKG). Auch gemäß 135
136 137
138 139 140 141
ZB § 3 Kärntner Gemeindeplanungsgesetz 1995, LGBl 1995/23 idF 2005/88; § 23 Abs 1 Z 2 stmk Raumordnungsgesetz 1974, LGBl 1974/127 idF LGBl 2005/13; § 17 Abs 6 Sbg Raumordnungsgesetz, LGBl 1998/44 idF LGBl 2004/96; § 37 ´Tir Raumordnungsgesetz, LGBl 2006/27. § 2 K-GPlG; § 13 Sbg Raumordnungsgesetz; § 31 Tir Raumordnungsgesetz. ZB § 17 Abs 2 lit c Ktn Bauordnung, LGBl 1996/62 idF LGBl 2004/22; § 5 Abs 3 oö Bauordnung, LGBl 1994/66 idF LGBl 2006/96; § 11 Abs 2 Z 5 nö Bauordnung, LGBl 8200-13; § 5 Abs 1 Z 3 und § 33 Abs 4 Z 1 lit d stmk Baugesetz, LGBl 1995/59 idF 2003/78; § 19 Abs 1 lit d Wr Bauordnung, LGBl 1930/11 idF 2006/61; § 10 Abs 6 Z 2 Sbg Baupolizeigesetz, LGBl 1997/40 (WV) idF 2004/96; zB § 34 Abs 1 Sbg Bautechnikgesetz, LGBl 1976/75 idF LGBl 2004/96; § 42 Ktn Bauvorschriften, LGBl 1985/56 idF 2005/101. zB § 7 Abs 1 lit a Ktn Bauordnung; § 1 Abs 2 Z 4 bgld Baugesetz LGBl 1998/10 idF LGBl 2006/13; § 1 Abs 3 oö Bauordnung; § 3 Z 6 stmk Baugesetz. Die Bezeichnung dieser Gesetze ist überaus vielfältig. Dies soll nunmehr als Sammelbezeichnung für die verschieden titulierten Gesetze stehen.
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§ 2a des stmk Kanalgesetzes, § 1 Abs 1 des Tiroler Kanalisationsgesetzes und § 1 Abs 1 des Vorarlberger Gesetzes über Abwasserbeseitigungsanlagen ist es Pflicht der Gemeinde für Errichtung, Betrieb und Erhaltung einer öffentlichen Kanalisation zu sorgen. Nach § 5 Abs 1 des Wiener Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetzes obliegt die Herstellung und Instandhaltung der Straßenkanäle der Stadt Wien. Eine bloß subsidiäre Verpflichtung der Gemeinde sieht das Sbg Anliegerleistungsgesetz vor. Gemäß dessen § 10 Abs 1 hat die Gemeinde mangels anderer geeigneter Unternehmen für die Abwasserbeseitigung in bestimmten Gebieten Sorge zu treffen und soweit ein hygienisches Erfordernis besteht, Hauptkanäle herzustellen und zu erhalten. Die einschlägigen Vorschriften Oberösterreichs142 sehen zwar keine ausdrückliche Verpflichtung der Gemeinde zu Errichtung und Betrieb von öffentlichen Kanalisationsanlagen vor, eine solche ist aber mit Rücksicht auf die gemeinschaftsrechtlich verfügte Kanalisierungspflicht der Gemeinden anzunehmen.143
3. Anschlusszwang Die einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen sehen für öffentliche Abwasserbeseitigungsanlagen regelmäßig einen Anschlusszwang vor; dh die Verpflichtung anfallende Abwässer in dieselbe einzuleiten.144, 145 Diese Verpflichtung besteht für all jene Grundflächen, die sich in einem gewissen räumlichen Nahebereich zur Kanalisationsanlage befinden (sog „Kanalisationsbereich“146 oder „Einzugsbereich“147). Dieser Bereich ist in Kärnten und Tirol beispielsweise durch V festzulegen (§ 2 Abs 1 K-GKG, § 4 Abs 1 Tir Kanalisationsgesetz), in anderen Bundesländern bereits durch Gesetz bestimmt. So besteht beispielsweise Anschlusspflicht nach dem bgld Kanalanschlußgesetz, wenn die nächstgelegene Grenze der Anschlussgrundfläche bis maximal 30m von der Achse des nächstgelegenen Straßenkanals entfernt ist (§ 2 Abs 2 Z 4).148 Gemäß § 36 Abs 1 der öo BauO ist anzuschließen, wenn die kürzeste Entfernung des Baus von dem für den Anschluss in Betracht kommenden Kanalstrang nicht mehr als 50m beträgt149 und in der Stmk besteht Anschlusspflicht, sofern die kürzeste Entfernung eines Bauwerkes von dem für den Anschluss in Betracht kommenden Kanalstrang nicht mehr als 100m beträgt.
Die meisten Gesetze sehen Ausnahmen von der Anschlusspflicht für landwirtschaftliche Liegenschaften, für bloß vorübergehend errichtete Gebäude oder für öffentliche Straßen vor, oder wenn der Anschluss mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist, sofern für eine „ordnungsgemäße“ Entsorgung der
142 143 144
145 146 147 148 149
Oö Abwasserentsorgungsgesetz. Vgl Neuhofer, Neuregelung der Abwasserentsorgung in Oberösterreich, bbl 2002, 129 (131) § 2 Abs 1 bgld Kanalanschlußgesetz; § 4 Abs 1 K-GKG; § 36 Abs 1 oö BauO; § 62 nö BauO; § 4 Abs 1 stmk Kanalgesetz; § 93 Abs 1 Wr BauO und § 2 Wr Kanalanlagen- und Einmündungsgebührengesetz; § 34 Sbg Bautechnikgesetz; § 5 Abs 1 Tir Kanalisationsgesetz 2000; § 3 Abs 3 Vlbg Kanalisationsgesetz. Zur Frage der Verfassungskonformität des Anschlusszwanges Reitshammer, 1ff und insbesondere 11ff. ZB § 2 Abs 1 K-GKG. zB 3 Vlbg Kanalisationsgesetz. Eine maximale Entfernung von 30m ist auch in § 2 des Wr Kanalanlagen- und Einmündungsgebührengesetzes vorgesehen. So auch § 12 Abs 1 oö Abwasserentsorgungsgesetz.
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Abwässer gesorgt wird.150 Darüber hinaus sehen manche der Gesetze die Möglichkeit der Einbeziehung von Liegenschaften vor, die außerhalb des Kanalisationsbereiches liegen.151 Die Anschlusspflicht ist regelmäßig mit Bescheid auszusprechen.152 Eine Ausnahme diesbezüglich ist in Tirol vorgesehen. Danach ist zwischen dem Eigentümer der anschlusspflichtigen Anlage und dem Betreiber einer öffentlichen Kanalisation ein schriftlicher Vertrag über den Anschluss an die öffentliche Kanalisation abzuschließen. Der Betreiber ist grundsätzlich verpflichtet, den Anschlussvertrag auf ein entsprechendes Vertragsangebot hin abzuschließen.153 Nur wenn ein solcher Vertrag aus bestimmten Gründen nicht zustande kommt, wird der Anschluss bescheidmäßig verfügt.154
4. Kanalisationsgebühren Außerordentlich vielfältig gestaltet sind die Regelungen betreffend die Finanzierung von gemeindeeigenen Kanalisationsanlagen, und zwar sowohl hinsichtlich der Bezeichnung155 als auch hinsichtlich der Regelung der Abgabenhöhe.156 Zunächst lässt sich grob untergliedern zwischen den (einmaligen) Abgaben, die für die Kosten der Errichtung der Kanalisationsanlage zu leisten sind und den laufenden Gebühren, mit denen die Inanspruchnahme der Anlage abgegolten werden soll. Zur Deckung der Errichtungskosten sind mehrere Typen von Kanalisationsbeiträgen vorgesehen. Erschließungs- oder Aufschließungsbeiträge sind für die Erschließung der im Kanalisationsbereich gelegenen Grundstücke vorgesehen, die für eine Bebauung geeignet sind.157 Anschlussbeiträge oder Einmündungsgebühren sind für den Anschluss an den Straßenkanal zu entrichten.158 Sollte sich die Bemessungsgrundlage (zB Berechnungsfläche), die für die Bemessung des Anschlussbeitrages maßgeblich war, nachträglich - etwa infolge eines Umbaues - verändern, so kann ein Ergänzungsbeitrag vorgeschrieben werden.159 Nachtragsbeiträge können erhoben werden, wenn der Beitragssatz erhöht wird.160 Und die einschlägigen Gesetze in der Steiermark und in Niederösterreich erlauben die Vorschreibung einer Sondergebühr für den Fall, dass
150 151 152 153 154 155
156 157 158
159 160
zB § 2 Abs 2 bgld Kanalanschlußgesetz; § 38 oö BauO; § 5 K-GKG. zB § 12 Abs 5 oö Abwasserentsorgungsgesetz. zB § 3 Abs 1 bgld Kanalanschlußgesetz; § 4 Abs 2 K-GKG; § 36 Abs 3 oö BauO; § 6 stmk Kanalgesetz; § 5 Vlbg Kanalisationsgesetz. § 8 Tir Kanalisationsgesetz. § 10 Tir Kanalisationsgesetz. So können nach einer „Querschnittsbetrachtung“ Erschließungsbeiträge, (vorläufige) Anschlussbeiträge, Ergänzungsbeiträge, (vorläufige) Nachtragsbeiträge, Kanaleinmündungsabgaben, Kanalsonderabgaben und Interessentenbeiträge vorgeschrieben werden. Siehe zu den einschlägigen Bestimmungen Niederösterreichs Wessely, Die Abgabentatbestände des nö KanalG 1977 - eine kritische Beleuchtung, bbl 1999, 1. zB § 4 bgld Kanalabgabegesetz; § 19 K-GKG. § 5 bgld Kanalabgabegesetz; § 1 Abs 1 lit a oö Interessentenbeiträge-Gesetz; § 7 Wr Kanalanlagen- und Einmündungsgebührengesetz;§ 1 Abs 1 Sbg Interessentenbeiträgegesetz; § 11 Vlbg Kanalisationsgesetz. § 7 bgld Kanalabgabegesetz; § 17 K-GKG; § 2 Abs 4 nö Kanalgesetz; § 15 Vlbg Kanalisationsgesetz. § 8 bgld Kanalabgabegesetz; § 18 K-GKG.
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aufgrund einer über das übliche Maß hinausgehenden Beanspruchung des Kanals und der dazugehörigen Anlage eine besondere Ausstattung der Anlage vonnöten ist.161
Die Beiträge sind durch Beschluss der Gemeindevertretung auszuschreiben. Der Höhe nach sind sie regelmäßig mit den Kosten der Errichtung begrenzt. Für die Inanspruchnahme der gemeindeeigenen Kanalisationsanlagen werden die Gemeinden regelmäßig zur Ausschreibung von Benützungsgebühren ermächtigt. Die gemäß § 7 Abs 5 F-VG geforderte bundesgesetzliche Ermächtigung ist in § 15 Abs 3 Z 4 FAG 2005 festgelegt. Für die Berechnung dieser Gebühr werden unterschiedliche Modelle vorgesehen. Zum einen wird an die angeschlossenen Flächen angeknüpft162, zum anderen an die verbrauchte Wassermenge163. Das Kärntner Gemeindekanalisationsgesetz eröffnet die Möglichkeit, die Gebühren geteilt für die Bereitstellung der Kanalisationsanlage und die Möglichkeit ihrer Benützung einerseits (Bereitstellungsgebühr) und für die tatsächliche Inanspruchnahme der Kanalisationsanlage andererseits (Benützungsgebühr) auszuschreiben. Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, so muss das Gebührenaufkommen aus der Benützungsgebühr mindestens 50% des gesamten Aufkommens an Kanalgebühren betragen (§ 25 Abs 2 K-GKG). Der Höhe nach sind die Gebühren zumeist mit dem „doppelten Äquivalenzprinzip“ begrenzt, dh dass der mutmaßliche Jahresertrag der Gebühren das doppelte Jahreserfordernis für die Erhaltung und den Betrieb der Anlage sowie für die Verzinsung und Tilgung der Errichtungskosten unter Berücksichtigung der Lebensdauer der Anlage nicht übersteigen darf.164 In Wien ist - wenn ich richtig sehe - eine Obergrenze von 120% des Jahresaufwandes festgelegt.165 Zur Höhe von Benützungsgebühren besteht eine reichhaltige Judikatur, in der immer wieder betont wird, dass die Höhe der Benützungsgebühren in einer sachgerechten Beziehung zum Ausmaß der Benützung stehen muss.166
IV. Zur Frage der Liberalisierung der Wasserversorgung A. Einleitung Die Diskussion um die Liberalisierung der Wasserversorgung ist eine nach wie vor aktuelle und eine besonders heftig geführte. Sie ist durch geradezu unversöhnliche Standpunkte gekennzeichnet.167 Eine weltweite nur multikausal erklärbare Verknappung des Wasserdargebotes bei gleichzeitig steigendem Bedarf an Trink- und Nutzwasser und einer Verschlechterung der Wasserqualität lassen Stimmen zunehmend lauter werden, die einen nachhaltigen, ressourcen161
§ 4 Abs 5 stmk Kanalabgabengesetz; § 4 nö Kanalgesetz. § 5 Abs 2 nö Kanalgesetz. 163 zB § 9 Wr Umweltabgabengesetz; § 9 Sbg Benützungsgebührengesetz; § 20 Vlbg Kanalisationsgesetz. 164 So die bundesgesetzliche Ermächtigung in § 15 Abs 3 Z 4 FAG 2005 und auch ausdrücklich § 5 Abs 2 nö Kanalgesetz; § 6 Abs 2 stmk Kanalabgabengesetz; § 22 Abs 1 Vlbg Kanalisationsgesetz. 165 § 4 Wr Umweltabgabengesetz. 166 zB VfSlg 10.947/1986; 13.310/1992. Weitere Nachweise bei Novak, § 25 Rz 4ff. 167 Vgl Hattenberger, bbl 2006, 1ff. 162
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schonenden Umgang mit dem Umweltmedium Wasser einmahnen und angesichts der Mangellagen in manchen Gebieten der Erde vor einem Ausverkauf der österreichischen Wasserressourcen warnen. Demgegenüber wird vor dem Hintergrund des Wasserreichtums Österreichs168 das Wasser zunehmend als Wirtschaftsgut gesehen, das Hoffnungen auf ökonomische Chancen weckt. Diese gegensätzlichen Standpunkte haben eine gemeinsame Grundbedingung, nämlich die elementare Bedeutung, die dem Wasser für alles Leben zukommt. Das Wasser ist nicht nur Lebensmittel, es ist neben der Luft das wichtigste Überlebensmittel. Das mag wohl die Erklärung dafür sein, dass die Liberalisierungsdiskussion auch besonders emotional geführt wird. Eine plakativ als „Liberalisierung“ bezeichnete Umstrukturierung der Wasserversorgung, lässt sich mE in mehreren denkmöglichen Ausrichtungen169 verwirklichen170: Zum einen geht es um die Frage, inwiefern Private an der Wahrnehmung dieser Aufgabe der Daseinsvorsorge beteiligt sein können. Diverse Modelle der Beteiligung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die unter dem Begriff der „Public Private Partnerships“ zusammengefasst werden können, führen nicht notwendig zu mehr Wettbewerb im Sinne des Auftretens von Konkurrenzanbietern, vielmehr geht es der öffentlichen Hand aus verschiedenen Gründen um eine Verselbständigung der Aufgabenbesorgung.171 Zum anderen zielt der Wandel hin zu „mehr Markt“ wohl auf eine Liberalisierung in dem Sinn, dass zuvor bestehende (staatliche) Monopole aufgebrochen und Konkurrenzanbieter zugelassen werden. „Mehr Markt“ im Bereich der Wasserversorgung wird aber wohl auch damit erzielt, dass nach den einschlägigen EG-Richtlinien im Bereich des Verga168
169
170 171
Die Bezeichnung „Wasserschloss Österreich“ steht für diesen Wasserreichtum Österreichs. Vgl Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft (Hrsg), Ressortstudie 3, „Ökonomische Nutzung des in Österreich vorhandenen nachhaltig nutzbaren Wasserdargebotes“, 2002, 4, http://www.lebensministerium.at/publikationen/. Danach wird vom Wasserdargebot Österreichs nur etwa 3% verbraucht; 97% des „Schatzes“ verlassen Österreich ungenützt. Kennzeichnend ist auch die hohe Qualität der österreichischen Wasserversorgung. Die Bevölkerung wird - und das ist vor allem im europäischen Vergleich bemerkenswert - zu 99% mit Quell- und Grundwasser versorgt. Der Anschlussgrad an die öffentliche Wasserversorgung ist mit 87% angesichts der Siedlungsstruktur sehr hoch. Vgl dazu weiters zB Berger, Landwirtschaft und Gewässerschutz, in: Pernthaler (Hrsg), Das Recht des Wassers in nationaler und internationaler Perspektive, 1998, 77; Pernthaler/Attlmayr/Schöpf, 701 uam. Diese Einschätzung von zwei möglichen Varianten beruht auf einer - mangels intensiverer Befassung und Auseinandersetzung mit dem wohl schillernden Begriff „Liberalisierung“ - „laienhaften“ Einschätzung, die weder Vollständigkeit noch Richtigkeit zu beanspruchen vermag. Vgl Hattenberger, bbl 2006, 2. Vgl dazu Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben - insbesondere der Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung, 1997, 86. Als Vorteile der PPP-Modelle werden immer wieder genannt: die Entlastung der öffentlichen Haushalte, zusätzliche Einnahmen für die öffentliche Hand bei Anlagenverkauf, größere Flexibilität in Personalangelegenheiten, die Steigerung der Leistungsqualität durch die Nutzung von technischem und wirtschaftlichem Know-how, eine raschere und kostengünstigere Projektverwirklichung uam. Vgl dazu beispielsweise Bogensberger, PPP-Modelle im Bereich der Abfall- und Abwasserbehandlung, politicum 89, 2001, 19 (21).
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berechts und den nationalen Umsetzungsbestimmungen öffentliche, aber auch private Auftraggeber, die feste Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Gewinnung, Fortleitung und der Abgabe von Trinkwasser bereit stellen oder Trinkwasser in diese Netze einspeisen (§ 168 BVergG 2006) zur Einhaltung bestimmter Vorschriften des Vergaberechts verpflichtet sind (§§ 163ff BVergG 2006, sog „Sektorenauftraggeber“).172 Wettbewerb findet danach nicht im Markt, sondern um den Markt statt. Durch die Bestimmungen des Vergaberechts wird die „Veranstaltung“ eines fairen, dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bieter und Bewerber verpflichteten Wettbewerbs sichergestellt. Diese dritte denkmögliche Variante wird im Folgenden nicht weiter vertieft werden. Eine Liberalisierung des Wassermarktes setzt zuerst voraus, dass dieser Markt für die Etablierung von Wettbewerb auch geeignet ist. Diese - an sich banale und geradezu selbstverständliche - Feststellung hier vorweg zu erwähnen, erscheint mir deshalb für geboten, zumal die Auffassungen dazu in der Diskussion durchaus unterschiedlich sind. So wird von einigen vertreten, dass das Produkt „Trinkwasser“ für einen liberalisierten Markt nicht geeignet ist.173 Das mag stimmen, wenn man unter Liberalisierung eine Vollliberalisierung im Sinne eines nicht reglementierten freien Zugangs zum Wassermarkt versteht. Demgegenüber erscheint eine Teilliberalisierung nach dem Muster des Elektrizitäts- oder Gasmarktes vorerst nicht ausgeschlossen. Zudem ist zu beachten, dass eine Wasserversorgung nicht nur leitungsgebunden denkbar ist, sondern auch durch die Abgabe in Wasserbehältern.174 Dessen ungeachtet dürften aber die Grenzen einer Liberalisierung im Bereich der Wasserversorgung über ein Leitungsnetz noch enger gelegt sein, als 172 173
174
Dazu näher Geiger/Freund, (FN 59) 490ff. So Mehlhorn, Die Liberalisierung des Wassermarktes - Perspektiven der Fernwasserversorgungsunternehmen, in: 15. Tinkwasserkolloquium am 22. Februar 2001, Liberalisierung - Deregulierung - Privatisierung, Europäische Wassermärkte im Umbruch, 2001, 27ff. Danach müsste ein Produkt, um auf einem liberalisierten Markt angeboten werden zu können, drei Kriterien entsprechen: 1. müsste der Kunde in der Lage sein, gänzlich auf dieses Produkt zu verzichten, wenn er mit dem Produkt nicht einverstanden ist, 2. müsste der Kunde in der Lage sein, auf ein Produkt eines anderen Anbieters oder auf andere Leistungen mit vergleichbarem Nutzen auszuweichen und 3. müsste der Verbraucher in der Lage sein, sich von dem betreffenden Produkt einen Vorrat anzulegen. Nach Ansicht von Wallnöfer, Daseinsvorsorge durch öffentliche Unternehmen und das Europäische Gemeinschaftsrecht, ÖGZ 1/2003, 17 (18), ist eine Voraussetzung dafür, dass das Produkt eine standardisierte, leicht transportable und einfach zu messende bzw zu zählende Ware ist. Das treffe aber auf das Trinkwasser nicht zu. Eine Trennung von Produkt und Netz wäre nämlich entweder unzweckmäßig oder von vornherein wirtschaftlich oder technisch sinnlos. Die Studie des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft (Hrsg), (FN 168), kommt diesbezüglich zur Schlussfolgerung, dass ein großräumiger Transport österreichischen Wassers innerhalb Europas an den hohen Kosten im Vergleich zu anderen Versorgungsalternativen und zum erzielbaren Wasserpreis scheitert. Der Einsatz von Tankwagen, Tankschiffen und „Waterbags“ sei ebenfalls aufgrund der hohen Kosten wenig erfolgversprechend. Lediglich im Bereich des abgefüllten Wassers könnten sich in den nächsten Jahren für die heimische Getränkeindustrie eingeschränkte Exportmöglichkeiten ergeben.
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in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge. Dies aus mehreren Gründen: Es ist aufgrund hoher Investitionskosten weder ökonomisch sinnvoll noch im Hinblick auf bestehende rechtliche Barrieren175 zu erwarten, dass parallel zu den bestehenden Leitungsnetzen Konkurrenzanbieter ihre eigenen Wasserleitungsnetze aufbauen werden. Vielmehr ist auch im Bereich der Wasserversorgung von einer weitgehend flächendeckenden Struktur „natürlicher“ Monopole auszugehen. Der Zugang zu dieser Infrastruktur ist daher eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Konkurrenten ihre Dienstleistungen anbieten können. Instrument der Liberalisierung in diesem Bereich kann daher wie in den vergleichbaren Sektoren der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft176 oder der Telekommunikation nur die Trennung von Produktion und Infrastruktur sein sowie die Verpflichtung der Netzbetreiber, ihre Infrastruktur Konkurrenten zu nichtdiskriminierenden Bedingungen zur Verfügung zu stellen.177 Gegenstand der Marktöffnung könnte daher nur das Produkt, nicht aber das Netz sein. Die Infrastruktur bliebe weiterhin ein (wenn auch überwachtes) Monopol. Davon abgesehen sind weitere Barrieren zu beachten: Die Qualität des Trinkwassers mag für Kunden ein Grund sein, einen alternativen Anbieter zu wählen. Das würde aber eine Durch- und Direktleitung vom Produzenten zum Nachfrager voraussetzen. Wenn ich richtig sehe, ist das Meinungsspektrum zur Realisierbarkeit einer Direktleitung denkbar weit. Es reicht von „technisch nicht machbar“ bis zu „letztlich kein Problem“.178 Dazu kommt, dass die Qualität des Wassers mit zunehmender Transportzeit abnimmt.179 Jener Vorteil also, der einen Mitkonkurrenten attraktiv machen kann, geht bei längeren Transportwegen verloren. Auch darin liegt eine nicht vernachlässigbare Grenze der Liberalisierung. Nicht zuletzt sei erwähnt, dass die Vermischung von Wasser aus unterschiedlichen Quellen problematisch sein kann.180 Sie kann zu technischen Problemen (Inkrustation, Korrosion) oder aber auch zu einer Minderung der Wasserqualität führen. Mangels des für die Einschätzung der technischen und ökonomischen Realisierbarkeit einer Marktöffnung im Bereich der Wasserversorgung notwendigen Sachverstandes, sei von folgender Einschätzung ausgegangen: Eine Liberalisierung im Bereich der Wasserversorgung im Sinne der Zulassung von Konkurrenzanbietern ist zwar denkmöglich, es entzieht sich aber meiner Beurteilungsfähigkeit, ob dies eine realistische Erwägung ist. Die vorhin genannten Gründe lassen jedenfalls erhebliche Zweifel an der Realisierbarkeit einer auch nur teilweisen, so verstandenen Liberalisierung des Wassermarktes bestehen.181 175 176 177 178 179 180 181
Vgl dazu Schnedl, 4ff. Siehe dazu Potacs, Energiewirtschaftsrecht, in: Holoubek/Potacs (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Band 1, 2002, 767. Wallnöfer, (FN 173) ÖGZ 1/2003, 18. Mehlhorn, (FN 173) 26. Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), (FN 168) 8. Siehe dazu Saurer, Geschäft mit dem Wasserhahn? Lebensmittel Nummer 1 zwischen extremen Positionen, politicum 89, 2001, 51 (52); Huemer, (FN 59) 160ff. Glötzl, Privatisierung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung? - Nicht notwendig!, ÖGZ 6/2003, 20 (21), geht davon aus, dass eine Liberalisierung im Sinne einer Öffnung der Leitungsnetze in Zukunft eher keine Rolle spielen wird.
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Mit diesen Überlegungen sollte vorab bereits dargetan werden, dass sich ein Rückzug des Staates im Bereich der Wasserversorgung auf die mehr oder weniger intensive Einbeziehung Privater in die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe beschränken dürfte.182
B. „Wie viel Markt“ lässt die geltende Rechtslage zu? Auf der Grundlage der unter Pkt II dargestellten einschlägigen Regelungen lässt sich zur Frage, „wie viel Markt“ der geltende rechtliche Rahmen im Bereich der Wasserversorgung zulässt, zunächst festhalten, dass mit Rücksicht auf das Regelungsziel183 weder die Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes, noch jene des Lebensmittelgesetzes „mehr Markt“ verhindern. Die Vorschriften über eine „geordnete Wasserbenutzung“ und die Qualität von Wasser bzw seine Kontrolle gelten unabhängig davon, unter welcher Trägerschaft die Aufgabe der Wasserversorgung besorgt wird und ob sie unter Konkurrenzbedingungen oder in Monopolstellung geleistet wird. Wasserrecht und Lebensmittelrecht ist daher auch gar nicht der geeignete „Boden“, um die Liberalisierungsdiskussion zu führen. Es ist vielmehr auf der Ebene der Wasserversorgungsgesetze der Frage nachzugehen, wie viel Markt die gegenwärtige Rechtslage bereits zulässt. Ich will mich dieser Fragestellung von drei Punkten her annähern: Zum einen soll darauf eingegangen werden, ob private Wasserversorgung oder private Konkurrenz möglich ist. Zum zweiten soll es um die Frage der Beteiligung Privater an der von der Gemeinde besorgten Wasserversorgung gehen und zum dritten möchte ich mich noch mit der Frage befassen, inwiefern Flexibilität bei der Preisgestaltung gestattet ist.184
1. Keine Pflichtaufgabe der Gemeinde Zunächst sei festgestellt, dass die Wasserversorgung nach den Wasserversorgungsgesetzen grundsätzlich keine Pflichtaufgabe der Gemeinde ist.185 Eine Wasserversorgung durch Private ist demnach nicht nur möglich, sondern im
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Gründe dafür sind das Mischungsproblem bei verschiedenen Wässern, Wasserversorgungskosten, die zu 90% aus Fixkosten bestehen sowie die regionale Wasseraufbringung. Auch eine von der Kommission in Auftrag gegebene Studie zur Frage der Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts im Wassersektor bestätigt diese Probleme, WRc & Ecologic, Study on the Application of the Competition Rules to the Water Sector in the European Community (12/2002) 45 ff, http://www.europa.eu.int/ comm/competition/publications/studies/water_sector_report.pdf, 16.10.2006. Kein Wettbewerb im Markt, sondern ein Wettbewerb um den Markt, vgl dazu Weiß, 33; Pöcherstorfer, 31 und 33. Damit soll keine Aussage zur sich allenfalls stellenden Frage gemacht werden, ob nicht die Genehmigungsregelungen beispielsweise nach dem WRG allenfalls zu streng „gelagert“ sind und aus diesem Grunde wettbewerbsbehindernde Wirkungen zu entfalten vermögen. Nur die Zielrichtung des WRG, nämlich die Wasserbenutzung zu regulieren, ist mE angesichts der Tatsache, dass es sich um ein knappes Gut handelt, „unverzichtbar“ und steht im Rahmen der Liberalisierungsdiskussion nicht zur Disposition. Vgl Hattenberger, bbl 2006, 13ff. Erwähnt wurde die „Subsidiärverpflichtung“ der Gemeinde in Vorarlberg und Wien.
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Gesetz geradezu angelegt.186 Nimmt sich aber eine Gemeinde dieser Aufgabe an, so ist private Konkurrenz damit verhindert, zumal für festgelegte Versorgungsbereiche ein Anschluss- und Benützungszwang besteht und damit QuasiGebietsmonopole entstehen. Verstärkt wird dieser Gebietsschutz noch durch die zuweilen vorgesehene Ermächtigung, die Errichtung neuer Anlagen zu untersagen, wenn dadurch der Bestand einer öffentlichen gemeinnützigen Wasserversorgungsanlage gefährdet werden kann.187 Außerhalb des Versorgungsbereiches einer Gemeindeanlage ist freilich private Konkurrenz möglich, wenn auch wenig realistisch. Auszugehen ist nämlich davon, dass dieser vom Anschlusszwang einer Gemeindeanlage nicht erfasste räumliche Bereich dünn besiedelt ist und damit der erzielbare wirtschaftliche Nutzen keine Motivation für privates Engagement darstellen dürfte. Betreibt nun eine Gemeinde eine Wasserversorgungsanlage, so stellt sich die Frage, ob es in ihr Ermessen gestellt ist, sich aus dieser Tätigkeit jederzeit und voraussetzungslos zurückzuziehen. Mit Rücksicht darauf, dass die Wasserversorgung keine Pflichtaufgabe der Gemeinde ist, könnte man diesen Schluss ziehen. Man könnte die Auffassung vertreten, dass einer materiellen Privatisierung im Bereich der Wasserversorgung im Sinne einer Aufgabenentledigung nichts im Wege steht. Möglicherweise ist dieser Schluss aber etwas voreilig. Zu bedenken ist nämlich, dass nach den Landeswasserversorgungsgesetzen auch eine Verpflichtung zur Versorgung, zur Erhaltung und zum Betrieb der Anlage vorgesehen ist. Schon diese Versorgungspflicht verbietet es meines Erachtens der Gemeinde, sich der Aufgabenbesorgung ohne die Sicherstellung einer alternativen Wasserversorgung zu entledigen. Es bedarf daher gar nicht des Rückgriffs auf eine der Verfassung zugeschriebene sozialstaatliche Garantie, die den Staat für jene Leistungen in den Bereichen der Daseinsvorsorge in die Pflicht nimmt, auf die der einzelne angewiesen ist.188 Bereits die (einfachen) landesgesetzlichen Bestimmungen verpflichten die Gemeinde, die von ihr übernommene Aufgabe Wasserversorgung - in welcher Form auch immer fortzusetzen. Was allerdings sehr wohl zulässig ist - und das gilt es zu betonen -, ist eine materielle Privatisierung in dem Sinn, dass die Aufgabe der Wasserversorgung zur Gänze einem Privaten überlassen wird. Dies muss aus eben jenem Grund zulässig sein, aus dem es der Gemeinde möglich ist, sich dieser Aufgabe erst gar nicht anzunehmen.
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Es sei denn man folgt der These, dass dem österreichischen Verfassungsrecht das Leitbild einer sozialen Demokratie zu Grunde liegt und daraus der Auftrag abzuleiten ist, dass es dem Staat aufgegeben ist, jene Leistungen der Daseinsvorsorge zu erbringen, auf die Menschen angewiesen sind und die der Markt nicht zu erträglichen Bedingungen liefern kann. Das verlangt zum zweiten dann noch die Einschätzung, dass die Wasserversorgung eine solche Aufgabe ist. Vgl dazu Berka, Die Gemeinde als Unternehmer, in: Rebhahn (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Gemeinderecht, 1998, 181 (193f). Berka selbst meint, dass eine derart vorausgesetzte Bedrohung heute kein realistisches Szenario ist. ZB § 6 Abs 4 Ktn Gemeindewasserversorgungsgesetz; § 2 Abs 5 oö Wasserversorgungsgesetz. So wie schon erwähnt Berka, (FN 186) 193f mwN.
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2. Beteiligung Privater an der Wasserversorgung (PPP-Modelle) Geht es um die Frage der Beteiligung Privater an der Wasserversorgung, so ist primär an verschiedene Formen der Kooperation zwischen öffentlichen Dienstleistern und Produzenten einerseits und privaten Wirtschaftssubjekten andererseits zu denken, die unter dem schillernden Begriff der „PublicPrivate-Partnerships“ („PPP-Modelle“) zusammengefasst werden.189 Wenngleich eine klare inhaltliche Definition des Begriffs der Public-PrivatePartnerships nicht möglich ist, so dürften darunter doch ganz bestimmte Modelle der Kooperation verstanden werden. Erfasst sind das Betriebsführungmodell, das Kooperationsmodell, das Betreibermodell und das Konzessionsmodell; dazu „gesellen“ sich Mischformen, die Elemente mehrerer dieser Modelle vereinen.190 Für das Betriebsführungsmodell ist charakteristisch, dass die Gemeinde Eigentümerin der Anlagen bleibt und ein Privater im Namen und auf Rechnung der Gemeinde die Anlage betreibt. Unter einem Kooperationsmodell versteht man die Beteiligung der öffentlichen Hand und Privater an einer Gesellschaft, die bei Minderheitsbeteiligung der Kommune auch Betreibermodell bezeichnet wird. Von einem Betreibermodell spricht man aber auch dann, wenn die Aufgabenerfüllung durch einen anderen Rechtsträger ohne Beteiligung der Gemeinde erfolgt.191 Und schließlich ist von einem Konzessionsmodell dann auszugehen, wenn öffentliche Aufgaben durch Private gegen das Recht auf Einhebung von Nutzungsentgelt erfüllt werden.192
Wendet man sich nun der Frage zu, ob PPP-Modelle im Bereich der Wasserversorgung in Betracht zu ziehen sind, so ist mE eine differenzierende Betrachtung geboten. Dies deshalb, weil nur für bestimmte Anlagen - vereinfacht ausgedrückt für öffentliche und gemeinnützige Gemeindeanlagen - die Regelungen über den Anschluss- und Benützungszwang zur Anwendung kommen können. Ob aber im Fall eines Betreiber- oder Konzessionsmodells noch von einer gemeinnützigen Wasserversorgungsanlage im Sinne des § 36 WRG ausgegangen werden kann, ist für mich durchaus fraglich. Will man also im Anwendungsbereich der Landeswasserversorgungsgesetze bleiben und das Privileg des Anschlusszwanges weiterhin genießen, so ist diese Frage auf der Grundlage der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zu beantworten. Einzelne Landesgesetze enthalten dazu ausdrückliche Regelungen. So sieht etwa das oö Wasserversorgungsgesetz in § 1 Abs 4 - wie schon erwähnt - vor, dass als „gemeindeeigen“ auch eine Wasserversorgungsanlage gilt, deren sich die Gemeinde zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben bedient, und zwar auch dann, wenn die Anlage nicht oder nicht zur Gänze im Eigentum der Gemeinde steht. Eine ähnliche Regelung enthält das Kärntner Gemeindewasserversorgungsgesetz. Danach ist es der Gemeinde gestattet, 189 190
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Vgl Hattenberger, bbl 2006, 14f. Die Begriffsdefinitionen sind allerdings sehr unterschiedlich. Vgl dazu Smekal, Public Private Partnership - Ein Beitrag zur effizienteren Aufgabenerfüllung im öffentlichen Sektor?, politicum 89, 2001, 2; Bogensberger, (FN 171) 19; Egger, Public Private Partnership-Konstruktionen der Ausgliederung und ihre Vor- und Nachteile, in: politicum 89, 2001, 41; Schriftenreihe RFG, Folge 3 - 2004, Herausforderung Siedlungswasserwirtschaft 43ff. Vgl dazu Bogensberger, (FN 171) 20f. Vgl dazu Potacs, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen von Public Private Partnerships, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg), Public Private Partnerships, 2003, 27 (27f).
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sich, sofern die Voraussetzungen Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gegeben sind, einer natürlichen oder nicht natürlichen Person zu bedienen. Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Bestimmungen ist den Kommunen Oberösterreichs und Kärntens ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Es schadet nämlich nicht, wenn sich das Eigentum an den Anlagen in privater Hand befindet - nicht nur das Betriebsführungs-, sondern auch das Betreibermodell kommen demnach in Betracht. Durch die Textierung („sich bedienen“) ist mE aber auch klar gestellt, dass die Gemeinden die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Gesetz durch entsprechende Vertragsgestaltung sicher zu stellen haben. In Betracht kommen daher auch nur Kooperationsmodelle, die auf das Außenverhältnis Gemeinde - Bürger keinen Einfluss haben. Demgegenüber einschränkend ist die Bestimmung des Vlbg Wasserversorgungsgesetzes, wonach eine Gemeindewasserversorgungsanlage nur dann vorliegt, wenn es sich um Anlagen der Gemeinde handelt oder um Einrichtungen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, an der eine Gemeinde mit mindestens 51% beteiligt ist. Das Vlbg Gesetz schränkt demnach nicht nur auf eine bestimmte Rechtsform ein („GmbH“), sondern verlangt auch eine Mindestbeteiligung der Gemeinde. In den anderen Bundesländern fehlt zur Beteiligung Privater eine ausdrückliche Regelung. So stellt etwa das Wr Wasserversorgungsgesetz allein auf den Begriff der „städtischen Wasserversorgungsanlage“ ab, ohne diesen näher zu definieren.193 Nach dem stmk Gemeindewasserleitungsgesetz kommt es darauf an, dass eine Gemeinde eine „öffentliche Wasserleitung errichtet oder errichtet hat“.194 Nach dem Sbg Gemeindewasserleitungsgesetz gelten als Gemeindewasserleitungen öffentliche Trinkwasserversorgungsanlagen, die von den Gemeinden betrieben werden bzw solche, zu deren Herstellungs- und Erhaltungskosten die Gemeinde nur anteilig beizutragen hat.195 Und vom Anwendungsbereich des nö Gemeindewasserleitungsgesetzes erfasst sind Wasserversorgungsunternehmen, die von einer Gemeinde oder einem Gemeindeverband betrieben werden.196 Mit Rücksicht auf diese - weitgehend - „offenen“ Formulierungen ist mE davon auszugehen, dass eine Beteiligung Privater im Anwendungsbereich der Wasserversorgungsgesetze in verschiedenen Formen möglich ist. Dies ist insbesondere auch im Hinblick auf die in Art 116 Abs 2 B-VG garantierte Privatrechtsfähigkeit der Gemeinde197 und die daraus abzuleitende Entscheidungsfreiheit, in welcher Form sie ihre Aufgaben besorgt, anzunehmen. Zweifel können sich lediglich hinsichtlich der Wiener Regelung ergeben. Ob man von einer „städtischen Wasserversorgungsanlage“ nämlich auch dann noch sprechen kann, wenn - wie bei einem Betreibermodell - die Gemeinde gar nicht mehr oder nur minderheitsbeteiligt ist, ist mE durchaus fraglich. Freilich sind damit Betreibermodelle im Bereich der Wasserversorgung für die Stadt Wien noch nicht aus193 194 195
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§ 1 Wr WVG. § 1 Abs 1 stmk Gemeindewasserleitungsgesetz. § 1 Abs 1 Sbg Gemeindewasserleitungsgesetz. Eine Definition der „öffentlichen Trinkwasserversorgungsanlagen“ ist dem Gesetz - wenn ich recht sehe - nicht zu entnehmen. § 1 nö Gemeindewasserleitungsgesetz. Zu den Grenzen dieser Privatrechtsfähigkeit Funk, Gestaltungsformen kommunaler Wirtschaftsverwaltung, in: Krejci/Ruppe (Hrsg), Rechtsfragen der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, 1992, 1 (4ff); Korinek, Das Zusammenspiel hoheitlicher und privatrechtlicher Gestaltungsakte in der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, in: Krejci/Ruppe (Hrsg), Rechtsfragen der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, 1992, 27 (36ff), jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen; aA Potacs, (FN 192) 38f, der mit mE überzeugenden Argumenten davon ausgeht, dass hinsichtlich der Privatwirtschaftsverwaltung der Gemeinden die Einschränkungen der Formel des Art 118 Abs 2 B-VG nicht gelten.
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geschlossen, sie würden allerdings nicht mehr vom Anwendungsbereich des Wr Wasserversorgungsgesetzes erfasst werden.198 Abgesehen davon sind die sich aus § 3a Wr Wasserversorgungsgesetz ergebenden engen Grenzen „privater Wasserversorgung“ zu beachten.199
3. Flexibilität bei der Entgeltgestaltung Im Rahmen des eingangs aufgestellten Fragenkataloges ist dann noch die Tarifgestaltung anzusprechen.200 Da - wie schon erwähnt - eine Wasserversorgung auch durch Private besorgt werden kann und auch besorgt wird, ist zunächst zu betonen, dass private Wasserversorger hinsichtlich der Entgeltgestaltung grundsätzlich keinen Beschränkungen unterworfen sind. Eine Verpflichtung zu erschwinglichen Wasserpreisen scheint in der Rechtsordnung nicht auf. Als Korrektiv könnte das aus § 879 ABGB abgeleitete Verbot des Ausnützens einer überlegenen Position in Frage kommen; dann nämlich, wenn auch private Wasserversorger sich in einer monopolähnlichen Situation befinden und diese durch überhöhte Preise ausgenützt wird. Eine solcherart monopolartige Situation dürfte gerade im Bereich der Wasserversorgung aus Mangel an notwendig schnell verfügbaren Versorgungsalternativen keine Seltenheit sein.201 Was nun die Wasserversorgungsanlagen der Kommunen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die Landeswasserversorgungsgesetze regelmäßig zur Gebührenerhebung ermächtigen. In dieser Hinsicht sind gleich mehrere Aspekte von Relevanz: Zunächst ist festzuhalten, dass ein Betriebsführungs- oder Kooperationsmodell das Außenverhältnis Gemeinde - Bürger nicht betrifft. Auch eine Beteiligung Privater „behindert“ daher eine Gebührenerhebung nicht. Das gilt auch für den Fall, dass die Wasserversorgungsanlage zur Gänze im Privateigentum steht. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist es nämlich nicht erforderlich, dass eine Einrichtung, die Aufgaben der Gemeinde erfüllt oder bereit stellt, unbedingt im Eigentum der Gemeinde stehen oder von ihr selbst betrieben werden muss.202 Eine Gebührenerhebung setzt allerdings voraus, dass die Gemeinde das Verfügungsrecht über die Einrichtung hat und die Benützer der Einrichtung ausschließlich in Rechtsbeziehung zur Gemeinde treten.203 Es muss daher der Gemeinde die Möglichkeit eingeräumt sein, auf die Tätigkeit ihres Vertragspartners Einfluss zu nehmen. Die Gebührenfähigkeit der Einrichtung ist bei einem Betriebsführungs- oder Kooperationsmodell mit Mehrheits198
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Vgl dazu Schille, Public Private Partnership - Ein Modell für die Finanzierung kommunaler Abwasserbeseitigungs- und Wasserversorgungsanlagen, politicum 89, 2001, 57 (59), der davon ausgeht, dass der Anschluss- und Benützungszwang nur für wirklich gemeindeeigene öffentliche Anlagen gelte. Dazu Pkt III.B.1. Hattenberger, bbl 2006, 15ff. Krejci, in: Rummel (Hrsg), Kommentar zum ABGB3, Band 1, 2000, § 879 Rz 82ff; vgl dazu auch OGH SZ 52/1979, der für Monopolunternehmen einen Kontrahierungszwang „zu angemessenen Bedingungen“ annimmt. VfSlg 7583/1975; 8847/1980; VfGH 9.12.1986, B 561/86. Vgl VfSlg 7583/1975; 8847/1980; VfGH 9.12.1986, B 561/86; dazu Ruppe, Finanzierungsalternativen kommunaler Wirtschaftsverwaltung, in: Krejci/Ruppe (Hrsg), Rechtsfragen der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, 1992, 55 (77); Schille, (FN 198) 57ff.
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beteiligung der Gemeinde wohl zu bejahen. Ob die genannten Voraussetzungen auch bei einem Betreibermodell vorliegen, ist aber durchaus fraglich, weil nämlich eine der charakteristischen Eigenschaften dieses Modells das Tragen des wirtschaftlichen Risikos durch den Privaten ist.204 Auch Ruppe205 hält die Aufgabenausgliederung durch bloßen Werkvertrag in dieser Hinsicht für bedenklich. Im Zusammenhang mit der Zulassung von „mehr Markt“ stellt sich aber auch die „entgegen gesetzte“ Frage, jene nämlich, ob anstelle der Gebühr auch ein privatrechtliches Entgelt erhoben werden kann. Diesbezüglich herrscht so weit zu sehen - Einigkeit dahingehend, dass den Gemeinden schon mit Rücksicht auf Art 116 Abs 2 B-VG grundsätzlich die Freiheit der Wahl zwischen Gebührenerhebung und der „Ausschreibung“ privatrechtlicher Entgelte zukommt.206 § 15 Abs 3 Z 4 FAG 2005 enthalte eben bloß eine Ermächtigung, aber keine Verpflichtung, von diesem Gebührenerhebungsrecht Gebrauch zu machen. Und dieses Wahlrecht bestehe auch dann, wenn das zugrunde liegende Benützungsverhältnis - etwa durch eine bescheidmäßig zu verfügende Anschlusspflicht - hoheitlich ausgestaltet ist.207 Anderes soll nur dann gelten, wenn eine landesgesetzliche Vorschrift zur Gebührenvorschreibung verpflichtet. Wenn ich richtig sehe, ist das im Bereich der Wasserversorgung (noch) nicht geschehen. Geht man mit der herrschenden Lehre von der Zulässigkeit der privatrechtlichen Gestaltung der Entgeltseite aus, so ist damit noch keine Antwort auf die Frage gegeben, ob für die Festsetzung des privatrechtsförmigen Entgelts dieselben Bindungen wie für die hoheitliche Gebührengestaltung gelten. Für Benützungsgebühren ergibt sich nämlich schon aus dem FAG eine Obergrenze. Sie dürfen - grob gesprochen - die doppelten jährlichen Errichtungs- und Erhaltungskosten nicht übersteigen.208 Manche Landesgesetzgeber setzen diese 204
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Vgl dazu Etlinger/Sagmeister, Organisationsformen der Abwasserbeseitigung, in: Österreichischer Wasser- und Abfallwirtschaftsverband, Schriftenreihe, Heft 143, Organisationsformen der Siedlungswasserwirtschaft im Vergleich, 2001, 17 (23). Ruppe, (FN 203) 77. Vgl VfGH 15.12.1992, V 93, 94/91; Ruppe, (FN 203) 81ff mwN; Walzel von Wiesentreu, Rechtsfragen der Ausgliederung öffentlicher Aufgaben, insbesondere im kommunalen Bereich, ÖGZ 12/1997, 11 (16). Zum Problem, dass mit der Annahme der Wahlfreiheit der Gemeinden es diesen auch obliegt, den Rechtsweg – nämlich öffentlich-rechtlicher Rechtsweg im Falle der (hoheitlichen) Gebührenerhebung und ordentlicher Rechtsweg bei privatrechtlicher Entgeltgestaltung – zu bestimmen vgl Hattenberger, bbl 2006, 16. Ruppe, (FN 203) 82, mit zahlreichen Nachweisen zur Judikatur. Dieses doppelte Äquivalenzprinzip wurde durch das FAG 1993, BGBl 1993/30 eingefügt. Dazu Hattenberger, in: Beiträge, 148. Der VfGH hat zu diesem „doppelten Äquivalenzprinzip“ jüngst ausgesprochen, dass diese Ermächtigung allerdings nicht so verstanden werden dürfe, dass den Benutzern von Gemeindeeinrichtungen nunmehr neben der Anlastung der vollen Kosten der Gemeindeeinrichtung im Sinne des Äquivalenzprinzips zusätzlich noch eine Steuer im finanzwissenschaftlichen Sinne auferlegt werden könne. Im Sinne verfassungskonformer Interpretation müsse diese Ermächtigung so verstanden werden, dass ihre Ausschöpfung nur aus Gründen in Betracht kommt, die mit der betreffenden Einrichtung in einem inneren Zusammenhang stehen, sei es, dass Folgekosten der Einrichtung finanziert werden, sei es, dass mit einer solchen Gebühr Lenkungsziele (ökologischer Art) verfolgt oder
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Obergrenze - verfassungsrechtlich allerdings nicht unbedenklich209 - noch herab, in dem sie zur Vorschreibung lediglich kostendeckender Gebühren ermächtigen.210 Ob diese Bindung an das (erweiterte) Äquivalenzprinzip nun auch für die privatrechtliche Entgeltgestaltung gelten soll, ist in der Lehre und Judikatur umstritten.211 Hier ist mE eine „vermittelnde Lösung“ - wie sie von Walzel von Wiesentreu212 aufgezeigt wurde - vorzuziehen. In Übereinstimmung mit der Judikatur des VfGH und einem Teil der Lehre ist mE davon auszugehen, dass bei bloßer Ermächtigung zur Gebührenausschreibung die Wahl der privatrechtlichen Handlungsform keinen Formenmissbrauch darstellen kann.213 Eine Bindung an die für die hoheitliche Gebührengestaltung geltenden Bedingungen würde damit entfallen. Dessen ungeachtet darf nicht übersehen werden, dass - wie im Bereich der Wasserversorgung - Anschlusszwang besteht und auf diese Weise der Gemeinde eine Monopolstellung verschafft wird. Es würde dann wohl mit dem bei derartiger Ausgangslage Geltung beanspruchenden Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes schwer zu vereinbaren sein, wenn die Gemeinde für die von ihr verpflichtend abzunehmenden Leistungen Entgelte in beliebiger Höhe verlangen könnte. Eben dieser den solcherart privatwirtschaftlich agierenden Staat bindende Gleichheitsgrundsatz verbietet es der Gemeinde auch, zwischen den Abnehmern willkürlich zu differenzieren. Und auch die Privatrechtsordnung dürfte hier durch § 879 ABGB - denkt man an die Rechtsprechung zum „Ausnützen“ einer übermächtigen Position - ein Korrektiv bilden.214 Abgesehen von dieser doch „relativ offenen“ Grenze der Rechtsordnung sind der Preisgestaltung durch die Gemeinden wohl primär faktisch-politische Grenzen gesetzt. Das „große Geschäft“ mit dem Wasser wird sich für die Gemeinden schon deshalb nicht ergeben, weil überhöhte Wasserpreise politisch schwer vertretbar und verkraftbar sein dürften.
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Rücklagen für eine Ausweitung der Einrichtung oder Anlage gebildet werden sollen, sei es auch nur, um Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Anrechenbarkeit bestimmter Kostenpositionen oder um Rechtsstreitigkeiten in Jahren mit unerwartet günstiger Einnahmenentwicklung zu vermeiden. Das erweiterte Äquivalenzprinzip ändert auch nichts daran, dass die Gebühren auf die einzelnen Benützer nach sachlichen Kriterien zu verteilen sind. VfGH vom 10.10.2001, B 260/01. Dazu eingehend Taucher, Finanzverfassung - Finanzausgleich, in: Österreichischer Gemeindebund/ Österreichischer Städtebund (Hrsg), 40 Jahre Gemeindeverfassungsnovelle, 2002, 155 (170ff). Im Erkenntnis vom 11.3.1987, G 169/86 sprach der VfGH aus, dass der Landesgesetzgeber nicht ermächtigt ist, die bundesrechtliche Ermächtigung einzuschränken. Dazu auch Taucher, Das gebührenrechtliche Äquivalenzprinzip in: Kreijci/Ruppe (Hrsg), Rechtsfragen der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, 1992, 85 (100f). ZB § 20 Abs 4 Wr WVG. Vgl dazu die Nachweise bei Ruppe, (FN 203) 83. Walzel von Wiesentreu, (FN 206) 16f. Siehe dazu Ruppe, (FN 203) 82, mwN zur Literatur und Judikatur. Vgl dazu die Judikatur des OGH zum Kontrahierungszwang bei Monopolstellung oder faktischer Übermacht oder bei Unternehmen der öffentlichen Hand, die eine Versorgungsaufgabe wahrnehmen; zB OGH SZ 138/1971; SZ 52/1978; OGH 10.9.1991, 4 Ob 538, 539/91; OGH 30.11.1993, 4 Ob 146/93. Dieser Kontrahierungszwang umfasst auch einen Zwang zum Abschluss „zu angemessenen Bedingungen“; vgl OGH SZ 52/1978.
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Im Zusammenhang mit einer von öffentlich-rechtlichen Bindungen befreiten Preisgestaltung ist ein weiterer Aspekt zu beachten. Hält sich eine Gemeinde nicht an das Kostendeckungsprinzip, so dürfte wohl auch der Charakter der Gemeinnützigkeit verloren gehen. Dann müsste aber auch das „Privileg des Anschlusszwanges“ entfallen, weil dieser nach § 36 WRG nur für gemeinnützige Wasserversorgungsunternehmen verfügt werden kann. Auch dieser Umstand dürfte einer „freien“ Entgeltgestaltung eine bedeutsame Barriere sein. Im Rahmen der Fragestellung der privatrechtlichen Gestaltung der Entgeltseite erscheint mir zuletzt noch eine Entscheidung des OGH erwähnenswert, in der es - kurz gefasst - auch um die Frage ging, ob die Gemeinde, die sich zur Erfüllung der Aufgabe Wasserversorgung eines Privaten bedient, diesem ausgegliederten Unternehmen auch den Abschluss von privatrechtlichen Entgeltvereinbarungen überlassen dürfe. Der OGH hat dies mit Rücksicht auf die der Gemeinde zustehende Wahlfreiheit zur Handlungsform bejaht. Der autonomen Tarifgestaltung durch den Privaten waren allerdings durch den Vertrag zwischen der Gemeinde und dem ausgegliederten Unternehmen enge Grenzen gesetzt.215
Zur Tarifgestaltung lässt sich zusammenfassend Folgendes festhalten: Eine Gebührenerhebung kommt auch bei diversen Kooperationsmodellen in Betracht. Es ist der Gemeinde aber auch gestattet, an Stelle einer Gebühr ein privatrechtliches Entgelt zu verlangen. Sie ist dabei zwar nicht an die begrenzenden Vorgaben der (hoheitlichen) Gebührenerhebung gebunden, einem „exzessiven Vorgehen“ wird man aber mit Bezugnahme auf den Gleichheitsgrundsatz und dem privatrechtlichen Missbrauchsverbot des § 879 ABGB entgegen treten können.
C. Zulassung von „mehr Markt“ - Möglichkeiten und notwendige rechtliche Begrenzungen Zuletzt sei noch zur Frage Stellung genommen, ob und gegebenenfalls welche (weiteren) Liberalisierungsschritte für die Wasserversorgung in Betracht kommen.216 Erinnert sei zunächst noch einmal an die grundsätzlichen Bedenken betreffend die Liberalisierungstauglichkeit des Produktes Trinkwasser. Die nachstehenden Ausführungen stehen daher unter dem Vorbehalt, dass die Frage der Realisierbarkeit einer Marktöffnung in bestimmter Ausrichtung nicht beantwortet werden kann und daher vorerst beiseite geschoben werden muss. Zu bedenken ist zunächst, dass im Versorgungsbereich einer Gemeindewasserversorgungsanlage Anschluss- und Benützungszwang besteht. Das damit geschaffene Gebietsmonopol schließt eine Konkurrenz von Wasserdienstleistern aus. Man könnte nun einen Ansatz für Liberalisierungsmaßnahmen im Aufbrechen dieser Monopole sehen. Das greift mE zu kurz. Sowohl innerhalb als auch außerhalb dieser Versorgungsbereiche - also dort, wo die Aufgabe der Wasserversorgung von anderen privaten oder öffentlichen Einrichtungen besorgt wird - ist aufgrund des bestehenden Leitungsnetzes von einem natürlichen Monopol auszugehen, vergleichbar den Bereichen der Gas- und Elektrizitätswirtschaft oder der Telekommunikation. Die Verlegung eines Parallelnet215 216
So konnte die Neufestsetzung genereller privatrechtlicher Entgelte nur im Einvernehmen mit der Stadt erfolgen. Vgl dazu OGH vom 24.11.1998, 1 Ob 178/98b. Hattenberger, bbl 2006, 17ff.
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zes ist aufgrund der hohen Investitionskosten keine realistische Alternative. Eine denkbare Liberalisierungsvariante ist daher, dem Muster der erwähnten Sektoren Telekommunikation und Elektrizitätswirtschaft zu folgen und Netzbetreiber zu verpflichten, ihre Infrastruktur Konkurrenzanbietern zur Verfügung zu stellen. Sie wären damit verpflichtet, Wasser verschiedener „Produzenten“ zum Verbraucher zu transportieren. Auf die Problematik der uU technisch unmöglichen oder qualitätsvermindernden Vermischung von Wasser wurde bereits hingewiesen; ebenso darauf, dass die technische Realisierbarkeit des Bezuges „eines bestimmten Wassers“ in hohem Maße fraglich ist, gerade das Qualitätsargument aber einen Konkurrenten attraktiv machen kann. Ob daher die „Netzöffnung“ eine realistische Liberalisierungsvariante ist, ist höchst fraglich. Nimmt man die internationale Entwicklung auf dem Wassermarkt in den Blick (ich denke hier vor allem an Frankreich), so zeigt sich, dass sich in erster Linie die Eigentumsverhältnisse an den Wasserversorgungsunternehmen zum privaten Sektor hin verschoben haben. Das ist eine Entwicklung, die sich auch in Österreich abzeichnet. Sie ist, sofern durch eine entsprechende Vertragsgestaltung Verantwortung und Einfluss der Gemeinden sichergestellt ist, auch nicht weiter problematisch. Auf dem Boden der geltenden Rechtslage ist es aber durchaus zulässig, dass sich die Kommunen dieser Aufgabe zur Gänze entledigen und privaten Anbietern überlassen. Das ist vor allem unter dem Druck der leeren Gemeindekassen keine denkunmögliche Variante. Ob nun die Rechtsordnung auf eine Aufgabenprivatisierung im Bereich der Wasserversorgung hinreichend vorbereitet ist, ist mE durchaus in Frage zu stellen. Einzelne Punkte sollen hier angedacht werden: Im Hinblick auf die elementare Bedeutung des Überlebensmittels Wasser müsste ein Kontrahierungszwang private Wasserversorger zum Abschluss eines Wasserversorgungsvertrages mit privaten Abnehmern verpflichten. Fraglich ist dann weiters, ob nicht auch eine Pflicht zur Versorgung, Instandhaltung und zum Betrieb von Wasserversorgungsanlagen rechtlich abgesichert werden müsste. Und ein weiteres Problem ist, ob nicht Vorsorge für den Fall der Nichtoder Schlechtleistung durch Private getroffen werden müsste, denkbar etwa in dem Sinn, dass die Kommunen zur Übernahme des Versorgungsunternehmens und dem Weiterbetrieb für den Fall verpflichtet werden, dass sich Private aus der Aufgabenerledigung wieder zurückziehen („Heimholung“).217 Abschließend stellt sich noch die Frage, ob nicht auch hinsichtlich der Festsetzung des Wasserpreises - in welcher Form auch immer - eine Begrenzung „nach oben hin“ rechtlich abgesichert werden müsste. Damit ist ein sozialer Auftrag angesprochen. Es ist meines Erachtens eine Aufgabe des Staates dafür Sorge zu tragen, dass lebenswichtige Leistungen erschwinglich bleiben. Die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie steht dem zumindest nicht entgegen. Die Wasserrahmenrichtlinie verlangt zwar - ganz im Sinne der Förderung eines bewussten Umganges mit der knappen Ressource Wasser -, dass kosten217
So beispielsweise die Subsidiärverpflichtungen der Gemeinden nach dem Vlbg und dem Wr Wasserversorgungsgesetz. Oben Pkt III.B.1.
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deckende Preise verlangt werden, den Mitgliedstaaten wird aber ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, auch soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
V. Beteiligung Privater an der Abwasserentsorgung Die Diskussion um eine Liberalisierung oder Privatisierung im Bereich der Abwasserentsorgung verläuft vergleichsweise „unaufgeregt“. Den Kern dieser Diskussion bildet die Frage der Möglichkeiten zur Beteiligung Privater an dieser Aufgabe. Zunächst sei daran erinnert, dass, anders als im Bereich der Wasserversorgung, die Sorge für die geordnete Abwasserentsorgung ab einer gewissen Siedlungsdichte eine Pflichtaufgabe der Gemeinde ist. Und mit Rücksicht darauf, dass die Kanalisationsgesetze der Länder regelmäßig einen Anschlusszwang im Nahebereich öffentlicher Kanalisationsanlagen vorsehen, ist „private Konkurrenz“ in diesen Bereichen ausgeschlossen. Die Liberalisierungsdiskussion konzentriert sich daher auf die Frage der möglichen Beteiligung Privater an der von den Gemeinden wahrgenommenen Aufgabe. Es sei auf die unter Pkt IV.B.2. beschriebenen PPP-Modelle verwiesen, deren Realisierbarkeit nunmehr auf der Grundlage der Kanalisationsgesetze zu untersuchen ist. Die meisten dieser Gesetze enthalten dazu ausdrückliche Regelungen. So definiert beispielsweise § 1 Abs 5 des bgld Kanalanschlußgesetzes als öffentliche Kanalisationsanlagen nicht nur die „Gesamtheit von Einrichtungen einer Gemeinde, die der geordneten Entsorgung von in der Gemeinde anfallenden Abwässern dienen und die Einrichtungen eines diesem Zweck dienenden Wasserverbandes, sondern auch die Einrichtungen eines anderen Kanalisationsunternehmers, deren sich die Gemeinde zur öffentlichen Abwasserentsorgung bedient. § 1 Abs 5 des Ktn Gemeindekanalisationsgesetzes bestimmt, dass die Gemeinde ihrer Pflicht auch durch die Beteiligung an der Anlage eines anderen Rechtsträgers nachkommen kann. Davon abgesehen darf sich die Gemeinde, sofern dies im Interesse der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gelegen ist, zur Sammlung, Ableitung, Reinigung, Behandlung oder Beseitigung der Abwässer einer natürlichen oder nicht natürlichen Person bedienen (§ 1 Abs 6 K-GKG). Nach § 36 Abs 5 oö BauO gilt eine Anlage, deren sich die Gemeinde bedient, auch dann als „gemeindeeigen“, wenn sie nicht oder nicht zur Gänze im Eigentum der Gemeinde steht. § 10 Abs 1 Sbg Anliegerleistungsgesetz bestimmt, dass als Hauptkanäle der Gemeinde auch solche gelten, zu deren Herstellungs- und Instandhaltungskosten die Gemeinde anteilig beizutragen hat. Gemäß stmk Kanalgesetz erfüllt die Gemeinde ihre Kanalisierungspflicht auch dann, wenn die Ausstattung durch Dritte besorgt wird. Als Beispiele ausdrücklich genannt werden neben Abwasserverbänden und Genossenschaften auch private Unternehmen (§ 2a stmk Kanalgesetz). Und nach § 1 Abs 5 des Tir Kanalisationsgesetzes erfüllt eine Gemeinde ihren Entsorgungsauftrag auch dann, wenn eine allgemein zur Verfügung stehende Kanalisation im Auftrag der Gemeinde von einem Dritten errichtet, betrieben und erhalten wird. Auf der Grundlage dieser Bestimmungen ist den Gemeinden ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet. Da das Eigentum an den Anlagen auch zu 100% in privater Hand liegen kann, kommen nicht nur das Betriebsführungs-, sondern auch das Betreibermodell in Betracht. Wie im Bereich der Wasserversor-
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gung ist aber auch hier durch den Gesetzestext (arg „sich bedienen“ oder „im Auftrag“) klar gestellt, dass die Gemeinden die Erfüllung der Verpflichtungen durch entsprechende Vertragsgestaltung sicher zu stellen haben. In Betracht zu ziehen sind daher auch hier nur Kooperationsmodelle, die auf das Außenverhältnis zwischen Gemeinde und Bürger keinen Einfluss haben. Fraglich ist mE die Möglichkeit der Einbeziehung Privater nach dem Wr und dem Vlbg Gesetz. Nach § 5 Abs 1 des Wr Kanalanlagen- und Einmündungsgebührengesetzes obliegt die Herstellung und Instandhaltung der Straßenkanäle der Stadt Wien. § 2 Abs 2 des Vorarlberger Kanalisationsgesetzes definiert die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage als die Gesamtheit aller Einrichtungen der Gemeinde, durch welche in der Gemeinde anfallende Abwässer gesammelt, abgeleitet und gereinigt werden, einschließlich von Einrichtungen zur Behandlung des Klärschlammes. In Bezug auf die Wr Regelung wird man mit Rücksicht auf die aus Art 116 Abs 2 B-VG ableitbare Entscheidungsfreiheit der Gemeinden davon ausgehen müssen, dass es Sache der Stadt ist zu entscheiden, wie sie ihrer Verpflichtung zur Herstellung und Instandhaltung nachkommt. In Betracht kommt daher mE auch hier die Möglichkeit des 100%-igen Fremdeigentums, wenn nur der Einfluss der Stadt auf Herstellung und Instandhaltung gesichert ist. Demgegenüber meine ich, dass die Vlbg Regelung zumindest eine Mehrheitsbeteiligung der Gemeinde an den Anlagen erfordert, weil man andernfalls wohl nicht mehr von einer „Einrichtung der Gemeinde“ wird sprechen können. Im Hinblick auf die Flexibilität bei der Entgeltgestaltung sei auf die diesbezüglichen Ausführungen zur Wasserversorgung (Pkt IV.B.3.) hingewiesen.
Sachverzeichnis Abfall 1316 –, gefährlicher 1325 –, Vermeidung 1333f –, Versandhandel 1335 –, Verwertung 1343f –, Wiederverwertung 1333 Abfallbeauftragter 1334 Abfallbegriff, –, Ausnahmen 1324f –, objektiver 1319ff, 1323 –, subjektiver 1322 Abfallbehandler 1329ff Abfallbehörde 1331 Abfälle –, Altöl 1339f –, gefährliche 1338f Abfallersterzeuger, Meldepflichten 1340f Abfallimport 1318 Abfallsammler 1329ff Abfallverbringung, Genehmigungsvorbehalt 1344 Abfallwirtschaft, Ziele 1336f Abkommen von Locarno 228 Abwasser, kommunale 1367 Abwasserbeseitigung, Raumordnungsgesetze 1382 Abwasserbeseitigungsanlagen, Ausnahmen 1384 Abwasserentsorgung 1363 –, Bauvorschriften 1383 –, Beteiligung Privater 1399f –, GATS 1371 Abwasserinhaltsstoffe, gefährliche 1381 Abwasserreinigungsanlagen, Betrieb 1382 Access Provider 163 Adhäsionskompetenz 332 Alles–oder–Nichts–Prinzip 825 Allgemeininteresse, Gründungszweck 826 Altlasten 1351ff Altmark–Urteil 1091 Altöl 1339f
Ambulatorium 503 Anbieten von Tätigkeit 16 Aneignungsrecht 613 –, Mineralrohstoffe 574 AnerkennungsRL 415, 419, 420 Angelegenheiten des Kultus 272 Anlagen, bahnfremde 135 Anmeldungsgewerbe 25, 137 Anonyme Geburt 536f Anordnungsbefugnis 69 Anschlussgebühr 1380 Anschlusspflicht, allgemeine 915 Anschlusszwang –, Abwasserbeseitigungsanlagen 1384 –, Landeswasserversorgung 1378f Anstalten, psychiatrische 552 Anstaltsversorgung –, Einstandspflicht 474 –, staatliche Pflichtaufgabe 473f Apotheken 425ff Apotheker 417, 444 Apparategemeinschaften 440 Arbeitsverhältnisse 98 ARGE 877 Arzneimittelkommission 517 Ärzte 416, 427f, 432, 455 Ärztegemeinschaften 440f Ärztehonorar 550 ASFINAG 983ff Aspekte, bergbautechnische 572 Asyl 51 Auftrag, öffentlicher 16 Aufträge, gemischte 835 Auftraggeber –, Datenschutzrecht 305 –, öffentliche 796 Auftraggeberbegriff, funktioneller 821 Auftragsarbeiten, Drittstaatsangehörige 53 Ausbilder 99 –, Prüfung 99 Ausbildung –, Einrichtungen, staatlich ausgezeichnete 100 –, Fahrten 346 –, Verhältnisse 98
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Sachverzeichnis
–, Versuch 102 Ausgleichsenergie 921f Ausgleichsvermittler 136 Ausgleichszahlungen, Beihilfen 706ff Auskunfterteilung, Datenschutzrecht 320f Ausschank, unentgeltlicher 64 Ausschlussgründe 49 Ausschreibungen, öffentliche 57 Ausstellungen 271 Ausstufung, Abfall 1326 Ausübungsverbote 36 Ausverkauf, Ankündigung 139 AWG 1319f, 1326ff, 1347ff Bauaufträge 834 Baugenehmigung, eisenbahnrechtliche 1000f Baukonzessionsverträge 838 Baurechtskompetenz 960, 1362f Bauvorschriften, Reklamebeschränkungen 134 Bedarfsprüfung 338, 426 Befähigungsnachweis 37f, 49 –, Anerkennung 343 –, Arbeitnehmer 43 –, nicht erforderlicher 42 –, verordneter 58 Beförderungseinrichtungen 270 Behandlung, ärztliche 524ff ––, Behandlungszustimmung 525 Beherrschung, staatliche 826, 828 Behörden, MinroG 625 Beihilfen 965f –, Aktivlegitimation 789 –, anfechtbare Handlungen 787 –, Anwendungsvorrang 691 –, Äquivalent 715 –, Ausnahmeregelung 749 –, Begriff 696f –, doppelte Staatlichkeitsbedingung 715ff –, Empfänger 789 –, Ermessensausnahmen 744ff –, Förderungsbegriff 692 –, Förderungsberichte 693 –, Formen 699 –, GruppenfreistellungsVO 750 –, Kapitalzuschüsse 703 –, Kontrolle 688 –, Legalausnahmen 743f
–, Marktadäquanz 700 –, neue, Begriff 758ff –, Nichtigkeitsklage 787 –, parafiskalische Abgabensysteme 710 –, Preisgelder 714 –, Privatinvestortest 703f –, Privatisierungen 702 –, Privatwirtschaftsverwaltung 693 –, Produktionszweige 720 –, Rechtfertigung 742ff ,747 –, Rückabwicklung 769 –, Rückforderung 715, 773ff, 782 –, Schadenersatzansprüche 781 –, Selektivität 723ff –, staatliche Herkunft 718f –, staatliche Zurechnung 716ff –, Untätigkeitsklage 785ff –, Unternehmensbegriff 720ff –, Verbot 689 –, Verbraucher 722f –, Vereinbarkeitsprüfung 742ff –, Verkauf von Immobilien 702 –, Verteiligungsbegünstigung 712f –, wirtschaftlicher Vorteil 698 –, Zuständigkeit 771 –, Zuweisungsbegünstigung 712 –, Zweiteilung des Systems 770ff –, Zwischenstaatsbezug 728 Beihilfenprüfung 754f, s auch Beihilfenkontrolle –, Altbeihilfen 755 –, Beschwerde 784 –, Beteiligtenrechte 783 –, Durchführungsverbot 767ff –, Hauptprüfungsverfahren 764ff –, neue Beihilfen 758ff –, Notifikation 760 –, Schema 753 –, Verfahren 757f –, Vorprüfungsverfahren 761 –, Widerruf von Entscheidungen 767 –, zweistufige 690 Beihilfenrecht –, Ausgleichszahlungen 1211 –, europäische 1210 –, Kompatibilitätskriterien 1211 Belustigungen, öffentliche 268, 273 Bereitschaft, ärztliche 522ff
Sachverzeichnis Berg– und Schiführer, persönliche Voraussetzungen 393 Bergbau –, Anlage 610 –, Aufsicht 626f –, Berechtigte 576f –, Berechtigung 611 –, Bevollmächtigte 616f –, Gebiete 622 –, Oberflächennutzung 624 –, Sicherheit 612 –, Technik 572 –, verantwortliche Personen 611 Bergbautätigkeiten, –, räumliche Begrenzung 612 –, Strafbestimmungen 618 Bergführer 353, 392 Bergführerverbände 392 BergpolizeiVO 614 Bergschäden 619 Bergtouren 353 Bergwerksberechtigungen 586ff –, Besonderheiten 608 Bergwesen 568 Berufe, freie 131 Berufs– und Standesregeln 413 BerufsanerkennungsRL 420 Berufsausbilderrat 107 Berufsausbildung, integrative 102 Berufsausbildungsrecht 90, 93 Berufsausübung, –, Innengesellschaften 436 –, multidisziplinäre Partnerschaften 435 Berufspflichten 450 Berufswahl –, Grundrecht 338 Berufszugang 447 Beschaffung, Waren– und Dienstleistungen 796 Beschäftigungsrecht, Kinder und Jugendliche 91 Beschränkungsverbot 410 Bestimmtheitsgebot, GewO 27 Betriebsleiter, technische 931 Betriebsstätten, Bezeichnung 77 Betrug 800 Beweislastumkehr 323 –, DSRL 323 Bewilligungspflicht 284
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–, Tanzunterricht 355, 358 Bieter, Gleichbehandlung 812 Bilanzgruppen 922 Bilanzgruppen –, Koordinatoren 922 –, Verantwortliche 922 Bildung, berufliche 89 Binnenmarkt 1089 Binnenschifffahrt 1018ff –, Gemeinschaftsverkehr 1106 –, Regulierung 1105ff Biomedizinkonvention des Europarates 485 BohrlochbergbauVO 614 Bruttopreise, Preisauszeichnung 119 Buchmacher 276 Buchmacher und Totalisateure 295 Buchpreisbindung 1207 Buchpreisbindungsgesetz, Preisauszeichnung 124 Bundes–Abfallwirtschaftsplan 1337 Bundesgesundheitsagentur 547 Bundeskommunikationssenat 1285 Bundeskompetenz, Datenschutz 302 Bundesmuseen 264 Bundesstraßen 958, 961 –, Bau und Erhaltung 981ff –, Genehmigung 966ff –, genehmigungspflichtige Maßnahmen 970ff –, Mauteinhebung 986ff –, Mauttarife 989 –, technische Gestaltung 967f –, Trassenfestlegung 973ff –, Trassen–UVP 977ff –, Trassenverlauf 968ff –, Umweltprüfung 968f –, Vignette 986 BundesstraßenG 134 Bundesstraßenverwaltung –, Finanzierung 983ff –, Sondergesellschafter 983 Bundestheater 264 Bundesvergabeamt 891ff Bundesverwaltung –, AWG 1346 –, unmittelbare 1129 Bundes–Wasserstraßenverwaltung 1026 Buschenschank 276f
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Sachverzeichnis
BVergG 2006 816 Campingplatz 387ff –, Bewilligung 388f –, Gesetze 295 Campingplatzwesen 278 Dachverbände 246 Darbietungen –, musikalische 269 –, öffentliche 273 Daseinsvorsorge 1121 –, Wasserversorgung 1364 Daten –, Geheimnis 320 –, personenbezogene 305 –, Qualität 312 –, unzulässig verarbeitete 311 Datenanwendungen –, Gefährdungspotential 318 –, Meldung 316 Datenschutz –, Grundrecht 308ff –, Kommission 307, 323f Datenschutzniveau –, Drittstaaten 307 –, EU–Mitgliedstaaten 307 Datensicherheit 319 Datenübermittlung 313 Datenverkehr –, Binnenmarkt 303 –, internationaler 306 Datenverwendung, Zweckbindung 312 De minimis–GVO 727, 750 Denkmal 134 Deregulierungsmaßnahmen, freie Berufe 404 Diagnosefallgruppen, leistungsorientierte 548 Dienstleister, Datenschutzrecht 306 Dienstleistungen –, allgemeines wirtschaftliches Interesse 1364 –, Aufträge 834 –, Konzessionsverträge 839 Dienstleistungsfreiheit 367, 408ff, 414, 415ff, 955 DienstleistungsRL 421, 1370 Direktmarketingunternehmen 138 Diskriminierung 409f
–, Verbot 810 ––, Energiewirtschaftsrecht 915 ––, GPA 805 Dispositionsbefugnis 719 Disziplinarrecht, freie Berufe 404 Disziplinarverfahren 451ff Domain–Name System 154 Domains –, EURid 156 –, first come–first served 157 –, ICANN 155 –, Internet Privatstiftung Austria 156 –, ISPa 156 –, System der Selbstregulierung 155 Drittstaatsluftverkehr 1112ff Drittwirkung 409 Druckwerke, Anschlagen 132 DSG 2000 301 DSK, Beschwerde 323 E–Commerce 143, 1126 –, Arbeitsprogramme 149 –, Entgelt 150 –, Fragestellungen 147 –, harmonisierter Bereich 151 –, Herkunftslandprinzip 152 –, individueller Abruf 150 –, koordinierter Bereich 152 –, Model Law on Elecronic Commerce 147 –, öffentlich–rechtliche Aspekte 144 –, Rechtswahl 152 –, Regelwerk für elektronische Unterschriften 147 –, Sonderfragen 144 –, Territorialität 160 –, Urheberrecht 153 –, Verbraucherschutz 153 –, wirtschaftliche Transaktionen 144 –, wirtschaftsverwaltungsrechtliche Normen 144 –, Zulassungsfreiheit 157 E–Commerce–RL 1200, 1208, 1217 Effizienzschutz, Vergaberecht 797ff E–Government 143 Eigenleistung, staatliche 843 Eigentum, gewerbliches –, Assimilationsprinzip 177 –, Beschränkungen 384ff –, Fähigkeit, Wasser 1373 –, Garantie, Werberegelungen 128
Sachverzeichnis –, Ordnung, Wasserversorgung 1364 –, Pariser Verbandsübereinkunft 177 –, Prioritätsrecht 178 –, Reziprozitätsanforderungen 177 Einfluss, maßgebender 34 Eingangsabgaben 120 Einkauf im Ausland 120 Einrichtungen öffentlichen Rechts 822 Einzelförderung 739 Eisenbahn –, Agentur, europäische 1013f, 1058 –, Anlagen, Betriebsbewilligung 1002 –, Bauvorhaben 993 –, Finanzierung 990 –, Genehmigung 996f, 998 –, Genehmigungsregime 992 –, Hochleistungsstrecken 997 –, Infrastruktur 995f ––, Unternehmen 1017 –, Projekte, UVP–pflichtige 1001f –, Sicherheit 1011f –, System, Interoperabilität 1012f Eisenbahnverkehrsunternehmen 1103 –, Aufsicht 1062 –, EU/EWR u Drittstaaten 1060 –, Marktzulassung 1055ff, 1058 –, Österreich 1059 Eisenbahnwesen 994 Eislaufplätze 268, 277 Elektrizitätsbinnenmarkt–RL 2003 911, 913 Elektrizitäts–Control GmbH 938ff Elektronisches Geld 159 Elternrecht 340 Energie–Control Kommission 918ff, 926, 928, 931, 940f Energierecht, Querschnittsmaterie 912 Enteignungen 384ff Entgelt, privatrechtliches, Wasserversorgung 1395 Erdgasbinnenmarkt–RL 2003 911, 913 Ermächtigungen, gesetzliche 314 Erscheinungsbild, GewO 19 Ertüchtigung, sportliche 275 Erwerbs– und Wirtschaftsgenossenschaften 18 Erwerbsausübung –, Beschränkung 111 –, Freiheit 423 Erwerbsfreiheit 282, 462, 733
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–, grundrecht 337 –, Werbeverbote 125 Europäische Agentur für Flugsicherheit 1078 Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) 436 Fahrfertigkeiten, Unterweisung 346 Fahrlehrer 348 Fahrpläne 1053 Fahrschulen –, Bewilligung 346 ff –, Lehrer 348 Fernabsatz 150 Fernleitung, Gasrecht 930f Fernmeldewesen 1127f, 1218 Fernsehen, Digitalisierung 1281 FernsehRL 1197, 1199, 1213ff Fertigkeit –, Schulen 330 –, Vermittlung 329 –, Vermittlungsschulen 335 Fiaker 274f –, Gesetze 295 Filialapotheke 426 Filmförderung 1280 Flughafen –, Betreibergesellschaften 1038 –, Zivilluftfahrt 1037 Flugplätze –, Betrieb 1034ff –, Genehmigung 1031 –, UVP 1033f –, zivile Bodeneinrichtungen 1032 Flugzeuge 135 Förderungen 730ff –, Antragsberechtigungsproblem 780 –, Empfänger 739 –, Konklurrentenklage 779 –, Konkurrentenrechtsschutz 778 –, privatrechtsförmige Förderungsgewährung 736ff –, Recht 729 –, Rückforderung 739, 741f –, Rückforderungen 778f –, Schadenersatz 778 –, Zweifelsregel 732 Förderungsgewährung –, Auslagerung 732 –, öffentlich–rechtliche 740ff
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Sachverzeichnis
Fortbetriebsrecht 72f –, SchischulG 352 Freie Berufe –, Ausbildung 429ff –, Berufsbild 448 –, Definition 401 –, Disziplinargewalt 451f –, Erwerbsantrittsregelungen 403 –, Erwerbsausübungsregelungen 403 –, Kooperationsbeschränkungen 432ff –, Meldepflichten 455 –, objektive Zugangsbeschränkungen 423 –, Organisationsform 432ff –, Selbstverwaltung 402 –, Sozialversicherungspflicht 446 –, Standesgerichtsbarkeit 402 –, subjektive Zugangsbeschränkungen 429ff –, Verschwiegenheitspflichten 454 –, Zugangsschranken 424 Freizügigkeit, Arbeitnehmer 341 Fremdenverkehr –, Abgabe 369 –, Komitees 369 –, Vereine 369 –, Verwaltung 369 ––, regionale 377f Frequenz –, Handel 1150 –, Verwaltung ––, CEPT 1144 ––, europäische 1145 ––, nationale 1145f –, Zuteilung 1146ff ––, Änderungen 1149 ––, Widerruf 1150f Fusionskontrolle –, europäische 666f –, Kontrollerwerb 667 –, One–Stop–Shop 666 –, SIEC–Test 668 Gasrecht 931f Gastgewerbe 23 GATS 1370ff –, GewO 13 –, Verpflichtungsliste 52 Gebrauchsmuster 221 –, Neuheitsbegriff 222
–, Register 227 Gebrauchsmusterrecht –, Inhalt 223 –, Registrierung 224f –, Verlust 226 –, Zuständigkeiten 227 –, Zweck 222 Gebühren –, LKF–Pflegegebühren 545 –, Sondergebühren 545 Gebührenklasse 543 –, Sonderklasse 544 Gegenseitigkeit, materielle 55 Geheimhaltung –, Beschränkung 310 –, Datenschutz 309ff Geheimmuster 233 Gelegenheitsverkehrsunternehmen 1043, 1093f Geltungsbereich, persönlicher, BVergG 820 Gemeinde, freiwillige Aufgaben 1376 Gemeingebrauch 958 Gemeinnützigkeit 1397 Gemeinschaftsbeihilfen 691, 694f Gemeinschaftslizenz 1045f, 1048 GemeinschaftsmarkenVO 183 Gemeinschaftsrecht 12f Genehmigung, GewO 62 Genehmigungsverfahren –, Unterbrechungen 601 –, Unterlagen 45 Gesamtbetrieb 42 Gesamtförderung 739 Geschäftsbezeichnung, äußere 78 Geschäftsführer –, Bestellung 70 –, fakultativer 67 –, gewerberechtlicher 39, 60 –, obligatorischer 68 –, Preisauszeichnungspflicht 122 –, Wohnsitz 70 Geschäftsverkehr, elektronischer 78 Geschmacksmuster, Design 229 Geschmacksmusterecht –, Inhalt 232 –, gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 228f –, Musterabbildung 230 –, Registrierung 232f
Sachverzeichnis –, Verlust 233 –, völkerrechtliche Grundlagen 228f –, Zuständigkeiten 234 GeschmacksmusterVO 228 Gesichtspunktetheorie 364 Gesundheitsberufe 427 Gesundheitswesen 1362 –, Politikbereich 481ff Gewalt, öffentliche 412 Gewässerqualität, Schutz 1381 GewässerschutzRL 1367 Gewerbe –, Anmeldung 62 –, Ausübung ––, Ort 74 ––, unbefugte 82 –, Begriff 13ff – Berechtigung ––, Entziehung 79ff ––, inländische 56 ––, keine inländische 59 ––, Ruhen der 82 –, freie 26, 137 –, genehmigungspflichtige 25 –, reglementierte 26 –, Umfang 65 –, verbundene 41 Gewerbeordnung, Preisauszeichnungsregeln 123 Gewerbetreibende 136 Gewerblicher Rechtsschutz –, Begriff 173f –, Immaterialgüterrechte 174 –, OPM 180 –, Österr. Patentamt 179f Gewinn, untertägig 603 Gewinnerzielungsabsicht 19 Gewinnungsberechtigung, Mineralrohstoffe 576, 585 Gewinnungsbetriebsplan 594 –, befristet 598 –, Berbauberechtigungswesen 602 GewO, Ausnahmen 21ff Gläubigerschutz, GewO 8 Gleichbehandlungsgebot 733 Gleichbehandlungsgrundsatz 734, 850 Gleichhaltung, Äquivalenzprüfung 57 Gleichstellung, GewO 52 Gleichwertigkeitsprüfung, materielle 411
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Glückspielmonopol 271f Golfplätze 278 GPA 803ff Großveranstaltungen 292 Grundeigentümer, Bergbau 620ff Grundfreiheiten 810 Grundpreisauszeichnungspflicht 119 Gruppenpraxen 441 Güterbeförderungsunternehmen, Marktzulassung 1047ff Güterbeförderungsverkehr 1041 Güterverkehrsunternehmen 1094f Häfen, Sonderbestimmungen 1024 Haftpflichtversicherung, freie Berufe 444 Haftungsregelungen, E–Commerce 163 Halbleiterschutzrecht –, Anspruchsberechtigte 237 –, Inhalt 236 –, Mikrochips 235 –, Registrierung 237 –, Topographien 235 –, TRIPS–Abkommen 234 –, Verlust 237 Halbleiterschutzregister 236, 238 Haltestellen 1053 Handelsbeeinträchtigung 725ff Hausapotheke 427 Hausbrieffachanlagen 1309 Hebammen 417 Hersteller– und Handelsmarken 185 Hochleistungsstrecken 1003ff –, Trassengenehmigung 1005ff, 1009 –, Trassen–UVP 1007f Honorar, freie Berufe 461f Honorarordnungen 463 Hosting 164 Immaterialgüterrechte 174, 175 Indirekteinleiter, Kanalisation 1381 Infizierungsprinzip 825 Informationsgesellschaft, Dienste 150 Inhouse–Vergaben 843ff Inländerdiskriminierung 431 Inländergleichbehandlung, GPA 805 Inlandswohnsitzerfordernis, Bergbaubevollmächtigte 617 Innengemeinschaften 440
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Sachverzeichnis
Interesse, öffentliches, Wasserversorgung 1374 Internationalisierung, freie Berufe 404 Internet, Datenschutz 315 JugendarbeitsschutzRL 93 Jugendschutz 295 Kammermitgliedschaft 413 Kammerrecht, freie Berufe 404 Kanalgebühren, Äquivalenzprinzip 1386 Kanalisationsanlagen –, Betrieb 1382 –, Gemeindepflicht 1383 Kanalisationsbeiträge 1388 Kanalisationsgebühren 1388f Kartellgericht 675 Kartellobergericht 675 Kartellrecht –, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen 649 –, echte Handelsvertreterverträge 647 –, europäisches 643f –, Geldbußen 665 –, Handlungsfreiheit 650f –, Konzernprivileg 647 –, Normadressaten 645f –, öffentliche Unternehmen 640 –, One–Stop–Shop 644 –, österreichisches 643f –, relevanter Markt 648 –, Unternehmen 645f –, Vereinbarungen 648 –, Verhaltensweisen 649f –, Wettbewerbsbeschränkung 650ff –, Wirkungsprinzip 641f –, Zusammenschlusskontrolle 665 Kartellverbot 651f –, Bagatellkartelle 659 –, De–minimis–Bekanntmachung 652 –, Freistellung 657ff –, Kernbeschränkungen 653 Kartellverfahren –, Abhilfemaßnahmen 673 –, Bundeswettbewerbsbehörde 676 –, Geldbußen 676 –, Zwangsgelder 676 Kernbeschränkungen 656
Kinder– und Jugendbeschäftigung 107ff –, 8. Dezember 110 –, Arbeit 108 –, Arbeitszeit 109 –, Ausbildungsverhältnis 108 –, Dienstverhältnis 107, 108 –, gesetzliche Feiertage 110 –, Jugendliche 108 –, Kinder 108 –, Nachtarbeit 109 –, Ruhepause 109 –, Ruhezeit 109 –, Schutzvorschriften 109 –, Sonntag 110 –, Untersagung 111 –, Urlaubsanspruch 110 –, Verbote 108 ––, Akkordarbeit 110 ––, Beleidigungen 110 ––, Gefährdung 110 ––, Geld– und Sachwerte 110 ––, körperliche Züchtigung 110 –, Wochenfreizeit 110 –, Zuwiderhandeln 110 Kinowesen 294f KommAustria 1283f –, Gesetz 1283 Kommunikationsbehörde Austria 1283f Kommunikationsfreiheit 1219 Kommunikationsinfrastrukturrecht 1257 Kompetenzgrenzen 331 Konfliktlösung 520 Konkurrenzschutz, GewO 8 Konkurrenzschutzgewerbe 26, 46 Konstituierung, Verein 248 Konsumenten, GewO 8 Kontrahierungszwang 140 –, Energiewirtschaftsrecht 921 –, NahversorgungsG 140 Konzernprivileg 48 KoordinierungsRL 415 Korruption 797, 800 Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen 1095f –, Abgeltung 1053f –, Marktzulassung 1049ff Kraft–Wärme–Kopplung 914 Kraftwerkspark 926
Sachverzeichnis Krankenanstalten –, Angliederungsverträge 495 –, Anstaltsordnung 522 –, Anstaltszweck 487 –, Arten 490f –, ärztlicher Leiter 509 –, Auflassung 507f –, Aufnahme– und Behandlungspflicht 526f –, Außenstellen 498 –, Bedarfsprüfung 484, 500ff –, Belegarztsystem 497 –, Belegkrankenhaus 496 –, Betriebsbewilligung 505 –, Blutdepot 536 –, Dienstpflichten des Anstaltspersonals 480 –, Dokumentationspflichten 529f –, Einrichtungsbewilligung –, Einsichts– und Ausfolgungsrechte 531f –, erste ärztliche Hilfe 526 –, Ethikkommission 513ff –, fachliche Weisungsbindung 510f –, Finanzierung 484, 492 ––, leistungsorientierte 476f –, fondsfinanzierte 503 –, Heil– und Pflegeanstalt 479f –, Kinderschutzgruppen 515 –, kollegiale Führung 508f –, Konkurrenzschutz 500 –, Konzessionssystem 498f –, Krankenhaushygieniker 512f –, Leistungsumfang 491 –, Leiter des Pflegedienstes 511 –, öffentliche 503 –, Öffentlichkeitsrecht 493 –, organisatorische Strukturen 478 –, Qualitätssicherung 535 –, Sachleistungsprinzip 500 –, Sanitäre Aufsicht 537 –, Sperre 507 –, technische Sicherheitsbeauftragte 512 –, Versorgungspflicht 492 –, Verwaltungsleiter 511f –, Werbebeschränkungen 532 –, Werbeverbote 131 –, Wirtschaftsaufsicht 537
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Krankenanstalten, öffentliche, –, Ambulante Behandlung 541 –, Arzneimittelversorgung 542 –, Aufnahmepflicht 540f –, Obduktion 543 –, Öffentlichkeitsrecht 539 Krankenanstalten, private –, Aufnahmepflicht 553 –, Gebührenersatz 554 –, Obduktion 553 –, Pflegegebühren 554 –, Sonderbestimmungen 553 Krankenversicherungsträger 521 Kronzeugenregelung 673, 677 Kundmachungspatent, GewO 9 Kunstfreiheit 281 Kurzberichterstattungsrecht 1253 KWK–Anlagen 918, 924f Landeskrankenanstaltenplan 475f –, Konkretisierungsfunktion 476 Landesstraßen 961 Landesstraßen(verwaltungs)G 134 Landverkehr 1089ff Lebensmittel, Etikettierung 95 Lebensmittelrecht –, Trinkwasser 1380 –, Wasserrecht 1362 Lebensversicherungen 136 Lego–Klausel 231 Lehre –, Altersgrenze 98 –, Anrechnung von Lehrzeiten 106 –, Arbeitsverhinderung 105 –, Ausbilder 99 –, Ausbilderprüfung 106 –, Ausbildung 102 –, Ausbildungseinrichtungen 100 –, Ausbildungsverbot, Zuständigkeit 106 –, Ausbildungsverbund 99 –, Ausbildungsvorschriften 102 –, Bundesberufsausbilderrat 107 –, Dauer 101 –, Eintragung des Lehrvertrags 106 –, Ende 104 –, Geschäfts– und Betriebsgeheimnisse 103 –, integrative Berufsausbildung 102 –, Lehrabschlussprüfung 103 –, Lehrberechtigte 98
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Sachverzeichnis
–, Lehrberufe 100 ––, modulare 101 ––, zueinander verwandte 101 –, Lehrberufsliste 101 –, Lehrling ––, Entschädigung 105 ––, Höchstzahlen 102, 106 ––, Pflichten 103 ––, Rechte 103 ––, Stellen 105f ––,ausbildungsverbot 100 –, Lehrverhältnis 104 –, Lehrvertrag 104 –, Lehrzeugnis 104 –, Pflichten des Lehrberechtigten 102 –, privatrechtliches Entgelt 105 –, Schnupperlehre 98 –, Schulbesuch 103 –, staatlich ausgezeichneter Ausbildungsbetrieb 100 –, Staatsbürgerschaft 98 –, typische Berufsbilder 102 –, Verständigungspflicht, Gerichte 106 –, Werkstoffe, Werkzeuge und Geräte 103 –, wesentliche Fertigkeiten und Kenntnisse 102 –, Zulässigkeit 106 –, Zulassung zur Abschlussprüfung 106 –, Zuständigkeit 105ff Leistungswettbewerb 725 Lenkerberechtigung 344 Liberalisierung, freie Berufe 404 Lieferaufträge 834 Liegenschaftseigentümer –, Gefahrenstoffe 1335f –, Haftung für Abfälle 1341 LKF–Gebührenersatz 547 Lorenz–Frist, Beihilfenprüfung 762 Luftfahrtunternehmen –, Aufsicht 1086ff –, Ausübungsvorschriften 1084f –, Betriebsgenehmigung 1083f –, black list 1114f –, code–Sharing 1086 –, EG–Klausel 1087 –, Marktzulassung 1068ff, 1074ff Luftfahrzeuge, Leasing 1084f Luftraum 1038f Luftverkehr
–, Regulierung 1108ff –, single–licence–Prinzip 1075 –, Slots 1110 Luftverkehr –, Abkommen 1070 –, Betreiberzeugnis 1076 –, Dienste 1073f –, Infrastruktur 1028f Main object tests 836 Main value tests 836 Marke –, Begriff 185 –, Benutzungshandlungen 191f –, Domain 192 –, Formen 186f –, Funktionen 188 –, Verwechslungsgefahr 190 Markenlizenzverträge 176 Markenrecht –, Ähnlichkeitsrecherche 199 –, Ausschließungsrecht 193, 195 –, Belastung 201 –, Erschöpfungsgrundsatz 183, 194 –, Erwerb 197ff –, EVÜ 176 –, Gesetzmäßigkeitsprüfung 198 –, Gestattungsvertrag 202f –, Grundsätze 180 –, Inhaber 189 –, Inhalt 189f –, internationales 180 –, Lizenzierung 201 –, Löschungsgründe 200f –, Marktabschottung 195 –, Rechtsbehelfe 196ff –, Registrierungshindernisse 198 –, Schutzdauer 197 –, telle–quelle–Klausel 181 –, Übertragung 201 –, Verlust 199f –, Zweck 183f Markenregister 197 –, internationaler 181 MarkenRL 183 Markenschutz, Patentamt 204 Markenübertragungsverträge 176 Massenkommunikation 1193 Massenmedien –, Datenträger 1195
Sachverzeichnis –, Kino 1195 –, Kultur 1191 –, offene Marktwirtschaft 1204 –, öffentlicher Auftrag 1235, 1237 –, ökonomisches Marktmodell 1202 –, online 1196 –, Printmedien 1195 –, Produktionsebene 1205 –, public watchdog 1191 –, Rundfunk 1196 –, sachlich 1205 –, Unternehmensgegenstand 1235 –, Vertriebsebene 1205 –, Werbung 1271ff –, Wettbewerbsvorschriften 1262f –, Wirtschaftsfaktor 1191 Mediation 449 Medienaufsichtsrecht 1282f Mediendienste –, audiovisuelle 1215 –, linear 1199, 1216 –, nicht linear 1199, 1216 Medienförderung 1278ff Medienordnungsrecht 1224ff Medienrecht 1192 –, Impressumspflicht 1226 –, Kennzeichnungspflicht 1228 –, Offenlegungspflicht 1227 –, Veröffentlichungspflicht 1228 Mediensektor, Exklusivvereinbarungen 1206 Medienunternehmen 1225f Medienverbundregelungen 1267f Medienvielfalt 1266 Medienwerbung 1271ff –, Sponsoring 1274 Medienzusammenschlüsse 1264f Medium, periodisches, elektronisches 1225 Meistbegünstigung, GPA 805 Mengeneinheiten, Preisauszeichnung 120 Mindestgebühren 462, 464 Mineralrohstoffe –, Abschlussbetriebsplan 606ff –, Gewinnen 575 –, Schurfberechtigung 579 Missbrauchsaufsicht 1209f Mitleidswerbung 131
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Mitwirkungspflicht, Nachsichtswerber 34 Monopol, natürliches 1397 Motorschlitten 274f Multiplex–Plattform, Zulassung 1246ff Münchener Übereinkommen (EPÜ) 205 Musikunterricht 265 Musterabbildung 233 Musteranwendungen, Datenschutz 317 Must–match–Teile 231 Nachschulungen 344 Nachsicht, Gewerbeausschluss 32ff NahversorgungsG 139 Nationalbibliothek 264 Natur–2000–Gebiet, Abfall 1338 Naturschutz 395 NaturschutzG 135 Naturschutzkompetenz 960 Nebenbeschäftigung, häusliche 23 Nebengewerbe, Land– und Forstwirtschaft 24 Nebenrechte, allgemeine 64 Nebenzweckprivileg 251 Negativliste, Preisauszeichnung 120 Netzanschluss, Recht 915 Netzbedingungen, Allgemeine 932 Netzöffnung, Wasser 1398 Netzzugang – , geregelter 915, 932 –, Rangfolge 916f –, Verweigerung 916, 932ff Nicht–Hochleistungsstrecken, Genehmigung 998ff Niederlassungsfreiheit 408ff, 413, 415ff, 459 Notar 424 Notar–Partnerschaften 440 ÖBB 1014, 1063 Oberster Patent– und Markensenat 204 OECD 147 –, Datenschutzrecht 304 Offenlegungspflicht, Datenschutzrecht 318 Öffentlichkeit, Veranstaltungen 274 Öffnungszeiten 89, 111 –, 24. Dezember 115 –, 31. Dezember 115
1412
Sachverzeichnis
–, 8. Dezember 115 –, Anwendungsbereich 111 –, Ende 115 –, Feiertage 113ff –, geschlossen halten 113 –, Kleinverkauf im Umherziehen 115 –, Kundmachung 115 –, Privatautonomie 111 –, Recht 94 –, Regelungen 92 –, regionaler Bedarf 113 –, Sachlichkeitserfordernis 111 –, Sonderregelungen 115 –, Sperrzeitenregelung 113 –, Strafbestimmung 114, 116 –, Straßenhandel 115 –, Verkaufsstellen 115 –, Werktage 113 –, Wochenende 113ff Ökostromanlagen 924 Ombudsmann 516 ÖNORM A 2050 816 Open skies 1070 Ordinationsgemeinschaften 440 Ordnungssicherung 44 –, GewO 8 ORF 1233ff –, Aufsicht und Kontrolle 1240f –, Finanzierung 1238f Organspende, Widerspruchslösung 558f Ortsbildschutzregelungen 134 Österreichische Bundesbahnen 1014, 1063 Parteistellung, Krankenanstaltenrecht 504 Patent Cooperation Treaty 205 Patent –, Diensterfindungen 214 –, Erfindung 207ff –, negativer Feststellungsantrag 214 Patentamt 220 Patentanwälte 419 Patenterteilungsverfahren 215f Patentrecht 205f –, angemessenes Entgelt 213 –, Anspruchsberechtigte 217 –, Belastung 219f –, Diensterfindung 217 –, Doppelerfinder 217
–, Gemeinschaftspatent 206 –, Lizenzierung 219f –, Rechtsbehelfe 212ff –, Rechtsinhalt 210ff –, Rücknahmeanträge 218f –, Territorialprinzip 205 –, Übertragung 219f –, Verlust 218f –, Zweck 207 Patentverletzung, mittelbare 211 Patentwesen 175 Patientenanwaltschaft 516 Patientenrechte 534f Patientenvertretung 516 Pauschalreisen, Werbeunterlagen 136 Personalkreditvermittler 136 Personenbeförderung –, Konzessionen 1044 –, Voraussetzungen 1045 Personennahverkehr, öffentlicher, Regulierung 1104 Pflege– und Sozialbetreuungsberufe 332 Positivliste, Preisauszeichnung 120 Post –, Geheimnis 1310 –, Gesetz 1997 1304f –, internationale 1290 –, Österreichische 1307 Postdienst –, Entgeltregulierung 1295 –, Genehmigungen 1295 –, Zugangsregulierung 1309 Postnetz, Zugangsregulierung 1296 PostRL 1292 Postsektor –, Aufsichtsbehörden 1311 –, EG–Wettbewerbsregeln 1298f –, Finanzierungsoption –, Fusionskontrolle 1303 –, Kartellverbot 1303 –, Missbrauch 1302 –, Regulierungsbehörden 1298 –, Regulierungsmaßnahmen 1293 –, REIMS II Vereinbarung 1296, 1303 –, relevante Märkte 1301 –, Saldierungsmethode 1301 –, Übergangsregelungen 1293 –, Universaldienst 1294, 1306, 1308 –, Universaldienstbetreiber 1307
Sachverzeichnis Postunternehmen, Verhalten 1299 Postwesen, 1289 –, Post– und Telegrafendirektion 1288 Praktikanten 98 Preisauszeichnung 116ff –, Bruttopreise 119 –, Eingangsabgaben 120 –, Eingriffsmittel 116 –, entbehrlich 120 –, Gastgewerbebetriebe 118 –, österreichische Währung 119 –, Straftatbestand 122 –, Treibstoffe 118 –, Verkaufseinheit 119 –, Verletzung 121 –, Verwaltungsübertretung 121f –, VO des BMWA 121 –, Zuständigkeit 122 – Pflicht ––, Leistungen 117 ––, Sachgüter 117 – Recht 92, 95 Preisauszeichnungsvorschriften –, Gewerbeordnung 123 –, Immobilienmakler 123 –, periodisches Druckwerk 124 –, Personalkreditvermittler 123 –, Tanzschulen 124 –, Tarifsätze 123 –, Taxi–Betriebsordnung 123 –, Textilreiniger 123 Preise –, Angemessenheit 852 –, ausgestellte Sachgüter 118 –, Grundpreis 119, 120 –, Leistungen 116, 120 –, Sachgüter 116, 118 Preiswettbewerb 116 Presse– und Publizistikförderung 1279f Presse– und Rundfunkfreiheit 128, 1220f Pressewesen 1217 Privat– und Familienleben 281, 339 Privatautonomie, Öffnungszeiten 111 Private enforcement 660 Privatsphäre, Schutz 303 Privatunterricht 275, 329 Privatzimmervermietung 390f Privilegierung, eigenberechtigte Personen 30
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Produkte –, gefährliche 137 –, Gestaltung 1333 –, Verpackung 1333 Prostitution 21 Prozessökonomie 800 Prüfungszeugnisse 414 Prüfverfahren, förmliches 783 Psychologen 419 Psychotherapeuten 419 Public Private Partnership 841, 844, 964 –, Wasserversorgung 1392 Public service broadcasting 1231 Qualitätssicherung, Befähigungsnachweis 7 Quasi–Gebietsmonopole, Wasserversorgung 1391 Querschnittsmaterie 146, 364, 912 Quersubventionierung 705f, 1303 RahmenRL für Bundesförderungen 738ff Rahmenverfügungen, wasserwirtschaftliche 1375 Raumordnungsrecht 394 Raumplanungskompetenz 959 Raumvermietung 20 Rechtsanwälte 417, 422, 431, 438f, 458, 460 Rechtsanwaltsgemeinschaften 437 RechtsmittelRL 814 Rechtsschutz –, effektives Gebot 812 –, gewerblicher s. Gewerblicher Rechtsschutz Rechtsschutzniveau, Auftragsvergaben 815 Regel–Ausnahme–System 13 Regelzonen 931 Register, Werbung 138 Regulierungsbehörden 1124 Regulierungsinstrumente 1165 Religionsausübung 281 Rohstoffe, mineralische Gewinnung 570 RTR–GmbH 1179ff Rundfunk und Telekom Regulierungs– GmbH 1284
1414
Sachverzeichnis
Rundfunk – Gebühren 1232 – System, duales 1230 –, Freiheit, BVG–Rundfunk 1221 –, Frequenzen 1258ff –, Individualbeschwerde 1249 –, Legalkonzessionssystem 1222 –, Marktzutrittsregulierung 1242 –, öffentlicher 1231 –, Popularbeschwerde 1249 –, privater 1241ff –, terrestrischer 1245 Rundfunkordnung 1224, 1230ff Sach– und Rechtslage, Anmeldung 29 Sachlichkeitserfordernis, Öffnungszeiten 111 Sachlichkeitsgebot 733, 1396 Safe–Harbour–Vereinbarung 308 Schachtelprivileg 49 Schadenersatz, Datenschutzrecht 323 Schaubergwerke 616 Schaustellungen 268 Schiedskommission 521 Schienen–Control GmbH 1096 Schienen–Control Kommission 1096f, 1101ff Schienenfahrzeuge 1060 –, Bauartgenehmigung 1010f Schieneninfrastruktur 1014ff, 1097f –, Privatbahnen 1017 Schienenverkehr, Regulierung 1096f Schifffahrtsanlagen –, Benützungsbewilligung 1023 –, Finanzierung 1027 –, Genehmigung 1021f Schifffahrtsunternehmen, Marktzulassung 1063 Schiffsführerschulen 1067 Schilehrerausbildung 352 Schipisten 278 Schischulen 265 –, Bewilligung 350 –, Unterrichtsvorbehalt 349 Schlichtungsstelle 517 Schneeballsystem 138 Schulpflicht 340 Sektorenauftraggeber 796, 828, 886ff SektorenRL 814 Sektorentätigkeit, Ausübung 829
Selbstbedienungsrechte 64 Selbstbestimmung, informationelle 301 Service Provider 163 Signatur, elektronische 164 Signaturgesetz 165 SignaturRL 165 Sondergebühren 549 –, Anstaltsgebühr 550 Sonderwettbewerbsrecht 679 Sonntagsarbeit, Verbot 94 Sonntagsverkaufsverbot 94 Spams 153, 162 Speicherbewilligung 592 –, Mineralrohstoffe 576 Spielapparate 276, 293f Spiele 276 Sprengmittel 615 Staatenlose 51 Staatsbürgerschaft 413 Staatsverträge, GewO 51 Standardanwendungen, Datenschutz 317 Standespflichten 450 Sternsozietät 438 Stranded costs 920, 928 Straßenbenützung, verkehrsfremde Zwecke 132 Straßennetz 953 Straßenpolizei 959 Straßenrecht 957 Straßenverkehr, Regulierung 1093ff Subunternehmer 872 Subventionen 733 Subventionsrecht 394 Systemnutzungstarife 927 Take or Pay–Verpflichtungen 935 Tanzschulen 265 Tanzunterricht –, Ankündigung 132 –, Betriebsstätten 359 Tätigkeit –, regelmäßig 15 –, wissenschaftliche 22 Teilgewerbe 38 Teilkonzentration 979 Teiltätigkeit 58 Teilzeitnutzungsrechte, Wohnungen 136
Sachverzeichnis Telekom–Control Kommission (TKG) 1177ff Telekommunikation –, Allgemeingenehmigung 1137 –, basic telecommunications agreement 1131 –, Betriebsanlagen 1141f –, Datenschutz 1174f –, Dienste der Informationsgesellschaft 1138 –, Durchsetzung der Wegerechte 1156f –, Frequenzen 1143ff –, Frequenzverwaltung 1144 –, Funkanlagen 1141f –, GATS 1130 –, Gewährleistungsverantwortung 1123 –, Infrastrukturebene 1128 –, Infrastrukturregelung 1126 –, ITU 1130, 1132f –, Kommunikationsnetze 1128 –, Kommunikationsparameter 1151f –, Leitungsrechte 1155 –, Marktanalyse 1161f –, Marktbeherrschung 1162 –, Marktdefinition 1159f –, Marktzutrittsregulierungssystem 1123 –, Mitbenutzungsrechte 1156 –, Nutzerrechte 1173f –, Parteistellung 1164 –, RahmenRL 1135 –, Rechtsakte 1135 –, Reference Paper 1132 –, Regulierungsinstrumente 1125 –, Regulierungsmodell 1136 –, Rufnummernportierung 1153f –, Rufnummernverwaltung 1151 –, Streitschlichtung 1183 –, technologieneutrale Regulierung 1126 –, Universaldienst 1171 –, Universaldiensterbringer 1172 –, Wettbewerbsregulierung 1158 –, WTO 1130 –, Zusammenschaltung von Netzen 1167 Telekommunikationsmärkte –, Basiskommunikationsdienstleistungen
1415
–, independent regulatory agencies 1176 –, Universaldienstregime 1170 Telekommunikationswegerechte 1154f Telle–quelle–Prinzip 182 Tender Electronics Daily 867 Tennisplätze 269, 277 Territorialprinzip 175ff Tierärzte 417 Tierschutz 273, 297 Topfsystem 351 Tourismus –, Förderung 368ff –, Abgabe, Ortstaxe 382 –, Interessenten 372 –, Kommissionen 375f –, Regionen 378 Tourismusfond 379 Tourismusverband 371, 372ff, 378 –, Aufgaben 373f –, Aufsicht 376 –, Errichtung 373 –, Ferienwohnungsabgabe 383f –, Geschäftsführer 377 –, Interessentenbeiträge 380ff –, Organe 374ff –, Vollversammlung 375 Traktorzüge 274f Transaktionskosten 799 Transparenzgebot 812, 850f TransparenzRL 636 –, Beihilfen 704ff Transporte, grenzüberschreitende 932 TrassenVO 969, 1004 Trinkwasser, Direktleitung 1389 TRIPS–Abkommen 178, 228 Übungsfahrten 345 Umweltprüfung 1337 Umweltverträglichkeit 974 Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) 959 Unbundling 923 UNCITRAL 806 Unfälle, Bergbau 615 Ungehorsamsdelikte 85 Universaldienst, Finanzierung 1173 Universitätskliniken 495, 519, 555ff Unterricht, häuslicher 265
1416
Sachverzeichnis
Unterrichts– und Privatschulfreiheit 337 Unterrichtshoheit 339 Unterstützungseinrichtungen 445 Untersuchungshäftlinge, Einweisung 558 Veranstalter 288 Veranstaltungen 263 –, Anzeigepflicht 286 –, Auflagen 286 –, Begriff 261ff –, Behörden 292 –, Bescheinigung 287 –, Bildungskompetenz 265 –, Bundespolizeidirektionen 278 –, Einteilung 284 –, Entziehung der Bewilligung 286 –, freie 287 –, Gebrauchserlaubnis 290 –, gewerbsmäßig ausgeübt 267 –, im Freien 290 –, Überwachung 278, 291f –, Untersagung 287 –, verbotene 288 –, Versagungsgründe 286 –, Voraussetzungen 285 –, Vorträge 267 Veranstaltungsgesetze, Anwendungsbereich 283f Veranstaltungspolizei, örtliche 264, 279 Veranstaltungsstätten 289f Veranstaltungswesen –, Charakter 274 –, Übertragungspflicht 264 Verantwortung, verwaltungsstrafrechtliche 67 Verarbeitung, automatisierte 304 Verbände –, Aufgaben 356 –, Aufsichtsbehörde 357 Verbandsmarke 189 Verbot, gewerberechtliches 36 Verbraucherschutz, Preisauszeichnungsrecht 95 VerbringungsVO 1341 Vereine –, Begriff 244 –, Freiheit, Grundrecht 241
–, Gesetz 2002 242 –, GewO 18 –, Gründung 246ff –, Register 254f –, Statuten 247 –, Versammlungen 266 –, Vorstand, Haftung 253 Vereitelungsgefahr 35 Vergaberecht –, Abänderungsangebote 871 –, Ablauf des offenen Verfahrens 867 –, Allgemeininteresse 823 –, Alternativangebote 871 –, anfechtbare Entscheidungen 893f –, Angebot 876ff –, Angebotsprüfung 881ff –, Arbeitsgemeinschaften 877 –, Ausschreibung 868 –, Bietergemeinschaft 877 –, Eignungskriterien 870 –, Eignungsprüfung 879f –, Feststellungsverfahren 898 –, Fristen 873 –, geistige Dienstleistungen 861 –, Leistungsbeschreibung 869f –, nicht offenes Verfahren 857 –, offenes Verfahren 856 –, Präklusion 894 –, Provisorialverfahren 896 –, Rechtsschutz 889ff –, Schwellenwerte 847 –, short–listing 860 –, Variantenangebote 872 –, Verfahren 838f –, Wettbewerb 801 –, Widerruf 884f –, Zuschlagsprinzip 873 –, Zuschlagsverfahren 883f VergabeRL, allgemeine 814 Verhandlungsverbot 857 Verhandlungsverfahren –, Bekanntmachung 858f –, nicht offen 858f Verkaufspreis 119 Verkehr 954 –, Netze, transeuropäische 956f, 962f –, Politik 952f Verkehrsinfrastruktur 952, 955 –, Finanzierung 963ff
Sachverzeichnis Verkehrskonzept, obertägige Gewinnung, MinroG 604 Verletzungen, GewO 83f Vermittlung, Pflege– oder Adoptivkinder 132 Versammlungsrecht 266 Verschwiegenheit 528f Versorgungssicherheit 911 Versteinerungsprinzip, Wasserrecht 1361 Versteinerungstheorie 364 Verteilerleitungen, Gasrecht 930f Vertikalleitlinie 656 Verwaltungsstrafbestimmung, Datenschutzrecht 325 Vlassopoulou–Rsp 342 Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen 670 Vorteil, wirtschaftlicher 17 Waren –, Klasseneinteilung, internationale 182 –, Marken 185 –, Verkehrsfreiheit, Abfall 1318 Wasser –, Bezugsgebühr 1380 –, Dienstleistungen, Kostendeckung 1368 –, Genossenschaften 1376, 1382 –, Preis 1398 –, Straßen 1021, 1025ff –, Verbände 1376, 1382 –, Vermischung 1389 WasserrahmenRL 1367 Wasserressourcen, Bewirtschaftung 1365, 1369 Wasserversorgung 1370ff –, Anlagen 1362 ––, Schutz 1375 ––, städtische 1377 –, Beteiligung Privater 1392ff –, Gesetze 1376ff ––, Gebührenerhebung 1394 –, Liberalisierung 1386ff –, Monopole 1387 –, Preisgestaltung 1390ff –, private 1390ff –, Unternehmen, Eigentumsverhältnisse 1398
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–, Vergaberecht 1388 WegekostenRL 964, 965 Weiterbetriebsrecht, MinroG 601 Weltorganisation für geistiges Eigentum 182 Weltpostverein 1290 Weltpostvertrag 1290 Werbeabgabe 1277 Werbebeschränkungen 129, 1276f –, Ärzte 127f –, einfachgesetzliche 130 –, Erwerbsfreiheit 126 –, medienspezifische 130 –, Meinungsäußerungsfreiheit 126 –, nationale 95 –, ortsspezifische 130 –, personenbezogene 129 –, produktbezogene 129 –, sekundärrechtliche 95 –, Wirtschaftstreuhänder 128 Werbefreiheit, elektronische, freie Berufe 460 Werbegestaltungsnormen 130 Werbeinhaltsnormen 130 Werbemaßnahmen 78 Werbemediennormen 130 Werbepartys 76 Werberecht 125 –, Kompetenz 92 Werberegelungen 1273 Werbeverbot –, Erwerbsfreiheit 125 –, freie Berufe 457 –, Rechtsanwälte 128 –, Tierärzte 128 Werbezusendungen 135 Werbung 137 –, Alkohol 96 –, Anteilscheine 136 –, Arzneimittel 95 –, Fernsehen 95 –, Freiheit 89 –, gefährliche Stoffe 137 –, Heilvorkommen 131 –, irreführende 96 –, Kennzeichnungsverpflichtung 136 –, kommerzielle, Meinungsäußerungsfreiheit 127 –, Kreditgewährung 136 –, Lebensmittel 136 –, schulfremde Zwecke 132
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Sachverzeichnis
–, TabakwerbeRL 96 –, vergleichende 96 –, Zubereitungen oder Fertigwaren 137 Werksverkehr 64 Wettbewerb 849 –, Ausbeutungsmissbrauch 664f –, Behinderungsmissbrauch 663f –, Binnenmarkt 638 –, Funktion 634 –, Marktbeherrschung 661f –, Missbrauch 661, 663 –, Sonderwettbewerbsrecht 639 Wettbewerbsbehörde, Zusammenarbeit 674 Wettbewerbsbeschränkungen –, Alleinvertriebsvereinbarungen 657 –, Einschränkungen 653f –, Empfehlungskartell 657 –, Formen der Koordination 654ff –, vertikale 656 Wettbewerbskommission 676 Wettbewerbspolitik, Preisauszeichnung 116 Wettbewerbsrecht 436, 459, 463 –, Infrastrukturmärkte 678 –, Kompetenz 93 –, Regulierungsbehörden –, sektorspezifisches 1157 –, System unverfälschten Wettbewerbs 637 Wettbewerbsregeln 422 –, Schutzgesetze 660 –, System 1158f –, telekomspezifische 1157 Wettbewerbsregelungen –, öffentlich–rechtliche 138 –, sektorspezifische 1270 Wettbewerbsregulierung 1089ff Wettbewerbsrestriktionen, freie Berufe 456 Wettbewerbsverfälschung 725ff Wetten 276 Widerspruchsrecht, Datenschutz 322 Wirtschaftstreuhänder 419, 442f, 458 Wohlfahrtseinrichtungen 445 WTO, Dienstleistungsabkommen 1370ff WTO–Subentionsrecht 695
Zensur 137 Zertifizierungsdiensteanbieter 165 Zeugnisentschlagungsrechte 454 Zivilflugplatz–Bewilligung 1031 Ziviltechniker 419, 444 Ziviltechnikergesellschaften 444 Zusammenschlüsse –, Beurteilung 668 –, Verfahren 671f Zusammenschlusskontrolle 1208f –, österreichische 670 –, System der Legalausnahme 672 Zuverlässigkeit, relative 44 Zwangslizenz 211 Zweigvereine 246 Zwischenstaatlichkeitsklausel 642
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;XZQVOMZ?QMV6M_AWZSQ[\MQV=V\MZVMPUMV^WV ;XZQVOMZ;KQMVKM*][QVM[[5MLQI [XZQVOMZI\ ,QM?QMLMZOIJM^WV/MJZI]KP[VIUMV0IVLMT[VIUMV?IZMVJMbMQKPV]VOMV ][_QVLQM[MU*]KPJMZMKP\QO\I]KPWPVMJM[WVLMZM3MVVbMQKPV]VOVQKP\b]LMZ)VVIPUM LI[[[WTKPM6IUMVQU;QVVMLMZ?IZMVbMQKPMV]VL5IZSMV[KP]\b/M[M\bOMJ]VO IT[NZMQb]JM\ZIKP\MV_ÃZMV]VLLIPMZ^WVRMLMZUIVVJMV]\b\_MZLMVLÛZNMV 8ZWL]S\PIN\]VO";ÃU\TQKPM)VOIJMVQVLQM[MU.IKPJ]KPMZNWTOMV\ZW\b [WZONÃT\QOMZ*MIZJMQ\]VO]VL3WV\ZWTTMWPVM/M_ÃPZ-QVM0IN\]VOLM[)]\WZ[WLMZ LM[>MZTIOM[I][LMU1VPIT\LQM[M[?MZSM[Q[\I][OM[KPTW[[MV ;I\b":MXZWL]S\QWV[NMZ\QOM,Z]KS^WZTIOMLMZ)]\WZMV ,Z]KS",Z]KSMZMQ+0*MKS6ÕZLTQVOMV,M]\[KPTIVL /MLZ]KS\I]N[Ã]ZMNZMQMUKPTWZNZMQOMJTMQKP\MU8IXQMZw<+. ;816" *QJTQWOZIâ[KPM1VNWZUI\QWVLMZ,M]\[KPMV*QJTQW\PMS ,QM,M]\[KPM*QJTQW\PMS^MZbMQKPVM\LQM[M8]JTQSI\QWVQVLMZ,M]\[KPMV 6I\QWVITJQJTQWOZIâM#LM\IQTTQMZ\MJQJTQWOZIâ[KPM,I\MV[QVLQU1V\MZVM\ÛJMZ P\\X"LVJLLJLMIJZ]NJIZ 1;;6!@ 1;*6! QV*ÃVLMV;XZQVOMZ?QMV6M_AWZS
Inhaltsübersicht Band I Erster Teil: Ordnungsrecht Gewerberecht – Michael Potacs..............................................................3 Gewerbenebenrecht – Rudolf Feik ........................................................87 Öffentlich-rechtliche Aspekte des E-Commerce – Dragana Damjanovic ......................................................................141 Gewerblicher Rechtsschutz – Thomas Eilmansberger ........................167 Vereinsrecht – Thomas Freylinger ......................................................239 Veranstaltungsrecht – Georg Lienbacher............................................257 Datenschutzrecht – Alfred Duschanek.................................................299 Privatunterrichtswesen und Fertigkeitsvermittlung – Gerhard Strejcek/Carmen Kainz/Ulrich Tauböck ...........................327 Tourismusrecht – Sigrid Grabner/Tanja Koller ..................................361 Recht der freien Berufe – Elisabeth Dujmovits ...................................397 Krankenanstaltenrecht – Christian Kopetzki .......................................467 Mineralrohstoffrecht – Roland Winkler...............................................563
Zweiter Teil: Wettbewerbsrecht Allgemeines Wettbewerbsrecht – Friedrich Rüffler/Robert A. Steinwender.........................................631 Beihilfe- und Förderungsrecht – Thomas Jaeger ................................ 681 Vergaberecht – Michael Holoubek/Claudia Fuchs .............................791
Dritter Teil: Regulierungsrecht Energiewirtschaftsrecht – Michael Potacs ..........................................907 Verkehrsrecht – Hubert Resch.............................................................943 Telekommunikationsrecht – Michael Holoubek/Dragana Damjanovic .....................................1117 Recht der Massenmedien – Michael Holoubek/Dragana Damjanovic/ Gregor Ribarov..........1187 Postrecht – Michael Holoubek/Dragana Damjanovic.......................1287 Abfallwirtschaftsrecht – Benjamin Kneihs ........................................1313 Wasserversorgung - Abwasserentsorgung – Doris Hattenberger ..... 1357
VI
Inhaltsübersicht
Band II Vierter Teil: Aufsichtsrecht Kapitalmarktrecht – Susanne Kalss......................................................... 3 Bankrecht – Martin Oppitz.................................................................... 43 Versicherungsaufsichtsrecht – Stephan Korinek ................................. 111 Pensionskassenaufsichtsrecht – Walter Schrammel ............................ 165 Staatliche Aufsicht über Verwertungsgesellschaften – Nicolas Raschauer........................................................................... 193 Glücksspiel- und Wettrecht – Patrick Segalla .................................... 243
Fünfter Teil: Wirtschaftsrecht der öffentlichen Hand Haushaltsrecht – Tanja Koller............................................................. 273 Öffentliche Unternehmen – Arno Kahl ............................................... 347 Monopolbetriebe – Patrick Segalla..................................................... 419
Sechster Teil: Produktrecht Vermessungswesen-Messwesen-Eichwesen – Lukas Binder .............. 431 Technisches Sicherheitsrecht............................................................... 451 Normung – Michael Holoubek.................................................. 451 Akkreditierung und Zertifizierung – Michael Holoubek........... 503 Elektrotechnikrecht – Michael Holoubek.................................. 527 Bauprodukterecht – Michael Holoubek..................................... 541 Produktsicherheitsrecht – Lukas Binder.................................... 557 Lebensmittelrecht – Andreas Hauer.................................................... 571 Tabakrecht - Christoph Bezemek/Dragana Damjanovic..................... 613 Gentechnikrecht – Manfred Stelzer/Birgit Havranek .......................... 631 Chemikalienrecht – Martin Attlmayr................................................... 691 Waffenrecht – Thomas Freylinger ...................................................... 785
Siebenter Teil: Anlagenrecht Gewerbliches Betriebsanlagenrecht – Michael Potacs........................ 795 Umweltverträglichkeitsprüfung – Verena Madner.............................. 837 Abfallbehandlungsanlagen – Verena Madner/Martin Niederhuber................................................... 891
Inhaltsübersicht
VII
Anlagenrelevantes Umweltrecht-Naturschutzrecht – Verena Madner ...............................................................................945 Anlagenrelevante Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes – Doris Hattenberger ........................................................................975 Bergbauanlagenrecht – Roland Winkler ...........................................1031 Energieanlagenrecht – Thomas Freylinger .......................................1049 Emissionszertifikaterecht – Anna Hemma Pirker ............................. 1069
Achter Teil: Lenkungsrecht Außenwirtschaftsrecht der EU – Stefan Griller/Marcus Klamert ....1099 Währungs- und Devisenrecht – Michael Potacs ..............................1177 Agrarmarktrecht – Thomas E. Walzel von Wiesentreu .....................1191 Preis- und Versorgungssicherungsrecht – Benjamin Kneihs ............1309 Energielenkungs-, Erdölbevorratungs- und Melderecht, Lebensmittelbewirtschaftungsrecht – Tanja Koller ......................1341
Abkürzungsverzeichnis 1. Euro-JuBeG aA aaO AB AbfallRRL ABGB Abl Abs AcP AG AHG AJPIL AktG AlSAG aM AMA AMG Anh Anm ArbVG ARG arg ARGE ARR Art ASchG ASoK ASVG ATS AußHG AußHVO AVB AVG AWG
1. Euro-Justizbegleitgesetz anderer Ansicht am angeführten Ort Ausschussbericht Abfall-Rahmenrichtlinie Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Archiv für civilistische Praxis Aktiengesellschaft Amtshaftungsgesetz Austrian Journal of Public and International Law Aktiengesetz Altlastensanierungsgesetz anderer Meinung Agrarmarkt Austria Arzneimittelgesetz Anhang Anmerkung Arbeitsverfassungsgesetz Arbeitsruhegesetz argumentum, argumento Arbeitsgemeinschaft Allgemeine Rahmenrichtlinien für die Gewährung von Förderungen aus Bundesmitteln Artikel ArbeitnehmerInnenschutzgesetz Arbeits- und Sozialrechtskartei Allgemeines Sozialversicherungsgesetz Austrian Schilling Außenhandelsgesetz Außenhandelsverordnung Allgemeine Versicherungsbedingungen Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz Abfallwirtschaftsgesetz
BAG BAO BBl Bd BDG BetFG BG
Berufsausbildungsgesetz Bundesabgabenordnung Baurechtliche Blätter Band Beamten-Dienstrechtsgesetz Beteiligungsfondsgesetz Bundesgesetz
X
BGBl BGH BHG B-KAG BKA-VD BlgNR BM BMG BMJ BMLFUW BMSG BMUJF BMVIT BMWA BMwA ten BPG BPolDion BReg Bsp bspw BStG BVA BVB BVerfGE
Abkürzungsverzeichnis
Bundesgesetzblatt (deutscher) Bundesgerichtshof Bundeshaushaltsgesetz Bundes-Krankenanstaltengesetz Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst Beilage(n) zu den Stenographischen Protokolle des Nationalrates Bundesminister(ium) Bundesministeriengesetz Bundesminister(ium) für Justiz Bundesminister(ium) für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Bundesminister(ium) für Soziale Sicherheit und Generationen Bundesminister(ium) für Umwelt, Jugend und Familie Bundesminister(ium) für Verkehr, Innovation und Technologie Bundesminister(ium) für Wirtschaft und Arbeit Bundesminister(ium) für wirtschaftliche Angelegenhei-
B-VG BWG BZG bzw
Betriebspensionsgesetz Bundespolizeidirektion Bundesregierung Beispiel beispielsweise Bundesstraßengesetz Bundesvergabeamt Bezirksverwaltungsbehörde Entscheidung(en) des (deutschen) Bundesverfassungsgerichts Entscheidung(en) des (deutschen) Bundesverwaltungsgerichts Bundes-Verfassungsgesetz Bankwesengesetz Sonn- und Feiertags-Betriebszeitengesetz beziehungsweise
ders dh DÖV DRdA dRGBl DSG DVBl
derselbe das heißt Die öffentliche Verwaltung Das Recht der Arbeit deutsches Reichsgesetzblatt Datenschutzgesetz Deutsches Verwaltungsblatt
EAGFL
Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft Erläuternde Bemerkungen
BVerwGE
EB
Abkürzungsverzeichnis
ECU EEA EFTA EG EGG EGMR EGV/EG-V
EWAG EWR EZG
European Currency Unit Einheitliche Europäische Akte Europäische Freihandelszone Europäische Gemeinschaften Erwerbsgesellschaftsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EG-Vertrag (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften) Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrens gesetzen 1991 Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Energie-Regulierungsbehördengesetz Erkenntnis Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte Zeitschrift Europäisches Recht Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (in der Österreichischen Juristen-Zeitung) Euro-Währungsangabengesetz Europäischer Wirtschaftsraum Emissionszertifikategesetz
f FAG ff FFH-RL FMAG FMedG FN FrVG FS FVG
und der, die, das folgende Finanzausgleichsgesetz und die folgenden Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie Finanzmarktaufsichtsgesetz Fortpflanzungsmedizingesetz Fußnote Fremdenverkehrsgesetz Festschrift Fremdenverkehrsgesetz
G GA GAP GATT
Gesetz(e), -gesetz Generalanwalt Gemeinsame Agrarpolitik General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) Gesetzblatt für das Land Österreich (1938-1940) gemäß Genossenschaftsrevisionsgesetz Gewerbeordnung Gesetzgebungsperiode Glückspielgesetz Gentechnikgesetz
EGVG EKHG EMRK E-RBG Erk EU EuGH EuGRZ EuR EvBl
GBlÖ gem GenRevG GewO GP GSpG GTG
XI
XII
Abkürzungsverzeichnis
GVO
gentechnisch veränderter Organismus
hA HessVGH HG HGB hL HLG hM Hrsg
herrschende Auffassung Hessischer Verwaltungsgerichtshof Handelsgericht Handelsgesetzbuch herrschende Lehre Hochleistungstreckengesetz herrschende Meinung Herausgeber
IA iaR idF idgF idR idS ie ieS IG-L ILO ImmoInvFG ImmZ insb INVEKOS InvFG IPPC iS iSd iSv ITO IVF iVm iwS iZm
Initiativantrag in aller Regel in der Fassung in der geltenden Fassung in der Regel in diesem Sinne id est im engeren Sinn Immissionsschutzgesetz-Luft International Labour Organization Immobilien-Investmentfondsgesetz Österreichische Immobilien-Zeitung insbesondere Integriertes Verwaltungs- und Kontrollsystem Investmentfondsgesetz Integrated Pollution and Prevention Control im Sinne im Sinne des (der) im Sinne von International Trade Organization In vitro Fertilisation in Verbindung mit im weiteren Sinne in Zusammenhang mit
JAP JBl JÖR JRP Jud JZ
Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung Juristische Blätter Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Journal für Rechtspolitik Judikatur (deutsche) Juristenzeitung
KA-AZG KAG KAO Kap KartG
Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz Krankenanstaltengesetz Krankenanstaltenordnung Kapitel Kartellgesetz
Abkürzungsverzeichnis
Kat KHVG KindRÄG KJBG KRSlg KSchG
Kategorie Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetz Kindschaftsrechtsänderungsgesetz Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz Sammlung von Entscheidungen in Krankenanstaltenfragen Konsumentenschutzgesetz
leg cit LFG LH lit LKF LMG LMKV LReg
legis citatae Luftfahrtgesetz Landeshauptmann litera leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung Lebensmittelgesetz Lebensmittelkennzeichnungsverordnung Landesregierung
mAnm maW mE MedR mH MinroG MO MPG mwH mwN
mit Anmerkung mit anderen Worten meines Erachtens Medizinrecht mit Hinweis Mineralrohstoffgesetz Marktordnung Medizinproduktegesetz mit weiteren Hinweisen mit weiteren Nachweisen
N.N. NBG NFWAG
nomen nescio Nationalbankgesetz Steiermärkisches Nächtigungs- und Ferienwohnungsabgabegesetz National Institute of Health Neue Juristische Wochenschrift Novelle Naturschutzgesetz Natur und Recht Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NIH NJW Nov NSchG NuR NversZ NVwZ ÖÄK ÖÄZ ÖBA ÖBl OECD OGH
XIII
Österreichische Ärztekammer Österreichische Ärztezeitung Bank-Archiv Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Organization for Economic Cooperation and Development Oberster Gerichtshof
XIV
Abkürzungsverzeichnis
ÖGZ ÖJbPol ÖJK ÖJT ÖJZ ÖKZ ÖLMB ÖROK ÖStZ ÖVA ÖWAV ÖWWV ÖZG ÖZW
Österreichische Gemeinde-Zeitung Österreichisches Jahrbuch für Politik Österreichische Juristenkommission Verhandlungen des österreichischen Juristentages Österreichische Juristen-Zeitung Österreichische Krankenhaus-Zeitung Österreichisches Lebensmittelbuch Österr Raumordnungskonferenz Österreicheische Steuer-Zeitung Österreichisches Verwaltungsarchiv Österreichischer Wasser- und Abfallwirtschaftsverband Österreichischer Wasserwirtschaftsverband Öffnungszeitengesetz Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
PHG PKG Pkt PrAG
Produkthaftungsgesetz Pensionskassengesetz Punkt Preisauszeichnungsgesetz
RdM RdU RdW RGBl RHG RIW RL Rs Rsp RV RZ Rz
Recht der Medizin Recht der Umwelt Recht der Wirtschaft Reichsgesetzblatt Rechnungshofgesetz Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie (der EG) Rechtsache (bei Europäischen Gerichten) Rechtsprechung Regierungsvorlage Österreichische Richterzeitung Randziffer
s SAG sog SoSi Sp SpG SSt
siehe Sonderabfallgesetz sogenannt, -e, -er, -es Soziale Sicherheit Spalte Sparkassengesetz Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten Strafgesetzbuch Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger Strafprozeßordnung Stenographische(s) Protokoll(e) des Nationalrats ständige Rechtsprechung
StGB StGBl StGG StPO StProtNR stRsp
Abkürzungsverzeichnis
XV
stRspr StVG StVO SZ
ständige Rechtsprechung Strafvollzugsgesetz Straßenverkehrsordnung Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen
TG TKG TVG tw TWG ua
Tourismusgesetz Telekommunikationsgesetz Tierversuchsgesetz teilweise Telekommunikationswegegesetz und andere, unter anderem
UBA UbG udgl uE ÜG 1920 UIG UN UOG UrhG US USG UStG uU UVE UVP UVP-ÄndRL UVS UWG
Umweltbundesamt Unterbringungsgesetz und dergleichen unseres Erachtens Übergangsgesetz 1920 Umweltinformationsgesetz United Nations (Vereinte Nationen) Universitäts-Organisationsgesetz Urheberrechtsgesetz Umweltsenat Bundesgesetz über den Umweltsenat Umsatzsteuergesetz unter Umständen Umweltverträglichkeitserklärung Umweltverträglichkeitsprüfung UVP-Änderungsrichtlinie unabhängige(r) Verwaltungssenat(e) Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
V va VAG VersR VersSG VersVG VerwGesG VfGH VfSlg
Verordnung vor allem Versicherungsaufsichtsgesetz Versicherungsrecht Versorgungssicherungsgesetz Versicherungsvertragsgesetz Verwertungsgesellschaftengesetz Verfassungsgerichtshof Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofs vergleiche von Hundert Verordnung, -verordnung Versicherungsrundschau Verwaltungsstrafgesetz Verfassungs-Überleitungsgesetz
vgl vH VO VR VStG V-ÜG
XVI
VVaG VVDStRL
Abkürzungsverzeichnis
VWT
Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsvollstreckungsgesetz Versicherungswirtschaft Verwaltungsgerichtshof Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes Vereinigung Österreichischer Wirtschaftstreuhänder
WAG WBl WettbG WHO WiPolBl WKÖ WRG WTFG WTO
Wertpapieraufsichtsgesetz Wirtschaftrechtliche Blätter Wettbewerbsgesetz World Health Organization Wirtschaftspolitische Blätter Wirtschaftkammer Österreich Wasserrechtsgesetz Wiener Tourismusförderungsgesetz World Trade Organization (Welthandelsorganisation)
Z ZAS zB ZEuS ZfRV
Ziffer, Zahl Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht zum Beispiel Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Int. Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Verwaltung Die administrativrechtlichen Entscheidungen des VwGH und die verwaltungsrechtlich relevanten Entscheidungen des VfGH in lückenloser Folge (Beilage zur ZfV) Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Teil Zeitschrift für Umweltrecht Zeitschrift der Unabhängigen Verwaltungssenate Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verkehrsrecht
VVG VW VwGH VwSlg
ZfV ZfVB ZLW ZÖR ZPEMRK zT ZUR ZUV ZVersWiss ZvglRWiss ZVR
Vierter Teil: Aufsichtsrecht
Susanne Kalss
Kapitalmarktrecht Rechtsgrundlagen ...............................................................................................4 Grundlegende Literatur.......................................................................................8 I. Kapitalmarkt .................................................................................................9 II. Kapitalmarktrecht.....................................................................................10 III. Zugangsregelungen ..................................................................................11 A. Marktteilnehmer ......................................................................................11 B. Markteinrichtungen - Handelsforen ........................................................12 C. Geregelter Markt.....................................................................................13 D. Börse .......................................................................................................13 E. Alternative Handelssysteme.....................................................................16 F. Wertpapierdienstleistungsunternehmen ..................................................16 1. Konzessionsvoraussetzungen ..............................................................18 2. Anlegerentschädigung.........................................................................19 3. Erleichterung für kleine Wertpapierdienstleistungsunternehmen .......21 G. Allgemeine Pflichten von Unternehmen, die Wertpapiergeschäfte tätigen..............................................................21 1. Meldepflichten ....................................................................................21 2. Wohlverhaltensregeln..........................................................................22 3. Börsenmitgliedschaft...........................................................................24 IV. Emittenten.................................................................................................25 A. Privates Anbieten.....................................................................................25 B. Öffentliches Anbieten...............................................................................25 C. Börsennotierung ......................................................................................29 1. Zulassungsvoraussetzungen ................................................................30 2. Nachfolgende fortlaufende Marktpflichten der börsennotierten Gesellschaften.....................................................................................31 3. Beendigung der Notierung ..................................................................37 V. Übernahmerecht ........................................................................................38 VI. Kapitalmarktaufsicht...............................................................................40 VII. Ausblick ...................................................................................................41
Kalss
4
Rechtsgrundlagen:
Europarechtliche Grundlagen: Die Verwirklichung der Marktfreiheiten ist ein wesentliches Ziel der europäischen Gemeinschaft; wesentlicher Baustein dafür ist es, die Funktionsfähigkeit der fragmentierten nationalen Kapitalmärkte durch Integration zu fördern.1 Die maßgeblichen primärrechtlichen Grundlagen bilden die Kapitalverkehrs- (Art 56/ex Art 73b EGV2), die Dienstleistungs- (Art 49 EGV) und die Niederlassungsfreiheit (Art 43 EGV). Gerade in letzter Zeit bestätigte der EuGH mehrfach die Geltung der Kapitalverkehrsfreiheit im Bereich der Kapitalmärkte (zB Begebung von Anleihen).3 Bereits in den sechziger Jahren wurden in dem Bericht einer Expertengruppe, dem sogenannten Segré-Bericht, die rechtspolitischen Grundlagen für die europaweite Integration gelegt, der auf der Idee der Marktfreiheiten aufbaute.4 Neben der Vereinheitlichung der Marktzugangserfordernisse bzw der Statuierung von Mindeststandards für Emittenten und Handelsteilnehmer5 sollte in der gesamten Gemeinschaft mit den Regelinstrumenten der Festlegung von Standards für professionelle Marktteilnehmer und der Regelung der Publizität und Anlegerinformation6 ein Mindestschutzniveau für aktuelle und potentielle Anleger erreicht werden. Die europarechtlichen Regelungen beruhen auf dem Konzept der Teilharmonisierung (Festlegung von Mindeststandards), der wechselseitigen Anerkennung und der Sitzlandkontrolle.7 Als wesentliche Harmonisierungsmaßnahmen sind die folgenden Richtlinien zu nennen:8 • Richtlinie vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen (Kapitalmarktpublizitätsrichtlinie);9
1
2
3 4 5 6
7 8
9
Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Der Aufbau eines europäischen Kapitalmarkts (Segré-Bericht 195. Dazu Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts § 1 Rz 95 ff; Assmann, ORDO 1993, 87 ff; Assmann/Buck, EWS 1990, 110 ff, 190 ff, 221 ff; Weber, Kapitalmarkt-, Börsen- und Investmentrecht, in Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1994, F III; Weber, Kapitalmarktrecht; Hopt/Baum in Hopt/Rudolph/Baum, Börsenreform 311 ff. Mit Art 73b EGV wurden wesentliche Teile der Kapitalverkehrs-RL 1988 (88/361) in das Primärrecht übernommen; s Weber in Dauses, Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts F; Troberg in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch III, S 3802 ff; Eilmansberger, ÖBA 2001, 377 ff. EuGH vom 26.9.2000 - Rs C-478/98, EWiR 2000, 1157; s ferner EuGH vom 6.6.2000 - Rs C-35/98. Segré-Bericht 15 ff, 39 ff, 185 ff. S etwa Glaesner in Schwarze, EU-Kommentar Art 56 EGV Rz 43 ff; Troberg in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch III, S 3816 ff. Segré-Bericht 267 ff; Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagenrechts2 § 1 Rdn 95 ff; Assmann, Die Regelung der Primärmärkte für Kapitalanlagen mittels Publizität im Recht der Europäischen Gemeinschaft, AG 1993, 549 ff; Gruber in Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsprivatrecht 44 ff; Knobl/Oppitz, Wertpapiergeschäft und Börse im EG-Recht, in Griller, Banken im Binnenmarkt 523 ff; zur Publizität s auch Altendorfer/Kalss/Oppitz in Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des Börsenrechts 122 ff. Glaesner in Schwarze, EU-Kommentar Art 56 EGV Rz 44 ff; das EuGH-Urteil in der Rechtsache Centros (GesRZ 1999, 245) änderte daran aufsichtsrechtlich nichts. Zusammenstellungen bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht4 (1996); Hopt/ Wymeersch (Hrsg), European Company and Financial Law - European Community Law-Text Collection2 (1994); Schwartz, Europäisches Gesellschaftsrecht - Textsammlung (2000). 2001/34EG, Abl 2001, L 184/1 idF RL 2003/6/EG, 2001/34/EG.
Kapitalmarktrecht
5
•
Richtlinie vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der RL 2001/34/EG (Prospekt-Richtlinie);10 • Richtlinie vom 15. Februar 1982 über regelmäßige Informationen, die von Gesellschaften zu veröffentlichen sind, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zugelassen sind (Zwischen- oder Halbjahresberichtsrichtlinie);11 • Richtlinie vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34 (Transparenzrichtlinie);12 • Richtlinie vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie);13 • Richtlinie vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauchs-Richtlinie);14 • Richtlinie vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen (Wertpapierdienstleistungsrichtlinie);15 • Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFiD);16 • Richtlinie vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger (Anlegerentschädigungsrichtlinie).17 Die beiden letztgenannten Richtlinien bauen unmittelbar auf bankrechtlichen Richtlinien,18 nämlich die Kapitaladäquanzrichtlinie und die Einlagensicherungsrichtlinie, auf und normieren Ergänzungen und zusätzliche Bestimmungen für Wertpapierfirmen, die nicht Kreditinstitute sind. Die Kommission veröffentlichte im Mai 1999 einen Aktionsplan für den Finanzbinnenmarkt, in dem sie Ziele und konkrete Maßnahmen zur Ausbildung des Finanzbinnenmarkts vorschlägt.19 Am 23. März 2001 verabschiedete der Europäische Rat eine Entschließung über eine wirksamere Regulierung der Wertpapiermärkte in der Europäischen Union. Auf der Grundlage eines Berichts des Beschlusses der Weisen (Lamfalussy-Bericht) wird vom Rat ein Vierstufenkonzept zur Dynamisierung der Regulierung des Kapitalmarkts beschlossen, das europaweit (i) einheitliche Rahmenprinzipien und (ii) flexible Durchführungsmaßnahmen innerhalb eines funktionierenden Rahmens (iii) wechselseitiger Zusammenarbeit und (iv) effizienter Durchsetzung vorsieht.20 Rechtstechnik und inhaltliche Anordnung werden verbunden. 2001 wurde das Komitologieverfahren auch im Bereich des Kapitalmarktrechts etabliert. Nach diesen sollen nur Rahmenregelungen im herkömmlichen EU-Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden, die technischen Durchführungsbestimmungen werden durch die Kommission unter Beteiligung von Ausschüssen geschaffen. Konkret wird das Rechtsetzungsverfahren im Rahmen des Komitologieverfahrens auf vier verschiedenen Ebenen vollzogen: In Stufe 1 werden generelle Sekundärrechtsakte (vor allem Richtlinien und Verordnungen, Vor10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
2003/71/EG, Abl 2003, L 34564. 82/121/EWG, Abl EG 1982, L 48/26. 2004/109//EG, Abl 2004, L 390. 2004/25/EG, Abl 2004, L 142. 2003/6/EG, Abl 2003, L 096. 9322/EWG; Abl EG 1993, L 141/27 idF RL 2002/87/EG. Vom 21.4.2004 (MiFiD) 2004/39/EG, Abl L 145/1. 97/9/EG; Abl EG 1997, L 004, 22. Vgl dazu Oppitz in diesem Band. Abgedruckt ZBB 1999, 254 ff. S dazu Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 1 Rz 53 ff; Binder/Broichhausen, ZBB 2006, 85 ff.
6
Kalss
schlag der Kommission vom Rat und vom Europäischen Parlament) beschlossen. Die Richtlinien sollen dabei nur Rahmencharakter haben. Auf Stufe 2 werden die technischen Durchführungsmaßnahmen entweder in der Gestalt einer Richtlinie oder in einer Verordnung erlassen, die Kompetenz dazu liegt ausschließlich bei der Kommission, wobei dem Wertpapierausschuss (ESC) und dem Ausschuss der Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) beratende Funktion zukommt. Auf der dritten Stufe gibt der Ausschuss der Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) Empfehlungen zu Auslegungsfragen und Leitlinien für die Umsetzung von Rahmenrichtlinien und konkreten Durchführungsmaßnahmen ab. Auf der vierten Stufe soll schließlich die Durchsetzung der kapitalmarktrechtlichen Regelungen überprüft werden (enforcement). Auf allen Stufen ist vorgesehen, dass die Markteilnehmer möglichst rasch und möglichst unmittelbar in den Normerzeugungsprozess miteingebunden werden. Das neue Rechtsetzungsverfahren mag zwar eine Flexibilisierung des Normgebungsprozesses mit sich gebracht haben, verkompliziert aber die tagtägliche Arbeit des Rechtsanwenders erheblich. Auf Basis des Komitologieverfahrens wurden bereits die Kapitalmarktpublizitätsrichtlinie, die Marktmissbrauchsrichtlinie erlassen (stimmt das wohl). Nach dem Grünbuch zur Finanzdienstleistungspolitik 2005-2010 der Kommission sollen in den nächsten Jahren die Integration der Finanzmärkte, die Um- und Durchsetzung der bisherigen Maßnahmen und Konsolidierung des Rechtsbestands die Arbeitsschwerpunkte bilden.21 Insbesondere wird das Komitologieverfahren über den Finanzdienstleistungs- und Wertpapiersektor hinaus auch zunehmend im Banken-, Versicherungs- und Pensionskassenbereich eingesetzt. Ergänzende Internationale Rechtsgrundlagen: Mehrere Rechtsakte der WTO zielen auf die Liberalisierung des Handelsverkehrs im Finanz- Wertpapier- und Börsenbereich. Die maßgeblichen Grundlagen bilden das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen/GATS; die Anlage zu Ausnahmen von Artikel II GATS und länderspezifische Listen und die Anlage zu Finanzdienstleistungen, Nationale Verpflichtungslisten und schließlich ein Understanding on Commitments in Financial Services. Das fünfte Protokoll zum GATS im Rahmen der WTO (World Trade Organisation) ist am 1.3.1999 in Kraft getreten.22 Das Protokoll deckt mehr als 95% des gesamten internationalen Finanzdienstleistungsverkehrs im Banken-, Wertpapier- und Versicherungsbereich ab23 und dient der Liberalisierung des Finanzsektors im Rahmen der WTO, das in Österreich bereits weitgehend erfüllt ist. Unter anderem ist aber etwa der Marktzugang zum Börsenhandel noch auf Mitglieder der österreichischen Börsen (einschließlich der Fernmitgliedschaft) beschränkt. Hinzuweisen ist schließlich auf mehrere von den Vereinigungen der Aufsichtsbehörden, nämlich der IOSCO24 und der FESCO25 veröffentlichten Resolutionen und Standards, denen zwar keine Rechtsverbindlichkeit zukommt, die aber in der Fortent-
21 22
23 24 25
Komm (2005) 177; vgl dazu ausführlich Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 1 Rz 53. BGBl III 1999 vom 18.3.1999; P 6.1. 5. Protokoll zum Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen; P 6.2. Kundmachung des 5. Protokolls zum Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. Kokott, RIW 2000, 401 ff. International Organization of Securities Commissions. Forum of European Securities Commissions.
Kapitalmarktrecht
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wicklung materiellen Aufsichtsrechts und der internationalen Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden eine bedeutende Rolle spielen.26 Nationale Rechtsquellen: Das österreichische Kapitalmarktrecht ist nicht in einem einzigen umfassenden Gesetz geregelt, vielmehr setzt es sich aus mehreren Quellen zusammen, wovon die folgenden fünf Gesetze den Kern bilden: • Börsegesetz 1989;27 • Kapitalmarktgesetz 1991;28 • Wertpapieraufsichtsgesetz 1996;29 • Übernahmegesetz 1998;30 • Finanzmarktaufsichtsgesetz 2001.31 Anliegende Rechtsbereiche bilden das Gesellschafts-, Anleihe-, Investment- sowie Bank- und Versicherungsrecht. Zu nennen sind insbesondere das KuratorenG32 und KuratorenergänzungsG33, InvFG34 und das BeteiligungsfondsG35, die eine Reihe von Bestimmungen über die Verwaltung und den Vertrieb von Anleihen, Investmentzertifikaten und Genussscheinen zum Gegenstand haben. Kompetenzrechtliche Einordnung: Gem Art 10 Abs 1 Z 5 BV-G ist die Gesetzgebung und Vollziehung in Angelegenheiten des Geld-, Kredit-, Börse- und Bankwesens Bundessache. Obwohl zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzbestimmungen des B-VG der umfassende Begriff des Kapitalmarkts nicht gebräuchlich war und etliche Instrumente, Techniken und Institutionen in der Form nicht eingerichtet waren, ist aus der genannten Bestimmung die umfassende Zuständigkeit des Bundes für die Regelung des gesamten Kapitalmarkts abzuleiten. Art 102 Abs 2 B-VG schafft die Grundlage, die genannten Angelegenheiten in unmittelbarer Bundesverwaltung zu führen.36 Dem Gesetzgeber stehen damit grundsätzlich zwei Möglichkeiten der Organisation des Kapitalmarkt- und Börsewesens offen: Er könnte die Aufgaben der Börse privatautonom errichteten Institutionen überlassen oder die Börse oder sonstigen Markteinrichtungen durch Gesetz und Verordnung als öffentlich rechtliche Institutionen mit (teilweiser) Hoheitsgewalt einrichten.37 26 27
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Zu nennen sind etwa der Code of Conduct der IOSCO; die Kategorisierung der Anleger bzw der Paß für Emittenten durch die FESCO. BGBl 1989/555 idF BGBl I 2006/48; einschließlich des Finalitätsgesetzes: Bundesgesetz über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und Abrechnungssystemen: BGBl I 1999/123. BGBl 1991/625 idF BGBl I 2006/48. BGBl 1996/753 idF BGBl I 2006/48. BGBl I 1998/127 idF BGBl I 2006/75. BGBl I 2001/97 idF BGBl I 2006/48. Gesetz vom 24. April 1874, RGBl 49/1874; vgl dazu Kalss, Anlegerinteressen - Der Anleger im Handlungsdreieck Vertrag, Verband und Markt 404 ff. Gesetz vom 5. Dezember 1877, RGBl 111/1877. BGBl 1993/532 idF BGBl 2005/9 (2005/122); vgl dazu Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 27 Rz 1 ff; Heidinger/Paul, Kommentar zum InvFG (2005). BGBl 1980; s dazu Kastner/Kortnoch, BeteiligungsfondsG. Kalss in Hopt/Baum, Börsenreform 1183. Die Möglichkeit der unmittelbaren Bundesverwaltung wurde 1993 durch Art IV des FinanzmarktanpassungsG geschaffen, BGBl 1993/532. So ausdrücklich VfGH in VfSlg 11.938/1988 = ÖBA 1989, 93; Holoubek, RdW 1989, 89.
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Grundlegende Literatur (Auswahl): Österreich Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des neuen Börserechts (1998); Altendorfer, Kursmanipulationen am Wertpapiermarkt: Ein rechtsvergleichender Blick auf den Sanktionenbereich, in Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des neuen Börserechts (1998) 207; Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht I (1987), II (1993); Baltzarek, Die Geschichte der Wiener Börse (1973); Brandl/Saria, Aufklärungspflichten - Organisationspflichten Prospekthaftung, Handbuch des Kapitalmarktrechts, Bd I (2005); Brawenz, Die Prospekthaftung nach allgemeinem Zivilrecht (1991) Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar zum BWG (1994); Frölichsthal/Hausmaninger/Knobl/Oppitz/Zeipelt, Wertpapieraufsichtsgesetz (1998); Gruber, Publizität des Emissionsgeschäfts, in Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsprivatrecht (1996), Teil 4, 1; Hausmaninger, Insiderhandel und Informationspflichten, in Kronke/Melis/Schnyder, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht (2006) 1555 ff; Hausmaninger/Kretschmer/Oppitz, Insiderrecht und Compliance (1995); Kalss, Österreichisches Börsen- und Kapitalmarktrecht, in Hopt/Rudolph/Baum, Börsenreform (1997) 1167; Kalss, Anlegerinteressen - Der Anleger im Handlungsdreieck Vertrag, Verband und Markt (2000); Kalss/Oppitz /Zollner, Kapitalmarktrecht, Band I System (2005); Karpf, Wertpapieraufsichtsgesetz und Verbraucherschutz (2000); Knobl, Europabankrecht, in Griller, Banken im Binnenmarkt (1992) 25; Knobl/Oppitz, Wertpapiergeschäft und Börse im EG-Recht, in Griller, Banken im Binnenmarkt (1992) 477; Koziol, Die Konkurrenz zwischen allgemeinem Zivilrecht, KMG und BörseG bei der Prospekthaftung, ÖBA 1992, 886; Mauerhofer, Die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie (1999); Nowak, Prospekthaftung nach dem Börsegesetz 1989 (1990); Nowak, KMG - Praxiskommentar (1992); Oppitz, Die Börse im System des öffentlichen Rechts (1996); Weber, Kapitalmarkt-, Börsen- und Investmentrecht, in Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts. F (1994/lose Blatt); Weber, Kapitalmarktrecht (1999); Winternitz, Wertpapieraufsichtsgesetz (1998). Übernahmerecht Bydlinski S./Winner, Das neue Übernahmegesetz, ÖBA 1998, 913; Doralt, Überlegungen zur Gestaltung der Vorschriften über das Recht des öffentlichen Übernahmeangebots in Österreich, in Kropff-FS (1997) 53; Fleischer/Kalss, Das Wertpapier-, Erwerbsund Übernahmegesetz (2002); Diregger/Kalss/Winner, Das österreichische Übernahmerecht² (2006); Größ, Anlegerschutz im Übernahmerecht (2002); Hausmaninger/Herbst, Übernahmegesetz (1999); Huber/Löber, Übernahmegesetz (1999).
Internationale Literatur: Assmann/Schneider, Wertpapierhandelsgesetz4 (2006); Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagenrechts2 (1997); Ekkenga, Anlegerschutz, Rechnungslegung und Kapitalmarkt (1998); Ferrarini, European Securities Markets - The Investment Services Directive and Beyond (1999); Fleischer, Empfiehlt es sich, im Interesse des Anlegerschutzes und zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland das Kapitalmarkt- und Börserecht neu zu regeln?, Gutachten zum 64. DJT 2002, F 1; Gower LCB, Review of Investor Protection - A Discussion Document (1982); Gower LCB, Review of Investor Protection Report: Part 1 (1984); Gower/Davies, Principles of Modern Company Law6 (1997); Groß, Kapitalmarktrecht (2000); Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999); Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht (2004); Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt (2005); Hopt, Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken (1975); Hopt, Inwieweit empfiehlt sich eine allgemeine gesetzliche Regelung des Anlegerschutzes, Gutachten zum 51. DJT (1976) G; Hopt/Rudolph/Baum, Börsenreform (1997); Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung
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(2005); Lutter, Europäisches Unternehmensrecht4 (1996); Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg), Handbuch börsenotierte AG (2005); Nobel, Schweizerisches Finanzmarktrecht (1997); Romano, The Genius of American Corporate Law (1993); Schäfer/Hamann (Hrsg), Wertpapierhandelsgesetz - Börsengesetz - Verkaufsprospektgesetz² (2006); Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch² (2003); Schwark, Anlegerschutz durch Wirtschaftsrecht (1979); Schwark, Kommentar zu den Kapitalmarktgesetzen³ (2005); Vagts, Securities Regulation - An Introduction, Chapter 10, Volume VIII, International Encyclopedia of Comparative Law (2000); Werlen, Konzeptionelle Grundlagen des schweizerischen Kapitalmarktrechts (1994); Zobl/Kramer, Schweizerisches Kapitalmarktrecht (2004).
I. Kapitalmarkt Der Kapitalmarkt bildet die Gesamtheit der Institutionen und Transaktionen, durch die längerfristige Finanzierungsmittel von bestimmten Rechtsträgern und Wirtschaftseinheiten an andere zur Bildung von Sachkapital direkt zugeführt oder vermittelt werden.38 Gegen Geld werden Kapitalgüter (Beteiligungen; Forderungen etc) ausgetauscht, die Bündel ökonomischer und rechtlicher Ansprüche verkörpern, deren konkrete Ausgestaltung vertraglich spezifiziert wird.39 Der Kapitalmarkt hat dafür zu sorgen, dass das Kapitalangebot an die Stelle höchster Rendite gelangt und damit der effizientesten Verwendung zugeführt wird (Allokationsfunktion).40 Die Sicherung des Mittelflusses ist nicht nur für einzelne Unternehmen, sondern für die Volkswirtschaft insgesamt von höchstem Interesse, so dass der Kapitalmarkt den Schlüsselmarkt einer Marktwirtschaft darstellt.41 Der Kapitalmarkt ist durch einige wesentliche Entwicklungen geprägt, die schlagwortartig mit den Begriffen der Institutionalisierung, Mediatisierung und Internationalisierung zusammengefasst werden können.42 In einer komplex und arbeitsteilig gestalteten Volkswirtschaft besteht der Kontakt zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer nicht nur in direkter Form, sondern vor allem unter Einbeziehung von Finanzintermediären oder Finanzdienstleistern, wie Kredit- und Finanzinstituten, Kapitalanlagegesellschaften, Versicherungsunternehmen, Pensionskassen einerseits, Wertpapier38
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S etwa Kalss in Rill, 100 Jahre WU-FS 183 f; Thomas/Treutler, Kapitalmarkt, in: Obst/Hintner, Geld-, Bank- und Börsenwesen39 1206; Schierenbeck, Bank und Versicherungslexikon 368; Loistl, Kapitalmarkttheorie3 5. Loistl, Kapitalmarkttheorie3, 6. Tuchfeldt in HdWW, Bd 5, 434; Häuser in Büschgen, Handwörterbuch der Finanzwirtschaft, Sp 1059; Kress, Effizienzorientierte Kapitalmarktregulierung 33; Schacht, Kapitalmarktaufsicht 15. Die gleichzeitige Verwendungsmöglichkeit von Kapital als Anlage- und Finanzierungskapital wird durch eine dreifache Transformation nämlich der Beträge (Losgrößen) des eingesetzten Kapitals, der Fristen über die Verfügbarkeit des Kapitals und des Risikos verwirklicht. S nur Grundmann, Ein Binnenmarkt - ganz ohne Schuldvertragsrecht?, EWS 12/1999, Die erste Seite. S nur Bernd Rudolph/Heiner Röhrl, Börsenorganisation aus ökonomischer Sicht, in: Hopt/Rudolph/Baum, Börsenreform (1997) 148 ff; Köndgen, Mutmaßungen über die Zukunft der europäischen Börsen, in Lutter-FS (2000) 1401 ff; aus österreichischer Sicht auch Loistl, Die Globalisierung des Börsehandels in der Endphase, in Seicht, Jahrbuch für Controlling und Rechnungswesen 2000, 97; Micheler, Europas Aktienmärkte im Umbruch, ÖBA 2000, 990.
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dienstleistungsunternehmen, Vermögensberatern und -maklern sowie anderen Vertriebsorganisationen andererseits.43 Je größer und unterschiedlicher die Gruppe der Finanzintermediäre ist, desto vielgestaltiger und inhomogener sind zugleich die Kapitalmarktinstrumente. Unter Finanzmittlung (financial intermediaries) ist die Funktion der Zwischenschaltung zwischen Emittent und Anleger oder sonstigen Partnern am Markt, die sonst nur schwer zusammenkommen würden, zu verstehen. Neben dieser Verbindungs- und Vermittlungsfunktion haben Finanzmittler aber auch die Funktion, die Informationslage der beteiligten Marktteilnehmer aufzubereiten; sei es durch Bewertung, Prüfung oder Beratung. Während die Aufgaben im Bereich der eigentlichen Mittlung tendenziell abnehmen (Stichworte: disintermediation; securitization), haben die informationsbezogenen Aufgaben in den letzten Jahren deutlich zugenommen,44 wie die Wohlverhaltensregeln im WAG, die Kontroll-, Prüfungs- und Stellungnahmepflichten im KMG, ÜbG oder gesellschaftsrechtlichen Begleitgesetzen zeigen.45 Die große Vielfalt der Erscheinungsformen der unterschiedlichen Kapitalüberlassung erlaubt eine mehrfache Systematisierung des Kapitalmarkts und Kapitalmarktrechts. Zunächst lassen sich nationaler und internationaler Kapitalmarkt, organisierter und nicht geregelter (grauer)46 Kapitalmarkt, Kassa- und Terminmarkt unterscheiden. Der Gesamtmarkt kann nach den Instrumenten in Teilmärkte eingeteilt werden (zB Wertpapier-[Aktien/Anleihen]/ Versicherungs-/Beteiligungsmarkt). Funktionell gliedert sich der Kapitalmarkt in einen Primärmarkt (Emissionsmarkt), das heißt in den Markt der erstmaligen Ausgabe von Finanzierungsmitteln, und in einen Sekundärmarkt (Zirkulationsmarkt), auf dem diese Mittel gehandelt bzw übertragen werden.47
II. Kapitalmarktrecht Für das Kapitalmarktrecht lassen sich verschiedene Zugänge finden,48 nämlich Kapitalmarktrecht als (1) Methode, dh die Überlagerung und Auslegung anderer anliegender Rechtsbereiche (Gesellschafts-, Handels-, Bilanz- und Steuerrecht), die die Beziehungen der Marktteilnehmer, dh der Kapitalgeber und Kapitalsuchenden, unter kapitalmarktrechtlichen Aspekten; (2) Kapitalmarktrecht als institutionelle Aufsicht, dh die Kontrolle über die Marktteilnehmer sowie (3) materielles Kapitalmarktrecht, das auf die Ordnung des Markts und den Schutz der einzelnen Teilnehmer zielt. Kapitalmarktrecht ist Querschnittsrecht, das aufsichts- und verwaltungsrechtliche sowie straf- und zivil43 44 45 46
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Vgl nur Kalss in Rill, 100 Jahre - WU-FS 184. S etwa Hopt, ZGR 2000, 793; Kalss in Rill, 100 Jahre WU-FS 185 f. S dazu Kalss, ÖBA 2000, 647 ff. Der Begriff bezeichnet den Markt jener Kapitalanlagen, die nicht an den Börsen gehandelt und häufig nicht von Banken oder Versicherungen vertrieben werden und daher einem deutlich weniger regulierten Marktregime unterliegen, vgl Kalss, Anlegerinteressen 45 ff, 51 f. In der zivilrechtlichen Judikatur schlagen sich primärmarktrechtliche Fragen in Gestalt der Prospekthaftung, sekundärmarktrechtliche Fragen in Gestalt der Anlageberatung nieder: s Hopt in 50 Jahre BGH-FS 497 ff. S dazu Schneider, AG 2001, 269.
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rechtliche Bereiche erfasst und wegen der rasch zunehmenden Globalisierung internationalrechtliche Aspekte einbezieht. Im Folgenden werden der dritt- und der zweitgenannte Bereich genauer dargestellt. Kapitalmarktrecht bildet die Summe aller Regelungen, die den Kapitalmarkt, dh den Mitteltransfer und die Mittelverwendung zum Gegenstand haben49. Enger lässt sich Kapitalmarktrecht als Materie beschreiben, die die rechtlichen Beziehungen der jeweiligen Marktgegenseite erfasst.50 Kapitalmarktrecht ist in besonderem Maß zwingendes Recht, das nicht abbedungen werden kann. Dem Kapitalmarktrecht kommt die Aufgabe zu, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen eines funktionsfähigen Kapitalmarkts zu schaffen.51 Kapitalmarktrechtliche Regelungen verfolgen einen zweifachen Zweck: Das Kapitalmarktrecht zielt auf den Funktionsschutz des Markts und zugleich auf den Schutz der einzelnen Teilnehmer (Anlegerschutz). Durch die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts soll die optimale Anlageentscheidung des einzelnen gefördert werden.52 Ähnlich anderen Bereichen verfolgen die Bestimmungen eine liberale Haltung in der Festlegung der Produkte des Markts, es konzentriert sich auf die Regelung von Marktteilnehmern, unterwirft diese bestimmten persönlichen und kapitalmäßigen Zugangsvoraussetzungen und einer laufenden Aufsicht.
III. Zugangsregelungen A. Marktteilnehmer Eine Reihe von Unternehmen erbringt Dienstleistungen, die dem eigentlichen Zweck der Zuführung von Kapital an Emittenten und dem Funktionieren des Austauschs von Anlageinstrumenten und Geld dienen. Der Bogen spannt sich von Marktorganisatoren (Handelsforen), dh vor allem von Börsen und börsenähnlichen Einrichtungen, über Kreditinstitute (einschließlich Kapitalanlage49
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Trotz der häufigen Verwendung des Begriffs Kapitalmarktrecht fehlt eine genaue Definition: Häuser in: Gerke/Steiner, Handwörterbuch des Bank- und Finanzwesens 1124; Assmann in: Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts2 (1997) § 1 Rz 3, S 4; Assmann in Hopt/Wiedemann (Hrsg), GroßK zum AktienG4 (1992) Einl Rz 352 ff; Hopt, Schweizerisches Kapitalmarktrecht - Begriff, Aufgaben und Probleme, Wirtschaft und Recht 1986, 101. Hopt in 50 Jahre BGH-FS 499; Grundmann, ZSR 1996, 120 ff. S Hopt, 51. DJT G 47 f, 54 f; Braumann, Anlegerschutz bei Abschreibungsgesellschaften 28; Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts2 § 1 Rz 22 ff; Assmann/Buck, EWS 1990, 112; Assmann in GroßK4 Einl Rz 377; Assmann, ZBB 1989, 59; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt 109 ff; Werlen, Konzeptionelle Grundlagen 17; Kalss, Jahrbuch für junge Zivilrechtswissenschaftler 1995, 70; Zufferey/Tschanz-Norton, Regulation of Trading Systems 130 ff, Rz 1006 ff. S nur Kalss in Rill, 100 Jahre WU-FS 184 ff; Hopt, 51. DJT G 54 f; Assmann/Buck, EWS 1990, 112; Winfried Braumann, Anlegerschutz bei Abschreibungsgesellschaften (1988) 28; Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts2 § 1 Rz 51; Assmann in: GroßK4 Einl Rz 377; Assmann, ZBB 1989, 59; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt 109 ff; s ferner Kalss, Anleger- und Minderheitenschutz in Aktien- und anderen Kapitalanlagegesellschaften eine Bestandsaufnahme nach rund zwanzigjähriger Diskussion, in: Jahrbuch für junge Zivilrechtswissenschaftler 1995 (1996) 70.
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und Beteiligungsfondsgesellschaften), Versicherungsunternehmen, Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Prüfern, Kontrolloren, Rating-Agenturen und sonstigen beratenden und informationsverarbeitenden (Sachverständigen-) Einrichtungen. Die Darstellung konzentriert sich auf Börsen und Wertpapierdienstleistungsunternehmen, bezieht aber sonstige Dienstleister (Prüfer/ Kontrollore) nur im Zusammenhang ein, während Kreditinstitute53 und Versicherungsunternehmen54 ebenso wie Pensionskassen55, die teilweise Wertpapierdienstleistungen erbringen und sachlich in diesen Bereich fallen, in eigenen Beiträgen dargestellt werden.
B. Markteinrichtungen - Handelsforen Zentrale Institutionen des Kapitalmarkts sind Börsen sowie sonstige börsenähnliche Einrichtungen und Handelsplattformen; die genannten Einrichtungen dienen alle dazu, Kauf- und Verkaufsgeschäfte von Wertpapieren und sonstigen Finanzinstrumenten zu fördern, sie führen sie aber selbst nicht durch. Börsen und die sonstigen Einrichtungen sorgen daher dafür, dass bestimmte Marktteilnehmer, nämlich Wertpapierhändler und -vermittler, Handelsgeschäfte mit bestimmten Gegenständen, dh Wertpapieren, sonstigen Finanzinstrumenten und abgeleiteten (derivativen) Instrumenten durchführen können. Börsen und vergleichbare Einrichtungen stehen daher mit verschiedenen Gruppen von Marktteilnehmern in ständiger Beziehung, nämlich der Gruppe der Händler und jener der Emittenten, deren Papiere gehandelt werden. Anleger und begleitende Finanzdienstleister sind temporär und je nach Engagement anlassbezogen eingebunden. Abgesehen von einer Begriffsumschreibung und Mindestorganisation der Börse oder sonstigen Handelseinrichtung beziehen sich die rechtlichen Regelungen darauf, Mindestanforderungen für die ständig betroffenen Gruppen, nämlich Händler (fachliche Eignung, Zuverlässigkeit, finanzielle Ausstattung, Kaution) und Emittenten (Bestanddauer, Streuung, Nominale) bzw deren Wertpapiere festzulegen, um die Funktion als zentrale Markteinrichtung erfüllen zu können. Ursprünglich fanden sich unterschiedliche Regelungen nur für die Voraussetzungen, die Emittenten sowie die von ihnen begebenen Wertpapiere zu erfüllen hatten (Notierungsvoraussetzungen und nachfolgende Pflichten), seit Inkrafttreten der Wertpapierdienstleistungs-RL differenzieren die Regelungen aber auch gegenüber der Händlergruppe und bestehen auch unter diesem Blickwinkel unterschiedliche Marktzugangsregelungen. Die maßgeblichen normativen Begriffe bilden der geregelte Markt, und die Börse mit ihren unterschiedlichen Differenzierungen (Segmente) als Zugangsvoraussetzungen und nachfolgende, fortlaufende Pflichten für Emittenten (Amtlicher Handel, Geregelter Freiverkehr und Dritter Markt); sie sind zu ergänzen um die börsenähnlichen Einrichtungen oder Alternativen Handelssysteme, die aber bisher noch keine ausführliche Regelung erfahren haben.
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S dazu Oppitz in diesem Band. S dazu St Korinek in diesem Band. S dazu Schrammel in diesem Band.
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C. Geregelter Markt Die europäischen Richtlinien verzichten auf eine Definition des Begriffs Börse, sondern umschreiben den des Geregelten Markts. Der geregelte Markt ist der weitere Begriff, der auch den der Börse miterfasst. Art 15 der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie definiert den geregelten Markt und verlangt die Eintragung in ein eigenes Verzeichnis. Daran anknüpfend beschreibt § 2 Z 37 BWG den geregelten Markt als Markt für Finanzinstrumente (vgl § 2 Z 34 BWG), der in das Verzeichnis nach Art 16 der Richtlinie eingetragen ist. In Österreich führt dieses Verzeichnis die Finanzmarktaufsicht; es enthält neben dem Amtlichen Handel und dem Geregelten Freiverkehr seit kurzem nicht mehr den Dritten Markt.56 Der Dritte Markt wird aber in § 48a Abs 1 Z 4 BörseG hingegen ausdrücklich als geregelter Markt genannt. Neben dem formalen Kriterium der Aufnahme in das Verzeichnis sind die wesentlichen materiellen Voraussetzungen für die Qualifikation einer Einrichtung als Geregelter Markt:57 Regelmäßiges Funktionieren, die Existenz von Börsenregeln bezüglich Funktion und Zugang zum Markt und die Einhaltung von bestimmten Transparenz- und Meldepflichten. Der in § 2 Z 37 BWG normierte „geregelte Markt“ ist die rechtliche Basis für eine Einrichtung, die europaweit unter bestimmten Voraussetzungen qualifizierter Finanzdienstleistungen wie eine Börse anbietet.58 Die wesentliche Rechtsfolge der Qualifikation einer Einrichtung als geregelter Markt liegt in der Marktöffnung, dh darin, dass Finanzdienstleister, die bestimmte Qualifikationen erfüllen, ein Recht auf Zugang haben, dh insbesondere die Mitgliedschaft und Handelsberechtigung erwerben können, unabhängig davon, ob sie in diesem Land ansässig sind, eine Zweigniederlassung betreiben oder im Weg der Fernmitgliedschaft ihre Geschäfte an diesem Geregelten Markt betreiben (Börsenhandel).
D. Börse Der Begriff Börse wird in zweifachem Sinn verwendet, nämlich in dem einer Marktbeschreibung und in jenem eines Unternehmens, das diesen Markt kreiert und betreibt.59 Weder die Richtlinien noch das österreichische Gesetz sehen eine Börsendefinition vor, vielmehr setzen sie den Begriff voraus.60 § 1 BörseG regelt nur, dass Börsen im Sinne des Gesetzes Wertpapier- und allgemeine Warenbörsen sind. Wertpapierbörsen sind Börsen, auf denen bestimmte Verkehrsgegenstände gehandelt werden. Die europäischen Richtlinien, die vor rund zwanzig Jahren erlassen wurden, folgen mehrheitlich dem Konzept der Börse als Markt und weniger dem als Unternehmen. Einzig die Wertpapier56 57 58
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Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 80. Vgl Mauerhofer, Die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie 74 ff; Mauerhofer in Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des Börserechts 79 ff. Vgl Hopt/Baum in Hopt/Rudolph/Baum, Börsenreform 319; OECD, Financial Markets Trends 65, 19 ff; Steil in Steil, European Equity Markets 113 ff; Kalss, ÖBA 1997, 807 ff. Kalss, ZfV 1998, 262; Ferrarini in Ferrarini, European Securities Markets 246 f, 258 ff; s ferner Lee, What is an exchange. Gruber in Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsprivatrecht 15 f; Kalss, ÖBA 1997, 806; Oppitz, ÖBA 2000,1084 ff.
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dienstleistungsrichtlinie anerkennt mit der Umschreibung des Begriffs des geregelten Markts die Neuerungen der Struktur des Kapitalmarkts und die Rolle der Börse als qualifizierter Marktintermediär.61 Die Richtlinie für Märkte von Finanzdienstleistungen wird das Recht für geregelte Märkte und damit Börsen grundlegend neu gestalten. Das österreichische Recht ist mit der Novelle 1998 darauf eingeschwenkt, die Börse als bestimmte geschäftliche (Erwerbs-) Gelegenheit, die von einem Börseunternehmen angeboten wird, anzusehen.62 Eine Börse bietet bestimmte Dienstleistungen an, von denen die Zurverfügungstellung eines Handelsforums, das auf die Ermöglichung von Vertragsabschlüssen zielt (Handelsfunktion), und die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Preisbildung (Bewertungsfunktion) herausragen. Die Wiener Börse wurde in der Vergangenheit von der Wiener Börsekammer als öffentlich-rechtliche Einrichtung getragen.63 Anlässlich der Aufhebung von Teilen des BörseG und der BörseO wegen mangelnder Übereinstimmung mit dem verfassungsrechtlichen Determinierungsgebot stellte der VfGH ausdrücklich fest, dass es verfassungsrechtlich zulässig sei, dass die Börse in privatrechtlicher Gestaltungsform organisiert werde.64 Seit 1.1.1998 kann ein Börseunternehmen gem § 3 Abs 1 Z 1 BörseG nur mehr in Form einer Aktiengesellschaft betrieben werden, eine nähere Vorgabe für die Gestaltung der Organisation besteht nicht.65 Der Rechtsformzwang soll einen ausreichenden Anleger- und Gläubigerschutz und Marktfunktionsschutz sicherstellen. Der mehrgliedrige Aufbau der Aktiengesellschaft, vor allem die Einrichtung des Aufsichtsrats, soll eine dem Wertpapierhandel angemessene ausgewogene Interessenvertretung aller Beteiligten (Handelsteilnehmer, Emittenten, Anleger) sicherstellen.66 Börsemitglieder können, müssen aber nicht Aktionäre des Börseunternehmens sein. §§ 6 und 7 BörseG sehen eine Aufsicht über die hinter der Aktiengesellschaft stehenden Großaktionäre vor, die eine qualifizierte Beteiligung (20%) an Kapitalanteilen oder Stimmrechten halten. Eine Börse darf nur von einem konzessionierten Börseunternehmen betrieben werden. Das Gesetz folgt damit dem allgemeinen Regelungskonzept im Finanzdienstleistungsbereich, nämlich der Kontrolle der dienstleistenden Unternehmen, insbesondere deren Eigenmittelausstattung, Solvenz, Risikoabsicherung sowie Lauterkeit und fachlichen Eignung der Geschäftsführung. Konzessionsbehörde ist gem § 2 Abs 2 BörseG der BMF. Der Erteilung der Konzession geht keine Bedürfnisprüfung voraus. Der BMF darf einem Konzessionswerber die Konzession gem § 3 Z 2 BörseG nicht erteilen, wenn entweder für ein funktionsfähiges Börsewesen oder für die schutzwürdigen Interessen 61 62
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Ferrarini in Ferrarini, European Securities Markets 258 ff; s ferner Weber, Kapitalmarktrecht 76 f, der dem Konzept der Börse als Markt folgt. Kalss, ZfV 1998, 262 ff; Kalss in Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des neuen Börserechts 256 ff ; vgl auch Oppitz in Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des neuen Börserechts 33 ff; Pozniak, ZBB 1998, 361 ff; s ferner Klenke, Börsendienstleistungen im Europäischen Binnenmarkt 104. 929 BlgNR 20. GP 22; 993 BlgNR 20.GP 1. VfGH: VfSlg 11.938/1988 = ÖBA 1989, 93; VfSlg 14.473/1996; VfGH B 1200/97, G 461/97. 929 BlgNR 20. GP 23. Hopt/Baum (FN 9) 406 f.
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des anlagesuchenden Publikums eine Gefährdung zu erwarten ist. Die Konzession ist bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen gem §§ 2 und 3 BörseG zu erteilen. Die Anforderungen lehnen sich eng an jene für die Kreditinstitute an.67 Gem § 4 BörseG hat der BMF die Konzession zurückzunehmen, wenn das Unternehmen die Konzession erschlichen hat, die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen, aber auch, wenn das Börseunternehmen seine Verpflichtungen gegenüber Gläubigern nicht erfüllt oder wenn es den in der Leitung und Verwaltung einer Börse liegenden Aufgaben nachhaltig nicht nachkommt. In Besorgung der hoheitlich auszuführenden Handlungen ist die Börse zur Berücksichtigung des volkswirtschaftlichen Interesses an einem funktionsfähigen Aufsichtssystem und des Schutzes des anlagesuchenden Publikums verpflichtet. § 4 Abs 1 Z 2 BörseG ermächtigt den BMF, dem Börseunternehmen die Konzession zu entziehen, wenn der Börsebetrieb mehr als einen Monat lang nicht ausgeübt worden ist. Darüber hinaus sieht § 5 Abs 3 BörseG eine Einschränkung der Konzessionszurücklegung vor. Die Konzession darf nur schriftlich und nur dann zurückgelegt werden, wenn ein anderes Börseunternehmen als Nachfolgeunternehmen die Leitung und Verwaltung der Börse übernommen hat. Wird kein Nachfolgeunternehmen tätig, kann sich das Börseunternehmen nur durch Liquidation aus dem Geschäft zurückziehen.68 Gemeinsam mit der Festlegung der Aufgabenerfüllung, nämlich der Berücksichtigung von Funktions- und Anlegerschutz gem § 2 Abs 1 BörseG, wird eine über die bloße Bestandsfunktion hinausgehende Betriebsfunktion etabliert. Das Gesetz verzichtet weitgehend auf organisatorische Regelungen, die den Rahmen für Geschäftsführung und Überwachung abstecken. Das Gesetz sagt über einen bestimmten Unabhängigkeitsgrad der Handelsüberwachung nichts. Die Einrichtung einer von der Geschäfsführung unabhängige Stelle stärkt die Transparenz und die Sicherung von fairen Marktbedingungen. Nach dem BörseG ist die Handelsüberwachung daher eine in das Unternehmen integrierte, in die Gesamtverantwortung des Vorstands fallende Aufgabe. Das Gesetz enthält keine besonderen Bestimmungen über den Aufsichtsrat. Der BMF erteilte bisher zwei Unternehmen, nämlich der Wiener Börse AG und der Newex AG eine Börsenkonzession. Die Aufgaben der Börse liegen in der betriebswirtschaftlichen Führung des Börseunternehmens, in einer auf Gewinnerzielung gerichteten Tätigkeit in Form der Zurverfügungstellung des Marktforums und des Preisfeststellungsmechanismus sowie damit verbundenen Hilfsdienstleistungen (Information und Kommunikation). Die Aufsichtsaufgaben konzentrieren sich auf die privatrechtlich gestaltete Zulassung der Börsemitglieder und Börsebesucher, die hoheitlich zu erteilende Zulassung von Wertpapieren sowie auf die Handelsüberwachung. Die Handelsüberwachung konzentriert sich auf die Einhaltung der von der Börse mittels AGB aufgestellten Handelsregeln. Die gleichzeitige Gewinnerzielungsabsicht und Erfüllung hoheitlicher Aufgaben stehen in einem Spannungsverhältnis, das dem Markt- und Anlegerschutz abträglich sein kann. 67 68
S dazu den Beitrag von Oppitz in diesem Band. 929 BlgNR 20. GP 23.
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E. Alternative Handelssysteme Alternative Handelssysteme sind Unternehmen, die bestimmte Dienstleistungen im Rahmen des Wertpapierhandels erbringen. Ihr Tätigkeitsfeld reicht von der schlichten Informationsbündelung bis hin zur vollständigen Zurverfügungstellung eines Marktforums.69 Das österreichische Recht enthält keine expliziten Bestimmungen. Alternative Handelssysteme erbringen keine Vermittlungstätigkeit, sie bedürfen daher keiner WAG-Konzession; denkbar ist allerdings die Notwendigkeit einer bankrechtlichen Konzession, nämlich wenn der Systembetreiber am Handel (als Kommissionär) mitwirkt oder in das Geschäft eintritt. Das Zurverfügungstellen des Handelsforums bildet einen wesentlichen Aspekt der Börsendienstleistung, weshalb Alternative Handelssysteme bei Anbieten auch dieser Dienstleistung einer börsenrechtlichen Konzession bedürfen, widrigenfalls der Verwaltungsstraftatbestand des Betreibens einer Winkelbörse verwirklicht wird.70 Ausdrücklich nimmt aber § 48 Abs 3b BörseG solche Handelssysteme von dem Verbot aus, die von einem Rechtsträger betrieben werden, der sich in einem Land befindet, das dem Basler Ausschuß für Bankaufsicht angehört, der dafür auch über die Zulassung als Börse verfügt und für den schließlich die Überwachung des Handels auch in Österreich durch eine entsprechende Kooperation sichergestellt ist. Diese Regelung bedeutet eine wesentliche Liberalisierung des Wertpapierhandels.
F. Wertpapierdienstleistungsunternehmen Geht man die Kette der Finanzdienstleister im Rahmen des Austauschs von Kapitalanlagen und finanzieller Mittel weiter, erweisen sich die Dienstleistungsunternehmen, die sich mit der Ausgabe, dem Handel, der Vermittlung, der Verwaltung und Beratung von Wertpapieren und sonstigen Finanzinstrumenten beschäftigen, als besonders wichtige Marktteilnehmer. Europarechtlich wird der Begriff der Wertpapierfirma normiert. Eine Wertpapierfirma im Sinn der Wertpapierdienstleistungs-RL ist jede natürliche oder juristische Person, die gewerbsmäßig Wertpapierdienstleistungen (im Sinn von Anhang A der Richtlinie) für Dritte erbringt. Ähnlich wie Kreditinstituten soll den Wertpapierfirmen der Marktzugang geöffnet werden, wofür Regelungen der gegenseitigen Anerkennung der Zulassung sowie der Beaufsichtigung des Herkunftslands geschaffen werden.71 Allein für die Überwachung der Wohlverhaltensregeln ist das Gastland zuständig. § 2 Z 30 BWG übernimmt den Begriff, wonach eine Wertpapierfirma jedes Wertpapierdienstleistungsunternehmen, eine anerkannte Wertpapierfirma in einem EU-Mitgliedsstaat sowie Wertpapierfirmen mit Sitz in einem Drittstaat sind, die die entsprechende Dienstleistung erbringt und die Aufsichtsregeln einzuhalten hat, die den Mindeststandards der EU für Wertpapierfirmen jedenfalls gleichwertig sind, und schließlich ein Unternehmen mit Sitz im Ausland, das keine anerkannte Wertpapierfirma ist und das den Handel mit Instrumenten, das Loro-Emissionsgeschäft oder das Finanzdienstleistungs69 70 71
Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 115. Vgl ausführlich Oppitz, ÖBA 2000, 1084 ff. S nur Mauerhofer in Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des Börsenrechts 76 f; Mauerhofer, Die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie 47 ff, 54 ff.
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geschäft betreibt. Der österreichische Gesetzgeber hat sich - im Anschluss an den engen Bankgeschäfts- und Kreditinstitutsbegriff der Bankrechtskoordinierungs-RL - für eine zweispurige Umsetzung der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie entschieden, teilweise im BWG als Bankgeschäfte, teilweise im WAG als Wertpapierdienstleistungen.72 Künftig wird die Richtlinie für Märkte von Finanzinstrumenten die Pflichten präzisieren. Während etwa die Ausgabe, der Handel und teilweise auch die Verwaltung von Wertpapieren und sonstigen Finanzdienstleistungen Bankgeschäfte darstellen und daher diese Tätigkeiten nur von Kreditinstituten betrieben werden dürfen, die über eine Bankkonzession verfügen,73 konzentriert sich die Tätigkeit von Wertpapierdienstleistungsunternehmen auf drei Tätigkeiten, nämlich (a) die Vermittlung von in § 2 Z 34 BWG genannten Instrumenten, (b) die Portfolioverwaltung sowie (c) die Beratung in Wertpapierangelegenheiten. § 2 Z 34 BWG nennt unter anderem Wertpapiere, Geldmarktinstrumente (Commercial Papers), Bundesschatzscheine, Kassenobligationen, geschriebene Optionen auf Schuldtitel und ausländische Kapitalfondsanteile. Nicht erfasst werden hingegen Veranlagungen im Sinn des KMG, dh insbesondere stille und Kommanditbeteiligungen sowie nicht verbriefte Genussrechte, sodass Tätigkeiten, die sich darauf beziehen, nicht konzessionspflichtig sind.74 Das Gesetz unterwirft - gleich wie das BWG - nur die gewerbliche Erbringung dieser Tätigkeiten der Konzessionspflicht, dh Tätigkeiten, die auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen gerichtet sind. Unter Vermitteln75 versteht man allgemein die Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, potenzielle Vertragspartner zusammenzuführen. Die Vermittlungstätigkeit erfasst zwei unterschiedliche Bereiche, nämlich die Vermittlung im engeren Sinn und die Nachweisvermittlung. Die Vermittlung im engen Sinn beschreibt das Zusammenführen von zwei Geschäftspartnern. Die Nachweisvermittlung beschränkt sich hingegen auf das bloße Namhaftmachen einer bisher unbekannten Geschäftsgelegenheit. Die Abgrenzung zu einfachen Informationsleistungen ist vielfach unscharf. Als Indizien der Vermittlertätigkeit können mehrere Kriterien herangezogen werden, nämlich die Individualisierung der Vertragspartner, die begleitende Beratung, die Nachvollziehbarkeit des Geschäftsabschlusses sowie Provisionsregelung für den jeweiligen Geschäftsabschluss.76 Die Verwaltung von Kundenportefeuilles mit Verfügungsvollmacht im Auftrag des Kunden erfasst den mit einer entsprechenden Vollmacht verbundenen Auftrag, das aus Instrumenten gem § 2 Z 34 BWG bestehende Vermögen eines Kunden im Namen und auf Rechnung des Kunden diskretionär nach Maßgabe von Anlagerichtlinien - zu verwalten.77 Unter Beratung über 72 73 74 75 76 77
S nur Glaesner in Schwarze, EU-Kommentar Art 56 EGV Rz 64; s ferner Knobl in Griller, Banken im Binnenmarkt 433 ff; Oppitz in diesem Band. Vgl den Beitrag von Oppitz in diesem Band. Kalss, ÖBA 1999, 780 f, Knobl in Frölichsthal/Hausmaninger/Knobl/Oppitz/ Zeiptelt, WAG § 11 Rz 3. Mangels einer aufsichtsrechtlichen Definition des Begriffs Vermittlung muss auf das zivilrechtliche Verständnis zurückgegriffen werden. Brandl/Kalss, ecolex 2000, 751 ff; s ferner Arter/Jörg, AJP (Aktuelle juristische Praxis) 2001, 53 f. Knobl in Frölichsthal/Hausmaninger/Knobl/Oppitz/Zeipelt, WAG § 11 Rz 12.
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die Veranlagung von Kundenvermögen gem § 19 WAG iVm § 1 Abs 1 Z 19 BWG versteht man die Erteilung von Informationen, Einschätzungen und Erwartungen über die in § 2 Z 34 BWG genannten Instrumente, nämlich insbesondere über deren Ausgestaltung, Risiken, Marktpreis und Kurspotenzial. §§ 19 Abs 2a, 9 WAG, § 3 Abs 3 VAG und § 1 Abs 3 BWG normieren Ausnahmen zur Konzessionspflicht: Kreditinstitute, die die genannten Tätigkeiten erbringen, bedürfen dafür keiner gesonderten WAG-Konzession, allein die Überwachung bestimmter Verhaltenspflichten (Wohlverhaltensregeln) obliegt der FMA als zuständiger Behörde; § 9 WAG nimmt eine Reihe von Unternehmen und Einrichtungen, nämlich Versicherungsunternehmen, Pensionskassen, Börsensensale, die Österreichische Bundesfinanzierungsagentur, Sozialversicherungsträger, Gemeinnützige Bauvereinigungen, Freiberufler, die Standesregeln unterliegen, aus. Sie bedürfen trotz Ausübung der in § 1 Abs 1 Z 19 BWG genannten Tätigkeiten keiner Konzession, sofern sie die ihnen eigentümlichen Geschäfte betreiben.78 Versicherungsunternehmen wird ausdrücklich die Vermittlung von Investmentfondsanteilen ohne Konzessionspflicht gestattet, jedenfalls haben sie aber die Wohlverhaltensregeln einzuhalten und unterliegen insoweit der Aufsicht der FMA. Die Europakonformität dieser Regelung ist ebenso fraglich wie die rechtspolitische Sinnhaftigkeit. § 19 Abs 2a WAG nimmt in Einklang mit Art 1 Z 2 letzter Satz Wertpapierdienstleistungs-RL natürliche Personen (freie Mitarbeiter) von der Konzessionspflicht aus, sofern diese Wertpapierdienstleistungen ausschließlich im Namen und auf Rechnung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens, eines österreichischen oder eines Kreditinstituts aus einem Mitgliedstaat (§ 9a BWG) oder einer Wertpapierfirma gem § 9a BWG erbringen;79 das Verhalten der selbständigen Vertreter ist jeweils den genannten Unternehmen zuzurechnen; diese haften für das Verhalten der natürlichen Personen gem § 1313a ABGB. Angesprochen werden damit vor allem Strukturvertriebe, die aus einem Netzwerk selbständiger Dienstleister (Handelsvertreter) bestehen und durch ein gemeinsames Auftreten und eine besondere Gestaltung von Provisionsvereinbarungen gekennzeichnet sind. Trotz Fehlens des Konzessionserfordernisses hat die BWA - gleichsam ausgleichend - gegenüber den selbständigen Vertretern gem § 24 Abs 2 letzter Satz WAG die gleichen Aufsichtsbefugnisse wie gegenüber konzessionierten Unternehmen.80
1. Konzessionsvoraussetzungen Die europarechtlichen Regelungen der 1. Bankrechtskoordinierungs-RL (nunmehr RL über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute)81 und der Wertpapierdienstleistungs-RL verfolgen das Regelungskonzept der Kontrolle der dienstleistenden Unternehmen, insbesondere deren Eigenmittelausstattung, Solvenz, Risikoabsicherung und insbesondere Lauterkeit und fachlichen Eignung der Geschäftsführung sowie der Eigentümer mit maßgebli78 79 80 81
Vgl dazu auch Kalss/Oppitz, ÖZW 1996, 101 f. Vgl dazu Knobl/Hysek, Aktuelle Rechtsfragen des Wertpapieraufsichtsgesetzes, ÖBA 2001, 29 (40). Karpf, Wertpapieraufsichtsgesetz und Verbraucherschutz 160. Abl L 126 vom 26.05.2000, 51 ff.
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chem Einfluss.82 In Umsetzung dieser Vorgaben normieren § 20 ff WAG - in kompliziertem Zusammenspiel mit dem BWG - folgende Konzessionsvoraussetzungen: Organisation in Gestalt einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft; Anfangskapital in Höhe von 50.000 EUR bei Vermögensvermittlung und Beratung bzw 125.000 EUR bei Vermögensverwaltung; fachliche Eignung der Geschäftsleiter und das Vorliegen der erforderlichen Eigenschaften (berufliche Lauterkeit) sowie Fehlen der gewerberechtlichen Ausschlussgründe. Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss gem § 22 WAG Eigenkapital im Ausmaß von mindestens 25 % der fixen Gemeinkosten des letzten festgestellten Jahresabschlusses halten, zumindest jedoch die gesetzlich vorgeschriebenen Werte (50.000/125.000 EUR). Sowohl Anfangs- als auch Eigenkapital bestehen aus eingezahltem Kapital und offenen Rücklagen (Kapital-, Gewinnrücklagen und unversteuerten Rücklagen) abzüglich eines eventuellen Verlusts. Wertpapierdiensleistungsunternehmen, die die Portfolioverwaltung betreiben, müssen einer Entschädigungseinrichtung angehören.83 Die Konzession ist von der FMA schriftlich zu erteilen, sie kann eine oder alle Tätigkeiten gem § 1 Z 19 BWG erfassen und mit Bedingungen und Auflagen versehen werden. Vor der Erteilung ist die Entschädigungseinrichtung zu hören. Die konzessionierten Unternehmen unterliegen der ständigen Aufsicht der FMA. Die konzessionierten Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die die Anforderungen der Wertpapierdienstleistungs-RL erfüllen und einer Entschädigungseinrichtung angehören, genießen die Europapasstauglichkeit, dh sie können die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU/EWR in Anspruch nehmen, wobei sie grundsätzlich der Kontrolle des Herkunftslands unterliegen.84 Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen unterliegen fortlaufenden Pflichten; insbesondere haben sie gem § 23 WAG ihren Jahresabschluss nach dem Gliederungsschema des BWG zu erstellen und den geprüften Jahresabschluss mit den Prüfberichten innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres der FMA vorzulegen. Die Prüfung bezieht sich nicht nur auf die handelsrechtlichen Regelungen der Rechnungslegung, sondern erfasst gem § 23 Abs 4 WAG auch die Einhaltung der wertpapieraufsichtsrechtlichen Bestimmungen (§§ 10-18, 21-22 WAG), dh der Meldepflichten, Wohlverhaltensregeln, Konzessionsvoraussetzungen und der Eigenmittelanforderungen). Das Ergebnis der Prüfung ist in einem Sonderbericht darzulegen und den Aufsichtsorganen des Unternehmens zu einem solchen Zeitpunkt zu übermitteln, dass die Vorlagepflicht an die FMA eingehalten werden kann. Abgesehen von den regelmäßigen Berichtspflichten können die Wertpapierdienstleistungsunternehmen von der FMA gem § 2 und § 24 WAG stichprobenartig im Hinblick auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen überprüft werden.
2. Anlegerentschädigung Parallel zu dem europarechtlichen Zusammenspiel der Wertpapierdienstleistungs-RL und der Anlegerentschädigungs-RL sehen §§ 23b ff WAG als 82 83 84
Brandl/Kalss, ÖBA 2000, 943 ff. Vgl unten 6.2. Vgl Mauerhofer, Wertpapierdienstleistungsrichtlinie 54 ff.
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Ergänzung zur Einlagensicherung gem § 93 BWG für Kreditinstitute Regelungen für die Entschädigung der Anleger aus Wertpapiergeschäften vor. Das Regelungsanliegen der Anlegerentschädigungsrichtlinie85 liegt darin, den Anlegern, die der Wertpapierfirma Geld oder bestimmte Finanzinstrumente anvertraut haben, bis zu einem bestimmten Betrag die Sicherheit zu geben, auf das Geld bzw die Instrumente auch im Fall der Insolvenz der Wertpapierfirma zu greifen und damit gegenüber den anderen Insolvenzgläubigern (insbesondere Massegläubigern) privilegiert zu werden.86 Gem Art 2 der Anlegerentschädigungs-RL hat jeder Anleger, der einer Wertpapierfirma im Zug der Ausführung eines Wertpapiergeschäfts Geld oder bestimmte Instrumente anvertraut, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gem Art 2 (insbesondere Insolvenz bzw Aufforderung, bestimmte Kategorie von Anlegern) einen Anspruch auf Leistung durch das Anlegerentschädigungssystem. Die daran anknüpfenden Regelungen des WAG sind insofern bemerkenswert, als es Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach dem WAG generell verboten ist, überhaupt Geld oder sonstiges Vermögen ihrer Kunden zu halten. Dies verlangt nach dem österreichischen System der Teilung Kreditinstitut/Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine Bankkonzession nach dem BWG.87 Die richtlinienrechtlichen Regelungen sind daher bei Wertpapierdienstleistungsunternehmen nur anwendbar, wenn das betreffende Unternehmen konzessionswidrig handelt. Gem § 23b Abs 1 WAG müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die die Verwaltung von Kundenportefeuilles mit Verfügungsvollmacht im Auftrag der Kunden durchführen (§ 1 Z 19 lit b BWG), dh bei denen - nach Ansicht des Gesetzgebers - offenbar ein hohes Unterschlagungsrisiko88 besteht, einer Entschädigungseinrichtung anzugehören. Bloß vermittelnde oder anlageberatende Unternehmen unterliegen dieser Pflicht nicht. Sie haben ihre Kunden spätestens bei Vertragsabschluss über den Umstand der mangelnden Mitgliedschaft bei einer Entschädigungseinrichtung aufzuklären. Gehört ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das Geschäfte gem § 19 lit b WAG iVm BWG führt, einer Anlegerentschädigungseinrichtung nicht an, verliert es ex lege seine Konzession.89 Die Entschädigungseinrichtung, die als „Haftgesellschaft“ in Form einer juristischen Person einzurichten ist,90 muss umgekehrt jedes Wertpapierdienstleistungsinstitut - auch ein von Gesetzes wegen nicht zur Mitgliedschaft verpflichtetes - aufnehmen, dh die Gesellschaft unterliegt einem Kontrahierungszwang.91 Die Entschädigungseinrichtung hat im Fall des Konkurses eines Unternehmens zu gewährleisten, dass Forderungen eines Anlegers aus Wertpapierdienstleistungen bis zu einem Höchstbetrag von 20.000 Euro 85 86 87 88 89 90
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Erwägungsgründe 8 und 2 und Art 2 der Anlegerentschädigungs-RL und Erwägungsgründe 28 und 39 der ISD. S dazu Sethe in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts2 § 30 Rz 1 ff. Vgl schon oben 6. Hausmaninger, ecolex 1999, 386. Zur Europapasstauglichkeit s schon vorne P 6.1. Die bisher einzige Entschädigungseinrichtung außerhalb des BWG ist in Form einer GmbH organisiert: Gesellschaft Anlegersicherung und Entschädigungseinrichtung der Österreichischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit Konzession zur Vermögensverwaltung (ASSE) mit Sitz in Wien (FN 187473x). Hausmaninger, ecolex 1999, 387.
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pro Anleger ausbezahlt werden. Anleger sind aber nur zu entschädigen, wenn ihnen im Zusammenhang mit der Wertpapierdienstleistung Geld geschuldet wird oder ihnen Instrumente zurückzugeben sind, die im Eigentum der Anleger stehen und für sie nur verwaltet werden.
3. Erleichterung für kleine Wertpapierdienstleistungsunternehmen Während ursprünglich alle Wertpapierdienstleistungsunternehmen den gleichen rechtlichen Anforderungen genügen mussten, führte das Gesetz schrittweise Differenzierungen ein und sieht für kleine Wertpapierdienstleistungsunternehmen Erleichterungen vor.92 „Kleine Wertpapierdienstleistungsunternehmen“ unterliegen gem § 20 Abs 4 WAG folgenden Erleichterungen: Sie sind vom Rechtsformzwang gem § 20 Abs 1 Z 1 WAG ebenso wie von der Eigenmittelanforderung gem § 22 Abs 2 WAG befreit, sofern ihr Haftungsrisiko durch eine Haftpflichtversicherung abgesichert ist;93 sie müssen nicht zwingend von zwei Personen vertreten werden (kein Vieraugenprinzip). Schließlich entfallen das gesetzliche Erfordernis der Hauptberuflichkeit der Geschäftsführer und die Notwendigkeit der Erstellung einer testierten Bilanz, sondern es genügt die Vorlage des Abschlusses, der bei Unternehmern im Sinne des UGB bzw nach § 189 UGB bzw nach § 4 Abs 3 EStG zu erstellen ist. Die Einhaltung der wertpapieraufsichtsrechtlichen Pflichten ist gesondert zu prüfen und darüber gem § 23a Abs 3 WAG zu berichten. Kleine Wertpapierdienstleistungsunternehmen können aber mit der eingeschränkten Konzession die Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit in der EU/EWR nicht wahrnehmen (keine Europapasstauglichkeit).
G. Allgemeine Pflichten von Unternehmen, die Wertpapiergeschäfte tätigen 1. Meldepflichten Um der FMA die Überwachung des Wertpapierhandels zu ermöglichen, werden die Unternehmen, die den Großteil der Geschäfte ausführen, einer Meldepflicht unterworfen. Die durch die Meldepflicht generierten und verarbeiteten Daten sind damit die Voraussetzung und Grundlage für die Überwachungstätigkeit der FMA mit Blickrichtung sowohl auf die Handelsteilnehmer (Kursmanipulation, Insidertrading) als auch auf die Emittenten (Publizitätspflichten sowie die genannten Praktiken). Meldepflichtige Institute, dh Kreditinstitute, inländische Zweigniederlassungen von Kreditinstituten, Finanzinstituten und Wertpapierfirmen, Kreditinstitute und Wertpapierfirmen aus der EU/EWR, die im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit tätig werden, und Lokale Firmen, die Mitglied einer Wertpapierbörse sind, ferner die Oesterreichische Nationalbank 92 93
Vgl dazu Hausmaninger, ecolex 1999, 386. Für Kapitalgesellschaften, die § 20 Abs 4 WAG in Anspruch nehmen, besteht die Möglichkeit, die Erfüllung des Anfangskapitalerfordernisses (vgl oben 6.1.) durch den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung zu ersetzen. Für Einzelunternehmen oder Personengesellschaften ist der Abschluss einer Haftpflichtversicherung, welche das Geschäftsrisiko abdeckt und dem Schutz der Geschäftspartner im Falle von Fehlleistungen dient, obligatorisch.
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und anerkannte Wertpapierfirmen mit dem Sitz in einem Drittland, sofern sie Mitglied einer Wertpapierbörse in Österreich oder einer Kooperationsbörse sind, haben jedes Geschäft mit den gesetzlich aufgezählten Instrumenten der FMA zu melden. Die im Ausland (EU oder Drittstaat) ansässigen Unternehmen unterliegen der Meldepflicht nur, soweit die Instrumente in Österreich zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind und über die in Österreich Geschäfte geschlossen werden. Wertpapierdienstleistungsunternehmen gem § 19 WAG unterliegen der Meldepflicht nicht, da sie auch keinen Handel mit Wertpapieren oder sonstigen Instrumenten betreiben dürfen. Grundsätzlich besteht die Meldepflicht für alle Geschäfte über meldepflichtigen Instrumente gem § 10 Abs 2 WAG, nämlich Aktien und Kapitalanteile, die den Zugang zum Kapitalmarkt ermöglichen, Schuldverschreibungen, standardisierte Terminkontrakte über Aktien und Aktienindices, standardisierte Optionskontrakte über Aktien und Aktienindices, die zum Handel an einer österreichischen Börse oder zum Handel an einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat abgeschlossen werden, unabhängig davon, ob die Geschäfte an der Börse oder an einem sonstigen geregelten Markt abgeschlossen werden. Der Inhalt der jeweiligen Meldung (alle individuellen Merkmale der Einzeltransaktion, wie Menge, Preis, Uhrzeit des Abschlusses und Kennzeichnung als Eigen- oder Kundengeschäft) wird gesetzlich und via Verordnung näher geregelt.94
2. Wohlverhaltensregeln Erbringt ein Unternehmen gewerbliche Dienstleistungen, die mit Wertpapieren oder der sonstigen Veranlagung des Vermögens von Kunden in Zusammenhang stehen, sind die Interessen der Kunden zu wahren und insbesondere die Bestimmungen gem §§ 12-18 WAG zu beachten.95 Der Anwendungsbereich der Wohlverhaltensregeln geht mehrfach über den der Konzessionspflicht nach § 19 WAG hinaus; einerseits ist der persönliche Anwendungsbereich weiter, zudem werden nicht nur Wertpapierdienstleistungen gem § 1 Abs 1 Z 19 BWG, sondern auch sonstige Tätigkeiten erfasst und schließlich ist der Kreis der einbezogenen Instrumente weiter.96 Den Wohlverhaltensregeln unterliegen nicht nur Wertpapierdienstleistungsunternehmen, sondern auch Kreditinstitute oder Versicherungsunternehmen, die eine der in § 11 WAG genannten Dienstleistungen gewerblich erbringen (vgl § 75 VAG für Versicherungsunternehmen); § 11 WAG erfasst nicht bloß die Wertpapierdienstleistungen gem § 1 Abs 1 Z 19 BWG, sondern auch die in § 1 Abs 1 Z 7 lit b bis lit f und Z 11 BWG genannten Bankgeschäfte, also den Handel mit und die Vermittlung von Finanzinstrumenten gem § 2 Z 34 BWG sowie mit Verträgen über Edelmetalle und Waren der Anlage 2 zu § 22 BWG (Warentermingeschäfte), ausländischen Kapitalanteilscheinen und Veranlagungen nach § 1 Abs 1 Z 3
94 95 96
VO BGBl II 1997/172 idF BGBl II 1999/314. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 6 Rz 1 ff; Brandl/Saria, Aufklärungspflichten - Organisationspflichten - Prospekthaftung, A1 ff, K1 ff. Knobl in Frölichsthal/Hausmaninger/Knobl/Oppitz/Zeipelt, WAG § 11 Rz 3; s ferner Kalss, ÖBA 1999, 786.
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KMG sowie die Loroemission.97 Die Einbeziehung der letztgenannten Instrumente dehnt damit die Anwendbarkeit der Wohlverhaltensregeln auch auf den Grauen Kapitalmarkt aus, sodass zwar hierfür keine Marktzutrittskontrolle und laufende Aufsicht über die Marktteilnehmer, jedenfalls aber die Kontrolle der Einhaltung der in §§ 11-18 WAG möglich ist. Die Wohlverhaltensregeln sind auch von Unternehmen, deren Sitz im Ausland liegt, bei Erbringung der Dienstleistung in Österreich einzuhalten, sie unterliegen dabei gem § 11 Abs 3 WAG - derzeit noch - der Kontrolle FMA als Gastland.98 Die Erbringung von Dienstleistungen mittels moderner Kommunikationsmedien (Internet) wirft schwierige Zuordnungsfragen auf.99 Die Wohlverhaltensregeln stellen sowohl öffentlich-rechtliche Aufsichtsregeln als auch Konkretisierungen der privatrechtlichen Rechtsverhältnisse der jeweiligen Dienstleister und der Kunden dar.100 Die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente wird künftig die Wohlverhaltensregeln präzisieren und auch die Kontrolle und Aufsichtsbefugnis ändern (Herkunftsland). Die Wohlverhaltensregeln lassen sich in allgemeine und besondere Regelungen gliedern: Gem § 13 WAG haben die Unternehmen die Dienstleistungen • mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit im Interesse ihrer Kunden zu erbringen; • sich um die Vermeidung von Interessenkonflikten zu bemühen und dafür zu sorgen, dass bei Interessenkonflikten der Kundenauftrag unter der gebotenen Wahrung des Kundeninteresses ausgeführt wird; • schließlich von ihren Kunden Angaben über ihre Erfahrungen oder Kenntnisse in den geplanten Geschäften, den Anlagezielen und über die finanziellen Verhältnisse zu verlangen, soweit dies im Interesse des Kunden und im Hinblick auf Art und Umfang der Geschäfte erforderlich ist, sowie • den Kunden zweckdienliche Informationen mitzuteilen, soweit dies für die Ausführung der Geschäfte erforderlich ist.101 § 14 WAG ergänzt die allgemeinen Bestimmungen mit besonderen Regelungen für bestimmte Verhaltensweisen, indem die den Interessen der Kunden entgegenstehenden Anlageempfehlungen ebenso verboten werden wie Anlageempfehlungen, die der Beeinflussung von Preisen für bestimmte Eigengeschäfte dienen (Kursmanipulation),102 sowie den Abschluss von Geschäften auf der Grundlage der Kenntnis der Orderlage, um sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen (Vorlaufen). § 15 WAG normiert ausdrücklich, dass bei Verletzung der Bestimmungen der Kunde vom Dienstleister Schaden97 98 99 100 101 102
Karpf, Wertpapieraufsichtsgesetz und Verbraucherschutz 20 f. Vgl EuGH vom 10.5.1995, Rs C 384/93 (Alpine Invest) WBl 1995, 321; dazu Knobl, WBl 1995, 309 ff. Vgl Knobl in Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsprivatrecht/Bankrecht 162 ff; Oppitz, ÖBA 2000, 1084. Kalss, Anlegerinteressen 239; Knobl, ÖBA 1997, 3 ff; Knobl in Frölichsthal/ Hausmaninger/Knobl/ Oppitz/Zeipelt, WAG § 13 Rz 64. Zu den europarechtlichen Rahmen vgl etwa Graf, ÖBA 1999, 525. Vgl dazu ausführlich Altendorfer in Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des Börserechts 207 ff.
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ersatz verlangen kann, Abs 2 der Regelung bindet den Ausschluss der Schadenshaftung an eine ausdrückliche Erklärung des Verbrauchers; zulässig ist ein Ausschluss aber ohnehin nur für leichte Fahrlässigkeit.103 Sofern die Wertpapierdienstleistungsunternehmen die genannten Pflichten nicht erfüllen, verletzen sie ihre auftragsrechtlichen Verpflichtungen und sind dafür haftbar, unabhängig davon, ob sie als Anlageberater oder auch nur als Anlagevermittler tätig sind (Grundsatz der anlage- und anlegergerechten Beratung und Vermittlung).104 Gem § 12 Abs 1 WAG dürfen die Unternehmen Kunden nur aufgrund einer Einladung aufsuchen. Entgegen der allgemeinen Regelung von § 3 KSchG steht einem Verbraucher ein Rücktrittsrecht von Verträgen oder Vertragserklärungen über die Veranlagungen und Kapitalanteilscheine auch zu, sofern sie selbst das Geschäft angebahnt haben.105 Gem § 12 Abs 3 WAG dürfen unerbetene Nachrichten zur Werbung für der in § 1 Abs 1 Z 7 lit b bis f BWG sowie für Instrumente, Verträge und Veranlagungen gem § 11 Abs 1 Z 3 nur unter den Voraussetzungen von § 107 TKG 2003 zugesandt werden. Das bisherige Spannungsverhältnis zwischen § 101 TKG aF und § 12 Abs 3 WAG aF ist damit beseitigt.
3. Börsenmitgliedschaft Die Börsenmitgliedschaft und damit die Handelsberechtigung an einer Börse setzt gem § 13 Abs 3 BörseG die Zulassung voraus. Finanzdienstleister, die die qualifizierte Dienstleistung des Börsenhandels erbringen, müssen zusätzliche Voraussetzungen erbringen. Die genaueren Regelungen dafür werden in AGB des Börseunternehmens niedergelegt, die ebenso wie alle Änderungen der Genehmigung durch die FMA, bei allgemeinen Warenbörsen durch den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten bedürfen. Allgemein verlangt § 14 BörseG als Zulassungsvoraussetzung die erforderliche Zuverlässigkeit, Geschäftsfähigkeit, das Fehlen von gewerberechtlichen Ausschlussgründen und das Fehlen von Umständen, die das Ansehen der Börse beeinträchtigen könnten.106 Mitglieder einer Wertpapierbörse können nach der Aufzählung in § 15 BörseG nur Kreditinstitute nach § 1 und § 9 BWG, Wertpapierfirmen gem § 9a BWG und Lokale Firmen mit bestimmten Qualifikationen aus dem EWR werden, weiters anerkannte Wertpapierfirmen mit Sitz in einem Drittland sowie andere Unternehmen mit Sitz in einem Drittland, die bestimmte Kriterien erfüllen. Das BörseG gestattet somit die Fernmitgliedschaft (remote member) von Unternehmen mit Sitz im Ausland, bei Unternehmen in einem EWR-Staat 103
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In AGB ist selbst der Ausschluß für leichte Fahrlässigkeit zweifelhaft: Knobl, ÖBA 1997, 130; Karpf, Wertpapieraufsichtsgesetz und Verbraucherschutz 123, ist die Freizeichnung in AGB auch nicht für leichte Fahrlässigkeit zulässg. OGH vom 21.1.1999, 8 Ob 259/98s RdW 1999, 401; OGH ÖBA 1998, 230; OGH ÖBA 1999, 388; OGH ÖBA 1998, 51; OGH ÖBA 1997, 546 ff; OGH ÖBA 2001, 86; OGH RdW 2001/367, 334. Vgl dazu Kalss/Lurger, Rücktrittsrechte (2001); Kalss/Lurger, JBl 1998, 157 f; Kalss, Anlegerinteressen 185; Karpf, Wertpapieraufsichtsgesetz und Verbraucherschutz 67 ff. Vgl die allgemeinen Konzessionsvoraussetzungen für Finanzdienstleister oben 6.; ferner den Beitrag von Oppitz in diesem Band.
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genügt als Nachweis für die erforderlichen Voraussetzungen die Börsenmitgliedschaft in dem Heimatland. Die Mitglieder müssen über die notwendigen technischen Einrichtungen verfügen. Besondere Regelungen bestehen für die Benutzer der Einrichtungen. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Börseunternehmen und den Handelsteilnehmern (Börsemitgliedern und Börsebesuchern) ist privatrechtlich organisiert. Das Börseunternehmen ist gem § 15 BörseG zum Abschluss eines Vertrags gezwungen (Kontrahierungszwang).107 Mit Ausnahme der Gebührenordnung, die jedoch zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen zählen, unterliegen die Geschäftsbedingungen der Genehmigungspflicht durch die FMA bzw bei Warenbörsen durch den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten. Darüber hinaus kann die Bestimmung von Börsezeit und Börseort gem § 13 Abs 5 nur nach vorheriger Anhörung der Oesterreichischen Nationalbank erfolgen, sofern der Handel mit ausländischen Zahlungsmitteln betroffen ist.
IV. Emittenten A. Privates Anbieten Die Emittenten sind jene Marktteilnehmer, die den Anlegern gegen Geld eine Beteiligung gewähren und mit den Anlegern in einer Dauerbeziehung stehen108 oder ihnen ein sonstiges Finanzinstrument anbieten. Zwar regelt das Kapitalmarktrecht die Gesamtheit der Beziehungen zwischen Emittenten, Anlegern und sonstigen Marktteilnehmern, besonderen Regelungen wird das Angebot einer Beteiligung oder einer sonstigen Kapitalanlage aber nur bei Vorliegen bestimmter qualifizierender Merkmale, nämlich bei einem öffentlichen Angebot, unterworfen. Ein privates Anbieten (private placement) von Wertpapieren oder Veranlagungen bzw sonstigen Finanzinstrumenten unterliegt keinen besonderen marktrechtlichen Regelungen, vielmehr gilt nur das allgemeine Zivilrecht. Der Gesetzgeber geht offenbar davon aus, dass bei einem nicht öffentlichen Angebot ohnehin der Verhandlungsmechanismus greift und die Regel- und Schutzinstrumente des allgemeinen Zivilrechts für einen angemessenen Interessenausgleich ausreichen (Zivilrecht als Kontaktrecht).
B. Öffentliches Anbieten In Einklang mit Prospektrichtlinie verlangt § 2 Abs 1 KMG bei einem öffentlichen Angebot eines Wertpapiers die Erstellung, Prüfung und Veröffentlichung eines Prospekts, der die Anleger in umfassender Weise über die angebotene Kapitalanlage informieren muss. Auch bei einem öffentlichen Angebot von Veranlagungen besteht die Prospektpflicht, anstelle der Prüfung tritt bei Wertpapieren jedoch die Billigung durch die FMA; die zumindest teilweise abweichenden Regelungen für Wertpapiere einerseits und Veranlagungen andererseits lassen sich dadurch erklären, dass letztere von der Prospektrichtlinie 107
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Kalss, ZfV 1998, 267; VfGH B 1200/97, G 461/97. Der VfGH hatte im angegebenen Verfahren über einen abschlägigen Bescheid der Börsekammer nach alter Rechtslage zu entscheiden. Kalss, Anlegerinteressen 68, 89.
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nicht erfasst werden.109 Wertpapiere sind gem § 1 Abs 1 Z 4 KMG iVm Art 1 Z 4 der RL 93/22; Aktien, Aktien gleichzustellende Wertpapiere, Schuldverschreibungen und sonstige verbriefte Schuldtitel, die auf dem Kapitalmarkt gehandelt werden können dh fungibel sind, sowie bestimmte Optionen auf solche Wertpapiere, wobei Geldmarktinstrumente ausgenommen sind.110 Veranlagungen werden gem § 1 Abs 1 Z 3 KMG als unverbriefte Vermögensrechte beschrieben, die der direkten oder indirekten Investition mehrerer Anleger dienen, die entweder allein oder gemeinsam mit dem Emittenten das Risiko tragen und bei denen die Anleger nicht die Verwaltung der Vermögensrechte innehaben (zB Kommanditanteile, stille Beteiligungen, Genussrechte).111 Die Informationspflicht des Emittenten bzw Anbieters soll die Informationsasymmetrie zwischen den erwerbenden Anlegern und dem Anbieter abbauen, um insgesamt die Transaktionskosten zu senken und den Rechtsverkehr reibungslos zu gestalten.112 Werden Gesellschaftsanteile (Aktien, Kommanditanteile) angeboten, greifen Markt- und Gesellschaftsrecht ineinander, sind die Anteile doch wesentlich durch die Organisation der Gesellschaft geprägt. Da die besonderen marktrechtlichen Regelungen erst bei Vorliegen eines öffentlichen Angebots greifen, ist die Festlegung dieses Begriffs von entscheidender Bedeutung. Ein öffentliches Angebot liegt vor, wenn Wertpapiere oder Veranlagungen an einen unbestimmten Personenkreis zum Erwerb angeboten werden. Der unbestimmte Personenkreis kann durch eine persönliche Kontaktaufnahme ausgeschlossen werden.113 Jedenfalls kein öffentliches Anbieten ist bei einer Adressatenzahl von weniger als 100 natürliche oder juristische Personen (nicht qualifizierte Anleger) in Österreich bzw in einem anderen EWR-Land gegeben. Bei einer höheren Adressatenzahl ist besteht die Prospektpflicht nur dann nicht, wenn jeweils persönliche Kontaktaufnahmen gegeben sind. Ein öffentliches Angebot setzt gem § 2 KMG voraus, dass spätestens einen Bankarbeitstag davor ein Prospekt erstellt, gebilligt und veröffentlicht wird. Das Gesetz legt für einen Prospekt für Wertpapiere gem § 7 KMG und den Regelungen der Prospekt-VO den Inhalt des Prospekts fest; für Veranlagungen ist § 7 KMG und das Schemata C des KMG zu beachten; für Immobilienanlagen sieht § 14 KMG besondere Regelungen vor. § 3 KMG enthält eine (taxative) Reihe von Ausnahmen, die von der Prospektpflicht befreien. Die Ausnahmen knüpfen einerseits an den Emittenten, an die Person des Anlegers oder an die Transaktion an.114 Gem § 13 KMG haben Personen, die ein öffentliches Angebot zu machen beabsichtigen, der Meldestelle ehestmöglich Angaben über den Emittenten sowie das Wertpapier oder Veranlagung und allfällige Ausnahmetatbestände zu machen. Die Meldestelle hat die Angaben anzusehen und bei begründeten Zweifeln über das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands den Anbieter auf diesen Umstand hinzuweisen. Der Prospekt ist gem § 10 109
Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 10 Rz 2. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 10 Rz 14. 111 S dazu Kalss/Oppitz, ÖBA 1994, 356 ff; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 10 Rz 15. 112 S nur Kalss, Anlegerinteressen 161 ff; Kalss, ÖBA 2000, 647 ff. 113 Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 10 Rz 8. 114 Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 10 Rz 44 ff. 110
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KMG nach Billigung durch die Billigungsbehörde vom Emittenten, dem Anbieter oder dem Antragsteller sobald wie praktisch möglich zu veröffentlichen. Als Formen der Veröffentlichung kommen neben einer Papierversion auch die elektronische Veröffentlichung in Betracht. Ein Prospekt ist als veröffentlicht anzusehen, wenn er entweder im Amtsblatt zur Wiener Zeitung oder sonst in wenigstens einer Zeitung mit Verbreitung im gesamten Bundesgebiet veröffentlicht wurde, dem Publikum in Form einer Broschüre bei den zuständigen Marktstellen kostenlos zur Verfügung gestellt wurde oder in elektronischer Form auf der Webseite des Emittenten und gegebenenfalls auf der Webseite der vermittelnden Finanzintermediäre, auf der Webseite des geregelten Marktes, auf der Webseite der FMA oder auf der Webseite einer von der Billigungsbehörde beauftragten Einrichtung veröffentlicht wurde. Bei Veröffentlichung in elektronischer Form ist der Emittent jedenfalls verpflichtet, einem Anleger die Papierversion des Prospekts kostenlos zur Verfügung zu stellen. Gem § 8a KMG ist der Prospekt an Stelle der bisherigen Prüfung durch Sachverständige durch die Billigungsbehörde behördlich zu sanktionieren. Dabei beschränkt sie sich auf die Vollständigkeit, Kohärenz und Verständlichkeit der Prospektangaben, ohne dass eine weitergehende inhaltliche Prüfung durchgeführt wird.115 Billigungsbehörde ist für Emissionen, in denen Österreich das Herkunftsland ist, die FMA. Voraussetzung für die Billigung durch die FMA ist die Kontrolle entweder durch die FMA selbst oder einen beigezogenen Kontrollor.116 Wird ein von der FMA genehmigter Prospekt nicht nur in Österreich, sondern auch in einem EWR-Staat verwendet, ist dieser von der FMA gebilligte Prospekt auch in den anderen EWR-Staaten gültig, sofern die Billigung binnen drei Tagen der zuständigen ausländischen Behörden notifiziert wird (europäischer Pass).117 Damit kann ein Emittent mit Billigung durch die FMA im gesamten EU- bzw EWR-Gebiet öffentlich anbieten. Wurde ein ausländischer Prospekt von der zuständigen Billigungsbehörde sanktioniert, so ist die FMA als zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedlands Österreich an diese Billigung gebunden.118 Gem § 6 Abs 1 KMG besteht nicht nur eine Aktualisierungs-, sondern auch eine Berichtigungspflicht, welche den Prospektersteller verpflichtet, jede wesentliche Unrichtigkeit oder Ungenauigkeit des Prospekts in einem Nachtrag zu veröffentlichen, wenn diese die Beurteilung von Wertpapieren oder Veranlagungen beeinflussen können.119 Diese Berichtigungspflicht besteht bis zum Schluss des öffentlichen Angebots bzw der Öffnung des Handels an einem geregelten Markt. Nur bei Erfüllen dieser Berichtigungspflicht kann mangels Kausalität der Prospektersteller nicht von einem Anleger nach den Regelungen der Prospekthaftung in Anspruch genommen werden, wenn dieser sich auf den ursprünglichen Prospekt beruft. Darüber hinaus besteht eine Aktualisierungspflicht, wonach innerhalb von 12 Monaten jeder wichtige neue Umstand über die im Prospekt enthaltenen Angaben anzugeben ist. 115 116 117 118 119
Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 10 Rz 77 f. Weiterführend Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 10 Rz 85. Zuffer, ecolex 2006, 267 ff. Weiterführend Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 10 Rz 87 ff. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 10 Rz 55.
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Die Güte sowohl der Informationspflicht selbst als auch der Kontrolle werden mittels zivilrechtlichen Haftungsregeln abgesichert (Prospekthaftung),120 neben der spezialgesetzlichen Regelung sind die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen anzuwenden.121 Als Maßstab für die schadenersatzrechtliche Beurteilung eines Prospekts wegen allfälliger inhaltlicher Mängel sind nicht bloß Einzeltatsachen heranzuziehen, vielmehr kommt es auf das Gesamtbild an, das der Prospekt durch seine Aussagen über das beworbene Anlageobjekt in Ansehung der Vermögens-, Ertrags- und Liquiditätslage der Emittentin macht.122 Die den Mangel des Prospekts konstituierenden unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Angaben müssen darüber hinaus wesentlich, dh so beschaffen sein, dass ein sich unter Anlegung eines objektiven Maßstabes ein durchschnittlicher verständiger Anleger von diesen Angaben bei einer Auswahlentscheidung unter mehreren Anlagemöglichkeiten beeinflussen lässt, dh er sie mitberücksichtigt.123 Die Beurteilung der Wesentlichkeit der Angaben stellt eine Rechtsfrage dar. Die Haftung besteht nur, wenn ein Kausalzusammenhang zwischen der Mangelhaftigkeit des Prospekts und dem Erwerb der Beteiligung besteht. Die Ursächlichkeit ist gegeben, wenn sich der Anleger im Vertrauen auf den ihm bekannten Prospekt zum Kauf entschlossen hat, wenn er also die unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospektangaben tatsächlich zur Grundlage seiner Disposition gemacht hat.124 Auf die Gründe, warum die Kapitalanlage, dh die Aktie tatsächlich Verluste eingebracht hat, kommt es aber nicht an.125 Maßgeblicher Zeitpunkt für diesen Ursachenzusammenhang ist der Vertragsabschluss. Der Kausalitätsnachweis ist aber insofern gelockert, dass man den Geschädigten vom Beweis der tatsächlichen Prospektkenntnis befreit, vielmehr dass man ihm nur den Nachweis abverlangt, dass der Prospekt zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung bereits am Markt war und dass der Geltungsgrund der Prospekthaftpflicht auch und vor allem in der durch den Prospekt unvollständigen oder irreführenden Angaben im Prospekt erzeugte positive allgemeine Anlagestimmung gesehen wird.126 § 15 KMG sanktioniert das öffentliche Anbieten von Wertpapieren oder Veranlagungen ohne Veröffentlichung eines Prospekts zusätzlich mit einer bis zu zweijährigen gerichtlichen Strafe. 120 121
122 123 124 125 126
S OGH vom 26.2.1997, 7 Ob 291/96t, RdW 1997, 398; OGH vom 26.11.1996, 20 Ob 2299/96b ÖBA 1997 546; OGH vom 9.3.1999 4 Ob 353/98k, ÖBA 1999, 733. Brawenz, Die Prospekthaftung nach allgemeinem Zivilrecht 160 ff; Kalss, ÖBA 2000, 647 ff. Dies umso mehr, wenn die spezialgesetzlichen Tatbestände nicht anwendbar sind; vgl OGH beginnend mit 12.7.1990, 7 Ob 592/90 RdW 1990, 443, s ferner die E in der vorigen FN. OGH vom 11.9.1997 6 Ob 2100/96h; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 11 Rz 1 ff. OGH ecolex 1998, 20 = ÖBA 1998, 474; zustimmend Graf, ecolex 1998, 20. OGH ÖBA 1998, 474, 475; Brawenz, Prospekthaftung im Zivilrecht 225 f; Kalss, Anlegerinteressen 205; ferner BGH WM 1990, 1276, 1280; BGH WM 1992, 1269, 1271 (für die insoweit gleiche Anlageberatung). Koziol in Avancini/Koziol/Iro, Bankvertragsrecht II Rz 6/72; Hopt, Verantwortlichkeit der Banken (1991) 84; Oberhammer, ÖBA 1998, 478; Kalss, Anlegerinteressen 205.
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C. Börsennotierung Sofern ein Wertpapier an der Börse notieren und gehandelt werden soll,127 ist es einem besonderen Zulassungsverfahren zu unterwerfen, das sicherstellen soll, dass bestimmte Mindestvoraussetzungen des Wertpapiers und des Emittenten gegeben sind. Die Börsennotierung geht von einem hohen Umschlag mit einem rasch wechselnden Anlegerkreis aus, der das Vorliegen bestimmter inhaltlicher sowie informationsbezogener Mindeststandards der Emittenten verlangt. Die europarechtlichen Determinanten des Zulassungsverfahrens sind in der Wertpapierzulassungsrichtlinie zu finden. Das Zulassungsverfahren ist hoheitlich gestaltet, das das Börseunternehmen im Weg der Beleihung zu besorgen hat. Es entscheidet in der Rechtsform des Bescheids.128 Gegen die Versagung der Zulassung bzw gegen Zulassungswiderruf kann Berufung bei dem beim Bundesminister für Finanzen eingerichteten Berufungssenat erhoben werden. Die Entscheidunge dieses Berufungssenats sind im Verwaltungsweg nicht abänder- oder aufhebbar, es steht aber die Beschwerde an den VwGH gem § 64 Asb 2 BörseG sowie bei Eingriff in die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte an den VfGH offen.129 Die FMA ist trotz ihrer Zuständigkeit gem § 45 BörseG, die Ordnungsmäßigkeit des Börsehandels zu überwachen, in das Zulassungsverfahren nicht eingebunden.130 Die hoheitlichen Befugnisse, die das Gesetz dem Börseunternehmen überträgt,131 sind die Zulassung,132 der Widerruf der Wertpapierzulassung zum Amtlichen Handel (§ 64 Abs 1 und Abs 3 BörseG), zum Geregelten Freiverkehr (§ 67 Abs 1 und Abs 3 BörseG) und zum Ungeregelten Dritten Markt (§ 69 Abs 2 BörseG) sowie die Prüfung der gedruckten Wertpapierurkunden (§ 70 BörseG). Nach herrschender Auffassung haben Anleger im Zulassungs/Widerrufsverfahren keine Parteistellung.133 Das Gesetz kennt drei verschiedene Marktsegmente134, nämlich den Amtlichen Handel, den Geregelten Freiverkehr und den Ungeregelten Dritten Markt, die sich durch Unterschiede in den inhaltlichen Anforderungen an die Wertpapiere sowie an die Informations127
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Gem § 2 BörseG können nur Wertpapiere, Edelmetalle, Münzen, ausländische Zahlungsmittel, Optionen und Finanzterminkontrakte an der Wertpapierbörse gehandelt werden. Weiterführend Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 3 ff. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 7;Rittler, ÖJZ 2000, 411 f. Ungleich dem BMF, dem gem § 64 Abs 3 Satz 3 BörseG gegen die Entscheidungen des Senats die Beschwerdemöglichkeit wegen Rechtswidrigkeit an den VwGH eingeräumt wird, kommt der BWA im Verfahren nicht die Stellung einer Formalpartei zu, selbst wenn sie nach wirksamer Zulassung zur Überwachung der Emittenten der Wertpapiere berufen ist. 929 BlgNR 20. GP 22 begründen die Zuweisung dieser Aufgaben mit der Raschheit und Effizienz, was aber wohl auch einer privatrechtlichen Entscheidung mit bestimmten Fristen nicht abzusprechen gewesen wäre. Mit der Zulassung wird ein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis zwischen den Beteiligten, nämlich dem Börseunternehmen und dem Wertpapieremittenten, das die wechselseitigen Rechte und Pflichten regelt, begründet. S Kalss in Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des Börsenrechts 290 f. Von dieser gesetzlich vorgenommenen Unterteilung ist die Einteilung des Handels in verschiedene Handelssegmente durch das Börseunternehmen scharf zu unterscheiden (Prime Market, Standard Market etc).
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und Verhaltenspflichten der Emittenten auszeichnen, wobei aber die Unterschiede zumindest zwischen den beiden ersten Marktsegmenten zusehends eingeebnet werden.
1. Zulassungsvoraussetzungen Die Zulassungsvoraussetzungen divergieren je nach Marktsegment und sind für den Amtlichen Handel am höchsten. Gem § 66 BörseG gilt für den amtlichen Handel unter anderem ein Gesamtnominale von mindestens 2,9 Mio Euro bei Aktien (sowohl für Nennbetrags- als auch Stückaktien)135 für Vorzugsaktien ohne Stimmrecht 1 Mio Euro und 725.000 Euro bei anderen Wertpapieren (bei nennwertlosen Wertpapieren überdies eine Stückelung von mindestens 20.000), bei der erstmaligen Zulassung eine Bestandsdauer des Emittenten von 3 Jahren,136 die freie Handelbarkeit der Wertpapiere,137 die auf die Bedürfnisse des anlagesuchenden Publikums Bedacht nehmende Stückelung sowie eine Mindeststreuung, die bei Aktien bei einem Nominale von 725.000 Euro Publikumsbesitz, bei nennwertlosen Aktien - europarechtswidrig138 10.000 Stück im Publikumsbesitz liegt.139 Der Antrag auf Zulassung ist vom Emittenten schriftlich einzubringen und von einem Kreditinstitut mitzufertigen. Gem § 72 Abs 3 Z 6 BörseG sind dem Zulassungsantrag eines Wertpapiers zum amtlichen Handel die Jahresabschlüsse mit Bestätigungsvermerk und Lageberichte für die letzten drei vollen Geschäftsjahre (allenfalls Angaben über die Gesamtrechtsnachfolge und Bilanzkontinuität) anzuschließen. Dem Zulassungsantrag ist ferner der gem § 78 KMG gebilligte Prospekt bzw der von einer ausländischen Behörde gebilligte Prospekt samt Notifizierung beizulegen. Der Antrag auf Zulassung muss sich auf alle bereits begebenen Aktien derselben Gattung oder zumindest auf alle Wertpapiere derselben Emission beziehen. Bei der Ausdehnung der Notierungsbewilligung auf bereits notierende Wertpapiere derselben Gattung gelten die Voraussetzungen von § 66 Abs 1 Z 2 (Gesamtnominale) und Z 8 (Wertpapierstreuung) gem § 66 Abs 3 BörseG nicht. Zur Notierung im Geregelten Freiverkehr ist gem § 68 BörseG für Wertpapiere mit Nominalwert ein Gesamtnominale von 725.000 Euro, für Wertpapiere ohne Nominalwert ein Gesamtnominale von 362.500 Euro ausreichend, die Mindestbestandsdauer beträgt grundsätzlich ein Jahr. Die Wertpapiere müssen im Publikum entsprechend gestreut sein, was bei Aktien anzunehmen ist, wenn sich ein Nominale von mindestens 181.250 Euro, bei nennwertlosen Aktien mindestens 2.500 Stück in Publikumsbesitz befinden oder dem Publi-
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Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 31; Kalss/Zollner, ÖBA 2002, 598 f. Für Holdinggesellschaften bestehen Ausnahmebestimmungen; vgl dazu Gruber, WBl 1991, 155 ff; Gruber, ÖBA 1992, 351 ff; Fries, ecolex 1991, 617 ff; Weber, ÖBA 1991, 652 ff; Weber, ÖBA 1992, 562 f. Namensaktien sind mit Blankoindossament handelbar, vgl Kastner/Doralt/Nowotny, Gesellschaftsrecht5, 179. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 45. Weiterführend Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 28 ff.
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kum140 zum Kauf angeboten werden. Dem Antrag auf Einbeziehung in den geregelten Freiverkehr ist ein Prospekt beizuschließen, der den inhaltlichen Anforderungen des KMG entsprechen muss.141 Schließlich normiert § 69 BörseG die Zulassungsvoraussetzungen für den Ungeregelten Dritten Markt, die gegenüber den beiden anderen Marktsegmenten deutlich abfallen. § 69 BörseG verlangt fast keine Zulassungsvoraussetzungen, unter anderem sieht das Gesetz keine Mindestbestandsdauer vor.142 Der Dritte Markt ist nicht als geregelter Markt iSd § 25 WAG konzipiert, er ist ein schlichter Händlermarkt. Die Zulassung zum Ungeregelten Dritten Markt kann nicht nur vom Emittenten selber, sondern auch von dritter Seite beantragt werden, der Antragstelle muss bloß Börsemitglied sein.143 Emittenten des Dritten Markts unterliegen keiner Quartalberichtspflicht, keiner allgemeinen Adhoc-Publizität,144 keiner Beteiligungspublizität und die Organträger keiner Meldepflicht gem § 48d Abs 4 BörseG.145 Zumindest gilt für den Dritten Markt das Insiderhandelsverbot gem § 48a Abs 1 Z 4 iVm § 48b BörseG.146 Für die Zulassung an einem geregelten Markt ist gem § 72 Abs 3 Z 7 iVm § 74 BörseG ein Prospekt nach den Vorgaben von § 2 ff KMG zu erstellen. Diese ist dann von der FMA als Billigungsbehörde zu billigen.147 Dabei kann die FMA die Wiener Börse die Billigung einbeziehen, die dann eine Stellungnahme abgibt. § 75 sieht ähnlich wie § 3 KMG Ausnahmen für die Prospektpflicht vor, so etwa wenn weniger als 10 % der Aktien derselben Gattung, die bereits zum Handel in demselben geregelten Markt zugelassen sind, über einen Zeitraum von 12 Monaten zugelassen werden sollen (Bagatellausnahme). Ebenso ausgenommen sind beispielsweise der Aktiensplitt, nämlich wenn Aktien im Austausch für bereits an demselben Markt zum Handel zugelassene Aktien derselben Gattung ausgegeben werden, ohne dass mit der Emission eine Kapitalerhöhung des Emittenten verbunden ist.148
2. Nachfolgende fortlaufende Marktpflichten der börsennotierten Gesellschaften Im Unterschied zu den Emittenten, deren Beteiligungen nur öffentlich angeboten wurden, die keinen weiteren marktrechtlichen Pflichten unterliegen, sind die Gesellschaften, deren Papiere an der Börse zugelassen sind und notieren, einem breiten Pflichtenkatalog, nämlich Offenlegungs- und Verhaltens140
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Die Ungleichbehandlung von Nennwertaktien und unechten Stückaktien ist sachlich nicht gerechtfertigt, weshalb eine teleologische Reduktion des Gesetzeswortlautes geboten ist; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 67 aE. Gruber, WBl 1993, 317; Nowotny, ZGR 1994, 220. Vgl 358 BlgNR 21. GP zu § 69; insbesondere muss die Gesellschaft und die Emission auf ordnungsgemäßen Rechtsgrundlagen beruhen, die Gesamtnominale beträgt 10 Mio ATS, die Wertpapiere müssen frei handelbar sein und schließlich muss die gesamte Aktienemission in den Börsenhandel einbezogen werden. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 8. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 14 Rz 4. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 18 Rz 6. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 80. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 16 ff. Weiterführend Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 12 Rz 21.
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pflichten unterworfen. Art und Intensität der Pflichten richten sich wiederum nach dem jeweiligen Marktsegment und vom Amtlichen Handel, über den Geregelten Freiverkehr hin zum Dritten Markt absteigen. a) Informationspflichten aa) Regelpublizität Das BörseG kennt eine Reihe mehrere über die allgemeine handelsrechtliche Offenlegung hinausgehende Publizitätspflichten.149 Die Offenlegungspflichten können in regelmäßige und anlassbezogene Pflichten geteilt werden. § 83 Abs 3 BörseG verpflichtet die Emittenten von amtlich notierenden Aktien, dem Publikum den jeweils letzten Jahresabschluss und den Lagebericht unverzüglich und nicht erst nach der Kenntnisnahme durch die Hauptversammlung und Einreichung in das Firmenbuch zur Verfügung zu stellen. Zusätzlich zum Jahresabschluss haben Aktiengesellschaften, deren Aktien, verbriefte Genussrechte oder Partizipationsscheine150 im amtlichen Handel notieren, über die ersten drei, sechs und neun Monate des Geschäftsjahrs Zwischenberichte (Quartalsberichte) gem § 87 BörseG zu erstellen und zu veröffentlichen, die dem anlagesuchenden Publikum Informationen zur Beurteilung über die Geschäftstätigkeit der Aktiengesellschaft in diesem Zeitraum bieten. Der Zwischenbericht ist so zu gestalten, dass die Angaben ohne weiteres mit vorhergehenden Berichten vergleichbar sind.151 Der Umfang ist geringer als der Jahresabschluss, zudem muss der Zwischenbericht nicht geprüft werden. bb) Anlassbezogene Publizität cc) Allgemeine Ad-hoc-Publizität Die Ad-hoc-Publizität gem § 48d BörseG verpflichtet Emittenten von Finanzinstrumenten Insiderinformationen unverzüglich der Öffentlichkeit bekannt zu geben, sofern diese den Emittenten unmittelbar betreffen. Der Offenlegungspflicht unterliegen nur Emittenten, deren Finanzinstrumente am amtlichen Handel oder am geregelten Freiverkehr notieren. Auf Papiere des ungeregelten dritten Markts erstreckt sich die Ad-hoc-Publizität wie bisher nicht.152 Über die alte Rechtslage hinaus werden nicht nur Emittenten von Aktien und Schuldverschreibungen erfasst, zumal der Begriff des Finanzinstruments gem § 48a Abs 1 Z 3 BörseG deutlich weiter ist und Wertpapiere, Investmentzertifikate, Finanzterminkontrakte, Zinsausgleichvereinbarungen, Warenderivate und sonstige Instrumente, die auf einem geregelten Markt bereits zugelassen sind oder für die ein Zulassungsantrag gestellt wurde, erfasst.153 Offenlegungspflichtig sind den Emittenten unmittelbar betreffende Insiderinformationen, dh öffentlich nicht bekannte genaue Informationen, die einen Emittenten von Finanzin149 150 151 152 153
Vgl dazu Altendorfer/Kalss/Oppitz in Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des Börsenrechts 134, 139; Kalss, Anlegerinteressen 264 ff, 286 ff. Nicht erfasst werden Schuldverschreibungen und Genußscheine. Pernsteiner in Pernsteiner, Rechnungslegung und Börse 195; Nowotny in Feuchtmüller/Lucius, Börseneinführung 71 f. Vgl etwa nur Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 14 Rz 4. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 14 Rz 3.
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strumenten direkt oder indirekt betreffen und wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder der darauf sich beziehenden Derivate erheblich zu beeinflussen.154 dd) Erwerb und Veräußerung eigener Aktien Neben der allgemeinen Regelung von § 48d BörseG155 sieht das Gesetz für Gesellschaften des Amtlichen Handels und des Geregelten Freiverkehrs spezielle Bestimmungen der Veröffentlichungspflicht für bestimmte Sachverhalte im Zusammenhang von Erwerb und Veräußerung eigener Aktien vor.156 Jeder Emittent des Amtlichen Handels und des Geregelten Freiverkehrs hat gem § 82 Abs 9 BörseG den Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung zum Erwerb eigener Aktien nach § 65 Abs 1 Z 4, 6 und 8, die Absicht des Vorstands, die Ermächtigung auszunutzen bei Gefahr von Marktverzerrung, den Vorstandsbeschluss über die tatsächliche Ausnutzung, das Rückerwerbsprogramm bzw den Rückerwerb mindestens der Börsetag vor dessen Durchführung, etwaige Änderungen des Rückerwerbsprogramms, Transaktionen des Rückerwerbs und die Beendigung des Rückerwerbsprogramms zu veröffentlichen.157 Auch die Veräußerung eigener Anteile ist mit Ausnahme der Fälle des § 65 Abs 1 Z 7 AktG (Wertpapierhandel durch Kreditinstitute) entsprechend zu veröffentlichen.158 Für Aktiengesellschaften des Dritten Marktes werden derartige Publizitätspflichten nicht für erforderlich gehalten, da dieser vorwiegend Händlermarkt ist und damit - nach Auffassung des Gesetzgebers - gem § 48a Abs 1 .. BörseG offenbar nur geringeren Informationsansprüchen genügen muss. ee) Übernahmerechtliche Regelung §§ 5 und 6 ÜbG gelten - wie das gesamte Übernahmerecht - nur für Gesellschaften, deren Aktien im Amtlichen Handel oder im geregelten Freiverkehr notieren. Gem § 5 ÜbG hat ein Bieter zunächst für Geheimhaltung zu sorgen, um durch das ungleichmäßige Bekanntwerden seiner Überlegungen und Absichten Marktverzerrungen zu verhindern. Sobald aber erhebliche Kursbewegungen auftreten, die auf seine Überlegungen oder Absichten zurückzuführen sind, ist der Bieter zur unverzüglichen Offenlegung verpflichtet. Jedenfalls ist er dazu nach dem Beschluss seines Aufsichtsrats und bei Eintritt der Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots gem § 22 ÜbG verhalten. Da der Bieter gem § 6 ÜbG berechtigt ist, seine Überlegungen und Absichten den Verwaltungsorganen der Zielgesellschaft vor der allgemeinen Veröffentlichung mitzuteilen, sind auch sie zur Geheimhaltung und im Fall der Marktverzerrung zur unverzüglichen Offenlegung verpflichtet. § 5 ÜbG findet auf jeden Bieter von 154 155 156 157 158
Weiterführend Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 14 Rz 5 ff; Kalss/ Zahradnik, ecolex 2006, 393 ff. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 16 Rz 12. Zum Verhältnis der einzelnen Ad-hoc-Publizitätspflichten zueinander s Kalss, ÖBA 2000, 281 ff. Vgl im Einzelnen die VeröffentlichungsVo BGBL II 2002/112. Kalss/ Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 16 Rz 5 f. Zur Gesetzwidrigkeit der Verordnung vgl Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 16 Rz 7.
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Beteiligungspapieren gem § 1 Z 4 ÜbG Anwendung, unabhängig davon, ob er selbst Emittent von Papieren ist bzw ob dessen Papiere an der Börse notieren. Die Bestimmung verlässt damit die Abgrenzung nach dem Tätigkeitsbereich des Emittenten, wie er für § 48d BörseG gilt. ff) Beteiligungsänderung Schließlich ordnet das BörseG an, dass bestimmte Beteiligungs- und Einflussverschiebungen bei Emittenten des Amtlichen Handels und des Geregelten Freiverkehrs offenzulegen sind. Gem §§ 91 ff BörseG hat eine natürliche oder juristische Person bei Erreichen, Über- oder Unterschreiten von bestimmten Stimmrechtsschwellen, nämlich 5%, 10%, 15%, 20%, 25%, 30%, 35%, 40%, 45%, 50%, 75% und 90% die Börse, die FMA und die Gesellschaft darüber zu unterrichten. Maßgeblich ist der Einflusstransfer, weshalb das Gesetz auf die Stimmrechte abstellt.159 Mit Ausnahme des Erwerbs von Optionen knüpft das Gesetz aber am Erwerb an und begnügt sich - anders als das ÜbG - nicht am Erlangen der wirtschaftlichen Kontrolle (zB durch Abschluss eines Syndikatsvertrags).160 Zu Verhinderung von Umgehungen und zur Erhöhung der Markttransparenz sieht das Gesetz in § 92 BörseG komplexe Gleichstellungstatbestände (zB Treuhänder, Stimmbindungsverträge, kontrollierte Unternehmen etc), die dem Meldepflichtigen gem § 91 BörseG zugerechnet werden. UU kann es bei einer parallelen Verwirklichung von Meldetatbeständen von Veräußerer und Erwerber sowie gleichgestellten Rechtsträgern auch zu Doppelmeldungen kommen. Der Verpflichtete hat der Meldepflicht innerhalb von sieben Tagen ab Kenntnis oder Kennenmüssen nachzukommen. Ergänzend sieht § 93 BörseG eine Veröffentlichungspflicht des Emittenten vor, die er innerhalb von neun Tagen ab Kenntnis durch Bekanntmachung in der Wiener Zeitung (vollständig oder durch Hinweis) zu erfüllen hat. Darüberhinaus verlangt § 83 BörseG auch die Offenlegung der Änderung der Kapitalanteile, jedenfalls sind maßgebliche Änderungen im Sinn von § 91 BörseG - bezogen auf die Kapitalanteile - offenlegungspflichtig.161 Die börsenrechtlichen Publizitätspflichten treffen jeweils den Emittenten und im Fall der Beteiligungspublizität - auch den Erwerber oder Veräußerer. Die Pflichten sind verwaltungsstrafrechtlich bewehrt, die Verwaltungsstrafe trifft gem § 9 VStG nicht die juristische Person Aktiengesellschaft, sondern jeweils die Machthaber des Rechtsträgers, dh im Regelfall die Vorstandsmitglieder des Emittenten. Die notorische Nichteinhaltung der Offenlegungspflichten berechtigt und verpflichtet das Börseunternehmen zum Widerruf der Zulassung zur Notierung.162 Abgesehen von der Möglichkeit von Schadenersatzansprüchen zu Gunsten benachteiligter Anleger - auf der Argumentation des Schutzgesetzcharakters der Offenlegungspflichten oder des Bestehens von
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Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 17 Rz 22. Ausführlich zum Verhältnis Beteiligungspublizität und Übernahmerecht Zollner, RdW 2001, 458. Siehe ferner Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 17 Rz 18 f. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 15 Rz 6. Knobl, ecolex 1998, 797; Kalss, ZfV 1998, 267; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 18 Rz 81.
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besonderen Rechtsverhältnissen zwischen Vertrag und Delikt163 - bestehen keine weiteren zivilrechtlichen Sanktionen, insbesondere fehlt eine Regelung, die bei Verstoß der Offenlegungspflichten das Ruhen des Stimmrechts anordnet. Wegen der zwingenden Stimmrechtsbestimmungen des Aktienrechts (§ 114 AktG) kann diese nach Auffassung des OGH auch nicht satzungsmäßig „nachgebildet“ werden.164 Aus dem Wahlrecht der Gesellschaft, Inhaber oder Namensaktien auszugeben und aus der Regelung von § 61 Abs 5 AktG, wonach ein Namensaktionär sein Recht gegenüber der Gesellschaft nur ausüben kann, wenn er in das Aktienbuch eingetragen ist, die materiell einen Stimmrechtsausschluss bei Nichtoffenlegung der Aktienübertragung normiert, läßt sich - entgegen der Auffassung des OGH wohl die von § 17 AktG gedeckte Gestaltungsfreiheit der Gesellschaft, einen Stimmrechtsausschluss bei Nichtmeldung vorzusehen ableiten, womit der emittierenden Gesellschaft die Möglichkeit in die Hand gegeben wird, marktrechtliche Pflichten mit effizienten gesellschaftsrechtlichen Sanktionen abzusichern, gerade um internationale kapitalmarktrechtliche Anforderungen zu erfüllen.165 gg) Directors’ Dealings Gem § 48d Abs 4 BörseG sind Personen, die bei einem Emittenten von Finanzinstrumenten mit Sitz im Inland Führungsaufgaben wahrnehmen, verpflichtet, alle von ihnen getätigten Geschäfte mit zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassenen Aktien oder aktienähnlichen Wertpapieren des Emittenten oder sich darauf beziehenden Derivate der FMA gegenüber offenzulegen sowie diese Informationen unverzüglich zu veröffentlichen. Den Rechtsgeschäften von Führungskräften werden solche von Personen mit einer engen Nahebeziehung zu diesen Führungskräften gleichgestellt. Neben Organmitgliedern werden auch Personen erfasst, die über die Befugnis verfügen, unternehmerische Entscheidungen über zukünftige Entwicklungen im Emittentenunternehmen zu treffen, was jedoch für die österreichische Rechtslage nicht zu einer Ausdehnung auf Personen der zweiten bzw dritten Managementebene führt.166 Offenzulegen ist der Vertragsabschluss über die genannten erfassten Transaktionsobjekte. Die Offenlegung kann jedoch so lange sistiert werden, bis die Rechtsgeschäfte die Bagatellgrenze von zusammen EUR 5.000,- pro Kalenderjahr erreichen.167 Zur Vermeidung von Umgehungen sieht das Gesetz zahlreiche und komplizierte Zurechnungstatbestände vor, die zum Teil überschießend sind, da eine Befreiung für Wertpapiertransaktionen vorgesehen ist, die von einem Kreditinstitut im Rahmen des Effektenhandels getätigt werden; dieses legisti163
164 165 166 167
S dazu ausführlich Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 18 Rz 82 ff; Kalss, ÖBA 2000, 647 ff; Kalss, Anlegerinteressen 325 ff; allgemein Koziol, JBl 1994, 209 ff. Ausdrücklich OGH vom 30.8.2000, 6 Ob 167/00b, RdW 2001, 83 = GesRZ 2001, 32;krit dazu Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 17 Rz 96 ff. Der Fall zeigte deutlich die Notwendigkeit internationaler marktrechtlicher Regelungen und nationalen Gesellschaftsrechts (Markt- und Emittentenanknüpfung). Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 18 Rz 11 ff; Kalss/Zollner, GeS 2005, 109. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 18 Rz 22.
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sche Versehen ist jedoch durch teleologische Reduktion bzw analoger Anwendung sonstiger Befreiungstatbestände zu beseitigen.168 b) Verhaltenspflichten aa) Insiderhandel Alle Wertpapiere, die zum Börsenhandel - egal welchen Segments - zugelassen werden, sind in das Insiderhandelsverbot einbezogen. § 48b BörseG verbietet es Insidern unter Ausnützung von Insiderinformationen, sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen, indem der Insider davon betroffene Finanzinstrumente kauft, verkauft oder einem Dritten zum Kauf oder Verkauf anbietet oder empfiehlt oder diese Insiderinformationen ohne dazu verhalten zu sein, einem Dritten zugänglich macht. Insiderinformationen sind öffentliche, nicht bekannte, genaue Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten betreffen und die bei öffentlicher Bekanntheit geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente bzw der darauf sich beziehenden Derivate erheblich zu beeinflussen, weil derartige Vorinformationen für einen verständigen Anleger kausal für seine Anlageentscheidung sein würden.169 Als Insider gilt gem § 48b Abs 2 BörseG jeder, der als Mitglied eines Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Emittenten oder sonst aufgrund eines Berufes, seiner Beschäftigung und seiner Aufgaben oder seiner Beteiligung Zugang zu Insiderinformationen hat bzw sich solche Informationen durch strafbare Handlungen verschafft. Darüber hinaus sieht § 48b Abs 2 BörseG eine strafrechtliche Drohung für Personen vor, die ohne Insider zu sein, eine Insiderinformation, die ihnen mitgeteilt wurde oder sonst bekannt gemacht worden ist, in den oben genannten Arten (Kauf oder Verkauf oder Empfehlung zum Kauf der Zugänglichmachung dieser Informationen) sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil verschafft. Der Strafrahmen beträgt bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe, oder wenn durch die Tat ein EUR 50.000, übersteigender Vermögensvorteil verschafft wurde, bis zu 3 Jahren. Dieser Tatbestand ist auch dann strafbar, wenn der Vorsatz der Verschaffung eines Vermögensvorteils fehlt, doch beträgt die Freiheitsstrafe in diesem Fall nur bis zu 6 Monaten. bb) Compliance-Einrichtungen Als Ergänzung zu den strafrechtlich bewährten Insiderbestimmungen ist die Verpflichtung für alle börsennotierten Emittenten gem § 82 Abs 5 BörseG und für bestimmte institutionelle Anleger (Pensionskassen, Versicherungen) gem § 48s BörseG zu nennen, zur Hintanhaltung von Insidergeschäften: 1. dass ein Dienstnehmer und sonst für ihn tätige Personen über das Verbot des Missbrauchs von Insiderinformationen zu unterrichten; 2. interne Richtlinien für die Informationsweitergabe im Unternehmen zu erlassen und deren Einhaltung zu 168 169
Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 18 Rz 44; Kalss/Zollner, GeS 2005, 201. Vgl Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 20 Rz 1; Hausmaninger in Kronke/Melis/Schnyder, Internationales Wirtschaftsrecht 1555 ff. Der Verstoß gegen das Insiderverbot stellt gem § 48b BörseG ein strafrechtliches Delikt mit einer Strafdrohung von 6 Monaten bis zu 5 Jahren dar, wenn durch die Tat ein Vermögensvorteil von EUR 50.000,- verschafft wird.
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überwachen und; 3. geeignete organisatorische Maßnahmen zur Verhinderung einer missbräuchlichen Verwendung oder Weitergabe von Insiderinformationen zu treffen. Für die Informationsweitergabe in Unternehmen (Z 2) und für die geeigneten organisatorischen Maßnahmen (Z 3) hat die FMA die Emittenten-Compliance-Verordnung erlassen; diese gilt jedoch nur für den Bereich von Emittenten des amtlichen Handels und des geregelten Freiverkehrs.170 Darüber hinaus haben die Emittenten ein sogenanntes Insiderverzeichnis zu führen, in dem die Personen zu führen sind, die für sie auf Grundlage eines Arbeitsvertrags oder anderwertig tätig sind und regelmäßig oder anlassbezogenen Zugang zu Insiderinformationen haben. cc) Gleichbehandlungsgebot § 83 Abs 1 BörseG normiert für Emittenten des Amtlichen Handels ausdrücklich ein Gleichbehandlungsgebot. Sie haben ihren Aktionären die gleiche Behandlung der mit dem Aktienbesitz verbundenen Rechte zu gewähren, soweit sich diese in denselben Verhältnissen befinden (Gleichbehandlungsgebot). Das Gleichbehandlungsgebot gilt gem § 47a AktG ohnehin für alle Aktiengesellschaften.
3. Beendigung der Notierung a) Widerruf Das BörseG unterscheidet die freiwillige und die unfreiwillige Beendigung der Notierung. In Gestalt des Widerrufs durch das Börseunternehmen. Der Widerruf ist das Sanktionsinstrument gegenüber Emittenten bei Nichteinhaltung der börsenrechtlichen Regelungen (zB Verletzung der Zwischenberichterstattung, Meldepflichten gem § 91 BörseG etc). Da der Widerruf die Aktionäre der notierten Gesellschaft am stärksten berührt, weil sie die Handelsmöglichkeit der Aktien bzw sonstigen Wertpapiere verlieren, darf dieses Sanktionsinstrument nur als äußerstes Mittel eingesetzt werden.171 b) Delisting (Notierungsbeendigung) Das Börsegesetz regelt die von der Aktiengesellschaft initiierte Zurückziehung (freiwilliges Delisting) nicht durchgehend, sondern nur punktuell, nämlich gem § 85 Abs 4 BörseG nur für den Geregelten Freiverkehr und für den Dritten Markt gem § 69 Abs 7 BörseG. Der Emittent des Geregelten Freiverkehrs hat den geplanten Rückzug dem Börseunternehmen mindestens ein Monat vorher anzuzeigen und gleichzeitig im Amtsblatt der Wiener Zeitung zu veröffentlichen. In Ausnahmefällen kann die Frist verkürzt werden. Die Beendigung der Notierung ist somit als einseitige Erklärung, dh als Kündigung, gestaltet. Für Aktien, die zum Dritten Markt zugelassen sind, genügt gem § 69 Abs 7 BörseG ebenfalls eine Erklärung des antragstellenden Handelsteilnehmers. Für Aktien, die im Amtlichen Handel notieren, besteht keine explizite börserechtliche Regelung; lediglich das Übernahmegesetz (§ 3 des Art IV) sah bis zum 1.1.2000
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Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 22 Rz 7. Weiterführend Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 25 Rz 9 ff.
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auch für Gesellschaften, deren Aktien im Amtlichen Handel notieren, die Möglichkeit vor, durch Hauptversammlungsbeschluss die Notierung zu beenden.172 Aus der Nichtregelung darf aber kein absolutes Verbot dieses Schritts abgeleitet werden, vielmehr ist ein Delisting auch vom Amtlichen Handel unter Einhaltung der gesellschaftsrechtlichen und börsenrechtlichen Regelungen zulässig.173 Abgesehen von der Anzeige des Delistings an die Wiener Börse und deren bescheidmäßigen Entscheid für den Fall der Untersagung ist die Hauptversammlung über den Rückzug zu befassen,174 welche wegen Parallelität von Rechtsformwechsel und Delisting mit Dreiviertelmehrheit darüber zu entscheiden hat. Die Hauptversammlungszuständigkeit allein stellt aber kein ausreichendes Korrektiv für die einem Börserückzug verbundenen Beeinträchtigungen dar, sodass den Aktionären eine Barabfindung anzubieten ist, welche die volle Entschädigung der Anleger sicherzustellen hat.175 De lege ferenda ist die Etablierung von gesellschaftsrechtlichen und börserechtlichen Regelungen für die Notierungsbeendigung wünschenswert, zumal der Zu- und Weggang zu einer Börse keine einmalige Maßnahme einer Gesellschaft darstellen und derartige Entscheidungen in einem rasch wechselnden Geschäftsumfeld revidierbar sein müssen.
V. Übernahmerecht Seit 1999 gilt in Österreich das Übernahmegesetz (ÜbG). Das Gesetz orientiert sich am englischen City Code, dem schweizerischen Bundesgesetz über Börsen und den Effektenhandel (BEHG), den deutschen Übernahmekodex und der Übernahme-Richtlinie Das Übernahmerecht ist nur für Gesellschaften anwendbar, die ihren Sitz in Österreich haben und deren Wertpapiere im Amtlichen Handel oder im Geregelten Freiverkehr einer österreichischen Börse zugelassen sind.176 Das Gesetz wählt mit der Regelung von Übernahmeangeboten und sonstigen öffentlichen Angeboten einen weiten Ansatz und verfolgt zwei Grundanliegen: Zunächst zielt es darauf, ganz allgemein für alle Formen der öffentlichen Angebote von Aktien und sonstigen Beteiligungspapieren von 172
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Das Delisting ist in diesem Fall aber vielmehr die Rechtsfolge der Ausnahme von der Angebotspflicht kraft Satzungsbestimmung und nicht unmittelbares Ergebnis der gesellschaftsinternen Willensbildung. Die schrittweise Regelung von Teilaspekten der Notierungsbeendigung, nämlich die ursprüngliche Regelung für den Geregelten Freiverkehr, die Sonderregelung im Zusammenhang mit dem Übernahmerecht und schließlich die Einbeziehung des Dritten Markts, verbieten einen derartigen Schluß nicht unbedingt, selbst wenn sie zeigen, dass der Gesetzgeber der Frage gewahr ist. (Zur Rechtslage vor der Börsengesetznovelle 2000: Kalss in Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des Börserechts 301; Kalss, Anlegerinteressen 499 ff). Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 25 Rz 18; aA aber Gruber, GesRZ 2005, 109 ff. Vgl dazu im Einzelnen Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 25 Rz 20 ff; Zollner, GeS 2004, 209 ff. Während des ersten Jahres der Geltungskraft des Gesetzes war es Gesellschaften, die zum Geregelten Freiverkehr zugelassen waren, die Anwendbarkeit des ÜbG (als Zielgesellschaft) auszuschließen (opting out), wovon drei Gesellschaften Gebrauch gemacht haben. Eine Gesellschaft hat die Satzungsbestimmung aber bereits revidiert und kehrt in den Amtlichen Handel zurück.
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börsennotierten Gesellschaften ein faires und geordnetes Angebotsverfahren zu schaffen und etabliert eine Reihe von Regelungen zur Festlegung und Einhaltung allgemeiner Verfahrensregelungen (verfahrensbezogenes allgemeines Recht für öffentliche Angebote)177. Das einfache oder schlichte öffentliche Angebot zielt nicht auf den Kontrollerwerb, sondern bedient sich nur der Technik der öffentlichen Kundmachung der Kaufabsicht eines bestimmten Aktienanteils. Zum andern sieht das Gesetz spezielle Regelungen des Konzerneingangsschutzes vor, nämlich für den Fall, dass in einer Gesellschaft erstmals ein Rechtsträger die Kontrolle erlangt oder die schon bestehende Kontrolle wechselt. Nach Erlangen einer kontrollierenden Beteiligung, die als eine Beteiligung von mehr als 30% de auf die ständig stimmberechtigten Aktien umschrieben wird, muss der Bieter ein Pflichtangebot stellen (mandatory bid § 22 Abs 1 ÜbG). Die Art der Kontrollerlangung oder des -wechsels ist irrelevant, möglich ist dies auch durch Syndikatsvertrag oder Umstrukturierung.178 Wenn der Bieter mit der Absicht ein Angebot stellt (§ 25a ÜbG),179 künftig die Kontrolle über eine Gesellschaft zu erlangen (public tender), unterliegt er ebenfalls den besonderen Pflichten des kontrollbezogenen Angebots. Bei einem einfachen öffentlichen Angebot reicht ebenso wie beim kontrollwechselnden Übernahmeangebot der rechtsgeschäftliche - auf unmittelbarem Kontakt ausgerichtete - Regelungsansatz nicht aus. Deshalb bedarf es einer marktrechtlichen Überlagerung durch die Anordnung eines geordneten Verfahrens,180 um die typische kapitalmarktliche Situation des Wissens- und Gestaltungsvorsprungs eines oder weniger Marktteilnehmer im Verhältnis zur Vielzahl der Marktgegenseite zu bewältigen. Diese Zielsetzung ist auch beim Erwerb eigener Aktien durch öffentliches Angebot gegeben, weshalb diese Gestaltung ebenfalls dem ÜbG unterfällt, auch wenn einige Bestimmungen teleologisch zu reduzieren sind.181 Das herausragende Ziel ist jeweils die Sicherung der Gleichbehandlung aller durch die Übernahme betroffener Anleger. Zu denken ist etwa an die Bekanntmachungs- und Angebotspflicht, die Anzeigepflicht an die Behörde, das Verbot bzw die geordnete Durchführung von Parallelkäufen, die Pflichten für die Verwaltungsmitglieder der involvierten Gesellschaften, die Einhaltung von Fristen für die Angebotsabgabe, Angebotsdauer und nachträgliche Annahme (§ 19 ÜbG), den Mindestinhalt der Angebotsunterlage (§ 7 ÜbG),182 konkurrierende Angebote (§ 17 ÜbG), Geheimhaltungs- und Publizitätspflichten (§ 5 f ÜbG) und Zuteilungsregeln (§ 20 ÜbG). Beiden Arten von kontrollbezogenem Angebot gem § 22 ÜbG liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Rechtsträger, der ein bestimmtes Maß an Einfluss in 177 178
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Vgl Bydlinski/Winner, ÖBA 1998, 914. Übernahmekommission vom 12.9.2000 GZ 2000/1/4-171, GesRZ 2000, 253; Gall, WBl 2000, 544; Kalss/Winner, ÖBA 2000, 51 ff; Doralt, GesRZ 2000, 197 ff; Karollus/Geist, NZG 2000, 1146 ff. S dazu Bydlinski/Winner, ÖBA 1998, 922 f; Huber/Löber, ÜbernahmeG § 22 Rz 85 ff; Kalss, NZG 1999, Kalss, EBOR 2000, 480 ff; idS Übernahmekommission GZ 1999/2/3-13. S nur Assmann, ZBB 1989, 63. So ausdrücklich VfGH vom 12.12.2000 B 2010/99-10. Vgl dazu Übernahmekommission GZ 1999/2/1-8 und GZ 1999/2/4-18.
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einer Gesellschaft erlangt hat oder zu erlangen beabsichtigt, verpflichtet ist, alle Anteile an dem Unternehmen zu übernehmen (Vollangebot), dh allen anderen den Kauf anbieten muss (Austrittsrecht für alle) und zudem alle zu gleichen Bedingungen bezahlen muss (zweifaches Gleichbehandlungsgebot). Über das allgemeine Verfahrensrecht hinaus enthält das Gesetz für das Pflichtangebot auch materielle Regelungen für notwendig, um einen angemessenen Schutz der Aktionäre sicherzustellen; er regelt etwa die Art, die Höhe (§ 26 ÜbG) und die Überprüfbarkeit der Gegenleistung (§ 33 ÜbG). Auf der Grundlage der Übernahmerichtlinie 2004 und eines Prüfungsbeschlusses des VfGH183 wurde im Frühjahr 2006 ein neues Übernahmegesetz beschlossen, dessen maßgebliche Neuerung die Festlegung des formalen Kontrollbegriffs (30 %) im Gegensatz zum bisherigen materiellen Kontrollbegriff ist.184 Die Einhaltung der besonderen übernahmerechtlichen Verfahrensbestimmungen wird ebenso wie die der materiellen Regelungen nicht von der FMA, sondern von einer eigenen Behörde, der Übernahmekommission, überwacht. Die Übernahmekommission ist eine weisungsfreie Verwaltungsbehörde gem Art 133 Abs 4 B-VG, die bei der Wiener Börse AG eingerichtet ist und in drei Senaten zu je vier Personen entscheidet. Der Übernahmekommission kommen an die FMA angelehnte allgemeine Untersuchungsbefugnisse zu.185 Durch den Prüfungsbeschluss des VfGH vom Dezember 2005 werden aber die Kompetenzen der ÜbK spürbar eingeschränkt.186
VI. Kapitalmarktaufsicht Die Effizienz kapitalmarktrechtlicher Regelung verlangt, dass die Einhaltung der Regeln für den Wertpapier- und Kapitalmarkt durch eine umfassende Aufsicht über den börslichen und außerbörslichen Handel wirksam überwacht wird.187 Seit dem FMAG188 wurde eine Allfinanzbehörde, die Finanzmarktaufsicht (FMA), entwickelt. In der FMA sind nunmehr die Zuständigkeiten für Bankenaufsicht, Versicherungsaufsicht, Wertpapieraufsicht, Pensionskassenaufsicht und der Aufsicht über die Mitarbeiter-Vorsorgekassen gem § 1 Abs 1 FMAG übertragen. Die FMA selbst unterliegt der Aufsicht durch den BMF.189 Trotz der Schaffung dieser Allfinanzbehörde bleiben Aufsicht über bestimmte Tätigkeiten am Kapitalmarkt einzelnen Einrichtungen vorbehalten. So ist etwa die Handelsaufsicht dem Börseunternehmen übertragen, die Oesterreichische Kontrollbank fungiert als Meldestelle für prospektpflichtige Angebote,190 die Einhaltung der Übernahmeregelungen wird von der bei der Wiener Börse eingerichteten Übernahmekommission wahrgenommen. 183 184 185 186 187 188 189 190
S dazu Rill, ZfV 2006, 178. Vgl Diregger/Kalss/Winner, Das neue Übernahmerecht² (2006 in Druck). Diese Befugnisse wurden durch die Novelle 2001 BGBl I 2001/98 deutlich nachgebessert. Vgl VfGH 14.12.2005, B 385; Rill, ZfV 2006, 178. Hopt/Baum in Hopt/Rudolph/Baum, Börsenreform 404. BGBl I 2001/97. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 2 Rz 14, 16. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 2 Rz 46.
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Zur Vervollständigung ist auf Zuständigkeiten der Wettbewerbsaufsicht und Fusionskontrolle sowie auf „Restkompetenzen“ des Firmenbuchgerichts verwiesen. Das Firmenbuchgericht hat die Offenlegungspflichten sowie die Rechtmäßigkeitskontrolle von verbandsrechtlichen Maßnahmen verschiedener Kapitalmarktteilnehmer zu prüfen, wobei für die Prüfung der Offenlegung teilweise auch Zuständigkeiten von sonstigen Kapitalmarktaufsichtseinrichtungen bestehen, je nachdem, ob die in Frage stehenden Kapitalanlagen auf einem bestimmten qualifizierten Markt gehandelt werden.
VII. Ausblick Das Kapitalmarktrecht hat sich in kurzer Zeit zu einem verzweigten und komplex gestalteten Rechtsbereich entwickelt, der stark von europäischen Entwicklungen geprägt ist. Informationstechnologie und Internationalität des Kapitalmarkts sind die maßgeblichen Motoren für die Fortentwicklung dieses Bereichs, die nach Lösungen für grenzüberschreitende Rechtssicherheit und effiziente Rechtsdurchsetzung verlangen.
Martin Oppitz
Bankrecht Rechtsgrundlagen .............................................................................................43 Grundlegende Literatur.....................................................................................44 I. Grundlagen ..................................................................................................45 A. Allgemeines ..............................................................................................45 B. Kompetenzrechtliche Einordnung ............................................................48 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ......................................................49 II. Kreditinstitutsbegriff.................................................................................53 A. Sektor- und institutsspezifische Sondervorschriften .................................53 B. Der aufsichtsrechtliche Kreditinstitutsbegriff ..........................................61 III. Grundsätze der Bankenaufsicht .............................................................67 A Behörden und Verfahren ...........................................................................67 1. Allgemeines ..........................................................................................67 2. Aufgaben der OeNB .............................................................................74 3. Organisationsrecht der FMA.................................................................76 4. Zu Einordnung und Charakter bankrechtlicher Aufsichtsvorschriften .78 B. Die Kreditinstitutskonzession ...................................................................79 C. Eigentümerbestimmungen ........................................................................84 D. Eigenmittel, Solvabilität und Liquidität ...................................................86 1. Eigenmittel und Solvabilität..................................................................86 2. Liquidität...............................................................................................93 E. Großveranlagungen .................................................................................95 F. Rechnungslegung der Kreditinstitute .......................................................97 IV. Anleger- und kundenbezogene Pflichten..............................................101 A. Verhaltenspflichten nach BWG, WAG und BörseG................................101 B. Verbraucherbestimmungen ....................................................................105 C. Einlagensicherung und Anlegerentschädigung......................................106 V. Geschäftsaufsicht über Kreditinstitute ..................................................109 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Bankaufsichtsrichtlinie (2000/12/EG), Abl Nr L 126/1; Richtlinie über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (2006/48/EG), Abl Nr L 177/1; Kapitaladäquanzrichtlinie (2006/49/EG), Abl Nr L 177/201; Bankbilanzrichtlinie (86/635/EWG), Abl Nr L 372/1; Einlagensicherungsrichtlinie (94/19/EG), Abl Nr L 135/5;Anlegerentschädigungsrichtlinie (97/9/EG), Abl Nr L 84/22; OGAW-Richtlinie (85/611/EWG), Abl Nr L 375/3; OGAW-Produktrichtlinie (2001/108/EG), Abl Nr L 41/35; OGAW-Verwaltungsrichtlinie (2001/107/EG), Abl Nr L 41/20; Märkte für Finanzinstrumente-Richtlinie (MiFID) (2004/39/EG), Abl Nr L 145/1; MiFID-Durchführungsrichtlinie (2006/73/EG), Abl Nr L 241/26; MiFID-Durchführungsverordnung (Nr 1287/2006), Abl Nr L 241/1; 1. Geldwäscherichtlinie (91/308/EWG), Abl Nr L 166/77; 2. Geldwäscherichtlinie (2001/97/EG), Abl Nr L 344/76; 3. Geldwäscherichtli-
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nie (2005/60/EG), Abl Nr L 309/15; Marktmissbrauchsrichtlinie (MMR) (2003/6/EG), Abl Nr L 96/16; 1. Durchführungsrichtlinie zur MMR (2003/124/EG), Abl Nr L 339/70; 2. Durchführungsrichtlinie zur MMR (2003/125/EG), Abl Nr L 339/73; 3. Durchführungsrichtlinie zur MMR (2004/72/EG), Abl Nr L 162/70; 1. Durchführungsverordnung zur MMR (2273/2003/EG), Abl Nr L 336/33; Sanierungs- und Liquidationsrichtlinie Kreditinstitute (2001/24/EG), Abl Nr L 125/15; E-Geld-Institute-Richtlinie (2000/46/EG), Abl Nr L 275/39; Finanzkonglomeraterichtlinie (2002/87/EG), Abl 2003 Nr L 35/1. BG: Bankwesengesetz - BWG (BGBl 1993/532 idF BGBl I 2006/141); Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz - FMABG (BGBl I 2001/97 idF BGBl I 2006/141); Sparkassengesetz - SpG (BGBl 1979/64 idF BGBl I 2006/141); Bausparkassengesetz - BSpG (BGBl 1993/532 idF BGBl I 2006/48); Postsparkassengesetz (BGBl 1969/548 idF BGBl I 2002/108); E-Geldgesetz (BGBl I 2002/45 idF BGBl I 2006/141); Hypothekenbankgesetz (GBlÖ 1938/648 idF BGBl I 2006/48); Pfandbriefgesetz (GBlÖ 1938/648 idF BGBl I 2006/48); Gesetz betreffend fundierte Bankschuldverschreibungen - FBSchVG (RGBl 1905/213 idF BGBl I 2005/32); Pfandbriefstelle-Gesetz (BGBl I 2004/45); Investmentfondsgesetz - InvFG (BGBl 1993/532 idF BGBl I 2006/48); ImmobilienInvestmentfondsgesetz - ImmoInvFG (BGBl I 2003/80 idF BGBl I 2006/48); Beteiligungsfondsgesetz - BetFG (BGBl 1982/111 idF BGBl I 2001/97); Finanzkonglomerategesetz - FKG (BGBl I 2004/70 idF BGBl I 2006/141); Börsegesetz (BGBl 1989/555 idF BGBl I 2006/141); Wertpapieraufsichtsgesetz - WAG (BGBl 1996/753 idF BGBl I 2006/141); Nationalbankgesetz - NBG (BGBl 1984/50 idF BGBl I 2006/61).
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Riefel, Praxiskommentar zum Sparkassengesetz (2000); Pauger, Österreichisches Bankrecht (1989); Paul, Investmentgeschäft Organisation und Vertrieb (2003); Perl, Die Sparkassen-Privatstiftung (2005); Potacs, Devisenbewirtschaftung (1991); B. Raschauer, Amtshaftung und Finanzmarktaufsicht, ÖBA 2004, 338 ff; derselbe, Bankaufsicht, Amtshaftung und Beihilfenverbot, ÖJZ 2005, 1 ff; derselbe, Gedanken zur aktuellen Lage des Bankenaufsichtsrechts, ZFR 2006, 2 ff; N. Raschauer/Wessely, Ausgewählte Fragestellungen zum Staatskommissär im Wirtschaftsaufsichtsrecht, ÖZW 2004, 70; Rebhahn, Amtshaftung für „Bankprüfer“ - Wohltat oder Irrweg?, ÖBA 2004, 267 ff; Schäffer, Bankaufsicht - Möglichkeiten und Grenzen ihrer Organisation aus rechtlicher Sicht, ÖBA 1985, 199 ff; Schnyder, Europäisches Banken- und Versicherungsrecht Eine systematisch-vergleichende Darstellung (2005); Stanzel/Raab/Schmoll (Hrsg), Das BWG im Bankbetrieb (1994); Troberg, Bankrecht der Europäischen Gemeinschaften, in Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg), Bankrechts-Handbuch Band III 3797 ff; Waldhäusl, Die Berechtigung zum Betrieb von Bankgeschäften (1993); Waschbusch, Bankenaufsicht - Die Überwachung der Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute nach dem Gesetz über das Kreditwesen (2000); Wörner, Europäische Bankenregulierung im Spannungsverhältnis zwischen Regulierungswettbewerb und Harmonisierungsbemühungen (2000); Zakostelsky/Lucius (Hrsg), Die BWG-Novellen (1997).
I. Grundlagen A. Allgemeines Adam Smith hat für das Bankgewerbe folgende pointierte Charakterisierung gefunden1: „Obwohl das Geschäft der Banken in der Theorie etwas kompliziert erscheinen mag, lässt es sich in der Praxis durchaus auf strenge Regeln reduzieren. Von diesen Regeln bei irgendeiner Gelegenheit abzuweichen, verführt durch verlockende Aussicht auf außerordentlichen Gewinn, ist fast immer höchst gefährlich und häufig für die Bankgesellschaft, die es versucht, tödlich.“ Damit ist über die wirtschaftsrechtliche Motivation, Bankgeschäfte einer gesetzlichen Ordnung zu unterwerfen, im Grunde schon sehr viel gesagt. Das volkswirtschaftliche Interesse an einem funktionsfähigen Bankwesen lässt sich vor allem auf die Steuerungs- und Lenkungsfunktion zurückführen, die der Kreditwirtschaft zukommt. Folgende österreichische Daten belegen die wirtschaftliche Bedeutung des Bankwesens: Die unkonsolidierte Bilanzsumme aller in Österreich tätigen Banken erreichte im Jahr 2005 einen Stand von € 725,04 Mia; die Bilanzsumme hat damit erstmals am Ende eines Jahres die 700-MiaEuro-Grenze überschritten2. Eine signifikante Konzentration des Bankensektors ergibt sich aus der Tatsache, dass 45,7% der genannten Bilanzsumme auf die fünf größten in Österreich tätigen Banken und 56,2% auf die „Top-tenBanken“ entfielen3. Die in Österreich tätigen Banken rechnen für das Jahr 2005 mit einem Jahresüberschuss von € 3,88 Mia, welcher mit 31,8% deutlich über dem Vergleichswert 2004 liegen würde4. 1 2 3 4
Der Wohlstand der Nationen, vollständige Ausgabe nach der 5. Auflage (letzter Hand), London 1789, übersetzt und herausgegeben von Recktenwald, 1983, 642. Dobringer, Österreichs Kreditinstitute im Jahr 2005, ÖBA 2006, 233. Dobringer, ÖBA 2006, 234. Dobringer, ÖBA 2006, 240.
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Die ökonomische Funktion von Banken wird - ähnlich wie jene des Kapitalmarkts - oftmals durch eine Aufgabendreiteilung beschrieben, die sich auf die „Losgrößentransformation“ (Abstimmung unterschiedlicher Finanzbeträge von Sparern und Kreditnehmern), die „Fristentransformation“ (Abstimmung divergierender zeitlicher Präferenzen bezüglich Anlage- und Kreditdauer von Sparern und Kreditnehmern) sowie die „Risikotransformation“ (Verminderung des Insolvenzrisikos durch Streuung der Einlagenherkunft und Finanzmittelanlage) zurückführen lässt5. Diese Mobilisierung und Lenkung finanzieller Mittel6 ist im größeren Kontext staatlicher Einflussnahme zu sehen: Die Kreditwirtschaft ist - mittelbar oder unmittelbar - Adressat fiskal- und geldpolitischer Lenkungstechniken; mit anderen Worten stellt das Bankwesen den Transmissionsmechanismus für die entsprechenden staatlichen Politiken bereit. Es nimmt daher nicht wunder, dass dem Geld- und Kreditwesen auch in Österreich auf gesetzgeberischer Ebene besonderes Augenmerk gewidmet wurde7 und wird. Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt dabei auf dem Einsatz des Instrumentariums der Wirtschaftsaufsicht, also auf der Gestaltung des Ordnungsrahmens für die Tätigkeit von Kreditinstituten. Die Stoßrichtung der im Gewand des Wirtschaftsaufsichtsrechts vorgenommenen Bankenregulierung8 lässt sich auf die erwähnten wirtschaftlichen Funktionen des Kreditsektors zurückführen. Am häufigsten werden folgende Motive für die Einrichtung einer Bankenaufsicht9 genannt10:
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Zu dieser Transformationsleistung der Banken vgl die Nachweise bei Waschbusch, Bankenaufsicht 18 FN 65. Haushofer, Bankenaufsicht 7, sieht die Geldinstitute daher als „Relaisstationen, über die der größte Teil der finanziellen Ressourcen fließt“; Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung9 1997, 110 beschreibt anschaulich die Rolle des „Bankiers“ bei der Finanzierung neuer Kombinationen von Produktionsmitteln: „Er steht zwischen jenen, die neue Kombinationen durchsetzen wollen, und den Besitzern von Produktionsmitteln. Er ist im Kerne eine Erscheinung der Entwicklung, allerdings nur dort, wo keine Befehlsgewalt den sozialen Wirtschaftsprozess leitet. Er ermöglicht die Durchsetzung der neuen Kombinationen, stellt gleichsam im Namen der Volkswirtschaft die Vollmacht aus, sie durchzuführen. Er ist der Ephor der Verkehrswirtschaft.“ Vgl bereits die Überblicksdarstellung der legistischen Entwicklung der Nachkriegszeit bei Sixt, Der Einfluss der Hoheitsverwaltung auf das Kreditwesen, FS Krasensky,1968, 174 ff. Vgl auch die historische Analyse von Lehmann, GA zum 31. DJT, 1912, 504 (in Wien): Aktienrecht ist Bankrecht gerade weil neben Aktionären Einleger Schutzobjekt waren (zu den Aktienrechtsnovellen 1870/1884/1897); zu den unterschiedlichen Interessenlagen von Aktionär und Bankeinleger näher Seifert, Privilegierung und Regulierung im Bankwesen, 1984, 222 ff. Zum Begriff der Bankenaufsicht allgemein Terberger in Gerke/Steiner (Hrsg), Handbuch für Bank- und Finanzwirtschaft, 1995, 151. Vgl auch Christl, Im Spannungsfeld von Regulierung und Management: Kosten und Nutzen der Regulierung des Finanz- bzw Bankensektors, ÖBA 2005, 733. Die Etablierung einer Bankenaufsicht ist - insbesondere auch aus ökonomischer Sicht - nicht selbstverständlich; zur Ideengeschichte des „free banking“-Konzepts vgl die in Boettke, The Elgar Companion to Austrian Economics, 1998, enthaltenen Beiträge von Dowd, Free Banking, 408, Schuler, The history of free banking, 414 und Kroszner, Financial regulation, 419.
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Liquiditäts- und Solvabilitätsrisiken11, die sich aus der Fristentransformation (langfristige Ausleihungen auf der Aktivseite gegenüber kurzfristigen Finanzierungen auf der Passivseite) ergeben und die das Potential für bank runs (Schalterstürme) schaffen;12 • die Möglichkeit von „Dominoeffekten“ bzw Kettenreaktionen bei Illiquiditäts- und Insolvabilitätsfällen in Folge der Interdependenzen zwischen Banken (zB aufgrund von Interbankkrediten13); • die Gefahr, dass bei einer Bankenkrise das volkswirtschaftliche Zahlungssystem in Mitleidenschaft gezogen werden kann; • die asymmetrische Information im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen (gutinformierte Banken versus relativ wenig informierte Kunden); • beschränkte Diversifizierbarkeit gewisser Kategorien von Bankrisiken (makroökonomische Schocks wie zB Zins- oder Wechselkursrisiken) sowie • die beschränkte Wirksamkeit des Marktes für Unternehmenskontrolle, in dem im Vergleich zu anderen Industrien Banken typischerweise einen geringeren Eigenkapitalanteil aufweisen, was tendenziell die Anreize für Überwachung („Monitoring“) durch die Eigenkapitalgeber reduziert. Aus den genannten Motiven lassen sich - nach der „klassischen“ aufsichtsrechtlichen Betrachtungsweise - sowohl Aspekte des Funktionsschutzes, als auch solche des Individualschutzes erkennen14: Einerseits soll der Anleger bzw Einleger vor übermäßigem Risiko - allenfalls auch vor Schaden aus strafrechtlich relevantem Verhalten - geschützt werden, andererseits besteht ein dem sog Funktionsschutz zuzurechnendes Ziel der Vermeidung von Bankenkrisen ganz allgemein. Eine klare Trennung der beiden Prinzipien erscheint problematisch; ein leistungsfähiger Individualschutz ist ohne Minimierung des
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Illiquidität bedeutet Zahlungsunfähigkeit, Solvabilitätsrisiken leiten sich aus der Gefahr der Eigenkapitalaufzehrung durch Verluste ab; vgl Waschbusch, Bankenaufsicht 26. Zur Gefährlichkeit derartiger „Runs“ bereits Ricardo, Über die Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung, deutsche Ausgabe 2006, 349: „Die Banken sind gegen solche Paniken bei keinem System gesichert; sie sind ihnen ihrer ureigensten Natur nach unterworfen, da niemals in einer Bank oder in einem Lande so viel Metallgeld oder Barren vorhanden sein können, wie die Geldleute [moneyed individuals] eines solchen Landes zu verlangen berechtigt sind. Würde jedermann sein Guthaben von seinem Bankier am gleichen Tage abheben, so würde ein Vielfaches der jetzt zirkulierenden Banknoten für die Befriedigung einer solchen Nachfrage nicht ausreichen.“ Möschel, Eine Systematik von Bankenregulierungszielen, FS Stimpel, 1985, 1065 (1075 f) sieht darin den rechtfertigenden Kern einer Bankenregulierung unter dem Aspekt des „sound banking“. Stanzel, Bankaufsichtsrechtliche Ziele und Instrumente, in Stanzel/Raab/Schmoll, Das BWG im Bankbetrieb, 1994, 17 (18 f) spaltet den Individualschutz in den Aspekt des Gläubigerschutzes und jenen des Einleger und Kreditnehmer umfassenden Verbraucherschutzes. Zu den Aufsichtszwecken auch Borns, Aufsichtsziele als Basis für die Organisation der Bankenaufsicht, ÖBA 2001, 277 (279 ff); Waschbusch, Bankenaufsicht 10 ff differenziert zwischen Gläubigerschutz und Funktionenschutz.
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Systemrisikos im Bereich der Kreditwirtschaft - und damit dem Erhalt eines leistungsfähigen Bankenwesens - kaum denkbar15. Das Bankaufsichtsrecht ist entsprechend seiner wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Zuordnung16 durch die Verwendung typisch aufsichtsrechtlicher Instrumente (zB Konzessionserteilung, zahlreiche Ordnungsvorschriften im Hinblick auf die laufende Aufsicht17) aber auch durch privatrechtliche Einschlüsse, insbesondere Konsumentenschutzvorschriften, gekennzeichnet18. Auch das Bankaufsichtsrecht weist daher die im Wirtschaftsrecht gängige „Gemengelage“ zwischen öffentlichem und privatem Recht auf. Neben der Unterscheidung der Aufsichtsmittel nach dem formalen Kriterium ihres überwachenden oder berichtigenden Charakters lässt sich - ausgehend vom Risiko als bankaufsichtsrechtlichem Fokus - die Normengestaltung auch nach materiellen Gesichtspunkten systematisieren: Informationsregeln (zB Meldeverpflichtungen) und Qualifikationsregeln (etwa im Rahmen der Konzessionsvoraussetzungen) sind geeignet, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Risikofalles zu reduzieren19. Nachdem Bankgeschäfte nicht unter Ausschluss jeglicher Risikoübernahme geführt werden können, bedarf es Maßnahmen zur Begrenzung der Risikoübernahmemöglichkeiten von Kreditinstituten (Risikobegrenzungsregeln). Schließlich sind die Folgen möglicher Risikorealisation abzusichern, also etwa in Form einer verbindlichen Relation zwischen risikobehafteten Aktiva und Eigenmitteln (Risikodeckungsregeln), was - im Reflex wiederum der Risikobegrenzung dient20.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Das B-VG bietet mit dem Kompetenztatbestand „Geld-, Kredit-, Börse- und Bankwesen“ (Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG) eine Grundlage für bankrechtliche Regulierung21: Nach allgemeiner Auffassung ist die Statuierung wirtschaftsaufsichtsrechtlicher Regime in diesem Kompetenztatbestand enthalten22; hinsicht15
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Borns, ÖBA 2001, 282 ff, möchte die Bankenaufsicht de lege ferenda stärker an den durch die Aufsichtsziele vorgegebenen Bedürfnissen orientieren und schlägt eine Delegation von Aufsichtstätigkeiten an verbandsinterne Systeme vor. Zum Wesen des Wirtschaftsaufsichtsrecht vom Standpunkt institutioneller Rechtsbetrachtung grundlegend Wenger, Die Wirtschaftsaufsicht als Rechtsinstitut des Wirtschaftsverwaltungsrechts, FS Fröhler, 1980, 373 ff. Vgl zur Systematisierung der Aufsichtsmittel nur Wenger, FS Fröhler 382 ff. Vgl etwa die Regelungen zum „Differenzeinwand“ in § 1 Abs 5 und § 100 Abs 2 BWG. Müller, Bankenaufsicht 119. Diesen Zusammenhang betont Müller, Bankenaufsicht 120, dem die vorliegende „materielle“ Systematisierung des aufsichtsrechtlichen Instrumentariums folgt. Zur Gegenüberstellung von Bankenaufsicht und Versicherungsaufsicht Lexa, Bankaufsicht und Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) aus betriebswirtschaftlicher Sicht, in Stanzel/Raab/Schmoll, Das BWG im Bankbetrieb 39 (40 ff). Zur historischen Entwicklung Aspetsberger, Bankaufsicht, 1989, 15 ff. Zur Rechtslage in Deutschland vgl Häde, Bankenaufsicht und Grundgesetz, JZ 2001, 105; Herdegen, Bundesbank und Bankenaufsicht: Verfassungsrechtliche Fragen, WM 2000, 212. Vgl nur Pauger, Bankrecht 75 f; in Ermangelung eines selbständigen Kompetenztatbestandes „Wirtschaftsaufsicht“ bildet diese eine Annexmaterie zur jeweiligen
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lich des „Geldwesens“ (Devisenrecht) wird vertreten, dass unabhängig von der gemeinschaftsrechtlichen Liberalisierung auch ein wirtschaftslenkungsrechtliches Regime zulässig sei23. Ergänzend bieten die Kompetenztatbestände „Zivilrechtswesen“, „Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“ sowie „Strafrechtswesen“ (Art 10 Abs 1 Z 6 und 8 B-VG) Deckung für bankrechtliche (Begleit-) Vorschriften24.
C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Aus europarechtlicher Sicht25 können sich bankrechtliche Liberalisierungsakte zunächst auf die Niederlassungsfreiheit (Artt 43 ff EG) und die Dienstleistungsfreiheit (Artt 49 ff EG) stützen. Die dritte wesentliche Rechtsgrundlage für einen einheitlichen europäischen Bankenmarkt stellte die ursprünglich in Artt 56 ff EG festgeschriebene Kapitalverkehrsfreiheit dar26. Allerdings litt die legistische Entwicklung auf europarechtlicher Ebene an der durch Art 51 Abs 2 EG) bewirkten Beschränkung der Liberalisierung der mit dem Kapitalverkehr verbundenen Dienstleistungen der Banken und Versicherungen auf das Ausmaß der schrittweisen Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Deshalb blieb die Liberalisierung der Bank- und Wertpapierdienstleistungen beschränkt, solange die Kapitalverkehrsliberalisierung selbst beschränkt war. Den eigentlichen Startschuss für die EG-rechtliche bank- und wertpapieraufsichtsrechtliche Liberalisierung bewirkte daher die sog Kapitalverkehrsrichtlinie 1988. Am 01.01.1993 trat die Zweite Bankrechtskoordinierungsrichtlinie27 in Kraft. Damit wurde auf der Ersten Bankrechtskoordinierungsrichtlinie28 aufgesetzt, durch welche erstmals die Grundlagen für die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit der Kreditinstitute in der Gemeinschaft gelegt worden waren: Diese Richtlinie hatte bereits einheitliche Mindestzulassungsvoraussetzungen definiert, die Bedürfnisprüfung für die Gründung von Banken und Zweigstel-
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Sachkompetenz: Schäffer, Wirtschaftsaufsichtsrecht, in Raschauer, Wirtschaftsrecht, 1998, Rz 504. Vgl Raschauer, Wirtschaftsverfassungsrecht, in Raschauer, Wirtschaftsrecht, 1998, Rz 106; das „Bankwesen“ bietet im Lichte der Versteinerungstheorie hingegen keine Grundlage für lenkungsrechtliche Regelungen; Aspetsberger, Bankaufsicht 21 f; ihm folgend Knobl, Europabankrecht 389; vgl auch die ausführliche Auseinandersetzung mit den Kompetenzgrundlagen der Devisenbewirtschaftung bei Potacs, Devisenbewirtschaftung 29 ff. Vgl Pauger, Bankrecht 75 f. Zur Harmonisierung des EG-Bankrechts allgemein etwa Hübner in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts Rz 1 ff; Gramlich, Recht der Bankwirtschaft 440 ff. Diese ist nunmehr durch die Art 56 ff EGV verbürgt; vgl dazu etwa Glaesner in Schwarze, EU-Kommentar, Art 56 EGV Rz 1 ff mit ausführlicher Erläuterung von Abgrenzungsfragen. Zweite Richtlinie 89/646/EWG des Rates vom 15. 12. 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG (Zweite Bankrechtskoordinierungsrichtlinie), Abl Nr L 386/1. 77/780/EWG, Abl Nr L 322/30; vgl zuvor bereits die Richtlinie 73/83/EWG zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für selbständige Tätigkeiten der Kreditinstitute und andere finanzieller Einrichtungen (Abl Nr L 194/1).
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len abgeschafft und einen einheitlichen Kreditinstitutsbegriff vorgeprägt. In der von der Kommission verfolgten „Methode der kleinen Schritte“29 bedeutete die Zweite Bankrechtskoordinierungsrichtlinie einen Quantensprung: Sie wurde in der Literatur daher auch als „Grundgesetz der europäischen Kreditwirtschaft“ bezeichnet30. Der mit dieser Richtlinie bewirkte Durchbruch bestand vor allem in der Kreation des „Europäischen Passes“ als Instrument zur Durchsetzung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im Bankbereich: Der nationalen Bankenzulassung wird unionsweite Gültigkeit zugesprochen; jede Bank, die bereits in einem Mitgliedstaat zugelassen ist, darf daher innerhalb der gesamten EU Zweigniederlassungen31 gründen und Finanzdienstleistungen erbringen. Der „Europapass“ wurde nicht ohne aufsichtsrechtliche Begleitmaßnahmen verliehen; die Richtlinie geht vielmehr von folgenden Eckpfeilern der Bankenregulierung aus32: • Prinzip der gegenseitigen Anerkennung aufsichtsrechtlicher Normen: Es wird also die Gleichwertigkeit der nichtharmonisierten Aufsichtsvorschriften in den europäischen Staaten zugrundegelegt; • Prinzip der europaweit einheitlichen Zulassung: Damit ist der „Europapass“ selbst gemeint, der das automatische Zutrittsrecht zu den Bankenmärkten der Mitgliedstaaten begründet; • Prinzip der Kontrolle der laufenden Geschäftstätigkeit einer Bank durch das Herkunftsland (Herkunfts- oder Heimatlandkontrolle): Der Europapass ist durch dieses Prinzip an die Aufsicht durch die Behörden des Herkunftslandes („Home State Control“) geknüpft. Dies gilt sowohl für die Kontrolle der Zweigstellen im Ausland als auch für die Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen. Für die Beaufsichtigung rechtlich selbständiger Tochterbanken bleibt das Gastland zuständig; der Europapass „versagt“ in solchen Fällen33; • Prinzip der Mindestharmonisierung: Hierbei geht es um die Angleichung der Anforderungen der nationalen Bankaufsichtsrechte als „Abtausch“ gegen den Verzicht der Gemeinschaft auf die Durchsetzung eines einheitlichen europäischen Bankaufsichtsrechts: Die nationalen Regulierungsvorschriften sind an den durch die Richtlinien vorgegebenen Mindeststandards zu orientieren. Ein „license shopping“ nach dem Muster der durch die Centros-Entscheidung des EuGH34 eröffneten Möglichkeit der Ausübung der gesamten Geschäftstätigkeit am Sitz einer ausländischen Zweigniederlassung anstatt im Mitgliedstaat des satzungsmäßigen Sitzes ist sekundärrechtlich ausgeschlossen: Im neunten 29 30 31 32 33 34
Vgl dazu Gramlich, Recht der Bankwirtschaft 443. Vgl die Nachweise bei Wörner, Europäische Bankenregulierung 40. Dazu Hanten, Der europäische Paß für Zweigniederlassungen von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten aus deutscher Sicht, ZBB 2000, 245. Vgl auch Waschbusch, Bankenaufsicht 50 ff. Horn, Zur Entwicklung des Finanzbinnenmarkts in Phase 3 der Europäischen Währungsunion, ZBB 1999, 1 (6). EuGH 9. 3. 1999 - Rs C-212/97 („Centros“), GesRZ 1999, 245; aus der umfangreichen Lit dazu nur Bachner/Winner, Das österreichische internationale Gesellschaftsrecht nach Centros (I), GesRZ 2000, 73 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
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Erwägungsgrund der Bankaufsichtsrichtlinie wird zum einen die Identität von Sitz- bzw Hauptverwaltungsstaat und Zulassungsstaat festgelegt; zum zweiten stellt die Richtlinie hier klar, dass die Wahl der Rechtsordnung eines Mitgliedstaats in der Absicht, sich den strengeren Anforderungen eines anderen Mitgliedstaats - dem der überwiegenden Tätigkeit - zu entziehen, einer Zulassung des Kreditinstituts widerstreitet; dies, weil die Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung und der Kontrolle durch die Herkunftsmitgliedstaaten ansonsten ausgehöhlt würden. Unter sinngemäßer Heranziehung gesellschaftsrechtlicher Terminologie kann daher gesagt werden, dass der „Sitztheorie“ - nicht der „Gründungstheorie“ - bankaufsichtsrechtlich der Vorrang eingeräumt ist. An weiteren wichtigen Harmonisierungsmaßnahmen - neben der Ersten und Zweiten Bankrechtskoordinierungsrichtlinie - sind zu nennen35: • die Eigenmittelrichtlinie36 und die damit im Zusammenhang stehende Solvabilitätsrichtlinie37; • die Zweite Konsolidierungsrichtlinie38 welche die Beaufsichtigung der Kreditinstitute auf konsolidierter Basis zum Inhalt hat, sowie die Richtlinie zur verstärkten Aufsicht von Finanzunternehmen („BCCI-Folgerichtlinie“)39; • die Richtlinie über den Jahresabschluss und dem konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten („Bankbilanzrichtlinie“)40 sowie die Richtlinie über die Pflichten der in einem Mitgliedstaat eingerichteten Zweigniederlassungen von Kreditinstituten mit Sitz außerhalb dieses Mitgliedstaats zur Offenlegung von Jahresabschlussunterlagen („Bankzweigniederlassungsrichtlinie“)41; • die Großkreditrichtlinie42; • die Einlagensicherungsrichtlinie43 sowie die zusätzlich ergangene Richtlinie über Systeme für die Entschädigung der Anleger44; • die Finanzkonglomeraterichtlinie45. 35 36 37 38
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Vgl auch die Darstellung bei Hübner in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts Rz 7 ff. Richtlinie 89/289/EWG des Rates vom 17. 04. 1989 über die Eigenmittel von Kreditinstituten, Abl Nr L 124/16. Richtlinie 89/647/EWG des Rates 18. 12. 1989 für einen Solvabilitätskoeffizienten für Kreditinstitute, Abl Nr L 386/14 Richtlinie 92/30/EWG des Rates vom 06. 04. 1992 über die Beaufsichtigung von Kreditinstituten auf konsolidierter Basis (2. Konsolidierungsrichtlinie), Abl Nr L 110/52. Richtlinie 95/26 EG, Abl Nr L 168/7. Richtlinie 86/635/EWG, Abl Nr L 372/1. Siehe auch die Richtlinie 2006/46/EG vom 14.06.2006 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluss, 86/635/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen, Abl Nr L 224/1 vom 16.08.2006. 89/117/EWG, Abl Nr L 44/40. Richtlinie 92/121/EWG des Rates vom 21. 12. 1992 über die Überwachung und Kontrolle der Großkredite von Kreditinstituten (Großkreditrichtlinie), Abl 1993 Nr L 29/1. Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 30. 05. 1994 über Einlagensicherungssysteme (Einlagensicherungsrichtlinie), Abl Nr L 135/5. Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 03. 03. 1997 über Systeme für Entschädigung der Anleger (Anlegerentschädigungsrichtlinie), Abl Nr L 84/22.
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Durch die „Bankaufsichtsrichtlinie“46 erfolgte eine Zusammenfassung der Richtlinien 73/183/EWG, 77/780/EWG, 89/299/EWG, 89/646/EWG, 89/647/EWG, 92/30/EWG und 92/121/EWG und damit eine Kodifikation zentraler Aspekte des europäischen Bankaufsichtsrechts47. In jüngster Zeit kamen folgende Richtlinien hinzu: •
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Richtlinie 2006/48/EG vom 14.06.2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute48; Richtlinie 2006/49/EG vom 14.06.2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten49.
Die genannten Richtlinien haben im wesentlichen genuin-aufsichtsrechtlichen Inhalt; daneben hat die Harmonisierungsdynamik auch Bereiche erfasst, die den Anleger- und Verbraucherschutz auf privatrechtlicher Basis verfolgen: In diesem Zusammenhang sind die Richtlinien zum Verbraucherkreditrecht50 und zum Recht der Klauseln in Verbraucherverträgen51 zu nennen, weiters auch Teile der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie52 als Vorläuferin der MiFID53, die mit der Positivierung der Anforderungen an sog „Wohlverhaltensregeln“ Standards geschaffen hat, die in Österreich als in Gesetzesform gegossene culpa in
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Richtlinie 2002/87/EG, Abl 2003 Nr L 35/1; zu dieser Heinrich, Die EG-Richtlinie 2002/87/EG über die zusätzliche Beaufsichtigung von Finanzkonglomeraten, ZBB 2003, 230; Hübner in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts Rz 39 ff; zur österreichischen Umsetzung durch das FKG (BGBl I 2004/70) Schabus, Finanzkonglomerategesetz, ÖBA 2004, 824; Schramm, Das Finanzkonglomerategesetz, ÖBA 2005, 937; Grünberger, Die Bestimmung eines Finanzkonglomerats, ÖBA 2006, 124 ff. Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 03. 2000 (2000/12/EG) über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, Abl Nr L 126/1. Zu aktuellen Entwicklungen Schieber, Entwicklungslinien des internationalen Finanzaufsichtsrechts, WM 1999, 2286. Abl Nr L 177/1 vom 30.06.2006. Abl Nr L 177/201 vom 30.06.2006. Verbraucherkreditrichtlinie 87/102/EWG idF 90/88/EWG; Abl Nr L 42/48 idF L 61/14. Ausführlich dazu Knobl, Bankenrecht, in Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht Teil 3/1, 1996, 82 ff. Allgemein Troberg, Finanzdienstleistungen und Verbraucher - ein Testfall für die Frage nach Systembildung und Systemlücke, in Grundmann, Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, 443. 93/13/EWG, Abl Nr L 95/29; näher Knobl, Bankenrecht 146 ff. Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10.05.1993 über Wertpapierdienstleistungen (Wertpapierdienstleistungsrichtlinie), Abl Nr L 141/27; zu dieser ausführlich von Keussler, Vom Grauen zum Weißen Kapitalmarkt, 2001, 46 ff. Zu nennen ist hier auch die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (2002/65/EG), Abl Nr L 271/16; zu deren Entwicklung und Bedeutung ausführlich Hadding, Die Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen, ÖBA 2001, 105; zur österreichischen Umsetzung durch das Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz (FernFinG, BGBl I 2004/62) ausführlich Blume/Hammerl/Blaschek, Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz, 2005; Fletzberger/Schopper (Hrsg), Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, 2004. 2004/39/EG.
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contrahendo bei Wertpapiergeschäften bzw als Konkretisierung kommissionsrechtlicher Grundsätze verstanden werden54.
II. Kreditinstitutsbegriff A. Sektor- und institutsspezifische Sondervorschriften Der historisch gewachsenen Sektorgliederung55 folgend, besteht in Österreich heute kein einheitliches Bankaufsichtsgesetz, sondern ein gewisses Maß an Rechtszersplitterung56. Die größte Bedeutung kommt dem Bankwesengesetz 1993 (BWG) zu, welches dem Kreditwesengesetz (KWG) 1979 folgte. Letzteres löste wiederum das 1939 in Österreich eingeführte deutsche Reichsgesetz über das Kreditwesen - die erste allgemeine Rechtsvorschrift für die Kreditwirtschaft in Österreich - ab57. Daneben gibt es sektor- und institutsspezifische Sondergesetze, die im Wesentlichen folgende Bereiche erfassen: • Sparkassen58 sind zwar auch Kreditinstitute unter dem „Dach“ des BWG, unterliegen aber zusätzlich dem SpG. Sparkassen sind von Gemeinden oder von Sparkassenvereinen gegründete juristische Personen des privaten Rechts (§ 1 Abs 1 SpG). Charakteristisch für Sparkassen ist ihre Eigentümerlosigkeit; dem oder den Gründern stehen keine eigentumsähnlichen Rechte zu59. Bei Gemeindesparkassen trifft die gründende Gemeinde allerdings eine Haftung für alle Verbindlichkeiten der Sparkasse als Ausfallsbürgin (§ 1356 ABGB) im Fall der Zahlungsunfähigkeit (§ 2 Abs 1 SpG, der daher auch von der „Haftungsgemeinde“ spricht)60. Nach § 2 Abs 1 SpG ist - europarechtlich motiviert - ein Auslaufen der pauschalen Ausfallshaftung der Gemeinden für die Verbindlichkeiten der Gemeindesparkassen vorgesehen: Diese durch BGBl I 2004/45 vorgenommenen Novel54
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Vgl nur Hausmaninger/Oppitz, Die neue Wertpapieraufsicht - ein Meilenstein des österreichischen Kapitalmarktrechts?, ecolex 1997, 298 (300); ausführlich zu den „Wohlverhaltensregeln“ Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 6 Rz 1 ff. Zum „Drei-Säulen-Modell“ des deutschen Bankwesens Gramlich, Recht der Bankwirtschaft 448 f. Vgl auch die Darstellung bei Althuber, Bankenaufsicht in Österreich, ZBB 2004, 65. 1945 wurden die deutschen Vorschriften gemäß § 2 R-ÜG übergeleitet; vgl Pauger, Bankrecht 74. Ausführlich Nickerl/Portisch/Riefel, Praxiskommentar zum Sparkassengesetz, 2000. Zur deutschen Rechtslage Gramlich, Recht der Bankwirtschaft 454 ff mwN. Nickerl/Portisch/Riefel, Sparkassengesetz § 1 Rz 10. In Deutschland hatte sich bereit vor einigen Jahren vor allem zu den Landesbanken, die von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung durch den in Aussicht gestellten Rückgriff auf die öffentliche Hand und damit entsprechende Bonität - und Ratings profitieren, eine kontroversielle Diskussion im Zusammenhang mit dem europäischen Beihilfenrecht entwickelt; vgl dazu etwa von Friesen, Staatliche Haftungszusagen für öffentliche Kreditinstitute aus europarechtlicher Sicht, 1998; derselbe, Umgestaltung des öffentlichrechtlichen Bankensektors angesichts des Europäischen Beihilfenrechts, EuZW 1999, 581; Füßer, Umfang der fortgeltenden Gewährträgerhaftung zu Gunsten der öffentlichen Kreditinstitute nach der Verständigung mit der EU-Kommission, ZBB 2002, 300; Gruson, Zur Subsidiarität der Gewährleistungshaftung bei öffentlich-rechtlichen Banken, WM 2003, 321.
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lierung wurde aufgrund der Verständigung zwischen der Europäischen Kommission und der Republik Österreich vom 01.04.2003 betreffend die Abschaffung der pauschalen Ausfallshaftung der Länder und der Gemeinden für die Verbindlichkeiten der Landes- Hypothekenbanken und der Gemeindesparkassen sowie des Vorschlages der Europäischen Kommission vom 30.04.200361 erforderlich62. „Als „Sparkassen Aktiengesellschaften“63 werden Kreditinstitute bezeichnet, die „durch Einbringung des Unternehmens oder des bankgeschäftlichen Teilbetriebs einer Sparkasse in eine Aktiengesellschaft entstanden sind“ (§ 1 Abs 3 SpG). Hintergrund dieser Begriffsbildung ist die bereits durch die SpG-Novelle 1986 (BGBl 1986/326) mit § 8a KWG abgestimmte Regelung der erwähnten Einbringung in eine AG (nunmehr § 92 BWG)64. Sparkassen, die ihr Unternehmen (oder den bankgeschäftlichen Teilbetrieb) in eine derartige AG eingebracht haben, können durch Beschluss des Vorstands der Sparkasse in eine Privatstiftung gemäß PSG umgewandelt werden (§ 27a SpG)65. Die Erläuterungen begründen die Möglichkeit dieser formwechselnden Umwandlung im Wesentlichen mit der Ähnlichkeit vermögensverwaltender Sparkassen mit Stiftungen. Kapitalanlagegesellschaften nach dem InvFG66 sind Spezialbanken, die ein nach dem BWG vertyptes Bankgeschäft betreiben und hinsichtlich Organisation, Veranlagung und Vertrieb von Produkten dem InvFG unterliegen. Ein Kapitalanlagefonds ist ein „überwiegend aus Wertpapieren bestehendes Sondervermögen, das in gleiche, in Wertpapieren verkörperte AnC (2003) 1329 fin. Vgl 392 BlgNR 22. GP 2. Näher dazu Jabornegg, Gesellschaftsrechtliche Fragen der Gründung von Sparkassenaktiengesellschaften, ÖBA 1990, 101. Diese Einbringung bewirkt den Rechtsübergang im Weg der Gesamtrechtsnachfolge, vgl ausführlich Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 92 und Nickerl/Portisch/Riefel, Sparkassengesetz § 1 Rz 11. Dazu Perl, Die Sparkassenprivatstiftung; Fries, Von der Sparkasse zur Stiftung, ÖBA 1998, 621. Aus deutscher Sicht befürwortend Beuthien, Öffentliche Kreditwirtschaft zwischen Marktanpassung und Strukturwandel, WM 2004, 1467 (1473 f). Zum Investmentfondsrecht Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 27; Heidinger/Paul, Kommentar zum Investmentfondsgesetz; Paul, Investmentgeschäft Organisation und Vertrieb; Iro, Das Investmentgeschäft, in Avancini/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht II, 1993, 676 ff; Heindl, Investmentfondsgesetz, 1991; zu den europarechtlichen Grundlagen - OGAW-Richtlinien 85/611/EWG, Abl Nr L 375/3 und 88/220/EWG, Abl Nr L 100/31 - ausführlich Grundmann, Europäisches und deutsches Investmentrecht, ZBB 1991, 242 und Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, 1093; Knobl/Oppitz, Wertpapiergeschäft und Börse im EG-Recht, in Griller, Banken im Binnenmarkt, 1992, 477 (507 ff). Zu Einzelaspekten Hallas, Die Prüfung von Investmentfonds, 1997; Knobl, Anlegerschutz in den OGAW-Richtlinien und im neuen Investmentfondsgesetz, ÖBA 1993, 708; Kalss, Die Eigenständigkeit der Veranlagungsentscheidungen von Kapitalanlagegesellschaften, ÖBA 1995, 583 (zur Rechtslage vor der Neufassung von § 3 Abs 3 InvFG durch BGBl I 1998/41); zu aufsichtsrechtlichen Abgrenzungsfragen dieselbe, Die Verwaltung von Vermögensfonds unter aufsichtsrechtlichen Aspekten, ÖBA 1999, 778; Kreisl, Der erlaubte Geschäftsbereich einer Kapitalanlagegesellschaft und die Grenzen der Aufgabendelegation, ÖBA 2005, 391.
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teile zerfällt, im Miteigentum der Anteilinhaber steht und nach den Bestimmungen des Investmentfondgesetzes gebildet wird“ (§ 1 Abs 1 InvFG). Universalbanken können das Kapitalanlagegeschäft nicht - auch nicht mit unselbständigen Abteilungen - betreiben67. Kapitalanlagegesellschaften haben sich daher auf das Investmentgeschäft im Sinne von § 1 Abs 1 Z 13 BWG zu beschränken (§ 2 Abs 2 InvFG). Mit der Ausgabe und Rücknahme der Anteilscheine sowie mit der Verwahrung der zu einem Kapitalanlagefonds gehörigen Wertpapiere und mit der Führung der zum Fonds gehörigen Konten hat die Kapitalanlagegesellschaft eine Depotbank zu beauftragen (§ 23 InvFG). Neben der Staatsaufsicht soll das „investmentfondsrechtliche Dreieck“ zwischen Kapitalanlagegesellschaft, Depotbank und Anleger zusätzliche „interne“ Kontrolle der Veranlagungstätigkeit gewährleisten. Die Errichtung und Verwaltung von Beteiligungsfonds ist in § 1 Abs 14 BWG vertypt.68 Ein Beteiligungsfonds ist ein in einem eigenen Rechnungskreis zusammengefasstes Vermögen im Eigentum einer Beteiligungsfondsgesellschaft, das durch die Ausgabe von Genussscheinen finanziert wird und dem Erwerb von Beteiligungen an Unternehmen dient (§ 1 BetFG), wobei der Kreis der Rechtsformen der Beteiligung gesetzlich beschränkt ist (Kommanditbeteiligung, stille Beteiligung, Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft). Die Beteiligungen können keine unbeschränkte Haftung und keine Nachschusspflicht der Beteiligungsfondsgesellschaft begründen (§ 14 BetFG). Für die im Bausparkassengeschäft69 gemäß § 1 Abs 1 Z 12 BWG tätigen Institute - die Bausparkassen - finden sich Aufsichtsvorschriften im BausparkassenG. Bausparkassen sind Kreditinstitute, die berechtigt sind, Einlagen von Bausparern (Bauspareinlagen) entgegenzunehmen und aus den angesammelten Beträgen den Bausparern für wohnungswirtschaftliche Maßnahmen Gelddarlehen zu gewähren70. Außerhalb des Bausparens wird diese Zwecksetzung als Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Sparers angesehen und ist daher verboten71: Der Betrieb des Einlagengeschäfts ist untersagt, wenn der überwiegende Teil der Einleger einen Rechtsanspruch darauf hat, dass ihm aus diesen Einlagen Darlehen gewährt oder Gegenstände auf Kredit verschafft werden (Zwecksparunternehmen); dieses durch § 95 Abs 4 BWG statuierte Verbot ist für Bausparkassen hinsichtlich des von ihnen betriebenen Bauspargeschäftes ausdrücklich durchbrochen. Claussen, Bank- und Börsenrecht § 2 Rz 44. Waldhäusl, Berechtigung zum Betrieb von Bankgeschäften 30, erkennt zutreffend zwei vertypte Bankgeschäfte, nämlich die „Errichtung“ und die „Verwaltung“; ihm folgend Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 1 Rz 90. Hiebei handelt sich um einen Unterfall des Einlagen- und des Kreditgeschäfts; vgl Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 1 Rz 83 mit Verweis auf OGH, ÖBA 1992, 274 (275) mit Anmerkung Iro. Näheres bei Rainbacher, Das neue Bausparkassengesetz in Lucius (Hrsg), Das neue Bankwesengesetz im Rahmen des Finanzmarktanpassungsgesetzes, Bankwissenschaftliche Schriftenreihe, Band 76 (1993). Claussen, Bank- und Börsenrecht § 2 Rz 41.
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Die Ausgabe von Schuldverschreibungen durch öffentlich-rechtliche Kreditanstalten72 sowie die Ausgabe hypothekarisch besicherter Schuldverschreibungen (Hypothekenbankgeschäft) ist im HypothekenbankG und im PfandbriefG geregelt. Die öffentlich-rechtlich organisierten LandesHypothekenbanken können als in einer Rechtsform sui generis betriebene Banken der Länder bezeichnet werden73. Die Satzungen der LandesHypothekenbanken beruhen auf einfachen Landtagsbeschlüssen, die nur in einzelnen Ländern landesgesetzlich abgesichert sind74. Für das Emissionsgeschäft der öffentlich-rechtlichen Hypothekenbanken ist das PfandbriefG 1927 anwendbar. Die Pfandbriefstelle der österreichischen LandesHypothekenbanken75 hat die Aufgabe, aufgrund von geeigneten Deckungsmitteln (zB Deckungshypotheken) der Mitgliedsinstitute gemeinschaftliche Hypothekenpfandbriefe, öffentliche Pfandbriefe und sonstige Schuldverschreibungen auszugeben, sowie durch die Aufnahme oder Vermittlung von Darlehen oder durch die Begebung von Schuldverschreibungen Mittel für die Geschäftstätigkeit der Mitgliedsinstitute zu beschaffen (§ 1 Abs 2 PfBrStG). Die Pfandbriefstelle ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz in Wien, die der Rechtsaufsicht des BMF unterliegt (§ 1 Abs 1 und § 6 Abs 1 PfBrStG); die bankaufsichtlichen Befugnisse stehen der FMA zu (§ 2 Abs 1 FMABG)76. Regelungen zur Ausgabe fundierter Bankschuldverschreibungen, die nicht durch Pfandrechte und Liegenschaften gesichert sind, finden sich im Bankschuldverschreibungsgesetz (RGBl 1905/21377). Die sektorale Gliederung des österreichischen Bankwesens in Aktienbanken und Bankiers, Hypothekenbanken, Sparkassen, Raiffeisenkassen und Volksbanken wurde zutreffend - wenn auch dogmatisch unscharf - als „Ansatzpunkt und Erklärung für viele auch rechtliche Erscheinungen, die das österreichische
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Zum öffentlichen Kreditwesen allgemein Jaeger, Bestand und Betrieb öffentlicher Kreditinstitute als Dienstleistung von allgemein wirtschaftlichem Interesse, JBl 2005, 419. Pauger, Bankrecht 42; zu Entwicklung und Organisationsfragen der Landeshypothekenbanken ausführlich derselbe 164 ff; vgl auch Marzi, Das Recht der Pfandbriefe und Hypothekenbanken in Vergangenheit und Gegenwart, 2002; van Husen, Organisation- und Haftungsstruktur der Landes-Hypothekenbanken, ÖBA 2001, 951. Knobl, Europabankrecht 421; Potacs, Öffentliche Unternehmen, in Raschauer, Wirtschaftsrecht, 1998, Rz 926. Die Möglichkeit der Einbringung in Aktiengesellschaften steht auch den Landes-Hypothekenbanken und der Pfandbriefstelle der österreichischen Landes-Hypothekenbanken offen (§ 92 Abs 2 BWG). Das HypBG regelt die Emission von Pfandbriefen und Kommunalschuldverschreibungen durch privatrechtlich organisierte Hypothekenbanken, die die Rechtsform eine AG aufweisen müssen, wodurch bestimmte Sektoren schon aufgrund ihrer Rechtsform vom Hypothekenbankgeschäft ausgeschlossen sind (vgl Knobl, Europabankrecht 422). Vgl dazu die Regelungen des Pfandbriefstelle-Gesetzes BGBl I 2004/45. Vgl Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 3 Rz 17. Dazu Lassen, Das Recht der gedeckten Schuldverschreibungen Österreichs, ÖBA 2005, 838 (840 ff). Vgl auch die Novelle BGBl I 2005/32, mit welcher das Gesetz vom 24.04.1874 betreffend die Wahrung der Rechte der Besitzer von Pfandbriefen, RGBl 1874/48, außer Kraft gesetzt wurde.
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Kredit- und Bankrecht prägen“ bezeichnet78. Weder das BWG noch etwa das SpG enthalten Begriffsbestimmungen der verschiedenen Kreditinstitutssektoren. Im Zusammenhang mit der Pflicht zur Liquiditätsreservehaltung gemäß § 14 Abs 11 KWG 1979 für eine Genossenschaftsbank beim „Zentralinstitut“ hat der VfGH daher auch befunden, dass es in der privatautonomen Entscheidung einer Bank liege, ob sie sich einem Zentralinstitut anschließe oder nicht. Die Primärbanken stünden mit den Zentralinstituten auf Grundlage des Genossenschafts-, Gesellschafts- und Vereinsrechts bzw der Satzungen in vielfältigen Rechtsbeziehungen. Dem Gesetzgeber ist es nach Auffassung des VfGH unbenommen, an diesen historisch gewachsenen Gegebenheiten anzuknüpfen und in typisierender Betrachtungsweise davon auszugehen, dass die im Verbund zusammengeschlossenen Partner auf der Grundlage der gleichen „Genossenschaftsphilosophie“ ihre gleichgerichteten Interessen miteinander in optimaler Weise für beide Seiten zu verwirklichen suchen. Im Übrigen hebt der VfGH hervor, dass die Satzungen auch Austrittsmöglichkeiten aus dem Verbund vorsehen79. Damit verweist der VfGH hinsichtlich des Sektorbegriffes auf die Ebene des Gesellschaftsrechts im weiteren Sinn und bestätigt, dass die bankwesenrechtlichen Vorschriften (BWG, SpG) lediglich an diesen historisch gewachsenen Strukturen anknüpfen80. Im Bereich des BWG und des SpG zeigt sich dies insbesondere bei folgenden Regelungskomplexen, in denen der rechtliche Ordnungsgedanke der sektoralen Gliederung Berücksichtigung findet: •
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Die Eigenmittelabzugsverpflichtungen gemäß § 23 Abs 13 Z 3 und 4 BWG81 bestehen nicht für die einem Zentralinstitut angeschlossenen Kreditinstitute für ihre mittelbar oder unmittelbar gehaltenen Anteilsrechte am Zentralinstitut, wenn das Zentralinstitut in einer konsolidierten Eigenmittelberechnung des Sektors die Einhaltung der Eigenmittelbestimmungen im Monatsausweis nachweist, alle dem Zentralinstitut des jeweiligen Sektors angeschlossenen Kreditinstitute diesem die zur Durchführung der Konsolidierung erforderlichen Auskünfte erteilen und das Zentralinstitut den angeschlossenen Kreditinstituten das Ergebnis der konsolidierten Eigenmittelberechnung mitteilt (§ 23 Abs 13 Z 6 BWG). Der „Anschluss an ein Zentralinstitut“ wird nach den Materialien regelmäßig dadurch begründet, dass ein Kreditinstitut, das eine „sektortypische Rechtsform“ aufweist, im Rahmen der Fachgruppenordnung einem mehrstufig organisierten Sektor der österreichischen Kreditwirtschaft angehört. Auch die Liquiditätsreservehaltungsverpflichtung gemäß § 25 Abs 13 BWG stellt den Bezug zu „Kreditinstituten, die einem Zentralinstitut angeschlossen sind“ her. Großinstitute (solche, die am 01.03.1979 eine Bilanzsumme von mindestens 40 % der Bilanzsumme des Zentralinstitutes ausgewiesen haben), können dem Zentralinstitut erklären, dass sie nach Ablauf von drei Jahren, gerechnet vom Zeitpunkt der Erklärung, den Anschluss den das Zentralinstitut lösen werden. Folge einer derartigen Aufkündigung des Sektorverbundes ist, dass ab dem Tag des Einlangens der
Pauger, Bankrecht 30. VfGH 23. 06. 1993, ÖBA 1993, 996 ff. Zu verschiedenen Fragen der „Verbundintensität“ Krejci, Zulässigkeitsgrenzen des Genossenschaftsverbundes, 1993; zum Genossenschaftsverband nach dem System Raiffeisen Rummel in Scharinger/Rummel, Im Verbund liegen Stärke und Sicherheit, 1996, 56 ff. Zu diesen Abzugsgeboten näher Laurer, Beteiligungsverschränkungen und die Eigenmittelberechnung nach § 23 BWG, ÖBA 2003, 577 ff.
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Oppitz schriftlichen Erklärung die gesetzliche Verpflichtung zur quartalsweisen Anpassung der Liquiditätsreserve erlischt. Die Liquiditätsreserve kann sodann innerhalb der Dreijahresfrist stufenweise vermindert werden. Nach Ablauf der Dreijahresfrist kann der Sektorverbund in der Weise aufrechterhalten werden, dass beim Zentralinstitut weiterhin eine - wenn auch verminderte - Liquiditätsreserve gehalten wird82. Wie erwähnt, hat der VfGH die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung über die Liquiditätsreserve für die an ein Zentralinstitut angeschlossenen Kreditinstitute, die § 14 Abs 11 KWG 1979 entspricht, im wesentlichen mit der Begründung bestätigt, dass sie gerade darauf abzielt, die rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit der Primärbanken zu erhalten, hingegen die Nachteile, die mit dem Wirtschaften kleiner und kleinster wirtschaftlicher Einheiten verbunden sind, zu minimieren. Auch im Rahmen der Einlagensicherung ist die sektorale Zugehörigkeit eines Kreditinstituts von Relevanz: Kreditinstitute, die sicherungspflichtige Einlagen entgegennehmen oder sicherungspflichtige Wertpapierdienstleistungen durchführen, haben „der Sicherungseinrichtung im Rahmen ihres Fachverbandes anzugehören“ (§ 93 Abs 1 BWG). Träger der Sicherungseinrichtung sind somit in jedem Fall die Fachverbände. Die Fachorganisationsordnung, erlassen nach § 15 WKG 1998 (BGBl 1998/103), ordnet unter Berücksichtigung des § 149 Abs 4 und 5 WKG 1998 die Kreditinstitute mit sicherungspflichtigen Einlagen bestimmten Fachverbänden zu. Eine weitere sektorspezifische Vorschrift findet sich in dem vom VfGH vor einigen Jahren überprüften § 21 SpG83. Das dort normierte Aufgriffsrecht dient nach den Materialien84 als Vorkehrung für die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen Sektorverbundes von Instituten. Sektorleistungen für alle Sektormitglieder können demnach nur dann aufrechterhalten und weiterentwickelt werden, wenn die entsprechende Anzahl der Nutzer auch in Zukunft sichergestellt ist. § 21 SpG verwendet den Begriff des „Sektorverbundes des Sparkassensektors“ wiederum ohne Definition. Der VfGH hat zu der vom Beschwerdeführer kritisierten fehlenden Möglichkeit, sich durch Austritt aus dem Verbund der ungewollten Verpflichtung zu entziehen, festgehalten, dass der Sparkasse rechtlich der Austritt aus dem Verbund nach einer Anteilsübertragung ebenso freistünde wie vor einer solchen. Die für einen Verbleib sprechenden Umstände würden durch § 21 SpG auch nicht verstärkt. Es wäre daher nur verhindert, dass eine geänderte Eigentumsstruktur das alsbaldige Verlassen des Verbundes zur Folge hat und dessen Funktionsfähigkeit verringert. Einen besonderen Verbundtatbestand enthält schließlich § 30 Abs 2a BWG, der den Begriff der Kreditinstitutsgruppe im Sinne eines Sektor-Haftungsverbundes erweitert.
Die dargestellten bankrechtlichen Anknüpfungen an eine Sektorzugehörigkeit bieten kein einheitliches Bild: Während bei den Eigenmittel- und Liquiditätsvorschriften sowie beim „Sektor-Haftungsverbund“ nach § 30 Abs 2a BWG der Anschluss an ein Zentralinstitut im Vordergrund steht, der unter gewissen Voraussetzungen (nur im Liquiditätsreservefall und beim Haftungsverbund) kündbar ist, besteht etwa im Fall des sektoralen Aufgriffsrechts nach § 21 SpG keine derartige Kündigungsmöglichkeit; die Einlagensicherung knüpft wiederum nicht explizit an eine Sektorzugehörigkeit an, sondern an der kammerrecht82 83 84
Dazu Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 25 Rz 14. VfGH 08. 03. 2000, G 23/99. Abgedruckt etwa bei Nickerl/Portisch/Riefel, Sparkassengesetz 83; zum Aufgriffsrecht ausführlich dieselben, § 21 Rz 1-4.
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lichen Fachverbandszugehörigkeit. Die Materialien zu § 21 BWG sehen den Anschluss an ein Zentralinstitut - wie erwähnt - als „regelmäßig dadurch begründet, dass ein Kreditinstitut, das eine sektortypische Rechtsform aufweist, im Rahmen der Fachgruppenordnung einer mehrstufig organisierten Sektor der österreichischen Kreditwirtschaft angehört“. Insofern wird also die kammerrechtliche Zugehörigkeit - neben der Rechtsform des Instituts - als zumindest indiziell für die Zugehörigkeit zu einem Kreditinstitutssektor angesehen. Die Fachverbandszugehörigkeit ist im Gegensatz zur Rechtsform nicht dispositiv. Sie beruht auf einer Verordnung des BMwA (Fachorganisationsordnung BGBl II 1999/365 idf BGBl II 2000/10885). Ergänzend ist festzuhalten, dass zwischen den Organisationen der gesetzlichen Interessensvertretung und den sog „freien Verbänden“ zwar eine starke Parallelität, aber kein Gleichklang besteht86. Die fünf auf vereinsrechtlicher Basis eingerichteten freien Verbände sind der Bankenverband, der Verband der österreichischen Landeshypothekenbanken, der Sparkassenverband87, der Raiffeisenverband und der Genossenschaftsverband. BWG (und SpG) verweisen hinsichtlich Eintritts- und Austrittsmöglichkeiten zu bzw aus einem Verbund nach Auffassung des VfGH auf die jeweiligen Satzungen bzw verbandsrechtlichen Quellen88, ohne sich mit der Verbandszugehörigkeit näher zu befassen. Auch die erwähnte ausschließlich im BWG und damit systeminkonform vorgesehene Lösungsmöglichkeit von Großinstituten vom Anschluss an das Zentralinstitut im Hinblick auf die Liquiditätsreservehaltung betrifft nach Auffassung des VfGH „nicht das Ausscheiden derartiger Institute an sich“; der VfGH sieht darin bloß eine besondere Kündigungsfrist im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Erhaltung der Liquiditätsreserve beim Zentralinstitut, die der Stärkung des Verbundes und namentlich seiner Liquidität insofern dienen soll, als damit eine abrupte und mithin volkswirtschaftlich unerwünschte Schwächung derselben ausgeschaltet werden soll. Die Sektorzugehörigkeit wird vom VfGH somit primär verbandsrechtlich begründet gesehen, während die Materialien zum BWG (§ 23) die Fachverbandszugehörigkeit als Differenzierungskriterium betonen. Daran schließt sich die Frage, ob mit der privatautonomen Entscheidung einer Bank zur Sektorzugehörigkeit lediglich die Mitgliedschaft beim freien 85 86 87
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Vgl die §§ 3 Z 13 (Raiffeisen), 4 Z 3 (Banken und Bankiers), 4 Z 5 (Kreditgenossenschaften), 4 Z 6 (Landes-Hypothekenbanken), 4 Z 8 (Sparkassen) FOO. Pauger, Bankrecht 34. Der im Jahr 1905 (Neukonstituierung 1946) auf vereinsrechtlicher Basis gegründete „Hauptverband der österreichischen Sparkassen“ hat die Gesamtvertretung und Beratung der Sparkassen zur Aufgabe (näher § 3 der Satzung, Fassung 09. 12. 1998). Der Fachverband der österreichischen Sparkassen (nach dem damaligen HKG) hat seine Agenden mit Delegierungsübereinkommen zum 17. 07. 1947 dem Hauptverband übertragen; diese „Privatisierung“, der den Fachverbänden gesetzlich aufgetragenen Agenden wird nach herrschender Auffassung im übrigen als rechtswidrig angesehen (vgl die Nachweise bei Pauger, Bankrecht 42), nach dem ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung eine gesetzlich zugewiesene Aufgabe nicht delegiert werden darf. ÖBA 1993, 997 (Liquiditätsreserve): „Grundlage des Genossenschafts-, Gesellschafts- und Vereinsrechtes bzw der Satzungen“; Betonung der Austrittsfreiheit aus dem Verbund in VfGH 08. 03. 2000, G 23/99 (Aufgriffsrecht).
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Verband, also etwa beim Sparkassenverband, gemeint ist, oder aber die Freiwilligkeit der Rechtsformwahl, die im Weg der Fachorganisationsordnung zur gesetzlich vorgezeichneten Mitgliedschaft in einem bestimmten Fachverband führt. Die Materialien zum BWG zeigen - wie erwähnt - eine Präferenz für letzteres, indem der Anschluss an ein Zentralinstitut regelmäßig durch die Angehörigkeit zu einem mehrstufig organisierten Sektor „im Rahmen der Fachgruppenordnung“ begründet werden soll. Auf die Mitgliedschaft zu einem freien Verband - wie etwa dem Sparkassenverband - käme es also zumindest primär nicht an. Die vom VfGH herausgestellten „historischen Strukturen“89 weisen überzeugend in die gegenteilige Richtung; offensichtlich soll den in der Praxis - aufgrund der jeweiligen Aufgabendelegierungen - besonders wichtigen freien Verbänden als dem eigentlichen korporativen Band der Sektoren Rechnung getragen werden, sodass eine dortige Mitgliedschaft als ausschlaggebend für die Verbandszugehörigkeit - jedenfalls von Kreditinstituten - anzusehen wäre, zumal die Satzungen der Verbände ohnedies kein sachlich nicht motiviertes Wechseln der Mitgliedschaft zulassen; den Verbänden kommt damit als einziger operativer Interessensvertretung eine sinnvolle Filterfunktion zu, die die ohnehin lückenhafte Fachorganisationsordnung nur unzureichend zu bewältigen im Stande ist. Eine besondere Akzentuierung der Thematik der Sektorzugehörigkeit hat sich durch den Aufsehen erregenden Austritt einer österreichischen Großbank (Bank Austria Creditanstalt AG) aus dem Sparkassenverband bei gleichzeitigem Eintritt in den Verband der österreichischen Banken und Bankiers ergeben90. Der OGH ist in einem Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG91 davon ausgegangen, dass der kammerrechtlichen Sektorzugehörigkeit für die Frage der Möglichkeit der Mitgliedschaft einer Sparkassen-Aktiengesellschaft zum Bankenverband keine allein ausschlaggebende Bedeutung zukommen könne: Den Statuten der beiden Verbände - Bankenverband und Sparkassenverband - sei nichts zu entnehmen, was eine Überschneidung ihrer Wirkungsbereiche ausschließen würde. Die Inkongruenz kammerrechtlicher Vorprägung und verbandsrechtlicher Autonomie hat der OGH durch den Befund unterstrichen, dass es an einer rechtlichen Grundlage für die Annahme fehle, die Abgrenzung des Wirkungsbereichs einer freien Berufsvereinigung müsse den Strukturen der gesetzlichen Interessenvertretung folgen92.
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ÖBA 1993, 997. Die Bank Austria Creditanstalt AG ist mit Wirkung vom 12.10.2004 aus dem Sparkassenverband ausgetreten und hat zugleich ihren Eintritt in den Bankenverband erklärt. OGH 23.11.2005, 9 Ob A 127/04y; Antragsteller war der Bankenverband, Antragsgegner der Österreichische Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten. Im Ergebnis wurde damit ein Kollektivvertragswechsel vom Sparkassenkollektivvertrag zum Bankenkollektivvertrag ermöglicht; zu den damit verbundenen Fragen des kollektiven Arbeitsrechts ausführlich einerseits Rebhahn, Wechsel des anwendbaren Kollektivvertrages und Verbandswechsel, RdW 2005, 300, dem der OGH folgte, und andererseits Jabornegg, Die Wahl des Kollektivvertrages durch den Arbeitgeber - eine Option des geltenden Arbeitsverfassungsrechts?, DRdA 2005, 107.
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B. Der aufsichtsrechtliche Kreditinstitutsbegriff Zur Abgrenzung der Reichweite der österreichischen Bankenaufsicht ist auf den Begriff des „Kreditinstitutes“, der dem BWG zu Grunde liegt, abzustellen: Ein Kreditinstitut ist, wer aufgrund der §§ 4 oder 103 Z 5 BWG oder besonderer bundesgesetzlicher Regelungen (zB NBG, PostsparkassenG) berechtigt ist, Bankgeschäfte zu betreiben. Während nach § 1 Abs 2 des Vorläufergesetzes, des KWG, jene gewerblichen Tätigkeiten als Bankgeschäfte galten, die nach der Verkehrsauffassung dem Geschäftsbereich der Banken zuzuordnen sind, ist diese unzureichende und zirkelhafte93 Definition im BWG einer taxativen Aufzählung der Bankgeschäfte - ohne Rekurs auf die Verkehrsauffassung gewichen. Zusätzliches Qualifikationskriterium des Bankgeschäftskataloges in § 1 Abs 1 BWG ist die im Sinne des UStG „gewerbliche“ Durchführung. Folgende Bankgeschäfte sind in § 1 Abs 1 Z 1-23 BWG vertypt94: Zunächst nennt das BWG „Kernbereiche“ banküblicher Tätigkeit, nämlich 1. die Entgegennahme fremder Gelder zur Verwaltung oder als Einlage (Einlagengeschäft)95; 2. die Durchführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und des Abrechnungsverkehrs in laufender Rechnung für andere (Girogeschäft)96; 3. den Abschluss von Geldkreditverträgen und die Gewährung von Gelddarlehen (Kreditgeschäft)97; 4. den Kauf von Schecks und Wechseln, insbesondere die Diskontierung von Wechseln (Diskontgeschäft); 5. die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere (Depotgeschäft)98; 6. die Ausgabe und Verwaltung von Zahlungsmitteln wie Kreditkarten und Reiseschecks; 7. Der Handel auf eigene Rechnung oder auf fremde Rechnung mit bestimmten Instrumenten (zB Devisen- und Valutengeschäft und Effektengeschäft)99; 93 94
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Vgl Pauger, Bankrecht 79. Zur deutschen Bankgeschäftskatalog vgl die Nachweise bei Gramlich, Recht der Bankwirtschaft 485 ff und die ausführliche Darstellung von Fülbier in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG § 1 Rz 1 ff. Dazu Avancini in Avancini/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht I, 1987, 455 ff. Zur neuen Rechtslage in Bezug auf Sparbücher vgl die kontroversiellen Ausführungen von Roth, Die Rechtsnatur des Sparbuchs nach neuem Recht, ÖBA 2001, 295 und Nitsche, Sparbuch: Anonymität und Wertpapiercharakter, ÖBA 2000, 1055. Zu Giroüberweisung und Lastschriftverfahren Koziol in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht I 324 ff. Das Devisengeschäft erfordert aus rechtlicher Sicht nicht auch die Durchführung von Girogeschäften (VwGH 87/17/0260, ÖBA 1990/39). Vgl dazu die Nachweise bei Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 1 Rz 9. Dazu Iro in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht I 502 ff; Näheres ist im Depotgesetz geregelt, welches auch die Grundlage für die Betrauung der OeKB mit der Funktion einer Wertpapiersammelbank (§ 28 Abs 2 DepG) durch die Verordnung vom 09.04.1965, BGBl 1965/95, enthält. Die „Allgemeinen Bankbedingungen“ (ABB) enthalten in ihrem Abschnitt II Regelungen zur „Verwahrung von Wertpapieren und anderen Werten“ (Z 69-72); dazu Iro/Koziol, Allgemeine Bedingungen für Bankgeschäfte Z 69-72.
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Die Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Haftungen für anderen, sofern die übernommene Verpflichtung auf Geldleistungen lautet (Garantiegeschäft)100. Daran knüpft sich die Aufzählung verschiedener Sparten des Emissionsgeschäftes: 9. Die Ausgabe von Pfandbriefes, Kommunalschuldverschreibungen und fundierten Bankschuldverschreibungen und die Veranlagung des Erlöses nach den hiefür geltenden besonderen Rechtsvorschriften (Wertpapieremissionsgeschäft101); 10. Die Ausgabe anderer festverzinslicher Wertpapiere zur Veranlagung des Erlöses in anderen Bankgeschäften (sonstiges Wertpapieremissionsgeschäft)102; 11. Die Teilnahme an der Emission Dritter eines oder mehrerer der im Z 7 lit b - f genannten Instrumente und die diesbezüglichen Dienstleistungen (Loroemissionsgeschäft)103. Vertypte Bankgeschäfte, die in anderen Aufsichtsgesetzen eine spezielle Regelung erfahren haben, finden sich in den Ziffern 12 - 14104: 12. Die Entgegennahme von Bauspareinlagen und die Vergabe von Bauspardarlehen nach dem Bausparkassengesetz (Bauspargeschäft)105; 13. Die Verwaltung von Kapitalanlagefonds nach dem Investmentfondsgesetz (Investmentgeschäft106); 13a. Die Verwaltung von Immobilienfonds nach dem ImmobilienInvestmentfondsgesetz (Immobilienfondsgeschäft);107 14. Die Errichtung oder Verwaltung von Beteiligungsfonds nach dem Beteiligungsfondsgesetz (Beteiligungsfondsgeschäft)108. Der Bankgeschäftskatalog schließt mit folgenden Geschäften: 15. Das Finanzierungsgeschäft durch Erwerb von Anteilsrechten und deren Weiterveräusserung (Kapitalfinanzierungsgeschäft)109; 16. Der Ankauf von Forderungen aus Warenlieferungen oder Dienstleistungen, die Übernahme des Risikos und Einbringlichkeit solcher Forderun99 100 101 102
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Dazu Iro in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht II 570 ff. Zum Betrieb des Garantiegeschäfts durch ein Inkassobüro OGH 15. 6. 2000, ÖBA 2001, 260. Dazu Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 1 Rz 79. Hier ist - wie Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 1 Rz 16 anmerkt - maßgeblich, dass das so gewonnene Vermögen wieder für Bankgeschäfte verwendet wird. Die Nostroemission eines Nichtkreditinstituts unterfällt daher nicht dem Bankgeschäftsbegriff; ihm folgend Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 1 Rz 80. Ausführlich Koziol in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht II Rz 6/1 ff. Zu diesen Bankgeschäftstypen vgl bereits oben. Vgl dazu die Ausführungen unter II.1. Vgl dazu die Ausführungen unter II. 1. Zum ImmoInvFG (BGBl I 2003/80) Heidinger/Paul/Schmidt/Spranz/Urtz/Wachter, Kommentar zum Immobilien-Investmentfondsgesetz, 2004; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 28 Rz 1 ff. Dazu Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 1 Rz 90 ff; oben unter II.1. Dazu Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 1 Rz 21.
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gen - ausgenommen die Kreditversicherung - und im Zusammenhang damit der Einzug solcher Forderungen (Factoringgeschäft)110; 17. Der Betrieb von Geldmaklergeschäften im Interbankenmarkt111; 18. Die Vermittlung bestimmter Geschäfte; 19. Anlageberatung, diskretionäre Verwaltung und Vermittlung von Geschäftsgelegenheiten in Bezug auf bestimmte Instrumente, wobei dieses sog „Finanzdienstleistungsgeschäft“ gemäß § 3 Abs 5 BWG bei Unternehmen, die über keine Bankkonzession (für die Erbringung von Geschäften gem. § 1 Abs 1 Z 1-18 BWG) verfügen, zur Anwendbarkeit des WAG führt: Wer also lediglich das Finanzdienstleistungsgeschäft betreibt, ist nicht Kreditinstitut, sondern Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach dem WAG112. 20. Die Ausgabe von elektronischem Geld (E-Geldgeschäft);113 21. Die Hereinnahme und Veranlagung von Abfertigungsbeträgen (Mitarbeitervorsorgekassengeschäft);114 22. Der schaltermäßige Ankauf von ausländischen Zahlungsmittel (zB Geldsorten, Schecks, Reisekreditbriefen und Anweisungen) und der schaltermäßige Verkauf von ausländischen Geldsorten sowie von Reiseschecks (Wechselstubengeschäft); 23. Der räumliche Transfer von Vermögenswerten, ausgenommen physische Transporte, durch Annahme von Geld oder sonstigen Zahlungsmitteln vom Auftraggeber und Auszahlung einer entsprechenden Summe in Geld oder sonstigen Zahlungsmitteln an den Empfänger durch unbare Übertragung, Kommunikation, Überweisung oder sonstige Verwendung eines Zahlungs- oder Abrechnungssystems (Finanztransfergeschäft).115 Eine Art Legalkonzession für Geschäfte, die an Bankgeschäfte angelagert sind, enthält § 1 Abs 3 BWG: Kreditinstitute sind - neben ihrer Berechtigung zum Finanzdienstleistungsgeschäft - auch berechtigt, alle sonstigen Tätigkeiten durchzuführen, die „in unmittelbarem Zusammenhang mit der Banktätigkeit entsprechend dem jeweiligen Konzessionsumfang stehen oder Hilfstätigkeiten in bezug auf diese darstellen“. In demonstrativer Aufzählung nennt das Gesetz hiebei die Vermittlung von Bausparverträgen, von Versicherungsverträgen, 110 111 112
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Zum Factoring ausführlich Iro in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht II Rz 2/1 ff. Dazu Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 1 Rz 23. Zum Begriff des Wertpapierdienstleistungsunternehmens näher Kalss/ Oppitz/ Zollner, Kapitalmarktrecht § 4 Rz 1 ff und Frölichsthal in Frölichsthal/ Hausmaninger/Knobl/Oppitz/Zeipelt, Kommentar zum WAG, 1998, § 19 Rz 1 ff. Dazu Brandl/Hohensinner, Das neue E-Geldgesetz - eine Übersicht, ÖBA 2002, 528; Rettenbacher, Elektronisches Geld, ecolex 2002, 545; Riede, Neue rechtliche Rahmenbedingungen für elektronisches Geld - Das E-Geldgesetz im Überblick, JAP 2002/2003, 143; das E-Geldgesetz (BGBl I 2002/45) gilt zu einem großen Teil nur für Kreditinstitute, die ausschließlich das E-Geldgeschäft betreiben; Näheres bei Diwok/Göth in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 1 Rz 122 ff. Mitarbeitervorsorgekassen sind Spezialkreditinstitute, deren Tätigkeit in BMVG geregelt ist; vgl Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 1 Rz 127 ff; Mayr/Resch, Abfertigung neu, Betriebliches Mitarbeitervorsorgegesetz, 2002. Zur Abgrenzung von verwandten Bankgeschäften - insbesondere zum Giro- bzw Einlagengeschäft - Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 1 Rz 140 ff.
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von Unternehmen und Betrieben, von Investmentfondsanteilen, von Eigenmittelanteilen, die Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der automatischen Datenverarbeitung sowie den Vertrieb von Kreditkarten. Weiters sind Kreditinstitute im Rahmen der devisenrechtlichen Bestimmungen zum Handel mit Münzen und Medaillen sowie mit Barren aus Gold berechtigt, ferner zur Vermietung von Schrankfächern (Safes) unter Mitverschluss durch die Vermieter. Ungeachtet der oben skizzierten Sektorgliederung des österreichischen Bankwesens mit ihren traditionellen Akzenten auf einzelnen Geschäftsfeldern zeigt der Katalog des § 1 Abs 1 BWG, dass in Österreich das Universalbankprinzip verwirklicht ist. Ein Vorteil der gesetzgeberischen Konzeption, Kreditinstitute mit der Möglichkeit des Angebots des vollen bankgeschäftlichten Leistungsspektrums auszustatten, liegt in einer Stärkung der Krisenfestigkeit des Bankwesens auch in schwierigen Konjunkturverläufen116; kritisiert wird andererseits die Machtakkumulation der Banken durch Verbindung der Funktion des Unternehmensfinanzierers und Unternehmenskontrolleurs; Interessenkonflikte im Wertpapiergeschäft könnten nicht fair gelöst werden („Kumulationsthese“)117. Dem steht insbesondere § 13 Z 2 WAG gegenüber, der auch von Kreditinstituten die Bemühung um die Vermeidung von Interessenkonflikten und die Sorgetragung dafür verlangt, dass bei unvermeidlichen Interessenkonflikten der Kundenauftrag unter der gebotenen Wahrung der Kundeninteressen durchgeführt wird118. Dem Begriff des Kreditinstituts stellt das Gesetz jenen des „Finanzinstituts“ gegenüber. Finanzinstitute werden ebenso durch die gewerbsmäßige Durchführung bestimmter Geschäfte „als Haupttätigkeit“ definiert. Wer Kreditinstitut ist, kann nicht gleichzeitig auch Finanzinstitut sein (§ 1 Abs 2 BWG). Der Katalog ist ebenfalls taxativ und umfasst das Leasinggeschäft, bestimmte Aspekte der Unternehmensberatung, die Erteilung von Handelsauskünften und die Erbringung von Schließfachverwaltungsdiensten. Mit der Anforderung an die Gewerbsmäßigkeit wird in diesem Zusammenhang auf den Gewerbebegriff des § 1 GewO rekurriert119. Finanzinstitute müssen daher eine Gewerbeberechtigung aufgrund der GewO erwerben und benötigen keine Bankkonzession. Entsprechend beschränkt ist der Anwendungsbereich des BWG auf Finanzinstitute; unmittelbar kommen lediglich die Vorschriften zum Bankgeheimnis (§ 38 Abs 1 - 3 BWG), über die Sorgfaltspflicht bzw Geldwäscherei (§§ 39 -
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Claussen, Bank- und Börsenrecht § 2 Rz 23a. Vgl die Nachweise bei Claussen, Bank- und Börsenrecht § 2 Rz 23; Kümpel, Bankund Kapitalmarktrecht Rz 16.526 ff streicht andererseits den möglichen Vorteil heraus, dass die Kursbeeinflussung durch das Eigengeschäft der Kreditinstitute für die Kunden günstig wirkt, die auf der Marktgegenseite stehen. Vgl Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 3 Rz 6; § 16 Z 2 WAG ordnet im Übrigen die Minimierung von Interessenkonflikten an; dass Interessenkonflikte nicht gänzlich auszuschalten sind, entspricht wohl einer realistischen Einschätzung des Gesetzgebers; so Hausmaninger in Frölichsthal/Hausmaninger/Knobl/Oppitz/ Zeipelt, WAG § 16 Rz 12. Borns, Bankrecht 14.
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41), die Großkreditmeldungsvorschriften (§ 75 BWG) sowie der Bezeichnungsschutz (§ 99 Z 15 BWG) zur Anwendung120. Neben den Begriffen des Kreditinstituts und des Finanzinstituts sind nach dem BWG noch folgende spezifische Unternehmenstypen im Hinblick auf die Anwendung bankrechtlicher Ordnungsvorschriften relevant: Unter einer Finanz-Holdinggesellschaft (§ 2 Z 25 BWG) ist eine juristische Person oder ein Unternehmen zu verstehen, • die bzw das kein Kreditinstitut ist; • deren bzw dessen Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen zu erwerben oder zu halten oder eines oder mehrere der Geschäfte zu betreiben, die in den Nummern 2 - 12 der Liste im Anhang 1 der Richtlinie 2006/48/EG angeführt sind; • deren bzw dessen nachgeordnete Institute (§ 30 BWG) ausschließlich oder überwiegend Kreditinstitute, Wertpapierfirmen oder Finanzinstitute sind, wobei nicht auf die Anzahl der nachgeordneten Institute, sondern auf wirtschaftliche Kriterien, insbesondere Bilanzsumme, Höhe des Eigenkapitals, Buchwert der Beteiligung, abzustellen ist, und • von deren bzw dessen nachgeordneten Instituten mindestens eines ein Kreditinstitut oder eine Wertpapierfirma ist, und • das keine gemischte Finanz-Holdinggesellschaft gemäß § 2 Abs 15 Finanzkonglomerategesetz (FKG, BGBl I 2004/70) ist. Die Finanz-Holdinggesellschaft gemäß § 2 Z 25 BWG ist also selbst kein Kreditinstitut, gewinnt jedoch als „Vehikel“ für die aufsichtsrechtliche Erfassung von Kreditinstitutsgruppen nach § 30 BWG121 Bedeutung: Eine Kreditinstitutsgruppe122 liegt vor, wenn ein sog übergeordnetes Institut (Kreditinstitut oder Finanz-Holdinggesellschaft) mit Sitz im Inland bei einem oder mehreren Kreditinstituten, Finanzinstituten, Wertpapierfirmen oder Anbietern von Nebendienstleistungen (nachgeordnete Institute) mit Sitz im Inland oder Ausland • mehrheitlich mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist, • über die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschaft verfügt, • das Recht besitzt, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen oder abzuberufen, • das Recht besitzt, einen beherrschenden Einfluss auszuüben, • tatsächlich beherrschenden Einfluss ausübt, • aufgrund eines Vertrages mit einem oder mehreren Gesellschaftern des Unternehmens das Recht zur Entscheidung besitzt, wie Stimmrechte der Gesellschafter, soweit sie mit seinen eigenen Stimmrechten zur Erreichung der Mehrheit aller Stimmen erforderlich sind, bei Bestellung oder Abberufung der Mehrheit der Mitglieder des Leitungs- oder eines Aufsichtsorgans auszuüben sind, oder • mindestens 20 % der Stimmrechte oder des Kapitals des nachgeordneten Instituts direkt oder indirekt hält, und diese Beteiligung von einem gruppenangehörigen Un-
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Borns, Bankrecht 16, mit weiteren Hinweisen auf die indirekte Anwendung von BWG-Vorschriften im Rahmen der Berichtspflicht an Institutsmütter. Dazu aus der Sicht aufsichtsrechtlicher Konzerndetermination Doralt/Kalss, Konzernrecht und Kapitalmarktrecht in Österreich, in Hommelhoff/Hopt/Lutter, Konzernrecht und Kapitalmarktrecht, 2001, 177 (185). Zum Begriff Koppensteiner, Verbundtatbestände im Finanzbereich, ÖBA 2005, 623 (628 ff).
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ternehmen gemeinsam mit einem oder mehreren Unternehmen geleitet wird, die nicht der Kreditinstitutsgruppe angehören. Unter bestimmten Voraussetzungen liegt eine Kreditinstitutsgruppe auch vor, wenn eine Finanz-Holdinggesellschaft ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat (§ 30 Abs 2 BWG) oder wenn ein „Sektor-Haftungsverbund“ im Sinne von § 30 Abs 2a BWG vorliegt: Dieser Weiterung des Gruppenbegriffes liegt die Anknüpfung an wechselseitigen vertraglichen Verpflichtungen zwischen einem Zentralinstitut und diesem im Sinne von § 23 Abs 13 Z 6 BWG angeschlossenen Instituten zu Grunde123. Diese durch BGBl I 2002/131 geschaffene Konsolidierungsmöglichkeit setzt ein Früherkennungssystem, wechselseitige Unterstützungspflicht bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch finanzielle oder sonstige Maßnahmen, einheitliche Geschäfts- und Marktpolitik sowie eine Mindestkündigungsfrist des Verbundes von zwei Jahren voraus124.
Zur Gewährleistung effizienter Aufsicht über derartige Unternehmensgruppen wird dem „übergeordneten Kreditinstitut“ besondere Verantwortung zuteil: Es ist für die Einhaltung der Bestimmungen des BWG, die für die Kreditinstitutsgruppe gelten, verantwortlich (§ 30 Abs 6 BWG)125: Institute der Kreditinstitutsgruppe haben angemessene interne Kontrollverfahren einzurichten und dem übergeordneten Kreditinstitut alle für die Konsolidierung erforderlichen Unterlagen zu übermitteln und Auskünfte zu erteilen. Daneben bestehen Informations- und Auskunftspflichten (§ 30 Abs 7 BWG). Auf die Kreditinstitutsgruppe sind die Vorschriften über die Solvabilität (§ 22 BWG), die Eigenmittel (§ 23 BWG), die konsolidierten Eigenmittel (§ 24 BWG), die Großveranlagungen (§ 27 BWG) sowie Beteiligungen (§ 29 BWG) anwendbar126. Das übergeordnete Kreditinstitut - als hauptverantwortliches „Organ“ der Kreditinstitutsgruppe - hat die Informationsübermittlung und Auskunftserteilung durch die nachgeordneten Institute und eine übergeordnete Finanzholdinggesellschaft sicherzustellen (§ 30 Abs 8 BWG). Als Sanktionsmöglichkeit sieht § 99a BWG das Ruhen von Stimmrechten vor127. Ausnahmen vom Anwendungsbereich des BWG sind in § 3 Abs 1 festgelegt128: Darunter fallen etwa die OeNB, die Post hinsichtlich ihres Geldverkehrs sowie Gebietskörperschaften, soweit sie aufgrund bundes- oder landesgesetzlicher Ermächtigung Kredite oder Darlehen mit Förderungscharakter vergeben. Diese Ausnahmen sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Bereich der Hoheitsverwaltung von vornherein nicht dem BWG unterliegt, weil hier nach richtiger Auffassung die einschlägige Materienkompetenz die BWG-Kompetenz überlagert, sofern nicht ohnehin das Kriterium der Ge-
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Näher dazu Göth in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 30 Rz 33 ff. Die Regelung des § 30 Abs 2a BWG hat „in ihrer individuellen Ausformung keine ausdrückliche EU-rechtliche Grundlage“: Göth in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 30 Rz 38. Zu öffentlich-rechtlichen Verhaltenspflichten einzelner Konzernunternehmen ausführlich Uwe H. Schneider, Die Überlagerung des Konzernrechts durch öffentlichrechtliche Strukturnormen und Organisationspflichten, ZGR 1996, 225 (234 ff); zu § 30 Abs 6 BWG Göth in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 30 Rz 46. Vgl die tabellarische Aufstellung bei Borns, Bankrecht 22. Dieses Aufsichtsmittel findet sich auch in § 20 Abs 6 BWG, § 6 Abs 6 Z 2 BörseG und - mit anderer Zielrichtung (zudem ex lege) - in § 34 ÜbG. Im Einzelnen dazu Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 3 Rz 1 ff.
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werbsmäßigkeit fehlt129. Die gesetzlich statuierten Ausnahmen sind daher für den nichthoheitlichen Bereich von Relevanz. Bestimmte Geschäfte, die besondere Gefahren für die Sicherheit der Einlagen oder die Währungs- Geld- und Kreditpolitik bergen130, sind durch die Verbotsvorschrift des § 95 BWG untersagt. Dieses Verbot betrifft jedermann, daher auch Vollkaufleute. § 95 Abs 3 BWG untersagt sogenannte Werkssparkassen, also besondere im Rahmen eines Unternehmens geschaffene Spareinrichtungen, die Einlagen eigener Arbeitnehmer entgegennehmen und aus denen der Unternehmer als solcher verpflichtet ist. Aus rechtspolitischer Sicht wird damit der Vermeidung des Risikos Rechnung getragen, welches die Einleger im Konkursfall des Unternehmens zu gewärtigen hätten, nämlich neben dem Verlust des Arbeitsplatzes auch noch den Verlust der Ersparnisse. „Zwecksparunternehmen“ im Sinne von § 95 Abs 4 BWG liegen vor, wenn der überwiegende Teil der Einleger einen Rechtsanspruch hat, dass ihm aus diesen Einlagen Darlehen gewährt oder Gegenstände auf Kredit verschafft werden. Durch Einzahlungen vieler Personen soll also Kapital gesammelt werden, das den Einzahlern nach und nach in zuvor bestimmter Reihenfolge als Darlehen für beliebige Zwecke zur Verfügung gestellt wird. Aufgrund der Betragsdifferenz zwischen Darlehen und Einlagen können bis zur Darlehensauszahlung unvertretbar lange Wartezeiten anfallen, deren Dauer sich nach dem Zugang neuer Einlagen (Schneeballsystem) unter der Rückführung der Darlehen richtet131. Nachdem das Bauspargeschäft diesem Prinzip folgt, wurde es in § 95 Abs 4 (2. HS) ausdrücklich vom Verbot ausgenommen. Bausparkassen sind also rechtlich zulässige Zwecksparunternehmen, bei denen das Kollektiv durch das Bausparkassengesetz gesichert ist, das diesen Instituten besondere Beschränkungen auferlegt132.
III. Grundsätze der Bankenaufsicht A Behörden und Verfahren 1. Allgemeines Im Zusammenhang mit der Organisation sowie den Mitteln der Aufsicht stellen sich eine Reihe dogmatischer, vor allem aber auch rechtspolitischer Fragen133. Das österreichische Recht der Bankenaufsicht folgt - ebenso wie das deutsche einem liberalen Aufsichtskonzept einer Beschränkung auf Struktur- und Kontrollnormen bei grundsätzlicher Freiheit des geschäftspolitischen Entscheidungsspielraums134. Die vor allem durch das europäische Sekundärrecht bewirkte Verdichtung des aufsichtsrechtlichen Normenbestandes gefährdet die Verwirklichung dieses Prinzips: Bankaufsichtsrecht als extrem detailliert gere129 130 131 132 133 134
So Pauger, Bankrecht 86. Fülbier in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG § 3 Rz 1. Fülbier in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG § 3 Rz 12. R. Fischer, Bankenaufsicht § 127 Rz 33. Anschaulich dazu Marwede, Die sechs goldenen Regeln der Bankenaufsicht, FS Peltzer, 2001, 301. Fischer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG Einf Rz 53.
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gelte Rechtsmaterie birgt die Gefahr, dass die Freiheit eigenständiger Entscheidungen und die Steuerung eines Instituts tatsächlich erheblich eingeschränkt wird135. Angesichts der Kritik an der Effizienz der Bankenaufsicht wird auch die Frage der Aufsichtsträgerschaft intensiv diskutiert und war auch in Österreich Gegenstand gesetzgeberischer Aktivität: Die Aufsicht kann grundsätzlich im vertrauten Rahmen staatlicher Wirtschaftsaufsicht geführt werden - dieses Konzept ist in Österreich derzeit verwirklicht - , andererseits kommt auch eine „Delegation an Private“ im Wege des Vertrauens auf die Selbstregulierungskraft des Marktes - also Selbstregulierung - in Frage. Deren Vorteile liegen beispielsweise darin, dass die betroffenen Institute näher beim Markt sind, über spezialisierte Fachkenntnisse verfügen und sich durch eine hohe Flexibilität (im Sinne der rasch möglichen Anpassung von Normen) auszeichnen; die Marktteilnehmer haben gegenüber außenstehenden Regulatoren typischerweise einen Informationsvorsprung136. Die Nachteile eines solchen Systems liegen auf der Hand: Ein derartiges „Regulierungsprivileg“ kann zu Marktverzerrungen und Missbräuchen führen. Weiters ist die Gefahr mangelnder Effektivität gegeben. In Österreich hat die Selbstregulierungskompetenz in Teilbereichen des Bankwesens zur Produktion von „soft law“ geführt, so etwa im Zusammenhang mit der Geldwäschereiprävention sowie der Vermeidung von Insidermissbräuchen („Compliance Codes“). Auch in den genannten Bereichen ist jedoch eine Dynamik zu beobachten, die die Zurückdrängung von Verhaltenskodizes durch verdichtetes Aufsichtsrecht bewirkt137. Ein Grund dafür dürfte in der Etablierung des Komitologieverfahrens durch den Europäischen Rat für den Bereich des Kapitalmarktrechts im Jahr 2001 liegen138. Die nach Art 202 EG vorgesehene Ermächtigung der Kommission, Durchführungsbestimmungen zu erlassen, wurde durch den Komitologiebeschluss des Rats aus dem Jahr 1999139 konkretisiert. Dem entsprechend ist die „neue Generation“ der insbesondere auch für Banken maßgeblichen kapitalmarktrechtlichen EGRichtlinien im Zusammenhalt mit den Durchführungsakten der Kommission durch eine neue Qualität der Regelungstiefe charakterisiert140, die tendenziell weniger Spielraum für „self-regulation“ belässt. Im Zusammenhang mit der Bildung von „financial conglomerates“ (Allfinanzkonzernen)141 wird die Frage diskutiert, ob eine integrierte Aufsicht, die sich auf die verschiedensten Geschäftstypen von Finanzinstitutionen erstreckt, einer spezialisierten 135
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Vgl die kritischen Anmerkungen von Fischer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG Einf Rz 53, der in diesem Zusammenhang auch die „zunehmende Empfindlichkeit von Politik und Öffentlichkeit, die den Selbstordnungskräften des Wirtschaftsprozesses wenig vertraut und aufgrund derer kleinere oder vereinzelte Erschütterungen mit umfassenden Regelungen beantwortet werden“, anführt. Expertengruppe Zufferey, Finanzmarktregulierung und -aufsicht in der Schweiz 83. Für die Berücksichtigung von Selbstregulierungssystemen auf Verbundebene de lege ferenda Borns, ÖBA 2001, 283 f. Dazu ausführlich Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 1 Rz 43 ff. Ratsbeschluss 1999/468, Abl 1999 Nr L 184, 23. Vgl etwa die Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG oder die Prospektrichtlinie 2003/71/ EG. Zu deren Beaufsichtigung vgl die Richtlinie über die Aufsichtsvorschriften für Finanzkonglomerate (2002/87/EG) sowie das FKG.
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Aufsicht im Sinne von separater Überwachung vorzuziehen sei. In einem Modell vollständiger Integration können Banken, Versicherungen, Investmentfonds, Börsen sowie Anlageberater, Vermittler und Vermögensverwalter gemeinsam überwacht werden142. Davon zu unterscheiden ist die in der aktuellen Diskussion spürbare Betonung eines funktionalen oder prozessbezogenen Aufsichtsmodells im Gegensatz zum traditionellen institutionellen Ansatz. Letzterer fixiert ein bestimmtes Aufsichtsregime aufgrund der Einordnung des aufsichtsunterworfenen Instituts (etwa als Kreditinstitut). Funktionale Aufsicht bedeutet hingegen, dass die regulatorische Behandlung geschäftsfeldbezogen stattfindet, also unabhängig von der aufsichtsrechtlichen Einordnung eines Instituts als Bank oder etwa Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Aus ökonomischer Sicht wird in der Literatur ins Treffen geführt, dass eine funktional ausgerichtete Aufsichtsstruktur wesentliche Kostenvorteile (direkte und indirekte insbesondere bedingt durch Skaleneffekte bei der Informationsverarbeitung und der Entwicklung von know how) bringen würde. Dazu müssten einander gegenseitig möglichst ausschließende Funktionalitäten des Finanzsystems definiert und durch entsprechende Zuständigkeiten (offices) erfasst werden, welchen die einzelnen Institutionen des Finanzsystems aufgrund ihrer Funktionalitäten zu unterstellen sind143.
Das FMABG ist in seinen wesentlichen Teilen am 1. 4. 2002 in Kraft getreten (§ 25 Z 1 FMABG). Es ist als Teil (Art I) eines Artikelgesetzes konzipiert, mit dem unter der Bezeichnung „Finanzmarktaufsichtsgesetz“ (FMAG) flankierende und teilweise eigenständige Regelungen vor allem in bank- und kapitalmarktrechtlich relevanten Vorschriften getroffen werden (BWG, WAG, InvFG, BetFG, SpG, BSpG, HypBG, PfBrG, EGVG, BörseG, VAG, Kfz-HaftpflichtversicherungsG, PKG, KMG, HGB, AktG, GmbHG, NBG). Bankaufsichtsbehörde in Österreich ist nach geltender Rechtslage die FMA144. Auf das Organisationsrecht der FMA („Finanzmarktaufsichtsbehörde“), die als Anstalt öffentlichen Rechts geführt wird, ist unten145 näher einzugehen. Bei der FMA ist die Bankaufsicht sachlich und örtlich konzentriert146. Zur Erfüllung der in § 69 Abs 1 Z 1 und 2 BWG umrissenen Aufsicht über österreichische Kreditinstitute - Bedacht zu nehmen ist auf das „volkswirtschaftliche Interesse an einem funktionsfähigen Bankwesen und an der Finanzmarktstabilität“ - kann die FMA nach § 70 Abs 1 BWG • von den Kreditinstituten sowie von übergeordneten Kreditinstituten für Unternehmen der Kreditinstitutsgruppe die Vorlage von Zwischenabschlüssen, von Ausweisen in bestimmter Form und Gliederung und von Prüfungsberichten verlangen, ferner von den Kreditinstituten sowie von den übergeordneten Kreditinstituten für Unternehmen der Kreditinstitutsgruppe und deren Organen Auskünfte über alle Geschäftsangelegenheiten fordern, in die Bücher, Schriftstücke und Datenträger Einsicht nehmen; auf den Umfang der Auskunfts-, Vorlage- und Einschaurechte der FMA und 142 143
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Siehe dazu aus Schweizer Sicht Expertengruppe Zufferey, Finanzmarktregulierung und -aufsicht in der Schweiz, 84. Expertengruppe Zufferey, Finanzmarktregulierung und -aufsicht in der Schweiz, 128 mit weiterführenden Überlegungen zur optimalen Strukturierung solcher Funktionalitäten, die „weder einfach noch naheliegend“ ist. Die FMA ist nicht als Regulierungsbehörde zu qualifizieren: B. Raschauer, ZFR 2006, 4. Unten Punkt 1.3. Pauger, Bankrecht 94.
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die Verpflichtung zur Verfügbarkeit von Unterlagen im Inland ist § 60 Abs 3 BWG anzuwenden (Z 1); von den Bankprüfern der Kreditinstitute und Kreditinstitutsgruppen und von den zuständigen Prüfungs- und Revisionsverbänden Prüfungsberichte und Auskünfte einholen; weiters kann sie von den Sicherungseinrichtungen und von dem gemäß § 70 Abs 2 Z 2 bestellten Regierungskommissär alle erforderlichen Auskünfte einholen und diesen erteilen (Z 2); durch die Bankprüfer der Kreditinstitute und Kreditinstitutsgruppen, andere Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die zuständigen Prüfungs- und Revisionsverbände und durch sonstige Sachverständige alle erforderlichen Prüfungen vornehmen lassen; die in § 62 BWG genannten Ausschließungsgründe sind anzuwenden; die Erteilung von Auskünften durch die FMA an die von ihr beauftragten Prüfer ist zulässig, soweit dies zur Erfüllung des Prüfungsauftrags zweckdienlich ist (Z 2a); eigene Prüfer oder die OeNB, letztere wenn hier durch das Verfahren wesentlich vereinfacht oder beschleunigt wird oder wenn dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Einfachheit oder Raschheit gelegen ist, mit der Prüfung von Kreditinstituten, deren Zweigniederlassungen und Repräsentanzen außerhalb Österreichs, von Kreditinstituten, die gemäß § 5 Abs 1 FKG einer zusätzlichen Beaufsichtigung unterliegen sowie von Unternehmen der Kreditinstitutsgruppe beauftragen. Die FMA hat zur Vor-Ort-Prüfung im Bereich der Bankenaufsicht und von Kreditinstituten oder Kreditinstitutsgruppen in Finanzkonglomeraten hinsichtlich der Prüfung der ordnungsgemäßen Begrenzung von Marktrisiken (§ 2 Z 57c BWG) und Kreditrisiken (§ 2 Z 57 BWG) die OeNB zu beauftragen. Die Verpflichtung zur Beauftragung der OeNB gilt jedoch nicht, wenn diese der FMA mitteilt, dass sie die Prüfung nicht oder nicht fristgerecht durchführen kann. Die OeNB und die FMA sind berechtigt, eigene Mitarbeiter und Prüfungen durch die jeweilige andere Institution teilnehmen zu lassen (Z 3); zur Prüfung von Unternehmen der Kreditinstitutsgruppe sowie von Zweigstellen und Repräsentanzen in Mitgliedstaaten und in Drittländern gemäß § 77 Abs 5 Z 2 und 3 BWG auch die zuständigen Behörden des Aufnahmestaates um die Vornahme der Prüfung ersuchen, wenn dies gegenüber einer Prüfung gemäß Z 3 das Verfahren vereinfacht oder beschleunigt oder wenn dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Einfachheit, Raschheit oder Kostenersparnis gelegen ist; unter diesen Voraussetzungen ist auch die Teilnahme eigener Prüfer oder die Beauftragung der OeNB zur Teilnahme zulässig, wobei im Falle der Prüfung von Markt- oder Kreditrisiken die FMA jedenfalls die OeNB mit der Prüfungsteilnahme zu beauftragen hat, Z 3 3. Satz ist anzuwenden (Z 4). Führt die Verletzung des BWG zu einer nicht angemessenen Begrenzung der bankgeschäftlichen und bankbetrieblichen Risiken des Kreditinstituts oder der Kreditinstitutsgruppe (§§ 39 und 39a BWG) und ist eine kurzfristige angemessene Erfassung und Begrenzung der Risiken aus dieser Forderung nicht zu erwarten, hat die FMA unbeschadet anderer Maßnahmen nach den Bestimmungen des BWG einem Kreditinstitut oder einer Kreditinstitutsgruppe im Hinblick auf bestimmte Forderungen ein Mindesteigenmittelerfordernis bis zu einem Höchstausmaß von 150% des Mindest-
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eigenmittelerfordernisses gemäß § 22 Abs 1 BWG vorzuschreiben. Die FMA hat derartige zusätzliche Eigenmittel dann vorzuschreiben, wenn nicht andere Maßnahmen nach dem BWG, insbesondere ein Auftrag nach § 70 Abs 4 Z 1 (zwangsstrafbewehrter Berichtigungsauftrag), ausreichen, um eine angemessene Erfassung und Begrenzung der Risiken und den gesetzlichen Zustand herzustellen. Sofern die FMA zunächst gemäß § 70 Abs 4 Z 1 BWG vorgeht, kann sie bei Erfolglosigkeit dieses Auftrags unmittelbar zusätzliche Eigenmittel nach der vorliegenden Bestimmung vorschreiben147 (Z 4a). Darüber hinaus kommt der FMA auch eine „Krisenzuständigkeit“ zu: Bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eines Kreditinstituts kann sie - neben dem Kreditinstitut selbst - den Antrag auf Anordnung der Geschäftsaufsicht stellen (§ 83 Abs 1 BWG)148. § 70 Abs 2 BWG enthält einen Katalog von befristeten (maximal 18 Monate dauernden) Aufsichtsmaßnahmen, die im Interesse des Gläubigerschutzes bescheidmäßig verfügt werden können. Es handelt sich um die Untersagung von Kapital- und Gewinnentnahmen bzw -ausschüttungen (Z 1), die Bestellung eines Regierungskommissärs aus dem Berufsstand der Rechtsanwälte oder Wirtschaftstreuhänder149 mit geschäftsbezogenen Untersagungs- und Erlaubniskompetenzen (Z 2), die an die Geschäftsleiter adressierte Untersagung der Führung des Kreditinstituts (Z 3) sowie überhaupt die (gänzliche oder teilweise) Untersagung der Fortführung des Geschäftsbetriebes (Z 4)150. Vom Gläubigerschutzziel abstrahiert hingegen § 70 Abs 4 BWG, der für den nachträglichen Wegfall von Konzessionsvoraussetzungen sowie die Verletzung einschlägiger Aufsichtsgesetze die „klassischen“ Aufsichtsmittel des zwangsstrafbewehrten Berichtigungsauftrages (Z 1), der (gänzlichen oder teilweisen) Untersagung der Geschäftsführung durch die Geschäftsleiter (Z 2) und der Konzessionsrücknahme (Z 3) vorsieht. Der Gesetzeswortlaut bestätigt die durch die Reihenfolge der Anführung vorgezeichnete Rangordnung dieser Aufsichtsmittel nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip151. Aufsichtsmittel ohne Eingriffscharakter (Rechtsbelehrungen, Ratgebungen, Mahnungen etc) sind daneben - auch ohne ausdrückliche Einräumung - zulässig152. Soweit Banken - unscharf formuliert - als „Wertpapierhändler“ (§ 1 Abs 1 Z 7 lit b bis f BWG), im Bereich des Finanzdienstleistungsgeschäfts (§ 1 147
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Mit dieser Regelung wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insofern Rechnung getragen, als die Auferlegung zusätzlicher Eigenmittel nur dann möglich ist, wenn andere Maßnahmen erst mittelfristig zur Umsetzung gelangen, wie auch die Materialien zu § 70 Abs 1 Z 4a BWG, angefügt durch die Novelle BGBl I 2006/141, betonen. Zur Geschäftsaufsicht näher unter Punkt V dieses Beitrages; zum Moratorium durch VO der Bundesregierung § 78 BWG. Dazu VwGH 94/17/0159 ff, ÖBA 1994, 994 und 94/17/0031, ÖBA 1995, 70. Zur Auswirkung eines Untersagungsauftrages auf Dauerschuldverhältnisse VwGH 11. 12. 2000, 2000/17/0237, 0239, ÖBA 2001, 340. Vgl dazu allgemein Salzwedel, Staatsaufsicht in der Verwaltung, VVDStRL 22, 1965, 206 (255), der hinsichtlich der Zulässigkeit der Aufsichtsmittel vier Grundsätze formuliert, die im wesentlichen Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips sind. Grundsätzlich dazu Winkler, Studien zum Verfassungsrecht, 1991, 318 und 325; aus der Praxis der Bankaufsicht („moral suasion“) Stanzel in Stanzel/Raab/Schmoll 34.
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Abs 1 Z 19 BWG: Anlageberatung, Vermögensverwaltung, Vermittlung) oder als Emissionshelfer (Loroemissionsgeschäft nach § 1 Abs 1 Z 11 BWG) tätig werden,153 sind spezielle aufsichtsrechtliche Vorkehrungen einschlägig: Zunächst sind Kreditinstitute verpflichtet, Geschäfte in Aktien, Schuldverschreibungen, Terminkontrakten über Aktien und Aktienindizes sowie Optionskontrakten an die FMA spätestens an dem auf den Tag des Geschäftsabschlusses folgenden Bankarbeitstag zu melden (§ 10 WAG). Diese Meldepflicht setzt voraus, dass das zugrunde liegende Instrument zum Handel an einer österreichischen Börse oder zum Handel an einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat zugelassen ist, unabhängig davon, ob das konkrete Geschäft in einem geregelten Markt abgeschlossen oder abgewickelt wurde, sofern es sich um den An- oder Verkauf oder um ein unechtes Pensionsgeschäft handelt (§ 10 Abs 2 WAG)154. Durch diese laufende Information der FMA über das Marktgeschehen wird eine effiziente Aufsichtstätigkeit in diesem Bereich - wie sie das WAG vorsieht - erst ermöglicht: • Nach der generalklauselartig formulierten Regelung des § 2 Abs 1 Z 1 WAG hat die FMA alle Untersuchungen durchzuführen und jene Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Ordnungsmäßigkeit und Fairness des Handels mit Instrumenten, die auf einem geregelten Markt (§ 2 Z 37 BWG) eines Mitgliedstaats (§ 2 Z 5 BWG) zugelassen sind, beurteilen und sichern zu können. Während diese programmatisch gefärbte Bestimmung im Lichte des Legalitätsprinzips kaum eine Grundlage für unmittelbare behördliche Eingriffsbefugnisse liefern kann155, ist - als Spezialfall - das Verfahrensrecht bei der Verfolgung von Insidermissbräuchen ausführlich geregelt: Staatsanwalt und Gericht haben grundsätzlich die FMA mit Ermittlungen im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 48q BörseG zur Aufklärung des Verdachts des Missbrauchs einer Insiderinformation zu beauftragen (§ 48i Abs 1 BörseG). Sobald eine bestimmte Person des Missbrauchs einer Insiderinformation verdächtig ist, hat die FMA Anzeige an die Staatsanwaltschaft Wien zu erstatten. Ermittlungen zur unmittelbaren Feststellung des Sachverhalts und zur Aufklärung des Verdachts hat sie - unbeschadet der Wahrnehmung ihrer Befugnisse nach § 48q - nur soweit durchzuführen, als sie damit durch Staatsanwaltschaft oder Gericht beauftragt wird (§ 48i Abs 2 BörseG)156. • Hinsichtlich der Erbringung von Dienstleistungen gemäß § 11 Abs 1 WAG (Effektenhandel, Finanzdienstleistungsgeschäft, Loroemission) enthält § 2 Abs 1 Z 2 WAG eine Aufsichtszielbestimmung, welche an der „Wahrung der Interessen der Anleger“ anknüpft.
Vor allem zur Verwirklichung berichtigender Aufsicht157 dient das Instrument des Staatskommissärs:158 Vorbehaltlich anderer gesetzlicher Anordnung hat der BMF bei Kreditinstituten, deren Bilanzsumme € 375 Mio übersteigt, einen Staatskommissär und dessen Stellvertreter zu bestellen. Sie sind in dieser Funktion den Weisungen der FMA unterworfen (§ 76 Abs 1 BWG). Der Staatskom-
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Zum diesbezüglich weit gezogenen Anwendungsbereich der Wohlverhaltensregeln des WAG vgl § 11 Abs 1 Näheres ist in einer Wertpapiermeldeverordnung (BGBl II 2002/258) geregelt. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 2 Rz 20; auch die Materialien sprechen von „Aufsichtszielen“: 369 BlgNR 20. GP 55. Zu diesen Verfahrensregeln kritisch N. Raschauer, Das neu gestaltete strafprozessuale Insiderverfahren, ÖBA 2005, 379. Pauger, Bankrecht 101. Vgl dazu allgemein N. Raschauer/Wessely, ÖZW 2004, 70 ff.
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missär ist keine eigene Behörde, sondern ein Organ der FMA159. Nach der durch das FMAG bewirkten Novellierung des § 76 Abs 1 BWG verbleibt also die Bestellungskompetenz als Ausfluss eines intensiven Aufsichtsrechts über die FMA beim BMF, während die Weisungszuständigkeit auf die FMA übergeht. Ausdrücklich ist angeordnet, dass die Staatskommissäre „als Organe der FMA“ handeln. Der Staatskommissär hat folgende Aufgaben: • Teilnahme an Organsitzungen (§ 76 Abs 4 BWG); er sowie sein Stellvertreter sind vom Kreditinstitut zu den Hauptversammlungen, Generalversammlungen160 und sonstigen Mitgliederversammlungen, zu den Sitzungen des Aufsichtsrats sowie zu entscheidungsbefugten Ausschüssen des Aufsichtsrats rechtzeitig einzuladen. • Einsprucherhebung gegen rechtswidrige Organbeschlüsse (§ 76 Abs 5 und 6 BWG); durch den Einspruch wird die Wirksamkeit des Beschlusses von Hauptversammlung, Generalversammlung, sonstiger Mitgliederversammlung, Aufsichtsrat oder Aufsichtsratssausschuss bis zur aufsichtsbehördlichen Entscheidung aufgeschoben. Das Kreditinstitut kann binnen einer Woche, gerechnet vom Zeitpunkt des Einspruches, die Entscheidung der FMA beantragen. Wird nicht binnen einer Woche nach Einlagen des Antrages entschieden, tritt der Einspruch außer Kraft. Wird der Einspruch bestätigt, so ist die Vollziehung des Beschlusses unzulässig. • Unverzügliche Mitteilung von Tatsachen, die aufsichtsbehördliche Maßnahmen erfordern („aufgrund derer die Erfüllung der Verpflichtungen des Kreditinstitutes gegenüber dessen Gläubigern und insbesondere die Sicherheit der ihm anvertrauten Vermögenswerte nicht mehr gewährleistet ist“) an die Aufsichtsbehörde sowie jährliche Übermittlung eines schriftlichen Tätigkeitsberichts. Die Rechtsnatur der Staatskommissäre161 bzw die Rechtsnatur der von ihnen gesetzten Akte ist seit langem umstritten162; hinsichtlich des Einspruchsrechts ist fraglich, ob es sich um Akte unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt bzw - bei entsprechender Formalisierung - um Bescheide handelt163. Nach anderer Auffassung liegt hinsichtlich des Einspruchsrechts „ersichtlich keine selbständige behördliche (Teil-) Funktion des Staatskommissärs“ vor164. Ausgehend von fehlenden Rechtsmittelverfahren ist nach dieser Meinung die „Bestätigung“ durch die FMA die erstmals bescheidmäßig verfügte und definitiv privatrechtsgestaltende Aufsichtsmaßnahme zu sehen. Die an den Einspruch ge-
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Pauger, Bankrecht 94. Nach Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 76 Rz 3 zählen hiezu auch Delegiertenversammlungen, die gemäß § 27 Abs 3 GenG an die Stelle einer Generalversammlung treten. Vergleiche den Überblick über die Rechtsgrundlagen (unter Aussparung des Börsekommissärs) bei Frick, Staatskommissäre, GesRZ 1973, 64 ff, 110 ff. Vgl Schäffer, ÖBA 1985, 215 f; Ruess in Fremuth/Laurer/Pötzelberger/Ruess, KWG, 1991, § 26 Rz 1 und 3; Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 76 Rz 5; N. Raschauer/Wessely, ÖZW 2004/70. So Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 76 Rz 5 und bereits derselbe ÖBA 1978, 343. Schäffer, ÖBA 1985, 216.
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knüpfte sistierende Wirkung wäre dann als Tatbestandswirkung zu erklären165. Verfassungsrechtliche Probleme der Konstruktion von Staatskommissären als organisatorischer „Unterbau“ des BMF, wie sie in der älteren Literatur erörtert wurden166, stellen sich nach der Neufassung von Art 102 Abs 1 B-VG nicht mehr167. Gleichgültig, ob die Handlungen des Staatskommissärs als Bescheide, Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder als „Vorfeldhandlungen“ bescheidmäßiger Erledigung durch den BMF anzusehen sind, handelt es sich dennoch stets um hoheitliches Verwaltungshandeln168. Amtshaftungsfälle sind daher denkbar169.
2. Aufgaben der OeNB Der OeNB als „Bank der Banken“170 kommen im Rahmen der Bankaufsicht wesentliche Aufgaben zu171, die durch das FMAG freilich stark reduziert werden; die gesetzlich determinierte Beiziehung der OeNB liegt aufgrund des dort vorhandenen Sachverstandes in bestimmten Bereichen nahe172 : • Die bereits erwähnten Bestimmungen des § 70 Abs 1 Z 3 und 4 BWG ermächtigen bzw verpflichten die FMA zur Übertragung von Prüfungsagenden an die OeNB173. Derartige Prüfungen hat die OeNB in eigener Verantwortung und im eigenen Namen durchzuführen und die Ergebnisse der FMA unverzüglich mitzuteilen; weiters hat sie Stellungnahmen des betroffenen Kreditinstituts unverzüglich der FMA zu übermitteln. Die Prüfungsfeststellungen der OeNB gelten im Verfahren als Sachverständigengutachten. Die OeNB ist ermächtigt, dem Bankprüfer des betreffenden Kreditinstituts die erforderlichen Auskünfte über das Ergebnis von ihr durchgeführte Prüfungen zu erteilen (§ 79 Abs 4 BWG). • Im Sinne präventiver Aufsicht hat die OeNB dem BMF und der FMA auf dem Gebiet des Bankwesens „Beobachtungen und Feststellungen grundsätzlicher Art oder besonderer Bedeutung mitzuteilen und ihm auf Verlangen die erforderlich erscheinenden sachlichen Aufklärungen zu geben und 165
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Für die Qualifikation des Staatskommissärs nach dem KWG als Behörde und Deutung des Einspruches als im Rahmen eines Mandatsverfahrens erlassenen Bescheides bereits Ruess in Fremuth/Laurer/Pötzelberger/Ruess, KWG insbesondere § 26 Rz 3, der sich mit der Argumentation Schäffers, ÖBA, 1985, 216, jedoch nicht auseinandersetzt. Schäffer, ÖBA 1985, 199 ff. Vgl Art IV des FinanzmarktanpassungsG 1993 (BGBl 1993/532), mit dem die Möglichkeit geschaffen wurde, Angelegenheiten des „Geld-, Kredit-, Börse-, Bank- und Vertragsversicherungswesens“ in unmittelbarer Bundesverwaltung zu führen; vgl auch Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 76 Rz 1 mit Verweis auf BGBl I 1997/2 (Neufassung von Art 102 Abs 2 B-VG). So für den Einspruch auch Schäffer, ÖBA 1985, 216 FN 77. Vgl auch Oppitz, Die Börse im System öffentlichen Rechts, 1996, 117 FN 48; ebenso N. Raschauer/Wessely, ÖZW 2004, 82. Pauger, Bankrecht 94. Zur Trennung von Währungs- und Notenbank und Bankenaufsichtsbehörde nach deutschem Recht Gramlich, Recht der Bankwirtschaft 449 ff. Siehe auch Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar zum Bankwesengesetz § 79, Anm 1. Vgl dazu auch § 79a Abs 2 BWG.
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Unterlagen zur Verfügung zu stellen sowie Gutachten zu erstatten“ (§ 79 Abs 1 BWG). Damit ist der OeNB nach wie vor eine Art „Vorfeldkompetenz“ zugewiesen174. Korrespondierend dazu ist die OeNB - neben der FMA - Adressatin gesetzlich vorgeschriebener Meldungen nach den §§ 20 (qualifizierte Beteiligungen an Kreditinstituten), 73 (Katalog von Anzeigeverpflichtungen von Kreditinstituten) und 74 BWG (Monatsausweise, Quartalsberichte)175. Aufgrund der Monatsausweise und Quartalsberichte hat die OeNB zur Einhaltung der Bestimmungen der §§ 22 - 27 und 29 BWG und der hiezu erlassenen Verordnungen der FMA gutachtliche Äußerungen zu erstatten (§ 74 Abs 3 BWG). Der OeNB sind weiters - ebenso wie der FMA - die geprüften Jahresabschlüsse, Lageberichte, Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte sowie die diesbezüglichen Prüfungsberichte längstens innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres vorzulegen. Die Kreditinstitute haben der OeNB längstens innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres auch Daten der Jahresabschlüsse und der Konzernabschlüsse auf elektronischen Datenträger in standardisierter Form zu übermitteln (§ 44 Abs 1 BWG). Im Zusammenhang mit den für die Ermittlung des Forderungswertes bei Derivaten maßgeblichen Nettingvereinbarungen kommt der OeNB eine weitere Gutachterfunktion zu (§ 22 Abs 8 BWG). Schließlich sind der OeNB bestimmte Unterschreitungen des Mindesteigenmittelerfordernisses für das Handelsbuch zu melden (§ 22q Abs 3 BWG). Was die Rolle der OeNB im Verhältnis zur FMA betrifft, so kommt letzterer die Funktion des „dominus litis“176 zu. Die in den gutachterlichen Zuständigkeiten der OeNB zum Ausdruck kommende Expertenrolle setzt sich im Stellungnahmerecht zu einschlägigen Gesetzesentwürfen (§ 7 Abs 3 NBG) sowie im Anhörungsrecht vor Erlassung von Verordnungen aufgrund des BWG (§ 80 Abs 2 BWG) fort. Jenen BWG-Bestimmungen, mit denen die OeNB in die Bankenaufsicht eingebunden wird, ist insofern eine gesetzgeberische Entscheidung über die Zuweisung hoheitlicher Befugnisse zu entnehmen, als § 79 Abs 4 S 3 BWG die Prüfungsfeststellungen als Sachverständigengutachten qualifiziert; die Sachverständigenrolle der OeNB legt a priori bloße Indienstnahme durch die FMA nahe, die auch den Zweck erfüllt, der OeNB die zur Erbringung ihrer Aufgaben notwendige Information über die Bankgeschäftstätigkeit zukommen zu lassen177. Für den Bereich des Devisenrechts ist hingegen anerkannt, dass die OeNB als beliehenes Unternehmen hoheitliche Funktionen der mittelbaren Bundesverwaltung ausIllustrativ dazu die bei Gramlich, Recht der Bankwirtschaft 473 wiedergegebenen deutschen Materialien, nach denen die routinemäßige Überwachung durch die Deutsche Bundesbank wie ein „Filter“ wirke, „durch den nur die bankaufsichtlich bedeutsamen Fälle an die Aufsichtsbehörde gelangen“ (BT-Drucks 3/1114, 23). Nach dem FMAG hat die OeNB für die FMA die automationsunterstützte Verarbeitung dieser Anzeigen und Meldungen als Dienstleister im Sinne des DSG 2000 durchzuführen (§ 79 Abs 2 BWG). Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar § 79 Anm 1. Aspetsberger, Bankaufsicht 64.
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zuüben hat178. Missverständlich ist in diesem Zusammenhang die gesetzliche Formulierung, dass die OeNB die ihr übertragenen Prüfungen gemäß § 70 Abs 1 Z 3 und § 70a Abs 2 BWG „in eigener Verantwortung und im eigenen Namen“ durchzuführen hat (§ 79 Abs 4 S 1 BWG)179. Andererseits hat die OeNB nicht im eigenen Namen einzuschreiten, sondern die Ergebnisse der Prüfung der FMA (nur) mitzuteilen. Die Prüfungen durch die OeNB sind nicht bescheidmäßig zu erledigen, sondern führen - wie in der Literatur betont und in § 70 Abs 4 BWG positiviert wurde - nur zu einer gutachtlichen Äußerung180. Die Auskunftspflicht der Kreditinstitute gegenüber der OeNB findet in § 44 Abs 2 NBG eine besondere Grundlage: Zur Erfüllung von Aufgaben, die ihr durch Bundesgesetz übertragen sind dazu gehört auch die Einbindung in die Bankenaufsicht181 - ist die OeNB berechtigt, von Kreditinstituten und anderen Institutionen statistische Daten, Auskünfte und Unterlagen einzuholen und Termine, Form und Gliederung der zur liefernden Ausweise vorzuschreiben und diese Daten anonymisiert statistisch zu verarbeiten182.
3. Organisationsrecht der FMA Mit dem FMABG ging die Organisation der Bankenaufsicht183 in einer allgemeinen Finanzmarktaufsicht auf, zu deren Durchführung eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit eingerichtet wurde (§ 1 Abs 1 FMABG)184. Diese „Finanzmarktaufsichtsbehörde“ (FMA) hat ihren Sitz in Wien (§ 1 Abs 2 FMABG) und ist nach der Verfassungsbestimmung des § 3 FMABG weisungsfrei gestellt185. Die durch verschiedene Ingerenzbefugnisse 178
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Vgl VfSlg 5729/1968, EvBl 1996/79 = ÖBA 1996, 213; SZ 54/19; Schragel, ÖBA 1997, 511; zum Behördencharakter der OeNB in diesem Bereich grundlegend Potacs, Devisenbewirtschaftung 99 f. Schragel, ÖBA 1997, 511 bezeichnet die Aufgabenübertragung deshalb als „mysteriös“. Schragel, ÖBA 1997, 512; vgl auch Aspetsberger, Bankaufsicht 68 f. Schragel, ÖBA 1997, 514; Schwarzer/List/Gerharter, Die österreichische Währungsordnung in der EU5 , 2000, § 44 NBG Anm 3. Falls die eingeholten Auskünfte und Unterlagen keine ausreichenden Aufschlüsse zulassen (oder falls begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Auskünfte oder Unterlagen bestehen) ist die OeNB berechtigt, entsprechende Erläuterungen der Nachweise zu verlangen. Zur organisatorischen Entwicklung der Bankenaufsicht B. Raschauer, ZFR 2006, 4 f. Bereits anlässlich der Einrichtung der Bundes-Wertpapieraufsicht (BWA) nach dem WAG wurden verfassungsrechtliche Grenzen derartiger Ausgliederungen (Stichwort: Austro Control-E des VfGH, JBl 1996, 574 = ÖZW 1997, 55 [Funk]) diskutiert. Vgl dazu vor allem Rill, Grenzen der Ausgliederung behördlicher Aufgaben aus der unmittelbaren Staatsverwaltung - Überlegungen anlässlich der geplanten Betrauung eines eigenen Rechtsträgers mit der Wertpapieraufsicht, ÖBA 1996, 748; derselbe, Verfassungsrechtliche Fragen der Finanzmarktaufsicht, in Österr Juristenkommission (Hrsg), Neuere Entwicklungen des österreichischen Bankenrechts im europäischen Zusammenhang, 2002, 27; Oppitz in Frölichsthal/ Hausmaninger/Knobl/Oppitz/Zeipelt, Kommentar zum WAG, 1998, § 1 Rz 10. BGBl I 2002/45; kritisch Schramm, Finanzmarktaufsicht verfassungsrechtlich abgesichert. Oder: Wie man die Verfassung weiter demontiert, JBl 2003 S 19.
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verstärkte Aufsichtsführung über die FMA kommt dem BMF zu (§ 16 FMABG). Nach dem integrativen Konzept des FMABG sind in der FMA die Zuständigkeiten für Bankenaufsicht, Versicherungsaufsicht, Wertpapieraufsicht, Pensionskassenaufsicht sowie die Aufsicht über Mitarbeiter-Vorsorgekassen vereinigt (§ 1 Abs 1 FMABG). Motivation für die Etablierung einer bis zu einem gewissen Grad unabhängigen Allfinanzaufsicht ist nach den ErläutRV (AT) einerseits die Anpassung an internationale Standards (Basler Ausschuss, IOSCO für Börse- und Wertpapieraufsicht und IAIS für Versicherungsaufsicht) sowie andererseits das Bestreben nach „größtmöglicher Synergiennutzung“ angesichts zunehmender Verflechtung auf Seite der beaufsichtigten Unternehmen („Allfinanzkonzerne“). Die Binnenstruktur der FMA ist in Teilen der nach dem WAG eingerichteten - und im Weg der Gesamtrechtsnachfolge186 ersetzten - BWA nachempfunden. Organe der FMA sind Vorstand und Aufsichtsrat (§ 4 FMABG). Der zweiköpfige Vorstand wird auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten bestellt (§ 5 FMABG). Ingerenzbefugnisse des BMF und der OeNB sind aufgrund eines Vorschlagsrechts aufgrund des Ergebnisses des verpflichtenden Ausschreibungsverfahrens gegeben (§ 5 Abs 3 FMABG). Dem BMF kommt weiters die Zuständigkeit zur Abberufung aus wichtigem Grund zu (§ 7 Abs 3 FMABG). Die Aufsichtstätigkeit des BMF wird durch die Bestellungskompetenz für die insgesamt sechs Aufsichtsratsmitglieder - zusätzlich gibt es zwei kooptierte Mitglieder ohne Stimmrecht - unterstützt (§ 8 Abs 1 FMABG), wobei die OeNB Personen für die Funktion des Stellvertreters des Vorsitzenden sowie zweier weiterer Mitglieder des Aufsichtsrats namhaft zu machen hat. Als „Plattform der für die Finanzmarktstabilität mitverantwortlichen Institutionen“ - gemeint sind FMA, BMF und OeNB - wird beim BMF schließlich ein „Finanzmarktkomitee“ eingerichtet (§ 13 FMABG). Nach dem Vorbild der Versicherungs- und Wertpapieraufsicht187 sieht das FMABG eine Kostentragung für die Aufsicht nach dem Verursacherprinzip vor188: Die FMA hat für jeden Aufsichtsbereich einen Rechnungskreis zu bilden und mit dem Jahresabschluss auch eine rechnungskreisbezogene Kostenabrechnung zu erstellen (§ 19 Abs 1 FMABG). Die Zuordnung der Kosten der Bankenaufsicht innerhalb des Rechnungskreises 1 gemäß § 19 Abs 1 Z 1 FMABG zu den kostenpflichtigen Kreditinstituten hat nach § 69a Abs 2 und 3 BWG zu erfolgen. Die nicht direkt zuordenbaren „Overhead-Kosten“ sind den Rechnungskreisen anteilig zuzuweisen (§ 19 Abs 2 FMABG). Der Bund leistet pro Geschäftsjahr der FMA einen Beitrag von € 3,5 Mio (§ 19 Abs 4 FMABG).
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Vgl Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 2 Rz 15; zu Rechtsfragen der Funktionsnachfolge auch Painz/Tauböck, Fragen der Funktionsnachfolge am Beispiel der Finanzmarktaufsicht, ecolex 2002, 132; Brandl/Wolfbauer, Finanzdienstleistungen nach dem Finanzmarktaufsichtsgesetz, 2001, 39 ff. Zur Versicherungsaufsicht Lexa in Stanzel/Raab/Schmoll, Das BWG im Bankbetrieb 59 ff; zur Wertpapieraufsicht Oppitz in Frölichsthal/Hausmaninger/Knobl/ Oppitz/Zeipelt, Kommentar zum WAG, 1998, § 7 Rz 1 ff. Zur Vorläuferbehörde BWA vgl diesbezüglich Bilgici, Finanzierung der Aufsicht, 2000, 40 ff.
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Die Kosten sind den Aufsichtsunterworfenen gemäß den in § 19 Abs 6 FMABG festgelegten Spezifikationen bescheidmäßig vorzuschreiben.189
4. Zu Einordnung und Charakter bankrechtlicher Aufsichtsvorschriften Hinsichtlich der die Geschäftstätigkeit der Banken reglementierenden Verhaltensnormen wurde in der Literatur eine funktionsanknüpfende Unterscheidung zwischen verwaltungspolizeilichen, wirtschaftsaufsichtsrechtlichen und wirtschaftslenkenden Regelungen vorgeschlagen190. Lenkungsaufgaben im klassischen Sinn kommen der FMA nicht zu. Die Materialien legen - wie bereits nach der KWG-Novelle 1986191 - eine untrennbare Verbindung verwaltungspolizeilicher Ziele (Gebote und Verbote zur Gefahrenprävention) mit wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Zielen (Erhaltung der Funktionsfähigkeit eines Unternehmens) nahe192: Als Aufsichtsmaßstab wird der „Funktions- und, wie aus dem sonstigen Gesetzeszusammenhang erhellt, der Gläubigerschutz“ definiert193. Als klassisches Wirtschaftsaufsichtsgesetz bedient sich das BWG sowohl präventiv als auch repressiv (§ 70 Abs 4 BWG) wirkender Aufsichtsmittel. Wichtigstes Präventionsinstrument ist die Konzessionserteilung (§ 4 BWG), daneben sind verschiedene Bewilligungserfordernisse - etwa gemäß § 21 BWG (gesellschaftsrechtliche Veränderungen bei Kreditinstituten) oder die eigenmittelbezogenen Bewilligungsverfahren - zu nennen. Auch das dichte Geflecht an Instrumenten laufender Aufsicht hat Präventivcharakter. Dazu treten Organisationsvorgaben zur Absicherung der Einhaltung des aufsichtsrelevanten Rahmens, wie insbesondere die Bestimmungen zur internen Revision (§ 42 BWG)194. Die neuere Aufsichtspraxis ist durch die Veröffentlichung von „Mindeststandards“ gekennzeichnet, mit welchen einer Erwartungshaltung der FMA im Hinblick auf die Konkretisierung von Sorgfaltsanforderungen (§ 39 BWG) Ausdruck verliehen wird195. Derartige Mindeststandards wurden im Zusammenhang mit dem Kreditgeschäft und anderen Adressenausfallrisiken („MSKA“)196, Fremdwährungskrediten und Krediten mit Tilgungsträgern („FMATT-MS“),zur internen Revision von Kreditinstituten („FMA-MS-IR“)197 sowie
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Näheres ist in der FMA-Kostenverordnung (BGBl II 2003/340) geregelt. Pauger, Bankrecht 88; zur aufsichtsrechtlichen Schwerpunktsetzung B. Raschauer, ZFR 2006, 2. Dazu Pauger, Bankrecht 89. Zum gewerbepolizeilichen Ursprung der Bankenaufsicht Gramlich, Recht der Bankwirtschaft 467. ErläutRV 1993, 148; dazu Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar, § 69 Anm 12. Dazu näher unter III.2. Dazu Hysek, Die Mindeststandards der Finanzmarktaufsicht (FMA-MS), ÖBA 2005, 367. Dazu Blume, Die FMA-Mindeststandards für das Kreditgeschäft und andere Geschäfte mit Adressenausfallrisken, ÖBA 2005, 450. Dazu Siegl, FMA-Mindeststandards für die interne Revision („FMA-MS-IR“), ÖBA 2005, 742.
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zuletzt für die Information von Mitarbeitervorsorgekassen an Anwartschaftsberechtigte veröffentlicht198. „Das Bewusstsein darüber, in welcher verfassungsrechtlichen Landschaft der Amtshaftung sich die Bankenaufsicht befindet“, sieht Haushofer199 in Österreich erst durch die Entscheidung des OGH vom 14. 12. 1979200 geändert, nach welcher unterlassene Bankaufsichtsmaßnahmen Schadenersatzansprüche von Sparern eines im Konkurs befindlichen Instituts nach dem AHG begründen können. Diese Anerkennung aufsichtsrechtlichen Individualschutzes entspricht mittlerweile ständiger Judikatur201, während eine gemeinschaftsrechtliche Vorprägung fehlt.202 Träger der Amtshaftung ist gemäß § 3 Abs 1 FMABG der Bund, nicht die FMA.203 Wesentliche Aufsichtsbereiche sollen im Folgenden in ihrer Struktur dargestellt werden:
B. Die Kreditinstitutskonzession Der Betrieb der in § 1 Abs 1 BWG, dem Bankgeschäftskatalog, genannten Geschäfte bedarf der Konzession der FMA (§ 4 Abs 1 BWG)204. Die OeNB ist unter gleichzeitiger Verständigung des BMF zu allen Konzessionsanträgen anzuhören (§ 4 Abs 6 BWG). Umfasst der Konzessionsantrag die Berechtigung zur Entgegennahme sicherungspflichtiger Einlagen oder zur Durchführung sicherungspflichtiger Wertpapierdienstleistungen, so hat die FMA vor Erteilung der Konzession auch die Sicherungseinrichtungen anzuhören. Die Kon198 199 200 201
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Bei diesen „Mindeststandards“ handelt es sich nicht um Verordnungen: Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 2 Rz 22. Bankenaufsicht 12. 1 Ob 36/79, SZ 52/186 = JBl 1980, 539 = ÖZW 1980, 85. Vgl die Nachweise bei Krejci, Amtshaftung für den Verlust BWG-widriger Investitionen in eine Bank?, ÖBA 2001, 461 (465 FN 12 und 13); OGH 11.06.2002, 1 Ob 103/02y, ÖBA 2003, 302; allgemein zur Problemstellung Apathy, Haftungsfolgen fehlerhafter Staatsaufsicht, in Aicher, Die Haftung für staatliche Fehlleistungen im Wirtschaftsleben, 1988, 207. Ablehnend zu Amtshaftungsansprüchen des „Bankunternehmers“ hingegen OGH 04.04.2006, 1 Ob 251/05a, ZFR 2006, 49 mit Anm Linder. Vgl EuGH 12.10.2004, EuZW 2004 689; dazu Häde, Keine Staathaftung für mangelhafte Bankenaufsicht, EuZW 2005, 39. Ebenso bereits zur BWA Oppitz in Frölichsthal/Hausmaninger/Knobl/Oppitz/ Zeipelt, Kommentar zum WAG § 1 Rz 17; B. Raschauer, ÖBA 2004, 342; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 2 Rz 28 mwN. Vgl auch OGH 07.03.2006, 1 Ob 257/05h, ZFR 2006, 53. Im Zusammenhang mit Fragen des „Outsourcing“ bei Kreditinstituten stellt sich das Problem der Konzessionsbedürftigkeit des „Insourcers“; maW: Benötigt jemand, der in fremdem Namen und auf fremde Rechnung Bankgeschäfte betreibt, eine Bankkonzession? Aufgrund des Qualitätssicherungsaspekts der Konzessionsbestimmungen wird dies grundsätzlich bejaht; vgl Sommer, Rechtliche Aspekte der Funktionsauslagerung bei Kreditinstituten in Österreich, in Hadding/Hopt/Schimansky, Funktionsauslagerung (Outsourcing) bei Kreditinstituten, Bankrechtstag 2000, 2001, 93, 108. Zu Einzelaspekten des Outsourcing - auch rechtsvergleichend - siehe die Beiträge von Mülbert, Hofmann, Lamberti, Eyles, Dietzi und Deutsch im selben Band; vgl auch § 25a Abs 2 dKWG sowie Art 13 Abs 5 der Richtlinie 2004/39/EG (MiFID).
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zession ist bei sonstiger Nichtigkeit schriftlich zu erteilen; sie kann mit entsprechenden Bedingungen und Auflagen versehen werden, eine Teilkonzession ist möglich (§ 4 Abs 2 BWG). Wer Bankgeschäfte ohne die erforderliche Berechtigung betreibt, begeht eine Verwaltungsübertretung gemäß § 98 Abs 1 BWG205. Weiters ist berechtigungsloses Betreiben von Bankgeschäften nach der zivilrechtlichen Begleitbestimmung des § 100 Abs 1 BWG mit dem Verlust auf den Anspruch auf mit diesen Geschäften verbundene Vergütungen, insbesondere Zinsen und Provisionen, sanktioniert. Die Rechtsunwirksamkeit der mit diesen Geschäften verbundenen Vereinbarungen zieht nicht die Rechtsunwirksamkeit des ganzen Bankgeschäfts nach sich. Entgegenstehende Vereinbarungen sowie mit diesen Geschäften verbundene Bürgschaften und Garantien sind rechtsunwirksam206. Flankierende Publizitätsbestimmungen sollen den Schutzbedürfnissen der Kunden Rechnung tragen: Der FMA wird durch § 4 Abs 7 BWG das Recht eingeräumt, die Öffentlichkeit durch Kundmachung im Amtsblatt zur Wiener Zeitung (oder auf gleichwertige Weise) zu informieren „dass ein namentlich genanntes Unternehmen zur Vornahme bestimmter Bankgeschäfte nicht berechtigt ist.“ Bis 01.01.2004 hatte die FMA durch Aufbau einer entsprechenden Datenbank die Möglichkeit von Internetabfragen über den aktuellen Umfang bestehender Kreditinstitutskonzessionen zu ermöglichen. Diese Datenbank ist unter www.fma.gv.at einsehbar. Die wichtigsten Konzessionserteilungsvoraussetzungen (§ 5 Abs 1 BWG) sind, dass • das Unternehmen als Kreditinstitut in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, einer Genossenschaft oder einer Sparkasse geführt werden soll (Z 1); • die Satzung keine Bestimmungen enthält, die die Sicherheit der dem Kreditinstitut anvertrauten Vermögenswerte und die ordnungsgemäße Durchführung der Geschäfte gemäß § 1 Abs 1 BWG nicht gewährleisten (Z 2); • die Aufsichtsziele (solide und umsichtige Führung des Kreditinstituts) durch qualifiziert Beteiligte bzw gesellschaftsrechtliche Verflechtungen nicht gefährdet werden (Z 3 - 4a)207; • das Anfangskapital oder die Anfangsdotation mindestens € 5,000.000,beträgt und den Geschäftsleitern unbeschränkt und ohne Belastung im Inland zur freien Verfügung steht (Z 5); • die fachliche und charakterliche Eignung der mindestens zwei Geschäftsleiter gegeben ist (Z 6 - 13)208; das bedeutet, dass bei keinem Geschäftslei-
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Vgl dazu die Verfahrensvorschrift des § 22 Abs 1 FMABG. Zu dieser Regelung Koziol in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht II, 1993, Rz 1/10. Zur Parallelbestimmung des § 26 Abs 2 WAG Oppitz in Frölichsthal/ Hausmaninger/Knobl/Oppitz/Zeipelt, Kommentar zum WAG § 26 Rz 4. Korrespondierend dazu sind Eigentümerkontrollbestimmungen - verbunden mit Anzeige- bzw Bewilligungserfordernissen - vorhanden (§§ 20 f BWG). Zur „fit and proper“-Anforderung nach dem WAG näher Brandl/Kalss, Die „erforderlichen Eigenschaften“ von Geschäftsleitern eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens, ÖBA 2000, 943. Zur Reichweite des in § 5 Abs 1 Z 12 BWG verankerten „Vier-Augen-Prinzips“ OGH 25. 3. 2000, EvBl 2001/5; zur „Entschärfung“ von
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ter ein Ausschlussgrund gemäß § 13 Abs 1 - 6 GewO vorliegt, insbesondere kein Konkurs eröffnet wurde (Z 6), die Geschäftsleiter über geordnete wirtschaftliche Verhältnisse verfügen und keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich Zweifel an ihrer persönlichen für den Betrieb der Geschäfte gemäß § 1 Abs 1 BWG erforderlichen Zuverlässigkeit ergeben (Z 7), die Geschäftsleiter aufgrund ihrer Vorbildung fachlich geeignet sind und die für den Betrieb des Kreditinstituts erforderlichen Erfahrungen haben (Z 8), gegen einen ausländischen Geschäftsleiter keine Ausschließungsgründe bestehen (Z 9), mindestens ein Geschäftsleiter den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Österreich hat (Z 10), mindestens ein Geschäftsleiter die deutsche Sprache beherrscht (Z 11), das Kreditinstitut mindestens zwei Geschäftsleiter hat und das Vier-Augen-Prinzip umgesetzt ist (Z 12), kein Geschäftsleiter einen anderen Hauptberuf außerhalb des Bankwesens oder außerhalb von Versicherungsunternehmen oder Pensionskassen ausübt (Z 13); • der Sitz und die Hauptverwaltung im Inland liegen (Z 14). Diese Voraussetzungen gelten für österreichische Kreditinstitute; zur Verwirklichung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit wurden Sonderregelungen für Kreditinstitute aus Mitgliedstaaten geschaffen (§ 9), die dem „Single License“-Prinzip Rechnung tragen. Unterhält ein Unternehmen aus einem Mitgliedstaat in Österreich eine Tochtergesellschaft, die Bankdienstleistungen in Österreich erbringt, so wird diese allerdings von der Definition des Kreditinstituts nach § 1 BWG erfasst; der Europapass versagt209. Was Kreditinstitute aus Drittstaaten angelangt, bedürfen Tochterunternehmen eines ausländischen Unternehmens mit Sitz in Österreich einer Konzession die FMA. Erbringt ein ausländisches Unternehmen in Österreich Bankgeschäfte mittels einer Zweigstelle, so wird diese bankaufsichtsrechtlich im Wesentlichen wie ein selbständiges Kreditinstitut behandelt210. Repräsentanzen, die als solche keine bankgeschäftliche Tätigkeit ausüben, werden aufsichtsrechtlich grundsätzlich nicht überwacht. Es gelten allerdings die Anzeigepflichten gemäß § 73 Abs 2 BWG (betreffend Eröffnung, Leiter der Repräsentanz, Sitz, Änderungen dieser Umstände, Schließung). Die Konzession ist nicht übertragbar und geht auch nicht im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf andere Personen oder Unternehmen über211. Gemäß § 7 Abs 1 Z 6 BWG erlischt die Konzession mit der Eintragung der Verschmelzung in das Firmenbuch des übertragenden Kreditinstituts oder der übertragenden Kreditinstitute hinsichtlich des doppelten oder mehrfachen Konzessionsbestandes212. Voraussetzung für diese „konzessionsbereinigende“ Wirkung ist also, dass die aufnehmende Gesellschaft selbst bereits über eine Kre-
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§ 5 Abs 1 Z 7 BWG durch die Novelle BGBl I 2000/161 ausführlich Borns/Riesenfelder, BWG-Novelle 2000, GewGen 2000, 2 (4 ff). Borns, Bankrecht 29. Borns, Bankrecht 39. Ebenso zum deutschen Recht R. Fischer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG § 32 Rz 14. Näher dazu Kalss, Öffentlich-rechtliche Berechtigungen und Genehmigungen bei Umgründungen, GesRZ 2000, 213 (221 ff).
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ditinstitutskonzession - die aber nicht deckungsgleich sein muss - verfügt213. Flankierend sieht § 21 Abs 1 Z 1 BWG ein Bewilligungserfordernis für jede Verschmelzung oder „Vereinigung“214 von Kreditinstituten vor. Auch für jede Änderung der Rechtsform eines Kreditinstituts - sofern nicht eine OHG nur durch Aufnahme eines Kommanditisten in eine KG umgewandelt wird - ist ein Bewilligungserfordernis vorgesehen (§ 21 Abs 1 Z 3 BWG): Nur bei derart bewilligter Umwandlung geht der Konzessionsbestand im Weg der Gesamtrechtsnachfolge über215. Wurde der konzessionierte Geschäftsbetrieb nicht innerhalb von 12 Monaten nach Konzessionserteilung aufgenommen oder mehr als sechs Monate lang nicht ausgeübt, kann die FMA die Konzession zurücknehmen. Sie ist zu einer Zurücknahme verpflichtet, wenn die Konzession durch unrichtige Angaben oder durch täuschende Handlungen herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder das Kreditinstitut seine Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern nicht erfüllt (§ 6 Abs 2 Z 1, 2 BWG). Für den Fall, dass eine Konzessionsvoraussetzung nach § 5 Abs 1 Z 2 - 13 BWG nach Erteilung nicht mehr vorliegt oder ein Kreditinstitut einschlägige Aufsichtsgesetze verletzt, droht als eingriffsintensivste Sanktion („ultima ratio“) ebenfalls der Konzessionsentzug (§ 6 Abs 1 Z 3 iVm § 70 Abs 4 Z 3 BWG), wenn andere Maßnahme die Funktionsfähigkeit des Kreditinstituts nicht sicherstellen können (§ 6 Abs 2 BWG). Allgemeine Erlöschensgründe - Zeitablauf, Eintritt einer auflösenden Bedingung, Zurücklegung, Beendigung der Abwicklung, Konkurseröffnung sind neben der bereits erwähnten Verschmelzung in § 7 Abs 1 BWG angeführt; das Erlöschen ist jeweils durch Bescheid festzustellen. Der Sonderfall eines ipso facto bewirkten Erlöschens der Konzession ist in § 93 Abs 1 BWG geregelt: Nichtzugehörigkeit zu einer Sicherungseinrichtung löst im sachlich entsprechenden Umfang den Konzessionsverlust aus. Ein Feststellungsbescheid ist aufgrund des Verweises auf § 7 Abs 2 BWG trotzdem zu erlassen. Die Binnenorganisation von Kreditinstituten ist einerseits durch das einschlägige Gesellschaftsrecht vorgeprägt, andererseits durch aufsichtsrechtliche Vorschriften überlagert216. Bereits im Katalog der Konzessionserteilungsvoraussetzungen finden sich diesbezüglich Vorgaben wie etwa die Anforderung, dass ein Kreditinstitut über mindestens zwei Geschäftsleiter zu verfügen und das Vier-Augen-Prinzip umzusetzen hat (§ 5 Abs 1 Z 12 BWG). Zu den allgemeinen Sorgfaltspflichten von Kreditinstituten zählt die Einrichtung jener Verwaltungs-, Rechnungs- und Kontrollverfahren, die für die Erfassung und Beurteilung der bankgeschäftlichen und bankbetrieblichen Risiken des Kreditinstituts, die weitest mögliche Erfassung und Beurteilung der sich aus neuartigen Geschäften möglicherweise ergebenden Risiken sowie von Risiko213 214
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Näher Kalss, GesRZ 2000, 221. Dieser Begriff wurde nach den Materialien nach dem Vorbild des KWG beibehalten, um „jede Art von gesellschaftsrechtlichem Zusammengehen von Kreditinstituten welcher Rechtsform auch immer abzudecken, selbst wenn im Gesellschaftsrecht neue derartige Vorgänge eines Tages vorgesehen werden sollten (ErläutRV 1993). Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar § 21 Anm 11. Ausführlich zum aktuellen Stand der Organisationsanforderungen unter Berücksichtigung europäischer Entwicklungen Mülbert, BKR 2006, 349 ff.
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gleichläufen erforderlich sind (§ 39 Abs 2 BWG)217. Bereits nach § 82 AktG hat der Vorstand dafür zu sorgen, dass ein Rechnungswesen und ein internes Kontrollsystem geführt werden, die den Anforderungen des Unternehmens entsprechen218. Eine spezielle bankrechtliche Ausprägung von Kontrollmechanismen findet sich in § 24b Z 6 BWG: Das übergeordnete Kreditinstitut hat innerhalb der Kreditinstitutsgruppe Systeme zur Überwachung und Kontrolle der Devisen- und Goldpositionen einzurichten, in die auch jene Institute einzubeziehen sind, deren Devisen- und Goldpositionen nicht konsolidiert werden. Spezielle Risikomanagementvorschriften enthalten die §§ 21a ff und die §§ 39 f BWG (ICAAP- Internal Capital Adequacy Assessment Process). Auch im Hinblick auf das mit Großveranlagungen verbundene Risiko von Kreditinstituten ist die Einrichtung der erforderlichen Verwaltungs-, Rechnungs- und Kontrollverfahren vorgeschrieben (§ 27 Abs 9 BWG). § 16 WAG enthält Organisationsgrundsätze auch für Kreditinstitute, die aufgrund ihres Leistungsspektrums in den Anwendungsbereich der „Wohlverhaltensregeln“ fallen, § 82 Abs 5 Z 13 BörseG spezielle Compliance-Vorgaben zur Insiderprävention Auch die im Gesellschaftsrecht verankerten Organkompetenzen werden aufsichtsrechtlich verfeinert: So bedürfen Großveranlagungen unbeschadet der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts der ausdrücklichen vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats, wobei Vorratsbeschlüsse unzulässig sind219 (§ 27 Abs 6 BWG). Nach den Organgeschäftsregeln des § 28 BWG220 darf ein Kreditinstitut mit seinen Geschäftsleitern, Aufsichtsratsmitgliedern und sonstigen qualifizierten Personen, bei denen die Gefahr von Interessenkollisionen besteht221, Rechtsgeschäfte direkt oder indirekt nur aufgrund eines einstimmigen Beschlusses aller Geschäftsleiter und mit Zustimmung des Aufsichtsrates oder des sonst nach Gesetz oder Satzung zuständigen Aufsichtsorgans abschließen. Bei Beschlussfassungen über Organgeschäfte hat der Betroffene kein Stimmrecht222. Eine spezielle Organisationsvorgabe stellt die Verpflichtung von Kreditinstituten dar, eine „interne Revision“ einzurichten, die unmittelbar den Geschäftsleitern untersteht und ausschließlich der laufenden und umfassenden Prüfung der Gesetzmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des gesamten Unternehmens dient. Die interne Revision muss unter Bedachtnahme auf den Geschäftsumfang so ausgestattet sein, dass sie ihre Aufgaben zweck217 218
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Die Zweckmäßigkeit dieser Verfahren und deren Anwendung ist von der internen Revision mindestens einmal jährlich zu prüfen. Dazu Kalss, Das interne Kontrollsystem (IKS) als Angelpunkt der Corporate Governance in Kapitalgesellschaften, FS Krejci, 2001, 699; Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, Kommentar zum Aktiengesetz, 2003, § 82 Rz 1 ff. Göth in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 27 Rz 82 hält daher fest, dass es nicht möglich ist, Großveranlagungen einzugehen, wenn der Aufsichtsrat lediglich generell erklärt hat, dass er Großveranlagungen zB bis zu einer bestimmten Größenordnung ex ante zustimmt. Vgl dazu Bittner, Die Regelung der Organgeschäfte, in Zakostelsky/Lucius, Die BWG-Novellen 62. Vgl den Katalog des § 28 Abs 1 Z 1 bis 6 BWG. Zu dieser Regelung ausführlich Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 28 Rz 1 ff.
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entsprechend erfüllen kann (§ 42 Abs 1 BWG). Mit dem Ziel, die Bedeutung der internen Revision als institutsinternes Überwachungssystem hervorzuheben und ihre Stellung innerhalb der Kreditinstitute zu stärken, hat die FMA „Mindeststandards für die interne Revision“ vom 18.02.2005 (FMA-MS-IR) veröffentlicht223. Die FMA-MS-IR betonen die Ausschließlichkeit, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der internen Revision: Diese soll bei der Revisionsplanung, Prüfungsdurchführung, Berichterstattung und den Wertungen der Prüfungsergebnisse sowie bei der Entscheidung über die Einleitung von Sonderprüfungen keinen Weisungen unterliegen (Pkt. 4.3.1. Z 16). Im Übrigen müssen die interne Revision betreffende Verfügungen von mindestens zwei Geschäftsleitern getroffen werden (§ 42 Abs 3 BWG). Die interne Revision unterliegt einer Berichtspflicht gegenüber allen Geschäftsleitern und hat über wesentliche Prüfungsfeststellungen quartalsweise auch dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats Bericht zu erstatten224. Bei Kreditinstitutsgruppen hat die interne Revision des übergeordneten Kreditinstitutes die Aufgaben der internen Konzernrevision wahrzunehmen (§ 42 Abs 7 BWG).
C. Eigentümerbestimmungen Als Wirtschaftsaufsichtsgesetz ist dem BWG im Hinblick auf Kreditinstitute auch ein gewisses Maß an „Eigentümerkontrolle“ zu Eigen, die sich zunächst naheliegenderweise in Präventivmaßnahmen manifestiert. Dabei differenziert das Gesetz insofern, als es für die Beteiligung von Banken und Nichtbanken an Kreditinstituten jeweils unterschiedliche Voraussetzungen vorsieht; Anzeigepflichten bestehen nach folgender Maßgabe: • Nach der auf die Beteiligung von Nichtbanken zugeschnittenen Vorschrift des § 20 Abs 1 BWG hat jeder, der beabsichtigt, eine qualifizierte Beteiligung an einem Kreditinstitut direkt oder indirekt zu halten, dies zuvor der FMA unter Angabe des Betrages dieser Beteiligung schriftlich anzuzeigen225. Eine qualifizierte Beteiligung liegt vor, wenn die Beteiligungsquote (Stimmrechte oder Kapital, direkt oder indirekt) 10% beträgt, oder wenn die Möglichkeit besteht, auf die Geschäftsführung des Beteiligungsunternehmens einen maßgeblichen Einfluss auszuüben (§ 2 Z 3 BWG)226. • Jeder der beabsichtigt, seine qualifizierte Beteiligung an einem Kreditinstitut derart zu erhöhen, dass die Grenzen von 20%, 33% oder 50% der Stimmrechte oder des Kapitals erreicht oder überschritten werden, oder dass das Kreditinstitut sein Tochterunternehmen227 wird, hat dies zuvor der FMA schriftlich anzuzeigen (§ 20 Abs 2 BWG).
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Dazu Siegl, ÖBA 2005, 742. Dazu Keinert, Berichtspflicht der internen Revision an den Aufsichtsrat (§ 42 Abs 3 BWG), ÖBA 2003, 516. Dies gilt nicht für den Fall, dass die qualifizierte Beteiligung über ein Kreditinstitut gehalten werden soll, das der Bewilligungspflicht gemäß § 21 Abs 1 Z 2 BWG unterliegt. Koppensteiner, ÖBA 2005, 624. Zur Definition des Tochterunternehmens vgl § 2 Z 12 BWG, worin auf § 244 Abs 1 und 2 HGB verwiesen wird.
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Die gesetzlich verankerte Anzeigepflicht gegenüber der FMA soll dieser nicht bloß einen Überblick über die Gesellschafterstruktur eines österreichischen Kreditinstituts vermitteln, sondern trägt vor allem dem Interesse der Aufsicht Rechnung überprüfen zu können, ob Beteiligungsinhaber bzw deren Repräsentanten den für die Führung eines Kreditinstituts zu stellenden Ansprüchen genügen228. Demgemäß hat die FMA innerhalb von drei Monaten nach einer Anzeige die beabsichtigte Beteiligung zu untersagen, wenn die in § 5 Abs 1 Z 3-4a BWG genannten Voraussetzungen - es handelt sich um einen Auszug aus dem Katalog der Konzessionserteilungsvoraussetzungen - nicht vorliegen. Wird die Beteiligung nicht untersagt, so kann die FMA einen Termin vorschreiben, bis zu dem die Erwerbsabsicht verwirklicht werden muss (§ 20 Abs 3 BWG). Dadurch soll verhindert werden, dass eine Vielzahl denkbarerer Erwerbsfälle vorweg angezeigt und durch Verstreichen der Dreimonatsfrist zulässig wird229. Die Anzeigepflichten gelten nach § 20 Abs 4 in gleicher Weise für die beabsichtigte Aufgabe einer qualifizierten Beteiligung oder Unterschreitung der genannten Grenzen für Beteiligungen an einem Kreditinstitut230. Schließlich sind die Kreditinstitute selbst verpflichtet, der FMA jeden Erwerb und jede Über- und Unterschreitung der genannten Beteiligungsgrenzen unverzüglich schriftlich anzuzeigen, sobald sie davon Kenntnis erlangen (§ 20 Abs 5 BWG)231. Die der FMA eingeräumten Reaktionsmöglichkeiten im Falle des Befundes einer Gefährdung der soliden und umsichtigen Führung des Kreditinstituts durch den Einfluss qualifiziert beteiligter Eigentümer bestehen neben Aufsichtsmaßnahmen im Sinne des § 70 Abs 2 BWG oder Sanktionen gegen die Geschäftsleiter (§ 70 Abs 4 Z 2 BWG) insbesondere in der Möglichkeit, eine gerichtliche Anordnung des Ruhens der Stimmrechte zu erwirken (§ 20 Abs 6 Z 3 BWG)232. Die zivilrechtliche Wirksamkeit des Eigentumserwerbs an Aktien wird durch einen Verstoß gegen § 20 BWG nicht gehindert, wie im Übrigen durch die explizite - ansonsten überflüssige - Sanktionsmaßnahme des Ruhens der Stimmrechte belegt ist233. § 21 BWG enthält einen Katalog von Bewilligungstatbeständen, der sich zum einen auf gesellschaftsrechtliche Veränderungen bezieht, von denen ein oder mehrere - Kreditinstitut(e) betroffen sind (zB Verschmelzung oder Vereinigung gemäß § 21 Abs 1 Z 1 BWG; jede Änderung der Rechtsform eines
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Koppensteiner, ÖBA 2005, 624; Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 20 Rz 4. Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 20 Rz 39. Die FMA ist allerdings nicht berechtigt, dem Verkäufer die Veräußerung zu untersagen; sie kann lediglich aus Gründen intervenieren, die in der Person des Erwerbers liegen (Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 20 Rz 46). Dazu näher Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 20 Rz 48 ff. Der Antrag ist bei dem für den Sitz des Kreditinstituts zuständigen, zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen erster Instanz zuständigen Gerichtshof zu stellen. Ebenso Diwok in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 20 Rz 57.
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Kreditinstituts gemäß § 21 Abs 1 Z 3 BWG)234; andererseits wird das Erreichen, Überschreiten bzw Unterschreiten der Grenzen von 10%, 20%, 33% und 50% der Stimmrechte oder des Kapitals eines Kreditinstituts erfasst, sofern ein anderes Kreditinstitut diese Stimmrechte oder das Kapital direkt oder indirekt hält, erwirbt oder abgibt; ausgenommen sind Beteiligungen von Kreditinstituten an ihrem Zentralinstitut (§ 21 Abs 1 Z 2 BWG).
D. Eigenmittel, Solvabilität und Liquidität 1. Eigenmittel und Solvabilität Es liegt auf der Hand, dass die kapitalmäßige Ausstattung von Kreditinstituten aus Risikogesichtspunkten besonderes Augenmerk der Aufsicht verdient235. Aus diesem Grund hat sich das europäische Sekundärrecht ebenso wie das österreichische BWG nachhaltig mit der Risikobegrenzung durch Eigenmittelund Liquiditätsvorschriften befasst. Eigenkapital ist das einem Unternehmen von den Eigentümern zugeführte oder von dem Unternehmen erwirtschaftete und ihm belassene Kapital abzüglich der Verluste und Entnahmen. Das Eigenkapital erfüllt in einem Unternehmen eine Reihe zentraler Funktionen (Errichtungs-, Haftungs- und Garantie-, Vertrauens-, Finanzierungs- und Verteilungsfunktion)236. Als Motor der bankaufsichtlichen Eigenkapitalnormen wirkt der „Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht“ (früher: Baseler Ausschuss für Bankenbestimmungen und -überwachung), ein Ausschuss von Bankaufsichtsbehörden, der 1975 von den Präsidenten der Zentralbanken der Zehnergruppe gegründet wurde237; er tritt in der Regel bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel zusammen. Als „Meilenstein“ insbesondere im Hinblick auf die europäische Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts ist der „Basler Eigenkapitalaccord“ 1988 zu bewerten, mit dem die Basis für die Eigenmittelrichtlinie und die Solvabilitätsrichtlinie gelegt wurde; im Unterschied zu diesen Richtlinien stellt die Basler Übereinkunft - mittlerweile als „Basel I“ bezeichnet eine juristisch unverbindliche Vereinbarung zwischen den beteiligten Bankaufsichtsbehörden dar.
Eigenmittelvorschriften haben - wie im folgenden anhand des österreichischen BWG darzulegen ist - im wesentlichen zwei Stoßrichtungen: Zum einen sind jene Bankrisiken zu identifizieren, für die eine Risikovorsorge getroffen werden soll; zugleich ist dabei - im Sinne einer „Risikoschichtenbilanz“ festzulegen, wie die einzelnen Risikopositionen zu gewichten sind, zB also in Abhängigkeit von der Bonität der Kreditnehmer eines Instituts (aber auch deren geographischer Herkunft sowie der Kreditart). Zum anderen beschäftigen sich Eigenmittelvorschriften mit der Definition jener Haftungsmittel, die als taugliche „Unterlegung“ von Risiken in Frage kommen. Es geht dabei also um 234
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Zur Frage des Übergangs einer Kreditinstitutskonzession in den Fällen der Verschmelzung, Spaltung bzw Umwandlung ausführlich Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 5 Rz 7 ff. Waschbusch, Bankenaufsicht 179 spricht von einer „Schlüsselposition“ im System der Bankenaufsicht. Vgl R. Fischer in Bankrechts-Handbuch § 129 Rz 1. Dazu S. Weber, Vom juristischen Rauschen: zur rechtlichen Geltung der Standards des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht, FS Ress, 2005, 1597.
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eine Art regulatorischer Feinjustierung von Haftungsmitteln. An dem durch „Basel I“ vorgezeichneten europäischen Eigenmittelregime wurde vor allem dessen quantitative Ausrichtung kritisiert: Die Risikogeschäfte eines Instituts sind zu 8 % mit Eigenmitteln zu unterlegen, wobei den Risikoaktiva Bonitätsgewichte zugeordnet werden, die sich in erster Linie nach der Person des Vertragspartners richten und aus denen sich durch Multiplikation mit den jeweiligen Risikoaktiva der risikogewichtete Wert der anzurechnenden Geschäfte ergibt. Damit liegt ein relativ einfach zu handhabendes System vor, dem allerdings unzureichende Differenzierungsmöglichkeiten bei der Kapitalunterlegung vorgeworfen werden; die „Statik“ des quantitativen Ansatzes wird etwa an dem Beispiel deutlich, dass Kredite an Unternehmen oder an Privatpersonen immer mit 8 % Kapital zu unterlegen sind, völlig unabhängig von der Bonität der Kreditnehmer. Bankpraktiker238 gehen davon aus, dass durch diese Regelung Kredite an Kunden hoher Bonität in extremer Weise künstlich verteuert werden. Derartige regulatorische Vorgaben können durchaus Marktanteilsverschiebungen bewirken: Banken konkurrieren bei der Kreditvergabe häufig mit Nichtbanken wie zB Leasing-Gesellschaften oder mit Investoren, für die solche Eigenkapitalanforderungen nicht gelten und die daher viel preiswertere Finanzierungen anbieten können. Diesbezüglich kann auf empirische Untersuchungen verwiesen werden239. Die Bankpraxis sah in der „aufsichtsrechtlich verursachten Wettbewerbsverzerrung im Kreditgeschäft“ demnach eine wesentliche Ursache für die in den vergangenen Jahren zu beobachtende Desintermediation240. Am 03.06.1999 hat der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht unter dem Titel „A New Capital Adequacy Framework“ seinen Entwurf zur Revision der Eigenkapitalübereinkunft aus dem Jahre 1988 über die nationalen Bankaufsichtsbehörden zur Stellungnahme vorgelegt. Am 26.06.2004 haben die Notenbankgouverneure der 10er-Gruppe (G 10) und die Leiter der Aufsichtsbehörden dieser Länder der vom Baseler-Ausschuss vorgelegten Rahmenvereinbarung über die neue Eigenkapitalempfehlung für Kreditinstitute („Basel II“) zugestimmt; übergreifendes Ziel ist die Erhöhung der Stabilität des internationalen Finanzsystems; auf europäischer Ebene - der Richtlinienentwurf der Kommission wurde vom Europäischen Parlament im September 2005 angenommen wird das überarbeitete Rahmenwerk des Baseler Ausschusses durch folgende Richtlinien umgesetzt241; Die Richtlinie 2006/48/EG über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit von Kreditinstituten ersetzt die Richtlinie 2000/12/EG; die Richtlinie 2006/49/EG über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten tritt an die Stelle der „alten“ Kapitaladäquanzrichtlinie (93/6/EWG). Die „drei Säulen“ von „Basel II“ sind folgende242: 238 239
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Th. Fischer, Finanzindustrie und Risikomanagement, ÖBA 2000, 107 (112). Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Oktober 1999; von 1987 bis 1995 ging demnach der Anteil von Bankverbindlichkeiten an der Bilanzsumme Deutscher Kapitalgesellschaften des verarbeitenden Gewerbes mit 500 bis1999 Beschäftigten von 10 % auf 5 % zurück; der Anteil der Bankverbindlichkeiten an der Bilanzsumme Deutscher Kapitalgesellschaften des verarbeitenden Gewerbes mit 2000 und mehr Beschäftigten betrug 1995 sogar nur noch 1,3 %. Th. Fischer, ÖBA 2000, 112. Näheres - auch zu den österreichischen Umsetzungsschritten - auf der Homepage der FMA: www.fma.gv.at/basel2_de/baselii.htm. Vgl dazu den Überblick bei Harold/Mucknauer, Kapitaladäquanz neu, ÖBA 1999, 937; Paul, Tendenzen der Bankenaufsicht in Europa, in Hummel/Breuer, Handbuch
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Oppitz Mindesteigenkapitalanforderung für Kreditrisiken sowie Einbeziehung bisher noch nicht erfasster Risiken: Die 8 %-Relation zwischen haftenden Eigenmitteln und gewichteten Risikoaktiva soll weitergeführt werden; allerdings werden bisher nicht berücksichtigte Risiken durch die Pflicht zur Eigenkapitalunterlegung begrenzt; dazu zählen etwa das Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch sowie operationale Risiken (Betriebs-, Liquiditäts-, rechtliche und Reputationsrisiken). Weiters wird die Eigenkapitalunterlegungspflicht für das Adressenausfallrisiko stärker differenziert. Als Übergang von der quantitativen zur qualitativen Bankenaufsicht ist daran gedacht, die Bonitätsklassifizierung zunächst an externen Ratings renommierter Agenturen, später an entsprechenden internen Ratings der Banken selbst zu orientieren. Praktiker rechnen damit, dass letztlich interne Ratings auch für aufsichtsrechtliche Zwecke eine viel größere Rolle spielen werden als externe Ratings, zumal sie bereits heute einen hohen Abdeckungsgrad erreichen. Gerade im deutschsprachigen Raum ist vergleichsweise nur eine verschwindende Anzahl von Firmenkunden extern geratet. Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess der Adäquanz der Kapitalausstattung und des Risikomanagements („Supervisory Review Process“): Auch in diesem Bereich wird die qualitative Ausrichtung der Bankenaufsicht betont; im Rahmen des Überprüfungsprozesses soll das individuelle Risikoprofil einer jeden Bank bestimmt und dafür in gewissen Rhythmen vor Ort die wesentlichen Potentiale und Prozesse der Kreditinstitute untersucht werden. Es liegt auf der Hand, dass eine derart anspruchsvolle - auf die Mitwirkung der Banken bei Entwicklung interner Techniken angewiesene - Überprüfung auch (Personal-)Kapazitäten der Aufsicht fordert. Nachdem die nationalen Bankaufsichtsbehörden auch angehalten werden sollen, für ein bestimmtes Institut eine Eigenkapitalunterlegung von mehr als 8 % auch formell festzulegen, wenn dies nach der Risikostruktur erforderlich erscheint, bedeutet dies auch eine Beschneidung unternehmerischer Disposition bzw eine Ausweitung der vielfach kritisierten quasigesetzgeberischen Tätigkeit der Bankenaufsicht. Leitlinien für Offenlegungspraktiken zum Zweck einer Stärkung der Marktdisziplin durch erweiterte Transparenzvorschriften: Mit dieser dritten Säule von „Basel II“ soll eine effiziente Marktdisziplin angestrebt werden; beabsichtigt ist eine Erhöhung der Transparenz über die Risikoposition von Banken, damit die Finanzmarktteilnehmer die Kreditinstitute über ihre Renditeforderungen „disziplinieren“ können, wie in der Literatur pointiert angemerkt wurde243. Umfangreiche Anforderungen an die Offenlegung qualitativer und quantitativer Informationen betreffen im einzelnen die Kapitalstruktur und dabei insbesondere den Einsatz innovativer (derivativer) Finanzinstrumente, die Eigenkapitalverhältnisse, die stillen Reserven sowie die erhöhten Risiko- oder Verlustpotentiale. Dabei sollen sowohl Risikopositionen aus bilanziellen wie aus außerbilanziellen Geschäftsaktivitäten einer weitgehenden Publizität unterworfen werden. Die Angemessenheit der AusEuropäischer Kapitalmarkt, 2001, 135 (138 ff); Roth/Kokemoor, Auf dem Weg zu risikosensitiveren Kapitalanforderungen: Zur beabsichtigten Neuregelung der angemessenen Eigenkapitalausstattung durch den Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, WM 2000, 2409; Schulte-Mattler/Traber, Neue Aufsichtsregeln für Kreditrisiken, WM 1999, 2481; Rudolph, Neuere Entwicklungen in der bankaufsichtlichen Behandlung von Markt- und Kreditrisiken, in Grundmann, Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, 331; Jahnsen, Auswirkungen von Basel II auf Kreditinstitute und Mittelstand, ÖBA 2002, 787; Frohner/Werkthaler, Die Neue Basler Eigenkapitalvereinbarung („Basel II“), ecolex 2003, 633. Paul in Hummel/Breuer, Handbuch 147.
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gestaltung dieser Publizitätsvorschriften, die wohl vom angelsächsischen Prinzip des Investorenschutzes beeinflusst sind, wird verschiedentlich mit guten Gründen in Zweifel gezogen244.
Die Umsetzung von Basel II erfolgt in Österreich dreigliedrig, nämlich durch die BWG-Novelle BGBl I 2006/141, die Solvabilitätsverordnung der FMA (BGBl II 2006/374) und die Offenlegungsverordnung der FMA (BGBl II 2006/375). Während das BWG grundsätzliche Bestimmungen und weitreichende Verordnungsermächtigungen zu Gunsten der FMA enthält, sind die technischen Details zur Berechnung der Mindesteigenmittelerfordernisse eines Kreditinstituts der Solvabilitätsverordnung (SolvaV) vorbehalten. Die Offenlegungsverordnung (OffV) beinhaltet erweiterte Transparenzverpflichtungen für Kreditinstitute (allgemein dazu § 26 und § 26a BWG). Das BWG legt bereits die Konzessionsvoraussetzung fest, dass das Anfangskapital oder die Anfangsdotation eines Kreditinstituts mindestens € 5 Mio zu betragen hat (§ 5 Abs 1 Z 5 BWG). Mit dieser statischen Anforderung ist jedoch - im Sinne laufender Aufsicht - noch nicht abgesichert, dass die Institute jederzeit über einen angemessenen Risikopolster verfügen, der den betriebenen Bankgeschäften angemessen ist. Das BWG geht daher vom Prinzip der „Risikoschichtenbilanz“ (weighted risk assets ratio) aus, um das „Eigenmittelunterlegungserfordernis“ zu ermitteln245: Kreditinstitute und Kreditinstitutsgruppen haben demnach jederzeit über anrechenbare Eigenmittel in Höhe der Summe folgender Beträge zu verfügen (§ 22 Abs 1 BWG246): a) 8 % der „Bemessungsgrundlage“ für das Kreditrisiko gemäß § 22 Abs 2 BWG. b) Das Mindesteigenmittelerfordernis für alle Risikoarten des Handelsbuchs gemäß § 22o Abs 2 BWG. c) Das Mindesteigenmittelerfordernis für das Warenpositionsrisiko und das Fremdwährungsrisiko, einschließlich des Risikos aus Goldpositionen, jeweils für Positionen außerhalb des Handelsbuches. d) Das Mindesteigenmittelerfordernis für das operationelle Risiko gemäß § 22i BWG. e) Gegebenenfalls zusätzliche Eigenmittelerfordernisse gemäß § 29 Abs 4 und § 70 Abs 4a BWG. Die Ermittlung der Nettoposition innerhalb einer fremden Währung ist durch Aufrechnung von Positionen im und außerhalb des Handelsbuches zulässig. Nach dem Regime von Basel I konnte ein Kreditinstitut unter Zugrundelegung einer Standardrisikogewichtung von 100% maximal das 12,5-fache seiner Eigenmittel als Kredit vergeben, während eine Verfeinerung der Abbildung des Risikos durch Eigenmittelvorgaben nicht vorgesehen war. Basel II sieht demgegenüber - unter Beibehaltung einer Eigenmittelanforderung von 8% der Bemessungsgrundlage- eine differenzierende Berechnung dieser Bemessungs244 245
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Eine ausführliche Erörterung kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht erfolgen. Zu den Nachteilen des „gearing ratio“-Ansatzes, nach dem die Eigenmittel lediglich zu den Verbindlichkeiten ins Verhältnis gesetzt werden, Haushofer, Bankenaufsicht 25. Zum Verhältnis des aufsichtsrechtlichen Eigenmittelbegriffes zum betriebswirtschaftlichen Waschbusch, Bankenaufsicht 188 mwN.
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grundlage vor. Kreditinstitute können hiebei nach dem „KreditrisikoStandardansatz“ (§ 22a BWG) und dem „auf internen Ratings basierenden Ansatz“ (IRB-Ansatz; § 22b BWG) wählen. Zur Veranschaulichung: Beim Kreditrisiko-Standardansatz errechnet sich das Gewicht zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach der jeweiligen Klasse, der eine Forderung zugewiesen wird; 16 Forderungsklassen sind vorgesehen (§ 22a Abs 4 BWG), wobei etwa zwischen Forderungen an Zentralstaaten und Zentralbanken, an Institute, an Unternehmen, Retail-Forderungen und durch Immobilien besicherte Forderungen unterschieden wird. Das Gewicht zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage richtet sich dann nach der jeweiligen Klasse, der die Forderung zugewiesen wird, und wird (mit Ausnahme der Klasse „sonstige Posten“ gemäß § 22a Abs 4 Z 16 BWG) durch Verordnung der FMA bestimmt. Innerhalb der Forderungsklasse wird dann - soweit vorhanden und in der FMA-Verordnung vorgesehen - nach der durch externe Ratings bestimmten Kreditqualität differenziert. Damit wird eine qualitative Abbildung der unterschiedlichen „Qualität“ von Kreditnehmern in den Eigenmittelerfordernissen erreicht. Der IRB-Ansatz ist komplexer ausgestaltet: Kreditinstitute und Kreditinstitutsgruppen können mit Bewilligung der FMA die Bemessungsgrundlage für das Kreditrisiko mittels des auf internen Ratings basierenden Ansatzes ermitteln (§ 22b Abs 1 BWG). Bei Anwendung des IRB-Ansatzes ist jede Forderung einer von sieben Forderungsklassen nach einer angemessenen, im Zeitablauf konsistenten und nachvollziehbaren Methode zuzuordnen. Für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage ist ein bankinternes Bewertungsverfahren vorausgesetzt (zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage siehe § 22b Abs 3 BWG). Vereinfachend lässt sich sagen, dass sich die risikogewichteten Aktiva nach diesem Ansatz aus dem zusätzlichen unerwarteten Verlust ergeben, der sich aus jedem einzelnen Kredit oder aus sonstigen Aktiva ergibt. Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass der erwartete Verlust eines Kreditportfolios bereits durch Wertberechtigungen abgedeckt ist und daher kein gesonderter Bedarf nach einer Eigenmittelunterlegung besteht. Kreditinstitute, die demgegenüber zu geringe Wertberechtigungen bilden, müssen die Differenz von ihren Eigenmitteln abziehen; überschüssige Wertberichtigungen dürfen in einem beschränkten Ausmaß dem Ergänzungskapital hinzugerechnet werden (vgl § 23 Abs 13 Z 4c BWG). Die Risikokategorie des „operationellen Risikos“ muss nach Basel II ebenfalls mit Eigenkapital unterlegt werden (§§ 22i bis 22m BWG).Unter dem operationellen Risiko versteht man die Gefahr von Verlusten, die in Folge der Unangessenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder in Folge externer Ereignisse eintreten. Diese Definition schließt Rechtsrisiken ein, beinhaltet aber nicht strategische Risiken oder Reputationsrisiken247. Institute können zwischen dem „Basisindikatoransatz“ (§ 22j BWG), der eine einheitliche Bemessung des Risikos für das Kreditinstitut vorsieht, und dem „Standardansatz“ (§ 22k BWG), der eine Abstufung nach den Geschäfts-
247
EBRV zu §§ 22i bis 22m BWG.
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feldern vornimmt, sowie dem „fortgeschrittenen Messansatz“ (§ 22l BWG) wählen.248 In diesen Eigenmittelunterlegungsvorschriften ist ein „hoch differenziertes System geschäftsbegrenzender Relationen“249 zu sehen. Aus diesem Grund bedurfte es auch einer detaillierten Regelung jener Positionen, die für die Erfüllung der Eigenmittelanforderungen in Frage kommen. Diese Qualität der Eigenmittel ist in § 23 BWG geregelt; folgende Bestandteile sind demnach den Eigenmitteln zuzurechnen250: • eingezahltes Kapital; • offene Rücklagen einschließlich der Haftrücklage gemäß § 23 Abs 6 BWG; • Fonds für allgemeine Bankrisiken gemäß § 57 Abs 3 und 4 BWG; • stille Reserven gemäß § 57 Abs 1 BWG; • Ergänzungskapital gemäß § 23 Abs 7 BWG und Partizipationskapital (§ 23 Abs 4 und 5 BWG) mit Dividendennachzahlungsverpflichtung; • nachrangiges Kapital gemäß § 23 Abs 8 BWG; • Neubewertungsreserven gemäß 23 Abs 9 BWG; • Haftsummenzuschlag gemäß § 23 Abs 10 BWG; • kurzfristiges nachrangiges Kapital gemäß § 23 Abs 8a BWG251; • der Überhang der Wertberichtigungen und Rückstellungen über die erwarteten Verlustbeträge bis zu einer Höhe von 0,6% der Bemessungsgrundlage gemäß § 22 Abs 2 BWG, soweit diese bei Anwendung des auf internen Ratings basierenden Ansatzes gemäß § 22b BWG bei der Berechnung gemäß § 22b Abs 6 Z 1 BWG ermittelt werden. Diese Eigenmittelbestandteile sind vorweg um die Buchwerte jener Aktivposten zu kürzen, die aus eigener Emission stammen oder die das Kreditinstitut von einer herrschenden Gesellschaft252 erworben hat (§ 23 Abs 2 BWG); dadurch soll eine Doppelverwendung der Eigenmittel vermieden werden253. Eine Feingliederung der Eigenmittel, deren Anrechenbarkeit von Relevanz ist, enthält § 23 Abs 14 BWG: Das sog Kernkapital (Tier I-Kapital) wird unbegrenzt angerechnet. Es setzt sich aus den Positionen gemäß § 23 Abs 1 Z 1-3 abzüglich der Beträge gemäß § 23 Abs 13 Z 1 und 2 zusammen, umfasst also das eingezahlte Kapital, Vorzugsaktien, Partizipationskapital ohne Divi248
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Nach § 22n BWG können Kreditinstitute und Kreditinstitutsgruppen den fortgeschrittenen Messansatz mit dem Basisindikatoransatz oder dem Standardansatz unter bestimmten Voraussetzungen kombinieren („kombinierte Ansätze“). R. Fischer, Bankrechts-Handbuch § 129 Rz 2. Zu den Eigenmittelkomponenten ausführlich Boos in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG § 10 Rz 13 ff mwN. Eine Eigenmittelerhöhung wird nicht schon durch (unwiderrufliche) Zusagen vollzogen, sondern erst durch die Zurverfügungstellung des Kapitals: VwGH 15. 5. 2000, 95/17/0139, WBl 2001, 95. Dazu Vertneg, Das kurzfristige nachrangige Kapital als Eigenmittelbestandteil von Kreditinstituten, ÖBA 1997, 683. Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar § 23 Anm 13 setzen diesen Begriff dem des übergeordneten Kreditinstitutes gleich; Göth, in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 23 Rz 21 stellt „sinngemäß“ auf die Beherrschungstatbestände des § 30 Abs 1 BWG ab. Borns, Bankrecht 128.
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dendennachzahlungsverpflichtung, offene Rücklagen, die Haftrücklage, Zwischengewinne und den Fonds für allgemeine Bankrisiken. Von diesen Positionen sind die immateriellen Anlagewerte, der Bilanzverlust und materiell negative Ereignisse, die Aktivposten aus eigener Emission sowie die Aktivposten von einer herrschenden Gesellschaft in Abzug zu bringen. Maximal bis zur Höhe des Kernkapitals sind die sogenannten ergänzenden Eigenmittel (Tier II-Kapital) anrechenbar, die sich ihrerseits wieder in ergänzende Eigenmittel höherer und niederer Qualität unterteilen. Die ergänzenden Eigenmittel niederer Qualität sind insgesamt nur bis zu 50 % des Kernkapitals anrechenbar (§ 23 Abs 14 Z 2 und 3 BWG). Eigenmittel höherer Qualität sind die stillen Reserven, die Neubewertungsreserve, das Ergänzungskapital, das Partizipationskapital mit Dividendennachzahlungsverpflichtung sowie der Überhang von Wertberichtigungen und Rückstellungen über erwartete Verlustbeträge. Eigenmittel niederer Qualität sind das nachrangige Kapital und der Haftsummenzuschlag für Genossenschaften. Schließlich kennt das BWG noch einen dritten Eigenmittelbestandteil, nämlich die sog Drittrangmittel (Tier III-Kapital): Hiezu zählt nur das kurzfristige nachrangige Kapital, das jedoch ausschließlich für die Erfüllung des Mindesteigenmittelerfordernisses gemäß § 22o Abs 2 Z 1 bis 8 und Z 11 und 12 BWG (Risikoarten des Handelsbuchs) und nur in begrenzter Höhe verwendet werden darf. Zusätzlicher Regelungsbedarf hinsichtlich der Eigenmittelausstattung von Kreditinstituten besteht für den Fall, dass ein Kreditinstitut einen Anteil an einem anderen Kreditinstitut erwirbt: Ein und dasselbe Kapital dient dann beiden Kreditinstituten als Eigenkapital; das Beteiligungskapital der Mutter verbleibt in deren Bilanz als Aktivum und ist gleichzeitig Eigenkapital der Tochter. Durch Banktöchter und -enkel entstehende „Kreditpyramiden“ könnte die risikobegrenzende Funktion des Eigenkapitals ausgehöhlt werden, sofern keine aufsichtsrechtlichen Korrekturen implementiert werden254. Bei der Konsolidierung der Eigenmittel einer Kreditinstitutsgruppe wird das übergeordnete Kreditinstitut vom Gesetzgeber verpflichtet, neben seiner eigenen Solvabilitätsberechnung auch eine zusammengefasste (konsolidierte) Solvabilitätsberechnung vorzunehmen und für beide Berechnungen einen Solvabilitätskoeffizienten von mindestens 8 % nachzuweisen255. Unter dem hiebei zur Anwendung kommenden Prinzip der Vollkonsolidierung ist die Zusammenfassung aller Eigenmittel und aller Bemessungsgrundlagen der nachgeordneten Institute mit dem übergeordneten Kreditinstitut zu verstehen. Beteiligungen an Kredit- und Finanzinstituten, die nicht der Kreditinstitutsgruppe angehören oder nicht freiwillig gemäß § 24 Abs 4 BWG quotenkonsolidiert werden, sind nach der sogenannten Equity-Methode - einer besonderen Art der Beteiligungsbewertung - zu erfassen (§ 24 Abs 3 Z 2 BWG): Diese ermöglicht im Jahresabschluss des beteiligten 254 255
Fischer, Bankrechts-Handbuch § 129 Rz 39. Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar § 24 Anm 3; durch § 24 Abs 2 Z 1 BWG idF des FMAG wird eine beschränkte Anrechnung sogenannter hybrider Finanzinstrumente als Kernkapital im Ausmaß von 15 % des konsolidierten Kernkapitals ermöglicht
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Unternehmens eine spiegelbildliche Darstellung des anteiligen Eigenkapitals des assoziierten Unternehmens. Dazu wird der Anschaffungswert der Beteiligung um die seit dem Anschaffungszeitpunkt beim assoziierten Unternehmen eingetretenen Ereignisse bereinigt256. Anteilsrechte in Höhe von mehr als 10 % des Kapitals anderer Kredit- und Finanzinstitute, die nicht Teil der Kreditinstitutsgruppe sind, können nach § 24 Abs 4 BWG anteilsmäßig in die Konsolidierung einbezogen werden (Quotenkonsolidierung). Dabei wird im Konzernabschluss ein Teil des angeschlossenen Unternehmens erfasst, der dem Kapitalanteil der Beteiligung entspricht. Nachgeordnete Institute gemäß § 30 Abs 1 Z 7 BWG sind im Wege der Quotenkonsolidierung einzubeziehen257.
2. Liquidität Von der Eigenmittelausstattung eines Kreditinstituts ist dessen Liquidität zu unterscheiden: Darunter wird die Fähigkeit eines Kreditinstituts verstanden, alle Auszahlungen zeitgerecht und vollständig erfüllen zu können258. Auch die Liquiditätsvorschriften gehören zum Kern der wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Regelungen des BWG259. § 25 Abs 1 BWG erlegt Kreditinstituten die Verpflichtung zur Sorgetragung dafür auf, dass sie ihren Zahlungsverpflichtungen jederzeit nachkommen können. Als Instrumentarium zur Erreichung dieses Ziels sollen verschiedenen Organisations- und Handlungsvorgaben dienen: Geschäftspolitische Handelungsdeterminanten sind in der Verpflichtung zur ausreichenden Vorsorge für den Ausgleich künftiger Ungleichgewichte der Zahlungseingänge und Zahlungsausgänge durch die dauernde Haltung ausreichender flüssiger Mittel (§ 25 Abs 1 Z 2 BWG) und in den Anforderungen an die Gestaltung der Zinsanpassungs- und Kündigungsmöglichkeiten im Hinblick auf mögliche Veränderungen der Marktverhältnisse (§ 25 Abs 1 Z 4 BWG) zu sehen. Flankierend ist eine Finanz- und Liquiditätsplanung einzurichten (§ 25 Abs 1 Z 1 BWG) und sind Regelungen zur Überwachung und Kontrolle des Zinsrisikos sämtlicher Geschäfte vorzusehen (§ 25 Abs 1 Z 3 BWG). Besondere Dokumentationserfordernisse finden sich in § 25 Abs 1 Z 5 BWG (Verfügbarkeit von Unterlagen, anhand derer sich die finanzielle Lage des Kreditinstituts jederzeit mit hinreichender Genauigkeit rechnerisch bestimmen lässt). Mit diesen Vorgaben versucht das BWG dem Phänomen gerecht zu werden, dass das Gleichgewicht zwischen den Zahlungsströmen einerseits durch die permanente Liquiditätsplanung und andererseits durch die tägliche Liquiditätsdisposition sicherzustellen ist260. Inhaltlich bringt § 25 Abs 3 BWG eine Konkretisierung der Liquiditätserfordernisse insofern, als zwei Kennzahlen definiert werden: Kreditinstitute haben „als Mindesterfordernis“ flüssige Mittel ersten und zweiten Grades zu 256
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Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar § 24 Anm 26; bei der Equity-Bewertung gibt es zwei Varianten zur Ermittlung des anteiligen Eigenkapitals: Die Buchwertmethode und die Kapitalanteilsmethode; dazu Göth, in Diwok/Göth, Bankwesengesetz § 243 Rz 47. Zu Fragen der Konsolidierung auch Lejsek, Risikobezogene Eigenmittelunterlegung, in Stanzel/Raab/Schmoll, Das BWG im Bankbetrieb, 1994, 131 (150 ff). Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar § 25 Anm 5. Pauger, Bankrecht 91. Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar § 25 Anm 4.
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halten. Diese Kennzahlen stellen die Relation zwischen den flüssigen Mitteln und den jeweils fristenkonformen Einlagen und Verpflichtungen dar. Die Bemessungsgrundlage der flüssigen Mittel ersten Grades wird durch die in § 25 Abs 4 BWG aufgezählten Positionen bestimmt, also im wesentlichen kurzfristige Einlagen und Verpflichtungen aus Pensionsgeschäften sowie Verpflichtungen aus der Annahme gezogener und der Ausstellung eigener Wechsel. Flüssige Mittel ersten Grades sind im Kalenderdurchschnitt zu halten. Der Durchschnittsbetrag ergibt sich aus den arithmetischen Mittel der in § 25 Abs 7 BWG näher beschriebenen Tagesstände und derer Verpflichtungen. Flüssige Mittel ersten Grades, die zur Deckung des entsprechenden Erfordernisses herangezogen werden können, sind in § 25 Abs 6 BWG taxativ aufgezählt; es handelt sich etwa um Kassenbestände, Valuten in frei konvertierbarer Währung, gemünztes oder ungemünztes Edelmetall sowie Guthaben bei der OeNB, der EZB und anderen nationalen Zentralbanken der an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmenden Mitgliedstaaten. Die Bemessungsgrundlage für die flüssigen Mittel zweiten Grades ergibt sich durch Summierung der in § 25 Abs 8 BWG angeführten Positionen (Verpflichtungen für die Bemessung der flüssigen Mittel ersten Grades sowie verschiedene Arten von Einlagen mit Kündigungsfristen oder Laufzeiten ab sechs Monaten bis unter 36 Monaten. Die flüssigen Mittel zweiten Grades sind jeweils zum Monatsletzten zumindest im Ausmaß von 25 % der Verpflichtungen zum 15. des gleichen Kalendermonats oder des letzten vorangegangenen Geschäftstages zu halten. Als Deckungsmittel zweiten Grades dienen etwa Schecks, fällige Schuldverschreibungen, fällige Zins-, Gewinnanteil- und Erträgnisscheine, börsenotierte festverzinsliche Wertpapiere, bestimmte Taggelder und Termineinlagen. Näheres ist in § 25 Abs 10 BWG geregelt.
Kreditinstitute, die einem Zentralinstitut angeschlossen sind, haben gemäß § 25 Abs 13 BWG bei ihrem Zentralinstitut eine Liquiditätsreserve im Ausmaß von • 10 % der Spareinlagen und • 20 % der sonstigen Euro-Einlagen, • höchstens jedoch 14 % der gesamten Euro-Einlagen zu halten. Diese Liquiditätsreserve zählt zu den flüssigen Mitteln ersten Grades. Für „Großinstitute“ - am 01.03.1979 muss die Bilanzsumme mindestens 40 % der Bilanzsumme des Zentralinstituts (ohne das Bauspargeschäft) ausgewiesen haben - besteht eine Kündigungsmöglichkeit hinsichtlich des liquiditätsbezogenen Anschlusses an das Zentralinstitut: Dem Zentralinstitut ist zu erklären, dass die austrittswillige Bank nach Ablauf von drei Jahren (gerechnet vom Zeitpunkt der Erklärung) den Anschluss an das Zentralinstitut lösen wird. Ab dem Tag des Einlangens der schriftlichen Erklärung erlischt die gesetzliche Verpflichtung des Kreditinstituts, das Ausmaß der Liquiditätsreserve quartalsweise anzupassen. Ab dann kann die Liquiditätsreserve stufenweise vermindert werden. Nach Ablauf der Dreijahresfrist kann der Anschluss an das Zentralinstitut aufrechterhalten werden, in dem bis zur Höhe der bis zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Liquiditätsreserve beim Zentralinstitut weiterhin eine Liquiditätsreserve gehalten werden kann, deren jeweiliges Ausmaß der OeNB vom Zentralinstitut monatlich zu melden ist261. Der VfGH hat die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über die Liquiditätsreserve für die an ein Zentralin261
Dazu Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 25 Rz 14.
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stitut angeschlossenen Kreditinstitute, die § 14 Abs 11 KWG 1979 entspricht, im wesentlichen mit der Begründung bestätigt, dass sie gerade darauf abzielt, die rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit der Primärbanken zu erhalten, hingegen die Nachteile, die mit dem Wirtschaften kleiner und kleinster wirtschaftlicher Einheiten verbunden sind, zu minimieren262. Aus verfassungsrechtlicher Sicht wurde diskutiert, ob die Regelung der Liquiditätsreservehaltung beim Zentralinstitut, dem Gleichheitssatz, dem Eigentumsrecht bzw der Freiheit der Erwerbsausübung widerspricht263.
E. Großveranlagungen Kreditinstitute und Kreditinstitutsgruppen haben das besondere bankgeschäftliche Risiko einer Großveranlagung jederzeit angemessen zu begrenzen (§ 27 Abs 1 S 1 BWG). Diese programmatisch gefärbte Grundsatzbestimmung wird durch eine Großveranlagungsdefinition sowie begleitende Ordnungsvorschriften konkretisiert. Ergänzend haben Kreditinstitute, die § 22o BWG (Risikoarten des Handelsbuchs) anwenden, das potenzielle Veranlagungsrisiko aus Übernahmegarantien für Wertpapiere besonders zu berücksichtigen (§ 27 Abs 1 Satz 2 BWG). Das Aufsichtsziel der Großveranlagungsvorschriften des BWG liegt darin, bei den Veranlagungen einer Bank eine gewisse Mindestrisikostreuung zu gewährleisten, die verhindert, dass eine Bank ihre Mittel direkt oder indirekt in einigen wenigen Vermögensanlagen bindet und damit ihre eigene wirtschaftliche Existenz von deren Bonität abhängig macht264. Nachdem die Großkreditvorschriften als Korrektiv zum Vermögensverlustrisiko einer Bank zu sehen sind, setzt die Großveranlagungsdefinition an der Relation einer Veranlagungsposition zu den Eigenmitteln der Bank265 an: Eine Großveranlagung liegt vor, wenn die nach dem Katalog des § 27 Abs 2 Z 1 - 2 berechneten Posten bei einem Kunden oder bei einer Gruppe verbundener Kunden266 10 % der anrechenbaren Eigenmittel des Kreditinstitutes bzw der
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VfGH 23.06.1993, ÖBA 1993, 996 ff. So Mayer, Liquiditätsreservehaltung beim Zentralinstitut, ÖBA 1992, 763; derselbe, Liquiditätsreserve und Grundrechte, ÖBA 1993, 37; derselbe, Liquiditätsreserve und „Privatautonomie“, ÖBA 1993, 373 ff; dagegen Laurer, Die Liquidität und die Sondernormen für Sparkassen und Genossenschaftsbanken, ÖBA 1992, 859 und derselbe, Liquiditätsreserve und Grundrechte, ÖBA 1993, 124; für die Verfassungsmäßigkeit der Vorläuferbestimmung (§ 14 Abs 11 KWG) auch Winkler, Rechtsfragen der Haltung von Liquiditätsreserven und Mindestreserven im sektoralen Verbund der Raiffeisenbanken, JBl 1993, 137;Schäffer,Verfassungsfragen der Liquiditätsreserve und der Mindestreservehaltung, ÖBA 1993, 337; Rummel, Liquiditätsreserven im Genossenschaftsverbund, ÖBA 1993, 79. Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 27 Rz 1; vgl auch Borns, Bankrecht 173 ff. Zur Berücksichtigung von Dotationseinlagen VwGH 29.01.2004, 99/17/0135, wbl 2005, 543. Zu diesem faktische wirtschaftliche Abhängigkeiten einbeziehenden Begriff ausführlich Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 27 Rz 5 ff.
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anrechenbaren konsolidierten Eigenmittel der Kreditinstitutsgruppe erreichen und mindestens € 500.000,- betragen (§ 27 Abs 2 BWG)267. Unter dem Bagatellwert von € 500.000,- kann demnach nie eine Großveranlagung vorliegen, gleichgültig welchen Betrag die anrechenbaren Eigenmittel des Kreditinstituts erreichen268. Der aufsichtsbehördlichen Zuständigkeit vorgelagert, sieht § 27 Abs 6 BWG zunächst verbandsrechtliche Kontrollschranken für Großveranlagungen vor: Jede ermittelte Großveranlagung bedarf unbeschadet der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts der ausdrücklichen vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrates oder des sonst nach Gesetz und Satzung zuständigen Aufsichtsorgans des Kreditinstituts. Vorratsbeschlüsse sind hierbei unzulässig. Dem Aufsichtsrat bzwAufsichtsorgan ist über jede Großveranlagung mindestens einmal jährlich zu berichten269. Der Ausschluss einer Vorausgenehmigung270 hat zur Konsequenz, dass die Zustimmung normalerweise erst nach Beschlussfassung durch die Geschäftsleiter zu erfolgen hat. Es wird aber auch für möglich angesehen, dass der Aufsichtsrat den Geschäftsleitern bis zur nächsten Aufsichtsratsitzung für einzelne bereits feststehende Kreditnehmer ein Pouvoir für einen bestimmten Rahmen überträgt, der dann durch Beschluss der Geschäftsleiter durch einzelne Kreditgewährungen umgesetzt werden kann271. Fehlende vorherige Zustimmungen und damit auch nachträgliche Zustimmungen sind im bankaufsichtlichen Prüfungsbericht festzuhalten (§ 63 Abs 4 Z 2 BWG)272. Eine weitere bankinterne Kontrollmaßnahme ist in der Offenlegungspflicht nach § 27 Abs 8 BWG zu sehen: Überschreitet die ermittelte Großveranlagung 10 % 267
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Peltzer, Die sechs silbernen Regel des Bankgeschäfts, ZfgK 1992, 272 formuliert als „fünfte Regel“: „Nutze niemals die gesetzlich zulässigen Großkreditgrenzen aus. Setze dir ein eigenes Höchstkreditlimit, das signifikant unter der Hälfte der gesetzlichen Höchstgrenze liegt. Stelle jeden Kredit sofort fällig, der dieses private Limit überschreitet, egal aus welchem Grund. Lasse es niemals dazu kommen, dass der Ausfall eines einzigen Kreditnehmers mehr bedeutet als ein leicht verhageltes Jahresergebnis. Cut your losses!“. Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 27 Rz 2, der auch auf die Konsequenzen der Überschreitung dieser Grenze im Sinne von VwGH 31. 03. 1999, 96/17/0006 hinweist: Der gesamte Betrag, mit dem die Grenze von 25 % der anrechenbaren Eigenmittel überschritten wird - und nicht nur der Betrag über 500.000 Euro - zählt als Großveranlagung, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Das Unterbleiben der bankinternen Kontrollmaßnahmen führt also zu keiner zivilrechtlichen Nichtigkeit zB einer Kreditgewährung: Marek/Schmoll, Kreditgeschäft und Großkreditregelung in Stanzel/Raab/Schmoll, Das BWG im Bankbetrieb, 1994, 187 (190); OGH 27.09.2001, ÖBA 2002, 504. Vgl etwa die Zulässigkeit von in voraus erteilten Zustimmungen für Organgeschäfte nach § 28 Abs 4 BWG. Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 27 Rz 12, der die strengere Auffassung ablehnt, wonach die Genehmigung zwar nach Abschluss der Kreditvereinbarung, aber vor der Zulassung der Inanspruchnahme eingeholt werden müsse; diese Lösung erscheint nach Pötzelberger „wenig praktikabel, da sie zu häufigen, kurzfristig anberaumten Aufsichtsratssitzungen führen oder Umlaufbeschlüsse zu Regel machen würde, was eine fühlbare Störung in der Abwicklung der Kreditgeschäfte bedeuten und weder den Anforderungen der Kunden noch den Notwendigkeiten in der Geschäftsabwicklung in der Bank Rechnung tragen würde“. Borns, Bankrecht 240.
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der anrechenbaren Eigenmittel des Kreditinstituts oder beträgt sie mindestens € 750.000,- so haben sich die Geschäftsleiter vor Einräumung einer solchen Veranlagung an einen Kunden oder einer Gruppe verbundener Kunden „die wirtschaftlichen Verhältnisse der Verpflichteten und Haftenden offen legen zu lassen und sich für die Dauer der Einräumung über die wirtschaftliche Entwicklung der Verpflichteten und Haftenden sowie über die Werthaltigkeit und Durchsetzbarkeit von Sicherheiten ausreichend zu informieren sowie die laufende Vorlage von Jahresabschlüssen zu verlangen. Bei Nichtvorlage von Jahresabschlüssen hat sich der Geschäftsleiter des Kreditinstitutes anderweitig ausreichend über die Verpflichteten und Haftenden zu informieren.“273 Schließlich haben Kreditinstitute - als weitere verbandsrechtliche Vorgabe Verwaltungs-, Rechnungs- und Kontrollverfahren einzurichten, die für die Erfassung der Großveranlagungen und deren Änderungen sowie für deren Überwachung auch im Hinblick auf die Übereinstimmung mit der Kreditpolitik des Kreditinstituts erforderlich sind. Die Zweckmäßigkeit dieser Verfahren und deren Anwendung ist von der internen Revision mindestens einmal jährlich zu prüfen (§ 27 Abs 9 BWG). Zur Umsetzung dieser Bestimmung ist die Festlegung von Leitlinien für die Kreditpolitik durch Geschäftsleiterbeschluss notwendig274. Eine Überschreitung der Großveranlagungsgrenzen ist mit der Sanktion der Vorschreibung von Pönalezinsen durch die FMA gemäß § 97 Abs 1 Z 6 BWG bedroht275. Darüber hinaus steht - wegen einer Verletzung von Bestimmungen des BWG im Sinne von § 70 Abs 4 BWG - das allgemeine aufsichtsrechtliche Instrumentarium - vom zwangsstrafbewehrten Berichtigungsauftrag bis zur Zurücknahme der Konzession - zur Verfügung276.
F. Rechnungslegung der Kreditinstitute Das Bilanzrecht der Kreditinstitute ist durch ein Nebeneinander von handelsrechtlichen und bankaufsichtsrechtlichen Vorgaben gekennzeichnet. Das Bankbilanzrecht wurde eingehend „europäisiert“; grundlegend ist die „Bankbilanzrichtlinie“, welche vom Rat am 08.12.1986 nach fast zehnjährigen Verhandlungen auf Expertenebene angenommen worden ist277. Die Verzahnung 273
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Borns, Bankrecht 243 weist zurecht darauf hin, dass die allgemeine Sorgfaltsverpflichtung des § 39 BWG auch unterhalb der Offenlegungsgrenze des § 27 Abs 8 BWG Informationspflichten nach sich zieht: Das Kreditinstitut hat sich auch bei solchen Engagements über die aus der Kreditvergabe herrührenden Risken ein klares Bild zu verschaffen. Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 27 Rz 15. Diese Vorschreibung ist keine Entscheidung über eine strafrechtliche Anschuldigung im Sinn von Art 6 MRK. Es handelt sich vielmehr um eine „wirtschaftsaufsichtsrechtliche Maßnahme ohne Strafcharakter“: VfGH 13. 12. 1995, B 2286/95-7; zustimmend VwGH 22. 2. 1999, ÖBA 1999, 1030 (1031) und VwGH 26. 4. 1999, ÖBA 1999, 1032 (1033). Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 27 Rz 17, der im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - zunächst einen Vermerk im bankaufsichtlichen Prüfungsbericht für geboten erachtet, worauf dann ein Bescheid gemäß § 70 Abs 4 BWG zu erlassen wäre. Richtlinie über den Jahresabschluss und der konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten, 86/635/EWG, Abl Nr L 372/1, berichtigt durch Abl Nr L 1988, 316/51. Vgl auch die Richtlinie des Rates vom 13. 02. 1989 über die
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zwischen aufsichtsrechtlicher und rechnungslegungsrechtlicher Pflicht zur Erstellung eines Jahresabschlusses278 bedeutet, dass der Jahresabschluss auch aufsichtsrechtlichen Zielsetzungen dient279. Die geprüften Jahresabschlüsse, Lageberichte, Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte sind ebenso wie die diesbezüglichen Prüfungsberichte längstens innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres der FMA und der OeNB vorzulegen (§ 44 Abs 1 BWG). Der Jahresabschluss dient daher im Zusammenhang mit den erwähnten Berichten auch dazu, den Aufsichtsbehörden ein Bild über das jeweilige Kreditinstitut zu vermitteln280. Was die „Bilanzphilosophie“ von Kreditinstituten betrifft, so ist diese durch die primäre Bedeutung der Bilanz als solcher gekennzeichnet. Diese spiegelt das Bankgeschäft wieder und ist damit der „Grundpfeiler der Risikoerkennung des Bankgeschäfts“281. Anschaulich lässt sich diese Funktion folgendermaßen umschreiben282: „Sie [die Bilanz] dient sowohl der Risikosteuerung als auch der Liquiditätssteuerung; die Bilanz liefert Information über den Geschäftsgang und die Passivseitenstruktur einer Bank. Demgegenüber spielt die Erfolgsrechnung eine eher untergeordnete Rolle, dies wiederum im Gegensatz zu anderen Branchen, wo beispielsweise der Umsatz und der Ertragsausweis wesentliche Größen sind. Die Gewinn- und Verlustrechnung ist in dem Grundverständnis der Kreditinstitute wegen der dem Bankgeschäft inhärenten Risiken von eher zurückhaltendem Einblick in ihre Ertragslage getragen, obwohl insoweit ein Bewusstseinswandel festzustellen ist, der aus der Globalisierung und dem Wettbewerb vieler Institute um Einleger und Anleger folgt und dem Bestreben nach Gewährung eines fairen Einblicks.“ § 43 Abs 1 BWG verweist hinsichtlich der Jahres- und Konzernabschlüsse sowie der entsprechenden Lageberichte und auch deren Prüfung und Offenlegung im Wesentlichen auf die handelsrechtlichen Bestimmungen (§§ 189-283 HGB/UGB)283. Das übergeordnete Kreditinstitut hat für die Kreditinstitutsgruppe einen Konzernabschluss und einen Konzernlagebericht zu erstellen (§ 59 Abs 1 BWG). Diese Instrumente treten nicht neben den nach § 244 HGB/UGB von Kapitalgesellschaften aufzustellenden Konzernabschluss und Konzernlagebericht; das BWG ersetzt die Pflicht, einen Konzernabschluss nach allgemeinem Handelsrecht aufzustellen, durch einen eigenständigen Aufstel-
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Pflichten der in einem Mitgliedsstaat eingerichteten Zweigniederlassungen von Kreditinstituten und Finanzinstituten mit Sitz außerhalb dieses Mitgliedsstaates zur Offenlegung von Jahresabschlussunterlagen, 89/117/EWG, Abl Nr L 44/40; zur Entstehungsgeschichte und Bedeutung dieser Richtlinien ausführlich Göth, Bilanzrecht der Kreditinstitute I, 28 ff. Claussen, Bank- und Börsenrecht § 3 Rz 14. Göth, Bilanzrecht der Kreditinstitute I 108. Göth, Bilanzrecht der Kreditinstitute I 108 weist darauf hin, dass an verschiedenen Stellen der Gesetzesmaterialien die Modifikation des allgemeinen Bilanzrechts für Kreditinstitute mit der Informationsfunktion des Jahresabschlusses im Rahmen des Aufsichtsrechts begründet wird. Claussen, Bank- und Börsenrecht § 3 Rz 14 a. Claussen, Bank- und Börsenrecht § 3 Rz 14 a. Eine Gegenüberstellung anwendbarer und gemäß § 43 BWG oder „faktisch infolge Sondernormen“ nicht anwendbarer HGB-Vorschriften findet sich bei Linc in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 43 Rz 4.
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lungstatbestand und verweist hinsichtlich der anzuwendenden Einzelregelungen weitgehend auf Abschnitt 3 der im HGB/UGB enthaltenen Rechnungslegungsvorschriften 284. Die besondere aufsichtsrechtliche Akzentuierung des Bankbilanzrechts zeigt sich auch im Prüfungswesen: Der Jahresabschluss jedes Kreditinstituts und der Konzernabschluss jeder Kreditinstitutsgruppe (§ 59 Abs 1 BWG) sowie jedes Kreditinstitutskonzerns (§ 59a BWG) sind unter Einbeziehung der Buchführung, des Lageberichts und des Konzernlageberichts „durch Bankprüfer zu prüfen“ (§ 60 BWG). Bankprüfer sind „die zum Abschlussprüfer bestellten beeideten Wirtschaftsprüfer, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Prüfungsorgane (Revisoren, Prüfungsstelle des Sparkassen-Prüfungsverbandes) gesetzlich zuständiger Prüfungseinrichtungen“ (§ 61 Abs 1 BWG). Hinzuweisen ist auf die bei manchen Kreditinstituten bestehenden „gesetzlichen Prüfungseinrichtungen“: Für Kreditgenossenschaften bestehen genossenschaftliche Revisionsverbände, zum Teil Landes- und Landwirtschaftskammern; für Sparkassen die Prüfungsstelle des Sparkassen-Prüfungsverbandes. Die Prüfung durch Wirtschaftsprüfer bzw Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wird dadurch ersetzt285. Personen, bei denen Ausschließungsgründe vorliegen, dürfen nicht zu Bankprüfern bestellt werden. Die Formulierung der Ausschließungsgründe folgt mit einigen Besonderheiten § 271 HGB/UGB286. Das FMAG brachte eine Verschärfung (§ 62 BWG). Die Ersatzpflicht von Bankprüfern ist bilanzsummenorientiert gestaffelt, und zwar in sieben Schritten von einem Haftungshöchstbetrag von € 2 Mio bei einer Bilanzsumme bis € 200 Mio bis zu einem Betrag von € 18 Mio bei einer Bilanzsumme von mehr als € 15 Mia je geprüftem Kreditinstitut (§ 62a BWG). Bei Vorsatz ist die Ersatzpflicht unbegrenzt. Die Bankprüfer sind - mit Ausnahme von solchen, die Prüfungsorgane gesetzlich zuständiger Prüfungseinrichtungen sind - vor Beginn des zu prüfenden Geschäftsjahres zu bestellen287. Die Bestellung ist der FMA unverzüglich schriftlich anzuzeigen. Der Aufsichtsbehörde steht ein Widerspruchsrecht im Sinne von § 270 Abs 3 HGB/UGB für den Fall zu, dass die Bestellung des anderen Abschlussprüfers „aus einem in der Person des gewählten Prüfers liegenden wichtigen Gründen geboten erscheint, insbesondere wenn Besorgnis der Befangenheit besteht“. Über den Widerspruch hat das Gericht unter Berücksichtigung der Ausschließungsgründe zu entscheiden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Bankprüfer durch diesen aufsichtsrechtlichen Konnex zu einem Organ der Aufsichtsbehörde werden könnte288. Diese kann schließlich zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 69 Z 1 und Z 2 BWG jederzeit im Sinne einer laufenden Überwachung der Kreditinstitute durch die Bankprüfer oder die Prüfungs- und Revisionsverbände 284 285 286 287 288
Göth, Bilanzrecht der Kreditinstitute II 1. Göth, Bilanzrecht der Kreditinstitute II 80; trotzdem enthält das BWG keine zwingende „Prüferzuteilung“: VwGH 28. 2. 2000, 95/17/0192, WBl 2000/232. Ausführlich dazu Göth, Bilanzrecht der Kreditinstitute II 81 f und Linc in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 62 Rz 1 ff. Im Unterschied zur Prüfung nach dem HGB/UGB; vgl Göth, Bilanzrecht der Kreditinstitute II 82. Nach den Erläuterungen ist dies nicht der Fall (vgl 1130 BlgNR XVIII GP 148).
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alle erforderlichen Prüfungen vornehmen lassen (§ 70 Abs 1 Z 2a BWG) sowie von den Bankprüfern und den erwähnten Verbänden Prüfungsberichte und Auskünfte einholen. Diese Frage wurde in der Literatur im Zusammenhang mit amtshaftungsrechtlichen Aspekten ausführlich diskutiert289. Aufgrund des verdünnten Bezuges zur Aufsichtsbehörde - neben dem Widerspruchsrecht und der Befugnis zur Heranziehung für Prüfungen samt Berichtspflicht besteht keine aufsichtsbehördliche Ingerenz - liegt aus verwaltungsrechtlicher Sicht lediglich ein Fall der Inpflichtnahme der Bankprüfer für aufsichtsunterstützende Hilfsfunktionen vor; die Bankprüfer sind nicht berechtigt, in eigenem Namen Hoheitsakte zu setzen290. Dennoch hat der OGH in einer viel beachteten Entscheidung291 eine Einbindung des Bankprüfers in die Besorgung hoheitlicher Aufgaben angenommen, sofern die Aufsichtsbehörde aus verwaltungsökonomischen Gründen nicht über einen angemessenen eigenen Prüferstab verfügt und deshalb die bankaufsichtlichen Prüfungsberichte der Bankprüfer heranzieht, um ihrer Überwachungsfunktion nachzukommen292. Durch eine Novellierung des FMABG (BGBl I 2005/33) wurde schließlich klargestellt, dass Bankprüfer grundsätzlich nicht Organe im Sinne des § 1 Abs 1 AHG sind und daher nicht in den Anwendungsbereich der Amtshaftung fallen (§ 3 Abs 5 FMABG)293. Der Bankprüfer hat die „Gesetzmäßigkeit des Jahresabschlusses“ zu prüfen, wobei zusätzlich auf einen Katalog von prüfungspflichtigen Tatbeständen (§ 63 Abs 4 BWG) verwiesen wird. Die Prüfung geht somit über die Regelungen des HGB/UGB hinaus294. Aufgrund der gesetzlichen Formulierung wird vertreten, dass sich die Prüfungspflicht - jenseits der in diesem Katalog ange289 290
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Krejci, ÖBA 1998, 16 ff; Herbst, ÖBA 1998, 278 ff; auch Vavrovsky, Zur Haftung des Bankprüfers, ÖBA 2001, 577 (587). So bereits Herbst, ÖBA 1998, 284 und Vavrovsky, ÖBA 2001, 587; die gegenteilige Auffassung - Bankprüfer seien Organe im Sinne des AHG - vertritt Krejci, ÖBA 1998, 16 ff, der die Bankprüfer in Anlehnung an Ruess (in Fremuth/Laurer/Linc/ Pötzelberger/Ruess, BWG [1995] § 70 Rz 6) als Amtssachverständige qualifiziert und den unterschiedlichen Bestellungsmodus mit dem Argument zu überwinden versucht, dass in Anlehnung an verschiedene Lehrmeinungen eine amtshaftungsrechtliche Gleichbehandlung von Amtssachverständigen und gerichtlichen Sachverständigen im Sinne einer Anerkennung ihrer Organstellung im Sinne des § 1 Abs 2 AHG geboten sei (aaO 23). Für eine (bloße) Inpflichtnahme auch Pauger, Bankrecht 95; Aspetsberger, Bankaufsicht 88 f lehnt die Organqualität der Bankprüfer ausdrücklich ab. In der Abschlussprüferhaftungsentscheidung zur Grazer BHI-Bank (OGH 23. 10. 2000, RdW 2001, 81) wird die erwähnte Kontroverse „mit keinem Wort angesprochen“ (Gelter, BHI-Pleite: Haftung des Abschlussprüfers, RdW 2001, 59, 71). OGH 25.03.2003, 1 Ob 188/02g, ÖBA 2004, 304. Im Ergebnis teilte der OGH somit die Ansicht Krejcis, ÖBA 1998, 16 ff; die Entscheidung wurde im Schrifttum heftig kritisiert: Rebhahn, ÖBA 2004, 267; B. Raschauer, ÖBA 2004, 338; derselbe, ÖJZ 2005, 7 ff. In den Materialien (819 BlgNR, 22. GP 9) wird die diesbezügliche Abkehr von der Auffassung des OGH hervorgehoben: „Solche Abschlussprüfer oder Prüfungsorgane werden damit Sachverständigen gleichgestellt, die nach der Rechtsprechung (JBl 2001, 788) nicht Organe im Sinne des AHG sind. Für die Tätigkeit von Personen, die nicht vom Bund oder der FMA bestellt wurden, tritt keine Amtshaftung ein.“ Göth, Bilanzrecht der Kreditinstitute II 83; Linc in Fremuth/Laurer/Linc/ Pötzelberger/Strobl, BWG § 63 Rz 4.
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führten Vorschriften - grundsätzlich auf die Prüfung der Einhaltung „sämtlicher im Rahmen des BWG und anderen für Kreditinstituten wesentlichen Rechtsvorschriften enthaltenen Bestimmungen“ erstreckt295. Das Ergebnis der Prüfung ist in einen gesonderten bankaufsichtlichen Prüfungsbericht aufzunehmen, der den Geschäftsleitern und den gesetzlichen oder satzungsmäßigen Aufsichtsorganen gleichzeitig mit dem Prüfungsbericht über den Jahresabschluss zeitgerecht zu übermitteln ist (§ 63 Abs 5 BWG).
IV. Anleger- und kundenbezogene Pflichten A. Verhaltenspflichten nach BWG, WAG und BörseG Die Zielsetzungen des BWG bringen es mit sich, dass das Instrumentarium des klassischen Wirtschaftsaufsichtsrechts im Sinne behördlicher Kontrolle des laufenden Unternehmensbetriebes durch die Determination des Verhaltens von Kreditinstituten vor und während aufrechter Geschäftsbeziehung zu ihren Kunden verfeinert wird. Damit wird einerseits der Schutz der Vertragspartner des Kreditinstituts berücksichtigt296; darüber hinaus werden Standards der Dienstleistungserbringung durch Kreditinstitute gesichert, die zwangsläufig (auch) in der Einhaltung privatrechtlicher Vorschriften bestehen, die durch öffentlichrechtliche Vorschriften abgesichert oder ergänzt werden297. Ein anschauliches Beispiel hiefür ist das Bankgeheimnis298: Kreditinstitute, ihre Gesellschafter, Organmitglieder, Beschäftige sowie sonst für Kreditinstitute tätige Personen dürfen Geheimnisse, die ihnen ausschließlich auf Grund der Geschäftsverbindungen mit Kunden oder aufgrund des § 75 Abs 3 [richtig nunmehr wohl: Abs 5] BWG299 anvertraut oder zugänglich gemacht worden sind, nicht offenbaren oder verwerten (§ 38 Abs 1 BWG). Einen Katalog von Bankgeheimnisdurchbrechungstatbeständen enthält § 38 Abs 2 BWG. Aufgrund ihres aufsichtsbehördlichen Bezuges ist die Vorschrift des § 38 Abs 2 Z 9 BWG hervorzuheben, nach welcher die Verpflichtung zur Wahrung des Bankgeheimnisses „im Fall der Verpflichtung zur Auskunftserteilung an die
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Göth, Bilanzrecht der Kreditinstitute II 83. Vgl Schäffer in Raschauer, Wirtschaftsrecht Rz 502 bei und in FN 5 zu derartigen Ausprägungen der Wirtschaftsaufsicht. Grundlegend Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, 219 ff. Aus der österr Lit vgl dazu etwa Avancini in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht I 103 ff; Weissel, Das Bankgeheimnis in der österreichischen Grundrechtsordnung, ÖZW 1989, 80; Ulrich, Überlegungen zum Bankgeheimnis, in Ruppe (Hrsg), Geheimnisschutz im Wirtschaftsleben, 1980, 283; Jabornegg/Strasser/Floretta, Das Bankgeheimnis, 1985; Jabornegg, Aktuelle Fragen des Bankgeheimnisses, ÖBA 1997, 663; Arnold, Bankgeheimnis: Ausländische verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren am (qualifizierten) Prüfstand der Rechtsstaatlichkeit, ÖBA 2006, 722 ff (dazu VwGH 26.07.2006, 2004/14/0022, ÖBA 2006, 764); Flora, Die Auskunft zu Bankkonten nach dem Protokoll zum Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der EU, ÖBA 2006, 738 ff, sowie die Nachweise bei Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/ Strobl, BWG § 38. Datenbekanntgabe durch die OeNB.
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BWA gemäß WAG und dem Börsegesetz“ nicht besteht300. Während das Bankgeheimnis nach deutschem Recht zunächst auf der vertraglichen Beziehung zwischen Kunden und Bank beruht und zudem den Schutz des Grundgesetzes genießt (Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Kunden, dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht und das Berufgeheimnis der Bank aus Art 12 Abs 1 GG)301, kennt das BWG eine gesetzliche Absicherung: Verletzungen des Bankgeheimnisses sind prinzipiell Verletzungen einer gesetzlich auferlegten Pflicht302. Eine Einschränkung des Bankgeheimnisses durch vertragliche Disposition ermöglicht § 38 Abs 2 Z 5 BWG: Der Kunde muss der Offenbarung des Geheimnisses ausdrücklich und schriftlich zustimmen303. Kundenbezogene Ordnungsvorschriften finden sich auch in den Bestimmungen zu Sorgfaltspflichten und der Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung (Abschnitt X BWG): Neben der allgemeinen Sorgfaltsanforderung an Geschäftsleiter eines Kreditinstituts schreibt das BWG den Geschäftsleitern auch vor, sich über die bankgeschäftlichen und bankbetrieblichen Risiken zu informieren, diese durch angemessene Strategien und Verfahren zu steuern, zu überwachen und zu begrenzen sowie über Pläne und Verfahren gemäß § 39a BWG (Bewertung der Eigenmittelaustattung) zu verfügen (§ 39 Abs 1 S 2 BWG). § 39 Abs 2 BWG enthält die Anforderung, angemessene Verwaltungs-, Rechnungs- und Kontrollverfahren einzuführen. Schließlich haben Kreditinstitute jede Transaktion besonders sorgfältig zu prüfen, deren Art ihres Erachtens besonders nahe legt, dass sie mit Geldwäscherei304 (§ 165 StGB) oder Terrorismusfinanzierung (§ 287d StGB) zusammenhängen könnte (§ 39 Abs 3 BWG). Diese Bestimmung verpflichtet also zu einer besonderen Sorgfalt bei bestimmten Transaktionen, wobei jeder Mitarbeiter in Pflicht genommen ist305. 300
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Die Funktionsnachfolge der FMA nach der BWA wurde im Hinblick auf die Durchbrechung des Bankgeheimnisses durch das FMAG (BGBl I 2001/97) nicht ausdrücklich geregelt; aufgrund eines offensichtlichen Redaktionsversehens ist eine umfassende Funktionsnachfolge anzunehmen: Painz/Tauböck, ecolex 2002, 134; ebenso Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 2 Rz 24; aA Brandl/Wolfbauer, Finanzdienstleistungen nach dem Finanzmarktaufsichtsgesetz 39 f, welche die Gesamtrechtsnachfolge auf Privatrechtspositionen der BWA eingeschränkt sehen. Fülbier in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG § 9 Rz 10; V. Lang, Inhalt, Umfang und Reichweite des Bankgeheimnisses, ZBB 2006, 115 (118 f). So ausdrücklich Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 38 Rz 1, der die Möglichkeit differenzierenden vertraglichen Schutzes betont: „Soweit vertragliche (das Bankgeheimnis ausweitende) Regelungen davon abweichen oder konkludent ohnedies nur vereinbart wird, was § 38 vorsieht, liegen auch Verletzungen vertraglich übernommener Verpflichtungen vor.“ Zu diesem Doppelerfordernis ausführlich Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/ Pötzelberger/Strobl, BWG § 38 Rz 16. Vgl dazu etwa Burgstaller, Die neuen Geldwäschereidelikte, ÖBA 1994, 173; Hauser-Gerharter, Bestimmungen zur Sorgfaltspflicht und Geldwäscherei im Bankwesengesetz, ÖBA 1994, 295; Herzog, Geldwäschebekämpfung - quo vadis?, WM 1999, 1905; Bergles/Schirnding, Geldwäschebekämpfung durch unterstützende Research-Systeme - Umsetzung in der Bankenpraxis, ZBB 1999, 58; B. Ertl, Erhöhte Transparenz im Zahlungsverkehr zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, ÖBA 2006, 695 ff. Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 39 Rz 5.
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§ 40 BWG befasst sich mit Geldwäschereiprävention306 und präzisiert demgemäß die Sorgfaltspflichten im Hinblick auf Kundenidentifikation, Nachforschungs- und Aufbewahrungspflichten307. Kreditinstitute unterliegen schließlich auch - je nach Konzessionsumfang den „Wohlverhaltensregeln“ des WAG (§§ 11 ff): § 11 Abs 1 Z 1 erwähnt diein § 1 Abs 1 Z 7 lit b - f und Z 11 BWG genannten Bankgeschäfte, also vor allem das Effekten- und Derivatgeschäft auf eigene Rechnung oder fremde Rechnung sowie das Loroemissionsgeschäft308. Somit haben Kreditinstitute bei der Erbringung solcher Dienstleistungen zB die allgemeinen Verhaltensregeln des § 13 WAG zu beachten, in denen vor allem Aspekte der Anleger- und Anlagegerechtigkeit Berücksichtigung finden309. Kreditinstitute haben sich also um die Vermeidung von Interessenkonflikten zu bemühen, dem Kundeninteresse den Vorrang zu geben und kundenbezogene Nachforschungen (Erfahrungen und Kenntnisse, Anlageziele, finanzielle Verhältnisse) anzustellen, weiters ihren Kunden zweckdienliche Informationen mitzuteilen. Damit wird aufsichtsrechtlich verdichtet, was nach den Prinzipien der culpa in contrahendo bzw nach kommissionsrechtlichen Grundsätzen im Wesentlichen bereits zivilrechtlich gefordert ist. Auch hier zeigt sich wiederum das bereits erwähnte Zusammenwirken zwischen der privatrechtlichen Basis der aufsichtsgegenständlichen Geschäfte und der Präzisierung bzw verwaltungsrechtlichen Absicherung einzelner Verhaltenspflichten im Licht des Kundenschutzes310. Die Einhaltung des WAG ist durch die FMA zu überwachen; Kreditinstitute als Aufsichtsadressaten sind in § 24 Abs 1 Z 2 WAG ausdrücklich erwähnt. Im Übrigen wird auch die Verletzung der Wohlverhaltensregeln als Verwaltungsübertretung mit Geldstrafe bis zu € 50.000,- geahndet (§ 27 Abs 2 WAG). Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz ist die FMA (§ 28 Abs 1 WAG). Das Effektengeschäft bringt Kreditinstitute auch mit dem Börserecht in Berührung. Gemäß § 15 Abs 1 Z 1 und 2 BörseG können sie Mitglieder einer Wertpapierbörse werden und unterliegen dann den börsegesetzlichen Verhal-
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Vgl in diesem Zusammenhang auch die Rechtsquellen für sog Schwarze Listen: Verordnungsermächtigung in § 78 Abs 7 BWG; Verordnungen (EG) Nr 2580/2001 vom 27.12.2001, Abl Nr L 344/70 („Terrorismus“) und (EG) Nr 881/2002 vom 27.05.2002, Abl Nr L 139/36 („Taliban“) Vgl dazu das Rundschreiben der FMA vom 23.04.2004 zu Kontrollverfahren und Verdachtsmeldungen im Zusammenhang mit Geldwäscherei und Terrorfinanzierung sowie das Rundschreiben vom 30.01.2006 zur Identitätsfeststellung; weiters Bozkurt/Grubhofer, Kredit- und Finanzinstitute, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, ÖBA 2006, 242 (244 ff). Nach § 11 Abs 1 WAG sind darüber hinaus das Finanzdienstleistungsgeschäft gemäß § 1 Abs 1 Z 19 BWG sowie der Handel mit Finanzinstrumenten gemäß § 2 Z 34 lit e BWG, mit Verträgen über Edelmetalle und Waren gemäß Z 2 lit e, 4 und 5 der Anlage 2 zu § 22 BWG und mit Veranlagungen gemäß § 1 Abs 1 Z 3 KMG sowie die Vermittlung von Geschäftsgelegenheiten zum Erwerb oder zur Veräußerung der drei zuletzt genannten Instrumente oder Veranlagungen erwähnt. Ausführlich dazu Knobl in Frölichsthal/Hausmaninger/Knobl/Oppitz/Zeipelt, Kommentar zum WAG, 1998, § 13. Im gegebenen Zusammenhang wurden die entsprechenden Bestimmungen der EGWertpapierdienstleistungsrichtlinie umgesetzt.
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tenspflichten311. Im BörseG ist auch die sämtliche Kreditinstitute - gleichgültig ob sie Börsemitglieder, Emittenten oder nur einfache Banken ohne börserechtlichen Bezug sind - zusätzlich zu den allgemeinen Organisationsanforderungen des § 16 WAG treffende Verpflichtung enthalten, Maßnahmen zur Hintanhaltung von Insidergeschäften gemäß § 82 Abs 5 Z 1 - 3 zu treffen. Es handelt sich hiebei um „Compliance“-Maßnahmen312, nämlich um die Verpflichtung von Kreditinstituten, ihre Dienstnehmer und sonst für sie tätige Personen über das gesetzliche Verbot des Missbrauchs von Insiderinformationen zu unterrichten (Z 1), interne Richtlinien für die Informationsweitergabe im Unternehmen zu erlassen und deren Einhaltung zu überwachen (Z 2) und geeignete organisatorische Maßnahmen zur Verhinderung einer missbräuchlichen Verwendung oder Weitergabe von Insiderinformation zu treffen (Z 3)313. Auch diese Präventionsvorschriften dienen letztlich dem Kundenschutz; in der Literatur wird als Ergebnis sachgerechter und richtlinienkonformer Auslegung vertreten, dass § 82 Abs 5 BörseG die individuellen Anlegerinteressen in den Schutzbereich dieser Vorschrift einbezieht, sodass aus zivilrechtlicher Sicht Schutzgesetzcharakter zu bejahen sei314. Damit stünde Anlegern eine Anspruchsgrundlage für Schadenersatzansprüche zur Verfügung. Als Börsemitglieder sind Kreditinstitute weiters verpflichtet, bei ihrer Geschäftstätigkeit die Handelsbedingungen der Börse einzuhalten, die Sorgfalt des ordentlichen Kaufmannes zu wahren und Schädigungen des Ansehens der Börse zu vermeiden. Eine Verletzung dieser Pflichten wird verwaltungsstrafrechtlich geahndet (§ 48 Abs 1 Z 7 BörseG). Im Effektengeschäft sind für Kreditinstitute auch die im Gefolge der Marktmissbrauchsrichtlinie (2003/6/EG) und deren Durchführungsakten315 in das Börsegesetz aufgenommenen Verbotstatbestände zu beachten. Der Begriff der Marktmanipulation ist in § 48a Abs 1 Z 2 BörseG definiert316. Heikle Abgrenzungsfragen stellen sich bei der von Kreditinstituten im Zusammenhang mit dem Emissionsgeschäft praktizierten Technik der Kurspflege bzw Kursstützung. Dazu enthält die Verordnung (EG) Nr 2273/2003 der Kommission vom 22.12.2003 eine „safe harbour“-Regelung. Der safe harbour wird durch eine Definition Kursstabilisierung sowie durch einen Katalog von Freistellungsvoraussetzungen umschrieben. „Kursstabilisierung“ ist jeder Kauf bzw jedes Angebot zum Kauf relevanter Wertpapiere und jede Transaktion mit vergleichbaren verbundenen Instrumenten, die Wertpapierhäuser oder Kreditinstitute im Rahmen eines signifikanten Zeichnungsangebots für diese Wertpapiere mit dem alleinigen Ziel tätigen, den Markt311
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Die Börsemitglieder sind etwa verpflichtet, bei ihrer Geschäftstätigkeit die Handelsbedingungen der Börse einzuhalten, die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmannes zu wahren und Schädigungen des Ansehens der Börse zu vermeiden (vgl § 18 BörseG mit einem Katalog von Verhaltenspflichten). Zu den neuen Organisationsanforderungen der MiFID näher Mülbert, BKR 2006, 352. Ausführlich dazu Hausmaninger, Insider Trading,1997, 400 ff; zur Umsetzung von Compliance Codes in Kreditinstituten Hausmaninger/Kretschmer/Oppitz, Insiderrecht und Compliance, 1995, 33 ff; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 22. Hausmaninger, Insider Trading 368 und 409. Anders die hA zu den allgemeinen Organisationsanforderungen des § 16 WAG: Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 6 Rz 78 mwN sowie § 22 Rz 55. Erste Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG; zweite Durchführungsrichtlinie 2003/125/EG; dritte Durchführungsrichtlinie 2004/72/EG; erste Durchführungsverordnung 2273/2003/EG. Ausführlich dazu Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 21 Rz 3 ff.
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kurs dieser relevanten Wertpapiere für einen im voraus bestimmten Zeitraum zu stützen, wenn auf diese Wertpapiere Verkaufsdruck besteht (Art 2 Z 7 der Verordnung). Durch zeitliche Begrenzungen und betragliche Schwellenwerte einerseits und Publizitätsvorgaben andererseits soll der Anlegerschutz gewahrt werden.
B. Verbraucherbestimmungen Der VIII. Abschnitt des BWG ist den „Verbraucherbestimmungen“317 gewidmet, wobei sich der Gesetzgeber auf Verbraucherkreditverträge (§ 33 BWG), Verbrauchergirokontoverträge (§ 34 BWG), Fragen des Preisaushangs und der Werbung (§ 35 BWG), Geschäftsbeziehungen zu Jugendlichen (§ 36 BWG) und Probleme der Wertstellung (§ 37 BWG) konzentriert318. Verbraucherkreditverträge bedürfen - unbeschadet der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts - der Schriftform. Das Kreditinstitut hat bei Abschluss eines Verbraucherkreditvertrages dem Verbraucher eine in deutscher Sprache abgefasste Ausfertigung des Vertrages auszuhändigen (§ 33 Abs 2 BWG). An den Inhalt des Verbraucherkreditvertrages sind besondere Anforderungen zu stellen, die der Transparenz dienen sollen (§ 33 Abs 2 BWG). Daneben bestehen Mitteilungspflichten gegenüber dem Kreditnehmer (§ 33 Abs 6 BWG). Auch beim Verbrauchergirokontovertrag besteht das Schriftlichkeitserfordernis. § 34 Abs 2 BWG enthält einen Katalog von Angaben, der den Mindestinhalt eines derartigen Kontovertrages beschreibt. Die Informationspflicht des Kreditinstituts gegenüber dem Kunden ist in § 34 Abs 3 und 4 näher geregelt (laufende und quartalsmäßige Information über bestimmte Rahmenbedingungen). Transparenzgebote, die den Kundenschutz betreffen, sind in § 35 BWG enthalten: Kreditinstitute haben im Kassensaal bestimmte Daten „auszuhängen“; darunter fallen zB Angaben über die Verzinsung von Spareinlagen und der effektive Jahreszinssatz von Verbraucherkrediten. Weiters sind die allgemeinen Geschäftsbedingungen aushangpflichtig (§ 35 Abs 1 Z 2 BWG)319. Jede Werbung über die Bereitschaft zur Kreditgewährung hat - sofern sie Zahlenangaben über den Zinssatz oder die Kreditkosten enthält - den effektiven bzw den fiktiven Jahreszinssatz, allenfalls anhand repräsentativer Beispiele, anzugeben (§ 35 Abs 2 BWG). Besondere Schutzvorschriften für Geschäftsbeziehungen mit Jugendlichen enthält § 36 BWG. Sie betreffen im Wesentlichen die Ausgabe von Karten für den Bargeldbezug, die Ausgabe von Scheckkarten, den Geldbezug durch Geldausgabeautomaten sowie die Ausgabe von Scheckformularen320. Nach den Wertstellungsvorschriften des § 37 BWG haben Kreditinstitute im Geldverkehr mit Verbrauchern Beträge taggleich, spätestens jedoch am auf 317 318 319
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Allgemein Kümpel, Verbraucherschutz im Bank- und Kapitalmarktrecht, WM 2005,1. Dazu Rebholz, Neue Verbraucherbestimmungen im BWG, in Zakostelsky/Lucius, Die BWG-Novellen 83 ff. Auf die Verpflichtung von Kreditinstituten zu allgemeiner Information über die Konditionen grenzüberschreitender Überweisungen gemäß Art 3 und 4 der Richtlinie 97/5/EG (§ 2 Abs 2 und 3 ÜberweisungsG BGBl I 1999/123) weist Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 35 Rz 2 hin. Ausführlich dazu Borns, Bankrecht 246 und Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/ Pötzelberger/Strobl, BWG § 36 Rz 1 ff.
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die Verfügbarkeit folgenden Werktag auf dem Empfängerkonto zu berücksichtigen oder am auf die Verfügbarkeit folgenden Bankarbeitstag weiterzuleiten. Die Verfügbarkeit tritt sofort ein bei Erhalt des Betrages oder des Zahlungsauftrages unter Berücksichtigung allfälliger Valutierungsaufträge321.
C. Einlagensicherung und Anlegerentschädigung In seinem XIX. Abschnitt behandelt das BWG die Einlagensicherung und Anlegerentschädigung. Der Zweck der Einlagensicherung wird im Allgemeinen sowohl im Funktions- als auch im Gläubigerschutz gesehen322. Bankinsolvenzen können eine finanzielle Panik auslösen, die sich auch auf durchaus solvente Institute auswirkt. Das Gläubigerschutzelement ist in der Schaffung eines Standards zu sehen, der dem einzelnen Kunden erspart, die Bonität eines Kreditinstituts vor Eingehung einer Geschäftsbeziehung prüfen zu müssen, was ihm ohnehin nicht zugemutet werden kann323. Das BWG sieht dazu folgendes Instrumentarium vor: Kreditinstitute, die sicherungspflichtige Einlagen entgegennehmen oder sicherungspflichtige Wertpapierdienstleistungen durchführen, haben Sicherungseinrichtungen im Rahmen ihres Fachverbandes anzugehören (§ 93 Abs 1 S 1 BWG). Dementsprechend ordnet § 93 Abs 3 BWG an, dass jeder Fachverband eine Sicherungseinrichtung zu unterhalten hat, die alle diesem Fachverband angehörenden Kreditinstitute mit der Berechtigung zur Entgegennahme sicherungspflichtiger Einlagen und zur Durchführung sicherungspflichtiger Wertpapierdienstleistungen aufzunehmen hat. Die Sicherungseinrichtungen sind in der Form von Haftungsgesellschaften als juristische Personen zu betreiben. Es besteht also eine Art von Kontrahierungszwang. Die Kreditinstitute werden im Sinne der verba legalia nicht ex lege Mitglieder der Sicherungseinrichtung, sondern müssen „aufgenommen“ werden, was einen privatrechtlichen Rechtsakt voraussetzt. Die Aufnahme bzw der Beitritt zu einer Sicherungseinrichtung kann in gesellschaftsrechtlicher Form oder im Weg eines schuldrechtlichen Vertrages erfolgen324. Aufgrund des gesetzlichen Auftrages „zur Schaffung eines umfangreichen Vertragssystems, der sich an die Fachverbände der Banken und an die Einlagensicherungssysteme selbst richtet“ stellt sich die Frage, was zu geschehen hat, wenn ein Fachverband die Einlagensicherungseinrichtung nicht oder nicht in der vorgeschriebenen Form errichtet325; schließlich unterliegen die Fachverbände keiner bankwesenrechtlichen Aufsicht. Verschärft wird diese Fragestellung durch das Erlöschen der Konzession, sofern ein Kreditinstitut der Sicherungseinrichtung nicht angehört (§ 93 Abs 1 BWG). Richtigerweise ist diese Sanktion im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips so zu verstehen, dass nur der Fall der Säumigkeit eines Kreditinstituts in bezug auf den Beitritt zu einer ordnungsgemäß bestehenden 321
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Grundsätzlich zur Problemstellung Koziol, Die rechtliche Problematik der Wertstellung im Zahlungsverkehr, ÖBA 1989, 643. Zu grenzüberschreitenden Überweisungen vgl § 5 ÜberweisungsG. Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar § 93 Anm 2. Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar § 93 Anm 2. Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 93 Rz 8 f. Aspetsberger, Bankaufsicht 50.
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Einlagensicherungseinrichtung erfasst ist326. Existiert die Einlagensicherungseinrichtung aufgrund einer Unterlassung des Fachverbands nicht, besteht keine Notwendigkeit, vom Erlöschen der Konzession auszugehen. In der Literatur wurde mit guten Gründen bereits zur Rechtslage nach dem KWG eine Organisationsverantwortung des mit der Vollziehung betrauten BMF befürwortet: Ihm war nach alter Rechtslage die Obsorge für die ordnungsgemäße Schaffung der Einlagensicherungseinrichtungen überantwortet327. An Sicherungseinrichtungen bestehen seit dem gesetzlichen Auftrag durch das KWG 1979 idF der Novelle 1986 (Frist bis 31.12.1988) folgende: • die Einlagensicherung der Banken und der Bankiers GesmbH; • die HYPO-Haftungs Gesellschaft m.b.H.; • die Sparkassen-Haftungs Aktiengesellschaft; • die Schultze-Delitzsch-Haftungsgenossenschaft reg GenmbH; • die Österreichische Raiffeisen-Einlagensicherung reg GenmbH.
Die Sicherungseinrichtungen haben ihre Mitgliedsinstitute zu verpflichten, für den Fall einer Auszahlung gesicherter Einlagen oder von Entschädigungen gesicherter Wertpapierdienstleistungen unverzüglich anteilsmäßige Beiträge zu leisten (§ 93a Abs 1 BWG). Nach dem von den Fachverbänden praktizierten Umlageverfahren erfolgt die Auszahlung durch die Einlagensicherungseinrichtungen in eigenem Namen, die Deckung im Innenverhältnis wird durch die Beitrittsvereinbarung festgelegt328. Nach Auffassung des OGH329 trifft die Mitgliedsinstitute im Übrigen keine unmittelbare vom Gesetz angeordnete Beitragsverpflichtung, was in concreto bei der Auslegung einer Verpflichtungserklärung bedeutsam war, die im Sinne mittlerweile überholter Rechtslage die Nichtanwendbarkeit der Einlagensicherungsvorschriften auf Bauspareinlagen festhielt. Nach der BWG-Novelle BGBl 1996/445 wurde durch diese privatrechtliche Vereinbarung im Grunde ein rechtswidriger Zustand abgesichert330. Die Beitragsleistungspflicht wird mitunter als „erste Stufe“ der Sicherung bezeichnet331. In einer „zweiten Stufe“ - wenn die betroffene Sicherungseinrichtung nicht in vollem Ausmaß leistungsfähig ist - sind die Sicherungseinrichtungen der übrigen Fachverbände verpflichtet, zur Deckung des Fehlbetrages unverzüglich anteilsmäßige Beiträge zu leisten (§ 93a Abs 2 BWG). Die „dritte Stufe“ der Sicherung im Sinne von § 93a Abs 3 BWG wird aktuell, wenn die Sicherungseinrichtungen insgesamt die Auszahlung gesicherter Einlagen (Forderungen) nicht voll leisten können: Diesfalls hat die erste betroffene Sicherungseinrichtung zur Erfüllung der restlichen Auszahlungsverpflichtun326 327
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Aspetsberger, Bankaufsicht 50. Aspetsberger, Bankaufsicht 51 hält konsequenterweise einen Amtshaftungsanspruch gegen einen untätigen Fachverband oder gegen den Bund wegen allfälliger Untätigkeit des BMF für denkbar: „Wenngleich auch die Gründung einer Einlagensicherungseinrichtung durch einen Fachverband allein kein hoheitliches Tätigwerden darstellt, so kann diese Handlung (bzw deren Unterlassung) doch als in Vollziehung der Gesetze im Sinne des § 1 AHG eingestuft werden, da sie aufgrund ihres Zweckes eindeutig dem Bankaufsichtsrecht zuordnen ist.“ Zakostelsky in Zakostelsky/Lucius, Die BWG-Novellen, 154 f; Nowotny, ÖBA 2000, 534 (535) [Entscheidungsanmerkung]. ÖBA 2000, 532. Kritisch zu dieser Judikatur Nowotny, ÖBA 2000, 534. Borns, Bankrecht 375.
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gen Schuldverschreibungen auszugeben, für die der BMF nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Ermächtigung die Bundeshaftung übernehmen kann. Sicherungseinrichtungen können aber auch freiwillig Mitgliedsinstitute sanieren, was „zweifellos dem Einlegerschutz noch mehr dient als eine Abfindung mit den in § 93 Abs 3, 3a und 4 vorgesehenen Höchstbeträgen“332. Eine diesbezügliche Ermächtigung enthält § 93a Abs 6 BWG. Informationsverpflichtungen der Sicherungseinrichtungen untereinander sind in den Abs 4 und 7 des § 93a BWG vorgesehen333. Die sicherungspflichtigen Einlagen sind in § 93 Abs 2 umschrieben334. Die Sicherungseinrichtungen haben insgesamt zu gewährleisten, dass in den gesetzlich erfassten Sicherungsfällen (Konkurs, Anordnung der Geschäftsaufsicht, behördliche Verfügung einer Zahlungseinstellung, Erklärung über die Nichtverfügbarkeit der Einlagen) die Einlagen bis zu einem Höchstbetrag von € 20.000,- oder Gegenwert in fremder Währung pro Einleger335 auf dessen Verlangen und nach Legitimierung innerhalb von drei Monaten ausbezahlt werden. Mehrfachauszahlungen sind nur dann zulässig, wenn gesicherte Einlagen auf legitimierte Gemeinschaftskonten vorliegen oder wenn die aus einem legitimierten kontoberechtigten Einleger ihren Anspruch nachweisen. Soziale Härtefälle sowie Kleineinlagen auf legitimierten Konten bis zu einer Höhe von € 2.000,- sind zeitlich bevorzugt zu behandeln. Im Gefolge der durch die Richtlinie 97/9/EG vom 03.03.1997 dokumentierten sekundärrechtlichen Entwicklung wurde die „reine“ Einlagensicherung auf Wertpapierdienstleistungen ausgedehnt; im einzelnen sind folgende Wertpapierdienstleistungen sicherungspflichtig (§ 93 Abs 2a BWG): • das Depotgeschäft (§ 1 Abs 1 Z 5 BWG); • der Handel auf eigene oder fremde Rechnung mit Instrumenten gemäß § 1 Abs 1 Z 7 lit b-f BWG; • das Loroemissionsgeschäft (§ 1 Abs 1 Z 11 BWG); • das Mitarbeitervorsorgekassengeschäft (§ 1 Abs 1 Z 21 BWG). In diesem Fall zielt die Sicherung auf die Rückzahlung von Geldern, die Anlegern geschuldet werden oder gehören und für deren Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapierdienstleistungen gehalten werden oder auf die Rückgabe von Instrumenten an Anleger, die diesen gehören und für deren Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften gehalten, verwahrt oder verwaltet werden. Im Gefolge der Richtliniensystematik - Art 2 Abs 3 der Richtlinie 97/9/EG sieht ein Zuordnungswahlrecht vor - ermächtigt § 93 Abs 3 d BWG die Sicherungseinrichtung, im Fall von Forderungen aus Guthaben auf Konten, die sowohl als gesicherte Einlage als auch als sicherungspflichtige Forderung aus Wertpapiergeschäften entschädigt werden können, die Zuordnung dieser Forderungen entsprechend vorzunehmen; es besteht kein Anspruch eines Gläu332 333 334 335
Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 93 a Rz 6. Dazu ausführlich Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 93a Rz 7 mwn. Dazu näher Chini/Frölichsthal, Praxiskommentar § 93 Anm 5; Pötzelberger in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 93 Rz 3; Borns, Bankrecht 310 ff. Dazu OGH 10. 11. 1999, ÖBA 2000, 536 = EvBl 2000/77: Auch bei Gemeinschaftskonten sind daher mehrere gesicherte Anspruchsberechtigte möglich.
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bigers auf Doppelentschädigung dadurch, dass für ein und dieselben Forderung nach beiden Systemen Entschädigung ausbezahlt wird. Die Zuordnung hat nach den Vorgaben von § 93 Abs 3d Z 1 und 2 so zu erfolgen, dass Gelder „am Hinweg“ zum Kreditinstitut336 der Einlagensicherung zuzuordnen sind, Gelder „am Rückweg“337 der Anlegerentschädigung.
V. Geschäftsaufsicht über Kreditinstitute Für Kreditinstitute enthält das BWG sonderinsolvenzrechtliche Vorschriften, die im System der Bankenaufsicht den berichtigenden Instrumenten zugezählt werden können338. Im Hinblick auf das „Krisenmanagement“ von Kreditinstituten hat die Richtlinie 2001/24/EG über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten339 Regelungen eingeführt, die den Behörden oder Gerichten des Herkunftsmitgliedstaats die alleinige Befugnis zur Anordnung und Durchführung von Sanierungsmaßnahmen übertragen340. Die von den Herkunftsmitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen sind in den übrigen Staaten anzuerkennen (Art 3 ff der Richtlinie 2001/24/EG). In Umsetzung der sekundärrechtlichen Vorgaben erklärt § 81 Abs 2 BWG das Geschäftsaufsichtsverfahren zu einer Sanierungsmaßnahme im Sinne des Art 2 der Richtlinie 2001/24/EG. Die Wirkungen eines in Österreich eröffneten Geschäftsaufsichtsverfahrens werden grundsätzlich auf das im gesamten EWR gelegene Vermögen unter Einschluss der Zweigstellen des Kreditinstituts erstreckt; eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats ergangene Entscheidung zur Durchführung einer Maßnahme zur Sanierung eines Kreditinstituts ist in Österreich ohne weitere Formalität wirksam, sobald die Entscheidung in dem Mitgliedstaat, in dem das Verfahren eröffnet wurde, wirksam wird (§ 81 Abs 3 BWG).341 Kreditinstitute, die überschuldet oder zahlungsunfähig sind, können, wenn die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit voraussichtlich wieder behoben werden kann, bei dem für die Konkurseröffnung zuständigen Gericht die Anordnung der Geschäftsaufsicht beantragen. Diesen Antrag kann auch die FMA stellen (§ 83 Abs 1 BWG). Die Geschäftsaufsicht wird vom Gericht beschlussmäßig angeordnet. Das Gericht hat eine „physische oder juristische Person als Aufsichtsperson zu bestellen“ (§ 84 Abs 1 BWG). Die Aufsichtsperson hat die Geschäftsführung der Organe des Kreditinstituts zu überwachen342. Flankierende Bestimmungen sollen die Effizienz der Aufsicht gewährleisten: Die Aufsichtsperson hat das Recht, in die Geschäftsunterlagen des Kreditinstituts Einsicht zu nehmen und ist zu den Sitzungen der Verwaltungs- und Aufsichtsor336 337 338 339 340 341
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Etwa zur Deckung von Kauforders. Vor allem Verkaufserlöse. Pauger, Bankrecht 101 f. Abl Nr L 125/15 vom 05.05.2001. Vgl 6. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/24/EG. Zu den Sonderbestimmungen der Richtlinie und der österreichischen Umsetzung ausführlich Engelhart, Geschäftsaufsicht 35 ff; zur Richtlinie auch Schnyder, Europäisches Banken- und Versicherungsrecht § 9 Rz 255 ff. Ebenso wie beim Masseverwalter wird eine amtshaftungsrechtliche Grundlage für allfällige Haftungsfälle verneint: Vgl Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/ Pötzelberger/Strobl, BWG § 84 Rz 1.
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gane einzuladen. Sie kann auch selbst solche Sitzungen einberufen. Das Untersagungsrecht im Hinblick auf die „Durchführung von Beschlüssen der Organe des Kreditinstituts“ gemäß § 84 Abs 2 BWG ist weiter als jenes, welches den Staatskommissären eingeräumt ist und erfasst daher auch Beschlüsse der Geschäftsleiter sowie der Generalversammlung343. Die Anordnung der Geschäftsaufsicht und die Aufsichtsperson sind öffentlich bekannt zu machen (§ 85 BWG). Sobald die Geschäftsaufsicht wirksam geworden ist, tritt ex lege eine Stundung der „alten“ Forderungen gegen das Kreditinstitut ein (§ 86 Abs 1 BWG). Die alten Forderungen dürfen während der Geschäftsaufsicht weder sichergestellt noch, soweit nicht etwa eine teilweise Auszahlung durch das Gericht zugelassen wurde, ausbezahlt oder in irgendeiner Weise befriedigt werden (§ 86 Abs 3 BWG). Stundungsunterworfene Forderungen bieten auch keine Grundlage für eine Konkurseröffnung oder für den Erwerb eines richterlichen Pfand- und Befriedigungsrechts (§ 86 Abs 4 BWG). Die Phase der Geschäftsaufsicht soll vielmehr vor allem der Klärung dienen, ob ein Konkursverfahren eröffnet werden muss oder eine Sanierung des Kreditinstituts möglich ist. Zu diesem Zweck hat das Gericht den finanziellen Stand des Kreditinstituts auf dessen Kosten durch Sachverständige feststellen zu lassen. Über das Ergebnis der Feststellung hat die Aufsichtsperson dem Gericht schriftlich zu berichten (§ 86 Abs 2 BWG). Da durch die Geschäftsaufsicht allein noch kein insolvenzrechtliches Präjudiz geschaffen werden soll, kann das Kreditinstitut auch seine Geschäftstätigkeit fortsetzen, sofern das Gericht nicht auf Antrag der Aufsichtsperson etwas anderes verfügt (§ 87 Abs 2 BWG)344 . Die Geschäftsaufsicht erlischt durch Aufhebungsbeschluss des Gerichtes sowie durch Eröffnung des Konkursverfahrens. Das Gericht hat die Geschäftsaufsicht nach § 90 Abs 2 BWG aufzuheben, wenn • die Voraussetzungen, die für die Anordnung maßgebend waren, weggefallen sind oder • seit der Anordnung der Geschäftsaufsicht ein Jahr verstrichen ist. Kreditinstituten steht weder das Ausgleichsverfahren noch das Unternehmensreorganisationsverfahren offen. Im Konkursverfahren ist kein Zwangsausgleich möglich (§ 82 Abs 1 BWG). Der Antrag auf Eröffnung des Konkurses kann wiederum nur von der FMA, während aufrechter Geschäftsaufsicht nur von der Aufsichtsperson gestellt werden (§ 82 Abs 3 BWG).
343 344
Vgl Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl, BWG § 85 Rz 2. Zur Vornahme von Geschäften, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, ist jedoch die Zustimmung der Aufsichtsperson erforderlich. Der Aufsichtsperson steht darüber hinaus ein „Sondereinspruchsrecht“ bezüglich solcher Handlungen zu, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören.
Stephan Korinek
Versicherungsaufsichtsrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................112 Grundlegende Literatur...................................................................................113 I. Grundlagen ................................................................................................113 A. Allgemeines............................................................................................113 1. Einleitung ..........................................................................................113 2. Geschichte .........................................................................................114 3. Ziel und Funktion der Versicherungsaufsicht ...................................120 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................123 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................123 1. Geschichte .........................................................................................124 2. Einheitliche Zulassung und Sitzlandkontrolle...................................127 3. Verbot der präventiven Produktkontrolle und Informationsprinzip..128 4. Ausblick: Solvency II........................................................................130 II. Anwendungsbereich des VAG ................................................................130 A. Inländische Versicherungsunternehmen................................................130 1. Vollanwendungsbereich ....................................................................130 2. Eingeschränkte Anwendung..............................................................131 3. Ausnahmen vom Anwendungsbereich..............................................131 B. Vertragsstaatsunternehmen ...................................................................131 C. Drittstaatsunternehmen .........................................................................132 III. Aufsichtsmittel........................................................................................132 A. Allgemeines............................................................................................132 B. Konzession .............................................................................................133 1. Grundsätzliches zum Konzessionssystem .........................................133 2. Zulassungskriterien ...........................................................................135 C. Verhaltensnormen für die Führung von Versicherungsunternehmen ...142 1. Aktionärskontrolle (§ 11a VAG).......................................................142 2. Interne Revision, Kontrolle und Risikomanagement (§ 17b VAG) ..143 3. Prämienkalkulation und Deckungsstock (§§ 18 ff VAG) .................144 4. Verantwortlicher Aktuar (§§ 24 f VAG)...........................................146 5. Vorschriften über die Kapitalausstattung und Kapitalanlage (§§ 73a ff VAG) ...............................................................................147 6. Vorschriften über die Rechnungslegung (§§ 80 ff VAG) .................149 7. Genehmigungspflichten ....................................................................150 D. Beaufsichtigung.....................................................................................151 1. Generalklausel § 99 VAG .................................................................151 2. Auskunfts-, Vorlage- und Anzeigepflicht (§ 100 VAG)...................152 3. Prüfung vor Ort (§§ 101 ff VAG) .....................................................152 4. Auskunftsperson (§ 103 VAG) .........................................................153
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5. Berichtspflichten............................................................................... 153 6. Weitere Erkenntnismittel .................................................................. 154 E. Berichtigung.......................................................................................... 154 1. Eingriffstatbestände .......................................................................... 155 2. Anordnungen der FMA..................................................................... 157 3. Berichtigung gegenüber Vertragsstaatsunternehmen........................ 161 F. Verwaltungsstrafen ............................................................................... 162 IV. Aufsichtsbehörde ................................................................................... 162 Rechtsgrundlagen: EU-Recht1: RL 73/239/EWG (Erste RL Nicht-Leben), Abl 1973 L 228/3 idF RL 2005/68/EG; RL 78/473/EWG (Mitversicherungs-RL), Abl 1978 L 151/25; RL 88/357/EWG (Zweite RL Nicht-Leben), Abl 1988 L 172/1 idF RL 2005/14/EG; RL 91/371/EWG, Abl 1991 L 205/48; RL 91/674/EWG (Versicherungsbilanz-RL), Abl 1991 L 374/7; RL 92/49/EWG (Dritte RL Nicht-Leben), Abl 1992 L 228/1 idF RL 2005/68/EG; RL 95/26/EG (BCCI-RL), Abl 1995 L 168/7; RL 98/78/EG (Versicherungsgruppen-RL), Abl 1998 L 330/1 idF RL 2005/68/EG; RL 2001/17/EG (Versicherungsliquidations-RL), Abl 2001 L 110/28; RL 2002/83/EG (RL Leben)2, Abl 2002 L 345/1; RL 2002/87/EG (Finanzkonglomerate-RL), Abl 2003 L 35/1; RL 2005/60/EWG (Geldwäsche-RL)3, Abl 2005 L 309/15; RL 2005/68/EG (Rückversicherungs-RL), Abl 2005 L 323/1. BG: Versicherungsaufsichtsgesetz - VAG, BGBl 1978/569 idF BGBl I 2006/104; Finanzmarktaufsichtsgesetz - FMABG, BGBl I 2001/97 idF BGBl 2006/141; Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetz 1994 - KHVG 1994, BGBl 1994/651 idF BGBl I 2005/19. VO: VO über die Untersagung außervertraglicher Leistungen, BGBl 1981/414; Treuhänder-VO 1987, BGBl 1986/682 idF BGBl 1990/614; VO über die Rechnungslegung kleiner VVaG, BGBl 1990/749 idF BGBl II 2002/32; Schwankungsrückstellungs-VO, BGBl 1991/545 idF BGBl II 1997/66; Rechnungslegungs-VO, BGBl 1992/757 idF BGBl II 2006/466; Höchstzinssatz-VO, BGBl 1995/70 idF BGBl II 2005/227; MeldeVO, BGBl II 2002/89 idF BGBl II 2005/381; Kapitalanlage-VO 2002, BGBl II 2002/383 idF BGBl II 2006/289; Vermögenswerte-Verzeichnis-VO, BGBl II 2002/505 idF BGBl II 2006/435; Beerdigungskosten-VO, BGBl II 2003/600; FMA-Kosten-VO, BGBl II 2003/340 idF BGBl II 2004/399; FMA-Gebühren-VO, BGBl II 2004/230 idF BGBl II 2006/465; Zusatzrückstellungs-VO, BGBl II 2003/450; VO über versicherungsmathematische Grundlagen, BGBl II 2005/110; Aktuarsberichts-VO, BGBl II 2005/228 idF BGBl II 2006/396; Gewinnplan-VO, BGBl II 2006/397; Gewinnbeteiligungs-VO, BGBl II 2006/398.
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Zur aktuellen Gesetzgebung s: http://www.europa.eu.int/comm/ internal_market/ insurance/ legis-inforce_de.htm; zu den RL für die Kfz-Haftpflichtversicherung I.C.1.d. Mit dieser konsolidierten Lebensversicherungsrichtlinie wurden die Erste, Zweite und Dritte RL Leben (79/267/EWG, 90/619/EWG und 92/96/EWG) aufgehoben. Ersetzt die RL 91/308/EWG und 2001/97/EG.
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Grundlegende Literatur: Baran, Auswirkungen der EG-Richtlinien auf das Versicherungsrecht, VR 1994, 225; Baran, VAG3, 2000; Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 1999; Fahr/Kaulbach, (deutsches) Versicherungsaufsichtsgesetz3, 2003; Fenyves/St. Korinek, Das österreichische Versicherungsaufsichtsrecht im Überblick, ZfV 1999, 158; St. Korinek, Amtshaftung für fehlerhafte Versicherungsaufsicht, ÖJZ 2000, 741; St. Korinek, Rechtsaufsicht über Versicherungsunternehmen, 2000; Kraus, Versicherungsaufsichtsrecht, 1971; Miersch, Versicherungsaufsicht nach den Dritten Richtlinien, 1996; H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, 1995; H. Müller, Aufsicht über Versicherungsgruppen, FS Baumann, 1999, 229; Ogris, Zur Entwicklung des Versicherungsaufsichtsrechts und des Vertragsversicherungsrechts in Österreich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Monarchie, in: Rohrbach (Hrsg), Versicherungsgeschichte Österreichs II - Die Ära des klassischen Versicherungswesens, 1988, 1; Prölss, (deutsches) Versicherungsaufsichtsgesetz12, 2005; Reti, Versicherungsaufsichtsrecht und Europäische Integration, 1992; Schäffer, Wirtschaftsaufsichtsrecht, in: B. Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, Rz 501; Schnyder, Europäisches Banken- und Versicherungsrecht, 2005; Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967; Zischka, Bundesversicherungsaufsichtsamt (BAV) Aufgaben und Kompetenzen, 1997.
I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Einleitung Seit über 100 Jahren existiert in Österreich eine spezielle staatliche Aufsicht über Versicherungsunternehmen. Mit dem Versicherungsregulativ 1880 (RGBl 1880/110) wurde erstmalig in Europa eine sog „materielle Staatsaufsicht“ geschaffen4: eine Aufsicht, die nach der Konzessionserteilung fortlaufend den Geschäftsbetrieb der Versicherungsunternehmen kontrolliert, und zwar durch Prüfungen und Entscheidungen materieller Art. In den letzten Jahren hat das österreichische Versicherungsaufsichtsrecht durch den Beitritt zum EWR und später zur Europäischen Union und der damit erfolgten Übernahme des „acquis communautaire“ gewaltige Veränderungen erfahren. Um einen auf Produktwettbewerb basierenden Binnenmarkt für das Versicherungswesen zu schaffen, wurde das Versicherungsaufsichtsrecht liberalisiert. Kennzeichnend sind va das Prinzip der einheitlichen Zulassung und der Sitzlandkontrolle sowie der Entfall der Genehmigungspflicht für Allgemeine Versicherungsbedingungen, die seit 1880 die österreichische Versicherungsaufsicht geprägt hatte. Die österreichische Versicherungsaufsicht übt eine umfassende Kontrolle von der Zulassung eines Versicherungsunternehmens bis zu seiner Liquidation aus. Die Tätigkeit der Versicherungsunternehmen wird fortlaufend überwacht, damit die Aufsichtsbehörde Kenntnis von der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage der Versicherungsunternehmen erlangt. Zwar kann die Finanzmarktaufsichtbehörde (FMA) in bestimmten Fällen in den Geschäftsbetrieb der Versicherungsunternehmen eingreifen, grundsätzlich bleibt das Prinzip der 4
Vgl Ehrenzweig, Versicherungsvertragsrecht I, 1935, 17.
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Eigenverantwortlichkeit und Eigenverwaltung der Versicherungsunternehmen aber unangetastet. Die Versicherungsaufsicht ist also kein Instrument der Wirtschaftslenkung. Aufsichtsobjekt ist immer das jeweilige Versicherungsunternehmen; allerdings bestehen bei Versicherungsgruppen und Finanzkonglomeraten (seit 2000 bzw 2004; s unten 2.) zusätzliche Aufsichtsvorschriften („Solo-plusAufsicht“). Die Versicherungsaufsicht umfasst aber - auch nach Umsetzung der Versicherungsvermittlungsrichtlinie5 - grundsätzlich nicht die Versicherungsvermittler: Vielmehr obliegt die Aufsicht über die gewerblichen Versicherungsvermittler den Gewerbebehörden, die FMA hat nur die Versicherungsvermittlung durch Kreditinstitute zu beaufsichtigen6. Das VAG ist ein „Regelungsmix“7: Es umfasst nicht nur Verwaltungsrecht, sondern auch Handelsrecht (s die Regelungen über die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, 3. Hauptstück, §§ 26 ff VAG, und die Rechnungslegungsvorschriften, 5. Hauptstück, §§ 80 ff VAG), Exekutions- und Insolvenzrecht (7. Hauptstück, §§ 87 ff VAG) und Strafrecht: zum ganz überwiegenden Teil Verwaltungsstrafrecht (§§ 107b-112 VAG); in einzelnen Fällen ist aber ein gerichtliches Strafverfahren vorgesehen (vgl § 113 iVm § 89 Abs 1 VAG).
2. Geschichte8 a) Anfänge der Versicherungsaufsicht Das Versicherungsregulativ 1880 statuierte eine Genehmigungspflicht für die Statuten, die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie - in der Lebensversicherung - die Nettoprämientarife9 und umfasste auch Kapitalanlagevorschriften. Durch die Neufassung des Versicherungsregulativs in den Jahren 189610 und 192111 wurde das Versicherungsaufsichtsrecht überarbeitet und ergänzt. Nach dem Anschluss an das Deutsche Reich wurden durch die Verordnung vom 28. 2. 193912, die auf Grund des „Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ vom 13. 3. 193813 ergangen war, das deutsche VAG 193114, das
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RL 2002/92/EG, Abl 2003 L 9/3; BGBl I 2004/131. Vgl Höllerer/St. Korinek, Versicherungsvermittlung durch Kreditinstitute, ÖBA 2005, 369. Vgl Fenyves/St. Korinek, 164 f. Vgl va Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 1 ff; Fenyves/St. Korinek, 160 ff; Ogris. Eine Genehmigungspflicht für AVB war schon durch den Ministerialerlass vom 23. 11. 1860 vorgesehen worden, sie bestand aber lange Zeit nur am Papier (Ogris, 119). Der Inhalt der AVB war aber ungeregelt geblieben. VO vom 15. 3. 1896 „betreffend die Einrichtung, die Errichtung und Geschäftsgebarung von Versicherungsanstalten“, RGBl 31. VO vom 7. 3. 1921, BGBl 141. DRGBl I 365. DRGBl I 237. Gesetz vom 6. 6. 1931, dRGBl I 315. Zur Entwicklung des deutschen VAG vgl Tigges, Geschichte und Entwicklung der Versicherungsaufsicht, 1985; Büchner, Die Entwicklung der deutschen Gesetzgebung über die Versicherungsaufsicht bis zum
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Gesetz über die Befugnisse der Versicherungsaufsichtsbehörden 193415 sowie einige Verordnungen16 in Kraft gesetzt. Gleichzeitig wurde das Versicherungsregulativ von 1921 und diverse Nebengesetze aufgehoben17. 1945 wurde das deutsche VAG 1931 in der Fassung vom 8. 5. 1945 in das österreichische Recht übergeleitet18, wobei die Aufsichtskompetenz vom Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung wieder auf den BMF überging19.
b) VAG 1978 Trotz erster Entwürfe in den Jahren 1951 und 195220 wurde erst 1978 ein neues österreichisches VAG beschlossen. Im VAG 197821 wurde das bestehende System des Versicherungsaufsichtsrechts beibehalten und zugleich der Versuch unternommen, das VAG in unzweifelhafter Weise mit dem Legalitätsprinzip in Einklang zu bringen22. Bezüglich der inhaltlichen Gebundenheit an das Gesetz wird nämlich durch Art 18 Abs 1 B-VG ein strengerer Maßstab gelegt als in Deutschland. Zwar ermächtigt das österreichische Recht sämtliche Verwaltungsbehörden, innerhalb ihres Wirkungsbereiches Durchführungsverordnungen zu erlassen, während in Deutschland die Behörde lediglich im Falle einer besonderen Verordnungsermächtigung zum Erlassen einer Verordnung befugt ist. Wenn aber eine solche Verordnungsermächtigung vorhanden ist, wird in Deutschland - anders als in Österreich - auch eine formalgesetzliche Delegation als zulässig erachtet23. Die gewollte größere inhaltliche Bestimmtheit der Regelungen des VAG kann freilich schon aus der Natur der geregelten Materie24
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Bundesgesetz vom 31. Juli 1951, in: Rohrbeck, Fünfzig Jahre materielle Versicherungsaufsicht I, 1955, 1; Goldberg/H. Müller, VAG, 1980, Einl Anm 8 ff. DRGBl I 1189. VO des Reichspräsidenten über das Reichsaufsichtsamt vom 27. 9. 1931; VO über die Beaufsichtigung der inländischen privaten Rückversicherungsunternehmungen vom 2. 12. 1931; DVO zum VAG vom 21. 4. 1936. Vgl § 3 der VO vom 28. 2. 1939, RGBl I 366. § 2 Rechts-Überleitungsgesetz (R-ÜG), StGBl 1945/6. § 34 Behörden-Überleitungsgesetz (Behörden-ÜG), StGBl 1945/94. Nach dem Zusammenbruch der Phönix-Versicherungs AG 1936 war die Aufsichtskompetenz vom BMI auf den BMF übertragen worden (BGBl 1936/107). Vgl 764 BlgNR 14. GP 28. BGBl 1978/569, in Kraft getreten am 1. 1. 1979. 764 BlgNR 14. GP 29. Vgl auch Reichert-Facilides, Rechtswissenschaftliche Anmerkungen zum neuen österreichischen VAG, VR 1980, 320; Pollak, Der Entwurf des neuen österreichischen Versicherungsaufsichtsgesetzes, VR 1976, 329. Die wesentlichen Entscheidungen müssen aber nach hL durch Gesetz getroffen werden. Zu diesem „Wesentlichkeitsprinzip“ vgl K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland20, 1999, Rz 509; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland II, 1980, 659 f. Der Sache nach ist der Unterschied zu dem in Österreich vertretenen „differenzierten Legalitätsprinzip“, wonach die Anforderung an die Bestimmtheit einer gesetzlichen Regelung vom jeweiligen Regelungsgegenstand abhängt, aber nicht so groß. Zum Grundsatz des differenzierten Legalitätsprinzips vgl K. Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung, 1993, 60, 71, jeweils mwN. Gerade im Wirtschaftsrecht ist oft ein rasches Eingehen auf nicht (völlig) vorhersehbare Umstände notwendig. In diesen Fällen ist ein geringerer Determinierungsgrad gegenstandsadäquat und daher ausreichend. Vgl St. Korinek, Rechtsaufsicht, 79.
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nicht immer erreicht werden. Die Umwandlung von „Kann-“ in „MussBestimmungen“25, zu der beispielsweise Lorenz-Liburnau bemerkte, dass sich nunmehr vielfach das freie Ermessen hinter unbestimmten Gesetzesbegriffen verberge26, ist wohl va für den Rechtsschutz bedeutsam: Die Überprüfungsmöglichkeit des VwGH ist bei unbestimmten Gesetzesbegriffen weiter als bei Ermessensregelungen, bei denen die Verwaltungsbehörde ja „bloß“ im Sinne des Gesetzes tätig werden muss (Art 130 Abs 2 B-VG). c) Novellen zum VAG 1978 Mit der Erlassung des VAG war die Entwicklung des Versicherungsaufsichtsrechts keineswegs abgeschlossen. Mittlerweile wurden bereits fast 50 (!)27 Novellen28 zum VAG erlassen; auf die wesentlichen Änderungen wird im Folgenden hingewiesen: Die VAG-Novelle 198629 stand bereits im Lichte der europäischen Integration, wie insbesondere die Neuregelung der Kapitalausstattung iSd Solvabilitätssystems30 der EG 25
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So zB der Eingriffstatbestand § 104 VAG 1978. Die vergleichbare deutsche Regelung (§ 81 Abs 2 dVAG) ist dagegen auch nach ihrer Neuformulierung durch die Novelle vom 28. Juli 1994 (dBGBl I 1630 ff) eine „Kann-Bestimmung“. Lorenz-Liburnau, Was ist neu am neuen VAG?, VR 1980, 306. In der Vorauflage war noch von „mehr als 20“ die Rede; das mittlerweile permanente Ändern des Gesetzes (2004 und 2005 je fünf Mal!) widerspricht rechtsstaatlichen Gedanken diametral und ist letztlich ein Armutszeugnis europäischer und österreichischer Gesetzgebung. Auch scheint das Schlagwort der Europäischen Kommission „better regulation“ wenig mit der Realität zu tun zu haben. Gut wäre es, würde folgendes Buch mehr gelesen: G. Müller, Elemente der Rechtssetzungslehre, 1999. BGBl 1982/370 (Insolvenzrechtsänderungsgesetz 1982); BGBl 1982/567 (Änderung des VAG); BGBl 1986/558 (VAG-Novelle 1986); BGBl 1989/561 (VfGH); BGBl 1990/181 (VAG-Novelle 1990); BGBl 1990/281 (Pensionskassengesetz - PKG); BGBl 1990/475 (Rechnungslegungsgesetz - RLG); BGBl 1990/648 (VfGH); BGBl 1991/10 (in Zusammenhang mit Erlassen des Firmenbuchgesetzes); BGBl 1991/411 (1. VAG-Novelle 1991); BGBl 1991/625 (in Zusammenhang mit Erlassen des Kapitalmarktgesetzes - KWG); BGBl 1992/13 (2. VAG-Novelle 1991); BGBl 1992/769 (VAG-Novelle 1992); BGBl 1993/458 (Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 1993 GesRÄG 1993); BGBl 1993/532 (Finanzmarktanpassungsgesetz 1993); BGBl 1994/652 (VAG-Novelle 1994); BGBl 1995/23 (2. VAG-Novelle 1994); BGBl 1996/304 (EU-Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz - EU-GesRÄG); BGBl 1996/447 (VAG-Novelle 1996); BGBl 1996/753 (Wertpapieraufsichtsgesetz - WAG); BGBl 1996/757 (BG über die Bundesrechenzentrum GmbH); BGBl I 1998/126 (1. EuroFinanzbegleitgesetz); BGBl I 1998/153 (Strafrechtsänderungsgesetz 1998); BGBl I 1999/49 (Konzernabschlussgesetz - KonzaG); BGBl I 1999/124; BGBl I 2000/117 (VAG-Novelle 2000); BGBl I 2001/97 (Finanzmarktaufsichtsgesetz - FMAG); BGBl I 2002/11; BGBl I 2002/24; BGBl I 2002/46 (VAG-Novelle 2002); BGBl I 2003/33 (VAG-Novelle 2003); BGBl I 2003/35; BGBl I 2003/36 (Internationales Insolvenzrecht - IIRG); BGBl I 2004/13; BGBl I 2004/67 (Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 2004 - GesRÄG 2004); BGBl I 2004/70 (Finanzkonglomerategesetz FKG); BGBl I 2004/131; BGBl I 2004/161 (Rechnungslegungsänderungsgesetz 2004 - ReLÄG 2004); BGBl I 2005/8; BGBl I 2005/33; BGBl I 2005/59 (Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 2005 - GesRÄG 2005); BGBl I 2005/93 (VAGNovelle 2005); BGBl I 2005/120 (Handelsrechts-Änderungsgesetz - HaRÄG); BGBl I 2006/48 (Finanzmarktaufsichtsänderungsgesetz - FMA-ÄG 2005); BGBl I 2006/95 (Versicherungsrechts-Änderungsgesetz 2006 - VersRÄG 2006; BGBl I 2006/104 (Genossenschaftsrechtsänderungsgesetz 2006 - GenRÄG 2006. BGBl 1986/558. Dazu Daum, Grundzüge der VAG-Novelle, VR 1987, 105; vgl auch dens, Aktuelle Probleme der österreichischen Versicherungsaufsicht, VW 1988, 75.
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und der Kapitalanlage zeigte31. Zudem wurde das Kontrollsystem verändert: Der für die Überwachung des Deckungsstocks zuständige Treuhänder (§§ 22 f VAG) wurde zum Organ der externen Kontrolle; er wird nunmehr von der FMA bestellt. Gleichzeitig wurde die Errichtung einer internen Kontrolle vorgeschrieben (§ 17b VAG) und für die Vertretung des Versicherungsunternehmens nach außen das Vier-Augen-Prinzip32 eingeführt. Die weiteren Novellen brachten insbesondere eine Liberalisierung der Kapitalanlagevorschriften. Beispielsweise wurde mit der VAG-Novelle 199033 die bis dahin herrschende Verknüpfung mit der Mündelsicherheit endgültig aufgegeben34. Durch Änderung der den Deckungsstock betreffenden §§ 20 und 77 VAG durch die 1. VAGNovelle 199135 wurden fondsgebundene Lebensversicherungen ermöglicht36. Mit der 2. VAG-Novelle 199137 wurden die Rechnungslegungsvorschriften an das Rechnungslegungsgesetz38 angepasst und der Richtlinienvorschlag über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen39 „vorweg“ übernommen. Die VAG-Novelle 199240, die erst gleichzeitig mit dem EWR-Abkommen am 1. 1. 1994 in Kraft trat und das österreichische Versicherungsrecht mit dem nach dem EWRAbkommen41 maßgebenden EG-Recht in Einklang brachte, war freilich nur ein Zwischenschritt, denn bereits am 1. 9. 1994 trat die VAG-Novelle 199442 in Kraft, mit der die Dritten Koordinierungsrichtlinien Nicht-Leben43 und Leben44 umgesetzt wurden (ausführlich zu diesen Richtlinien unten I.C.1.c)45. 30
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Solvabilität ist (bei der Schaden- und Unfallversicherung) die von der Zusammensetzung des Versicherungsbestandes abhängige Relation zwischen Prämien und Schäden einerseits und „Eigenmittel“ (va Eigenkapital) andererseits; vgl Gabler, Wirtschaftslexikon15, 2000. Vgl dazu Cudlin, Aktien und Investmentfonds - Neue Instrumente der Vermögensveranlagung von Versicherungen?, VR 1988, 3; Gassner, Die Ausstattung der Versicherungsunternehmen mit Zusatzkapital gemäß VAG-Novelle, VR 1986, 425; Jud, Partizipations- und Ergänzungskapital als neuer Weg zum Kapitalmarkt für Versicherungsunternehmungen, VR 1988, 65. S bei FN 170. BGBl 1990/181. Vgl 1200 BlgNR 17. GP 14. BGBl 1991/411. Die Versicherungsleistung liegt bei diesem Typ der Lebensversicherung nicht in einer bestimmten Geldleistung, sondern in Anteilsrechten an Vermögensrechten (am Kapitalanlagefonds); die Kapitalanlagevorschriften für den Deckungsstock gelten nicht. Der Versicherungsnehmer trägt also einerseits das Risiko der Wertminderung des Anlagevermögens, hat aber andererseits die Chance, von einer Werterhöhung zu profitieren. Zum Schutz der Versicherungsnehmer sind Wohlverhaltensregeln, die jenen des WAG entsprechen, einzuhalten (s § 75 Abs 2 VAG). BGBl 1992/13. BGBl 1990/475, mit dem die Rechnungslegungsvorschriften dem europäischen Standard angepasst worden waren. Dieser Entwurf wurde in der Folge als RL 91/674/EWG des Rates in Geltung gesetzt (Versicherungsbilanz-RL), Abl 1991 L 374/7. BGBl 1992/769. Abgeschlossen am 2. 5. 1992, BGBl 1993/909. BGBl 1994/652. RL 92/49/EWG, Abl 1992 L 228/1. Zur Terminologie unten FN 90. RL 92/96/EWG, Abl 1992 L 360/1. Die RL sollten mit 1. 7. 1994 umgesetzt sein; Österreich war also zwei Monate in Verzug.
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Die VAG-Novelle 199646 diente va der Umsetzung der BCCI-Richtlinie47. Auch das 1. Euro-FinanzbegleitG48 brachte eine Vielzahl kleinerer Änderungen. Beispielsweise wurde mit § 3 Abs 3 VAG klargestellt, welche Nebengeschäfte ein Versicherer betreiben darf.
Mit der VAG-Novelle 200049 wurde in Umsetzung der Richtlinie über die zusätzliche Beaufsichtigung der einer Versicherungsgruppe angehörenden Versicherungsunternehmen50 dem VAG ein neues Sechstes Hauptstück eingefügt (§§ 86a ff VAG). Es gibt nun also ergänzend zur Aufsicht über die einzelnen Versicherungsunternehmen Aufsichtsvorschriften für Versicherungsunternehmen, die Teil einer Versicherungsgruppe sind (sog Solo-plus-Aufsicht). Dadurch soll insbesondere das sog „double gearing“, die mehrfache Verwendung von Eigenmitteln innerhalb einer Versicherungsgruppe, und die künstliche Kapitalschöpfung innerhalb einer Gruppe verhindert werden51. Deshalb ist der Aufsichtsbehörde nun Zugang zu bestimmten Informationen eingeräumt (§ 86c VAG), sind wesentliche gruppeninterne Geschäfte meldepflichtig (§ 86d VAG) und besteht für bestimmte Unternehmen die Verpflichtung, eine „bereinigte“ Solvabilität zu berechnen (§§ 86e ff VAG). Grundsätzlich sind auch beteiligte Unternehmen des Versicherungsunternehmens, Beteiligungsunternehmen und Schwesterunternehmen, unabhängig von ihrem Sitz, in die Beaufsichtigung mit einzubeziehen; ganz iSd Aufsichtseffizienz kann aber auf Antrag auf die Einbeziehung ua dann verzichtet werden, wenn dem Unternehmen in Hinblick auf die Ziele der zusätzlichen Beaufsichtigung nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt (s § 86b VAG)52. Weitere Änderungen betrafen va die Rechnungslegungs- und die Kapitalanlagevorschriften. Analog zur fondsgebundenen Lebensversicherung wurde die indexgebundene Lebensversicherung ermöglicht (s § 20 Abs 2 Z 4, § 78 Abs 2), bei der die Versicherungsleistung an die Weiterentwicklung eines (Aktien-) Index oder eines anderen Bezugswerts gebunden ist. Mit dem Finanzmarktaufsichtsgesetz wurde mit 1. 4. 2002 die Versicherungsaufsichtsbehörde durch die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) ersetzt. Diese sog Allfinanzaufsicht - sie umfasst die Banken-, Versicherungs-, Pensionskassen- und Wertpapieraufsicht - ist eine Anstalt öffentlichen Rechts und weisungsfrei53 (zur Aufsichtsbehörde s unten IV.). 46 47 48 49 50 51
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BGBl 1996/447. Vgl Baran, Wichtige Neuerungen der VAG-Novelle 1996, VR 1996, 57. RL 95/26/EWG, Abl 1995 L 168/7. Anlass der RL war der Bankrott der Bank of Credit and Commerce International, der die RL ihren Namen verdankt. BGBl I 1998/126. BGBl I 2000/117. RL 98/78/EG, Abl 1998 L 330/1. Vgl dazu Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 32, 316 ff; H. Müller, FS Baumann, 229. Zur Umsetzung in Deutschland vgl Fricke, Die VAG-Novelle 2000 - Ein kurzer Überblick über die wichtigsten Änderungen, NVersZ 2001, 97 (102); Präve, Die VAG-Novelle 2000, VersR 2001, 133 f. Vgl Harreither, Haben Sie schon geprüft, ob Sie der Gruppenaufsicht unterliegen und eine Gruppensolvabilität ermitteln müssen?, VR 2002, 1. Entgegen der ursprünglichen Absicht (RV 641 BlgNR 21. GP) sollte die FMA doch nicht weisungsfrei sein, sondern gem § 3 Abs 1 FMABG (Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz, geschaffen durch Art 1 des Finanzmarktaufsichtsgesetzes - FMAG, BGBl I 2001/97) schriftlichen Weisungen des BMF unterliegen; vgl dazu
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Im Jänner 2002 wurde zunächst die vierte KfZ-Haftpflicht-RL umgesetzt (BGBl I 2002/11), danach die Bewertungsvorschriften des VAG geändert und der FMA eine Verordnungsermächtigung hinsichtlich der Gewinnbeteiligung (§ 18 Abs 4 VAG) eingeräumt (BGBl I 2002/24). Mit der VAG-Novelle 2002 wurde anstelle der gesetzlichen Aufzählung der geeigneten Kapitalanlagen eine Verordnungsermächtigung an die FMA geschaffen, zudem wurden die Beträge der Mindesteigenmittelerfordernisse und des Garantiefonds erhöht sowie einige gesetzliche Präzisierungen vorgenommen54. Im Juni 2003 wurde das VAG innerhalb weniger Tage gleich dreimal geändert55: Zunächst durch die VAG-Novelle 2003, die vor allem Rahmenbedingungen für die prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge schaffen sollte, sodann wurde zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung § 18a VAG novelliert, schließlich wurde das VAG durch das Bundesgesetz über das internationale Insolvenzrecht geändert. 2004 wurde zunächst die Einführung der verpflichtenden externen Rotation der Abschlussprüfer um zwei Jahre verschoben56. Mit dem Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 2004 wurden die durch die Schaffung der Societas Europaea (SE), der Europäischen Gesellschaft, erforderlichen Anpassungen im VAG vorgenommen57.
Mit dem Finanzkonglomerategesetz (FKG)58 sowie den gleichzeitig durchgeführten Novellierungen der Materiengesetze wurde die Richtlinie über die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerates59 umgesetzt. Ist ein Finanzkonglomerat einmal ermittelt (§§ 2 ff FKG), ist das zusätzlich zu beaufsichtigende Unternehmen nach § 5 FKG zu bestimmen60. Dieses Unternehmen trifft dann zusätzliche Eigenmittelanforderungen (§§ 6 ff FKG), va um das „double gearing“, die mehrfache Verwendung von Eigenmitteln, und die künstliche Kapitalschöpfung innerhalb eines Finanzkonglomerates zu verhindert. Weitere zusätzliche Aufsichtsgebiete sind die Risikokonzentration (§ 9 FKG), die gruppeninternen Transaktionen (§ 10 FKG), insbesondere um Risikotransfers zu erkennen, sowie interne Kontrollmechanismen und Risikomanagement (§ 11
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Brandl/Wolfbauer, Finanzdienstleistungen nach dem Finanzmarktaufsichtsgesetz, 2001, 11 ff. Mit 1. 4. 2002 trat aber die FMABG-Novelle BGBl I 2002/45 in Kraft; sie brachte mit Verfassungsbestimmung die Weisungsfreiheit (§ 1 Abs 1 FMAGB) sowie eine im Wesentlichen auf Informationsrechte beschränkte Rechtsaufsicht des BMF über die FMA (§ 16 FMABG); zu den Hintergründen Brandl/Wolfbauer, Die wirklich neue Finanzmarktaufsichtsbehörde, ecolex 2002, 294; kritisch A. Schramm, Finanzmarktaufsicht verfassungsrechtlich abgesichert. Oder: Wie man die Verfassung weiter demoliert, JBl 2003, 19. Vgl Ulreich/Harreither, Die VAG-Novellen 2002, VR 2002, 51. BGBl I 2003/33; BGBl I 2003/35 und BGBl I 2003/36. BGBl I 2004/13. Nach der allgemeinen Regel des § 38 Abs 2 SE-Gesetz treffen die dem Vorstand oder Aufsichtsrat zugewiesenen Aufgaben im Falle, dass bei der SE das monistische System gewählt wird, grundsätzlich den Verwaltungsrat. Da aber die Geschäftsführung sog Geschäftsführenden Direktoren übertragen werden kann (vgl § 40 SEGesetz), waren im VAG Ergänzungen notwendig. BGBl I 2004/70. Vgl dazu Schabus, Finanzkonglomerategesetz, ÖBA 2004, 824. RL 2002/87/EG, Abl 2003 L 35/1. Dzt steht nur ein Versicherungsunternehmen an der Spitze eines österreichischen Konglomerates, nämlich die Grazer Wechselseitige Versicherung AG (kurz: „GRAWE“).
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FKG). Korrespondierend dazu wurden Vorschriften für die FMA geschaffen (§§ 12 ff FKG), um dem Aufsichtsziel zu entsprechen61. Die Umsetzung der Versicherungsvermittlungsrichtlinie brachte auch kleine Änderungen im VAG mit sich, etwa die Auskunftspflicht von Versicherungsvermittlern gegenüber der FMA (§ 100 Abs 3 VAG)62; auch mit dem Rechnungslegungsänderungsgesetz 2004, das va der Anpassung der Bilanzierungsvorschriften an die IASVerordnung der EU63 sowie die Modernisierungs- und Schwellenwertrichtlinie64 diente, wurde das VAG novelliert. Im Rahmen der Umsetzung der Pensionsfondsrichtlinie65 wurden spezielle Bestimmungen für die sog Betriebliche Kollektivversicherung (§§ 18f - 18j VAG) ins VAG aufgenommen; eine Gruppenrentenversicherung, die bestimmte Voraussetzungen erfüllt (§ 18f Abs 1 VAG), wird steuerrechtlich und arbeitsrechtlich einem Pensionskassenvertrag gleich gestellt. Mit dem Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 2005 wurden va Wahl, Beauftragung und Haftung des Abschlussprüfers (§§ 82 und 82b VAG) neu geregelt66. Die VAG-Novelle 2005 brachte eine erste Vorschrift zum Risikomanagement (§ 17b Abs 5 VAG), ermöglichte die Umwandlung eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, die ihren gesamten Versicherungsbetrieb bereits in eine oder mehrere AG eingebracht hatten, in eine Privatstiftung (§§ 61e und 61f VAG)67 und brachte Änderungen für den Konzernabschluss nach den international anerkannten Rechnungslegungsstandards. Mit dem Handelsrechts-Änderungsgesetz wurde das HGB zum UGB (Unternehmensgesetzbuch); für kleine Versicherungsvereine wurde ausdrücklich die Möglichkeit festgeschrieben, sich ins Firmenbuch eintragen zu lassen68. Mit den Novellen 2006 wurde der Verwaltungsstrafrahmen vergrößert und die Gleichbehandlungsrichtlinie69 umgesetzt.
3. Ziel und Funktion der Versicherungsaufsicht Ziel der Versicherungsaufsicht ist die Wahrung der Belange der Versicherten (Versichertenschutz)70. Primär geht es um den Schutz der Versicherten in 61
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Natürlich müssen Umgehungen der Branchenvorschriften verhindert werden, um dem Zweck der RL zu entsprechen. Nach Art 17 der RL müssen die staatlichen Behörden entsprechende Aufsichtsmaßnahmen setzen können; dies wurde mit § 17 FKG ausdrücklich umgesetzt. Dennoch kritisch A. Schramm, Das Finanzkonglomerategesetz, ÖBA 937 (939 ff), der eine Einschränkung auf die Aufsichtmaßnahmen nach BWG, VAG und WAG befürwortet. Interessanter Weise ist in den Erläuterungen (vgl 456 BlgNR 22. GP 10) die Verhältnismäßigkeit der Vorschrift genau damit begründet, obwohl sowohl die Überschrift des § 17 FKG „Zusätzliche Befugnisse der FMA“ lautet und auch der Wortlaut der Norm keine solche Einschränkung erkennen lässt. BGBl I 2004/131. Verordnung (EG) Nr. 1606/2002, Abl 2002 L 243/1. RL 2003/51/EG, Abl 2003 L 178/16, und RL 2003/38/EG, Abl 2003 L 120/22. RL 2003/41/EG, Abl 2003 L 235/10; sie führte zu einer maßgeblichen Änderung des Pensionskassengesetzes, ebenfalls mit BGBl I 2005/8. Zur Neuregelung der Haftungshöchstgrenzen sowie den Ausschlussgründen für Abschlussprüfer vgl Potyka, Das Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 2005, ÖJZ 2006, 192 (195 ff). Nach dem Vorbild der „Sparkassen-Privatstiftung“, s §§ 27a ff SpG. § 63 Abs 1a VAG. RL 2004/113/EG, Abl 2004 L 373/37 (umgesetzt mit dem VersRÄG 2006). Vgl bloß Baran, VAG3, Grundsätze Anm 1; Kraus, 36; Kaulbach, in: Fahr/Kaulbach, VAG3, Rz 5 vor § 1; Schäffer, Rz 583; Winter, Zielsetzungen der Versicherungsaufsicht, ZVersWiss 2005, 105 (111).
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ihrer Gesamtheit, insbesondere ihrer Gläubigerinteressen, wobei der aufsichtsrechtliche Begriff „Versicherte“ nicht nur die Versicherungsnehmer umfasst, sondern auch die Versicherten im versicherungsrechtlichen Sinn, die Anspruchberechtigten und - bei der Haftpflichtversicherung - die Geschädigten71. Manche Vorschriften schützen sogar unmittelbar den einzelnen Versicherten, wie etwa die Informationspflichten gem §§ 9a, 14 Abs 6, §§ 18b und 75 Abs 2 VAG. Die Versicherungsaufsicht beschränkt sich nicht auf Versicherungsgeschäfte mit Verbrauchern, sie bewirkt aber gerade über die Vorschriftskontrolle (s III.E.1.a) auch Konsumentenschutz - der Versicherungsbinnenmarkt steht dem Verbraucherschutz nicht entgegen72. Die Versicherungsaufsicht schützt auch die Funktionsfähigkeit der Versicherungswirtschaft73, an der ein doppeltes volkswirtschaftliches Interesse besteht: Zum Einen haben die Versicherungen, insbesondere die Lebensversicherungen, eine volkswirtschaftlich bedeutsame Kapitalbildungsfunktion, zum Anderen besteht ein volkswirtschaftliches Interesse daran, dass Risken durch Versicherungen abgedeckt, somit gestreut und kollektiviert werden und der Staat nicht als „Lückenbüßer“ zur Vermeidung von Härten einspringen muss74. Es ist aber anzunehmen, dass das Aufsichtsziel Funktionsschutz iSd Wahrung volkswirtschaftlicher Interessen im auf Wettbewerb basierenden Versicherungsbinnenmarkt keine Eingriffe der Aufsichtsbehörde in den Versicherungsmarkt rechtfertigt75; bei Aufsichtsmaßnahmen ist nach § 3 Abs 2 FMABG aber auf die Finanzmarktstabilität zu achten.
Fehlerhafte Versicherungsaufsicht kann - anders als in Deutschland76 - zu Amtshaftung des Bundes77 führen78. Dafür spricht ua, dass der OGH bei man71 72 73
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Schnyder, Internationale Versicherungsaufsicht zwischen Kollisionsrecht und Wirtschaftsrecht, 1989, 11; vgl auch Kaulbach, in: Fahr/Kaulbach, VAG3, Rz 17 zu § 8. IdS Lemor, Binnenmarkt im Versicherungsbereich versus Verbraucherschutz?, VR 2000, 192 (199). Vgl Schäffer, Rz 583; Baran, VAG3, Grundsätze Anm 1; Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt, 1991, 102; Stein, 14 ff; Winter, ZVersWiss 2005, 107, 139 ff, 155. Der Begriff „Funktionsschutz“ wurde in der Literatur Unterschiedliches verstanden; s dazu St. Korinek, Rechtsaufsicht 55 f. Vgl Fenyves/St. Korinek, 169. Vgl Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 36; Fenyves/St. Korinek, 169; St. Korinek, Rechtsaufsicht, 64 f. Eingriffe der Aufsichtsbehörde - etwa im Rahmen der Legalitätsaufsicht - können zwar von volkswirtschaftlicher Bedeutung sein, sind aber durch das Ziel Versichertenschutz zu rechtfertigen; s auch Baran, VAG3, Grundsätze Anm 1, der im Funktionsschutz die mittelbare Wahrung der Interessen der Versicherten sieht. Insofern ist der Funktionsschutz eher Reflexwirkung des Versichertenschutzes denn eigenständiges Aufsichtsziel. Nach Haftung bejahender Rsp wurde in den Aufsichtsgesetzes festgeschrieben, dass die Aufsicht ihre Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt. Der dadurch bewirkte Ausschluss der Amtshaftung gegenüber Versicherten wird als zulässig betrachtet; so zum deutschen KWG, nach Vorabentscheidung des EuGH, 12. 12. 2004, Rs C-222/02, der BGH, 20.1.2005, VersR 2005, 1287. Vgl B. Raschauer, Amtshaftung und Finanzmarktaufsicht, ÖBA 2004, 338. Dass der Bund und nicht die FMA (direkt) haftet, wurde mit der Novelle des § 3 FMABG, BGBl I 2005/33, klargestellt; s auch OGH 16. 5. 2006, 1 Ob 257/05h. In Korrektur der fragwürdigen Amtshaftungsentscheidung des OGH, 25. 3. 2003, 1 Ob 188/02g, wbl 2003, 443 = EvBl 2003/129 = ÖBA 2004, 304 = GesRZ 2003, 239 = RdW 2003/362 = ecolex 2003/175 (vgl Rebhahn, Amtshaftung für „Bankprüfer“ - Wohltat oder Irrweg?, ÖBA 2004, 267) wurde die Amtshaftung für (nicht von der FMA beauftragte) Abschlussprüfer gesetzlich ausgeschlossen (§ 3 Abs 5 FMABG).
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gelhafter Bankenaufsicht in stRSp Amtshaftung bejaht79 und dass bei der Versicherungsaufsicht der Gläubigerschutz einen noch höheren Stellenwert einnimmt als in der Bankenaufsicht80. Zu beachten ist, dass sich die Aufsichts- und Eingriffsvoraussetzungen der Aufsichtsbehörde iaR nach der Gemeinschaft der Versicherten als Kollektiv richten und dass die FMA beim Ergreifen von Aufsichtsmaßnahmen nach § 3 Abs 2 FMABG81 auch auf die Wahrung der Finanzmarktstabilität zu achten hat. Bei schuldhaft, rechtswidriger Aufsichtstätigkeit steht Schadenersatz zu, soweit die Interessen des einzelnen Versicherten mit jenen der Versichertengemeinschaft übereinstimmen (dann liegt der geforderte Rechtswidrigkeitszusammenhang vor). Wird beispielsweise ein Versicherer insolvent und kann er deshalb seine Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen nicht mehr erfüllen, verwirklicht sich genau jenes Risiko, das das VAG in erster Linie vermeiden will, sodass Amtshaftung denkbar wäre. Die Versicherungsaufsicht ist eine staatsrechtliche Inter-Organ-Kontrolle. Wie bei ihrem Pendant in der Betriebswirtschaftslehre, der externen Revision („Noch-einmal-Sehen“), geht es nicht um die Führung des Unternehmens, sondern um die Kontrolle der Unternehmenstätigkeit, um das Aufdecken von Unregelmäßigkeiten und Ordnungswidrigkeiten. Das deckt sich mit der Formulierung der Eingriffsnorm § 104 Abs 1 VAG, die an Verstöße gegen Vorschriften und an Verstöße gegen die Grundsätze eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes anknüpft (s unten III.E.1.b). Die Funktion der FMA als Versicherungsaufsichtsbehörde ist es, die Wahrung der Belange der Versicherten tatsächlich sicherzustellen. Dies verlangt eine ständige Beaufsichtigung und das Setzen von Schwerpunkten dort, wo Unregelmäßigkeiten die Interessen der 78
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Ausführlich St. Korinek, Amtshaftung, 741. Amtshaftung bejahen auch Baran, VAG3, Grundsätze Anm 3, und Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 1995, 57. Vgl auch Apathy, Haftungsfolgen fehlerhafter Staatsaufsicht, in: Aicher (Hrsg), Die Haftung für staatliche Fehlleistungen im Wirtschaftsleben, 1988, 207. Oftmals wird der Schadenersatzanspruch aber daran scheitern, dass die Pflichtwidrigkeit den Schaden nicht verursacht hat. Zur Kausalitätsprüfung bei unterlassener Gefahrenabwehr s auch Pirker/Kleewein, Amtshaftung wegen unterbliebener Gefahrenabwehr, ÖJZ 1995, 521 (522 f); Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, 1997, 657 ff, zum Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens 630 ff. OGH 14.12.1979, 1 Ob 36/79, JBl 1980, 539 (Koziol) = EvBl 1980/100 = ÖBA 1980, 258 (Schinnerer) = ÖZW 1980, 85 (Frotz) = SZ 52/186; EvBl 1982/84 = SZ 54/143; JBl 1987, 386 = RdW 1987, 196 = ÖBA 1987, 402 = SZ 60/33 (implizit); ÖBA 1996, 549 (Rebhahn) = ecolex 1996, 168 (Graf) = SZ 68/189; vgl auch SZ 66/77 = JBl 1993, 788 = ecolex 1993, 736. Kritisch zu dieser Judikatur Rebhahn (FN 78), 363 ff. Nach hM stellt im Versicherungswesen der Gläubigerschutz - anders als im Bankwesen - das primäre Aufsichtsziel dar. Vgl Häusele, Aufsicht über Finanzkonglomerate, ZVersWiss 1994, 563 (570); Rabe, Liberalisierung und Deregulierung im Europäischen Binnenmarkt für Versicherungen, 1997, 94, 291; weniger deutlich Schäffer, Rz 561 und 583. Vgl ferner Rebhahn (FN 78), 365, der das versicherte Interesse (bei Personenversicherungen) für schutzwürdiger hält als das Interesse am Erhalt von Forderungen gegen Banken. Mit dieser Bestimmung wurde 2005 (BGBl I 2005/33) der Haftungsmaßstab der FMA konkretisiert. Durch Aufsichtsmaßnahmen soll die Stabilität der überwachten Finanzmärkte nicht gefährdet werden; vgl 819 BlgNR 22. GP 9.
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Versicherten in einem besonderen Ausmaß beeinträchtigen können und wo bereits Verdachtsmomente vorliegen82. Zu der staatsrechtlichen Inter-Organ-Kontrolle unmittelbar durch die FMA und durch den Treuhänder, der den Deckungsstock überwacht83, gesellt sich noch die IntraOrgan-Kontrolle durch die zwingend vorgesehene interne Kontrolle84. Da die Überwachung der Funktionsfähigkeit einer Eigenkontrolle oftmals Erfolg versprechender erscheint als die unmittelbare Kontrolle durch die FMA, ist aus funktionellen Gesichtspunkten diese mittelbare Kontrolle (als Ergänzung zur unmittelbaren) zu begrüßen. Ähnliche Überlegungen stecken auch hinter den besonderen Anforderungen an die Mitglieder der Geschäftsleitung und den verantwortlichen Aktuar in der Lebensversicherung: Am zweckmäßigsten erscheint hier eine Qualitätskontrolle durch die FMA.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Angesichts des „Regelungsmix“ des VAG85 stellt sich die Frage nach der Regelungskompetenz. Nach hA stützt sich die Erlassung aufsichtsrechtlicher Normen auf den Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG86, wonach im Vertragsversicherungswesen Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache ist. Dem Begriff Vertragsversicherungswesen ist nämlich nach der Versteinerungstheorie87 jener Inhalt beizumessen, den er nach dem Stand und der Systematik der Rechtsordnung im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzartikel hatte. Am 1. 10. 1925, als der fragliche Kompetenztatbestand des B-VG in Kraft trat, gab es bereits eine gesetzlich geregelte Wirtschaftsaufsicht über Versicherungsunternehmen (s I.A.2). Es spricht daher viel dafür, diese Aufsichtsregelungen systematisch dem Tatbestand „Vertragsversicherungswesen“ zuzuordnen88. Doch selbst wenn man die Beaufsichtigung nicht als vom Vertragsversicherungswesen umfasst sähe, käme man zu keinem inhaltlich anderen Ergebnis, da die Kompetenz zur Regelung einer Sachmaterie auch damit zusammenhängende, nicht ausdrücklich angeführte Bereiche umfasst89.
C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Die EG hat zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung Richtlinien erlassen. Da für die Bereiche Nicht-Leben90 und 82 83 84 85 86 87 88
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Genauer St. Korinek, Rechtsaufsicht, 67. S §§ 22 f VAG. S § 17b VAG. S oben I.A.1. Vgl 764 BlgNR 14. GP 30; Baran, VAG3, Grundsätze Anm 6; Kraus, 16f; Walter/Mayer, Besonderes Verwaltungsrecht2, 1987, 429. Vgl etwa Öhlinger, Verfassungsrecht6, 2005, Rz 275; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9, 2000, Rz 296. Die Regelung der VVaG dürfte aber eher auf dem Kompetenztatbestand Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG (Zivilrechtswesen einschließlich des wirtschaftlichen Assoziationswesen) beruhen. Die von den Gerichten zu ahndenden Strafbestimmungen fallen unter Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG (Strafrechtswesen). S Fenyves/St. Korinek, 165. Schäffer, Rz 504, sieht das Wirtschaftsaufsichtsrecht ganz allgemein als Annexmaterie zu den jeweiligen Sachkompetenzen. Nach der Terminologie der Richtlinie wird die „Nicht-Lebensversicherung“ als „Schadenversicherung“ bezeichnet und der Lebensversicherung gegenübergestellt. Nach § 1 VersVG ist aber das begriffliche Gegenstück zur Schadensversicherung
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Leben jeweils getrennt - mit immer kürzerem zeitlichen Abstand - einander inhaltlich entsprechende RL erlassen wurden, spricht man von Richtliniengenerationen. Der Versicherungsbinnenmarkt wurde mit Umsetzung der Dritten Richtliniengeneration, die bis zum 1. 7. 1994 zu erfolgen hatte, verwirklicht.
1. Geschichte91 a) Erste Richtliniengeneration92 Da das Gemeinschaftsrecht (von jeher) kein einheitliches Versicherungsrecht und keine Aufsichtsinstanz auf Gemeinschaftsebene vorsah, stellte sich bei jedem Versicherungsunternehmen, das von der ihm durch Art 43 bis 48 EGV93 eingeräumten Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen wollte, das Problem des Übergangs von einem Rechtssystem in das andere94. Um die tatsächliche Ausübung der Niederlassungsfreiheit zu ermöglichen, ging die EG daran, das Versicherungsaufsichtsrecht zu koordinieren. In einer ersten Koordinierungsrichtlinie für Nicht-Lebensversicherungen wurden die Zulassungsbedingungen für die Aufnahme der Versicherungstätigkeit und die Errichtung von Zweigniederlassungen harmonisiert95. Während für den Bereich der laufenden Aufsicht im Wesentlichen das Recht des Tätigkeitslandes ausschlaggebend sein sollte96 und somit eine Vereinheitlichung ausblieb97, wurden die Anforderungen an die Eigenmittelausstattung der Versicherungsunternehmen dadurch harmonisiert, dass ein Garantiefonds eingerichtet und eine Solvabilitätsspanne stets erfüllt werden muss98, dh der Versicherer zusätzlich zu den Bedeckungsmitteln für die Verbindlichkeiten und Rückstellungen ständig über betreffende Eigenmittel verfügen muss99. Die Überwachung der Solvabilität übertrug man der Sitzlandbehörde100, ansonsten blieb aber die Tätigkeitslandbehörde für die Aufsicht zuständig. Bereits bei der ersten Koordinierung wurde also ein Hauptaugenmerk auf die Finanzkontrolle gerichtet, wenngleich noch beträchtliche Unter-
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die Personenversicherung; nach der heute hM wird zwischen Schadens- und Summenversicherung unterschieden. Um nicht gänzlich im begrifflichen Chaos zu versinken, empfiehlt es sich daher, die Richtlinie analog zu ihrer inhaltlichen Abgrenzung Richtlinie Nicht-Lebensversicherung (kurz: RL Nicht-Leben) zu bezeichnen. IdS die ganz hL in Österreich, vgl etwa Fenyves, Konsumentenschutz und Deregulierung − die österreichischen Erwartungen, VR 1993, 20 (23 FN 20); St. Korinek, Rechtsaufsicht, 9 FN 139; Schauer (FN 78), 18. Vgl Baran, Auswirkungen, 225; Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 18 ff; St. Korinek, Rechtsaufsicht, 29 ff. Erste Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) 73/239/EWG, Abl 1973 L 228/3. Erste Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Direktversicherung (Lebensversicherung) 79/267/EWG, Abl 1979 L 63/1. Ex-Art 52 bis 58 EGV. Vgl Miersch, 31 f. Art 6 ff bzw Art 10 ff der Ersten RL Nicht-Leben. Vgl H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz 26. Vgl Miersch, 33 mwN. Art 16 und 17 der Ersten RL Nicht-Leben. H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz 26. Art 14 der Ersten RL Nicht-Leben.
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schiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten bestanden: So etwa bei der Berechnung der Solvabilitätsspanne oder hinsichtlich der Vorabkontrolle von AVB101. Für den Bereich der Lebensversicherungen wurde erst rund sechs Jahre später eine entsprechende Erste Koordinierungsrichtlinie erlassen102. Mit Art 13 Abs 1 der Ersten RL Leben wurde das Gebot der Spartentrennung eingeführt. Bestehenden Mehrbranchenversicherern durfte aber die Möglichkeit eingeräumt werden, mit getrennter Verwaltung nach koordinierten Regeln den Betrieb fortzusetzen103.
b) Zweite Richtliniengeneration In der zweiten Richtliniengeneration ging es um die Ausgestaltung der Tätigkeit von Versicherungsunternehmen im freien Dienstleistungsverkehr104. Ausschlaggebend für diese Weiterentwicklung des europäischen Versicherungsrechts war die Rechtsprechung des EuGH: In der Rechtssache „van Binsbergen“105 hatte der EuGH klargestellt, dass die primärrechtliche Regelung der Dienstleistungsfreiheit nach Art 49 f EGV106 auch im Versicherungswesen unmittelbar anwendbar ist, diese Bestimmungen also keiner Umsetzung bedürfen. Diese Ansicht bestätigte der EuGH in von der Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten, die weiterhin eine feste Niederlassung als Voraussetzung für den Versicherungsbetrieb verlangt hatten107. In der Rechtssache Kommission gegen Deutschland „Freier Dienstleistungsverkehr − Versicherung“108 beispielsweise hielt der EuGH fest, dass eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit, wie es das Erfordernis einer festen Niederlassung darstelle109, nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann. Die nationale Regelung dürfe nicht diskriminierend wirken, müsse sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein und ihrem Zweck nach nicht schon durch Regelungen des Sitzlandes erreicht werden. Das Erfordernis einer festen Niederlassung erfüllte freilich diese Kriterien nicht. 101 102
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Vgl Windhagen, Die Versicherungswirtschaft im europäischen Kartellrecht, 1996, 18. Zu beachten sind die unterschiedlichen Maßstäbe bei der Solvabilitätsregelung zwischen Lebensversicherungen und Nicht-Lebensversicherungen. Vgl etwa H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz 64. Art 13 Abs 3 der Ersten RL Nicht-Leben; die Verwaltungstrennung war in Art 14 der RL näher geregelt. Zur mühsamen Lösungsfindung für das „Problem Spartentrennung“ H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz 65, vgl auch Windhagen (FN 101), 20. Zweite Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG, kurz: Zweite RL NichtLeben 88/375/EWG, Abl 1988 L 172/1, und Zweite Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG, kurz: Zweite RL Leben 90/619/EWG, Abl 1990 L 330/50. Vgl zu diesen va Miersch, 35 ff; Reti, 24 ff; Zischka, Rz 102 ff. Rs 33/74, Slg 1974, 1299. Ex-Art 59 f EGV. Rs 220/83 (Kommission gegen Frankreich), Slg 1986, 3663; Rs 252/83 (Kommission gegen Dänemark), Slg 1986, 3713; Rs 205/84 (Kommission gegen Deutschland), Slg 1986, 3755; Rs 206/84 (Kommission gegen Irland), Slg 1986, 3817. Rs 205/84, Slg 1986, 3755. Vgl Rz 52 (Rs 205/84): „Während das Erfordernis der Zulassung eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt, ist das Erfordernis einer festen Niederlassung praktisch die Negation dieser Freiheit“.
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Gleichzeitig bezeichnete der EuGH den Versicherungssektor als für den Verbraucher als Versicherungsnehmer und Versicherten besonders sensiblen Bereich und hob den besonderen Schutzbedarf im Massengeschäft hervor110. Dieser Argumentation des EuGH folgend wurde in der Zweiten Richtliniengeneration nach der Schutzbedürftigkeit der Versicherungsnehmer differenziert: in der NichtLebensversicherung wurde zwischen Groß- und Massenrisken unterschieden, in der Lebensversicherung zwischen Versicherungsverträgen, die auf Initiative des Versicherungsnehmers abgeschlossen wurden, und solchen, bei denen der Versicherer initiativ geworden war. Nur im jeweils ersten Fall sahen die Richtlinien die Einführung des Prinzips der Sitzlandkontrolle mit gegenseitiger Anerkennung der Zulassung vor. Ansonsten blieb die starke Liberalisierung aus.
c) Dritte Richtliniengeneration Die Dritten Koordinierungsrichtlinien Nicht-Leben111 und Leben112 dienten der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes im Versicherungswesen. Geprägt sind diese RL einerseits durch das Verbot der Vorabkontrolle von Versicherungsbedingungen und Tarifen (Verbot der präventiven Produktkontrolle; s I.C.3), das zu Produktfreiheit und somit zu mehr Wettbewerb und Innovation führen soll, und andererseits durch das Single-licence-Prinzip (Prinzip der Einheitlichen Zulassung und der Sitzlandkontrolle; s I.C.2).
d) Weitere Entwicklungen Die Versicherungsaufsicht setzt an den einzelnen Versicherungsunternehmen an. Ergänzende Aufsichtsvorschriften wurden für Versicherungsgruppen und Finanzkonglomerate geschaffen, um den besonderen Gefahren wie Mehrfachbelegung von Eigenmittel und Risikokonzentration zu begegnen (s oben I.A.2. VAG-Novelle 2000 und Finanzkonglomerategesetz). Va im Interesse des Gläubigerschutzes steht die Richtlinie über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen, die dem Prinzip der Sitzlandkontrolle folgt113. Hinzuweisen ist auch auf die vier Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinien, die auf Grundlage des Grüne-Karte-Systems das Funktionieren des Binnenmarktes unter besonderem Schutz der Unfallbeteiligten (Geschädigten) bezwecken114; KfZ-Haftpflichtversicherer müssen in jedem Mitgliedstaat einen Schadenregulierungsbeauftragten bestellen, zudem müssen sie in jedem Land, in dem sie im Wege des Dienstleistungsverkehrs oder über eine Zweigniederlassung tätig werden (wollen), dem nationalen Garantiefonds beitreten115. 110 111
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S Rz 30 f (Rs 205/84). RL 92/49/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG, kurz: Dritte RL Nicht-Leben Abl 1992 L 228/1. RL 92/96/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG, kurz: Dritte RL Leben Abl 1992 L 360/1 (die mit der konsolidierten RL Leben 2002/83/EG aufgehoben wurde). RL 2001/17/EG, Abl 2001 L 110/28. RL 72/166/EWG, 84/5/EWG, 90/232/EWG (vgl Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 587 ff) und 2000/26/EG. Schon ist die 5. Kraftfahrzeughaftpflicht-RL erlassen: 2005/14/EG, Abl 2005 L 149/14. Vgl §§ 12a und 129g sowie § 16 Abs 1a VAG und Baran, Die Umsetzung der Vierten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie in österreichisches Recht, VR 2002, 212.
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Die Rückversicherungsrichtlinie soll mit der VAG-Novelle 2007 umgesetzt werden.
2. Einheitliche Zulassung und Sitzlandkontrolle Nach dem Prinzip der Einheitlichen Zulassung (Single-licence-Prinzip) braucht ein Versicherungsunternehmen für die gesamte Gemeinschaft116 nur eine Zulassung, nämlich die des Sitzlandes117. Hat also ein Versicherungsunternehmen in seinem Sitzland die Konzession erhalten, so darf es sämtliche Produkte, zu deren Vertrieb es im Sitzland berechtigt ist, in der gesamten Gemeinschaft anbieten, gleich ob in Ausübung der Niederlassungsfreiheit oder im Dienstleistungsverkehr118. Aber auch diese durch das Prinzip der einheitlichen Zulassung geschaffene, theoretisch grenzenlose Freiheit ist praktisch durch die Mitteilungsverfahren eingeschränkt, welche die Aufnahme des Dienstleistungsverkehrs um einen, die der Tätigkeit über eine Niederlassung gar um fünf Monate verzögern können119. Die Idee der Gemeinschaft ist es nun, die Sitzlandbehörde nicht nur für die Zulassung, sondern auch für die laufende Aufsicht zuständig zu machen. Dieses Prinzip der Herkunftslandkontrolle − auch Prinzip der Sitzlandkontrolle genannt − gilt uneingeschränkt für die Finanzaufsicht120, im Bereich der Rechtsaufsicht ist es hingegen nicht vollständig verwirklicht. Zwar ist auch hier grundsätzlich die Herkunftslandbehörde zur Aufsicht berufen, dennoch verbleibt der Tätigkeitslandbehörde eine Restkompetenz121, die ihr nicht nur ge-
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Am 1. 1. 1994 ist das Abkommen über den EWR in Kraft getreten. Gemäß Anhang IX, I wurde im Wesentlichen das nach der Zweiten Richtliniengeneration geltende Sekundärrecht auf den gesamten EWR übertragen. Die Dritten Richtliniengeneration wurde erst nach Vertragsschluss einbezogen; sie gehört zum sog „pipelineacquis“. Auch wenn in der Folge − wie auch in den Richtlinien selbst von der Gemeinschaft die Rede ist −, so haben die Ausführungen doch für den gesamten EWR ihre Gültigkeit. Art 6 der Ersten idF von Art 4 der Dritten und Art 7 der Ersten idF von Art 5 der Dritten RL Nicht-Leben; Art 4 und 5 RL Leben. Die Zulassung wird in der deutschen Lehre mE treffend als „transnationaler Verwaltungsakt“ bezeichnet. Vgl Miersch, 47 mwH. Zur (rechtlich weiterhin relevanten) Abgrenzung zwischen diesen Grundfreiheiten vgl die Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen - Freier Dienstleistungsverkehr und Allgemeininteresse im Versicherungswesen (kurz: Mitteilung), Abl 2000 C 43/5; vgl auch den Mitteilungsentwurf, Abl 1997 C 365/7. Art 16 bzw 10 der Ersten idF von Art 35 bzw 32 der Dritten RL Nicht-Leben; Art 40 ff RL Leben. Art 13 der Ersten idF von Art 9 der Dritten RL Nicht-Leben; Art 10 RL Leben. Vgl dazu nur Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 42; H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz 61 und 536; Präve, Möglichkeit und Grenzen der Versicherungsaufsicht im Europäischen Binnenmarkt, ZfVw 1995, 258. Entsprechendes gilt für die Beaufsichtigung mehrerer Zweigniederlassungen eines Drittstaatsversicherers in der EU; hier ist eine einzige Aufsichtsbehörde für die Solvabilitätsaufsicht zuständig. Vgl Braumüller, Zusammenarbeit, 28 f. Vgl Art 40 der Dritten Richtliniengeneration (Art 46 RL Leben) und hiezu Miersch, 71 ff. S auch Baran, Auswirkungen, 241, sowie Schauer, 58, der die Restzuständigkeit der nationalen Aufsichtsbehörde damit rechtfertigt, dass das Sitzlandprinzip den
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wisse Informationsrechte, sondern als ultima ratio auch eine (Reserve-) Eingriffsbefugnis zubilligt. Die Kompetenzverteilung verlangt also eine Abgrenzung von Finanzaufsicht und sonstiger Aufsicht, wobei zur ersten Gruppe nach den RL ausdrücklich die Prüfung der Solvabilität, der versicherungstechnischen Rückstellungen sowie die Bedeckung durch qualifizierte Vermögenswerte zählen. Bei der nicht immer einfachen Abgrenzung wird es letztlich auf die inhaltliche Nähe zu den genannten Beispielen ankommen122. Die Prinzipien Einheitliche Zulassung und Sitzlandkontrolle erfordern eine weitgehende Angleichung des materiellen Versicherungsaufsichtsrechts und eine verstärkte Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden (vgl §§ 118a ff VAG)123.
3. Verbot der präventiven Produktkontrolle und Informationsprinzip Die zweite wesentliche Änderung durch die RL stellt das Verbot der präventiven Bedingungs- und Tarifkontrolle dar124. Konsequenterweise ist die systematische Vorlage auch während des Geschäftsbetriebes untersagt125. Nur bei Pflichtversicherungen (wie etwa der KfZ-Haftpflichtversicherung) und der sog substitutiven Krankenversicherung126 können die Mitgliedstaaten vorschreiben, dass die Versicherer die allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen vor ihrer Verwendung der Aufsichtsbehörde mitzuteilen haben127. Im Bereich der Lebensversicherung wurde als politischer Kompromiss128 den Mitgliedstaaten eine präventive Aufsicht in abgeschwächter Form ermöglicht: Sie können vorsehen, dass Lebensversicherungen sowie nach Art der Lebensversicherung betriebene Krankenversicherungen mit Antrag auf Erteilung der Konzession die für die Erstellung der Tarife und die Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen verwendeten versicherungsmathematischen Grundlagen vorlegen müssen. Dies darf für die Unternehmen keine Vorausset-
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übrigen EWR-Staaten nur soweit zumutbar sei, als die Behörde das Sitzstaates willens und in der Lage ist, ihrer Überwachungsaufgabe nachzukommen. Miersch, 79. H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz 536, nennt als Beispiele für Bereiche, die sowohl Aspekte der Finanzaufsicht als auch solche der sonstigen Aufsicht umfassen, die Aktionärskontrolle sowie die Mitwirkung des Aufsichtsrates bei der Bestandübertragung. S unten IV. Art 8 Abs 3 der Ersten idF von Art 6 der Dritten RL Nicht-Leben; Art 6 Abs 5 RL Leben. Art 29 der Dritten Richtliniengeneration (Art 34 RL Leben). Unter substitutiver Krankenversicherung versteht man die private Krankenversicherung, soweit sie die im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehene Krankenversicherung ganz oder teilweise ersetzt; vgl bloß H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz 59. Solch eine Versicherung existiert in Österreich - anders als etwa in Deutschland - (noch) nicht. Art 30 Abs 2 bzw 54 Abs 1 der Dritten RL Nicht-Leben. Nach § 18 Abs 1 KHVG 1994 sind die Versicherungsbedingungen drei Monate vor ihrer Verwendung der FMA mitzuteilen. Vgl H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz 77 f.
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zung für die Ausübung der Tätigkeit darstellen129, es soll aber der Aufsichtsbehörde ermöglichen, die Einhaltung der betreffenden Vorschriften zu überwachen. Sinn und Zweck der europarechtlichen Regelung ist es, eine breite Produktpalette zu gewährleisten, Produktinnovationen zu ermöglichen und mehr Wettbewerb zu schaffen. Der Versicherungsbinnenmarkt soll dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit geben, aus einer weiten Palette das Angebot auszuwählen, das seinen individuellen Bedürfnissen und Wünschen am besten entspricht130. Als Ausgleich zur vollzogenen Liberalisierung wurden zum Schutz der Versicherungsnehmer umfangreiche Informationspflichten der Versicherungsunternehmen gegenüber den Versicherungsnehmern eingeführt, die vor Abschluss des Versicherungsvertrages zu erfüllen sind (§ 9a, § 18b Abs 1, § 75 Abs 2 VAG)131. Im Fernabsatz sind darüber hinaus (allzu) weitgehende Informationspflichten nach §§ 5 ff FernFinG zu beachten132. Der Kunde soll vor Vertragsabschluss die ihm angebotene Leistung beurteilen, allenfalls mit anderen Angeboten vergleichen und seine Entscheidung in Kenntnis aller maßgeblichen Umstände treffen können133. Va in der Lebensversicherung treffen den Versicherer aber auch während des laufenden Vertrages Offenbarungspflichten (§ 18b Abs 2 VAG)134. Dabei ist zu beachten, dass hier das Tätigkeitsland die Informationspflichten regelt. Es liegt also eine Ausnahmen vom Grundsatz der Herkunftslandkontrolle vor. Die Durchsetzung der Einhaltung der Informati-
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Art 6 Abs 5 RL Leben. Vgl Claus, Lebensversicherungsaufsicht nach der Dritten EG-Richtlinie. Was bleibt? Was ändert sich?, ZfVw 1994, 110 (114); Braumüller, Die Auswirkung der Deregulierung aus Sicht der Versicherungsaufsichtsbehörde, VR 1996, 121 (126). Da diese Vorschriften unter die Finanzaufsicht fallen, ist ihre Einhaltung von der Herkunftslandbehörde zu kontrollieren; vgl Baran, Auswirkungen, 237. Vgl Erwägungsgrund 19 der Dritten RL Nicht-Leben bzw 46 der RL Leben. Vgl auch die FMA-Mindeststandards für die Informationspflichten in der Lebensversicherung: http://www.fma.gv.at/de/pdf/041020_m.pdf. Zum Rücktrittsrecht gemäß § 5b VersVG vgl Fenyves, in: Fenyves/Kronsteiner/Schauer, Die Novellen zum VersVG, 1998, § 5b Rz 18 ff. Mit dem Fern-Finanzdienstleistungsgesetz, BGBl I 2004/62 wurde die FernabsatzRL für Finanzdienstleistungen 2002/65/EG, Abl 2002 L 271/16, umgesetzt. Zu den Informationspflichten vgl Gruber, Das Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz, wbl 2005, 53 (56 ff); St. Korinek, Informationspflichten bei Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, in Fletzberger/Schopper (Hrsg), 2004, 77; Schauer, Die Informationspflichten in der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, VR 2004, 2. Zum Informationsprinzip etwa Lurger, Vertragliche Solidarität, 1998, 14 ff mwH, und Riepl, Europäischer Verbraucherschutz in der Informationsgesellschaft, 2002, 110; vgl auch F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, 749. Vgl Art 36 RL Leben (vgl auch Art 31 der Dritten RL Nicht-Leben). Die Informationspflichten, die den Versicherer in der Lebensversicherung nicht nur vor, sondern auch noch nach Abschluss des Vertrages treffen, entstammen dem britischen Recht; näher dazu H. Müller, Verbraucherschutz im Versicherungswesen durch Information der Versicherten, 1992, 23 ff mwH. Allgemein zum Verbraucherschutz im Binnenmarkt Lemor (FN 72).
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onspflichten erfolgt jedoch nach dem Verfahren des § 107 VAG und somit nach dem Grundsatz der Herkunftslandkontrolle135.
4. Ausblick: Solvency II Die wohl größte Änderung der europarechtlichen Rahmenbedingungen für die Versicherungsaufsicht seit Schaffung des Versicherungsbinnenmarktes steht durch „Solvabilität II“ („Solvency II“) bevor; in diesem derzeit auf vollen Touren laufenden Projekt ist eine komplette Überarbeitung der derzeitigen Versicherungsrichtlinien, nicht nur des Eigenmittelerfordernisses, wie der Titel es nahe legen würde, vorgesehen136. Wie bei „Basel II“ (betreffend Kreditinstitute) wurde ein Drei-Säulen-Ansatz gewählt. Säule I beschäftigt sich mit dem Eigenmittelerfordernis; dessen Berechnung soll nicht mehr einem quantitativen Ansatz folgen, sondern einem risikobasierten137. Säule II soll den aufsichtsrechtlichen Überprüfungsprozess (supervisory review process) festlegen, Säule III Regelungen zur Markttransparenz. Mit der Risikoorientierung wird dem Risikomanagement in Versicherungsunternehmen größere Bedeutung zukommen138.
II. Anwendungsbereich des VAG A. Inländische Versicherungsunternehmen 1. Vollanwendungsbereich § 1 Abs 1 VAG bestimmt, dass „Unternehmen, die ihren Sitz im Inland und den Betrieb der Vertragsversicherung zum Gegenstand haben“, dem VAG unterliegen. Wirtschaftliche Verhältnisse, wie etwa faktische Abhängigkeiten oder Konzernverhältnisse, sind bei dieser Qualifikation grundsätzlich unbeachtlich. Aus dem Begriff „Betrieb“ ist auf die Gewerbsmäßigkeit als Voraussetzung für die Anwendung des VAG zu schließen139. 135 136
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Baran (FN 46), 58. S etwa http://ec.europa.eu/internal_market/insurance/solvency2/index_de.htm; Schradin, Versicherungsmanagement unter dem Einfluss von Solvency II und internationale Rechnungslegung, ÖBA 2004, 906 (909 ff). Vor einer Überbewertung der Eigenmittelvorschriften warnend H. Müller, Vom Sinn der Solvabilitätsvorschriften (II), ZfVw 2004, 764 (767). Vgl den Überblick von Grünbichler/Benedikt/Mammerler/Predota, Vom Stresstest zum Risikomanagement, VR 2004, 98; Krischanitz, Asset-Liability-Management für Versicherungen und Pensionskassen, VR 2002, 194; sowie Quad/Schubert, Aufbau eines integrierten Risikomanagements - Marktstudie zum Asset-LiabilityManagement von Versicherungen, VW 2000, 538; Schradin, ÖBA 2004, 915. Weiterführend zum Risikomanagement im Versicherungsbereich etwa Johanning/Rudolph (Hrsg), Handbuch Risikomanagement II, 2000. Vgl Baran, VAG3, Anm 1 zu § 1; diese Voraussetzung ergibt sich auch daraus, dass eine Versicherung nach dem Gesetz der großen Zahl betrieben wird. Der Begriff Vertragsversicherung wird weder im VAG, noch im VersVG definiert; vgl Jabornegg, Wesen und Begriff der Versicherung im Privatrecht, FS Frotz, 1993, 551 (553), der folgende Definition vorschlägt: „Versicherung ist eine wirtschaftliche Organisation, die den durch ungewisse oder nur schwer vermeidbare Ereignisse verursachten, in der Störung der Wirtschaftspläne einzelner bestehenden (schutzwürdigen) Bedarf nach dem Gesetz der großen Zahl unter Berücksichtigung von Wahr-
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Ein Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland unterliegt dem VAG aber nicht nur hinsichtlich der Geschäftstätigkeit im Inland, sondern auch hinsichtlich jener im Ausland, gleichgültig, ob es diese mit oder ohne Hilfe einer Zweigniederlassung betreibt. Die österreichische FMA übt also dem Prinzip der Sitzlandkontrolle (s I.C.2) entsprechend die Kontrolle über den gesamten Betrieb des inländischen Versicherungsunternehmens aus.
2. Eingeschränkte Anwendung Auf inländische Versicherungsunternehmen, die ausschließlich den Betrieb der Rückversicherung zum Gegenstand haben (inländische Rückversicherer), ist das VAG nur hinsichtlich jener Bestimmungen anzuwenden, die in § 2 Abs 2 VAG taxativ aufgezählt werden. Auch auf kleine Versicherungsvereine sind die Vorschriften des VAG nur teilweise anwendbar140.
3. Ausnahmen vom Anwendungsbereich Körperschaften öffentlichen Rechts, die Versicherungszweige der Personenversicherung betreiben und nur ihre Mitglieder versichern, unterliegen einer besonderen staatlichen Aufsicht und sind daher aus Zweckmäßigkeitsgründen aus dem VAG ebenso ausgenommen (§ 1 Abs 3 VAG)141 wie Pensionskassen iSd Pensionskassengesetzes (§ 2 Abs 1 VAG).
B. Vertragsstaatsunternehmen Versicherungsunternehmen, deren Sitzstaat Partei des EWR-Vertrags ist, unterliegen den in § 1a VAG aufgezählten Vorschriften des VAG, wenn sie in Österreich eine Zweigniederlassung haben oder im Wege der Dienstleistungsfreiheit in Österreich tätig werden. Anknüpfungspunkt ist dabei die Risikobelegenheit im Inland, welche nach dem BG über internationales Versicherungsvertragsrecht für den EWR zu bestimmen ist142. Die österreichische Aufsichtsbehörde hat nur eine Restkompetenz (s § 107 VAG; dazu unten III.E.3), weil nach dem Prinzip der Sitzlandkontrolle für die Versicherungsaufsicht primär der Sitzstaat des Versicherungsunternehmens zuständig ist. Ausländische Versicherungsunternehmen, die im Inland ausschließlich die Rückversicherung betreiben, unterliegen ebenfalls nicht dem VAG (§ 2 Abs 1 VAG)143. Diese mit dem geringeren Schutzbedürfnis der in der Regel geschäftskundigen Versicherungsnehmer begründete Ausnahme findet auf Drittstaatsunternehmen und Versiche-
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scheinlichkeitsregeln ganz oder teilweise dadurch deckt, dass den Betroffenen gegen Entgelt selbständige Rechtsansprüche auf bedarfsdeckende Leistungen eingeräumt werden.“ S § 62 ff VAG; zu den wesentlichen Sonderregeln Fenyves/St. Korinek, 167. § 1 Abs 1 VAG stellt bloß auf den Betrieb der Vertragsversicherung ab und differenziert nicht danach, ob der Betrieb privatrechtlich oder öffentlichrechtlich erfolgt. Es bedurfte daher einer ausdrücklichen Ausnahmeregelung; vgl 764 BlgNR 14. GP 31. Vgl dazu Rudisch, Österreichisches internationales Versicherungsvertragsrecht, 1994, insbes 180 ff. Vgl 764 BlgNR 14. GP 31. Es sei aber drauf hingewiesen, dass die Regelungen über die Rückversicherung mit Umsetzung der Rückversicherungsrichtlinie (geplant mit der VAG-Novelle 2007) stark verändert werden. Insbesondere wird das Prinzip der Einheitlichen Zulassung auch für Rückversicherungen gelten.
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rungsunternehmen aus EWR-Mitgliedstaaten Anwendung. Wird aber die Rückversicherung neben anderen Versicherungszweigen betrieben, so unterliegt das Unternehmen grundsätzlich zur Gänze dem VAG. Vertragsstaatsunternehmen, die im Inland nur im Wege der Mitversicherung tätig sind, unterliegen ebenfalls nicht dem VAG (§ 1a Abs 2 VAG). Diese Ausnahme gilt jedoch nicht für die Mitversicherung im Bereich der Haftpflichtversicherung für Schäden durch Kernenergie oder Arzneimittel.
C. Drittstaatsunternehmen Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem Staat, der nicht Mitglied des EWR ist (Drittstaatsunternehmen), fallen in den Anwendungsbereich des VAG, soweit sie in Österreich Vertragsversicherung betreiben, soweit sie also Versicherungsverträge im Inland abschließen oder für sie im Inland werben (§ 1 Abs 2 VAG). Dies entspricht dem Prinzip der Tätigkeitslandkontrolle. Drittstaatsunternehmen benötigen für ihre Tätigkeit in Österreich eine Konzession, deren Erteilung eine inländische Zweigniederlassung voraussetzt (§ 4 Abs 1 iVm § 5 Abs 1 Z 3 VAG). Unmittelbar im Ausland geschlossene Versicherungsverträge über im Inland belegene Risken führen hingegen ebensowenig zur österreichischen Aufsicht wie Korrespondenzverträge144. Die Zulässigkeit von Korrespondenzverträgen benachteiligt Versicherungsunternehmen mit Sitz im EWR, weil diese zum Abschluss von im Inland belegenen Risken zumindest der Berechtigung zum Dienstleistungsverkehr bedürfen145. Um die Grenze zwischen zulässigen Korrespondenzverträgen und Verträgen, die unzulässigerweise mit nicht zum Betrieb im Inland berechtigten Versicherungsunternehmen vermittelt wurden146, besser ziehen und eine missbräuchliche Verwendung dieser Aufsichtsfreiheit verhindern zu können, wurde durch die VAG-Novelle 1996 die gesetzliche Fiktion des § 1 Abs 2 Satz 2 VAG eingeführt. Nach dieser Bestimmung gelten Versicherungsverträge von Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, bei jeglicher Beteiligung eines beruflichen Vermittlers oder Beraters als im Inland abgeschlossen, sodass die betreffenden Versicherungsunternehmen dem VAG unterliegen. Der ausschließliche Betrieb der Rückversicherung unterliegen (noch) nicht dem VAG (§ 2 Abs 1 VAG); im Ministerialentwurf zur VAG-Novelle 2007 ist nun eine teilweise Anwendung das VAG vorgesehen. Für Versicherungsunternehmen mit Sitz in der Schweizerischen Eidgenossenschaft bestehen einige Sondervorschriften: § 1a Abs 3, § 6a, § 8b, § 13a Abs 7, § 73h, § 118g, § 129b Abs 1 VAG.
III. Aufsichtsmittel A. Allgemeines Die Kontrolle über Versicherungsunternehmen beginnt mit der Konzessionserteilung (s III.B.) und erstreckt sich danach auf die gesamte Geschäftstätigkeit, wobei den Versicherungsunternehmen Verhaltensnormen auferlegt sind (s 144 145
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Korrespondenzverträge sind Verträge, die durch (bloßen) Briefwechsel zustande kommen; vgl Baran, VAG3, Anm 8 zu § 1. Der Gesetzgeber war sich der möglichen Besserstellung von Drittstaatsunternehmen im Vergleich zu Versicherungsunternehmen aus EWR-Mitgliedstaaten durchaus bewusst; vgl 109 BlgNR 20. GP 23. Zur administrativen Hürde des Mitteilungsverfahrens s unten III.B.2.c. Zur Strafbarkeit dieser Vermittlung vgl § 110 Abs 1 Z 1 VAG.
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III.C), die Aufsichtsbehörde die Versicherungsunternehmen fortlaufend beobachtet (s III.D) und die Aufsichtsbehörde, um ihre Funktion der effektiven Wahrung der Interessen der Versicherten erfüllen zu können, die Möglichkeit der Berichtigung, also zum Eingriff in den laufenden Geschäftsbetrieb besitzt (s III.E). Ergänzend sind Verwaltungsstrafen vorgesehen (s III.F). Diese Aufsicht wird in Österreich von einer staatlichen Behörde wahrgenommen, sie wird also nicht wie nach dem Publizitätssystem147, das lediglich die Veröffentlichung von Geschäftsunterlagen und Geschäftsergebnissen - wie etwa Bilanzen und Tätigkeitsberichten - verlangt, den Versicherungsnehmern überlassen. Die Aufsicht beschränkt sich auch nicht auf die Prüfung (formal) bestimmter Erfordernisse148, wie das bei dem Normativsystem der Fall wäre. Vielmehr ist in Österreich das System der materiellen Staatsaufsicht verwirklicht149, bei der auch Prüfungen und Entscheidungen materieller Art vorzunehmen vorzunehmen sind. Zwar sind aufgrund europarechtlicher Vorgaben einige Elemente der bisherigen Aufsicht entfallen, wie etwa die Genehmigungspflicht von Versicherungsbedingungen und Tarifen, die umfassende laufende Beobachtung sowie die weit reichenden Eingriffsmöglichkeiten sind aber geblieben, sodass trotz der eingetretenen Systemänderung weiterhin von einer materiellen Staatsaufsicht gesprochen werden kann150. Braumüller bezeichnet das nunmehrige System in Anbetracht des Verlustes von Aufsichtsinstrumenten im Bereich der Produktkontrolle und der Verstärkung des Elements der Finanzaufsicht als materielle Finanzaufsicht mit Elementen der Missstandskontrolle151.
B. Konzession 1. Grundsätzliches zum Konzessionssystem Nach § 4 Abs 1 VAG bedarf der Betrieb der Vertragsversicherung, soweit nicht ausdrücklich Anderes bestimmt ist (so für Vertragsstaatsunternehmen; s unten III.B.2.c), der Konzession der FMA. Dieser Konzessionszwang stellt das letzte noch verbliebene präventiv wirkende Aufsichtsmittel dar. Er hat den Zweck, ein Fehlverhalten des Adressaten der Aufsicht von vornherein zu verhindern. Die Konzession eines inländischen Versicherungsunternehmens - als Rechtsformen sind gem § 3 Abs 1 VAG nur eine Aktiengesellschaft (AG), eine Europäische Gesellschaft152 oder ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 147 148 149 150
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Zur materiellen Staatsaufsicht sowie zu anderen Aufsichtssystemen etwa Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 37 ff; Kraus, 22 ff; Ogris, 23 ff; Reti, 7 ff. Etwa Zulassungs- und Kapitalanlagevorschriften, wobei möglichst keine wertausfüllungsbedürftige Begriffe verwendet werden. Vgl Fenyves/St. Korinek, 169. Vgl Baran, Auswirkungen, 233, der vehement der Ansicht entgegentritt, dass das System der materiellen Staatsaufsicht aufgegeben worden wäre. Ebenso Schäffer, Rz 583; H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz 362. AA Reti, 1. Braumüller (FN 129), 121. Da bislang noch kein österreichisches Versicherungsunternehmen in Form der Societas Europaea existiert, wird im Folgenden nicht auf Verwaltungsrat und Geschäftsführende Direktoren eingegangen. Das VAG wurde diesbezüglich freilich erweitert (dies brachte notgedrungen so manche komplizierte Formulierung mit sich).
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(VVaG) zulässig - gilt für den gesamten EWR; vice versa sind Zweigniederlassungen von Versicherungsunternehmen aus Staaten des EWR wie auch der Dienstleistungsverkehr solcher Unternehmen nicht konzessionsbedürftig (§§ 7, 14 VAG; zu den Mitteilungsverfahren s unten III.B.2.c). Die Konzession für ausländische Unternehmen aus Drittstaaten gilt hingegen nur für das Bundesgebiet (vgl §§ 5, 5a, 8a VAG).
Die Konzession ist für jeden Versicherungszweig153 gesondert zu erteilen. Für bestimmte Kombinationen von Versicherungszweigen kann die Konzession aber auch gemeinsam erteilt werden (§ 4 Abs 3 VAG)154. Umgekehrt ist es auch möglich, die Konzession nur für einen Teil der Risken eines Versicherungszweiges zu beantragen155. Dann bedarf aber jede Ausdehnung des Deckungsumfanges innerhalb eines Versicherungszweiges einer weiteren Konzession (§ 4 Abs 2 VAG). Das Versicherungsunternehmen darf - außer bei der Lebensversicherung sowie bei der Kredit-, Kautions- oder Rechtsschutzversicherung - darüber hinaus noch solche Risken decken, die mit dem von der Konzession erfassten Risiko in Zusammenhang stehen, diesem gegenüber von untergeordneter Bedeutung sind und durch denselben Vertrag gedeckt werden (§ 4 Abs 5 VAG).
Das Betreiben versicherungsfremder Geschäfte ist den Versicherern untersagt, gem § 3 Abs 3 VAG dürfen sie aber Geschäfte betreiben, die mit der Vertragsversicherung in unmittelbarem Zusammenhang stehen156: Es sind dies insbesondere die Vermittlung von Bausparverträgen, von Leasingverträgen, von Investmentfondsanteilen und das Erbringen von Dienstleistungen im Bereich der automatischen Datenverarbeitung sowie der Vertrieb von Kreditkarten. Es besteht eine Betriebspflicht: Wird der Betrieb nicht innerhalb eines Jahres nach Erteilung der Konzession aufgenommen oder ununterbrochen während sechs Monaten nicht ausgeübt, erlischt die Konzession ex lege (s § 7a Abs 1 VAG)157. Aus Gründen der Rechtssicherheit hat die FMA das Erlöschen der Konzession mit Bescheid festzustellen (§ 7a Abs 3 VAG). Änderungen in der Art der gedeckten Risken sind nach § 10 VAG anzeigepflichtig. Will ein Versicherungsunternehmen hingegen einen weiteren Versicherungszweig
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Anlage A zum VAG nennt 23 Versicherungszweige, und zwar Unfall; Krankheit; Landfahrzeug-Kasko; Schienenfahrzeug-Kasko; Luftfahrzeug-Kasko; See-, Binnensee- und Flussschifffahrts-Kasko; Transportgüter; Feuer- und Elementarschäden; Sonstige Sachschäden; Haftpflicht für Landfahrzeuge mit eigenem Antrieb; Luftfahrzeuge-Haftpflicht; See-, Binnensee- und Flussschifffahrts-Haftpflicht; Allgemeine Haftpflicht; Kredit; Kaution; Verschiedene finanzielle Verluste; Rechtsschutz; Beistandsleistungen; Leben; Heirats- und Geburtenversicherung; Fondsgebundene und indexgebundene Lebensversicherung; Tontinengeschäfte; Kapitalisierungsgeschäfte. Die 8 Kombinationsmöglichkeiten sind in der Anlage B (zu § 4 Abs 3) angeführt. Mit dem Einbeziehen von 13 Versicherungszweigen ist die Kombination mit der Bezeichnung „Schaden- und Unfallversicherung“ die weitreichendste. Ist eine solche Einschränkung nicht ausdrücklich beantragt worden, so bezieht sich die Konzession jeweils auf den gesamten Versicherungszweig, selbst wenn das Versicherungsunternehmen nur bestimmte Arten von Risken decken will und dies aus dem Geschäftsplan hervorgeht. Vgl 109 BlgNR 20. GP 23; Baran, VAG3, Anm 6 zu § 4; Fenyves/St. Korinek, 170. Vgl Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 127 ff. Vgl Baran, VAG3, Anm 1 zu § 7a VAG.
Versicherungsaufsichtsrecht
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betreiben, so wird konsequenterweise eine neue Konzession gefordert158. Da einige Versagungsgründe nur bei der ersten Konzessionserteilung relevant sind, werden die Voraussetzungen zur Erteilung einer weiteren Konzession in § 4 Abs 8 VAG separat geregelt.
In Österreich existiert für Neuzulassungen eine beschränkte Spartentrennung (§ 4 Abs 1 VAG)159. Versicherungsunternehmen dürfen zwar grundsätzlich verschiedene Versicherungszweige betreiben, die Konzession zum Betrieb der Lebensversicherung und die Konzession zum Betrieb anderer Versicherungszweige außer der Unfallversicherung und der Krankenversicherung schließen einander aber aus (§ 4 Abs 1 VAG). Alle in Österreich schon vor dem 2. 5. 1992 (vgl § 129 Abs 4 VAG)160 zugelassenen sowie alle in anderen Mitgliedstaaten161 zugelassenen Kompositversicherer unterliegen dagegen lediglich dem Gebot der Verwaltungstrennung: Sie haben getrennte Bilanzabteilungen mit jeweils gesonderter versicherungstechnischer Rechnung zu führen (§ 73e, § 81b VAG); auch der Deckungsstock ist in gesonderte Abteilungen zu gliedern (§ 20 Abs 2 VAG). Durch die getrennte Verwaltung von Lebensversicherung, Krankenversicherung sowie Schaden- und Unfallversicherung soll die Quersubventionierung zwischen diesen Bereichen verhindert werden, denn auf längere Sicht soll sich jeder Bereich selbst tragen.
2. Zulassungskriterien Liegt kein Versagungsgrund nach § 4 Abs 6 VAG vor, hat der Versicherer einen Rechtsanspruch auf Konzessionserteilung162. Der FMA kommt im Konzessionsverfahren keine Ermessensausübung zu, unbestimmte Gesetzesbegriffe 158
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Widersprüchlich hingegen die EG-Regelung: Einerseits fordert sie für jeden Versicherungszweig eine gesonderte Zulassung, andererseits sieht sie die Ausdehnung der Versicherungstätigkeit auf andere Versicherungszweige vor. Die ins VAG „übernommene“ Widersprüchlichkeit wurde durch die VAG-Novelle 1996 (autonom) beseitigt. Eingehende Kritik zur alten Rechtslage, die eine Ausdehnung der Konzession kannte: Baran, Erfahrungen mit den Versicherungsrichtlinien, VR 1995 Heft 12, 5 (6 f). Österreich hat also den durch Art 18 RL Leben gewährten Spielraum (s dazu H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz 483 ff, und Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 115 ff) genutzt. Vgl Fenyves/St. Korinek, 170; St. Korinek, Rechtsaufsicht, 40 f. In Österreich hatte das Versicherungsregulativ 1880 Spartentrennung vorgeschrieben; zur weiteren Geschichte der Spartentrennung in Österreich Lehner, EG-Auswirkungen auf das österreichische Versicherungswesen als geschichtliche Herausforderung, VR 1991, 177 (180 f). In Deutschland wurde die Spartentrennung erst 1903 durch eine Entscheidung der Aufsichtsbehörde „eingeführt“; vgl dazu Tigges (FN 14), 89 ff. Allgemein wird die Spartentrennung als einer der Hauptgründe für die Gruppen- und Konzernbildung im Versicherungswesen angesehen; s nur Farny, Versicherungsbetriebslehre3, 2000, 233, und Tigges (FN 14), 91 mwN. Wie das Datum erkennen lässt, wurde das Gebot der Spartentrennung in Österreich mit der Novelle 1992 verwirklicht, konnte aber freilich erst ab dem 1. 1. 1994 seine Wirkung entfalten. Das ergibt sich aus dem Prinzip der einheitlichen Zulassung. Dies ist verfassungsrechtlich auch geboten, denn Ansicht des VfGH (VfSlg 52/1966) widerspricht ein Gesetz, das für eine bestimmte Erwerbstätigkeit Konzessionszwang vorsieht, aber demjenigen, der die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verleihung der Konzession erfüllt, keinen Rechtsanspruch auf Erteilung einer solchen Bewilligung einräumt, Art 6 StGG (Erwerbsfreiheit).
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geben ihr aber einen gewissen Beurteilungsspielraum bei der Auslegung der Versagungstatbestände163. Die innerstaatliche Regelung ist weitgehend durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben bestimmt164; darüber hinaus sind die von der International Association of Insurance Supervisors festgelegten Standards von Bedeutung165. a) Inländische Versicherungsunternehmen aa) Persönliche und fachliche Eignung der Vorstandsmitglieder Gemäß § 4 Abs 6 Z 1 VAG ist die Konzession zu versagen, wenn die Mitglieder des Vorstandes nicht persönlich zuverlässig und fachlich geeignet sind. Persönliche Zuverlässigkeit setzt voraus, dass kein Ausschließungsgrund nach § 13 GewO vorliegt und über das Vermögen weder dieser Person noch von Rechtsträgern, auf deren Geschäfte diese Person maßgeblichen Einfluss hatte, der Konkurs eröffnet wurde (es sei denn, es wurde ein Zwangsausgleich durchgeführt)166. Die fachliche Eignung ist in der Regel anzunehmen, wenn eine zumindest dreijährige leitende Tätigkeit bei einem Versicherungsunternehmen von vergleichbarer Größe und Geschäftsart nachgewiesen wird167. Es reicht aber aus, dass zwei Vorstandsmitglieder Kenntnisse im eigentlichen Betrieb der Vertragsversicherung haben; bei den weiteren Mitgliedern genügen Kenntnisse auf anderen Gebieten, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäftes von wesentlicher Bedeutung sind (wie etwa der Kapitalanlage oder dem Rechnungswesen), und eine leitende Tätigkeit bei entsprechenden Unternehmen168. Mindestens ein Vorstandsmitglied muss den Hauptwohnsitz in Österreich haben und die deutsche Sprache beherrschen (§ 4 Abs 6 Z 1a VAG). Zudem dürfen Vorstandsmitglieder keinen Hauptberuf außerhalb der Versicherungswirtschaft und des Bankwesens ausüben (§ 11 Abs 3 VAG). bb) Ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten nach dem Geschäftsplan Die Konzession ist zu versagen, wenn nach dem Geschäftsplan die Belange der Versicherten nicht ausreichend gewahrt, insbesondere die Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen nicht als dauernd erfüllbar anzusehen sind (§ 4 Abs 6 Z 2 VAG).
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Vgl Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1987, 119 ff; Baran, VAG3, Anm 15 zu § 4; Fenyves/St. Korinek, 170. Ausführlich dazu Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 90 ff. Vgl Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 83 ff. Die Umsetzung der IAISStandards ist nicht verpflichtend, wird aber erwartet. S auch unten IV. Die Gewerberechtsnovelle 2002 (BGBl I 2002/111), die den Ausschließungsgrund § 13 GewO enger fasste, wurde inhaltlich nicht mit vollzogen; mit der VAGNovelle 2002 wurde die komplette Bindung an § 13 GewO aufgehoben Diese Konkretisierung geht auf die VAG-Novelle 1996 zurück. Diese für die Verwaltungspraxis hilfreiche weitere Konkretisierung erfolgte durch die VAG-Novelle 2002; mittlerweile wurde der Gesetzestext im Hinblick auf die Societas Europaea erweitert.
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Mit dem Antrag auf Erteilung der Konzession ist der Geschäftsplan169 vorzulegen (§ 8 Abs 1 VAG). In diesem hat das Versicherungsunternehmen die Art der Risken, die es decken will, die Grundzüge seiner Rückversicherungspolitik und die Zusammensetzung der Eigenmittel festzuhalten. Ferner hat es Schätzungen über die Kosten des Verwaltungsaufbaus und wirtschaftliche Daten der ersten drei Geschäftsjahre anzugeben (§ 8 Abs 2 und 3 VAG). Auf diese Weise werden der Tätigkeitsbereich und die finanziellen Voraussetzungen des Versicherers abgesteckt und die Möglichkeit geschaffen, dass die FMA eine materielle Prüfung vornimmt. Bei Lebensversicherungen sowie Krankenversicherungen, die nach Art der Lebensversicherung betrieben werden, sind darüber hinaus mit dem Antrag auf Konzessionserteilung auch die für die Erstellung der Tarife und die Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellung verwendeten versicherungsmathematischen Grundlagen vorzulegen (§§ 18, 18b VAG). cc) Ausreichende Eigenmittel Die Eigenmittel müssen den Mindestbetrag des Garantiefonds erreichen, der je nach betriebenen Versicherungssparten zwischen 3 und 9,5 Mio Euro beträgt (§ 73f Abs 2 und 3 VAG). dd) Einhaltung der Organisationsvorgaben für den Vorstand Der Vorstand muss aus mindestens zwei Personen bestehen. Außerdem hat die Satzung die Einzelvertretungsbefugnis für den gesamten Geschäftsbetrieb auszuschließen (§ 4 Abs 6 Z 4 VAG), dh Vertretungsmacht, die den gesamten Geschäftsbereich umfassen soll, kann nur als Gesamtvertretung eingerichtet werden170. ee) Aktionärskontrolle Durch die Umsetzung der Dritten Richtliniengeneration wurde als vollkommen neues Element der Versicherungsaufsicht die Kontrolle über die Eigentümer des Versicherungsunternehmens eingeführt171. Gem § 4 Abs 6 Z 5 VAG ist die Konzession zu verwehren, wenn die „Großaktionäre“172 nicht den im Interesse einer soliden und umsichtigen Geschäftsführung zu stellenden Ansprüchen genügen. Diese sog Aktionärskontrolle, die sich in der laufenden Überwachung
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Bis zur VAG-Novelle 1992 waren die allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen Bestandteile des Geschäftsplans. Dieser war genehmigungspflichtig und bildete somit einen wesentlichen Teil der einstmals dominierenden präventiven Aufsicht. Selbst in der Kfz-Haftpflichtversicherung sind die Versicherungsbedingungen nicht mehr genehmigungspflichtig; sie sind der FMA aber gem § 18 Abs 1 KHVG 1994 vorab mitzuteilen. Vgl Schauer (FN 78) 55, 97 f; Baran, VAG3, Anm 22 zu § 4, § 5 Abs 1 Z 12 BWG. BGBl 1994/652; vgl Baran, Auswirkungen, 236 f. Damit sind Personen gemeint, die unmittel- oder mittelbar eine Beteiligung von mindestens 10vH des Grundkapitals oder der Stimmrechte halten oder auf sonstige Weise maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen können (§ 4 Abs 6 Z 5 VAG).
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fortsetzt (s unten III.C.1), wurde durch die Dritte Richtliniengeneration vorgeschrieben173. ff) Keine Hindernisse für eine ordnungsgemäße Aufsicht Gem § 4 Abs 6 Z 6 VAG darf keine Konzession ausgestellt werden, wenn zu erwarten ist, dass die FMA erstens durch eine enge Verbindung des Versicherungsunternehmens mit anderen natürlichen oder juristischen Personen oder zweitens durch Rechtsvorschriften eines Drittstaates, denen diese Personen unterliegen, oder durch Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Vorschriften an der ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Überwachungspflicht gehindert wird. Eine „enge Verbindung“ wird durch eine Beteiligung von mindestens 20vH oder das Verhältnis zwischen Mutter- und Tochterunternehmen begründet (s § 4 Abs 7 VAG). Dieser in Umsetzung der BCCI-Richtlinie174 eingeführte Tatbestand soll verhindern, dass die Aufsicht durch Unternehmensverflechtungen (im gesamten Finanzbereich, also auch zwischen verschiedenen Sektoren) behindert oder gar unmöglich gemacht wird. Diese Regelung dürfte am ehesten für Tochterunternehmen von Drittstaatsunternehmen in Betracht kommen. Innerhalb der Gemeinschaft sollte diese Bestimmung aufgrund des vorgeschriebenen Informationsaustausches zwischen den Behörden gar nicht zur Anwendung kommen müssen175. Auch die mangelnde Transparenz der Gruppenstruktur ist ein Konzessionsversagungsgrund (§ 4 Abs 6 Z 7 VAG). Die Konzession kann in den hier geschilderten Fällen mit Auflagen erteilt werden, die der FMA die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Überwachungspflicht ermöglichen (§ 4 Abs 7a VAG)176. b) Drittstaatsunternehmen Die Konzessionsvoraussetzungen für Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen, die nicht aus einem Mitgliedstaat des EWR kommen, ergeben sich aus § 5 VAG177. Zusätzlich zu den Voraussetzungen, dass die Belange der Versicherten nach dem Geschäftsplan gewahrt sein müssen bzw dass die Erfüllung der Überwachungspflicht der FMA nicht gefährdet wird, und dem Erfordernis ausreichender Eigenmittel178 wird noch Folgendes verlangt: Die Rechtsform des Unternehmens muss jener einer AG oder VVaG entsprechen oder vergleichbar sein. Das Versicherungsunternehmen muss nach dem Recht des Sitz173 174 175 176
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In Deutschland wurde die Aktionärskontrolle mit der VAG-Novelle 2000 weiter verschärft; vgl Fricke (FN 51), 97 f; Präve (FN 51), 135 f. 95/26/EWG, Abl 1995 L 168/7 So Baran (FN 46), 57. Entsprechende Maßnahmen können auch später gesetzt werden und den Konzessionswiderruf verhindern (s § 7b Abs 1a VAG); diese Erweiterungen hinsichtlich Transparenz wurden gem mit dem FKG geschaffen. Besonderes gilt für Versicherungsunternehmen mit Sitz in der Schweizerischen Eidgenossenschaft (vgl § 6a VAG): Ihre Zweigniederlassungen müssen keine bestimmte Rechtsform haben und unterliegen keinem eigenen Eigenmittelerfordernis (s auch § 73h VAG). Die Unternehmen müssen aber bescheinigen, dass sie über die erforderlichen Eigenmittel verfügen (§ 8b VAG). § 73g Abs 5 VAG, wonach der Mindestgarantiefonds nur halb so hoch sein muss wie bei inländischen Versicherungsunternehmen, wurde aufgehoben; die Übergangsvorschrift § 129g Abs 4 VAG war zu beachten.
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staates zum Betrieb der Vertragsversicherung in dem betreffenden Versicherungszweig berechtigt sein und es muss eine Zweigniederlassung unter einer eigenen Geschäftsleitung errichten, die aus mindestens zwei persönlich wie fachlich geeigneten Personen (s oben III.B.2.a) besteht, die ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben179. Der Sitzstaat des ausländischen Versicherungsunternehmens muss den österreichischen Versicherern die gleichen Wettbewerbsmöglichkeiten wie seinen Versicherungsunternehmen gewähren und effektiven Marktzugang bieten, es sei denn, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Erteilung der Konzession besteht; seit der VAGNovelle 2000 gilt das aber nicht mehr für Vertragsstaaten der WTO. Dieses Prinzip der „virtuellen Gegenseitigkeit“ bildet die Ausnahme zu den ansonsten innerhalb des EWR vereinheitlichten Bestimmungen über den Marktzutritt von Konzessionswerbern aus Staaten außerhalb des EWR180. Darüber hinaus gilt die eingeschränkte Spartentrennung - Lebensversicherungsunternehmen können weitere Konzessionen nur für die Bereiche Unfall- und Krankenversicherung erwerben - selbst für solche Versicherungsunternehmen, die in ihrem Sitzstaat zum Betrieb sowohl der Lebensversicherung als auch anderer Versicherungszweige berechtigt sind (§ 5 Abs 2 VAG). Dem Eigenmittelerfordernis muss mit im Inland belegenen Vermögenswerten entsprochen werden; ein Viertel davon ist als Kaution zu stellen; die Kautionsbindung wird im Konzessionsbescheid festgelegt (§ 5 Abs 3 VAG). Nach Erteilung einer Konzession darf ein ausländisches Versicherungsunternehmen über im Inland belegene Risken Verträge nur noch über seine Zweigniederlassung abschließen. § 6 Abs 2 VAG statuiert also ein „Kumulierungsverbot“ („Kumulverbot“).
c) Vertragsstaatsunternehmen - Mitteilungsverfahren Ausländische Versicherungsunternehmen aus einem Vertragsstaat bedürfen dem Prinzip der Einheitlichen Zulassung entsprechend weder für die Errichtung einer Zweigniederlassung in Österreich (§ 7 Abs 1 VAG) noch für die Ausübung des Dienstleistungsverkehrs (§ 14 VAG) einer Konzession. Ist ein Versicherungsunternehmen in einem Vertragsstaat zugelassen, so genügt schon ein bloßer Anmeldevorgang für die Zulässigkeit des Geschäftsbetriebs in einem anderen Mitgliedstaat. Um einen unverzerrten Wettbewerb und ein einheitliches Schutzniveau für die Versicherten europaweit zu gewährleisten, wurden die Kriterien für Zulassung von der EG harmonisiert. Für Vertragsstaatsunternehmen besteht kein Kumulierungsverbot, sodass selbst ein Unternehmen, das in Österreich bereits eine Zweigniederlassung hat, auch im Wege des Dienstleistungsverkehrs in Österreich tätig werden darf. Als letzte administrative Hürde stehen der vollkommenen Verwirklichung des Versicherungsbinnenmarktes die Mitteilungsverfahren entgegen181. Da die für die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit anzuwendenden Regeln etwas differieren, ist eine klare Unterscheidung dieser Freiheiten notwendig182. 179 180 181 182
Dem „Vier-Augen-Prinzip“ entsprechend schließt § 6 Abs 4 VAG jede Einzelvertretungsbefugnis für den gesamten Geschäftsbetrieb im Inland aus. Vgl Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 124. Fenyves/St. Korinek, 173; zu diesen Verfahren vgl auch Braumüller, Zusammenarbeit, 27 f; dens, Versicherungsaufsichtsrecht, 154 ff. Beispiele bei Werle, Freier Dienstleistungsverkehr in Europa, VR 1996, 62 (63 f), der auch unterschiedliche Meinungen der Aufsichtsbehörden über die Grenzziehung zwischen den beiden Freiheiten referiert. Vgl Mitteilung (FN 118), Teil I.A.: „Abgrenzung zwischen Niederlassungsrecht und Dienstleistungsfreiheit“. Zur Abgren-
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So ist etwa eine mit eigenem Personal besetzte Betriebsstätte als Zweigniederlassung anzusehen183. § 7 Abs 1 VAG stellt darüber hinaus klar, dass auch der Betrieb der Vertragsversicherung mittels einer zwar selbständigen, aber ständig damit betrauten Person, die von einer im Inland gelegenen Betriebsstätte aus tätig wird, als Zweigniederlassung gilt184. Ein Versicherungsmakler kann dagegen nicht als Zweigniederlassung fungieren, da es für ihn Wesensmerkmal ist, dass er von keinem Versicherungsunternehmen ständig mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen betraut ist185. aa) Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch eine Zweigniederlassung (§ 7 VAG) Zunächst hat das Versicherungsunternehmen der Herkunftslandbehörde neben dem Staat, in dem die Zweigniederlassung errichtet werden soll, auch die Anschrift der Zweigniederlassung und den Namen des Hauptbevollmächtigten anzugeben sowie den Tätigkeitsplan vorzulegen186. Diese Angaben und die Bescheinigung darüber, dass das Versicherungsunternehmen über die erforderlichen Eigenmittel verfügt und kein Sanierungsplan gefordert wurde und kein Sanierungsplan gefordert wurde (Solvabilitätsbestätigung)187, hat die Sitzlandbehörde - sofern sie keinen Grund hat, die Angemessenheit der Verwaltungsstruktur und der Finanzlage des betreffenden Versicherers oder die Zuverlässigkeit, berufliche Qualifikation oder Berufserfahrung der verantwortlichen Führungskräfte anzuzweifeln188 - der FMA zu übermitteln (§ 7 Abs 2 VAG). Sobald die FMA der Behörde des Sitzstaates mitgeteilt hat, welche Bedingungen für den Betrieb der Vertragsversicherung im Inland aus Gründen des Allgemeininteresses gelten189, spätestens aber zwei Monate nach Einlangen der
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zung vgl auch Budischowsky, in: Mayer (Hrsg), EU- und EG-Vertrag, Rz 51 zu Art 49, sowie ebendort Mayer Rz 12 zu Art 43. Vgl nur 109 BlgNR 20. GP 26. Nach Mitteilung der Kommission (FN 118) liegt eine Zweigniederlassung vor, wenn folgende drei Kriterien erfüllt sind: i) Die Person untersteht der Aufsicht und Leitung des Versicherungsunternehmens, die es vertritt, ii) sie ist befugt, geschäftliche Verhandlungen im Namen des Versicherungsunternehmens zu führen und kann dieses Dritten gegenüber verpflichten und iii) sie übt die Tätigkeit auf Dauer aus. Das Vorhandensein gewisser Infrastruktur allein schließt aber die Qualifikation als Tätigwerden im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs nicht aus. Diese Klarstellung erfolgte mit der VAG-Novelle 1996. Wäre er vom Versicherer ständig mit der Vermittlung betraut, so wäre er nicht Makler, sondern Versicherungsagent iSd § 43 VersVG. Eine ständige Betrauung durch den Versicherungsnehmer beseitigt hingegen die Maklereigenschaft nicht (§ 26 Abs 1 MaklerG). Vgl auch Mitteilungsentwurf (FN 118), 10 ff. Art 10 der Ersten idF 32 der Dritten RL Nicht-Leben; Art 40 RL Leben. Österreich behielt in § 10a VAG die Bezeichnung „Geschäftsplan“ bei. Vgl Art 20a Abs 5 der Ersten RL Nicht-Leben idF Art 1 Z 7 RL 2002/13/EG und Art 38 Abs 5 RL Leben; sowie für Solvabilitätsbestätigungen der FMA § 10a Abs 2 VAG; zum Sanierungsplan § 104a Abs 2a und 2b VAG. Vgl Art 10 der Ersten idF 32 der Dritten RL Nicht-Leben; Art 40 Abs 3 RL Leben; (bzgl FMA) § 10a Abs 2 VAG. Ausführlich zu dieser Problematik St. Korinek, Rechtsaufsicht, 157 ff mwH, zur „Prüfungsformel“ 166 ff, konkrete Beispiele 175 ff; Zischka, Rz 389 ff; vgl auch Mitteilung (FN 118), Teil II.
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Angaben bei der FMA, darf die Zweigniederlassung den Betrieb aufnehmen (§ 7 Abs 3 VAG). Eine Betriebspflicht besteht aber, anders als bei Versicherungsunternehmen, die einer Konzession bedürfen, nicht. bb) Ausübung der Dienstleistungsfreiheit Nach § 14 Abs 1 VAG liegt Dienstleistungsverkehr dann vor, wenn Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem Vertragsstaat Versicherungsverträge für in einem anderen Vertragsstaat belegene Risken nicht über eine Zweigniederlassung abschließen. Will ein Vertragsstaatsunternehmen einen solchen Dienstleistungsverkehr aufnehmen, so muss es das unter Angabe der Risken, die es im Dienstleistungsverkehr decken will, der Sitzlandbehörde mitteilen. Diese hat die Mitteilung gemeinsam mit der Auskunft darüber, welche Versicherungszweige das Unternehmen betreiben darf, und der Bescheinigung, dass der Versicherer über die erforderlichen Eigenmittel verfügt und kein Sanierungsplan gefordert wurde (Solvabilitätsbescheinigung), an die FMA weiterzuleiten (§ 14 Abs 3 VAG). Danach darf der Dienstleistungsverkehr aufgenommen werden (§ 14 Abs 4 VAG), ohne dass dem Unternehmen die aus Gründen des Allgemeininteresses geltenden Bedingungen vorher mitgeteilt werden müssten. In der Praxis teilt die Aufsichtsbehörde diese Bestimmungen dennoch mit, weil auch bei Ausübung der Dienstleistungsfreiheit nationale Vorschriften zu beachten sind190. Für den Betrieb der KfZ-Haftpflichtversicherung im Wege des freien Dienstleistungsverkehrs sind darüber hinaus §§ 30 f KHVG 1994 zu beachten191. Wenn auch nur ein einzelner Versicherungsvertrag über ein in einem anderen Mitgliedstaat belegenes Risiko abgeschlossen wird, selbst wenn die Initiative vom Versicherungsnehmer ausging, liegt ein anmeldebedürftiger Dienstleistungsverkehr vor192, sodass in der Praxis oft Berechtigungen zum Dienstleistungsverkehr eingeholt werden, von denen tatsächlich überhaupt nicht oder nur sporadisch Gebrauch gemacht wird193. Deshalb verschafft die Mitteilung gerade nicht die gewünschte Übersicht über die tatsächlich in Österreich tätigen Versicherer. Würde für den „passiven“ Dienstleistungsverkehr kein Mitteilung verlangt, könnte die Transparenz erhöht und gleichzeitig die Diskriminierung gegenüber Drittstaaten, die ohne jegliche Voraussetzung „Korrespondenzversicherungen“ abschließen dürfen, beseitigt werden194.
Ändert sich die Art der Risken, die das Unternehmen im Wege des Dienstleistungsverkehrs decken will, oder ändern sich die mitgeteilten Angaben, so sind neuerlich die jeweiligen Verfahren durchzuführen.
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Vgl Baran, VAG3, Anm 8 zu § 14; s auch oben FN 189. Vgl Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 612. Fenyves/St. Korinek, 173 f. So Baran (FN 158), 8. Vgl Fenyves/St. Korinek, 174. Dadurch würde der Versichertenschutz wohl kaum gefährdet, zumal meist nur kundige und somit weniger schutzbedürftige Versicherungsnehmer die Initiative für einen Vertragsabschluss im Dienstleistungsverkehr setzen und durch den „passiven“ Dienstleistungsverkehr auch keine nennenswerten Versicherungsbestände aufgebaut werden. Eingehend dazu Baran (FN 158), 8 f.
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d) Inländische Versicherungsunternehmen, die im EWR-Ausland tätig werden wollen Nach dem Prinzip der Einheitlichen Zulassung gilt die Konzession eines inländischen Versicherungsunternehmens für das Gebiet aller Vertragsstaaten (§ 4 Abs 1 VAG). Will das Unternehmen Vertragsversicherung im EWR-Ausland betreiben, muss es das der österreichischen FMA berichten. Das Mitteilungsverfahren ist für die Errichtung einer Zweigniederlassung in § 10a VAG und für die Aufnahme des Dienstleistungsverkehrs in § 16 VAG geregelt195. Will die österreichische Aufsichtsbehörde keine entsprechende Mitteilung an die Herkunftslandbehörde machen, weil ihrer Ansicht nach die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind, hat sie einen negativen Bescheid zu erlassen (§ 10a Abs 3, § 16 Abs 3 VAG). Das Versicherungsunternehmen hat somit die Möglichkeit, sich gegen ein Nicht-Weiterleiten seiner Mitteilung durch Beschwerde gegen den negativen Bescheid zu wehren196.
C. Verhaltensnormen für die Führung von Versicherungsunternehmen Damit das Ziel der Versicherungsaufsicht tatsächlich erfüllt werden kann, sind die Versicherungsunternehmen mit einer Reihe von Verhaltenspflichten belegt, die im Folgenden darzustellen sind. Im weiteren Sinne gehören zu diesen Pflichten auch verschiedene Berichtspflichten; aufgrund ihrer Bedeutung für die Beaufsichtigung werden sie unten (III.D.5) eigens aufgezählt. Ferner müssen die Konzessionsvoraussetzungen ständig erfüllt sein (vgl § 7b Abs 1 Z 1 VAG); diesbezüglich ist auf die oben (III.B.2) behandelten Zulassungskriterien zu verweisen (insbesondere auf die Vorstandseignung). Da aber für die laufende Aktionärskontrolle eigene Vorschriften bestehen, soll mit diesen begonnen werden:
1. Aktionärskontrolle (§ 11a VAG) Die Aufsichtsbehörde benötigt Information über die Beteiligungen an Versicherungsunternehmen, um über eine Aktionärskontrolle zu verhindern, dass Aktionäre einen nachteiligen Einfluss auf die Geschäftsführung ausüben197. Die Aktionärskontrolle setzt beim Beteiligungserwerb ein: Personen, die an einem inländischen Versicherungsunternehmen unmittelbar oder mittelbar eine Beteiligung erwerben wollen, die dazu führt, dass sie mindestens 10vH des Grund195 196
197
Da diese Mitteilungsverfahren auf Gemeinschaftsrecht basieren, gilt das oben zu den Vertragsstaatsunternehmen Gesagte (s oben III.B.2.c) entsprechend. Fenyves/St. Korinek, 174. Die Ansicht von Baran, VAG3, Anm 10 zu § 10a, die Untätigkeit der Aufsichtsbehörde könne hingegen nur durch eine Dienstaufsichtsbeschwerde bekämpft werden (und uU zu Amtshaftung führen) ist insbesondere wegen der europarechtlichen Vorgabe, auch bei Nichtäußerung der Behörde ein Gericht anrufen zu können (vgl Art 10 der Ersten idF 32 der Dritten RL Nicht-Leben; Art 40 Abs 3 RL Leben), problematisch (vgl auch Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9, Rz 962). Die Aktionärskontrolle wurde in Umsetzung der Dritten Richtliniengeneration geschaffen. Sie wird von der jeweils zuständigen Herkunftslandbehörde durchgeführt und bezieht sich demnach nur auf Beteiligungen an inländischen Versicherungsunternehmen (vgl § 11a Abs 1 und 4 VAG).
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kapitals oder der Stimmrechte halten oder auf sonstige Weise maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen können, haben dies der FMA anzuzeigen. Des weiteren ist jeder beabsichtigte Erwerb anzuzeigen, der die Beteiligung die Schwellenwerte von 20%, 33% oder 50% überschreiten ließe oder das Versicherungsunternehmen zu einem Tochterunternehmen iSd § 244 UGB machte (§ 11a Abs 1 VAG). Nach § 11a Abs 3 ist auch die beabsichtigte Veräußerung einer anzeigepflichtigen Beteiligung sowie eine Unterschreitung der angeführten Schwellenwerte der FMA anzuzeigen. Die Information über die Beteiligungen soll die FMA also (primär) vom Aktionär erhalten. Nach § 11a Abs 4 VAG haben aber auch die Versicherungsunternehmen jede anzeigepflichtige Aufgabe von Anteilsrechten der Aufsichtsbehörde mitzuteilen, und zwar sobald sie davon Kenntnis erlangen. Die subsidiäre Informationspflicht der Versicherungsunternehmen begründet keine Verpflichtung zur Ermittlungstätigkeit, sondern verpflichtet nur dazu, erhaltene Information weiterzugeben198. Darüber hinaus müssen sie mindestens einmal im Jahr die Namen und Anschriften der Aktionäre, die anzeigepflichtige Beteiligungen halten, der Versicherungsaufsicht bekannt geben. Auch diese Verpflichtung besteht nur, soweit das Versicherungsunternehmen entsprechende Informationen erhalten hat. Genügt der Aktionär nicht den im Interesse einer soliden und umsichtigen Führung des Versicherungsunternehmens zu stellenden Ansprüchen (vgl § 4 Abs 6 Z 5 VAG), so hat die FMA den Erwerb der Anteilsrechte zu untersagen (§ 11a Abs 2 VAG). Ergibt sich der nachteilige Einfluss erst später oder aus einer nicht angezeigten Beteiligung, so hat die FMA die zur Beseitigung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen, insbesondere nach § 106 VAG, zu treffen. Zudem kann die FMA beim zuständigen Gericht das Ruhen der vom betreffenden Aktionär gehaltenen Stimmrechte beantragen (§ 11a Abs 5 VAG).
2. Interne Revision, Kontrolle und Risikomanagement (§ 17b VAG) Die Versicherungsunternehmen haben eine interne Revision einzurichten, die unmittelbar den Geschäftsleitern untersteht und ausschließlich der laufenden und umfassenden Prüfung der Gesetzmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Geschäftes und Betriebes des Versicherungsunternehmens dient199. So soll überprüft werden, ob alle für das Versicherungsgeschäft und den Versicherungsbetrieb in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden, ob die Entscheidungen und Arbeitsabläufe im Unterneh198 199
Baran, VAG3, Anm 9 zu 11a; Fenyves/St. Korinek, 175; vgl 1682 BlgNR 17. GP, 30. Vgl dazu die FMA-Mindeststandards für die interne Revision von Versicherungsunternehmen (http://www.fma.gv.at/de/pdf/ms_ir_ve.pdf) und Hauser/Wöhry, Interne Revision und Kontrolle in der Versicherungswirtschaft, VR 2003, 30; aus der Zeit ihrer Einführung Gogg, Interne Kontrolle bei Versicherungen, VR 1987, 214; L. Mayer, Innenrevision und Abschlußprüfung in der österreichischen Versicherungswirtschaft, VR 1987, 43; Vodrazka, Stand und Entwicklungstendenzen der internen Revision, VR 1987, 33. Die hL nahm an, dass der bis zur VAG-Novelle 2002 in § 17b VAG verwendete Begriff „interne Kontrolle“ den betriebswirtschaftlichen Terminus „interne Revision“ meine; vgl St. Korinek, Rechtsaufsicht, 26 FN 124 mwN.
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men ordnungsgemäß (va in Übereinstimmung mit den unternehmensinternen Richtlinien) ablaufen und ob dabei die Wirtschaftlichkeit beachtet wird. Als der Geschäftsleitung unterstehende Kontrolleinrichtung hat die interne Revision nicht die Geschäftspolitik der Geschäftsleitung auf ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen, sehr wohl aber ihre ordnungsgemäße und zweckmäßige Umsetzung200. Es bleibt ihr freilich unbenommen, Anregungen und Besserungsvorschläge in Sachen Geschäftspolitik zu machen. Bei der Ordnungsmäßigkeitsprüfung wird der Schwerpunkt oftmals darin liegen, festzustellen, ob die systemimmanenten Kontrollen im untersuchten Bereich angemessen und wirksam sind. Interne Revision bedeutet jedenfalls „Systemkontrolle“ und nicht Prüfung einzelner Geschäftsfälle. Für die die interne Revision betreffenden Verfügungen gilt ein „verschärftes Vier-Augen-Prinzip“201: Sie müssen von mindestens zwei Vorstandsmitgliedern oder Mitgliedern der Geschäftsleitung der Zweigniederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens gemeinsam getroffen werden (§ 17b Abs 2 VAG). Die Aufsichtsbehörde kann vom Erfordernis einer internen Revision absehen, wenn die Erfüllung ihrer Aufgabe durch andere Einrichtungen gesichert ist (§ 17b Abs 3 VAG)202. Für „kleine VVaG“ ist die Einrichtung einer internen Revision nicht vorgeschrieben. Die interne Konzernrevision bei Versicherungsgruppen ist von der internen Revision des der zusätzlichen Beaufsichtigung unterliegenden Versicherungsunternehmens durchzuführen (§ 17b Abs 3a VAG).
§ 17b Abs 4 VAG verpflichtet die Versicherungsunternehmen ausdrücklich zu internen Kontrollverfahren, die insbesondere dazu dienen sollen, frühzeitig Gefährdungen für die Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen zu erkennen. Der internen Revision als Einrichtung obliegt es ua auch, die Wirksamkeit der Verfahren zur internen Kontrolle zu prüfen203. Mit der VAG-Novelle 2005 wurde auch der wachsenden Bedeutung des Risikomanagements Rechnung getragen204. § 17b Abs 5 VAG verpflichtet die Versicherungsunternehmen zur Identifizierung, Einschätzung und Steuerung der mit dem Versicherungsbetrieb in Verbindung stehenden Risken; hierfür geeignete Prozesse und Verfahren sind einzuführen.
3. Prämienkalkulation und Deckungsstock (§§ 18 ff VAG) In der Lebensversicherung (§ 18 VAG) sowie in der nach Art der Lebensversicherung betriebenen Krankenversicherung (§ 18c VAG) und Unfallversicherung (§ 18e VAG) müssen die Prämien für neu abgeschlossene Verträge aus200 201
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Das kann nicht nur Fragen der Aufbauorganisation, sondern auch solche der Ablauforganisation einschließlich der Geschäftsverteilung betreffen. So Baran, VAG3, Anm 8 zu § 17b. Nach dem Vier-Augen-Prinzip muss jede Einzelvertretungsbefugnis (für den gesamten Geschäftsbereich) ausgeschlossen sein, die Beteiligung von Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten an der Vertretung ist aber zulässig. Ziel des Gesetzgebers ist es, das Funktionieren einer unternehmensinternen Kontrolle zu sichern; vgl 1044 BlgNR 16. GP 22. 904 BlgNR 21. GP 22. Vgl 984 BlgNR 22. GP 3.
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reichen, um die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen zu gewährleisten (§ 18 Abs 3, § 18d Abs 3 VAG); der maximal zulässige Zinssatz für die Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen in der Lebensversicherung wird von der FMA verordnet (Höchstzinssatz-VO). Aufgrund dieser aufsichtsrechtlich geforderten vorsichtigen Kalkulation205 muss den Versicherten gem § 18 Abs 4 VAG eine angemessene Überschussbeteiligung zu gute kommen206. Die für die Erstellung der Tarife207 und die Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen verwendeten versicherungsmathematischen Grundlagen sind vor ihrer Anwendung vorzulegen (§ 18 Abs 1 und 2, § 18d Abs 1 und 2 VAG). Der Präventivaspekt ist also bezüglich der versicherungsmathematischen Aufsicht weiter vorhanden, auch nach Wegfall der Genehmigungspflicht von AVB und Tarifen. In der Höhe des Deckungserfordernisses208 (mit Ausnahme des in Rückversicherung übernommenen Geschäfts) ist ein Deckungsstock anzulegen, der gesondert vom übrigen Vermögen zu verwalten ist (§ 20 Abs 1 VAG). Für die in § 20 Abs 2 VAG aufgezählten Versicherung(sspart)en ist je eine gesonderte Abteilung im Deckungsstock zu errichten, sodass die Befriedigung der Ansprüche der Versicherten in jedem Versicherungszweig ohne Belastung anderer Versicherungszweige möglich ist209. Die Versicherungsunternehmen haben dafür zu sorgen, dass das Deckungserfordernis durch die dem Deckungsstock gewidmeten Vermögenswerte stets voll erfüllt ist (vgl § 20 Abs 3 VAG), dass er also bei planmäßigem Geschäftsverlauf für die Befriedigung der aus den Versicherungsverhältnissen entstehenden Verbindlichkeiten ausreicht. Erforderlichenfalls haben sie dem Deckungsstock Vermögenswerte auch während des Jahres zuzuführen. Auf Werte des Deckungsstocks darf nur zugunsten eines Anspruchs aus einem Versicherungsvertrag Exekution geführt werden (§ 87 Abs 1 VAG). Im Konkurs bildet der Deckungsstock eine Sondermasse, steht also allein den Versicherten zu (§ 92 Abs 2 VAG).
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Zur Untersagung eines Lebensversicherungstarifs vgl VwGH 2006/17/0132 = ZFR 2006/42, 102 (Fletzberger). Vgl Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 240 ff; St. Korinek, Rechtsaufsicht, 137 ff; sowie die (neue) Gewinnbeteiligungs-VO der FMA. Ab Dezember 2007 sind „Unisextarife“ in der Lebensversicherung zulässig, vgl. St. Korinek, Umsetzung der Gleichbehandlungs-RL: „Unisextarife“ und Versicherungen, exolex 2006, 549. Vgl § 19 VAG; Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 252 ff. Das Deckungserfordernis umfasst va die Deckungsrückstellung. Zur Deckungsrückstellung s § 81k VAG. Deckungsrückstellungen sind erforderlich, weil aus praktischen Gründen nicht eine natürliche, entsprechend dem Risiko von Jahr zu Jahr steigende, sondern eine gleichbleibende Prämie erhoben wird. Diese ist in den ersten Jahren höher, in den späteren Jahren niedriger als die natürliche Prämie. Damit der Versicherungsanspruch erfüllt werden kann, müssen die anfänglich zuviel erhobenen, für die Deckung der Sterbefall-Leistungen nicht benötigten Teile zurückgestellt werden. Vgl R. Schmidt, Versicherungsalphabet8, 1991, Deckungskapital/Deckungsrückstellung. Vgl Baran, VAG3, Anm 4 zu § 20.
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Über die Einhaltung der Vorschriften über den Deckungsstock hat der Treuhänder zu wachen (§ 22 Abs 1 VAG)210. Da die Bestellung und Abberufung des Treuhänders und seines Stellvertreters durch die FMA erfolgt, wird er als Organ der externen Kontrolle angesehen211. Treffend wird der Treuhänder als Sachwalter der Versicherungsnehmer und Partner der Aufsichtsbehörde bezeichnet212. In der Lebensversicherung können Verfügungen über dem Deckungsstock gewidmete Vermögenswerte rechtswirksam nur mit Zustimmung des Treuhänders erfolgen, die zu versagen ist, wenn durch die Verfügung die volle Erfüllung des Deckungsstockerfordernisses gefährde oder dem Deckungsstock gewidmete Vermögenswerte nicht durch zur Deckungsstockwidmung geeignete Kapitalanlagen ersetzt würden (§ 23 Abs 2 VAG). Bei einer Zustimmungsverweigerung kann das Versicherungsunternehmen die Entscheidung der Aufsichtsbehörde beantragen. Wird nicht binnen zwei Wochen nach Einlangen des Antrages entschieden, so gilt die Zustimmung als erteilt (§ 23 Abs 6 VAG). Der Treuhänder hat der FMA über alle Wahrnehmungen zu berichten, die Bedenken daran hervorzurufen vermögen, dass das Versicherungsunternehmen seinen Verpflichtungen hinsichtlich des Deckungsstocks tatsächlich nachkommt. Ferner hat er Quartalsberichte und einmal jährlich einen Tätigkeitsbericht zu verfassen (§ 23 Abs 5 VAG) sowie unter der Bilanz zu bestätigen, dass die Anlage der Deckungsstockwerte den hiefür geltenden Vorschriften entspricht (§ 81a Abs 1 VAG)213. Damit eine effektive Kontrolle ermöglicht wird, ist dem Treuhänder umfassende Einsichts- und Auskunftsmöglichkeit214 gegeben. Gegenüber dem Treuhänder kann auch eine Verschwiegenheitspflicht nicht geltend gemacht werden (§ 23 Abs 3 VAG)215. Der Bund haftet nicht für die Tätigkeit des Treuhänders, weil dieser kein Organ iSd § 1 Abs 2 AHG ist216.
4. Verantwortlicher Aktuar (§§ 24 f VAG) Versicherungsunternehmen, die Lebensversicherung oder Kranken- oder Unfallversicherung nach Art der Lebensversicherung betreiben, haben einen verantwortlichen Aktuar und einen Stellvertreter zu bestellen. Im Gegensatz zum Treuhänder ist der verantwortliche Aktuar ein unternehmensinternes Kontrollorgan, dessen beabsichtigte Bestellung der FMA bekannt zu geben ist, die bei 210 211
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Es können aber auch für jede Abteilung gesondert Treuhänder und Stellvertreter bestellt werden. Vgl Schäffer, Rz 587. Für seine Tätigkeit bekommt der Treuhänder von der FMA eine Funktionsgebühr, die der FMA dadurch entstehenden Kosten sind von den Versicherungsunternehmen zu ersetzen (§ 22 Abs 3 VAG). Schäffer, Rz 587; Baran, VAG3, Anm 2 zu § 22. Gegebenenfalls hat er den Bestätigungsvermerk zu versagen oder nur eingeschränkt zu erteilen (§ 81a Abs 3 VAG). Ein Bestätigungsvermerk berührt die Verantwortlichkeit der (anderen) Organe der Versicherungsunternehmen nicht. Etwa Einsicht in die Bücher und Belege der Versicherungsunternehmen. Der Treuhänder ist allerdings bezüglich aller ihm ausschließlich aufgrund seiner Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen zur Verschwiegenheit verpflichtet (vgl § 23 Abs 7 VAG). Ausführlich dazu St. Korinek, Amtshaftung, 743 f; Baran, VAG3, Anm 2 zu § 22.
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begründeten Zweifeln an den erforderlichen persönlichen Eigenschaften oder der fachlichen Eignung der Bestellung zu widersprechen und die Bestellung eines anderen verantwortlichen Aktuars zu verlangen hat (§ 24 Abs 3 VAG). Der verantwortliche Aktuar muss darauf achten, dass die Berechnung der Tarife und der versicherungstechnischen Rückstellungen nach den dafür geltenden Vorschriften erfolgt, und prüfen, ob mit der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen zu rechnen ist (§ 24a Abs 1 VAG). Stellt er fest, dass die Berechnungen auf eine unzulässige Weise erfolgen oder dass die Erfüllung der Verpflichtungen gefährdet ist, hat er dies unverzüglich dem Vorstand zu melden. Trägt dieser seinen Vorstellungen nicht Rechnung, so ist das sogleich der FMA anzuzeigen (§ 24a Abs 3 VAG). Ferner hat der verantwortliche Aktuar (jährlich) unter der Bilanz des Versicherungsunternehmens zu bestätigen, dass die Deckungsrückstellung und die Prämienüberträge nach den hiefür geltenden Vorschriften und versicherungsmathematischen Grundlagen berechnet sind (§ 81a Abs 2 VAG) 217. Er hat dem Vorstand einen Bericht über die Wahrnehmungen bei Ausübung seiner Tätigkeit zu erstatten, der in der Folge auch der FMA vorgelegt wird (§ 24a Abs 3 VAG). Auch der Verantwortliche Aktuar ist kein Organ iSd § 1 Abs 2 AHG, sodass sein Fehlverhalten nicht zu Amtshaftung führt218.
5. Vorschriften über die Kapitalausstattung und Kapitalanlage (§§ 73a ff VAG)219 Das VAG stellt zum einen Anforderungen an die Eigenmittelausstattung (Solvabilitätssystem) und enthält zum anderen recht detaillierte Vorschriften über die Vermögensanlage, soweit sie zur Deckung der versicherungstechnischen Rückstellungen nötig ist. Das darüber hinausgehende sog freie Vermögen ist nunmehr keinen Kapitalanlagevorschriften mehr unterworfen220. „Solvency II“ (s I.C.4.) wird in diesem Bereich maßgebliche Veränderungen bringen. a) Risikorücklage Die Versicherungsunternehmen haben gem § 73a VAG von den Prämien des inländischen Geschäfts eine Risikorücklage zu bilden, die erst nach Auflösung aller sonstigen Rücklagen zur Deckung von sonst in der Bilanz auszuweisenden Verlusten verwendet werden darf. b) Solvabilitätsvorschriften Die Versicherungsunternehmen haben jederzeit Eigenmittel im gesetzlich geforderten Ausmaß zu halten (vgl §§ 73b ff VAG). Das Eigenmittelerfordernis ist dabei vom Geschäftsvolumen abhängig und ist nach der Anlage D zum VAG zu bestimmen. Ein Drittel des Eigenmittelerfordernisses bildet den Ga217 218 219
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Das zum Treuhänder Gesagte gilt auch hier (s § 81a Abs 2 und 3 VAG). Vgl St. Korinek, Amtshaftung, 744. Ausführlich dazu Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 272 ff. Zu den europarechtlichen Grundlagen siehe Schnyder, Europäisches Banken- und Versicherungsrecht, Rz 177 ff. § 74 Abs 1 VAG aF, der sowohl für das freie wie auch für das gebundene Vermögen Kapitalanlagegrundsätze festlegte, wurde in Umsetzung der Dritten Richtliniengeneration mit der VAG-Novelle 1994 aufgehoben.
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rantiefonds (§ 73f Abs 1 VAG); für diesen Garantiefonds legt § 73f Abs 2 VAG nach den betriebenen Versicherungszweigen differenzierte absolute Mindestbeträge fest, die ohne Rücksicht auf die Größe des Geschäftsvolumens zu halten sind221. Gem § 73b Abs 2 VAG sind Eigenmittel: bei Aktiengesellschaften das eingezahlte Grundkapital zuzüglich der Hälfte des nicht eingezahlten Teils, bei VVaG der Gründungsfonds, soweit dieser (nach der Satzung) zur Deckung von Verlusten herangezogen werden kann, bei Zweigniederlassungen ausländischer Versicherungsunternehmen222 das diesen auf Dauer zur Verfügung gestellte Kapital (Dotationskapital); die Kapitalrücklagen, Gewinnrücklagen, unversteuerten Rücklagen und der versteuerte Teil der Risikorücklage; der nicht zur Ausschüttung bestimmte Bilanzgewinn; Partizipations- und Ergänzungskapital sind nun als Eigenmittel zugelassen223. Bei Versicherungsunternehmen einer Versicherungsgruppe oder eines Finanzkonglomerates, die einer zusätzlichen Beaufsichtigung unterliegen, sind die Vorschriften über die bereinigte bzw. angemessene Eigenmittelausstattung zu beachten (s §§ 86e ff VAG und §§ 6 ff FKG; s oben I.A.2.). c) Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen Bei der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen ist auf Sicherheit, Rentabilität, den Bedarf an flüssigen Mitteln sowie auf eine angemessene Mischung und Streuung Bedacht zu nehmen (§ 1 Abs 1 Kapitalanlageverordnung 2002). Die Bedeckungsvorschriften wurden in den letzten Jahren stark liberalisiert. Noch bis zur VAG-Novelle 1990 war die Bindung an die Mündelsicherheit vorgeschrieben. Seit der VAG-Novelle 2002 sind die zur Bedeckung geeigneten Vermögenswerte nicht mehr direkt in § 78 VAG aufgezählt224, sondern in der auf Grundlage der Verordnungsermächtigung des § 78 VAG nF erlassenen Kapitalanlageverordnung geregelt. Damit kann im Rahmen der Kapitalveranlagung eine höhere Flexibilität erreicht werden und den sich rasch ändernden Gegebenheiten und Investitionsmöglichkeiten auf den Finanzmärkten besser Rechnung getragen werden225. Für bestimmte Vermögenswerte bestehen aber weiterhin Anrechnungsgrenzen (§ 3 Kapitalanlageverordnung). Zu beachten ist ferner, dass die zur Bedeckung herangezogenen Vermögenswerte grundsätzlich auf jene Währung zu lauten haben, in der die Versicherungsver221
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Für Versicherungsunternehmen, die ausschließlich die Lebensversicherung oder Schaden- und Unfallversicherung betreiben, 4 Mio Euro; für solche, die ausschließlich die Krankenversicherung betreiben, 3,5 Mio Euro; für Kompositversicherer für die Lebensversicherung und die Schaden- und Unfallversicherung je 3,5 Mio Euro, für die Krankenversicherung 2,5 Mio Euro; in bestimmten Fällen kann der Betrag um eine Mio Euro herabgesetzt werden (§ 73f Abs 3 VAG). Das betrifft nur Zweigniederlassungen von Versicherungsunternehmen aus Drittstaaten. Im EWR unterliegt ja die gesamte Finanzaufsicht der Herkunftslandbehörde. Genaue Regeln über dieses durch die VAG-Novelle 1986 eingeführte Zusatzkapital enthalten §§ 73c und 73d. Vgl Gassner (FN 31), 425; Jud (FN 31), 65. Wollte ein Versicherungsunternehmen zur Besicherung versicherungstechnischer Rückstellungen nicht ausdrücklich angeführte Vermögenswerte heranziehen, so musste es bei der Versicherungsaufsichtsbehörde um Genehmigung ansuchen (§ 78 Abs 4 VAG aF). Die Anrechnungsgrenzen des § 79 VAG aF waren zu beachten. Ulreich/Harreither (FN 54), 52.
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träge zu erfüllen sind (§ 79a VAG)226. Über die dem Deckungsstock gewidmeten und die zur Bedeckung der (sonstigen) versicherungstechnischen Rückstellungen geeigneten Vermögenswerte haben die Versicherungsunternehmen ein Verzeichnis zu führen (§ 79b VAG)227. d) „Freies Vermögen“ Das „freie Vermögen“ unterliegt keinen Kapitalanlagevorschriften. Selbst der Erwerb von Anteilsrechten an Kapitalgesellschaften228 ist nicht mehr genehmigungs-, sondern nur noch anzeigepflichtig (§ 76 VAG). § 74 VAG229 gibt der FMA aber die nicht auf gebundenes Vermögen beschränkte Möglichkeit, Meldungen über die Kapitalanlage zu verlangen. Zur Sicherung der jederzeitigen Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen kann aber sogar die Verfügung über das „freie Vermögen“ eingeschränkt, dh an die Zustimmung der Aufsichtsbehörde gebunden werden (§ 104a Abs 3 bis 5 VAG; s III.E.2.b).
6. Vorschriften über die Rechnungslegung (§§ 80 ff VAG)230 Für die Rechnungslegung und Konzernrechnungslegung von Versicherungsunternehmen gelten die Bestimmungen des UGB für große Aktiengesellschaften (§ 80 Abs 1 VAG)231. Darüber hinaus enthält das VAG noch branchenspezifische Rechnungslegungs- und Konzernrechnungslegungsvorschriften, die der Versicherungsbilanzrichtlinie entsprechen. So ist beispielsweise die Gliederung der Bilanz und der Konzernbilanz (§ 81c VAG), die Gliederung der Gewinnund Verlustrechnung (§ 81e VAG) und der Inhalt des Anhanges und Konzernanhanges (§ 81n VAG) genau geregelt. Dem Grundsatz der getrennten Verwaltung entsprechend ist für die Lebensversicherung, die Krankenversicherung und die Schaden- und Unfallversicherung je eine Bilanzabteilung zu bilden, für die jede eine gesonderte versicherungstechnische Rechnung zu erstellen ist (§ 81b VAG). Wesentliche Bedeutung kommen auch den Vorschriften über die versicherungstechnischen Rückstellungen zu (§§ 81i ff VAG); auch auf die Rechnungslegungs-VO ist hinzuweisen. Die Versicherungsunternehmen haben einen Abschlussprüfer damit zu beauftragen, den Jahresabschluss (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang) auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen (§ 82 VAG). Die Prüfpflicht erstreckt sich auch auf die Einhaltung der Vorschriften über die interne Revision, interne Kontrolle und Risikomanagement, über die Rückversicherung, Geldwäsche sowie bereinigte Eigenmittelausstattung und gruppeninterne Geschäfte (§ 82 Abs 6 VAG). Hat die FMA begründete Zweifel, dass die zum 226 227 228
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Die Einführung des Euro führt somit zu einer wesentlichen Erleichterung für die Versicherungsunternehmen; vgl Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 336. Näher ausgeführt durch Vermögenswerte-Verzeichnis-VO. Va sofern 50vH des Grund- oder Stammkapitals dieser Gesellschaft erworben werden oder der Kaufpreis 10vH der Eigenmittel des Versicherungsunternehmens übersteigt (s § 76 Abs 1 VAG). Der durch die VAG-Novelle 1990 (BGBl 181) eingeführte § 74 Abs 2 VAG gilt seit der Novelle 1994 (BGBl 652) als § 74 VAG. Ausführlich Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 375 ff. Die Rechnungslegung für kleine VVaG bestimmt sich nach § 86 VAG.
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Abschlussprüfer gewählte Person die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, kann sie innerhalb eines Monats einen Prüfungsantrag bei Gericht (§ 270 Abs 3 UGB) stellen. Der Abschlussprüfer ist aber nicht nur für die Erteilung oder Verweigerung des Bestätigungsvermerks nach § 274 UGB zuständig, sondern hat darüber hinaus auch Berichts- und Anzeigepflichten (§ 82 Abs 5, § 82a VAG). Da der Abschlussprüfer kein Organ iSd § 1 Abs 2 AHG ist, haftet der Bund nicht für seine Tätigkeiten232. Der Abschlussprüfer erfüllt - wie der Treuhänder - nicht Aufgaben der FMA, sondern eigene. Seine Haftung ist - bei Fahrlässigkeit - je nach Bilanzsumme der geprüften Versicherungen auf 2 bis 18 Mio Euro beschränkt (§ 82 Abs 8 VAG). Die Versicherungsunternehmen haben den (festgestellten) Jahresabschluss samt Lagebericht und Abschlussprüferbericht der FMA binnen fünf Monaten vorzulegen; Jahresabschluss und Lagebericht sind zum Firmenbuch einzureichen und in der „Wiener Zeitung“ zu veröffentlichen (§ 83 f VAG)233.
7. Genehmigungspflichten Die Genehmigungspflicht stellt das stärkste Mittel der laufenden Überwachung dar. Genehmigungspflichtige Geschäftsvorgänge sind beispielsweise: • Änderung der Satzung (§ 10 Abs 1 VAG) • Bestandübertragung ohne Zustimmung der Versicherungsnehmer sowie Rechtsgeschäfte, die eine Gesamtrechtsnachfolge herbeiführen (§ 13a Abs 1 VAG)234: so etwa die Verschmelzung von VVaG (§ 59 Abs 3 VAG), die Umwandlung eines VVaG in eine AG (§ 61 Abs 4 VAG), die Einbringung eines VVaG in eine AG (§ 61a Abs 4 VAG). Die Genehmigung der Aufsichtsbehörde tritt an die Stelle der Zustimmung der Versicherungsnehmer, die bei der Bestandübertragung nach den Grundsätzen des Privatrechts erforderlich wäre. Sie ist zu versagen, wenn die Interessen der Versicherten nicht ausreichend gewahrt sind. • Ausgliederungsverträge nach § 17a Abs 1 VAG, dh Verträge, durch die ein wesentlicher Teil der Geschäftsgebarung an ein anderes Unternehmen übertragen wird; Ausgliederungen an im EWR zugelassene Versicherungsunternehmen sind nur anzeigepflichtig. Die Genehmigung kann, wenn es für die Interessenwahrung der Versicherten zweckmäßig erscheint, unter Auflagen erteilt werden (§ 17a Abs 3 VAG). Sie ist zu versagen, wenn der Ausgliederungsvertrag seiner Art oder seinem Inhalt nach oder der Umfang der Ausgliederung insgesamt geeignet ist, die Interessen der Versicherten zu gefährden. Aufgrund der Verantwortlichkeit des Vorstandes für den gesamten Geschäftsbetrieb der Vertragsversicherung wird
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Dies musste in Korrektur der überraschenden Amtshaftungsentscheidung 1 Ob 188/02g (ÖBA 2004, 304) gesetzlich klargestellt werden (s oben FN 77). Vom Anhang sind aber nach § 84 Abs 3 VAG nur bestimmte Angaben zu veröffentlichen. Vgl Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 224 ff; Tahedl, Zur Übertragung des Versicherungsbestandes, VR 1998, 168. Für VVaG s § 58 VAG.
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von der FMA hinsichtlich der ausgegliederten Tätigkeiten ein allgemeines Auskunft- und Weisungsrecht des Versicherungsunternehmens verlangt235. Auflösung eines VVaG (§ 56 Abs 3)
D. Beaufsichtigung 1. Generalklausel § 99 VAG Das VAG sieht eine umfassende Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen vor: Gemäß § 99 Abs 1 VAG hat die FMA die gesamte Geschäftsgebarung der Versicherungsunternehmen, insbesondere die Einhaltung der für den Betrieb der Vertragsversicherung geltenden Vorschriften, zu überwachen. Die umfassende Überwachung der Versicherungsaufsicht bezieht sich nicht nur auf das eigentliche Versicherungsgeschäft, sondern auch auf die Finanzgebarung und Kapitalanlage236. Da die EG den Versichertenschutz in erster Linie über Kapitalausstattungs- und Kapitalanlagevorschriften wahrnimmt, kommt der Überwachung der Einhaltung der entsprechenden österreichischen Vorschriften besondere Bedeutung zu. Die Versicherungsaufsicht darf sich aber keinesfalls auf die Finanzaufsicht beschränken, denn die Wahrung der Belange der Versicherten verlangt mehr, als bloß zu verhindern, dass ein Versicherungsunternehmen in Konkurs fällt. Beispielsweise ist aus § 104 Abs 1 VAG zu schließen, dass die FMA auch prüfen muss, ob die anerkannten Grundsätze eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes eingehalten werden237. Die Rechtsaufsicht der FMA bezieht sich auf all jene Vorschriften, deren Verletzung gewöhnlich die Interessen der Versicherten berühren können238. Neben der Einhaltung des VAG und auf diesem beruhender Verordnungen und Bescheide hat die Aufsichtsbehörde also insbesondere die Einhaltung von Bestimmungen des VersVG, des ABGB, des KSchG, des UWG und des DSG, sowie des Handels- und Aktienrechts zu überwachen239. Bei dieser Kontrolle hat sich die FMA an der Rsp der Gerichte (bzw Ansicht der zur Vollziehung zuständigen Verwaltungsbehörde) zu orientieren240. Das Kartellrecht ist hingegen - mit Ausnahme mancher Missbrauchstatbestände nach § 35 KartG - nicht von der Aufsicht umfasst241.
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Vgl St. Korinek, Ausgliederungen bei Versicherungen und Pensionskassen, ZFR 2007/7, 39. Schäffer, Rz 587, spricht von „Totalität der Aufsicht“. Nach § 99 Abs 1 VAG hat sich die Prüfung insbesondere (nicht ausschließlich) auf die Einhaltung der geltenden Vorschriften zu beziehen. St. Korinek, Rechtsaufsicht, 91 mwN. Dabei geht es um die Wahrung der Gläubigerinteressen und hiemit nicht im Widerspruch stehender Interessen, denn eine frei Abwägung der verschiedenen Versicherteninteressen steht der Aufsichtsbehörde aus legalitätsrechtlichen Gründen nicht zu; s St. Korinek, Rechtsaufsicht, 83 f, 94. Vgl Baran, VAG3, Anm 2 f zu § 99; St. Korinek, Rechtsaufsicht, 92 mwN, zum UWG 133 ff. Die Übertretung anderer Rechtsvorschriften kann für die Aufsichtsbehörde über den Eingriffstatbestand des § 106 VAG („Gefahr für die Belange der Versicherten“) relevant werden. Dogmatischen Begründung bei St. Korinek, Rechtsaufsicht, 97 ff. Ausführlich St. Korinek, Rechtsaufsicht, 122 ff mwN.
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Der Sinn und Zweck der Aufsicht ist aber nicht nur für ihre Reichweite, sondern auch für ihre Intensität ausschlaggebend: Je größer das Potenzial zur Gefährdung der Belange der Versicherten ist, desto höher muss die Intensität der Überwachung sein242. Die Generalklausel des § 99 Abs 1 VAG wird durch Vorschriften ergänzt, die der FMA Befugnisse für die Informationsbeschaffung einräumen und so eine umfassende Beaufsichtigung ermöglichen243:
2. Auskunfts-, Vorlage- und Anzeigepflicht (§ 100 VAG)244 Die FMA kann von den Versicherungsunternehmen jederzeit Auskunft über Angelegenheiten der Geschäftsgebarung und die Vorlage entsprechender Unterlagen verlangen. Die systematische Vorlage von Allgemeinen Versicherungsbedingungen und Tarifen würde aber eine Produktkontrolle darstellen und ist deshalb verboten245. Um tatsächlich die gesamte Geschäftsgebarung überwachen zu können, kann die Aufsichtsbehörde gem § 17a Abs 5 VAG von Versicherungsunternehmen auch Auskünfte über Unternehmen sowie die Vorlage von Unterlagen von Unternehmen, auf die ein wesentlicher Teil der Geschäftsgebarung übertragen wurde, verlangen. Darüber hinaus müssen die Versicherungsunternehmen von sich aus alle Tatsachen anzeigen, die die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen gefährden könnten (§ 100 Abs 2 VAG). Dieses Früherkennungssystem246 ist aber nur von begrenzter Bedeutung, da es voraussetzt, dass das Versicherungsunternehmen die Fehlentwicklung erkennt247. Gefährlich sind aber gerade jene Fehlentwicklungen, die das Versicherungsunternehmen selbst nicht erkennt und deshalb gegensteuernde Maßnahmen der FMA notwendig machen würden.
3. Prüfung vor Ort (§§ 101 ff VAG) Die FMA darf Versicherungsunternehmen jederzeit vor Ort prüfen (§ 101 Abs 1 VAG). Diese Befugnis bezieht sich auch auf ausgelagerte Geschäftsteile, egal ob die Übertragung nach § 17a VAG genehmigungspflichtig war oder nicht. Sofern der Zweck der Prüfung nicht vereitelt wird, ist die Prüfung gem § 102 Abs 1 VAG eine Woche vor Beginn anzukündigen. Ansonsten muss das Prüfungsorgan248 sich bloß unaufgefordert ausweisen und den schriftlichen Prüfungsauftrag vorweisen, der den Gegenstand der Prüfung umschreibt. Die Versicherungsunternehmen haben Einblick in die Unterlagen, Bücher, Belege, 242 243 244 245
246 247 248
Fenyves/St. Korinek, 179; vgl auch oben I.A.3. Fenyves/St. Korinek, 179 f. Die Überschrift zu § 100 VAG erwähnt zwar noch immer eine Meldepflicht. Diese ist aber mit BGBl 1992/769 entfallen. Seit BGBl 1996/447 ist das auch ausdrücklich in § 100 Abs 1 VAG festgehalten. Auch die Pflicht zur systematischen Vorlage von Auskunftsbögen mit Angaben über AVB widerspricht dem Gemeinschaftsrecht; vgl EuGH, 11. 5. 2000, RS C-296/98 (Kommission gegen Frankreich). So Schäffer, Rz 587. Vgl Baran, VAG3, Anm 3 zu § 100. Gem § 101 Abs 2 können auch externe Prüfer herangezogen werden. Die Kosten hat letztlich das Versicherungsunternehmen zu tragen.
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Schriften und entsprechendes auf Datenträgern gespeichertes Material sowie Zutritt zu den Geschäfts- und Arbeitsräumlichkeiten zu gewähren (§ 102 Abs 2). Die Prüfung von heimischen Versicherungsunternehmen im Ausland durch die österreichische Aufsichtsbehörde und von Vertragsstaatsunternehmen in Österreich durch ausländische Aufsichtsbehörden ist in § 102a VAG geregelt249. Die Tätigkeitslandbehörde ist von der bevorstehenden Prüfung zu benachrichtigen, die Prüfung ist auf die Unterlagen über die Eigenmittelausstattung, die Bildung versicherungstechnischer Rückstellungen und die Kapitalanlagen zu deren Bedeckung, also auf die Finanzaufsicht, zu beschränken250. Hingegen gibt es keine Rechtsgrundlage dafür, dass die Tätigkeitslandbehörde im Auftrag der Herkunftslandbehörde die Prüfung vor Ort vornehmen darf. Trotzdem anerkennen die Versicherungsaufsichtsbehörden eine solche Vorgangsweise251. Hier siegen also Praktikabilitätsüberlegungen (räumliche Nähe, Sprache) über das Prinzip der Sitzlandkontrolle.
4. Auskunftsperson (§ 103 VAG) Im Rahmen der ihr nach § 99 VAG auferlegten Überwachungspflicht kann die FMA von jedermann, also beispielsweise Angestellten der Versicherungsunternehmen, Versicherungsnehmer oder Abschlussprüfer, Auskunft verlangen252.
5. Berichtspflichten Diverse Berichtspflichten sollen die Aufsichtsbehörde von bestimmten Vorgängen Kenntnis verschaffen, ohne dass sie selbst nachforschen muss. Inhaltlich lassen sich diese Pflichten in solche, die Basisinformation vermitteln sollen, und solche, die auf Fehlentwicklungen hinweisen sollen, einteilen. Die folgende Aufzählung von Berichtspflichten, die zT nicht nur die Versicherungsunternehmen treffen, soll dem Überblick dienen - auf manche Berichtspflichten wurde bereits hingewiesen. • Versicherungsunternehmen haben der FMA über die Zusammensetzung ihrer Organe zu informieren (§ 11 VAG). • Informationspflicht hinsichtlich Beteiligungen (zur Aktionärskontrolle nach § 11a VAG; s III.C.1) • Berichtspflichten des für die Überwachung des Deckungsstocks zuständigen Treuhänders (§§ 22 f VAG; s III.C.3) • Den bei nach Art der Lebensversicherung betriebenen Versicherungen zu bestellenden verantwortlichen Aktuar trifft eine Meldepflicht an die Aufsichtsbehörde, wenn der Vorstand seinen Vorstellungen nicht entspricht (§ 24a VAG; s III.C.4). 249 250
251 252
Zur Überwachung der Einhaltung ausländischen Rechts durch die österreichische Aufsichtsbehörde s St. Korinek, Rechtsaufsicht, 144 ff. Vgl Art 14 der Ersten idF Art 10 der Dritten RL Nicht-Leben; Art 11 RL Leben. Eine derartige Prüfungskompetenz steht der Aufsichtsbehörde außerhalb der eigenen Staatsgrenzen im Rahmen der Rechtsaufsicht nicht zu. Hier ist die jeweilige ausländische Behörde um die notwendige Maßnahme zu ersuchen. Vgl Präve (FN 120), 258. Vgl Braumüller, Zusammenarbeit, 29. Vgl 764 BlgNR 14. GP 69.
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Der Erwerb von Anteilsrechten an Unternehmen durch Versicherungsunternehmen ist anzeigepflichtig (§ 76 VAG). Darüber hinaus hat die Aufsichtsbehörde - auch im Bereich des „freien Vermögens“ - ein Auskunftsrecht bzgl der Kapitalanlage von Versicherungsunternehmen (§ 74 VAG). Die Berichts- und Anzeigepflichten des Abschlussprüfers nach § 82 Abs 5 und § 82a VAG sollen der Aufsichtsbehörde Kenntnis von Fehlentwicklungen und die Versicherungsnehmer möglicherweise beeinträchtigenden Rechtsverletzungen verschaffen (s III.C.6). Die der zusätzlichen Beaufsichtigung unterliegenden Versicherungsunternehmen einer Versicherungsgruppe haben Informationen über die wesentlichen gruppeninternen Geschäfte vorzulegen (§ 86d VAG); auch das FKG enthält Informationspflichten. Der Vorstand hat den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung (dh der Konkurstatbestände) unverzüglich der FMA anzuzeigen (§ 89 Abs 1 VAG). Versicherungsunternehmen müssen von sich aus alle Tatsachen anzeigen, die die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen gefährden können (§ 100 Abs 2 VAG). Darüber hinaus hat die FMA von ihrer Möglichkeit, den Versicherungsunternehmen Meldepflichten über die Höhe und die Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen sowie der dem Deckungsstock gewidmeten Vermögenswerte aufzuerlegen (§ 79b Abs 2 VAG), Gebrauch gemacht (Melde-VO). In der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung sind die Versicherungsbedingungen drei Monate vor ihrer Verwendung der FMA mitzuteilen (§ 18 Abs 1 KHVG 1994)253.
6. Weitere Erkenntnismittel Die Aufsichtsbehörde kann freilich auch auf andere Weise Information bekommen, etwa durch Beschwerden (formlose Aufsichtsbeschwerden), Anregungen oder Medienmeldungen. In diesen Fällen ist die Behörde jedoch nach hM nicht verpflichtet einzuschreiten254.
E. Berichtigung Um eine effektive Aufsicht zu gewährleisten, muss der Aufsichtsbehörde eine Eingriffsmöglichkeit in den Geschäftsbetrieb des Versicherers eingeräumt sein. Das VAG sieht recht weitgehende Berichtigungsmöglichkeiten vor. Zunächst werden die sog Eingriffstatbestände und möglichen Anordnungen gegenüber 253 254
Vgl dazu Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 607 f. Die Person, von der die Information ausgeht, hat kein subjektiv-öffentliches Recht darauf, dass die Behörde die Beschwerde behandelt (Baran, VAG3, Anm 4 zu § 99; anders für Deutschland Kollhosser, in: Prölss, VAG12, Rz 56 zu § 81) und - wenn sich die Vorwürfe als zutreffend erweisen - ein Verfahren einleitet. Beschwerden können aber nicht nur Anregung für amtswegiges Tätigwerden darstellen, sondern zum Erreichen der „Aufgriffsschwelle“ beitragen. Darunter versteht man jene Gefährdungswahrscheinlichkeit, die zwar noch keine Pflicht zum Handeln (amtswegigen Eingreifen), aber doch eine Pflicht zu weiteren Ermittlungen auslöst (vgl Rebhahn [FN 78], 486 f).
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inländischen Versicherungsunternehmen präsentiert (1. und 2.), sodann die Restkompetenz der österreichischen Aufsichtsbehörde im Rahmen der Tätigkeitslandaufsicht (3.).
1. Eingriffstatbestände255 a) „Vorschriftskontrolle“ (§ 104 Abs 1 erste Alternative)256 Verletzt der Versicherer bei seinem Geschäftsbetrieb die für den Betrieb von Vertragsversicherungen geltenden Vorschriften, so kann das zu einem Eingreifen der Aufsichtsbehörde führen. Diese hat nämlich mit ihren Anordnungen zur Wahrung der Belange der Versicherten257 dafür zu sorgen, dass die Versicherungsunternehmen ihren Geschäftsbetrieb in Einklang mit betreffenden Vorschriften halten. Die Berichtigungsfunktion bezieht sich dabei auf jene Vorschriften, deren Einhaltung die FMA zu überwachen hat (§ 99 VAG)258. Die Kontrolle bezieht sich auch auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen, wenngleich diese nicht systematisch kontrolliert werden dürfen259. Die Eingriffsschwelle260 wird iaR erst dann erreicht werden, wenn das Fehlverhalten des Versicherers von prinzipieller, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung ist und somit zur Wahrung der Belange der Versicherten eine Anordnung notwendig macht261. b) „Grundsatzkontrolle“ (§ 104 Abs 1 zweite Alternative)262 Die FMA hat auch dafür zu sorgen, dass der Geschäftsbetrieb der Versicherungsunternehmen zur Wahrung der Interessen der Versicherten in Einklang mit den „anerkannten Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes“ gehalten wird. Durch die starke Orientierung an den Interessen der Versicherten unterscheidet sich dieser an sich wettbewerbsrechtlich zu verstehende Eingriffstatbestand263 vom UWG, dessen Einhaltung bereits nach dem ersten Eingriffstatbestand zu überwachen ist. Diese wertausfüllungsbedürftige Generalklausel verbietet den Versicherten im Geschäftsbetrieb solche Verhaltensweisen, die zwar nicht gegen eine konkrete Rechtsvorschrift verstoßen, 255 256 257
258 259 260 261 262 263
St. Korinek, Die Eingriffstatbestände der Versicherungsaufsichtsbehörde nach dem österreichischen VAG, ZVersWiss 1999, 321; ders, Rechtsaufsicht, 85 ff Ausführlich dazu St. Korinek, Rechtsaufsicht, 87 ff. Seit der VAG-Nov 1994 (BGBl 1994/652) ist es ausdrücklich in § 104 Abs 1 VAG festgehalten, dass die Versicherungsaufsichtsbehörde (nun: FMA) zur Wahrung der Belange der Versicherten vorzugehen hat. Die Substanz der Vorschrift hat sich dadurch aber nicht geändert; vgl 1682 BlgNR 18. GP 39. Vgl nur 764 BlgNR 14. GP 69. Zu § 99 VAG s oben III.D.1. Ausführlich St. Korinek, Rechtsaufsicht, 107 ff; s auch oben III.D.2. Vgl Rebhahn (FN 78), 486. Fenyves/St. Korinek, 181; vgl zur entsprechenden deutschen Vorschrift Kollhosser, in: Prölss, VAG12, Rz 54 zu § 81. Ausführlich dazu St. Korinek, Rechtsaufsicht, 187 ff. Die Vorgängerbestimmung (§ 81 dVAG aF: „Mißstand, der den Geschäftsbetrieb mit den guten Sitten in Widerspruch bringt“), von der inhaltlich nicht abgegangen werden sollte (vgl 764 BlgNR 14. GP 70), wurde - aufgrund der sprachlichen Parallele zu § 1 UWG naheliegenderweise - überwiegend wettbewerbsrechtlich verstanden (vgl Goldberg/H. Müller [FN 14], Rz 20 zu § 81).
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aber doch den Grundwertungen von Gesetzen und zugleich den Versicherteninteressen widersprechen264. Die Relevanz „außerrechtlicher“ Maßstäbe ist wohl nur in Ausnahmefällen denkbar265. Im Übrigen wird mit diesem Eingriffstatbestand der europarechtlichen Vorgabe entsprochen, wonach Missstände, die eine Gefährdung der Interessen der Versicherten darstellen, vermieden oder beseitigt werden müssen266. Diese Vorschrift und auch andere ausfüllungsbedürftige Richtlinienbestimmungen zeigen, dass das Ende der materiellen Staatsaufsicht europarechtlich nicht geboten ist267. Als Beispiel für einen Verstoß gegen die anerkannten Grundsätze eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes nennt § 104 Abs 2 VAG Sondervergütungen und Begünstigungsverträge, die aber auch nur dann zu Anordnungen der FMA führen, wenn die Wahrung der Belange der Versicherten es verlangt268. Zu einer allgemeinen Gleichbehandlung der Versicherungsnehmer ist ein in Form 264 265
266
267
268
St. Korinek, Rechtsaufsicht, 205. Vgl zu dieser Thematik etwa Mayer-Maly, Was leisten die guten Sitten?, AcP194 (1994) 105 (171), einerseits und Koppensteiner, Sittenwidrigkeit und Wettbewerbswidrigkeit, wbl 1995, 1, der eine rein innerrechtliche Bewertung befürwortet, andererseits. Art 19 Abs 3 der Ersten RL Nicht-Leben idF von Art 11 der Dritten RL NichtLeben bzw Art 13 Abs 3 RL Leben. Statt Missstände heißt es in der französischen Fassung „irregularités“, in der englischen „irregularities“; die Übersetzung mit „Unregelmäßigkeiten“ wäre also naheliegender. Dieser Begriff wird übrigens in den Erwägungsgründen 9 bzw 10 der Dritten Richtliniengeneration (Erwägungsgrund 29 RL Leben) verwendet. In Österreich blieb man bei der bisherigen Formulierung, da sie für europarechtlich unbedenklich und zudem anschaulicher als der Begriff „Missstand“ gehalten wurde (vgl 1682 BlgNR 18. GP 39). In Deutschland ist umstritten, ob diese Missstandsaufsicht einen eigenen Eingriffstatbestand fordert (so H. Müller, Die zukünftige Rolle des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen, VW 1993, 551), einen eigenen Eingriffstatbestand im Rahmen der Sitzlandaufsicht bloß zulässt (Dreher, Inhalt und Grenzen der zukünftigen Mißstandsaufsicht des VAG, VersR 1993, 1443 [1449]; etwas einschränkend Büchner, Der Referentenentwurf eines Dritten Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG auf dem Prüfstand, 1993, 6 ff, und Vespermann/Niewerth Mißstandsaufsicht in der Kraftfahrtversicherung, VersR 1996, 1186, [1192]) oder einen solchen gar verbietet (so aus europarechtlichen wie verfassungsrechtlichen Gründen Miersch, 166; ablehnend aber Kollhosser, in: Prölss, VAG12, Rz 16 f zu § 81); vgl auch Bähr, in: Fahr/Kaulbach, VAG3, Rz 16b zu § 81, Winter, Paradigmenverschiebung bei der Missstandsaufsicht nach § 81 VAG, VersR 2005, 145, und Zischka, Rz 424 ff. Interessant die Antwort Römers auf die Veränderungen in der Versicherungsaufsicht: Ein Missstand liege dann vor, wenn die Versicherten in ihrer Gesamtheit unangemessen iSd § 9 AGBG benachteiligt werden; vgl Römer, Der Prüfungsmaßstab bei der Mißstandsaufsicht nach § 81 VAG und der AVB-Kontrolle nach § 9 AGBG, 1996. Zu beachten ist auch, dass die Richtlinien selbst vielfach ausfüllungsbedürftige Kriterien hinsichtlich der Ausübungsaufsicht verwenden, welche ebenfalls mehr als eine bloß formale Prüfung verlangen. Vgl etwa die Begriffe „ordnungsgemäße Verwaltung und Buchführung“, „angemessene interne Kontrollverfahren“ (jeweils Art 13 Abs 3 der Ersten RL Nicht-Leben idF von Art 9 der Dritten RL Nicht-Leben bzw Art 10 Abs 3 RL Leben), „gesunde Finanzverhältnisse“ (Art 20 Abs 2 der Ersten RL Nicht-Leben idF von Art 13 der Dritten RL Nicht-Leben bzw Art 37 Abs 2 RL Leben), „angemessene versicherungstechnische Rückstellungen“ (Art 21 RL Leben). Vgl 1682 BlgNR 18. GP 39; St. Korinek, Rechtsaufsicht, 210 ff.
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einer AG betriebenes Versicherungsunternehmen nicht mehr angehalten269. Die Gleichbehandlungspflicht gilt nur für VVaG270. c) „Gefahrenabwehr“ (§ 106 Abs 1 VAG) Kommt es zu einer Gefahr für die Belange der Versicherten, insbesondere für die Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen, so kann die FMA einschreiten. Dieser Tatbestand dient der Krisenabwehr271, setzt also anders als § 104 Abs 1 VAG eine eingetretene oder bevorstehende konkrete Gefahr voraus272. Im Gegensatz zur Vorgängerbestimmung273 konkretisiert § 106 Abs 1 VAG nicht, von wo die Gefahr ausgehen muss. Da durch die Novelle 1986 die Befugnisse der Versicherungsaufsichtsbehörde genauer determiniert und eingeschränkt werden sollten274, ist jedoch weiterhin davon auszugehen, dass ein Eingriff nur gerechtfertigt ist, wenn die Gefahr für die Belange der Versicherten durch das Verhalten von Versicherungsunternehmen ausgelöst wird275. Auch eine von einem Aktionär ausgehende Gefahr kann zu einem Eingriff nach § 106 VAG führen (vgl § 11a Abs 5 VAG). d) Konkursvermeidung Bei Versicherungsunternehmen findet weder ein Ausgleichsverfahren noch ein Zwangsausgleich im Konkurs statt (§ 95 VAG). Der Antrag auf Konkurseröffnung kann nur von der FMA gestellt werden (§ 89 Abs 2 VAG). Doch selbst wenn einer der Konkurseröffnungsgründe vorliegt, also Zahlungsunfähigkeit nach § 66 KO oder Überschuldung nach § 67 KO, ist gemäß § 98 VAG kein Konkurs zu eröffnen, wenn die Konkursvermeidung im Interesse der Versicherten gelegen ist.
2. Anordnungen der FMA a) § 104 VAG Ist einer der Tatbestände des § 104 Abs 1 VAG erfüllt, so hat die FMA zur Wahrung der Interessen der Versicherten alle Anordnungen zu treffen, die erforderlich und geeignet sind, um den Geschäftsbetrieb mit den für den Be269 270
271 272 273 274 275
Vgl St. Korinek, Rechtsaufsicht, 205 ff. Bis zur VAG-Novelle 1994 galt nach § 104 Abs 3 VAG der Gleichbehandlungsgrundsatz. § 33 Abs 3 VAG: „Beiträge und Nachschusszahlungen der Mitglieder sowie Leistungen des Vereins auf Grund des Mitgliedschaftsverhältnisses dürfen beigleichen Voraussetzungen nur nach gleichen Grundsätzen bemessen werden.“ Schäffer, Rz 588. Vgl Baran, VAG3, Anm 1 zu § 106. § 104 Abs 2 VAG idF BGBl 1978/569. Vgl 1044 BlgNR 16. GP 33. Im Übrigen muss auch eine richtlinienkonforme Interpretation zu diesem Ergebnis führen: Nach Art 19 Abs 3 der Ersten RL Nicht-Leben idF von Art 11 der Dritten RL Nicht-Leben bzw Art 13 Abs 3 RL Leben heißt es, dass „Mißstände“ beseitigt werden sollen. Die englische („irregularities“) und französische Fassung („irregularités“) sowie die Erwägungsgründe auch der deutschen Fassung („Unregelmäßigkeiten“) zeigen, dass die Richtlinie an einem Fehlverhalten der Versicherungsunternehmen ansetzen. Eine weitere Auslegung wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen („Inländerdiskriminierung“) bedenklich; vgl Fenyves/St. Korinek, 182 FN 259 mwH; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht2, 2001, 84.
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trieb der Vertragsversicherung geltenden Vorschriften und den anerkannten Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes von Versicherungsunternehmen in Einklang zu bringen. Die Anordnung, die jedenfalls verhältnismäßig sein muss276, kann in Form eines Bescheides oder einer Verordnung ergehen277. Der Handlungsspielraum der Aufsichtsbehörde ist sehr weit; das Gesetz gibt nur einige Anhaltspunkte: So ist gem § 105 VAG die Einberufung der Haupt- bzw Mitgliederversammlung oder des Aufsichtsrates möglich; Sondervergütungen und Begünstigungsverträge können untersagt werden (s § 104 Abs 2 VAG). Gem § 104 Abs 3 VAG können Anordnungen nicht nur an die Versicherungsunternehmen selbst, sondern auch an die Vorstandsmitglieder, Mitglieder der Geschäftsleitung oder an die das Versicherungsunternehmen kontrollierenden Personen gerichtet werden. Versicherungsmakler und Versicherungsagenten sind hingegen seit der VAG-Novelle 1994 nicht mehr Adressat aufsichtsbehördlicher Anordnungen278. b) § 104a VAG Für den Fall, dass ein Versicherer die Eigenkapitalvorschriften nicht mehr einhalten kann, sieht § 104a VAG eine bestimmte Vorgangsweise vor. Kennzeichnend für diese Finanzaufsicht ist, dass die Initiative von den Versicherungsunternehmen selbst ausgehen soll: • Solvabilitätsplan (§ 104a Abs 1 VAG) Verfügt das Versicherungsunternehmen nicht über die vorgeschriebenen Eigenmittel, so hat es einen Plan zur Wiederherstellung gesunder Finanzverhältnisse vorzulegen. Dieser bedarf der Genehmigung durch die FMA. Die FMA kann die Vorlage eines Solvabilitätsplanes auch dann verlangen, wenn eine Unterschreitung der erforderlichen Eigenmittel in absehbarer Zeit droht. • Finanzierungsplan (§ 104a Abs 2 VAG) Erreichen die Eigenmittel eines Versicherungsunternehmens nicht einmal den Umfang des Garantiefonds, so hat es einen Plan für die kurzfristige Beschaffung der erforderlichen Eigenmittel vorzulegen. Auch dieser Finanzierungsplan ist genehmigungspflichtig. • Sanierungsplan (§ 104a Abs 2a und 2b VAG) Hat die FMA auf Grund einer Verschlechterung der finanziellen Lage des Versicherungsunternehmens berechtigten Grund zur Annahme, dass die ausreichende Eigenmittelausstattung des Versicherungsunternehmens voraussichtlich nicht mehr dauerhaft gewährleistet ist, so kann die FMA die Vorlage eines nicht genehmigungspflichtigen - Sanierungsplanes verlangen. Im Gegensatz zum Finanzierungs- und Solvabilitätsplan hat der Sanierungsplan eine längerfristige Komponente. Er bezieht sich auf die nächsten drei Geschäftsjahre, 276 277
278
Vgl dazu Baran, VAG3, Anm 3 zu § 104. Vgl Baran, VAG3, Anm 2 zu § 104; Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 554. Jüngst hat der VwGH 2006/17/0132 = ZFR 2006/42, 102 (Fletzberger) einen Unterlassungsbescheid der FMA bestätigt. Die Aufhebung des alten § 104 Abs 2 VAG wurde damit begründet, dass die Überwachung dieser Personen allgemein nicht Gegenstand des Versicherungsaufsichtsrechts sei (1682 BlgNR 18. GP 40).
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unter anderem auf die voraussichtlichen Provisionsaufwendungen, die voraussichtlichen Prämienaufkommen etc, und kann auch zusätzlich zu einem Solvabilitäts- oder Finanzierungsplan verlangt werden. Die FMA wird aber solche Maßnahmen bzw. Hinweise auf Schwierigkeiten bei der Erfüllung der gesetzlichen Eigenmittelvorschriften - zumindest iaR nicht kommunizieren, weil ansonsten die Wirksamkeit der Maßnahmen gefährdet würde279. • Verfügung über Vermögenswerte (§ 104a Abs 3 bis 5 VAG) Darüber hinaus hat die FMA sicherzustellen, dass die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen nicht durch unsachgemäße oder vorschriftswidrige Verfügungen über Vermögenswerte gefährdet wird280. Hat das Versicherungsunternehmen keine ausreichenden versicherungstechnischen Rückstellungen gebildet oder die Kapitalanlagevorschriften zu ihrer Bedeckung nicht eingehalten, nicht die erforderlichen Eigenmittel und ist aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine weitere Verschlechterung der Finanzlage zu erwarten oder erreichen die Eigenmittel nicht einmal den Umfang des Garantiefonds, so hat die FMA die freie Verfügbarkeit über die Vermögenswerte des Unternehmens einzuschränken oder zu untersagen. Da Verfügungen über die Vermögenswerte ohne aufsichtsbehördliche Zustimmung unwirksam sind281, muss die Maßnahme der FMA publik sein, weshalb sie im Amtsblatt der Wiener Zeitung sowie über Internet kund zu machen ist282. Dadurch kann der Versicherer weiterhin nützliche Verfügungen treffen, gleichzeitig wird den Versicherten effektiver Schutz gewährt. Ausnahmsweise hat die FMA sogar bei nicht der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen dienenden Kapitalanlagen einzugreifen; nämlich dann, wenn die Zahlungsfähigkeit gefährdet werden könnte (s § 104a Abs 5 VAG). c) § 106 VAG Das Vorgehen bei der Gefahrenabwehr nach § 106 VAG ist konkreter geregelt. Nach § 106 Abs 1 VAG kann die FMA mit Bescheid befristete Maßnahmen setzen, die spätestens 18 Monate nach Wirksamkeitsbeginn außer Kraft treten. § 106 Abs 2 VAG zählt die möglichen Maßnahmen beispielsweise auf. Die FMA kann • den Mitgliedern des Vorstandes oder der Geschäftsleitung die Geschäftsführung ganz oder teilweise untersagen, • einen Regierungskommissär bestellen, der die Vornahme von Geschäften untersagen kann (s § 106 Abs 4 VAG)283, 279
280 281 282 283
Genauer zur diesbezüglichen Amtsverschwiegenheit St. Korinek, Solvenzprüfungspflicht der Versicherungsmakler trotz Solvabilitätsaufsicht der FMA?, in: Koban/Rubin/Vonkilch (Hrsg), Aktuelle Entwicklungen im Versicherungsrecht, 2005, 35 (41ff) Vgl 109 BlgNR 20. GP 42. Vgl Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 562; Fenyves/St. Korinek, 183. § 104a Abs 4a VAG. Anders als der vor der VAG-Novelle 1986 vorgesehene Sonderbeauftragte hat der Regierungskommissär kein Gestaltungsrecht, sondern bloß ein Vetorecht. Vgl 1044 BlgNR 16. GP 33; Baran, VAG3, Anm 5 zu § 106.
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• die Fortführung des Geschäftsbetriebes ganz oder teilweise untersagen. Im Rahmen der Aktionärskontrolle kann die FMA zwar nicht das Ruhen der Stimmrechte selbst anordnen, sie kann aber bei Gericht einen entsprechenden Antrag stellen (§ 11a Abs 5 VAG). Nach § 106 Abs 3 VAG kann die FMA zur Abwendung einer Gefahr für die Belange der Versicherten per Verordnung bei Vorliegen bestimmter, strenger Voraussetzungen der Umfang des Versicherungsschutzes einschränken284. Kann die Gefahr nicht anders abgewandt werden, kann die FMA dem Versicherer auftragen, seinen Bestand zu übertragen (§ 106 Abs 3a VAG); der Erfolg dieser Maßnahme hängt freilich davon ab, ob sich ein Käufer (ein den Versicherungsbestand übernehmendes Versicherungsunternehmen) findet. d) Verbot und Herabsetzung von Leistungen Liegt die Konkursvermeidung im Interesse der Versicherten, so hat die FMA anstatt den Konkurseröffnungsantrag zu stellen - gemäß § 98 Abs 1 VAG Zahlungen (Versicherungsleistungen) und Rückkäufe in der Lebensversicherung im erforderlichen Ausmaß zu untersagen oder Leistungsverpflichtungen aus der Lebensversicherung entsprechend dem vorhandenen Vermögen herabzusetzen. Die Prämienzahlungspflicht bleibt dagegen aufrecht (§ 98 Abs 3 VAG), weil ansonsten die Maßnahme die erwünschte Wirkung nicht erzielen könnte. e) Weitere Anordnungen Die Art und Weise des Einschreitens der FMA ist auch an weiteren Stellen des VAG reglementiert. Als Beispiele dafür seien genannt: • Verlangen nach der Auflösung eines Ausgliederungsvertrages (§ 17a Abs 4 VAG) • Abberufung des Treuhänders (§ 22 Abs 6 VAG) • Verlangen nach einem neuen verantwortlichen Aktuar (§ 24 Abs 4 VAG) Umgekehrt kann die Aufsichtsbehörde auch manche Geschäfte und Handlungen untersagen (s III.C.7 zur Genehmigungspflicht): • Untersagung des Erwerbs von Anteilsrechten (§ 11a Abs 2 VAG) • Versagung der Genehmigung eines Ausgliederungsvertrages (§ 17a Abs 2 VAG), wenn dieser geeignet ist, die Interessen der Versicherten zu gefährden • Versagung der Genehmigung einer Bestandsübertragung (§13a Abs 1 und 2 VAG), wenn die Interessen der Versicherten nicht ausreichend gewahrt sind f) Konzessionsentzug Sind die Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession nicht mehr erfüllt oder versagen die eben erwähnten Berichtigungsmaßnahmen, so muss als ultima ratio zum Konzessionsentzug gegriffen werden (§ 7b VAG). Nach Entzug der Konzession darf das Versicherungsunternehmen keine neuen Versicherungsverträge mehr abschließen und muss bestehende ehestens beenden.
284
Eingefügt durch die VAG-Novelle 1996.
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3. Berichtigung gegenüber Vertragsstaatsunternehmen a) Verfahren nach § 107 VAG285 Verletzt das Vertragsstaatsunternehmen die für den Betrieb der Vertragsversicherung geltenden Vorschriften oder die anerkannten Grundsätze eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes, die im Allgemeininteresse gelegen sind, und gefährdet es dadurch die Interessen der Versicherten286, so hat die FMA tätig zu werden. Das VAG sieht dafür ein dreistufiges Verfahren vor: • Zunächst hat die FMA das Versicherungsunternehmen aufzufordern, den Mangel zu beheben (§ 107 Abs 2 VAG). Diese Aufforderung ergeht nicht in Form eines Bescheides; es handelt sich also um eine Maßnahme der „schlichten Verwaltung“. • Entspricht das Versicherungsunternehmen der Aufforderung nicht, so hat die österreichische FMA die zuständige Sitzlandbehörde zu ersuchen, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen (§ 107 Abs 3 VAG). • Nur wenn die Sitzlandbehörde keine zureichende und wirksame Maßnahme ergreift, darf die österreichische Aufsichtsbehörde eine Anordnung nach § 104 VAG treffen (§ 107 Abs 4 VAG)287. Wie sich §§ 99 ff VAG auf § 104 VAG beziehen und die Beschaffung der nötigen Information ermöglichen sollen, so dient § 107 Abs 1 VAG dazu, die Aufgaben nach § 107 Abs 2-5 VAG zu erfüllen. Da diese im Allgemeininteresse liegen, liegt auch die dafür nötige Informationsbeschaffung (§ 102a VAG, s III.D.3) im Allgemeininteresse. b) Noteingriffsrecht Neben dieser subsidiären Eingriffsmöglichkeit hat die österreichische Aufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Restkompetenz auch eine primäre Eingriffsmöglichkeit („Noteingriffsrecht“)288. Ist eine Maßnahme zur Abwendung einer Gefahr für die Belange der Versicherten erforderlich, so hat die FMA gemäß § 107 Abs 5 VAG unverzüglich unter Anwendung des § 104 die erforderlichen und geeigneten Anordnungen zu treffen. c) Untersagung des Versicherungsbetriebes Bei Vertragsstaatsunternehmen, die in Österreich eine Zweigniederlassung haben oder hier im Wege des Dienstleistungsverkehrs tätig werden, kommt zwar kein Konzessionsentzug in Betracht, die FMA hat aber im Rahmen ihrer Restkompetenz den Versicherungsbetrieb zu untersagen, wenn das Versicherungsunternehmen seine Konzession verliert oder ein Verfahren nach § 107 VAG erfolglos geblieben ist und ein schwerwiegendes Fehlverhalten vorliegt (§ 7 Abs 6, § 14 Abs 7 VAG). 285 286
287 288
Vgl Art 40 der Dritten Richtliniengeneration (Art 46 RL Leben). Sind die Interessen der Versicherten gefährdet, wird die verletzte Vorschrift wohl im Allgemeininteresse (zu dieser Einschränkung s oben III.B.2.c) liegen und dieses Kriterium bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Aufsichtsbehörde kaum eine Rolle spielen. Nach Art 40 Abs 5 der Dritten Richtliniengeneration (Art 46 Abs 4 RL Leben) müsste zuvor die Sitzlandbehörde unterrichtet werden. So Fenyves/St. Korinek, 187.
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F. Verwaltungsstrafen Auch wenn die Versicherungsaufsicht darauf ausgelegt ist, den gesetzmäßigen Zustand - erforderlichenfalls durch Anordnungen - herzustellen, sind doch gleichsam ergänzend - auch Verwaltungsstrafen vorgesehen (s §§ 107b bis 112 VAG). So ist etwa die Verletzung von bestimmten Anzeige- und Informationspflichten mit einer Verwaltungsstrafe bis 10.000 Euro bedroht (§ 107b VAG). Auch sind sowohl der Betrieb der Vertragsversicherung ohne erforderliche Konzession oder sonstige Berechtigung, dh ohne ordnungsgemäße Anmeldung zum Dienstleistungsverkehr oder zur Tätigkeit im Wege einer Zweigniederlassung (s III.B.2.c), als auch die Vermittlung eines Versicherungsvertrages an ein solches Unternehmen mit einer Verwaltungsstrafe bis 50.000 Euro bedroht (s § 110 Abs 1 VAG). Hinsichtlich des unerlaubten Geschäftsbetriebes ist darauf hinzuweisen, dass er schon bisher (auf Grundlage des § 104 Abs 1 VAG) untersagt werden konnte289, dass der FMA aber seit dem FMA-ÄG 2005290 genauere Bestimmungen zum Einschreiten zur Verfügung stehen (s §§ 22b ff FMABG). Streitigkeiten, ob ein Unternehmen dem VAG unterliegt oder nicht unterliegt, ob zB eine Vereinstätigkeit eigentlich Versicherungsgeschäft darstellt, kann die FMA auch mittels Feststellungsbescheid entscheiden (§ 1 Abs 4 VAG). Ein solches Verfahren kann dazu führen, dass ein Unternehmen eine Konzession beantragt, dass es seine Geschäftstätigkeit einschränkt, um sich von Versicherungen abzugrenzen, oder dass es für den versicherungsmäßigen Teil der Geschäftstätigkeit eine Gruppenversicherung abschließt.
IV. Aufsichtsbehörde Bis 30.3.2002 war der Bundesminister für Finanzen die Versicherungsaufsichtsbehörde; tatsächlich übte die Gruppe V/D des Finanzministeriums, die zur Kreditsektion zählte, die Versicherungsaufsicht aus. Mit 1.4.2002 wurde die Versicherungsaufsichtsbehörde durch die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) ersetzt, denn aufgrund des Finanzmarktaufsichtsgesetzes291 wurde eine sog Allfinanzaufsicht eingerichtet: Sie umfasst neben der Versicherungsaufsicht auch noch die Banken-, Wertpapier- und Pensionskassenaufsicht. Diese aus der ministeriellen Verwaltung ausgegliederte Aufsichtsbehörde ist eine Anstalt öffentlichen Rechts292. Sie ist - entsprechend den ursprünglichen Plänen, entgegen dem ersten Gesetzesbeschluss293 weisungsfrei. Die FMA ist - mit Ausnahme ihrer verwaltungsstrafrechtlichen Tätigkeit - in erster und letzter Instanz tätig. Gegen ihre Bescheide gibt es keine Berufungsmöglichkeit294, doch steht die Beschwerde an den VwGH und VfGH 289 290 291 292 293 294
Vgl St. Korinek, Die „Raserversicherung“, in: Ennöckl/N. Raschauer (Hrsg), Casebook Wirtschaftsrecht, 2005, 229 (234). Finanzmarktaufsichtsänderungsgesetz, BGBl I 2006/48. FMAG, BGBl I 2001/97, dessen Art 1 das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz (FMAG) ist. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese „Ausgliederung“ Brandl/Wolfbauer (FN 53), 12 f mwH. S oben FN 53. In Verwaltungsstrafverfahren steht die Berufung an den UVS Wien zu.
Versicherungsaufsichtsrecht
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offen. Die Kosten der FMA werden - abgesehen vom Basisbeitrag des Bundes von 3,5 Mio Euro - von den beaufsichtigten Unternehmen getragen (s § 19 FMABG und FMA-Kosten-VO), für bestimmte Verwaltungsakte der FMA sind Gebühren nach der FMA-Gebühren-VO zu tragen (s § 19 Abs 10 FMABG). Die Kontrolle durch die österreichische Aufsichtsbehörde erstreckt sich hinsichtlich inländischer Versicherungsunternehmen auf ihre inländische und ausländische Geschäftstätigkeit (s II.A.1). Hinsichtlich in Österreich tätiger Versicherer aus Vertragsstaaten kommt der österreichischen Aufsichtsbehörde seit der grundsätzlichen Verwirklichung der Sitzlandskontrolle nur noch eine Restkompetenz zu (s I.C.2), die primäre Aufsichtskompetenz besitzen hier die Sitzlandbehörden. Auf die verbliebene Beaufsichtigungs- und Berichtigungskompetenz der österreichischen Aufsichtsbehörde als Tätigkeitslandbehörde wurde bereits hingewiesen (s III.D.3 und III.E.3). Der auf dem Prinzip der mit Einheitlicher Zulassung und Sitzlandkontrolle basierende Versicherungsbinnenmarkt setzt eine laufende und umfassende Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden der einzelnen Länder voraus. Diese Zusammenarbeit ist auch deshalb unentbehrlich, weil nach wie vor zT unterschiedliche nationale Regelungen beim Betrieb der Versicherung zu berücksichtigen sind295. §§ 118a-118e VAG regeln die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden im EWR. Sie sehen Auskunftsrechte, Mitteilungs- und Verständigungspflichten vor. Ist die FMA nach § 104a VAG vorgegangen, so hat sie sogar die Möglichkeit, die zuständige Behörde von Vertragsstaaten hinsichtlich in deren Gebiet belegenen Vermögenswerten um die gleiche Anordnung zu ersuchen296. Der Austausch statistischen Materials soll den einzelnen Aufsichtsbehörden die Möglichkeit geben, sich über die verschiedenen Märkte, in denen sie ihrer Aufgabe nachzukommen haben, zu informieren. Die Daten werden dabei zusammengefasst mitgeteilt297, sodass nicht erkennbar ist, ob und in welchen Umfang einzelne Versicherungsunternehmen in anderen Mitgliedstaaten tätig sind298. Den institutionellen Rahmen für den laufenden wechselseitigen Informationsaustausch und die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden im Allgemeinen bildet CEIOPS299; dieser mit Beschluss der Europäischen Kommission im 295 296 297 298
299
Braumüller, Zusammenarbeit, 27. Ausführlich zu dieser Zusammenarbeit H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz 415 ff. Zur besonderen Notwendigkeit der Zusammenarbeit in diesem Bereich Baran (FN 46), 61. Art 44 der Dritten RL Nicht-Leben, Art 49 RL Leben. Kritisch dazu Braumüller, Zusammenarbeit, 30, der darauf hinweist, dass solche Informationen deshalb wichtig seinen, weil eine Anmeldung zum Niederlassungsoder Dienstleistungsverkehr nicht zum Versicherungsbetrieb verpflichte. Committee of European Insurance and Occupational Pensions Committee; vgl Taurer, CEIOPS - Das Level-3-Komitee im Bereich Versicherungen und betriebliche Altersversorgung, VR 2006, 48. Level-3-Komitee bezieht sich auf das sog Lamfalussy-Verfahren, das zu besseren und rascher adaptierbaren Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte führen soll: Grundsatz-RL und -VO des Rates (erste Stufe), Durchführungs-RL und -VO der Europäischen Kommission mit Unterstützung von Fachausschüssen für technische Einzelheiten (zweite Stufe), Expertenausschüsse der
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St. Korinek
November 2003 geschaffene Ausschuss ersetzt die Konferenz der Aufsichtsbehörden der EG300. Praktisch bedeutsam sind die Zusammenarbeitsprotokolle, die grenzüberschreitende Aufsichtsbereiche betreffen301. Weltweit agiert die 1994 gegründete International Association of Insurance Supervisors (IAIS), deren Ziele va die Kooperation sowie das Erstellen einheitlicher Prinzipien und Standards für eine effiziente Aufsicht sind302. Die Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Aufsichtsbehörde regelt § 118g VAG, die mit anderen Drittstaaten § 118 VAG.
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Aufsichtsbehörden (dritte Stufe), Überprüfung der Umsetzung durch die Europäischen Kommission (vierte Stufe). Die nicht auf EG-Recht beruht hatte; an den Konferenzen hatten auch die Aufsichtsbehörden der übrigen EWR-Mitgliedstaaten teilnehmen können; die Kommission der EG hatte Beobachterstatus. Vgl Braumüller, Zusammenarbeit, 31, und Hohlfeld, Was bleibt von der materiellen Versicherungsaufsicht nach Vollendung des Binnenmarktes, 1992, 25 f. Abrufbar unter: http://www.ceiops.org/content/view/19/23/. Im Überblick Braumüller, IAIS Insurance Core Principles - Globale Vorgaben für eine effektive Versicherungsaufsicht, VR 2004, 52. Näheres unter http:// www.iaisweb.org. Zur internationalen Zusammenarbeit vgl Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 616 ff.
Walter Schrammel
Pensionskassenaufsichtsrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................166 Grundlegende Literatur...................................................................................166 I. Grundlagen ................................................................................................166 A. Die Stellung der Pensionskassen im System der betrieblichen Alterssicherung......................................................................................166 B. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................167 II. Die Aufgabe von Pensionskassen............................................................168 A. Allgemeines............................................................................................168 B. Pensionskassenbetriebsvereinbarung und Pensionskassenvertrag .......170 III. Pensionskassengeschäfte........................................................................171 A. Beitrags- und leistungsorientierte Pensionskassenzusagen ..................171 B. Unbeschränkte und beschränkte Nachschusspflichten des Arbeitgebers....................................................................................172 C. Veranlagungs- und Risikogemeinschaften ............................................173 IV. Errichtung und Betrieb von Pensionskassen .......................................173 A. Errichtung..............................................................................................173 1. Rechtsform ........................................................................................173 2. Konzession, Anzeigepflicht ..............................................................174 B. Eigenmittel und Mindestertrag ..............................................................175 1. Eigenmittel ........................................................................................175 2. Mindestverzinsung und Mindestertrag..............................................175 3. Mindestertragsrücklage .....................................................................176 4. Ausschluss des Mindestertrags..........................................................177 C. Geschäftsplan ........................................................................................177 D. Schwankungsrückstellung .....................................................................179 E. Veranlagungsvorschriften .....................................................................180 F. Informationspflichten der Pensionskasse ..............................................181 G. Pensionskassenbeiträge und Verwaltungskosten ..................................181 1. Allgemeines.......................................................................................181 2. Pensionskassenbeiträge .....................................................................182 3. Verwaltungskosten ............................................................................183 4. Veranlagungskosten ..........................................................................184 V. Mitwirkung der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten an der Verwaltung der Pensionskasse....................................................186 A. Allgemeines............................................................................................186 B. Aufsichtsrat............................................................................................186 C. Beratungsausschuss...............................................................................187 D. Hauptversammlung ...............................................................................187 VI. Aufsicht über Pensionskassen ...............................................................187
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Schrammel
VII. Auflösung des Pensionskassenvertrages und Auflösung der Pensionskasse......................................................................................... 188 A. Auflösung des Pensionskassenvertrages ............................................... 188 B. Auflösung der Pensionskasse ................................................................ 190 1. Freiwillige Auflösung ....................................................................... 190 2. Konkurs ............................................................................................ 191 3. Konzessionsentzug ........................................................................... 191 Rechtsgrundlagen: Betriebspensionsgesetz - BPG (BGBl 1990/282 idF BGBl I 2005/8); Pensionskassengesetz - PKG (BGBl 1990/281 idF BGBl I 2006/48) RL 2003/41/EG (Abl L 235/10)
Grundlegende Literatur: Schrammel, BPG 1992; Schrammel, Aktuelle Fragen des Betriebspensions- und Pensionskassenrechts, DRdA 2004, 211; Schrammel, Die Übertragung von Anwartschaften aus Direktzusagen auf eine Pensionskasse, ZAS 2006, 52; Gerlach, Ausgewählte betriebsvereinbarungsrechtliche Probleme bei der Auslagerung von Direktzusagen ZAS 2006, 61; Fletzberger, Grenzüberschreitende Tätigkeiten von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, wbl 2006, 16.
I. Grundlagen A. Die Stellung der Pensionskassen im System der betrieblichen Alterssicherung In vielen wirtschaftlich entwickelten Staaten existieren neben einer staatlichen „Grundsicherung“ im Alter - meist in Form der Sozialversicherung - eine betriebliche und eine private Altersvorsorge, die das staatliche Alterssicherungsmodell ergänzen. Die Alterssicherung beruht insoweit auf drei Säulen. Österreich besitzt ein, im internationalen Vergleich, stark ausgebildetes staatliches Pensionsversicherungssystem, das zur Gänze nach dem Umlagesystem finanziert wird. Die demographische Entwicklung und die daraus resultierenden finanziellen Probleme der staatlichen Altersversorgung haben in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse an privater Altersvorsorge bewirkt. Dieses Interesse hat auch zu einer „Verdichtung“ der rechtlichen Rahmenbedingungen für die zweite Säule - die betriebliche Alterssicherung - geführt. Bis zum Jahr 1990 beruhte die betriebliche Alterssicherung vor allem auf so genannten „direkten Leistungszusagen“ des Arbeitgebers. Diese Leistungszusagen wurden durch Pensionsrückstellungen der Unternehmen finanziert. Die Verbindlichkeiten des Unternehmens gegenüber seinen Arbeitnehmern waren durch die Rückstellungen zwar bilanztechnisch erfasst, die dazugehörigen Vermögensmittel auf der Aktivseite waren aber meist nicht in ausreichendem Ausmaß als Sondervermögen gebunden. Dies musste zwangsläufig zu mangelnder Liquidität im Hinblick auf die Leistungserbringung führen. Das Einkommensteuer- und das Körperschaftssteuergesetz 1988 hatten die Abzugsfähigkeit von Pensionsrückstellungen verbessert und steuerrechtliche
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Rahmenbedingungen für die Gründung und den Aufbau von Pensionskassen geschaffen. Durch das Betriebspensionsgesetz (BPG)1 und das Pensionskassengesetz (PKG)2 wurde die betriebliche Alterssicherung qualitativ auf eine neue Basis gestellt. Das BPG regelt im Wesentlichen die verschiedenen Formen betrieblicher Ruhegelder. Neben der weiter bestehenden Möglichkeit, direkte Leistungszusagen zu erteilen, hat das BPG eine neue Form der Alterssicherung geschaffen. Betriebspensionen können nunmehr auch in Form einer Pensionskassenzusage durch Einrichtungen gewährt werden, die vom Arbeitgeber rechtlich verschieden sind. Pensionskassenzusagen sind kapitalgedeckte Alterssicherungssysteme.3 Die Verbindung zwischen Arbeitnehmern und Betrieb wird nur mehr durch die Verpflichtung des Arbeitgebers hergestellt, Beiträge an die Pensionskasse zu leisten. Die Gewährung von Pensionen ist ausschließlich Sache der Pensionskasse. Das PKG regelt die Voraussetzungen für die Errichtung dieser Pensionskassen und gibt Vorgaben für die Abwicklung der Pensionskassengeschäfte. Das Pensionskassengeschäft hat bis zum Jahr 2000 eine kontinuierliche Entwicklung genommen, die Zahl der abgeschlossenen Verträge ist stetig gestiegen. Im Jahre 2000 waren ca 284.000 Anwartschafts- und Leistungsberechtigte von zirka 7.000 Arbeitgebern in eine Pensionskassenlösung eingebunden.4 Das verwaltete Vermögen betrug ca 8 Mrd Euro. Die wirtschaftlichen Probleme auf den Aktienmärkten ab 2001 haben zwar zu nicht unerheblichen Einbußen bei den Leistungen geführt, die Attraktivität des Pensionskassengeschäftes hat dadurch aber letztlich keinen Einbruch erlebt.
B. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes hat auch Finanzinstituten in der Gemeinschaft die Möglichkeit eröffnet, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten auszuüben. Die grenzüberschreitende Tätigkeit kann entweder im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit oder auf der Basis des Niederlassungsrechtes durch Errichtung einer Filiale in anderen Mitgliedstaaten entfaltet werden. Die Richtlinie 2003/41/EG vom 3. Juni 2003 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung5 („Pensionsfonds-Richtlinie“) sollte den Weg zu einem europaweit organisierten Binnenmarkt für die betriebliche Altersversorgung ebnen. Die Richtlinie greift in die Kompetenz der Mitgliedstaaten, die Organisation der Altersversorgung zu regeln, nicht ein; sie will aber die Aktivitäten und vor allem die Beaufsichtigung von „Pensionsfonds“ harmonisieren.6 Die Richtlinie gilt nur für „Einrichtungen“ der betrieblichen Altersvorsorge, die nach dem Kapitaldeckungsverfahren arbeiten; direkte Leistungszusagen unterliegen daher nicht den Bestimmungen der 1 2 3 4 5 6
BGBl 1990/282. BGBl 1990/281. Holzer, Anpassung der Pensionsversicherung an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts, VR 2001, 183. Janda, Österreichs Pensionskassen im Jahre 2000, ÖBA 2001, 735. Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates, Abl L 235 vom 23.9.2003, S 10. Vgl Fletzberger, Grenzüberschreitende Tätigkeiten, wbl 2006, 16.
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Richtlinie. Ausgenommen sind auch Einrichtungen, die nur freiwillige Leistungen gewähren. Die Rechtsform der Einrichtung ist irrelevant. Bevor eine Einrichtung grenzüberschreitend tätig werden darf, benötigt sie aber eine Konzession durch die Aufsichtsbehörde des Sitzlandes. Diese Konzession ist bei grenzüberschreitender Tätigkeit auch dann erforderlich, wenn die Einrichtung auf nationaler Ebene nur in ein Register eingetragen sein muss.7 Durch die vom Sitzland erteilte Konzession wird die Einrichtung zu Tätigkeiten im gesamten Gemeinschaftsgebiet berechtigt. Die Richtlinie folgt damit dem Grundsatz der einheitlichen Zulassung (Single-Licence-Prinzip).8 Die Konzession gibt der Einrichtung noch keine völlige Freiheit, in anderen Mitgliedstaaten Pensionskassengeschäfte abzuschließen. Die Richtlinie sieht vor, dass die Einrichtung jeden beabsichtigten Abschluss eines Altersversorgungsvertrages mit einem ausländischen Arbeitgeber der zuständigen Heimatbehörde anzuzeigen hat. Diese hat den beabsichtigten Vertragsabschluss der zuständigen Behörde des Tätigkeitslandes zu notifizieren. Die Behörde des Tätigkeitslandes hat auf Grund einer solchen Notifikation der Behörde des Heimatlandes die im Tätigkeitsland einzuhaltenden arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften mitzuteilen, die von der Einrichtung einzuhalten sind. Die Behörde des Heimatstaates leitet diese Information an die Einrichtung weiter. Erst nach Erhalt der Information darf die Einrichtung Altersversorgungsverträge mit ausländischen Arbeitgebern abschließen. Dass dieses relativ komplizierte Verfahren grenzüberschreitende Aktivitäten von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung fördert, darf bezweifelt werden. Der Gemeinschaftsgesetzgeber wollte offenkundig sicherstellen, dass sich die Ansprüche der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten nach dem einschlägigen arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen des Tätigkeitslandes richten.
Ein wesentliches Anliegen der Richtlinie ist die Festlegung bestimmter Standards im Bereich der Veranlagung der eingenommenen Beiträge; die Anwartschafts- und Leistungsberechtigten müssen ausreichend über die Funktionsweise und Funktionsfähigkeit des Altersversorgungssystems informiert werden. Die Aufsicht über Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung obliegt den zuständigen Behörden des Heimatstaates. Dem Tätigkeitsstaat kommen eingeschränkte Aufsichtsrechte hinsichtlich der Einhaltung der arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen zu. Die Umsetzung der Richtlinie erfolgte in Österreich durch die PKG-Novelle BGBl I 2005/8.
II. Die Aufgabe von Pensionskassen A. Allgemeines Pensionskassen sind Unternehmen, die nach dem PKG berechtigt sind, Pensionskassengeschäfte zu betreiben. Pensionskassengeschäfte bestehen in der rechtsverbindlichen Zusage von Pensionen an Anwartschaftsberechtigte und in der Erbringung von Pensionen an Leistungsberechtigte und Hinterbliebene sowie in der damit verbundenen Hereinnahme und Veranlagung von Beiträ-
7 8
Art 9 Abs 5 RL. Fletzberger, wbl 2006, 106. Vgl auch St. Korinek, Rechtsaufsicht über Versicherungsunternehmen 2000, 33.
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gen.9 Geschäfte, die nicht mit der Verwaltung von Pensionskassen zusammenhängen, dürfen von Pensionskassen nicht betrieben werden.10 Anwartschaftsberechtigte sind natürliche Personen, die auf Grund eines bestehenden oder früheren Arbeitsverhältnisses oder als Mitglieder des Vertretungsorgans einer juristischen Person in Folge von Beiträgen des Arbeitgebers und allenfalls auch eigener Beiträge einen Anspruch auf eine zukünftige Leistung entsprechend dem Pensionskassenvertrag haben. Ferner gehören zu den Anwartschaftsberechtigten unter bestimmten Voraussetzungen auch Vertragsbedienstete und öffentlich-rechtlich Bedienstete,11 ferner Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern eine Beteiligung am Pensionskassensystem ermöglicht haben und für sich selbst Pensionskassenbeiträge leisten, und weitere in § 5 PKG genannte Personen.12 Leistungsberechtigte sind natürliche Personen, denen die Pensionskasse entsprechend dem Pensionskassenvertrag bereits Pensionen zu erbringen hat. Die besondere Erwähnung des „Pensionskassenvertrages“ weist darauf hin, dass die Hereinnahme und Veranlagung von Beiträgen, aber auch die Auszahlung von Leistungen ihre rechtlichen Grundlagen in diesem Pensionskassenvertrag finden. Regelungen über den Pensionskassenvertrag trifft § 15 PKG. Danach ist der Pensionskassenvertrag zwischen der Pensionskasse und dem „beitretenden“ Arbeitgeber abzuschließen. Er ist gleichzeitig auch die Rechtsgrundlage für die Ansprüche der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten gegenüber der Pensionskasse. Rechtlich handelt es sich um einen Vertrag zugunsten Dritter. Aus § 15 Abs 4 PKG ergibt sich, dass der Inhalt des Pensionskassenvertrages nicht nur den Vorschriften des PKG, sondern auch den Vorschriften des § 3 BPG entsprechen muss. Ist die Vereinbarkeit des Pensionskassenvertrages mit den genannten Regelungen nicht gegeben, so hat die FMA die Pensionskasse mit der Verbesserung des Vertrages zu beauftragen. Kommt die Pensionskasse diesem Auftrag nicht innerhalb von sechs Monaten nach, so ist der Pensionskassenvertrag nichtig. Eine rechtsverbindliche Zusage von Pensionen setzt daher voraus, dass ein Pensionskassenvertrag abgeschlossen wird, der auch den Vorschriften des BPG entspricht. Pensionskassengeschäfte bedürfen somit im Allgemeinen einer „doppelten Legitimität“. Soweit das BPG Regelungen über Pensionskassengeschäfte trifft, sind diese Regelungen auch Grundlage für das wirksame Zustandekommen eines Pensionskassenvertrages.
9 10
11 12
§ 1 Abs 1 und 2 PKG. § 1 Abs 3 PKG. Die Beschränkung auf das Pensionskassengeschäft bezweckt den Ausschluss von Risken, die mit der Zielsetzung der Pensionskassenregelung - Sicherung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung der Arbeitnehmer - unvereinbar sind. Vgl den AB zum PKG, 1328 BlgNR 17. GP. § 5 Z 1 lit a sublit cc) und dd). ZB Personen im Sinne des Bundesbezügegesetzes (BBG), die Vorsorgeansprüche nach dem Pensionskassenvorsorgegesetz (PKVG) haben (BGBl I 1997/64).
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B. Pensionskassenbetriebsvereinbarung und Pensionskassenvertrag Die rechtsverbindliche Zusage von Pensionen ist nach dem BPG an strenge formale Voraussetzungen geknüpft. Gemäß § 3 BPG sind der Beitritt des Arbeitgebers zu einer Pensionskasse oder die Errichtung einer betrieblichen Pensionskasse nur zulässig, wenn zuvor zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat eine so genannte „Pensionskassenbetriebsvereinbarung“ abgeschlossen wurde. Die Pensionskassenbetriebsvereinbarung hat insbesondere das Leistungsrecht sowie die Mitwirkung der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten an der Verwaltung der Pensionskasse zu regeln.13 Ohne Vorliegen einer solchen Betriebsvereinbarung ist ein vom Arbeitgeber abgeschlossener Pensionskassenvertrag rechtsunwirksam.14 Der Gesetzgeber will damit sicherstellen, dass eine Pensionskassenversorgung nur mit Zustimmung der Belegschaft begründet werden kann. Der Abschluss einer Pensionskassenbetriebsvereinbarung kann allerdings weder vom Arbeitgeber noch von der Belegschaft erzwungen werden; kommt es zu keiner Einigung, dann muss in dem betreffenden Betrieb auf eine zusätzliche Altersversorgung in Form der Pensionskassenzusage verzichtet werden. Auf den Abschluss einer Pensionskassenbetriebsvereinbarung kann nur in wenigen Ausnahmefällen verzichtet werden. Eine „Substitution“ durch Kollektivvertrag ist möglich, wenn ein Kollektivvertrag zum Stichtag 1. Jänner 1997 bereits eine betriebliche Altersversorgung (in Form einer Direktzusage) vorgesehen hat oder wenn es sich um einen Betrieb handelt, der nicht dem II. Teil des ArbVG unterliegt.15 Eine „Substitution“ durch Einzelvertrag ist möglich, wenn der Arbeitnehmer von keinem Betriebsrat vertreten wird.16 Der Einzelvertrag ist nach einem Vertragsmuster abzuschließen. In diesem - ebenso wie in einem Kollektivvertrag - müssen wiederum das Leistungsrecht (Beiträge des Arbeitgebers, Pensionen) sowie die Mitwirkung der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten an der Verwaltung der Pensionskasse geregelt sein. Eine „Übervorteilung“ der Arbeitnehmer soll dadurch ausgeschlossen werden. Betriebsvereinbarung, Kollektivvertrag oder Einzelvereinbarung nach Vertragsmuster verpflichten den Arbeitgeber, mit einer Pensionskasse einen Pensionskassenvertrag abzuschließen, der inhaltlich der Betriebsvereinbarung entspricht. Verpflichtungen der Pensionskasse entstehen ausschließlich auf Grund des Pensionskassenvertrages.17
13 14 15 16 17
§ 97 Abs 1 Z 18a ArbVG zählt die Pensionskassenzusage ausdrücklich als eine durch Betriebsvereinbarung regelbare Angelegenheit auf. § 3 Abs 1 BPG. § 3 Abs 1a BPG. § 3 Abs 2 BPG. Schrammel, BPG § 3 Erl 5.2.
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III. Pensionskassengeschäfte A. Beitrags- und leistungsorientierte Pensionskassenzusagen Das BPG unterscheidet zwischen beitragsorientierten und leistungsorientierten Pensionskassenzusagen. Im Falle einer beitragsorientierten Vereinbarung müssen die Beiträge betragsmäßig (statischer Beitragsprimat) oder in fester Relation zu laufenden Entgelten oder Entgeltbestandteilen (dynamischer Beitragsprimat) festgelegt sein. Der Arbeitgeber ist aber auch berechtigt, variable Beiträge bis zur Höhe der festen Beiträge zu leisten.18 Bei der beitragsorientierten Betriebspensionszusage errechnet sich die Höhe der Betriebspension aus der Verrentung der einbezahlten Beiträge.19 Die Höhe der Betriebspension, die bei Eintritt des Leistungsfalles bezahlt wird, ist daher vorweg nicht abschließend bestimmt. In der Regel orientieren sich aber auch bei einer beitragsorientierten Zusage die vereinbarten Beiträge an einer bestimmten „Zielpension“, die dem Arbeitnehmer im Leistungsfall zustehen soll. Diese „Zielpension“ wird allerdings nicht garantiert; das Veranlagungsrisiko trägt bei beitragsorientierten Systemen grundsätzlich der Arbeitnehmer.20 Bei der leistungsorientierten Betriebspensionszusage wird dem Arbeitnehmer von vornherein eine Pension in bestimmter Höhe zugesagt; die Beiträge sind so zu bestimmen, dass die vereinbarte Pension für die zugesagte Dauer aus dem angesammelten Kapital bezahlt werden kann. Da im Zeitpunkt der Leistungszusage nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob die vereinbarte Pension aus den in der Betriebsvereinbarung festgelegten Beiträgen finanzierbar ist, bedingt ein leistungsorientiertes System auch die Regelung einer Nachschusspflicht des Arbeitgebers. Die Pensionskassenbetriebsvereinbarung hat daher bei leistungsorientierten Zusagen auch eine Regelung über die „allfällige“ Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beitragsanpassung bei Auftreten von zusätzlichen Deckungserfordernissen zu enthalten. Die Zusage einer Pension in bestimmter Höhe wird dadurch relativiert. Werden beim Auftreten von Deckungslücken keine oder nur unzureichende Nachschüsse geleistet, kann die ursprüngliche Zusage nicht eingehalten werden. Die vereinbarte Pension muss in diesem Fall entsprechend gekürzt werden. Dieser unvermeidbaren Konsequenz wird in § 15 PKG Rechnung getragen. Danach hat der Pensionskassenvertrag ua „die Art der Beitrags- oder Leistungsanpassung bei Auftreten von zusätzlichen Deckungserfordernissen“ zu regeln.21 Der Gesetzgeber bringt damit klar zum Ausdruck, dass bei Auftreten von zusätzlichen Deckungserfordernissen auch eine Leistungsanpassung (nach unten) zulässig ist. Die „Qualität“ einer leistungsorientierten Zusage hängt daher vom Umfang der Nachschusspflicht ab.
18 19 20 21
§ 3 Abs 1 Z 2 BPG. Schrammel BPG, § 3 Erl 6.2.2; Grassl, Leistungsprimat bei Pensionskassen und gesetzlicher Mindestertrag, ecolex 2003, 259. Schrammel, BPG § 3 Erl 6.2.2.2.; ders, Übertragung von Anwartschaften, ZAS 2006, 52. § 15 Abs 3 Z 5 PKG.
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B. Unbeschränkte und beschränkte Nachschusspflichten des Arbeitgebers Das PKG versteht unter „Nachschusspflicht“ die Verpflichtung des Arbeitgebers, unvorhergesehene Deckungslücken, die auf Grund unzutreffender Annahmen in den Rechnungsgrundlagen22 entstanden sind, binnen längstens zehn Jahren durch laufende Zusatzbeiträge oder andere Deckungslücken durch Leistung von Einmalbeiträgen zu schließen.23 Unzutreffende Annahmen in den Rechnungsgrundlagen liegen dann vor, wenn sich die maßgeblichen Parameter langfristig verändert haben. Nachschusspflichten können entstehen, wenn die Annahmen über die Entwicklung der Sterblichkeit in den Rechnungsgrundlagen in signifikantem Ausmaß mit der Realität nicht mehr übereinstimmen oder wenn der tatsächliche Veranlagungsertrag mit dem gewählten Rechnungszins bzw mit dem rechnungsmäßigen Überschuss nicht mehr übereinstimmt.24 Eine „andere“ Deckungslücke, die sofort zu schließen ist, liegt vor, wenn bei einer leistungsorientierten Zusage eine negative Schwankungsrückstellung auf Grund der Bestimmungen des § 24a PKG zur Verminderung der Deckungsrückstellung führt. Von einer unbeschränkten Nachschusspflicht kann gesprochen werden, wenn jede Deckungslücke gemäß lit a (unzutreffende Annahme in den Rechnungsgrundlagen) und lit b (andere Deckungslücken) geschlossen wird.25 In § 2 Abs 2 der Rechnungsparameterverordnung der FMA26 wird diese Bestimmung dahin präzisiert, dass eine unbeschränkte Nachschusspflicht dann vorliegt, wenn sich der Arbeitgeber verpflichtet, allfällige kapitalmäßige Deckungslücken sowohl in der Anwartschaftsphase als auch in der Leistungsphase durch entsprechenden Nachschuss von Geldleistungen an die Pensionskasse zu schließen. Nachschüsse im technischen Sinn beziehen sich daher sowohl auf Anwartschaftsberechtigte als auch auf Leistungsbezieher. Die unbeschränkte Nachschusspflicht verpflichtet somit auch zur Deckung versicherungstechnischer Verluste in der Leistungsphase.27
22 23
24 25 26 27
§ 20 Abs 2 Z 3 PKG. § 5 Z 3 PKG. Nach dieser sehr allgemein gehaltenen Formulierung wäre eine Nachschusspflicht auch bei beitragsorientierten Zusagen denkbar, wenn die angenommene Pensionshöhe mit den vom Arbeitgeber geleisteten Beiträgen nicht erreicht werden kann. Die Materialien zum PKG (AB zum PKG, 1328 BlgNR 17. GP) zeigen jedoch klar, dass eine „Nachschusspflicht“ im System des PKG (nur) dann gegeben ist, wenn sich der Arbeitgeber bei leistungsorientierten Zusagen verpflichtet, allfällige kapitalmäßige Deckungslücken durch einen entsprechenden Nachschuss von Geldleistungen an die Pensionskasse zu schließen. Bei beitragsorientierten Zusagen ist daher eine Nachschusspflicht - im technischen Sinn - ausgeschlossen. Auch der OGH nimmt eine durch „Nachschüsse“ zu schließende Deckungslücke nur bei leistungsorientierten Zusagen an. Vgl OGH 24.6.2004, 8 Ob A 52/03k; OGH 20.10.2004, 8 Ob 112/03h. In den Materialien zur PKG-Novelle 1996, 370 BlgNR 20. GP, werden Beispiele für solche Veränderungen angeführt. Vgl § 5 Z 3 letzter Satz PKG. BGBl II 2003/597. Vgl dazu Schrammel, Übertragung von Anwartschaften, ZAS 2006, 52 f.
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Die Unterscheidung zwischen Pensionskassenzusagen mit unbeschränkter Nachschusspflicht und beschränkter Nachschusspflicht zieht auch unterschiedliche rechtliche Konsequenzen nach sich. Nur für Pensionskassenzusagen mit unbeschränkter Nachschusspflicht gelten die Sonderregelungen über den Verzicht auf die Mindestertragsgarantie oder über die globale Führung der Schwankungsrückstellung für alle Anwartschafts- und Leistungsberechtigten.
C. Veranlagungs- und Risikogemeinschaften Die Anwartschafts- und Leistungsberechtigten einer Pensionskasse bilden hinsichtlich der versicherungstechnischen Risken und der Veranlagungsrisken eine Gemeinschaft, die vom Gesetzgeber als „Veranlagungs- und Risikogemeinschaft“ (VRG) bezeichnet wird.28 Die Führung mehrer VRG in einer Pensionskasse ist dann zulässig, wenn diese jeweils für mindestens 1.000 Anwartschafts- und Leistungsberechtigte geführt wird. In einer überbetrieblichen Pensionskasse können daher für unterschiedliche Belegschaften auch unterschiedliche VRG geführt werden. Überdies können bei Führung mehrerer VRG von der Pensionskasse unterschiedliche Veranlagungsformen angeboten werden. Die erforderliche Mindestanzahl von Anwartschafts- und Leistungsberechtigten darf längstens auf die Dauer von fünf Jahren nach Errichtung der VRG unterschritten werden, die Gesamtanzahl „kleiner“ VRG in einer Pensionskasse darf maximal drei betragen. Innerhalb der VRG hat die Pensionskasse für jeden Anwartschafts- und Leistungsberechtigten ein Konto zu führen, das nach Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen aufzuteilen ist. Das Konto muss alle wesentlichen Daten für jeden Anwartschafts- und Leistungsberechtigten enthalten; es dient der Berechnung der Deckungsrückstellung und der Pensions- und Unverfallbarkeitsbeträge.29
IV. Errichtung und Betrieb von Pensionskassen A. Errichtung 1. Rechtsform Pensionskassen mit Sitz im Inland dürfen nur in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betrieben werden. Die Aktien müssen auf Namen lauten.30 Pensionskassen oder vergleichbare Einrichtungen mit Sitz in einem EWRVertragsstaat dürfen Pensionskassengeschäfte in Österreich im Wege des freien Dienstleistungsverkehrs oder über eine Zweigstelle erbringen.31 Die ausländische Einrichtung muss im Herkunftsmitgliedstaat registriert sein.32 Inländische Pensionskassen können entweder als betriebliche oder überbetriebliche Pensionskassen errichtet werden. Überbetriebliche Pensionskassen 28 29 30 31 32
§ 12 Abs 1 PKG. § 18 PKG. Vgl Reich-Rohrwig, Zur Gründung von Pensionskassen, ecolex 1990, 413. § 11b PKG. Fletzberger, Grenzüberschreitende Tätigkeiten, wbl 2006, 106.
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dürfen Pensionskassengeschäfte für Anwartschafts- und Leistungsberechtigte mehrerer Arbeitgeber durchführen, betriebliche Pensionskassen sind auf die Durchführung von Pensionskassengeschäften eines einzelnen Arbeitgebers beschränkt. Die Pensionskasse muss aber jedenfalls für einen Kreis von mindestens 1.000 Anwartschafts- und Leistungsberechtigten bestimmt sein.33 Zur Gründung einer betrieblichen Pensionskasse ist der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Belegschaftsvertretung zwingend erforderlich.34 Am Grundkapital betrieblicher Pensionskassen dürfen nur der beitragleistende Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die bei diesen beschäftigt und Anwartschaftsberechtigte sind, beteiligt sein.35 Als Arbeitgeber gelten auch mehrere konzernmäßig verbundene Unternehmen. § 6a PKG sieht vor, dass Interessenten, die beabsichtigen, wenigstens 10 vH des Grundkapitals einer Pensionskasse direkt oder indirekt zu halten, dies zuvor der FMA unter Angabe des Betrages dieser Beteiligung schriftlich anzuzeigen haben. Die FMA hat die beabsichtigte Beteiligung zu untersagen, wenn die Aktionäre, den im Interesse einer soliden und umsichtigen Führung der Pensionskasse zu stellenden Ansprüchen nicht genügen. Nach Abschnitt XIII PKG sind auch Körperschaften öffentlichen Rechts berechtigt, Pensionskassen im Sinne des Pensionskassengesetzes zu errichten und sich an solchen zu beteiligen.
2. Konzession, Anzeigepflicht Der Betrieb einer inländischen Pensionskasse bedarf nach § 8 PKG in jedem Fall einer Konzession. Die Konzession wird von der FMA erteilt. Da bei Konzessionserteilung noch keine Anwartschafts- und Leistungsberechtigten vorhanden sein können, muss der Konzessionswerber glaubhaft machen, dass sich die Geschäftstätigkeit auf mindestens 1.000 Personen erstrecken wird. Diese Glaubhaftmachung kann zB durch Vorverträge oder Beitrittsabsichtserklärungen von Unternehmen erfolgen.36 Bei Vorliegen der in § 9 PKG genannten Voraussetzungen hat die Pensionskasse einen Anspruch auf Erteilung der Konzession. Der Geschäftsbetrieb darf allerdings erst dann aufgenommen werden, wenn auch der Geschäftsplan bewilligt wurde. Beabsichtigt eine ausländische Einrichtung die Pensionskassenzusage eines Arbeitgebers im Inland zu verwalten, hat die zuständige Behörde des Herkunftmitgliedstaates der FMA den Namen des Arbeitgebers und die Hauptmerkmale des für diesen Arbeitgeber zu betreibenden Altersversorgungssystems mitzuteilen. Die Anzeigepflicht erstreckt sich daher auf jedes grenzüberschreitende Pensionskassengeschäft. Die FMA hat der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaates mitzuteilen, dass die ausländische Einrichtung bestimmte arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften anzuwenden hat.37 33 34 35 36
37
§ 9 Z 4 PKG. § 3 Abs 1 BPG; § 8 Abs 2 Z 8 PKG. § 3 Abs 2 PKG. Ist die PK nicht binnen 2 Jahren nach Konzessionserteilung für mindestens 1.000 Anwartschafts- und Leistungsberechtigte tätig, so hat die FMA die Konzession zurückzunehmen (§ 10 Abs 1 Z 2 PKG). § 11b Abs 4 PKG, zB Abschluss, Inhalt und Kündigung des Pensionskassenvertrages.
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Nach dieser Mitteilung, spätestens nach Ablauf von zwei Monaten, darf die ausländische Einrichtung die Tätigkeit in Österreich in Bezug auf das angezeigte Pensionskassengeschäft erbringen.
B. Eigenmittel und Mindestertrag 1. Eigenmittel Jede Pensionskasse muss im Interesse der Erhaltung ihrer Funktionsfähigkeit über ihrem Risiko entsprechende Eigenmittel verfügen.38 Zu den Eigenmitteln gehören das eingezahlte Grundkapital, die Kapitalrücklagen, die Gewinnrücklagen, der nicht zur Ausschüttung bestimmte Bilanzgewinn, die unversteuerten Rücklagen und das Ergänzungskapital. Das Grundkapital überbetrieblicher Pensionskassen muss mindestens 5 Millionen Euro zu betragen, für betriebliche Pensionskassen gilt § 7 AktG.39 Nicht zum Eigenkapital gehören die einer VRG zugeordneten Vermögenswerte. Dies ergibt sich schon aus § 7 PKG, aber auch aus den besonderen Bestimmungen über Veranlagungs- und Risikogemeinschaften,40 insbesondere aus § 13 PKG über die Regelung der Haftungsverhältnisse. Das einer VRG zugeordnete Vermögen ist vom Vermögen der Pensionskasse streng zu trennen. Die einer VRG zugeordneten Vermögenswerte bilden daher auch im Konkurs der Pensionskasse eine Sondermasse.41 Pensionskassen müssen grundsätzlich Eigenmittel in Höhe von mindestens 1vH des Gesamtwertes der Deckungsrückstellung aller Veranlagungs- und Risikogemeinschaften halten. Bei einer Pensionskassenzusage mit Mindestertragsgarantie sind zusätzliche Eigenmittel erforderlich:
2. Mindestverzinsung und Mindestertrag § 2 Abs 1 PKG verpflichtete in seiner Stammfassung die Pensionskassen, die Pensionskassengeschäfte im Interesse der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten zu führen. Die Pensionskassen hatten insbesondere auf die Sicherheit, Rentabilität und den Bedarf an flüssigen Mitteln sowie auf eine angemessene Mischung und Streuung der Vermögenswerte Bedacht zu nehmen. Gemäß § 2 Abs 2 PKG hatten die Pensionskassen eine Mindestverzinsung zu garantieren. Wenn der jährliche Veranlagungsüberschuss den im Gesetz näher definierten Betrag nicht erreichte, musste die Pensionskasse den Fehlbetrag dem Vermögen der betreffenden Veranlagungs- und Risikogemeinschaft (VRG) aus den Eigenmitteln der Pensionskasse gutschreiben. Nach der geltenden Fassung des § 2 PKG42 hat die Pensionskasse weiterhin die Pensionskassengeschäfte im Interesse der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten zu führen. Die Pensionskasse hat nunmehr für jede VRG einen Mindestertrag zu garantieren (Pensionskassenzusage mit Mindestertragsgarantie). Der zu garantierende Mindestertrag ist in § 2 Abs 2 PKG näher umschrieben, er orientiert sich an der Sekundärmarktrendite der Bundesanleihen. 38 39 40 41 42
§ 7 PKG. Derzeit 70 000 Euro. §§ 12 ff PKG. § 37 PKG. IdF BGBl I 2005/8.
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Bei Ermittlung des Mindestertrages ist das für den Anwartschafts- und Leistungsberechtigten am jeweiligen Bilanzstichtag zugeordnete Vermögen heranzuziehen.43 Die FMA ist ermächtigt, die Berechnungsmodalitäten für die Ermittlung der Mindestertragsgarantie durch Verordnung festzusetzen.44
3. Mindestertragsrücklage Zur Absicherung der Verpflichtungen aus dem Mindestertrag hat jede Pensionskasse zusätzlich zu den in § 7 Abs 1 PKG angeführten Eigenmitteln eine Rücklage (Mindestertragsrücklage) zu bilden, der jährlich mindestens 0,45 vH des Gesamtwertes der Deckungsrückstellung mit Mindestertragsgarantie aller Veranlagungs- und Risikogemeinschaften zum letzten Bilanzstichtag45 zuzuführen sind, bis 3 vH des Gesamtwertes der Deckungsrückstellung mit Mindestertragsgarantie aller Veranlagungs- und Risikogemeinschaften zum letzten Bilanzstichtag46 erreicht sind. Eigenmittel, die über das Mindestausmaß von 1 vH der Deckungsrückstellung hinausgehen, können dabei auf die Mindestertragsrücklage angerechnet werden.47 Die Ablösung der „Mindestverzinsung“ durch die nunmehr geltenden Bestimmungen über den Mindestertrag und die Mindestertragsrücklage48 nimmt darauf Rücksicht, dass ein Pensionskassenmodell auf eine längere Anspardauer von etwa 30 bis 40 Jahren ausgelegt ist. Es erschien dem Gesetzgeber nicht sachgerecht, die Pensionskassen zu einmaligen und nicht rückführbaren Nachschüssen aus dem Eigenkapital zu verhalten, wenn in einem bloß fünfjährigen Zeitraum innerhalb dieses gesamten Ansparzeitraumes ein bestimmter Mindestertrag nicht erreicht wird, bezogen auf die gesamte Ansparzeit aber eine überdurchschnittliche Gesamtperformance zu verzeichnen ist.49 Die Neuregelung bewirkt, dass ein zu geringer Mindestertrag nur für Leistungsbezieher unmittelbare finanzielle Auswirkungen in Form von Nachschüssen der Pensionskasse hat. Anwartschaftsberechtigte haben erst dann Anspruch auf einen Nachschuss durch die Pensionskasse, wenn sie zu einem Zeitpunkt in Pension gehen, in dem der Minderertrag in einer bestimmten Periode durch nachfolgende Veranlagungserfolge noch nicht aufgeholt ist. Die von den Pensionskassen zu bildende Mindestertragsrücklage dient der Sicherung der Anwartschaftsund Leistungsberechtigten. Die Neuregelung der Mindestverzinsung bzw des Mindestertrages bewirkt zwar eine Verschlechterung der Rechtsposition der Anwartschaftsberechtigten und stellt damit einen Eingriff in das verfassungsgesetzlich garantierte Eigentumsrecht der Parteien des Pensionskassenvertrages und der daraus berechtigten Personen dar, der VfGH hat diesen Eingriff aber für sachlich gerechtfertigt gehalten, weil die Pensionskassen nach dem Gesetz nur über begrenzte Eigenmittel verfügen, die zur Erfüllung der Garantie herangezogen werden können. Nach dem ursprünglichen System der Mindestverzin43 44 45 46 47 48 49
§ 2 Abs 4 PKG. Vgl die so genannte „Mindestertragsverordnung“, BGBl II 2003/615. Anlage 1 zu § 30, Formblatt A - Bilanz der Pensionskasse, Passiva Pos. G. I. Z 1. Anlage 1 zu § 30, Formblatt A - Bilanz der Pensionskasse, Passiva Pos. G. I. Z 1. § 7 Abs 8 PKG. PKG-Novellen BGBl I 2003/71 und BGBl I 2005/8. Grassl, Novelle 2003 zum Pensionskassengesetz, ecolex 2003, 852.
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sung mussten Fehlbeträge in einzelnen Jahren aus den Eigenmitteln aufgefüllt, Überschüsse in den Folgejahren konnten aber den Eigenmitteln nicht rückgeführt werden. Dies hätte zu einem allmählichen „Abschmelzen“ der Eigenmittel führen können.50 Festzuhalten ist, dass die Mindestertragsrücklage nach der klaren Systematik des Gesetzes zu den Eigenmitteln der Pensionskasse gehört. Das bedeutet, dass die Mindestertragsrücklage grundsätzlich nicht aus den einer VRG zugeordneten Vermögenswerten dotiert werden darf. Die Mindestertragsrücklage kann daher nur aus dem „Ergebnis“ (zB Bilanzgewinn) der Pensionskasse oder durch die Aktionäre der Pensionskasse (Erhöhung des Grundkapitals) finanziert werden.
4. Ausschluss des Mindestertrags Im Pensionskassenvertrag kann allerdings die Garantie des Mindestertrages durch die Pensionskasse ausgeschlossen werden (Pensionskassenzusage ohne Mindestertragsgarantie). Der Ausschluss des Mindestertrages muss im Kollektivvertrag, in der Betriebsvereinbarung oder in der Vereinbarung gemäß Vertragsmuster nach dem Betriebspensionsgesetz vereinbart werden. Bei leistungsorientierten Pensionskassenzusagen mit unbeschränkter Nachschusspflicht des Arbeitgebers genügt eine Vereinbarung im Pensionskassenvertrag, um den Mindestertrag auszuschließen; der Ausschluss des Mindestertrages bedarf keiner „Deckung“ in der Betriebsvereinbarung bzw in der individuellen Vereinbarung nach Vertragsmuster. Dies erklärt sich daraus, dass der Arbeitgeber bei einer leistungsorientierten Zusage mit unbeschränkter Nachschusspflicht ohnehin allfällige Mindererträge durch Nachschüsse auszugleichen hat. Die Anwartschafts- und Leistungsberechtigten sind durch die unbeschränkte Nachschusspflicht daher ausreichend gesichert. Hat der Arbeitgeber zusätzlich eine unbeschränkte Nachschusspflicht übernommen, entfällt das Eigenmittelerfordernis von 1vH der Deckungsrückstellung. Besonderheiten gelten auch, wenn die Pensionskasse einen Mindestertrag zu garantieren, der Arbeitgeber aber eine unbeschränkte Nachschusspflicht zugesagt hat, die auch den Mindestertrag umfasst. In diesem Fall entfällt sowohl das Eigenmittelerfordernis von 1vH der Deckungsrückstellung als auch die Verpflichtung zur Bildung einer Mindestertragsrücklage.
C. Geschäftsplan Jede Pensionskasse ist verpflichtet, einen Geschäftsplan zu erstellen.51 Der Geschäftsplan hat sämtliche zum Betrieb des Pensionskassengeschäftes erforderlichen Angaben und Parameter zu enthalten. § 15 Abs 4 PKG bestimmt, dass der Geschäftsplan einer Bewilligung der FMA bedarf. Die Bewilligung kann mit Auflagen und Fristen versehen werden. Vor Erteilung einer Bewilligung muss der Geschäftsplan vom Prüfaktuar geprüft werden. Der Bericht des Prüfaktuars muss dem Antrag auf Bewilligung angeschlossen werden. Die Bewilligung ist von der FMA zu erteilen, wenn der Geschäftsplan den aner50 51
VfGH 18.3.2006, G 79/05. § 20 Abs 1 PKG.
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kannten Regeln der Versicherungsmathematik entspricht, wenn die Belange der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten ausreichend gewahrt werden und insbesondere die Verpflichtungen aus den Pensionskassenverträgen als dauernd erfüllbar anzusehen sind. Diese Umstände müssen der FMA von der Pensionskasse nachgewiesen werden. Fraglich ist, zu welchem Zeitpunkt die Bewilligung vorliegen muss. Aus § 9 PKG ergibt sich, dass der Geschäftsplan offensichtlich bereits dem Antrag auf Erteilung einer Konzession anzuschließen ist. Die Konzession ist nach § 9 Z 1 PKG zu erteilen, wenn weder die Satzung der Pensionskasse noch der Geschäftsplan Bestimmungen enthalten, welche die Erfüllung der Verpflichtungen der Pensionskasse oder die ordnungsgemäße Verwaltung der Pensionskasse nicht gewährleisten. Die FMA hat somit bei Erteilung der Konzession auch den Geschäftsplan zu überprüfen. Der normative Gehalt dieser Regelung ist freilich höchst unklar. Wurde der Geschäftsplan von der FMA vor Erteilung der Konzession genehmigt, ist schwer vorstellbar, dass er Bestimmungen enthält, durch die Verpflichtungen der Pensionskasse beeinträchtigt werden. Die Genehmigung soll ja gerade sicherstellen, dass die Pensionskasse ihre Verpflichtungen erfüllen kann. Hat die FMA den Geschäftsplan bewilligt, muss sie bei Erteilung der Konzession an ihre Entscheidung gebunden sein; eine selbständige Prüfung des Geschäftsplanes ist nicht mehr erforderlich. Hat die FMA den Geschäftsplan bei Erteilung der Konzession noch nicht bewilligt, bleibt offen, welchen Sinn die Bewilligung haben soll, wenn der Inhalt des Geschäftsplanes ohnehin im Konzessionsverfahren überprüft wird. § 9 Z 1 PKG macht nur dann Sinn, wenn bei Konzessionserteilung ein „Geschäftsplanentwurf“ vorgelegt wird, der einen korrekten Betrieb der Pensionskasse indiziert. Dies ist im Konzessionsverfahren zu überprüfen. Die „Bewilligung“ des Geschäftsplanes kann dann nach Konzessionserteilung erfolgen. Für dieses Verständnis spricht auch § 8 Abs 3 PKG, wonach der Geschäftsbetrieb erst nach Bewilligung des Geschäftsplanes aufgenommen werden darf. Die Konzessionserteilung geht daher der Bewilligung des Geschäftsplanes regelmäßig voraus. Der wesentliche Inhalt des Geschäftsplanes ist durch § 20 Abs 2 PKG determiniert. Der Geschäftsplan hat insbesondere die Arten der angebotenen Leistungen, die Rechnungsgrundlagen (Wahrscheinlichkeitstafeln, Rechnungszins, Kostenzuschläge, vorgesehener rechnungsmäßiger Überschuss) und die Grundsätze und Formeln für die Berechnung der Pensionskassenbeiträge und der Leistungen zu enthalten. Der Rechnungszins und der rechnungsmäßige Überschuss sind mit der gebotenen Vorsicht zu wählen. Dabei sind • die Renditen von Anlagen, die unter Berücksichtigung der künftigen Anlageerträge mit von der Pensionskasse für das Vermögen der Veranlagungsund Risikogemeinschaften gehaltenen Anlagen vergleichbar sind, oder • die Marktrenditen öffentlicher oder anderer hochwertiger Schuldverschreibungen oder ein Mischsatz aus beiden jeweils abzüglich angemessener Sicherheitsabschläge anzusetzen. Die FMA kann mit Verordnung einen oder mehrere höchstzulässige Prozentsätze für den Rechnungszins und den
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rechnungsmäßigen Überschuss jeweils für neu abzuschließende Pensionskassenverträge festlegen.52 Den zur Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen verwendeten Wahrscheinlichkeitstafel ist das Vorsichtsprinzip zu Grunde zu legen, die Methode zur Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen und die Bemessungsgrundlage dürfen sich nicht von Geschäftsjahr zu Geschäftsjahr ändern. Abweichungen sind bei einer Änderung der den Annahmen zu Grunde liegenden rechtlichen, demographischen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zulässig. Dies ermöglicht eine Anpassung der Berechungsgrundlagen, wenn sich zB die Lebenserwartung der Bevölkerung merkbar verändert. Eine Änderung der Rechnungsgrundlagen während der Laufzeit eines Pensionskassenvertrages ist daher nicht unzulässig.53
D. Schwankungsrückstellung Gemäß § 24 Abs 1 PKG ist in jeder Veranlagungs- und Risikogemeinschaft zum Ausgleich von Gewinnen und Verlusten aus der Veranlagung des Vermögens und aus dem versicherungstechnischen Ergebnis eine Schwankungsrückstellung zu bilden. Die Schwankungsrückstellung erfüllt eine Glättungsfunktion, damit die Ansprüche der Anwartschaftsberechtigten kontinuierlich wachsen, vor allem aber die Leistungsberechtigten im Normalfall mit kontinuierlichen Pensionszahlungen rechnen können. § 24a PKG enthält detaillierte Bestimmungen über den Aufbau der Schwankungsrückstellung. Die Schwankungsrückstellung kann entweder durch Beiträge des Arbeitgebers oder aus dem Veranlagungsüberschuss aufgebaut werden. Versicherungstechnische Gewinne sind der Schwankungsrückstellung zuzuführen.54 Unterschreitet der Veranlagungsüberschuss den rechnungsmäßigen Überschuss, ist der Unterschiedsbetrag der Schwankungsrückstellung zu entnehmen. Versicherungstechnische Verluste sind ebenfalls aus der Schwankungsrückstellung zu decken. Entsteht eine negative Schwankungsrückstellung, so ist diese nach § 24a Abs 7 PKG55 sofort aufzulösen. Die FMA kann allerdings die Bildung einer negativen Schwankungsrückstellung bewilligen. Aus einem von der Pensionskasse vorgelegten Finanzierungsplan muss hervorgehen, in welchem Zeitraum die negative Schwankungsrückstellung wieder aufgelöst werden kann. Dabei ist insbesondere auch auf eine Nachschusspflicht des Arbeitgebers gemäß § 5 Z 3 PKG Bedacht zu nehmen. Die Schwankungsrückstellung kann entweder getrennt für einzelne Anwartschafts- und Leistungsberechtigte oder gemeinsam für Gruppen von Anwartschafts- und Leistungsberechtigten geführt werden. Zulässig sind auch kombi52
53 54 55
Durch Verordnung der FMA (Rechnungsparameterverordnung, BGBl II 2003/597) wurde der höchstzulässige Prozentssatz für den Rechnungszins mit 3,5% festgelegt; bei leistungsorientierten Zusagen mit einer unbeschränkten Nachschusspflicht des Arbeitgebers darf der höchstzulässige Prozentsatz für den Rechnungszins den Betrag von 3,5% überschreiten. Vgl Mazal, Nachträgliche Veränderung der Rechnungszinssätze bei Pensionskassenzusagen? ecolex 2001, 652. § 24a Abs 4 PKG. IdF BGBl I 2005/8.
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natorische Modelle.56 Die Schwankungsrückstellung kann zB individuell für alle Anwartschaftsberechtigten und global für alle Leistungsberechtigten geführt werden.57 In den Materialien zur PKG-Novelle 199658 wird darauf hingewiesen, dass es in einigen Fällen sogar notwendig sein kann, eine anteilige Schwankungsrückstellung zu dotieren, etwa wenn bei einer Übertragung gemäß § 48 PKG das Deckungserfordernis das bisherige Vermögen der Veranlagungs- und Risikogemeinschaft wesentlich übersteigt. Durch globale Führung der Schwankungsrückstellung für sämtliche Leistungsberechtigte eines Arbeitgebers kann erreicht werden, dass alle Leistungsberechtigten eines Arbeitgebers gleich hohe Pensionsvalorisierungen erhalten.
E. Veranlagungsvorschriften Die Veranlagung des einer Veranlagungs- und Risikogemeinschaft zugeordneten Vermögens ist durch § 25 PKG begrenzt. Höchstens 30% der Veranlagungen können auf Schuldverschreibungen (Pfandbriefe, Teilschuldverschreibungen, Kassenobligationen) entfallen, Veranlagungen in Aktien und Wertpapieren sind mit 70% des Vermögens begrenzt.59 Dies gilt für Systeme, in denen die Versorgungsanwärter die Anlagerisken tragen. In VRG, in der Pensionskassenzusagen mit Mindestertragsgarantie verwaltet werden, dürfen höchstens 50% des zugeordneten Vermögens in Aktien und Wertpapieren veranlagt werden. Aus Art 18 der Richtlinie ergibt sich, dass die Altersvorsorgeeinrichtungen auch selbst über die Gewichtung der Wertpapiere im Portfolio entscheiden und grundsätzlich auch in Risikokapitalmärkten investieren dürfen. Die FMA hat jedenfalls durch Verordnung Mindeststandards für das Risikomanagement festzulegen. Überdies kann die FMA durch Bescheid im Einzelfall für die Veranlagung des einer VRG zugeordneten Vermögens strengere Veranlagungsvorschriften festlegen.60 Gemäß § 25a PKG hat die Pensionskasse für jede VRG eine schriftliche Erklärung über die Grundsätze der Veranlagungspolitik abzugeben. Diese hat jedenfalls die Verfahren zur Bewertung des Veranlagungsrisikos, das Risikomanagement, die Strategien hinsichtlich der Auswahl der Vermögenswerte und auch eine allfällige Auswahl der Vermögenswerte nach ethnischen, ökologischen oder sozialen Kriterien zu umfassen. Die Erklärung ist der FMA zur Kenntnis zu bringen, auf Verlangen ist die Erklärung den beitragleistenden Arbeitgebern, den Anwartschafts- und Leistungsberechtigten und den zuständigen Betriebsräten zu übermitteln. Die „Kunden“ der Pensionskasse sollen dadurch vor allem erfahren, ob und in welchem Umfang Veranlagungen in Risikokapitalmärkte vorgenommen werden. § 15 Abs 3 Z 8 PKG bestimmt, dass im Pensionskassenvertrag die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Pensionskassenvertrages geltenden Grundsätze der Veranlagungspolitik zu regeln sind; dies kann auch durch Beifügung der 56 57 58 59 60
§ 24 Abs 2 PKG. § 24 Abs 2 Z 1 lit b PKG. 370 BlgNR 20. GP. § 25 Abs 6 und Abs 3 Z 1 PKG. § 25 Abs 11 PKG.
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Erklärung über die Grundsätze der Veranlagungspolitik als Anhang zum Pensionskassenvertrag erfolgen. Ebenso müssen im Pensionskassenvertrag die Art der mit der Pensionskassenzusage verbundenen Risken sowie die Aufteilung dieser Risken auf Pensionskasse, Arbeitgeber, Anwartschaftsberechtigte und Leistungsberechtigte geregelt sein.61 Die publizierten Grundsätze der Veranlagungspolitik werden dadurch auch zu Vertragspflichten der Pensionskasse gegenüber dem beitretenden Arbeitgeber.
F. Informationspflichten der Pensionskasse § 19 PKG verpflichtet die Pensionskasse zur Information der Anwartschaftsund Leistungsberechtigten. Die Anwartschaftsberechtigten sind jährlich in angemessener Form über die Beitrags- und Kapitalentwicklung, die einbehaltenen Verwaltungskosten sowie über die erworbenen Anwartschaften zu informieren. Die Information hat auch eine Prognose über die voraussichtliche Höhe der Versorgungsleistungen zu enthalten. Weiters hat die Pensionskasse Informationen über die Veranlagung und Performance der VRG zu erteilen.62 Die Pensionskasse hat jeden Leistungsberechtigten bei Eintritt des Leistungsfalles über den erworbenen Pensionsanspruch und die Zahlungsmodalitäten zu informieren.63 In der Folge sind die Leistungsberechtigten jährlich über die Kapitalentwicklung, die einbehaltenen Verwaltungskosten und über die Veranlagung und Performance der VRG zu informieren.64 Die FMA kann den Mindestinhalt der gesetzlich vorgesehenen Informationen durch Verordnung festlegen.
G. Pensionskassenbeiträge und Verwaltungskosten 1. Allgemeines Das Pensionskassengeschäft besteht - verkürzt dargestellt - in der Zusage von Pensionen an Anwartschaftsberechtigte und in der Gewährung von Pensionen an Leistungsberechtigte, wobei diese Pensionen aus Beiträgen der Arbeitgeber und allenfalls auch aus Beiträgen der Arbeitnehmer finanziert werden. § 16 PKG bestimmt, dass Pensionskassenbeiträge die Beiträge der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sind; diese Beiträge enthalten auch den Verwaltungskostenbeitrag. Der „Beitragsbegriff“ ist daher in § 16 PKG sehr allgemein gehalten. Er ist ein Überbegriff für durchaus verschiedene - auch rechtlich verschiedene Beitragszahlungen an die Pensionskasse. Eine „feinere“ Abstimmung und nähere Differenzierung der möglichen Pensionskassenbeiträge findet sich in § 15 PKG. Im Pensionskassenvertrag sind jedenfalls die Höhe der Beitragszahlungen des Arbeitgebers (Z 1), die Höhe vereinbarter Beitragszahlungen der Arbeitnehmer (Z 2), die Voraussetzungen für den beitragsfreien Verbleib des Arbeitnehmers nach Beendigung 61 62 63 64
§ 15 Abs 3 Z 9 PKG. § 19 Abs 3 PKG. § 19 Abs 5 PKG. § 19 Abs 4 PKG.
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des Arbeitsverhältnisses, insbesondere die Art der Kostenberechnung und die Höhe der Kostenanlastung gegenüber dem Arbeitnehmer (Z 13) sowie die Art der Kostenberechnung und Höhe der Kostenanlastung gegenüber dem Arbeitgeber, gegenüber den Anwartschafts- und Leistungsberechtigten in der Veranlagungs- und Risikogemeinschaft sowie gegenüber den beitragleistenden Arbeitnehmern für den Fall einer vorübergehenden Aussetzung oder Einschränkung der Arbeitgeberbeitragszahlungen (Z 14) zu regeln. Die „Art der Kostenberechnung“ und die „Höhe der Kostenanlastung“ wird in § 15 Abs 3 Z 14 PKG als „Verwaltungskosten“ bezeichnet. Im Kontext des § 16 PKG gehören daher sowohl die von Arbeitnehmern als auch die vom Arbeitgeber zu leistenden Verwaltungskosten zum „Verwaltungskostenbeitrag“, der wiederum Teil der Pensionskassenbeiträge ist.
2. Pensionskassenbeiträge Die Höhe der vom Arbeitgeber zu leistenden Pensionskassenbeiträge ergibt sich primär aus der Pensionskassenbetriebsvereinbarung, dem Kollektivvertrag oder der Einzelvereinbarung nach Vertragsmuster, die im Pensionskassenvertrag umzusetzen ist. Das Gesetz schreibt keinen bestimmten Höchstbeitrag oder Mindestbeitrag vor. Bei leistungsorientierten Zusagen ergibt sich die Höhe der Beiträge indirekt aus der zugesagten Leistung. Im Falle einer beitragsorientierten Vereinbarung müssen die Beiträge betragsmäßig (statischer Beitragsprimat) oder in fester Relation zu laufenden Entgelten oder Entgeltbestandteilen (dynamischer Beitragsprimat) festgelegt sein. Unter einem „laufenden“ Entgelt ist ein regelmäßig wiederkehrendes Entgelt zu verstehen; einmalige Bezüge, wie zB Jubiläumsgelder, gehören nicht zum laufenden Entgelt. Nicht entscheidend ist, ob das laufende Entgelt immer in gleicher Höhe gewährt wird. Auch Akkordlöhne, die regelmäßig zur Auszahlung gelangen, sind laufendes Entgelt.65 § 3 Abs 1 Z 2 BPG sieht ausdrücklich vor, dass zusätzlich zu den festen Beiträgen auch variable Beiträge bis zur Höhe der vom Arbeitgeber verpflichtend zu leistenden Beiträge vorgesehen werden können. Dies schließt auch die Leistung von Einmalbeträgen an die Pensionskasse mit ein. Der Arbeitgeber kann dadurch eine besonders günstige wirtschaftliche Entwicklung zu einer Verbesserung der betrieblichen Alterssicherung nutzen. Auch die begünstigen Arbeitnehmer sind berechtigt, Beiträge an die Pensionskasse leisten. Die Arbeitnehmer müssen sich allerdings nach hA individuell zur Beitragsleistung verpflichten. Es genügt nicht, dass in der Pensionskassenbetriebsvereinbarung eine Beitragspflicht der Arbeitnehmer enthalten ist. Auch der Kollektivvertrag scheidet als Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Leistung von Arbeitnehmerbeiträgen aus.66 Die individuelle Verpflichtung zur Beitragsleistung muss der Pensionskassenbetriebsvereinbarung angeschlossen werden. Bei einer Leistungszusage auf der Basis „Einzelvertrag nach Vertragsmuster“ kann die Beitragspflicht des Arbeitnehmers in diesem Einzelvertrag normiert werden. 65 66
Gerlach, Zur „Höhe der Beiträge“ gem § 3 Abs 1 Z 2 BPG, ecolex 1991, 187; Schrammel, BPG § 3 Erl 6.2.2.2. Vgl dazu ausführlich Schrammel, BPG § 3 Erl 6.2.3.
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3. Verwaltungskosten Die Stammfassung des PKG hat bezüglich der Verwaltungskosten nur rudimentäre Aussagen getroffen. § 20 PKG sah vor, dass der Geschäftsplan auch die „Kostenzuschläge“ zu regeln hatte; die Kostenzuschläge mussten „angemessen“ und „marktüblich“ sein. Welche Kosten im Einzelnen verrechnet werden durften, blieb also im Ergebnis der Parteienvereinbarung (Pensionskassenvertrag) vorbehalten; die Parteienvereinbarung musste sich wiederum an den geschäftsplanmäßig vorgesehenen Kosten orientieren. Die geltende Fassung des Gesetzes67 enthält demgegenüber eine sehr detaillierte Regelung über Verwaltungskosten. Gemäß § 16a Abs 1 PKG ist die Pensionskasse grundsätzlich berechtigt, von den Pensionskassenbeiträgen und vom Deckungserfordernis gemäß § 48 PKG eine Vergütung einzubehalten, die angemessen und marktüblich sein muss. Aus den Materialien zur Neufassung des § 16a PKG68 ergibt sich ganz klar, dass diese im Pensionskassenvertrag näher zu spezifizierenden Kosten von den laufenden Beiträgen bzw vom Deckungserfordernis nach § 48 PKG einzubehalten sind. Sie vermindern daher den Betrag, der dem Vermögen der VRG zugeführt werden kann. Die Materialien weisen darauf hin, dass der Arbeitgeber bei Abschluss des Pensionskassenvertrages hinsichtlich der Höhe der Verwaltungskosten die allgemeine Sorgfaltspflicht gegenüber den Arbeitnehmern zu wahren hat. Das für die künftigen Pensionsleistungen zur Verfügung stehende Beitragsvermögen soll also nicht ungebührlich geschmälert werden. Diese „Sorgfaltswahrung“ ist jedenfalls gegeben, wenn der Arbeitgeber Kosten im Sinne des § 16a Abs 1 PKG durch einen Zuschlag zu den Pensionskassenbeiträgen entrichtet. Ausdrücklich festgehalten wird in den Materialien, dass „allgemeine“ Verwaltungskosten nicht aus dem Vermögen der VRG entnommen werden dürfen. Anders verhält es sich bei den in § 16a Abs 2 bis 4 PKG besonders erwähnten Kosten. Diese werden für bestimmte „Aktivitäten“ der Pensionskasse in Rechnung gestellt. Zulässig ist die Einhebung von solchen Verwaltungskosten nur • für die Berechnung oder Übertragung eines Unverfallbarkeitsbetrages (einmaliger Kostenbeitrag in Höhe von höchstens 1,0 vH des Unverfallbarkeitsbetrages, wobei der Kostenbeitrag den Betrag von 300 Euro je Unverfallbarkeitsbetrag nicht übersteigen darf); • für die Verwaltung beitragsfreier Anwartschaften (ein jährlicher Kostenbeitrag in Höhe von höchstens 0,5 vH der jeweiligen Deckungsrückstellung, wobei der Kostenbeitrag den Betrag von 100 Euro je beitragsfreier Anwartschaft nicht übersteigen darf); • für die Veranlagung des Vermögens der Veranlagungs- und Risikogemeinschaft (angemessene und marktübliche Vergütung vom Veranlagungsergebnis).
Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers69 sollen diese „besonderen“ Verwaltungskosten dem Vermögen der VRG entnommen werden Dies wird auch durch § 16a Abs 6 67 68 69
IdF BGBl I 2005/8. 707 BlgNR 22. GP. Vgl die Materialien zur RV des § 16a PKG, 707 BlgNR 22. GP.
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PKG sichtbar, wonach das Vermögen der Veranlagungs- und Risikogemeinschaft mit anderen als den im Gesetz genannten Kosten nicht belastet werden darf. § 16a Abs 2 bis 4 enthält somit eine abschließende Regelung jener Kosten, die aus dem Vermögen der VRG gedeckt werden dürfen.
Versucht man, diese Regelungen zu systematisieren, ergibt sich folgendes Bild: • Der Arbeitgeber hat für jeden in die Pensionskassenversorgung einbezogenen Arbeitnehmer einen bestimmten Beitrag zu leisten; wenn sich die Arbeitnehmer ebenfalls zur Beitragsleistung verpflichtet haben, sind auch Beiträge der Arbeitnehmer an die Pensionskasse abzuführen. Diese Beiträge der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sind grundsätzlich dem Vermögen der VRG und dem Pensionskonto des Anwartschafts- und Leistungsberechtigten gutzuschreiben.70 Die Beiträge der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer können als Pensionskassenbeiträge im engeren Sinn bezeichnet werden. • Von diesen Pensionskassenbeiträgen kann die Pensionskasse „allgemeine“ Verwaltungskosten gemäß § 16a Abs 1 PKG abziehen. Diese allgemeinen Verwaltungskosten sind im Gesetz nicht näher spezifiziert; es ist Sache des Pensionskassenvertrages, die entsprechenden Kosten zu umschreiben. • Anders ist die Situation bei den Veranlagungskosten gemäß § 16a Abs 4 PKG sowie bei den in § 16a Abs 2 und 3 PKG genannten Kosten. Diese sollen nach dem Gesetzeswortlaut vom Veranlagungsergebnis abgezogen werden. Dies erklärt sich schlicht aus dem Umstand, dass die Kosten der Veranlagung des einer VRG zugeordneten Vermögens nur schwer individuell zugerechnet werden können. Insoweit ist es konsequent, wenn § 15 Abs 3 Z 14 PKG von Verwaltungskosten gegenüber „den Anwartschaftsund Leistungsberechtigten in der Veranlagungs- und Risikogemeinschaft“ spricht. Materiell sind die Anwartschafts- und Leistungsberechtigten Schuldner der Veranlagungskosten. Fraglich ist, ob die Schmälerung des Veranlagungsergebnisses durch besondere Beitragszahlungen der Arbeitgeber bzw Arbeitnehmer ausgeglichen werden darf. Da es Sache der Parteien des Pensionskassenvertrages ist, welche „Grund“beiträge an die Pensionskasse geleistet werden, ist es nicht unzulässig, auch für die Veranlagungskosten einen besonderen Beitrag vorzusehen, der allerdings formal dem Pensionskonto gutzuschreiben und dem Vermögen der VRG zuzuordnen ist. Individualisierte Zusatzbeiträge erhöhen also das Vermögen der VRG und gehören dann nicht zu den „Eigenmitteln“ der Pensionskasse. Die Veranlagungskosten dürfen erst von den „verrenteten“ Zusatzbeiträgen abgezogen werden.
4. Veranlagungskosten Zu den „klassischen“ Veranlagungskosten gehören Transaktionskosten beim An- und Verkauf von Wertpapieren, Kosten für die grundbücherliche Einverleibung des Eigentums an Liegenschaften, die dem Vermögen der VRG zugeordnet sind, aber auch die Kosten des Veranlagungsmanagements in den Pensionskassen. Fraglich ist, ob auch die für den Aufbau der Mindestertragsrücklage 70
§ 18 PKG.
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erforderlichen Beträge zu den Veranlagungskosten gehören. Die für den Aufbau der Rücklage notwendigen Beträge könnten nur dann den Verwaltungskosten zugeordnet werden, wenn man sie als „Risikokosten“ der Veranlagung qualifiziert. Man könnte argumentieren, dass die Mindestertragsrücklage bei Auftreten eines Mindestertrages dem Vermögen der VRG zuzuführen ist. Gemäß Anlage 2 zu Art I, § 30 PKG Formblatt A sind Zuschüsse aus dem Pensionskassenvermögen zum Ausgleich von Mindererträgen bei den Passiva auszuweisen und auch im versicherungstechnischen Ergebnis zu passivieren. Die für den Aufbau der Rückstellung notwendigen Beträge könnten daher als eine Art „Versicherungsprämie“ für einen allfälligen Minderertrag angesehen werden. Man könnte daher die Mindestertragsrücklage ähnlich wie die Absicherung des Kursrisikos bei internationalen Anleihefonds bewerten. Gegen eine Zuordnung der für den Aufbau der Mindestertragsrücklage benötigten Beträge zu den Veranlagungskosten spricht der Umstand, dass die Mindestertragsrücklage zu den Eigenmitteln der Pensionskasse gehört und auch dort verbleibt, wenn das Veranlagungsergebnis der VRG ausreichend ist. Die Mindestertragsrücklage ist Teil des Kapitals der Pensionskassen-AG. Sie hat nichts mit der konkreten Veranlagung des Vermögens der VRG zu tun und ist jedenfalls nicht unmittelbar durch die Veranlagung des Vermögens veranlasst. Dies unterscheidet die Mindestertragsrücklage von der Absicherung des Kursrisikos bei internationalen Anleihefonds. Währungsschwankungen würden sich ohne Absicherung unmittelbar auf den Wert der Anleihefonds auswirken. Der Aufbau einer Mindestertragsrücklage hat dagegen auf das Veranlagungsergebnis überhaupt keinen Einfluss. Es ist daher nicht einsichtig, die für den Aufbau der Mindestertragsrücklage benötigten Beträge als „Veranlagungskosten“ zu qualifizieren. Dass die Mindestertragsrücklage nichts mit der konkreten Veranlagung des Vermögens einer VRG zu tun hat, zeigt im Übrigen auch die Bestimmung des § 7 Abs 8 PKG. Übersteigen die Eigenmittel ohne Mindestertragsrücklage den Grenzbetrag des § 7 Abs 1, „kann“ der übersteigende Teil auf die Mindestertragsrücklage angerechnet werden. Die Pensionskasse ist dazu aber offenbar nicht verpflichtet. Hat die Pensionskasse ausreichende Eigenmittel, die aber nicht auf die Mindestertragsrücklage angerechnet werden, weil die Pensionskasse die Mindestertragsrücklage aus den Veranlagungsergebnissen der VRG aufbauen möchte, kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass die von der VRG abgezogenen Beträge „Risikokosten“ sind, die sich aus der Veranlagung des Vermögens der VRG ergeben. Beiträge zur Finanzierung dieser Mindestertragsrücklage können dem Arbeitgeber allerdings als „allgemeine“ Verwaltungskosten im Sinne des § 16a Abs 1 PKG vorgeschrieben werden. Der Wortlaut des Gesetzes lässt eine derartige Interpretation zu. Gemäß § 15 Abs 3 Z 9 PKG hat der Pensionskassenvertrag die Art der mit der Pensionskassenzusage verbundenen Risken aus der Veranlagung sowie der versicherungstechnischen Risken sowie die Aufteilung dieser Risken auf Pensionskasse, Arbeitgeber, Anwartschaftsberechtigte und Leistungsberechtigte zu regeln. Gestützt auf diese Bestimmung kann die Auffassung vertreten werden, dass auch der Aufbau einer Mindestertragsrücklage eine „Risikoaufteilung“ zwischen Pensionskasse einerseits und dem Arbeitgeber bzw den Anwartschafts- und Leistungsberechtigten andererseits darstellt.
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Nach der Teleologie des Gesetzes sollen die allgemeinen Verwaltungskosten „offen“ und durch den Pensionskassenvertrag frei regelbar sein.
V. Mitwirkung der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten an der Verwaltung der Pensionskasse A. Allgemeines Die Mitwirkung der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten an der Verwaltung der Pensionskasse ist ein zentrales Anliegen des Betriebspensions- und Pensionskassenrechts. Die einer Pensionskassenzusage zu Grunde liegende Betriebsvereinbarung muss Regelungen über den Umfang dieser Beteiligung treffen. Gleiches gilt für den Kollektivvertrag oder die Einzelvereinbarung nach Vertragsmuster. Die Betriebsvereinbarung ist bei der Gestaltung der Mitwirkungsrechte allerdings nicht frei; sie hat sich an den Vorgaben des PKG zu orientieren.71 Im Wesentlichen stehen den Anwartschafts- und Leistungsberechtigten Mitwirkungsrechte im Aufsichtsrat der Pensionskasse, im Beratungsausschuss und in der Hauptversammlung der Pensionskasse zu. Die Mitwirkungsrechte sind dann in den Pensionskassenvertrag aufzunehmen. Dadurch wird die Beachtung der Mitwirkungsrechte zu einer Verpflichtung der Pensionskasse.
B. Aufsichtsrat § 27 Abs 1 PKG sieht vor, dass der Aufsichtsrat einer überbetrieblichen Pensionskasse aus mindestens sechs und höchstens zwölf von der Hauptversammlung gewählten Vertretern des Grundkapitals und aus einer gegenüber diesen um zwei verminderten von Vertretern der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten besteht. Die Satzung kann eine höhere Beteiligung der Vertreter der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten vorsehen. Da sich die Mitwirkungsbefugnisse der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten aus der Satzung ergeben, kann die Pensionskassenbetriebsvereinbarung in der Praxis nur die entsprechenden Satzungsbestimmungen wiederholen. Im Aufsichtsrat einer betrieblichen Pensionskasse stellen die Vertreter der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten einen Vertreter weniger als die Vertreter des Grundkapitals. Bei einer betrieblichen Pensionskasse kann die Pensionskassenbetriebsvereinbarung eine höhere Beteiligung der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten vorsehen. Die Anzahl der Mitglieder des Aufsichtsrates ist in der Satzung festzulegen. Die Vertreter der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten werden durch Wahl bestimmt. Die Wahl hat im Rahmen der Hauptversammlung der Pensionskasse stattzufinden. Sie erfolgt nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes. Wahlvorschläge können von den Wahlberechtigten oder von einem „Beauftragten“ der Wahlberechtigten eingebracht werden. Der Betriebsrat, der die Pensionskassenbetriebsvereinbarung abgeschlossen hat, gilt nach dem Ge71
Vgl Schrammel, BPG § 3 Erl 6.1.
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setz als Beauftragter der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten für die Ausübung des Wahlrechts. Jeder Beauftragte hat so viele Stimmen, wie er Wahlberechtigte vertritt. Die „Beauftragung“ kann allerdings sowohl vom Betriebsrat als auch von jedem Wahlberechtigten ohne Angabe von Gründen widerrufen werden. In diesem Fall verliert der Betriebsrat das Stimmrecht für den betreffenden Wahlberechtigten.
C. Beratungsausschuss § 28 PKG sieht vor, dass die Pensionskasse für jede VRG einen Beratungssausschuss errichten kann. Der Beratungsausschuss besteht aus einer vom Aufsichtsrat festzulegenden Anzahl von Personen, die zu gleichen Teilen vom Vorstand der Pensionskasse und von Vertretern der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten im Aufsichtsrat zu bestellen sind.
D. Hauptversammlung Zur Hauptversammlung der Pensionskasse sind auch die beitragleistenden Arbeitgeber sowie die Anwartschafts- und Leistungsberechtigten zu laden. Jedem Teilnehmer an der Hauptversammlung stehen die Informationsrechte nach § 112 Abs 1 AktG, insbesondere in Bezug auf ihre eigene VRG zu.
VI. Aufsicht über Pensionskassen Pensionskassen unterliegen der Aufsicht der FMA. Die Aufsicht bezieht sich auf die Einhaltung der Bestimmungen des PKG. Dabei hat sie auf das volkswirtschaftliche Interesse an der Funktionsfähigkeit der Pensionskassen und die Interessen der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten Bedacht zu nehmen.72 Die Aufsicht bezieht sich also einerseits auf den Funktionsschutz und andererseits auf den Interessenschutz.73 Diese Ziele sollen auf unterschiedliche Weise erreicht werden. Durch die Konzessionspflicht, die Genehmigungspflicht bestimmter Maßnahmen der Pensionskasse (zB Geschäftsplan) und die zahlreichen Verordnungsermächtigungen wird zunächst die Funktionsfähigkeit der Pensionskasse sichergestellt, die Tätigkeit der FMA dient aber auch dem Interesse der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten. Das Interesse dieser Personen wird überdies durch die schon erwähnten Publizitätsvorschriften, wie zB die Erklärung über die Veranlagungspolitik und Mitteilungen an die Anwartschafts- und Leistungsberechtigten über die durchgeführten Veranlagungen und die Performance der VRG gewahrt. Der FMA steht aber auch ein umfassendes materielles Aufsichtsrecht zu, das vor allem dem Interessenschutz dient. Dieses Aufsichtsrecht reicht bis zu Eingriffen in den laufenden Geschäftsbetrieb.74
Die FMA kann von der Pensionskasse insbesondere die Vorlage von Zwischenabschlüssen verlangen und in die Bücher, Schriftstücke und Datenträger der Pensionskasse Einsicht nehmen. Überdies kann die Pensionskasse selbst Prüfungen vornehmen lassen. Hat die (österreichische) Pensionskasse Zweigstellen im EU-Ausland, kann die FMA die Behörden des Mitgliedstaates um 72 73 74
§ 33 Abs 1 und 2 PKG. Vgl allgemein St. Korinek, Rechtsaufsicht, 49 ff. Vgl St. Korinek, Rechtsaufsicht, 58.
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Prüfungen ersuchen.75 Auf Grund dieser Einsichtsrechte hat die FMA nicht nur die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Verfahrenshandlungen zu überprüfen, sie kann vor allem beurteilen, ob die Pensionskassengeschäfte auch wirtschaftlich im Interesse der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten geführt werden. Besteht die Gefahr, dass die Pensionskasse ihre Verpflichtungen nicht erfüllen kann, kann die FMA zur Abwendung dieser Gefahr befristete Maßnahmen durch Bescheid anordnen. Sie kann insbesondere dem Vorstand die Geschäftsführung untersagen oder fachkundige Aufsichtspersonen bestellen. Die FMA hat bei einer besonders schwerwiegenden Gefährdung auch die Möglichkeit, die Fortführung des Geschäftsbetriebes ganz oder teilweise zu untersagen. Im Rahmen der Rechtskontrolle76 hat die FMA die Möglichkeit, der Pensionskasse unter Androhung einer Zwangsstrafe die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes aufzutragen. Im Wiederholungsfall ist sie berechtigt, den Vorstandsmitgliedern der Pensionskasse die Geschäftsführung ganz oder teilweise zu untersagen. Als ultima ratio kann die FMA auch die Konzession zurücknehmen. Ausländische Einrichtungen, die in Österreich Pensionskassengeschäfte im Rahmen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit betreiben, unterliegen grundsätzlich nicht der laufenden Aufsicht durch die FMA. Die FMA hat jedoch Verletzungen der bei grenzüberschreitender Tätigkeit einzuhaltenden Bestimmungen der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaates anzuzeigen. Dies hat in der Folge dafür zu sorgen, dass die ihr unterstehende Einrichtung die entsprechenden Vorschriften in Österreich beachtet. Bleiben diese Maßnahmen erfolglos, kann die FMA direkt ein Aufsichtsverfahren einleiten. In letzter Konsequenz kann die FMA der ausländischen Einrichtung untersagen, weiter in Österreich tätig zu sein.77
VII. Auflösung des Pensionskassenvertrages und Auflösung der Pensionskasse A. Auflösung des Pensionskassenvertrages Wird ein Pensionskassenvertrag aufgelöst, so hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die Anwartschafts- und Leistungsberechtigten, weil diese zur Erlangung einer Leistung auf die Existenz eines Pensionskassenvertrages angewiesen sind.78 Es ist daher nur konsequent, wenn der Gesetzgeber die Auflösung des Pensionskassenvertrages Beschränkungen unterwirft. Eine Kündigung oder eine einvernehmliche Auflösung des Pensionskassenvertrages können rechtswirksam nur für alle von diesem Pensionskassenvertrag erfassten Anwartschafts- und Leistungsberechtigten gemeinsam erfolgen; die Auflösung des Pensionskassenvertrages ist überdies nur dann zulässig und rechtswirksam, wenn die den Anwartschafts- und Leistungsberechtigten zuge75 76 77 78
§ 33 Abs 3 PKG. § 33 Abs 6 PKG. § 33c PKG. Karner, Pensionskassenwechsel durch den Arbeitgeber, RdW 1999, 667.
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ordneten Vermögensteile auf eine Pensionskasse, auf eine ausländische Einrichtung oder auf eine betriebliche Kollektivversicherung iS des § 18f VAG übertragen werden. Der Wert der im Falle der Kündigung zu übertragenden Vermögensteile ist im Pensionskassenvertrag festzulegen. Das Mindestausmaß beträgt 98 vH der geschäftsplanmäßig zu bildenden Deckungsrückstellung zuzüglich 98 vH der Schwankungsrückstellung der betroffenen Anwartschafts- und Leistungsberechtigten, bei Zusagen mit unbeschränkter Nachschusspflicht des Arbeitgebers kann der Pensionskassenvertrag jedoch anstelle dessen auch 100 vH der geschäftsplanmäßig zu bildenden Deckungsrückstellung vorsehen.79 § 17 Abs 4 PKG bezieht sich formal nur auf den Kündigungsfall; bei einer einvernehmlichen Beendigung sieht das Gesetz keine besonderen Regelungen über die Höhe der zu übertragenden Vermögensteile vor. Dies dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen. In der Materialien zur PKG-Novelle BGBl I 2005/880 findet sich der Hinweis, die Neuregelung des § 17 Abs 1 diene der Klarstellung, dass neben der Kündigung auch eine einvernehmliche Beendigung des Pensionskassenvertrages möglich sei. Daraus kann abgeleitet werden, dass § 17 Abs 4 PKG auch bei einer einvernehmlichen Beendigung des Pensionskassenvertrages zu beachten ist.
Die Übertragung der Vermögenswerte auf eine andere Pensionskasse setzt voraus, dass der Arbeitgeber mit dieser neuen Pensionskasse einen Pensionskassenvertrag abgeschlossen hat, der die „neue“ Pensionskasse zur Aufrechterhaltung und Weiterführung der Leistungszusage verpflichtet. Dieser neue Pensionskassenvertrag muss seinerseits das Leistungsrecht widerspiegeln, das in der Pensionskassenbetriebsvereinbarung, die ja durch die Kündigung des Pensionskassenvertrages nicht verändert wird, festgelegt ist. In den Materialien zur PKG-Novelle BGBl I 2005/8 findet sich der kryptische Satz, im Hinblick auf die bei Kündigung des Pensionskassenvertrages notwendige Auswahl einer anderen Pensionskasse sei bereits vor Kündigung oder einvernehmlicher Beendigung des Pensionskassenvertrages eine „Abstimmung“ mit den Arbeitnehmervertretern erforderlich, weil in der Betriebsvereinbarung auch die Auswahl der Pensionskasse zu regeln sei. Nimmt man die Materialien beim Wort, müsste die Pensionskassenbetriebsvereinbarung vor Kündigung des Pensionskassenvertrages geändert werden. Nur dann wäre die erwähnte „Abstimmung“ erreicht. Im Ergebnis würde dem Betriebsrat ein Vetorecht bei der Kündigung des Pensionskassenvertrages zukommen. Die in den Materialien erwähnte „Abstimmung“ mit dem Betriebsrat hat allerdings im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden. Die Errichtung einer betrieblichen Pensionskasse muss zwar in einer Betriebsvereinbarung vorgesehen sein, im Übrigen ist in der Betriebsvereinbarung lediglich der Beitritt des Arbeitgebers zu einer Pensionskasse zu regeln. Dies bedeutet aber nicht, dass die Betriebsvereinbarung auch die (überbetriebliche) Pensionskasse zu bestimmen hat, mit der ein Pensionskassenvertrag abgeschlossen wird. Die Auswahl der Pensionskasse ist Sache des Arbeitgebers. Die Materialien haben offenkundig die Regelung des § 9 BMVG - die Auswahl einer Betrieblichen Mitarbeitervorsorgekasse („Abfertigungskasse“) ist durch Betriebsvereinbarung zu regeln - in unzulässiger Form verallgemeinert. Die Auswahl einer neuen Pensionskasse ist hingegen mitbe79 80
§ 17 Abs 4 PKG. 707 BlgNR 20. GP.
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stimmungsfrei.81 Eine „Abstimmung“ mit dem Betriebsrat ist nur im Rahmen des § 3 Abs 1 Z 3 BPG geboten. Danach hat die Betriebsvereinbarung auch die Voraussetzungen für die Arbeitgeberkündigung des Pensionskassenvertrages gemäß § 17 PKG zu regeln. Dieses Mitwirkungsrecht umfasst aber wiederum nicht die Auswahl einer neuen Pensionskasse. Mit der Übertragung des einer VRG zugeordneten Vermögens tritt die neue Pensionskasse als Gesamtrechtsnachfolger in alle von der früheren Pensionskasse für die VRG abgeschlossenen Verträge ein.82 Der die Gesamtrechtsnachfolge anordnende § 41 Abs 3 PKG bezieht sich systematisch auf Fälle der Auflösung der Pensionskasse, die Gesamtrechtsnachfolgeregel soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers aber auch Fälle der bloßen Auflösung des Pensionskassenvertrages erfassen.83 Die Gesamtrechtsnachfolge wirft allerdings Probleme auf, wenn die von der „alten“ Pensionskasse abgeschlossenen Verträge mit dem Geschäftsplan der „neuen“ Pensionskasse nicht kompatibel sind. Da die „neue“ Pensionskasse ihre Geschäftstätigkeit nur auf Grund des bewilligten Geschäftsplanes ausüben darf, müssen die übernommenen Verträge wohl entsprechend angepasst werden.
B. Auflösung der Pensionskasse 1. Freiwillige Auflösung Ein Beschluss auf Auflösung, Umwandlung oder Verschmelzung einer Pensionskasse bedarf zu seiner Wirksamkeit der Bewilligung der FMA. Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn eine Übertragung der den VRG zugeordneten Vermögenswerte unter Berücksichtigung des volkswirtschaftlichen Interesses an der Funktionsfähigkeit der Pensionskassen sowie deren Sicherheit im Interesse der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten durchführbar ist.84 Wird die Auflösung der Pensionskasse bewilligt, hat die FMA das einer VRG zugeordnete Vermögen durch Bescheid auf eine andere Pensionskasse zu übertragen. Zuvor ist die Zustimmung der neuen Pensionskasse einzuholen.85 Fraglich ist, wie der beitragleistende Arbeitgeber in die „neue“ Pensionskassenversorgung eingebunden werden kann. Seine Position wird ja durch die Auflösung der Pensionskasse nicht berührt. Da die Auflösung der Pensionskasse einer entsprechenden Planung bedarf, können die Pensionskassenverträge bereits vor Auflösung auf eine andere Kasse überbunden werden. § 41 PKG schließt aber auch nicht aus, dass die bescheidmäßige Übertragung der Vermögenswerte auf eine Pensionskasse erfolgt, die vom Arbeitgeber benannt wird. Für dieses Verständnis spricht auch § 41 Abs 4 PKG. Danach kann die FMA bis zur Durchführung der Übertragung der Vermögenswerte eine andere Pensionskasse auch mit der vorläufigen Verwaltung des Vermögens betrauen. Dies ermöglicht eine einvernehmliche Lösung unter Einbindung des Arbeitgebers. Erfolgt die Übertragung des Vermögens ohne vorherige Einbindung bzw Zu81 82 83 84 85
So auch Karner, RdW 1999, 667. § 41 Abs 3 PKG. Vgl den AB zum PKG, 1328 BlgNR 17. GP. Vgl ferner Karner, RdW 1999, 667. § 40 PKG. § 41 Abs 1 Z 3 PKG.
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stimmung des Arbeitgebers, wird man dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Abschluss eines Pensionskassenvertrages mit der von der FMA ausgewählten Kasse zubilligen müssen.
2. Konkurs § 37 PKG schließt die Eröffnung eines Ausgleichsverfahrens oder eines Vorverfahrens über das Vermögen einer Pensionskasse aus. Über das Vermögen der Pensionskasse kann nur ein Konkursverfahren eröffnet werden.86 In diesem bilden die einer VRG zugeordneten Vermögenswerte eine Sondermasse iS des § 48 Abs 1 KO. Der Antrag auf Eröffnung des Konkurses kann nur von der FMA gestellt werden. Durch die Konkurseröffnung enden die Vertragsverhältnisse aus den Pensionskassenverträgen. Das Konkursgericht hat bei Konkurseröffnung einen Kurator zur Geltendmachung der Ansprüche aus Pensionskassenverträgen zu bestellen. Ansprüche aus Pensionskassenverträgen gegen die Kasse können nur vom Kurator geltend gemacht werden. Das Konkursgericht hat eine abschließende Aufstellung der Pensionskonten für den Zeitpunkt der Konkurseröffnung zu veranlassen; die Anwartschaftsund Leistungsberechtigten haben Ansprüche auf die ihrer VRG zugeordneten Vermögenswerte entsprechend dem Stand ihres Pensionskontos. Die FMA hat im Falle der Konkurseröffnung wiederum das der VRG zugeordnete Vermögen durch Bescheid auf eine andere Pensionskasse zu übertragen.
3. Konzessionsentzug § 10 PKG regelt die Zurücknahme der Konzession einer Pensionskasse. Die Konzession ist insbesondere zurückzunehmen, wenn der Geschäftsbetrieb nicht innerhalb von zwei Jahren nach Konzessionserteilung aufgenommen wurde oder wenn die Pensionskasse nicht innerhalb von zwei Jahren für mindestens 1.000 Anwartschafts- und Leistungsberechtigte tätig ist. Die Konzession ist ferner zu entziehen, wenn sie durch unrichtige Angaben oder durch täuschende Handlungen herbeigeführt oder sonst wie erschlichen wurde. Man kann diese Tatbestände als „formale Konzessionsfehler“ bezeichnen. Ein Entziehungstatbestand liegt aber auch dann vor, wenn die Pensionskasse ihre Verpflichtungen gegenüber den Anwartschafts- und Leistungsberechtigten nicht erfüllt, oder wenn die Voraussetzungen für eine aufsichtsrechtliche Maßnahme gemäß § 33 Abs 6 Z 3 PKG vorliegen. Wie erwähnt, kann die FMA im Rahmen ihres Aufsichtsrechtes die Konzession zurücknehmen, wenn eine Konzessionsvoraussetzung nach Erteilung der Konzession nicht mehr vorliegt oder wenn die Pensionskasse Bestimmungen des PKG verletzt. Der Konzessionsentzug ist allerdings das letzte Mittel, das im Rahmen des Aufsichtsrechtes eingesetzt werden darf. Unklar ist vor allem, ob eine Verletzung der Verpflichtungen gegenüber den Anwartschaftsund Leistungsberechtigten den sofortigen Konzessionsentzug ohne Beachtung der Rangfolge des § 33 Abs 6 PKG legitimiert. Da die Pensionskasse nach § 2 PKG verpflichtet ist, die Pensionskassengeschäfte im Interesse der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten zu führen, stellt eine Verletzung der Ver86
Ein Zwangsausgleich findet in diesem Verfahren nicht statt (§ 37 Abs 2 PKG).
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pflichtungen gegenüber den Anwartschafts- und Leistungsberechtigten immer auch eine Verletzung der Bestimmungen des PKG dar. § 10 Abs 1 Z 4 PKG steht daher in einem Spannungsfeld zu § 10 Abs 1 Z 5 PKG. Man kann diesen „Widerspruch“ wohl nur so auflösen, dass ein sofortiger Konzessionsentzug nur bei besonders schwerwiegenden Verstößen gegen die Interessen der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten in Betracht kommt, wenn also der Einsatz der milderen Aufsichtsmittel des §§ 33 Abs 6 PKG die Interessen der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten gefährden würde. Ein Bescheid, mit dem die Konzession zurückgenommen wurde, wirkt gesellschaftsrechtlich wie ein Auflösungsbeschluss der Pensionskasse, wenn nicht innerhalb von drei Monaten nach Rechtskraft des Bescheides die Pensionskassengeschäfte aufgegeben werden. Die Pensionskassen-AG hat daher die Möglichkeit, ihren Geschäftsbetrieb nach Konzessionsentzug umzustellen, um dadurch der Auflösung zu entgehen. Nach § 41 Abs 1 Z 1 PKG hat die FMA im Falle eines Konzessionsentzuges durch Bescheid das einer VRG zugeordnete Vermögen auf eine andere Pensionskasse zu übertragen.
Nicolas Raschauer*
Staatliche Aufsicht über Verwertungsgesellschaften Rechtsgrundlagen ...........................................................................................194 Grundlegende Literatur...................................................................................194 I. Grundlagen ................................................................................................195 A. Überblick über die bisherige historische Entwicklung..........................195 B. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................197 C. Kompetenzrechtliche Grundlagen .........................................................200 1. Gesetzgebungskompetenz .................................................................200 2. Vollzugskompetenz ...........................................................................201 3. Kompetenzgrundlage zur Regelung der Finanzierungsbeiträge nach § 7 VerwGesG 2006.................................................................202 D. Ziel des VerwGesG 2006.......................................................................204 E. Zu Begriff und Aufgaben der VerwGes..................................................204 1. Der Begriff „Verwertungsgesellschaft“ ............................................204 2. Überblick über die Aufgaben der VerwGes ......................................205 3. Exkurs: Grenzüberschreitende Lizenzierung ....................................209 4. Überblick über die wesentlichen von den VerwGes wahrzunehmenden Rechte ................................................................209 5. Überblick über die bisher staatlich genehmigten VerwGes ..............211 II. Staatliche Aufsicht über VerwGes nach VerwGesG 2006 ...................215 A. Begriffsdefinition ...................................................................................215 B. Geltungsbereich des VerwGesG 2006 ...................................................215 C. Umfang der Staatsaufsicht nach VerwGesG 2006 - Allgemeines .........216 D. Genehmigung (§§ 2 ff) ..........................................................................217 1. Zulassungskriterien ...........................................................................218 E. Laufende Aufsicht über VerwGes ..........................................................224 1. Konzeption nach VerwGesG 2006....................................................224 2. Dazu korrespondierende - an VerwGes gerichtete Verhaltensnormen (Aufsichtsmittel).................................................225 3. Sonstige an VerwGes adressierte Verhaltensnormen........................228 4. „Effizienzaufsicht“ ............................................................................230 5. Berichtigung ......................................................................................232 F. Marktmissbrauchsaufsicht.....................................................................234 III. Finanzierung der Aufsicht.....................................................................235 IV. Aufsichtsbehörden..................................................................................237 A. Allgemeines............................................................................................237 B. KommAustria als „Aufsichtsbehörde für VerwGes“ .............................238 C. Urheberrechtssenat (UrhS) ...................................................................238
N. Raschauer
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1. Allgemeines ...................................................................................... 238 2. Aufgaben des UrhS........................................................................... 240 3. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen der Einrichtung des UrhS als Kollegialbehörde richterlichen Einschlags.................. 242 V. Würdigung ............................................................................................... 242 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht Das Recht der Verwertungsgesellschaften1 ist gemeinschaftsrechtlich (noch) nicht harmonisiert. Vgl zum Stand der Entwicklungen auf Sekundärrechtsebene und den Berührungspunkten zu Primärrecht unter III.B. Nationales Recht BG betreffend Unternehmen zur Nutzbarmachung von Vortrags-, Aufführungs- oder Senderechten an Sprachwerken und an Werken der Tonkunst (Verwertungsgesellschaftengesetz - VerwGesG 1936), BGBl 1936/1122; abgelöst mit 1.7.2006 durch das Verwertungsgesellschaftengesetz 2006 (VerwGesG 2006), BGBl I 2006/9 idgF; BG über das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Kunst und über verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz - UrhG), BGBl 1936/111 idgF; Artikel II bis IV des BG, mit dem das UrhG geändert wird (Urheberrechtsgesetz-Novelle 1980 - UrhGNov 1980), BGBl 1980/321, außer Kraft getreten mit 30.6.2006 (§ 41 Abs 1 Z 2 VerwGesG 2006); BG gegen Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz 2005 - KartG 2005), BGBl I 2005/61 idgF; G über Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (GenG), RGBl 1873/70 idgF; BG über die Revision von Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Genossenschaftsrevisionsgesetz 1997 - GenRevG 1997), BGBl I 1997/127 idgF; G über Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz GmbHG), RGBl 1906/58 idgF; BG über Aktiengesellschaften (Aktiengesetz 1965 AktG 1965), BGBl 1965/98 idgF.
Grundlegende Literatur: Abele, Wirtschaftliche Aspekte der Verwertung von Urheberrechten, MR 2005, 177; Buchner, Zur Diversifizierung des Verwertungsgesellschaftenrechtes, ÖBl 1981, 57; Deisenberger, Positionen in der Reformdiskussion, Beilage zu MR 2004/2, 13; Dillenz, Die EG-Wettbewerbsregeln und die österreichischen Verwertungsgesellschaften, ZfRV 1990, 161; Dillenz/Gutman, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 2. Auflage, 2004; Dittrich, Überlegungen zur Reform des österreichischen Verwertungsgesellschaftenrechts, Beilage zu MR 2004/2, 1; Ders, Österreichisches und internationales Urheberrecht, 1. Auflage, 1974, 4. Auflage, 2004; Ders, Gesetzliche Treuhand für Verwertungsgesellschaften, ecolex 1994, 103; Ders, Der Kontrahierungszwang von Verwertungsgesellschaften, in: Österreichische Schriftenreihe zum gewerblichen Rechtsschutz, Urheber- und Medienrecht, Band 11, 1992; Ders, Zur Abgrenzung der „kleinen“ und der „großen Rechte“, ÖBl, 1971, 1; Handig, Das neue Verwertungsgesellschaftengesetz, * 1 2
Ich darf mich bei Paul Schmidinger für wertvolle Anregungen im Zuge der Gestaltung des Beitrages sowie bei Christina Bechter, Bernhard Raschauer und Wolfgang Wessely für die kritische Lektüre des Manuskripts herzlich bedanken. In Folge: VerwGes. Zwischen 13.3.1938 und 27.3.1945 war dieses Gesetz außer Kraft; es wurde durch das BG über die Überleitung der VerwGes, BGBl 1947/32, mit Wirkung vom 27.4.1945 wieder in Kraft gesetzt.
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ÖBl 2006/13; Julcher, Bescheidcharakter einer Mahnung nach dem Verwertungsgesellschaftengesetz, RfR 2005, 22; Johannes Juranek, Die Gratwanderung zwischen großem und kleinem Recht, MR 2001, 377; Johann Juranek, Die Verwertungsgesellschaft als Treuhänder, ÖBl 1971, 72; Hanreich ua, Reformbedarf: Sicht der Nutzer und der Rechteinhaber - Reform des Verwertungsgesellschaftenrechts, Beilage zu MR 2004/2, 6; Holeschofsky, Der Staatskommissär nach dem Verwertungsgesellschaftengesetz, ZfRV 1977, 81; Lessiak, Zur Rechtsstellung von Verwertungsgesellschaften bei Geltendmachung von Vergütungsansprüchen, ÖJZ 1993, 760; Öhlinger, Neue Aspekte des kollektiven Urhebervertragsrechtes aus verfassungsrechtlicher Sicht, RfR 1998, 25; Popp, Verwertungsgesellschaften - Ihre Stellung im Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Kartellrecht, in: Österreichische Schriftenreihe zum gewerblichen Rechtsschutz, Urheber- und Medienrecht, Band 25, 2001; N. Raschauer/Wessely, Ausgewählte Fragen zum Staatskommissär im Wirtschaftsaufsichtsrecht, ÖZW 2004, 70; Riesenhuber, VerwGesG 2005: Ausgewählte Regelungen im Vergleich mit dem deutschen Recht und den Europäischen Angleichungsplänen, wbl 2005, 256; ders, Das österreichische Verwertungsgesellschaftengesetz (2006); Riesenhuber/von Vogel, Europäisches Wahrnehmungsrecht, EuZW 2004, 519; Schäffer, Bankaufsicht - Möglichkeiten und Grenzen ihrer rechtlichen Organisation, ÖBA 1985, 215; Schmidinger, Aktuelle verfassungsrechtliche Probleme im Bereich der Verwertungsgesellschaften (Diss Uni Wien, 2006); Schwartz, Was not tut: Neue Regulierungsbehörden auch im Urheberrecht?, ecolex 2004, 493; Senger, Wahrnehmung digitaler Urheberrechte, 2002; M. Walter, Zur Monopolstellung der urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften, JBl 1970, 601; Ders, Reform des Verwertungsgesellschaftenrechts, Beilage zu MR 2004/2, 18; Würfel, Europarechtliche Möglichkeiten einer Gesamtharmonisierung des Urheberrechts, 2005.
I. Grundlagen A. Überblick über die bisherige historische Entwicklung Die historische Entwicklung der staatlichen Aufsicht über VerwGes in Österreich kann skizzenhaft in vier wesentliche Stufen eingeteilt werden: • Der erste Meilenstein der Entwicklung des Rechts der VerwGes geht in Österreich auf das Jahr 1897 zurück, als die älteste und größte österreichische VerwGes, die „AKM“ - die Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger - 2 Jahre nach Inkrafttreten des österreichischen UrhG 1895 gegründet wurde3. • Bis 1936 unterlag die Tätigkeit der VerwGes keiner zentralisierten staatlichen Aufsicht. Erst mit der Erlassung des VerwGesG 19364 verankerte der Gesetzgeber erste rechtliche Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der VerwGes. Dieses BG erfasste jedoch bloß jene Gesellschaften, die die sog „kleinen“ musikalischen Aufführungs- und Senderechte sowie die „kleinen“ literarischen Vortrags- und Senderechte wahrnahmen5. Andere Gesellschaften, insbesondere solche, die sich auf die Einhebung sog „mecha-
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Vgl statt aller Dillenz/Gutmann, Urheberrecht2 412; Dillenz, ZfRV 1990, 161 (174 f). BGBl 1936/112. Vgl etwa Schmidinger, Probleme 11; Dillenz/Gutmann, Urheberrecht2 412 f. So auch M. Walter, JBl 1970, 601 f.
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N. Raschauer
nischer Rechte“6 spezialisiert hatten, wurden vom VerwGesG 1936 nicht erfasst. „Große“ und „kleine Rechte“ waren keine im VerwGesG 1936 gesetzlich definierten Begriffe. Kleine Rechte waren solche, die bereits durch das VerwGesG 1936 erfasst worden waren und von VerwGes wahrgenommen werden konnten, nicht jedoch direkt beim Urheber lagen (zB bestimmte Rechte an Sprachwerken bzw an Werken der Tonkunst7). Nach Johannes Juranek8 war Grundvoraussetzung für die Annahme eines großen Rechts, dass ein musikdramatischen Werk (zB Oper, Musical) zur Aufführung gebracht wurde. Ein musikdramatisches Werk liegt vor, wenn die Musik hilft, eine Geschichte zu erzählen. Für das Vorliegen eines „großen Rechts“ ist es nicht erforderlich, dass die gesamte Geschichte vorgetragen wird. Vielmehr reicht die Aufführung von Fragmenten (Querschnitt). Die Aufführung muss die einzelnen vorgetragenen Teilstücke zumindest als Bruchstücke des gesamten Werkes erkennen lassen. Dass die einzelnen Teile in einer bestimmten Reihenfolge aufgeführt werden müssen, ist nicht erforderlich. Ebenso sind die Kostümierung der Sänger sowie ein Bühnenbild nicht erforderlich. Es kommt auch nicht auf die Darstellung der durchgehenden Handlung des Stücks an. Für die Annahme eines „großen Rechts“ genügte schon die Darstellung einzelner Lebensvorgänge auf der Bühne9.
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Ausgehend vom Jahr 1956 - über zwei Jahrzehnte hinweg - waren Anstrengungen, den Anwendungsbereich des VerwGesG 1936 zu erweitern und auf die anderen damals bestehenden VerwGes auszudehnen10, zunächst nicht von Erfolg gekrönt. Das zeigt sich etwa an einem vom BMJ 1976 in Begutachtung ausgesandten Novellierungsvorschlag zu besagtem Gesetz, den der NR nicht umsetzte11. Dieses Vorhaben gelang dem Gesetzgeber erst im Zuge der (in weiterer Folge mehrfach novellierten) UrhGNov 198012, was zu einem - in der Lit mehrfach als unübersichtlich kritisierten - Nebeneinander bzw zur Überlagerung mehrerer nebeneinander bestehender und anzuwendender Gesetze führte13. Das bis 30.6.2006 in Geltung stehende VerwGesG 1936 (vgl § 41 Abs 1 VerwGesG 2006) sah ein „duales Aufsichtssystem“ der Art vor, dass Staatskommissäre in Unterstellung unter den Bundeskanzler - quasi als verlängerter Arm der Aufsichtsbehörde14 - „vor Ort“ Informationen beschaffen und darauf zu achten hatten, dass die VerwGes ihre Pflichten
Dies sei am Beispiel einer bereits aufgezeichneten Sendung erläutert: Vor Ausstrahlung des sendefertigen Materials wird regelmäßig eine Kopie angefertigt, damit erfolgt eine mechanische Vervielfältigung und somit eine Verwertungshandlung, die grundsätzlich dem Urheber vorbehalten wäre. Dafür hebt die zuständige VerwGes das vertraglich vereinbarte Entgelt ein. Vgl etwa Schmidinger, Probleme 15 f. MR 2001, 377 ff. Siehe auch Dillenz/Gutman, Urheberrecht2 85 und Dittrich, ÖBl 1371, 1. Siehe dazu eingehend Schmidinger, Probleme 11 mN. Vgl BMJ 15.1.1976, JMZ 8.150/24-I.4/76. Art II des BG BGBl 1980/321. Krit etwa Dillenz/Gutmann, Urheberrecht2 413; Dittrich, MR 2004/2-Beilage, 3; vgl ferner Schmidinger, Probleme 12, 193; Walter, MR 2004/2-Beilage, 18 f; Handig, ÖBl 2006/13. Dazu allgemein auch Riesenhuber, wbl 2005, 257. IdS schon N. Raschauer/Wessely, ÖZW 2004, 70 (80) mwN; Schäffer, ÖBA 1985, 215; vgl ferner Schwartz, ecolex 2004, 493.
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nach VerwGesG 1936 - nicht jedoch auch nach anderen Gesetzen15 - gehörig erfüllen. Diese im Wirtschaftsaufsichtsrecht traditionelle gesetzliche Konstruktion bezeichnete etwa M. Walter im Hinblick auf das Verwertungsgesellschaftenrecht jüngst als „in die Jahre gekommen“ 16, in den Mat zum VerwGesG 2006 wird das (noch) bestehende Aufsichtssystem gar als ineffizient bezeichnet17; Schwartz ortet rechtspolitischen Diskussionsbedarf18. Darüber hinaus beurteilen die in Rede stehenden EB zum VerwGesG 2006 die der Staatsaufsicht (nach VerwGesG 1936) zu Gebote stehenden Mittel als nicht ausreichend, um tatsächlich oder vermeintlich missbräuchlichem Verhalten von VerwGes wirksam entgegentreten zu können19. Diese und andere Gründe20 nahm der Gesetzgeber nach ausgiebigen Beratungen21 (ab 2004) - in Entsprechung des Regierungsprogramms „Schüssel II“22 - zum Anlass, nicht nur eine breitere Reform des Verwertungsgesellschaftenrechts zu erlassen, sondern ein gänzlich modifiziertes Aufsichtssystem, integriert in ein neues VerwGesG 2006 zu verankern, das mit 1.7.2006 in Kraft getreten ist (§ 40 Abs 1 leg cit).
B. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Wie bereits angedeutet, ist das Recht der VerwGes bis heute noch nicht gemeinschaftsrechtlich harmonisiert. Das soll jedoch nicht heißen, dass auf Ebene des Gemeinschaftsrechts keine Anknüpfungspunkte zur Tätigkeit dieser Unternehmen bestehen würden. • In Erwägungsgrund 17 der (von mir) sog „Informationsrichtlinie“23 wie auch in Erwägungsgrund 28 der „Folgerechtrichtlinie“24 finden VerwGes zumindest „Erwähnung“. Auf die Tätigkeit der VerwGes wird auch in der Richtlinie zum Vermiet- und Verleihrecht „angeknüpft“25, ohne dass aus diesen Regelungswerken weitere - den nationalen Gesetzgeber bindende -
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Vgl N. Raschauer/Wessely, ÖZW 2004, 71 FN 16. M. Walter, MR 2004/2-Beilage, 19. EBRV 1069 BlgNR 22. GP 2. Schwartz, ecolex 2004, 493. IdS auch Schmidinger, Probleme 193 f. Vgl dazu EBRV 1069 BlgNR 22. GP 1 f. Vgl dazu insb die Beiträge von Deisenberger, Dittrich und M. Walter in MR 2004/2, Beilage. Vgl http://www.austria.gv.at/2004/4/7/Regierprogr28.2.03.pdf (19.1.2006). Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, Abl L 167/10 (22.5.2001). Richtlinie 2001/84/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 27.9.2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerkes, Abl L 272/23 (13.10.2001). Abl L 346/61 (27.11.1992).
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Rahmenbedingungen in Bezug auf die Aufsicht über VerwGes abzuleiten wären26. Darüber hinaus enthält Art 1 Abs 4 „Satellitenrichtlinie“27 eine eigenständige Definition, was der „Gemeinschaftsgesetzgeber“ für die Zwecke der in Rede stehenden Richtlinie unter einer VerwGes versteht: „[Das ist] jede Organisation, die Urheber- oder verwandte Schutzrechte als einziges Ziel oder eines ihrer Hauptziele wahrnimmt oder verwaltet“. Darüber hinaus enthält die „Satellitenrichtlinie“ keine weiteren Anknüpfungspunkte, die für das staatliche Aufsichtssystem über VerwGes von entscheidender Bedeutung wären, da Art 13 dieser Richtlinie die Regelung der Tätigkeiten der VerwGes ausdrücklich den Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene überlässt28. Die Richtlinie „zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums“29 regelt die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die im Falle der Verletzung geistiger Eigentumsrechte durch die zuständigen nationalen Gerichte auf Antrag von „berechtigten Personen“ angeordnet werden können. Auch VerwGes kommen bestimmte Antrags- und Verfahrensrechte zu (vgl die Anknüpfung in Art 4 lit c der RL). Auf europäischer Ebene haben schon in jüngerer Vergangenheit Diskussionen über eine Angleichung des Rechts der VerwGes eingesetzt, wie ein Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt des Europäischen Parlaments30 über einen Gemeinschaftsrahmen für VerwGes im Bereich des Urheberrechts und die korrespondierende Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.1.2004 zeigen31. Auch die Europäische Kommission hat bereits im April 2004 - wiederholt32 - Erwägungen in dieselbe Richtung angestellt33. Daran anknüpfend hat die Kommission im Oktober 2005 eine an die Mitgliedstaaten adressierte, diese zwar nicht bindende, mE aber richtungweisende Empfehlung „für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale OnlineIn den zuletzt genannten RL 2001/29/EG und 2001/84/EG ist „nur“ die an die Mitgliedstaaten gerichtete Aufforderung enthalten, für mehr Transparenz und Effizienz bei der Rechtewahrnehmung durch VerwGes zu sorgen. Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27.9.1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, Abl L 248/15 (6.10.1993). Freilich darf dieser Passus nicht dahin verstanden werden, dass der nationale Gesetzgeber keine weiteren Schranken, die sich etwa aus dem EG-Primärrecht ergeben können, zu beachten hätte. Gleichnamige Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29.4.2004, Abl L 157/45 (30.4.2004). Sog (vorbereitender) „Eccherer-Bericht“ vom 11.12.2003, FINAL A5-0478/2003; vgl Riesenhuber, wbl 2005, 256. Entschließung des Europäischen Parlaments zu einem Gemeinschaftsrahmen für VerwGes im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte (2002/2274 [INI]), Abl C 92 E/425. Vgl Würfel, Möglichkeiten 88 ff. Vgl Mitteilung der Kommission vom 16.4.2004, KOM (2004) 261 endg. Vgl dazu Riesenhuber/von Vogel, EuZW 2004, 519.
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Musikdienste benötigt werden“, veröffentlicht34. In den Begründungserwägungen, die hier auszugsweise wiedergegeben werden sollen, führt die Kommission aus: „Lizenzen sind oft auf ein Territorium beschränkt, und das zwingt gewerbliche Nutzer, für jedes in der Online-Nutzung benötigte Recht in jedem Mitgliedstaat von jeder jeweiligen VerwGes eine Lizenz zu erwerben. Im Zeitalter der Online-Nutzung von Musikwerken brauchen gewerbliche Nutzer aber ein multiterritorial ausgelegtes Lizenzierungssystem, das der Grenzenlosigkeit der Onlinewelt gerecht wird. Es sollte daher für eine multiterritoriale Lizenzierung gesorgt werden, um für gewerbliche Nutzer mehr Rechtssicherheit für ihre Aktivität und das Wachstum legaler Online-Dienste zu fördern. Der freie länder-übergreifende Dienstleistungsverkehr impliziert für die kollektive Rechtewahrnehmung, dass die Rechteinhaber die Möglichkeit haben, die VerwGes für die Wahrnehmung der Rechte, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden, frei in der Gemeinschaft zu wählen. Dieses Recht beinhaltet die Möglichkeit, alle oder einen Teil der Online-Rechte einer anderen VerwGes zu übertragen; der Sitzstaat oder die Staatsangehörigkeit der Verwertungsgesellschaft bzw des Rechteinhabers sollte hierfür keine Rolle spielen“. Verstärkt werden die Harmonisierungsbestrebungen der Gemeinschaft infolge des von der Kommission im April 2006 vorgelegten (geänderten) Vorschlags zu einer „Dienstleistungsrichtlinie“35. Das Ziel des Richtlinienvorschlages ist der Abbau administrativer und bürokratischer Hindernisse im EG-Binnenmarkt; zum einen soll die hohe Qualität der Dienstleistungen sichergestellt, zum anderen die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungserbringer sowie der freien Dienstleistungsverkehr erleichtern werden (vgl Art 1 Z 1 des Vorschlags). Die Rahmenrichtlinie soll grundsätzlich für jede Dienstleistung iSv Art 50 EGV gelten, mithin jede selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird36 und denen eine wirtschaftliche Gegenleistung gegenübersteht37 (Art 4 des Entwurfes). Nachdem die Tätigkeit der VerwGes mE nicht vom Ausnahmekatalog des Entwurfs erfasst (Art 2) und bloß das materielle Urheberrecht vom Anwendungsbereich des Art 16 („Dienstleistungsfreiheit“) ausgenommen ist - es erscheint (mehr als) fraglich, ob diese Ausnahme auch das Verwertungsrecht, mithin das kollektive Wahrnehmungsrecht mitumfasst - ist zu konstatieren, dass der RL-Entwurf, insb das nunmehr neu vorgesehene „Freizügigkeitsprinzip“ (Freedom to provide services), die Tätigkeit der VerwGes erfassen könnte38. Danach müssen alGleichnamige Empfehlung 2005/737/EG vom 18.10.2005, Abl L 276/54. Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, KOM 2006/0160 endg. Dieser Vorschlag wurde vom Rat der Europäischen Union weitgehend übernommen (gemeinsamer Standpunkt 10.003/06 vom 24.7.2006) Siehe dazu etwa Holoubek, Art 50 EGV, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000 sowie ferner Budischowsky, Art 50 EGV, in: Mayer (Hrsg), EU- und EGVertrag, 2003. Vgl die Beispielsangaben in Erwägungsgrund 14 des Richtlinienentwurfes. Dies deckt sich mit der Rsp des EuGH, wonach VerwGes Unternehmen iSv Art 81 Abs 1 EGV seien, die am gewerblichen Austausch von Dienstleistungen beteiligt
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le Mitgliedstaaten den freien Zugang und die Ausübung der Dienstleistung sicherstellen, auch wenn diese von einem Unternehmen eines anderen EGLandes erbracht wird (Art 16). Betont sei darüber hinaus, dass Art 16 Z 2 des Entwurfs den Mitgliedstaaten untersagt, spezifische Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit vorzunehmen, wie etwa Dienstleistungserbringern das Erfordernis einer „zusätzlichen“ Niederlassung (im „Erbringerstaat“) vorzuschreiben oder ein zusätzliches Genehmigungserfordernis zu statuieren. In diesem Licht ist zu hinterfragen, ob die neue nationale Rechtslage - die entsprechende Einschränkungen vorsieht (vgl § 2 Abs 1, 3 Abs 1 VerwGesG 2006) - wird aufrechterhalten werden können. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
C. Kompetenzrechtliche Grundlagen 1. Gesetzgebungskompetenz Nach den - in diesem Zusammenhang nicht weiter ergiebigen - Mat zum VerwGesG 200639 fallen die Angelegenheiten des Verwertungsgesellschaftenrechts unter den Kompetenztatbestand „Urheberrecht“ iSd Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG, der bereits in der Stammfassung des B-VG vorgesehen war. Insofern besteht die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Zur Auslegung bzw Tragweite des Begriffs „Urheberrecht“ besteht keine einschlägige höchstgerichtliche Judikatur, auch in den Mat bzw den sten Prot der konstituierenden verfassungsgebenden Nationalversammlung (zur Stammfassung des B-VG BGBl 1920/1) finden sich keine weiterführenden Anhaltspunkte40. Um in weiterer Folge den Bedeutungsgehalt des hier interessierenden Tatbestands erfassen zu können, ist entsprechend der „Versteinerungstheorie“41 seine Stellung und Bedeutung innerhalb der nationalen Rechtsordnung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der am 1.10.1925 wiederverlautbarten Fassung des B-VG42 zu untersuchen. Einschlägig erscheint zunächst das G zum Schutz des Urheberrechts an Werken der Literatur und Kunst aus 192043. Gemäß § 23 Abs 1 leg cit waren bestimmte „Verwertungsrechte“ eines Rechteinhabers von seinem Urheberrecht mitumfasst (zB Veröffentlichung von literarischen Werken)44.
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sind und damit an der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten teilnehmen (sie seien jedoch nicht mit der Durchführung von Dienstleistungen von allgemeinem Wirtschaftsinteresse iSv Art 86 EGV betraut, die wiederum von der „Dienstleistungsrichtlinie“ ausgenommen sind). Vgl etwa EuGH 21.3.1974, Rs 127/73, BRT/SABAM, Slg 313/74; 20.1.1981, verb Rs 55/80 und 57/80, MV Membran und K-tel International/GEMA, Slg 147/81; 2.3.1983, Rs 7/82, GVL/Kommission, Slg 483/83 uvam. Vgl EBRV 1069 BlgNR 22. GP 4. So auch Mayer, B-VG3 30 zu Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG. Siehe dazu weiterführend Wiederin, FS Winkler (1997) 1231 ff; Berka, Verfassungsrecht Rz 429 f; Öhlinger, Verfassungsrecht6 Rz 275 ff. BGBl 1925/367. StGBl 1920/417. So in weiterer Folge auch die „Generalklausel“ des § 14 UrhG 1936, BGBl 1936/111.
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Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des B-VG war der Rechtsordnung somit keine Regelung der Art bekannt, dass ein Unternehmen als VerwGes „treuhändisch“ Rechte für Dritte verwerten bzw wahrnehmen sollte; der einzelne Rechteinhaber konnte seine Rechte bloß alleine, quasi „ohne Unterstützung“ durch Dritte ausüben. Erst im Jahr 1936 erließ der Gesetzgeber - parallel zur großen Urheberrechtsreform 1936 - das VerwGesG 1936, mit dem erstmals ein rechtlicher Rahmen für die Tätigkeit von VerwGes in der zuvor umschriebenen Form vorgesehen wurde. Ziel der Erlassung des VerwGesG 1936 war sohin, Urheberrechte mehrerer Rechteinhaber durch Bündelung bei einer „Spartengesellschaft“ besser nutzbar zu machen45, maW dass ein Unternehmen mehrere Rechte einzelner Inhaber „treuhändisch“ und gesammelt verwerten sollte. Dies lässt - wie auch die bereits erwähnte „Generalklausel“ des § 14 Abs 1 UrhG 1936 - auf ein inhaltliches und systematisches Naheverhältnis zwischen Verwertungsgesellschaftenrecht auf der einen und Urheberrecht auf der anderen Seite und insofern auf eine „intra-systematische Fortentwicklung“ des Kompetenztatbestands „Urheberrecht“ iSd Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des VerwGesG 1936 (1.7.1936) schließen. Das bedeutet mE, dass das Recht der VerwGes ab besagtem Zeitpunkt vom Kompetenztatbestand „Urheberrecht“ umfasst ist46.
2. Vollzugskompetenz Nach Art 102 Abs 1 B-VG gilt der Grundsatz, dass Angelegenheiten der Bundesverwaltung in Form der mittelbaren Bundesverwaltung zu vollziehen sind47. Zuständige Aufsichtsbehörden für VerwGes sind jedoch nicht - in Entsprechung dieses Grundsatzes - die BVB und der LH als funktionelle Bundesbehörden, sondern die beim BKA eingerichtete, dh dem Bundeskanzler organisatorisch unterstellte KommAustria (§ 28 Abs 1 VerwGesG 2006), bei der es sich um nicht bloß um eine funktionelle Bundesbehörde handelt, wie sie (auch) Art 102 Abs 1 B-VG vor Augen hat. Es liegt viel mehr eine vom Bund eingerichtete und von ihm zT erhaltene (Bundes-)Behörde im organisatorischen Sinn vor (vgl § 3 Abs 3 KOG)48. Der Bundesgesetzgeber „kann“ derartige Behörden jedoch nur in den Angelegenheiten mit der „Besorgung“49 von Angelegenheiten der Bundesverwaltung betrauen, die in Art 102 Abs 2 B-VG ausdrücklich genannt werden. Das Urheberrecht, das in Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG noch ausdrücklich Erwähnung findet, ist in Art 102 Abs 2 B-VG - im Gegensatz zum systemverwandten, da auch in Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG enthaltenen und ebenfalls von der Komm-Austria mitzuvollziehenden „Pressewesen“50 - nicht enthalten.
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Vgl die EB zum VerwGesG 1936, abgedruckt bei Dittrich, Urheberrecht1 609 ff. So im Ergebnis auch Schmidinger, Probleme 54. Vgl dazu etwa R. Walter, Verfassungsrecht (1972) 595 f. BGBl I 2001/32 idgF. Zur Begriffsdefinition vgl etwa B. Raschauer, Art 20 Rz 67, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundes-Verfassungsrecht, Art II/1. Vgl zB § 1 Abs 3 PresseförderungsG 2004, BGBl I 2003/136.
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Somit ist zu untersuchen, ob das Urheberrecht in diesem Zusammenhang einem anderen in Art 102 Abs 2 B-VG genannten Tatbestand systematisch zugeordnet werden kann. Der Gesetzgeber selbst stützt sich - so die Mat zum VerwGesG 2006 - auf den Tatbestand des „Justizwesens“51. Vereinfacht dargestellt umfasst dieser - bereits in der Stammfassung des B-VG enthaltene Tatbestand alle „justiznahen Verwaltungsmaterien“ mit Ausnahme bestimmter Angelegenheiten der Justizverwaltung iSd Art 87 Abs 2 B-VG52. Dazu zählen jedenfalls die Aufgaben der Staatsanwaltschaft53. Auf Basis historischer Quellen („Versteinerung“ des Tatbestands „Justizwesens“)54 kann festgestellt werden, dass das Urheberrecht und damit - aufgrund intrasystematischer Fortentwicklung dieses Tatbestands auch das Recht der VerwGes - bereits zum Zeitpunkt der Wiederverlautbarung des B-VG im Oktober 1925 (BGBl 1925/367) zu den „justiznahen Verwaltungsmaterien“ gezählt wurde, die unter den Tatbestand „Justizwesen“ iSd Art 102 Abs 2 BVG fielen. Weitere Indizien für die Richtigkeit dieser Auslegung können darin gesehen werden, dass bereits Teile des UrhG 1920 von Bundesbehörden im organisatorischen Sinn zu vollziehen waren (vgl etwa § 38 Abs 2 leg cit, wonach das „Staatsamt für Handel, Gewerbe und Industrie“ ein Urheberrechtsregister zu führen hatte) und die Vollzugsanordnung des UrhG 1920 (§ 61) den „Staatssekretär für Justiz“ mit der Vollziehung dieses BG betraute55.
3. Kompetenzgrundlage zur Regelung der Finanzierungsbeiträge nach § 7 VerwGesG 2006 Nach § 7 Abs 5 und 6 VerwGesG 2006 sind die Kosten und der (Personal-, Sach-)Aufwand der staatlichen Aufsicht über VerwGes nicht von der Allgemeinheit (mithin vom Bund) zu tragen, sondern von VerwGes und bestimmten gesamtvertragsfähigen Rechtsträgern im Verhältnis „3:1“ zu finanzieren. Mangels Präzisierung in den EB zum VerwGesG 2006 erscheint fraglich, welcher verfassungsgesetzliche Kompetenztatbestand als Grundlage für eine Regelung nach Art des § 7 Abs 5 und 6 VerwGesG 2006 herangezogen werden könnte. Ansatzpunkte hiefür finden sich in der einschlägigen Judikatur des VfGH. Nach Maßgabe dieser Rsp kann hier zunächst festgehalten werden, dass Art 11 Abs 2 B-VG nicht als taugliche kompetenzrechtliche Grundlage herangezogen werden kann, sprach doch der VfGH in einem erst jüngst ergangenen Erk zum systemverwandten § 10 KOG aus: „Schon dem Wortlaut nach bezieht sich Art 51 52
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EBRV 1069 BlgNR 22. GP 4. Vgl dazu B. Raschauer, Art 102 Rz 80, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), BundesVerfassungsrecht, II/2; Ders, Allgemeines Verwaltungsrecht2 (2003) Rz 195; Bußjäger, Art 102 Rz 23, in: Rill/Schäffer (Hrsg), Bundesverfassungsrecht. IdS B. Raschauer, Art 102 Rz 80 FN 132, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), BundesVerfassungsrecht, II/2. Vgl etwa Fe. Ermacora, Entstehung der Bundesverfassung 1920 I (1986) 27, II (1989) 68. Vgl dazu auch - mit weiteren Quellennachweisen - Schmidinger, Probleme 61 ff. Die Vollzugsanordnung des § 61 UrhG 1920 lässt zwar auf eine gewisse Systemnähe des UrhG zum Tatbestand „Justizwesen“ schließen, deutet aber nicht zwingend auch auf eine dementsprechende Vollzugszuweisung an Bundesbehörden im organisatorischen Sinn.
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11 Abs 2 B-VG (…) nur auf verwaltungsverfahrensrechtliche Regelungen; bedenklich können unter dem Aspekt des Art 11 Abs 2 B-VG somit überhaupt nur Regelungen verfahrensrechtlichen Inhalts sein, die einen von §§ 75 ff AVG abweichenden Inhalt haben. Die §§ 75 ff AVG beziehen sich auf die Kosten für die Tätigkeit der Behörden im Verwaltungsverfahren bzw auf Amtshandlungen und die Verleihung von Berechtigungen, somit auf konkrete Verfahren, und nicht auf die Tätigkeit von Behörden überhaupt. Regelungen, die zum Ziel haben, den aus der Einrichtung einer Behörde oder eines behördlichen Hilfsapparat als solchen resultierenden Personal- und Sachaufwand zu finanzieren, fallen somit von vornherein nicht unter die §§ 75 ff AVG, unterliegen dann aber auch nicht den Einschränkungen des Art 11 Abs 2 B-VG“56. Zu prüfen ist in weiterer Folge, ob die nach § 7 Abs 6 von der KommAustria quartalsweise - auf Basis der Verordnung des Bundeskanzlers, mit der der „Gesamtfinanzierungsbetrag“ festgesetzt wurde (§ 7 Abs 5, zur Systematik vgl bei V. unten)57 - vorzuschreibenden Beiträge als Abgaben iSd F-VG angesehen werden könnten und insofern die §§ 3 und 7 F-VG als Kompetenzgrundlage der Finanzierungsregelung des VerwGesG 2006 in Betracht kommen. Wiederum finden sich Anhaltspunkte in der Rsp des VfGH, die mE zur Klärung der Frage herangezogen werden können. In einem Erk aus Februar 2002 qualifizierte der VfGH den Kunstförderungsbeitrag nach KunstförderungsbeitragsG 1981 als Bundesabgabe58 und führte in diesem Zusammenhang aus: „Für die Qualifizierung einer Geldleistung als Abgabe im finanzverfassungsrechtlichen Sinn [kommt es] in erster Linie darauf an, ob die Ertragshoheit, das heißt die primäre Verfügungsberechtigung über den Ertrag der Geldleistung, bei einer Gebietskörperschaft liegt. Die primäre Verfügungsberechtigung kann auch in Form einer (vom Träger der Ertragshoheit vorgenommenen) generellen Vorausverfügung, insbesondere einer gesetzlichen Zweckbindung, zum Ausdruck kommen. Die die weitere Mittelverwendung regelnden Vorschriften sind nicht mehr entscheidend. Zumindest in Grenzfällen kann für die Qualifizierung als Abgabe auch eine entsprechende, explizite Einordnung durch den Gesetzgeber, somit die erschließbare Absicht des Gesetzgebers, eine Abgabe regeln zu wollen, maßgebend sein“59. Die Sachverhaltskonstellation in VfSlg 16.454/2002 kann auf § 7 VerwGesG 2006 insoweit übertragen werden, als einerseits der Bundeskanzler die Höhe der Gesamtfinanzierung festzusetzen hat und andererseits eine ihm nachgeordnete Dienststelle (KommAustria) die Festsetzung und Vorschreibung der einzelnen Finanzierungsbeiträge vornehmen soll. Dieser nachgeordneten Dienststelle würden schließlich auch die Erträge aus den vorgeschriebenen Finanzierungsbeiträgen zufließen, womit sie den ihr aus der Aufgabenerfüllung als Aufsichtsbehörde für VerwGes entstehenden Personal- und Sachaufwand decken soll. Insofern steht außer Zweifel, dass die primäre Verfügungsberechtigung über den Ertrag aus den vorgeschriebenen Finanzierungsbeiträgen einer 56 57 58 59
Vgl VfGH 7.10.2004, G 3/04. IdS schon Schmidinger, Probleme 262. Vgl die VO BGBl II 2006/236. VfSlg 16.454/2002. StRsp des GH, vgl schon VfSlg 3670/1960, 3961/1961, 12.843/1991, 10.451/1985, 15.174/1998.
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Gebietskörperschaft - dem Bund - zukommt. Daraus kann wiederum mE, dem oben zitierten Erkenntnis folgend, geschlossen werden, dass es sich bei den Finanzierungsbeiträgen nach § 7 VerwGesG 2006 um Abgaben iS des F-VG handelt und somit die §§ 3 bzw 7 leg cit als Kompetenzgrundlage für die Finanzierungsregelung herangezogen werden können60. Nur am Rand sei erwähnt, dass der VfGH im bereits angesprochenen Erk zur Finanzierungsregelung des KOG zu einer anderen Lösung gelangt ist, die mE auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden kann. Die Finanzierungsregelung nach § 10 KOG stützt sich nach Ansicht des GH auf die Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG („Post- und Fernmeldewesen“). Ausschlaggebend dafür war, dass die Erträge in diesem Bereich primär der RTR GmbH und somit - anders als im vorliegenden Fall - keiner Gebietskörperschaft zufließen, weshalb eine Qualifikation als Abgabe iSd F-VG verneint wurde. Das hat mE zur Konsequenz, dass Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG als Kompetenzgrundlage für die Finanzierungsregelung des § 7 VerwGesG 2006 nicht herangezogen werden kann61.
D. Ziel des VerwGesG 2006 Sinn und Zweck dieses Gesetzes ist - vereinfacht dargestellt - die Erleichterung des Verkehrs mit Urheberrechten in Fällen massenhafter Nutzung62. So stellt bereits M. Walter 1970 fest, das VerwGesG 1936 bezwecke „die Schaffung eines Ausgleichs zwischen den Interessen der Inhaber urheberrechtlicher Ausschließlichkeitsrechte und denjenigen der ‚Verbraucher’“63. Weiters führt er an besagter Stelle aus, dass durch das Recht der VerwGes „ein Mechanismus geschaffen [wird], der die bestmögliche und Kosten sparendste Nutzung der verwalteten [Urheber-] Rechte sichert und die Veranstalter von der Notwendigkeit des Abschlusses unzähliger Einzelverträge entbindet“64. Insofern dient das VerwGesG 2006 der Erleichterung im Rechtsverkehr, eine VerwGes dient als Schaltstelle zwischen Rechteinhaber und Nutzer65.
E. Zu Begriff und Aufgaben der VerwGes 1. Der Begriff „Verwertungsgesellschaft“ § 1 iVm § 3 Abs 1 Satz 1 VerwGesG 200666 definiert VerwGes als nicht auf Gewinn betriebene Unternehmen, die darauf gerichtet sind, in gesammelter Form - dh kollektiv 1. Rechte an Werken und verwandte Schutzrechte im Sinn des UrhG dadurch nutzbar zu machen, dass den Benutzern die zur Nutzung erforderlichen Bewilligungen gegen Entgelt erteilt werden, oder 60 61 62 63 64 65 66
IdS Schmidinger, Probleme 263. IdS auch Schmidinger, Probleme 263; aA offensichtlich die EBRV 1069 BlgNR 22. GP 4. So schon die EB zur Stammfassung des VerwGesG 1936 (vgl FN 45, 609 f); vgl weiters Dillenz, ZfRV 1990, 175 oder Handig, ÖBl 2006/13. M. Walter, JBl 1970, 606. IdS auch die EB zur Stammfassung des VerwGesG 1936 (vgl FN 45, 609 f). Vgl auch Dillenz/Gutman, Urheberrecht2 412. Vgl Dillenz/Gutmann, Urheberrecht2 412; vgl ferner Schmidinger, Probleme 9. Sofern in weiterer Folge nicht anders angegeben, bezieht sich die Nennung eines § ausdrücklich auf das VerwGesG 2006.
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2. andere Ansprüche nach dem UrhG geltend zu machen. Das schließt bereits begrifflich aus, dass darüber hinaus auch natürliche Personen unter den Begriff der VerwGes subsumiert werden könnten67.
Bei der Auslegung dieses Begriffes ist nach hA68 dem Unternehmensbegriff des Zivilrechts zu folgen. Darunter versteht Schmidinger an besagter Stelle eine Organisation, die den Zweck verfolgt, auf dem Markt wirtschaftlich werthafte Leistungen gegen Entgelt anzubieten69. Insofern fallen grob auch Verlage oder Rechtsanwaltskanzleien unter den Begriff der VerwGes70. Dass aus Sicht des VerwGesG 2006 (§ 3) unter dem Begriff des „Unternehmens“ nicht jede beliebige Rechtsform einer juristischen Person verstanden werden darf, sei an dieser Stelle kurz erwähnt; erfasst werden ab 1.7.2006 bloß VerwGes, die als Genossenschaften oder Kapitalgesellschaften - im Wesentlichen AG oder GmbH - konstituiert sind71. Näheres dazu unter IV.D.1.
Nach der UrhGNov 1980 handelte es sich bei VerwGes um Unternehmen, die Ansprüche auf Leerkassettenvergütung (§§ 42b, 69, 74 und 76 UrhG) bzw die in gesammelter Form Rechte an Werken und verwandte Schutzrechte iSd UrhG dadurch nutzbar machten, dass den Benutzern die zu ihrer Nutzung erforderlichen Bewilligungen gegen Entgelt erteilt wurden, oder in gesammelter Form andere Ansprüche nach dem UrhG als die Leerkassettenvergütung (§§ 42b, 69, 74 und 76 UrhG) wahrnahmen72. Das VerwGesG 2006 ist dieser Definition somit bis zu einem gewissen Grad gefolgt73. Unter einer VerwGes ist somit zusammengefasst jede organisierte betriebliche Wahrnehmung (Genossenschaft/Kapitalgesellschaft) zu verstehen, die sich im eigenen oder fremden Namen (in gesammelter und organisierter Form) - nicht auf Gewinn gerichtet - mit der wirtschaftlichen Nutzbarmachung bestimmter Urheberrechte mehrerer Personen (siehe dazu noch unten III.E.4.) beschäftigt74 (idS auch VwSlg 14.327 A/1995).
2. Überblick über die Aufgaben der VerwGes Aus den §§ 1, 12 14 und 17 ergeben sich die wesentlichen Aufgaben einer VerwGes: sie fungiert als wirtschaftlich bedeutendes75 Bindeglied zwischen Urhebern auf der einen und Nutzern auf der anderen Seite; sie ist insofern als „Clearingstelle“ dazwischen geschaltet, da sie - stellvertretend für Dritte
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IdS schon die EB zum VerwGesG 1936 (FN 45, 616). Vgl etwa M. Walter, JBl 1970, 605; Buchner, ÖBl 1981, 59; Schmidinger, Probleme 14. Schmidinger, Probleme 14 unter Verweis auf Krejci, Handelsrecht (1995) 80. IdS M. Walter, JBl 1970, 605. Vgl etwa Handig, ÖBl 2006/13. Nicht übersehen wird, dass nach dem Regime des VerwGesG 1936 auch andere Rechtsformen erfasst wurden wie etwa Vereine. Diesen kommt jedoch pro futuro keine weitergehende Bedeutung mehr zu (vgl § 42 Abs 3 VerwGesG 2006). Vgl dazu Art II Abs 1 und Abs 1a UrhGNov 1980; vgl ferner Schmidinger, Probleme 14. IdS EBRV 1069 BlgNR 22. GP 5. IdS Schmidinger, Probleme 14; M. Walter, JBl 1970, 601. Dazu jüngst Abele, MR 2005, 177; Schmidinger, Probleme 7 f.
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(„treuhändisch“76) und somit nicht auf Gewinn gerichtet - Rechte in deren Interessen, aber im eigenen Namen wahrnimmt, verwaltet und verwertet77. Die soeben umschriebene Funktion einer VerwGes kann insofern unterteilt werden78: • In eine Vermittlungsfunktion: Eine VerwGes vermittelt zunächst hinsichtlich jener Rechte und Ansprüche, die ihnen von Bezugsberechtigten durch Wahrnehmungsvertrag (§ 11) eingeräumt worden sind79, Lizenzen an interessierte Nutzer („Verwerter“) (§§ 12 Abs 1, 17 Abs 1), wie etwa Veranstalter, Hörfunk- und Fernsehsender, CD- und Videoproduzenten, Gastwirte und dgl; die VerwGes hat den Lizenzerwerb möglichst zu erleichtern. VerwGes trifft nach § 11 Abs 1 ein gesetzlicher („bedingter“) Kontrahierungszwang80: sie müssen mit Rechteinhabern auf deren Verlangen zu angemessenen, einheitlichen und transparenten Vertragsbedingungen (§ 12 Abs 2, 16) einen Vertrag über die Wahrnehmung der zu ihrem Tätigkeitsbereich gehörenden Rechte und Ansprüche schließen (Wahrnehmungsverträge); die ihnen übertragene Rechte haben VerwGes auszuüben (§ 12 Abs 1). Natürliche und / oder juristische Personen, die mit einer VerwGes einen in Rede stehenden Vertrag geschlossen haben, werden im VerwGesG 2006 als Bezugsberechtigte einer VerwGes bezeichnet. Durch diesen Vertrag werden einerseits festgelegte Verwertungsrechte an die VerwGes übertragen und andererseits deren Verpflichtung statuiert, Tantiemen einzuheben und an die Berechtigten weiterzuleiten. § 11 dürfte nunmehr gemeinschafts- und verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, da österreichische Staatsangehörige, Drittstaatsangehörige mit Hauptwohnsitz im Inland und EWR-Bürger als Bezugsberechtigte gleichgestellt werden81.
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Die soeben umschriebene Vermittlungsfunktion hat noch zwei andere Facetten: Da im Urheberrecht nach wie vor das „Territorialitätsprinzip“ gilt82, endet der durch das nationale Urheberrecht gewährte Schutz grund-
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IdS schon VwSlg 14.327 A/1995; vgl dazu Dittrich, ecolex 1994, 103. Freilich darf nicht übersehen werden, dass Urheber grundsätzlich VerwGes nicht „beitreten“ müssen, sie können ihre Rechte insofern auch selbst verwerten (OGH 25.4.2004, 4 Ob 107/04w; OGH 11.1.1972, 4 Ob 371/71). So ist auch die bereits erwähnte Richtlinie 92/100/EWG zum Vermietrecht und Verleihrecht vom Grundsatz geprägt, dass Urhebern und ausübenden Künstlern (auf nationaler Ebene) die Möglichkeit eingeräumt wird, die Wahrnehmung ihrer unverzichtbaren Rechte auf eine angemessene Vergütung für die Vermietung auf VerwGes zu übertragen, die sie vertreten. IdS Dillenz/Gutmann, Urheberrecht2 412; Schmidinger, Probleme 13. Der insb im Kapitalmarktrecht geläufige Begriff Clearing meint die zentrale Verrechnung von gegenseitigen Verbindlichkeiten. IdS schon Popp, Verwertungsgesellschaften 4, 15; ausführlich Schmidinger, Probleme 9, 33 ff. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Übertragung von Rechten an eine VerwGes zum Zweck der gesammelten Wahrnehmung ex lege unwirksam ist, soweit sie über die Grenzen der erteilten Betriebsgenehmigung des Unternehmens hinausgeht (§ 5 Abs 3). IdS EBRV 1069 BlgNR 22. GP 4, 9. Vgl demgegenüber die Differenzierung zwischen VerwGesG 1936 (§ 3 Abs 2, Gleichstellung) und Art II Abs 5 UrhGNov 1980 (Differenzierung) und die berechtigte Kritik von Dillenz/Gutman, Urheberrecht2 418; krit auch die Stellungnahme des BKA-VD zu § 11 idF 261/ME 22. GP (BKA-601.483/0001-V/A/5/2005, 19.4.2005), der an Art II Abs 5 UrhGNov 1980 angelehnt war. Vgl Erwägungsgrund 8 der Emfpehlung der Kommission (FN 34); idS auch Art 5 Abs 2 des Berner Übereinkommens (zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst vom 9.9.1986), wonach auf die Wahrnehmung der Urheberrechte das Recht
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sätzlich an der Staatsgrenze83. Um die Verwertung der zur „Verwaltung“ übernommenen Rechte und Ansprüche auch im Ausland sicherzustellen, sind VerwGes darüber hinaus (grundsätzlich84) zum Abschluss von sog „Gegenseitigkeitsverträgen“ mit ausländischen VerwGes verpflichtet (§ 12 Abs 2)85. Diese Verträge unterliegen - wie auch das gesamte Urheberverwertungsgesellschaftenrecht - der Wettbewerbsaufsicht der Gemeinschaftsorgane nach den Art 81 ff EGV86. Dabei bevollmächtigen sich zwei VerwGes gegenseitig zur Wahrnehmung des „Repertoires“ der anderen Gesellschaft in ihrem Heimatstaat. So hebt die VerwGes die Tantiemen für das Repertoire der ausländischen VerwGes im Inland ein und überweist sie ins Ausland und umgekehrt.
•
Um die Verwertung der ihnen übertragenen Rechte zu erleichtern87, sollen VerwGes in Entsprechung der §§ 20 f „tunlichst“ Gesamtverträge88 mit den fachlich berufenen öffentlich-rechtlichen Berufsorganisationen - die für ihren Tätigkeitsbereich jeweils ein Monopol zur Schließung von Gesamtverträgen haben89 - bzw mit gesamtvertragsfähigen Veranstalterorganisationen schließen. Die Gesamtvertragspartner der VerwGes sind dabei auf Seiten der öffentlich-rechtlichen Berufsorganisationen die jeweiligen Fachverbände der Wirtschaftskammer und auf Seiten der privaten Veranstalterorganisationen der Veranstalterverband, dem derzeit als einziger privater Nutzerorganisation die Gesamtvertragsfähigkeit erteilt wurde (§ 21 Abs 1 Z 1, Z 2), als Interessenvertreter90. Auf Antrag des Österreichischen Städte- oder des Österreichischen Gemeindebundes kann auch diesen Organisationen zukünftig Gesamtvertragsfähigkeit zuerkannt werden (§ 21 Abs 4).
Diese Gesamtverträge regeln den (Mindest-)Inhalt jener Übereinkünfte, durch die eine VerwGes den einzelnen Nutzern die erforderlichen Werknutzungsbewilligungen erteilt. Somit finden sich in Gesamtverträgen insbesondere Bestimmungen über die Höhe sowie über die Art der Berechnung und Entrichtung des Entgelts (§ 23 Abs 2). Darüber hinaus können aber auch Regelungen über die gütliche Streitbeilegung vorgesehen werden (§ 23 Abs 3)91. § 25 Abs 1 statuiert in diesem Zusammenhang den Grundsatz, dass
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des Verwertungsortes anwendbar ist. IdS auch EuGH 18.3.1980, Rs 62/79, Coditel gegen Ciné-Vog Films, Slg 881/80. Vgl Popp, Verwertungsgesellschaften 20; Schmidinger, Probleme 41. Arg aus § 12 Abs 2: „in möglichst weitgehendem Maße“. Wie Schmidinger in diesem Zusammenhang (Probleme, 45) zutreffend festhält, ist Grundvoraussetzung dafür, dass eine VerwGes die ihr eingeräumten Rechte auch international wahrnehmen kann, dass der Rechteinhaber ihr nicht nur die inländischen Wahrnehmungsrechte eingeräumt hat. Vgl etwa die E der Kommission vom 8.10.2002, Sache COMP/C2/38.014 - IFPI „Simulcasting“, Abl L 107/58 (30.4.2003) mN; EuGH 6.10.1982, Rs 262/81, Coditel II, Slg 3381/82; EuGH, 20.10.1993, Rs C-92/92 und C-326/92, Phil Collins, Slg I-5145/93; siehe ferner Dillenz, ZfRV 1990, 164 ff; Würfel, Möglichkeiten 119 ff mwN. IdS die EB zu § 6 VerwGes 1936 (vgl FN 45, 619). Siehe dazu aus verfassungsrechtlicher Perspektive Öhlinger, RfR 1998, 25. EBRV 1069 BlgNR 22. GP 12. Vgl dazu Schmidinger, Probleme 35 f, 121 ff. Die Wirkung eines derartigen Gesamtvertrags kann dabei mit der eines Kollektivvertrags im Arbeitsrecht verglichen werden, da die Bestimmungen der Gesamtverträge
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Gesamtverträge nur auf unbestimmte Zeit abgeschlossen werden können. Dadurch soll vor allem im Interesse der Nutzer - sichergestellt werden, dass nach dem Abschluss eines Gesamtvertrags ohne Zustimmung beider Parteien kein gesamtvertragsloser Zustand mehr eintreten kann92. Dem Gesamtvertrag kommt ab dem Tag des Inkrafttretens (§ 24 Abs 4) normative Wirkung zu (§ 22), er ist schriftlich abzufassen (§ 23 Abs 1) und von der VerwGes zu veröffentlichen (§ 24 Abs 1 und Abs 2).
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In eine Inkasso- und Verteilungsfunktion93: die durch die Verwertung der Rechte erzielten Erlöse hat die VerwGes in weiterer Folge an die Urheber (Rechteinhaber) nach festen (transparenten und verhältnismäßigen) Regeln weiterzuleiten (§ 14 Abs 1, Abs 2), die in geeigneter Form - etwa auf einer leicht zugänglichen Webpage - zu veröffentlichen sind (§ 16). • In eine Kontrollfunktion: um ihre Aufgaben iSd Gesetzes erfüllen zu können, sind VerwGes wohl auch dazu verpflichtet, den „relevanten Markt“, mithin das Staatsgebiet dahingehend zu überwachen, ob es zu Urheberrechtsverletzungen kommt94: VerwGes sind ex lege angehalten, eine Organisationsstruktur zu schaffen, die einerseits durch flächendeckende und kostengünstige Kontrolle verhindert, dass Unberechtigte die Rechte der Urheber bzw Leistungsschutzberechtigten verwerten bzw diese zur Zahlung anhält und die andererseits dem Verwerter ermöglicht, die gewünschten Rechte zu erhalten (vgl § 12 Abs 1)95. § 12 Abs 1 2. Satz statuiert die Pflicht der VerwGes, ihre Aufgaben (insb bei Rechtewahrnehmung) möglichst effizient (etwa Kosten sparend) zu erfüllen; sie haben darüber hinaus darauf zu achten, „dass zwischen dem Aufwand für eine lückenlose Erfassung anspruchsbegründender Sachverhalte, der Durchsetzung dieser Ansprüche und einer möglichst hohen Verteilungsgenauigkeit einerseits und dem daraus erzielten Nutzen andererseits ein angemessenes Verhältnis besteht“. Darüber hinaus kommt VerwGes eine nicht unbedeutende Sozialfunktion zu: IdS sieht § 13 - in wesentlicher Übereinstimmung mit Art II Abs 6 UrhGNov 1980 - die nicht näher im Gesetz determinierte Möglichkeit vor, dass VerwGes Teile ihrer Einnahme nicht als Tantieme verteilen, sondern damit - nach festen transparenten Regeln (§ 16) - sozialen und kulturellen Zwecken dienende Einrichtungen unterstützen. Gemeint ist etwa - vereinfacht dargestellt - die Förderung junger Künstler (Stipendien) oder die Unterstützung einzelner Personen in materieller Not96.
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ex lege auch zum Inhalt der Einzelverträge werden, mit denen die Werknutzungsbewilligungen an die Nutzer erteilt werden. Die konkrete Einräumung der Rechte, beispielsweise an einen Gastwirt, erfolgt somit nicht durch den Gesamtvertrag, sondern durch einen Einzelvertrag mit der zuständigen VerwGes, dessen Inhalt allerdings durch den Gesamtvertrag inhaltlich determiniert wird (vgl § 22; idS schon [zur alten Rechtslage nach § 7 f VerwGesG 1936] Schmidinger, Probleme 35 f; Dillenz/ Gutman, Urheberrecht2 423 ff). EBRV 1069 BlgNR 22. GP 12. Siehe dazu ausführlich Johann Juranek, ÖBl 1971, 75 f. IdS schon Popp, Verwertungsgesellschaften 4; Schmidinger, Probleme 9. Vgl etwa Senger, Wahrnehmung 44 f. Vgl ausführlich Dillenz/Gutman, Urheberrecht2 443 f.
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3. Exkurs: Grenzüberschreitende Lizenzierung VerwGes können grds nur für ihr eigenes Gebiet Lizenzen erteilen, was die Lizenzerteilung und Wahrnehmung für grenzüberschreitende Services (zB Internetsendung, Nutzung von geschützten Musikstücken über das WWW) nahezu unmöglich machen würde. Aus diesem Grund haben fünf VerwGes der größten Musikmärkte (USA, Niederlande, GB, Frankreich, Deutschland) im April 2001 das sog „Santiago Agreement“ unterzeichnet, in dem die territoriale Zuständigkeit der VerwGes zur weltweiten Rechtevergabe (zB an Internetsendungen) geregelt ist97. Für die Lizenzerteilung örtlich zuständig ist demnach (vereinfacht dargestellt) die VerwGes, in dem der „Content Provider“ - mithin jene natürliche oder juristische Person, die bestimmte Inhalte zur Nutzung im WWW (zB zum Download) bereithält - seinen Sitz (Hauptverwaltung, Tätigkeit der Mehrzahl der Angestellten) hat. Diese VerwGes lizenziert nach ihrem eigenen nationalen Tarif und überweist den ausländischen „Schwesterngesellschaften“ die auf sie entfallenden „Repertoireanteile“98. Ähnliches ist für die Wahrnehmung der mechanischen Rechte im sog „Barcelona Agreement“99 geregelt. Bei sog „On-Demand-Dienstleistungen“100 ist der Tarif anzuwenden, der in dem Land gilt, in dem der Endnutzer zB das Musikstück herunterlädt oder per Streaming anhört. Bemerkenswert ist darüber hinaus das sog „IFPI Simulcasting Agreement“101, wo mehrere VerwGes der Tonträgerhersteller eine europaweite Lizenzierung ohne Gebietsschutz eingeführt haben. TV- und Radiosender können danach von einer beliebigen im EWR ansässigen VerwGes eine Lizenz für die zeitgleiche Verbreitung ihrer Musiksendungen im Internet erwirken. Es steht ihnen somit frei, sich in Bezug auf die Lizenzerteilung an die effizienteste VerwGes in Europa zu wenden (sic!).
4. Überblick über die wesentlichen von den VerwGes wahrzunehmenden Rechte Mit der Einführung des VerwGesG 2006 ist die - durch den Dualismus zwischen UrhGNov 1980 iVm UrhG und VerwGesG 1936 bedingte - Unterscheidung zwischen „kleinen“ und „großen Rechten“ grundsätzlich hinfällig102. 97
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„Santiago Agreement“ der VerwGes zur Online-Lizenzierung von Musikrechten (Mitteilung der Kommission gemäß Art 27 Abs 4 der VO [EG] 2003/1 - BUMA, SABAM, Abl C 145/2 [17.5.2001]; vgl MR-Int 2005/2, 77). Dazu ausführlich Schödl, Zukunft der Online-Musik (2003) 25 f. Abl C 132/18 (4.6.2002). Gemeint sind Services, etwa im WWW, die es Teilnehmern ermöglichen, zu jeder beliebigen Zeit aus einer Auswahl von bestimmten Videos oder Sendungen einen spezifischen Inhalt abzurufen und abzuspielen. Vgl die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 8.10.2002, IP/02/1436 (vgl auch die bereits zitierte Kommissionsentscheidung [FN 86], die dieser Pressmitteilung zugrunde lag). Vgl EBRV 1069 BlgNR 22. GP 5; Schmidinger, Probleme 200 (die bestehenden Fälle konnten bereits vor dem Inkrafttreten des VerwGesG 2006 allesamt unter den Auffangtatbestand des Art II Abs 1a UrhGNov 1980 subsumiert werden). Zur Unterscheidung zwischen „kleinen“ und „großen Rechten“ vgl bereits oben III.A. bzw weiterführend Dittrich, ÖBl 1971, 1; Johannes Juranek, MR 2001, 377; Schmidinger, Probleme 15 f.
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Trotz allem sollen die wesentlichen von VerwGes wahrzunehmenden Urheberrechte überblicksmäßig dargestellt werden, um die Verständlichkeit des Beitrages zu erhöhen103: • Senderechte an Sprachwerken: Dabei handelt es sich um das Recht, Sprachwerke durch Rundfunk oder auf ähnliche Art zu senden bzw der Öffentlichkeit im Inland mit Hilfe von Leitungen wahrnehmbar zu machen (vgl § 17 Abs 1 und Abs 2 UrhG); • Vortrags- und Aufführungsrechte an Sprachwerken, wie beispielsweise die bühnenmäßige Darbietung eines Theaterstücks104 (§ 18); • Rechte der konzertmäßigen Aufführung von Werken der Tonkunst105 wie etwa Liveaufführungen oder Rundfunksendungen; • Senderechte an Werken der Tonkunst: Dabei handelt es sich um das Recht, Werke der Tonkunst durch Rundfunk oder auf ähnliche Art zu senden bzw der Öffentlichkeit im Inland mit Hilfe von Leitungen wahrnehmbar zu machen (vgl dazu § 17 Abs 1 und Abs 2 UrhG); • Die Vergütung für die öffentliche Wiedergabe von Werken der Filmkunst und damit verbundener Werke der Tonkunst im Unterricht (§ 56c UrhG); • Die Vergütung für die öffentliche Wiedergabe von Werken der Filmkunst in Beherbergungsbetrieben (§ 56d UrhG); • Der Anspruch auf Leerkassettenvergütung (§§ 42b, 69, 74 und 76 UrhG); • Die Bibliothekstantieme (§ 16a Abs 2 UrhG); • Die Vergütung für die Benutzung von Bild- und Schallträgern in Bibliotheken (§ 56b UrhG); • Die Reprographievergütung (§ 42b Abs 2 UrhG)106; • Die Vergütung für die freie Werknutzung zu Gunsten von Werkausgaben für behinderte Personen (§ 42d Abs 2 UrhG); • Die Schulbuchvergütung: Darunter versteht man eine Vergütung, die dem Urheber bzw Leistungsschutzberechtigten dafür gebührt, dass ein Werk der Literatur (§ 45 Abs 1 UrhG), der Tonkunst (§ 51 Abs 1 UrhG), der bildenden Kunst (§ 54 Abs 1 Z 3 UrhG) oder ein Lichtbildwerk (§ 76 Abs 7 UrhG) zum Schulgebrauch in einem durch den Zweck gerechtfertigten Umfang vervielfältigt, verbreitet und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden darf107; • Die Schulfunkvergütung (§ 45 Abs 2 UrhG); • Die Vergütung für Rundfunksendungen mit Schallträgern (§ 76 Abs 3 UrhG); 103 104 105
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Vgl dazu ausführlich Schmidinger, Probleme 15 ff. Die Einschränkung nach § 1 Abs 1 VerwGesG 1936 auf Vortragsrechte ist mE mittlerweile gegenstandslos. Vgl dazu Schmidinger, Probleme 16. Der Begriff „Tonkunst“ ist gesetzlich nicht definiert (vgl Schmidinger, Probleme 16 mit Verweis auf Kucsko, Geistiges Eigentum [2003] 1116). Dabei ist entscheidend, ob der Eindruck, der auf das Gehör in den beteiligten Verkehrskreisen erweckt wird, wenn auch nicht einhellig, als Kunst anzusehen ist. Reprografie bedeutet das Erstellen von Vorlagen für Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse (zB Bücher, Prospekte, Plakate). Vgl Schmidinger, Probleme 22.
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Der Vergütungsanspruch für die öffentliche Wiedergabe mit Schallträgern (§ 76 Abs 3 UrhG); Die Nutzbarmachung sonstiger („verwandter“) Rechte nach UrhG in gesammelter Form durch die entgeltliche Erteilung von Werknutzungsbewilligungen: anders als bei den bisher genannten Rechten wird hier nicht auf die Wahrnehmung bestimmter gesetzlicher Urheber- bzw Leistungsschutzrechte abgestellt, sondern es werden generell (sonstige) Rechte und Ansprüche iSd UrhG umfasst. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Wahrnehmung der Rechte in gesammelter Form und die Nutzbarmachung durch die Erteilung von Werknutzungsbewilligungen erfolgt108.
5. Überblick über die bisher staatlich genehmigten VerwGes In Österreich bestehen derzeit 12 staatlich genehmigte (inländische) VerwGes109: • Die staatlich genehmigte Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger (AKM), eine Genossenschaft, insbesondere für die (kleinen) Aufführungs- und Senderechte an Werken der Musik und den mit ihr verbundenen Texten; • Die staatlich genehmigte Literarische Verwertungsgesellschaft (LVG), eine Genossenschaft, insbesondere für die (kleinen) Vortrags- und Senderechte an Sprachwerken, soweit es sich nicht um mit Musik verbundene Texte handelt; • Die Austro-Mechana (GmbH), insbesondere für die Verwertung und Auswertung mechanisch-musikalischer Urheberrechte; • Die Literar-Mechana (GmbH), insbesondere für die mechanischen Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte an Sprachwerken; • Die Verwertungsgesellschaft bildender Künstler (VBK); • Die LSG - Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten GmbH; • Die Oesterreichische Interpretengesellschaft (OESTIG); • Die Verwertungsgesellschaft Rundfunk (VGR); • Die Verwertungsgesellschaft für audiovisuelle Medien (VAM); • Die Verwertungsgesellschaft für Bild und Ton (VBT); • Die Musikedition-Gesellschaft zur Wahrnehmung von Rechten und Ansprüchen aus Musikeditionen reg GenmbH; • Die VDFS - Verwertungsgesellschaft Dachverband der Filmschaffenden Österreichs reg GenmbH. § 3 Abs 3 geht in diesem Zusammenhang vom Prinzip aus, dass die Anzahl der VerwGes tunlichst gering zu halten ist110; dadurch soll sowohl der Abschluss von Gesamtverträgen als auch der Rechtserwerb im Einzelfall erleichtert werden, wenn für eine bestimmte Nutzung oder für einen bestimmten Vergütungs108 109
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IdS Schmidinger, Probleme 19. Siehe die Übersicht in MR 2004/2-Beilage, 5; dazu ausführlich Schmidinger, Probleme 43 ff. Betriebsgenehmigungen, die auf Basis des VerwGesG 1936 bzw Art II UrhG-Nov 1980 erlassen wurden, gelten auf Basis des § 42 Abs 1 Z 1 VerwGesG 2006 weiter. EBRV 1069 BlgNR 22. GP 5. IdS auch Handig, ÖBl 2006/13.
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anspruch mehrere VerwGes zuständig sind111. In Verfolgung dieses Zieles sieht § 6 eine Regelung vor, die den in den nächsten Jahren zu erwartenden Zusammenschluss bestehender VerwGes möglichst begünstigen soll112 (Näheres noch unter IV.E.4). Staatlich genehmigte VerwGes kommt hinsichtlich ihres Tätigkeitsbereichs eine - nunmehr auch gesetzlich (§ 3 Abs 2 erster Satz) ausdrücklich festgeschriebene113 und ein Wettbewerbsverhältnis ausschließende - Monopolstellung zu (idS VwGH 30.4.1992, 91/10/0195)114. So hat auch der EuGH in seiner (älteren) Rsp ausgesprochen, dass VerwGes eine marktbeherrschende Stellung zukommt115. Der sachliche und örtliche Umfang des Tätigkeitsbereichs einer VerwGes ergibt sich im Zweifel aus der Betriebsgenehmigung (die von den einzelnen Gesellschaften wahrzunehmenden Bereiche werden dabei nach bestimmten Kriterien wie beispielsweise der Person des Bezugsberechtigten oder nach bestimmten Verwertungsarten oder Werkkategorien abgesteckt116). Die einmal erteilte Betriebsgenehmigung steht einer überschneidenden Betriebsgenehmigung entgegen (VwGH 27.11.1995, 95/10/0048; VwSlg 14.327 A/1995). In Zweifelsfällen hat die Aufsichtsbehörde einen „klärenden Feststellungsbescheid“ zu erlassen (§ 5 Abs 1). Insofern räumt § 3 Abs 2 der aus einer Betriebsgenehmigung berechtigten VerwGes das subjektive öffentliche Recht ein, dass bei aufrechtem Bestand der Betriebsgenehmigung niemand anderem eine ein Wettbewerbsverhältnis begründende Betriebsgenehmigung erteilt wird (VwGH 27.11.1995, 95/10/0048). Die gängige verwertungsgesellschaftsrechtliche Literatur rechtfertigt den Monopolgrundsatz des VerwGesG 1936 - gleiches gilt wohl auch für das NachfolgeG - mit bestimmten wirtschaftlichen Vorteilen wie etwa geringe Verwaltungskosten117, dem Bestehen klarer „Anlaufstellen“ für Nutzer und Rechteinhaber und dgl118. Der Wettbewerb zwischen VerwGes in einem identen Tätigkeitsbereich würde nach Ansicht Dittrichs dazu führen, dass typischerweise mehrere „Kontroll- und Einhebungsorganisationen“ aufgebaut und Kunden (iSv Rechteinhabern) akquiriert werden müssten, was die Verwaltungskosten verteuern würde; dazu kommt, dass Nutzer typischerweise die 111 112 113 114
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EBRV 1069 BlgNR 22. GP 5 f. Siehe dazu auch Dittrich, MR 2004/2-Beilage, 2; Deisenberger, MR 2004/2-Beilage 13 f. Vgl EBRV 1069 22. GP 5. IdS auch M. Walter, JBl 1970, 606; Dillenz/Gutman, Urheberrecht2 414; Schmidinger, Probleme 43. Vgl ferner die EB zum VerwGesG 1936 (FN 45, 612, 614) sowie Handig, ÖBl 2006/13. Vgl zB EuGH 21.3.1974, Rs 127/73, BRT/SV SABAM, Slg 313/74. Vgl Schmidinger, Probleme 43; Senger, Urheberrechte 54. Eine Ansicht, die der EuGH offensichtlich nicht jedenfalls zu teilen vermag. Seiner Auffassung nach ist nicht auszuschließen, dass der fehlende Wettbewerb auf diesem Markt für hohe Verwaltungskosten und Nutzungsgebühren verantwortlich zeichnet (EuGH 13.7.1989, Rs 395/97, Ministère Public gegen Tournier, Slg 2521/89). Vgl zB Dittrich, MR 2004/2-Beilage, 2; M. Walter, JBl 1970, 605 FN 57, 606; idS auch die EB zum VerwGesG 1936 (FN 45, 612 f). S jüngst auch Riesenhuber, Verwertungsgesellschaftengesetz 22 f.
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Nutzungsbewilligung von mehreren VerwGes erwerben müssten119. Auch im internationalen Vergleich hat sich die Monopolstellung der VerwGes offensichtlich bewährt120 und wird auch vom Europäischen Parlament in seiner bereits zitierten Entschließung vom Januar 2004121 als grundsätzlich nicht problematisch oder wettbewerbshemmend angesehen. Auch wenn diese Ansicht durchwegs überzeugt und die Forderungen, am bestehenden System festzuhalten, nachvollzogen werden können122, - es ist ja nicht gesichert, dass eine anders gelagerte gesetzliche Systematik zu einem marktbelebenden und qualitätsfördernden Wettbewerb führen würde -, darf im Licht der jüngsten (zuvor skizzierten) Reformbestrebungen der Gemeinschaft auf dem Sektor der kollektiven Urheberrechtswahrnehmung und wohl auch dem kürzlich beschlossenen IFPI Simulcasting Agreement (vgl oben III.E.3.) nicht übersehen werden, dass der Monopolgrundsatz des VerwGesG 2006 mit primärem Gemeinschaftsrecht in einem nicht unbeachtlichen Spannungsverhältnis steht123: Zu denken ist dabei insb an die unmittelbar anwendbare „Dienstleistungsfreiheit“ nach Art 49 EGV124, sofern folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
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Vorliegen einer immateriellen Dienstleistung iSd Art 49 und 50 EGV125, die von einer VerwGes selbständig (im eigenen Namen) gegen Entgelt erbracht wird (vgl § 1 Z 1), etwa Erteilung einer Lizenz. Die von VerwGes erbrachten Dienstleistungen und wahrzunehmenden Rechte fallen nach hA unter den Dienstleistungsbegriff des Art 49 iVm Art 50 EGV126; zu beachten gilt, dass es sich bei den hier interessierenden Dienstleistungen regelmäßig um sog Korrespondenzdienstleistungen handeln wird, bei denen - wie etwa im Fall eines „Online-Auftritts“ einer VerwGes
Dittrich aaO. Vgl statt aller Riesenhuber, wbl 2005, 257 mN; ders, Verwertungsgesellschaftengesetz 22. Vgl FN 31 Rn 14. Vgl etwa Graninger, MR 2004/2-Beilage, 7; Riesenhuber, wbl 2005, 257. Schon früh äußerte die Kommission in ihren grundlegenden „GEMAEntscheidungen“, die zu Beginn der Siebziger Jahren ergangen sind, Bedenken gegen die in Europa vorherrschenden Monopolstellung der VerwGes: Vgl „GEMA-I“ (2.6.1971 [GRUR Int 1973, 86]), ergänzt durch „GEMA-II“ vom 6.7.1972, Abl L 166/22 (24.7.1972), die in weiterer Folge bis in die Gegenwart mehrfach wiederholt und bekräftigt wurden (dazu ausführlich Würfel, Möglichkeiten 88 ff). IdS auch Dillenz/Gutman, Urheberrecht2 416, 417 (tlw auch bezogen auf die Vorgängerfassung des § 3 VerwGesG 1936, die ausländische Unternehmen generell vom österreichischen Markt ausschloss). Vgl zur Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im Allgemeinen und im Fall von innerstaatlichen Monopolen im Besonderen Eilmansberger ua, Materielles Europarecht (2005) 146 mN; Holoubek, Art 49 EGV Rz 56 ff, 87 ff, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar; B. Raschauer, Wirtschaftsrecht2 (2003) Rz 95 ff; Pache, Dienstleistungsfreiheit 328 ff, 336 ff, in: Ehlers (Hrsg), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten2 (2005). S ferner Budischowsky, Art 49/50 Rz 23 ff, in: Mayer (Hrsg), EU- und EG-Vertrag. S dazu Budischowsky, Art 49/50 Rz 6 ff, in: Mayer (Hrsg), EU- und EG-Vertrag; Holoubek, Art 50 Rz 5 ff, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar; B. Raschauer, Wirtschaftsrecht2 Rz 93. Siehe zB Bieber/Epiney/Haag, Europäische Union6 (2004) § 15 Rz 23; Würfel, Möglichkeiten 112.
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N. Raschauer - nur die Leistung, nicht aber auch Dienstleister oder Dienstleistungsempfänger die Grenze überschreiten. Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts127: Gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung und „Online-Nutzung“ - etwa von Musik - kann davon ausgegangen werden, dass auch ausländische Unternehmen ein wirtschaftliches Interesse haben könnten, ihre Dienstleistungen auf österreichischem Staatsgebiet anzubieten bzw vice versa österreichische Rechteinhaber und Nutzer am „Dienstleistungsangebot“ eines ausländischen Unternehmens Interesse bekunden könnten (man denke etwa an die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Radio- oder Fernsehsendung). Das Merkmal der zeitlichen Beschränkung (Art 50 Abs 3 EGV) spielt bei den hier interessierenden Korrespondenzdienstleistungen keine Rolle128
Zu betonen ist, dass der Monopolgrundsatz den freien Wettbewerb gänzlich ausschaltet, der fehlende Wettbewerb zwischen den Gesellschaften das Entstehen eines gemeinsamen Marktes für grenzübergreifende Angebote behindert und die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein interessierter Nutzer an eine andere in Österreich tätige129 - ausländische Gesellschaft wendet, als an jene innerstaatliche, bei der er eine Lizenz derzeit tatsächlich beantragen kann, de facto nicht gegeben ist130. Ob der nach wie vor geltende Monopolgrundsatz (§ 3 Abs 2) und damit die Beschränkung des freien Wettbewerbs im Binnenmarkt durch zwingende Allgemeininteressen, wie etwa das Interesse des Staates an einer geordneten kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten oder das Erfordernis einer wirksamen staatlichen Aufsicht, im Licht der Art 46 und 55 EGV (noch) gerechtfertigt ist, ist mE zumindest in Zweifel zu ziehen131, da bloße aus einem bestehenden Dienstleistungsmonopol nach Art des österreichischen VerwGesG 2006 resultierende wirtschaftliche Vorteile nicht zu den
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Vgl dazu Holoubek, Art 49 EGV Rz 45 f, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar; Pache, Dienstleistungsfreiheit 324 f, in: Ehlers (Hrsg), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten2. S ferner Budischowsky, Art 49/50 Rz 23 ff, in: Mayer (Hrsg), EU- und EG-Vertrag. IdS Budischowsky, Art 49/50 Rz 13, in: Mayer (Hrsg), EU- und EG-Vertrag; Holoubek, Art 49 Rz 55, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar Das im Urheberrecht geltende Territorialitätsprinzip hat der EuGH schon vor längerem als grundsätzlich mit EG-Primärrecht vereinbar angesehen (vgl bereits die in FN 82 zit E „Cine Vog“). Vgl in diesem Zusammenhang auch die die hier vertretene Ansicht bestätigenden Schlussfolgerungen der bereits zitierten Kommissionsentscheidung IFPI „Simulcasting“ (FN 86). IdS ist wohl auch das jüngste - gegen alle im EWR ansässigen VerwGes gerichtete - Vorgehen der Kommission nach Art 81 EGV zu deuten (vgl NZZ, 31.1.2006, 11). Dass die nationale Aufrechterhaltung derartiger Wettbewerbsschranken im Licht des Art 46 iVm 55 EGV bei Vorliegen grenzüberschreitender Sachverhaltskonstellationen, insb in Fällen von Dienstleistungsmonopolen - wie oben angedeutet - jedenfalls einer Rechtfertigung bedarf, sei hier bloß allgemein festgehalten. Vgl dazu ausführlich Holoubek, Art 49 EGV Rz 87, 94 ff, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar; B. Raschauer, Wirtschaftsrecht2 (2003) Rz 96; Budischowsky, Art 49/50 Rz 23 ff, 45, in: Mayer (Hrsg), EU- und EG-Vertrag. Vgl auch Art 16 Z 1 lit a bis c Dienstleistungsrichtlinien-Entwurf. Erinnert sei auch daran, dass die Tätigkeit der VerwGes nach Ansicht des EuGH nicht in die Kategorie der Dienstleistungen von „allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ fällt (siehe oben FN 38).
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Rechtfertigungsgründen (insb jener der öffentlichen Ordnung) zählen, die eine Beschränkung der Grundfreiheiten des EGV legitimieren132. Zur Verdeutlichung sei an dieser Stelle nochmals auf Art 16 Z 2 des bereits erwähnten Kommissionsentwurfs zu einer Dienstleistungsrichtlinie, der gewisse Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit wie (zusätzliche) Sitz- oder Genehmigungserfordernisse gänzlich untersagt. Festgehalten sei auch, dass der EuGH in seiner Rsp zum einen mehrfach betont hat, dass die Mitgliedstaaten gehalten seien, alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung der Grundfreiheiten sicherzustellen133 und zum anderen nationale Rechtsvorschriften nur jene Ausnahmen von den Grundfreiheiten vorsehen dürfen, soweit dies zur Erreichung der im EGV bezeichneten Ziele der Gemeinschaft gerechtfertigt ist und weiterhin gerechtfertigt bleibt134.
II. Staatliche Aufsicht über VerwGes nach VerwGesG 2006 A. Begriffsdefinition Die wirtschaftliche Tätigkeit einer VerwGes unterliegt in mehrfacher Hinsicht einer rechtlich enger oder weiter determinierten „Kontrolle“. Man denke im Zusammenhang mit Genossenschaften zunächst an die genossenschaftsrechtliche Gebarungsprüfung nach GenRevG 1997, bei AG an die „Mitwirkung“ der Aktionäre im Wege der Hauptversammlung (vgl zB § 103 AktG) oder in weiterer Folge an die Marktmissbrauchsaufsicht des zuständigen Kartellgerichts nach KartG. Wenn hier allerdings von „staatlicher Aufsicht“ gesprochen wird, ist darunter ausschließlich die öffentlich-rechtliche Staatsaufsicht iSd VerwGesG 2006 zu verstehen, die durch BVB135, KommAustria als „Aufsichtsbehörde über Verwertungsgesellschaften“ und bis zu einem gewissen Grad auch durch den (neu errichteten) UrhS ausgeübt wird (vgl zB §§ 28 ff). Nicht dargestellt werden soll darüber hinaus die gemeinschaftsrechtlich determinierte Wettbewerbsaufsicht durch die Organe der EG nach den Art 81 ff EGV. Der vorliegende Beitrag wird sich daher ausschließlich auf die wesentlichen Aufsichtsregelungen des VerwGesG 2006 konzentrieren.
B. Geltungsbereich des VerwGesG 2006 Das VerwGesG 2006 erfasst zum einen die bundesweite Tätigkeit sämtlicher bereits „konzessionierter“ inländischer VerwGes, die in der Rechtsform einer 132
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135
IdS etwa Bieber/Epiney/Haag, Europäische Union6 § 15 Rz 11 mit Verweis auf EuGH 26.4.1988, Rs 352/85, Bond van Adverteeders, Slg 2085/88; Holoubek, Art 49 Rz 94, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar; Pache, Dienstleistungsfreiheit 338, in: Ehlers (Hrsg), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten2; Budischowsky, Art 49/50 Rz 29, in: Mayer (Hrsg), EU- und EG-Vertrag. Vgl Budischowsky, Art 49/50 Rz 26 mwN, in: Mayer (Hrsg), EU- und EG-Vertrag; Leidenmühler, WBl 2000, 245. Vgl etwa EuGH 13.7.1995, Rs C-350/92, Königreich Spanien/Rat, Slg I-1985/95; ebenso EuGH 18.2.1992, Rs C-30/90, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg I829/92; idS auch Würfel, Möglichkeiten 133 f. Wobei der BVB bloß verwaltungspolizeiliche Agenden (§ 2 Abs 2), nicht jedoch auch die Vollziehung der Strafbestimmung des § 38 übertragen wurden.
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Genossenschaft oder Kapitalgesellschaft geführt werden (vgl oben III.E.5) und einen Sitz im Inland aufweisen (§ 2 Abs 1, 3 Abs 1)136. Zum anderen erfasst besagtes G ab 1.7.2006 auch die Tätigkeit (noch zu genehmigender) ausländischer VerwGes mit einer Zweigniederlassung in Österreich137.
C. Umfang der Staatsaufsicht nach VerwGesG 2006 Allgemeines Die Kontrolle über VerwGes beginnt - zeitlich betrachtet - mit der Betriebsgenehmigung (§ 2 Abs 1) und erstreckt sich in weiterer Folge auf die gesamte Geschäftstätigkeit, die durch das VerwGesG 2006 determiniert ist (§ 7 Abs 1) und reicht bis zum Zeitpunkt des Entzugs der Betriebsgenehmigung (§ 9 Abs 4, § 4 Abs 3) bzw dem Erlöschen der Bewilligung, etwa infolge einer Zusammenlegung138 (§ 6) oder im Fall der Zurücklegung einer bestehenden Genehmigung139. Für die Tätigkeit in dieser Zeitspanne werden den Unternehmen bestimmte ex lege zu erfüllende Verhaltensnormen (zB § 8 Abs 2) auferlegt, die die Aufsichtsbehörde laufend beobachtet, um insofern gegebenenfalls korrigierend - zur Wahrung bzw Wiederherstellung des gesetzmäßigen Zustands in den laufenden Geschäftsbetrieb einzugreifen (§ 9). Insofern verwirklicht das VerwGesG 2006 das Prinzip der materiellen Staatsaufsicht140 (s IV.D. und E.). 136
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Nach dem noch geltenden VerwGesG 1936 darf eine Betriebsgenehmigung nur „inländischen Körperschaften“ erteilt werden. Von diesem Prinzip geht das VerwGesG 2006 ab und beschränkt die zulässigen Rechtsformen auf Kapitalgesellschaften und auf die Genossenschaft. Damit wird die Rechtform des Vereins ausgeschlossen, die für Unternehmen mit der wirtschaftlichen Bedeutung, die VerwGesG erreichen können, nicht adäquat sein soll (so die EBRV 1069 22. GP 5). Bestehende Gesellschaften, die in der Rechtsform des Vereines betrieben werden, müssen nach § 42 Abs 3 innerhalb von drei Jahren ab Inkrafttreten des VerwGesG 2006 ihre Rechtsform ändern. Hier geht das VerwGesG 2006 einen anderen Weg als seine Vorgängerreglung und stellt klar, dass auch juristische Personen, die unter ausländischem Einfluss stehen, eine Betriebsgenehmigung erhalten können; dadurch würde es zum Beispiel auch ermöglicht, dass eine ausländische VerwGes zu diesem Zweck eine inländische Tochtergesellschaft gründet (EBRV 1069 BlgNR 22. GP 5). Vgl zur alten Rechtslage etwa VwSlg 14.327 A/1995. ME ist davon auszugehen, dass die bestehende Genehmigung auf die andere am Zusammenschluss beteiligte Gesellschaft übergeht (vgl § 6 Abs 4) und im gleichen Umfang hinsichtlich der anderen erlischt. Auch wenn der Gesetzgeber diesen Fall nicht ausdrücklich berücksichtigt hat, wird in Übereinstimmung mit anderen MaterienG des Wirtschaftsaufsichtsrechts (vgl zB § 7 Abs 1 Z 3 BWG) - wenn auch vorerst in einer theoretischen Betrachtung (praktische Fälle sind dem Verfasser nicht bekannt geworden) - davon auszugehen sein, dass auch eine Zurücklegung einer Genehmigung, die ja auf Antrag zu erteilen ist, möglich und zulässig sein wird. ME könnte überlegt werden, diesfalls § 10 VerwGesG 2006 analog heranzuziehen, wonach die Aufsichtsbehörde den Zeitpunkt, zu dem das Erlöschen der Genehmigung wirksam wird, unter Beachtung der von der zurücklegenden VerwGes wahrzunehmenden Rechte bescheidmäßig zu bestimmen hat. Vgl zum Begriff Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht (1999) 37 ff; Fenyves/St. Korinek, ZfV 1999, 169.
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Davon ist die „Marktmissbrauchsaufsicht“ nach § 2 Abs 2 bzw § 5 Abs 2 zu unterscheiden: sofern - was nach derzeitiger gesetzlicher Konstruktion als unwahrscheinlich gilt - ein Unternehmen ohne staatliche Ermächtigung Dienstleistungen erbringt, die in den Anwendungsbereich des VerwGesG 2006 fallen, oder eine staatlich genehmigte VerwGes ihre Genehmigung überschreitet, hat im einen Fall die örtlich zuständige BVB nach Anhörung der zuständigen Aufsichtsbehörde (§ 28) den konsenslosen Betrieb bescheidmäßig einzustellen bzw im anderen Fall die Aufsichtsbehörde die Unterlassung der konsenslosen Tätigkeit zu untersagen und erforderlichenfalls weitere Aufträge nach § 9 zu erteilen (s IV.F.).
D. Genehmigung (§§ 2 ff) In Übereinstimmung mit § 1 Abs 1 und 2 VerwGesG 1936 bedarf die Tätigkeit einer VerwGes einer staatlichen Genehmigung (§ 2 Abs 1). Die Genehmigung ist als präventives Aufsichtsmittel zu verstehen, was den Zweck hat, ein Fehlverhalten des Adressaten der Aufsicht im Licht der nach VerwGesG 2006 zu wahrenden öffentlichen Interessen (etwa Schutz des Urheberrechts) von vornherein zu verhindern141. Wie bereits erörtert, schreibt das VerwGesG in diesem Zusammenhang das System der „Spartentrennung“ fest142: VerwGes dürfen zwar für verschiedene Kategorien von Urheber- und verwandten Schutzrechten als „Treuhänder“ auftreten, jedoch darf für eine Sparte nur eine VerwGes als „Treuhänder“ zugelassen werden (Monopolgrundsatz, § 3 Abs 2). Aus verfassungsrechtlicher Sicht sind Genehmigungserfordernisse generell nicht weiter zu beanstanden, sofern sie zur Wahrung öffentlicher Interessen vorgesehen sind143. Freilich ist zu beachten, dass Monopole nach Art des VerwGesG 2006 darüber hinaus schwerwiegende Eingriffe in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG) nach sich ziehen; konkret hat der Gesetzgeber eine objektive Erwerbsantrittschranke vorgesehen, die das einzelne Unternehmen nicht aus eigenem „überwinden“ kann und gewissermaßen zu einer Art „Konkurrenzschutz“ führt. Nach stRsp des VfGH sind derartige Beschränkungen nur dann zulässig, wenn sie durch besonders gewichtige öffentliche Interessen gerechtfertigt werden können, auch sonst kommt dem Gesetzgeber hinsichtlich Marktzutrittschranken ein geringerer Beurteilungsspielraum zu als hinsichtlich sonstigen Erwerbsausübungsbeschränkungen144. Während die Mat zum VerwGesG 2006 diesbezüglich keine weiterführenden Hinweise enthalten, kann auf die vom Gesetzgeber verfolgten Zielsetzungen aufgrund eines Rückgriffes auf die EB zur Vorgängerregelung145 bzw aufgrund der teleologischen Interpretation der im VerwGesG 2006 geregelten Aufgaben einer VerwGes geschlossen werden: der Gesetzgeber war offensichtlich von der Absicht geleitet, für eine Fülle von Rechtseinräumungen ein zielführendes Verwertungssystem zur Verfügung zu stellen, das durch Effizienz (iSv Rechtekonzentration bei einer VerwGes) und Kostenersparnis 141 142 143 144
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IdS zum systemverwandten § 4 VAG St. Korinek, Versicherungsaufsichtsrecht Kap 15. Ein im Wirtschaftsaufsichtsrecht nicht unbekannter Grundsatz: vgl etwa § 4 Abs 1 VAG (dazu ausführlich St. Korinek, Versicherungsaufsichtsrecht aao). Vgl etwa VfSlg 12.098/1989 zur bankrechtlichen Konzession. Vgl dazu grundlegend Grabenwarter, Ladenschlussrecht (1992) 177 ff; weiters Mayer, B-VG3 542 ff mwN; B. Raschauer, Wirtschaftsrecht2 Rz 178 ff, 185. Siehe aus jüngerer Zeit Holoubek/Kalss/Kwapil/N. Raschauer, ÖBA 2005, 192 (201 ff). Siehe FN 45, 612.
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(erzielt durch Verkehrsvereinfachung) geprägt ist. Derartige Überlegungen haben den VfGH in systematisch vergleichbaren Konstellationen, insb bei Bedarfsprüfungen (vgl zB § 121 GewO, § 10 Abs 1 Z 2, Abs 2 ApG) nicht (immer) zur Aufhebung einer derart in Prüfung gezogenen Bestimmung am Maßstab des Art 6 StGG veranlasst146. Angemerkt sei jedoch, dass der Monopolgrundsatz des VerwGesG 2006 - wie noch zu zeigen sein wird (unten IV.D.1.) - über die Schranken einer klassischen Bedarfsprüfung hinausgeht. Nachdem nunmehr ausländische und innerstaatliche Unternehmen gleichermaßen einem Genehmigungsverfahren unterworfen werden, dürfte auch den aus Art 12 und 43 EGV erfließenden Anforderungen Genüge getan sein147.
Eine Genehmigung ist - auch wenn dies § 2 Abs 1 nicht ausdrücklich festschreibt - eigens zu beantragen148; dem Genehmigungsantrag - der im Licht des § 13 Abs 2 AVG schriftlich bei der Aufsichtsbehörde einzubringen sein wird - sind in Entsprechung verfahrensrechtlicher Standards geeignete Unterlagen beizulegen, um eine effiziente aufsichtsbehördliche Überprüfung insb der Genehmigungserfordernisse des § 3 (Gesellschaftsform, ideeller Zweck, taugliche Geschäftsführung und dgl; s dazu sogleich) zu ermöglichen149. Liegt kein im VerwGesG 2006 ausdrücklich festgeschriebener Versagungsgrund vor, kommt dem Antragsteller nach hA und im Licht grundrechtlicher Erwägungen ein subjektives Recht (Rechtsanspruch) auf Erteilung der Genehmigung zu150. Das VerwGesG sieht - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - nachfolgend unter IV.D.1. genannte „Zulassungskriterien“ vor:
1. Zulassungskriterien a) Bestimmte Rechtsform (§ 3 Abs 1) Eine Betriebsgenehmigung darf nur einer Genossenschaft oder einer Kapitalgesellschaft erteilt werden. Als Kapitalgesellschaft werden im Wesentlichen eine AG oder eine GmbH in Betracht zu ziehen sein. Damit wird die Rechtsform des Vereins und die der Personengesellschaft ausgeschlossen, die für Unternehmen mit der wirtschaftlichen Bedeutung, die VerwGes erreichen können, nach Ansicht des Gesetzgebers nicht adäquat sei151. Diese Beschrän146 147 148 149 150
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Siehe Mayer, B-VG3 543 mN. Vgl demgegenüber noch die Bedenken des BKA-VD im Gesetzwerdungsprozess (vgl FN 81). IdS etwa der VwGH zur legistisch insofern vergleichbaren Systematik des § 14 GSpG (VwGH 22.9.1998, 97/17/0469). In legistischer Hinsicht regt der Verfasser eine diesbezügliche Ergänzung des VerwGesG an (vgl zB § 353 GewO; § 4 Abs 3 BWG; § 5 UVP-G uvam). Vgl etwa Fremuth/Laurer/Linc ua, BWG2 - Ergänzungsband (2002) § 5 Rz 1; St. Korinek, Versicherungsaufsichtsrecht Kap 15. Im Übrigen ist dies in § 5 Abs 1 BWG und anderen MaterienG ausdrücklich festgeschrieben. EBRV 1069 BlgNR 22. GP 5. Vgl dazu auch die krit Stellungnahme des BKA-VD im Zuge des Gesetzwerdungsprozesses (FN 81). Zu bedenken gilt, dass ein Verein eine Kosten sparende Verwaltung und eine flexible Geschäftsführung ermöglicht. Bei einem Verein ist - im Gegensatz zur Genossenschaft und zur Kapitalgesellschaft - keine Bindung von Eigenmitteln der Mitglieder im Rahmen des gesetzlichen Eigenkapitals notwendig. Zumindest bei „großen“ Vereinen gemäß § 22 VerG 2002 ist eine qualifizierte Rechnungslegung und eine professionelle Abschlussprüfung vorgeschrieben, sodass hier eine strenge Kontrolle gewährleistet ist.
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kung soll nicht nur für neue VerwGes gelten, denen erst nach dem Inkrafttreten des Gesetzes die Betriebsgenehmigung erteilt wird, sondern auch für bestehende Gesellschaften, die in der Rechtsform des Vereins betrieben werden. Für diese Vereine sieht die Übergangsvorschrift des § 42 Abs 3 vor, dass sie innerhalb von drei Jahren ab Inkrafttreten des Gesetzes (1.7.2006) ihren Betrieb auf eine Genossenschaft oder Kapitalgesellschaft übertragen müssen; § 6 ist „sinngemäß anzuwenden (vgl BGBl I 2006/82), nämlich insofern, als die Übertragung der Aufsichtsbehörde anzuzeigen ist (§ 6 Abs 1) und gegebenenfalls untersagt werden kann. Bis zum Ablauf dieser Frist können bestehende VerwGes jedoch in der Rechtsform des Vereins weiter betrieben werden.152 Für die Beschränkung auf bestimmte Gesellschaftsformen müssten im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (Art 7 B-VG) und auf das Grundrecht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung (Art 6 StGG) sachliche Gründe vorliegen. Ob darin, dass VerwGes eine bestimmte wirtschaftliche Bedeutung erreichen können, für die die Rechtsform des Vereins (und der Personengesellschaften) nicht adäquat sei, ein ausreichender Rechtfertigungsgrund für die generelle, keine Ausnahmen zulassende Beschränkung auf Genossenschaften und Kapitalgesellschaften zu erblicken ist, wäre mE zu bezweifeln153; so geht auch die Kommission im bereits angesprochenen Bericht vom April 2004 davon aus, dass die Effizienz einer VerwGes offensichtlich nicht mit ihrer Rechtsform zusammenhängt154. Darüber hinaus ist die hier zum Ausdruck kommende rechtspolitische Wertung des Gesetzgebers zur Kenntnis zu nehmen; sie kann mich aber nicht gänzlich überzeugen, wenn man bedenkt, dass auch „wirtschaftlich bedeutende“ Vereine wie etwa der ÖGB oder bestimmte Sportvereine bestehen. Von entscheidender Bedeutung erscheint mir viel mehr, dass die vom Unternehmen gewählte Rechtsform hinsichtlich ihrer Tätigkeit Gewähr für Effizienz und Transparenz bieten muss und den „Mitgliedern“ einer Gesellschaft ein bestimmtes Maß an „Mitwirkungsrechten“ zur Verfügung stellt (vgl § 15)155. Zu bedenken ist weiters, dass die Praxis im Gesetzwerdungsprozess grundsätzlich keine Präferenz hinsichtlich einer bestimmten Rechtsform geäußert hat156. Ob diese Einschränkung allenfalls im Hinblick auf die Erleichterung der bevorstehenden Zusammenschließung mehrerer VerwGes vorgesehen wurde157, kann auf Basis der Mat nicht festgestellt werden.
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Dabei ist freilich unklar, ob der Verein seinen „Betrieb“ auf eine bereits genehmigte VerwGes übertragen kann oder auch eine neugegründete (bzw zu gründende) Gesellschaft dafür in Betracht kommt. Die Anordnung der sinngemäßen Anwendung des § 6, der den Zusammenschluss bestehender VerwGes reglementiert, spricht für die erste Variante. Demgegenüber sprechen die offen formulierten EB zur Nov BGBl I 2006/82 eher für die zweite Variante (arg Übertragung der Genehmigung auf eine Nachfolgegesellschaft; vgl AB 1509 Blg NR 22. GP 1). Vgl dazu weiterführend Berka, Verfassungsrecht Rz 1557 ff, 1626 ff; ders, Art 7 BVG, in Rill/Schäffer (Hrsg), Bundesverfassungsrecht; Mayer, B-VG3 509 ff, 538 ff; Öhlinger, Verfassungsrecht6 Rz 755 ff, 885 ff. Vgl FN 33, Pkt 3.5.1. IdS auch die bereits angesprochene Entschließung des Europäischen Parlaments (vgl FN 31, Punkt 4.37.) bzw die Leiterwägungen der Kommission in ihrer Empfehlung 2005 (FN 34). Vgl die Zusammenfassung der Stellungnahmen bei Deisenberger, MR 2004/2Beilage, 17. Dies andeutend Schmidinger, Probleme 201 FN 758.
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b) Nicht auf Gewinn gerichtet („ideeller Zweck“, § 3 Abs 1) Das aus dem VerG 2002 bekannte „Abgrenzungskriterium“ (§ 1 Abs 1 leg cit)158 zu anderen gewerblichen Tätigkeiten iSd § 1 GewO gilt grundsätzlich auch für VerwGes. Dass VerwGes in ihrer Wahrnehmungstätigkeit nicht auf Gewinn gerichtet sind, ergab sich schon aus dem VerwGesG 1936 bzw der UrhGNov 1980, mithin aus ihren gesetzlich umschriebenen Pflichten159. Das VerwGesG 2006 macht dieses Merkmal nunmehr ausdrücklich zur Voraussetzung für die Erteilung der Betriebsgenehmigung. Zur Beschreibung des Begriffsinhaltes eignet sich ein Rückgriff auf die Mat zum VerwGesG 1936; diese führen in diesen Zusammenhang aus160: „Im Inland haben VerwGes eine wichtige soziale Aufgabe zu besorgen. Sie müssen ihre Vermittlerrolle nicht allein im Interesse der Urheberschaft, sondern im Gesamtinteresse [ausüben]. Zu ihren Pflichten gehört es daher auch, den Veranstaltern das Erlangen der notwendigen (…) [B]ewilligungen tunlichst zu erleichtern und die Tarife nicht zu überspannen, sondern in einer nach der gesamten Wirtschaftslage als angemessen zu bezeichnenden Höhe zu halten.“161 Wie dieses Kriterium im Antragszeitpunkt nachzuweisen ist, darüber enthält der Gesetzestext keinen Hinweis. Entscheidenden Aufschluss wird im Prüfungszeitpunkt wohl die Satzung (der Gesellschaftsvertrag) geben können162. Zu bedenken gilt auch, dass auch wenn etwa Werknutzungsverträge iaR in Gewinnabsicht abgeschlossen werden, der erzielte Erlös (abzüglich Spesen) zur Gänze den Bezugsberechtigten zufließt. c) „Taugliche Geschäftsführung“ (§ 3 Abs 1) Dieses erstmals im VerwGesG 2006 festgeschriebene Kriterium soll nach den EB163 gewährleisten, dass eine VerwGes die ihr nach VerwGesG 2006 - nicht auch nach anderen Gesetzen - zukommenden Aufgaben und Pflichten gehörig erfüllen wird. Dieses Kriterium wird - insb bei Genossenschaften164 - dann erfüllt sein, wenn (zumindest) ein mit Geschäftsführungsaufgaben betrauter Mitarbeiter der VerwGes fachlich qualifiziert und hauptberuflich für das Unternehmen tätig ist. 158
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Vgl zur Auslegung die Mat zu § 1 VerG 2002, 990 BlgNR 21. GP 20, die bis zu einem gewissen Grad auch für die Auslegung des korrespondierenden Begriffs in § 3 Abs 1 herangezogen werden können: „Ein Verein darf einerseits in gewissem Rahmen auch auf Gewinn zielende Aktivitäten entfalten und andererseits auch seinen ‚Mitgliedern’ durch die Erbringung wirtschaftlich werthafter Leistungen dienlich sein. Entscheidend ist und bleibt, dass der Vereinszweck als solcher nicht in der Gewinnerzielung besteht, und dass der Verein nicht bloß den Deckmantel für eine Erwerbstätigkeit seiner Mitglieder oder dritter Personen bildet (vgl schon VfSlg 4411/1963, 8844/1980)“. EBRV 1069 BlgNR 22. GP 5. Vgl FN 45, 616. Vgl auch die Anknüpfung an „gemeinnützige Zwecke“ in § 35 BAO, der ebenfalls zur Auslegung geeignet erscheint. Ähnlich etwa § 19 Abs 6 UVP-G hinsichtlich Umweltorganisationen. EBRV 1069 BlgNR 22. GP 5. EBRV 1069 BlgNR 22. GP 5.
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„Fachlich qualifiziert“ meint im Einklang mit einschlägigen MaterienG des Wirtschaftsaufsichtsrechts eine einschlägige Vor- bzw Ausbildung (zB Fachhochschuloder Universitätsausbildung), die auf eine entsprechende fachliche Qualifikation schließen lässt165. In bestimmten MaterienG wird darüber hinaus an „erforderliche Erfahrungen“ in der Praxis angeknüpft, die zB bei dreijähriger leitender Tätigkeit (zB als Geschäftsleiter) als erworben gelten166. Das Kriterium der Hauptberuflichkeit wird etwa - iSd der Geschäftsführerbestimmung der GewO (§ 39 Abs 2 leg cit) - dann erfüllt sein, wenn der in Rede stehende Arbeitnehmer mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigt und nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes voll versicherungspflichtig ist. Vor diesem Hintergrund wird davon auszugehen sein, dass bei kollegialer Geschäftsführung nicht jeder der Geschäftsführer auch einschlägige Kenntnisse des Urheber- und Verwertungsgesellschaftenrechts besitzen muss; diese werden dann - sofern einer der Geschäftsführer die Kriterien des § 3 Abs 1 erfüllt - wohl auch auf anderen Gebieten liegen können.
d) Sitz im Inland (§ 3 Abs 1) Das VerwGesG 2006 verlangt nicht mehr, dass das genehmigungswerbende Unternehmen eine inländische juristische Person sein muss, sondern verlangt bloß einen Sitz, mithin eine gewerbliche Niederlassung im Inland, an der sich die Geschäftsführung des Unternehmens befindet. Damit soll - so die EB167 klargestellt werden, dass auch juristische Personen, die unter ausländischem Einfluss stehen, eine Betriebsgenehmigung erhalten können; dadurch würde es zum Beispiel auch ermöglicht, dass eine ausländische VerwGes zu diesem Zweck eine inländische Tochtergesellschaft gründet. Am Erfordernis eines inländischen Sitzes, mithin einer ständigen Präsenz im Inland, muss jedoch nach den EB (aaO) festgehalten werden, da nur dadurch eine wirksame Staatsaufsicht gewährleistet werden kann. Zu beachten gilt, dass diese „Präsenzpflicht“ gemeinschaftsrechtlich nicht vorgeschrieben ist. Fraglich erscheint im Licht der einschlägigen Rsp des EuGH auch, ob dieser erhebliche Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit nach Art 49 EGV und damit die Beschränkung des freien Wettbewerbs tatsächlich unerlässlich zur Erreichung des angestrebten Ziels (zB „wirksame Staatsaufsicht“ als rechtfertigendes Interesse der Allgemeinheit) und damit im Licht der Art 46 und 55 EGV (noch) verhältnismäßig ieS ist168. Ob der EuGH das „doppelte“ Sitz- und das Genehmigungserfordernis iSd § 3 Abs 1 noch für erforderlich erachten würde, darf bezweifelt werden, wenn man bedenkt, dass insb Gesellschaften, die bereits in anderen EWR-Staaten niedergelassen sind, regelmäßig auch in diesen (Entsende-)Staaten einer mit „nationalen Standards“ vergleichbaren
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Vgl zB die Anknüpfung an die erforderliche Befähigung in Bezug auf reglementierte Gewerbe in § 16 Abs 1 GewO, hinsichtlich des Betriebs von Bankgeschäften an die fachliche Eignung (aufgrund Vorbildung) in § 5 Abs 1 Z 8 BWG oder an den Befähigungsnachweis in § 5 Abs 1 Z 3 GelVerkG. Vgl dazu Brandl/Kalss, ÖBA 2000, 947. Krit zu § 3 VerwGesG Riesenhuber, Verwertungsgesellschaftengesetz 32 f. IdS etwa § 5 Abs 1 Z 8 BWG, § 4 Abs 6 Z 1 VAG. EBRV 1069 BlgNR 22. GP 5. Vgl dazu Budischowsky, Art 49/50 Rz 31 ff, 43, in: Mayer (Hrsg), EU- und EGVertrag; Holoubek, Art 49 EGV Rz 70, 103, 106 f mwN, in: Schwarze (Hrsg), EUKommentar; B. Raschauer, Wirtschaftsrecht2 Rz 97.
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Kontrolle unterliegen werden169. Nach Rsp des EuGH nimmt das Erfordernis der ständigen Präsenzpflicht der Dienstleistungsfreiheit jede Wirksamkeit, denn diese schützt gerade die freie Leistungserbringung über die Grenzen des Mitgliedstaates hinaus170. Das innerstaatliche Genehmigungs- und Sitzerfordernis ergibt freilich dann Sinn, wenn Nicht-EWR Unternehmen im Staat ihrer Niederlassung keiner dem österreichischen VerwGesG entsprechenden Genehmigungsverfahren und keiner entsprechenden staatlichen Kontrolle unterworfen sind. Am Rande sei auch darauf verwiesen, dass das nationale Verfahrensrecht - konkret das ZustG - durchaus approbate und weniger eingreifende Mittel zur Verfügung stellt, um auch andere im EWR ansässige Unternehmen zu erfassen171.
Am Rande sei erinnert, dass der Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie Einschränkungen der hier interessierenden Art generell für unzulässig erklärt.
e) Freie „Spartenkonzession“ (§ 3 Abs 2, Abs 3) Aufgrund des im VerwGesG 2006 verankerten Monopolgrundsatzes (siehe oben III.E.5) darf eine Genehmigung nur unter der Voraussetzung neu erteilt werden, dass nicht schon eine andere VerwGes Inhaberin einer aufrechten Genehmigung hinsichtlich einer bestehenden Sparte ist. Wie bereits weiter oben (III.E.5.) erörtert, bildet eine bestehende Genehmigung einen Versagungsgrund. Dies leuchtet auch aus § 3 Abs 3 hervor, dass „nach Tunlichkeit nicht mehr VerwGes eine Betriebsgenehmigung erteilt werden [soll], als es für eine den Interessen der Rechteinhaber und der Nutzer Rechnung tragende zweckmäßige und sparsame Rechtewahrnehmung notwendig ist“. f) Mit der Genehmigung nach § 2 f zusammenhängende Verfahrensvorschriften Dass Genehmigungsverfahren des VerwGesG 2006 ist nicht - wie es prima vista nahe liegen würde - als Einparteienverfahren nach AVG172 konzipiert, in dem bloß dem Antragsteller Parteistellung einzuräumen wäre. Denn § 3 Abs 3 Satz 2 schreibt - wie schon Art II Abs 3 UrhGNov 1980 - vor, dass die Aufsichtsbehörde diejenigen bestehenden VerwGes, die die Voraussetzungen für die Erteilung der fraglichen Betriebsgenehmigung erfüllen, (formlos) einladen soll173, sich ebenfalls um die Erteilung zu bewerben, wenn eine „neue“ (noch nicht am Markt etablierte) VerwGes einen Antrag auf Erteilung einer Betriebsgenehmigung stellt174. Da das VerwGesG 2006 keine näheren Details 169
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IdS etwa Pache, Dienstleistungsfreiheit 331, 340, in: Ehlers (Hrsg), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten2. AA Riesenhuber, Verwertungsgesellschaftengesetz 31 FN 84. Vgl schon EuGH 3.12.1974, Rs 33/74, Van Binsbergen, Slg 1299/74; idS auch Bieber/Epiney/Haag, Europäische Union6 § 15 Rz 11; Budischowsky, Art 49/50 Rz 43, in: Mayer (Hrsg), EU- und EG-Vertrag; Holoubek, Art 49 EGV Rz 68 mN, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar. Man denke etwa an die Möglichkeit der Behörde, das Unternehmen aufzufordern, einen Zustellbevollmächtigten im Inland namhaft zu machen (§ 9 ZustG) oder die neu eingeführte „elektronische Zustellung“ (III. Abschnitt des ZustG). Auf Administrativverfahren hat die Aufsichtsbehörde das AVG gänzlich anzuwenden (§ 29 Abs 1 VerwGesG 2006). Die Behörde soll - entgegen der insofern missverständlichen Formulierung in § 3 Abs 3 - jedoch nicht dazu angehalten werden, dies auch tatsächlich zu tun (idS EBRV 1069 BlgNR 22. GP 6). EBRV 1069 BlgNR 22. GP 6.
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in Bezug auf diese „Einladung“ enthält, könnte an eine „Kundmachung“ iSd § 13 Abs 2 PrR-G gedacht werden, wonach die Regulierungsbehörde die verfügbaren Übertragungskapazitäten in geeigneter Weise auszuschreiben (etwa wie in der Praxis üblich - durch Kundmachung auf der Website der Aufsichtsbehörde) und dabei eine bestimmte Frist zu bestimmen hat, innerhalb derer Anträge bei der zuständigen Behörde gestellt werden können. In Zusammenhang mit § 3 Abs 2 Satz 1 und Abs 3 Satz 1 sind die in Abs 2 Satz 2 f enthaltenen, § 39 Abs 2 AVG überlagernden materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen „Auswahlkriterien“ zu lesen, von denen sich die Aufsichtsbehörde bei der Auswahl des „geeigneten Unternehmens“ im Zuge der Erteilung einer Genehmigung „leiten“ lassen soll („beauty contest“): • Bewerben sich mehrere Genehmigungswerber um dieselbe frei gewordene bzw neue „Spartenkonzession“, statuiert § 3 Abs 2 Satz 2 den rechtspolitisch durchaus diskussionswürdigen Grundsatz, dass die Aufsichtsbehörde - sofern der Genehmigungsantrag nicht zurück- oder abzuweisen ist -, die Genehmigung demjenigen zu erteilen hat, von dem zu erwarten ist, dass er die nach VerwGesG 2006 zu erfüllenden Aufgaben und Pflichten am besten erfüllen wird: hiebei ist im Zweifel - widerleglich - davon auszugehen, dass bestehende VerwGes diese besser erfüllen als solche, denen noch keine Betriebsgenehmigung erteilt worden ist. Nach welchen Kriterien allerdings eine neu gegründete VerwGes glaubhaft machen kann, dass es die größere Gewähr für eine ordentliche (umfassende) Erfüllung der Aufgaben bietet als ihre Konkurrenten, kann weder aus Gesetz, EB oder Judikatur abgeleitet werden und bleibt dunkel175. • Wenn die Entscheidung nicht nach diesem Kriterium getroffen werden kann, ist die Betriebsgenehmigung gemäß § 3 Abs 2 Satz 3 dem Antragsteller zu erteilen, von dem zu erwarten ist, dass den Ansprüchen, mit deren Wahrnehmung er betraut worden ist, die größere wirtschaftliche Bedeutung zukommen wird; wenn auch die wirtschaftliche Bedeutung gleich groß ist, entscheidet gemäß § 3 Abs 2 Satz 4 das Zuvorkommen. Bevor eine Genehmigung bescheidmäßig erteilt werden kann, „hat“ die Aufsichtsbehörde (§ 28 Abs 3) die in § 3 Abs 4 genannten Personen (zB die bestehenden VerwGes) zum Genehmigungsantrag und zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens „zu hören“, was den dort genannten Personen, sofern sie sich nicht selbst um die Genehmigung beworben haben, zwar Mitwirkungsrechte im Genehmigungsverfahren, jedoch keinerlei Rechte als Partei einräumt. Darüber hinaus wird diese Bestimmung „nur“ als verfahrensrechtliche Ordnungsvorschrift - nicht jedoch als materielle Geltungsvoraussetzung - auszulegen sein, nämlich insofern, als die Behörde dieser „Obliegenheit“ nachkommen soll. Wann und auf welche Weise sie diesem Auftrag nachkommt, bleibt ihrem verfahrensleitendem Ermessen überlassen (vgl § 39 Abs 2 AVG). Eine Genehmigung ist nach § 4 Abs 1 unbefristet zu erteilen und darüber hinaus auf der Homepage der Aufsichtsbehörde zu veröffentlichen (§ 4 Abs 2). Letzter Vorschrift kommt augenscheinlich bloß deklarativer (Informations-) 175
Treffend in diesem Zusammenhang Dillenz/Gutman, Urheberrecht2 442, wonach es eine neu gegründete VerwGes nicht leicht haben wird, die Behörde zu überzeugen.
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Charakter zu176. Der Aufsichtsbehörde ist es darüber hinaus verwehrt, im Spruch des Genehmigungsbescheids Nebenbestimmungen welcher Art auch immer vorzuschreiben. Ist darüber hinaus der Umfang einer bereits bestehenden Genehmigung fraglich, hat die Aufsichtsbehörde auf Antrag eines Beteiligten oder von Amts wegen über deren Abgrenzung mit Feststellungsbescheid zu entscheiden (§ 5 Abs 1)177. In diesem Zusammenhang erscheint § 11 Abs 3 erwähnenswert, wonach die Aufsichtsbehörde auf Antrag einer VerwGes, eines gesamtvertragsfähigen Rechtsträgers (§§ 21 und 26) oder eines Nutzers mit Bescheid festzustellen hat, dass eine VerwGes für ihren ganzen Tätigkeitsbereich oder einen bestimmten Teil davon die Rechte und Ansprüche am nahezu gesamten Bestand an Werken oder sonstigen Schutzgegenständen wahrnimmt. Die Feststellung begründet die Vermutung, dass die VerwGes in dem vom Bescheid umschriebenen Bereich die Rechte am gesamten Bestand an Werken oder sonstigen Schutzgegenständen wahrnimmt, sofern nicht das Gegenteil bewiesen wird178.
E. Laufende Aufsicht über VerwGes 1. Konzeption nach VerwGesG 2006 Ab Rechtskraft des Genehmigungsbescheids unterliegt die Tätigkeit einer VerwGes der Aufsicht der Aufsichtsbehörde (§ 7 Abs 1). Die Behörde hat - als wesentliche Staatsaufgabe - laufend darauf zu achten, dass die VerwGes die ihr nach VerwGesG 2006 - nicht jedoch auch anderen G - obliegenden Aufgaben und Pflichten gehörig erfüllt. Dieser Grundsatz wird auch in § 4 Abs 3 angesprochen, wonach die Aufsichtsbehörde jederzeit überprüfen kann, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Betriebsgenehmigung noch vorliegen. Dem korrespondiert darüber hinaus die Vorschrift des § 9 Abs 1, wonach die Aufsichtsbehörde einer VerwGes durch Bescheid entsprechende Aufträge zu erteilen hat, wenn etwa die Organisationsvorschriften der VerwGes den Anforderungen dieses Bundesgesetzes nicht entsprechen. Nachdem sich die „Aufsichtspflicht“ der Aufsichtsbehörde unmittelbar aus § 7 Abs 1 ergibt, kommt der korrespondierenden Wiederholung in § 4 Abs 3 bzw § 42 Abs 2 keine weitere normative Wirkung, sondern allenfalls Signalfunktion zu. Offensichtlich will der Gesetzgeber, wenn er etwa in § 4 Abs 3 Satz 2 festhält, dass die Aufsichtsbehörde zehn Jahre nach der Erteilung der Betriebsgenehmigung und in der Folge nach jeweils weiteren zehn Jahren die entsprechende Überprüfung jedenfalls durchzuführen hat, eine periodische Prüfpflicht der Aufsichtsbehörde zum Ausdruck bringen; dies würde auch im Zusammenhang mit der unbefristeten Genehmigung iSd § 4 Abs 1 Sinn erge-
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Darauf deutet auch die Parallelität zur Vorgängerregelung des § 4 Abs 3 VerwGesG 1936, wonach der Bundeskanzler Genehmigungen im Bundesgesetzblatt kundzumachen hatte (vgl EBRV 1069 BlgNR 22. GP 6). Vgl EBRV 1069 BlgNR 22. GP 6. Dies erleichtert in allfälligen Folgeverfahren die Beweisführung; vgl Schmidinger, Probleme 208. Siehe dazu ferner Handig, ÖBl 2006/13.
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ben179. Freilich wäre es schon unter amtshaftungsrechtlichen Gesichtspunkten fragwürdig, würde die Aufsichtsbehörde nur alle zehn Jahre eine entsprechende Überprüfung vornehmen. In Einklang mit anderen vergleichbaren MaterienG des Wirtschaftsaufsichtsrechts und im Licht der §§ 4 Abs 3 letzter Satz (Genehmigungsentzug), 7 (Auskunftspflicht) und 9 (verwaltungspolizeiliche Aufträge) wird viel mehr von einer laufenden verwaltungspolizeilichen Aufsichts- und Prüfpflicht der Aufsichtsbehörde auszugehen sein180. Dabei ist zu beachten, dass sich die Intensität oder der Umfang der Aufsichtstätigkeit danach zu richten haben wird, ob und inwiefern die durch das VerwGesG 2006 geschützten Interessen durch die Tätigkeit der VerwGes beeinträchtigt werden können.
2. Dazu korrespondierende - an VerwGes gerichtete Verhaltensnormen (Aufsichtsmittel) a) Auskunftspflicht Die verantwortlichen Organe der VerwGes trifft nach § 7 Abs 2 (ähnlich § 5 Abs 3 VerwGesG 1936) eine grundsätzlich unbeschränkte - im Zweifel nach VVG vollstreckbare181 - Auskunftspflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde; die Organe der VerwGes haben im Licht des § 9 auf ein entsprechendes, wohl schriftliches „Verlangen“ schlicht-hoheitlicher Art der Behörde die erforderlichen Auskünfte über die Geschäftsführung betreffenden Angelegenheiten zu erteilen. Die Behörde wird im Einklang mit vergleichbaren Regelungen182 darauf hinzuweisen haben, dass die Auskünfte binnen angemessener Frist zu erteilen sein wird. Mangels näherer gesetzlicher Präzisierung sind daher sämtliche mit der Kontrolle der Einhaltung des VerwGesG 2006 zusammenhängenden Tatsachen, deren Kenntnis für die Behörde aus Sicht des Kontrollzeitpunktes zur Vollziehung notwendig sein könnte, Auskunftsgegenstand, mithin Informationen aller Art einschließlich (nichtsensibler) personenbezogener Daten (§ 4 Z 1 DSG 2000). Dies erscheint im Licht des Art 8 Abs 2 EMRK bedenklich, da die geltende Rechtslage eine mit Art 8 Abs 2 EMRK (iVm § 1 Abs 2 DSG) konform gehende - und zweifelsohne erforderliche - präzise Zweckbestimmung für die Datenermittlung (Auskunftsleistung) vermissen lässt183. Diese Bedenken werden verstärkt, wenn man berücksichtigt, dass Auskunftsverlangen
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Vgl EBRV 1069 BlgNR 22. GP 6. Vgl zB § 360 GewO, § 70 BWG, § 35 TSchG. Zum Wesen der Vollziehungsverfügung als operates Mittel zur Durchsetzung einer gesetzlichen Leistungspflicht siehe unten IV.E.5. bzw B. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2 Rz 924, 1390a. Vgl etwa § 11a Abs 1 Z 1 WettbG. Vgl grundlegend VfSlg 16.369/2001. Zu verweisen ist auch darauf, dass das BVerfG und der EGMR aus Art 8 Abs 1 EMRK ein „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ ableiten: Dieses Recht garantiert dem Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und in welchem Umfang persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden sollen; insofern genießt der Grundrechtsträger Schutz gegen eine unbegrenzte Erhebung und Verwertung seiner persönlichen Daten (vgl das sog „Volkszählungserkenntnis“, BVerfGE 65, 1 41 ff sowie EGMR Lüdi gegen Schweiz, ÖJZ 1992, 843).
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der vorliegenden Art keine Verdachtsmomente zur Voraussetzung haben, sondern offensichtlich als Instrument laufender Überwachung konzipiert sind184. Verfassungsrechtliche Grenzen sind der Auskunftspflicht darüber hinaus dort gesetzt, wo grundrechtliche Erwägungen ins Spiel kommen185. Eine Auskunftspflicht - wie sie der Gesetzgeber (offensichtlich) in § 7 Abs 2 VerwGesG statuieren will - darf keinesfalls (auch) einen Zwang zur Selbstbezichtigung umfassen. Ein solcher Fall ist nach VfSlg 15.600/1999 dann gegeben, „wenn die (durch die Behörde) erzwungene Erklärung angesichts der sie begleitenden Umstände den für das Vorliegen und den Nachweis eines Straftatbestandes typischerweise entscheidenden Hinweis gibt“. Nun ist nicht zu verkennen, dass die Verweigerung der Auskunft (nach dem VerwGesG 2006) nicht mit Strafe bedroht ist. In Anbetracht der besonderen Stellung der KommAustria als beaufsichtigender, ermittelnder und gegebenenfalls auch strafender Behörde wird jedoch sicherzustellen sein, dass die Verweigerung der Auskunft auch argumentativ nicht zu Lasten der die Erklärung verweigernden Person in Anschlag gebracht wird, insb dann, wenn sich ein Organ der VerwGes dadurch sich selbst oder enge Angehörige (etwa iSd § 38 VStG) der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen würde186. Derartige Gründe sind gegenüber der Behörde glaubhaft zu machen187.
§ 7 Abs 2 wird darüber hinaus dort an Bedeutung gewinnen, wo Mitteilungen iSd § 8 unvollständig oder unklar sind, bevor ein bescheidmäßiger Auftrag iSd § 9 Abs 1 ergeht. Als ultima ratio dient die verwaltungsstrafrechtliche Absicherung nach § 38188.
b) Einsicht in Geschäftsunterlagen Die ebenfalls aus § 5 VerwGesG 1936 übernommene Ermächtigung der Aufsichtsbehörde, in alle Unterlagen der VerwGes Einsicht zu nehmen (§ 7 Abs 2 letzter Satz), passt mit der neu gefassten Systematik des Gesetzes nicht zusammen: Nach alter Rechtslage war der Staatskommissär als Hilfsorgan des Bundeskanzlers - vor Ort - ermächtigt, einschlägige Geschäftsunterlagen einzusehen; wie dies allerdings nach neuer Rechtslage erfolgen soll, bleibt fraglich: das Amt des Staatskommissärs als Hilfsorgan der Aufsichtsbehörde ist im neuen Gesetz nicht mehr vorgesehen (§ 43 Abs 1). Zu denken wäre allenfalls an ein an die zuständige BVB adressiertes Amtshilfeersuchen, gerichtet auf Beweisaufnahme (§ 55 AVG) oder die Durchführung die Einsicht im Gefolge der Sitzungsteilnahme iSd § 7 Abs 3. Freilich umfasst § 7 Abs 2 nicht auch die behördliche Ermächtigung, Unterlagen eigenständig anzufordern bzw die Verpflichtung der VerwGes, diese der Behörde zu übermitteln, wie etwa ein Blick in § 11a Abs 1 und 2 WettbG bestätigt. Die Verweigerung der Einsicht kann im Wege des § 9 (Auftrag) bzw weiterfolgend im Wege der verwaltungsstrafrechtlichen Perfektionierung (§ 38) durchgesetzt werden. 184 185 186
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Vgl etwa VfSlg 11.549/1987; ferner N. Raschauer, ÖBA 2005, 381 zum systematisch ähnlich gelagerten § 48q BörseG. Vgl auch § 11a Abs 2 WettbG. Vgl Mayer, B-VG3 293 f zur Rsp des VfGH, der aus Art 90 Abs 2 B-VG ein - auch für das Stadium vor einem allfälligen Verwaltungsstrafverfahren geltendes - Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung ableitet. Krit dazu etwa Lienbacher, ZfV 1986, 536. Der Verfasser regt eine entsprechende Überarbeitung des § 7, etwa iSd § 36 Abs 3 TSchG oder § 11a Abs 1 WettbG, an. Zum Verhältnis zwischen verwaltungspolizeilichen und verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionsmechanismen vgl N. Raschauer/Wessely, VStG AT (2005) 15 ff.
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c) Sitzungsteilnahme In § 7 Abs 3 wird ausdrücklich ein Recht - nicht jedoch die Pflicht - der Aufsichtsbehörde vorgesehen, an bestimmten Sitzungen von Kollegialorganen der VerwGes (Geschäftsführung, Aufsichtsrat und dgl) teilzunehmen; dieses Aufsichtsmittel rundet § 7 ab und ermöglicht es der Behörde, sich von der laufenden Geschäftstätigkeit des Unternehmens „vor Ort“ ein Bild zu machen. Die VerwGes wird der Aufsichtsbehörde die Abhaltung von entsprechenden Sitzungen fristgerecht bekannt zu geben haben, um Vertretern der Behörde die Teilnahme zu ermöglichen. Wahrnehmungen im Zuge einer Sitzung können gegebenenfalls Anlass für unmittelbare aufsichtsbehördliche Handlungen sein. Die Verweigerung der Teilnahme kann Konsequenzen iSd § 9 (Aufträge) bzw § 38 (Verwaltungsstrafe) nach sich ziehen. d) Mitteilungspflichten Korrespondierend zum amtswegigen Auskunftsverlangen des § 7 Abs 2 erweitert § 8 die Pflichten der VerwGes, bestimmte Mitteilungen, allenfalls kombiniert mit Abschriften, der Staatsaufsicht jedenfalls - auch ohne entsprechende Aufforderung - zu übermitteln. Sie sollen der Aufsichtsbehörde die Wahrnehmung ihrer Zuständigkeit ermöglichen und verschaffen der Behörde insofern Kenntnis über aufsichtsrelevante Sachverhaltsmomente. Da das Gesetz keine Frist oder einen fixen Termin für die Erstattung der einzelnen Mitteilung vorsieht, wird jeder einzelne Anwendungsfall im Hinblick auf den damit verknüpften Zweck und den konkreten Termin der Meldung gesondert zu interpretieren sein. So nennt etwa § 8 Abs 1 die Pflicht der VerwGes, jede Änderung in der Person des nach außen vertretungsbefugten Organs bekannt zu geben. Im Licht des § 9 Abs 1 VStG wird etwa davon auszugehen sein, dass die Meldung dieses aufsichtsrelevanten Sachverhalts jedenfalls unverzüglich (iSv sofort) erfolgen sollte189. Anderes mag - aufgrund der gesetzlichen Systematik - hinsichtlich der anderen, in Abs 2 vorgesehenen Mitteilungspflichten gelten. So wird etwa der Jahresabschluss üblicherweise zu einem fixen Stichtag, etwa den 30.6. eines Kalenderjahres190, vorzulegen sein; im Zweifel bedarf dies einer Abklärung mit der Behörde. Anders wird wiederum die Pflicht zu interpretieren sein, Änderungen der Gesellschaftsverträge bekannt zu geben. Eine Ausnahme hievon statuiert § 8 Abs 2 Z 12: Entscheidungen in gerichtlichen oder sonstigen (verwaltungs-)behördlichen Verfahren, in denen eine VerwGes als Partei beteiligt ist, sind der Aufsichtsbehörde nur dann und in dem Umfang zu übermitteln, als die Aufsichtsbehörde dies verlangt. Dies bedingt freilich, dass die Behörde Kenntnis von einschlägigen Verfahren erhält. Eine ähnlich gelagerte Mitteilungspflicht enthält § 11 Abs 2: beabsichtigt eine VerwGes, die allgemeinen Vertragsbedingungen für die Schließung von Wahrnehmungsverträgen zu ändern, so hat sie dies der Aufsichtsbehörde anzuzeigen. Beabsichtigte Änderungen unterliegen insofern einer präventiven Kontrolle der Aufsichtsbehörde, als sie (auch bloß Teile der) beabsichtigten 189 190
Vgl etwa UVS Wien 26.8.2003, 06/42/5011/2003 (zu § 82 Abs 6 BörseG). Vgl zB § 23 Abs 2 WAG, § 84 Abs 1 VAG.
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Änderungen binnen 4 Wochen bescheidmäßig untersagen kann. Innerhalb dieser Frist dürfen die Änderungen nicht angewendet werden. Kommt eine VerwGes ihren Pflichten nach § 8 nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde sanktionsweise Aufträge (§ 9) bzw Verwaltungsstrafen (§ 38) verhängen.
3. Sonstige an VerwGes adressierte Verhaltensnormen Die in weiterer Folge überblicksmäßig dargestellten, an VerwGes adressierte Verhaltensnormen hängen nur zum Teil mit der staatlichen Aufsicht durch die KommAustria zusammen; sie stellen viel mehr „sonstige“ gesetzliche Verhaltenspflichten einer VerwGes dar. a) Veröffentlichungspflichten Um Interessenten - insb bezugsberechtigten Nutzern - den Zugang zu Lizenzen (Erwerb) und sonstigen Informationen tunlichst zu erleichtern, treffen VerwGes nach den §§ 16 und 18 mehrere Veröffentlichungspflichten. So hat eine VerwGes etwa ihre Betriebsgenehmigung, die allgemeinen Vertragsbedingungen für die Schließung von Wahrnehmungsverträgen, die Verteilungsregeln (§ 14 Abs 1), die Regeln für Zuwendungen aus den sozialen und kulturellen Einrichtungen, Tätigkeitsberichte, ein Verzeichnis der Namen (Decknamen) ihrer Bezugsberechtigten, die für sie geltenden Satzungen, und dgl mehr in der jeweils geltenden Fassung öffentlich in geeigneter Form - etwa auf einer Webpage (vgl § 28 Abs 4) - zugänglich zu machen. Die Veröffentlichungspflichten verankern den im VerwGesG 2006 mehrfach betonten Grundsatz der Transparenz191. Während die in § 16 genannten Daten nur einer bestimmten Personengruppe - den Bezugsberechtigten - zugänglich gemacht werden muss192, sind die in § 18 taxativ aufgezählten Informationen jedermann (!) zur Verfügung zu stellen. Letzteres erscheint unter datenschutzrechtlichen Aspekten (§ 1 DSG 2000) bedenklich, da nicht sichergestellt ist, dass dieser Eingriff (noch) verhältnismäßig ist. Denn wie § 27 VerwGesG 1936 gezeigt hat, hätte man das Zugriffsrecht auf eine konkrete Gruppe von Personen beschränken können, um die Erfüllung der gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen der VerwGes - in einer weniger eingriffsintensiven Art und Weise - zu ermöglichen. Eine generelle Zugriffsmöglichkeit scheint mE aber nicht jedenfalls notwendig193.
191 192
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EBRV 1069 BlgNR 22. GP 10. Die in Rede stehenden Informationen werden auf der Webpage wohl nur nach erfolgter Authentifizierung zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus sind den Bezugsberechtigten auf deren Verlangen bestimmte der in § 16 genannten Informationen auch in Druckform zur Verfügung zu stellen (§ 16 Abs 2). IdS die Stellungnahme des BKA-VD im Gesetzwerdungsprozess (vgl FN 81); aA mit ausführlicher Begründung die EBRV 1069 BlgNR 22. GP 11. Nicht ganz nachvollziehbar ist es, wenn die Mat davon ausgehen, dass ein Bezugsberechtigter jedenfalls ein Interesse an der Veröffentlichung seiner Daten haben wird. Im Hinblick auf § 1 DSG wäre mE überlegenswert, im VerwGesG 2006 diesfalls die ausdrückliche Zustimmung des Bezugsberechtigten als notwendige Voraussetzung einer Veröffentlichung (etwa im Internet) nachdrücklich zu verankern; denn hat ein Bezugsberechtigter ein Veröffentlichungsinteresse, wird er seine Zustimmung wohl bei Vertragsschluss mit der VerwGes erteilen.
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b) Auskunftspflicht Den Veröffentlichungspflichten der §§ 16 und 18 korrespondiert die - § 27 Abs 2 und 3 VerwGesG 1936 entnommene - Auskunftspflicht nach § 18 Abs 2, demgemäß die VerwGes verpflichtet werden, (grundsätzlich) unentgeltlich194 Auskunft darüber zu erteilen, ob sie im Inland das ausschließliche Recht für sich in Anspruch nehmen, ein Werk oder einen sonstigen Schutzgegenstand auf die vom Anfragenden beabsichtigte Art zu nutzen. c) Modifizierte Rechnungslegungspflichten § 19 lässt bestehende Rechnungslegungsvorschriften einschlägiger unternehmensrechtlicher OrganisationsG (wie etwa nach GenG oder GmbH-G) grundsätzlich unberührt und sieht zwei „Ergänzungen“ zu den in Rede stehenden Regelungen vor. Damit soll die Transparenz der Geschäftsgebarung von VerwGes gesteigert werden195. • Zum einen soll das Leitungsorgan nach dem Vorbild des § 22 Abs 2 GenG einen Bericht über den Geschäftsverlauf und die Lage der VerwGes sowie über die Entwicklung des Mitgliederstandes erstellen, in den auch Angaben über den Stand der wahrgenommenen Rechte, über die Einnahmen, die Verwaltungskosten, die Zuweisungen an soziale und kulturelle Einrichtungen und die verteilten Beträge aufzunehmen sind. Bei VerwGes, die den erweiterten Rechnungslegungsbestimmungen für Kapitalgesellschaften unterliegen, können diese Angaben in Anhang und Lagebericht aufgenommen werden (§ 19 Abs 1). • Zum anderen sieht das VerwGesG 2006 eine besondere Regelung der „Warnpflicht“ des Abschlussprüfers oder genossenschaftlichen Revisors für VerwGes vor (§ 19 Abs 2), um ein effizientes Zusammenwirken von Abschlussprüfung und genossenschaftlicher Gebarungskontrolle einerseits und der Aufsicht über VerwGes andererseits sicher zu stellen: Stellt der Abschlussprüfer bei seiner Prüfung Tatsachen fest, die erkennen lassen, dass die VerwGes ihre Verpflichtungen nicht erfüllen kann, oder die erwarten lassen, dass die VerwGes in Zukunft zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen nicht in der Lage sein wird, so hat er dies der Aufsichtsbehörde (wohl unverzüglich) mitzuteilen, da gegebenenfalls aufsichtsbehördliche Maßnahmen erforderlich sein könnten. § 19 Abs 2 orientiert sich diesbezüglich - unter Berücksichtigung des § 8 GenRevG 1997 - am Vorbild des § 22 Abs 5 VerG 2002196 und hat insofern bloß „schwerwiegende Mängel“ in der Geschäftstätigkeit der VerwGes vor Augen. Die „Warnpflicht“ (nach VerwGesG 2006) besteht daher dann nicht, wenn der Prüfer bloß kurzfristig behebbare, geringfügige Mängel festgestellt hat. Dies erscheint - etwa im Licht des § 63 Abs 3 BWG - durchaus sachgemäß. 194
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§ 18 Abs 2 letzter Satz ermächtigt die VerwGes darüber hinaus, für die Auskunftserteilung ein (wohl angemessenes, mit Verordnung oder Bescheid der Aufsichtsbehörde im Voraus zu genehmigendes) Entgelt festzusetzen und einzuheben. Vgl Dillenz/Gutman, Urheberrecht2 437. EBRV 1069 BlgNR 22. GP 11. IdS EBRV 1069 BlgNR 22. GP 11. Vgl in diesem Zusammenhang auch einschlägige Regelungen in anderen MaterienG, etwa § 63 Abs 3 BWG oder § 273 Abs 2 HGB.
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4. „Effizienzaufsicht“ a) Allgemeines Das VerwGesG 2006 versucht mE an mehreren Stellen, der Aufsichtsbehörden Kompetenzen dahingehend einzuräumen, die eine mittelbare Einflussnahme auf die Geschäftstätigkeit der VerwGes ermöglichen sollen; die Behörde kann197 und soll gegebenenfalls auf eine „Optimierung“ der Tätigkeit der am Markt auftretenden Unternehmen hinwirken, das entsprechende behördliche Wirken kann insofern auch als „Effizienzaufsicht“ verstanden werden (Regulierungsfunktion). b) Zusammenschlusskontrolle So geht das VerwGesG 2006, wie schon oben erläutert, vom Prinzip aus, die Anzahl der VerwGesG tunlichst gering zu halten ist. § 6 Abs 1 und 2 sieht in Verfolgung dieses Zieles eine Regelung vor, die den (nicht der kartellgerichtlichen Kontrolle unterliegenden [§ 6 Abs 4]) Zusammenschluss bestehender VerwGes möglichst fördern soll; die Aufsichtsbehörde hat zwar die Möglichkeit, den Zusammenschluss zu untersagen, dies aber nur, wenn zu erwarten ist, dass die „neue“ VerwGes die bestehenden Pflichten und Aufgaben nicht (mehr) erfüllen wird können. Dies ist ein Ausfluss der Befugnis der Aufsichtsbehörde, Betriebsgenehmigungen zu erteilen, da mit dem Zusammenschluss kraft Gesetzes die Wirkung verbunden ist, dass die Betriebsgenehmigungen der alten VerwGes auf die neue übergehen. Dem korrespondierend hat die Aufsichtsbehörde die Möglichkeit, Empfehlungen an bestehende VerwGes zum Zusammenschluss auszusprechen198, wenn damit nach Ansicht der Behörde positive Effekte verknüpft sind wie zB Kosteneinsparungen oder Effizienzsteigerungen (§ 6 Abs 3). c) Mediator Der Aufsichtsbehörde kommt darüber hinaus die Stellung eines Mediators zu: im Fall von Streitigkeiten zwischen VerwGes und anderen Personen (zB Bezugsberechtigten) oder Institutionen (zB Nutzerorganisationen) kann jeder Beteiligte die Aufsichtsbehörde um Vermittlung ersuchen (§ 7 Abs 4)199. Die allenfalls abgegebene unverbindliche Empfehlung der Aufsichtsbehörde entfaltet jedoch keinerlei weitergehende rechtliche Bindungswirkung. Eine gleichgelagerte - jedoch verfassungsrechtlich nicht unproblematische - Aufgabe kommt dem Schlichtungsausschuss nach den §§ 36 f zu: Kommt zB ein Gesamtvertrag (§§ 21 ff) zwischen den Parteien (VerwGes, Interessenvertretungen) nicht zu Stande, haben die Parteien dieses Gremium - bevor der UrhS den Konflikt endgültig entscheiden kann (§ 30 Abs 1 Z 4) - zwingend anzurufen (§ 35 Abs 1). Diese grundsätzlich von den Streitparteien zu beschickende „Mediationsstelle“ (§ 36) hat binnen drei Monaten ab Wahl des Vorsitzenden - diese soll eine von den Streitparteien unabhängige Person sein - einen zunächst unverbindlichen, aber begründeten „Schlichtungsvorschlag“ zu erstatten, der den Entwurf eines Gesamtvertrages zu enthalten hat (§ 37 197 198 199
So etwa EBRV 1069 BlgNR 22. GP 6 zu § 6 Abs 2. Wie die EB in diesem Zusammenhang ausführen, soll damit keinerlei Zwang verbunden sein (EBRV 1069 BlgNR 22. GP 6). Vgl ähnlich § 15 Abs 8 PrTV-G; § 15 Abs 8 PrR-G.
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Abs 1, 2)200. Die Aufsichtsbehörde hat den Schlichtungsausschuss zu unterstützen (§ 36 Abs 6). Fraglich ist zunächst die organisationsrechtliche Einordnung dieses Gremiums. Es handelt sich augenscheinlich nicht um ein Schiedsgericht nach den § 577 ff, 599 ZPO. Die Intention des Gesetzes ist es offenbar, eine außerhalb der staatlichen Verwaltungs- und Gerichtsorganisation stehende Schlichtungsinstanz zu schaffen201, der eine ähnliche Aufgabe wie die Schiedskommission nach VerwGesG 1936, aber keinerlei hoheitliche Entscheidungskompetenz übertragen werden soll. Wenn der Gesetzgeber allerdings eine gesetzliche Verpflichtung der Streitparteien vorsieht, vor dem UrhS die Schlichtungsstelle anzurufen, deutet die vorliegende Konzeption eher auf ein „zweistufiges (Verwaltungs)Verfahren“202 als auf einen - außerhalb des Verfahrens gelegenen auf freiwilliger Basis anzurufenden Mediator203. Von besonderem Interesse erscheint mir darüber hinaus die - wenn auch nur subsidiär vorgesehene - Möglichkeit der Bestellung der Mitglieder durch ein staatliches Organ (§ 37 Abs 3 und Abs 4), konkret durch den Vorsitzenden des UrhS. Auch dies lässt im Licht des Art 20 Abs 1 iVm Art 21 Abs 3 und Art 77 Abs 1 B-VG den Eindruck entstehen, dass hier (wohl der Weisungsgewalt des BMJ unterworfene) Mitglieder einer der staatlichen Hoheitsverwaltung zuzurechnenden „Dienststelle“, wie sie Art 77 Abs 1 B-VG vor Augen hat, ernannt werden sollen204. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive fragwürdig erscheint in diesem Zusammenhang die in § 36 Abs 1 geregelte - als Grundsatz zu sehende - „Entsendung“ der Mitglieder des Ausschusses durch die (nichtstaatlichen) Streitparteien; ob dies mit Art 20 Abs 1 iVm 21 Abs 3 B-VG (schon im Hinblick auf ihre rechtliche Verantwortlichkeit) vereinbart werden kann, wage ich zu bezweifeln205. Was schlussendlich die Aufgaben der Schlichtungsstelle betrifft - woraus insb der Schlichtungsvorschlag iSd § 37 Abs 2 hervorleuchtet, dem gegebenenfalls verbindliche Wirkung zukommt -, so kann man diese mE zumindest als Akte „schlicht hoheitlicher Verwaltung206“ oder gar als Bescheide qualifizieren, die somit als Akte der Vollziehung einzuordnen sein werden, mag auch den Schlichtungsvorschlägen nur mittelbar - indem sie im Fall des § 37 Abs 2 ex lege zum Inhalt von Gesamtverträgen werden - Verbindlichkeit zukommen (der „Vorschlag“ wird ja nicht etwa von den Parteien des Schlichtungsverfahrens ausdrücklich als Gesamtvertrag vereinbart, sondern der Verzicht auf einen weiteren Rechtszug an den UrhS begründet mE den Eintritt der in § 22 umschriebenen [endgültigen] normativen Wirkung des Gesamtvertrags).
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Im Licht des § 40 Abs 1 MRG könnte der „Vorschlag“ der Schlichtungsstelle als Bescheid zu qualifizieren sein, dessen Hauptinhalt (der Schlichtungsvorschlag, § 37 Abs 2) zunächst verbindlich wird, jedoch dann, wenn ein Antrag auf Erlassung einer Satzung an den UrhS eingebracht wird, ex lege außer Kraft tritt. Vgl EBRV 1069 BlgNR 22. GP 3. IdS die EB zu 261/ME 22. GP NR 35. Vgl demgegenüber § 16 Abs 2 UVP-G, wo ein anhängiges UVP-Verfahren auf Antrag des Projektwerbers unterbrochen werden kann, um auf freiwilliger Basis ein Mediationsverfahren durchzuführen. Auch wenn die vom Vorsitzenden des UrhS zu ernennenden Mitglieder die Befähigung zum Richteramt aufweisen müssen (§ 36 Abs 4), üben sie als Mitglieder der Schlichtungsstelle keine richterlichen Geschäfte iSd Art 87 Abs 1 und Abs 2 B-VG aus. Dazu ausführlich B. Raschauer, Art 20 Rz 21 ff, 46, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundes-Verfassungsrecht, II/1; Grabenwarter, FS Winkler (1997) 287 ff; Thienel, Öffentlicher Dienst (1990) 215. Dazu vgl B. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2 Rz 729 ff.
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In diese Richtung deutet auch der in § 37 Abs 2 angedeutete „Rechtszug“ an den UrhS (arg Antrag auf Erlassung einer Satzung), der der Funktion einer sukzessiven Kompetenz iSd § 40 Abs 1 MRG, wie schon angedeutet, nahe kommt207. Eine ähnlich zu sehende Regulierungsfunktion erfüllt auch die bereits oben angesprochene Kompetenz der Aufsichtsbehörde, bei Notwendigkeit die beabsichtigte Änderung von Allgemeinen Vertragsbedingungen zu untersagen (§ 11 Abs 2) bzw die §§ 25 Abs 2 und 27 Abs 2, wonach der Antrag auf Erlassung einer Satzung - etwa bei Absicht der Änderung eines Gesamtvertrages - gegebenenfalls der Zustimmung der Aufsichtsbehörde bedarf.
5. Berichtigung Um eine effektive verwaltungspolizeiliche Aufsicht sicherzustellen, muss der Aufsichtsbehörde eine Eingriffsmöglichkeit in die laufende Tätigkeit der VerwGes eingeräumt sein, insb dann, wenn eine VerwGes ihre gesetzlichen Pflichten verletzt (Grundsatzkontrolle) oder wenn Gefahr im Verzug vorliegt (Gefahrenabwehr). Sie dient insb der Wahrung bzw Wiederherstellung des gesetzmäßigen Zustands. Dabei sieht das VerwGesG - entsprechend gängigen verwaltungspolizeilichen Eingriffsnormen des Wirtschaftsaufsichtsrechts (zB § 360 GewO bzw § 70 BWG) - recht weitgehende Eingriffstatbestände bzw Ermächtigungsnormen zugunsten der Aufsichtsbehörde vor, die nach einem gesetzlich bzw verfahrensrechtlich abgestuften zweigleisigen System anzuwenden sind. a) Grundsatzkontrolle In bestimmten, im Gesetz taxativ aufgezählten Anlassfällen hat die Behörde zur Wiederherstellung des gesetzmäßigen Zustands verwaltungspolizeiliche Aufträge vorzuschreiben. Ähnlich gewässerpolizeilichen Aufträgen nach § 138 WRG stellen Aufträge iSd § 9 eine besondere Form der Vollziehungsverfügung dar. Mit diesem Auftrag wird der Behörde die Möglichkeit eröffnet, den vom Gesetz gewollten Zustand erforderlichenfalls mit Mitteln des Verwaltungszwanges herzustellen. Durch einen solchen Auftrag werden die im VerwGesG 2006 näher umschriebene Verpflichtungen nicht erst begründet, sondern nur konkretisiert (idS schon VwSlg 6.809 A/1965). Inhaltlich handelt es sich um Leistungsbescheide. Die Erfüllung der Leistung hat innerhalb der im Bescheid festgesetzten angemessenen Frist zu erfolgen (§ 9 Abs 2). Was unter angemessen iSd § 9 Abs 2 zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber verständlicherweise nicht näher festgesetzt; insofern wird die konkrete Bemessung der Frist vom Einzelfall und darüber hinaus von der Bedeutung des Anlassfalles (mithin vom Grad der Abweichung vom gesollten Verhalten) abhängen208. 207 208
AA Schmidinger, Probleme 255. In berücksichtigenswürdigen Umständen kann die Behörde die Leistungsfrist verlängern (§ 9 Abs 2). Was das Gesetz hier konkret meint, kann nicht in verallgemeinernder Weise umschrieben werden. Die VerwGes wird den Antrag auf Fristverlängerung freilich vor Ablauf des im Bescheid fixierten Leistungstermins bei der Behörde einbringen müssen und darin näher auszuführen haben, warum sie den behördlichen Auftrag nicht binnen offener Frist erfüllt hat. ME werden nur solche Umstände die Verlängerung der Frist rechtfertigen können, die die Einhaltung des ursprünglichen Termins - ohne Verschulden der VerwGes - nicht zugelassen haben,
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Damit geht das VerwGesG 2006 einen anderen Weg als die Vorgängerbestimmung des § 4 Abs 1 VerwGesG 1936, wo dem Genehmigungsentzug „bloß“ eine aufsichtsbehördliche Mahnung vorauszugehen hatte. Der VwGH hat dazu ausgesprochen, dass dieser Akt der Aufsichtsbehörde nicht als Bescheid zu qualifzieren sei (VwGH 18.5.2004, 2004/10/0060)209.
Zur Perfektionierung sieht § 38 darüber hinaus die Möglichkeit vor, gegebenenfalls Verwaltungsstrafen zur Durchsetzung der bescheidmäßig statuierten Leistungspflicht zu verhängen, mithin ist die Nichterfüllung eines Auftrages iSd § 9 Abs 1 objektive Bedingung der Strafbarkeit der nach außen vertretungsbefugten Organe der VerwGes. Hier geht das VerwGesG 2006 einen anderen Weg als vergleichbare wirtschaftsaufsichtsrechtliche MaterienG: Während § 38 erkennbar nur dann, gleichsam als ultima ratio zur Anwendung gelangen soll, wenn der behördliche Auftrag nicht erfüllt wurde, ist die Verwaltungsstrafe nach BWG (§ 98) oder nach GewO (§ 366) bei Vorliegen der Voraussetzungen bereits nach Nichterfüllung des gebotenen Verhaltens auszusprechen, was eine unmittelbare verwaltungspolizeiliche Gefahrenabwehr unberührt lässt. In folgenden Fällen hat die Aufsichtsbehörde nach VerwGesG 2006 Aufträge vorzuschreiben: • Das G sieht - anders als seine Vorläuferregelung - gewisse Vorschriften zur Organisation von VerwGes vor (neben § 3 Abs 1 ist vor allem auf § 15 zu verweisen). Nach § 9 Abs 1 Z 1 kann die Aufsichtsbehörde im Fall der Verletzung dieser Organisationsvorschriften dem Unternehmen den Auftrag zu erteilen, ihre Organisationsvorschriften entsprechend zu ändern. • § 9 Abs 1 Z 2 sieht darüber hinaus die Möglichkeit vor, dass die Erfüllung der Auskunfts-, Mitteilungs- und Duldungspflichten gegenüber der Aufsichtsbehörde (§§ 7, 8) von dieser unmittelbar mittels Aufträgen sichergestellt und ggfalls nach VVG vollstreckt werden kann210. • Sonstige Pflichten einer VerwGes werden grosso modo durch § 9 Abs 1 Z 3 erfasst. b) Gefahrenabwehr Kommt die VerwGes einem Auftrag nach § 9 Abs 1 nicht, nicht im gebotenen Umfang oder nicht zeitgerecht nach, ist nach der Systematik des VerwGesG 2006 von einem Fall von unmittelbarer Gefahr für Konsumenten und den Markt allgemein auszugehen. Je nach Art des Einzelfalles hat die Aufsichtsbehörde unterschiedlich darauf zu reagieren („abgestufte Gefahrenintensität“): • Kommt eine VerwGes einem Auftrag nach § 9 Abs 1 Z 1 nicht nach, hat die Behörde unmittelbar folgend die Betriebsgenehmigung (teilweise oder zur Gänze) mittels Bescheid (als contrarius actus zur Genehmigungser-
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etwa weil die behördlich festgesetzte Frist zu eng bemessen war oder ein beauftragter Gutachter seine Stellungnahme nicht fristgerecht übermittelt hat. IdS auch VfGH 10.3.2005, B 427/04; krit dazu Julcher, RfR 2005, 22. Gemäß § 29 Abs 2 tritt anstelle des in § 5 Abs 3 VVG genannten Höchstbetrages der Zwangsstrafe der Betrag von € 10.000, womit § 29 Abs 2 von einem Bedarfsgesetz im Licht des Art 11 Abs 2 B-VG abweicht. Zur Begründung vgl 1069 BlgNR 22. GP 14 („Bedeutung der Tätigkeit der VerwGes“).
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teilung) von Amts wegen zu entziehen (§ 9 Abs 4 Z 1, § 4 Abs 3)211. Nach dem Willen des Gesetzgebers wird die Behörde dabei gemäß § 57 AVG vorzugehen haben (arg „unmittelbar folgend“ [vgl EB zu § 9], dh ohne weiteres Verfahren). Anders sind hingegen „Übertretungen“ des § 9 Abs 1 Z 3 zu beurteilen: Hier hat die Aufsichtsbehörde der VerwGes - sofern dies möglich und zweckmäßig ist - mittels Bescheid aufzutragen, das verantwortliche geschäftsführende Organ binnen der im Bescheid festgesetzten Frist abzuberufen (§ 9 Abs 3)212. Kommt die VerwGes diesem Auftrag nicht nach oder ist das behördliche Vorgehen nach § 9 Abs 3 nicht zweckmäßig (zB, weil bereits ex ante feststeht, dass weitere Gesetzesübertretzungen dadurch nicht verhindert werden können), hat die Behörde - wie oben bereits umschrieben - die Betriebsgenehmigung zu entziehen (§ 9 Abs 4 Z 2).
c) Konsequenzen des Widerrufs der Genehmigung (§ 10) Hat die Aufsichtsbehörde eine Genehmigung widerrufen, soll die Wahrnehmung der betroffenen Rechte und Ansprüche im Interesse sowohl der Bezugsberechtigten als auch der Nutzer möglichst ungestört weitergeführt werden. Auf diesen Umstand hat die Aufsichtsbehörde nach § 10 Abs 1 schon bei der Erlassung des Widerrufsbescheids Bedacht zu nehmen, als sie den Zeitpunkt, in dem der Widerruf wirksam wird, dementsprechend zu bestimmen hat. Um für eine möglichst reibungslose „Übergabe“ der Genehmigung an eine „Nachfolgegesellschaft“ Sorge zu tragen, hat die Behörde den Widerruf der Betriebsgenehmigung ebenso kundzumachen wie die ursprüngliche Erteilung (§ 10 Abs 2) und gegebenenfalls bestehende VerwGes einzuladen, sich um die „Übernahme“ zu bewerben. Der Idealfall, den der Gesetzgeber hier vor Augen hat, sollte daher sein, dass gleichzeitig mit dem Widerruf der Betriebsgenehmigung einer Nachfolgegesellschaft die entsprechende Betriebsgenehmigung erteilt (übertragen) werden kann. Für diesen Fall sieht nämlich § 10 Abs 3 eine Regelung des Rechtsübergangs von der Vorgängergesellschaft auf die Nachfolgegesellschaft vor, die den Interessen aller Beteiligten Rechnung trägt.
F. Marktmissbrauchsaufsicht Marktmissbrauch iSd VerwGesG 2006 kann sich in zwei Konstellationen äußern. Zum einen kann ein Unternehmen am Markt Dienstleistungen - etwa über einen Webauftritt - anbieten, ohne dass es über eine Betriebsgenehmigung nach VerwGesG 2006 (§ 4 Abs 1) verfügt (§ 2 Abs 2). Diesfalls hat die örtlich zuständige BVB (§ 3 AVG) - nach Anhörung der Aufsichtsbehörde - die weitere Ausübung der Tätigkeit bescheidmäßig zu untersagen. Dies entspricht der historischen Vorgängerregelung des § 2 VerwGesG 1936, wonach der BVB gleichgelagerte Kompetenzen übertragen waren. In den EB zum VerwGesG 2006 wird die Beibehaltung dieser Systematik dahingehend gerechtfertigt, dass 211 212
IdS auch die EBRV 1069 BlgNR 22. GP 7: „Die Nichtbefolgung dieses Auftrags zieht nach Abs 4 unmittelbar den Widerruf der Betriebsgenehmigung nach sich“. Die VerwGes hat der Behörde die Bestellung eines neuen Geschäftsführers nach § 8 Abs 1 anzuzeigen.
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die Unterbindung der gesetzwidrigen geschäftlichen Betätigung nicht unter den Begriff der Staatsaufsicht [iSd § 28 Abs 1] fällt; aus diesem Grund sei von einer Übertragung dieser Aufgabe auf die Aufsichtsbehörde Abstand genommen worden213. Unabhängig davon, dass diese Ansicht im Licht des § 360 GewO oder des nunmehr umgesetzten FinanzmarktaufsichtsänderungsG 2005214 mE nicht gänzlich überzeugen kann215, erscheint die legistische Konzeption des VerwGesG 2006 mit den Anliegen der Verwaltungsreform216 („one stop-shop“) nur schwer vereinbar und kann insofern nicht als zweckmäßig bezeichnet werden (vgl § 5 Abs 2 und die diesbezüglichen Ausführungen weiter unten)217. Es wäre aus Sicht der EB wohl nahe liegender gewesen, die örtliche Präsenz der BVB und ihre Möglichkeit, rasch vor Ort zu reagieren, als Rechtfertigung für die bestehende Systematik heranzuziehen. Nicht übersehen werden darf darüber hinaus, dass Untersagungsbescheide iSd § 2 Abs 2 nicht bei der Aufsichtsbehörde oder beim UrhS angefochten werden können, sondern - mangels abweichender Regelung im VerwGesG 2006 selbst - der Rechtszug an den LH zu führen hat (Art 102 Abs 3, 103 Art 4 B-VG). Zum anderen kann eine bestehende VerwGes den Umfang (die Grenzen) ihrer Genehmigung überschreiten. Diesfalls hat die Aufsichtsbehörde von Amts wegen oder auf „Antrag“ eines Beteiligten218 die konsenslose Tätigkeit mit Bescheid zu untersagen (§ 5 Abs 2). § 2 Abs 2 kommt hier augenscheinlich nicht zur Anwendung219. Kommt die VerwGes der behördlichen Aufforderung nicht nach, hat die Behörde nach § 9 Abs 1 Z 3 bzw Abs 3 vorzugehen und geeignete Aufträge vorzuschreiben bzw die VerwGes aufzufordern, den Geschäftsführer abzubestellen. Davon bleibt eine Verhängung von Verwaltungsstrafen nach § 38 unberührt.
III. Finanzierung der Aufsicht Unter der Annahme, dass die Tätigkeit der VerwGes zwar (auch) mittelbar der Allgemeinheit zu Gute kommt, sie aber primär den Interessen der VerwGes und ihrer Bezugsberechtigten sowie den Nutzern urheberrechtlich geschützter Werke und Leistungen220, mithin den Marktteilnehmern dient, erscheint es - in 213 214 215
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EBRV 1069 BlgNR 22. GP 5. BGBl I 2006/48. Der Finanzmarktaufsichtsbehörde wurde die Kompetenz übertragen, (auch) den unerlaubten Betrieb von Finanzdienstleistungen zu untersagen. In beiden Fällen (GewO, FMABG) wird sohin jede Form des Marktmissbrauchs bzw konsenslosen Betriebs durch dieselbe Behörde (BVB, FMA) überwacht und sanktioniert. Vgl zB BGBl I 2002/65. IdS auch die Stellungnahme des BKA-VD im Gesetzwerdungsprozess (vgl FN 81). Nicht ganz klar ist, ob der Antrag iSd § 5 Abs 2 dazu führt, dass dem Beteiligten im nachfolgenden Verfahren Parteistellung zukommen soll. ME wird der Antrag des § 5 Abs 2 diesbezüglich - und in Übereinstimmung mit anderen wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Regelungen vergleichbarer Art (vgl zB § 25 WAG) - als Anzeige („Beschwerde“) zu deuten sein, der der Person im nachfolgenden Verfahren allenfalls die Stellung eines Zeugen bzw Beteiligten vermittelt. Vgl auch EBRV 1069 BlgNR 22. GP 6. So die EBRV 1069 BlgNR 22. GP 7.
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Übereinstimmung mit vergleichbaren Regelungen wie etwa § 19 FMABG und §§ 10, 10a KOG und der einschlägigen höchstgerichtlichen Judikatur221 durchaus konsequent und sachlich gerechtfertigt, die Kosten der Staatsaufsicht nach VerwGesG 2006 nicht auf die Allgemeinheit (die Summe der Steuerzahler bzw den Bund), sondern auf die VerwGes und die nach den §§ 21 und 26 gesamtvertragsfähigen Rechtsträger als Beitragspflichtige „überzuwälzen“ (§ 7 Abs 5 und 6)222. Zur Systematik des § 7 Abs 5 und 6 ist hier in der gebotenen Kürze festzuhalten, dass der Bundeskanzler zunächst den pro Kalenderjahr von allen Beitragspflichtigen zu leistenden Gesamtfinanzierungsbetrag mittels Verordnung festzusetzen hat (§ 7 Abs 5)223. Die dabei festzusetzende Bezugsgröße ist nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit (vgl auch Art 126b Abs 5 B-VG) so zu wählen, als damit der für die Wahrnehmung der Aufgaben der Aufsichtsbehörde erforderliche Personalund Sachaufwand abgedeckt werden kann. Diesbezügliche Leitlinien finden sich in § 28 Abs 1 und 3 VerwGesG 2006, da sowohl der Aufgabenbereich durch die taxative Aufzählung der Kompetenzen der Aufsichtsbehörde ausdrücklich umschrieben scheint als auch das mindestens zur Vollziehung notwendige Personal der Aufsichtsbehörde mE eindeutig feststeht. Insofern lässt sich der durch die Erfüllung der Aufgaben als Aufsichtsbehörde für VerwGes bei der KommAustria ergebende Aufwand bereits im Voraus relativ exakt bestimmen. Der verordnungsmäßig zu konkretisierende Betrag ist nach einem in § 7 Abs 5 festgesetzten „Verteilungsschlüssel“ auf die einzelnen Zahlungspflichtigen aufzuteilen, zum einen auf die Summe der staatlich genehmigten VerwGes, zum anderen auf die Gruppe der gesamtvertragsfähigen Rechtsträger224, in deren Interesse die Tätigkeit der VerwGes ja primär liegt: Die gesamtvertragsfähigen Rechtsträger haben gemeinsam ein Viertel des Gesamtbetrags zu leisten (§ 7 Abs 5 Z 1), die Aufteilung der Kosten sollte dabei zu gleichen Teilen auf die gesetzlichen Interessensvertretungen, die freien Nutzervereinigungen, den ORF, den Bund und die Länder entfallen. Drei Viertel des vom Bundeskanzler festzusetzenden Finanzierungsbetrages soll schließlich auf die einzelnen VerwGes entfallen, wobei nach § 7 Abs 5 Z 2 jede VerwGes, ungeachtet ihrer Größe, einen fixen Sockelbetrag an die Aufsichtsbehörde leisten muss. Die weitere Aufteilung hat im Verhältnis der Umsätze der einzelnen Gesellschaften sowie nach der Anzahl der Bezugsberechtigten 221 222 223 224
VfSlg 16.641/2002 (FMABG), VfGH 7.10.2004, G 3/04 (KOG). Dazu und zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des § 7 ausführlich Schmidinger, Probleme 257 ff. IdS Schmidinger, Probleme 257; EBRV 1069 BlgNR 22. GP 7. Vgl die VO BGBl II 2006/236. Konkret handelt es sich dabei, wie bereits oben erwähnt, um die in ihrem fachlichen Wirkungsbereich dazu berufenen gesetzlichen Interessenvertretungen sowie die freien Nutzervereinigungen, denen von der Aufsichtsbehörde die Gesamtvertragsfähigkeit zuerkannt wurde. Des Weiteren fallen auch der ORF, der Bund und die Länder, denen es nach § 26 möglich sein sollte, Verträge zu schließen, denen in weiten Bereichen die Wirkung eines Gesamtvertrags zukommt, unter die Gruppe der gesamtvertragsfähigen Rechtsträger.
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auf die VerwGes zu erfolgen (§ 7 Abs 5 Z 3-4). Dies führt dazu, dass große VerwGes (jene mit hohen Umsätzen und einer hohen Anzahl von Bezugsberechtigten) mehr zur Finanzierung der Staatsaufsicht beitragen müssen als die umsatzschwächeren kleineren Gesellschaften225. Die Festsetzung und Einhebung der jeweiligen auf den einzelnen Zahlungspflichtigen entfallenden Finanzierungsbeiträge obliegt der Aufsichtsbehörde (§ 7 Abs 6), die diese für jedes Quartal im Vorhinein mittels (wohl Mandats-) Bescheids (§ 57 AVG) vorzuschreiben hat. Ausgangsbasis für die Berechnung der auf die jeweiligen VerwGes entfallenden Finanzierungsbeiträge sind die Umsätze des auf die Festsetzung vorangegangenen Kalenderjahres sowie die Anzahl der Bezugsberechtigten am Ende dieses Jahres. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die KommAustria die Aufgaben als „Aufsichtsbehörde für Verwertungsgesellschaften“ in organisatorischer Trennung von ihren sonstigen Vollzugsaufgaben (Rundfunkregulierung, Vollziehung von Teilen des Pressewesens und dgl) wahrzunehmen hat. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der durch die Erfüllung der Aufgaben in diesem Bereich entstandene Aufwand exakt festgestellt werden kann und dass mit den nach § 7 Abs 5 eingehobenen Finanzierungsbeiträgen lediglich die in § 28 Abs 3 taxativ aufgezählten Aufgaben der KommAustria finanziert werden. Zusammengefasst wird die Finanzierungsregel des § 7 - zumindest aus verfassungsrechtlicher Sicht - nicht weiter zu beanstanden sein. Sie dürfte den vom VfGH herausgearbeiteten Kriterien für derartige „besondere Finanzierungssysteme“ nach Art des § 10 KOG oder § 19 FMABG durchwegs entsprechen226. Auch wenn man im Licht des Erk VfSlg 16.641/2002 die Tätigkeit der VerwGes nicht als (besonders) „sensiblen Wirtschaftsbereich“ qualifizieren wird können, erscheint es aufgrund der Monopolstellung der VerwGes durchaus vertretbar, sie einer besonders qualifizierten staatlichen Aufsicht zu unterwerfen, deren Kosten (nur) durch jene Unternehmen getragen werden, die durch die Tätigkeit der Aufsicht profitieren (insb VerwGes). Insofern kann § 7 Abs 5 und 6 VerwGes attestiert werden, ein aus Sicht der Art 7 und 18 B-VG nicht unsachliches und nachvollziehbares Verteilungsschema (3:1 zwischen VerwGes und gesamtvertragsfähigen Rechtsträgern) vorzusehen, dass darüber hinaus betragsmäßig nach oben hin (VO des Bundeskanzlers) beschränkt ist.227
IV. Aufsichtsbehörden A. Allgemeines Aufsichtskompetenzen kommen nach dem hier vertretenen Verständnis der BVB nach Maßgabe des § 2 Abs 2, der KommAustria (dazu unten B.) und dem Urheberrechtssenat (unten C.) zu. 225
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Der hier gewählte Aufteilungsschlüssel von 3:1 wird das Ausmaß, in dem sich die Tätigkeit der Aufsicht auf beide Gruppen bezieht, widerspiegeln müssen, um sachlich gerechtfertigt zu sein. Dazu sei nochmals auf die Erk VfSlg 16.641/2002 und VfGH 7.10.2004, G 3/04 verwiesen. Riesenhuber, Verwertungsgesellschaftengesetz 38.
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B. KommAustria als „Aufsichtsbehörde für VerwGes“ Das VerwGesG 2006 ist vom Anliegen bestrebt, dass die Staatsaufsicht über VerwGes in erster Instanz zum einen von einer bestehenden und zum anderen von einer dem Bundeskanzler unmittelbar nachgeordneten Behörde wahrgenommen werden soll228. Aus diesem Grund wird diese Aufgabe der KommAustria übertragen, die hinsichtlich dieser Vollzugsaufgabe als „Aufsichtsbehörde für Verwertungsgesellschaften“ wie eine eigenständige Behörde mit Sitz in Wien (§ 3 Abs 4 KOG) - unter fachlicher und dienstlicher Aufsicht des Bundeskanzlers - agieren soll (§ 28 Abs 1 und Abs 3)229. Deswegen wird die in Rede stehende Tätigkeit als Aufsichtsbehörde nach VerwGesG 2006 von den anderen Vollzugsaufgaben der KommAustria nach § 2 KOG (organisatorisch) getrennt (§ 28 Abs 1 und 2 iVm Art II BG BGBl I 2006/9230). Dies wird darüber hinaus durch die gesetzliche Determinierung des Personalstandes der Aufsichtsbehörde in § 28 Abs 1 deutlich. Die Vollzugsaufgaben der Aufsichtsbehörde ergeben sich gesammelt aus § 28 Abs 3 und § 38, auf die das AVG und das VStG zur Gänze anzuwenden sind (§ 29 Abs 1). Gegen Entscheidungen der Behörde steht das Rechtsmittel der Berufung an den UrhS in allen Administrativverfahren offen; Straferkenntnisse sind hingegen beim jeweils zuständigen UVS Wien anzufechten (§ 51 Abs 1 VStG iVm § 3 Abs 4 KOG).
C. Urheberrechtssenat (UrhS) 1. Allgemeines Der im Gefolge des VerwGes 2006 beim BMJ neu errichtete UrhS (§ 30 Abs 1) ist als (ex constitutione weisungsfrei gestellte231) Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag iSd Art 20 Abs 2 und 133 Z 4 B-VG eingerichtet232. Der UrhS ist zum einen rechtsgestaltende Kontrollbehörde (§ 30 Abs 2 Z 1) hinsichtlich Entscheidungen der Aufsichtsbehörde - wobei er in zweiter und letzter Instanz entscheidet (§ 31 Abs 2) - und zum anderen rechtsgestaltende und/oder streitentscheidende Schieds- und Schlichtungsinstanz (§ 30 Abs 2 Z 2 bis 7)233 (dazu Näheres unten bei C.2.); im Rahmen seiner Tätigkeit nach 228 229 230
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EBRV 1060 BlgNR 22. GP 13. So wird die Behörde Bescheide nach VerwGesG 2006 als „Aufsichtsbehörde für Verwertungsgesellschaften“ zu fertigen haben (§ 28 Abs 1). Dieser Art enthält die notwendigen Anpassungen im KOG, wonach einige Bestimmungen dieses G in Bezug auf die Tätigkeit der Komm Austria als „Aufsichtsbehörde für VerwGes“ für nicht anwendbar erklärt werden: Es sind dies § 5a Abs 1, wonach die RTR-GmbH den Geschäftsapparat der KommAustria bildet, § 7 Abs 1 über die Veröffentlichung von Entscheidungen der KommAustria, § 10a Abs 14 über die Verpflichtung der RTR-GmbH zum Ersatz der Personalkosten der KommAustria, § 11 Abs 1 und 4 über den Rechtszug an den Bundeskommunikationssenat, § 14 über die Verfahrensvorschriften der KommAustria und § 15 über Verwaltungsstrafen. Vgl VfSlg 5095/1965. IdS EBRV 1069 BlgNR 22. GP 15. IdS Schmidinger, Probleme 72 (zur „Vorgängerinstitution“, der Schiedskommission). Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass alle jene Rechtssachen, für
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§ 30 Abs 2 entscheidet der Senat über civil rights iSd Art 6 Abs 1 EMRK234 und kann daher als Tribunal iSd Art 6 Abs 1 EMRK angesehen werden. Gegen letztinstanzliche Bescheide des UrhS ist ausschließlich die Beschwerde an den VfGH, nicht jedoch auch an den VwGH zulässig (vgl Art 133 Z 4 B-VG)235. Der UrhS besteht aus drei Berufsrichtern (1 Vorsitzender und 2 weitere Mitglieder) sowie fünf Ersatzmitgliedern236 (§ 31 Abs 1), die für jeweils 5 Jahre bestellt werden (eine - auch wiederholte - Wiederbestellung ist zulässig [§ 31 Abs 3])237. Das Amt als Mitglied des UrhS endet mit Tod, Verzicht, Ablauf der Amtsperiode (§ 31 Abs 5 Einleitungssatz) oder mit dienstenthebendem (dh rechtsgestaltendem) Bescheid des UrhS in jenen Fällen, die in § 31 Abs 5 Z 1 bis 3 genannt sind (zB grobe Pflichtverletzung). Auf Verfahren vor dem UrhS ist grundsätzlich das AVG anzuwenden; sie „sollen“ mit möglichster Beschleunigung geführt werden (§ 33 Abs 1)238. Das VerwGesG 2006 sieht in diesem Zusammenhang folgende Abweichungen vor: • Der UrhS hat jedenfalls eine mündliche Verhandlung abzuhalten (darauf deutet die Formulierung in § 33 Abs 2), die im Licht des Art 6 Abs 1 EMRK (volks-)öffentlich zu sein hat, sofern er nicht in bescheidmäßig abzuschließenden Verfahren nach § 66 Abs 1, 2 oder 4 AVG vorgeht. • Parteien des Verfahrens können einzelne (oder im Licht des § 31 Abs 2 VwGG wohl auch alle) Mitglieder des UrhS wegen Befangenheit vor Beginn des Verfahrens (§ 21 Abs 2 JN) ablehnen (§ 33 Abs 5)239. Über die Ablehnung entscheidet der UrhS unter Ausschluss des abgelehnten Mitglieds (§ 33 Abs 5 letzter Satz).
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die der UrhS zuständig ist, der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichten entzogen sind (§ 30 Abs 3); vor dem UrhS geschlossene Vergleiche haben die Wirkung gerichtlicher Vergleiche (§ 30 Abs 4) und sind damit Exekutionstitel iSd § 1 EO. So auch Schmidinger, Probleme 247. Dies scheint im vorliegenden Zusammenhang unproblematisch zu sein, da dem UrhS hier wohl primär eine die Verwaltung „kontrollierende“ Tätigkeit zukommt, nicht aber auch eine „verwaltungsführende“ (letzteres obliegt idR der Aufsichtsbehörde, zB die Erteilung der Genehmigung iSd §§ 2 ff). Vgl dazu VfSlg 15.886/2000. Mit der hA wird darüber hinaus davon auszugehen sein, dass der Gesetzgeber den UrhS im Wesentlichen als Schiedsinstanz eingerichtet hat; die Entscheidungen gleichartiger Behörden unterliegen üblicherweise nicht der nachprüfenden Kontrolle durch den VwGH (vgl Grabenwarter/Holoubek, ZfV 2000, 198). Hinsichtlich des Bestellungsverfahrens vgl im Detail § 31 Abs 1 und 4. Nach der Rsp des VfGH zu Art 133 Z 4 B-VG wird die gesetzlich vorgesehene Besetzung nicht weiter zu beanstanden sein (s zB VfSlg 5095/1965); so auch Schmidinger, Probleme 252. Nach den EB (1069 BlgNR 22. GP 3) soll diese Art der Besetzung einerseits die Unparteilichkeit und andererseits die Sachkunde der Behörde sicherstellen. Aus der Zusammenschau der §§ 31 Abs 6 und § 32 Abs 1 ergibt sich, dass der BMJ das erforderliche Personal sowie eine erforderliche Zahl an Schriftführern bereitzustellen hat. Dem letzten Teilsatz des § 33 Abs 1 kommt im Licht des § 39 Abs 2 AVG allenfalls Signalfunktion zu. Dies wird in den EB (RV 1069 BlgNR 22. GP 15) mit praktischen Erfahrungen im Verfahren vor der Schiedsstelle (nach VerwGesG 1936) und mit dem Umstand begründet, dass gegen Entscheidungen des UrhS die Beschwerde an den VwGH nicht zugelassen ist (dessen Mitglieder ja wegen Befangenheit abgelehnt werden können [§ 31 Abs 2 VwGG]) und insofern ein Rechtsschutzdefizit entstehen könnte.
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Nicht ganz klar ist, ob die Abstimmung durch die zwei verbleibenden Mitglieder alleine durchgeführt werden soll und was dann im Fall der Stimmengleichheit gilt (§ 33 Abs 4 über die „Vertretung“ durch ein Ersatzmitglied passt hier systematisch nicht). Eine Zweifelsregel nach Art des § 31 Abs 2 VwGG, dass gegebenenfalls die Stimme des Vorsitzenden oder dgl ausschlaggebend ist, wurde nicht vorgesehen. Nicht geregelt hat der Gesetzgeber auch die Frage, wie der UrhS vorzugehen hat, wenn alle Mitglieder gleichzeitig abgelehnt werden. Eine Überarbeitung des § 33 iSd § 31 VwGG erscheint angebracht.
Die Kostenregelungen des AVG (§§ 74 ff) sind vor dem UrhS nicht anzuwenden; stattdessen sind Verfahren nach Maßgabe des § 32 Abs 2 und der VO des BMJ240 - nach dem Vorbild des Art III § 8 UrhGNov 1980241 - gebührenpflichtig.
2. Aufgaben des UrhS a) Berufungsbehörde Der UrhS ist zum einen Berufungsbehörde gegen alle administrativrechtlichen, bescheidmäßig ergangenen Entscheidungen der Aufsichtsbehörde iSd § 28 Abs 3 (§ 30 Abs 2 Z 1). Er hat dabei nach Maßgabe des § 66 AVG, sofern eine Berufung nicht wegen Verspätung oder mangelnder Legitimation des Berufungswerbers zurückzuweisen ist (§ 66 Abs 4 Satz 1 AVG), • notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens selbst vorzunehmen oder damit die Aufsichtsbehörde beauftragen (Abs 1), wobei sich der UrhS von den Ermessensdeterminanten des § 39 Abs 2 AVG zu leiten lassen hat; • den erstinstanzlichen Bescheid bei gänzlich mangelndem Sachverhalt zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung an die Aufsichtsbehörde zurückzuverweisen (§ 66 Abs 2); • dann - sofern nicht § 66 Abs 1, 2 oder Abs 4 Satz 1 AVG (Zurückweisung, …) maßgeblich ist - eine mündliche Verhandlung unter Leitung des Vorsitzenden und damit eine unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen (vgl auch § 33 Abs 2); der UrhS ist nach Maßgabe der bisherigen Ausführungen insofern berechtigt, immer in der Sache selbst zu entscheiden und sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern (§ 66 Abs 4 letzter Satz AVG). Im Verfahren vor dem UrhS sind jedoch die Sonderverfahrensbestimmungen des IV. Teils des AVG für das Verfahren vor dem UVS (§§ 67a ff) nicht anzuwenden, insb nicht § 67h. b) Schieds- und Schlichtungsinstanz Aus den Schieds- und Schlichtungsaufgaben des UrhS sollen die mir als wesentlich erscheinenden Aufgaben herausgegriffen und kurz erläutert werden.
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VO BGBl II 2006/247. Vgl in diesem Zusammenhang auch die VO des BMJ, BGBl 1981/101 idgF, nach der die Gebühr für die Inanspruchnahme der Schiedsstelle (pro Verfahren) € 872,07 beträgt.
Staatliche Aufsicht über Verwertungsgesellschaften
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Die rechtsgestaltende Funktion des UrhS basiert in diesem Zusammenhang auf der in § 30 Abs 2 Z 3 iVm § 35 normierten Aufgabe, Satzungen zu erlassen. Eine solche kann, sofern die auf den erstmaligen Abschluss bzw Änderung eines Gesamtvertrages abzielenden Verhandlungen zwischen einer oder mehrerer VerwGes bzw anderen beteiligten Parteien erfolglos bleiben, von jedem der Verhandlungspartner beantragt werden. Der Vorteil einer solchen Satzung ist, dass die Rechtsverhältnisse, die den Gegenstand des Gesamtvertrags bilden sollen, vom UrhS in Verordnungsform242 verbindlich geregelt werden. Eine solche Satzung, der darüber hinaus die Wirkung eines Gesamtvertrags (§ 27 Abs 1) und somit Drittwirkung zukommt, hat als notwendigen Inhalt die Erteilung der erforderlichen Wertnutzungsbewilligungen sowie die Festsetzung des Entgelts zu beinhalten. Dass der UrhS Rechtsverordnungen erlassen kann, ergibt sich mE unzweideutig aus Art 18 Abs 2 B-VG und ist im Licht der Rsp des VfGH zu Art 133 Z 4 B-VG nicht weiter zu beanstanden243. Fraglich erscheint in diesem Zusammenhang bloß § 35 Abs 2, wonach der UrhS „bestimmen“ kann, dass eine Satzung mit dem Tag des Einlangens des Antrags auf ihre Erlassung in Kraft tritt: Damit soll offenbar die Möglichkeit eines rückwirkenden InKraft-Tretens von Satzungen eröffnet werden. Ein solches rückwirkendes In-KraftTreten eines als VO zu qualifizierenden Rechtsaktes wäre aber nicht mit einem eigenen Rechtsakt vom UrhS zu „bestimmen“, sondern müsste mE zunächst als ausdrückliche Ermächtigung im Gesetz - und dann darauf aufbauend in der VO selbst - vorgesehen werden244.
Die streitentscheidende Funktion basiert auf § 30 Abs 2 Z 4. Darin ist vorgesehen, dass der UrhS sowohl über Streitigkeiten, die zwischen Parteien eines Gesamtvertrags oder aus einer Satzung entstehen, unter Ausschluss des ordentlichen Zivilrechtswegs (§ 30 Abs 3) entscheidet. Den in diesen Bereichen gefällten „Entscheidungen“ kommt die Wirkung rechtskräftiger gerichtlicher Vergleiche zu (§ 30 Abs 4)245. Eine Ausweitung der Zuständigkeit des UrhS als „Rechtsmittelbehörde“ auch auf zivilrechtliche Streitigkeiten, etwa zwischen VerwGes und Nutzern bzw Berechtigten, wie dies in der Lit jüngst angedacht wurde,246 erscheint unter verfassungsgesetzlichen Gesichtspunkten denkunmöglich (vgl zB Art 94 BVG).
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IdS schon der VfGH in seinem Erk zur vergleichbaren Bestimmung des Art III § 1 Abs 3 UrhGNov 1980 (VfSlg 9873/1983). Dazu ausführlich Schmidinger, Probleme 91 ff. Im Übrigen vgl § 35 Abs 3, wonach der BMJ Satzungen des UrhS in der Ediktsdatei zu veröffentlichen hat. Vgl etwa VfSlg 5095/1965. Vgl dazu Mayer, B-VG3 131 mwN. Darüber hinaus hat der UrhS auf Antrag einer Partei jene Sätze (wohl bescheidmäßig) festzustellen, nach denen die Höhe bestimmter im Gesetz genannter Vergütungsansprüche einer VerwGes zu berechnen sind (§ 30 Abs 2 Z 5-7). Dem korrespondiert die Möglichkeit, zivilrechtliche Streitigkeiten zu unterbrechen (§ 34). IdS etwa Riesenhuber, Verwertungsgesellschaftengesetz 68.
N. Raschauer
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3. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen der Einrichtung des UrhS als Kollegialbehörde richterlichen Einschlags Nach der jüngeren Rsp des VfGH darf sich der Gesetzgeber dieses Behördentyps nur dann bedienen, wenn eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist247: • Der Behörde werden als Berufungs- bzw Beschwerdeinstanz bloße Kontrollfunktionen übertragen; • es handelt sich um eine Schieds- bzw Schlichtungsinstanz; • der Behörde ist (auch) die Entscheidung über civil rights übertragen; • die Tätigkeit der Behörde erfordert unterschiedlichen, insbesondere technischen Sachverstand. Die hier in Rede stehenden Voraussetzungen dürften im Ergebnis allesamt erfüllt sein, sodass gegen die Einrichtung des UrhS als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen248. Dazu sei exemplarisch ausgeführt: Sind einer Kollegialbehörde in erster und letzter Instanz Aufgaben der Verwaltungsführung249 - so etwa die Erlassung einer Satzung übertragen, muss sie nach hA250 aus demokratischen wie rechtsstaatlichen Aspekten heraus erhöhte verfassungsrechtliche Anforderungen erfüllen. Als solche werden insb die persönliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder der Kollegialbehörde, die gleichwertig derjenigen von Organen der Gerichtsbarkeit zu sein hat, genannt. Das der UrhS ausschließlich aus Berufsrichtern besteht und darüber hinaus die Erfordernisse eines Tribunals iSd Art 6 Abs 1 EMRK genügt, wird diesem Erfordernis mE jedenfalls Rechnung getragen. Darüber hinaus bedarf die Tätigkeit als Mitglied des UrhS besonderer juristischer Fachkenntnis, insb um im komplexen und in sich sehr stark differenzierten Bereich des Urheberrechts sachgerechte Entscheidungen treffen zu können. Hinzu kommt, dass es gerade im UrhG kaum gesetzliche Anhaltspunkte dafür gibt, in welcher Höhe beispielsweise Entgelte für Urheber- bzw Leistungsschutzrechte angesetzt werden sollen. Auch dieser Voraussetzung trägt die Konzeption des UrhS Rechnung.
V. Würdigung Das Urheberrecht und die Verwertung der damit verknüpften Rechte stellen einen der bedeutendsten gemeinschaftsweiten und nationalen Wirtschaftsbereiche dar. Maßgeblich für die Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten sind natürlich auch die Funktionsfähigkeit und Effizienz von VerwGes, die diese Rechte kollektiv wahrnehmen. Gerade der Gesetzgeber war gefordert, jene rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine möglichst effiziente Tätigkeit der Unternehmen in diesem Bereich nicht nur ermöglichen, sondern auch fördern. Das mit Juli 2006 in Kraft getretene VerwGesG 2006 versucht, eine Reaktion auf jene Anforderungen und Änderungen zu geben, die sich seit der erstmaligen Reglementierung 1936 ergeben haben. Wie gezeigt, dürften nach Ansicht des Verfassers - nicht alle Aspekte des VerwGesG 2006 gemeinschaftsrechtlichen und verfassungsgesetzlichen Anforderungen genügen. 247
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Vgl insb die Leitentscheidung VfSlg 15.886/2000. Dazu im Einzelnen ausführlich Grabenwarter, Art 133 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundes-Verfassungsrecht, II/2; Grabenwarter/Holoubek, ZfV 2000, 194 ff. IdS auch Schmidinger, Probleme 248. Zum Begriff vgl B. Raschauer, Art 20 Rz 67 f, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundes-Verfassungsrecht, II/1. Vgl statt aller Grabenwarter/Holoubek, ZfV 2000, 213.
Patrick Segalla
Glücksspiel- und Wettrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................244 Grundlegende Literatur...................................................................................244 I. Grundlagen ................................................................................................244 A. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................244 B. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................245 1. Glücksspielmonopol des Bundes.......................................................245 2. Gemeinschaftsrechtliche Fragen der Ländergesetze .........................250 II. Das Glücksspielmonopol - Glücksspielrecht des Bundes .....................251 A. Allgemeines............................................................................................251 1. Ursprung des Glücksspielmonopols..................................................251 2. Definition des Glücksspiels...............................................................251 3. Der Ausspielungsbegriff ...................................................................254 B. Der Umfang des Glücksspielmonopols..................................................255 C. Die Ausübung des Glücksspielmonopols...............................................256 D. Ausspielungen .......................................................................................256 1. Die Übertragung von Ausspielungen ................................................256 2. Voraussetzungen für die Konzessionserteilung ................................257 3. Ausübung der Konzession.................................................................258 E. Spielbanken............................................................................................259 1. Die Übertragung des Rechts zum Betrieb von Spielbanken..............259 2. Die Ausübung der Konzessionen ......................................................260 F. Sonstige Ausspielungen .........................................................................261 G. Durchführung von Glücksspielen im Internet .......................................262 H. Spielgeheimnis.......................................................................................263 J. Verwaltungsstrafen und Zwangsmaßnahmen.........................................263 III. Das Glücksspielrecht der Länder („Kleines Glücksspiel“) ...............264 A. Die landesrechtlichen Regelungen ........................................................264 B. „Kleines Glücksspiel“..........................................................................264 1. Glücksspiele mit Automaten gem § 4 Abs 2 GSpG ..........................264 2. Warenausspielungen gem. § 4 Abs 3 GSpG .....................................266 C. Sonstige vom Monopol ausgenommene Glücksspiele ...........................266 IV. Wettrecht.................................................................................................267 A Die Wettgesetze der Länder....................................................................267 B. Bewilligungspflicht ................................................................................268 C. Ausübungsbedingungen.........................................................................268
Segalla
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Rechtsgrundlagen:
GlücksspielG - GSpG (BGBl Nr. 620/1989 idF BGBl I Nr. 145/2006); Wiener Veranstaltungsgesetz (LGBl Nr 12/1971 idF LGBl Nr 51/2005); Bgld Veranstaltungsgesetz (LGBl Nr 2/1994 idF LGBl Nr 32/2001); NÖ Spielautomatengesetz (LGBl 7071); Oö Spielapparategesetz 1999 (LGBl Nr 53/1999); Steiermärkisches Veranstaltungsgesetz (LGBl Nr 192/1969 idF LGBl Nr 87/2005); Kärntner Veranstaltungsgesetz 1997 - KVAG 1997 (LGL Nr 95/1997 idF LGBl Nr 138/2001); Salzburger Veranstaltungsgesetz 1997 (LGBl Nr 100/1997 idF LGBl Nr 58/2005); Tiroler Veranstaltungsgesetz 2003 TVG (LGBl Nr 86/2003 idF LGBl Nr 72/2004); Vorarlberger Spielapparategesetz, LGBl Nr 23/1981 idF LGBl Nr 27/2005); Wiener Gesetz betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens (StGBl Nr 388/1919 idF LGBl Nr 24/2001); Bgld Gesetz betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens (StGBl Nr 388/1919 idF LGBl Nr 13/1992); NÖ Gesetz über die Tätigkeit der Totalisateure und Buchmacher (LGBl 7030); OÖ Veranstaltungsgesetz (LGBl Nr 75/1992 idF LGBl Nr 61/2005); Stmk Wettgesetz (LGBl Nr 79/2003); Ktn Totalisateur- und Buchmacherwettengesetz - K-TBWG (LGBl Nr 68/1996 idF LGBl Nr 63/2001); Sbg Gesetz über die Tätigkeit der Buchmacher und Totalisateure (LGBl Nr 17/1995 idF LGBl Nr 46/2001); Tir Buchmacher und Totalisateurgesetz (LGBl Nr 89/2002); Vbg Wettengesetz (LGBl Nr 18/2003 idF LGBl Nr 27/2005).
Grundlegende Literatur: Erlacher, Glücksspielgesetz2, 1997; Griller/Reindl, Die Unvereinbarkeit des österreichischen Glücksspielgesetzes mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, ZfV 1998, 234; Schwartz, Glücksspielmonopol mit Ablaufdatum?, ecolex 1999, 582; Schwartz, Strukturfragen und ausgewählte Probleme des österreichischen Glücksspielrechts, 1998; Schwartz/Wohlfahrt, Rechtsfragen der Sportwette, ÖJZ 1998, 601; Schwartz/Wohlfahrt, Glücksspielgesetz Kurzkommentar, 1998; Schwartz/Wohlfahrt, Der glücksspielrechtliche Ausspielungsbegriff, ÖJZ 1999, 339; Schwartz/Wohlfahrt, Glücksverträge im Internet, MR 2001, 393; Schwartz/Wohlfahrt, Kompetenzrechtliche Zuordnung von Gesellschaftswetten, ecolex 2002, 51; Schwartz/Wohlfahrt; Im Auslegen seid frisch und munter… (Replik), ecolex 2003, 797; Streit, Glücksspiel ohne Grenzen im Binnenmarkt? Zwei Urteile des EuGH zu nationalen Beschränkungen des Glücksspiels, MR 1999, 360; Strejcek (Hrsg,), Lotto und andere Glücksspiele - rechtlich, ökonomisch, historisch und im Lichte der Weltliteratur betrachtet, 2003; Strejcek (Hrsg), Glücksspiele, Wetten und Internet (erscheint 2006); Strejcek/Hoscher/Eder (Hrsg.), Glücksspiel in der EU und in Österreich, 2001; Thiele, Rien ne va plus - Glücksspiele im Internet, RdW 2000/294; Thiele, Sportwetten im Internet - Gamb(e)lli(ng) erlaubt! Anmerkung zum EuGH Urteil vom 6. 11. 2003, C-243/01 (Gambelli), RdW 2004/107; Wohlfahrt, Der Zweck heiligt nicht immer die Mittel, ecolex 2000, 166.
I. Grundlagen A. Kompetenzrechtliche Einordnung Die Regelungen des GSpG über Glücksspiele, die dem Glücksspielmonopol des Bundes unterliegen, stützen sich auf den Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG, Monopolwesen.1 Glücksspielrecht außerhalb des Bereichs 1
Die Auslegung dieses Kompetenztatbestandes wirft verschiedene Schwierigkeiten auf: Siehe dazu den Beitrag „Monopolbetriebe“ im selben Band.
Glücksspiel- und Wettrecht
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des Glücksspielmonopols fällt gem Art 15 Abs 1 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung in die Landeszuständigkeit.2 Dasselbe gilt für wettrechtliche Regelungen, und zwar sowohl hinsichtlich der Sportwetten (Buchmacher- und Totalisateurwesen),3 als auch - nach Ansicht der Lehre - hinsichtlich sonstiger Wetten.4
B. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Glücksspielmonopol des Bundes Der EuGH hatte in verschiedenen Fällen Gelegenheit, zur gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit nationaler Verbote bzw. Monopole im Glücksspielbereich Stellung zu nehmen.5 Klargestellt wurde vom EuGH bereits in seiner ersten diesbezüglichen Entscheidung Schindler, dass die Veranstaltung von Lotterien eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt, die unter den Dienstleistungsbegriff des EGV fällt und damit grundsätzlich den einschlägigen Regeln des Vertrages (Art 49 ff EGV, damals Art 59 ff EGV-alt) unterliegt.6 Dasselbe gilt für den Betrieb von Glücksspielautomaten (Läärä)7 und die Veranstaltung von Wetten (Zenatti).8 Im Übrigen stellen nationale Regelungen, die die Durchführung von Lotterien überhaupt verbieten, selbst bei nichtdiskriminierender Behandlung genauso Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs dar wie jene, die nur einer bestimmten öffentlich-rechtlichen Einrichtung den Betrieb von Glücksspielau2
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Vgl VfSlg 7567/1975 sowie Schwartz/Wohlfahrt, Glücksspielgesetz, 19 f. Siehe zuletzt auch Strejcek, „Überlegungen zum kleinen Glücksspiel“, in: Strejcek (Hg), Glücksspiele, Wetten und Internet (im Erscheinen), 97 f. VfSlg 1477/1932; Mayer, B-VG3, 101 f. Gesellschaftswetten: Schwartz/Wohlfahrt, Kompetenzrechtliche Zuordnung von Gesellschaftswetten, ecolex 2002, 51 (53); vergleiche auch Wojnar, Internet, Wetten und Glücksspiel, in: Strejcek (Hg), Glücksspiele, Wetten und Internet (im Erscheinen), 1 (27 f). Siehe aber Hoscher/Strejcek, Was ist Wette, was ist Spiel? in: Strejcek (Hg), Lotto und andere Glücksspiele, 69 (82). Siehe auch § 2 Abs 1 Z 22 GewO 1994, der nur Wetten aus Anlass sportlicher Veranstaltungen vom Anwendungsbereich der GewO 1994 ausnimmt. Trifft die in der Lehre überwiegend vertretene Ansicht zu, auch sonstige (Gesellschafts-) Wetten fielen in die Landeskompetenz, wäre der fehlende Ausschluss von Gesellschaftswetten aus dem Anwendungsbereich der GewO 1994 als kompetenzwidrig zu betrachten. Alternativ wäre anzudenken, wie dies Schwartz/Wohlfahrt, aaO, tun, Gesellschaftswetten unter die Ausnahmebestimmung des § 2 Abs 1 Z 17 GewO 1994 („Betrieb von Theatern und Lichtspieltheatern und von Unternehmen öffentlicher Belustigungen und Schaustellungen aller Art, musikalische und literarische Darbietungen“) zu subsumieren. Dies würde der Argumentation des VfGH in VfSlg 1477/1932 entsprechen, wonach das Buchmacher- und Totalisateurwesen wegen der „größten Ähnlichkeit“ mit öffentlichen Belustigungen und Schaustellungen dem Kompetenztatbestand des Art 15 BVG zu unterstellen sei. EuGH Rs C-275/92, Schindler, Slg 1994 I-1039, Rs C-124/97, Läärä, Slg 1999 I6067; Rs C-67/98, Zenatti, Slg 1999 I 7289; EuGH, Rs C-6/01 Anomar, Slg 2003 I08621; EuGH, Rs C-243/01 Gambelli, Slg 2003 I-13031. EuGH, Schindler (FN 5); vgl Holoubek in Schwarze (Hg.), EU-Kommentar, 2000, Art 50 RdZ 20. EuGH, Läärä (FN 5). EuGH, Zenatti (FN 5).
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tomaten gestattet oder die Abhaltung von Wetten bestimmten Einrichtungen vorbehält. Trotz dieser Feststellungen erklärte der EuGH jedoch in den Urteilen Schindler, Läärä und Zenatti Beschränkungen im Glücksspielwesen in einem sehr weiten Ausmaß, das bis zum Totalverbot reichen kann,9 als mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar. Als Begründung dafür akzeptierte der EuGH zwingende soziale Gründe, die die Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen haben. Denn Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im Glücksspielwesen können zum Zwecke des Spielerschutzes und des Schutzes der Sozialordnung erforderlich sein: Derart könne ein sozialschädliches Verhalten, das Spielsucht und finanzieller Selbstgefährdung der Spieler zur Folge haben kann, hintangehalten oder zumindest kontrolliert werden. Dasselbe gilt nach Auffassung des EuGH auch für das Anliegen der Mitgliedsstaaten, die organisierte Kriminalität und insb die Geldwäsche zu kontrollieren.10 Nicht als direkt entscheidungsrelevant betrachtete der EuGH hingegen die Tatsache, dass Einnahmen aus dem Glücksspiel im Regelfall für karitative und soziale Zwecke verwendet werden. Ein derartiger zusätzlicher Ertrag könne zwar ein positiver Nebeneffekt sein, vermag aber die Zulässigkeit die Dienstleistungsfreiheit beschränkender Regelungen nicht zu rechtfertigen.11 Die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit erachtet der EuGH konsequenterweise dann nicht mehr als gerechtfertigt, wenn die Erzielung zusätzlicher Einnahmen nicht mehr nur die genannte „erfreuliche Nebenfolge“, sondern eigentlicher Grund der restriktiven Politik ist. 12 Hervorzuheben ist die den drei Urteilen Schindler, Läärä und Zenatti zugrunde liegende Feststellung des EuGH, Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im Glücksspielbereich seien in weitem Ausmaß zulässig, und den Mitgliedsstaaten komme ein Ermessensspielraum bei der Frage zu, ob sie die betroffenen Glücksspiele vollständig verbieten wollen, oder ihre Ausübung nur beschränken.13 Diese Sichtweise wurde vom EuGH zuletzt im Urteil Anomar neuerlich bestätigt.14 Kurz nach Anomar legte der EuGH allerdings in der Rs Gambelli, der ein vergleichbarer Fall zu Grunde lag, nämlich die Frage nach der Zulässigkeit eines Sportwettenmonopols, einen strengeren Maßstab an.15 Zwar verwies er dem Grundsatz nach wiederum auf die von ihm in den Vorentscheidungen anerkannten Rechtfertigungsgründe für eine Beschränkung der Spieltätigkeit. Er sprach jedoch auch aus, dass diese „Beschränkungen, die auf solche Gründe sowie auf die Notwendigkeit gestützt sind, Störungen der sozialen Ordnung vorzubeugen, auch geeignet sein [müssen], die Verwirklichung dieser Ziele in 9
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Die britische Rechtslage, die zum Urteil im Fall Schindler führte, sah - mit bestimmten Ausnahmen - ein Totalverbot für Lotterien bis zum Inkrafttreten des National Lottery Acts 1993 vor. Vgl auch Eder/Hoscher, Rahmenbedingungen des Glücksspiels in Österreich in Strejcek/Hoscher/Eder (Hg.), Glücksspiel in der EU und Österreich, 2001, 13, 18. So ausdrücklich der EuGH in Zenatti (FN 5), RdZ 36. Vgl Wohlfahrt, Der Zweck heiligt nicht immer die Mittel, ecolex 2000, 166, 167f. EuGH, Schindler (FN 5), RdZ 62; Läärä (FN 5), RdZ 5; Zenatti (FN 5), RdZ 33. EuGH, Anomar (FN 5). EuGH, Gambelli (FN 5).
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dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beitragen“.16 Dies sei dann nicht gewährleistet, wenn die Behörden eines Mitgliedsstaates „die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Lotterien, Glücksspielen und Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen.“17 Der EuGH zog auch in Zweifel, ob die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit in Hinblick auf die Vermeidung krimineller oder betrügerischer Aktivitäten der Konzessionäre (wohl insbesondere Geldwäsche) erforderlich seien, da es andere Mittel gebe, „die Konten und Tätigkeiten solcher Gesellschaften zu kontrollieren“.18 Während zwar im Ergebnis durch diese Entscheidung den Mitgliedsstaaten auch weiterhin einiger Spielraum bei der Gestaltung ihrer Spiel- und Wettregelungen eingeräumt bleibt, hat der GH die Anforderungen an die kohärente Ausgestaltung der jeweiligen Regelungssysteme durch seine die bisherige Rechtsprechung präzisierenden Ausführungen erhöht. Aus den EuGH-Entscheidungen Schindler, Läärä und Zenatti wurden - mit Blick auf die österreichische Rechtslage - von den Kommentatoren unterschiedliche Schlüsse gezogen: Von zahlreichen Seiten wurde die Vereinbarkeit der innerstaatlichen Regelungen mit Art 59 EGV bejaht.19 Jene Autoren, die dem österreichischen Glücksspielmonopol kritisch gegenüberstanden, beriefen sich insbesondere darauf, dass das GSpG im Unterschied zu den vom EuGH beurteilten Vorschriften anderer Mitgliedsstaaten der Einnahmenerwirtschaftung für den Staat den Vorrang gegenüber den Anliegen des Sozialschutzes gäbe.20 Die angeführten Kritiken sind unterschiedlich zu beurteilen. Dass das GspG zumindest auch den Schutz der sozialen Ordnung im Auge hat, ist unbestreitbar: Es enthält Vorschriften zum Schutz der Spieler und zahlreiche Regeln, die sicherstellen sollen, dass das Glücksspiel nicht für Zwecke der organisierten Kriminalität missbraucht werden kann. Dass § 14 Abs 5 bzw. § 21 Abs 5 GSpG festlegen, dass im Falle mehrerer Bewerber um die Ausspielungskonzession bzw. eine Spielbankenkonzession demjenigen Bewerber der Vorzug zukommt, welcher den höchsten Abgabenertrag für den Bund erwarten lässt, lässt für sich selbst gesehen noch nicht den Schluss zu, die Einnahmenerwirtschaftung sei vorrangiges Ziel des Gesetzgebers. Denn dieses Auswahlkriterium wird ausdrücklich nur dann schlagend, wenn die übrigen Voraussetzungen für eine Konzessionserteilung schon vorliegen, Voraussetzungen, die fast aus-
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EuGH, Gambelli (FN 5), RdZ 67. EuGH, Gambelli (FN 5), RdZ 69. EuGH, Gambelli (FN 5), RdZ 74. Mayer, Das Glücksspiel im Spannungsfeld zwischen staatlicher Ordnungspolitik und Marktfreiheit, in Strejcek/Hoscher/Eder (Hg.), (FN 10), 23 (29ff) = ecolex 2000, 243 (246) sowie Kühteubl in Strejcek/Kühteubl, Verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Fragen des österreichischen Glücksspielrechts, in Strejcek/Hoscher/Eder (Hg.), (FN 10), 33 (53ff und 56ff). Zweifelnd Streit, Glücksspiel ohne Grenzen im Binnenmarkt? Zwei Urteile des EuGH zu nationalen Beschränkungen des Glücksspiels, MR 1999, 360 (362f) sowie offenbar auch Wohlfahrt, Der Zweck heiligt nicht immer die Mittel, ecolex 2000, 166 (167f).
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schließlich ordnungspolitische Ziele betreffen.21 Allerdings ist zu bedenken, dass die Erläuterungen selbst ausführen, dass die Beschränkung der Konzessionserteilung für Spiele gem. § 14 GSpG auf nur eine Kapitalgesellschaft letztlich dem Interesse des Bundes dient, „als Monopolinhaber ein Maximum an Gewinn bei diesen Ausspielungen zu erreichen“.22 Einiges Gewicht haben Einwände, die darauf hinweisen, dass das GSpG keine Maximalhöhen für Einsätze und Gewinne sowie Werbebeschränkungen festsetzt und den Ausspielungskonzessionär in § 17 Abs 7 GSpG zur generellen medialen Unterstützung der Glücksspieldurchführung verpflichtet.23 Dem könnte wiederum im Lichte der Ausführungen des EuGH in Gambelli, in dem der Gerichtshof genau diesen Umstand ansprach - nämlich die Tatsache, dass der Staat den „Spieltrieb“ einerseits fördert, andererseits behauptet, die Beschränkung der Grundfreiheiten sei zum Spielerschutz erforderlich - Bedeutung zukommen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es durchaus denkbar, auch Werbemaßnahmen, die vom Betreiber selbst durchgeführt werden, ebenfalls als problematisch im Lichte der von EuGH geforderten Kohärenz und Systematik des Glücksspielsystems einzustufen. Dabei gilt es freilich zu bedenken, dass sich die Ausführungen des EuGH darauf beziehen, dass „die Behörden“ selbst die Verbraucher ermuntern, am Glücksspiel teilzunehmen, und nicht feststeht, dass sich diese Aussagen ohne weiteres auf Werbemaßnahmen der Glücksspielbetreiber (bzw auf nicht bestehende staatliche Werbeverbote) übertragen lassen.24 Im Lichte des Urteils Gambelli ist schließlich davon auszugehen, dass das Anliegen der Bekämpfung der organisierten Kriminalität für eine derart weitreichende Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, wie sie das Glücksspielmonopol darstellt, nicht mehr zwangsläufig eine Rechtfertigung bieten kann. An der Vereinbarkeit des Glücksspielmonopols in der konkreten Ausgestaltung des GSpG mit der Gambelli-Linie können aus den dargelegten Gründen 21 22 23
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So auch Strejcek in Strejcek/Kühteubl (FN 19), 40f. Vgl 1067 BlgNR XVII GP, zu § 14. Die von Streit (FN 20), 362 - im Lichte von Gambelli wohl zu Recht - als bedenklich angesehene Regelung, wonach der Konzessionär gewisse Beträge von der Konzessionsabgabe zwecks Finanzierung der „medialen Unterstützung“ (früherer § 17 Abs 7) abziehen kann, ist mit BGBl I 105/2005 allerdings entfallen. Nach Fertigstellung dieses Beitrages hat der EuGH eine weitere Entscheidung zu Fragen der Ausgestaltung nationaler Glücksspiel- bzw Wettregelungen getroffen: Im Urteil vom 06.03.2007, verb Rs C-338/04, C-359/04 und C-360/04, Placanica (noch nicht in amtlicher Sammlung) folgte der EuGH dem Vorbringen einiger Mitgliedstaaten, wonach es, um bisherige Nutzer illegaler Glücksspiele zum Wechsel in den Bereich legaler Glücksspiele zu bewegen, erforderlich sein kann, „dass die zugelassenen Betreiber eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative zur verbotenen Tätigkeit bereitstellen, was das Angebot einer breiten Palette von Spielen, einen gewissen Werbeumfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken mit sich bringen kann“. Die Ausführungen in Gambelli zur Kohärenz der Glücksspiel- und Wettsysteme in den Mitgliedstaaten dürften insofern zu differenzieren sein. Im Übrigen bestätigte der EuGH sein Urteil in der Rs Gambelli dahingehend, dass er einen generellen Ausschluss aller Kapitalgesellschaften, deren Anteilseigner nicht jederzeit feststellbar seien, von der Erteilung einer Wettkonzession als unverhältnismäßig in Bezug auf die Verhinderung krimineller oder betrügerischer Tätigkeiten ansah.
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jedenfalls Bedenken formuliert werden.25 Bei den Spielbanken kommt als möglicher Angriffspunkt gegen die Ausgestaltung des Rechtsrahmens nach GSpG hinzu, dass streng genommen kein österreichweites Monopol im technischen Sinne besteht, sondern - durch die Beschränkung auf 12 Konzessionen im Bundesgebiet gem § 21 GSpG - eine starke Restriktion der Erwerbsausübung und dadurch bewirkte weit reichende regionale Monopole. Während gegen die Beschränkung von Spielgelegenheiten auf eigens zugelassene und möglicherweise auch zahlenmäßig beschränkte Spielkasinos im Lichte der zitierten EuGH-Judikatur im Grundsatz nichts einzuwenden sein dürfte, dürfte eine ausreichende Rechtfertigung für die derzeitige Regelung fehlen, die bewirkt, dass nur an ganz wenigen, ohne klare Kriterien verteilten, Orten in Österreich überhaupt eine Spielmöglichkeit besteht. Hier könnte wiederum die Kohärenz und Systematik im Regelungsregime fehlen, die der EuGH verlangt. Bedenken an der Gemeinschaftsrechtskonformität der geltenden österreichischen Rechtslage dürfte auch die Europäische Kommission hegen: Wie Pressemeldungen zu entnehmen war, wird gegen Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.26 In der Literatur wurden in der Vergangenheit überdies auch Zweifel an der Vereinbarkeit von Einschränkungen im Glücksspielbereich mit den Wettbewerbsvorschriften des EGV formuliert.27 Der EuGH hat zu dieser Frage bislang aber noch nicht Stellung genommen. Der VwGH hat das österreichische Glücksspielmonopol in Hinblick auf vorgebrachte gemeinschaftsrechtliche Bedenken als Finanzmonopol „mit besonderen ordnungspolitischen Zielsetzungen“ iSd Art 86 Abs 2 EGV eingestuft.28 Diese Begründung, zu der die zitierten EuGH-Entscheidungen keine Aussage enthalten, ist in der Lehre auf Kritik gestoßen.29 Zwar ist eine sinnvolle Beurteilung dieser Bewertung durch den VwGH mangels einschlägiger EuGH-Judikatur zur Frage des Vorliegens eines Finanzmonopols sehr schwierig, in der Literatur wurde aber vertreten, dass ein Finanzmonopol nur dann in Frage kommt, wenn das Monopol ausschließlich aus fiskalischen Gründen geschaffen wird.30 Angesichts der Tatsache, dass das GSpG primär ordnungspolitische Zielsetzungen verfolgt, dürfte diese Voraussetzung nicht vorliegen, was auch in der Bezeichnung durch den VwGH, „Finanzmonopol mit besonderen ordnungspolitischen Zielsetzungen“ 25
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Gegen die Vereinbarkeit des Monopols mit Gambelli Thiele, Sportwetten im Internet - Gamb(e)lli(ng) erlaubt! Anmerkung zum EuGH Urteil vom 6. 11. 2003, C243/01 (Gambelli), RdW 2004/107. Vgl etwa Die Presse vom 23.9.2006, „EU rüttelt an Glücksspiel-Monopol“. Aus diesem Artikel ergibt sich, dass insbesondere die restriktiven Spielbankenregelungen als problematisch angesehen werden. Insb. von Griller/Reindl, Die Unvereinbarkeit des österreichischen Glücksspielgesetzes mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, ZfV 1998, 234, wurde die Vereinbarkeit der österreichischen Rechtslage mit der genannten Vertragsbestimmung bestritten. AA Kühteubl (FN 19), 55 ff sowie Strejcek, Zahlenlotto und andere Glücksspiele in rechtlicher Betrachtung, in: Strejcek (Hg.), Lotto und andere Glücksspiele, 13, 59. Vgl VwGH, GZ 97/17/0175 vom 21.12.1998 sowie GZ 2004/17/0035 vom 4.8.2005. Vgl Schwartz, Strukturfragen und ausgewählte Probleme des österreichischen Glücksspielrechts, 583 f. Vgl Hochbaum, in: Schröter/Jakob/Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, Artikel 86, RdZ 57.
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zum Ausdruck kommt. Im Übrigen würde die Qualifikation des Glücksspielmonopols als Finanzmonopol - wobei die Monopolstellung nicht von Vornherein, sondern erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art 86 Abs 2 EGV zu rechtfertigen wäre - jene bereits dargestellte - und auch vom EuGH grundsätzlich akzeptierte - Argumentation zwangsläufig ausschließen, wonach das Monopol aus ordnungspolitischen Motiven heraus gerechtfertigt ist:31 Denn spätestens in Gambelli hat der EuGH klargestellt, dass eine Rechtfertigung des Monopols mit ordnungspolitischen Gesichtspunkten dann nicht zulässig ist, wenn der Staat gleichzeitig einnahmenmaximierende Interessen durch Ermunterung zum Glücksspiel verfolgt. Die Einstufung des Glücksspielmonopols als Finanzmonopol iSd Art 86 Abs 2 EGV ist auch deswegen fragwürdig, weil kaum angenommen werden kann, dass ein Monopol, das Unternehmen eingeräumt ist, die nicht mehrheitlich dem Staat gehören und die zwar (hoch) besteuert werden, aber ihre (Monopol-) Gewinne nicht dem Staat abzuliefern haben, tatsächlich vom EuGH unter den Begriff des Finanzmonopols subsumiert würden.
2. Gemeinschaftsrechtliche Fragen der Ländergesetze Den Ländern kommt - als Ausnahme vom Glücksspielmonopol gem § 4 GSpG - die Regelungskompetenz für das sog „kleine Glücksspiel“ (insb das Automatenglücksspiel um niedrige Beträge) zu.32 Die diesbezüglichen Regelungen sehen in den meisten Ländern ein Totalverbot bestimmter Formen des kleinen Glücksspiels (nämlich von Glücksspielautomaten) vor, manche Bundesländer gestatten hingegen innerhalb gewisser Grenzen die Aufstellung von Spielautomaten. Diese Regelungen stellen im Lichte der skizzierten EuGH-Rechtsprechung Einschränkungen der Dienstleistungs- bzw der Niederlassungsfreiheit vor und bedürfen daher entsprechender Rechtfertigung. Zwar dürfte das Totalverbot des Automatenglücksspiels in den meisten Bundesländern aufgrund von zwingenden Gründen des Allgemeininteresses und dem vom EuGH in den besprochenen Erkenntnissen, insb der Rs Schindler - in der der EuGH ein derartiges Totalverbot akzeptiert hat - gewährten Beurteilungsspielraum gemeinschaftsrechtlich zulässig sein. Problematisch könnte aber eine Gesamtbetrachtung dieser Verbote zusammen mit den bundesrechtlichen Regelungen zum Glücksspielmonopol und anderen landesrechtlichen Regelungen, die das kleine Glücksspiel in stark reglementierter Form erlauben, sein. Dies wiederum vor dem Hintergrund, dass dadurch dem österreichischen Glücksspielsystem seine Kohärenz als ein primär sozial- und ordnungspolitischen Zielsetzungen verpflichteter Regelungsrahmen genommen werden könnte. Dort, wo das kleine Glücksspiel erlaubt ist, sind EU-/EWR-Bürger - ebenso wie im Wettrecht - Inländern gleichgestellt. Die nicht unbeträchtlichen Marktzugangsbarrieren (insb im Hinblick auf die persönlichen Voraussetzungen) sind als Beschränkungen der Niederlassungs- bzw der Dienstleistungsfreiheit zu werten. Ihre Rechtfertigung aufgrund zwingender Gründe des Allgemeininteresses erscheint im Lichte der erwähnten EuGH-Judikatur möglich, ist aber im Einzelfall zu prüfen.33 Vergleichbares gilt für den Wettbereich. 31 32 33
Vgl Schwartz (FN 29), 583. Vgl ausführlich unten III. Vgl etwa Strejcek (FN 2), 106 ff.
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II. Das Glücksspielmonopol - Glücksspielrecht des Bundes A. Allgemeines 1. Ursprung des Glücksspielmonopols Aus dem ursprünglichen ordnungspolitischen, weitgehenden Verbot des Glücksspiels entwickelten sich ab dem 15 Jhdt - zunächst in Italien - Formen staatlicher Duldung und in Folge staatlicher Veranstaltung von Glücksspielen (ursprünglich ausschließlich in Form von Lotterien), die zuallererst fiskalischen Zwecken dienten.34 Insbesondere unter der Herrschaft Maria Theresias wurden in Österreich die Lotterien aus dem Glücksspielverbot herausgenommen und vom Staat selbst oder von staatlich bestimmten Personen veranstaltet.35 Das heutige Glücksspielmonopol entwickelte sich aus diesen königlichen Regalien und nahm seine derzeitige Form in der Ersten Republik an, als auch die damaligen „Hasardspiele“ vom absoluten Glücksspielverbot ausgenommen und ihre Veranstaltung dem Staat übertragen wurde.36 Die dadurch entstandene Zweiteilung des Monopols in Lotterien und Spielbanken besteht auch in der heutigen Rechtsgrundlage - dem Glücksspielgesetz 1989 - fort.37
2. Definition des Glücksspiels a) Legaldefinition § 1 Abs 1 GSpG und § 168 Abs 1 StGB definieren Glücksspiele in gleicher Weise als Spiele, bei denen Gewinn und Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängen.38 Schwartz sieht die ausschließliche oder vorwiegende Zufallsabhängigkeit eines Spiels dann als gegeben an, wenn sich die aleatorischen gegenüber den anderen Momenten (Geschicklichkeit, Kraft, etc.) in einer bloßen absoluten Mehrheit befinden.39 b) Abgrenzung von Spiel und Wette Der Begriff des Spiels stammt nach hL aus dem Bürgerlichen Recht:40 § 1272 ABGB bezeichnet das Spiel als eine Untergattung der Wette. Die Anknüpfung an die Begrifflichkeiten des ABGB bekräftigen auch die Materialien.41
34 35 36 37 38
39 40 41
Zum Folgenden siehe Schwartz (FN 5), 7ff. Schwartz (FN 29), 9ff. Schwartz (FN 29), 14. Schwartz (FN 29), 17. Der Glücksspielbegriff des § 1 GSpG ist mit jenem des § 168 StGB nach hL und Jud deckungsgleich. Vgl Schwartz (FN 29), 39f; 1067 BlgNR, XVII GP; VwGH 18.12.1995, VwSlg. 7057 F/1995. § 168 StGB normiert ein strafrechtliches Verbot sämtlicher Glücksspiele. Die hL nimmt an, dass die behördliche Bewilligung von Glücksspielen (nach dem GspG oder landesgesetzlichen Vorschriften) einen Rechtfertigungsgrund für § 168 StGB darstellt; Vgl Schwartz (FN 29), 45ff mwN. Schwartz (FN 29), 86f. Schwartz (FN 29), 91. Siehe RV 1067 dB, 17. GP, zu § 1.
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Die Abgrenzung von Wette (im engeren Sinn) und Spiel ist im Einzelnen schwierig.42 Das Element des (noch) unbekannten Ausgangs eines Ereignisses ist ein Merkmal der Wette, und als solches auch dem Spiel eigen.43 Es fehlt im ABGB aber eine Definition jener Merkmale, die den Begriff des Spiels gegenüber jenem der Wette im engeren Sinn („reine“ oder „echte“ Wette) abgrenzen. In der Literatur hat sich zur Abgrenzung der beiden Begriffe - die von großer Bedeutung ist, weil nach dem GSpG nur Spiele unter das Glücksspielmonopol des Bundes fallen - in den vergangenen Jahren eine lebhafte Kontroverse entwickelt, wobei im Wesentlichen drei Sichtweisen vertreten werden. • Häufig werden die unterschiedlichen Beweggründe der Teilnehmer als differenzierendes Merkmal herangezogen (Spiel als Unterhaltung, Wette als „Herausforderung“, das richtige Ergebnis vorherzusagen, mithin also als Test des Wissens und der Erfahrung).44 Diese Auffassung hat den großen Nachteil, dass sie die Abgrenzung ausschließlich in den subjektiven Bereich legt, was aufgrund der bedeutsamen rechtlichen Konsequenzen wenig zweckmäßig erscheint. • Schwartz - und mit ihm im Weiteren auch Wohlfahrt - unterscheidet demgegenüber anhand objektiver Merkmale dahingehend, dass beim Spiel der Spielteilnehmer am Ausgang des Ereignisses durch sein eigenes Verhalten mitwirkt; bei der „bloßen“ Wette ist er nur Beobachter.45 Diese Auffassung hat den eindeutigen Vorzug, dass sie eine klare Abgrenzung ermöglicht. Sie führt allerdings, wie Schwartz selbst betont zum Ergebnis, dass das Toto als reine Wette nicht als Glücksspiel anzusehen wäre.46 Wendet man das Unterscheidungskriterium konsequent an, kommt man aber zum Ergebnis, dass auch bestimmte andere Ausspielungen, insbesondere das Lotto, nach diesem Verständnis nicht als Glücksspiel angesehen werden könnten: Denn auch hier ist der Spieler bloßer Beobachter eines von ihm unabhängigen Ereignisses, nämlich der automatisierten, völlig vom Zufall abhängigen Ausspielung.47 • Hoscher und Strejcek sind der Ansicht von Schwartz und Wohlfahrt entgegengetreten, und haben zwischen Wette und Spiel danach differenziert, ob „die Vorhersehbarkeit des Ausganges eines Ereignisses durch Wissen und Kenntnisse zumindest erhöht wird (dann Wette; Anm des Verfassers) oder dies - wie bei rein aleatorisch bedingten Vorgängen - bereits im Bereich des Irrelevanten anzusiedeln ist.“ Diese Erhöhung der Vorhersehbarkeit ergäbe sich bei Sportwetten, nicht aber bei Wetten etwa über eine mögli42 43 44 45
46
47
Vgl Krejci in Rummel (Hg.), ABGB 2. Band, §§ 1267 - 1274, Rz 16. Schwartz (FN 29), 92. Vgl auch Wojnar (FN 4), 24. Schwartz (FN 29), 94 sowie Schwartz/Wohlfahrt, im Auslagen seid frisch und munter…(Replik), ecolex 2003, 797. Vgl nunmehr auch Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts II, 12. Auflage, 2001, 253. Schwartz (FN 29), 142 und Schwartz/Wohlfahrt, Rechtsfragen der Sportwette, ÖJZ 1998, 601. Schwartz zieht daraus auch die Konsequenz, dass sich Toto als „reine“ Wette nicht auf den Kompetenztatbestand des Monopolwesens stützen könne. Richtigerweise ist die Frage der Kompetenz aber von der Frage des Spielbegriffs des GSpG zu trennen. So offenbar auch Hoscher/Strejcek (FN 4), 69.
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che Heirat. Auch diese Auffassung stößt auf Bedenken: Erstens stellt sie auf subjektives Wissen ab, welches von Person zu Person unterschiedlich sein kann. Dass die große Mehrheit der Menschen nur raten kann, ob zwei Stars demnächst heiraten werden, hindert nicht, dass manche Personen dies vielleicht schon wissen, oder zumindest über Informationen verfügen, die die Treffsicherheit ihrer Prognose erhöhen. Die Zuordnung zu Wette oder Glücksspiel aber von solchen subjektiven Faktoren abhängig zu machen, erscheint nicht zweckmäßig. Zweitens gibt es auch im GSpG geregelte Spiele, bei denen Wissen des Spielenden diesem Vorteile verschaffen kann: Zu denken ist insbesondere an die Kartenspiele. Und drittens spricht der Wortlaut des § 2 GSpG eher gegen diese Auslegungsvariante, geht es ihm doch um das tatsächliche Erzielen eines Gewinnes oder Verlustes - als Folge des tatsächlichen Eintritts eines Ereignisses - und nicht um die Gewinnprognose. Aus meiner Sicht hat die Auffassung von Schwartz und Wohlfahrt jedenfalls für den Bereich des ABGB den großen Vorteil der eindeutigen Abgrenzbarkeit für sich. Sie entspricht darüber hinaus auch der intuitiven Vorstellung dessen, was eine Wette (im engeren Sinn) und was ein Spiel darstellt. Allerdings steht fest, dass die Abgrenzung aus den dargelegten Gründen auf das GSpG nicht eins zu eins übertragbar ist.48 Dies ist aber auch nicht zwingend erforderlich: Vielmehr kann man durchaus zum Ergebnis kommen, dass das GSpG hinsichtlich dieser Abgrenzung vom ABGB abweichen will. Zwei Varianten stehen mE zur Disposition: • Die Abgrenzung nach GSpG orientiert sich grundsätzlich an jener des ABGB, sieht im Einzelfall aber - etwa für das Toto oder manch andere Ausspielungen - eine abweichende Regelung vor. Mit anderen Worten können Wetten, bei denen der Wettende bloßer Zuseher ist, nicht unter den Begriff des Glücksspiels im Sinne des GSpG subsumiert werden, es sei denn, das GSpG enthält - wie zB beim Toto - eine ausdrückliche Regelung dahingehend. Dies entspräche den Gesetzesmaterialien, die die grundsätzliche Anknüpfung an den Spielbegriff des ABGB zum Ausdruck bringen; • oder aber der Spielbegriff des GSpG ist ein autonomer und verdrängt im Anwendungsbereich dieses Gesetzes jenen des ABGB vollständig:49 Ein Glücksspiel läge demgemäß immer dann vor, wenn Gewinn oder Verlust des „Spiels“ vorwiegend oder ausschließlich vom Zufall abhängen, ohne dass es darauf ankommt, ob das „Spiel“ nach ABGB allenfalls als Wette (im engeren Sinn) einzustufen wäre. Für diese Sichtweise - die der skizzierten Position von Hoscher und Strejcek ähnelt, ihr aber nicht zur Gänze entspricht - spricht das teleologische Argument, den gesamten Bereich von „Glücksunterhaltungen“ einem strengen, monopolisierten Regelungsregime zu unterwerfen. Der Unterschied zwischen den beiden Ansichten auf den Punkt gebracht: Eine „Wette“ einer Person darüber, wie ein Würfelspiel zweier anderer Personen ausgeht, wäre nach Ansicht 1 eine Wette im engeren Sinn, da der Wettende 48 49
Vgl aber noch der Verfasser in: Monopolbetriebe, Holoubek/Potacs (Hg), Handbuch des Öffentlichen Wirtschaftsrechts [1. Auflage], Band 1. So offenbar Wojnar (FN 4), 28.
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bloßer Beobachter ist, und diese Form der „Wette“ im GSpG nicht eigens als Glücksspiel definiert wird, mit dem Ergebnis, dass diese „Wette“ nicht dem Glücksspielmonopol unterliegt. Nach Ansicht 2 handelte es sich hingegen um ein Glücksspiel, da Gewinn oder Verlust des Wettenden vom zufälligen Ergebnis des Würfelspiels abhängt: Der Anwendungsbereich des Glückspielmonopols wäre eröffnet. Welchen dieser beiden Varianten der Vorzug gegeben werden soll, lässt sich argumentativ kaum klären. Zumindest ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes lässt aber einen Vorzug für Variante eins erkennen.50 Letztlich zu klären ist die Frage, ob sich der Gesetzgeber bei der Regelung aller Glücksspiele, die vom GSpG umfasst sind noch auf dem Boden des Kompetenztatbestandes „Monopolwesen“ befindet. Dies wird hinsichtlich des Totos in der Lehre bezweifelt.51 Eine Lösung hängt davon ab, welcher Auslegung des Kompetenztatbestandes „Monopolbetrieb“ man folgt.52 Ein Problem stellt sich dann von Vornherein nicht, wenn man Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG als die Normierung einer Kompetenz-Kompetenz des einfachen Bundesgesetzgebers ansieht. Aber auch wenn man dies nicht tut: Angesichts des beim Toto überwiegenden aleatorischen Elements53 dürfte einer Einbeziehung in den Kompetenztatbestand „Monopolwesen“ im Wege einer intrasystematischen Fortentwicklung wenig entgegenstehen. In der Praxis, insb der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, spielt die Abgrenzung des Glücksspiels vom Geschicklichkeitsspiel im Vergleich zur Abgrenzung von der Wette die weitaus größere Rolle.54
3. Der Ausspielungsbegriff Zentral für die Ermittlung des Geltungsbereichs des Glücksspielmonopols ist der Begriff der Ausspielung gem § 2 Abs 1 GSpG: Denn § 4 Abs 1 GSpG, welcher die Ausnahmen vom Monopol normiert, verwendet den Begriff der Ausspielung als wesentliches Abgrenzungskriterium.55 Eine Ausspielung ist demnach ein Glücksspiel, bei dem der Unternehmer (Veranstalter) den Spielern für eine vermögensrechtliche Leistung eine vermö-
50
51 52 53 54
55
Erkenntnis des VwGH vom 23.12.1991, GZ 89/17/0258, wo davon ausgegangen wird, dass das Toto erst durch die ausdrückliche Einbeziehung in den Anwendungsbereich des GSpG 1962 zum Glücksspiel wird. Vgl Schwartz (FN 29), 142. Siehe dazu den Beitrag „Monopolbetriebe“ im selben Band. Vgl Hoscher/Strejcek (FN 4), 78. Vgl zuletzt VwGH vom 8.9.2005, GZ 2000/17/0201, in dem der VwGH bestätigt, dass es sich bei den Kartenspielen „7 Card Stud Poker“, „Texas Hold'Em“ und „5 Card Draw“ ebenso wie beim „optischen Kugelkarusell“ um Glücksspiele handelt, weil Gewinn oder Verlust überwiegend vom Zufall abhängen; siehe etwa auch VwGH vom 25.7.1990, GZ 86/17/0062 („5 Millionen Rubbel-Puzzle“); siehe zum „optischen Kugelkarusell“ auch schon zB VwGH vom 27.04.1981, GZ 0982/80 mwN. Vgl Casati, Vom Glücksspielmonopol erfasste Ausspielungen, in Strejcek/Hoscher/ Eder (Hg.), (FN 10), 89 (91f) = ÖJZ 2000, 13.
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gensrechtliche Gegenleistung in Aussicht stellt.56 Erforderlich für die Existenz einer Ausspielung ist somit das Vorhandensein des Unternehmers/Veranstalters (einer von den Spielern verschiedenen Person), wobei die von diesem erbrachte Aussicht auf Gegenleistung in einem (losen) synallagmatischen Verhältnis zur vermögensrechtlichen Spielerleistung steht.57 Deshalb sind jene Glücksspiele keine Ausspielungen, bei denen nur Spieler einander gegenüberstehen und ein Unternehmer (Veranstalter) überhaupt nicht beteiligt ist. Nicht entscheidend ist jedoch, wem der Spieler die vermögensrechtliche Leistung, und wer die vermögensrechtliche Gegenleistung erbringt. Denn richtigerweise ist unter „in Aussicht stellen“ auch das bloße Schaffen der Spielgelegenheit (z.B. in Form eines Casinos) zu verstehen.58 Klargestellt wurde dies spätestens durch die 1996 erfolgte Einfügung des § 2 Abs 4 GSpG59 und der dazu in den Materialen zum Ausdruck kommenden Absicht des Gesetzgebers.60
B. Der Umfang des Glücksspielmonopols § 3 GSpG bestimmt, dass alle Glücksspiele, sofern im GSpG nichts anderes bestimmt ist, dem Bund im Rahmen des Glücksspielmonopols vorbehalten sind. Die Ausnahmen vom GSpG werden in § 4 GSpG aufgezählt. Nicht dem Glücksspielmonopol unterliegen daher: • Glücksspiele, die nicht in Form einer Ausspielung durchgeführt werden, wenn kein Bankhalter mitwirkt oder der Einsatz 50 Cent nicht übersteigt (§ 4 Abs 1); • Ausspielungen mittels Glücksspielautomaten, wenn die vermögensrechtliche Leistung des Spielers den Betrag oder Gegenwert von 50 Cent und der Gewinn den Betrag oder Gegenwert von 20 EUR nicht überschreiten (§ 4 Abs 2); • Warenausspielungen mittels Glücksspielapparat in Form bestimmter, im Abs 3 aufgezählter Schaustellergeschäfte, wenn die vermögensrechtliche Leistung den Betrag oder Gegenwert von 1 EUR nicht überschreitet, wobei Warenausspielungen nicht vorliegen, wenn der Gewinn in Geld eingelöst werden kann (§ 4 Abs 3);61 • Lebensversicherungen, nach denen die im Ab- und Erlebensfall zu leistende Versicherungssumme für den Fall der Auslosung vorzeitig zu zahlen ist (§ 4 Abs 4); • Glückshäfen, Juxausspielungen und Tombolaspiele, solange das zusammengerechnete Spielkapital solcher Ausspielungen desselben Spielveranstalters 4.000 EUR im Kalenderjahr nicht übersteigt und wenn mit der 56
57 58 59 60 61
Die bloße Möglichkeit zum Weiterspielen stellt keine Gegenleistung im Sinne des § 2 GSpG dar: Vgl für viele zB VwGH vom 3.4.1979, GZ 1945/78, noch zur (identischen) Regelung des GSpG 1962. Casati (FN 55), 57. Überzeugend begründet durch Casati (FN 55), 92ff. AA Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 7ff und Schwartz (FN 29), 98ff. BGBl 1996/201. RV 368 dB, 20. GP. Die genannten Schaustellergeschäfte werden in den Mat (1067 BlgNR, 17. GP) definiert; vgl dazu Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 23f.
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Ausspielung nicht persönliche Interessen der Veranstalter oder Erwerbszwecke verfolgt werden (§ 4 Abs 5).62 Jene Glücksspiele, die gem § 4 GSpG vom Glücksspielmonopol ausgenommen sind, fallen gem Art 15 Abs 1 iVm Abs 3 B-VG in die Regelungskompetenz der Länder („Kleines Glücksspiel“ oder „Bagatellglücksspiel“).63 Der einfache Bundesgesetzgeber kann den Regelungsbereich der Länder nach hA durch Novellierung des § 4 ausdehnen oder einschränken.64
C. Die Ausübung des Glücksspielmonopols Obwohl § 3 GSpG die Veranstaltung der meisten Glücksspiele dem Bund vorbehält, kann dieser die Monopolausübung auch an Private übertragen.65 Dies geschieht in Österreich regelmäßig, und zwar in zwei Ausprägungen.66 Der Bundesminister für Finanzen kann gem § 14 GSpG das Recht zur Durchführung von bestimmten Ausspielungen sowie gem § 21 GSpG das Recht des Betriebs von Spielbanken durch Konzession übertragen.
D. Ausspielungen 1. Die Übertragung von Ausspielungen Gem § 14 GSpG kann der BMF das Recht zur Durchführung von Ausspielungen gem den §§ 6 bis 12 b GSpG durch Erteilung einer Konzession übertragen.67 Bei den genannten Ausspielungen handelt es sich um Lotto (§ 6), Toto (§ 7), Zusatzspiel (§ 8; findet in Verbindung mit anderen an den Konzessionär vergebenen Glücksspielen statt und wird derzeit in Form des Jokers durchgeführt), Sofortlotterien (§ 9; zB Brieflos und Rubbellose), Klassenlotterien (§ 10), Zahlenlotto (§ 11), Nummernlotterien (§ 12), elektronische Lotterien (§ 12a), Bingo und Keno (§ 12b). Eine Konzession gem § 14 umfasst immer auch das Recht, mehrstufige Ausspielungen gem § 13 anzubieten (derzeit z.B. Millionenrad beim Brieflos).68
Es kann nur eine einzige Konzession gem § 14 Abs 1 vergeben werden, die die in §§ 6 bis 12b aufgezählten Ausspielungen umfasst.69 Solange eine derar-
62 63
64 65 66 67 68 69
Diese Spiele sind in den §§ 33-35 GSpG definiert. Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 19f; VfSlg. 7567/1975, VwGH 21.10.1987, 87/01/0138. AA Schwartz (FN 29), 102, der annimmt, dass die in § 4 aufgezählten Glücksspiele verboten sind. Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), aaO. Vgl oben Punkt I.B. Die Ausübung des Glücksspielmonopols durch Private unterliegt nicht der Kontrolle durch die Volksanwaltschaft: VfSlg. 13323/1992. Der Bund muss den Betrieb der Lotterien nicht als Konzession vergeben. Er dürfte auch selbst Lotterien durchführen. Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 40. Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 40f sind der Auffassung, dass die Konzession zwingend alle Ausspielungen der §§ 6 bis 12b zu umfassen hat und halten die Praxis, im Bescheid aufzuzählen, welche Ausspielungen dem Konzessionär übertragen wurden, für rechtswidrig.
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tige Konzession aufrecht ist, darf eine weitere nicht vergeben werden (§ 14 Abs 5). Die Notwendigkeit einer einzigen Konzession wurde mit der erreichbaren Fixkostendegression und den dadurch erzielbaren höheren Abgabenerträge des Bundes begründet.70
Die Erweiterung des Geschäftsgegenstandes des Konzessionärs bedarf gem § 15a GSpG der Zustimmung des BMF, die zu erteilen ist, wenn der Abgabenertrag des Bundes nicht beeinträchtigt wird. Die Auslegung dieser Bestimmung verursacht Schwierigkeiten. Die Mat sprechen davon, dass durch diese Bestimmung ermöglicht wird, dem Konzessionär die Durchführung nicht dem Monopol unterliegender, abgabenmäßig unergiebiger Spiele zu untersagen.71 Diese Auffassung dürfte mit der Kompetenznorm des Art 10 Abs 1 Z 4 - ohne Eingriff in die allgemeine Landeskompetenz für nicht dem Monopol unterliegende Glücksspiele - vereinbar sein, wenn man diese so versteht, dass sie dem Bund das Recht einräumt, das Tätigkeitsgebiet des Monopolkonzessionärs festzulegen, ohne grundsätzlich über die Zulässigkeit von Glücksspielen zu entscheiden, die der Landeskompetenz unterliegen. Allerdings ermöglicht § 15a keine Untersagung, vielmehr regelt er die Voraussetzungen der Bewilligung. Schwartz/Wohlfahrt halten § 15a hingegen für verfassungswidrig, weil die Regelung der Fragen, ob das „kleine Glücksspiel“ überhaupt zulässig ist und wer es betreiben kann nicht Bundes-, sondern Landeskompetenz ist.72
Derzeitiger Inhaber der Konzession ist die Österreichische Lotterien GmbH.73
2. Voraussetzungen für die Konzessionserteilung § 14 Abs 2 GSpG zählt die Voraussetzungen auf, die Konzessionswerber zu erfüllen haben. Insbesondere kommen nur Kapitalgesellschaften in Betracht, die ihren Sitz im Inland haben (Z 1). Diese dürfen keine Eigentümer (Gesellschafter) haben, die über einen beherrschenden Einfluss verfügen und durch deren Einfluss eine Zuverlässigkeit in ordnungspolitischer Hinsicht nicht gewährleistet ist (Z 2). In Z 6 wird weiters normiert, dass die Struktur eines Konzerns, dem der oder die Eigentümer, die eine qualifizierte Beteiligung am Konzessionswerber halten, eventuell angehören, eine wirksame Aufsicht über den Konzessionär nicht behindern darf. Auch diese Bestimmung dient ordnungspolitischen Zielsetzungen und der Vermeidung von kriminellen Aktivitäten. Die Kapitalgesellschaft muss weiters über einen Aufsichtsrat sowie ein eingezahltes Grund- oder Stammkapital in Höhe von zumindest 109 Mio. EUR
70 71 72 73
RV 1067 dB, 17. GP. RV 1172 dB, 18. GP. Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 52. Gesellschafter der Österreichischen Lotterien GmbH sind derzeit im Wesentlichen eine gemeinsame Holdinggesellschaft aus Casinos Austria AG und P.S.K. Beteiligungsverwaltung GmbH (fast 68 %), die Lotto-Toto Holding Gesellschaft m.b.H. (26%; an ihr sind wiederum verschiedene Beteiligungsgesellschaften von Banken beteiligt) und der ORF (6%). Vgl http://www.lotterien.at/gaming/index.html.
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verfügen, dessen rechtmäßige Herkunft nachzuweisen ist (Z 3).74 Letztere Bestimmung dient der Verhinderung der Geldwäsche. Z 4 stellt besondere Anforderungen an die Geschäftsleiter.75 Der Konzessionär muss aufgrund der Umstände (insb. Erfahrungen, Kenntnisse und Eigenmittel) erwarten lassen, dass er den für den Bund besten Abgabenertrag erzielt (Z 5). Nach diesem Kriterium hat der BMF auch die Entscheidung über die Konzession zu treffen, wenn es mehrere Konzessionswerber gibt, die die übrigen Voraussetzungen des Abs 2 erfüllen (Abs 5). Die Konzession wird mit Rechtsgestaltungsbescheid erteilt.76 Dieser hat schriftlich zu ergehen und kann Nebenbestimmungen enthalten, wenn dies im öffentlichen Interesse, insb. der Sicherung der Entrichtung von Wettgebühren und Konzessionsabgaben liegt (Abs 3). Im Bescheid ist weiters die Konzessionsdauer festzulegen; sie beträgt maximal 15 Jahre. Auch die Art und Höhe der zu leistenden Sicherstellung, die mindestens 10% des Grund- oder Stammkapitals des Konzessionärs beträgt, wird im Bescheid vorgeschrieben, wobei die finanziellen Verpflichtungen des Konzessionärs gegenüber Bund und Spielern zu berücksichtigen sind.
3. Ausübung der Konzession Den Konzessionär trifft eine Betriebspflicht (§ 14 Abs 4). Er muss die übertragenen Glücksspiele ununterbrochen führen. Verzichtet er vor Zeitablauf auf die Konzession, wenn er den Betrieb schon aufgenommen hat, ist er verpflichtet, die Glücksspiele während einer vom BMF zu bestimmenden, ein Jahr nicht übersteigenden Frist weiterzuführen. Diese Frist dient dazu, die Konzession neu zu vergeben bzw dem Bund zu ermöglichen, die Glücksspiele selbst zu betreiben. § 14 Abs 6 regelt, was zu passieren hat, wenn nach Konzessionserteilung die Voraussetzungen des Abs 2 nicht mehr vorliegen, diese nachträglich weggefallen sind oder der Konzessionär Bestimmungen des GSpG oder von auf Grundlage des GSpG erlassenen Bescheiden missachtet. Hierbei sieht der Gesetzgeber ein abgestuftes Verfahren vor:77 Zunächst ist dem Konzessionär unter Androhung einer Zwangsstrafe aufzutragen, den entsprechenden Zustand binnen jener Frist herzustellen, die im Hinblick auf die Erfüllung seiner Aufgaben und im Interesse der Spielteilnehmer angemessen ist. Im Wiederholungsfall ist den Geschäftsleitern die Geschäftsführung ganz oder teilweise zu untersagen. Nur als ultima ratio - wenn andere Maßnahmen nach dem GSpG die Funktions74
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76 77
Durch die GSpG-Nov 1997 (BGBl I 69/1997) wurde das erforderliche Mindestkapital von 300 auf 1500 Mio ATS angehoben; kritisch dazu Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 42. Unklar ist, ob unter den Begriff „Geschäftsleiter“ nur Vorstand bzw. Geschäftsführer, oder auch sonstige leitende Angestellte zu subsumieren sind. Vgl Schwartz/ Wohlfahrt (FN 2), 43. Die Geschäftsleiter müssen fachlich geeignet sein, über die für den ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb erforderlichen Eigenschaften und Erfahrungen verfügen und es darf gegen sie kein Ausschließungsgrund nach der GewO 1973, BGBl 50/1974 vorliegen. Nach Schwartz/Wohlfahrt (FN 2),44, handelt es sich bei letzterer Vorschrift um eine statische Verweisung. Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 40. 1067 BlgNR 17. GP und dazu Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 47.
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fähigkeit der Spieldurchführung nicht sicherstellen können - ist die Konzession zu entziehen. Zur Sicherung der ordnungs- und fiskalpolitischen Zielsetzungen des Glücksspielmonopols enthält § 15 GSpG Bestimmungen über Filialen und Beteiligungen des Konzessionärs. § 16 Abs 1 GSpG normiert die Pflicht des Konzessionärs, für die übertragenen Glücksspiele Spielbedingungen aufzustellen, die der Bewilligung durch den BMF bedürfen und im Amtsblatt zur Wiener Zeitung zu verlautbaren sind.78 Abs 2 bis 8 enthalten detailliertere Bestimmungen zum Inhalt dieser Spielbedingungen. Gem § 16 Abs 9 kann der Konzessionär ihm übertragene Glücksspiel auch mit Glücksspielen ausländischer Betreiber zusammenlegen (Poolung) und hat dann nähere Bestimmungen darüber in die Spielbedingungen aufzunehmen. Ziehungen bzw. Losdruck und Treffereinmischung sind zwingend von öffentlichen Notaren zu überwachen (§ 16 Abs 10 und 11). § 16 Abs 12 bis 14 enthalten Bestimmungen über den Vertrieb der Glücksspiele. Gem Abs 14 sind beim Vertrieb von Lotto, Toto und Zusatzspiel bestimmte Tabakverschleißergeschäfte bevorzugt zu berücksichtigen. Die Bestimmung begründet jedoch keinen Kontrahierungszwang auf Seiten des Konzessionärs.79 Der Konzessionär hat dem Bund die in § 17 normierte Konzessionsabgabe eine ausschließliche Bundesabgabe80 - sowie Wettgebühren gem dem Gebührengesetz (§ 17 Abs 6) abzuführen. Die Tätigkeit des Konzessionärs unterliegt generell der Aufsicht des BMF. § 19 legt die diesem zur Verfügung stehenden Aufsichtsrechte fest.
E. Spielbanken 1. Die Übertragung des Rechts zum Betrieb von Spielbanken Ähnlich wie § 14 es für die Ausspielungen nach den §§ 6 bis 12b tut, gewährt § 21 Abs 1 GSpG dem BMF die Möglichkeit, das Recht zum Betrieb einer Spielbank durch Erteilung einer Konzession übertragen. Anders als für Ausspielungen besteht für Spielbanken jedoch die Möglichkeit, mehrere Konzessionen an verschiedene Konzessionäre zu übertragen. Die maximale Anzahl an Konzession ist allerdings gem § 21 Abs 4 mit 12 beschränkt,81 und pro Gemeinde darf nur eine Konzession vergeben werden, wobei dem Bundesland und der Gemeinde vor Konzessionserteilung Gelegenheit zur Stellungnahme zu
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Die derzeit gültigen Spielbedingungen sind unter www.lottery.co.at abrufbar. Erlacher, Glücksspielgesetz, 42f, Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 56f. Die Grundsatzbestimmung des § 31a schränkt die Besteuerung von Konzessionären (auch der Spielbanken) und deren Spielteilnehmer durch die Länder erheblich ein. Spezifische Abgaben dürfen überhaupt nicht erhoben werden, allgemeine Abgaben nur in dem auch für andere Abgabenpflichtige geltenden Rahmen. Siehe dazu Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 97. Diese Begrenzung ist nach VfSlg. 12165/1989 verfassungsrechtlich zulässig.
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geben ist.82 Parteistellung kommt diesen Gebietskörperschaften jedoch keine zu.83 Die Voraussetzungen, die die Konzessionswerber zu erfüllen haben, sind mit denen des § 14 weitgehend identisch. Allerdings dürfen nur Aktiengesellschaften Spielbanken betreiben, deren Grundkapital mindestens 22 Mio EUR zu betragen hat. Bei mehreren Bewerbern ist wiederum nach dem zu erwartenden Abgabenertrag zu entscheiden (§ 21 Abs 5). Die Konzessionserteilung erfolgt mittels Rechtsgestaltungsbescheid, der folgende Punkte festzulegen hat: • die Konzessionsdauer (max. 15 Jahre), • Art und Höhe der zu leistenden Sicherstellung (gleiche Regelung wie § 14 Abs 3), • Die Bezeichnung und Art der Durchführung der Glücksspiele, die in Spielbanken betrieben werden dürfen, • Die Art der Kontrolle der Besucher gem § 25, • Die Spielzeit in den Spielbanken und der Preis der Eintrittskarten, • Eine Betriebspflicht für Lebendspiele. Die Betriebspflicht für Lebendspiele soll verhindern, dass reine Glücksspielautomatenkasinos entstehen.84 § 24 enthält Vorschriften über Filialen und Beteiligungen der Konzessionäre. § 24a ermöglicht die Ausdehnung des Geschäftsgegenstandes der Konzessionäre.85
2. Die Ausübung der Konzessionen § 23 trifft für Spielbanken dieselben Konsequenzen wie § 14 Abs 6 für den Fall, dass nach Konzessionserteilung Umstände auftreten, die den Voraussetzungen des § 22 widersprechen oder für den Fall der Verletzung des GSpG oder eines auf dessen Grundlage erlassenen Bescheids.86 Auch die Spielbankenkonzessionäre haben Besuchs- und Spielordnungen zu erlassen. § 26 normiert deren Erfordernisse. Sie sind vom BMF zu genehmigen und den Besuchern durch Anschlag zur Kenntnis zu bringen. Arbeitnehmer des Konzessionärs müssen Staatsbürger eines EWR-Mitgliedsstaates sein (§ 27 Abs 1). Es ist ihnen untersagt, Aktien des Konzessionärs zu erwerben und sie dürfen am Ertrag der Unternehmung nicht beteiligt werden (Abs 2). Sie dürfen an den Spielen nicht teilnehmen und Zuwendungen der Spielteilnehmer dürfen sie nicht entgegennehmen (Abs 3). Eine Ausnahme zu den Verboten der Abs 2 und 3 stellt jedoch die Cagnotte dar, eine Art gemeinsamer Trinkgeldkassa. Die Aufteilung der Cagnotte ist durch Kollektivvertrag und Betriebsvereinbarung zu regeln. 82
83 84 85 86
Derzeit sind alle 12 Konzessionen der Casinos Austria AG übertragen, welche Spielbanken an folgenden Standorten betreibt: Wien, Baden, Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck, Kitzbühel, Velden, Bad Gastein, Seefeld in Tirol, Bregenz, Riezlern (Kleinwalsertal). Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 72. 1067 BlgNR, 17. GP. Vgl Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 75. § 24a wirft dieselben Probleme wie § 15a auf. Siehe dazu bereits oben und Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 79. Siehe dazu oben Punkt II.D.1.
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Der fiskalpolitische Zweck des Glücksspielmonopols im Spielbankenbereich wird durch § 28 erfüllt, welcher die Spielbankabgabe und ihre Höhe normiert. Während für französisches Roulette, Baccarat und Baccarat chemin de fer von den Jahresbruttospieleinnahmen abhängige gestaffelte Abgabensätze normiert sind, beträgt für Einnahmen aus Glücksspielautomaten der Abgabensatz 39 % und für alle übrigen Glücksspiele 48 %. § 25 grenzt den Kreis der zulässigen Besucher ein: Diese haben volljährig zu sein und ihre Identität durch Vorlage eines amtlichen Lichtbildausweises nachzuweisen.87 In Abs 3 werden Regelungen zum Spielerschutz getroffen: Entsteht bei einem Inländer der begründete Verdacht, dass Häufigkeit und Intensität seines Spiels das Existenzminimum gefährdet, hat die Spielbankleitung eine Bonitätsauskunft einzuholen, oder, wenn dies nicht möglich ist, den Spieler entsprechend zu befragen. Ergibt sich tatsächlich eine Gefährdung des Existenzminimums, hat die Spielbankleitung den Spieler schriftlich auf diese Gefahr hinzuweisen und ihm, falls er weiterhin in der gleichen Häufigkeit und Intensität spielt, den Besuch der Spielbank dauernd oder für eine bestimmte Zeit zu untersagen oder die Häufigkeit der Besuche zu beschränken. Bei grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Verletzung dieser Pflichten haftet die Spielbankleitung für den entstehenden Verlust des Spielers, soweit das Existenzminimum unterschritten wird. Dies gilt nicht, sofern der Spieler bei seiner Befragung unvollständige oder unrichtige Angaben macht. § 25 Abs 6 bis 8 enthalten Vorschriften, die Geldwäsche verhindern helfen sollen. Bei Verdacht auf Geldwäsche ist unverzüglich die zuständige Behörde gem § 6 SPG zu benachrichtigen; laufende Transaktionen dürfen bis zu deren Entscheidung nicht abgewickelt werden. Gem § 25a hat der Konzessionär interne Kontroll- und Mitteilungsmechanismen zur Vorbeugung und Verhinderung von Transaktionen, die mit Geldwäsche zusammenhängen, einzuführen.
§ 31 GSpG regelt die Aufsichtsrechte des BMF über Konzessionäre.
F. Sonstige Ausspielungen Neben den beiden grundlegenden Bereichen des Glücksspielmonopols, den Ausspielungen gem §§ 6 bis 12b GSpG und den Spielbanken, umfasst das Monopol einige weitere Ausspielungsarten, die nicht unter die bisher besprochenen Tatbestände fallen. Es handelt sich hierbei um die sonstigen Nummernlotterien (§ 32), Tombolaspiele (§ 33), Glückshäfen (§ 34)88 und Juxausspielungen (§ 35).89 Letztere drei Ausspielungen fallen jedoch nur dann unter das Glückspielmonopol, wenn das zusammengerechnete Spielkapital solcher Ausspielungen desselben Veranstalters mehr als 4.000 EUR im Kalenderjahr beträgt oder wenn die Ausspielung die persönlichen Interessen der Veranstalter oder Erwerbszwecke verfolgt (e contrario aus § 4 Abs 5 GSpG). 87
88
89
Die Vorschrift des § 25 Abs 2, wonach der Zutritt von der Spielbankleitung ohne Angabe von Gründen untersagt werden kann, gewährt dem Spielbankbetreiber wegen der gebotenen verfassungskonformen Auslegung kein Recht auf Willkür: vgl OGH AnwBl 1999/7564. § 34 GSpG: „Glückshäfen sind Ausspielungen, bei denen die Spieler durch Ziehung die auf ihre Spielanteile (Loszettel) entfallenden Treffer oder Nieten ermitteln oder zu deren Ermittlung beitragen.“ § 35 GSpG: „Juxausspielungen sind Ausspielungen, bei denen auf jeden Spielanteil (Loszettel) ein Treffer entfällt und die Spieler durch Ziehung die auf ihre Spielanteile entfallenden Treffer ermitteln.“
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Der Bund kann die Ausübung des Rechts zur Durchführung dieser vier Arten von Ausspielungen durch Bewilligung an andere Personen übertragen (§ 36 Abs 1). Diese Bewilligungen sind keine ausschließlichen: Sie können auch an mehrere Veranstalter gleichzeitig erteilt werden. Eine Bewilligung darf nur erteilt werden: • Zur Durchführung von Tombolaspielen, Glückshäfen und Juxausspielungen mit Spielkapital bis einschließlich 15.000 EUR an juristische Personen mit Sitz im Inland, wenn mit der Veranstaltung keine Erwerbszwecke verfolgt werden, • Zur Durchführung von Tombolaspielen, Glückshäfen und Juxausspielungen mit höherem Spielkapital sowie von sonstigen Nummernlotterien nur an juristische Personen mit Sitz im Inland, die auf Grund ihrer im Interesse des allgemeinen Wohls gelegenen Tätigkeit eine Förderung verdienen, wenn durch die Veranstaltung die Erreichung bestimmter Einzelzwecke mildtätiger, kirchlicher oder gemeinnütziger Art angestrebt wird.90 Zur Bewilligung von sonstigen Nummernlotterien ist gem § 37 der BMF, für Tombolaspiele der LH und für Glückshäfen und Juxausspielungen die BVB zuständig. §§ 38 bis 49 enthalten nähere Bestimmungen über die Spielbewilligung und -durchführung. Gem § 38 Z 4 können einem Veranstalter Tombolaspiele, Glückshäfen und Juxausspielungen nur alle sechs Monate, sonstige Nummernlotterien nur alle neun Monate bewilligt werden.
G. Durchführung von Glücksspielen im Internet Der Begriff des Glücksspiels nach § 1 Abs 1 GSpG ist medienneutral und umfasst daher auch Glücksspiele, die in elektronischen Medien (im Internet) veranstaltet werden.91 In Österreich veranstaltete Internet-Glücksspiele92 unterfallen daher dem Glücksspielmonopol. Ausnahmen davon kommen nur im Rahmen des GSpG in Frage. Weil § 21 Z 11 E-Commerce-Gesetz das Herkunftslandprinzip für „Gewinn- und Glücksspiele, bei denen ein Einsatz, der einen Geldwert darstellt, zu leisten ist, einschließlich von Lotterien und Wetten“ für nicht anwendbar erklärt, sind auch in einem anderen Mitgliedsstaat zugelassene Anbieter elektronischer Glücksspiele nicht dazu berechtigt, ihre Glücksspiele unter Umgehung des Glücksspielmonopols in Österreich anzubieten.93 In Betracht kommt daher die Veranstaltung von elektronischen Glücksspielen primär nur für die Konzessionäre, denen der Bund die Veranstaltung von Glücksspielen, die Gegenstand des Monopols sind, übertragen hat. Allerdings kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass Spiele des gesamten Monopolbereichs - Ausspielungen gem §§ 6 bis 12b und Spielbanken gem § 21 GSpG - auch elektronisch angebo90 91 92 93
Auf dieser Grundlage können soziale oder karitative Organisationen Mittel für ihre Tätigkeit lukrieren. Vgl z.B. die Pfadfindertombola. Vgl Wojnar (FN 4), 4. Zur komplexen Frage, wann Internet-Glücksspiele als im Inland veranstaltet zu gelten haben vgl Wojnar (FN 4), 6 ff. Vgl ausführlich Wojnar (FN 4), 43 f. Siehe auch die Ausnahme vom Anwendungsbereich für „Glücksspiele, die einen geldwerten Einsatz verlangen, einschließlich Lotterien, Glücksspiele in Spielkasinos und Wetten“ in Art 2 Abs 2 lit ce der Dienstleistungsrichtlinie in der Fassung der politischen Einigung im Rat vom 29. Mai 2006.
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ten werden dürfen. Aus den diesbezüglichen Regelungen ergibt sich nämlich zweifelsfrei, dass der Gesetzgeber des GSpG mit der Institution der Spielbanken nur „physische“ Einrichtungen im Auge hatte: Dies folgt insb aus der Regelung des § 25 GSpG zur Zugangskontrolle und zum Spielerschutz, die auf virtuelle Spielbanken keine Anwendung finden kann, vor allem aber aus § 21 Abs 4 GSpG, wonach maximal 12 Konzessionen für Spielbanken, sowie pro Gemeinde nur eine Konzession erteilt werden dürfen. Der Zweck der Norm wäre offenkundig unterlaufen, wenn eine - ganz Österreich abdeckende - Konzession für elektronische Spielbanken erteilt werden könnte. Der Betrieb elektronischer Spielbanken nach den Regelungen der §§ 21 ff GSpG ist damit jedenfalls ausgeschlossen. Im Bereich der Ausspielungen enthält § 12a GSpG die einzige explizite Regelung des GSpG für elektronische Glücksspiele, nämlich für sog elektronische Lotterien. Unter diesen Begriff fallen alle Arten von Ausspielungen, „bei denen der Spielvertrag über elektronische Medien abgeschlossen, die Entscheidung über Gewinn oder Verlust zentralseitig herbeigeführt oder zur Verfügung gestellt wird und der Spielteilnehmer unmittelbar nach Spielteilnahme vom Ergebnis dieser Entscheidung Kenntnis erlangen kann.“ Die Durchführung elektronischer Lotterien kann gem § 14 Abs 1 wie auch die Durchführung aller anderen Ausspielungen dem Konzessionär übertragen werden, und dies ist in der Praxis auch geschehen. Im Ergebnis eröffnet § 12a GSpG damit dem Konzessionär gem § 14 Abs 1 GSpG die Möglichkeit, sämtliche Arten von Ausspielungen (ua auch für Spielbanken typische Ausspielungen) im Internet zu veranstalten. Fraglich ist, ob für elektronische Glücksspiele auch eine Ausnahme aus dem Glücksspielmonopol gem § 4 GSpG denkbar ist, bzw ob die Glücksspiele gem § 32-35 GSpG (Tombolaspiele, Glückshäfen, Juxausspielungen) auch elektronisch veranstaltet werden dürfen. Aus der Tatsache, dass das GSpG elektronische Spiele ausschließlich in § 12a GSpG erwähnt, könnte im Umkehrschluss argumentiert werden, dass eine elektronische Ausübung anderer Glücksspiele als der elektronischen Lotterien gem § 12a GSpG von Vornherein ausgeschlossen ist. Aber auch dann, wenn man diesen Schluss nicht zieht, scheinen die Ausnahmen vom Glücksspielmonopol gem § 4 GSpG für eine elektronische Ausübung keinen Raum zu lassen. Auch die Spiele nach §§ 32-35 GSpG sind ihrer Art und Definition nach nicht für elektronische Anbietung geeignet (so weisen die Begriffe „Loszettel“ und „Tombolakarten“ im Gesetzestext bereits darauf hin, dass diese Spiele nicht elektronisch veranstaltet werden können).
H. Spielgeheimnis Gem § 51 unterliegen Veranstalter und ihre Beschäftigten sowie auch Organen von Behörden im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit - von Ausnahmen abgesehen - dem Spielgeheimnis, welches die Identität der Spieler und ihre Teilnahme am Spiel umfasst.
J. Verwaltungsstrafen und Zwangsmaßnahmen § 52 normiert jene Tatbestände, bei deren Begehung eine Verwaltungsstrafe bis 22.000 EUR festzusetzen ist und zu deren Verhängung die BVB zuständig ist (§ 50).94 Es handelt sich um Tatbestände, mit denen in das Glücksspielmonopol eingegriffen wird, sowie um die Verschaffung eines Spielvorteils durch die Spieler selbst. 94
Zum Problem des Doppelbestrafung aufgrund von § 52 GSpG und § 168 StGB vgl Schwartz (FN 29), 42ff.
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§§ 54 regelt die Einziehung von Gegenständen mit denen in das Glücksspielmonopol eingegriffen wird oder mit denen sonstige Vorschriften des § 52 umgegangen werden. Als ultima ratio sieht § 56a die Betriebsschließung vor.95 Verboten ist weiters die Teilnahme an ausländischen Glücksspielen, wenn die Einsätze vom Inland aus geleistet werden (§ 56 Abs 3). Dieses Verbot betrifft insbesondere auch die Teilnahme an Online-Glücksspielen, die vom Ausland aus veranstaltet werden. Weitere Bestimmungen verbieten Handlungen, die die Teilnahme an ausländischen, insb Online-Glücksspielen erleichtern würden (§ 56 Abs 1).
III. Das Glücksspielrecht der Länder („Kleines Glücksspiel“) A. Die landesrechtlichen Regelungen Das vom Glücksspielmonopol des Bundes ausgenommene kleine Glücksspiel fällt gem Art 15 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung in die Zuständigkeit der Länder. Eigene Gesetze zur Regelung des kleinen Glücksspiels mittels Spielautomaten haben Oberösterreich, Vorarlberg und Niederösterreich erlassen. Die übrigen Bundesländer regeln einschlägige Rechtsfragen in ihren Veranstaltungsgesetzen. Besondere Aufmerksamkeit durch die Landesgesetzgeber hat der Betrieb von Geldspielautomaten erfahren: Dieser ist in zahlreichen Bundesländern nach wie vor untersagt. Jene Bundesländer, die derartige Automaten erlauben, heben darauf spezielle Abgaben ein.96
B. „Kleines Glücksspiel“, welches im Wege von Glücksspielautomaten (§ 4 Abs 2 GSpG) und Glücksspielapparaten (§ 4 Abs 3 GSpG) veranstaltet wird: 1. Glücksspiele mit Automaten gem § 4 Abs 2 GSpG Der Betrieb von Geldspielapparaten97 wird entweder in Sondergesetzen geregelt, oder in den Veranstaltungsgesetzen. Er ist nach derzeitiger Rechtslage nur
95 96 97
Vgl dazu Schwartz (FN 29), 123ff. Vgl zB §§ 9a ff nö Spielautomatengesetz. Siehe auch Schwartz/Wohlfahrt (FN 2), 21. § 4 Abs 2 GSpG spricht von Glücksspielautomaten. Die meisten Landesgesetze verwenden hingegen den Begriff des Geldspielapparates, ohne aber diesbezüglich der Definition des Begriffs „Glücksspielapparat“ in § 2 Abs 3 GSpG zu folgen. Dies liegt daran, dass die Landesgesetzgeber regelmäßig die Geldspielapparate als Unterfall der Spielapparate allgemein definieren. Letztere beinhalten auch Geschicklichkeitsspielapparate, die nicht dem Glücksspielmonopol unterfallen und deren Betrieb durch alle Landesgesetze im Rahmen entsprechender Bewilligungen gestattet wird. Im Einzelfall kann die mangelnde Deckung der Begriffe „Geldspielautomaten“ in Landesgesetzen und „Glückspielautomaten“ im GSpG zu Regelungslücken führen: Vgl dazu Strejcek (FN 2), 99f sowie weiters Schwartz (FN 29), 107 ff.
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in Wien, Niederösterreich, der Steiermark und Kärnten gestattet.98 Die Beschränkung auf die Ausspielungshöchstgrenzen, wie sie § 4 Abs 2 GSpG vorsieht, erfolgt in den Landesgesetzen entweder ausdrücklich99 oder durch eine salvatorische Klausel zu Gunsten der Bundeskompetenz.100 Nach allen einschlägigen Regelungen ist die Aufstellung und der Betrieb von Glücksspielapparaten bewilligungspflichtig.101 Zuständige Behörde ist die Bezirksverwaltungsbehörde102 oder die Landesregierung.103 Die Erteilung der Bewilligung ist an zahlreiche persönliche - zB die Verlässlichkeit des Bewilligungswerbers,104 die finanzielle Leistungsfähigkeit105 - und sachliche - insb die ausreichende Entfernung des Standortes von solchen Orten, die von Jugendlichen frequentiert werden106 - Voraussetzungen geknüpft. Staatsangehörige von EWRVertragsstaaten sind Österreichern im Bewilligungsverfahren generell gleichgestellt.107 Im Übrigen sind die Landesregelungen recht uneinheitlich: Nach dem niederösterreichischen Spielautomatengesetz darf eine Bewilligung für Glücksspielautomaten nur Kapitalgesellschaften erteilt werden.108 Von der Erteilung einer solchen Bewilligung sind Kapitalgesellschaften in der Steiermark hingegen gerade ausgeschlossen.109 Das Kärntner Veranstaltungsgesetz erwähnt den Betrieb von Geldspielautomaten in Spielhallen separat: Damit verbunden ist eine Beschränkung der Zahl von Geldspielautomaten an Standorten außerhalb solcher Hallen.110 In Niederösterreich ist der Betrieb von Glücksspielautomaten außerhalb von Automatensalons nicht genehmigungsfähig;111 außerdem enthält das niederösterreichische Gesetz eine Ermächtigung an die Landesregierung, per Verordnung 98
99 100 101 102 103 104 105 106
107
108 109 110 111
Vgl § 15 Abs 1 Z 5 bgld Veranstaltungsgesetz; § 3 Abs 1 Z 1 oö Spielapparategesetz 1999; § 21 Abs 1 lit b Sbg Veranstaltungsgesetz; § 19 Abs 1 lit b TVG; § 4 Vbg Spielapparategesetz. zB § 2 Abs 3 nö Spielautomatengesetz. zB § 15 Abs 1 Wr Veranstaltungsgesetz. § 9 Z 6 Wr Veranstaltungsgesetz; § 5 Abs 1 lit d K-VAG; § 5a Abs 1 Stmk Veranstaltungsgesetz. § 3 Z 2 stmk Veranstaltungsgesetz; § 5 Abs 1 K-VAG. In Wien der Magistrat (§ 16 Wr Veranstaltungsgesetz). § 4 Abs 1 nö Spielautomatengesetz. § 10 Abs 2 und 3 K-VAG; § 6 Abs 2 stmk Veranstaltungsgesetz; § 17 Abs 1 Wr Veranstaltungsgesetz; § 6 Abs 2 stmk Veranstaltungsgesetz. § 17 Abs 5 Wr Veranstaltungsgesetz; § 5 Abs 2 lit c nö Spielautomatengesetz § 11 Abs 2 K-VAG; § 15 Abs 3 Wr Veranstaltungsgesetz; § 22 Abs 2 Stmk Veranstaltungsgesetz; § 6 Abs 3 lit b nö Spielautomatengesetz. Nach § 6 Abs 3a K-VAG ist - als weitere erwähnenswerte sachliche Voraussetzung - für die Bewilligung der Aufstellung von Geldspielapparaten ein Gutachten einer akkreditierten Prüfstelle erforderlich, welches bestimmte Eigenschaften des Apparates zu bestätigen hat. § 7 Abs 1 stmk Veranstaltungsgesetz; § 5 Abs 2 nö Spielautomatengesetz; § 10 Abs 1 K-VAG. Das Wr Veranstaltungsgesetz enthält keine Einschränkung der Bewilligungsfähigkeit auf Inländer. § 5 Abs 2 nö Spielautomatengesetz. § 6a Abs 1 stmk Veranstaltungsgesetz. § 5 Abs 1 lit d K-VAG; § 6 Abs 3 lit a nö Spielautomatengesetz.
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eine Höchstzahl an Glücksspielautomaten im Land festzulegen. In Wien ist hingegen der Betrieb von mehr als zwei Münzgewinnspielapparaten an einem Standort außerhalb des Laaerwalds und des Volkspraters unzulässig. Auch dort sind allerdings Neukonzessionierungen von Spielhallen nur mehr als Ersatz für bestehende Spielhallen zulässig.112 Das stmk Veranstaltungsgesetz kennt den Betrieb von Geldspielapparaten in Gastgewerbebetrieben (bis zu sechs Apparate) und in Spielsalons (sieben bis zwanzig Apparate).113 § 6a Abs 3 nö Spielautomatengesetz enthält eine Regelung zum Schutz gefährdeter Spieler, die jener des § 25 Abs 3 GSpG entspricht.
2. Warenausspielungen gem. § 4 Abs 3 GSpG Die burgenländische, die Salzburger, die Tiroler und die Vorarlberger Regelungen verbieten zwar den Betrieb von Geldspielautomaten, nehmen aber Warenausspielungen mit Spielapparaten im Sinne des § 4 Abs 3 GSpG davon explizit aus, womit das allgemeine Veranstaltungsrecht zur Anwendung gelangt.114 Das oberösterreichische Spielapparategesetz gilt ausdrücklich für solche Warenausspielungen und unterwirft sie einer Anzeigepflicht,115 privilegiert sie also im Vergleich zu Geldspielapparaten.116
C. Sonstige vom Monopol ausgenommene Glücksspiele § 4 GSpG enthält Ausnahmebestimmungen vom Glücksspielmonopol des Bundes nicht bloß für Glückspielautomaten und -apparate (§ 4 Abs 2 und 3), sondern auch für andere Formen von Spielen (insb. § 4 Abs 1 und 5). Die Zulässigkeit dieser sonstigen, nicht dem Bundesmonopol unterliegenden Glücksspiele ist nach den Veranstaltungsgesetzen der Länder zu beurteilen.117 Alle diese Gesetze enthalten salvatorische Klauseln, die entweder alle 112 113 114 115 116
117
§ 9 Abs 2 Wr Veranstaltungsgesetz. § 22a Abs 4 und 6 stmk Veranstaltungsgesetz. § 15 Abs 1 Z 5 letzter Satz bgld Veranstaltungsgesetz; § 19 Abs 2 TVG; § 21 Abs 1 lit b letzter Satz Sbg Veranstaltungsgesetz; § 1 Abs 5 Vbg Spielapparategesetz. § 1 Abs 1 Z 2 sowie § 5 Abs 1 oö Spielapparategesetzes 1999. In Niederösterreich scheinen Automaten, mit denen Warenausspielungen veranstaltet werden, weder dem Begriff des Geschicklichkeitsautomaten (weil Warenausspielungen mit einem vermögenswerten Gewinn verbunden sind) gem § 2 Abs 2 nö Spielautomatengesetz noch jenem des Glücksspielautomaten gem § 2 Abs 3 nö Spielautomatengesetz (wegen des Verweises auf § 4 Abs 2 GSpG) zu unterfallen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Zulässigkeit von Warenausspielungen mittels Automaten nach Veranstaltungsrecht zu beurteilen ist. Die Definition des Begriffs des Geldspielapparates nach § 5a Abs 3 des stmk Veranstaltungsgesetzes beinhaltet auch Warenausspielungen mit Spielapparaten, in dem sie darauf abstellt, dass um vermögenswerte Gewinne oder Verluste gespielt wird. Dies hat zur Folge, dass derartige Apparate in der Steiermark nach den für Geldspielapparate einschlägigen Regelungen bewilligungsfähig sind. In Kärnten sind Glücksspiele gem § 4 Abs 3 GSpG anmeldepflichtig (vgl. auch § 16 Abs 1 lit. i K-VAG). Da diese Spiele der Unterhaltung und Belustigung der Spielenden dienen, werden sie in aller Regel die Definition des Begriffs der Veranstaltung in den Veranstaltungsgesetzen erfüllen. Vgl zB § 2 Abs 1 lit a TVG: Veranstaltungen sind „Unternehmungen, die der Unterhaltung, Erbauung oder Ertüchtigung der Besucher oder Teilnehmer dienen […].“ Siehe auch § 5 Abs 1 lit f K-VAG, welcher Tombolaspiele
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Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit des Bundes fallen (also auch Monopolglücksspiele) oder explizit jene Glücksspiele, die dem Glücksspielmonopol des Bundes unterfallen, aus ihrem Geltungsbereich ausnehmen. Nur Oberösterreich unterwirft auch Glücksspiele gem § 4 Abs 5 GSpG bestimmte Glückshäfen, Juxausspielungen und Tombolaspiele - seinem Spielapparategesetz und sieht für sie wie für die Warenausspielungen eine Anzeigepflicht vor.118
IV. Wettrecht A Die Wettgesetze der Länder Sämtliche Bundesländer mit Ausnahme von Oberösterreich verfügen über eigene Wettgesetze oder Buchmacher- und Totalisateurgesetze. Dabei werden großteils nur Sportwetten von den gesetzlichen Regelungen erfasst. Das Vorarlberger Wettengesetz sieht vor, dass Wetten aus Anlass sportlicher, politischer, kultureller oder sonstiger für den Abschluss von Wetten geeigneter Ereignisse abgeschlossen werden können.119 In Oberösterreich, welches rechtliche Fragen der Wetten im Veranstaltungsgesetz regelt, sowie im Stmk Wettgesetz erfolgt keine explizite Einschränkung der einschlägigen Regelungen auf Sportwetten. Die Tatsache, dass in den anderen Bundesländern andere als Sportwetten nicht geregelt werden, könnte im Umkehrschluss so auszulegen sein, dass deren Veranstaltung unzulässig ist.120 Wetten über Ereignisse, bei denen Menschen verletzt oder getötet werden, bei denen die Menschenwürde grob verletzt wird, die Menschen herabsetzen (§ 7 Stmk Wettgesetz; § 14 Abs 2 oö Veranstaltungsgesetz) oder Wetten die gegen das sittliche Empfinden verstoßen (§ 1 Abs 4 vbg Wettengesetz) sind ebenso verboten wie Wetten mit Minderjährigen. Die älteren landesrechtlichen Regelungen (zB in Wien oder dem Burgenland; beide gehen noch auf das Gesetz betreffend Gebühren von Totalisateurund Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens aus 1919 zurück) haben primär gebührenrechtlichen Charakter und enthalten über das Wettwesen selbst nur rudimentäre Aussagen. Die neueren Gesetze, etwa das Vbg Wettengesetz, sind vergleichsweise ausführlicher und umfassender.
118 119 120
ausdrücklich einer Bewilligungspflicht unterwirft. Glückshäfen und sonstige Juxausspielungen sind hingegen gem § 16 Abs 1 lit. i K-VAG bloß anmeldepflichtig. § 1 Abs 1 Z 2 sowie § 5 Abs 1 oö Spielapparategesetzes 1999. Vgl zur Kompetenzlage für solche Wetten Schwartz/Wohlfahrt (FN 4), 51, Wojnar (FN 4), 25 f, sowie auch Hoscher/Strejcek, (FN 4) 81 f. Vgl VwGH vom 11.7.2001, GZ 95/01/0018: „Der Bewilligungspflicht, aber auch der Bewilligungsfähigkeit unterliegen nach dem zitierten Gesetz lediglich die gewerbsmäßige Vermittlung bzw. der gewerbsmäßige Abschluss von Wetten AUS ANLASS SPORTLICHER VERANSTALTUNGEN, nicht aber aus Anlass von Veranstaltungen sonstiger Art.“ Schwartz/Wohlfahrt (FN 4), 53 führen aus, dass in der Praxis zum Teil gewerberechtliche Bewilligungen für die Veranstaltung solcher Wetten erteilt würden. Sie bezeichnen dies mit guten Gründen als verfassungs-, weil kompetenzwidrig.
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B. Bewilligungspflicht Sämtliche Landesgesetze sehen eine Bewilligungspflicht für die Tätigkeit als Buchmacher oder Totalisateur vor. Während Buchmacher Wetten selbst abschließen, sind Totalisateure bloße Vermittler zwischen den verschiedenen Wettteilnehmern.121 Unterschieden wird in den Gesetzen in der Regel zwischen Bewilligungen, • Wetten an festen Standorten unabhängig vom Ort der Veranstaltungen, auf die gewettet wird, und • Wetten an bestimmten Veranstaltungsorten anlässlich einer bestimmten Veranstaltung (oder Veranstaltungsreihe) abzuschließen. Manche Landesgesetzgeber regeln eigens den Betrieb von Wettterminals:122 Die Tätigkeit als Buchmacher oder Totalisateur darf auch durch den Betrieb von Wettterminals ausgeübt werden, der der Behörde anzuzeigen ist (§ 3 Abs 4 Stmk Wettgesetz; § 4 Abs 3 Tir Buchmacher- und Totalisateurgesetz). Als einziges Landesgesetz thematisiert das Vbg Wettengesetz die Veranstaltung von Wetten in elektronischen Medien (§ 2 Abs 3: Diesfalls gilt als Wettstandort der Ort, an der der Buchmacher oder Totalisateur die Daten bereitstellt). Zwar schließen die anderen gesetzlichen Regelungen die Veranstaltung elektronischer Wetten nicht aus, Probleme ergeben sich aber daraus, dass unter Umständen für die österreichweite Veranstaltung elektronischer Wetten landesrechtliche Bewilligungen aller Bundesländer erforderlich sind.123 Zuständige Behörde ist stets die Landesregierung. Bewilligungsvoraussetzung ist insbesondere der Nachweis der Zuverlässigkeit bzw Vertrauenswürdigkeit. Teilweise wird auch der Nachweis der fachlichen Eignung (Tirol, Kärnten, Salzburg) sowie der Leistungsfähigkeit - zB durch Vorlage einer Bankgarantie - verlangt (Vorarlberg, Tirol, Steiermark). Weiters ist ein Wettreglement vorzulegen, das insbesondere die gleichmäßige Behandlung von Wettkunden sicherstellen soll. Die Bewilligung ist bei erstmaliger Erteilung regelmäßig auf drei Jahre zu befristen; danach kann sie unbefristet erteilt werden.
C. Ausübungsbedingungen Bestimmte Landesgesetz sehen die Verpflichtung vor, Wettbücher zu führen, in denen sämtliche Wetttransaktionen (elektronisch) festgehalten werden. Dass 121
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Totalisateure sind besonders bei Pferderennen anzutreffen, wo sie die Einsätze der verschiedenen Wettteilnehmer poolen und verwalten. Vgl Schwartz/Wohlfahrt, Rechtsfragen der Sportwette, ÖJZ 1998, 601. Gem § 2 Z 4 Stmk Wettgesetz ist ein Wettterminal „eine Wettannahmestelle an einem festen Standort, die über eine Datenleitung mit einem Wettbüro verbunden ist.“ Die hL macht dies vom Ort abhängig, an dem der Wettvertrag zu Stande kommt: Wird der Wettvertrag am Standort des Veranstalters abgeschlossen, benötigt dieser eine landesrechtliche Bewilligung bloß für diesen Standort. Kommt der Vertrag hingegen am Standort des Wettenden zu Stande, so benötigt der Anbieter Bewilligungen sämtlicher Länder, in denen er Wetten anbietet: Vgl Schwartz/Wohlfahrt, Glücksverträge im Internet, MR 2001, 323, 325, sowie Wojnar (FN 4), 31 ff.
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diese Verpflichtung insb der Verhinderung bzw Aufklärung möglicher Straftaten dient, zeigt § 9 Vbg Wettengesetz, der auch die Identifikationspflicht für Kunden bei bestimmten Wetttransaktionen vorsieht und Regelungen für den Fall trifft, dass ein Verdacht auf Geldwäsche besteht: Die Behörde ist zu informieren, und die Transaktion zu stoppen, es sei denn, ein Stopp würde die Ermittlung des Sachverhalts erschweren.124 Typischerweise verlangen die landesrechtlichen Regelungen die äußere Kenntlichmachung von Wettlokalen. Sämtliche einschlägigen Gesetze sehen Verwaltungstrafregelungen sowie teilweise auch Regelungen über Betriebsschließungen und Beschlagnahmen im Falle von Gesetzesverstößen vor.
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Regelungstechnisch interessant ist die Regelung in § 9 Abs 4 Vbg Wettengesetz, wonach der Bewilligungsinhaber berechtigt ist, von der Behörde die Entscheidung zu verlangen, ob gegen die unverzügliche Abwicklung eines Wettvorganges bedenken bestehen: Äußert sich die Behörde binnen eines Tages nicht, darf der Wettvorgang fortgesetzt werden.
Fünfter Teil: Wirtschaftsrecht der öffentlichen Hand
Tanja Koller
Haushaltsrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................274 Grundlegende Literatur...................................................................................275 I. Grundlagen ................................................................................................276 A. Allgemeines............................................................................................276 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................277 C. Gemeinschaftsrechtliche Aspekte ..........................................................278 1. Allgemeines.......................................................................................278 2. Öffentliche Finanzlage und Haushaltsdisziplin.................................278 3. Stabilitäts- und Wachstumspakt ........................................................280 4. Die Bedeutung des Europäische Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung für die WWU ........................................................283 D. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Budgetrechts...........................288 1. Die Budgethoheit des Nationalrats....................................................288 2. Die Staatszielbestimmung im Art 13 Abs 2 B-VG............................290 3. Rechtswirkungen und Inhalt des Bundesfinanzgesetzes ...................290 4. Die Stellung des Bundesministers für Finanzen im Rahmen des Haushaltsverfassungsrechts ....................................292 5. Budgetprovisorien .............................................................................295 6. Budgetüberschreitungen....................................................................296 7. Grundsätze der Budgeterstellung ......................................................298 8. Haushaltsrechtliche Aspekte in der Finanzverfassung ......................300 II. Bundeshaushaltsgesetz ............................................................................302 A. Allgemeine Bestimmungen.....................................................................302 1. Der Geltungsbereich des BHG ..........................................................302 2. Ziele der Haushaltsführung ...............................................................304 3. Das Haushaltsjahr..............................................................................305 B. Organisation der Haushaltsführung......................................................305 1. Aufbauorganisation ...........................................................................305 2. Ablauforganisation ............................................................................309 3. Einnahmen- und Ausgabengebarung ................................................316 C. Vollziehung............................................................................................325 1. Anordnungen im Gebarungsvollzug .................................................325 2. Zahlungsverkehr................................................................................325 3. Verrechnung......................................................................................326 D. Kontrolle ...............................................................................................327 1. Innenprüfung, Rechnungslegung ......................................................327 2. Bundesrechnungsabschluss und Gebarungskontrolle durch den Rechnungshof ...................................................................................327 III. Haushalts(verfassungs)rechtsreform....................................................328
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IV. Haushaltsrechtliche Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden...................................................................... 331 A. Finanzausgleich .................................................................................... 331 B. Der Konsultationsmechanismus............................................................ 332 C. Österreichischer Stabilitätspakt............................................................ 334 V. Haushaltsrecht der Länder und Gemeinden......................................... 337 A. Der rechtliche Rahmen für die Landeshaushalte .................................. 337 1. Der Landesvoranschlag..................................................................... 338 2. Der Rechnungsabschluss .................................................................. 339 3. Gebarungskontrolle im Bereich der Länder...................................... 339 B. Das Haushaltsrecht der Gemeinden ..................................................... 340 1. Voranschlag ...................................................................................... 340 2. Vermögens- und Schuldengebarung................................................. 343 3. Rechnungsabschluss und Gebarungskontrolle.................................. 344 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Art 104 EG-Vertrag; VO (EG) 1466/97 des Rates vom 7.7.1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, Abl L 209/1 idF VO (EG) 1055/2005, Abl L 174/1; VO (EG) 3605/93 des Rates vom 22.11.1993 über die Anwendung des dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit, Abl L 332/7 idF der VO (EG) 2103/2005, Abl L 337/1; Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt vom 17.6.1997, Abl C 236/1; VO (EG) 1466/97 des Rates vom 7.7.1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, Abl L 209/1 idF VO (EG) 1055/2005, Abl L 174/1; VO (EG) 1467/97 des Rates vom 7.7.1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, Abl L 209/6 idF VO (EG) 1056/2005, Abl L 174/5; Bericht des Rates zur „Verbesserung der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes“ vom 22.3.2005; VO (EG) 2223/96 des Rates vom 25.6.1996 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Gemeinschaft, Abl L 310/1 idF VO (EG) 1267/2003, Abl L 180/1. BG: Art 13, Art 42 Abs 5 Art 51 - 51c B-VG; Art 16 F-VG; Bundeshaushaltsgesetz (BGBl 1986/213 idF BGBl 2006 I/89); BG über die Errichtung einer Buchhaltungsagentur des Bundes (Buchhaltungsagenturgesetz - BHAG-G) (BGBl 37 I/2004 idF BGBl 2004 I/93); Bundesfinanzierungsgesetz (BGBl 1992/763); Rechnungshofgesetz (BGBl 1948/144 idF BGBl 2003 I/100); Vereinbarung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden über einen Konsultationsmechanismus und einen künftigen Stabilitätspakt der Gebietskörperschaften (BGBl 1999 I/35); Vereinbarung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden über eine Weiterführung der stabilitätsorientierten Budgetpolitik (Österreichischer Stabilitätspakt 2005) (BGBl 2006 I/19); LG: §§ 67 ff Bgld GO (LGBl 2003/55); §§ 86 ff K-AGO (LGBl 1998/66); §§ 72 ff NÖ GO (LGBl 1000); §§ 74 ff OÖ GO (LGBl 1990/91 idF LGBl 2005/8); §§ 49 ff Sbg GO (LGBl 1994/107 idF LGBl 2004/12); §§ 75 ff Stmk GO (LGBl 1967/115 idF LGBl 2004/49); §§ 75 ff Tir GO (LGBl 2001/36); §§ 73 ff Vlbg GO (LGBl 1985/40 idF LGBl 2004/20). Gemeindehaushaltsordnungen: Burgenland (LGBl 1966/32), Kärnten (LGBl 1999/2 idF LGBl 2004/18), Steiermark (LGBl 1977/22 idF LGBl 2001/94), Vorarlberg
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(LGBl 1998/62); Wien: Gemeindehaushaltsrecht §§ 86 f, 101 ff WStV (LGBl 1968/28 idF LGBl 2003/22). VO: Voranschlags- und Rechnungsabschlussverordnung (VRV) (BGBl 1996/797 idF BGBl 2006 II/45); Bundeshaushaltsverordnung 1989 (BHV) (BGBl 1989/570 idF BGBl 2005 II/26); VO des Bundesministers für Finanzen betreffend Richtlinien für die Ermittlung und Darstellung der finanziellen Auswirkungen neuer rechtsetzender Maßnahmen (BGBl 1999 II/50 idF BGBl 2004 II/387); VO des Bundesministers für Finanzen vom 13. Oktober 1987 betreffend den dem Postenverzeichnis zugrunde zu legenden Kontenplan (Kontenplanverordnung - KPV) (BGBl 1987/507 idF BGBl 1990/314); VO des Präsidenten des Rechnungshofes vom 2. März 1990 über die Rechnungslegung des Bundes (Rechnungslegungsverordnung - RLV) (BGBl 1990/150); VO des Bundesministers für Bauten und Technik vom 17. Feber 1987 über die Erklärung der Bundesversuchs- und Forschungsanstalt Arsenal, des Kurhauses Semmering und des Kurheimes Badeschloß Badgastein zu betriebsähnlichen Einrichtungen (BGBl 1987/88); VO des Bundesministers für Landesverteidigung vom 9. Dezember 1986 über die Erklärung der Heeres-Land- und Forstwirtschaftsverwaltung Allentsteig zur betriebsähnlichen Einrichtung (BGBl 1986/720); VO des Bundesministers für Finanzen über die Bestimmung des Bundesamtes für Wasserwirtschaft als Organisationseinheit, bei der die Flexibilisierungsklausel zur Anwendung gelangt (BGBl 1999 II/425); ua.
Grundlegende Literatur: Bandilla in Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union, 2001, zu Art 104 EGV; Bußjäger, Rechtsfragen zum Konsultationsmechanismus, ÖJZ 2000, 581; Eurostat, Handbuch zum ESVG 1995: Defizit und Schuldenstand des Staates, 2002; Gamper, Der Stabilitätspakt 2001 im Spannungsfeld von Budgetkonsolidierung und Finanzausgleichsgerechtigkeit, JRP 2002, 240; Gantner (Hrsg), Handbuch des öffentlichen Haushaltswesens, 1991; Griller, Ausgliederungen vor dem Hintergrund des Verbots übermäßiger öffentlicher Defizite in der Wirtschafts- und Währungsunion in Duschanek (Hrsg), Beiträge zur Ausgliederungsdiskussion, 2002, 64; Hattenberger, Wirtschafts- und Währungspolitik in Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000; Hengstschläger, Das Budgetrecht des Bundes, 1977; Hengstschläger, Gemeindehaushaltsrecht in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), Das österreichische Gemeinderecht, 1983; Holoubek, Das neue Haushaltsrecht des Bundes, ÖHW 1989, 173; Hüttner, Konsultationsmechanismus - Kosten rechtsetzender Maßnahmen - Stabilitätspakt, ÖGZ 1/1999, 5; KDZ - Zentrum für Verwaltungsforschung (Hrsg), Finanzausgleich 2005. Ein Handbuch mit Kommentar zum FAG 2005, 2005; Koja, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer2, 1988; Koller, Maastricht-konform ausgliedern. Zur Auslagerung von Staatsschulden, 2003; Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (Kommentar), Bd 2, Loseblattausgabe, 7. Lieferung 2005; Lödl, Anmerkungen zum Haushaltsverfassungsrecht, ÖHW 2002, 52; Nicolaysen, Der EuGH zum Defizitverfahren nach Art 104 EGV und dem „Stabilitätspakt“, DVBl 2004, 1321; Neuhofer, Gemeinderecht2, 1998; Rödler, Bundeshaushaltsrecht, 1992; Rödler, Neue Entwicklungstendenzen im Haushaltsrecht, ecolex 1999, 729; Schäffer, Die österreichische Finanzverfassung in Weigel ua (Hrsg), Handbuch der österreichischen Finanzpolitik (FS Weber), 1986, 87; Schulze-Steinen, Rechtsfragen zur Wirtschaftsunion. Möglichkeiten der gemeinschaftlichen Gestaltung mitgliedstaatlicher Wirtschaftspolitik nach dem EG-Vertrag, 1997/98; Schwab, Die Haushaltsreform des Bundes, ÖHW 1986, 1; Statistik Austria (Hrsg), Leitfaden Maastricht-Defizit, 2002; Steger (Hrsg), Öffentliche Haushalte in Österreich2, 2005; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9, 2000, Rz 517; Wenger, Ansätze zur inhaltlichen Determinierung nichthoheitlicher Verwaltungshandlungen im neuen Bundeshaushaltsrecht, ÖHW 1987, 1;
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I. Grundlagen A. Allgemeines Ungefähr die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes ist dem Sektor Staat zuzuordnen. Der langfristig zu beobachtende Anstieg des Staatsanteils ist großteils auf die hohe Bedeutung der öffentlichen Haushalte für das gesellschaftliche Leben und die Funktionen des Staates zurückzuführen. Die wichtigsten Budgetposten in Österreich sind Soziale Wohlfahrt, Gesundheit und Bildung. Seit Mitte der 90er Jahre ist die Budgetpolitik wieder verstärkt auf Budgetkonsolidierung ausgerichtet, um die Defizit- und Verschuldensquote an die MaastrichtVorgaben heranzuführen. Mit dem Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion im Jahre 1998 hat Österreich auch die Verpflichtung, über den Konjunkturzyklus gesamtstaatlich ein ausgeglichenes Budget anzustreben, aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt übernommen.1 Ausgehend von der zunehmenden Bedeutung des Haushaltsrechts für das staatliche Gemeinwesen ist es erforderlich, eine Einteilung dieses Rechtsbereiches vorzunehmen. Demnach zählen zum Haushaltsrecht im engeren Sinn das Haushaltsverfassungsrecht, die im Bundeshaushaltsgesetz geregelten Bereiche (wie zB Voranschlag, Budgetvollzug, Rechnungsabschluss und Gebarungskontrolle), sowie vergleichbare Regelungen auf Landesebene für die Länder und Gemeinden. Zum Haushaltsrecht im weiteren Sinn gehören das FinanzVerfassungsrecht, der Finanzausgleich, die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion sowie der Konsultationsmechanismus und der Österreichische Stabilitätspakt. Das Haushaltsrecht im weiteren Sinn kann im Folgenden nur zum Teil Berücksichtigung finden. Das Hauptaugenmerk wird auf das Bundeshaushaltsrecht gelegt. Das Bundeshaushaltsrecht in seiner geltenden Fassung geht im Wesentlichen auf die Haushaltsrechtsreform 1986 zurück. Diese damals langerwartete Reform brachte vor allem eine Stärkung der Budgethoheit des Nationalrates mit sich.2 In den Folgejahren wurde das Bundeshaushaltsgesetz (BHG) fast jährlich novelliert. Der Übergang vom liberalen Ordnungs- zum sozialen Leistungs- und Wohlfahrtstaat hat auch im BHG Niederschlag gefunden. Als Reaktion auf die Expansion öffentlicher Ausgaben und dem damit verbundenen Wandel in den ökonomischen Rahmenbedingungen des Staatshaushalts3 sieht das BHG besondere Instrumente eines modernen Controllings bzw Berichtswesens ganz im Sinne des New Public Managements vor. Derzeit liegt dem Nationalrat ein Reformpaket bezüglich einer Änderung des Haushaltsverfassungsrechts sowie des BHG4 mit zukunftsweisenden Modifikationen (zB mehrjähriger, verbindlicher Finanzrahmen) zur Beschlussfassung vor.
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Fleischmann, Öffentliche Haushalte in Österreich im Überblick, in Steger (Hrsg), 7. Rödler, Haushaltsrecht, 4. Holoubek, ÖHW 1989, 183 mwH. RV 1331 und 1332 BlgNR 22.GP.
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B. Kompetenzrechtliche Einordnung Als kompetenzrechtliche Grundlage des Bundeshaushaltsrechts ist Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG („Bundesfinanzen“) anzusehen. Das B-VG sieht für die Erzeugung von Haushaltsrechtsnormen zwei verschiedene Gesetzgebungsverfahren vor. Auf Grundlage des Art 51 Abs 6 B-VG wird die bundesgesetzliche Regelung über die Erstellung des Bundesfinanzgesetzes und über die Haushaltsführung des Bundes (Bundeshaushaltsgesetz - BHG) erlassen. Hiermit wird der einfache Bundesgesetzgeber dazu ermächtigt, die Erzeugung des Bundesfinanzgesetzes (BFG) in Ausführung des B-VG auch mit Wirkung gegenüber dem Nationalrat zu regeln.5 Das BHG kommt im Gegensatz zum jährlichen BFG unter Mitwirkung des Bundesrates zustande. Gesetzesbeschlüsse, die ein BFG oder ein gesetzliches Budgetprovisorium, eine Verfügung über Bundesvermögen, die Übernahme oder Umwandlung einer Haftung des Bundes, das Eingehen oder die Umwandlung einer Finanzschuld des Bundes sowie die Genehmigung eines Bundesrechnungsabschlusses betreffen, werden hingegen in einem speziellen Gesetzgebungsverfahren nach Art 42 Abs 5 B-VG „ohne Mitwirkung des Bundesrates“ erlassen. Nachdem der Wortlaut der in den Art 42 Abs 5 und Art 51 B-VG enthaltenen Bestimmungen eindeutig ist, ist es nicht möglich hier auf die historische Interpretation (Versteinerungstheorie) zurückzugreifen.6 Dennoch stellt sich die Frage, ob ein BFG, welches den Vorgaben des BHG nicht entspricht, verfassungswidrig ist. Kompetenz abgrenzend kann festgehalten werden:7 • die Feststellung der Einnahmen und Ausgaben im Jahresbudget sind gemäß Art 42 Abs 5 dem Bundesfinanzgesetzgeber vorbehalten. Der einfache Bundesgesetzgeber darf Ausgaben und Einnahmen nicht feststellen, solche Gesetze wären verfassungswidrig. • Die Kompetenzgrenzen hinsichtlich der Regelungen mit Bezug auf Rücklagen, Finanzschulden, Haftungen und Verfügungen über Bundesvermögen verlaufen nicht starr. Hier liegt eine Kompetenz-Kompetenz des einfachen Bundesgesetzgebers vor: in diesem Zusammenhang vom BHG getroffene Regelungen sind auch für den Bundesfinanzgesetzgeber verbindlich. Art 42 Abs 5 iVm Art 51 Abs 3 B-VG ermächtigt den Bundesfinanzgesetzgeber grundsätzlich zu weitergehenden einschlägigen Regelungen, diese dürfen allerdings dem BHG nicht widersprechen. Das BFG ist ein BG im bloß formellen Sinn. Regelungen, die sich an Rechtsunterworfene richten (Gesetze im materiellen Sinn), dürfen in dieser Form nicht erlassen werden. • allgemeine, nicht nur das nächste Finanzjahr betreffende Haushaltsregelungen sind gemäß Art 51 Abs 6 B-VG dem einfachen Bundesgesetzgeber vorbehalten. Solche allgemeinen Haushaltsregelungen dürfen nicht durch ein BFG getroffen werden, sie wären gegebenenfalls verfassungswidrig (Bepackungsverbot).
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Lödl, ÖHW 2002, 57. VfSlg 4340 mHa VfSlg 2721. Lödl, ÖHW 2002, 65.
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C. Gemeinschaftsrechtliche Aspekte 1. Allgemeines Die Vorschriften des Art 104 EG-Vertrag zur Vermeidung übermäßiger öffentlicher Defizite sind eines der wesentlichen Instrumente zur Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion und der Konvergenz der Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten. Der öffentliche Haushalt spielt eine entscheidende Rolle in der Wirtschafts- und Finanzpolitik eines jeden Staates und daher ist auch in der WWU eine Stabilitätspolitik nur glaubhaft, wenn eine klare gemeinschaftliche Disziplin für die öffentliche Finanzpolitik der Mitgliedstaaten vorgesehen ist. Gerade die Haushaltspolitik stellt ein Kernstück nationaler Politik dar, das in der europäischen Verfassungstradition ein wesentliches Element der Parlamentssouveränität ist, die nicht angetastet werden sollte. Daraus resultierte eine Gratwanderung zwischen einer strengen Gemeinschaftsdisziplin, die zur Errichtung und zum Funktionieren der WWU unerlässlich ist und der Anerkennung der Tatsache, dass die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten letztlich in der Verantwortung der nationalen Regierungen und Parlamente bleiben muss.8 Die Konvergenzkriterien des EG-Vertrages sollen gewährleisten, dass nur Mitgliedstaaten mit ausreichend konvergenten Volkswirtschaften an der Endstufe der WWU teilnehmen bzw darin beteiligt bleiben. Ohne hinreichende Angleichung der Startbedingungen wäre die Gefahr eines Scheiterns der WWU und damit des europäischen Integrationsprozesses groß.9 Durch Art 104 EG-Vertrag wurde den Mitgliedstaaten eine Rechtspflicht zur Stabilitätspolitik auferlegt, deren Durchsetzung nicht durch das Vertragsverletzungsverfahren erfolgt, sondern durch spezifische Verfahren zur Feststellung der Pflichtverletzungen und zur Verhängung von Sanktionen.10
2. Öffentliche Finanzlage und Haushaltsdisziplin Die Finanzlage der öffentlichen Hand ist aber nicht nur für den Eintritt in die dritte Stufe, sondern innerhalb der dritten Stufe selbst von Bedeutung. Anhand von Verordnungen wurde weiter präzisiert, inwieweit die Haushaltsdisziplin auch nach Erreichen der dritten Stufe der WWU als zentrales Anliegen der EG durchgesetzt werden soll.11 Für die Entscheidung über den Eintritt in die dritte Stufe der WWU wird geprüft, ob die so genannten „Konvergenzkriterien“ des Art 121 Abs 1 EGVertrag erfüllt werden. Zu diesen Kriterien zählen auch eine „auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand, ersichtlich aus einer Haushaltslage ohne übermäßiges Defizit“ iSv Art 104 Abs 6. Die Kommission überprüft die Einhaltung der Haushaltsdisziplin gemäß Art 104 Abs 1 EG-Vertrag anhand von zwei Kriterien, nämlich
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Bandilla, Rz 1 zu Art 104 EGV. Kortz, Die Konvergenzkriterien des EGV, RIW 5/1997, 357 f. Bandilla, Rz 2 zu Art 104 EGV. VO (EG) 1466/97 des Rates vom 7.7.1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, Abl L 209/1 idF VO (EG) 1055/2005 des Rates vom 12.6.2005, Abl L 174/1.
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ob das Verhältnis des geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizits zum Bruttoinlandsprodukt einen bestimmten Referenzwert überschreitet,12 und ob das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum Bruttoinlandsprodukt einen bestimmten Referenzwert überschreitet13
Die Verschuldungsbegrenzung bezieht sich einerseits auf das Nettodefizit (NeuVerschuldung) und andererseits auf das Volumen der öffentlichen Verschuldung (Schuldenstand).14 Seinem Wortlaut nach verlangt der Vertrag eine „auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand“. Die Frage, ob ein öffentliches Defizit übermäßig ist, entscheidet sich für jeden Mitgliedstaat anhand des Verhältnisses des öffentlichen Defizits und des öffentlichen Schuldenstandes zum Bruttoinlandsprodukt.
Für die Referenzwerte werden in einem dem EG-Vertrag beigefügten Protokoll Nr 20 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit für die Defizitquote 3 % des BIP und für die Schuldenquote 60 % des BIP genannt. Sie dienen im Rahmen des gemeinschaftlichen Überwachungsverfahrens der Haushaltspolitik als Anhaltspunkte vertragskonformer Haushaltsdisziplin.15 Neben dem Primärrecht wurde den Mitgliedstaaten mit dem vom Europäischen Rat im Juni 1997 in Amsterdam angenommenen „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ ein konkreter Rahmen für ihre Haushaltspolitik vorgegeben.16 Im Zusammenhang mit den Maastricht-Kriterien sind die Kriterien des „öffentlichen Defizits“ und des „öffentlichen Schuldenstandes“ von primärer Wichtigkeit. Die Termini „öffentlich“, „Defizit“, „Investitionen“ und „Schuldenstand“ sind im Protokoll Nr 20 zum EG-Vertrag über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit und in der VO (EG) 3605/93 des Rates vom 22. November 199317 über die Anwendung eben dieses Protokolls unter Bezugnahme auf das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 95) festgelegt. Gemäß Art 2 des Protokolls Nr 20 zum EG-Vertrag über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit bedeutet „öffentlich“ zum Staat, dh zum Zentralstaat (Zentralregierung), zu regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder Sozialversicherungseinrichtungen gehörig, mit Ausnahme von kommerziellen 12
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Es sei denn, dass entweder das Verhältnis erheblich und laufend zurückgegangen ist und einen Wert in der Nähe des Referenzwertes erreicht hat oder der Referenzwert nur ausnahmsweise und vorübergehend überschritten wird und das Verhältnis in der Nähe des Referenzwertes bleibt. Es sei denn, dass das Verhältnis hinreichend rückläufig ist und sich rasch genug dem Referenzwert nähert. Nowotny, Der öffentliche Sektor. Einführung in die Finanzwissenschaft4 (1999), 446. Bünning, Die Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrages unter besonderer Berücksichtigung ihrer Konsistenz (1997), 85. Die beiden Kriterien der Haushaltsdisziplin wurden auf der Grundlage langjähriger Durchschnitte der Wirtschaftsentwicklung ermittelt. Dem Defizitkriterium kommt dabei vorrangige Bedeutung zu. Angesichts der in einigen Ländern sehr hohen öffentlichen Verschuldung war es auch erforderlich, die Schuldenrückführung gesondert einzubeziehen. Beides ermöglicht es, die Dauerhaftigkeit besser zu erfassen, siehe Kees, Die Konvergenzkriterien als wirtschaftspolitische Imperative des Maastricht-Vertrages, in Franzmeyer (Hrsg), Das Konvergenzproblem - Wirtschaftspolitik im Europa von Maastricht (1994), 61. Vgl hierzu die Ausführungen in Punkt I.C.4. Abl L 332/7 idF der VO (EG) 2103/2005, Abl L 337/1.
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Transaktionen im Sinne des ESVG 95.18 Gemäß Art 1 Abs 2 der VO (EG) 3605/93 bedeutet „öffentlich“ die Zugehörigkeit zum „Sektor Staat“ (S.13), untergliedert in die Teilsektoren „Bund (Zentralstaat)“ (S.1311), „Länder“ (S.1312), „Gemeinden“ (S.1313) und „Sozialversicherung“ (S.1314), unter Ausschluss von kommerziellen Transaktionen gemäß der Definition des ESVG 95. Der Ausschluss von kommerziellen Transaktionen bedeutet, dass der „Sektor Staat“ (S.13) nur diejenigen institutionellen Einheiten umfasst, die in ihrer Hauptfunktion nicht marktbestimmte Dienstleistungen erbringen.19 Demnach ist der Staat in diesem Zusammenhang nicht institutionell, sondern „auf funktioneller Basis“ zu definieren.20 Durch diesen Verweis auf die Systematik der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird die gesamte öffentliche Verschuldung erfasst, also neben der Verschuldung des Bundes auch die der Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen und sonstiger staatlicher Institutionen. Der Bund hat nach Art 3 des Protokolls Nr 20 zum EG-Vertrag gegenüber der EU die Verantwortung für die öffentliche Gesamtverschuldung einer Volkswirtschaft zu tragen. Demgegenüber sehen Art 13 B-VG iVm Art 16 F-VG das Prinzip der eigenständigen Haushaltsführung der Länder sowie das Prinzip der Gemeindeautonomie vor. Um daraus resultierenden Problemen begegnen zu können, wurde zwischen den staatlichen Ebenen ein „Konsultationsmechanismus“21 eingerichtet und ein „nationaler Stabilitätspakt“22 zwischen Bund, Ländern und Gemeinden abgeschlossen.23
3. Stabilitäts- und Wachstumspakt a) Allgemeines Der Stabilitäts- und Wachstumspakt beruht auf dem Ziel einer gesunden öffentlichen Finanzlage als Mittel zur Verbesserung der Voraussetzungen für Preisstabilität und ein solides dauerhaftes Wachstum, das der Schaffung von Arbeitsplätzen förderlich ist.24 Der Pakt schreibt für die mittelfristige Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten vor, sich an „nahezu ausgeglichenen oder im Überschuss“ befindlichen öffentlichen Haushalten auszurichten. Der Sicherheitsabstand bestimmt sich vor allem danach, in welchem Ausmaß in einem Mitgliedstaat die öffentlichen Haushalte auf Konjunkturentwicklungen reagieren und wie stark die Konjunkturamplituden selbst ausgeprägt sind.25 Die Mitgliedstaaten verpflichten sich darüber hinaus, den Schuldenstand auch unterhalb der Maastricht-Grenze nachhaltig weiter abzubauen. Durch den Pakt werden die 18
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Sutter, Öffentliche Verschuldung in der Währungsunion (1996), 97; Beck, Stabilitätspolitik in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Der geld- und finanzpolitische Policy-mix im Europa von Maastricht (1997), 188 ff. Art 1 Abs 2 der VO 3605/93 idF der VO (EG) 2103/2005. Europäische Kommission, „Euro 1999“, Bericht über den Konvergenzstand mit Empfehlung für den Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, 25.3.1998, 145. BGBl 1999 I/35. Österreichischer Stabilitätspakt 2005, BGBl 2006 I/19. Nowotny (FN 14), 448. Abs 2 zur Präambel der VO (EG) 1467/97. Part, Haushaltspolitik unter den EU-Rahmenbedingungen in Steger (Hrsg), 43 f. Für Österreich hat die Europäische Kommission zB einen Richtwert von 1,3 % des BIP für das (konjunkturbereinigte) öffentliche Haushaltsdefizit errechnet.
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Bestimmungen des EG-Vertrages präzisiert und daher ist diesen Vorschriften „eine Auslegung zu geben, die ihre volle praktische Wirksamkeit sichert“.26 Der Europäische Rat kam Ende März 2005 überein, den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt zu reformieren um insbesondere den Wachstumsaspekt (Lissabon-Strategie) des Paktes stärker zu akzentuieren.27 Der Stabilitätsund Wachstumspakt besteht nunmehr aus: 1. Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt vom 17. Juni 199728 2. VO (EG) 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken29 3. VO (EG) 1467/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit30 4. Bericht des Rates zur „Verbesserung der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes“ vom 22. März 200531 b) Stabilitäts- und Konvergenzprogramme und verfahrensrechtliche Konsequenzen Nach Art 116 Abs 2 lit a zweiter Gedankenstrich EG-Vertrag musste jeder Mitgliedstaat vor dem Eintritt in die zweite Stufe mehrjährige Programme festlegen, die für die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion notwendige dauerhafte Konvergenz, insbesondere hinsichtlich der Preisstabilität und gesunder öffentlicher Finanzen, gewährleisten sollen. Mit der VO (EG) 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 erhielt diese Verpflichtung gewissermaßen eine Prolongation über den Eintritt in die Endstufe hinaus. Diese Verordnung schreibt den Mitgliedstaaten die Vorlage von alljährlich aktualisierten Stabilitäts- oder Konvergenzprogrammen32 vor, die die Grundlage für eine verstärkte haushaltspolitische Überwachung sowie für eine Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken durch den Rat darstellen. Die Rolle der Kommission und des Rates wird gegenüber den Konvergenzprogrammen nach Art 116 EG-Vertrag beträchtlich erweitert. Der Rat gibt auf Empfehlung der Kommission und nach Anhörung des Währungsausschusses nach Art 114 EG-Vertrag eine Stellungnahme zu jedem Programm ab und richtet bei einem erheblichen Abweichen der Haushaltslage vom mittelfristigen Haushaltsziel entsprechende Empfehlungen („frühzeitige Warnungen“ vor dem Entstehen eines übermäßi-
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EuGH 13.7.2004, Rs C-27/04 Kommission/Rat, Slg 2004, I-6649, Rz 74. Meister/Schimpel, Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, RFG 2005, 92. Abl C 236/1. Abl L 209/1 idF VO (EG) 1055/2005 des Rates vom 27.6.2005, Abl L 174/1. Abl L 209/6 idF VO (EG) 1056/2005 des Rates vom 27.6.2005, Abl L 174/5. Anlage 2 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 22. und 23. März 2005, 7619/05. Die Stabilitätsprogramme sind jährlich zu aktualisieren und von den Mitgliedstaaten zu veröffentlichen. Mitgliedstaaten, die den Euro nicht eingeführt haben, müssen weiterhin Konvergenzprogramme vorlegen.
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gen Defizits) an den betreffenden Mitgliedstaat, um das Entstehen eines übermäßigen Defizits zu verhindern.33 Materiell ist dieses nicht öffentliche Verfahren eine Vorstufe zu dem im Art 104 EG-Vertrag geregelten Aufsichtsverfahren bei einem übermäßigen Defizit. Eine Veröffentlichung der Empfehlung darf daher auch in diesem Verfahren erst nach einer weiteren Abmahnung des Mitgliedstaates erfolgen.34 Eine Abweichung vom Stabilitätsprogramm zieht nicht automatisch eine Strafzahlung nach sich, solange das Defizit nicht übermäßig im Sinne von Art 104 Abs 6 EG-Vertrag wird. Die Stabilitätsprogramme enthalten auch eine Darstellung der mittelfristigen Haushaltsziele (für den Zeitraum der nächsten fünf Jahre). Angesichts der wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Heterogenität in der Union sollte das mittelfristige Haushaltsziel für die einzelnen Mitgliedstaaten differenziert gestaltet sein, um den unterschiedlichen Konjunkturentwicklungen sowie der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen auch angesichts des sich anbahnenden demografischen Wandels Rechnung zu tragen.35 Die länderspezifischen mittelfristigen Haushaltsziele können sich innerhalb einer Spanne von - 1 % des BIP und einem ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalt bewegen.36 Stellt der Rat eine Abweichung von den mittelfristigen Zielen fest, so werden dem betreffenden Mitgliedstaat - wie erwähnt budgetäre Anpassungsmaßnahmen empfohlen. Der Begriff „mittelfristig“ ist zeitlich als die Länge eines Konjunkturzyklus zu verstehen.37
Die erwähnte VO (EG) 1467/97 stellt zwar hauptsächlich auf das laufende öffentliche Defizit ab und präzisiert die Ausnahmebedingungen und die Höhe der in Frage kommenden Strafzahlungen nur für diesen Fall. Abgesehen davon sind die Regelungen der Verordnung ihrem Wortlaut nach aber auch auf Überschreitungen des Schuldenstandes anwendbar. Selbst wenn man dies verneinen wollte, gilt jedenfalls der Sanktionsmechanismus des Vertrages selbst (Art 104 EG-Vertrag).38 Die Verordnung brachte jedenfalls eine erhebliche Beschleunigung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit nach Art 104 EG-Vertrag.
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Stellungnahme des Währungsausschusses zum Inhalt und zur Form der Stabilitätsund Konvergenzprogramme, in: Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union, Der Euro und die Wirtschaftspolitik, 62. Seidel, Publizitätsverbot für „Blauen Brief“ bei einem drohenden Haushaltsdefizit, EUZW 2002, 161. 5. Erwägungsgrund der VO (EG) 1055/2005 zur Änderung der VO (EG) 1466/97. Art 2a VO (EG) 1466/97. Die Stabilitätsprogramme müssen neben diesem mittelfristigen Haushaltsziel auch den Anpassungspfad in Richtung auf dieses Ziel angeben. Grundsätzlich sollen verstärkte Anstrengungen in Wachstumsphasen und geringere in schwächeren Phasen vorgenommen werden. Wird das mittelfristige Ziel nicht erreicht, wird die Haushaltskonsolidierung von 0,5 % des BIP über den Konjunkturzyklus festgesetzt. Siehe auch Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Stärkung der Economic Governance und Klärung der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, KOM (2004) 581 endg sowie Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Die öffentlichen Finanzen in der WWU 2006 - Das erste Jahr nach der Überarbeitung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, KOM (2006) 304 endg. Stellungnahme des Währungsausschusses, Stabilitäts- und Konvergenzprogramme, 62. Griller, 4.
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4. Die Bedeutung des Europäische Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung für die WWU a) Allgemeines Die Haushaltslage kann auf Gemeinschaftsebene nur dann wirkungsvoll überwacht werden, wenn die Zahlen der Mitgliedstaaten vergleichbar, transparent und homogen sind. Solche Zahlen sind wichtig, um eine Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Die von den Regierungen in den Haushaltsgesetzen vorgelegten Zahlen entsprechen der jeweiligen nationalen Praxis, wobei Buchungsverfahren, Datenerhebungsmethoden und Erfassungsbereiche der Haushalte normalerweise von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind. Um vergleichbare und für wirtschaftliche Analysen geeignete Zahlen zu gewährleisten, wurde beschlossen, die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen als Rahmen für die Haushaltsüberwachung heranzuziehen. Rechtsgrundlage ist das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 1995)39, eine auf Art 285 EG-Vertrag gestützte Verordnung des Rates und als solche in den einzelnen Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar. Die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ermöglichen eine Abbildung der ökonomischen Rolle des Staates im Wirtschaftskreislauf in quantitativer Weise. Der Staat ist in vielfältiger Weise am Wirtschaftsgeschehen beteiligt. Auf der einen Seite ist er als Produzent (Anbieter von Verwaltungsdienstleistungen), Verbraucher, Investor, Arbeitgeber, Käufer auf den Gütermärkten und als Gläubiger und Schuldner auf dem Kapitalmarkt selbst Teil des Wirtschaftsprozesses. Auf der anderen Seite greift er im Rahmen der Einkommens- und Vermögensumverteilung lenkend, regelnd und Abgaben erhebend ins Wirtschaftsgeschehen ein.40 In Grenzfällen ist bei der Zuordnung einer Transaktion oder einer institutionellen Einheit zu einem Sektor zu prüfen, welche Rolle der Staat im konkreten Fall spielt. Nach Punkt 1.38. ESVG 95 werden „die meisten Transaktionen so gebucht, wie sie von den beteiligten institutionellen Einheiten wahrgenommen werden. Einige Transaktionen werden jedoch so abgewandelt, dass die ihnen zugrunde liegenden wirtschaftlichen Beziehungen deutlicher erkennbar sind. Die Kommission versucht somit - unter dem Schlagwort „wirtschaftliche Realität vor Rechtsform“ - die ökonomische ratio hinter den jeweils verwendeten juristischen Konstruktionen aufzuspüren und ihren Entscheidungen zugrunde zu legen.41 Unter diesem Aspekt wird nicht nur die Abgrenzung des Sektors Staat gegenüber den anderen Sektoren, sondern auch die - defizitwirksame oder defizitneutrale Einordnung konkreter Transaktionen vorgenommen. Wenn Transaktionen so deklariert werden, dass der rechtliche Anschein der wirtschaftlichen Realität (dem realen wirtschaftli-
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40 41
VO (EG) 2223/96 des Rates vom 25.6.1996 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Gemeinschaft, Abl L 310/1 idF VO (EG) 1267/2003, Abl L 180/1. Das ESVG in seiner ersten Fassung geht auf das Jahr 1970 zurück, 1979 erging die zweite Auflage dieses Dokumentes. Durch die Neufassung des Systems volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (SNA) durch die Statistische Kommission der Vereinten Nationen im Februar 1993, musste eine Anpassung des ESVG vorgenommen werden. Fleischmann, Öffentliche Haushaltsverrechnung und volkswirtschaftliche Gesamtrechnung in Steger (Hrsg), 301. Griller, 15.
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chen Effekt der Transaktion) widerspricht, ist in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der wirtschaftlichen Realität Vorrang einzuräumen.42
b) Abgrenzung des „Sektors Staat“ aa) Definition des Staatssektors nach dem ESVG 95 Wie die Berechnung des öffentlichen Defizits und des öffentlichen Schuldenstandes auf Basis des ESVG 95 erfolgen, resultieren auch die Feststellung des Umfangs der Staatsschulden und damit die Abgrenzung des „Sektors Staat“ aus dieser Grundlage. Gemäß Punkt 2.68. ESVG 95 umfasst der Sektor Staat „alle institutionellen Einheiten, die zu den sonstigen Nichtmarktproduzenten zählen, deren Produktionswert für den Individual- und Kollektivkonsum bestimmt ist, die sich primär mit Zwangsabgaben von Einheiten anderer Sektoren finanzieren und/oder die Einkommen und Vermögen umverteilen.“ Der Sektor Staat gliedert sich nach Punkt 2.70. ESVG 95 in die vier Teilsektoren Bund (Zentralstaat), Länder, Gemeinden und Sozialversicherung. Die Sektoren und Teilsektoren fassen jeweils die institutionellen Einheiten zusammen, die ein gleichartiges wirtschaftliches Verhalten aufweisen. Die institutionellen Einheiten werden nach Punkt 2.18. ESVG 95 „den Sektoren nach der Art der Produzenten, die sie sind, und nach ihrer Hauptfunktion zugeordnet, die als ausschlaggebend für ihr wirtschaftliches Verhalten angesehen werden“. Die Konten der Sektoren und Teilsektoren erfassen demnach alle Haupt- und Nebentätigkeiten der dort eingeordneten institutionellen Einheiten (ein Alles-odernichts-Prinzip). Demnach gehört jede institutionelle Einheit nur einem Sektor oder Teilsektor an. Gerade diese Zuordnung der institutionellen Einheiten zu den Sektoren kann in der Praxis Schwierigkeiten bereiten. Eine Institution muss nach dem ESVG 95 spezielle Kriterien erfüllen, um aus dem „Sektor Staat“ rauszufallen, andernfalls kann es zu „Rückgliederungen“ in den Staatssektor kommen, wenn eben diese Kriterien nicht erfüllt werden. Im Folgenden werden diese Abgrenzungsmerkmale näher betrachtet. bb) Institutionelle Einheit Die Zuordnung einer Einheit zu den Sektoren setzt zunächst voraus, dass überhaupt eine institutionelle Einheit vorliegt.43 Die wesentlichen Merkmale, die einer institutionellen Einheit im Sinne des ESVG 95 inhärent sein müssen, sind die Entscheidungsfreiheit und die vollständige Rechnungsführung. Das Vorliegen eigener Rechtspersönlichkeit ist dabei keine notwendige Bedingung, um von einer institutionellen Einheit im genannten Sinn sprechen zu können.
42 43
Eurostat, 27. Gemäß Punkt 2.12. des ESVG 95 ist eine institutionelle Einheit “ein wirtschaftlicher Entscheidungsträger, der durch einheitliches Verhalten und Entscheidungsfreiheit bezüglich seiner Hauptfunktion gekennzeichnet ist. Eine gebietsansässige institutionelle Einheit sollte neben der Entscheidungsfreiheit in ihrer Hauptfunktion entweder über eine vollständige Rechnungsführung verfügen oder es sollte erforderlichenfalls aus wirtschaftlicher und juristischer Sicht möglich sein, eine vollständige Rechnungsführung zu erstellen.“
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„Entscheidungsfreiheit in der Ausübung ihrer Hauptfunktion“ bedeutet nach Punkt 2.12. ESVG 95, dass die Einheit • berechtigt ist, selbst Eigentümer von Waren oder Aktiva zu sein und diese in Form von Transaktionen mit anderen institutionellen Einheiten auszutauschen; • wirtschaftliche Entscheidungen treffen kann und wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben kann, für die sie selbst direkt verantwortlich und haftbar ist; • in eigenem Namen Verbindlichkeiten eingehen, andere Schuldtitel aufnehmen oder weitergehende Verpflichtungen übernehmen sowie Verträge abschließen kann“. Das Nichtvorliegen der Entscheidungsfreiheit hat zur Konsequenz, dass Institutionen mit vollständiger Rechnungsführung, aber ohne Entscheidungsfreiheit für die Ausübung ihrer Hauptfunktion in die Einheiten einzubeziehen sind, von denen sie beherrscht werden. Hierbei stellt sich die Frage, ob die genannten Voraussetzungen in jedem Fall erfüllt sein müssen, oder ob bei der Auslegung dieser Bestimmung eher extensiv vorgegangen werden kann. Vor allem hinsichtlich der unter Punkt 2.12. lit b ESVG 95 geforderten wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit ist fraglich, inwieweit Weisungsrechte diese Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen vermögen. Die Weisungsmöglichkeit der Gesellschafter wie beispielsweise im GmbH-Recht44 tangiert zweifelsohne die Entscheidungsfreiheit, hindert jedoch nicht die Existenz einer institutionellen Einheit, solange grundsätzlich die Führung des Unternehmens durch die Einheit selbst erfolgt. Gewisse Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit nach dem ESVG 95 sind demnach zulässig, ohne dass dadurch die Eigenschaft als institutionelle Einheit verloren geht.
Eine eigene institutionelle Einheit erfordert demnach eine relative wirtschaftliche Selbständigkeit. Das bedeutet, dass die Kontrolle über eine Kapitalgesellschaft, etwa durch die Möglichkeit die generelle Strategie des Unternehmens festzulegen oder durch die grundsätzliche gesellschaftsrechtliche Weisungsunterworfenheit, das Vorliegen einer institutionellen Einheit nicht beeinträchtigt, solange grundsätzlich die wirtschaftliche Führung des Unternehmens durch die Geschäftsführung selbst erfolgt.45
Ganz in diesem Sinne hat Eurostat der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) die Eigenschaft einer eigenen institutionellen Einheit zuerkannt, obwohl deren Anteile zu 100 % dem Bund gehören. Entscheidend war für Eurostat der Umstand, dass vom Bund „lediglich die generelle Strategie des Unternehmens festgelegt und kein Einfluss auf die laufenden Geschäfte genommen wird“.46
Umgekehrt bedeutet dies, dass in Fällen, wo auf die laufenden Geschäfte einer Einheit Einfluss genommen wird, diese ihre relative Entscheidungsfreiheit verliert und nicht mehr als institutionelle Einheit qualifiziert werden kann. Da institutionelle Einheiten ohne Entscheidungsfreiheit in ihrer Hauptfunktion - wie erwähnt - nach Punkt 2.13. lit c) ESVG 95 in die Einheiten einzubeziehen sind, von denen sie beherrscht werden.47 44 45 46 47
Siehe § 20 Abs 1 GmbHG. Dieses Kriterium spielt allerdings bei der Unterscheidung in öffentliche und private Produzenten eine Rolle, siehe dazu Punkt I.C.5.b.cc. Siehe Eurostat, Pressemitteilung Nr. 15/2002 vom 31.1.2002. Da Eurostat bei der Auslegung des ESVG 95 regelmäßig eine funktionale Betrachtungsweise anwendet, wird es nicht bloß abstrakt auf eventuelle Beherrschungsmöglichkeiten, sondern auf die tatsächliche Ausübung der Beherrschung ankommen.
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cc) Unterscheidung in private und öffentliche Einheiten nach der staatlichen Kontrolle Die Kontrolle ist neben der Marktbestimmung ein weiteres entscheidendes Kriterium für die Sektorzuordnung. Innerhalb der Produzenten muss nämlich eine Unterscheidung in private und öffentliche Produzenten vorgenommen werden. Öffentliche Produzenten sind solche, die vom Staat48 kontrolliert und ihm daher zugerechnet werden. Zur Klarstellung sei angeführt, dass hier ein anderer Maßstab von Kontrolle als bei der Beurteilung der Entscheidungsfreiheit gilt. Kontrolle wird in Punkt 3.28. ESVG 95 definiert als die Fähigkeit, die allgemeine Unternehmenspolitik oder das allgemeine Programm einer institutionellen Einheit zu bestimmen, erforderlichenfalls durch Einsetzung geeigneter Direktoren oder Manager. Der Besitz der Aktienmehrheit an einer Kapitalgesellschaft ist eine ausreichende, aber nicht notwendige Voraussetzung für die Kontrolle. Alle sonstigen Produzenten, die nicht vom Staat kontrolliert werden, sind private Produzenten. Diese Qualifikation als privater oder öffentlicher Produzent ist äußert wichtig, wenn man bedenkt, dass ein privater Produzent unabhängig von seiner Tätigkeit - sei sie nun gemeinnützig oder nicht - niemals dem „Sektor Staat“ zugerechnet werden kann. dd) Marktproduzent oder Nichtmarktproduzent (Marktbestimmung) Werden mehr als 50 % der Produktionskosten durch Umsätze gedeckt, so ist die institutionelle Einheit gemäß Punkt 3.32. ESVG 95 ein Marktproduzent und wird in die Sektoren nichtfinanzielle und finanzielle Kapitalgesellschaften eingeordnet. Demnach kann es finanzielle und nichtfinanzielle Marktproduzenten geben.49 Wie bereits erwähnt müssen die Kriterien für die Sektorzuordnung (institutionelle Einheit, öffentlich oder privater Produzent, Markt- oder Nichtmarktproduzent) nacheinander geprüft werden. Liegt nun eine öffentliche institutionelle Einheit vor, muss noch beurteilt werden, ob es sich um einen Marktoder einen Nichtmarktproduzenten handelt. Für die Qualifikation von öffentlichen Produzenten als “Markt“- bzw “Nichtmarktproduzenten” und damit für ihre Zurechnung zum „Sektor Staat” ist gemäß Punkt 3.32. ESVG 95 das 50 %Kriterium entscheidend: • werden mehr als 50 % der Produktionskosten durch Umsätze gedeckt, so ist die institutionelle Einheit ein Marktproduzent und wird in die Sektoren nichtfinanzielle und finanzielle Kapitalgesellschaften eingeordnet • werden weniger als 50 % der Produktionskosten durch Umsätze (Verkaufserlöse, Gebühreneinnahmen uÄ) gedeckt, handelt es sich um einen sonstigen Nichtmarktproduzenten, der soweit diese Einheit vom Staat kontrolliert und größtenteils finanziert wird, in den Sektor Staat einzubeziehen ist. Je nachdem, ob es sich bei einem öffentlichen Produzenten um einen Marktoder einen Nichtmarktproduzenten handelt, ist dieser Produzent dem Sektor
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Der „Staat“ umfasst hierbei Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen. Koller, 58 ff.
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Kapitalgesellschaften oder dem Sektor Staat zuzurechnen.50 Zum Sektor Staat gehören ausschließlich öffentliche institutionelle Einheiten, die Nichtmarktproduzenten sind. Private Produzenten finden sich demgegenüber in allen Sektoren, außer im Sektor Staat. Bei der Anwendung des 50 %-Kriteriums sollten gemäß Punkt 3.33. ESVG 95 mehrere Jahre berücksichtigt werden. Geringfügige Umsatzschwankungen von einem Jahr zum anderen, erfordern keine Neueinstufung.51 aaa) Umsätze Das 50%-Kriterium stellt darauf ab, dass Produktionskosten überwiegend durch Umsätze gedeckt sein müssen. Der Kostendeckungsgrad laut ESVG wird wie folgt ermittelt: Umsatz Kostendeckungsgrad = Produktionskosten x 100 (muss > 50 sein) Der verbleibende Teil kann durch Transferleistungen des Staates ausgeglichen werden. Überwiegen jedoch diese Transferzahlungen, muss der öffentliche Produzent dem Sektor Staat zugerechnet werden. Um dieses Verhältnis zwischen Umsatz und Produktionskosten ermitteln zu können, muss vorab geklärt werden, was alles vom Begriff „Umsatz“ erfasst wird. Der Umsatz umschließt gemäß Punkt 3.33. ESVG 95 „nicht die Gütersteuern, schließt aber die Zahlungen des Staates oder der Institutionen der Europäischen Union ein, die allen Produzenten eines Wirtschaftsbereichs gewährt werden und an das Volumen oder den Wert der Produktion gebundene Zahlungen sind, während Zahlungen zur Deckung eines Gesamtdefizits ausgenommen werden“. Von einem „Marktproduzenten“ wird man einem herkömmlichen Verständnis nach zunächst wohl nur dann ausgehen können, wenn dessen Leistungen nach quantitativen und qualitativen Gesichtspunkten abgegolten werden. Voraussetzung für die Annahme eines „Umsatzes“ im Sinne des ESVG 95 ist demnach, dass die Abgeltung von „konkreten“ Leistungen vorgenommen wird.52 Daraus folgt, dass die von einem „Marktproduzenten“ zu erbringenden Leistungen möglichst genau verrechnet werden und damit hinreichend konkretisiert sein müssen. Eine pauschale Abgeltung von Leistungen steht mit diesem Erfordernis jedenfalls nicht im Einklang. Dies ist zB bei den Basisabgeltungen bzw den Jahrespauschalbeträgen der Fall, die der Bund an die Bundesmuseen53, Bundestheatergesellschaften54 oder die Statistik Austria55 zahlt. Das Kriterium des wirtschaftlich signifikanten Preises wird nach dem ESVG 95 (insbesondere Punkt 3.19) zur Abgrenzung von Markt- und Nichtmarktproduzenten herangezogen. Marktproduzenten sind Produzenten, die ihre Produktion zu wirtschaft50
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Eurostat, 13. Eine Ausnahme sind Produzenten, bei denen es sich um finanzielle Mittler handelt, denn sie sind dem Sektor finanzielle Kapitalgesellschaften zuzuordnen. Bundesministerium für Finanzen et al (Hrsg), Arbeitsbehelf für Gemeinden und Städte zur Unterstützung der Einrichtung von Betrieben mit marktbestimmter Tätigkeit (1997), 13. Siehe dazu zB Schwarz, Die VGR als System, Nichtfinanzielle Sektorkonten nach ESVG 1995, Statistische Nachrichten 2001, 449. § 5 Abs 4 Bundesmuseen-Gesetz 2002, BGBl 2002 I/14. § 7 Abs 2 Bundestheaterorganisationsgesetz, BGBl 1998 I/108 idF BGBl 2001 I/136. § 32 Bundesstatistikgesetz 2000, BGBl 1999 I/163 idF BGBl 2001 I/136.
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lich signifikanten Preisen verkaufen. Nichtmarktproduzenten sind Produzenten, die Dritten den größten Teil ihrer Produktion kostenlos oder zu wirtschaftlich nicht signifikanten Preisen zur Verfügung stellen. Dementsprechend erfordert ein „Umsatz“ im Sinne des ESVG 95 einen wirtschaftlich signifikanten Preis. Ein Preis ist wirtschaftlich signifikant, wenn er die von den Produzenten angebotenen und von den Käufern nachgefragten Mengen signifikant beeinflusst und umgekehrt.56
bbb) Zahlungen des Staates Der Begriff des Umsatzes erfasst nach dem ESVG 95 auch „Zahlungen des Staates“, wenn sie „allen Produzenten eines Wirtschaftszweiges“ gewährt werden und „an das Volumen oder den Wert der Produktion“ gebunden sind (Punkt 3.33. des ESVG 95). Derartige Zahlungen des Staates spielen bei ausgegliederten Rechtsträgern eine ganz besondere Rolle, da sie üblicherweise manchmal auch überwiegend und ausschließlich - Leistungen für den Staat erbringen und als Entgelt dafür entsprechende Zahlungen vom Staat empfangen. Diese Zahlungen als Entgelt für bestimmte Leistungen können von vorneherein nicht „allen Produzenten eines Wirtschaftszweiges“ zugestanden werden. Daher stellen „Zahlungen des Staates“ wohl dann Umsätze dar, wenn sie für die betreffende Gegenleistung auch anderen Produzenten des betreffenden Wirtschaftszweiges geboten werden müssten - also ihrer Höhe nach „marktkonform“ sind - und das Ausmaß der Zahlungen durch Angebot und Nachfrage („Volumen“ und „Wert“ der Produktion) bestimmt wird. Öffentliche institutionelle Einheiten, die hauptsächlich vom Staat finanziert werden, und zwar entweder entsprechend ihren Kosten oder auf der Grundlage von Verhandlungen (Globalbudget), bei denen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden (Gesamtleistung, Zahlungen in Form von Arbeitnehmerentgelten usw), sind dem Sektor Staat zuzurechnen, da diese Zahlungen des Staates keinen Umsätzen entsprechen.57
D. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Budgetrechts 1. Die Budgethoheit des Nationalrats Verfassungsgesetzliche Grundlagen für das Haushaltsrecht des Bundes finden sich in den Bestimmungen der Art 51 bis 51c so wie in Art 42 Abs 5 B-VG. Unter dem Budgetrecht im subjektiven Sinn wird das Recht des Nationalrates verstanden, die Ausgaben und Einnahmen des Staates durch formelles Gesetz zu bewilligen und damit die Entscheidungsgewalt über die Staatsfinanzen, also Budgethoheit auszuüben.58 Damit hängt zusammen, dass dem Bundesrat bei Gesetzesbeschlüssen gemäß Art 42 Abs 5 B-VG keine Mitwirkung zusteht, so dass der Bundesrat gegen die genannten Gesetzesbeschlüsse keinen Einspruch erheben kann und diese Gesetzesbeschlüsse ohne weiteres zu beurkunden und 56
57 58
Eurostat, 13. Wenn unter administrativen, sozialen oder politischen Gesichtspunkten entschieden worden ist, welche Gesamtmenge eines bestimmten nichtmarktbestimmten Gutes oder einer bestimmten nichtmarktbestimmten Dienstleistung angeboten werden soll, wird für dieses Gut bzw diese Dienstleistung absichtlich ein Preis festgelegt, der deutlich unter dem Gleichgewichtspreis liegt, bei dem die Nachfrage genau dem Angebot entsprechen würde. Eurostat, 15. Holoubek, ÖHW 1989, 175 mwH.
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kundzumachen sind.59 Die Bundesverfassung enthält keine Ermächtigung an den Budgetgesetzgeber, generelle, über ein Finanzjahr hinausgehende Regelungen betreffend die Bewilligung von Ausgaben zu treffen. Der Nationalrat kann die ihm durch die Bundesverfassung eingeräumte Ermächtigung weder übertragen noch auf sie verzichten.60 Dem Nationalrat steht es im Gegenzug dazu nicht zu, das Budgetgesetz mit außerbudgetären materiellen Normen zu bepacken (Bepackungsverbot).61 Die näheren Bestimmungen über die Erstellung des BFG und über die Haushaltsführung des Bundes sind gemäß Art 51 Abs 6 B-VG durch Bundesgesetz zu treffen. Nach § 32 BHG ist primär der Bundesminister für Finanzen für die Ausarbeitung des Budgetgesetzentwurfes verantwortlich. Er hat von den haushaltsleitenden Organen Entwürfe einzuholen (§ 30 BHG) und mit den Ressortleitern Budgetverhandlungen zu führen. Der Bundesminister für Finanzen hat die Voranschlagsentwürfe unter Bedachtnahme auf die gesetzlich festgelegten Ziele der Haushaltsführung (§ 2 BHG) sowie die finanzielle Leistungsfähigkeit des Bundes zu überprüfen und sodann den Bundesvoranschlagsentwurf62 zu erstellen.63 Art 51 Abs 2 B-VG verpflichtet die Bundesregierung den Entwurf eines BFG für das folgende Finanzjahr spätestens zehn Wochen vor Ablauf des Finanzjahres - konkret spätestens am 22. Oktober - vorzulegen.64 Art 51 Abs 1 B-VG verpflichtet den Nationalrat, seinen Beratungen den Entwurf der Bundesregierung zugrunde zu legen. Bis zum 22. Oktober hat die Bundesregierung das Antragsmonopol, danach initiiert ihre Vorlage das Gesetzgebungsverfahren nur dann, wenn noch kein Initiativantrag eingebracht wurde. Ein BFG ist damit subsidiär auf Grund eines Initiativantrages möglich.65 Existiert bereits ein Selbständiger Antrag des Nationalrates, so kann dieser selbst entscheiden, ob er einen verspäteten Regierungsentwurf noch in Verhandlung nimmt oder nicht.66 Auch Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates, die einen der in Art 42 Abs 5 B-VG genannten Gegenstände zum Inhalt haben und „ohne Mitwirkung“ des Bundesrates zustande kommen, sind vom Präsidenten des Nationalrates dem Bundesrat zu übermitteln. Nimmt der Bundesrat einen derartigen an ihn übermittelten Gesetzesbeschluss in 59 60
61 62 63 64
65 66
Rödler, Haushaltsrecht, 18. VfSlg 4340. Die Budgethoheit des Nationalrates wird zB verletzt, wenn die Zuständigkeit des Nationalrates zur Aufnahme oder Konvertierung von Bundesanleihen oder die Zuständigkeit zur Verfügung über Bundesvermögen an den Bundesminister für Finanzen in verfassungswidriger Weise delegiert wird. Damit wird auch das im Art 18 B-VG verankerte Legalitätsprinzip verletzt, weil eine solche Delegation die Verwaltungsbehörde zu einem Handeln ermächtigt, das nicht durch das Gesetz vorausbestimmt ist. Hengstschläger, Das Haushaltsrecht des Bundes aus juristischer Sicht, in Gantner (Hrsg), 34. Der Bundesvoranschlag muss eine Spezialisierung der Ausgaben mindestens hinsichtlich ihrer Art und ihrer Höhe nach vornehmen, VfSlg 4340. Die Erstellung des Stellenplanentwurfes obliegt dem Bundeskanzler im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen (§ 33 BHG). Bei nicht rechtzeitiger Vorlage des Budgetgesetzentwurfes kann die Säumigkeit der Bundesregierung zu einem Misstrauensvotum durch den Nationalrat gemäß § 74 Abs 1 und 2 B-VG führen oder zur staatsrechtlichen Anklage gegen die Regierungsmitglieder gemäß Art 142 B-VG, siehe dazu Hengstschläger in Korinek/ Holoubek (Hrsg), Art 51 Rz 27. Holoubek, ÖHW 1989, 176. Hengstschläger in Gantner (Hrsg), 35 f.
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Behandlung fehlt ihm dafür eine Zuständigkeit.67 Würde er einem diesbezüglichen Gesetzesbeschluss des Nationalrates zustimmen, wäre das eine verfassungswidrige Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren. Probleme können hierbei Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates bereiten, welche sowohl einfachgesetzliche Bestimmungen als auch solche enthalten, welche den Materien gemäß Art 42 Abs 5 B-VG zuzuordnen sind (zB in den Budgetbegleitgesetzen). In der Gesetzgebungspraxis werden die dem Art 42 Abs 5 B-VG unterfallenden Bestimmungen in den Materialien als solche bezeichnet und der Bundesrat nimmt diese Bestimmungen von seiner Beschlussfassung aus.68 Die Beurteilung darüber, ob ein Gesetzesbeschluss des Nationalrates einen der in Art 42 Abs 5 B-VG genannten Gegenstände betrifft, obliegt primär dem Bundeskanzler, der in solchen Fällen unverzüglich die Beurkundung und Kundmachung in die Wege zu leiten hat.69
2. Die Staatszielbestimmung im Art 13 Abs 2 B-VG Nach Art 13 Abs 2 B-VG haben Bund, Länder und Gemeinden bei ihrer Haushaltsführung die Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes anzustreben. Art 13 Abs 2 B-VG stellt eine Staatszielbestimmung im Sinne einer materiellen Wertentscheidung dar.70 Unter Haushaltsführung im Sinne dieser Bestimmung ist die Erstellung des Haushaltsplanentwurfes, die Bewilligung des Haushaltsplanes durch den Nationalrat, der Vollzug des Haushaltsplanes und die Rechnungslegung zu verstehen.71 Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht besteht nach § 2 Abs 2 BHG bei einem ausgewogenen Verhältnis zwischen einem hohen Beschäftigungstand, einem hinreichend stabilen Geldwert, der Sicherung des Wachstumspotentials und der Wahrung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichtes. § 2 Abs 1 BHG verpflichtet darüber hinaus den Bund, bei seiner Gebarung die Verbundenheit der Finanzwirtschaft der Gebietskörperschaften zu berücksichtigen.72
3. Rechtswirkungen und Inhalt des Bundesfinanzgesetzes Dem vom Nationalrat genehmigten Entwurf eines BFG kommt die Form eines Bundesgesetzes zu. Dennoch richtet sich das Budgetgesetz nicht wie bei anderen Bundesgesetzen üblich an die Rechtsunterworfenen, sondern enthält nur Ermächtigungen für Verwaltungsorgane.73 Das BFG ist demnach mit bloßer Innenwirkung ausgestattet. Gemäß § 37 BHG werden durch das BFG Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben. Es enthält vielmehr nur Ermächtigungen für Verwaltungsorgane. Demnach sind Regelungen, die sich an außenstehende Rechtsunterworfene richten und in Form eines BFG erzeugt werden, verfassungswidrig. Umgekehrt bleiben materiellrechtliche Ansprüche (zB Subventionen) auch mangels budgetmäßiger Deckung bestehen und sind für materiellrechtliche Verbindlichkeiten (zB Steuern) ausschließlich 67 68 69 70 71 72
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Schick in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 42, Rz 33. Lödl, ÖHW 2002, 56. Schick in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 42, Rz 33. Holoubek, ÖHW 1989, 174. Rödler, Haushaltsrecht, 14. Schwab, Die Haushaltsrechtsreform des Bundes, ÖHW 1986, 1 (10). Zur Kritik an dieser verfassungsrechtlichen Verankerung keynesianischen Gedankenguts siehe Rödler, ecolex 1999, 728 f. Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 (2000), Rz 517.
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die einschlägigen Gesetze maßgeblich.74 Da das Budgetgesetz im Außenverhältnis weder Rechte begründet noch Pflichten auferlegt, kann beispielsweise ein materiellrechtlicher Anspruch einzelner Personen gegen den Bund nicht deshalb untergehen, weil er im Budgetgesetz nicht ausreichend dotiert ist. Grundsätzlich kann beim BFG nach einer sachlichen, betraglichen und zeitlichen Bindungswirkung differenziert werden. Die sachliche Bindungswirkung (qualitative Spezialität) besagt, dass Ausgaben nur insofern geleistet werden dürfen, als sie im BFG bzw in einem Budgetprovisorium ihrer Art nach (durch einen Voranschlagsansatz) vorgesehen sind (Ausnahmen bestehen für außerplanmäßige Ausgaben). Einnahmen sind nach Maßgabe der materiellrechtlichen Bestimmungen (zB den Abgabengesetzen) aufzubringen. Die zeitliche Bindung (temporale Spezialität) erstreckt sich auf die Dauer des Haushaltszeitraumes, somit für jeweils ein Finanzjahr. Aufgrund der betraglichen Bindungswirkung (quantitative Spezialität) dürfen Ausgaben grundsätzlich nur insoweit geleistet werden, als sie im BFG bzw im Provisorium der Höhe nach vorgesehen sind (Ausnahmen bestehen für überplanmäßige Ausgaben).75 Im Gegensatz zur Ausgabenveranschlagung stellt die Höhe der Einnahmenveranschlagung mit Rücksicht auf den Grundsatz der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit (Art 126b Abs 5 BVG) kein Limit dafür dar, jede rechtlich begründete Einnahmemöglichkeit wahrzunehmen.76 Dem Grundsatz der doppelten gesetzlichen Bedingtheit der Finanzverwaltungsakte, wonach ein Gebarungsvorgang gleichzeitig sowohl materiellrechtlich begründet als auch bundesfinanzgesetzlich vorgesehen sein muss77, kommt somit nur im Innenverhältnis hinsichtlich der Ausgaben Berechtigung zu.78 Selbst bezogen auf die Ausgabenseite kann die „doppelte gesetzliche Bedingtheit“ relativiert werden, wenn man beachtet, dass die budgetären Ausgabenansätze Höchstbeträge bedeuten und dass die Vollziehung über die im BFG festgelegten Mittel nur nach Maßgabe etwaiger gesetzlicher Vorschriften verfügen darf, aber keinesfalls verpflichtet ist, sie unbedingt zu verausgaben.79 Das BFG heißt genau genommen Bundesfinanzgesetz über die Bewilligung des Bundesvoranschlages. Inhalt des BFG ist daher die Bewilligung des „Voranschlages der Einnahmen und Ausgaben des Bundes“. Die Ansätze der veranschlagten Einnahmen und der bewilligten Ausgaben sind ausschließlich im Bundesvoranschlag enthalten, der dem BFG zwingend als Anlage anzuschließen ist. Das BFG selbst weist nur die Ge74 75 76 77 78
79
Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht, Kurzkommentar3 (2002), 215. Rödler, Haushaltsrecht, 132. AB 877 BlgNR 16.GP, 7. Hengstschläger, Budgetrecht, 201 und 258 f. Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51, Rz 91 f. Rödler, Haushaltsrecht, 133. AA Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51, Rz 94, der einerseits betont, dass budgetgesetzliche Ansätze die materiellrechtliche Regelung unberührt lassen und daraus resultierende Rechte und Pflichten nicht tangieren, während er andererseits verneint, dass Ausgaben aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen jedenfalls, unabhängig davon, ob sie in einem Voranschlagsansatz dotiert wurden oder nicht, zu leisten sind. Es kann aber nicht auf der einen Seite ein Anspruch auf Leistung bestehen, dem auf der anderen Seite keine Leistungsverpflichtung gegenübersteht. So ist mE die Auffassung zutreffender, wonach dem Grundsatz der doppelten gesetzlichen Bedingtheit nur im Innerverhältnis hinsichtlich der Ausgaben Bedeutung zukommt. Die haushaltsrechtlichen Bestimmungen binden nur die Organe der Haushaltsführung ohne Außenwirkung, eine Nichtbeachtung derselben kann daher Konsequenzen nur für diese herbeiführen, nicht jedoch für Außenstehende. Koja, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer2 (1988), 240 f.
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samtsumme der Einnahmen und Ausgaben, getrennt in den allgemeinen Haushalt und den Ausgleichshaushalt, sowie den Gebarungsabgang bzw den Überschuss aus.80 Im „Ausgleichshaushalt“ sind die Einnahmen aus der Aufnahme von Finanzschulden und die Ausgaben für die Rückzahlung von Finanzschulden sowie die zur vorübergehenden Kassenstärkung eingegangenen Geldverbindlichkeiten und die Einnahmen und Ausgaben infolge eines Kapitalaustausches bei Währungstauschverträgen darzustellen. Aus dem allgemeinen Haushalt soll somit das „echte Nettoergebnis“ sichtbar sein.81
4. Die Stellung des Bundesministers für Finanzen im Rahmen des Haushaltsverfassungsrechts Art 51a B-VG verpflichtet den Bundesminister für Finanzen zu vorrangiger Ausgabenbewilligung zur Erfüllung fälliger Verpflichtungen und zur Beachtung der Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit bei Bewilligung der übrigen vorgesehenen Ausgaben nach Maßgabe der jeweils zur Verfügung stehenden Einnahmen und ermächtigt ihn zur konjunkturpolitisch erforderlichen Anwendung des Konjunkturausgleichvoranschlags bzw zu vorläufigen Ausgabenbindungen mit Zustimmung der Bundesregierung. Damit wird der Bundesminister für Finanzen zum „Controller“ der Haushaltsführung.82 Er hat auf die Einhaltung der Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu achten und zur Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Sinne des Art 13 Abs 2 B-VG konjunkturpolitisch aktiv zu werden. Um diesen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen gerecht werden zu können, sieht auch das BHG eine Stärkung der Stellung des Bundesministers für Finanzen vor.83
a) Vollzug der Einnahmen- und Ausgabengebarung Der Bundesminister für Finanzen ist nach Art 51a B-VG für die Führung des Gesamthaushaltes verantwortlich. Er hat die verfassungsrechtliche Pflicht, die „Haushaltsführung“ zu gestalten und zu überwachen. In erster Linie hat er dafür Sorge zu tragen, dass die zur Erfüllung fälliger Verpflichtungen erforderlichen Ausgaben geleistet werden. Sodann sind die Mittel für die übrigen im BFG oder einer anderen haushaltsrechtlichen Grundlage (zB im Provisorium) vorgesehenen Ausgaben bereitzustellen, diese jedoch nur nach Maßgabe der jeweils zur Verfügung stehenden Einnahmen.84 Der gesamte Ausgabenbedarf ist durch die Einnahmen des Bundes zu bedecken (Gesamtbedeckungsgrundsatz bzw Grundsatz der Nonaffektation85 nach § 38 BHG). Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen nur für die zweckgebundene Gebarung86 und die Haushaltsrücklagen. Nähere Regelungen betreffend die Einnahmenaufbringung und die Geldmittelbereitstellung durch den Bundesminister für Finanzen sind im § 39 f BHG enthalten. Durch die Bindung des Bundesministers für Finanzen an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit, wäre eine Ausga80 81 82 83 84
85 86
Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51, Rz 63. Walter/Mayer (FN 73), Rz 527. Schwab, ÖHW 1986, 8. Holoubek, ÖHW 1989, 177. Das bedeutet nicht, dass die Ausgaben im BFG nur unter der Voraussetzung genehmigt sind, dass auch die für ihre Bedeckung erforderlichen Geldmittel eingenommen werden, siehe Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51a, Rz 2. Rödler, Haushaltsrecht, 134. Unter Gebarung ist jedes Verhalten (Tun oder Unterlassen) zu verstehen, das finanzielle Auswirkungen hat, VfSlg 7944.
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be, die den im BFG bewilligten Höchstbetrag zwar nicht überschreitet, aber den im BHG geforderten Effektivitätsprinzip nicht gerecht wird, unzulässig.
b) Die Begründung von Finanzschulden Aus Art 42 Abs 5 iVm Art 51 Abs 6 B-VG geht hervor, dass für jede Finanzschuld des Bundes eine konkrete gesetzliche Ermächtigung vorliegen muss und dass die Aufnahme solcher Schulden nach den Bestimmungen des BHG zu erfolgen hat. Nach Ansicht von Hengstschläger sind Finanzschulden demnach „doppelt gesetzlich bedingt“.87 Das BFG räumt dem Bundesminister für Finanzen das Recht ein, bestimmte Kreditoperationen „nach den Bestimmungen des Bundeshaushaltsgesetzes“ durchzuführen. In Ausführung dieser Bestimmung dürfen nach § 65 Abs 1 BHG Finanzschulden des Bundes nur vom Bundesminister für Finanzen und nur nach Maßgabe der hierfür im BFG oder in einem besonderen Bundesgesetz iSd Art 42 Abs 5 B-VG enthaltenen Ermächtigung eingegangen, prolongiert oder konvertiert werden. Nach Art 51 Abs 6 B-VG sind Finanzschulden „Verbindlichkeiten aus Geldmittelbeschaffungen, die nicht innerhalb desselben Finanzjahres getilgt werden, oder aus langfristigen Finanzierungen“.
c) Die Übernahme von Haftungen Gestützt auf Art 51 Abs 6 B-VG bestimmt § 66 BHG, dass eine Haftung des Bundes nur der Bundesminister für Finanzen und nur nach Maßgabe der hierfür im BFG oder in einem besonderen Bundesgesetz iSd Art 42 Abs 5 B-VG enthaltenen Ermächtigung übernehmen darf. Auch Haftungsübernahmen sind somit doppelt gesetzlich bedingt. Der Haushaltsgesetzgeber ist zuständig, die allgemeinen Bestimmungen für Haftungsübernahmen zu erlassen, während es dem Gesetzgeber nach § 42 Abs 5 B-VG - also ausschließlich dem Nationalrat - obliegt, zur Übernahme einer konkreten Haftung zu ermächtigen.88 Ausnahmen davon sind in § 66 Abs 2 BHG vorgesehen (siehe Punkt II.C.g.).
d) Verfügungen über Bundesvermögen Verfügungen über Bundesvermögen sind grundsätzlich durch Gesetze iS von Art 42 Abs 5 B-VG, also ohne Mitwirkung des Bundesrates, zu genehmigen. Durch Art 51 Abs 6 B-VG ermächtigt, trifft das BHG allgemeine Anordnungen über bestimmte Verfügungen. Diese betreffen Forderungen des Bundes oder sonstige Bestandteile des beweglichen bzw unbeweglichen Bundesvermögens. Diese Verfügungen können unter bestimmten Voraussetzungen auch vom Bundesminister für Finanzen ohne spezielle (auf den Einzelfall bezogene) gesetzliche Ermächtigung iSd Art 42 Abs 5 B-VG getroffen bzw bewilligt werden. Die allgemeinen Bestimmungen über die Gebarung von Bundesvermögen (§§ 61 64 BHG) verweisen darauf, dass die Festlegung des konkreten Höchstbetrages, bis zu dem solche Rechtsgeschäfte von geringerer finanzieller Bedeutung durchgeführt werden dürfen, Jahr für Jahr vom Budgetgesetzgeber selbst oder in einem sonstigen Ermächtigungsgesetz nach Art 42 Abs 5 B-VG getroffen werden muss. Alle Verfügungen, die nicht zu den „Kleinverfügungen“ des Bundes oder zu den Verfügungen im Rahmen der normalen Haushaltsführung gehören, unterliegen hingegen der gesetzlichen Ermächtigung nach Art 42 Abs 5 B-VG.89 Grundsätzlich ist daher die Erteilung von Ermächtigungen an die Vollziehung durch das BFG zulässig, wenn das Verhalten der Vollzie-
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Hengstschläger in Korinek Holoubek (Hrsg), Art 51 Rz 64. Ebenda, Rz 68f. Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), Art 51 Rz 71ff.
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hung dem Art 18 Abs 1 B-VG entsprechend durch das BFG vorherbestimmt wird und die ziffernmäßige Bestimmtheit bzw Errechenbarkeit gewährleistet wird.90
e) Konjunkturausgleichvoranschlag und Ausgabenbindungen Mit Art 51a Abs 2 B-VG werden dem Bundesminister für Finanzen zwei Instrumente des Konjunkturausgleichs in die Hand gegeben, auf Grund derer er besonderen konjunkturellen Entwicklungen Rechnung tragen kann. Zum einen handelt es sich hierbei um den Konjunkturausgleichvoranschlag, den der Bundesminister für Finanzen nur verfügen kann, wenn er im BFG vorgesehen war91, zum anderen sind vorläufige oder endgültige Ausgabenbindungen normiert, deren Verfügung mit Zustimmung der Bundesregierung möglich ist. Voraussetzung für die Anwendung dieser Instrumente ist, dass sich die gesamtwirtschaftliche Lage oder die Einnahmen und Ausgaben im Laufe des Finanzjahres wesentlich anders entwickeln, als dies bei der Erstellung des Bundesvoranschlagentwurfes absehbar war.92 Ausgabenbindungen sind grundsätzlich befristet für die Dauer von längstens sechs Monaten zu verfügen. Nur bei einer voraussichtlich bis zum Ende des laufenden Finanzjahres anhaltenden wesentlichen Änderung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung oder abweichenden Entwicklung der veranschlagten Einnahmen und Ausgaben können endgültige Ausgabenbindungen verfügt werden.93 Diese Verfügungen des Bundesministers für Finanzen stellen nach den Materialien weder Rechtsverordnungen noch Bescheide dar.94 Berücksichtigt man den Innennormcharakter des BHG, so ist diese Verfügung nicht als hoheitlicher Rechtsakt mit Außenwirkung zu verstehen.95 Betrachtet man diese Rechtsakte als generelle Weisungen bzw Verwaltungsverordnungen, so ist es bemerkenswert, dass zumindest im Falle einer Ausgabenbindung das BFG teilweise (da finanzgesetzlich bewilligte Ausgabenhöchstbeträge vorübergehend oder endgültig herabgesetzt werden) abgeändert wird, so dass die Verfügung des Bundesministers für Finanzen (natürlich mit Zustimmung der Bun-
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VfSlg 4340 und 5421. Es ist jedoch dem Budgetgesetzgeber nicht verboten, hierbei Voraussetzungen zu bestimmen, auf deren Eintritt Einfluss zu nehmen ihm unmöglich ist (zB wenn die Inanspruchnahme von Ausgaben von der Notwendigkeit, bestimmte Seuchenbekämpfungsmaßnahmen durchzuführen, abhängig gemacht wird), VfSlg 5636. Nach § 29 Abs 1 BHG kann dem Entwurf des BFG auch der Entwurf eines Konjunkturausgleichvoranschlages angefügt werden, der den Einsatz zusätzlicher Bundesmittel vorsieht. Mit diesem Instrument soll unerwarteten Entwicklungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage gegenüber der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft rasch und wirksam entgegengesteuert werden können, AB 877 BlgNR 16.GP, 6. Walter/Mayer (FN 73), Rz 542. Die näheren Voraussetzungen für die Erlassung des Konjunkturausgleichsvoranschlags enthält naturgemäß das ihn vorsehende BFG sowie § 29 BHG. Von der Ermächtigung des Art 51a Abs 2 Z 1 B-VG, einen Konjunkturausgleichvoranschlag vorzusehen, hat der Bundesfinanzgesetzgeber bisher immer Gebrauch gemacht, seine Verpflichtung dazu kann besagter Verfassungsnorm selbst im Falle absehbarer Konjunkturschwankungen nicht entnommen werden. Siehe Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51a, Rz 7. Die einfachgesetzliche Regelung im § 42 BHG gibt nahezu vollständig den Verfassungswortlaut des Art 51a Abs 2 Z 2 B-VG wieder. AB 877 BlgNR 16.GP, 6 f. Holoubek, ÖHW 1989, 191.
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desregierung) einen gesetzesändernden Verwaltungsakt darstellt.96 Die Kontrolle durch den Nationalrat wird in diesem Fall durch eine entsprechende vierteljährliche Berichtspflicht an den Budgetausschuss sichergestellt (§ 42 Abs 3 BHG).
5. Budgetprovisorien Um allenfalls einen budgetlosen Zustand zu verhindern trifft das B-VG entsprechende Vorsorge. Denkbar wäre, dass einerseits die Bundesregierung den Bundesvoranschlagsentwurf nicht rechtzeitig vorlegt, andererseits könnte der Nationalrat bei der Verabschiedung des BFG säumig sein. Was den ersten Fall betrifft, sieht Art 51 Abs 4 B-VG vor, dass ein Entwurf im Nationalrat in diesem Fall auch durch einen Antrag seiner Mitglieder eingebracht werden kann. Sollte die Bundesregierung später einen Entwurf vorlegen, so kann der Nationalrat beschließen, diesen Entwurf seinen Beratungen zugrunde zu legen. Für den zweiten Fall sieht das B-VG ein automatisches sowie ein bundesgesetzliches Budgetprovisorium vor. a) Das automatische Budgetprovisorium Beschließt der Nationalrat vor Ablauf des Finanzjahres kein BFG und trifft er auch keine vorläufige Vorsorge durch Bundesgesetz, so wird das im Art 51 Abs 5 B-VG geregelte „automatische Budgetprovisorium“ unmittelbar aufgrund der Verfassung wirksam. Die rechtzeitige Vorlage eines Entwurfes durch die Bundesregierung ist dafür keine Voraussetzung. Das Provisorium gilt bis zur Erlassung eines BFG. Während seiner Geltung sind die Einnahmen nach der bestehenden Rechtslage aufzubringen. Gemeint sind hiermit die materiellen Verwaltungsvorschriften, denn die Ansätze im BFG sind weder dem Grunde noch der Höhe nach für die Einnahmengebarung bindend.97 Liegt ein Entwurf eines BFG durch die Bundesregierung (spätestens am 31. Dezember) vor, dann sind die Ausgaben bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung, längstens jedoch während der ersten vier Monate des folgenden Finanzjahres (bis Ende April) gemäß diesem Entwurf zu leisten. In diesem Fall sind die Ausgaben ab Mai - und im Fall, dass die Bundesregierung keinen Entwurf vorgelegt hat, vom Beginn des folgenden Finanzjahres an - gemäß den im letzten BFG enthaltenen Ansätzen zu leisten. Hierbei gilt für jeden Monat ein Zwölftel dieser Ausgabenansätze als Grundlage („System der provisorischen Zwölftel“).98 Ausgaben, die ihrer Art nach zwar im Entwurf der Bundesregierung, nicht aber auch im letzten BFG vorgesehen waren, dürfen ab dem fünften Monat des automatischen Budgetprovisoriums nicht mehr getätigt werden (außer solche Ausgaben, die durch die Änderung materieller Gesetze erforderlich geworden sind).99 Die zur Erfüllung von Verpflichtungen (egal ob sie auf einem Gesetz, einem Vertrag oder einer sonstigen Rechtsgrundlage beruhen) erforderlichen Ausgaben sind jedoch nach Maßgabe ihrer Fälligkeit zu leisten. Finanzschulden können nur bis zur Hälfte der jeweils vorgesehenen Höchstbeträge eingegangen werden. Im Übrigen sind die Bestimmungen des letzten BFG (samt Anhängen) sinngemäß anzuwenden. Die während dieses 96 97 98 99
Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51b Rz 11. Lödl, ÖHW 2002, 75 f. Walter/Mayer (FN 73), Rz 534. Lödl, ÖHW 2002, 75.
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Budgetprovisoriums vollzogenen Ausgaben und Einnahmen sind grundsätzlich nur dem Zeitraum des Provisoriums zuzurechnen, sie werden jedoch regelmäßig durch eine bundesfinanzgesetzliche Anordnung der Gesamtgebarung des Finanzjahres zugerechnet, so dass ein einheitlicher Bundesrechnungsabschluss erstellt werden kann.100
b) Das bundesgesetzliche Budgetprovisorium Die Zulässigkeit bundesgesetzlicher Budgetprovisorien geht aus Art 51 Abs 5 B-VG hervor, wo das Wirksamwerden des automatischen Budgetprovisoriums davon abhängig gemacht wird, dass „auch keine vorläufige Vorsorge durch Bundesgesetz“ getroffen wurde. Wird vor Ablauf des Finanzjahres ein bundesgesetzliches Budgetprovisorium erlassen und kundgemacht, dann tritt das automatische Budgetprovisorium nicht in Kraft. Unklar ist, ob der Nationalrat ein bundesgesetzliches Budgetprovisorium auf Antrag der Mitglieder auch dann erlassen kann, wenn die Bundesregierung rechtzeitig den Entwurf eines BFG vorgelegt hat.101 Nähere Regelungen über den Inhalt und das Zustandekommen des gesetzlichen Budgetprovisoriums treffen weder das Haushaltsverfassungsrecht noch das BHG. Nach dem Grundsatz der parlamentarischen Budgethoheit kann aber von einer primären Kompetenz des Nationalrates, über den Staatshaushaltsplan zu entscheiden, ausgegangen werden.102
Nach Art 51 Abs 5 B-VG gilt das automatische Budgetprovisorium bis „zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung“. Da ausdrücklich nicht von einer „bundesfinanzgesetzlichen“ Regelung gesprochen wird, kann der Nationalrat demzufolge auch nach Wirksamwerden des automatischen ein bundesgesetzliches Budgetprovisorium erlassen.103
6. Budgetüberschreitungen Ausgaben, die im BFG entweder ihrer Art nach (außerplanmäßige Ausgaben) nicht vorgesehen sind oder die die vorgesehenen Höchstansätze überschreiten (überplanmäßige Ausgaben), dürfen nach Art 51b Abs 1 B-VG nur auf Grund einer bundesfinanzgesetzlichen Ermächtigung geleistet werden. Diese Novellen zum BFG werden als sogenannte Budgetüberschreitungsgesetze vom Nationalrat beschlossen. Die Abs 2 bis 6 des Art 51b B-VG (bzw in deren Umsetzung § 41 BHG104) beschreiben hingegen die Fälle, in denen außer100 101
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Pichler, Bundeshaushaltsrecht: Akteure, Kompetenzen, Prozesse, in Steger (Hrsg), 190. Nach Hengstschläger ist das der Bundesregierung in Art 51 Abs 4 B-VG eingeräumte Antragsmonopol restriktiv zu verstehen und auf den Entwurf des BFG für das kommende Finanzjahr zu beschränken, in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51 Rz 106. Hat die Bundesregierung fristgerecht den Entwurf eines BFG vorgelegt, kommt nach Rödler ein bundesgesetzliches Budgetprovisorium auf Antrag des Nationalrates nicht mehr in Betracht, Haushaltsrecht, 26. Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51 Rz 104. So zB das gesetzliche Budgetprovisorium 2003 (BGBl 2003 I/13). Seinem Wortlaut nach lässt § 41 Abs 2 BHG „bei Gefahr im Verzug“ aufgrund einer Verordnung der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Budgetausschuss Mehrausgaben innerhalb der im Art 51b Abs 2 „und 6“ B-VG vorgesehenen Betragsgrenzen zu. Eine Inanspruchnahme von Mitteln in der von Abs 6 vorgesehenen Höhe (10 % der Gesamtausgabensumme) ist jedoch nur im Verteidigungsfall zuläs-
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und/oder überplanmäßige Budgetüberschreitungen ohne Erlassung eines Budgetüberschreitungsgesetzes vorgenommen werden können. Ausgabenüberschreitungen dürfen aber stets nur bewilligt werden, wenn die Bedeckung durch Einsparungen oder durch Mehreinnahmen sichergestellt ist. Außerplanmäßige Ausgaben im Ausmaß von höchstens 1 ‰ bzw überplanmäßige Ausgaben im Ausmaß von höchstens 2 ‰ der durch das BFG vorgesehenen Gesamtausgabensumme105 können ohne bundesfinanzgesetzliche Ermächtigung bei Gefahr im Verzug geleistet werden. Zur Leistung dieser Ausgaben kann die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Budgetausschuss im Nationalrat durch Verordnung ermächtigen. Trifft der Ausschuss innerhalb von zwei Wochen keine Entscheidung, so gilt das Einvernehmen als hergestellt. Mehrausgaben, die auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung, aus einer bestehenden Finanzschuld, auf Grund einer bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des BFG bestehenden sonstigen Verpflichtung oder infolge unmittelbar damit zusammenhängender Mehrleistungen oder Mehreinnahmen erforderlich werden, können nach Art 51b Abs 3 B-VG als überplanmäßige Budgetüberschreitungen mit Zustimmung des Bundesministers für Finanzen geleistet werden. Während der Bundesminister für Finanzen im Abs 3 verfassungsunmittelbar zur Genehmigung von Budgetüberschreitungen ermächtigt wird, kann er nach Abs 4 vom Bundesfinanzgesetzgeber vorsorglich zur Zustimmung zu überplanmäßigen Ausgaben ermächtigt werden. Hierbei ist die Ermächtigung des Bundesministers für Finanzen an sachliche Voraussetzungen zu knüpfen und die Höhe der zulässigen Ausgabenüberschreitung muss ziffernmäßig bestimmt oder errechenbar sein. Die Ermächtigung darf sich nur auf Ausgaben beziehen, deren Umschichtung wegen unvorhersehbarer Dringlichkeit notwendig ist, ohne dass dadurch die Ausgabengliederung des Bundesvoranschlages erheblich verändert wird, oder die notwendig werden, wenn sich im Laufe des Finanzjahres eine wesentliche Änderung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abzeichnet, sowie auf geringfügige Mehrausgaben.
Im Verteidigungsfall106 dürfen unabweisliche außerplanmäßige und überplanmäßige Ausgaben bis zur Höhe von 10 % der durch das BFG vorgesehenen Gesamtausgabensumme geleistet werden. Nach Art 51b Abs 6 B-VG dürfen diese Budgetüberschreitungen nur auf Grund einer Verordnung der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Budgetausschuss des Nationalrates geleistet werden. Ausnahmsweise kann hier auch durch das Eingehen oder die Umwandlung von Finanzschulden für die ansonsten nicht gegebene Bedeckung gesorgt werden.107
Der Budgetausschuss ist ein Ausschuss, zu dessen Einrichtung der Nationalrat durch Art 51c B-VG verpflichtet ist. Neben seinen Aufgaben im Zusammenhang mit
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sig, weshalb sich die verbale Einbeziehung des Abs 6 in § 41 Abs 2 BHG als verfassungswidrig erweist, Hengstschläger in Gantner (Hrsg), 51. Unter „Gesamtausgabensumme“ ist die in Art I des jährlichen BFG ausgewiesene Schlusssumme des Gesamthaushaltes zu verstehen. Gemäß § 16 Abs 1 BHG bilden der Allgemeine Haushalt und der Ausgleichshaushalt gemeinsam den Gesamthaushalt. Bei Fehlen eines BFG kommt es im Falle eines automatischen Budgetprovisoriums auf die Gesamtausgabensumme des eingebrachten Regierungsentwurfes oder des letzten BFG an, im Falle eines gesetzlichen Budgetprovisoriums wird man sich an dessen Gesamtausgabensumme zu orientieren haben. „Verteidigungsfall“ meint den Fall eines militärischen Angriffes auf Österreich, siehe Walter/Mayer, (FN 73), Rz 540. Hierzu muss der Bundesminister für Finanzen durch Verordnung der Bundesregierung ermächtigt werden.
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Budgetüberschreitungen wird er auch mit der Vorberatung von BFG betraut. Der Budgetausschuss kann bestimmte Aufgaben einem ständigen Unterausschuss übertragen. Der Ausschuss bzw sein ständiger Unterausschuss sind auch außerhalb der Tagungen des Nationalrates einzuberufen, wenn sich dies als notwendig erweist. Der Bundesminister für Finanzen hat dem Budgetausschuss vierteljährlich über getroffene Konjunkturausgleichsmaßnahmen oder Maßnahmen nach Art 51b Abs 2 bis 4 (Budgetüberschreitungen) zu berichten. Weitere Berichte sind nach Maßgabe besonderer bundes(finanz)gesetzlicher Vorschriften zu übermitteln. Die Wahrnehmung dieser Kontrollaufgaben durch den Nationalrat entspricht seinem Budgetrecht im subjektiven Sinn.
7. Grundsätze der Budgeterstellung a) Grundsatz der Einjährigkeit Nach § 51 Abs 2 B-VG ist das Budget für ein Jahr (Finanzjahr) aufzustellen. Gemäß § 3 BHG ist das Finanzjahr das Kalenderjahr. Dies führte in der Praxis dazu, dass regelmäßig gegen Ende der Periode ein „Verbrauchstress“108 festzustellen war, der damit zusammenhing, dass bei Nichtverbrauch der bewilligten Mittel eine Kürzung des Budgets im Folgejahr zu befürchten war. Um dieser Tendenz entgegen zu wirken, hat der Haushaltsgesetzgeber einige Maßnahmen wie zB die in § 52 BHG geregelte Auslaufperiode, die Möglichkeit der Bildung von Rücklagen nach § 53 BHG bzw zum Eingehen von Vorbelastungen nach § 45 BHG vorgesehen.109 Mit der BHG-Novelle 1999 wurden verfassungsrechtliche Ermächtigungen geschaffen, in bestimmten Bereichen den Grundsatz der Einjährigkeit zu durchbrechen (§§ 17a und 17b BHG).110 Die „Flexibilisierungsklauseln“ galten ursprünglich mit einer Befristung bis Ende 2002 (§ 100 Abs 20 und 21 BHG), um dieses moderne Steuerungsinstrument in der Praxis zu erproben. Nachdem die Erprobungsphase gezeigt hat, dass die Anwendung der Flexibilisierungsklausel zu einer eindeutigen Verbesserung der Leistungsund Budgetziele geführt hat, wurde die Geltungsdauer zunächst bis Ende 2006 prolongiert.111 Da die Flexibilisierungsklausel zum Teil in die verfassungsrechtlich vorgegebenen Budgetgrundsätze eingreift, war ihre Einführung mit Verfassungsbestimmung erforderlich. Der Zweck der Regelung liegt in der Schaffung verstärkter Entscheidungsfreiheit gepaart mit mehr Ergebnisverantwortlichkeit (im Sinne des New Public Management), indem den jeweils durch Verordnung112 ausgewählten Organisationseinheiten die volle Flexibilität bei Überschreitungen von Ausgabenansätzen eingeräumt werden soll, ohne dass insoweit das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen hergestellt werden muss.113 Näheres dazu siehe unter Punkt II.B.2.c. 108 109 110 111 112
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Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51 Rz 44. Hengstschläger in Gantner (Hrsg), 40 ff. BGBl 1999 I/30. BGBl 2002 I/98, siehe dazu RV 781 BlgNR 21.GP, 2. Solche Verordnungen gelten derzeit ua für das Bundesamt für Wasserwirtschaft (BGBl 2004 II/361), die Bundesanstalt für Agrarwirtschaft (BGBl 2004 II/362) bzw für Alpenländische Milchwirtschaft (BGBl 2004 II/363), die Finanzprokuratur (BGBl 2001 II/471 idF BGBl 2005 II/51), die Sicherheitsakademie (BGBl 2003 II/610), das Österreichische Staatsarchiv (BGBl 2003 II/620), das Österreichische Patentamt (BGBl 2004 II/472), die Heeresforstverwaltung Allentsteig (BGBl 2005 II/441) und einige Justizanstalten. AB 1489 BlgNR 20.GP, 2f.
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b) Grundsatz der Einheit Gemäß Art 51 Abs 3 B-VG ist dem Nationalrat ein Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Bundes vorzulegen. Demnach soll der Bundesvoranschlag der einzige Voranschlag sein und ein Gesamtbild des Bundeshaushalts vermitteln. Selbständige Nebenetats dürfen nicht bestehen. Ein wesentlicher Aspekt des Einheitsgrundsatzes liegt in der grundsätzlichen Neutralität der staatlichen Einnahmen. Diesem Postulat entspricht nun die in § 38 Abs 1 BHG statuierte Verpflichtung, dass grundsätzlich (mit Ausnahme zulässiger Zweckbindungen nach § 38 Abs 2 BHG) alle Einnahmen des Bundes (egal woher sie stammen) der Bedeckung seines gesamten Ausgabenbedarfs zu dienen haben (Nonaffektation).114 Verfassungsrechtlich durchaus problematisch ist die Ausgliederung von Vorhaben mit großem Finanzbedarf aus dem Haushaltsplan. Damit werden Sonderetats eingerichtet, die selbständig neben dem Bundesvoranschlag gebaren („Flucht aus dem Budget“).115 Werden eigene juristische Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts gegründet, denen Aufgaben der Hoheits- oder Privatwirtschaftsverwaltung übertragen werden, dann sind die Einnahmen und Ausgaben dieses selbständigen Rechtsträgers nur mehr ihm und nicht dem Bund zuzurechnen.116 Diese Sonderetats können in Hinblick auf Art 51 Abs 3 B-VG grundsätzlich als verfassungswidrig angesehen werden, allerdings könnte eine sachliche Rechtfertigung für ihre Einrichtung dann gegeben sein, wenn sich ihre Gebarung im Hinblick auf den Grundsatz der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit als effizienter erweist, als eine Verbleib in der Budgetgebarung des Bundes. Die zunehmende Verselbständigung der Finanzgebarung bestimmter Institutionen ermöglicht zwar eine erhöhte finanzielle Flexibilität der jeweiligen Einrichtung durch die relative Unabhängigkeit vom Staatshaushalt bzw den haushaltsrechtlichen Normen, beschränkt aber zugleich die parlamentarische Budgethoheit, weil sich die Einflussnahme des Parlaments zumeist in der Beschlussfassung über das Errichtungsgesetz der Institution erschöpft und der eingerichtete Rechtsträger in der Folge weitgehend finanziell autonom agieren kann.117 c) Grundsatz der Vollständigkeit Aus Art 51 Abs 3 B-VG ist auch abzuleiten, dass in dieses „eine“ Budget alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes aufzunehmen sind, da anderenfalls der Grundsatz der Einheitlichkeit keinen Sinn machen würde. Ganz im Einklang mit dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe ordnet § 16 Abs 1 BHG an, dass in den Voranschlagsentwurf „sämtliche“ im folgenden Finanzjahr zu erwartende Einnahmen und voraussichtlich zu leistende Ausgaben des Bundes aufzunehmen sind. Insbesondere sind auch die Einnahmen aus der Aufnahme und die Ausgaben für die Rückzahlung von Finanzschulden und anderer Geldverbindlichkeiten ins Budget aufzunehmen. Im „Gesamthaushalt“ werden die allgemeinen Einnahmen und Ausgaben (allgemeiner Haushalt) gesondert von den 114 115 116 117
Hengstschläger in Gantner (Hrsg), 46. Dazu ausführlich Smekal, Die Flucht aus dem Budget, 1977; Gantner (Hrsg), Budgetausgliederungen - Fluch(t) oder Segen?, 1994. Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung (1993), 217. Rödler, Haushaltsrecht, 7 f.
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Einnahmen und Ausgaben für die Rückzahlung von Finanzschulden (Ausgleichshaushalt) dargestellt. Der Gesamthaushalt, der aus dem „allgemeinen Haushalt“ gemeinsam mit dem „Ausgleichshaushalt“ gebildet wird, ist stets ausgeglichen zu erstellen. Somit findet die Finanzschuldengebarung im „allgemeinen Haushalt“ nur in Form der Ausgaben für die Verzinsung und Spesen ihren Niederschlag, während im „Ausgleichhaushalt“ alle übrigen Finanzschuldengebarungen und die Kassenstärkungstransaktionen ausgewiesen werden. Die im § 16 Abs 2 BHG angeführten Grenz- und Zweifelsfälle von Einnahmen und Ausgaben, die nicht veranschlagt werden müssen, stellen zwar eine Durchbrechung des Grundsatzes der Vollständigkeit dar, sie werden jedoch zumindest in der Bestandsund Erfolgsrechnung118 erfasst.
d) Grundsatz des Bruttobudgets Einnahmen und Ausgaben sind voneinander getrennt und in der vollen Höhe (brutto) zu veranschlagen (§ 16 Abs 1 BHG). Eine Nettobudgetierung ist nur bei Bundesbetrieben und rechtlich unselbständigem Sondervermögen des Bundes zulässig, indem hier auch nur die Zuschüsse zur Abgangsdeckung und die dem Bund zufließenden Überschüsse in den Bundesvoranschlag aufgenommen werden können. Auch im Falle der Nettobudgetierung wäre nach Art 51 Abs 3 B-VG ein Bruttobudget (zB für Bundesbetriebe) in einer Anlage zum BFG auszuweisen.119 e) Grundsatz der qualitativen und quantitativen Budgetspezialität Die Vollziehung ist grundsätzlich an die einzelnen Budgetansätze gebunden und zwar sowohl qualitativ als auch quantitativ. Ausgaben dürfen also nur dann und nur insoweit getätigt werden, als für sie Mittel im Budget vorgesehen sind. Art 51b Abs 1 B-VG bindet überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben ausdrücklich an eine bundesfinanzgesetzliche Ermächtigung. Näheres dazu siehe unter Punkt I.D.3. f) Grundsatz der Budgetwahrheit Die Einnahmen und Ausgaben sind möglichst genau zu veranschlagen. Die Voranschlagsbeträge sind zu errechnen und wo dies nicht möglich ist, zu schätzen (§17 BHG).
8. Haushaltsrechtliche Aspekte in der Finanzverfassung Regelungsgegenstand des F-VG ist neben der Verteilung der Zuständigkeiten des Bundes und der Länder auf dem Gebiete des Abgabenwesens auch die Bestimmungen über den Finanzausgleich, über Finanzzuweisungen und Zuschüsse und über Fragen des Kreditwesens sowie eben des Haushaltsrechts. Nach § 2 F-VG tragen der Bund und die übrigen Gebietskörperschaften, sofern die zuständige Gesetzgebung nichts anderes bestimmt, den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt grundsätzlich selbst. Der Aufgaben118
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Nach § 80 Abs 2 BHG werden auf den Bestandskonten jeweils der Anfangsbestand, die Zu- und Abgänge sowie der Endbestand und auf den Erfolgskonten die Aufwendungen und Erträge verrechnet. Voranschlagsunwirksam dürfen nur Einnahmen und Ausgaben gemäß § 16 Abs 2 Z 3 und 9 bis 14 sowie 16 BHG verrechnet werden. Hengstschläger in Gantner (Hrsg), 46 f.
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begriff ist grundsätzlich funktionell zu interpretieren. So hat in den Fällen der mittelbaren Verwaltung grundsätzlich jene Gebietskörperschaft die Kosten zu tragen, deren Angelegenheiten in mittelbarer Vollziehung besorgt werden (zB der Bund die Kosten der mittelbaren Bundesverwaltung). Der Verfassungsgerichtshof120 zählt jedoch die Bereitstellung der für die mittelbare Verwaltung erforderlichen Organe (Personalaufwand) sowie die Vorsorge für die nötigen Sachmittel, die eine unerlässliche Voraussetzung für die Tätigkeit dieser Organe bilden (sog Amtssachaufwand) zu den Aufgaben jenes Rechtsträgers, der zur mittelbaren Verwaltung herangezogen wird. Die Kostentragungspflicht jener Gebietskörperschaft, deren Aufgaben in mittelbarer Verwaltung vollzogen werden, erstreckt sich somit nur auf jenen Teil des Sachaufwandes, „der mit der konkreten Tätigkeit (der in der mittelbaren Verwaltung tätigen Organe) erst entsteht“, sowie auf den Zweckaufwand, das sind jene Aufwendungen, die von vornherein unmittelbar für einen bestimmten Zweck gemacht werden. Dies gilt grundsätzlich auch für die Gemeindeverwaltung nicht nur im eigenen Wirkungsbereich, sondern auch für die Aufgabenerfüllung der Gemeinde im übertragenen Wirkungsbereich des Bundes und des Landes.121 Entschärft wird dieses Problem durch den Konsultationsmechanismus (siehe Punkt VI.B.), da nunmehr die belastete Gebietskörperschaft der Kostentragung widersprechen kann.122 In Umkehrung des in § 2 F-VG enthaltenen Kostentragungsgrundsatzes geht Art 104 Abs 2 B-VG für die Auftragverwaltung (mittelbare Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes) davon aus, dass die Kosten für die Besorgung derselben grundsätzlich von den Ländern zu tragen sind, weil bundesgesetzlich zu bestimmen ist, inwieweit „in besonderen Ausnahmefällen“ vom Bund ein Kostenersatz zu leisten ist.123 Eine derartige bundesgesetzliche Ausnahmebestimmung enthält § 1 Abs 2 FAG 2005124 für die im Bereich der Bundesstraßenverwaltung sowie des Bundeshochbaus und bei der Verwaltung bundeseigener Liegenschaften den Ländern übertragenen Aufgaben.125
Nach Art 16 F-VG kann sich der Bund einen Überblick über die finanzielle Lage der Gebietskörperschaften verschaffen, insbesondere durch eine vom Bundesminister für Finanzen im Einvernehmen mit dem Rechnungshof zu erlassende Verordnung über die Form und Gliederung der Voranschläge und Rechnungsabschlüsse der Gebietskörperschaften.126 120 121 122
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VfSlg 9507. Neuhofer, 435 f. Dies hat zur Folge, dass entweder einstimmig eine Kostentragungsvereinbarung von den jeweiligen Gebietskörperschaften getroffen wird oder dass die rechtsetzende Gebietskörperschaft der belasteten Gebietskörperschaft entstehende finanzielle Mehrausgaben zu ersetzen hat, siehe dazu Matzinger in Steger (Hrsg), 103. Schäffer, Die österreichische Finanzverfassung, in Weigel ua (Hrsg), 88 f. BGBl 2004 I/156 idF BGBl 2005 I/105. Durch die Ausgliederung von Aufgaben des Bundes im Bereich des Hochbaus und des Straßenbaus an die BIG und die ASFINAG bzw durch die Übertragung der Bundesstraßen B an die Länder sind die Bestimmungen über die Kostentragung für die Auftragsverwaltung iSd Art 104 b-VG praktisch obsolet geworden, RV 702 BlgNR 22.GP, 4. Aufgrund der Ermächtigung in § 16 F-VG wurde die Voranschlags- und Rechnungsabschlussverordnung (VRV) erlassen, BGBl 1996/797 idF BGBl 2006 II/45.
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II. Bundeshaushaltsgesetz A. Allgemeine Bestimmungen 1. Der Geltungsbereich des BHG Das BHG gilt nach § 1 „für alle Organe des Bundes, die an der Führung des Bundeshaushaltes beteiligt sind (Organe der Haushaltsführung)“. Hierbei ist vom Organbegriff des B-VG auszugehen. Das BHG bindet Organe des Bundes „im funktionellen Sinn“ und kommt daher auch für die Landeshauptmänner zur Anwendung, wenn diese im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung oder der Auftragsverwaltung tätig werden. Wie schon in Punkt I.D.3. erwähnt kommt dem BHG reiner „Innennormcharakter“ zu, da nur die Beziehungen der haushaltsführenden Organe untereinander geregelt werden. Außenstehende können sich grundsätzlich nicht auf das BHG berufen.127 Dementsprechend normiert § 35 Abs 2 BHG, das durch das jeweilige BFG Ansprüche oder Verbindlichkeiten gegenüber Außenstehenden weder begründet noch aufgehoben werden können.128 Ein Organ des Bundes ist an der Haushaltsführung beteiligt, wenn sein Verhalten geeignet ist, sich auf die Planung, Vollziehung und Kontrolle des Bundeshaushaltes auszuwirken (Beteiligung im abstrakten Sinn). Ob es durch dieses Verhalten zu tatsächlichen Auswirkungen kommt (Beteiligung im konkreten Sinn), ist nicht entscheidend.129
Die Bereiche der Haushaltsführung sind im § 1 Abs 2 BHG taxativ aufgezählt. Demnach umfasst die Haushaltsführung die Vorarbeiten für das Budgetprogramm und den Budgetbericht, die Vorbereitung und Erstellung des Entwurfs für das BFG, die Einnahmen- und Ausgabengebarung, die Bundesvermögens- und Schuldengebarung, den Zahlungsverkehr, die Verrechnung, die Innenprüfung, die Rechnungslegung und das Budget- und Personalcontrolling. Das nichthoheitliche Verwaltungshandeln des Staates ist ebenso Teil der öffentlichen Verwaltung wie das hoheitliche Handeln, daher sind die damit verbundenen Ausgaben Teil der Gebarung mit den im Bundesvoranschlag veranschlagten öffentlichen Geldern.130 Jede Tätigkeit des Bundes, sei es im Hoheitsbereich oder im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung, ist im Voraus einer Prüfung auf ihre finanzielle Auswirkung zu unterziehen, wobei sich diese Prüfung an den in § 2 BHG festgelegten Zielen zu orientieren hat. Für nichthoheitliches Verwaltungshandeln ist damit festgelegt, dass jedes Handeln eines Organs der Haushaltsführung im Innenverhältnis durch § 2 iVm den jeweils anzuwendenden haushaltsrechtlichen Bestimmungen determiniert ist.131 Die im § 1 Abs 3 BHG vormals erwähnten Besonderheiten der Haushaltsführung durch Bundesbetriebe wurde durch das Budgetbegleitgesetz 2001132 mit der Begründung aufgehoben, dass es faktisch keine Bundesbetriebe mehr gibt, womit sich eine 127 128
129 130 131 132
Holoubek, ÖHW 1989, 178. So kommt auch den Abgabenschuldner keine Ingerenz darauf zu, welche von mehreren zulässigen Vollstreckungsmaßnahmen die Vollstreckungsbehörde ergreift, VwGH 2004/13/0049 Rödler, Haushaltsrecht, 48. Wenger, ÖHW 1987, 4 mH auf VfSlg 3262. Holoubek, ÖHW 1989, 183. BGBl 2000 I/142.
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Sonderregelung im BHG erübrigt.133 Selbst der Heeres-Land- und Forstwirtschaftsbetrieb Allentsteig134 wird haushaltsrechtlich zur betriebsähnlichen Einrichtung degradiert.
Die haushaltsleitenden Organe haben nach den Bestimmungen des BHG vielfach das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen herzustellen. In diesem Zusammenhang wird die „Herstellung des Einvernehmens“ mit der „Einholung der (vorherigen) Zustimmung“ gleichgesetzt.135 Kommt in den Fällen, in denen nach dem BHG (und nicht nach anderen Gesetzen136) ein Einvernehmen zwischen dem Bundesminister für Finanzen und einem anderen Bundesminister herzustellen ist137, ein solches nicht zustande, so kommt § 5 Abs 3 letzter Satz Bundesministeriengesetz 1986138 zur Anwendung, wonach sowohl das zuständige als auch ein beteiligtes Bundesministerium, mit dem das Einvernehmen herzustellen ist, die Angelegenheit der Bundesregierung zur Beratung vorlegen kann.
Auch bestimmte Richtlinien139 des Bundesministers für Finanzen können zum Gegenstand der Beratung und Beschlussfassung durch die Bundesregierung gemacht werden. Gegebenenfalls sind die Richtlinien entsprechend dem Ergebnis einer solchen Beschlussfassung vom Bundesminister für Finanzen unverzüglich zu ändern (§ 1 Abs 5 BHG).140 Grundsätzlich sind die vom Bundesminister für Finanzen zu erlassenden Richtlinien auf der Grundlage des BHG im Gegensatz zu den ebenfalls im BHG vorgesehenen Verordnungen als generelle Weisungen des Bundesministers für Finanzen zu
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RV 311 BlgNR 21.GP, 46. Eine eigene Regelung besteht noch hinsichtlich der Betriebsabrechnung im § 82 BHG. Bei der Heeresforstverwaltung handelt es sich um eine Organisationseinheit, bei der die Flexibilisierungsklausel zur Anwendung gelangt (§ 17a BHG), BGBl 2005 II/441. Fleischmann in Steger (Hrsg), 312. Pichler in Steger (Hrsg), 193. Nicht erfasst werden beispielsweise Einvernehmensfälle nach § 13 ASFINAGErmächtigungsgesetz 1997 BGBl 1997/113 idF BGBl 2004 I/174 oder § 1 Abs 3 Schönbrunner Tiergartengesetz BGBl 1991/420. Vgl § 12 Abs 2 UG 2002 BGBl 2002 I/120 mit ausdrücklichem Verweis auf § 45 BHG. BGBl 1986/76. Konkret sind davon Richtlinien gemäß § 15 Abs 1 Z 3 (für die Beurteilung, wann die finanzielle Bedeutung anderer, also nicht rechtsetzender Maßnahmen als erheblich anzusehen ist), gemäß § 43 Abs 2 (zur Vorbereitung von Vorhaben von außerordentlicher finanzieller Bedeutung), § 45 Abs 2 (über die Wesentlichkeit von Änderungen bereits genehmigter Vorbelastungen), § 46 Abs 2 (nähere Regelungen zur Durchführung von Vorhaben, aus denen voraussichtlich Berechtigungen des Bundes erwachsen werden), § 55 Abs 4 und 5 (über den Erwerb von Sachen und die Anschaffung von Fahrzeugen für den Bund) sowie § 58 Abs 5 (über die Verwaltung der Bestandteile des Bundesvermögens sowie der im Gewahrsam des Bundes befindlichen fremden Sachen) betroffen. Betrachtet man diese Richtlinien als generelle Weisungen, so müsste hinsichtlich der gesetzlich normierten zwingenden Abänderung solcher Richtlinien durch den Bundesminister für Finanzen ein Eingriff in die ihm als obersten Organ der Vollziehung nach Art 20 B-VG garantierte Weisungsfreiheit geortet werden. Unterstellt man, dass Beschlüsse im Ministerrat immer einstimmig gefasst werden, muss der Bundesminister für Finanzen selbst der Abänderung zugestimmt haben, womit dieses Problem wieder relativiert werden würde. So sah dies offensichtlich auch der Verfassungsausschuss, AB 877 BlgNR 16.GP, 2.
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qualifizieren, und haben daher nur für die dem Bundesminister für Finanzen unterstellten Organe der Haushaltsführung verbindlichen Charakter.141
Die Bestimmung im § 1 Abs 6 BHG musste infolge der Ausgliederung der Universitäten adaptiert werden. Die Universitäten erlangten durch das Universitätsgesetz 2002142 bekanntlich die Vollrechtsfähigkeit und fallen daher gänzlich aus den Geltungsbereich des BHG heraus.143 § 1 Abs 6 BHG bezieht die Ausnahmeregelung vom Geltungsbereich nunmehr auf andere Einrichtungen des Bundes, die aufgrund von Bundesgesetzen im Rahmen ihrer Rechtspersönlichkeit tätig werden (teilrechtsfähige Einrichtungen). Dazu zählen beispielsweise die öffentlich-rechtlich organisierte Geologische Bundesanstalt144 oder das Patentamt145.
2. Ziele der Haushaltsführung Die im § 2 BHG verankerten Ziele der Haushaltsführung entsprechen den verfassungsrechtlichen Vorgaben und tragen „hinsichtlich der Erfordernisse des ‚gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes’ im Besonderen der Entwicklung des Bundeshaushaltes zu einem zentralen Instrument der Wirtschaftspolitik Rechnung“146. § 2 Abs 1 BHG legt die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts fest. Weiters wird der Bund zur Rücksichtnahme auf die Verbundenheit der Finanzwirtschaft der Gebietskörperschaften verpflichtet. Die Verbundenheit der Finanzwirtschaften ergibt sich vorrangig aus den finanzausgleichsrechtlichen Regelungen. Daneben bestehen finanzielle Verbundenheiten auf privatrechtlicher Grundlage zwischen den Gebietskörperschaften (sog grauer Finanzausgleich).147 Durch die privatrechtliche Rechtsform solcher Vereinbarungen ist man von der Kompetenzverteilung frei gezeichnet und kann folglich auch vom Kostentragungsprinzip abweichen. Ferner bestehen Sondergesetze mit Kostentragungsbestimmungen für Bund, Länder und Gemeinden (zB Krankenanstaltenzusammenarbeitsfondsgesetz)148 oder der Konsultationsmechanismus, welcher vom Kostentragungsprinzip abweichende Bestimmungen enthält. Die untereinander grundsätzlich gleichrangigen Teilziele werden in § 2 Abs 2 BHG angeführt. Dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht kann demnach nur durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Beschäftigungsstand, einem hinreichend stabilen Geldwert, der Sicherung des Wachstumspotentials und der Wahrung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung getragen werden. Da die konjunkturpolitischen Steuerungsmaßnahmen nach § 2 Abs 3 BHG jeweils auf die am meisten gefährdeten Ziele zu konzentrieren sind, zeichnet sich trotz grundsätzlicher Parität aller Einzelziele 141 142 143
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Holoubek, ÖHW 1989, 203 f. BGBl 2002 I/120. Zu beachten ist jedoch, dass nach § 12 Abs 2 UG 2002 der Bundesminister bzw die Bundesministerin „den für die nächste Leistungsvereinbarungsperiode zur Finanzierung der Universitäten zur Verfügung stehenden Gesamtbetrag festzusetzen“ und darüber das Einvernehmen gemäß § 45 BHG herzustellen hat. § 18a Forschungsorganisationsgesetz BGBl 1981/341 idF BGBl 2004 I/74. § 58a Patentgesetz 1970 BGBl 1970/259 idF BGBl 2004 I/149. AB 877 BlgNR 16.GP, 2. Rödler, Haushaltsrecht, 54. Schäffer (123) 95.
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eine gefahrdominierte Rangordnung ab.149 Als Parameter für die konjunkturelle Entwicklung nennen die jährlichen BFG üblicherweise die reale und nominelle Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes, die Entwicklung des Verbraucherpreisindex, die Arbeitslosenrate, die Gesamtnachfrage, den Index der industriellen Produktion ua. Den im § 2 BHG verankerten Zielen der Haushaltsführung kommt insgesamt eine zentrale Bedeutung im Rahmen der Haushaltsführung zu, weshalb ihre Nichtbeachtung sowohl disziplinarrechtlich geahndet werden kann (§ 99 BHG), als auch zivilrechtliche Haftungsfolgen nach sich ziehen kann. Soweit es sich um oberste Organe iSv Art 142 B-VG handelt, kann auch die staatsrechtliche Verantwortlichkeit der mit der Haushaltsführung befassten Organe zum Tragen kommen.150
3. Das Haushaltsjahr Nach § 3 BHG ist der Bundeshaushalt für jedes Finanzjahr, das dem Kalenderjahr entspricht, gesondert zu führen. Für die zeitliche Zuordnung zu einem bestimmten Finanzjahr ist nach § 52 Abs 1 BHG der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Einnahmen tatsächlich zugeflossen und die Ausgaben tatsächlich geleistet worden sind (Zufluss-Abflussprinzip). Ausnahmen von diesem Prinzip ergeben sich aus mittelfristigen Überlegungen, welche ins BHG Eingang gefunden haben. Konkret bestehen Ausnahmen etwa hinsichtlich der Ausgaben für Schulden, die im abgelaufenen Finanzjahr entstanden und fällig geworden sind. Diese dürfen, sofern die Rechnung bis zum Ablauf des Finanzjahres in der Buchhaltung eingelangt ist, noch bis zum 20. Jänner des Folgejahres zu Lasten des abgelaufenen Finanzjahres getätigt werden (Vorbelastungen und die Bildung von Haushaltsrücklagen). Weitere Vorschriften zur zeitlichen Abgrenzung ergeben sich aus § 52 Abs 2 bis 6 BHG. Auch das Budgetprogramm gemäß § 12 BHG stellt ein Instrument zur mittelfristigen Budgetplanung dar.
B. Organisation der Haushaltsführung 1. Aufbauorganisation a) Organe der Haushaltsführung Als Organe der Haushaltsführung werden Amtsorgane sowie Organe der betriebsähnlichen Einrichtungen tätig. Amtsorgane im Sinne des BHG sind nach § 4 Abs 3 alle Organe der Haushaltsführung einschließlich jener, die die Rechte des Bundes im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung wahrzunehmen haben. „Betriebsähnliche Einrichtungen“ sind dadurch charakterisiert, dass sie im allgemeinen Sachgüter oder Dienstleistungen nach wirtschaftlichen Grundsätzen bereitzustellen haben, wobei die Kostendeckung anzustreben ist.151 Für ihre Errichtung ist die Erlassung einer Verordnung durch den/die ressortzuständige/n Bundesminister/in im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen erforderlich (zB Bundesversuchsanstalt152). Während diese Bestimmung 149
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AB 877 BlgNR 16.GP, 2. Die nähere Bestimmung der maßgeblichen Bestimmungsgrößen bleibt dem jeweiligen BFG (§ 29 BHG) bzw den Erläuterungen hierzu (§ 34 Abs 3 BHG) vorbehalten. Holoubek, ÖHW 1989, 181. Holoubek, ÖHW 1989, 179. Verordnung des Bundesministers für Bauten und Technik vom 17. Feber 1987 über die Erklärung der Bundesversuchs- und Forschungsanstalt Arsenal, des Kurhauses Semmering und des Kurheimes Badeschloß Badgastein zu betriebsähnlichen Ein-
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grundsätzlich eine Möglichkeit zur Schaffung von organisatorischen Einrichtungen durch Verordnung bietet, ist eine solche Verordnung zwingend jedoch dann vorzusehen, wenn dadurch die Aufgaben dieser Einrichtung zweckmäßiger, wirtschaftlicher und sparsamer erfüllt werden können. Des Weiteren differenziert das Gesetz zwischen anordnenden und ausführenden Organen. Anordnende Organe sind die haushaltsleitenden und die anweisenden Organe (§ 5 Abs 1 BHG). Ausführende Organe sind die Buchhaltungsagentur153, die Kassen, die Zahlstellen154 und die Wirtschaftsstellen. Durch § 4 Abs 6 BHG wird gewährleistet, dass ein anordnendes Organ die Aufgaben eines ausführenden Organs nicht selbst besorgen darf, was gleichzeitig eine wechselseitige Prüfung indiziert (Trennungsgrundsatz). Davon besteht allerdings eine Ausnahme. § 2 Abs 1 Bundeshaushaltsverordnung 1989 (BHV)155 enthält eine Sonderbestimmung hinsichtlich der Möglichkeit der direkten Weitergabe von bestimmten Verrechnungsdaten (insbesondere unter Einsatz von SAP R/3) durch die anweisenden Organe ohne Mitwirkung der ausführenden Organe (Buchhaltung) an die „Zentrale elektronische Datenverarbeitungsanlage“ (ZEDVA) des Bundes. Mit § 4 Abs 6a BHG wurde erst nachträglich die Verordnungsermächtigung für diese Sonderbestimmungen in der BHV geschaffen.156
Mit Aufgaben der Haushaltsführung dürfen gemäß § 4 Abs 7 BHG Bedienstete nur dann betraut werden, wenn die volle Unbefangenheit157 und Gebarungssicherheit158 gewährleistet sind.
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richtungen, BGBl 1987/88. Mit Verordnung vom 9. Dezember 1986 wurde auch die Heeres-Land- und Forstwirtschaftsverwaltung Allentsteig zur betriebsähnlichen Einrichtung erklärt, BGBl 1986/720. Die Verordnung betreffend das Bundesamt für Zivilluftfahrt, BGBl 1987/10 scheint durch die Gründung der Austro-Control GmbH durch BGBl 1993/898 wohl materiell derogiert worden zu sein. Zur Besorgung der Buchhaltungsaufgaben nach dem BHG wurde eine Buchhaltungsagentur als Anstalt öffentlichen Rechts mit dem Namen „Buchhaltungsagentur des Bundes“ mit Sitz in Wien errichtet. Die Aufgabe der Buchhaltungsagentur besteht in der Führung der Buchhaltung des Bundes ausschließlich für die anweisenden Organe gemäß § 5 BHG, und für die vom Bund verwalteten Rechtsträger (§ 7 Abs 4 BHG) unter Anwendung der Haushaltsvorschriften des Bundes, insbesondere des BHG, siehe BHAG-G BGBl 2004 I/37 idF BGBl 2004 I/93. Ihre wichtigsten Aufgaben sind die Prüfung der Anordnungen, die Voranschlagsüberwachung, die Weitergabe der Verrechnungsdaten, die Forderungs- und Schuldenüberwachung, die Abwicklung des Zahlungsverkehrs sowie die Buchführung im Wege des Bundesrechenzentrums. Nach § 6 Abs 4 BHG gelten die Zahlstellen als Teile der Buchhaltung. Nach Gründung der Buchhaltungsagentur wird jedoch nur mehr diese als Buchhaltung angesehen. Da die Zahlstellen jedoch - im Gegensatz zu den Buchhaltungen - weiterhin in der Bundesverwaltung verbleiben und eine Zuordnung zu anderen ausführenden Organen nicht zweckmäßig erscheint, werden die Zahlstellen als eigene ausführende Organe festgelegt; RV 381 BlgNR 22.GP, 9. BGBl 1989/570 idF BGBl 2005 II/26. RV 381 BlgNR 22.GP, 9 f. Befangenheit ist dann anzunehmen, wenn subjektive Umstände vorliegen, die bei Wahrnehmung von Aufgaben der Haushaltsführung durch den Bediensteten befürchten lassen, dass sich dieser von anderen als von sachlichen Überlegungen leiten lässt. Nähere Ausführungen zur Befangenheit und zu Unvereinbarkeiten können auch dem § 18 BHV entnommen werden. Gebarungssicherheit liegt vor, wenn jedes für den Bund nachteilige Verhalten in Bezug auf die Haushaltsführung ausgeschlossen erscheint. Bei Unregelmäßigkeiten
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b) Anordnende Organe Im § 5 BHG werden die haushaltsleitenden Organe im Abs 1 und die anweisenden Organe im Abs 2 aufgezählt, wobei beide Gruppen zu den anordnenden Organen zählen. Zu den haushaltsleitenden Organen zählen demnach der Bundespräsident, der Präsident des Nationalrates, der Präsident des Bundesrates, die Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes, der Vorsitzende der Volksanwaltschaft, der Präsident des Rechnungshofes, sowie der Bundeskanzler und die übrigen Bundesminister, soweit sie mit der Leitung eines Bundesministeriums betraut sind. Bundesminister/innen sind als oberste Organe weisungsfrei. Eine rechtliche Bindung beispielsweise an Richtlinien des Bundesministers für Finanzen würde daher dem Organisationsprinzip des Art 20 B-VG widersprechen. Grundsätzlich sind aber alle Ressortminister durch die Ziele und Grundsätze des BHG gebunden und können daher eine diesen Zielen dienende Richtlinie nicht einfach unbeachtet lassen.159
Zu den anweisenden Organen zählen alle haushaltsleitenden Organe, die Landeshauptmänner, soweit sie als Organe des Bundes tätig werden. Bundesorgane im funktionalen Sinn sind die Landeshauptmänner in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung (Art 102 f B-VG) und in den Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung (Art 17 iVm Art 104 Abs 2 B-VG „Auftragsverwaltung“). Für die Übertragung von Aufgaben der Privatwirtschaftsverwaltung seitens des Bundes an die Länder ist bedeutsam, dass daraus eine „Verbandslast“ des jeweiligen Bundeslandes insoweit erwächst, als dieses auch organisatorisch für eine wirksame Wahrnehmung der betreffenden Geschäfte zu sorgen hat. Daher können dem betreffenden Bundesland erhebliche Aufwendungen entstehen. Im Lichte der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes160 ist nämlich im Rahmen von Art 104 Abs 2 B-VG der Zweckaufwand nur nach Maßgabe bundesgesetzlicher Ermächtigung (hier ist auf den jeweiligen Stand des Finanzausgleichrechtes zu verweisen) zu ersetzen, und das „nur in Ausnahmefällen“ (siehe Punkt I.D.8.).161
Weiters zählen zu den anweisenden Organen Organe des Bundes, denen vom zuständigen haushaltsleitenden Organ im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen durch Verordnung Aufgaben gemäß § 5 Abs 4 BHG übertragen wurden.162 Ohne Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen können einzelne der im Abs 4 genannten Aufgaben an Bundesorgane übertragen werden, wenn diese in einem Abrechnungsverhältnis zu einem anderen (anweisungsermächtigten) Organ stehen. Letztendlich zählen auch die Mitglieder des Vorstandes der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur (ÖBFA)163 in Bezug auf die Erfüllung der im § 2 Bundesfinan-
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oder Ordnungswidrigkeiten sind die betreffenden Bediensteten ihrer Funktion zu entheben, siehe Rödler, Haushaltsrecht, 65. Holoubek, ÖHW 1989, 204. VfSlg 11.204, 12.667, 13.737. Raschauer in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 104 B-VG, Rz 35 ff. ZB die VO des Bundesministers für Landesverteidigung betreffend die Übertragung von Aufgaben nach § 5 Abs 2 Z 4 des Bundeshaushaltsgesetzes, BGBl 2006 II/309. Gemäß der Verfassungsbestimmung im § 1 Abs 1 Bundesfinanzierungsgesetz (BGBl 1992/763) ist der Bundesminister für Finanzen ermächtigt, zur Durchführung der in § 2 bezeichneten Aufgaben eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu
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zierungsgesetz genannten Aufgaben (zB die Aufnahme von Finanzschulden des Bundes, den Abschluss von Währungstauschverträgen und sonstiger Kreditoperationen) zu den anweisenden Organen. Mit dem Arbeitsmarktservice-Begleitgesetz164 wurden schließlich auch die Leiter der Geschäftsstellen und Ämter des Arbeitsmarktservices zu anweisenden Organen.
Zu den Aufgaben der haushaltsleitenden Organe zählen nach § 5 Abs 3 BHG unter anderen: • die Ermittlung der ihren Wirkungsbereich betreffenden voraussichtlichen Ausgaben und Einnahmen, einschließlich der finanziellen Auswirkungen der in Aussicht genommenen rechtsetzenden und sonstigen Maßnahmen (für die nächsten drei Finanzjahre) • die Mitwirkung an der Erstellung des Budgetprogrammes und des Budgetberichtes • die Mitwirkung an der Vorbereitung des Bundesvoranschlagsentwurfes und des Stellenplanentwurfes • weitere Aufgaben im Rahmen des unterjährigen Budgetvollzuges Den anweisenden Organen obliegt die Mitwirkung an den Aufgaben der haushaltsleitenden Organe sowie insbesondere die Begründung und Aufhebung von Berechtigungen und Forderungen sowie von Verpflichtungen und Schulden des Bundes und Verfügungen über Bundesvermögen oder fremdes Vermögen, welches sich in Verwahrung des Bundes befindet. Der Bundeskanzler und die übrigen Bundesminister haben zur Besorgung ihrer Aufgaben im Rahmen der Haushaltsführung Haushaltsreferenten zu bestellen.165 c) Ausführende Organe Grundsätzlich haben sich die anweisenden Organe gemäß § 6 Abs 1 BHG bei der Besorgung der Buchhaltungsaufgaben der „Buchhaltung“ zu bedienen. Die „Buchhaltung“ ist die Buchhaltungsagentur, eine ausgegliederte Anstalt öffentlichen Rechts, auf die die Aufgaben der Haushaltsverrechnung des Bundes übertragen wurden. Die Buchhaltung ist bei der Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben (die im § 7 BHG aufgezählt werden) an die Weisungen166 des jeweils zuständigen anweisenden Organs gebunden. Hinsichtlich der Aufgaben nach § 7 Abs 1 BHG obliegt der Buchhaltungsagentur eine Betriebspflicht. Kassen sind Einrichtungen des Zahlungsverkehrs und des Rechnungswesens auf der Ebene der gemäß § 5 Abs 2 Z 5 BHG zu bestimmenden anweisungser-
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gründen, die zur Gänze im Eigentum des Bundes steht. Der Sitz der Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist Wien. BGBl 1994/314. Die Bestimmung schließt nicht aus, dass mehrere Ministerien einen gemeinsamen Haushaltsreferenten bestellen können, oder andererseits auch ein Bundesminister mehrere Haushaltsreferenten bestellen kann, AB 877 BlgNR 16.GP, 3. Das Haushaltsrecht verwendet üblicherweise den Begriff der „Anordnung“, wobei nach dem abgeschlossenen Katalog von Rechtsformentypen solche Anordnungen wohl nur als Weisungen qualifiziert werden können. Dies verdeutlicht auch § 21 BHV durch die Normierung eines Widerspruchsrechtes, wonach von der Buchhaltung oder der Kasse derartige Anordnungen dann nicht zu vollziehen sind, wenn sie mit den Haushalts- und sonstigen Vorschriften nicht übereinstimmen. Allerdings kann der Anordnende in solchen Fällen auf seiner Anordnung beharren, was dann schriftlich festzuhalten ist.
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mächtigten Organe. Die im § 9 BHG geregelten Aufgaben der Kassen sind im Wesentlichen jenen der Buchhaltung vergleichbar. Auch die Kassen sind nur an die Anordnungen jener anweisenden Organe gebunden bei denen die Kasse eingerichtet wurde. Nach § 8 Abs 3 BHG ist vom zuständigen haushaltsleitenden Organ zu prüfen, ob die weitere Beibehaltung einer Kasse wirtschaftlich vertretbar ist. Trifft dies für eine Kasse nicht mehr zu, ist sie aufzulassen und dies dem Bundesminister für Finanzen, dem Rechnungshof und der Buchhaltung mitzuteilen.167 Mit anderen Aufgaben können die Buchhaltung bzw die Kassen nur beauftragt werden, wenn die Erbringung der Kernaufgaben durch die Übernahme von Zusatzaufgaben nicht beeinträchtigt wird.168
Der Zahlungsverkehr des Bundes ist grundsätzlich bargeldlos abzuwickeln.169 Für die Abwicklung des Barzahlungsverkehrs, der auf ein unumgängliches Ausmaß zu beschränken ist, sind Zahlstellen zuständig. Infolge der Gründung der Buchhaltungsagentur wurden die Zahlstellen als eigene ausführende Organe festgelegt und sind seither keine Teile der Buchhaltung mehr. Die Abwicklung des Barzahlungsverkehrs durch die Buchhaltungsagentur wurde im Hinblick auf die beschränkte Anzahl von Standorten (Wien, Graz, Innsbruck und Linz) als nicht sinnvoll erachtet. Organisatorisch sind die Zahlstellen den Dienststellen, bei denen sie eingerichtet sind, zugehörig. Werden Zahlstellen errichtet, um die Barzahlungsgeschäfte von Kassen abzuwickeln, gelten sie organisatorisch weiterhin als Teile der Kasse. Den nach § 10 Abs 1 BHG bei den anweisenden Organen einzurichtenden Wirtschaftstellen obliegt die Verwaltung, Pflege und Erhaltung des beweglichen und unbeweglichen Bundesvermögens (mit Ausnahme des Geldvermögens und der Bundesbeteiligungen) sowie des in der Verwahrung des Bundes stehenden fremden Vermögens. Soweit ein anweisendes Organ die Geschäfte eines anderen Rechtsträgers führt, so sind die Aufgaben des Rechnungswesens auch von der Buchhaltung bzw der Kasse des anweisenden Organs zu besorgen. Als andere Rechtsträger kommen hierbei sowohl juristische Personen des öffentlichen Rechts (zB Anstalten, Fonds) als auch solche des Privatrechts (zB Kapitalgesellschaften, Stiftungen, Vereine) in Betracht.
Den Wirtschaftsstellen, die ähnlich den Zahlstellen organisiert sind, obliegt nach § 10 Abs 2 BHG die Ausführung von Anordnungen betreffend der Zu- und Abgänge der Bestandteile des Bundesvermögens oder fremden Vermögens.
2. Ablauforganisation a) Planung aa) Budgetprogramm und Budgetbericht (mehrjährige Planung) Das BHG 1986 hat ursprünglich für Zwecke langfristiger Planung lediglich die Erstellung einer Budgetprognose und eines Investitionsprogrammes vorgesehen. Die Budgetprognose lieferte eine Vorschau auf die voraussichtliche Entwicklung des Bundeshaushaltes für die nächsten vier Jahre. Das Investitions167
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Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung hat jedoch jedes haushaltsleitende Organ innerhalb seines Wirkungsbereiches mittels Verordnung die Kassenaufgaben mehrerer anweisender Organe einer Kasse bzw die Kassenaufgaben der Kasse im Wirkungsbereich eines anderen haushaltsleitenden Organs zu übertragen. RV 381 BlgNR 22.GP, 6. § 40 Abs 1 BHV.
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programm beinhaltete für eben diesen Zeitraum eine Übersicht über die vom Bund geplanten Investitionen. Am Vorabend des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union erkannte der Gesetzgeber in Eigeninitiative die Notwendigkeit einer Anpassung der im BHG enthaltenen mittelfristigen Planungsinstrumentarien an die Anforderungen, die „an den Leistungsstaat“ gestellt werden, „wie etwa im Zusammenhang mit der Europäischen Integration“.170 Gleichfalls schon erkennbar waren die langfristigen Auswirkungen der damals in Aussicht genommenen (und später nahezu gänzlich in die Tat umgesetzten) Ausgliederungs- und Privatisierungsvorhaben auf den Bundeshaushalt. Im Budgetprogramm sollen die haushaltspolitischen Ziele für die laufende Legislaturperiode und die budgetären Ergebnisse der von der Bundesregierung verfolgten Politik dargelegt werden. Im jährlichen Budgetbericht soll dargestellt werden, inwieweit das Budgetprogramm verwirklicht wurde und allenfalls notwendige Anpassungen vorgenommen wurden. Durch die Einführung der neuen Instrumente erhoffte man sich im Ergebnis auch eine verstärkte Koordinierung der Haushaltsführung durch die Mitglieder der Bundesregierung und darüber hinaus eine Stärkung der parlamentarischen Kontrollrechte im Bereich der Haushaltsführung des Bundes. Gemäß § 12 Abs 1 BHG hat die Bundesregierung bis spätestens sechs Monate nach ihrer Ernennung durch den Bundespräsidenten dem Nationalrat ein Budgetprogramm vorzulegen. Eine Genehmigung des Budgetprogramms durch den Nationalrat ist nicht vorgesehen. Der Geltungszeitraum eines Budgetprogramms entspricht in der Regel der Legislaturperiode von vier Jahren, außer in Fällen, wo die Bundesregierung während einer laufenden Gesetzgebungsperiode neu bestellt wird. Den Entwurf des Budgetprogramms und des Budgetberichtes hat der Bundesminister für Finanzen (soweit es Planstellen betrifft im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler) zu erstellen und der Bundesregierung gemeinsam mit dem Entwurf des BFG vorzulegen (§ 13a BHG). Dem in § 2 Abs 1 BHG verankerten Ziel, bei der Haushaltsführung das aktuelle Budgetprogramm zu beachten, kommt nur bis zum Zeitpunkt der Bestellung einer neuen Bundesregierung Bedeutung zu. Dieses Budgetprogramm ist jedoch der Haushaltsführung durch die Mitglieder einer mit der Fortführung der Verwaltung betrauten einstweiligen Bundesregierung nach Art 71 B-VG weiterhin zugrunde zu legen. Ab dem Zeitpunkt der Bildung der neuen Bundesregierung bis zur Vorlage eines neuen Budgetprogramms durch diese herrscht gleichsam ein budgetprogrammloser Zustand.171 Nach § 12 Abs 2 BHG hat das Budgetprogramm eine Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung für einen mittelfristigen Zeitraum zu enthalten. Ferner ist dem Budgetprogramm eine Darstellung der Haushaltsentwicklung anzuschließen. Das Budgetprogramm muss die haushaltspolitischen Zielsetzungen auf der Basis der Ziele der Haushaltsführung (§ 2 Abs 1 BHG) festlegen. Hierbei können auch jene Aufgabenbereiche genannt werden, denen hinsichtlich der Durchführung Priorität zukommt (Schwerpunktsetzungen). Weiters sind die finanziellen Perspektiven der in Aussicht genommenen, rechtsetzenden und sonstigen (insbesondere der personalwirtschaftlichen) Maßnahmen sowie der in Aussicht genommenen außerbudgetären Finanzierungsvorhaben anzuführen. Änderungen und Ergänzungen (§ 12 Abs 3 BHG) des Budgetprogramms
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AB 1797 BlgNR 18.GP, 1. AB 1797 BlgNR 18.GP, 3.
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sind zulässig und dem Nationalrat spätestens mit dem nächsten Budgetbericht zur Kenntnis zu bringen.
§ 13 BHG sieht als weiteres Instrument der Haushaltsführung die Erstellung eines jährlichen Budgetberichtes durch die Bundesregierung vor. Dieser ist dem Nationalrat zur Kenntnis zu bringen, was aus § 12 Abs 3 BHG abgeleitet werden kann. Der Bericht hat über Lage, Rahmenbedingungen und Entwicklungen des Bundeshaushalts sowie der außerbudgetären Finanzierungsvorhaben Aufschluss zu geben und darzulegen, inwieweit die Vorgaben des Budgetprogramms erfüllt wurden. bb) Finanzielle Auswirkungen neuer rechtsetzender Maßnahmen, über- oder zwischenstaatlicher Vereinbarungen und Vereinbarungen gemäß Art 15a B-VG Jedem Entwurf eines Bundesgesetzes, einer Vorordnung oder einer der genannten Vereinbarungen ist eine Darstellung anzuschließen, ob und inwieweit die Durchführung der geplanten Maßnahmen zu Mehrausgaben bzw Mindereinnahmen des Bundes führen, deren Höhe für die nächsten drei Finanzjahre zu beziffern sind. Weiters sind die Gründe für die Notwendigkeit solcher Mehrausgaben bzw Mindereinnahmen anzuführen, Kosten-Nutzenüberlegungen anzustellen und Vorschläge zur Bedeckung der erwarteten Mehrausgaben zu unterbreiten (§ 14 Abs 1 BHG). Ein unter Missachtung des § 14 BHG zustande gekommenes Bundesgesetz ist nicht bekämpfbar, da der Verfassungsgerichtshof Gesetze nur auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen kann, nicht aber deren Übereinstimmung mit anderen - stufenbautheoretisch gleichrangigen - Rechtsvorschriften. Eine unter diesen Umständen erlassene Verordnung ist hingegen gesetzwidrig zustande gekommen und wird vom Verfassungsgerichtshof im Rahmen eines Prüfungsverfahrens nach Art 139 B-VG aufzuheben sein.172
In Beachtung des Gebots, auf die Verbundenheit der Finanzwirtschaft der Gebietskörperschaften Rücksicht zu nehmen, ordnet § 14 Abs 3 BHG an, dass in einer Stellungnahme nach Abs 1 auch aufzuzeigen ist, ob für ein Land oder eine Gemeinde mit der betreffenden Vorschrift des Bundes Ausfälle an Steuererträgen oder Mehrausgaben verbunden sind (siehe dazu auch die Ausführungen zum Konsultationsmechanismus in Punkt IV.B.).173 Soweit es sich bei den in § 14 Abs 1 genannten Maßnahmen nicht um Bundesgesetze handelt, ist vor deren Erlassung oder Abschluss bzw vor der Inkraftsetzung sonstiger Maßnahmen von finanzieller Bedeutung gemäß § 15 BHG (wozu auch Maßnahmen der nichthoheitlichen Verwaltung zählen174) vom zuständigen Bundesminister mit dem Bundesminister für Finanzen das Einvernehmen herzustellen. Für die Ausarbeitung der Darstellung der finanziellen Auswirkungen hat der Bundesminister für Finanzen Richtlinien zu erlassen.175
Nachdem Gemeinschaftsrechtsvorschriften mittelbare oder unmittelbare Auswirkungen auf den Bund und den Bundeshaushalt haben, wurde die Kalkulationspflicht 172 173 174 175
Holoubek, ÖHW 1989, 183 f; Rödler, Haushaltsrecht, 93. Holoubek, ÖHW 1989, 184. Ebenda. Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Richtlinien für die Ermittlung und Darstellung der finanziellen Auswirkungen neuer rechtsetzender Maßnahmen, (BGBl 1999 II/50 zuletzt idF BGBl 2004 II/387).
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des/der zuständigen Bundesministers/Bundesministerin durch § 14 Abs 6 BHG auch auf diese Vorschriften ausgedehnt. Die Darstellung hat sich hierbei insbesondere auf die Veränderung der Mittel zur Finanzierung des Gesamthaushaltes gemäß Art 249 EGVertrag und auf den Nutzen, welcher aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Maßnahmen für Österreich zu erwarten ist, insbesondere auf allfällige Rückflüsse aus dem EU-Haushalt zu beziehen.176
cc) Budget- und Personalcontrolling Mit der Bundeshaushaltsgesetz-Novelle 2002 wurden Bestimmungen zur Einrichtung eines Budget- und Personalcontrollings eingeführt (§§ 15a und b BHG), welches die Erreichung der Ziele der Haushaltsführung und insbesondere die Steuerung des Ressourceneinsatzes (Personal- und Sachmittel) unterstützen sollte. Zur Unterstützung der Planung, Steuerung und Kontrolle von Gesellschaften, an denen der Bund direkt oder indirekt mehrheitlich beteiligt ist, sowie von den der Aufsicht des Bundes unterliegenden Gesellschaften und Anstalten öffentlichen Rechts177 - ausgenommen die Träger der Sozialversicherung - ist die generelle Durchführung eines Beteiligungscontrollings durch den die Anteilsrechte des Bundes verwaltenden bzw durch den für die Aufsicht zuständigen Bundesminister erforderlich, soweit dies nicht ohnehin ausdrücklich im betreffenden Ausgliederungsgesetz vorgesehen ist.178 Für Zwecke des Finanzcontrollings ist von den berichtspflichtigen Unternehmen der Finanzbericht auszuarbeiten, der die Zahlungen des Bundes an die jeweiligen Unternehmungen und die Einnahmen des Bundes von den Unternehmungen sowie allfällige Darlehens- und Haftungsstände des Bundes beinhaltet.179 Auf Aktiengesellschaften, deren Aktien zum amtlichen Handel oder zum geregelten Freiverkehr an der Börse zugelassen sind, ist § 15b BHG nicht anwendbar, um den Publizitätsgrundsatz des Börsenrechts nicht zu verletzen.180 b) Veranschlagung Der Abschnitt IV des BHG enthält auf Basis der verfassungsrechtlichen Bestimmungen (Art 51 B-VG) eine nähere Ausgestaltung der Budgetgrundsätze sowie ausführliche Bestimmungen über die Vorbereitung und Aufstellung des Bundesvoranschlages sowie der sonstigen Anlagen und Übersichten zum BFG und dessen Vorlage an den Nationalrat. Die Budgetgrundsätze wurden bereits im Punkt I.D.7 behandelt. Neben diesem jährlichen Voranschlag sieht § 51 BHG auch einen „Monatsvoranschlag“ vor. Die Ermittlung der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben des nächsten Monats soll sicherstellen, dass die 176 177
178
179 180
RV 59 BlgNR 22.GP, 91. Ausgegliederte Rechtsträger des Bundes unterliegen § 15b Abs 1 Z 2 BHG selbst dann, wenn sie im jeweiligen Ausgliederungsgesetz nicht als Anstalt oder Gesellschaft des öffentlichen Rechts bezeichnet werden, RV 649 BlgNR 22.GP, 17. Das Beteiligungscontrolling soll die betriebswirtschaftliche Berichterstattung auf Basis von Soll-Ist-Vergleichen umfassen. Entsprechende diesbezügliche Informationen an den Bundesminister für Finanzen sind vorgesehen. RV 780 BlgNR 21.GP, 5 f. RV 780 BlgNR 21.GP, 6. Nach dem Publizitätsgrundsatz sind wesentliche Informationen über Unternehmen nach bestimmten Regeln öffentlich bekannt zu machen, um einen Insiderhandel zu verhindern (§ 82 Börsegesetz 1989), RV 780 BlgNR 21.GP, 6.
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zur Erfüllung verbindlicher Verpflichtungen des Bundes erforderlichen Ausgaben nach Maßgabe ihrer Fälligkeit geleistet werden können (Liquiditätsplanung).181 Für die Ermittlung der Voranschlagsbeträge ist der Grundsatz der Budgetwahrheit bestimmend, wobei auf den Stellenplan Bedacht zu nehmen ist. Besondere Veranschlagungsvorschriften sind für Einzelvorhaben und für Ausgaben nach Maßgabe zweckgebundener Einnahmen vorgesehen. Nach § 17 Abs 3 BHG sind Ausgaben für Einzelvorhaben des Bundes, die über einen Zeitraum von mehreren Finanzjahren zu leisten sein werden, mit dem auf das jeweilige Finanzjahr entfallenden Teilbetrag der voraussichtlichen Gesamtausgaben zu veranschlagen. Die für die erstmalige Veranschlagung ursprünglich vorgesehene Plankostenrechnung in den sog Teilheften wurde im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung fallen gelassen und stattdessen in § 25 Abs 2 Z 3 BHG eine Übersicht über die konkreten Vorbelastungen vorgesehen. Für die Veranschlagung größerer Einzelvorhaben waren sogar aufwendige Kosten-Nutzen-Untersuchungen vorgesehen, die sich in der Praxis als kaum durchführbar erwiesen haben, zumal hinsichtlich der Grundsätze dieser Untersuchungen kein Konsens erzielt werden konnte. Durch die Einführung des Controllings (§ 15a) in den Bereich der Haushaltsführung des Bundes ist eine entsprechende Planung, Steuerung und Kontrolle des Bundeshaushalts sichergestellt. 182
Ausgaben nach Maßgabe zweckgebundener Einnahmen (zB die Dienstgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds) sind nach § 17 Abs 5 BHG als solche zu veranschlagen, wenn die betreffenden Einnahmen auf Grund eines Bundesgesetzes (zB dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967183), eines Vertrages oder einer letztwilligen Verfügung nur für bestimmte Zwecke zu verwenden sind.184 Schließlich sind auch Gewinnabfuhren von Unternehmungen und sonstigen Einrichtungen, an denen der Bund (egal in welchem Ausmaß) Anteilsrechte besitzt, mit den voraussichtlich zufließenden Beträgen zu veranschlagen (§ 17 Abs 6 BHG). An dieser Stelle sollen noch einige Bemerkungen zum Budgeterstellungsprozess in der Praxis gemacht werden. Die Erstellung des Bundesbudgets obliegt - wie erwähnt dem Bundesminister für Finanzen. Vor Erlassung der Budgeterstellungsrichtlinien durch den Bundesminister für Finanzen werden vorerst Budget-Zielgrößen für das nächste Finanzjahr ermittelt. Grundlage hierfür bilden das Budgetprogramm der Bundesregierung, das von der Bundesregierung beschlossene und der EU-Kommission übermittelte österreichische Stabilitätsprogramm und die Prognosen über das Wirtschaftswachstum, die insbesondere für die Einnahmenentwicklung der Abgaben besondere Bedeutung haben. Ins Auge gefasst wird auch das jeweilige Defizitziel, das im österreichischen Stabilitätsprogramm im Rahmen des mehrjährigen Defizitpfades festgelegt ist. Auf Basis dieser Vorgaben werden die Budgeteckwerte (Gesamtausgaben und -einnahmen) ermittelt und auf die Ressorts und einzelnen Ressortkapitel aufgeteilt. Im Frühjahr ergehen die Richtlinien für die Erstellung des Budgets an die haushaltsleitenden Organe. In diesen werden pro Budgetkapitel die Budgeteckdaten und allfällige weitere kapitelspezifische Hinweise bekannt gegeben. Die so den haushaltsleitenden Organen mitge181 182 183 184
RV 877 BlgNR 16.GP, 8. RV 311 BlgNR 21.GP, 47. BGBl 1967/376 idF BGBl 2005 I/100. Die im § 17 Abs 5 BHG geregelte „zweckgebundene Gebarung stellt eine Abweichung vom Budgetgrundsatz der „Nonaffektation“ dar, AB 877 BlgNR 16.GP, 6.
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teilten Globaldaten sind von diesen nach den Erfordernissen innerhalb des Ressorts aufzuteilen und das Ergebnis bis Mitte Mai dem Bundesminister für Finanzen bekannt zu geben. Dieser stellt dann die Teilvoranschläge der Ressorts zu einem Gesamtentwurf des BFG zusammen. Ende August bis Mitte September kommt es zu den Ministerverhandlungen. Kann auf Ministerebene keine Einigung erzielt werden, werden die offenen Fragen auf der höchsten politischen Ebene (Bundeskanzler, Vizekanzler, betroffene/r Ressortminister/in und Bundesminister für Finanzen) weiterverhandelt. Die Verhandlungen werden grundsätzlich solange fortgesetzt, bis eine Einigung vorliegt. Jedenfalls müssen die Verhandlungen zeitlich so gestaltet werden, dass der vom Bundesminister für Finanzen erstellte Entwurf des BFG rechtzeitig (zehn Wochen vor Ablauf des Finanzjahres) von der Bundesregierung beschlossen werden kann.185
c) Flexibilisierungsklausel Die im § 17a BHG vorgesehenen - schon im Punkt I.D.7.a. erwähnten - Ausnahmebestimmungen hinsichtlich der Flexibilisierungsklausel können auf die ausgewählte Organisationseinheit über einen mehrjährigen Zeitraum Anwendung finden, wenn dadurch eine bessere Erreichung der Ziele und der Ordnungsmäßigkeit der Haushaltsführung sichergestellt werden kann. Die betreffenden Organisationseinheiten bleiben weiterhin in den Bundeshaushalt integriert. Grundsätzlich bedürfen überplanmäßige Ausgaben einer bundesfinanzgesetzlichen Ermächtigung sowie der Zustimmung des Bundesministers für Finanzen (Art 51b Abs 1 ff B-VG, siehe Punkt I.D.6.). Durch die im § 17a Abs 3 BHG normierte Verfassungsbestimmung kann der Leiter der Organisationseinheit vom Bundesminister für Finanzen darüber hinaus zu überplanmäßigen Ausgaben ermächtigt werden, soweit diese Ausgaben durch Ausgabeneinsparungen oder Mehreinnahmen sichergestellt sind, so dass sich keine Saldoverschlechterung gegenüber dem Bundesvoranschlag des jeweiligen Finanzjahres ergibt.186 Im Falle einer Verschlechterung der tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben gegenüber der Voranschlagsvergleichrechnung (negativer Unterschiedsbetrag), ist dieser durch die für die Organisationseinheit gebildete Rücklage abzudecken. Ein positiver Unterschiedsbetrag soll zwischen der Organisationseinheit und dem allgemeinen Haushalt aufgeteilt werden, wobei der verbleibende Teilbetrag, sofern er nicht zur Abdeckung negativer Unterschiedsbeträge aus früheren Finanzjahren erforderlich ist, einer Rücklage für die Organisationseinheit zugeführt werden soll.187 Besteht eine Minusrücklage, so ist diese binnen der folgenden zwei Finanzjahre auszugleichen und wenn dies nicht möglich ist, hat das zuständige haushaltsleitende Organ durch Ausgabenrückstellungen diese Minusrücklage spätestens in dem auf ihre Entstehung folgenden dritten Finanzjahr abzudecken. Zu Zwecken der Evaluierung und Erfolgskontrolle ist bei der betreffenden Organisationseinheit für die Dauer des Projektzeitraumes ein sog Controlling-Beirat einzurichten, dessen Mitglieder über ein betriebswirtschaftliches Fachwissen verfügen sollten.188 Die 185 186 187
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Pichler in Steger (Hrsg), 204 f. AB 1489 BlgNR 20.GP, 3. Diese Rücklagen sind teilweise auch für Belohnungen und Leistungsprämien an ihre am Erfolg beteiligten Bediensteten und für deren Fortbildung zu verwenden (§ 17a Abs 5 BHG). AB 1489 BlgNR 20.GP, 4.
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vorerst geltende Befristung der Flexibilisierungsklausel wurde mit BGBl 2006 I/46 wegen der eindeutig positiven Erfahrungen mit diesem Instrument hinsichtlich Steigerung der Effizienz und Motivation in den betreffenden Dienststellen und in Hinblick auf Bestrebungen zur Modernisierung und Flexibilisierung des Haushaltsrechts im Sinne des New Public Management aufgehoben.189 d) Gliederung des Voranschlages Die Gliederung des Voranschlages richtet sich in erster Linie nach institutionellen Gesichtspunkten. Den jeweiligen Gliederungseinheiten sind die Einnahmen und Ausgaben nach organorientierten (=institutionellen) (§§ 18 und 19 BHG) sowie finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten (§§ 19 und 20 BHG) unter gesonderten Voranschlagsansätzen zuzuordnen, wobei die innerstaatliche und internationale Vergleichbarkeit zu berücksichtigen ist.190 Nach organorientierten Gesichtspunkten sind die Einnahmen und Ausgaben in Gruppen (nach der Verwandtheit der zu besorgenden Aufgaben) zu gliedern. Die Gruppen sind weiter in Kapitel, Titel, Paragraphen und Unterteilungen zu gliedern. Nach finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten wird zwischen bestandswirksamen und erfolgswirksamen Einnahmen und Ausgaben unterschieden. Erfolgswirksam sind Einnahmen oder Ausgaben, wenn sie den Unterschied zwischen dem Vermögen und den Schulden des Bundes vermehren oder vermindern, bestandswirksam sind sie dann, wenn sie diesen Unterschied nicht verändern. Die erfolgswirksamen Ausgaben sind nach Personalund Sachausgaben zu unterscheiden. Die Sachausgaben gliedern sich weiter in Ausgaben für Anlagen, für Förderungen und sonstige Aufwendungen. Nach dem Verpflichtungsgrund wird zwischen Ausgaben auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen und Ermessensausgaben differenziert. Gleichartige Einnahmen und Ausgaben sind nach kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen oder sonstigen Gesichtspunkten einem Aufgabenbereich zuzuordnen.
Besondere Bedeutung kommt der vorhabensbezogenen Veranschlagung (§ 23 BHG) zu, wobei als Einzelvorhaben Vorhaben zu behandeln sind, die in wirtschaftlicher, rechtlicher und finanzieller Hinsicht einen einheitlichen Vorgang zum Gegenstand haben. Einzelne Vorhaben sind unter Voranschlagsposten (§ 24 BHG) oder sonst unter Voranschlagsansätzen gesondert zu veranschlagen. Unter einem eigenen Voranschlagsposten werden rechtlich oder wirtschaftlich gleichartige Einnahmen oder Ausgaben zusammengefasst. Um ein einheitliches Postenschema zu gewährleisten, ist ein eigener „Kontenplan“ vorgesehen, der für alle Gebietskörperschaften gilt.191 Dieser Gliederung des Voranschlages kommt auch insoweit Bedeutung zu, als finanzielle Ausgleiche innerhalb des jeweiligen Voranschlagsansatzes, also nur in Bezug auf seine Voranschlagsposten, grundsätzlich ohne Befassung des Bundesfinanzgesetzgebers zulässig sind (§ 48 BHG), während Postenausgleiche, von denen nicht nur ein Voranschlagsansatz betroffen ist, zwingend die Überschreitung des Voranschlagsansatzes bewirken und damit den Regelungen betreffend die überplanmäßigen Ausgaben unterliegen.192 Die Voranschlagsposten eines Kapitels sind vom Bundesminister für Finanzen in besonderen Nachweisungen (Teilheften) zusammenzufassen. Die Teilhefte sind nach 189 190 191 192
RV 1269 BlgNR 20.GP, 2. AB 877 BlgNR 16.GP, 6. Kontenplanverordnung - KPV, BGBl 1987/507 idF BGBl 1990/314. Rödler, Haushaltsrecht, 153.
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§ 25 Abs 1 BHG nicht Bestandteil des Bundesvoranschlages und unterliegen daher nicht der Beschlussfassung des Nationalrates über das BFG. Sie dienen jedoch - wie der Arbeitsbehelf193 - zur Unterstützung der Beratungen des Nationalrates.194
Schließlich ist in einem Stellenplan die höchstzulässige Personalkapazität des Bundes festzulegen, der als Anlage dem jährlichen BFG anzuschließen ist. Es ist dem Budgetgesetzgeber verwehrt, den Stellenplan derart zu fassen, dass damit die innere Organisation einer Behörde bindend festgelegt wird. Es bleibt jedoch dem Budgetgesetzgeber - soweit sich nicht aus der Bundesverfassung Schranken (etwa aus dem Gleichheitsgebot oder aus Art 18 B-VG) ergeben überlassen, wie er in diesem Zusammenhang die Spezialisierung vornimmt, wie er demnach die Planstellen und die Planstellenbereiche umschreibt. Womit eindeutig feststeht, dass durch den Stellenplan die zur Erlassung von organisationsrechtlichen Normen berufenen anderen Normsetzer nicht gebunden werden. Das BFG (samt Anlagen) ermächtigt lediglich dazu, die sich in diesem Zusammenhang ergebenden finanziellen Aufwendungen zu machen.195
3. Einnahmen- und Ausgabengebarung Nachdem dieses Thema aus dem Blickwinkel des Verfassungsrechts schon im Punkt I.D.4.a. behandelt wurde, soll im Folgenden nur mehr auf die im BHG geregelten Besonderheiten im Gebarungsvollzug eingegangen werden. a) Vorbereitung eines Vorhabens Einzelvorhaben iSv § 23 Abs 1 BHG unterliegen hinsichtlich ihrer finanziellen Abwicklung von der Planung bis zur laufenden Kontrolle des fertigen Projekts dem Verfahren gemäß den §§ 43 bis 47 BHG. Damit werden Kontrollmöglichkeiten durch die Einbindung des Nationalrates und die Verpflichtung zur Herstellung des Einvernehmens mit dem Bundesminister für Finanzen rechtlich gesichert.196 Bereits vor Durchführung eines Einzelvorhabens (§ 23 Abs 1 BHG), also im Vorbereitungsstadium, ist ein Zusammenwirken des zuständigen haushaltsleitenden Organs und des Bundesministers für Finanzen vorgesehen, soweit es sich im Hinblick auf die voraussichtlich damit verbundenen Ausgaben um Vorhaben von außerordentlicher finanzieller Bedeutung 193
194 195
196
Der Arbeitsbehelf (§ 34 Abs 3) enthält insbesondere einen Überblick über die wirtschaftliche Lage und deren voraussichtliche Entwicklung, wobei auch die der Erstellung des BFG zugrunde gelegten Annahmen darzulegen sind, sowie Erläuterungen zu den einzelnen Kapiteln. AB 877 BlgNR 16.GP, 6. VfSlg 9006 mHa Hengstschläger, Budgetrecht, 189. Jede Umschreibung eines Planstellenbereiches durch den Budgetgesetzgeber zielt wesensmäßig auf eine Beschränkung der Leitungsbefugnis der haushaltsleitenden Organe insofern ab, als diese dadurch verhalten werden sollen, die auf eine Planstelle dieses Bereiches ernannte Person auch in diesem Planstellenbereich zu verwenden. Diese Beschränkung der Leitungsbefugnis ist aber von der Verfassung vorausgesetzt (Art 51 Abs 3 B-VG) und somit nicht verfassungswidrig. Jedoch ist es dem haushaltsleitenden Organ durch budgetgesetzliche Bestimmungen nicht verwehrt, Bedienstete trotz Beibehaltung ihrer dienstrechtlichen Stellung ausnahmsweise außerhalb ihres Planstellenbereiches zu verwenden, dies allerdings nur im Rahmen der Dienstrechtsvorschriften und nur dann, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist und im Einzelfall besondere Gründe vorliegen. Holoubek, ÖHW 1989, 187 ff.
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handelt. Der Bundesminister für Finanzen hat bei seiner Beurteilung des Vorhabens nicht nur auf die Bedeckungsmöglichkeiten, sondern auch auf die Vereinbarkeit mit den Zielen der Haushaltsführung abzustellen. Die Herstellung des Einvernehmens kann entfallen, wenn es sich bei dem Vorhaben um Ausgaben nach Maßgabe von zweckgebundenen Einnahmen (§ 17 Abs 5 BHG) handelt. Sofern die Durchführung eines Vorhabens das Eingehen von Verpflichtungen erfordert, bedarf dies grundsätzlich des Zusammenwirkens mit dem Bundesminister für Finanzen. Wurde das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen jedoch schon im Vorbereitungsstadium hergestellt, wird sich eine neuerliche Befassung des Ministers mangels gravierender Projektänderungen erübrigen (§ 44 Abs 2 BHG). Soweit die Durchführung eines Vorhabens das Eingehen von Verpflichtungen erfordert, zu deren Erfüllung in mehreren Finanzjahren oder zumindest in einem künftigen Finanzjahr Ausgaben des Bundes zu leisten sind (sog Vorbelastungen), stellt § 45 BHG eine dem Informations- und Kontrollbedürfnis des Nationalrates adäquate Bestimmung auf, die für bestimmte finanziell bedeutsame Vorhaben eine bundesgesetzliche Ermächtigung vorsieht.197 Ein derartiges Bundesgesetz ist im Art 42 Abs 5 B-VG nicht genannt, womit dem Bundesrat diesbezüglich ein Mitwirkungsrecht zukommt.198
Entstehen aus einem Vorhaben Berechtigungen199 oder Vorberechtigungen (dh Rechte des Bundes auf Einnahmen in künftigen Finanzjahren), die ihrer Art oder dem Umfang nach von erheblicher finanzieller Bedeutung sind, hat das zuständige haushaltsleitende Organ das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen herzustellen (§ 47 BHG). Die Durchführung des Vorhabens unterliegt nach § 47 BHG einer Erfolgskontrolle. b) Vergaberechtliche Aspekte im BHG Nach § 49 Abs 1 BHG haben Organe des Bundes für Leistungen, die sie von anderen Organen des Bundes empfangen, eine Vergütung zu entrichten. Aufgrund der Entgeltlichkeit des Vorganges könnte die Frage aufkommen, ob hier das Vergaberecht zur Anwendung gelangt. Im Falle der hier gegenständlichen Eigenleistungen oder Inhouse-Vergaben, dh der Deckung des Eigenbedarfes an Leistungen im Rahmen der eigenen Organisation und mit eigenen Ressourcen,200 wurde dies vom EuGH als nicht vergaberechtlich relevanter Vorgang eingestuft.201
Nach den Vergaberichtlinien wird als Anwendungsvoraussetzung neben der Entgeltlichkeit auch das Vorliegen eines Vertrages gefordert. Ein Vertrag liegt nur vor, wenn eine Vereinbarung zwischen zwei verschiedenen Personen getroffen wurde.202 Nach § 49 BHG müssen sowohl auf Seiten des Leistungsempfängers als auch auf Seiten des Leistungserbringers Organe des Bundes handeln. Daher kommt wegen der Identität des Rechtssubjektes kein zivilrechtlicher Vertrag, sondern nur ein Verwaltungsüberein-
197 198 199 200 201 202
AB 877 BlgNR 16.GP, 7. Rödler, Haushaltsrecht, 149. Die Begriffe „Berechtigungen“ und „Verpflichtungen“ sind im zivilrechtlichen Sinn zu verstehen. Potacs, Öffentliche Unternehmen, in Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2 (2003), Rz 936. EuGH Rs C-107/98 Teckal, Slg 1999, I-8121. EuGH Rs C-107/98 Teckal, Slg 1999, I-8121, Rz 49.
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kommen in Betracht.203 Der Organbegriff wird wie in § 1 BHG204 so auch hier im Sinne der Art 19 ff B-VG zu verstehen sein, sodass der Leistungsaustausch zwischen dem Bund und beispielsweise anderen Gebietskörperschaften, Selbstverwaltungsträgern oder rechtlich selbständigen Eigengesellschaften des Bundes nicht erfasst wird. Es geht demnach im § 49 Abs 1 BHG ausschließlich um Leistungsbeziehungen zwischen Organen des Bundes. Anders ist die Situation zu beurteilen, wenn die Organe funktionell als Bundesorgane handeln (zB Organe der Gemeinden im übertragenen Wirkungsbereich des Bundes). Als Organe des Bundes werden funktionell auch die Landeshauptmänner im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung bzw der Auftragsverwaltung tätig, sodass hier von einer Vergütungspflicht nach § 49 BHG ausgegangen werden könnte, wäre diese einfachgesetzliche nicht durch anders lautende verfassungsrechtliche Bestimmungen überlagert (vgl Punkt I.D.8.). Hinsichtlich der Kostentragungspflicht der Gemeinden (§ 2 F-VG) für Aufgaben des übertragenen Wirkungsbereiches legt der Verfassungsgerichtshof jedoch eine organisatorische (und nicht funktionale) Betrachtungsweise zugrunde, wonach die Gemeinden den mit der Besorgung des übertragenen Wirkungsbereiches verbundenen Personalaufwand und Sachaufwand selbst zu tragen haben und nur der mit der Aufgabenbesorgung verbundene Zweckaufwand vom Bund zu tragen ist.205
c) Haushaltsrücklagen Zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung im Allgemeinen und des Mitteleinsatzes im Besonderen sieht § 53 BHG unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit der Rücklagenzuführung und -entnahme vor.206 Nach Rödler erweitert die Möglichkeit der Bildung von Haushaltsrücklagen den Budgetgrundsatz der Einjährigkeit um den Grundsatz der planerischen Mehrjährigkeit.207 Nicht in Anspruch genommene Teile der Ausgabenansätze können vom Bundesminister für Finanzen für Konjunkturausgleichsmaßnahmen gemäß § 29 oder für Anlagen gemäß § 20 Abs 4 BHG einer Rücklage zugeführt werden.208 Die im § 53 Abs 3 BHG vorgesehene „Ausgleichsrücklage“ ermöglicht einerseits Zahlungen für Schulden und bestimmte Verrechnungsvorgänge, die das jeweils abgelaufene Finanzjahr betreffen, noch innerhalb des gesetzlichen Auslaufzeitraumes (§ 52 Abs 2 und 3) für Rechnung des abgelaufenen Finanzjahres, während andererseits allfällige Schuldaufnahmen zur Bedeckung solcher Ausgaben im Rahmen der finanzgesetzlichen Ermächtigung nur bis zum 31. Dezember des jeweils abgelaufenen Finanzjahres vorgenommen werden dürfen. Daraus können Divergenzen auf der Einnahmen- oder
203 204 205
206 207 208
Rödler, Haushaltsrecht, 155. AB 877 BlgNR 16.GP, 1. Neuhofer, 323 mH auf VfSlg 9507. Zum Amtssachaufwand zählt der Verfassungsgerichtshof jenen Aufwand, der die Voraussetzungen für das Tätigwerden der amtlichen Organe schafft, dagegen gehört jener Aufwand, der mit der konkreten Tätigkeit erst entsteht, nicht mehr dazu (und wäre daher vom Bund zu tragen), VfSlg 2533 und 7314. AB 877 BlgNR 16.GP, 8. Rödler, Haushaltsrecht, 160. Die Rücklagenbildungsmöglichkeit für Bauvorhaben und Liegenschaftsankäufe des Bundes wurde mit der Neuregelung des Immobilienvermögens des Bundes durch das Bundesimmobiliengesetz grundsätzlich obsolet. Sollte dennoch eine Rücklagenbildung im Einzelfall erforderlich sein, kann mit einer Ermächtigung im jeweiligen BFG (§ 53 Abs 4) das Auslangen gefunden werden, RV 59 BlgNR 22.GP, 255.
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Ausgabenseite resultieren, die nur anhand einer „Ausgleichsrücklage“ ausgeglichen werden können.209
d) Förderungsbericht Die Bundesregierung hat dem Nationalrat nach § 54 Abs 1 BHG alljährlich eine sachlich und zeitlich gegliederte Übersicht über die im abgelaufenen Finanzjahr gewährten direkten und indirekten Förderungen vorzulegen (Förderungsbericht).210 Der Förderungsbericht soll die Förderungsmaßnahmen des Bundes überschaubar machen und eine regelmäßige und systematische Grundlage für eine Effizienzkontrolle bieten. Die Berichterstattung des Förderungsberichts umfasst aus Bundesmitteln gewährte direkte Förderungen (Budgetausgaben) sowie geleistete Einnahmenverzichte des Bundes (indirekte Förderungen). Direkte Förderungen sind Ausgaben für zins- oder amortisationsbegünstigte Gelddarlehen, Annuitäten-, Zinsen- und Kreditkostenzuschüsse sowie sonstige Geldzuwendungen, die der Bund einer natürlichen oder juristischen Person für eine von dieser erbrachten oder beabsichtigten Leistung, an der ein erhebliches, vom Bund wahrzunehmendes öffentliches Interesse besteht, gewährt, ohne dafür unmittelbar eine angemessene geldwerte Gegenleistung zu erhalten.211 Indirekte Förderungen sind demgegenüber Einnahmenverzichte des Bundes, die einer natürlichen oder juristischen Person für eine von dieser in ihrer Eigenschaft als Träger von Privatrechten erbrachten Leistung, an der ein vom Bund wahrzunehmendes öffentliches Interesse besteht, durch Ausnahmeregelungen von den allgemeinen abgabenrechtlichen Bestimmungen gewährt wurden (§ 54 Abs 1 Z 2 BHG).
Problematisch erscheint, dass jene Förderungen, die von Organen des Bundes direkt an die Förderungsnehmer ausbezahlt und unter eigenen Voranschlagsposten verrechnet werden, im Förderungsbericht namentlich aufscheinen, während die von sog „Subventionsmittlern“212 an einen größeren Personenkreis ausbezahlten Förderungen lediglich summarisch als an diesen Rechtsträger überwiesen dargestellt werden.213
209
210 211 212
213
AB 877 BlgNR 16.GP, 8. § 52 Abs 2 BHG gilt auch für die Abfuhr von Mitteln gemäß § 16 Abs 3a (das sind die an die EU abzuführenden Mittel zur Finanzierung des Gesamthaushaltes gemäß Art 269 EG-Vertrag). Für den Fall, dass die EU die ihr in einem Finanzjahr gutgeschriebenen Eigenmittel bis zum 31. Dezember nicht vollständig kassenwirksam abruft, sollte die Regelung des Auslaufzeitraumes angewendet werden können. Die am Beginn des laufenden Finanzjahres an die EU zu leistenden Eigenmittelüberweisungen (durch die Einräumung von Guthaben zugunsten der EU) können sodann im Ausmaß der am 31. Dezember des abgelaufenen Finanzjahres bestehenden Differenz zwischen Gutschriften und Überweisungen noch bis 20. Jänner zu Lasten des abgelaufenen Finanzjahres verrechnet werden, AB 389 BlgNR 19.GP, 3. AB 877 BlgNR 16.GP, 8. Vgl § 20 Abs 5 BHG, Wenger, ÖHW 1987, 10. Ausführliches zu diesem Begriff bei Rebhahn, Beihilfen- und Subventionsrecht in Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2 (2003), Rz 853 ff. Rödler, Haushaltsrecht, 163.
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e) Bundesvermögens- und Schuldengebarung Vorgänge im Rahmen der Vermögens- und Schuldengebarung (zB das Eingehen und die Umwandlung von Finanzschulden, die Übernahme und Umwandlung von Bundeshaftungen, sonstige Verfügungen über Bundesvermögen) benötigen zumeist eine besondere Ermächtigung, die gemäß Art 42 Abs 5 BVG nur durch Gesetzesbeschluss des Nationalrates (ohne Mitwirkung des Bundesrates) erteilt werden kann. Solche gesetzlichen Ermächtigungen können für den Einzelfall oder global durch ein besonderes Bundesgesetz - regelmäßig im Rahmen des jährlichen BFG - erteilt werden. Nach § 55 BHG dürfen Sachen (im Sinne der §§ 285 ff ABGB) vom Bund nur dann entgeltlich erworben werden, wenn sie zur Erfüllung seiner Aufgaben aktuell benötigt werden. Hierbei ist vom Effizienzgrundsatz nach Art 126b Abs 5 B-VG und von den im § 2 Abs 1 BHG angeführten Zielsetzungen der Haushaltsführung auszugehen.214 Das BHG enthält weiters Gliederungs- und Bewertungsvorschriften, die den Besonderheiten des Bundesvermögens Rechnung tragen.215 f) Beteiligungserwerb durch den Bund und Aufgabenübertragung an andere Rechtsträger Durch die Ausgliederungswellen der letzten Jahre gewann diese Bestimmung des BHG große Bedeutung, insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion, welche Grenzen für Ausgliederungen sich aus dem Haushaltsrecht ergeben. Die „Flucht aus dem Budget“ hat wegen der damit angestrebten finanz- und konjunkturpolitischen Beweglichkeit, aber wohl auch durch die Möglichkeit der außerbudgetären Finanzierung - und sich damit der Bindung des Budgets zu entziehen, - sehr große Ausmaße angenommen.216 § 59 BHG ist funktional gesehen als wichtiger Ansatz inhaltlicher Determinierung nicht hoheitlichen Verwaltungshandelns zu werten.217 § 59 BHG regelt nämlich die Voraussetzungen, unter denen Anteilsrechte (Beteiligungen) an Gesellschaften und Genossenschaften des Privatrechts erworben werden dürfen. Der Erwerb von Beteiligungen an sowie die Übertragung von Aufgaben des Bundes auf andere Rechtsträger sind in der Regel mit außerbudgetären Finanzierungen verbunden. Nach Absicht des Gesetzgebers soll diese im Haushaltsrecht verankerte Regelung gewährleisten, dass die Vornahme von Ausgliederungen nicht ausufert, „sondern auf ein mit den tragenden Grundsätzen staatlicher Haushaltsführung vereinbares gesamtwirtschaftlich vertretbares Maß beschränkt bleibt, und andererseits der dem Art 20 B-VG entsprechende und insbesondere dem Ausmaß der Bundesbeteiligung nach angemessene Einfluß der obersten Organe der Vollziehung auf die von ihnen in die Aufsichtsorgane solcher Gesellschaften oder Genossenschaften entsandten Vertreter gewahrt bleibt“.218
Anwendung findet diese Bestimmung nur für Beteiligungen an „Gesellschaften und Genossenschaften des Privatrechts“. Beteiligungen an Körperschaften oder anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind davon nicht betroffen.
214 215 216 217 218
AB 877 BlgNR 16.GP, 8 f. §§ 56 ff BHG. Holoubek, ÖHW 1989, 194. Wenger, ÖHW 1987, 7. AB 877 BlgNR 16.GP, 9.
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Problematisch nach Holoubek ist die Verwendung des Begriffes der „Beteiligung“ schlechthin. So scheint der Klammerausdruck „Anteilsrechte“ darauf hinzuweisen, dass unter Beteiligung jede Beteiligung unabhängig von ihrem Ausmaß zu verstehen ist. Diese Auslegung hätte allerdings zur Konsequenz, dass jeder auch noch so geringe Anteilserwerb des Bundes nach § 59 Abs 1 BHG nur zulässig wäre, wenn der Bund einen angemessenen Einfluss im Aufsichtsorgan erhalten würde und seine Interessenswahrung durch die entsprechenden Mitglieder dieses Organs sichergestellt sei. Eine andere denkbare Auslegung des § 59 Abs 1 BHG läge darin, unter einer „Beteiligung“ im hier vorliegenden Verständnis nur eine Beteiligung an einer Gesellschaft ab einer Größenordnung von mindestens 25 % des Gesamtkapitals zu verstehen, wie es der gesellschaftsrechtlichen Terminologie entspricht.219
Beteiligungen dürfen grundsätzlich von einem haushaltsleitenden Organ im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen für den Bund nur erworben werden, wenn einem wichtigen volkswirtschaftlichen Anliegen auf diesem Weg in Übereinstimmung mit den im § 2 Abs 1 BHG genannten Zielen besser entsprochen werden kann. Die sich aus der Beteiligung ergebende Zahlungsverpflichtung des Bundes muss mit einem bestimmten Betrag begrenzt sein. Eine Beteiligung des Bundes an einer Offenen Gesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft als Komplementär ist daher unzulässig.220 Beteiligungen dürfen nach § 59 Abs 1 Z 3 BHG nur erworben werden, wenn der Bund - wie erwähnt - einen angemessenen Einfluss in dem Aufsichtsorgan der betreffenden Gesellschaft oder Genossenschaft erhält und sichergestellt ist, dass die vom Bund gewählten oder entsandten Mitglieder des Aufsichtsorgans in Ausübung ihrer Tätigkeit auch die besonderen Interessen des Bundes berücksichtigen. Eine Weisungsbindung der Vertreter des Bundes im Aufsichtsorgan der betreffenden Gesellschaft oder Genossenschaft wird allerdings nur in engen Grenzen möglich sein, weil nach den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften beispielsweise die Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung in erster Linie den Interessen der Gesellschaft verpflichtet sind.221 Trotz des grundsätzlich bloßen Selbstbindungscharakters des BHG, sieht Wenger in einzelnen Bestimmungen (so auch im § 59) inhaltliche Determinanten für das Verwaltungshandeln mit Außenwirkung, weil privatrechtliches Handeln des Staates der zulässigen Zielverfolgung nach nicht den Handlungen Privater gleichgesetzt werden können, müsste seiner Ansicht nach konsequenterweise auch diese Bestimmung als Sondergesellschaftsrecht qualifiziert werden.222 Nach aA scheidet die Qualifikation des § 59 BHG als Sondergesellschaftsrecht aufgrund des bloßen Innennormcharakters dieses Gesetzes aber aus.223 Die durch § 59 BHG geforderte Sicherstellung der Interessenwahrung des Bundes im Aufsichtgremium verpflichtet demnach nur den Bundesvertreter, der dafür auch verantwortlich gemacht werden kann. Die Wahrnehmung dieser Verpflichtung wird ihm aber nur im Rahmen des allgemeinen Gesellschaftsrechts möglich sein, da § 59 BHG mangels Außenwirkung keine rechtlichen Einflussmöglichkeiten auf Gesellschaftsebene statuiert.
219 220 221 222 223
Wie beispielsweise im § 131 AktG. Holoubek, ÖHW 1989, 194 ff. Korinek/ Holoubek (FN 185), 220 ff. Holoubek, ÖHW 1989, 195. Holoubek, ÖHW 1989, 196 mwN. Wenger, ÖHW 1987, 3; Holoubek, ÖHW 1989, 196. Holoubek, ÖHW 1989, 196. Korinek/Holoubek (FN 185), 222 f.
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Zudem bedarf der Erwerb einer Beteiligung der bundesgesetzlichen (also nicht bundesfinanzgesetzlichen) Ermächtigung, wenn der im Gesetz bestimmte Höchstbetrag überschritten wird oder die Höhe der Beteiligung bei einer der genannten Gesellschaften die Hälfte des sich ergebenden Grund- bzw Stammkapitals erstmalig übersteigen würde. Bei der Übertragung von Aufgaben des Bundes zur Besorgung an Rechtsträger des Privatrechts, an denen der Bund nicht im Sinne des § 59 Abs 1 BHG beteiligt ist, ist unter sinngemäßer Anwendung des Abs 1 und 2 vorzugehen, wenn die dem betreffenden Rechtsträger aus der Aufgabenbesorgung erwachsenden Kosten zum überwiegenden Teil endgültig den Bund belasten. Damit sollen in erster Linie Fälle erfasst werden, in denen andere Rechtsformen als Gesellschaften und Genossenschaften gewählt werden (zB Vereine). Der Bund ist an einem Rechtsträger auch dann „nicht im Sinne des Abs 1“ beteiligt, wenn er zB keinen angemessen Einfluss in dem Aufsichtsorgan erhält. Dennoch verpflichtet § 59 Abs 5 BHG dazu, in diesem Fall in sinngemäßer Anwendung der Abs 1 und 2 (die einen angemessenen Einfluss im Aufsichtsorgan fordern) vorzugehen. Das kann wohl nur so zu verstehen sein, dass durch den Bund ein angemessener Einfluss auf die Besorgung der übertragenen Aufgaben in jedem Fall sichergestellt werden muss. Dies kann sowohl durch gesetzliche Vorschriften als auch durch privatrechtliche Vereinbarungen - effizienterweise unter Androhung allfälliger Sanktionen für den Fall des Zuwiderhandelns erfolgen.
Weiters ist erforderlich, dass die Kosten aus der Besorgung der übertragenen Aufgaben „endgültig“ den Bund belasten. Von so einer „endgültigen“ Belastung kann im Falle der Übernahme einer „Bundeshaftung“ wohl noch nicht ausgegangen werden. g) Finanzschulden Aus § 65 BHG ergibt sich eine dem Art 51 Abs 6 B-VG und der herrschenden Lehre entsprechende Umschreibung des Begriffes „Finanzschulden“. Demnach sind „Finanzschulden“ alle Geldverbindlichkeiten des Bundes, die zum Zwecke, dem Bund die Verfügungsmacht über Geld zu verschaffen, eingegangen werden. Das wesentliche Begriffsmerkmal liegt demnach in der Geldmittelbeschaffung, für die bestimmte Arten von Kreditoperationen (zB die Aufnahme von Darlehen gegen die Hingabe von Schatzscheinen oder sonstigen Schuldverschreibungen) typisch sind und die insbesondere zur Deckung eines Finanzierungsbedarfes des Gesamthaushaltes oder zur Umwandlung bestehender Finanzschulden zu dienen hat. Zur Eingehung und Umwandlung (Prolongierung und Konvertierung) von Finanzschulden ist ausschließlich der Bundesminister für Finanzen befugt, der hierzu durch einen Beschluss des Nationalrates gemäß Art 42 Abs 5 B-VG ermächtigt wird (üblicherweise im Rahmen des jährlichen BFG). Alle Urkunden über Finanzschulden bedürfen überdies der Gegenzeichnung durch den Präsidenten des Rechnungshofs (siehe Punkt II.E.2.).224 Im § 65 Abs 3 BHG werden Sonderformen von Finanzschulden angeführt. Hierbei handelt es sich um Verbindlichkeiten, die zwar im Zusammenhang mit der laufenden Verwaltungstätigkeit entstehen, bei denen jedoch dem Bund in Ansehung der Finanzierung durch üblicherweise einem am zu Grunde liegenden Rechtsgeschäft nicht unmit224
Korinek/Holoubek (FN 116) 216.
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telbar beteiligten Dritten (zumeist ein Kreditinstitut) bzw wegen der langfristigen Fälligkeitsvereinbarung (zB im Rahmen eines Kauf- oder Leasingvertrages) besondere Finanzierungserleichterungen eingeräumt werden.225 Damit wird der Verwaltung die Möglichkeit versperrt, mittels Zwischenfinanzierung durch Dritte die strengen Bindungen bei der Begründung von Staatsschulden zu unterlaufen.
Alle im § 65 BHG nicht ausdrücklich als „Finanzschulden“ qualifizierten Geldverbindlichkeiten des Bundes gelten als „Verwaltungsschulden“. Diese entstehen gewöhnlich aus Verbindlichkeiten, die im Rahmen der laufenden Verwaltungstätigkeit zustande gekommen sind, bei denen jedoch die Erfüllung durch Zahlung zeitlich hinausgeschoben wird. Eine Mitbefassung des Nationalrates bei der Eingehung von Verwaltungsschulden, wozu es keiner bundesfinanzgesetzlichen Ermächtigung bedarf, ist im Besonderen durch § 45 Abs 3 und 4 BHG sichergestellt.226 Die Eingehung kurzfristiger Verwaltungsschulden, die innerhalb desselben Finanzjahres wieder getilgt werden, steht grundsätzlich jedem Organ der Haushaltsführung im Rahmen seines Wirkungsbereiches zu. § 65a BHG ermöglicht zur Abdeckung notwendiger kassenmäßiger Erfordernisse gemäß § 52 Abs 5 im laufenden Finanzjahr weitere über § 65 hinausgehende Kreditoperationen. Die voranschlagswirksame Verrechnung dieser Gebarung erfolgt im nachfolgenden Finanzjahr. Zur Realisierung wirtschaftlicher Vorteile (zB Schuldaufnahmen vor Eintritt eines erwarteten höheren Zinsniveaus auf den Geld- und Kapitalmärkten) wird darüber hinaus eine betragsmäßig begrenzte Finanzierungsmöglichkeit vor Beginn eines Finanzjahres geschaffen.227 Die einzuhaltenden Voraussetzungen für diese Kreditoperationen sind im § 65b BHG geregelt.
Kreditoperationen für sonstige Rechtsträger oder für Länder sind grundsätzlich nicht dem öffentlichen Sektor Bund zuzurechnen, dh sie sind nicht als Finanzschulden des Bundes zu behandeln. Dennoch darf nach § 65c BHG der Bundesminister für Finanzen bestimmte Kreditoperationen vornehmen und Währungstauschverträge für sonstige Rechtsträger oder für Länder abschließen, natürlich nur auf Grundlage der im BFG oder in einem anderen Bundesgesetz nach Art 42 Abs 5 B-VG enthaltenen Ermächtigungen. „Sonstige Rechtsträger“ im Sinne dieser Bestimmung sind nur solche, an denen der Bund mehrheitlich beteiligt ist oder für deren Kreditoperationen der Bund die Haftung als Bürge und Zahler gemäß § 1357 ABGB oder in Form von Garantien übernommen hat. Der Bundesminister für Finanzen hat sich hierbei der Bundesfinanzierungsagentur zu bedienen.228
225 226 227 228
Pichler in Steger (Hrsg), 201. AB 877 BlgNR 16.GP, 10. AB 1428 BlgNR 18.GP, 2. Die Aufgaben der Bundesfinanzierungsagentur sind im § 2 Bundesfinanzierungsgesetz taxativ aufgezählt, die unter dem Begriff „Public Debt Management“ subsumiert werden können. Der Bundesminister für Finanzen ist berechtigt, Auskünfte über alle Geschäftsfälle zu verlangen und jederzeit in die Unterlagen der Bundesfinanzierungsagentur Einschau zu nehmen. Zudem kann er der Geschäftsführung der Bundesfinanzierungsagentur Weisungen betreffend die Besorgung ihrer Aufgaben nach § 2 Abs 1 Bundesfinanzierungsgesetz erteilen. Kocher, Das Finanzierungsmanagement des Bundes in Steger (Hrsg), 147 ff.
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h) Bundeshaftungen Der Begriff der „Bundeshaftungen“ wird im § 66 Abs 1 BHG näher umschrieben. Die aus der Übernahme von Haftungen grundsätzlich resultierende Beihilfenproblematik wird im Beitrag von Jäger in diesem Handbuch näher ausgeführt. Nach § 66 BHG ist eine „Bundeshaftung“ eine Haftung im Sinne einer Bürgschaft nach den §§ 1346 und 1348 bis 1367 ABGB oder eine Garantie des Bundes. Die Haftungsform der „Garantie“ hat sich aus dem bankgeschäftlichen Verkehr entwickelt. Sie hat einen einseitig verpflichtenden Schuldvertrag zum Gegenstand, auf Grund dessen der anspruchsberechtigte Gläubiger eines Dritten selbständige Rechte erwirbt. In den meisten Fällen stellt die Garantie einen Vertrag zwischen dem Financier (zB eine inländische Bank) und dem Garanten (dem Bund) dar, wodurch dem Financier das Risiko des Verlustes der gewährten Mittel im Wesentlichen abgenommen wird.229 Die „Garantie“ ist im Gegensatz zur „Bürgschaft“ nicht akzessorisch.230
Haftungsübernahmen durch den Bund wirken wie Finanzierungshilfen, weil sie für die Begünstigten in Anbetracht der außerordentlich hohen Bonität des Bundes bedeutende wirtschaftliche Vorteile bei der Geldmittelbeschaffung bringen.231 Haftungen belasten den Bundeshaushalt nicht unmittelbar, sondern nur im Ausmaß abzudeckender Schäden aus dem Obligo.232 Daher wird durch sie ein „Schattenhaushalt“ etabliert.233 Der Bund selbst unterliegt auch mit der Haftungsübernahme für ausgegliederte Rechtsträger den Schranken des § 66 BHG, wohingegen diese Bestimmung auf die von ausgegliederten Rechtsträgern ihrerseits übernommenen Haftungen keine Anwendung findet (zB auf Haftungen der Österreichischen Kontrollbank AG). Die Tätigkeiten dieser Rechtsträger zählen nicht mehr zur Verwaltung im Sinne des B-VG, sodass § 66 BHG insofern leer läuft.234 Eine Haftung des Bundes darf ausschließlich der Bundesminister für Finanzen übernehmen. Anderen Bundesministern ist dies nicht gestattet. Die Erteilung der konkreten Ermächtigung hiezu obliegt dem Nationalrat im Rahmen seiner Kompetenzen nach Art 42 Abs 5 B-VG, der hiervon üblicherweise im Rahmen des jährlichen BFG Gebrauch macht. Hierbei sind die zulässigen Höchstbeträge und eine Verknüpfung mit konkreten Vorhaben festzulegen und der Grundsatz der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit ist zu beachten. Grundsätzlich soll bei der Übernahme einer Haftung durch den Bund ferner durch eine Regressvereinbarung darauf geachtet werden, dass der 229 230 231
232 233 234
Pale, Haftungsübernahme der Finanzierungsgarantiegesellschaft, ecolex 1995, 411. AB 877 BlgNR 16.GP, 10f. Das geförderte Unternehmen erhält meist relativ zur Marktsituation kostengünstige, von der marktüblichen Risikoprämie aufgrund der Bundeshaftung entlastete Fremdkapitalmittel. Rödler, Haushaltsrecht, 188. Hengstschläger, Budgetrecht, 311. Holoubek, ÖHW 1989, 202. Allerdings wird eine Beteiligung des Bundes an solchen Subventionsmittlern gemäß § 59 BHG nur zulässig sein, wenn sichergestellt ist, dass die für die Übernahme von Bundeshaftungen nach § 66 BHG geltenden Voraussetzungen vom Subventionsmittler erfüllt werden, „um einem wichtigen volkswirtschaftlichen Anliegen auf diesem Wege in Übereinstimmung mit den in § 2 Abs 1 genannten Zielen besser“ zu entsprechen, Korinek/Holoubek (FN 116) 225.
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Bund auf seinen Haftungsanteil eingeschränkt wird, wenn für dieselbe Verpflichtung auch noch andere Rechtsträger eine Haftung übernommen haben (§ 66 Abs 1 Z 4 BHG).
Im Falle einer Inanspruchnahme des Bundes aus der Haftungsübernahme steht ihm nach § 66 Abs 2 Z 4 BHG ein Regressanspruch gegen den Schuldner zu. § 66 Abs 4 BHG statuiert eine jährliche Berichtspflicht des Bundesministers für Finanzen an den Budgetausschuss betreffend die Übernahme von Bundeshaftungen.
C. Vollziehung 1. Anordnungen im Gebarungsvollzug Das BHG regelt im Abschnitt VII die grundsätzlichen Voraussetzungen, die beim Gebarungsvollzug zu beachten sind. Diese Bestimmungen sollen insbesondere den Grundsatz der Trennung zwischen Anweisung und Vollziehung (Anordnung und Ausführung) untermauern. Zahlungen, Verrechnungen sowie Zu- und Abgänge von Sachen sind nur aufgrund einer schriftlichen Anordnung vom ausführenden Organ durchzuführen (§ 67 BHG). Unvorschriftsmäßige Anordnungen dürfen jedoch erst ausgeführt werden, wenn das anordnende Organ die Anordnung berichtigt hat oder trotz Einwendungen des ausführenden Organs aufrecht erhält (§ 67 Abs 4 BHG).235 Werden im Rahmen der Haushaltsführung des Bundes Verrechnungsdaten elektronisch entweder an die Buchhaltung oder direkt an die ZEDVA weitergegeben, entfällt die Schriftlichkeit der Anordnung. Solche Anordnungen sind nach Tunlichkeit unverzüglich zu erteilen. § 69 BHG sieht ausnahmsweise Zahlungen ohne schriftliche Anordnung vor, in Fällen, bei deren Abwicklung das Vorliegen eines Zahlungsauftrages in der Regel nicht abgewartet werden kann (zB Buschauffeur, Kartenautomaten).236
2. Zahlungsverkehr Der Zahlungsverkehr des Bundes ist gemäß § 71 Abs 1 BHG grundsätzlich bargeldlos abzuwickeln und nach Tunlichkeit im Wege der Österreichischen Postsparkasse zu besorgen. Außerdem ist der Barzahlungsverkehr auf das unumgänglich notwendige Ausmaß zu beschränken. Der Zahlungsverkehr des Bundes ist durch den Grundsatz der zentralen Kassenhaltung und die Veranlagung nicht (sofort) benötigter Mittel geprägt.237 Ausgaben sind gemäß Abs 5 von den ausführenden Organen nach Maßgabe ihrer Fälligkeit zu leisten und die Schulden des Bundes sind nach Möglichkeit mit Forderungen gegen denselben Empfangsberechtigten aufzurechnen.
235
236 237
RV 381 BlgNR 22.GP, 11. Zahlungs- und Verrechnungsaufträge haben insbesondere Namen und Anschrift des Zahlungspflichtigen oder Empfangsberechtigten, den anzunehmenden oder auszuzahlenden Betrag, den Grund der Zahlung oder der Verrechnung, die Verrechnungsweisung, Datum der Anordnung mit Unterschrift des Anordnungsbefugten bzw elektronische Unterschrift oder Signatur zu enthalten (§ 68 BHG). RV 877 BlgNR 16.GP, 11. Csoka/Ihle, Das Rechnungswesen des Bundes, in Steger (Hrsg), 231.
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3. Verrechnung Der Begriff „Verrechnung“ wird im BHG in einem umfassenden Sinn verwendet und bezieht sich neben der voranschlagswirksamen Verrechnung, der Bestands- und Erfolgsrechnung beispielsweise auch auf die Lohn- und Gehaltsverrechnung, die Anlagenbuchführung sowie Teile der Statistik. § 74 Abs 1 BHG stellt den Grundsatz der Geldwertverrechnung unter Zugrundelegung der Eurowährung auf. Unter dem Begriff „Geschäftsfälle“ sind alle Vorgänge zu verstehen, die nach den Vorschriften des BHG zur Verrechnung in Betracht kommen. § 75 Abs 1 BHG verankert das Prinzip der Bruttoverrechnung, wonach Vorwegabrechnungen der bei Einnahmenansätzen vorkommenden Ausgaben und umgekehrt grundsätzlich unzulässig sind.238 Bestimmten Verrechnungszwecken dienende gleichartige Konten sind in einem Verrechnungskreis zusammenzufassen (§ 75 Abs 6 BHG). Bezüglich der Verrechnungskreise wird zwischen Hauptverrechnungskreisen und Nebenverrechnungskreisen unterschieden. Hauptverrechnungskreise bestehen für die voranschlagswirksame Verrechnung und für die Bestands- und Erfolgsverrechnung. Zur gesonderten Erfassung von sachlich zusammengehörigen Verrechnungsgrößen können auch Nebenverrechnungskreise eingerichtet werden. Im Rahmen der voranschlagswirksamen Verrechnung werden die aufgrund gesetzlicher, vertraglicher oder sonstiger Bestimmungen einzuhebenden Einnahmen oder zu leistenden Ausgaben des Bundes, die gemäß § 16 BHG zu veranschlagen sind, wirksam für Rechnung eines Voranschlagsansatzes verrechnet (§ 78 BHG). Insgesamt werden für das Verrechnungsverfahren fünf Phasen festgelegt, die von der Genehmigung der Voranschlagsbeträge durch den Nationalrat, über die Verfügungen, die Berechtigungen bzw Verpflichtungen und die Forderungen bzw Schulden bis zur Zahlung reichen. In der Bestands- und Erfolgsverrechnung sind voranschlagswirksame und unwirksame Vermögensänderungen bzw Aufwendungen und Erträge zu buchen. In der Rechnungslegungsverordnung (RLV)239 ist deren bundeseinheitliche Gliederung festgelegt. Auf den Bestandskonten sind nach § 80 Abs 2 BHG jeweils der Anfangsbestand, die Zu- und Abgänge sowie der Endbestand und auf den Erfolgskonten sind die Aufwendungen und Erträge zu verrechnen. Hierbei sind Bewertungen und Abschreibungen nach den diesbezüglichen handels- und steuerrechtlichen Vorschriften vorzunehmen.240 Seit 2005 ist in den Zentralstellen der Bundesministerien auch eine Kosten- und Leistungsrechnung zu führen. Die Kostenrechnung besteht aus einer Kostenartenrechnung und einer Kostenstellenrechnung, um die Kostenstrukturen festzustellen. Darauf aufbauend erfolgt die Leistungsrechnung (Kostenträgerrechnung). Die Ergebnisse der Kosten- und Leistungsrechnung sollen sowohl den ressorteigenen als auch ressortübergreifenden bundesweiten Steuerungszwecken (zB dem Budget- und Personalcontrolling, dem Leistungscontrolling, Leistungskennzahlenvergleich, Benchmarking usw) dienen.241 Nach den §§ 83 bis 87 BHG sind zum Ende jeden Monats Abschlussrechnungen aufzustellen. Diese Monatsnachweisungen sind sowohl über die voranschlagswirksame Verrechnung als auch über die Bestands- und Erfolgsverrechnung aufzustellen. Weiters hat monatlich eine Kassenabrechnung zu erfolgen. Diese monatlichen Aufstellungen 238 239 240 241
RV 877 BlgNR 16.GP, 12. Ausnahmen hiervon sind im § 16 Abs 2 BHG enthalten. BGBl 1990/150, eine Verordnung des Rechnungshofs. RV 877 BlgNR 16.GP, 13. RV 649 BlgNR 22.GP, 17.
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dienen zusammen mit dem Monatshaushalt der Überwachung der Einhaltung des Bundesvoranschlages während des Finanzjahres, der Sicherung der Zahlungsbereitschaft sowie der Ermittlung von monatlichen Gebarungsergebnissen für alle Organe des Bundes.
D. Kontrolle 1. Innenprüfung, Rechnungslegung Grundsätzlich steht den ausführenden Organen das Recht zu, dass sachlich unrichtige oder den Haushaltsvorschriften widersprechende Anordnungen nicht vollzogen werden dürfen. Im Sinne einer umfassenden Gebarungssicherheit sind unter dem Begriff „Innenprüfung“ sowohl die vorhergehenden Prüfungen im Gebarungsvollzug als auch die Nachprüfung zu verstehen. Jeder einer Anordnung zugrunde liegende Beleg242 ist vom jeweiligen Organ auf seinen Grund und auf seine Höhe (materiellrechtliche und rechnerische Richtigkeit) unter Bedachtnahme auf die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit (Art 126b Abs 5 B-VG) zu prüfen. Die Anordnungen selbst sind dahingehend zu prüfen, ob diese den Haushaltsvorschriften und den sonstigen Vorschriften entsprechen. Mit solchen Tätigkeiten dürfen Bedienstete nur betraut werden, wenn die volle Unbefangenheit gewährleistet ist und keine Unvereinbarkeit vorliegt. Die Nachprüfung der Geld-, Wertpapier- und Schuldenverrechnung kann wegen der Vielzahl der zu überwachenden Organe nur stichprobenweise (laut § 92 Abs 1 BHG fallweise und unvermutet) vorgenommen werden.243
Die Abschlussrechnungen dienen der Kontrolle der im Bundesvoranschlag enthaltenen Planung durch den Vergleich mit den Ergebnissen der Gebarung eines Jahres. Abschlussrechnungen sind für jedes Finanzjahr von jedem anweisenden Organ aufzustellen. Darüber hinaus haben die haushaltsleitenden Organe zusätzlich Abschlussrechnungen für ihren gesamten Wirkungsbereich aufzustellen. Die Jahresrechnungen sind dem Rechnungshof, jene der haushaltsleitenden Organe auch dem Bundesminister für Finanzen vorzulegen. Die im § 94 BHG vorgesehene Gliederung der Voranschlagsvergleichsrechnung entspricht der Gliederung des Bundesvoranschlagentwurfes und dient somit einer weitestgehenden Transparenz der Verrechnungsergebnisse. Auch die Bestandsund Erfolgsverrechnungen müssen ordnungsgemäß abgeschlossen werden.244 Zu jeder Jahresbestandsrechnung sind die Beteiligungen des Bundes, die Wertpapiere des Bundes, die keine Beteiligungen sind, die Finanzschulden und die Haftungen des Bundes aufgegliedert darzustellen.
2. Bundesrechnungsabschluss und Gebarungskontrolle durch den Rechnungshof Die Verrechnungsergebnisse jedes Finanzjahres finden ihren Niederschlag im Bundesrechnungsabschluss. Nach Art 121 Abs 2 B-VG und den Bestimmun242 243 244
Außer es handelt sich um verwaltungsbehördliche oder gerichtliche Entscheidungen oder Verfügungen. RV 877 BlgNR 16.GP, 14. RV 877 BlgNR 16.GP, 14.
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gen des Rechnungshofgesetzes245 ist der Rechnungshof zur Erstellung des Bundesrechnungsabschlusses zuständig. Diese Zuständigkeit des Rechnungshofes wird allgemein als Mitwirkung an Verwaltungsaufgaben angesehen.246 Der Bundesrechnungsabschluss ist ein detaillierter Vergleich des tatsächlichen Jahresergebnisses mit dem Jahresvoranschlag und dient damit der parlamentarischen Kontrolle. Dem Bundesrechnungsabschluss ist auch eine Bestands- und Erfolgsrechnung (Vermögens- und Schuldenrechnung) anzuschließen. Der Rechnungshof kann dem Bundesrechnungsabschluss insbesondere als Anlage eine Aufgliederung der wirksamen Ausgaben und Einnahmen des Bundes nach den Kriterien der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung anschließen.247
Der vom Rechnungshof verfasste Bundesrechnungsabschluss ist dem Bundesminister für Finanzen zu übermitteln, der innerhalb von drei Wochen dazu Stellung nehmen kann. Der Rechnungshof hat den Bundesrechnungsabschluss bis spätestens 30. September des nächsten Finanzjahres dem Nationalrat vorzulegen. Zugleich mit dem Bundesrechnungsabschluss ist auch ein Nachweis über den Stand der Bundesschulden vorzulegen. Der Bundesrechnungsabschluss wird vom Budgetausschuss in Verhandlung genommen und in Form eines Gesetzesbeschlusses des Nationalrates (ohne Mitwirkung des Bundesrates) genehmigt.248 Eine allfällige Versagung der Genehmigung hat mittels Beschluss zu erfolgen.249 Im Rahmen der im fünften Hauptstück des B-VG und des Rechnungshofgesetzes geregelten Rechnungs- und Gebarungskontrolle obliegt dem Rechnungshof insbesondere auch die Überprüfung der gesamten Gebarung des Bundes. Weiters wirkt er gemeinsam mit dem Bundesminister für Finanzen an der Ordnung des Rechnungswesens des Bundes mit. Alle Urkunden über Finanzschulden des Bundes sind nach Art 121 Abs 3 B-VG vom Präsidenten des Rechnungshofes gegenzuzeichnen. Diese Gegenzeichnung, die lediglich die Gesetzmäßigkeit zu gewährleisten hat, stellt keine Gültigkeitsvoraussetzung für die Aufnahme von Finanzschulden des Bundes dar.250 Mit dieser Gegenzeichnung wird gewährleistet, dass der zur Eingehung von Finanzschulden ausschließlich zuständige Bundesminister für Finanzen im Rahmen seiner gesetzlichen Ermächtigung zur Schuldenaufnahme gehandelt hat. Darüber hinaus wird mit der Gegenzeichnung auch die ordnungsgemäße Eintragung in das Hauptbuch der Staatsschulden bestätigt.251
III. Haushalts(verfassungs)rechtsreform Die geplante Novelle zum Haushaltsverfassungsrecht soll in zwei Etappen umgesetzt werden, wobei die erste bereits mit 1. Jänner 2007 und die zweite mit 1. Jänner 2011 in Kraft treten sollte. Hauptpunkte des Entwurfs sind eine 245 246 247 248 249 250 251
BGBl 1948/144 idF BGBl 2003 I/100. Hengstschläger, Der Rechnungshof, 1982, 324 mwN. RV 877 BlgNR 16.GP, 14f. Pichler in Steger (Hrsg), 208 f. Rödler, Haushaltsrecht, 42. Ebenda. Pichler in Steger (Hrsg), 203.
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Ergänzung der Haushaltszielbestimmung im Art 13 B-VG, der mehrjährige, verbindliche Finanzrahmen und die neuen Grundsätze der Haushaltsführung. Neben der Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts252 hätten Bund, Länder und Gemeinden bei ihrer Haushaltsführung künftig auch „nachhaltig geordnete Haushalte“ bzw „die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern“ anzustreben. Mit nachhaltig geordneten öffentlichen Haushalten wären eine unangemessen hohe öffentliche Verschuldung sowie erhebliche persistente öffentliche Defizite nicht vereinbar.253 Die Berücksichtigung der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter als Zielbestimmung der Haushaltsführung entspricht dem international etablierten Konzept des Gender Budgeting. Der Grundgedanke von Gender Budgeting ist es, die Auswirkungen des Verwaltungshandelns und der Budgetpolitik insbesondere hinsichtlich der Verteilung und Aufbringung öffentlicher Mittel auf Männer und Frauen zu analysieren und gegebenenfalls korrigierende Maßnahmen zu ergreifen.254 Gut getarnt und in einer knappen Formulierung in den Erläuterungen angemerkt ist die - meines Dafürhaltens doch spektakuläre - geplante Änderung des Art 42 Abs 5 BVG. Demnach sollen in Zukunft nicht nur wie bisher das BFG sowie allfällige Novellen und die Budgetprovisorien ohne Mitwirkung des Bundesrates zustande kommen, sondern auch das Bundesfinanzrahmengesetz sowie „ein Bundesgesetz, mit dem nähere Bestimmungen über die Erstellung des Bundesfinanzrahmengesetzes, des Bundesfinanzgesetzes und über die sonstige Haushaltsführung des Bundes getroffen werden“. Letztgenanntes Bundesgesetz enthält Regelungen über Gegenstände, welche bislang (abgesehen von der Erstellung des Bundesfinanzrahmengesetzes) im BHG geregelt wurden. Dies lässt darauf schließen, dass mit Gesetzwerdung des Entwurfes das BHG „ohne Mitwirkung des Bundesrates“ zustande kommen soll. Allgemeine, nicht nur das nächste Finanzjahr betreffende Haushaltsregelungen sind bisher gemäß Art 51 Abs 6 BVG dem einfachen Bundesgesetzgeber (und nicht dem Gesetzgeber nach Art 42 Abs 5 B-VG) vorbehalten. Solche allgemeinen Haushaltsregelungen dürfen grundsätzlich nicht durch ein BFG getroffen werden, sie wären gegebenenfalls verfassungswidrig (Bepackungsverbot). Mit Umsetzung des Entwurfes würden nunmehr bundeshaushaltsgesetzliche Regelungen zwar nicht im Rahmen eines BFG getroffen, aber dennoch durch einen Gesetzgeber, der dem Budgetgesetzgeber gleichkommt (ohne Mitwirkung des Bundesrates). ME wäre damit unvermeidlich eine Aushöhlung des Bepackungsverbotes verbunden.
Zeitlich vorrangig geht es um die Einführung einer mehrjährigen, verbindlichen Finanzplanung (Finanzrahmen). In seiner Ausgestaltung soll der Finanzrahmen verbindlich, mehrjährig, flexibel sowie klar und einfach verständlich sein. Der Finanzrahmen ist somit kein technisches Planungsinstrument, sondern verkörpert die wesentliche politische Prioritätensetzung und steckt somit in verbindlicher Weise den Rahmen ab, innerhalb dessen sich Budgeterstellung und -vollzug bewegen „müssen“.
Er fixiert damit die Ausgabenseite des Budgets (Planung des Ressourcenverbrauchs) mit einer vierjährigen Perspektive und erhöht damit die Planungssicherheit und die Flexibilität. Die erhöhte Flexibilität besteht insbesondere darin, dass nicht ausgeschöpfte Ausgaben grundsätzlich automatisch einer Rücklage gutgeschrieben werden und die 252 253 254
Entsprechend Art I-3 des Entwurfes des Vertrages über eine Verfassung für Europa. Als Obergrenze für die Verschuldung sollte das Maastricht-Schuldenkriterium herangezogen werden. RV 1331 BlgNR 22.GP, 5.
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Zweckbestimmung für Rücklagen wegfällt.255 Die Gliederung erfolgt auf hochaggregierten Ebenen, die Obergrenzen für einzelne Politikbereiche abstecken, die bei der Budgetierung nicht überschritten werden dürfen. Es wird zwischen fixen und variablen Obergrenzen unterschieden. Variable Obergrenzen gelten für jene Bereiche, die stark konjunkturabhängig sind (Arbeitsmarkt, Pensionen, FLAF).256 Auf oberster Ebene wird der Finanzrahmen in fünf Rubriken257 gegliedert. Die Einnahmenseite des Budgets soll jeweils geschätzt werden.
An die Stelle des bisher unverbindlichen Budgetprogramms soll künftig ein verbindliches Bundesfinanzrahmengesetz258 treten. Dieses legt für vier Jahre die Obergrenzen für Ausgaben in vorhinein fest, wobei die festgelegten Obergrenzen auf Ebene der Rubriken grundsätzlich weder beim darauf aufbauenden BFG noch bei dessen Vollzug überschritten werden dürfen.259 Eine Überschreitung der durch das Bundesfinanzrahmengesetz vorgesehenen Obergrenzen durch das BFG würde eine vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmende Verfassungswidrigkeit darstellen.260 Das Bundesfinanzrahmengesetz wird durch einen Strategiebericht261 flankiert, welcher die Ziele des Bundesfinanzrahmens (zB Defizit-, Schulden- und Abgabenquote) erläutern und Auskunft über die voraussichtlichen Einnahmen sowie über die politischen Prioritäten und die Ausgabenschwerpunkte der Bundesregierung geben soll.262 Die neuen Grundsätze der Haushaltsführung betreffen die Wirkungsorientierung, die Transparenz, die Effizienz und die möglichst getreue Darstellung der finanziellen Lage. Der Grundsatz der Wirkungsorientierung bedeutet, dass die Budgeterstellung und Haushaltsführung sich an den mit den eingesetzten Mitteln erreichten Wirkungen zu orientieren hat. Es geht um eine Orientierung an der politischen Zielsetzung und an deren tatsächlichen Umsetzung. Im Zusammenhang mit der Wirkungsorientierung wird auch eine angemessene Evaluierung der Ziele vorzunehmen sein. Der Grundsatz der Transparenz erfasst die schon traditionellen Grundsätze der Budgetklarheit, der Einheit und der Vollständigkeit des Budgets sowie der Bruttobudgetierung. Darüber hinaus bezieht sich der Grundsatz der Transparenz auf die Erkennbarkeit der haushaltspolitischen Ziele, die zeitnahe Veröffentlichung von Informationen bezüglich Budgeterstellung und -vollzug, das Berichtswesen ua. Die Effizienz besteht entweder darin, ein 255 256 257
258
259 260 261
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RV 1332 BlgNR 22.GP, 2 f. Steger/Mungenast, Grundlagen für ein modernes Haushaltswesen in Steger (Hrsg), 464 f. Rubrik 1: Sicherheit und Recht; Rubrik 2: Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie; Rubrik 3: Bildung, Forschung und Kultur; Rubrik 4: Wirtschaft, Infrastruktur und Umwelt; Rubrik 5: Kassa und Zinsen. Der Entwurf des Bundesfinanzrahmengesetzes ist von der Bundesregierung dem Nationalrat bis spätestens zum 30. April vorzulegen. Sollte bereits ein Bundesfinanzrahmengesetz beschlossen sein, so ist im darauf folgenden Jahr im Sinne einer rollierenden Vorgangsweise jedenfalls das neue Finanzjahr n+4 dem beschlossenen Finanzrahmen anzufügen, RV 1331 BlgNR 22.GP, 6. RV 1332 BlgNR 22.GP, 3 f. RV 1331 BlgNR 22.GP, 8. Neben dem Strategiebericht soll weiterhin ein Budgetbericht erstellt werden, welcher Auskunft über die Einnahmen und Ausgaben des abgelaufenen Finanzjahres erstatten soll, um die Einhaltung des Bundesfinanzrahmengesetzes überprüfen zu können. RV 1332 BlgNR 22.GP, 7. RV 1332 BlgNR 22.GP, 5.
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gegebenes Ziel (eine bestimmte staatliche Leistung) mit einem möglichst geringen Mitteleinsatz zu erreichen (Minimalprinzip) oder mit vorgegebenen Mitteln ein maximales Ergebnis zu erreichen (Maximalprinzip). Der Grundsatz der möglichst getreuen Darstellung der finanziellen Lage betrifft die Anforderungen an die Beschaffenheit des Budget-, Verrechnungs- und Berichtssystems im weitesten Sinn.263
Zusätzliche Änderungen des Haushaltsverfassungsrechts betreffen die Provisoriumsregelungen im Art 51a B-VG sowie die Budgetüberschreitungen im Art 51b B-VG. Geplant ist weiters eine Reform der Rücklagenbildung, die nicht mehr wie bisher voranschlagswirksam gebildet und verrechnet werden sollen, vielmehr sollen eingesparte bzw nicht verbrauchte Ausgabenbeträge und zweckgebundene Mehreinnahmen auf Grund bundesfinanzgesetzlicher Regelung für Mehrausgaben zur Verfügung stehen und erst dann finanziert werden, wenn sie tatsächlich gebraucht werden.264 Zudem soll der Katalog an zusätzlichen Übersichten zum BFG erweitert werden und auch Angaben zu den finanziellen Beziehungen mit der Europäischen Union gemacht und Informationen über Kapitalbeteiligungen sowie über ausgegliederte Einrichtungen und deren Konnex zum Bundesbudget aufgenommen werden.265
IV. Haushaltsrechtliche Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden A. Finanzausgleich Aus vielerlei Gründen (zB wegen der Komplexität des Themas) ist es im Rahmen dieses Beitrages nicht möglich, auf den Finanzausgleich auch nur in seinen Grundzügen einzugehen. Es kann hier nur auf Publikationen namhafter Autoren zu diesem Themenbereich verwiesen werden.266 In aller Kürze soll angeführt werden, was Regelungsgegenstand des Finanzausgleichs ist. Die verfassungsrechtliche Grundlage des Finanzausgleichs ist das F-VG 1948. Finanzausgleichgesetze sind traditionell zeitlich befristet und ihrer Erlassung gehen intensive Verhandlungen der Finanzausgleichspartner (Bund, Länder sowie Österreichischer Gemeindebund und Österreichischer Städtebund als Vertreter der Gemeindeinteressen) voraus (paktierter Finanzausgleich). Ausgehend vom Grundsatz der eigenen Kostentragung im § 2 F-VG, der eine entsprechende Finanzausstattung der Gebietskörperschaften voraussetzt, ergibt sich die Notwendigkeit eines Finanzausgleiches unter den Gebietskörperschaften. Unter Finanzausgleich im engeren Sinn sind die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge und die Gewährung von Finanzzuweisungen und Zuschüssen für bestimmte Zwecke zu verstehen. Die bundesgesetzliche Verteilung der Besteuerungsrechte ist nicht abschließend, da auch den Ländern ein eingeschränktes Steuererfindungsrecht zukommt und die Länder in dem nicht vom Bund geregelten Bereich zur Verteilung der Besteuerungsrechte und 263 264 265 266
RV 1331 BlgNR 22.GP, 8 f. RV 1332 BlgNR 22.GP, 5. Ebenda, 8. Matzinger in Steger (Hrsg), 67 ff; KDZ - Zentrum für Verwaltungsforschung (Hrsg), Finanzausgleich 2005. Ein Handbuch - mit Kommentar zum FAG 2005 (2005); Matzinger, Der Finanzausgleich ab 2005, ÖGZ 1/2005;
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Abgabenerträge unter sich und den Gemeinden befugt sind.267 Bei der Regelung des Finanzausgleiches ist § 4 F-VG zu beachten, wonach der Finanzausgleich in Übereinstimmung mit der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung zu erfolgen hat und darauf Bedacht zu nehmen ist, dass die Grenzen der Leistungsfähigkeit der beteiligten Gebietskörperschaften nicht überschritten werden.268
B. Der Konsultationsmechanismus Der Konsultationsmechanismus beruht auf einer Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.269 Diese Vereinbarung ist am 15. Jänner 1999 in Kraft getreten. Als Vertragspartner scheinen der Bund, die Länder und Gemeinden, letztere vertreten durch den Österreichischen Städtebund und den Österreichischen Gemeindebund, auf (Drei-Ebenen-Vertrag). Die überaus notwendige Mitwirkung der beiden Interessenvertretungen der Gemeinden an einer Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG bedurfte spezieller verfassungsgesetzlicher Ermächtigung270. Der Konsultationsmechanismus bewirkt eine Abweichung vom Kostentragungsprinzip des § 2 F-VG insofern, als nicht die vollziehende Körperschaft die Kosten zu tragen hat, sondern diejenige Gebietskörperschaft, die den betreffenden Rechtsakt erlassen hat.271 Durch den Konsultationsmechanismus soll verhindert werden, dass Gebietskörperschaften ohne ihre Zustimmung mit Belastungen konfrontiert werden, die sich aus rechtsetzenden Maßnahmen anderer Gebietskörperschaften ergeben.272 Die Vereinbarung ist unmittelbar anwendbar, da es aber nur um eine Berechtigung und Verpflichtung der Vertragsparteien selbst geht, stellt sich die Frage der speziellen Transformation gar nicht.273 Außerdem besteht im Streitfall durch die Möglichkeit, den Verfassungsgerichtshofes gemäß Art 137 B-VG anzurufen, auch ein genügender Rechtschutz.274
Die Geltung der Vereinbarung ist mit der Existenz der Vereinbarung über den Stabilitätspakt verknüpft und umgekehrt ebenso (Art 10 Abs 2 und 3). Die Vereinbarung kann vom Bund, jedem Land und den Gemeinden, vertreten durch den Österreichischen Gemeindebund und den Österreichischen Städtebund, schriftlich gekündigt werden (Art 10 Abs 1).
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Hüttner/Griebler in KDZ (Hrsg), Finanzausgleich 2005. Ein Handbuch - mit Kommentar zum FAG 2005 (2005), 36. Siehe auch VfSlg 12.505. BGBl 1999 I/35. BVG Gemeindebund, BGBl 1998 I/61. Dazu Hattenberger, Öffentlich-rechtliche Vereinbarungen zwischen staatlicher und gemeindlicher Ebene (“Drei-EbenenVerträge”), in Österreichischer Gemeindebund/Österreichischer Städtebund (Hrsg), 15 Jahre kommunale Interessenvertretung in der Bundesverfassung (2003), 17 ff. Bußjäger, ÖJZ 2000, 581. Hüttner, ÖGZ 1/1999, 6. Oberndorfer/Leitl, Die Kostentragungsregeln nach Art 4 Konsultationsmechanismus im System der Finanzverfassung, in Funk ua (Hrsg), Der Rechtsstaat vor neuen Herausforderungen (FS Adamovich) (2002), 561. Bußjäger, ÖJZ 2000, 581. Eine im Konsultationsgremium beschlossene Einigung bedarf gemäß Art 2 Abs 1 Z 2 BVG Gemeindebund keiner weiteren gesetzlichen Umsetzung und ist daher unmittelbar anwendbar und einklagbar, Oberndorfer/Leitl (FN 273), 565.
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Kernstück des Konsultationsmechanismus ist die wechselseitige Informationspflicht von Bund und Ländern sowie dieser Gebietskörperschaften gegenüber den Gemeinden über so genannte „Vorhaben“. Unter Vorhaben im Sinne der Vereinbarung sind Gesetzesentwürfe der Bundesministerien oder der Ämter der Landesregierung, Gesetzesvorschläge der Bundesregierung oder der Landesregierungen sowie beschlussreife Verordnungsentwürfe der Bundesregierung, einzelner Bundesminister, einer Landesregierung, eines Mitglieds einer Landesregierung oder des Landeshauptmannes in mittelbarer Bundesverwaltung (Art 1 Abs 1 und 2) zu verstehen.275 In die Erläuterungen zu diesen Vorhaben ist eine Darstellung der finanziellen Auswirkungen aufzunehmen, welche den Richtlinien des Bundesministers für Finanzen gemäß § 14 Abs 5 BHG276 zu entsprechen hat. Diese Vorhaben sind innerhalb einer angemessenen Frist (die bei Gesetzes- und Verordnungsentwürfen vier Wochen und bei Gesetzesvorschlägen der Bundesregierung oder einer Landesregierung eine Woche nicht unterschreiten darf) zur Stellungnahme zu übermitteln (Art 1 Abs 4). Die am Vorhaben nicht beteiligten Gebietskörperschaften277, also bei Vorhaben des Bundes die Länder und Gemeinden, können innerhalb der genannten Frist die Vornahme von Verhandlungen in einem Konsultationsgremium verlangen. Die Verhandlungen betreffen die aus der Verwirklichung des Vorhabens resultierenden zusätzlichen finanziellen Ausgaben (einschließlich zusätzlicher Personalkosten)278 des Antragstellers (Art 2 Abs 1).279 Art 3 regelt die Zusammensetzung des Konsultationsgremiums. Wird die Aufnahme von Verhandlungen im Konsultationsgremium verlangt, ist dieses zu 275
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Nicht zu den Vorhaben zählen Gesetzesvorschläge die auf einem selbständigen Antrag im Nationalrat beruhen (Initiativanträge), für die aber die besonderen Kostentragungsfolgen nach Art 5 gelten. Vereinbarungen gemäß Art 15a B-VG werden auch nicht erfasst, dies ist aber insoweit unproblematisch, als aus einer solchen Vereinbarung für die anderen Gebietskörperschaften nur dann Verpflichtungen resultieren können, wenn sie ihr beitreten. Problematischer erscheint die Ausnahme hinsichtlich Staatsverträgen, denn aus dem Abschluss von Staatsverträgen durch den Bund können sich in den Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereichs der Länder (Art 15 Abs 1 B-VG) uU recht kostenaufwändige Erfüllungsverpflichtungen ergeben, Bußjäger, ÖJZ 2000, 581. Richtlinien für die Ermittlung und Darstellung der finanziellen Auswirkungen neuer rechtsetzender Maßnahmen gemäß § 14 Abs 5 BHG, BGBl 1999 II/50. Hierbei wird der Bund als Antragsteller vom Bundesminister für Finanzen vertreten. Die Gemeinden werden auch hier durch den Österreichischen Gemeindebund und den Österreichischen Städtebund vertreten. Hinsichtlich der Vertretung der Länder geht aus der RV hervor, dass die Länder im Rahmen ihrer Verfassungsautonomie ihre Vertretung selbst regeln können, wobei in den meisten Fällen der Landeshauptmann zur Vertretung berufen wird, RV 1210 BlgNR 20.GP, 8. Bezug nehmend auf die Kostentragungspflicht im § 2 F-VG könnten zu den „zusätzlich verursachten finanziellen Ausgaben“ der Amtssachaufwand und der Personalaufwand gerechnet werden. Die Richtlinien für die Ermittlung und Darstellung der finanziellen Auswirkungen neuer rechtsetzender Maßnahmen gemäß § 14 Abs 4 BHG rechnen auch die so genannten Nominalausgaben dazu, worunter Transferzahlungen oder materielle oder immaterielle Leistungen eines öffentlichen Rechtsträgers an Einzelpersonen, Personengruppen oder andere öffentliche Rechtsträger und Institutionen verstanden werden. Bußjäger, ÖJZ 2000, 581. Nur wenn durch Vorhaben des Bundes bei den anderen Gebietskörperschaften Mehrausgaben von mehr als 0,1 vT der Ertragsanteile aller Länder und Gemeinden bzw durch ein Vorhaben eines Landes Mehrausgaben von mehr als 0,25 vT der Ertragsanteile der Gemeinden dieses Landes verursacht werden (Bagatellgrenze), können Verhandlungen verlangt werden, andernfalls bleibt es bei den bestehenden Regelungen über die Kostentragung (Art 4 Abs 5).
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konstituieren und hierzu vom Vorsitzenden unverzüglich einzuberufen (Art 4 Abs 1). Den Vorsitz führt im Fall von Einwänden gegen ein Vorhaben des Bundes der Bundeskanzler und bei Einwänden gegen ein Vorhaben eines Landes ein Landesregierungsmitglied (Art 3 Abs 2). Kommt im Konsultationsgremium kein Einvernehmen zustande, sind die tatsächlichen, nach Maßgabe einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Vollziehung angefallenen finanziellen Mehrausgaben durch die rechtsetzende Gebietkörperschaft zu ersetzen.280 Kommt im Konsultationsgremium eine Einigung über die Höhe der zu ersetzenden finanziellen Ausgaben und deren Tragung zustande, dann ist diese Einigung maßgeblich (Art 4 Abs 2). Bezieht sich die Einigung nur auf die Kostentragung, bemisst sich die Höhe des Ersatzes nach der finanziellen Darstellung auf Grundlage der Richtlinie gemäß § 14 Abs 5 BHG. Der Konsultationsmechanismus gilt nicht für Rechtsakte, die in zwingender und nicht überschießender Umsetzung des Gemeinschaftsrechts ergehen281 oder die Gebietskörperschaften in ihrer Eigenschaft als Träger von Privatrechten so wie jeden anderen Rechtsträger treffen282 sowie für rechtsetzende Maßnahmen, die auf dem Gebiet des Abgabenrechts und des Finanzausgleichs getroffen werden (Art 6). Art 5 normiert schließlich eine besondere Kostentragungspflicht für den Fall, wenn ein Gesetzesbeschluss von der dem Konsultationsverfahren unterzogenen Vorlage inhaltlich abweicht und dadurch zusätzliche finanzielle Ausgaben verursacht werden oder wenn er von der Vorlage, über die im Konsultationsgremium Einvernehmen erzielt wurde inhaltlich abweicht oder ein Vorhaben betrifft, das nicht gemäß Art 1 zur Stellungnahme übermittelt werden musste (zB Initiativanträge). Diese Ersatzpflicht trifft jene Gebietskörperschaft, der das rechtsetzende Organ angehört. Eine über Art 5 hinausgehende Sanktionierung ist nicht vorgesehen, insbesondere begründet ein Verstoß des Gesetzgebers gegen die erzielte Einigung keine in eine Verfassungswidrigkeit mündende Fehlerhaftigkeit des Gesetzes.283 Der Vorteil eines Verfahrens nach Art 5 besteht aber darin, dass keine langwierigen Verhandlungen in einem Konsultationsgremium durchgeführt werden müssen.
C. Österreichischer Stabilitätspakt Im Zuge der Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zur Vermeidung eines übermäßigen Defizits (Art 104 EG-Vertrag siehe Punkt I.C.1.) schlossen Bund, Länder und Gemeinden im Jahre 1999 den (ersten) österreichischen Stabilitätspakt284 ab, dessen erklärtes Ziel die Koordination der Haus-
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Diese Rechtsfolge tritt auch ein, wenn die Empfehlungen des Konsultationsgremiums nicht abgewartet werden bzw wenn ihnen nicht Rechnung getragen wird. Siehe dazu Oberndorfer/Leitl (FN 273), 558 mit grafischer Übersicht. Eine Umsetzungsverpflichtung besteht lediglich hinsichtlich von Richtlinien. Verordnungen sind unmittelbar anwendbar. Auch allenfalls zweckmäßige Anpassungen der österreichischen Rechtsordnung an die unmittelbar anwendbaren Verordnungen sind keine Erfüllung von Umsetzungsverpflichtungen und daher nicht von der Vereinbarung ausgenommen, Bußjäger, ÖJZ 2000, 581. Diese Ausnahme bezieht sich nicht auf Maßnahmen, welche die Gebietskörperschaften deswegen besonders treffen, weil gerade sie regelmäßig in dem durch die Maßnahme betroffenen Bereich tätig sind, wie etwa bei der Erhaltung von Krankenanstalten, RV 1210 BlgNR 20.GP, 11. Oberndorfer/Leitl (FN 273), 565. BGBl 1999 I/101. Hierbei erfolgte eine Aufteilung der Defizitquote, wobei 90 % auf den Bund und 10 % (0,3 % des BIP) auf die Länder und Gemeinden entfiel. Die Gebietskörperschaften verpflichteten sich auch zu einer anteiligen bzw verursa-
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haltsführung der Gebietskörperschaften ist. Auch beim Österreichischen Stabilitätspakt handelt es sich um eine modifizierte Variante einer Vereinbarung nach Art 15a B-VG.285 In einer Art Drohgebärde normierte der mit 1. Jänner 2001 in Kraft getretene § 27 Abs 7 FAG 2001, dass die Ertragsanteile der Länder an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben monatlich gekürzt würden, wenn die Länder nicht bis zum Ablauf des 31. Dezember 2001 eine Vereinbarung mit Bund und Gemeinden über einen Stabilitätspakt ratifizieren, in dem sie sich zu einen durchschnittlichen Haushaltsüberschuss verpflichten würden. Unter dem Druck dieser Bestimmung schlossen die Länder mit Bund und Gemeinden den „Österreichischen Stabilitätspakt 2001“286 ab.287 Im Rahmen der Einigung über den Finanzausgleich 2005288 wurde am 25. Oktober 2005 Einvernehmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden über einen neuen Österreichischen Stabilitätspakt erzielt. Mit dem „Österreichischen Stabilitätspakt 2005“ soll weiterhin die nachhaltige Einhaltung der Maastricht-Kriterien sichergestellt werden.289 Die Vereinbarung sieht vor, dass zur Verstärkung einer stabilitätsorientierten Haushaltsführung von den Gebietskörperschaften Stabilitätsbeiträge zu leisten sind. Art 2 legt den ordentlichen Stabilitätsbeitrag des Bundes fest, wobei für die Jahre der Geltungsdauer jeweils ein Maximaldefizit vereinbart wurde. Der Beitrag des Bundes ist so berechnet, dass bei ordnungsgemäßer Erbringung der ordentlichen Stabilitätsbeiträge der anderen Vereinbarungspartner Österreich im Jahr 2008 einen ausgeglichenen gesamtstaatlichen Haushalt aufweist. Für die Jahre 2005 und 2006 sind Unterschreitungen des ordentlichen jährlichen Stabilitätsbeitrages nicht zulässig. Liegt das Haushaltsergebnis im Jahr 2007 und 2008 unterhalb des ordentlichen Stabilitätsbeitrags, aber noch oberhalb der in Abs 2 festgelegten Schwellgrenze, gilt dies als zulässig (verringerter Stabilitätsbeitrag). Der Ausnahmecharakter dieser Bestimmung wird dadurch betont, dass im Folgejahr die Unterschreitung auszugleichen ist (erhöhter Stabilitätsbeitrag).290
Art 3 legt den ordentlichen Stabilitätsbeitrag der Länder (einschließlich Wiens) fest, wobei für die Jahre der Geltungsdauer der Vereinbarung jeweils ein Minimalüberschuss vereinbart wurde. Art 4 legt schließlich den ordentli-
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chungsgerechten innerösterreichischen Tragung allfälliger supranationaler Sanktionslasten im Falle mangelnder Budgetdisziplin, vgl dazu Rödler, ecolex 1999, 729. Gamper, JRP 2002, 240. BGBl 2002 I/39. Im Art 18 verpflichtete sich der Bund, § 27 Abs 7 FAG 2001 unter bestimmten Voraussetzungen ersatzlos aufzuheben, zu dieser Problematik ausführlich Gamper, JRP 2002, 240. Da die Höhe der Ertragsanteile und Transfers untrennbar mit der Höhe der Beiträge der Länder gemäß dem Österreichischen Stabilitätspakt zusammenhängen blieb § 25 Abs 6 über die Suspendierung auch im FAG 2005 unverändert bestehen, RV 702 BlgNR 22.GP, 9. RV 701 BlgNR 22.GP, 3. RV 701 BlgNR 22.GP, 4. Soweit ein verringerter Stabilitätsbeitrag erbracht wird, hat er sich innerhalb des maximal zulässigen Unterschreitungsausmaßes zu bewegen. Außerdem hat ein Ausgleich derart stattzufinden, dass über den Zeitraum der Jahre 2007 bis 2008 zumindest der durchschnittliche ordentliche Stabilitätsbeitrag erreicht wird.
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chen Stabilitätsbeitrag der Gemeinden (ohne Wien) fest, wobei für die Geltungsdauer der Vereinbarung jährlich ein ausgeglichener Haushalt vereinbart wird und die Gemeinden landesweise jeweils solidarisch dazu beizutragen haben.291 Bund, Ländern und länderweise den Gemeinden steht es frei, jeweils durch schriftliche Vereinbarung die Haushaltsergebnisse untereinander zu übertragen, soweit der jeweilige ordentliche Stabilitätsbeitrag erfüllt wird. Durch das gemeinsame Ziel, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, ist eine der wichtigsten Eckpunkte des Stabilitätspaktes die gegenseitige Information über sowie die Koordination der Haushaltsführung untereinander. Zu diesen Zwecken wurden einerseits auf Bundesebene ein Bundeskoordinationskomitee, in dem Bund, Länder, Städtebund und Gemeindebund vertreten sind, andererseits auch acht Landeskoordinationskomitees, in dem das jeweilige Land und die jeweilige Landesorganisation des Gemeindebundes und Städtebundes vertreten sind, eingerichtet. Gegenstand der Haushaltskoordinierung im österreichischen Koordinationskomitee sind unter anderem die mittelfristige Ausrichtung der Haushaltsführung, die Überwachung der Entwicklung der Haushalte, des öffentlichen Defizits und des öffentlichen Schuldenstandes sowie die Empfehlung oder gar die Festlegung von Maßnahmen, wenn vom Rat auf Grund einer Entscheidung über das Vorliegen eines übermäßigen Defizits eine Empfehlung ausgesprochen wurde. Zur Unterstützung des Vollzugs der Vereinbarung wurde ein sanktioniertes Informationssystem vereinbart (Art 9).292 Auf den Ergebnissen der Haushaltskoordinierung aufbauend erstellt der Bundesminister für Finanzen den Entwurf des österreichischen Stabilitätsprogramms, welches dem Nationalrat zur Kenntnis zu bringen und den zuständigen Organen der Europäischen Union zu übermitteln ist (Art 8).293 Zur Absicherung der in der Vereinbarung festgelegten „verstärkten Haushaltsdisziplin“ wird ein eigener Sanktionsmechanismus eingeführt. Hierbei hat ein ad hoc eingerichtetes Schlichtungsgremium einvernehmlich zu entscheiden, ob und in welcher Höhe ein Sanktionsbeitrag294 zu leisten ist (Art 11). Trotz unzulässiger Unterschreitung unterbleibt eine Sanktion, wenn zB eine Änderung der Interpretation des ESVG 95 die Ursache war, oder wenn ein Höchstgericht eine ausschließliche Abgabe durch seine Rechtsprechung vermindert, oder wenn Österreich insgesamt sein Ziel (Nulldefizit) trotzdem erreicht hat (in diesem Fall ist der Fehlbetrag aber nachzubringen).295
Der Österreichische Stabilitätspakt 2005 ist auf bestimmte Zeit, nämlich für die Jahre 2005 bis 2008 abgeschlossen, eine einseitige Kündigungsmöglichkeit wurde nicht vereinbart. Er tritt daher mit Ablauf des Jahres 2008 außer Kraft. Der alte Stabilitätspakt aus 1999 wurde im Übrigen nicht außer Kraft gesetzt, 291 292
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RV 701 BlgNR 22.GP, 4. Bei schuldhafter Verletzung der Informationsverpflichtungen ist ein Sanktionsbeitrag an die Statistik Austria zu leisten. Ob eine schuldhafte Verletzung vorliegt, entscheidet das jeweilige Schlichtungsgremium. Aus dem Österreichischen Stabilitätsprogramm können sich für die Länder und Gemeinden keine über den Inhalt dieser Vereinbarung hinaus reichenden Verpflichtungen ergeben. Der Sanktionsbeitrag beträgt 8 % des jeweils vereinbarten Stabilitätsbeitrages als Fixbeitrag zuzüglich 15 % der unstatthaften (Über?)- bzw Unterschreitung des vereinbarten Stabilitätsbeitrages, höchstens jedoch die Differenz zwischen dem ermittelten Haushaltsergebnis und dem vereinbarten Stabilitätsbeitrag bzw dem vereinbarten Maastricht-Defizit. Matzinger in Steger (Hrsg), 130.
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sondern suspendiert, um nach Außer-Kraft-Treten des neuen Stabilitätspaktes wieder in Kraft zu treten. Lediglich bei Kündigung des Konsultationsmechanismus durch den Bund soll auch der Stabilitätspakt 2005 vorzeitig außer Kraft treten, was einem indirekten Kündigungsrecht des Bundes gleichkommt.296 Umgekehrt soll aber weder Abschluss noch Beendigung des Stabilitätspaktes 2005 eine Auswirkung auf die Geltung des Konsultationsmechanismus haben.297
V. Haushaltsrecht der Länder und Gemeinden A. Der rechtliche Rahmen für die Landeshaushalte Das Haushaltsrecht der Länder sowie die Führung der Landeshaushalte sind grundsätzlich Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Länder (Art 15 Abs 1 B-VG). Die einzelnen Landesverfassungen regeln eingehend jene Rechte des Landtages, die in ihrer Gesamtheit als „finanzielle Kontrolle“ bezeichnet werden können. Dazu zählt das Recht auf Genehmigung des Landesvoranschlages, von Budgetüberschreitungen sowie von Landesrechnungsabschlüssen. Einfachgesetzliche Bestimmungen sind teilweise in den Geschäftsordnungen und Dienstanweisungen enthalten. Nach hL ist der Landesverfassungsgesetzgeber an die Vorstellungen vom rechtlichen Charakter des Voranschlages und der Budgetgenehmigung (insbesondere an die Budgetgrundsätze), wie sie aus dem B-VG sowie der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes hervorgehen, gebunden.298
Obwohl es sich beim Landesbudget um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches handelt, verfügt der Bund über eine Reihe von Eingriffsmöglichkeiten in die Budgetgestaltung der Länder, an oberster Stufe im Rahmen des B-VG und des F-VG. Durch einfache Bundesgesetze kommt es zu einer Beschränkung der Budgethoheit der Länder durch den Finanzausgleich. Eine weitere Ausnahme von der Haushaltsführung im selbständigen Wirkungsbereich ist die Möglichkeit des Bundesministers für Finanzen aufgrund der Ermächtigung im Art 16 Abs 1 F-VG, durch Verordnung die Form und Gliederung der Voranschläge und Rechnungsabschlüsse einheitlich zu regeln. Der Bundesminister für Finanzen hat von dieser Möglichkeit in der Voranschlagsund Rechnungsabschlussverordnung (VRV)299 Gebrauch gemacht. Die Ausgabenseite wird durch die im österreichischen Stabilitätspakt enthaltene Verpflichtung der Länder, genau vorgegebene Haushaltsergebnisse zu erzielen, zusätzlich eingeschränkt.
Im Bereich der Finanzkontrolle hat der Bund schließlich die ihm verfassungsmäßig eingeräumten Rechte zur Überprüfung der Voranschläge und 296
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Ein gemäß Art 10 Abs 1 des Konsultationsmechanismus durch Kündigung einer anderen Gebietskörperschaft bewirktes Außer-Kraft-Treten des Konsultationsmechanismus führt zwar zum Außer-Kraft-Treten des alten Stabilitätspaktes 1999 gemäß dessen Art 6 Abs 1, aber nicht zum Außer-Kraft-Treten des neuen Stabilitätspaktes, vgl Gamper, JRP 2002, 240. RV 701 BlgNR 22.GP, 5 f. Nach Wiederaufleben des alten Stabilitätspaktes aus 1999 gelten wiederum die dort festgelegten Verschränkungen von Stabilitätspakt und Konsultationsmechanismus. Koja (FN 79) 248 f mwN. BGBl 1996/797 idF BGBl 2006 II/45.
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Rechnungsabschlüsse der Länder. Die selbständige Führung des Landeshaushaltes wird durch § 6 F-VG gewährleistet, wonach die Abgaben nach ihrem Ertrag den Gebieteskörperschaften im eigenen Haushalt zur Verfügung stehen. Allerdings haben die Länder Voranschläge und Rechnungsabschlüsse gemäß Art 127 Abs 2 B-VG dem Rechnungshof zu übermitteln. Der Rechnungshof hat als Organ des Landtages die Gebarung zu überprüfen.300 Weiters kann die Bundesregierung gegen bestimmte Gesetzesbeschlüsse eines Landtages Einspruch erheben, und falls der Landtag seinen Beschluss wiederholt, gilt das im § 9 F-VG vorgesehene Verfahren, das eine Art Oberaufsicht des Bundes vorsieht. Im Falle eines Beharrungsbeschlusses des Landtages entscheiden über das Aufrechtbleiben des Einspruchs (falls er von der Bundesregierung nicht zurückgezogen wird) der Nationalrat und der Bundesrat durch einen ständigen gemeinsamen Ausschuss. Dieser Ausschuss fasst seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Der Gesetzesbeschluss des Landtages kann kundgemacht werden, wenn der Ausschuss nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen entscheidet, dass der Einspruch der Bundesregierung aufrecht zu bleiben hat.301
Allerdings erstellen die Länder ihre jährlichen Haushaltspläne nicht in Form eines Landesgesetzes, sondern sind (mit Ausnahme von Salzburg) auf schlichte Landtagsbeschlüsse ausgewichen, um auf diese Weise zu vermeiden, dass die Bundesregierung dagegen gemäß Art 98 B-VG Einspruch erhebt.302
1. Der Landesvoranschlag Im Allgemeinen wird vom Landesfinanzreferenten der Entwurf für den Landesvoranschlag samt Erläuterungen auf der Grundlage der Teilvoranschläge der zuständigen Verwaltungsstellen verfasst. Nach der Vorberatung durch die Landesregierung wird der Entwurf des Voranschlages dem Landtag vorgelegt. Nach allen Landesverfassungen steht dem Landtag das Recht zu, den Landesvoranschlag zu genehmigen. Für die finanziellen Erfordernisse der Verwaltungsangelegenheiten von Wien als Land hat die Gemeinde Vorsorge zu treffen. Damit hat die Gemeinde Wien in ihrem Voranschlag auch jene Mittel zu veranschlagen, die für die Erfüllung der Landesaufgaben erforderlich sind (§ 132 Abs 4 WStV). Es besteht ein einziges Budget für Wien als Stadt und Land. Die Genehmigung des Voranschlages erfolgt länderweise unterschiedlich, teilweise in Form eines Landesgesetzes oder durch einfachen Beschluss des Landtages.303 300 301 302 303
Smutny in Steger (Hrsg), 325 f. Ebenda, 326. Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51, Rz 34. Burgenland: Die Landesregierung hat den Landesvoranschlag spätestens einen Monat vor Ablauf des Finanzjahres dem Landtag vorzulegen (Art 37 L-VG, LGBl 1981/42 idF LGBl 2006/44); Kärnten: vor Ablauf des Finanzjahres (Art 60 K-LVG, LGBl 1996/85 idF LGBl 2006/45); Niederösterreich: sechs Wochen vor Ablauf des Kalenderjahres (Art 29 NÖ LV, LGBl 0001-13); Oberösterreich: (Art 55 OÖ Landes-Verfassungsgesetz, LGBl 1991/122 idF LGBl 2004/79); Salzburg: Die Landesregierung hat für das folgende Haushaltsjahr vor seinem Beginn alle Einnahmen und Ausgaben in einem Haushaltsplan zu erfassen. Der Landtag stellt diesen durch Gesetzesbeschluss fest (Art 44 L-VG, LGBl 1999/25 idF LGBl 2006/85); Steiermark: acht Wochen vor Ablauf des Finanzjahres (Art 16 Landes-Verfassungsgesetz, LGBl 1960/1 idF LGBl 2005/94); Tirol: spätestens bis zum 15. November (Art 61 Tir Landesordnung, LGBl 1988/61 idF LGBl 2003/125); Vorarlberg: (Art 56 Verfas-
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Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung die Gesetzesform für die Bewilligung des Landesvoranschlages zu wählen besteht nicht, da die Budgetbewilligung ihrem Inhalt nach nicht Gesetzgebung, sondern Zustimmung zu einem Akt der Vollziehung ist.304
Die Grundsätze für die Erstellung des Voranschlages (und der Rechnungsabschlüsse) ergeben sich - wie erwähnt - aus der VRV 1997.
Nach dem Grundsatz der Jährlichkeit ist der Veranschlagungszeitraum das Kalenderjahr (§ 1 VRV). Nach dem Grundsatz der Vollständigkeit hat der Voranschlag sämtliche Einnahmen und Ausgaben auszuweisen, die im Haushaltsjahr erwartet werden können (§ 2 VRV). Der Grundsatz der Bruttosaldierung (§ 3 VRV) sieht eine Veranschlagung der Einnahmen und Ausgaben in voller Höhe unsaldiert vor. Zudem wären noch die Grundsätze der Budgeteinheit und der Budgetklarheit zu erwähnen, die sich in mehreren Bestimmungen der VRV manifestieren.
Alle Landesverfassungen sehen sowohl Budgetprovisorien vor, für den Fall, dass vor Ablauf des Finanzjahres von den Landtagen kein Landesvoranschlag beschlossen wird, als auch Regelungen hinsichtlich eines Nachtragshaushaltes, sofern außer- oder überplanmäßige Ausgaben durch das Eintreten bestimmter Ereignisse (zB Naturkatastrophen) erforderlich werden.305
2. Der Rechnungsabschluss Nach allen Landesverfassungen haben die Landesregierungen für das abgelaufene Finanzjahr den Rechnungsabschluss zu verfassen und dem Landtag vorzulegen. Die Landtage sind regelmäßig befugt, nach Ablauf des Haushaltsjahres über den ordnungsgemäßen Vollzug der im Voranschlag genehmigten Ansätze zu befinden. Die Vorlage des Rechnungsabschlusses erfolgt im Regelfall „zur Genehmigung“, lediglich in Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg ist der Rechnungsabschluss dem Landtag „zur Kenntnisnahme“ vorzulegen.306 Als Angaben zum Rechnungsabschluss sind diesem eine Gebarungsübersicht über die Einnahmen und Ausgaben der Gruppensummen 0 bis 9, gegliedert nach ordentlichen und außerordentlichen Einnahmen und Ausgaben, voranzustellen (§ 17 Abs 1 VRV). Ein Rechnungsquerschnitt, der zur Ermittlung des Maastricht-Ergebnisses dient, kann ebenfalls beigelegt werden (§ 17 Abs 5 VRV).307 Mit der Genehmigung bzw der Kenntnisnahme des Rechnungsabschlusses durch den Landtag erteilt dieser der Landesregierung gewissermaßen die „Entlastung“.308
3. Gebarungskontrolle im Bereich der Länder Nach Genehmigung durch den Landtag ist der Rechnungsabschluss dem Rechnungshof zu übermitteln. Der Rechnungshof ist gemäß Art 121 Abs 1 B-VG nicht nur zur Kontrolle der Gebarung des Bundes, sondern auch zu jener der Länder, der Gemeindeverbände, der Gemeinden und anderer durch Gesetz
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sungsgesetz über die Verfassung des Landes Vorarlberg, LGBl 1999/9 idF LGBl 2004/43), näheres dazu siehe bei Smutny in Steger (Hrsg), 330. Koja (FN 79), 243 ff. Mit kritischen Überlegungen dazu Koja (FN 79), 251 ff. Burgenland: (Art 41 L-VG); Kärnten: (Art 62 L-VG); Niederösterreich: (Art 31 NÖ LV); Oberösterreich: (Art 55 Oberösterreichisches Landes-Verfassungsgesetz); Salzburg: (Art 45 L-VG); Steiermark: (Art 16 Landes-Verfassungsgesetz); Tirol: (Art 63 (Tiroler Landesordnung); Vorarlberg: (Art 56 Verfassungsgesetz über die Verfassung des Landes Vorarlberg). Smutny in Steger (Hrsg), 330 ff. Koja (FN 79), 261.
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bestimmter Rechtsträger berufen. In Angelegenheiten der Länder-, Gemeindeverbände- und Gemeindegebarung sowie der Gebarung der gesetzlich beruflichen Vertretungen, soweit sie in die Vollziehung der Länder fallen (zB die Landwirtschaftskammern), ist der Rechnungshof als Organ des betreffenden Landtages tätig (Art 122 Abs 1 B-VG). Im Unterschied zur Prüfung der Bundesgebarung hat der Präsident des Rechnungshofes Urkunden über Finanzschulden der Länder nicht gegenzuzeichnen und die Landesrechnungsabschlüsse werden regelmäßig von den Landesregierungen erstellt und den Landtagen zur Genehmigung vorgelegt, wohingegen die Erstellung des Bundesrechnungsabschlusses dem Rechnungshof obliegt. Zur Wahrnehmung der Finanzkontrolle haben die Länder auch eigene Landesrechnungshöfe309 bzw in Wien das Kontrollamt310 installiert. Die Landesrechnungshöfe werden als Organ des jeweiligen Landtages tätig und unterliegen bei der Durchführung von Kontrollen keinen Weisungen.311
B. Das Haushaltsrecht der Gemeinden Die Gemeinden haben nach Art 116 Abs 2 B-VG das Recht, im Rahmen der Finanzverfassung ihren Haushalt selbständig zu führen, wobei den Gemeinden eine „eigenverantwortliche, weisungsfreie, gesetzmäßige Haushaltsführung“ (Art 118 Abs 4 B-VG) gewährleistet wird. Dieses Recht bildet einen Kernbereich des eigenen Wirkungsbereiches und damit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechtes. Eine Übertragung der Haushaltsführung auf eine staatliche Behörde (Art 118 Abs 7 B-VG) kommt nicht in Betracht, weil dadurch die Gemeindeautonomie beseitigt würde.312 Das Gemeindehaushaltsrecht wurde landesgesetzlich in den Gemeindeordnungen und Stadtrechten, zum Teil mit weiteren Durchführungsverordnungen oder durch eigene landesgesetzliche Gemeindehaushaltsordnungen geregelt.313
1. Voranschlag Die Gemeindeordnungen und Stadtrechte verpflichten die Gemeinden zur Erstellung eines jährlichen Voranschlages und erklären diesen als verbindliche Grundlage für die Führung des Gemeindehaushaltes. Der Voranschlag der 309
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Burgenland: Art 74 bis 77 L-VG; Kärnten: Art 70 f K-LVG, Niederösterreich: Art 51 bis 56 NÖ LV; Oberösterreich: Art 35 OÖ L-VG; Salzburg: Art 54 L-VG; Steiermark: Landesrechnungshof-Verfassungsgesetz (LGBl 1982/59 idF 2001/34); Tirol: Art 67 bis 70 Tir Landesordnung; Vorarlberg: Art 67 bis 70 Verfassungsgesetz über die Verfassung des Landes Vorarlberg. § 73 WStV. Smutny in Steger (Hrsg), 337. Sturm/Havranek, Kärntner Allgemeine Gemeindeordnung2 (1998), Rz 1 zu § 86. §§ 67 ff Bgld GO, LGBl 2003/55; §§ 86 ff K-AGO, LGBl 1998/66; §§ 72 ff NÖ GO, LGBl 1000; §§ 74 ff OÖ GO, LGBl 1990/91 idF LGBl 2005/8; §§ 49 ff Sbg GO, LGBl 1994/107 idF LGBl 2004/12; §§ 75 ff Stmk GO, LGBl 1967/115 idF LGBl 2004/49; §§ 75 ff Tir GO, LGBl 2001/36; §§ 73 ff Vlbg GO, LGBl 1985/40 idF LGBl 2004/20. Eigene Haushaltsordnungen gibt es im Burgenland (LGBl 1966/32), Kärnten (LGBl 1999/2 idF LGBl 2004/18), der Steiermark (LGBl 1977/22 idF LGBl 2001/94) sowie in Vorarlberg (LGBl 1998/62). In Wien ist das Gemeindehaushaltsrecht in den §§ 86 f, 101 ff WStV (LGBl 1968/28 idF LGBl 2003/22) geregelt.
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Gemeinde stellt nach der Judikatur des VfGH eine Verordnung, genauer eine so genannte „Verwaltungsverordnung“ dar, da er nur die Organe der Gemeinde selbst bindet und keine Außenwirkung gegenüber anderen Rechtsträgern entfaltet.314 Da die VRV 1997 auch auf die Haushaltsführung der Gemeinden (und Gemeindeverbände315) Anwendung findet, ist hinsichtlich der Form und der Gliederung der Voranschläge und Rechnungsabschlüsse sowie der Budgetgrundsätze auf die Ausführungen zum Haushaltsrecht der Länder zu verweisen. Die einzelnen Gemeindeordnungen und Stadtrechte regeln die Festsetzung des Voranschlages recht unterschiedlich. Im Wesentlichen hat jedoch der Bürgermeister den Entwurf des Voranschlages so zeitgerecht zu erstellen, öffentlich aufzulegen und dem Gemeinderat zur Beratung vorzulegen, dass der Voranschlag mit Beginn des Haushaltsjahres (= Kalenderjahres) wirksam werden kann. Während der öffentlichen Auflage des Voranschlagsentwurfes kann jeder Gemeindebürger schriftliche Einwendungen einbringen.316 Der Gemeinderat hat bei der Beratung des Voranschlagsentwurfes auf diese Einwendungen Rücksicht zu nehmen, er ist jedoch nicht an die vorgebrachten Einwendungen der Bürger gebunden. Die Beschlussfassung über den Voranschlag muss immer in einer öffentlichen Sitzung erfolgen (Art 117 Abs 4 B-VG).317
Der beschlossene Voranschlag ist an der Amtstafel kundzumachen und der Aufsichtsbehörde (Landesregierung) vorzulegen. Die Landesregierung kann im Wege der Gemeindeaufsicht gesetzwidrige Teile des Voranschlages durch Verordnung aufheben.318 Die Bürgermeister von Gemeinden mit mindestens 20.000 Einwohnern haben gemäß Art 127a Abs 2 B-VG die Voranschläge und Rechnungsabschlüsse dem Rechnungshof und gleichzeitig der Landesregierung zu übermitteln. Dies gilt auch für die Gemeindeverbände gemäß Art 127a Abs 8 B-VG. Nach § 16 Abs 1 letzter Satz F-VG ist der Bundesminister für Finanzen berechtigt, sich die Voranschläge und Rechnungsabschlüsse der Gebietskörperschaften (somit auch der Gemeinden) vorlegen zu lassen und Auskünfte über deren Finanzwirtschaft einzuholen. Der Voranschlag enthält die voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben der Gemeinde im Haushaltsjahr. Für die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinde sind Wirtschaftspläne zu erstellen, die dem Gemeindevoranschlag anzuschließen sind. In den Voranschlag selbst ist nur der an den Gemeindehaushalt abzuführende Betrag bzw der aus dem Gemeindehaushalt zu deckende Abgang aufzunehmen.
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VfSlg 1878, 5637. Ausführlich dazu Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 41 ff. Da die Ermächtigung zur Erlassung der VRV im § 16 Abs 1 F-VG nur für „Gebietskörperschaften“ gilt und Gemeindeverbände keine Gebietskörperschaften sind, ist die Regelung für Gemeindeverbände verfassungsrechtlich bedenklich, siehe Neuhofer, 490. Das Mitwirkungsrecht der Gemeindebürger ist ein wesentlicher Bestandteil des Voranschlagserzeugungsverfahrens, dessen Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Gemeindevoranschlages führt, Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 38. Neuhofer, 496. Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 8; Aufhebungsgrund kann nur die Rechtswidrigkeit, nicht auch die Zweckwidrigkeit oder Unwirtschaftlichkeit des Voranschlages sein.
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Koller
Nach manchen Gemeindeordnungen hat die Gemeinde für einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren einen „mittelfristigen Finanzplan“319 aufzustellen, der der Gemeindevertretung zur Beschlussfassung vorzulegen ist. Der mittelfristige Finanzplan ist zumindest jährlich der Entwicklung anzupassen und um ein weiteres Haushaltsjahr fortzuschreiben.
Nicht jede Abweichung vom Voranschlag führt zu einem Nachtragsvoranschlag. Die Pflicht zur Festsetzung eines Nachtragsvoranschlages wird erst bei erheblichen Abweichungen vom Voranschlag ausgelöst. Für außerplanmäßige und überplanmäßige Ausgaben, die unvermeidlich sind, hat der Bürgermeister den Gemeinderat einen Nachtragsvoranschlag vorzulegen.320 Alle Gemeindeordnungen und Stadtrechte sehen ein Voranschlagsprovisorium für den Fall vor, dass der Voranschlag vom Gemeinderat nicht rechtzeitig zu Beginn des Haushaltsjahres festgesetzt wird.321 In diesem Fall hat der Gemeinderat meist beschränkt auf die ersten drei Monate der nächsten Budgetperiode ein Voranschlagsprovisorium zu beschließen. Kommt weder ein Voranschlag noch ein vom Gemeinderat verfügtes Budgetprovisorium zustande, tritt das in den Gemeindeordnungen und Stadtrechten vorgesehene automatische Budgetprovisorium in Kraft. In einigen Bundesländern gilt das automatische Provisorium nur solange der Gemeinderat keine vorläufige Vorsorge getroffen hat, in anderen kommt es darüber hinaus zur Anwendung, wenn das vom Gemeinderat verfügte Provisorium abgelaufen ist.322
Die Verwendung von Voranschlagsbeträgen für andere als im Gemeindevoranschlag vorgesehene Zwecke (sog Kreditübertragung) bedarf einer Bewilligung des Gemeinderates. Mit solchen Novellen zum Voranschlag in Form von Verordnungen kann erreicht werden, dass ein Mehrbedarf bei einem Ansatz aus einer Ersparnis bei einem anderen Ansatz gedeckt wird.323 Auch außeroder überplanmäßige Ausgaben dürfen nur nach vorheriger Zustimmung des Gemeinderates oder des sonst zuständigen Organs angewiesen werden.
In Fällen äußerster Dringlichkeit, bei Gefahr im Verzug, wenn die Einholung des Gemeinderatsbeschlusses nicht rechtzeitig möglich ist, kann der Bürgermeister die dringend notwendigen Ausgaben, für die im Gemeindevoranschlag keine Vorsorge getroffen wurde, anordnen. Zu dieser Notanordnung des Bürgermeisters ist in der nächsten Sitzung des Gemeinderates die Genehmigung einzuholen.324
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Siehe dazu Enzinger, Mittelfristige Finanzplanung in Gemeinden in Pilz/ Platzer/Stadler (Hrsg), Handbuch der kommunalen Finanzwirtschaft2 (2000), 269 ff. Neuhofer, 499. Im Lichte des Zweckes dieser Vorschrift, nämlich budgetlose Zustände zu vermeiden, wird man die Wortfolge „nicht rechtzeitig beschlossen“ wohl so interpretieren können, dass das Provisorium in allen Fällen wirksam wird, in denen aus irgendeinem Grund (zB wegen seiner Aufhebung durch die Aufsichtsbehörde gemäß Art 119a Abs 6 B-VG) der Voranschlag nicht zu Beginn des folgenden Finanzjahres in Wirksamkeit treten kann; Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 44. Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 44 ff. Entsteht trotz dieser gesetzlichen Vorsorge für das Nichteintreten budgetloser Zustände kein Voranschlag und auch kein Provisorium bzw ist dessen befristeter Geltungszeitraum abgelaufen, dann wäre die Erstellung eines Voranschlages im Wege der Ersatzvornahme durch die Aufsichtsbehörde gemäß Art 119a Abs 7 B-VG denkbar und auch zulässig. Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 23. Neuhofer, 500 f.
Haushaltsrecht
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Eine Besonderheit des Gemeindehaushaltsrechts besteht in der Teilung des Haushaltes in einen ordentlichen und in einen außerordentlichen Haushalt, was eine bessere Übersicht über die Schuldengebarung der Gemeinden ermöglichen soll. Die Gliederung des Voranschlages in einen ordentlichen und in einen außerordentlichen Haushalt bleibt der landesgesetzlichen Regelung vorbehalten. Nach § 4 Abs 1 VRV 1997 sind außerordentliche Einnahmen und Ausgaben als solche besonders zu kennzeichnen und von den Gemeinden in einem besonderen Teil des Voranschlages zu erfassen.325 Nach Abs 2 sind Ausgaben nur dann als außerordentlich zu behandeln, wenn sie der Art nach im Gemeindehaushalt nur vereinzelt vorkommen oder der Höhe nach den normalen Rahmen erheblich überschreiten. Die Veranschlagung außerordentlicher Ausgaben ist weiters nur zulässig, als sie gänzlich oder teilweise durch außerordentliche Einnahmen326 gedeckt werden sollen. In Konsequenz dieser Bestimmung ist es daher nicht möglich, eventuelle Abgänge des ordentlichen Haushaltes mit außerordentlichen Einnahmen zu bedecken (Durchbrechung des Gesamtdeckungsprinzips).327 Allerdings ist infolge dieses finanzwirtschaftlichen Konzeptes die Summe der Investitionen nicht ohne weiteres aus dem Haushaltsplan erkennbar. Sie können nämlich sowohl im ordentlichen als auch im außerordentlichen Haushalt stehen.328
2. Vermögens- und Schuldengebarung Zur rechtzeitigen Leistung von Ausgaben des ordentlichen Haushaltes können mit Beschluss des Gemeinderates Kassenkredite aufgenommen werden. Diese sind gewöhnlich innerhalb einen Jahres zurückzuzahlen und dürfen einen bestimmten Teilbetrag der Einnahmen des ordentlichen Haushalts nicht überschreiten. Soweit es die finanzielle Lage gestattet, soll die Gemeinde zur Vorsorge für künftige Erfordernisse Rücklagen (zB allgemeine Betriebsmittelrücklagen oder bestimmte Sonderrücklagen) anlegen. Darlehen darf die Gemeinde grundsätzlich nur im Rahmen des außerordentlichen Voranschlages zur Bestreitung eines außerordentlichen Bedarfes (zB für Bauvorhaben) aufnehmen, soweit eine andere Bedeckung nicht möglich ist und die Verzinsung und Tilgung des aufzunehmenden Darlehens die Erfüllung der der Gemeinde obliegenden gesetzlichen und vertraglichen Pflichten nicht gefährdet. Die Gemeinden dürfen Darlehen nur gewähren und Bürgschaften und Haftungen nur übernehmen, wenn hierfür ein besonderes Interesse der Gemeinde gegeben ist und der Schuldner nachweist, dass eine ordnungsgemäße Verzinsung und Tilgung gesichert ist. Nach vielen Gemeindeordnungen bedürfen die Aufnahme von Darlehen und die Übernahme von Bürgschaften und Haftungen einer gemeindeaufsichtsbehördlichen Genehmigung.329 Zur Gewährleistung eines flexiblen Haushaltsvollzugs sind verschiedene Instrumente vorgesehen. So können wirtschaftlich und sachlich zusammen gehörige Posten als deckungsfähig erklärt werden, dh dass Einsparungen ohne besondere Beschlussfassung 325
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Dies wird durch die im § 7 Abs 1 lit a VRV vorgesehene Kennzeichnung der Einnahmen und Ausgaben nach haushaltswirtschaftlichen Gesichtspunkten ermöglicht. Dieser Haushaltshinweis gibt an, ob der Budgetansatz dem ordentlichen oder dem außerordentlichen Voranschlag zugehört. Außerordentliche Einnahmen sind zB Darlehen, Erlöse aus der Veräußerung von unbeweglichem Gemeindevermögen, Entnahmen aus dem Kapitalvermögen oder aus den Rücklagen. Bauer, Das Haushaltswesen in Österreichs Gemeinden, in Steger (Hrsg), 354. Palm, Das kommunale Haushaltswesen: Reformerfordernisse und Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung, in Gantner (Hrsg), 86. Neuhofer, 501 f.
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zum Ausgleich von Mehrerfordernissen bei anderen Ausgaben herangezogen werden können (einseitige oder gegenseitige Deckungsfähigkeit). Weiters können Verstärkungsmittel zur Deckung von überplanmäßigen ordentlichen Ausgaben bereits bei der Aufstellung des Voranschlags veranschlagt werden (Deckungsreserve - § 2 Abs 4 VRV 1997). Nicht verbrauchte Mittel können bei gleichzeitiger Dotierung einer Resterücklage in das nächste Finanzjahr vorgetragen werden. Ergänzend zum Voranschlag bzw zum Rechnungsabschluss sind auch der Voranschlags- bzw der Rechnungsquerschnitt zu erstellen, welche die Ableitung des Finanzierungssaldos (Maastricht-Ergebnis) enthalten.330 Ergänzend wird vielfach eine mittelfristige Finanzplanung vorgenommen (mittelfristiger Einnahmen-Ausgabenplan, mittelfristiger Investitionsplan). Schließlich sind das Führen von Vermögens- und Schuldennachweisen sowie die Vermögensrechnung als Bestandteile des Gemeindehaushaltswesens zu erwähnen (§ 16 VRV 1997).
3. Rechnungsabschluss und Gebarungskontrolle Nach Ablauf des Jahres hat der Bürgermeister (in den Städten mit eigenem Statut der Magistrat) den Rechnungsabschluss zu erstellen. Der Rechnungsabschluss umfasst den Kassenabschluss, die Haushaltsrechnung (Jahresrechnung) und die Vermögens- und Schuldenrechnung (§ 10 VRV). Für wirtschaftliche Unternehmungen und „Betriebe mit marktbestimmter Tätigkeit“ haben die Gemeinden gesondert für jede Einrichtung einen Vermögens- und Schuldennachweis zu führen (§ 16 Abs 1 VRV). „Betriebe mit marktbestimmter Tätigkeit“ sind nach dem Abschnitt 85 Betriebe der Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Müllbeseitigung, der Einrichtung und Verwaltung von Wohn- und Geschäftsgebäuden sowie zusammengefasste und sonstige Betriebe mit marktbestimmten Tätigkeiten.
Der Rechnungsabschluss ist meist zunächst dem Prüfungsausschuss (Kontrollausschuss) oder dem Kontrollamt zur Vorprüfung vorzulegen.
Wie beim Voranschlag so besteht die Verpflichtung zur öffentlichen Auflage des Rechnungsabschlusses und die Möglichkeit schriftliche Einwendungen einzubringen. Nach Ablauf der Auflagefrist hat der Bürgermeister den Rechnungsabschluss mit etwaigen Einwendungen und dem Bericht des Prüfungsausschusses dem Gemeinderat zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen. Die betreffende Sitzung des Gemeinderates ist öffentlich abzuhalten (Art 117 Abs 4 B-VG).
Der Gemeinderat stellt fest, ob der Rechnungsabschluss gesetzmäßig und richtig ist. Der Beschluss des Gemeinderates über die zustimmende Kenntnisnahme des Rechnungsabschlusses ist keine Verordnung, aber dennoch als Beschluss, der die Öffentlichkeit berührt, öffentlich kundzumachen. Der vom Gemeinderat beschlossene Rechnungsabschluss ist fristgerecht (bis Ende Mai nach Ablauf des Haushaltsjahres) der Aufsichtsbehörde vorzulegen. Die Gemeinden mit mindestens 20.000 Einwohnern und die Gemeindeverbände haben den Rechnungsabschluss bis spätestens sechs Monate nach Abschluss des Rechnungsjahres dem Rechnungshof und der Landesregierung vorzulegen. Zur Prüfung der Gemeindegebarung (sowie der Gebarung der von der Gemeinde verwalteten Stiftungen und Fonds und bestimmter Unternehmungen) ist regelmäßig ein eigener Prüfungsausschuss (oder Kontrollausschuss)331 vom 330 331
§ 9 Abs 1 Z 2 bzw § 17 Abs 2 Z 2 VRV 1997. In den Städten mit eigenem Statut ist idR ein eigenes Kontrollamt als eigene Abteilung des Magistrats mit Sonderrechten einzurichten. So ist der Leiter des Kontrollamtes in Angelegenheiten der Gebarungsprüfung weisungsfrei.
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Gemeinderat einzurichten. Alle im Gemeinderat vertretenen Parteien (Fraktionen) haben Anspruch auf Vertretung im Prüfungsausschuss.332 Der Bürgermeister, Mitglieder des Gemeindevorstandes oder des Stadtsenats dürfen dem Prüfungsausschuss nicht angehören. Die Gebarung der Gemeinde wird daraufhin überprüft, ob sie wirtschaftlich, zweckmäßig, sparsam, richtig und in Übereinstimmung mit den bestehenden Gesetzen und Vorschriften geführt wird. Private Betriebe und Einrichtungen, an welchen die Gemeinde beteiligt ist, dürfen nur mit deren Zustimmung von den Kontrolleinrichtungen der Gemeinde überprüft werden. Die Gemeinde kann sich vertraglich anlässlich einer Beteiligung an einem Unternehmen das Recht der Gebarungsprüfung vorbehalten.333
Über das Ergebnis der Prüfung ist ein schriftlicher Bericht anzufertigen. Nach Einholung der gesetzlich vorgesehenen Stellungnahmen (des Bürgermeisters) ist der Prüfbericht dem Gemeinderat zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen.334 Nach Art 119a Abs 2 B-VG hat weiters das Land das Recht, die Gebarung der Gemeinde auf ihre Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Die Gemeindeordnungen berufen durchwegs die Landesregierung zur Kontrolle der Gemeindegebarung.335 Die Gemeinde ist hierbei nicht verpflichtet, den Vorschlägen der Aufsichtsbehörde zu folgen. Im Rahmen der Gebarungskontrolle hat die Aufsichtsbehörde nicht die Rechtsmacht, ihre Empfehlungen gegenüber der Gemeinde durchzusetzen. Allerdings wird ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde gegenüber der Gemeinde mit den Mitteln der Rechtsaufsicht (zB Auflösung des Gemeinderates, Ersatzvornahme) möglich, wenn im Zuge der Gemeindegebarung durch rechtswidrige Vorgangsweisen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden.336
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Dazu Hengstschläger, Gebarungskontrolle, in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), Das Österreichische Gemeinderecht (1982), 5 ff. Hengstschläger (FN 332) 22 ff. Neuhofer, 507 ff. Näheres zum Verfahren siehe bei Hengstschläger (FN 332) 29 ff. Die Landesregierung kann diese Aufgabe unter bestimmten Voraussetzungen auch an die Bezirksverwaltungsbehörden delegieren. Dazu Hengstschläger (FN 332) 42.
Arno Kahl
Öffentliche Unternehmen Rechtsgrundlagen ...........................................................................................348 Grundlegende Literatur...................................................................................349 I. Grundlagen ................................................................................................350 A. Entstehungsgeschichtlicher Abriss ........................................................350 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................352 1. Innerstaatliche Regelungszuständigkeiten.........................................352 2. Gemeinschaftskompetenzen ..............................................................354 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................355 1. Art 295 EG-Vertrag...........................................................................355 2. Art 86 EG-Vertrag.............................................................................355 3. Die Akzentuierung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse durch Art 16 EG-Vertrag ........................362 4. Die Transparenzrichtlinie ..................................................................363 II. Der Begriff des öffentlichen Unternehmens ..........................................364 A. Nationales Recht....................................................................................364 B. Gemeinschaftsrecht ...............................................................................365 III. Einteilung öffentlicher Unternehmen...................................................367 A. Unterscheidung nach der Unternehmensträgerschaft...........................368 B. Unterscheidung nach der Rechtsform ...................................................368 C. Unterscheidung nach den Zielen ...........................................................370 IV. Ausgliederung und Privatisierung ........................................................371 A. Ausgliederung........................................................................................371 B. Privatisierung ........................................................................................374 C. Ausgliederung, Privatisierung und Vergaberecht .................................377 1. Vorbemerkung...................................................................................377 2. In-house-Vergabe ..............................................................................378 3. Die Auftragsvergabe durch (öffentliche) Unternehmen....................380 V. Öffentliche Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftssektoren .......381 A. Vorbemerkung .......................................................................................381 B. Die Elektrizitäts- und Gaswirtschaft......................................................383 1. Elektrizitätswirtschaft........................................................................383 2. Gaswirtschaft.....................................................................................388 C. Post und Telekommunikation ................................................................390 1. Die strukturelle Trennung von Post und Telekom ............................390 2. Post....................................................................................................390 3. Telekommunikation...........................................................................391 D. Der Rundfunk ........................................................................................393 E. Der Eisenbahnverkehr...........................................................................395 F. Der Kraftfahrlinienverkehr....................................................................397
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G. Die Bundesstraßen................................................................................ 399 H. Die Verwaltung von Bundesimmobilien ............................................... 400 I. Die gemeinnützigen Bauvereinigungen.................................................. 402 J. Der Bankensektor .................................................................................. 403 K. Die Österreichische Nationalbank (OeNB) .......................................... 405 L. Die Unternehmen im Bereich der ÖIAG ............................................... 407 M. Die Österreichische Staatsdruckerei.................................................... 408 N. Die Staatsmonopole .............................................................................. 409 O. Regulierungsbehörden.......................................................................... 409 1. Die Austro Control GmbH................................................................ 410 2. Von der Telekomregulierung zur konvergenten Regulierung .......... 411 3. Der Postregulator .............................................................................. 414 4. Der Schienenregulator ...................................................................... 414 5. Der Energieregulator......................................................................... 415 6. Die Finanzmarktaufsicht................................................................... 416 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Art 12, 16, 31, 86, 87, 88, 295 EG-Vertrag. VO 1191/69/EWG, Abl L 156/1, idF VO 1893/91/EWG, Abl L 169/1 - gemeinwirtschaftliche Dienste-VO für die Personenbeförderung; RL 80/723/EWG, Abl L 195/35, idF RL 2005/81/EG, Abl L 312/47 - TransparenzRL; RL 91/440/EWG, Abl L 237/25, idF RL 2004/51/EG, Abl L 220/58 - Eisenbahn-BinnenmarktRL; RL 97/67/EG, Abl 1998 L 15/14, idF RL 2002/39/EG, Abl L 176/21 - PostRL; RL 2003/54/EG, Abl L 176/37, idF RL 2004/85/EG, Abl L 236/10 - BeschleunigungsRL Elektrizität; RL 2003/55/EG, Abl L 176/57 - BeschleunigungsRL Erdgas; Außer Kraft getreten: RL 90/387/EWG, Abl L 192/1, idF RL 97/51/EG, Abl L 295/23 ONP-RL (aufgehoben durch Art 26 RL 2002/21/EG, Abl L 108/33 - RahmenRL); RL 90/388/EWG, Abl L 192/10, idF RL 1999/64/EG, Abl L 175/39 - TelekommunikationsdiensteRL (aufgehoben durch Art 10 RL 2002/77/EG, Abl L 249/21 - RahmenRL); RL 96/92/EG, Abl 1997 L 27/20 - Elektrizitäts-BinnenmarktRL (aufgehoben durch Art 29 RL 2003/54/EG, Abl L 176/37 - BeschleunigungsRL Elektrizität); RL 98/30/EG, Abl 204/1 - Erdgas-BinnenmarktRL (aufgehoben durch Art 32 RL 2003/55/EG, Abl L 176/57 - BeschleunigungsRL Erdgas). BVG: Art 7, 10, 17, 51a Abs 1, 116 Abs 2, 118 Abs 2, 119a Abs 2, 126b Abs 5, 127 Abs 1, 127a Abs 1, 133 B-VG; BVG-Rundfunk (BGBl 1974/396); BVG über die Eigentumsverhältnisse in der österreichischen Elektrizitätswirtschaft (Art 2 BGBl I 1998/143); Art 6 EMRK. BG: Erstes VerstaatlichungsG - Erstes VerstG (BGBl 1946/168 idF BGBl 1987/298); Zweites VerstaatlichungsG - Zweites VerstG (BGBl 1947/81 idF BGBl 1992/762); EisenbahnG - EisbG (BGBl 1957/60 idF BGBl I 2006/125); LuftfahrtG - LFG (BGBl 1957/253 idF BGBl I 2006/149); ÖIG-G (BGBl 1967/23); WohnungsgemeinnützigkeitsG - WGG (BGBl 1979/139 idF BGBl I 2003/113); ASFINAG-G (BGBl 1982/591 idF BGBl I 2006/26); NationalbankG - NBG (BGBl 1984/50 idF BGBl I 2004/161); ORF-Gesetz - ORF-G (BGBl 1984/379 idF BGBl I 2005/159); Bundes-HaushaltsG BHG (BGBl 1986/213 idF BGBl I 2006/49; BörseG (BGBl 1989/555 idF BGBl I 2006/48); Schönbrunner TiergartenG (BGBl 1991/420 idF BGBl 1994/117);
Öffentliche Unternehmen
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Schönbrunner SchloßG (BGBl 1992/208 idF BGBl 1994/117); BundesbahnG - BBG (BGBl 1992/825 idF BGBl I 2005/80); BG über Maßnahmen im Bereich der Bundesstraßengesellschaften, BGBl 1992/826 idF BGBl I 2004/174); Austro Control-G - ACG (BGBl 1993/898 idF BGBl I 2004/173); Brenner Eisenbahn GmbH-G (BGBl 1995/502 idF BGBl I 2005/163); PoststrukturG - PTSG (BGBl 1996/201 idF BGBl I 2003/71); BundesforsteG (BGBl 1996/793 idF BGBl I 2004/136); StaatsdruckereiG (BGBl 1997/1 idF BGBl I 2001/47); PostG (BGBl I 1998/18 idF BGBl I 2006/33); Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsG - ElWOG (BGBl I 1998/143 idF BGBl I 2005/44); Schienenverkehrsmarkt-RegulierungsG (BGBl I 1999/166); KraftfahrlinienG - KflG (BGBl I 1999/203 idF BGBl I 2006/12); Öffentlicher Personennah- und RegionalverkehrsG ÖPNRV-G (BGBl I 1999/204 idF BGBl I 2002/32); ÖIAG-G 2000 (BGBl I 2000/24 idF BGBl I 2005/103); GaswirtschaftsG - GWG (BGBl I 2000/121 idF BGBl I 2004/115); BG betreffend den stufenweisen Übergang zu der im GWG vorgesehenen Marktorganisation (Art 2 BGBl I 2000/121); Energie-RegulierungsbehördenG - E-RBG (BGBl I 2000/121 idF BGBl I 2002/148); BundesimmobilienG (BGBl I 2000/141 idF BGBl I 2005/144); PrivatradioG - PrRG (BGBl I 2001/20 idF BGBl I 2004/169); KommAustriaG - KOG (BGBl I 2001/32 idF BGBl I 2006/9); BG über die Errichtung einer Bundesbeschaffung GmbH - BB-GmbH-G (BGBl I 2001/39 idF BGBl I 2002/99); PrivatfernsehG - PrTV-G (BGBl I 2001/84 idF BGBl I 2004/169); FinanzmarktaufsichtsbehördenG - FMABG (BGBl I 2001/97 idF BGBl I 2006/141); Austria Wirtschaftsservice-G (BGBl I 2002/130 idF BGBl I 2004/119); TelekommunikationsG 2003 - TKG (BGBl I 2003/70 idF BGBl I 2005/133); BundesbahnstrukturG (BGBl I 2003/138); BundesvergabeG 2006 - BVergG (BGBl I 2006/17).
Grundlegende Literatur: Die folgenden Angaben beziehen sich angesichts des Querschnittcharakters des Themas nur auf grundlegende Literatur, die sich mit öffentlichen Unternehmen im engeren Sinne beschäftigt. Im Übrigen wird auf die Literaturangaben in den einzelnen Spezialbeiträgen des Handbuchs verwiesen. Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1987; Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1996; Berka, Die Gemeinde als Unternehmer, in: Rebhahn (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Gemeinderecht, 1998, 181; Binder, Wirtschaftsrecht2, 1999; Cox (Hrsg), Perspektiven öffentlicher Unternehmen in der Wirtschafts- und Rechtsordnung der Europäischen Union, Bd II, 1996; Eichhorn (Hrsg), Perspektiven öffentlicher Unternehmen in der Wirtschafts- und Rechtsordnung der Europäischen Union, Bd I, 1995; Fremuth, Grundlagen der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, in: Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (Hrsg), Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich (1992) 21; derselbe, Die Gründung und Führung von öffentlich-gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, in: Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (Hrsg), Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich (1992) 25; derselbe (Hrsg), Wirtschaft und öffentliches Interesse (1998); Fremuth/Klecatsky/Wenger/Wimmer/Franz, Gemeinwirtschaft in der österreichischen Volkswirtschaft am Beispiel der öffentlichen Wirtschaft (1980); Holoubek, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001) 513; derselbe, Liberalisierung, Regulierung und Privatisierung - „Entstaatlichungsdruck“ durch das Gemeinschaftsrecht?, in: ÖJK (Hrsg), Entstaatlichung - Gefahr für den Rechtsstaat?, 2002, 122; derselbe, Die Regulierung des liberalisierten Eisenbahnverkehrs - Aufgaben, Organisation und Verfahren der Schienenverkehrsmarktregulierung im Rechtsvergleich, in: Dullinger/Holoubek/Segalla (Hrsg), Recht und Praxis der Eisenbahnliberalisierung, 2004, 106; Holoubek/Boltz (Hrsg), Strommarktregulierung, 2005; Laurer, Die öffentliche Unternehmung, FS Antoniolli, 1979, 317; Leitl, Regulierungsbehörden im österreichischen Recht, 2006; Morscher, Kommunale Unternehmun-
Kahl
350
gen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag - Rechts- und politikwissenschaftliche Analyse, in: Morscher/Smekal, Kommunale Unternehmungen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag, 1982, 9; Mühlenkamp, Öffentliche Unternehmen, 1994; Neuhofer, Gemeinderecht2, 1998; Obermann/Soukup, Öffentliche Unternehmen und die europäische Integration, 1992; Pauger, Zur Funktionalität der privaten Gesellschaftsformen AG und GmbH für Wirtschaftstätigkeiten der öffentlichen Hand. Plädoyer für eine „Gesellschaft öffentlichen Rechts“, FS Wenger, 1983, 999; Potacs, Öffentliche Unternehmen unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, in: Aicher/Holoubek/Korinek (Hrsg), Gemeinschaftsrecht und Wirtschaftsrecht, 2000, 263; derselbe, Öffentliche Unternehmen, in: Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, 401; derselbe, Europäischer Leistungsstaat im Wandel, FS Öhlinger, 2004, 486; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen2, 1985; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2, 2003; Schader Stiftung (Hrsg), Die Zukunft der Daseinsvorsorge, 2001; Schäffer, Wirtschaftsaufsichtsrecht, in: Raschauer (Hrsg) Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, 181; Schroeder/Weber (Hrsg), Daseinsvorsorge durch öffentliche Unternehmen und das Europäische Gemeinschaftsrecht (2004); von Loesch, Die gemeinwirtschaftliche Unternehmung, 1977; Wenger, Die öffentliche Unternehmung, 1969; derselbe, Recht der öffentlichen Unternehmungen, in: derselbe (Hrsg), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, Bd II, 1990, 245; Wimmer, Öffentliche Unternehmen und EWG-Vertrag, in: Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (Hrsg), Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich, 1992, 115; derselbe, „Service Public“ in Österreich Öffentliche Aufgabenbesorgung im Spannungsfeld zwischen staatlicher Verantwortung und Marktmechanismus, in: Fremuth (Hrsg), Wirtschaft und öffentliches Interesse (1998) 31; derselbe, Daseinsvorsorge durch die Kommunen unter dem Einfluss des EG-Rechts, ÖGZ 1/2003, 13; Wimmer/Kahl, Die öffentlichen Unternehmen im freien Markt (2001).
I. Grundlagen1 A. Entstehungsgeschichtlicher Abriss Der Bestand öffentlicher Unternehmen lässt sich bis in das 18. Jh zurückverfolgen. In der Zeit des Merkantilismus (Kameralismus) waren die staats- und wirtschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der öffentlichen Wirtschaft2 günstig3. Insbesondere im Rahmen ihm selbst vorbehaltener Bereiche4 entwickelte „der Staat“ unternehmerische Tätigkeiten, um seinen stetig steigenden Geldbedarf zu decken. Mithin stellt das Recht der Staatsmonopole den Ausgangspunkt der öffentlichen Unternehmen dar5. Auch wenn zum Unterschied vom Merkantilismus in der zweiten Hälfte des 19. Jh dem bürgerlich-liberalen Zeitgeist entsprechend der private Unternehmer im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung stand und die öffentliche Wirtschafts1 2 3 4 5
Dieser Beitrag wurde im August 2006 fertiggestellt. Öffentliche Wirtschaft verstanden als Oberbegriff, der sowohl die gemein- als auch die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand umfasst. Wenger, Die öffentliche Unternehmung, 1969, 29f. ZB das Post-, Tabak-, Glücksspiel- und Branntweinmonopol. Fremuth, Die Gründung und Führung von öffentlich-gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, in: Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich (Hrsg), Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich, 1992, 25 (26).
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tätigkeit dementsprechend abnahm, bedeutete dies keineswegs, dass sich der Staat gänzlich aus dem Wirtschaftsleben zurückgezogen hätte. Dies lag insbesondere daran, dass die öffentliche Hand auf Grund des großen Allgemeininteresses an bestimmten, für das Gemeinwesen unverzichtbaren Dienstleistungen gezwungen war, diese Leistungen selbst zu erbringen, da sie von privater Seite nicht oder nicht in ausreichender Qualität oder zu den „vom Staat gewünschten“ gemeinwohlorientierten Modalitäten vorgehalten wurden6. In dieser Zeit liegen - entgegen der damals herrschenden liberalen Doktrin - die Wurzeln zahlreicher kommunaler Wirtschaftstätigkeiten wie beispielsweise der Gasund Wasserversorgung oder des Betriebs von Elektrizitätswerken. Vor dem Hintergrund des staatspolitischen und wirtschaftlichen Notstandes kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer wesentlichen Akzentverschiebung im österreichischen Wirtschaftssystem. Die in zwei Schritten vorgenommenen, umfangreichen Verstaatlichungen7 in den Bereichen Grundstoffindustrie und Banken8 sowie Elektrizitätswirtschaft9 stellten primär den - letztendlich erfolgreichen - Versuch dar, das „Deutsche Eigentum“ für die österreichische Wirtschaft zurückzugewinnen; sie brachten aber zugleich auch einen erheblichen Bedeutungsgewinn der öffentlichen Wirtschaft mit sich. So wurde vom Ersten VerstG rund ein Fünftel des österreichischen Industriepotentials und vom Zweiten VerstG praktisch die gesamte E-Wirtschaft erfasst („verstaatlichte Industrie“). In der Folge entwickelte sich der so bewirkte, überdurchschnittlich große Anteil der öffentlichen Wirtschaft an der Volkswirtschaft zu einem Spezifikum des österreichischen Wirtschaftssystems10. Verbunden damit war ein vergleichsweise hohes Maß an Staatseinfluss und Regulierung in den betroffenen Wirtschaftssektoren. Im Zuge der massiven wirtschaftlichen Probleme der verstaatlichten Industrie ab den 1980’er Jahren kam es zunächst zu umfassenden Teil-, später Totalprivatisierungen11. Etwa zur selben Zeit wurden - auch aus budgetären Gründen - vermehrt Ausgliederungen im Wege der Errichtung von Kapitalgesellschaften12 bzw durch die Bildung selbstständiger Wirtschaftskörper13 vorge6
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So war der Staat zB angesichts zu geringer privater Aktivitäten letztlich gezwungen, den Eisenbahnbau und -betrieb selbst durchzuführen. Eine vergleichbare Entwicklung griff im Bereich der Elektrizitätswirtschaft Platz. Wimmer/Arnold, Die neue Freiheit der Elektrizitätswirtschaft in Österreich, in: Oberösterreichische Kraftwerke AG (Hrsg), Aktuelle Rechtsprobleme der Elektrizitätswirtschaft 1995, 1995, 9 (10ff). Zum wirtschaftlichen Notstand als Zulässigkeitsvoraussetzung der umfassenden Enteignungen durch das Ersten VerstG VfSlg 3118/1956. Schambeck, Wirtschaftsverfassung und Verstaatlichung in Österreich, FS Wenger, 1983, 39 (47f). Vgl das Erste VerstG, BGBl 1946/168. Vgl das Zweite VerstG, BGBl 1947/81. Wenger, Recht der öffentlichen Unternehmungen, in: derselbe (Hrsg), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, Band II, 1990, 245 (Rz 47); Obermann/Soukup, Öffentliche Unternehmen und die europäische Integration, 1992, 12ff. Nicht zuletzt die Krise der „Verstaatlichten“ löste in Österreich eine umfassende Privatisierungsdiskussion aus. Wimmer/Arnold, Wirtschaftsrecht in Österreich und seine europarechtliche Integration2, 1998, 258f. ZB Salinen AG, Grazer Stadtwerke AG, Innsbrucker Kommunalbetriebe AG.
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nommen. Der Trend, in staatlichem Eigentum befindliche erwerbswirtschaftliche Betriebe zu veräußern und somit zu privatisieren, hat sich in jüngster Zeit deutlich verstärkt. Dazu kommt, dass die marktwirtschaftlichen Prinzipien durch den Beitritt Österreichs zur EU eine zusätzliche Betonung erfahren haben. Auch wenn der EG-Vertrag gemäß Art 295 die Eigentumsordnungen in den Mitgliedstaaten unberührt lässt und somit kein europarechtlicher Zwang zu Privatisierungen besteht: Der Druck, das Budget zu konsolidieren, ist durch den EU-Beitritt nicht geringer geworden. Schließlich stieße auch eine großzügige Alimentierung defizitärer öffentlicher Unternehmen seitens der öffentlichen Hand, wie sie der „Verstaatlichten“ in den 1970’er und 1980’er Jahren zu Gute gekommen ist, heute angesichts des gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsrechts (Beihilfenrecht) auf enge Grenzen und wäre sowohl in der Form als auch in dem Ausmaß nicht mehr möglich.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Innerstaatliche Regelungszuständigkeiten Die Fähigkeit von Bund und Ländern, Träger öffentlicher Unternehmen zu sein, wird aus Art 17 B-VG abgeleitet, der diesen Gebietskörperschaften unabhängig von der Kompetenzverteilung im hoheitlichen Bereich - das Handeln in privatrechtlicher Form ermöglicht (Privatwirtschaftsverwaltung)14. Häufig verfolgt die öffentliche Hand mit dem Betrieb eigener Unternehmen die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben bzw „öffentlichen Aufgaben“ iSd Daseinsvorsorge. Während die Zulässigkeit der Führung öffentlicher Unternehmen durch Bund und Länder zu diesem Zweck nicht bezweifelt wird, hält ein Teil der Lehre eine rein erwerbswirtschaftliche Betätigung des Staates auf Grund seiner im Vergleich zum privaten Unternehmer in vielfacher Weise überlegenen Stellung nur „subsidiär“ für zulässig15. Hinsichtlich des bloßen Ziels der Mittelaufbringung wird der (Steuer)Staat - mit Ausnahme der in der Verfassung vorgesehenen Monopole - auf den Weg der Abgabenerhebung verwiesen. Die entgegengesetzte Auffassung sieht eine solche Beschränkung nicht16. Den Gemeinden ist das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Bundes- und Landesgesetze Vermögen aller Art zu besitzen, zu erwerben und darüber zu verfügen sowie wirtschaftliche Unternehmen zu betreiben, durch Art 116 Abs 2 B-VG eingeräumt (Gemeinde als selbstständiger Wirtschaftskörper). Die Bindung an die allgemeinen Bundes- und Landesgesetze 13 14
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ZB Staatsdruckerei, PSK. ZB Laurer, Die öffentliche Unternehmung, FS Antoniolli, 1979, 317 (321); Novak, Verfassungsrechtliche Grundsatzfragen, in: Funk (Hrsg), Die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch Privatrechtssubjekte, 1981, 37 (47). ZB unter Berufung auf Raschauer und Oberndorfer Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung, 1993, 45, die gleichzeitig betonen, dass der erwerbswirtschaftlichen Betätigung des Staates nur „äußerste Grenzen“ gesetzt sind. Vgl dazu Pauger, Zur Funktionalität der privaten Gesellschaftsformen AG und GmbH für Wirtschaftstätigkeiten der öffentlichen Hand, FS Wenger, 1983, 999 (1003); Binder, Wirtschaftsrecht2, 1999, Rz 775ff.
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bedeutet, dass den Gemeinden (auch) beim Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen nur Pflichten auferlegt werden dürfen, die allgemein, also für alle juristischen Personen, gelten. Die Gemeinden dürfen diesbezüglich nicht schlechter gestellt werden als andere Rechtssubjekte17. Lediglich Beschränkungen, die das verfassungsrechtliche Effizienzgebot konkretisieren18, und Restriktionen, die sich aus den Grundrechten oder den Bindungen des Art 118 Abs 2 B-VG ergeben, sind zulässig19. Aus letzterer Bestimmung ergibt sich, dass die (privat)wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde in deren eigenen Wirkungsbereich fällt und somit als Teil der Gemeindeselbstverwaltung verfassungsrechtlich geschützt ist20. Aus dieser Zuordnung wird von der hL21 abgeleitet, dass die wirtschaftliche Tätigkeit - zumindest dort, wo sie einem konkreten Verwaltungszweck dient im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sein muss, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. In zahlreichen Gemeindeordnungen und Stadtstatuten finden sich denn auch Bestimmungen, die die im B-VG zur wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden bzw zum eigenen Wirkungsbereich enthaltenen Vorschriften „konkretisieren“. Diese beschränken den Betrieb kommunaler Unternehmen auf den Fall, dass dies zur Befriedigung eines Bedarfs der Bevölkerung der Gemeinde erforderlich ist und dass die Art und der Umfang der Unternehmung in einem angemessenen Ver-
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Neuhofer, Gemeinderecht2, 1998, 77. ZB die Bindung der Führung öffentlicher Unternehmen an kaufmännische Grundsätze. Korinek/Holoubek (FN 15), 45 (FN 226); Neuhofer (FN 17), 402; Weber, Art 116 BVG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Rz 14. VfSlg 9885/1983. Rill, Art 118 B-VG, in: Rill/Schäffer (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Rz 1. ZB Ringhofer, Die verfassungsrechtlichen Schranken der Selbstverwaltung in Österreich, 3. ÖJT 1967, Bd II/3, 59 f; Fröhler, Die Gemeinde im Spannungsfeld des Sozialstaates, 1970, 36 ff; Fröhler/Oberndorfer, Recht und Organisation der Kommunalwirtschaft, 1974, 56 ff; Pernthaler/Purtscheller, Die Gemeinde im Spannungsfeld von privatrechtlicher Vertragsbindung und öffentlichrechtlicher Aufgabenerfüllung, JBl 1979, 281 (284); Schwarzer, Die verfassungsgesetzliche Garantie der freien wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden und ihre Grenzen, Arbeitshefte der WU - Reihe Rechtswissenschaft Nr 11, 1980, 50 f, 64 ff; Morscher, Kommunale Unternehmungen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag - Rechts- und politikwissenschaftliche Analyse, in: Morscher/Smekal, Kommunale Unternehmungen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag, 1982, 9 (38); Binder, 3.11 Wirtschaftsunternehmungen der Gemeinden, in: Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), Österreichisches Gemeinderecht, Loseblatt 1983, 16f; Korinek, Das Zusammenspiel hoheitlicher und privatrechtlicher Gestaltungsakte in der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, in: Krejci/Ruppe (Hrsg), Rechtsfragen der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, 1992, 27 (33); Funk, Gestaltungsformen kommunaler Wirtschaftsverwaltung, in: Krejci/Ruppe (Hrsg), Rechtsfragen der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, 1992 1 (8); Korinek/Holoubek (FN 15), 38; Weber (FN 19) Rz 14; ders, Der Staat als Unternehmer - verfassungsrechtliche Aspekte, in: Schroeder/Weber (Hrsg), Daseinsvorsorge durch öffentliche Unternehmen und das Europäische Gemeinschaftsrecht, 2004, 1 (7 f).
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hältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf stehen22. Verschiedentlich finden sich in Landesverfassungen und Gemeindeordnungen darüber hinausgehend auch spezifische Subsidiaritätsklauseln für die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden. Wirtschaftliche Unternehmen dürfen von Gemeinden demnach nur dann errichtet, übernommen oder betrieben werden, wenn der Zweck der Unternehmung nicht in gleicher Weise durch andere, namentlich Private, erfüllt wird23. Solche spezifischen Subsidiaritätsklauseln werden - weil sie über die erwähnte Konkretisierung hinausgehen - überwiegend als bundesverfassungsrechtlich bedenklich eingestuft. Eine rein erwerbswirtschaftlich ausgerichtete Wirtschaftstätigkeit der Gemeinden wird jedoch überwiegend als nicht zulässig abgelehnt24.
2. Gemeinschaftskompetenzen Gemäß Art 5 Abs 1 EG-Vertrag wird die Gemeinschaft innerhalb der Grenzen der ihr im Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig. Da der EG-Vertrag hinsichtlich der Eigentumsordnung an Produktionsmitteln keine positive Kompetenzbestimmung für ein Tätigwerden der Gemeinschaftsorgane enthält, fällt die entsprechende Zuständigkeit schon nach dem im zitierten Artikel grundgelegten „Prinzip der begrenzten Einzelermächtigungen“ in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Ob und in welchem Ausmaß es also einen öffentlichen Wirtschaftssektor und demnach öffentliche Unternehmen in einem Mitgliedstaat gibt, ist ausschließlich eine wirtschaftspolitische Entscheidung des jeweiligen Staates. Ausdrücklich bestimmt dies Art 295 EG-Vertrag, der als negative Kompetenzbestimmung25 festhält, dass der Vertrag die Eigentumsordnungen der Mitgliedstaaten unberührt lässt26. Art 295 EG-Vertrag räumt der Gemeinschaft was die Errichtung bzw Beibehaltung eines öffentlichen Wirtschaftssektors betrifft - mithin zwar keine Kompetenz ein, zählt aber im Zusammenspiel mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigungen gerade deshalb zu den gemeinschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen öffentlicher Unternehmen. Die Kompetenzen der Gemeinschaft beginnen im Zusammenhang mit öffentlichen Unternehmen dort, wo durch die Gestaltung der Eigentumsordnung (Verstaatlichungen, Privatisierungen) sonstige Vertragsvorschriften - insbeson22 23
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Vgl für viele § 71 Abs 1 Vlbg Gemeindegesetz. Zahlreiche Nachweise bei Kahl, Der öffentliche Personennahverkehr auf dem Weg zum Wettbewerb - Zugleich ein Beitrag zur Liberalisierung kommunaler Daseinsvorsorgeleistungen, 2005, 157 (FN 696). Vgl dazu die in FN 21 zitierte Literatur. AA allerdings Ostheim, Gedanken zur Zulässigkeit erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit der öffentlichen Hand und zur Prüfungskompetenz des Rechungshofes bei wirtschaftlichen Unternehmungen, in: Korinek (Hrsg), Die Kontrolle wirtschaftlicher Unternehmungen durch den Rechnungshof, 1986, 59 (68); Potacs, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen von Public Private Partnerships, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg), Public Private Partnership, 2003, 27 (38). Kingreen, Kommentar zu Art 295 EG-Vertrag, in: Calliess/Ruffert (Hrsg), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag2, 2002, Rz 5. Der EG-Vertrag selbst geht in Art 86 von der Existenz öffentlicher Unternehmen aus.
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dere das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art 12 EG-Vertrag), die Grundfreiheiten oder das Wettbewerbsrecht inklusive Art 86 EG-Vertrag - berührt werden. So hat die Kommission beispielsweise, um die Offenlegung möglicher Beihilfen an (öffentliche) Unternehmen zu erreichen, die auf Art 86 Abs 3 EGVertrag gestützte TransparenzRL27 erlassen. Eine wettbewerbliche Besserstellung öffentlicher Unternehmen auf Grund ihrer Nahebeziehung zur öffentlichen Hand soll durch die Transparenz ihrer finanziellen Verflechtungen verhindert werden.
C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Art 295 EG-Vertrag Gemäß Art 295 lässt der EG-Vertrag - wie eben erwähnt - die Eigentumsordnungen iSd verfassungsmäßigen Gefüges der Eigentumsrechte unberührt. Es ist daher Sache der Mitgliedstaaten, die Eigentumsordnung als Mittel der nationalen Wirtschaftspolitik zu gestalten und in weiterer Folge öffentliche Unternehmen zu führen oder nicht. Zum Unterschied von den Gemeinschaftsorganen können die Mitgliedstaaten mithin Verstaatlichungen und Privatisierungen vornehmen. Die diesbezügliche Grenze stellen die den Binnenmarkt sichernden Vorgaben des EG-Vertrags dar. Somit bleiben nicht nur die Eigentumsordnungen der Mitgliedstaaten durch den Vertrag, sondern auch der Vertrag durch die Eigentumsordnungen der Mitgliedstaaten unberührt.
2. Art 86 EG-Vertrag a) Vorbemerkung Der EG-Vertrag statuiert eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb als Prinzip nicht nur für die gemeinschaftliche, sondern auch für die nationale Wirtschaftspolitik28. Die Tatsache, dass der Staat auf die wirtschaftliche Gestion „seiner“ öffentlichen Unternehmen auf vielfältige Art und Weise Einfluss nehmen kann, birgt die Gefahr der Wettbewerbsverfälschung in sich. Aus diesem Grund unterwirft Art 86 Abs 1 EG-Vertrag (auch) öffentliche Unternehmen ausdrücklich den Vertragsvorschriften29. Sein Abs 2 enthält für bestimmte Unternehmen die Möglichkeit einer begrenzten Ausnahme von eben diesen Regeln; es zeigt sich der historisch erklär- und belegbare30 Kompromisscharakter des Art 86 EG-Vertrag. 27
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RL 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen, Abl L 195/35, idF RL 2005/81/EG, Abl L 312/47. Vgl dazu ausführlich Wimmer/Arnold (FN 11), 42 ff; Pauger, Marktwirtschaft durch EU-Recht, 1996, 28. Den Grund für die Aufnahme des Art 86 in den EG-Vertrag sieht der EuGH „gerade in dem Einfluß, den die öffentliche Hand auf die kaufmännischen Entscheidungen der öffentlichen Unternehmen ausüben kann“ (EuGH verb Rs 188-190/88, Transparenzrichtlinie, Slg 1982, 2545 [Rz 26]). Der Grund für den Formelkompromiss des Art 86 EG-Vertrag ist darin gelegen, dass es unter den Gründungsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Länder gab, die von einer starken öffentlichen Wirtschaft geprägt waren (Frank-
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Die daraus resultierende Unklarheit seines rechtlichen Gehalts war Grund dafür, dass Art 86 EG-Vertrag anfangs keine praktische Wirkung entfalten konnte31. In jüngerer Zeit allerdings fand sein Schattendasein ein Ende und Anwendungsbereich und Tragweite wurden durch eine mittlerweile reichhaltige Judikatur des EuGH sowie das verstärkte Tätigwerden der Kommission weitgehend ausgeleuchtet. Heute stellt Art 86 EG-Vertrag eines der wichtigsten Instrumente der Gemeinschaft zur Liberalisierung geschützter Wirtschaftsbereiche dar. b) Die Integration öffentlicher Unternehmen in die Wettbewerbsordnung des EG-Vertrags durch Art 86 Abs 1 EG-Vertrag Gemäß Art 86 Abs 1 EG-Vertrag sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, „in bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem Vertrag und insbesondere dessen Artikeln 12 und 81 bis 89 widersprechende[n] Maßnahmen [zu] treffen oder bei[zu]behalten“. Erfasst sind von Art 86 Abs 1 EG-Vertrag mithin öffentliche und so genannte privilegierte Unternehmen32. Zwar wird auf den Begriff des öffentlichen Unternehmens nachfolgend in einem eigenen Punkt ausführlicher eingegangen, es ist jedoch für das Verständnis des Art 86 EG-Vertrag bereits an dieser Stelle erforderlich, jene Formel des EuGH wiederzugeben, mit der der Gerichtshof Unternehmen - einer funktionalen Sicht folgend - umschreibt. Danach ist ein Unternehmen „... jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“33. Das maßgebliche Kriterium, das ein Unternehmen zu einem öffentlichen Unternehmen macht, ist die Möglichkeit der Einflussnahme der öffentlichen Hand. Die Art der (möglichen) Einflussnahme ist nicht ausschlaggebend. Das Element der Abhängigkeit vom Staat ist auch für die zweite Gruppe von Unternehmen konstitutiv, die Art 86 Abs 1 EG-Vertrag unterfällt; also für Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren (privilegierte Unternehmen). Während durch die Einräumung besonderer Rechte die betroffenen Unternehmen im Vergleich zu ihren nicht privilegierten Wettbewerbern eine begünstigte Stellung auf dem Markt erlangen, ist bei einem ausschließlichen Recht die Erbringung einer Dienstleistung bzw die Ausübung einer Tätigkeit einem Unternehmen34 zur Gänze vorbehal-
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reich, Italien), und solche, bei denen dies nicht der Fall war (Belgien, Niederlande, Luxemburg). Marhold, Europäisches Wettbewerbsrecht für öffentliche Unternehmen, FS Frotz, 1993, 645 (648); Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole im EG-Vertrag, 1996, 54. König/Kühling, Kommentar zu Art 86 EG-Vertrag, in: Streinz (Hrsg), EUV/EGV, 2003, Rz 6ff. Für viele EuGH Rs C-41/90, Höfner, Slg 1991, I-1979 (Rz 21). Vgl aber EuGH Rs C-209/98, FFAD, Slg 2000, I-3743 (Rz 54), wo der EuGH die bevorzugte Bewirtschaftung bestimmter Abfälle durch drei Unternehmen als ausschließliches Recht qualifiziert hat.
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ten35. Mitunter sind ausschließliche bzw besondere Rechte auch konkret in sekundärrechtlichen Bestimmungen definiert36. Das Geschilderte bedeutet zunächst, dass der Bestand von öffentlichen bzw privilegierten Unternehmen per se nicht gegen den EG-Vertrag verstößt. Zudem ergibt sich aus Abs 1 des Art 86 EG-Vertrag, dass private und öffentliche Unternehmen zur Sicherung der wettbewerblichen Chancengleichheit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unterliegen37. Auch führt die Bestimmung im Ergebnis dazu, dass öffentliche Unternehmen sowohl die unternehmensbezogenen Vorschriften des EG-Vertrags38 als auch jene Regeln beachten müssen, die die Mitgliedstaaten betreffen39 und somit von Unternehmen nicht unmittelbar verletzt werden können. Nicht nur ein vertragswidriges Verhalten des beeinflussten Unternehmens, sondern auch Vertragsverstöße durch den handelnden Mitgliedstaat selbst sind verboten. Eine mittelbare Vertragsverletzung durch die Mitgliedstaaten auf Grund ihres beherrschenden Einflusses auf öffentliche und privilegierte Unternehmen ist unzulässig40. Art 86 Abs 1 unterstellt öffentliche Unternehmen und Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten mithin umfassend der Wettbewerbsordnung des Vertrags. Der EuGH geht davon aus, dass ein Mitgliedstaat, wenn er einem Unternehmen besondere oder ausschließliche Rechte überträgt, für das Unternehmen in der Regel eine marktbeherrschende Stellung schafft41. Dies ist an und für sich noch nicht verboten. Allerdings gilt für diese Unternehmen das Missbrauchsverbot des Art 82 iVm Art 86 EG-Vertrag. Dabei verstößt ein Staat nicht erst dann gegen die Verpflichtungen aus Art 86 Abs 1 EG-Vertrag, wenn er dem Unternehmen eine Position verschafft, in der dieses zwangsläufig - also durch die bloße Ausübung der ihm übertragenen ausschließlichen Rechte42 zum gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht in Widerspruch gerät43. Vielmehr 35 36
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ZB im Falle eines staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols. So zB in Art 2 lit f des Vorschlags für eine VO des Europäischen Parlaments und des Rats über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, KOM(2005) 319 endg., sowie in Art 2 Abs 1 lit f und g der TransparenzRL. Dazu EuGH Rs 188-190, Transparenzrichtlinie, Slg 1982, 2545 (Rz 12). ZB das Kartellrecht. Insb das allgemeine und die besonderen Diskriminierungsverbot(e) sowie das Beihilfenrecht. König/Kühling (FN 32), Rz 26 ff. Der EuGH sieht bei entsprechend intensiven Waren- bzw Dienstleistungsströmen schon ein relativ kleines, wirtschaftlich dann aber bedeutendes Gebiet als „wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes“ an. Vgl EuGH Rs C-179/90, Porto di Genova, Slg 1991, I-5889 (Rz 15). Zwangsläufig verstoßen zB mit ausschließlichen Rechten ausgestattete staatliche Arbeitsvermittlungsstellen dann gegen Art 86 EG-Vertrag, wenn sie offenkundig nicht in der Lage sind, für alle Arten von Tätigkeiten die auf dem Arbeitsmarkt bestehende Nachfrage zu befriedigen. EuGH Rs C-41/90, Höfner, Slg 1991, I-1979 (Rz 34). Kahl, Neue Bedeutung der „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ durch den Vertrag von Amsterdam, wbl 1999, 189 (192). EuGH Rs C-323/93, Centre d’insémination de la Crespelle, Slg 1994, I-5077 (Rz 18); Rs C-387/93, Banchero, Slg 1995, I-4663 (Rz 51); Rs C-55/96, Job Centre coop arl, Slg 1997, I-7119 (Rz 31); Rs C-163/96, Silvano Raso, Slg 1998, I-533 (Rz 27, 29f).
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ist schon die Schaffung missbrauchsgeneigter Strukturen, dh die Herbeiführung der Möglichkeit des Verstoßes gegen die Art 81ff EG-Vertrag, mit der sich aus Art 86 Abs 1 EG-Vertrag für die Mitgliedstaaten ergebenden Pflicht unvereinbar44. In solchen Fällen spielt es keine Rolle, dass ein betroffenes Unternehmen allenfalls tatsächlich keinen Missbrauch seiner beherrschenden Stellung begangen hat45. Führen ausschließliche und besondere Rechte zu Beschränkungen von Grundfreiheiten, besteht die Möglichkeit, sie aus Gründen des Allgemeininteresses zu rechtfertigen46. Dienstleistungsmonopole können - wie nachstehend dargestellt wird - gemäß Art 86 Abs 2 EG-Vertrag aus im öffentlichen Interesse gelegenen Gründen nicht-wirtschaftlicher Art mit dem EG-Vertrag vereinbar sein. Der als Verweisungsnorm zu qualifizierende Art 86 Abs 1 EG-Vertrag ist immer dann unmittelbar anwendbar, wenn der Norm, auf die er im konkreten Fall verweist, unmittelbare Anwendbarkeit zukommt. Ist dies der Fall, so unterliegen vertragswidrige staatliche Maßnahmen der direkten Kontrolle nationaler Gerichte47. c) Abs 2 als Regelungsschwerpunkt des Art 86 EG-Vertrag Art 86 Abs 2 EG-Vertrag hat einen anderen Anwendungsbereich als sein Abs 1. Er erfasst nicht Unternehmen, die in einem Abhängigkeits- bzw Naheverhältnis zur öffentlichen Hand stehen, sondern sämtliche Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse („gemeinwirtschaftliche Dienstleistungen“) betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols48 haben49. Faktisch wird es sich in der Mehrzahl der Fälle freilich um öffentliche Dienstleistungsunternehmen handeln. Für die erwähnten Unternehmen ermöglicht Art 86 Abs 2 EG-Vertrag die Ausnahme von der gemeinschaftlichen Wettbewerbsordnung, soweit deren Anwendung die Erfüllung der einem Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindern würde. Die Entwicklung des Handelsverkehrs darf dabei nicht in einem dem Interesse der Gemeinschaft widersprechenden Ausmaß beeinträchtigt werden. Art 86 Abs 2 EG-Vertrag 44
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Vgl EuGH Rs C-260/89, ERT, Slg 1991, I-2925 (Rz 37, 38); Rs C-179/90, Porto di Genova, Slg 1991, I-5889 (Rz 17); Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533 (Rz 18ff); Rs C-18/93, Corsica Ferries, Slg 1994, I-1783 (Rz 42f); Rs C-387/93, Banchero, Slg 1995, I-4663 (Rz 51); Rs C-163/96, Silvano Raso, Slg 1998, I-533 (Rz 27, 29f). Vgl dazu auch Ehricke, Der Art 90 EWGV - eine Neubetrachtung, EuZW 1993, 211 (213) mwN. Vgl dazu EuGH Rs C-163/96, Silvano Raso, Slg 1998, I-533 (Rz 31). Potacs, Öffentliche Unternehmen, in: Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, Rz 933. Vgl EuGH Rs 155/73, Sacchi, Slg 1974, 409 (Rz 18); Rs C-179/90, Porto di Genova, Slg 1991, I-5889 (Rz 23f); Rs C-242/95, GT-Link, Slg 1997, I-4449 (Rz 57). Unter Finanzmonopolen werden mit einem ausschließlichen Recht ausgestattete Unternehmen verstanden, die mit dem Ziel gegründet wurden, im Wirkungsbereich dieses Rechts besondere Einnahmen für die öffentliche Hand zu lukrieren. Diese Unternehmen sieht der EuGH als Instrumente der nationalen Wirtschaftsoder Fiskalpolitik. EuGH Rs C-202/88, Telekommunikationsendgeräte, Slg 1991, I-1223 (Rz 12); Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5834 (Rz 55).
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stellt somit den Schnittpunkt von Wettbewerbswirtschaft und gemeinwohlorientierter Wirtschaft50 dar. Unter Dienstleistungen iSd Art 86 Abs 2 EG-Vertrag werden Versorgungsleistungen im weiteren Sinne verstanden, dh wirtschaftliche Aktivitäten zur Sicherung der Infrastruktur und Daseinsvorsorge. Als solche Dienstleistungen wurden anerkannt: im öffentlichen Interesse liegende Verkehrsdienstleistungen auf defizitären Strecken51, die ununterbrochene und flächendeckende Versorgung mit elektrischer Energie52, bestimmte Postdienste53, das Betreiben eines öffentlichen Fernmeldenetzes54, die öffentliche Arbeitsvermittlung55, die Wasserversorgung56, bestimmte Fernsehdienste57, die Bewirtschaftung bestimmter Abfälle58. Dienstleistungen von allgemeinem59 wirtschaftlichen60 50
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Zum häufig in diesem Zusammenhang verwendeten Begriff des „service public“ Wimmer, „Service Public“ in Österreich - Öffentliche Aufgabenbesorgung im Spannungsfeld zwischen staatlicher Verantwortung und Marktmechanismus, in: Fremuth (Hrsg), Wirtschaft und öffentliches Interesse, 1998, 31 (38); Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, 111ff. EuGH Rs 66/86, Ahmed Saeed, Slg 1989, 803 (Rz 35); EuGH Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747 (Rz 47ff). EuGH Rs C-393/92, Almelo, Slg 1994, I-1477 (Rz 47 ff); Rs C-157/94, Kommission/Niederlande, Slg 1997, I-5699 (Rz 41f); Rs C-158/94, Kommission/Italien, Slg 1997, I-5789 (Rz 39ff); Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5815 (Rz 57f). S auch GA Cosmas zu den zitierten Urteilen, Slg 1997, I-5701 (Rz 91 ff, 100 ff, 105 ff). EuGH Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533 (Rz 15). Vgl auch EuGH Rs C-147 und 148/97, Deutsche Post AG, Slg 2000, I-825 (Rz 44). Europäische Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, Abl 1996 C 281/3, Rz 37ff. EuGH Rs C-18/88, GB-INNO-BM, Slg 1991, I-5941 (Rz 16). EuGH Rs C-41/90, Höfner, Slg 1991, I-1979 (Rz 24); Rs C-55/96, Job Centre coop arl, Slg 1997, I-7119 (Rz 26). Europäische Kommission, E v 17. 12. 1981, Abl 1982 L 167/39, Rz 65 (NavewaAnseau). EuGH Rs 155/73, Sacchi, Slg 1974, 409 (Rz 15). EuGH Rs C-209/98, FFAD, Slg 2000, I-3743 (Rz 75ff). Es genügt, wenn die Erbringung einer Dienstleistung im Interesse einer Bevölkerungsgruppe (zB einer Gemeinde) gelegen ist. Dem Wortlaut nach fordert Art 86 Abs 2 EG-Vertrag eine wirtschaftliche Betätigung sowie die Verfolgung eines wirtschaftlichen Interesses. Allerdings ist die Besorgung einer wirtschaftlichen Tätigkeit bereits für die Bejahung der Unternehmenseigenschaft erforderlich. Daher nimmt der EuGH die Differenzierung zwischen wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Tätigkeit bereits auf der Ebene des Unternehmensbegriffs vor. Die Frage nach der wirtschaftlichen bzw nicht-wirtschaftlichen Natur des allgemeinen Interesses im Sinne des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag tritt damit in den Hintergrund. Dies erscheint deswegen zutreffend, weil es sonst zu einem Wertungswiderspruch dergestalt kommen könnte, dass nicht-wirtschaftliche Interessen zwar die Ausnahme von den Grundfreiheiten rechtfertigen können, nicht jedoch nach Art 86 Abs 2 EG-Vertrag von den Wettbewerbsregeln. Eine wirtschaftliche Tätigkeit bzw ein Unternehmen, die bzw das ein öffentliches Interesse nicht-wirtschaftlicher Art (zB kultureller, sozialer oder karitativer Natur) verfolgt, würde stellte man nach Art 86 Abs 2 EG-Vertrag tatsächlich auf das Vorliegen eines wirtschaftlichen Interesses ab - unter das Wettbewerbsrecht fallen. Daher sieht Öhlinger in der Bezeichnung „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ zu Recht eine „Unzulänglichkeit der deutschen Fassung“ (Öhlinger, Verfassungsrechtliche Determinanten des Staates als Leistungsträger, in: Fremuth [Hrsg], Wirt-
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Interesse lassen sich nicht nur aus inhaltlicher Sicht determinieren61. Vielmehr ist für sie typisch, dass sie auf eine ihnen eigene Art und Weise, also unter charakteristischen Modalitäten, erbracht werden62. Zu den Grundsätzen der Dienstleistungserbringung zählen insbesondere die metabetriebswirtschaftlichen Kriterien der Sicherheit, Kontinuität und Flächendeckung der Versorgung, der Transparenz, einer einheitlichen und sozialen Tarifgestaltung sowie des Ausgleichs regionaler Unterschiede. Diese Modalitäten der Leistungserbringung führen häufig zu deren mangelnder Rentabilität. Um in den Genuss der Ausnahme nach Art 86 Abs 2 EG-Vertrag kommen zu können, ist es erforderlich, dass das Unternehmen mit der Dienstleistung betraut wurde. Welche Anforderungen an eine solche Betrauung genau zu stellen sind, ist - angesichts der unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen - nicht gänzlich geklärt. Der EuGH misst die Betrauung an einem strengen Maßstab, weil es sich bei Art 86 Abs 2 EG-Vertrag um eine Ausnahmebestimmung handelt, die eng auszulegen sei. Sicher ist, dass eine Betrauung privater Unternehmen in der Form eines „Hoheitsaktes der öffentlichen Gewalt“63 vorgenommen werden kann. Fraglich ist hingegen, ob eine Betrauung im Sinne des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag auch in anderer als in hoheitlicher Form erfolgen kann. Diese Frage ist zu bejahen64. Insbesondere die „Schwierigkeiten einer gemeinschaftseinheitlichen Bestimmung des ‚Hoheitlichen‘ “ dienen als Ausgangspunkt für eine materielle Beurteilung des Betrauungskriteriums65.
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schaft und öffentliches Interesse, 1998, 9 [22, 29 FN 57]) und schlägt die Wendung „wirtschaftliche Dienstleistung von allgemeinem (= öffentlichem) Interesse“ vor. Nach diesem Verständnis sind Leistungen der Daseinsvorsorge mit Marktbezug erfasst. Eine umfassende inhaltliche Festlegung der „öffentlichen Dienstleistungen“ findet sich im Gemeinschaftsrecht nicht. Diesbezüglich sei aber auf die Bemühungen des Centre Européen de l’Enterprise Publique (CEEP) verwiesen. Die von diesem erstellte „Europäische Charta der öffentlichen Dienstleistungen“ ist abgedruckt in Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg), Europa, Wettbewerb und öffentliche Dienstleistungen, 1996, 78. Vgl auch Tettinger, Vorüberlegungen zu einer „Charte européenne de service public“, RdE 1995, 175. Der EuGH hat dies deutlich im Corbeau-Urteil (Rs C-320/91, Slg 1993, I-2533 [Rz 15]) zum Ausdruck gebracht und in Bezug auf die Postdienste die Pflicht zur „Sammlung, ... Beförderung und ... Verteilung von Postsendungen zugunsten sämtlicher Nutzer, im gesamten Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, zu einheitlichen Gebühren und in gleichmäßiger Qualität sowie ohne Rücksicht auf Sonderfälle und auf die Wirtschaftlichkeit jedes einzelnen Vorgangs“ als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse qualifiziert. Vgl hinsichtlich der Versorgung mit elektrischer Energie EuGH Rs C-393/92, Almelo, Slg 1994, I-1477 (Rz 48). EuGH Rs 127/73, BRT, Slg 1974, 318 (Rz 19/22). Mestmäcker, RabelsZ 1988, 561 f; Zorn, Die Sicherstellung gemeinwirtschaftlicher Leistungen im wettbewerbsorientierten Umfeld der Europäischen Union, 2000, 79, jeweils mit Judikaturnachweisen. Vgl auch das NON-Paper der Kommission „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und staatliche Beihilfen“ v 12.11.2002, Tz 62ff. Pielow (FN 50), 85. Auch Wilmowsky, Mit besonderen Aufgaben betraute Unternehmen unter dem EWG-Vertrag, ZHR 155 (1991) 545 (551); Rapp-Jung, Zur Tragweite von Art. 90 Abs. 2 EGV für die Energiewirtschaft, RdE 1994, 165 (168); Fesenmair, Öffentliche Dienstleistungsmonopole im europäischen Recht, 1996, 206, 296 ff; Burgi, Die öffentlichen Unternehmen im Gefüge des primären Gemeinschaftsrechts,
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Demnach können auch privatrechtliche Vereinbarungen Betrauungen darstellen. Aus materieller Sicht werden für eine Betrauung eine das Unternehmen treffende rechtliche Erfüllungsverpflichtung und - um das Erfordernis eines Vertragsverstoßes für die Erfüllung der übertragenen Aufgabe prüfen zu können - eine eindeutige Festlegung des Leistungsumfangs gefordert. Als entscheidend wird auch angesehen, dass die Übertragung der Sonderpflichten von den Mitgliedstaaten aktiv ausgeht, also vom Staat veranlasst wird, und nicht auf unternehmerischer Eigeninitiative beruht, da Art 86 Abs 2 EG-Vertrag nicht private, sondern mitgliedstaatliche wirtschaftliche Interessen schützt. Damit eine Suspendierung der Vertragsvorschriften in Betracht kommt, muss die Erfüllung der den gemeinwohlorientierten Unternehmen bzw Finanzmonopolen übertragenen besonderen Aufgabe bei Anwendung dieser Vorschriften rechtlich oder tatsächlich unmöglich sein. Die Bestimmungen des EG-Vertrags sind für das betroffene Unternehmen dann nicht einschlägig, wenn ihre Anwendung die Erfüllung der besonderen Pflichten, die den Unternehmen obliegen, tatsächlich oder rechtlich gefährden würde. Geschützt wird also nicht das Monopol, sondern alleine die Erfüllung der übertragenen Aufgabe. Nicht erforderlich ist, dass das Überleben des Unternehmens bedroht wäre66. Der EuGH hält eine Ausnahme von den Vertragsbestimmungen dann für denkbar, wenn diese notwendig ist, um dem betrauten Unternehmen die Erfüllung der besonderen Aufgabe zu wirtschaftlich tragbaren (ausgewogenen) Bedingungen zu ermöglichen67. Letztendlich ausschlaggebender Prüfungsmaßstab für das Aussetzen der Anwendung der Vertragsvorschriften ist das Interesse der Gemeinschaft an einem freien Handelsverkehr. Seine Entwicklung darf nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft68. Da eine nicht diskriminierende Vergabe ausschließlicher Rechte die Entwicklung
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EuR 1997, 261 (276); Ehricke, Zur Konzeption von Art. 37 I und Art. 90 II EGV, EuZW 1998, 741 (744 f); Rinne, Die Energiewirtschaft zwischen Wettbewerb und öffentlicher Aufgabe, 1998, 62 f; Frenz, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse - Neuerungen durch Art. 16 EG, EuR 2000, 901 (907); Rumpff, Das Ende der öffentlichen Dienstleistungen in der Europäischen Union?, 2000, 215; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, 321 f; Nettesheim, Europäische Beihilfeaufsicht und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, EWS 2002, 253 (257); von Danwitz, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in der europäischen Wettbewerbsordnung Eine Perspektive für das öffentliche Kreditwesen? NWVBl 2002, 132 (137). EuGH Rs 159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5815 (Rz 95). EuGH Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533 (Rz 21); Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5815 (Rz 96); verb Rs C-147 bis 148/97, Deutsche Post, Slg 2000, I-825 (Rz 52). Der Akzent des letzten Satzes des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag liegt auf der Zunahme des innergemeinschaftlichen Handels als dynamischem Element. Eine unwesentliche hemmende Auswirkung der fraglichen Maßnahmen auf die Entwicklung des Handelsverkehrs kann die Anwendbarkeit des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag nicht verhindern. Vgl dazu GA Rozès zu EuGH Rs 78/82, Kommission/Italien, Slg 1983, 1955 (1971, Abschnitt VI, C). Vgl auch GA Cosmas, der im Fall EuGH Rs 157/94, Kommission/Niederlande, Slg 1997, I-5701 (Rz 127) betont, dass durch das Bestehen entsprechender ausschließlicher Einfuhrrechte zunehmende Stromimporte nicht verhindert wurden.
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des Handelsverkehrs am wenigsten beeinträchtigt, fordert die Kommission zum Unterschied vom EuGH, der sich dieser Meinung (noch) nicht angeschlossen hat - grundsätzlich deren wettbewerbliche bzw nicht diskriminierende Vergabe69. Der EuGH hat klargestellt, dass Art 86 Abs 2 EG-Vertrag prinzipiell auch Verstöße gegen Art 31 EG-Vertrag (Verbot diskriminierender Handelsmonopole) rechtfertigen kann70. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Anwendung des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag auf den drei Grundsätzen Neutralität, Gestaltungsfreiheit und Verhältnismäßigkeit basiert. Das bedeutet, dass es zum Ersten nicht auf die jeweilige Unternehmensform (öffentlichrechtlich oder privatrechtlich) ankommt. Zum Zweiten fällt es in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu definieren und diese gegebenenfalls auch zu finanzieren. Allerdings dürfen mit der Erbringung einer solchen Dienstleistung zum Dritten keine unnötigen Handelshemmnisse verbunden sein. Der Wettbewerb und die Binnenmarktfreiheiten dürfen nur soweit eingeschränkt werden, als dies für die Erfüllung der übertragenen Aufgaben tatsächlich erforderlich ist71.
3. Die Akzentuierung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse durch Art 16 EG-Vertrag Da öffentliche Unternehmen häufig Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen, ist in Bezug auf den für sie maßgeblichen Rechtsrahmen - zumindest kursorisch - auch auf Art 16 EG-Vertrag einzugehen. Diese durch den Vertrag von Amsterdam in den EG-Vertrag eingefügte Bestimmung betont erstmals den Stellenwert solcher Dienstleistungen innerhalb der Gemeinschaft und anerkennt ihre Bedeutung bei der Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts72. Sie statuiert das an die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche gerichtete Gebot, dafür Sorge zu tragen, „daß die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, daß sie ihren Aufgaben nachkommen können“. Nicht zuletzt deshalb, weil die Art 73, 86 und 87 des Vertrags ausdrücklich nicht berührt werden73, hat Art 16 EGVertrag nichts am grundsätzlichen Verhältnis zwischen Wettbewerbs- und Gemeinwirtschaftsprinzip im Sinne eines Regel-Ausnahme Verhältnisses geändert. Eine Ausnahme von den Vertragsbestimmungen, insbesondere vom Wettbewerbsrecht, zu Gunsten der genannten Dienstleistungen ist auch nach 69
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Vgl dazu die verschiedenen Vorschläge der Kommission für eine Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, zuletzt KOM(2005) 319 endg. EuGH Rs 159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I 5819 (Rz 43ff). Vgl Mitteilung der Kommission - Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM(2000) 580 endg., Rz 20 ff. Art 16 EG-Vertrag hat nicht eine eigenständige Gemeinschaftspolitik zum Gegenstand, sondern einen Teil des Politikbereichs „wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt“ (Art 3 Abs 1 lit k EG-Vertrag). Vgl dazu die 13. von der Konferenz angenommene Erklärung, Abl 1997 C 340/133, wonach Art 16 EG-Vertrag nur auf der Grundlage der Beachtung der geltenden Rechtslage, insbesondere der Rsp des EuGH, umgesetzt wird.
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dem Inkrafttreten des Art 16 EG-Vertrag nur insoweit möglich, als sie für die Aufgabenerfüllung unter zumutbaren wirtschaftlichen Bedingungen unverzichtbar ist (Primat des Wettbewerbs). Dennoch erfahren die Dienste der Daseinsvorsorge durch die Einführung des Art 16 als einen Grundsatz des Vertrags am Ende des Ersten Teils des EGVertrags eine Aufwertung74. Diese Akzentuierung entspricht dem politischen Bedürfnis, nach der in den vorangegangenen Jahren erfolgten Liberalisierung auf dem Gebiet der gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen die grundlegende Bedeutung solcher Dienste „positiv zu würdigen“75, und soll beim Erreichen eines Gleichgewichts zwischen dem dominierenden Wettbewerbsprinzip und dem gemeinwirtschaftlichen Prinzip helfen.
4. Die Transparenzrichtlinie Da die TransparenzRL heute für den Großteil der öffentlichen und daseinsvorsorgenden Unternehmen über die Grenzen der verschiedenen Wirtschaftssektoren hinaus gilt76, konstituiert auch sie einen wesentlichen Teil des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens für öffentliche Unternehmen. Ziel der Richtlinie ist seit jeher die Sicherstellung der Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen der öffentlichen Hand und ihren Unternehmen, um eine wirkungsvolle Anwendung der Beihilfevorschriften zu gewährleisten. Demnach müssen sowohl die mittelbare als auch die unmittelbare Bereitstellung öffentlicher Mittel sowie deren Verwendung offengelegt werden. Nach einer Überarbeitung der Richtlinie77 verfolgt die Kommission seit dem Jahr 2000 das zusätzliche Ziel, finanzielle Beziehungen innerhalb der teilweise im gemeinwirtschaftlichen Bereich, teilweise im Wettbewerbsbereich 74
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Vgl dazu Welti, Die kommunale Daseinsvorsorge und der Vertrag über eine Verfassung für Europa, AÖR 2005, 529 (543f, 548), der eine vermeintlich „vorsichtige Tendenz [des EuGH] zur restriktiveren Auslegung von Tatbeständen, mit denen die Reichweite der Markt- und Wettbewerbsregeln bestimmt wird“, ua auch auf Art 16 EG-Vertrag zurückführt. Vgl dazu den De Vigo- und Tsatsos-Bericht über den Vertrag von Amsterdam vom 5. 11. 1997, abgedruckt in EuGRZ 1998, 72 (Z 109). Ursprünglich waren vom Anwendungsbereich der RL Unternehmen, die in den Sektoren Wasser, Energie, Post- und Fernmeldewesen und Verkehr tätig waren, sowie öffentliche Krankenanstalten ausgenommen. Durch die Wettbewerbsentwicklung in der Gemeinschaft zu Beginn der 1980’er Jahre sah sich die Kommission veranlasst, den Anwendungsbereich der RL auszudehnen (RL 85/413/EWG zur Änderung der RL 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen, Abl L 229/20). In ihrer Stammfassung fand die TransparenzRL zudem nur auf öffentliche Unternehmen Anwendung. In ihrer geltenden Fassung erfasst sie auch bestimmte private Unternehmen. Dies erklärt sich dadurch, dass auch solche Unternehmen in gemeinwirtschaftlichen und zugleich auch in wettbewerblichen Wirtschaftsbereichen tätig sind. RL 2000/52/EG zur Änderung der RL 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen, Abl L 193/75. Auch aus dem mit dieser Novellierung geänderten Namen der TransparenzRL - RL über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen - geht ihr auf bestimmte private Unternehmen erweiterter Anwendungsbereich hervor. Derzeit steht die RL idF RL 2005/81/EG, Abl L 312/47, in Geltung.
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tätigen Unternehmen zu durchleuchten. Die Kommission hat durch die Novellierung der Richtlinie mithin eine Ausweitung der Transparenzpflichten und damit ihrer Befugnisse herbeigeführt78. Neben der finanziellen Transparenz müssen „Unternehmen, die verpflichtet sind, getrennte Bücher zu führen“, Transaktionen zwischen ihren Geschäftsbereichen sichtbar machen und demgemäß auch ihre Finanz- und Organisationsstruktur offen legen. Zum betroffenen Kreis zählen Inhaber besonderer oder ausschließlicher Rechte nach Art 86 Abs 1 EG-Vertrag, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nach Art 86 Abs 2 EG-Vertrag betraut sind, eine Vergütung in Bezug auf diese Tätigkeit erhalten und die zugleich auch andere Tätigkeiten ausüben. Die Buchführung solcher Unternehmen muss eine nach Geschäftsbereichen getrennte Aufstellung der Kosten und Erlöse sowie die Methode, nach der diese zugeordnet werden, enthalten79. Im Ergebnis stellt sich die TransparenzRL in ihrer geltenden Fassung auch als Instrument zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen (Quersubventionierungen) durch Unternehmen dar, die teils in gemeinwirtschaftlichen Sonderrechtsbereichen, teils im wettbewerblichen Umfeld agieren. Für die Kommission ist die Kenntnis der entsprechenden Finanzströme für die weitere Durchsetzung der Marktfreiheiten und des Wettbewerbsrechts hinsichtlich der unter Art 86 Abs 2 EG-Vertrag fallenden Bereiche jedenfalls von großem Nutzen. Wegen mangelnder Umsetzung der Richtlinie hat die Kommission im Sommer 2006 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet.
II. Der Begriff des öffentlichen Unternehmens A. Nationales Recht Das österreichische Recht kennt einen gesetzlich definierten einheitlichen Unternehmensbegriff nicht. Vielmehr ist nach dem jeweiligen Normzweck von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet zu unterscheiden. Im Sinne des B-VG ist ein Unternehmen nach ständiger Rechtsprechung des VfGH eine in einer bestimmten Organisationsform in Erscheinung tretende wirtschaftliche Tätigkeit, die sich auf Vermögenswerte stützt und mit Einnahmen und Ausgaben verbunden ist. Nicht maßgeblich ist die Organisationsform, ob eine Einheit Rechtspersönlichkeit besitzt und ob für die verfolgte Tätigkeit besondere Berechtigungen erforderlich sind. Ausschlaggebend ist auch nicht, ob das Handeln auf Gewinn gerichtet ist80. In der österreichischen Lehre wurden bei der Definition des Begriffs des öffentlichen Unternehmens verschiedene Wege beschritten. 78 79
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Bartosch, Neue Transparenzpflichten - eine kritische Analyse des Kommissionsentwurfs einer neuen Transparenzrichtlinie, EuZW 2000, 333. Die neuen Regelungen über die getrennte Buchführung gelten allerdings nicht, soweit entsprechende Spezialvorschriften wie zB im Bereich der Post oder der Energiewirtschaft bestehen. Britz, Staatliche Förderung gemeinwirtschaftlicher Dienstleistungen in liberalisierten Märkten und Europäisches Wettbewerbsrecht, DVBl 2000, 1641 (1649). Für viele VfSlg 3296/1957.
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Insbesondere Wenger hat als wesentliches Merkmal eines öffentlichen Unternehmens den Einsatz des Unternehmens als Gestaltungsmittel der Verwaltung in den Vordergrund gestellt. Öffentliche Unternehmen dienen demnach der Erfüllung eines öffentlichen Zwecks iSd Daseinsvorsorge oder der Wirtschaftslenkung81. Eine andere - heute vorherrschende - Auffassung stellt auf die Trägerschaft am Unternehmen ab und versteht unter öffentlichen Unternehmen all jene, die durch eine qualifizierte Beteiligung der öffentlichen Hand bzw durch ein entsprechendes Naheverhältnis zwischen Unternehmen und „Staat“ charakterisiert werden82. Nach diesem weiteren Verständnis wird auch die rein erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand vom Begriff des öffentlichen Unternehmens umfasst.
B. Gemeinschaftsrecht Seit dem Beitritt zum EWR bzw in der Folge zur EU wird der nationale Begriff des (öffentlichen) Unternehmens vom gemeinschaftsrechtlichen Unternehmensbegriff überlagert. Dieser ist autonom europarechtlich zu bestimmen, wobei mit Blick auf die Ziele vor allem des europäischen Wettbewerbsrechts von einem weiten, funktionalen Unternehmensbegriff auszugehen ist. Der EuGH stellt daher auf die Art der ausgeübten Tätigkeit ab und versteht unter einem Unternehmen „... jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit83, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“. Als wirtschaftlich gilt eine Tätigkeit, wenn es sich um nicht-hoheitliche Maßnahmen handelt, die marktgängig sind, die also einen Güter- oder Dienstleistungsaustausch auf einem Markt zum Gegenstand haben (marktbezogene Tätigkeit)84. EuG und Kommission folgen dieser Definition. Nicht konstitutiv für den Unternehmensbegriff sind Rechtspersönlichkeit sowie das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht85. Jedoch bedarf es eines Minimums an organisatorischer Selbstständigkeit der wirtschaftlich tätigen Einheit. Ob die entsprechende Stelle in die staatliche Verwaltung eingegliedert ist, ist unbedeutend, wie der Fall der italienischen Tabakmonopolverwaltung gezeigt hat86. Auch Anstalten des öffentlichen Rechts können Unternehmen sein. So qualifizierte der EuGH eine in dieser Weise organisierte Arbeitsvermittlung als Unternehmen iSd EG-Vertrags: Dass die Vermittlungstätigkeit 81 82
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Wenger (FN 3), 154, 569. Schauer, Öffentliche Unternehmen in Österreich, in: Chmielewicz/Eichhorn (Hrsg), Handwörterbuch der öffentlichen Betriebswirtschaft, 1989, 1127. Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1987, 204. Vgl auch die Definition des Statistischen Zentralamtes, das unter öffentlichen Unternehmen jene Betriebe versteht, die im überwiegenden Eigentum bzw in der Verfügungsgewalt von Gebietskörperschaften stehen. Obermann/Soukup (FN 10), 13 (FN 3). Mangels Einheit stellen „anerkannte Hafenarbeiter“ eines Hafengebietes kein Unternehmen dar und zwar auch dann nicht, wenn man sie gemeinsam betrachtet. EuGH Rs C-22/98, Becu, Slg 1999, I-5665 (Rz 26ff). EuGH Rs C-475/99, Ambulanz Glöckner, Slg 2001, I-8089, Rz 19. EuGH Rs 209 bis 215 und 218/78, Van Landewyck/Kommission, Slg 1980, 3125 (Rz 88); Rs C-244/94, FFSA ua, Slg 1995, I-4013 (Rz 21). EuGH Rs 118/85, Kommission/Italien, Slg 1987, 2599 (Rz 8ff).
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normalerweise öffentlich-rechtlichen Anstalten übertragen sei, spreche nicht gegen die wirtschaftliche Natur der Tätigkeit. Die Arbeitsvermittlung sei nicht immer von öffentlichen Einrichtungen betrieben worden und müsse nicht notwendig von solchen Einrichtungen betrieben werden, was insbesondere für die Tätigkeit der Vermittlung von Führungskräften der Wirtschaft gelte87. Auch ein von einer Standesvertretung eines freien Berufs eingerichteter Rentenfonds, der die Höhe der Beiträge und Leistungen selbst bestimmt und in dem Pflichtmitgliedschaft herrscht, ist ein Unternehmen iSd Wettbewerbsrechts88. Anders ist die Situation hinsichtlich - im Sinne des Gemeinschaftsrechts hoheitlicher Tätigkeiten89. Diese stellen keine wirtschaftliche Betätigung dar. So hat der Gerichtshof etwa die Flugsicherungseinrichtung Eurocontrol nicht als Unternehmen angesehen90. Ferner hat er Betätigungen, die ausschließlich sozialen und kulturellen Zwecken dienen und keinen Erwerbszweck verfolgen, als von der Anwendung der Wettbewerbsvorschriften ausgenommen betrachtet. Öffentlich-rechtliche Sozialversicherungssysteme werden etwa nicht als Unternehmen gewertet, wenn sie einem sozialen Zweck dienen, Zwangsmitgliedschaft vorsehen, nach dem Solidaritätsprinzip organisiert sind und ohne Gewinnerzielungsabsicht geführt werden91. Der EuGH hat diese Ausnahme vom Unternehmensbegriff, seinem funktionalen Ansatz folgend, nicht etwa mit dem sozialen Charakter der wahrgenommenen Aufgabe begründet, sondern damit, dass es sich um ein System der sozialen Sicherung handle. Dies ergibt sich für den Gerichtshof vor allem aus der Zwangsmitgliedschaft sowie daraus, dass die gewährten, gesetzlich festgelegten Leistungen für Krankheit und Mutterschaft unabhängig von den Einzahlungen für alle gleich waren. Demgegenüber wurde ein freiwilliges soziales Sicherungssystem mit leistungsorientierter Auszahlung nach dem Kapitalisierungsprinzip als Unternehmen bewertet92. Abgelehnt hat der Gerichtshof auch die Anwendung der (nur bei entgeltlichen Tätigkeiten einschlägigen) Dienstleistungsfreiheit auf nationale Bildungssysteme, wie zB staatliche Schulen93 und Hochschulen, die im Wesentlichen mit öffentlichen Geldern finanziert werden94. Die Kommission
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EuGH Rs C-41/90, Höfner, Slg 1991, I-1979 (Rz 22). Vgl auch EuGH Rs 78/76, Steinike, Slg 1977, 595 (Rz 18); Rs C-55/96, Job Centre coop arl, Slg 1997, I-7119 (Rz 22). EuGH verb Rs C-180 bis 184/98, Pavlov, Slg 2000, I-6451 (Rz 74ff). Zur nicht unproblematischen Unterscheidung zwischen hoheitlichem und unternehmerischem Handeln Heinemann (FN 31), 75ff; Schwarze, Der Staat als Adressat des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2000, 613 (614f). EuGH Rs C-364/92, Eurocontrol, Slg 1994, I-43, Rz 18. EuGH verb Rs C-159 und 160/91, Poucet und Pistre, Slg 1993, I-637 (Rz 18f); Rs C-218/00, Cisal die Battistello, Slg 2002, I-691 (Rz 335ff). Vgl auch EuGH verb Rs C-264/01, 306/01, 354/01 und 355/01, AOK Bundesverband, Slg 2004, I-2493 (Rz 47). EuGH Rs C-244/94, FFSA ua, Slg 1995, I-4013 (Rz 17ff); vgl auch Rs C-67/96, Albany, Slg 1999, I-5751 (Rz 84); Rs C-115 bis 117/97, Brentjens’ Handelsonderneming, Slg 1999, I-6025 (Rz 79ff); Rs C-219/97, Maatschappij Drijvende Bokken, Slg 1999, I-6121 (Rz 69ff). EuGH Rs C-263/86, Humbel, Slg 1988, 5365 (Rz 18). EuGH Rs C-109/92, Wirth, Slg 1993, I-6447 (Rz 15).
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unterstützt diese Rechtsprechung95 und sieht beispielsweise eine staatliche Straßenbauverwaltung nicht als Unternehmen an96. Dass die Grenzziehung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit im Einzelfall mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist, zeigen die diesbezüglichen Ausführungen in der zitierten Kommissionsmitteilung. Dort sieht die Kommission zunächst unter Berufung auf die Judikatur des EuGH die Tätigkeiten von Gewerkschaften, politischen Parteien, Kirchen und religiösen Gemeinschaften, Verbraucherverbänden, wissenschaftlichen Gesellschaften, Wohlfahrtseinrichtungen sowie Schutz- und Hilfsorganisationen auf Grund ihrer Nichtwirtschaftlichkeit (Besorgung weitgehend sozialer Aufgaben ohne Gewinnabsicht) als von der Anwendbarkeit des europäischen Wettbewerbsrechts ausgenommen. Gleichzeitig hält die Kommission jedoch fest, dass (erst) dann, wenn solche Einrichtungen bei der Erfüllung des Gemeinwohlauftrags wirtschaftliche im Sinne von marktbezogenen Tätigkeiten entfalten, die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zum Tragen kämen. Dass diese „Erläuterungen“ bei der Abgrenzung von wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht weiterhelfen, ist evident. Ein Unternehmen ist dann als öffentliches Unternehmen iSd Gemeinschaftsrechts zu qualifizieren, wenn der Staat die Möglichkeit besitzt, auf das Unternehmen einen beherrschenden Einfluss auszuüben. Dies wird vermutet, wenn die öffentliche Hand zumindest mittelbar „die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt oder ... über die Mehrheit der mit den Anteilen des Unternehmens verbundenen Stimmrechte verfügt oder ... mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen kann“ (Art 2 Abs 2 TransparenzRL). Als öffentliches Unternehmen (iSd Art 86 EG-Vertrag) stellt sich somit jedes Unternehmen dar, „auf das die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann“97.
III. Einteilung öffentlicher Unternehmen Öffentliche Unternehmen lassen sich nach den verschiedensten Kriterien einteilen98. Im Folgenden werden sie nach Unternehmensträgerschaft, Rechtsform und ihren Zielen systematisiert.
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Mitteilung der Kommission - Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM(2000) 580 endg., Rz 28 ff. Vgl den Vorschlag für eine Koordinierungsbeihilfenverordnung, KOM(2000) 5 endg., Rz 18 der Begründung. Vgl Art 2 Abs 1 lit b TransparenzRL. Der EuGH hat zwar klargestellt, dass sich diese Definition nur auf den Begriff der öffentlichen Unternehmen im Rahmen der TransparenzRL bezieht (EuGH verb Rs 188-190/80, Transparenzrichtlinie, Slg 1982, 2545 [Rz 24]), sie hat sich mittlerweile jedoch allgemein durchgesetzt. ZB nach ihrem wirtschaftlichen Gegenstand, dem verfolgten Ziel, ihrem wirtschaftlichen Ergebnis oder ihrer Marktstellung und Größe.
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A. Unterscheidung nach der Unternehmensträgerschaft Gliedert man die öffentlichen Unternehmen nach ihren Trägern, kann man vor allem99 Bundes-, Landes- und Gemeindeunternehmen unterscheiden. Als Bundesunternehmen stellten sich insbesondere die heute zum Großteil privatisierten Unternehmen der „Verstaatlichten“ dar. Auch die Verbundgesellschaft, Straßenbaugesellschaften, Gesellschaften zur Verwaltung von Bundesimmobilien, die Bundesbahnen sowie die Post zählen dazu. Aus dem Kreis der Landesunternehmen sind insbesondere LandesElektrizitäts- und -Gasgesellschaften, die Landes-Hypothekenbanken und Landesversicherungsunternehmen zu nennen. Zu den Gemeindeunternehmen zählen beispielsweise Unternehmen im Bereich der Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, der Versorgung mit Strom und Gas, der Verkehrsbedienung oder der Müllabfuhr sowie die Gemeindesparkassen.
B. Unterscheidung nach der Rechtsform Die Unterscheidung öffentlicher Unternehmen nach dem Kriterium ihrer Rechtsform ist bedingt durch das Mischverhältnis funktionaler Selbstständigkeit und organisatorischer Beherrschung. Es ergibt sich folgende Einteilung: Einheiten, denen ein geschlossenes wirtschaftliches Konzept bzw eine besondere budgetmäßige Behandlung zukommt, die organisatorisch aber in die allgemeine Verwaltung integriert sind (mangels Selbstständigkeit also Unternehmen nur im weitesten, funktionalen Sinn), stellen so genannte Regiebetriebe dar100. Beispiele hiefür sind die häufig in das Gemeindeamt (den Magistrat) eingegliederten kommunalen Schlachthöfe, Müllabfuhren oder Friedhofsverwaltungen. Eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen diese Unternehmen ebenso wenig wie eine institutionalisierte Selbstständigkeit. Die Betriebsleitung ist an Beschlüsse und Weisungen der vorgesetzten Verwaltungsstellen gebunden. Ein aus organisatorischer Sicht Mehr an Selbstständigkeit bietet der Eigenbetrieb. Dieser entsteht dann, wenn - neben den Kriterien des wirtschaftlichen Konzepts und der besonderen budgetmäßigen Berücksichtigung (Regiebetrieb) - die Trägergebietskörperschaft von ihrem inneren Organisationsrecht Gebrauch macht101 und eine eigene Organisation für den Betrieb zur Verfügung stellt. Auch beim Eigenbetrieb als Erscheinung der inneren Verwaltungsorganisation verbleibt die letztendliche Entscheidungsbefugnis - insbesondere über grundlegende Unternehmensentscheidungen - bei den Organen der Trägergebietskörperschaft. Die Organisationsbefugnis und die Vertretung des Eigenbetriebs nach außen sind im Ergebnis immer auf die entsprechende Gebietskörperschaft rückführbar. Der Eigenbetrieb besitzt zwar finanzielle Selbstständig-
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Auch von den Gebietskörperschaften verschiedene juristische Personen wie zB Kammern oder Tourismusverbände können - dem Staat zuzurechnende - Unternehmensträger sein. Binder (FN 21), 6; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2, 2003, Rz 322. Vgl VfSlg 8844/1980.
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keit102, eine eigene Rechtspersönlichkeit kommt aber auch ihm nicht zu. Eigenbetriebe werden auch als unselbstständige Anstalten103 bezeichnet. Weiter organisationsrechtlich verselbstständigt als die bisher behandelten Unternehmen ist die selbstständige Anstalt. Ihr kommt eine von der Trägergebietskörperschaft verschiedene Rechtspersönlichkeit zu. Prominenteste Beispiele waren die Landes-Hypothekenbanken104. Die wichtigste Rolle bei den öffentlichen Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit spielen schon seit Langem die Kapitalgesellschaften (AG, GmbH), wobei die Form der GmbH zahlenmäßig überwiegt105. Je nach Eigentum an den Anteilsrechten kann unterschieden werden: Besitzt ein einziger öffentlicher Unternehmensträger sämtliche Anteilsrechte, liegt eine Einmanngesellschaft vor. Teilen sich mehrere öffentliche Unternehmensträger die Anteilsrechte, spricht man von gemischt-öffentlichen Gesellschaften. Beteiligen sich an der Kapitalgesellschaft auch Private, handelt es sich um eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft. Die Beantwortung der Frage, ob für ein öffentliches Unternehmen die Form einer AG oder GmbH gewählt wird, hängt nicht selten mit dem gewünschten Grad der Unabhängigkeit der Geschäftsführung zusammen. Bei der GmbH haben die Gesellschafter insbesondere die Befugnis, dem Geschäftsführer Weisungen zu erteilen und so die Geschäftsführung wesentlich zu beeinflussen. Darüber hinaus kann auch die Satzung anordnen, dass bestimmte Arten von Geschäften der Zustimmung des Aufsichtsrats unterliegen. Die konkrete Ausgestaltung der Geschäftsführungsbefugnis ist weitestgehend dispositiv. Tendenziell anders verhält es sich bei der AG, deren Organisation in höherem Maße durch Gesetz determiniert ist. Der Aufsichtsrat ist nicht in der Lage, selbst Geschäftsführungshandlungen zu setzen106 oder dem Vorstand Weisungen zu erteilen. Zwar können Satzung oder Aufsichtsrat anordnen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden können. Diese Möglichkeit besteht jedoch nicht bei laufenden Geschäften107. Der Bundesgesetzgeber kann auf der Grundlage der ihm durch Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG eingeräumten Kompetenz für von ihm gegründete Kapitalgesellschaften so genanntes Sondergesellschaftsrecht erlassen, das auch Gesellschaftern einer AG besondere Weisungs- und Aufsichtsrechte einräumen kann108. Den Ländern kommt eine solche Kompetenz zur Schaffung von Son-
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Vermögensmäßige, rechnungsmäßige und haushaltsrechtliche Selbstständigkeit. Als (selbstständige) Anstalt gilt die zur juristischen Person erhobene Einrichtung mit einem Bestand an sachlichen und persönlichen Mitteln, die dauernd bestimmten Zwecken der öffentlichen Verwaltung gewidmet sind. Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1996, 322. Früher waren auch der ORF und die PSK selbstständige Anstalten. Vgl Korinek S., Ausgliederung - Privatisierung - Beleihung, ZfV 1998, 296 (297). § 95 Abs 5 AktG. Vgl zur Entscheidungsstruktur auch Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen (1987) 40 ff. Korinek/Holoubek (FN 15), 99ff; Winner, Öffentlich-rechtliche Anforderungen und gesellschaftsrechtliche Probleme bei Ausgliederungen, ZfV 1998, 104 (106); Walzel
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derzivilrecht nicht zu109. Dies mag Grund dafür sein, dass von diesen häufiger Unternehmen in der Form von Anstalten betrieben werden. Ausnahmsweise sind öffentliche Unternehmen auch als Vereine110 errich111 tet . Vereine iSd VereinsG 2002 müssen „ideelle Vereine“ sein, das heißt, sie dürfen nicht „auf Gewinn berechnet“ sein. Der Qualifikation als ideeller Verein schadet es jedoch nicht, wenn im Rahmen der Vereinstätigkeit auch unternehmerische Handlungen gesetzt werden, soweit diese den ideellen nachgeordnet sind („Nebentätigkeitsprivileg“). Der VfGH verfolgt in seiner Rechtsprechung eine liberale Linie und lässt auch erwerbswirtschaftliche Vereinstätigkeiten allerdings etwa unter dem Verbot der Gewinnausschüttung - zu112. Ob sich die öffentliche Hand an einer OHG oder KG (als Komplementär) beteiligen darf, ist umstritten, aus haushaltsrechtlichen Gründen aber wohl zu verneinen113.
C. Unterscheidung nach den Zielen Schon alleine aus dem Umstand heraus, dass rationales Handeln ohne Ziel niemals möglich ist, können öffentliche Unternehmen auch nach ihren Zielsetzungen eingeteilt werden; dies allerdings mit der Einschränkung, dass sie in den seltensten Fällen nur ein einziges Ziel verfolgen werden. Das gilt umso mehr, als in der Regel Zielkonkurrenzen bestehen und der Stellenwert des einzelnen Ziels innerhalb eines Zielbündels nicht immer einfach zu bestimmen sein wird114. Die Zuordnung eines konkreten Unternehmens zu einer der nachfolgenden Rubriken wird also nicht in jedem Einzelfall eindeutig sein. Die einmal getroffene Zuteilung eines Unternehmens zu einer Gruppe bedeutet auch nicht, dass sich diese zB auf Grund einer neuen Ausrichtung der öffentlichen Unternehmenstätigkeit nicht wieder ändern könnte. Typisierend kann folgende Einteilung getroffen werden. Versorgungsleistungen: Häufig werden öffentliche Unternehmen betrieben, um die Bevölkerung mit Dienstleistungen zu versorgen, die ein privater Betreiber nicht oder nicht in angemessener Qualität oder zu angemessenen Bedingungen bereithalten würde. Solche gemeinwirtschaftlichen Dienstleistun-
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von Wiesentreu, Rechtsfragen der Ausgliederung öffentlicher Aufgaben, insbesondere im kommunalen Bereich, ÖGZ 1997, H 12, 11 (13f). Holoubek, Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen von Ausgliederungen und Privatisierungen, ÖGZ 2000, H 12, 22 (23). Ein Verein ist ein freiwilliger, auf Dauer angelegter, auf Grund von Statuten organisierter Zusammenschluss mindestens zweier Personen zur Verfolgung eines bestimmten, gemeinsamen ideellen Zwecks (§ 1 Abs 1 VereinsG 2002). Vgl zum Vereinsbegriff auch für viele VfSlg 1397/1931. Vgl das „Kuratorium zur Förderung der Wirtschaftsuniversität“, VfSlg 10.371/1985. Vgl zum Nebentätigkeitsprivileg mit einer instruktiven Zusammenfassung der verschiedenen Meinungen Krejci/S. Bydlinski/Rauscher/Weber-Schallauer, Vereinsgesetz 2002 - Kommentar, 2002, § 1 Rz 21 ff. Vgl dazu Wenger (FN 3), 586; Aicher, Zivil- und gesellschaftsrechtliche Probleme, in: Funk (Hrsg), Die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch Privatrechtssubjekte, 1981, 191 (217ff). Vgl dazu ausführlich Diederich, Ziele öffentlicher Unternehmen, in: Chmielewicz/ Eichhorn (Hrsg), Handwörterbuch der öffentlichen Betriebswirtschaft, 1989, 1856.
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gen sind häufig defizitär, gleichzeitig aber im öffentlichen Interesse gelegen und für ein funktionierendes Staatswesen unverzichtbar. Ihr Bereithalten wird als öffentliche Aufgabe bzw als Leistung der Daseinsvorsorge gesehen. Die Sicherung solcher Basis- bzw Universaldienste betrifft Wirtschaftssektoren wie beispielsweise die Post, Telekommunikation oder die Strom- und Gasversorgung. Viele der nach Ansicht der Europäischen Kommission nicht zum engsten Kreis der Daseinsvorsorge zählenden Tätigkeiten werden zusehends dem (beschränkten) Wettbewerb unterstellt. Gewinnerzielung: Auch wenn dem Staat zur Mittelbeschaffung primär das Instrument der Steuereinhebung zur Verfügung steht, stellt ein weiteres Ziel öffentlicher Unternehmenstätigkeit die Gewinnerzielung dar. Insbesondere die Errichtung der Staatsmonopole war in hohem Maße vom Zusammenhang zwischen Monopol- und Finanzwesen geprägt (Finanzmonopol)115. Fiskalische Überlegungen waren Hauptmotiv für die Errichtung des Tabak-, Branntwein-, Salz- und Glücksspielmonopols116. Wirtschaftspolitik: Dass mit öffentlichen Unternehmen auch Wirtschaftspolitik betrieben werden kann, liegt auf der Hand. Insbesondere die nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommenen Verstaatlichungen sind auch in diesem Licht zu sehen. Bei der Beteiligung des Bundes an privaten Rechtsträgern müssen gemäß § 59 Abs 1 Z 1 BHG wirtschaftspolitische Überlegungen sogar im Vordergrund stehen. So darf der Bund Beteiligungen an privatrechtlich organisierten Gesellschaften und Genossenschaften nur erwerben, wenn damit „einem wichtigen volkswirtschaftlichen Anliegen“ entsprochen werden kann. Die Rolle, die öffentliche Unternehmen im Rahmen der Wirtschaftspolitik spielen können, ist heute durch das (europäische) Wettbewerbsrecht freilich beschränkt. Verwaltungstätigkeiten: Öffentliche Unternehmen werden auch gegründet, um Verwaltungstätigkeiten effizienter zu erfüllen, als dies bei einer Wahrnehmung der entsprechenden Aufgabe durch die öffentliche Hand selbst der Fall ist („Abstoßen der Hoheitsverwaltung“).
IV. Ausgliederung und Privatisierung A. Ausgliederung Der Begriff Ausgliederung kann typisierend dahin definiert werden, dass Aufgaben nicht mehr vom Verwaltungsapparat einer Gebietskörperschaft wahrgenommen, sondern auf einen für die Aufgabenerfüllung eigens geschaffenen, von der öffentlichen Hand kontrollierten Rechtsträger übertragen werden117. Es findet mithin eine organisatorische, haushaltsmäßig-wirtschaftliche
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Wenger (FN 10), Rz 33; Raschauer, Monopolunternehmen, ZfV 1987, 1 (2). Vgl dazu grundlegend Mayer, Staatsmonopole, 1976, 10ff. Vgl Binder, Der Staat als Träger von Privatrechten, 1980, 186; Funk, Allgemeine verwaltungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Probleme, in: derselbe (Hrsg), Die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch Privatrechtssubjekte, 1981, 1 (8f).
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Verlagerung und Verselbstständigung von Verwaltungseinheiten statt118. Funktional ist - einen hinreichenden Einfluss auf die Willensbildung vorausgesetzt die ausgliedernde Gebietskörperschaft Unternehmensträgerin, organisatorisch der betreffende Rechtsträger. Als häufigste Ausgliederungsmotive gelten119: • die Flexibilisierung von Entscheidungsprozessen auf Grund strafferer Führungsorganisation; • die gesteigerte Möglichkeit wirtschaftlicher Geschäftsführung durch die Zurückdrängung des politischen Einflusses (Entpolitisierung der Aufgabenfelder); • die Stärkung des Wirtschaftlichkeitsprinzips durch längerfristige Planung; • die Abkoppelung der Personalpolitik vom relativ starren Dienst- und Arbeitsrecht des Trägergemeinwesens (unternehmensorientierte Personalpolitik); • die erhöhten Kooperationsmöglichkeiten des Unternehmens; • die Ermöglichung außerbudgetärer Finanzierungen; • die Einhaltung der Maastricht-Konvergenzkriterien. Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Betrauung ausgegliederter Rechtsträger mit Angelegenheiten der nicht-hoheitlichen Verwaltung kann positiv beantwortet werden120. Dies ergibt sich ua aus der Kontrollzuständigkeit des RH, die auch ausgegliederte Unternehmen erfasst. Da die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch ausgegliederte, in den Formen des Privatrechts handelnde Rechtsträger - also die unmittelbare Aufgabenerfüllung selbst - keinen Fall von Verwaltung iSd B-VG (mehr) darstellt121, greifen die die Vollziehung determinierenden, verfassungsrechtlichen Bindungen wie zB das Weisungsprinzip (Art 20 Abs 1 B-VG), die Amtsverschwiegenheit (Art 20 Abs 3 B-VG) und die Auskunftspflicht (Art 20 Abs 4 B-VG) hinsichtlich der entsprechenden Tätigkeiten nicht. Lediglich die Verwaltung von Anteilsrechten des ausgegliederten öffentlichen Unternehmens und sonsti118
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Vgl nur die Bundesrechenzentrum GmbH, die Landwirtschaftliche Bundesversuchswirtschaften GmbH, die Staatsdruckerei und Print Media AG, die BIG mbH, die Eisenbahn-Hochleistungs-AG, die Österreichische Bundesforste AG, die ÖBB, die Austro Control GmbH, die Burgtheater GmbH, die Wiener Staatsoper GmbH, die Volksoper Wien GmbH, die Theaterservice GmbH sowie die Gesellschaft öffentlichen Rechts „Spanische Hofreitschule - Bundesgestüt Piber“. Vgl zB Puck, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch juristische Personen des Privatrechts, die von der öffentlichen Hand beherrscht werden, in: Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft (Hrsg), Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Privatrechtssubjekte, Schriftenreihe der Bundeskammer, oJ, 9 (15); Binder (FN 117), 196f; Aicher (FN 113), 213f; Funk, Sondergesellschaften in der Bundesverwaltung, ÖZW 1984, 65 (75); derselbe (FN 117), 29ff; Wimmer, Die Ausgliederung von Gemeindebetrieben, ÖGZ 1993, H 9, 2 (4); Atzmüller, Entpolitisierung kommunaler Unternehmen durch Ausgliederung und Neugründung?, in: Strunz/Fohler-Norek/ Edtstadler (Hrsg), Öffentliche Verwaltung im Wandel, 1996, 341ff. Potacs (FN 46), Rz 909. VfSlg 14.075/1995. Funk (FN 117), 1ff; Adamovich/Funk (FN 82), 235; Aicher/Schuster, Die Errichtung und der Betrieb von Gemeindeunternehmen sowie die Erbringung von kommunalen Dienstleistungen unter dem Gesichtspunkt des Artikels 90 EG-Vertrag, in: Neuhofer (Hrsg), Die Gemeinde unter EU-Recht, 1994, 117 (119).
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ges Ingerenzverhalten sind der Trägergebietskörperschaft zuzurechnen und stellen Vollziehung dar. Regie- und Eigenunternehmen sowie Beliehene bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten üben hingegen Verwaltungstätigkeiten iSd B-VG aus. Ausgegliederte Rechtsträger können sich bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch nicht-hoheitliches Handeln mangels Geltung des Legalitätsprinzips122 auch außerhalb gesetzlich entsprechend determinierter organisatorischer, verfahrensmäßiger und inhaltlicher Ermächtigung im Rahmen des allgemeinen Privatrechts bewegen123. Das Gesetz ist „nicht Voraussetzung, sondern Schranke“ des Handelns124. Hinsichtlich der Frage nach der Grundrechtsgebundenheit ausgegliederter öffentlicher Unternehmen bei der Wahrnehmung nicht-hoheitlicher Tätigkeiten (Fiskalgeltung der Grundrechte) wird einerseits die Meinung vertreten, dass die Auslagerung der Verwaltungsagenden den Grundrechtsschutz des Privaten nicht schmälern könne. Ausschlaggebend dafür sei die aus der Staatlichkeit öffentlicher Unternehmen erfließende Übermacht gegenüber dem Einzelnen, die auch nach einer Ausgliederung herrsche125. Andererseits wird die Ansicht vertreten, dass abgestufte Grundrechtsbindungen bestünden, je nachdem, ob es sich um eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts handle und in welchem Ausmaß die Trägergebietskörperschaft am ausgegliederten Rechtsträger beteiligt sei126. Der OGH leitet aus dem Gleichheitssatz jedenfalls überall dort, wo die faktische Übermacht eines Beteiligten bei bloß formaler Parität die Möglichkeit der Fremdbestimmung über andere eröffnet, einen Kontrahierungszwang zu angemessenen inhaltlichen Bedingungen für öffentliche Unternehmen ab127. Grenzen für die Ausgliederung öffentlicher Aufgaben ergeben sich insbesondere aus der Kompetenzverteilung, den Grundrechten und dem verfassungsrechtlichen Effizienzprinzip128. Ausgegliederte Rechtsträger können auch mit der Besorgung hoheitlich wahrzunehmender öffentlicher Aufgaben betraut und als Beliehene129 in die öffentliche Verwaltung eingegliedert werden. Nach der Judikatur des VfGH gelten für die Beleihung ausgegliederter Rechtsträger (zB OeNB, Austro 122 123
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Nachweise bei Korinek/Holoubek (FN 15), 68f; Antoniolli/Koja (FN 103), 246. VfSlg 7717/1975. An das allgemeine Effizienzgebot der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit staatlichen Handelns sind ausgegliederte Rechtsträger natürlich gebunden. VfSlg 7716/1975. Holoubek, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Konsequenzen der Ausgliederung, Privatisierung und Beleihung, ÖZW 2000, 33 (39). So insb Hengstschläger, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54, 1995, 165 (191f). ZB Korinek/Holoubek (FN 15), 163ff. Für viele OGH 30. 11. 1993, 4 Ob 146/93. Potacs (FN 46), Rz 909. Zu den Grenzen der Ausgliederung Kucsko-Stadlmayer, 15. ÖJT 2003, Bd I/1, 2003. Zum Begriff der Beleihung als Betrauung privater natürlicher oder juristischer Personen mit der Befugnis zur Erlassung von Hoheitsakten in eigener Entscheidungskompetenz vgl mit zahlreichen weiteren Nachweisen Krajcsir, Staatliche Hoheitsverwaltung durch Private, 1999, 95f, 123.
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Control GmbH, Telekom Regulierungs-GmbH, Schienen-Control GmbH, Energie-Control GmbH) folgende, verfassungsrechtliche Vorgaben: Hoheitliches Handeln kommt für ausgegliederte Unternehmen immer nur dann in Betracht, wenn sie dazu ausdrücklich durch Gesetz130 befugt sind. Die Beleihung muss dem aus dem Gleichheitssatz erfließenden Sachlichkeits-131 und dem Effizienzgebot entsprechen. Außerdem dürfen Beleihungen nur für „vereinzelte Aufgaben“, nicht jedoch für ganze Verwaltungsbereiche, vorgenommen werden132. Auch die Notwendigkeit der Unterstellung unter ein verantwortliches oberstes Organ (zB Aufsichts- und Weisungsrechte, Berichtspflichten) stellt eine verfassungsrechtliche Voraussetzung für die Betrauung ausgegliederter Unternehmen mit hoheitlichen Aufgaben dar133. Damit soll der Ausdünnung der parlamentarischen Kontrolle, die sich nur auf Verwaltungstätigkeiten bezieht, entgegengewirkt werden. Staatliche „Kernaufgaben“ - etwa die Vorsorge für die innere und äußere Sicherheit und die Ausübung der (Verwaltungs)Strafgewalt134 - sind (privatisierungs- und) „ausgliederungsfest“135. Im Einzelnen ergeben sich hier freilich nicht unerhebliche Abgrenzungs- und Begründungsschwierigkeiten136. Die Lehre zieht die Grenzen der zulässigen Beleihung öffentlicher Unternehmen zT erheblich enger als der Gerichtshof137. Insbesondere der sich aus den Art 20 und 77 B-VG ergebenden Leitungsbefugnis (Weisungsbefugnis, Personalhoheit, Organisations- und Finanzgewalt) und dem Verantwortungszusammenhang gegenüber den obersten Organen entspricht es nach dieser Ansicht nicht, wenn als „nachgeordnete Dienststelle“ eine Kapitalgesellschaft zum Einsatz gebracht wird. Überhaupt dürfen nach dieser strengeren Meinung hoheitliche Aufgaben von ausgegliederten Unternehmen nur in einem engen, durch historische Interpretation zu ermittelnden Umfang wahrgenommen werden138.
B. Privatisierung Seitdem die Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Wirtschaftstätigkeit besteht, spielt auch der Begriff der Privatisierung eine Rolle. Es handelt sich dabei um einen schillernden, zT ideologisch gefärbten Terminus, unter dem heute nicht mehr nur ein Eigentumsübergang aus dem öffentlichen in den privaten Sektor verstanden wird. Vielmehr findet der Begriff in einer Vielzahl 130 131 132 133 134
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Vgl VfSlg 7717/1975. Vgl zu Beleihungen auch VfSlg 2332/1952, 4413/1963. Dazu VfSlg 8457/1978, 11.369/1987, 11.693/1988. VfSlg 3685/1960, 10.213/1984. VfSlg 14.473/1996; 16.400/2001. Dazu Korinek, Staatsrechtliche Bedingungen und Grenzen der Ausgliederung und Beleihung, ÖZW 2000, 46 (52f). VfSlg 14.473/1996. S auch VfSlg 17. 341/2004 („Zivildienst“); dazu Baumgartner, Ausgliederung der Zivildienstverwaltung - eine juristische Nachlese, FS Schäffer, 2006, 69. Rill, Grenzen der Ausgliederung behördlicher Aufgaben aus der unmittelbaren Staatsverwaltung - Überlegungen anläßlich der geplanten Betrauung eines eigenen Rechtsträgers mit der Wertpapieraufsicht, ÖBA 1996, 748 (754). Für viele Leitl, Regulierungsbehörden im österreichischen Recht, 2006, 176ff mwN. Raschauer, Keine Grenzen für Privatisierungen?, ecolex 1994, 434. Raschauer (FN 137), 434. AA Rill (FN 135), 752f.
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von divergierenden139, für die betroffenen öffentlichen Unternehmen mit jeweils unterschiedlichen Auswirkungen verbundenen Sinngehalten Verwendung. Definitionen des Begriffs Privatisierung sind selten. Meist begnügt man sich damit, verschiedene Arten der Privatisierung voneinander zu unterscheiden. In Österreich begann die heute noch nachwirkende Privatisierungsdiskussion zu Beginn der 1980’er Jahre140 vor allem als Reaktion auf wirtschaftliche Probleme der verstaatlichten Industrie. Nach dem Vorbild der Entwicklungen insbesondere in Großbritannien und Deutschland wurden seit 1987 auch in Österreich immer wieder bedeutende Privatisierungsmaßnahmen gesetzt141. In jüngster Zeit sind Privatisierungen wieder vermehrt Gegenstand der österreichischen (Wirtschafts)Politik. Die Motive für Privatisierungen142 klingen ähnlich wie jene für Ausgliederungen. Im Vordergrund steht häufig die Budgetentlastung öffentlicher Haushalte durch die Erzielung von Staatseinnahmen. Dazu kommt, dass von privatisierten Unternehmen höhere Effizienz und mehr Flexibilität erwartet werden. Auch bessere rechtliche Rahmenbedingungen für die jeweilige Aufgabenwahrnehmung in Form geeigneterer, privater Organisationsstrukturen sind Gründe für Privatisierungen. Das Thema Privatisierung betrifft zwei verschiedene Fragenkomplexe. Zum einen steht die Verringerung des Leistungsangebots öffentlicher Verwaltungen und öffentlicher Unternehmen im Zentrum, zum anderen geht es um die Übertragung öffentlichen Eigentums auf private Personen oder Unternehmen143. Hierauf aufbauend kann insbesondere144 die Vermögens- von der Leistungs139 140
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Vgl Lee, Privatisierung als Rechtsproblem, 1997, 20ff. Zu früheren Privatisierungen vgl Smekal, Kommunale Unternehmungen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag - Finanzwissenschaftliche Analyse, in: Morscher/Smekal, Kommunale Unternehmungen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag, 1982, 85 (145 f). Vgl dazu Schauer, Privatisierung in Österreich - Stand der Entwicklung und wirtschaftliche Hintergründe, in: Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (Hrsg), Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich, 1992, 77 (78, 83f). Dazu Eschenbach/Müller/Gabriel (Hrsg), Privatisierung öffentlicher Leistungen, 1993, 34; Hengstschläger (FN 125), 166ff mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Osterloh, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54, 1995, 204 (215ff). Kritisch dazu Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg), Privatisierungsdogma widerspricht Sozialer Marktwirtschaft, 1994; dieselbe, (Hrsg), Öffentliche Unternehmen - eine Alternative zur Privatisierung, 1996. Vgl auch Lee (FN 139), 46ff. Eichhorn/von Loesch, Privatisierung, in: Chmielewicz/Eichhorn (Hrsg), Handwörterbuch der öffentlichen Betriebswirtschaft, 1989, 1302 (1303). Schauer (FN 141), 78 weist darauf hin, dass über 15 verschiedene Bedeutungen des Wortes „Privatisierung“ dokumentiert sind. Vgl auch die relativ jungen Begriffe der Finanzprivatisierung, funktionellen Privatisierung, Verfahrensprivatisierung und Gewährleistungsprivatisierung, die zT Formen der von Privaten und der Verwaltung arbeitsteilig und kooperativ wahrgenommenen Aufgabenerledigung bezeichnen. Dazu für viele Schuppert, Geändertes Staatsverständnis als Grundlage des Organisationswandels öffentlicher Aufgabenwahrnehmung, in: Budäus (Hrsg), Organisationswandel öffentlicher Aufgabenträger, 1998, 19 (23f); Reichard, Institutio-
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privatisierung unterschieden werden145. Leistungsprivatisierung ist wiederum der Oberbegriff für die so genannte Organisationsprivatisierung (formelle bzw unechte Privatisierung) einerseits und die Aufgabenprivatisierung (materielle bzw echte Privatisierung) andererseits. • Im Rahmen einer Vermögensprivatisierung kommt es zur Übertragung von öffentlichem Eigentum (Anteilsrechten an öffentlichen Unternehmen) auf Private im Wege einer Voll- oder Teilprivatisierung146. Die Teilprivatisierung führt zu gemischtwirtschaftlichen Unternehmen, bei denen es nicht selten zum Konflikt zwischen erwerbswirtschaftlichen und den von der öffentlichen Aufgabenerfüllung geprägten Zielsetzungen kommt. Überwiegend stehen aber auch bei einer Teilprivatisierung finanzwirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund (Abbau von Budgetdefiziten)147. • Bei der Organisationsprivatisierung verbleibt die Verantwortung für eine Verwaltungsaufgabe grundsätzlich in der Hand des Verwaltungsträgers. Dieser betraut mit ihrer Durchführung einen privatrechtlich organisierten Rechtsträger (insbesondere AG, GmbH), der in seinem Eigentum steht148. Eine Eigentumsübertragung vom öffentlichen Sektor auf private Personen oder Institutionen findet nicht statt149. • Die Aufgabenprivatisierung wird durch einen materiellen Übergang der Verwaltungsaufgabe vom Verwaltungsträger auf den privaten Rechtsträger charakterisiert. Soll die Verwaltungsaufgabe nach Ansicht der öffentlichen Hand nach ihrer Überführung auf den Privaten als solche weiterbestehen, kann der Verwaltungsträger eine fortbestehende Verwaltungsverantwortung statuieren150. Wird dies nicht gewünscht, richtet sich die Durchführung der Verwaltungstätigkeit nach einer Aufgabenprivatisierung nach dem Marktgeschehen151. Dies kann letztlich auch das Ende der Verwaltungsaufgabe zur Folge haben.
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nelle Wahlmöglichkeiten bei der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung, in: Budäus (Hrsg), Organisationswandel öffentlicher Aufgabenträger, 1998, 121 (122ff). Vgl dazu etwa Morscher (FN 21), 63ff; Hengstschläger (FN 125), 170; Stolzlechner, Privatisierung staatlicher Verwaltungsaufgaben und Kontrolle durch die Volksanwaltschaft, ZfV 1997, 1 (2f); Peine, Grenzen der Privatisierung, DÖV 1997, 353 (354f); Kraus, Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1997, 104f. Zu Vermögensprivatisierungen kam es in Österreich insb seit dem Ende der 1980’er Jahre im Bereich der „Verstaatlichten“. Demgemäß wird gesetzlich oft die „bestmögliche Veräußerung“ von Bundesanteilen an öffentlichen Unternehmen vorgeschrieben. Vgl für die CA und Länderbank Art I BGBl 1991/163, für die Schönbrunner Tiergarten-GmbH § 2 Abs 1 BGBl 1991/420 idF BGBl 1994/117. So zB geschehen bei der Bau- und Liegenschaftsverwaltung des Bundes (Bundesimmobilien GmbH, Schönbrunner Tiergarten-GmbH), der Luftraumüberwachung (Austro Control GmbH), der Arbeitsmarktverwaltung (AMS), der Post- und Telegraphenverwaltung (Post und Telekom Austria AG) sowie der Forstverwaltung (Österreichische Bundesforste AG). Vgl Obermann/Scharmer/Soukup, Budgetäre Auswirkungen von Ausgliederungen aus dem öffentlichen Haushalt, ÖHW 1993, 180 (183). Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54, 1995, 243 (277ff); Wimmer (FN 50), 34. Vgl dazu Hamer/Gebhardt, Privatisierungspraxis - Hilfe zur Umstellung von Staatsauf Privatwirtschaft2, 1992, 74 ff; Obermann/Scharmer/Soukup (FN 149), 183.
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Hinsichtlich einer Grenze für Privatisierungen wurde in der Literatur vor allem auf die so genannten „genuinen Staatsaufgaben“ verwiesen152. Aufgaben aus diesem Bereich dürften nicht auf Private übertragen werden. Was zum Kreis genuiner Staatsaufgaben zählt, ist freilich umstritten (Landesverteidigung, Auswärtige Gewalt, Gesetzgebung und Rechtsprechung, Polizei, Finanzverwaltung etc). In diesem Zusammenhang ist mittlerweile auch auf die dargestellte Judikatur des VfGH zu den Grenzen für Ausgliederungen zu verweisen („staatliche Kernaufgaben“).
C. Ausgliederung, Privatisierung und Vergaberecht 1. Vorbemerkung Das Vergaberecht ist im Zusammenhang mit Ausgliederungen und Privatisierungen unter verschiedenen Aspekten von Bedeutung. So kann mittels Durchführung eines Vergabeverfahrens etwa vermieden werden, dass der Verkauf eines öffentlichen Unternehmens beihilferechtliche Bedenken auslöst153. Finanzielle Kompensationen durch den Staat für - nach wie vor häufig von (ausgegliederten) öffentlichen Unternehmen erbrachte - gemeinwirtschaftliche Leistungen begegnen dann (mit Sicherheit) keinen beihilferechtlichen Problemen, wenn die entsprechenden Dienste ausgeschrieben wurden154. Schließlich sollen ganze Sektoren, wie der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV), in dem zahlreiche öffentliche Unternehmen meist in der Form von GmbH oder GmbH & Co KG agieren, mittels Vergaberecht liberalisiert werden. Zu guter Letzt ist zur „Wahrnehmung von Aufgaben auf dem Gebiet des Beschaffungswesens mit dem Ziel einer ökonomisch sinnvollen Volumens- und Bedarfsbündelung zur Optimierung der Einkaufsbedingungen des Bundes nach wirtschaftlichen und qualitativen Kriterien“ im Jahr 2001 die Bundesbeschaffung GmbH (BBG) als ausgegliederte, 100%-ige Tochter des BMF gegründet worden155. Alles in allem kann somit festgestellt werden, dass das Vergaberecht heute im Zusammenhang mit öffentlichen Unternehmen und deren Ausgliederung und Privatisierung mannigfache Aufgaben zu erfüllen imstande ist, die weit über den Aspekt einer kostengünstigen Beschaffung hinausreichen. Im Folgenden ist nicht der Raum, vergaberechtliche Aspekte ausgegliederter Unternehmen umfassend und einlässlich zu erörtern. Auf zwei Aspekte soll aber etwas näher eingegangen werden. Sie betreffen die Vergabe von Leistungen an ausgegliederte Unternehmen im Wege der so genannten In-houseVergabe und die Vergabe von Leistungen durch ausgegliederte Rechtsträger. Beide Bereiche sind in erheblichem Maße den Entwicklungen auf Ebene des Gemeinschaftsrechts unterworfen, wobei jener der In-house-Vergabe in jüngerer Zeit durch die Rechtsprechung des EuGH wesentlich vorangetrieben wurde. 152
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Hengstschläger (FN 125), 174f; Steegmann, Die Privatisierung polizeilicher Aufgaben, in: Gusy (Hrsg), Privatisierung von Staatsaufgaben: Kriterien - Grenzen - Folgen, 1998, 237 (243). Vgl dazu Kahl, Beihilfen in der Daseinsvorsorge, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg), Beihilfenrecht, 2004, 225 (259) mwN. EuGH Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747 (Rz 93). BGBl I 2001/39 idF BGBl I 2002/99.
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2. In-house-Vergabe Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Vergaberechts ist der Abschluss eines schriftlichen, entgeltlichen Vertrags zwischen beschaffender Stelle und Auftragnehmer. Das heißt, es sind übereinstimmende Willenserklärungen zweier verschiedener (juristischer) Personen erforderlich. An dieser „Drittstellung“ iS einer Eigenständigkeit des Auftragnehmers fehlt es, wenn sich der Vergabevorgang ausschließlich innerhalb des Verwaltungsbereichs abspielt. Eine solche Beschaffung eines Auftraggebers im Wege eigener Ressourcen wird als (echte) In-house-Vergabe bezeichnet. Auf In-house-Vergaben finden vergaberechtliche Bestimmungen mangels Vertragsschlusses keine Anwendung (teleologische Reduktion des Auftragbegriffs)156. Der gleiche Vorgang - also die Vergabe von Leistungen an „eigene“ Einheiten der Verwaltung - erfordert dann eine differenziertere Betrachtung, wenn der ins Auge gefasste Leistungserbringer aus dem Verwaltungsapparat ausgegliedert ist und damit etwa zwar im Eigentum der vergebenden Gebietskörperschaft steht, aber doch eine von dieser unterscheidbare Einrichtung darstellt. In einem solchen Fall ist ein Vertragsschluss - zumindest bei einer rein formalen Betrachtung - möglich (Quasi-In-house-Vergabe). Nach ursprünglicher Ansicht der Kommission157 sollten die zur In-houseVergabe aufgestellten Grundsätze auch dann gelten, wenn öffentliche Auftraggeber Leistungen von Rechtsträgern nachfragen, die zu 100% in ihrem Eigentum stehen (Organisationsprivatisierung)158 und ihre Tätigkeiten ausschließlich159 für den Auftraggeber erbringen (Quasi-In-house-Vergabe). Der EuGH ist dieser Ansicht nicht gänzlich gefolgt und hat in seinem Teckal-Urteil160 eine weniger strenge Sicht an den Tag gelegt. Danach sind die VergabeRL dann nicht anwendbar, „wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben“. Sowohl das Kriterium der „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ als auch jenes der Ausübung der Tätigkeit „im wesentlichen für die Gebietskörperschaft“161 wurden in der Zeit nach dem Urteil unter den verschiedensten Aspekten eingehend diskutiert, wobei bezüglich beider Kriterien jeweils verschiedene Auffassungen
156 157 158 159
160 161
Vgl bereits GA La Pergola in der Rs C-360/96, BFI Holding BV, Slg 1998, I-6821 (Tz 38); GA Cosmas in Rs C-107/98, Teckal, Slg 1999, 8121 (Tz 52ff). Mitteilung der Kommission - Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union, KOM(98) 143 endg., 11. Die 100%ige Eigentümerschaft soll sicherstellen, dass es sich materiell betrachtet trotz Ausgliederung um einen rein verwaltungsinternen Vorgang handelt. Das Kriterium der ausschließlichen Tätigkeit für den öffentlichen Auftraggeber soll gewährleisten, dass der ausgegliederte Rechtsträger keinerlei andere Tätigkeiten am Markt entfaltet, und so Wettbewerbsverzerrungen vermeiden. EuGH Rs C-107/98, Teckal, Slg 1999, 8121 (Rz 50). Beide Kriterien müssen auch bei gemischt-öffentlichen Gesellschaften (Kooperationsvereinbarungen zwischen Einrichtungen des öffentlichen Rechts; dazu sogleich) erfüllt sein. EuGH, Rs C-84/03, Kommission/Spanien, Slg 2005, I-139 (Rz 38f).
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vertreten wurden162. In der Folgejudikatur zum Teckal-Urteil hat der EuGH die ursprünglich recht weit verstandene Möglichkeit zur Quasi-In-house-Vergabe schrittweise eingeschränkt.163 Mit seinem Urteil in der Rechtssache Stadt Halle beendete der Gerichtshof anders lautende Spekulationen und stellte klar, dass „die - auch nur minderheitliche - Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist, es auf jeden Fall aus[schließt], dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen“164. Im Falle gemischtwirtschaftlicher Unternehmen kommt eine Quasi-In-houseVergabe auf Grund möglicher Wettbewerbsverfälschungen somit nicht in Betracht. Im Parking-Brixen-Urteil konkretisierte der EuGH das Kontrollkriterium: Der Auftraggeber muss - unter Berücksichtigung sämtlicher Rechtsvorschriften und maßgebenden Umstände - die Möglichkeit haben, auf die Entscheidungen der Einrichtung einzuwirken, und zwar „sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen“165. Gegen eine entsprechende Kontrolle sprachen im konkreten Fall - im Sinne einer funktionellen Gesamtbetrachtung - die Natur der Aktiengesellschaft, deren Geschäftsführung (alleine) dem Vorstand obliegt und allfälligen Beeinflussungen somit nicht zugänglich ist166, die im konkreten Fall geplante baldige Öffnung der Gesellschaft für Fremdkapital sowie eine von der Gesellschaft sowohl in inhaltlicher als auch geographischer Hinsicht vorgenommene deutliche Ausweitung der Gesellschaftstätigkeit. Die wesentlichste im Parking-Brixen-Urteil enthaltene Beschränkung liegt in der Reduktion der für eine Quasi-In-house-Vergabe geeigneten Gesellschaftsformen; die Rechtsform der AG ist - wenn dem Vorstand die nach dem Gesellschaftsrecht übliche umfassende Geschäftsführungsautonomie eingeräumt ist für eine Quasi-In-house-Vergabe nicht geeignet167. Hinderlich für eine Quasi-In-house-Vergabe ist zudem die (teilweise) Veräußerung (Privatisierung) des leistungserbringenden Auftragnehmers an einen privaten Dritten (unmittelbar) nach der Vergabe. Dies hat der EuGH unter Verweis auf die andernfalls bestehende Möglichkeit der Umgehung des Vergaberechts in seinem Stadtgemeinde Mödling-Urteil klargestellt168. Beurteilungs162
163 164 165 166 167 168
Für viele Eilmansberger, Vergaberechtliche Schranken von Ausgliederungen und Privatisierungen, JBl 2001, 562 (566); Heid, Exkurs: In-house-Vergabe, in: Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch des Vergaberechts2, 2005, 139 (141ff); Fruhmann, § 6, in: Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel (Hrsg), Bundesvergabegesetz 2002, 2005, Rz 112ff mwN. Im Carbotermo-Urteil hat der EuGH festgestellt, dass das Wesentlichkeitskriterium nicht nach der 80%-Regel des Art 13 RL 93/38/EWG zu prüfen ist (EuGH 11. 5. 2006, Rs C-340/04, Carbotermo, Rz 57). Zusammenfassend Bauer, In-House-Vergabe: Slimmed Fast, ecolex 2006, 107. EuGH Rs C-26/03, Stadt Halle, Slg 2005, I-1 (Rz 49). Dazu Potacs, Neubestimmung der In-house-Vergabe, ZfV 2005, 513 mit Verweis auf Fruhmann. EuGH Rs C-458/03, Parking Brixen GmbH, Slg 2005, I-8612 (Rz 65). In diesem Sinne auch EuGH 11. 5. 2006, Rs C-340/04, Carbotermo, Rz 36 ff. S auch EuGH 11. 5. 2006, Rs C-340/04, Carbotermo, Rz 38. S aber auch EuGH 6.4.2006, Rs C-410/04, ANAV. EuGH Rs C-29/04, Kommission/Österreich, Slg 2005, I-9705 (Rz 38ff).
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zeitpunkt für die Zulässigkeit des Vergabevorgangs ist mithin wegen der Besonderheit des konkreten Falls (Umgehungsabsicht) nicht der Zeitpunkt der Auftragsvergabe; vielmehr sind auch unmittelbar nach der Vergabe unternommene (Umgehungs)Handlungen zu berücksichtigen. Anknüpfend an seine Entscheidung Kommission/Spanien in der der EuGH erkannte, dass auch im Falle einer öffentlich-öffentlichen Partnerschaft (interkommunale Zusammenarbeit) bezüglich einer Quasi-In-house-Vergabe die Teckal-Kriterien einschlägig sind, präzisierte der Gerichtshof diese Kriterien in seinem Carbotermo-Urteil für solche Partnerschaften. Er stellte fest, dass das Kontrollkriterium aus europarechtlicher Sicht auch von gemischt-öffentlichen Unternehmen erfüllt werden könne und zwar auch im Falle indirekter Beteiligungen (Vergabe an eine Enkelgesellschaft)169. Dass der öffentliche Auftraggeber - ggf auch zusammen mit anderen Stellen - das gesamte Kapital der auftragnehmenden Gesellschaft hält, könne als Indiz dafür gewertet werden, dass er über diese Gesellschaft eine „Kontrolle wie über seine eigene Dienststelle“ ausübt. Auch nach Carbotermo bestehen allerdings nicht unerhebliche Unsicherheiten betreffend die konkrete Form einer vergabefreien interkommunalen Zusammenarbeit. Für die Beurteilung des Kontrollmaßstabs sind nach Ansicht des Gerichtshofs alle Rechtsvorschriften und maßgebenden Umstände, also etwa auch Satzungen, einschlägig. Die Gebietskörperschaft muss auf alle wesentlichen Ziele und Entscheidungen der Gesellschaft Einfluss nehmen. Was das Kriterium der im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft verrichteten Tätigkeit betrifft, hat der EuGH festgehalten, dass das Unternehmen - aus quantitativer und qualitativer Sicht - „hauptsächlich für diese Körperschaft tätig wird und jede andere Tätigkeit rein nebensächlich“ sein muss. Heranzuziehen sind alle Tätigkeiten, auch die für andere Anteilseigner. Im Ergebnis zeigt sich die Möglichkeit, von der Quasi-In-house-Vergabe Gebrauch zu machen, nach den in relativ kurzen Abständen ergangenen Entscheidungen des EuGH seit dem Teckal-Urteil doch deutlich beschränkt.
3. Die Auftragsvergabe durch (öffentliche) Unternehmen Sowohl im klassischen als auch im Sektorenbereich können öffentliche Unternehmen bei ihrer Auftragsvergabe an vergaberechtliche Bestimmungen gebunden sein. Im klassischen Bereich betrifft dies die so genannten „Einrichtungen öffentlichen Rechts“. Dieser Begriff soll zum Ausdruck bringen, dass diese Stellen mit der öffentlichen Hand in enger Verbindung stehen. Sie werden dem Vergaberecht unterworfen, weil nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass sie sich bei Beschaffungsvorgängen von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lassen. 169
EuGH Rs C-84/03, Kommission/Spanien, Slg 2005, I-139; EuGH 11. 5. 2006, Rs C340/04, Carbotermo. Vgl zu den Urteilen Müller, In-House-Vergaben kommen nicht zur Ruhe, ZVB 2005/112; Potacs, Neubestimmung der In-house-Vergabe, ZfV 2005, 513; Rieder/Reinthaler, Stadt Halle – Rechtsschutz gegen Direktvergabe und „Aus“ für private Beteiligungen, RdW 2005, 204; Storr, Public-Public-Partnerships, wbl 2005, 555; Egger, Neues vom EuGH: Öffentlich-öffentliche Partnerschaften vergabefrei? ÖGZ 8/2006, 18; Stempkowski, EU-Vergaberecht 2005: Ein Jahr der Entscheidungen …, RFG 2006/2.
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Erfasst sind vom Begriff der Einrichtungen öffentlichen Rechts insbesondere ausgegliederte Rechtsträger, von denen nach der oben vorgenommenen Definition zahlreiche als öffentliche Unternehmen zu beurteilen sein können (zB ORF, OeNB, Müllabfuhr). Um als Einrichtungen öffentlichen Rechts zu gelten, muss zumindest Teilrechtsfähigkeit vorliegen, die Einrichtung einer näher beschriebenen (§ 3 Abs 1 Z 2 BVergG 2006) staatlichen Beherrschung unterliegen und zu dem besonderen Zweck gegründet worden sein, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind. Im Mittelpunkt steht in der Regel die Frage nach einer Tätigkeit im Allgemeininteresse, also im öffentlichen Interesse (gemeinwohlorientierte Zielsetzung), sowie nach der Erfüllung von Aufgaben nicht gewerblicher Art, die dann vorliegt, wenn eine Einrichtung „sich von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt“170. Parameter, die in diese Richtung weisen, sind zB das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht, ein Mangel an Wettbewerb auf dem Markt, die Risikotragung durch andere als die Einrichtung selbst sowie deren Finanzierung aus öffentlichen Mitteln. Selbst dann, wenn die Wahrnehmung von Aufgaben nicht gewerblicher Art nur einen im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten der Einheit untergeordneten Stellenwert besitzt, vermag dies nichts daran zu ändern, dass eine Einrichtung öffentlichen Rechts vorliegt, die den vergaberechtlichen Bestimmungen unterworfen ist171 (Infektionstheorie)172. Im Sektorenbereich sind öffentliche Unternehmen dann Auftraggeber iSd BVergG 2006, wenn sie einer Sektorentätigkeit nachgehen. Dies sind zB die Bereitstellung und das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Fortleitung und der Abgabe von Gas und Wärme sowie von Trinkwasser und die Einspeisung von Gas und Wärme oder Trinkwasser in diese Netze. Weitere Sektorentätigkeiten finden sich insbesondere im Bereich der Verkehrsleistungen (zB ÖBB) und der Postdienste (zB Österreichische Post AG)173. Private Unternehmen fallen dann unter den Begriff des Sektorenauftraggebers, wenn sie ihre Sektorentätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben.
V. Öffentliche Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftssektoren A. Vorbemerkung In Österreich lassen sich öffentliche Unternehmen in zahlreichen wichtigen Wirtschaftssektoren ausmachen. Die Bandbreite ihrer Aktivitäten ist äußerst weit und reicht von der Wahrnehmung (defizitärer) öffentlicher Aufgaben bis hin zu vorwiegend erwerbswirtschaftlichen Betätigungen. Öffentliche Unter170 171 172
173
ZB EuGH Rs C-470/99, Universale-Bau, Slg 2002, I-11617 (Rz 52). EuGH Rs C-44/96, Mannesmann Anlagenbau Austria AG ua/Strohal Rotationsdruck GmbH, Slg 1998, I-73 (Rz 25 f). Griller/Tremmel, Ausgegliederte Rechtsträger im Vergaberecht - Alles oder Nichts?, ecolex 1998, 369; Heid, Geltungsbereich des Bundesvergabegesetzes, in: Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht2, 2005, 33 (41). Näher dazu §§ 167 bis 172 BVergG 2006.
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nehmen wurden seit jeher auch als Mittel der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik eingesetzt. Der diesbezügliche Spielraum wurde zwar durch den Beitritt Österreichs zum EWR und in der Folge zur EU durch die damit verbundene Übernahme des europäischen Wettbewerbsrechts erheblich eingeschränkt. Dennoch: Auch der EuGH sieht Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, als Instrumente der nationalen Wirtschafts- oder Fiskalpolitik174. Solche Unternehmen können zwar auch private Unternehmen sein, sind in der Regel jedoch öffentliche Unternehmen. Eine Entwicklung der letzten Jahre ist die vermehrte Schaffung ausgegliederter Rechtsträger als Rechtspersonen des Privatrechts, die zur Wahrnehmung marktregulierender Aufgaben auch mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet sind („Ausgliederung der Hoheitsverwaltung“). Solche Gesellschaften - meist in Form von GmbH - finden sich insbesondere in Wirtschaftsbereichen, in denen der Staat im Rahmen ehemaliger Monopole nicht nur die Erbringung der jeweiligen Dienstleistung selbst, sondern auch die für die Erbringung der Leistungen unverzichtbaren Infrastruktureinrichtungen betrieben hat. Voraussetzung einer Öffnung dieser Infrastruktursektoren für den Wettbewerb ist der diskriminierungsfreie Zugang zur Infrastrukturnutzung für neue, konkurrierende Anbieter. Eine besondere, von den neuen Regulierungsbehörden zu kontrollierende Gefahr liegt darin, dass die ehemaligen Monopolunternehmen ihre in den entstehenden Märkten (noch) marktbeherrschenden Stellungen missbrauchen, indem sie über die ihnen gehörende Infrastruktur selbst Leistungen erbringen, Konkurrenten aber bei der Nutzung der für die Erbringung der Leistung und somit für fairen Wettbewerb unverzichtbaren Infrastrukturen („essential facilities“) diskriminieren. Die Errichtung unabhängiger Regulierungsbehörden, die auch mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet sind, ist zum einen durch entsprechendes gemeinschaftliches Sekundärrecht bedingt, zum anderen dadurch, dass die Bewältigung der neuen Verwaltungsbereiche neben juristischem auch umfassenden technischen und wirtschaftlichen Sachverstand erfordert175. Als typische Beispiele seien die Bereiche Post, Telekommunikation, Eisenbahnverkehr sowie Elektrizitäts- und Gasversorgung genannt. Können die Regulierungsbehörden mangels Wahrnehmung wirtschaftlicher Tätigkeiten auch nur schwerlich als öffentliche Unternehmen qualifiziert werden, sollen sie dennoch am Ende dieses Beitrags kursorisch dargestellt werden. Dies erscheint nicht zuletzt deshalb gerechtfertigt, weil Motiv ihrer Schaffung neben dem Aspekt ihrer Unabhängigkeit und Sachkunde auch die Stärkung unternehmerischer Komponenten im Sinne des „New Public Management“ ist. 174 175
EuGH Rs C-202/88, Telekommunikationsendgeräte, Slg 1991, I-1223 (Rz 12); Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5834 (Rz 55). Vorbild sind die „Independent Regulatory Agencies“ des amerikanischen Verwaltungsrechts. Schäffer, Wirtschaftsaufsichtsrecht, in: Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, Rz 506; Grabenwarter/Holoubek, Demokratie, Rechtsstaat und Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag, ZfV 2000, 194 (199); Holoubek, Die Organisation der Medienregulierung im Lichte der Konvergenz, JRP 2000, 216 (219f).
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B. Die Elektrizitäts- und Gaswirtschaft 1. Elektrizitätswirtschaft Obwohl das Zweite VerstG176 nicht mehr in Kraft steht177, prägt es die österreichische Elektrizitätswirtschaft noch heute178. Dies liegt daran, dass der betroffene Wirtschaftssektor im Zuge seiner Verstaatlichung eine systematische Neuordnung erfahren hat. Der von den damals unmittelbar präsenten Erinnerungen an die Kriegszeit geprägte, tragende Gedanke war, eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Strom zu angemessenen Preisen im Wege öffentlicher Unternehmen sicherzustellen, wobei die Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) auf verschiedenen Ebenen angesiedelt waren. Zu ihnen zählten nach § 6 Zweites VerstG auf Bundesebene die Verbundgesellschaft (Herbeiführung eines Ausgleichs zwischen Erzeugung und Verbrauch im Verbundnetz), die Sondergesellschaften (Bau und Betrieb von Großkraftwerken), die Landesgesellschaften (Allgemeinversorgung in den Ländern) und die städtischen EVU der Landeshauptstädte Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Linz und Salzburg (Allgemeinversorgung in den Städten). Nicht zuletzt durch die gesetzliche Verteilung der Aufgaben auf die verschiedenen Unternehmen war die österreichische E-Wirtschaft nach dem Zweiten VerstG im Ergebnis ein geschlossenes System, dessen tragende Pfeiler einerseits ausschließliche Versorgungskonzessionen und den EVU exklusiv zugewiesene Versorgungsgebiete sowie andererseits allgemeine Anschlussund Versorgungspflichten der EVU zu einheitlichen Bedingungen waren. Dieses System war zudem durch eine administrative Strompreisfestsetzung charakterisiert. Das gesetzlich festgeschriebene Gebot, dass die Anteilsrechte an den EVU zu 100% im Eigentum der öffentlichen Hand stehen mussten, wurde 1987 ausschlaggebend waren budgetäre Engpässe - mit der so genannten „Privatisierungsnovelle“ beseitigt179. Die Möglichkeit, 49 bzw 50% der jeweiligen Anteilsrechte zu veräußern, führte in der Folge tatsächlich zur Realisierung entsprechender Privatisierungserlöse. Auf europäischer Ebene wurden beginnend mit dem Weißbuch „Der Binnenmarkt für Energie“180 Schritte zur Liberalisierung des Energie- und damit auch des Elektrizitätsmarktes gesetzt. Die wesentlichste gemeinschaftliche Regelung zur Verwirklichung dieses Zieles stellte die so genannte Elektrizitäts-BinnenmarktRL181 dar. Wesentlicher 176 177 178
179
180 181
BGBl 1947/81. Grundlage des Zweiten VerstG war Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG (Kriegsfolgentatbestand). Vgl dazu VfSlg 4570/1963, 4939/1965. Vgl § 4 Abs 2 BVG über die Eigentumsverhältnisse in der österreichischen Elektrizitätswirtschaft, Art 2 BGBl I 1998/143. Zur geschichtlichen Entwicklung der E-Wirtschaft und des Elektrizitätsrechts Steffek, Überblick über das österreichische Energierecht, RdE 1995, 64ff; Winkler, Das Elektrizitätsrecht, 2000, 45ff. BVG BGBl 1987/321. Seit dieser Novelle müssen sich die Anteile an der Verbundgesellschaft und an den Landesgesellschaften nur mehr zu 51% in öffentlichem Eigentum befinden. Bei Sondergesellschaften liegt die Schwelle bei 51 bzw 50%. Vgl §§ 3 Abs 3, 4 Abs 2 und 5 Abs 1 Zweites VerstG idF der zitierten Novelle. KOM(88) 238 endg. RL 96/92/EG betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, Abl 1997 L 27/20.
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Ansatzpunkt der RL, mit der die Ära nationaler Versorgungsmonopole beendet werden sollte, war eine funktionale Dreiteilung der E-Wirtschaft in die Bereiche Erzeugung, Übertragung und Verteilung von Strom. Die Schlüsselbestimmungen der RL betreffen die Beseitigung ausschließlicher Rechte für die Elektrizitätserzeugung, die funktionelle Entflechtung (Unbundling) der erwähnten Betriebsbereiche sowie den freien, nicht diskriminierenden Netzzugang, insbesondere für so genannte „zugelassene Kunden“. Da sich die erhofften Liberalisierungen nicht einstellten, wurde die ElektrizitätsBinnenmarktRL im Jahr 2003 durch die so genannte BeschleunigungsRL182 ersetzt. Diese sollte einen zweiten Liberalisierungsschub auslösen und enthält sowohl in zeitlicher als auch in rechtlicher Hinsicht engere Umsetzungsvorgaben (zB hinsichtlich des Unbundling und des Netzzugangs bzw der Zugangsverweigerung)183. Der hier interessierende, aus dem Blickwinkel der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft einschneidende Schritt wurde freilich bereits mit der der Elektrizitäts-BinnenmarktRL folgenden Systemumstellung gesetzt.
In Österreich haben die europarechtlichen Vorgaben dazu geführt, dass zunächst das Zweite VerstG mit Wirkung vom 19. 2. 1999, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Elektrizitäts-BinnenmarktRL, außer Kraft gesetzt wurde184 und die österreichische Elektrizitätswirtschaft auf der Grundlage des neu erlassenen Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsG (ElWOG)185 eine tiefgreifende Neuordnung erfahren hat186. Das vor dem ElWOG im Zweiten VerstG enthalten gewesene Organisationsrecht iSd Mindestbeteiligung der öffentlichen Hand an den Elektrizitätsunternehmen wurde mit gleichem Inhalt in einem eigenen BVG geregelt187. Mit dem Inkrafttreten der im EnergieliberalisierungsG188 enthaltenen Novelle zum ElWOG wurden in der Folge erneut umfassende Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen vorgenommen189. Ins Spiel kamen neue Akteure, wie Bilanzgruppen, Regelzonenführer und ein unabhängiger Regulator. Vor allem aber wurde der Elektrizitätsmarkt mit 1. 10. 2001 - noch bevor dies die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen erforderten - vollständig geöffnet. Die Anpassung des ElWOG an die BeschleunigungsRL wurde im Jahr 2004 vorgenommen und betraf im Wesentlichen die gesellschaftsrechtliche Entflechtung auch der Verteilernetzbetreiber, die einem integrierten Unter182
183
184 185
186 187 188 189
RL 2003/54/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG, Abl L 176/37, idF RL 2004/85/EG, Abl L 236/10. Rabl, Energierechtsreform 2003 in Europa - endlich freier Strommarkt?, ecolex 2003, 877. Vgl dazu Schneider, Unbundling nach den neuen RL für den Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt, ecolex 2004, 85; Hoffer/Marth, Energiewirtschaft - Umsetzung des Unbundling nach den BeschleunigungsRL, ecolex 2004, 89. Art 2 § 4 Abs 2 BGBl I 1998/143. BG, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz - ElWOG), Art 1 BGBl I 1998/143. Zum Elektrizitätswirtschaftsrecht ausführlich Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 13ff. Art 2 BGBl I 1998/143. BGBl I 2000/121. Dazu Schmelz/Tremmel, Willkommen im freien Markt?, ecolex 2000, 551; Pauger, Der zweite Liberalisierungsschub - rechtliche Gesamtbilanz, in: Pauger (Hrsg), Das Elektrizitätsrecht nach der ElWOG-Novelle, 2001, 3.
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nehmen angehörten190. Der Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die (öffentlichen) Unternehmen liegt auf der Hand. Die Kardinalnormen des ElWOG sind jene über die Marktöffnung. Gemäß § 15 ElWOG haben Netzbetreiber den Berechtigten Netzzugang zu genehmigten Allgemeinen Bedingungen und zu bestimmten Systemnutzungstarifen (regulated third party access) zu gewähren, den Kunden steht ein entsprechender Anspruch zu (§ 17 ElWOG). Gemäß § 18 ElWOG müssen die Netzzugangsbedingungen nicht diskriminierend gestaltet sein und dürfen keine missbräuchlichen Praktiken oder ungerechtfertigten Beschränkungen enthalten. Nach der Stammfassung des ElWOG wurde der Kreis der zum Wettbewerb „zugelassenen Kunden“ schrittweise erhöht191. Im Sinne einer Vollliberalisierung sind nunmehr alle Kunden berechtigt, mit Erzeugern, Stromhändlern sowie Elektrizitätsunternehmen Verträge über die Lieferung von elektrischer Energie zur Deckung ihres Bedarfes zu schließen und hinsichtlich dieser Strommengen Netzzugang zu begehren. Die für eine Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes unverzichtbaren technischorganisatorischen Rahmenbedingungen betreffen vor allem die Übertragungs- und Verteilernetze. Die Übertragungsnetze sind in drei so genannte Regelzonen192 einzuteilen. Sie müssen - iSd Unbundling - einem unabhängigen Netzbetreiber (Regelzonenführer) übertragen werden, der für den Betrieb des Netzes verantwortlich ist (§§ 22 Abs 2, 23 ElWOG). Den Betreiber eines Übertragungsnetzes treffen besondere Pflichten. Er muss das System insbesondere sicher, zuverlässig, leistungsfähig und unter Bedachtnahme auf den Umweltschutz betreiben und erhalten. Als Ausgleich dafür steht ihm ein Entgelt einschließlich eines angemessenen Gewinnzuschlags zu. Nach der Stammfassung des ElWOG kam dem Betreiber eines Verteilernetzes das ausschließliche Recht der Allgemeinversorgung zu, was bedeutete, dass er innerhalb seines Gebietes die Stromversorgung aller „seiner“ Kunden durchführen konnte. Nach der Neufassung des ElWOG durch das EnergieliberalisierungsG hat ein Verteilernetzbetreiber (nur mehr) das Recht, innerhalb des von ihm abgedeckten Gebietes alle Endverbraucher und Erzeuger an sein Netz anzuschließen (Recht zum Netzanschluss; § 27 ElWOG). Auch die ursprünglich vorgesehene Versorgungspflicht hat sich zu einer allgemeinen Anschlusspflicht gewandelt. Um die Kosten für die Versorgung des Netzes mit Ausgleichsenergie möglichst verursachergerecht zu gestalten, sieht das ElWOG ein System von Bilanzgruppen vor, denen sich Erzeuger, Verbraucher und Lieferanten anzuschließen haben (§§ 46f). Innerhalb dieser virtuellen Gruppen kommt es zu einem statistischen Ausgleich zwischen dem vorweg pauschalierten Bedarf der Kunden und der Einspeisung der Erzeuger, da eine laufende Bedarfserfassung aller Kunden nicht wirtschaftlich wäre. Die wichtigste Aufgabe des Bilanzgruppenverantwortlichen besteht darin, den Energiesaldo der Gruppe festzustellen und dem Netzbetreiber weiterzugeben193. 190
191
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193
BGBl I 2004/63. Mit der Novelle des ElWOG, BGBl I 2005/44, wurde die Tätigkeit des Bilanzgruppenkoordinators auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt, nachdem der VfGH wesentliche Teile des VerrechnungsstellenG aufgehoben hatte, das die Aufgaben und Befugnisse der Verrechnungsstellen für Transaktionen und Preisbildung für Ausgleichsenergie geregelt hatte (VfSlg 17.160/2004). Endverbraucher, deren Verbrauch im jeweils letzten Abrechnungsjahr 40 (ab 19. 2. 1999; ca 75 Verbraucher), 20 (ab 19. 2. 2000; ca 150 Verbraucher) bzw 9 (ab 19. 2. 2003) GWh überschritten hatte. Die Regelzonen gliedern sich gem §§ 22 ElWOG nach den Netzen der Austrian Power Grid GmbH (Ostösterreich), der Tiroler Wasserkraftwerke AG und der Vorarlberger Kraftwerke AG. Dazu Derler, Bilanzgruppen und Zusammenarbeit mit den Marktpartnern im freien Strommarkt, in: Pauger (Hrsg), Das Elektrizitätsrecht nach der ElWOG-Novelle,
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Mit der Erlassung des ElWOG wurde das die Lieferung elektrischer Energie betreffende Preisrecht aus dem Anwendungsbereich des PreisG 1992 herausgelöst194 und als unmittelbar anwendbares Bundesrecht - in die Stammfassung des ElWOG integriert (§ 33). Die Möglichkeit zur amtlichen Preisregelung wurde zunächst vor allem aufrecht erhalten, um eine Überwälzung der Erlöseinbrüche bei Großabnehmern auf Kleinverbraucher zu verhindern. Mit der vollständigen Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes wurde die amtliche Preisregelung systemkonform im Wesentlichen auf die Bestimmung des Systemnutzungstarifs beschränkt (§ 25 ElWOG).
Nach Ansicht des EuGH ist die Sicherstellung der „ununterbrochenen Stromversorgung im gesamten Konzessionsgebiet für alle Abnehmer, lokale Versorgungsunternehmen oder Endverbraucher, in den zu jeder Zeit geforderten Mengen zu einheitlichen Tarifen und unter Bedingungen ..., die nur nach objektiven Kriterien unterschiedlich sein dürfen, die für alle Kunden gelten“, eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse195. Was die Beschränkung der Vertragsvorschriften betrifft, ging der EuGH noch kurze Zeit vor dem Inkrafttreten der Elektrizitäts-BinnenmarktRL bei der Anwendung des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag großzügig vor und sah weder eine Aufteilung des Strommarktes zwischen Erzeugungs- und Versorgungsunternehmen noch die ausschließliche Bindung der lokalen Versorger an die regionalen Versorgungsunternehmen noch das Verbot des Strombezugs aus dem Ausland als mit dem Vertrag jedenfalls unvereinbar196. Mittlerweile zeigt sich der Anwendungsbereich des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag durch die Elektrizitäts-BinnenmarktRL und die BeschleunigungsRL freilich erheblich beschränkt. In dem Maß, in dem sich aus sekundärrechtlichen Regelungen ergibt, dass die Sicherstellung der im öffentlichen Interesse gelegenen Dienstleistung einer qualitativ hochwertigen Versorgung mit Strom auch mit weniger schwerwiegenden Eingriffen in die Vertragsvorschriften zu bewerkstelligen ist, erscheinen massive Beschränkungen der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts nicht mehr verhältnismäßig. Gemäß § 4 ElWOG sind den Netzbetreibern und Elektrizitätsunternehmen als gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen insbesondere die nicht diskriminierende Behandlung aller Kunden, die allgemeine Anschlusspflicht, die Errichtung und Erhaltung einer ausreichenden Netzinfrastruktur, die Erfüllung der durch Rechtsvorschriften auferlegten Pflichten im öffentlichen Interesse sowie die Mitwirkung an Maßnahmen zur Beseitigung von Netzengpässen und an Maßnahmen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit, aufgetragen. Diese Aufzählung zeigt, dass es sich bei den erwähnten Pflichten nur in einem weitesten Sinne um gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen iSd Gemeinschaftsrechts, über weite Strecken jedoch um klassische Marktregulierung handelt. Nicht jede im öffentlichen Interesse auferlegte Handlungsbeschränkung ist als
194 195 196
2001, 81. S auch J. Mayer, Die Liberalisierung des österreichischen Elektrizitätsmarktes, in: Fremuth/Parak (Hrsg), Regulierung der Deregulierung von Infrastrukturmärkten, 2002, 183 (189f). Vgl Art 4 BGBl I 1998/143. EuGH Rs C-393/92, Almelo, Slg 1994, I-1477 (Rz 48). EuGH Rs C-157/94, Kommission/Niederlande, Slg 1997, I-5699; Rs C-158/94, Kommission/Italien, Slg 1997, I-5789; Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5815; Rs C-160/94, Kommission/Spanien, Slg 1997, I-5851.
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gemeinwirtschaftliche Verpflichtung zu qualifizieren. So entsprechen etwa Anschlusspflichten und Diskriminierungsverbote im Rahmen des Netzzugangs dem allgemeinen Grundsatz, dass (Netz)Monopolunternehmen ihre Vertragspartner nicht diskriminieren dürfen197. Der durch die Liberalisierung bewirkte Systemwandel im Elektrizitätswirtschaftsrecht, von dem vor allem öffentliche Unternehmen betroffen sind, lässt sich abschließend plastisch am Beispiel der Versorgungspflicht aufzeigen. Nach deren Abschaffung im Zuge der Vollliberalisierung wurde in der österreichischen Literatur - in Anknüpfung an gewohnte Traditionen im Elektrizitätsbereich - die Frage nach einer subsidiären Versorgungspflicht erhoben, also der Pflicht eines Unternehmens, einen Endkunden mit Energie zu beliefern, dem kein Netzzugang gewährt wird, unabhängig davon, warum dies der Fall ist198. Die Ableitung einer Versorgungspflicht aus der Möglichkeit der Zuweisung von Lieferanten oder Kunden zu einer Bilanzgruppe durch den Regulator wurde schließlich „unter Umständen“ für möglich gehalten199. Nunmehr würde Art 3 Abs 3 BeschleunigungsRL - anders als die Elektrizitäts-BinnenmarktRL - die Möglichkeit der Normierung eines Rechts auf Versorgung (Grundversorgung) mit Strom in Bezug auf Haushaltskunden bzw Kleinunternehmen vorsehen; der in der Abschaffung der Versorgungspflicht erblickte Paradigmenwechsel erscheint zumindest insofern auf europäischer Ebene nicht (mehr) bzw nur mehr beschränkt zu bestehen. Jedoch hat der österreichische Gesetzgeber keinerlei Änderungen betreffend die Versorgungspflicht unternommen200. Das Risiko, mangels Netzzugangs nicht durchgehend mit Energie beliefert zu werden, mag tatsächlich sehr gering sein, prinzipiell besteht es heute aber201, da es vom Markt abhängig ist202. Für die österreichischen Elektrizitätsversorgungsunternehmen hatte die geschilderte Entwicklung nicht nur zur Folge, dass sie sich den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprechend, also iSd Unbundling, umorganisieren 197 198 199
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Holoubek, Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen in einem liberalisierten Markt, in: Mayer (Hrsg), Hauptfragen des Elektrizitätswirtschaftsrechts, 2003, 19 (23ff). Schmelz/Tremmel (FN 189), 552. Pauger, Reform des Strom- und Gasrechts durch das Energieliberalisierungsgesetz, ÖZW 2001, 2. Vgl auch Holoubek, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60, 2001, 513 (527 FN 64); ausführlich ders (FN 197), 27ff. Dies, obwohl in der Literatur hinsichtlich des Rechts auf Versorgung deutlich darauf hingewiesen wurde, dass die entsprechenden „konkreten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen für Energieversorger … derzeit nicht (mehr)“ bestünden und im ElWOG nur „ähnliche Verpflichtungen für Netzbetreiber“ als „Placebos“ normiert seien. Holoubek (FN 197), 34; Rabl (FN 182), 878. Nach dem Wegfall der Versorgungsmonopole im Zuge der Systemumstellung könnte eine Versorgungspflicht tatsächlich als „gemeinwirtschaftliche Pflicht“ eines betroffenen Unternehmens betrachtet werden. Vgl im Zusammenhang mit den Zielbestimmungen des § 3 ElWOG Raschauer (FN 186), 29. Vgl auch zum Ziel der Versorgungssicherheit den gleichnamigen Beitrag von Holoubek/Segalla, in: Nowotny/Parak/Scheucher (Hrsg), Handbuch der österreichischen Energiewirtschaft, 2004, 75. In jüngerer Zeit wird sowohl im Elektrizitäts- als auch im Erdgasbereich vermehrt Augenmerk auf eine Verbesserung der Versorgungssicherheit beim Betrieb von Energienetzen gelegt. Vgl dazu das Energie-VersorgungssicherheitsG 2006, BGBl I 106, durch das auch das EnergielenkungsG und das EBMG geändert wurden.
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mussten, sondern auch, dass sie heute insofern in nicht unerheblich veränderter Form bestehen, als es nicht nur vermehrt zu Verschränkungen und Fusionen, sondern auch zu (Teil)Verkäufen203, zT an ausländische Unternehmen, gekommen ist204. Ob die seit Jahren angekündigte (kleine) „Österreichische Stromlösung“ (Verbund und Energieversorger von Wien, Niederösterreich und Burgenland) realisiert wird, ist (noch) nicht klar.
2. Gaswirtschaft Die Entwicklungen in der Erdgaswirtschaft folgen jenen im Bereich der EWirtschaft. Auch im Gasbereich ist die Einführung von Wettbewerb deklariertes Ziel, das begonnen wurde, mit der Erdgas-BinnenmarktRL205 umzusetzen, und nunmehr auf der Grundlage einer diese ablösenden BeschleunigungsRL206 (weiter) verfolgt wird. Nach dem Erlassen der Erdgas-BinnenmarktRL wurden die gasrechtlichen Vorschriften vom österreichischen Gesetzgeber konzentriert und im GaswirtschaftsG (GWG)207 kodifiziert208. Auch hier stehen die Bestimmungen über den Netzzugang im Mittelpunkt. Erdgasunternehmen waren seit 10. 8. 2000 203
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Der Gemeinderat der Stadt Graz hat als Eigentümer der Grazer Stadtwerke AG 2002 beschlossen, die Teilbetriebe Strom, Erdgas und Fernwärme aus der Grazer Stadtwerke AG auszugliedern und in eine neue Gesellschaft, die Energie Graz, einzubringen. Die Energie Graz ist nunmehr eine Tochtergesellschaft der Grazer Stadtwerke AG, Energie Steiermark AG, sowie der Stadt Graz. Im Jahr 2002 verkaufte die Stadt Innsbruck 25% plus eine Aktie der Innsbrucker Kommunalbetriebe AG (Stadtwerke) an die TIWAG. 2003 wurde der Geschäftsbereich Gas ausgegliedert und mit der TIGAS Erdgas Tirol GmbH fusioniert. In Linz wurden 2001 umfangreiche Umstrukturierungsmaßnahmen der städtischen Unternehmen (Errichtung einer Holding mit fünf operativen Gesellschaften mbH darunter auch die Elektrizitätsversorgung) mit dem Ziel der Effizienzsteigerung abgeschlossen. Im Februar 2006 wurde der Erwerb des 49%-Anteils der Verbundgesellschaft an der mit 1. 10. 2005 neu gegründeten Energie Klagenfurt GmbH abgeschlossen, in der die Strom-, Wärme- und Gasaktivitäten der Stadtwerke AG gebündelt worden waren. Das Vermögen der Salzburger Stadtwerke AG wurde im Jahr 2000 als Ganzes in die übernehmende Landesgesellschaft (SAFE) eingebracht, sodass das im Zweiten VerstG erwähnte städtische Elektrizitätsunternehmen in Salzburg nicht mehr existiert. Vgl auch den Teilverkauf der KELAG: 63,85% Kärntner Energieholding Beteiligungs GmbH (51% Land Kärnten, 49% RWE Energy), 35,12% Verbund, 0,03% Kärntner Stadtgemeinden. Vgl auch die Auflistung bei Raschauer (FN 186), 26ff. RL 98/30/EG betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt, Abl 204/1. Dazu Heidinger/Schneider, Wettbewerb gibt Gas, ecolex 1998, 807; Pauger, Reform des Strom- und Gasrechts durch das Energieliberalisierungsgesetz, ÖZW 2000, 97 (98f). RL 2003/55/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG, Abl L 176/57. Art 1 EnergieliberalisierungsG, BGBl I 2000/121. Zeitpunkt des Inkrafttretens war der 10. 8. 2000. Vgl dazu die Änderungen der GewO 1994, des RohrleitungsG, des PreisG 1992 und des ReichshaftpflichtG in den Art 2 bis 6 leg cit. Zum Gasrecht ausführlich Raschauer (FN 186), 147ff. Zu aktuellen Fragen des Gaswirtschaftsrechts der gleichnamige Tagungsband von Potacs (Hrsg), 2005.
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verpflichtet, zugelassenen Kunden Netzzugang zu gewähren. Diese konnten Bezugsverträge mit in- und ausländischen Gasversorgern ihrer Wahl abschließen. Seit 1. 10. 2002 - also noch bevor dies gemeinschaftsrechtlich geboten war - ist der Gasmarkt vollständig liberalisiert209. Auch im Bereich der Gaswirtschaft wurde vom österreichischen Gesetzgeber das Modell des geregelten Netzzugangs (Zugang zu genehmigten Allgemeinen Bedingungen und veröffentlichten Netzzugangstarifen) gewählt. Die Bestimmungen über die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen, die rechnerische Entflechtung integrierter Erdgasunternehmen und die Pflichten der Netzbetreiber sind analog zu den entsprechenden elektrizitätsrechtlichen Bestimmungen gestaltet. Mittlerweile verfügen E-Wirtschaft und Gaswirtschaft über gemeinsame Regulierungsbehörden, die Energie-Control GmbH und die Energie-Control Kommission. Analog zum Bereich der Elektrizitätswirtschaft wird auch die Versorgung mit Erdgas über weite Strecken von auf Landes- bzw Stadtebene eingerichteten, häufig öffentlichen Unternehmen besorgt. Allerdings kommt es laufend zu Ausgliederungen, (Teil)Verkäufen und Restrukturierungen, auch in der Form wechselseitiger Beteiligungen210, sodass manchmal erst nach eingehenderen Recherchen festgestellt werden kann, ob die öffentliche Hand tatsächlich (noch) die Anteilsmehrheit hält. Am bedeutendsten Erdgasunternehmen, der OMV, die sich wiederum in mehrere Gesellschaften gliedert (zB Gas-Fernleitung, Rohöl-Auffindung), hält der Bund über die ÖIAG (nur) noch 31,5%. Im Mai 2006 wurden Pläne bekannt, die OMV und die Verbundgesellschaft zu einem großen „EnergiePlayer“ zusammenzuführen. Die in einem BVG festgeschriebene Mehrheit der öffentlichen Hand an der Verbundgesellschaft hätte dann aufgegeben werden müssen. Derzeit werden die Fusionspläne nicht mehr verfolgt.
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§ 1 Abs 3 BG betreffend den stufenweisen Übergang zu der im Gaswirtschaftsgesetz vorgesehenen Marktorganisation. Vgl nur die Herausnahme und Fusion des Gasbereichs der Innsbrucker Kommunalbetriebe AG mit der TIGAS Erdgas Tirol GmbH. Vgl weiters folgende Unternehmen(sbeteiligungen): TIGAS (85,9993% TIWAG, 14% IKB AG, 0,0007% SPZ Zementwerk Eiberg GmbH & Co KG); BEGAS (51% Gemeindeanteilsverwaltungs GmbH [Zusammenschluss erdgasversorgter burgenländischer Gemeinden], 49% Burgenland Holding AG [69,58% EVN AG, daneben: Wiener Stadtwerke Holding AG, BEWAG, Austrian Hydro Power AG und Streubesitz]); EVN AG (51% NÖ Landes-Beteiligungsholding GmbH, 29,7% EnBW, 13,3% Streubesitz, 6% Raiffeisen Landesbank Oberösterreich); KELAG (63,85% Kärntner Energie-Holding GmbH [51% Land Kärnten, 49% RWE Energy], 35,12% Verbund - Österreichische Elektrizitätswirtschafts AG, 1% Streubesitz und 0,03% Gemeinden); Salzburg AG für Energie, Verkehr und Telekommunikation (42,56% Land Salzburg, 31,31% Stadt Salzburg, 26,13% Energie Oberösterreich Service- und Beteiligungsverwaltungs-GmbH); Steirische Gas-Wärme GmbH (99,996% Energie Steiermark Holding AG [75% minus 1 Aktie Land Steiermark, 25% plus 1 Aktie Société d’Investissement en Autriche], 0,004% STEWEAG); WIEN ENERGIE Gasnetz GmbH: 100% WIEN ENERGIE GmbH (100% Wiener Stadtwerke Holding AG); Energie Graz GmbH & Co KG (49% Grazer Stadtwerke Energie Holding AG [100% Grazer Stadtwerke AG], 2% Stadt Graz, 49% Energie Steiermark AG).
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C. Post und Telekommunikation 1. Die strukturelle Trennung von Post und Telekom Dienstleistungen im Bereich des Post- und Fernmeldewesens wurden in Österreich traditionell in der Form eines Eigenbetriebes (unselbstständige Anstalt) des Bundes im Rahmen der Post- und Telegraphenverwaltung (PTV) erbracht211. Erst mit dem PoststrukturG (PTSG) aus dem Jahr 1996212 wurde die PTV aus dem ministeriellen Bereich ausgegliedert und ihr Aufgabengebiet dem neu gegründeten selbstständigen Unternehmen „Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft“ (PTA AG) zum 1. 5. 1996 übertragen. Unternehmensgegenstand der Gesellschaft waren die Erbringung von Leistungen in den Bereichen Postdienst, Fernmeldedienst, Paketdienst, Omnibusdienst und andere kommerzielle Leistungen (§ 2 PTSG). Ebenfalls mit dem PTSG wurde die „Post- und Telekombeteiligungsverwaltungsgesellschaft“ (PTBG) als GmbH errichtet (§ 11 Abs 1 PTSG). Dieser Gesellschaft wurden die Aktien der PTA AG ins Eigentum übertragen. Aufgabe der PTBG waren das Ausüben der Aktionärsrechte bei der PTA sowie die Verwaltung und Tilgung der Schulden, die nicht in der Eröffnungsbilanz der PTA dargestellt wurden. Im Oktober 1996 wurde der Betrieb der Mobilkommunikation rückwirkend per 1. 5. 1995 auf die neu gegründete Mobilkom Austria AG übertragen und per 1. 1. 1998 schließlich der Teilbereich Telekommunikation aus der PTA herausgelöst und in eine 100%ige Tochtergesellschaft (einschließlich der Mobilkom), die Telekom Austria, eingebracht. Damit waren die Bereiche Telekommunikation und „gelbe Post“ nach einer mehr als 100-jährigen gemeinsamen Geschichte rechtzeitig zur Liberalisierung des Telekommarkts strukturell voneinander getrennt.
2. Post Die Pflicht zur „Sammlung, ... Beförderung und ... Verteilung von Postsendungen zugunsten sämtlicher Nutzer, im gesamten Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, zu einheitlichen Gebühren und in gleichmäßiger Qualität sowie ohne Rücksicht auf Sonderfälle und auf die Wirtschaftlichkeit jedes einzelnen Vorgangs“ hat der EuGH als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse iSd Art 86 Abs 2 EG-Vertrag qualifiziert213. Da solche Dienste (Universaldienste) zT defizitär strukturiert sind, kann es zur Sicherstellung ihrer Erbringung erforderlich sein, bestimmte (andere) Postdienste jenem Unternehmen vorzubehalten (Beförderungsvorbehalt), das die für die Allgemeinheit besonders wichtigen Basisdienste erbringt. Damit soll ein finanzieller Ausgleich für durch den Universaldienst beim Unternehmen auftretende wirtschaftliche Belastungen gewährt werden214. Die entsprechenden Rahmenbedingungen finden sich in der PostRL215, die durch das PostG 1997216 umgesetzt wurde. 211 212 213 214
Wenger (FN 3), 269; Funk (FN 117), 24. Art 95 BGBl 201. EuGH Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533 (Rz 15). Betrifft ein Beförderungsvorbehalt Leistungen, die besonderen Bedürfnissen von Wirtschaftsteilnehmern entsprechen und bestimmte Leistungen verlangen, die der
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Mit der Erbringung des Universaldienstes217 ist in Österreich die Österreichische Post AG betraut (§ 5 PostG 1997). Als Ausgleich dafür ist ihr - bis auf wenige Ausnahmen - das Erbringen von Postdienstleistungen für persönlich beanschriftete Briefsendungen bis zu einem Gewicht von 50 Gramm als ausschließliches Recht vorbehalten (§ 6 PostG 1997)218. Eine (weitergehende) Einschränkung des Beförderungsvorbehalts ist bis zum Beginn des Jahres 2009 nicht vorgesehen. Die Telekom-Control-Kommission mit einem eigenen dafür zuständigen Senat und die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH fungieren ab 1. 1. 2008 als Post-Regulator (§ 25a PostG 1997219). Die PostRL sieht vor, den Postsektor bis zum Jahr 2009 zur Gänze zu liberalisieren. Nicht zuletzt in Vorbereitung auf diesen Schritt hat die Post AG in den vergangenen Jahren eine erhebliche Zahl von Postämtern geschlossen und die Versorgung der Bevölkerung in den betroffenen Gebieten auf PostGeschäftsstellen, Landzusteller oder so genannte „mobile Postämter“ umgestellt (vgl § 4 Abs 5 PostG 1997). Am 9. 5. 2006 wurde die ÖIAG ermächtigt, eine Börseneinführung der Österreichischen Post AG von bis zu 49% zum bestmöglichen Zeitpunkt durchzuführen. Ende Mai dieses Jahres wurde die Post-Aktie zum ersten Mal an der Wiener Börse gehandelt.
3. Telekommunikation Das Paradebeispiel einer erfolgreichen Liberalisierung im Sog des Gemeinschaftsrechts ist der Telekommunikationssektor. Beginnend mit dem Grünbuch der Kommission über die „Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsendgeräte“ aus dem Jahr 1987220 wurde der Markt bis 1. 1. 1998 schrittweise liberalisiert. Nachdem sich im Telekommunikationsbereich lebhafter Wettbewerb, der durch einen neuen Rechtsrahmen auch im Sinne der Konvergenz zukünftig noch forciert werden soll, mit Preissenkungen und Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Anbietern etabliert hat und die Marktanteile der Incumbents (in
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herkömmliche Postdienst nicht anbietet, hält der EuGH einen Beförderungsvorbehalt für unzulässig. EuGH Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533 (Rz 19). RL 97/67/EG über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität, Abl 1998 L 15/14, idF RL 2002/39/EG, Abl L 176/21. BGBl I 1998/18 idF BGBl I 2006/33. Der Universaldienst umfasst nach § 4 PostG 1997 folgende Leistungen: Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postsendungen bis 2 kg und von Postpaketen bis 20 kg sowie Dienste für Einschreib- und Wertsendungen. Der VfGH hält einen Beförderungsvorbehalt im Hinblick auf die Erwerbsfreiheit an sich für unbedenklich, solange die Post die Beförderungsleistungen ordnungsgemäß erbringen kann. Ein Beförderungsvorbehalt für Beförderungsleistungen, für die keine Beförderungspflicht der Post besteht, sowie für Beförderungsleistungen, die von der Post nicht erbracht werden können, stellen allerdings eine nicht mehr adäquate und sachlich nicht gerechtfertigte Beschränkung der Erwerbsfreiheit dar. VfSlg 11.494/1987. Dazu unten beim Postregulator. KOM(87) 290 endg.
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Österreich: Telekom Austria AG) zurückgegangen sind, plant die Kommission, die (asymmetrische) Regulierung nach und nach zu reduzieren. In Österreich trafen die gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Liberalisierungsschritte auf einen zu 100% geschlossenen Telekommunikationsmarkt, in dem bis zum PTSG 1996 die PTV Monopolist in Bezug auf alle öffentlichen Telekommunikationsdienste, die Errichtung der Infrastruktur sowie die Zulassung von Endgeräten war. Nach einem Zwischenschritt in Gestalt des Fernmeldegesetzes 1993221 war der dann vollkommen wettbewerblich ausgerichtete Rechtsrahmen in Österreich im TKG 1997222 grundgelegt, das unter anderem Bestimmungen über den Netzzugang für Wettbewerber und die wettbewerbssichernde Regulierungsbehörde enthielt. Vorbehalte zu Gunsten der Telekom Austria kannte dieses Gesetz nicht mehr. Eine Weiterentwicklung erfuhr das Telekom-Recht zuletzt durch das TKG 2003223, mit dem der Gesetzgeber den umfangreichen neuen europäischen Rechtsrahmen in Gestalt der Rahmen-, Genehmigungs-, Universaldienst-, Zugangs- und der Datenschutzrichtlinie umgesetzt hat. Im Wesentlichen parallel zur rechtlichen Liberalisierung wurden auf unternehmensorganisatorischer Ebene Umstrukturierungen vorgenommen. Im April 1997 verkaufte die PTA AG 25,001% des Aktienkapitals der Mobilkom Austria AG an die Telecom Italia. Diese erwarb 1998 zudem 25,001% an der Telekom Austria AG, die von dieser im Jahr 2002 wieder zurückgekauft wurden. Im Jahr 2000 fand der Börsegang der Telekom Austria statt, der vom Volumen her gesehen der bedeutendste Privatisierungsschritt war. In der Folge kam es in den verschiedenen Unternehmen mehrfach zu massiveren Änderungen der Aktionärsstruktur, wobei sich die Unternehmen ihrerseits an ausländischen Unternehmen beteiligten224. Per 31. 12. 2005 hielt die ÖIAG an der Telekom Austria AG, die im Laufe des Jahres 2006 in eine Holding umstrukturiert werden soll, einen Anteil von weniger als 30%. Das Dargestellte zeigt plastisch, dass die Unternehmensentwicklung von der in den ministeriellen Bereich integrierten PTV als umfassender Monopolistin zu einem im Wettbewerb stehenden Telekommunikationsunternehmen geführt hat, dessen Totalprivatisierung als AG im Übrigen bereits einmal im Raum gestanden ist. Die Telekom Austria AG ist - ähnlich wie die Post AG Universaldienstbetreiber225. Als Ausgleich für die entsprechenden Tätigkeiten 221
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Mit dem FernmeldeG 1993, BGBl 908, wurde der Marktzutritt für sämtliche Bereiche mit Ausnahme der Erbringung des öffentlichen Sprachtelefondienstes sowie der Bereitstellung der öffentlichen Festnetzinfrastruktur liberalisiert. Der behördliche Bereich wurde von jenem der Diensteerbringung getrennt und die Rechtsbeziehung zwischen Post- und Telegraphenverwaltung und ihren Kunden nicht mehr hoheitlich, sondern in privatrechtlicher Form gestaltet. Vgl zum Telekommunikationsrecht das gleichnamige Handbuch von Damjanovic/Holoubek/Kassai/Lehofer/Urbantschitsch, 2006. BGBl I 100. BGBl I 70 idF BGBl I 2005/133. So stehen beispielsweise 100% der Mobiltel Bulgarien im Eigentum der Telekom Austria AG. Nach § 26 Abs 2 TKG 2003 umfasst der Universaldienst 1. den Zugang zum öffentlichen Telefondienst über einen an einem festen Standort realisierten Anschluss, über den auch ein Fax und ein Modem betrieben werden können, einschließlich der
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erhält sie Zahlungen aus dem Universaldienstfonds, der von Marktteilnehmern, die einen gewissen Mindestjahresumsatz erzielen, nach dem Verhältnis ihrer Marktanteile gespeist wird. Zwar normiert das TKG 2003 den Grundsatz, dass der Universaldienstbetreiber im Wege einer jedenfalls alle zehn Jahre stattfindenden Ausschreibung zu eruieren ist (§ 30 TKG 2003), doch ist eine solche faktisch nur dann sinnvoll möglich, wenn der entsprechende Markt ausreichend entwickelt ist. Dies scheint derzeit noch nicht der Fall zu sein, der BMVIT hat den Markt allerdings regelmäßig zu überprüfen und allenfalls eine Ausschreibung zu veranlassen (§ 133 Abs 9 TKG 2003). Der Übergang vom Monopol zum Wettbewerb ist im Bereich der Telekommunikation insofern ein vollständiger, als nicht nur der open entry verwirklicht wurde, sondern darüber hinaus das ehemalige Staatsunternehmen wozu das Gemeinschaftsrecht nicht zwingt - bereits vor seiner Totalprivatisierung stand. Derzeit hält der Bund noch knappe 30% an der Telekom Austria AG, sodass von einem öffentlichen Unternehmen wohl nicht mehr gesprochen werden kann. Zudem wird der Ausschreibungswettbewerb zukünftig auch die Erbringung der Universaldienstleistungen erfassen. Damit ist rechtlich ein Maximum an Wettbewerb realisiert.
D. Der Rundfunk In Österreich stellt Rundfunk kraft verfassungsgesetzlicher Anordnung (BVGRundfunk) eine öffentliche Aufgabe dar226. Nach hL und Rsp227 bedarf der Betrieb von Rundfunk auf der Grundlage dieser verfassungsrechtlichen Norm einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung. Für den Österreichischen Rundfunk (ORF) bildet diese Grundlage das ORF-G228. In Österreich war die Rundfunklandschaft über Jahrzehnte durch ein Monopol des ORF geprägt229. Schließlich war die Marktöffnung im Rundfunkbe-
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fernmeldetechnischen Übertragung von Daten mit Datenraten, die für einen funktionalen Internetzugang ausreichen, 2. die Erbringung eines betreiberübergreifenden Auskunftsdienstes, 3. die Erstellung eines betreiberübergreifenden Teilnehmerverzeichnisses von Teilnehmern an öffentlichen Telefondiensten sowie den Zugang zu diesem Verzeichnis, 4. die flächendeckende Versorgung mit öffentlichen Sprechstellen an allgemein und jederzeit zugänglichen Standorten. Art I Abs 3 BVG über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks (BVGRundfunk), BGBl 1974/396. Für viele Funk, Medienaufsicht, in: Aicher/Holoubek (Hrsg), Das Recht der Medien, 1998, 45 (54); Holoubek/Damjanovic, Medienregulierung unter „Konvergenz“-Bedingungen, MR, Beilage zu Heft 2/2000, 9; Korinek, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen staatlicher Regulierung der Medien vor dem Hintergrund der Konvergenz, JRP 2000, 129 (132). VfSlg 9909/1983. BGBl 1984/379 idF BGBl I 2005/159 (Titel mit BGBl I 2001/83 geändert von RundfunkG in ORF-G). Vgl dazu VfSlg 2721/1954, wonach der Bund - aus kompetenzrechtlicher Sicht befugt ist, im Rahmen seiner Gesetzgebungszuständigkeit die privatwirtschaftliche Betätigung auf einem bestimmten Gebiet dem Bund als Regal vorzubehalten und dadurch jedes andere Rechtssubjekt von einer gleichartigen Betätigung auszuschließen.
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reich jedoch nicht nur gemeinschaftsrechtlich230, sondern auch verfassungsrechtlich231 geboten. (Erst) In den 1990’er Jahren kam es durch die Schaffung entsprechender gesetzlicher Grundlagen nach und nach zur Liberalisierung im Bereich des privaten Hörfunks, des Hörfunks und Fernsehens im Kabelnetz bzw über Satelliten sowie des terrestrischen Fernsehens232. Aus rechtlicher Sicht ist Wettbewerb im Bereich des Rundfunks heute umfassend möglich.
Hinsichtlich dieses Wettbewerbs wird von der Kommission seit einigen Jahren233 vor allem die Finanzierung des öffentlichen Rundfunks mittels Gebühren kritisch beobachtet. Die Kommission sah in dieser Form der Finanzierung den gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenbegriff berührt234. Zwar ist eine Finanzierung (auch) durch öffentliche Mittel nicht per se unzulässig. Die Gebühren dürfen aber nur zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden, was eine Quersubventionierung wettbewerblicher Bereiche ausschließt. Zudem unterliegt diese Art der Finanzierung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, sodass staatliche Ausgleichszahlungen die mit der Sicherstellung des öffentlichen Auftrags verbundenen Nettomehrkosten nicht übersteigen dürfen und der Wettbewerb auf dem jeweils sachlich relevanten Markt nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden darf, das dem Gemeinschaftsinteresse zuwider läuft.
Ursprünglich war der ORF in der Form einer im Eigentum des Bundes und der Länder stehenden GmbH organisiert („Österreichische Rundfunk GmbH“)235. Im Zuge der Rundfunkreform des Jahres 1974236 wurde er in einen eigenen Wirtschaftskörper mit Rechtspersönlichkeit umgewandelt (§ 1 Abs 1 RFG). Als selbstständige Anstalt öffentlichen Rechts237 war er sein eigener Rechtsträger, an dem keine fremden Anteilsrechte bestanden. Heute ist der ORF eine Stiftung des öffentlichen Rechts238. Ihr Zweck ist die Erfüllung des ihr übertragenen öffentlich-rechtlichen Auftrags (§ 1 ORF-G). Dieser umfasst 230
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Nach zutreffender Auffassung werden die wirtschaftlich-wettbewerblich relevanten Bereiche des Rundfunks vom EG-Vertrag (Dienstleistungsfreiheit) erfasst, inhaltliche, geistig-gesellschaftlich relevante Belange fallen hingegen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Kulturpolitik). Vgl insb EGMR 24.11.1993, Informationsverein Lentia/Österreich, JBl 1994, 324. Ausführlich Holoubek, Rundfunkgesetz wohin?, 1995. Vgl BG, mit dem Regelungen über regionalen und lokalen Hörfunk erlassen werden (Regionalradiogesetz - RRG), BGBl 1993/506, das durch das BG, mit dem Bestimmungen für privaten Hörfunk erlassen werden (Privatradiogesetz - PrR-G), BGBl I 2001/20 idF BGBl I 2004/169, abgelöst wurde, das nunmehr bundesweite private Radioprogramme ermöglicht; BG, mit dem Bestimmungen über den Kabel- und Satellitenrundfunk erlassen werden (Kabel- und Satelliten-Rundfunkgesetz), BGBl I 1997/42, das durch das BG, mit dem Bestimmungen für privates Fernsehen erlassen werden (Privatfernsehgesetz - PrTV-G), BGBl I 2001/84 idF BGBl I 2004/169, ersetzt wurde. Anstoß war insb eine Verurteilung der Kommission im September 1998 wegen ihrer Untätigkeit in zwei Beschwerdefällen (EuG Rs T-95/96, Gestevision Telecinco, Slg 1998, II-3407). Dazu Kahl (FN 153), 240 ff mwN; Thyri/Jäger, Sportfernsehen und EG-Wettbewerbsrecht, wbl 2006, 197 (200). Vgl RFG 1966, BGBl 195. Funk, Rundfunkmonopol aus verfassungsrechtlicher Sicht in Österreich - Gesetzesvorbehalt, Art. 10 EMRK, Rechtsstaatsprinzip, FS Ermacora, 1988, 349 (350). Vgl RFG 1974, BGBl 397, wv durch das RFG 1984, BGBl 379. VfSlg 7593/1975, 7717/1975. Dazu Riccabona, Der ORF am Prüfstand des Stiftungsbegriffs, RfR 2002, 1.
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den Versorgungs- und den Programmauftrag sowie die besonderen Aufträge (vgl §§ 3, 4, 5 ORF-G). Soweit Tätigkeiten des ORF im Rahmen dieses öffentlich-rechtlichen Auftrags erfolgen, ist dieser nicht auf Gewinn gerichtet. Darüber hinausgehende Aktivitäten können gewinnorientiert betrieben werden, müssen aber organisatorisch und rechnerisch von Tätigkeiten im Rahmen des Versorgungsauftrages getrennt werden239. Mittel aus dem Programmentgelt (Rundfunkgebühren) dürfen hiezu nicht verwendet werden (§ 2 ORF-G). Die wichtigsten Organe des ORF sind der Stiftungsrat (Aufsicht), der Generaldirektor (Geschäftsführung), der Publikumsrat (Wahrung der Interessen der Hörer und Seher) sowie die Prüfungskommission (Kontrolle des Jahresund des Konzernabschlusses und des Lageberichts). Das Verhältnis zwischen Generaldirektor und Stiftungsrat entspricht im Wesentlichen jenem zwischen Vorstand und Aufsichtsrat einer AG. Angesichts dessen, dass die überwiegende Zahl von Stiftungsräten nach § 20 ORF-G von der öffentlichen Hand (BReg und Länder) und dass der Generaldirektor wiederum vom Stiftungsrat bestellt und abberufen wird, kann im ORF ein öffentliches Unternehmen gesehen werden, das sich mittlerweile in einem wettbewerblichen Umfeld befindet.
E. Der Eisenbahnverkehr Ausgangspunkt der Liberalisierung des Schienenverkehrs war die Neuausrichtung der europäischen Eisenbahnverkehrspolitik nach dem Untätigkeitsurteil des EuGH240, in dem der Gerichtshof im Gefolge der nur schleppenden Liberalisierung des Verkehrsbereichs urteilte, dass der Rat seiner Verpflichtung, die Dienstleistungsfreiheit auf dem Verkehrssektor herzustellen, nicht nachgekommen sei. Als sich Ende der 1980’er Jahre zudem die wirtschaftliche Lage und die Wettbewerbsposition der Eisenbahnen zunehmend verschlechterten, war es politisch möglich, Entscheidungen in Richtung schrittweiser Liberalisierung des Schienenverkehrs im Rat herbeizuführen und so die gemeinsame Verkehrspolitik im Sinne der Verwirklichung des Binnenmarkts auch im Bereich der Eisenbahndienste neu auszurichten. Herzstück auf dem Weg zu einem „echten gemeinschaftlichen Eisenbahnsystem“241 ist die Richtlinie 91/440/EWG zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft242. Ihr Art 1 legte ursprünglich fest, „dass internationalen Gruppierungen von Eisenbahnunternehmen sowie Eisenbahnunternehmen, die Verkehrsleistungen im grenzüberschreitenden kombinierten Güterverkehr erbringen, Zugangsrechte zu den Eisenbahnnetzen der Mitgliedstaaten garantiert werden“. Eine umfassende Marktöffnung im Bereich der Beförderung mit der Bahn war damit ersichtlich (noch) nicht angestrebt243. Um den Wettbewerb fair zu gestalten, enthält die Richtlinie - analog zu den anderen
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Zur TransparenzRL Pkt I.C.4. EuGH Rs 13/83, Parlament/Rat, Slg 1985, 1513. Mitteilung der Kommission über eine Eisenbahnpolitik der Gemeinschaft, KOM(89) 564 endg., 5. Abl L 237/25. Zugangs- und Transitrechte standen, abgesehen vom grenzüberschreitenden kombinierten Güterverkehr, lediglich so genannten internationalen Gruppierungen als Verbindung mindestens zweier Eisenbahnunternehmen und dies nur im grenzüberschreitenden Personenverkehr zwischen jenen Staaten zu, in denen die Mitglieder der Gruppierung ihren Sitz haben.
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liberalisierten Netzsektoren - neben den Vorschriften über den Zugang zum Schienennetz auch Bestimmungen, die die Unabhängigkeit der Geschäftsführung der Bahnen sowie die Trennung des Betriebs der Infrastruktur von der Erbringung der Verkehrsleistungen garantieren244. In der Folge wurden als weitere Liberalisierungsschritte auf europäischer Ebene drei so genannte „Eisenbahnpakete“ geschnürt, die aus einer Vielzahl von Liberalisierungsund Harmonisierungsakten bestehen245. Kurz zusammengefasst stellt sich die daraus resultierende Lage derzeit folgendermaßen dar: Der Güterverkehr wird ab 1. 1. 2006 in zwei Schritten vollständig für den Wettbewerb geöffnet, und zwar nicht nur im grenzüberschreitenden Verkehr, sondern auch hinsichtlich des inländischen Verkehrs (Kabotage), der mit 1. 1. 2007 liberalisiert ist (Zweites Eisenbahnpaket). Die Marktöffnung im Personenverkehr ist Gegenstand des dritten Pakets und geht vergleichsweise langsamer vor sich. Während sich das Europäische Parlament für eine Öffnung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs zum 1. 1. 2008 und für eine Liberalisierung der nationalen Eisenbahnmärkte bis zum 1. 1. 2012 ausgesprochen hat, einigten sich die Verkehrsminister lediglich auf eine Marktöffnung des grenzüberschreitenden Verkehrs ab dem Jahr 2010. Ob sich das Parlament damit begnügen wird, ist offen.
In Österreich wurde die überragende Bedeutung der Eisenbahn für den Staat, die (Volks)Wirtschaft und die Gesellschaft von Beginn246 an erkannt. Dementsprechend sah man nicht nur die Staats-, sondern auch die Privatbahnen als der Staatsverwaltung näherstehend „als irgend ein anderes Institut“ und letztlich als „Theil des Staatsorganismus“ (der Staatsverwaltung) zur Förderung des Allgemeinwohls (Regal)247. Im Laufe der Jahrzehnte griff ein mehrfacher Wechsel zwischen Staats- und Privatbahnsystem Platz248. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Bundesbahnen - nach ihrer Trennung von der Reichsbahn - in die unmittelbare Staatsverwaltung249 eingegliedert, die Überleitung der Österreichischen Staatseisenbahnen in einen selbstständigen Wirtschaftskörper allerdings in § 51 Abs 3 BehördenÜberleitungsG ausdrücklich vorbehalten. Das BBG 1969250 trennte schließlich die Hoheitsverwaltung von der Betriebsverwaltung und sah die Errichtung eines selbstständigen Wirtschaftskörpers „Österreichische Bundesbahnen“ vor. Während der ersten Liberalisierungsschritte führten die ÖBB als ausgegliederte, im Eigentum des Bundes stehende und vom Bundeshaushalt losgelöste Gesellschaft sui generis mit eigener Rechtspersönlichkeit den Bereich Erbrin244 245
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Vgl Burmeister, Der Wettbewerb der Eisenbahnen im europäischen Binnenmarkt, 2001, 58ff. Vgl dazu Segalla, Offener Netzzugang im Schienenverkehr, 2002; Zellhofer, Der Wettbewerb auf den Europäischen Schienenverkehrsmärkten, 2003; Dullinger/ Holoubek/Segalla (Hrsg), Recht und Praxis der Eisenbahnliberalisierung, 2004. Als erste Eisenbahn auf dem europäischen Kontinent beruhte die Pferdeeisenbahn zwischen Mauthausen und Budweis, also zwischen Donau und Moldau, auf einer Privilegiumsurkunde vom 7. 9. 1824. Haberer, Das österreichische Eisenbahnrecht, 1885, 6 ff. Erste Staatsbahnperiode ab 1841; Privatbahnsystem ab 1854; bis heute andauerndes Staatsbahnsystem ab 1879. Staatsamt für Industrie, Gewerbe, Handel und Verkehr. Die Generaldirektion der ÖBB wurde zu einer Sektion des zuständigen Bundesministeriums. BGBl 137.
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gung der Verkehrsleistung und den Infrastrukturbereich einschließlich der Funktion als Fahrwegbetreiber und Zuweisungsstelle organisatorisch und rechnerisch voneinander getrennt. Das Schienennetz wurde vom „ÖBB-Bereich Infrastruktur“ verwaltet und betrieben (zB Trassenvergabe, Benützungsentgeltberechnung und -einhebung). Mittlerweile sind die ÖBB auf der Grundlage des Bundesbahnstrukturgesetzes 2003251 als Holding organisiert. Insbesondere Infrastruktur- (ÖBBInfrastruktur Betrieb AG) und Transportbereich (ÖBB-Personenverkehrs AG bzw Rail Cargo Austria AG) sind organisatorisch getrennt252. Am 100%-igen Eigentum des Bundes und an den Aufgaben der ÖBB hat sich zwar nichts Wesentliches geändert, der organisatorische Rahmen wurde jedoch - nicht zuletzt im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben - wesentlich transparenter253. Bisher ist der Druck auf die ÖBB im Gefolge der Liberalisierungsschritte insbesondere im Güterverkehr gestiegen.
F. Der Kraftfahrlinienverkehr Das Ermöglichen eines gewissen Maßes an Mobilität - insbesondere für mobilitätsbehinderte Personen bzw für Personen, die nicht über ein privates Kraftfahrzeug verfügen - wird in Österreich, was den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) betrifft, seit jeher „als eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse, insbesondere der Daseinsvorsorge“254, betrachtet, die traditionell von öffentlichen Unternehmen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene wahrgenommen wird. Auch im Gemeinschaftsrecht gelten die entsprechenden Dienste als gemeinwirtschaftliche Leistungen. Auf Gemeinschaftsebene gestaltet sich die Liberalisierung des ÖPNV vor allem aus drei Gründen interessant: Zum Ersten war es lange Zeit umstritten, ob die entsprechenden Tätigkeiten angesichts der häufig nur regionalen und lokalen Tätigkeiten der betroffenen Unternehmen überhaupt binnenmarktrelevanten Charakter besitzen. Dies hat der EuGH im Jahr 2003 für die Zeit nach
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BGBl I 138. Unter der ÖBB-Holding AG finden sich die ÖBB-Personenverkehrs AG und die Rail Cargo Austria AG, als deren gemeinsame Töchter die ÖBB-Traktion GmbH (Loks und Lokführer) und die ÖBB-Technische Services-GmbH (Werkstätten), sowie die ÖBB-Dienstleistungs GmbH, die ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG und die ÖBB-Infrastruktur Bau AG (Planung, Kraftwerke etc) und als Tochter letzterer die ÖBB-Immobilienmanagement GmbH (Bewirtschaftung und Verwertung der Liegenschaften der ÖBB-Infrastruktur Bau AG). Ob integrierte Unternehmen - auch in Gestalt einer Holding - nach dem ersten Infrastrukturpaket zulässig sind, ist umstritten. Dazu Zellhofer (FN 245), 74 unter Verweis auf die Äußerungen der deutschen Bundesregierung, die die Konformität der Holdinglösung mit dem Gemeinschaftsrecht bejaht. Ebenso Holst, RL 91/440/EWG zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht - Kommentar, Loseblatt 2001, Rz 17; Ronellenfitsch, Die Umsetzung des Eisenbahninfrastrukturpakets, DVBl 2002, 657 (667). AA Berschin, Zur Trennung von Netz und Betrieb der Deutschen Bahn AG aufgrund des europäischen Eisenbahnpakets, DVBl 2002, 1079. AB 2047 BlgNR 20. GP, 1.
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1995 bejaht255. Zum Zweiten handelt es sich bei den ÖPNV-Dienstleistungen über so weite Strecken wie in keinem anderen der hier behandelten Sektoren um defizitäre Dienste, die nur durch massive Zuführung öffentlicher Mittel256 auf die gewünschte, am Gemeinwohl orientierte Weise erbracht werden. Eine bloße Öffnung des Marktes im Sinne der Schaffung eines open entry wäre für eine Liberalisierung daher nicht ausreichend. Adäquat, aber auch erforderlich ist vielmehr eine Öffnung des Marktes mittels Leistungsausschreibung (nicht Wettbewerb am Markt, sondern Wettbewerb um den Markt). Als Drittes ist der Umstand zu beachten, dass sich die für den ÖPNV-Markt wichtigsten Bestimmungen in einer Verordnung aus dem Jahr 1969 finden, die im Jahr 1991 novelliert wurde257. Auf die aktuellen Verhältnisse sind diese Normen nur mit Mühe und erheblichen rechtlichen Unsicherheiten umlegbar. Die Bemühungen für einen zeitgemäßen Rechtsrahmen laufen auf Europäischer Ebene seit dem Jahr 2000, in dem die Kommission ihren ersten, mittlerweile mehrfach überarbeiteten Entwurf für eine neue ÖPNV-Verordnung vorgelegt hat258. Eine Einigung zwischen Kommission, Parlament und Rat konnte bisher nicht erreicht werden. Derzeit stehen aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht die Einhaltung des Beihilfenverbots, des Vergaberechts sowie des von der Kommission hervorgehobenen Gebots der transparenten Vergabe ausschließlicher und besonderer Rechte im Mittelpunkt. Österreich musste auf Grund eines einschlägigen Vertragsverletzungsverfahrens im Gefolge einer intransparenten Vergabe eines Busverkehrs in Osttirol259 jüngst sein KflG ändern. Passend zur unsicheren Rechtslage im Bereich des ÖPNV hat der EuGH im Jahr 2003 das viel beachtete Altmark-Urteil gefällt, in dem er - ausgehend von einer gemeinschaftswidrigen Finanzierungspraxis im ÖPNV - ein beihilferechtliches Sonderregime betreffend den finanziellen Ausgleich für die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen geschaffen hat260. Die österreichischen Nahverkehrsunternehmen gehen angesichts der unklaren gemeinschaftsrechtlichen Situation unterschiedliche Wege. Während sich das Innsbrucker Unternehmen (IVB/Innbus) ua durch umfassende organisatorische (Entflechtungs)Maßnahmen261 auf den Wettbewerb vorbereitet hat, 255
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EuGH Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747 (Rz 79). Vgl auch Kahl, „Kontrollierter Wettbewerb“ als Marktöffnungsinstrument der Kommission am Beispiel des öffentlichen Personennahverkehrs, wbl 2001, 49. Der Bund gibt jährlich über 1 Mrd Euro für den Betrieb im Bereich Nah- und Regionalverkehr aus. VO 1191/69/EWG über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffverkehrs, Abl L 156/1, idF VO 1893/91/EWG, Abl L 169/1. Aktuell ist momentan der dritte Entwurf der Kommission, der „Vorschlag für eine Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße“, KOM(2005) 319 endg. Vgl Mahnschreiben der Europäischen Kommission v 13.10.2004, C(2004) 3808. Dazu näher Kahl (FN 23), 293ff. Verkürzt dargestellt werden alle durch Beihilfen belasteten bzw nicht wettbewerbsfähigen Unternehmensbereiche einer so genannten Regieebene (dieser Begriff hat nichts mit jenem des Regiebetriebes zu tun, sondern bezeichnet eine aus der Verwal-
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legen andere Unternehmen eine eher abwartende Haltung an den Tag. Auf Ebene der größten österreichischen Kraftfahrlinienunternehmen, dem Postbus und dem Bahnbus, kam es im Gefolge der sich abzeichnenden Marktöffnung zur Fusion, die sich - anknüpfend an die Schilderung im Bereich der Post- und Telekommunikation - folgendermaßen darstellt: Nachdem nach der strukturellen Trennung von Post und Telekom Austria der Bereich „Post und Postauto“ in einer AG verselbstständigt worden war, wurde mit Oktober 2000 die Österreichische Postbus AG in eine Schwestergesellschaft der Österreichischen Post AG abgespalten. Die Anteile an der Postbus AG wurden 2001 an die ÖIAG übertragen. Im Jahr 2003 übernahm die ÖBB unter dem Titel „Privatisierung“ 100% der Postbus AG. 2004 spaltete sich die Österreichische Postbus AG in die ÖBB Postbus GmbH (operatives Geschäft) und die Österreichische Postbus AG (Liegenschaften und Personalamt). Mit 1. 1. 2005 fand schließlich die rechtliche Fusion von Bahnbus und ÖBB-Postbus GmbH zu einem gemeinsamen Busunternehmen mit der Marke „Postbus - Ein Unternehmen der ÖBB“ statt262.
G. Die Bundesstraßen Seit den 1960’er Jahren wurden für die Errichtung, Erhaltung und Finanzierung von Bundesstraßen zahlreiche Sondergesellschaften gegründet263. Erst zu Beginn der 1990’er Jahre wurde diese „’Familie’ von Aktiengesellschaften“264 durch Verschmelzungen auf zwei Gesellschaften, die „Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Aktiengesellschaft“ (ÖSAG)265 und die „Alpen Straßen Aktiengesellschaft“ (ASAG)266, reduziert. Die Anteile an diesen Gesellschaften standen im Eigentum des Bundes267 und der jeweils an den verschmolzenen Sondergesellschaften beteiligten Länder. Die Finanzierung der den Gesellschaften übertragenen Aufgaben erfolgte zT unmittelbar durch den
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tung ausgelagerte Verkehrskoordinationsstelle im Gegensatz zu den operativ tätigen Gesellschaften) zugeordnet, die die entsprechenden Dienste dem jeweils, in einem Vergabeverfahren als Bestbieter hervorgekommenen Unternehmen diskriminierungsfrei zur Verfügung stellen kann. Darüber hinaus liegen die Aufgaben der Regieebene insbesondere in der Bestellung von Verkehren, der Koordination von Fahrplänen und der Sicherung der Qualität. Am Kraftfahrlinienmarkt agiert hingegen das von der Regieebene getrennte operative Unternehmen (Innbus GmbH). Dazu ausführlich Baltes/Schaaffkamp, Auf dem Weg in den Wettbewerb, Der Nahverkehr 2000, H 4, 21. Eine kritische beihilferechtliche Beurteilung der Fusion findet sich bei Kahl (FN 153), 261ff. Die erste war die Brenner Autobahn AG, BGBl 1964/135. Funk (FN 119), 65. Bestehend aus der Autobahnen- und Schnellstraßen-AG, der Pyhrn Autobahn AG, der Tauernautobahn AG und der Wiener Bundesstraßen AG (§§ 1 und 2 BG über Maßnahmen im Bereich der Bundesstraßengesellschaften, BGBl 1992/826 idF BGBl I 2004/174). Bestehend aus der Arlberg Straßentunnel AG und der Brenner Autobahn AG (§§ 3 und 4 BG über Maßnahmen im Bereich der Bundesstraßengesellschaften). Nach § 1 ASFINAG-ErmächtigungsG 1997, BGBl I 113, war die Beteiligung des Bundes an der ÖSAG als Sacheinlage in die ASFINAG einzubringen.
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Bund, zT über die 1982 gegründete, in seinem Eigentum stehende „Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG)268. Im Jahr 2002 wurde die ÖSAG in eine GmbH umgewandelt, was den ersten Schritt einer Neuorganisation des ASFINAG-Konzerns bedeutete. Mit 1. 1. 2005 wurden die vormaligen Tochterunternehmen ÖSAG und ASAG mit der ASFINAG verschmolzen. Die einzelnen Bereiche Planung und Bau, Betrieb und Erhaltung sowie Maut wurden in neuen Gesellschaften zusammengeführt269. Die ASFINAG steht gemäß § 1 ASFINAG-G zur Gänze im Eigentum des Bundes und stellt so ein öffentliches Unternehmen dar. Seit 1997 hat die ASFINAG das Fruchtgenussrecht an den im Eigentum des Bundes stehenden Grundstücken und Anlagen des hochrangigen Bundesstraßennetzes und ist berechtigt, Mauten und Benützungsgebühren einzuheben. Sie plant, finanziert, baut, erhält und betreibt das gesamte österreichische Autobahnen- und Schnellstraßennetz mit einer Gesamtlänge von über 2.000 km. Ihre Leistungen finanziert die ASFINAG durch zweckgebundene Einnahmen (Mauten).
H. Die Verwaltung von Bundesimmobilien Seit Beginn der 1990’er Jahre griff eine schrittweise Ausgliederung der Verwaltung von Bundesimmobilien aus ministeriellen Bereichen Platz, die mit der Übertragung der jeweiligen Aufgaben an Gesellschaften des Privatrechts einherging. So wurde beispielsweise die Dienststelle der BundesgebäudeverwaltungSchloßhauptmannschaft Schönbrunn aufgelöst und für die Erhaltung, Verwaltung und den Betrieb des Schlosses die „Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft m.b.H“ gegründet270. Unternehmensgegenstand ist das Betreiben führender österreichischer Kulturdenkmäler, wie zB des Schlosses Schönbrunn, der Kaiserappartements oder der Silberkammer in der Hofburg, mit der Zielsetzung, diese authentisch zu erschließen und für Kultur, Tourismus und Freizeitangebote nutzbar zu machen. Schon zuvor war zur Fortführung der „betriebsähnlichen Einrichtung“ „Tiergarten Schönbrunn“ die „Schönbrunner Tiergarten-Gesellschaft m.b.H.“ gegründet worden271. Der nicht mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Wirtschaftskörper „Österreichische Bundesforste“, dem insbesondere die nachhaltige Bewirtschaftung des Waldbodens und die Verbesserung seiner Produktionskraft sowie die Er268 269
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ASFINAG-G, BGBl 1982/591. Derzeit stellt sich der ASFINAG-Konzern (Holding) folgendermaßen dar: ASFINAG Bau Management GmbH; ASFINAG Autobahn Service GmbH Süd; ASFINAG Autobahn Service GmbH Ost; ASFINAG Alpenstraßen GmbH; ASFINAG Autobahn Service GmbH Nord; ASFINAG Verkehrstelematik GmbH; ASFINAG Maut Service GmbH; ASFINAG Verkehrsinfrastrukturberatungs- und BeteiligungsGmbH. BG über die Gründung einer Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft m.b.H. (Schönbrunner Schloßgesetz), BGBl 1992/208 idF BGBl 1994/117. BG über die Errichtung einer Schönbrunner Tiergarten-Gesellschaft m.b.H. (Schönbrunner Tiergartengesetz), BGBl 1991/420 idF BGBl 1994/117. Gem § 2 Abs 1 können die Geschäftsanteile des Bundes an der Gesellschaft veräußert werden.
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haltung der Trink- und Nutzwasserreserven oblagen, ging auf die Mitte der 1990’er Jahre ins Leben gerufene „Österreichische Bundesforste AG“ über272. Diese betreut und bewirtschaftet etwa 10% der Staatsfläche Österreichs und ist damit der größte Naturraummanager, Forstbetrieb sowie Jagdflächenund Fischereigewässerinhaber. Bereits vier Jahre vor der Gründung der Bundesforste AG wurde die gänzlich im Bundeseigentum stehende „Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H.“ (BIG) errichtet273. Ihr Unternehmensgegenstand war der Erwerb, die Nutzung, Verwaltung und Veräußerung von Liegenschaften, die Errichtung und Erhaltung von Bauten sowie die Gründung von Gesellschaften zum Erwerb bundeseigener Mietwohngebäude und deren Verwertung. In der Folge wurde die Bauund Liegenschaftsverwaltung des Bundes im Jahr 2000 mit dem BundesimmobilienG274 neu organisiert. Zielsetzung dabei war in Fortsetzung des mit dem BIG-Gesetz begonnenen Weges, das Immobilienvermögen und den Immobilienbedarf des Bundes nach wirtschaftlichen und marktorientierten Grundsätzen zu organisieren, das Kostenbewusstsein bei den Nutzerressorts zu fördern und Instrumente synergetischer Bedarfsfeststellung zu schaffen. Primärer Unternehmensgegenstand der BIG, der wesentliche Teile des Immobilienvermögens275 des Bundes entgeltlich übertragen wurden, ist nunmehr die Bereitstellung von Raum für Bundeszwecke alleine oder gemeinsam mit Dritten276. Im Ausmaß bestehender Nutzungen wurden Mietverhältnisse des Bundes begründet277. Zur Fortführung der Bundesgebäudeverwaltung wurde mit Wirkung zum 1.1.2001 die „Bundesgebäudeverwaltung Österreich“ in die neu errichtete „Immobilienmanagementgesellschaft des Bundes mbH“ (IMB) ausgegliedert. Wichtigste Aufgabe der IMB, die eine Tochtergesellschaft der BIG ist, ist die Erbringung von Hausverwaltungs- und Baubetreuungsleistungen für die BIG zu marktkonformen Bedingungen. Einschlägige Tätigkeiten von Dienststellen der Bau- und Liegenschaftsverwaltung sind - mit Ausnahme der Burghauptmannschaft Österreich (historische Objekte) - ausgelaufen.
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BG zur Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Österreichischen Bundesforste und Errichtung einer Aktiengesellschaft zur Fortführung des Betriebes „Österreichische Bundesforste“ (Bundesforstgesetz 1996), BGBl 793, idF BGBl I 2004/136. BG über die Errichtung einer Bundesimmobiliengesellschaft mit beschränkter Haftung und die Verfügung über bundeseigene Liegenschaften einschließlich Mietwohngebäuden (BIG-Gesetz), BGBl 1992/419 (außer Kraft getreten durch § 46 BundesimmobilienG [s nächste FN]). BGBl I 141 idF BGBl I 2005/144. Dazu Anlage A des BundesimmobilienG. Zu den Haupttätigkeiten der BIG zählen: Vermietung von Liegenschaften mit dem Schwerpunkt Bundesschulen, Universitäten und Amtsgebäuden, Kundenorientierte Verwaltung und Instandhaltung, Neubau, Generalsanierung, Verkauf von Liegenschaften, Immobiliendevelopement, Facility Management im Einvernehmen mit den Mietern sowie Verwertung entwickelter Projekte mit Privatnutzungscharakter. Der Bund verkaufte der Gesellschaft etwa 5.000 Gebäude mit einem Flächenausmaß von 7,2 Millionen m². Gleichzeitig schloss die BIG mit dem Bund marktmäßige Mietverträge über die von den öffentlichen Stellen genutzten Gebäude ab.
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Für die Finanzierung, Planung, den Bau und die Erhaltung der Bundesstraßen wurde - wie vorstehend erwähnt - die „Autobahnen- und SchnellstraßenFinanzierungs-Aktiengesellschaft“ (ASFINAG) errichtet.
I. Die gemeinnützigen Bauvereinigungen Ein weiterer Bereich der Daseinsvorsorge, in dem auch öffentliche Unternehmen eine bedeutende Rolle spielen, ist die Schaffung von Wohnraum zu erschwinglichen Preisen für breite Bevölkerungsgruppen. Erste Ansätze der Entwicklung eines Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts liegen in der zweiten Hälfte des 19. Jh278. Heute finden sich die zentralen Bestimmungen über den gemeinnützigen Wohnungsbau im WohnungsgemeinnützigkeitsG (WGG)279. Gemeinnützige Bauvereinigungen sind demnach in privatrechtlichen Formen (Genossenschaft, GmbH oder AG) organisiert (Indienstnahme). Gemäß § 1 Abs 2 WGG haben sie ihre Tätigkeit auf die Erfüllung dem Gemeinwohl dienender Aufgaben des Wohnungs- und Siedlungswesens zu richten, ihr Vermögen der Erfüllung solcher Aufgaben zu widmen und ihren Geschäftsbetrieb regelmäßig prüfen und überwachen zu lassen. Die Betätigung als gemeinnützige Bauvereinigung bedarf einer bescheidmäßigen Anerkennung durch die LReg280, die an eine Bedarfsprüfung geknüpft ist281. Der Status der Gemeinnützigkeit beschränkt einerseits die Freiheiten des Unternehmens im Vergleich zu nicht-gemeinnützigen Bauträgern, andererseits sind mit ihm Steuererleichterungen und bevorzugte Förderungen verbunden. Die unternehmerischen Restriktionen bestehen in der Bindung des Kapitals282, der Limitierung der Geschäftsbereiche283, der Baupflicht284, der Pflicht zur Gewährung kostendeckender Preise sowie der Beschränkung der Gewinnerzielung und -verteilung285. Dazu kommt, dass gemeinnützige Bauvereinigungen einem mehrschichtigen Aufsichts- und Kontrollsystem unterworfen sind286. 278
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Zur Geschichte Funk, Die Entwicklung des Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts Vom Förderungsstatut zum branchenbezogenen Wirtschaftsrecht, in: Korinek/Krejci (Hrsg), Handbuch des Bau- und Wohnungsrechts, Bd II, 1988, III - G - 1, 3. BGBl 1979/139 idF BGBl I 2003/113. §§ 1, 31 Abs 1 WGG. § 3 WGG. Dazu Korinek, Das Eigenkapital - Funktion, Aufbringung, Sicherung und Verwendung, in: Korinek/Nowotny (Hrsg), Handbuch der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, 1994, 377 (381ff). § 7 WGG sieht drei Geschäftskreise vor: Hauptgeschäfte (die Errichtung und Verwaltung von Wohnungen), Nebengeschäfte (zB Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes) und zustimmungsbedürftige Zusatzgeschäfte (Geschäfte, die zur ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung erforderlich sind, aber nicht zu den Hauptoder Nebengeschäften zählen). Dazu ausführlich Kleinert, Zum Geschäftskreis gemeinnütziger Bauvereinigungen (§ 7 WGG), WoBl 1991, 109ff; Holoubek, Die Geschäftskreisregelung als Kernstück des WGG, in: Korinek/Nowotny (Hrsg), Handbuch der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, 1994, 345 (353ff). § 7 Abs 5 WGG. Vgl §§ 10, 13, 15 Abs 1 WGG. Dazu zählen die Kontrolle durch unternehmensinterne Organe (§ 12 WGG), die Kontrolle durch Revisoren des zuständigen Prüfungsverbandes (§ 28 WGG) sowie die Aufsicht durch die jeweilige LReg als Behörde der staatlichen Wirtschaftsauf-
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Auch die öffentliche Hand ist an vielen dieser Unternehmen in unterschiedlichem Ausmaß unmittelbar oder mittelbar beteiligt287. Als europarechtliche Schranke kommt hinsichtlich der Tätigkeit gemeinnütziger Bauvereinigungen vor allem bei der Wohnbauförderung in der Form der „Objektförderung“ das Beihilfenrecht der Gemeinschaft in Betracht. Ob die Förderung allerdings geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, erscheint auf Grund ihrer nur regionalen und lokalen Wirkungen zweifelhaft288. Soweit ersichtlich, haben sich in der Praxis bislang noch keine beihilfenrechtlichen Probleme ergeben.
J. Der Bankensektor Auf dem Bankensektor zählen zum Kreis der öffentlichen Unternehmen nach dem Verkauf der Anteile an der CA und der PSK289 im Bereich des Bundes nur mehr die OeNB (dazu im nachfolgenden Punkt) und die Austria Wirtschaftsservice GmbH (AWS), die aus der Finanzierungsgarantie-GmbH und der BÜRGES Förderungsbank GmbH hervorgegangen ist290. Die AWS GmbH steht zu 100% im Eigentum des Bundes und ist als dessen (unveräußerliche) Spezialbank zur Vergabe und Abwicklung von unternehmensbezogenen Wirtschaftsförderungen des Bundes sowie zur Erbringung sonstiger, im öffentlichen Interesse liegender Finanzierungs- und Beratungsleistungen zur Unterstützung der Wirtschaft berufen (§ 2 Austria Wirtschaftsservice-ErrichtungsG). Auf Landes- und Gemeindeebene sind die Landes-Hypothekenbanken und die aus ihnen hervorgegangenen Landesbanken291 sowie die Gemeinde-
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sicht (§ 29 WGG). Korinek, Möglichkeiten und Grenzen wirtschaftsaufsichtsrechtlicher Sanktionen über gemeinnützige Wohnungsunternehmungen, wbl 1987, 290ff; Scherz, Das dichte Netz von Aufsicht und Kontrolle, in: Korinek/Nowotny (Hrsg), Handbuch der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, 1994, 389ff. Zu den Grenzen der Aufsicht durch die LReg Korinek/Holoubek, Unbegrenzte Wirtschaftsaufsicht? Möglichkeiten und Schranken der Aufsicht nach dem WGG, ecolex 1997, 399ff. Vgl zB „Tiroler Gemeinnützige Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft m.b.H.“ TIGEWOSI (Land Tirol 61,39%, Landes-Hypothekenbank Tirol AG und die Tiroler Landesversicherung mit je 7,5%, Stadtgemeinde Innsbruck 4,5%, 9,95% Beteiligungs- und Finanzierungsgesellschaft mbH, Rest: 16 Gemeinden in Nord- und Osttirol); die „Neue Heimat Tirol“ (je 50% Land Tirol und Stadt Innsbruck); Innsbrucker Stadtbau GmbH (51% Neue Heimat Tirol, 49% Stadt Innsbruck); die „Neue Heimat“ Kärnten (seit 1962 im Alleineigentum des Landes). Aicher, Europarechtliche Rahmenbedingungen gemeinnütziger Wohnungswirtschaft, in: Korinek/Nowotny (Hrsg), Handbuch der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, 1994, 459 (472). Die PSK wurde durch Art I BGBl 1996/742 ausgegliedert und in die „Österreichische Postsparkasse Aktiengesellschaft“ umgewandelt. Diese wurde der Post- und Telekombeteiligungsverwaltungsgesellschaft (PTBG) übertragen, welche zur Veräußerung der Aktien der PSK ermächtigt wurde (§ 3 Abs 3 BG über die Einbringung der Österreichischen Postsparkasse in eine Aktiengesellschaft, Art I BGBl 1996/742 idF BGBl I 2000/25). Die ÖIAG hat die PSK schließlich im Sommer 2000 um 17,8 Mrd öS an die BAWAG veräußert. Austria Wirtschaftsservice-Gesetz, BGBl I 2002/130 idF BGBl I 2004/119. ZB Hypo Tirol Bank AG (100% Land Tirol); Niederösterreichische LandesbankHypothekenbank AG (zu 41% privatisiert); Vorarlberger Landes- und Hypotheken-
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sparkassen als öffentliche Unternehmen zu erwähnen. Allerdings kommt es (auch) hier immer wieder zu Veräußerungen292. Die früher regelmäßig übernommene Haftung der öffentlichen Hand für „ihre“ Banken für den Fall der Zahlungsunfähigkeit (Ausfallsbürgschaft)293 ist vor einigen Jahren auf Grund ihrer wettbewerbsverfälschenden Wirkungen zunehmend in die Kritik geraten. Beihilferechtliche Bedenken führten (sogar) dazu, dass in einer von Deutschland abgegebenen Erklärung zum Vertrag von Amsterdam die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute als Unternehmen bezeichnet wurden, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind294, eine Auffassung, der sich Österreich und Luxemburg anschlossen, nicht jedoch die Kommission295. Diese prüfte in der Folge die Rechtmäßigkeit der Ausfallsbürgschaften (in Deutschland: Gewährträgerhaftung) in mehreren Ländern - darunter auch Österreich296 - und erzielte jeweils Einigungen über die Abschaffung dieser Begünstigung nach ausverhandelten Übergangsfristen297. Die entsprechenden legistischen Maßnahmen waren von Österreich bis zum 30. 9. 2004 zu setzen298.
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bank AG, (ca 73% Vorarlberger Landesbank Holding [Sondervermögen des Landes], ca 23% Austria BeteiligungsGmbH [Landesbanken Baden Württemberg], ca 3% Streubesitz); Oberösterreichische Landesbank AG (50,57% Land OÖ). Vgl zB den Verkauf der Bank Burgenland an die Grazer Wechselseitige, die wiederum zu 45,6% Miteigentümerin an der Kärntner Hypo Alpe-Adria-Bank ist. Die Bundeshaftung für die PSK wurde mit deren Verkauf an die BAWAG im Jahr 2000 beendet. 37. Erklärung zur Schlussakte zu öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten in Deutschland, Abl 1997 C 340/138, sowie die 1. von der Konferenz zur Kenntnis genommene Erklärung Österreichs und Luxemburgs zu Kreditinstituten, Abl 1997 C 340/143. Vgl die Mitteilung über die Anwendung der Art 87 und 88 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften, Abl 2000 C 71/14. In Österreich waren nach Ansicht der Kommission 7 Landes-Hypothekenbanken und 27 Sparkassen betroffen. Mit Österreich wurde eine „Verständigung über die Ausfallshaftung zugunsten der Landes-Hypothekenbanken und Sparkassen“ erreicht. Der einschlägigen, nicht veröffentlichten Kommissionsentscheidung C(2003) 1329 endg. stimmte Österreich mit Schreiben vom 15. 5. 2003 zu. Demgemäß wird die Ausfallshaftung nach einer am 1. 4. 2007 endenden Übergangsfrist aufgehoben. Zum Beihilfeverfahren der Kommission wegen einer staatlichen Haftung zu Gunsten der Dornbirner Sparkasse, die die Kommission als „maßgeschneiderte Garantie, um die Ausfallshaftung zu ersetzen“, bezeichnete, die Zweifel daran wecke, „ob die nützliche Wirkung der Kommissionsentscheidung C(2003) 1329 endg. erhalten bleibt“, Abl 2006 C 92/4 (Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme nach Art 88 Abs 2 EG-Vertrag). Zum Problem der Ausfallshaftung der öffentlichen Hand aus beihilferechtlicher Sicht inklusive der Haftung für die Bank Burgenland ausführlich Jäger, Bestand und Betrieb öffentlicher Kreditinstitute als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, JBl 2005, Teil II, 487ff mit zahlreichen Nachweisen. Zur Bundeshaftung für die BAWAG, BGBl I 2006/61, Jäger, BAWAG-Bürgschaft, Beihilfeverbot und Konkurrentenrechtsschutz, ecolex 2006, 445. Vgl etwa die Änderungen des BG über die Pfandbriefstelle der österreichischen Landes-Hypothekenbanken, des SparkassenG und des Gesetzes betreffend fundierte Bankschuldverschreibungen (zu allen RV 392 BlgNR 22. GP). S zB auch § 2 SparkassenG idgF sowie § 16 vlbg Landes- und Hypothekenbank-Gesetz idF LGBl 2004/24.
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K. Die Österreichische Nationalbank (OeNB) Die Österreichische Nationalbank (OeNB) nimmt im Kreise der österreichischen Banken eine Sonderstellung ein. Sie wurde 1816 zur Neuordnung des durch die Napoleonischen Kriege zerrütteten Währungswesens gegründet und ist heute299 gemäß § 2 Abs 1 NBG300 eine unter Dominanz des Bundes stehende Aktiengesellschaft301. Der beherrschende Einfluss des Bundes ergibt sich zum einen aus seiner 50%igen Beteiligung am Unternehmen302, zum anderen insbesondere dadurch, dass die überwiegende Zahl der Mitglieder des Generalrats sowie die Mitglieder des Direktoriums von der BReg bzw dem BPräs ernannt werden. Diese Ernennungsrechte stellen das Gegengewicht zu einer weitreichenden Notenbankautonomie303 dar, die schon bei der Schaffung des NBG 1955 ein vorrangiges Ziel des Gesetzgebers war304. Vor dem Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion am 1. 1. 1999 war die OeNB als österreichische Zentral- und Notenbank vor allem für die Stabilität des Schillings verantwortlich. Seit dem 1. 1. 1999 ist die OeNB305 integraler Bestandteil des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB). Das ESZB als Gremium insbesondere zur Festlegung und Ausführung der Währungspolitik im Euroraum306 (Art 105 Abs 2 EG-Vertrag) setzt sich aus der Europäischen Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt und den Notenbanken der Mitgliedstaaten zusammen. Es wird von den Beschlussorganen der EZB (EZB-Rat, EZB299
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Insb durch das NBG 1955 wurden die rechtlichen Verhältnisse der OeNB - nach ihrer zweimaligen Liquidierung im Gefolge der beiden Weltkriege - einer umfassenden Neuregelung unterworfen und ihr geld- und währungspolitisches Instrumentarium ausgebaut. Pauger, Österreichisches Bankenrecht, 1989, 124. NBG 1984, BGBl 50 idF BGBl I 2004/161. Zur Anwendung kommt allerdings nicht primär das AktG, sondern das besondere Regelwerk des NBG. Zu den verschiedenen Auffassungen über die Rechtsnatur der OeNB vgl Schwartz, Nationalbank und Bundesvergabegesetz, ecolex 1997, 195f mwN. Vgl auch Potacs, Devisenbewirtschaftung, 1991, 85ff. Gem § 9 Abs 2 NBG 1984 hält der Bund „die Hälfte des Grundkapitals“. Im Zuge des im Mai 2006 geschnürten „Rettungspakets“ für die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene BAWAG wurde vereinbart, dass alle vom ÖGB und von der BAWAG gehaltenen Anteile an der OeNB (zusammen rund 20%) an den Bund übertragen werden. Damit steigt der Anteil des Bundes auf über 50%. Man kann die organisatorische (eigene Rechtspersönlichkeit der OeNB), personelle (entsprechende Unvereinbarkeitsbestimmungen, Unabsetzbarkeit von Generalratsmitgliedern) und funktionelle (Monopol der Banknotenausgabe, Kreditverbot gegenüber Gebietskörperschaften, Weisungsfreiheit) Autonomie unterscheiden. Wenger, Die Notenbankautonomie der österreichischen Nationalbank, FS Koren, 1979, 265 (270ff). Die Novellen des NBG 1984 BGBl I 1998/60 und BGBl I 2000/72 standen im Zeichen der Teilnahme Österreichs an der Europäischen Währungsunion. Es wurde den Anforderungen des EG-Vertrags (vgl va die Unabhängigkeitserfordernisse gem Art 108) und der ESZB-Satzung im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Notenbank und der Integration der OeNB in das ESZB durch eine Neudefinition der Ziele, Aufgaben und Befugnisse und einer Adaptierung des währungspolitischen Instrumentariums entsprochen. Weitere Aufgaben sind die Durchführung der Devisengeschäfte, das Halten der Währungsreserven der MS sowie das Fördern des Funktionierens der Zahlungssysteme.
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Direktorium) geleitet. Vorrangiges Ziel des ESZB ist die Sicherung der Preisstabilität307 (Art 105 Abs 1 EG-Vertrag; § 2 NBG 1984). Für die operative Umsetzung der geldpolitischen Entscheidungen der EZB bzw des EZB-Rats in Österreich ist die OeNB verantwortlich. Im Rahmen dieser Mitwirkung an der Erreichung der Ziele und der Vollziehung der Aufgaben des ESZB ist die Nationalbank durch das NBG mit hoheitlichen Aufgaben betraut308. Auch im Rahmen der Vollziehung des DevisenG 2004 ist die OeNB zur Bescheid- und Verordnungserlassung und somit als beliehenes Unternehmen zu behördlichen Tätigkeiten berufen309. Mithin stellt die OeNB als relativ autonome, außerhalb des staatlichen Verwaltungsapparats stehende Trägerin dezentralisierter öffentlicher Verwaltung eine in ihrer Organisation auch gemeinschftsrechtlich geprägte Einrichtung mittelbarer Staatsverwaltung dar. Die OeNB ist im Wesentlichen wie eine Aktiengesellschaft gestaltet. Die Generalversammlung entspricht der Hauptversammlung, der Generalrat dem Aufsichtsrat und das Direktorium dem Vorstand. Der Generalrat, bestehend aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und 12 weiteren Mitgliedern, hat im Gefolge des Übergangs der währungs- und geldpolitischen Kompetenzen auf das ESZB seine Befugnis zur obersten Leitung der Geschäftsführung und Vermögensverwaltung eingebüßt310. Ihm kommt - neben seiner Funktion als Aufsichtsrat - als neue Zuständigkeit die Beratung des Direktoriums in währungspolitischen Fragen zu. Das Direktorium besteht aus dem Gouverneur, dem Vizegouverneur und zwei weiteren Mitgliedern. Es leitet den gesamten Dienstbetrieb, führt die Geschäfte entsprechend den Leitlinien und Weisungen der EZB und vertritt die OeNB nach außen. Als Mitglied des EZB-Rats ist der Gouverneur bei der Wahrnehmung dieser Funktionen weder an Beschlüsse des Direktoriums noch an solche des Generalrates gebunden und unterliegt auch sonst keinerlei Weisungen. Auf Grund der dezentralen Arbeitsteilung im ESZB hat die OeNB auch nach der Realisierung der Währungsunion wesentliche Aufgaben wie zB die Abwicklung des täglichen Geschäftsverkehrs mit den Banken, die Durchführung von Transaktionen auf dem Geld- und Devisenmarkt, die Sicherstellung der Geldversorgung und Verwaltung der Währungsreserven sowie die Produktion und Ausgabe von Banknoten und Münzen. Deren Herstellung wird entweder direkt von der OeNB vorgenommen oder durch die Oesterreichische Banknoten- und Sicherheitsdruck GmbH (OeBS), die 1998 aus der Abteilung „Druckerei für Wertpapiere“ der OeNB ausgegliedert wurde311, bzw durch die Mün307
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Preisstabilität iS auch geringfügiger Preissteigerungen („relative Preisstabilität“). Dazu Potacs, Art 105 EG-Vertrag, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000, Rz 3. Pauger (FN 299), 146f; Potacs (FN 301), 90ff, 99ff. Vgl §§ 4, 6 Abs 3 DevisenG 2004, BGBl I 2003/123. §§ 20 und 21 NBG 1984 idF der Novelle BGBl I 1998/60. Die Produktion von Schillingbanknoten durch die OeBS ist im Jänner 2000 ausgelaufen. Als gesetzliches Zahlungsmittel wurden Schillingbanknoten und -münzen von der OeNB noch bis Ende 2001 in Umlauf gebracht. Seit Oktober 1999 werden Eurobanknoten produziert.
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ze Österreich AG (MOeAG). Diese wurde mit 1. 1. 1989 als AG unter dem Dach der OeNB organisiert.
L. Die Unternehmen im Bereich der ÖIAG Die Österreichische Industrieholding Aktiengesellschaft (ÖIAG) wurde als Konzernholding durch das ÖIAG-G aus dem Jahr 1986312 gegründet und ist die Nachfolgerin der Österreichischen Industrieverwaltungs-Aktiengesellschaft313. Zählten zu den Aufgaben der ÖIAG ursprünglich die Erhaltung der durch das Erste VerstG verstaatlichten Unternehmen im Industriebereich und die Durchführung von Teilprivatisierungen, wurden im Laufe der Zeit - nicht zuletzt bedingt durch budgetäre Engpässe - die Vorbereitung314 und Durchführung insbesondere auch von Totalprivatisierungen zu wesentlichen Unternehmenstätigkeiten315. So erklärt § 7 ÖIAG-G 2000316 nunmehr - neben dem Beteiligungsmanagement iSd Sicherns eines Mindestmaßes an Einflussmöglichkeit auf ihre Beteiligungsgesellschaften und dem Akquisitionsmanagement (s zu beiden § 9) - das Privatisierungsmanagement iSd Erfüllung des jeweils für eine Legislaturperiode von der BReg beschlossenen Privatisierungsauftrages317 ausdrücklich zur zentralen Aufgabe318 der ÖIAG. Demnach ist die 312 313
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BGBl 204. Die Herauslösung der „Verstaatlichten“ aus der ministeriellen Verwaltung wurde durch das ÖIG-G, BGBl 1967/23, bewirkt. Die Österreichische Industrieverwaltungs-Gesellschaft mbH (ÖIG) war Treuhandverwalterin der Anteilsrechte des Bundes an den verstaatlichten Unternehmen. Sie wurde durch die ÖIG-G Novelle 1969, BGBl 1970/47, in eine AG, die Österreichische Industrieverwaltungs-Aktiengesellschaft umgewandelt. Schon die Novellen BGBl 1991/421 und 1993/973 verpflichteten die ÖIAG zur Erstellung von Privatisierungskonzepten und zum totalen bzw mehrheitlichen Verkauf der verstaatlichten Unternehmen. Der Versuch, verstaatlichte Unternehmen zusammenhängend zu erhalten und gemeinsam abzugeben (sechs Branchenholdings im Schoße der Austrian Industries AG als Tochtergesellschaft der ÖIAG), scheiterte. Vgl dazu die vollständigen Verkäufe zB der Voest Alpine Bergtechnik GmbH, der AMSAG, der VAMED AG, der Schoeller-Bleckmann Edelstahlrohr GmbH sowie der AMAG und der Salinen AG. BG über die Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Österreichischen Industrieholding Aktiengesellschaft und der Post und Telekombeteiligungsverwaltungsgesellschaft (ÖIAG-Gesetz 2000), BGBl I 24 idF BGBl I 2005/103. Im Rahmen des Auftrages vom 17. 5. 2000 waren der ÖIAG die Privatisierungen der Österreichischen Staatsdruckerei, der Dorotheum GmbH, der Print Media Austria AG, der Flughafen Wien AG, der Austria Tabak AG und der PSK aufgetragen. Gemäß Privatisierungsauftrag vom 1. 4. 2003 ist für folgende Unternehmen oder Anteile an Unternehmen eine vollständige Privatisierung angestrebt: BöhlerUddeholm AG, VA Technologie AG, Voestalpine AG und Österreichische Bergbauholding AG. Für die Telekom Austria AG ist die Privatisierung bis zu 100% anzustreben. Für die Österreichische Post AG wird ein strategischer Partner gesucht. Für die Österreichische Postbus AG ist nach Abgabe von 100% der Aktien an die ÖBB die Übertragung eines maßgeblichen Teils der Österreichischen Postbus AG an private Wettbewerber sicherzustellen. Dass mehrere der erwähnten Aufträge bereits erfüllt wurden, ist an den jeweils einschlägigen Kapiteln dieses Beitrages dargestellt. Ausführlich dazu Nowotny, ÖIAG-Gesetz 2000, ÖZW 2000, 116 (117ff).
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ÖIAG mit der gänzlichen oder teilweisen Privatisierung jener Unternehmen betraut, deren Anteile ihr übertragen sind319 oder ihr künftig durch BG oder Rechtsgeschäft zur Privatisierung übertragen werden. Von 1994 bis 2005 hat die ÖIAG insgesamt einen Privatisierungserlös von über 10 Mrd Euro erzielt. Durch die Tätigkeit der ÖIAG wurde und wird vor allem der Kreis erwerbswirtschaftlich tätiger öffentlicher Unternehmen erheblich geschmälert.
M. Die Österreichische Staatsdruckerei Vor dem 1. 1. 1982 war die Österreichische Staatsdruckerei ein Bundesbetrieb ohne Rechtspersönlichkeit. Durch das StaatsdruckereiG320 wurde sie zum genannten Zeitpunkt in einen Wirtschaftskörper mit eigener Rechtspersönlichkeit (selbstständige Anstalt) umgewandelt. Zu dessen Aufgaben zählten neben der Herstellung von Druckerzeugnissen für die Bundesverwaltung, bei deren Produktion Geheimhaltung bzw die Befolgung von Sicherheitsvorschriften geboten war (zB Reisepässe, Führerscheine, Personalausweise, Briefmarken, Wertpapiere und Fahndungsbücher), auch der Druck der Bundesgesetzblätter und der Stenographischen Protokolle des NR und des BR, der Berichte der VA, die Herstellung von Formularen, Verlautbarungsblättern sowie der Druck der Wiener Zeitung. Die Staatsdruckerei konnte auch sonstige Druckprodukte herstellen sowie den Verlag und den Vertrieb von Büchern, Zeitschriften usw ausüben. Da die Rechtsform der selbstständigen Anstalt als Unternehmensträgerin der geplanten Privatisierung im Wege stand, wurde der Wirtschaftskörper „Österreichische Staatsdruckerei“ durch das StaatsdruckereiG 1996321 mit 1. 1. 1997 in die „Österreichische Staatsdruckerei AG“ umgewandelt. Zugleich wurde die ausschließliche Betrauung der Druckerei mit der Herstellung der erwähnten Druckprodukte auf die Produktion jener Erzeugnisse beschränkt, die wegen des Erfordernisses ihrer Geheimhaltung bzw der Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen322 vom Anwendungsbereich des einschlägigen Vergaberechts ausgenommen waren323. Von der neu errichteten Aktiengesellschaft wurde mit 1. 1. 1998 die „Wiener Zeitung GmbH“ abgespalten, deren Aufgabe die Herstellung und der Verlag der Wiener Zeitung ist (§ 1 Abs 4 StaatsdruckereiG 1996). Die Anteilsrechte des Bundes an der Österreichischen Staatsdruckerei wurden zum Zwecke der Privatisierung in das Eigentum der ÖIAG übertragen324.
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Austrian Airlines AG (39,7%), GKB-Bergbau GmbH (100%), OMV AG (31,5%), Österreichische Post AG (100%), Telekom Austria AG (29,63%). BGBl 1981/340. BGBl I 1997/1. Der Sicherheitsdruck, die Drucklegung und der Vertrieb des BGBl und amtlicher Verlautbarungsblätter für Dienststellen des Bundes sowie der stenographischen Protokolle (§ 2 Abs 3). RV 502 BlgNR 20. GP. § 1 Abs 7 StaatsdruckereiG 1996 idF Art IV BGBl I 1997/97 (PrivatisierungsG).
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Mit der StaatsdruckereiG-Novelle 1999325 wurde die ehemalige Österreichische Staatsdruckerei in „Print Media AG“ umbenannt. Von dieser Gesellschaft wurde die „Österreichische Staatsdruckerei GmbH“ abgespalten, die sich nur mehr mit dem Wert- und Sicherheitsdruck beschäftigt326. Sie wurde im Jahr 2000 privatisiert. Der Verlag der Staatsdruckerei erhielt bereits 1993 den Namen „Verlag Österreich“. Im Jahr 2000 wurde dieser Geschäftsbereich in die Verlag Österreich GmbH eingebracht und privatisiert.
N. Die Staatsmonopole Seit dem Beitritt Österreichs zur EU hat die Bedeutung der Staatsmonopole rasant abgenommen. Bestanden zuvor noch umfassende staatliche Monopolrechte zu Gunsten öffentlicher Unternehmen im Rahmen des Salz-, Tabak-, Branntwein- und Glücksspielmonopols327, wurde das Salzmonopol anlässlich des EU-Beitritts aufgegeben328. Das Alkohol- sowie das Glücksspielmonopol kommen nicht mehr öffentlichen Unternehmen zu Gute. In der Form des Produktions- und Einfuhrmonopols gegenüber Drittstaaten bestand ein Monopol für die Austria Tabak AG. Auch diese Monopolstellungen konnten wohl nur so lange mit Hinweis auf den Charakter eines Finanzmonopols gerechtfertigt werden, als die Austria Tabak AG nicht (vollständig) privatisiert war und für die öffentliche Hand noch die für ein Finanzmonopol erforderlichen Einflussmöglichkeiten bestanden329. Mitte 2001 wurden die letzten Anteile der ÖIAG an der Austria Tabak an die Gallaher Group, den weltweit fünftgrößten Tabakkonzern, verkauft.
O. Regulierungsbehörden Im Folgenden werden für den Kreis (ehemaliger) öffentlicher Unternehmen wichtige Regulierungsbehörden dargestellt. Die Tendenz der Übertragung von Regulierungsaufgaben an spezialisierte, unabhängige, ausgegliederte Rechtsträger steht in engem Zusammenhang mit den entsprechenden Entwicklungen auf europäischer Ebene und hat sich seit der ersten Auflage dieses Buchs fortgesetzt. Immer mehr kristallisiert sich das „Regulierungsrecht“ als abgrenzbare Kategorie des Rechts heraus330. Nachfolgend wird dieser Prozess nachgezeichnet und der Status Quo dargestellt. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung oder einzelnen Problemstellungen, die häufig auch in die Verfassungssphäre reichen, kann an 325 326 327 328
329
330
BGBl I 93. Brief- und Wertmarken, (Zulassungs)Bescheinigungen, Reisepässe, Personalausweise, Führerscheine, Sichtvermerke, Aufenthaltstitel. Raschauer (FN 115), 2; Wenger (FN 10), Rz 35ff. Grundlegend Mayer (FN 116). Vgl dazu RV 72 BlgNR 19. GP, 3. Mit dem Verzicht auf das Einfuhrmonopol (vgl Art 31 EG-Vertrag) hatten auch die übrigen Bestimmungen des SalzmonopolG keine wirtschaftliche Bedeutung mehr. Die Salinen AG wurde 1997 privatisiert. So Potacs Öffentliche Unternehmen unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, in: Aicher/Holoubek/Korinek (Hrsg), Gemeinschaftsrecht und Wirtschaftsrecht, 2000, 263 (277f). Vgl nur Kneihs, Regulierungsrecht - Eine neue rechtswissenschaftliche Kategorie?, ZÖR 2005, 1.
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dieser Stelle nicht geleistet werden. Diesbezüglich sei auf die mittlerweile zahlreiche Spezialliteratur verwiesen.
1. Die Austro Control GmbH Die Errichtung der Austro Control GmbH sorgte verfassungsrechtlich für Furore, nachdem der VfGH in VfSlg 14.473/1996 die Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf die Gesellschaft als verfassungsrechtlich zulässig erachtet und entgegenstehende Bedenken verworfen hatte331. Mittlerweile stellt die Austro Control GmbH ein viel zitiertes Beispiel für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Rechtsträger des Privatrechts mit Mitteln der Hoheitsverwaltung dar. Der örtliche Wirkungsbereich der Austro Control GmbH umfasst das gesamte Bundesgebiet (§ 139 LFG332), die Gesellschaftsanteile sind zu 100% dem Bund vorbehalten333. Sitz der Gesellschaft, die dem BM weisungsgebunden ist, ist Wien. Auf der Grundlage des ACG hat die Austro Control GmbH sämtliche Agenden des früheren Bundesamtes für Zivilluftfahrt übernommen, die nicht durch die in Art II BGBl 1993/898 enthaltene Novelle des LFG dem BM oder dem LH übertragen wurden334. Sie nimmt heute zahlreiche behördliche Aufgaben wahr, wie zB die Bewilligung von Ein-, Aus- und Überflügen, die Prüfung der Luft- und Betriebstauglichkeit, die Bewilligung von und die Aufsicht über Zivilluftfahrschulen und die Erteilung, Verlängerung und den Widerruf von Zivilluftfahrerpersonalausweisen. Die Austro Control GmbH ist auch zur 331
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Ausschlaggebend dafür, dass der Gerichtshof die verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Einbindung in einen Weisungszusammenhang, die Organisationsverantwortung und die Verantwortlichkeit der obersten Organe (Art 20 und 77 BVG) als nicht verletzt erachtete, war, dass dem Bundesminister „umfassende Aufsichts- und Weisungsbefugnisse“ eingeräumt waren, der Gesetzgeber für die Ausgliederung die Rechtsform einer GmbH gewählt hatte, „wobei gemäß Art. I § 1 Abs. 2 und 3 ACG die Mehrheit der Gesellschaftsanteile beim Bund ... zu verbleiben hat“. Dadurch wurde nach Ansicht des Gerichtshofs sichergestellt, dass „auch die Gesellschafterrechte durch ein dem Nationalrat verantwortliches oberstes Organ wahrgenommen werden müssen“. Zudem sei der Bundesminister sachlich in Betracht kommende Ober- und im Instanzenzug übergeordnete Behörde. Schließlich wären der Gesellschaft nur vereinzelte, ganz bestimmte Teilbereiche von Verwaltungsmaterien übertragen, die nicht zu den „Kernbereichen der staatlichen Verwaltung“ zählten. Kritisch insb Raschauer (FN 137), 434ff. BGBl 1957/253 idF BGBl I 2006/149. Gem § 1 Abs 3 ACG, BGBl 1993/898 idF BGBl I 2004/173, sind Kapitalerhöhungen möglich, wenn der Bund die Mehrheit der Anteile (Mehrheit der Stimmrechte; Winner [FN 108], 107) hält und die weiteren Anteile von Flughafenbetriebsgesellschaften übernommen werden. Kritisch dazu Raschauer (FN 137), 436; Resch, Die Austro Control GmbH, ZfV 1998, 272 (274). Gem dem derzeit inkraftstehenden § 2 ACG hat die Austro Control sämtliche dem Bundesamt für Zivilluftfahrt im LFG sowie in den auf Grund des LFG erlassenen Verordnungen und im FlugsicherungsstreckengebührenG bisher übertragenen Aufgaben wahrzunehmen, ausgenommen jene, welche durch Verordnung gemäß § 140b LFG übertragen sind (Gemäß § 140b LFG kann der BMVIT auch andere private Einrichtungen mit an sich der Austro Control GmbH übertragenen Agenden betrauen). Die Austro Control GmbH hat weiters jene Aufgaben zu erfüllen, die ihr durch Bundesgesetze oder auf Grund dieser Bundesgesetze erlassener Verordnungen übertragen worden sind.
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Führung von Verwaltungsverfahren335 und somit zur Bescheiderlassung berufen. Sie wirkt an der Vertretung der Republik Österreich bei internationalen Luftfahrtorganisationen mit, unterstützt die Vorbereitung und Durchführung von luftfahrtrechtlichen Verwaltungsakten des Bundesministers und erstellt über dessen Anforderung Gutachten. Nicht-hoheitliche Tätigkeiten (zB Flugberatung, Flugwetterberatung) spielen eine untergeordnete Rolle. Der Unternehmenszweck der Austro Control GmbH ist kein primär erwerbswirtschaftlicher, sodass die Gesellschaft als Non-Profit-Organisation eingestuft werden kann336. Auch wenn § 1 Abs 2 ACG die Gesellschaft zum „Luftfahrtunternehmen“ erklärt, ist die Austro Control GmbH nicht zum Kreis der öffentlichen Unternehmen zu zählen. Dafür mangelt es an der wirtschaftlichen Tätigkeit. In diesem Sinne hat auch der EuGH in der Eurocontrol, der ähnlich der Austro Control die Kontrolle und Überwachung des Luftraumes übertragen sind, auf Grund des überwiegend „hoheitlichen“, also nicht-wirtschaftlichen, Charakters ihrer Tätigkeiten kein Unternehmen gesehen337.
2. Von der Telekomregulierung zur konvergenten Regulierung Eine unverzichtbare Voraussetzung für die Liberalisierung der Infrastrukturmärkte ist die Trennung regulatorischer von unternehmerischen Aufgaben. Im Bereich der Telekommunikation lagen ursprünglich beide Agenden in der Hand der Post- und Telegraphenverwaltung (PTV). Dies hätte jedoch Art 7 der TelekommunikationsdiensteRL338 widersprochen, wonach die Erteilung von Betriebsgenehmigungen, die Überwachung von Zulassungen und andere regulatorische Aufgaben in den Mitgliedstaaten mit 1. 7. 1991 von einer von der Fernmeldeorganisation unabhängigen Einrichtung durchzuführen waren. Darüber hinaus mussten und müssen die Mitgliedstaaten dann, wenn sie (Mit)Eigentümer von Telekommunikationsunternehmen sind oder die Kontrolle über solche Unternehmen ausüben, eine wirksame strukturelle Trennung zwischen den hoheitlichen Regulierungsfunktionen und den Tätigkeiten im Zusammenhang mit Eigentum oder Kontrolle sicherstellen339. In dieser Hinsicht hatte der gemeinschaftsrechtliche Rahmen in Österreich zur Folge, dass zunächst mit dem FernmeldeG 1993340 eine oberste Fernmel335
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Gem § 6 Abs 2 ACG ist der Höhe der entsprechenden Verwaltungsverfahrensgebühren das Kostendeckungsprinzip zu Grunde zu legen (zur Verfassungskonformität dieser Bestimmung VfSlg 14.474/1996). Winner (FN 108), 109f leitet dies zutreffend aus der Tatsache ab, dass die gemeinwirtschaftlichen Aufgaben Priorität genießen und ihre Erfüllung nicht durch die in gewissem Rahmen möglichen erwerbswirtschaftlichen Leistungen gefährdet werden darf. Vgl dazu auch Weigel, Gibt es Grenzen der Privatisierung?, ÖHW 1999, 179 (192). EuGH Rs C-364/92, Eurocontrol, Slg 1994, I-43 (Rz 30f). RL 90/388/EWG über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste, Abl L 192/10 (mittlerweile außer Kraft getreten). Vgl bereits Art 5a der mittlerweile ebenfalls außer Kraft getretenen RL 90/387/EWG zur Verwirklichung des Binnenmarktes für Telekommunikationsdienste durch Einführung eines offenen Netzzugangs (Open Network Provision - ONP), Abl L 192/1. BGBl 908.
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debehörde beim damaligen Bundesministerium für öffentliche Wirtschaft und Verkehr errichtet wurde. Die rasch fortschreitende Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes erforderte jedoch alsbald eine neuerliche Adaptierung der nationalen Rechtsvorschriften. Dies führte zum TKG 1997341, das eine Restrukturierung der Behördenorganisation vornahm und die Grundlage für einen neuen Typus von Regulierungsbehörden bildete. Mit der Errichtung der Telekom-Control Kommission und der TelekomControl GmbH342 beschritt der Gesetzgeber einen neuen Weg bei der Marktregulierung, also der Regulierung hinsichtlich der Erbringung von Telekommunikationsleistungen343. Für Regulierungstätigkeiten im Bereich der civil rights wurde im Lichte des Art 6 EMRK als Tribunal die Telekom-Control Kommission als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag344 (Art 133 Z 4 B-VG) errichtet. Die übrigen Regulierungsagenden nahm die Telekom-Control GmbH wahr, sodass die Sicherstellung eines funktionierenden Wettbewerbs seit dem TKG 1997 eigentlich von zwei Behörden bzw von einer unabhängi341 342 343 344
BGBl I 100. „Telekom-Control Österreichische Gesellschaft für Telekommunikationsregulierung mbH“ (TKC); Anteilsrechte zu 100% dem Bund vorbehalten. Lust, Telekommunikationsrecht im Überblick, 2004, 22. In VfSlg 15.427/1999 nahm der VfGH grundsätzlich zur Zulässigkeit der Errichtung von Art 133 Z 4-Behörden und des Ausschlusses der Bekämpfbarkeit der von diesen Behörden gefällten Entscheidungen vor dem VwGH Stellung. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass sich Ausmaß und Gewicht der von solchen Behörden zu besorgenden Aufgaben der Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen inzwischen so weit genähert hätten, dass „die Einrichtung solcher Behörden, welche die Besorgung wesentlicher Staatsaufgaben in größerem Umfang aus der (insbesondere parlamentarischen) Verantwortlichkeit der zur Leitung der Verwaltung berufenen obersten Organe entlässt und der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht, nach beiden Richtungen bereits einer besonderen Rechtfertigung durch gewichtige Gründe bedarf“. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung der TelekomControl Kommission leitete der Gerichtshof aus der Eigenart des ihr zugewiesenen Sachbereichs und der Tatsache ab, dass es sich dabei um einen neuen Verwaltungsbereich handelt, dessen Bewältigung neben juristischen und wirtschaftlichen in besonderem Maße auch technischen Sachverstand erfordert. Dazu komme, dass häufig Entscheidungen über „civil rights“ getroffen werden müssten. Was die Bekämpfbarkeit von Bescheiden der Telekom-Control Kommission betrifft, kam der VfGH im selben Erk zum Ergebnis, dass Art 133 Z 4 B-VG von Art 5a der RL 90/387/EWG idF der RL 97/51/EG verdrängt werde und Beschwerden an den VwGH demgemäß zulässig seien. Der VwGH war anderer Ansicht und legte diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vor. Daraufhin wurde durch die Novelle BGBl I 2000/26 der Rechtszug an den VwGH gesetzlich ausdrücklich für zulässig erklärt (§ 115 Abs 2 TKG 1997). Da also sowohl rechtfertigende Gründe für die Errichtung der Kommission als auch der Rechtszug zum VwGH gegeben waren, erachtete der VfGH die Schaffung der Telekom-Control Kommission als verfassungsrechtlich zulässig. Zum gegenteiligen Ergebnis führte den VfGH allerdings die Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung der Regionalradio- und Kabelrundfunkbehörde (Privatrundfunkbehörde) als Art 133 Z 4-Behörde (VfSlg 15.886/2000). Kritisch zur Judikatur des VfGH betreffend die Grenzen der Errichtung von Art 133 Z 4-Behörden Mayer, Möglichkeiten und Grenzen der Schaffung neuer unabhängiger Kollegialbehörden nach Art 133 Z 4 B-VG, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Senatsverfahren in Steuersachen, 2001, 45 (46ff). Dazu auch Leitl, Regulierungsbehörden im österreichischen Recht, 2006, 163ff.
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gen345 zweigeteilten Behörde erbracht wurde, wobei der Telekom-Control Kommission die Telekom-Control GmbH als Geschäftsstelle zur Seite gestellt war. Unter dem Blickwinkel der voranschreitenden Verschränkung von Medien- und Telekommunikationsindustrie („Konvergenz“)346 wurde mit 1. 4. 2001 als „Know-how“-Trägerin im Bereich der Konvergenz und als Geschäftsapparat sowohl der Telekom-Control Kommission als auch der neu errichteten KommAustria die nicht gewinnorientierte „Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH)“ ins Leben gerufen. Die Gesellschaft wurde mit der Telekom-Control GmbH ex lege verschmolzen347. Die RTR-GmbH ist im Sinne eines „Konvergenzregulators“ in einen Fachbereich Telekommunikation, der die Telekom-Control Kommission348 unterstützt, und einen Fachbereich Rundfunk, der als Geschäftsapparat der KommAustria fungiert, gegliedert. Die ursprünglich der Telekom-Control GmbH übertragenen Regulierungsaufgaben werden seither von der RTR-GmbH wahrgenommen349. Auch sie ist ein beliehener Privatrechtsträger350. Die KommAustria ist zur Verwaltungsführung in Angelegenheiten der Rundfunkregulierung berufen. Sie ist eine dem Weisungsrecht des Bundeskanzlers unterliegende351 Medienbehörde und übernahm die Agenden der Privatrundfunkbehörde und der Kommission zur Wahrung des RRG, die zugleich Kommission zur Wahrung des KSRG war. Die Zuständigkeiten der KommAustria sind überwiegend352 im KOG (§ 2)353 festgeschrieben. Beru345 346 347 348 349
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352
353
Zu den Maßstäben der Unabhängigkeit vgl Polster, Das Telekommunikationsrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 22. Dazu umfassend Damjanovic, Regulierung der Kommunikationsmärkte unter Konvergenzbedingungen, 2002. § 5 Abs 2 KOG. Zu den Zuständigkeiten der Telekom-Control Kommission § 117 TKG 2003. S Parschalk/Otto/Weber/Zuser, Telekommunikationsrecht, 2006, 234f. Zu den Agenden der RTR-GmbH zählen neben der Wahrnehmung der Aufgaben des Geschäftsapparates der KommAustria und der Telekom-Control Kommission die Aufgaben, die ihr nach dem TKG 2003 übertragen sind (§ 115), Aufgaben nach dem SigG, dem ECG und dem KartG, der Aufbau eines Kompetenzzentrums, insbesondere für Fragen der Konvergenz von Medien und Telekommunikation, sowie die Verwaltung und Vergabe der Mittel aus dem Digitalisierungsfonds und aus dem Fernsehfilmförderungsfonds. Vgl zB die Kompetenz zur Erlassung verschiedener Verordnungen (zB Nummerierungsverordnung und Entgeltverordnung). Die parlamentarische Mehrheit für die Errichtung einer verfassungsrechtlich abgesicherten (vgl dazu VfSlg 15.886/2000 - Privatrundfunkbehörde) unabhängigen Behörde kam nicht zustande. Dazu Leitl, Regulierungsbehörden im österreichischen Recht, 2006, 146f. Die Aufgaben der KommAustria wurden im Jahr 2002 mit dem WettbewerbsG, BGBl I 62, um Befugnisse im Bereich des allgemeinen Wettbewerbsrechts und im Jahr 2003 mit dem TKG 2003 um die Regulierung der Kommunikationsinfrastruktur zur Verbreitung von Rundfunk (§ 120) erweitert. Seit 2004 vergibt die KommAustria nach dem PresseförderungsG 2004 die Presseförderung und nach dem PublizistikförderungsG 1984 die Publizistikförderung des Bundes, seit 2006 fungiert sie auf der Grundlage des VerwertungsgesellschaftenG 2006 als Aufsichtsbehörde für Verwertungsgesellschaften. BGBl I 2001/32 idF BGBl I 2006/9.
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fungsinstanz ist der Bundeskommunikationssenat, eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag, der zusätzlich zur Aufgabe als Berufungsbehörde gegenüber Entscheidungen der KommAustria die Agenden der Kommission zur Wahrung des RFG übertragen wurden (Rechtsaufsicht über den ORF)354.
3. Der Postregulator Mit der PostG-Nov 2005355 legte der Gesetzgeber auch für den Bereich des Postwesens den Grundstein für die Errichtung eines unabhängigen Regulators. Zwar wird noch bis Ende 2007 der BMVIT Regulierungsbehörde im Sinne der PostRL sein, ab 1. 1. 2008 tritt diesbezüglich jedoch „die Regulierungsbehörde gemäß § 25a PostG“ an dessen Stelle. Danach sind die TelekomControl Kommission und die RTR-GmbH auch als Postregulatoren tätig. Bei der Telekom-Control Kommission wird ein zweiter Senat errichtet, dem anstelle des Mitglieds mit einschlägigen technischen Kenntnissen (§ 118 Abs 1 TKG 2003) ein Mitglied mit Kenntnissen im Postwesen angehört. Die RTRGmbH fungiert - unter der Leitung des Geschäftsführers für den Fachbereich Telekommunikation - als Geschäftsapparat der Telekom-Control Kommission in Postangelegenheiten. Sie nimmt darüber hinaus - als Beliehene - sämtliche Aufgaben wahr, die im PostG 1997 und in den einschlägigen Verordnungen der Regulierungsbehörde übertragen sind, sofern hiefür nicht die TelekomControl Kommission zuständig ist356.
4. Der Schienenregulator Nach dem Vorbild der Regulierung auf dem Telekommunikationssektor wurde auch für den Bereich der Schienenverkehrsleistungen ein Regulator bestehend aus der Schienen-Control GmbH und der Schienen-Control Kommission ins Leben gerufen357. Ausschlaggebend hiefür war die gemeinschaftsrechtlich motivierte Erkenntnis, dass auch die Marktöffnung für Schienenverkehrsleistungen eine regulierende Aufsichtsfunktion mit allen nötigen Befugnissen erfordere358. Geschaffen wurden die Regulierungsstellen durch das „Schienenverkehrsmarkt-RegulierungsG“359. Auch die „Schienen-Control Österreichische Gesellschaft für Schienenverkehrsmarktregulierung mit beschränkter Haftung“ (Schienen-Control GmbH) ist eine zu 100% im Eigentum des Bundes stehende, nicht gewinnorientierte Gesellschaft, die mit der Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse betraut ist. 354 355 356 357
358 359
Zur Verfassungskonformität des Bundeskommunikationssenats VfSlg 16.625/2002. BGBl I 2006/2. Vgl dazu insb § 25a f PostG 1997 nach seinem Inkrafttreten mit 1. 1. 2008. Vgl dazu Urbantschitsch/Feiel, Schienenverkehrsmarkt-Regulierungsgesetz: Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Fragestellungen, JBl 2000, 431. Zum Eisenbahnregulierungsrecht allgemein s den gleichnamigen Kommentar von Lewisch, 2002. Vgl auch Holoubek, Die Regulierung des liberalisierten Eisenbahnverkehrs Aufgaben, Organisation und Verfahren der Schienenverkehrsmarktregulierung im Rechtsvergleich, in: Dullinger/Holoubek/Segalla (Hrsg), Recht und Praxis der Eisenbahnliberalisierung, 2004, 106. RV 1835 BlgNR 20. GP, 2. BG, mit dem das Eisenbahngesetz 1957, das Bundesbahngesetz 1992 und das Schieneninfrastrukturfinanzierungs-Gesetz geändert werden (Schienenverkehrsmarkt-Regulierungsgesetz), BGBl I 1999/166.
Öffentliche Unternehmen
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Fachbereiche der Gesellschaft sind Netz, Recht, Betriebswirtschaft Controlling und Verkehrsökonomie. Ihre wichtigsten Aufgaben bestehen in der Entscheidung bei Nutzungskonflikten sowie in der Wettbewerbsaufsicht am Schienenverkehrsmarkt in technischer, rechtlicher, betriebs- und volkswirtschaftlicher Hinsicht. Konkret kommen der Gesellschaft nach dem EisbG 1957 etwa folgende Aufgaben zu360: Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung von Anschlussund Mitbenützungsbegehren sowie zur Gewährleistung des Zugangs zur Schieneninfrastruktur, Durchführung des Verfahrens zur Feststellung der Voraussetzungen für die Ausstellung einer Sicherheitsbescheinigung, Aufsicht über Verhandlungen über die Höhe von Benützungsentgelten, die Marktbeobachtung sowie die Geschäftsführung der Schienen-Control Kommission. Die Schienen-Control Kommission ist eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag iSd Art 133 Z 4 B-VG für Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der Schienen-Control GmbH zuständig (§§ 78 Abs 2 und 81 Abs 2 EisbG 1957). Weiters fallen in ihren Aufgabenbereich gemäß dem EisbG 1957361 die Entscheidung über Beschwerden von Anschluss- und Mitbenützungsberechtigten, die Wettbewerbsaufsicht im Zusammenhang mit der Verknüpfung von Schienenbahnen, die Genehmigung von Rahmenregelungen mit einer Laufzeit von mehr als 10 Jahren und von Entgelten im Zusammenhang mit der Erhöhung der Fahrwegkapazität, die Entscheidung über Beschwerden gegen Zuweisungsstellen und Eisenbahnverkehrsunternehmen sowie die Wettbewerbsaufsicht im Zusammenhang mit dem Zugang zur Schieneninfrastruktur und sonstigen Leistungen.
5. Der Energieregulator Auch für die Aufsichts- und Regulierungsfunktionen im Bereich der liberalisierten Energiemärkte stand der Regulator im Telekommunikationssektor Pate. Nach seinem Vorbild wurden als Regulierungsbehörde zunächst eine „Elektrizitäts-Control Österreichische Gesellschaft für die Regulierung in der Elektrizitätswirtschaft mit beschränkter Haftung“ (Elektrizitäts-Control GmbH) und eine Elektrizitäts-Control Kommission errichtet362. Mit einer Novelle zum zitierten Gesetz aus dem Jahr 2002363 wurde auch für den Bereich Erdgas ein Regulator ins Leben gerufen und der Titel des Gesetzes in Energie-RegulierungsbehördenG (E-RBG) abgeändert. Regulierungsbehörden sind die Energie-Control GmbH und die Energie-Control Kommission364. 360 361 362
363 364
§§ 53e, 75, 61, 68a, 77 Abs 1 Z 1, 77 Abs 1 Z 3. §§ 53c, 53f, 64 Abs 5, 65e Abs 4, 72, 73, 74. BG über die Aufgaben der Regulierungsbehörden im Elektrizitätsbereich und die Errichtung der Elektrizitäts-Control GmbH und der Elektrizitäts-Control Kommission, Art 8 EnergieliberalisierungsG, BGBl I 2000/121. Zur Verfassungskonformität der Strom-Regulatoren vgl Feiel/Urbantschitsch, Die neuen Strom-Regulatoren, ecolex 2000, 826 (827ff). Art 2 BGBl I 148. Zur europäischen Dimension der Regulierung, insb zur „Gruppe der europäischen Regulierungsbehörden für Elektrizität und Erdgas“ (ERGEG) als unabhängiges Beratergremium der Europäischen Kommission und zum „Council of European Energy Regulators“ (CEER) als Vereinigung europäischer Regulatoren mit verschiedenen Arbeitsgruppen, die insb der Erörterung aktueller einschlägiger Themen dienen, Boltz, Die europäische Dimension: Aktuelle Entwicklungen der Strommarktregulie-
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Die „Energie-Control Österreichische Gesellschaft für die Regulierung in der Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft mit beschränkter Haftung“ (EnergieControl GmbH) ist gemäß § 7 E-RBG zur Wahrnehmung folgender Aufgaben berufen, sofern hiefür nicht die Energie-Control Kommission zuständig ist: sämtliche Aufgaben, die im ElWOG365, im Bundesgesetz, mit dem die Ausübungsvoraussetzungen, die Aufgaben und die Befugnisse der Verrechnungsstellen für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie geregelt werden, im GWG, im E-RBG sowie im Ökostromgesetz und in den auf diesen Gesetzen erlassenen Verordnungen der Regulierungsbehörde übertragen sind. Erwähnt seien auch die Erstellung von Gutachten und Stellungnahmen über die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse im Elektrizitäts- und Erdgasbereich sowie die Wahrnehmung der den Regulatoren durch das KartG eingeräumten Antrags- und Stellungnahmerechte366. Die Energie-Control GmbH ist zudem zur Geschäftsführung der Energie-Control Kommission berufen. Die Energie-Control Kommission ist eine weisungsfreie Behörde, deren vielfältige Aufgaben in § 16 E-RBG festgelegt sind. Beispielhaft seien erwähnt die Genehmigung der allgemeinen Bedingungen der Netzbetreiber für die Inanspruchnahme der Übertragungs- und Verteilernetze, die Bestimmung der Systemnutzungstarife und sonstiger Tarife gemäß § 25 ElWOG sowie von Tarifen und Verrechnungsgrundsätzen bei Regelzonen überschreitenden Lieferungen von elektrischer Energie, die Untersagung der Anwendung von Bedingungen, die auf Endverbraucher Anwendung finden und die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen sowie die Entscheidungen über Netzzugangsverweigerung. Die Kommission ist eine Art 133 Z 4-Behörde, gegen deren Entscheidungen der VwGH angerufen werden kann367.
6. Die Finanzmarktaufsicht Im Gegensatz zu den bisher dargestellten Regulierungsbehörden ist die Finanzmarktaufsicht (FMA) - wie ihre Vorläuferin, die Bundes-Wertpapieraufsicht (BWA)368 - nicht in privatrechtlicher Form organisiert. Vielmehr stellt
365
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rung auf Ebene der Europäischen Union, in: Holoubek/Boltz (Hrsg), Strommarktregulierung, 2005, 113 (115ff). Zur Verfassungswidrigkeit der Verhängung von Einfuhrsperren gegenüber anderen Staaten durch die Elektrizitäts-Control GmbH VfSlg 16.995/2003 (ausgliederungsfeste staatliche Kernaufgabe der Außenpolitik). Zur Streitschlichtung s § 10 E-RBG. Zur Strommarktregulierung insb Holoubek/Boltz (Hrsg), Strommarktregulierung, 2005. Die BWA sollte ursprünglich als GmbH organisiert werden. Im Ergebnis wurde sie jedoch als unabhängige Anstalt öffentlichen Rechts errichtet (Kalss, Die Gestaltung der Kapitalmarktaufsicht in Österreich, ZfV 1998, 252 [258]). Zur Verfassungswidrigkeit der BWA als selbstständige, mit Hoheitsgewalt ausgestattete Anstalt öffentlichen Rechts auf Grund ihrer mangelnden Unterstellung unter die Leitungs- und Organisationsgewalt eines obersten Organs VfSlg 16.400/2001 (vgl bereits zuvor Raschauer [FN 137], 434; Rill [135], 748). Ohne die vom VfGH geforderte Ingerenz des BMF in Gestalt einer unselbstständigen Anstalt oder einer GmbH herzustellen, hat der Gesetzgeber nach dem zitierten Erkenntnis auch die FMA als selbstständige, unabhängige Anstalt öffentlichen Rechts errichtet, allerdings mit verfassungsrechtlicher Absicherung (Schäffer [FN 175], Rz 574 [FN 98f]). Zur Verfassungskonformität der FMA VfSlg 16.641/2002.
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sie gemäß § 1 Abs 1 FMABG369 eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit dar. Die FMA nahm ihren Betrieb am 1. 4. 2002 auf370, ist in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden und zur Durchführung der Banken-, Versicherungs-, Wertpapier- und Pensionskassenaufsicht (Allfinanzaufsicht) berufen371. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben sind der FMA mit der Erlassung von Bescheiden und Verordnungen auch hoheitliche Instrumente an die Hand gegeben.
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BG über die Errichtung und Organisation der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FinanzmarktaufsichtsbehördenG - FMABG), Art I FMAG, BGBl I 2001/97 idF BGBl I 2006/141. Die Rechte und Pflichten der BWA gingen auf die FMA im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über. Zu den einzelnen Tätigkeitsbereichen § 2 FMABG.
Patrick Segalla
Monopolbetriebe Rechtsgrundlagen ...........................................................................................419 Grundlegende Literatur...................................................................................419 I. Grundlagen ................................................................................................419 A. Allgemeines............................................................................................419 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................420 II. Das Glücksspielmonopol .........................................................................422 III. Das Tabakmonopol ................................................................................422 A. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................422 B. Allgemeines............................................................................................423 C. Die Monopolverwaltung........................................................................423 D. Ehemaliges Einfuhr- und Herstellungsmonopol ...................................423 E. Das Großhandelsmonopol.....................................................................424 F. Der Kleinhandel ....................................................................................425 Rechtsgrundlagen: GlücksspielG - GSpG (BGBl Nr 620/1989 idF BGBl I Nr 145/2006); TabakmonopolG 1996 - TabMG (BGBl Nr 830/1995 idF BGBl I Nr 47/2006); Tabaksteuergesetz 1995 (BGBl Nr 704/1994 idF BGBl I Nr 47/2006); Tabakgesetz (BGBl Nr 431/1995 idF BGBl I Nr 47/2006).
Grundlegende Literatur: Erlacher, Glücksspielgesetz2, 1997; Herzig/Hecht, Tabakmonopol, Gastgewerbebetriebe und Freiheit des Warenverkehrs, WBl 1997, 277; Mayer, Staatsmonopole, 1976; Raschauer, Monopolunternehmen: Zugleich ein Beitrag zum Recht der öffentlichen Unternehmung, ZfV 1987, 1; Schwartz, Strukturfragen und ausgewählte Probleme des österreichischen Glücksspielrechts, 1998; Schwartz/Wohlfahrt, Glücksspielgesetz Kurzkommentar, 1988; Vcelouch, Vereinbarkeit von Gemeinschaftsrecht und österreichischem „Tabakmonopol“, ÖJZ 1999, 701.
I. Grundlagen A. Allgemeines Das österreichische Wirtschaftssystem folgt bekanntermaßen prinzipiell den Grundsätzen einer liberalen und marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung: Staatliche Monopole erscheinen in einem derartigen System geradezu systemwidrig, waren aber in der Vergangenheit durchaus häufig - und nicht nur in unbedeutenden Wirtschaftssektoren - anzutreffen. Sie entwickelten sich in der Regel aus königlichen Regalien, bei denen bestimmten Privaten Exklusivrechte
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eingeräumt wurden,1 wobei diese Regalien im Laufe der Zeit in Monopole umgewandelt wurden, bei denen der Staat die gegenständlichen Wirtschaftsgebiete selbst übernahm. Hauptmotiv für die Schaffung der Staatsmonopole - va Tabak, Salz, Glücksspiel, teilweise Alkohol - waren in fast allen Fällen fiskalische Überlegungen. Durch die Besteuerung bestimmter Tätigkeiten (Verbrauchssteuer) konnte der Staat zusätzliche Einnahmen erzielen.2 Neben diesem finanziellen Aspekt kamen jedoch auch andere Motive zum tragen, so beispielsweise die Gewährleistung sozialer Preise beim Salz als Gut mit unelastischer Nachfrage und die Verwendung der Glücksspieleinnahmen für soziale Zwecke.3 Im vergangenen Jahrzehnt sank hingegen die Zahl derartiger Staatsmonopole erheblich. Neben einer allgemeinen Tendenz zum Rückzug des Staates aus der eigenverantwortlichen Wahrnehmung wirtschaftlicher Tätigkeiten spielte hierbei auch der EU-Beitritt Österreichs eine zentrale Rolle. So wurden Salzund Branntweinmonopol aufgegeben, und als wirtschaftlich relevante Staatsmonopole bestehen heutzutage nur mehr das Glücksspielmonopol und das Tabakmonopol.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Gem Art 10 Abs 1 Z 4 ist das Monopolwesen in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Trotz dieser scheinbar klaren Festlegung durch den Verfassungsgeber bereitet die genaue Auslegung des Begriffs Monopolwesen einige Schwierigkeiten.4 Unbestrittenermaßen besteht die Bundeskompetenz des Art 10 Abs 1 Z 4 nur für Staatsmonopole.5 Private Monopole können daher vom Bundesgesetzgeber nicht auf Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG gestützt werden.6 Unabhängig geht die hL jedoch davon aus, dass es dem Bundesgesetzgeber erlaubt ist, die Bewirtschaftung von staatlichen Monopolen an (natürliche und) juristische Personen des Privatrechts zu übertragen.7 In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Österreichischen Lotterien GmbH und die Casinos Austria AG mehrheitlich in privater Hand befinden, ist es allerdings durchaus fragwürdig, ob das Glücksspielmonopol noch ein Staatsmonopol darstellt und die diesen Unternehmen eingeräumten Monopolrechte noch auf Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG gestützt werden können. 1 2 3
4 5 6 7
Vgl Mayer, Staatsmonopole, 1976, 15f. Vgl Raschauer, Monopolunternehmen: Zugleich ein Beitrag zum Recht der staatlichen Unternehmung, ZfV 1987, 1 (2). Vgl Raschauer (FN 2), 2f. Im Glücksspielbereich spielten lange Zeit auch moralisch-religiöse Überlegungen eine wichtige Rolle (Vgl Schwartz, Strukturfragen und ausgewählte Probleme des österreichischen Glücksspielrechts, 1998, 6), in jüngerer Zeit kamen auch das Ziel der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Geldwäsche sowie des Spielerschutzes hinzu. Vgl Mayer (FN 1), 1976, 1; Raschauer (FN 2), 1. Mayer, B-VG3, 2002, 24. Vgl Raschauer (FN 2), 3. Raschauer (FN 2), 4f, Schwartz/Wohlfahrt, Glücksspielgesetz, 1998, 39f. AA Mayer (FN 1), 5ff.
Monopolbetriebe
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Ein Teil der Lehre und insb Mayer nimmt an, dass dem einfachen Bundesgesetzgeber eine Kompetenzkompetenz zur Normierung der Monopolgegenstände zukommt.8 Dies gelte insbesondere auch dann, wenn die in Frage stehende Angelegenheit im Übrigen in die Kompetenz der Länder fällt,9 und bedeute weiters, dass der (einfache) Bundesgesetzgeber jedes Sachgebiet als Monopol ausgestalten darf. Der Bundesgesetzgeber könne in den Monopolbereichen selbst bestimmen, inwieweit er auch tatsächlich ein Monopol begründet. Sofern er in einem Sachbereich die Reichweite des Monopols begrenzt, falle die Regelung des über das Monopol hinausgehenden Bereichs unter die allgemeinen Kompetenzregeln. Deshalb fallen z.B. jene Glücksspiele, die nicht vom Glücksspielmonopol erfasst sind - weil sie „Veranstaltungswesen“ darstellen Gem Art 15 B-VG in die Zuständigkeit der Länder.10 Nach abweichender Auffassung gewährt Art 10 Abs 1 Z 4 dem einfachen Bundesgesetzgeber keine Kompetenzkompetenz, vielmehr sei der Bedeutungsinhalt des Kompetenztatbestandes „Monopolwesen“ im Wege der Versteinerung zu gewinnen. Raschauer macht als Wesensmerkmal von Staatsmonopolen den Aspekt der Verbrauchsbesteuerung aus.11 Eine Kompetenz zur Monopolschaffung komme dem Bundesgesetzgeber nur insoweit zu, als sich ein derart geschaffenes Monopol auf Verbrauchsabgaben bezieht und sich im Übrigen als intersystematische Fortentwicklung jener Vorbehalte darstellt, die vom Verfassungsgesetzgeber in der Österreichischen Zoll- und Staatsmonopolordnung12 vorgefunden wurden. Sofern der Bundesgesetzgeber ein solches Monopol aber nicht schafft, ergebe sich die Regelungszuständigkeit auch hier nach den allgemeinen Kompetenzregeln. Der einfache Bundesgesetzgeber darf sich auf den Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG „Monopolwesen“ nur dann stützen, wenn er den zu regelnden Bereich tatsächlich als Monopol ausgestaltet, also die monopolisierte Tätigkeit von niemandem außer dem Monopolinhaber ausgeübt werden darf:13 Dies ist einsichtig, weil sonst dem einfachen Bundesgesetzgeber eine Kompetenzkompetenz zukommen würde, jeden beliebigen Regelungsbereich an sich zu ziehen. Es führt aber zu einem durchaus relevanten Problem: Wie zu zeigen sein wird, sieht das TabMG heutzutage kein Monopol im eigentlichen Sinn mehr vor: Vielmehr geht das TabMG von einem streng regulierten Markt aus, der im Bereich des Kleinhandels intensiven Zugangsbeschränkungen unter8 9 10 11
12 13
Ausführlich Mayer (FN 1), 13ff. Mayer (FN 1), 1976, 22f; Schwartz/Wohlfahrt, Der glücksspielrechtliche Ausspielungsbegriff, ÖJZ 1999, 339. Kritisch Schwartz (FN 3), 24ff. Schwartz/Wohlfahrt (FN 7), 19f, Erlacher, Glücksspielgesetz, 1997, 15. VfSlg. 7.567/1975. Raschauer (FN 2), 2. Schwartz will den Inhalt des Kompetenztatbestandes ebenfalls im Wege der Versteinerungstheorie gewinnen: Vgl Schwartz (FN 3), 26 ff. Bei den hier zu behandelnden Rechtsgebieten des Glücksspiel- und Tabakmonopols ergeben sich dadurch kaum Unterschiede zur anderen Sichtweise, weil diese Gebiete bereits im Jahr 1925 als Staatsmonopole ausgestaltet waren, also im versteinerten Inhalt des Kompetenztatbestandes beinhaltet sind. Zu Bedenken hinsichtlich der Kompetenz des Bundesgesetzgebers zur Regelung des Totos siehe den Beitrag Glückspiel- und Wettrecht in diesem Band. ZuStMO, PGS LXIII, 113. Ein „Weniger“ an Beschränkungen wäre auf Grundlage des Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG nicht zulässig: Vgl Mayer (FN 1), 17.
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liegt. Weder die Erzeuger-, noch die Großhändler-, noch die Kleinhändlertätigkeit sind aber heutzutage einem Monopolisten vorbehalten. Daher dürften die heutigen Regelungen des TabMG nicht mehr auf diese Kompetenzgrundlage zu stützen sein; als Alternative kommt Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ in Betracht.14
Besondere Beachtung verdient weiters das Verhältnis zwischen den Art 5 und 6 StGG und der Kompetenznorm des Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG. Denn die Schaffung eines Staatsmonopols gerät zwangsläufig in Konflikt mit den verfassungsgesetzlich gewährleistetet Rechten auf Eigentum und freier Erwerbsbetätigung. Der VfGH hat jedenfalls die Auffassung abgelehnt, dass die Erwerbsfreiheit bei der Regelung von Konzessionsvergaben an Private im Bereich staatlicher Monopole keine Schranke für das gesetzgeberische Handeln darstellt und stattdessen die Beschränkung der Zahl der Spielbankenkonzessionen nach § 21 Abs 4 GSpG an Art 6 StGG gemessen.15
II. Das Glücksspielmonopol Das GSpG unterwirft mit wenigen Ausnahmen - siehe § 4 GSpG - die Veranstaltung von Glücksspielen zur Gänze dem Glücksspielmonopol des Bundes: siehe dazu den Beitrag „Glückspiel- und Wettrecht“ in diesem Band.
III. Das Tabakmonopol A. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Tabakwaren sind Waren iSd Art 28 EGV. Die klassischer Weise in den Mitgliedsstaaten bestehenden Handelsmonopole mit Tabakwaren unterliegen daher auch der Bestimmung des Art 31 EGV, wonach sie derart umzuformen sind, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedsstaaten ausgeschlossen ist. Art 71 der Beitrittsakte Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft16 sah zur Umformung des österreichischen Tabakmonopols eine dreijährige Übergangsfrist vor. Seit Ablauf dieser Frist gelten die allgemeinen Vertragsvorschriften. Nicht unter Art 31 EGV fällt nach Ansicht des EuGH jedoch eine Regelung, die den Einzelhandel mit Tabakwaren staatlich zugelassenen Vertriebshändlern vorbehält, wenn der Staat nicht in die Wahl der Bezugsquellen durch die Einzelhändler eingreift.17 Es handle sich dabei um eine bloße Verkaufsmodalität iSd Keck-Rsp,18 die den Absatz der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedsstaaten nicht stärker berühre als von inländischen Produkten.19 Aus diesem 14
15
16 17 18 19
Zu bemerken ist freilich, dass nach Mayer bereits die Übertragung des Monopols auf die juristische Person des Privatrechts „Austria Tabak AG“ - noch vor ihrer Vollprivatisierung - nicht mit dem Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 4 BVG vereinbar war, weil dieser nur Staatsmonopole im engen Sinn betreffe. Vgl Mayer (FN 1), 7. VfSlg 12.165/1989. BGBl 1995/45. EuGH, Rs C-387/93, Banchero, Slg 1995 I-4663. Vgl Becker in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art 28 EGV Rz 47ff. Vgl Beck in Schwarze (Hrsg.), (FN 18), Art 31 EGV Rz 11.
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Urteil ergibt sich in Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht, dass eine Beschränkung der Einzelhändler in Hinsicht auf ihre Bezugsquelle auf einen bestimmten Großhandelsmonopolisten gemeinschaftsrechtswidrig wäre. Mit Bezug auf die österreichische Rechtslage wurden zum Teil die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit der Beschränkung des Großhandels auf Gesellschaften, welche im Besitz einer österreichischen Großhandelsgenehmigung sind sowie der Verpflichtung des Gastgewerbes, Tabakerzeugnisse von Tabaktrafiken zu beziehen angezweifelt.20
B. Allgemeines § 1 Abs 1 Tabakmonopolgesetz (TabMG 1996) bestimmt, dass Tabakerzeugnisse im Monopolgebiet nach den Bestimmungen dieses Gesetzes dem Bund als Monopolgegenstände vorbehalten sind.21 Monopolgebiet ist dabei das gesamte Bundesgebiet mit Ausnahme des Gebiets der Ortsgemeinden Jungholz (Tirol) und Mittelberg (Vorarlberg). Das Tabakmonopol wurde allerdings wegen des EU-Beitritts Österreichs stark umgestaltet, wodurch die ehemaligen Ausschließlichkeitsrechte heute keine solchen mehr sind. Dies gilt insbesondere für das Einfuhr- und Herstellungsmonopol, welche beseitigt wurden, sowie das Großhandelsmonopol, wo der Marktzutritt auch anderen Unternehmen als der Austria Tabak AG ermöglicht wurde.22
C. Die Monopolverwaltung Die Verwaltung des Tabakmonopols wird sowohl hinsichtlich des Groß-, wie des Kleinhandels einheitlich von der Monopolverwaltungsgesellschaft mbH wahrgenommen (§ 3):23 Die Monopolverwaltungs GmbH ist eine vom BMF gegründete Gesellschaft, deren Anteile zu 100% dem Bund vorbehalten sind (§ 13). § 13 bis 18 enthaltenen nähere organisationsrechtliche Vorschriften für diese Gesellschaft.
D. Ehemaliges Einfuhr- und Herstellungsmonopol Das bis zum EU-Beitritt bestehende strikte Einfuhrmonopol wurde zunächst auf die Einfuhr von Tabakerzeugnissen aus Drittstaaten beschränkt und 2002 20
21
22 23
So Herzig/Hecht, Tabakmonopol, Gastgewerbebetriebe und Freiheit des Warenverkehrs, WBl. 1997, 277. Sie sehen neben der Problematik des Art 31 EGV auch einen Verstoß gegen Art 86 EGV. AA Vcelouch, Vereinbarkeit von Gemeinschaftsrecht und „Tabakmonopol“ ÖJZ 1999, 701, der die Vereinbarkeit der Regelungen des TabMG mit der Warenverkehrsfreiheit im Lichte des Banchero-Urteils bejaht. Tabakerzeugnisse sind gem § 1 Abs 2 definiert als die Tabakwaren iSd § 2 Tabaksteuergesetz 1995, BGBl Nr 704/1994 (das sind Zigaretten, Zigarren, Zigarillos und Rauchtabak) sowie Kau- und Schnupftabake, auch wenn sie nur zum Teil aus Tabak bestehen. Zur vorgehenden Rechtslage vgl Curda, Das Tabakmonopolgesetz 1968, 1979. Vor der TabMG-Novelle BGBl I 2002/132 war die Verwaltung des Monopols zweigeteilt: Die gewerbliche Einfuhr und Herstellung von sowie der Großhandel mit Tabakerzeugnissen wurden von der Austria Tabak Aktiengesellschaft wahrgenommen, die Angelegenheiten des Kleinhandels hingegen von der Monopolverwaltungsgesellschaft mbH. Die Änderungen seit damals sollten der Vollprivatisierung der Austria Tabak AG Rechnung tragen.
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vollständig aufgehoben (ehemaliger § 2). Die Einfuhr von Tabakerzeugnissen aus Mitgliedsstaaten der EG wie auch aus Drittstaaten ist daher jedermann gestattet. Als Folge der Vollprivatisierung der Austria Tabak AG wurde 2002 auch deren Herstellungsmonopol (ehemaliger § 4) beseitigt.
E. Das Großhandelsmonopol Ebenfalls aufgrund des Beitritts zur Europäischen Union wurde das davor bestehende völlige Großhandelsmonopol im Ergebnis beseitigt.24 Im Gegensatz zur Vergangenheit ist der Großhandel nunmehr nicht mehr ausschließlich der Austria Tabak vorbehalten. Allerdings ist der Erwerb einer Großhandelsbewilligung an strenge Voraussetzungen geknüpft. § 6 regelt die Voraussetzungen zum Erwerb einer solchen Bewilligung. Sie darf nur an Personen oder Personenvereinigungen erteilt werden, die • ihren Sitz oder Hauptwohnsitz in der EG haben,25 • gem § 13 Abs 2 oder § 19 TabStG 1995 berechtigt sind, Tabakerzeugnisse unter Steueraussetzung zu lagern oder zu beziehen, es sei denn, es werden ausschließlich Kau- oder Schnupftabake gehandelt. Steuerlager gem § 13 Abs 2 TabStG sind Herstellungsbetriebe oder Tabakwarenlager, soweit sie nach § 14 (Herstellungsbetriebe) bzw § 16 (Lager) TabStG bewilligt sind, sowie in anderen Mitgliedsstaaten zugelassene Steuerlager. § 19 TabStG bestimmt, wer als berechtigter Empfänger zu gelten hat: Gem § 19 Abs 1 sind dies Personen, denen von einem anderen Mitgliedsstaat oder gem § 19 Abs 2 die Bewilligung erteilt worden ist, Tabakwaren unter Steueraussetzung aus einem anderen Mitgliedsstaat zu gewerblichen Zwecken nicht nur gelegentlich (Z 1) oder im Einzelfall (Z 2) zu beziehen. Wichtigste Voraussetzung für die Erteilung einer Bewilligung im Fall des Abs 1 Z 1 („nicht nur gelegentlich“) ist die grundsätzliche Pflicht zur ordnungsgemäßen Buchführung.26 Weiters ist Sicherstellung in Höhe der Tabaksteuer erforderlich, die voraussichtlich während eines Kalendermonats anfallen wird. Für die Bewilligung im Einzelfall (§ 19 Abs 1 Z 2 TabStG) muss nur eine Sicherheit in Höhe der im Einzelfall anfallenden Tabaksteuer geleistet werden.
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• •
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eine Gewerbeberechtigung gem § 124 Z 10 der GewO 1994, BGBl Nr 194/1994 besitzen (Handelsgewerbe), nicht Tabaktrafikanten sind und weder rechtlich noch faktisch kontrollierend an einem Unternehmen beteiligt sind, das eine Tabaktrafik führt,27 Geschäfts- und Lieferbedingungen gem § 10 Abs 1 und 2 TabMG festgelegt haben.
Unter Großhandel ist gem § 5 Abs 1 der gewerbliche Vertrieb von Tabakerzeugnisse zu verstehen, so weit es sich nicht um Kleinhandel handelt (und keine der sonstigen Ausnahmen vorliegt). Unter Kleinhandel ist gem Abs 2 die entgeltliche Abgabe von Tabakerzeugnisse an Verbraucher im Monopolgebiet aufgrund eines Bestellungsvertrages zu verstehen. Er ist im Regelfall den Tabaktrafikanten vorbehalten. Gilt auch für die zur Geschäftsführung berufenen Personen (§ 6 Abs 3). Diese Pflicht gilt gem § 6 Abs 4 TabMG auch, wenn nur mit Kau- oder Schnupftabaken gehandelt wird. Gilt auch für die zur Geschäftsführung berufenen Personen (§ 6 Abs 3).
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Für die Erteilung der Großhändlerbewilligung ist gem § 7 Abs 1 TabMG der BMF zuständig. Treten die Voraussetzungen des § 7 Abs 5 TabMG ein, ist die Bewilligung zu widerrufen. § 8 TabMG normiert weitreichende Pflichten des Großhändlers. Der Großhändler muss gem § 8 Abs 1 alle Tabakerzeugnisse, die er im Monopolgebiet abgeben will, nach Maßgabe der vorhandenen Bestände auf Bestellung allen Tabaktrafikanten zu den gleichen Bedingungen liefern, wobei für übliche Gebindegrößen eine Lieferverpflichtung gilt und die Lieferung binnen drei Wochen ab Bestellung zu erfolgen hat. Lieferkosten darf der Großhändler nur verrechnen, wenn die Summe der Kleinverkaufspreise der jeweiligen Bestellung weniger als EUR 400,- beträgt (§ 8 Abs 4). § 8 Abs 5 bis 8 regeln weitere Modalitäten der Lieferung und des Preises.
Es ist dem Großhändler untersagt, Tabakerzeugnisse entgeltlich direkt an Verbraucher abzugeben, es sei denn, eine tabaksteuerfreie Abgabe ist zulässig (§ 8 Abs 2). Der Großhändler bestimmt unter Beachtung der Vorschriften des Tabakgesetzes über Mindestverkaufspreise (§ 2 Abs 4 Tabakgesetz) die Preise, zu denen seine Tabakerzeugnisse durch die Tabaktrafikanten zu verkaufen sind. Er hat die Preise dem BMF schriftlich bekannt zu geben und muss sie auf eigene Kosten im Amtsblatt zur Wiener Zeitung veröffentlichen; davor ist ein Verkauf der Tabakerzeugnisse an Tabaktrafikanten unzulässig (§ 9 Abs 1; Dasselbe gilt sinngemäß für Preisänderungen: Abs 2). Der 2006 neu eingeführte § 2 Abs 4 Tabakgesetz sieht vor, dass der Gesundheitsminister im Einvernehmen mit dem Finanzminister „im Interesse der Tabakprävention zur Sicherstellung eines Mindestpreisniveaus den Mindestkleinverkaufspreis für Tabakerzeugnisse durch Verordnung“ festsetzen darf. Auf Grundlage dieser gesetzlichen Bestimmung wurde die Mindestpreisregelungsverordnung28 erlassen. Diese Regelung von Mindestpreisen dürfte aber gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, nämlich gegen die vom EuGH29 aus Art 9 der Richtlinie 95/59/EG30 abgeleitete Befugnis von Tabakherstellern oder Importeuren, ihre Preise frei festzulegen.31
§ 10 TabMG enthält nähere Bestimmungen über die vom Großhändler verpflichtend festzulegenden allgemeinen Geschäfts- und Lieferbedingungen, welche die Geschäftsbeziehungen zu den Tabaktrafikanten regeln. Weiters treffen den Großhändler Meldepflichten über seine Umsätze (§ 11).
F. Der Kleinhandel Der Kleinhandel mit Tabakerzeugnissen ist zwar Bestandteil des Tabakmonopols, stellt aber kein Monopol im technischen Sinn dar. Er ist allerdings streng reglementiert: Das Recht, Kleinhandel mit Tabakerzeugnissen zu betreiben
28 29 30
31
BGBl II Nr 171/2006. Vgl zB EuGH, C-302/00, Kommission gg Frankreich, Slg 2002 S I-02055. Richtlinie 95/59/EG des Rates vom 27. November 1995 über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer, Abl L 291/40 vom 6.12.1995. Die Europäische Kommission hat aus dem genannten Grund ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet. Vgl die Pressemeldung der Kommission IP/06/483 vom 10.4.2006.
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steht grundsätzlich nur Tabaktrafikanten zu (§ 5 Abs 2 TabMG).32 Das TabMG enthält genaue Vorschriften über ihre Bestellung und ihren Betrieb. Zuständig hierfür ist grundsätzlich die Monopolverwaltungsgesellschaft mbH, die für die Mitwirkung bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben verschiedene Organe zu bilden hat: • Der Neuerrichtungsbeirat wirkt mit bei Neuerrichtungen oder Verlegungen von Tabaktrafiken bzw. Tabakwarenautomaten, die außerhalb des Standorts einer Tabaktrafik betrieben werden (§ 19). • Die Besetzungskommissionen treffen grundsätzlich die Entscheidung über die Bestellung von Tabaktrafikanten. Je Bundesland ist eines solche Kommission zu bilden (§ 20). • Die Besetzungsoberkommission (§ 21) hat gem § 33 Gutachten über die Bestellung von Tabaktrafikanten zu erstellen. § 22 enthält gemeinsame Bestimmungen für Bildung und Tätigkeit des Beirats bzw. der Kommissionen. Tabaktrafiken sind Geschäfte, in denen der Kleinhandel mit Tabakerzeugnissen betrieben wird. Ihre Inhaber werden als Tabaktrafikanten bezeichnet (§ 23 Abs 1). Das TabMG unterscheidet in § 23 zwischen Tabakfachgeschäften, welche ausschließlich Tabakerzeugnisse führen (oder Tabakerzeugnisse und die in § 23 Abs 3 aufgezählten Waren, in einem Umfang der den Charakter als Tabakfachgeschäft wahrt) und Tabakverkaufsstellen (alle anderen Tabaktrafiken).
Im Bereich des Kleinhandels mit Tabakerzeugnissen besteht ein ausgeprägter Konkurrenzschutz: Tabaktrafiken dürfen an Standorten, an denen bisher kein solches Geschäft bestanden hat, nur errichtet werden, wenn hierfür ein dringender Bedarf besteht und eine nicht zumutbare Schmälerung des Ertrags benachbarter Tabaktrafiken ausgeschlossen erscheint (§ 24 Abs 1). Selbiges gilt sinngemäß für Standortverlegungen bestehender Tabaktrafiken (§ 24 Abs 2). Die Entscheidung über die Zulassung einer Neuerrichtung bzw. Verlegung erfolgt durch die Monopolverwaltungs GmbH, die zwingend ein Gutachten des Landesgremiums der Tabaktrafikanten einzuholen hat. Spricht sich das Landesgremium dagegen aus, kann ein Gutachten des Neuerrichtungsbeirats eingeholt werden; vor Gutachtenserstattung ist die Neuerrichtung bzw. Verlegung unzulässig (§ 24 Abs 3). Vor Bestellung eines Tabaktrafikanten hat eine Ausschreibung zu erfolgen (§ 25 Abs 1), solange nicht einer der Ausnahmetatbestände des § 25 Abs 6 und 7 greift. Die Ausschreibung wird von der Monopolverwaltung GmbH durchgeführt (Abs 2), wobei die Frist zur Anbotstellung mindestens einen Monat ab Anschlag der Ausschreibung zu betragen hat (Abs 4). In der Ausschreibung ist bekannt zu geben, ob die Tabaktrafik als Tabakfachgeschäft oder als Tabakverkaufsstelle zu führen ist, wobei als Tabakfachgeschäft nur solche Trafiken auszuschreiben sind, aus deren Erträgen der Lebensunterhalt des Trafikanten
32
Ausgenommen davon ist der Verkauf durch Gaststätten gem § 40 Abs 1 TabMG sowie gem § 5 Abs 5 TabMG der Verkauf unter Freilassung von der Tabaksteuer (z.B. auf Flughäfen im Duty-Free-Verkauf für Reisende in Drittstaaten).
Monopolbetriebe
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voraussichtlich bestritten werden kann (Abs 5). Vor der Ausschreibung bestehen Anhörungsrechte des Landesgremiums der Tabaktrafikanten (Abs 8). § 27 TabMG normiert Ausschließungsgründe für die Person des Tabaktrafikanten. U.a. besteht ein Vorrangsrecht von Personen, die die Staatsangehörigkeit eines EWRVertragsstaates besitzen. Weiters werden Anforderungen an die Zuverlässigkeit des Bewerbers gestellt. Bewerber (bzw. Angehörige, die mit dem Bewerber in Haushaltsgemeinschaft leben oder ein vom Bewerber rechtlich oder faktisch kontrolliertes Unternehmen) dürfen den Großhandel mit Tabakerzeugnissen nicht ausüben. Um ein Tabakfachgeschäft dürfen sich nur natürliche Personen bewerben (§ 27 Abs 2). Bei der Bestellung des Tabaktrafikanten aus der Liste der nicht ausgeschlossenen Bewerber genießen gewisse Personen Vorzugsrechte. Vorzugsberechtigt sind gem § 29 Abs 3 Inhaber einer Amtsbescheinigung oder eines Opferausweise nach § 4 OpferfürsorgeG, Empfänger einer Beschädigtenrente nach dem KriegsopferversorgungsG oder dem HeeresversorgungsG, wenn ihre Erwerbsfähigkeit um mind 50% gemindert ist, Empfänger einer Witwen- oder Witwerrente bzw. beihilfe nach OpferfürsorgeG, KriegsopferversorgungsG oder HeeresversorgungsG sowie begünstigte Behinderte iSd § 2 BehinderteneinstellungsG. Ausgenommen von diesem Vorzugsrecht sind diese Personen, wenn der Zeitraum bis zum Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters weniger als fünf Jahre beträgt (§ 29 Abs 2). Bestimmte Angehörige des bisherigen Tabaktrafikanten haben gem § 31 Abs 1 Anspruch auf Fortführung der Tabaktrafik. Besteht ein solcher Anspruch, ist eine Neuausschreibung nicht vorzunehmen (§ 25 Abs 6 Z 2). Die Auswahl des Tabaktrafikanten unter den Bewerben ist nach bestimmten, in § 30 festgelegten Kriterien zu treffen: Unter den vorzugsberechtigten Personen gem § 29 ist die Auswahl nach dem Maß der Bedürftigkeit, bei gleicher Bedürftigkeit nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. der Behinderung vorzunehmen. Die Auswahl unter nicht vorzugsberechtigten Bewerbern ist nach kaufmännischen Grundsätzen zu treffen. § 30 enthält nähere Bestimmungen betreffend die Auswahlkriterien.
Die Auswahl trifft im Regelfall die Besetzungskommission nach § 20 (§ 32 Abs 1). § 32 Abs 2 bis 4 bestimmt Ausnahmen. Von der Entscheidung sind alle Bewerber durch die Monopolverwaltungs GmbH schriftlich unter Angabe der Gründe zu verständigen (§ 32 Abs 5). Die übergangenen Bewerber können binnen zwei Wochen bei der Monopolverwaltungs GmbH schriftlich beantragen, dass diese endgültig über die Bestellung entscheiden soll. Ein solcher Antrag kann auch von jenem Mitglied der Besetzungskommission gestellt werden, das von der GmbH namhaft gemacht wurde. Es sind nur solche Anträge zu berücksichtigen, die begründet sind (§ 33 Abs 1). Die GmbH hat sodann innerhalb von drei Monaten eine endgültige Entscheidung zu treffen, wobei vor der Entscheidung ein Gutachten der Bestellungsoberkommission einzuholen ist (§ 33 Abs 2). Der ausgewählte Bewerber ist durch zivilrechtlichen Bestellungsvertrag zum Tabaktrafikanten zu bestellen (§ 34 Abs 1; §§ 34 bis 39 enthalten nähere Bestimmungen über den Vertrag und die Rechte und Pflichten der Trafikanten).33
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Weil der Bestellungsvorgang von Tabaktrafikanten ein privatrechtlicher Akt ist, sind ausschließlich die Zivilgerichte zuständig: VfSlg 12114/1989.
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Eine Ausnahme vom Kleinhandelsmonopol der Tabaktrafiken regelt § 40,34 wonach Gaststätten unter den dort festgelegten Bedingungen Tabakerzeugnisse, die sie in einer Tabaktrafik zu den Kleinverkaufspreisen eingekauft haben, zu einem Preis verkaufen dürfen, der um mindestens 10% über dem Kleinverkaufspreis liegt.35
34
35
Vgl Hecht/Herzig, Tabakmonopol und Erwerbsfreiheit: Zur Zulässigkeit des Tabakwarenverkaufs an Tankstellen, ZfV 1997, 444 für eine kritische Betrachtung des § 40 TabMG aus verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Sicht. In der Vergangenheit war für den Verkauf von Tabakerzeugnisse in Gaststätten auch ein Höchstpreis vorgeschrieben. Der VfGH hat diese Regelung jedoch in VfSlg 15509/1999 aufgehoben.
Sechster Teil: Produktrecht
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Vermessungswesen Messwesen - Eichwesen Rechtsgrundlagen ...........................................................................................432 Grundlegende Literatur...................................................................................432 I. Grundlagen ................................................................................................433 A. Allgemeines............................................................................................433 1. Vermessungsrecht .............................................................................433 2. Maß- und Eichwesen.........................................................................434 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................435 1. Vermessungsrecht .............................................................................435 2. Maß- und Eichwesen.........................................................................436 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................436 1. Maß- und Eichwesen.........................................................................436 II. Vermessungswesen ..................................................................................437 A. VermG....................................................................................................437 1. Aufgaben der Landesvermessung .....................................................437 2. Vermessungsbehörden ......................................................................438 3. Kataster .............................................................................................439 4. Verhältnis Vermessungsbehörden - Grundbuchsgericht Finanzämter ......................................................................................440 5. Zivilrechtliche Folgen der Vermessung ............................................440 6. VermessungsVO 1994.......................................................................441 7. Staatsgrenzen.....................................................................................441 B. Andere bundesrechtliche Regelungen....................................................441 1. MarkscheideVO ................................................................................441 2. Grundbuchsregelungen .....................................................................442 III. Mess- und Eichwesen .............................................................................442 A. Maß- und Eichgesetz (MEG) .................................................................442 1. Allgemein ..........................................................................................442 2. Gliederung des MEG.........................................................................442 3. Mess- und Eichbehörden...................................................................443 B. Eichwesen (MEG)..................................................................................444 1. Eichung - rechtliche Qualifikation ....................................................444 2. Eichzeichen .......................................................................................446 3. Eichpflicht .........................................................................................447 4. Eichbehörden und ihre Aufgaben......................................................448
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Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht: RL 71/316/EWG,Abl 1971 L202/1 idF RL 83/575/EWG, Abl 1983 L 332/43; RL 80/181/EWG, Abl 1980 L39/40 idF RL 1999/103/EWG, Abl 2000 L 34/17; RL 76/211/EWG, Abl 1976 L 46/1, RL 90/384/EWG, Abl 1990 L 189/1 idF RL 93/68/EWG, Abl 1993 L 220/1. Innerstaatliches Recht Bundesrecht: VermessungsG (VermG, BGBl 1968/306 idF BGBl 2005 I/136); BundesG vom 5. Juli 1950 über das Maß- und Eichwesen (MEG, BGBl 1950/152 idF BGBL 2004 I/137); Allgemeines GrundbuchsanlegungsG (AllgGAG, BGBl 1930/2 idF BGBl 2003 I/112); GrundbuchsumstellungsG (GUG, BGBl 1980/550 idF BGBl 2004 I/128); LiegenschaftsteilungsG (LiegTeilG, BGBl 1930/3 idF BGBl 2003 I/112); StaatsgrenzG (BGBl 1974/9 idF BGBl 2001 I/98); Gegenseitige Anerkennung auf dem Gebiet des Maß- und Eichwesens (BGBl 1993/858 idF BGBl 1993/917); Staatsgrenze Österreich Deutschland (BGBl 1975/490); MarkscheideVO (BGBl 2001 II/69); Staatsgrenze Österreich - Schweiz (BGBl 1972/331); Staatsgrenze Österreich - Tschechoslowakei (Slowakei) (BGBl 1975/344); Staatsgrenze Österreich - Tschechoslowakei (Tschechien) (BGBl 1975/344); Staatsgrenze Österreich - Ungarn (BGBl 1965/72 idF BGBl 1990/656); VermessungsVO 1994 (VermV, BGBl 1994/562); Akkreditierung des Österr. Verbandes für Elektrotechnik (ÖVE), BGBl 1997 II/298; Eich-ZulassungsVO, BGBl 1992/785 idF 1993/917; VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Eichgebühren (Eichgebührenverordnung 1999, BGBl 1998 II/467); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über den Sitz der Eichämter und den Umfang ihrer fachlichen Befugnisse, BGBl 1997 II/390. Landesrecht: Salzburg: SbG BaupolizeiG 1997 (BauPolG); Salzburger FlurverfassungsLandesG (Sbg FLG 1973); Tirol: Tir FlurverfassungslandesG 1996 (TFLG 1996); Vorarlberg:G über die Abfuhr, die Vermeidung, die Verwertung und die Ablagerung von Abfällen (vlbg AbfallG); G über die Regelung der Flurverfassung (vlbg FlVG); G über die Raumplanung (vlbg RPG); Niederösterreich: Nö BodenschutzG (nö BSG); Burgenland:G vom 27. Juli 1970 über die Regelung der Flurverfassung (bgl FlVG); Kärnten: Flurverfassungs-LandesG 1979 (K-FLG); Oberösterreich: Oö Flurverfassungs-LandesG 1979 (Oö FLG 1979); LandesG vom 6. Oktober 1993 über die Raumordnung im Land Oberösterreich (Oö ROG 1994); LandesG über die land- und forstwirtschaftlichen Bringungsrechte (Oö BRG 1998); Steiermark: Steiermärkisches AgrargemeinschaftenG 1985 (StAgrGG 1985); Steiermärkisches BauG (Stmk BauG). Völkerrecht: Übereinkommen über die Gründung einer Internationalen Organisation für das gesetzliche Messwesen (Eichwesen), BGBl 1958/171 idF BGBl 1968/364 (Kundmachung des Bundeskanzlers betreffend den Geltungsbereich des Übereinkommens über die Gründung einer Internationalen Organisation für das gesetzliche Messwesen (Eichwesen), BGBl 1994/326)
Grundlegende Literatur: Bydlinski, Welche Neuerungen bringt die Grundbuchsnovelle 1997?, immolex 1997, 125; Davy, Rechtsfragen im Eichwesen, ZfV 1982, 139; Dittrich/Hrbek/Kaluza (Hrsg), Das österreichische Vermessungsrecht, 1976; Junius (Hrsg), Recht und Vermessung, 1993; Kaluza/Twaroch, Österreichisches Maß- und Eichrecht 1993; Kienast, Die Aufgabe der Vermessungsämter bei den Sonderverfahren nach den §§ 13 und 14 und den §§ 15 bis 22 LTG; Österreichischer Geodätentag 2, 1985, Graz Vermessung und Recht,
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1985; Schwarzer, Nationale und internationale Verpackungsreglementierung als Unternehmensdatum, ÖZW 1993, 16.
I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Vermessungsrecht a) Historischer Überblick1 Die erste Regelung der Landvermessung auf österreichischem Gebiet erfolgte mit dem Allerhöchsten Patent vom 23. Dezember 1817. Zum Zwecke der gerechten Erhebung der Grundsteuer in den deutschen und italienischen Provinzen sah es die Anlegung eines Grundsteuerkatasters vor. Die dazu notwendigen Vermessungsarbeiten wurden durch „eigene, wissenschaftlich gebildete und praktisch geübte Feldmesser“ in den Jahren 1818 bis 1861 vorgenommen.2 Es folgten im Jahre 1869 das Gesetz über die Regelung der Grundsteuer,3 mit dem Gesetz vom 23. Mai 1883 wurde die Evidenzhaltung des Katasters völlig neu geregelt und zugleich eine Verbindung zum Grundbuchsrecht hergestellt. Im Jahre 1896 wurde es durch das Revisionsgesetz4 ergänzt. Hinsichtlich der Organisation der Vermessung bestanden lange Zeit zerstreute Zuständigkeiten. Ursprünglich war das staatliche Vermessungswesen auf das Finanz(Grundsteuerkataster), das Innen- (Kommission für die internationale Erdmessung, Gradmessungsbüro) und das Militärressort verteilt, erst 1919 wurde es unter einer einheitlichen Leitung zusammengefasst. Im Jahre 1923 schuf man schließlich das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen. Durch das Vermessungsgesetz 1968, mehrfach novelliert bis zum heutigen Tage in Geltung, erfuhr das Vermessungswesen eine vollständige Überarbeitung und Erneuerung. So stellen beispielsweise die Angaben des Katasters die relevante Grundlage für die Bestimmung des Grenzverlaufes dar. Der Naturgrenze kommt nur sekundäre Bedeutung insoferne zu, als sie nur innerhalb der Fehlerabweichung des Katasters beachtlich ist. b) Vermessung als Wirtschaftsfaktor Hinter dem Projekt der Erfassung von Grundstücken in einem Kataster stand ursprünglich die Absicht eine möglichst lückenlose und effektive Besteuerung des Grundbesitzes zu ermöglichen. Neben diesen primär steuertechnischen Zwecken tat sich schließlich ein besonderer Vorteil des Katasters hervor: Durch die bücherliche Erfassung sämtlicher Grundstücke und Grenzen war es möglich geworden ein Grundstück einer bestimmten Person zuzuordnen. Durch das Publizitätsprinzip5 besteht für den Erwerber einer Lie1 2 3
4 5
Siehe näher bei Knechtel, Die Rechtlichkeit des Raumes, FS Winkler (1997), 461ff. Vgl die Erläuternden Bemerkungen zu BGBl 306/1968, 508 Blg NR 11.GP. RGBl 1869/88. Mit ihm wurden neue Vorschriften über die Bewertung der Grundstücke erlassen und erstmals auch die Vermessung von Veränderungen vorgesehen. RGBl 1896/121. Siehe zu diesem gesetzlich nicht ausdrücklich verankertem Prinzip insbesondere die §§ 63ff GBG.
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genschaft umfassende Sicherheit über das tatsächliche Ausmaß und sonstige Eigenschaften, wie etwa Belastungen des zu erwerbenden Grundstückes. Nach dem bis zum Inkrafttreten des Vermessungsgesetzes alleinig bestehenden Grundsteuerkataster6 nahmen hingegen nur die Grundstücksnummern am öffentlichen Glauben des Grundbuches teil, während die Grundbuchsmappe lediglich zur Veranschaulichung der Lage der Liegenschaft bestimmt war.7 Seit der Einführung des § 49 VermG sind die im Kataster verzeichneten „Papiergrenzen“ rechtlich relevant. Dies bewirkt einen erheblichen Ausbau des Schutzes des Vertrauens auf den Grundbuchstand. Schon die Erläuternden Bemerkungen zum Vermessungsgesetz erklären die Darstellung der Verhältnisse an Grund und Boden, die für zahlreiche staatliche und private Anliegen erforderlich sind, zum Zweck der Landvermessung.
2. Maß- und Eichwesen a) Historischer Überblick8 Die in Österreich seit 1871 bestehende Maß- und Gewichtsordnung wurde bis zum Jahre 1933 siebenmalig novelliert und schließlich 1939 durch das deutsche Maß- und Gewichtsgesetz außer Kraft gesetzt. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war es durch die in der Zwischenzeit weiter entwickelten Methoden und praktischen Erfahrungen nicht mehr möglich, zu den ursprünglichen Regelungen zurückzukehren, sodass der Weg einer völligen Neukodifikation beschritten wurde. Das Maß- und Eichgesetz (MEG) wurde zwischenzeitig mehrmalig novelliert, einerseits um Anpassungen an internationale Übereinkünfte über zu verwendende Einheiten und deren Definitionen9 vorzunehmen, andererseits um Ergänzungen hinsichtlich neu hinzugekommener Messwerte10 einzufügen. b) Maß- und Eichwesen als Wirtschaftsfaktor Die Tatsache, dass Messwesen und Messgeräte neben der Münzprägung zu jenen Bereichen gehören, die weltweit als erste amtlich kontrolliert wurden, zeigt, dass die Genauigkeit von Messungen das tägliche Leben der Allgemeinheit im speziellen und den Handel im besonderen direkt und indirekt beeinflusst. Schon die bereits genannte Regierungsvorlage zählte das Eichwesen zu den Aufgaben der Hoheitsverwaltung und verstand darunter die „Obsorge um die Richtigkeit von Messgeräten, deren Anzeigen Interessen der Öffentlichkeit berühren”. Es liegt auf der Hand, dass im Zuge der zunehmenden Technisierung des Alltages und des zunehmenden Warenaustausches zwischen immer mehr Staaten über immer weitere Entfernungen einerseits die Notwendigkeit einheitlicher Maßsysteme, andererseits eine 6
7 8 9
10
Das VermG 1968 ist auch im Zusammenhang mit der Umstellung der Besteuerungsgrundlage von Katasterreinertrag und Bonität auf Einheitswerte (Bewertungsgesetz 1955) zu sehen. Vgl § 3 Allgemeines Grundbuchsanlegungsgesetz, und 508 BlgNR, 11.GP, 12. RV 159 BlgNR 6. GP, 15ff. So wurde beispielsweise im Zuge der 9. GKMG von 1948 (Generalkonferenz für Maß und Gewicht) das Joule als Wärmeeinheit festgelegt und eine Empfehlung dahingehend ausgesprochen, den Gebrauch der Kalorie möglichst zu vermeiden. Vgl etwa die Maßeinheit des Becquerel als Messwert für die Radioaktivität eines Radionuklids.
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Gewährleistung der Richtigkeit der angezeigten Einheiten für einen reibungslosen und ungehinderten Warenaustausch zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Notwendigkeit nach einem staatlichen Regulativ zur Förderung der Lauterkeit des Handels ist aber insoferne nicht neu, als es gilt, das Vertrauen der Konsumenten in das System des Handelsverkehrs generell zu stärken, indem die einzelnen Parteien im Geschäftsverkehr ebenso geschützt werden, wie das reibungslose Funktionieren der Handelsmärkte insgesamt. Diesem Bedürfnis trägt das MEG dadurch Rechnung, dass es Anforderungen an die Genauigkeit und die sonstigen Leistungsmerkmale von Messgeräten normativ festlegt und die laufende Überprüfung der Einhaltung dieser Vorschriften vorschreibt. Auf internationaler Ebene sichert das Internationale Büro für Maße und Gewichte (BIPM)11 die weltweite Vereinheitlichung physikalischer Messungen. Zu seinen Aufgaben gehören etwa die Festlegung der grundlegenden Normen und Maßstäbe für die Messung der physikalischen Grundeinheiten sowie die Aufbewahrung der internationalen Prototypen. Bei diesen Tätigkeiten wird das BIPM durch das Internationale Komitee für Maße und Gewichte (CIPM)12 überwacht, welches seinerseits wiederum der Aufsicht der Generalkonferenz für Maße und Gewichte (CGPM)13 untersteht. Dieses höchste Organ der Meterkonvention ist für deren Durchsetzung verantwortlich. Ihr gehören Delegierte aus allen Konventionsstaaten an.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Vermessungsrecht Das B-VG nennt zwei Kompetenztatbestände, denen die im Vermessungsgesetz geregelten Angelegenheiten des Vermessungswesens zugeordnet werden können. Es sind dies einerseits Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG, der die Grenzvermarkung der Staatsgrenzen neben anderen auswärtigen Angelegenheiten in Gesetzgebung und Vollziehung in den Kompetenzbereich des Bundes verweist, und Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG andererseits. Letzterer bestimmt eine umfassende Zuständigkeit des Bundes in den Angelegenheiten des Vermessungswesens. Auch vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bundesverfassung bereits bestehenden einfachgesetzlichen Regelungen bezüglich Landvermessung und Grundkataster ist das Vermessungsgesetz diesen Kompetenztatbeständen zuzuordnen. Über die genannten Kompetenztatbestände hinaus berühren einige Regelungen des Vermessungsgesetzes Angelegenheiten des Zivilrechtswesens,14 welches gem Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG ebenso in Gesetzgebung und Vollziehung dem Bund vorbehalten ist. Die Vollziehung des Vermessungsgesetzes erfolgt in Übereinstimmung mit Art 102 Abs 2 B-VG15 durch den Bundesminister, das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen sowie die Vermessungsämter in unmittelbarer Bundesverwaltung. 11 12 13 14 15
Bureau International des Poids et des Mesures, http://www.bipm.fr. Comité International des Poids et Mesures, http://www.bipm.fr/en/committees/cipm. Conférence Général des Poids et Mesures. Vgl etwa die §§ 12 Abs 3, 25 Abs 4, 44 Abs 2, sowie 52 Z 3 und 4 VermG. Art 102 Abs 2 B-VG sieht vor, dass bestimmte, taxativ aufgezählte Kompetenzmaterien, zu denen auch das Vermessungswesen zählt, in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden können.
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2. Maß- und Eichwesen Als Kompetenzgrundlage des Maß- und Eichgesetzes kommt Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG in Betracht, der die Angelegenheiten des Maß- und Gewichtswesens in Gesetzgebung und Vollziehung dem Bund zuweist. Jedenfalls bezüglich des Maßwesens kann diese Zuordnung in die Bundeskompetenz begrifflich eindeutig und ohne weitere Erläuterungen erfolgen. Das Eichwesen lässt sich demgegenüber nicht eindeutig dem Begriff des Gewichtswesens zuorrdnen. Ausgehend von der Versteinerungstheorie16 ist das, was unter den einzelnen Kompetenzbegriffen zu verstehen ist, danach zu beurteilen, in welcher rechtlichen Prägung die Rechtsordnung diese Begriffe im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bundesverfassung verwendet hat.17 Als solches der Begriffsbildung zu Grunde zu legendes Versteinerungsmaterial findet sich - ausgehend davon, dass sie als Bundesgesetz übergeleitet wurde18 - die bereits erwähnte „Neue Maß- und Gewichtsordnung“19. Deren Art XI sah vor, dass zum Messen und Wägen im öffentlichen Verkehr nur gehörig geeichte und gestempelte Maße, Gewichte und Waagen angewendet werden dürfen. Die Eichung und Stempelung der Maße, Gewichte und Apparate hatte durch die hierzu bestellten öffentlichen Eichämter zu erfolgen. Insofern deckt also der Kompetenztatbestand des „Gewichtswesens“ in Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG auch die Agenden der Eichung ab. Berücksichtigt man über das bloße Versteinerungsmaterial hinaus auch noch den jeweils stattgefundenen Fortschritt und alle Neuentwicklungen, die in das einschlägige Gebiet Einzug gehalten haben,20 so werden aufgrund der genannten Kompetenzgrundlage auch all jene Messgeräte der Eichpflicht nach diesem Bundesgesetz unterstellt, die erst in jüngerer Zeit entwickelt wurden bzw erstmalig Verwendung gefunden haben. Hinsichtlich der Vollziehung ermöglicht Art 102 Abs 2 B-VG, dass die Angelegenheiten des Maß- und Gewichtswesens unmittelbar von Bundesbehörden vollzogen werden können. Es steht dem Bund jedoch frei21, mit diesen Angelegenheiten die Landeshauptmänner zu betrauen.
C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Maß- und Eichwesen Der Grund für das Bestehen metrologischer Rechtsvorschriften ist, wie bereits dargelegt, im Schutzbedürfnis einzelner Parteien des Handelsverkehrs sowie in der Gewährleistungsfunktion für das Funktionieren der Handelsmärkte zu suchen. Vor Schaffung der Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend gemeinsame Vorschriften über Messgeräte sowie 16 17 18 19 20
21
Vgl Funk, Das System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung im Lichte der Verfassungsrechtsprechung, 1980, 69ff. Vgl VfSlg 4349/1963, 2721/1954, 3227/1957, 5679/1968 ua. Siehe hierzu näher mwN Davy, Rechtsfragen im Eichwesen, ZfV 1982, 139 (140ff). RGBl 1872/16. Das sind jene Neuregelungen, die nach ihrem Inhalt systematisch dem Kompetenzgrund angehören, vgl VfSlg 3670/1960; Zum Begriff der intrasystematischen Fortentwicklung siehe mwN Funk (FN 16) 77ff. Vgl hierzu Art 102 Abs 3 B-VG.
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über Mess- und Prüfverfahren22 waren die technischen Merkmale für Messgeräte sowie die Mess- und Prüfverfahren durch zwingende, jedoch von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat differierende Vorschriften festgelegt. In dem Ausmaß, als diese Unterschiede geeignet waren, den Warenverkehr zu behindern oder ungleiche Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Gemeinschaft zu schaffen, sollten sie durch die genannte Richtlinie beseitigt werden. Im Besonderen sah die Richtlinie entsprechende Verfahren für die EWG-Bauartzulassung, die EWG-Ersteichung und für das EWG-Meß- und Prüfverfahren vor. Die Garantie für ein Funktionieren des Systems ist eine gegenseitige Anerkennung der jeweiligen Prüfverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Mittlerweile können die in der genannten Richtlinie getroffenen Vorkehrungen jedoch aufgrund des starken technischen Fortschrittes der Messtechnik und geänderter ökonomischer Umstände die Zielerreichung nicht mehr in vollem Umfang gewährleisten, sodass eine grundlegende Überarbeitung bereits in Vorbereitung ist.23
II. Vermessungswesen A. VermG 1. Aufgaben der Landesvermessung Aufgabe und Zweck der Landesvermessung ist es, die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse an Grund und Boden im gesamten Bundesgebiet, deren Kenntnis für zahlreiche öffentliche und private Anliegen erforderlich ist, in Karten, Plänen und Büchern darzustellen.24 Die sich daraus ergebenden Aufgaben lassen sich in drei Gruppen unterteilen: Die Grundlagenvermessungen, die Angelegenheiten des Katasters und die Herstellung von Landkarten, Messungsaufnahmen aus Flugzeugen, die Vermarkung und die Vermessung der Staatsgrenzen.25 Die erste Gruppe umfasst alle grundlegenden Vermessungen, die nach außen dem Anschluss an die internationale Erdmessung und nach innen der Schaffung einheitlicher Ausgangspunkte für alle Detailvermessungen dienen.26 Die zweite betrifft alle Arbeiten, die zur Anlage und Führung eines Katasters über die einzelnen Grundstücke und deren Grenzen maßgeblich und notwendig sind.27 Die letzte Gruppe schließlich bilden jene Arbeiten, deren Ergebnis die Darstellung des Bundesgebietes in Form einer der den wissenschaftlichen und praktischen Anforderungen entsprechenden Landkarte ist. 28 22 23 24 25 26
27 28
RL 71/316/EWG, Abl 1971 L 202/1. Vgl den von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Messgeräte, KOM 2000, 566 endg. Vgl FN 1. § 1 Z 9 und 10 VermG. § 1 Z 1 VermG. Es sind dies: 1. Die Schaffung und Erhaltung eines engmaschigen Festpunktefeldes, 2. Die astronomisch-geodätischen Arbeiten für die Zwecke des Festpunktefeldes und solche zur Erforschung der Erdgestalt, 3. Die Schaffung und Erhaltung von Höhenpunkten besonderer Genauigkeit und 4. Die Arbeiten zur Erforschung des Schwerkraftfeldes der Erde und für die geophysikalische Landesaufnahme. § 1 Z 2 bis 6 VermG. § 1 Z 8 VermG.
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2. Vermessungsbehörden a) Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen Bis 1921 waren die Aufgaben des Vermessungswesens mannigfaltig aufgeteilt und zerstreut zwischen dem Finanzministerium, dem Staatsamt für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten und dem Militärressort. Durch das Statut des Ministers für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, vom 12.1.1921 wurde erstmals eine einheitliche Zentralstelle, das Bundesvermessungsamt geschaffen. 1923 erweiterte eine Verordnung der Bundesregierung29 den Wirkungskreis des Bundesvermessungsamtes und übertrug diesem die Zuständigkeit für das gesamte Eichwesen. Unter einem erhielt es die auch heute noch gültige Bezeichnung als „Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen“. In organisatorischer Hinsicht ist das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit nachgeordnet und hat mit diesem und den ihm unterstellten Vermessungsämtern die Aufgaben des Vermessungsgesetzes zu besorgen. Auf das behördliche Verfahren ist in beiden Fällen das AVG 195030 anzuwenden. Dann, wenn das Ergebnis des Verfahrens eine reine Beurkundung oder eine bloße Erhebung tatsächlicher Verhältnisse darstellt,31 ist abweichend vom AVG vorgesehen, dass ein Bescheid nur dann zu erlassen ist, wenn dem Begehren des Antragsstellers nicht oder nicht vollinhaltlich stattgegeben wird. b) Aufgaben des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen Die grundlegende Verteilung der im §1 VermG angeführten Aufgaben der Landesvermessung erfolgt in § 2 VermG. Die Grundlagenvermessungen,32 die allgemeine Neuanlegung des Grenzkatasters, die Übernahme der Ergebnisse von Verfahren der Agrarbehörden in den Angelegenheiten der Bodenreform in den Grenzkataster, die topographische Landesaufnahme zum Zweck der kartographischen Bearbeitung, die Herstellung der staatlichen Landkarten, die Herstellung von Messungsaufnahmen aus Zivilluftfahrzeugen im Fluge und die Vermarkung der Staatsgrenzen sind vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen zu besorgen. Den dem Bundesamt nachgeordneten Vermessungsämtern kommt die Aufgabe zu, für die teilweise Neuanlegung des Grenzkatasters und die Führung
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BGBl 1923/550. BGBl 1950/172. Vgl § 3 VermG, welcher als solche Angelegenheiten die folgenden nennt: § 34 VermG: Antrag der Grundeigentümer auf Grenzvermessungen; §38 VermG: Erhebungen der Benützungsart auf Antrag des Grundstückseigentümers; § 40 VermG: Wiederherstellung streitiger Grundstücksgrenzen auf Antrag des Grundstückseigentümers; § 41 VermG: Vermessung von nicht im Grenzkataster enthaltenen Grundstücken auf Antrag der beteiligten Eigentümer. §1 Z 1 VermG; Nach Maßgabe der Erfordernisse der Landesvermessung kann das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen vermessungstechnische Arbeiten von Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen durchführen lassen.
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desselben zu sorgen, sowie Amtshandlungen durchzuführen, die im Zusammenhang mit diesem stehen.33
3. Kataster Zum Zweck der Errichtung des Katasters wurde das Bundesgebiet zunächst in Katastralgemeinden eingeteilt. In jeder dieser Verwaltungseinheiten bekam schließlich nach der Vollendung des Katasters jedes Grundstück eine eigene Grundstücksnummer zugewiesen, so dass an Hand der Kennzahl der Katastralgemeinde und der Grundstücksnummer jedes Grundstück34 eindeutig bezeichnet ist. Waren früher zwecks Erhebung der Grundsteuer die einzelnen Grundstücke in einem Grundsteuerkataster35 eingetragen, so wurde dessen Inhalt durch das Vermessungsgesetz in einen neuen Grenzkataster übergeleitet. Grundstücke, die noch nicht im Grundsteuerkataster enthalten waren, wurden vermessen und im Grenzkataster erfasst. Der Grenzkataster setzt sich aus dem technischen Operat und dem Grundstücksverzeichnis zusammen. Seine Funktion ist es, die Grenzen der einzelnen Grundstücke verbindlich nachzuweisen und die Benützungsarten, Flächenausmaße und sonstiger Angaben zur leichteren Kenntlichmachung ersichtlich zu machen.36
Das Grundstücksverzeichnis als Kernstück des Katasters enthält die einzelnen bereits aufgenommenen Grundstücke sowie bestimmte Schlüsselinformationen zu diesen: Es sind dies die Grundstücksnummer,37 die Benützungsarten
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Die nach § 34 VermG bestehende, uneingeschränkte Verpflichtung der Vermessungsämter, Grenzvermessungen durchzuführen, besteht nur hinsichtlich jener Sprengel, in denen kein Ingenieurkonsulent für Vermessungswesen seinen Sitz hat. Vgl. § 7a Abs 2 VermG: Grundstücke werden durch Grundbuchsbeschluss oder im Zuge der Neuanlegung des Grundbuches neu gebildet oder gelöscht. Bis zum Jahre 1940 erfolgte die Bewertung des Grundbesitzes auf der Grundlage des Grundsteuerregelungsgesetzes, so dass die darauf beruhenden Katastervorschriften vollständig anwendbar blieben. Das BewertungsG hat dieses Rechtsgebiet völlig umgestaltet und sind die Einheitswerte als Besteuerungsgrundlage an die Stelle der früher von den Vermessungsämtern ausgestellten Grundbesitzbögen getreten. Diese Einheitswerte werden von den Finanzämtern nicht mehr auf Grund von Katastralreinertrag und Bonität erstellt, sondern beruhen zumeist auf den Ergebnissen der Bodenschätzung. Diese enthalten lediglich bestimmte Angaben über tatsächliche Verhältnisse an Grund und Boden, ziehen aber keine Rechtswirkungen nach sich, insbesondere ist hieraus keine Flächenwidmung ersichtlich. Nach § 7a VermG ist jedes Grundstück als Teil einer Katastralgemeinde mit einer eigenen Nummer zu bezeichnen. Hinsichtlich der Vorgangsweise bei der Numerierung ist zu differenzieren in: 1. Numerierung bei der Teilung: Wird ein Grundstück geteilt, so wird die neue Nummer in Form eines Bruches dargestellt. Den Zähler bildet die ursprüngliche Grundstücksnummer, während der Nenner fortlaufend zu numerieren ist. Werden geteilte Grundstücke neuerlich geteilt, so erhält ein Teilstück die Nummer des geteilten Grundstückes, die weiteren sind in Bruchform mit dem gleichen Zähler und fortlaufenden Nennern zu bezeichnen. 2. Numerierung bei der Vereinigung: Übernommen wird jene Grundstücksnummer, die den Anschluss an die umliegenden Grundstücke am besten vermittelt. 3. Die fortgesetzte Numerierung: neu entstehende Grundstücke sind im Anschluss an die bisherige höchste Grundstücksnummer fortlaufend weiter zu numerieren.
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der einzelnen Benützungsabschnitte,38 das Gesamtflächenausmaß sowie die Ausmaße der einzelnen Benützungsabschnitte, die sonstigen Angaben zur leichteren Kenntlichmachung und die jeweiligen Eintragungen39. Gemäß den Anordnungen des § 14 VermG ist der Grenzkataster öffentlich im Sinne des Datenschutzgesetzes40 und kann somit jedermann zu den festgesetzten Zeiten den Grenzkataster unter Aufsicht eines Organes des Vermessungsamtes sowie unter Leistung einer hierfür einzuhebenden Verwaltungsabgabe41 in den Kataster Einsicht nehmen42 und Abschriften und Auszüge anfertigen. Von der öffentlichen Einsicht ausgenommen ist jedoch das Personenverzeichnis des Grundbuches.43
4. Verhältnis Vermessungsbehörden - Grundbuchsgericht Finanzämter Der Abschnitt VII des VermG bestimmt das Verhältnis zwischen den Vermessungsämtern, den Grundbuchsgerichten und den Finanzämtern. Zweck ist, das Grundstücksverzeichnis des Grenzkatasters in einer elektronischen Datenbank mit dem Hauptbuch des Grundbuches zu verbinden. Weiters wird durch die Verpflichtung der mit der Führung der Verzeichnisse bzw Bücher betrauten Stellen, wechselseitig alle Änderungen, die zu einer Änderung im anderen Buch führen könnten, bekanntzugeben, eine vollständige Übereinstimmung dieser beiden Bücher erreicht.44 Jedenfalls aber ist dem Grundbuchsgericht in angemessenen Zeitabständen eine (aktuelle) Kopie der Katastralmappe zur Verwendung als Grundbuchsmappe zu übersenden.45 Um auch der Finanzverwaltung den direkten Zugriff auf die Angaben des Grundstücksverzeichnisses zu gewährleisten, die diese benötigt, um den Grundbesitz bewerten und besteuern zu können, bestimmt § 46 VernG, dass dieser Auszüge aus dem Grundstücksverzeichnis auf elektronischem Wege zu übermitteln sind.
5. Zivilrechtliche Folgen der Vermessung Neben dem Großteil der verwaltungsrechtlichen Bestimmungen des Vermessungsgesetzes normiert der IX. Abschnitt die zivilrechtlichen Folgen des neu geordneten Vermessungswesens: Aus § 49 VermG ergibt sich die negative Seite dessen, was im Grundbuchsrecht als positives Publizitätsprinzip bezeichnet wird:46 Jemandem, der im Vertrauen auf die im Grenzkataster 38
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Vgl den Anhang zum VermG: Als Kategorien der Benützungsarten werden genannt: 1. Bauflächen, 2. Landwirtschaftlich genutzte Grundflächen, 3. Gärten, 4. Weingärten, 5. Alpen, 6. Wald, 7. Gewässer und 8. Sonstige. Eintragungen nach § 11 VermG sind 1. Einverleibungen, 2. Anmerkungen und 3. Ersichtlichmachungen. Datenschutzgesetz 2000, BGBl 1999 I/165, idF BGBl 2005 I/13. Vgl § 47 VermG sowie die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Vermessungsgebühren, BGBl. Nr. 753/1994. Der Umfang der Einsichtsbefugnis richtet sich nach den §§ 47 und 48 VermG. Um in dieses Einsicht zu erhalten, bedarf es der Bescheinigung eines rechtlichen Interesses, wie etwa eines Exekutionstitels. § 45 Abs 1 und 2 VermG. § 45 Abs 3 VermG. Siehe zu diesem gesetzlich nicht ausdrücklich verankerten Prinzip insbesondere die §§ 63ff GBG. Anders als im Grundbuchsrecht hängt der Schutz des Vertrauens nach den vermessungsrechtlichen Bestimmungen nicht vom Verstreichen einer Frist ab, sondern tritt unmittelbar mit erfolgter bücherlicher Eintragung ein.
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enthaltenen Grenzen ein Recht erworben hat,47 kann ein Anspruch, der sich auf eine in der Natur ersichtliche Grenze stützt, nicht entgegengehalten werden.48 In weiterer Verfolgung dieses Prinzipes des Schutzes des Vertrauens auf den bücherlichen Stand schließt § 50 VermG die Ersitzung von Teilen eines im Kataster eingetragenen Grundstückes aus, um so einer Verschiebung der im Kataster eingetragenen Grenzen hintanzuhalten. Nicht verhindert wird dadurch allerdings die Ersitzung von ganzen Grundstücken, oder jene von Teilen von Grundstücken, die noch nicht im Kataster eingetragen sind.
6. VermessungsVO 1994 Um eine einheitliche technische Gestaltung der Vermessungsarbeiten gewährleisten zu können wurden für die im Vermessungsgesetz vorgesehenen Tätigkeiten einheitliche Vorschriften in Gestalt der Vermessungsverordnung 199449 geschaffen. Diese enthält nähere Bestimmungen über obligatorische Angaben in zu bestimmten Zwecken angefertigten Plänen sowie Vorsehungen über zu verwendende Verfahren und schliesslich nähere Bestimmungen über die Vermessungszeichen und deren Anbringung.
7. Staatsgrenzen Vermessung findet nicht nur im Inland statt, auch das Bundesgebiet hat gemäß den zwischenstaatlichen Vereinbarungen über die Vermessung und Vermarkung von Staatsgrenzen gegenüber dem Ausland auf bestimmte Weise gekennzeichnet zu werden. Das Staatsgrenzgesetz50 enthält diesbezüglich einschlägige Bestimmungen und regelt darüber hinaus weitere Angelegenheiten in diesem Zusammenhang, wie etwa die Freihaltung von Grenzflächen51 und Kennzeichnung der Staatsgrenzen, Durchführung von Arbeiten an der Staatsgrenze sowie Entschädigungsfragen im Zusammenhang mit diesen Arbeiten.
B. Andere bundesrechtliche Regelungen 1. MarkscheideVO52 Für die Durchführung von Vermessungen im Anwendungsbereich des Mineralrohstoffgesetzes53, also im Bereich des Bergbaues,54 normiert die Markscheide47
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Ob jemand in Vertrauen auf den Inhalt des Katasters ein Recht erworben hat, ist nach den in Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Vertrauensschutz in Grundbuchssachen zu beurteilen. Hiervon ist die Frage der schuldrechtlichen Beziehung zum Vormann zu trennen, die naturgemäss von den vermessungsrechtlichen und grundbuchsrechtlichen Vorschriften nicht berührt wird. BGBl 1994/562. BGBl 1974/9 idF BGBl 2001 I/98. Vgl § 1 Staatsgrenzgesetz: Es sind dies jene Grundflächen, die innerhalb eines Streifens von 1 Meter Breite entlang der Staatsgrenze liegen, sowie jene inländischen Grundstücksteile, die innerhalb eines Kreises mit dem Radius von 1 m um die neben der Grenzlinie angebrachten Staatsgrenzzeichen liegen. Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Vermessungen beim Bergbau, das Bergbaukartenwerk und die Erfassung von Bodenbewegungen, BGBl. II Nr. 69/2001. BGBl 1999 I/38, idF BGBl 2006 I/84. Siehe im Einzelnen § 2 MinroG.
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verordnung einschlägige vermessungstechnische Vorschriften. Ganz grundlegend sieht diese Verordnung eine vollständige Orientierung der markscheiderischen Vermessung am System der Landesvermessung vor. Zur kartographischen Erfassung der Messergebnisse ist die Führung eines eigenen Bergbaukartenwerkes vorgesehen.
2. Grundbuchsregelungen Zentrale Vorschrift des zivilrechtlichen Grundbuchsrechtes ist das Allgemeine Grundbuchsgesetz 1955,55 das das Grundbuch, bestehend aus dem Hauptbuch und der Urkundensammlung, geordnet nach Katastralgemeinden und laufenden Tagebuchzahlen, eingerichtet hat. Neben diesem enthalten das Liegenschaftsteilungsgesetz56 und das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch einschlägige Vorschriften.
III. Mess- und Eichwesen A. Maß- und Eichgesetz (MEG) 1. Allgemein Für das Funktionieren eines jeden Marktes ist es von emminenter Bedeutung, dass die Teilnehmer wissen, was, und in welchen Mengen gehandelt wird. Hat man sich zum Warenaustausch auf bestimmte Einheiten geeinigt ist aber auch ein gewisses Vertrauen darauf, dass die Waren entsprechend diesen Einheiten genau gehandelt werden, unabdingbar. Es bedarf daher einer exakten Festlegung der Maßeinheiten wie der Umrechnungsschlüssel einerseits und einer Gewährleistung der Richtigkeit der Messergebnisse andererseits. Letzteres sollen die Vorschriften des Eichwesens gewährleisten. Insgesamt betrachtet liefert das Maß- und Eichgesetz in diesem Bereich die grundlegenden, vereinheitlichten Rahmenbedingungen für Technik und Wirtschaft.
2. Gliederung des MEG Wie sich schon der Bezeichnung als Maß- und Eichgesetz entnehmen lässt, besteht das MEG aus zwei Regelungsbereichen. Der erste Abschnitt regelt die gesetzlichen Maße und deren im amtlichen und geschäftlichen Verkehr innerhalb Österreichs zu verwendenden Einheiten. Er beinhaltet die Definitionen der gesetzlichen Maßeinheiten57 und eine Festsetzung ihrer zulässigen Vielfachen und Teile.58 Die nach dem MEG in Österreich zu verwendenden gesetzlichen Maßeinheiten gehören zum größten Teil dem Internationalen Einheitensystem (SI59) an und entsprechen daher den Beschlüssen der Generalkonferenz 55 56 57 58 59
Bundesgesetz vom 2. Feber 1955 über die Grundbücher, BGBl 1955/39, idF BGBl 2003 I/112. BGBl 1930/3, idF BGBl 2003 I/112. § 2 MEG. §3 MEG. Système International d’Unités. Die Einteilung der Maßeinheiten beruhen auf sieben Basiseinheiten, von denen sechs durch physikalische Experimente auf Naturkonstante zurückgeführt werden können (Meter, Sekunde, Ampere, Kelvin, Candela und Mol). Hinzu kommen die beiden rein mathematisch definierten Einheiten für
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für Maß und Gewicht der Internationalen Meterkonvention.60 Jene Einheiten, bei denen es sich im wesentlichen um physikalische Größen handelt, die im Eich- und Prüfungswesen zur Anwendung kommen, bilden die Grundlage des österreichischen Maß- und Messwesens. Entsprechend dem technischen Fortschritt und dem internationalen Bestreben um eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung der Maßeinheiten unterliegt das MEG diesbezüglich einer ständigen Erweiterung und laufenden Aktualisierung. Untrennbar verbunden mit der Festlegung der gesetzlichen Maßeinheiten ist das Eichwesen. Dieses bildet den zweiten Abschnitt des Maß- und Eichgesetzes und gewährleistet, dass den Maßeinheiten entsprechend tatsächlich gemessen und abgerechnet wird. Die verwendeten Messgeräte müssen so richtig eingestellt sein, dass ihre Messergebnisse, freilich innerhalb bestimmter normierter Fehlergrenzen, mit den gesetzlichen Definitionen der Maßeinheiten in Übereinstimmung gebracht werden können. Dementsprechend versteht man unter dem Begriff des Eichwesens die Obsorge um die Richtigkeit jener Messgeräte, deren Anzeigen Interessen der Öffentlichkeit berühren.61 Das MEG62 schreibt für jene Messeräte, deren Richtigkeit durch ein rechtlich geschütztes Interesse gefordert wird, eine Eichung verpflichtend vor.63 Jeder, der ein eichpflichtiges Messgerät verwendet64 oder auch bloß bereit hält65 ist auch für dessen vorschriftsgemäße Eichung verantwortlich.
3. Mess- und Eichbehörden Im Rahmen der Festlegung der gesetzlichen Maßeinheiten kommt dem Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen die Aufgabe zu, entsprechend dem Stand und den Erfordernissen der Messtechnik die nationalen Etalons66 aufzubewahren, deren Anschluss an die internationalen Etalons zu gewährleisten und
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den ebenen Winkel einerseits (Radiand) und den Raumwinkel (Steradiant) andererseits. Mittels festgelegten Dezimalfaktoren werden von diesen Einheiten Teile und Vielfache gebildet. Abweichend von diesem System bestehen lediglich einige allgemein gebräuchliche Einheiten, wie zB der rechte Winkel oder die Zeiteinheiten Tag, Stunde und Minute. RGBl 1876/20. So die Erläuternden Bemerkungen zu § 7 MEG, 159 BlgNR 6. GP, S 23. Vgl § 7 Abs 1 MEG Sogenannte Eichpflicht. Darunter wird die Verwendung unter den im Gesetz angeführten Bedingungen verstanden. Ferner werden auch Messgeräte im Gesundheits- und im Sicherheitswesen der Eichpflicht unterworfen. Gemäß § 7 Abs 3 MEG wird ein Messgerät dann bereitgehalten, wenn die äußeren Umstände erkennen lassen, dass es ohne besondere Vorbereitung in Gebrauch genommen werden kann. Dies trifft jedoch dann nicht zu, wenn glaubhaft gemacht werden kann, dass dieses Gerät ausschließlich musealen oder dekorativen Zwecken dient. „Etalon“ wird definiert als: „Maßverkörperung, Messgerät oder Messeinrichtung, die den Zweck haben, eine Einheit oder einen oder mehrere bekannte Größenwerte zu bestimmen, zu verkörpern, zu bewahren oder zu reproduzieren, um diese an andere Messgeräte durch Vergleich weiter zu geben.“ Siehe hierzu Kaluza/Twaroch, Österreichisches Maß- und Eichrecht 1993, 37; Vgl weiters mwH Davy, Rechtsfragen im Eichwesen, ZfV 1982, 139 (140).
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durch Verordnung Darstellungsverfahren festzulegen.67 Die dem Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen unterstehenden Eichämter sind darüber hinaus für die Eichung eichpflichtiger Messgeräte, die eichpolizeiliche Revision,68 die Fertigpackungskontrolle,69 die Festlegung von geeigneten Verfahren für die Bewertung von Getreide, bestimmte Aufgaben im Rahmen der objektiven Schallpegelmessung und die Verfahren zur Darstellung der Normalzeit zuständig.
B. Eichwesen (MEG) 1. Eichung - rechtliche Qualifikation Vor der Klärung der Rechtsnatur des Vorganges der „Eichung“ bedarf es zuallererst einer Erläuterung dieses Begriffes: Es handelt sich dabei um die technische Überprüfung eines bei der Eichbehörde zur Eichung beantragten Messgerätes. Die Eichbehörde hat zu prüfen, ob das Messgerät eichfähig70 im Sinne des MEG ist. Im Rahmen spezifischer Tests wird bei der Eichung die Rückführbarkeit der Messergebnisse auf die gesetzliche, physikalische Definition der Maßeinheit überprüft und im Falle von Abweichungen wieder hergestellt. Entspricht das Messgerät danach den Eichvorschriften, so wird das Gerät als geeicht gekennzeichnet indem der Eichstempel71 angebracht wird. Die Eichung wird jeweils nur für eine bestimmte Dauer, die „Nacheichfrist“, bestätigt, nach deren Ablauf das eichpflichtige Messgerät einer neuerlichen Eichung zu unterziehen ist. Entspricht das Messgerät hingegen nicht der Zulassung, ist der Antrag auf Eichung mittels Bescheid zurückzuweisen. 67
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Da sich die Definitionen der gesetzlichen Einheiten im wesentlichen nur auf die Größe und nicht die Art ihrer Verkörperung beziehen, muss eine reale Grundlage geschaffen werden, auf die bei der Entscheidung von Streitfragen zurückgegriffen werden kann. Als Beispiel für ein derartiges Darstellungsverfahren wäre etwa die Darstellung eines Meters durch Lichtwellenlängen zu nennen. Vgl 159 BlgNR, 6. GP, S. 23. Im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit überprüfen die Organe des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen über die Eichpflicht und kontrollieren insbesondere, ob der gemäß § 14 MEG bestehenden Nacheichpflicht zeitgerecht nachgekommen wurde. Neben den Organen der Eichbehörden sind weiters bestimmte im Lebensmittelgesetz und im Preisauszeichnungsgesetz genannte Organwalter sowie Gemeinden im übertragenen Wirkungsbereich zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Verwendung und Gültigkeit der Stempel befugt. Vgl hierzu § 50 MEG. Vgl die Fertigpackungsverordnung 1993 idF BGBl 2001 II/211. Geprüft werden hierbei Maßbehältnis-Flaschen, ds Behältnisse aus Glas oder anderen Werkstoffen mit einer Formsteifigkeit, die dieselben messtechnischen Garantien zulässt, wie Glas. Voraussetzung hierbei ist, dass es sich um Behältnisse handeln muss, die verschlossen oder verschließbar und für Flüssigkeiten bestimmt sein müssen. Vgl § 38 MEG; Eichfähig sind nur jene Messgeräte, die vom Bundesamt für Eichund Vermessungswesen zur Eichung zugelassen sind. Dies können nur jene Messgeräte oder Teile derselben sein, deren physikalische Grundlage und technische Ausführung die Richtigkeit und Zuverlässigkeit der Messergebnisse während einer für diese Geräte festgelegten Nacheichfrist sicherstellen. Dies wird durch eine eingehende physikalisch-technische Untersuchung festgestellt. Die nähere Ausgestaltung des Eichstempels wird in der Eich-Zulassungsverordnung geregelt.
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Ausgehend davon ist die rechtliche Qualifikation der Eichung vorzunehmen: Der nahe liegendste Schluss, es handle sich bei der Eichung um einen Bescheid,72 wird durch § 56 Abs 5 MEG ausgeschlossen, welcher bestimmt, dass über die Eichung und über die Prüfung der Verkehrsfähigkeit eines Messgerätes ein Bescheid nicht zu erlassen ist.73 Während also die Zurückweisung der Eichung und die Verneinung der Eichpflicht einer bescheidmäßigen Erledigung zugeführt werden, ist die erfolgreiche Eichung durch die Anbringung des Eichstempels zu bestätigen. Dieser Vorgang lässt auf das Vorliegen einer behördlichen Beurkundung, also einer behördliche Bestätigung über nicht bestrittene Rechtsverhältnisse oder Tatsachen, schließen.74 Das Abgrenzungsmerkmal zwischen einer behördlichen Beurkundung und Bescheiden ist nach herrschender Ansicht im normativen Gehalt des behördlichen Aktes zu suchen. Bescheidqualität kommt nur Akten mit normativem Gehalt zu, von Bedeutung ist, ob die Behörde hoheitliche Gewalt ausüben will.75 Beurkundungen erschöpfen sich im Gegensatz dazu in einer schlichten Wissenserklärung der Behörde. Ganz verbergen lassen sich jedoch gewisse normative Elemente einer erfolgreichen Eichung nicht, erfüllt doch etwa die Verwendung eines eichpflichtigen aber nicht geeichten Gerätes den Straftatbestand des § 63 MEG ungeachtet des Umstandes, ob es richtig misst. Davy76 erblickt daher in der Eichung einen Verwaltungsakt sui generis, den er etwa als „verbindliche Beurkundung“ bezeichnet wissen möchte. Demgegenüber beurteilen Kaluza/Twaroch die Anbringung des Eichstempels als Bekanntgabe eines Gutachtens mit (unmittelbaren) Rechtsfolgen. Walter/Mayer77 beziehen insoferne eine vermittelnde Stellung, als sie die Eichung als „behördliche Beurkundung“ bezeichnen, sich aber bezüglich ihrer Rechtsnatur nicht festlegen. Im Endergebnis scheint der Ansicht Davys der Vorzug zu geben sein, ist doch bereits den Ausführungen der Regierungsvorlage zu § 56 MEG zu entnehmen, dass zur Erleichterung des Vorganges Eichung Ausnahmen vom AVG vorgesehen wurden. Es wäre verfehlt, eine Einordnung der Eichung in die Konzeption des AVG zu versuchen,
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Nach herrschender Auffassung wird der Bescheid gekennzeichnet als individueller, hoheitlicher, im Außenverhältnis ergehender, normativer, d.h. rechtsgestaltender oder rechtsfeststellender Verwaltungsakt. Sämtliche dieser Elemente werden durch die Eichung verwirklicht. Zum Begriff siehe exemplarisch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7 (1999), Rz 373ff. Ursprünglich umfasste § 56 Abs 5 MEG zusätzlich das Verbot, über die Zurückweisung des Antrages auf Eichung einen Bescheid zu erlassen. Der Verfassungsgerichtshof griff jedoch korrigierend ein, als er diese Bestimmung wegen Unvereinbarkeit mit dem rechtsstaatlichen Prinzip insoweit aufhob, als sie auch bei einer Zurückweisung des Eichgesuches die Erlassung eines (zurückweisenden) Bescheides verhinderte. Siehe VfSlg 13223/1992. Vgl mwN FN18, 146. Vgl statt aller: Walter/Mayer, (FN72), Rz 384, 397. Vgl FN18. Walter/Mayer, Grundriß des Besonderen Verwaltungsrechts2 ( 1987), 541.
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als deren Ausnahme sie schon nach der Intention des Gesetzgebers konzipiert war.78 Dem zu Folge ist die Eichung somit als Verwaltungsakt sui generis zu werten. Das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen ist ermächtigt, im Wege einer Verordnung festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Messgeräte, die lediglich für den einmaligen Gebrauch bestimmt sind79 und die den Eichvorschriften nicht vollkommen entsprechen, ausnahmsweise dennoch zur messtechnischen Kontrolle zuzulassen sind.
2. Eichzeichen a) Begriffsbestimmung Im Zuge der Stempelung der geeichten Geräte ist das Eichzeichen anzubringen, das aus dem Bundeswappen mit zwei jeweils seitlich beigefügten sechsstrahligen Sternen besteht. Handelt es sich bei den Geräten um Präzisionsgeräte, so ist diesem Zeichen als Präzisionszeichen ein weiterer, vierstrahliger Stern beizufügen. Wird einem Messgerät die Verkehrsfähigkeit entzogen, so ist das Eichzeichen durch die Beifügung eines Entwertungszeichens zu entwerten.
b) Eich-Zulassungsverordnung Diese Verordnung des BMWA dient - unter Bedachtnahme auf den Stand der Wissenschaft, auf bestehende internationale Verpflichtungen sowie auf vergleichbare ausländische oder internationale Vorschriften - der Festlegung der näheren Bestimmungen über die Arten der Zulassung, die Zulassungsprüfung und die Erprobung der Messgeräte oder deren Teile, die Zulassungserteilung, die Beschränkung, die Aufhebung und das Erlöschen der Zulassung.80 Ferner legt sie die genauen Ausgestaltungsformen der Eichzeichen fest. Hinsichtlich der Zulassung von Geräten zur Eichung ist zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu unterscheiden. Es kann bereits eine bestimmte Eichvorschrift bestimmte Bauarten von Geräten allgemein zur Eichung freigeben, es muss also nicht eigens um eine Zulassung der Bauart angesucht werden.81 Auf Antrag kann darüber hinaus eine bestimmte Bauart von Messgeräten oder deren Teilen sowie diese selbst mittels Bescheid zugelassen werden.82 Jene Geräte, die den Eichvorschriften nicht vollkommen entsprechen, oder bezüglich derer noch keine Eichvorschriften erlassen worden sind, können ausnahmsweise zur Eichung zugelassen werden.83 Entspricht das fragliche Messgerät oder dessen Bauart einer Harmonisierungsrichtlinie der Gemeinschaft, so ist diesem eine EWG-Zulassung bzw eine EWG-Bauartzulassung zu erteilen, aufgrund derer das EWG-Zulassungszeichen auf dem Gerät anzubringen ist.
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Davon zu trennen ist die Frage der verfassungsmäßigen Zulässigkeit einer derartigen, vom AVG abweichenden Regelung nur zu Zwecken der Verwaltungsvereinfachung. Vgl mwH Davy, FN18, 140ff. Vgl § 18a MEG. Vgl § 38 Abs 8 MEG. Allgemeine Zulassung. Besondere Zulassung. Ausnahmsweise Zulassung.
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3. Eichpflicht84 a) Allgemeines Messgeräte, deren Richtigkeit durch ein rechtlich geschütztes Interesse gefordert wird, sind eichpflichtig. Es sind dies etwa Messgeräte, die im amtlichen und im rechtsgeschäftlichen Verkehr verwendet oder bereit gehalten werden.85 Abgesehen vom amtlichen oder rechtsgeschäftlichen Verkehr unterliegen die genannten Messgeräte auch dann der Eichpflicht, wenn sie in bestimmten, in § 8 Abs 3 genannten Zusammenhängen86 entweder verwendet oder bereit gehalten werden. Gewichtsstücke und Waagen unterliegen sogar dann der Eichpflicht, wenn sie in öffentlichen Wägeanstalten verwendet oder auch nur bereitgehalten werden. Unter besonderen Bestimmungen werden weiters jene Geräte der Eichpflicht unterstellt, die im Gesundheitswesen und für den Umweltschutz verwendet oder bereitgehalten werden,87 wie etwa im Speziellen Dosimeter für ionisierende Strahlung, Messgeräte zur Bestimmung von Kennwerten des Schalls oder Messgeräte zur Bestimmung der Aktivität von Radionukliden, sowie solche, die im Sicherheitswesen und im Verkehrswesen verwendet oder bereitgehalten werden.88 Erleichterungen der Eichpflicht gibt es hingegen für die in § 8 MEG genannten Messgeräte, wenn sie ausschliesslich der Herstellung von Fertigpackungen89 dienen, die gem § 19 MEG von der Eichbehörde überwacht werden. Diese unterliegen dann ebensowenig der Eichpflicht wie die in Abs 6 leg cit genannten Viehwaagen oder Messgeräte in staatlich akkreditierten Beglaubigungs- oder Kalibrierstellen. Ebenfalls von der Eichpflicht ausgenommen sind jene Messgeräte in staatlich akkreditierten Prüfund Überwachungsstellen, bezüglich derer die Richtigkeit und Zuverlässigkeit für die beabsichtigte Verwendung im Rahmen der Akkreditierung nachgewiesen wird.
b) Nacheichung Um den grundlegenden Zweck des Eichwesens, nämlich der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit und Richtigkeit der zu Messzwecken herangezogenen oder auch nur bereitgehaltenen Geräte erfüllen zu können, sind diese neben der Ersteichung laufend, binnen bestimmter normierter Zeitspannen einer weiteren Überprüfung zu unterziehen. Zu diesem Zweck ist daher eine Pflicht zur
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Vgl §§ 7 ff MEG. Es sind dies jedenfalls Lager- und Transportbehälter, wenn sie als Messgeräte zur Bestimmung des Rauminhaltes im amtlichen oder rechtsgeschäftlichen Verkehr verwendet werden. Siehe weiters § 8 Abs 1 MEG: Messgeräte zur Bestimmung der Länge, der Fläche und des Raumes, Taxameter, Messgeräte zur Bestimmung der Masse, Gewichtsstücke und Waagen, Messgeräte für Gas, Flüssigkeiten und kalorische Energie, ua. Eichpflicht besteht somit beispielsweise bei Verwendung oder Bereithaltung auf Grund geltender Rechtsvorschriften oder im Zusammenhang mit behördlichen Verfügungen, zur Prüfung von An- und Verkäufen, zur Ermittlung des Arbeitslohnes, zur Prüfung der Arbeitsleistung, zur Messung von Sachentschädigungen, oder zur Erstattung bestimmter Gutachten Vgl § 11 MEG. Vgl § 13 MEG. Vgl § 8 Abs 5 MEG.
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Nacheichung bestimmt,90 deren sich eichpflichtige Geräte binnen einer bestimmten Frist91 zu unterziehen haben.
Explizit ausgenommen von der Eichpflicht92 sind Schankgefässe93 und Fertigpackungen94. Um bei diesen Gefäßen die Einhaltung der eichrechtlichen Vorschriften gewährleisten zu können, knüpft das MEG bereits an deren Herstellung an. Für die Einhaltung der diesbezüglichen eichrechtlichen Vorschriften, die durch die Eichbehörden überwacht wird, sind die Hersteller verantwortlich.
4. Eichbehörden und ihre Aufgaben Die Agenden des Mess- und Eichwesens werden gemäss Art 102 Abs 2 B-VG in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen.95 Oberstes Organ ist somit der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit,96 dessen Aufsicht das mit Sitz in Wien errichtete Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen97 (BAEV) untersteht. Der Wirkungsbereich des BAEV bezieht sich auf das gesamte Bundesgebiet. Dem BAEV sind wiederum die einzelnen Eichämter unterstellt, die jeweils durch Verordnung des Bundesministers eingerichtet werden. In diesen wird die Errichtung, die Auflassung, der Sitz und der Umfang der Befugnisse der einzelnen Eichämter im jeweiligen Einzelfall geregelt.
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§ 14 MEG; Gem § 17 MEG sind bestimmte Messgeräte von dieser Verpflichtung ausgenommen; es sind dies etwa Messgeräte, die ausschließlich aus Glas, Porzellan oder Steingut bestehen. § 15 MEG. Diese Fristen bewegen sich zwischen einem Jahr für Messgeräte zur Bestimmung des Wassergehaltes von Getreide und sechzehn Jahren bei bestimmten Induktions-Elektrizitätszählern. Diese Fristen sind jedoch insoferne flexibel gestaltet, als sie durch Verordnung verlängert werden können. Vgl § 19 MEG. Dies sind gemäß der Legaldefinition des § 20 MEG jene Gefäße, die erst bei eintretendem Bedarf gefüllt werden. Sie müssen mit einem Füllstrich, einer Liter- und einer Herstellerbezeichnung versehen sein. Jene Getränke, die in Schankgefäßen ausgeschenkt werden müssen, welche Werkstoffe zulässig sind, sowie Nenninhalte und gestattete Mengenabweichungen, sind durch Verordnung des Bundesministers festzulegen. Dabei handelt es sich um Behältnisse beliebiger Art, die in Abwesenheit des Käufers abgepackt und verschlossen werden, wobei die Menge des darin enthaltenen Erzeugnisses einen vorausbestimmten Wert besitzt und ohne Öffnen oder merkliche Veränderung der Verpackung nicht verändert werden kann. Fertigpackungen gleicher Nennfüllmenge dürfen gewerbsmäßig nur so hergestellt werden, dass die Füllmenge zum Zeitpunkt der Herstellung im Mittel die Nennfüllmenge nicht unterschreitet und gewisse, gem § 27 MEG vom Bundesminister mittels Verordnung festgelegte Minusabweichungen nicht unterschreitet. Gem. Art 102 Abs 3 B-VG könnte sich der Bundesminister im Rahmen der Vollziehung dieser Agenden auch der Landeshauptmänner bedienen. Diesem kommen im Bereich des Maß- und Eichwesens umfassende Verordnungsermächtigungen zu. Die Hauptaufgabe des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen liegt in seiner Zuständigkeit, die Eichvorschriften zu erlassen sowie die Messgeräte, die diesen Eichvorschriften entsprechen, zur Eichung zuzulassen. Die Eichvorschriften enthalten insbesondere Bestimmungen über die näheren Bedingungen der Eichfähigkeit, die zulässigen Grenzen der Abweichung von der Richtigkeit, sowie über die Art der Stempelung der Messgeräte. Daneben kommen ihm noch verschiedene weitere Aufgaben, wie etwa die Aufbewahrung der nationalen Etalons zu.
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In Bezug auf die einzelnen Eichämter ist wiederum zu unterscheiden hinsichtlich der ständigen Amtsstellen, also der Stamm- bzw der Nebeneichämter, und der nicht ständiger Amtsstellen. Eichungen in nicht ständigen Amtsstellen können entweder ambulant, die Eichungen werden in diesen Fällen mit den transportablen Ausrüstungen des Eichamtes durchgeführt, oder in Abfertigungsstellen erfolgen. Die Letztgenannten können auf Antrag und Kosten einzelner Unternehmungen eingerichtet werden, die Eigenschaft als Amtsstelle kommt ihnen aber nur während der Zeit der dienstlichen Anwesenheit der Beamten zu. Aber auch am Herstellungs- oder Aufstellungsort der Messgeräte können Amtsstellen eingerichtet werden, wenn die Eichbehörde dies vorschreibt oder auf Antrag zulässt.
Technisches Sicherheitsrecht Michael Holoubek
Kapitel 1: Normung Rechtsgrundlagen ...........................................................................................452 Grundlegende Literatur...................................................................................453 I. Grundlagen ................................................................................................453 A. Allgemeines............................................................................................453 1. Historischer Hintergrund...................................................................453 2. Ökonomischer Hintergrund und Zielsetzungen der Normung ..........454 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................456 II. Normen .....................................................................................................457 A. Rechtsnatur von Normen .......................................................................457 B. Nationale Normen..................................................................................458 1. ÖNORMEN.......................................................................................458 2. ON Regel (ONR)...............................................................................459 C. Europäische Normen.............................................................................460 1. Allgemeines.......................................................................................460 2. Arten europäischer Normen ..............................................................462 D. Internationale Normen und Normungsorganisationen .........................464 1. Internationale Normen.......................................................................464 2. Internationale Normungsorganisation (ISO) .....................................464 3. Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC)........................465 4. International Telecommunication Union (ITU) ................................465 5. Sonstige Internationale Normungsorganisationen.............................465 III. Nationale Normung................................................................................466 A. Das NormenG als innerstaatliche Rechtsgrundlage .............................466 B. Österreichisches Normungsinstitut (ON)...............................................469 1. Allgemeines.......................................................................................469 2. Prinzipien der Tätigkeit des ON........................................................470 3. Aufgaben des ON ..............................................................................471 C. Das Verfahren zur Erstellung einer „ÖNORM“...................................471 1. Fachnormenausschüsse, Fachnormenunterausschüsse und Arbeitsgruppen .................................................................................471 2. Das Verfahren ...................................................................................472 3. Einspruchsverfahren..........................................................................473 4. Laufende Geschäfte...........................................................................474 5. Mitgliedschaft im CEN .....................................................................474
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IV. Europäische Normung........................................................................... 475 A. Die „Neue Konzeption“ ........................................................................ 475 1. Allgemeines ...................................................................................... 475 2. Grundsätze der neuen Konzeption.................................................... 477 B. Organisation der europäischen Normung ............................................ 479 1. CEN .................................................................................................. 479 2. CENELEC (Comité Européen de Normalisation Électrotechnique) 483 3. Gemeinsame Facharbeit ................................................................... 483 4. ETSI.................................................................................................. 483 C. Ablauf des Normungsverfahrens........................................................... 484 1. Prinzipien.......................................................................................... 484 2. Fragebogenverfahren ........................................................................ 485 3. Verfahren in den technischen Komitees ........................................... 486 4. CEN/CENELEC-Umfrage................................................................ 487 5. Annahme von EN und HD................................................................ 488 6. CDL-Verfahren ( Normenkontrollverfahren) ................................... 489 7. Einstufiges Annahmeverfahren (UAP) ............................................. 489 8. Abweichungen und besondere nationale Bedingungen .................... 490 9. Sicherung des Vorrangs der europäischen Normung........................ 491 D. Konformitätsnachweis .......................................................................... 493 E. Schutzklauselverfahren ......................................................................... 496 V. Rechtsstaatliche und demokratische Probleme der Normung ............ 497 VI. Umweltnormung .................................................................................... 500 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und der technischen Vorschriften, Abl 1998 L 204/37; Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Technische Normen und gegenseitige Anerkennung“, Abl 1996 C 212/7; Beschluss 90/683/EWG des Rates vom 13.12.1990 über die in den technischen Harmonisierungsrichtlinien zu verwendenden Module für die verschiedenen Phasen der Konformitätsbewertungsverfahren, Abl 1990 L380/13 idF 93/465/EWG, Abl 1993 L 220/23; Vorschlag der Kommission für einen Beschluss des Parlaments und Rates über die Finanzierung der europäischen Normung, KOM (2005), 377 endg.; Mitteilung der Kommission über die Rolle der europäischen Normung im Rahmen der europäischen Politik und Rechtsvorschriften, KOM(2004) 674 endg.; Mitteilung der Kommission „Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung“, KOM (2004) 130 endg.; Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Massnahmen auf Grundlage der Entschliessungen über die Europäische Normung, die 1999 vom Rat und vom Europäischen Parlament verabschiedet wurden, KOM (2001) 527 endg.; Bericht der Kommission „Effizienz und Verantwortlichkeit in der europäischen Normung im Rahmen des neuen Konzepts“, KOM (1998) 291 endg. Innerstaatliches Recht NormenG 1971 - NormenG (BGBl 1971/240).
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Grundlegende Literatur: Anselmann, Technische Vorschriften und Normen in Europa, 1991; Attlmayr, Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des „Bezugnehmens“ auf Normen anderer Rechtsetzungsautoritäten, ÖJZ 2000, 96; Breier, Das PCP-Urteil des Europäischen Gerichtshofs, ÖJZ 1994, 794; Breulmann, Normung und Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1993; Buschbaum/Schulz, Europäisierung des deutschen Umweltrechts am Beispiel des Technikstandards „Beste verfügbare Techniken“, Natur und Recht 2001, 181ff.; Davy, Legalität durch Sachverstand?, ZfV 1982, 345ff.; DIN Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg), Gesamtwirtschaftlicher Nutzen der Normung, 2000; Geuder, Normen und ihre Bedeutung im technischen Recht, ÖJZ 1976, 652ff.; Griller, Das Österreichische Normungsinstitut im Geflecht internationaler Beziehungen, ÖZöRV 1988, 237; Hartmann, ÖNORMEN, ihr Zustandekommen, ihre Rechtsnatur und ihre Anwendung im technischen Recht, in: Korinek/Krejci (Hrsg), Handbuch des Bau- und Wohnungsrechts, Loseblatt, 1982 ff; Holoubek, Verbraucherschutz durch Produktrecht, in: Aicher/Holoubek (Hrsg), Der Schutz von Verbraucherinteressen, 2000; Korinek, Die Verbindlichkeit technischer Normen im nationalen Recht und im europäischen Gemeinschaftsrecht, in: FS Lendi, 1998, 315 ff; Korinek, Normung im Spannungsfeld von Effizienz und demokratischer Legitimation, DIN-Mitt. 75.1996, 436ff; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979; Müller-Graff (Hrsg), Technische Regeln im Binnenmarkt, 1991; Nicolas/Repussard, Gemeinsame Normen für die Unternehmen, 1995; Rengeling (Hrsg), Schriften zum deutschen und europäischen Umweltrecht, Band 13 (Umweltnormung), 1997; Rönck, Technische Normen als Gestaltungsmittel des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1995; SchmidtPreuss, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56, 1997, 160; Schulte, Materielle Regelungen: Umweltnormung, in: Rengeling (Hrsg), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band I² Allgemeines Umweltrecht, 2003; Sladecek/Dübell/Mayer (Hrsg), Das Österreichische Normenwesen, 1972; Thienel, Verweisungen auf ÖNORMEN, 1990; Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, 1999.
I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Historischer Hintergrund Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung des 19. Jhdts wurden, bedingt durch die Vielzahl der Betriebe, in unüberschaubarer Vielfalt verschiedenste „Werknormalien“ geschaffen.1 Die dadurch bedingte Inkompatibilität der Produkte unterschiedlicher Hersteller brachte unweigerlich die Notwendigkeit großer Lagerhaltungen, die Unmöglichkeit der Spezialisierung auf Teilprodukte sowie in deren Gefolge Beschränkungen des Handelsverkehrs mit sich. Diese Hemmnisse standen dem verstärkten Anliegen der Rationalisierung des Produktionsprozesses naturgemäß entgegen. Dies führte zur Gründung der ersten Normungsausschüsse und in weiterer Folge zur Schaffung nationaler Normungsorganisationen. So gründeten die USA im Jahre 1901 die erste derar-
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Vgl. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, 179.
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tige Institution, das National Bureau of Standards (NBS), während zeitgleich in Großbritannien die British Standards Institution (BSI) geschaffen wurde.2 Österreich folgte im September 1920 mit der Gründung des Österreichischen Normenausschusses für Industrie und Gewerbe (ÖNIG).3 Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde der Österreichische Normenausschuss neu gegründet und kümmerte sich sofort um die Schaffung der für den Wiederaufbau vordringlich benötigten Normen, also insbesondere jener für das Bauwesen.4 1969 änderte der Normenausschuss seinen Namen in die auch heute noch gültige Bezeichnung „Österreichisches Normungsinstitut“ (ON), behielt jedoch seine Rechtsnatur als Verein nach dem Vereinsgesetz bei.5 Schon früh erkannte auch der Gesetzgeber die Notwendigkeit der Einbindung privaten Sachverstandes in das Recht der Technik und unterstrich dies bereits 1910 durch Erlassung der „Lex Exner“.6 Dem folgte 1954 das erste Bundesgesetz über das Normenwesen, welches die Regelung der Tätigkeiten eines mit der Normungsarbeit beauftragten Vereines zum Gegenstand hatte.7 Auf dessen Grundlage erfolgte die formelle Beauftragung des Österreichischen Normungsinstitutes, ÖNORMEN zu erarbeiten und Österreich in den entsprechenden Organisationen auf internationaler Ebene zu vertreten.
2. Ökonomischer Hintergrund und Zielsetzungen der Normung Dem System der Normung kommt für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes8 eine entscheidende Rolle zu: Eine einheitliche und damit leistungsfähige Normung bewirkt sowohl auf nationaler wie auch internationaler Ebene die Aufhebung von Handelshemmnissen im Bereiche des Warenverkehrs einerseits durch die erweiterte Möglichkeit zum Austausch der einzelnen Produkte untereinander, andererseits auch durch die Möglichkeit der Spezialisierung auf die Entwicklung oder Erzeugung von Teilprodukten. Nicht zu übersehen sind schließlich die vielfach durch die umfassende Beteiligung der betroffenen Verkehrskreise erzielbaren Synergieeffekte wie auch die Bünde-
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Siehe Sladecek/Dübell/Mayer (Hrsg), Das Österreichische Normenwesen, 1972, 16f. Siehe bei Geuder, Normen und ihre Bedeutung im technischen Recht, ÖJZ 1976,652 (653). Hartmann, ÖNORMEN, ihr Zustandekommen, ihre Rechtsnatur und ihre Anwendung im technischen Recht, in: Korinek/Krejci (Hrsg), Handbuch des Bau- und Wohnungsrechts, Loseblatt, 1982 ff, V-Mon-1, 1 (7 f). Hinsichtlich der historischen Entwicklung auf dem Gebiet der elektrotechnischen Normung siehe Holoubek, Elektrotechnikrecht. Gesetz vom 9. September 1910, betreffend das technische Untersuchungs-, Erprobungs- und Materialprüfungswesen, RGBl. Nr. 185, abgedruckt in Sladecek/Dübell/Mayer (FN2), 122. Im Bereich der Elektrotechnik findet sich erstmals 1965 eine gesetzliche Regelung: Das Elektrotechnikgesetz normiert die Zuständigkeit des Österreichischen Vereines für Elektrotechnik (ÖVE), elektrotechnische Bestimmungen auszuarbeiten. Vgl. näher Holoubek, Elektrotechnikrecht. siehe den Bericht der Kommission für den Rat und das Europäische Parlament vom 13.05.1998 „Effizienz und Verantwortlichkeit in der europäischen Normung im Rahmen des neuen Konzepts“, KOM(98) 291 endg.
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lung des jeweils einschlägigen Sachverstandes zu einem bestimmten Gegenstand. Die Grundidee der Normung ist Einheitlichkeit, Konsistenz und Systematik.9 Normung wird eingesetzt, um durch Rationalisierung Kosten einzusparen, durch Vereinheitlichung von Terminologie zu einer besseren Verständigung zu kommen und um Technologietransfer und Technologieaustausch zu unterstützen. Normung wird aber auch vermehrt dazu verwendet, eine Auswahl aus mehreren gleichgerichteten innovativen Systementwicklungen zu treffen, auf deren Grundlage dann von den unterschiedlichen Unternehmen jeweils kompatible Produkte weiterentwickelt werden können.10 Aus all dem ergibt sich die Funktion der Normung als wichtiger Beitrag zum freien Verkehr mit Industriewaren. Darüber hinaus fördert ein für alle Unternehmen gleiches, gemeinsames technisches Umfeld deren Wettbewerbsfähigkeit insbesondere auf dem Gebiet der neuen Technologien sowohl auf dem Gemeinschaftsmarkt wie insbesondere auch auf den Außenmärkten. In jüngerer Zeit trat zu diesen „klassischen“ Funktionen der Normung ein weiteres Aufgabenfeld hinzu: Bedingt durch die zunehmende Komplexität der wirtschaftlichen Prozesse und die rasch fortschreitende Technisierung bei immer spezialisierterem Sachverstand steht die Gesetzgebung, will sie selbst alle Bereiche, insbesondere des Produkt, Technik- und Umweltrechts einer materiellen Regelung zuführen, vor schier unbewältigbaren Anforderungen.11 In diesem Zusammenhang wurde dem Versuch umfassender materieller Regelungen im Gesetz selbst mangelnde Steuerungsfähigkeit attestiert,12 und in der darauf entstandenen Diskussion nach Lösungen und Alternativen gesucht, um den notwendigen technischen Sachverstand zu inkorporieren, ohne sich ihm auszuliefern. Rechtstechnisch war der entscheidende Schritt der von der umfassenden materiellen Steuerung im Gesetz selbst hin zum vermehrten Einsatz von eher prozedural ausgelegten Regelungen im Sinne einer „regulated self-regulation“. Man erkannte, dass verbindlich erklärte technische Normen nicht nur eine sachverständige Aussage, sondern darüber hinaus auch eine wertende Komponente enthalten. Dies aber erfordert, dass auch im (technischen) Normsetzungsverfahren staatliche Letztverantwortung gegeben sein muss. Der Weg zum Einsatz privater Normen im Rahmen der Gesetzgebung, also der Weg zum „kooperativen Staat“,13 ist durch solche Regelungstechniken geebnet.
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Vgl. mwN. Rönck, Technische Normen als Gestaltungsmittel des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1995, 29f. Beispielsweise anzuführen sind in diesem Zusammenhang etwa GSM, GPRS sowie UMTS. In diesem Zusammenhang ist etwa an die Diskussion rund um Mobilfunksendeanlagen im Zusammenhang mit technischen Anforderungen und gesundheitlich notwendigen Grenzwerten zu erinnern. Hinsichtlich der Biotechnologie sei exemplarisch die prEN 13441:2001, die sich mit der Einschließung gentechnisch veränderter Pflanzen beschäftigt, erwähnt. Zur Diskussion siehe Schulte, Materielle Regelungen: Umweltnormung, in: Rengeling (Hrsg) Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band I², Allgemeines Umweltrecht, 2003, 497ff mwN; mit besonderer Bezugnahme auf das konstatierte Steuerungsversagen des Rechtes in Bezug auf die Technik siehe Schuppert, Grenzen und Alternativen von Steuerung durch Recht, in: Grimm (Hrsg) Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, 217, 218f. Schulte (FN12) Rz 15f.
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B. Kompetenzrechtliche Einordnung Gemäß Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG ist das „Normenwesen“ in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Gemäß Art 102 Abs 2 B-VG kann das Normenwesen auch im Wege unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden. Der Inhalt dieses Kompetenztatbestandes ist umstritten.14 Weil dieser Kompetenztatbestand mit dem B-VG neu eingeführt wurde und zum damaligen Zeitpunkt keine einschlägigen Gesetzgebungsakte bestanden, stößt die Sinnermittlung mittels der „Versteinerungstheorie“ an Grenzen.15 Der historische Kontext legt es nahe,16 dass der Verfassungsgesetzgeber damit nicht nur die Ermächtigung zur bundesgesetzlichen Festlegung von „technischen Normen“ sondern vor allem auch die Konstituierung einer zukunftsträchtigen17 staatlichen Aufgabe wahrnehmen wollte, die nicht nur durch staatliche Vollziehung sondern auch durch staatlich regulierte private Tätigkeit erfüllt werden kann.18 Der Kompetenztatbestand „Normenwesen“ in Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG deckt daher nicht nur gesetzliche Standardisierungen sondern vor allem auch gesetzliche Regelungen, die diese Aufgabe privaten Institutionen über- und diesen bestimmte Organisations- und Verfahrensanforderungen auftragen.19 Gute Gründe sprechen damit dafür, dass auch insoferne die „Regulierung der Selbstregulierung“, also die Voraussetzungen, die Organisation und das Verfahren einschließlich der inhaltlichen Grundsätze für staatlich anerkannte Normierungstätigkeit in Rede stehen, durch Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG eine ausschließliche Bundeskompetenz begründet wird. Den Landesgesetzgebern ist damit eine vergleichbare „Anerkennung“ von Normungseinrichtungen kompetenzrechtlich verwehrt. Damit ist allerdings die Frage, welche „Standardisierungen“ durch solchermaßen anerkannte Normungseinrichtungen geschaffen werden dürfen, nicht 14 15
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Ausführlich Gutknecht, Kompetenzrechtliche Grundlagen für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie, WBl 2001, 175 (181 ff mwH). Zur Problematik des „Versteinerungszeitpunkts“ im Hinblick auf bereits in der Stammfassung des B-VG 1920 enthaltene Kompetenztatbestände wie das Normenwesen Wiederin, Anmerkungen zur Versteinerungstheorie, FS Winkler, 1997, 1231 (1237 f mwN) und zum Problem neu geschaffener Kompetenztatbestände aaO, 1245 f. Siehe dazu Griller, Das Österreichische Normungsinstitut im Geflecht internationaler Beziehungen, ÖZöRV 1988, 237 (243); Thienel, Verweisungen auf ÖNORMEN, 1990, 13; Larcher, Die neuen ÖNORMEN des Verdingungswesens A 2060 und B 2110, RdW 1984, 166, 202 (166 f); Geuder (FN 3) 652 f; Gutknecht, BBl 2001, 182 f (dort insbesondere die Hinweise auf die Stellungnahmen der Staatskanzlei bzw vor allem des Staatsamts für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten zur Einführung des Kompetenztatbestands). Vgl Gutknecht (FN 16) 182. Zum Zusammenhang zwischen der Aufnahme neuer Kompetenztatbestände und der Anerkennung bzw Aufwertung von Staatsaufgaben Wiederin (FN 15) 1246 mwH. Zur historischen Entwicklung des Normenwesens mit dem im Rahmen der technischen Abteilung des Hauptverbandes der Industrie Österreichs gegründeten „Österreichischen Normenausschuß für Industrie und Gewerbe (ÖNIG)“ vgl. die EB zum NormenG 1954, 137 BlgNR, 7. GP, 3 und Hatschek, Die Bedeutung des Normenwesens im österreichischen Recht, ÖVBl 1936, 156, 179, 203 (159 f); Hartmann (FN 4) 7f.
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entschieden. Sie beantwortet sich auch nicht aus der staatlichen Kompetenzzuweisung, sondern zunächst aus der grundrechtlich abgesicherten privatautonomen Stellung der Normungseinrichtungen, ihrer „Normungsautonomie.“20 Abgesehen von dem Umstand, dass als „Normen“ im Sinne des Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG Standardisierungen zur Vereinheitlichung von Wirtschaftsprozessen zu verstehen sind, lassen sich diesem Kompetenztatbestand keine inhaltlichen Grenzen darüber entnehmen, was Normungseinrichtungen, die der Bund auf Grundlage des Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG staatlich anerkannt hat, zum Gegenstand ihrer Normierung machen. Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG enthält daher auch keine Begrenzung für Normierungsprozesse im Dienstleistungsbereich oder im Hinblick auf typische Vertragsgestaltungen.21 Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG ermächtigt allerdings den Bundesgesetzgeber nicht, in einem entsprechenden Verfahren erzeugte technische Normen in jeglicher Hinsicht für verbindlich zu erklären. Die Verbindlicherklärung technischer Normen stellt vielmehr eine Regelung der jeweiligen materiellen Angelegenheit dar, die kompetenzrechtlich je nach der zugrundeliegenden Sachmaterie zu beurteilen und insoweit nach dem System der Kompetenzverteilung sowohl dem Bundes- wie dem Landesgesetzgeber zukommt.22
II. Normen Die europäischen Normungsorganisationen CEN/CENELEC haben in EN 45020 „Norm“ als „Dokument, das mit Konsens erstellt und von einer anerkannten Institution angenommen wurde und das für die allgemeine und wiederkehrende Anwendung Regeln, Leitlinien oder Merkmale für Tätigkeiten oder deren Ergebnisse festlegt, wobei ein optimaler Ordnungsgrad in einem gegebenen Zusammenhang angestrebt wird“,23 definiert.
A. Rechtsnatur von Normen Normen im Sinne des Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG sind Spezifikationen, die von einer anerkannten Normungsorganisation zur wiederholten oder ständigen 20
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Schulte (FN 12) Rz 127; Schmidt-Preuss, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung VVDStRL 56 (1997), 160, 203ff. Vgl zur diesbezüglichen Diskussion und mit diesbezüglich anderer Auffassung Larcher (FN 16) 167; Geuder (FN 3) 652 ff; siehe in diesem Zusammenhang auch den Hinweis auf den historisch nachweisbaren Zweck derartiger Regelungswerke, unter anderem auch Lieferbedingungen zu standardisieren, bei Gutknecht (FN 16) 182, mwN. Siehe in diesem Sinn - bezogen auf die Frage der Publikation von verbindlich erklärten ÖNORMEN - Thienel, Verweisungen auf ÖNORMEN, 1990, 47 f; Thienel zu Folge deckt Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG nur eine bundesgesetzliche Regelung bezüglich der Publikation von Normen allgemein, also von nicht verbindlich erklärten Normen. Bei verbindlich erklärten Normen können die Länder auch die notwendigen Regelungen über die Publikation der verbindlich erklärten ÖNORMEN erlassen. Normen sollen weiters auf den gesicherten Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung basieren und auf die Förderung optimaler Vorteile für die Gesellschaft abzielen. (ISO/IEC Leitfaden 2:1996, Begriff 3.2).
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Anwendung angenommen wurden, deren Anwendung jedoch nicht zwingend vorgeschrieben ist. Mithilfe von Normen werden Richtlinien für die Herstellung eines Erzeugnisses, dessen Gebrauchstauglichkeit, Aussehen, Abmessungen, Formen, Eigenschaften oder Qualitätsmerkmale aufgestellt, die zu einer Vereinheitlichung, Vereinfachung und nicht zuletzt zu einer Verbesserung der Produktion, der Verwendungsmöglichkeiten der Produkte und der Produkte selbst führen sollen.24 Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang zwischen Normen mit technischen Inhalten,25 Verfahrensnormen,26 Normen mit typisierten Vertragsinhalten27 und sogenannten „Mischnormen“28 unterschieden.29 Aufgrund des Umstandes, dass Normen durch gesellschaftliche Einrichtungen im Rahmen ihrer Privatautonomie in Zusammenarbeit mit Vertretern von Unternehmen sowie von Verbrauchern erstellt werden, die Normsetzungstätigkeit daher im privaten Bereich erfolgt, kann derartigen Normen keine über private Regelsetzung hinausgehende Bedeutung, insbesondere keine Rechtsnormen vorbehaltene Verbindlichkeit zukommen.30 Um Rechtsverbindlichkeit zu erlangen bedürfen derartige Normenwerke daher stets der Verbindlicherklärung durch den Gesetzgeber31 bzw der ausdrücklichen Aufnahme in ein Vertragswerk. Rechtsverbindlichkeit können Normen auch erlangen, indem die maßgeblichen Verkehrskreise diese tatsächlich regelmäßig als Handlungsmaßstab heranziehen und die Normen solcherart zum Handelsbrauch (§ 364 HGB) oder zur Verkehrssitte (§ 863 ABGB) werden. Rechtliche Bedeutung können Normen weiters erlangen, wenn sie zur Interpretation unbestimmter Gesetzesbegriffe, insbesondere sogenannter Technikklauseln32, herangezogen werden.33
B. Nationale Normen 1. ÖNORMEN ÖNORMEN als Produkte des Österreichischen Normungsinstitutes (ON) stellen die Ergebnisse österreichischer nationaler Normierungstätigkeit dar.34 Eine ÖNORM hat nach der Geschäftsordnung des Österreichischen Normungsinsti24 25 26 27 28 29 30 31
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Vgl Zubke- von Thünen, Technische Normung in Europa, 1999, 133ff. Etwa Normen zur Vereinheitlichung von Produktmaßen, Prüfnormen u. dgl. Den größten Bekanntheitsgrad dürfte wohl die ÖNORM A 2050 über das Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge erlangt haben. Vgl etwa die Bauvertragsnorm ÖNORM B 2110/2000. Das sind Normen, die keiner der Gruppen direkt zurechenbar sind, wie zB Normen im Bereich des Umweltschutzes oder der Terminologie. Vgl mwN Löschnigg/Reissner, Zur rechtlichen Relevanz der ÖNORM über Bildschirmarbeitsplätze, ecolex 1991, 480. Siehe hierzu näher Thienel (FN 22), 14 mwH. Mittels Inkorporation oder Verweisung, siehe Korinek, Die Verbindlichkeit technischer Normen im nationalen Recht und im europäischen Gemeinschaftsrecht, FS Lendi, 319ff. Näher zur Problematik Davy, Legalität durch Sachverstand?, ZfV 1982, 345. Vgl Korinek (FN 31), 318. Derzeit existieren rund 11.500 ÖNORMEN. Davon sind etwa 3.000 Normendokumente rein national, ca 6.900 auch europäische Normen und ca 1.600 internationaler Provenienz. Vgl. Barfuß, FS Koppensteiner, 2001, 543.
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tutes (ON) unter Bindung an die Richtlinienvorgaben des Vorstandes so abgefasst zu werden, dass ihr Ziel und Zweck sowie der Kreis der Normadressaten eindeutig erkennbar sind. Dabei sollte die Textierung so gewählt sein, dass die Norm durch Gesetz oder Verordnung verbindlich erklärt werden kann. Ist der Gegenstand einer auszuarbeitenden ÖNORM noch wesentlichen Änderungen unterworfen, was etwa aufgrund einer laufenden technischen Entwicklung der Fall sein kann, aber dennoch entweder ein Bedürfnis des Marktes nach einer solchen Norm gegeben ist, oder zusätzlich einschlägige Erfahrungen und Anregungen aus der Praxis benötigt werden, kann das vorliegende Zwischenergebnis als Vornorm veröffentlicht werden.35 Die Behandlung, Vorgangsweise und Rechtsnatur gleicht jener einer ÖNORM, jedoch ist für ihre Verabschiedung Dreiviertelmehrheit ausreichend. Die Laufzeit einer Vornorm sollte weiters einen Zeitrahmen von fünf Jahren nicht übersteigen. Auf ihre Eigenschaft als Vornorm ist in den Vorbemerkungen zur Vornorm hinzuweisen.
2. ON Regel (ONR) Das Österreichische Normungsinstitut bietet neben Normen nach dem bereits zitierten Verständnis der EN 45020 dem Markt eine weitere Art von Spezifikationen an: die ON Regel (ONR). Deren Konzept beruht im wesentlichen auf der Erkenntnis, dass das System der Schaffung von Normen in jenen Bereichen, die eine hohe Innovationsdichte aufweisen, oftmals überfordert scheint, und ein ausreichender Konsens nicht in der geforderten Geschwindigkeit erzielt werden kann. Dementsprechend anders ist das Verfahren zur Erstellung einer ONR gestaltet. Während bei der Ausarbeitung einer ÖNORM alle betroffenen Verkehrskreise beteiligt werden, arbeiten an einer ONR nur mindestens zwei der interessierten Gruppen mit. Das Konsensprinzip, das bei ÖNORMEN eine umfassende Akzeptanz sichern soll, kommt bei den ONR nicht zur Anwendung, die Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst. Als weitere wichtige Abweichung zu dem Verfahren der Erarbeitung von ÖNORMEN ist der Entfall des zwingenden öffentlichen Einspruchsverfahrens zu nennen. Eine Auflage der ONR-Entwürfe ist zwar möglich, jedoch nicht zwingend vorgeschrieben. Zur Gewährleistung eines einheitlichen und kohärenten Normensystems ist jedoch zu beachten, dass keine Widersprüche zu anderen ONR oder ÖNORMEN entstehen. Durch die genannten Abweichungen kann eine Beschleunigung und wesentliche Vereinfachung des Ausarbeitungsprozesses erzielt werden, die Möglichkeit, die ONR zu einem späteren Zeitpunkt in eine ÖNORM - freilich unter Einhaltung der entsprechenden Verfahren - weiter zu entwickeln, bleibt erhalten. Ähnlich der ONR bestehen gleichartige Pendants auch auf europäischer wie internationaler Ebene: CEN nennt jene, den ONR in ihrem Entstehen ähnlichen Dokumente, CEN-Workshop-Agreements (CWA), jene auf dem Gebiet der Elektrotechnik werden unter der Bezeichnung „Europäische Spezifikationen“ (ES) erstellt. ISO und IEC erarbeiten in ähnlicher Weise Industry Technical Agreements (ITA) und Publicly Available Specifications (PAS). ISO kennt darüber hinaus noch Technical Specifications (TS).
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Vgl. Pkt. 4.5.10 der Geschäftsordnung des ON.
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C. Europäische Normen 1. Allgemeines Auf dem Weg zur Verwirklichung des freien Binnenmarktes gilt es, die Hürde der technischen Handelshemmnisse zu überwinden. Denn der freie Warenverkehr stößt dort an Grenzen, wo faktische Gegebenheiten wie eben national unterschiedliche Normen einen Warenaustausch schwierig bis unmöglich machen.36 Die Warenverkehrsfreiheit37 verbietet mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung,38 worunter jene Handelsregelungen der Mitgliedstaaten verstanden werden, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. Gestützt auf das Urteil Cassis de Dijon39 vertritt die Kommission40 den Standpunkt, ein Mitgliedstaat könne den Verkauf eines in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten und in Verkehr gebrachten Erzeugnisses nicht verbieten, selbst dann nicht, wenn dieses Erzeugnis nach anderen technischen oder qualitativen Vorschriften als den für die inländischen Erzeugnisse geltenden hergestellt worden ist. Die aus Art 28 EG folgende Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur wechselseitigen Anerkennung ihrer Produkt- und Sicherheitsstandards findet ihre Grenzen ausschließlich an den Schutzrechten des Art 30 EG sowie den zwingenden Erfordernissen, die der EuGH als immanente Schranken von Art 28 EG in seiner Rechtsprechung anerkannt hat.41 Von diesen sind im vorliegenden Zusammenhang vor allem der Gesundheitsschutz, der Schutz der öffentlichen Sicherheit sowie der Verbraucher42- und Umweltschutz43 von Bedeutung. Für das technische Sicherheitsrecht bedeutet die Cassis de Dijon- Rechtsprechung, dass die von Art 28 EG geschützte Freiheit des Warenverkehrs an ihre Grenzen stößt, soweit einzelne mitgliedstaatliche Vorschriften den Schutz von Sicherheit, Gesundheit, Umwelt und Verbrauchern bezwecken.44 Die naturgemäß nahezu ständige Betroffenheit dieser Rechtsgüter zieht dem freien Warenverkehr im Bereich des Umwelt- und des Technikrechtes zum einen in einer doch nicht unerheblichen Weise Grenzen, die nur mit Hilfe einer 36 37 38 39 40
41 42 43 44
So etwa, wenn ein in einem Mitgliedstaat produziertes Elektrogerät in einem anderen aufgrund unterschiedlicher Netzspannungen nicht verwendet werden kann. Art 28 EGV. zur Auslegung siehe EuGH Rs 8/74, AS 1974, S837 ff, Dassonville, wie auch EuGH Rs 120/78, Slg 1979, S 649 ff, Cassis de Dijon. FN 38. Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Cassis den Dijon Urteiles, Abl Nr C 256 vom 3.10.1980, 2; vgl. näher bei Becker, in: Schwarze (Hrsg), EUKommentar, 2000, Art 28, Rn 45f. EuGH, Slg. 1979, 649 (622, Rn. 8)- Rewe; Slg. 1988, 4489 (4511, Rn 15f.) SMANOR. EuGH, Slg. 1979, 649, Rn. 8. - Cassis de Dijon; EuGH Slg. 1994, I-317, Rn. 15 Clinique. EuGH, Slg. 1988, 4607 (4630, Rn.9) - Dänische Pfandflaschen. Siehe hierzu EuGH, Slg. 1986, 419 (436, Rn. 17) - Holzbearbeitungsmaschinen; Slg. 1981, 3277 (3291, Rn. 14) - Biologische Producten.
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Harmonisierung und einheitlichen Festlegung des geforderten Schutzniveaus überwunden werden können, da eine solche die Unanwendbarkeit des Schutzmechanismus der Art 28 und 30 EG zur Folge hat. Ist die erfolgte Harmonisierung hinsichtlich des in Frage kommenden Schutzgutes eine vollständige,45 so ist der von der Harmonisierungsrichtlinie vorgegebene Maßstab bei der Beurteilung der Zulässigkeit von nationalen Schutzmaßnahmen und durchgeführten Kontrollen alleinig ausschlaggebend und kann ein Schutz- bzw. Sicherungsverfahren ausschließlich auf Gemeinschaftsebene nach einem einheitlichen Verfahren mit einheitlichen Wirkungen auf sämtliche Mitgliedstaaten durchgeführt werden.46 Zum zweiten birgt die „marktöffnende Wirkung“ der Grundfreiheiten die Gefahr einer Nivellierung der Produktanforderungen nach unten, also einer Orientierung am kleinsten gemeinsamen Nenner.47 Grundlegend für die Entwicklung einer einheitlichen Organisation der Normung auf europäischer Ebene war ein Bekenntnis des Rates der europäischen Union48 zu den zwei wesentlichen Grundprinzipien der Normung, in dem sich der Rat ausdrücklich auf die herausragende Bedeutung der Normung für die Verwirklichung der Ziele eines freien Waren- und Dienstleistungsverkehres berief: • Normung ist eine freiwillige, vom Konsens getragene Tätigkeit, die von den und für die interessierten Parteien auf Grundlage von Offenheit und Transparenz im Rahmen unabhängiger und anerkannter Normungsorganisationen durchgeführt wird und zur Verabschiedung von Normen führt, deren Befolgung freiwillig ist. • Normen sollten zweckmäßig sein, aufgrund der umfassenden Beteiligung aller interessierten Parteien am Normungsprozess einen hohen Akzeptanzgrad aufweisen, untereinander kohärent sein und technologische Innovationen und Wettbewerb zulassen. Deshalb sollten sie auf fundierten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen basieren, in regelmäßigen Abständen auf den neuesten Stand gebracht werden und nach Möglichkeit leistungsbezogen sein. In konsequenter Weiterführung dieser Darlegungen forderte der Rat die Kommission dazu auf, in Konsultation mit den Mitgliedstaaten Leitlinien für eine europäische Normungspolitik im internationalen Kontext zu entwickeln und dem Rat hiefür bis längstens 30.06.2001 zu berichten.49
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Siehe etwa EuGH Slg. 1994, 5243 (5263, Rn. 14) - Ortscheit; Slg. 1989, 617 (638f., Rn. 15) - Schumacher; Nach der Modellrichtlinie im Anhang zur Entschließung des Rates über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung, Abl 1985 C 136/3(4), haben die im Rahmen der „Neuen Konzeption“ ergangenen Richtlinien im Regelfall eine vollständige Harmonisierung vorzusehen. Hinsichtlich der Sperrwirkung gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierungsvorschriften siehe Becker (FN40), Art 30 EGV, Rn. 85ff. MwN Holoubek, Verbraucherschutz durch Produktrecht, in: Aicher/ Holoubek(Hrsg), 2000, 92. Entschließung des Rates vom 28.10.1999 zur Funktion der Normung in Europa, Abl 2000 C 141/1. Vgl Kom (2001), 527 endg.; veröffentlicht in CONNEX 12/2001, 5ff; Die Kommission gibt an dieser Stelle einen Überblick über bereits verwirklichte Vorhaben und
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2. Arten europäischer Normen a) Europäische Norm (EN) Eine Europäische Norm (EN) ist eine CEN/CENELEC-Norm, die mit einer doppelten Verpflichtung verbunden ist: Sie muss einerseits auf nationaler Ebene übernommen50 werden, indem ihr der Status einer nationalen Norm gegeben wird, andererseits müssen ihr entgegenstehende nationale Normen zurückgezogen werden.51 b) Harmonisierungsdokument (HD) HD (Harmonisierungsdokumente) sind CEN/CENELEC-Normen, die mit der Verpflichtung verbunden sind, auf nationaler Ebene zumindest durch öffentliche Ankündigung von HD-Nummer und -Titel übernommen zu werden. Ihr entgegenstehende nationale Normen sind zurückzuziehen.52 Es unterscheidet sich somit von einer EN dadurch, dass dem Harmonisierungsdokument nicht der Status einer nationalen Norm verliehen werden muss. Nationale Normen dürfen daher beibehalten bzw neu herausgegeben werden, sofern deren technischer Inhalt dem des HD entspricht. c) Europäische Vornorm (ENV) Europäische Vornormen sind provisorische Normen zur vorläufigen Anwendung und werden vornehmlich im Rahmen der entwicklungsbegleitenden Normung,53 insbesondere für Gebiete mit hohem technischem Innovationsgrad oder bei dringendem Bedarf für eine Leitlinie, vor allem dann ausgegeben und eingesetzt, wenn Sicherheitsgesichtspunkte keine Rolle spielen. ENV können durch ein technisches Gremium des CEN/CENELEC oder mithilfe eines Fragebogens und schriftlicher Abstimmung über ein geeignetes Bezugsdokument binnen dreier Monate erarbeitet werden, ohne dass es des hiefür üblichen Einspruchsverfahrens bedürfe. Auch ENV müssen von den Mitgliedstaaten übernommen werden, dies allerdings unbeschadet bereits vorhandener nationaler Normen zum gleichen Regelungsgegenstand. Nach dem Ablauf einer Frist von drei Jahren wird die ENV einem festgelegten Überprüfungsverfahren unterzogen, in dem über das weitere Schicksal der Vornorm entschieden wird. Sie kann entweder unmittelbar in eine EN übergeleitet, einmal als Vornorm verlängert oder auch zurückgezogen und somit überhaupt verworfen werden. d) Europäische Technische Zulassung (Agrément) „Europäische Technische Zulassungen“ sind keine Normen, sondern positive technische Beurteilungen der Brauchbarkeit von Produkten hinsichtlich der
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geplante Innovationen und Verbesserungsmaßnahmen auf dem Gebiet der technischen Normung. Die Übernahme wie die Zurückziehung in Österreich haben durch den zuständigen Fachnormenausschuss (FNA) zu erfolgen. Siehe 3.1.4. der Geschäftsordnung CEN/CENELEC. Siehe 3.1.5. der Geschäftsordnung CEN/CENELEC. Vgl Schulte, Verfassungsrechtliche Beurteilung der Umweltnormung, in: Rengeling (Hrsg), Schriften zum deutschen und europäischen Umweltrecht, Band 13 (Umweltnormung), 1998, 181 ff.
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„wesentlichen Anforderungen“ im Sinne der einschlägigen Richtlinien.54 Sie bescheinigen die Merkmale eines Produktes im Hinblick auf ihre Relevanz für die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen der Richtlinien und legen für die Dauer der Gültigkeit der Zulassung, welche im Regelfall fünf Jahre beträgt, die Verwendungsbedingungen des betreffenden Produktes fest. Auf diese Form der Zulassung von Produkten wird zumeist dann zurückgegriffen, wenn ein Produkt infolge seiner Neuartigkeit oder seiner neuartigen Verwendung nicht durch eine europäische oder nationale Norm, mit welcher die Einhaltung der „wesentlichen Anforderungen“ bescheinigt werden könnte, abgedeckt ist oder abgedeckt werden kann. Solche Zulassungen werden vom Hersteller des Produktes oder dessen Importeur in die Gemeinschaft beantragt und von einer hiefür einschlägigen, vom jeweiligen Mitgliedstaat autorisierten Zulassungsstelle55 erteilt. e) CEN Workshop Agreement (CWA) Ähnlich der ON-Regel werden bei CEN sogenannte CWA´s erarbeitet, um den Bedürfnissen des Marktes rasch entsprechende normenähnliche Dokumente zur Verfügung stellen zu können, wenn die Mechanismen des „ordentlichen“ Normungsverfahrens nicht flexibel genug sind, um in der geforderten Geschwindigkeit brauchbare Normungsergebnisse liefern zu können. Als Foren für die Erarbeitung dieser CWA dienen die CEN Workshops, deren Struktur offener und unbürokratischer gestaltet ist, als jene der Technischen Komitees. Dadurch wird in gewisser Weise ein Brückenschlag zwischen den rein unternehmerischen Konsortien, die ohne Beteiligung der Öffentlichkeit De-facto-Normen schaffen, und dem formellen Verfahren der europäischen Normung im Rahmen von CEN, erzielt. Abweichend von EN, HD oder ENV können CWA auch mehrere normungstechnische Lösungen vorsehen, die zueinander in einer Art „Wettbewerbsverhältnis“ stehen. Solcherart können verschiedene Technologien oder Schnittstellen auf ihre Akzeptanz auf dem freien Markt getestet werden. Im Hinblick auf eine spätere Übernahme der CWA als EN oder ENV sind jedoch die PNE-Regeln56 zu beachten. f) Technical Reports Technical Reports schließlich stellen eine weitere Kategorie von möglichen Arbeitsergebnissen der Facharbeit eines CEN/CENELEC-Komitees dar: Sie dienen dazu, die einschlägigen Fachkreise vom Ergebnis eines Normungsverfahrens zu unterrichten, das für sich von hohem Interesse, für eine Normung allerdings aus verschiedenen Gründen nicht geeignet ist.
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Siehe zur „Neuen Konzeption“ unten VI.A. Zu den Zulassungsstellen siehe näher Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Die PNE-Regeln (règles pour la rédaction et la présentation des normes européennes - Regeln für den Aufbau und die Gestaltung Europäischer Normen) beinhalten Vorschriften und Richtlinien über die Erarbeitung und Gestaltung von Europäischen Normen hinsichtlich deren Aufbau und Abfassung. Sie finden sich in Teil 3 der GO CEN/CENELEC.
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D. Internationale Normen und Normungsorganisationen 1. Internationale Normen Unter einer internationalen Norm wird eine von einer internationalen normschaffenden Institution/Normungsorganisation angenommene Norm verstanden, die der Öffentlichkeit zugänglich ist.57 Die internationalen Normungsorganisationen sind ungeachtet des Umstandes, dass einige ihrer Mitglieder in ihren Staaten Behördenstatus genießen, privatrechtliche Vereinigungen, deren Mitglieder die jeweiligen nationalen Normungsorganisationen sind. Diesen kommt somit die Aufgabe zu, die Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten zu vertreten. Aufgrund der im Vergleich zur Europäischen Normung fehlenden Integration erlangen internationale Normen nur unverbindlichen Charakter, stellen also bloße Empfehlungen an die Mitgliedstaaten dar, denen es freigestellt ist, diese in ihre nationalen Normenwerke zu übernehmen.58 Dabei sind die Mitgliedstaaten wiederum bei der Wahl der Mittel der Umsetzung völlig frei. Lag früher der Schwerpunkt internationaler Normungstätigkeit eher auf der Festlegung von Grund- und Rahmenordnungen, wie etwa zu Terminologie, Einheiten, Formelzeichen und dergleichen, geht in jüngerer Zeit die Tendenz zunehmend in Richtung Sicherheitsnormung und Normung zur Erzielung von Kompatibilität.
2. Internationale Normungsorganisation (ISO)59 Die 1947 aus der 1926 gegründeten Normungsorganisation ISA (Federation of the National Standardizing Associations) hervorgegangene ISO hat rund 130 Mitglieder, die sich aus den staatlichen Normungsorganisationen rekrutieren60 und repräsentiert damit etwa 95% der gesamten Weltproduktion. Ziel der Tätigkeit der ISO ist die Erarbeitung von ISO Standards, welche zu einer möglichst weltweiten Vereinheitlichung möglichst vieler Normen für sämtliche Industriesparten führen sollen. Die Akzeptanz der ISO-Normen beruht im Wesentlichen auf der Freiwilligkeit der Anwendung. Einzelstaatliche Abweichungen aufgrund spezieller Interessen bleiben somit möglich. Neben den ISO-Normen erarbeitet ISO auch den ON-Regeln und den CEN Workshop Agreements entsprechende Normungsdokumente, die Industry Technical Agreements (ITA)61, die Publicly Available Specifications (PAS)62 und die Technical Specifications (TS)63. 57
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ISO/IEC Leitfaden 2:1996, Begriff 3.2.1.1; Von der ISO und IEC veröffentlichte Internationale Normen werden mit den Anfangs-Großbuchstaben „I“ und „S“ (de: „I“ und „N“) geschrieben, d. h. „International Standard“ („Internationale Norm“). Natürlich nur unter dem Vorbehalt, dass im fraglichen Bereich keine der internationalen Norm entgegenstehende Europäische Norm besteht. www.iso.ch. Dies hat zur Konsequenz, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Rahmen ihrer Mitarbeit bei ISO/IEC nicht durch CEN oder CENELEC einheitlich vertreten sind, sondern jeder Staat ein eigenständiges, unabhängiges Mitglied dieser Organisationen ist. Insgesamt kommt daher den Mitgliedstaaten der EU - und damit der europäischen Normung - ein erheblich größerer Einfluss zu als den USA, wie dies von ANSI, der US-Normungsinstitution, moniert wird. Vgl. hierzu das Strategiepapier „National Standards Strategy for the United States“, abrufbar unter der Adresse http://www.ansi.org/public/ national_strategy.pdf . ITA´s sind als technische Dokumente vor allem für jene Bereiche mit hohem technischen Innovationsgrad gedacht. Das Verfahren zur Erzielung der gewünschten
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3. Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC)64 Die IEC ist mit ihrem Gründungsjahr 1906 die älteste internationale Normungsorganisation. Als Schwesterorganisation von ISO betätigt sie sich auf dem Gebiet der Elektrotechnik und erarbeitet die IEC Standards, welche ein einheitliches Normenwerk auf dem Gebiet der Elektrotechnik schaffen sollen.
4. International Telecommunication Union (ITU)65 Die ITU ging am 1. März 1993 aus dem früheren International Telegraph and Telephone Consultative Committee (CCITT) hervor, dessen Anfänge bis ins Jahr 1865 zurückreichen. Ihre Tätigkeit erstreckt sich auf die nachfolgenden drei Sektoren: Normierung im Bereich des Telekommunikationswesens - ITUT, im Bereich der Radiokommunikation - ITU-R, (vormals CCIR bzw. IFRB), sowie im Bereich der Entwicklung des Telekommunikationssektors - ITU-D, deren Zielsetzung es ist, die Telekommunikationsdienste weltweit zu erleichtern und zu verbessern.
5. Sonstige Internationale Normungsorganisationen CCITT/CCIR, Ausschüsse der Internationalen Fernmeldeunion FAO/WHO, Internationale Organisation für Ernährung und Landwirtschaft/ Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen mit dem Normenprogramm Ernährung (Codex Alimentarius) IAEO, Internationale Atomenergie-Organisation IAO, Internationale Arbeitsorganisation ICAO, Internationale Luftfahrtorganisation IMCO, Internationale Maritime Beratungsorganisation JCSS, Gemeinsames Komitee für strukturelle Sicherheit OIML, Internationale Organisation des gesetzlichen Messwesens UIT, Internationale Union der Telekommunikation WMO, Meteorologische Weltorganisation
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Normungsergebnisse ist ebenso wie der Teilnehmerkreis weitgehend undeterminiert, es bleibt also den einzelnen Unternehmen überlassen, untereinander einen Konsens zu finden. Das Fehlen von starren Regeln, wie etwa einzuhaltende Fristen für Einspruchsverfahren, macht dieses Verfahren geeignet, innerhalb weniger Monate brauchbare Normungsergebnisse zu erzielen. Beschließt eine Arbeitsgruppe innerhalb der ISO, dass der in der Form eines normativen Dokumentes erzielte Konsens betreffend ein bestimmtes Arbeitsthema veröffentlicht werden sollte, so geschieht dies in der Form einer PAS. Ähnlich wie bei den CWA ist es bei den PAS möglich, dass verschiedene Lösungsvarianten miteinander im Wettbewerb stehen. Längstens alle drei Jahre sind die PAS zu überarbeiten, nach sechs Jahren ist die PAS entweder zurückzuziehen oder in eine ISO-Norm umzuwandeln. In jenen Fällen, in denen ein Komitee beschlossen hat, eine ISO-Norm zu veröffentlichen, aber festgestellt hat, dass die dazu nötige Zustimmung nicht erzielbar ist, kann das Dokument unter bestimmten Voraussetzungen als TS veröffentlicht werden. Vgl. näher FN 59. www.iec.ch www.itu.int
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III. Nationale Normung A. Das NormenG als innerstaatliche Rechtsgrundlage Rechtsgrundlage nationaler österreichischer Normungstätigkeit ist das Bundesgesetz vom 16. Juni 1971 über das Normenwesen (Normengesetz 1971) i.d.F. BGBl. Nr. 240/1971. Das NormenG 1971 ist eine Neufassung des alten Normengesetzes aus 1954, das nach den Erläuternden Bemerkungen66 den zeitgemäßen Anforderungen an die Rationalisierung der Produktion zwecks Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit österreichischer Produkte sowohl auf dem Inlandsmarkt als auch im Export angepasst werden sollte. Als besonderes Merkmal ist die Beibehaltung jener Regelung des § 1 Abs 3 NormenG 1971 hervorzustreichen, derzufolge nur einem Verein die Befugnis zur Schaffung und Herausgabe von nationalen Normen verliehen werden kann.67 Weiters wurde im Bewußtsein der immer größer werdenden Bedeutung der Normung und ob des Umstandes, dass sich der Staat schon 1971 immer mehr der Ergebnisse dieser privaten Normungstätigkeit bediente, jener Textteil des § 2 des NormenG 1954 gestrichen, welcher sicherstellen sollte, dass das Österreichische Normungsinstitut als der betraute Verein seine Aufgaben ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu erfüllen hatte.
Da den ÖNORMEN aufgrund ihrer Ausarbeitung durch einen privaten Verein nicht schon eo ipso Rechtswirksamkeit zukommen kann, sieht das NormenG in seinem § 5 vor, dass ÖNORMEN per Gesetz oder Verordnungen für verbindlich erklärt werden können.68 Hierbei verdient § 8 des NormenG 1971 besondere Beachtung, der dem Verein die ausschließliche Befugnis zur Verwendung des Kennwortes „ÖNORM“ sowie deren Kennzeichen zuteilt, indem deren unbefugte Verwendung durch Dritte zur mit Strafe bedrohten Verwaltungsübertretung erklärt wird. Die rechtliche Beziehung zwischen dem Bund und dem ON, dem auf Grund des § 1 Abs 1 NormenG bescheidmäßig die Befugnis verliehen wurde, die von ihm geschaffenen Normen als ÖNORMEN zu bezeichnen, wird in der Literatur unterschiedlich eingeordnet. Mit der erwähnten Befugnis, die, wie dargestellt, nur einem Verein und nur einem solchen exklusiv verliehen werden kann,69 ist - neben der Ermächtigung zur Führung des Bundeswappens - insbesondere das ausschließliche Recht zur Erarbeitung und Verwertung von ÖNORMEN verbunden. Die in § 2 Abs 1 NormenG geforderten Voraussetzungen für die Verleihung einer solchen Befugnis sind so formuliert, dass sie als gesetzliche Anforderungen an die Organisation der Normungsarbeit wirken.70 Weiters legt das
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373 BlgNR, 12.GP. Im Lichte der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem ON und dem ÖVE bedeutet dies, dass auf dem Gebiet der Elektrotechnik, welches alleine dem ÖVE vorbehalten ist, keine ÖNORMEN bestehen. Deren Funktion wird durch die vom ÖVE auszuarbeitenden elektrotechnischen Sicherheitsvorschriften wahrgenommen. Zu diesen vgl näher Holoubek, Elektrotechnikrecht. Die vom ÖVE auszuarbeitenden elektrotechnischen Sicherheitsvorschriften werden regelmässig durch die Bestimmungen der Elektrotechnikverordnung - derzeit in der Fassung des BGBl. Nr. 575/1996 - für verbindlich erklärt. § 1 Abs 1 iVm § 1 Abs 3 NormenG. So muss der Verein satzungsgemäß die Sicherheit bieten, dass bei der Schaffung von ÖNORMEN entsprechend ihrem Wirkungsbereich Stellen der Hoheits- und Wirtschaftsverwaltung des Bundes und der Länder, einschließlich etwa bestehender
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NormenG den Mindestinhalt der Geschäftsordnung des Vereins und damit des ON fest, woraus sich gesetzlich zwingend vorgesehene Aufgaben des ON ergeben.71 Diese zweifellos besondere Rechtsbeziehung zwischen dem Bund und einem privaten Verein wird in der Literatur dahingehend beschrieben, dass das ON zwar keine behördlichen Funktionen im engeren Sinn, wegen seiner organisatorischen und funktionellen Nahebeziehung zur staatlichen Verwaltung aber so genannte schlichte Hoheitsverwaltung72 ausübe,73 weshalb seine Tätigkeit als die eines „Beliehenen“74 oder, weil es sich um die Mitwirkung eines privaten ausgegliederten Rechtsträgers an der Besorgung öffentlicher Aufgaben handle, als „Indienstnahme“75 zu qualifizieren sei. Dagegen wurde eingewendet, dass der Einordnung als „Beleihung“ entgegenstehe, dass dem ON nicht einmal potentiell Imperium zur Verfügung stehe,76 womit es überhaupt unzutreffend sei, von der Erfüllung schlicht hoheitlicher Verwaltungsaufgaben und damit von einer „Inpflichtnahme“ zu diesem Zweck zu sprechen.77 Nun weist die Tätigkeit des ON und die zwischen dieser Einrichtung und dem Bund auf Grund des NormenG bestehende rechtliche Beziehung zweifellos Besonderheiten auf, die eine Einordnung schwierig machen. Die verwendeten begrifflichen Kategorien insbesondere der „Indienstnahme“ wurden zur Beschreibung der Beziehungen von ausgegliederten bzw privaten Rechtsträgern zur staatlichen Verwaltung entwickelt; im vorliegenden Fall besteht freilich ein funktionelles Naheverhältnis vor Allem zu genereller Rechtssetzung. insbesondere auch zur Gesetzgebung. Weiters ist das Verhältnis zwischen dem NormenG sowohl 1954 wie 1971 und dem ON ein spezifisches, das sich von sonstigen Formen der Verleihung von Ausschließlichkeitsrechten an private Rechtsträger unterscheidet. Es ist evident, dass der Gesetzgeber jeweils ganz konkret den „Österreichischen Normenausschuss“ bzw das „Österreichische Normungsinstitut“78 vor Augen hatte. Die Regelungen des NormenG erfolgten also, um die Tätigkeit des Vereins, auf den sie sich beziehen, gesetzlich einzufassen.
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selbständiger Wirtschaftskörper, die Vertreter der Wissenschaft sowie die am Normenwesen interessierten Standesvertretungen als Interessenvertretungen der Erzeuger und Verbraucher mitwirken (§ 2 Abs 1 lit a NormenG). Organisation und Durchführung der Normungsarbeit, Anpassung der ÖNORMEN an den jeweiligen Stand der Wissenschaft und der Technik sowie an wirtschaftliche Gegebenheiten, Verfahren zur Übernahme europäischer und internationaler Normen, Kooperation mit anderen Normenorganisationen etc, siehe im Einzelnen § 2 Abs 2 NormenG. Zum Begriff Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht², 2003, Rz 729 ff. Geuder (FN 3) 655; Griller (FN 16) 242. Schäffer, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private (Beleihung und Inpflichtnahme), in: Bundeswirtschaftskammer (Hrsg), Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Privatrechtssubjekte, 1973, 58 (62). Griller (FN 16) 242. Koja, Die Erfüllung hoheitlicher Verwaltungsaufgaben durch Private, Festschrift Antoniolli, 1979, 439 (452 f). Thienel (FN 22) 15. Die Namensänderung erfolgte auf Grund eines Beschlusses der Generalversammlung des Vereins im Jahre 1968, siehe Geuder (FN 3) 655.
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Die Begründung dafür liegt in der besonderen Bedeutung, die die Ergebnisse der Tätigkeit des Vereins - die Normen - für den Staat und zwar in zweifacher Hinsicht haben: Zum einen als Entlastung bei der Erarbeitung staatlicher Rechtssetzungsakte, weil auf die Inhalte der durch die private Einrichtung erarbeiteten Normen verwiesen oder diese in staatliche Rechtssetzungsakte inkorporiert werden können. Zum anderen zur Entlastung staatlicher Rechtssetzung überhaupt, weil die Normen das in der Gesellschaft zweifellos vorhandene Regulierungsbedürfnis über weite Strecken zu befriedigen vermögen, ohne dass es überhaupt zu einer staatlichen Verbindlicherklärung kommen muss.79 Es kann zunächst festgehalten werden, dass das ON zweifellos „öffentliche“, gleichwohl aber gerade nicht „staatliche“ Aufgaben wahrnimmt.80 Insoferne handelt es sich bei der Tätigkeit des ON gerade nicht um eine Hilfsfunktion für die staatliche Rechtssetzung, sondern eben um gesellschaftliche Regelbildung.81 Es handelt sich freilich um gesellschaftliche Regelsetzung, die in besonderem Maße staatlich reguliert ist. Das unterscheidet die Tätigkeit des ON etwa von anderen Vereinen,82 die für ihren Bereich auch „regelbildend“ wirken. Insoweit besteht zweifellos eine besondere Rechtsbeziehung zwischen dem ON und dem Bund.83 Zur Erfassung des Dargelegten erscheint der Terminus „regulierte Selbstregulierung“ geeignet.84 Damit können zwei Dinge deutlich gemacht werden. Zum einen, dass es sich bei der Tätigkeit des ON weder um auch nur in einem weiten Sinn staatliche Tätigkeit noch um eine „Hilfstätigkeit“ für den Staat handelt, sondern um autonome Tätigkeit im gesellschaftlichen Bereich. Zum Zweiten, dass diese Tätigkeit in besonderem Maß gesetzlich geformt ist. Daran anknüpfend bietet auch die Frage, ob und inwieweit die Tätigkeit des ON dem Staat zuzurechnen ist, ein differenziertes Bild. Nicht ist sie es, wenn es um die 79 80 81 82 83
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Hierin liegt der eigentliche Effekt der „Selbstregulierung“. Zur Unterscheidung Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, FS Nipperdey, 1965, Band II, 877 ff. Vgl Raschauer (FN 72), Rz 119 f. Man denke an europäische oder internationale Sportvereinigungen. Die Bezeichnung dieses Zusammenhanges mit dem Begriff „Indienstnahme“, der damit auch für die Besorgung öffentlicher und nicht staatlicher Aufgaben verwendet wird, ist eine Zweckmäßigkeitsfrage. Dagegen spricht, dass damit die Abgrenzungsfunktion der Zurechnung Privater zur Hoheitsverwaltung und damit zur staatlichen Verwaltung im Sinne des B-VG verloren geht, siehe Holoubek, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Konsequenzen der Ausgliederung, Privatisierung und Beleihung, ÖZW 2000, 33 (34) und ausführlich im Hinblick auf die Übertragung öffentlicher Aufgaben auf private Rechtsträger Holoubek, Durchführung der Vereinsaufgaben mit öffentlichen Mitteln - Zur allgemein verwaltungsrechtlichen und haushaltsrechtlichen Bindungen des Vereins für Bewährungshilfe, in: Zur Übertragung sozialpolitischer Aufgaben des Staates an Private - Am Beispiel der Bewährungshilfe, SUB Extra 6/1992, 21 ff. Zum Begriff Schmidt-Aßmann, Regulierte Selbstregulierung als Element verwaltungsrechtlicher Systembildung, in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaates, Die Verwaltung - Beiheft 4, 2001, 253 (254 ff); zur Diskussion um die Einordnung in Deutschland vgl einerseits Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), 235 (271 ff) und andererseits Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, 89.
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Zurechnung zur staatlichen Verwaltung im verfassungsrechtlichen Sinn geht.85 Anderes kann für spezielle Zurechnungsfragen, etwa im Bereich der Grundrechte oder der Grundfreiheiten des EGV gelten.
B. Österreichisches Normungsinstitut (ON) 1. Allgemeines Das Österreichische Normungsinstitut (ON) ist ein Verein86 nach dem Vereinsgesetz 1951, der aus dem 1920 in Wien gegründeten „Österreichischen Normenausschuss für Industrie und Gewerbe“, ÖNIG, hervorgegangen ist. Sein Zweck ist es, „auf gemeinnütziger Basis eine Vereinfachung der wirtschaftlichen Tätigkeit durch Aufstellung von Regeln, durch Vereinheitlichung von Begriffen, Formen und Abmessungen sowie durch Auswahl von Verfahren und Mustern (Normalisierung, Simplifizierung und Typisierung)“ herbeizuführen und so technische Handelshemmnisse abzubauen. Dieses Ergebnis ist unter anderem durch „Schaffung, Veröffentlichung und Verbreitung von österreichischen Normen (ÖNORMEN) ..., Zusammenarbeit mit Organisationen des Inund Auslandes, die gleiche oder ähnliche Ziele verfolgen oder mit dem Normenwesen zusammenhängende Aufgaben behandeln ..., Übernahme oder Empfehlung internationaler und ausländischer Normen und Normungsempfehlungen sowie deren Verbreitung in Österreich ...“ zu erreichen. Das österreichische Normenwesen findet seine Rechtsgrundlage im Normengesetz 1971, mit welchem der Gesetzgeber dem damaligen BM für Bauten und Technik gem § 1 Abs 1 leg. cit. die Ermächtigung erteilte, „...einem Verein, dessen Zweck die Schaffung und Veröffentlichung von Normen und dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn berechnet ist, ... die Befugnis zu verleihen, die von ihm geschaffenen Normen als „Österreichische Normen“ zu bezeichnen.“87 Das österreichische Normungsinstitut erhielt diese Befugnis bescheidmäßig zuerkannt.88 In fachlicher Hinsicht steht das ON gem §9 NormenG unter der Aufsicht des BMWA,89 welcher die erteilte Befugnis zur ausschließlichen Normierungstätigkeit widerrufen kann, wenn entweder die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung nicht mehr vorliegen oder der Verein den mit der Befugnis verbundenen Pflichten trotz nachweisbarer Aufforderung nicht mehr nachkommt. Entsprechend der Konzeption der Normung als autonome Selbstregulierung der beteiligten Wirtschaftskreise ist es primär Aufgabe des Vereins, die notwendigen finanziellen Mittel zu beschaffen. Reicht dies für die Finanzierung der dem ON zugewiesenen Aufgaben nicht aus, so ist zusätzlich eine Unter-
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Holoubek (FN 83) 35; ebenso wenig ist die Tätigkeit des ON der Staatsfunktion Gesetzgebung zuzurechnen. Gem. § 5 der Statuten des ON können alle physischen und juristischen Personen und sonstigen Rechtsträger, die sich mit den Zielen und Aufgaben des Vereines identifizieren, ordentliche Vereinsmitglieder sein. § 1 Abs 1 Normengesetz 1971, BGBl. Nr. 240/1971. Siehe Hartmann (FN 4). Vgl. § 9 NormenG 1971 iVm Anlage L, Z 25 zu § 2 BMG.
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stützung durch die öffentliche Hand vorgesehen.90 Entsprechend den Vereinsstatuten91 erfolgt die Finanzierung durch Mitgliedsbeiträge der ordentlichen Mitglieder, durch den Verkauf von Normen, technischen Regelwerken, Publikationen im Umfeld zur Normung sowie den sonstigen entgeltlichen Dienstleistungen des Vereines, durch Abgeltungen für die Überlassung des Urheberrechts an Normen, technischen Regelwerken und Publikationen, durch Subventionen, durch Spenden und durch sonstige, dem Vereinszweck dienende Veranstaltungen, Leistungen und Tätigkeiten.92
2. Prinzipien der Tätigkeit des ON a) Mitwirkungsprinzip Um dem Anspruch an Normen als von anerkannten Institutionen angenommene, für die wiederkehrende Anwendung bestimmte und den Stand der Technik wiedergebende Dokumente gerecht werden zu können, ist es nötig, dass sie mit Konsens unter möglichst breiter Beteiligung der interessierten und beteiligten Verkehrskreise erstellt werden. § 2 NormenG 1971 bestimmt, dass die Befugnis zur Betrauung eines Vereines mit Normungsvorhaben nur dann erfolgen darf, wenn dieser gewährleisten kann, dass die am Normungsvorhaben interessierten Stellen der Hoheits- bzw Wirtschaftsverwaltung des Bundes und der Länder, einschließlich etwa bestehender selbständiger Wirtschaftskörper, Vertreter der Wissenschaft sowie Standes- oder Interessenvertretungen der Erzeuger wie der Konsumenten, so sie ein Interesse am Normierungsvorhaben aufweisen, teilnehmen. Dementsprechend sieht das ON in seiner vom BMWA als Aufsichtsbehörde genehmigten Geschäftsordnung93 vor, dass die vorgenannten Institutionen, Unternehmen und Personen vor Konstituierung eines die Normungsarbeit leistenden Fachnormenausschusses zur Teilnahme an der Normungstätigkeit einzuladen sind.
b) Konsensprinzip Wiewohl der Fachnormenausschuss nach einer Abstimmung über die Auflage einer neugeschaffenen Norm zum Einspruch durch die Öffentlichkeit bei Vorliegen von weniger als ein Viertel Gegenstimmen bei der Geschäftsführung einen Antrag auf Zulassung eines Mehrheitsbeschlusses stellen kann, ergibt sich aus dem Ausnahmecharakter dieser Vorschrift, dass das Erfordernis der Einstimmigkeit den Grundsatz des Abstimmungsverfahrens bei der Erstellung von Normen darstellt.94
c) öffentliches Einspruchsverfahren Über das bereits genannte Mitwirkungsprinzip hinaus dient das öffentliche Einspruchsverfahren dazu, vor Verabschiedung und Herausgabe einer neuen Norm diese einer breiten Öffentlichkeit zur Einsichtnahme zugänglich zu machen, damit diese zu den 90 91 92
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Zu den im Rahmen der Novelle 1971 getroffenen Maßnahmen vgl. oben, V.A. Vgl § 3 Statuten ON. Zwei Drittel des Budgets des ON wird durch den Verkauf von Normen eingenommen, zusätzlich können zwei bis drei Prozent des Gesamtbudgets durch Mitgliedsbeiträge acquiriert werden. Der restliche Kapitalbedarf wird je zur Hälfte durch die Wirtschaftskammern im Namen der Vereinsmitglieder und den Bund finanziert. Die Zuwendungen des Bundes bestehen einerseits darin, die Mitgliedsbeiträge bei CEN und ISO zu bezahlen sowie andererseits aus einer unmittelbaren Basiszuwendung an den Verein. Pkt 2.1 der GO des ON. Zum Verfahren und den jeweiligen Abstimmungserfordernissen siehe näher bei V.B.3.a.
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geplanten Normen Einsprüche erheben kann, die vor der endgültigen Verabschiedung der Norm noch berücksichtigt werden können. Solcherart wird sichergestellt, dass die neu zu schaffende Norm von einem möglichst breiten Konsens nicht nur der Teilnehmer am Arbeitsprozess im Fachnormenausschuss sondern auch der breiten Öffentlichkeit getragen wird und daher auch tatsächlich Anwendung und Akzeptanz findet.
3. Aufgaben des ON Laut Statuten und Geschäftsordnung ist es Aufgabe des ON, in organisatorischer wie auch in inhaltlicher Hinsicht, einerseits auf nationaler, andererseits auf europäischer wie auch internationaler Ebene am Normschaffungsverfahren mitzuwirken, sei es durch eigene Facharbeit oder durch Zusammenarbeit mit gleichartigen Organisationen. Neben der originären Aufgabe der Normschaffung selbst, hat das ON darüber hinaus auch damit zusammenhängende Tätigkeiten, wie etwa die Herausgabe, Veröffentlichung und Verbreitung von ÖNORMEN, die Veröffentlichung und Verbreitung ausländischer, europäischer und internationaler Normen, sonstiger technischer Regeln sowie einschlägiger Publikationen durchzuführen und eine die Normung als solche fördernde Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.
C. Das Verfahren zur Erstellung einer „ÖNORM“ 1. Fachnormenausschüsse, Fachnormenunterausschüsse und Arbeitsgruppen Diese Gremien sind für die eigentliche Normungsarbeit zuständig: Zusammengesetzt gemäß dem Normengesetz, d.h. unter Mitwirkung von interessierten, einschlägigen Stellen und Vertretern der Hoheits- und Wirtschaftsverwaltung des Bundes und der Länder, einschließlich etwa bestehender selbständiger Wirtschaftskörper, von Vertretern der Wissenschaft sowie von am Normenwesen interessierten Standesvertretungen als Interessenvertretungen der Erzeuger und Verbraucher95 haben sie die Aufgabe, für ein bestimmtes Fachgebiet ÖNORMEN zu erstellen, die Entwicklungen in ihrem Fachgebiet zu verfolgen, bereits bestehende ÖNORMEN an neue Entwicklungen oder internationale bzw europäische Vorgaben anzupassen und in gleichartigen Gremien regionaler ( z.B. CEN) oder internationaler (z.B. ISO) Normungsorganisationen mitzuarbeiten. Im Rahmen der europäischen Normung kommt den Fachnormenausschüssen die Funktion eines „Spiegelgremiums“ für die jeweiligen CENKomitees zu. In ihnen entsteht die nationale Willensbildung, es wird also jener einheitliche nationale Standpunkt, den die Delegierten in CEN/CENELEC auf europäischer Ebene zu vertreten haben, aus der Vielzahl der Interessen herausgearbeitet und festgelegt. Für ein Tätigwerden eines FNA hat der betreffende Referent des ON gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Fachnormenausschusses bis zum 30. November eines jeden Jahres ein Jahresprogramm für das nachfolgende Jahr zu erstellen, welches vom FNA zu beschließen ist. Dieses hat die zur Bearbeitung vorgesehenen Normvorhaben, diejenigen Normen, die voraussichtlich zum
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§ 2 NormenG 1971.
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Einspruch durch die Öffentlichkeit verabschiedet werden sowie jene Normen zu umfassen, die voraussichtlich ausgedruckt und verabschiedet werden. Die potentiell interessierten Stellen sind schriftlich zur Mitarbeit einzuladen. Werden neue Normen verabschiedet96, so ist diese Tatsache sowohl im elektronischen Listenteil97 der Fachzeitschrift des Normungsinstitutes, “CONNEX“, wie auch im Amtsblatt zur Wiener Zeitung zu veröffentlichen.98 Es wird also bloß die Tatsache des Bestehens einer neuen ÖNORM, nicht deren Text selbst kundgemacht.99
2. Das Verfahren Jede natürliche und juristische Person, die ein Interesse an der Schaffung einer ÖNORM hat, kann die Einleitung des Normungsverfahrens anregen. Sie hat diesfalls einen begründeten Vorschlag über ein gewünschtes Normungsthema bei der Geschäftsführung des ON einzubringen, die über die Aufnahme des Normungsvorschlages in das Arbeitsprogramm entscheidet. Besteht ein fachlich einschlägiger, zuständiger Fachnormenausschuß (FNA), so hat die Geschäftsführung mit diesem das Einvernehmen zu suchen. Besteht noch kein solcher FNA, trifft der Geschäftsführer eine Entscheidung darüber, ob an den Vorstand ein Antrag auf Konstituierung eines neuen FNA gestellt wird. Wird ein FNA mit einem Normungsvorhaben betraut, so hat dieser seine Arbeit grundsätzlich so voranzutreiben, dass das Normierungsvorhaben binnen zweier Jahre abgeschlossen werden kann. Dabei ist darauf zu achten, dass die zu erarbeitenden ÖNORMEN weder mit bestehenden Rechtsvorschriften im Widerspruch stehen, noch dass es zu thematischen Überschneidungen mit oder gar Widersprüchen zu bereits bestehenden ÖNORMEN kommt. Im letzteren Fall ist es Aufgabe der Vorsitzenden sowie der Referenten der betroffenen FNAs, für eine rechtzeitige Koordinierung zu sorgen. Auf Antrag kann auch die Geschäftsführung unter Beiziehung eines Mitgliedes des Präsidiums eine derartige Koordinierungssitzung einberufen. Abgrenzungsfragen sowie Fragen über formale Vorgangsweisen entscheidet das Präsidium über Antrag des Geschäftsführers endgültig. Nach dem Prinzip der Gleichrangigkeit der Mitglieder erarbeiten diese in laufenden Sitzungen und unter Verfassung von Sitzungsberichten in Form von Beschlussprotokollen Entwürfe für ÖNORMEN. Während des Arbeitsvorganges der Erarbeitung der Normentwürfe kann der Mitarbeiterkreis entsprechend den fachlichen Anforderungen erweitert wie auch eingeschränkt werden, eben-
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In der Terminologie der Geschäftsordnung des ON: „ausgedruckt“. Vgl http://www.on-norm.at/publish/connex_listenteil.html. Vgl Pkt. 7. der Geschäftsordnung des ON. Der vollständige Text der Norm kann entweder kostenlos beim ON eingesehen werden, wobei die Möglichkeit der Anfertigung von Abschriften besteht, oder aber käuflich erworben werden. Der Verkauf von Normen stellt eine wichtige Finanzierungsgrundlage des Normungsinstitutes dar. Zu den sich daraus im Zusammenhang mit der Verbindlicherklärung von Normen ergebenden Fragestellungen siehe unten, VI.F.
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so können zur Behandlung spezieller Themen einschlägige Experten zur Beratung herangezogen werden.100 Nach Zustandekommen eines ÖNORMEN-Vorschlages ist dieser zumindest zweimalig zu lesen, wobei der FNA nach der abschließenden Lesung über die Auflage des Normenentwurfes zum Einspruch durch die Öffentlichkeit abstimmt. Es bedarf hierzu der vorherigen Ankündigung in der Tagesordnung der betreffenden Sitzung, der Anwesenheit mehr als der Hälfte der Mitglieder des FNA101 und des Nichtvorliegens von Gegenstimmen,102 damit der ÖNORM-Vorschlag als zum Einspruch durch die Öffentlichkeit verabschiedet gilt. Liegen hingegen Gegenstimmen vor, so ist der ÖNORM-Vorschlag vorläufig abgelehnt. Die Gegenstimme sowie deren Begründung sind im Sitzungsprotokoll zu vermerken. Wurde ein ÖNORM-Vorschlag abgelehnt und betragen die Gegenstimmen aber weniger als ein Viertel der Anzahl der stimmberechtigten Mitarbeiter, so kann der FNA aufgrund eines einfachen Mehrheitsbeschlusses durch die Geschäftsführung beim Präsidium einen Antrag auf Zulassung eines Mehrheitsbeschlusses stellen lassen, wobei bei einer neuerlichen Abstimmung unter Außerachtlassung der Stimmenthaltungen eine Mehrheit von drei Viertel der Stimmen zur Auflage des Normenentwurfes zum Einspruch durch die Öffentlichkeit ausreicht. Bei unveränderter Übernahme von ausländischen oder internationalen Normen (z.B. ISO) oder Normentwürfen sowie Entwürfen zu ÖNORMVornormen103 hingegen genügt schon bei der erstmaligen Abstimmung Dreiviertelmehrheit. Eine nationale Abstimmung hat überhaupt zu entfallen, wenn sich aufgrund von bindenden Regelungen wie z.B. der CEN-Geschäftsordnung ergibt, dass regionale oder internationale Normen aufgrund deren Annahme im regionalen oder internationalen Gremium in das innerstaatliche Normenwerk zu übernehmen sind. Entgegenstehende gesetzliche Bestimmungen bleiben jedoch wirksam. Bei der Abstimmung ist jedes Mitglied des Fachnormenausschusses berechtigt, seine Stimme auf einen anderen Mitarbeiter zu delegieren, wobei ein anwesender Mitarbeiter jedoch insgesamt nicht mehr als drei delegierte Stimmen auf sich vereinen darf.
3. Einspruchsverfahren Im Zuge der Abstimmung über die Auflegung eines Normvorschlages zum Einspruch durch die Öffentlichkeit104 hat der beschließende FNA auch die 100 101
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Zu Beschlussfähigkeit und Mitarbeiterwechsel siehe Pkt 2 der GO ON. Diese Anforderung kann gem. Pkt 4.5.2 der GO entfallen, wenn mindestens 3 Mitarbeiter sowie entweder der Vorsitzende oder ein Stellvertreter anwesend sind und in der Einladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde. Stimmenthaltungen werden dabei nach Pkt 4.5.4 der Geschäftsordnung nicht berücksichtigt. Vgl. Pkt II.B.1. Diese Tatsache wird durch Ankündigung des Titels der Norm im elektronischen Listenteil der Fachzeitschrift „CONNEX“ und unter der Internetadresse des ON (www.on-norm.at), sowie - abhängig von der jeweiligen Norm - in geeigneten Medien bekannt gegeben. Der vollständige Text kann - wie bereits publizierte Normen
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Dauer der Einspruchsfrist festzulegen, wobei eine Mindestfrist von 6 Wochen jedenfalls einzuhalten ist. Während der Dauer der Einspruchsfrist ist jede natürliche oder juristische Person - ausgenommen die Mitarbeiter des zuständigen FNA - berechtigt, Einsprüche zu ÖNORM-Entwürfen zu erheben. Nach deren Ablauf muss der FNA über die eingelangten Einsprüche beraten und kann hiefür den „Einsprecher“ beiziehen. Das Ergebnis der Beratungen wird vom FNA beschlussmässig festgehalten und festgelegt, ob die Norm zum Ausdruck freigegeben wird, ob ein „Schluss-Entwurf“ ohne Einspruchsfrist mit einer Laufzeit von bis zu maximal drei Jahren herausgegeben wird,105 oder ob infolge wesentlicher Änderungen neuerlich ein ÖNORM-Entwurf zum Einspruch durch die Öffentlichkeit aufzulegen ist. Im Falle der Herausgabe eines „Schluss-Entwurfes“ werden bereits bestehende ÖNORMEN zurückgezogen. Stimmen bei der abschließenden Entscheidung über den erhobenen Einspruch drei Viertel der anwesenden Mitglieder für die Annahme des Einspruches, so gilt dieser als angenommen. Der Einsprecher ist, so er bei der Beratung nicht anwesend war, vom Ergebnis der Einspruchsbehandlung schriftlich zu verständigen.
4. Laufende Geschäfte Um gewährleisten zu können, dass sich die ÖNORMEN ständig auf dem aktuellen Stand der Technik befinden, sieht die Geschäftsordnung des ON vor, dass der jeweils zuständige FNA, so er nicht ohnedies laufend tagt, jede ÖNORM nach maximal zweijähriger Laufzeit einer Überprüfung zu unterziehen hat. Anlässlich dieser Überprüfung wird festgelegt, ob die betreffende ÖNORM weiterhin unverändert in Kraft bleiben soll, ob sie zwar in Kraft bleiben, aber doch einer Überarbeitung unterzogen werden soll, oder ob sie mangels Übereinstimmung mit dem Stand der Technik106 zurückzuziehen ist. Wie bei der Neuveröffentlichung von ÖNORMEN gilt auch hier, dass der zuständige FNA für den fachlichen Inhalt der Norm verantwortlich ist.
5. Mitgliedschaft im CEN Wie im Normengesetz vorgesehen107 pflegt das ON die Verbindungen zu ausländischen und internationalen Normungsorganisationen und ist in dieser Eigenschaft das Österreich vertretende Mitglied bei CEN. Im Zuge der Mitarbeit an der europäischen Normung dienen die einzelnen Fachnormenausschüsse des ON als „Spiegelgremien“ zu den jeweiligen technischen Komitees auf der Ebene des CEN, in denen parallel zur Normungsarbeit auf Europaebene im
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auch - entweder beim ON eingesehen oder erworben werden, die Normtexte liegen jedoch auch bei - je nach Norm verschiedenen - Partnerorganisationen des ON zur Einsicht auf. Eine wichtige derartige Partnerorganisation ist etwa die Wirtschaftskammer. Vgl Pkt. 4.7.3 Abs 2 der GO. Unter dem Stand der Technik versteht man ein entwickeltes Stadium der technischen Möglichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt, soweit Produkte, Prozesse und Dienstleistungen betroffen sind. Als Basis dienen die diesbezüglichen gesicherten Erkenntnisse von Wissenschaft, Technik und Erfahrung. [ISO/IEC Leitfaden 2:1996, Begriff 1.4] § 2 Abs 2 Z 8 NormenG.
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nationalen Umfeld an der Festlegung des einheitlichen nationalen Standpunktes gearbeitet wird,108 nach dessen Maßgabe die nationalen Interessen im europäischen Normungsprozess zu vertreten sind.
IV. Europäische Normung A. Die „Neue Konzeption“109 1. Allgemeines Das ursprüngliche Konzept der Kommission, die aufgrund der unterschiedlichen technischen Vorschriften und den damit verbundenen unterschiedlichen Schutzniveaus in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Handelshemmnisse zugunsten eines freien Binnenmarktes zu beseitigen, bestand darin, einzelne Harmonisierungsrichtlinien für jede Produktkategorie zu erlassen. Diesen Plänen folgte jedoch bald die Ernüchterung, da die Inhalte dieser Richtlinien notwendig sehr technisch gehalten sein mussten und überdies nach der damals einschlägigen Kompetenzgrundlage des Artikels 100 EWG-Vertrag Einstimmigkeit vorgeschrieben war. Angesichts der äußerst langsamen Fortschritte bei der Ausarbeitung dieser Richtlinien110 und der Erkenntnis, dass derartige technische Vorschriften mit dem Stand der Technik zumindest Schritt halten müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft nicht zu gefährden, und daher laufend einer Änderung unterzogen werden müssten, begann die Suche nach einem faktisch bewältigbaren Verfahren zur Harmonisierung der technischen Vorschriften. Es kam zur Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die sich mit den Fragen der Beziehung von grundlegenden Sicherheitsanforderungen in Richtlinien und technischen Festlegungen in Normen sowie mit dem Themenkreis des Nachweises der Konformität zu beschäftigen hatte, und die Vorschläge für die Beteiligung der Öffentlichkeit am Normierungsprozess wie auch Mechanismen zur Überwindung allfälliger Schwierigkeiten bei Anwendung des Normenverweises ausarbeiten sollte. Nach Vorliegen der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe folgte zum einen mit der Einheitlichen Europäischen Akte111 die Aufnahme eines erleichterten Erzeugungsverfahrens unter anderem für derartige Richtlinien. Nach Art 95 EG (früher Art 100a EGV) können Richtlinien schon mit qualifizierter Mehrheit verabschiedet werden. Zum anderen legte die „Entschließung über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Nor-
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Zu weiteren Zuständigkeiten der nationalen Normungsorganisationen im Zuge der Ausarbeitung europäischer Normen siehe Kapitel VI. Zu den nach der neuen Konzeption bereits erlassenen Richtlinien siehe Europäische Kommission, Leitfaden für die Umsetzung der nach dem neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Richtlinien(2000), 13. Musterbeispiel ist die sogenannte Rasenmäherrichtlinie (Richtlinie 84/538/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den zulässigen Schalleistungspegel von Rasenmähern), deren Ausarbeitung einen Zeitraum von 7 Jahren beanspruchte. Vgl statt aller Holoubek (FN 47) 91 f. Die Einheitliche Europäische Akte v. 17./28.2. 1986, Abl 1987 L 169/1.
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mung“112 die Grundlage für ein „kooperatives“ Normkonkretisierungsverfahren nach dem Modell einer „regulierten Selbstregulierung“. Die Richtlinien selbst begnügen sich damit, die „grundlegenden Anforderungen“, insbesondere im Hinblick auf Sicherheit, aber auch Umweltgerechtigkeit oder Verbraucherschutzstandards von Produkten sowie das Verfahren zum Nachweis der Normkonformität113 und schließlich ein Schutzklauselverfahren festzuschreiben. Die materielle Konkretisierung der „grundlegenden Anforderungen“ sowie die Einzelheiten des Konformitätsnachweises werden an die Europäischen Normen delegiert. Wesentlich ist dabei, dass der Nachweis der Normkonformität eine - allerdings im Schutzklauselverfahren in Ausnahmesituationen widerlegliche - Vermutung konstituiert, das Produkt entspreche den „grundlegenden Anforderungen“ der Richtlinie. Der Konformitätsnachweis stellt freilich nur den standardisierten „Normalfall“ dar, wie ein Produzent oder ein Händler nachweisen kann, dass sein Produkt den Anforderungen der Richtlinie bzw. der jeweiligen Umsetzungsvorschrift entspricht. Grundsätzlich steht ihm auch die Möglichkeit eines individuellen Einzelnachweises offen, der freilich weiterhin durch mitgliedstaatliche Vorschriften geregelt wird bzw. geregelt werden kann. Mittlerweile ist Normung ein integraler Bestandteil der europäischen Politik zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und zur Beseitigung von Handelshemmnissen geworden. Sie hat sich in diesem Zusammenhang als erfolgreiches Werkzeug erwiesen und soll aus diesem Grund in der europäischen Politik und Rechtsetzung zukünftig noch stärker genutzt werden, unter anderem auch für Bereiche die über den Binnenmarkt für Waren hinausgehen.114 Mit diesem erweiterten Anwendungsbereich für Normen ist die Planung einer eigenen Rechtsgrundlage für die Finanzierung der europäischen Normung115 sowie eine Überarbeitung des Normenteils der Richtlinie 98/34 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften verbunden.116
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Entschließung des Rates vom 7.Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normen, Abl 1985 C 136/1. Der Anhang zur Entschließung des Rates enthält eine „Modellrichtlinie“, die die wesentlichen Inhalte der im Rahmen der „neuen Konzeption“ zu beschließenden Einzelrichtlinien vorgibt. Vgl auch das Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat „ Vollendung des Binnenmarktes“ vom 14.6.1985, KOM(85) 310 endg., 19ff. Vgl. dazu den Beschluß 93/465/EWG des Rates vom 22. Juli 1993, Abl 1993 L 220/23, in welchem die in den einzelnen Richtlinien zu verwendenden, einheitlichen Module zur Konformitätsbewertung festgelegt wurden. Vgl. dazu die Mitteilung der Kommission über die Rolle der europäischen Normung im Rahmen der europäischen Politik und Rechtsvorschriften vom 18.10.2004, KOM(2004) 674 endg. Vgl. dazu den Vorschlag der Kommission für einen Beschluss des Parlaments und Rates über die Finanzierung der europäischen Normung, KOM (2005), 377 endg. KOM(2004) 674 endg 3.
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2. Grundsätze der neuen Konzeption Beim Erlaß von Richtlinien im Bereich der Harmonisierung technischer Anforderungen an Produkte nach den Grundsätzen der „Neuen Konzeption”117 sind die nachfolgenden Grundprinzipien zu beachten: Die nach den Art 95 und 251 EGV erlassenen Harmonisierungsrichtlinien beschränken sich nach der neuen Konzeption darauf, ausschliesslich die an das jeweilige Produkt zu stellenden grundlegenden Sicherheitsanforderungen (oder sonstigen Anforderungen im Interesse des Gemeinwohls) festzuschreiben. Diese Anforderungen finden sich in den Anhängen zu den einzelnen Richtlinien und enthalten alles, was zur Erreichung des Ziels der Richtlinie notwendig ist. Um verkehrsfähig zu sein, müssen die einzelnen Erzeugnisse diesen grundlegenden Anforderungen genügen. Damit ist der freie, ungehinderte Warenverkehr für diese Produkte in der Gemeinschaft gewährleistet. Den europäischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC wird unter Berücksichtigung des Standes der Technologie die Aufgabe übertragen, unter Heranziehung und Berücksichtigung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen technische Spezifikationen auszuarbeiten, die die Beteiligten benötigen, um Erzeugnisse herstellen und in Verkehr bringen zu können, die den in den Richtlinien festgelegten grundlegenden Anforderungen entsprechen. Diese technischen Spezifikationen erhalten keinerlei obligatorischen Charakter, sondern bleiben freiwillige Normen. Der einzelne Hersteller hat somit die Wahl normkonform zu produzieren oder sich eines anderen, ihm geeigneter erscheinenden Verfahrens oder einer andersartigen Produktgestaltung zu bedienen. Ungeachtet des freiwilligen Charakters der harmonisierten Normen haben die einzelnen Produkte - also auch solche, die nicht den Normen konform hergestellt wurden - jedenfalls den in der Richtlinie enthaltenen grundlegenden Anforderungen zu entsprechen, um in Verkehr gebracht werden zu können.
Gleichzeitig werden jedoch die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, bei Erzeugnissen, die nach harmonisierten Normen (bzw. vorläufig nach nationalen Normen) hergestellt worden sind, eine Übereinstimmung mit den in der Richtlinie aufgestellten „grundlegenden Anforderungen” anzunehmen. Bezogen auf die vorgenannte Wahlmöglichkeit des einzelnen Herstellers, die harmonisierten Normen anzuwenden oder nicht, bedeutet dies, dass derjenige, der nicht normkonform produziert, den Beweis fuer die Übereinstimmung seiner Erzeugnisse mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie zu erbringen hat. Abgestellt auf den Inhalt der jeweiligen Harmonisierungsrichtlinie ergibt sich daher folgendes Bild: Die Richtlinie umschreibt ihren Anwendungsbereich und legt notwendigerweise mit unbestimmten Rechtsbegriffen und unter Zuhilfenahme von Generalklauseln die grundlegenden Anforderungen im Hinblick auf Sicherheit, Gesundheit, Umwelt- und Verbraucherschutz fest. Auf dieser Basis erarbeiten CEN/CENELEC europäische Normen, die diese grund117
Richtlinien nach der „Neuen Konzeption“ sind beispielsweise: Niederspannungsgeräte, RL 93/68/EWG; Bauprodukte, RL 89/106/EWG; Maschinen, RL 2006/42/EG; Persönliche Schutzausrüstungen, RL 96/58/EG; Spielzeug, RL 88/378/EWG; Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen, RL 99/5/EG.
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legenden Anforderungen in harmonisierten Normen konkretisieren. Die Mitgliedstaaten trifft nun in weiterer Folge die Pflicht, die harmonisierten Normen in geeigneter Weise innerstaatlich zu übernehmen, sowie das gemeinschaftsweite Inverkehrbringen ebenso wie die Inbetriebnahme solcher, diesen Anforderungen genügender Produkte nicht zu behindern. Abschließend wird in der Richtlinie geregelt, wie der jeweilige Hersteller die Konformität seines Produktes mit diesen grundlegenden Sicherheits- und Umweltanforderungen nachweisen kann. Hervorzustreichen ist, dass die genannten grundlegenden Anforderungen - anders als etwa Richtlinien im Bereich des Umweltschutzes - keine Mindestanforderungen aufstellen, sondern den Richtlinien vielmehr der Anspruch zukommt, abschließende Regelungen aufzustellen,118 die nur noch den jeweiligen sektorspezifischen Anforderungen angepasst werden müssen.119 Dies erfolgt durch Konkretisierung und Anpassung der grundlegenden Anforderungen an die jeweiligen sektorspezifischen Erfordernisse in den technischen Normen, die vom Europäischen Normungsinstitut (CEN) im Zusammenwirken mit den einzelnen nationalen Normungseinrichtungen ausgearbeitet und schließlich - Konsens bei der Abstimmung über die Veröffentlichung der erarbeiteten Norm vorausgesetzt - als „Harmonisierte Normen“ beschlossen und verabschiedet werden. Produkte, die den einschlägigen, (nationalen, in Umsetzung der harmonisierten Normen entstandenen) Normen entsprechen, haben die Vermutung für sich, den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie zu entsprechen.
Die „neue Konzeption“ der Rechtsvereinheitlichung mit Hilfe der Normung bringt somit eine vollständige Harmonisierung in den jeweils betroffenen Sektoren mit sich und verpflichtet daher die Mitgliedstaaten dazu, alle im Widerspruch stehenden nationalen Rechtsvorschriften aufzuheben, wobei die Mitgliedstaaten im allgemeinen auch nicht befugt sind, strengere als in der Richtlinie vorgesehene Vorschriften beizubehalten oder zu erlassen. Allenfalls besteht auf Grundlage der Artikel 28 und 30 EG die Möglichkeit eines „Schutzklauselverfahrens“,120 das den Mitgliedstaaten eine Einschränkung der Verkehrsfähigkeit von Produkten gestattet, wenn zu befürchten steht, das Produkt erfülle entweder nicht die Anforderungen der Richtlinie, es wären die einschlägigen Normen nicht korrekt angewandt worden oder eine Abweichung des Produktes von den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie sei auf einen Mangel der Norm selbst zurückzuführen.121 118 119
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Anselmann, Technische Vorschriften und Normen in Europa, 1991, 34. Die neue Konzeption verbietet den Mitgliedstaaten aber auch eine allzu detaillierte Konkretisierung der grundlegenden Anforderungen im Rahmen der innerstaatlichen Umsetzung, da eine solche wieder die Harmonisierungsabsicht unterlaufen würde. Vgl. unten, Pkt IV.E. Neben der Möglichkeit, ein Schutzklauselverfahren in Anspruch zu nehmen, ist auf die allgemeine, sogenannte Schutzverstärkungsklausel des Art 95 Abs 4 EG hinzuweisen. Diese erlaubt es den Mitgliedstaaten, trotz gemeinschaftsrechtlicher Vollharmonisierung, abweichende, ein höheres Schutzniveau vorsehende, einzelstaatliche Bestimmungen - freilich nur in engen Grenzen - beizubehalten. Grenzen sind einem nationalen Alleingang insoferne gesetzt, als nur solche Vorschriften beibehalten werden können, die „ durch wichtige Erfordernisse iS des Art 30 oder in Bezug auf den Schutz der Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz gerechtfertigt sind“. Die Einschränkung, dass es sich dabei um „wichtige Erfordernisse“ handeln müsse, ist im Sinne der Rechtsprechung zu den Art 28 und 30 EG als Beschränkung auf „zwingende Erfordernisse“ zu verstehen. Will ein Mitgliedstaat nationale Bestim-
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In konsequenter Verfolgung dieses Ansatzes sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, bei unberechtigter Verwendung des CE-Kennzeichens122 sofort einzugreifen und repressive Maßnahmen zu verhängen, die jedoch - insbesondere dem Hersteller und der Kommission gegenüber - genau zu begründen sind. Auf bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten für den Hersteller oder Importeur des betroffenen Produktes ist hinzuweisen.
Eine Stillhalteverpflichtung123 während der Ausarbeitung von EN einschließlich der nachfolgenden Pflicht des Mitgliedstaates, diese nach Verabschiedung in das nationale Normenwerk zu übernehmen, stellt sicher, dass dem europäischen Prozess der Erarbeitung von Normen Vorrang vor nationalen Normierungsvorhaben zukommt.
B. Organisation der europäischen Normung 1. CEN a) Überblick, Entwicklung und Rechtsnatur Im Rahmen des Marshall-Planes und unter der Leitung der OECD wurde am 24. Oktober 1957 mit einer losen Zusammenarbeit zwischen den Direktoren der nationalen Normungsorganisationen begonnen, um auf dem Wege der einheitlichen Normung und im Interesse des wirtschaftlichen Wiederaufbaus Europas eine Steigerung der Produktivität zu bewirken. Die in den ersten drei Resolutionen definierte Zielsetzung124 dieser Vereinigung bestand in der Beseitigung technischer Handelshemmnisse durch gemeinsame europäische Normungsarbeiten. Europaweit einheitliche Normen sollten helfen, den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu erleichtern. In jenen Fällen, in denen es mit den Anforderungen der EU und EFTA in Einklang zu bringen war, erzielte man durch die Übernahme von ISO-Empfehlungen eine wesentliche Erleichterung dieses Angleichungsprozesses. In den Jahren 1975/1976 verlegte diese noch lose Vereinigung ihren Sitz nach Brüssel und konstituierte sich ursprünglich unter der Bezeichnung „Zu-
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mungen beibehalten, so hat er dies der Kommission vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Harmonisierungsmaßnahme zu notifizieren und die Gründe für die Beibehaltung darzutun. Der Entscheidung der Kommission, mit der eine nationale Maßnahme bestätigt oder abgelehnt wird, wurde von der Rechtsprechung des EuGH „konstitutiver Charakter“ zugemessen. Vgl näher mwH Herrnfeld, in Schwarze(Hrsg) EUKommentar, 2000, Art 95, RZ 55 ff.; Breier, Das PCP-Urteil des Europäischen Gerichtshofs, ÖJZ 1994, 794; EuGH Rs 120/78, Cassis de Dijon, Slg 1979, 649; EuGH Rs C-319/97, Antoine Kortas, Slg 1999, I-3143; EuGH Rs C 41/93 Frankreich gegen Kommission, Slg 1994, I-1829. Die Anbringung dieses Kennzeichens, das aus der Buchstabenfolge „CE“ besteht, bescheinigt einem Produkt die Konformität mit sämtlichen Verpflichtungen, die den Hersteller in Bezug auf das Erzeugnis aufgrund der Gemeinschaftsrichtlinien treffen. Eine Stillhalteverpflichtung ist eine von den CEN/CENELEC-Mitgliedern übernommene Verpflichtung, nichts zu unternehmen, weder während der Vorbereitung einer EN oder eines HD noch nach deren Annahme, was die angestrebte Harmonisierung beeinträchtigen könnte, und insbesondere keine neue oder überarbeitete nationale Norm zu veröffentlichen, die nicht vollständig mit einer existierenden EN oder einem HD übereinstimmt. Vgl. 6.1. GOCEN/CENELEC; siehe weiters Griller (FN 16) 266 f. Vgl. näher mwN Zubke-von Thünen (FN 24) 633 f.
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sammengefasste Normungsinstitution in Westeuropa“, später umbenannt in „CEN“, als gemeinnütziger internationaler Verein mit technisch-wissenschaftlichem Charakter nach belgischem Recht. Ursprünglich umfasste dieser Verein lediglich die nationalen Normungsinstitutionen der einzelnen Mitgliedstaaten der EU sowie des EWR-Raumes und der Schweiz. 1992 öffnete die CEN-Generalversammlung einer neuen Kategorie von Mitgliedern den Zugang zu den Gremien des CEN: Diese als „assoziierte Mitglieder“ bezeichneten sozialen und wirtschaftlichen Interessenverbände auf europäischer Ebene haben die folgenden Bedingungen zu erfüllen: • Die Beteiligung an diesen Organisationen muss - unter Beachtung der jeweiligen internen Regeln - allen interessierten Gremien oder Staatsangehörigen aller jener Länder offen stehen, die ein nationales Mitglied im CEN haben. • Sie müssen ein berechtigtes Interesse an der europäischen Normung im allgemeinen oder zumindest in einem größeren Wirtschaftszweig im besonderen aufweisen. • Sie müssen aufgrund ihrer Mitglieder und ihrer inneren Organisation in der Lage sein, sachdienlich und auf repräsentative Weise an den Zielen des CEN mitzuwirken. • Sie müssen sich verpflichten, zur Verwirklichung der Ziele des CEN beizutragen und die Normung zu fördern. Die assoziierten Mitglieder können an den der Beschlussfassung vorausgehenden Debatten teilnehmen und in den sektoralen technischen Büros ihre Standpunkte darlegen. Mangels Stimmrechtes sind sie jedoch nicht in der Lage, an der Beschlussfassung mitzuwirken.
Nach innen bilden privates Satzungs- bzw. Geschäftsordnungsrecht die Rechtsgrundlage für Organisation und Verfahren der europäischen Normung. Nach außen findet sich die Rechtsgrundlage in den zwischen EU und EFTA sowie den europäischen Normungsorganisationen getroffenen Vereinbarungen,125 sowie in Kooperationsverträgen zwischen den Normungsinstituten selbst.126 b) Organe und Einrichtungen des CEN Unter der Leitung des Präsidenten nehmen die Delegationen aller Mitglieder, also der jeweiligen nationalen Normungsorganisationen, an der Generalversammlung als oberstem Gremium und Beschlussorgan des CEN teil. Sie entscheidet über die Aufnahme neuer Mitglieder, über die Mitgliedsbeiträge, über den Haushalt der Organisation und schließlich über Grundsatzfragen der Normenpolitik. Gemäß Art 17 der Satzung darf ein CEN-Mitglied, dem es nicht möglich ist, an einer Sitzung der Generalversammlung teilzunehmen, unter 125
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Zur vertraglichen Grundlage der Zusammenarbeit zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaft und den Europäischen Normungsorganisationen vgl. CEN/CENELEC Memorandum Nr. 4, Allgemeine Leitsätze, http://www.cenelec. org/tools/corporate.htm; Rönck (FN 9) 95ff; Nicolas/Repussard, Gemeinsame Normen für die Unternehmen, 1994, 86ff. Vgl. hierzu das CEN/CENELEC Memorandum Nr. 3, Vereinbarung für die Zusammenarbeit zwischen CEN und CENELEC, http://www.cenelec.org/tools/corporate.htm.
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Einhaltung bestimmter Auflagen ein anderes CEN-Mitglied dazu ermächtigen, in seinem Namen zu handeln und abzustimmen. Diese Delegationsmöglichkeit wird jedoch dadurch beschränkt, dass ein Mitglied nur ein weiteres mit vertreten darf. Der Verwaltungsrat des CEN setzt sich aus den Direktoren der nationalen Normungsinstitutionen zusammen und entscheidet über allgemeine Fragen des Tätigwerdens des CEN. Seine Entscheidungen unterliegen jedoch der nachträglichen Überprüfung durch das höchste Vereinsorgan, die Generalversammlung. Das unter der Leitung des Generalsekretärs stehende Zentralsekretariat befindet sich am eingetragenen Sitz des CEN und organisiert das Tätigwerden des CEN.127 Der Generalsekretär selbst ist darüber hinaus für die Ausführung der Beschlüsse der Generalversammlung, des Verwaltungsrates sowie der von diesen eingesetzten Ausschüsse verantwortlich. Daher sind auch Vertreter des Zentralsekretariates zu den Sitzungen der anderen Organe des CEN grundsätzlich zugelassen. Das Technische Büro (BT) besteht aus dem Präsidenten und/oder dem(den) Vizepräsidenten sowie einem ständigen Delegierten jedes Mitgliedes, dem die Aufgabe zukommt, dieses effektiv zu vertreten. Die Sitzungen des BT finden unter der Leitung des Präsidenten oder eines Vizepräsidenten statt. Der Aufgabenbereich des BT liegt in der Koordinierung, Steuerung, Organisation und Überwachung der Arbeitsverfahren sowie der Ausarbeitung und Planung des Normenprogrammes. In diesem Rahmen kommt dem BT etwa die Entscheidungsbefugnis über die Aufnahme von Normenprojekten in das Arbeitsprogramm des CEN, weiters die Einrichtung oder Auflösung eines Technischen Komitees oder die Auflage beziehungsweise Aufhebung einer Stillhalteverpflichtung für die Mitgliedstaaten zu. Das BT prüft neue Projekte, den Fortschritt der Normungsarbeit und stellt so unter anderem die größtmögliche Koordination zwischen den einzelnen Technischen Komitees sicher. Ein Überlappen einzelner Normungsarbeiten in fachlicher Hinsicht wird dadurch verhindert.128 Vertreter der EU-Kommission und des EFTA-Sekretariates sowie - vertragliche Vereinbarungen vorausgesetzt - Vertreter anderer Organisationen können als Beobachter den Sitzungen des BT beiwohnen. Der Vorsitzende darf darüber hinaus in besonderen Fällen Fachleute zur Teilnahme an den Sitzungen einladen.
Je nach konkretem Erfordernis können von der Generalversammlung, vom Technischen Büro oder vom CEN/CENELEC-Präsidialausschuß Programmkomitees eingerichtet werden, damit diese die Planung und Programmgestaltung der Normungstätigkeit innerhalb eines bestimmten, abgrenzbaren Bereiches umfassend koordinieren. Sie arbeiten dabei in der Eigenschaft von Beratern, die ihre Empfehlungen an das übergeordnete Gremium129 richten. Ziel 127 128
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So nimmt es etwa auch die Funktionen des Sekretariates des Technischen Büros wahr. Vgl. GOCEN/CENELEC 2.1.2. Über die bereits genannten Kompetenzen hinaus kommen dem BT noch weitere, in Pkt. 2 des Zweiten Teiles der Geschäftsordnung (Gemeinsame Regeln für die Normungsarbeit) aufgezählte Befugnisse und Aufgaben zu. Das ist jenes Gremium, welches das Programmkomitee jeweils im Einzelfall einrichtet, also die Generalversammlung, das Technische Büro oder der Präsidialausschuss.
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dieser Empfehlungen hat dabei zu sein, dass binnen annehmbarer Frist zusammenhängende und widerspruchsfreie Normen erstellt werden können. Auf dem ihnen zugewiesenen Gebiet haben die Programmkomitees das Normungsprogramm, also ein Arbeitsprogramm beinhaltend die laufenden Arbeitsthemen der Normungstätigkeit zu erstellen und dieses mindestens einmal jährlich fortzuschreiben. Dabei sind nachfolgende Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen: • Vorhandene ISO/IEC-Normen werden als EN oder HD angenommen • Die Ergebnisse von ISO/IEC auf demselben Gebiet werden abgewartet • Die Normungstätigkeit wird mit der Absicht begonnen, das Ergebnis an ISO/IEC weiterzugeben • Normungsarbeit wird nicht aufgenommen bzw bereits laufende Arbeiten werden eingestellt Jedes CEN/CENELEC-Mitglied hat das Recht, ein Mitglied des Programmkomitees zu bestimmen. Um sicherzustellen, dass der Bedarf an europäischer Normung auch zielsicher erhoben und bewertet werden kann, ist vorgesehen, dass diese Mitglieder der oberen Managementebene der interessierten Kreise zu entstammen haben. In den Technischen Komitees (TC, Comités Techniques), welche je nach Bedarf vom Technischen Büro eingesetzt oder aufgelöst werden, findet die eigentliche Normungstätigkeit statt. Jedem CEN/CENELEC- Mitglied als gleichzeitigem Mitglied der TCs steht das Recht zu, seine Delegierten in die Technischen Komitees zu entsenden. Es sollte dabei darauf geachtet werden, dass pro TC und pro Mitglied nur maximal drei Delegierte gleichzeitig an den Sitzungen teilnehmen. Nach dem Prinzip der territorialen Repräsentation und damit ein rascher Fortschritt bei der Normungstätigkeit gewährleistet werden kann, ist jedes Mitglied dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Delegationen einen jeweils einheitlichen nationalen Standpunkt als Ergebnis eines nationalen Meinungsbildungsprozesses unter Beteiligung aller von der Arbeit in einem Staat betroffener Fachkreise vertritt. Der Aufgabenbereich der einzelnen TC liegt in der Erarbeitung von Normenentwürfen für einzelne Produkte bzw Produktarten in dem ihnen jeweils zugewiesenen Fachgebiet, wobei jedes Technische Komitee zur Erfüllung dieser Aufgaben ein Arbeitsprogramm aufzustellen hat, das für jedes Projekt genaue Angaben über Titel, Anwendungsbereich und Zieldaten für die kritischen Stufen enthält und mindestens einmal jährlich zu überprüfen ist. Dieses Programm bedarf der Zustimmung des BT. Im Rahmen der eigentlichen Normungsarbeit sind die TC gehalten, sämtliche ihre Arbeit betreffenden internationalen und nationalen Normungsarbeiten wie auch solche aus verwandten Gegenständen zu berücksichtigen. Hat ein Technisches Komitee schließlich alle ihm zugewiesenen Aufgaben erfüllt und wurde die Norm verabschiedet, so behält es seine Zuständigkeit zur Änderung und Auslegung sowie zur periodischen Überprüfung derselben. Bei der Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben können sich die Technischen Komitees der sogenannten Arbeitsgruppen und Unterkomitees bedienen, welche zur Erledigung bestimmter, kurzfristiger Aufgaben innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne eingerichtet werden dürfen. Die formell eingerichteten Arbeitsgruppen, die aus einzelnen zumeist vom übergeordneten Technischen Komitee bestellten Mitgliedern bestehen, haben von diesem jeweils klare Handlungsvorgaben zu erhalten und sind in der Regel nach Beendigung der gestellten Aufgaben wieder aufzulösen.
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Hat ein TC ein großes Arbeitsprogramm zu erledigen, sind für unterschiedliche Teile dieser Arbeit unterschiedliche Kenntnisse notwendig und erfordert der Umfang der besonderen Arbeiten eine Koordinierung über eine lange Zeitspanne hinweg, so kann das TC - Zustimmung durch das Technische Büro vorausgesetzt - Unterkomitees einrichten. Die Mitglieder dieser Unterkomitees sind gleich wie bei den TC die CEN/CENELEC-Mitglieder und unterliegen hinsichtlich ihrer Verpflichtungen denselben Vorschriften wie die Mitglieder der TCs.
Entsprechend der Eigenschaft als europäische Normungsorganisation bestimmt die Geschäftsordnung von CEN/CENELEC130 die Sprachen Englisch, Französisch und Deutsch als die drei offiziellen Sprachen des Komitees, in denen sämtliche Normen und deren Entwürfe auszuarbeiten sind.
2. CENELEC (Comité Européen de Normalisation Électrotechnique) Diese Schwesterorganisation des CEN ging 1973 aus den beiden internationalen Organisationen CENELCOM und CENEL hervor. Sie wurde 1976 als belgischer privatrechtlicher Verein zur Vereinigung der nationalen elektrotechnischen Normungsorganisationen umstrukturiert. Im Rahmen des gemeinsamen Zieles der Vereinheitlichung der Normung im europäischen Raum und des Abbaues möglicher durch unterschiedliche Normen bestehender Handelshemmnisse kommt CENELEC die Aufgabe der Normung auf dem Gebiet der Elektrotechnik zu. So hatte sich CENELEC beispielsweise dazu bereit erklärt, die Harmonisierung jener Normen zu übernehmen, die zur Ausfüllung der sogenannten Niederspannungsrichtlinie nötig waren. Da die Geschäftsordnung von CEN und CENELEC Organisation und Verfahren der beiden Vereine gemeinsam regelt, ist hinsichtlich der Erfüllung der CENELEC zukommenden Aufgaben und seiner Organe auf die bereits dargestellten Regelungen und Organisationsvorschriften des CEN zu verweisen.131 Unterschiede in der Organisation bestehen lediglich im Bereich der Mitgliedschaft insoferne, als seine Mitglieder anstatt der nationalen Normungsorganisationen die jeweiligen elektrotechnischen Komitees in den Mitgliedstaaten sind. Im Unterschied zu CEN nimmt CENELEC jedoch erst dann selbst Normungsarbeiten auf, wenn keine geeigneten internationalen Normen zur Verfügung stehen.
3. Gemeinsame Facharbeit 132 In den Fällen, in denen elektrotechnische und nichtelektrotechnische Gebiete gemeinsame Aspekte haben und die Gefahr einer Doppelarbeit gegeben ist, setzt der gemeinsame Präsidialausschuss von CEN/CENELEC nach Konsultation aller Mitglieder gemeinsame Technische Komitees oder gemeinsame Arbeitsgruppen ein, um Harmonisierungsaufgaben durchführen zu lassen.
4. ETSI133 Bis zum Jahre 1988 wurde die technische Normung auf dem Gebiet der Telekommunikation zuerst durch die nationalen Fernmeldeverwaltungen, ab 1959 130 131 132 133
Pkt. 3.2 GO CEN/CENELEC. Dies gilt insbesondere auch für die drei offiziellen Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch. Art 9. GOCEN/CENELEC. European Telecommunications Standards Institute.
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durch die „Konferenz der Post- und Fernmeldeverwaltungen“ (CEPT)134 wahrgenommen. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass diese Organisation den Anforderungen der Verwirklichung des Binnenmarktes bis Ende 1992 nicht gewachsen sein würde. Im Anschluss an das „Grünbuch Telekommunikation“135 der Kommission aus 1987 wurde mit 31. 3. 1988 das ETSI gegründet und 1992 von der Kommission der Europäischen Union als europäische Organisation zur Erstellung von Telekommunikationsnormen anerkannt. Abweichend von der Organisationsstruktur von CEN/CENELEC ist das ETSI in der Form eines nicht gewinnorientierten Vereins nach dem französischen Gesetz vom 1. Juli 1901 und dem Dekret vom 16 August 1901 gebildet und hat seinen Sitz in Sophia-Antipolis, Frankreich. Die satzungsmäßige Aufgabe des ETSI besteht darin, jene technischen Normen zu entwerfen und zu überarbeiten, die von den Mitgliedern des Institutes benötigt werden, also jene, die zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und zu diesen verwandten Diensten benötigt werden.136 Ähnlich wie auch CEN/CENELEC sieht die Satzung des ETSI auf der internationalen Ebene eine weitgehende Orientierung an den Ergebnissen der internationalen Normung, insbesondere den Normungsergebnissen der ITU, vor.
C. Ablauf des Normungsverfahrens 1. Prinzipien Wie bei nationalen Normungsverfahren sind auch bei der Normung durch CEN/CENELEC die grundlegenden Prinzipien einer effektiven Normung zu beachten:137 • Sicherung der Interessen aller beteiligter Kreise durch entsprechende Repräsentation in den nationalen Lenkungs- und Normungsgremien. • Ein auf nationaler Ebene durchgeführtes, öffentliches Einspruchsverfahren soll die allgemeine Möglichkeit zur Mitarbeit eröffnen und so die Transparenz der Norm bewirken. • Höhere Akzeptanz der Normen durch grundsätzliche Anstrebung von Einstimmigkeitsbeschlüssen und Konsens bei sämtlichen Beschlüssen. • Freiwillige Teilnahme am Normungsprozess und freiwillige Anwendung harmonisierter europäischer Normen. • Stand der Technik wird durch die Mitwirkung von ehrenamtlichen Experten aus sämtlichen Mitgliedstaaten sowie der Möglichkeit des Einspruches durch die Öffentlichkeit erreicht. • Größtmögliche Breitenwirkung durch Heranziehung und Übernahme internationaler Normungsergebnisse, sofern möglich und geeignet. • Technische Kohärenz und Abbau von Handelshemmnissen durch Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Übernahme europäischer Normen in das 134 135 136 137
Conférence Européenne des Administrations des Postes et des Télécommunications. KOM (87) 290 endg. Vgl. Art 1 Statuten ETSI; http://portal.etsi.org/directives/home.asp. Vgl. Zubke-von Thünen (FN 24) 644ff.
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innerstaatliche Normenwerk sowie zur Zurückziehung entgegenstehender Normen. Grundsätzlich können die nationalen Mitgliedorganisationen, jedes CEN/CENELEC-Fachgremium, die Kommission der Europäischen Union, das EFTA-Sekretariat, eine internationale Organisation, sowie jede europäische Wirtschafts-, Berufs-, Fach- oder Wissenschaftsorganisation dem Zentralsekretariat Vorschläge für die Aufnahme neuer Normungsarbeiten unterbreiten, die dieses an das Technische Büro weiterleitet. Die Entscheidung über die weitere Vorgangsweise steht dann dem Technischen Büro zu, welches sich hiefür eines vom Programmkomitee entwickelten Planes sowie sämtlicher einschlägiger Informationen bedienen kann. Wird die Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit der Aufnahme eines neuen Normungsthemas bejaht, so ist nach bereits bestehenden internationalen Normen, die für eine Übernahme - allenfalls unter Anpassung oder Vervollständigung - geeignet erscheinen, zu suchen. Dabei sind primär ISO/IEC-Normen heranzuziehen, subsidiär ist es dem Technischen Büro oder dem zuständigen Technischen Komitee oder seinem Sekretariat gestattet, ein anderes geeignetes Dokument als Grundlage für die auf Ausarbeitung einer EN oder eines HD gerichtete Normungsarbeit heranzuziehen. Den wichtigsten Fall stellt aber das „Mandat“ der Kommission im Rahmen der „Neuen Konzeption“ dar. Dabei kann die Kommission auf Basis der Richtlinie über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften138 sowie der auf deren Grundlage erarbeiteten „Allgemeinen Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und CEN/CENELEC“139 an CEN/CENELEC ein Mandat zur Erarbeitung einer harmonisierten Norm erteilen, deren Ziel es ist, die in der Harmonisierungsrichtlinie enthaltenen grundlegenden Anforderungen insoferne zu konkretisieren, dass bei Einhaltung der Norm den grundlegenden Anforderungen zweifelsfrei entsprochen wird. Die solcherart ausgearbeiteten Normen sind von der Kommission mit Hinweis auf die der Norm zugrunde liegende Richtlinie im Amtsblatt Nr. C zu veröffentlichen.140 Für die Entstehung einer EN oder eines HD sind drei Wege gangbar: Sie können Ergebnis des Fragebogenverfahrens, der Arbeit eines Technischen Komitees oder einer Kombination aus beidem sein.
2. Fragebogenverfahren Liegt ein neues bzw ein überarbeitetes und zur Übernahme geeignetes Referenzdokument vor, so kann sich das BT ohne Befassung eines Technischen Komitees des sogenannten Fragebogenverfahrens bedienen, um zu evaluieren, ob genügend Interesse an der Harmonisierung des vorgeschlagenen Gegenstandes besteht, in welchem Grad eine nationale Harmonisierung mit dem Referenzdokument bereits besteht, und ob dieses Dokument als EN, HD oder ENV annehmbar erscheint. Je nachdem, ob ein neues Referenzdokument oder ob ein überarbeitetes, dessen vorige Ausgabe bereits als EN oder HD angenommen 138 139 140
RL 83/189/EWG idF der RL 98/34/EG. Vgl. CEN/CENELEC Memorandum Nr. 4. Vgl. Korinek (FN 31) 323f.; Anselmann (FN 114) 84ff.
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worden war, vorliegt, wird im ersten Fall der „Erstfragebogen“, im zweiten Fall der „Fortschreibfragebogen“ versandt. So kein anderslautender Beschluss des BT vorliegt, beginnt mit dem Tag der Versendung des Fragebogens die Verpflichtung zur Stillhaltung, die es den CEN/CENELEC-Mitgliedern verbietet, eine neue oder überarbeitete Norm herauszugeben, die nicht völlig mit der EN oder dem HD übereinstimmt. Die Mitgliedstaaten haben binnen einer Frist von drei bzw sechs Monaten in ihren Antworten Abänderungsvorschläge oder Anträge auf nationale Abweichungen einzubringen und diese ausführlich zu begründen und insbesondere im Einzelnen den Einfluss nationaler Vorschriften, insbesondere eines Prüfungs- oder Zulassungszwanges auf die Harmonisierung zu erläutern.141 Beantragen während des Frageverfahrens mindestens drei Mitglieder die Harmonisierung, so ist dies ausreichend, um ein Interesse an der Harmonisierung als gegeben zu betrachten. Die zum Fragebogen eingegangenen Stellungnahmen bilden die Entscheidungsgrundlage für den weiteren Verlauf des Normungsverfahrens. Das BT oder das Technische Komitee - je nach Zuständigkeit - greifen bezüglich ihrer Entscheidung der Annahme oder der Zurückweisung von Stellungnahmen auf diese zurück, um zu einer der nachfolgenden Entscheidungen zu kommen: • Bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird, werden die Stellungnahmen an ein Technisches Komitee, ein Berichter-Sekretariat oder eine besondere Ad hocGruppe verwiesen, um so fachlichen Rat einzuholen. • Das Referenzdokument wird zur formellen Abstimmung gestellt, ob es als EN, HD oder ENV angenommen werden kann. • Das Referenzdokument erfordert weitere Facharbeit, die an ein bestehendes oder neu zu errichtendes Fachgremium vergeben wird. • Eine Harmonisierung ist infolge ungenügenden nationalen Interesses nicht möglich oder nicht notwendig. In diesem Fall wird dem Technischen Büro vorgeschlagen, die Stillhalteverpflichtung aufzuheben. • Ein CEN/CENELEC-Bericht wird herausgegeben, um aus erster Hand Informationen über die Harmonisierungssituation zu geben. Das Technische Büro hat über den Fortbestand der Stillhalteverpflichtung zu entscheiden.
3. Verfahren in den technischen Komitees Voraussetzung für ein Tätigwerden des TC ist, dass kein internationales Bezugsdokument in der vorliegenden Fassung angenommen werden kann. In den Technischen Komitees wird in den oben bereits näher dargestellten Gremien an der Erstellung eines Normentwurfes gearbeitet. Die von den TC erstellten Arbeitsentwürfe werden dabei entweder zur Beratung in den Sitzungen des TC oder zur schriftlichen Stellungnahme oder Abstimmung verteilt. Ziel dieser Vorgangsweise ist, dass schließlich die wesentliche, vorzugsweise einhellige Zustimmung zu einem Arbeitsentwurf erreicht wird142 und dieser Entwurf als EN oder HD angenommen werden kann. Bei Vorliegen eines solcherart angenommenen Entwurfes wird dieser vom Technischen Komitee an das CEN/CENELEC Zentralsekretariat weitergeleitet, wo der Entwurf eine
141 142
GO CEN/CENELEC, 4.2.6. GO-CEN/CENELEC, 4.3.3.
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Nummer als prEN143 oder prHD144 erhält. Im Anschluss daran leitet das Zentralsekretariat das CEN/CENELEC-Umfrageverfahren ein. Kann ein TC innerhalb des von ihm im Rahmen des Arbeitsprogrammes ausgearbeiteten und vom Technischen Büro genehmigten Zeitrahmens keinen Entwurf einer EN oder eines HD fertig stellen oder aus anderen Gründen die Arbeit an einem Normprojekt nicht mehr weiterführen, so hat es einen Situationsbericht zu erstellen und diesen dem BT auszuhändigen. Sinn und Zweck dieses Situationsberichtes ist es, den Stand des Ausarbeitungsverfahrens einschließlich einer Darstellung der Punkte der Übereinstimmung oder Meinungsverschiedenheiten sowie Informationen über die Natur der während der Arbeit aufgetretenen hemmenden Ursachen zu unterbreiten und eine Abschätzung vorzunehmen, ob innerhalb einer zu bestimmenden Verlängerungsfrist mit dem Normungsziel nützlichen Ergebnissen gerechnet werden kann. Das BT hat diesen Bericht zu beraten und anschließend darüber zu entscheiden, ob die Arbeit mit neuen Zieldaten fortgesetzt wird, und in jedem Fall festlegen, ob es einen CEN/CENELECBericht zur Herausgabe an die Mitglieder oder andere, außerhalb von CEN/CENELEC stehende Gremien oder Organisationen autorisieren will.
4. CEN/CENELEC-Umfrage Als Grundlage dieses Umfrageverfahrens wird der Normentwurf an sämtliche Mitglieder verteilt, damit diese binnen üblicherweise145 sechs Monaten die Stellungnahmen der Öffentlichkeit einholen. Dazu ist in Österreich die Neuerscheinung von CEN-Entwürfen im elektronischen Listenteil der Zeitschrift „CONNEX“ zu verlautbaren, um auf diesem Wege die Öffentlichkeit zur Abgabe von Stellungnahmen einzuladen. Langen beim Österreichischen Normungsinstitut derartige Entwürfe ein, werden diese zur Erarbeitung der Stellungnahme dem zuständigen Fachnormenausschuss oder den vom FNA hierzu bestimmten Mitgliedern übergeben. So auf einem bestimmten Fachgebiet kein FNA eingerichtet ist, sollen nach Möglichkeit einschlägige Fachleute mit der Aufgabe der Erarbeitung der Stellungnahme beauftragt werden. Ergeben die bei CEN/CENELEC eingelangten Ergebnisse des Umfrageverfahrens eine ausreichende, vorzugsweise einstimmige Zustimmung zum Inhalt des Entwurfes,146 so erarbeitet das Sekretariat des TC - unbeschadet der Durchsicht der eingegangenen fachlichen Stellungnahmen durch das TC - eine endgültige Textfassung, die schließlich angenommen werden soll. Ist jedoch aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen ersichtlich, dass für die Verabschiedung des Entwurfes als EN oder HD keine hinreichende Zustimmung besteht, so kann das TC beschließen, eine zweite Umfrage durchzuführen, die üblicherweise147 zwei, höchstens aber vier Monate dauert. Führt auch diese zweite Umfrage nicht zu der angestrebten Mehrheit bzw. Einstimmigkeit, so darf kein weiteres Umfrageverfahren mehr durchgeführt werden. Ist also ersichtlich, dass ein vorgeschlagener Text nicht die für die Veröffentlichung als EN hinreichen-
143 144 145 146 147
Projet EN, Europäischer Norm-Entwurf bei CEN/CENELEC. Projet HD, Europäischer Harmonisierungsdokument-Entwurf bei CEN/CENELEC. Vgl. GO CEN/CENELEC Pkt. 4.8.3 Vgl. GO CEN/CENELEC Pkt. 4.3.7 Vgl. GO CEN/CENELEC Pkt. 4.3.8
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de Zustimmung erlangen wird, sofern nicht „B-Abweichungen“148 hinzugefügt werden, soll die Erstellung eines HD in Betracht gezogen werden.
5. Annahme von EN und HD Die Annahme des endgültigen Wortlautes eines Europäischen Norm-Entwurfes (prEN) oder eines Harmonisierungsdokument-Entwurfes (prHD) erfolgt durch eine formelle Abstimmung innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Versendung der Abstimmungsformulare, die zusammen mit dem endgültigen Wortlaut in den drei Sprachfassungen an die Mitglieder verteilt werden, bei welcher die abgegebenen Stimmen der Mitglieder nach einem festgelegten Schlüssel zu gewichten149 sind. Entsprechend der Zielsetzung, Normen effektiv zu harmonisieren, haben die Mitglieder bei der Abstimmung Nein-Stimmen zu begründen und Pro-Stimmen jedenfalls unbedingt abzugeben.
Ist das Ergebnis der Abstimmung positiv und wurde keine Berufung eingelegt,150 so hat das BT die Annahme der EN oder des HD festzustellen, und die Termine für die nationale Übernahme, das Datum für die Zurückziehung entgegenstehender nationaler Normen sowie das Datum für die Veröffentlichung von identischen nationalen Normen oder Anerkennungen festzulegen.151 Ist das Abstimmungsergebnis allerdings negativ, so hat das BT über die weitere Vorgangsweise zu entscheiden und festzulegen, ob die Stillhalteverpflichtung aufgehoben wird.
148
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Nationale Abweichungen von einem Harmonisierungsdokument, die auf besonderen technischen Anforderungen beruhen und die für eine bestimmte Übergangsfrist noch erlaubt sind, werden in der Terminologie der Geschäftsordnung von CEN/CENELEC als „B-Abweichungen“ bezeichnet. Vgl. Pkt 3.1.10 der Geschäftsordnung von CEN/CENELEC und unter Punkt 8. Zur Verteilung des Stimmgewichtes siehe GO CEN/CENELEC, Pkt. 5.1.4 f.: So kommen den Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Italien sowie dem Vereinigten Königreich je 10 Stimmen zu, Spanien besitzt 8 Stimmen, Belgien, die Niederlande, Griechenland, Portugal und die Schweiz je 5 Stimmen. Österreich und Schweden beteiligen sich je mit 4 Stimmen an der Abstimmung, während Dänemark, Finnland, Irland und Norwegen durch je 3 Stimmen repräsentiert werden. Luxemburg besitzt 2, Island nur eine Stimme. Ist ein Mitglied der Meinung, ein Tätigwerden oder ein Unterlassen eines Gremiums oder Funktionärs von CEN/CENELEC sei nicht in Übereinstimmung mit der Satzung oder der Geschäftsordnung oder sei in anderer Weise nicht mit den Zielen von CEN/CENELEC vereinbar oder in Bezug auf die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes, in Bezug auf Sicherheit, Umweltschutz oder Gesundheit nicht mit den vorgegebenen Zielen im Einklang, so kann es binnen zweier Monate ab Erhalt des Sitzungsberichtes oder des Abstimmungsergebnisses unter Beifügung einer ausführlichen Begründung Einspruch beim Generalsekretär einlegen. Siehe hierzu näher Anhang A der GO. Die relevanten Daten sind: dor: Datum der Ratifizierung. Von diesem Zeitpunkt an gilt die Norm als angenommen; dav: Datum der Verfügbarkeit. Datum, zu dem der endgültige Text einer angenommenen EN/HD in den offiziellen Sprachfassungen vom Zentralsekretariat verteilt wird; doa: Datum der Ankündigung. Spätestes Datum, zu dem das Vorhandensein einer EN/HD oder ENV auf nationaler Ebene angekündigt werden muss; dop: Datum der Veröffentlichung. Spätestes Datum, zu dem eine EN auf nationaler Ebene durch Veröffentlichung einer identischen nationalen Norm oder durch Anerkennung übernommen werden muss; dow: Datum der Zurückziehung. Zu diesem müssen nationale Normen, die einer EN/HD entgegenstehen, zurückgezogen werden; vgl. GO CEN/CENELEC 3.1.11-15
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Bei der Auswertung der eingelangten Stimmen ist so vorzugehen, dass zuerst die Stimmen der Mitglieder zu zählen sind. Der Normungsvorschlag ist angenommen, wenn mindestens 77% der gewichtet abgegebenen Stimmen für die Annahme des Vorschlages sind. Wurde diese Mehrheit von 77% jedoch nicht erreicht, so werden die Stimmen der EU-Staaten gesondert gezählt. Der Vorschlag wird auch dann angenommen, wenn unter Berücksichtigung der Stimmgewichtung mindestens 77% der abgegebenen Stimmen dieser Länder Ja-Stimmen sind. In diesem Fall werden allerdings nur die EU-Staaten sowie diejenigen EFTA-Staaten gebunden, die dem Entwurf zugestimmt haben. Stimmenthaltungen sind bei der Abstimmung nicht zu berücksichtigen.
6. CDL-Verfahren ( Normenkontrollverfahren) Innerhalb der vorgenannten Frist von sechs Monaten zur Einholung der Stellungnahmen der Öffentlichkeit hat auch die erste Prüfung des Entwurfes im CDL-Verfahren durch die Normenprüfstelle152 stattzufinden. Das CDL, die Normenprüfstelle, wurde als Beratungsgremium eingesetzt, um den Redaktionskomitees der TC und anderen, Normen erstellenden Gremien bei der Gestaltung von Normen und Bearbeitung redaktioneller Stellungnahmen zu helfen. Die erste Prüfung der Norm läuft parallel zur CEN/CENELEC-Umfrage, die zweite derartige Überprüfung einer zu verabschiedenden Norm findet im Vorfeld der formellen Abstimmung statt. Der Normenprüfstelle kommt bei dieser Überprüfung keine Kompetenz zu, über den fachlichen Inhalt der Norm zu beschließen, sie kann jedoch zur Übereinstimmung des Normentwurfes mit den PNE-Regeln153 sowie dazu Stellung nehmen, ob der fachliche Inhalt einer prEN oder eines prHD mit einer bereits bestehenden, veröffentlichten EN/HD in Widerspruch steht oder diesbezüglich überflüssige Parallelaussagen enthält.
7. Einstufiges Annahmeverfahren (UAP) Begründet ein Dokument welchen Ursprunges auch immer die Vermutung, es könne dieses Schriftstück ohne weiteres auf europäischer Ebene als Norm angenommen werden, so kann nach Einleitung durch das Zentralsekretariat für ein solches „Referenzdokument“ eine schnelle Annahme als EN oder HD erreicht werden, indem das Fragebogenverfahren sogleich mit der Abstimmung verbunden wird. Handelt es sich um ein Dokument eines technischen Komitees, so verbindet das einstufige Annahmeverfahren das Umfrageverfahren mit der formellen Abstimmung. Wird ein positives Abstimmungsergebnis erzielt, so informiert das Zentralsekretariat die Mitglieder des technischen Büros über die Termine für Verfügbarkeit und Übernahme, ohne den beschlossenen Text noch einmal zu verteilen. Die Annahme des Ergebnisses gilt als Ratifizierung. Zur selben Zeit haben das technische Komitee oder die Berichter-Sekretariate in Zusammenarbeit mit der Normenprüfstelle die eingelangten redaktionellen Stellungnahmen zu prüfen und spätestens zum Termin der Verfügbarkeit den Schlusstext für die Verteilung zu erstellen. Ist das Abstimmungsergebnis jedoch negativ, wird das Dokument an das zuständige BT oder TC retourniert. Das Technische Büro entscheidet sodann - so ein TC eingeschaltet wurde, unter Einholung von dessen Stellungnahme - über das weitere Procede152 153
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re. Es hat sich auch mit der Frage zu befassen, ob die Stillhalteverpflichtung aufgehoben werden sollte. Nach Zustimmung des BT kann das Dokument entweder einem neuerlichen einstufigen Annahmeverfahren oder einer formellen Abstimmung unterzogen werden.
8. Abweichungen und besondere nationale Bedingungen Ziel der Harmonisierung ist es, dass ein nach nationalen Vorschriften und Normen hergestelltes Produkt ohne Änderung auch den Normen und einschlägigen Vorschriften der übrigen Mitgliedstaaten entspricht. Vielfach werden jedoch von den Mitgliedern von CEN/CENELEC die Harmonisierung behindernde Ausnahmen oder Abweichungen gewünscht. Diesfalls haben die Mitglieder einen Antrag auf gemeinsame Abänderung154 oder besondere nationale Abweichung155 in der Antwort auf einen ausgesandten Fragebogen oder frühestmöglich bei der Normungsarbeit, spätestens jedoch während der CEN/CENELEC-Umfrage, zu stellen. Jeder derartige Antrag hat unter genauer Bezugnahme auf das Arbeitsdokument und unter detaillierter Anführung der Gründe sowie der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen darzutun, warum eine Abänderung gewünscht wird. Nationale Abweichungen von einer EN oder einem HD, die auf von den Mitgliedern derzeit nicht abänderbaren Vorschriften beruhen, werden als AAbweichungen bezeichnet, unter dem Begriff B-Abweichung versteht man nationale Abweichungen von einem HD, die auf besonderen technischen Anforderungen des Mitgliedstaates beruhen, deren Beibehaltung binnen einer bestimmten Übergangsfrist wirklich notwendig und daher noch gestattet ist. Demgegenüber stellen besondere nationale Bedingungen, also eine nationale Eigenschaft oder Praxis, die nicht - selbst nach einem längeren Zeitraum geändert werden kann, keine Abweichungen im vorgenannten Sinne dar.156 Bei der Textierung von EN oder HD ist somit acht zu geben, dass diesen besonderen nationalen Bedingungen entsprochen wird, ohne dass extra auf sie verwiesen werden muss. Ist dies nicht möglich, so sind besondere nationale Bedingungen unter Angabe des technischen Sachverhaltes und des Landes in einem eigenen normativen Anhang aufzuführen. Je nach Zuständigkeit hat sich das BT oder das TC mit den eingelangten Anträgen zu befassen und abschließend zu entscheiden, ob der Antrag für eine zu bestimmende Übergangszeit angenommen, abgelehnt oder dem Mitglied zur nochmaligen kritischen Auseinandersetzung und zur neuerlichen Stellungnahme zurückgeleitet wird. Weiters besteht noch die Möglichkeit, den Antrag bis zur gemeinsamen Abänderung des Referenzdokumentes in Schwebe zu halten, es kann der Antrag an ein TC, BerichterSekretariat oder eine Arbeitsgruppe zur weiteren Untersuchung durch Fachleute weitergegeben werden, als besondere nationale Bedingung eingestuft oder angenommen werden. Bei völliger Unvereinbarkeit wird die Harmonisierung des Gegenstandes entweder 154
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Änderung, Ergänzung oder Streichung im Inhalt eines von CEN/CENELEC angenommenen Referenzdokumentes, die dadurch Teil der EN oder des HD ist. Vgl Pkt. 3.1.6 GO. Änderung, Ergänzung oder Streichung in einer nationalen Norm gegenüber dem Inhalt einer Norm oder eines HD für denselben Anwendungsbereich der EN oder des HD. Sie ist nicht Bestandteil der EN oder des HD. Vgl. Pkt. 3.1.8. GO. Die GO CEN/CENELEC nennt in diesem Zusammenhang beispielshaft klimatische Bedingungen oder Erdungsbedingungen.
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vertagt und die nächste Ausgabe des Referenzdokumentes abgewartet, oder das Projekt als Ganzes eingestellt.
9. Sicherung des Vorrangs der europäischen Normung a) Übernahmsverpflichtung, Zurückziehungsverpflichtung Wurde ein Arbeits- oder Referenzdokument als EN gemäß den oben dargestellten Regeln von CEN/CENELEC angenommen, so sind alle Mitglieder verpflichtet, die angenommene Norm entweder durch Veröffentlichung eines in fachlicher sowie gestalterischer Hinsicht identischen Textes oder durch Anerkennung ohne Einschränkung in das innerstaatliche Normenwerk zu übernehmen und entgegenstehende bzw. anderslautende innerstaatliche Normen zurückzuziehen.157 Handelt es sich beim angenommenen Dokument um ein HD, so hat die Übernahme in das Innerstaatliche Normenwerk durch öffentliche Ankündigung der Nummer und des Titels des HD sowie durch die Zurückziehung etwaiger entgegenstehender nationaler Normen zu geschehen.158 Im Anwendungsbereich eines HD ist es den Mitgliedern jedoch freigestellt, weiterhin nationale Normen zu einem diesem unterfallenden Gegenstand beizubehalten oder neu herauszugeben, wenn ihr Inhalt dem des HD entspricht. Nummer, Titel und Ausgabedatum dieser Normen sind dem Zentralsekretariat mitzuteilen. b) Stillhalteverpflichtung Die den Mitgliedern von CEN/CENELEC während des Normungsverfahrens auferlegte Stillhalteverpflichtung bedeutet, dass diese während der Vorbereitung einer EN oder eines HD nichts unternehmen dürfen, was die bevorstehende Harmonisierung gefährden könnte. Insbesondere besteht die Pflicht, keine neue oder überarbeitete nationale Norm zu veröffentlichen, die nicht vollständig mit einer existierenden EN oder HD übereinstimmt. Diese Stillhalteverpflichtung bezieht sich allerdings nur auf konkrete Normungsprojekte, nicht auf ganze Arbeitsgebiete oder -programme. Eine Aufhebung dieser Verpflichtung bei aufrechtem Normprojekt kommt nur dann in Betracht, wenn ein CEN/CENELEC-Mitglied während der Stillhalteverpflichtung auf Probleme stößt, die Sicherheit oder Gesundheit betreffen und sofortiges Handeln erfordern.159 Sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift samt sämtlicher weiterer, für die nähere Beurteilung relevanter Unterlagen zu über157 158 159
Siehe GO, Pkt 5.2.2. siehe GO, Pkt. 5.2.3. Vgl GO CEN/CENELEC 6.2.4., Art 9 Abs 7 der RL 98/34/EG. In diesem Fall muss das Mitglied sofort den Mitgliedern des technischen Büros und dem Zentralsekretariat einen Vorschlag für die Ausarbeitung oder die Änderung einer EN oder eines HD unterbreiten und gleichzeitig den Vorschlag zur öffentlichen Umfrage auf nationaler Ebene in Umlauf bringen. Auf der Ebene von CEN/CENELEC hat binnen einer Frist von längstens vier Monaten ab Eingang des Abänderungsvorschlages beim technischen Büro - nach sachverständiger Begutachtung des Entwurfes und einer Abstimmung - eine Entscheidung über das weitere Verfahren zu fallen.
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mitteln sowie begründet darzulegen, aus welchen Gründen die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift als erforderlich angesehen wird. Ebenso haben die Mitgliedstaaten bei wesentlichen Änderungen von technischen Vorschriften vorzugehen. Gleichzeitig haben die Mitgliedstaaten die von dem Normungsvorhaben betroffenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Volltext beizuschließen, wenn deren Wortlaut für die Beurteilung der Tragweite des Entwurfes der technischen Vorschrift notwendig ist. Ein Verstoß gegen diese Notifizierungspflicht zieht die Unanwendbarkeit der betroffenen technischen Vorschrift auf Einzelpersonen nach sich.160 Sowohl die Kommission als auch die übrigen Mitgliedstaaten, welche ohne Verzögerung von der Kommission über das Vorhaben zu informieren sind, sind befugt, Bemerkungen bezüglich allfälliger Neuschaffung von Handelshemmnissen durch den Normentwurf bei dem Mitgliedstaat, von welchem der Entwurf stammt, anzubringen, die dieser bei der weiteren Ausarbeitung möglichst zu berücksichtigen hat. Jedenfalls aber ist der notifizierende Mitgliedstaat verpflichtet,161 mit der Annahme des Entwurfes eine Stillhaltefrist von drei Monaten ab Eingang der Benachrichtigung bei der Kommission einzuhalten, um der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu einer Stellungnahme offen zu lassen. Handelt es sich um den Entwurf einer technischen Vorschrift in Form einer freiwilligen Vereinbarung, bei der der Staat Vertragspartner ist, und die im öffentlichen Interesse die Einhaltung von technischen Spezifikationen und sonstigen Vorschriften - Vergabevorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen ausgenommen - bezwecken, so bestimmt sich diese Frist mit vier Monaten. Die Entwürfe für technische Vorschriften dürfen bei fruchtlosem Verstreichen der Frist angenommen werden. Erheben jedoch entweder die Kommission oder ein Mitgliedstaat binnen drei Monaten ab dem Stichtag dahingehende Einwände, die geplante Maßnahme könnte den freien Warenverkehr beeinträchtigen, so verlängert sich die Stillhaltefrist um weitere drei Monate. Der betroffene Mitgliedstaat hat sodann der Kommission mitzuteilen, welche Maßnahmen er aufgrund der eingelangten Stellungnahmen zu ergreifen beabsichtigt. Wenn die Kommission binnen der vorgenannten Dreimonatsfrist bekannt gibt, dass sie beabsichtigt, für den gleichen Gegenstand eine Richtlinie, eine Verordnung oder eine Entscheidung im Sinne des Artikel 249 EGV vorzuschlagen, anzunehmen, oder dem Rat einen derartigen Vorschlag bereits vorgelegt hat, verlängert sich die Stillhaltefrist des Mitgliedstaates auf 12 Monate. Legt der Rat binnen der zuletzt genannten Stillhaltefrist von 12 Monaten einen gemeinsamen Standpunkt fest, so verlängert sich diese Frist neuerlich, insgesamt auf 18 Monate.
160
161
Siehe zum Notifikationsverfahren Bernhard/Madner, JRP 1998, 87; Traimer, JRP 2000, 137 (146f); Bericht der Kommission vom 23.5.2003 über die Funktionsweise der Richtlinie 98/34/EG in den Jahren 1999 bis 2001, KOM(2003) 200 endgültig; EuGH Rs C- 194/94, 30.4.1996, Slg 1996, I-2201, Rs C-226/97, 16.6.1998, Slg 1998, I-3711, Rs C- 443/98, 26.9.2000, Slg 2000, I-7535. Vgl. Art. 9 der RL 98/34/EG.
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Die Stillhalteverpflichtung kommt jedoch in den Fällen nicht zur Anwendung, in denen ein Mitgliedstaat aus dringenden Gründen durch eine ernste und unvorhersehbare Situation, die sich auf den Gesundheitsschutz von Menschen und Tieren, auf den Erhalt von Pflanzen oder auf die Sicherheit bezieht, gezwungen ist, binnen kürzester Zeit Normen auszuarbeiten und zu erlassen, ohne dass eine vorherige Konsultation möglich wäre. c) Graphik: Ablauf des Normungsverfahrens RICHTLINIE NACH DER NEUEN KONZEPTION legt grundlegende Anforderungen fest
CEN
Kommission erteilt M andat CEN/CENELECMitglieder beschicken TC
technisches Komitee arbeitet Entwurf aus
ON
(nationale Normungsgremien)
Spiegelgremium •führt U mfrageverfahren / öffentliches Auflageverfahren durch •Beratung der Ergebnisse im Spiegelgremium •einheitliche nationale Stellungnahme an das technische Komitee
CEN technisches Komitee erstellt endgültige Fassung
ON
(nationale Normungsgremien)
FORMELLE ABSTIMMUNG
UMSETZUNG IN NATIONALE NORMEN
D. Konformitätsnachweis Während die Anwendung der von den europäischen Normungsinstitutionen ausgearbeiteten Normen durch den einzelnen wie bereits erwähnt162 gemeinschaftsrechtlich nicht verpflichtend vorgeschrieben ist, so ist die Rechtslage bezüglich der in den Richtlinien selbst enthaltenen grundlegenden Anforderungen konzeptbedingt eine andere: Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Regelungen vorzusehen, dass nur solche Produkte in Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden können, die den grundlegenden Anforderungen hinsichtlich Sicherheit, Gesundheit, Verbraucher- und Umweltschutz genügen. Im Rahmen der „neuen Konzeption“ können sich die Hersteller von normkonform erzeugten Produkten zur Erlangung der Erlaubnis für das Anbringen des CEZeichens in der Regel auf eine Konformitätsvermutung berufen. Die Ausarbeitung einheitlicher Normen für Produkte, deren Einhaltung den Produzenten nicht zwingend vorgeschrieben ist, stellt zwar einen wesentlichen Schritt hin zum Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse dar, kann diese 162
Vgl bereits oben, Pkt IV.A.2.
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Hemmnisse jedoch nicht alleine beseitigen. Um erkennen zu können, ob ein in den Verkehr zu bringendes Produkt den europäischen Normen oder den darauf basierenden nationalen Normen auch tatsächlich entspricht, ist es erforderlich, die Produkte auf ihre Normkonformität hin zu überprüfen. Es kann aber sein, dass eine solche Überprüfung eines Produktes in einem Staat noch nicht die Überzeugung eines anderen Staates herbeiführt, auf das Ergebnis des Prüfverfahrens zu vertrauen. Ordnet jeder Staat eine eigenständige Überprüfung des Produktes zur Feststellung seiner Normkonformität an, so löst sich der durch die einheitliche Normungsarbeit erzielte Nutzen unverzüglich wieder auf, die zu beseitigenden Handelshemmnisse bestehen in anderer Form weiter, da sich der Hersteller wieder in jedem Staat einem sowohl zeitlich wie auch finanziell in der Regel aufwendigen Einzelprüfungsverfahren gegenüber sieht. Die Neue Konzeption auf dem Gebiet der Normung wurde daher 1990163 durch ein Gesamtkonzept der Konformitätsbewertung ergänzt. Das Ziel dieses Konzeptes besteht darin, ein Funktionieren der gegenseitigen Anerkennung im geregelten wie auch im nicht geregelten Bereich der Produktnormung zu gewährleisten: Im nicht geregelten Bereich besteht die Möglichkeit, Abkommen über die gegenseitige Anerkennung zwischen den einzelnen Konformitätsbewertungsstellen durch die Sektorkomitees der hiefür speziell eingerichteten Europäischen Organisation für Zertifizierung und Prüfung (EOTC)164 in Beachtung von Grundsätzen und Verfahren, die die Anerkennung aller interessierten Parteien genießen, zu schließen. Für den durch Richtlinien bereits harmonisierten Bereich ist im Regelfall davon auszugehen, dass vom Hersteller lediglich die Abgabe einer Erklärung verlangt wird, dass er sich bei der Herstellung an die Vorgaben der harmonisierten Normen gehalten hat (Konformitätserklärung).
Für jene Produkte aber, bei deren Herstellung der Produzent andere als die harmonisierten Normen angewandt hat, kann die Normkonformität und somit die Übereinstimmung mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen nicht vermutet werden, der Produzent bzw. Importeur hat mittels einer Bescheinigung einer unabhängigen Prüfstelle den Nachweis zu erbringen, dass auch sein Produkt die in der Richtlinie geforderten grundlegenden Anforderungen erfüllt: Abhängig von der Produktart und den konkreten Sicherheitsaspekten kann zusätzlich zur Erfüllung der grundlegenden Anforderungen auch eine Zertifizierung durch eine „benannte Stelle“165 vorgeschrieben werden, ob das konkrete Produkt nach den jeweils einschlägigen Normen hergestellt wurde und mit diesen auch tatsächlich übereinstimmt. Im Einzelnen besteht für - normkonform hergestellte - Produkte im Rahmen des Gesamtkonzeptes der Konformitätsbewertung ein System aus acht 163 164 165
Entschließung des Rates vom 21.12.1989, Abl. Nr. C vom 6.1.1990, 1; Beschluss des Rates 93/465/EWG vom 22.7.1993, Abl Nr. L220, vom 30.8.1993, 23. European Organisation for Conformity Assessment; Vgl dazu Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Zu den benannten Stellen vgl. Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung im Produktsicherheit, 2000, 32ff.; In den Richtlinien nach der neuen Konzeption werden Mindestkriterien festgelegt, die von den Prüfeinrichtungen erfüllt werden müssen, um von den Mitgliedstaaten benannt werden zu können, Prüfungen, Zertifizierungen und Überwachungen durchzuführen. Siehe hierzu etwa Normen der Reihe 45000.
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Grundmodulen166 zur Zertifizierung von Produkten, die auf vielfältige Weise miteinander kombiniert werden, um anhand der von einem speziellen Produkt konkret ausgehenden Gefahren individuelle Konformitätsbewertungsverfahren zusammenstellen zu können, die in der jeweiligen Richtlinie vorgesehen sein müssen.167 Als mögliche Ebenen der Durchführung dieser Verfahren kommen das Entwurfstadium, das Stadium der Produktion oder beide Stadien in Betracht, wobei in den acht möglichen Verfahren jeweils die einzelnen Maßnahmen angeführt sind, die der Hersteller bzw, so eine Untersuchung auch durch unabhängige Stellen vorgesehen ist, diese unabhängige Stelle durchzuführen hat. Nach erfolgreicher Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens hat die prüfende Stelle eine Bescheinigung über den erfolgreichen Abschluss der Tests auszustellen. Damit ist der Hersteller berechtigt, auf seinen Produkten das sogenannte „CE-Zeichen“ anzubringen. Folgende Grundmodule stehen für die Zusammenstellung eines Konformitätsbewertungsverfahrens zur Auswahl: • Interne Fertigungskontrolle: Die Produktentwürfe und Produkte werden nur betriebsintern geprüft, es bedarf daher nicht der Einschaltung einer externen Stelle. • EG-Baumusterprüfung: Dieses Modul sieht die Prüfung des Entwurfes eines künftigen Produktes durch eine zugelassene Zertifizierungsstelle vor, bedarf aber im Sinne der vorgenannten Kombinationsmöglichkeiten einer zusätzlichen Bewertung des fertigen Produktes auf der Fertigungsstufe. • Konformität mit der Bauart: Ein fertiges Produkt wird auf seine Übereinstimmung mit der im Rahmen der EG-Baumusterprüfung als tauglich befundenen Bauart hin untersucht. Diese Untersuchung kann durch den Unternehmer selbst wie auch durch eine benannte Stelle erfolgen. • Qualitätssicherung Produktion: Auch dieses Modul folgt der EGBaumusterprüfung im Fertigungsstadium. Beruhend auf der Qualitätssicherungsnorm EN ISO 9002 wird hier zwingend eine benannte Stelle eingeschaltet, die für die Zulassung und Kontrolle des vom Hersteller festgelegten Qualitätssicherungssystems für Herstellung, Endabnahme und Prüfung verantwortlich ist. • Qualitätssicherung Produkt: Ebenfalls auf Basis der EG-Baumusterprüfung beruht dieses Modul auf EN ISO 9003, wobei für die Zulassung und Kontrolle des vom Hersteller festgelegten Qualitätssicherungssystems für die Endabnahme und Prüfung eine benannte Stelle verantwortlich ist. • Produktprüfung: Eine benannte Stelle prüft die Konformität des Produktes mit der in der EG-Baumusterprüfung festgelegten und genehmigten Bauart und stellt die Konformitätsbescheinigung aus. • Einzelprüfung: Hierbei wird jedes Produkt auf Entwurfs- wie Fertigungsebene einzeln durch eine Zertifizierungsstelle geprüft, die bei Konformität eine Konformitätsbescheinigung ausstellt. • Umfassende Qualitätssicherung: Beruhend auf der Qualitätssicherungsnorm EN ISO 9001 wird eine benannte Stelle eingeschaltet, die für die Zulassung und Kontrolle des vom Hersteller festgelegten Qualitätssicherungssystems für Entwurf, 166
167
Zur Auswahl stehen folgende acht Module: Interne Fertigungskontrolle, Baumusterprüfung, Konformität mit der Bauart, Qualitätssicherung Produktion, Qualitätssicherung Produkt, Prüfung der Produkte, Einzelprüfung, Umfassende Qualitätssicherung. Bei Festlegung der möglichen Module für ein Produkt muss versucht werden, dem Hersteller so viele Möglichkeiten des Konformitätsnachweises offen zu lassen, wie mit der Gewährleistung der Erfüllung der Anforderungen zu vereinbaren ist.
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Herstellung, Endabnahme und Prüfung verantwortlich ist. Dieses Modul kommt auf Entwurfs- wie Herstellungsebene zur Anwendung.
Die Behörden der übrigen Mitgliedstaaten haben dies grundsätzlich zu akzeptieren, es ist von der Übereinstimmung des Produktes mit den in der Richtlinie enthaltenen grundlegenden Anforderungen auszugehen. Das am Produkt angebrachte „CE-Kennzeichen“ fungiert somit insoferne als „Warenpass“, als das betroffene Produkt auf dem europäischen Binnenmarkt ohne Einschränkungen frei handelbar ist und in Betrieb genommen werden darf. Kommen für ein Produkt jedoch mehrere Richtlinien zur Anwendung, so hat es die Anforderungen sämtlicher dieser Richtlinien zu erfüllen; diesfalls besagt das CE-Kennzeichen, dass das Produkt mit sämtlichen der aufgestellten „grundlegenden Anforderungen“ übereinstimmt.168 Wurde allerdings lediglich eine Herstellererklärung abgegeben, hat der Hersteller oder Importeur des fraglichen Produktes also die vorgeschriebene Prüfung ohne Beiziehung einer benannten Stelle selbst durchgeführt, und hegen die Behörden berechtigten Zweifel an der Konformität des Produktes, so können sie vom Hersteller Angaben über die durchgeführten Sicherheitsprüfungen verlangen.
E. Schutzklauselverfahren Im Zusammenhang mit akuten Gefährdungslagen kann sich die Notwendigkeit ergeben, die Verkehrsfähigkeit bestimmter Produkte einzuschränken oder diese gänzlich aus dem Verkehr zu nehmen. Als Konsequenz der mit der jeweiligen Harmonisierungsrichtlinie erlangten vollständigen Harmonisierung sind Schutz- und Sicherungsverfahren jedoch nur noch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene nach gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen Verfahren mit gleicher Rechtswirkung für alle Mitgliedstaaten zulässig. Diese Schutz- und Sicherungsverfahren ergeben sich aus den sekundärrechtlichen Schutzklauseln, die sich in den Richtlinie nach der Neuen Konzeption finden.169 Anwendungsfall bzw. Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer Schutzklausel ist, dass ein Mitgliedstaat der Auffassung ist, ein normkonform hergestelltes Produkt weiche von den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie ab. Dies kann der Fall sein, weil das Produkt entweder die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie nicht erfüllt, die einschlägigen technischen Normen mangelhaft angewandt wurden, oder die Abweichungen auf einen Mangel der angewandten Norm selbst zurückzuführen sind.170 Im Gegensatz zur widerlegbaren Vermutungswirkung technischer Normen auf innerstaatlicher Ebene 168
169 170
Teilweise besteht für den Hersteller jedoch eine Wahlmöglichkeit, welcher der anwendbaren Richtlinien er sein Produkt unterstellen möchte. Das nach Durchführung dieses Konformitätsverfahrens angebrachte CE-Kennzeichen bezieht sich in diesem Fall nur auf die Erfüllung jener Anforderungen, die in der konkret angewandten Richtlinie normiert wurden. Die Richtlinie für Warmwasserheizkessel (RL 92/42/EWG) sowie jene für Kühlund Gefriergeräte (RL 96/57/EWG) weisen keine Schutzklauseln auf. Darüberhinaus sehen die Richtlinien der Neuen Konzeption Eingriffsbefugnisse der Mitgliedstaaten gegen die unberechtigte Verwendung des CE-Kennzeichens vor und verpflichten sie, alle repressiven Maßnahmen genau zu begründen und bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten anzugeben.
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reicht jedoch eine behördliche Feststellung der sicherheitstechnischen Unzulänglichkeiten im harmonisierten Bereich nicht mehr aus, um dauerhaft Schutzmaßnahmen ergreifen zu können. Es bedarf vielmehr einer Bestätigung der ergriffenen vorläufigen Schutzmaßnahme im Wege des durchzuführenden gemeinschaftsrechtlichen Schutzklauselverfahrens. Bei Verhängung von vorläufigen innerstaatlichen Maßnahmen hat die Kommission von der Inanspruchnahme dieser Schutzklausel informiert zu werden. Sie bestimmt sodann auf Basis einer Stellungnahme des Ständigen Ausschusses für Normen das weitere Vorgehen.171 Die Kommission ist jedoch an die Entscheidungen des Ausschusses nicht gebunden, sondern hat diese lediglich zu berücksichtigen. Weil die Kommission dem EGV, der ein hohes Schutzniveau für die gemeinschaftliche Verbraucher-, Gesundheits- und Umweltpolitik vorschreibt, verpflichtet ist, und sie dementsprechend ihre Letztverantwortung im Schutzklauselverfahren wahrzunehmen hat, ist rechtlich eine entsprechende „Auffangverantwortung“ normiert. Ob die Praxis diesem Anspruch tatsächlich gerecht wird, bedürfte näherer Untersuchung. In praktischer Hinsicht werden Schutzklauselverfahren oft als Anlaß genommen, die Überarbeitung der betroffenen europäischen Norm zu erwirken.
V. Rechtsstaatliche und demokratische Probleme der Normung Das System der Normung als „regulierter Selbstregulierung“ wirft eine Reihe rechtsstaatlicher und demokratischer Grundsatzfragen auf.172 Die besondere Bedeutung der Normung im Rahmen der „neuen Konzeption“ der Rechtsharmonisierung auf europäischer Ebene hat diese Diskussion noch verstärkt.173 Darauf kann hier nur schlagwortartig hingewiesen werden: 171
172
173
Durch die Richtlinie 98/34/EG, Abl 1998 L 204/37 wurde zur Beratung der Kommission in Angelegenheiten des Normenwesens im Zusammenhang mit der neuen Konzeption bei dieser ein ständiger Ausschuss eingerichtet, der sich aus Delegierten der Mitgliedstaaten sowie einem, den Vorsitz des Ausschusses führenden Vertreter der Kommission zusammensetzt. Zur Errichtung derartiger Ausschüsse im allgemeinen vgl Rönck (FN 9) 188ff. mwN; Ein besonderes strukturelles Defizit attestiert von Danwitz, Europarechtliche Beurteilung der Umweltnormung, in Rengeling (FN 53), dem Verfahren der Normprüfung: Aus dem Nichtbestehen von Regelungen über Beschlussquoren für Beschlüsse des Ausschusses leitet er das Erfordernis von Einstimmigkeit ab und weist auf die Gefahr des Absinkens des Schutzniveaus auf den geringsten gemeinsamen Nenner hin. Vgl Schmidt-Preuß und Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung (FN 20) 160 bzw 235; Trute, Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVBl 1996, 950. Vgl etwa Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 1990; Di Fabio, Produktharmonisierung durch Normung und Selbstüberwachung, 1996; Von Danwitz (FN 53) 187 ff; Schulte (FN 53) 165 ff; derselbe (FN 12) ; Korinek (FN 31) 322 ff.
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Die wesentlichen Einwände174 gehen dahin, dass bei der Normung in demokratisch nicht mehr hinnehmbarer Weise Normsetzungsbefugnisse mit weitgehendem Verbindlichkeitsanspruch auf private Vereinigungen übertragen würden, ohne dass durch adäquate staatliche respektive gemeinschaftsrechtliche Vorkehrungen eine Übereinstimmung dieser privaten Normsetzung mit den gesetzgeberischen Vorgaben sichergestellt wäre. Weiters werden Bedenken angemeldet, dass die Organisation und das Verfahren der privaten Normsetzung insbesondere im europäischen Kontext rechtsstaatlichen Garantien insbesondere der Öffentlichkeit und Transparenz des Verfahrens nicht genügen und institutionelle Sicherungen fehlen, dass alle betroffenen Interessen am privaten Normausarbeitungsprozess angemessen beteiligt werden. Dem werden die in der Natur der Sache liegenden Grenzen eines materiellen Steuerungsansatzes,175 der Aspekt der „steuernden Rezeption“, der auf die Zurechnung und damit auch demokratische und rechtsstaatliche Legitimation der staatlichen Organe verweist, die die privaten Normen rezipieren,176 und der Umstand entgegengehalten, dass die notwendige demokratische und rechtsstaatliche Verantwortung durch - in Österreich jedenfalls gesetzlich vorgesehene - Organisations- und Verfahrensgarantien hergestellt werden kann.177 Die staatliche „Letztverantwortung“ in diesem prozeduralen Sinn lässt sich dadurch sicherstellen, dass die wesentlichen Eckpunkte des Verfahrens und der Organisation der Normung durch demokratisch legitimierten staatlichen Rechtssetzungsakt gewährleistet werden und dass eine staatliche Aufsicht über den Normungsprozess als solchen, das heißt insbesondere über die Normungsorganisation, die ja ihrerseits die Einhaltung der Verfahrensbedingungen zu gewährleisten hat, stattfindet. Aus diesem Blickwinkel ist ein öffentliches und offenes Auflageverfahren ebenso unverzichtbar178 wie die gesetzlich gewährleistete interessenplurale Zusammensetzung der Normungsgremien.179 174
175 176 177 178 179
Vereinzelt geblieben ist das Bedenken, dass mit der Regelung des § 1 Abs 1 und 3 NormenG eine gleichheitswidrige Diskriminierung anderer Vereine (und man müsste wohl ergänzen: Personen allgemein) verbunden sei (so Geuder (FN 3) 655). Dem ist entgegenzuhalten, dass durch § 1 NormenG niemand gehindert wird, Normen im Sinne von technischen Regelwerken aufzustellen; dafür, dass das Gesetz ein Ausschließlichkeitsrecht an der Bezeichnung „ÖNORM“ und damit der Tätigkeit des ON vorsieht, gibt es eine Reihe sachlicher Gründe, insbesondere kann der Vereinheitlichungszweck bei konkurrierenden Institutionen deutlich schwerer erreicht werden. Insoweit stellt sich das „Exklusivrecht“ der Verwendung der Bezeichnung „ÖNORM“ als sachlich gerechtfertigt und im Übrigen auch im öffentlichen Interesse liegende und verhältnismäßige Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit anderer Einrichtungen, die ebenfalls Normen erarbeiten, dar. Schulte (FN 12), Rz 131ff; Korinek (FN 31) 326. Siehe insbesondere Schmidt-Preuß (FN 20) 203 ff. Schulte (FN 12), Rz 134f. Siehe insbesondere Korinek (FN 31) 327. Dabei kommt es bei rechtsdogmatischer Betrachtung auf die Möglichkeit, dass sich so genannte „diffuse Interessen“ (Holoubek (FN47) 69) im Normerarbeitungsprozess einbringen können, nicht aber auf die - rechtspolitisch oft problematische - Frage an, ob und inwieweit dies von den faktischen Gegebenheiten her tatsächlich möglich ist, weil auch der staatliche Gesetzgebungsprozess nur die potentielle Möglichkeit der Interesseneinbringung, nicht aber ein bestimmte Ergebnis garantiert. Den tatsächlichen Problemen soll in Österreich etwa durch die Einrichtung eines
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Aus rechtsstaatlicher Sicht ist in Österreich insbesondere die Frage der Publikation von für verbindlich erklärten Normen180 erörtert worden.181 Thienel hat dabei dargelegt, dass es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, dass der Text der verwiesenen ÖNORM selbst im Bundes- oder Landesgesetzblatt kundgemacht wird.182 Umstritten ist weiterhin, ob - jeweils unter der Voraussetzung, dass auf diese Umstände im Gesetz jeweils hingewiesen wird - die Auflage der Norm beim ON verbunden mit der Möglichkeit, kostenlos Einsicht zu nehmen bzw sie entgeltlich zu erwerben, ausreicht,183 oder ob jedenfalls die Auflage bei einer staatlichen Einrichtung verbunden mit der Möglichkeit, Kopien gegen Kostenersatz zu erhalten, gegeben sein muss.184 In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass nach herrschender Auffassung den Normungseinrichtungen an den erarbeiteten Normen Urheberrechte zukommen.185 Zur Entschärfung dieser Problematik hat der Bund mit dem ON eine Vereinbarung abgeschlossen, derzufolge das ON die Publikation verwiesener ÖNORMEN gestattet, der Bund dem Normungsinstitut dafür einen pauschalierten Entschädigungsbetrag erstattet.186 Auf Landesebene besteht derzeit keine derartige Regelung. Unstrittig ist nach herrschender Auffassung schließlich, dass Verweisungen auf ÖNORMEN nur in so genannter „statischer“ Form zulässig sind.187 Die Einbindung von europäischen Normen in den Rechtssetzungsprozess im Rahmen der „neuen Konzeption“ ist allerdings weitergehend als „normkonkretisierende gleitende Verweisung“188 ausgestaltet. Allerdings unterscheidet sich die Verbindlichkeit von Normen in der gemeinschaftsrechtlichen Konzeption von Verweisungen im innerstaatlichen Recht. Sie werden durch die Bezugnahme in der Richtlinie und das Normungsmandat der Kommission nicht im Rechtssinne verbindlich, sondern begründen bloß eine widerlegliche Vermutung, dass normkonforme Produkte oder Dienstleistungen den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie entsprechen.189 Insoweit stellen sie eine Fortentwicklung der Regelungstechnik der Verwendung von Technikklauseln dar.190 Insoweit ist
180
181 182 183 184 185 186
187 188 189 190
Verbraucherrats beim ON Rechnung getragen werden, siehe dazu Holoubek (FN 47) 95 f; dort auch zur besonderen Verantwortung staatlicher Vertreter, insbesondere Vertreter der staatlichen Verwaltung in den Normungsgremien für die Anliegen derartiger „diffuser Interessen“. Dass die Auslegung des § 6 Abs 6 NormenG, derzufolge nur der Titel neu geschaffener ÖNORMEN, nicht aber der gesamt Normtext selbst, öffentlich verlautbart wird, für ÖNORMEN an sich aus verfassungsrechtlicher Sicht ausreicht, dürfte unumstritten sein. Siehe ausführlich Thienel (FN 22) 33 ff mwH. Dies ergibt sich aus Art 49 Abs 2 B-VG, siehe Thienel (FN 22) 35 ff. So wohl Korinek (FN 31) 321. So Thienel (FN 22) 46. Siehe Korinek (FN 31) 321. Siehe Korinek (FN 31) 321 f; verwiesene und entsprechend kundgemachte Normen sind freie Werke im Sinne des § 7 Urheberrechtsgesetz; fraglich ist, ob dies auch für bloß verwiesene, nicht aber kundgemachte Normen gilt, siehe Korinek (FN 31) 322. Thienel (FN 22) 31, 80. Marburger (FN 1) 405 f. Siehe ausführlich oben Punkt IV.A.2. Korinek (FN 31) 322.
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auch der Hinweis berechtigt, dass Richtlinien ein deutliches Mehr an Präzesionsgrad zukommt als derartigen allgemeinen Technikklauseln191 und dass bei derartigen rechtsnormkonkretisierenden Verweisungen der Rahmen des rechtlich Erlaubten durch die Richtlinie abschließend umschrieben wird.192
VI. Umweltnormung193 Beschäftigt man sich mit der Gestaltung, der Herstellung, dem Gebrauch und der Entsorgung von Produkten, ist es klar, dass jedes Produkt - auf welche Weise und mit welcher Intensität auch immer - gewisse umweltrelevante Auswirkungen hat. Gerade der Normung, die sich mit der Optimierung sämtlicher dieser Produktionsstufen beschäftigt, kommen große Einflussmöglichkeiten auf die Umweltaspekte des gesamten Produktzyklus zu. Es war daher nahe liegend, dass sich auch die Kommission194 und die Normungsorganisationen diesem Thema annahmen. Denn wiewohl die Normung von ihrer Grundkonzeption her primär ein Mittel zur Beseitigung von technischen Handelshemmnissen ist, darf nicht übersehen werden, dass Normung eben nicht nur Rationalisierung und Qualitätssicherung für die Wirtschaft und die Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten für Menschen im Umgang mit der Technik bedeutet, sondern zunehmend auch die Berücksichtigung von Umweltaspekten verlangt. Da es von der konkreten Ausgestaltung der Norm abhängt ob und inwiefern Umweltschutz eine Rolle spielt strebt die Kommission eine systematische und verpflichtende Berücksichtigung von Umweltaspekten für alle Interessengruppen und ihre Fachleute, welche die Normen ausarbeiten, an.195 Bis dato wurde vor allem versucht bei der Entstehung von Umweltbelastungen anzusetzen und diese durch umweltgerechte Produktplanung, Entwicklung und Konstruktion bereits im Ansatz zu verhindern. Der produktbezogene Umweltschutz ist besonders innovationsintensiv, da eine disziplinenübergreifende Vorgangsweise vom Maschinenbau über die Prozesstechnik bis hin etwa zum Einsatz neuer Werkstoffe nötig und nützlich ist. In diesem Zusammenspiel kommt den Normen eine besondere Bedeutung zu, da so eine umfassende Interoperabilität gewährleistet werden kann.
191 192 193
194 195
Schmidt-Preuß (FN 20) 209. Schulte (FN 12), Rz 66. Umweltnormung ist jenes Normenwerk privater Normungsorganisationen, das dem Umweltschutz dient. Bereits getroffene Maßnahmen in diesem Bereich sind etwa die Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle, RL 94/62/EG, Abl 1994 L 365/10. In struktureller Hinsicht war das europäische Umweltrecht ursprünglich von materiellen Regelungen dominiert, während Impulse aus dem angloamerikanischen Raum eher hin zu einer vermehrt prozeduralen Ausgestaltung der Steuerungselemente führten. In letzter Zeit ist das Umweltrecht von einem diese beiden Ansätze verbindenden, integrativen Ansatz geprägt, bei dem auch die speziellen Steuerungselemente der Umweltnormung herausgearbeitet werden. Siehe vertiefend Schulte (FN 12). Mitteilung über die Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung, KOM (2004) 130 endg. KOM (2004) 130 endg 11.
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Im Rahmen des produktbezogenen Umweltschutzes steht derzeit die „Integrierte Produktpolitik“ (IPP)196 im Mittelpunkt.197 Gemäß dem Konzept der Integrierten Produktpolitik werden neben der Produktion verstärkt die Umweltauswirkungen der Produkte selbst untersucht und deren gesamter Lebensweg unter diesem Blickwinkel betrachtet. Recyclinggerechte Produktion, die Frage nach Inhaltsstoffen von Produkten und Umweltkennzeichnung seien an dieser Stelle beispielhaft erwähnt. Kennzeichen der IPP ist, dass dabei sämtliche vorhandenen Instrumente198 des Umweltmanagements sowie Umweltschutzauflagen weiterhin Anwendung finden, aber durch Integration in andere Politikbereiche in ein umfassenderes Konzept gestellt werden können. Dadurch kann gewährleistet werden, dass nachteilige Umweltauswirkungen nicht von einem „Lebensabschnitt“ des Produktes einfach auf den nächsten verlagert werden, sondern eben insgesamt eine „ganzheitliche“ Betrachtung im Sinne eines lebenszyklusbezogenen Denkens des jeweils betroffenen Produktes erreicht werden soll, wobei die nachteiligen Auswirkungen in ihrer Gesamtheit minimiert werden sollen. Normung ist dabei nur ein Teilaspekt des Konzeptes der Integrierten Produktpolitik. Auf legislativer Ebene gibt es derzeit noch keine verbindliche Regelung199 für den Umweltschutz im Verhältnis zu den Produkten.200 Die Integration von Umweltschutzaspekten in die Normung ist daher freiwillig. Zur Beseitigung dieser oft als unzureichend bemängelten Rechtslage wird etwa vom Europäischen Umweltbüro (EEB)201 die Verabschiedung einer Richtlinie oder Verordnung verlangt, in der die Umweltschutzanforderungen für Produkte klar geregelt werden, wie beispielsweise etwa einer Art „Normen-UVP“. Dringend erforderlich sei zudem eine Richtlinie über Umwelthaftung und die Änderung von Mandaten an die Europäischen Normungsorganisationen CEN/CENELEC und ETSI, damit Umweltschutzinteressen künftig obligatorisch beachtet werden müssen. 196
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Die integrierte Produktpolitik ist ein Konzept der Umweltpolitik, das sich von herkömmlichen umweltpolitischen Ansätzen insoferne unterscheidet, als es alle Produkte und Dienstleistungen sowie ihre Umweltauswirkungen umfasst und dabei den Gesichtspunkt des Produktlebenszyklus (Rohstoffgewinnung, Rohstoffverarbeitung, Fertigung, Vertrieb, Nutzung und Entsorgung) zum obersten Prinzip erhebt sowie eine Verlagerung der Umweltprobleme zwischen verschiedenen Umweltmedien vermeidet. Vgl näher das Grünbuch der Kommission zur integrierten Produktpolitik, KOM(2001) 68 endg. Weiters ist auf die Umweltauswirkungen elektrotechnischer und elektronischer Geräte (EEE) hinzuweisen. Beispielsweise seien etwa EMAS-Umweltmanagement- und Umweltbetriebsprüfungssystem, Umweltzeichen, Umweltsteuern oder dergleichen genannt. Zwar stellt die Mitteilung der Kommission über die Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung nur eine unverbindliche Aufforderung aller Betroffenen dar, Umweltschutz nachhaltig in die Normung einzubeziehen. Jedoch hat die Kommission als praktische Konsequenz dieser Politik den europäischen Normungsgremien beispielsweise bereits ein Mandat für die Planung von Normungsarbeit im Bereich des Öko-Designs energiebetriebener Produkte erteilt. Obwohl es für Produktionsverfahren zwar eine europäische Umweltgesetzgebung gibt, beschränkt sich die Gesetzgebung bezogen auf Produkte jedoch auf einige wenige Fälle. European Environmental Bureau; www.eeb.org.
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Die Integrierte Produktbetrachtung fand jedoch auf anderer als legislativer Ebene Beachtung: Konkret schlugen sich diese Überlegungen im CEN System Handbuch202 „Betrachtung des gesamten Lebensweges eines Produktes“ nieder. Dieses statuiert die Aufgabe jedes mit der Normungsarbeit befassten Technischen Komitees, sämtliche Umweltaspekte, die in Zusammenhang mit dem Produkt, das genormt werden soll, stehen, genau zu identifizieren.203 Diese Arbeiten sollen möglichst schon im Zeitpunkt der Zuweisung der Norm an das Technische Komitee, spätestens aber im Zeitpunkt der Bearbeitung der einzelnen Entwürfe aufgenommen werden, um Verzögerungen der Normungsarbeit zu vermeiden. Wurde eine Auswahl getroffen, welche dieser identifizierten möglichen Auswirkungen des Produktes durch den zu schaffenden Standard tatsächlich beeinflusst werden können, so ist das Technische Komitee gehalten, sie in die Anforderungen der Norm mit einzubeziehen und eine Dokumentation über die Ergebnisse der Erarbeitung der Umweltaspekte, die in Folge getroffenen Entscheidungen und die Lebensphase des Produktes zusammenzustellen und sie der Norm beizufügen. Auf diesem Wege können schließlich die Normen dazu beitragen, potentielle negative Umweltauswirkungen des genormten Produktes zu minimieren.204
202 203
204
CEN System Handbook, 31.03.2000, Environmental guidelines. Zur Vereinfachung und Beschleunigung enthält das CEN-Systemhandbuch im Anhang eine auf Produktnormen zugeschnittene, vorläufige Checkliste über umweltrelevante Aspekte in Normen, die tunlichst angewendet werden sollten. Als mögliche Umweltrelevante Aspekte werden hier genannt: Verbrauch von Ressourcen, Energieverbrauch, Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung, Abfall, Lärm, Verbreitung gefährlicher Substanzen, Einwirkungen auf die Bodenbeschaffenheit und Umweltrisken durch Unfälle und Missbrauch. Als weitere Reaktionen der Normungsgremien auf Umweltschutzanforderungen sind etwa der beim DIN eingerichtete Normungsausschuss Grundlagen des Umweltschutzes (NAGUS), das bei CEN eingerichtete SABE (Strategic Advisory Body on Environment), das CEN-Planungskomitee PC-7 „Umwelt“ die Arbeitsgruppe „Umweltaspekte in Produktnormen“, das ISO/TC 207 „Umweltmanagement“, der von ihm erarbeitete ISO-Leitfaden 64 über die Berücksichtigung von Umweltaspekten in Produktnormen sowie die ISO-Norm 14040 „Umweltmanagement - ProduktÖkobilanz - Prinzipien und allgemeine Anforderungen“ zu nennen.
Michael Holoubek
Kapitel 2: Akkreditierung und Zertifizierung Rechtsgrundlagen ...........................................................................................503 Grundlegende Literatur...................................................................................504 I. Grundlagen ................................................................................................504 A. Begriffsbestimmungen ...........................................................................504 1. Akkreditierung ..................................................................................504 2. Prüfung..............................................................................................504 3. Überwachung ....................................................................................505 4. Zertifizierung.....................................................................................505 5. Kalibrierung ......................................................................................505 B. Historischer Hintergrund ......................................................................505 C. Ökonomischer Hintergrund...................................................................506 II. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................507 III. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ..................................................508 A. Globales Konzept...................................................................................508 B. Europäische Organisation für Prüfung und Zertifizierung (EOTC) .....509 IV. Die Regelungen des Akkreditierungsgesetzes (AkkG) ........................510 A. Akkreditierungsverfahren ......................................................................510 1. Voraussetzungen für die Akkreditierung ..........................................510 2. Versicherungspflicht .........................................................................512 3. Entscheidung mittels Bescheid..........................................................512 4. Aufsicht über die akkreditierten Stellen ............................................513 5. Aufgaben akkreditierter Prüf- und Überwachungsstellen Abgrenzung zur Zertifizierung .........................................................514 B. Zertifizierungsverfahren ........................................................................514 C. Rechtliche Einordnung von Akkreditierung und Zertifizierung.............515 1. Das hoheitliche Akkreditierungsverhältnis zwischen Akkreditierungsstelle (BMWA) und „benannter“ Stelle ..................515 2. Das Konformitätsprüfungsverhältnis als privates vertragliches Leistungsrechtsverhältnis..................................................................516 V. Sonderbestimmungen für elektronische Signaturen.............................525 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht Entschließung der Rates vom 21. Dezember 1989 zu einem Gesamtkonzept für die Konformitätsbewertung, Abl 1990 C 10/1; Mitteilung KOM(89) 209 endg, Abl 1989 C 267/3; Beschluss 93/465/EWG, Abl 1993 L 220/23; Europäische Normenserie EN 45000 (alt) / EN ISO/IEC 17025 (neu);
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Innerstaatliches Recht Akkreditierungsgesetz (AkkG), BGBl 1992/468 idF 85/2002; AkkreditierungsgebührenVO, BGBl 1994/70 idF BGBl 2001 II/490; AkkreditierungsversicherungsVO, BGBl 1997 II/13 idF BGBl 2001 II/490; AkkreditierungszeichenVO, BGBl. II Nr. 186/1997.
Grundlegende Literatur: Hansen, Zertifizierung und Akkreditierung von Produkten und Leistungen der Wirtschaft, 1993; Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung im Produktsicherheitsrecht, 2000; Röhl, Konformitätsbewertung im Europäischen Produktsicherheitsrecht, in: SchmidtAßmann/Schöndorf-Haubold, Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, 153; Wloka/ Gloze, Akkreditierung und Qualitätssicherung für das Prüfwesen in Europa, 1994.
I. Grundlagen A. Begriffsbestimmungen 1. Akkreditierung Akkreditierung ist die formelle Anerkennung der Kompetenz hinsichtlich Qualifikation und Ausstattung einer Stelle,1 bestimmte Tätigkeiten sach- und anforderungsgerecht auszuführen bzw ausführen zu können. Akkreditierung bedeutet also, dass Prüflaboratorien, Zertifizierungs- und Inspektionsstellen regelmäßig2 von Dritten, den Akkreditierungsstellen, nach öffentlich bekannt gegebenen technischen Kriterien auf ihre fachliche Leistungsfähigkeit hin geprüft und bewertet werden. Als neutrale Bewertung ist die Akkreditierung ein wichtiger Beitrag zur Schaffung und Erhaltung von Vertrauen in diese Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen. In Österreich obliegen gem § 8 Akkreditierungsgesetz - zumindest auf Ebene des Bundes - ausschließlich dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit die Aufgaben einer Akkreditierungsstelle.
2. Prüfung Prüfung ist ein technischer Vorgang zur Ermittlung eines oder mehrerer Kennwerte eines bestimmten Produktes, Verfahrens oder einer Dienstleistung, der gemäß einer vorbestimmten, einheitlich festgelegten Verfahrensweise durch eine Stelle, deren Kompetenz hiefür durch die Akkreditierungsstelle bestätigt wurde, durchzuführen ist.
1 2
In Betracht kommen Prüf-, Überwachungs-, Zertifizierungs-, Kalibrier- und Beglaubigungsstellen. Gemäß § 13 Abs 1 AkkG beträgt die Frist für die periodisch wiederkehrende Überprüfung der akkreditierten Stelle längstens fünf Jahre. Zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen oder anderer Vorschriften als jener des AkkG kann der Akkreditierungsbescheid auch kürzere Intervalle vorsehen. Liegen wichtige Gründe (etwa Strafanzeigen oder begründeter Verdacht des Vorliegens von Entziehungsgründen) vor, so kann die Akkreditierungsstelle die akkreditierte Stelle jederzeit einer Überprüfung unterziehen (§ 13 Abs 2 AkkG).
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3. Überwachung Überwachung ist die Untersuchung eines Erzeugnisses, seiner Bauart, einer Dienstleistung, eines Verfahrens oder einer technischen Anlage und der Feststellung ihrer Konformität mit besonderen oder allgemeinen Anforderungen durch einen Sachverständigen oder eine sachverständige Stelle, dessen oder deren Kompetenz hiefür durch die Akkreditierungsstelle anerkannt wurde.
4. Zertifizierung Zertifizierung ist die förmliche Bescheinigung der Konformität von Produkten, Verfahren oder Dienstleistungen mit einschlägigen Rechtsvorschriften, Normen und anderen normativen Dokumenten durch einen unparteiischen Dritten, der für diese Tätigkeit von einer befugten Stelle - also im Anwendungsbereich des AkkG von der Akkreditierungsstelle - akkreditiert ist. Eine Zertifizierungsstelle ist somit eine Stelle, die Zertifizierungen der Konformität durchführt, und deren Kompetenz hiefür von einer Akkreditierungsstelle bestätigt wurde.3
5. Kalibrierung Kalibrierung ist die Zuordnung von angezeigten zu den zugehörigen bekannten Werten einer Messgröße. Kalibrierstellen sind von der Akkreditierungsstelle im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft zu akkreditieren. Eine Kalibrierung ersetzt nicht die Eichpflicht gemäß Maß- und Eichgesetz.4
B. Historischer Hintergrund Bis zum Jahre 1992 war das Zertifizierungs- und Akkreditierungswesen in Österreich durch das Gesetz vom 9. September 1910 betreffend das technische Untersuchungs-, Erprobungs- und Materialprüfwesen, besser bekannt unter dem Synonym „Lex Exner“,5 geregelt. Erst mit dem Beitritt zum EWR sowie darauf folgend zur Europäischen Union, in welcher bereits zu diesem Zeitpunkt das „Neue Konzept“ der Normung sowie das „Globale Konzept“ für Zertifizierung und Prüfwesen6 ausgearbeitet und in Verwendung waren, und aufgrund der Unterzeichnung des „EFTA-Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Prüfzeugnissen und Konformitätsnachweisen“7 war es notwendig geworden, die Rechtslage so zu ändern, dass nach Inkrafttreten dieses Abkommens Prüfstellen benannt werden konnten, die nach den ISO-Richtlinien 25 und 38, in weiterer Folge umgesetzt in der europäischen Normenserie 45000, von einer nationalen Akkreditierungsstelle auf die Erfüllung der in diesen Normen enthaltenen Anforderungen hin überprüft worden waren. Diesen Vorgaben entsprechend orientierte man sich an den Grundsätzen der 3 4 5 6 7
Zur Tätigkeit einer Zertifizierungsstelle vgl §§ 31 - 35 AkkG. Vgl Binder, Vermessungswesen - Messwesen - Eichwesen. RGBl 1910/185; Abgedruckt bei Sladecek/Dübell/Mayer (Hrsg), Das Österreichische Normenwesen, 1972, 16f. Zu diesen Konzepten siehe unten Punkt III bzw zu einer umfassenden Darstellung Holoubek, Normung. BGBl 1990/593.
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Gleichstellung ausländischer mit inländischen Prüf- und Überwachungsberichten sowie Zertifizierungen bei Gleichwertigkeit und Gegenseitigkeit.
C. Ökonomischer Hintergrund Das auf der Grundlage des „Neuen Konzeptes der Normung“ sowie dem „Globalen Konzept für Zertifizierung und Prüfwesen“8 beruhende Produktsicherheitsrecht der Europäischen Union dient neben seiner Funktion zur Gewährleistung von Sicherheit für Konsumenten und Umwelt vor allem dem Funktionieren des freien Binnenmarktes. Während sich das „Neue Konzept der Normung“ um die Schaffung einheitlicher Vorschriften für Produkte bemüht und einheitliche Verfahren für die Konformitätsbewertung der Produkte mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen der Harmonisierungsrichtlinien entwirft, dient das „Globale Konzept“ der Beseitigung von Handelshemmnissen, die durch die Nichtanerkennung einmal durchgeführter Konformitätsbewertungen entstehen können. Durch die Schaffung eines europaweit einheitlichen und vor allem transparenten Systems der Beurteilung von Produkten wird dafür Sorge getragen, dass sämtliche zur Überprüfung der Konformität von Produkten zugelassenen Stellen einem einheitlichen, konstanten Qualitätsniveau entsprechen und daher die gemeinschaftsweite Anerkennung einer einmal durchgeführten Produktprüfung, die europaweit nach einheitlichen Kriterien vorgenommen wird, vorgeschrieben werden kann, dabei aber auch das Vertrauen der Konsumenten in das europäische Produktrecht gestärkt wird. Das an einem Produkt angebrachte CE-Kennzeichen bestätigt den positiven Abschluss eines in der betreffenden Richtlinie geforderten Konformitätsbewertungsverfahrens und fungiert insoweit als Warenpass, als das Produkt jedenfalls gemeinschaftsweit in Verkehr gebracht werden kann und kostspielige weitere Produktprüfungen unterbleiben.9 Nicht nur die mit dem CE-Kennzeichen verbundene freie Handelbarkeit und die Erlaubnis zum freien Inverkehrbringen des Produktes sondern vor allem auch das durch dieses transparente und in allen Mitgliedstaaten gleiche Verfahren erzielbare gegenseitige Vertrauen in die Produktqualität und die Qualität der Überprüfung sind es, die zur Vollendung eines nicht nur potentiellen Binnenmarktes und damit zur Förderung eines umfassenden gemeinschaftsinternen Wettbewerbes beitragen sollen.
Aber nicht nur die Produkte treten in ungehinderten Wettbewerb zueinander, auch die akkreditierten Stellen, denen die Möglichkeit geboten wird, in einem einheitlichen und transparenten System ihre Kompetenz, Unbescholtenheit und Unabhängigkeit nachzuweisen, können durch diesen Nachweis gemeinschaftsweit als Konformitätsbewertungsstellen auftreten und so mit anderen gleichartigen Stellen in einen „Qualitätswettbewerb“ treten. Das „Zertifizierungswesen“ und der Zertifizierungsmarkt haben mittlerweile ökonomisch bedeutende Ausmaße erreicht. Auch wenn in diesem Kapitel entsprechend seiner systematischen Stellung in diesem Handbuch die Produktzertifizierung im Vordergrund steht ist doch darauf hinzuweisen, dass ein wesentlich Trend in diesem Bereich heute im Bereich eines umfassenderen Qualitätsmanagements liegt, der insbesondere die Zertifizierung ganzer unternehmensinterner Ablaufsysteme erfasst. Aus der Sicht der Unternehmen geht es 8 9
Siehe dazu näher unter Punkt III/A. Zur Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Schutzklausel vgl Holoubek, Normung.
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hier vielfach im Rahmen der Wertschöpfungskette darum, die „Qualität“ von Lieferanten im Wege einer so genannten „Systemzertifizierung“ bescheinigt zu erhalten. Daneben tritt heute verstärkt auch die so genannte „Personalzertifizierung“. Im Rahmen des Qualitätsmanagements kommt dabei der Zertifizierung von unternehmensinternen Abläufen für Dienstleistungserbringungen immer mehr Bedeutung zu. Einen wesentlichen Bestandteil von Systemzertifizierungen stellen so genannte „Audits“ dar.10 Bei diesen konzentriert sich die Untersuchung nicht auf einzelne Produkte, sondern versucht, die jeweiligen Qualitätssicherungssysteme selbst zu überwachen und zu evaluieren. Umwelt-Audit und EMAS-Prüfung im Bereich des Umweltmanagements kommt hier wegweisende Funktion zu. Auch im Bereich des Arzneimittel- und Medizinprodukterechts sind Audits mittlerweile präsent,11 da Qualitätsmanagementsysteme aus der modernen Medizin, aufgrund der Notwendigkeit, genau definierte Vorgaben einzuhalten, nicht mehr wegzudenken sind.12 Mit diesen Entwicklungen haben sich auch die grundlegenden Zielsetzungen der Zertifizierung weiter entwickelt: Steht bei der Produktzertifizierung im Rahmen der Konformitätsbescheinigung mit einer Norm vor allem im Vordergrund, Schwachstellen des Produkts, also ein Unterschreiten grundlegender Sicherheitsanforderungen, auszuschließen, ist die Systemzertifizierung grundsätzlich - orientiert an entsprechenden benchmarks - auf eine besondere Leistungsfähigkeit der Systeme ausgerichtet. Die Zielsetzung der Zertifizierung liegt hier insbesondere auch darin, im Rahmen des Prozesses - insbesondere unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Audits - Verbesserungspotentiale im Prozess zu erkennen und in den Prozess zu integrieren, um auf diese Weise die Leistungsfähigkeit des Systems als Ergebnis des Zertifizierungsprozesses möglichst zu optimieren.13
II. Kompetenzrechtliche Einordnung Im Zuge der Ausarbeitung des Akkreditierungsgesetzes (AkkG) ging ursprünglich der Ministerialentwurf des damaligen Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten von einer umfassenden Bundeskompetenz aus. Diese Ansicht stützte sich auf eine „Versteinerungsargumentation“ unter Rückgriff auf das Gesetz vom 9.9.1910 betreffend das technische Untersuchungs-, Erprobungs- und Materialprüfungswesen, „Lex Exner“,14 sowie darauf, dass Art 102 Abs 2 B-VG das „technische Versuchswesen“ zu jenen Angelegenheiten zählt, 10
11 12 13
14
Audit, lateinisch für Anhörung, steht für die Untersuchung bestimmter Abläufe und kommt ursprünglich aus der Unternehmensführung (Personal- und Rechnungswesen). Vom Gesetzgeber wird dieser Begriff vor allem für die Evaluierung interner Qualitätssicherungsmaßnahmen herangezogen. So spricht bspw. § 2 Z 11 IndustrieunfallVO (BGBl II 354/2002), von Auditierung als einer „systematischen, nach festgelegten Regeln von einer unabhängigen Stelle durchgeführten Untersuchung.“ Siehe dazu § 47 AMG und § 56 MPG (BGBl 657/1996 idF BGBl I 119/2003). Vgl Z 18 der RV BG, mit dem das MPG geändert wird, aus 1996 zu § 56 Abs 1 MPG (BGBl 657/1996 idF BGBl I 119/2003). Für eine nähere Betrachtung von Struktur und Ablauf der Auditverfahren und insbes des Umwelt-Audit s Fuchs, Strukturen und Merkmale neuer Verwaltungsverfahren (Diss., Univ. Wien). Vgl FN5.
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die in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden können.15 Insbesondere auf Grund eines Gutachtens des Bundeskanzleramt-Verfassungsdienstes,16 das darlegte, dass Art 102 Abs 2 B-VG für sich keine Kompetenzgrundlage für ein umfassendes Akkreditierungsgesetz des Bundes biete, ging der Gesetzgeber in der Folge davon aus, dass das technische Versuchs- bzw Prüfwesen als Annexmaterie anzusehen ist.17 Das Akkreditierungsgesetz trägt dieser Auffassung Rechnung, indem es in seinem § 1 Abs 2 zum Einen seinen Geltungsbereich auf Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen in jenen Sachmaterien beschränkt, in denen der Bund sowohl für die Gesetzgebung als auch die Vollziehung zuständig ist. Zum Zweiten gilt das Akkreditierungsgesetz gemäß § 1 AkkG nur für jene Sachgebiete, in denen die einschlägigen Materiengesetze keine speziellen Regelungen über die Akkreditierung vorsehen, es kommt also auch im Bundesbereich nur subsidiär zur Anwendung.
III. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen A. Globales Konzept Akkreditierung und Zertifizierung stehen im Zusammenhang mit der „Neuen Konzeption“ der europäischen Produktpolitik. Rasch wurde dabei erkannt, dass dieses neue Konzept einer Ergänzung hinsichtlich der Bewertung der Konformität bedurfte, die 1989 im „Globalen Konzept“ der Konformitätsbewertung18 erfolgte. Dieses sieht den Aufbau und Betrieb eines europaweit einheitlichen und transparenten Systems der Akkreditierung und Zertifizierung, also einer europäischen Qualitätssicherungsinfrastruktur vor, die sich jedoch nicht nur auf den gemeinschaftsrechtlich reglementierten, also harmonisierten Bereich beschränkt, sondern sich auch auf den nichtreglementierten Bereich auswirken soll, indem etwa Vereinbarungen zwischen den in diesen Bereichen tätigen Stellen über die gegenseitige Anerkennung von Zertifizierungen und Prüfungen gefördert werden. Als Basis für dieses System dienten lange Zeit die ISO-Richtlinien 25 und 38, die in der europäischen Normenserie EN 45000 umgesetzt worden sind. Diese Normen erfuhren in der Zwischenzeit eine Überarbeitung, die einschlägigen Normen finden sich nunmehr in der Norm EN ISO/IEC 17025. Zur Erreichung dieses Zieles der Gewährleistung der Transparenz der einzelnen Systeme der Konformitätsbewertung und insbesondere der Wahrung bzw. Herstellung einer Vergleichbarkeit der Kompetenz der Prüf-, Zertifizierungs- und Überwachungsstellen wurden • jene Normen, welche für die Organisation und die Arbeitsweise der Prüf-, Zertifizierungs- und Überwachungsstellen gelten, harmonisiert, 15 16 17 18
Siehe dazu Gutknecht, Kompetenzrechtliche Grundlagen für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie, bbl 2001, 175 (181). Zitiert bei Gutknecht (FN15), 181. Vgl EB RV 508 BlgNR 18.GP S 11. Entschließung der Rates vom 21. Dezember 1989 zu einem Gesamtkonzept für die Konformitätsbewertung, Abl 1990 C 10/1; Mitteilung KOM(89) 209 endg, Abl 1989 C 267/3; Beschluss 93/465/EWG, Abl 1993 L 220/23
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jene Normen, die für die Organisation und die Arbeitsweise der staatlichen Akkreditierungsstellen gelten, die die vorgenannten Stellen akkreditieren, harmonisiert, diejenigen nationalen Systeme harmonisiert, die die Akkreditierungsstellen bestimmen (Akkreditierungssysteme).
Konkret bedeutet dies, dass das System der Konformitätsbewertung und Akkreditierung derartig organisiert ist, dass an oberster Stelle nationale Akkreditierungsstellen vorgesehen werden. Den Mitgliedstaaten bleibt es hierbei unbenommen, diese Stellen staatlich oder privat einzurichten bzw eine oder mehrere solcher Akkreditierungsstellen zu schaffen; gefordert ist nur die Letztverantwortung der nationalen Behörden. Aufgabe der so geschaffenen Akkreditierungsstellen ist die Aufsicht über und die Benennung jener Stellen, die unmittelbar die Konformitätsbewertungen, Prüfungen oder Überwachungen durchführen. Dies geschieht ausgehend von den einzelnen Harmonisierungsrichtlinien und unter Verwendung eines Regimes, das durch den Beschluss des Rates vom 22. Juli 1993 über die in den technischen Harmonisierungsrichtlinien zu verwendenden Module für die verschiedenen Phasen der Konformitätsbewertungsverfahren und die Regeln für die Anbringung und Verwendung der CE-Konformitätskennzeichnung19 eingeführt wurde:
Um eine bestimmte Richtlinie umzusetzen, müssen die darin vorgesehenen Standards überprüft werden. Die Akkreditierungsstelle wählt für diese Aufgabe unter den technisch einschlägig kompetenten Stellen jene aus, die den zur Durchführung der Konformitätsprüfung notwendigen Mindestanforderungen der Richtlinie hinsichtlich Qualifikation, Ausstattung und Integrität entsprechen. Hinsichtlich dieser Anforderungen sind die solcherart ausgewählten bzw „benannten“ Stellen von der Akkreditierungsstelle laufend zu überprüfen. Auch der nachträgliche Entzug der Akkreditierung ist möglich, muss den übrigen Mitgliedstaaten allerdings zur Kenntnis gebracht werden.20 Diese Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen sind nun berechtigt, anhand der von der Harmonisierungsrichtlinie vorgegebenen Konformitätsbewertungsverfahren die konkrete Leistung, das konkrete Produkt oder die konkrete Person auf ihre Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie hin zu überprüfen, zu überwachen bzw. bei bestätigter Konformität das entsprechende Zertifikat auszustellen.
B. Europäische Organisation für Prüfung und Zertifizierung (EOTC21) Um die Vorteile des beschriebenen Systems der Organisation, Zertifizierung und Akkreditierung im Bereich der Europäischen Normung einerseits auch auf jene Bereiche ausdehnen zu können, die nicht durch Harmonisierungsrichtlinien erfasst sind, in denen also die Mitgliedstaaten in der Ausgestaltung der 19 20
21
FN 18. Die Verpflichtung einen solchen Entzug zu melden, ergibt sich aus der Befugnis der einmal benannten Stellen, gemeinschaftsweit als Zertifizierungsstelle tätig zu werden. European Organisation for Conformity Assessment, früher European Organisation for Testing and Certification. Die Kurzbezeichnung EOTC wurde jedoch ungeachtet der geänderten und der Tätigkeit des ETOC besser entsprechenden Bezeichnung beibehalten.
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grundlegenden Sicherheitsanforderungen frei sind,22 und andererseits auch die gegenseitige Anerkennung von Prüfungen und Zertifizierungen mit bzw zwischen Drittstaaten zu fördern, wurde 1990 in Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission, der EFTA und den Europäischen Normungsorganisationen die Europäische Organisation für Prüfung und Zertifizierung, EOTC, ins Leben gerufen. Ihre Aufgaben bestehen darin, durch die Organisation von Konferenzen und Foren die Rahmenbedingungen für einen Informationsaustausch, gegenseitige Vertrauensbildung und schließlich für den Abschluss von internationalen Abkommen über die gegenseitige Anerkennung zu schaffen.
IV. Die Regelungen des Akkreditierungsgesetzes (AkkG) A. Akkreditierungsverfahren 1. Voraussetzungen für die Akkreditierung a) Gemeinsame Voraussetzungen für Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen Für sämtliche zu akkreditierende Stellen normiert das Akkreditierungsgesetz gemeinsame, von diesen zu erfüllende Voraussetzungen:23 Um eine strikte Trennung von Prüfer und Geprüftem im Interesse des Vertrauens Außenstehender in das System von Zertifizierung und Akkreditierung gewährleisten zu können, muss sowohl die zu akkreditierende Stelle als auch deren jeweiliges Personal frei von kommerziellem, finanziellem und anderem Einfluss sein, der das von ihr abzugebende, rein auf Sachverstand basierende Urteil beeinflussen könnte. So dürfen weder die Zertifizierungsstelle noch ihr Personal anders als im Rahmen der Prüfung, Überwachung oder Zertifizierung mit dem Produkt oder der Leistung, das oder die es zu beurteilen gilt, befasst werden.24 Beteiligungen an der Entwicklung, der Herstellung oder dem Vertrieb des Produktes sind daher ebenso unzulässig und mit der Tätigkeit als benannte Stelle nicht vereinbar, wie der Besitz etwaiger Rechte in diesem Zusammenhang.25 Weiters darf das Entlohnungsschema des Personals weder an das Ergebnis noch die Anzahl der durchgeführten Prüfungen geknüpft sein. Hinsichtlich der Organisation der zu akkreditierenden Stelle normiert das Akkreditierungsgesetz die Notwendigkeit eines gesamtverantwortlichen Leiters, eines Zeichnungsberechtigten für jedes Fachgebiet, der - im Falle einer Zertifizierungs- oder Überwachungsstelle - auf dem Gebiet der Qualitätssicherung ausgebildet sein muss, der entsprechenden Qualifizierung und Zuverlässigkeit des Personals sowie der Ausstattung mit geeigneten Räumlichkeiten und Einrichtungen. Die Begründung hiefür findet sich in 22
23 24
25
Freilich bedeutet dies für die Mitgliedstaaten nicht, dass sie unbegrenzte Spielräume zur Ausgestaltung dieser Anforderungen zur Verfügung haben. Das Primärrecht, insbesondere die Grundfreiheiten des EGV setzen den mitgliedstaatlichen Regelungsspielräumen auch hier Grenzen. Vgl §§ 18 bis 21 bzw 23 AkkG. Dies stellt eine bedeutende Hürde für „Werksprüfstellen“ dar. Hier werden diese Anforderungen hinsichtlich Unabhängigkeit in der Praxis so verstanden, dass zwischen Produktion und Vertrieb und der Werksprüfstelle eine derartige Trennung bestehen muss, dass das Prüflaboratorium quasi als „third party“ agieren kann. Zu denken wäre hier etwa an Immaterialgüterrechte.
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den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Stammfassung des Akkreditierungsgesetzes:26 Das hohe Maß der Anforderungen ergebe sich schon aus dem Charakter der Prüfberichte als öffentliche Urkunden, daher müsse ein besonderes Maß der Zuverlässigkeit des verantwortlichen Personals gefordert werden. Als Gründe, die ein besonderes Maß an Zuverlässigkeit und Integrität ausschließen könnten, nennen die Materialien etwa das Vorliegen von Verwaltungsstrafen oder gerichtlicher Strafen. In Entsprechung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, ein Akkreditierungssystem gemäß der europäischen Normenserie 45000 sowie EN 29000 zu schaffen, ist im Akkreditierungsgesetz das Bestehen eines Qualitätssicherungsverfahrens, das nicht nur abstrakt beschrieben sein darf, sondern konkrete Auswirkungen auf die Prüftätigkeit haben und geeignet sein muss, die Qualität derselben effektiv zu sichern, als zwingende Voraussetzung vorgesehen. Das Qualitätssicherungssystem muss schließlich in einem Qualitätssicherungshandbuch festgehalten sein, welches dem bei der zu akkreditierenden Stelle tätigen Personal tatsächlich zur Verfügung stehen muss.
Um den sich ständig ändernden Anforderungen entsprechen zu können, ohne dass dafür jeweils das Akkreditierungsgesetz geändert werden müsste, enthält § 22 AkkG eine Verordnungsermächtigung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, unter näher bezeichneten Umständen zusätzliche obligatorische Voraussetzungen für eine Akkreditierung zu schaffen. Die von den Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen zu erfüllenden konkreten materiellen Voraussetzungen für ihre Akkreditierung, die zu den allgemeinen Anforderungen hinsichtlich Integrität und Unabhängigkeit hinzutreten, werden in den einzelnen Harmonisierungrichtlinien genannt: Sie bestimmen sich nach den Eigenschaften und Beschaffenheiten des jeweils zu prüfenden, überwachenden oder zu zertifizierenden Gegenstandes.
b) Besondere Voraussetzungen für Zertifizierungsstellen Während Prüf- und Überwachungsstellen auf Grund eines Antrages mittels Bescheid akkreditiert werden, erfolgt die Akkreditierung von Zertifizierungsstellen mittels Verordnung, ohne dass irgendjemandem ein Rechtsanspruch auf die Akkreditierung zukommt.27 Diese besondere Behandlung von Zertifizierungsstellen entspringt dabei weniger einer besonderen Eigenart ihrer Tätigkeiten sondern vielmehr einer internationalen Praxis, in (produkt-)spezifischen Fachbereichen, die in der Regel dem Anwendungsbereich einer Harmonisierungsrichtlinie entsprechen, nur eine beschränkte Anzahl von Zertifizierungsstellen zuzulassen und zu benennen.28 Wäre ein einheitliches Zulassungsverfahren mit Antrag und Zulassung mittels Bescheid auch für die Akkreditierung von Zertifizierungsstellen gewählt worden, so wäre die Zahl der zu benennenden Stellen erheblich größer als bei der gewählten Vorgangsweise, was jedoch nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage dem Gesetzgeber zum damaligen Zeitpunkt nicht opportun erschien.29 26 27 28 29
Vgl FN17. § 17 Abs 5 AkkG. Vgl RV 508 BlgNR (FN17), ad § 17. Diese Regelung dürfte, weil sie die Überprüfung der Gesetzmäßigkeit des Handelns der Akkreditierungsstelle und damit jeden Rechtsschutz von Zulassungswerbern ausschließt, verfassungswidrig sein (siehe schon Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht1, 1998, RZ 783/ FN71); zur Verpflichtung des Gesetzgebers, aus rechtsstaatlichen Gründen keine im Rechtsschutzsystem nicht aufgreifbaren Entscheidun-
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Neben den gemeinsamen Erfordernissen für die Akkreditierung, wie sie bereits oben dargestellt wurden, haben Zertifizierungsstellen noch zusätzlich die in § 17 AkkG genannten Voraussetzungen zu erfüllen: Ausgehend von den Zielvorgaben und dem wirtschaftlichen Hintergrund des Gesamtkonzeptes des Akkreditierungswesens muss die Zertifizierungsstelle erwarten lassen, dass ihre Zertifikate international anerkannt werden. Weiters wird gefordert, die Zertifizierungsstelle müsse Gewähr für eine ordnungsgemäße Zertifizierungstätigkeit bieten, die Zertifizierungsstelle müsse ein Lenkungsgremium aufweisen, dem die Festlegung der Geschäftspolitik der Stelle, die Aufsicht und die Umsetzung derselben sowie die Aufsicht über ihre Gebarung übertragen sind, und schließlich ein Verfahren zur Behandlung von Beschwerden vorsehen.
2. Versicherungspflicht Um eventuellen, sich im Rahmen ihrer Zertifizierungstätigkeit ergebenden Schadenersatzpflichten nachkommen zu können, werden die Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen nach § 24 AkkG außerdem verpflichtet30 eine Versicherung abzuschließen.31
3. Entscheidung mittels Bescheid Erfüllt eine Prüf- oder Überwachungsstelle die bereits genannten Voraussetzungen zu ihrer Akkreditierung und strebt sie eine solche nach dem Akkreditierungsgesetz für dessen Geltungsbereich an, so hat sie beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit einen diesbezüglichen schriftlichen Antrag einzubringen, der sämtliche wesentlichen Angaben gemäß § 9 AkkG zu enthalten hat. Entscheidende Bedeutung kommt hierbei der Angabe der genauen Art der Akkreditierung, des angestrebten Fachgebietes, der durchzuführenden Prüfverfahren, der Namen der verantwortlichen Personen, Angaben über die einschlägigen Qualifikationen des Fachpersonals sowie über das Qualitätssicherungshandbuch, eine Dokumentation zur Beschreibung der besonderen Methoden und Verfahren zur Erreichung des Qualitätszieles, zu, wobei per Verordnung des BMWA als Akkreditierungsstelle weitere Antragserfordernisse bestimmt werden können. Liegt ein solcher Antrag vor, so überprüft die Akkreditierungsstelle das Vorliegen sämtlicher genannter Voraussetzungen. Zu diesem Zweck kann sie sich einschlägiger, speziell qualifizierter Sachverständiger bedienen, und, bei Zweckmäßigkeit, zusätzlich, niemals jedoch ausschließlich, auch die Teilnahme der antragstellenden Stelle an einer Eignungs- oder Vergleichsprüfung auf deren Kosten anordnen, wenn dadurch weder unverhältnismäßige Kosten noch eine ungebührliche Verzögerung des Zulassungsver-
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gen der staatlichen Verwaltung zu ermöglichen, die Rechtspositionen der Rechtsunterworfenen gestalten bzw in diese eingreifen, siehe VfSlg 14295/1995, 13699/1994, 13223/1992. Ebenso ist diese Verpflichtung in den einzelnen Materiengesetzen wie dem § 28 KesselG (BGBl.Nr. 211/1992) oder beispielsweise auch im § 147 der MaschinensicherheitsVO (BGBl.Nr. 306/1994 idF BGBl. II Nr. 62/2006) wiedergegeben. Die Mindesthöhe der Pauschaldeckungssummen von Versicherungsverträgen für Personen-, Sach- und Vermögensschäden, die von Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen gemäß § 24 Abs. 3 Akkreditierungsgesetz, abzuschließen sind, finden sich in § 2 der Akkreditierungsversicherungsverordnung (BGBl. II Nr. 13/1997).
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fahrens bewirkt werden. Erfüllt der Antragsteller die Voraussetzungen einer Akkreditierung für die beantragte Akkreditierungsart, so hat die Akkreditierungsstelle die begehrte Akkreditierung mittels Bescheid auszusprechen.32 Der Inhalt des Bescheides entspricht dabei den notwendigen Angaben des Antrages, listet also die erteilten Befugnisse der Stelle anhand festgelegter Prüfungsverfahren detailliert auf und enthält weiters Angaben über die jeweils verantwortlichen Personen und die Geltungsdauer der Akkreditierung. Zur flexiblen Gestaltung dieses Systems und im Hinblick auf spezielle Verordnungen hinsichtlich der Anforderungen an die Akkreditierungswerber ist schließlich noch die Möglichkeit der Erteilung von Auflagen vorgesehen.
4. Aufsicht über die akkreditierten Stellen Im Hinblick auf die Anforderungen der europäischen Normen der Serie 45000 und die staatliche Verantwortung für die Qualität der benannten Stellen sieht das Akkreditierungsgesetz eine wiederkehrende laufende Überprüfung der für die einzelnen akkreditierten Stellen geltenden Akkreditierungsvoraussetzungen vor. Überprüft wird, ob die Akkreditierungsvoraussetzungen weiterhin erfüllt sind oder ob die Akkreditierung aufgrund von Mängeln entzogen oder beschränkt werden muss. Diese Überprüfungen haben längstens alle fünf Jahre stattzufinden, wobei bei Vorliegen wichtiger Gründe, wie etwa in Beschwerdefällen, bei Strafanzeigen, oder bei begründetem Verdacht des Vorliegens von Entziehungsgründen auch jederzeit eine Überprüfung angeordnet werden kann. So zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen oder Verträge notwendig, kann die regelmäßige Untersuchung des Vorliegens der Akkreditierungsvoraussetzungen auch generell in kürzeren Intervallen vorgenommen werden. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben kommen der Akkreditierungsstelle bzw. den von ihr beauftragten Sachverständigen umfassende Befugnisse zu:33 Es dürfen die Räumlichkeiten, in denen die akkreditierte Stelle im Rahmen ihrer Akkreditierung tätig ist, jederzeit34 betreten werden, Eignungsprüfungen zur Feststellung der Prüffähigkeit einer Prüfstelle selbst durchgeführt oder die Durchführung aufgetragen werden, die Vorbereitung, Verpackung und Versendung von Proben, Prüfgegenständen oder anderen benötigten Sachen und die Teilnahme an Vergleichsprüfungen sowie die Übersendung von Berichten über die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes vorgenommenen Tätigkeiten verlangt werden. Untersucht werden kann schließlich auch die Wirksamkeit des Qualitätssicherungssystems. Ergibt die Überprüfung, dass die Akkreditierungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen, so wird die untersuchte Stelle formlos vom Ausgang der Überprüfung verständigt und die Akkreditierungsstelle trägt die Kosten der Überprüfung. Bestehen jedoch Mängel und werden die Akkreditierungsvoraussetzungen nicht mehr in vollem Umfang erfüllt, so wird die Akkreditierung mit Bescheid entzogen oder der Leistungsfähigkeit der Stelle entsprechend angepasst. Die überprüfte Stelle hat in diesem Fall die Kosten zu tragen. Darüber hinaus hat die Akkreditierungsstelle die Akkreditierung bei Vorliegen eines der Tatbestände des §14 Abs 3 AkkG zu entziehen oder einzuschränken, also etwa, wenn unrichtige Prüfungsergebnisse vorliegen und dabei allgemein anerkannte
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Der Antragsteller hat somit einen Rechtsanspruch auf seine Akkreditierung. Siehe § 13 Abs 3 iVm §§ 27 und 30 AkkG. Vgl RV 508 BlgNR (FN 17), ad § 13.
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Fehlergrenzen signifikant überschritten werden, oder behördlichen Mitteilungen nicht oder nur mit ungerechtfertigter Verzögerung nachgekommen wird.35
5. Aufgaben akkreditierter Prüf- und Überwachungsstellen Abgrenzung zur Zertifizierung Im Rahmen des beschriebenen europäischen Ordnungsrahmens zur Gewährleistung eines qualitativ hochwertigen und einheitlichen Produktstandards ist es Aufgabe der akkreditierten Prüf- und Überwachungsstellen, bestimmte Kennwerte hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und des Qualitätsniveaus einzelner Erzeugnisse zu ermitteln oder die Einhaltung bestimmter Vorschriften zu überwachen. Ergebnis der Tätigkeit der Prüf- bzw Überwachungsstellen sind somit sachverständige Gutachten über die vorgenommenen Untersuchungen. Abhängig von den jeweiligen Anforderungen des in der einzelnen Harmonisierungsrichtlinie vorgesehenen Konformitätsbewertungsverfahrens kann etwa unmittelbar auf der Basis dieser Prüfungen und Überwachungen eine Herstellererklärung abgegeben werden.36 Ist eine solche auf Grund der Gefahrengeneigtheit des in Frage stehenden Produktes oder sonstiger Umstände nicht ausreichend, um das Produkt zum freien Verkehr zulassen zu können, muss eine formelle Zertifizierung durch eine akkreditierte Zertifizierungsstelle erfolgen. Diese können im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens auf die Ergebnisse bereits durchgeführter, in den Modulen vorgeschriebener Prüfungen und Überwachungen zurückgreifen. Bei Konformität wird ein Zertifikat ausgestellt, auf Grund dessen die Anbringung des CE-Kennzeichens auf dem Produkt gestattet ist. Das AkkG unterscheidet insoweit zwischen Prüf- und Überwachungsstellen und Zertifizierungsstellen, als es verschiedene Akkreditierungsverfahren vorsieht. Werden erstere mittels Bescheid ernannt, so ist für die Ernennung letzterer eine Verordnung notwendig. § 17 AkkG schreibt die Verordnungsform für die Akkreditierung von Zertifizierungsstellen fest, um nicht der Möglichkeit, für bestimmte Fachbereiche nur eine geringe Zahl an Zertifizierungsstellen zuzulassen, verlustig zu gehen.37 Im Gegensatz dazu sieht § 11 AkkG neben der Bescheidform für Prüf- und Überwachungsstellen auch einen, bei Vorliegen sämtlicher Vorraussetzungen entstehenden, Rechtsanspruch auf Akkreditierung vor.38
B. Zertifizierungsverfahren Dem so genannten „Globalen Konzept für Zertifizierung und Prüfwesen“, das 1989 den Grundstein für ein europäisches Gesamtkonzept der Konformitäts35
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Als weitere Gründe für die Entziehung oder Einschränkung der Akkreditierung nennt § 14 Abs 3 AkkG ein mehrmaliges, außerhalb der Fehlergrenzen liegendes Abschneiden bei Vergleichsprüfungen und eine den Bestimmungen des AkkG oder einer auf dessen Grundlagen erlassenen Verordnung nicht entsprechende Ausübung der akkreditierten Tätigkeit. Zu den im Rahmen der Konformitätsbewertung vorgesehenen Modulen vgl Holoubek, Normung. EBRV 508 BlgNR 18. GP, zu § 17 Für Prüf- und Überwachungsstellen heißt es in § 11 Abs 1 AkkG: „ … hat die Akkreditierungsstelle die Akkreditierung durch Bescheid auszusprechen.“
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bewertung legte,39 entspringen auch die je nach Produktbereich unterschiedlichen Verfahren der Zertifizierung. Die jeweils einschlägigen Verfahrensarten werden in Richtlinien wie z.B. der Druckgeräterichtlinie 97/23/EG, oder der Maschinenrichtlinie 98/37/EG vorgegeben. Ihrer bedienen sich dann auch die Benannten Stellen bei der Bewertung der Konformität einzelner Produkte. Diese Bewertung findet auf Antrag40 des Unternehmers, der sein Produkt zertifizieren und ein CE-Kennzeichen anbringen lassen will, statt. Mit dem Antrag hat er auch den zu prüfenden Gegenstand vorzubringen bzw. auf den Ort an dem dieser sich befindet zu verweisen.41 Die tatsächlichen Prüfungsmodalitäten ergeben sich aus einem Modulmodell,42 das dem Hersteller unter Umständen auch die Wahl zwischen verschiedenen Verfahren lässt. Besonders häufig kommen die Zertifizierungen bei der Baumusterprüfung und bei der Qualitätssicherung zur Anwendung.43 Die Zertifizierungsentscheidung hat, wenn sie ablehnend bzw. einschränkend ist, genau begründet zu sein und dem Antragsteller die Rechtsbehelfe und Rechtsbehelffristen zu nennen.44 Als Rechtsbehelf kommt beispielsweise im Baumusterprüfungsverfahren nach §10 MaschinensicherheitsVO eine binnen 14 Tagen zu stellende Aufsichtsbeschwerde an das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten in Frage.45
C. Rechtliche Einordnung von Akkreditierung und Zertifizierung 1. Das hoheitliche Akkreditierungsverhältnis zwischen Akkreditierungsstelle (BMWA) und „benannter“ Stelle Im Zusammenhang mit Akkreditierung und Zertifizierung sind zwei Rechtsverhältnisse zu unterscheiden: dasjenige zwischen der Akkreditierungsstelle und der akkreditierten, „benannten“ Stelle, also insbesondere der Zertifizierungsstelle auf der einen, und dasjenige zwischen der Zertifizierungsstelle und dem Unternehmer, der seine Produkte bzw Dienstleistungen zertifizieren lassen will, auf der anderen Seite. Das Rechtsverhältnis zwischen Akkreditierungsstelle und akkreditierter Einrichtung ist dabei von den einschlägigen Rechtsgrundlagen als hoheitliches Verwaltungsrechtsverhältnis, das Akkreditierungsverfahren als Verwaltungsverfahren ausgestaltet (Prüf- und Überwachungsstellen) bzw hoheitlich durch Verordnung geregelt (Zertifizierungsstellen).
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KOM (89) 209 endg, Abl 1989 C 267/3. Ein derartiger Antrag hat u.a. Name (Firma) und vollständige Anschrift des Herstellers oder gegebenenfalls seines Bevollmächtigten in Österreich, den Herstellungsort des Produkts und die zur Prüfung notwendigen technischen Unterlagen zu enthalten. Vgl. bspw. § 10 Abs 4 Maschinen-SicherheitsVO. Siehe Holoubek, Normung IV.D. Röhl, Konformitätsbewertung, 159. Vgl. bspw. Druckgeräte-RL 97/23/EG. §11 Abs 5 MaschinensicherheitsVO, siehe näher unten Punkt C/2.
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2. Das Konformitätsprüfungsverhältnis als privates vertragliches Leistungsrechtsverhältnis Für den einzelnen Unternehmer zumeist unmittelbar einschlägig und daher wichtiger ist freilich das Rechtverhältnis zwischen dem Produkthersteller, der sein Produkt zertifizieren lassen möchte, und der Zertifizierungsstelle. Die Einordnung dieses Rechtsverhältnisses in herkömmliche (verwaltungs)rechtliche Kategorien bereitet der Lehre46 allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Auf den ersten Blick scheint die Frage einfach zu beantworten: Die Zertifizierungsstelle ist keine staatliche Behörde im organisatorischen Sinn, sondern ein vom Staat verschiedener Rechtsträger, dessen Unabhängigkeit gerade eine der Voraussetzungen für seine Akkreditierung ist. Es handelt sich zwar um staatlich autorisierte (das heißt mit Bescheid oder bei Zertifizierungsstellen im Verordnungsweg dazu ermächtige und berechtigte) Einrichtungen, in der Regel aber um Private. Zwischen der Zertifizierungsstelle und dem eine Zertifizierung beantragenden Unternehmer wird kein Verwaltungsverfahren (im Sinne des AVG) abgeführt, sondern die Rechtsbeziehung zwischen Zertifizierungsstelle und Unternehmer ist in einem privatrechtlichen Vertrag geregelt. Grundlage der Konformitätsbewertung durch die Zertifizierungsstelle bei der Produktzertifizierung etwa ist ein privatrechtlicher Vertrag zwischen dem Hersteller und der akkreditierten Zertifizierungsstelle. Die Zertifizierungsstelle erlässt auch keine - jedenfalls nicht ausdrücklich als solche gekennzeichneten „Bescheide“ sondern stellt Konformitätsbescheinigungen, Zertifikate aus. Der erste Blick spricht also insbesondere auf Grund der privatrechtlichen, vertraglichen Rechtsbeziehung zwischen Hersteller und Zertifizierungsstelle dafür, dieses Rechtsverhältnis als privatrechtliches einzuordnen. In der Konformitätsbescheinigung kann man dann - vergleichbar anderen Sachverhalten sachverständiger Bescheinigung oder Begutachtung durch Prüf- und Überwachungsstellen - die Abgabe einer sachverständigen gutachtlichen Äußerung sehen, die auf Grund des privatrechtlichen Rechtsverhältnisses von der Zertifizierungsstelle geschuldet ist. Auf Grund des vertraglichen Rechtsverhältnisses und ihrer besonderen Stellung trifft die Zertifizierungsstelle dann insbesondere gegenüber dem Hersteller die Verantwortung als Sachverständiger.47 Bei näherer Betrachtung unterscheiden sich allerdings die Rechtswirkungen, die an eine Konformitätsbescheinigung durch eine Zertifizierungsstelle geknüpft sind, doch erheblich von anderen Konstellationen sachverständiger Bescheinigungen oder Prüfungen. Dies gilt allerdings nur für jenen Bereich, in dem auf Grund entsprechender gemeinschaftsrechtlicher Regelungen und/oder der innerstaatlichen (Umsetzungs)vorschriften die Einhaltung bestimmter (Umwelt-, Sicherheits- etc)Anforderungen, wie sie sich insbesondere aus europäischen Normen ergeben, rechtlich verbindlich angeordnet ist und damit insbesondere das oben beschriebene globale System der Konformitätsbewertung rechtlich verbindlich zur Anwendung gelangt. Außerhalb dieses rechtlich ver46 47
Spruchpraxis oder Höchstgerichtsentscheidungen zu dieser Frage stehen, soweit zu sehen, noch aus. Ob und gegebenenfalls inwieweit damit vertraglich auch Schutzwirkungen zugunsten Dritter (die etwa das Produkt bestimmungsgemäß verwenden und auf das Zertifikat vertraut haben) begründet werden, ist hier nicht zu untersuchen.
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bindlichen Systems gemeinschaftsweiter Konformitätsbewertung, wenn also Unternehmen ihre Produkte oder Dienstleistungen freiwillig am Maßstab bestimmter europäischer oder innerstaatlicher Normen „zertifizieren“ lassen, gilt das im Folgenden Ausgeführte nicht. Im Bereich ausschließlich freiwilliger Zertifizierung kommen - mangels entsprechender rechtlicher „Verbindlicherklärung“ - der Zertifizierung die im Folgenden zu behandelnden speziellen Rechtswirkungen nicht zu, es bleibt bei den „allgemeinen Wirkungen“, die sich an die Einhaltung und sachverständige Bestätigung der Normkonformität von Produkten knüpfen können.48 Soweit allerdings ein gemeinschaftsrechtlich und in der Folge durch die einschlägigen innerstaatlichen Umsetzungsvorschriften angeordnetes bestimmtes Verfahren der Konformitätsbewertung verbindlich ist und damit entsprechende rechtliche Marktzulassungsbedingungen bestehen, weisen Zertifizierungen eine Reihe von rechtlichen Besonderheiten auf. Zwar unterliegen die Zertifizierungsstellen keiner strengen Zuständigkeitsordnung, der Hersteller kann also gemeinschaftsweit auswählen, bei welcher Zertifizierungsstelle er das Zertifizierungsverfahren beantragt.49 Allerdings besteht für Zertifizierungsverfahren nach einigen Rechtsvorschriften50 insoweit ein „Exklusivitätsanspruch“, als der Hersteller, kommt es zu einer negativen Entscheidung der Zertifizierungsstelle, nicht einfach zur nächsten Zertifizierungsstelle weiterziehen kann und dort ein neuerliches Verfahren beantragen darf.51 Die Entscheidung der Zertifizierungsstelle wirkt, wenn eine solche Regelung besteht (sonst bleibt es wohl beim Informationsaustausch der benannten Stellen ohne Verbindlichkeit) - positiv oder negativ - gemeinschaftsweit und bindet gemeinschaftsweit andere Zertifizierungsstellen wie mitgliedstaatliche oder gemeinschaftliche Behörden.52 Das unterscheidet die Zertifizierung also von einem „klassischen Sachverständigengutachten“, das durch andere Sachverständigengutachten in Frage gestellt werden kann. Anders als bei „klassischen Sachverständigengutachten“ kommt es in der Folge auch nicht zu einer staatlichen behördlichen Entscheidung, sondern die wesentlichen binnenmarktbezogenen Rechtswirkungen, das heißt die gemeinschaftsweite Produktzulassung, knüpft sich unmittelbar an die Zertifizierung. Die staatlichen Behörden können ihre Entscheidung nicht anstelle derjenigen der Zertifizierungsstelle setzen. Sie können nur in einem speziell geregelten Verfahren in Ausnahmesituationen, dem Schutzklauselverfahren, im Zusammenwirken mit anderen Mitgliedstaaten und der Kommission bestimmte Rechtswirkungen, die mit der Zertifizierung verbunden sind, wieder aussetzen.
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Siehe Holoubek, Normung. Zum europaweiten Wettbewerb der Zertifizierungsstellen siehe bereits oben I.A.3. Vgl etwa den Anhang VI.3.1. der MedizinprodukteRL und § 29 Abs 1 Medizinproduktegesetz. Vgl dazu die Überlegungen von Fuchs (FN 13), die für den Anwendungsbereich jener Rechtsvorschriften, die - wie zB § 29 Abs 1 MPG - eine Parallelbetrauung benannter Stellen untersagen, eine neuerliche Antragstellung bei einer anderen Stelle als dem Normzweck widerstrebend und daher unzulässig bewertet. Zur Ausnahme der Schutzklauselverfahren siehe oben IV.C.2.
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Manche der einschlägigen materiellrechtlichen Regelungen enthalten auch verfahrensrechtliche Anforderungen einschließlich Rechtsschutzanforderungen, die - aus österreichischem Blickwinkel gesehen - eher ein hoheitliches Verwaltungsrechtsverhältnis nahe legen. So verlangt Art 18 der DruckgeräteRichtlinie,53 dass jede in Anwendung dieser Richtlinie getroffene Entscheidung, die eine Einschränkung des Inverkehrsbringens und der Inbetriebnahme eines Druckgerätes oder einer Baugruppe zur Folge hat oder dessen Zurücknahme vom Markt erzwingt, genau zu begründen ist. Sie ist den Betroffenen unverzüglich unter Angabe der Rechtsbehelfe, die nach den in diesem Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften eingelegt werden können, und der Rechtsbehelfsfristen mitzuteilen Bezüglich Baumusterbescheinigungen verlangt § 11 der österreichischen Maschinensicherheitsverordnung,54 dass die Prüfstelle im Fall einer negativen Entscheidung, also wenn sie die Ausstellung einer Baumusterbescheinigung oder eine Ergänzung einer solchen verweigert, dies gegenüber dem Antragsteller zu begründen hat und auch dem BMWA mitzuteilen hat. Gleiches gilt, wenn die Prüfstelle eine einmal erteilte Baumusterbescheinigung zurückzieht. Auf deren Verlangen hat die Stelle auch anderen Prüfstellen dies entsprechend mitzuteilen. § 11 Abs 6 der Maschinensicherheitsverordnung räumt dem Antragsteller in einem solchen Fall die Möglichkeit einer Aufsichtsbeschwerde an das BMWA ein, auf Grund derer das BMWA die Prüfstelle, die die Ausstellung einer Baumusterbescheinigung verweigert hat, oder auch eine andere Prüfstelle auf Kosten des Antragstellers mit einer neuerlichen Baumuster- oder Ergänzungsprüfung beauftragen kann. Das Aufsichtsbeschwerdeverfahren führt also zu einer nochmaligen Prüfung, ohne dass die Regelung näher anordnet, ob für die Prüfstelle - vergleichbar der Situation bei kassatorischen Rechtsmittelentscheidungen - eine gewisse Bindungswirkung an Rechtsauffassungen der Aufsichtsbehörde bestehen sollen. Weil eine diesbezügliche ausdrückliche Anordnung fehlt und im Hinblick auf die Qualifikation der Tätigkeit der Prüfstelle als Sachverständigentätigkeit und ihre Unabhängigkeit wird man daher annehmen müssen, dass eine solche nicht gegeben ist und das Aufsichtsbeschwerdeverfahren also nur zu einer nochmaligen, in der Sache aber wiederum ausschließlich eigenverantwortlichen sachverständigen Prüfung durch die Prüfstelle führt. Mehr als eine neuerliche sachverständige Begutachtung kann also das im Zusammenhang mit Baumusterbescheinigungen angeordnete Aufsichtsbeschwerdeverfahren nicht erreichen. Inhaltliche Einflussnahme auf die Entscheidung - Ausstellung einer Baumusterbescheinigung oder nicht - kommt der Aufsichtsbehörde keine zu. Vor dem geschilderten Hintergrund gibt es insbesondere in Deutschland gewichtige Stimmen, die die Tätigkeit der „benannten Stellen“ bei der Zertifizierung als Beleihung einstufen und damit funktionell als Ausübung hoheitli-
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RL 97/23/EG, Abl 1997 L 181/1. Die MaschinensicherheitsVO (BGBl. Nr. 306/1994 idF BGBl. Nr. II 330/2006) setzt insbesondere die Richtlinie RL 2006/42/EG Abl L 157/24 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen um, siehe im Einzelnen § 11 Abs 5 bis 7 MaschinensicherheitsVO.
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cher Verwaltungstätigkeit betrachten.55 Für diese Auffassung kann insbesondere ins Treffen geführt werden, dass der Zertifizierungsstelle eine Reihe einseitiger Entscheidungsbefugnisse zukommen. Diese betreffen nicht nur die Zertifizierungsentscheidung als solche, sondern vor allem ihre Befugnis, die Konformitätsbescheinigung einseitig bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen wieder aufzuheben, wie dies in den gesetzlichen Grundlagen in manchen Fällen vorgesehen ist.56 Allerdings ist auf der anderen Seite sogleich auch festzuhalten, dass in einer Reihe von Fällen derartige Kontroll- und Rücknahmerechte nur in der vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Hersteller und der benannten Stelle geregelt sind, die Zertifizierungsstellen allerdings manchmal auf Grund spezieller (gemeinschafts)rechtlicher Bestimmungen wiederum dazu verpflichtet sind, entsprechende Klauseln in ihre Verträge aufzunehmen.57 Dazu kommen oft auch umfangreiche Befugnisse der Zertifizierungsstellen zur Besichtigung von Betriebsräumen des Herstellers im Rahmen des Zertifizierungsprozesses. Auch die einschlägigen innerstaatlichen Regelungen bedienen sich in mancher Hinsicht einer Terminologie, die eher einem Verwaltungsverfahren denn einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis entspricht: oft ist vom „Antrag“ des Herstellers die Rede.58 Stellt man dieses System vor den Hintergrund des österreichischen Verwaltungs- und insbesondere des Amtshaftungsrechts, so ergeben sich durchaus Argumente für eine Einordnung der Tätigkeit der Zertifizierungsstelle in den Bereich hoheitlicher Verwaltungstätigkeit.59 Die Tätigkeit der Zertifizierungsstelle erfolgt auf hoheitlicher Grundlage und die Zertifizierungsstelle ist gegenüber dem Hersteller zu einseitigen Erklärungen ermächtigt. Vor dem Hintergrund eines sehr weiten Verständnisses des so genannten „funktionellen Zusammenhangs“ zur Hoheitsverwaltung, wie sie der OGH im Amtshaftungsrecht entwickelt hat,60 könnte eine Zurechnung der Tätigkeit der Zertifizierungsstellen zur staatlichen Verwaltung durchaus begründet werden. Auch mit Blick auf Rechtsschutzbedürfnisse des Herstellers könnte die „öffentlich-rechtliche“, „hoheitliche“ Lösung Einiges für sich haben. Allerdings wirft ein solches „Beleihungsmodell“ eine Reihe von Problemen insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung des VfGH zur Zulässigkeit der Beleihung ausgegliederter Rechtsträger, insbesondere Privater, mit hoheit55 56
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Siehe beispielsweise Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, 329 f; Scheel, DVBl 1999, 442 (446 f). Siehe z.B. Art 15 Abs 2 RL 98/79/EG (In-vitro-Diagnostika), Art 11 Abs 5 der DruckgeräteRL 97/23/EG oder § 11 Abs 5 Maschinen-SicherheitsVO (BGBl. Nr. 306/1994). Vgl. bspw. Art 16 Abs 6 der MedizinprodukteRL 93/42/EWG oder Art 15 Abs 6 der Richtlinie 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika. Dazu Röhl, Konformitätsbewertung, 165. Siehe für „Antrag“ bspw. § 10 Abs 2 MaschinensicherheitsVO. Es kann hier dahinstehen, ob es sich dabei über weite Strecken möglicherweise um so genannte „schlichte“ Hoheitsverwaltung handelt und ob diese Bezeichnung hier zutreffend wäre. Siehe insbesondere die, wenn auch in der Literatur durchaus kritisierten Entscheidungen zu § 57a KFG (OGH SZ 54/19) und Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht², Rz 118, oder zu den privaten Kesselprüfstellen, OGH 27.3.2001, ÖZW 2002, 59 mit Anmerkung Kucsko-Stadlmayer.
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lichen Entscheidungsbefugnissen auf.61 Insbesondere die vom VfGH in ständiger Rechtsprechung geforderten Leitungs- und Weisungsbefugnis oberster Verwaltungsorgane gegenüber dem beliehenen Rechtsträger fehlen bei Zertifizierungsstellen in den einschlägigen gesetzlichen Grundlagen und stünden im Übrigen auch im Widerspruch zu den (gemeinschafts)rechtlichen Unabhängigkeitsvorgaben.62 Und aus Rechtsschutzgründen wäre die „hoheitliche“ Deutung nur dann konsequent, wenn man die einschlägigen Bescheinigungen und Anerkennungen der Zertifizierungsstelle als hoheitliche Verwaltungsakte, mithin als Bescheide deuten würde bzw annimmt, dass es eine verfassungsrechtliche Verpflichtung gibt, in den innerstaatlichen Umsetzungsgesetzen das Zertifizierungsverfahren als hoheitliches Verwaltungsverfahren und die Konformitätsbescheinigungen (Zertifikate) als Bescheid auszugestalten. Ansonsten würde nämlich das öffentlich-rechtliche Rechtsschutzsystem, insbesondere die Beschwerdemöglichkeit an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, nicht greifen. Und das Amtshaftungsrecht alleine lässt erst recht wieder, insbesondere im Hinblick auf den gerade gegenüber Zertifizierungsstellen auch bedeutenden Rechtsschutz über Unterlassungsverpflichtungen, eine Reihe von Lücken offen.63 Weiters ist es wohl schwierig, die abgestuften Verfahren der Konformitätsbescheinigung - von der Selbsterklärung bis zur Zertifizierung64 - einheitlich in ein hoheitliches Schema „zu pressen“. Nur auf diese Weise wäre aber entsprechender Rechtsschutz insbesondere gegen abweisende Abänderungsoder Widerrufsentscheidungen, also negative Äußerungen der benannten Stellen gegeben. Ein bloßer amtshaftungsrechtlicher Schadenersatzanspruch, also reiner Sekundärrechtsschutz, vermag hier keine effektive Rechtsmöglichkeit zu eröffnen. Man nehme als Beispiel an, dass ein Unternehmen mit entsprechend zertifizierten Produkten an einem öffentlichen Ausschreibungsverfahren teilnimmt. Die entsprechende Konformitätsbescheinigung ist in den Ausschreibungsunterlagen gefordert. Im Laufe eines Vergabeverfahrens erklärt die Zertifizierungsstelle, die die Konformitätsbescheinigung ausgestellt hat, gegenüber dem Auftraggeber, das Zertifikat, also die Konformitätsbescheinigung „zurückzunehmen“. In solchen und ähnlichen Konstellationen ist es wesentlich, dass der Hersteller die inhaltliche Korrektheit dieser Entscheidung der Zertifizierungsstelle überprüfen und gegebenenfalls die Zertifizierungsstelle dazu verhalten kann, diese Entscheidung zu korrigieren. Bloß amtshaftungsrechtlicher Sekundärrechtsschutz hilft hier schon auf Grund der oft schwierigen Beweiserfordernisse nicht effektiv weiter.
Vor allem aber ist den innerstaatlichen Rechtsvorschriften - auf die es auch bei Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften diesbezüglich, also für die Zuordnung zum verwaltungsbehördlichen oder zum zivilgerichtlichen Rechtsweg ja in erster Linie ankäme - eine entsprechend deutliche Zuweisung 61 62 63
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Zu dieser Rechtsprechung siehe zuletzt ausführlich Kucsko-Stadlmayer, Grenzen der Ausgliederung, Gutachten 15. ÖJT 2003, Band I/1, 2003, 75 ff. Siehe bspw. Anhang XI der MedizinprodukteRL 93/42/EWG oder Anhang IV der DruckgeräteRL 97/23/EG. Vgl mutatis mutandis zum - freilich nicht vertraglichen, sondern deliktischen Rechtsverhältnis bei „behördlichen Warnungen“ Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht², Rz 741 mwH. Siehe Holoubek Normung IV.D.
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hoheitlicher Entscheidungsgewalt an die Zertifizierungsstellen nicht zu entnehmen. Wie etwa das oben angeführte Beispiel der Baumusterbescheinigung zeigt, belassen es diese Rechtsvorschriften bei einer sachverständigen „Gutachtensentscheidung“ und sehen gerade nicht die Setzung hoheitlicher Rechtsakte vor. Das ist auch insofern konsequent, wenn man genauer überlegt, worin die einschlägigen Rechtswirkungen der Marktzulassung des Produkts insbesondere begründet liegen. Diese Rechtswirkungen folgen doch aus den jeweiligen generellen Rechtsgrundlagen unmittelbar,65 will heißen, diese ordnen unmittelbar wirksam an, dass an das Vorliegen einer entsprechenden Konformitätsbescheinigung die entsprechenden marktzulassenden Rechtswirkungen geknüpft sind. Durch die - nur beschränkt im Rahmen des Schutzklauselverfahrens widerlegliche - Vermutung der Erfüllung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen knüpft also die generelle Norm unmittelbar an eine sachverständige Äußerung, die Konformitätsbescheinigung in Form der Zertifizierung, also des Zertifikats, bestimmte Rechtswirkungen, nämlich die ex lege wirkende Vermutung. Der sachverständigen Konformitätsbescheinigung kommt also so etwas wie „Tatbestandswirkung“ zu, die unmittelbar auf Grund der einschlägigen gesetzlichen Regelungen bei ihrem Vorliegen bestimmte Rechtswirkungen auslöst. Die Zertifizierungsstelle erlässt aber auch bei einer positiven Konformitätsbescheinigung keine individuelle Norm, deren Willensakt auf die Marktzulassung des Produkts gerichtet wäre, sondern sie erlässt eine sachverständige Aussage, dass das Produkt mit bestimmten, in technischen Normen niedergelegten Anforderungen übereinstimmt. Die Rechtsfolge der Produktzulassung ergibt sich aus der unmittelbar wirksamen Anordnung in der generellen Norm, nicht aus einem normativen Willensakt der Zertifizierungsstelle. Vor diesem Hintergrund wird aber deutlich, dass entgegen einiger Indizien das Rechtsverhältnis zwischen der Zertifizierungsstelle und dem Hersteller nicht auf die Erlassung einer konkreten Rechtsnorm gerichtet ist, womit auch die Ausgestaltung als hoheitliches Verwaltungsverfahren gerade nicht nahe liegt. Ziel des auf vertraglicher Rechtsgrundlage zwischen dem Hersteller und der Zertifizierungsstelle begründeten Rechtsverhältnisses ist die Erstattung einer sachverständigen Begutachtung, nicht die Erlassung eines Rechtsakts. Insofern verbleibt die Konformitätsbescheinigung konsequent im privaten Bereich,66 die hoheitliche Verbindlicherklärung erfolgt auf gesetzlicher Ebene. Insgesamt sprechen daher meines Erachtens bessere Argumente dafür, das Rechtsverhältnis zwischen der Zertifizierungsstelle und dem Hersteller als privatrechtliches Rechtsverhältnis zu begreifen, das freilich in den einschlägigen materiellen gesetzlichen Regelungen, die ihrerseits wieder oft gemeinschaftsrechtliche Vorgaben umsetzen, stark öffentlich-rechtlich determiniert
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Zur ex lege Vermutung siehe zB Art 7 Abs 2 MaschinenRL, Art 5 Abs 1 SpielzeugRL, Art 13 Abs 1 MessgeräteRL, Art 5 Abs 2 DruckgeräteRL; zur Möglichkeit der Kommission in „Überprüfungsverfahren“ harmonisierte Normen auf ihre Richtlinienkonformität zu prüfen siehe zB Art 10 MaschinenRL, Art 6 SpielzeugRL. Vgl auch Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2, 2003, Rz 117f; Krajcsir, Staatliche Hoheitsverwaltung durch Private, 1998, 167f.
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ist.67 Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Recht verschwimmen in derartigen Rechtsverhältnissen zusehends.68 Angesichts der in Österreich verfassungsrechtlich vorgegebenen Unterscheidung in entsprechend formgebundenes hoheitliches Verwaltungsverfahren oder eben in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fallendes „privatrechtliches Rechtsverhältnis“ liegt es nahe, das Rechtsverhältnis zwischen benannter Stelle, insbesondere auch Zertifizierungsstelle und dem Produkthersteller als - wenn auch öffentlich-rechtlich stark „durchwirktes“ - Rechtsverhältnis zwischen Privaten zu qualifizieren, das im Hinblick auf den Rechtsschutz der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte im Sinne des § 1 JN unterliegt.69 In diesem Rahmen greifen dann jene zivilrechtlichen Instrumente, die nicht zuletzt aus Rechtsschutzgründen gegenüber Einrichtungen entwickelt worden sind, die über eine besondere Stellung im Rechtsverkehr insbesondere auf Grund hoheitlicher Rechtsgrundlagen verfügen: Den Zertifizierungsstellen kommt in ihrem Bereich - insbesondere auf Grund des Umstands, dass, wendet sich ein Hersteller einmal an eine Zertifizierungsstelle, er das Verfahren auch ausschließlich dort führen kann - eine qualifizierte Stellung zu, die privatrechtlich bestimmte Rechtsfolgen, insbesondere ein Diskriminierungsverbot und entsprechende Sorgfaltspflichten auslöst.70 67
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So gibt es Vorschriften, die die Neutralität der Zertifizierungsstelle gegenüber den Geprüften sicherstellen und insbesondere finanzielle Abhängigkeiten vermeiden sollen, siehe in den Anforderungen aufgrund des AkkG den Punkt IV/A/1 und zB Anhang XI der MaschinenRL; Art 12 Z 1 (Neutralität) und 6 (Unparteilichkeit) MessgeräteRL; Anhang III.3. SpielzeugRL. In anderen, verfassungsrechtlich anders organisierten Verwaltungsrechtssystemen kann es durchaus nahe liegen, das Rechtsverhältnis zwischen benannter Stelle und dem Hersteller als öffentlich-rechtliches, gleichwohl vertragliches Rechtsverhältnis einzustufen und - besteht eine ausgebaute, insbesondere Leistungs- und Verpflichtungsklagen einschließende Verwaltungsgerichtsbarkeit - auch einem öffentlichrechtlichen Rechtsschutzverhältnis zu unterstellen. Diese Möglichkeiten scheiden im österreichischen Verwaltungsrechtssystem auf Grund der verfassungsrechtlich vorgegebenen starken Rechtsformgebundenheit insbesondere des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aus. Zur Rechtsnatur benannter Stellen im globalen Konzept des europäischen Produktrechts auch die Ausführungen von Fuchs (FN 13). Ein „Kontrahierungszwang“ muss damit freilich nicht zwingend verbunden sein, das hängt von der konkreten Marktsituation ab. Sind entsprechend viele Zertifizierungsstellen für ein bestimmtes Produkt oder einen bestimmten Bereich zugelassen, sodass für den Hersteller angemessen und zumutbar alternative Möglichkeiten eines Zertifizierungsverfahrens zur Verfügung stehen, so kann er sich auch an eine andere Zertifizierungsstelle wenden (und die ursprüngliche etwa wegen Überlastung die Annahme des entsprechenden „Auftrags“ verweigern). Es kommt wie immer bei dieser Argumentationsfigur auf Zumutbarkeit und angemessene Bedingungen an. Wenn aber das Rechtsverhältnis zwischen Hersteller und Zertifizierungsstelle einmal begründet und das Zertifizierungsverfahren damit „eingeleitet“ ist, treffen die Zertifizierungsstelle, weil der Hersteller nicht mehr so einfach beliebig zu anderen Stellen wechseln kann, besondere Sorgfaltspflichten. In deren Rahmen ist freilich auch zu berücksichtigen, dass die gesetzlichen Regelungen der Zertifizierungsstelle eben auch bestimmte öffentliche Interessen, also die Bescheinigung der Übereinstimmung des Produkts mit Sicherheitsanforderungen, übertragen und eine Verantwortung der Zertifizierungsstelle also nicht nur gegenüber dem Hersteller sondern insbesondere auch in dieser Hinsicht besteht. Es handelt sich eben um eine unabhängige sachverständige Stelle.
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Weiters folgen aus dem vertraglichen Verhältnis in Umsetzung der öffentlichrechtlichen Vorgaben entsprechende Verantwortlichkeiten der Zertifizierungsstelle, insbesondere im Hinblick auf Entscheidungspflicht, aber auch die Beseitigung von rechtswidrigen negativen Entscheidungen oder Korrektur- oder Widerrufs-Entscheidungen im Rahmen des über die Zertifizierungsentscheidung hinaus reichenden Rechtsverhältnisses (also zB im Zusammenhang mit der Aufhebung oder Abänderung von Konformitätsbescheinigungen). Haftungs- und Unterlassungsansprüche ebenso wie positive Verhaltenspflichten der Zertifizierungsstelle zur Vermeidung von Schäden stellen zivilrechtlich anerkannte Rechtsschutzinstrumente dar,71 die im Rechtsverhältnis zwischen Hersteller und Zertifizierungsstelle ausreichenden Rechtsschutz gewährleisten.72 Es überzeugt meines Erachtens daher auch nicht, was freilich insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung des OGH zu § 57a KFG-Überprüfungen durchaus nahe liegt,73 die Tätigkeit der benannten Stellen, insbesondere auch von Zertifizierungsstellen unter amtshaftungsrechtlichen Gesichtspunkten funktionell der Verwaltung zuzurechnen. Die Zertifizierungsstelle wird nicht „für die Verwaltung“, also für den Staat, sondern grundsätzlich, wenn auch weitgehend öffentlich-rechtlich determiniert, im privatautonomen Bereich als private Einrichtung tätig.74 Die wesentliche „hoheitliche“ Wirkung, also die rechtsverbindliche Produktzulassung, liegt denn auch nicht in der Konformitätsbescheinigung als solcher, sondern in der gesetzlichen Anordnung, dass an die Konformitätsbescheinigung eine solche Rechtswirkung geknüpft wird. Aus der Sicht der Zertifizierungsstelle bleibt die Konformitätsbescheinigung eine sachverständige Beurteilung am Maßstab technischer Normen. Die Ingerenzbefugnis des Staates hat daher in der Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlagen und darauf folgend im Akkreditierungsverfahren ihre Grenzen: Dort können entsprechende öffentlich-rechtliche Verpflichtungen auf die privatautonome Gestionsbefugnis der benannten Stelle übertragen werden. Aus dieser Sicht erscheint es aber konsequent, den Anwendungsbereich des Amtshaftungsrechts auf diese hoheitlichen Rechtsverhältnisse, also auf Maßnahmen im Rahmen des Akkreditierungsverfahrens insbesondere, zu begrenzen. Konformitätsbeschei71
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Vgl insbesondere die im Zusammenhang mit Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber entwickelte Rechtsprechung zur Gewährleistung zivilrechtlichen Rechtsschutzes, wenn und insoweit kein spezifisch gesetzlich geregelter verwaltungsbehördlicher Vergaberechtsschutz zur Anwendung kommt (dazu nur Rummel, ÖZW 1999, 1 ff). Wenn auch die Zurechnungskriterien zum Staat großteils andere sind beim öffentlichen Auftraggeber erfolgt eine direkte, funktionelle Zurechnung zum Staat - und es sich bei den eben in aller Regel privaten Zertifizierungsstellen gerade nicht um „staatlich beherrschte“ Einrichtungen handelt, so unterliegen diese auf Grund der hoheitlichen Übertragung von „Konformitätsbescheinigungsbefugnissen“ im Wege des Akkreditierungsverfahrens „Neutralitätsanforderungen“, wie sie sonst für staatliche Zulassungsstellen typisch sind. Für eine solche Sichtweise insbesondere Merli, Vortrag an der Wirtschaftsuniversität Wien im Juni 2005. OGH SZ 54/19 und dazu Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht², Rz 118. Vgl für diesen Gedanken mit entsprechender Kritik an amtshaftungsrechtlichen Entscheidungen des OGH Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht², Rz 118 und Kucsko-Stadlmayer, ÖZW 2002, 59.
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nigungen einer Zertifizierungsstelle können amtshaftungsrechtlich also dann und nur dann und im Wege einer Verantwortlichkeit der Akkreditierungsstelle - relevant sein, wenn die kausale Verursachung für den Schaden in Fehlern im Rahmen der Akkreditierung liegt.75 Die „Sachverständigentätigkeit“ der Zertifizierungsstelle bleibt aber in deren alleiniger auch haftungsrechtlicher Verantwortlichkeit, für die - möglicherweise, das kann hier dahinstehen, in Umsetzung einer entsprechenden Gewährleistungsverantwortung - der Staat eben Absicherungen in Form einer Versicherungspflicht angeordnet hat.76 In der deutschen Literatur wird schließlich auch erwogen, das System der „benannten Stellen“ und damit das Rechtsverhältnis der Zertifizierungsstellen zu den Herstellern bei der Produktzulassung der EG-Eigenverwaltung zuzurechnen.77 Diese Auffassung sieht in den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen spezielle „Vollzugsregelungen“ (in einem weiten insbesondere nicht dem innerstaatlichen Begriff der „Vollziehung“ - um eine solche handelt es sich bei der Tätigkeit der benannten Stellen gerade nicht - gleichzuhaltenden, sondern deutlich darüber hinausgehenden Sinn), die der EGEigenverwaltung viel näher stehen als dem indirekten Vollzug von Gemeinschaftsrecht durch mitgliedstaatliche Behörden. Die Tätigkeit der Zertifizierungsstellen wird demzufolge auch direkt der Gemeinschaft zugeordnet. Das verschiebt, wie diese Auffassung erkennt, die Legitimations- und Rechtsschutzprobleme einschließlich der Haftungsprobleme freilich nur auf die gemeinschaftsrechtliche Ebene, wo entsprechende Vorkehrungen gefordert werden, die dann wiederum vor allem in den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen näher ausgestaltet werden müssten. Es ist aber schon fraglich, ob diese Auffassung den spezifischen Charakteristika des indirekten Vollzugs von Gemeinschaftsrecht gerecht wird: Hier überformt das Gemeinschaftsrecht eben die innerstaatlichen auch organisations- und verfahrensrechtlichen Regelungen, sodass es sich eben funktionell um gemeinschaftliche, organisatorisch freilich um mitgliedstaatliche Vollzugszuständigkeiten handelt. Diese sind auch nicht ausschließlich gemeinschaftsrechtlich, sondern - „doppelte Bindung“78 wesentlich auch innerstaatlich determiniert. Gemeinschaftsrecht und innerstaatliches Recht greifen hier eben ineinander. Auch die Tatsache, dass die gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundlagen zumeist in Richtlinienform ergehen, legt es nahe, die in Umsetzung dieser Richtlinien auf Grund entsprechender mitgliedstaatlicher, gesetzlicher Anordnungen vorgesehenen „Vollzugsformen“ im Wege der indirekten Vollziehung von Gemeinschaftsrecht allenfalls der Gemeinschaft über die Mitgliedstaaten und jedenfalls nicht dieser direkt zuzurechnen. Aber es ist schon allgemein fraglich, ob die Unterscheidung in funkti75
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Gemeinschaftsrechtlich könnte man im Hinblick auf legislative Haftung allenfalls auch an fehlende gesetzliche Verpflichtungen in den einschlägigen materiellen gesetzlichen Regelungen denken. Insofern unterscheidet sich die Situation nicht von anderen grundsätzlich ebenso privaten Schadensverhältnissen wie etwa bei einem Verkehrsunfall, bei denen ebenfalls im Hinblick auf Dritte Versicherungspflichten bestehen. Siehe dazu insb Röhl, Konformitätsbescheinigung, 166 ff. Siehe nur Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht², 2001, 102 mwH.
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onelle und organisatorische Zurechnung im vorliegenden Zusammenhang allein adäquat ist. Es muss doch berücksichtigt werden, dass die insoweit "autonome" Rechtsetzung der Mitgliedstaaten im Bereich gemeinschaftsrechtlicher Spielräume auch funktionell den Mitgliedstaaten zuzurechnen ist. Und überhaupt ist eine "saubere" Trennung von heteronomer gemeinschaftsrechtlicher Determinierung und autonomem Spielraum der Mitgliedstaaten mit entsprechender funktioneller Zurechnung im Geflecht vor allem auch finaler Determinierung durch Prinzipien und allgemeine Grundsätze schwierig. Die Veränderungen durch das Gemeinschaftsrecht gehen hier auch im Bereich mitgliedstaatlicher organisations- und verfahrensrechtlicher Instrumente und Institute tief und lassen sich nicht durch eine Abschottung der mitgliedstaatlichen Vollzugstätigkeit zu Gunsten einer im funktionellen Sinn sehr weit verstandenen europäischen Eigenverwaltung vermeiden.
V. Sonderbestimmungen für elektronische Signaturen79 Für den Bereich der Elektronischen Signaturen wurde bereits in der einschlägigen Richtlinie80 ein vom üblichen Konzept der Akkreditierung und Zertifizierung abweichendes System des Marktzutrittes und der Marktüberwachung gewählt: Zertifizierungsdiensteanbieter81 sollten, ohne dem Erfordernis der Einholung einer Genehmigung oder einer solchen in der Wirkung gleichkommenden Beschränkung unterworfen zu sein, unmittelbar ihre Tätigkeit aufnehmen können. Dementsprechend sieht das Signaturgesetz (SigG) grundsätzlich nur die Verpflichtung zur Anzeige der Aufnahme von Diensten als Zertifizierungsdiensteanbieter bei einer Überwachungsstelle vor. Dieser Anzeige sind Dokumente beizuschließen, aus denen erkennbar sein muss, ob den einschlägigen Sicherheitsbestimmungen des Signaturgesetzes entsprochen wird.82
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Unter einer elektronischen Signatur werden elektronische Daten verstanden, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder mit diesen logisch verknüpft werden, und die der Authentifizierung, also der Identitätsfeststellung des Signators dienen. Näher Damjanovic, Öffentlich-rechtliche Aspekte des E-Commerce, Punkt VI. RL 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, Abl 2000 L 13/12. Eine natürliche oder juristische Person oder eine sonst rechtsfähige Einrichtung, die Zertifikate ausstellt oder andere Signatur- und Zertifizierungsdienste erbringt. Im Sinne des Signaturgesetzes werden wiederum unter Zertifizierungsdiensten abweichend von der üblichen Terminologie auf dem Gebiet der Akkreditierung die Bereitstellung von Signaturprodukten und -verfahren, die Ausstellung, Erneuerung und Verwaltung von Zertifikaten, Verzeichnis- und Zeitstempeldienste sowie Rechnerund Beratungsdienste im Zusammenhang mit elektronischen Signaturen verstanden. Zu den weiteren Begriffsbestimmungen siehe näher bei § 2 Signaturgesetz. Je nach Qualifikation der Signatur, ob es sich um eine „sichere Signatur“ oder um eine einfache elektronische Signatur handeln soll, müssen verschiedene Anforderungsstufen erfüllt werden. Zum derzeitigen Zeitpunkt gibt es zwei Diensteanbieter, die A-Trust Gesellschaft für Sicherheitssysteme im elektronischen Datenverkehr GmbH und die Telekom Austria AG, die qualifizierte Zertifikate im Sinne des § 5 SigG vergeben, die mit einer den Anforderungen des § 2 Z 3 lit. a bis d SigG entsprechenden Signatur des Zertifizierungsdiensteanbieters versehen sein muss. Quelle: www.signatur.rtr.at
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Als solche Überwachungsstelle fungiert gemäß § 13 SigG die TelekomControl-Kommission (TCK), die sich bei der Durchführung der Aufsicht wiederum der RTR-GmbH83 in ihrer Funktion als Geschäftsstelle der TCK bedient.84 Zur Aufsichtstätigkeit der TCK und der RTR-GmbH gehören insbesondere 1. die Überprüfung der Umsetzung der Angaben im (der Anzeige beizulegenden) Sicherheits- und im Zertifizierungskonzept der Diensteanbieter, 2. im Fall der Bereitstellung sicherer elektronischer Signaturen die Verwendung geeigneter technischer Komponenten und Verfahren (§ 18 SigG) zu überwachen, 3. Zertifizierungsdiensteanbieter nach § 17 SigG zu akkreditieren und 4. die organisatorische Aufsicht über Bestätigungsstellen (§ 19 SigG) durchzuführen.85 Als Mittel stehen ihr dabei die Untersagung der Verwendung bestimmter ungeeigneter technischer Komponenten oder Verfahren sowie der Widerruf bestimmter Zertifikate zur Verfügung. Darüber hinaus kann den Stellen auch die Ausübung der Tätigkeit teilweise oder zur Gänze untersagt werden, wenn nicht gelindere Mittel in Betracht kommen. Im Fall von qualifizierten Zertifikaten86 oder sicheren Signaturverfahren87 sind neben der Verpflichtung zur Anzeige eine Reihe weiterer im SigG und der SigV näher dargelegte Mindeststandards von den Diensteanbietern zu erfüllen, deren Einhaltung von der Aufsichtsstelle überprüft wird. Bei technischen Komponenten und Verfahren für die Erzeugung sicherer Signaturen etwa muss von einer Bestätigungsstelle bescheinigt sein, dass die Sicherheitsanforderungen erfüllt sind (§ 18 Abs. 5 SigG). Als erste und bislang einzige österreichische Bestätigungsstelle wurde der Verein "Zentrum für sichere Informationstechnologie - Austria (A-SIT)" anerkannt;88 über diesen übt die TCK die organisatorische Aufsicht aus. Ein Anbieter, der sichere elektronische Signaturverfahren bereitstellt, kann sich darüber hinaus gemäß § 17 SigG vor der Aufnahme der Tätigkeit von der Aufsichtsstelle akkreditieren lassen. Akkreditierte Zertifizierungsdiensteanbieter dürfen sich mit Zustimmung der Aufsichtsstelle im Geschäftsverkehr als solche bezeichnen. Im Zusammenhang mit Signatur- und Zertifizierungsdiensten sowie mit Signaturprodukten darf diese Bezeichnung nur verwendet werden, wenn die Sicherheitsanforderungen nach § 18 erfüllt werden.
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Die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH) wurde durch § 5 des KommAustria-Gesetzes BGBl 2001 I/32 als Rechtsnachfolgerin der TelekomControl GmbH gegründet. Die RTR-GmbH prüft unter anderem die von den Zertifizierungsdiensteanbietern erstatteten Anzeigen und Anträge auf Akkreditierung, führt im Auftrag der Telekom-Control-Kommission weitere Erhebungen wie z. B. eine Besichtigung der Einrichtungen des Zertifizierungsdiensteanbieters vor und erstattet darüber Berichte an die Telekom-Control-Kommission. Näher zu den einzelnen Agenden http://www.signatur.rtr.at/de/supervision/tkk.html. Vgl § 2 Z 9 Signaturgesetz. Vgl § 2 Z 3 Signaturgesetz. Die Anerkennung erfolgte durch die Verordnung BGBl II 2000/31.
Michael Holoubek
Kapitel 3: Elektrotechnikrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................527 I. Grundlagen ................................................................................................528 A. Allgemeines............................................................................................528 1. Historischer Hintergrund...................................................................528 2. Ökonomischer Hintergrund...............................................................529 II. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................529 III. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ..................................................530 IV. Die Regelungen des Elektrotechnikgesetzes.........................................532 A. Anwendungsbereich...............................................................................532 B. Begriffsbestimmungen ...........................................................................533 1. Elektrische Betriebsmittel .................................................................533 2. Elektrische Anlage ............................................................................533 C. Normalisierung und Typisierung...........................................................533 D. Sicherheitsmassnahmen ........................................................................534 1. Elektrotechnische Sicherheitsvorschriften ........................................534 2. Erfüllungsnachweis ...........................................................................535 3. Überwachung und Kontrolle .............................................................536 E. Herstellungs-, Änderungs- und Instandhaltungsbefugnis......................537 F. Sonderbestimmungen und Behördenzuständigkeit ................................537 1. Sonderbestimmungen ........................................................................537 2. Behörden ...........................................................................................539 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht RL 73/23/EWG, Abl 1973 L 77/29 (geändert durch RL 93/68/EWG des Abl L 1993 220/1); RL 89/336/EWG, Abl 1989 L 139/19 (geändert durch RL 91/263/EWG Abl L 1991 128/1, RL 92/31/EWG Abl L 1992 126/11 und RL 93/68/EWG Abl L 1993 220/1 30.8.1993); RL 1999/5/EG, Abl 1999 L 91/10 (geändert durch VO (EG) Nr. 1882/2003 Abl L 2003 284/1). Innerstaatliches Recht Elektrotechnikgesetz 1992 - ETG 1992 (BGBl 1993 I/106 idF BGBl 2001 I/136), Elektrotechnikverordnung 1996 - ETV 1996 (BGBl 1996 II/105 idF BGBl 2006 II/33).
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I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Historischer Hintergrund Schon von Beginn an erfuhr das Gebiet der Elektrotechnik losgelöst vom allgemeinen Normenwesen eine eigenständige Regelung. Die Trennung dieser beiden eng verwandten Rechtsgebiete ist allerdings vor allem historisch und nicht durch erhebliche sachliche Unterschiede begründet. Die Erarbeitung elektrotechnischer Normen und Standards auf nationaler Ebene begann 1883 durch den Wiener Elektrotechnischen Verein, als dieser beschloss, sein Wissen über die sichere Herstellung, Weiterleitung und Anwendung der elektrischen Energie in „Regulative“ zu fassen. Noch im selben Jahr ordnete die k.u.k.-Statthalterei die Bindung der Errichtung elektrischer Anlagen an einschlägige Fachkenntnisse an und verwies dabei auf jene künftig auszuarbeitenden „Regulative“. Nach 1945 zog das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau die Agenden der Normalisierung im Bereich der Elektrotechnik an sich, überließ diese jedoch wegen Überlastung bereits ab 1957 wiederum dem Österreichischen Verein für Elektrotechnik (ÖVE) und beauftragte ihn in einem zur Ausarbeitung elektrotechnischer Vorschriften und Normen. Im Jahre 1965 erging schließlich das Elektrotechnikgesetz in seiner ersten Fassung. Darin schrieb man die Zuständigkeit des ÖVE zur Erarbeitung elektrotechnischer Bestimmungen erstmals gesetzlich fest. Im Rahmen der darauf folgenden Novellierung und insbesondere durch das Elektrotechnikgesetz 1992 (ETG 1992) wurden die elektrotechnischen Vorschriften an den Stand der Technik angepasst und Modifikationen im Zusammenhang mit dem Beitritt Österreichs zum Europäischen Wirtschaftsraum vorgenommen. Auf internationaler Ebene erkannte man bereits 1906 die Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Elektrotechnik und gründete die IEC, International Electrotechnical Commission.1 In dieser erarbeiten heute in 169 Technischen Komitees und Subkomitees sowie in rund 500 Arbeitsgruppen Fachleute aus 67 Mitgliedstaaten und weiteren assoziierten Staaten Entwürfe zu elektrotechnischen Normen. Hinsichtlich des Aufbaues orientiert sich diese Organisation an den bereits von der ISO bekannten und bewährten Strukturen:2 Die Normungsarbeit geschieht in den Technischen Komitees und deren Subkomitees und Arbeitsgruppen. Liegt ein Entwurf für eine Norm vor, so ist ein spezielles, wiederum dem Verfahren der ISO nachgebildetes Annahmeverfahren3 durchzuführen, im Rahmen dessen eine möglichst breite, vordringlich einstimmige Annahme des Entwurfes erreicht werden soll. Seit September 1996 besteht zwischen dem IEC und CENELEC,4 dem Euro1 2 3
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www.iec.ch Siehe dazu Holoubek, Normung. Besondere Bedeutung kommt dem JTC1, dem Joint Technical Commitee 1, zu, welches 1987 als übergreifendes Technisches Komitee zwischen ISO, IEC und ITU für die Normungsarbeit in der Informationstechnologie zuständig erklärt wurde. Für nähere Informationen siehe www.jtc1.org. Comité Européen de Normalisation Electrotechnique.
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päischen Komitee für elektrotechnische Normung, ein Kooperationsabkommen5 zur Vermeidung von Reibungsverlusten durch doppelte Anstrengungen sowie zur Beschleunigung der Vorbereitung neuer Normen. Als ein weiterer positiver Nebeneffekt dieser weitgehenden Abstimmung6 wird so eine weit über den europäischen Raum hinaus wirkende Kompatibilität von Produktanforderungen bewirkt. Sind die Ergebnisse einer Parallelabstimmung sowohl im Bereich der IEC als auch von CENELEC positiv, so wird die Norm als Internationaler Standard publiziert und gleichzeitig als Europäische Norm kundgemacht.7
2. Ökonomischer Hintergrund Der Bereich der Elektrotechnik und somit auch jener der diesbezüglichen Normung erstreckt sich von Generatoren über Übertragungsmaterial hin zu Transformatoren, Motoren, Batterien und elektrischen Verbraucherprodukten und umfasst auch Geräte wie Computer, Büromaschinen und Telekommunikationsgeräte. Die zunehmende Technisierung des Alltags, die so oft attestiert wird, ist zu einem Großteil auf immer neue elektrotechnische Produkte zurückzuführen.8 Die dabei der Normung zukommende Aufgabe liegt darin sicherzustellen, dass die einzelnen Produkte und deren Bestandteile untereinander kompatibel sind und zu gewährleisten, dass alle angebotenen Dienste mit allen Produkten verwendet werden können. Die Bedeutung des elektrotechnischen Sektors verdeutlicht sich anhand der wirtschaftlichen Eckdaten:9 1999 erwirtschaftete der Bereich der Elektrotechnik im Raum der Europäischen Union und der EFTA ein Volumen von rund 430 Milliarden Euro, dies bei Beschäftigungszahlen von etwas über zwei Millionen. Die Exporte beliefen sich auf 294 Milliarden Euro, davon entfielen rund 62% auf den innergemeinschaftlichen Handel. Insgesamt stellt Europa mit diesen Exporten etwa 30 % des gesamten Welthandels auf dem Sektor der Elektrotechnik. Während bei Verbraucherelektronik mengenmäßig noch die Importe in die Gemeinschaft überwiegen, konnte die Gemeinschaft ihre Präsenz bei Hochspannungselektronik ausbauen: Im Bereich der Windenergie etwa bemisst sich der Anteil der Gemeinschaft am gesamten Weltmarkt auf über 80 %.
II. Kompetenzrechtliche Einordnung Die in Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG enthaltene Zuweisung von „... Normalisierung und Typisierung elektrischer Anlagen und Einrichtungen, Sicherheitsmassnahmen auf diesem Gebiet“ sowohl in Gesetzgebung als auch in Vollziehung 5 6
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Sogenanntes „Dresdner Abkommen“. So waren im Jahre 2005 68.93% aller CENELEC Normen identisch mit IEC Dokumenten, weiteren 7.86% der CENELEC Normen dienten solche der IEC als Basis, lediglich die restlichen 23.21% stellen das Ergebnis rein europäischer Normungstätigkeit dar. Vgl näher: CENELEC, Annual Report 2005. Zum Verfahren der Kundmachung vgl Holoubek, Normung. Der elektrotechnische Sektor stellt, gemessen am jeweiligen Prozentsatz der Verkäufe neuer Produkte, das innovationsintensivste technische Gebiet dar. Die Daten entstammen einer Studie über die Auswirkungen der Normung, die die Europäische Kommission im November 2000 startete. Die Ergebnisse wurden damals auf einer Website (www.standardsimpact.org/electrical.php) veröffentlicht, die jedoch derzeit offline ist.
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in die Kompetenz des Bundes findet sich schon in der Fassung des B-VG vom 1.10.1920.10 Nach der Judikatur des VfGH sind davon Sicherheitsmaßnahmen „auf dem Gebiet“ elektrischer Anlagen und Einrichtungen, nicht nur solche „bei“ elektrischen Anlagen oder „für“ solche, umfasst.11 Unter den von diesem Kompetenztatbestand erfassten Sicherheitsmaßnahmen sind daher nicht nur Maßnahmen „in Bezug auf“ (andere) elektrische Anlagen und Einrichtungen zu verstehen, sondern auch solche Maßnahmen, die selbst in Gestalt elektrischer Anlagen und Einrichtungen getroffen werden.12
III. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Mit der Richtlinie 73/23/EWG des Rates vom 19. Februar 1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen, besser bekannt unter der Bezeichnung als Niederspannungsrichtlinie, wurde das Gebiet der technischen Sicherheit auf europäischer Ebene weitgehend revolutioniert, vereinfacht und vor allem vereinheitlicht. Schon lange bevor auf dem Gebiet der allgemeinen technischen Normung auf europäischer Ebene durch die Annahme der Entschließung über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Normung13 eine völlige Neuordnung erfolgte, nahm die Niederspannungsrichtlinie die wesentlichen Elemente dieser Konzeption bereits vorweg: Artikel 2 der Richtlinie verweist auf bestimmte, in Anhang I der Richtlinie näher dargelegte, grundsätzliche Sicherheitsziele, denen elektrische Betriebsmittel oder Anlagen entsprechen müssen, um in Verkehr gebracht werden zu dürfen. Ob ein Produkt diese Anforderungen erfüllt, und daher in der gesamten Gemeinschaft verkehrsfähig ist, hängt dabei von seiner Konfor-
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Demgegenüber verwiesen die Vorentwürfe noch generell das Elektrizitätswesen in Gesetzgebung und Vollziehung in den Kompetenzbereich des Bundes. Siehe zur Entwicklung näher bei Ermacora, Die Entstehung der Bundesverfassung 1920 IV, 647. Die Rechtsbegriffe „elektrisch“ und „Elektrizität“ erfassen demnach das Phänomen „Elektrizität“ über die Produktion und den Verbrauch als Gegenstand des modernen Lebens hinaus als physikalisches Phänomen in seiner Gesamtheit. Besteht Regelungsbedarf etwa im Hinblick auf Luftelektrizität (zB Blitzschutzanlagen) oder durch Reibung entstandene Elektrizität, so ist nach Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG eine Regelungskompetenz des Bundes gegeben. Vgl näher VfSlg 6011/1969. Unter solchen Maßnahmen sind etwa Blitzschutzanlagen zu verstehen. Vgl schon FN11. Maßnahmen, die in Zusammenhang mit der Beseitigung von Gefahren aus Potentialunterschieden stehen, die nicht mittelbar oder unmittelbar von einer Anlage zur Herstellung oder Leitung von elektrischem Strom ausgehen, sind demnach ebenso von der Bundeskompetenz umfasst. Entschließung des Rates vom 7. Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normen, Abl 1985 C 136/1; vgl Holoubek,Normung.
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mität mit technischen Normen ab:14 Den obersten Maßstab bilden dabei harmonisierte Normen.15 Soweit solche nicht oder noch nicht zur Verfügung stehen, erklärt die Richtlinie eine Konformität der Produkte mit den Sicherheitsanforderungen der International Commission on the Rules for the Approval of the Electrical Equipment16 (CEE - él) oder jenen der International Electrotechnical Commission17 (IEC) als ausreichend und verpflichtet die Mitgliedstaaten, auch solche Produkte zum freien Verkehr zuzulassen, sofern auf diese Bestimmungen ein eigenes Veröffentlichungsverfahren angewandt wurde.18 Liegen aber auch solche Sicherheitsanforderungen nicht vor, so kommt den nationalen Bestimmungen Bedeutung zu: Als ausreichend ist dabei anzusehen, wenn die in Frage stehenden elektrischen Betriebsmittel in Übereinstimmung mit den Sicherheitsanforderungen der im herstellenden Mitgliedstaat anzuwendenden Normen gefertigt worden sind, wenn diese die gleiche Sicherheit bieten wie jene, die in ihrem eigenen Hoheitsgebiet gefordert wird.19 Die Vermutung der Übereinstimmung der Erzeugnisse mit diesen technischen Normen wird durch das von den zugelassenen nationalen Stellen20 ausgestellte „Konformitätszeichen“ oder die „Konformitätsbescheinigung“ oder durch die „Konformitätserklärung“ des Herstellers bescheinigt.21 Die einzelnen Mitgliedstaaten haben diese Bescheinigungen anzuerkennen, so dass die damit versehenen Produkte gemeinschaftsweit für den freien Verkehr zuzulassen sind. Ist jedoch keine Konformität des Produktes mit jenen Normen gegeben, so haben die Mitgliedstaaten dennoch die freie Verkehrsfähigkeit zu gewährleisten, wenn die fraglichen elektrischen Betriebsmittel dennoch die in der Richtlinie genannten, grundlegenden Anforderungen hinsichtlich der Sicherheit erfüllen. 14
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Die Konformität mit diesen Normen wird mittels eines Konformitätsbewertungsverfahrens festgestellt. Der positive Abschluss eines solchen berechtigt zur Anbringung des CE-Zeichens am Produkt, welches in der Gemeinschaft als Warenpass fungiert. Als harmonisierte Normen werden jene Normen bezeichnet, die im gegenseitigen Einvernehmen von den Stellen, die von den Mitgliedstaaten gemäß Art 11 der Niederspannungsrichtlinie mitgeteilt wurden, festgelegt und die im Rahmen der einzelstaatlichen Verfahren bekannt gegeben worden sind. Vgl. Art 5 Niederspannungsrichtlinie. Internationale Kommission für die Regelung der Zulassung elektrischer Ausrüstungen. Internationale Elektrotechnische Kommission. Die Kommission teilt den Mitgliedstaaten die in den Dokumenten verlangten Sicherheitsanforderungen mit, worauf diese binnen einer Frist von drei Monaten ihre Einwände gegen die übermittelten Bestimmungen anbringen können. Diejenigen Sicherheitsanforderungen schließlich, gegen die keine Einwände erhoben worden sind, werden im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. Dies erlaubt es den Mitgliedstaaten jedoch nicht, die Einhaltung von Sicherheitsanforderungen zu verlangen, die von den Sicherheitszielen der Richtlinie nicht erfasst sind. Vgl. die Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Niederspannungsrichtlinie, Abl 1982 C 59/2. Siehe hierzu näher Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Zum Verfahren im Zusammenhang mit der Bescheinigung der Konformität vgl näher Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung.
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Dementsprechend bietet die Richtlinie dem Hersteller elektrischer Betriebsmittel auch die Möglichkeit, die Übereinstimmung des Produktes mit den Sicherheitszielen der Richtlinie durch einen Gutachterbericht einer der Kommission angezeigten Stelle22 feststellen zu lassen.23 Auch in diesem Fall ist es den Mitgliedstaaten ausschließlich dann erlaubt, Maßnahmen zur Einschränkung des freien Verkehrs oder des Inverkehrbringens zu treffen, wenn gleichzeitig ein gemeinschaftsrechtliches Schutzklauselverfahren eingeleitet wird.24 Die Einhaltung dieses Verfahrens, in dessen Rahmen der Mitgliedstaat nachzuweisen hat, dass die von ihm reklamierten Produkte tatsächlich nicht den Sicherheitsanforderungen entsprechen, stellt dabei eine Voraussetzung für die Gültigkeit der einzelstaatlichen Maßnahme dar.25
Da es sich somit um eine Richtlinie zur vollständigen Harmonisierung des von ihr erfassten Bereiches handelt, sind Betriebsmittel, die den elf26 Sicherheitszielen der Richtlinie entsprechen, somit zum ungehinderten Verkehr zuzulassen. Die Hersteller können also nicht mehr zur Einhaltung von solchen einzelstaatlichen Vorschriften angehalten werden, die von der Richtlinie inhaltlich abweichen.
IV. Die Regelungen des Elektrotechnikgesetzes A. Anwendungsbereich Hauptanliegen des Elektrotechnikgesetzes ist es, umfassende Sicherheit auf dem Gebiet der Elektrotechnik zu gewährleisten, sowie die österreichischen elektrotechnischen Vorschriften an die Vorgaben der Niederspannungsrichtlinie anzupassen. Dies geschieht einerseits durch die Festlegung der Rahmenbedingungen der diesbezüglichen Normung und Typisierungen, und andererseits durch die Festlegung bestimmter grundlegender Anforderungen an elektrische Betriebsmittel und elektrische Anlagen sowie deren Errichtung, Betrieb und Instandhaltung. Zur Gewährleistung einer flexiblen Regelung dieser Angelegenheiten, die eine rasche Anpassung an akute Gefährdungslagen oder den technischen Fortschritt erlaubt, sieht §3 ETG 1992 eine Verordnungsermächtigung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit in Bezug auf elektrotechnische Sicherheitsmaßnahmen vor.27 22 23
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In Betracht kommen hier vor allem akkreditierte Prüf- Überwachungs- und Zertifizierungsstellen. Zu diesen siehe näher Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Vgl Art. 8 Abs. 2 Niederspannungsrichtlinie. Dadurch wird eine weitgehende Möglichkeit für Produktinnovationen offen gelassen, die als solche nicht auf bereits bestehenden Normen beruhen können. Zum Schutzklauselverfahren siehe Holoubek, Normung. Kommt das Schutzklauselverfahren aber zu dem Ergebnis, dass das beanstandete Produkt - entgegen der Auffassung des dieses Verfahren einleitenden Mitgliedstaates - den Sicherheitsanforderungen der Richtlinie genügt, so ist es wiederum zum ungehinderten Verkehr zuzulassen. Diese werden in Art. 2 und Anhang I der Niederspannungsrichtlinie aufgezählt. Siehe weiters Pkt 2.3 der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Niederspannungsrichtlinie, FN19. In diesen kann er insbesondere Bestimmungen für die Elektrotechnik (Elektrotechnische Sicherheitsvorschriften, Vorschriften über Normierung und Typisierung) für verbindlich erklären, die dann als „SNT-Vorschriften“ - Vorschriften über Sicherheit, Normalisierung und Typisierung - bezeichnet werden.
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B. Begriffsbestimmungen 1. Elektrische Betriebsmittel Dies sind Gegenstände, die als Ganzes oder in einzelnen Teilen zur Gewinnung, Fortleitung oder zum Gebrauch elektrischer Energie bestimmt sind. Ebenso sind betriebsmäßige Zusammenfassungen mehrerer elektrischer Betriebsmittel, die als bauliche Einheit in Verkehr gebracht werden und zumindest zu diesem Zeitpunkt als bauliche Einheit ortsveränderlich sind, elektrische Betriebsmittel im Sinne des ETG.
2. Elektrische Anlage Bei elektrischen Anlagen im Sinne des ETG handelt es sich um ortsfeste28 betriebsmäßige Zusammenfassungen elektrischer Betriebsmittel, soweit diese Zusammenfassung nicht nach §1 Abs 1 ETG als Betriebsmittel zu betrachten ist. Anlagen zum Potentialausgleich, Erdungsanlagen, Blitzschutzanlagen und Anlagen zum kathodischen Korrosionsschutz unterfallen ebenfalls dem Begriff einer elektrischen Anlage.
C. Normalisierung und Typisierung Um dem Grundgedanken des technischen Sicherheitsrechtes, nämlich der Gewährleistung der Sicherheit von Produkten, Dienstleistungen und Verfahren, Rechnung tragen zu können, ist es notwendig, dass elektrotechnische Produkte ebenso wie Produkte im Allgemeinen bestimmten Sicherheitsanforderungen entsprechen. Dabei kommen auch auf dem Spezialgebiet der Elektrotechnik die Prinzipien der Normalisierung und Typisierung zur Anwendung: Elektrische Anlagen wie deren Änderungen müssen hinsichtlich der Stromart, der Frequenz und der Spannung so weit wie möglich einheitlich ausgeführt werden. Um gewährleisten zu können, dass diese Anforderungen tatsächlich erfüllt werden, sind vom Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit mittels Verordnung29 die erforderlichen Regelungen zu treffen. In diesen Verordnungen können neben den einheitlich festgelegten Frequenzen, Stromarten und Spannungen für besondere Verhältnisse auch von diesen abweichende Frequenzen, Stromarten oder Spannungen für zulässig erklärt werden. Das Elektrotechnikgesetz sieht weiters ausdrücklich vor, dass im Rahmen dieser Verordnungen auch ÖNORMEN, Normen internationaler Normungsorganisationen, in denen das Österreichische Normungsinstitut oder der Österreichische Verband für Elektrotechnik vertreten sind, sowie vor allem Österreichische Bestimmungen für Elektrotechnik oder Teile aller dieser genannten Dokumente für verbindlich erklärt werden können. Im Falle einer derartigen Verbindlicherklärung sind jene Normen entweder in ihrem vollen Wortlaut in der Verordnung wiederzugeben, oder sie sind - unter
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Als ortsfest gelten auch elektrische Anlagen auf Fahrzeugen, transportablen Bauwerken und fliegenden Bauten. Siehe hierzu die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Normalisierung, Typisierung und Sicherheit elektrischer Betriebsmittel und Anlagen sowie sonstiger Anlagen im Gefährdungs- und Störungsbereich elektrischer Anlagen, Elektrotechnikverordnung 1993, BGBl 1994/47, idF. Elektrotechnikverordnung 1996, zuletzt geändert durch BGBl 2006 II/33.
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Angabe desjenigen Ortes, an dem sie erhältlich sind, oder zur Einsicht aufliegen - näher zu bezeichnen.30 Hinsichtlich der Normungsarbeit stellt das Gebiet der Elektrotechnik insofern eine Besonderheit dar, als diese sowohl auf internationaler wie auch auf nationaler Ebene in eigenen Institutionen stattfindet. Elektrotechnische Standardisierung findet auf internationaler Ebene in der IEC31, der Schwesterorganisation der ISO, statt, auf europäischer Ebene ist das CENELEC32 zur gemeinsamen elektrotechnischen Normung berufen. Auf nationaler österreichischer Ebene findet diese Besonderheit ihre Entsprechung in der Zuständigkeit des ÖVE,33 „Österreichische Bestimmungen für die Elektrotechnik“ auszuarbeiten.34 Dieser gesetzlichen Verpflichtung entsprechend ist der ÖVE auch Mitglied von ISO und CENELEC und wirkt in diesen über seine Abteilung „Österreichisches Elektrotechnisches Komitee“35 an der Ausarbeitung von europäischen und internationalen elektrotechnischen Normen mit. Neben dieser Facharbeit in den internationalen Gremien ist es Aufgabe dieser Abteilung, nationale Bestimmungen für die Elektrotechnik auszuarbeiten, die Übernahme europäischer oder internationaler Normen in das nationale Regelwerk zu koordinieren und das der Veröffentlichung von Normen vorausgehende Abstimmungsverfahren auf nationaler Ebene durchzuführen.
D. Sicherheitsmassnahmen 1. Elektrotechnische Sicherheitsvorschriften Generell verbietet das ETG das Inverkehrbringen36 all jener elektrischen Betriebsmittel, die nicht den in § 3 Abs 1 ETG genannten grundlegenden Anforderungen, die an sie gestellt werden, oder den auf der Grundlage des ETG erlassenen Verordnungen, entsprechen.37 Es steht dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit jedoch neben der Möglichkeit, einschlägige elektrotechnische Sicherheitsvorschriften für rechtsverbindlich zu erklären, auch noch die Möglichkeit zu, solche Vorschriften lediglich zur Anwendung zu empfehlen. 30
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Abweichend von der sonst im Zusammenhang mit der Verbindlicherklärung technischer Normen üblichen Vorgangsweise, jene für verbindlich erklärten Normen nur namentlich anzuführen, enthält die ETV 1996 in ihrem Anhang III die verbindlich erklärten ÖVE-Normen im Volltext. International Electrotechnical Commission. Comité Européen de Normalisation Electrotechnique. Österreichischer Verein für Elektrotechnik. So ausdrücklich § 3 Abs 5 Elektrotechnikgesetz 1992. ÖEK; Es betreut die die eigentliche Facharbeit leistenden 15 Fachausschüsse und 92 Fachunterausschüsse und Arbeitsgruppen, die allen interessierten Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Behörden und Konsumenten zur Mitarbeit offen stehen. Ähnlich wie bei der Normungsarbeit im ON (vgl Holoubek, Normung) ist dadurch eine Beteiligung unterschiedlicher Interessengruppen sichergestellt. Als Inverkehrbringen definiert das ETG in § 3 Abs 8 das Lagern, Feilhalten, Ankündigen, Ausstellen, Werben, Verkaufen und jedes sonstige Überlassen, sowie die Herstellung oder die direkte Einfuhr eines Produktes zum Eigengebrauch. Jede elektrische Anlage und jedes elektrische Betriebsmittel haben dabei grundsätzlich jeweils nur die Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Errichtung bzw Herstellung zu erfüllen. Dient jedoch eine Anpassung der Rechtslage dem Abstellen eines erheblichen sicherheitstechnischen Missstandes, oder kann die Umstellung ohne größere Beeinträchtigungen des Betriebes durchgeführt werden, so kann der BMWA dennoch mittels Verordnung oder Bescheid eine Anwendung der neuen Sicherheitsvorschriften anordnen (§ 4 ETG).
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Dem Einzelnen38 bleibt es also unbenommen, entweder jenen Bestimmungen gemäß zu produzieren, oder den Ansprüchen an die geforderte Sicherheit sonst auf andere geeignete Weise nachzukommen. Hier kann der BMWA wiederum durch Verordnung jene Bedingungen festlegen, unter welchen die Anforderungen an die Sicherheit als erfüllt angesehen werden.39 Welche elektrotechnischen Sicherheitsvorschriften jeweils Anwendung finden, ist dem Anhang zur Elektrotechnikverordnung40 zu entnehmen, der diesbezüglich ein zusammenfassendes Verzeichnis enthält.
2. Erfüllungsnachweis Auf Grund internationaler Abkommen, die eine solche Verpflichtung auferlegen, zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für Sachen oder zur Sicherung des ungestörten Betriebes anderer elektrischer Anlagen hat der BMWA die Möglichkeit, durch Verordnung elektrische Betriebsmittel zu bestimmen, für die ein Nachweis der Erfüllung der grundlegenden elektrotechnischen Anforderungen, wie in § 3 Abs 1 und 2 ETG bestimmt, zu erbringen ist, bevor diese erstmals in Verkehr gebracht werden.41 In dieser Verordnung ist zusätzlich anzugeben, welcher Art die erforderlichen oder zulässigen Nachweise zu sein haben, und wie diese miteinander kombiniert werden können. Als Nachweise kommen insbesondere in Betracht: • Bescheinigungen der Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen, die von einer gesetzlich hierzu befugten,42 unabhängigen österreichischen Stelle43 ausgestellt wurden. • Vom Hersteller oder Importeur angebrachte Zeichen, die die Erfüllung der geforderten Sicherheitskriterien bescheinigen.44 • Bestätigungen des Herstellers oder des Importeurs über die Erfüllung der genannten Anforderungen. 38
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Die genannten Verpflichtungen richten sich an denjenigen, der die elektrische Anlage oder das elektrische Betriebsmittel errichtet, herstellt, einführt, instandhält, betreibt oder in Verkehr bringt. Darüber hinaus gehende Möglichkeiten, Verpflichtungen und Aufträge im Sinne des § 3 ETG zu erteilen, enthält Abs 11 leg cit. Vgl § 3 Abs 6 ETG. Elektrotechnikverordnung 1993, BGBl 1994/47, idF. Elektrotechnikverordnung 1996, BGBl 2006 II/33. Abgesehen vom Fall einer internationalen Verpflichtung zur Schaffung einer derartigen Verpflichtung ist die Geltungsdauer einer derartigen Verordnung mit drei Jahren zu befristen. Siehe hierzu Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Sind im Ausland ausgestellte Bescheinigungen den österreichischen gleichwertig und besteht Gegenseitigkeit, so kann der BMWA mittels Verordnung oder Bescheid diese anerkennen. Im Hinblick auf die Warenverkehrsfreiheit ist diese Bestimmung so zu verstehen, dass Bescheinigungen, die innerhalb der Europäischen Union ausgestellt wurden, den inländischen gleichzustellen sind. Sind die Bedingungen, unter denen ausländische Zeichen angebracht und Bestätigungen ausgestellt werden dürfen, den Bedingungen für inländische Zeichen und Bestätigungen gleichwertig, und besteht Gegenseitigkeit, so kann der BMWA mittels Bescheid oder Verordnung diese anerkennen. Hinsichtlich Bescheinigungen aus dem Raum der EU gilt, dass diese österreichischen Bescheinigungen gleichzuhalten sind.
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3. Überwachung und Kontrolle a) Überwachungsverfahren Elektrische Anlagen und das in Verkehr bringen elektrischer Betriebsmittel unterliegen hinsichtlich der Einhaltung der einschlägigen elektrotechnischen Vorschriften einer Überwachung durch entweder den Landeshauptmann, in dessen Bundesland sich die elektrischen Anlagen befinden, oder den BMWA, wenn sich die elektrische Anlage auf mehr als nur ein Bundesland erstreckt, oder das in Verkehr bringen elektrischer Betriebsmittel Gegenstand der Überwachung ist. Den mit der Vornahme der sicherheitstechnischen Prüfung jeweils im Einzelfall beauftragten Organen ist Zutritt zu den elektrischen Anlagen und den Räumlichkeiten, in denen elektrische Betriebsmittel in Verkehr gebracht werden, zu gewähren. Lässt sich die Konformität des Betriebsmittels nicht an Ort und Stelle beurteilen, ist die Behörde darüber hinaus befugt, das Betriebsmittel durch eine hierzu befugte Prüfstelle45 prüfen zu lassen. Bei Gefahr im Verzuge ist der Zutritt zu jeder Zeit zu ermöglichen. Darüber hinaus trifft die Betreiber der zu prüfenden Anlage oder jenen, der die elektrischen Betriebsmittel in Verkehr bringt, die Pflicht zur Duldung46 der Untersuchungen sowie zu einer umfassenden Unterstützung des Organs, wie etwa durch die Erteilung von Auskünften.47 Hinsichtlich der Kostentragung bestimmt § 9 Abs 9 ETG, dass diese nur dann dem Bescheidadressaten vorzuschreiben sind, wenn die elektrische Anlage oder das elektrische Betriebsmittel nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht.
b) Maßnahmen zur Gefahrenabwehr Ergibt die Überwachung oder eine begründete Mitteilung einer nach einem internationalen Abkommen hierzu berechtigten ausländischen Stelle, dass ein elektrisches Betriebsmittel oder eine elektrische Anlage nicht den gesetzlichen Anforderungen aufgrund des ETG oder der hierzu ergangenen Verordnungen entspricht, so hat die Behörde dem Betreiber48 der Anlage oder dem Verfügungsberechtigten49 des Betriebsmittels die Herstellung des ordnungsgemäßen Zustandes mittels Bescheid binnen einer in diesem festzusetzenden Frist aufzutragen.50 Droht jedoch durch diese mangelnde Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen eine unmittelbare Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Perso45 46
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Zu den befugten Prüfstellen vgl näher Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Von der Pflicht zur Duldung ist auch mitumfasst, dass die elektrischen Anlagen oder Betriebsmittel vorübergehend in Betrieb genommen oder außer Betrieb gestellt werden. Im Rahmen der Untersuchungen ist jedoch darauf Acht zu geben, dass jede nicht unbedingt notwendige Störung oder Behinderung des Geschäftsbetriebes oder Betriebsablaufes zu vermeiden ist. Betreiber einer Anlage ist nach der Legaldefinition des § 9 Abs 3 ETG deren Eigentümer, dessen Stellvertreter oder Beauftragter, subsidiär der Anlageninhaber sowie jede sonst offensichtlich mit der tatsächlichen Betriebsaufsicht betraute Person. Es ist dies der Geschäfts- oder Betriebsinhaber, sein Stellvertreter oder Beauftragter sowie jede sonstige, offenkundig mit der Leitung des Betriebes betraute Person. In einzelnen, durch örtliche oder sachliche Verhältnisse bedingten Fällen kann der BMWA über Antrag Ausnahmen von der Anwendung bestimmter elektrotechnischer Sicherheitsbestimmungen bewilligen, wenn die elektrotechnische Sicherheit im gegebenen Falle gewährleistet erscheint.
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nen oder für Sachen, so sind, wenn eine elektrische Anlage betroffen ist, alle zur Gefahrenabwehr geeigneten Maßnahmen zu treffen, worunter expressis verbis auch die Stilllegung bzw. Außerbetriebnahme der Anlage im notwendigen Ausmaß zu verstehen ist. Auf den Betriebs- oder Versorgungszweck der Anlage ist jedoch stets Rücksicht zu nehmen. Handelt es sich jedoch um elektrische Betriebsmittel, so ist deren Inverkehrbringen zu untersagen. Diese Untersagung ist aber auch auf alle sonstigen, im Betrieb - oder bei anderen Verfügungsberechtigten51 - lagernden Betriebsmittel auszudehnen, von denen nach ihrer Art, Marke, Type, Fabrikationsnummer oder ihrem Herstellungsjahr anzunehmen ist, dass sie die selbe vorschriftswidrige Beschaffenheit aufweisen. Ist es zur Abwendung einer unmittelbar drohenden Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen geboten, so kann das Verkaufsverbot nach Verständigung des Verfügungsberechtigten unmittelbar an Ort und Stelle verhängt werden, ohne dass ein förmlicher Bescheid erlassen wird. Ein solcher schriftlicher und begründeter Bescheid ist jedoch binnen zwei Wochen nachträglich zu erlassen. Geschieht dies nicht, so gelten die verhängten Maßnahmen als aufgehoben. Ist es zur dringenden Information der beteiligten Verkehrskreise oder zur Abwendung drohender gesundheitlicher Schäden einer größeren Zahl von Verwendern der elektrischen Betriebsmittel notwendig, so kann der Inhalt der Verfügung im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ verlautbart werden. In dieser sind nur die betroffenen elektrischen Betriebsmittel sowie deren Art, Marke, Type, Seriennummer und Herstellungsjahr sowie die festgestellte Vorschriftswidrigkeit anzugeben.
Wird der Behörde nachgewiesen, dass der gesetzmäßige Zustand wieder hergestellt wurde, so sind die erlassenen Maßnahmen auf Antrag aufzuheben. Ist eine Maßnahme verlautbart worden, so ist auch deren Rücknahme bzw. Aufhebung zu verlautbaren.
E. Herstellungs-, Änderungs- und Instandhaltungsbefugnis Betreffend der Herstellung, Änderung und Instandhaltung elektrischer Anlagen und Betriebsmittel differenziert das Elektrotechnikgesetz in gewerbsmäßige und nicht gewerbsmäßige Tätigkeiten. Während sich die Erlaubnis zur Durchführung ersterer unbeschadet der Bestimmungen des Ziviltechnikergesetzes nach den einschlägigen gewerberechtlichen Vorschriften richtet, ist die nicht gewerbsmäßige Herstellung, Änderung und Instandhaltung elektrischer Anlagen und Betriebsmittel nur solchen Personen gestattet, die die hiefür notwendigen fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen oder die Arbeiten unter der Aufsicht solcher Personen durchführen.
F. Sonderbestimmungen und Behördenzuständigkeit 1. Sonderbestimmungen Betreffend bestimmter elektrischer Anlagen und Betriebsmittel bestehen aufgrund deren spezieller Eigenschaften hinsichtlich ihres Verwendungszweckes besondere, von den erörterten abweichende Bestimmungen. Es sind dies elektrische Anlagen und Betriebsmittel, die ausschließlich dem Betrieb von Eisenbahnen, dem Bergbau, der Luftfahrt, der Schifffahrt, der Landesverteidigung 51
In diesem Fall ist auch den anderen vom Verkaufsverbot betroffenen Verfügungsberechtigten ein entsprechender Bescheid zuzustellen.
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oder Fernmeldezwecken der Post dienen.52 In diesen Fällen sind die Bestimmungen des ETG nur subsidiär anzuwenden, also nur so weit, als nicht Sonderbestimmungen bezüglich Normalisierung, Typisierung und elektrische Sicherheitsmaßnahmen Anwendung finden. Für elektrische Anlagen oder Betriebsmittel der Landesverteidigung finden im Falle eines Einsatzes die Bestimmungen des ETG darüber hinaus nur dann Anwendung, wenn dadurch der Einsatz nicht behindert wird. Wird im Rahmen der Überwachung ein Missstand festgestellt und werden Sicherheitsmaßnahmen getroffen, so werden in weiterer Konsequenz dieser Sonderbestimmungen für diese auch jene Behörden zuständig, die für den Verwendungszweck des Betriebsmittels oder der Anlage generell zuständig sind. Handelt es sich um Ausnahmebewilligungen für solche elektrischen Anlagen oder Betriebsmittel, die unmittelbar den speziellen, genannten Zielen dienen, so ist hiefür abweichend von der Zuständigkeit des BMWA der jeweils in Betracht kommende Bundesminister zuständig. Wirken sich die Ausnahmebewilligungen lediglich auf solche speziellen Anlagen aus, so verlangt das ETG ein Einvernehmen der beteiligten Bundesminister zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung. Einem besonderen gesetzlichen Regelungsregime unterliegen Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen. Dieses ist insbesondere im Neunten Abschnitt des TKG 2003 und im Bundesgesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen53, das wiederum wesentlich die - auf dem New Approach-Ansatz beruhende - Richtlinie über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen54 umsetzt.55 Eine genaue Begriffsdefinition von „Funkanlage“ findet sich in § 3 Z 6 TKG 200356, eine solche der Telekommunikationsendeinrichtung in § 3 Z 22 TKG 200357. Kurz zusammengefasst müssen Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen als grundlegenden Anforderung den Schutz der Gesundheit und Sicherheit des Benutzers und anderer Personen gewährleisten, einschließlich der in der Niederspannungsrichtlinie genannten Sicherheitsanforderungen sowie bestimmte Schutzanforderungen in Bezug auf die elektromagnetische Verträglichkeit.58 Dazu kommen weitere spezielle Anforderungen im Hinblick auf die Vermeidung funktechnischer Störungen im Hinblick auf zugewiesene Frequenznutzungen.59 Zur Konkretisierung wird - im Telekommunikationsbereich vorwiegend durch ETSI60 - auf ausgearbeitete harmonisierte Normen verwiesen und es werden zum Nachweis der Übereinstimmung mit den grundlegenden 52 53
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Vgl § 14 ETG 1992. Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen erlassen wird und das Telekommunikationsgesetz sowie das Bundesgesetz über die Verkehrs-Arbeitsinspektion geändert werden, BGBl I 2001/124 idF BGBl I 2002/25. Richtlinie 99/5/EG des Rates vom 9.3.1999 über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen und die gegenseitige Anerkennung ihrer Konformität, Abl 1999 L 91/10. Zum Regelungsbereich ausführlich Damjanovic ua, Handbuch des Telekommunikationsrechts, 2006, 56 ff. Darunter fallen so unterschiedliche Anlagen wie der drahtlose Garagenöffner, das Mobiltelefon oder der Rundfunkgroßsender, siehe Damjanovic ua (FN 55), 56. Gleichlautende Begriffsbestimmungen finden sich in § 2 Z 3 und § 2 Z 2 FTEG. Richtlinie 89/336/EWG des Rates vom 3.5.1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über elektromagnetische Verträglichkeit, Abl 1989 L 139/19. Siehe näher Damjanovic ua (FN 55), 58. Siehe Holoubek, Normung.
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Anforderungen, woraus die entsprechende Konformitätsvermutung folgt, unterschiedliche Module von Konformitätsbewertungsverfahren für unterschiedliche Geräte vorgegeben. Auch ein entsprechendes Schutzklauselverfahren ist vorgesehen.61
2. Behörden a) Allgemein Zur Vollziehung des Elektrotechnikgesetzes sind, wie bereits dargestellt, nebeneinander die Landeshauptleute und der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit berufen. Die Zuständigkeit eines Landeshauptmannes ist hinsichtlich jener elektrischen Anlagen und Betriebsmittel gegeben, die sich in seinem jeweiligen Bundesland befinden. Erstreckt sich eine elektrische Anlage jedoch auf mehr als nur ein Bundesland oder handelt es sich um Agenden im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von elektrischen Betriebsmitteln, so besteht eine Zuständigkeit des Bundesministers. b) Elektrotechnischer Beirat Der elektrotechnische Beirat wurde mit dem Ziel gegründet, dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit bei der Vollziehung des Elektrotechnikgesetzes unterstützend zur Seite zu stehen. Bei der Ausarbeitung von generellen Regelungen, wobei vor allem Verordnungen nach dem ETG sowie sonstige Fragen grundsätzlicher Bedeutung in Betracht kommen, hat der BMWA den Beirat zu hören. Über Aufforderung hat der Beirat dem Bundesminister binnen angemessener Frist Gutachten zu erstatten. Der Beirat besteht aus ehrenamtlichen, jeweils für eine Funktionsperiode von fünf Jahren ernannten Fachleuten auf dem Gebiet der Elektrotechnik, die sich einerseits aus bestimmten Ministerien und andererseits aus privaten Organisationen, die sich mit den Angelegenheiten der Elektrotechnik beschäftigen, sowie den Universitäten rekrutieren.62 Die einzelnen, im ETG taxativ aufgezählten Organisationen schlagen Fachleute vor, die sodann vom BMWA als Mitglieder des Elektrotechnischen Beirates ernannt werden.63
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Im Detail Damjanovic ua (FN 55), 58 ff. Vgl § 16 Abs 3 ETG. Der Elektrotechnische Beirat kann jedoch zu seinen Sitzungen, denen je nach dem Verhandlungsgegenstand die zuständigen Bundesministerien und Ämter der Landesregierungen beiwohnen, auch andere Sachverständige heranziehen oder die Behandlung von Sonderfragen einem Unterausschuss übertragen; siehe § 16 Abs 5 ETG.
Michael Holoubek
Kapitel 4: Bauprodukterecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................541 Grundlegende Literatur...................................................................................542 I. Kompetenzrechtliche Einordnung ...........................................................542 II. EU-Bauproduktenrichtlinie ....................................................................545 A. Historischer Hintergrund/Allgemeines..................................................545 B. Inhalt......................................................................................................547 1. Definition Bauprodukt.......................................................................547 2. Anforderungen an Bauwerke und Grundlagendokumente ................547 3. Erstellung von Normen und Leitlinien ..............................................549 4. Normkonforme Produkte...................................................................550 5. Alternative: europäische technische Zulassung.................................551 6. Schutzklauseln...................................................................................552 III. Umsetzung in Österreich .......................................................................553 A. Allgemeines............................................................................................553 B. Umsetzungsmaßnahmen der Länder .....................................................553 C. Umsetzungsmaßnahmen des Bundes .....................................................555 IV. Schwierigkeiten auf Gemeinschaftsebene ............................................555 Rechtsgrundlagen: Innerstaatliches Recht Bundesrecht: BundesG über das Inverkehrbringen von Bauprodukten und den freien Warenverkehr mit diesen, BauPG, BGBl 1997 I/55. Landesrecht: Burgenland: G. vom 20. November 1997, mit dem Bauvorschriften für das Burgenland erlassen werden (Bgld. BauG, LGBl 1998/10 idF LGBl 2006/13) Kärnten: Kärntner Akreditierungs- und BaustoffzulassungsG (krnt AkkBauZG, LGBl 1994/24 idF LGBl 2001/31); Kärntner BauO 1996 (K-BO 1996, LGBl 1996/62 idF LGBl 2004/22). Niederösterreich: Niederösterreichische BauO 1996, LGBl 8200-0 idF LGBl 8200-5 und LGBl 8200-6. Oberösterreich: LandesG vom 5. Mai 1994 über die Planung und Ausführung von Gebäuden und sonstigen baulichen Anlagen (oö BauTG, LGBl 1994/67 idF LGBl 2002/114). Salzburg: Salzburger BauprodukteG (sbg BauPG, LGBl 1995/11 idF LGBl 1995/47, 1995/63, 1995/123 (Berichtigungen) und LGBl 2001/73); VO der Salzburger Landesregierung vom 28.Mai 1997 über das Erfordernis einer österreichischen technischen Zulassung für bestimmte Bauprodukte (sbg Bauprodukte-ZulassungsVO, LGBl 1997/41 idF LGBl 2004/70) Steiermark: Steiermärkisches BauG (Stmk BauG, LGBl 1995/59 idF LGBl 2003/78); Gesetz vom 20. März 2001 über das Inverkehrbringen und die Verwendbarkeit von Bauprodukten (Stmk BauPG 2000 LGBl 2001/50 idF LGBl 2005/85); Gesetz vom
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4.April über die Akkreditierung von Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen (Stmk AkkG, LGBl 1995/62 idF LGBl 2002/7) Tirol: Tiroler Bauprodukte- und Akkreditierungsgesetz 1998 vom 11.Dezember 1997 über die Beteiligung des Landes Tirol am Österreichischen Institut für Bautechnik, das Inverkehrbringen von Bauprodukten und die Akkreditierung von Prüf- , Überwachungsund Zertifizierungsstellen (tir BauPAkkG, LGBl 1998/16, wiederverlautbart im LGBl 2001/95); Kundmachung der Landesregierung vom 23. Oktober 2001 über die Wiederverlautbarung des G. vom 11. Dezember 1997, mit dem eine BauO für Tirol erlassen wird (Tiroler BauO 1998, LGBl 1998/15, wiederverlautbart im LGBl. Nr. 94/2001). Vorarlberg: Baugesetz (Vlbg BauG, LGBl 1972/39 idF 2005/27); Bauproduktegesetz (Vlbg BauPG, LGBl 1994/33 idF 2000/65). Wien: G. über Bauprodukte und die Akkreditierung von Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen für Bauprodukte in Wien (WBAG, LGBl 1996/30); VO des Magistrates der Stadt Wien vom 4. September 1996, womit die Zuständigkeiten als Akkreditierungs- und Zulassungsstelle nach dem Wiener Bauprodukten- und AkkreditierungsG (WBAG) dem OIB übertragen und Bauschbeträge für die von den Antragstellern einzuhebenden Beiträge festgesetzt werden (WBAG - ZuständigkeitsübertragungsVO mit OIB-Tarif, 12/01/2006, Abl 2006/02). Gliedstaatenverträge der Bundesländer: Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG über die Regelung der Verwendbarkeit von Bauprodukten (siehe etwa: stmk LGBl 1999/80); Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die Zusammenarbeit im Bauwesen (Umsetzung der EG-Bauproduktenrichtlinie, exemplarisch: Sbg LGBl 1993/112). Gemeinschaftsrecht: RL 89/106/EWG, Abl 1988 L40/12 idF RL 93/68/EWG, Abl 1993 L 220/1.
Grundlegende Literatur: Giese, Salzburger Baurecht, 2006; Gutknecht, Kompetenzrechtliche Grundlagen für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie, bbl 2001, 175; Hämmerlein, Wohnungswirtschaft und Verbraucherschutz im EG-Binnenmarkt, NZ 1994, 162ff; Jahnel, Baurecht, in: Bachmann ua (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht5, 2004, 347 (368 f); Karner, Bauprodukterecht, 1997; Mikulits, Probleme der Umsetzung der EU-Bauproduktenrichtlinie, bbl 1999, 93ff.
I. Kompetenzrechtliche Einordnung Ausgangspunkt ist die Generalklausel des Art 15 Abs 1 B-VG, der zufolge das Baurecht in Gesetzgebung und Vollziehung in die Zuständigkeit der Länder fällt.1 Daneben bestehen für einzelne, in Art 10 B-VG genannte Sachgebiete spezielle Baurechtskompetenzen des Bundes.2 Nach der Judikatur des VfGH3 sowie des VwGH4 wird für das Vorliegen einer baurechtlichen Annexkompetenz des Bundes ein „unlöslicher“ Zusammenhang mit der betreffenden Sach1 2
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Grundlegend: VfSlg 2685/1954. So zB Bergwesen, Verkehrswesen, betreffend Eisenbahnen, Schiffahrt, Luftfahrt, Bundestheater, Forstwesen oder militärische Angelegenheiten, siehe näher mwH Gutknecht, Kompetenzrechtliche Grundlagen für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie, bbl 2001, 175 (178). VfSlg 2685/1954, 2905/1955. Vgl exemplarisch VwGH 10.12.1991, 91/05/063, VwSlg 14.265 A/1995.
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materie verlangt. Je nach Sachmaterie kann dem Bund dabei die Kompetenz zukommen, auch die baurechtlichen Belange umfassend und abschließend zu regeln,5 oder aber es wird das Bauwesen nur in bestimmten Aspekten erfasst, sodass im verbleibenden Bereich die Zuständigkeit der Länder bestehen bleibt.6 Vor dem Hintergrund dieser kompetenzrechtlichen Ausgangslage bereitet die Ermittlung der Zuständigkeit zur Umsetzung der Bauprodukterichtlinie (BPRL) erhebliche Schwierigkeiten. Zunächst erachteten sich die Länder im Hinblick auf ihre allgemeine Baurechtskompetenz gemäß Art 15 Abs 1 B-VG auch für die Regelung des Inverkehrbringens von Bauprodukten und damit zur Umsetzung der Bauprodukterichtlinie für zuständig. Sie koordinierten ihre Umsetzungsgesetzgebung dabei über eine Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG und richteten als Zulassungsstelle das Österreichische Institut für Bautechnik (OIB)7 ein.8 Der Bundesgesetzgeber erließ in der Folge ebenfalls zur Umsetzung der Bauprodukterichtlinie ein eigenes Bundes-Bauproduktegesetz. Der Bundesgesetzgeber steht dabei kompetenzrechtlich auf dem Standpunkt, dass seine qua Annexkompetenz gegebene baurechtliche Regelungszuständigkeit in speziellen Sachmaterien auch die Kompetenz zur Regelung des Inverkehrbringens von Bauprodukten umfasse, die im Rahmen der von diesen Sachmaterien erfassten Bautätigkeiten Verwendung finden.9 Wesentlich ist dabei, dass der Bundesgesetzgeber von seiner Regelungszuständigkeit alle jene Bauprodukte als erfasst ansieht, die auch in den seiner Regelungszuständigkeit unterliegenden Sachmaterien Verwendung finden. Dem haben insbesondere Attlmayer/ Bellina-Freimuth10 entgegengehalten, dass eine Baurechtskompetenz des Bundes nur bei „spezifisch unauflöslichem Zusammenhang“ mit der jeweiligen Sachmaterie und damit seine Regelungszuständigkeit für das Inverkehrbringen von Bauprodukten nur für solche Produkte gegeben sei, die ausschließlich in Sachbereichen eingesetzt werden, für die der Bund eine exklusive Regelungskompetenz besitzt.11 Einen grundsätzlich anderen Ansatz wählt Gutknecht.12 Sie geht zunächst davon aus, dass die Baurechtskompetenz - und zwar sowohl die allgemeine 5
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So zB im Berg-, Forst- oder Verkehrswesen, siehe Attlmayer/Bellina-Freimut, Zur kompetenzrechtlichen Beurteilung der Zuständigkeit des Inverkehrbringens von Bauprodukten, bbl 2000, 91 (98). Vgl hierzu mwN Gutknecht (FN 2) 178; VwSlg 14.271 A/1995. Das OIB ist ein gemeinnütziger Verein nach dem Vereinsgesetz mit Sitz in Wien, seine Vereinsmitglieder sind die 9 Bundesländer. Vgl dazu näher Mikulits, Probleme der Umsetzung der EU-Bauproduktenrichtlinie, bbl 1999, 93 (94); dort auch zur besonderen Umsetzungstechnik im burgenländischen Baugesetz, das für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie die beiden Vereinbarungen gemäß Art 15a B-VG (Vereinbarung gemäß Artikel 15 a B-VG über die Regelung der Verwendbarkeit von Bauprodukten, Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die Zusammenarbeit im Bauwesen) im Landesgesetzblatt kundmachte und auf gesonderte Umsetzungsmaßnahmen verzichtete. Vgl RV 148 BlgNR 20. GP, vgl mwH Gutknecht (FN 2) 13f. Attlmayer/Bellina-Freimuth (FN 5) insb 98 ff. Attlmayer/Bellina-Freimuth (FN 5) 100 f; eine Bundeskompetenz im Hinblick auf Bauprodukte bestünde nach dieser Auffassung etwa für Eisenbahnschienen oder -schwellen, so Attlmayer/Bellina-Freimuth, aaO, 101. Gutknecht (FN 2) 173.
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Baurechtskompetenz der Länder gemäß Art 15 Abs 1 B-VG als auch die speziellen baurechtlichen Annexkompetenzen des Bundes - nur Regelungen über die „Verwendung“ von Bauprodukten umfassen, insbesondere damit auch Vorschriften über die Zulassung von Baustoffen als wesentliches Element des Bautechnikrechts jeweils für bestimmte Bauwerke. Demgegenüber sei das „Inverkehrbringen“, also die Zulassung zum Handel mit Bauprodukten, von der Baurechtskompetenz nicht mitumfasst.13 Die Zuständigkeit zur Regelung des Inverkehrsbringens von Bauprodukten liege auf Grund der Kompetenztatbestände Normenwesen (Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG), Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) und Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) ausschließlich beim Bund. Gute Gründe dürfte zunächst einmal die Auffassung für sich haben, dass Verwendungsregelungen, also insbesondere Baustoffzulassungen für bestimmte Baumaßnahmen, der Baurechtskompetenz unterfallen. Eine Verwendungsvorschrift in diesem Sinn liegt jedenfalls dann vor, wenn präventive verwaltungsbehördliche Genehmigungsverfahren für bestimmte Bauprodukte, die für bestimmte Baumaßnahmen verwendet werden sollen, vorgesehen werden. Gute Gründe sprechen weiters dafür, dass der Kompetenztatbestand „Normenwesen“ eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundes für die Regelung von Organisation und Verfahren von (privaten) Einrichtungen, die (technische) Normen erarbeiten, vorsieht14. Fraglich ist allerdings, ob der Kompetenztatbestand „Normenwesen“ auch umfassend und ausschließlich die Zuständigkeit zur Regelung über die Zertifizierung von Produkten umfasst.15 Hier dürften doch gute Argumente dafür sprechen, dass - wie die Frage der Verbindlicherklärung von technischen Normen auch - die Regelungszuständigkeit zur Verleihung von Akkreditierungs- und Zertifizierungsbefugnissen Bestandteil der jeweiligen Sachmaterie ist. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Unterscheidung zwischen „Inverkehrbringen“ und „Verwendung“ doch fragwürdig ist. Denn Sinn und Zweck der Befugnis zum Inverkehrbringen von Bauprodukten ist es ja gerade, dass die Unternehmer und Konsumenten diese Bauprodukte für Baumaßnahmen ohne weitere behördliche Überprüfung verwenden können. Insoweit also die allgemeine Baurechtskompetenz der Länder und nicht spezielle Baurechtsmaterien wie etwa das Eisenbahnwesen betroffen sind, sprechen gute Gründe dafür, dass die Zulassung zum Handel, also zum Inverkehrbringen eines Bauprodukts, auch die Zulassung zur Verwendung mitumfasst16. Im Hinblick auf die Gewerberechtskompetenz ist darauf hinzuweisen, dass diese im vorliegenden Zusammenhang nur allgemeine, handelsbezogene Produktregelungen und nicht produktspezifisches Produktsicherheitsrecht umfasst, für das eigenständige Sachkompetenzen bestehen.
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Gutknecht (FN 2) 180 f. Siehe dazu Holoubek, Normung. Dafür Gutknecht (FN 2) 183. Für eine Trennung demgegenüber Gutknecht (FN 2) 181.
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II. EU-Bauproduktenrichtlinie A. Historischer Hintergrund/Allgemeines Dem Markt für Bauprodukte kommt infolge seiner wirtschaftlichen Bedeutung17 große Aufmerksamkeit zu. Natürliche Gegebenheiten wie unterschiedliche klimatische und bautechnische Erfordernisse, aber auch die faktisch geringe Bereitschaft der Mitgliedstaaten, an der Erarbeitung von gemeinsamen technischen Standards aktiv mitzuwirken, hinderten ein schnelles Vorankommen auf dem Weg zu einem harmonisierten Binnenmarkt für Bauprodukte. Das vom Europäischen Rat im Juni 1985 gebilligte Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes18 sah in seinem Paragraphen 71 vor, diese allgemeine Politik branchenspezifisch zu akzentuieren und insbesondere auch auf dem Bausektor durchzuführen. Die durch unterschiedliche nationale Anforderungen an Bauprodukte in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden technischen Hemmnisse sollten, sofern sie nicht durch die gegenseitige Anerkennung der Gleichwertigkeit zwischen allen Mitgliedstaaten abgebaut werden können, im Wege der Neuen Konzeption auf dem Gebiet der Normung19 beseitigt werden. Die Bauprodukterichtlinie20 ist in diesem System der „neuen Konzeption“21 ergangen und beschränkt sich deshalb auf die Festlegung von grundlegenden Anforderungen, die erfüllt werden müssen, damit die Bauprodukte gemeinschaftsweit in Verkehr gebracht werden können.22 Die Besonderheit besteht im vorliegenden Fall darin, dass Bauprodukte als Gegenstand der Richtlinie insofern „quasi unselbständige“ Produkte sind, als sie definitionsgemäß dazu bestimmt sind, in Bauwerken verbaut zu werden. Dem Rechnung tragend knüpfen die in der Bauproduktenrichtlinie enthaltenen grundlegenden Anforderungen auch nicht an das einzelne Produkt, sondern an das aus einer Vielzahl von zusammengefügten Bauprodukten bestehende Bauwerk an. Mit den Bauprodukten müssen also Bauwerke errichtet werden können, die als Ganzes und in ihren Teilen - unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit während einer üblichen und wirtschaftlich angemessenen Verwendungszeit einzelnen, mehreren oder allen der an sie gestellten, grundlegenden Anforderungen bei normaler Art der Instandhaltung genügen müssen. Auf diesen ersten Schritt der Festlegung von übergeordneten, speziellen Anforderungen an die Bauwerke folgt als zweiter Schritt die Erstellung von Grundlagendokumenten.23 Die Kommission arbeitet in diesen auf technischer Ebene jene Kriterien heraus, denen die einzelnen Bauprodukte genügen müs17
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Die Baubranche war 2002 für EU Kapitalbewegungen in der Höhe von 1004 Mrd. Euro verantwortlich und übertrifft auch in beschäftigungspolitischer Hinsicht alle anderen Wirtschaftszweige der Industrie (http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/lvb/ l21181.htm). KOM(85) 310. Vgl Holoubek, Normung. RL 89/106/EWG, Abl 1988 L 40/12 idF RL 93/68/EWG, Abl 1993 L 220/1. Entschließung des Rates vom 7.Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normen, Abl 1985 C 136/1. Die Richtlinie regelt also ausschließlich das „Inverkehrbringen“ von Bauprodukten. Früher als „ Interpretative Dokumente“ bezeichnet.
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sen, und die für die Ausarbeitung harmonisierter Normen24 als Grundlage dienen. Erfüllen Bauprodukte die an sie gestellten Anforderungen, so sind sie „brauchbar“ im Sinne der Richtlinie und können - nach erfolgreichem Absolvieren eines Konformitätsbewertungsverfahrens25 - mit der CE-Kennzeichnung versehen und gemeinschaftsweit in Verkehr gebracht werden.26 Aufgrund der Besonderheiten des Bausektors und zur Beachtung unterschiedlicher Niveaus der wesentlichen Anforderungen bei bestimmten Bauwerken und faktischer Unterschiede in den einzelnen Mitgliedstaaten sollten ursprünglich in den Grundlagendokumenten und in den harmonisierten technischen Spezifikationen Klassen für Anforderungen und Leistungsniveaus sowie Grenzwerte vorgesehen werden, denen die Produkte in den Mitgliedstaaten künftig genügen hätten müssen. Von diesem Vorhaben wurde jedoch - eine diesbezügliche Ausnahme stellen nur die Euroklassen des Brandverhaltens und die Klassen des Brandwiderstandes dar - Abstand genommen. Es ist nunmehr ausreichend, wenn der Hersteller sogenannte „declared values“ angibt.27 Dabei handelt es sich um die nach einem harmonisierten Verfahren tatsächlich erreichten Messergebnisse betreffend bestimmter harmonisierter Kennwerte des jeweiligen Produktes.
Die Richtlinie beschränkt sich also einerseits darauf, die Vorschriften über das Inverkehrbringen dieser Produkte zu regeln,28 und andererseits darauf, qualitative Anforderungen aufzustellen. Die Art der Produktleistung und die Nachweisverfahren sind also national nicht mehr frei regelbar, wohl aber die quantitativen Anforderungen an die Leistungen eines Produktes im Rahmen der gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen technischen Spezifikationen. Unter denselben Voraussetzungen können auch nationale Anforderungen betreffend Gesundheits- und Umweltschutz erlassen werden. Insgesamt bedeutet dieses neue Organisationskonzept auf dem Markt der Bauprodukte freilich auch, dass nunmehr nicht wie bisher die öffentlich-rechtlichen Regelungen ausschließlich die Verwendung von Bauprodukten regeln, sondern durch die Bauprodukterichtlinie und die in Folge erlassenen Bauproduktegesetze auch der Handel mit diesen, der bislang ausschließlich dem Zivilrecht unterlag, einem öffentlich24
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Zur Ausarbeitung europäischer harmonisierter Normen sind das Europäische Komitee für Normung (CEN) und das Europäische Komitee für elektrische Normung (CENELEC) gemäß den am 13.November 1984 unterzeichneten Leitlinien für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den vorgenannten Stellen zuständig. Eine harmonisierte Norm ist eine technische Spezifikation (Europäische Norm oder Harmonisierungsdokument), die von einer der beiden oder von beiden vorgenannten Stellen im Auftrag der Kommission gemäß der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28.März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (Abl 1983 L 109/8) festgelegt wurde. Vgl Art 4 Abs 1 BPRL. Wie das einzelne Konformitätsbewertungsverfahren zu gestalten ist, also welche Prüfungen auf welcher Produktionsstufe durchgeführt werden müssen, und ob insbesondere eine laufende Überprüfung der Produktion verlangt wird, ergibt sich aus der jeweils einschlägigen technischen Spezifikation. Nach Ansicht der Kommission ist die Kennzeichnung des einzelnen Bauproduktes mit dem CE-Kennzeichen nicht bloß geduldet, sondern vielmehr obligatorischer Natur. Bei bestätigter Konformität ist daher das Kennzeichen auf dem Produkt anzubringen. Siehe bei Mikulits (FN 8) 97. Außer Betracht bleiben demgegenüber die Vorschriften über die Verwendung der Produkte.
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rechtlichen Regime unterworfen ist. Dieses neue öffentlich-rechtliche Regime gewährleistet aber auch, dass im Verkehr befindliche und für diesen zugelassene Produkte ein bestimmtes, leicht nachvollziehbares Qualitätsniveau besitzen und gewissen grundlegenden Güte- und Sicherheitsaspekten genügen.
B. Inhalt 1. Definition Bauprodukt Vom Anwendungsbereich der Richtlinie sind jene Produkte umfasst, die hergestellt werden, um dauerhaft in Bauwerke des Hoch- oder des Tiefbaus eingebaut zu werden. Hinsichtlich der Bauprodukte29 wird näher differenziert in Baustoffe, also ungeformte Stoffe wie Beton oder Zement, in geformte Stoffe, wie Ziegel oder Stahlträger, und in Bauteile, das sind aus Baustoffen hergestellte Gegenstände wie Fenster oder Türen. Nach Auffassung der Kommission gehören hierzu auch Anlagen und Einrichtungen sowie ihre Teile für Heizung, Klima, Lüftung, sanitäre Zwecke, elektrische Versorgung, Lagerung umweltgefährdender Stoffe, aber auch vorgefertigte Bauwerke, die als solche auf den Markt kommen. Anlagen sind etwa Lüftungsanlagen, die auf der Baustelle zusammengesetzt werden müssen.
2. Anforderungen an Bauwerke und Grundlagendokumente Wie bereits erwähnt bezieht sich die Bauprodukterichtlinie nur mittelbar auf Bauprodukte, die „grundlegenden Anforderungen“ der Richtlinie werden unmittelbar an die Bauwerke selbst gestellt. Die einzelnen Bauprodukte werden daher erst dann zum freien, gemeinschaftsweiten Verkehr zugelassen, wenn sie „brauchbar“ sind, also sichergestellt ist, dass das Bauwerk, für das sie durch Einbau, Zusammenfügung, Anbringung oder Installierung verwendet werden sollen, bei ordnungsgemäßer Planung und Bauausführung die grundlegenden Anforderungen nach Artikel 3 der Bauproduktenrichtlinie erfüllen kann. Diese Brauchbarkeit wird entweder durch eine positive Konformitätsbescheinigung mit einer technischen Spezifikation oder eine europäische technische Zulassung oder aber dadurch nachgewiesen, dass der Produzent oder Händler den Nachweis für den Einzelfall auf sonstige Weise erbringt. Die genannten grundlegenden Anforderungen an Bauwerke, auf welche in Art 3 der Richtlinie verwiesen wird, finden sich im Anhang I der Bauproduktenrichtlinie und beziehen sich auf: • Mechanische Festigkeit und Standsicherheit,30 • Brandschutz,31 29 30
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Siehe hierzu Protokollerklärung Nr. 3 zur Bauproduktenrichtlinie. Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass die während der Errichtung und Nutzung möglichen Einwirkungen keines der nachstehenden Ereignisse zur Folge haben: 1. Einsturz des gesamten Bauwerks oder eines Teils; 2. größere Verformungen in unzulässigem Umfang; 3. Beschädigungen anderer Bauteile oder Einrichtungen und Ausstattungen infolge zu großer Verformungen der tragenden Baukonstruktion; 4. Beschädigungen durch ein Ereignis in einem zur ursprünglichen Ursache unverhältnismäßig großen Ausmaß. Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass bei einem Brand 1. die Tragfähigkeit des Bauwerks während eines bestimmten Zeitraums erhalten bleibt, 2. die Entstehung und Ausbreitung von Feuer und Rauch innerhalb des Bau-
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• Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz,32 • Nutzungssicherheit,33 • Schallschutz34 und • Energieeinsparung und Wärmeschutz.35 Diese wesentlichen Anforderungen müssen jedoch, um ein Mandat zur Ausarbeitung einer produktbezogenen Norm36 erteilen zu können, konkretisiert werden, sodass daraus auch Anforderungen an diejenigen Produkte abgeleitet werden können, die durch die konkrete Norm harmonisiert werden sollen.37 Zum diesem Zweck wurden von der Kommission unter Heranziehung und Angabe von Bezugsdokumenten sogenannte Grundlagendokumente38 erstellt, die die grundlegenden Anforderungen konkret ausformulieren. Sie dienen als Zwischenglieder zwischen den grundlegenden Anforderungen und den Mandaten, die die Kommission an CEN/CENELEC zur Ausarbeitung von Europäischen Normen und an EOTA zur Erarbeitung von Leitlinien für Europäische Technische Zulassungen erteilen. Darüber hinaus fungieren sie als Basis für die Anerkennung nationaler technischer Spezifikationen.39 Zur besseren Verwend-
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werks begrenzt wird, 3. die Ausbreitung von Feuer auf benachbarte Bauwerke begrenzt wird, 4. die Bewohner das Gebäude unverletzt verlassen oder durch andere Maßnahmen gerettet werden können, 5. die Sicherheit der Rettungsmannschaften berücksichtigt ist. Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass die Hygiene und die Gesundheit der Bewohner und der Anwohner insbesondere durch folgende Einwirkungen nicht gefährdet werden: 1. Freisetzung giftiger Gase, 2. Vorhandensein gefährlicher Teilchen oder Gase in der Luft, 3. Emission gefährlicher Strahlen, 4. Wasser- oder Bodenverunreinigung oder -vergiftung, 5. unsachgemäße Beseitigung von Abwasser, Rauch und festem oder flüssigem Abfall, 6. Feuchtigkeitsansammlung in Bauteilen und auf Oberflächen von Bauteilen in Innenräumen. Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass sich bei seiner Nutzung oder seinem Betrieb keine unannehmbaren Unfallgefahren ergeben, wie Verletzungen durch Rutsch-, Sturz- und Aufprallunfälle, Verbrennungen, Stromschläge, Explosionsverletzungen. Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass der von den Bewohnern oder von in der Nähe befindlichen Personen wahrgenommene Schall auf einem Pegel gehalten wird, der nicht gesundheitsgefährdend ist und bei dem zufriedenstellende Nachtruhe-, Freizeit- und Arbeitsbedingungen sichergestellt sind. Das Bauwerk und seine Anlagen und Einrichtungen für Heizung, Kühlung und Lüftung müssen derart entworfen und ausgeführt sein, dass unter Berücksichtigung der klimatischen Gegebenheiten des Standortes der Energieverbrauch bei seiner Nutzung gering gehalten und ein ausreichender Wärmekomfort der Bewohner gewährleistet wird. Daneben kommen noch in Betracht: Aufträge zur Ausarbeitung von Leitlinien für die europäische technische Zulassung oder der Anerkennung anderer technischer Spezifikationen. Durch das geschilderte System der kontinuierlichen Ableitung von Leistungsmerkmalen aus den grundlegenden Anforderungen an Bauwerke ist es auch möglich geworden, sämtliche Bauprodukte im Rahmen der Bauprodukterichtlinie zu regeln. Die Grundlagendokumente entsprechen den grundlegenden Anforderungen und beziehen sich dementsprechend auf: Mechanische Festigkeit und Standsicherheit, Brandschutz, Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz, Nutzungssicherheit, Schallschutz und Energieeinsparung und Wärmeschutz. Die Mitgliedstaaten können der Kommission diejenigen nationalen technischen Vorschriften übermitteln, die ihrer Meinung nach mit den grundlegenden Anforde-
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barkeit wurden die Terminologie wie die technischen Grundlagen vereinheitlicht. Zusätzlich war in der Bauprodukterichtlinie ursprünglich beabsichtigt, für jede Anforderung soweit erforderlich und nach dem Stand der Wissenschaft und Technik möglich, Klassen und Leistungsniveaus vorzusehen, um den unterschiedlichen Niveaus der wesentlichen Anforderungen bei bestimmten Bauwerken und den Unterschieden in den einzelnen Mitgliedstaaten gerecht zu werden.40 Davon nahm die Praxis jedoch weitgehend Abstand, sodass lediglich im Bereich der grundlegenden Anforderungen: Brandschutz sogenannte „Euroklassen des Brandverhaltens“ und „Klassen des Brandwiderstandes“ existieren.41 Darüber hinaus wird lediglich im Rahmen der „grundlegenden Anforderungen 1“, die mechanische Festigkeit und Standsicherheit betreffend, im Wege der „Eurocodes“ Harmonisierungsarbeit geleistet.42
Hinsichtlich der übrigen grundlegenden Anforderungen hat die Praxis der Umsetzung der Bauprodukterichtlinie einen anderen Weg eingeschlagen: Gegenstand der Harmonisierung sind bestimmte Kennwerte („declared values“) des jeweiligen Produktes sowie die Verfahren und Prüfmethoden zu deren Ermittlung. Anhand dieser „declared values“ kann in jedem Mitgliedstaat festgestellt werden, ob die in den jeweiligen nationalen Vorschriften vorgesehenen, qualitativen Anforderungen an das Produkt erfüllt werden. Nur in diesem Fall kann das Bauprodukt in dem jeweiligen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht werden.
3. Erstellung von Normen und Leitlinien Wie allgemein auf dem Gebiet der Normung auf Gemeinschaftsebene43 erfolgt die Ausarbeitung von harmonisierten Normen auch auf dem Bausektor unter Zuhilfenahme von CEN/CENELEC unter Beteiligung der interessierten Kreise im Speziellen und der Öffentlichkeit im Allgemeinen.44 Bei der Erstellung von Leitlinien für die Erteilung einer europäischen technischen Zulassung an Produkte bedient sich die Kommission der Hilfe des Gremiums der von den Mitgliedstaaten bestimmten Zulassungsstellen (EOTA45). Die Kommission bzw der bei dieser eingerichtete Ständige Ausschuss für Bauprodukte46 arbeiten in einem ersten Schritt auf der Basis erstellter Grundlagendokumente Mandate für CEN bzw. EOTA aus, die die zu behandelnden Leistungsanforderungen (Produktkennwerte) enthalten und die Details zum Konformitätsbescheinigungs-
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rungen der Richtlinie übereinstimmen. Schließt sich die Kommission dieser Ansicht an, so wird die nationale Norm in ein Verzeichnis jener Normen aufgenommen, bei deren Erfüllung ein Produkt als mit der Richtlinie übereinstimmend gilt. Siehe näher Art 4 Abs 3 sowie Art 5 Abs 2 der BPRL. Vgl die Erwägungsgründe zu RL 89/106/EWG, Abl 1988 L 40/12. Vgl Mikulits (FN 8) 97. Derartige „Eurocodes“ stehen bereits in der Form von Europäischen Vornormen zur Verfügung, deren Umwandlung in Europäische Normen ist derzeit im Gange. Zu Vornormen und Europäischen Normen vgl näher Holoubek, Normung. Vgl Holoubek, Normung. Entsprechend den allgemeinen Bestimmungen der am 13. November 1984 unterzeichneten Übereinkunft zur Zusammenarbeit zwischen CEN/EOTA und der Kommission. European Organisation for Technical Approvals. Gem Art 19 der BPRL.
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verfahren festlegen.47 Im Anschluss daran übermittelt die Kommission die Mandate an CEN bzw. EOTA, welche Arbeitsprogramme zu erstellen haben, die wiederum der Kommission vorzulegen sind und von dieser angenommen werden müssen, bevor mit der eigentlichen Normungsarbeit begonnen werden kann.48
4. Normkonforme Produkte Will nun ein Hersteller sein entsprechend den Anforderungen einer harmonisierten Norm49 hergestelltes Produkt gemeinschaftsweit in Verkehr bringen, und ist dieses Produkt nicht infolge seiner untergeordneten Rolle in Bezug auf Gesundheit und Sicherheit gem. Art 4 Abs 5 vom Erfordernis der Vorlage eines Nachweises seiner Konformität ausgenommen,50 so hat der Hersteller oder sein in der Gemeinschaft ansässiger Bevollmächtigter zur Feststellung der Konformität seines Produktes eine Prüfung desselben durchzuführen oder andere Nachweise auf der Grundlage der technischen Spezifikationen51 zu erbringen.52 Ob hierzu als Minimum das Bestehen eines werkseigenen Produktionskontrollsystems53 zur Feststellung der Übereinstimmung der Produkte mit den einschlägigen technischen Spezifikationen ausreicht, oder ob zusätzlich eine für das Produkt oder die Produktgruppe einschlägig zugelassene Zertifizierungsstelle54 einzuschalten ist, entscheidet die Kommission in Zusammenarbeit mit dem Ständigen Ausschuss für das Bauwesen.55 Von der Entscheidung über den für ein Produkt oder eine ganze Produktgruppe zu erbringenden Nachweis 47 48
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Zum Konformitätsbewertungsverfahren vgl Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Zum Normungsverfahren allgemein vgl Holoubek, Normung; hinsichtlich des genauen Ablaufes der Erstellung von Normungsmandaten bzw Mandaten für die Ausarbeitung von Leitlinien siehe www.oib.or.at. Die solcherart erstellten Normen werden sodann von der Kommission im Amtsblatt Nr C durch Bekanntgabe der Fundstellen veröffentlicht. Entsprechend gilt dies auch für Produkte, die konform mit nationalen Normen hergestellt wurden, sofern diese auf europäischer Ebene als mit den wesentlichen Anforderungen vereinbar qualifiziert wurden. Vgl dazu Art 3 Abs 3 BPRL. Die Kommission und der Ständige Ausschuss für das Bauwesen erstellen, verwalten und überarbeiten gem Art 4 Abs 5 der Richtlinie eine Liste jener Produkte, die in Bezug auf die Gesundheit und die Sicherheit nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die darin enthaltenen Produkte können ohne weiteres Konformitätsbescheinigungsverfahren in Verkehr gebracht werden, solange nur eine Erklärung des Herstellers über die Konformität mit den anerkannten Regeln der Technik vorliegt. Auf diesen Produkten darf jedoch das CE-Kennzeichen nicht angebracht werden. Europäische technische Spezifikationen: 1. harmonisierte europäische Normen, 2. europäische technische Zulassungen sowie 3. anerkannte nationale Normen. Vgl Art 13 Abs 2 BPRL. Art 13 Abs 3 lit a BPRL. Zum Problem der Akkreditierung von werkseigenen Prüfoder Überwachungsstellen vgl Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Art 13 Abs 3 lit b BPRL. SCC (Standing Committee on Construction). Bei dieser Entscheidung kommt der Bedeutung des Produktes in Bezug auf die grundlegenden Anforderungen insbesondere bezüglich Gesundheit und Sicherheit, der Beschaffenheit des Produktes, dem Einfluss der Veränderlichkeit seiner Eigenschaften auf seine Gebrauchstauglichkeit und der Fehleranfälligkeit seines Herstellungsprozesses Wichtigkeit zu (Art 13 Abs 4 BPRL). Es ist dabei jeweils dasjenige Verfahren zu wählen, welches unter Berücksichtigung der Sicherheitsanforderungen das am wenigsten beschwerliche ist.
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führt ein im jeweiligen Einzelfall festzulegendes Verfahren56 zur Ausstellung einer Konformitätserklärung oder zur Erteilung eines Konformitätszertifikates durch die zugelassene Zertifizierungsstelle. Der Unterschied liegt darin, dass es sich im ersten Fall nicht um externe Überwachung durch eine benannte Stelle, sondern um werkseigene Produktionskontrolle, die durch den Hersteller selbst oder seinen in der Gemeinschaft ansässigen Bevollmächtigten wahrgenommen wird, handelt. Nach erfolgreichem Bestehen dieses Konformitätsbescheinigungsverfahrens kann bzw muss57 das CE-Kennzeichen auf dem Produkt angebracht und kann dieses im gesamten Binnenmarkt in Verkehr gebracht werden. Die Systeme der Konformitätsbescheinigung58 reichen dabei von der bloßen Notwendigkeit einer Erstprüfung durch den Hersteller und des Bestehens einer werkseigenen Produktionskontrolle bis hin zur Zertifizierung der Produktionskontrolle und Entnahme von Stichproben aus der Produktion durch eine zugelassene Stelle, wobei die zu treffenden Maßnahmen vor allem von der Gefahrengeneigtheit des Produktes abhängig sind.
5. Alternative: europäische technische Zulassung Die Brauchbarkeit eines Produktes lässt sich jedoch nicht nur aus dessen Übereinstimmung mit einer harmonisierten Norm ableiten, sie ist auch dann als gegeben zu betrachten, wenn es die Erfordernisse einer nationalen, gemäß dem dafür vorgesehenen Verfahren der Bauprodukterichtlinie59 anerkannten technischen Spezifikation erfüllt. Aber auch dann, wenn die technische Beurteilung eines einzelnen betroffenen Produktes zu dem Ergebnis kommt, dieses erfülle die wesentlichen Anforderungen, um für die Errichtung bestimmter Bauwerke verwendet werden zu können, ist das Produkt brauchbar im Sinne der Richtlinie.60 Liegen weder eine harmonisierte europäische Norm, noch eine anerkannte nationale Norm, noch ein Mandat für eine harmonisierte Norm vor, und stimmen die Kommission und der ständige Ausschuss für das Bauwesen darin überein, dass im fraglichen Bereich eine Norm nicht oder noch nicht ausgearbeitet werden kann,61 oder weicht ein Produkt trotz Bestehens einer harmonisier-
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Im Anhang III der Richtlinie werden Module für die individuelle, den jeweiligen Anforderungen des einzelnen Produktes gerecht werdende Zusammenstellung dieser Verfahren der Bescheinigung der Konformität mit technischen Spezifikationen angeführt. Nach Ansicht der Kommission ist das Anbringen der CE-Kennzeichnung obligatorisch. Vgl Anhang III der Bauprodukterichtlinie. Vgl Art 4 Abs 3 BPRL. Die „Brauchbarkeit“ von Produkten als Voraussetzung des Inverkehrbringens spiegelt das der Bauprodukterichtlinie zugrunde liegende Konzept wider: Relevant für die Beurteilung eines Produktes ist nicht die Erfüllung bestimmter taxativ aufgezählter Merkmale, es kommt vielmehr auf gesamte Produktleistung, seine „Performance“ an. Wird während eines laufenden Zulassungsverfahrens ein Mandat zur Erarbeitung einer Norm erstellt, und bestehen für das fragliche Produkt Leitlinien für eine solche Zulassung, so hindert dies die Erteilung der Zulassung auf Gemeinschaftsebene
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ten technischen Spezifikation oder einer anerkannten nationalen Norm nicht nur unwesentlich von dieser ab, so besteht die Möglichkeit der Erteilung einer europäischen technischen Zulassung.62 Europäische technische Zulassungen werden in der Regel auf fünf Jahre erteilt, können aber verlängert werden. Die Beurteilung des Produktes im Rahmen des Verfahrens zur europäischen technischen Zulassung erfolgt auf der Basis der Grundlagendokumente sowie unter Heranziehung der vom Gremium der Zulassungsstellen63 erarbeiteten Leitlinien64 für europäische technische Zulassungen einzelner Produkte oder der ganzen Produktgruppe, sowie verschiedener Untersuchungen und Prüfungen, die in diesen festgelegt werden. Daneben enthalten sie Angaben über die vom Hersteller durchzuführenden Kontrollen und das im jeweiligen Einzelfall anzuwendende Konformitätsbewertungsverfahren. Liegen die Leitlinien jedoch nicht oder noch nicht vor, so kann dennoch unter Berücksichtigung der einschlägigen wesentlichen Anforderungen und der Grundlagendokumente eine Zulassung erteilt werden, wenn sich die Bewertung des Produktes auf einvernehmliche Stellungnahmen65 der von den Mitgliedstaaten bekannt gegebenen Zulassungsstellen stützt.66 Jene Produkte, die im Hinblick auf die Kriterien der Gesundheit und der Sicherheit nur eine untergeordnete Rolle spielen, können schon bei Vorliegen einer Konformitätserklärung des Herstellers in Verkehr gebracht werden. Eine Kennzeichnung mit dem CE-Zeichen bleibt diesen Produkten jedoch verwehrt, sie sind aber in eine Liste aufzunehmen, die von der Kommission in Konsultation mit dem Ständigen Ausschuss für das Normenwesen zu erstellen, zu verwalten und laufend zu überarbeiten ist.
6. Schutzklauseln Wie im Bereich der Normung im Allgemeinen67 ist darauf hinzuweisen, dass auch auf dem Bausektor ungeachtet der grundsätzlichen Verpflichtung der
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nicht. Dies gilt bis zum Inkrafttreten der harmonisierten Norm in den Mitgliedstaaten. Abweichend davon und im Einzelfall kann eine Zulassung auch erteilt werden, wenn ein Mandat für eine harmonisierte Norm bereits existiert oder für Produkte, bei denen die Kommission festgestellt hat, dass eine harmonisierte Norm ausgearbeitet werden kann. Diese Zulassung darf jedoch nur für einen bestimmten, festgelegten Zeitraum erteilt werden (Art 8 Abs 3 BPRL). EOTA, European Organisation for Technical Approvals. Ähnlich dem CEN und CENELEC ist EOTA ein gemeinnütziger Verein nach belgischem Recht mit Sitz in Brüssel. Ihre Mitglieder sind die von den einzelnen Mitgliedstaaten für die Erteilung europäischer technischer Zulassungen benannten Zulassungsstellen. ETAG (European Technical Approval Guidelines). Diese Leitlinien sind gem. Art 11 der RL nach Befassung des Ständigen Ausschusses für das Bauwesen vom genannten Gremium der Zulassungsstellen der Mitgliedstaaten (EOTA) auszuarbeiten und beinhalten eine Liste der konkret zu berücksichtigenden Grundlagendokumente, die konkreten Anforderungen an das Produkt, die Methode der Auswertung und der Beurteilung der Prüfergebnisse, die Kontroll- und Konformitätsverfahren sowie die Geltungsdauer der Zulassung, die üblicherweise fünf Jahre beträgt, aber verlängert werden kann. Diese werden in einem eigenen Konsultationsverfahren eingeholt. Kann keine Einigkeit erzielt werden, so ist gem Art 9 Abs 2 der RL der ständige Ausschuss für das Bauwesen zu befassen. Vgl Holoubek, Normung.
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Mitgliedstaaten, Produkte, die den Anforderungen der Bauprodukterichtlinie gerecht werden, auf ihrem Gebiet ungehindert zum freien Verkehr zuzulassen,68 die Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Schutzklauseln69 besteht. Ist ein Mitgliedstaat der Ansicht, dass ein Produkt, dessen Konformität bescheinigt wurde, den grundlegenden Anforderungen nicht entspricht, so hat er das betreffende Produkt vom Markt zu nehmen und die Kommission unter Bekanntgabe der Gründe dafür zu benachrichtigen. Insbesondere ist anzugeben, ob das fragliche Produkt den zugrundeliegenden technischen Spezifikationen nicht entspricht, ob diese mangelhaft angewandt worden sind, oder ob die Nichtübereinstimmung des Produktes mit den grundlegenden Anforderungen der BPRL aus einer Mangelhaftigkeit der Spezifikation selbst herrührt. Die Kommission informiert sodann die betroffenen Parteien und stellt aufgrund dieser Konsultationen fest, ob die getroffene Maßnahme gerechtfertigt ist, oder nicht. Gründet sich der Mangel des Produktes in der Fehlerhaftigkeit der angewandten Spezifikation, so ist der Ständige Ausschuss für das Bauwesen sowie - wenn es sich bei dieser um eine harmonisierte Norm handelt - der Ständige Ausschuss für das Normenwesen70 zu befassen. Auf der Basis der Ergebnisse dieses Konsultationsverfahrens entscheidet die Kommission abschließend ob die jeweilige europäische oder nationale technische Spezifikation auch weiterhin als Grundlage für das Konformitätsverfahren herangezogen werden darf. Sämtliche Mitgliedstaaten sind über den Verlauf des Prüfungsverfahrens und die diesbezüglichen Ergebnisse zu unterrichten.
III. Umsetzung in Österreich A. Allgemeines Aufgrund der vorstehend geschilderten, derzeit noch nicht durch den Verfassungsgerichtshof geklärten, diffizilen Kompetenzrechtslage wird die Bauproduktenrichtlinie derzeit durch insgesamt 9 Landesgesetze, zwei Gliedstaatenverträge nach Art 15a B-VG, 1 Bundesgesetz und verschiedene Verordnungen in österreichisches Recht umgesetzt:
B. Umsetzungsmaßnahmen der Länder Die zentrale Umsetzungsmaßnahme und Grundlage der einschlägigen Landesgesetze stellt die Vereinbarung der Länder71 gem Art 15a B-VG über die Zu68 69 70 71
Siehe näher Art 6 der BPRL. Vgl Holoubek, Normung. Siehe zu diesem Holoubek, Normung. Der Bund ist nicht Vertragspartei dieser Vereinbarung, die getroffenen Regelungen finden daher in den kompetenzrechtlich derzeit dem Bund zugewiesenen Bereichen keine Anwendung. Es führt diese Situation zu teilweise unbefriedigenden bzw verfassungswidrigen Konstellationen, wenn etwa einzelne Bundesländer Akkreditierungen des Bundes nicht anerkennen. Die Frage der kompetenzrechtlichen Zuständigkeit ist von der Frage zu unterscheiden, ob es auch innerhalb Österreichs eine Verpflichtung gibt, auf Grund einer speziellen landesgesetzlichen bzw einer bundesgesetzlichen Regelung zugelassene Bauprodukte auch in anderen Ländern bzw im Bundesbereich als „brauchbar“ anzuerkennen. Eine solche Verpflichtung ergibt
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sammenarbeit im Bauwesen72 dar: Geregelt werden etwa Einzelheiten und Voraussetzungen der Akkreditierung von Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen, die europäische und österreichische technische Zulassung, das Konformitätsbewertungsverfahren, Konformitätszertifikate und die Gestaltung sowie Verwendung des CE-Zeichens. Des Weiteren ist die Verpflichtung enthalten, jeweils erteilte Zertifizierungen sowie solche Zertifikate aus einem EUMitgliedstaat gegenseitig anzuerkennen.73 Als gemeinsame Akkreditierungsund Zertifizierungsstelle wurde schließlich das Österreichische Institut für Bautechnik (OIB)74 gegründet. Einen weiteren Vertragsgegenstand bilden ferner Regelungen betreffend das Inverkehrbringen von Bauprodukten. Im Rahmen der Umsetzungsmaßnahmen wurde von den Ländern gem Art 15a B-VG weiters die Vereinbarung über die Regelung der Verwendbarkeit von Bauprodukten75 getroffen: Sie dient der Koordination der Erlassung von Landesvorschriften über diejenigen Anforderungen, die im Rahmen der Baustoffzulassung im Zusammenhang mit der Verwendung von Bauprodukten an diese zu stellen sind.76 Kern dieses Gliedstaatsvertrages ist die Regelung, dass Bauprodukte, für die keine europäischen technischen Spezifikationen77 vorliegen, nur dann verwendet werden dürfen, wenn sie der Baustoffliste ÖA78 entsprechen oder ein Gutachten des OIB vorliegt. Bauprodukte, für die europäische technische Spezifikationen vorliegen, dürfen hingegen verwendet werden, wenn sie einer solchen und der Baustoffliste ÖE79 entsprechen.
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sich aus Art 4 B-VG (zu Art 4 B-VG als Garantie eines einheitlichen österreichischen Binnenmarkts und seiner Funktion als „Kompetenzausübungsschranke“ Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung, 1993, 110 ff). Nur wo im Einzelfall besondere sachliche Gründe dafür ins Treffen geführt werden können kann die jeweilige landes- bzw bundesgesetzliche Regelung eine derartige wechselseitige Anerkennung ausschließen. Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die Zusammenarbeit im Bauwesen (Umsetzung der EG-Bauprodukterichtlinie, exemplarisch: sbg LGBl 1993/112). Wenn Zertifikate von „landesrechtlich“ akkreditierten Stellen wechselseitig (ebenso wie solche aus EU-Mitgliedstaaten) anerkannt werden, ist - bei sonst gleichen Voraussetzungen - die Nicht-Anerkennung von durch „bundesrechtlich“ akkreditierte Stellen ausgestellten Zertifikaten gleichheitswidrig. Vgl FN 7. Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG über die Regelung der Verwendbarkeit von Bauprodukten (siehe exemplarisch stmk LGBl 1999/80) An dieser Stelle werden insbesondere die quantitativen Anforderungen an Bauprodukte gemeinsam geregelt und etwa jene Klassen für Produktleistungen festgelegt, die nach dem Konzept der BPRL schon in den harmonisierten Normen enthalten sein sollten. Vgl dazu schon Pkt II.B.2. Unter dem Begriff „europäische technische Spezifikation“ versteht die BPRL Normen und europäische technische Zulassungen (Art 4 Abs 1 BPRL). Die Baustoffliste ÖA beinhaltet jene Anforderungen an Bauprodukte, für welche noch keine europäischen technischen Spezifikationen vorliegen. Die Baustoffliste ÖE dient vor allem der besseren Handhabung der „declared values“, die von dem Hersteller eines Bauproduktes bezüglich einzelner Kennwerte desselben angegeben werden. In ihr sind die jeweils von einem speziellen Produkt zu erfüllenden Anforderungen an die einzelnen Produktkennwerte, je nach Verwendung desselben, aufgeschlüsselt.
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C. Umsetzungsmaßnahmen des Bundes Regelungsgegenstand des Bauproduktegesetzes des Bundes80 sind das Inverkehrbringen von Bauprodukten, die in die Kompetenz des Bundes fallen, die Anforderungen an deren Verwendung sowie der freie Warenverkehr mit diesen. Es gilt für jene Bauprodukte, für die harmonisierte oder anerkannte Normen oder Leitlinien für die europäische technische Zulassung bestehen und deren Fundstellen durch Verordnung kundgemacht wurden. Von der Anwendung des Bauproduktegesetzes des Bundes sind weiters jene Produkte erfasst, denen trotz Nichtbestehens von Leitlinien im Einvernehmen der Zulassungsstellen eine europäische technische Zulassung erteilt wurde, sowie jene nach Art 4 Abs 5 der Richtlinie, die in Bezug auf die Gesundheit und Sicherheit nur eine untergeordnete Bedeutung haben und mittels Verordnung bekannt gemacht wurden. Das Inverkehrbringen eines Bauproduktes ist nach dem Bauproduktegesetz des Bundes nur dann gestattet, wenn es brauchbar ist und seine Konformität entsprechend, also entweder durch eine Erklärung des Herstellers oder durch ein Konformitätszertifikat, nachgewiesen worden ist.
IV. Schwierigkeiten auf Gemeinschaftsebene Ungeachtet des Umstandes, dass die Bauprodukterichtlinie bereits aus dem Jahre 1989 datiert, ließ die Umsetzung derselben zu wünschen übrig: Die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, an dem geschaffenen System der Harmonisierung der Vorschriften für Bauprodukte aktiv mitzuwirken, war derart gering, bisweilen durch strikte Weigerungen sowie vorgeschobene rechtliche Auffassungsunterschiede gar kontraproduktiv, sodass bis zum Jahre 1997 keine einzige harmonisierte Norm vorlag. Ebensowenig waren die Mandate an die europäischen Normungsorganisationen zur Gänze ausgearbeitet worden, bis Jahresmitte 1997 lagen erst für 17 Produktfamilien Normungsaufträge vor.81 Die Harmonisierungsmaßnahmen beschränkten sich entgegen den Intentionen der Bauprodukterichtlinie, die dieses Instrument eher als Ausnahme denn als Regel konzipiert hatte, darauf, einzelnen nationalen Produkten aufgrund von bereits ausgearbeiteten Leitlinien82 eine Europäische Technische Zulassung zu erteilen. Bis auf die Produktfamilie der Metalldübel gab es auch keine Bauprodukte, die mit dem CE-Kennzeichen versehen werden konnten. Diese Verzögerungen werden neben der beschränkten Kooperationsbereitschaft der Mitgliedstaaten aber auch auf organisatorische und personelle Probleme der zuständigen Abteilungen, auf die Komplexität der Richtlinie und unterschiedliche Interpretationen derselben83 zurückgeführt. Nunmehr sollten diese Hemmungsgründe zum Großteil
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BGBl 1997 I/55. Dieses Bild ergab der ernüchternde Bericht der Kommission über die Bauproduktenrichtlinie an das Europäische Parlament, vom Mai 1996, KOM (96) 0202 - C40636/96, der jedoch nicht im Amtsblatt der Gemeinschaft veröffentlicht wurde. ETAG: European Technical Approval Guidelines. Vgl FN 63. Hierbei handelt es sich vor allem um unterschiedliche Sichtweisen hinsichtlich der Vermeidung von Grenzwerten und Klassen, die durch die Angabe von „declared values“ ersetzt wurde, hinsichtlich Vorschriften über die Berücksichtigung von bestimmten gefährlichen Inhaltsstoffen in Bauprodukten, wie etwa Asbest, sowie hin-
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beseitigt sein, ein gewisser Unwille und Schwachstellen bei der Normungsarbeit werden der Harmonisierung des Sektors der Bauprodukte aber nach wie vor attestiert.84 Zum derzeitigen Zeitpunkt sind die ersten 100 von 450 geplanten harmonisierten Normen im Bereich des Bauwesens geschaffen. Weitere 100 Normen sind bereits ausgearbeitet und durchlaufen gerade das Annahmeverfahren.
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sichtlich der Verbindlichkeit des CE-Kennzeichens. Siehe hierzu Mikulits (FN8) 96f. Vgl die Schlussfolgerungen des Vorsitzenden der Konferenz „Bauprodukte für den Binnenmarkt - Erwartungen und Realität“, vom 4./5. 12.2001, abrufbar unter http://www.cenorm.be/news/conferences/construction.htm.
Lukas Binder
Kapitel 5: Produktsicherheitsrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................557 I. Grundlagen ................................................................................................557 A. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................557 B. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................559 1. Allgemeines.......................................................................................559 2. Begriffsbestimmungen: .....................................................................560 II. Inhalt.........................................................................................................562 A. Pflichten des Inverkehrbringers ............................................................562 B. Behördliche Maßnahmen.......................................................................563 1. Allgemeines.......................................................................................563 2. Beurteilung der Sicherheit eines Produktes.......................................564 C. Marktaufsicht.........................................................................................565 1. Organe ...............................................................................................565 2. Befugnisse der Aufsichtsorgane........................................................565 3. Auflagen............................................................................................567 4. Rechtsmittel.......................................................................................567 5. Meldepflichten ..................................................................................568 III. Produktsicherheitsbeirat .......................................................................569 A. Aufgaben................................................................................................569 B. Zusammensetzung..................................................................................569 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht RL 92/59/EWG, Abl 1992 L 228/24 idF RL 2001/95/EG, Abl 2001 L 11/4. Innerstaatliches Recht ProduktsicherheitsG - PSG 2004 (BGBl 2005 I/16).
I. Grundlagen A. Kompetenzrechtliche Einordnung Die Kompetenz zur Erlassung von Regelungen, wie sie die Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit erfordert, findet sich nach herrschender Auffassung vornehmlich in Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Dieser weist die Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie sowohl in Gesetzgebung als auch in Vollziehung dem Bund zu. Nach der Versteinerungstheorie sind die unter diesen Kompetenztatbestand fallenden Regelungen - freilich unter Berücksichtigung
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einer möglichen intrasystematischen Fortentwicklung1 - nach dem Stande der einfachen Gesetzgebung im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kompetenzverteilung zu ermitteln.2 Das diesbezüglich vorhandene Material zeigt,3 dass schon im relevanten Versteinerungszeitpunkt Maßnahmen bestanden, die die Abwehr spezieller Missstände bei der Gewerbeausübung im Interesse der Gewerbetreibenden selbst, anderer Gewerbetreibender sowie der Kunden4 bezweckten. Der Bundesgesetzgeber berief sich bereits anlässlich der Erlassung des Produktsicherheitsgesetzes 1983 zutreffender Weise hauptsächlich auf seine Gewerberechtskompetenz gemäß Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Ergänzend führen die diesbezüglichen Erläuterungen5 weitere Kompetenzbestimmungen des Art 10 B-VG an. Und zwar jene, die Verwaltungsbereiche betreffen, zu denen verwaltungspolizeiliche Maßnahmen6 zum Schutz vor gefährlichen Produkten als Annexregelungen getroffen werden können.7 Hierzu kann sich der Gesetzgeber auf eine Reihe verfassungsgerichtlicher Entscheidungen berufen.8 Gleiches gilt auch für das Produktsicherheitsgesetz 2004.9 Hinsichtlich der für die kompetenzrechtliche Einordnung maßgeblichen Kriterien besteht zwischen dem Produktsicherheitsgesetz 1983 und jenem aus 2004 kein Unterschied. Beiden ist die Abwehr spezifischer Gefahren, die aus der Gewerbeausübung - der Herstellung von und den Handel mit gefährlichen Produkten - resultieren, gemein.
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Vgl VfSlg 3393/1958, 4117/1961, 4883/1964, 5748/1968, 6137/1970. Vgl VfSlg 2500/1953, 3670/1960, 4227/1962, 5024/1965. Da der Wortsinn dieses Kompetenztatbestandes allein über Umfang und Inhalt des Begriffes keinen genügenden Aufschluss gibt, ist davon auszugehen, dass das B-VG die Begriffe, die es bei Aufstellung des Kompetenzkataloges verwendet, in jener Bedeutung gebraucht, die ihnen in der einfachen Gesetzgebung nach deren Stand im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kompetenzartikel, d. i. am 1. Oktober 1925, zukam (VfSlg. 5019/1965). Von vordringlichem Interesse ist die GewO 1859 idF der letzten GewO-Novelle vor dem 1. Oktober 1925 BGBl. 1925/277; Siehe mwN Gutknecht, Kompetenzrechtliche Grundlage für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie, bbl 2001 (175), 184f. Vgl VfSlG 10.831/1986. Vgl. RV 1326 BlgNR 15.GP. Zum Begriff der Verwaltungspolizei und zur Abgrenzung gegenüber der Sicherheitspolizei vgl Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1998, 140 (Rz 256ff). Die Erläuterungen zählen insbesondere die folgenden Kompetenzen auf: Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG: Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland, Art 10 Abs 1 Z 7 BVG: Waffen-, Munitions- und Sprengmittelwesen, Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG: Kraftfahrwesen, Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG: Normalisierung und Typisierung elektrischer Anlagen und Einrichtungen, Sicherheitsmaßnahmen auf diesem Gebiet, Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG: Gesundheitswesen, Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG: Ernährungswesen einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle, Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG: Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen und der Luftfahrt sowie der Schifffahrt, Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG: Bergwesen, Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG: Dampfkessel- und Kraftmaschinenwesen. Siehe näher etwa VfSlg 3650/1959, 5910/1969, 2670/1954, 4117/1961, 2918/1955. BGBl 2005 I/16.
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B. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Allgemeines Als wichtigen Beitrag zur Verwirklichung des freien Binnenmarktes und zum Abbau bestehender Handelshemmnisse verfolgt die Gemeinschaft im Produktrecht vor allem den Weg einer Harmonisierung der an die einzelnen Produkte zu stellenden Anforderungen. In der Form von Richtlinien werden grundlegende Sicherheitsanforderungen an diese oder an ganze Produktgruppen abstrakt festgelegt. Das System der Europäischen Normung übernimmt es in weiterer Folge, diese abstrakten Anforderungen in Produktnormen zu konkretisieren.10 Außerhalb der von diesen Richtlinien erfassten Bereiche bestimmten ursprünglich die einzelnen Mitgliedstaaten zumeist nationale Mindestschutzniveaus hinsichtlich der allgemein an Produkte zu stellenden Sicherheitsanforderungen. Da diese aber in der Regel von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden ausgestaltet waren, bildeten sich neue Handelshemmnisse und Wettbewerbsverfälschungen, die es im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes zu beseitigen galt.
Mit der Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit11 wurden gemeinschaftsweit einheitliche allgemeine Anforderungen an die Sicherheit von Produkten normiert. Ihr Geltungsbereich erfasst alle gegenwärtigen und alle zukünftigen Produkte, die für Verbraucher bestimmt sind12 oder von diesen benützt werden könnten, soweit sie nicht schon durch spezielle Vorschriften geregelt werden.13 Die Wirkung der Richtlinie ist daher auf die eines „Auffangnetzes“ beschränkt, da sie ausschließlich für alle jene Produkte und Risiken gilt, die nicht in besonderen gemeinschaftsrechtlichen oder bundesgesetzlichen - Vorschriften geregelt sind.14 Bestehen nur hinsichtlich gewisser aber eben nicht aller Aspekte eines bestimmten Produktes Vorschriften in Bezug auf dessen Sicherheit, so kommen die Bestimmungen des Produktsicherheitsgesetzes zur Anwendung. In diesen Fällen allerdings ist der Anwendungsbereich beschränkt auf die nicht speziell geregelten Aspekte. Das PSG 2004 umfasst somit alle nicht in Spezialgesetzen geregelten Aspekte von Produkten im Hinblick auf die an sie zu stellenden allgemeinen Sicherheitsanforderungen.
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Die Normungsarbeit findet in CEN/CENELEC, zwei privaten Vereinen nach belgischem Recht, im Rahmen eines Verfahrens statt, das nach dem Prinzip einer „regulierten Selbstregulierung“ organisiert ist. Vgl hierzu ausführlich und nwN Holoubek, Normung. RL 92/59/EWG, Abl 1992 L 228/24 idF RL 2001/95/EG, Abl 2001 L 11/4. Produktionsanlagen, Investitionsgüter und andere nur zur beruflichen Nutzung bestimmte Produkte werden dagegen von der Richtlinie nicht erfasst. Die Bestimmungen der Richtlinie kommen also nur subsidiär zur Anwendung. Vgl exemplarisch: Elektrotechnikgesetz 1992 (BGBl 1993/106, idF BGBl 2001 I/136), Lebensmittelgesetz 1975 (BGBl Nr. (1975/86 idF BGBl 2006 I/13), Chemikaliengesetz 1996 (BGBl I Nr. 53/1997 idF BGBl 2004 I/151), Gewerbeordnung 1994 (BGBl 194/1994, idF BGBl 2006 I/84), Arzneimittelgesetz (BGBl Nr. 185/1983 idF BGBl 2005 I/153), Waffengesetz 1996 (BGBl 1997 I/12 idF BGBl 2004 I/136), ua.
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2. Begriffsbestimmungen: a) Produkt Der Produktbegriff der Produktsicherheitsrichtlinie erfasst jedes Produkt15, das für Verbraucher bestimmt ist oder von Verbrauchern benützt werden könnte und im Rahmen einer Geschäftstätigkeit16 entgeltlich oder unentgeltlich geliefert oder zur Verfügung gestellt wird.17 Zwischen neuen, gebrauchten oder wieder aufgearbeiteten Produkten unterscheidet die Richtlinie nur dann, wenn die Produkte als Antiquitäten oder als solche Produkte geliefert werden, die vor ihrer Verwendung in Stand gesetzt oder wieder aufgearbeitet werden müssen. Hat in diesem Fall der Lieferant klare Angaben hierüber gemacht, so sind diese Produkte vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen.18 Das in Umsetzung der Richtlinie ergangene Produktsicherheitsgesetz (PSG 2004)19 definiert über den Produktbegriff der Richtlinie hinaus als Produkt jede bewegliche körperliche Sache einschließlich Energie, und zwar auch dann wenn sie Teil einer anderen beweglichen Sache oder mit einer unbeweglichen Sache verbunden worden ist.20 Durch das PSG 2004 neu eingeführt wurde der Verweis auf 15
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Angesichts der wachsenden Bedeutung von Dienstleistungen und ob des Umstandes, dass auch bei diesen Sicherheitsaspekte eine wesentliche Rolle spielen, wurden bei der Umsetzung der Richtlinie in manchen Staaten neben Produkten auch Dienstleistungen in den Anwendungsbereich mit einbezogen. Ursprünglich war es beabsichtigt, Dienstleistungen auch in die Neufassung der Richtlinie mit einzubeziehen, von diesem Vorhaben wurde jedoch wieder Abstand genommen, um noch einschlägige Untersuchungen anstrengen zu können. Vgl die Begründungserwägung Nr 1 zu RL 2001/95/EG. Das PSG verwendet an Stelle dieses Terminus die Wortfolge „zu Erwerbszwecken ausgeübten Tätigkeit“. Die überarbeitete Richtlinie 2001/95/EG weist ausdrücklich darauf hin, dass der Produktbegriff auch jene Produkte einschließt, die im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen geliefert werden. Dienstleistungen selbst unterliegen jedoch nicht den Bestimmungen der Richtlinie. Der ursprüngliche Vorschlag für eine Richtlinie über eine allgemeine Produktsicherheit beinhaltete demgegenüber sämtliche Produkte, also auch solche, die für eine Verwendung durch Arbeiter oder in Handel und Industrie bestimmt waren. Von diesem Vorhaben wurde jedoch nach eingehender Diskussion wieder abgegangen und der Geltungsbereich auf die genannten Verbraucherprodukte beschränkt, da einerseits die Unterscheidung und getrennte Behandlung von dem Produkt immanenten Gefahren und jenen, die durch die Handhabung desselben durch Arbeiter im Rahmen ihres Betriebes hervorgerufen werden, unmöglich schien und man andererseits die doppelte Determinierung von im Zuge eines Betriebes verwendeten Produkten durch arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen und jenen über die allgemeine Produktsicherheit als konfliktträchtig erachtete. Man beurteilte daher das Risiko möglicher inhaltlicher Komplikationen gegenüber den nur als gering eingestuften Vorteilen der Einbeziehung von betrieblich verwendeten Produkten als zu groß. Vgl Review and revision of directive 92/59/EEC (General Product Safety) - Discussion Paper, abrufbar unter: http://europa.eu.int/eur-lex/en/com/pdf/2000/ en_500PC01 39.pdf. Diese Anforderung erfuhr im PSG insoferne eine Verschärfung, als dort gefordert wird, dass der Hersteller diesen Umstand „nachweislich mitgeteilt“ haben müsse. Vgl § 3 Z 1 PSG 2004. PSG 2004 (BGBl 2005 I/16). Vgl hierzu den Produktbegriff des Produkthaftungsgesetzes (PHG, BGBl 1988/99 idF BGBl I 2001/98) und weiterführend dazu insbesondere die Problematik der
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Produkte, die im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung zur Verfügung gestellt wurden. Produkte im Sinne der Richtlinie können entweder „sicher“ oder „gefährlich“ sein. Sicher sind Produkte, deren normale oder vernünftiger Weise vorhersehbare Verwendung21 keine oder nur geringe, vertretbare Gefahren mit sich bringt. Das Kriterium der geringen, vertretbaren Gefahren ist jeweils anhand des konkreten Produktes zu beurteilen. Die dem Produkt innewohnenden Gefahren müssen unter Wahrung eines hohen Schutzniveaus für die Gemeinschaft und die Sicherheit von Personen vor dem Hintergrund der Verwendung der Produkte abgewogen werden. Das solcherart verbleibende Risiko muss schließlich mit der geforderten Sicherheit verein- und insgesamt vertretbar sein. Bedeutung kommt hierbei vor allem den Eigenschaften des Produktes, seiner Zusammensetzung, der Verpackung, der Wartung und den Bedingungen des Zusammenbaues des Produktes zu. Ist eine gemeinsame Verwendung mit anderen Produkten vernünftiger Weise vorhersehbar, so ist die Einwirkung des Produktes auf andere Produkte zu beachten. Seiner Aufmachung, Etikettierung, gegebenenfalls seiner Gebrauchs- und Bedienungsanleitung und den Anweisungen für seine Entsorgung, sowie allen sonstigen Angaben oder Informationen seitens des Herstellers ist darüber hinaus Aufmerksamkeit zu schenken.22 Nicht zuletzt muss für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Produktes auch auf den Kreis jener Verbraucher Bedacht genommen werden, die bei Verwendung des Produktes einem höheren Risiko ausgesetzt sind.23 Demgegenüber vermögen aber weder die mögliche Erreichbarkeit einer höheren Sicherheitsstufe, noch die Verfügbarkeit anderer, sicherer Produkte Einfluss auf die Bewertung eines Produktes als sicher oder nicht sicher zu nehmen. Gleiches gilt umgekehrt, wenn auf dem Produkt Warnhinweise angebracht werden, die auf allfällige, von diesem unzulässiger Weise ausgehende Gefahren hinweisen. Auch eine solche Maßnahme vermag die Zuordnung des Produktes nicht beeinflussen.24
Im PSG 2004 wurde die Beschränkung auf körperliche Sachen fallen gelassen und somit der Anwendungsbereich auf Software erweitert. Die erläuternden Bemerkungen anerkennen ausdrücklich, dass auch Software sicherheitsrelevante Eigenschaften haben kann. Erfüllt ein Produkt nicht die genannten Sicherheitsanforderungen, so handelt es sich sowohl nach der Richtlinie als auch nach dem PSG 2004 um ein „gefährliches“ Produkt. Das In Verkehr Bringen eines gefährlichen Produktes ist generell nicht gestattet.
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„Weiterfresserschäden“. Vgl hierzu Posch, Produkthaftungsgesetz, in: Schwimann (Hrsg), ABGB Praxiskommentar2 Band 8 Haftpflichtgesetze, 1997, 391ff Das Kriterium einer vernünftiger Weise vorhersehbaren Verwendung beinhaltet auch die Lebens- bzw Gebrauchsdauer eines Produktes. Steht daher ein Produkt über seine übliche Lebensdauer hinaus in Verwendung, so ist dies keine bestimmungsgemäße Verwendung. Zusätzlich nennt das PSG das Verhalten des Produktes bei der Wartung, Lagerung und beim Transport. Hiefür nennt das PSG 2004 neben den schon im PSG 2004 angeführten Kindern explizit auch ältere Personen oder Menschen mit Behinderung; vgl. hierzu § 4 Abs. 1 Z 1 PSG 2004. Vgl Art 5 Abs 1 der Produktsicherheitsrichtlinie sowie § 4 Abs 2 PSG 2004.
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b) In-Verkehr-Bringer Das PSG definiert den Begriff des „In Verkehr-Bringers“ so, dass darunter jeder Hersteller, Importeur oder Händler, der ein Produkt auf den Markt bringt, zu verstehen ist. c) Hersteller Hersteller eines Produktes im Sinne der Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit ist dessen Produzent, wenn er seinen Sitz in der Gemeinschaft hat. Darüber hinaus ist jede andere natürliche oder juristische Person Hersteller, die entweder als solcher auftritt, indem sie das fragliche Produkt in ihrem Namen oder unter Anbringung ihres Markenzeichens oder eines anderen Unterscheidungszeichens hervorbringt. Hersteller ist aber auch derjenige, der das Produkt wieder aufgearbeitet hat, sowie auch der Vertreter des Herstellers dann, wenn sich dessen Sitz außerhalb der Gemeinschaft befindet. Besitzen weder der Hersteller noch einer seiner Vertreter eine Niederlassung auf dem Gebiet der Gemeinschaft, so treffen die Pflichten des Herstellers den Importeur. Die Herstellerpflichten treffen aber auch alle sonstigen Gewerbetreibenden der Absatzkette, sofern sie die Sicherheitseigenschaften eines bereits auf den Markt gebrachten Produktes beeinflussen. d) Händler Gewerbetreibende der Absatzkette des fraglichen Produktes, die ein Produkt liefern oder zur Verfügung stellen, und deren Tätigkeiten im Gegensatz zu den letztgenannten „Herstellern“ dessen Sicherheitseigenschaften nicht beeinflussen, sind „Händler“ im Sinne der Richtlinie.
II. Inhalt A. Pflichten des Inverkehrbringers Die zentrale Verpflichtung der Inverkehrbringer von Produkten, also der Hersteller, Importeure und Händler, besteht darin, ausschließlich sichere Produkte in Verkehr zu bringen.25 Auf Verlangen der Marktaufsichtsbehörde sind die Qualität der Produkte und die Einhaltung der geforderten Sicherheitsmaßstäbe durch die Bereitstellung von produkt- oder produktionsbezogenen Unterlagen oder Aufzeichnungen, wie etwa von Prüfergebnissen,26 nachzuweisen. Das Kriterium der sicheren Produkte und des obligatorischen Nachweises der Erfüllung der geforderten Anforderungen bezieht sich jedoch nicht auf jedes einzel25
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Hersteller haben dies in einer dem Stand der Technik entsprechenden Weise zu gewährleisten. Vergleiche hierzu etwa die in vielen harmonisierten Normen vorgesehenen Konformitätsbewertungsverfahren, die zum Zweck einer gleichbleibenden Produktqualität eine laufende Produktionskontrolle mittels eines Qualitätsmanagementsystems vorschreiben. Siehe mwN Holoubek, Normung. Siehe hierzu die im Bereich der Bauprodukte zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Produktes anzugebenden „declared values“. Dies sind Messergebnisse in Bezug auf bestimmte, festgelegte Produktkennwerte und dienen zur Feststellung der Erfüllung bestimmter, jeweils national festgelegter Anforderungen. Vgl mwN Holoubek, Bauprodukterecht.
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ne Produkt sondern nur auf die einzelnen Produktposten. Dadurch bietet sich den Herstellern die Möglichkeit, diesen Nachweispflichten durch die Einführung eines Qualitätssicherungssystems27 nachkommen zu können. Neben diesem generellen Gebot stellen die Produktsicherheitsrichtlinie wie auch das PSG zusätzliche Anforderungen an Hersteller und Importeure. Diese haben die Verbraucher etwa durch Anbringung von Warnhinweisen auf allfällige Gefahren, die während einer üblichen oder zumindest vernünftigerweise vorhersehbaren Gebrauchsdauer vom Produkt ausgehen (können) und die ohne entsprechende Warnhinweise nicht unmittelbar erkennbar sind, hinzuweisen. Zur Beurteilung dieser Gefahren und zum Schutz vor diesen haben die Hersteller und Importeure den Verbrauchern sämtliche hierzu nötigen Informationen zu erteilen. Hersteller und Importeure haben sich zusätzlich auch noch nach dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produktes über alle Tatsachen und Umstände zu informieren, die auf eine möglicherweise verborgene und bisher unbekannte Gefährlichkeit eines Produktes für die Gesundheit oder das Leben von Menschen deuten könnten. Stellt sich also nach Inverkehrbringen des Produktes heraus, dass entgegen den ursprünglichen Erwartungen vom Produkt Gefahren ausgehen, die mit den Anforderungen an sichere Produkte nicht zu vereinbaren sind, und von dem die In-Verkehr-Bringer wissen oder wissen müssen, dass das von ihnen in Verkehr gebrachte Produkt Gefahren für die Verbraucher mit sich bringt, die mit den allgemeinen Sicherheitsanforderungen nicht vereinbar sind, haben sie unverzüglich die zuständigen Behörden zu informieren. Händler trifft darüber hinaus auch die Pflicht, erstens die Hersteller, Importeure und Konsumenten zu verständigen, wenn sie die Gefährlichkeit eines Produktes betreffende Hinweise oder Informationen erhalten haben oder zumutbarer Weise erhalten hätten müssen und zweitens diese Produkte selbst nicht in Verkehr zu bringen. Ganz generell sind die Händler zur Mitarbeit verpflichtet, wenn Maßnahmen zur Vermeidung von Gefährdungen, die von Produkten ausgehen, getroffen werden.28
B. Behördliche Maßnahmen 1. Allgemeines Die Produktsicherheitsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, nationale Behörden für die Aufsicht des Marktes zu schaffen29 und diese mit bestimmten Mindestkompetenzen auszustatten. So muss die Marktaufsichtsbehörde befugt sein, geeignete Maßnahmen zur Kontrolle der Sicherheit von Produkten treffen zu können,30 was auch die Kompetenz zur Sanktionierung bei Zuwiderhandeln gegen getroffene Maßnahmen mit einschließt. Die Umsetzungsmaßnahmen haben auch die effektive Möglichkeit der Mitgliedstaaten vorzusehen, bereits in Verkehr gebrachte Produkte, deren Gefährlichkeit sich nachträglich herausge27 28 29 30
Bei Bestehen eines solchen wird vermutet, die in Verkehr gebrachten Produkte seien sicher im Sinne der Richtlinie. Vgl § 7 Abs 4 PSG 2004. Die mit diesen Agenden beauftragten Behörden sind der Kommission bekannt zu geben. Artikel 6 der Richtlinie zählt beispielshaft Befugnisse der einzurichtenden Behörden auf und nennt etwa die Möglichkeit, das Inverkehrbringen von Produkten gewissen Vorbedingungen unterwerfen zu können, zwecks Sicherheitsprüfung ein Produkt einer Produktreihe entnehmen zu können, die Anbringung von Warnhinweisen verlangen zu können, das Inverkehrbringen während eines benötigten Prüfungszeitraumes vorübergehend verbieten zu können, und dergleichen.
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stellt hat, vom Markt nehmen zu können. Um die Einheit des Binnenmarktes aufrechterhalten zu können, verpflichtet die Richtlinie aber zur einer sofortigen Unterrichtung der Kommission von einer derartigen, die Verkehrsfähigkeit eines Produktes beeinträchtigenden Maßnahme, sofern die Maßnahme nicht nur begrenzte Auswirkungen hat oder lediglich das Gebiet eines Mitgliedstaates betroffen ist. 31 Als Ausgleich zu diesen umfassenden Eingriffsbefugnissen der Marktaufsicht sieht die Richtlinie zum Schutz der Inverkehrbringer von Produkten verpflichtend die Einrichtung eines effektiven Rechtsschutzverfahrens vor. Ordnet die Aufsichtsbehörde Maßnahmen an, die das Inverkehrbringen eines bestimmten Produktes behindern oder gar untersagen, so muss bei den zuständigen Gerichten32 ein wirksamer Rechtsbehelf eingelegt werden können.
2. Beurteilung der Sicherheit eines Produktes33 Ob ein Produkt sicher oder gefährlich im Sinne der Begriffsbestimmung ist, bestimmt sich entweder nach jenen innerstaatlichen Normen, die eine harmonisierte Europäische Norm umsetzen, oder es werden sonstige innerstaatliche Normen als weitere Beurteilungsgrundlage herangezogen34. Stimmt das Produkt mit den genannten Vorgaben überein, so ist dies als Indiz für seine Sicherheit zu werten.35 Darüber hinaus können die einzelnen Produkte auch noch am Stand der Technik auf dem Gebiet der Gesundheit und Sicherheit36 sowie an den auf diesem Gebiet bestehenden Verhaltenskodices gemessen werden. Abgesehen von den genannten Kriterien ist ein Produkt überdies auch dann sicher, wenn es die Sicherheit bietet, die der Verbraucher billigerweise erwarten darf,37 oder den Empfehlungen des Produktsicherheitsbeirates entspricht. Erfüllt ein Produkt sämtliche einschlägigen Vorgaben der Normen und entspricht es dem Stand der Technik, so kann sich dennoch nach seinem Inverkehrbringen herausstellen, dass es eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen darstellt. Auch in diesem Fall hat die Marktaufsicht ein-
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Derartige Maßnahmen sind überdies nur gemäß den Vorgaben der Artikel 28 bis 30 EGV zulässig. So Art 16 Abs 2 der Richtlinie. Vgl § 5 Abs 3 PSG 2004. § 5 PSG 2004 führt detailliert abgestuft die Verfahren zur Beurteilung der Konformität eines Produktes an. Die Richtlinie 2001/95/EG streicht generell die Wichtigkeit von technischen Normen deutlicher heraus und beschränkt die Übereinstimmung von Produkten mit den genannten Normen nicht mehr auf die bloße Indizwirkung. Entsprechen die Produkte den genannten technischen Normen, wird davon ausgegangen, dass sie sicher sind. Gemäß § 5 Abs. 4 PSG 2004 hindert einen nachgewiesene Konformität bei Hervorkommen dennoch gegebener Gefährlichkeit eines Produktes nicht die Setzung von behördlichen Maßnahmen. Hierzu verweist das PSG 2004 auf § 2 Abs. 8 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, BGBl 1994/ 450, idF. BGBl 2001 I/ 159. Was im Einzelfall an Produktsicherheit erwartet werden kann, ist nach ständiger Rechtsprechung eine Rechtsfrage (SZ 65/149; SZ 70/61 jeweils mwN). Zur Konkretisierung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffes darf der Richter seine allgemeine Lebenserfahrung einsetzen, dieses Wissen kann aber vom Revisionsgericht überprüft werden (SZ 65/149).
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zugreifen und geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von Gefährdungen aufzutragen bzw zu verhängen.
C. Marktaufsicht 1. Organe Um den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Organisation der Marktaufsichtsbehörden nachzukommen, lehnt sich das PSG 2004 bei der Umsetzung der Richtlinie im wesentlichen an die bereits bewährten Strukturen des Lebensmittelgesetzes an.38 Wie in diesem haben die Landeshauptmänner die Agenden der Marktaufsicht im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung wahrzunehmen und sich zur tatsächlichen Vollziehung geeigneter und hiefür besonders zu schulender Aufsichtsorgane zu bedienen. Die Landeshauptmänner haben nach Bestimmung der zur Unterstützung herangezogenen Organe diese dem Bundesminister bekanntzugeben, der sie wiederum gemäß den Vorschriften der Richtlinie39 der Kommission zu melden hat.40 Die konkrete Organisation der Marktaufsicht durch die einzelnen Landeshauptmänner erfolgte je nach Bundesland verschieden. Zumeist wurde die Materie je einem Abteilungsleiter des Amtes der Landesregierung zugewiesen, der wiederum nach Bundesland verschieden bereits mit ähnlichen Aufgaben betraut war.
2. Befugnisse der Aufsichtsorgane In Erfüllung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, eine umfassende und effektive Marktüberwachung zu gewährleisten, sieht das PSG 2004 eine Reihe von behördlichen Befugnissen der Aufsichtsorgane und Verpflichtungen der Mitgliedstaaten vor.41 § 11 PSG 2004 ermächtigt die Aufsichtsorgane überall dort, wo Produkte in Verkehr gebracht werden, Nachschau zu halten, Produktproben zu ziehen42 und diese im Anschluss einer amtlichen Untersuchung43 zuzuführen. Eine auf Verlangen des Betriebsinhabers zu leistende Entschädigung in der Höhe des Einstandspreises der gezogenen Probe entfällt dann, wenn die Untersuchung
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Vgl §§ 35 ff LMG. Art 6 der RL über die allgemeine Produktsicherheit. Diese Stellen sind der Kommission bekannt zu geben, die diese Meldung wiederum an die übrigen Mitgliedstaaten weiterzuleiten hat. Durch die Gewährleistung gegenseitigen Informationsflusses soll ein rasches Reagieren auf Produktsicherheitsnotfälle ermöglicht werden. Immanente Voraussetzung dafür ist ein ständiger Erfahrungsaustausch der einzelnen Mitgliedstaaten untereinander, die jeweils auch ihre entsprechenden Organisationen kennen müssen. Die von den Mitgliedstaaten zu schaffenden Behörden müssen mit der Kompetenz ausgestattet sein, angemessene Sanktionen bei Zuwiderhandeln gegen die Richtlinie zu verhängen (vgl Art 7 der Richtlinie). Bei Gefahr in Verzug besteht dieses Recht zu jeder Zeit, ansonsten zu den üblichen Geschäfts- und Betriebsstunden. Spätestens bei Betreten des Betriebes ist der Betriebsinhaber von der Maßnahme zu verständigen. Die Untersuchung hat bei der vom Bundesminister genannten geeigneten oder einer sonst für die Untersuchung der einschlägige Produktgruppe akkreditierten Prüfstelle zu erfolgen.
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ergibt, dass das Produkt nicht den normierten Sicherheitsanforderungen entspricht. Im Rahmen der Marktaufsicht können die Aufsichtsorgane vorläufige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erlassen, wenn entweder die von einem Produkt ausgehende Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen durch ein Gutachten einer akkreditierten in- oder ausländischen Prüfstelle oder eines befugten Ziviltechnikers festgestellt wurde oder ein begründeter Verdacht bezüglich der Gefährlichkeit des Produktes vorliegt44 oder schließlich das in Verkehr bringen eines Produktes offenkundig einer behördlich angeordneten Maßnahme widerspricht, sowie weiters dann, wenn ein Produkt bereits Gegenstand einer Maßnahme in einem Vertragsstaat des EWR war und diese Maßnahme im Rahmen des RAPEX-Verfahrens notifiziert wurde.
Will die Aufsichtsbehörde eine Maßnahme erlassen, die die Verkehrsfähigkeit eines Produktes behindert oder zumindest beschränkt, so hat sie nur das jeweils gelindeste zur effektiven Abwehr der drohenden Gefahr führende Mittel anzuwenden. Die vorläufige Maßnahme gilt als aufgehoben, wenn der zuständige Landeshauptmann nicht binnen eines Monates einen schriftlichen Bescheid hierüber erlässt. Dieser ist dem Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz zur Kenntnis zu bringen. Droht der Gesundheit oder dem Leben einer größeren Zahl von Menschen Gefahr, so ist der Inhalt der getroffenen Maßnahmen darüber hinaus in jeweils für den konkreten Einzelfall geeigneten Medien zu veröffentlichen.45 Verhängt die Marktaufsicht eines Mitgliedstaates eine Sofortmaßnahme, die die Vermarktung oder Verwendung eines Produktes oder eines ganzen Produktpostens in seinem Hoheitsgebiet verhindert, einschränkt oder besonderen Bedingungen unterwirft, so ist der Mitgliedstaat nach Art 8 der Richtlinie verpflichtet, die Maßnahmen unverzüglich der Kommission zu notifizieren. Der Informationsfluss zwischen den Mitgliedstaaten wird durch das Informationssystem RAPEX46 gewährleistet. Gemäß den diesbezüglichen Erläuterungen im Anhang II zur Richtlinie47 bezieht sich dieses Informationsverfahren auf solche ernsten Gefahren für die Gesundheit und die Sicherheit von Verbrauchern, die von den betreffenden betreffenden Produkten48 ausgehen. Die Kommission kann, wenn sie von der Gefährlichkeit eines Produktes Kenntnis erlangt, auch selbst nach Anhörung der Mitgliedstaaten diese zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen verpflichten.
Korrespondierend zu den Befugnissen der Aufsichtsorgane besteht eine weit gehende Mitwirkungspflicht der von der behördlichen Maßnahme betroffenen Betriebsinhaber wie auch deren Stellvertreter und Beauftragten. Sie sind 44
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In diesem Fall sind nicht nur die Marktaufsichtsorgane sondern auch die Organe der Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung ermächtigt, die erforderlichen Maßnahmen anzuordnen. Werden die verhängten Maßnahmen wieder aufgehoben, so ist dieser Umstand unter Beifügung der Gründe hiefür in den selben Medien ebenso zu kund zu machen. Rapid Exchange of information system; die Europäische Kommission veröffentlich einen wöchentlichen Überblick über die aktuellen RAPEX-Meldungen im Internet unter: http://ec.europa.eu/consumers/dyna/rapex/rapex_en.cfm. „Verfahrensregeln für die Anwendung von RAPEX und Leitlinien für die Meldungen“ Nicht anzuwenden ist das Informationsverfahren auf Lebensmittel und Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 75/319/EWG(1) und 81/851/EWG(2).
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verpflichtet die vorzunehmenden Amtshandlungen zu ermöglichen, alle Orte bekannt zu geben, an denen das betroffene Produkt in Verkehr gebracht wird, den Aufsichtsorganen Zutritt zu diesen Orten zu gewähren, ihnen Einsicht in die einschlägigen Unterlagen zu ermöglichen und die Organe insgesamt durch die Erteilung von Auskünften, Vorlage von Unterlagen und dergleichen, wie auch Hilfestellung bei der Probenziehung umfassend bei deren Aufsichts- und Kontrolltätigkeit zu unterstützen.
3. Auflagen § 11 PSG 2004 zählt die Maßnahmen auf, die der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz im Rahmen der Marktaufsicht zur Vermeidung von Gefährdungen der Sicherheit und der Gesundheit von Verbrauchern zu treffen hat.49 Insbesondere sind an dieser Stelle die folgend Aufgezählten als mögliche behördliche Maßnahmen vorgesehen: • • • • • • • • • •
die Verpflichtung des Inverkehrbringers zur Beigabe oder Verbesserung der Gebrauchsanweisung oder zur Anbringung von Kennzeichnungselementen auf der Verpackung oder dem Produkt selbst; die Verpflichtung, auf dem Produkt in einer Art und Weise vor Gefahren zu warnen und Verhaltenshinweise zu deren Vermeidung zu geben, wie es der Dringlichkeit der Gefahrenabwehr entspricht; die Verpflichtung zur Veröffentlichung von Warnhinweisen oder anderen dringenden Informationen in einer für die betroffenen Verkehrskreise geeigneten Weise und den dafür geeigneten Medien; Gebote und Verbote betreffend Werbemaßnahmen für Produkte; die Festlegung bestimmter Beschaffenheitsanforderungen50, insbesondere durch die gänzliche oder teilweise Verbindlicherklärung von nationalen oder internationalen Normen; die Verpflichtung zum Nachweis der Erfüllung bestimmter Prüfanforderungen; Verbote oder Beschränkungen des Inverkehrbringens;51 Verbote oder Beschränkungen des Exports;52 die Verpflichtung zur unverzüglichen Rücknahme eines bereits in Verkehr gebrachten Produktes oder Produktpostens und nötigenfalls dessen Vernichtung unter geeigneten Bedingungen; die Verpflichtung zur Durchführung eines unverzüglichen und effizienten Rückrufes eines bereits in Verkehr gebrachten Produktes oder Produktpostens von den Verbrauchern, gegebenenfalls die Veröffentlichung dieses Rückrufes in den für die betroffenen Verkehrskreise geeigneten Medien sowie nötigenfalls die Vernichtung des Produktes oder Produktpostens unter geeigneten Bedingungen..
4. Rechtsmittel § 18 PSG 2004 enthält in Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, zum Schutz der von Maßnahmen der Marktaufsicht betroffenen Inverkehrbringer ein effektives Rechtsschutzverfahren vorzusehen, eine diesbezügliche Be49 50 51 52
Es ist bei der Auswahl der konkret zu verhängenden Maßnahme wie bereits erörtert stets das gelindeste, noch zum Ziel führende Mittel anzuwenden. Etwa der verpflichtende Einbau bestimmter Sicherheitsvorrichtungen. In Betracht kommen etwa die Beschränkung auf einen bestimmten Kundenkreis oder eine, bestimmten Anforderungen genügende Vertriebsart. ZB Beschränkungen hinsichtlich eines speziellen Bestimmungslandes.
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rufungsmöglichkeit. Gegen Bescheide der Marktaufsichtsbehörden können die einzelnen Adressaten des Bescheides Berufung an den örtlich zuständigen UVS erheben. Für Berufungen gegen vorläufige Maßnahmen im Sinne des § 16 und die diese Bescheide abändernde Bescheide des zuständigen Bundesministeriums ist derjenige UVS örtlich zuständig, in dessen Sprengel die dem genannten Bescheid zu Grunde liegende vorläufige Maßnahme gesetzt wurde. Gegen andere behördliche Maßnahmen ist Berufung an den UVS zu erheben, in dessen Sprengel der Geschäftssitz des Bescheidadressaten liegt. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer Amtsbeschwerde, die zur Gewährleistung der Einheitlichkeit der Entscheidungspraxis sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des betroffenen Bescheidadressaten wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden kann. Ob das PSG 2004 die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften somit hinreichend umsetzt, hängt nicht zuletzt von der Frage ab, ob das gewählte Rechtsschutzsystem den Anforderungen eines wie in der Richtlinie geforderten, gerichtlichen Rechtsschutzes genügt. Auszugehen ist dabei von den vom EuGH zu Art 234 (ex-Art 177) EGV entwickelten Grundsätzen über die zur Vorlage berechtigten Gerichte und dem sich daraus ergebenden, eigenständigen Gerichtsbegriff. Ob demnach ein Gericht im Sinne des Art 234 EGV vorliegt, richtet sich nach den folgenden Kriterien:53 • Unabhängigkeit des entscheidenden Organs • Einrichtung durch Gesetz • Ständiger Charakter (dauerhaft eingerichtet) • Obligatorische Gerichtsbarkeit • Streitiges Verfahren • Entscheidung nach Rechtsnormen Nach einhelliger Auffassung vermag die Organisation der Unabhängigen Verwaltungssenate diesen Kriterien gerecht zu werden,54 so dass diese nach dem Verständnis des Art 234 EGV Gerichte sind. Insgesamt also und ob des Umstandes, dass in der Richtlinie keine speziellen, über jene des Art 234 EGV hinausgehenden Anforderungen an den gerichtlichen Rechtsschutz gestellt werden, ist die in Österreich gewählte Umsetzungsmaßnahme, die UVS mit dem Rechtsschutz zu betrauen, als richtlinienkonform zu beurteilen.
5. Meldepflichten Über die Verpflichtung der hiefür bestellten Aufsichtsorgane der Marktüberwachung hinaus normiert das PSG 2004 eine passive Meldepflicht für Leiter des ärztlichen Dienstes und aufsichtsführende Ärzte von Krankenanstalten. Die Letztgenannten sind verpflichtet, über Anfrage der zuständigen Behörden 53
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Vgl hierzu näher bei Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 129a B-VG, Rz 74ff.; Siehe auch die Darstellung der Entscheidungen zu Art 234 (ex-Art 177) EGV bei den SA des GA Tesauro zu EuGH RS C-54/96, Dorsch Consult, Slg 1997, I-4961, Rz 21ff. Zur Vereinbarkeit der UVS mit den Anforderungen des Art 6 EMRK vgl statt aller Korinek/Holoubek, (FN53), Rz 7ff; vgl EuGH, Rs C-258/97, Hospital Ingenieure Krankenhaustechnik Planungs-Gesellschaft mbH.
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betreffend Wahrnehmungen über gefährliche Produkte Auskunft zu geben. Weiters haben alle für den Bund tätigen Vollzugsorgane dienstliche Wahrnehmungen über gefährliche Produkte zu melden55. Dementsprechend wurde auch in der Praxis die Organisation der Marktaufsicht so ausgestaltet, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit der beauftragten Organe eher im Bereich der Verhängung von Maßnahmen als der tatsächlichen Marktüberwachung liegt. Eine solche wird bereits durch die Vielzahl der zu Meldungen Verpflichteten sowie die für Produktsicherheitsnotfälle eingerichteten Verständigungssysteme RAPEX56 und CPSC57 hinreichend gewährleistet.
III. Produktsicherheitsbeirat A. Aufgaben Die Aufgabe des Produktsicherheitsbeirates58 liegt in der Beratung des zur Entscheidung in Angelegenheiten der allgemeinen Produktsicherheit berufenen Bundesministers in grundsätzlichen Fragen des Schutzes von Verbrauchern vor gefährlichen Produkten. Darüber hinaus fungiert der Beirat als Forum zum Austausch von Erfahrungen und Kenntnissen zur Erreichung der grundlegenden Ziele des Produktsicherheitsgesetzes. Weitere Aufgaben des Produktsicherheitsbeirates sind die Unterstützung des zuständigen Bundesministers bei der Risikobewertung und Konformitätsbeurteilung von Produkten und die Erarbeitung von Empfehlungen zu Fragen der Produktsicherheit und Unfallverhütung. Zu diesem Zweck sieht § 21 Abs 5 PSG 2004 vor, daß der Produktsicherheitsbeirat im Rahmen der Überwachung des Marktes jeweils vor Erlassung einer in der Form einer Verordnung zu ergehenden behördlichen Maßnahme jedenfalls anzuhören ist.
B. Zusammensetzung Der beim Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz eingerichtete Produktsicherheitsbeirat setzt sich aus insgesamt 18 Mitgliedern zusammen, von denen je 1 Mitglied von den folgenden Organisationen entsandt wird: • Wirtschaftskammern Österreichs; • Bundeskammer der Arbeiter und Angestellten; • Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs; • Österreichischer Gewerkschaftsbund. Zusätzlich zu diesen Mitgliedern sind seit dem PSG 2004 auch die schon früher beigezogenen Experten59 stimmberechtigte Mitglieder des Beirates. 55 56 57 58 59
§ 8 PSG 2004 enthält hierzu nähere Regelungen hinsichtlich Form und Inhalt dieser Meldungen. Vgl FN46. U.S. Consumer Product Safety Commission; http://www.cpsc.gov. Seine Aufgaben wurden mit dem PSG 2004 erheblich ausgebaut. Diese werden von den folgenden Organisationen namhaft gemacht: der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, dem Institut Sicher Leben im Kuratorium für Schutz und Sicherheit, dem Österreichischen Komitee für Unfallverhütung im Kindesalter, dem Seniorenrat, dem Verein für Konsumenteninformation, dem Verein zur Wahrung der Interessen von autorisierten und akkreditierten Versuchsanstalten und Prüfstellen (Austrolab), dem Verbraucherrat am Österreichischen Normungsinstitut, der Ös-
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Der Bundesminister ist Vorsitzender der Sitzungen des Beirates und kann über die ordentlichen Mitglieder hinaus noch zusätzlich Sachverständige und Auskunftspersonen beratend beiziehen. Ordentliche Mitglieder können sich von Experten im unbedingt nötigen Ausmaß begleiten lassen. Der Beirat behandelt die ihm zugewiesenen Aufgaben gemäß einer von ihm selbst beschlossenen und vom Bundesminister genehmigten Geschäftsordnung in nichtöffentlicher Sitzung mit einfacher Mehrheit, wobei nicht mehrheitsfähige Meinungen stets protokollarisch festzuhalten sind.
terreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, dem Bundesministerium für Gesundheit und Frauen, dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, dem Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz. Weiters gehört dem Beirat ein gemeinsamer Vertreter der Länder an. Vgl. § 20 Abs.2 PSG 2004.
Andreas Hauer
Lebensmittelrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................572 Grundlegende Literatur...................................................................................579 I. Grundlagen ................................................................................................579 A. Allgemeines............................................................................................579 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................580 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................581 1. Primärrecht ........................................................................................581 2. Sekundärrecht....................................................................................584 II. Der Geltungsbereich des LMSVG..........................................................584 III. Die lebensmittelrechtliche Ordnung.....................................................585 A. Der Lebensmittelbegriff .........................................................................585 B. Allgemeine Verbote im Lebensmittelverkehr .........................................585 1. Das Verbot gesundheitsschädlicher oder ungeeigneter Lebensmittel................................................................585 2. Das Verbot minderwertiger Lebensmittel .........................................585 3. Das Verbot verordnungswidriger Lebensmittel ................................587 4. Das Verbot irreführender Angaben ...................................................587 5. Verbotene krankheitsbezogene Angaben ..........................................588 C. Diätetische Lebensmittel .......................................................................590 D. Behandlung mit ionisierenden Strahlen ................................................591 E. Hygiene im Lebensmittelbereich............................................................591 1. Allgemeines.......................................................................................591 2. Eintragung und Zulassung von Betrieben .........................................592 F. Die lebensmittelrechtliche Verantwortung des Lebensmittelunternehmers.....................................................................593 IV. Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel..................................593 A. Gebrauchsgegenstände..........................................................................593 B. Kosmetische Mittel.................................................................................594 V. Nationales Verordnungsrecht .................................................................595 A. Allgemeines............................................................................................595 B. Im Besonderen Lebensmittelkennzeichnung ..........................................596 VI. Die Vollziehung des unmittelbar anwendbaren EG-Lebensmittelrechts..........................................................................597 VII. Lebensmittelpolizeiliche Aufsicht........................................................599 A. Organisation..........................................................................................599 B. Ausführung ............................................................................................601 1. Planmäßigkeit....................................................................................601 2. Instrumente der Kontrolle und zur unmittelbaren Gefahrenabwehr..601 3. Die Schlachttier- und Fleischuntersuchung im Besonderen..............603
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4. Rückstandskontrollen von Lebensmitteln tierischer Herkunft im Besonderen....................................................................................... 603 VIII. Zwischenstaatlicher Lebensmittelverkehr........................................ 604 A. Innergemeinschaftlicher Lebensmittelverkehr ...................................... 604 B. Lebensmittelverkehr mit Drittstaaten.................................................... 604 1. Einfuhr .............................................................................................. 604 2. Ausfuhr ............................................................................................. 604 IX. Lebensmitteluntersuchungsanstalten und Lebensmittelgutachter... 605 A. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit........................... 605 B. Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH............ 605 C. Untersuchungsanstalten der Länder..................................................... 606 D. Private Lebensmittelgutachter.............................................................. 606 X. Das österreichische Lebensmittelbuch................................................... 606 XI. Lebensmittelstrafrecht .......................................................................... 607 A. Justizstrafrecht ...................................................................................... 607 B. Verwaltungsstrafrecht ........................................................................... 608 XII. Zusammenhänge................................................................................... 609 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht VO: Verordnung (EWG) Nr 1898/87 über den Schutz der Bezeichnung der Milch und Milcherzeugnisse bei ihrer Vermarktung, Abl L 182/36; Verordnung (EWG) Nr 1576/89 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung von Spirituosen, Abl L 160/1; Verordnung (EWG) Nr 1014/90 mit Durchführungsbestimmungen für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung von Spirituosen, Abl L 105/9; Verordnung (EWG) Nr 2377/90 zur Schaffung eines Gemeinschaftsverfahrens für die Festsetzung von Höchstmengen für Tierarzneimittelrückstände in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs, Abl L 224/1; Verordnung (EWG) Nr 1601/91 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung aromatisierter weinhaltiger Getränke und aromatisierter weinhaltiger Cocktails, Abl L 149/1; Verordnung (EWG) Nr 2092/91 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel, Abl L 198/1; Verordnung (EWG) Nr 2568/91 über die Merkmale von Olivenölen sowie die Verfahren zu ihrer Bestimmung, Abl L 248/1; Verordnung (EWG) Nr 315/93 zur Festlegung von gemeinschaftlichen Verfahren zur Kontrolle von Kontaminanten in Lebensmitteln, Abl L 37/1; Verordnung (EG) Nr 122/94 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EWG) Nr 1601/91 hinsichtlich der Definition, Bezeichnung und Aufmachung von aromatisiertem Wein sowie aromatisierten weinhältigen Getränken und Cocktails, Abl L 21/7; Verordnung (EG) Nr 2991/94 mit Normen für Streichfette, Abl L 316/2; Verordnung (EG) Nr 2232/96 zur Festlegung eines Gemeinschaftsverfahrens für Aromastoffe, die in oder auf Lebensmitteln verwendet werden oder verwendet werden sollen, Abl L 299/1; Verordnung (EG) Nr 258/97 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten, Abl L 43/1; Verordnung (EG) Nr 2597/97 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse hinsichtlich Konsummilch, Abl L 351/13; Verordnung (EG) Nr 1760/2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen, Abl L 204/1; Verordnung (EG) Nr 1825/2000 mit Durchführungsvor-
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schriften zur Verordnung (EG) Nr 1760/2000 hinsichtlich der Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen, Abl L 216/8; Verordnung (EG) Nr 466/2001 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln, Abl L 77/1; Verordnung (EG) Nr 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, Abl L 31/1; Verordnung (EG) Nr 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, Abl L 268/1; Verordnung (EG) Nr 1830/2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln, Abl L 268/24; Verordnung (EG) Nr 2065/2003 über Raucharomen zur tatsächlichen oder beabsichtigten Verwendung in oder auf Lebensmitteln, Abl L 309/1; Verordnung (EG) Nr 608/2004 über die Etikettierung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten mit Phytosterin-, Phytosterinester-, Phytostanol- und/oder Phytostanolesterzusatz, Abl L 97/44; Verordnung (EG) Nr 852/2004 über Lebensmittelhygiene, Abl L 139/1; Verordnung (EG) Nr 853/2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs, Abl L 139/55; Verordnung (EG) Nr 854/2004 mit spezifischen Vorschriften für die amtliche Überwachung von zu menschlichem Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs, Abl L 139/206; Verordnung (EG) Nr 882/2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebens- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz, Abl L 165/1; Verordnung (EG) Nr 1935/2004 über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, Abl L 338/4; Verordnung (EG) Nr 37/2005 zur Überwachung der Temperaturen von tief gefrorenen Lebensmitteln in Beförderungsmitteln sowie Einlagerungs- und Lagereinrichtungen, Abl L 10/18; Verordnung (EG) Nr 396/2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs, Abl L 70/1; Verordnung (EG) Nr 1895/2005 über die Beschränkung der Verwendung bestimmter Epoxyderivate in Materialien und Gegenständen, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, Abl L 302/28; Verordnung (EG) Nr 2073/2005 über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel, Abl L 338/1; Verordnung (EG) Nr 509/2006 über die garantiert traditionellen Spezialitäten bei Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln, Abl L 93/1; Verordnung (EG) Nr 510/2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, Abl L 93/12; Verordnung (EG) Nr 627/2006 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr 2065/2003 hinsichtlich der Qualitätskriterien für validierte Analyseverfahren zur Probenahme, Identifizierung und Charakterisierung primärer Räucherprodukte, Abl L 109/3. RL: Richtlinie zur Festsetzung des Höchstgehalts an Erukasäure in Speiseölen und fetten sowie in Lebensmittel mit Öl- und Fettzusätzen 76/621/EWG, Abl L 202/35; Richtlinie über kosmetische Mittel 76/768/EWG, Abl L 262/169; Richtlinie über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in Obst und Gemüse 76/895/EWG, Abl L 340/26 [siehe zum zeitlichen Geltungsbereich Art 48 Abs 1 VO Nr 396/2005]; Richtlinie über Vinylchlorid-Monomer enthaltende Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 78/142/EWG, Abl L 44/15; Richtlinie zur Festlegung spezifischer Reinheitskriterien für Emulgatoren, Stabilisatoren, Verdickungs- und Geliermittel, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen 78/663/EWG, Abl L 223/7; Erste Richtlinie zur Festlegung gemeinschaftlicher Analysemethoden für die Kontrolle von zur menschlichen Ernährung bestimmten Zuckerarten 79/796/EWG, Abl L 239/24; Erste Richtlinie zur Festsetzung gemeinschaftlicher Analysemethoden zur Prüfung bestimm-
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ter Sorten eingedickter Milch und Trockenmilch für die menschliche Ernährung 79/1067/EWG, Abl L 327/29; Richtlinie zur Festlegung gemeinschaftlicher Analysemethoden für die amtliche Prüfung des Gehalts an Vinylchlorid-Monomer in Materialien und Gegenständen, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 80/766/EWG, Abl L 213/42, Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern 80/777/EWG, Abl L 229/1; Richtlinie über die gemeinschaftliche Analysemethode zur Bestimmung des Erukasäuregehalts in Speiseölen und -fetten sowie in Lebensmitteln mit Öl- und Fettzusätzen 80/891/EWG, Abl L 254/35; Erste bis siebente Richtlinie über Analysemethoden zur Kontrolle der Zusammensetzung der kosmetischen Mittel 80/1335/EWG, Abl L 383/27; 82/434/EWG, Abl L 185/1; 83/514/EWG, Abl L 291/9; 85/490/EWG, Abl L 295/30; 93/73/EWG, Abl L 231/34; 95/32/EG, Abl L 178/20; 96/45/EG, Abl L 213/8; Richtlinie zur Festlegung der gemeinschaftlichen Analysemethode für die amtliche Prüfung auf Vinylchlorid, das von Bedarfsgegenständen in Lebensmittel übergegangen ist 81/432/EWG, Abl L 167/6; Erste Richtlinie zur Festlegung gemeinschaftlicher Analysemethoden für die Überwachung der Einheitskriterien bestimmter Lebensmittelzusatzstoffe 81/712/EWG, Abl L 257/1; Richtlinie über die Grundregeln für die Ermittlung der Migration aus Materialien und Gegenständen aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 82/711/EWG, Abl L 297/26; Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über bestimmte Milcherzeugnisse (Kaseine und Kaseinate) für die menschliche Ernährung 83/417/EWG, Abl L 237/25; Richtlinie über Keramikgegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 84/500/EWG, Abl L 277/12; Erste Richtlinie zur Festlegung der Gemeinschaftsmethoden für die Analysen von Nährkaseinen und Nährkaseinaten 85/503/EWG, Abl L 308/12; Richtlinie über die Liste der Simulanzlösemittel für die Migrationsuntersuchungen von Materialien und Gegenständen aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 85/572/EWG, Abl L 372/14; Richtlinie über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in Getreide 86/362/EWG, Abl L 221/37 [siehe zum zeitlichen Geltungsbereich Art 48 Abs 1 VO Nr 396/2005]; Richtlinie über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in Lebensmitteln tierischen Ursprungs 86/363/EWG, Abl L 221/43 [siehe zum zeitlichen Geltungsbereich Art 48 Abs 1 VO Nr 396/2005]; Erste Richtlinie zur Festlegung der Gemeinschaftsmethoden für die Probenahme von Kaseinen und Kaseinaten 86/424/EWG, Abl L 243/29; Richtlinie betreffend die Angabe des Alkoholgehalts als Volumenkonzentration in der Etikettierung von alkoholhaltigen, für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln 87/250/EWG, Abl L 113/57; Erste Richtlinie zur Festlegung der Gemeinschaftsmethoden für die Probenahme von Dauermilcherzeugnissen 87/524/EWG, Abl L 306/24; Richtlinie über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden 88/344/EWG, Abl L 157/28; Richtlinie über Aromen zur Verwendung in Lebensmitteln und über Ausgangsstoffe für ihre Herstellung 88/388/EWG, Abl L 184/61; Richtlinie über Zusatzstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen 89/107/EWG, Abl L 40/27; Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften über tiefgefrorene Lebensmittel 89/108/EWG, Abl L 40/34; Richtlinie über Angaben oder Marken, mit denen sich das Los, zu dem ein Lebensmittel gehört, feststellen läßt 89/396/EWG, Abl L 186/21; Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, 89/398/EWG, Abl L 186/27; Richtlinie über die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln 90/496/EWG, Abl L 276/40; Richtlinie über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in bestimmten Erzeugnissen pflanzlichen Ursprungs, einschließlich Obst und Gemüse, 90/642/EWG, Abl L
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350/71 [siehe zum zeitlichen Geltungsbereich Art 48 Abs 1 VO Nr 396/2005]; Richtlinie über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung 91/321/EWG, Abl L 175/35; Richtlinie zur Festlegung des Probenahmeverfahrens und des gemeinschaftlichen Analyseverfahrens für die amtliche Kontrolle der Temperaturen von tiefgefrorenen Lebensmitteln 92/2/EWG, Abl L 34/30; Richtlinie über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung zur Ausfuhr in Drittländer 92/52/EWG, Abl L 179/129; Richtlinie über die Unterstützung der Kommission und die Mitwirkung der Mitgliedsstaaten bei der wissenschaftlichen Prüfung von Lebensmittelfragen, 93/5/EWG, Abl L 52/18; Richtlinie über Materialien und Gegenstände aus Zellglasfolien, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 93/10/EWG, Abl L 93/27; Richtlinie über die Freisetzung von N-Nitrosaminen und N-nitrosierbaren Stoffen aus Flaschen und Beruhigungssaugern aus Elastomeren oder Gummi 93/11/EWG, Abl L 93/37; Richtlinie über die Herstellung von Nektar ohne Zusatz von Zuckerarten oder Honig 93/45/EWG, Abl L 159/133; Richtlinie über Süßungsmittel, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen 94/35/EWG, Abl L 237/3; Richtlinie über Farbstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, 94/36/EG, Abl L 237/13; Richtlinie über Angaben, die zusätzlich zu den in der Richtlinie 79/112/EWG aufgeführten Angaben auf dem Etikett bestimmter Lebensmittel vorgeschrieben sind 94/54/EG, Abl L 300/14; Richtlinie über andere Lebensmittelzusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel 95/2/EWG, Abl L 61/1; Richtlinie mit Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 76/768/EWG betreffend die Nichteintragung eines oder mehrerer Bestandteile in die für die Etikettierung kosmetischer Mittel vorgesehene Liste 95/17/EG, Abl L 140/26; Richtlinie zur Festlegung spezifischer Reinheitskritierien für Süßungsmittel, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, 95/31/EWG, Abl L 178/1; Richtlinie zur Festlegung spezifischer Reinheitskriterien für Lebensmittelfarbstoffe 95/45/EG, Abl L 226/1; Richtlinie über Getreidebeikost und andere Beikost für Säuglinge und Kleinkinder 96/5/EG, Abl L 49/17; Richtlinie über Lebensmittel für kalorienarme Ernährung zur Gewichtsverringerung 96/8/EG, Abl L 55/22; Richtlinie über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe mit hormonaler bzw thyreostatischer Wirkung und von ß-Agonisten in der tierischen Erzeugung 96/22/EG, Abl L 125/3; Richtlinie über Kontrollmaßnahmen hinsichtlich bestimmter Stoffe und ihrer Rückstände in lebenden Tieren und tierischen Erzeugnissen 96/23/EG, Abl L 125/10; Richtlinie zur Festlegung spezifischer Reinheitskriterien für andere Lebensmittelzusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel 96/77/EG, Abl L 339/1; Richtlinie über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch 98/83/EG, Abl L 330/32; Richtlinie über mit ionisierenden Strahlen behandelte Lebensmittel und Lebensmittelbestandteile 1999/2/EG, Abl L 66/24; Richtlinie über die Festlegung einer Gemeinschaftsliste von mit ionisierenden Strahlen behandelten Lebensmitteln und Lebensmittelbestandteilen 1999/3/EG, Abl L 66/24; Richtlinie über Kaffee- und Zichorien-Extrakte 1999/4/EG, Abl L 66/26; Richtlinie über die Ausnahme von Art 7 der Richtlinie 79/112/EWG hinsichtlich der Etikettierung von Lebensmitteln 1999/10/EG, Abl L 69/22; Richtlinie über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke 1999/21/EG, Abl L 91/29; Richtlinie 2000/13/EG über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, Abl L 109/29; Richtlinie über Kakao- und Schokoladeerzeugnisse für die menschliche Ernährung 2000/36/EG, Abl L 197/19; Richtlinie über Stoffe, die Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, zu besonderen Ernährungszwecken zugefügt werden dürfen 2001/15/EG, Abl L 52/19; Richtlinie über Honig 2001/110/EG, Abl L 10/47; Richtlinie über bestimmte Zuckerarten für die menschliche Ernährung 2001/111/EG, Abl L 10/53; Richtlinie über Fruchtsäfte und bestimmte gleichartige Erzeugnisse für die menschliche Ernährung 2001/112/EG, Abl L 10/58; Richtlinie über Konfitüren, Gelees, Marmeladen und Makronencrem für die menschliche Ernährung 2001/113/EG, Abl L 10/67; Richtlinie über bestimmte Sorten eingedickter Milch und Trockenmilch für die menschliche
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Ernährung 2001/114/EG Abl L 15/19; Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel 2002/46/EG, Abl L 183/51; Richtlinie über die Etikettierung von chininhaltigen und von koffeinhaltigen Lebensmitteln 2002/67/EG, Abl L 191/20; Richtlinie über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 2002/72/EG, Abl L 220/18; Richtlinie zur Festlegung von tierseuchenrechtlichen Vorschriften für das Herstellen, die Verarbeitung, den Vertrieb und die Einfuhr von Lebensmitteln tierischen Ursprungs 2002/99/EG, Abl L 18/11; Richtlinie zur Festlegung des Verzeichnisses, der Grenzwerte und der Kennzeichnung der Bestandteile natürlicher Mineralwässer und der Bedingungen für die Behandlung natürlicher Mineralwässer und Quellwässer mit ozonangereicherter Luft 2003/40/EG, Abl L 126/34; Richtlinie über die Inspektion und Überprüfung der Guten Laborpraxis (GLP) 2004/9/EG, Abl L 50/28. Nationales Recht BG: Bundesgesetz über Sicherheitsanforderungen und weitere Anforderungen an Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher (Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz LMSVG) BGBl 2006 I/13, BGBl 2005 I/151, BGBl 2006 II/95; Bundesgesetz über den Verkehr mit Speisesalz (BGBl 1963/112 idF BGBl 1990/288 und 1999 I/115); Bundesgesetz, mit dem die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH errichtet und das Bundesamt für Ernährungssicherheit sowie das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen eingerichtet werden (Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz - GESG), BGBl 2002 I/63, 2003 I/78, 2004 I/83, 2005 I/87, 2005 I/107 und BGBl 2005 I/153; Bundesgesetz zur Durchführung des Übereinkommens über internationale Beförderungen leicht verderblicher Lebensmittel und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderung zu verwenden sind (ATP-Durchführungsgesetz), BGBl 1991/82 idF BGBl 2002 I/95. „Verordnungen“, die gemäß § 96 Z 1 und Z 2 sowie § 97 LMSVG weiter „als Bundesgesetze“ in Kraft stehen: Verordnung über den Verkehr mit Essigsäure zu Genußzwecken (BGBl 1959/148 idF BGBl 1975/86 und 2006 I/13 (BG); Verordnung über Herstellung, Verkauf, Zurichtung und Verwendung von Geschirren und Geräten, die mit Lebensmitteln unmittelbar in Berührung kommen, über Kinderspielzeug bestimmter Art sowie über bestimmte Arten der Aufbewahrung und Verpackung von Lebensmitteln Geschirrverordnung (BGBl 1960/258 idF BGBl 1993/893, 1994/775, 1994/823, 2003 I/476 und 2006 I/13); Verordnung über das Verbot bzw die Verwendungsbeschränkung bestimmter nickelhältiger Gebrauchsgegenstände - Nickelverordnung (BGBl 2000 II/204 idF BGBl 2002 II/87 und 2005 II/297). Durchführungsverordnungen zum LMG 1975, die gemäß § 98 Abs 1 LMSVG als Verordnungen aufgrund des LMSVG weitergelten: Verordnung über gasförmige Füllstoffe für Spielzeugluftballons (BGBl 1978/22); Verordnung über die Ausbildung von Aufsichtsorganen (BGBl 1983/397); Verordnung über den Höchstgehalt von Mykotoxinen bei Lebensmitteln (BGBl 1986/251); Verordnung über Arzneimittelrückstände in Lebensmitteln (BGBl 1988/542); Verordnung über die tarifmäßige Festlegung der Gebühren für die von den Bundesanstalten für Lebensmitteluntersuchung vorzunehmenden Untersuchungen und Begutachtungen - Gebührentarifverordnung (BGBl 1989/189 idF BGBl 1992/409, 1994/477, 1997 II/332, 2001 II/43 und 2006 II/13); Verordnung über die Kennzeichnung von verpackten Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln (Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1993 - LMKV) BGBl 1993/72, idF BGBl 1993/557, 1995/555, 1999 II/462, 2002 II/371, 2003 II/222, 2005 II/103 (VFB), 2005 II/111, 2005 II/408; Verordnung über Margarineerzeugnisse und Mischfetterzeugnisse
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(BGBl 1993/378); Verordnung über das Verbot der Verwendung von Stoffen bei Vorratsschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln (BGBl 1993/652 idF BGBl 1994/343, 1995/669 und 2000 I/105 [BG]); Verordnung über Gebrauchsgegenstände aus Keramik und Gebrauchsgegenstände mit einem Überzug aus Email - Keramik-Verordnung (BGBl 1993/893); Verordnung über Hygienevorschriften für die Herstellung und Vermarktung von Rohmilch, wärmebehandelter Milch und Erzeugnissen auf Milchbasis Milchhygieneverordnung (BGBl 1993/897 idF BGBl 1998 II/40 und § 95 Abs 8 LMSVG); Verordnung über Gebrauchsgegenstände aus Zellglasfolie - ZellglasfolienVerordnung (BGBl 1994/128 idF BGBl 2005 II/298); Verordnung über tiefgefrorene Lebensmittel (BGBl 1994/201); Verordnung über Analysemethoden für die Überwachung der Reinheitskriterien bestimmter Zusatzstoffe - Zusatzstoff-Analysenverordnung (BGBl 1994/466); Verordnung zur Festsetzung des Höchstgehaltes an Erucasäure Erucasäureverordnung (BGBl 1994/468); Verordnung über die Kennzeichnung von Zusatzstoffen für Lebensmittel und Verzehrprodukte - Zusatzstoffkennzeichnungsverordnung (BGBl 1994/476); Verordnung über die Sicherheit von Spielzeug - Spielzeugverordnung (BGBl 1994/823 idF BGBl 2003 II/245); Verordnung über Analysenmethoden zur Kontrolle der Zusammensetzung der kosmetischen Mittel - Kosmetik-Analysenverordnung (BGBl 1995/95 idF BGBl 1996/546 und 1997 II/383); Verordnung über die Freisetzung von N-Nitrosaminen und N-nitrosierbaren Stoffen aus Flaschen und Beruhigungssaugern aus Elastomeren oder Gummi (BGBl 1995/104); Verordnung über die Qualitätsanforderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung - Oberflächen-Trinkwasserverordnung (BGBl 1995/359); Verordnung über Farbstoffe, die in kosmetischen Mitteln sein dürfen - Kosmetik-Farbstoffverordnung (BGBl 1995/416 idF BGBl 2005 II/360); Verordnung über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung (BGBl 1995/531 idF BGBl 1997 II/292); Verordnung über die Verwendung von Extraktionslösungsmitteln bei der Herstellung von Lebensmitteln und Verzehrprodukten Extraktionslösungsmittelverordnung (BGBl 1995/642 idF BGBl 1998 II/465); Verordnung über die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln - NWKV, BGBl 1995/896 idF BGBl II 2004/435, II 2005/103 (DFB); Verordnung über Kontrollmaßnahmen betreffend kosmetische Mittel (BGBl 1996/168 idF BGBl 2005 II/92); Verordnung über die Nichteintragung eines oder mehrerer Bestandteile in die für die Kennzeichnung kosmetischer Mittel vorgesehene Liste (BGBl 1996/359); Verordnung über Eiprodukte Eiprodukteverordnung (BGBl 1996/527 idF § 95 Abs 8 LMSVG); Verordnung über den Zusatz von Farbstoffen zu Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln - Farbstoffverordnung (BGBl 1996/541 idF BGBl 2000 II/222, 2002 II/465 und 2005 II/211); Verordnung über den Zusatz von Süßungsmitteln zu Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln - Süßungsmittelverordnung (BGBl 1996/547 idF BGBl 1996/680, 1998 II/257, 1999 II/21, 2002 II/42 und 2005 II/212); Verordnung über Nährkaseine und Nährkaseinate (BGBl 1996/548); Verordnung über die Überwachung und Kontrolle von tiefgefrorenen Lebensmitteln (BGBl 1996/581); Verordnung über die Bestimmung des Alkoholgehaltes bei - der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung unterliegenden Getränken - Alkoholangabenverordnung (BGBl II 1997/136); Verordnung über die Vorbildung von Lebensmittelgutachtern - Lebensmittelgutachterverordnung (BGBl 1997 II/161); Verordnung über Aromen und deren Ausgangsstoffe - Aromenverordnung (BGBl 1998 II/42); Verordnung über Lebensmittel für kalorienarme Ernährung zur Gewichtsverringerung (BGBl 1998 II/112); Verordnung über Getreidebeikost und andere Beikost für Säuglinge und Kleinkinder - Beikostverordnung (BGBl 1998 II/133 idF 1999 II/200); Verordnung über das Verbot der Verwendung von Weichmachern bei bestimmtem Spielzeug aus Kunststoff für Kinder unter 36 Monaten (BGBl 1998 II/255); Verordnung über andere Zusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel - ZuV (BGBl 1998 II/383 idF BGBl 2000 II/132, 2000 II/315, 2001 II/193, 2003 II/14, 2004 II/265, 2005 II/364); Verordnung über natürliche Mineralwässer und Quellwässer - Mineral-
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wasser- und Quellwasserverordnung (BGBl 1999 II/309 idF BGBl 2004 II/500); Verordnung über kosmetische Mittel - Kosmetikverordnung (BGBl 1999 II/375 idF BGBl 2000 II/285, 2003 II/338, 2005 II/68 und 2006 II/53); Verordnung über Kaffee- und Zichorienextrakte (BGBl II 2000/391); Verordnung über das Verbot der Verwendung von Weichmachern bei bestimmten Babyartikeln aus Weich-PVC für Kinder unter 36 Monaten (BGBl 2000 II/111); Verordnung über die Behandlung von Lebensmitteln und Verzehrprodukten mit ionisierenden Strahlen (BGBl 2000 II/327); Verordnung über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, BGBl 2000 II/416; Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Trinkwasserverordnung - TWV), BGBl 2001 II/304 idF BGBl 2006 II/254; Verordnung über Höchstwerte von Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln in oder auf Lebensmitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs - Schädlingsbekämpfungsmittel-Höchstwerteverordnung - SchäHöV (BGBl 2002 II/441 idF BGBl 2003 II/552, 2004 II/434, 2005 II/166 und BGBl 2006 II/130); Verordnung zur Festlegung von Probenahmeverfahren und Analysemethoden für die amtliche Kontrolle bestimmter Waren auf Einhaltung der Höchstgehalte für Kontaminanten (Kontaminanten-Analyseverordnung), BGBl 2003 II/422 idF BGBl 2004 II/433; Verordnung über Gebrauchsgegenstände aus Kunststoff, die für die Verwendung bei Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln bestimmt sind (Kunststoffverordnung 2003) BGBl 2003 II/476 idF BGBl 2005 II/242; Verordnung über bestimmte Zuckerarten - Zuckerverordnung, BGBl 2003 II/472; Verordnung über Kakao- und Schokoladeerzeugnisse - Schokoladeverordnung, BGBl 2003 II/628; Verordnung über Honig - Honigverordnung, BGBl 2004 II/40; Verordnung über bestimmte Sorten eingedickter Milch und Trockenmilch, BGBl 2004 II/45; Verordnung über Fruchtsäfte und einige gleichartige Erzeugnisse - Fruchtsaftverordnung, BGBl 2004 II/83; Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel (Nahrungsergänzungsmittelverordnung - NEMV) BGBl 2004 II/88; Verordnung über das Verbot der Verwendung bestimmter Azofarbstoffe bei Gebrauchsgegenständen (Azofarbstoffverordnung 2004), BGBl 2004 II/320 idF BGBl 2006 II/52; Verordnung über die innerstaatliche Durchführung der Verordnungen (EG) Nr 1830/2003 und Nr 608/2004, BGBl 2004 II/373; Verordnung über Konfitüre, Gelees, Marmeladen und Maronencremen - Konfitürenverordnung 2004, BGBl 2004 II/367; Verordnung über die Kennzeichnung von Materialien und Gegenständen, die für die Verwendung bei Lebensmitteln bestimmt sind, BGBl 2005 II/262. Durchführungsverordnungen bereits unmittelbar zum LMSVG: Verordnung über die Anpassung bestimmter Lebensmittelhygienevorschriften (Lebensmittelhygiene-Anpassungsverordnung), BGBl 2006 II/91; Verordnung über Lebensmittelhygieneanforderungen an Einzelhandelsunternehmen (Lebensmittel-Einzelhandelsverordnung), BGBl 2006 II/92; Eintragungs- und Zulassungsverordnung, BGBl 2006 II/93; Verordnung über Rohmilch und Rohrahm (Rohmilchverordnung), BGBl 2006 II/106; Verordnung über die Direktvermarktung von Lebensmitteln (Lebensmittel-Direktvermarktungsverordnung), BGBl 2006 II/108; Verordnung über die Schlachttier- und Fleischuntersuchung sowie die Untersuchung von Fischereierzeugnissen (Fleischuntersuchungsverordnung 2006 - FlUVO), BGBl 2006 II/109; Verordnung über Kontrollmaßnahmen betreffend bestimmte Stoffe und deren Rückstände in lebenden Tieren und Lebensmitteln tierischer Herkunft (Rückstandskontrollverordnung 2006), BGBl 2006 II/110; Verordnung über Stoffe, die diätetischen Lebensmitteln zu besonderen Ernährungszwecken zugefügt werden dürfen und über allgemeine Kennzeichnungsvorschriften für diätetische Lebensmittel (Diät-Rahmenverordnung), BGBl 2006 II/162; Verordnung über den örtlichen Zuständigkeitsbereich der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH zur Übernahme von amtlichen Proben, BGBl 2006 II/209; (teilweise:) Verordnung über die veterinärbehördliche Grenzkontrolle und über
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das innergemeinschaftliche Verbringen von Tieren, Waren und Gegenständen (Veterinärbehördliche Einfuhr- und Binnenmarktverordnung 2001; EBVO 2001), BGBl 2001 II/355, BGBl 2004 II/266 und 2006 II/129.
Grundlegende Literatur: Fessler, LMSVG. Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz. Textausgabe (2006); C. Hauer, Österreichisches Lebensmittelrecht und die Europäische Union (1997); Kobelt/Sanwidi, Das neue Lebensmittelhygiene-Recht. Kommentar zur VO (EG) Nr. 852/2004 und zur VO (EG) Nr. 853/2004 (2005); Nentwich, Das Lebensmittelrecht der Europäischen Union. Entstehung, Rechtsprechung, Sekundärrecht, nationale Handlungsspielräume (1994); Prichenfried, Lebensmittelrecht, in Norer (Hrsg), Handbuch des Agrarrechts (2005) 171ff; Prichenfried, Qualitätsvorschriften, in Norer (Hrsg), Handbuch des Agrarrechts (2005) 185ff; Schroeder/Kraus, Europäisches und Österreichisches Lebensmittelrecht. Textsammlung samt Einleitung und Synopse (2006); Schroeder/Kraus, Grundprinzipien des neuen Lebensmittelrechts. Das Zusammenspiel von EU-BasisVO und neuem LMSVG, wbl 2006, 245ff; Leidwein, Europäisches Agrarrecht² (2004) 377ff; Stadlmeier, Le Gourmet Europeén? Oder: De gustibus non est disputandum. Zur Lebens- und Genussmitteljudikatur des EuGH, in Köck/Lengauer/Ress (Hrsg), Europarecht im Zeitalter der Globalisierung. FS Fischer (2004) 529ff. Siehe im Übrigen die Literaturhinweise zum „alten“ Lebensmittelrecht bei A. Hauer, Lebensmittelrecht, in Holoubek/Potacs (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht II (2002) 139f.
I. Grundlagen1 A. Allgemeines Das geltende Lebensmittelrecht ist ein unübersichtliches Gemenge aus nationalem österreichischem Recht und unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht. Im Zentrum des österreichischen Lebensmittelrechts steht das erst jüngst erlassene Lebensmittelsicherheitsund Verbraucherschutzgesetz (LMSVG)2, welches das LebensmittelG 1975 abgelöst hat3. Wie dieses regelt auch das LMSVG neben Lebensmitteln des weiteren kosmetische Mittel sowie Gebrauchsgegenstände. Es verfolgt in der Hauptsache zwei Ziele, nämlich den Schutz der Gesundheit der Verbraucher sowie den Schutz der Verbraucher vor Täuschung4. Wie bereits das LMG 1975 lässt sich auch das LMSVG in beträchtlichen Teilen als „Rahmengesetz“ charakterisieren, das die Verwaltung ermächtigt, „in seinem Rahmen“ ein detailliertes lebensmittelrechtliches Regelungsregime auf Verordnungsebene zu etablieren. In diesem Sinn ist das österreichische Lebensmittelrecht auch durch eine nur schwer überschaubare Vielzahl von 1
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Stand: 1. August 2006. Für wertvolle fachliche Unterstützung habe ich Frau Dr. Elisabeth Würthinger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre der Johannes Kepler Universität Linz, zu danken. BGBl 2006 I/13, bereits vor seiner Kundmachung erstmals novelliert durch BGBl 2005 I/151, und weiters idF BGBl 2006 II/95. Siehe zum LMG 1975 die Darstellung in der ersten Auflage dieses Handbuches mit weiteren Nachweisen der Literatur und der Rechtsprechung. So explizit § 2 Abs 1 LMSVG.
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Durchführungsverordnungen charakterisiert5, die in fortwährender Bewegung ist, sodass jeder Versuch einer detaillierten Darstellung alsbald zu einer Momentaufnahme von bloß noch historischem Interesse mutieren muss. Die wesentliche legistische Verschlechterung des geltenden Lebensmittelrechtes - verglichen mit dem LMG 1975 - liegt aber im unübersichtlichen „Zusammenspiel“ mit der zunehmenden Zahl unmittelbar anwendbarer lebensmittelrechtlicher EG-Verordnungen: Das LMSVG ist in diesem Sinne nur noch in beschränktem Maße als systematisch aufgebautes, aus sich heraus verständliches Regelungswerk zu bezeichnen; beträchtliche Teile des Gesetzes sind vielmehr eher als - für sich allein genommen völlig unverständliches - Flickwerk zur Ergänzung von Gemeinschaftsrecht zu qualifizieren, dessen Sinngehalt sich erst aus der umständlichen Zusammenschau von sperrigen österreichischen Gesetzestexten mit noch sperrigeren EG-Vorschriften erschließt. Hauptsäulen des geltenden Lebensmittelrechtes sind (nach wie vor): • die Verbote gesundheitsschädlicher Lebensmittel, Gebrauchsstoffe und kosmetischer Mittel, • das Irreführungsverbot, • das - allerdings auf die gemeinschaftsrechtliche Ebene gehobene - Hygienegebot, • die planmäßige und strenge behördliche Aufsicht über die Lebensmittelwirtschaft durch besonders geschulte Organe und • die fachkundige Untersuchung durch staatliche Untersuchungsanstalten sowie • ein effektives Lebensmittelstrafrecht.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Das materielle Lebensmittelrecht des LMSVG stützt sich in der Hauptsache auf die Kompetenztatbestände des „Gesundheitswesens“ und des „Ernährungswesens einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle“ in Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG. In diesem Sinne hat der VfGH bereits in VfSlg 3324/1958 die „Lebensmittelüberwachung“ pauschal und ohne nähere Begründung als „Zweig der Gesundheitspolizei“ bezeichnet. Mit seinem Erkenntnis vom 2. Juli 19686 hat er den Rechtssatz geprägt, daß „unter Ernährungswesen einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG) ... nicht nur Maßnahmen zur Überwachung der Nahrungsmittel vom sanitären Standpunkt, sondern auch Maßnahmen, die unmittelbar die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zum Inhalt haben“, fallen7. In seinem Erkenntnis vom 26.
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Vgl die einleitende Auflistung. VfSlg 5748/1968 = BGBl 1968/273. In dieser Entscheidung hat er übrigens auch darauf hingewiesen, daß der „volkswirtschaftlich gewiss vorhandene Zusammenhang“ zwischen Produktion und Konsumation „nicht zu der Annahme verführen [dürfe], daß die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte und die Tierhaltung deshalb, weil sie auch für die Ernährung von Bedeutung sind, unter `Ernährungswesen´ und damit in die Bundeskompetenz fallen könnten. Eine derart umfassende, die gesamte Agrarwirtschaft einschließende Bedeutung kommt dem Begriff `Ernährungswesen´ nicht zu. Ihm können vielmehr Angelegenheiten, die nur mittelbar die Ernährung betreffen, nicht unterstellt werden.“
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März 19778 hat er schließlich einen weiteren Rechtssatz aufgestellt, wonach „gesetzliche Regelungen, die verhindern sollen, daß Lebensmittel anläßlich der Beförderung mit Kraftfahrzeugen verderben, ... eine Angelegenheit des Gesundheitswesens nach Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG“ seien. Zuletzt vertrat der VfGH die Auffassung, daß die kompetenzrechtliche Basis des LMG 1975 nicht nur im Tatbestand des „Ernährungswesens einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle“ zu finden sei, sondern auch jene des „Gesundheitswesens und des Veterinärwesens in Betracht zu ziehen“ seien, weil das LMG 1975 nicht nur Lebensmittel, sondern auch Verzehrprodukte, Zusatzstoffe, kosmetische Mittel und Gebrauchsgegenstände regle9. Auf eine präzisere Abgrenzung des Kompetenztatbestandes des „Gesundheitswesens“ von jenem des „Ernährungswesens“ hat sich der VfGH angesichts des Umstandes, daß beide Kompetenztatbestände in die Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz des Bundes fallen, nicht eingelassen. Weder das „Gesundheitswesen“ noch das „Ernährungswesen“ dürfen nach Art 102 Abs 2 B-VG ohne weiters in unmittelbarer Bundesverwaltung geführt werden (vgl VfSlg 8466/1978).
C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Primärrecht Die gemeinschaftsrechtliche Garantie des freien Warenverkehrs umfasst auch den freien Verkehr mit Lebensmitteln im Binnenmarkt. Nationale Regelungen des Lebensmittelrechtes müssen sich daher insbesondere am gemeinschaftsrechtlichen Maßstab der Freiheit des Warenverkehrs messen lassen. In diesem Zusammenhang verbietet Art 28 EGV „mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung ... zwischen den Mitgliedsstaaten“. Nach der Rechtsprechung des EuGH10 erfasst dieses Verbot „jede Handelsregelung der Mitgliedsstaaten ..., die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“. Der EuGH rechnet folglich beispielsweise auch Vorschriften über die Lebensmittelzusammensetzung und über die Lebensmittelkennzeichnung sowie nationale Genehmigungsvorbehalte zu den Maßnahmen gleicher Wirkung11. Aus Art 8 9 10
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VfSlg 8035/1977 = BGBl 1977/316. VfSlg 8466/1978 = ÖJZ 1979, 501, = ÖZW 1979, 58 mAnm Laurer = JBl 1980, 252. Etwa EuGH Rs 8/74, Dassonville, Slg 1974, 837 (852); Rs 13/78, Joh. Eggers Sohn & Co, Slg 1978, 1935 (1953); Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 (2460); Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883 (3904); Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227, (1268 Rz 27); Rs 407/85, Drei Glocken GmbH, Slg 1988, 4233 (4278 Rz 9); Rs C-391/92, Apothekenvorbehalt, Slg 1995, I-1621; Rs C-383/97, Van der Laan, Slg 1999, I-731 (759 Rz 18). Konkret zählen nach der Rsp des EuGH zu Maßnahmen gleicher Wirkung im Lebensmittelverkehr etwa das Verbot, ein Schinkenerzeugnis bestimmter Zusammensetzung (EuGH Rs C-383/97, Van der Laan, Slg 1999, I-731) oder Teigwaren bestimmter Zusammensetzung in Verkehr zu bringen (EuGH Rs 407/85, Drei Glocken GmbH, Slg 1988, 4233 [4279 Rz 11]); die Vorschreibung eines Mindestfettgehaltes für Käse (EuGH Rs C-210/89, Kommission/Italien, Slg 1990, I-3697: bzw das Verbot, das Produkt andernfalls als „Käse“ in Verkehr zu bringen); ein Verkehrsverbot
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28 EGV folgt damit nach herrschender Lesart im Ergebnis, dass Waren, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, grundsätzlich auch in anderen Mitgliedsstaaten verkehrsfähig sind („Cassis de DijonPrinzip“; „Herkunftslandprinzip“). Freilich gilt zu Art 28 EGV und damit auch zum „Cassis de Dijon-Prinzip“ der Vorbehalt des Art 30 EGV. Demnach steht Art 28 EGV Einfuhrverboten oder Einfuhrbeschränkungen nicht entgegen, die ua „aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, ... oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums“ gerechtfertigt sind12. Damit können wegen Art 30 EGV - die das Lebensmittelrecht weithin begründenden - Rücksichten der öffentlichen Gesundheit nationale Einschränkungen des freien Warenverkehrs rechtfertigen13. Der EuGH anerkennt daneben aber ua auch noch die Interessen des Verbraucherschutzes, namentlich des Schutzes der Verbraucher vor Irrtum und Täuschung, als Rechtfertigungsgrund für Be-
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für Bier, dessen Säuregehalt einen bestimmten Grad überschreitet (EuGH Rs 94/82, De Kikvorsch, Slg 1983, 947 [958]), oder für Trinkbranntwein, dessen Weingeistgehalt ein bestimmtes Maß nicht erreicht (EuGH Rs 120/78, Cassis de Dijon, Slg 1979, 649); Verbote bestimmter Zusatzstoffe (EuGH Rs 53/80, Kaasfabriek Eyssen, Slg 1981, 409 [421 Rz 11]; Rs 304/84, Muller, Slg 1986, 1511 [1526 Rz 16]); die Festlegung von Bakterienhöchstwerten für Milch (EuGH Rs 97/83, Melkunie, Slg 1984, 2367 [2383f]) und von Höchstwerten für Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf Obst (EuGH Rs 94/83, Heijn, Slg 1984, 3263); Verbote von Erzeugnissen, die mit bestimmten Planzenschutzmitteln behandelt worden sind (EuGH Rs 54/85, Mirepoix, Slg 1986, 1067 [1078 Rz 12]); Genehmigungsvorbehalte für vitaminisierte Lebensmittel (EuGH Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 [2460]), für Vitaminpräparate (EuGH Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883 [3904]) und für Farbstoffe (EuGH Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897); der Vorbehalt eines bestimmten Gattungsbegriffes zugunsten der nationalen Produktion (EuGH Rs 182/84, Miro [„Genever“], Slg 1985, 3731 [3746 Rz 22]); das Verbot der Bezeichnung als Bier für solches, das dem nationalen „Reinheitsgebot“ nicht entspricht (EuGH Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227); oder andere Gebote oder Verbote bestimmter Angaben auf der Verpackung oder dem Etikett, wenn dadurch eine Änderung des Etiketts erforderlich wird, unter dem die Ware im Ausfuhrmitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht wird (EuGH Rs 27/80, Fietje, Slg 1980, 3839 [38539; Rs 94/82, De Kikvorsch, Slg 1983, 947 [959]; Rs 286/86, Deserbais, Slg 1988, 4907 [4925]). Allerdings dürfen diese Verbote oder Beschränkungen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten darstellen. Vgl nur etwa die Fälle, die folgenden Entscheidungen des EuGH zugrundelagen: EuGH Rs 53/80, Kaasfabriek Eyssen, Slg 1981, 409; Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445; Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883; Rs 97/83, Melkunie, Slg 1984, 2367; Rs 94/83, Heijn, Slg 1984, 3263; Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897; Rs 304/84, Muller, Slg 1986, 1511; Rs 54/85, Mirepoix, Slg 1986, 1067. Daher müssen Anforderungen eines Mitgliedsstaates (die dieser auch an Importwaren heranträgt), welche strenger als die anderer Mitgliedstaaten sind, nicht in jedem Fall gemeinschaftsrechtswidrig sein (vgl zB EuGH Rs 53/80, Kaasfabriek Eyssen, Slg 1981, 409 [421f Rz 13f]; Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883 [3905 Rz 38]; Rs 94/83, Heijn, Slg 1984, 3263 [3280 Rz 16]). Dazu kommt, dass bei der Gefahreneinschätzung nach Maßgabe des Standes der wissenschaftlichen Forschung gewisse Spielräume bestehen (vgl etwa EuGH Rs 97/83, Melkunie, Slg 1984, 2367 [2386 Rz 18]; Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 [3904 Rz 19f]).
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schränkungen des freien Warenverkehrs14. Der Rückgriff auf Art 30 EGV ist freilich dann nicht mehr möglich, wenn Richtlinien der Gemeinschaft die Harmonisierung jener Maßnahmen vorsehen, die zur Verwirklichung des konkreten Schutzzieles, das durch den Rückgriff auf Art 30 EGV erreicht werden soll, erforderlich sind15. Nationale Einschränkungen des freien Warenverkehrs müssen jedenfalls verhältnismäßig sein16. Wenn es also etwa um die Beurteilung von Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Menschen geht, dann darf diese nicht ebenso wirksam durch andere Maßnahmen geschützt werden können, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken17. Anstelle von absoluten Verkehrsverboten im Interesse des Schutzes der Verbraucher vor Irreführung reicht nach der Rsp des EuGH regelmäßig überhaupt das - weniger einschneidende - Gebot zu angemessener Kennzeichnung18. Nach den Umständen können wegen Art 30 EGV auch nationale Genehmigungsvorbehalte durchaus gemeinschaftsrechtskonform sein19 und zwar gerade auch in Bezug auf Waren, die in anderen Staaten bereits rechtmäßig in Verkehr gebracht20 oder dort gar in einem eigenen Verfahren zugelassen wurden21. Die Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht setzt allerdings voraus, daß die Genehmigung erteilt wird, wenn die im Sinne von Art 30 EGV beachtlichen Interessen nicht entgegenstehen22. 14
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Siehe etwa EuGH Rs 27/80, Fietje, Slg 1980, 3839 (3853f); Rs 182/84, Miro, Slg 1985, 3731 (3743 Rz 10); Rs 216/84, Kommission/Frankreich, Slg 1988, 793 (812 Rz 119); Rs 94/82, De Kikvorsch, Slg 1983, 947 (957); Rs C-383/97, Van der Laan, Slg 1999, I-731 (760). EuGH Rs C-350/97, Monses, Slg 1999, I-2921 (2944 Rz 24). Vgl davor ähnlich etwa EuGH Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 (3903 Rz 16); Rs 304/84, Muller, Slg 1986, 1511 (1526 Rz 14). Vgl etwa EuGH Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 (2463); Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883 (3905); Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 (3905 Rz 22); Rs 304/84, Muller, Slg 1986, 1511 (1528 Rz 23). So zB EuGH Rs 97/83, Melkunie, Slg 1984, 2367 (2384 Rz 12). Siehe etwa EuGH Rs 407/85, Drei Glocken GmbH, Slg 1988, 4233 (4278f Rz 16); Rs C-210/89, Kommission/Italien (Mindestfettgehalt für Käse), Slg 1990, I-3697 (3708 Rz 17); Rs C-383/97, Van der Laan, Slg 1999, I-731 (760 Rz 24). Im besonderen für Zusatzstoffe. Vgl etwa EuGH Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 (2463); Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 (3905 Rz 23); Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227 (1273 Rz 42); Rs 42/90, Bellon, Slg 1990, I-4863 (4882). Vgl aber auch jüngst EuGH Rs C-77/97, Unilever, Slg 1999, I-431 (insb Rz 34) = WBl 1999, 111ff. Siehe weiters OGH 16.6.1998, 4 Ob 126/98b. Etwa EuGH Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 (3905 Rz 23f). Vgl etwa EuGH Rs C-293/94, Brandsma, Slg 1996, I-3159 (3177 Rz 13). EuGH Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 (2463 Rz 18); Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883 (3905); Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 (3905 Rz 23); Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227 (1274 Rz 44); Rs 42/90, Bellon, Slg 1990, I 4863 (4883); vgl zu nationalen Beweislastregeln zB EuGH Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 (2464f Rz 21ff). Wirtschaftsteilnehmer müssen die „Möglichkeit haben ..., in einem leicht zugänglichen Verfahren, das innerhalb eines angemessenen Zeitraumes abgeschlossen werden kann, zu beantragen, daß die Verwendung bestimmter Zusatzstoffe durch einen Rechtsakt von allgemeiner Wirkung zugelassen wird“ (EuGH Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227 [1274 Rz 45]; Rs 42/90, Bellon, Slg 1990, I-4863 [4883 Rz 15]; vgl auch bereits EuGH Rs 304/84, Muller, Slg 1986, 1511 [1528 Rz 23]; Rs 54/85, Mirepoix, Slg 1986, 1067 [1079 Rz 17]).
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2. Sekundärrecht Das Lebensmittelsekundärrecht der Europäischen Gemeinschaft ist durch eine Fülle von Richtlinien und Verordnungen gekennzeichnet23. Der Gemeinschaftsrechtsgesetzgeber tendiert in letzter Zeit dazu, anstelle umsetzungsbedürftigen Richtlinienrechts verstärkt das Regelungsinstrument der unmittelbar anwendbaren Verordnungen einzusetzen. Es waren auch mehrere, seit dem Jahr 2002 erlassene EG-Verordnungen, welche (neben der Rechtsprechung des EuGH) den österreichischen Gesetzgeber zur Neuerlassung des Lebensmittelgesetzes gedrängt haben, nämlich vor allem die so genannte „Basisverordnung“ (EGVerordnung 2002/178) und die EG-Lebensmittelhygieneverordnungen 2004/852, 2004/853 und 2004/854. Die EG-Lebensmittel-„Basisverordnung“ verlangt eine Neuausrichtung des EG-Lebensmittelrechtes am „horizontalen Gesamtrahmen“ der Art 5 bis 10 leg cit, die insbesondere die „Risikoanalyse“, das „Vorsorgeprinzip“, den Schutz der Verbraucherinteressen und den Grundsatz der Transparenz betonen. In der Folge wendet sich die „Basisverordnung“ mit einigen grundlegenden Anforderungen an die Lebensmittelunternehmer (Gebot der Lebensmittelsicherheit, Eigenkontrolle, Rückverfolgbarkeit) und regelt im (quantitativen) Hauptteil die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit24. Schließlich sieht die Basisverordnung ein gemeinschaftsweites, vernetztes Schnellwarnsystem vor25, ermächtigt die Kommission zur (subsidiären) Verfügung lebensmittelpolizeilicher Maßnahmen26 und fordert die präventive Erstellung eines allgemeinen Planes für das Krisenmanagement ein27. Die EG-Lebensmittelhygieneverordnungen 2004/852 (allgemein) und 2004/853 (Lebensmittel tierischen Ursprungs) sowie 2004/854 (amtliche Überwachung) widmen sich in beachtlicher Detailliertheit den Anforderungen der Hygiene an die Lebensmittelproduktion.
II. Der Geltungsbereich des LMSVG Das LMSVG regelt die Anforderungen an Lebensmittel, an Wasser für den menschlichen Gebrauch, an Gebrauchsgegenstände und an kosmetische Mittel. Es gilt für alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen, also insbesondere für die Landwirtschaft, die Lebensmittelindustrie, den Groß- und den
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Weiters muß es „den Wirtschaftsteilnehmern möglich sein ..., gegen die rechtswidrige Versagung einer Zulassung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens vorzugehen. ... [Es ist] von der zuständigen nationalen Stelle darzutun, daß das Verbot aus Gründen des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung dieses Mitgliedstaates gerechtfertigt ist; dabei können sie jedoch von den Wirtschaftsteilnehmern die Vorlage der in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen verlangen, die für die Beurteilung des Sachverhalts von Nutzen sein könnten“ (EuGH Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227 [1274 Rz 46]; Rs 42/90, Bellon, Slg 1990, I-4863 [4883 Rz 16]). Siehe die Auflistung im Vorspann oben sowie die Textauswahl Schröder/Kraus, Europäisches und österreichisches Lebensmittelrecht (zum Stand 20.01.2006). Siehe zu dieser näher unten IX.A. Art 50 der Verordnung. Art 53 der Verordnung („Notfälle“). Art 55 der Verordnung.
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Einzelhandel. Ausgenommen ist die Primärproduktion für den privaten häuslichen Gebrauch oder für die häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln, Gebrauchsgegenständen und kosmetischen Mitteln zum häuslichen privaten Verbrauch28.
III. Die lebensmittelrechtliche Ordnung A. Der Lebensmittelbegriff Lebensmittel sind „alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie … von Menschen aufgenommen werden“29. Gleichgültig ist, ob diese Stoffe oder Erzeugnisse in unverarbeitetem oder erst im verarbeiteten oder zumindest teilweise verarbeiteten Zustand von Menschen aufgenommen werden. Zu Lebensmitteln zählen auch Getränke, Kaugummi, Wasser30 sowie alle Stoffe, die den Lebensmitteln bei der Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden. Auf die physiologische Erforderlichkeit eines Stoffs für die menschliche Ernährung kommt es nicht an31. Keine Lebensmittel sind indessen nach Art 2 EG-VO 2002/178: Futtermittel; lebende Tiere, soweit sie nicht für das Inverkehrbringen zum menschlichen Verzehr hergerichtet worden sind; Pflanzen vor dem Ernten; Arzneimittel; kosmetische Mittel; Tabak und Tabakerzeugnisse; Betäubungsmittel und psychotrope Stoffe; Rückstände und Kontaminanten.
B. Allgemeine Verbote im Lebensmittelverkehr 1. Das Verbot gesundheitsschädlicher oder ungeeigneter Lebensmittel § 5 Abs 1 Z 1 LMSVG verbietet das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die gesundheitsschädlich32 oder für den menschlichen Verzehr ungeeignet33 sind. Wer gesundheitsschädliche Lebensmittel vorsätzlich oder fahrlässig in Verkehr bringt, macht sich nach § 81 Abs 1 bzw nach § 82 Abs 1 LMSVG gerichtlich strafbar.
2. Das Verbot minderwertiger Lebensmittel § 5 Abs 1 Z 2 LMSVG verbietet das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die verfälscht oder wertgemindert sind34, ohne dass dieser Umstand „deutlich und 28 29 30 31 32 33 34
§ 1 Abs 2 LMSVG, also etwa das Ziehen von Gemüse und das Halten von Kaninchen für den Eigenverbrauch. § 3 Z 1 LMSVG iVm Art 2 1. Absatz EG-VO 2002/178. Ab der Stelle der Einhaltung im Sinne des Art 6 RL 98/83/EG. VwSlg 10.329 A/1980, 11.142 A/1983. Lebensmittel sind gesundheitsschädlich, „wenn sie geeignet sind, die Gesundheit zu gefährden oder zu schädigen“ (§ 5 Abs 5 Z 1 LMSVG). Lebensmittel sind für den menschlichen Verzehr ungeeignet, „wenn die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gewährleistet ist“ (§ 5 Abs 5 Z 2 LMSVG). Die gesonderten Verbotstatbestände des § 7 Abs 1 LMG 1975 betreffend Verdorbenheit, Unreife und Nachmachung sind entfallen.
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allgemein verständlich kenntlich gemacht ist“. Die Übertretung des § 5 Abs 1 Z 2 LMSVG ist nach verwaltungsbehördlich (§ 90 Abs 1 Z 2 LMSVG) strafbar. Lebensmittel sind nach § 5 Abs 5 Z 3 LMSVG verfälscht, wenn ihnen wertbestimmende Bestandteile, deren Gehalt vorausgesetzt wird, nicht oder nicht ausreichend hinzugefügt oder ganz oder teilweise entzogen wurden, oder sie durch Zusatz oder Nichtentzug wertvermindernder Stoffe verschlechtert wurden, oder ihnen durch Zusätze oder Manipulationen der Anschein einer besseren Beschaffenheit verliehen oder ihre Minderwertigkeit überdeckt wurde, oder wenn sie nach einer unzulässigen Verfahrensart hergestellt wurden. Als Maßstab dient eine vorausgesetzte (gesollte) Beschaffenheit von Lebensmitteln; die insoweit maßgebende „Beschaffenheitsnorm“ ergibt sich entweder aus einschlägigen Rechtsvorschriften, etwa Durchführungsverordnungen zu § 6 LMSVG, oder hilfsweise aus der „Verbrauchererwartung“35. Dabei gilt das Österreichische Lebensmittelbuch (§ 76 LMSVG) als wichtiges Instrument zur Feststellung der Verbrauchererwartungen, nämlich als - wenn auch widerlegbares - diesbezügliches Sachverständigengutachten36. Zu weit ginge nach der Rechtsprechung des OGH37 allerdings, wenn die Strafgerichte „ganz unkritisch [Feststellungen des Lebensmittelbuches] übernehmen, nach denen die Verbrauchererwartung in Ansehung der Zusammensetzung bestimmter Lebensmittel … auf Zehntelprozente zugespitzt sein soll“. Für Lebensmittel, die aus dem EWR-Raum importiert werden, erwartet der Verbraucher bloß Übereinstimmung mit der Rechtsordnung des Herkunftslandes. Jedenfalls liegt eine Verfälschung nur vor, wenn eine Verschlechterung der Ware gegenüber der Verbrauchererwartung im Wege eines regelwidrigen Eingriffes durch ein der Definition des § 5 Z 3 LMSVG entsprechendes Verhalten vorgenommen wurde38. Lebensmittel, die nur wegen von Menschen nicht beeinflussbaren (ubiquitären) Umweltbedingungen mit Schadstoffen belastet sind und deswegen von der Verbrauchererwartung abweichen und trotzdem als „Bio-Produkte“ deklariert werden, sind daher nach OGH EvBl 1986/83 nicht verfälscht. Lebensmittel sind nach § 5 Abs 5 Z 4 LMSVG wertgemindert, wenn sie nach der Herstellung, ohne dass eine weitere Behandlung erfolgt ist, eine erhebliche Minderung an wertbestimmenden Bestandteilen oder ihrer spezifischen wertbestimmenden Wirkung oder Eigenschaft erfahren haben, soweit sie nicht für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind. Die Beurteilung als wertgemindert muss sich daher auf ein bestimmtes wertbestimmendes Merkmal (Bestandteil, Wirkung, Eigenschaft) beziehen und jenen Grenzwert bestimmen, bei dessen Überschreitung eine Wertminderung iSv § 5 Abs 5 Z 4 leg cit („erhebliche“ Minderung) vorliegt39. Beispiele wertgeminderter Lebensmittel sind etwa „Orangensaft dessen Vitamin-C-Gehalt nachgelassen hat, Tiefkühlwaren, die aufgetaut wurden und wieder eingefroren werden, Gewürze oder Genussmittel wie zB Tee oder Kaffee welche einen erheblichen Aromaverlust erlitten haben“40. Eine Wert35 36
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Vgl in diesem Sinn etwa OGH SSt 52/33 = EvBl 1981/214; EvBl 1984/164. So etwa OGH SSt 52/33 = EVBl 1981/214. Unter Einbeziehung von OGH 14.5.1985 ÖBl 1985, 156 ff („verweisende Verbraucherwartung“), schließt sich der Kreis: Der Verbraucher erwartet nach dieser Entscheidung nämlich dann, wenn er selbst keine konkreten Vorstellungen von der Ware hat, ein dem Lebensmittelbuch entsprechendes Produkt. SSt 52/33 = EvBl 1981/214. OGH EvBl 1986/83; ÖBl 1990, 200 ff. Vgl dazu VwGH 22.03.1993, 92/10/0096 = WBl 1993, 268, mit eingehenden Darlegungen zur Wertminderung von Milchprodukten durch Hefe. So AB 1433 BlgNR 13.GP 3 (zur entsprechenden Bestimmung des LMG 1975); und: „Unvermeidliche Wertminderungen, die nach der Verkehrsauffassung hinge-
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minderung kann daher auch in mangelnder Frische von Milchprodukten liegen41. Die Verwendung eines verschmutzten Pfefferstreuers führt hingegen nicht zwangsläufig zu einer Wertminderung42. Verfälschte oder wertgeminderte Lebensmittel dürfen gemäß § 5 Abs 1 Z 2 LMSVG dennoch in Verkehr gebracht werden, wenn dieser Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist. Nach VwSlg 14.299 A/199543 ist eine Wertminderung von Milchprodukten in der Form „mangelnder Frische“ bereits durch die Angabe des (überschrittenen) Ablaufdatums deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht, sodass es keiner zusätzlichen ausdrücklichen Hinweise bedarf44.
3. Das Verbot verordnungswidriger Lebensmittel § 5 Abs 1 Z 3 LMSVG verbietet, Lebensmittel in Verkehr zu bringen, die Durchführungsverordnungen nach § 4 Abs 3, § 6 oder § 57 Abs 1 leg cit widersprechen. § 4 Abs 3 LMSVG ermächtigt den BMGF, mit Verordnung nähere Vorschriften zur Durchführung der in der Anlage genannten unmittelbar anwendbaren EG-Rechtsakte zu erlassen. Nach § 6 leg cit hat den BMGF mit Verordnung Vorschriften für Lebensmittel, insbesondere betreffend die Beschaffenheit, das Gewinnen, das Herstellen, Verarbeiten, Behandeln, die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen, die Kennzeichnung und die Verwendung von Angaben (Abs 1) sowie für das Bereitstellen von Wasser für den menschlichen Gebrauch und die Anforderungen von Wasser für den menschlichen Gebrauch zu erlassen45. § 57 Abs 1 leg cit gewährt eine Verordnungsermächtigung betreffend die Durchführung von Rückstandskontrollen. Auf Grundlage dieser Ermächtigungen stehen zahlreiche Verordnungen, die noch zum LMG 1975 ergangen sind, in Geltung46.
4. Das Verbot irreführender Angaben § 5 Abs 2 LMSVG verbietet, Lebensmittel mit zur Irreführung geeigneten Angaben in Verkehr zu bringen oder zu bewerben. Der Verstoß gegen dieses Verbot macht nach § 90 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1 leg cit verwaltungsbehördlich strafbar. Zur Irreführung geeignete Angaben sind insbesondere • zur Täuschung geeignete Angaben47 über die Eigenschaft des Lebensmittels, wie Art, Identität, Beschaffenheit48, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit49, Ursprung oder Herkunft und Herstellungs- oder Gewinnungsart;
41 42 43 44 45
46 47
nommen werden, sind nicht darunter zu verstehen. Von einer Semmel, die am Nachmittag verkauft wird, erwartet niemand, dass sie wie frisch gebacken ist, ebenso wenig kann jemand erwarten, dass Sauerkraut im Frühjahr den gleichen Frischezustand hat, den es im Herbst hatte.“ Vgl hierzu VwSlg 14.299 A/1995 = ÖBl 1996, 214. Vgl näher VwGH 9.11.1992, 92/10/0045. ÖBl 1996, 214. Vgl aber auch § 9 Abs 2 LMKV 1993 (BGBl 1993/72, zuletzt idF BGBl II 2005/408). Siehe die Verordnungen über Wasser: Oberflächen-Trinkwasserverordnung (BGBl 1995/359), Mineralwasser- und Quellwasserverordnung (BGBl II 1999/309 idF BGBl II 2004/500); Trinkwasserverordnung (BGBl II 2001/304 idF 2006 II/254). Siehe die einleitenden Rechtsquellennachweise. Vgl aus der Rechtsprechung ua VwSlg 10.034 A/1980 („Frankfurter“ mit zu geringer Länge), VwGH 9. 11. 1992, 91/10/0105 = WBl 1993, 168 (Bezeichnung von Schweinskarree ohne Knochen als „Filet-Ersatz“), OGH, ÖBl 1991, 232 ff („Him-
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Hauer Angaben von Wirkungen oder Eigenschaften die das Lebensmittel nicht besitzt; Angaben, durch die zu verstehen gegeben wird, dass das Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Eigenschaften besitzen.
Allein eine Unterlassung von Angaben begründet noch keinen Verstoß gegen § 5 Abs 2 LMSVG50. Die abstrakte Eignung von Angaben zur Irreführung reicht aus, weshalb es nicht auf eine konkrete Irreführung bestimmter Personen51 ankommt. „Zur Irreführung geeignet“ bedeutet, dass ein nicht unerheblicher Teil der Betroffenen durch bestimmte Angaben etc. irregeführt werden kann52. Die Angaben etc müssen sich auf Umstände beziehen, die nach der Verkehrsauffassung, insbesondere nach der Verbrauchererwartung wesentlich sind53. Das österreichische Lebensmittelbuch ist ein wichtiger Anhaltpunkt zur Feststellung jener Umstände, die nach der Verkehrsaufassung und im Besondern nach der Verbrauchererwartung wesentlich sind.
5. Verbotene krankheitsbezogene Angaben § 5 Abs 3 LMSVG verbietet es, beim Inverkehrbringen oder in der Werbung einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuzuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen zu lassen54. Das Verbot bezieht sich nicht auf wahrheitsgemäße Angaben über den diätetischen Zweck diätetischer Lebensmittel. Zuwiderhandlungen gegen § 5 Abs 3 LMSVG sind gemäß § 90 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1 verwaltungsbehördlich strafbar.
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beeressig“); ÖBl 1985, 156 ff (Bezeichnung eines Tafelquellwassers als Mineralwasser); EvBl 1987/183 = JBl 1987, 395 f (ungarischer oder steirischer Honig); ÖBl 1990, 200 ff („Rindsschnitzelfleisch im Ganzen“). Vgl zur Bezeichnung eines als „Gewürzsalz“ einzustufenden Produktes zugleich weiters als „Gewürzmischung“ und „Gewürzzubereitung“ VwGH 17. 2. 1992, 90/10/0169 = WBl 1992, 271. Unzutreffende Angaben über die empfohlene Aufbrauchsfrist im Sinne des Lebensmittelkennzeichnungsrechtes sind zur Irreführung der Konsumenten geeignet und erfüllen den Tatbestand der verbotenen Falschbezeichnung (vgl etwa VwGH 26. 11. 1990, 90/10/0127 ua; 3. 6. 1996, 96/10/0028; 29. 6. 1998, 94/10/0132). Ob dies zutrifft, hängt davon ab, ob die seinerzeit deklarierte Haltbarkeitsfrist in Verbindung mit den angegebenen Lagerbedingungen für die betreffende Ware objektiv und generell betrachtet unrichtig (also zu lang bemessen) war (VwGH 29. 6. 1998, 94/10/0132); vgl zum gebotenen Sorgfaltsmaßstab VwGH 12. 6. 1989, 88/10/0169 = WBl 1990, 20f. Vgl zur nachträglichen Verlängerung der empfohlenen Aufbrauchfrist durch „Neuetikettierung“ VwGH 14. 5. 1990, 89/10/0162 = WBl 1991, 132 f, und § 10 Abs 1 LMKV 1993. Vgl VwSlg 11.428 A/1984. VwGH 27.11.1995, 95/10/0139 VwGH 9. 11. 1992, 91/10/0105 = WBl 1993, 168. Bloße Angaben gegenüber einem Lebensmittelaufsichtsorgan sind nach dem Erkenntnis des VwGH vom 27. 11. 1995, 95/10/0139, nicht tatbildlich. Vgl VwSlg 10.868 A/1982 = ÖGZ 1983, 371 zur Charakterisierung „biologisch gewonnen“. Während § 9 LMG 1975 noch explizit unter der Überschrift „Verbote gesundheitsbezogener Angaben“ stand, spricht das LMSVG nunmehr vom Verbot „krankheitsbezogener Aufmachung“ (vgl § 90 Abs 1 Z 1 leg cit).
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Das LMSVG hat sich mit § 5 Abs 3 vom alten, gemeinschaftsrechtlich kritisierten System des Genehmigungsvorbehaltes für gesundheitsbezogene Angaben55 getrennt und überdies den Katalog verbotener Verhaltensweisen gestrafft. Zur Vorgängerbestimmung, die große praktische Bedeutung hatte, lag zahlreiche Rechtsprechung vor56. Die Judikatur hat die Vorläuferregelung des § 9 LMG vorwiegend im Dienste des Schutzes der Verbraucher vor Täuschung gesehen, „weil durch die gesundheitsbezogene Anpreisung und gesundheitsbezogene Werbung eine Irreführung des Konsumenten im breiten Ausmaß erfolgen kann. Durch besondere, einseitige Hervorhebung der jedem Lebensmittel innewohnenden physiologischen Wirkung (normales Stoffwechselgeschehen) auf den Organismus ist es möglich, beim Laien völlig falsche Vorstellungen über den wahren Wert und die Bedeutung eines bestimmten Lebensmittels zu erwecken (zB ‚Glukose zum Brennstoffbedarf ihrer Zellen notwendig’)“57. Für die Beurteilung, ob eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne des § 9 Abs 1 LMG 1975 vorlag, war nach ständiger Rechtsprechung die „Verkehrsauffassung“ maßgeblich58. Es kommt demnach „auf den Eindruck an, der sich beim flüchtigen Lesen für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Interessenten ergibt, wobei auch auf den Gesamteindruck der Mitteilung Bedacht zu nehmen ist“59. Die Beurteilung der Frage ob eine gesundheitsbezogene Angabe vorlag und wie eine Ankündigung auf Verbraucherkreise wirke, wurde regelmäßig als Rechtsfrage qualifiziert60, weshalb keine Beweisaufnahmen erforderlich waren61. Die Rechtsprechung62 zählte zu den gesundheitsbezogenen Angaben im Sinn von § 9 Abs 1 LMG „auch Generalisierungen, die zwar von kritischen Menschen nicht ernst genommen werden mögen, von denen aber nicht auszuschließen ist, dass sie bei der Masse der Konsumenten den beabsichtigten Eindruck erzielen“. In diesem Sinn waren auch Bezeichnungen, die die Worte „gesund“ oder „Gesundheit“ ohne weiteren Hinweis auf konkrete physiologische Wirkungen enthielten, wie beispielsweise „Gesundheitsfrucht“ oder „für gesunde Haut“, als gesundheitsbezogene Angaben zu werten63. Für das Verbot 55 56 57 58 59 60 61 62 63
Vgl § 9 LMG 1975 und dazu A. Hauer, Lebensmittelrecht1 160 ff. Vgl die Nachweise bei A. Hauer, Lebensmittelrecht1 160 ff. Vgl etwa VwGH 30.9.1992, 92/10/0095 = WBl 1993, 267; 26.6.1995, 81/10/0165; OGH SZ 55/15 = ÖBl 1982, 39 ff. Vgl nur etwa OGH ÖBl 1990, 23 f; VwSlg 10.502 A/1981, 13.925 A/1993, 14.306 A/1995. Vgl in diesem Sinn nur etwa VwSlg 12.475 A/1987, 14.122 A/1994, 14.306 A/1995. Vgl VwSlg 13.925 A/1993, OGH ÖBl 1992 114 ff. „Verbraucherbefragungen“ wurden deshalb grundsätzlich nicht als erforderlich erachtet (VwGH 22.3.1999, 98/10/0420). Etwa VwSlg 12.776 A/1988, 13.925 A/1993. Vgl zB VwSlg 13.925 A/1993; VwGH 22.3.1999, 98/10/0326. Im einzelnen sei exemplarisch auf folgende Entscheidungen zu § 9 Abs 1 LMG 1975 hingewiesen: „Gesundheitstrank“ (VwGH 22. 3. 1999, 98/10/0326), „Das gesunde Plus“ (VwGH 22. 3. 1999, 98/10/0420),“mit zwei bis drei Blütenpollen-Kapseln unterstützen Sie Ihre tägliche Zufuhr an Mineralstoffen und Spurenelementen“ (VwGH 23. 10. 1995, 94/10/0053),“bei erhöhter Belastung“ und „... in besonderen Belastungssituationen“ (VwSlg 14.306A/1995), die Phantasiebezeichungen „Quickvital Cholestobran“ und „Cholestoform“ (VwGH 23. 1. 1995, 91/10/0215 = WBl 1996, 43f), „... senken das Hungergefühl, wirken stimulierend auf den Kreislauf, mild entwässernd und aktivie-
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gesundheitsbezogener Angaben wurde als gleichgültig erachtet, ob die Angabe wahr oder unwahr war64.
C. Diätetische Lebensmittel Diätetische Lebensmittel sind nach § 3 Z 3 LMSVG Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung65 bestimmt sind und die sich auf Grund ihrer besonderen Zusammensetzung oder des besonderen Verfahrens ihrer Herstellung deutliche von den Lebensmitteln des allgemeinen Verkehrs unterscheiden, die sich für den angegebenen Ernährungszweck eigenen und mit dem Hinweis darauf in Verkehr gebracht werden, dass sie für diese Zwecke geeignet sind. Zu denken ist etwa an Diabetikernahrung oder Säuglingsnahrung. Das LMSVG hat das Inverkehrbringen diätetischer Lebensmittel vergleichsweise liberalisiert. Die ehemalige Meldepflicht samt anschließender behördlicher Untersagungsbefugnis nach § 17 LMG 1975 wurde nicht ins neue Lebensmittelrecht übernommen. § 8 LMSVG trifft eine differenzierende Regelung: • Diätetische Lebensmittel, die von Anhang I der Richtlinie 89/398/EWG erfasst sind, dürfen ohne weiteres in Verkehr gesetzt werden66. • Andere diätetische Lebensmittel67 müssen vor dem Inverkehrbringen dem BMGF68 gemeldet werden69. Verstöße gegen diese Ordnungsvorschrift
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ren den Abbau von überschüssigen Kohlehydraten und Zuckerwerten“, „aktivierend auf die Nierenfunktionen“, „erhöht den täglichen Energie-Grundumsatz (Stoffwechselaktivierung)“, „aktivieren den zellulären Fett- und Zuckerabbau“( VwGH 26. 4. 1999, 99/10/0008), Hinweise auf eine Stärkung der Blasenfunktion, eine positive Beeinflußung von Beschwerden beim Harnlassen und auf die Funktion als Ballastund Quellstoff bei ernährungsbedingter Stuhlverstopfung (VwGH 22. 3. 1999, 98/10/0250), „Die gesunde Alternative“ (VwSlg 13.925A/1993), „Für gesunde Haut“ (VwGH 30. 9. 1992, 92/10/0095 = WBl 1993, 267), die Angabe „nur ca. 105 kcal/100 g -- ich mache fit und nicht dick“ (VwGH 9. 7.1992, 91/10/0239), „Das Olivenöl von Kilis -- Freund ihrer Gesundheit“ (VwGH 17. 2. 1992, 91/10/0012 = WBl 1992, 271), „+ Vitamin C - Kalorien = Gesundheitsfrucht“ (VwGH 31. 1. 1992, 90/10/0216 = WBl 1992, 271), die Angabe „die Einnahme sollte mindestens drei Monate lang erfolgen“ im Zusammenhang mit der unmittelbar davor stehenden täglichen Einnahmeempfehlung (VwSlg 12.475A/1987). Etwa OGH SZ 55/15 = ÖBl 1982, 39 ff, VwSlg 12.266 A/1986, 12.475 A/1987, 13.925 A/1993. Eine besondere Ernährung muss den besonderen Ernährungserfordernissen folgender Verbrauchergruppen entsprechen: bestimmte Gruppen von Personen, deren Verdauungs-, Resorptionsprozess oder Stoffwechsel gestört ist (etwa Diabetiker: VwSlg 9879 A/1979) oder bestimmte Gruppen von Personen, die sich in besonderen physiologischen Umständen befinden und deshalb einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter in der Nahrung enthaltener Stoffe ziehen können oder gesunde Säuglinge oder Kleinkinder. § 8 Abs 1 LMSVG im Umkehrschluss. Die RV (797 BlgNR 22.GP 11) weist hin auf „diätetische Lebensmittel zur Frühgeborenen-Nahrung oder zur Muttermilchanreicherung für Frühgeborene; weiters glutenfreie diätetische Lebensmittel bei Zöliakie oder diätetische Lebensmittel zur Ernährung bei Phenylketonurie, sofern es sich nicht um diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke handelt.“ Eine Verordnung nach § 8 Abs 3 LMSVG wurde bislang nicht erlassen. § 8 Abs 1 LMSVG.
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sind nach § 90 Abs 5 LMSVG verwaltungsbehördlich strafbar. Eine behördliche Untersagungsermächtigung ist damit nicht mehr verknüpft. Wahrheitsgemäße Angaben über den diätetischen Zweck sind nicht vom allgemeinen Verbot krankheitsbezogener Angaben erfasst70.
D. Behandlung mit ionisierenden Strahlen Lebensmittel dürfen nur mit behördlicher Zulassung mit ionisierenden Strahlen behandelt werden; solchermaßen behandelte Lebensmittel dürfen nur mit behördlicher Zulassung in Verkehr gebracht oder verbracht werden71. Die BMGF hat die Strahlenbehandlung nach Maßgabe von § 9 Abs 2 LMSVG mit Verordnung zuzulassen72. Derzeit lässt die Verordnung BGBl II 2000/327 die Strahlenbehandlung nur für „getrocknete aromatische Kräuter und Gewürze“ zu.
E. Hygiene im Lebensmittelbereich 1. Allgemeines Das LMSVG konnte das allgemeine Hygienegebot des § 20 LMG 1975, das große praktische Bedeutung hatte73, nicht übernehmen. Allgemeine Hygienevorschriften enthalten nunmehr unmittelbar anwendbare EG-Verordnungen, nämlich • die Verordnung (EG) 2004/852 über Lebensmittelhygiene und - diese ergänzend • die Verordnung (EG) 2004/853 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs. Zuwiderhandlungen gegen die materiellen Hygienevorschriften dieser EG-Verordnungen sind nach § 90 Abs 3 Z 1 LMSVG verwaltungsbehördlich strafbar. Die auf Grundlage der Art 7 f der EG-Lebensmittelhygieneverordnung ausgearbeiteten Leitlinien für eine gute Hygienepraxis sind als ministerielle Erlässe unter www.bmgf.gv.at veröffentlicht und stellen nicht unmittelbar verbindliche Fachgutachten des ständigen Hygieneausschusses74 dar.
Die Verordnungsermächtigungen der §§ 11 bis 14 LMSVG dienen der Ergänzung des Gemeinschaftsrechts: • Die Verordnungen (EG) 2004/852 und 2004/853 gelten nicht für die direkte Abgabe kleiner Mengen bestimmter Erzeugnisse durch den Erzeuger an den Endverbraucher oder an örtliche Einzelhandelsunternehmen, welche die Erzeugnisse direkt an die Endverbraucher abgeben („Direktvermarktung“). § 11 LMSVG ermächtigt den BMGF zur Erlassung diesbezüglicher Hygienevorschriften im Verordnungswege. Die hierzu ergangene Lebensmittel-Direktvermarktungsverordnung enthält Hygienevorschriften für 70 71 72
73 74
§ 5 Abs 3 LMSVG. § 9 Abs 1 LMSVG. Sowohl die Option der Zulassung „für bestimmte Lebensmittel“ durch Bescheid (§ 14 Abs 2 LMG 1975) als auch die unmittelbare Pflicht zur Kennzeichnung bestrahlter Lebensmittel (§ 14 Abs 1 LMG 1975) gehören nicht mehr dem Rechtsbestand an. Vgl die Rechtsprechungsnachweise bei A. Hauer, Lebensmittelrecht 174 f. § 78 LMSVG.
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wildlebende Fische, wildwachsende Pflanzen, Rohmilch, Rohrahm, Eier, erlegtes Wild sowie Geflügel und Kaninchenfleisch, das im Wege der Direktvermarktung abgegeben wird. Die EG-VO 2004/853 gilt, abgesehen von bestimmten Ausnahmen, nicht für den Einzelhandel75. Spezifische Hygieneanforderungen an Lebensmittel tierischen Ursprungs für Einzelhandelsunternehmen im Sinn von § 12 LMSVG enthält die Lebensmittel-Einzelhandelsverordnung76; die Verordnung bezieht sich auf Fleisch, Milch, Eier und Fisch. Die Lebensmittelhygiene-Anpassungsverordnung77 enthält Anpassungen bestimmter Lebensmittelhygienevorschriften der EG-Verordnung 2004/853 im Hinblick auf die weitere Anwendung traditioneller Methoden und strukturelle Anforderungen an die Betriebe78. Die auf § 14 Z 1 LMSVG gestützte Rohmilchverordnung regelt das Inverkehrbringen von Rohmilch und Rohrahm, die für den unmittelbaren menschlichen Verzehr bestimmt sind, sowie damit in Zusammenhang stehende Behandlungs- und Kennzeichnungsvorschriften.
2. Eintragung und Zulassung von Betrieben Art 6 der EG-Lebensmittelhygieneverordnung 2004/852 verpflichtet die Lebensmittelunternehmer, ihre Betriebe zu melden; damit sollen die amtlichen Hygienekontrollen erleichtert werden. Diese Meldung hat beim Landeshauptmann zu erfolgen79. Nach Art 4 der EG-Lebensmittelhygieneverordnung 2004/853, betreffend Lebensmittel tierischen Ursprungs, dürfen die dort genannten Betriebe ihre Tätigkeit erst nach Zulassung durch die zuständige staatliche Behörde, das ist in Österreich der Landeshauptmann80, aufnehmen81. Die Zulassung erfolgt nach den Regeln der Eintragungs- und Zulassungsverordnung82; demnach müssen für die bescheidmäßige Zulassung lediglich formale Antragskriterien erfüllt werden; die Zulassung ist allerdings zu entziehen, wenn einem lebensmittelpolizeilichen Auftrag nach § 39 LMSVG nicht Folge geleistet wird und die Entziehung zur Abwehr von gesundheitlichen Folgen für die Verbraucher oder zu deren Schutz vor nicht sicheren Waren erforderlich ist83. Das BMGF muss die Liste der zugelassenen Betriebe und die ihnen zugeordneten Kontrollnummern in geeigneter Weise veröffentlichen84.
75 76 77 78
79 80 81 82 83 84
RV 797 BlgNR 22.GP 12. BGBl 2006 II/92. BGBl 2006 II/91. Betreffend Stallungen, Anlagen für das Reinigen, Waschen und Desinfizieren von Transportmitteln für Tiere, Zerlegungsräume, Desinfektion, Lagerung von vorläufig beanstandetem Fleisch und Temperaturanforderungen für Faschiertes. § 10 Abs 1 LMSVG. § 10 Abs 1 LMSVG. § 10 Abs 2 LMSVG enthält diesbezügliche Ausnahmen, mit Verordnung können weitere Betriebe in die Zulassungspflicht einbezogen werden. BGBl 2006 II/93. § 8 Eintragungs- und Zulassungsverordnung. § 10 Abs 6 LMSVG; siehe www.bmgf.gv.at.
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F. Die lebensmittelrechtliche Verantwortung des Lebensmittelunternehmers Die Lebensmittelunternehmer sind nicht nur zur Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften, sondern auch zur Eigenkontrolle verpflichtet85. Gegebenenfalls müssen sie - und zwar bereits aus eigener Veranlassung - gesundheitsschädliche oder für den Verzehr ungeeignete Lebensmittel vom Markt nehmen, die Verbraucher unterrichten und bereits gelieferte Produkte zurückrufen sowie die Behörden informieren86. Die Herkunft von Lebensmitteln muss rückverfolgt werden können, wozu die Lebensmittelunternehmer entsprechende Systeme und Verfahren einrichten müssen (Rückverfolgbarkeit)87.
IV. Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel A. Gebrauchsgegenstände „Gebrauchsgegenstände“ sind88 • Materialien und Gegenstände, „die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln unmittelbar oder mittelbar in Berührung zu kommen“89;90 • Materialien und Gegenstände, die bestimmungsgemäß oder vorhersehbar in Kontakt mit kosmetischen Mitteln kommen zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck als Umschließungen für die Verwendung von kosmetischen Mitteln zu dienen; • Gegenstände, die dazu bestimmt sind, ausschließlich oder überwiegend in Kontakt mit dem Mund oder der Mundschleimhaut von Kinder zu kommen; • Gegenstände, die bestimmungsgemäß äußerlich mit dem menschlichem Körper oder den Schleimhäuten in Berührung kommen zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck der Körperhygiene, sofern sie nicht kosmetische Mittel oder Medizinprodukte sind; • Spielzeug für Kinder bis zum vollendetem 14. Lebensjahr. 85 86 87 88 89
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Art 17 Abs 1 EG-VO 2002/178 und § 21 LMSVG. Näher Art 19 EG-VO 2002/178. Näher Art 18 EG-VO 2002/178 sowie § 22 LMSVG. § 3 Z 7 LMSVG iVm Art 1 Abs 1 EG-VO 2004/1935. Art 1 Abs 1 EG-VO 2004/1935. Nach der Präzisierung des Art 1 Abs 2 leg cit gilt diese Verordnung „für Materialien und Gegenstände, einschließlich aktiver und intelligenter Lebensmittelkontakt-Materialien und -Gegenstände …, die als Fertigerzeugnis dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen oder bereits mit Lebensmitteln in Berührung sind und dazu bestimmt sind, oder vernünftigerweise vorhersehen lassen, dass sie bei normaler oder vorhersehbarer Verwendung mit Lebensmitteln in Berührung kommen oder ihre Bestandteile an Lebensmittel abgeben.“ Nach Art 1 Abs 3 leg cit gilt diese Verordnung nicht für: Antiquitäten, Überzugs- und Beschichtungsmaterialien, wie Materialien zum Überziehen von Käserinden, Fleisch- und Wurstwaren oder Obst, die mit dem Lebensmittel ein Ganzes bilden und mit diesem verzehrt werden können, und ortsfeste, öffentliche oder private Wasserversorgungsanlagen. Der VwGH hat beispielsweise auch eine in einem Fleischereibetrieb verwendete Faschiermaschine dazu gezählt (VwSlg 14.930 A/1998).
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Gebrauchsgegenstände dürfen nach § 16 Abs 1 LMSVG bei Strafdrohung91 nicht in Verkehr gebracht werden, wenn sie • gesundheitsschädlich92 oder • für den bestimmungsgemäßen Gebrauch ungeeignet sind oder • bei bestimmungsgemäßem Gebrauch geeignet sind, Lebensmittel oder kosmetische Mittel nachteilig zu beeinflussen oder • Durchführungsverordnungen widersprechen. Auf der Verordnungsermächtigung des § 19 LMSVG93 beruhen zahlreiche, noch auf Grundlage des LMG 1975 ergangene Durchführungsverordnungen94. Auf Grundlage von § 18 Z 3 LMSVG können beispielsweise auch Packungshöchstgrenzen verfügt werden95. Die Verbote irreführender Angaben (§ 5 Abs 2 LMSVG) und krankheitsbezogener Angaben (§ 5 Abs 3 leg cit) gelten sinngemäß. Stoffe, die bisher (20. Jänner 2006) nicht für die Herstellung von Gebrauchsgegenständen (im Sinn von § 3 Z 7 lit a LMSVG) rechtmäßig Verwendung gefunden haben, dürfen für diese Zwecke nur nach behördlicher Zulassung und im Einklang mit dieser in Verkehr gebracht werden96. Über die Zulassung entscheidet die BMGF mit Bescheid nach Maßgabe von § 17 Abs 2 LMSVG.
B. Kosmetische Mittel Kosmetische Mittel sind Stoffe oder Zubereitungen, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit den verschiedenen Teilen des Körpers (Haut, Behaarungssystem, Nägel, Lippen und intime Regionen) oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern oder den Körpergeruch zu beeinflussen oder um sie zu schützen oder in gutem Zustand zu halten (§ 3 Z 8 LMSVG)97, also beispiels91 92 93
94
95 96 97
§ 90 Abs 1 Z 3, Z 5 und Z 6 sowie § 90 Abs 3 Z 2 LMSVG. Siehe § 5 Abs 5 Z 1 LMSVG. Der VfGH hegte gegen die Vorläuferbestimmung, nämlich § 29 LMG 1975 keine determinierungsrechtlichen Bedenken (VfSlg 11.056/1986). Diese Bestimmung räumte dem BMSG nach VfSlg 13.891/1994 einen „Entscheidungsspielraum“ ein, zu welchem der VfGH nur die „Plausibilität“ der Erwägungen der verordnungserlassenden Behörde prüfte (vgl abermals VfSlg 13.891/1994). Folgende Durchführungsverordnungen stützen sich ausschließlich oder zumindest in Teilen auf § 19 LMSVG: die SpielzeugluftballonVO (BGBl 1978/22), die Vorratsschutz- und SchädlingsbekämpfungsmittelVO (BGBl 1993/652 idgF), die KeramikVO (BGBl 1993/893 idgF), die MilchhygieneVO (BGBl 1993/897 idgF), die Zellglasfolien-VO (BGBl 1994/128 idgF), die SpielzeugVO (BGBl 1994/823 idgF), die Flaschen- und BeruhigungssaugerVO (BGBl 1995/104), die EiprodukteVO (BGBl 1996/527), die WeichmacherverbotsVOen (BGBl 1998 II/255 und BGBl 2000 II/111), die NickelVO (BGBl 2000 II/204 idgF), die TrinkwasserVO (BGBl 2001 II/304 idgF), die KunststoffVO 2003 (BGBl 2003 II/476 idgF) sowie die AzofarbstoffVO 2004 (BGBl 2004 II/320 idgF). Vgl VfSlg 13.891/1994. § 17 Abs 1 LMSVG. Nach § 1 Abs 3 Z 3 AMG sind kosmetische Mittel keine Arzneimittel, „sofern ihre Anwendung und Wirkung auf den Bereich der Haut und ihrer Anhangsgebilde und
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weise Zahnpasten und andere Zahnpflegemittel98, Insektenabwehrmittel zum Schutz der menschlichen Haut99, Franzbranntwein100 und Haarpflegemittel101. Kosmetische Mittel dürfen nach § 18 Abs 1 LMSVG bei Strafe102 nicht in Verkehr gebracht werden, wenn • sie gesundheitsschädlich sind, • ihre bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gewährleistet ist oder • sie Durchführungsverordnungen103 widersprechen104. Auf Grundlage der Verordnungsermächtigung des § 20 LMSVG stehen derzeit noch mehrere, bereits auf Grundlage des LMG 1975 ergangene Verordnungen in Geltung, nämlich die Kosmetikverordnung105, die Kosmetik-Analysenverordnung106 und die Kosmetik-Farbstoffverordnung107. Das Verbot von Angaben, die zur Irreführung geeignet sind (§ 5 Abs 2 LMSVG), gilt sinngemäß. Das Verbot krankheitsbezogener Angaben (§ 5 Abs 3 LMSVG) gilt mit der Einschränkung, dass krankheitsbezogene Angaben, die sich auf einen der Legaldefinition entsprechenden Verwendungszweck beziehen, zulässig sind108. Der ehemalige Zulassungsvorbehalt für pharmakologisch wirksame Stoffe109 wurde wegen gemeinschaftsrechtlicher Bedenken ebensowenig übernommen wie der frühere Zulassungsvorbehalt für gesundheitsbezogene Angaben110.
V. Nationales Verordnungsrecht A. Allgemeines Das LMSVG trägt wie bereits das LMG 1975 nach wie vor zu einem beträchtlichen Maße den Charakter eines „Rahmengesetzes“, das zahllose lebensmittel-
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der Mundhöhle beschränkt sind“. Ein „Erkältungsbad“ hat der VwGH unlängst mit eingehender Begründung als Arzneimittel und nicht als kosmetisches Mittel qualifiziert (VwGH 29.1.2001, 97/10/0040). Vgl etwa OGH SZ 55/15 = ÖBl 1982, 39 ff; SZ 56/131 = ÖBl 1984, 22 ff; ÖBl 1986, 155 ff; ÖBl 1990, 23 f, WBl 1993, 58. Vgl OGH, ÖBl 1994, 121 ff mit eingehender Darstellung des Verhältnisses zum AMG. Vgl VwGH 29.10.1992, 92/10/0121; 20.6.1994, 92/10/0118. Im Gegensatz nämlich zu Haarwuchsmittel (OGH, ÖBl 1993, 68 ff). § 90 Abs 1 Z 4 und § 90 Abs 3 Z 2 LMSVG. § 20 LMSVG. Ein eigenes Bundesgesetz verbietet (unter Vorbehalten) das Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln, die im Tierversuch überprüft worden sind (BGBl I 2004/122; Durchführungsverordnung: BGBl I 2005/361). BGBl 1999 II/375 idF BGBl 2000 II/285, 2003 II/338, 2005 II/68 und 2006 II/53. BGBl 1995/95 idF BGBl 1996/546 und 1997 II/383. BGBl 1995/416 idF BGBl 2005 II/360. § 18 Abs 2 2. Satz LMSVG. Zu der entsprechenden Vorgängerbestimmung wurden etwa die Hinweise „für gesunde Haut“ (VwGH 30.9.1992, 92/10/0095 = WBL 1993, 267) oder die Anpreisung „erhalten Sie die Gesundheit Ihrer Haut … sie bleibt länger jugendlich frisch … schenkt Vitalität und jugendliche Frische … die Haut bleibt jung und schön“ (VwGH 26.6.1995, 91/10/0165) für zulässig erachtet. § 27 Abs 3 LMG 1975. RV 797 BlgNR 22.GP, 12.
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rechtliche Details nicht selbst festlegt, sondern diesbezügliche Verordnungsermächtigungen enthält. Solche Verordnungsermächtigungen finden sich über das gesamte LMSVG verstreut111. Sie sind nur im geringen Maße und vielfach durch Allgemeinplätze (zB „zum Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsschädigung oder Täuschung“) determiniert und räumen dem BMGF daher weitreichende Spielräume ein. Auf Grundlage dieser Verordnungsermächtigungen steht ein vielfältiges, in wesentlichen Teilen übergeleitetes112 Lebensmittelverordnungsrecht in Geltung, das zahllose Detailanforderungen an Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel enthält.113
B. Im Besonderen Lebensmittelkennzeichnung Lebensmittelkennzeichnungsrechtliche Vorschriften enthalten bereits das unmittelbar anwendbare EG-Gemeinschaftsrecht114 sowie unter anderem die §§ 5 Abs 2 und 3 und andere Bestimmungen des LMSVG115. Daneben hat die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1993116 beträchtliche praktische Bedeutung erlangt117. 111 112 113 114
115 116
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Siehe die §§ 4, 6, 7, 15, 19, 20, 34, 50, 57 leg cit. Siehe § 98 Abs 1 LMSVG. Vgl die Auflistung der Verordnungen im Vorspann zu diesem Beitrag. Siehe etwa die Verordnung (EWG) Nr 2092/91 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel, Abl L 198/1, die Verordnung (EG) Nr 608/2004 über die Etikettierung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten mit Phytosterin-, Phytosterinester-, Phytostanol- und/oder Phytostanolesterzusatz, Abl L 97/44, die Verordnung (EG) Nr 509/2006 über die garantiert traditionellen Spezialitäten bei Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln, Abl L 93/1, sowie die Verordnung (EG) Nr 510/2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, Abl L 93/12. Das unmittelbar wirksame Verbot irreführender Angaben ist im weiteren Sinn ebenfalls eine lebensmittelkennzeichnungsrechtliche Vorschrift. BGBl 1993/72, zuletzt idF 2005 II/408. Sie erging auf Grundlage des § 19 Abs 1 LMG 1975 und steht mit Hinblick auf § 6 Abs 2 und § 98 Abs 1 LMSVG nach wie vor in Geltung. Daneben enthalten allerdings zahlreiche weitere lebensmittelrechtliche Durchführungsverordnungen neben anderen Vorschriften auch vereinzelte kennzeichnungsrechtliche Bestimmungen, zu nennen sind insbesondere folgende Verordnungen: Margarineerzeugnisse- und MischfetterzeugnisseVO (BGBl 1993/378), die MilchhygieneVO (BGBl 1993/897), die VO über tiefgeforene Lebensmittel (BGBl 1994/201), die ZusatzstoffkennzeichnungsVO (BGBl 1994/476), die VO über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung (BGBl 1995/531), die ExtraktionslösungsmittelVO (BGBl 1995/642 idgF), die NährwertkennzeichnungsVO (BGBl 1995/896), die EiprodukteVO (BGBl 1996/527), die FarbstoffVO (BGBl 1996/541), die SüßungsmittelVO (BGBl 1996/547 idgF), die NährkaseineVO (BGBl 1996/548), die AromenVO (BGBl 1998 II/42), die VO über Lebensmittel für kalorienarme Ernährung zur Gewichtsverringerung (BGBl 1998 II/112), die BeikostVO (BGBl 1998 II/133), die Mineral- und QuellwasserVO (BGBl 1999 II/309), die VO über Kaffee- und Zichorienextrakte (BGBl 2000 II/391), die VO über diätische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (BGBl 2000 II/416), die ZuckerVO (BGBl 2003 II/472), die SchokoladeVO (BGBl 2003 II/628), die HonigVO, (BGBl 2004 II/40), die VO über bestimmte Sorten eingedickter Milch und Trockenmilch (BGBl 2004 II/45), die FruchtsaftVO (BGBl 2004 II/83) und die KonfitürenVO 2004 (BGBl 2004 II/367).
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Der VwGH118 sah einen wesentlichen Zweck der Lebensmittelkennzeichnungspflicht darin, „dem Letztverbraucher beim Kauf verpackter Waren Chancen der Warenprüfung einzuräumen, die denen des Erwerbers unverpackter Ware möglichst nahekommen“. Der Zweck des Lebensmittelkennzeichnungsrechtes erschöpft sich indes nicht bloß in dieser Zielsetzung119. Der OGH qualifiziert Normen des Lebensmittelkennzeichnungsrechtes nicht als wettbewerbsrechtlich neutrale Ordnungsvorschriften, sondern als dem Schutz (auch) des lauteren Wettbewerbs dienende Normen, deren Übertretung einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 1 UWG bildet120. Die Verordnungsermächtigungen des § 32 Abs 1, 3 und 5 UWG, betreffend die Kennzeichnung von Waren, sind auf Lebensmittel nur insoweit anzuwenden, als durch Verordnung angeordnet werden kann, dass diese Waren nur in vorgeschriebenen Mengeneinheiten oder nur unter Ersichtlichmachung des Preises in Beziehung auf bestimmte Gewichts- und Mengeneinheiten feilgehalten oder sonst in Verkehr gesetzt werden dürfen121.
VI. Die Vollziehung des unmittelbar anwendbaren EG-Lebensmittelrechts Das Lebensmittelrecht ist in zunehmendem Maße in unmittelbar anwendbaren (weder näher umsetzungsbedürftigen noch umsetzungsfähigen) EG-Verordnungen geregelt, deren Vollziehung den staatlichen Behörden obliegt und deren Beachtung den Bürgern, soweit sie Normadressaten sind, unmittelbar aufgetragen ist. Die in der Anlage zum LMSVG taxativ aufgezählten122 EG-Verordnungen sind im Rahmen des LMSVG zu vollziehen (§ 4 Abs 1 leg cit), wobei der BMGF diesbezügliche Durchführungsverordnungen erlassen kann und die Vollzugszuständigkeit im Übrigen zwischen dem BMGF und dem LH geteilt ist123. Zu den unmittelbar anwendbaren lebensmittelrechtlichen EG-Verordnungen zählen folgende: •
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118 119 120 121
122 123
Die Verordnung (EG) Nr 258/97 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten hat insbesondere Lebensmittel, die genetisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen bestehen, zum Gegenstand und unterwirft sie einem Genehmigungsvorbehalt sowie spezifischen Kennzeichnungspflichten. Die beiden neuen EG-Verordnungen 1829/2003 und 1830/2003 lösen die gentechnisch veränderten Organismen (GVO) und daraus gewonnene Erzeugnisse aus der Gruppe der neuartigen Lebensmittel (Verordnung 258/1997). Die Verordnung
VwSlg 9952 A/1979, 10.849 A/1982. Vgl etwa jüngst auch OGH, ÖBl 1999, 19 (22): „Primus“. Vgl OGH SZ 49/70 = ÖBl 1976, 101 ff; WBl 1987, 163 f. Ausdrücklich § 32 Abs 6 UWG. Auf kosmetische Mittel und Gebrauchsgegenstände findet § 32 UWG hingegen Anwendung (vgl in diesem Zusammenhang neben anderen insbesondere die auf Grundlage des § 32 UWG ergangene Verordnung über die Kennzeichnung kosmetischer Mittel, BGBl 1993/891, die SpielzeugkennzeichnungsVO, BGBl 1994/1029, und Verordnung über die Kennzeichnung von Gebrauchsgegenständen, die für die Verwendung bei Lebensmitteln bestimmt sind, BGBl 2005 II/262). Der BMGF ist zur Aktualisierung der Anlage im Verordnungswege ermächtigt (§ 4 Abs 2 LMSVG); siehe dazu die Verordnung BGBl 2006 II/95. Näher § 4 Abs 4 und Abs 5 LMSVG.
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Hauer 1829/2003 regelt die Zulassung und Kennzeichnung, während sich die Verordnung 1830/2003 mit der Rückverfolgbarkeit von GVO und deren Produkten beschäftigt. Die Verordnung (EG) Nr 2377/90 zur Schaffung eines Gemeinschaftsverfahrens für die Festsetzung von Höchstmengen für Tierarzneimittelrückstände in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs sieht die Kategorisierung der in Tierarzneimitteln verwendeten pharmakologisch wirksamen Stoffe und gegebenenfalls die Festlegung von Höchstmengen für deren Rückstände (Anhänge I bis IV) vor und legt das diesbezügliche Verfahren fest. Die Mitgliedstaaten dürfen das Inverkehrbringen von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs aus anderen Mitgliedsstaaten nicht aus dem Grund der darin enthaltenen Tierarzneimittelrückstände unterbinden, sofern die Grenzwerte der Anhänge dieser Verordnung eingehalten werden. Die Verordnung (EG) Nr 315/93 zur Festlegung von gemeinschaftlichen Verfahren zur Kontrolle von Kontaminanten in Lebensmitteln verpflichtet ua zur möglichsten Vermeidung von Kontaminationen von Lebensmitteln und verbietet jedenfalls gesundheitsschädliche Kontaminationen. Für bestimmte Kontaminanten können nach einem eigenen Verfahren Höchstwerte festgelegt werden. Die Mitgliedsstaaten müssen kontaminierte Lebensmittel, die dieser Verordnung entsprechen, akzeptieren. Die Verordnung (EWG) Nr 1898/87 regelt, welche Erzeugnisse die Bezeichnungen "Milch" und ähnliche Bezeichnungen (Molke, Rahm etc) tragen dürfen, und die Verordnung (EG) Nr 2597/97 stellt einige Anforderungen an Konsummilch auf. Die Verordnung (EG) Nr 2991/94 über Streichfette begründet bestimmte Anforderungen an Streichfette und ihre Kennzeichnung. Die Verordnung (EWG) Nr 1576/89 regelt die Kategorien, die Bezeichnung und die Aufmachung von Spirituosen im Dienste der Qualitätssicherung in eingehender Weise. Die Verordnung (EG) Nr 2232/96 legt das Verfahren für die Zulassung chemisch definierter Aromastoffe sowie eine Liste der zulässigen Aromastoffe fest, die in der ganzen Europäischen Union gilt. Die Verordnung (EG) Nr 2065/2003 regelt die Herstellung, Zulassung und Verwendung von Raucharomen und sieht ein Verfahren vor, in dem die Europäische Kommission die sog Primärprodukte - Primärrauchkondensat und Primärteerphase - für die Herstellung von Raucharomen zulässt. Die zugelassenen Stoffe werden in einer Positivliste im Anhang der Verordnung vermerkt. Die Verordnung beschränkt sich auf die Kontrolle und Zulassung von Primärprodukten. Die Verordnung (EG) Nr 1760/2000 regelt im Titel II die obligatorische Rindfleischetikettierung (Abschnitt I) sowie die freiwillige Rindfleischetikettierung (Abschnitt II). Die Kennzeichnung trifft Rindfleisch - inklusive Saumfleisch und Nierenzapfen -, das frisch, gekühlt oder tiefgekühlt in Verkehr gebracht wird und zwar auf jeder Vermarktungsstufe, ungeachtet, ob es für den Konsumenten oder für die Verarbeitung bestimmt ist und ungeachtet der Betriebsgröße (einschließlich der landwirtschaftlichen Direktvermarktung). Verarbeitungsprodukte sowie gewürztes oder gesalzenes Rindfleisch sind vom Titel II der Verordnung 1760/2000 nicht betroffen. Unter „Etikettierung“ versteht die Verordnung die Anbringung eines Etiketts an ein einzelnes Stück oder mehrere Stücke Fleisch oder ihre Verpackung oder im Falle nicht vorverpackter Erzeugnisse schriftliche und deutlich sichtbare geeignete Angaben für den Verbraucher am Ort des Verkaufs. Die Verordnung (EG) Nr 608/2004 enthält Vorschriften über die Etikettierung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten mit Phytosterin-, Phytosterinester-, Phytostanol- und/oder Phytostanolesterzusatz. Die Verordnung (EG) Nr 1935/2004 gilt für Materialien und Gegenstände, einschließlich aktiver und intelligenter Lebensmittelkontaktmaterialien, die als Fertig-
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erzeugnis dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen oder bereits mit Lebensmitteln in Berührung sind und dazu bestimmt sind oder vernünftigerweise vorhersehen lassen, dass sie bei normaler oder vorhersehbarer Verwendung mit Lebensmitteln in Berührung kommen oder ihre Bestandteile an Lebensmittel abgeben. Die Tiefkühlverordnung Nr 37/2005 betrifft die Temperaturüberwachung und -aufzeichnung in Beförderungsmitteln sowie Einlagerungs- und Lagereinrichtungen, die für tiefgefrorene Lebensmittel verwendet werden. Verordnung (EG) Nr 1895/2005 betreffend bestimmte Epoxyderivate regelt die Verwendung von Bisphenol-A-DiGlycidyl-Ether („BADGE“), Bisphenol-FDiGlycidyl-Ether („BFDGE“) und Novolac-Glycidylether („NOGE“) und einiger ihrer Derivate in Materialien und Gegenständen aus Kunststoff jeglicher Art, in mit Oberflächenbeschichtung versehenen Materialien und Gegenständen und in Klebstoffen, sofern diese dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen und setzt spezifische Migrationsgrenzwerte fest. Die Verordnung (EG) Nr 852/2004 enthält allgemeine Lebensmittelhygienevorschriften für Lebensmittelunternehmer auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen von Lebensmitteln. Neben wesentlichen Begriffsbestimmungen regelt sie ua das allgemeine Hygienegebot, wonach alle Lebensmittelunternehmer verpflichtet sind, in ihrem Verantwortungsbereich die Einhaltung der einschlägigen allgemeinen und spezifischen Hygienevorschriften zu gewährleisten, eine allgemeine Betriebsregistrierungspflicht sowie das Konzept und Verfahren für die Erarbeitung und Prüfung von branchenbezogenen nationalen oder gemeinschaftlichen freiwilligen "Leitlinien für eine gute Hygiene-Praxis". Desweiteren verpflichtet die Verordnung, die Gefahrenanalyse nach den Grundsätzen des HACCP-Konzeptes in allen Betrieben ausgenommen Lebensmittelunternehmer auf der Stufe der Primärproduktion durchzuführen. Ergänzend zu dieser allgemeinen Hygieneverordnung enthält die Verordnung Nr 853/2004 spezifische Hygienevorschriften für Betriebe, die Lebensmittel tierischen Ursprungs verarbeiten. Sie gilt für unverarbeitete Erzeugnisse und verarbeitete Erzeugnisse tierischen Ursprungs. Lebensmittel, die sowohl Erzeugnisse pflanzlichen Ursprungs als auch Verarbeitungserzeugnisse tierischen Ursprungs enthalten, fallen nicht unter diese Verordnung. Ausgenommen aus dem Anwendungsbereich sind ebenfalls unter anderem grundsätzlich Einzelhandelsbetriebe (mit Ausnahmen) sowie die Primärproduktion für den privaten häuslichen Gebrauch.
VII. Lebensmittelpolizeiliche Aufsicht A. Organisation Die Kontrolle der Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften ist dem Landeshauptmann als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung zugewiesen124. Er ist dabei an den Revisions- und Probenplan des BMGF gebunden125. Der Landeshauptmann darf bestimmte Überwachungsaufgaben unter den Voraussetzungen des § 25 Abs 1 LMSVG mit Verordnung geeigneten Gemeinden zur
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§ 24 Abs 1 LMSVG. Siehe aber zur Schlachttier- und Fleischuntersuchung im Bundesheer § 26 LMSVG. Näher § 31 LMSVG.
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Vollziehung im übertragenen, weisungsgebundenen Wirkungsbereich delegieren126. Der Landeshauptmann muss sich zur Erfüllung seiner Aufsichtspflichten besonders geschulter127 Aufsichtsorgane bedienen128, deren Einschreiten ihm auch regelmäßig zuzurechnen ist129. • Grundsätzlich muss der Landeshauptmann Aufsichtsorgane einsetzen, die in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehen130. Für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung sowie für Hygienekontrollen von Schlacht-, Zerlegungs- und Wildbearbeitungsbetrieben müssen Tierärzte in einem solchen Dienstverhältnis verwendet werden131. • Bei Bedarf kann der Landeshauptmann auch Tierärzte, die in keinem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehen, verwenden132, allerdings nur für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung, für Hygienekontrollen von Schlacht-, Zerlegungs- und Wildbearbeitungsbetrieben sowie für die Entnahme von Proben von lebenden Tieren133. Solche Tierärzte sind durch Bescheid nach § 28 LMSVG zu beauftragen (= beleihen). • Zur Unterstützung der amtlichen Tierärzte kann der Landeshauptmann amtliche Fachassistenten bei der Schlachttier- und Fleischuntersuchung und den Hygienekontrollen von Schlacht-, Zerlegungs- und Wildbearbeitungsbetrieben heranziehen („Fleischuntersucher“). Sie stehen entweder in einem Dienstverhältnis zur Gebietskörperschaft oder werden beliehen. • Die Zuordnung betriebseigener Hilfskräfte als Aufsichtsorgan zum zuständigen amtlichen Tierarzt kommt als Geflügelfleischuntersucher in Betracht134. • Schließlich darf der LH Tierärzte zur Schlachttieruntersuchung vor allem in landwirtschaftlichen Betrieben, zur Vornahme der Kontrollen in Milcherzeugungsbetrieben sowie zur Probenentnahme bei lebenden Tieren zur 126
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Vgl für St. Pölten und Wiener Neustadt die Verordnung NÖ-GSlg 9490/01, für Linz, Steyr und Wels OÖ LGBl 1976/12, für Klagenfurt und Villach Ktn LGBl 1975/98, für Innsbruck Tir LGBl 1975/56 und für Graz Stmk LGBl 1982/17. Die Aus- und Fortbildung regelt § 29 LMSVG samt Verordnungsermächtigung (siehe derzeit die Verordnung über die Ausbildung von Aufsichtsorganen, BGBl 1983/397). Das „Ausbildungsgesetz Verbrauchergesundheit - AGVG“, BGBl I 2005/129, richtet einen „Ausbildungsbeirat Verbrauchergesundheit“ beim BMGF ein, der der geringen Koordination bei der Aus- und Weiterbildung von amtlichen Kontrollorganen in den Bereichen Lebensmittelsicherheit, Futtermittelkontrolle, Veterinärwesen und Tierschutz Abhilfe verschaffen soll. Die gleichgelagerte Vorgängerregelung des § 35 Abs 2 LMG 1975 hatte nach VfSlg 8466/1988 (= ÖJZ 1979, 501, = ÖZW 1979, 58 mAnm Laurer = JBl 1980, 252) keine Frage der Behördenorganisation (in Sonderheit des Amtes der Landesregierung) zum Gegenstand, sondern die materielle Frage der Überwachung des Lebensmittelverkehrs und widersprach daher nicht der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung. Vgl VfSlg 8471/1978, 9020/1981. Ihre Bestellung ist durch einen „entsprechenden Bestellungsakt kundzutun“, was nach den Absichten des Gesetzgebers nicht zwangsläufig ein Bescheid sein muss. § 24 Abs 3 LMSVG. § 24 Abs 4 LMSVG. RV 797 BlgNR 22.GP, 13. § 24 Abs 6 LMSVG iVm Art 5 Z 6 EG-VO 2004/854 (theoretisch auch in Bezug auf Kaninchenfleisch); RV 797 BlgNR 22.GP 13.
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Rückstandsuntersuchung mit Bescheid beleihen135, die allerdings nicht als „amtliche“ Tierärzte, sondern nur als „zugelassene“ Tierärzte gelten136. Die Kontrolle der Einhaltung der EG-Verordnungen zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und betreffend Bescheinigungen besonderer Merkmale von Agrarerzeugnissen erfolgt durch private Kontrollstellen, die der behördlichen Zulassung bedürfen und mit Hoheitsgewalt beliehen sind137.
B. Ausführung 1. Planmäßigkeit Die amtlichen Kontrollen sind planmäßig durchzuführen138. Ein mehrjähriger integrierter Kontrollplan139 soll Vorgehensweisen und Prioritäten der Kontrollen darstellen und ist an die Europäische Kommission zu übermitteln. Im Rahmen dieses Kontrollplanes erlässt der BMGF jährlich einen Revision- und Probenplan140, bei dem es sich um eine interne Anweisung an den Landeshauptmann als Kontrollbehörde handelt, aus der die der Aufsicht unterliegenden Unternehmen keine Rechte ableiten können. Ein Notfallplan141 des BMGF142 enthält die durchzuführenden Maßnahmen, „wenn eine Ware ein ernstes Risiko für die Gesundheit des Verbrauchers darstellt“.
2. Instrumente der Kontrolle und zur unmittelbaren Gefahrenabwehr Die §§ 35 ff LMSVG vermengen Kontrollbefugnisse (insbesondere zur Probennahme) mit gefahrenpolizeilichen Ermächtigungen (im Besonderen § 39 leg cit), die Beschlagnahmebefugnis hat gemischten Charakter; näherhin sind hervorzuheben: • Die Aufsichtsorgane des Landeshauptmannes sind zu Nachforschungen aller Art befugt und dürfen zu diesem Zweck insbesondere Grundstücke, Gebäude und Transportmittel betreten, Personen befragen, Geschäftsunterlagen einsehen und Proben entnehmen143. Die Unternehmer müssen die Kontrollen dulden144. Die Aufsichtsorgane, die sich gegebenenfalls ausweisen müssen, dürfen die Kontrolle erzwingen und erforderlichenfalls hiezu die Unterstützung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes 135 136 137 138
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§ 27 Abs 1 LMSVG. RV 797 BlgNR 22.GP 14. § 45 LMSVG. Die Lebensmittelüberwachung dient dem Schutz der Konsumenten vor gesundheitlicher Gefährdung und vor Irreführung, hingegen nicht der Sicherung der Beweislage dessen, der Lebensmittel in Verkehr bringt, in einem späteren Gewährleistungsprozess gegen seinen Lieferanten (OGH SZ 57/149 = EvBl 1985/21). Er ist auf Grundlage der Art 41 f EG-VO 2004/882 vom BMGF zu erstellen (§ 30 Abs 1 LMSVG). § 31 LMSVG. Art 13 EG-VO 2004/882. § 32 LMSVG. Näher § 35 LMSVG. Näher § 38 LMSVG.
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anfordern145. Kontrollen sind in der Regel nur nach Vorankündigung und während der Geschäfts- oder Betriebszeiten sowie unter Vermeidung der Störung des Geschäftsbetriebes durchzuführen146. Die wichtigste Überwachungsbefugnis ist die Befugnis zur Entnahme von Warenproben147. Die Probennahme kann erforderlichenfalls erzwungen werden148. Art und Ausmaß der Warenproben sind nach den Umständen des Einzelfalles im Hinblick auf die vorzunehmende Untersuchung149 zu bestimmen150. Gegenproben sollen dem Lebensmittelunternehmer gegebenenfalls Kontrolluntersuchungen ermöglichen151. Von den Kontrollproben nach § 36 sind Monitorproben nach § 37 LMSVG zu unterscheiden152. § 39 ermächtigt der LH zur Verfügung gefahren- oder ordnungspolizeiliche Maßnahmen zur Mängelbehebung oder Risikominderung (wie insbesondere Verbote des Inverkehrbringens, Betriebsschließungen, Anordnungen unschädlicher Beseitigung, der Rücknahme vom Markt oder des Rückrufes vom Verbraucher), jeweils auf Kosten des Unternehmers. Maßnahmen sind regelmäßig mit Bescheid zu verfügen, dem eine Aufforderung zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes per Verfahrensanordnung durch das Aufsichtsorgan vorangehen kann; bei Gefahr im Verzug sind Aufsichtsorgane auch ermächtigt vorläufig verfahrensfreie Anordnungen zu treffen. § 35 Abs 6 LMSVG. Der VwGH (27.11.1995, 93/10/0238 = WBl 1997, 88) hat zu § 37 Abs 4 LMG 1975 erkannt, dass bloß vermeidbare Störungen zu unterbleiben haben, wobei eine „Störung des Geschäftsbetriebes“ nicht schon dann vorliegt, wenn Kunden auf Bedienung warten müssen, zumal das Gesetz die Kontrolle auf die Geschäfts- oder Betriebszeiten legt. § 35 Abs 4 LMSVG gibt keinen Rechtfertigungsgrund zur Verweigerung des Zutritts zu Betriebsstätten (vgl abermals VwGH 27.11.1995, 93/10/0238). Siehe zum weiten Warenbegriff § 3 Z 14 LMSVG, weshalb nach VwSlg 14.930 A/1998 auch „Proben“ von Geräten, die zur Herstellung von Lebensmittel eingesetzt werden (wie etwa Teile einer Faschiermaschine) genommen werden können. Siehe § 35 Abs 2 Z 4 und Abs 6 LMSVG. Die Entnahme von Warenproben gilt als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (VfSlg 9020/1981) und greift in die verfassungsgesetzliche Garantie der Unversehrtheit des Eigentums ein (VfSlg 8471/1978, 9020/1981), ist aber durch dessen Vorbehalt im Allgemeinen gedeckt. Die entnommene amtliche Probe ist dem örtlich zuständigen Institut für Lebensmitteluntersuchung (FN 179) oder der örtlich zuständigen Untersuchungsanstalt der Länder (FN 183) zu übermitteln (§ 36 Abs 9 LMSVG). Vgl in diesem Sinn ausdrücklich VfSlg 8471/1978 in Beantwortung determinierungsrechtlicher Bedenken (siehe bestätigend VfSlg 9020/1981 und OGH SZ 57/149). Daher kann die Probennahme von zwei mal acht Kilogramm Beinschinken nach den Umständen gerechtfertigt sein (VfSlg 8471/1978), vgl zur Probennahme einer gesamten Hühnerlieferung VfSlg 9020/1981. Näher § 36 LMSVG passim und zu Hintergründen der Verdoppelung der Gegenprobe EuGH 10.04.2003 Rs C-276/01, Slg 2003, I-3735, sowie dazu RV 797 BlgNR 20.GP 15. Sie dienen nicht der Überwachung eines einzelnen Lebensmittelunternehmens, weshalb auch keine Gegenproben anzulegen sind, sondern der Informationserhebung über den Markt; sie sind nicht unmittelbar Anlass gefahrenpolizeilicher Maßnahmen, lösen aber wohl gegebenenfalls Anzeigen an die Aufsichtsorgane aus.
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Aufsichtsorgane haben gesundheitsschädliche Waren153 vorläufig in Beschlag zu nehmen154. Die vorläufige Beschlagnahme erlischt ex lege, wenn nicht binnen vier Wochen ein strafgerichtlicher Beschlagnahmebefehl oder ein verwaltungsstrafbehördlicher Beschlagnahmebescheid ergeht. Die beschlagnahmten Waren verbleiben zwar im Betrieb155, dürfen vom Unternehmer aber bei Strafe nicht verwendet werden156. • Hoheitliche Warnungen der Öffentlichkeit vor dem Verbrauch von Waren muss der BMGF bei begründetem Verdacht der Gemeingefährdung herausgeben, wenn also Waren wahrscheinlich gesundheitsschädlich sind und dadurch eine größere Bevölkerungsgruppe gefährdet wird157. Der jährliche Trinkwasserbericht der BMGF dient der gefahrenunabhängigen Information der Verbraucher158.
3. Die Schlachttier- und Fleischuntersuchung im Besonderen In Nachfolge des Fleischuntersuchungsgesetzes, das durch § 95 Abs 6 LMSVG aufgehoben worden ist, regelt § 53 leg cit in Verbindung mit der EG-VO 2004/854 sowie mit der Fleischuntersuchungsverordnung 2006159 die Schlachttieruntersuchung (= Untersuchung vor der Schlachtung) und die Fleischuntersuchung (= Untersuchung nach der Schlachtung) insbesondere in Bezug auf Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen etc durch amtliche Tierärzte des Landeshauptmannes auf dessen Genusstauglichkeit. Die amtlichen Tierärzte führen auch die Hygienekontrollen in Schlacht-, Zerlegungs- und Wildbearbeitungsbetrieben nach den Kriterien der EG-VO 2004/854 durch.
4. Rückstandskontrollen von Lebensmitteln tierischer Herkunft im Besonderen Lebensmittel tierischer Herkunft sind stichprobenweise auf Rückstände von Stoffen mit anaboler Wirkung, Tierarzneimitteln sowie anderen Stoffen, welche die menschliche Gesundheit gefährden könnten und auf Umweltkontaminanten zu untersuchen160. Näheres regelt die Rückstandskontrollverordnung 2006161. Wenn unzulässige Rückstände festgestellt werden, muss der Landeshauptmann erforderlichenfalls den Tierbestand mit Bescheid sperren lassen162.
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Wenn einer behördlich angeordneten Maßnahme gemäß § 39 nicht fristgerecht Folge geleistet wird auch, wenn dies zum Schutz der Verbraucher vor nicht sicheren Waren erforderlich ist. Dabei handelt es sich um Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (vgl VfSlg 8466/1978 sinngemäß). Die selbständige Bekämpfung solcher Akte wird auch durch die nachträgliche Erlassung von Beschlagnahmeverfügungen nach § 41 Abs 3 LMSVG nicht berührt (siehe abermals VfSlg 8466/1978). § 41 Abs 6 LMSVG. § 271 StGB. § 43 LMSVG. Näher § 44 LMSVG. BGBl 2006 II/109. Näher §§ 56 ff LMSVG. BGBl 2006 II/110. § 58 LMSVG.
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Tiere, die vorschriftswidrig behandelt worden sind (im Besonderen mit nicht zugelassenen Stoffen oder Erzeugnissen), sind zu töten163.
VIII. Zwischenstaatlicher Lebensmittelverkehr A. Innergemeinschaftlicher Lebensmittelverkehr Im innergemeinschaftlichen Lebensmittelverkehr gilt die Warenverkehrsfreiheit (Art 28 EGV)164. Lebensmittelpolizeiliche Grenzkontrollen finden nicht statt. Lebensmittelkontrollen erfolgen nach allgemeinen Regeln in den Bestimmungsbetrieben165. Wenn Lebensmittel tierischer Herkunft aus anderen EU-Staaten gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften verstoßen, kann unter anderem die Rücksendung in den Versenderstaat angeordnet werden166.
B. Lebensmittelverkehr mit Drittstaaten 1. Einfuhr Lebensmittel, die in die Gemeinschaft eingeführt werden sollen, müssen prinzipiell den lebensmittelrechtlichen Vorschriften der Gemeinschaft entsprechen167. § 46 LMSVG verzahnt die lebensmittelpolizeiliche Einfuhrkontrolle mit der zollamtlichen Kontrolle. Bei nach Gemeinschaftsrecht intensiver zu kontrollierenden Waren müssen die Unternehmer die Zollbehörden und den Landeshauptmann vorab über Art und Ankunftszeit der Sendung informieren168. Ergibt sich bei der Einfuhr (unter anderem) der Verdacht eines Verstoßes gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften sind die Waren bis zur entgültigen behördlichen Entscheidung unter amtliche Aufsicht zu stellen169. Besonderes gilt für Lebensmittel tierischer Herkunft: hier entscheiden die Grenztierärzte an den veterinärbehördlichen Grenzkontrollstellen nach Untersuchung der Tiere über die Zulassung der Einfuhr170.
2. Ausfuhr Nach Art 12 EG-VO 2002/178 müssen Lebensmittel, die in Drittstaaten ausgeführt werden sollen, • entweder den gemeinschaftsrechtlichen Lebensmittelvorschriften entsprechen • oder den Vorschriften des Bestimmungslandes entsprechen171. 163 164 165 166 167 168 169 170
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Näher § 59 LMSVG. Siehe näher bereits oben I.C.1. Siehe § 49 Abs 5 LMSVG mit Bezug auf Lebensmittel tierische Herkunft. § 49 Abs 6 LMSVG. Art 12 EG-VO 2002/178. § 47 Abs 1 LMSVG. Näher § 48 LMSVG. Näher § 49 LMSVG. Siehe auch die Veterinärbehördliche Einfuhr- und Binnenmarktverordnung 2001 (EBVO 2001), BGBl 2001 II/355, BGBl 2004 II/266 und 2006 II/129. Diese Bestimmungslandrechtskonformität hat der Unternehmer zu dokumentieren (§ 52 Abs 2 LMSVG).
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Bei fehlender Konformität der auszuführenden Ware muss die zuständigen Behörde des Bestimmungslandes der Einfuhr zustimmen172. • Gesundheitsschädliche Lebensmittel dürfen keinesfalls ausgeführt werden. Die in § 51 LMSVG vorgesehene „Ausfuhrberechtigung“ ist eine Art Bestätigung, dass die betrieblichen Einrichtungen und die Produktionsweisen des Lebensmittelunternehmers den Anforderungen des Bestimmungslandes entsprechen, und wird dem Lebensmittelunternehmer über dessen Antrag und in seinem Interesse mit Bescheid erteilt.173
IX. Lebensmitteluntersuchungsanstalten und Lebensmittelgutachter A. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Die „Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit“174 ist ungeachtet ihrer Benennung keine Behörde im Sinne der österreichischen Rechtsdogmatik, also eine mit Hoheitsgewalt ausgestattete Organisationseinheit, sondern ein beratender Apparat, der vor allem wissenschaftliche Expertise zur Verfügung stellen soll175. In diesem Sinn hat sie im Detail insbesondere folgende Aufgaben: die Erstellung wissenschaftlicher Gutachten im Dienste der EG und der Mitgliedsstaaten, die wissenschaftliche und technische Unterstützung der Kommission, die Vergabe wissenschaftlicher Studien, die Identifizierung und Beschreibung neu auftretender Risken und die Vernetzung mit gleichartigen Organisationen
B. Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (= „Agentur“ = AGES)176 hat unter anderem die Aufgabe der Untersuchung und Begutachtung von Lebensmittelproben177. Sie ist (unter anderem) an die Stelle der ehemaligen Bundesanstalten für Lebensmitteluntersuchung getreten178. Der örtliche Zuständigkeitsbereich der einzelnen Institute für Lebensmitteluntersuchung dieser Agentur zur Übernahme von amtlichen Proben gemäß § 36 Abs 9 LMSVG ist in der Verordnung BGBl II 2006/209 festgesetzt179. Die Labors der 172 173 174
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Die Zustimmung muss der Unternehmer einholen (§ 52 Abs 3 LMSVG). Näher § 51 LMSVG. Die Behörde, die durch die Art 22 ff EG-VO 2002/178 eingerichtet und mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist (Art 46 leg cit), hat ihren Sitz in Parma und tritt im Internet unter www.efsa.europa.eu auf. Ihre Organe sind ein Verwaltungsrat, ein geschäftsführender Direktor, ein Beirat sowie ein wissenschaftlicher Ausschuss mit wissenschaftlichen Gremien. Art 22 Abs 2 und Art 23 leg cit. Siehe dazu näher das Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz - GESG, BGBl 2002 I/63, zuletzt idF BGBl 2005 I/153. Internet: www.ages.at. § 65 Abs 1 LMSVG, § 8 Abs 2 Z 6 GESG. Vgl § 17 Abs 1 und § 18 Abs 1 GESG. Institut für Lebensmitteluntersuchung Graz: Steiermark, Kärnten, politische Bezirke Oberwart, Güssing und Jennersdorf; Institut für Lebensmitteluntersuchung Inns-
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Agentur müssen für lebensmittelrechtliche Untersuchungen akkreditiert sein180. Wenn die Agentur bei ihrer Tätigkeit zur begründeten Auffassung gelangt, dass der Verdacht der Verletzung von lebensmittelrechtlichen Vorschriften gegeben ist, muss sie das in ihrem Gutachten feststellen und der zuständigen Behörde Miteilung erstatten181. Die Pflicht zur Tragung der Kosten der Untersuchung und Begutachtung ist in § 71 LMSVG differenzierend geregelt182.
C. Untersuchungsanstalten der Länder Untersuchungsanstalten der Länder, die Aufgaben wie die AGES besorgen wollen, bedürfen der Bewilligung des BMGF183.
D. Private Lebensmittelgutachter Private Lebensmittelgutachter benötigen eine Bewilligung des BMGF184. Das Fehlen dieser Bewilligung berechtigt Behörden allerdings noch nicht, Gutachten von vornherein nicht anzuerkennen und im Verfahren nicht zu berücksichtigen185.
X. Das österreichische Lebensmittelbuch Das Österreichische Lebensmittelbuch (ÖLMB - Codex Alimentarius Austriacus) ist eine Verlautbarung von Sachbezeichnungen, Begriffsbestimmungen, Untersuchungsmethoden und Beurteilungsgrundsätzen sowie von Richtlinien für das Inverkehrbringen von Waren, die dem LMSVG unterliegen186. Es wird vom BMGF herausgegeben und von der Kodexkommission
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bruck: Tirol und Vorarlberg; Institut für Lebensmitteluntersuchung Linz: Oberösterreich; Institut für Lebensmitteluntersuchung Salzburg: Land Salzburg; Institut für Lebensmitteluntersuchung Wien: Wien, Niederösterreich und Burgenland (ausgenommen politische Bezirke Oberwart, Güssing und Jennersdorf). § 68 Abs 2 LMSVG. Die gebotene fachliche Qualifikation des Gutachterpersonals regelt § 70 LMSVG sowie die Verordnung BGBl 1997 II/161. § 69 LMSVG. Siehe zur Diskussion zur Heranziehung der anzeigenden Untersuchungsanstalt bzw ihrer Bediensteter als Sachverständige in einem nachfolgenden Strafverfahren VfSlg 10.701/1985 = ÖZW 1981, 61 mAnm Barfuß; dann EGMR im Fall Bönisch EuGRZ 1986, 127; zum Sachverständigenbeweis; VwGH 9.11.1992, 92/10/0045; 31.5.1999, 98/10/0008; zur Befangenheitsfrage siehe VwSlg 9848 A/1979. Siehe zur Kostenhöhe die Gebührentarifverordnung BGBl 1989/189, zuletzt idF BGBl 2006 I/13. Näher § 72 LMSVG. Kärnten, Vorarlberg und Wien haben Lebensmitteluntersuchungsanstalten eingerichtet. Näher § 73 LMSVG. Die Liste der Lebensmittelgutachter ist im Sinn von § 74 LMSVG unter www.bmgf.gv.at veröffentlicht. Die (bescheidmäßige) Verweigerung einer Bewilligung greift in die verfassungsgesetzlich gewährleistete Erwerbsfreiheit ein (VfSlg 12.578/1990, vgl dazu auch ecolex 1991, 289). Vor dem Hintergrund der verfassungsgesetzlich garantierten Berufsausbildungsfreiheit (Art 18 StGG) muss das Berufsausbildungserfordernis einer praktischen Untersuchungstätigkeit an allen dafür geeigneten Einrichtungen absolviert werden können (näher VfSlg 12.578/1990). VwGH 26.11.1990, 90/10/0127. § 76 LMSVG.
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vorbereitet187. Das ÖLMB ist nach hA selbst keine Verordnung188, sondern vielmehr „Ausdruck der Auffassung der am Lebensmittelverkehr interessierten Geschäftskreise“189 und enthält „zur allgemeinen Kenntnis gebrachte Erfahrungswerte“190. Es trägt daher den „Charakter eines subjektivierten Sachverständigengutachtens, das widerlegbar die konkrete Verbrauchererwartung wiedergibt“191. Das ÖLMB trägt also „nicht den Charakter einer Rechtsverordnung, sondern eines objektivierten, als Beweismittel besonderer Art zu würdigenden, jedoch keineswegs unwiderlegbaren Sachverständigengutachtens, welches die Meinung der am Verkehr mit Lebensmitteln beteiligten Kreise (Erzeuger, Händler und Verbraucher) und auch die der Behörde wiederspiegelt und damit insbesondere auch die konkrete Verbrauchererwartung wiedergibt“192.
XI. Lebensmittelstrafrecht Die §§ 81 ff LMSVG bilden die Grundlage des gerichtlichen und des verwaltungsbehördlichen Lebensmittelstrafrechtes, das für die Praxis beträchtliche Bedeutung hat193.
A. Justizstrafrecht Gerichtlich194 strafbar macht sich, wer gesundheitsschädliche Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände oder kosmetische Mittel - sei es vorsätzlich195, sei es fahrlässig196 - in Verkehr bringt. Weiters macht sich gerichtlich strafbar, wer der Fleischuntersuchungspflicht zuwider handelt197. Die den Gegenstand gerichtlich strafbarer Handlungen bildenden Waren sind regelmäßig einzuziehen (§ 83 LMSVG). Bei wiederholter Begehung kann dem Täter auch die Ausübung seines Gewerbes untersagt (§ 84 LMSVG) und auf die Veröffentlichung des Unterteilsspruchs erkannt (§ 85 LMSVG) werden. Der Unternehmer haftet nach Maßgabe des § 86 leg cit für Geldstrafen etc, zu deren Zahlungen Arbeitnehmer oder Beauftragte seines Betriebes wegen gerichtlich strafbarer Handlungen des Lebensmittelstrafrechtes verurteilt worden sind. 187 188
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Siehe zur Zusammensetzung der Kodexkommission § 77 LMSVG sowie zur FAO/WHO Codex Alimentarius-Kommission (WECO) § 80 leg cit. Vgl nur etwa VfSlg 10.224/ 1984 (= ÖJZ 1985, 700), VfSlg 12.396/1990, 13.107/1992 (= ÖJZ 1993, 175 f); VwSlg 11.428 A/1984, OGH SSt 52/33 = EvBl 1981/214, OGH EvBl 1984/164. VfSlg 8903/1980. VfSlg 12.396/1990, 13.107/1992. So VwGH 20.6.1994, 92/10/0118. Vgl etwa OGH SSt 52/33 = EvBl 1981/214, dann OGH EvBl 1984/164; ÖBl 1985, 156 ff; ÖBl 1990, 200 ff; ÖBl 1991, 232 ff, jeweils unter Bezugnahme auf Judikatur bzw Literatur. Vgl auch die Referate und Beiträge zur Tagung der ÖJK 1982 zum Thema „Probleme des Lebensmittelrechts“. Vgl zur örtlichen Zuständigkeit der Strafbezirksgerichte § 88 LMSVG. § 81 Abs 1 LMSVG. § 82 Abs 1 LMSVG. Näher § 81 Abs 3 und § 82 Abs 2 LMSVG.
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B. Verwaltungsstrafrecht Die Verwaltungsstraftatbestände in Lebensmittelsachen sind in den §§ 90 ff LMSVG in zahlreichen Verästelungen geregelt198. Beträchtliche praktische Bedeutung hatten in der Vergangenheit insbesondere die Verwaltungsstraftatbestände des Inverkehrbringens wertgeminderter Lebensmittel (nunmehr § 90 Abs 1 Z 2 LMSVG)199, der Zuwiderhandlung gegen Kennzeichnungsvorschriften in Verordnungen (§ 90 Abs 3 Z 2 leg cit)200 und des Verstoßes gegen das Hygienegebot201. Zuwiderhandlungen gegen das in der Anlage zum LMSVG aufgelistete, unmittelbar anwendbare Verordnungsrecht der EG sind nach § 90 Abs 3 Z 1 leg cit verwaltungsbehördlich strafbar. Die Verfolgungsverjährungsfrist ist bei den meisten Verwaltungsübertretungen auf ein Jahr verlängert (§ 90 Abs 7 LMSVG). Die Verfallstrafe ist vorgesehen202 ebenso wie die Veröffentlichung des Straferkenntnisses203. Besondere praktische Bedeutung haben die Fragen um die Verantwortung des Betriebsinhabers, der nach außen zur Vertretung berufenen Person oder eines verantwortli-
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Regelmäßig auftauchende Probleme des Verwaltungsstrafrechtes in Lebensmittelsachen betreffen die Frage nach der gehörig präzisen Umschreibung der Tat im Bescheidspruch (vgl hiezu etwa VwGH 17. 2. 1997, 95/10/0228; 26. 5. 1997, 93/10/0084; 26. 5. 1997, 94/10/0075; 11. 5. 1998, 97/10/0250), im besonderen auch was die gebotene nähere Umschreibung der Art des Inverkehrbringens anlangt (vgl hiezu etwa VwGH 17. 3. 1997, 93/10/0066; 11. 5. 1998, 97/10/0250; 18. 10. 1999, 98/10/0004). Die Umschreibung der Tat durch einen Verweis auf das Gutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung kann nach den Umständen aber ausreichen (VwGH 29. 3. 1995, 90/10/0147 = WBl 1996, 171). Eine Beeinflussung der Waren durch den Inverkehrbringer gehört nicht zum Tatbestand (so VwGH 22. 3. 1993, 92/10/0096). Es handelt sich um ein Begehungsdelikt (VwSlg 14.262 A/1995). Vgl zur gehörigen Konkretisierung der Tat etwa VwGH 17. 2. 1997, 95/10/0228; 26. 5. 1997, 93/10/0084; 26. 5. 1997, 94/10/0075. Die Zuwiderhandlung gegen die Kennzeichnungspflichten der LMKV stellt ein Unterlassungsdelikt dar (etwa VwGH 30. 6. 1997, 97/10/0045; 20. 9. 1999, 97/10/0011). Ehedem § 20 LMG 1975, nunmehr § 90 Abs 3 Z 1 LMSVG iVm den einschlägigen EG-Lebensmittelhygieneverordnungen. Zu § 20 LMG 1975 hielt der VwGH unter anderem folgendes fest: Bei dieser Verwaltungsübertretung handelte es sich nach der Rechtsprechung des VwGH um ein „abstraktes Gefährdungsdelikt“ (vgl etwa VwSlg 10.998 A/1983 (nur Rechtssatz), VwGH 26. 1. 1998, 97/10/0156; 15. 11. 1999, 96/10/0188), um ein „Ungehorsamdelikt“ im Sinne des § 5 Abs 1 VStG (vgl etwa VwSlg 10.997 A/1983, 10.998 A/1983 (jeweils nur Rechtssatz), VwGH 27. 11. 1995, 93/10/0100; 29. 1. 1996, 92/10/0449) und um ein „Unterlassungsdelikt“ (vgl etwa VwSlg 10.998 A/1983 (nur Rechtssatz), VwSlg 13.310 A/1990). Demnach war zur Konkretisierung des Tatvorwurfes (§ 44a Z 1 VStG) „die individualisierte Beschreibung jener Handlungen im Spruch des Bescheides erforderlich, die der Täter hätte setzen müssen“ (VwSlg 10.998 A/1983, 13.310 A/1990; VwGH 11. 11. 1991, 91/10/0026). Der Tatort liegt dabei grundsätzlich dort, wo die Dispositionen und Anweisungen zur Vermeidung der Verstöße gegen die Verwaltungsvorschriften hätten gesetzt werden müssen, was im Falle der Verantwortlichkeit des Vorstandsmitgliedes einer Aktiengesellschaft der Ort des Sitzes der Unternehmensleitung ist (VwGH 26. 2. 1996, 95/10/0240). § 90 Abs 8 iVm § 83 sowie § 92 LMSVG. § 90 Abs 8 iVm § 85 LMSVG.
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chen Beauftragten für das gesamte Geschehen im Betrieb204. Der VwGH konzediert, dass „die im heutigen Wirtschaftsleben notwendige Arbeitsteilung nicht zuläßt, daß sich der Unternehmer (Arbeitgeber, strafrechtlich Verantwortliche) aller Belange und Angelegenheiten persönlich annimmt; es muß ihm vielmehr zugebilligt werden, die Besorgung einzelner Angelegenheiten anderen Personen selbstverantwortlich zu überlassen und die eigene Tätigkeit in diesen Belangen auf mögliche und zumutbare Maßnahmen zu beschränken, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten lassen. Dabei trifft ihn jedoch die Obliegenheit, durch die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems sicherzustellen, daß seinen Anordnungen entsprochen wird, wobei er der Behörde bei einem Verstoß gegen die entsprechenden Vorschriften dieses System im einzelnen darzulegen hat. Davon, daß der Verantwortliche das Bestehen eines wirksamen Kontrollsystems glaubhaft gemacht hätte, kann nur gesprochen werden, wenn konkret dargelegt wird, in welcher Weise im Unternehmen sichergestellt wird, daß Verletzungen der in Rede stehenden Vorschriften vermieden bzw Verstöße wahrgenommen und abgestellt werden; insbesondere ist darzulegen, auf welche Weise der Verantwortliche seiner Verpflichtung zur Überwachung der von ihm beauftragten Personen nachgekommen ist und wieso er dessen ungeachtet die in Rede stehende Übertretung nicht verhindern konnte. Der Hinweis auf die Betrauung Dritter mit Kontrollaufgaben, die Erteilung entsprechender Weisungen und auf stichprobenartige Überprüfungen genügt den dargelegten Anforderungen nicht“205.
XII. Zusammenhänge Das Lebensmittelrecht weist mit zahlreichen weiteren Rechtsmaterien Berührungspunkte und Überschneidungen auf; hingewiesen sei auf folgende Regelungen: • Für die Lebensmittel Wein und Obstwein gilt das WeinG 1999206, das insbesondere die Herstellung, die Bezeichnung und Aufmachung und die verwaltungspolizeiliche Kontrolle einer eingehenden Regelung unterzieht207. • § 38 StrahlenschutzG, BGBl 1969/227, verpflichtet den Landeshauptmann die erforderlichen Schutz- und Sicherungsmaßnahmen zu treffen, wenn die Strahlungsintensität auf Grund radioaktiver Verunreinigung (etwa auch eines Unfalles in einem AKW) ein Ausmaß übersteigt, bei dem die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen einschließlich ihrer Nachkommenschaft besteht; in Betracht kommen insb Beschränkungen des Verkehrs mit Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Produkten und der Wasserbenützung208.
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Vgl aus der Rechtsprechung insbesondere VwSlg 14.300 A/1995, VwGH 27. 11. 1995, 93/10/0100; 27. 11. 1995, 93/10/0186; 29. 1. 1996, 92/10/0449; 26. 2. 1996, 92/10/0446; 26. 1. 1998, 97/10/0156; 26. 4. 1999, 99/10/0008. Vgl etwa VwGH 27. 11. 1995, 93/10/0186, 29. 1. 1996, 92/10/0449. BGBl I 1999/141, zuletzt idF BGBl I 2005/87. Siehe hiezu näher Brustbauer/Mraz, Das österreichische Weingesetz und seine praktische Anwendung (Loseblattausgabe). Vgl zum Verhältnis des § 38 StrahlenschutzG zum LMG 1975 eingehend Thienel, Schutzmaßnahmen 740ff.
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Das QualitätsklassenG209 ist als Sondervorschrift auf dem Gebiet der Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs iSd Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG gedacht und regelt Qualitätsklassen als „bestimmte, nach dem Grad der Qualität abgestufte und für jede Stufe zu einer Einheit zusammengefaßte Gruppen von Qualitätsnormen, denen landwirtschaftliche Erzeugnisse entsprechen müssen, damit sie unter einer bestimmten Bezeichnung in Verkehr gebracht werden dürfen“ (so § 1 Abs 1 leg cit). Das Rindfleisch-EtikettierungsG210 betraut die „Agrarmarkt Austria“ (AMA) mit der Vollziehung des freiwilligen Rindfleisch-Etikettierungssystem (Abschnitt II des Titels II der EG-Verordnung 2000/1760). Für die Überwachung der obligatorischen Rindfleischetikettierung ist der Landeshauptmann nach § 24 LMSVG zuständig211. Das TiermehlG212 setzt die Entscheidung des EG-Rates 2000/766/EG über Schutzmaßnahmen in Bezug auf die transmissiblen spongiformen Enzephalopathien („BSE“) und die Verfütterung von tierischem Protein um. Es verbietet - die Verfütterung von verarbeiteten tierischen Proteinen an Nutztiere, die zur Nahrungsmittelproduktion gehalten, gemästet oder gezüchtet werden, - das Inverkehrbringen, den Handel, die Einfuhr aus Drittländern und die Ausfuhr in Drittländer von verarbeiten tierischen Proteinen, die zur Verfütterung an Nutztiere, die zur Nahrungsmittelproduktion gehalten, gemästet oder gezüchtet werden, einschließlich Wild, bestimmt sind. Auf Grund der Verordnungsermächtigung in § 7 TiermehlG stehen die BSE-Landwirtschafts-Verordnung 2004213, die Tiermehl-Gesetz-Anpassungsverordnung 2002214 und die Tiermehl-Gesetz-Anpassungsverordnung 2004215 in Geltung. Das Bundesgesetz zur Überwachung von Zoonosen und Zoonoseerregern (Zoonosegesetz)216 regelt - die Organisation der Überwachung von Zoonosen (= Krankheiten und/oder Infektionen, die auf natürlichem Weg direkt oder indirekt zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können) und Zoonoseerregern, - die Überwachung diesbezüglicher Antibiotikaresistenzen,
Bundesgesetz über die Einführung von Qualitätsklassen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, BGBl 1967/161 idgF. BGBl 1998 I/80, zuletzt idF BGBl 2002 I/95. Vgl Teil 1 Z 10 der Anlage zum LMSVG. Bundesgesetz zur Umsetzung der Entscheidung des Rates über Schutzmaßnahmen in Bezug auf die transmissiblen spongiformen Enzephalopathien und die Verfütterung von tierischem Protein vom 4. Dezember 2000 (Tiermehl-Gesetz), BGBl 2000 I/143, 2001 I/22, 2001 I/74, 2002 II/235 und BGBl 2004 II/294. BGBl 2004 II/258. BGBl 2002 II/235. BGBl 2004 II/294. BGBl 2005 I/128.
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die epidemiologische Untersuchung lebensmittelbedingter Krankheitsausbrüche und - den Austausch von Informationen über Zoonosen und Zoonoseerreger. Insbesondere soll durch das Gesetz die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den für Futtermittel-, Veterinär-, Lebensmittel- und Humanbereich zuständigen Organen bzw Behörden sichergestellt werden217. Das FuttermittelG218 regelt die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Futtermitteln, Vormischungen und Zusatzstoffen zur Tierernährung. Es verbietet unter anderem Futtermittel, Vormischungen oder Zusatzstoffe herzustellen, in Verkehr zu bringen oder an Nutztiere zu verfüttern, die dazu geeignet sind, die Qualität der von Nutztieren gewonnenen Erzeugnisse, insbesondere im Hinblick auf ihre Unbedenklichkeit für die menschliche Gesundheit, nachteilig zu beeinflussen oder die Gesundheit von Tieren zu schädigen. Unter „Nutztieren“ versteht das Gesetz Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde, Kaninchen, Gänse, Enten, Hühner, Truthühner, Speisefische und andere Tiere, die zum Zweck der Gewinnung tierischer Erzeugnisse gefüttert oder gehalten werden. Siehe zum Verhältnis des LMG 1975 zum Biozid-ProdukteG, BGBl 2000 I/105, dessen § 3 Abs 2 Z 4, und zum ChemikalienG 1996, BGBl 1997 I/53, dessen § 4 Abs 2 Z 6 und Abs 3 Z 2. Siehe zum Tabakgesetz die Darstellung von Damjanovic in diesem Band, zum Gentechnikrecht Stelzer/Gotsbacher in diesem Band und zum LebensmittelbewirtschaftungsG 1997 Koller in diesem Band.
So die RV 1085 BlgNR 22.GP 3. Bundesgesetz über die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Futtermitteln, Vormischungen und Zusatzstoffen (Futtermittelgesetz 1999 - FMG 1999, BGBl 1999 I/139, zuletzt idF BGBl 2005 I/87.
Christoph Bezemek/Dragana Damjanovic
Tabakrecht I. Grundlagen ................................................................................................614 A. Allgemeines............................................................................................614 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................615 1. Innerstaatliche Regelungszuständigkeit ............................................615 2. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Bereich des Tabakwesens ..............616 C. Gemeinschafts- und völkerrechtliche Grundlagen ................................618 1. Internationale Vorgaben - die Weltgesundheitsorganisation ............618 2. Europäisches Tabakrecht...................................................................619 II. Tabakgesetz ..............................................................................................622 A. Allgemeines............................................................................................622 B. Regelungen über die Produktion und den Vertrieb von Tabakerzeugnissen ................................................................................623 C. Erhebung der verwendeten Inhaltsstoffe ...............................................624 D. Überwachung ........................................................................................625 E. Mindestkleinverkaufspreise ...................................................................625 F. Werbung und Sponsoring ......................................................................626 G. Nichtraucherschutz ...............................................................................628 III. Sonstige tabakbezogene Regelungen ....................................................629 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: RL 92/79/EWG, Abl 1992 L 316/8 idF RL 2003/117/EG, Abl 2003 L 333/49; RL 92/80/EWG, Abl 1992 L 316/10 idF RL 2003/117/EG, Abl 2003 L 333/49; RL 95/59/EG, Abl 1995 L 291/40 idF RL 2002/10/EG, Abl 2002 L 46/26; RL 2001/37/EG, Abl 2001 L 194/26; RL 2003/33/EG, Abl 2003 153/16 BG: TabakG (BGBl 1995/431 idF BGBl. I 2006/47); Tabaksteuergesetz (BGBl 1994/704 idF BGBl. I 2006/47)
Grundlegende Literatur: Caspar, Das europäische Tabakwerbeverbot und das Gemeinschaftsrecht, EuZW 2000, 238; Eisenberger/Urbantschitsch, Tabakwerbe-Richtlinie: Gemeinschafts- und verfassungsrechtliche Fragestellungen, ÖZW 1998, 106; dies., Harmonisierung und Gesundheitsschutz, ecolex 2000, 843; Esson/Leeder, The Millennium Health Goals and Tobacco Control, 2004; Görlitz, EU-Binnenmarktkompetenzen und Tabakwerbeverbote, EuZW 2003, 485; Laffert, Rauchen, Gesellschaft und Staat: Konsumanomalien, Wohlfahrtseffekte und staatlicher Regulierungsbedarf im Zusammenhang mit dem Zigarettenkonsum, 1998; Kamann, Viel Rauch um nichts? - Gesundheitsschutz im Rahmen der Binnenmarktharmonisierung gemäß Art 95 EGV nach dem „Tabakwerbeurteil“ des EuGH, ZEuS 2001, 23; Leitner, Zum Ersatz von Raucherschäden nach österreichischem Recht, ÖJZ 2004, 93; Pichler (Hrsg), Rauchen und Recht, 2004; Rasch-
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auer, Ultra-vires Akte der Europäischen Gemeinschaften, ÖJZ 2000, 241; Schroeder, Vom Brüsseler Kampf gegen den Tabakrauch - 2.Teil, EuZW 2001, 489; Selmayer/Kamann/Ahlers, Die Binnenmarktkompetenz der Europäischen Gemeinschaft, EWS 2003, 49; Sopp, Tabakkonsum und Tabakwerbeverbot - eine ökonomische Analyse des Germeinschaftsrechts, EuZW 2005, 365; Strejcek (Hrsg.), Rauchen im Recht, 2007; Wägenbauer, Binnenmarkt und Gesundheitsschutz - eine schwierige Kohabitation, EuZW 2000, 549; Wägenbaur, Tabak, Ende der Diskussion oder Diskussion ohne Ende?, EuZW 2003, 107.
I. Grundlagen A. Allgemeines Ließ sich das Verhältnis der Rechtsordnung zum Tabakkonsum an sich vor etwa 60 Jahren noch eher subtil durch ein Erkenntnis des VfGH, wonach die ungleiche Zuteilung von Zigaretten an Männer und Frauen „auf objektiven Merkmalen [fußt] und […] daher nicht die Einräumung eines Vorrechtes an das männliche Geschlecht“ beinhaltet,1 beschreiben, so zeichnet es sich heute weitaus direkter - durch eine überaus hohe Regelungsdichte aus. Die Aufmachung von Tabakprodukten, ihr Vertrieb, ihre Bewerbung und der Ort ihres Konsums unterliegen vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Wahrnehmung2 und neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse weitgehender Regulierung.3 Unbestrittenerweise sind die durch den Tabakkonsum für die Volksgesundheit verursachten Schäden enorm: Rauchen ist wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge eine wesentliche Ursache mehrerer oft tödlich verlaufender Krankheiten.4 So sterben weltweit beinah fünf Millionen5, im Gebiet der Gemeinschaft mehr als 650.0006 und in Österreich ungefähr 14.0007 Menschen jährlich an dessen Auswirkungen. Dabei beschränkt sich die Schädlichkeit des Tabakrauchs nicht nur auf den aktiven Konsum, sondern hat - wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen - darüber hinaus auch negative Auswirkun-
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VfSlg. 1526/1947. Vgl hiezu etwa die Ausführungen von Pichler, Rauchen: Eben noch fesch und schon verboten? in: Pichler, Rauchen & Recht, 11ff sowie von Strejcek, Tabak im Spiegel von Recht, Politik und Literatur in: Strejcek, Rauchen im Recht, 297ff. Beide Faktoren spiegeln sich im rechtswissenschaftlichen Diskurs nicht zuletzt auch dergestalt wider, als in der jüngeren Vergangenheit auch die Ersatzfähigkeit von Raucherschäden erörtert wurde. Vgl hiezu die Ausführungen von Leitner, Zum Ersatz von Raucherschäden nach österreichischem Recht, ÖJZ 2004, 93ff sowie Davani, Der Konstruktionsfehler der Zigarette nach dem PHG in Österreich, ecolex 2004, 437ff. Tabak verursacht Krebs-, Atemwegs- sowie in hohem Ausmaß Herz-KreislaufErkrankungen. Zu den gesundheitlichen Auswirkungen siehe hiezu die von der Europäischen Kommission herausgegebene Studie, Tobacco or Health in the European Union - Past, Present and Future, 2004, 27ff. Siehe dazu etwa die von der WHO in Auftrag gegebene Studie von Esson/Leeder, The Millennium Health Goals and Tobacco Control, 2004, 18. Siehe hiezu die von der Europäischen Kommission herausgegebene Studie, Tobacco or Health in the European Union - Past, Present and Future, 2004, 13. So etwa die EB zur RV 700 BlgNR 22. GP, 6.
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gen auf die Gesundheit von Nichtrauchern, die Tabakrauch ausgesetzt sind (Passivraucher).8 Nichtsdestotrotz rauchen heute annähernd 40% der erwachsenen Bevölkerung in der Gemeinschaft.9 Dabei ist eine bemerkenswerte Zunahme bei Frauen10 sowie insb. auch bei Jugendlichen11 festzustellen. Angesichts dieser Entwicklung und der volkswirtschaftlichen Kosten, die aus ihr erwachsen,12 wird die Notwendigkeit eines gezielten Vorgehens im Hinblick auf Risikoaufklärung und Bekämpfung des Tabakkonsums deutlich.13 Dergestalt wurden sowohl auf internationaler14 als auch auf gemeinschaftlicher15 und innerstaatlicher Ebene16 eine Reihe von Maßnahmen, die zur Verringerung des Tabakkonsums sowie letztlich der dadurch verursachten Schäden beitragen sollen, getroffen. Zu diesen Maßnahmen, die nachfolgend näher behandelt werden sollen, zählen entsprechende Gesundheitserziehung und Informationskampagnen, eine vom Konsum abschreckende Politik hoher Steuern für Tabak, die Regulierung der Herstellung und Vermarktung von Tabakprodukten, verbesserte Produktinformationen, eine weitgehende Einschränkung der Tabakwerbung sowie Vorschriften, die Nichtraucher vor der Belästigung und den Gefahren durch das Rauchen anderer schützen sollen.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Innerstaatliche Regelungszuständigkeit Der wesentliche Zweck der in Rede stehenden Bestimmungen ist in der Abwehr der durch den Tabakkonsum entstehenden Gefahren für die menschliche Gesundheit zu sehen - selbige unterfallen daher dem Kompetenztatbestand Gesundheitswesen (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG). 17 Gesetzgebung und Voll-
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Vgl etwa IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans Volume 83 - Tobacco Smoke and Involuntary Smoking Summary of Data Reported and Evaluation, 2002 9ff. Abrufbar unter: http://monographs.iarc.fr/ENG/ Monographs/vol83/volume83.pdf sowie Studnicka, Rauchen als Faktor der Eigen- und Fremdgefährdung in: Pichler (Hrsg), Rauchen und Recht, 2004, 43f. Vgl Special Eurobarometer 183/Wave 58.2, 4 abrufbar unter: http://ec.europa.eu/ health/ph_determinants/life_style/Tobacco/Documents/eb582_smoking_env_en.pdf. Vgl hiezu KOM(2003) 230 endg, 6. Der Europäische Gesundheitsbericht 2005, 2005, 78. Vgl hiezu etwa die Ausführungen von Sopp, EuZW 2005, Tabakkonsum und Tabakwerbeverbot - eine ökonomische Analyse des Germeinschaftsrechts, 366ff. Zur Notwendigkeit der Regulierung der Tabakindustrie siehe auch Götz von Laffert, Rauchen, Gesellschaft und Staat: Konsumanomalien, Wohlfahrtseffekte und staatlicher Regulierungsbedarf im Zusammenhang mit dem Zigarettenkonsum, 1998. Dazu siehe gleich unten Pkt. I.C.1. Dazu siehe gleich unten Pkt. I.C.2. Dazu siehe gleich unten Pkt. II und III. Vgl etwa VfSlg 3650/1959, 7582/1975, 8035/1977: „ [...] Maßnahmen der Staatsgewalt, die der Abwehr von Gefahren für den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung (für die Volksgesundheit) dienen, gehören zur Sanitätspolizei und damit zum Gesundheitswesen (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG). Siehe auch Mayer, B-VG3, 2002, Art 10 B-VG I.12.
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ziehung in Bezug auf Regulierungsmaßnahmen auf dem Tabaksektor sind sohin primär dem Bund zugewiesen. Einzelne Vorschriften jedoch, die jedenfalls mittelbar die Regulierung des Tabaksektors zum Gegenstand haben und gesundheitspolitisch angelegt sind, sich dabei aber zugleich auch von ihren Schutzbestrebungen her in einem besonderen Maße auf einen speziellen, zur Länderzuständigkeit gehörenden Bereich konzentrieren, fallen entsprechend der Gesichtspunktetheorie in Gesetzgebung und/oder Vollziehung in die Kompetenz der Länder.18 Zu diesen Vorschriften zählen insbesondere Regelungen über den Erwerb von Tabakerzeugnissen oder deren Konsum durch Jugendliche, die in den verschiedenen Jugendschutzgesetzen der Länder niedergelegt sind, da bei jenen nicht die Aspekte des Gesundheitswesens, sondern solche des Jugendschutzes im Vordergrund stehen.19
2. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Bereich des Tabakwesens Die zentralen Maßnahmen, die bislang auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene im Bereich des Tabakwesens getroffen wurden (TabakRL, TabakwerbeRL),20 wurden im Rahmen der gemeinschaftlichen Aktionsprogramme zur Harmonisierung des Binnenmarktes, somit primär auf der Grundlage von Art 95 EGV eingeführt. Diese Gemeinschaftskompetenz als Rechtsgrundlage für die genannten Maßnahmen heranzuziehen, hat jedoch mehrere rechtliche Bedenken aufgeworfen; verfolgen doch die im Tabakwesen erlassenen Gemeinschaftsvorschriften gleichsam neben der Rechtsangleichung der mitgliedstaatlichen Regelungen zu weiten Teilen auch gesundheitspolitische Zielsetzungen. Für den Bereich des Gesundheitswesens ist die Gemeinschaft aber lediglich - wie sich aus dem in Art 152 Abs 4 lit c EGV21 ausdrücklich normierten Harmonisierungsverbot ergibt - auf Fördermaßnahmen22 beschränkt.23 Mit den dadurch aufgeworfenen Fragen, wie weit die Kompetenznorm des Art 95 EGV für die Regulierung des Tabaksektors reicht und in welchem Verhältnis sie zum Harmonisierungsverbot nach Art 152 Abs 4 lit c EGV steht, hatte sich der EuGH grundlegend in einem Verfahren, zur Primärrechtskonformität der ersten TabakwerbeRL24 auseinanderzusetzen.25 18 19 20 21
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Zur Gesichtspunktetheorie Funk, Das System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung im Lichte der Verfassungsrechtsprechung, 1980, 48 ff. Zu den Kompetenzen im Bereich des Jugendschutzes VfSlg 7946/1976. Zu diesen siehe gleich unten Pkt. I.C.2. Danach hat der Rat „Fördermaßnahmen, die den Schutz und die Verbesserung der menschlichen Gesundheit zum Ziel haben, unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten“ zu treffen. Zu den Fördermaßnahmen der Gemeinschaft, die der Bekämpfung des Tabakkonsums dienen sollen, siehe näher unten Pkt. I.C.2.a. Siehe hiezu Wichard, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar, 2007, Art. 152 EGV, Rdnr. 16 ff. 98/43/EG Abl 1998 L 213/9. EuGH, Rs C-376/98, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419; Vgl aus der diesbezüglichen Literatur etwa Caspar, Das europäische Tabakwerbeverbot und das Gemeinschaftsrecht, EuZW 2000, 238ff; Eisenberger/Urbantschitsch, Tabakwerbe-Richtlinie: Gemeinschafts- und verfassungsrechtliche Fragestellungen, ÖZW 1998, 106; Kamann, Viel Rauch um nichts? - Gesundheitsschutz im Rahmen der Binnenmarktharmonisierung gemäß Art 95 EGV nach dem „Tabakwerbeurteil“ des
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Der Auffassung des Gerichtshofs zufolge ist Art 95 EGV dann als Rechtsgrundlage heranzuziehen, wenn dies für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist und dadurch der ausdrückliche Ausschluss jeglicher Harmonisierung gemäß Art 152 Abs 4 lit c EGV nicht umgangen wird. Demnach müssten Maßnahmen, die sich auf Art 95 EGV stützen, tatsächlich den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern.26 Hemmnisse des freien Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehrs sowie die sich daraus ergebenden Wettbewerbsverzerrungen müssten zumindest wahrscheinlich und jene Maßnahmen gemäß Art 95 EGV, die zur Vorbeugung und nicht erst zur Vermeidung der Entstehung solcher Hindernisse erlassen werden, geeignet sein, dies auch zu erreichen. Liegen diese Voraussetzungen vor, was anhand „objektiver gerichtlich nachprüfbarer Umstände“ aus Ziel und Inhalt des betreffenden Rechtsaktes zu ermitteln ist,27 so steht nach Ansicht des EuGH der Heranziehung von Art 95 EGV nicht entgegen, dass die auf dieser Grundlage erlassenen Maßnahmen auch gesundheitspolitische Zielsetzungen verfolgen.28 Dies gelte jedoch dann nicht, wenn der betreffende Rechtsakt eine Harmonisierung der Marktbedingungen in der Gemeinschaft gleichsam nur nebenbei bewirke.29 Im Lichte dieser Erwägungen kam der EuGH zum Schluss, dass die umstrittene erste Tabakwerberichtlinie, die jede Form der Werbung und des Sponsoring untersagte,30 angesichts ihres allgemeinen Charakters nicht auf Art 95 EGV gestützt werden konnte; waren doch den Ausführungen des Gerichtshofs zufolge für einen großen Teil der Werbemedien - vorwiegend der ortsgebundenen - keine Hemmnisse für den freien Verkehr aufgrund unterschiedlicher mitgliedstaatlicher Regelungen und insofern auch kein Beitrag der Tabakwerbungsrichtlinie zu ihrer Beseitigung gegeben. Ebenso wenig konnte er für bestimmte Bereiche der Tabakmärkte spürbare Wettbewerbsverzerrungen erkennen,31 die es rechtfertigen würden, Art 95 EGV für ein allgemeines Werbeverbot, wie es die Richtlinie vorsieht, zur Anwendung zu bringen. Aus diesen Gründen erklärte der Gerichtshof die erste Tabakwerberichtlinie gemäß Art
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EuGH, ZEuS 2001, 23; Leidenmühler, Tabak, Werbung und das Europarecht, ecolex 1999, 138; Raschauer, Ultra-vires Akte der Europäischen Gemeinschaften, ÖJZ 2000, 241; Wägenbauer, Binnenmarkt und Gesundheitsschutz - eine schwierige Kohabitation, EuZW 2000, 549; Selmayer/Kamann/Ahlers, Die Binnenmarktkompetenz der Europäischen Gemeinschaft, EWS 2003, 49ff. EuGH (FN 25) Rdnr. 86. Insofern impliziert Art 95 EGV keine allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarktes. Dies würde dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung widersprechen. So der EuGH bereits in Rs. C-233/94, Deutschland/EP und Rat, Slg. 1997, I-2405, Rdnr. 13; Rs. C-300/89, Titandioxid, Slg. 1991, I-2867, Rdnr. 10. Vielmehr schreibt Art 95 Abs 3 ausdrücklich vor, dass bei Harmonisierungen von einem hohen Gesundheitsschutzniveau auszugehen ist. Vgl EuGH (FN 25) Rdnr. 88. Vgl EuGH Rs. C-155/91, Abfallrichtlinie, Slg. 1993, I-939, Rdnr. 19. Art 3 Abs 1 RL 98/43/EG (FN 24). So stellte der Gerichtshof fest, dass im Wettbewerb zwischen den Werbeagenturen und den Herstellern von Werbeträgern im Hinblick auf verschiedene Formen des Sponsoring sowie auch auf dem Markt der Tabakerzeugnisse keine spürbaren Verzerrungen gegeben seien.
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231 Abs 1 EGV für nichtig, stellte dabei aber gleichzeitig ausdrücklich klar, dass er den Erlass einer Richtlinie, die lediglich bestimmte Formen der Werbung und des Sponsoring untersagt hätte, als zulässig erachtet. 32 Die Vorgaben des Gerichtshofs wurden von Seiten des Gemeinschaftsgesetzgebers - jedenfalls vordergründig - bereitwillig aufgegriffen. Wenngleich der Kritik des EuGH auch inhaltlich entsprechender Tribut gezollt wurde,33 so sind insbesondere die Erwägungsgründe jener Rechtsakte,34 die das Tabakrecht nachfolgend gemeinschaftsweit in Einklang bringen sollten, in geradezu offenkundiger Manier vom Bemühen gekennzeichnet, ihre Bedeutung für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts hervorzustreichen;35 eine Vorgehensweise, die auch von Erfolg gekrönt werden sollte, hielten doch in weiterer Folge sowohl die TabakRL als auch die Neufassung der TabakwerbeRL - zum Teil heftiger Kritik innerhalb der Literatur entgegen36 - der Überprüfung durch den Gerichtshof stand.37
C. Gemeinschafts- und völkerrechtliche Grundlagen 1. Internationale Vorgaben - die Weltgesundheitsorganisation Die besorgniserregende weltweite Verbreitung des Tabakkonsums hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veranlasst, dieser Entwicklung verstärkt auf globaler Ebene zu begegnen. So hat die Weltgesundheitsversammlung (WHA) als leitendes Organ der WHO im Jahr 1999 mittels einer einstimmig angenommenen Resolution38 den Weg zur Schaffung einer multilateralen Rahmenvereinbarung zur Überwachung des Tabakkonsums eröffnet. Dieses Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (Tabakrahmenübereinkommen) wurde am 21. Mai 2003 abgeschlossen39 und von Österreich mit dem 15. September 2005 ratifiziert.40 Die Annahme durch die Europäische Gemeinschaft erfolgte bereits durch eine Ratsentscheidung im Juni 2004.41 32 33 34 35 36
37
38 39 40 41
Vgl EuGH (FN 25) Rdnr. 117. Vgl hiezu unten 1.C.2.c. Vgl die RL 2001/37/EG sowie 2003/33EG. S. hiezu unten I.C.2. Vgl hiezu die beinah sardonische Kritik bei Schroeder, Vom Brüsseler Kampf gegen den Tabakrauch - 2. Teil, EuZW 2001, 490. S. hiezu etwa Schroeder (FN 35), 490ff; Görlitz, EU-Binnenmarktkompetenzen und Tabakwerbeverbote, EuZW 2003, 487ff; Wägenbaur, Tabak, Ende der Diskussion oder Diskussion ohne Ende?, EuZW 2003, 108f sowie zuletzt die Glosse von Stein, EuZW 2007, 46 (54ff). Vgl hiezu im Einzelnen EuGH, Rs C-491/01, British American Tobacco, Slg 2002, I-11453; Rs C-434/02, Arnold André, Slg 2004 I-11825; Rs C-210/03, Swedish Match, Slg 2004 I-11893; sowie jüngst EuGH vom 12.12.2006 Rs C-380/03, Deutschland/Parlament und Rat, n.v. Zur näheren Auseinandersetzung mit der kompetenzrechtlichen Einordnung der EG-Regulierungsakte im Bereich Tabak vgl insb. Selmayr/Kamann/Ahler (oben FN 25) 50ff sowie Ludwigs, Art. 95 EG als allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarktes oder als „begrenzte Einzelermächtigung“?, EuZW 2006, 417. WHA 53.16. WHA 56.1. BGBl III 219/2005. 2004/513/EG, Abl 2004 L 213/8.
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Das Vertragswerk selbst ist denkbar umfassend und enthält neben Vorgaben im Hinblick auf preisbezogene und steuerliche Maßnahmen zur Verminderung der Nachfrage nach Tabak (Art 6), Regelungen in Bezug auf die Verpackung und Etikettierung von Tabakerzeugnissen sowie über Angaben im Hinblick auf ihre Inhaltsstoffe (Art 10 ff) und Vorgaben in Bezug auf Werbung für Tabakerzeugnisse, Verkaufsförderung oder Sponsoring (Art 13), insbesondere Bestimmungen, die den Vertrieb von Tabakerzeugnissen regulieren sollen (Art 15 und 16). Die genannten Bestimmungen finden sich materiell sowohl in europarechtlichen als auch in innerstaatlichen Akten wieder.42 Durch Art 23 des Tabakrahmenübereinkommens wurde eine Konferenz der Vertragsparteien eingerichtet, deren Aufgabe es insbesondere ist, regelmäßig die Durchführung des Übereinkommens zu prüfen und die notwendigen Entscheidungen zur Förderung seiner wirksamen Durchführung zu treffen43 (Art 23 Abs 5). Die erste Tagung der Konferenz fand im Februar 2006 statt.44
2. Europäisches Tabakrecht a) Allgemeines Um der überaus hohen Zahl der Todesopfer, die der Tabakkonsum in der Gemeinschaft nach sich zieht, zu begegnen, wurden von Seiten der Europäischen Gemeinschaft in Ausübung ihrer Kompetenz gemäß Art 152 EGV entsprechende Aufklärungsprogramme lanciert, die durch weitläufige Information der Bevölkerung dazu beitragen sollen, ein hohes Niveau im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu etablieren.45 Dezidiert auf die Problematik des Tabakkonsums bezogen, wurde im März 2005 die mit 72 Millionen Euro dotierte Kampagne „Help - für ein rauchfreies Leben“ gestartet46, die einerseits präventiv (somit im Hinblick auf die Aufklärung über mit dem Tabakkonsum verbundenen Risiken) als auch insoweit unterstützend wirken soll, als Raucher zum Aufgeben ermuntert und bei der Entwöhnung unterstützt werden sollen. Zentral ist der Tabaksektor von Gemeinschaftsvorgaben jedoch im Rahmen der Binnenmarktharmonisierung betroffen. Hier sind zunächst jene Rechtsakte zu nennen, welche die Verbrauchsteuer auf Zigaretten und andere Tabakwaren annähern sollen;47 unmittelbare Bedeutung für die Herstellung, die Aufmachung, den Vertrieb sowie die Bewerbung von Tabakwaren kommt der Tabakrichtlinie48 sowie der Tabakwerberichtlinie49 zu. Auf die beiden letztgenannten Rechtsakte soll daher im Weiteren näher eingegangen werden. 42 43 44 45
46 47
48
Vgl hiezu RL 2001/37/EG, RL 2003/33/EG (unten I.C.2.b sowie I.C.2.c) sowie etwa die EB zur RV 700 BlgNR 22. GP, 2. Dies etwa durch Strategieentwicklung und Umsetzung sowie im Rahmen der Mittelaufbringung. Vgl hiezu im Einzelnen Art 23 Abs 5 lit a-h. Vgl hiezu die Materialien unter http://www.who.ind/gp/fctcc. Vgl in diesem Zusammenhang insbesondere das zwischen 1996 und 2002 durchgeführte Programm Europa gegen den Krebs (Abl 1986 C 184/19 verlängert durch Abl 2001 L 79/1). Vgl hiezu MEMO/05/68 sowie www.help-eu.com. Siehe hiezu die RL 92/79/EWG und idF RL 2003/117/EG sowie die RL 95/59/EG idF RL 2002/10/EG. Vgl. hiezu Sonnleithner, Die Quellen des Tabaksteuer-Rechts in: Strejcek (Hrsg), Rauchen im Recht, 282ff. 2001/37/EG.
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b) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen Vordringlich in der Intention, die bestehenden Rechtsvorschriften auf den neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bringen50 sowie jene Handelshemmnisse zu beseitigen, die durch Unterschiede in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen auftraten und dadurch das Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigten, wurden mit der so genannten „Tabakrichtlinie“ bislang bestehende Gemeinschaftsrechtsakte51 überarbeitet und ergänzt. Den Vorgaben der Richtlinien entsprechend, dürfen in den Mitgliedstaaten ausschließlich Zigaretten in den freien Verkehr gebracht, vermarktet oder hergestellt werden, die näher bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten. So darf der Teergehalt 10 mg je Zigarette, der Nikotingehalt 1,0 mg je Zigarette und der Kohlenmonoxidgehalt 10 mg je Zigarette nicht überschreiten. Diese Vorgaben gelten nunmehr auch für Zigaretten, die in der Gemeinschaft hergestellt, aber aus dem Gemeinschaftsgebiet exportiert werden (Art 3 Abs 2).
Der Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalt von Zigaretten ist auf einer Schmalseite der Zigarettenpackung anzugeben; diese Angaben müssen mindestens 10 % der betreffenden Fläche einnehmen. Tabakerzeugnisse52 haben auf ihren Packungen allgemeine („Rauchen ist tödlich/Rauchen kann tödlich sein“ oder „Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“) und ergänzende Warnhinweise (etwa „Rauchen verursacht tödlichen Lungenkrebs“ oder „Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen“) aufzuweisen. Diese Warnhinweise müssen 30 bzw 40 % der Außenfläche der entsprechenden Breitseite der Packung einnehmen, auf der sie aufgedruckt sind. Auch im Hinblick auf Schriftart und Formatierung bestehen nähere Vorgaben (vgl im Einzelnen Art 5 Abs 6 Tabakrichtlinie).
Begriffe, Namen, Marken und Zeichen, die den Eindruck erwecken, ein bestimmtes Tabakerzeugnis sei weniger schädlich als andere (etwa „mild“ oder „light“) dürfen auf der Verpackung von Tabakerzeugnissen nicht verwendet werden (Art 7 Tabakrichtlinie).53 Tabak zum oralen Gebrauch54 darf nicht in Verkehr gebracht werden55 (Art 8 Tabakrichtlinie).56 49 50 51 52 53 54
55 56
2003/33/EG. Vgl den 4. Erwägungsgrund der RL 2001/37/EG. Siehe RL 89/622/EWG, Abl 1989 L 359/1 idF 92/41/EWG, Abl 1992 L 158/30 sowie RL 90/239/EWG, Abl 1990 L 137/36. Außer solche zum oralen Gebrauch (hiezu sogleich) sowie sonstige nicht zum Rauchen bestimmte Tabakerzeugnisse. S. hiezu die kritischen Anmerkungen von Wägenbaur, (FN 36) 109. Gemäß Art 2 Z 4 Tabakrichtlinie somit grundsätzlich alle zum oralen Gebrauch bestimmten Erzeugnisse, die ganz oder teilweise aus Tabak bestehen mit Ausnahme solcher Erzeugnisse, die zum Rauchen und Kauen bestimmt sind. Dies unter Ausnahme des Staatsgebiets des Königreichs Schweden gemäß Art 151 der Akte über den Beitritt Österreichs, Finnlands und Schwedens. Dies obwohl dem von dieser Bestimmung unmittelbar betroffenen „swedish snus“ eine wesentlich geringere Gesundheitsgefährdungsneigung attestiert wird, als Ta-
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Den Mitgliedstaaten steht es frei, ergänzende Warnhinweise in Form von Farbfotografien oder anderen Abbildungen gemäß den Vorgaben einer Entscheidung der Kommission anzubringen (Art 5 Abs 3 Tabakrichtlinie)57.
c) Die „neue“ Tabakwerberichtlinie Ausgehend von den Anforderungen, die der EuGH im Rahmen der Nichtigerklärung der ersten Tabakwerberichtlinie58 im Hinblick auf die Reichweite der in Art 95 EGV festgelegten Binnenmarktharmonisierungskompetenz formulierte,59 ist die neu gefasste Tabakwerberichtlinie60 in wesentlich stärkerem Ausmaß an der grenzüberschreitenden Wirkung der anzugleichenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten orientiert. Jene Elemente, die vom EuGH ob ihrer mangelnden Maßgeblichkeit für den Abbau von Handelshemmnissen oder der fehlenden Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen (rein innerstaatlich wirksame Werbemaßnahmen wie Kinooder Plakatwerbung bzw. bloß regional wirksames Sponsoring) kritisiert worden waren, wurden vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen und in eine, die Tabakrichtlinie und die Tabakwerberichtlinie flankierende Empfehlung des Rates aufgenommen. 61 Inhaltlich verbietet die Richtlinie nunmehr grundsätzlich jede Art der kommerziellen Kommunikation mit dem Ziel der direkten oder indirekten Wirkung, den Verkauf von Tabakerzeugnissen zu fördern in der Presse und anderen gedruckten Veröffentlichungen. 62 Gleiches gilt für Dienste der Informationsgesellschaft (Art 3 Tabakwerberichtlinie). Rundfunkwerbung für Tabakerzeugnisse ist kategorisch verboten (Art 4 Tabakwerberichtlinie).63 Sponsoring von Veranstaltungen oder Aktivitäten, an denen mehrere Mitgliedstaaten beteiligt sind, die in mehreren Mitgliedstaaten stattfinden oder die eine sonstige grenzüberschreitende Wirkung aufweisen, ist untersagt.64 Gleiches gilt für die
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bakprodukten, die geraucht werden. Vgl hiezu die Ausführungen von Kunze, Die rechtliche Position der EU zum Tabakproblem in: Pichler (Hrsg), Rauchen & Recht, 2004, 48ff. Vgl die Entscheidung 2003/641/EG, Abl 2003 L 226/24. Art 3 dieser Entscheidung folgend richtete die Kommission 2005 eine Bibliothek der Quelldokumente ein (vgl die Entscheidungen K [2005] 1452 endg. und K [2006] 1502 endg.). 98/43/EG, Abl 1998 L 213/9. S. hiezu oben I.B.2. 2003/33/EG. 2003/54/EG, Abl 2003 L 22/31 (siehe hiezu sogleich). Dies unter Ausnahme solcher gedruckter Medien, die ausschließlich für im Tabakhandel tätige Personen bestimmt sind, sowie von Veröffentlichungen, die in Drittländern gedruckt und herausgegeben werden, sofern diese nicht hauptsächlich für den Gemeinschaftsmarkt bestimmt sind. Dies ergibt sich für den Bereich der Fernsehwerbung und des Teleshoppings für Zigaretten bereits aus Art 13 der Fernsehrichtlinie (89/552/EWG, Abl 1989 L 298/23 idF 97/36/EG, Abl 1997 L 202/60, wurde für den Hörfunk jedoch erst durch Art 3 der Tabakwerberichtlinie etabliert). Vgl hiezu Bezemek/Ribarov, SectorSpecific Regulation at Content Level in: Holoubek/Damjanovic/Traimer, Regulating Content, 126 ff. Vgl hiezu bereits die Ausführungen des EuGH zur ersten Tabakwerberichtlinie oben I.B.2 sowie die Empfehlung des Rates 2003/54/EG (siehe hiezu sogleich).
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kostenlose Verteilung von Tabakerzeugnissen im Zusammenhang mit solchem Sponsoring. d) Sonstige Gemeinschaftsakte Um jene gesundheitspolitischen Aspekte, die, unbeschadet des Art 95 Abs 3 EGV inhärenten hohen Gesundheitsschutzniveaus, nicht im Rahmen der Binnenmarktharmonisierungskompetenz bewältigt werden können, auf Gemeinschaftsebene anzunähern, wurde 2002 seitens des Rates eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten zur Prävention des Rauchens und für Maßnahmen zur gezielteren Eindämmung des Tabakkonsums abgegeben.65 Diese Empfehlung beinhaltet sowohl Vorgaben im Hinblick auf den Vertrieb von Tabakerzeugnissen als auch in Bezug auf Sponsoring und Werbung. So sollen etwa der Zugang zu den Produkten in Zigarettenautomaten reguliert, der Verkauf von Süßigkeiten und Spielzeug, das für Kinder bestimmt ist und dem Aussehen bestimmter Tabakerzeugnisse ähnelt, sowie der Verkauf einzelner Zigaretten oder von Zigarettenpackungen mit weniger als 19 Stück verboten werden. Werbestrategien unter Verwendung von Tabak-Markennamen bei tabakfremden Produkten oder Dienstleistungen sowie Kinowerbung und letztlich jede andere Form von Reklame, Sponsoring oder von Praktiken, mit denen direkt oder indirekt für Tabakerzeugnisse geworben wird, sind nach Möglichkeit zu unterbinden. Der österreichische Gesetzgeber hat mehrere dieser Empfehlungen im Rahmen des TabakG berücksichtigt (siehe hiezu sogleich). Abseits dieser Empfehlungen des Rates sei an dieser Stelle noch auf mögliche legislative Maßnahmen europäischer Dimension hingewiesen: Wenngleich die Gemeinschaft im Bereich des Gesundheitswesens in ihren Tätigkeiten auf Fördermaßnahmen beschränkt ist (s. hiezu oben I.B.2.), mehren sich die Vorstöße gemeinschaftsweite Rahmenbedingungen für Rauchverbote an öffentlich zugänglichen Orten zu etablieren; etwaige diesbezügliche Möglichkeiten werden in einem jüngst veröffentlichten Grünbuch der Kommission erörtert.66
II. Tabakgesetz A. Allgemeines Das TabakG67 normiert, in Umsetzung der dargestellten gemeinschafts- und völkerrechtlichen Vorgaben, Rahmenbedingungen für die Produktion, den Vertrieb und die Bewerbung von Tabakerzeugnissen sowie den Nichtraucherschutz. Im Wesentlichen enthält es Vorschriften zur Qualitätssicherung, Maximalwerte für den Schadstoffgehalt von Tabakerzeugnissen, weitreichende Etikettierungsbestimmungen zum Zweck umfassender Konsumentenaufklärung, Werbebeschränkungen für Tabakwaren, sowie durch die Festlegung von Rauchverboten an bestimmten Orten. 65 66 67
2003/54/EG, Abl 2003 L 22/31. Green Paper - Towards a Europe free from tobacco smoke: policy options at EU level, COM(2007) 27 final. BGBl I 1995/431 idF BGBl I 2006/47.
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B. Regelungen über die Produktion und den Vertrieb von Tabakerzeugnissen Den engen Vorgaben der Tabakrichtlinie entsprechend68, dürfen der Kondensat-(Teer-)gehalt 10 mg, der Nikotingehalt 1,0 mg und der Kohlenmonoxidgehalt 10 mg im Rauch einer Zigarette nicht überschreiten. Die gleichen Grenzwerte gelten auch für Zigaretten, die im Inland hergestellt werden und für den Export aus der Europäischen Union bestimmt sind (§ 4 Abs 2 und 3 TabakG). Der durchschnittliche Gehalt an Kondensat-(Teer-), Nikotin- und Kohlenmonoxid im Rauch einer Zigarette der betreffenden Sorte ist auf Zigarettenpackungen auszuweisen (§ 4a TabakG). Die Angaben sind auf einer Schmalseite der Zigarettenpackung so aufzudrucken, dass sie mindestens 10 % der betreffenden Fläche einnehmen (§ 6 Abs 4 TabakG). Das Verfahren zur Messung der in § 4 festgesetzten Höchstmengen und zur Kontrolle des Kondensat-(Teer-), Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalts bezüglich der in § 4 TabakG festgesetzten Höchstmengen und der gemäß § 4a TabakG anzugebenden Menge wurde auf dem Verordnungsweg festgelegt.69
In Umsetzung des in der Tabakrichtlinie vorgegebenen Katalogs sind allgemeine und ergänzende Warnhinweise auf Packungen von Tabakerzeugnissen, die zum Rauchen bestimmt sind, anzubringen (§ 5 Abs 1 und 2 TabakG). Diese Warnhinweise sind jeweils alternierend so zu verwenden, dass sie regelmäßig auf den Packungen erscheinen (§ 5 Abs 3 TabakG). Der allgemeine Warnhinweis („Rauchen kann tödlich sein“ oder „Rauch fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“) hat mindestens 30 % der Außenfläche der vorderen Breitseite der Packung einzunehmen (§ 6 Abs 1 TabakG). Der ergänzende Warnhinweis hat 40 % der hinteren Breitseite der Packung einzunehmen (§ 6 Abs 2 TabakG). Die Packungen von Tabakerzeugnissen, die nicht zum Rauchen bestimmt sind, müssen auf der Vorderseite der Packung den Warnhinweis: „Dieses Tabakerzeugnis kann Ihre Gesundheit schädigen und macht abhängig“ aufweisen. Auch dieser Warnhinweis hat mindestens 30 % der vorderen Breitseite der Packung einzunehmen (§ 6 Abs 1 TabakG).
Sämtliche Warnhinweise sowie die Angaben des Kondensat-(Teer-), Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalts sind in Helvetica fett schwarz auf weißem Hintergrund zu drucken, wobei der aufgedruckte Wortlaut den größtmöglichen Anteil der zur Verfügung stehenden Fläche einzunehmen hat, in deutscher Sprache zu verfassen und unablösbar und unverwischbar aufzudrucken. Diese Aufdrucke dürfen nicht durch andere Angaben oder Bildzeichen verdeckt oder undeutlich gemacht werden und sind an einem nicht aufklappbaren Teil der Packung so anzubringen, dass sie beim Öffnen der Verpackung 68 69
Richtlinie 2001/37/EG, Abl 2001 L 194/26. Siehe hiezu bereits oben I.C.2.b. Vgl Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen zur Festlegung von Verfahren für die Messung und Kontrolle des Kondensat- (Teer-), Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalts im Rauch von Zigaretten BGBl II 1996/738 idF BGBl II 2004/217. Die Verordnung bezieht sich zwar nach wie vor auf die §§ 4 Abs 2 und 7 Abs 3 des TabakG idF BGBl 1995/431; mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg 16.608) muss ihr „die Qualität einer Durchführungsverordnung im Sinne der betreffenden neu gefassten Gesetzesbestimmung insoweit zukommen, als sie auch in der neuen Fassung Deckung“ findet, was im Verhältnis zwischen den genannten Bestimmungen und der in Geltung stehenden Ermächtigung in § 4b TabakG anzunehmen ist.
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nicht verdeckt, undeutlich oder getrennt werden können (siehe hiezu und zu weiteren Vorgaben § 6 Abs 5 TabakG). Tabakerzeugnisse sind zur Sicherstellung der Identifizierung und Rückverfolgung in angemessener Form zu kennzeichnen, dies unter Angabe der Chargennummer oder einer entsprechenden Kennzeichnung auf der Verpackungseinheit, die die Feststellung des Ortes und des Zeitpunkts der Herstellung ermöglicht (§ 7 Abs 1 TabakG).
Auf Packungen von Tabakerzeugnissen dürfen keine Begriffe, Namen, Marken oder figurative oder sonstige Zeichen verwendet werden, die den Eindruck erwecken, ein bestimmtes Tabakerzeugnis sei weniger schädlich als das andere (§ 7 Abs 3 TabakG); die Verwendung von Markennamen wie „Milde Sorte“ ist auf Grund dieser Bestimmung nicht länger möglich.70 Tabakerzeugnisse, die den dargestellten Vorgaben (s. im Einzelnen §§ 3-7 TabakG samt der korrespondierenden VO) nicht entsprechen oder für den oralen Gebrauch71 bestimmt sind, dürfen nicht in Verkehr gebracht werden. Auch das In-Verkehr-Bringen von Einzelzigaretten, unverpackten Zigaretten oder Zigarettenpackungen unter einer Mindestgröße von 20 Stück ist verboten (vgl § 2 Abs 1 und 2 TabakG), um einerseits den Preisvergleich zwischen den einzelnen Produkten zu erleichtern und Mogelpackungen zu vermeiden, andererseits um über einen solchen Steuerungsmechanismus mittelbar ein entsprechend hohes Preisniveau zu etablieren, das insbesondere dazu angetan sein soll, dem Einstieg im Jugendalter entgegen zu wirken.72 Wer den genannten Bestimmungen entgegen Tabakerzeugnisse in Verkehr bringt, kann gemäß § 14 Abs 1 mit einer Geldstrafe von bis zu € 7.260,- belegt werden. Die gegenständlichen Tabakerzeugnisse sind einzuziehen, außer es ist gewährleistet, dass dieselben nicht unter Verletzung der Bestimmungen des TabakG oder der entsprechenden VO in Verkehr gebracht werden.
C. Erhebung der verwendeten Inhaltsstoffe Hersteller und Importeure, die Tabakerzeugnisse in Verkehr bringen, haben bis zum Ende jeden Jahres dem Bundesministerium für Gesundheit eine nach Markennamen und Art gegliederte Liste sämtlicher Inhaltsstoffe, die bei der Herstellung dieser Tabakerzeugnisse verwendet wurden, und ihre Mengen zu übermitteln. Diese Übermittlung kann, unter bestimmten Voraussetzungen, auch durch den Lizenz- oder Auftraggeber erfolgen (§ 8 Abs 1 und 2 TabakG). Dieser Liste ist eine Erklärung beizufügen, in der die Gründe für die Zusetzung von Inhaltsstoffen zu den Tabakerzeugnissen zu erläutern sind. In dieser Erklärung sind Funktion und Kategorie der Inhaltsstoffe sowie toxikologische Daten insbesondere im Hinblick auf ihre gesundheitlichen Auswirkungen und unter dem Gesichtspunkt jedwe70
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Vgl hiezu wiederum die kritischen Ausführungen von Wägenbaur (FN 36), 109 zu Art 7 der TabakRL 2001/37/EG sowie die Darstellung bei Strejcek, Tabakgesetz in: Strejcek (Hrsg), Rauchen im Recht, 2007, 48. Ausgenommen hievon ist wiederum Kautabak. Da das TabakG selbst keine Legaldefinition der Begriffskette „Tabak zum oralen Gebrauch“ enthält, ist zur näheren Bestimmung auf die Definition des dem Terminus zu Grunde liegenden Art 2 Z 4 der Tabakrichtlinie 2001/37/EG zurückzugreifen. Vgl hiezu EB zur RV 700 BlgNR 22. GP, 3; die vorliegende Regelung geht somit über die in Art 1 lit. f. der Empfehlung des Rates 2003/54/EG vorgesehene Mindestpackungsgröße von 19 Stück hinaus.
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der süchtigmachender Wirkung anzuführen (§ 8 Abs 4 TabakG); ein Verzeichnis des auf den Packungen angegebenen Kondensat-(Teer-), Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalts jener Zigaretten, die im vergangenen Jahr durch den Verpflichteten in Verkehr gebracht wurden (§ 8 Abs 6 TabakG), ist anzuschließen.
D. Überwachung Die Überwachung der genannten Bestimmungen obliegt dem Bundesminister für Gesundheit (BMGFJ). Von ihm eingesetzte Aufsichtsorgane sind befugt, sämtliche Betriebe, durch die Tabakerzeugnisse in Verkehr gebracht werden, zu besichtigen, Aufzeichnungen einzusehen, die Produktions- und Vertriebszwecken dienen, sowie Proben von Tabakerzeugnissen zu entnehmen. Derartige Proben sind nach Möglichkeit in drei gleiche Teile zu teilen, die amtlich zu verschließen sind. Ein Teil der Probe ist, soweit dies zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens erforderlich ist,73 der amtlichen Prüfung zuzuführen (dazu sogleich), ein Teil verbleibt als Muster beim Bundesministerium für Gesundheit, der dritte Teil ist dem Betriebsinhaber als Gegenprobe zu Beweiszwecken zu überlassen. Die Probenentnahme ist zu bestätigen; auf Antrag des Betriebsinhabers ist für die entnommene Probe Entschädigung zu leisten (vgl zu all dem näher § 9 TabakG).
Gemäß § 9 TabakG entnommene Proben sind (sofern erforderlich) von akkreditierten Prüf- und Überwachungsstellen auf ihre Konformität mit den der §§ 3, 4, 4a und 4b TabakG, somit insbesondere auf die Wahrung der Höchstgrenzen des Kondensat-(Teer-), Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalts74 hin zu untersuchen (§ 10 TabakG).
E. Mindestkleinverkaufspreise Um dem preislichen Konkurrenzkampf auf dem Tabaksektor entgegenzuwirken,75 wurde mit BGBl I 47/2006 in Gestalt von § 2 Abs 4 TabakG ein gesundheitspolitisch motiviertes Instrument zur Tabakprävention geschaffen. Die genannte Bestimmung ermächtigt die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen (nunmehr BMGFJ) im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen im Interesse der Tabakprävention zur Sicherstellung eines Mindestpreisniveaus den Mindestkleinverkaufspreis von Tabakerzeugnissen durch Verordnung festzusetzen.
Von dieser Ermächtigung wurde in Form der MindestpreisregelungsVO76 Gebrauch gemacht, deren § 4 gemäß ab 15. Mai 2006 ein entsprechender Mindestkleinverkaufspreis, der pro Stück 92,75% des gewichteten Durchschnittspreises aller verkauften Zigaretten des abgelaufenen Kalenderjahres beträgt77, vorgesehen ist (§ 2 Abs 1 MindestpreisregelungsVO). 73 74 75 76 77
Was wohl in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle gegeben sein dürfte, da sonst die Probeentnahme an sich fragwürdig erschiene. Vgl hiezu näher oben II.B. Vgl IA 777/A 22.GP. BGBl II 2006/171. Der Mindestkleinverkaufspreis für Feinschnitt für selbstgedrehte Zigaretten ist mit 90% des gewichteten Durchschnittsgrammpreises aller verkauften Feinschnitttabake für selbstgedrehte Zigaretten des abgelaufenen Kalenderjahres pro Gramm festgesetzt (§ 2 Abs 2 MindestpreisregelungsVO). Zur Berechnung Vgl näher § 3 MindespreisregelungsVO.
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Dieses Regelungsmodell begegnet jedoch, insbesondere vor dem Hintergrund von Art 9 der RL 95/59/EG, wonach etwa Hersteller frei für jedes ihrer Erzeugnisse und für jeden Mitgliedstaat, in dem diese Erzeugnisse in den Verkehr gebracht werden sollen, den Kleinverkaufshöchstpreis bestimmen, europarechtlichen Bedenken.78 Bereits vor einigen Jahren hat der EuGH in einer weitgehend ähnlichen Konstellation entschieden, dass Rechtsvorschriften, denen zufolge Mindestpreise für den Kleinverkauf von Tabakwaren durch Ministererlass festgesetzt werden müssen, mit der genannten Richtlinienbestimmung unvereinbar sind.79 In der jüngeren Vergangenheit wurden durch die Kommission gleich gegen mehrere Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren auf Grund von Mindestpreisregelungen für Zigaretten eingeleitet80; auch an Österreich erging vor dem Hintergrund der MindestpreisregelungsVO ein entsprechendes Mahnschreiben81. Der einhelligen Ansicht des Gerichtshofs und der Kommission zufolge ist die Zielsetzung, ein möglichst hohes Gesundheitsschutzniveau zu etablieren, nicht über Mindestpreise, sondern über erhöhte Besteuerung zu verfolgen, die den Grundsatz der freien Preisfestsetzung an sich unangetastet ließe.82
F. Werbung und Sponsoring In Umsetzung der Vorgaben der Tabakwerberichtlinie83 und des Tabakrahmenübereinkommens der WHO84 sieht § 11 TabakG umfassende Regelungen für Werbung und Sponsoring für Tabakerzeugnisse vor. Die Definitionen von Werbung und Sponsoring in § 1 Z 7 und 7a TabakG sind mit jenen der TabakwerbeRL de facto ident. Der in § 11 Abs 1 TabakG getroffene apodiktische Ausspruch „Werbung und Sponsoring für Tabakerzeugnisse sind verboten“ wird durch die in den folgenden Absätzen vorgesehenen Ausnahmen und Einschränkungen jedoch in wesentlichen Teilbereichen ausgehöhlt. So normiert etwa § 11 Abs 2 TabakG eine Ausnahme für Namen, Marken und Symbole, die zur Zeit des Inkrafttretens der Bestimmung85 bereits guten Glaubens sowohl für Tabakerzeugnisse als auch für andere Erzeugnisse verwendet wurden, dergestalt, als solche für die
78
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S. hiezu auch Klingenbrunner, Gemeinschaftsrechtliche Fragen der Festsetzung von Mindestverkaufspreisen für Zigaretten in: Strejcek (Hrsg), Rauchen im Recht, 2007, 193ff. EuGH Rs C-216/98, Kommission/Griechenland, Slg 2000, I-8921. Vgl die Vertragsverletzungsfälle 2005/2003 (Frankreich), 2005/2248 (Belgien), 2006/2083 (Irland). 2006/2288. Vgl etwa IP/06/866 sowie EuGH (FN 78) Rdnr 31. S. hiezu oben I.C.2.c. BGBl III 2005/219. Gemäß § 17 Abs 2 TabakG der 31. Juli 2005. Der Bestimmung des § 11 Abs 3 TabakG, wonach die Ausnahme des Abs 2 für Namen, Marken oder Symbole für von Tabakerzeugnissen verschiedene Erzeugnisse, die nach Inkrafttreten dieser Bestimmung entwickelt und in Verkehr gebracht werden, nicht gilt, kommt kein eigenständiger normativer Gehalt zu; wiederholt sie doch bloß den zwingenden Umkehrschluss aus dem vorhergehenden Absatz.
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anderen Erzeugnisse an sich sowie für die Bewerbung oder Sponsoring zu Gunsten dieser Erzeugnisse verwendet werden dürfen. Hierbei sind folgende Voraussetzungen kumulativ zu beachten: Zum einen muss es sich bei den anderen Erzeugnissen, Veranstaltungen und Aktivitäten oder der darauf bezogenen Werbung sowie dem darauf bezogenen Sponsoring eindeutig nicht um Tabakerzeugnisse handeln. Des Weiteren dürfen auch keine sonstigen für ein Tabakerzeugnis bereits benutzten Unterscheidungsmerkmale Verwendung finden
Weitergehend sind die Ausnahmen in § 11 Abs 4 TabakG. Dieser Bestimmung zufolge sind insbesondere Werbung durch Tabaktrafikanten gemäß § 39 Abs 1 TabakmonopolG86 (§ 11 Abs 4 Z 4 TabakG), Plakatwerbung für Tabakerzeugnisse87 sowie Kinowerbung im Rahmen nicht jugendfreier Kinovorstellungen (§ 11 Abs 4 Z 6 TabakG) zulässig. Auch ist das Sponsoring von Veranstaltungen und Aktivitäten, an denen nur ein Staat beteiligt ist, die nur in einem Staat stattfinden und auch keine sonstige grenzüberschreitende Wirkung haben, gestattet (§ 11 Abs 4 Z 5 TabakG). Nähere Vorgaben im Hinblick auf die Ausgestaltung der Werbung trifft § 11 Abs 5 TabakG. So hat Werbung für Tabakerzeugnisse grundsätzlich auf die Gesundheitsschädlichkeit des Tabakkonsums hinzuweisen.88 Darüber hinaus verbietet die genannte Bestimmung u. a. Plakatwerbung im direkten Sichtbereich von Schulen und Jugendzentren, Werbung für filterlose Zigaretten, Werbung, die speziell an Jugendliche adressiert ist, sowie Werbung durch oder mit Leistungssportlern und Prominenten.
§ 11 Abs 6 TabakG verbietet jede verbilligte Abgabe, Gratisverteilung und Zusendung von Tabakerzeugnissen mit dem Ziel der direkten oder indirekten Verkaufsförderung. Dieser Grundsatz wird durch die Ausnahme des nachfolgenden Absatzes, wonach die stückweise Gratisabgabe an erwachsene Raucher in Tabaktrafiken anlässlich der Neueinführung einer Marke innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach erstmaligem Inverkehrbringen dieser Marke zulässig ist, jedoch weit gehend abgeschwächt.89 Ein Verstoß gegen die genannten Werbe- und Sponsoringverbote ist gemäß § 14 Abs 1 TabakG mit Geldstrafe von bis € 7260,- bedroht.
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BGBl 1995/830 idF BGBl I 2006/47. S. zum Bereich des Tabakmonopols Segalla, Monopolbetriebe in diesem Handbuch. Bis zu einer Größe von 16 Bogenanschlägen (§ 11 Abs 5 Z 1 TabakG). Vgl. zum Begriff der Plakatwerbung VwGH, 17.12.2002, 2002/11/0268. Dies unter Verwendung eines Warnhinweises gemäß § 5 Abs 1 oder 2 im Umfang von 10% des Werbemittels. Die diesbezügliche Argumentation der EB zu RV 700 BlgNR 22. GP, 5, wonach es durch diese Bestimmung „ gestattet sein [soll], […] neue, allenfalls weniger schädliche Produkte […] zu promoten und den Umstieg auf diese zu erleichtern“ scheint, angesichts der Tatsache, dass Zigaretten in zunehmendem Maße diverse Zusatzstoffe enthalten (vgl hiezu Davani, [FN 3] 438ff), auf eher tönernen Beinen zu stehen. Überdies scheint äußerst fraglich, ob und inwieweit dem Inhaber einer Tabaktrafik die Pflicht zukommt, zu untersuchen, ob es sich bei dem jeweiligen Abnehmer um einen erwachsenen Raucher handelt (bzw. was in concreto unter einem Raucher zu verstehen ist) oder ob bei entsprechendem Zuwiderhandeln die Strafbestimmung des § 14 Abs 1 Z 3 zur Anwendung gelangt.
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G. Nichtraucherschutz Nachdem auch die gesundheitlichen Gefahren des „Passivrauchens“ in unzweifelhafter Weise wissenschaftlich belegt sind, kommt den Rahmenbedingungen des Nichtraucherschutzes stetig wachsende Bedeutung zu. Im TabakG sehen die §§ 12-13a durch die Festlegung ortsbezogener Rauchverbote weitgehende Nichtraucherschutzbestimmungen vor. So wird das Rauchen in Räumen, die Unterrichts-, Fortbildungs- und Verhandlungszwecken sowie der schulsportlichen Betätigung gewidmet sind, untersagt (§ 12 Abs 1 TabakG). Darüber hinausgehend ist Schülern das Rauchen in der Schule, an sonstigen Unterrichtsorten und bei Schulveranstaltungen sowie schulbezogenen Veranstaltungen gemäß § 9 Abs 2 Schulordnung90 untersagt. An schulischen oder sonstigen Einrichtungen, in denen (unter anderem) Kinder oder Jugendliche beaufsichtigt, aufgenommen oder beherbergt werden, ist es, den Vorgaben von § 13 Abs 3 TabakG entsprechend, weiters nicht möglich, Räumlichkeiten zu bezeichnen, in denen das Rauchen gestattet ist. Sofern es sich nicht um allgemein bildende Pflichtschulen handelt, kann das Rauchverbot für Schüler - unter Beachtung der entsprechenden landesrechtlichen Jugendschutzbestimmungen91 - im Hinblick auf Freiflächen der Schulliegenschaft durch eine entsprechende Bestimmung der Hausordnung zurückgenommen werden (§ 9 Abs 2 Schulordnung iVm § 13 Abs 1 und 3 TabakG).
§ 13 Abs 1 TabakG normiert darüber ein generelles Rauchverbot in Räumen, die von einem nicht von vornherein beschränkten Personenkreis ständig oder zu bestimmten Zeiten betreten werden können, einschließlich der nicht ortsfesten Einrichtungen des öffentlichen und privaten Bus-, Schienen-, Flugund Schiffsverkehrs92 („öffentlicher Ort“ - vgl § 1 Z 11 TabakG).93 Dieses allgemeine Rauchverbot umfasst somit ein denkbar weiteres Spektrum, das von Amtsgebäuden über Hochschulen bis hin zu Geschäftslokalen reicht; ausgenommen hievon sind gemäß § 13 Abs 4 TabakG insbesondere Gastgewerbebetriebe94 und Tabaktrafiken.
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BGBl 1974/373 idF BGBl 1996/221. S. hiezu unten III. In Einrichtungen, die über eine ausreichende Anzahl an Räumlichkeiten verfügen, können Räume bezeichnet werden, in denen das Rauchen gestattet ist, wenn gewährleistet ist, dass der Tabakrauch nicht in den mit Rauchverbot belegten Bereich dringt und das Rauchverbot dadurch nicht umgangen wird (§ 13 Abs 2 TabakG). S. hiezu insb. aus arbeitsrechtlichem Blickwinkel Posch, Rauch(er)entwarnung, ecolex 2005, 229ff, die jedoch contra legem auch Tabaktrafiken dem Geltungsbereich des allgemeinen Rauchverbots unterwirft, ebd. 230 sowie Grillberger, Nichtraucherschutz im Arbeitsrecht in: Pichler (Hrsg), Rauchen & Recht, 2004, 65ff. Einer Zielvereinbarung des Gesundheitsministeriums und des Fachverbandes Ga stronomie zufolge (abrufbar unter: http://www.nichtraucherfuehrer.at/download/ Vereinbarung.pdf) sollten jedoch bis zum Ende des Jahres 2006 in 90% aller Speiselokale mit einer Fläche von mehr als 75 m² Nichtraucherbereiche im Ausmaß von 40% geschaffen werden. Im Dezember 2006 erging überdies durch Beschluss des Steirischen Landtages (Landtagsbeschluss 436, 15.GP) die Aufforderung an die Landesregierung, „alle Maßnahmen zu ergreifen, um ein generelles Rauchverbot für sämtliche öffentlich zugänglichen Veranstaltungen, die nicht unter freiem Himmel stattfinden, umzusetzen“, was in Anbetracht der kompetenzrechtlichen Situation (s. hiezu oben I.B.1) im Kern nur so gedeutet werden kann, dass die Landesregierung die gegenständliche Aufforderung an Bundesregierung und Nationalrat weiterzuleiten hat.
Tabakrecht
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Rauchverbote sind durch Hinweise oder Symbole entsprechend kenntlich zu machen, die in ausreichender Zahl und Größe so anzubringen sind, dass sie überall im Raum oder der Einrichtung klar ersichtlich sind (§ 13a TabakG). Die Verletzung dieser Kennzeichnungspflicht ist mit Geldstrafe von bis zu € 720,sanktioniert (§ 14a TabakG). Darüber hinaus erfolgt eine Evaluierung der Einhaltung der Rauchverbote; gegebenenfalls wird diesbezüglich die Festlegung von Sanktionen bei einem Verstoß gegen sonstige Rauchverbotsregelungen geprüft.95
III. Sonstige tabakbezogene Regelungen Neben diesen oben dargelegten Vorgaben des TabakG finden sich auch in einer Reihe anderer Gesetze tabakrechtlich relevante Bestimmungen, die primär Nichraucherschutzanliegen verfolgen und in den jeweiligen Materiengesetzen niedergelegt sind. So verpflichtet § 30 Abs 1 ASchG96 den Arbeitgeber dafür Sorge zu tragen, dass Nichtraucher vor den Einwirkungen von Tabakrauch am Arbeitsplatz geschützt sind, soweit dies nach Art des Betriebes möglich ist. Arbeiten Nichtraucher und Raucher aus betrieblichen Gründen in einem Büroraum oder einem vergleichbaren Arbeitsraum, der nur von Betriebsangehörigen genutzt wird, ist das Rauchen am Arbeitsplatz verboten. Gemäß § 4 Abs 6 MSchG97 dürfen werdende Mütter (sofern sie nicht selbst rauchen), soweit es die Art des Betriebes gestattet,98 nicht an Arbeitsplätzen beschäftigt werden, bei denen sie der Einwirkung von Tabakrauch ausgesetzt sind.99 Zusätzlich zu den genannten Regelungen besteht eine Fülle landesgesetzlicher Dienstnehmerschutzbestimmungen.100 Weitere gesundheits- oder brandschutzbedingte gesetzliche Vorgaben finden sich etwa im Bereich des Strafvollzugs-,101 Kranken- und Kuranstaltenrechts102 sowie im ForstG103. Darüber hinaus enthalten die landesgesetzlichen Jugendschutzbestimmungen Regelungen, die etwa den Verkauf von Tabakerzeugnissen an Jugendliche und deren Konsum betreffen.104 95 96 97 98 99
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101 102 103 104
EB zur RV 700 BglNR 22. GP, 2. BGBl 1995/450 idF BGBl I 2001/159. Beinah wortgleich § 30 Abs 1 und 2 B-BSG BGBl I 1999/70 idF BGBl I 2003/131. BGBl 1979/221 idF BGBl I 2004/123. Als Negativbeispiel sind in diesem Zusammenhang insbesondere Gastronomiebetriebe zu nennen. Vgl hiezu etwa Grillberger, (FN 92). Der Arbeitsplatzbegriff iSv § 4 Abs 6 MSchG muss sohin über jenen des „vergleichbaren Arbeitsraums“ iSv § 30 ASchG hinausgehen, da der Norm sonst kein eigenständiger Sinngehalt zukäme. Vgl etwa § 26 des Wiener Bedienstetenschutzgsetzes 1998 LGBl 1998/49 idF LGBl 2006/44 oder § 99h der Salzburger Landarbeitsordnung LGBl 1996/7 idF LGBl 2006/21. Vgl § 40 Abs 1 StVG BGBl 1969/144 idF BGBl I 2006/113. Vgl § 6 Abs 1 Lit. e KAKuG BGBl 1957/1 idF BGBl I 2006/157. Vgl hiezu etwa §§ 40 Abs 1 und 41 Abs 1 ForstG BGBl 1975/440. Entgegen medialen Verlautbarungen ist die mit 1.1.2007 vorgenommene Umrüstung von Tabakwarenautomaten auf das System eines obligatorischen Altersnachweises
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Bemerkenswert ist, dass den einzelnen landesgesetzlichen Regelungen dem Wortlaut nach durchaus unterschiedliche Tragweite zukommt. Ist etwa gemäß § 11 Abs 1 des Wr. Jugendschutzgesetzes105 jungen Menschen bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres bloß der Konsum von Tabakwaren in der Öffentlichkeit untersagt, so verbietet § 8 Abs 1 OÖ Jugendschutzgesetz106 Jugendlichen der selben Altersgruppe den Erwerb und Konsum kategorisch.
Aus steuerrechtlicher Perspektive ist auf die Bestimmungen des gemeinschaftsrechtlich geprägten107 Tabaksteuergesetzes108 zu verweisen.
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mittels Bankomatkarte nicht durch die einzelnen Jugendschutzgesetze der Länder bedingt; die Pflicht hiezu entspringt vielmehr den Standesregeln der Tabaktrafikanten. Vgl. zu diesem Komplex Klingenbrunner, Zigarettenautomaten und Jugendschutz in: Strejcek (Hrsg), Rauchen im Recht, 2007, 433ff. LGBl 2002/17. LGBl 2001/93 idF 2005/90. Vgl. FN 47.. Tabaksteuergesetz 1995, BGBl 1994/704 idF BGBl I 2006/47.
Manfred Stelzer/Birgit Havranek
Gentechnikrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................632 Grundlegende Literatur...................................................................................632 I. Grundlagen ................................................................................................633 A. Allgemeines............................................................................................633 1. Einleitung ..........................................................................................633 2. Grundlegendes Regelungsanliegen des GTG....................................636 3. Der Anwendungsbereich des Gentechnikgesetzes ............................637 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................639 C. Europarechtliche Grundlagen...............................................................640 II. Arbeiten im geschlossenen System .........................................................642 A. Begriff und Klassifizierungen ................................................................642 B. Behörden und Verfahren .......................................................................645 C. Kennzeichnung ......................................................................................649 D. Transgene Tiere ....................................................................................649 1. Herstellung von und Arbeiten mit transgenen Tieren .......................649 2. Verfahren bei Arbeiten mit transgenen Tieren..................................650 III. Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen............................650 A. Begriff ....................................................................................................650 B. Stufenprinzip..........................................................................................652 C. Bewilligungspflicht und Verfahren, Kennzeichnung .............................653 D. Kennzeichnung ......................................................................................657 E. Durchführung der Freisetzung ..............................................................657 F. Behördenzuständigkeit, Kontrollen und sonstige Maßnahmen .............658 G. Die zivilrechtliche Haftung ...................................................................659 IV. In-Verkehr-Bringen gentechnisch veränderter Produkte .................663 A. Begriff und Reichweite...........................................................................663 B. Bewilligungspflicht und Verfahren ........................................................664 1. Genehmigungspflicht ........................................................................664 2. Verfahren...........................................................................................666 3. Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Erzeugnissen...........671 4. Unbeabsichtigtes Vorhandensein von GVO in anderen Produkten - Schwellenwerte .............................................................671 5. Behördenzuständigkeit und Kontrollen.............................................672 6. Soziale Unverträglichkeit ..................................................................673 V. Die Gentechnik-Vorsorgegesetze der Länder........................................674 VI. Genetische Analyse.................................................................................678 A. Begriff der genetischen Analyse ............................................................678 B. Bewilligungspflicht und sachliche Anforderungen ................................681 VII. Gentherapie ...........................................................................................685
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A. Begriff.................................................................................................... 685 B. Das Verbot der Keimbahntherapie ....................................................... 686 C. Bewilligungspflicht und Verfahren ....................................................... 686 VIII. Schlussbemerkung .............................................................................. 688 Rechtsgrundlagen: Europarecht RL 90/219/EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, Abl 1990 L 117/1 idF RL 98/81/EG, Abl 1998 L 330/13; RL 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG, Abl 2001 L 106/1; VO (EG) Nr. 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, Abl 2003 L 268/1 Innerstaatliches Recht BG: Bundesgesetz, mit dem Arbeiten mit GVO, das Freisetzen und Inverkehrbringen von GVO und die Anwendung von Genanalyse und Gentherapie am Menschen geregelt werden (Gentechnikgesetz - GTG) und das Produkthaftungsgesetz geändert wird (BGBl 1994/510 idF BGBl 2005 I/127) LG: Gesetz vom 19. Mai 2005 über Maßnahmen der Gentechnik-Vorsorge (Bgld. Gentechnik-Vorsorgegesetz - Bgld. GtVG), LGBl für Burgenland 2005/64; Gesetz über die Regelung von Maßnahmen der Gentechnik-Vorsorge (Kärntner GentechnikVorsorgegesetz - K-GtVG), LGBl für Kärnten 2005/5; NÖ Gentechnik-Vorsorgegesetz, 6180/00; Landesgesetz über Regelungen und Maßnahmen zur Gentechnik-Vorsorge (Oö. Gentechnik-Vorsorgegesetz 2006 - Oö. Gt-VG 2006), LGBl für Oberösterreich 2006/79; Gesetz vom 7. Juli 2004 über Maßnahmen der Gentechnik-Vorsorge (Gentechnik-Vorsorgegesestz), LGBl für Salzburg 2004/75; Gesetz vom 24. Mai 2006, mit dem Maßnahmen zur Gentechnik-Vorsorge getroffen werden (Steiermärkisches Gentechnik-Vorsorgesetz - StGTVG), LGBl für Steiermark 2006/97; Gesetz vom 9. März 2005, mit dem Maßnahmen zur Gentechnik-Vorsorge getroffen werden (Tiroler Gentechnik-Vorsorgegesetz), LGBl für Tirol 2005/36; Gesetz über Maßnahmen der Gentechnik-Vorsorge (Wiener Gentechnik-Vorsorgegesetz), LGBl für Wien 2005/53 VO: AnhörungsVO, BGBl 1997 II/61 idF BGBl 1998 II/164; Saatgut-GentechnikVO, BGBl 2001 II/478; SystemVO, BGBl 2002 II/431; FreisetzungsVO, BGBl 2005 II/260; Gentechnik-KennzeichnungsVO, BGBl 2006 II/5; Gentechnik-RegisterVO BGBl 2006 II/141; Verordnung über das Verbot des Inverkehrbringens von gentechnisch verändertem Mais, BGBl 1997 II/45; Verordnung über das Verbot des Inverkehrbringens von gentechnisch verändertem Mais Zea Mays L, Linie MON 810, BGBl 1999 II/175; Verordnung über das Verbot des Inverkehrbringens des gentechnisch veränderten Maises Zea Mays L. T 25, BGBl 2000 II/120; Verordnung, mit der das In-Verkehr-Bringen von gentechnisch verändertem Raps aus der Ölrapslinie GT73 in Österreich verboten wird, BGBl 2006 II/157
Grundlegende Literatur: Bernat, Recht und Humangenetik - ein österreichischer Diskussionsbeitrag, in: FS Steffen, 1995; Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Gentechnikrecht, Kommentar; HeberleBors, Herausforderung Gentechnik, 1996; Herdegen, Internationale Praxis Gentechnikrecht, Kommentar; Huber/Stelzer, Öffentlich-rechtliche Rechtsfragen der Gentechnolo-
Gentechnikrecht
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gie, in: Gentechnologie im österreichischen Recht, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, 1991; Kerschner/Wagner, Koexistenz zwischen Gentechnik, Landwirtschaft und Natur, 2003; Koch/Ibelgaufts, Gentechnikgesetz, Kommentar; Loibl/Stelzer, Nationale Souveränität im Gentechnikrecht, Rechtsgutachten im Auftrag der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz; Markl (Hrsg), Neue Gentechnologie und Zellbiologie, 1988; Schenek, Das Gentechnikrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1995; Selb, Zum Entwurf eines Gentechnikgesetzes, JBl 1991, 749; Stelzer, Sicherheit durch Recht oder Rechtssicherheit?, FORUM 1993, 56; derselbe, Das Gentechnikgesetz zwischen Verfassungsrecht, Europarecht und Sicherheit, JBl 1995, 756; derselbe, Umfang der Öffentlichkeitsbeteiligung und Parteistellung im gentechnikrechtlichen Genehmigungsverfahren, ZfV 1996, 17; derselbe, Moratorium der Gentechnik? Verfassungs-und europarechtliche Vorgaben der Errichtung gentechnikfreier Bewirtschaftungsgebiete, BMSG (Hrsg), 2003; derselbe, Datenschutz im Gentechnikrecht, in: Stelzer (Hrsg), Biomedizin - Herausforderung für den Datenschutz, 2005, 79; von Kameke, Gemeinschaftliches Gentechnikrecht, Die Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG, 1995
I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Einleitung Als Gentechnik1 bezeichnet man die Gesamtheit der Methoden zur Charakterisierung und Isolierung von genetischem Material, zu dessen Rekombination und zur Wiedereinführung und Vermehrung des rekombinierten Materials in anderer biologischer Umgebung;2 sie beschreibt einen Teilbereich der Biotechnologie, welche sich allgemein durch die integrierte Anwendung von Biochemie, Mikrobiologie und Verfahrenstechnik die technische Nutzbarmachung biologischer Vorgänge zum Ziel setzt.3 Die eigentliche Entwicklung der Gentechnik als moderne mikrobiologische Verfahrenstechnik beginnt 19744 mit den ersten erfolgreichen Experimenten der Wissenschaftler Boyer und Cohen zur Übertragung genetischer Merkmale von Antibiotikaresistenzen.5 Seither haben sich die Anwendungsmöglichkeiten der Gentechnik in der Medizin und im pharmazeutischen Bereich, in der chemischen Industrie, der Nahrungsmittelindustrie ebenso wie in der Landwirtschaft und im Rahmen der Entwicklung neuer, im Umweltschutzbereich bedeutsamer, Verfahrenstechniken etabliert.6 1 2 3 4
5 6
Zum Unterschied der Begriffe Gentechnik und Gentechnologie siehe Schenek, 31, mwN. Zur Definition einschließlich der biologischen Grundlagen der Gentechnologie vgl Huber/Stelzer, 4ff. Den Aspekt der Verknüpfung des besonderen Verfahrensablaufs mit ökonomischem und gesellschaftlichem Nutzen untersucht Schenek, 28ff. Die Geschichte der Genetik reicht noch viel weiter bis zu ihrem Begründer, dem Mönch Gregor Mendel, zurück. Sein Verdienst war die Entdeckung der Gene als Elemente der Vererbung in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Entwicklung der Gentechnik wird sehr anschaulich dargestellt von Heberle-Bors, 35ff. Heberle-Bors, 67ff. Vgl zu den Anwendungsbereichen der Gentechnik etwa Swetly, Industrielle Aspekte des Einsatzes der Gentechnologie, in: Markl, 147 (148); Heberle-Bors, Neue Tech-
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Seit Beginn der Entdeckung der Natur und Funktionsweise der Erbinformation von Lebewesen und deren gezielter Manipulation und Übertragung bestanden massive Bedenken ob möglicher unabschätzbarer Gefahren bzw Risiken. Diesen Bedenken versuchten die Wissenschaftler zunächst im Wege der Selbstbindung Rechnung zu tragen. Als ein erster Schritt wurde ein Sicherheitskonzept in Form von Prinzipien als Grundlage für die Durchführung gentechnischer Arbeiten verabschiedet,7 denen kurze Zeit später die sog NIH-Richtlinien8 der US-Gesundheitsbehörde (National Institute of Health, NIH) folgten.9 Der Schwerpunkt dieser Richtlinien lag zunächst auf Arbeiten mit gentechnisch veränderten Organismen im Labor bzw im Rahmen industrieller Produktion,10 während Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) anfänglich einem generellen Verbot unterlagen. Im Zuge von Tendenzen zur Lockerung rigoroser Verbote legte 1986 die „OECD ad hoc Arbeitsgruppe von Regierungsexperten über Sicherheit und Regelungen in der Biotechnologie“ einen Bericht11 über die mögliche Freisetzung von GVO auf der Basis eines präventiven Vorgehens case by case und step by step vor, dem alle Mitgliedstaaten der OECD zustimmten.12 Die umfassende Verrechtlichung des Umganges mit der Gentechnik wurde zunächst nicht realisiert. Die Diskussion in Europa wurde dann maßgeblich von einer Entscheidung des HessVGH13 beeinflusst, wonach es in Deutschland zunächst eines Gesetzes bedurfte, ehe gentechnische Anlagen von Verwaltungsbehörden genehmigt werden konnten. Wenngleich die vor dem Verwaltungsgericht unterlegenen Betreiber noch den Rechtszug an das Bundesverfassungsgericht offen gehabt hätten, war es nun die (deutsche) Industrie selbst, die auf eine rasche Erlassung eines Gentechnikgesetzes drängte. Zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen musste ebenso rasch eine europäische Lösung gefunden werden, die schließlich zur Erlassung zweier Richtlinien führte. Regelungsgegenstand dieser Richtlinien waren zum einen Arbeiten mit GVO im geschlossenen System (SystemRL) und die Freisetzung bzw das In-Verkehr-Bringen von GVO (FreisetzungsRL).14
7 8
9
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nologien in der Pflanzenzüchtung, in: Markl, 65 (75ff); Mayr/Schleger, Neue Biotechnologien in der Tierzucht, in: Markl, 103ff; Schenek, 34ff; Bericht der EnqueteKommission des Deutschen Bundestages: Chancen und Risiken der Gentechnologie, 1986, 40ff. Angenommen im Zuge der International Conference on Recombinant DNAMolecules, besser bekannt als Asomilar-Konferenz 1975. Guidelines for Research Involving Recombinant DNA Molecules (NIH Guidelines), ursprüngliche Fassung in: US FedReg (1976) Vol. 41, S. 27902ff; diese wurde bereits einige Male geändert, siehe dazu die Nachweise bei Herdegen/Dederer, in: Herdegen, Band 2, P.I., Rz 40ff. Ähnliche Richtlinien wurden in weiterer Folge auch in anderen Ländern erlassen, so etwa in Großbritannien oder in Deutschland die „Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in-vitro neukombinierte Nukleinsäuren“ (Gen-Richtlinien), Bundesanzeiger Nr. 56, 21. 3. 1978. Für einen Überblick über ausländische Sicherheitsvorschriften vor Erlassung einschlägiger Gesetze siehe Huber/Stelzer, 48ff. Recombinant DNA Safety Considerations; Nachweis bei Lange, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Band 3, Teil D. II. Einl. 90/220/EWG, Fn 10. Als Basis einer international einheitlichen Bewertung wurde dieser Bericht Grundlage zahlreicher einschlägiger nationaler Regelungen. VGH Kassel, NJW 1990, 336. RL 90/219/EWG (SystemRL) und RL 90/220/EWG (FreisetzungsRL). Mittlerweile wurde die RL 90/220/EWG durch die RL 2001/18/EG ersetzt.
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In Österreich begann Mitte der Achtzigerjahre ebenfalls eine Debatte um ein eigenes Gentechnikgesetz.15 Dazu wurde zunächst eine Studie in Auftrag gegeben,16 die den auf gentechnisch indizierte Sachverhalte anwendbaren bestehenden Rechtsbestand erfassen und etwaige Regelungslücken aufdecken sollte. Ein Handlungsbedarf des Gesetzgebers17 war vor dem Hintergrund bestehender Regelungsdefizite nicht nur politisch, sondern auch wegen des schon damals absehbaren Inkrafttretens des EWR-Abkommens geboten: Darin verpflichtete sich Österreich mit 1. 1. 1995 zur Umsetzung der beiden GentechnikRichtlinien der EG. In Folge wurden mehrere Ministerialentwürfe erarbeitet,18 die zum Teil heftig kritisiert wurden.19 Erst ein IA20, der sich im Wesentlichen auf die Regierungsvorlage unter Einbeziehung der Ergebnisse des Gesundheitsausschusses21 stützte, wurde noch knapp vor Ende der 18. GP als Gentechnikgesetz beschlossen.22 Dieses bestand zu seiner Erlassung 1994 aus XII Abschnitten mit insgesamt 111 Paragraphen und enthielt eine Reihe von Verordnungsermächtigungen; mit der Novelle 199823 wurden dem III. Abschnitt der § 39a über die Parteistellung und ein neuer Abschnitt IVa mit Regelungen über die zivilrechtliche Haftung sowie die §§ 101a bis 101e als Grundlage für behördliche Maßnahmen - zu erwähnen ist besonders jene zur Wiederherstellung der Umwelt - eingefügt, sowie die Einführung eines Gentechnikregisters und einer Sicherheitsdokumentation angeordnet. 2002 wurde durch eine neuerliche Novelle24 im Wesentlichen die RL 98/81/EG zur Änderung der SystemRL umgesetzt. Grundlegende Anpassungen des GTG im Bereich der Freisetzung und des In-VerkehrBringens von GVO erfolgten schließlich im Zuge der Umsetzung der neuen FreisetzungsRL 2001/18/EG durch die Novelle BGBl 2004 I/126. Diese Novelle betraf insbesondere die Neuregelung der Sicherheitsbewertung von Freisetzungsanträgen und Anträgen zum In-Verkehr-Bringen, eine verbesserte Transparenz und Information der Öffentlichkeit,25 die Sicherstellung der Überwachung und schließlich die Einführung von Regelungen zum Schutz der heimischen Landwirtschaft und der Sicherung der biologischen und konventionellen Wirtschaftsweise.26 In diesem Zusammenhang ergin15
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26
Vgl auch den Bericht des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung an den Nationalrat zu grundsätzlichen Aspekten der Gentechnologie und der humanen Reproduktionsmedizin, 1986. Gentechnologie im österreichischen Recht, Studie im Auftrag des (damaligen) Bundesministers für Wissenschaft und Forschung, der Öffentlichkeit vorgestellt Anfang 1991. Für eine Darstellung der wesentlichsten Regelungslücken vgl die Ergebnisse der Studie und illustrativ Stelzer, FORUM 1993, 56 (57). Ein dritter Entwurf wurde schließlich als Regierungsvorlage zur Abstimmung ins Parlament eingebracht. Vgl etwa Selb, JBl 1991, 749ff. 732/A, II-13804 BlgNR 18. GP. 1730 BlgNR 18. GP. BGBl 1994/510. Vgl zur Entstehungsgeschichte im Überblick Bernat, 33 (34). BGBl 1998 I/73. BGBl 2002 I/94. Zur Erhöhung der Transparenz ist in zahlreichen Bestimmungen vorgesehen, dass die zuständige Behörde - idR der Bundesminister für Gesundheit und Frauen - verschiedene Informationen auf der Internet-Seite der Behörde veröffentlicht. Siehe näher die Information des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen, abrufbar unter http://www.bmgf.gv.at/cms/site/themen.htm?channel=CH0252, login am 8. 5. 2006.
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gen auch die Gentechnik-Vorsorgegesetze der Länder.27 Mit der Novelle BGBl 2005 I/127, in Kraft getreten am 1. 12. 2005, wurden schließlich die Genanalyse und die Gentherapie zum Teil grundlegend neu geregelt.
Das erreichte Regelungswerk ist sowohl umfänglich als auch in der Sache beträchtlich. Regelungsgegenstand des GTG sind Arbeiten mit GVO im geschlossenen System (II. Abschnitt, §§ 5 bis 35 GTG); das Freisetzen von GVO (III. Abschnitt, Teil A §§ 36 bis 53); das In-Verkehr-Bringen von Erzeugnissen, die aus GVO bestehen oder solche enthalten (III. Abschnitt, Teil B, §§ 54 bis 63); die genetische Analyse (IV. Abschnitt, §§ 64 bis 73) und die Gentherapie am Menschen (IV. Abschnitt, §§ 74 bis 79); schließlich zivilrechtliche Regelungen von Haftungsfragen (IVa. Abschnitt, §§ 79a bis 79m). Daneben bestehen eine Reihe von organisatorischen Vorschriften betreffend die Gentechnikkommission, die verschiedenen zu bildenden wissenschaftlichen Ausschüsse und das Gentechnikbuch (V. Abschnitt, §§ 80 bis 99). Zuständigkeitsund Kontrollvorschriften (VI. Abschnitt, §§ 100 bis 101e), Vorschriften über die Sicherheitsforschung, vorläufige Zwangsmaßnahmen sowie das Erlöschen der Berechtigung (VII. bis IX. Abschnitt), Regelungen betreffend den Datenschutz (X. Abschnitt, §§ 105, 106), den internationalen Informationsaustausch (XI. Abschnitt) sowie Übergangs-, Straf- und Schlussbestimmungen (XII. Abschnitt) bilden den Abschluss.
2. Grundlegendes Regelungsanliegen des GTG Das - naheliegende - Anliegen des GTG war zunächst die Umsetzung der beiden Gentechnikrichtlinien der EG in nationales Recht vor dem Hintergrund internationaler Verpflichtungen. Dabei verfolgt es, entsprechend den Vorgaben der erwähnten Richtlinien, sowohl einen Schutz- als auch einen Förderzweck. Ersterem kommt dabei jedenfalls Vorrang zu und wird gesetzlich wesentlich konkreter ausgestaltet. Erklärtes Ziel (§ 1 GTG)28 des Gesetzes ist es, die Gesundheit des Menschen einschließlich seiner Nachkommenschaft vor Schäden zu schützen, die entweder unmittelbar durch Eingriffe am menschlichen Genom, durch Genanalysen oder Auswirkungen von GVO entstehen können, oder mittelbar durch Auswirkungen von GVO auf die Umwelt auftreten. Darüber hinaus soll auch die Umwelt29 vor schädlichen Auswirkungen durch GVO geschützt werden: Es soll ein hohes Maß an Sicherheit für den Menschen und
27 28
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Siehe dazu näher unter V. Bedeutung kommt § 1 Z 1 und Z 2 GTG jedenfalls im Hinblick auf eine Auslegung der einzelnen Bestimmungen im GTG zu. Fraglich mag sein, ob der Einzelne aus § 1 GTG subjektive Rechte abzuleiten vermag. Wohl wird alleine aus § 1 Z 2 GTG (Förderzweck) dem Betreiber kein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Genehmigung bzw Nicht-Untersagung lediglich anmeldepflichtiger Vorhaben erwachsen. Der Förderzweck übernimmt aber die Funktion einer Bestandsicherung gentechnischer Arbeiten zur Forschung und Entwicklung vor dem Hintergrund des Schutzgüterziels nach § 1 Z 1 GTG. Zu den aufgeworfenen Fragen vgl für die deutsche Rechtslage Koch/Ibelgaufts, Erster Teil § 1, Rz 2ff, Rz 67f; Herdegen, in: Eberbach/Lange/ Ronellenfitsch, Band 1, Teil B, § 1 GenTG, Rz 11ff mwN aus Literatur und Judikatur. Insb die Ökosysteme, vgl § 1 GTG.
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die Umwelt gewährleistet werden (§ 1 Z 1 GTG). Schutzgüter sind demnach sowohl die menschliche Gesundheit30 als auch - gleichrangig - die Umwelt.31 Im Hinblick auf dieses oberste (Schutz)Ziel regelt das GTG entsprechend seiner präventiven Ausrichtung Sicherheitsfragen, wozu ein umfangreiches System von Aufzeichnungs-, Anmelde- und Genehmigungsvorschriften unter Einbeziehung der Expertise von Sachverständigen als Instrument zur Verfügung steht.
Der allgemeine Förderzweck drückt sich in § 1 Z 2 GTG aus, in dem sich das Gesetz auch zum Ziel setzt, die Anwendung der Gentechnik zum Wohle des Menschen durch Festlegung rechtlicher Rahmenbedingungen für deren Erforschung, Entwicklung und Nutzung zu fördern.32 Intendiert ist damit, die Gentechnik als relativ junge aber zukunftsträchtige wissenschaftliche Methode in zufriedenstellender Weise in die Gesellschaft zu integrieren. Dieses Anliegen mündet auch im Versuch der Schaffung möglichst ausgewogener Verhältnisse, die methodisch zu einer Güterabwägung zwingen, in der die unterschiedlichen Interessen zu einem Ausgleich zu bringen sind.33 Eine - für das österreichische Verwaltungsrecht neuartige - Anlehnung an die Regelungstechnik der EU bietet § 3 GTG: Dort schreibt das GTG - in der Form eines Gesetzestextes also - für seine Vollziehung Grundsätze vor, die von der Behörde34 beachtet werden sollen:35 Es sind dies das Vorsorgeprinzip (Z 1), das Zukunftsprinzip (Z 2), das Stufenprinzip (Z 3), das demokratische Prinzip (Z 4) und das ethische Prinzip (Z 5). Auch wenn diesen Prinzipien bislang in der Literatur36 ein über die Bedeutung als Programmsätze oder deklaratorische Anordnungen hinausgehender normativer Charakter abgesprochen wurde, spielten sie zumindest anfänglich in der Praxis doch eine gewisse Rolle als Interpretationshilfen.
3. Der Anwendungsbereich des Gentechnikgesetzes § 2 GTG legt den Anwendungsbereich des Gentechnikgesetzes fest, wobei sich - dies sei gleich vorweg erwähnt - der tatsächliche Regelungsinhalt nur im Zusammenhang mit den Begriffsbestimmungen des § 4 GTG ergibt. Diese 30
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Menschliches Leben neben der Gesundheit fehlt als explizites Schutzgut im GTG, wird aber wohl vom Schutz der Gesundheit gedeckt sein; andererseits erfasst der Schutz des § 1 Z 1 GTG nicht nur bereits lebende Menschen - einschließlich deren Leibesfrucht -, sondern auch kommende Generationen. Die Umwelt als eigenständiges Schutzgut gleichrangig neben der Gesundheit als Regelungsziel zu erfassen entspricht zwar den europarechtlichen Vorgaben, wirft jedoch Fragen in kompetenzrechtlicher Hinsicht auf, dazu näher unter I. B. und allgemein Stelzer, JBl 1995, 756 (758ff). RV 1465 BlgNR 18. GP, 39. Mit dem damit zum Ausdruck kommenden Förderzweck betont das GTG durchaus das positive Potential, das die Gentechnik für die Wirtschaftsentwicklung und die Medizin darstellt. Eine solche Berücksichtigung fehlte im ersten Entwurf; vgl dazu die zutreffende Kritik von Selb, 749 (749f). Näher Stelzer, FORUM, 56 (57). Etwa bei der Erlassung von Sicherheitsmaßnahmen durch Verordnung, vgl RV 1465 BlgNR 18. GP, 48. Kritik an diesen Grundsätzen - insb an deren Aufnahme in den Gesetzestext selbst wurde schon früh geäußert, vgl Selb, 749 (753), der sie als „Neuheit der Gesetzgebungslehre“ bezeichnet und ihren Platz eher in den Erläuternden Bemerkungen sieht. Selb, 749 (753f); Herdegen, Band 2, L.I., Rz 9.
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können erst mit Hilfe von einschlägigem (natur)wissenschaftlichem Sachverstand klar voneinander abgegrenzt werden.37 Der Schlüsselbegriff im Gentechnikrecht, dessen Bedeutung auch zur Klärung der Frage nach dem Anwendungsbereich des Gesetzes unerlässlich ist, ist jener des Organismus bzw des gentechnisch veränderten Organismus (GVO). Seine Bedeutung im Rahmen des Gentechnikgesetzes erklärt sich aus § 4 Z 1 GTG: Dort wird er definiert als ein- oder mehrzelliges Lebewesen oder nichtzelluläre vermehrungsfähige biologische Einheit einschließlich Viren, Viroide und unter natürlichen Umständen infektiöse und vermehrungsfähige Plasmide.38 Von dieser Begriffsbestimmung ausgehend sind GVO solche, deren genetisches Material so verändert worden ist, wie dies unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination oder andere herkömmliche Züchtungstechniken nicht vorkommt. Insbesondere hat das Gesetz dabei im Wesentlichen DNA-Rekombinationstechniken, Verfahren direkter Erbguteinführung und Zellfusion sowie Hybridisierungsverfahren vor Augen,39 während natürliche Abläufe vom Gesetz ebenso nicht erfasst werden wie herkömmliche Methoden der Biotechnologie. § 2 Abs 2 GTG legt demonstrativ einen Katalog von Ausnahmen fest, welche Verfahren einer genetischen Veränderung aus dem Anwendungsbereich des GTG ausgeklammert bleiben. Dies gilt jeweils nur unter der Voraussetzung, dass dabei nicht mit GVO oder mit gentechnisch veränderter Nukleinsäure gearbeitet wird.40 Die erwähnten Verfahren führen nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzes auch nicht zu GVO. § 2 Abs 3 GTG nimmt schließlich das In-Verkehr-Bringen und die Kennzeichnung von Arzneimitteln iSd § 1 Abs 1 und Abs 2 Arzneimittelgesetz41 und deren nachfolgende Verwendung aus dem Anwendungsbereich des GTG aus. Für diesen Bereich stellen die
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Näher zur Problematik der Legaldefinitionen für das deutsche Gentechnikgesetz Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Band 1, Teil B, § 3 GenTG, Rz 58ff. Die zitierte Bestimmung enthält also eine Aufzählung dessen, was unter diesen Begriff nach der Vorstellung des Gesetzgebers fallen soll. Viren, Viroide und Plasmide wurden deshalb ausdrücklich in die Definition aufgenommen, weil diese als subzelluläre Einheiten keinen eigenen Stoffwechsel haben und sich auch nicht selbständig vermehren können. Im naturwissenschaftlichen Sinn sind sie daher gar keine Organismen. Ausführlich zum Begriff des Organismus im deutschen GenTG, der dort (§ 3 Z 1) definiert wird als „jede biologische Einheit, die fähig ist, sich zu vermehren oder genetisches Material zu übertragen“ siehe Koch/Ibelgaufts, Erster Teil § 3, Rz 15. Es sind dies insb DNS (oder: DNA)-Rekombinationstechniken unter Verwendung von Vektorsystemen (§ 4 Z 3 lit a GTG), direktes Einführen von außerhalb des Organismus zubereiteten genetischen Informationen in einen Organismus einschließlich Makroinjektion, Mikroinjektion, Mikroverkapselung, Elektroporation oder Verwendung von Mikroprojektilen (Verfahren direkter Erbguteinführung) (lit b); Zellfusion sowie Hybridisierungsverfahren, bei denen lebende Zellen mit neuen Kombinationen von genetischem Material entstehen, die unter natürlichen Bedingungen nicht auftreten, ausgenommen jene Verfahren, die ausdrücklich aus dem Geltungsbereich des GTG durch § 2 Abs 2 Z 5 und Z 6 ausgenommen wurden (lit c); zu diesen Verfahren ausführlich Koch/Ibelgaufts, Erster Teil § 3, Rz 126ff. Rekombinierte DNS-Moleküle, also keine Organismen. BGBl 1983/185 idF BGBl I 2005/153.
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ArzneimittelRL und die in ihrer Umsetzung ergangenen nationalen Regelungen ein eigenes Regelungsregime zur Verfügung.42
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Im Wesentlichen stützt sich das GTG auf den Kompetenztatbestand Gesundheitswesen (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG), weil „die Gentechnik potentiell geeignet ist, die Gesundheit des Menschen sowohl unmittelbar als auch mittelbar über die Umwelt zu gefährden und solche Gefahren in mehreren Verwaltungsbereichen auftreten können.“43 Dieser Tatbestand ist freilich nur begrenzt fähig, das vorliegende Gesetz zu tragen. Nach der Jud des VfGH44 sind davon nämlich nur Maßnahmen gedeckt, die zur Abwehr von Gefahren für den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung getroffen werden, außer es wird eine für eine bestimmte andere Kompetenzmaterie allein typische Abart dieser Gefahr bekämpft. Ergänzend zum Gesundheitswesen rekurrieren die EB45 - undifferenziert - auf die Kompetenztatbestände Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie,46 Wasserrecht,47 Hochschulwesen,48 sowie Luftreinhaltung und Abfallwirtschaft, soweit diese Angelegenheiten gemäß Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG dem Bund zugewiesen sind.
Dass die Wahl der aus dem B-VG zur Verfügung stehenden Kompetenztatbestände diffizile Fragen und Abgrenzungsprobleme aufwirft, je nachdem, welche Anliegen konkret den Mittelpunkt des Regelungsinteresses bilden, wurde bereits am Beginn der Diskussion um die Verrechtlichung der Gentechnik verdeutlicht.49 Letztlich konnten nicht alle sich aus einer kompetenzrechtlichen Einordnung ergebenden Probleme gelöst werden; das vorliegende GTG ist mit Bedenken kompetenzrechtlicher Art in mehrerer Hinsicht konfrontiert. Probleme treten in erster Linie im Zusammenhang mit einer umfassenden behördlichen Umweltverträglichkeitsprüfung, wie sie das GTG entsprechend den europarechtlichen Vorgaben regeln möchte, auf: Nach § 40 Abs 1 GTG hat die Behörde Freisetzungsanträge nämlich dann zu genehmigen, wenn ua gewährleistet ist, dass die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik notwendigen Vorkehrungen getroffen wurden und deshalb nachteilige Folgen für die Sicherheit iSd § 1 Z 1 GTG nicht zu erwarten sind. Der bezogene § 1 Z 1 GTG allerdings beschreibt als Schutzgüter neben der menschlichen Gesundheit als ein eigenständiges und davon unabhängiges (arg: sowie) die Umwelt, insbesondere die Ökosysteme. Eine derart umfassende Berücksichtigung der Umwelt in Gesetzgebung und Vollziehung kann aber in keinem der zitierten Kompetenztatbestände erblickt werden.50 Weiter ist auf § 68 GTG hinzuweisen, der eine Bewilligungspflicht für Labors zur Durchführung einer genetischen Analyse auch dann, wenn sich diese im Verbund einer Krankenanstalt befinden, vorsieht: Die vorgesehene Zulassung ist dann zu erteilen, wenn „aufgrund der personellen und sachlichen 42 43 44 45 46 47 48 49 50
Vgl dazu auch Kopetzki, Arzneimittelrecht, in diesem Band. RV 1465 BlgNR 18. GP, 46. Etwa VfSlg 3650/1959, 7582/1975, 13.237/1992. RV 1465 BlgNR 18. GP, 46. Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG. Art 14 Abs 1 B-VG. Huber/Stelzer, 39ff. Zu den kompetenzrechtlichen Bedenken eingehend Stelzer, JBl 1995, 757ff.
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Ausstattung eine dem Stand der Wissenschaft und Technik entsprechende Durchführung“ und ein den gentechnikrechtlichen Vorschriften entsprechender Datenschutz gewährleistet ist (§ 68 Abs 3 GTG). Wenn und insoweit es sich bei den die Durchführung beabsichtigenden Einrichtungen um Krankenanstalten iSd §§ 1 und 2 KAKuG handelt, drängt sich die Frage auf, ob hier nach Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG dem Bund nicht lediglich die Gesetzgebung über die Grundsätze, den Ländern hingegen die Ausführungsgesetzgebung und die Vollziehung zukommt.51 Daneben betreffen die kompetenzrechtlichen Bedenken das weitgehende Verbot von Arbeiten zur Herstellung transgener Wirbeltiere (§ 9 Abs 1 GTG). Für die Normierung eines solchen Verbotes jedenfalls in dieser Allgemeinheit steht dem Bund wohl auch keine Kompetenz zu: Ob etwa in der landwirtschaftlichen Tierzucht gentechnische Verfahren angewendet werden dürfen, fällt mit Sicherheit in die Regelungszuständigkeit der Länder.52 Ebenso in die Kompetenz der Länder fallen Fragen landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsmaßnahmen. Diese werden derzeit im Rahmen von Gentechnik-Vorsorgegesetzen der Länder geregelt und betreffen die Koexistenz von traditionellem, biologischem und gentechnischem Landbau.
C. Europarechtliche Grundlagen Durch den bereits angesprochenen Umfang der Anwendungsmöglichkeiten gentechnischer Verfahren und die daraus resultierende strategische Bedeutung der Gentechnologie war auch auf europäischer Ebene bald die Notwendigkeit eines regulierenden Eingriffes evident: Einerseits sollten gemeinschaftsrechtliche Anforderungen an einen umfassenden Gesundheits- und Umweltschutz geschaffen werden, andererseits nicht das Ziel eines Binnenmarktes durch Wettbewerbsverzerrungen für den Fall, dass die einzelnen Mitgliedstaaten den Zugang zu den neuen Techniken unterschiedlich regeln, torpediert werden.53
Bereits 198854 lagen erste Vorschläge der Kommission55 für die in Aussicht genommenen Gentechnikrichtlinien vor. Nach wesentlichen Änderungen56 mündeten die umfangreichen Arbeiten - vor allem auf Drängen Deutschlands - in die beiden bereits erwähnten Richtlinien des Rates, nämlich die RL 90/219/EWG (SystemRL) und die RL 90/220/EWG (FreisetzungsRL): Während die SystemRL mit GVO57 in Zusammenhang stehende Anwendungen im geschlossenen System abdeckt, beschäftigt sich die FreisetzungsRL mit der Freisetzung von GVO sowie dem In-Verkehr-Bringen und der Kennzeichnung von Produkten, die GVO enthalten oder aus solchen bestehen. Beide RL verfolgen mit ihren vorwiegend präventiven Maßnahmen die Prinzipien der Gefahrenvermeidung und Risikovorsorge58 zum Schutz der Gesundheit und Umwelt.59 Mit
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Stelzer, JBl 1995, 757f. Dazu näher ebenfalls Stelzer, JBl 1995, 758. Vgl Erwägungsgrund 4 der FreisetzungsRL. Zum Strategiekonzept der Kommission 1983 und dessen vorrangig wirtschaftspolitische Bedeutung siehe Schweizer/Calame, Das Gentechnikrecht der Europäischen Gemeinschaft, RIW 1997, 34. Abl C 198 vom 28. 7. 1988, 9 (zur SystemRL), ebenfalls Abl C 198 vom 28. 7. 1988, 19 (betreffend die FreisetzungsRL). Für Änderungen besonders der FreisetzungsRL siehe von Kameke, 36ff. Von der RL erfasst werden Mikroorganismen, nicht aber Pflanzen, Tiere oder die humangenetische Anwendung am Menschen. Schweizer/Calame (Fn 54), 34 (43).
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den beiden RL folgte die Gemeinschaft zunächst grundsätzlich einem so genannten horizontalen, methoden- oder verfahrensorientierten Regelungsansatz, der am Spezifikum der gentechnischen Veränderung ansetzt.60 Zunehmend wird dieser aber durch einen vertikalen Regelungszugang unterlaufen: Immer öfter61 werden gentechnikspezifische Regelungen in jene eines Produktes oder Bereiches einbezogen; so etwa im Arzneimittel-, Saatgut-, Lebensmittel-, oder Futtermittelrecht.62 Das horizontale Gentechnikrecht soll dagegen nur mehr dort gelten, wo keine vertikalen spezielleren Regeln bestehen. Kritik an der zunehmenden Vertikalisierung setzt vor allem an einer damit einhergehenden Unübersichtlichkeit bzw Uneinheitlichkeit an, nicht zuletzt weil die produktspezifischen Bestimmungen in verschiedenem Ausmaß wieder auf die beiden Gentechnik-Richtlinien bzw deren Anhänge verweisen.63 Die Harmonisierung der so entstandenen Regelungsvielfalt ist eines der Grundanliegen im Zuge gemeinschaftsrechtlicher Reformen im Gentechnikrecht.
Als Kompetenzgrundlage für die intendierten Rechtsangleichungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten standen grundsätzlich Art 95 EGV und Art 175 EGV mit ihren entsprechenden Verfahren zur Verfügung.64 Die FreisetzungsRL stützt sich auf Art 95 EGV mit dem vorrangigen Ziel der Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften zur Verwirklichung des Binnenmarktes; für die SystemRL wurde hingegen Art 175 EGV - also die Umweltschutzkompetenz65 - gewählt. Die Wahl der Kompetenztatbestände wurde in beiden Fällen in Frage gestellt; sie ist in der Tat nicht ohne Bedeutung: Insbesondere bemisst sich danach der den Mitgliedstaaten verbleibende Regelungsspielraum bei der Umsetzung der in den Richtlinien enthaltenen europarechtlichen Vorgaben. Dieser ist jedenfalls im Fall des Art 175 EGV im Vergleich zu Art 95 EGV größer. Nach Art 176 EGV nämlich hindern „Schutzmaßnahmen, die aufgrund des Art 175 getroffen werden, die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen“: Den Mitgliedstaaten bleibt sowohl die Einführung als auch die Beibehaltung strengerer Maßnahmen unbenommen, die SystemRL selbst legt nur Mindestanforderungen fest.
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Beide Begriffe sind weit zu interpretieren, Schweizer/Calame (Fn 54), 34 (40); Schenek, 184. Die Vorteile vertikaler Regelungen liegen besonders darin, einheitliche, produktspezifische Zulassungsverfahren nach der Vorstellung des one-door-one-key Prinzips bedarfsgerecht zu gestalten. Vgl dazu Schenek, 138ff; weiters von Kameke, 71. Diesen Aspekt der Reformen der FreisetzungsRL betont von Kameke, 131, der von einer „Vertikalisierung des Produktzulassungsrechts“ spricht. So zB die VO (EG) Nr. 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel. Dazu näher von Kameke, 131ff. Vgl das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, wonach Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen (Art 249 EGV) nur erlassen werden dürfen, wenn konkrete Vertragsbestimmungen solche zur Regelung vorsehen. Dieser Artikel ermächtigt den Rat gemäß dem Verfahren nach Art 251 EGV und nach Anhörung des Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen, zur Erreichung der Ziele nach Art 174 tätig zu werden: Der bezogene Art 174 legt selbst die umweltpolitischen Ziele der Gemeinschaft fest.
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Dagegen verbleibt den Mitgliedstaaten nach Art 95 Abs 4 EGV lediglich ausnahmsweise66 die Möglichkeit einzelstaatlicher Sonderregelungen: Nur solche Bestimmungen dürfen beibehalten werden, die durch die wichtigen Erfordernisse des Art 30 EGV oder durch den Schutz der Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz gerechtfertigt sind.67 Diese stehen im Übrigen unter dem Genehmigungsvorbehalt der Kommission (Art 95 Abs 6 EGV).
II. Arbeiten im geschlossenen System A. Begriff und Klassifizierungen Das österreichische GTG regelt in seinem II. Abschnitt das Arbeiten mit gentechnisch veränderten Organismen im geschlossenen System. Es intendiert damit zum einen die Umsetzung der SystemRL, indem es gentechnische Veränderungen an Mikroorganismen68 erfasst (die damit zu gentechnisch veränderten Mikroorganismen - GVM - werden), geht zum anderen darüber insofern hinaus, als es auch Arbeiten mit höheren Organismen - Pflanzen und Tieren berücksichtigt und dabei auch die „Herstellung“ transgener Tiere einer (beschränkenden) Regelung unterwirft. Unter Arbeiten mit GVO wird nach § 4 Z 4 GTG69 die Herstellung, Verwendung und Vermehrung von GVO (lit a) und die Lagerung, Zerstörung, Entsorgung sowie der innerbetriebliche Transport70 von GVO, soweit noch keine Genehmigung für deren Freisetzung oder In-Verkehr-Bringen erteilt wurde (lit b), verstanden. „Geschlossenheit“ des Systems bedeutet im Wesentlichen, dass spezifische organisatorische und technische Sicherheitsmaßnahmen den Kontakt der verwendeten GVO mit der Bevölkerung und der Umwelt begrenzen, um eine unkontrollierte Vermehrung von GVO in der Außenwelt zu verhindern und auf diese Weise ein hohes Sicherheitsniveau für die Bevölkerung und die Umwelt zu erreichen (vgl § 4 Z 7 GTG). Kommt es zu einem versehentlichen Austritt mit anschließender sicherheitsgefährdender (§ 1 Z 1 GTG) Kontamination mit GVO oder zu deren Vermehrung außerhalb des ge66 67 68 69
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Zu den umstrittenen Voraussetzungen vgl etwa Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art 95, Rz 103ff. Vgl dazu die Sozialverträglichkeitsklausel des § 63 GTG. Dazu näher unter IV. B. 6. Zur Definition des Mikroorganismus iS der SystemRL siehe Art 2 lit a; iSd GTG: § 4 Z 2 GTG. Diese Bestimmung definiert neben einer Arbeit mit GVO auch die Grenze zwischen dieser und einer Arbeitsreihe. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der Genehmigung von Arbeitsreihen näher Stelzer, JBl 1995, 756 (762f). Im Unterschied zum außerbetrieblichen Transport. Innerbetrieblicher Transport ist ein Transport von GVO, bei dem derselbe Betreiber Absender und Empfänger ist und der innerhalb eines Betriebsgeländes oder über eine kurze Strecke außerhalb des Betriebsgeländes jedenfalls so stattfindet, dass eine ständige Überwachung des Transportvorganges bei gleichzeitig einsatzbereiten betriebseigenen Sicherheitsvorkehrungen erfolgt (vgl § 4 Z 5 GTG). Außer dem innerbetrieblichen Transport definiert das GTG die verschiedenen Formen, die den Umfang des Arbeitens mit GVO umgrenzen, selbst nicht näher; dazu gibt es Versuche in der deutschen Literatur, vgl etwa Koch/Ibelgaufts, Erster Teil § 3, Rz 58ff.
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schlossenen Systems, stellt dies einen Unfall dar (§ 4 Z 12 GTG). In einem solchen Fall sind die nach § 11 GTG vorgesehenen Notfallmaßnahmen zu ergreifen, sowie im Übrigen die Verhaltensregeln der zitierten Bestimmung zu beachten. Werden die Einschließungsmaßnahmen absichtlich überwunden, handelt es sich begrifflich entweder um eine Freisetzung oder um In-VerkehrBringen von GVO, wofür die dafür einschlägigen Regelungen maßgeblich sind.71 Wie bereits ausgeführt, erfasst das GTG Arbeiten mit GVO, die nach einem sogleich näher zu beschreibenden System anmelde- oder genehmigungspflichtig sind, unterwirft aber nicht die Anlage selbst einem rechtlichen Regime. Im Unterschied etwa zum deutschen GenTG kennt das österreichische GTG daher keine Bewilligung einer gentechnischen Anlage. Diese muss daher allenfalls nach anderen Regelungen bewilligt werden. Handelt es sich um eine gewerbliche Betriebsanlage, sind die Vorschriften der §§ 74ff GewO anzuwenden. Daraus ergeben sich aber eine Fülle noch nicht aufgearbeiteter Fragen für die Praxis: So ist im Grunde nicht ersichtlich, wie im Rahmen einer gewerblichen Betriebsanlagenbewilligung spezifische Fragen der darin beabsichtigterweise entfalteten gentechnischen Arbeiten unberücksichtigt bleiben sollten.72
§ 5 GTG sieht - nach dem Vorbild des deutschen Gentechnikgesetzes, der NIH-Richtlinien und der Schweizer Störfallverordnung - für Arbeiten mit GVO im geschlossenen System eine Einteilung in vier Sicherheitsstufen vor. Die SystemRL enthält eine solche Klassifizierung erst seit ihrer Änderung durch die RL 98/81/EG. Entscheidend für die Einteilung ist dabei das Risiko für die Gesundheit des Menschen einschließlich seiner Nachkommenschaft sowie für die Umwelt iSd § 1 Z 1 GTG, beurteilt nach dem Stand von Wissenschaft und Technik.73 Die Sicherheitsstufe 1 (§ 5 Z 1 GTG) umfasst demnach Arbeiten, bei denen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik von keinem oder nur einem vernachlässigbaren Risiko für die Schutzgüter des § 1 Z 1 GTG auszugehen ist.74 Bei Arbeiten der Sicherheitsstufe 4 (§ 5 Z 4 GTG) ist hingegen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik von einem hohen Risiko für die Sicherheit iSd § 1 Abs 1 GTG auszugehen; den Sicherheitsstufen 2 (§ 5 Z 2 GTG) und 3 (§ 5 Z 3 GTG) sind jene Arbeiten zuzuordnen, bei denen sich das zu erwartende Risiko nach dem Stand von Wissenschaft und Technik auf ein geringes bzw mäßiges beschränkt. Determinanten für die Einteilung zu einer Sicherheitsstufe sind einerseits die Zuordnung der verwendeten GVO zu einer der vier Risikogruppen iSd § 6 GTG, für den Fall der Herstellung von GVO auch jene der Spender- oder Emp71 72 73
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Zur Unterscheidung Freisetzung - In-Verkehr-Bringen vgl unter III. A. Vgl zum gewerblichen Betriebsanlagenrecht die Beiträge in diesem Band. Unter dem Stand der Technik versteht dabei das GTG den auf den einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Entwicklungsstand fortschrittlicher technologischer Verfahren, Einrichtungen, Bau- und Betriebsweisen (§ 4 Z 8 GTG). Typen von GVM, die sicher für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sind, können künftig im Verordnungsweg unter Bedachtnahme auf europarechtliche Vorgaben (vgl Anhang II Teil C der SystemRL) aufgelistet werden; werden bei Arbeiten im geschlossenen System nur derart „sichere“ GVM verwendet, entfällt darauf die Anwendung aller spezifischer Bestimmungen betreffend Arbeiten mit GVM im geschlossenen System (II. Abschnitt, §§ 5 bis 35 GTG) sowie der Abschnitt IVa über die zivilrechtliche Haftung (§ 12a GTG).
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fängerorganismen, andererseits die beabsichtigten Sicherheitsmaßnahmen sowie die geplante Abfall- und Abwasserbeseitigung: Werden risikominimierende biologische Sicherheitsmaßnahmen75 verwendet, kann dies eine Zuordnung zu einer niedrigeren Sicherheitsstufe rechtfertigen, als es die Einteilung zu einer Risikogruppe erfordern würde (§ 6 Abs 1, Abs 7 GTG). Die Kriterien für die Zuordnung zu einer der vier Risikogruppen sind kaskadenartig auf mehreren Norm- und Abstraktionsebenen umschrieben: allgemein in § 6 Abs 2 GTG, näher für die einzelnen Risikogruppen in den Absätzen 3 bis 5 des § 6 GTG sowie in § 1 SystemVO76: Von wesentlicher Bedeutung sind dabei die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik sicherheitsrelevanten (§ 1 Z 1 GTG) Eigenschaften der verwendeten Spender- und Empfängerorganismen (§ 6 Abs 2 Z 1 GTG), der verwendeten Vektoren (§ 6 Abs 2 Z 2 GTG), der eingefügten fremden Nukleinsäureabschnitte (§ 6 Abs 2 Z 3 GTG), des hergestellten oder verwendeten GVO (§ 6 Abs 2 Z 4 GTG) und der vom GVO wegen neu eingefügter Nukleinsäureabschnitte gebildeten Genprodukte (§ 6 Abs 2 Z 5 GTG). Die angesprochenen Eigenschaften sind in den Anhängen I 1 bis I 5 zur SystemVO im Detail präzisiert.
Die Sicherheitseinstufung ist vom Betreiber, also definitionsgemäß (vgl § 4 Z 18 GTG) von jener natürlichen oder (den Organen jener) juristischen Person, Personengesellschaft des Handelsrechts oder Erwerbsgesellschaft, die unter ihrem Namen Arbeiten mit GVO durchführt, vor Aufnahme jeder Arbeit oder Arbeitsreihe unter Berücksichtigung der dargestellten gesetzlichen Determinanten eigenverantwortlich vorzunehmen (§ 6 Abs 1 GTG),77 schriftlich festzuhalten und zu begründen (§ 6 Abs 8 GTG): Es liegt daher zunächst in der Verantwortung des Betreibers, das Gefahrenpotential der intendierten Tätigkeit einzuschätzen. In Zweifelsfällen muss aber die Behörde entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Betreibers, im Rahmen eines Feststellungsverfahrens durch Bescheid nach Anhörung des zuständigen wissenschaftlichen Ausschusses, die Sicherheitseinstufung vornehmen (§ 7 GTG).78 Das Gesetz unterscheidet weiters - abhängig vom verwendeten Kulturvolumen - zwischen Arbeiten im kleinen Maßstab in den einzelnen Sicherheitsstufen und solchen im großen Maßstab; Arbeiten mit gentechnisch veränderten Pflanzen oder Tieren fallen ebenfalls unter die Arbeiten im kleinen Maßstab (§ 4 Z 9 und Z 11 GTG). Für die Anmelde- bzw Genehmigungspflicht der 75
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Biologisches Containment, vgl RV 1465 BlgNR 18. GP, 51. Darunter ist grundsätzlich die Verwendung bestimmter, anerkannter Vektor-Wirt (Empfängerorganismus)systeme zu verstehen, bei denen man aufgrund der durch Mutation bedingten Veränderung davon ausgehen kann, dass sie sich außerhalb der Laborbedingungen nicht vermehren können, dh nicht mehr fähig sind, ihre natürlichen Lebensräume zu besiedeln und für Mensch und Umwelt daher gefahrlos sind; zu anerkannten biologischen Sicherheitsmaßnahmen vgl die deutsche Gentechnik-Sicherheitsverordnung in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Band 2, Teil C; zur Definition vgl Koch/Ibelgaufts, Zweiter Teil § 7, Rz 41ff. Zur Verordnungsermächtigung siehe § 8 GTG; die Festlegung von Kriterien für die Sicherheitseinstufung bzw Risikogruppenzuteilung im Verordnungsweg soll einer flexiblen, laufenden Anpassung der Kriterien an den erzielten Fortschritt dienen; vgl RV 1465 BlgNR 18. GP, 51. Besonders strenge Anforderungen stellt § 6 Abs 3 GTG dabei an eine Zuordnung eines GVO in die Risikogruppe 1. Zunächst sind aber idR die Sicherheitsmaßnahmen der höheren Sicherheitsstufe anzuwenden (§ 7 Abs 1 GTG).
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Arbeiten im geschlossenen System an sich hat diese Unterscheidung keine Bedeutung; sie wirkt sich aber etwa auf die Pflichten des Betreibers zur Vermeidung bzw bei Eintritt eines allfälligen Unfalles (§ 11 GTG) sowie auf das weitere behördliche Verfahren (§ 22 GTG) aus.
B. Behörden und Verfahren Arbeiten im geschlossenen System dürfen idR erst nach Einleitung bzw Durchführung eines Anmelde- oder Genehmigungsverfahrens (§§ 19, 20 GTG) begonnen werden: Ob Arbeiten lediglich anzumelden sind, oder ob dafür eine behördliche Genehmigung erforderlich ist, hängt davon ab, in welche Sicherheitsstufe die Arbeiten fallen und ob es sich dabei um erstmalige oder weitere Arbeiten handelt. Das GTG sieht in den unteren Sicherheitsstufen nunmehr auch Arbeiten im geschlossenen System vor, die sogleich nach der Anmeldung aufgenommen werden dürfen, also lediglich einem Meldeverfahren unterliegen. Bloß anmeldepflichtig sind nach § 19 GTG erstmalige Arbeiten mit GVM in einer gentechnischen Anlage in den Sicherheitsstufen 1 und 2, weitere Arbeiten mit GVM in einer gentechnischen Anlage in der Sicherheitsstufe 2, erstmalige Arbeiten mit transgenen Pflanzen oder Tieren in einer gentechnischen Anlage, weitere Arbeiten mit transgenen Pflanzen oder Tieren in einer gentechnischen Anlage, sofern eine Sicherheitseinstufung in die Sicherheitsstufe 1 nicht zulässig ist, sowie weitere Arbeiten mit transgenen Wirbeltieren in der Sicherheitsstufe 1 in einer gentechnischen Anlage. Weitere Arbeiten in der Sicherheitsstufe 1 sowie weitere Arbeiten mit transgenen Pflanzen oder Tieren in einer gentechnischen Anlage in der Sicherheitsstufe 1 sind demnach nicht einmal anmeldepflichtig. Genehmigungspflichtig sind dagegen nach § 20 GTG Arbeiten mit GVM in einer gentechnischen Anlage in den Sicherheitsstufen 3 und 4. Die Anmeldung bzw der Antrag und die dazugehörigen Unterlagen79 sind in Original und Kopie bei der Behörde (§ 100 GTG) einzubringen. Behörde ist, wenn die Arbeiten im geschlossenen System an wissenschaftlichen Hochschulen oder an wissenschaftlichen Einrichtungen des Bundes in seinem Ressortbereich erfolgen, der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, im Übrigen der Bundesminister für Gesundheit und Frauen. Art und Umfang dieser Unterlagen sind der Anlage 1 zum GTG im Detail zu entnehmen, wobei zT unterschiedliche Anforderungen bestehen, je nachdem, ob Arbeiten mit GVM (Teil A der Anlage 1) oder Arbeiten mit gentechnisch veränderten Pflanzen oder Tieren (Teil B der Anlage 1) durchgeführt werden sollen. § 24 GTG enthält Vorschriften über den erlaubten Beginn der Arbeiten und sieht dabei grundsätzlich Wartefristen von 45 bzw 30 Tagen vor, wobei in manchen Fällen die zuständige Behörde einem früheren Arbeitsbeginn zustimmen kann.
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Die Antragsformulare sind auf der Homepage des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen erhältlich: http://www.bmgf.gv.at/cms/site/inhalte.htm?channel= CH0252&thema=CH0259; login am 9. 5. 2006.
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Bestimmte Arbeiten dürfen, wie erwähnt, unmittelbar nach ihrer Anmeldung aufgenommen werden: Erstmalige Arbeiten mit GVM in den Sicherheitsstufen 1 und 2, wenn die Behörde für Arbeiten in einer höheren Sicherheitsstufe in derselben gentechnischen Anlage bereits eine Anmeldung zur Kenntnis genommen oder eine Genehmigung erteilt hat; weitere Arbeiten mit GVM in einer gentechnischen Anlage in der Sicherheitsstufe 2; sowie unter bestimmten Voraussetzungen weitere Arbeiten mit transgenen Pflanzen oder Tieren in einer gentechnischen Anlage, sofern eine Sicherheitseinstufung in die Sicherheitsstufe 1 nicht zulässig ist und weitere Arbeiten mit transgenen Wirbeltieren in der Sicherheitsstufe 1.80 Diese Arbeiten unterliegen daher lediglich einem Meldeverfahren, bei denen eine bescheidmäßige Zustimmung oder ein Untersagungsbescheid der Behörde nicht mehr zulässig ist.81 Genehmigungspflichtige Arbeiten dürfen nicht vor Erteilung der behördlichen Genehmigung aufgenommen werden, wobei das Gesetz Fristen für die Entscheidung der Behörde vorsieht, deren Länge davon abhängt, um welche Arbeiten es sich handelt, ob allenfalls schon eine Genehmigung in derselben gentechnischen Anlage in der höheren Sicherheitsstufe erteilt wurde und ob dem Antrag ein Protokoll des Komitees für die biologische Sicherheit82 über die erfolgte Freigabe beiliegt.83 Vor der Einreichung des Anmelde- oder Genehmigungsantrages hat der Betreiber neben der Sicherheitseinstufung weitere „Vorarbeiten“ zu leisten. Zunächst sind von ihm alle nach dem Stand von Wissenschaft und Technik notwendigen Sicherheitsmaßnahmen einerseits zur Vermeidung von Unfällen (Präventivmaßnahmen), andererseits zur Minimierung von Auswirkungen eines sich trotzdem ereignenden Unfalls zu treffen. Zentrale Verpflichtung des Betreibers ist die Erstellung eines Notfallplanes.84 Dieser soll im Wesentlichen die bei einem Unfall zu ergreifenden innerbetrieblichen Maßnahmen, Anleitungen für Betriebspersonal und Feuerwehr sowie eine Benachrichtigungskette enthalten (§ 11 Abs 1 Z 1 und Z 2 GTG). Daneben soll vom Betreiber für die Durchführung von Arbeiten in den höheren Sicherheitsstufen ein Bereitschaftsdienst eingerichtet und ausgebildet werden (§ 11 Abs 1 Z 3 GTG). § 11 Abs 1 Z 4 GTG verpflichtet den Betreiber binnen sechs Wochen nach Aufnahme bestimmter Arbeiten zur Anrainerinformation hinsichtlich notwendiger Sicherheitsmaßnahmen für den Fall des Eintritts eines Unfalles. Einmal jährlich sind die Beschäftigten über die zu ergreifenden Sicherheitsmaßnahmen 80
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Voraussetzung neben dem Vorliegen des Protokolls des Komitees für die biologische Sicherheit über die erfolgte Freigabe ist, dass auf diese Arbeiten nicht das behördliche Verfahren über Arbeiten mit transgenen Tieren (§§ 26f) anwendbar ist; siehe dazu unter D. Siehe RV 967 BlgNR, 21. GP, zu § 22. Dieses Komitee hat der Betreiber für jede gentechnische Anlage einzurichten (§ 16 Abs 1 GTG). Für Regelungen betreffend Zusammensetzung und Aufgaben des Komitees siehe § 16 Abs 2 bis Abs 4 GTG. Die Fristen betragen 45, 60 bzw 90 Tage. Dieser ist vor der Aufnahme von Arbeiten in den Sicherheitsstufen 3 und 4 im kleinen Maßstab und Arbeiten in den Stufen 2, 3 und 4 im großen Maßstab der Behörde und der zuständigen Feuerwehr, daneben auch der zuständigen Bezirkshauptmannschaft, zu übermitteln (§ 11 Abs 1 Z 2 GTG).
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zur Minimierung allfälliger Unfallfolgen zu unterweisen (§ 11 Abs 1 Z 5 GTG). § 11 Abs 2 GTG beschreibt die konkreten Pflichten des Betreibers, wenn ein Unfall tatsächlich eintritt: Unfallhergang und ergriffene Sicherheitsmaßnahmen sind zu protokollieren, die Behörde (§ 100 GTG) ist zu unterrichten;85 spätestens binnen eines Monats nach dem Unfallgeschehen sind konkrete Angaben im gesetzlich umschriebenen Umfang auch schriftlich zu übermitteln. Den Betreiber, erforderlichenfalls auch die Behörde, trifft darüber hinaus eine Pflicht zum Monitoring der Auswirkungen bestimmter Unfälle (§ 11 Abs 4 GTG). Für jede gentechnische Anlage muss vom Betreiber ein Beauftragter für die biologische Sicherheit bestellt werden, der im Rahmen der Antragsunterlagen namhaft zu machen ist. Seine fachlichen Voraussetzungen, die in § 14 Abs 2 GTG näher umschrieben werden,86 sind dabei bekannt zu geben.87 Seine Aufgaben und Pflichten88 sind ebenso wie seine Rechte89 gesetzlich formuliert (§ 14 Abs 4 und 5 GTG); er darf nur in einem Dienstverhältnis zum Betreiber stehen90 und muss während der Arbeiten anwesend oder zumindest kurzfristig erreichbar sein (§ 14 Abs 3 GTG). Zur Vorgangsweise beim Wechsel des Beauftragten siehe § 14 Abs 6 bis 8 GTG. Daneben verpflichtet § 15 GTG den Betreiber zur Bestellung eines Projektleiters für jede Arbeit mit GVO - außer der Lagerung und dem innerbetrieblichen Transport in den Sicherheitsstufen 2, 3 und 4 sowie für jede Arbeitsreihe. § 16 verlangt vom Betreiber, für jede gentechnische Anlage ein Komitee für die biologische Sicherheit einzurichten.91
Für das weitere behördliche Verfahren sieht § 22 GTG zunächst die Prüfung der Anmeldung bzw des Antrages auf die Übereinstimmung mit den einschlägigen Bestimmungen des GTG und allfälligen Verordnungen vor, wobei der Beurteilung der Richtigkeit der Sicherheitseinstufung und allenfalls der 85
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Unverzüglich telefonisch oder per Fax über einen Unfall bei Arbeiten im kleinen Maßstab in der Sicherheitsstufe 4 oder in den Stufen 2, 3 und 4 im großen Maßstab (§ 11 Abs 3 GTG). Im Fall solcher Unfälle müssen auch der zuständige Landeshauptmann, die örtlich zuständige BVB und die Gemeinde verständigt werden: § 11 Abs 5 GTG. Mindestens zweijährige praktische Erfahrung mit einschlägigen Arbeiten mit GVO und ausreichende Kenntnisse auf dem Gebiet der Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit verlangt § 14 Abs 2 GTG. Auch der Projektleiter muss über ausreichende praktische Erfahrung mit Arbeiten mit GVO verfügen. Eine nähere Ausgestaltung dieses Anfordernisses könnte im Wege der Verordnung ergehen: vgl die Verordnungsermächtigung des § 17 GTG. Ebenso wie Name und Qualifikation der Mitglieder des Komitees für biologische Sicherheit, siehe Anlage 1 zum GTG. Überprüfung der Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen und des Notfallplanes; Information des Betreibers über sicherheitsrelevante Mängel; Erstattung von Vorschlägen zum Notfallplan und zur Unterweisung von Mitarbeitern; Führung schriftlicher Aufzeichnungen über seine Tätigkeit. Unterstützung bei seinen Aufgaben durch den Betreiber, Gewährung von ausreichend Zeit, uU Hilfspersonal, Räumlichkeiten etc. Das soll einerseits Kontinuität im Betrieb, andererseits mehr Sicherheit für den Betreffenden gegenüber einem Werkvertrag gewährleisten, RV 1465 BlgNR 18. GP, 52. Im klinischen Bereich der medizinischen Fakultäten ist ein Dienstverhältnis des Beauftragten für die biologische Sicherheit im Rahmen der universitären Einrichtung dem Dienstverhältnis zum Betreiber, soweit dieser Träger der Krankenanstalt ist, gleichzusetzen. Vgl dazu näher § 16 Abs 2 bis 8 GTG.
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Angemessenheit der Einschließungsmaßnahmen bzw Maßnahmen zur Abfallentsorgung besondere Bedeutung zukommt. Handelt es sich nicht um bloße Meldeverfahren im oben beschriebenen Sinn, kann die Behörde - sollte dies im Interesse der Sicherheit erforderlich sein - im Ermittlungsverfahren anordnen, dass Arbeiten erst später aufgenommen werden oder (sollten sie bereits durchgeführt werden) vorübergehend eingestellt werden, bis die Behörde die Genehmigung erteilt bzw binnen einer Frist von 45 Tagen ab Anmeldung ausspricht, dass sie die Anmeldung zur Kenntnis nimmt. Bei den bloßen Meldeverfahren kann die Behörde allenfalls nachträgliche Maßnahmen iSd § 33 GTG zur Verhinderung nachteiliger Auswirkungen auf die Sicherheit ergreifen.92 Vor der Entscheidung über die Genehmigung von Arbeiten in den Sicherheitsstufen 3 und 4 sowie über Anmeldungen für Arbeiten mit transgenen Wirbeltieren zu bestimmten Zwecken, ist, wenn Grund zur Annahme besteht, dass die Artgrenze durchbrochen wird, ein Gutachten des zuständigen Ausschusses der Gentechnikkommission einzuholen. Über Anträge auf Genehmigung von Arbeiten in der Sicherheitsstufe 3 im großen Maßstab, ausgenommen Arbeiten zu Entwickungszwecken, sowie über Anträge auf Genehmigung erstmaliger Arbeiten in der Sicherheitsstufe 4 oder weiterer Arbeiten in der Sicherheitsstufe 4 im großen Maßstab muss ein Anhörungsverfahren93 durchgeführt werden. Ist sichergestellt, dass die gesetzlichen Verpflichtungen, insbesondere betreffend die Sicherheitsausstattung der gentechnischen Anlage, erfüllt wurden und die für die entsprechende Sicherheitsstufe notwendigen Vorkehrungen getroffen wurden, so dass negative Folgen für die Sicherheit nicht erwartet werden können, sowie unter der Voraussetzung, dass seitens des Betreibers ein Haftpflichtversicherungsnachweis erbracht wurde, muss die Behörde die Genehmigung erteilen (§ 23 Abs 1 GTG). Wenn eine oder mehrere dieser Voraussetzungen nicht vorliegen, ist die Durchführung anmeldepflichtiger Arbeiten zu versagen bzw die Genehmigung genehmigungspflichtiger Arbeiten zu untersagen.94 Die Genehmigung kann auch befristet sein oder mit Bedingungen oder Auflagen versehen werden, wenn dies im Interesse der Sicherheit erforderlich ist (§ 23 Abs 3 GTG). Im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Lockerung in den unteren Sicherheitsstufen wurden durch die GTG-Novelle BGBl 2002 I/94 die Möglichkeiten der Behörde zur Ergreifung nachträglicher Maßnahmen erweitert: Werden nach Erteilung der Genehmigung, nach Ablauf der Untersagungsfrist bzw nach Beginn der Arbeiten erhebliche negative sicherheitsrelevante Umstände bekannt, so kann die Behörde - freilich unter möglichster Schonung der erworbenen Rechte - zusätzliche geeignete Sicherheitsauflagen erteilen, die Durchführung der Arbeiten beschränken, verbieten oder vorübergehend einstellen, sowie die schadlose Beseitigung der GVO anordnen (§ 33 GTG). 92 93 94
Dazu Näher sogleich. Dazu näher § 28 GTG. Das gilt, wie erwähnt, nicht für jene Arbeiten, die einem bloßen Meldeverfahren unterliegen; vgl § 23 Abs 2 GTG.
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Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass Arbeiten mit GVO im geschlossenen System die größte Bedeutung im Rahmen der Anwendung der Gentechnik zukommt: Aus dem Dritten Bericht der Gentechnikkommission95 geht hervor, dass im Berichtszeitraum 1. 6. 2001 bis 1. 6. 2004 243 Verwaltungsverfahren (aufgrund von Anmelde- und Genehmigungsanträgen) durchgeführt wurden. In dieser Zahl sind die oben beschriebenen Meldeverfahren nicht enthalten, sodass die Anzahl der durchgeführten Arbeiten im geschlossenen System höher liegt. 77% der neuen Anmeldungen bzw Anträge auf Genehmigung betrafen die Sicherheitsstufe 1, 22% die Sicherheitsstufe 2 und lediglich 1% die Sicherheitsstufe 3. Festgehalten wird auch, dass die im Berichtszeitraum durchgeführten behördlichen Kontrollen keine Beanstandungen ergaben.
C. Kennzeichnung Gemäß § 62a GTG müssen nunmehr auch GVO, die für Arbeiten im geschlossenen System bereitgestellt werden, auf einem Etikett oder Begleitdokument als GVO gekennzeichnet sein.
D. Transgene Tiere 1. Herstellung von und Arbeiten mit transgenen Tieren § 9 Abs 1 GTG unterwirft Arbeiten mit transgenen Wirbeltieren,96 die unter Durchbrechung der Artgrenze „hergestellt“ wurden, sowie Arbeiten zu deren „Herstellung“, engen Grenzen:97 Sie sind ausschließlich zu Zwecken der Biomedizin und der entwicklungsbiologischen Forschung zulässig. Damit soll dem Anliegen der Erhaltung der natürlichen Artenvielfalt Rechnung getragen werden.98 Gesetzlich ist weiter festgelegt, wann die Artgrenze durchbrochen wird, wobei unter Bedachtnahme auf die Fortpflanzung auf die Identität der Art der Empfängerorganismen hinsichtlich wesentlicher Körperbaumerkmale, physiologischer Funktion und Leistung abgestellt wird. Bestehen darüber Zweifel, 95
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Die Einrichtung der Gentechnikkommission folgt der Erkenntnis, dass bei der Vollziehung dieses Gesetzes die Expertise von einschlägigen Sachverständigen (vgl dazu insb die Zusammensetzung der wissenschaftlichen Ausschüsse) unbedingt notwendig ist. Daneben sollen ihr aber auch Vertreter anderer Fachrichtungen (Philosophie, Theologie, Medizin) sowie der Sozialpartner und der „kritischen Öffentlichkeit“ (vgl RV 1465 BlgNR 18. GP, 65) angehören. Zu Einrichtung, Zusammensetzung, Aufgaben und Beschlussfassung näher §§ 80 bis 84 GTG. Es zählt zu ihren Aufgaben, auf der Grundlage der ihr von den ständigen wissenschaftlichen Ausschüssen übermittelten Berichte - die Ausschüsse haben nach § 93 Abs 1 GTG bis zum 1. 3. eines jeden Jahres über das vergangene Jahr einen Tätigkeitsbericht abzuliefern - in Abständen von drei Jahren einen Bericht über die Anwendung der Gentechnik zu erstellen: § 99 Abs 5 GTG. Der erste derartige Bericht wurde 1998 erarbeitet und am 14. 1. 1999 von der Gentechnikkommission einstimmig angenommen. Mittlerweile liegt der dritte Bericht dieser Kommission vor. Dieser ist abrufbar unter http://www.bmgf.gv.at/cms/site/detail.htm?thema=CH0254&doc=CMS1113215228 099, login am 9. 5. 2006. Den Begriff der transgenen Tiere definiert § 4 Z 15 GTG folgendermaßen: Tiere, die durch Einfügen eines oder mehrerer Gene in die Keimbahn oder durch Deletion eines oder mehrere Gene aus der Keimbahn entstehen. Zur kompetenzrechtlichen Problematik in diesem Zusammenhang siehe schon unter I. B. Vgl RV 1465 BlgNR 18. GP, 51.
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kann - über Antrag des Betreibers - ein Verfahren zur Erlassung eines Feststellungsbescheides initiiert werden. Die Behörde (§ 100 GTG) entscheidet nach Anhörung des wissenschaftlichen Ausschusses für Arbeiten im geschlossenen System.
2. Verfahren bei Arbeiten mit transgenen Tieren Die Bestimmungen über das behördliche Verfahren bei Arbeiten mit transgenen Tieren (§ 26 GTG) berücksichtigen, dass dazu regelmäßig ein Genehmigungs- oder Anmeldeverfahren nach dem Tierversuchsgesetz (TVG)99 erforderlich ist. IS einer Verfahrenskonzentration sind dieser Genehmigung Unterlagen im gesetzlich umschriebenen Umfang100 beizugeben; die Entscheidung der nach dem TVG zuständigen Behörde101 ersetzt im Rahmen ihres Geltungsumfanges die nach dem GTG erforderliche Anmeldung von Arbeiten mit transgenen Tieren (§ 27 Abs 1 GTG). Die Behörde hat bei der Genehmigung nach dem TVG jedenfalls auch die Genehmigungsvoraussetzungen des GTG (§§ 9, 10 GTG) zu prüfen; liegen diese nicht vor, ist auch die Genehmigung nach dem TVG zu versagen (§ 27 Abs 2 GTG). Bei Zweifeln betreffend die Sicherheitseinstufung oder für den Fall, dass bei Arbeiten zu anderen als biomedizinischen Zwecken oder Zwecken der entwicklungsbiologischen Forschung Grund zur Annahme besteht, die Artgrenze werde durchbrochen, ist darüber hinaus eine Stellungnahme des zuständigen wissenschaftlichen Ausschusses der Gentechnikkommission einzuholen. Neben dem TVG ist nunmehr auch das Tierschutzgesetz des Bundes102 zu beachten, das für alle Tiere gilt. Gegenstand dieses Gesetzes ist der Schutz von Tieren, soweit dieser nicht durch andere Gesetze bundesgesetzlich geregelt ist so etwa durch das TVG oder durch das Tiertransportgesetz.103 Diese Regelungen bleiben durch das TSchG unberührt. Relevant scheint das TSchG daher insbesondere dann, wenn Arbeiten mit bzw zur Herstellung von transgenen Tieren nicht in den Anwendungsbereich des TVG fallen. Das TSchG enthält ua Verbote der Tierquälerei (§ 5), der Tötung von Tieren ohne vernünftigen Grund (§ 6) sowie des Eingriffs an Tieren (§ 7).
III. Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen A. Begriff Unter einer Freisetzung versteht das GTG (§ 4 Z 20 GTG) „das absichtliche Ausbringen von GVO, einer Kombination von GVO oder einer Kombination 99 100 101
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BGBl 1989/501, zuletzt geändert durch BGBl 2005 I/162. Siehe Anlage 1 Teil B GTG. Zuständige Behörde zur Erteilung der Genehmigungen ist für Tierversuche in Angelegenheiten des Hochschulwesens sowie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und ihrer Einrichtungen der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, sonst der Landeshauptmann in erster Instanz. Er hat sich hiebei Sachverständiger zu bedienen. Eine Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes richtet sich an den jeweils zuständigen Bundesminister: § 10 Abs 2 TVG. TSchG BGBl 2004 I/118. Näher RV 446 BlgNR, 22. GP.
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von GVO mit anderen Organismen aus einem geschlossenen System in die Umwelt, sofern dies nicht im Rahmen einer Genehmigung zum In-VerkehrBringen zulässig ist.“ Der Gesetzgeber hatte damit eine gezielte - iS von bewusster und gewollter104 - Entlassung von GVO in die Umwelt vor Augen105 und grenzt so die Freilassung von GVO von deren Verwendung im geschlossenen System106 ab. Mit der - durch die Novelle BGBl 2004 I/126 geänderten - Definition wird nunmehr klargestellt, dass eine absichtliche Freisetzung auch dann gegeben ist, wenn die Genehmigung zum In-Verkehr-Bringen den Zweck des (späteren) generellen Ausbringens in die Umwelt nicht umfasst. Der Gesetzgeber hatte dabei insbesondere Fälle vor Augen, bei denen eine EU-weite Genehmigung zum In-Verkehr-Bringen etwa nur für Zwecke des Imports oder der Weiterverarbeitung vorliegt; für das Ausbringen in die Umwelt bedarf es daher in diesem Fall eines Freisetzungsantrages in Österreich.107 Nicht als Freisetzung gilt gemäß ausdrücklicher Anordnung (§ 2 Abs 4 GTG), die Verwendung von GVO zum Zweck der somatischen Gentherapie. Die Genehmigung zur Durchführung einer klinischen Prüfung zu diesem Zweck unterliegt einer eigenen Genehmigung nach § 76 GTG, in deren Rahmen die Frage allfälliger nachteiliger Folgen durch ein mögliches Ausbringen solcher GVO in die Umwelt mit zu prüfen ist. In der deutschen Literatur wird für die Abgrenzung der Freisetzung zum InVerkehr-Bringen das subjektive Moment besonders betont:108 Nur wenn darauf abgezielt wird, ein Produkt, das GVO enthält oder aus solchen besteht, in die Umwelt auszubringen, spricht man von einer Freisetzung iSd Gesetzes. Wird hingegen ein Wechsel eines solchen Produktes oder Organismusses vom Herrschaftsbereich des Betreibers heraus in jenen eines Dritten intendiert, liegt begrifflich In-Verkehr-Bringen vor. Aus dem dritten Bericht der Gentechnikkommission109 geht hervor, dass im Berichtszeitraum 1. 6. 2001 bis 1. 6. 2004 kein einziger Antrag auf Freisetzung gestellt wurde. Dies hängt mit dem weitgehenden politischen Konsens in Österreich zusammen, wonach Freisetzungen von GVO abgelehnt werden. So versuchte das Land Oberösterreich sogar über geraume Zeit, in europarechtlich problematischer Weise und vorläufig
104
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In der deutschen Literatur wurde auch die Frage aufgeworfen, welchem Regime ein unabsichtliches, versehentliches Entweichen von GVO unterstehen soll, vgl dazu Koch/Ibelgaufts, Erster Teil § 3, Rz 219. Dort wird es als Unterfall des Umganges mit GVO im geschlossenen System gelöst. Kann es angesichts der Menge und der Eigenschaften der entwichenen GVO zu einer Gefährdung der Sicherheit iSd § 1 Z 1 GTG durch Kontamination oder Vermehrung der GVO außerhalb des geschlossenen Systems kommen, liegt wohl ein „Unfall bei Arbeiten mit GVO im geschlossenen System“ (§ 4 Z 12 GTG) vor, bei dem entsprechend den dafür vorgesehenen Regelungen (§ 11 GTG) zu handeln ist. Kommt es im Übrigen im Zuge von Freisetzungen zu einer unvorhergesehenen Abweichung vom geplanten Versuchsablauf, die eine sicherheitsgefährdende (§ 1 Z 1 GTG) Vermehrung von GVO zur Folge hat, sind die Vorschriften betreffend den Unfall im Zuge von Freisetzungen (§ 49 GTG) einschlägig. RV 1465 BlgNR 18. GP, 50. Zum geschlossenen System und den dafür charakteristischen Barrieren vgl oben II. A. RV 617 BlgNR 22. GP, 6. Zur Definition und Abgrenzung der Begriffe „Freisetzung“ und „In-VerkehrBringen“ vgl näher Koch/Ibelgaufts, Erster Teil § 3, Rz 219 (225ff). Vgl Fn 95.
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auch noch gegen die Rechtsüberzeugung der europäischen Institutionen,110 das gesamte Landesgebiet zur „gentechnikfreien Zone“ zu erklären.
B. Stufenprinzip Informationen betreffend Interaktionen von GVO und das Verhalten von GVO unter komplexen Umweltbedingungen sind trotz wachsender Erfahrungen der Wissenschaft noch immer begrenzt.111 Aus diesem Grund war die Idee, wissenschaftliches Neuland nur Schritt für Schritt zu betreten, schon in den OECDSafety Considerations112 enthalten. Sie stellt auch ein zentrales Anliegen der FreisetzungsRL113 dar. Entsprechend geht auch das GTG in seinen bereits erwähnten „Grundsätzen“114 davon aus, dass die Freisetzung von GVO nur stufenweise ausgedehnt werden darf, wobei die Bewertung der vorhergehenden Stufen ergeben haben muss, dass nach dem Stand der Wissenschaft und Technik keine nachteiligen Folgen für die Sicherheit der Rechtsgüter iSd § 1 Z 1 GTG zu erwarten sind.115 In der Praxis bedürfte es für eine solche Risikobewertung jedenfalls einer genauen Dokumentation und Vorlage aller Daten betreffend die vorangegangenen, bereits durchlaufenen Stufen. In ihrem dritten Bericht hat die Gentechnikkommission in diesem Zusammenhang festgehalten, dass zum Stufenprinzip keine konkreten für Österreich spezifischen Aussagen getroffen werden können, weil im Berichtszeitraum kein Freisetzungsantrag eingebracht wurde. § 36 GTG legt im Detail die einzelnen Stufen fest: Die erste Stufe der Freisetzung soll ein Versuch in einem kleinen Ausmaß sein, das dadurch bestimmt wird, dass nach dem Stand von Wissenschaft und Technik die Gefahr einer unbegrenzten Verbreitung und Vermehrung von GVO außerhalb des Versuchsbereiches stark herabgesetzt ist. Dabei sollen die für ein geschlossenes System charakteristischen Schranken „erst sehr vorsichtig gelockert“ werden, eine unkontrollierte Verbreitung oder Vermehrung soll vermieden werden. Die aufgrund dieser Versuche gewonnenen Daten sollen dann die im zweiten Schritt vorgesehenen Versuche im großen Ausmaß (§ 36 Abs 1 Z 2 GTG) mit kontrollierter Verbreitung und Vermehrung der GVO ermöglichen.116 Von dem geschilderten Stufenprinzip geht das Gesetz in § 36 Abs 2 GTG insofern ab, als Freisetzungen ohne Sicherheitsrisiko (§ 1 Z 1 GTG) auch dann genehmigt werden müssen (arg: hat die Behörde zu genehmigen), wenn die Stufe 1 nicht durchlaufen wurde. Für diese behördliche Einschätzung steht kein eigenes (Feststellungs-)Verfahren zur Verfügung, sondern sie erfolgt im Rahmen des Genehmigungsverfahrens.117 110
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So hat die Kommission den entsprechenden Gesetzesentwurf nach Art 95 Abs 6 EGV nicht genehmigt. Die - von der Republik Österreich vertretene - Klage war beim Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften nicht erfolgreich; vgl dazu das Urteil vom 5. 10. 2005 in den verbundenen Rechtssachen T-366/03 und T235/04. RV 1465 BlgNR 18. GP, 57. Recombinant DNA Safety Considerations. Safety Considerations for industrial, agricultural and environmental applications of organisms derived by recombinant DNA techniques, Paris (OECD) 1986. Dazu von Kameke, 35f. Vgl Erwägungsgrund 24 der FreisetzungsRL. Siehe oben unter I. A. 2. Vorsorgeprinzip, vgl § 3 Z 1 GTG. RV 1465 BlgNR 18. GP, 57. RV 1465 BlgNR 18. GP, 57.
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C. Bewilligungspflicht und Verfahren, Kennzeichnung Grundsätzlich bedarf nach § 37 Abs 1 GTG jede118 Freisetzung einer Genehmigung der Behörde, die nur im Rahmen eines „europäischen“ Verfahrens erteilt werden kann. Das Gesetz macht hier keinen Unterschied, zu welchen Zwecken (Forschungs- oder gewerbliche Zwecke) eine Freisetzung erfolgt, jeder Antrag muss für den Einzelfall untersucht und geprüft werden. Vor einer Genehmigung darf mit einer Freisetzung nicht begonnen werden.119 § 37 GTG verlangt einen Antrag, dem umfangreiche Informationen anzuschließen sind. Eine Zusammenfassung des Antrages ist von der Behörde binnen 30 Tagen nach dessen Einlangen der Europäischen Kommission zu übermitteln (§ 39 Abs 4 GTG). Dem Antrag sind zunächst Angaben zur Beurteilung der Sofort- und Spätfolgen des GVO oder der Kombination von GVO und deren Auswirkungen auf die Sicherheit iSd § 1 Z 1 GTG beizugeben (§ 37 Abs 2 Z 1 GTG).120 Weiters ist eine Darstellung und Bewertung der bei der vorgesehenen Freisetzung des oder der GVO zu erwartenden Auswirkungen auf die Sicherheit iSd § 1 Z 1 GTG anzuschließen (§ 37 Abs 2 Z 2 GTG). Im Rahmen dieser Sicherheitsbewertung wurden in der FreisetzungsRL erstmals einheitliche Kriterien unter besonderer Berücksichtigung auch langfristiger und akkumulierter Umweltauswirkungen festgelegt. Dabei sind Markergene in GVO, die Antibiotikaresistenzen vermitteln oder schädliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, besonders zu berücksichtigen. Nähere Regelungen über Inhalt, Umfang und Form des Antrages und der anzuschließenden Unterlagen enthält die Anlage 1 zur FreisetzungsVO,121 die auf Basis der Ermächtigung in (ua) § 38 GTG erlassen wurde. Die erforderlichen Angaben sind dabei unterschiedlich ausgestaltet, je nachdem, ob es sich bei den GVO, deren Freisetzung beantragt wird, um höhere Pflanzen handelt122 oder nicht.123 Jedenfalls sind allgemeine Informationen (Name und Anschrift des Betreibers; Name und Ausbildung des/der vom Betreiber vorgesehenen, verantwortlichen Wissenschaftler[s]; Angaben zum sonstigen Personal und dessen Ausbildung; Bezeichnung des Vorhabens) beizubringen. ZT ist die Übermittlung in elektronischer Form vorgesehen. § 37 Abs 4 GTG ermöglicht, 118
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Aus § 37 Abs 2 Z 2 lit f GTG, der ausdrücklich „Ort(e)“ der Freisetzung nennt, argumentiert Herdegen, dass für mehrere ortsverschiedene Freisetzungen desselben GVO ein Antrag reichen dürfte, vgl Herdegen, Band 2, L. I., Rz 61. Eine ortspezifische Prüfung wird dadurch wohl allerdings nicht obsolet. Dies erklärt sich vor dem Hintergrund, dass Sicherheitsfragen nur in einem bestimmten ökologischen Umfeld auftreten. VwGH 21. 1. 1997, 96/11/0166. Näher § 37 Abs 2 Z 1 lit a bis lit g GTG, der den Katalog der erforderlichen Informationen gem Art 13 FreisetzungsRL zusammenfasst. BGBl 2005 II/260. Anlage 1, Teil B: Informationen über die Empfängerpflanze(n), die gentechnische Veränderung, die gentechnisch veränderte Pflanze, den Ort der Freisetzung, die Bedingungen der Freisetzung, über Pläne zur Kontrolle, Überwachung, Nachbehandlung und Abfallentsorgung. Anlage 1, Teil A: Informationen über die GVO, über die Bedingungen der Freisetzung und die für die Freisetzung maßgeblichen Eigenschaften der Umwelt, die Wechselwirkungen zwischen dem GVO und der Umwelt, über Überwachung, Kontrollmaßnahmen, Notfallplan und Entsorgung.
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auf Daten oder Ergebnisse früherer Anträge auch anderer Antragsteller124 zurückzugreifen. Die bei der Erstellung der Sicherheitsbewertung anzuwendenden Grundsätze und Methoden finden sich in Anlage 2 der FreisetzungsVO. Ergänzend dazu sind die Leitlinien zur Ergänzung des Anhanges II der Richtlinie 2001/18/EG gemäß der Entscheidung 2002/623/EG insoweit zu berücksichtigen, als sie im Hinblick auf die jeweilige Eigenschaft des GVO oder des Erzeugnisses, auf die näheren Umstände der beabsichtigten Freisetzung oder des In-VerkehrBringens, auf die voraussichtliche Verwendung sowie auf die den GVO aufnehmende Umwelt einschließlich des Menschen von Relevanz sind. Die Anlagen 1 und 2 der FreisetzungsVO wurden entsprechend den Vorgaben der Anhänge II und III der FreisetzungsRL formuliert. Die damit erreichte Festlegung neuer, einheitlicher Kriterien für die Sicherheitsbewertung ist einer der wesentlichen Inhalte der Novelle BGBl 2004 I/126. Sollte es zur Beurteilung der Genehmigungsvoraussetzungen (§ 40 Abs 1 GTG) erforderlich sein, kann dem Antragsteller unter Angabe einer Begründung auferlegt werden, weitere Informationen nachzubringen (§ 39 Abs 2 GTG). Kommt der Antragsteller selbst während des Genehmigungsverfahrens zu neuen Informationen oder wird das in Aussicht genommene Projekt in sicherheitsrelevanter (§ 1 Z 1 GTG) Weise geändert, muss er von sich aus den Antrag entsprechend anpassen und die Behörde informieren.125
Für den weiteren Gang des Genehmigungsverfahrens ordnet § 39 Abs 3 GTG die obligatorische Durchführung126 eines Anhörungsverfahrens im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und die Einholung eines Gutachtens des wis-
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Zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Erstantragstellers allerdings nur mit dessen schriftlicher Zustimmung. § 37 Abs 5 GTG. Fraglich kann sein, ob und inwieweit den Vorschriften über das Anhörungsverfahren und die Erlangung der Parteistellung durch § 82 Abs 7 AVG (materiell) derogiert wurde (so offenbar List, Kodex Umweltrecht25). Abgesehen davon, dass dem Gesetzgeber nur schwer unterstellt werden kann, dass er die in Reaktion auf das Gentechnikvolksbegehren mit entsprechender Öffentlichkeitswirkung erlassenen Regelungen wenige Wochen später durch eine in der Öffentlichkeit weit weniger wahrgenommene Bestimmung weitgehend konterkarieren wollte, ist auf die unterschiedliche Funktion von Anhörungsverfahren und mündlicher Verhandlung, die schon in der unterschiedlichen Begrifflichkeit zum Ausdruck kommt, hinzuweisen. Während die mündliche Verhandlung ein klassisches Instrument eines auf Parteirechten basierenden Interessenausgleiches und damit dem rechtsstaatlichen Prinzip verpflichtet ist, sollte das Anhörungsverfahren als Ausfluss des demokratischen Prinzips (§ 3 Z 4 GTG) der öffentlichen Diskussion und Information dienen. Es ließe sich daher gut vertreten, dass beide Institutionen nebeneinander bestehen können und das Anhörungsverfahren nicht bloß eine Spielart einer mündlichen Verhandlung darstellt, die durch die Bestimmungen des AVG weitgehend obsolet geworden ist. Zu bedenken ist auch, dass die obligatorische „Anhörung und Unterrichtung“ der Öffentlichkeit nunmehr durch Art 9 FreisetzungsRL europarechtlich vorgegeben ist, wobei den Mitgliedstaaten eine nähere Regelung obliegt. Im Sinne einer europarechtskonformen Interpretation bietet sich daher die vorgetragene Auslegungsvariante an, wonach die Bestimmungen des GTG über das Anhörungsverfahren weiter anzuwenden sind. Eine tiefergehende Lösung der hier aufgeworfenen Frage muss freilich einer eigenen Untersuchung vorbehalten bleiben.
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senschaftlichen Ausschusses für Freisetzungen und In-Verkehr-Bringen127 an. Die gesetzlichen Bestimmungen über das Anhörungsverfahren - § 43 GTG wurden betreffend Kundmachung und Ablauf sowie Art und Umfang der vorausgehenden Einsichtnahme in den Antrag und die dazugehörigen Unterlagen durch die AnhörungsVO128 näher ausgestaltet. Um eine entsprechende Publizitätswirksamkeit herzustellen, enthält das GTG selbst besondere Kundmachungsvorschriften (§ 43 GTG):129 Während einer dreiwöchigen Frist haben Unterlagen betreffend den Freisetzungsantrag bei allen Ämtern der Landesregierungen und Gemeinden im örtlichen Zuständigkeitsbereich der geplanten Freisetzung zur öffentlichen Einsichtnahme aufzuliegen. Jedermann steht es frei, binnen dieser Frist begründete Einwendungen schriftlich zu übermitteln; einen diesbezüglichen Hinweis hat die Kundmachung zu enthalten130 (§ 43 Abs 1 GTG). Jeder, der derart begründete Einwendungen erhoben hat, ist von der Behörde zur Anhörung, die innerhalb von drei Wochen ab Ende der Auflegungsfrist stattfinden muss,131 zu laden, wobei die Ladung auch in der Kundmachung erfolgen kann (§ 43 Abs 2 GTG). Gesondert zu laden sind die anderen potentiellen Parteien, deren Stellung in § 39a GTG geregelt ist: Neben dem Antragsteller jene Gemeinde und jenes Bundesland, in deren/dessen Zuständigkeitsbereich die Freisetzung erfolgen soll (vgl § 39a Abs 1 Z 2, Z 6 GTG) bzw die angrenzende(n) Gemeinde(n) iSd § 39a Abs 1 Z 3 GTG und der Eigentümer des für die Freisetzung in Aussicht genommenen Grundstücks sowie die Nachbarn132 iSd § 39a Abs 1 Z 4 und Z 5 GTG. Die Genannten erlangen nach dem Willen des Gentechnikgesetzgebers133 dann die Stellung als Partei, wenn sie begründete Einwendungen schriftlich der Behörde übermittelt und bei der Anhörung näher erläutert haben. Der Eigentümer jenes Grundstücks, auf dem die Freisetzung stattfinden soll, sowie die Nachbarn müssen darüber hinaus 127
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Dieser ständige Ausschuss der Gentechnikkommission ist vom Bundesminister für Soziale Sicherheit und Generationen einzurichten (§ 85 Abs 1 Z 2 GTG); Aufgaben und Zusammensetzung sind in § 87 GTG geregelt. BGBl 1997 II/61 idF BGBl 1998 II/164. Vgl auch § 2 Abs 1 bis Abs 3 AnhörungsVO. § 2 Abs 2 AnhörungsVO. § 4 Abs 1 AnhörungsVO. Das Gesetz formuliert dabei einen - sachlich allerdings nur schwer rechtfertigbaren engen Nachbarbegriff: Nur jene Personen, die zum Zeitpunkt der Antragstellung und während des Verfahrens Grundstücke, die mit dem Grundstück, auf dem die Freisetzung erfolgen soll, eine gemeinsame Grenze haben, dieses entweder im Eigentum oder gepachtet haben, sowie all jene, die sich während der beschriebenen Zeit nicht nur vorübergehend auf einem dieser Grundstücke aufhalten, somit also nur Anrainer, sind Nachbarn iS der erwähnten Bestimmung. Wenn es allerdings wahr ist, dass Gefahren eines Freisetzungsversuches etwa darin gelegen sein können, dass gentechnisch veränderte Pflanzen negative Auswirkungen auf ihr ökologisches Umfeld haben können, dann sind geographische Eingrenzungen der Parteistellung nur soweit gerechtfertigt, als sie die mögliche Betroffenheit berücksichtigen. Für eine Annahme einer über die ausdrückliche gesetzliche Regelung hinausgehenden Parteistellung auf der Grundlage des § 8 AVG, wie noch von Stelzer, ZfV 1996, 17 (19ff), vorgeschlagen, dürfte seit der Neufassung hingegen kein Raum mehr bestehen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Eingrenzungen der Parteistellung einer Sachlichkeitsprüfung im Lichte des Gleichheitssatzes (Art 7 B-VG) standhalten würden. Auf ein mögliches Derogationsproblem durch § 82 Abs 7 AVG sei hier nur hingewiesen - eine ausführlichere Untersuchung würde den Rahmen der vorliegenden Darstellung sprengen.
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zugleich mit ihren schriftlichen Einwendungen den Nachweis für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Parteistellung erbracht haben. Dem Antragsteller ist die Stellung als Partei in jedem Fall zugesichert (§ 39a Abs 1 Z 1 GTG). Die zulässigen Einwendungen umschreibt § 39a Abs 2 GTG: So können Gemeinden ausschließlich die Einhaltung der Rechtsvorschriften für die Sicherheit iSd § 1 Z 1 GTG innerhalb ihres jeweiligen örtlichen und Bundesländer jene im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereiches einmahnen. Eigentümer und Nachbarn können sich auf Vorschriften berufen, die der Sicherheit ihrer eigenen Gesundheit und jener ihrer Nachkommenschaft dienen.
Nach der Intention des Gesetzes soll das Ermittlungsverfahren rasch durchgeführt werden: Entsprechend europarechtlicher Vorgaben bleibt der Behörde für ihre Entscheidung über die Genehmigung der Freisetzung nur eine relativ kurze Frist: Sie hat über den Antrag binnen 90 Tagen134 ab Eingang des Antrages zu entscheiden (§ 40 Abs 1 GTG). Dabei sind die Entscheidungskriterien gesetzlich umschrieben. Sie muss (arg: hat) die Freisetzung genehmigen, wenn die folgenden Voraussetzungen des § 40 Abs 1 GTG erfüllt sind: Es muss sichergestellt sein, dass • allen gesetzlichen und durch Verordnung festgelegten Verpflichtungen betreffend die Freisetzung vom Betreiber nachgekommen wurde (§ 40 Abs 1 Z 1 erster Fall); • die Freisetzung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durchgeführt wird (§ 40 Abs 1 Z 1 zweiter Fall); • die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik notwendigen Vorkehrungen getroffen wurden und deshalb keine nachteiligen Folgen für die Sicherheit zu erwarten sind (§ 40 Abs 1 Z 2). Schließlich muss der Betreiber den entsprechenden Haftpflichtversicherungsnachweis (vgl § 79j Abs 1 GTG) erbracht haben (§ 40 Abs 1 Z 3).135 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, hat der Betreiber einen Rechtsanspruch darauf, dass die Genehmigung erteilt wird.136 Dabei kann die Genehmigung geeignete Nebenbestimmungen - Auflagen und Bedingungen - enthalten oder der Zeitraum für die Durchführung der Freisetzung befristet werden, soweit dies im Interesse der Sicherheit (§ 1 Z 1 GTG) erforderlich ist.137 Bei ihrer 134
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Verbesserungsaufträge und Mitteilungen der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens iSd § 41 GTG hemmen die Entscheidungsfrist; ebenso die Anhörung gem § 43 GTG, allerdings höchstens für 30 Tage. Siehe dazu auch die FreisetzungsRL, Art 6 Abs 6: In die 90-Tage Frist dürfen Zeitspannen nicht eingerechnet werden, während derer die Behörde auf weitere verlangte Informationen vom Anmelder wartet. Wegen einer öffentlichen Anhörung darf die 90-tägige Frist um nicht mehr als 30 Tage überschritten werden. Die Verlässlichkeit des Antragstellers ist nach dem Erk des VwGH vom 21. 1. 1997, 96/11/0166 schon mangels Festlegung geeigneter Kriterien zu deren Feststellung im GTG nicht Gegenstand der Prüfung im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens. Diese Ansicht dürfte aber, schon aus europarechtlichen Gründen, verfehlt sein. Siehe dazu Loibl/Stelzer, 57ff. RV 1465 BlgNR 18. GP, 58. Konnten mit der Freisetzung bestimmter GVO in bestimmten Ökosystemen bereits ausreichend Erfahrungen gesammelt werden, kann der Bundesminister für Gesundheit und Frauen nach Anhörung des zuständigen wissenschaftlichen Ausschusses der Gentechnikkommission bei der Europäischen Kommission einen Antrag auf Anwendung „differenzierter“ (dh vereinfachter) Verfahren auf diese Arten von
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Entscheidung hat die Behörde zu berücksichtigen, dass die Verwendung von Markergenen in GVO, die Antibiotikaresistenzen vermitteln und schädliche Auswirkungen auf die Sicherheit haben können, bis zum 31. 12. 2008 einzustellen ist.138 Die Behörde hat jede über den Antrag getroffene Entscheidung sowohl der Europäischen Kommission als auch dem Bundesland, in dem die Freisetzung erfolgen soll, mitzuteilen sowie der Öffentlichkeit Informationen über jede Genehmigung auf ihrer Internetseite bereitszustellen (§ 40 Abs 4 und 5 GTG).
D. Kennzeichnung Gemäß § 62a GTG müssen nunmehr auch GVO, die für eine Freisetzung bereitgestellt werden, auf einem Etikett oder Begleitdokument als GVO gekennzeichnet sein.
E. Durchführung der Freisetzung Eine Freisetzung darf erst nach einer entsprechenden Genehmigung begonnen und durchgeführt werden. Dabei sind alle nach dem Stand von Wissenschaft und Technik sicherheitsnotwendigen (§ 1 Z 1 GTG) Vorkehrungen und Maßnahmen zu treffen. Es obliegt dem Betreiber, für deren Einhaltung zu sorgen (§ 45 Abs 1 GTG), der sich auch nach einer Genehmigung über sicherheitsgefährdende (§ 1 Z 1 GTG) Umstände der Freisetzung informieren und für den Fall, dass solche auftreten, die Behörde davon unterrichten muss (Sorgfaltspflicht, § 45 Abs 2, Abs 3 GTG).139 Ein Wechsel in der Person des Betreibers ist der Behörde unverzüglich mitzuteilen, berührt aber sonst weder die Zulässigkeit einer bereits genehmigten Freisetzung noch die damit verbundenen Verpflichtungen (§ 47 GTG). Der Betreiber hat auch die zur Vermeidung von Unfällen notwendigen Maßnahmen zu treffen. Ereignet sich trotzdem ein Unfall, sind Notfallmaßnahmen zu ergreifen. Ferner ist eine mögliche Vermehrung der GVO außerhalb des Versuchsbereichs zu überwachen. Daneben bestehen Mitteilungspflichten an die Behörde; diese wiederum hat ihrerseits die Öffentlichkeit über jeden sicherheitsrelevanten Unfall via Internet zu informieren sowie „das betreffende Bundesland“ in Kenntnis zu setzen (§ 49 Abs 1 bis Abs 5 GTG).
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GVO stellen (Art 7 FreisetzungsRL) und zur Umsetzung des darüber im Komitologieverfahren ergangenen (positiven) Beschlusses im Einvernehmen mit gesetzlich genannten anderen Ministern durch Verordnung die näheren Bestimmungen für die Durchführung vereinfachter behördlicher Verfahren iSd § 42 GTG zur Genehmigung der Freisetzung festlegen. Eine entsprechende Verordnung wurde bislang freilich nicht erlassen. Jedenfalls entfällt im vereinfachten Verfahren die obligatorische Durchführung einer Anhörung und die Einholung des Gutachtens des zuständigen wissenschaftlichen Ausschusses (§ 39 Abs 3 GTG). Ein Mitgliedstaat kann aber auch trotz einer entsprechenden Entscheidung im EU-Regelungsausschuss entscheiden, ein „differenziertes Verfahren“ nicht anzuwenden („Opting out“: RV 617 BlgNR, 22. GP, 7); diese Entscheidung ist - ebenso wie eine allfällige Verordnung der Kommission mitzuteilen. Dies entspricht der Vorgabe in Art 4 Abs 2 FreisetzungsRL. Herdegen, Band 2, L.I., Rz 76.
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Über die Freisetzung sind begleitende Aufzeichnungen im gesetzlich umschriebenen Umfang140 zu führen und aufzubewahren (vgl § 52 GTG). Nach Durchführung der Freisetzung ist eine Mitteilungspflicht des Betreibers angeordnet: Alle sicherheitsrelevanten Daten und Ergebnisse sind der Behörde mitzuteilen, die diese auch an den zuständigen wissenschaftlichen Ausschuß der Gentechnikkommission und der Europäischen Kommission zur Sicherstellung des innergemeinschaftlichen Informationsaustausches weiterleiten muss (§ 46 Abs 1 und Abs 2 GTG).
F. Behördenzuständigkeit, Kontrollen und sonstige Maßnahmen Behörde hinsichtlich Freisetzungen an wissenschaftlichen Hochschulen oder in wissenschaftlichen Einrichtungen des Bundes ist der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, ansonsten der Bundesminister für Gesundheit und Frauen (§ 100 Abs 1 und Abs 2 GTG). Die Organe der zuständigen Behörde können an Orten, an denen sie die Freisetzung von GVO in begründeter Weise vermuten, Nachschau halten, zur Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen und Bescheide Überprüfungen durchführen, Einschau in die Aufzeichnungen nehmen, sowie Proben entnehmen (näher § 101 GTG). Dabei hat sie der Betreiber zu unterstützen (§ 101 Abs 3 GTG). Im Fall von Freisetzungen ohne vorherige Genehmigung ist die Freisetzung rückgängig zu machen: Die Behörde muss dem Betreiber die Entfernung der GVO und erforderlichenfalls begleitende sicherheitsgewährleistende Maßnahmen auferlegen. Die GVO werden beschlagnahmt (§ 101b Abs 1 und Abs 2 GTG). Die genehmigungslose Freisetzung selbst ist, wenn keine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, eine Verwaltungsübertretung, die mit bis zu € 21.800,- zu bestrafen ist (§ 109 Abs 2 Z 1 GTG); die GVO sind als verfallen zu erklären. Wird die Freisetzung nach Erteilung der Genehmigung beabsichtigt oder unbeabsichtigt in einer Weise geändert, die erheblich nachteilige Auswirkungen auf die Sicherheit (§ 1 Z 1 GTG) haben könnte, oder werden nach Erteilung der Genehmigung mit derartigen Auswirkungen verbundene Umstände bekannt, so hat die Behörde, soweit unmittelbare Gefahren drohen, unter möglichster Schonung erworbener Rechte zusätzliche geeignete Sicherheitsauflagen zu erteilen, die Durchführung der Freisetzung zu beschränken oder zu verbieten und die schadlose Beseitigung der freigesetzten GVO anzuordnen. Über derartige Maßnahmen sind der Öffentlichkeit Informationen auf der Internetseite der Behörde zugänglich zu machen (§ 48 GTG).141 Dazu kann nach § 51 GTG die Behörde während und nach der Freisetzung im Versuchsgebiet und in dessen Umgebung Kontrollen durchführen und dabei auch Proben entnehmen. Dem Betreiber sind die Wiederherstellung der Umwelt bzw die zur Verhinderung weiterer Umweltbeeinträchtigungen erforderlichen Maßnahmen aufzutragen, wenn durch die GVO die Umwelt so wesentlich beeinträchtigt 140 141
Vgl die Verordnungsermächtigung zur näheren Bestimmung von Inhalt, Art und Form der Aufzeichnungen in § 53 GTG. Siehe dazu das Gebot nach erhöhter Transparenz und Information der Öffentlichkeit in Art 8 Abs 2 FreisetzungsRL.
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wird, dass die Sicherheit (§ 1 Z 1 GTG) nicht mehr gewährleistet werden kann (§ 101a GTG). Allenfalls muss die Behörde selbst diese Maßnahmen veranlassen. Dritte haben Eingriffe (zB durch Benützen und Betreten von Grundstücken) - soweit sie sich als notwendig erweisen - zu dulden. Für allfällige Nutzungsbeeinträchtigungen hat der Betreiber eine Entschädigung zu leisten, deren Höhe von der Behörde (mit Bescheid) festzusetzen ist, wenn keine Einigung zwischen den Parteien erzielt werden konnte. Gegen einen solchen Bescheid ist kein Rechtsmittel zulässig, binnen drei Monaten nach dessen Erlassung kann aber eine Entscheidung beim zuständigen Bezirksgericht beantragt werden, wodurch der Bescheid außer Kraft tritt (sukzessive Kompetenz). § 103 GTG ermächtigt die Behörde zur Ergreifung vorläufiger Zwangsmaßnahmen an Ort und Stelle, wenn diese zur Abwehr unmittelbar drohender Gefahren für die Sicherheit erforderlich sind. Dies gilt wohl für genehmigte wie für genehmigungslose Freisetzungen142 und umfasst Maßnahmen, wie etwa die Beseitigung freigesetzter GVO und deren Verbringung an einen sicheren Ort bis hin zur Einstellung der Freisetzung entsprechend dem Ausmaß der Gefährdung. Darüber ist binnen zwei Wochen ein Bescheid zu erlassen, der sofort vollstreckbar143 ist; sonst gilt die getroffene Maßnahme als aufgehoben. Fallen die Voraussetzungen für die sofortigen Maßnahmen weg, sind sie zu widerrufen. Solche vorläufigen Zwangsmaßnahmen sind wohl als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren, die allerdings nur bis zur Erlassung des Bescheides selbständig existent sind.144 Ergeht über derartige Maßnahmen ein Bescheid, ist eine erhobene Maßnahmenbeschwerde zurückzuweisen. Wird hingegen kein Bescheid erlassen, wird wohl eine Sachentscheidung über die Rechtmäßigkeit der - wenngleich schon außer Kraft getretenen - verfügten Maßnahmen zu treffen sein.
G. Die zivilrechtliche Haftung Bereits im Zuge der Beratungen zur Erlassung des GTG lagen Empfehlungen zur Schaffung spezifischer zivilrechtlicher Haftungsregelungen im Gentechnikgesetz selbst vor.145 Eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung 142
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Vgl VwGH 21. 1. 1997, 96/11/0166: Ist allerdings ein Verfahren zur Genehmigung einer Freisetzung bereits anhängig und bis zur Entscheidungsreife gediehen und kennt der Genehmigungswerber aufgrund des ihm eingeräumten Parteiengehörs die vorzusehenden Bedingungen und Auflagen, unter denen die Freisetzung künftig durchgeführt werden darf, kann die Behörde - wenn noch vor Erlassung des Bescheides die Freisetzung begonnen wird - nicht allein deswegen eine unmittelbar drohende Gefahr für die Sicherheit annehmen und Maßnahmen vorschreiben, weil der Genehmigungsbescheid noch nicht erlassen und sein Inhalt dem Genehmigungswerber deswegen noch nicht bekannt sein könne. Raschauer, RdU 1997, 80, macht allerdings darauf aufmerksam, dass dieses Erk wegen der Besonderheiten des konkreten Sachverhaltes nicht verallgemeinerungsfähig sei. Der Berufung kommt hier keine aufschiebende Wirkung zu (vgl § 64 Abs 2 AVG). Die Erforderlichkeit iSd Art 11 Abs 2 B-VG wird damit begründet, dass die nach § 103 GTG zu treffenden Maßnahmen zur Abwehr eines wahrscheinlichen Schadenseintrittes keinen Aufschub dulden: RV 1465 BlgNR 18. GP, 70. VfSlg 8888/1980, 9099/1981, 12.211/1989. Kletecka, Haftungsfragen der Gentechnologie, JAP 1996, 230, mwN.
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wurde im Hinblick auf ein geplantes Umwelthaftungsgesetz für Österreich146 damals nicht normiert. Bekanntlich wurde dieses Vorhaben nicht realisiert, es scheiterte am Widerstand der Wirtschaft schon vor dem Stadium einer RV; zugleich wurde argumentiert, es sei besser, Legislativvorhaben der Europäischen Gemeinschaft im Bereich einer Umwelthaftung abzuwarten.147 Im Zuge des „Gentechnikvolksbegehrens“ wurde die Einführung eines speziellen Haftungsregimes zwar nicht direkt gefordert, aber von Seiten der Regierung als „Ersatz“ für einige zentrale Anliegen, welche sich von vornherein als unrealisierbar herausgestellt hatten, weil Österreichs Souveränität so weit gar nicht mehr reichte,148 ins Spiel gebracht. Sie stellte schließlich einen wesentlichen - wenn nicht den wesentlichsten Teil der Novelle 1998 zum GTG dar.149 Diese Novelle brachte eine Einfügung des Abschnittes IVa. (§§ 79a bis 79j GTG) über eine spezifische zivilrechtlich Haftung:150 Festgelegt wurde damit eine betraglich der Höhe nach unbegrenzte verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung,151 die mit der „besonderen Ungewißheit über Risikointensität und Wahrscheinlichkeit einer Schädigung besonders schutzwürdiger Güter“ gerechtfertigt wurde.152 Ein zentrales Anliegen der Novelle 2004 war - wie erwähnt - der Schutz der biologischen und konventionellen Landwirtschaft. Dementsprechend wurden im Bereich der zivilrechtlichen Haftung neue Regelungen (§ 79k bis 79m GTG) hinsichtlich der Koexistenz der verschiedenen Bewirtschaftungsweisen sowie eine Sorgfaltspflicht zur Vermeidung der Vermischung von GVO mit Waren, die bestimmungsgemäß keine GVO enthalten dürfen, eingefügt.153 Ansprüche, die von den Haftungsregelungen des GTG nicht erfasst sind, sind nach den Vorschriften des ABGB und des PHG zu prüfen.154
Mittlerweile wurde auf europäischer Ebene die UmwelthaftungsRL155 verabschiedet, die von den Mitgliedstaaten bis Ende April 2007 umzusetzen ist. Eingeführt wurde damit erstmals ein harmonisiertes Haftungs- und Sanierungs146 147
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Zum zähen Ringen um eine Umwelthaftung vgl Stabentheiner, Der weite Weg zur Umwelthaftung, RdU 1995, 3. Einen Überblick darüber gibt Riedler, Umwelthaftungsrecht in statu nascendi Aktuelle Entwicklungstendenzen bei der Schaffung eines österreichischen Umwelthaftungsgesetzes (Teil I), RdU 1995, 8. Vgl Bericht des Besonderen Ausschusses zur Vorberatung des GentechnikVolksbegehrens, 1111 BlgNR 20. GP, 5. Zu den rechtspolitischen Hintergründen und generell zur Entstehungsgeschichte vgl Stabentheiner (Fn 146), 3; derselbe, Die neue Gentechnikhaftung, ÖJZ 1998, 521; Kletecka, Gentechnik: Gefährdungshaftung dringend erforderlich, ecolex 1997, 339; zum Diskussionsentwurf des BMJ, BMJ 12. 6. 1997, 7.720A/3-I.2/1997, siehe Kletecka, Der Entwurf eines Gentechnikhaftungsgesetzes, ecolex 1997, 572. § 79i GTG: Es besteht aber uneingeschränkte Konkurrenz mit anderen Haftungsgründen aus dem ABGB, insb der Verschuldenshaftung nach §§ 1295ff ABGB, Dittrich-Tades, ABGB36, Band II, Anm. 1 zu § 79i GTG. Dazu allgemein Dittrich-Tades, ABGB36, Band II, Anm. 1 zum IVa. Abschnitt des GTG. Siehe dazu den Bericht des besonderen Ausschusses zur Vorberatung des Gentechnik-Volksbegehrens, 1111 BlgNR 20. GP, 8. Weitere Bestimmungen zur Koexistenz sind im GTG mangels entsprechender Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht enthalten (so auch die Materialen RV 617 BlgNR, 22. GP, 4. Zu den Regelungen der Länder siehe näher unter V. Näher Bernert, Haftung für den Genmais, Teil 1, JAP 2004/2005, 119; Teil 2 JAP 2004/2005, 187. RL 2004/35/EG, Abl L 2004 143/56. Siehe dazu „Der Standard“ vom 18. 10. 2005: Umwelthaftung wird strenger.
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regime auf Basis des Verursacherprinzips für (1) die Schädigung geschützter Arten und natürlicher Lebensräume („Biodiversitätsschäden“), (2) die Schädigung der Gewässer (Verschlechterungen der Wasserqualität) und (3) jede Bodenverunreinigung, die ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellt. Die Richtlinie gilt ausdrücklich nicht für Personenschäden, Schäden am Privateigentum oder wirtschaftliche Verluste und lässt Ansprüche im Zusammenhang mit diesen Schäden unberührt.156 Der Anwendungsbereich der Richtlinie umfasst die genannten Umweltschäden, die durch die Ausübung einer der in Anhang III aufgezählten (gefährlichen) beruflichen Tätigkeiten verursacht worden sind157 und sieht dafür eine verschuldensunabhängige Haftung vor. Für Biodiversitätsschäden, die durch die Ausübung anderer als der in Anhang III aufgezählten Tätigkeiten entstanden sind, tritt die Haftung nur dann ein, wenn der Betreiber vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.158 Ist ein Umweltschaden eingetreten, hat der Betreiber die Behörde zu informieren und geeignete Sanierungsmaßnahmen (auf seine Kosten) zu ergreifen. Im Anhang II sind die gemeinsamen Rahmenbedingungen für die Sanierungsmaßnahmen aufgelistet: Primär geht es darum, bei Biodiversitätsschäden und Gewässerschäden den vorherigen Zustand möglichst wieder herzustellen; ist das nicht möglich, ist eine „ersatzweise Sanierung“ und Ausgleichssanierung für zwischenzeitig entstandene Verluste durchzuführen. Ferner muss jedes erhebliche Gesundheitsrisiko beseitigt werden. Zur Sanierung von Bodenschäden sind alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, die sicherstellen, dass die Schadstoffe beseitigt, kontrolliert, eingedämmt oder vermindert werden, sodass der geschädigte Boden kein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellt. Betroffene mit „ausreichendem Interesse“ oder NGOs können mögliche Schäden bei der Behörde anzeigen und diese zum Tätigwerden auffordern.159 Weiters ist in der Richtlinie (noch) auf freiwilliger Basis eine Deckungsvorsorge vorgesehen. Ob und welche Umsetzungsmaßnahmen getroffen werden und ob dadurch auch Änderungen im GTG eintreten werden, bleibt abzuwarten. Im Folgenden soll lediglich ein kurzer Überblick über die Haftungsregelungen im GTG geboten werden. Eine nähere Darstellung der gentechnikrechtlichen Haftungsregelungen, die der Sache nach privatrechtliche Vorschriften und somit begrifflich nicht „öffentliches Recht“ darstellen, muss aus Platzgründen unterbleiben. Haftungsgegenstand sind nach § 79a GTG Arbeiten mit GVO (§ 4 Z 4 GTG) und die Freisetzung von GVO (§ 4 Z 20 GTG).160 Ist ein Erzeugnis iSd 156 157
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Siehe Erwägungsgrund 14 der UmwelthaftungsRL. Dazu zählt auch jede absichtliche Freisetzung von GVO in die Umwelt, sowie die Beförderung und das In-Verkehr-Bringen von GVO nach der FreisetzungsRL: Anhang III, Pkt 11 der UmwelthaftungsRL. Näher Art 3 UmwelthaftungsRL. Art 12 der Richtlinie. Das gilt auch dann, wenn bereits eine Genehmigung für die Freisetzung oder für das In-Verkehr-Bringen vorliegt, solange das Erzeugnis, das aus GVO besteht oder solche enthält, noch nicht entsprechend der Zulassung in-Verkehr-gebracht worden ist. § 79a enthält somit eine über die Begriffsbestimmungen des § 4 Z 4 GTG bzw des § 4 Z 20 GTG hinausgehende begriffsmodifizierende Erweiterung des Haftungsgegenstandes. Damit sollen Haftungslücken, die sich etwa im Fall der Lagerung oder
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§ 54 Abs 1 GTG einmal der Zulassung gemäß in Verkehr gebracht, greifen nicht mehr die speziellen gentechnischen Haftungsregelungen, sondern jene des Produkthaftungsgesetzes.161 Die Bereiche der Genomanalyse und der Gentherapie bleiben aus der spezifisch gentechnischen Haftung jedenfalls ausgeklammert. Das Gesetz sieht eine Haftung für Personen- oder Sachschäden sowie bestimmte, über einen reinen Ökoschaden hinausgehende162 Umweltbeeinträchtigungen vor, die als Folge der durch die gentechnische Veränderung bewirkten Eigenschaften des Organismusses (bzw in Verbindung mit dessen sonstigen gefährlichen Eigenschaften) entstanden sind.163 Haftpflichtig ist der Betreiber, mehrere Haftpflichtige haften zur ungeteilten Hand, wenn sich die den einzelnen zurechenbaren Schäden nicht auseinanderhalten lassen. Der Eigentümer oder Nutzungsberechtigte (zB Pächter) eines landwirtschaftlich genutzten Grundstückes164 hat nunmehr einen Unterlassungsanspruch165 gegenüber seinem Nachbarn,166 der Erzeugnisse, die GVO enthalten oder aus solchen bestehen, anbaut.167 Der Anspruch besteht, wenn die von diesen Erzeugnissen ausgehenden Einwirkungen das nach den ortsüblichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die Benützung des betroffenen Grundstückes wesentlich beeinträchtigen.168 Daneben stehen dem Betroffenen - verschuldensunabhängige - Ersatzansprüche hinsichtlich des durch die Einwirkung entstandenen Schadens einschließlich des entgangenen Gewinns und der Kosten der Wiederherstellung der Umwelt zu (§ 79k Abs 2 GTG). Geht die Beeinträchtigung von mehreren Nachbarn aus, haftet jeder nur für den ihm zurechenbaren Anteil; ist dieser nicht feststellbar, haften sie zur ungeteilten Hand.
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des innerbetrieblichen Transportes von GVO im Rahmen einer zwar genehmigten, aber tatsächlich noch nicht begonnenen Freisetzung auftun können, vermieden werden. Vgl dazu Stabentheiner (Fn 149), 521 (524). Dass diese Konstruktion aus dogmatischer Sicht nicht zwingend ist begründet Stabentheiner (Fn 149), 521 (524, Fn 29). Zur Haftung nach dem PHG siehe näher Bernert (Fn 154), 188ff. Stabentheiner (Fn 149), 521 (526ff); Züfle, Gentechnologie - ein Haftpflichtrisiko mit vielen Facetten, ZfV (Zeitschrift für Versicherungswesen) 1999, 699 (702). Siehe auch die Beweislastregel des § 79d GTG. Die Ansprüche von nicht landwirtschaftlich arbeitenden Grundbesitzern richten sich dagegen (weiterhin) nach den allgemeinen Regeln der §§ 364, 364a ABGB. Siehe näher Bernert (Fn 154), 119. § 79k Abs 1 GTG. Siehe näher Kerschner, Neue Gentechnikhaftung in der Landwirtschaft (§§ 79k - 79m GTG), RdU 2005, 112. Die betreffenden Grundstücke müssen aber nicht unmittelbar aneinander grenzen: RV 617 BlgNR, 22. GP, 12. Und zwar unabhängig davon, ob deren In-Verkehr-Bringen genehmigt wurde. „Anbau“ ist weit zu verstehen und umfasst nicht nur Beeinträchtigungen in der „Anbauphase“, sondern auch Beeinträchtigungen während der „Wachstumsphase“, der Ernte oder noch später: RV 617 BlgNR, 22. GP, 12. Eine solche wesentliche Beeinträchtigung liegt jedenfalls dann vor, wenn der Betroffene die Erzeugnisse seines Grundstücks auf Grund der Einwirkungen nicht oder auch nicht in der von ihm beabsichtigen Art und Weise in Verkehr bringen kann.
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Vor der Einbringung von auf die neuen Haftungsregelungen gestützten Klagen muss aber eine außergerichtliche Streitbeilegung versucht werden (§ 79m GTG).
IV. In-Verkehr-Bringen gentechnisch veränderter Produkte A. Begriff und Reichweite Das Gentechnikgesetz versteht unter In-Verkehr-Bringen die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung für Dritte von Erzeugnissen, die aus GVO bestehen oder solche enthalten, sowie deren Verbringung in das Bundesgebiet, soweit diese Erzeugnisse (a) nicht zu Arbeiten mit GVO in gentechnischen Anlagen bestimmt sind, (b) nicht Gegenstand einer genehmigungspflichtigen Freisetzung sein sollen oder (c) nicht für wissenschaftliche Zwecke einschließlich klinischer Prüfungen bestimmt sind. Gemeint ist damit deren gezielte, bewusste, willentliche Übertragung aus dem Herrschaftsbereich des Betreibers hinaus in jenen eines Dritten,169 gleichgültig, ob dieser Herrschaftswechsel gewerbsmäßig oder gegen Entgelt erfolgt.170 Solange ein Produkt den Herrschaftsbereich des Betreibers tatsächlich noch nicht verlassen hat,171 oder Erzeugnisse entwendet werden, wurden sie iSd GTG nicht In-Verkehr-gebracht. Ob die Abgabe von Erzeugnissen an Transportunternehmen (Spediteure, Frachtführer, Lagerhalter) im Rahmen eines arbeitsteiligen Herstellungsprozesses als InVerkehr-Bringen zu werten ist, hängt wohl von den Umständen des Einzelfalles ab.172 Unter „In-Verkehr-Bringen“ fällt auch der - gleichgültig ob zu gewerblichen Zwecken verfolgte - 173 Import von Produkten, die aus GVO bestehen oder solche enthalten, als gesteuertes, körperliches, transportweises Überführen nach Österreich.174 Die praktische Relevanz der Bestimmungen über das In-Verkehr-Bringen von solchen Erzeugnissen ist aus mehreren Gründen eher bescheiden: Zunächst ist schon der Anwendungsbereich der Regelungen insofern beschränkt, als nur Produkte betroffen sind, die aus GVO bestehen oder solche enthalten. Das bedeutet im Lichte der Definition des Organismus, die dem Gentechnikrecht 169 170 171 172 173
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Herdegen/Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Band 1, Teil B., § 14 GenTG, Rz 48ff; Koch/Ibelgaufts, Erster Teil § 3, Rz 229ff. Herdegen/Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Band 1, Teil B., § 14 GenTG, Rz 50. Etwa im Fall einer Lagerung zum Versand oder eines innerbetrieblichen Transportes. Koch/Ibelgaufts, Erster Teil § 3, Rz 229ff; Herdegen/Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Band 1, Teil B., § 14 GenTG, Rz 54. Im Gegensatz zur Durchfuhr (Transit) oder zur Ausfuhr aus dem Geltungsbereich des Gesetzes, vgl Koch/Ibelgaufts, Erster Teil § 3, Rz 236f; Herdegen/Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Band 1, Teil B., § 14 GenTG, Rz 49; rechtlich relevant können dabei - gemäß dem sofort zu beschreibenden Regime des GTG, das auch in diesem Teil eine Umsetzung der FreisetzungsRL darstellt - nur Importe von außerhalb der EU sein. Zur Definition Koch/Ibelgaufts, Erster Teil § 3, Rz 234.
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zugrunde liegt, dass es sich um eine vermehrungsfähige Einheit handeln muss und nicht bloß um deren Bestandteil. Um dies an einem einfachen Beispiel zu erläutern: Die berühmt gewordene „Antimatsch“-Tomate „flavr-savr“ stellt für sich genommen - einen solchen GVO dar. Aber schon aus ihr hergestelltes Tomatenmark enthielte definitionsgemäß keinen „Organismus“ mehr. Fraglich könnte sein, ob ganze Tomaten, wenn sie geschält und haltbar gemacht in Dosen verpackt angeboten würden, Erzeugnisse wären, die GVO enthielten oder aus solchen bestehen: Hier käme es darauf an, ob sie noch vermehrungsfähig wären. So anschaulich das Tomatenbeispiel sein mag, so unpassend ist es für die Frage nach der Anwendung der in Rede stehenden Bestimmungen des GTG. Diese werden nämlich weitgehend durch Spezialrecht verdrängt: Wie bereits erwähnt,175 weichen verstärkt vertikale, auf einem sektoren- oder produktspezifischen Ansatz basierende Regelungen das horizontale Konzept der FreisetzungsRL auf: Bedeutsame Anwendungsbereiche der Gentechnik sind bereits Gegenstand eigener europarechtlicher Regelungen, die selbst das Regime zu deren In-Verkehr-Bringen zur Verfügung stellen. So wurde etwa Mitte April 2004 die (unmittelbar anwendbare) Verordnung über die Zulassung genetisch veränderter Lebens- und Futtermittel176 wirksam. Auf das Verfahren zur Genehmigung des In-Verkehr-Bringens solcher GVO-Erzeugnisse finden die einschlägigen Bestimmungen der FreisetzungsRL keine Anwendung mehr;177 das Verfahren ist hauptsächlich bei der EU-Kommission und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit durchzuführen. Der innerstaatliche Vollzug erfolgt idR im Rahmen des Lebensmittelrechts.178
B. Bewilligungspflicht und Verfahren 1. Genehmigungspflicht Grundsätzlich bedarf das In-Verkehr-Bringen von Erzeugnissen einer behördlichen Genehmigung, die vom Hersteller bzw Importeur der Erzeugnisse zu beantragen ist (§ 54 Abs 1 GTG).179 Auf Erzeugnisse, die in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel fallen, sind - wie erwähnt - die Vorschriften des GTG über das In-Verkehr-Bringen - außer § 62c Abs 1 GTG180 - nach der ausdrücklichen 175 176 177 178 179
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Siehe dazu schon unter I. C. Verordnung Nr. 1829/2003, Abl 2003 L 268/1. Vgl die Erwägungsgründe 5, 6 und 7 der VO Nr. 1829/2003. ZT wird aber wieder auf die FreisetzungsRL verwiesen. Siehe dazu nunmehr das Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz LMSVG, BGBl 2006 I/13, § 4 Abs 1 iVm Z 11 und 12 des Teils I der Anlage. Vgl zum Antrag auf Genehmigung des In-Verkehr-Bringens § 55 Abs 2 bis Abs 4 GTG. Fehlen im Antrag zur Beurteilung der Genehmigung erforderliche weitere Informationen, muss die Behörde dem Antragsteller unter Angabe einer Begründung deren Beibringen auferlegen (§ 58 Abs 3 GTG). § 56 GTG ermächtigt zur näheren Ausgestaltung der Vorschriften über Inhalt, Umfang und Form der dem Antrag beizugebenden Unterlagen sowie der bei Erstellung der Unterlagen anzuwendenden Methoden durch Verordnung; dabei sind die einschlägigen Anhänge II, III und IV der FreisetzungsRL zu beachten. Die Vorlage auf Datenträgern kann vorgesehen werden. Vgl dazu die FreisetzungsVO BGBl 2005 II/260 und näher sogleich. Diese Bestimmung betrifft Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Vermeidung der Vermischung von GVO mit bestimmungsgemäß GVO-freien Waren. Auch im Gentech-
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Anordnung des § 54 Abs 3 Z 2 GTG nicht anzuwenden; diese gemeinschaftsrechtliche Vorschrift enthält eigene Zulassungsbestimmungen. Keiner Genehmigung bedarf es für GVO-Erzeugnisse, wenn zu deren Herstellung bereits zum In-Verkehr-Bringen nach dem GTG genehmigte Erzeugnisse bestimmungsgemäß verwendet wurden (§ 54 Abs 3 GTG). Vollziehende und kontrollierende Behörde ist im Rahmen des In-Verkehr-Bringens der Bundesminister für Gesundheit und Frauen181 (§ 100 Abs 2 GTG). Der Genehmigung zum InVerkehr-Bringen durch die österreichische Behörde stehen Genehmigungen gleich, die von Behörden eines anderen Mitgliedstaates der EU oder des EWR in Anwendung der (alten oder neuen) FreisetzungsRL erteilt worden sind (§ 54 Abs 4 GTG). Das heißt: Wurde irgendwo in der EU ein Erzeugnis iSd GTG bereits am Markt zugelassen, bedarf es in Österreich dafür keiner Genehmigung mehr.182 In der Genehmigung ist der vorgesehene Verwendungszweck auszuweisen (§ 54 Abs 1 GTG). Ist das In-Verkehr-Bringen eines Erzeugnisses bereits genehmigt, soll es aber eine andere als die in der Marktzulassung ausgewiesene Verwendung finden, muss für dieses In-Verkehr-Bringen eine gesonderte Genehmigung erteilt werden (§ 54 Abs 2 GTG). Genehmigte Erzeugnisse sind unverzüglich in das beim Bundesminister für Gesundheit und Frauen geführte Gentechnikregister einzutragen. Aufzunehmen sind sowohl das Datum als auch der Umfang der Genehmigung zum In-Verkehr-Bringen, weiters - nach Maßgabe der Gentechnik-RegisterVO183 - Daten über Anbauorte von InVerkehr-gebrachten und zugelassenen GVO-Kulturpflanzen. Jedermann ist berechtigt, in das Gentechnikregister Einsicht zu nehmen; es ist auch im Internet zugänglich184 (§ 101c Abs 1 bis Abs 3 GTG).185 Werden Erzeugnisse ohne Genehmigung in-Verkehr-gebracht, stellt dies, sofern nicht eine von den Gerichten zu verfolgende strafbare Handlung vorliegt oder nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen strenger bestraft werden muss, eine Verwaltungsübertretung dar und ist mit bis zu € 21.800,- zu bestrafen (§ 109 Abs 2 Z 2 GTG). Weitere Verwaltungsstraftatbestände im Zusammenhang mit dem In-VerkehrBringen von gentechnisch veränderten Erzeugnissen finden sich in § 109 Abs 3 GTG Z 27 bis Z 32.
181 182
183 184 185
nikregister sollen nach der genannten Verordnung genehmigte Waren geführt werden: RV 617 BlgNR, 22. GP, 8. Ausgenommen ist die bescheidmäßige Aufforderung zur Leistung der Sicherheitsmaßnahmen nach § 61 GTG durch den Bundeskanzler. Mit dem Stand September 2005 waren nach der FreisetzungsRL insgesamt 18 Produkte zugelassen; bei drei davon besteht nach wie vor ein Importverbot für Österreich; vgl Fn 204 und Fn 185. Den Berichten der Gentechnikkommission ist zu entnehmen, dass in Österreich bislang noch kein einziger Antrag auf Genehmigung des In-Verkehr-Bringens gestellt wurde. Dies spiegelt das politische Klima wider, das Produkten, die GVO enthalten oder aus solchen bestehen, sofern es sich dabei nicht um Arzneimittel handelt, skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. BGBl 2006 II/141. http://www.bmgf.gv.at/cms/site/detail.htm?thema=CH0264&doc=CMS11182368 62696, login am 8. 5. 2006. Wie erwähnt (Fn 182) besteht bei dreien nach der FreisetzungsRL zugelassenen Produkten nach wie vor ein Importverbot für Österreich. Ein Verfahren zur Aufhebung dieser Maßnahmen, das von der Kommission angestrengt wurde, blieb bislang erfolglos - siehe auch Fn 206.
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Aus dem dritten Bericht der Gentechnikkommission186 geht hervor, dass im Berichtszeitraum 1. 6. 2001 bis 1. 6. 2004 bei der zuständigen nationalen Behörde kein einziger Antrag auf In-Verkehr-Bringen gestellt wurde. Auf EU-Ebene wurde allerdings das seit 1998 herrschende (und noch 2001 beim EU-Umweltministerrat bestätigte) Moratorium bezüglich Neuzulassungen im Hinblick auf mittlerweile bestehende umfassende europarechtliche Regelungen beendet: Im Mai 2004 wurde - gegen den Widerstand einer Reihe von Mitgliedstaaten (auch Österreich) - der Zuckermais BT 11 von der EU-Kommission für den Import zu Nahrungsmittelzwecken zugelassen; im Juli 2004 folgte die Zulassung der Maislinie NK603.187
2. Verfahren Das In-Verkehr-Bringen eines Erzeugnisses iSd § 54 Abs 1 GTG188 ist vom Hersteller oder Importeur zu beantragen. Welche Angaben dem Genehmigungsantrag beizugeben sind, ergibt sich zu einem wesentlichen Teil bereits aus dem Gesetz (§ 55 Abs 2 Z 1 bis Z 11 GTG); sie betreffen grundsätzlich die für die Freisetzung erforderlichen Angaben und Unterlagen (§ 37 Abs 2 Z 1 GTG, Anhang III der FreisetzungsRL), sowie weiters die spezifischen Informationen für das In-Verkehr-Bringen (Art 13, Anhang IV der FreisetzungsRL). Dazu zählen: Eine Bezeichnung und Beschreibung des Erzeugnisses im Hinblick auf die durch die gentechnische Veränderung bedingten besonderen Eigenschaften; Name und Anschrift des Antragstellers bzw des für das InVerkehr-Bringen Verantwortlichen; eine Beschreibung der vorgesehenen Verwendung und der geplanten räumlichen Verbreitung; Bedingungen für das InVerkehr-Bringen, insbesondere für die Verwendung und Handhabung des Erzeugnisses; Informationen über die vorgesehene Verpackung und Kennzeichnung sowie die sichere Anwendung des Erzeugnisses; einen Vorschlag für die Geltungsdauer der Genehmigung, der 10 Jahre nicht überschreiten darf,189 schließlich ein Überwachungsplan. Weiters sind dem Antrag eine auf diesen Angaben beruhende Sicherheitsbewertung (§ 37 Abs 2 Z 2 GTG, Anhang II der FreisetzungsRL) und eine Zusammenfassung des Antrages beizugeben. Auf begründetes Verlangen des Antragstellers kann die Behörde auf die Beigabe bestimmter Informationen hinsichtlich der sicheren Anwendung des Erzeugnisses verzichten, wenn nach dem Stand von Wissenschaft und Technik aufgrund der Ergebnisse einer
186 187 188
189
Vgl Fn 95. Siehe näher den dritten Bericht der Gentechnikkommission (Fn 95), 12f. Das In-Verkehr-Bringen von Pflanzenschutzmitteln ist bei der zur Vollziehung des PflanzenschutzmittelG zuständigen Behörde zu beantragen. Diese Behörde hat allerdings ebenfalls die Vorschriften über das Genehmigungsverfahren nach dem GTG sowie jene über vorübergehende Verbote und Beschränkungen (§ 60 GTG) und Sicherheitsmaßnahmen (§ 61 GTG) anzuwenden. Die Zulassung nach dem PflanzenschutzmittelG ersetzt im Rahmen ihres Geltungsumfanges die nach dem GTG erforderliche Genehmigung zum In-Verkehr-Bringen (§ 58 Abs 8 GTG). Die Genehmigung für das In-Verkehr-Bringen von Produkten der in Rede stehenden Art ist grundsätzlich mit maximal 10 Jahren zu befristen - vgl Art 15 Abs 4 der FreisetzungsRL. Nach Ablauf dieser Frist sind freilich Verlängerungen möglich. Siehe dazu Art 17 der FreisetzungsRL.
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Freisetzung oder der Sicherheitsbewertung keine nachteiligen Auswirkungen auf die Sicherheit zu erwarten sind (§ 55 Abs 5 GTG).190
Nähere Bestimmungen über Inhalt, Umfang und Form der Unterlagen sowie die bei Erstellung der Unterlagen anzuwendenden Grundsätze und Methoden enthält die FreisetzungsVO.191 Neben dem Absehen von manchen Formerfordernissen im Einzelfall (§ 55 Abs 5 GTG) ist die Festlegung von vereinfachten Verfahrensregelungen mit Verordnung für Fälle, in denen bereits ausreichende Erfahrungen gesammelt wurden, möglich (§ 56 Abs 2 GTG). Gleich vorweg soll - wie bereits eingangs angedeutet - klargestellt werden, dass es sich bei dem Verfahren zum In-Verkehr-Bringen um kein rein innerstaatliches Verwaltungsverfahren handelt, sondern, in Umsetzung der FreisetzungsRL, um ein europaweit durchzuführendes, gemischt nationalgemeinschaftliches Zulassungsverfahren unter Einbindung der EU-Kommission und der anderen Mitgliedstaaten.192 Durch den positiven Abschluss eines solchen Verfahrens in einem Mitgliedstaat wird der Zugang zum europäischen Markt geschaffen. Wie noch zu zeigen sein wird, räumt aber bereits die FreisetzungsRL den Mitgliedstaaten gewisse Möglichkeiten ein, das InVerkehr-Bringen von Produkten, die aus GVO bestehen oder solche enthalten, in einem Mitgliedstaat zumindest vorläufig zu unterbinden. Diese Möglichkeiten hat der österreichische Gesetzgeber um die sog „Sozialverträglichkeitsklausel“193 erweitert. Die Durchführung eines Anhörungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung ist im Rahmen des Verfahrens zum In-Verkehr-Bringen eines GVO-Erzeugnisses (anders als im Verfahren zur Genehmigung von Freisetzungen) gesetzlich nicht vorgeschrieben. Zunächst hat die Behörde (§ 100 Abs 1 Z 2 GTG) vor einer Genehmigung ein Gutachten des wissenschaftlichen Ausschusses für Freisetzung und In-Verkehr-Bringen194 der Gentechnikkommission einzuholen. Sind zur Beurteilung weitere Informationen notwendig, hat sie die Behörde vom Antragsteller unter Angabe einer Begründung einzuholen. Dann ist der Antrag binnen längstens 90 Tagen auf formale und inhaltliche Kriterien zu überprüfen. Es ist zu untersuchen, ob der Antrag vollständig ist, die in dem Erzeugnis enthaltenen GVO entweder in Österreich oder in einem anderen EU-Staat bereits im Rahmen einer dafür erteilten Genehmigung freigesetzt wurden oder dafür zumindest die Voraussetzungen bestehen, sowie ob nach dem Stand von Wissenschaft und Technik, insbesondere aufgrund der Sicherheitsbewertung, keine nachteiligen Folgen für die Sicherheit (§ 1 Z 1 GTG) zu erwarten sind.195 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, hat die Behörde eine Kopie des Antrages sowie einen nach den Leitlinien des Anhanges VI der FreisetzungsRL zu erstellenden Bewertungsbericht samt einer Beschreibung der Bedingungen, unter denen die Genehmigung vorgeschlagen wird, an die 190 191 192
193 194 195
Nach den Materialien soll das bei „erwiesener Unbedenklichkeit“ möglich sein: RV 617 BlgNR, 22. GP, 8. Siehe dazu die Verordnungsermächtigung in § 56 Abs 1 GTG. Vgl RV 1465 BlgNR 18. GP, 60. Herdegen, Band 1, EG-Recht/Erläuterung, 2., 47ff; von Kameke, 46ff. Im Genehmigungsverfahren zur Freisetzung findet dagegen lediglich ein Informationsaustausch statt. Dazu näher unter IV. B. 6. Vgl §§ 85 Abs 1 Z 2 GTG. Zusammensetzung und Aufgaben regelt § 87 GTG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Markergene, die schädliche AntibiotikaResistenzen vermitteln können, in Erzeugnissen, die nach dem 31. 12. 2004 in-Verkehr-gebracht werden, nicht mehr verwendet werden dürfen.
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EU-Kommission weiterzuleiten. Dabei ist der Behörde kein Ermessen eingeräumt (arg: hat)196. Fällt der Bewertungsbericht negativ aus, ist das In-Verkehr-Bringen ohne Einbindung der anderen Mitgliedstaaten zu versagen (§ 58 Abs 4 GTG). Auch ein solcher Bewertungsbericht ist allerdings der EU-Kommission zu übermitteln. Im Falle eines positiven Bewertungsberichts wird das gemeinschaftliche Entscheidungsverfahren gem Art 15 („Standardverfahren“) bzw Art 18 („Gemeinschaftsverfahren im Fall von Einwänden“) der FreisetzungsRL ausgelöst: Die EU-Kommission leitet den Bewertungsbericht den zuständigen Behörden aller übrigen Mitgliedstaaten weiter. Diese sowie auch die EU-Kommission haben nun die Möglichkeit, binnen 60 Tagen weitere Informationen einzuholen, „Bemerkungen“ vorzubringen oder begründete Einwände gegen das In-Verkehr-Bringen des betreffenden GVO197 zu erheben. Die zuständigen Behörden und die EU-Kommission können binnen einer Frist von 105 Tagen nach Weiterleitung des Bewertungsberichts auch offene Fragen mit dem Ziel erörtern, eine Einigung herbeizuführen. Wurden nun weder begründete Einwände erhoben, noch allfällige offene Fragen geklärt, hat die nationale Behörde, bei der das Verfahren anhängig gemacht wurde, innerhalb von 30 Tagen nach Abschluss des gemeinschaftlichen Verfahrens die Genehmigung zu erteilen.198 Davon werden der Antragsteller, die anderen Mitgliedstaaten und die EU-Kommission unterrichtet. Die Genehmigung kann Auflagen und Bedingungen für Art und Umfang des In-Verkehr-Bringens und für die 196 197
198
Vgl Herdegen, Band 2, Teil L.I., Rz 89: Dem korrespondiert ein Anspruch des Antragstellers. Art 15 Abs 1 der FreisetzungsRL. Vgl demgegenüber das Verfahren zum Informationsaustausch gem Art 11 der FreisetzungsRL im Rahmen der Genehmigung einer Freisetzung, bei dem die übrigen Mitgliedstaaten binnen 30 Tagen direkt oder über die EU-Kommission „Bemerkungen“ vorbringen können. Noch zur Rechtslage nach der FreisetzungsRL 90/220/EG hat der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens (EuGH, RS C-6/99, Association Greenpeace France ua, Slg 2000, I-1651) klargestellt, dass den Mitgliedstaaten, hat die Kommission im Verfahren nach (dem damaligen) Art 13 Abs 4 FreisetzungsRL einen positiven Beschluss gefasst, kein Ermessen eingeräumt ist: Sie haben vielmehr die Genehmigung zum In-Verkehr-Bringen zu erteilen. Ein Mitgliedstaat ist aber dann nicht dazu verpflichtet, wenn er inzwischen über neue Informationen verfügt, die ihn zu der Auffassung gelangen lassen, das angemeldete Erzeugnis könne eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellen. Er muss jedoch die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten unverzüglich davon unterrichten, damit innerhalb der im damaligen Art 16 Abs 2 FreisetzungsRL festgelegten Frist eine Entscheidung nach dem Verfahren des (früheren) Art 21 der RL 90/220/EG ergehen konnte. Im Zuge des vorhin erwähnten Vorabentscheidungsverfahrens hatte der EuGH weiter zu klären, wie vorzugehen ist, wenn die Entscheidung der nationalen Behörde betreffend die Genehmigung zum In-Verkehr-Bringen vor einem nationalen Gericht wegen „Unregelmäßigkeiten“ im Zuge der Prüfung des Genehmigungsantrages (vgl Art 12 Abs 1 FreisetzungsRL alt) angefochten wird. Dazu führte er aus: „Stellt das nationale Gericht fest, daß die zuständige nationale Behörde infolge von Unregelmäßigkeiten im Ablauf der in Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 90/220 vorgesehenen Prüfung der Anmeldung durch diese Behörde die Akte nicht gemäß Absatz 2 dieser Bestimmung mit einer befürwortenden Stellungnahme an die Kommission weiterleiten durfte, ist dieses Gericht verpflichtet, den Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsersuchens anzurufen, wenn es der Auffassung ist, daß diese Unregelmäßigkeiten geeignet sind, die Gültigkeit des positiven Beschlusses der Kommission zu beeinträchtigen, und dabei gegebenenfalls den Vollzug der Maßnahmen zur Durchführung dieses Beschlusses auszusetzen, bis der Gerichtshof über die Frage der Gültigkeit entschieden hat.“ UE kann davon ausgegangen werden, dass die zur alten Rechtslage ergangene Entscheidung - mutatis mutandis - auch auf die neue Rechtslage zutreffen wird.
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Verwendung des Erzeugnisses vorschreiben, die geboten sind, um nachteilige Folgen für die Sicherheit auszuschließen (§ 58a Abs 1 GTG). Im Falle eines Einwandes wird im Rahmen eines Ausschussverfahrens199 eine Entscheidung getroffen. Fällt sie positiv aus, ist die Genehmigung von der nationalen Behörde, in Österreich also vom Bundesminster für Gesundheit und Frauen, ebenfalls zu erteilen, ansonsten zu versagen (§ 58 Abs 6 Z 2 GTG). Im Rahmen des Geltungsbereiches der erteilten Genehmigung bedarf die Abgabe und Verwendung von GVOErzeugnissen keiner weiteren Genehmigung mehr (§ 59 GTG), das Erzeugnis darf also überall in der Gemeinschaft in-Verkehr-gebracht werden (Art 19 FreisetzungsRL). Umgekehrt bedeutet das, dass für jede Verwendung, die nicht von der bereits erteilten Genehmigung umfasst ist, eine (weitere) Genehmigung (zur Freisetzung bzw zum InVerkehr-Bringen) nach dem GTG beantragt werden muss.200
Mit der GTG-Novelle 2004 wurden auch Vorschriften über Inhalt, Erneuerung und Änderung der erteilten Genehmigung sowie Kontrollmaßnahmen in das GTG eingefügt (§§ 58a bis 58e GTG): In den Bescheid über die Genehmigung sind neben den Auflagen und Bedingungen insbesondere der Anwendungsbereich der Genehmigung, die Beschreibung der Identität des/der als Erzeugnis in-Verkehr-gebrachten GVO und ihrer spezifischen Erkennungsmarker, die Geltungsdauer der Genehmigung, die mit längstens 10 Jahren zu befristen ist,201 die Bedingungen für das In-Verkehr-Bringen des Erzeugnisses, die Bedingungen für den Schutz bestimmter Ökosysteme/Umweltgegebenheiten und/oder geographischer Gebiete, die vorgeschriebene Kennzeichnung,202 schließlich die Anforderungen bezüglich Überwachung, Überwachungsplan und Information der Behörde, insbesondere über vorgesehene Standorte zum Anbau, aufzunehmen. Zur Erhöhung der Transparenz hat die Behörde die Öffentlichkeit über jede Genehmigung auf ihrer Internetseite zu informieren.203 Für die Durchführung der Überwachung gemäß dem Überwachungsplan sowie eine entsprechende Berichtslegung ist der Genehmigungsinhaber verantwortlich. Die Berichte sind an die EU-Kommission und die anderen Mitgliedstaaten weiterzuleiten und die Ergebnisse der Überwachung auf der Internetseite der Behörde zu veröffentlichen; zur Vermeidung nachteiliger Folgen für die Sicherheit kann die Behörde den Überwachungsplan auch ändern (§ 58c GTG). Die Kontrolle der Einhaltung des Überwachungsplanes obliegt der Behörde, die dafür auch externe Sachverständige oder sach199 200 201
202 203
Siehe Art 30 Abs 2 FreisetzungsRL, Beschluss 1999/468/EG. So zB für den Anbau, wenn die Genehmigung nur für den Import und die Weiterverarbeitung erteilt wurde: RV 617 BlgNR 22. GP, 10. Die Befristung ist im Hinblick auf die Überprüfung der Auswirkungen des Erzeugnisses auf die Sicherheit vorgesehen. Spätestens 9 Monate vor Ablauf der erteilten Genehmigung kann eine Erneuerung der Genehmigung beantragt werden, wobei wieder ein gemeinschaftliches Genehmigungsverfahren vorgesehen ist. Zu Antragsvoraussetzungen und Verfahren siehe näher § 58b GTG. Die Geltungsdauer der Erneuerung der Genehmigung kann neuerlich befristet werden, wobei die Befristung grundsätzlich 10 Jahre nicht überschreiten soll. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung darf das Erzeugnis gemäß den ursprünglichen Bedingungen weiter in-Verkehrgebracht werden. Die Worte „Dieses Produkt enthält genetisch veränderte Organismen“ müssen auf dem Etikett oder in einem Begleitdokument angegeben sein: § 58a Abs 1 Z 6 GTG. Nach den Materialien soll der Genehmigungsbescheid selbst veröffentlicht werden: RV 617 BlgNR 22. GP, 9.
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verständige Einrichtungen (insbesondere das Umweltbundesamt und die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH) einschalten kann (§ 101 Abs 5 GTG). § 58d GTG enthält eine Verordnungsermächtigung zur Festlegung näherer Bestimmungen für die Erstellung und den Überwachungsplan. Gelangt die Behörde nach Erteilung der Genehmigung aufgrund neuer Informationen zu der Auffassung, dass das Erzeugnis die Sicherheit gefährden könnte, ist - zur allfälligen Änderung (der Bedingungen und Auflagen) der Genehmigung oder zu deren Aufhebung - wieder ein Verfahren unter Einbeziehung der EU-Kommission und der übrigen Mitgliedstaaten einzuleiten (Art 20 Abs 3 der FreisetzungsRL), gemäß dessen Ergebnis zu verfügen ist (§ 58e GTG).
Daneben besteht nach Maßgabe des Art 23 der FreisetzungsRL („Schutzklausel“) für die Mitgliedstaaten nach Erteilung der Genehmigung gem § 60 Abs 1 GTG die Möglichkeit, durch vorläufige Maßnahmen den Einsatz und/oder Verkauf eines GVO als Produkt oder in einem Produkt vorübergehend einzuschränken oder zu verbieten: Nämlich dann, wenn die jeweilige nationale Behörde aufgrund neuer oder zusätzlicher Informationen oder aufgrund einer Neubewertung vorliegender Informationen berechtigten Grund zur Annahme hat, dass von einem bereits zugelassenen Erzeugnis ein Sicherheitsrisiko (§ 1 Z 1 GTG) ausgeht. Davon sind die EU-Kommission, die übrigen EUMitgliedstaaten sowie die Öffentlichkeit unverzüglich zu unterrichten (§ 60 Abs 2 GTG). Die Kommission oder der Rat treffen die endgültige Entscheidung über die von den nationalen Behörden getroffenen - an und für sich als lediglich vorläufig konzipierten - Maßnahmen (§ 60 Abs 2 GTG). Auf der Grundlage des § 60 GTG bestehen (immerhin seit 1997, 1999 bzw 2000) in Österreich drei Untersagungs-Verordnungen,204 die alle das In-VerkehrBringen von gentechnisch verändertem Mais betreffen. Alle drei Erzeugnisse wurden mit Entscheidung der EU-Kommission zuvor bereits genehmigt.205 Diese Importverbote wurden erst unlängst von den EU-Umweltministern bestätigt, bleiben also vorerst weiterhin aufrecht.206 Eine endgültige Entscheidung darüber steht bislang aus. Erst kürzlich wurde ein weiteres Importverbot betreffend gentechnisch veränderten Raps verordnet.207 Während eines laufenden Genehmigungsverfahrens bzw auch nach erteilter Genehmigung treffen den Antragsteller bzw Genehmigungsinhaber besondere Sorgfaltspflichten: Er muss sich eigenverantwortlich über die Risiken des Erzeugnisses für die Sicherheit iSd § 1 Z 1 GTG informieren und dementsprechend die der Behörde vorgelegten Angaben und Unterlagen überprüfen, die Behörde unterrichten und gegebenenfalls für die Sicherheit erforderliche Maßnahmen ergreifen (§ 57 Z 1 bis Z 3 GTG). Droht eine Gefahr für die Sicherheit (§ 1 Z 1 GTG), muss der Bundesminister für Gesundheit und Frauen dem Hersteller oder Importeur bescheidmäßig die umfassende Information der betroffenen Verkehrskreise - dh also auch der Verbraucher - über die Risiken sowie über Sicherheits- und Beseitigungsmaßnahmen auftragen und diese erforderlichenfalls zur Entfernung der Erzeugnisse vom Markt auffordern (§ 61 GTG). 204 205 206 207
Verordnung BGBl 1997 II/45; Verordnung BGBl 1999 II/175; Verordnung BGBl 2000 II/120. 97/98/EG, Abl 1997 L 31/69; 98/292/EG, Abl 1998 L 131/38; 98/293/EG, Abl 1998 L 131/30. Siehe dazu die Information auf der Homepage des Bundesministers für Gesundheit und Frauen: http://www.bmgf.gv.at. BGBl 2006 II/157.
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3. Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Erzeugnissen Das GTG trifft in § 62 eine Reihe von Vorgaben betreffend die Verpackung und Kennzeichnung der Erzeugnisse, die durch die GentechnikKennzeichnungsVO208 näher präzisiert werden. Zur Information sowohl des Handels als auch der Verbraucher sowie zur Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit von GVO dürfen Erzeugnisse, die aus GVO bestehen oder solche enthalten, oder Gemische aus GVO und gentechnisch nicht veränderten Organismen, nur unter Einhaltung aller durch Gesetz209 und Verordnung diesbezüglich festgelegter Vorschriften und mit dem ausdrücklichen Hinweis „Dieses Produkt enthält genetisch veränderte Organismen“ in Verkehr gebracht werden. Von der Kennzeichnungspflicht nach dem GTG ausgenommen sind bestimmte Erzeugnisse, für die idR spezifische Vorschriften über die Kennzeichnung bestehen. Dazu zählen nach § 1 Abs 2 Gentechnik-KennzeichnungsVO: • gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel iSd VO Nr. 1829/2003; • Saatgut iSd Saatgut-GentechnikVO; • Arzneimittel iSd § 1 Abs 1 und Abs 2 ArzneimittelG; • Produkte, die Erzeugnisse enthalten, die aus GVO bestehen oder solche enthalten, sofern diese Produkte für eine unmittelbare Verarbeitung vorgesehen sind, der Anteil an GVO in diesen Produkten oder Produktmischungen einen Schwellenwert von 0,9% nicht übersteigt und dieser Anteil unbeabsichtigt oder technisch unvermeidbar ist.
4. Unbeabsichtigtes Vorhandensein von GVO in anderen Produkten - Schwellenwerte Zum Schutz der heimischen Landwirtschaft und des biologischen und konventionellen Anbaues wurden durch die Novelle 2004 besondere Sorgfaltspflichten zur Vermeidung der Vermischung von GVO mit bestimmungsgemäß GVOfreien Produkten in das GTG eingefügt: Alle Vertreiber und Verwender von GVO-Erzeugnissen sind verpflichtet, sorgfältig darauf hinzuwirken, dass insbesondere bei Vertrieb, Transport, Lagerung, Verwendung und Verarbeitung eine Vermischung der GVO mit Waren, die bestimmungsgemäß keine GVO enthalten dürfen, vermieden wird. Für einen Verstoß gegen diese besondere Sorgfaltspflicht besteht zwar keine (verwaltungs)strafrechtliche Sanktion, er kann aber im Rahmen einer allfälligen Haftung (Beweislastumkehr) für durch GVO verursachte Schäden geltend gemacht werden.210 Im Fall unbeabsichtigter oder technisch unvermeidbarer Vermengung von GVO mit anderen Produkten sind im GTG bzw in einschlägigen (nationalen und europarechtlichen) Verordnungen mittlerweile sog Schwellenwerte von zulässigen GVO-Spuren vorgesehen.211 Die Verpflichtung zum Nachweis, dass das Vorhandensein von GVO 208 209 210 211
BGBl 2006 II/5. Siehe im Einzelnen § 62 Abs 1 Z 1 bis Z 5 GTG. RV 617 BlgNR, 22. GP, 10. Der VwGH hatte sich in seinem Erk 25. 2. 2003, 2001/11/0254 mit einem Beschwerdefall auseinanderzusetzen, in dem dem Beschwerdeführer gem § 61 GTG ua die unverzügliche Rückholung von Maissaatgut, das eine Vermengung mit GVO von unter 0,1 % aufwies, aufgetragen wurde. Der VwGH nahm schon damals - trotz Fehlens entsprechender Grenzwertregelungen im GTG und vor Inkrafttreten der
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unbeabsichtigt oder technisch unvermeidbar ist, trifft denjenigen, der das GVO-Produkt in-Verkehr-bringt oder gebracht hat (§ 62c Abs 5 GTG). Vorgesehen ist weiters eine Verordnungsermächtigung an den Bundesminister für Gesundheit und Frauen zur Anpassung der Schwellenwerte im Rahmen der Durchführung von entsprechenden Beschlüssen der EU (§ 62c Abs 6 GTG).
Folgende Schwellenwertregelungen sind vorgesehen: Für Saatgut212 ordnet § 3 Abs 1 Saatgut-GentechnikVO an, dass zufällig oder auf technisch nicht vermeidbare Weise entstandene Verunreinigungen mit GVO in der Erstuntersuchung „nicht vorhanden sein“ und bei der Nachkontrolle im Rahmen der Saatgutverkehrskontrolle den Wert von 0,1% nicht überschreiten dürfen. § 62c Abs 2 GTG legt den Schwellenwert von 0,1% auch für in der EU bzw im EWR nicht zugelassene GVO213 fest, sofern das Vorhandensein dieses GVO unbeabsichtigt oder technisch unvermeidbar ist. Für Produkte, die für die unmittelbare Verwendung als Lebens- oder Futtermittel oder für die Verarbeitung vorgesehen sind, und die - unbeabsichtigt oder technisch unvermeidbar - Spuren eines noch nicht im EWR zugelassenen GVO enthalten, gilt bis zum 18. 4. 2007 ein Schwellenwert von 0,5%, wenn der GVO im bisherigen Zulassungsverfahren positiv bewertet wurde, das Zulassungsverfahren aber noch nicht abgeschlossen ist (§ 62c Abs 3 GTG). Auf Produkte, die einen Grad der Vermengung mit GVO unterhalb der genannten Schwellenwerte aufweisen, sind die übrigen Vorschriften betreffend Freisetzung und In-Verkehr-Bringen (Genehmigung, Kennzeichnung etc) nicht anzuwenden. Die Kennzeichnungs-Bestimmung (§ 62 GTG) ist auf Produkte, die Spuren von im EWR zugelassenen GVO enthalten, nicht anzuwenden, sofern diese Produkte für eine unmittelbare Verarbeitung (insbesondere industrielle Zwecke) vorgesehen sind, der GVO-Anteil einen Schwellenwert von 0,9% nicht übersteigt und die Vermengung unbeabsichtigt oder technisch unvermeidbar ist (§ 62c Abs 4 GTG). Die VO (EG) 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel legt ebenfalls einen Schwellenwert von 0,9% für Spuren von zugelassenen GVO in Lebensmittel und Futtermittel fest.
5. Behördenzuständigkeit und Kontrollen Zuständige Behörde hinsichtlich In-Verkehr-Bringen ist der Bundesminister für Gesundheit und Frauen (§ 100 Abs 1 Z 2 GTG). Er ist auch zur Kontrolle des In-Verkehr-Bringens berufen (§ 101 GTG): Dessen Organe können an Orten, an denen sie Grund zur Annahme haben, dass dort GVO-Erzeugnisse inVerkehr-gebracht werden, Nachschau halten,214 Überprüfungen durchführen, in Aufzeichnungen einsehen und Proben entnehmen.215 Sofern Wirtschaftlichkeit,
212 213 214
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Saatgut-GentechnikVO - den Standpunkt ein, dass sich die belangte Behörde mit der Frage auseinandersetzen hätte müssen, ob und inwieweit nach dem Stand der Technik bei der Herstellung von nicht gentechnisch veränderten Saatgutsorten Vermengungen mit GVO unvermeidlich gewesen waren, welche Grenzwerte nach dem Stand von Wissenschaft und Technik maßgeblich seien und ob diese Grenzwerte überschritten worden seien; nicht vermeidbare Vermengungen unter dem Grenzwert machten das Saatgut nicht zu einem Erzeugnis iSd § 54 Abs 1 GTG. Der in § 2 Abs 1 Z 1 bis Z 8 Saatgut-GentechnikVO BGBl 2001 II/478 aufgezählten Arten. Dh solche, deren In-Verkehr-Bringen für Zwecke des Anbaues gem der FreisetzungsRL nicht zulässig ist: § 1 Z 2 und Z 3 Saatgut-GentechnikVO. Und zwar bei Gefahr in Verzug immer, sonst während der üblichen Betriebs-, und Geschäftsstunden; Störungen oder Behinderungen des Betriebes sind zu vermeiden (§ 101 Abs 2 GTG). Nach Möglichkeit ist eine Gegenprobe auszufolgen.
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Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit es erfordern, können mit dieser Kontrolle auch externe Sachverständige oder sachverständige Einrichtungen (insbesondere das Umweltbundesamt) - mit Bescheid - betraut werden. Die Kontrollen sind zu dulden und die Arbeit der Organe zu unterstützen. § 101d GTG sieht für die Sicherheitskontrolle (§ 1 Z 1 GTG) von inVerkehr-gebrachten GVO-Erzeugnissen eine beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen eingerichtete Sicherheitsdokumentation vor. Diese enthält Daten über die sicherheitsrelevanten Eigenschaften der Erzeugnisse sowie die Identifikation der enthaltenen GVO. Die dafür notwendigen Angaben gelangen gemeinsam mit dem Genehmigungsantrag an die Dokumentationsstelle (§ 101d Abs 1, Abs 2 Z 1 bis Z 6 GTG).
6. Soziale Unverträglichkeit Lässt das In-Verkehr-Bringen bestimmter Erzeugnisse eine soziale Unverträglichkeit erwarten, sieht § 63 GTG vor, dass die Bundesregierung216 auf Vorschlag des Bundesministers für Gesundheit und Frauen217 das gewerbsmäßige In-Verkehr-Bringen von Erzeugnissen, die GVO enthalten oder aus solchen bestehen, untersagen muss (§ 63 Abs 2 GTG). Dabei soll nach § 63 Abs 1 GTG eine soziale Unverträglichkeit dann vorliegen, wenn nach sachlichen Grundlagen anzunehmen ist, dass derartige Erzeugnisse zu einer nicht ausgleichbaren Belastung der Gesellschaft oder gesellschaftlicher Gruppierungen führen könnten, und wenn diese Belastung für die Gesellschaft aus volkswirtschaftlichen, sozialen oder sittlichen Gründen nicht annehmbar erscheint. Diese Klausel schreibt in einem nationalen Gesetz nieder, was unter dem Titel „soziale Verträglichkeit“ in der Gentechnik-Diskussion schon lange geführt und bereits im Rahmen des EWR-Vertrages erwähnt wurde.218 Die vom österreichischen Gesetzgeber gewählte Lösung begegnet nicht zuletzt durch ihre unklare Fassung Auslegungsproblemen sowohl in verfassungsrechtlicher als auch in europarechtlicher Hinsicht. Da sie bislang nicht angewendet wurde, haben sich ihre einzelnen Elemente auch im praktischen Bezug noch nicht weiter erhellt.
Unklar ist vor allem, was unter einer - wie es das Gesetz fordert - nicht ausgleichbaren Belastung der Gesellschaft oder einer gesellschaftlichen Gruppierung zu verstehen ist. Es stellt sich zunächst die Frage, ob auf eine rein wirtschaftliche Ausgleichsfähigkeit einer Belastung abgestellt wird, oder ob darunter etwa auch psychische Beeinträchtigungen fallen können,219 sowie ob solche Belastungen konkret nur die österreichische Gesellschaft (bzw eine ihrer Gruppen, wie etwa Bergbauern oder Biobauern220) treffen kann, oder ob vielmehr iS einer ethischen oder moralischen Vorstellung gemeint ist, Verantwortung für die Menschheit im Allgemeinen zu übernehmen. Es ist nicht auszuschließen, 216 217
218 219 220
Bekanntlich ist Einstimmigkeit bei Beschlüssen des Kollegiums der Bundesregierung erforderlich. Einen solchen Vorschlag muss der Bundesminister nach Anhörung der Gentechnikkommission unterbreiten, sobald abzusehen ist, dass derartige Erzeugnisse in Österreich gewerbsmäßig in-Verkehr-gebracht werden könnten. Vgl EWR-Vertrag, BGBl 1993/909, Anhang IV Z 25. Näher Loibl/Stelzer, 44. In der Tat dürfte der Gesetzgeber bei der Formulierung strukturelle Probleme in der Landwirtschaft vor Augen gehabt haben.
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dass die Sozialverträglichkeitsklausel zwingend (auch) auf sozialethische Kriterien rekurriert.221 Wenngleich klar sein dürfte, dass die Sozialverträglichkeitsklausel nach den bislang geltenden europarechtlichen Vorgaben unzulässig gewesen ist,222 könnte ihr gerade die neuerlassene FreisetzungsRL eine ausreichende europarechtliche Deckung verschafft haben, wenn dort die Berücksichtigung ethischer Kriterien ausdrücklich aus dem Harmonisierungsbereich ausgenommen wird.223
V. Die Gentechnik-Vorsorgegesetze der Länder Maßnahmen zur Regelung des Nebeneinanders von biologischer bzw konventioneller Landwirtschaft und landwirtschaftlichen Betrieben, die mit GVO arbeiten möchten - und damit zum Schutz GVO-freier Bewirtschaftungsformen - sind ein zentraler Punkt der laufenden Gentechnik-Diskussion. Auf europarechtlicher Ebene bestehen dazu seit 2003 - rechtlich unverbindliche - Leitlinien der EU-Kommission für nationale Koexistenz-Maßnahmen.224 Weitere harmonisierte Regelungen fehlen bislang. Ein wesentliches Anliegen der EUKommission ist dabei, sowohl den Marktakteuren (Landwirten) als auch den Konsumenten die Wahlmöglichkeit zwischen Produkten der verschiedenen Bewirtschaftungsformen zu sichern und keine Form der Landwirtschaft von vornherein auszuschließen. Im Zusammenhang mit der Koexistenz-Frage bzw der Frage nach den Möglichkeiten der Errichtung gentechnikfreier Bewirtschaftungsgebiete sind weiters die Fauna-Flora-HabitatRL 92/43/EWG225 sowie die Verordnung über den ökologischen Landbau, 2092/91/EWG, von Bedeutung.226 Auf nationaler Ebene wurde im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft eine Arbeitsgruppe „Gentechnik“ sowie von dieser eine KoexistenzStrategiegruppe eingesetzt, die im Jahr 2004 Empfehlungen für eine gemeinsame Koexistenz-Strategie von Bund und Ländern erarbeitet hat.227 Wie bereits erwähnt, sind die Kompetenzen des Bundesgesetzgebers hinsichtlich Koexistenz-Regelungen beschränkt; jedenfalls scheinen die Länder, wenn und soweit es sich dabei um Fragen des landwirtschaftlichen „AnbauManagements“ handelt, primär zuständig zu sein. In manchen Bundesländern wurde hingegen die Forderung erhoben, den Einsatz von GVO flächendeckend zu verbieten, ihr Gebiet also zur „gentechnikfreien Zone“ zu erklären. Oberösterreich erarbeitete im Jahr 2002 schließlich den Entwurf eines Gentechnik-
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223 224 225 226 227
Herdegen, Band 2, L.I., Rz 95. Zur ausführlichen Begründung dafür vgl Loibl/Stelzer, 48ff. AA Nentwich, Spezifische nationale Spielräume bei der Umsetzung der EG-Richtlinie „über die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt“ (RL 90/220/EWG) anlässlich eines EWR- bzw EG-Beitritts Österreichs, 1993, 8ff. Vgl den Erwägungsgrund 9 der FreisetzungsRL. Empfehlung der EU-Kommission vom 23. 7. 2003, Abl 2003 L 189/36. Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Dazu eingehend Stelzer, Moratorium, 34ff. Siehe den dritten Bericht der Gentechnikkommission (Fn 95), 13.
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Verbotsgesetzes,228 der von der EU-Kommission gem Art 95 Abs 6 EGV abgelehnt wurde:229 Österreich habe weder neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Schutz der Umwelt vorgelegt noch landesspezifische Probleme durch die Verwendung von GVO nachweisen können. Eine gegen diese Entscheidung erhobene Klage, die im Wesentlichen damit begründet wurde, dass aufgrund der klein strukturierten Landwirtschaft in Oberösterreich ein Nebeneinander von biologischem bzw konventionellem Landbau und Landwirtschaft unter Einsatz von GVO nicht möglich sei, wurde vom Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften abgewiesen. Die Oberösterreichische Landesregierung hat - Zeitungsberichten zufolge einstimmig - beschlossen, gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel einzulegen230 (vgl Art 110ff EuGH-VfO). Es dürfte aber klar sein, dass ein generelles Verbot des Einsatzes von GVO auf dem Gebiet eines Bundeslandes - abgesehen von damit verbundenen verfassungsrechtlichen Problemen - mit den europarechtlichen Vorgaben nur schwer vereinbar ist. Die meisten Länder - und jüngst auch Oberösterreich selbst - haben mittlerweile andere Wege eingeschlagen und im Hinblick auf das bestehende EU-Regelungswerk und die völkerrechtlichen Verpflichtungen nach dem Vorbild des Bundeslandes Kärnten Koexistenz-Maßnahmen in Form von „Gentechnik-Vorsorgegesetzen“ erlassen.231 Als technische Vorschriften sind die Gesetze notifikationspflichtig und wurden einem Informationsverfahren232 unter Einbindung der EU-Kommission und der anderen Mitgliedstaaten unterzogen.233 Die genannten Landesgesetze sind im Einzelnen zT etwas unterschiedlich ausgestaltet; es kann daher im Folgenden nur ein Überblick über die getroffenen Regelungen geboten werden, wobei auf wesentliche Unterschiede hingewiesen wird. In den Anwendungsbereich dieser Gesetze fallen im Wesentlichen Maßnahmen zur Vorsorge gegen die unbeabsichtigte Vermischung von GVO mit anderen Produkten, zur Sicherstellung ökologischer Bewirtschaftungsformen iSd Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel,234 zur Erhaltung der biologischen Vielfalt ohne Beeinträchtigung 228 229 230 231
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Siehe Kerschner/Wagner, 22f. Siehe die Entscheidung Abl 2003 L 230/34. Zu einer europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Bewertung des Entwurfes siehe Stelzer, Moratorium. Oberösterreichische Nachrichten vom 29. 11. 2005, 3. Bgld. Gentechnikvorsorgegesetz, LGBl 64/2005; Kärntner Gentechnik-Vorsorgegesetz, LGBl 5/2005; NÖ Gentechnik-Vorsorgegesetz, 6180/00; Oö. Gentechnik Vorsorgegesetz 2006, LGBl 79/2006; Steiermärkisches Gentechnik-Vorsorgesetz, LGBl 97/2006; Gentechnik-Vorsorgegesetz Salzburg, LGBl 75/2004; Tiroler Gentechnik-Vorsorgegesetz, LGBl 36/2005; Wiener Gentechnik-Vorsorgegesetz, LGBl 53/2005. RL 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft, Abl 1998 L 204/37. Vgl zB die zusammenfassende Darlegung der Ergebnisse des Notifikationsverfahrens des Kärntner Gentechnik-Vorsorgegesetz in den Erläuterungen zum Entwurf, Zl. -2V_LG-690/56-2004. Abl 1991 L 198/1 idF Abl 2003 L 206/17.
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durch GVO sowie zur Erhaltung von wild wachsenden Pflanzenarten und frei lebenden Tieren sowie ihrer natürlichen Lebensräume in naturschutzrechtlich besonders geschützten Bereichen. Auf Arbeiten im geschlossenen System sind die Gesetze hingegen nicht anwendbar.235 Nach den Gesetzen dürfen GVO auf einer Grundfläche nur bei Durchführung und Einhaltung solcher Vorsichtsmaßnahmen ausgebracht werden, dass dadurch auf anderen Grundflächen, die tatsächlich oder potentiell Träger von natürlichen Pflanzen sind, bzw anderen landwirtschaftlich nutzbaren Flächen eine Vermengung durch GVO nach dem Stand von Wissenschaft und Technik vermieden wird. Ist ein Grundsstück, auf dem das Ausbringen von GVO in Aussicht genommen wird, nach Größe, Lage oder Beschaffenheit für die beabsichtigte Nutzung nicht geeignet, ist darauf das Ausbringen verboten. Darüber hinaus dürfen GVO auf Grundflächen idR nur soweit ausgebracht werden, als dadurch in bestimmten, besonders geschützten Gebieten236 wildlebende Tierund Pflanzenarten sowie deren natürliche Lebensräume nicht beeinträchtigt werden bzw. Ausnahmebewilligungen vorliegen. Es ist idR vorgesehen, dass die Landesregierung solche Vorsichtsmaßnahmen durch Verordnung näher bestimmen kann. Insbesondere kommen dabei in Betracht: Einhaltung von Sicherheitsabständen, Einrichtung von Pufferzonen, Anlage von Pollenfallen oder Pollenbarrieren, Einhaltung von Fruchtfolgen, Wahl spezifischer Aussaatzeiten und Anbauverfahren, sorgfältige Handhabung des Saatgutes uam. Für die Ausbringung von GVO sehen die einzelnen Gesetze Anzeige-237 bzw Bewilligungsverfahren238 vor:239 Zuständige Behörde ist idR die Landesregierung, in Wien der Magistrat; über Berufungen entscheidet der UVS.
Im Fall der Anzeigepflicht sind der Anzeige eine Reihe von Unterlagen240 anzuschließen, auf deren Basis die Landesregierung zu erheben hat, ob die Grundfläche für die beabsichtige Aussaat nach den zuvor genannten Kriterien und nach den aus Anlass der gentechnikrechtlichen Zulassung vorgesehenen Bedingungen und Auflagen für die beabsichtigte Nutzung geeignet ist. Wird die beabsichtige Ausbringung nicht binnen bestimmter Frist untersagt oder stellt die Landesregierung vor Ablauf dieser Frist fest, dass keine Untersagungsgründe entgegenstehen, bzw stimmt sie ausdrücklich der beabsichtigten Nutzung zu, dürfen zugelassene GVO unter Einhaltung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen bzw von allenfalls durch Verordnung festgelegten Vorsichtsmaßnahmen ausgebracht werden. Das Ausbringen von GVO in Europaschutzgebieten, Naturschutzgebieten etc unterliegt idR besonderen Bedingungen.
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Weiters sind von den einzelnen Gesetzen bestimmte Maßnahmen nach anderen Landesgesetzen ausgenommen. Naturschutzgebieten, Europaschutzgebieten, Nationalparks, Biosphären, Naturdenkmäler, Alpinregionen, Gletscher usw. Siehe im Einzelnen jeweils § 3 der Gentechnik-Vorsorgesetze. Kärnten, Tirol, Oberösterreich. Burgenland, Niederösterreich, Salzburg, Steiermark, Wien. Siehe dazu im Einzelnen jeweils § 3 bzw § 4 der Gentechnik-Vorsorgegesetze. Diese betreffen sowohl das Grundstück, die Eigentums- bzw Nutzungsrechte daran, als auch den GVO, dessen Ausbringung beabsichtigt ist, sowie Angaben über vorgesehene Vorsichtsmaßnahmen. Insb bedarf es auch eines Nachweises über die Zustimmung der Miteigentümer bzw des Eigentümers des Grundstücks, wenn der Anzeiger nicht Alleineigentümer bzw bloß Nutzungsberechtigter ist.
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Auch in den Bewilligungsverfahren sind dem Antrag entsprechende Unterlagen anzuschließen. Die zuständige Behörde darf die Bewilligung nur erteilen, wenn nach Lage, Größe und Beschaffenheit des Grundstücks anzunehmen ist, dass bei Einhaltung der aufgetragenen Vorsichtsmaßnahmen das unbeabsichtigte Vorhandensein von GVO auf anderen Grundflächen vermieden werden kann. Spezielle Bewilligungserfordernisse bestehen idR bei einem geplanten Ausbringen von GVO in Europaschutzgebieten, Naturschutzgebieten etc. Wenn eine endgültige Beurteilung einzelner Auswirkungen zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung nicht möglich ist, kann die Bewilligung auch unter dem Vorbehalt späterer Anordnungen erteilt werden. Keinesfalls darf die Behörde in diesem Verfahren Fragen prüfen, die bereits Gegenstand des Zulassungsverfahrens des betreffenden Produktes waren. Eine solche Vorgangsweise wäre europarechtswidrig, weil damit das Ziel der europaweiten Marktzulassung konterkariert würde. Im Bgld. Gentechnik-Vorsorgegesetz ist im Bewilligungsverfahren ausdrücklich eine Parteistellung der Landesumweltanwaltschaft vorgesehen; damit verbunden ist das Recht, Rechtsmittel und Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.241 In anderen Gesetzen sind zT besondere Anhörungsrechte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens normiert.
Im Fall der Nichtuntersagung bzw Bewilligung treffen den zur Ausbringung Berechtigten Informationspflichten. IdR242 haben die Landesregierungen die Öffentlichkeit zu informieren. ZT ist ausdrücklich eine Veröffentlichung der beabsichtigten Nutzung unter Angabe des wesentlichen Inhalts der Anzeige bzw Bewilligung auf der Internetseite der Behörde vorgesehen.243 Des Weiteren treffen die einzelnen Gesetze idR Regelungen über die Vorgangsweise bei Verdacht der unerwünschten Ausbreitung,244 über die behördliche Überwachung, Überwachungsbefugnisse und behördliche (Wiederherstellungs)Aufträge, Ersatzhaftung für behördliche Aufträge245 sowie betreffend den Wechsel der Nutzungsberechtigten. Zumeist246 sind auch Entschädigungen für Personen, denen durch die rechtswidrige Ausbringung von GVO ein Schaden entstanden ist, vorgesehen.247 Entschädigungsberechtigt sind nur Personen, die am gesetzwidrigen 241 242
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Demgegenüber wäre die Erhebung einer Amtsbeschwerde wegen objektiver Rechtsverletzung vor dem Verfassungsgerichtshof unzulässig (VfSlg 17.220/2004). In Wien hat die Landwirtschaftskammer die Information des Ausbringers in der nächstmöglichen Ausgabe ihres Mitteilungsblattes „Die Information“ zu veröffentlichen. Burgenland, Kärnten. Niederösterreich und Salzburg sehen eine „geeignete Form“ der Veröffentlichung vor und verweisen dabei auf die Möglichkeit des Internets. In Oberösterreich ist die Öffentlichkeit auch in geeigneter Weise zu informieren. Die in der Anzeige enthaltenen Angaben dürfen für das Internet aufbereitet werden. Der begründete Verdacht einer solchen Ausbreitung ist unverzüglich der Landesregierung anzuzeigen. Vorgesehen ist eine subsidiäre Haftung des Grundeigentümers, wenn er dem Ausbringen zugestimmt oder dieses geduldet hat. Nicht vorgesehen in Niederösterreich und Wien. Diese Regelungen sind im Hinblick auf die Kompetenz des Bundes „Zivilrechtswesen“ iSd Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG nicht unproblematisch: Gem Art 15 Abs 9 B-VG sind die Länder im Bereich ihrer Gesetzgebung (nur) befugt, die zur Regelung des Gegenstandes erforderlichen Bestimmungen auf dem Gebiet des Straf- und Zivilrechtswesens zu treffen. Die Judikatur des VfGH verlangt dafür einen „rechtstechnischen“ Zusammenhang mit der verwaltungsrechtlichen Regelung (zB VfSlg 13.322/1992).
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Ausbringen von GVO nicht mitgewirkt, diesem zugestimmt oder es geduldet haben. In erster Linie soll zwischen den Beteiligten eine (zivilrechtliche) Vereinbarung über die Pflicht zur Leistung von Entschädigungen und deren Höhe zustande kommen. Gelingt dies nicht, entscheidet die Bezirksverwaltungsbehörde; für Berufungen ist im Hinblick auf Art 6 EMRK der UVS zuständig. Über die Berechtigungen zum Ausbringen von GVO sowie allfällige behördliche Aufträge nach den Landesgesetzen sind von den Landesregierungen Aufzeichnungen und Übersichtskarten in Form sog Gentechnik-Bücher zu führen, aus denen die durch die Nutzung betroffenen Grundstücke ersichtlich sind. Die einzelnen Gesetze enthalten dazu nähere Vorschriften über die aufzunehmenden Daten, die Führung und Zugänglichmachung der Bücher. Schließlich sind in allen Gesetzen Strafbestimmungen normiert, die insbesondere das Ausbringen von GVO ohne Einhaltung der vorgesehenen Verfahren, die Zuwiderhandlung gegen Melde- und Informationspflichten sowie gegen behördliche Aufträge mit empfindlichen Verwaltungsstrafen sanktionieren.
VI. Genetische Analyse Bereits in seiner Stammfassung aus 1994 übernahm das GTG europaweit eine gewisse Vorreiterrolle, indem es neben den durch die beiden Richtlinien vorgegebenen Themenbereichen der Arbeiten in geschlossenen Systemen sowie der Freisetzung von GVO auch die humangenetischen248 Verfahren der genetischen Analyse und der Gentherapie (dazu unter VII.) am Menschen einer Regelung unterworfen hatte. Dieser - heute nach wie vor nicht harmonisierte Bereich wurde durch die erst jüngst, am 1. 12. 2005 in Kraft getretene Novelle zum GTG, BGBl 2005 I/127, einer grundlegenden und weitgehenden Revision, deren Auswirkungen für die Praxis auch noch gar nicht absehbar sind, unterzogen. Grund für die weitergehenden Änderungen waren zum einen Wertungswidersprüche, die im Vollzug der bestehenden Vorschriften immer deutlicher zu Tage traten, und zum anderen die Entwicklung der Technologie selbst, die vor allem der genetischen Analyse in den kommenden Jahren einen wesentlich bedeutsameren Stellenwert in der Medizin einräumen könnte als dies vor mehr als einem Jahrzehnt absehbar war. So könnte die genetische Analyse besonders im Rahmen der Pharmakogenetik zu einem Standardtest werden, der genauso selbstverständlich zum Einsatz gelangen könnte wie alle herkömmlichen Laboruntersuchungen.
A. Begriff der genetischen Analyse Zunächst fällt bereits auf, dass das Gesetz nicht mehr von einer „Genanalyse“ spricht, sondern an ihre Stelle den Terminus „genetische Analyse“ setzt. Erfasst wird auch nicht mehr nur die „molekulargenetische Untersuchung an Chromosomen, Genen und DNS-Abschnitten eines Menschen zur Feststellung von Mutationen“ (§ 4 Z 23 GTG alte Fassung). Das Gesetz definiert die genetische Analyse heute als: „Laboranalyse, die zu Aussagen über konkrete Eigenschaften hinsichtlich Anzahl, Struktur oder Sequenz von Chromosomen, Genen oder 248
Zum Begriff der Humangenetik vgl Schenek, 32ff.
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DNA-Abschnitten oder von Produkten der DNA und deren konkrete chemische Modifikationen führt, und die damit nach dem Stand von Wissenschaft und Technik Aussagen über einen Überträgerstatus, ein Krankheitsrisiko, eine vorliegende Krankheit oder einen Krankheits- oder Therapieverlauf an einem Menschen ermöglicht“ (§ 4 Z 23 GTG neue Fassung). Hintergrund für diese sehr weite Definition der genetischen Analyse war der, bereits in der Vorauflage näher erörterte Umstand, dass eine singuläre Regelung der DNA-Analyse, verstanden als molekulargenetische Untersuchung, an die sich teilweise strenge Kautelen knüpften, in zunehmenden Ausmaß als sinnlos erschien. Jedenfalls die meisten der vorgesehenen Rechtsfolgen fanden und finden ihre sachliche Rechtfertigung nicht so sehr in der Verwendung einer bestimmten Methode bzw einer bestimmen Technik, sondern in der erzielten Aussagekraft der Analyse, die - im Lichte der Vollzugspraxis - nicht (mehr) durch die Verwendung einer bestimmten Untersuchungsmethode indiziert angesehen werden konnte. Es kam aus der Perspektive der Betroffenen, nämlich der Patientinnen und Patienten, auf ein gewisses aleatorisches Element an, ob die Vorschriften der Qualitätssicherung, der besonderen Geheimhaltung und der Beratung Anwendung fanden.249 Freilich, diese Problematik hat sich das GTG dadurch eingehandelt, dass es sich nicht ausschließlich auf Technikfragen beschränkt hat, sondern Fragen der Einwilligung, der Aufklärung, der Beratung und der spezifischen Geheimhaltung mitgeregelt hat, und in der Sache systematisch gesehen damit eigentlich immer Arztrecht oder Krankenanstaltenrecht gewesen ist. In der Literatur wurde daher gelegentlich betont,250 dass die Regelungen des GTG eigentlich nicht viel anderes enthielten, als nach allgemeinem Arztrecht ohnehin gelte, allerdings war im Vollzug des GTG durchaus zu bemerken, dass von der Praxis gerne Umkehrschlüsse dergestalt gezogen wurden, wonach das, was im GTG für die genetische Analyse ausdrücklich geregelt war, auf alle anderen Fälle im Zweifel nicht Anwendung finden sollte. Rechtstechnisch hätte man zwei Möglichkeiten gehabt, dieses Problem zu lösen: Entweder auf alle nicht unmittelbar technikbezogenen Regelungen zu verzichten, oder aber alle gleichgelagerten Untersuchungen in den Regelungsbereich des GTG mit hereinzunehmen. Politisch gangbar war offenbar nur der zweite Weg; ob damit aber alle Abgrenzungsfragen befriedigend gelöst sind und ob insgesamt der nunmehr getroffene Regelungsumfang praktisch zu bewältigen sein wird, wird erst die Zukunft zeigen. 249
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So zeigte sich im Verlaufe der Zeit, dass die offenkundigen Grundannahmen, die die Regelungen über die Genanalyse 1994 trugen, in dieser Form unhaltbar waren. 1994 ging man offenbar davon aus, dass eine molekulargenetische Analyse zum einen eine sichere Aussage über das Vorliegen einer bestimmten Erberkrankung bzw eines Überträgerstatus geben würde und zum anderen in dieser Funktion einzigartig sei. Beides ist jedenfalls zu relativieren. Zum einen liefert auch der „Gentest“ nicht immer Sicherheit, sondern vielfach auch nur Wahrscheinlichkeiten, zum anderen gibt es auch andere Untersuchungsmethoden als die molekulargenetische Analyse, die zu gleichwertigen Ergebnissen führen können. Man denke in diesem Zusammenhang etwa nur an die Proteinanalyse, die in vielen Fällen eindeutige Aussagen über Mutationen erlaubt und damit in ihrer Aussagekraft einer molekulargenetischen Analyse gleichwertig ist. Bernat, Schutz vor genetischer Diskriminierung und Schutzlosigkeit wegen genetischer Defekte: die Genanalyse am Menschen und das österreichische Recht, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg), Jahrbuch für Recht und Ethik X, 2002, 191f.
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Ihre erste besondere Auswirkung zeitigt die Änderung der Begriffsbestimmung für das in § 67 GTG normierte und an Arbeitgeber und Versicherer gerichtete Verbot, Ergebnisse einer genetischen Analyse von Arbeitssuchenden, Arbeitnehmern oder Versicherern zu erheben, verwerten, verlangen oder anzunehmen. Der Verstoß gegen dieses Verbot stellt für Arbeitgeber bzw Versicherer eine mit bis zu € 36.300 zu bestrafende Verwaltungsübertretung dar, sofern keine strafbare Handlung oder eine nach anderen Verwaltungsbestimmungen mit strengerer Strafe bedrohte Übertretung vorliegt (§ 109 Abs 1 Z 1 und Z 2 GTG). Wohl in beiden Fällen251 ist auch schon der Versuch der beschriebenen Tätigkeiten strafbar. Bedeutsam ist nunmehr, dass von dem in Rede stehenden Verbot nicht mehr nur die molekulargenetischen Analysen erfasst werden, sondern dieses Verbot auch für die genetischen Analysen in dem vorhin beschriebenen umfassenden Sinn gilt, womit Wertungswidersprüche zu den versicherungsvertragsrechtlichen Bestimmungen weitgehend beseitigt werden.252 Inwieweit sich dieses Verbot gegenüber Versicherungen aber praktisch für jene Daten aufrechterhalten lassen wird, die Bestandteile von Krankengeschichten werden bzw werden können, bleibt abzuwarten. Nicht ausdrücklich gelöst wurde weiters die Frage, ob auch die gesetzlichen Sozialversicherungsträger unter das Verbot des § 67 GTG fallen.253 Ausgedehnt wurde das Verbot ausdrücklich auch auf das Verlangen nach Abgabe bzw die Annahme von Körpersubstanzen für genanalytische Zwecke. § 64 GTG statuiert weiterhin das Verbot von Eingriffen in das Erbmaterial der menschlichen Keimbahn über einen Verweis auf § 9 Abs 2 FMedG:254 Der Gesetzgeber folgt damit der Auffassung, Eingriffe in die Keimzellbahnen vor dem Hintergrund mannigfaltiger Missbrauchsmöglichkeiten solange zu verbieten, als die „ethischen und sozialen Voraussetzungen für ihren Einsatz zu therapeutischen Zwecken nicht gegeben sind.“255 Dieses Verbot steht allerdings einer reinen Entnahme von Keimzellen, ohne eine Manipulation der Erbinformation vorzunehmen, nicht entgegen.256
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Argument dafür ist das Druckbild des § 109 Abs 1 GTG: Der Satz „Der Versuch ist strafbar“ ist an den Rand gerückt und kann sich daher sowohl auf die Ziffer 1 (Arbeitsverhältnisse) als auch auf Ziffer 2 (Versicherungsverhältnisse) beziehen. Freilich wird dann völlig unverständlich, warum § 109 Abs 1 die beiden Fälle überhaupt unterscheidet. Vgl dazu Bernert, Europarechtliche Implikationen des Verbotes nach § 67 GTG, in: Stelzer (Hrsg), Biomedizin - Herausforderung für den Datenschutz, 2005, 19. In der Praxis werden Daten aus einer genetischen Analyse sowohl angefordert als auch ausgefolgt. Bei einer weiten Interpretation des Versicherungsbegriffes ist dieses Verhalten nach dem GTG ebenso strafbar wie alle Mitwirkungshandlungen. Diskutiert werden kann aber, was das Schutzgut dieser Bestimmung ausmacht: die Intimsphäre des Patienten oder die Beschränkung der privatautonomen Vertragsgestaltung. Im zweiten Fall könnte allenfalls eine teleologische Reduktion des Versicherungsbegriffs erwogen werden. BGBl 1992/275. RV 1465 BlgNR 18. GP, 62. Die Mat erwähnen etwa eine Entnahme zu diagnostischen oder Forschungszwecken, RV 1465 BlgNR 18. GP, 62.
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B. Bewilligungspflicht und sachliche Anforderungen Das Gesetz unterscheidet zunächst zwischen der Durchführung einer genetischen Analyse zu medizinischen Zwecken (§ 65 GTG) auf der einen Seite sowie zu wissenschaftlichen Zwecken und zur Ausbildung (§ 66 GTG) auf der anderen. Bei den Bestimmungen für die zu wissenschaftlichen oder zu Ausbildungszwecken durchgeführte genetische Analyse rückt der Schutz der Anonymität des Betreffenden in den Vordergrund: Sind die Proben nicht anonymisiert,257 muss die Zustimmung des Probenspenders zur genetischen Analyse schriftlich und ausdrücklich sein. Der von der Praxis daraus vielfach gezogene Schluss, anonymisierte Proben dürften ohne Zustimmung des Spenders wozu auch immer verwendet werden, ist problematisch und auch im Lichte der - von Österreich wegen des angeblich zu geringen Schutzniveaus noch nicht ratifizierten - Bioethikkonvention des Europarates258 auch auf internationaler Ebene kaum vertretbar. Die Veröffentlichung und Verarbeitung von Ergebnissen ist nur dann erlaubt, wenn der Spender keinesfalls mehr bestimmbar ist (§ 66 Abs 2 GTG). Im Rahmen der Durchführung der genetischen Analyse zu medizinischen Zwecken kann zwar noch immer zwischen jener zur Feststellung einer Prädisposition für eine (Erb)Krankheit oder eines Überträgerstatus einerseits (prädiktive Genanalyse) und einer genetischen Analyse im Rahmen der Diagnose einer bereits manifest gewordenen Erkrankung andererseits unterschieden werden, allerdings differenziert das GTG seit der Novelle, BGBl 2005 I/127, weiter und unterteilt die genetischen Analysen in vier Typen (§ 65 Abs 1 GTG neue Fassung). Typ 1 und Typ 2 betreffen genetische Analysen im Rahmen der Diagnose manifester Erkrankungen. Die genetische Analyse des Typs 1 dient der Feststellung einer bestehenden Erkrankung, der Vorbereitung einer Therapie oder Kontrolle eines Verlaufs und basiert auf Aussagen über konkrete somatische Veränderungen von Anzahl, Struktur, Sequenz oder deren konkrete chemische Modifikationen von Chromosomen, Genen oder DNAAbschnitten. Jene des Typs 2 dient der Feststellung einer bestehenden Erkrankung, welche auf einer Keimbahnmutation beruht. Die genetischen Analysen des Typs 3 und 4 sind in der Sache prädiktiver Natur. Jene des Typs 3 dient der Feststellung einer Prädisposition für eine Krankheit, insbesondere der Veranlagung für eine möglicherweise zukünftig ausbrechende genetisch bedingte Erkrankung oder Feststellung eines Überträgerstatus, für welche nach dem Stand von Wissenschaft und Technik Prophylaxe oder Therapie möglich sind, während eine genetische Analyse des Typs 4 der Feststellung einer solchen Prädisposition oder der Feststellung eines solchen Überträgerstatus dient, wobei aber nach dem Stand von Wissenschaft und Technik weder eine Prophylaxe 257
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Wobei als anonymisierte Proben auch solche gelten, die zwar nicht namentlich beschriftet, aber mit einem Code versehen sind, der über die wissenschaftliche Einrichtung die Probe mit einem Spender verbinden kann. Solche Proben sind daher nicht anonymisiert im Sinne des DSG 2000; vgl zu dem Stelzer, Datenschutz, 79. Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin vom 4. 4. 1997, abgedruckt in Herdegen, Band 2, Internationales Recht/Regelungen, 5.
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noch eine Therapie möglich sind. Prädiktive genetische Analysen, das sind also Analysen des Typs 3 und 4, dürfen nur auf Veranlassung eines in Humangenetik oder medizinischer Genetik ausgebildeten Facharztes oder eines für das Indikationsgebiet zuständigen behandelnden oder Diagnose stellenden Facharztes erfolgen (§ 68 Abs 1 GTG). Außerdem dürfen solche Analysen nur in einer hiefür ausdrücklich zugelassenen Einrichtung durchgeführt werden. Die Zulassung ist vom Leiter der Einrichtung, in der die Durchführung solcher genetischer Analysen beabsichtigt ist, beim Bundesminister für Gesundheit und Frauen zu beantragen. Das Bundesministerium stellt auf seiner Homepage dafür entsprechende Formulare zur Verfügung. Die Zulassung ist nach Anhörung des zuständigen wissenschaftlichen Ausschusses259 zu erteilen, wenn aufgrund der personellen und sachlichen Ausstattung eine dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechende Durchführung der genetischen Analysen sowie der Schutz der dabei anfallenden genetischen Daten sichergestellt ist.260 § 68 Abs 3 GTG sieht nunmehr ausdrücklich vor, dass der Bundesminister bei Erteilung einer Genehmigung auch geeignete Auflagen und Bedingungen vorschreiben kann. Der Wegfall der Voraussetzungen oder bei Vorliegen schwerer Mängel kann die Bewilligung widerrufen werden oder es können nachträglich geeignete Auflagen vorgeschrieben werden. Schon im Lichte der bisherigen Rechtslage wurde es in der Vollzugspraxis aus der Perspektive der Anforderung an die personelle Ausstattung der Einrichtung als besonders wesentlich angesehen, dass der Leiter der Einrichtung bzw des Labors eine besondere fachliche Qualifikation aufwies; die fraglichen Kriterien waren im Gentechnikbuch festgeschrieben worden. Nunmehr wurden diese Anforderungen ausdrücklich dem GTG in § 68a inkorporiert. Nach dieser Bestimmung hat der Leiter der Einrichtung jeweils einen Laborleiter zu bestellen, der aber mit der Person des Leiters der Einrichtung identisch sein kann. Dieser Laborleiter muss bestimmte fachliche Qualifikationen erfüllen, die nunmehr in § 68a Abs 2 GTG ausdrücklich genannt und in Hinblick auf die bisherigen, im Gentechnikbuch niedergelegten, Anforderungen leicht modifiziert wurden. Der Laborleiter ist für die laufende Unterweisung der Mitarbeiter und die Leitung sowie die Beaufsichtigung der Durchführung der genetischen Analysen verantwortlich. Er hat dabei die für das Labor geeigneten Datenschutzmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Qualitätssicherung zu treffen und für ihre Einhaltung zu sorgen. Insbesondere werden Labors nunmehr durch das Gesetz ausdrücklich zur Teilnahme an Ringversuchen verhalten. Werden zum Zeitpunkt der Zulassung einer Einrichtung keine Ringversuche angeboten, so ist der Laborleiter nunmehr verpflichtet, sich regelmäßig und höchstens in sechsmonatigen Abständen bei der Behörde zu erkundigen, ob bereits geeignete Ringversuche angeboten werden. Die Behörde ihrerseits hat nach § 79 Abs 1 Z 3 GTG die 259
260
Nach § 72 Abs 2 GTG kann der Bundesminster für Gesundheit und Frauen mittels Verordnung für bestimmte Fälle ein vereinfachtes Verfahren vorsehen, in dem nur die Berichterstatter zu befassen sind. Die Vollzugspraxis hat sich von Anfang an dahin entwickelt, nicht Einrichtungen zuzulassen, in denen (prädiktive) Genanalysen schlechthin durchgeführt werden, sondern die Zulassung jeweils auf bestimmte Analysen zu beschränken, mit der Konsequenz, dass Labors, wollten sie das Spektrum der von ihnen angebotenen Analysen erweitern, um neuerliche Zulassung anzusuchen hatten. Diese, durch das Gesetz kaum gedeckte, Praxis wurde nunmehr im Nachhinein insofern legalisiert, als sich heute aus der Verordnungsermächtigung des § 72 Abs 2 GTG (vereinfachtes Verfahren) indirekt ergibt, dass Zulassungen auf bestimmte Methoden bzw Indikationsbereiche beschränkt werden können.
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angebotenen Ringversuche in einem eigens dafür einzurichtenden elektronischen Register zu verzeichnen. Scheidet der Laborleiter aus oder wird seine Bestellung widerrufen, so ist unverzüglich ein neuer Laborleiter zu bestellen, wobei der Leiter der Einrichtung der Behörde das Ausscheiden und jeden Wechsel in der Person des Laborleiters unverzüglich schriftlich mitzuteilen hat. Dabei hat er auch die fachliche Qualifikation jedes Nachfolgers nachzuweisen. Labors, die genetische Analysen des Typs 2 durchzuführen beabsichtigen, bedürfen zwar keiner Bewilligung des Bundesministers für Gesundheit und Frauen, müssen aber einen Laborleiter bestellen, der den fachlichen Anforderungen des § 68a Abs 2 GTG entspricht. Dieser Laborleiter ist der Behörde unter Anschluss der erforderlichen Nachweise für die fachliche Qualifikation schriftlich bekannt zu geben. Ihn treffen dieselben Verpflichtungen wie einen Laborleiter einer Einrichtung, in der genetische Analysen des Typs 3 und 4 durchgeführt werden.
Genetische Analysen des Typs 2, 3 oder 4 sowie genetische Analysen im Rahmen einer pränatalen Untersuchung dürfen nur nach Vorliegen einer schriftlichen Bestätigung der zu untersuchenden Person durchgeführt werden (im Falle einer pränatalen Untersuchung: der Schwangeren), wonach die betreffende Person bzw die Schwangere zuvor durch einen in Humangenetik oder medizinischer Genetik ausgebildeten Facharzt oder einen für das Indikationsgebiet zuständigen Facharzt über deren Wesen, Tragweite und Aussagekraft aufgeklärt worden ist und aufgrund eines auf diesem Wissen beruhenden freien Einverständnisses der genetischen Analyse zugestimmt hat. In jenen Fällen, in denen es sich um pränatale Untersuchungen handelt, muss die Aufklärung und Zustimmung der Schwangeren auch die Risiken des vorgesehenen Eingriffs umfassen. Vor und nach einer solchen genetischen Analyse hat eine ausführliche Beratung der zu untersuchenden Personen vorgenommen zu werden. Die Beratung nach Durchführung einer solchen genetischen Analyse muss insbesondere die sachbezogene umfassende Erörterung aller Untersuchungsergebnisse und medizinischen Tatsachen sowie aller möglichen medizinischen, sozialen und psychischen Konsequenzen umfassen. Bei einer entsprechenden Disposition für eine erbliche Erkrankung mit gravierenden physischen, psychischen oder sozialen Auswirkungen ist auch auf die Zweckmäßigkeit einer zusätzlichen nicht medizinischen Beratung durch einen Psychologen oder Psychotherapeuten oder durch einen Sozialarbeiter schriftlich hinzuweisen. Beratungen vor und nach einer genetischen Analyse dürfen nicht direktiv erfolgen. Im Rahmen des Beratungsgespräches ist ausdrücklich auch darauf aufmerksam zu machen, dass der Ratsuchende auch nach erfolgter Einwilligung zur genetischen Analyse oder nach erfolgter Beratung sich jederzeit dafür entscheiden kann, das Ergebnis der Analyse und der daraus ableitbaren Konsequenzen nicht erfahren zu wollen. Die Beratungen vor und nach einer genetischen Analyse gemäß Abs 1 des § 69 GTG sind mit einem individuellen Beratungsbrief an den Ratsuchenden abzuschließen, in dem die wesentlichen Inhalte des Beratungsgesprächs in allgemeinverständlicher Weise zusammengefasst sind. 261
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Die Novelle zum GTG, BGBl 2005 I/127, hebt damit einige Elemente der „Leitlinien für die genetische Beratung“, wie sie von der Gentechnikkommission am 24. 6. 2002 beschlossen und im Gentechnikbuch veröffentlicht worden waren, in Gesetzes-
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Umfassend fallen schließlich die spezifisch gentechnikrechtlichen Vorschriften zum Datenschutz aus, die eine Vielzahl von Auslegungsproblemen mit sich gebracht haben.262 Diese Bestimmungen wurden durch die Novelle, BGBl 2005 I/127, modifiziert und den Anforderungen der Praxis angepasst: Grundsätzlich dürfen nach § 71 GTG erhobene Daten nur an einen eng umgrenzbaren Personenkreis weitergegeben (§ 71 Abs 1 Z 4 lit a bis lit e GTG) und müssen vor unbefugtem Zugriff geschützt werden (§ 71 Abs 1 Z 5 GTG). Die untersuchte Person selbst hat jederzeit das Recht auf Einsicht in die sie betreffenden Daten (§ 71 Abs 1 Z 1 GTG), ihr sind auch solche Untersuchungsergebnisse mitzuteilen, die „unerwartet“ im Zuge einer genetischen Analyse herausgefunden wurden, wenn sie ausdrücklich danach fragt oder die Ergebnisse sonst von unmittelbarer klinischer Bedeutung sind (§ 71 Abs 1 Z 2 GTG). Ansonsten kann diese Mitteilung in Grenzfällen auch unterbleiben. Die Verwendung von Daten in nicht anonymisierter Form zu ursprungsfremden Zwecken ist nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Zustimmung der betreffenden Person erlaubt (§ 71 Abs 1 Z 3 GTG). Der Antragsteller nach § 68 GTG hat im Rahmen des Antragsformulars durch Beantwortung detaillierter Fragen, so etwa nach der Zugriffsmöglichkeit oder nach Bestehen oder Nichtbestehen von Vernetzungen, nachzuweisen, dass die betreffende Einrichtung den datenschutzrechtlichen Anforderungen genüge tun kann.263 Waren die bisher beschriebenen Regelungen über den Datenschutz bereits Bestandteil der Stammfassung des GTG, so sind die Bestimmungen über die Dokumentation der Untersuchungsergebnisse durch die Novelle, BGBl 2005 I/127, neu gefasst worden. Ergebnisse aus genetischen Analysen des Typs 1 dürfen in Arztbriefen und Krankengeschichten nunmehr in jedem Fall dokumentiert werden. Ergebnisse des Typs 2 und 3 dürfen hingegen nur dann in Arztbriefe und Krankengeschichten aufgenommen werden, wenn der Patient dem nicht schriftlich widersprochen hat. Ergebnisse aus genetischen Analysen des Typs 4 dürfen hingegen niemals in Arztbriefen und Krankengeschichten aufscheinen. Sie dürfen, ebenso wie Ergebnisse des Typs 2 oder 3, wenn der Patient der in Rede stehenden Dokumentation widersprochen hat, nur in der Einrichtung, in der sie erhoben worden sind, und nur auf Veranlassung des behandelnden Arztes automationsunterstützt verarbeitet werden. Sie sind von anderen Datenarten gesondert aufzubewahren oder zu speichern und dürfen nur von jenen Personen, die in der Einrichtung mit der Ermittlung, Bearbeitung und Auswertung der Daten unmittelbar befasst sind, und nur mit einer gesonderten Zugriffsmöglichkeit abrufbar sein.264 Untersuchungsergebnisse, die in Arztbriefen und Krankengeschichten dokumentiert werden, sind damit in Hinkunft einem größeren Kreis an Personen zugänglich, als dies § 71 GTG prinzipiell vorgesehen hat. Fraglich ist somit, ob dadurch nicht auch Versicherungen Zugriff auf diese Informationen bekommen werden, unabhängig davon, dass ihnen nach § 67 GTG der Zugang verboten ist.
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rang (das Gentechnikbuch ist abrufbar auf der Homepage des BMGF, www.bmgf.gv.at, login 8. 1. 2006). Vgl dazu Stelzer, Datenschutz, 79. Vgl Punkt 3.2 des Antragsformulars betreffend Maßnahmen zum Datenschutz. Zur Auslegung dieser Bestimmung vgl näher Stelzer, Datenschutz, 79.
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Die Leiter zugelassener Einrichtungen treffen eine Reihe von Meldepflichten. So haben sie alle im Hinblick auf die Durchführung von genetischen Analysen des Typs 3 oder 4 wesentlichen Änderungen der sachlichen und personellen Ausstattung unverzüglich der Behörde mitzuteilen. Weiters ist eine Zusammenfassung über die in dieser Einrichtung durchgeführten genetischen Analysen des Typs 3 oder 4 mithilfe eines Formblatts für das jeweils abgelaufene Jahr zu melden. Diese Meldepflicht beginnt mit 1. 2. 2006. Die Einrichtungen zur Durchführung von genetischen Analysen sind vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen in einem eigens dafür eingerichteten elektronischen Register zu verzeichnen. Dieses Register ist prinzipiell für jedermann zugänglich. Mit Stand vom 30. 6. 2005 waren 46 Einrichtungen zur Durchführung von genetischen Analysen zugelassen worden.265
VII. Gentherapie A. Begriff Unter somatischer Gentherapie am Menschen versteht das GTG nach der Novelle, BGBl 2005 I/127, „die Anwendung der gezielten Einbringung isolierter exprimierbarer Nukleinsäuren in somatische Zellen im Menschen, die zur Expression der eingebrachten Nukleinsäuren führt, oder die Anwendung derart außerhalb des menschlichen Organismus gentechnisch veränderter Zellen oder Zellverbände am Menschen“. Dabei gilt nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung ein mit somatischer Gentherapie behandelter Mensch nicht als GVO (§ 4 Z 24 GTG); die Durchführung einer somatischen Gentherapie unterliegt daher auch nicht den Vorschriften des GTG über das Arbeiten mit GVO im geschlossenen System und der Freisetzung von GVO (§ 78 GTG). Allerdings ist zu beachten, dass sich bei einer Gentherapie prinzipiell auch Freisetzungsprobleme stellen. Die Verabreichung genetisch veränderter Organismen an einen Patienten bedeutet der Sache nach insofern eine „Freisetzung“, als diese von kontrollierbaren Laborbedingungen in eine „Umwelt“ gebracht werden, wo sie nicht mehr in gleicher Weise beherrschbar sind. Das GTG trägt diesem Umstand insofern Rechnung, als Gentherapien zum Zwecke einer klinischen Prüfung nur dann genehmigt werden dürfen (siehe dazu sogleich), wenn als Folge einer Gentherapie je nach dem Stand von Wissenschaft und Technik ein „nachteilige Folgen für die Sicherheit (§ 1 Z 1) bewirkendes Ausbringen dieser GVO in die Umwelt nicht zu erwarten ist“ (vgl § 75 Abs 3 GTG idF der Novelle BGBl 2005 I/127). Ziel der Gentherapie am Menschen ist es, durch Ersatz eines kranken durch ein gesundes, funktionstüchtiges Gen mittels Gentransfer einen genetischen Schaden zu beheben.266 Dabei kann man grundsätzlich zwischen ihren beiden Arten, der somatischen Gentherapie und der Keimbahntherapie, differenzieren: Während bei ersterer ausschließlich eine Korrektur von Genen in somatischen Zellen, dh in Körperzellen (Gewebe- oder Organzellen) mit Ausnahme der Keimzellen (Eizellen, Spermien) vorgenommen wird, bezieht sich die The-
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Vgl RV 1083 BlgNR 22. GP, 3 Zum Verfahren ausführlich Wintersberger, Genanalyse und Gentherapie in der Medizin, in: Markl, 112 (119ff).
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rapie bei der Keimbahntherapie auf die in den Keimzellen selbst enthaltenen Erbinformationen.
B. Das Verbot der Keimbahntherapie Wie bereits erwähnt, ergibt sich über einen in § 64 GTG enthaltenen „Erinnerungsvermerk“,267 der auf die Unzulässigkeit jedes Eingriffs in die Keimzellbahn, festgelegt in § 9 Abs 2 FMedG, rekurriert, ein Verbot der Keimbahntherapie: Einem „fundamentalen gesellschaftlichen Anliegen“268 entsprechend sollen Eingriffe in das Erbmaterial der menschlichen Keimbahn - insbesondere wegen der Unabsehbarkeit der möglichen Folgen für nachfolgende Generationen - keinesfalls durchgeführt werden dürfen. Abgesehen vom gesetzlichen Verbot der Keimbahntherapie sind die Erfolge damit auch im Tierversuch bislang sehr bescheiden geblieben, so dass ihre Anwendung beim Menschen auch vor diesem Hintergrund zurzeit unabsehbar ist.269 In der Sache betreffen die einschlägigen Regelungen des GTG heute daher ausschließlich Forschungsarbeiten. Die verhältnismäßig restriktiven Bestimmungen - siehe sogleich - dürften sich dabei allerdings nicht als besonders förderlich erweisen.
C. Bewilligungspflicht und Verfahren Die Voraussetzungen für den Einsatz der somatischen Gentherapie am Menschen sind besonders streng gestaltet: Zunächst darf auch sie nur nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durchgeführt werden. Eine Zweckbindung dieser Methode ausschließlich zur Therapie oder Verhütung schwerwiegender Erkrankungen am Menschen (§ 74 Z 1 GTG) sowie zur Etablierung dafür geeigneter Verfahren im Rahmen einer klinischen Prüfung (§ 74 Z 2 GTG) soll schon von vornherein verhindern, dass die Gentherapie für medizinisch nicht indizierte Behandlungen missbraucht wird.270 Des Weiteren macht das GTG zur Voraussetzung, dass nach dem Stand von Wissenschaft und Technik bei Anwendung der Gentherapie eine Veränderung des Erbmaterials der Keimbahn ausgeschlossen werden können muss; sollte sich eine solche Veränderung nicht zur Gänze ausschließen lassen, darf die somatische Gentherapie nur dann durchgeführt werden, wenn der Vorteil, den man sich für die Gesundheit des Patienten verspricht, das Risiko der Veränderung übersteigt und überhaupt nur bei solchen Menschen, die - wie es das GTG ausdrückt - mit Sicherheit keine Nachkommen haben können.271 Wohl zu Recht wird diese 267 268 269
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Bernat, 33 (52). So die Materialien, RV 1465 BlgNR 18. GP, 62. So Dohr, Der extrakorporale Keim: Möglichkeiten und Grenzen der Forschung, in: Bernat (Hrsg), Die Reproduktionsmedizin am Prüfstand von Ethik und Recht, 2000, 1 (5). Die Materialien nennen etwa kosmetische Zwecke oder Leistungssteigerungen, RV 1465 BlgNR 18. GP, 64. Zellen der Keimbahn eines solcherart behandelten Menschen dürfen auch nicht - im Rahmen einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung - zur „Herstellung“ von Embryonen außerhalb des Körpers einer Frau verwendet werden. Damit soll wohl eine Spende von Eizellen oder Spermien für eine in vitro Fertilisation unterbunden werden. Dieses Verbot ist aber angesichts der Unzulässigkeit sowohl der Eizell- als
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Bedingung in der Literatur als „höchst problematisch“ kritisiert,272 läuft sie doch letztlich darauf hinaus, todkranke und therapiewillige Menschen über diese Voraussetzung dazu zu bringen, sich sterilisieren zu lassen. Man wollte damit auf jeden Fall ausschließen, dass es zu irgendeiner - sei es auch unbeabsichtigten - Einschleusung fremder Erbinformation in die Keimbahn und damit zur Übertragung auf Nachkommen kommt.273 Ob diese Bedingung vor dem Hintergrund des Art 8 EMRK einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung standhalten kann, scheint fraglich. Allerdings muss man heute all diesen rechtlichen Erwägungen hinzufügen, dass beim derzeitigen Wissensstand über Gentherapien über solche Auswirkungen viel zu wenig bekannt sein dürfte, als dass sie in einem behördlichen Verfahren ernsthaft als Prüfungsmaßstab herangezogen werden könnten. Uns ist - jedenfalls bis zum heutigen Zeitpunkt - kein Fall bekannt geworden, in dem aus diesem Grund die Zulassung einer Gentherapie problematisiert, geschweige denn versagt wurde. Freilich mag dieser Umstand auch damit zusammenhängen, dass entgegen den ursprünglichen Erwartungen bis heute kein Gentherapieversuch nachhaltig erfolgreich war.274 Während die durch das GTG 1994 geschaffene Rechtslage sowohl eine Bewilligung der Einrichtung, in der eine Gentherapie durchgeführt werden sollte, als auch eine Bewilligung der Durchführung der Gentherapie zum Zwecke einer klinischen Prüfung selbst (was in der Praxis im Regelfall zu einer zweifachen Bewilligungspflicht führte) kannte, beseitigt die Novelle BGBl 2005 I/127 die, aus kompetenzrechtlicher Sicht ohnehin problematische275 Bewilligungspflicht der Einrichtung. Vom 1. 12. 2005 an ist sohin nur noch die Durchführung der Therapien - gleichgültig, zu welchem Zweck sie durchgeführt wird - selbst bewilligungspflichtig, allerdings darf sie weiterhin nur von einem Arzt und nur in einer Krankenanstalt vorgenommen werden. Um diese Bewilligung hat der Leiter der Krankenanstalt gemeinsam mit dem Prüfungsleiter276 beim Bundesminister für Gesundheit und Frauen anzusuchen. Sie ist nach
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auch der Samenspende im Rahmen der IVF schon durch das FMedG überflüssig, so zutreffend Bernat, 33 (55). Herdegen, Band 2, Teil L.I., Rz 121. RV 1465 BlgNR 18. GP, 64. Dieses Verbot versteht sich vor dem Hintergrund der Unantastbarkeit eines natürlich (göttlichen) Schöpfungsplanes. Der Wertungswiderspruch im österreichischen Recht vor dem Hintergrund der Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruches wegen embryopatischer Indikation bis zur Geburt eines Kindes, bei dem eine ernste Gefahr besteht, dass es geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde (§ 97 Abs 1 Z 2 StGB) ist dabei besonders deutlich; vgl dazu auch Herdegen, Band 2, Teil L.I., Rz 121. Mit Datum vom 30. 6. 2005 waren insgesamt sieben klinische Prüfungen zur Durchführung einer somatischen Gentherapie bewilligt worden. Vergleiche dazu die RV 1083 BlgNR 22. GP, 3 Fraglich war nämlich, ob diese nicht der Sache nach auf den Kompetenztatbestand „Heil- und Pflegeanstalten“ zu stützen gewesen wäre und eine Regelung daher dem Bund nur hinsichtlich der Grundsätze zugekommen war. Siehe dazu schon Stelzer, JBl 1995, 756 Diese Vorschrift reflektiert den Umstand, dass es heute nach wie vor keine etablierten Verfahren der Gentherapie gibt, neue Anträge daher im Regelfall auch dem Zweck dienen werden, „geeignete Verfahren im Rahmen einer klinischen Prüfung“ zu etablieren.
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Anhörung des zuständigen wissenschaftlichen Ausschusses und allenfalls des Arzneimittelbeirates zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des § 74 GTG erfüllt sind und überdies aufgrund der personellen und sachlichen Ausstattung eine dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechende Durchführung zu erwarten ist. Außerdem ist der Schutz der allenfalls anfallenden genanalytischen Daten gemäß § 71 GTG sicherzustellen. Das Gesetz ermächtigt den zur Entscheidung berufenen Bundesminister nunmehr ausdrücklich, erforderlichenfalls Bedingungen und Auflagen bei Bewilligung einer Gentherapie vorzusehen, um die Gesetzeskonformität herzustellen. Es wurde bereits erwähnt, dass im Rahmen des Bewilligungsverfahrens auch zu prüfen ist, ob GVO’s in die Umwelt gelangen könnten und dadurch die Sicherheit der Bevölkerung (§ 1 Z 1 GTG) gefährdet sein könnte. In einem solchen Fall wäre die Bewilligung zu versagen. Für klinische Prüfungen zum Zwecke der somatischen Gentherapie gelten neben jenen des GTG zusätzlich auch die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes.277 Den für die Durchführung der Gentherapie verantwortlichen Arzt treffen eine Reihe von Sorgfalts- und Meldepflichten (§§ 77 und 78a GTG idF BGBl 2005 I/127). Er hat insbesondere den tatsächlichen Beginn, den Verlauf, die Anzahl der behandelten Personen sowie die Beendigung der somatischen Gentherapie der Behörde zu melden sowie ihr auch unverzüglich alle mit der Gentherapie zusammenhängenden Tatsachen und Umstände bekannt zu geben, die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik geeignet sind, die Gesundheit der mit der Therapie behandelten Menschen oder das an der Gentherapie beteiligte Personal oder die Umwelt zu gefährden. Erforderlichenfalls kann die Behörde (weitere) Auflagen erteilen oder die Weiterführung der Gentherapie gänzlich untersagen.
Bewilligte Gentherapien sind vom zuständigen Bundesminister in ein elektronisches Register aufzunehmen, das im Prinzip jedermann zugänglich ist; freilich dürfen keine identifizierbaren Angaben über behandelte Personen veröffentlicht werden, auch die Angaben über die verwendeten therapeutischen Gene und Gentransfers sowie der Bericht über den Verlauf der Gentherapie und der Abschlussbericht sind in einen nicht-öffentlichen Teil des Registers aufzunehmen.
VIII. Schlussbemerkung Wenn man die Entwicklung des Gentechnikrechts in den letzten 10 bis 15 Jahren auf österreichischer, aber auch auf europäischer Ebene verfolgt hat, so fällt auf, dass es in zunehmenden Ausmaß und vor allem im Bereich der so genannten „grünen Gentechnik“ de facto zum „Gentechnik-Verhinderungsrecht“ geworden ist; der Fördergedanke, der in § 1 Z 2 GTG formuliert wurde, ist damit weitgehend in den Hintergrund gedrängt worden. Diese Entwicklung wurde auch durch eine großteils negative Besetzung des Begriffs „Gen“ in der politischen und öffentlichen Debatte begünstigt. In diesem Sinne kann man heute Schlagzeilen in der politischen Berichterstattung lesen, die von „genfreien Zonen“ oder von „genfreier Babynahrung“ sprechen. Supermärkte verkaufen Produkte mit Aufklebern, die bei flüchtiger Lektüre ebenfalls den Eindruck 277
Vgl insbesondere den III. Abschnitt (§§ 28ff) des Arzneimittelgesetzes über klinische Prüfungen und den Beitrag von Kopetzki in diesem Band.
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vermitteln, als seien diese Nahrungsmittel „genfrei“. Auf der anderen Seite zeigt sich eine nahezu sorglose Akzeptanz der Gentechnik im Bereich der Medizin („rote Gentechnik“). Mit ihrer Entwicklung dort im Zusammenhang stehende Probleme des Datenschutzes und des Versicherungsrechts werden in der Öffentlichkeit kaum diskutiert. Grenzen in der öffentlichen Debatte werden lediglich dort gezogen, wo es um Fragen des Embryonenschutzes oder der Fortpflanzungsmedizin geht. Keiner öffentlichen Debatte unterliegen ferner mögliche Risiken von Arbeiten im geschlossenen System (Labor). Diese merkwürdig ambivalente Wahrnehmung der Gentechnik in der Öffentlichkeit führt in einem Fall dazu, dass mögliche Chancen, die in dieser Technologie liegen, so gut wie gar nicht wahrgenommen werden278 (mit all den ökonomischen Nachteilen, die sich daraus ergeben könnten), und im anderen Fall mögliche Risiken und Gefahren kaum mehr adäquat (öffentlich) diskutiert werden.
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Abzuwarten bleibt schließlich die Entwicklung vor dem Hintergrund des Ausganges des WTO-Verfahrens gegen die EU betreffend das EU-Zulassungsverfahren für GVO, das im Mai 2003 von den USA, unterstützt von Kanada und Argentinien, eingeleitet wurde und in dem im Februar 2006 ein Zwischenbericht zugunsten der Kläger ergangen ist.
Martin Attlmayr
Chemikalienrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................692 Grundlegende Literatur...................................................................................695 I. Grundlagen ................................................................................................695 A. Allgemeines............................................................................................695 1. Begriff des Chemikalienrechts ..........................................................695 2. Entwicklung ......................................................................................696 3. Regelungsanliegen des Chemikalienrechts .......................................699 4. Grundsätze des Chemikalienrechts....................................................700 6. Gefährliche Eigenschaften ................................................................704 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................705 1. Bundeszuständigkeit..........................................................................705 2. Landeszuständigkeit ..........................................................................709 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................711 1. Geltendes Gemeinschaftsrecht ..........................................................711 2. Reform des Chemikalienrechts der Gemeinschaft: REACH.............713 3. Ausblick ............................................................................................717 II. Das Chemikaliengesetz 1996 ...................................................................717 A. Allgemeines............................................................................................717 1. Begriffsbestimmungen ......................................................................717 2. Abgrenzungen ...................................................................................718 3. Geltungsbereich des ChemG 1996 ....................................................720 B. Ausnahmen vom ChemG 1996...............................................................720 C. Anmelderegeln.......................................................................................721 1. Anmeldesystem .................................................................................721 2. Anmeldepflichtige .............................................................................721 3. Anmeldeverfahren.............................................................................722 4. Anmeldepflicht für gemeldete und nachgemeldete Stoffe ................724 D. Einstufung von Chemikalien .................................................................724 1. Allgemeines.......................................................................................724 2. Chemikalienrechtlicher Verantwortlicher .........................................725 3. Nachforschungspflicht ......................................................................725 4. Einstufung .........................................................................................725 5. Bekanntgabe der Einstufungsdaten ...................................................726 E. Regulierung verbrauchsintensiver Produkte (Wasch- und Reinigungsmittel) ..................................................................................726 1. Bisherige Rechtslage .........................................................................726 2. Rechtslage nach Inkrafttreten der Detergenzien-V ...........................727 F. Kennzeichnungspflicht...........................................................................733 1. Allgemeines.......................................................................................733
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2. Kennzeichnungsvorschriften im Einzelnen ...................................... 734 3. Sicherheitsdatenblatt......................................................................... 736 G. Verpackungsvorschriften ...................................................................... 737 1. Allgemeines ...................................................................................... 737 2. Verpackungsvorschriften für gefährliche Chemikalien .................... 737 3. Spezifische Bestimmungen für den Einzelhandel............................. 738 4. Verpackungsvorschriften für Fertigwaren ........................................ 738 H. Verkehrsbeschränkungen...................................................................... 738 1. Inverkehrsetzen von Chemikalien..................................................... 738 2. Ein- und Ausfuhr von Chemikalien .................................................. 739 3. Verbote und Beschränkungen........................................................... 744 4. Werbebeschränkungen...................................................................... 745 5. Verkehrsbeschränkungen für Gifte................................................... 745 I. Das Aufsichtsrecht des Chemikaliengesetzes 1996 ................................ 749 1. Prüfstellen ......................................................................................... 749 2. Prüfnachweise................................................................................... 750 3. Überwachung.................................................................................... 750 III. Die Regulierung von Pestiziden ............................................................ 751 A. Allgemeines ........................................................................................... 751 B. Biozid-Produkte .................................................................................... 752 1. Grundlagen ....................................................................................... 752 2. Ziel der Regulierung von Biozid-Produkten..................................... 752 3. Begriffsbestimmungen...................................................................... 752 4. Geltungsbereich ................................................................................ 755 5. Zulassungs- und Registrierungsregelungen ...................................... 756 6. Kennzeichnungs- und Verpackungsvorschriften .............................. 761 7. Verkehrsbeschränkungen.................................................................. 763 8. Aufsichtsrecht ................................................................................... 764 C. Pflanzenschutzmittel ............................................................................. 766 1. Allgemeines ...................................................................................... 766 2. Begriff............................................................................................... 766 3. Zulassungsregelungen....................................................................... 766 4. Kennzeichnungs- und Verpackungsvorschriften .............................. 773 5. Werbebeschränkungen...................................................................... 775 6. Einfuhr von Pflanzenschutzmitteln................................................... 775 7. Anwendungsbezogene Regulierung von Pflanzenschutzmitteln ...... 776 8. Aufsichtsrecht ................................................................................... 780 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen VO: V (EWG) 793/93 zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe (Abl L 084/01); V (EG) 1488/94 zur Festlegung von Grundsätzen für die Bewertung der von Altstoffen ausgehenden Risiken für Mensch und Umwelt gemäß der Verordnung (EWG) 793/93 des Rates (Abl L 161/03); V (EG) 142/97 über die in der Verordnung (EWG) 793/93 vorgesehene Übermittlung von Informationen über be-
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stimmte chemische Altstoffe (Abl L 025/11); V (EG) 3093/94 über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen (Abl L 333/01) - Ozon-V; V (EG) 304/2003 über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien (Abl L 063/1) - Aus- und Einfuhr-V; V (EG) 648/2004 über Detergenzien (Abl L 104/1) - Detergenzien-V; V (EG) 850/2004 über persistente organische Schadstoffe (Abl L158/7) idF der Berichtigung der V (EG) 850/2004 (Abl L 229/5) - Schadstoff-V RL: RL 67/548/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe (Abl L 196/01) idF RL 2004/73/EG (Abl L 152/1) - Stoff-RL; RL 76/769/EWG zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen (Abl L 262/201) idF RL 2005/90/EG (Abl L 33/28) - Verbots-RL; RL 79/117/EWG über das Verbot des Inverkehrbringens von Pflanzenschutzmitteln, die bestimmte Wirkstoffe enthalten (Abl L 33/36) - Pflanzenschutzmittelverbot-RL; RL 91/155/EWG zur Festlegung der Einzelheiten gemäß Art 10 RL 88/378/EWG eines besonderen Informationssystems für gefährliche Zubereitungen (Abl L 076/35) idF RL 2001/58/EG (Abl L 212/24); RL 91/414/EWG über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (Abl L 230/1) idF RL 2006/39/EG Abl L 104/30 - Pflanzenschutzmittel-RL; RL 93/67/EWG zur Festlegung von Grundsätzen für die Bewertung der Risiken für Mensch und Umwelt von gemäß der Richtlinie 67/548/EWG des Rates notifizierten Stoffen (Abl L 227/09); RL 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten (Abl L 123/1) - BiozidProdukte-RL; RL 1999/45/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen (Abl L 200/1) idF RL 2006/8/EG (Abl L 19/12) - Zubereitungs-RL; RL 2000/21/EG über das Verzeichnis der gemeinschaftlichen Rechtsakte gemäß Art 13 Absatz 1 fünfter Gedankenstrich der RL 67/548/EWG (Abl L 103/70) Völkerrechtliche Grundlagen Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe, BGBl III 2004/158; Rotterdamer Übereinkommen über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pestizide im internationalen Handel, BGBl III 2005/67 Bundesrechtliche Grundlagen Gesetze: Bundesgesetz über den Schutz des Menschen und der Umwelt vor Chemikalien (Chemikaliengesetz 1996 - ChemG 1996), BGBl I 1997 /53 idF BGBl I 2004/151; Pflanzenschutzmittelgesetz 1997, BGBl I 1997/60, idF BGBl I 2004/83; Bundesgesetz, mit dem ein Biozid-Produkte-Gesetz erlassen wird sowie das Lebensmittelgesetz 1975 und das Chemikaliengesetz 1996 geändert werden, BGBl I 2000/105 idF BGBl I 2004/151 VO: Verordnung über die Abbaubarkeit bestimmter Waschmittelinhaltsstoffe und über die Bestimmung des Phosphatgehaltes, BGBl 1987/239 idF 1989/639; Verordnung über das Verbot von Fluorchlorkohlenwasserstoffe als Treibgas in Druckgaspackungen, BGBl 1989/55; Verordnung über die Meldung mindergiftiger Zubereitungen, BGBl 1989/211; Formaldehydverordnung, BGBl 1990/194; Verordnung über das Verbot vollhalogenierter Fluorkohlenwasserstoffe, BGBl 1990/310; Verordnung über das Verbot von Halonen, BGBl 1990/576; Verordnung über ein Verbot bestimmter gefährlicher Stoffe in Pflanzenschutzmitteln, BGBl 1992/97 idF BGBl 1994/903; Verordnung über das Erlöschen der Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln mit gleichem Wirkstoff (Pflanzenschutzmittel - Wirkstoffverordnung), BGBl 1992/626; Cadmiumverordnung,
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BGBl 1993/855; Verordnung über das Verbot von halogenierten Biphenylen, Terphenylen, Naphtalinen und Diphenylmethanen, BGBl 1993/210; Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Aerosolpackungen (Aerosolpackungsverordnung) BGBl 1994/560; Verordnung über Mitteilungen hinsichtlich der Ausfuhr von Stoffen oder Zubereitungen, die dem Prior Informed Consent unterliegen (PICVerordnung), BGBl 1994/683; Lösungsmittelverordnung 1995, BGBl 1995/872 idF BGBl II 2005/398; Verordnung über die Anwendung giftrechtlicher Bestimmungen auf bestimmte Stoffe und Zubereitungen (Selbstbedienungsverordnung), BGBl 1995/232; Verordnung über ein Verbot bestimmter teilhalogenierter Kohlenwasserstoffe (HFCKW-Verordnung), BGBl 1995/750; Chemikalienverordnung 1999 (ChemV 1999), BGBl II 2000/81 idF BGBl II 2005/103; Giftliste-Meldeverordnung, BGBl II 1999 /129; Giftinformations-Verordnung 1999, BGBl II 1999/137 idF BGBl II 2005/289; Halonbankverordnung (HalonbankV), BGBl II 2000/77; Chemikalien-GLP-Inspektionsverordnung - GLP-V, BGBl II 2000/211; Giftverordnung 2000, BGBl II 2001/24; Chemikalien-Anmeldeverordnung 2002 (Chem-AnmV 2002), BGBl II 2002/428; GiftlisteVerordnung 2002, BGBl II 2003/317; Chemikalien-Verbotsverordnung 2003, BGBl II 2003/477 idF BGBl II 2005/158; Kundmachungen: Bekanntmachung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Veröffentlichung der Richtlinie 2000/32/EG der Kommission im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft, mit der eine Änderung von Anhang I und Anhang V der Richtlinie 67/548/EWG des Rates über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe erfolgt ist, und über die Veröffentlichung der Richtlinie 2000/33/EG der Kommission im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft, mit der eine Änderung von Anhang V der Richtlinie 67/548/EWG des Rates über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe erfolgt ist, sowie gemeinschaftsrechtliches und innerstaatliches Inkrafttreten der Änderungen BGBl II 2000/326; Bekanntmachung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Veröffentlichung der Richtlinie 2004/73/EG der Kommission im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft, mit der eine Änderung von Anhang I und Anhang V der Richtlinie 67/548/EWG des Rates über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe erfolgt ist sowie dem gemeinschaftsrechtlichen und innerstaatlichen In-Kraft-Treten der Änderungen, BGBl II 2004/418 Landesrechtliche Grundlagen (Bgld) Gesetz vom 26. Jänner 1995 über die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft (Burgenländisches Pflanzenschutzmittelgesetz), LGBl 1995/32 idF LGBl 2001/32; (Ktn) Gesetz vom 20. November 1990 über den Schutz vor giftigen und sonstigen gefährlichen Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft (Kärntner Chemikaliengesetz - K-CG), LGBl 1991/31 idF LGBl 1993/78, LGBl 1998/12; (Nö) Gesetz über die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft, LGBl 6170-0 (1990), idF LGBl 6170-1 1 (2001); (Oö) Landesgesetz vom 3. Juli 1991 über die Erhaltung und den Schutz des Bodens vor schädlichen Einflüssen sowie über die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Oö Bodenschutzgesetz 1991), LGBl 1997/63, idF LGBl 1997/104, LGBl 1998/37, LGBl 1999/34, LGBl 2002/25, LGBl 2005/100; (Sbg) Gesetz vom 3. Juli 1991 über die Verwendung von gefährlichen Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft (Salzburger landwirtschaftliches Pflanzenschutzmittelgesetz), LGBl 1991/79 idF LGBl 2001/46; (Stmk) Gesetz vom 14. März 1989 über die Verwendung von Chemikalien in der Landwirtschaft (Steiermärkisches landwirtschaftliches Chemikaliengesetz), LGBl 1989/47, idF LGBl 2000/58; (Tir) Gesetz vom 15. Mai 1991 über die Verwendung von gefährlichen Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft
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(Tiroler Pflanzenschutzmittelgesetz), LGBl 1991/53, idF LGBl 2001/109, LGBl 2002/89; (Vlbg) Gesetz über die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, LGBl 1991/25, idF 1993/68, LGBl 1998/3, LGBl 2001/58; (Wr) Gesetz über den Schutz des Menschen und der Umwelt bei der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Wiener Pflanzenschutzmittelgesetz), LGBl 1990/18, idF LGBl 1990/23, LGBl 2001/11
Grundlegende Literatur: Vorbach, Chemikalienrecht in Österreich und in der EU, Wien 1995; Schmied, Die neue Lösungsmittelverordnung - ökologischer Rückschritt oder Umweltpolitik mit Augenmaß? RdU 1996, 17 ff; Feierl, Chemikaliengesetz 96, Wien 1997; Ulrich, Chemikaliengesetz 1996, Wien 1998; Kind, Das Europäische Umweltrecht 1996, RdU 1998, 15 ff; Benedikter, Das Inverkehrsetzen von Chemikalien in Österreich, Wien 2000; Ermacora/Krämer, Die Umsetzung des europäischen Umweltrechts in Österreich, Wien 2000; Köck, Zur Diskussion um die Reform des Chemikalienrechts in Europa - Das Weissbuch der EG-Kommission zur zukünftigen Chemikalienpolitik, ZUR 2001, 303 ff; Calliess, Die Reform des europäischen Chemikalienrechts im Lichte des Vorsorgeprinzips, in: Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen, Abteilung Europarecht - Göttinger online-Beiträge zum Europarecht, Nr 5, S 1-33 (2004); Rengeling, Europäisches Chemikalien- und Stoffrecht - Entwicklungen zur Umgestaltung des deutschen Rechts, DVBl 2005, 393 ff
I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Begriff des Chemikalienrechts Chemikalienrecht umfasst Rechtsvorschriften betreffend Stoffe, Zubereitungen und Fertigwaren, welche darauf abzielen, möglichst umfassend die menschliche Gesundheit und Umwelt vor negativen, durch Stoffe, Zubereitungen und Fertigwaren verursachten Auswirkungen zu schützen. Das Chemikalienrecht reguliert das Inverkehrsetzen von Chemikalien, verbietet gefährliche Chemikalien oder beschränkt deren Verwendung oder Inverkehrsetzen auf bestimmte Anwendungen, Personenkreise oder bestimmte Situationen. Das gemeinschaftsrechtliche Chemikalienrecht verfolgt darüber hinaus noch die Ziele, durch die Angleichung der entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, ein einheitliches Schutzniveau im Gebiet der Gemeinschaft zu schaffen und auf dem Gebiet des Chemikalienrechtes einen ausgewogenen Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft sicherzustellen. Das Chemikalienrecht ist im Wesentlichen Teil des stoff- und produktbezogenen Umweltrechts. Es enthält freilich auch Bezüge zum gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsrecht, da mit den entsprechenden Regelungen über Chemikalien auch verhindert werden soll, dass ein Mitgliedstaat durch entsprechende Rechtsvorschriften protektionistische Ziele verfolgt. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene stehen als Rechtsquellen die Verordnungen bezüglich Altstoffe,1 über das Verbot von bestimmten Chemikalien zum Schutz der Ozonschicht,2
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V (EWG) 793/93, V (EWG) 1488/94, V (EG) 142/97. V (EG) 3093/94.
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über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien3 sowie über Detergenzien4 als unmittelbar anzuwendendes Chemikalienrecht in Geltung. Daneben sind zahlreiche Richtlinien in Kraft, die in Österreich größtenteils auf Bundesebene, zum geringen Teil auf Landesebene umgesetzt wurden. Herzstück des Chemikalienrechts auf Bundesebene ist das mehrfach novellierte ChemG 1996 mit seinen zahllosen Verordnungen, die spezifische chemikalienrechtliche Vorschriften näher determinieren. Neben dem ChemG 1996 bestehen zahlreiche Sondervorschriften chemikalienrechtlichen Inhaltes. Hierzu zählen das BiozidG und das PMG 1997. Das DMG 1994, das FMG, aber auch das ArzneimittelG und das SMG enthalten stoffbezogene Regelungen chemikalienrechtlichen Inhaltes. Das Pestizidrecht, welches im PMG 1997 und im BiozidG geregelt ist, weist eine besondere Nähe zum ChemG 1996 auf, zumal sein Regelungsgegenstand - die Bewältigung und Minimierung der von Pestiziden (Pflanzenschutzmittel, Biozid-Produkte, Insektizide) ausgehenden Risken und Gefahren - große Übereinstimung mit dem allgemeiner formulierten Regelungsgegenstand des ChemG 1996 aufweist. Weshalb also regelt also das ChemG 1996 nicht abschließend alle Chemikalien, einschließlich der Gruppe der Pestizide? Die Materialien des BiozidG berufen sich auf die allgemeine Konzeption des ChemG 1996, welche den von den von Bioziden ausgehenden Gefahren nicht adäquat begegnen könne.5 ME ist dies nicht überzeugend. Die Arzneimittel- oder Suchtmittelregulierung verfolgt tatsächlich andere Regulierungsschwerpunkte als das ChemG 1996. Das FMG und das DMG 1994 gehen ebenfalls über den primären Fokus des ChemG 1996 hinaus. Für die Regulierung der Gruppe der Pestizide kann aber kein prinzipieller Unterschied festgestellt werden. Sie sind systematisch nichts anderes als eine große Untergruppe in der großen Familie der Chemikalien iSd Definition der Stoff-RL6 und könnten somit ohne Einbußen in einem „Chemikalien-“ bzw „Stoffgesetzbuch“ mit den Bestimmungen des ChemG 1996 zusammengefasst werden, was rechtspolitisch wünschenswert wäre.
Chemikalienrechtlichen Regelungen ist gemeinsam, dass sie stoff- und produktbezogenes Recht sind. Sie schaffen Regelungen für Stoffe, Polymere, Zubereitungen und Fertigwaren. Der Schwerpunkt der vorliegenden Darstellung liegt auf den Regelungen des ChemG 1996. Ein Überblick über die Regulierung der Biozide und Pflanzenschutzmittel findet sich am Ende dieses Beitrages (Kapitel III.).
2. Entwicklung Das Chemikalienrecht als eigenständige Materie ist eine Entwicklung der jüngeren Vergangenheit. Erst mit dem BG zum Schutz des Menschen und der Umwelt vor schädlichen Belastungen durch chemische Stoffe,7 wurde ein umfassendes und modernes Chemikalienrecht in Österreich geschaffen, dessen wesentliche Zielsetzung darin bestand, umfassenden Schutz vor gefährlichen Chemikalien zu gewährleisten. 3 4 5 6 7
V (EG) 304/2003. V (EG) 648/2004. 52 BlgNR 21. GP, Erl I.1. Dies kommt klar in der Begriffsbestimmung des Art 3 Z 4 V(EG) 304/2003 über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien zum Ausdruck. ChemG 1987, BGBl 326.
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Vor Erlassung des ChemG 1987 bestanden bloß punktuelle gesetzliche Regelungen, die unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes stoffbezogene Vorschriften enthielten. Sie bezogen sich vor allem auf bestimmte Gruppen von Chemikalien, wie Arzneimittel, Gifte und Suchtgifte.8 Als erste Vorläufer chemikalienrechtlicher Vorschriften kann man jene betreffend den Verkehr mit Giften, gifthältigen Drogen und gesundheitsgefährlichen chemischen Präparaten ansehen.9 Das aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen10 erlassene Giftgesetz, BGBl 1928/287, regelte erstmals den Verkehr und die Gebarung mit Giften und Rauschgiften. Diese Bestimmungen wurden durch die reichsdeutsche Betäubungsmittelgesetzgebung abgelöst11 und nach 1945 wieder in Kraft gesetzt. Während das GiftG 1928 Gifte und Suchtgifte regelte, wurden später die Suchtgifte von einer eigenen gesetzlichen Grundlage erfasst, dem SuchtgiftG.12 Das 1951 wiederverlautbarte GiftG (BGBl 297) regelte forthin nur mehr den Verkehr und die Gebarung mit Giften. Die Trennung in Suchtgifte und sonstige Chemikalien gilt seitdem und wurde auch durch das ChemG 1996 nicht überwunden. Ein kodifiziertes Chemikalienrecht fehlt sohin ebenso, wie eine systematische Behandlung der verstreut geregelten chemikalienrechtlichen Bestimmungen durch die Lehre. Dies zeigt sich auch sehr deutlich, wenn man einen Blick in die gängigen Lehrbücher jener Zeit vornimmt. Walter/Mayer behandeln etwa in ihrer zweiten Auflage des Besonderen Verwaltungsrechts lediglich die zum damaligen Zeitpunkt (1987) geltenden Regelungen für gewisse chemische Stoffe und Zubereitungen, insbesondere jene für Gifte und Medikamente.13 Raschauer14 erwähnt in seinem zur gleichen Zeit entstandenen Umweltschutzrecht Chemikalien überhaupt nicht. Somit blieb es dem ChemG 1987 vorbehalten, eine erste Kompilation chemikalienrechtlicher Vorschriften zu wagen. 1984 verabschiedete der Nationalrat programmatisch das BVG über den umfassenden Umweltschutz, BGBl 1984/491. Damit wurde die Konzeption des vorsorgenden Umweltschutzes, wie sie allen chemikalienrechtlichen Vorschriften zugrunde liegt, in die österreichische Rechtsordnung - zunächst als Staatszielbestimmung mit fraglicher normativer Wirkung15 - eingeführt. Bereits vor dem BVG über den umfassenden Umweltschutz führte der Bundesgesetzgeber 8 9 10
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Vgl zB SuchtgiftG; GiftG. Vgl die Verordnung vom 21.4.1876, RGBl 60. Haager Opiumkonvention, BGBl 1921/361; Genfer Opiumkonvention BGBl 1928/244; ferner die Genfer Konventionen vom 13.4.1931, BGBl 1934 II 198 und vom 26.6.1936, BGBl 1950/178. Verordnung vom 1.12.1938, dRGBl I S 1706, GBlÖ 1939/5. BGBl 1946/207. Walter/Mayer, Besonderes Verwaltungsrecht2, 1987, 556, 609 ff. Umweltschutzrecht2, 1988, 15; Raschauer kritisiert einleitend das Fehlen eines Produktsicherheitsrechts, welchem durch das in Aussicht gestellte Chemikaliengesetz abgeholfen werden sollte. Zur Diskussion des Inhalts des BVG über den umfassenden Umweltschutz vgl Kerschner (Hrsg), Staatsziel Umweltschutz. Der Einfluß des österreichischen BVG über den umfassenden Umweltschutz auf Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit, 1996; Öhlinger, Verfassungsrecht4, 1999, Rz 100 f.
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den Vorsorgegrundsatz mit dem Waschmittelgesetz, BGBl 1984/300, welches Wasch- und Reinigungsmittel betraf, in die österreichische Rechtsordnung ein. Das WaschmittelG regelte vor allem die Beschaffenheit von Waschmitteln in Hinblick auf ihre Abbaubarkeit der in ihnen enthaltenen Stoffe.16 Das ChemG 1987, BGBl 326, baute ebenfalls auf dem Vorsorgegrundsatz auf. Der Regelungsbereich des ChemG 1987 betraf die Herstellung und das Inverkehrbringen von Chemikalien (ausgenommen jener Chemikalien, die sondergesetzlich bereits geregelt waren) bis hin zu ihrer Entsorgung. Das ChemG 1987 hatte den Charakter eines Rahmengesetzes, welches für Chemikalien, die nicht sondergesetzlich geregelt wurden, galt.17 Sonderregelungen fanden sich zB für Waschund Reinigungsmittel im WaschmittelG, für Düngemittel im DMG (BGBl 1994/513), für Pflanzenschutzmittel im PMG (BGBl 1990/476) sowie für chemische Lebensmittelzusatzstoffe im LMG (BGBl 1975/86).18 Das Gemeinschaftsrecht lieferte entscheidende Impulse zur Weiterentwicklung des österreichischen Chemikalienrechts im ChemG 1996. Die ersten legislativen Schritte auf Gemeinschaftsebene wurden bereits im Jahr 1967 mit der Stoff-RL vorgenommen. Seit 1981 schreibt das Gemeinschaftsrecht die Prüfung und Zulassung neuer Stoffe und Zubereitungen vor deren Inverkehrsetzen in der Gemeinschaft vor. Bereits vor dem österreichischen Beitritt zur Gemeinschaft nahm der österreichische Gesetzgeber in den Jahren 1989, 1990 und 1992 einige Anpassungen des Rechtsbestandes im Hinblick auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften vor.19 Mit dem Beitritt Österreichs zur Gemeinschaft musste schließlich deren Rechtsbestand mit einigen zwischenzeitig obsoleten Ausnahmen zur Gänze übernommen werden. Dies geschah mit dem ChemG 1996, da sich im Stadium der Vorbereitung einer groß angelegten Novelle zum ChemG 1987 herausgestellt hatte, dass eine Totalrevision der österreichischen Chemikalienrechts notwendig sein würde.20 Gleichzeitig integrierte man das WaschmittelG in das ChemG 1996 da hierdurch eine aktuelle und detaillierte Information der Behörden effizienter gewährleistet werden sollte. Diese deregulatorische Maßnahme21 war insbesondere auch im Hinblick auf ein 1993 ergangenes Erk des VfGH22 sinnvoll, zumal der VfGH festgestellt hatte, dass das WaschmittelG und das ChemG 1987 weitgehende Überschneidungen in Bezug auf Ziele und den zum Einsatz kommenden Instrumenten aufwiesen. Im Sinne einer Vereinfachung der Rechtslage auf dem Gebiet des Umweltschutzes wurden daher die bislang auf zwei völlig verschiedenen Gesetzen aufgeteilten
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Walter/Mayer (FN 13) 558. Ulrich, Chemikaliengesetz 1996, 1998, 66. Ulrich (FN 17) 20. BGBl 1989/300 und 1990/325, 1992/759; dazu Ermacora/Krämer, Die Umsetzung des europäischen Umweltrechts in Österreich, 2000, 182. Ulrich (FN 17) 20. Diese Maßnahme kann als geglückte Deregulierung verstanden werden, da hiermit einerseits dem Konzept der quantitativen Deregulierung Rechnung getragen wurde, weil der Normenbestand reduziert wurde, andererseits aber auch jenem der quantitativen Deregulierung, da ein beide Regelungsanliegen umfassendes Gesetz anstelle von zwei sich weitgehend überschneidender Rechtsvorschriften trat. 10.12.1993, G 167/92.
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Umweltschutzvorschriften in einem Gesetzeswerk zusammengeführt.23 Neben diesem prinzipiellen legistischen Anliegen griff das ChemG 1996 auch in das bisherige System des Giftrechtes sowie in administrative Bestimmungen ein. Als grundlegende verwaltungsvereinfachende Maßnahme wurden zwei Gremien, die Chemikalienkommission und der Wissenschaftliche Ausschuss (§§ 44 f ChemG 1987), ersatzlos beseitigt. Mit dem BiozidG wurde das ChemG 1996 erstmals umfassend novelliert. Diese Novelle diente va infolge der Umsetzung der RL 98/8/EG erforderlich gewordenen Anpassungen des ChemG 1996 und änderte dieses Gesetz nur hinsichtlich der Abgrenzung zum BiozidG. Eine weitere wichtige Novellierung des ChemG 1996 wurde mit der Erlassung der Detergenzien-V (V [EG] 648/2004) erforderlich und erfolgte mit der Novelle BGBl I 2004/98. Mit dieser Novelle entfielen die materiellen Bestimmungen zur Regulierung von Waschmitteln (§§ 29-34 ChemG 1996) und wurden durch die für die zur Vollziehung der Detergenzien-V erforderlichen formellen Bestimmungen über Zuständigkeiten ersetzt. Das Waschmittelrecht ist somit nunmehr nahezu ausschließlich durch unmittelbar anzuwendendes Gemeinschaftsrecht reguliert. Lediglich die V über die Abbaubarkeit bestimmter Waschmittelinhaltsstoffe und über die Bestimmung des Phosphatgehalts aus dem Jahre 1987 erinnert noch an die Pionierleistung der österreichischen Waschmittelgesetzgebung.24 Mit der 2003 erlassenen und bereits 2005 novellierten Chem-VerbotsV 2003 vereinheitlichte der Verordnungsgeber zahlreiche Verbote bestimmter Chemikalien, wie zB Antifouling-Stoffe, Asbest, Trichlorethan ua) und hob die für jede dieser Chemikalien erlassenen Verordnungen auf. Eine einschneidende und wesentliche Änderung des Chemikalienrechts steht mit der Erlassung der geplanten REACH-V auf Gemeinschaftsebene bevor. Diese V (siehe dazu näher unten I.C.2.) wird die Rahmenbedingungen auf dem Gebiet des Chemikalienrechts neu definieren, indem die bisher nicht vom bestehenden Chemikalienrecht ausreichend erfassten „Altstoffe“, welche bereits vor Einführung des Chemikalienrechts in der Gemeinschaft existierten, einem Regelungswerk unterworfen werden. Es ist zu erwarten, dass diese geplante V auch zu Veränderungen des Rechtsbestandes auf nationaler Ebene führen wird.
3. Regelungsanliegen des Chemikalienrechts Grundsätzliches Anliegen des Chemikalienrechts ist der umfassende vorsorgliche Schutz des Lebens und der Gesundheit des Menschen sowie der Schutz der Umwelt vor schädigenden Einwirkungen, die durch das Herstellen und Inverkehrsetzen, den Erwerb, das Verwenden oder die Abfallbehandlung von Chemikalien entstehen können.25 23 24
25
Vgl 414 Blg NR 20. GP. Diese V wurde aufgrund des ChemG 1987 erlassen und galt, da sie nicht aufgehoben wurde offensichtlich weiter. Sie wird aktuell als geltendes Recht im RIS geführt. Freilich dürfte die Detergenzien-V dieser V materiell derogiert haben. Vgl dazu den Allgemeinen Teil der EB 414 BLG NR 20. GP, Erwägungen zur Stoff-RL; Feierl, Chemikaliengesetz 96, 1997; zum ChemG 1987 Vorbach, Chemikalienrecht in Österreich und in der EU, 1995, 3.
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Gleichzeitig sollen unter Beibehaltung eines hohen Schutzniveaus die Unterschiede der innerstaatlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten für Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Chemikalien beseitigt werden, um einen störungsfreien und funktionierenden Handel mit solchen Stoffen und Zubereitungen zu ermöglichen. Wesentliches Ziel der chemikalienrechtlichen Vorschriften der Gemeinschaft ist daher der Abbau von Handelshemmnissen durch Angleichung der einschlägigen Vorschriften für die Einstufung der Gefahr, Verpackung und Kennzeichnung von Chemikalien. Der Gedanke der Gefahrenabwehr und des Umweltschutzes steht aber auch in den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften als wesentliches Regelungsziel neben dem Ziel des Abbaues von Handelshemmnissen.26
4. Grundsätze des Chemikalienrechts Diese Zielsetzungen des Chemikalienrechts sind in § 1 ChemG 1996 programmatisch festgehalten und statuierten zur Durchsetzung des zentralen Gedankens der Gefahrenabwehr zwei leitende Prinzipien, das Versorgungsprinzip (§ 1 Abs 1) sowie den Grundsatz der Herstellerverantwortlichkeit. a) Vorsorgeprinzip Gemäß diesem Grundsatz sollen Leben und Gesundheit des Menschen sowie die Umwelt vor Gefahren, die von Chemikalien ausgehen, geschützt werden. Dieser Grundsatz entspricht dem das Verwaltungsrecht, soweit es die Gefahrenabwehr zum Inhalt hat, tragenden Grundsatz der Prävention. Dieser Gedanke kommt gemeinschaftsrechtlich sowohl im EGV als auch in der grundsätzlichen Zielrichtung der Stoff-RL, die Erreichung eines hohen Schutzniveaus bei Chemikalien anstrebt, zum Ausdruck.27 Innerstaatlich ergab sich dieser Grundsatz bisher weniger aus dem ChemG 1987, sondern vielmehr aus der Konzeption der BVG über den umfassenden Umweltschutz.28 Der VfGH strich in einem Erk29 den Versorgungsgrundsatz des ChemG 1987 hervor und stellte insbesondere klar, dass das ChemG 1987 sowohl den Schutz der Umwelt als auch den Schutz der Gesundheit des Menschen zum Inhalt hatte und daher auf sämtliche Gefahren, die von Chemikalien auszugehen drohen, anzuwenden sei. Durch die explizite Zielbestimmung des § 1 Abs 1 ChemG 1996 bestehen keine Zweifel am Vorsorgecharakter des ChemG 1996. b) Prinzip der Herstellerverantwortlichkeit Gemäß § 1 Abs 2 ChemG 1996 hat jeder Hersteller, Importeur, sonstiger Anmeldungspflichtiger sowie Vertreiber von Chemikalien („Inverkehrsetzer“) in Eigenverantwortung seine Produkte auf mögliche Gefahren hin zu untersuchen, sich über neue Erkenntnisse bisher unbekannter Gefahren zu informieren und
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28 29
Vgl zB die Erwägungen zur ZubereitungsRL und zur Verbots-RL. Vgl dazu die Erwägungsgründe zur Stoff-RL, wonach ein hohes Schutzniveau hinsichtlich der Gesundheit, Sicherheit und Schutz des Menschen und Umwelt gegen potentielle Gefahren infolge des Inverkehrbringens neuer Stoffe gefordert wird. Vgl 414 BlgNR 20. GP zu § 1 Abs 1. VfSlg 13635/1993.
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geeignete Maßnahmen zur Risikominimierung zu setzen.30 Dieses Prinzip, das bereits weitgehend im ChemG 1987 für Hersteller und Importeure, nicht jedoch für sonstige Inverkehrbringer galt, ist in Art 6 der Stoff-RL verankert. In Umsetzung dieser RL wurde die reine Herstellerverantwortlichkeit aufgegeben und das Prinzip der Herstellerverantwortlichkeit auf sämtliche Inverkehrsetzer, insbesondere auch Händler, ausgedehnt. Die Herstellerverantwortlichkeit umfasst die Einstufungs- und Kennzeichnungspflicht für bekannte Gefahren. Daneben ist der Inverkehrsetzer auch zum Hinweis auf allfällige Gefahren bei nicht ausreichend geprüften Chemikalien verpflichtet. Diese Verpflichtung wird letztlich aus den allgemeinen Sorgfaltspflichten im Umgang mit Chemikalien begründet. Der Hersteller solcher Chemikalien könne am ehesten das Gefahrenpotential erkennen und somit geeignete Sicherheitsvorkehrungen für den Umgang mit solchen Chemikalien einleiten.31 Das ChemG 1996 ist diesbezüglich jedoch äußerst offen und spricht seinem Wortlaut in § 1 Abs 2 nach von einer Prüfung, ob die von den Inverkehrsetzern hergestellten oder in Verkehr gesetzten Chemikalien zu schädlichen Einwirkungen auf das Leben oder die menschliche Gesundheit bzw die Umwelt führen können sowie durch welche Maßnahmen diesen Einwirkungen begegnet werden könne. Vom telos des Gesetzes erscheint die Ausdehnung der Herstellungsverantwortlichkeit auch auf potentielle unbekannte Gefahren als gerechtfertigt. Eine Klarstellung dieser Frage wäre dennoch wünschenswert. Vom Umfang her umfasst die Herstellerverantwortlichkeit die Prüfpflicht aller Chemikalien eines Herstellers auf mögliche schädliche Einwirkungen im Rahmen der Selbstkontrolle durch den Hersteller und Maßnahmen zur Behebung der Gefahr. Selbstkontrolle: Der Hersteller hat von ihm hergestellte oder vertriebene Chemikalien auf schädliche Auswirkungen, die durch diese Chemikalien verursacht werden können, zu prüfen. Diese Prüfung kann vom Herstellungsverantwortlichen selbst, aber auch von Dritten in dessen Auftrag vorgenommen werden.32 Nähere Bestimmungen werden vom ChemG 1996 nicht getroffen. Dagegen sehen die Stoff-RL in Art 3 Abs 1 iVm Anhang V und VI Stoff-RL, wie auch die ZubereitungsRL in Art 3 Abs 3 ZubereitungsRL33 geben dagegen die Methoden und Kriterien zur Einstufung und Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen oder Zubereitungen detailliert vor. Insofern ist zu fragen, ob diesbezüglich die gemeinschaftsrechtliche Umsetzung im ChemG 1996 mangelhaft geblieben ist. Ulrich34 geht ohne nähere Begründung davon aus, dass die Prüfungen „jedenfalls“ im Umfang der Methoden zur Einstufung und Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen oder Zubereitungen iSd Stoff- und der ZubereitungsRL anzustellen seien, wenn der Stoff oder die Zubereitung noch nicht eingestuft wurde. Diese Ansicht geht jedoch am grundlegenden Problem vor-
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Ulrich (FN 17) 26. Ulrich (FN 17) 32. Ulrich (FN 17) 33. Die ZubereitungsRL verweist in Art 3 (3) lit b) auf Anh V und VI Stoff-RL Kommentar 33.
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bei, dass RL vollständig umzusetzen sind.35 Eine solche Umsetzung ist nach der Judikatur des EuGH36 auch durch eine Verweisung auf die entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen in der Regel nicht vollständig erbracht worden, so dass bloße Verwaltungspraxis jedenfalls nicht den Umsetzungskriterien des Gemeinschaftsrechts entspricht.37 Andererseits bleibt die Stoff-RL insofern hinter den Anforderungen des ChemG 1996 zurück, als nach Art 6 Stoff-RL keine Prüfungspflicht in Form der Selbstkontrolle besteht, sondern lediglich eine Informationspflicht über die einschlägigen und zugänglichen Angaben zu Eigenschaften der von der Herstellerverantwortlichkeit umfassten gefährlichen Stoffe. Der Wissensstand ist nach der RL der Stand der Wissenschaft. Die in § 1 Abs 2 ChemG 1996 vorgesehene Neuschaffung von Erkenntnissen wird von Art 6 Stoff-RL nicht verlangt. Schutzmaßnahmen zur Risikominimierung: Das Prinzip der Herstellerverantwortlichkeit zwingt den Inverkehrbringer, geeignete Schutzmaßnahmen zur Risikominimierung zu treffen, wenn von einer Chemikalie schädliche Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt ausgehen können. Ergeben die Prüfungen iRd Selbstkontrolle keine gefährlichen Eigenschaften nach § 3 Abs 1 ChemG 1996 und ist eine Anmeldung nicht erforderlich, so ist der Stoff oder die Zubereitung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 ChemG 1996 entsprechend zu kennzeichnen. c) Grundsätze des besonderen Chemikalienrechts Für besonders „risikoreiche” Bereiche sehen chemikalienrelevante Vorschriften die Regelungstechnik der vorsorglichen und umfassenden Prüfung von Stoffen oder Produkten durch die Behörde vor, von deren Ergebnis die Zulassung oder Registrierung zum Inverkehrsetzen des betreffenden Stoffes oder Produktes abhängt. Dieses Regulierungskonzept eines Zulassungs- und Registrierungssystems ist stärker auf die Gefahren- bzw Risikovorsorge hin ausgerichtet, als das im ChemG 1996 verwirklichte Anmeldesystem, das im Verein mit Einstufungsund Kennzeichnungsvorschriften von gefährlichen Produkten ausgehende Gefahren aufzeigen, aber nicht gänzlich verhindern können. Daher bedienen sich die Regulierungen der Biozid-Produkte, Pflanzen- und Düngemittel, aber auch der Arzneimittel des Konzeptes der Zulassung und Registrierung. Diese verwaltungstechnisch aufwändigen Zulassungs- und Registrierungssysteme rechtfertigen sich vor allem in Bereichen, die dafür bekannt sind, dass die Verwendung der entsprechenden Stoffe oder Produkte Gefahren bzw Risiken mit sich bringen kann, jedoch die Verwendung dieser Stoffe oder Produkte oft notwendig oder sogar von besonderem Nutzen ist. Das österreichische BiozidProdukte-, Pflanzenschutzmittel- oder Arzneimittelrecht sehen solche Zulassungssysteme vor, da - wegen der Gefährlichkeit bzw der möglichen Neben35
36 37
Dazu Dossi, Zur Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in Österreich, in Österreichische Juristenkommission (Hrsg), Österreich als Mitglied der Europäischen Union, 1999, 32. EuGH Rs C-96/95, Kommission v Deutschland, Slg 1997, I-1653, Rz 36; vgl auch Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und innerstaatliches Recht, 1998, 109 f. Öhlinger/Potacs (FN 36) 104.
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wirkungen der betreffenden Stoffe oder Produkte - ein angemessenes Schutzniveau erforderlich, gleichzeitig aber ein Verzicht auf diese Mittel aus verschiedenen Gründen (Pflanzenschutz, Volksgesundheit usw) nicht immer oder grundsätzlich nicht möglich ist. BiozidG: Das BiozidG folgt - wie das ChemG 1996 - der Konzeption eines vorsorglichen Umweltschutzes, wie sie im BVG Umfassender Umweltschutz zum Ausdruck kommt, bezweckt den vorbeugenden Schutz der Gesundheit von Menschen und Tieren sowie der Umwelt vor den von Biozid-Produkten ausgehenden Gefahren. PMG 1997: Dieses G bezweckt die risikominimierte Anwendung von Pflanzenschutzmitteln unter Zugrundelegung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Menschen und Tieren und für die Umwelt zu schaffen und gleichzeitig die ausreichende Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln sicherzustellen (vgl § 1 PMG 1997). Als Instrumente für die Erreichung dieses Zieles dienen Zulassungsregelungen, Kennzeichnungs- und Verpackungsvorschriften, Informationspflichten, Verbote und Beschränkungen sowie Einfuhrregelungen, sowie Maßnahmen behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Kontroll- und Beschlagnahmerechte). Damit ist das Regelungsanliegen des PMG 1997 hinsichtlich des Einsatzes von chemischen Stoffen, Zubereitungen und Organismen - den Pflanzenschutzmitteln - zur Bekämpfung von Schadorganismen in der Landwirtschaft mit jenem des ChemG 1996 hinsichtlich chemischer Stoffe, Zubereitungen und Fertigwaren allgemein weitgehend deckungsgleich. Dies trifft auch auf die im Zusammenhang mit der Pflanzenschutzmittelregulierung relevanten Landeschemikaliengesetze zu. Zweifellos bezwecken auch diese den Schutz vor der Anwendung gefährlicher Pflanzenschutzmittel.38 Es dürfen nur zugelassene Pflanzenschutzmittel verwendet werden, sie müssen sachgerecht und nur so verwendet werden, dass Gefahr für das Leben und die Gesundheit des Menschen oder für die Umwelt ausgeschlossen ist. Zudem werden noch Vorschriften über die Aufbewahrung, Lagerung, deren Aufbringung und Zubereitung erlassen.39 Ferner enthalten die Landeschemikaliengesetze Verwendungsbeschränkungen für Pflanzenschutzmittel. Sie können zur Gänze, auf bestimmte Zeit oder für bestimmte Gebiete verboten werden.40 Diese Vorschriften sind Ausdruck des Vorsorgeprinzips. Vergleichbar mit dem Prinzip der Herstellerverantwortlichkeit im ChemG 1996 normiert das PMG 1997 Meldepflichten für Antragsteller und Zulassungsinhaber über neue Erkenntnisse zu potentiell gefährlichen Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die Umwelt (vgl § 25 leg cit) sowie Pflichten für Geschäfts- und Betriebsinhaber zur Angabe aller Orte und Beförderungsmittel, 38
39 40
Vgl § 1 S 1 K-CG: „Diese Gesetz dient zum Schutz des Menschen und dem Schutz der Umwelt […]“; ähnlich § 1 Abs 1 S 1 NÖ PMG; § 16 OÖ BodenschutzG; § 1 Abs 1 Sbg PMG; § 1 Abs 2 Stmk ChemG; § 1 Abs 1 Wr PMG; vgl auch § 2 Abs 2 Vlbg PMG: „Pflanzenschutzmittel sind so zu verwenden, dass das Leben und die Gesundheit von Menschen und die Umwelt nicht beeinträchtigt werden.“ § 4 Bgld PMG; § 4 NÖ PMG; § 18 Abs 1-7 OÖ BodenschutzG; § 4 Sbg PMG; § 4 Stmk ChemG; § 5 Tir PMG; § 3 Abs 2 Vlbg PMG; §§ 3 iVm 5 Wr PMG. § 9 Bgld PMG; § 4 (Verwendungsverbot) iVm § 5 (Verwendung); § 11 (Verwendungsbeschränkungen) K-CG; § 7 NÖ PMG; § 4 Abs 3 Sbg PMG; § 7 Stmk ChemG; § 7 Tir PMG; § 3 Abs 1 Vlbg PMG; § 8 Wr PMG.
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der Mitwirkung bzw Duldung des Ziehens von Proben der Pflanzenschutzmittel, der Kontrolle der einschlägigen Unterlagen usw (vgl § 30 leg cit). Zudem normieren die Landeschemikaliengesetze das Prinzip der „sachkundigen Verwendung“; Pflanzenschutzmittel dürfen nur von einem sachkundigen Landwirt oder sonstigen sachkundigen Personen oder verlässlichen Arbeitskräften unter Verantwortung solcher sachkundigen Personen, verwendet werden.41 Ein weiteres, dem PMG 1997 und den Landeschemikaliengesetzen zugrunde liegendes Prinzip ist das der Informationspflicht. Wer Pflanzen oder Pflanzenbestandteile, die mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurden und wegen dieser Behandlung nicht zum Verzehr durch Menschen oder Tiere bestimmt sind, veräußert oder jemanden überlässt, hat den Empfänger solcher Pflanzen oder Pflanzenbestandteile entsprechend zu informieren, etwa, indem entsprechende Hinweise auf Handelspackungen aufgedruckt werden.42
6. Gefährliche Eigenschaften Das Chemikalienrecht setzt hinsichtlich seiner Regelungsintensität an den Eigenschaften der Chemikalien an. Dabei verfolgt das ChemG 1996 eine dem Gemeinschaftsrecht weitgehend idente Systematik der gefährlichen Eigenschaften.43 § 3 Abs 1 Z 1 bis 15 ChemG 1996 listet die gefährlichen Eigenschaften von Stoffen und Zubereitungen auf und definiert diese, wie zB explosionsgefährlich, brandfördernd, hochentzündlich, leicht entzündlich, giftig usw. Sofern ein gefährlicher Stoff oder eine gefährliche Zubereitung in Fertigwaren enthalten sind, gelten auch diese als gefährlich (§ 3 Abs 2 ChemG 1996). Sofern Verpackungen von gefährlichen Stoffen oder gefährlichen Zubereitungen nach Verwendung noch Restmengen derselben enthalten, gelten auch diese Verpackungen als gefährliche Fertigware (§ 3 Abs 3 ChemG 1996). Das Pestizidrecht setzt ebenfalls an der Einstufung von Stoffen (Wirkstoffen und Grundstoffen) des ChemG 1996 an. Dies gilt auch für die Landeschemikaliengesetze, wobei zu beachten ist, dass diese LG mehrheitlich auf das ChemG 1987 in unterschiedlichen Fassungen Bezug nehmen und somit häufig nicht der Gefahrenbegriff des ChemG 1996 anzuwenden ist, sondern jener des ChemG 1987 relevant ist.44 Nur das K-CG und das OÖ Bodenschutzgesetz nehmen ausdrücklich auf den Gefahrenbegriff des ChemG 1996 in seinen vielfältigen Ausprägungen Bezug.45
41
42 43 44
45
§ 3 Abs 1 Bgld PMG; § 6 (persönliche Voraussetzungen) iVm § 5 Abs 1 K-CG; § 3 NÖ PMG; § 17 (Sachkundigkeitsnachweis) iVm § 18 (Verwendung) OÖ BodenschutzG; § 3 Sbg PMG; § 3 Stmk ChemG; §§ 3 (persönliche Voraussetzungen [umfassen auch die Handlungsfähigkeit des Verwenders]), 4 (Heranziehung von Hilfskräften) Tir PMG; § 4 Vlbg PMG; § 4 Wr PMG. § 6 Bgld PMG; § 10 K-CG; § 6 NÖ PMG; § 20 OÖ BodenschutzG; § 5 Sbg PMG; § 6 Stmk ChemG; § 8 Tir PMG; § 5 (Hinweispflicht) Vlbg PMG; § 9 Wr PMG. Zu den Abweichungen vom Gemeinschaftsrecht siehe Ermacora/Krämer (FN 19) 185. Dies betrifft das Blg PMG; NÖ PMG; Stmk ChemG; Tir PMG; Wr PMG (jeweils § 2 Abs 1: „gefährliche Stoffe“ und „gefährliche Zubereitungen“); Sbg PMG (§ 2 Abs 3 Z 1 bis 15). § 3 Abs 1, 4 und 5 K-CG; § 2 Z14 bis 16 OÖ BodenschutzG.
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B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Bundeszuständigkeit Nach dem Bundesstaaten eigenen System der Zuweisung von Zuständigkeiten zur Besorgung von Staatsaufgaben in Gesetzgebung und Vollziehung enthält auch die österreichische Bundesverfassung entsprechende Bestimmungen. Die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern auf dem Gebiet der Umweltschutzregelungen ist nicht durch eine klare Zuweisung solcher Materien an eine Gebietskörperschaft gekennzeichnet. Vielmehr ist der Bund nicht abschließend46 sondern nur soweit zur Regelung der einzelnen Sachgebiete im Bereich des Umweltschutzes berufen, als an eine ihm zugewiesene Materie angeknüpft werden kann. Entsprechend dem dem B-VG zugrundeliegenden System von Enumeration der Bundeskompetenzen und Generalklausel zugunsten der Länder verbleiben alle nicht ausdrücklich dem Bund zugewiesenen Angelegenheiten gemäß Art 15 Abs 1 B-VG den Ländern. Der Begriff des Chemikalienrechts ist dem B-VG fremd. Es handelt sich hierbei um eine Querschnittsmaterie, welche ihre verfassungsrechtliche in verschiedenen Kompetenzbestimmungen hat. Im Einzelnen stützt sich die Zuständigkeit des Bundes zur Erlassung des Chemikalienrechts auf Art 10 Abs 1 Z 2 (Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland, Zollwesen), Z 6 (Strafrechtswesen), Z 8 (Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie), Z 10 (Bergwesen) und Z 12 (Gesundheitswesen, Ernährungswesen einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle, Regelung des geschäftlichen Verkehrs mit Pflanzenschutzmitteln einschließlich der Zulassung) B-VG.47 a) Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland Gemäß Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG fällt „Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland“ in Gesetzgebung und Vollziehung in die Kompetenz des Bundes. Dieser Kompetenztatbestand normiert keine umfassende Zuständigkeit des Bundes für das Inverkehrsetzen von Produkten, sondern umfasst er lediglich die Zuständigkeit zur Erlassung von Regelungen über die Ein- und Ausfuhr von bereits in Verkehr gebrachten Produkten aus dem bzw in das Ausland, wie zB das Verbot der Einfuhr oder Ausfuhr, Bewilligungspflichten, Meldepflichten, Mengenbeschränkungen usw.48 Durch den EU-Beitritt und die Teilnahme Österreichs am Binnenmarkt sind aber gerade solche Regelungen im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten unzulässig geworden, da sie den innergemeinschaftlichen Warenverkehr (Art 28, exArt 30 EGV) behindern.49 Dies würde den europarechtlichen Grundlagen des Chemikalienrechts (des ChemG 1996, des BiozidG, des DMG 1994 und des PMG 1997), deren Ziel es ist, den 46 47 48
49
Dazu Raschauer in Raschauer (Hrsg), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, 1998, Rz 105; Pernthaler, Kompetenzverteilung in der Krise, 1989 ua. 414 BlgNR 20. GP. Vgl die diesbezügliche Judikatur VfSlg 8203/1977 betreffend die Regelung der Einfuhr von Gas auf festen Leitungen; VfSlg 3153/1957 über die Ein- und Ausfuhr von Nachrichtentauben; VfSlg 2756/1954 betreffend die Einhebung von Ausgleichsbeträgen und Gewährung von Ausgleichszuschüssen durch den Getreidewirtschaftsfonds, Mayer, B-VG Kurzkommentar3, 200, 20 f. Waldhäusl, Das österreichische Außenhandelsrecht in der EU, ecolex 1995, 306 (306 ff); Puck, Wirtschaftslenkungsrecht, in: Raschauer (FN 46) Rz 688 ff; Wimmer/Arnold, Wirtschaftsrecht in Österreich, 1998, 64 ff.
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freien, diskriminierungsfreien Warenverkehr für Chemikalien herbeizuführen, zuwiderlaufen. Regelungen betreffend den Außenhandel auf der Grundlage des Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG wären nur mehr gegenüber Drittländern möglich und dies ebenfalls nur im Rahmen der in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fallenden gemeinsamen Handelspolitik gemäß Art 133, exArt 113 EGV.50
b) Strafrechtswesen „Strafrechtswesen“ iSd Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG umfasst das von den gerichtlichen Organen wie auch das von Verwaltungsorganen zu vollziehende materielle Strafrecht einschließlich des Strafverfahrens.51 Nach der Judikatur des VfGH ist dem B-VG nicht abzuleiten, dass der Kompetenztatbestand bezüglich der Normierung von Straftatbeständen und der an ein tatbestandsmäßiges Verhalten geknüpften Strafen auf die im Zeitpunkt des Wirksamkeitsbeginnes der Kompetenzartikel am 1. Oktober 1925 bestehende Straftatbestände beschränkt wäre und keine weiteren Straftatbestände, die nicht schon zu diesem Zeitpunkt existent waren, neu normiert werden dürften.52 Die Kompetenz nach Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG bezieht sich nicht bloß auf die Erlassung von Normen des gerichtlichen Strafrechts, sondern erfasst auch die Erlassung verwaltungsstrafrechtlicher Regelungen, mit der Besonderheit, dass die Kompetenz zur Erlassung verwaltungsrechtlicher Regelungen akzessorischer Natur iSd Adhäsionsprinzips ist.53 Von Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG ausgenommen ist daher das Verwaltungsstrafrecht der Länder.54 Auf diesen Kompetenztatbestand gründen die Strafbestimmungen des § 71 ChemG 1996, der §§ 42 ff BiozidG, des § 19 DMG 1994 sowie der §§ 34 f PMG 1997.
c) Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie Der Inhalt des Kompetenztatbestandes des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG wird im Wesentlichen durch die Versteinerung der GewO 1859, RGBl 227, gewonnen.55 Demnach fallen nach ständiger Rechtsprechung des VfGH alle Vorschriften, die nach dem Stand und der Systematik der einfachen Gesetze am 1. Oktober 1925, dem Versteinerungszeitpunkt, als gewerbliche Vorschriften anzusehen waren, unter diesen Kompetenztatbestand.56 In Anwendung der Versteinerungstheorie legt der VfGH somit dem Begriff „Gewerbe“ im wesentlichen den in der österreichischen Rechtsordnung zum Versteinerungszeitpunkt 50
51 52 53 54 55
56
Vgl dazu § 1 BauPG des Bundes, der ausdrücklich auch den Import von Bauprodukten aus Drittländern dem Geltungsbereich des Gesetzes unterwirft. Die EB (148 Blg NR 20. GP 17) führen aus, daß Bauprodukte aus Drittländern in Österreich inverkehrgebracht werden dürfen, wenn sie den Anforderungen des BauPG entsprechen. Es handelt sich dabei aber nicht um Regelungen betreffend das Inverkehrbringen, sondern um eine Warenverkehrsregelung, die den Import regelt. VfSlg 5649/1967, 6153/1970. VfSlg 5649/1967; Mayer (FN 48) 26. VfSlg 8155/1977, 10.678/1985, 12.187/1989 ua. VfSlg 5748/1968; 5951/1969; 6153/1970. Vgl 1477/1932 sowie ausführlich Morscher, Die Gewerbekompetenz des Bundes, 1987, 21 ff und 37 ff; Grabenwarter, Ladenschlussrecht, 1992, 153 ff; Mayer (FN 48) 33; Rill, Das Gewerberecht: Grundfragen, Grundsätze und Standort im Rechtssystem, in: Korinek (Hrsg), Gewerberecht, 1995, 7; Pernthaler/Lukasser, Abgrenzung des Kompetenztatbestandes „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ von der Landeskompetenz „Veranstaltungswesen“ und einige damit zusammenhängende Rechtsprobleme, in: Pernthaler/Rath-Kathrein/Lukasser, Gewerbe - Landwirtschaft - Veranstaltungswesen, 1996, 57 mwN. Vgl VfSlg 1477/1932; 2500/1953; 3640/1959; 4227/1962; 5024/1962; 5024/1965; 10.050/1984; 27. 2. 1992, B 1062/92 ua.
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ausgebildeten Gewerbebegriff zugrunde,57 wobei das Kundmachungspatent zur GewO 1859,58 das zum 1. Oktober 1925 noch in Geltung stand, wegen der in dessen Art V enthaltenen Ausnahmen vom Geltungsbereich der GewO 1859 für die Auslegung des Begriffes der „Angelegenheiten des Gewerbes“ von besonderer Bedeutung ist.59 Das Gewerberecht zum 1. Oktober 1925 enthielt ua produktbezogene Regelungen. So regelte zB die V, mit welcher das Gewerbe der Sodawassererzeugung an eine Konzession gebunden wird, RGBl 1910/212, produktspezifische Vorschriften, wie insbesondere die Begrenzung des Bleigehalts der Flaschenverschlüsse (§ 16). Ferner schloss sie Flaschen, an deren Boden oder Wandungen sich Niederschläge angesetzt hatten, vom Verschleiß aus (§ 17). Aus solchen vereinzelten produktspezifischen Regelungen kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass beliebige produktbezogene Regelungen zur Verfolgung öffentlicher Interessen auf Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG gestützt werden könnten. Vielmehr können gesetzliche Maßnahmen auf den Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ nur soweit gestützt werden, als es sich um „Maßnahmen typisch gewerberechtlicher Art“ handelt.60 Zu Maßnahmen „typisch gewerberechtlicher Art“ werden nach Rsp des VfGH solche gezählt, die dem Schutz des Gewerbes,61 der Abwehr von Gefahren für Gewerbetreibende und ihre Arbeitnehmer, die Kunden, andere Gewerbetreibende oder als Nachbarn sonst von der Gewerbetätigkeit unmittelbar betroffene Personen und dem Konsumentenschutz dienen, die unmittelbar vom Gewerbebetrieb ausgehen.62 Maßgebend für Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG ist somit der allgemeine Grundgedanke der Abwehr von gewerbespezifischen Gefahren.63 Der Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG kommt folglich nur zur Anwendung, wenn es sich um die Abwehr solcher Gefahren handelt, wie sie typischerweise mit gewerbepolizeilichen Mitteln verhindert werden.64 Hierbei ist nach Rsp des VfGH65 der Regelungszweck sowohl dann relevant, wenn Wortsinninterpretation und systematische Auslegung den Regelungszweck für die Abgrenzung einer Regelungsmaterie als bestimmend erscheinen lassen, als auch dann, wenn im Lichte der Versteinerungstheorie der Regelungszweck für die Abgrenzung einer Materie kennzeichnend ist. Im Lichte dieser Judikatur des VfGH und der oben angeführten hL fallen das ChemG 1996, das BiozidG sowie das PMG 1997 somit unter den Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“, da deren Regelungen ihrem Inhalt und ihrer Wirkung nach auf die Funktion gewerbespezifischer Gefahrenabwehr gerichtet ist.66 Regelungszweck der vorgenannten Gesetze ist ua die gewerbespezifische Gefahrenabwehr sowie die Schaffung von Verfahren, aufgrund derer die jeweiligen Pro57 58
59 60 61 62 63 64 65 66
VfSlg 1477/1932; 7074/1973. Kaiserliches Patent vom 20. Dezember 1859, womit eine Gewerbeordnung erlassen wird, RGBl 227; vgl die Ausführungen dazu bei Mayrhofer/Pace, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst5 VI, 1900, 803 ff. Vgl dazu VfSlg 1477/1932; 1642/1948; 2670/1954; 7074/1973; 8539/1979 ua; Rill (FN 55) 7; Pernthaler/Lukasser (FN 55) 57. VfSlg 4117/1961; 10.831/1986. VfSlg. 2977/1956; 64117/1961; 10.831/1986. VfSlg 9543/1982; 10.831/1986; vgl Pernthaler/Lukasser (FN 55) 57; Morscher (FN 55) 62 ff; Mayer (FN 48) 33. Azizi, Wirtschaftssicherung durch Gewerberecht? Kompetenzrechtliche Erwägungen am Beispiel der Energiepolitik, ÖZW 1984, 6 f. VfSlg 10.831/1986. VfSlg 10.831/1986. Vgl dazu Morscher (FN 55) 118, der grundsätzlich eine Zuständigkeit des Bundes auf der Grundlage des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG insofern anerkennt, als es sich um Regelungen bezüglich des (sicherheits)technischen Schutzes von Kunden handelt.
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dukte in Verkehr gebracht werden können, ohne dabei den freien Warenverkehr zu behindern.
d) Bergwesen; Wasserrecht Der Kompetenztatbestand „Bergwesen“ iSd Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG erschließt sich aus der Versteinerung des Allgemeinen Berggesetzes 1854 (RGBl 146).67 Hiervon werden Regelungen, die das bergmässige Nutzen der Erdkruste zum Gegenstand haben, erfasst. Der Kompetenztatbestand erfasst insbesondere den Begriff des Bergbaus, das Gewinnen von mineralischen Rohstoffen auf eine hierfür typische Weise. Primär stellt der Tatbestand auf die angewendeten Mittel und Methoden68 ab, sekundär auf die zu gewinnenden Produkte.69 Unter „Bergwesen“ fallen somit alle Regelungen der Gefahrenabwehr im Zusammenhang mit dem Bergbau.70 Auch wenn iSd Adhäsionsprinzips mit der Gefahrenabwehr untrennbar verbundenen Regelungen auf den Kompetenztatbestand gestützt werden können, erscheint ein Zusammenhang zwischen den Vorschriften des ChemG 1996 und dem „Bergwesen“ zweifelhaft. Zwar ist nicht zu verkennen, dass zahlreiche Produkte, die unter den Regelungsbereich des ChemG 1996 fallen, im Bergbau gewonnen werden. Dennoch regelt das ChemG 1996 das Inverkehrbringen von Chemikalien. Ihre Gewinnung bleibt bergrechtlichen Vorschriften vorbehalten. Dementsprechend schließt auch § 4 Abs 2 Z 3 ChemG 1996 das Aufsuchen und Gewinnen mineralischer Stoffe sowie das Aufbereiten mineralischer Stoffe ohne chemische Verfahren vom Anwendungsbereich des ChemG 1996 aus. Insofern erscheint daher die Berufung auf den Kompetenztatbestand des „Bergwesens“ in den EB zweifelhaft.
Unter den Kompetenztatbestand Wasserrecht fallen Regelungen betreffend die Nutzung des Wassers, worunter insbesondere solche hinsichtlich der Abwasserbeseitigung, soweit sie die Einwirkung der Abwässerbeseitigung auf fremde Rechte oder öffentliche Gewässer betrifft, zu subsumieren sind.71 e) Gesundheitswesen; Regelung des geschäftlichen Verkehrs mit Pflanzenschutzmitteln sowie mit Pflanzenschutzgeräten, einschließlich der Zulassung „Gesundheitswesen“ iSd Art 10 Abs 1 Z 12 1. HS B-VG betrifft Maßnahmen der Sanitätspolizei. Hierunter fällt die Abwehr von Gefahren für die Volksgesundheit, soweit nicht eine für eine bestimmte Kompetenzmaterie typische Abart dieser Gefahr bekämpft wird.72 Hierunter fällt beispielsweise der allgemeine Schutz der Gesundheit und des Lebens vor ionisierender Strahlen,73 aber auch Regelungen zum Schutz davor, dass Lebensmittel durch Transporte verderben.74 Hierunter fallen wohl auch die meisten Bestimmungen des ChemG 1996, des BiozidG, des DMG 1994 sowie des PMG 1997, sofern sie nicht durch speziellere Kompetenztatbestände abgedeckt sind, zumal primäres Ziel dieser Vorschriften der Schutz der Gesundheit und des Lebens des Menschen vor
67
68 69 70 71 72 73 74
Mayer, ecolex 1992, 447; Rill/Madner, Bergwesen, Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie und die Raumordnungskompetenz der Länder, ZfV 1996, 209; VfSlg 447; VwGH 15.11.1993, 92/10/0437. VwGH 19.9.1995, 94/05/0302. Mayer (FN 48) 41. VfSlg 13.299/1992. VfSlg 4387/19xx, 5222/19xx, 12.842/1991. VfSlg 3650, 4609, 7582, 8035; Mayer (FN 48) 46. VfSlg 3650/19xx. VfSlg 8035/19xx.
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schädigenden Einwirkungen durch Chemikalien, Biozide, Dünge- und Pflanzenschutzmittel ist. Der in Art 10 Abs 1 Z 12 6. HS B-VG enthaltene Kompetenztatbestand des „Ernährungswesens einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle“ umfasst neben Maßnahmen zur Überwachung von Nahrungsmitteln vom sanitären Standpunkt75 ua auch Regelungen über die Kennzeichnung eines fertigen, zum Genuss bestimmten Produkts.76 Hierunter dürften auch die zahlreiche Kennzeichnungspflichten des ChemG 1996, des BiozidG, des PMG 1997 soweit sie vor dem Genuss warnen, fallen. Art 10 Abs 1 Z 12 7. HS B-VG ermächtigt den Bund schließlich zur Gesetzgebung und Vollziehung von Vorschriften zur Regelung des geschäftlichen Verkehrs mit Pflanzenschutzmitteln sowie mit Pflanzenschutzgeräten, einschließlich der Zulassung. Auf diesen Kompetenztatbestand stützt sich maßgeblich das PMG 1997.
f) Abfallwirtschaft hinsichtlich gefährlicher Abfälle Der Kompetenzbegriff „Abfallwirtschaft hinsichtlich gefährlicher Abfälle“ des Art 10 Abs 1 Z 12 4. HS B-VG schließt alle Maßnahmen zur Vermeidung, Verminderung, Verwertung und schadlosen Behandlung sowie von Abfällen aller Art77 ein. Das ChemG 1996 knüpft hinsichtlich der Gefährlichkeit mancher Chemikalien an diesen Kompetenztatbestand an. So enthält zB § 47 ChemG eine Bestimmung über die Behandlung als Abfall. § 3 Abs 2 ChemG 1996 definiert die Gefährlichkeit von Fertigprodukten ua daran an, dass solche als bei ihrer Behandlung als Abfall eine Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen oder der Umwelt herbeiführen können. § 6 Z 9 ChemG 1996 verlangt bei der Anmeldung eines Stoffes Angaben über die Folge- und Umwandlungsprodukte eines Stoffes als Abfall zur Einschätzung seiner Gefährlichkeit. Diese Beispiele, sowie einige weitere Bestimmungen des ChemG 1996 dürften ihre Grundlage in diesem Kompetenztatbestand haben. Da das ChemG 1996 weniger die abfallrechtliche Behandlung von Chemikalien, als ihr Inverkehrsetzen zum Inhalt hat, stützt sich das ChemG 1996 im Übrigen wohl nicht auf diesen Tatbestand.
g) Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge Gemäß Art 12 Abs 1 Z 4 B-VG sind Angelegenheiten des Schutzes der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge in Grundsatzgesetzgebung Bundes- und in Ausführungsgesetzgebung sowie Vollziehung Landessache. Nach der Judikatur des VfGH können unter diesen Kompetenztatbestand etwa Regelungen von Mindestpflanzabständen getroffen werden, sofern amtswegige behördliche Maßnahmen vorgesehen sind.78 Das BG betreffend Grundsätze für den Schutz der Pflanzen vor Krankheiten und Schädlingen (Pflanzenschutzgrundsatzgesetz), BGBl I 1999/140 idF BGBl I 2005/87, erging auf Basis dieses Kompetenztatbestandes.
2. Landeszuständigkeit Aufgrund der Generalklausel des Art 15 Abs 1 B-VG verbleiben jene Angelegenheiten, die weder in Gesetzgebung noch in Vollziehung dem Bund übertragen sind, den Ländern in Gesetzgebung und Vollziehung. Da Art 10 bis 14a BVG bereits die wesentlichen Kompetenzgrundlagen für Regelungen im Bereich des Chemikalienrechts vorsehen, verbleibt den Ländern nur eine sehr bescheidene Zuständigkeit zur Schaffung eigenständiger Regelungen auf diesem Ge75 76 77 78
Vgl VfSlg 5748/19xx; 8466/19xx. VfSlg 11.639/1988. 607 BlgNR 17. GP 8; Ermacora, Abfall - Produkt, 1999, 99. VfSlg 6862/1972; Mayer (FN 48) 70.
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biet. Ihre Kompetenz reduziert sich nahezu ausschließlich auf jene zur Schaffung von Regelungen hinsichtlich der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, da dem Bund nur die Gesetzgebung und Vollziehung von Vorschriften zur Regelung des geschäftlichen Verkehrs mit Pflanzenschutzmitteln und Pflanzenschutzgeräten sowie deren Zulassung übertragen wurde. Der gesetzgeberische Spielraum der Länder ist freilich beschränkt. Der mit Art 7 AgrarrechtsänderungsG 2005 neu hinzugefügte § 3a PflanzenschutzgrundsatzG enthält zudem eine Grundsatzbestimmung, welche mit „Verwendung von Pflanzenschutzmitteln“ übertitelt ist. Die Landesgesetzgebung hat demgemäß ua vorzusehen, dass nur nach dem PMG 1997 zugelassene Pflanzenschutzmittel oder mit solchen Referenzprodukten identische Pflanzenschutzmittel verwendet werden dürfen, sowie dass diese Pflanzenschutzmittel nur verwendet werden dürfen, wenn einen deutschsprachige Gebrauchsanweisung vorliegt. Weiters haben die Landesgesetze vorzusehen, dass diese Mittel nur bestimmungs- und sachgemäß sowie nur bis zu deren Ablauffrist verwendet werden dürfen usw. Damit wurden die Landeschemikaliengesetze, die alle vor Inkrafttreten des Art 7 AgrarrechtsänderungsG 2005 erlassen worden sind, mit vorzitiertem G zu bloßen Ausführungsgesetzen. Dies kann freilich im Lichte des Art 10 Abs 1 Z 12 7. HS B-VG zweifelhaft sein: Art 12 Abs 1 Z 4 B-VG betrifft allgemein Regelungen betreffend den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge. Regelungen betreffend Pflanzenschutzmittel oder Pflanzenschutzgeräte für den geschäftlichen Verkehr und die Zulassung sind nicht Regelungen betreffend den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge, weil für sie eine eigene Kompetenz des Bundes in Gesetzgebung und Vollziehung in Art 10 Abs 1 Z 12 7. HS B-VG geschaffen wurde. Man kann nun hieraus - in Einklang mit dem Bundesgrundsatzgesetzgeber - folgern, dass die übrigen Regelungen hinsichtlich der Pflanzenschutzmittel oder Pflanzenschutzgeräte, insbesondere betreffend ihre Verwendung, auf die allgemein den Pflanzenschutz erfassende Bestimmung des Art 12 Abs 1 Z 4 B-VG zurückfällt und von ihr erfasst werden.79 Dem könnte jedoch entgegengehalten werden, dass Pflanzenschutzmittel und Pflanzenschutzgeräte ex definitione nicht unter „Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge“ fallen, weil Art 10 Abs 1 Z 12 7. HS B-VG spezielle, jedoch nicht umfassende Zuständigkeitsregelungen zu „Pflanzenschutzmittel“ und „Pflanzenschutzgeräte“ trifft und die Zuständigkeit betreffend die Verwendung der von Art 10 Abs 1 Z 12 7. HS B-VG angesprochenen Pflanzenschutzmittel und Pflanzenschutzgeräte den Ländern in Gesetzgebung und Vollziehung gemäß Art 15 Abs 1 B-VG verbleibt.80 Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang die Berufung der EB auf die freilich längst durch das PMG 1997 und die Landeschemikalienge79 80
So die Rechtfertigung der Kompetenzgrundlage in den EB des AgrarrechtsänderungG, 968 BlgNR 22. GP 14 (Zu Art 7). Art 12 Abs 1 Z 4 B-VG würde - sollte diese einschränkende Interpretation zutreffen - die Grundsatzkompetenz für pflanzenschutzpolizeiliche Maßnahmen aller Art enthalten; wie zB Eigenkontroll-, Duldungs-, Auskunfts- und Bekämpfungsverpflichtungen für Grundeigentümer und sonstige Verfügungsberechtigte im Hinblick auf die Freihaltung der Grundstücke von Schädlingen; die Überwachung von Grundstücken, Baulichkeiten und Transportmitteln oder auch Bekämpfungsmaßnahmen zur Erhaltung der Pflanzengesundheit.
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setze umgesetzte RL 91/414/EWG.81 Sollte es tatsächlich möglich sein, dass der Bundesgesetzgeber nach mehr als einem Jahrzehnt plötzlich entdeckt, dass diese RL mittels eines Grundsatzgesetzes umgesetzt werden müsste? Dies erscheint nicht glaubwürdig, sondern indiziert die Unsicherheit des Bundes hinsichtlich der Regelungskompetenz für die Erlassung des Art 7 Z 4 (§ 3a) AgrarrechtsänderungsG. Die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Umsetzung einer Richtlinie begründet jedenfalls keine Zuständigkeit des Bundes. Zugleich fragt man sich, weshalb nicht bereits im Jahre 1999, als das PfanzenschutzgrundsatzG erlassen wurde, die vorgebliche Bundesgrundsatzkompetenz hinsichtlich der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und Pflanzenschutzgeräten wahrgenommen wurde, zumal die besagte Richtlinie, die mit Erlassung des Art 7 Z 4 (§ 3a) AgrarrechtsänderungsG vorgeblich umgesetzt werden musste, bereits acht Jahre alt war und dem Bundesgesetzgeber aufgrund der Erlassung des PMG 1997 mit Sicherheit bekannt war. Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass gut verborgen in einer Sammelnovelle Fakten geschaffen werden sollten, die freilich einer näheren kompetenzrechtlichen Analyse nicht standhalten können. § 3a PflanzenschutzgrundsatzG erscheint sohin kompetenzrechtlich fragwürdig. Alle Bundesländer haben LG betreffend die Verwendung und die Beschränkung von Pflanzenschutzmitteln erlassen, wobei keines als Ausführungsgesetz gestaltet ist.82 Ferner fällt in die Kompetenz der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung gemäß Art 15 Abs 1 B-VG die Erlassung von Regelungen betreffend chemisch-physikalische Risiken und Umweltrisiken für alle nichtgewerblichen Chemikalien.83 Soweit ersichtlich, wurde diese Kompetenz jedoch bislang nicht ausgeschöpft.
C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Geltendes Gemeinschaftsrecht Die Gemeinschaft hat von ihrer Zuständigkeit zur Rechtsetzung auf dem Gebiete des Chemikalienrechts umfangreich, jedoch keineswegs umfassend Gebrauch gemacht. Das bisher erlassene Chemikalienrecht der Gemeinschaft erfasst va die neue Chemikalien, dh solche, die nach dem Zeitpunkt der gemeinschaftsrechtlichen Chemikalienregulierung erstmals in Verkehr gesetzt wurden. Schwerpunkt dieser Regulierung sind somit deren Inverkehrbringen, Verwendungsbeschränkungen und -verbote. Die diesbezügliche Regulierung der Einstufung, Verpackung, Kennzeichnung und Vermarktungsbeschränkungen gefährlicher Stoffe und Zubereitungen findet sich in RL 67/548/EWG84 sowie in RL 1999/45/EG. Die Bewertung der von gefährlichen Stoffen ausgehenden Risiken für Mensch und Umwelt regelt RL 93/67/EWG. Das Stoffverzeichnis, welches in Art 13 Abs 1, 5. Gedankenstrich der RL 67/548/EWG normiert ist, wird in RL 2000/21/RG näher determiniert. Die Ein- und Ausfuhr 81 82 83 84
968 BlgNR 22. GP 15 (Zu Z 4 [§ 3a]). Siehe dazu oben die einleitende Normenübersicht. Ulrich (FN 17) 57. Zur Auslegung der RL 67/548/EWG siehe EuGH, Rs 187/84, Caldana, Slg 1985, 03013.
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gefährlicher Chemikalien wird findet ihre Regelung in V (EG) 304/2003. Die V (EG) 648/2004 regelt das Inverkehrbringen von Detergenzien, Beschränkungen bestimmter Tenside aufgrund deren biologischen Abbaubarkeit, Ausnahmen hierzu, die Prüfung von Tensiden sowie Informationspflichten. Chemikalien, die vor der ersten Regulierung von Chemikalien (ie RL 67/548/EWG) bereits vorhanden waren, sog „Altstoffe“ werden nur soweit in das bestehende Regulierungssystem der Gemeinschaft einbezogen, als entsprechende Vorschriften bestehen. Diese Altstoffe bedürfen keiner Anmeldung auf dem europäischen Markt.85 Sie sind bislang durch die V (EWG) 793/93 zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe (Abl L 084/01), die V (EG) 1488/94 zur Festlegung von Grundsätzen für die Bewertung der von Altstoffen ausgehenden Risiken für Mensch und Umwelt gemäß der Verordnung (EWG) 793/93 des Rates (Abl L 161/03) sowie die V (EG) 142/97 über die in der Verordnung (EWG) 793/93 vorgesehene Übermittlung von Informationen über bestimmte chemische Altstoffe (Abl L 025/11) geregelt. Die V (EG) 3093/94 über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen (Abl L 333/01) betrifft Altstoffe ebenso wie neue. Eine umfassende Registrierung, Untersuchung, Zulassung, Beschränkung oder Untersagung solcher Altstoffe ist durch die bestehende Regulierung nicht gewährleistet; sie soll mit der Einführung des REACH Systems jedoch bewältigt werden (siehe dazu unten I.C.2.). Für spezielle Stoffgruppen oder Zubereitungen bestehen auf Gemeinschaftsebene eigene Vorschriften, wie zB die RL 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten für Biozide oder die RL 91/414/EWG über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln für Pflanzenschutzmittel. Rechtsgrundlage für das Chemikalienrecht der Gemeinschaft ist zunächst Art 95 (exArt 100a) EGV (Angleichung von Rechtsvorschriften). Diese Zuständigkeit bezweckt es, der Gemeinschaft eine Kompetenznorm in die Hand zu geben, die es ihr ermöglicht, das in Art 14 EGV vorgegebene Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes zu erreichen.86 Auf dieser Grundlage ergingen V (EWG) 793/93 und V (EG) 648/2004 sowie RL 67/548/EWG, RL 1999/45/EG. V (EG) 1488/94 stützt sich unmittelbar auf V (EWG) 793/93 und sohin mittelbar auf Art 95 EGV. Auf RL 67/548/EWG und damit mittelbar auf Art 95 EGV stützen sich RL 93/67/EWG87 und RL 2000/21/EG. Auf die Rechtsgrundlage des Art 175 (exArt 130s) EGV (Kompetenz der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Umweltrechts)88 basieren V (EG) 304/2003 und V (EG) 3093/94,89 die in Erfüllung von Verpflichtungen, welche die Gemeinschaft mit dem ÜK vom 22. März 1985 zum Schutz der Ozonschichte und 85 86 87 88 89
Ginzkey, Vermarktungsbeschränkungen von gefährlichen Chemikalien, NVwZ 2001, 536 (536). Leible in: Streinz, EUV/EGV. Verträge über die Europäische Union und Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2003, Art 95 Rz 3. EuGH, Rs C-238/95, Kommission v. Italienische Republik, Slg 1996, I-01451; Rs C218/96 ua, Kommission v Königreich Belgien, Slg 1996, I-06817. Kahl in: Streinz, EUV/EGV. Verträge über die Europäische Union und Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2003, Art 175 Rz 5. EuGH, Rs C-284/95, Safety Hi-Tech, Slg 1998, I-04301. Rs C-341/95, Gianni Bettati, Slg 1998. I-04355.
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dem Montrealer Protokoll vom 25. November 1992 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschichte führen, eingegangen ist, ergingen.
2. Reform des Chemikalienrechts der Gemeinschaft: REACH a) Notwendigkeit einer neuen Chemikalienpolitik Chemikalien sind einerseits ein Teil eines bedeutenden Wirtschaftszweiges, andererseits aber auch Ursache für schwere Gesundheitsschäden. Das Verhalten und die Eigenschaften zahlreicher Chemikalien, ihre Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen, sind teilweise wenig erforscht und bekannt. Die Gemeinschaft ist im Rahmen ihre Chemikalienpolitik verpflichtet, für die gegenwärtigen und künftigen Generationen ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt gewährleisten und dabei zudem die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sichern.90 Grundlegende Voraussetzung dieser Ziele ist das Vorsorgeprinzip91 nach Art 174 Abs 2 EGV.92 Die Kommission betrachte mit wachsender Sorge den Umstand, dass das Gemeinschaftsrecht nicht umfassenden Schutz vor gefährlichen Chemikalien im Sinne dieses Vorsorgeprinzips bot. Zwar decken die geltenden Rechtsvorschriften, die RL 67/548/EWG, V 793/93, RL 76/769 (EWG) und RL 1999/45/EG ein weites Spektrum unterschiedlicher Stoffe ab und regeln die für die Stoffe durchzuführenden Prüfungen und legen Maßnahmen zur Risikobeschränkung sowie die Verpflichtung zur Information des Verbrauchers betreffend Sicherheitshinweise. Dem Regime der RL 67/548 unterliegen ca 2.700 neue Stoffe, die entsprechen geprüft und hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit bewertet wurden.93 Mehr als 99% der Gesamtmenge der am Markt befindlichen Stoffe sind freilich Altstoffe, für die nicht die gleichen Prüfvorschriften gelten.94 Daher schlug die Kommission am 29. Oktober 2003 iSd Vorsorgeprinzips eine Totalreform der gemeinschaftlichen Chemikalienpolitik vor.95 Dieser Vorschlag sieht ein umfassendes System für die Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien (REACH96) vor. 90 91
92 93 94 95
96
Europäische Kommission, Weißbuch Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik, KOM (2001) 88 endg. Entschließung des Europäischen Rates von Nizza vom Dezember 2000 über das Vorsorgeprinzip, in der die Mitteilung der Kommission über das Vorsorgeprinzip begrüßt wird, KOM (2000) 1. Das Vorsorgeprinzip ist ein durchgehendes materielles Wertungsprinzip nach Art 174 Abs 2 EGV, vgl Kerschner/Raschauer, Editorial, RdU 2006, 1. Europäische Kommission (FN90) 6. Europäische Kommission (FN 90) 6. Vorschlag für eine Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe sowie zur Änderung der RL 1999/45/EG und der V (EG){über persistente organische Schadstoffe}, Vorschlag für die Änderung der Richtlinie 67/548/EWG des Rates im Hinblick auf ihre Anpassung an die Verordnung (EG) des Europäischen Parlaments und des Rates über die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe, KOM (2003) 644 endg. REACH ist die Abkürzung für „Registration, Evaluation, Authorization of Chemicals; Europäische Kommission (FN 90) 1 ff; Calliess, REACH - Die Reform des europäischen Chemikalienrechts im Lichte des Vorsorgeprinzips: Göttinger Online-
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b) Der neue Ansatz: REACH Der von der Kommission 2003 vorgelegte, 169 Seiten umfassende Entwurf der REACH-V sieht eine vollständige Neureglung des Chemikalienrechts der Gemeinschaft vor. Der Vorschlag besteht aus den Bänden I bis VI, wobei Band I die Regulierung des Chemikalienrechts enthält und die Folgebände Testmethoden und Detailbestimmungen enthalten. Er erfuhr im Zuge der zweijährigen Debatte gewisse Änderungen. Der nunmehr vorliegende, vom Europäischen Rat vorgeschlagene Kompromissvorschlag nimmt zahlreiche Vorschläge des Kommissionsentwurfes wieder zurück. Besonders die Zulassungsregelungen für gefährliche Substanzen wurden im in diesem Kompromissvorschlag abgeändert, wie auch die Möglichkeit weitreichender Ausnahmen für gefährliche Substanzen, die nicht substituiert werden können, ausgeweitet wurde. Hinsichtlich des Teilens von Informationen beschränkten die Minister die opt-out Möglichkeiten im Rahmen des Teilens von Informationen, wenn Gruppenanträge unter der sog „Eine Substanz, Eine Registrierung Regel“ („OSOR“) eingebracht werden. Im Gegenzug wurden die Prinzipien „Sorgfaltspflicht“ und das „Recht zu wissen“, welche die Verantwortung der Unternehmen im Umgang mit gefährlichen Chemikalien gestärkt und das Mitteilen von Informationen an Verbraucher ermöglicht hätten, fallen gelassen. Es steht zu erwarten, dass diese Änderungen Gegenstand heftiger Debatten anlässlich der 2. Lesung im Europäischen Parlament sein werden. Unabhängig von den Regelungen im Detail, wird der Ansatz der REACH-V einen gänzlichen Wandel in der europäischen Chemikalienpolitik bedeuten. Das Prinzip von REACH ist die Schaffung eines integrierten Ansatzes für die Kontrolle über Produktion, Import und Anwendung von Chemikalien in der Gemeinschaft. Alt- und Neustoffe werden diesem System unterstehen.97 Herzstück der geplanten REACH-V sind die drei Elemente: Registrierung, Evaluation und Zulassung sowie die Schaffung einer europäischen Chemikalienagentur. Eine detaillierte Darstellung von REACH erscheint im Hinblick auf die anhaltenden Diskussionen auf politischer Ebene zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sinnvoll und würde zudem den Umfang dieses Beitrages sprengen. Im Folgenden werden daher die prinzipiellen Überlegungen der geplanten REACH-V ohne Anspruch auf Vollständigkeit skizziert. c) Registrierung Nach dem Entwurf (Art 2 ff98) wären alle Stoffe, von denen mehr als eine Tonne pro Jahr produziert oder importiert werden, anmeldepflichtig. Sie wären in
97 98
Beiträge zum Europarecht, 2004, Nr 5, 1; Rengeling, Europäisches Chemikalienund Stoffrecht - Entwicklungen zur Umgestaltung des deutschen Rechts - DVBl 2005, 393 (393). Rengeling (FN 96) 393. Die Artikelbezeichnungen beziehen sich auf den vom Rat auf der web-site http://register.consilium.eu.int/pdf/en/05/st15/st15921.en05.pdf publizierten Entwurf, welcher die Änderungsvorschläge des Rates vom 13. Dezember 2005 enthält.
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einer zentralen Datenbank zu registrieren. Der Umfang der geforderten Informationen und Prüfpflichten wäre wiederum mengenabhängig.99 Keine Registrierung wäre für Stoffe notwendig, von denen unter dem Schwellwert von einer Tonne pro Jahr produziert oder importiert oder die zu Forschungszwecken verwendet werden. Auch Polymere sollen ausgenommen werden. Unternehmen sollen diesfalls nur zur Erfassung der Sicherheitsdaten und zur Bereithaltung dieser Unterlagen verpflichtet sein.100 d) Bewertung Die Bewertung sollte nach dem ursprünglichen Entwurf durch die Behörden der Mitgliedstaaten durchgeführt werden, nach dem nunmehrigen Vorschlag wäre hierfür die Agentur zuständig. Es sind zwei Bewertungsverfahren vorgesehen: Dossierbewertung (Art 38 ff): Will ein Unternehmen Chemikalien registrieren lassen, die in Mengen über 100 Tonnen pro Jahr produziert werden, ist ein Testplan der Agentur vorzulegen und von dieser eine Entscheidung zu treffen, die ua den Testplan modifizieren, ablehnen, aber auch ergänzen lassen kann. Ferner hat sie Möglichkeit, das Dossier auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen. Stoffbewertung (Art 43a ff): Die Agentur hat in Zusammenwirken mit den Mitgliedstaaten Kriterien für vordringlich zu behandelnde Stoffe im Hinblick auf weitere Bewertung entwickeln. Diese Kriterien bemessen sich ua nach dem Informationen über die Gefährlichkeit eines Stoffes, der Tonnage ua. Auf Basis dieser Kriterien hat die Agentur unter Hinzuziehung der Mitgliedstaaten, die hierfür ein Mitgliedstaaten-Komitee bilden, einen auf drei Jahre angelegten Aktionsplan zu entwerfen und darin darzulegen, welche Stoffe im jeweiligen Jahr bewertet werden sollen. Die Mitgliedstaaten können entsprechende Vorschläge zu Bewertung von Stoffen der Agentur vorlegen. Am 28. Februar eines jeden Jahres soll die Agentur einen Bericht über den Stand der Bewertung im letzten Jahr abgeben. e) Zulassung Für besonders besorgniserregende Stoffe führt der Entwurf in Art 52 ff ein Zulassungssystem für die Verwendung und das Inverkehrbringen für solche Verwendungen ein. Eine Zulassung wird für Stoffe mit besonders gefährlichen Eigenschaften wie CMRs (krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende Stoffe), PBTs (persistente bioakkumulierende und toxische Stoffe) und vPvBs (hoch persistente, hoch bioakkumulierbare Stoffe) und sonstige Stoffe mit ernsten und unumkehrbaren Wirkungen auf Mensch und Umwelt erforderlich sein. Fällt eine Substanz unter das Zulassungsverfahren, wird ein Zeitpunkt festgesetzt nach welchem es keinen Gebrauch dieser Chemikalie ohne entsprechende Zulassung geben wird. Zulassungsanmeldungen für einzelne beabsich99
100
Europäische Kommission (FN 95), 13; W. Köck, Zur Diskussion um die Reform des Chemikalienrechts in Europa - Das Weißbuch der EG-Kommission zur zukünftigen Chemikalienpolitik, ZUR 2001, 303 (305 f); Calliess (FN 96) 17. Europäische Kommission (FN 95) 23.
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tigte Anmeldungen müssen bis 18 Monate vor diesem Termin eingereicht werden. Die Zulassung durch die Kommission kann gemäß Art 57 auf zwei Wegen erreicht werden: Das Unternehmen kann den Nachweis erbringen, dass die Risiken für Gesundheit und Umwelt einer „adäquaten Kontrolle“ unterliegen; Kann das Unternehmen diese „adäquate Kontrolle“ nicht nachweisen, hat es eine sozio-ökonomische Studie für die beantragte Anwendung vorzulegen, die darlegt, dass die sozio-ökonomischen Vorteile gegenüber den Risiken für Gesundheit und Umwelt überwiegen. Die Kommission hat in ihre Entscheidung Parameter wie das durch die Verwendung bewirkte Risiko, die sozio-ökonomischen Vorteile, aber auch das Bestehen von Alternativen und deren Einwirkungen auf Gesundheit und Umwelt einzubeziehen. Die Zulassung kann zeitlich befristet ausgesprochen werden und ist neu zu prüfen, wenn neue Erkenntnisse über den betreffenden Stoff hervorkommen.
f) Substitution Die umstrittenste Frage der REACH-V ist die Substitution der gefährlichsten Stoffe durch Alternativsubstanzen. Während sich das Europäische Parlament für ein das „Substitutionsprinzip“ ausgesprochen hat, verwarf der Europäische Rat ein striktes Prinzip, wonach Verwender von Stoffen gezwungen werden sollen, gefährliche durch harmlosere Stoffe zu ersetzen.101 g) Europäische Agentur für chemische Stoffe Mit der REACH-V soll eine in Helsinki anzusiedelnde102 Europäische Agentur für chemische Stoffe eingerichtet werden. Sie wird für die technische, wissenschaftliche und administrative des REACH-Systems zuständig sein. Damit soll eine einheitliche Entscheidungsfindung innerhalb der Gemeinschaft gesichert werden.103 Die Agentur wird das Registrierungsverfahren abwickeln und eine Schlüsselrolle bei der Gewährleistung einer einheitlichen Bewertung spielen.104 Sie wird den Mitgliedstaaten als Hilfsmittel Kriterien für die Auswahl der zu bewertenden Stoffe und Entscheidungen zur Nachforderung von Angaben über Stoffe, die bewertet werden, bereitstellen. Ferner soll sie Stellungnahmen und Empfehlungen im Rahmen des Zulassungs- und Beschränkungsverfahrens abgeben. Zu den Aufgaben der Agentur wird der Aufbau und die Pflege einer Datenbank („REACH-IT“) gehören, in der die Daten der zu registrierenden Chemikalien zu finden sind. Nicht vertrauliche Informationen werden von jedermann abrufbar sein. Als nicht vertrauliche Informationen werden voraussichtlich Angaben, wie etwa ein Kurzprofil über die gefährlichen Eigenschaften, die Kennzeichnungsverpflichtungen sowie Zulassung oder Beschränkung des Stoffes zählen. 101 102
103 104
Zur Frage der Substitution Europäische Kommission (FN 90) 9; Calliess (FN 96) 25, Der Kommissionsentwurf sah als Standort der Agentur das Verbundzentrum in Ispra vor; der Europäisch Rat hat jedoch am 12. Dezember 2005 den Standort in Finnland beschlossen. Europäische Kommission (FN 95) 17. Europäische Kommission (FN 95) 17.
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3. Ausblick Die vorgeschlagene Neuorientierung des europäischen Chemikalienrechts ist seit der Präsentation des Vorschlages der REACH-V durch die Kommission im Jahr 2003 höchst umstritten. Insbesondere Kreise der Industrie befürchteten internationale Wettbewerbsnachteile durch ein kostenintensives Evaluierungsund Zulassungsverfahren. Nach zweijähriger Debatte stimmte das Europäische Parlament am 17. November 2005 über den Vorschlag ab. Mehr als 1.000 Änderungsanträge standen zur Abstimmung.105 Der vom Europäischen Parlament angenommene Vorschlag zu REACH stand politisch im Kreuzfeuer der Kritik. Besonders umfehdet war hierbei der Regelungsvorschlag betreffend die Autorisierung von gefährlichen Stoffen, dem einzigen Punkt, in dem das Parlament Umweltinteressen und nicht den Interessen der Industrie gefolgt war.106 In einem außerordentlichen Ratstreffen über die Wettbewerbsfähigkeit der Britischen Ratspräsidentschaft stand der vom Europäischen Parlament angenommene Vorschlag zu REACH zur Debatte, in dessen Mittelpunkt va die Zulassungsbestimmungen sowie die vorgesehene Europäische Agentur für chemische Stoffe in Helsinki stand. Ferner wurden Erleichterungen bei der Substituierung gefährlicher Stoffe vereinbart. Dieser Kompromiss vom 13. Dezember 2005 wird voraussichtlich den Weg für die Erlassung der REACH-V ebnen.107 Es wird erwartet, dass im März 2006 beim nächsten, Wettbewerbsgipfel ein Gemeinsamer Standpunkt des Rates beschlossen werden wird. In diesem Fall könnte im Juli 2006 die zweite Lesung des Europäischen Parlaments stattfinden und im Herbst 2006 die zweite Lesung durch den Rat erfolgen (mit einer möglichen endgültigen Zustimmung). Die REACH-V würde dann voraussichtlich im Herbst 2007 in Kraft treten. Im Herbst 2008 könnte die Agentur sodann tätig werden.108
II. Das Chemikaliengesetz 1996 A. Allgemeines 1. Begriffsbestimmungen § 2 ChemG 1996 definiert die Begriffe Stoffe, Polymere, Zubereitungen und Fertigwaren wie folgt:
105
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107 108
Europäisches Parlament, Presseaussendung vom 18. November 2005; Die Presse, 18.11.2005: Europaparlament: Bitterer Cocktail; NZZ Online, 17.11.2005: EUParlament verabschiedet umstrittenes Chemikalienrecht, http://www.nzz.ch/2005/ 11/17/al/newzzEG52DAA2-12.htm. Süddeutsche Zeitung, 16.9.2005: Europaparlament auf Industriekurs (22); Die Presse, 30.11.2005: EU: Chemie-Verordnung wird zusammengestutzt; nicht zuletzt aus diesem Grund sprechen Kerschner und Raschauer in ihrem Editorial (FN 92) von „dunkeln Wolken eines Kahlschlags im Umwelt- und Konsumentenschutzrecht der Europäischen Gemeinschaft“. Madner, REACH - politische Einigung des Rates über das neue EU-Chemikalienrecht, RdU 2006, 7. Zeitplan laut Presseaussendung vom 18. November 2005 (FN 105).
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a) Stoff Stoffe iSd § 2 Abs 1 ChemG 1996 sind die chemischen Elemente und ihre Verbindungen in natürlicher Form oder hergestellt durch ein Produktionsverfahren, einschließlich der Wahrung der zur Produktstabilität notwendigen Zusatzstoffe und der bei der Herstellung unvermeidbaren Verunreinigungen, mit Ausnahme von Lösungsmitteln, die von dem Stoff ohne Beeinträchtigung seiner Stabilität und ohne Änderung seiner Zusammensetzung abgetrennt werden können. Gemische von Stoffen, welche auf Grund von chemischen Reaktionen entstehen oder in der Natur auftreten, entsprechen ebenfalls dem chemikalienrechtlichen Begriff des Stoffes. Die Definition des ChemG 1996 entspricht jener des Art 2 Abs 1 lit a StoffRL. Im Detail weicht sie jedoch von der gemeinschaftsrechtlichen Definition ab. Nach der Definition des ChemG 1996 gelten auch Gemische von Stoffen, die auf Grund von chemischen Reaktionen entstehen oder in der Natur auftreten, als Stoffe, während diese nach der RL als Zubereitungen eingestuft werden.109 b) Polymer Polymere sind gemäß § 2 Abs 2 ChemG Stoffe, deren Moleküle durch eine Kette einer oder mehrerer Arten von Monomereinheiten (gebundenen Formen eines Monomers) gekennzeichnet sind und die Voraussetzungen nach § 2 Abs 2 Z 1 bis 3 ChemG 1996 erfüllen. Auch diese Definition weicht von jener der Stoff-RL ab. c) Zubereitung Zubereitungen schließlich sind Gemenge, Gemische und Lösungen, die aus mehreren Stoffen bestehen. Als Zubereitungen gelten auch Fertigwaren, wenn die Freisetzung oder Entnahme der in ihnen enthaltenen Stoffe oder Zubereitungen für die bestimmungsgemäße Verwendung dieser Stoffe oder Zubereitungen die Voraussetzung ist (§ 2 Abs 5 ChemG 1996). Durch die Einbeziehung von Fertigwaren in den Zubereitungsbegriff unterscheidet sich die Definition des § 2 Abs 5 ChemG 1996 von jener der RL. Ermacora/Krämer sind zutreffend der Ansicht, dass diese Abweichungen von der Textierung der RL nicht sinnvoll sind, da der Umsetzungsspielraum des nationalen Gesetzgebers de facto nicht gegeben ist und die Gefahr einer nicht vollständigen Umsetzung der Richtlinien bewirken. d) Fertigware Als Fertigwaren bezeichnet § 2 Abs 6 ChemG 1996 die zur Verwendung als solche bestimmte Erzeugnisse, die einen Stoff oder eine Zubereitung enthalten, sofern diese nicht als Zubereitung gelten.
2. Abgrenzungen Wie bereits oben erwähnt ist eine Reihe von Chemikalien in besonderen Gesetzen geregelt, so dass für solche Chemikalien das ChemG 1996 nicht anzuwen109
Dazu Ermacora/Krämer (FN 19) 184.
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den ist. Besonders hervorzuheben ist die Abgrenzung von folgenden chemischen Stoffen und Produkten: a) Biozid-Produkte Biozide sind Produkte, die der Mensch verwendet, um damit für ihn unerwünschte, lästige oder störende Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken oder unschädlich zu machen. Unter dem Sammelbegriff der Biozide sind Produkte zu verstehen, die vom Menschen gegen Pilze, Sporen, Bakterien, Ungeziefer usw eingesetzt werden. Das In Verkehr bringen von Bioziden ist in einem eigenen BG geregelt,110 einer Umsetzung der RL 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten. Das BiozidG trifft für Biozid-Produkte spezielle Vorschriften betreffend die Zulassung, Registrierung, Meldung oder Kennzeichnung von Biozid-Produkten, so dass für diese Produktarten die entsprechenden Vorschriften des ChemG 1996 nicht anzuwenden sind. Hingegen sind in den Bereichen, in denen das BiozidG keine speziellen Regelungen trifft, die des ChemG 1996 weiterhin anwendbar. Die EB erwähnen diesbezüglich insbesondere die für Gifte bestehenden Bestimmungen des III. Abschnitts des ChemG 1996.111 b) Arzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen oder nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind, bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen oder zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen (vgl § 1 Abs 1 AMG). Sie sind im 1983 erlassenen und mehrfach novellierten AMG geregelt. Auch dieses G ist in Vielem eine Umsetzung einschlägiger gemeinschaftsrechtlicher Regelungen. § 86 Abs 4 Z 15 AMG erklärt ausdrücklich, dass dessen Anwendungsbereich jenen des ChemG 1996 nicht berührt. Da gemäß § 2 Abs 2 AMG Arzneimittel sowohl Gegenstände, die ein Arzneimittel enthalten oder auf die ein Arzneimittel aufgebracht ist, und die zur Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind (Z 1), als auch Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die die Merkmale des § 1 Abs 1 AMG nicht aufweisen, sofern sie dazu bestimmt sind, für die Herstellung von Arzneimitteln verwendet zu werden (Z 2), sind, bleibt für ChemG 1996 kein Anwendungsbereich. c) Suchtmittel Suchtmittel iSd § 2 SMG sind, obwohl sie problemlos als gefährliche Stoffe, Zubereitungen oder Gifte iSd des ChemG 1996 eingestuft werden könnten, gemäß § 4 Abs 2 Z 9 vom Anwendungsbereich des ChemG 1996 ausgeschlossen und unterliegen ausschließlich den Verbotstatbeständen oder Beschränkungen des SMG. 110
111
Art I des BG, mit dem ein Biozid-Produkte-Gesetz erlassen wird sowie das Lebensmittelgesetz 1975 und das Chemikaliengesetz 1996 geändert werden, BiozidProdukte-Gesetz - BiozidG, BGBl I 2000/105. Ulrich (FN 17) 20.
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d) Lebensmittel Unter Lebensmittel iSd LMG fallen Nahrungs- und Genussmittel, Verzehrprodukte und kosmetische Mittel. Diese Stoffe sind vom Anwendungsbereich des ChemG 1996 ausgenommen (§ 4 Abs 3 Z 2 ChemG 1996). Lebensmittelzusatzstoffe gemäß § 4 LMG, welche einzeln vermarktet werden, werden jedoch von dieser Ausnahmebestimmung nicht erfaßt und fallen unter den Anwendungsbereich des ChemG 1996. Werden diese Stoffe ausschließlich als Zusatzstoffe verwendet, sind sie aber von §§ 5 bis 16 ChemG 1996 ausgenommen. e) Abfälle und Altöle Abfälle und Altöle iSd AWG fallen nicht unter den Anwendungsbereich des ChemG 1996. Auch Altstoffe gelten gemäß § 2 Abs 3 AWG als Abfälle, bis sie einer zulässigen Verwendung zugeführt werden. Mit Verwendung dieser Stoffe wird die Anmeldungs- und Kennzeichnungspflicht des ChemG 1996 ausgelöst.112 f) Gentechnisch veränderte Stoffe Das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte richtet sich nach dem GentechnikG.113 Für das ChemG 1996 bleibt in diesem Bereich kein Raum.
3. Geltungsbereich des ChemG 1996 Der Zielsetzung des ChemG 1996 entsprechend unterliegen diesem Gesetz grundsätzlich alle Chemikalien. Sofern keine Ausnahmen (dazu II.B.) vom ChemG 1996 bestehen, findet es Anwendung auf alle Stoffe, Fertigwaren und Zubereitungen, gleichgültig, ob diese gefährliche Eigenschaften aufweisen oder nicht. Das ChemG 1996 bildet nicht die Rechtsgrundlage für alle erdenklichen Chemikalien.
B. Ausnahmen vom ChemG 1996 § 4 ChemG 1996 normiert eine Reihe von Einschränkungen und Ausnahmen. Das ChemG 1996 ist nicht anwendbar, wenn • ein Geltungsausschluss gemäß § 4 Abs 2 ChemG 1996 besteht: So gilt das ChemG 1996 zB nicht für die Durchfuhr von Chemikalien unter zollamtlicher Überwachung durch das Gebiet der EU, soweit keine Be- oder Verarbeitung erfolgt; für die Beförderung gefährlicher Güter im Eisenbahn-, Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr, einschließlich der innerbetrieblichen Beförderung, soweit diese durch die für den jeweiligen Verkehrsträger spezifischen Vorschriften geregelt ist; für das Aufsuchen und Gewinnen mineralischer Rohstoffe sowie das Aufbereiten mineralischer Rohstoffe ohne Anwendung chemischer Verfahren; Abfälle und Altöle iSd 112 113
Ulrich, (FN 17) 64; zum Begriff des Altstoffs Ermacora (FN 77) 162 ff. BG, mit dem Arbeiten mit gentechnisch veränderten Organismen, das Freisetzen und Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen und die Anwendung von Genanalyse und Gentherapie am Menschen geregelt werden und das Produkthaftungsgesetz geändert wird, BGBl 1994/510.
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AWG; Arzneimittel; Lebensmittel, Verzehrprodukte und kosmetische Mittel iSd LMG; Wein und Obstwein iSd WeinG, Tabakerzeugnisse uä. ein Vorbehalt auf Gewerbechemikalien bestimmt ist (§ 4 Abs 1): Soweit das ChemG 1996 brandverhütende Maßnahmen und Maßnahmen zum Schutz der Umwelt, die Prüfung der Brandgefährlichkeit oder Umweltgefährlichkeit oder die Bedachtnahmen auf den Umweltschutz vorsieht, ist es nur auf Chemikalien anzuwenden, die gewerblich hergestellt oder in Verkehr gesetzt werden. eine Anwendungsbeschränkung für bestimmte Chemikalien vorgesehen ist: Wirkstoffe, die ausschließlich für Arzneimittel verwendet werden, Stoffe, die ausschließlich als Zusatzstoffe gemäß § 4 LMG, als Weinbehandlungsmittel iSd WeinG, in Futtermitteln oder als Bestandteile in Pflanzenschutzmitteln verwendet werden, sind vom Anwendungsbereich der §§ 5 bis 16 ChemG 1996 (Anmeldeverfahren) ausgenommen (siehe dazu oben II.A.2.).
C. Anmelderegeln 1. Anmeldesystem Das Inverkehrsetzen eines neuen Stoffes ist gemäß § 5 ChemG 1996 nur gestattet, sofern dieser ordnungsgemäß angemeldet wurde und keine Verbote oder Beschränkungen bestehen. Dieses Anmeldesystem ist ein zentrales Prinzip des gemeinschaftsrechtlichen Chemikalienrechts und stellt ein Mischsystem zwischen freier Vermarktbarkeit neuer Stoffe und der Kontrolle durch ein Zulassungsverfahren dar.114 Die Anmeldung ist damit das wichtigste Instrument der Risikovorsorge für neue Stoffe. Als neuer Stoff iSd Bestimmung werden jene chemischen Substanzen verstanden, welche weder im Europäischen Altstoffverzeichnis (EINECS) angeführt sind, noch in Österreichischen Altstoffverzeichnis angeführt sind. Zubereitungen fallen nicht unter den Begriff eines neuen Stoffes. Zuständige Behörde für die Anmeldung eines neuen Stoffes (Anmeldebehörde) in Österreich ist gemäß § 5 Abs 1 ChemG 1996 der BMLFUW.
2. Anmeldepflichtige Anmeldepflichtige sind jene Personen115 oder Personengesellschaften, die in § 5 Abs 2 Z 1 bis 3 ChemG 1996 angeführt sind. Hierzu zählen: • der Hersteller, wenn der Stoff im EWR hergestellt wird (§ 5 Abs 2 Z 1 ChemG 1996); • der Importeur, wenn der Stoff in den EWR eingeführt werden soll, sofern nicht ein Alleinvertreter namhaft gemacht wurde (§ 5 Abs 2 Z 2 ChemG 1996); 114 115
Ulrich (FN 17)75. Sind in einer GmbH zwei handelsrechtliche Geschäftsführer bestellt und bestehen keine schriftlichen Aufzeichnungen über die Aufgabenteilung und ist auch keine Mitteilung an die Behörde ergangen, so sind beide Geschäftsführer für die Einhaltung der chemikalienrechtlichen Vorschriften verantwortlich: UVS Kärnten, 8.1.2002, KUVS-258-262/7/2001.
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• •
der Alleinvertreter, der vom außerhalb des EWR ansässigen Herstellers für die Anmeldung des Stoffes namhaft gemacht wurde (§ 5 Abs 2 Z 3 ChemG 1996), sowie subsidiär jede Person oder Personengesellschaft, die den Stoff in das Inland verbringen will und eine Niederlassung im Inland hat, wenn die Anmeldung durch den eigentlich Anmeldepflichtigen nach § 5 Abs 2 ChemG 1996 unterblieben ist (§ 5 Abs 3 ChemG 1996).
3. Anmeldeverfahren Das Anmeldeverfahren bestimmt sich nach §§ 5 ff ChemG 1996 und nach der Chem-AnmV. Die Chem-AnmV regelt die Durchführung der Anmeldung neuer Stoffe näher. Aufgrund dieser Vorschriften lässt sich das Anmeldeverfahren in mehrere Abschnitte unterteilen. Zunächst hat der Anmeldepflichtige eine Grundprüfung des Stoffes durchzuführen, anschließend hat er diese Ergebnisse mit den übrigen Anmeldeunterlagen der Anmeldebehörde zu übermitteln. Die Anmeldebehörde prüft die eingelangten Anmeldeunterlagen auf Vollständigkeit und Richtigkeit und leitet allenfalls ein Verbesserungsverfahren ein, in welchem sie dem Anmeldepflichtigen aufträgt, das Fehlende oder zu Berichtigende nachzutragen. Anschließend hat die Behörde das Einlangen der fehlerfreien und vollständigen Unterlagen zu bestätigen. Mit der Bestätigung ist es möglich, den angemeldeten Stoff in Verkehr zu setzen. In bestimmten Fällen hat die Behörde das Bestehen eines generellen Verbots oder einer Beschränkung nach § 17 Abs 1 oder 2 ChemG 1996 für den angemeldeten Stoff mittels eines Bescheides festzustellen. a) Grundprüfung Die Grundprüfung entspricht einem Gutachten über den anzumeldenden Stoff im Hinblick auf dessen möglichen schädlichen Auswirkungen auf den Menschen und die Umwelt. Ihre nähere Ausgestaltung betreffend Art und Umfang der Prüfungen wird durch die Chem-AnmV detailliert festgesetzt. Die Grundprüfung besteht, wie § 6 Abs 1 Z 9 ChemG 1996 klarstellt, aus Befund und Gutachten. Somit bestehen bereits für die Grundprüfung bestimmte Mindestanforderungen an die Qualität der Prüfung. So wird von dieser ein den Methoden der jeweiligen Wissenschaft entsprechendes fachliches Niveau zu verlangen sein.116 § 7 Abs 1 ChemG 1996 listet in Z 1 bis 7 auf, welche Prüfungen jedenfalls vorzunehmen sind. Hierbei handelt es sich vor allem um die Prüfung der physikalischen, chemischen und physikalisch-chemischen Eigenschaften des Stoffes, die Prüfung auf Toxizität, auf Anhaltspunkte für krebserzeugende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Eigenschaften uä.
116
VwSlgNF 12.878 A/1989 = ZfVB 1989/1938; VwGH ZfVB 1984/814; 1984/1910; VwSlgNF 7615 A/1969; Attlmayr, Das Recht des Sachverständigen im Verwaltungsverfahren, 1997; derselbe, Das Gutachten des Sachverständigen, in: Attlmayr/ Walzel von Wiesentreu (Hrsg), Handbuch des Sachverständigenrechts. Praxisleitfaden für das Verwaltungsverfahren (2006) mwN.
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In besonderen Fällen kann die Grundprüfung entfallen. Dies gilt bei bereits ordnungsgemäß angemeldeten Stoffen sowie bei Stoffen, bei welchen eine Prüfung ganz oder teilweise technisch nicht möglich ist. b) Anmeldung Die Anmeldung eines neuen Stoffes erfolgt schriftlich. Das ChemG 1996 listet erschöpfend den Inhalt der Anmeldung und der Anmeldeunterlagen in § 6 auf. Weiters konkretisiert die Chem-AnmV die Anmeldeunterlagen. Im wesentlichen sind dies Angaben zum Anmeldepflichtigen und Hersteller, zum Produktionsstandort, zu den wesentlichen Eigenschaften des Stoffes, insbesondere zu seinen möglichen schädigenden Wirkungen, zur voraussichtlich in Verkehr gebrachten Menge, zu Sicherheitsvorkehrungen sowie zur Behandlung des Stoffes und entstehender Folge- und Umwandlungsprodukten als Abfall samt Analysemethoden zum Nachweis dieser Produkte. Die Ergebnisse der Grundprüfung sind ein Teil dieser Anmeldeunterlagen und damit ebenso vorzulegen, wie eine zusammenfassende Auswertung, welche als Vorschlag einer Risikobewertung ausgeführt sein kann. Das ChemG 1996 iVm der Chem-AnmV sieht für bestimmte neue Stoffe und Polymere Anmeldeerleichterungen vor. Diese Erleichterungen bestehen im Entfall der ansonst geforderten Angaben, Unterlagen und Prüfnachweise. Die Art und der Umfang dieser Anmeldeerleichterungen ist gemäß § 8 Abs 1 ChemG 1996 in einer V näher zu bestimmen. Hierzu ist anzumerken, dass die Verordnungsermächtigung die Ausgestaltung der Anmeldeerleichterungen nicht näher determiniert und somit dem Verordnungsgeber einen sehr weiten Spielraum eröffnet, der durch § 6 Chem-AnmV und Anlage 1, Teil D zu dieser V ausgefüllt wurde. § 8 ChemG 1996 normiert lediglich eine Grenze, bis zu der neue Stoffe oder Polymere Erleichterungen unterliegen, nicht jedoch die übrige Art und Weise der Anmeldeerleichterung. Damit erscheint die Verordnungsermächtigung verfassungsrechtlich im Hinblick auf Art 18 B-VG nicht unproblematisch. Weiters listet § 9 ChemG 1996 eine Reihe von Ausnahmen von der Anmeldepflicht auf. Ausgenommen von der Anmeldepflicht sind Polymere, sofern sie nicht zwei Masseprozent oder mehr eines nicht im Europäischen Altstoffverzeichnis angeführten Stoffes in gebundener Form enthalten, neue Stoffe, die bloß zur Durchführung einer gesetzlich geforderten Prüfung oder eines gesetzlichen Zulassungsverfahrens an die zuständigen Behörden abgegeben werden, neue Stoffe, die in der Wissenschaft eingesetzt werden und bestimmte Voraussetzungen des Abs 3 erfüllen, nachgemeldete und gemäß § 5 ChemG 1987 gemeldete Stoffe, sofern keine Anmeldung gefordert ist. Das Einlangen einer Anmeldung ist gemäß § 11 Abs 1 ChemG 1996 dem Anmeldepflichtigen von der Anmeldebehörde unverzüglich zu bestätigen. Dieser Bestätigung geht eine Prüfung der Anmeldeunterlagen auf ihre Vollständigkeit und Fehlerhaftigkeit voraus. Sind die Unterlagen vollständig und fehlerfrei, so ist das Einlangen der Anmeldeunterlagen innerhalb von 60 Tagen (bei erleichterter Anmeldung 30 Tage) zu bestätigen. Sofern die Unterlagen unvollständig oder fehlerhaft sind, fordert die Behörde den Anmeldepflichtigen auf, die Unterlagen zu ergänzen oder zu berichtigen. Mit Einlagen dieser Ergänzungen oder Berichtigungen erfolgt die Frist zur Bestätigung von neuem.
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c) Rechtswirkungen der Anmeldung Mit dem Verstreichen der Frist von 60 (bzw 30 Tagen), ohne dass die Behörde Ergänzungen oder Berichtigungen verlangt hat, darf der neue Stoff rechtmäßig in Verkehr gesetzt werden. Es dürfen nur Stoffe in jener chemischen Beschaffenheit in Verkehr gebracht werden, welche der Anmeldebehörde bei der Anmeldung bekannt gegeben wurde (Identität des angemeldeten Stoffes). Eine Änderung der Beschaffenheit des jeweiligen Stoffes nach der Anmeldung löst eine neuerliche Anmeldung aus (§ 12 Abs 2 ChemG 1996).117 Sofern eine erleichterte Anmeldung vor Ablauf der 30-Tagesfrist bestätigt wurde, darf er ab Erhalt der Bestätigung, frühestens 15 Tage nach Einlangen aller erforderlichen Unterlagen in Verkehr gesetzt werden. Sind mit der Anmeldung neuer Stoffe Prüfungen oder Bewertungen im Zusammenhang mit gefährlichen Eigenschaften vorzunehmen, hat die Anmeldebehörde die Anmeldeunterlagen dem Bundeskanzler zur entsprechenden Prüfung und Bewertung zu übermitteln. An die Stellungnahme des Bundeskanzlers ist die Anmeldebehörde gebunden. Besteht für den Stoff ein generelles Verbot oder eine Beschränkung gemäß § 17 Abs 1 und 2 ChemG 1996, so hat dies die Anmeldebehörde hierüber einen Feststellungsbescheid zu erlassen (§ 11 Abs 6 ChemG 1996).
4. Anmeldepflicht für gemeldete und nachgemeldete Stoffe Gemäß § 15 ChemG 1996 sind nachgemeldete oder gemäß § 5 ChemG 1987 vor dem 1.1.1995 gemeldete Stoffe anzumelden, wenn dieser Stoff • in einen anderen EWR-Vertragsstaat als Österreich verbracht wird oder • ab 1.1.1995 zwar ausschließlich in Österreich aber in Mengen von mehr als 1 t jährlich in Verkehr gesetzt wird. In diesem Fall ist die Anmeldung unverzüglich vorzunehmen, auch wenn Unterlagen oder Prüfnachweise noch fehlen. Die Behörde hat sodann eine Frist von höchstens neun Monaten zur Beibringung der fehlenden Unterlagen festzusetzen.
D. Einstufung von Chemikalien 1. Allgemeines Der für das Inverkehrsetzen von Stoffen oder Zubereitungen Verantwortliche ist verpflichtet, Nachforschungen über mögliche gefährliche Eigenschaften dieser Chemikalien zu unternehmen. Liegen eine oder mehrere gefährliche Eigenschaften vor, so hat er die betreffenden Stoffe oder Zubereitungen entsprechend einzustufen. Den chemikalienrechtlichen Verantwortlichen nach § 27 ChemG 1996 treffen somit zum einen die Nachforschungspflicht nach allen für die Einstufung von gefährlichen Chemikalien erforderlichen Informationen und die Einstufungspflicht. Die Einstufung von Stoffen und Zubereitungen nach ihren gefährlichen Eigenschaften stellt den zentralen Ausgangspunkt für das chemikalienrechtliche 117
Dies gilt nicht für Änderungen der vorgesehenen Verwendungszwecke uä; hierbei greifen jedoch Mitteilungs- und Produktbeobachtungspflichten (§ 12 Abs 3 ChemG 1996).
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Vorsorge- und Schutzsystem dar. Es umfasst alle - neue wie alte - Stoffe und Zubereitungen. Die Einstufung ist wesentliche Voraussetzung für Kennzeichnungen, Sicherheits- und Warnhinweise udgl.
2. Chemikalienrechtlicher Verantwortlicher Für Einstufung und Nachforschung sind die nach § 27 ChemG 1996 „chemikalienrechtlichen Verantwortlichen“ zuständig. Als solcher Verantwortlicher kommt in Betracht: • der Hersteller, • der Vertreiber, welcher gemäß § 24 Abs 1 Z 2 in der Kennzeichnung aufscheint; • jeder im Inland niedergelassene Vertreiber, der den Stoff, die Zubereitung oder die Fertigware in das Inland verbringt oder sonst aus dem Ausland bezieht. Den chemikalienrechtlichen Verantwortlichen treffen im Wesentlichen fünf Pflichten für das Inverkehrsetzen von Chemikalien: • Produktbeobachtungspflicht nach § 19 ChemG 1996, • Nachforschungs- und Einstufungspflicht nach § 21 ChemG 1996, • Verpackungspflicht nach § 23 ChemG 1996, • Kennzeichnungspflicht nach § 24 ChemG 1996 sowie • Inhaltliche Richtigkeit der Angaben im Sicherheitsdatenblatt nach § 25 ChemG 1996.
3. Nachforschungspflicht Die Nachforschungspflicht geht der Pflicht zur Einstufung von Chemikalien voraus. Sie ist eine logische Vorstufe zur Einstufung nach den gefährlichen Eigenschaften gemäß § 3 ChemG 1996. Gemäß Art 6 Stoff-RL haben Hersteller, Vertreiber und Einführer gefährlicher Stoffe, welche zwar nicht in Anhang I der Stoff-RL aufgenommen, jedoch im EINECS aufgeführt sind, Nachforschungen anzustellen, um sich die einschlägigen und zugänglichen Angaben zu den Eigenschaften dieser Stoffe zu verschaffen. Die hierdurch gewonnenen Informationen sollen dazu dienen, dass diese Stoffe den Vorschriften entsprechend verpackt und gekennzeichnet werden.
4. Einstufung Die Einstufung ist jener Vorgang, in welchem festgestellt wird, ob und wenn ja, welche gefährlichen Eigenschaften iSd § 3 Abs 1 ChemG 1996 ein Stoff oder eine Zubereitung hat.118 Die konkrete Ausgestaltung der Einstufung erfolgt durch § 21 ChemG 1996 iVm der ChemV. Bei der Einstufung von Chemikalien ist grundsätzlich das Vorsorgeprinzip zu beachten, das dem Umstand Rechnung trägt, dass bei manchen Stoffen und Zubereitungen erst nach längerer Zeit ihre Gefährlichkeit bekannt wird und bereits die ersten wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse auf eine bestimmte Gefährlichkeit zumindest in Form einer entsprechenden Einstufung und Kenn-
118
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zeichnung ihren Niederschlag finden sollen.119 Insofern besteht eine permanente Anpassungspflicht der Einstufung entsprechend der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Einstufung neuer Stoffe erfolgt im Rahmen der Grundprüfung (siehe oben II.C.3.a), jene alter Stoffe und Zubereitungen erfolgt dagegen nach mehreren zulässigen Einstufungsvarianten: • Listenprinzip: die Einstufung ist amtlichen Listen (zB EU-Hauptstoffliste nach Anhang I zur Stoff-RL, Stoffliste der horizontalen Lösung nach Anlage A zum EU-Beitrittsvertrag, Österreichische Giftliste) zu entnehmen. • Definitionsprinzip: Sofern ein Stoff aufgrund eigener Prüfergebnisse oder anderer Erkenntnisse, oder, wenn es sich um eine Zubereitung handelt, nach dem Berechnungsverfahren ein Stoff oder eine Zubereitung eine oder mehrere der definierten gefährlichen Eigenschaften zuzuordnen ist, hat der Verantwortliche einen Stoff oder Zubereitung als gefährlich einzustufen. Allgemeine Leitlinien zur Einstufung nach dem Definitionsprinzip enthalten Anhang VI zur Stoff-RL sowie Anhang B zur ChemV. Diese Methode findet Anwendung auf alle nicht eingestuften oder neuen Stoffe und Zubereitungen. • Berechnungsverfahren: Aufgrund einzelner Stoffbestandteile einer Zubereitung und deren Einstufung erfolgt eine Hochrechnung auf die Zubereitungseigenschaften. Die hierfür maßgeblichen Rechtsquellen sind die Zubereitungs-RL sowie Anhang B Teil 2 bis 4 zur ChemV. Die einzelnen Verfahren stehen zueinander in einem Rangverhältnis. Sofern die Einstufung eines Stoffes oder einer Zubereitung bereits durch Verordnung gemäß § 21 Abs 7 ChemG 1996 oder gemäß § 36 ChemG 1996 (Giftliste) vorgegeben, oder mit Bescheid gemäß § 18 ChemG 1996 festgesetzt, erübrigen sich weitere Nachforschungen. Die Einstufung wird dann nach diesen Vorgaben eingestuft (§ 21 Abs 5 ChemG 1996).
5. Bekanntgabe der Einstufungsdaten § 22 ChemG 1996 verpflichtet den Verantwortlichen, die Einstufungsdaten und Nachforschungsergebnisse den Überwachungsorganen (Chemikalieninspektoren) bekannt zu geben. Hierdurch soll die Behörde iSd Zielsetzungen des ChemG 1996 die vom jeweiligen Verantwortlichen vorgenommene Einstufung auf ihre Richtigkeit hin überprüfen können.
E. Regulierung verbrauchsintensiver Produkte (Wasch- und Reinigungsmittel) 1. Bisherige Rechtslage Unter dem Titel der besonderen Bestimmungen über die Umweltverträglichkeit von verbrauchsintensiven Produkten normierte das ChemG 1996 in §§ 29 ff Regelungen über Wasch- und Reinigungsmittel,120 welche als „Stoffe und Zubereitungen, die zur Reinigung bestimmt sind oder bestimmungsgemäß die 119 120
Ulrich (FN 17) 207 f; zur Bedeutung des Vorsorgeprinzips im Hinblick auf die Einstufung von Chemikalien vgl VfSlg 13635/1993 (S 635). Dazu auch Feierl (FN 25) 22.
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Reinigung unterstützen, und erfahrungsgemäß in die Gewässer gelangen“ definiert wurden (§ 29 Abs 1 ChemG 1996 idF BGBl 2001/108). Weiters fielen hierunter Stoffe und Zubereitungen, deren Zusammensetzung speziell auf das Zusammenwirken von Reinigungsvorgängen abgestellt waren und außer den Hauptbestandteilen im allgemeinen ergänzende Bestandteile, wie Zusatzstoffe, Stellmittel, Streckmittel oä enthielten (§ 29 Abs 2 ChemG 1996 idF BGBl 2001/108). Nicht dem Regime der besonderen Bestimmungen über die Umweltverträglichkeit von verbrauchsintensiven Produkten unterlagen Wasch- und Reinigungsmittel, die ausschließlich zu Forschungs- und Analysezwecken ua Zwecken gemäß § 29 Abs 3 ChemG 1996 idF BGBl 2001/108 in Verkehr gesetzt werden. Diese Bestimmungen wurden mit der Schaffung einer gemeinschaftsrechtlichen Regulierung verbrauchsintensiver Chemikalien in der Detergenzien-V (EG) 648/2004 obsolet. Die Novelle BGBl I 2004/98 ersetzte sie daher durch Vorschriften zur Sicherstellung der seit dem 8. Dezember 2005 europarechtlich verpflichtenden Vollziehung und Überwachung der Detergenzien-V in Österreich sicher zu stellen.121
2. Rechtslage nach Inkrafttreten der Detergenzien-V a) Begriff des Detergens Als „Detergens“ definiert Art 2 Z 1 Detergenzien-V einen Stoff oder eine Zubereitung, welcher/welche Seifen und/oder andere Tenside enthält und für Wasch- und Reinigungsprozesse bestimmt ist. Sie können unterschiedliche Formen haben und für Haushaltszwecke der institutionelle oder industrielle Zwecke vertrieben oder verwendet werden. Waschhilfsmittel, Wäscheweichspühler, Putzmittel oder anderer Wasch- und Reinigungsmittel für alle anderen Wasch- und Reinigungsprozesse (Art 2 Z 2 1.-4. Spiegelstrich Detergenzien-V). Diese Definition wurde mit dem Zusatz „Wasch- und Reinigungsmittel“ nahezu wörtlich in § 2 Abs 16 ChemG 1996 übernommen.122 Die Detergenzien-V definiert in Art 2 Z 1-12 die Begriffe „Waschen“, „Reinigung“, „Stoff“, „Zubereitung“, „Tensid“, „primäre Bioabbaubarkeit“, „vollständige aerobe Bioabbaubarkeit“, „Inverkehrbringen“, „Hersteller“, „medizinisches Personal“ sowie „Detergens für den industriellen und institutionellen Bereich“. Die Begriffe „Stoff“, „Zubereitung“, „Hersteller“ des § 2 ChemG 1996 sind daher im Zusammenhang mit Detergenzien durch das direkt anzuwendende Gemeinschaftsrecht verdrängt worden.
b) Inverkehrbringen von Detergenzien Begriff: Als Inverkehrbringen definiert Art 2 Z 9 Detergenzien-V die Einführung in den Gemeinschaftsmarkt und damit die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung für Dritte. Die Einfuhr in das Zollgebiet der Gemeinschaft gilt als Inverkehrbringen. Das Inverkehrbringen von Detergenzien sowie der für Detergenzien bestimmten Tenside richtet sich nach den Bedingungen, Besonderheiten und Beschränkungen der Detergenzien-V und ihrer Anhänge, sowie jenen der RL 98/8/EG, soweit diese einschlägig ist (Art 3 Abs 1 Detergen121 122
474 BlgNR 22. GP zu Z 33 (§ 29 ChemG 1996). 474 BlgNR 22. GP zu Z 1 (§ 2 ChemG 1996).
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zien-V). Die Hersteller von Detergenzien bzw von für Detergenzien bestimmten Tensiden - hierunter fallen insbesondere Produzenten, Importeure, Abfüller usw (siehe Art 2 Z 10 Detergenzien-V) - müssen in der Gemeinschaft niedergelassen sein (Art 3 Abs 2 Detergenzien-V). Sie sind für die Übereinstimmung der Detergenzien bzw der für Detergenzien bestimmten Tenside mit den Bestimmungen der Detergenzien-V verantwortlich (Art 3 Abs 3 Detergenzien-V). Inverkehrbringen von Tensiden: § 30 Abs 1 ChemG 1996 erlaubt das Inverkehrsetzen von Detergenzien nur dann, wenn sie den Bestimmungen der Detergenzien-V entsprechen.123 Art 4 Abs 1 Detergenzien-V erlaubt das Inverkehrbringen von Tensiden als solche und den in Detergenzien enthaltenen Tensiden, wenn sie den für die vollständige aerobe Bioabbaubarkeit des Anhanges III entsprechen. Anhang III normiert die Methoden zur Prüfung der vollständigen Bioabbaubarkeit (Mineralisierung) von Tensiden in Detergenzien. Sie gelten demnach als biologisch abbaubar, wenn die auf Grundlage eines von fünf in Anhang III aufgelisteten Prüfverfahren gemessene Rate der biologischen Abbaubarkeit (Mineralisierung) innerhalb von 28 Tagen mindestens 60% beträgt. Liegt der Grad der vollständigen aeroben Bioabbaubarkeit eines Tensides, das in einem Detergens enthalten ist, unter dem in Anhang III bestimmten Wert, kann der Hersteller von Detergenzien für den industriellen oder institutionellen Bereich, die Tenside enthalten bzw von Tensiden, die für solche Detergenzien bestimmt sind, eine Ausnahme beantragen (Art 4 Abs 2 Detergenzien-V). Diese Ausnahme kann nicht genehmigt werden, wenn die für alle Tenside in Detergenzien, welche die Prüfungen zur vollständigen aeroben Bioabbaubarkeit nicht bestanden haben, gemessene Rate der primären Bioabbaubarkeit unter dem in Anhang II festgelegten Wert liegt (Art 4 Abs 3 Detergenzien-V). Ausnahmegenehmigung für Tenside, die in Detergenzien enthalten sind, deren Grad der vollständigen aeroben Bioabbaubarkeit unter dem in Anhang III bestimmten Wert liegen: Art 5 und 6 Detergenzien-V regeln das Verfahren der Ausnahmegenehmigung näher. Der entsprechende Antrag wird an die im jeweiligen Mitgliedstaat zuständige Behörde - in Österreich an den BMLFUW (§ 29 ChemG 1996) - gerichtet (Art 5 Abs 1 Detergenzien-V). Diesen Anträgen sind technische Unterlagen mit sämtlichen Informationen und Begründungen, die zur Bewertung der Sicherheitsaspekte in Bezug auf die spezifische Verwendung von Tensiden in solchen Detergenzien erforderlich sind, die den in 123
Diese Bestimmung erscheint überflüssig, da die Detergenzien-V unmittelbar anwendbar ist und keinen wie immer gearteten Umsetzungsakt benötigt. Die EB zu dieser Bestimmung (474 BlgNR 22. GP, zu Z 34 [§ 30 ChemG 1996]) führen aus, dass die Detergenzien-V die Mitgliedstaaten verpflichtet, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, dass Detergenzien und Tenside, die nicht der genannten V entsprechen, nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Mit § 30 Abs 1 ChemG 1996 würde die diesbezügliche Anordnung festgelegt werden. Diese Erläuterungen sind mE nicht überzeugend, da § 30 Abs 1 leg cit nur zT auf die Detergenzien-V verweist, zT deren Inhalt wiederholt. Denkt man sich § 30 Abs 1 weg, würde man zu keinem anderen Ergebnis als der unmittelbaren Anwendbarkeit der V kommen. Hier scheint der nationale Gesetzgeber vielmehr seine ehemalige Kompetenz zur Regulierung von Waschmitteln zumindest pro forma aufrechtzuerhalten wollen, wo er sie an die Gemeinschaft verloren hat.
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Anhang III festgelegten Mindestwerten für die biologische Abbaubarkeit nicht entsprechen, beizulegen. Ferner müssen die technischen Unterlagen die Informationen und Ergebnisse der in Anhängen II und IV beschriebenen Prüfungen enthalten (Art 5 Abs 2 Detergenzien-V). Diese Anträge sind von der zuständigen Behörde zu prüfen und zu bewerten, wobei sie die Kommission binnen sechs Monaten ab Einlangen eines vollständigen Antrages über die Ergebnisse unterrichten müssen (Art 5 Abs 3 Detergenzien-V). Die zuständige Behörde kann hierbei binnen drei Monaten ab Einlangen eines Ausnahmegenehmigungsantrages weitere Informationen, Verifikations- und/oder Bestätigungstests für die gegenständlichen Stoffe, Zubereitungsprodukte oder ihre Umwandlungsprodukte anfordern um das Risiko solcher Stoffe bzw Zubereitungen bewerten zu können. Die Sechsmonatsfrist zur Unterrichtung der Kommission beginnt erst, wenn das Dossier entsprechend vervollständigt ist. Erbringt der Antragsteller die zusätzlichen Informationen und Tests nicht innerhalb von zwölf Monaten, wird der Antrag als unvollständig und ungültig betrachtet (Art 5 Abs 3 Detergenzien-V). Auf Grundlage der in den Mitgliedstaaten durchgeführten Bewertungen entscheidet die Kommission binnen zwölf Monaten (im Falle des Art 5 Abs 4 und 6 des Beschlusses 1999/468/EG binnen 18 Monaten) nach Erhalt der Bewertung aus dem Mitgliedstaat über eine Ausnahmegenehmigung. Je nach Ergebnis der ergänzenden Risikobewertung des Anhanges IV kann in der Erteilung der Ausnahmegenehmigung das Inverkehrbringen und Verwenden von Tensiden als Bestandteil von Detergenzien erlaubt, beschränkt oder stark eingeschränkt werden. Es kann auch eine Frist zur Einstellung des Inverkehrbringens oder Verwendens solcher Tenside als Bestandteil von Detergenzien festgelegt werden (Art 5 Abs 5 Detergenzien-V). Ein Verzeichnis der Tenside, für die eine Ausnahmegenehmigung erteilt wurde, ist gemäß Art 5 Abs 6 Detergenzien-V von der Kommission zu veröffentlichen. Bedingungen für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung: Gemäß Art 6 Abs 1 Detergenzien-V kann eine Ausnahmegenehmigung aufgrund folgender Kriterien erteilt werden: • Verwendung in weniger verbreiteten Anwendung und nicht in weit verbreiteten Abwendungen; • Verwendung ausschließlich in speziellen industriellen und/oder institutionellen Anwendungen; • das Risiko für Umwelt und Gesundheit durch Umfang der Verkäufe und die Verwendungsgepflogenheiten in der Gemeinschaft ist gemessen am sozioökonomischen Nutzen einschließlich Nahrungsmittelsicherheit und Hygienestandards gering. Das betreffende Tensid kann weiterhin in Verkehr gebracht werden, auch wenn noch keine Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung gefallen ist, wenn der Hersteller belegen kann, dass das Tensid bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Detergenzien-V auf dem Gemeinschaftsmarkt verwendet wurde und der Antrag auf Ausnahmegenehmigung innerhalb von zwei Jahren ab diesem Zeitpunkt gestellt wurde (Art 6 Abs 2 Detergenzien-V). Die Verweigerung einer Ausnahmegenehmigung hat innerhalb von zwölf Monaten (18 Monaten im Falle des Art 5 Abs 4 und 6 des Beschlusses 1999/468/EG) nach Erhalt der in Art 5 Abs 3 Detergenzien-V genannten Be-
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wertung aus einem Mitgliedstaat zu erfolgen (Art 6 Abs 3 Detergenzien-V). Es kann für die Einstellung des Inverkehrbringens und der Verwendung eines solchen Tensids eine Übergangszeit festgesetzt werden, die nicht länger als zwei Jahre, gerechnet ab Entscheidung durch die Kommission, sein darf (Art 6 Abs 3 Detergenzien-V). Die Kommission hat in Anhang VI das Verzeichnis der Tenside zu veröffentlichen, bei denen festgestellt wurde, dass sie nicht der Detergenzien-V entsprechen (Art 6 Abs 4 Detergenzien-V). Prüfung von Tensiden: Die in Art 3 und 4 sowie in den Anhängen II, III, IV und VIII genannten Prüfungen sind in Übereinstimmung mit den in Anhang I Nr 1 bezeichneten Normen124 und gemäß den Prüfungsanforderungen nach Art 10 Abs 5 V (EWG) 793/93 durchzuführen (Art 7 Detergenzien-V). Es ist zu diesem Zweck ausreichend, die EN ISO/IEC-Norm oder die Grundsätze der Guten Laborpraxis einzuhalten, es sei denn die Grundsätze der Guten Laborpraxis sind zwingend vorgeschrieben (Art 7 Detergenzien-V). Bei der Verwendung von Tensiden in Detergenzien, die vor Inkrafttreten der genannten Norm in Verkehr gebracht wurden, können bereits durchgeführte Prüfungen von Fall zu Fall anerkannt werden, wenn sie unter Nutzung der besten verfügbaren Kenntnisse und gemäß einem den Normen des Anhanges I vergleichbaren Standard durchgeführt wurden (Art 7 Detergenzien-V). Zweifels- und Streitfragen sind der Kommission zur Entscheidung vorzulegen (Art 7 DetergenzienV). Ausschussverfahren: Die Kommission wird gemäß Art 12 Detergenzien-V von einem Ausschuss unterstützt. Diesem Ausschuss obliegt die Anpassung der Anhänge der Detergenzien-V (Art 13 Detergenzien-V).
Untersagungs-, Beschränkungs- und Behinderungsverbot: Art 14 Detergenzien-V untersagt es den Mitgliedstaaten, das Inverkehrbringen von Detergenzien und/oder Tensiden für Detergenzien, die den Anforderungen der Detergenzien-V entsprechen, aus Gründen, die Gegenstand dieser Verordnung sind, untersagen, beschränken oder behindern. Für die Verwendung von Phosphaten in Detergenzien können freilich die Mitgliedstaaten nach dieser Vorschrift bis zu einer weitergehenden Harmonisierung diesbezügliche einzelstaatliche Regelungen beibehalten bzw erlassen. Wenn ein Mitgliedstaat jedoch berechtigten Grund zur Annahme hat, dass ein bestimmtes Detergens trotz Einhaltung der Vorschriften der Detergenzien-V für die Sicherheit oder die Gesundheit von Menschen oder Tieren oder ein Risiko für die Umwelt darstellt, so kann er das Inverkehrbringen dieses Detergens in seinem Hoheitsgebiet vorläufig untersagen oder besonderen Bedingungen unterwerfen (Art 15 Abs 1 Detergenzien-V). In diesem Fall hat der Mitgliedstaat seine Entscheidung den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission unverzüglich mitzuteilen. Nach Konsultierung der Mitgliedstaaten oder gegebenenfalls des zuständigen technischen oder wissenschaftlichen Ausschusses der Kommission ist innerhalb von 90 Tagen nach dem in Art 12 Abs 2 Detergenzien-V genannten
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Anhang I Nr 1 lautet: „1. Auf Ebene der Labors anzuwendende Normen: EN ISO/IEC 17025, Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien. Richtlinie 2004/10/EG. Richtlinie 86/609/EWG.“ (Hervorhebungen im Original).
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Ausschussverfahren über die Angelegenheit zu entscheiden (Art 15 Abs 2 Detergenzien-V). Überprüfung: Art 16 Detergenzien-V sieht vor, dass bis zum 8. April 2007 die Kommission eine Bewertung über die Verwendung von Phosphaten im Hinblick auf die schrittweise Einstellung oder Beschränkung ihrer Verwendung durchführen, einen diesbezüglichen Bericht und legislativen Vorschlag vorlegen wird. Bis zum 8. April 2009 hat die Kommission die Anwendung der Detergenzien-V zu überprüfen, wobei sie insbesondere die biologische Abbaubarkeit von Tensiden berücksichtigt. Sie wird einen diesbezüglichen Bericht und gegebenenfalls einen Legislativvorschlag zur Regelung des anaeroben biologischen Abbaus und des biologischen Abbaus der wichtigsten organischen Inhaltsstoffe von Detergenzien, die nicht zu den Tensiden gehören, vorlegen (Art 16 Abs 2 Detergenzien-V).
c) Herstellerpflichten Informationspflichten: Hersteller, die Stoffe und Zubereitungen, für welche die Detergenzien-V gilt, in Verkehr bringen, haben umfangreiche Informationspflichten einzuhalten. Sie müssen gemäß Art 9 Abs 1 Detergenzien-V für die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bereithalten: • Informationen über ein oder mehrere Ergebnisse der Prüfungen nach Anhang III; Für diejenigen Tenside, welche die nach Anhang III vorgeschriebenen Prüfungen nicht bestanden haben und für welche ein Antrag auf Ausnahmegenehmigung nach Art 5 Detergenzien-V gestellt wurde: • technische Unterlagen über die Ergebnisse der nach Anhang II vorgeschriebenen Prüfungen,125 • technische Unterlagen über die Ergebnisse der nach Anhang IV vorgeschriebenen Prüfungen und Angaben.126 Verantwortlichkeit für Durchführung einschlägiger Prüfungen und Dokumentation: Für die in Verkehr gebrachten Stoffe und/oder Zubereitungen ist der Hersteller betreffend die korrekte Durchführung der einschlägigen Prüfungen verantwortlich (Art 9 Abs 2 Detergenzien-V). Er muss zudem über eine Dokumentation der durchgeführten Prüfungen verfügen, welche zum Nachweis der Übereinstimmung mit der Detergenzien-V und als Beleg dafür, dass er die Eigentumsrechte in Bezug auf die Prüfergebnisse, ausgenommen jener, welche bereits frei zugänglich sind, nutzen darf (Art 7 Abs 2 Detergenzien-V). Bereitstellung des Datenblatts für medizinisches Personal: Hersteller, die Zubereitungen, für die die Detergenzien-V gilt, in Verkehr bringen, haben auf Anfrage unverzüglich und kostenfrei allen Angehörigen medizischen Personals ein Datenblatt zur Verfügung zu stellen, in dem alle Inhaltsstoffe nach Anhang VII Abschnitt C verzeichnet sind, zur Verfügung zu stellen (Art 9 Abs 3 Detergenzien-V). Hiervon ist das Recht eines Mitgliedstaats unberührt, zu fordern, dass ein solches Datenblatt einer öffentlichen Stelle, die mit der 125
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Anhang II Detergenzien-V betrifft die Methoden zur Prüfung der primären Bioabbaubarkeit von Tensiden in Detergenzien. Er enthält ein Verzeichnis gemeinsamer Prüfmethoden für alle Tensidklassen und führt in Abschnitten A bis D die spezifischen Prüfverfahren für die einzelnen Tensid-Klassen auf. Anhang IV Detergenzien-V betrifft die ergänzende Risikobewertung für Tenside in Detergenzien.
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Aufgabe betraut ist, medizinisches Personal mit diesen Informationen zu versorgen, zur Verfügung gestellt wird (Art 9 Abs 3 Detergenzien-V). Gemäß § 33 ChemG 1996 halten chemikalienrechtlich Verantwortliche iSd § 27 ChemG 1996 solche Datenblätter über Detergenzien für die Information der Vergiftungsinformationszentrale des Österreichischen Bundesinstitutes für Giftwesen bereit und übermitteln dieser das Datenblatt auf Anfrage. Diese bereitgestellten Informationen sind vertraulich zu behandeln und dürfen nur für medizinische Zwecke verwendet werden (Art 9 Abs 3 Detergenzien-V). d) Vollziehung der Detergenzien-V durch innerstaatliche Vorschriften Die Detergenzien-V enthält eine Reihe von Pflichten der Mitgliedstaaten, welchen Österreich durch die Novellierung der §§ 29 ff ChemG 1996 nachgekommen ist. Zunächst bestimmt § 29 ChemG 1996 den BMLFUW als die für die Vollziehung der Detergenzien-V zuständige Behörde. Gemäß § 30 Abs 3 ChemG 1996 kann der BMLFUW unter Bedachtnahme auf die Ziele dieses Gesetzes sowie auf die Bestimmungen der Detergenzien-V im Einvernehmen mit dem BMWA nähere Bestimmungen über die Kennzeichnung von Detergenzien sowie über die Abgabe von Dosierungsempfehlungen, die Beigabe von Messbechern oder die Ausrüstung mit Dosiereinrichtungen erlassen. Bei der Erlassung dieser Vorschriften ist auf den jeweiligen Stand der Technik iSd § 2 Abs 15 ChemG 1996 Bedacht zu nehmen. Die Möglichkeit, nähere Kennzeichnungsbestimmungen für Detergenzien zu schaffen, entspricht der in der Detergenzien-V festgelegten Berechtigung, die Anbringung einer allfälligen Kennzeichnung in der jeweiligen Amtssprache zu verlangen.127 Die Verordnungsermächtigung zur näheren Regelung der Kennzeichnung und Dosierung von Wasch- und Reinigungsmitteln entspricht der bisher in § 34 Abs 2 ChemG 1996 enthaltenen Ermächtigung.128 § 30 Abs 4 ChemG 1996 verpflichtet Wasserversorgungsunternehmen, ihren Wasserabnehmern und - sofern diese nicht zugleich Wasserabnehmer sind den Wasserletztverbrauchern auf Anfrage, mindestens aber einmal jährlich, den Härtegrad des Wassers in deutschen Härtegraden bekannt zu geben. Wenn es aus technischen Gründen nicht anders möglich ist, ist bloß eine Bandbreite der zu erwartenden Wasserhärte in deutschen Härtegraden bekannt zu geben. Diese, vom Gesetzgeber als „bewährte Verpflichtung“129 qualifizierte Regelung, entspricht der bisherigen Rechtslage. § 31 ChemG 1996 legt Rolle und Vorgangsweise des BMLFUW in dem in Art 5 Detergenzien-V vorgesehenen Bewilligungsverfahren von Ausnahmegenehmigungen von den in Art 4 Detergenzien-V Beschränkungen für bestimmte Tenside fest.130 Im Wesentlichen fasst § 31 ChemG 1996 Art 5 Abs 3 S 1 Detergenzien-V zusammen. Demnach prüft dieser Bundesminister die Anträge „hinsichtlich der in Art. 6 [der Detergenzien-V] festgelegten Bedingungen und
127 128 129 130
Siehe Art 11 Abs 5 Detergenzien-V; 474 BlgNR 22. GP zu Z 34 (§ 30 ChemG 1996). 474 BlgNR 22. GP zu Z 34 (§ 30 ChemG 1996). 474 BlgNR 22. GP zu Z 34 (§ 30 ChemG 1996). 474 BlgNR 22. GP zu Z 35 (§ 31 ChemG 1996).
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informiert die Europäische Kommission binnen sechs Monaten nach Eingang eines vollständigen Antrages über die Ergebnisse der Prüfung“. § 32 Abs 1 ChemG 1996 ermöglicht dem BMLFUW zum Schutz der Umwelt von Gefahren oder Belastungen durch Inhaltsstoffe von Detergenzien, wenn dies nach dem Stand der Technik iSd § 2 Abs 15 ChemG 1996 und gemäß der Detergenzien-V erforderlich ist, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit für bestimmte Inhaltsstoffe von Detergenzien oder bestimmte Tenside iSd Art 2 Abs 6 Detergenzien-V mit Verordnung Beschränkungen vorzusehen oder Inhaltsstoffe zu bezeichnen und für diese Inhaltsstoffe Höchstmengen in Detergenzien festzusetzen. Zudem kann in dieser Verordnung auch das zur Bestimmung der betroffenen Inhaltsstoffe anzuwendende Verfahren festgelegt werden (§ 32 Abs 2 ChemG 1996). Hinsichtlich des in Art 9 Detergenzien-V vorgesehenen Datenblattes bestimmt § 33 ChemG 1996, dass die chemikalienrechtlichen Verantwortlichen gemäß § 27 Abs 1 ChemG 1996 ein solches Datenblatt für die Information der Vergiftungsinformationszentrale des Österreichischen Bundesinstitutes für Gesundheitswesen bereithalten müssen und es dieser auf Anfrage übermitteln müssen. Art 7 Detergenzien-V verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Führung von Listen über alle Labors, welche die Prüfung von Tensiden nach den Vorschriften der Detergenzien-V und ihrer Anhänge vornehmen und entweder die Grundsätze der Guten Laborpraxis einhalten und überwacht werden oder nach den einschlägigen Normen EN ISO/IEC 17025 arbeiten und akkreditiert sind (EN 45003).131 Gemäß § 34 Abs 1 ChemG 1996 hat der BMLFUW ein solches Verzeichnis anerkannter Labors, die den Anforderungen des IV. Abschnittes des ChemG 1996 (§§ 50 ff leg cit) oder des Punktes 1 des Anhanges I Detergenzien-V entsprechen. Er hat dieses Verzeichnis den anderen Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission mitzuteilen. Hinsichtlich der Aufnahme in dieses Verzeichnis legt § 34 Abs 2 ChemG 1996 fest, dass jene Labors aufzunehmen, die dem BMLFUW nachgewiesen haben, dass sie die in Abs 1 festgelegten Anforderungen erfüllen.
F. Kennzeichnungspflicht 1. Allgemeines Gefährliche Stoffe und Zubereitungen sind im Hinblick auf ihre Eigenschaften (§ 3 ChemG 1996, dazu oben I.A.6.) zu kennzeichnen. Diese Kennzeichnung ist Voraussetzung für das Inverkehrsetzen von gefährlichen Stoffen und Zubereitungen. Die Kennzeichnungsvorschriften entstammen weitgehend dem Gemeinschaftsrecht. § 24 ChemG 1996, der die Kennzeichnungspflicht normiert, setzt insbesondere die Art 23 bis 25 Stoff-RL sowie Art 7 Zubereitungs-RL um. Dabei ist aber das österreichische Recht weitergehend als das Gemeinschaftsrecht, indem zusätzliche Erfordernisse in Form von zwei zusätzlichen Kennzeichnungselementen (§ 24 Abs 1 Z 6 und Z 7), einer spezifischen Gift-
131
474 BlgNR 22. GP zu Z 38 (§ 34 ChemG 1996).
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kennzeichnung sowie zT der Anführung von mehr Inhaltsstoffen einer Zubereitung als nach der Zubereitungs-RL vorgesehen sind.132
2. Kennzeichnungsvorschriften im Einzelnen a) ChemG 1996 Gemäß § 24 Abs 1 ChemG 1996 muss die Kennzeichnung eines gefährlichen Stoffes oder einer gefährlichen Zubereitung deutlich sicht- und lesbar und dauerhaft auf jeder Verpackung angebracht sein. Sie muss in deutscher Sprache abgefasst und allgemein verständlich sein.133 Die Kennzeichnung dient der Information des Abnehmers von (gefährlichen) Stoffen und Zubereitungen, mit welchen Gefahren im Umgang mit solchen Chemikalien zu rechnen ist. Gleichzeitig dient die Kennzeichnung der Anweisung des Benutzers, um eine sichere Handhabung der Chemikalie zu gewährleisten. Ferner enthält die Kennzeichnung Hinweise für Maßnahmen im Unglücksfall. Die Kennzeichnung richtet sich nach einem gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Schema, das auf der Einstufung (§ 21 ChemG 1996) basiert. Dies hat zur Folge, dass entsprechend der Einstufung einer Chemikalie unterschiedliche Kennzeichnungselemente zur Anwendung kommen können. Die Kennzeichnungselemente werden durch die § 24 Abs 1 Z 1 bis 10 ChemG 1996 iVm §§ 15 ff ChemV sowie Anlage A zur ChemV näher definiert. Systematisch lassen sich die folgenden Elemente unterscheiden: • Stoff-, Zubereitungsname: Dieser richtet sich nach der EU-Hauptstoffliste oder nach einer verkehrsüblichen Bezeichnung,134 • Name, Anschrift, Telefonnummer des Verantwortlichen; • Gefahrensymbole und Gefahrenbezeichnung: Diese sind in Anhang A Pkt 1 zur ChemV näher konkretisiert und weisen eine bildliche Darstellung einen definierten Buchstaben und die Gefahrenbezeichnung auf (zB T+, bildliche Darstellung eines Totenkopfs mit gekreuzten Knochen und der Bezeichnung: sehr giftig); • Standardaufschriften: Dies auch als Risikosätze (R-Sätze) bezeichneten Aufschriften sind ihrem Wortlaut nach festgelegte Warnhinweise (zB R 1 In trockenem Zustand explosionsgefährlich). Diese sind jeweils mit einer Nummer versehen. Der Text sowie die Auswahlkriterien der Anbringung sind in Anlage A Pkt 2 der ChemV sowie in gemeinschaftsrechtlichen Normen festgelegt. • Standardaufschriften für Sicherheitsratschläge: Diese als Sicherheitssätze (S-Sätze) bezeichneten Aufschriften weisen auf empfehlenswerte Vor132 133
134
Ulrich (FN 17) 302 f. Die Kennzeichnung muss natürlich auch richtig sein; enthält die Kennzeichnung nur die Aufschrift „brennbar“ statt „entzündlich“, fehlt einer mindergiftigen Zubereitung, die in Selbstbedienung abgegeben wird, die vorgeschriebene Kennzeichnung der Verkaufsfläche „Achtung, mindergiftige Stoffe und mindergiftige Zubereitungen. Gesundheitsschädlich. Die auf der Verpackung angegebenen Hinweise sind zu beachten“, macht sich der Inverkehrsetzer verwaltungsstrafrechtlich nach dem ChemG 1996 verantwortlich; UVS Kärnten, 28.11.1994, KUVS-1701-1703/5/93. Ulrich (FN 17) 307.
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sichtsmaßnahmen im Umgang mit dem betreffenden gefährlichen Stoff oder der Zubereitung hin (zB S 1 - Unter Verschluss aufbewahren). Diese sind in Anhang A Pkt 3. zur ChemV sowie in Anhang IV der Stoff-RL geregelt. • Hinweise auf Gegenmaßnahmen im Unglücksfall: Dieses Kennzeichnungselement war in Österreich zusätzlich zu den gemeinschaftsrechtlich erforderlichen Kennzeichnungsbestandteilen erforderlich. Es scheint jedoch nicht mehr in der ChemV auf. • Hinweise zur schadlosen Beseitigung: Diese Kennzeichnungselemente waren in Österreich zusätzlich zu den vom Gemeinschaftsrecht vorgegebenen Kennzeichnungsbestandteilen erforderlich und durften für vier Jahre nach dem Beitritt Österreichs zur Gemeinschaft weiter verwendet werden.135 Da diese Frist abgelaufen ist, enthält die ChemV nunmehr auch keine unter diese Kategorien fallenden Kennzeichnungsvorschriften mehr.136 • Sonstige Kennzeichnungselemente: Diese umfassen die EG-Nummer, den Vermerk EG-Kennzeichnung sowie die Nennmenge. Neben diesen Kennzeichnungsvorschriften bestehen noch Sonderfälle für bestimmte Stoffe und Zubereitungen, die zwar keine gefährlichen Eigenschaften iSd § 3 Abs 1 ChemG 1996 aufweisen, jedoch ein großes Anwendungsrisiko in sich tragen, welche eine Kennzeichnungspflicht rechtfertigt. Ausnahmen von den Kennzeichnungsvorschriften bestehen für den Import und Export gefährlicher Stoffe und Zubereitungen sowie für die Ausfuhr von gefährlichen Stoffen und Zubereitungen, für Kleinverpackungen bis 0,125 l Inhalt, für Druckgasflaschen und ortsbewegliche Gasbehälter ua.137 Besondere Kennzeichnungsvorschriften gelten für Zubereitungen, die als gefährlich iSd § 3 Abs 1 ChemG 1996 eingestuft sind und für jedermann im Einzelhandel erhältlich sind. Hierfür sieht die ChemV die Angabe bestimmter Sicherheitsratschläge vor, welche neben den sonst notwendigen Sicherheitsratschlägen anzubringen sind.138 Für als giftig, sehr giftig oder ätzend eingestufte Zubereitungen besteht überdies die Pflicht, eine Gebrauchsanweisung beizugeben. b) Detergenzien-V Unbeschadet der Bestimmungen in Bezug auf die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen in der Stoff-RL und der Zubereitungs-RL (siehe §§ 21 ff ChemG 1996) normieren Art 11 Detergenzien-V iVm § 30 Abs 1 und 2 ChemG 1996 spezielle Kennzeichnungspflichten für Detergenzien und Tenside. Die Kennzeichnung muss deutlich sicht- und lesbar sowie dauerhaft sein und - wenn die Detergenzien oder Tenside zur Abgabe im Inland bestimmt sind - in deutscher Sprache verfasst sein. Auf Verpackungen, in denen Detergenzien für Verbraucher angeboten werden, müssen leserlich, deutlich und unverwischbar Name und Handelsname des 135 136 137 138
Art 69 und Anhang VIII, Nr 8c des Beitrittsvertrages. Dazu aus europarechtlicher Sicht Ermacora/Krämer (FN 19) 189. Vgl dazu Ulrich (FN 17) 338 ff; Benedikter, Das Inverkehrsetzen von Chemikalien in Österreich, 2000, 34 f. Benedikter (FN 137) 36.
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Erzeugnisses, Name, Handelsname und Warenzeichen sowie vollständige Anschrift und Telefonnummer des Wirtschaftsteilnehmers, der für das Inverkehrbringen des Produktes verantwortlich ist, sowie Anschrift, E-MailAdresse, soweit vorhanden, und Telefonnummer, unter der das Datenblatt (Art 9 Abs 3 Detergenzien-V) erhältlich ist, angebracht sein. Die gleichen Angaben müssen in allen Begleitpapieren von lose beförderten Detergenzien enthalten sein (Art 11 Abs 2 Detergenzien-V). Auf der Verpackung von Detergenzien wird der Inhalt gemäß den Vorschriften des Anhangs VII Abschnitt A (betreffend die Kennzeichnung der Inhaltsstoffe) angegeben. Ferner sind auf der Verpackung erforderlichenfalls Anweisungen für die Verwendung und besonderen Vorsichtsmaßnahmen anzugeben (Art 11 Abs 3 Detergenzien-V). Darüber hinaus sind auf Verpackungen von Detergenzien, die an die Allgemeinheit verkauft werden und zur Verwendung als Waschmittel bestimmt sind, die in Anhang VII Abschnitt B vorgesehenen Informationen (Kennzeichnung in Bezug auf Dosierung) anzugeben (Art 11 Abs 4 Detergenzien-V). Diese Kennzeichnungspflicht kann gemäß § 30 Abs 3 ChemG 1996 durch eine vom BMLFUW im Einvernehmen mit dem BMWA zu erlassende V im Hinblick auf die Kennzeichnung, die Abgabe von Dosierungsempfehlungen, die Beigabe von Messbechern oder die Ausrüstung von Dosierungseinrichtungen präzisiert werden. Derzeit ist keine solche V ergangen.
3. Sicherheitsdatenblatt Eng mit der Kennzeichnung von Chemikalien verbunden ist die Pflicht des Herstellers, Importeurs und Vertreibers, der einen gefährlichen Stoff oder eine gefährliche Zubereitung in Verkehr setzt, den beruflichen Abnehmern bei erstmaliger Lieferung ein Sicherheitsdatenblatt auszuhändigen (§ 25 ChemG 1996), deren Inhalt in § 25 ChemV näher bestimmt ist. Mit diesem Sicherheitsdatenblatt wird gewährleistet, dass gewerbliche Vertreiber und Verwender von gefährlichen Stoffen und Zubereitungen über eine Basisinformation betreffend die in seinem Unternehmen gehandelten und verwendeten Chemikalien verfügt und diese Informationen auch potentiell gefährdeten Arbeitnehmern leicht zugänglich gemacht werden kann. Die Bestimmung des § 25 ChemG 1996 wird durch § 25 ChemV und Anhang F zur ChemV näher determiniert. Danach muss das Sicherheitsdatenblatt in deutscher Sprache abgefasst sein und Angaben über den Stoff bzw. Zubereitung hinsichtlich der Bezeichnung, der Zusammensetzung, der möglichen Gefahren usw aufweisen. Damit entspricht das Sicherheitsdatenblatt letztlich einer ausführlicheren und stärker am fachlichen Niveau orientierten Kennzeichnung von gefährlichen Chemikalien. Zur Ausfolgung eines Sicherheitsdatenblattes ist jeder verpflichtet, der gefährliche Stoffe oder gefährliche Zubereitungen herstellt oder in Verkehr setzt und an andere abgibt.139 Es ist anlässlich der ersten Abgabe der betreffenden Chemikalie an einen bestimmten berufsmäßigen Abnehmer kostenlos auszufolgen. Sicherheitsdatenblätter, welche die Geschäfts- oder Betriebsinhaber, ihre Stellvertreter oder Beauftragte ausfolgen müssen bzw welche diesen Personen ausgefolgt wurden, müssen so aufbewahrt werden, dass die zur Überwachung 139
Benedikter (FN 137) 37; Feierl (FN 25) 19.
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befugten Organe gemäß §§ 58 und 60 ChemG 1996 sowie die solchen Stoffen und Zubereitungen exponierten Arbeitnehmer jederzeit Einsicht nehmen können (§ 25 Abs 6 ChemG 1996). Ein Unterbleiben dieser Einsichtmöglichkeit, weil zB der zuständige Werkmeister auf einem Fortbildungsseminar und abwesend ist, kann nicht entschuldigt werden, da das Gesetz vorsieht, dass Kontrollorgane jederzeit Einsicht nehmen können.140 Bei „Publikumsprodukten“, welche über den Einzelhandel für jedermann erhältlich sind, besteht eine gemilderte Pflicht der Ausfolgung des Sicherheitsdatenblattes, sofern auf dem jeweiligen Produkt alle zum sicheren Gebrauch und für Unglücksfälle notwendigen Informationen bereits in der Kennzeichnung enthalten sind. Für diese Produkte ist die Abgabe eines Sicherheitsdatenblattes nur erforderlich, wenn der berufsmäßige Verwender die Ausfolgung eines Sicherheitsdatenblatts verlangt.
G. Verpackungsvorschriften 1. Allgemeines § 23 ChemG 1996 regelt entsprechend der gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen (Stoff-RL und Zubereitungs-RL) Anforderungen an die Verpackung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen. Diese betreffen va die Dauerhaftigkeit, die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Inhalt und die zu erwartende Beanspruchung, so dass gewährleistet wird, dass bei der Verwendung der verpackten gefährlichen Chemikalien keine Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Menschen und für die Umwelt hervorgerufen werden.141
2. Verpackungsvorschriften für gefährliche Chemikalien In Ausführung des § 23 ChemG 1996 setzen §§ 10-12 ChemV nähere Regelungen betreffend die Beschaffenheit von Verpackungen und ihre äußere Aufmachung fest.142 Vorschriften betreffend die Beschaffenheit von Verpackungen: Diese betreffen va Anforderungen von Verpackungen an ihre Dichtheit, ihre physikalisch-chemische Beständigkeit, Belastbarkeit sowie an Verschlüsse. Vorschriften betreffend die äußere Aufmachung, Form und Bezeichnung: Verpackungen sollen so gestaltet sein, dass sie nicht verwechselt werden können und dürfen insbesondere nicht den Eindruck der Ungefährlichkeit erwecken. Ferner müssen Verpackungen so gestaltet werden, dass ein Teil ihres Inhalts entweichen kann, wenn die damit verbundene Gefahr geringer ist als bei dichter Verpackung. Solche Verpackungen müssen besondere Sicherheitsvorkehrungen aufweisen. Bei nur geringer Gefahr ist ein besonderer Sicherheitshinweis auf die mit der dichten Verpackung verbundenen Gefahren anzubringen. Überdies präzisiert die ChemV die Anforderungen an Kunststoffverpackungen und verlangt eine besondere Alterungsbeständigkeit und Beständig140 141 142
UVS Kärnten, 8.1.2002, KUVS-258-262/7/2001. Benedikter (FN 137) 28; Ulrich (FN 17) 294. Benedikter (FN 137) 28.
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keit gegen ultraviolette Strahlung in Entsprechung zu der zu erwartenden physikalischen und chemischen Beanspruchung.
3. Spezifische Bestimmungen für den Einzelhandel Verpackungen, die im Einzelhandel erhältlich sind, müssen derart gestaltet sein, dass sie weder die kindliche Neugier wecken und fördern noch beim Verbraucher Verwechslungen hervorrufen können. Insbesondere dürfen sie nicht Aufmachungen oder Bezeichnungen aufweisen, die für Lebensmittel, Futtermittel oder Arzneimittel verwendet werden. Nach § 12 ChemV sind bestimmte, im Einzelhandel angebotene und für jedermann erhältliche Verpackungen mit kindersicheren Verschlüssen auszustatten.143 Dies betrifft va Stoffe und Zubereitungen, die als „sehr giftig“, „giftig“ oder „ätzend“ gekennzeichnet sind, als gesundheitsschädlich eingestufte Zubereitungen, die eine Aspirationsgefahr darstellen sowie Zubereitungen, die bestimmte Mengen Methanol oder Dichlormethan enthalten. Ferner müssen als „sehr giftig“, „giftig“, „gesundheitsschädlich“, „ätzend“, „hochentzündlich“ oder „leichtentzündlich“ gekennzeichnete Chemikalien, die im Einzelhandel angeboten werden, mit tastbaren Gefahrenhinweisen versehen werden (§ 12 ChemV).
4. Verpackungsvorschriften für Fertigwaren Gemäß § 26 ChemG 1996 können Fertigwaren, die einen gefährlichen Stoff bzw eine gefährliche Zubereitung enthalten und deshalb ein Risiko für die Gesundheit von Menschen oder ein Umweltrisiko darstellen können, speziellen Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften unterworfen werden.
H. Verkehrsbeschränkungen 1. Inverkehrsetzen von Chemikalien a) Begriff Das Inverkehrsetzen von Chemikalien ist ein zentraler Teilbereich der Regulierung von Chemikalien. Gemäß § 2 Abs 11 ChemG 1996 bezeichnet „InVerkehr-Setzen“ einerseits das Bereitstellen von Chemikalien für Dritte und umfasst insbesondere das Vorrätighalten, Anbieten, Feilhalten und Abgeben von Chemikalien. Andererseits gilt aber auch die Einfuhr als In-VerkehrSetzen iSd ChemG 1996. Zu beachten ist, dass der Begriff des Inverkehrsetzens des § 2 Abs 11 ChemG 1996 nicht für Detergenzien anzuwenden ist. Die Detergenzien-V definiert den Begriff des „Inverkehrbringens“ wie folgt: „Einführung in den Gemeinschaftsmarkt und damit Bereitstellung für Dritte, gleich ob gegen oder ohne Entgelt. Die Einfuhr in das Zollgebiet gilt als Inverkehrbringen.“ (Art 2 Z 9 Detergenzien-V). Dem Schutzzweck des ChemG 1996 entsprechend, unterliegt das Inverkehrsetzen von gefährlichen Chemikalien gemäß § 17 ChemG 1996 Beschränkungen oder Verboten (siehe dazu unten II.H.3.). 143
Ulrich (FN 17) 297 f; Benedikter (FN 137) 29.
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b) Pflichten für Inverkehrsetzer An das Inverkehrsetzen von Stoffen, Zubereitungen oder Fertigwaren im Allgemeinen knüpft sich eine Reihe von Pflichten. So haben sich Inverkehrsetzer auch nach Inverkehrsetzen solcher Chemikalien über alle Tatsachen und Umstände zu informieren, die auf eine schädliche Wirkung hinweisen, die derartige Stoffe, Zubereitungen oder Fertigwaren auf den Menschen oder die Umwelt ausüben können (§ 19 Abs 2 ChemG 1996). Der für das Inverkehrsetzen einer Chemikalie Verantwortliche ist aufgrund dieser Pflichten im Sicherheitsdatenblatt anzuführen (§ 25 Abs 4 ChemG 1996). Das Inverkehrsetzen von gefährlichen Stoffen und Zubereitungen ist an die in § 24 ChemG 1996 normierte Kennzeichnungspflicht gebunden (siehe dazu oben II.F.). Ferner ist derjenige, der gefährliche Zubereitungen in Verkehr setzt, nach Maßgabe seiner Verantwortlichkeit gemäß § 27 ChemG 1996 verpflichtet, dem BMLFUW auf Verlangen die diesbezüglichen, in § 22 ChemG 1996 genannten Daten und Nachforschungsergebnisse bekannt zu geben (§ 19 Abs 4 ChemG 1996). Für das Inverkehrsetzen von sehr giftigen und giftigen (nicht jedoch mindergiftigen) Stoffen ist die Aufnahme solcher Gifte in die Giftliste bedeutend. Sind solche Gifte nicht bereits in die Giftliste aufgenommen, sind diese vor Inverkehrsetzen dem BMLFUW zu melden. § 40 Abs 1 ChemG 1996 bestimmt daher, dass ein sehr giftiger oder giftiger neuer Stoff, der bei der zuständigen Behörde eines anderen EWR-Staates angemeldet worden ist und nicht in der Giftliste enthalten ist, bei seinem erstmaligen Inverkehrsetzen im Bundesgebiet diesen Stoff unter Bezugnahme auf die in einem anderen EWR-Staat erfolgte Anmeldung dem BMLFUW bis längstens zwei Wochen nach dem erstmaligen Inverkehrsetzen zur Aufnahme in die Giftliste zu melden ist. Die österreichische Giftliste stellt aus Sicht der Gemeinschaft ein nichttarifäres Handelshemmnis dar.144
2. Ein- und Ausfuhr von Chemikalien a) Allgemeines Seit 7. März 2003 steht die V (EG) 304/2003 über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien („Aus- und Einfuhr-V“) in Kraft und verdrängt damit die entsprechenden nationalen Vorschriften auf diesem Gebiet. Diese V (EG) ersetzt die vormalige V (EWG) 2455/92 betreffend die Ausfuhr und Einfuhr bestimmter gefährlicher Chemikalien, welche ein gemeinsames Notifikations- und Informationssystem für Ausfuhren von Chemikalien in Drittländer geschaffen hatte, die in der Gemeinschaft aufgrund ihrer Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und Umwelt verboten waren oder strengen Auflagen unterlagen. Zugleich wurde hierdurch die Anwendung der „vorherigen Zustimmung und Inkenntnissetzung“145 verbindlich vorgeschrieben. PIC war rechtlich unverbindlich in den Londoner Leitlinien für den Informationsaustausch über Chemikalien im internationalen Handel des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) sowie im Internationalen Verhaltenskodex für das Inverkehrbringen und die Anwendung von Pestiziden der FAO verankert. Aufgrund der Unterzeichnung des Rotterdamer 144 145
Feierl (FN 25) 24. Prior Informed Consent, PIC; daher wurde die V (EWG) 2455/92 gemeinhin als PIC-V bezeichnet. Die deutsche Übersetzung „vorherige Zustimmung und Inkenntnissetzung“ ist an Holprigkeit kaum zu überbieten.
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Übereinkommens über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pestizide im internationalen Handel ergab sich die Notwendigkeit die bisher geltende V (EWG) 2455/92 aufzuheben und durch die nunmehr geltende V (EG) 304/2003 zu ersetzen.
b) Inhalt des Rotterdamer Übereinkommen Im Rahmen des Umweltschutzprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) wurden bisher drei Konventionen ausgearbeitet, die einen internationalen Rahmen für den Umgang mit gefährlichen Chemikalien während ihrer Lebensdauer haben: Das Basler ÜK über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung,146 das Stockholmer ÜK über persistente organische Abfälle sowie das 2005 ratifizierte und kundgemachte Rotterdamer ÜK über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pestizide im internationalen Handel. Mit dem Rotterdamer ÜK soll die gemeinsame Verantwortung und gemeinschaftliche Bemühungen der Vertragsparteien im internationalen Handel mit bestimmten gefährlichen Chemikalien zum Schutz der menschlichen Gesundheit und die Umwelt gefördert werden. Zu diesem Zweck sieht das ÜK Erleichterungen im Austausch von Informationen über die Merkmale dieser Chemikalien und die Schaffung eines innerstaatlichen Entscheidungsprozesses für ihre Ein- und Ausfuhr vor. Durch die Weitergabe dieser Entscheidungen an die Vertragsparteien sollen sie zu ihrer umweltverträglichen Verwendung beitragen (Art 1147). Das Rotterdamer ÜK findet ausschließlich Anwendung auf verbotene oder strengen Beschränkungen unterliegende Chemikalien und sehr gefährliche Pestizidformulierungen (Art 3 Abs 1) und schließt eine Reihe von Stoffen und Zubereitungen von ihrem Anwendungsbereich in Art 3 Abs 2 lit a-h aus. Herzstück des Rotterdamer ÜK ist die Notifikation von Rechtsvorschriften. Die Notifikation kann dazu führen, dass die Chemikalie aufgrund der in der Notifikation enthaltenen Informationen in Anlage III des ÜK aufgenommen wird. Ein- und Ausfuhren von solchen Anhang III-Chemikalien sollen hierdurch erleichtert werden. Zudem sieht das ÜK Erleichterungen betreffend den Informationsaustausch zwischen den Vertragsparteien va im Bereich des Austausches wissenschaftlicher und technischer Informationen über dies betreffende Chemikalie vor.
c) Regelungsschwerpunkte der Aus- und Einfuhr-V Mit der Aus- und Einfuhr-V verfolgt die Gemeinschaft drei Ziele: Zunächst soll hiermit das Rotterdamer ÜK umgesetzt werden. Weiters soll hierdurch aber auch die gemeinsame Verantwortung für die gemeinschaftlichen Bemühungen im internationalen Verkehr mit gefährlichen Chemikalien gefördert werden, um die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor möglichem Schaden zu bewahren, sowie zu einer umweltverträglichen Verwendung dieser Chemikalien beigetragen werden (Art 1 Aus- und Einfuhr-V). Die V nimmt entsprechend Art 3 Abs 2 Rotterdamer ÜK zahlreiche Stoffe, Zubereitungen und Substanzen von ihrem Anwendungsbereich aus. Suchtstoffe und psychotrope Substanzen, radioaktive Materialien und Stoffe, Abfälle, chemische Waffen, Lebensmittel und Lebensmittelzusätze, Futtermittel, genetisch veränderte Organismen, Arzneimittel und Tierarzneimittel sowie Chemikalien, 146 147
BGBl 1993/229 idF BGBl III 2000/6. Artikelangaben im Abschnitt VI. B.2. beziehen sich auf das Rotterdamer ÜK.
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die für Forschungs- und Analysezwecke geführt werden, sind vom Anwendungsbereich der Aus- und Einfuhr-V ausgenommen (Art 2 Abs 2 lit a-i Ausund Einfuhr-V). Sie gilt für Chemikalien iSd der RL 67/545/EWG: • gefährliche Chemikalien, die dem Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung (PIC-Verfahren) des Rotterdamer ÜK unterliegen (Art 2 Abs 1 lit a leg cit); • gefährliche Chemikalien, die in der Gemeinschaft oder in einem Mitgliedstaat verboten oder strengen Beschränkungen unterliegen (Art 2 Abs 1 lit c leg cit), sowie • alle ausgeführten Chemikalien hinsichtlich ihrer Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung. Hinsichtlich der Chemikalien werden drei Gruppen unterschieden und jeweils besondere Rechtsfolgen an deren jeweilige Einordnung geknüpft: • Chemikalien, die der Ausfuhrnotifikation gemäß Art 7 Aus- und Einfuhr-V unterliegen: sie sind in Anhang I Teil 1 Aus- und Einfuhr-V aufgelistet; • Chemikalien, die der Ausfuhrnotifikation gemäß Art 7 Aus- und Einfuhr-V unterliegen und Kandidaten der PIC-Notifikation gemäß Art 10 leg cit sind: diese finden sich in Anhang I Teil 2 Aus- und Einfuhr-V, sowie • Chemikalien, die dem PIC-Verfahren gemäß dem Rotterdamer ÜK unterliegend: sie listet Anhang I Teil 3 Aus- und Einfuhr-V auf. Ausfuhr von Chemikalien aus der Gemeinschaft: Sollen solche Chemikalien das erste Mal aus der Gemeinschaft in ein anderes Vertragsland oder ein Drittland ausgeführt werden, hat der Exporteur die bezeichnete nationale Behörde den BMLFUW - über die erstmalige Ausfuhr spätestens 15 Tage vor deren Ausfuhr zu unterrichten (Art 7 Aus- und Einfuhr-V). Diese Notifikation hat den Anforderungen des Anhanges III der V zu entsprechen.148 Diese Informationen werden vom BMLFUW auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen von Anhang III der V geprüft und sodann an die Kommission weitergeleitet. Jede Ausfuhrnotifikation wird in einer Datenbank der Kommission eingetragen (Art 7 Abs 1 Aus-und Einfuhr-V). Die Öffentlichkeit hat Zugang zu einer für das jeweilige Kalenderjahr erstellten und aktualisierten Liste der betreffenden Chemikalien. Haben sich die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft für das Inverkehrbringen, die Verwendung oder Kennzeichnung der betreffenden Stoffe geändert oder hat sich die Zusammensetzung der betreffenden Zubereitung so geändert, dass sich dies auf ihre Kennzeichnung auswirkt, muss eine erneute Notifikation iSd Art 7 Abs 1 Aus- und Einfuhr-V erstattet werden (Art 7 Abs 3 leg cit). Einfuhr von Chemikalien in die Gemeinschaft: Erhält die Kommission eine Ausfuhrnotifikation von der bezeichneten nationalen Behörde einer Vertragspartei oder eines sonstigen Landes im Zusammenhang mit der Ausfuhr 148
Gemäß Anhang III sind ua anzugeben: Art der auszuführenden Stoffe, Art der Zubereitung, Information über die Ausfuhr, bezeichnete nationale Behörden, Informationen über Vorsichtsmaßnahmen, Zusammenfassung der physikalisch-chemischen, toxikologischen und ökotoxikologischen Eigenschaften, Verwendung der Chemikalie in der EU, Informationen über Vorsichtsmaßnahmen zur Verringerung der Exposition und der Emissionen der Chemikalie, Zusammenfassung der Beschränkungen durch Rechtsvorschriften und deren Begründung (mit jeweils zahlreichen Unterpunkten).
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einer Chemikalie in die Gemeinschaft, die im Hinblick auf Herstellung, Verwendung, Umgang, Verbrauch, Transport und/oder Verkauf gemäß den Rechtsvorschriften des betreffenden Landes verboten ist oder strengeren Beschränkungen unterliegt, so hat sie diese in der Datenbank der Kommission auf elektronischem Wege zu veröffentlichen. Die Kommission bestätigt den Erhalt dieser Ausfuhrnotifikation und leitet eine Kopie dieser Notifikation mit allen verfügbaren Informationen an die bezeichnete nationale Behörde jener Mitgliedstaaten, in die die Chemikalie eingeführt wird (Art 8 Abs 1 Aus- und Einfhuhr-V). Durchfuhr von Chemikalien: Im Hinblick auf die Durchfuhr von dem PIC-Verfahren unterliegenden Chemikalien können die Vertragsparteien des Rotterdamer ÜK ebenfalls Informationen verlangen (Art 15 Abs 1 Aus- und Einfuhr-V). Das entsprechende Land sowie die verlangte Information sind in Anhang VI Aus- und Einfuhr-V aufgelistet. Spätestens 30 Tage vor der ersten Durchfuhr von Chemikalien, die dem PIC-Verfahren gemäß dem Rotterdamer ÜK unterliegen, durch das Hoheitsgebiet eines solchen Landes hat der Exporteur der bezeichneten nationalen Behörde des Mitgliedstaates, in dem er niedergelassen ist, die verlangten Informationen zu übermitteln (Art 15 Abs 2 leg cit), welche sodann - mit allfälliger zusätzlicher Information versehen - der Kommission zu übermitteln ist (Art 15 Abs 3 leg cit). Die Kommission hat spätestens 15 Tage vor der ersten Durchfuhr die Information gemeinsam mit allen verfügbaren sonstigen Informationen an die nationalen bezeichneten Behörden der Länder weiterzuleiten, die solche Informationen verlangt haben (Art 14 Abs 4 leg cit). Ausnahmen von der Notifikationspflicht bestehen in einer Notsituation, wenn Verzögerungen eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit oder die Umwelt in einem Einfuhrstaat verursachen können. Die Notifikationspflicht kann gemäß Art 7 Abs 5 Aus- und Einfuhr-V entfallen, wenn • die Chemikalie dem PIC unterworfen wird (lit a) • das einführende Land als Vertragspartei des Rotterdamer ÜK dem Sekretariat gemäß Art 10 Abs 2 Rotterdamer ÜK seine Entscheidung über die Erteilung oder Versagung der Zustimmung zur Einfuhr der Chemikalie mitgeteilt hat (lit b) und • die Kommission diese Informationen vom Sekretariat erhalten und an die Mitgliedstaaten weitergeleitet hat (lit c); sowie wenn • die zuständige Behörde des Einfuhrstaates auf die Anforderungen einer Notifikation vor Ausfuhr der Chemikalie verzichtet und die Kommission vom Sekretariat oder der zuständigen Behörde des Einfuhrstaates die entsprechenden Informationen erhalten, an die Mitgliedstaaten weitergeleitet und im Internet veröffentlicht hat (Art 7 Abs 5 i und ii). Sonstige Pflichten bezüglich der Ausfuhr von Chemikalien: Art 14 Ausund Einfuhr-V enthält sonstige Pflichten, die mit der Ausfuhr von Chemikalien verbunden sind. Hierbei handelt es sich um ein heterogenes Sammelsurium von Aufgaben und Pflichten, wie zB das Versehen von Chemikalien des Anhang I Aus- und Einfuhr-V mit Einstufungscodes durch die Kommission, die Vorgangsweise beim Erhalt von Informationen durch das Sekretariat des Rotter-
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damer ÜK, die Chemikalien die dem PIC-Verfahren unterliegen betreffen, oder das Vorgehen bei Antworten auf solche Informationen. Daneben enthält Art 14 Abs 6 Aus- und Einfuhr-V an reichlich unsystematischer Stelle eine Ausfuhrbeschränkung für Chemikalien, die etweder Kandidaten für die PIC-Notifikation sind oder die dem PIC-Verfahren gemäß dem Rotterdamer ÜK unterliegen (Anhang I Teil 2 oder 3 Aus- und Einfuhr-V). Solche Chemikalien dürfen nur ausgeführt werden, wenn entweder eine ausdrückliche Zustimmung zur Einfuhr beantragt wurde und der Exporteur diese Zustimmung erhalten hat oder wenn bei Chemikalien, die dem PIC-Verfahren gemäß dem Rotterdamer ÜK unterliegen, im neuesten vom Sekretariat des Rotterdamer ÜK verbreiteten Rundschreiben mitgeteilt wurde, dass der einführende Vertragsstaat seine Zustimmung für die Einfuhr erteilt hat. Eine weitere Ausfuhrbeschränkung besteht für Chemikalien, die ein Verfallsdatum haben, oder bei welchen aus dem Herstellungsdatum ein solches hergeleitet werden kann. Für solche Chemikalien bestimmt Art 14 Abs 7 Aus- und Einfuhr-V, dass sie spätestens sechs Monate vor deren Verfallsdatum ausgeführt werden müssen. Art 14 Abs 7 letzter Satz und Abs 8 Aus- und Einfuhr-V trifft spezifische Pflichten für Exporteure von Pestiziden. Gemäß Art 14 Abs 7 letzter Satz haben Exporteure Pestizide nicht nur spätestens sechs Monate vor deren Verfallsdatum auszuführen, sondern auch sicherzustellen, dass durch Optimierung der Größe und Verpackung der Behältnisse die Gefahr des Überbleibens alter Bestände gering ist. Zudem haben Exporteure bei der Ausfuhr von Pestiziden sicherzustellen, dass das Etikett spezifische Informationen über Lagerbedingungen und Lagerstabilität unter den klimatischen Bedingungen des Einfuhrstaates enthält. Darüber hinaus müssen Pestizide den Reinheitsspezifikationen der Gemeinschaftsvorschriften entsprechen (Art 14 Abs 8 Aus- und Einfuhr-V). d) Ergänzende Rechtsvorschriften im ChemG 1996 § 20 Abs 1 ChemG 1996 benennt den BMLFUW als „Bezeichnete nationale Behörde“ für die Republik Österreich iSd Art 4 Aus- und Einfuhr-V. Er ist für die Vollziehung dieser V zuständig. Ausfuhrnotifikation: § 20 Abs 4 ChemG 1996 sieht vor, dass bei der Ausfuhr von Stoffen, Zubereitungen und Fertigwaren sowie Pestiziden, die Verboten oder strengen Beschränkungen unterliegen, in Drittstaaten, Exporteure iSd Aus- und Einfuhr-V alle mit der Ausfuhrnotifikation in Verbindung stehenden Verpflichtungen zu erfüllen haben. Stoffe, Zubereitungen und Fertigwaren sowie Pestizide dürfen, soweit sie einem Ausfuhrverbot nach Anhang V dieser V unterliegen, nicht ausgeführt werden. Soweit das In-Verkehr-Setzen von Stoffen, Zubereitungen und Fertigwaren sowie Pestiziden gemäß dem ChemG 1996, einer darauf beruhenden V oder „gemäß einer anderen Regelung des Bundes“ beschränkt oder verboten ist, ist auch die Ausfuhr unzulässig, sofern in den angeführten Regelungen nicht anderes bestimmt ist. § 20 Abs 5 ChemG 1996 schließlich trifft die für die Notifikation erforderliche Verpflichtung des Exporteurs, dem BMLFUW vor jeder beabsichtigten Ausfuhr in Drittstaaten insbesondere die in Anhang III der Aus- und Enfuhr-V angeführten Informationen vorzulegen sowie betreffend Chemikalien und Pes-
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tizide der Teile 2 und 3 des Anhangs I dieser V die Zustimmung des Importlandes zur Einfuhr glaubhaft zu machen. Ferner sieht diese Bestimmung eine Verordnungsermächtigung vor, in der nähere Bestimmungen zu den Einzelheiten eines Formblattes für Ausfuhrnotifikationen gemäß Art 7 Aus- und Einfuhr-V und für Ausfuhrnotifikationen für jene Stoffe, Zubereitungen und Fertigwaren, die bundesrechtlichen Verboten oder strengen Beschränkungen unterworfen sind, festgelegt werden können.
3. Verbote und Beschränkungen § 17 ChemG 1996 ermächtigt den BMLFUW zur Vermeidung von Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt, durch V Beschränkungen oder Verbote für das in Verkehr setzen von Stoffen, Zubereitungen oder Fertigwaren zu erlassen. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene trifft die Verbots-RL Vorschriften betreffend Beschränkungen des Inverkehrsetzens und der Verwendung gewisser gefährlicher Chemikalien. Aufgrund § 17 ChemG 1996 iVm der Chemikalienverbots-V 2003 können Chemikalien, die gefährliche Eigenschaften aufweisen, oder deren bestimmungsgemäße oder vorhersehbare Verwendung oder Behandlung als Abfall mit Risiken verbunden ist, nicht oder nur in einer bestimmten Beschaffenheit, Menge, Aufmachung, Verpackung oder Kennzeichnung, nur für bestimmte Zwecke oder nur mit Beschränkungen hergestellt, in Verkehr gesetzt oder verwendet werden. Der BM kann in solchen Fällen auch Beschränkungen festlegen, wenn andere Chemikalien verfügbar sind, deren Herstellung, Verwendung oder Behandlung als Abfall weniger gefährdend ist. Ferner kann das Herstellungs- oder Verwendungsverfahren, bei denen gefährliche Stoffe oder gefährliche Zubereitungen anfallen, verboten werden. Weiters ermöglicht § 17 ChemG 1996, dass für bestimmte gefährliche Stoffe oder Zubereitungen die Bestimmungen über Gifte für anwendbar erklärt werden. Ausnahmeverfahren: § 17 Abs 4 ChemG 1996 ermöglicht, dass der Landeshauptmann durch den BM mit V dazu ermächtigt werden kann, in Einzelfällen mit Bescheid befristete Ausnahmen vom Verbot der Herstellung, des Inverkehrsetzens oder der Verwendung bestimmter gefährlicher Chemikalien zuzulassen. Zugleich ist in der jeweiligen V festzulegen, für welche Verwendungszwecke Ausnahmebewilligungen erteilt werden dürfen, wer zur Antragstellung berechtigt ist, welche Bewilligungsvoraussetzungen vorliegen müssen und für welchen Zeitraum eine Ausnahmebewilligung höchstens in Anspruch genommen werden darf. Als Kontrollmöglichkeit steht dem BM die Möglichkeit zu, gegen derartige Bescheide an den VwGH Beschwerde zu erheben. Zu diesem Zweck müssen diese Bescheide samt allen Unterlagen dem BM binnen zwei Wochen ab Rechtskraft vorgelegt werden. Nachträgliche Verkehrsbeschränkung: Mitunter kann es erforderlich sein, aufgrund neuer Erkenntnisse eine bereits in Verkehr gebrachte Chemikalie zu verbieten oder ihr Inverkehrsetzen zu beschränken oder an Auflagen zu binden. Die hierfür einschlägige Bestimmung ist § 18 ChemG 1996. Gelangt der BMLFUW auf Grund neuer Informationen zu der begründeten Annahme, dass ein Stoff oder eine Zubereitung wegen nicht mehr angemessener Einstufung, Kennzeichnung oder Verpackung eine Gefahr für Mensch oder Umwelt darstellt, obwohl der betreffende Stoff oder die betreffende Zubereitung den
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Vorschriften des ChemG 1996 und der darauf basierenden Verwaltungsakte entspricht, so hat er - soweit es im Hinblick auf die Schutzziele dieses Bundesgesetzes erforderlich ist - für den betreffenden Stoff oder die betreffende Zubereitung mit Bescheid eine andere als die auf Grund des § 21 ChemG 1996 getroffene Einstufung vorzuschreiben oder das Inverkehrsetzen mit Bescheid zu verbieten oder an Bedingungen oder Auflagen zu knüpfen (§ 18 Abs 1 ChemG 1996). Derartige Maßnahmen hat der BMLFUW unverzüglich der Kommission und den anderen EWR-Vertragsstaaten mitzuteilen. Sobald die Kommission eine rechtsverbindliche Entscheidung darüber getroffen hat, wie der betreffende Stoff oder die betreffende Zubereitung nach den einschlägigen Richtlinien der EU einzustufen, zu kennzeichnen und zu verpacken ist, sind die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen unverzüglich außer Kraft zu setzen bzw aufzuheben (§ 18 Abs 2 ChemG 1996).
4. Werbebeschränkungen Einen verkehrsbeschränkenden Effekt haben auch Webebeschränkungen. Die Verbreitung einer Chemikalie wird hierdurch zwar nicht unterbunden, aber insofern beschränkt, als der Absatz einer Chemikalie durch entsprechende Bewerbung nicht gefördert werden kann. Solche Werbebeschränkungen für Chemikalien trifft § 28 ChemG 1996 zum Schutz von Verbrauchern. Diese Beschränkungen erfassen Werbemaßnahmen in allen Medien und untersagen jede Werbung, die zu falschen Vorstellungen über die Gefährlichkeit führen oder zu einer unsachgemäßen Verwendung verleiten kann. Daher sind verharmlosende Werbebotschaften oder irreführende Aussagen über gefährliche Stoffe, Zubereitungen oder Fertigwaren unzulässig.149 Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Konformität dieser Werbebeschränkungen kann auf das Erkenntnis des VfGH zu § 21 ChemG 1987, der Vorgängerbestimmung des jetzigen § 28 ChemG 1996 verwiesen werden.150 Den durch die Werbebeschränkung verursachten Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung erachtete der VfGH für zulässig, da diese Werbebeschränkung dem Schutz der Gesundheit diene. Auch wenn dieses Erkenntnis die alte Rechtslage betrifft, dürfte sich am grundsätzlichen Sinn einer Werbebeschränkung für gefährliche Chemikalien nichts geändert haben und somit die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des § 28 ChemG 1996 außer Streit stehen.151
5. Verkehrsbeschränkungen für Gifte a) Allgemeines Der III. Abschnitt des ChemG 1996 unterwirft bestimmte Stoffe und Zubereitungen, die gefährliche Eigenschaften aufweisen, einem besonderen Regime. Diese als „Gifte“ zusammengefassten Stoffe und Zubereitungen sind solche, die als sehr giftig oder giftig oder gesundheitsschädlich einzustufen sind (§ 35 ChemG 1996).152 Diese giftrechtlichen Regelungen gehen auf das GiftG 1951, BGBl 235 und die Gift-V, BGBl 1928/362 zurück. Im Gemeinschaftsrecht findet sich hierzu kein Pendant. Die giftrechtlichen 149 150 151 152
Ulrich (FN 17) 360; Benedikter (FN 137) 13. VfSlg 13.635/1993. Ebenso Ulrich (FN 17) 360. Vgl dazu auch Benedikter (FN 137) 39 f.
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Bestimmungen des ChemG 1996 schließen andere Regelungen hinsichtlich der Verwendung giftiger Substanzen im Bereich der Landeskompetenzen nicht aus, sodass es zB nicht für einen Verstoß gegen das Verbot der Verwendung von Gift im Jagdbetrieb entscheidend ist, ob das betreffende Präparat ein Gift iSd § 35 ChemG 1996 darstellt.153
b) Voraussetzungen für das Inverkehrsetzen von Giften Gifte gemäß § 35 Z 1 ChemG 1996 dürfen grundsätzlich nur in Verkehr gesetzt werden, wenn sie in der Giftliste, einer Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, enthalten sind. Zurzeit ist die Giftliste durch die Giftliste-V geregelt. Ihr Anhang enthält in Abschnitt I eine taxative Auflistung der giftigen oder sehr giftigen Stoffe.154 Nur die dort aufgezählten Gifte dürfen in Verkehr gesetzt werden. Die bloß gesundheitsschädlichen (mindergiftigen) Stoffe sind nicht taxativ in der Giftliste erfasst, sondern gesondert in Abschnitt II der Anlage zur Giftliste-V kundgemacht. Für sehr giftige, giftige oder ätzende Zubereitungen, die für jedermann im Einzelhandel erhältlich sind, besteht für den Inverkehrsetzer eine Meldepflicht nach der Giftinformations-V 1999. Diese Meldepflicht erfolgt formularmäßig an die Umweltbundeamt GmbH, welche zur Erfassung und Auswertung der Meldungen gemäß § 37 Abs 2 ChemG 1996 als beliehenes Unternehmen155 herangezogen wird. Eine ähnliche Meldepflicht normiert auch die V über die Meldung mindergiftiger Zubereitungen das Inverkehrsetzen von Zubereitungen, welche mindergiftige (gesundheitsschädliche) Stoffe enthalten. Sofern giftige Chemikalien in der Giftliste nicht aufscheinen, dürfen sie aufgrund des taxativen Charakters dieser Liste nicht in Verkehr gesetzt werden. Hiervon statuiert § 40 ChemG 1996 jedoch folgende Ausnahmen: • sehr giftige und giftige Stoffe, für die der BMLFUW dem Anmelde- oder Meldepflichtigen bereits die beabsichtigte Aufnahme in die Giftliste mitgeteilt hat; diese Meldung erfolgt nach der Giftliste-MeldeV; • Pflanzenschutzmittel, die sehr giftige oder giftige Stoffe enthalten, wenn sie in unmittelbaren Zusammenhang mit einem Antrag auf Zulassung nach dem PMG zur Prüfung oder Untersuchung abgegeben wurden; • im Europäischen Altstoffverzeichnis (EINECS) enthaltene Gifte, welche nicht in der Giftliste aufscheinen;156 für diese bestehen gesonderte Meldepflichten nach § 37 ChemG 1996; • Stoffe, die bereits vor zumindest 60 Tagen in einem EWR-Staat in einem gleichwertigen Verfahren angemeldet wurden und nach Österreich importiert werden.
153 154 155 156
VwGH 6.9.2005, 2002/03/0118: Verstoß gegen § 92a iVm § 135 Abs 2 NÖ JagdG durch das Auslegen einer mit Rattengift („Storm“) gefüllten Holzkiste. Dazu ausführlich Feierl (FN 25) 23. Zur Funktion beliehener Unternehmen siehe statt vieler Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2, 2003, Rz 112. Zu dieser Bestimmung wurde in Pkt. 8b Anh VIII zu Art 69 des österreichischen Beitrittsvertrag, BGBl 1995/45, die Beibehaltung höherer Standards vereinbart, Ulrich (FN 17) 387 f.
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c) Voraussetzungen für die Abgabe und den Erwerb von Giften Die Abgabe und der Erwerb von Giften157 ist gemäß § 41 ChemG 1996 an eine entsprechende Bewilligung geknüpft. Hierbei wird zwischen der Berechtigung zum Erwerb und zur Abgabe von Giften und der Berechtigung zum Erwerb unterschieden. Gemäß § 41 Abs 2 ChemG 1996 sind zum Erwerb und zur Abgabe von Giften die zur Ausübung von bewilligungspflichtigen gebundenen Gewerben gemäß §§ 213, 215 oder 216 GewO 1994, oder zur Ausübung von Konzessionen gemäß §§ 220 bis 223 GewO 1973 berechtigte Gewerbetreibende im Umfang ihrer Bewilligung oder Konzession sowie Apotheken berechtigt. Zum Erwerb sind berechtigt: • Inhaber einer Giftbezugsbewilligung; • bestimmte Forschungseinrichtungen, Schulen, Anstalten und Universitäten bzw Universitätsinstitute gegen Vorlage einer vom Rektor, von diesem ermächtigten Person bzw von der zuständigen Aufsichtsbehörde auszustellenden Bestätigung; • Ärzte, Tierärzte und Dentisten in Erfüllung ihrer Aufgaben; • Bewilligungspflichtige chemische Laboratorien gem § 212 GewO 1994 in Erfüllung ihrer Aufgaben; • Schädlingsbekämpfer iSd § 94 Z 73 GewO 1994. Grundsätzlich benötigen die in § 41 ChemG 1996 aufgezählten Berechtigten keine weitere Bewilligung, wenn sie eine einschlägige Gewerbeberechtigung, eine Bestätigung über die Giftbezugsberechtigung (bei Schulen, Universitäten, Gebietskörperschaften ua) oder den Identitätsnachweis (bei medizinischen Berufen) vorlegen können.158 Alle übrigen Personen benötigen eine Giftbezugsbewilligung. Die Giftbezugsbewilligung ermöglicht den Erwerb von Giften. Die nähere Ausgestaltung der Bewilligungserfordernisse an die Giftbezugsbewilligung erfolgt durch § 42 ChemG 1996 iVm der GiftV 2000. Die Giftbezugsbewilligung ist schriftlich bei der örtlich zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde zu beantragen (§ 42 Abs 2 ChemG 1996 iVm § 3 Abs 1 GiftV 2000). Die Erteilung einer Giftbezugsbewilligung ist gemäß § 42 Abs 4 ChemG 1996 iVm § 3 Abs 3 GiftV 2000 an persönliche und sachliche Voraussetzungen geknüpft. Persönliche Voraussetzungen: Der Antragsteller einer Giftbezugsbewilligung muss das 19. Lebensjahr vollendet und eigenberechtigt sein. Ferner hat er seine Verlässlichkeit159 darzulegen. Diese gilt dann als gegeben, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die Gifte nicht missbräuchlich oder fahrlässig verwenden wird.160 Gegen den Antragsteller darf kein persönlicher Ausschließungsgrund, wie etwa eine rechtskräftige Verurteilung nach §§ 180 bis 183 StGB oder nach dem SMG vorliegen. Zudem hat der Antragsteller seine Sachkundigkeit nachzuweisen. Hierbei hat er darzulegen, 157 158 159 160
Allgemein zum Bezug von Giften Feierl (FN 25) 24. Ulrich (FN 17) 401. Dazu VwSlgNF 13.725 A/1992 - Verweigerung der Giftbezugsbewilligung mangels Verläßlichkeit. Ulrich (FN 17) 403.
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dass er über die notwendigen Kenntnisse von Erste-Hilfe-Maßnahmen (§ 5 GiftV 2000) und die erforderlichen Kenntnisse im sicheren Umgang mit Giften verfügt. Jedenfalls als Nachweis der erforderlichen Kenntnisse gelten die in § 4 GiftV 2000 aufgezählten Ausbildungen. Sachliche Voraussetzungen: Der Antragsteller hat die technische Notwendigkeit für die beabsichtigte Verwendung des Giftes glaubhaft zu machen. Zudem dürfen gegen die Giftbezugsbewilligung keine Bedenken im Hinblick auf die Schutzziele des ChemG 1996 bestehen. Hinsichtlich der zeitlichen Gültigkeit der Giftbezugbewilligung unterscheidet die GiftV 2000 zwischen Giftbezugsschein, welcher nach drei Monaten erlischt, und Giftbezugslizenz, welche nach spätestens fünf Jahren erlischt. Pflichten: Mit der Giftbezugsbewilligung sind verschiedene Pflichten verbunden. Hierzu zählen va die Aufbewahrungspflicht für Giftbezugsbewilligungen und Bestätigungen des Rektors oder der Aufsichtsbehörde auf sieben Jahre nach Ablauf ihrer Gültigkeit sowie die Führung von Aufzeichnungspflichten161 gemäß § 43 ChemG 1996 über Menge, Herkunft und Verbleib des Giftes. Ferner hat sich der Inverkehrbringer von Giften zu vergewissern, dass der Erwerber über eine entsprechende Berechtigung zum Erwerb von Giften verfügt. Gesundheitsschädliche (mindergiftige) Stoffe und Zubereitungen iSd § 35 Z 2 ChemG 1996 dürfen hingegen auch an andere Personen abgegeben werden (§ 45 ChemG 1996). Der Empfänger eines solchen gesundheitsschädlichen Giftes ist ausdrücklich auf die gefährlichen Eigenschaften des Giftes und die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen hinzuweisen. Diese Hinweisen müssen den Kennzeichnungsvorschriften des § 24 Abs 1 Z 3 ChemG 1996 entsprechen. Giftregister: Die Bezirksverwaltungsbehörde hat gemäß § 10 Abs 1 GiftV 2000 über die ausgestellten Giftbezugsbewilligungen und die erhaltenen Bestätigungen des Rektors oder der Aufsichtsbehörde sowie über die gemäß den §§ 213, 215 und 216 GewO 1994 erteilten Bewilligungen und über die gemäß §§ 220 und 223 GewO 1973 erteilten Konzessionen, soweit diese die Herstellung oder den Handel mit Giften betreffen, über die gemäß § 212 GewO 1994 erteilten Bewilligungen für chemische Laboratorien und die zur Ausübung des Handwerks der Schädlingsbekämpfer befugten Gewerbetreibenden ein Register zu führen. Dieses ist nach den Namen des Erwerbsberechtigten, der zur Abgabe und zum Erwerb von Giften berechtigten Gewerbetreibenden und der zum Empfang von Giften berechtigten Gewerbetreibenden geordnet. Die Daten dieses Registers sind Personen, die ein berechtigtes Interesse an dieser Auskunft glaubhaft machen können, zugänglich zu machen (§ 10 Abs 2 GiftV 2000). d) Besondere Schutzmaßnahmen Zur Vermeidung von Verwechslungen dürfen Gifte nur in bestimmten Behältnissen und Verpackungen in Verkehr gesetzt oder verwendet werden. Deren Aussehen darf in Form, Aufmachung und Bezeichnung keinen Anlass zur Verwechslung mit Arzneimitteln, Spielwaren, Futter- und Lebensmitteln usw 161
Vgl auch Feierl (FN 25) 25.
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geben. Die GiftV 2000 normiert nähere Bestimmungen über Kennzeichnung von Giften, den Schutz vor Verwechslungen, die erforderliche Sachkunde und Maßnahmen der Ersten Hilfe oder sonstige beim Umgang mit Giften erforderliche Maßnahmen treffen. Hinsichtlich der Behandlung von Giften als Abfall sieht das ChemG 1996 in § 47 vor, dass Gifte iS gefährlicher Abfälle nach den entsprechenden Bestimmungen des AWG zu behandeln sind. Ferner normiert § 47 Abs 1 ChemG 1996 die Berechtigung des Endverbrauchers, die zu beseitigenden Gifte ohne Anspruch auf Entgelt dem Abgeber zurückzugeben. e) Beauftragter für den Giftverkehr In jedem Betrieb (außer in Apotheken), der Gifte herstellt oder in Verkehr setzt, ist vom Betriebsleiter ein Beauftragter zu bestellen, der die Einhaltung des ChemG 1996 und die sonstigen chemikalienrechtlichen Rechtsakte zu überwachen und über seine Wahrnehmungen dem Betriebsinhaber sofort zu informieren hat.162 An den Beauftragten sind folgende Kriterien gestellt: Er muss sachkundig und dauernd im Betrieb beschäftigt sein. Ferner hat er während der üblichen Geschäfts- oder Betriebsstunden anwesend zu sein. Zudem ist ein Stellvertreter zu bestellen. Ist die Bestellung eines Giftbeauftragten nicht zumutbar, hat diese Aufgaben der Betriebsleiter oder ein Geschäftsführer zu besorgen.163
I. Das Aufsichtsrecht des Chemikaliengesetzes 1996 1. Prüfstellen Die gemäß §§ 7 und 14 ChemG 1996 für die Grundprüfung und die zusätzlichen Prüfnachweise geforderten Prüfungen müssen gemäß § 50 ChemG 1996 von anerkannten Prüfstellen durchgeführt werden. Diese Prüfstellen müssen über eine dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik entsprechende Laborpraxis verfügen und bestimmten Anforderungen, welche einerseits durch das Gesetz selbst und andererseits durch eine Verordnung (ChemikalienPrüfstellenV) entsprechen. Zu diesen Anforderungen zählen gemäß § 50 ChemG 1996: Leitung durch einen entsprechend ausgebildeten und praktisch erfahrenen Prüfstellenleiter (Z 1) oder Beschäftigung einer Person mit entsprechender Ausbildung und Praxis (Z 2), schriftliche Meldung der Aufnahme der Tätigkeit an den Bundesminister (Z 3), schriftliche Meldung des Wechsels in der Person des Prüfstellenleiters (Z 4) sowie Unterwerfung der Prüfstellen unter die Kontrolle des Bundesministers (Z 5). Diese Anforderungen dienen der Sicherung der Aussagekraft und Qualität der von den anerkannten Prüfstellen erstellten Prüfnachweise. Die Prüfstellen sollen über einen gemeinschaftsrechtlich anerkannten Mindeststandard der Laborpraxis verfügen, um in allen Mitgliedstaaten vergleichbare Bedingungen zu schaffen. Diese Standards sind die „Grundsätze der Guten Laborpraxis“.164 Diese RL schreibt vor, in welcher Weise Versuche mit chemischen Erzeugnis162 163 164
Benedikter (FN 137) 47; Ulrich (FN 17) 409. Benedikter (FN 137) 47. GLP-RL, 87/18/EWG.
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sen durchgeführt werden, die den Grundsätzen der Guten Laborpraxis genügen, die in Anhang II des Beschlusses des OECD-Rates vom 12.5.1981 über die gegenseitige Anerkennung der Daten der Bewertung chemischer Erzeugnisse niedergelegt sind. Die Prüfstellen unterliegen gemäß § 52 ChemG 1996 der Kontrolle des Bundesministers. Diesem steht es zu, die Prüfstelle zu besichtigen, in die über die Prüfung zu führenden Aufzeichnungen Einsicht zu nehmen und Chemikalien zu entnehmen. Sofern die Kontrolle den Erfordernissen gemäß § 50 ChemG 1996 entspricht, hat der Bundesminister über Antrag der Prüfstelle eine Bescheinigung hierüber auszustellen, dass das geprüfte Labor den Anforderungen für ein geprüftes Labor (GLP-Bescheinigung) entspricht. Sofern eine spätere Kontrolle gegenteiliges ergibt, ist die ausgestellte Bescheinigung zu entziehen.
2. Prüfnachweise Die von den Prüfstellen ausgestellten Prüfnachweise im Rahmen der Grundprüfung nach § 7 ChemG 1996 und im Rahmen zusätzlicher Prüfnachweise nach § 14 ChemG 1996 geben Aufschluss über die Eigenschaften der geprüften Chemikalien. Diese Prüfnachweise sind wesentliche Beweismittel im Anmeldeverfahren. Ihrer rechtlichen Natur nach dürften sie Gutachten gemäß § 52 AVG gleichzuhalten sein, dh einen Befund mit der eingehenden Analyse des Stoffes und darauf aufbauende Schlussfolgerungen betreffend die Eigenschaften dieses Stoffes enthalten. Ausländische Prüfnachweise sind den österreichischen Prüfstellen gemäß § 53 ChemG 1996 gleichzuhalten. Hierdurch soll im Sinne der entsprechenden RL einerseits dem Anliegen eines europäischen Binnenmarktes Rechnung getragen werden, andererseits aber auch Mehrfachprüfungen von Stoffen und Zubereitungen zur Vermeidung von Tierversuchen verhindert werden.
3. Überwachung a) Behörden Die Überwachung der Vorschriften des ChemG 1996 kommt grundsätzlich dem Landeshauptmann zu. Dieser hat sich hierbei fachlich befähigter Organe zu bedienen. In besonderen Fällen ist der Bundesminister (Kontrolle der Prüfstellen) oder die Bezirksverwaltungsbehörde (Überwachung des Giftverkehrs) zur Überwachung zuständig. b)Gegenstand der Überwachung Gegenstand der Überwachung ist die richtige und vollständige Kennzeichnung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen sowie die ordnungsgemäße Verpackung. Zudem ist auch die Ausfolgung von Sicherheitsdatenblättern und Mitteilungen zu überprüfen.165 Ferner unterliegen Stoffe und Zubereitungen, die einem Verbot oder einer Beschränkung unterliegen, der Überwachung. 165
Benedikter (FN 137) 49.
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c) Instrumente der Überwachung Die Überwachung findet in der Regel in den Geschäften oder Betrieben, in denen gefährliche Stoffe und Zubereitungen verkauft oder vorrätig gehalten werden, statt. Hierzu stehen den oben genannten Behörden in Vollziehung des ChemG 1996 eine Reihe von verwaltungspolizeilichen Instrumente, wie der Nachschau an Orten, an denen Chemikalien hergestellt, in Verkehr gesetzt oder verwendet werden,166 der Entnahme von Proben,167 der Beschlagnahme, der Anordnung vorläufiger Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen, sofern Gefahr für Menschen oder die Umwelt droht, sowie der Verfall beschlagnahmter Gegenstände, Verpackungen und Beipacktexte zur Verfügung. d) Verwaltungsstrafverfahren Zudem können die Normen des ChemG 1996 verwaltungsstrafrechtlich durchgesetzt werden. § 71 Abs 1 ChemG 1996 listet die mit einer höheren Strafdrohung (bis zu € 14.530) und der Pflicht zur Anordnung einer Mindeststrafe von € 360 für schwerwiegende Delikte auf. Hierunter fallen zB das Inverkehrsetzen eines Stoffes ohne Anmeldung oder gegen ein Verbot, der unberechtigte Erwerb von Giften, der Betrieb einer Prüfstelle ohne ausreichende Befähigung usw. Alle übrigen Verstöße sind in Form einer „Blankettstrafnorm“ geregelt, die pauschal alle sonstigen Zuwiderhandlungen mit - geringerer - Strafe bedroht.168 Das Strafverfahren richtet sich nach dem VStG. Strafbehörde erster Instanz ist die Bezirksverwaltungsbehörde. Gegen Entscheidungen dieser Behörde ist eine Berufung an den jeweils zuständigen UVS möglich. Für die Verfolgbarkeit eines Verstoßes ist § 74 ChemG 1996 beachtlich, der abweichend von § 31 Abs 2 VStG die Verfolgungsverjährungsfrist auf ein Jahr erstreckt. Dies wird mit den komplexen Sachverhalten, welche eine eingehende Untersuchung der Stoffe auf ihre Eigenschaften erfordern, begründet.169
III. Die Regulierung von Pestiziden A. Allgemeines Die der Gruppe der Pestizide, die als Pflanzenschutzmittel oder als BiozidProdukte, Desinfektionsmittel, Insektizide und Parasitenmittel verwendet werden, sind sondergesetzlich geregelt, gleichwohl sie sich mit dem ChemG 1996 in vielem überschneiden. Die Aus- und Einfuhr-V definiert solche Pestizide als eine Untergruppe von Chemikalien (Art 3 Z 4) und zeigt damit sehr deutlich auf, dass Pestizide systematisch Chemikalienrecht iSd Stoff-RL und somit des ChemG 1996 sind.
166 167 168 169
Feierl (FN 25) 25. Vgl dazu VwGH 20.2.1997, 96/07/0224, ZfVB 1998/114: PCP-belastete Lederschuhe. Ulrich (FN 17) 492; Feierl (FN 25) 27. Ulrich (FN 17) 497.
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B. Biozid-Produkte 1. Grundlagen Biozid-Produkte, Substanzen, die verwendet werden, um damit für den Menschen unerwünschte, lästige oder störende Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken oder unschädlich zu machen,170 waren bis zum Erlassen des BiozidG im Jahre 2000 ungeregelt. Diese Situation wurde von der Gemeinschaft als unbefriedigend empfunden, sodass auf Gemeinschaftsebene zum Schutz des Menschen und der Umwelt entsprechende Grundlagen zur Regulierung von Bioziden geschaffen wurden. Gemeinschaftsrechtliche Grundlage des BiozidG ist die Biozid-Produkte-RL. Mit dem BG, mit dem ein Biozid-Produkte-Gesetz erlassen wird sowie das Lebensmittelgesetz 1975 und das Chemikaliengesetz 1996 geändert werden, wurde mit dessen Art I „Bestimmungen über ein Bundesgesetz über das Inverkehrbringen von BiozidProdukten (Biozid-Produkte-Gesetz - BiozidG)“ diese RL umgesetzt. Die EB hierzu merken an, dass die in Österreich bestehenden gesetzlichen Regelungen im Bereich des stoff- und produktbezogenen Umweltschutzes nicht gezielt für den Bereich der Biozid-Produkte geschaffen bzw nicht konzeptionell auf diese Produktgruppe hin ausgerichtet wären, weshalb - wie beim PMG - aus konzeptionellen Gründen die RL nicht durch eine Novellierung des ChemG 1996, sondern mit einem eigenständigen Gesetz umzusetzen sei.171
2. Ziel der Regulierung von Biozid-Produkten Das BiozidG zielt darauf ab, schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie auf die Umwelt durch die Verwendung von Biozid-Produkten zu vermeiden. Das BiozidG schafft jene Voraussetzungen, Biozid-Produkte nur dann in Verkehr bringen zu dürfen, wenn sie bei bestimmungsgemäßer oder gebräuchlicher Verwendung oder als Folge einer solchen Verwendung, abgesehen von den beabsichtigten Wirkungen auf Schadorganismen, keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tieren oder auf die Umwelt zur Folge haben (§ 1 Abs 1 BiozidG). Das BiozidG folgt damit - wie auch das ChemG 1996 - dem Konzept des vorsorglichen Umweltschutzes, wie es im BVG Umfassender Umweltschutz programmatisch statuiert wurde. Im Unterschied zu den dem ChemG 1996 unterliegenden Stoffe und Zubereitungen, werden alle Biozid-Produkte vor ihrem Inverkehrbringen einer Überprüfung im Hinblick auf ihre Gefährlichkeit oder ihr Risikopotential unterworfen. Biozid-Produkte sollen nur dann in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn im Rahmen einer Vorab-Prüfung die Behörde die von solchen Biozid-Produkten ausgehende Gefahr oder das Risikopotential als akzeptabel bewertet wurde.172
3. Begriffsbestimmungen § 2 BiozidG enthält einen an amerikanische Gesetze erinnernden Katalog wesentlicher Begriffsbestimmungen. Der Leser erfährt hierbei ua so profunde und unverzichtbare Definitionen, wie jene, dass RL 98/8/EG einschließlich aller Anpassungen in diesem BG als „Biozid-Produkte-Richtlinie“ bezeichnet wird 170
52 BlgNR 21.GP, Erl I.1. 52 BlgNR 21.GP, Erl I.1. 172 52 BlgNR 21. GP, zu Art I Zu §1. 171
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(§ 2 Abs 1 Z 1 BiozidG), oder dass „Zulassung“ die „auf Antrag mit Bescheid erteilte behördliche Erlaubnis [ist], ein Biozid-Produkt in Verkehr bringen zu dürfen“ (§ 2 Abs 1 Z 12 BiozidG), aber auch zahlreiche andere wichtige Legaldefinitionen, wie jene des Biozid-Produktes, der Produktarten, der Grundstoffe oder der Wirkstoffe. a) Biozid-Produkt Das im BiozidG verankerte Instrumentarium gilt nur für Biozid-Produkte. Diese sind gemäß § 2 Abs 1 Z 2 BiozidG „Wirkstoffe und Zubereitungen, die einen oder mehrere Wirkstoffe enthalten, in der Form, in der sie zum Verwender gelangen, und die dazu bestimmt sind, auf chemischem oder biologischem Wege Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, Schädigungen durch sie zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen“. Dieser Begriff umfasst nicht nur chemische Stoffe und Zubereitungen, sondern auch Mikroorganismen einschließlich Pilze und Viren.173 Der Begriff „Biozid-Produkte“ umfasst grundsätzlich auch „BiozidProdukte mit niedrigem Risikopotential“, welche gemäß § 2 Abs 1 Z 3 BiozidG als solche Biozid-Produkte definiert werden, von denen bei bestimmungsgemäßer Verwendung nur ein niedriges Risiko für Menschen und Tiere und für die Umwelt ausgeht, und die • nur solche Wirkstoffe enthalten, die nicht als krebserzeugend, erbgutverändernd, fortpflanzungsgefährdend (reproduktionstoxisch), sensibilisierend oder bioakkumulierend und schwer abbaubar einzustufen sind, und • ausschließlich Wirkstoffe enthalten, die in Anhang IA der BiozidProdukte-RL angeführt sind oder für die die Vollständigkeit der Angaben und Unterlagen für die Aufnahme in diesen Anhang durch ein zuständiges Organ der Europäischen Gemeinschaft festgestellt worden ist, und • keine bedenklichen Stoffe iSd § 2 Abs 1 Z 7 BiozidG enthalten. Die Unterscheidung der Biozid-Produkte von solchen mit niedrigem Risikopotential ist von großer Bedeutung, da für letztere erleichterte Zulassungsbestimmungen vorgesehen sind. b) Produktarten Als „Produktarten“ bezeichnet § 2 Abs 1 Z 4 BiozidG die in Hauptgruppen zusammengefassten Typen von Biozid-Produkten. Diese sind in der Anlage erschöpfend aufgezählt und beschrieben. c) Grundstoffe Als „Grundstoffe“ definiert § 2 Abs 1 Z 5 BiozidG die in Anhang IB der Biozid-Produkte-RL angeführten Stoffe, die nur in geringerem Maße einer bioziden Verwendung zugeführt werden, und die als solche oder als Zubereitungen mit einem einfachen Verdünnungsmittel, das aber kein bedenklicher Stoff (Z 7) ist, in Verkehr gebracht werden, ohne dass dabei auf eine Verwendung als Biozid-Produkt hingewiesen wird.
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d) Wirkstoff „Wirkstoffe“ iSd § 2 Abs 1 Z 6 BiozidG sind Stoffe oder Mikroorganismen einschließlich Pilzen sowie Viren mit allgemeiner oder spezifischer Wirkung auf oder gegen Schadorganismen. e) Bedenklicher Stoff Unter „bedenklichen Stoffen“ sind nach § 2 Abs 1 Z 7 BiozidG Stoffe, nicht jedoch Wirkstoffe zu verstehen, die auf Grund ihrer Eigenschaften schädliche Auswirkungen auf Menschen und Tiere oder unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt haben können und in einem Biozid-Produkt in einer solchen Konzentration enthalten sind oder entstehen, dass sie eine solche Wirkung hervorrufen können. Alle gefährlichen Stoffe iSd § 3 Abs 1 ChemG 1996, die in einem Biozid-Produkt in einer Konzentration enthalten sind, durch die das Biozid-Produkt als gefährlich einzustufen ist, sind, sofern sie nicht Wirkstoffe sind, jedenfalls bedenkliche Stoffe iSd § 2 Abs 1 Z 7 BiozidG. f) Schadorganismus Als „Schadorganismen“ definiert § 2 Abs 1 Z 8 BiozidG tierische Lebewesen, Pflanzen sowie Mikroorganismen einschließlich Pilzen sowie Viren, die für den Menschen, seine Tätigkeiten oder für Produkte, die er verwendet oder herstellt, oder für Tiere oder für die Umwelt unerwünscht oder schädlich sind. g) Rückstände Als „Rückstände“ sind gemäß § 2 Abs 1 Z 9 BiozidG ein Stoff oder mehrere Stoffe zu verstehen, die als Bestandteile eines Biozid-Produktes in Folge seiner Verwendung zurückbleiben, einschließlich ihrer Metaboliten und Abbau- oder Reaktionsprodukte. h) Rahmenformulierungen Als „Rahmenformulierungen“ bezeichnet § 2 Abs 1 Z 10 BiozidG Spezifikationen für mehrere Biozid-Produkte, die den gleichen Verwendungszweck haben und die für die gleiche Verwenderkategorie bestimmt sind. Diese BiozidProdukte müssen dieselben Wirkstoffe derselben Spezifikationen, insbesondere betreffend den Reinheitsgrad sowie Art und Menge der Verunreinigungen, enthalten, und ihre Zusammensetzungen dürfen nur Abweichungen von einem bereits zugelassenen oder registrierten Biozid-Produkt aufweisen, die sich weder auf die Höhe des durch sie verursachten Risikos auswirken, noch deren Wirksamkeit beeinträchtigen (§ 2 Abs 1 Z 10 S 2 BiozidG). Als zulässige Abweichung gilt in diesem Zusammenhang • ein geringerer prozentualer Anteil des Wirkstoffes oder • eine Veränderung des prozentualen Anteils eines Stoffes oder mehrerer Stoffe, die keine Wirkstoffe sind, oder • der Austausch eines oder mehrerer Pigment-, Farb- oder Duftstoffe gegen andere Stoffe mit dem gleichen oder einem niedrigeren Risikopotential, wobei die Wirksamkeit des Biozid-Produktes durch diese Abweichungen nicht verringert werden darf.
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4. Geltungsbereich Der Geltungsbereich des BiozidG erstreckt sich ausschließlich auf die Regulierung von Biozid-Produkten, dh auf jene Produkte, die vom Menschen gegen etwa Pilze, Sporen, Bakterien, aber auch Ratten oder Mäuse, Spinnen oder Ameisen eingesetzt werden.174 Diese Produktgruppe ist sowohl hinsichtlich ihrer Anwendungsbereiche als auch hinsichtlich ihrer Verwendungszwecke sehr vielfältig und reicht von Desinfektionsmitteln, Holzschutzmitteln, AntiFoulung Produkten über Schädlingsbekämpfungsmittel bis hin zu Mitteln zur Topfkonservierung und zur Mikroorganismen-Bekämpfung bei industriellen Fertigungsprozessen wie zB in der Papierherstellung.175 Dementsprechend umfasst das BiozidG Regelungen betreffend die Zulassung und Registrierung sowie die Meldung von Biozid-Produkten. Zudem ist auch im Rahmen des diesbezüglichen Zulassungs- und Registrierungsverfahrens die Anerkennung von Zulassungen und Registrierungen von BiozidProdukten, die in anderen EWR-Staaten gemäß den jeweiligen Vorschriften, mit denen die Biozid-Produkte-RL umgesetzt ist, zugelassen oder registriert worden sind, hiervon umfasst. Ferner gilt das Gesetz auch hinsichtlich der Mitwirkung bei der Prüfung und Bewertung von alten und neuen Wirkstoffen im Hinblick auf die Aufnahme in Anhang I, IA oder IB der Biozid-ProdukteRL im Rahmen der Erstellung dieser Wirkstofflisten auf Gemeinschaftsebene und die sonstigen Sicherheitsmaßnahmen für das Inverkehrbringen von BiozidProdukten als Voraussetzung für deren sichere und ordnungsgemäße Verwendung (§ 3 Abs 1 BiozidG). Ausnahmen vom Geltungsbereich: § 3 Abs 2 trifft - ähnlich dem § 4 ChemG 1996 - zahlreiche Einschränkungen und Ausnahmen. Das BiozidG gilt somit nicht soweit • ein Geltungsausschluss besteht: Das BiozidG gilt nicht für die Durchfuhr von Biozid-Produkten unter zollamtlicher Überwachung, soweit keine Beoder Verarbeitung erfolgt; Arzneimittel iSd AMG, der RL 65/65/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten und der RL 81/851/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Tierarzneimittel; Medizinprodukte iSd MedizinprodukteG; Lebensmittel, Verzehrprodukte, Zusatzstoffe und kosmetische Mittel iSd LMG 1975 sowie solche Gebrauchsgegenstände, die in § 6 lit a, e und f LMG 1975 genannt sind; Wein, Erzeugnisse und Weinbehandlungsmittel iSd WeinG 1999; Futtermittel und Zusatzstoffe iSd FMG 1999; Wasch- und Reinigungsmittel iSd § 29 Abs 1 und 2 ChemG 1996, bei denen weder eine biozide Wirkung beabsichtigt ist noch beim Inverkehrsetzen auf eine solche hingewiesen wird;176 nach dem PMSG 1997 zu174
52 BlgNR 21. GP, Erl I.1. 52 BlgNR 21. GP, Erl I.4. 176 Der Verweis auf § 29 Abs 1 und 2 ChemG 1996 führt aufgrund der jüngsten Novellierung des ChemG 1996 in Folge der gemeinschaftsrechtlichen Regulierung in der Detergenzien-V ins Leere, da § 29 ChemG 1996 nunmehr den BMLFUW zu der in Österreich für die Vollziehung der Detergenzien-V zuständigen Behörde benennt. Damit ist der normative Gehalt des Geltungsausschlusses für Wasch- und Reinigungsmittel in § 3 Abs 2 Z 7 BiozidG fraglich. Eine Anpassung dieser Bestimmung 175
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gelassene oder zulassungspflichtige Pflanzenschutzmittel; Tabakerzeugnisse iSd TabakG; Suchtgifte iSd § 1 SMG sowie Abfälle und Altöle iSd AWG; ein partieller Geltungsausschluss besteht: Gemäß § 3 Abs 3 BiozidG sind dessen §§ 24 und 25 nicht auf die Beförderung von Biozid-Produkten im Eisenbahn-, Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr nicht anzuwenden; eine Anwendungsbeschränkung besteht: Wirkstoffe, die ausschließlich für Arzneimittel gemäß § 1 Abs 1 AMG, der RF 65/65/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten und der RL 81/851/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Tierarzneimittel verwendet werden, Stoffe, die ausschließlich als Weinbehandlungsmittel im WeinG 1999 und im Verzeichnis der zugelassenen Verfahren und Behandlungen bei Obstwein gemäß § 41 Abs 1 WeinG 1999 genannt sind, Stoffe, die ausschließlich in Futtermitteln iSd FMG 1999, die ausschließlich als Bestandteile von Pflanzenschutzmitteln verwendet werden, die nach dem PMSG 1997 zugelassen oder zulassungspflichtig sind, oder die ausschließlich in Medizinprodukten iSd MedizinprodukteG verwendet werden, sind vom Geltungsbereich des BiozidG ausgeschlossen.
5. Zulassungs- und Registrierungsregelungen a) Zulassung, Registrierung und Meldung Biozid-Produkte dürfen grundsätzlich nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie entweder zugelassen sind und dem Zulassungsbescheid entsprechen, registriert sind und dem Registrierungsbescheid entsprechen oder, sofern eine Meldung erforderlich ist, gemeldet sind (§ 4 Abs 1 Z 1-3 BiozidG). BiozidProdukte, die nur alte Wirkstoffe enthalten können in Verkehr gebracht werden, wenn keine Entscheidung eines zuständigen Organs der Gemeinschaft entgegensteht (§ 4 Abs 1 Z 4 BiozidG). Solche alten Wirkstoffe sind Anhang I oder IA der Biozid-Produkte-RL zu entnehmen. Trifft die Gemeinschaft die Entscheidung einen alten Wirkstoff in diese Anhänge aufzunehmen oder nicht aufzunehmen, hat der BMLFUW in einer entsprechenden Verordnung das weitere Inverkehrbringen von Biozid-Produkten, die einen solchen alten Wirkstoff enthalten von der Erfüllung der in der Entscheidung angeführten Voraussetzungen und Bedingungen abhängig zu machen (§ 4 Abs 2 BiozidG). Alle diese Biozid-Produkte müssen zudem den Bestimmungen über Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung sowie das Sicherheitsdatenblatt und die Werbung entsprechen. Die Entscheidung, ob ein Biozid-Produkt zugelassen oder registriert werden muss, ist davon abhängig, ob es ein Biozid-Produkt mit niedrigem Risikopotiential ist. Biozid-Produkte, welche kein niedriges Riskopotential aufweisen, sind dem Zulassungsverfahren unterworfen (§ 5 Abs 1 BiozidG); jene mit niedrigem Risikopotential unterliegen dagegen dem Registrierungsverfahren
an die nunmehrige Rechtslage in diesem Bereich ist nicht erfolgt und wäre zweifellos dringend vorzunehmen.
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(§ 5 Abs 2 BiozidG). Die Voraussetzungen, die Biozid-Produkte für Zulassung oder Registrierung erfüllen müssen sind in § 10 BiozidG geregelt. Meldepflichtige Biozid-Produkte sind, soweit dies in einer V nach § 19 BiozidG vorgesehen ist, vom chemikalienrechtlichen Verantwortlichen (iSd § 27 Abs 1 ChemG 1996) beim BMLFUW schriftlich zu melden. Dieser hat sie auf das Vorliegen der Bestimmungen der §§ 19 und 20 BiozidG hin zu überprüfen. b) Zulassungs- und Registrierungsverfahren Beide Verfahren erfolgen auf Antrag desjenigen, der das jeweilige BiozidProdukt erstmalig in Österreich in Verkehr bringen möchte Beim BMLFUW einzubringen. Zulassungsantrag: dieser ist für ein Biozid-Produkt, das kein BiozidProdukt mit niedrigem Risikopotential ist, von einem Antragsteller mit festem Sitz in einem EWR-Staat unter Verwendung eines bei der Behörde erhältlichen Formblattes einzubringen und muss in deutscher Sprache abgefasst sein (§ 8 Abs 1-3 BiozidG). Dem Antrag sind die für jeden Wirkstoff, die den Anhängen IIA, IIIA und IVA der Biozid-Produkte-RL entsprechenden Angaben, sowie die für das Produkt, das einen Wirkstoff enthält die nach den Anhängen IIB, IIIB oder IVB der Biozid-Produkte-RL entsprechenden Angaben und Unterlagen anzuschließen (§ 8 Abs 4 Z 1-2 BiozidG). Ferner sind Proben beizugeben und die angewandten Methoden zu beschreiben. Mit der Zulassung kann auch die Festlegung einer Rahmenformulierung beantragt werden. Hierfür müssen ergänzende Angaben und Unterlagen iSd § 8 Abs 8 BiozidG vorgelegt werden. Solange das Zulassungsverfahren nicht abgeschlossen ist, kann der Antragsteller alle Rechte und Pflichten auf einen anderen Antragsteller, der die Voraussetzungen nach § 8 Abs 1 und 2 BiozidG erfüllt, übertragen (§ 8 Abs 9 BiozidG). Registrierungsantrag: Dieser kann nur für Biozid-Produkte mit niedrigem Risikopotential beim BMLFUW eingebracht werden. Er umfasst die Angaben, Unterlagen und Proben gemäß § 8 Abs 4 BiozidG, wobei in Abweichung von § 8 Abs 4 Z 2 leg cit für das Produkt nur bestimmte, in § 9 Abs 2 Z 1-7 BiozidG angeführte Angaben und Unterlagen, die Daten zum Antragsteller (Z 1), Daten zur Identität des Produktes (Z 2) und zu den vorgesehenen Verwendungszwecken (Z 3), zur Wirksamkeit (Z 4), zu den Analysemethoden (Z 5), zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung (Z 6) sowie das Sicherheitsdatenblatt (Z 7) umfassen, enthalten müssen. Voraussetzungen für die Zulassung und Registrierung: § 10 BiozidG fasst die Zulassungs- und Registrierungsvoraussetzungen für Biozid-Produkte zusammen. Danach dürfen Biozid-Produkte nur zugelassen bzw registriert werden, wenn sichergestellt ist, dass bei bestimmungsgemäßer Verwendung und Berücksichtigung aller mit der Verwendung des Biozid-Produktes in Zusammenhang stehenden Bedingungen und Auswirkungen das Biozid-Produkt hinreichend wirksam ist, und von diesem keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Zielorganismen (wie zB Resistenzen) ausgehen, es nicht selbst oder aufgrund seiner Rückstände für Menschen und Tiere gesundheitsschädlich ist oder schädliche Auswirkungen auf Oberflächen- und das Grundwasser, sowie keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt hat (§ 10 Abs 1 BiozidG). Als weiteres Zulassung- bzw Registrierungserfordernis müssen Art und
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Menge der im betreffenden Biozid-Produkt enthaltenen Wirkstoffe sowie allfällige toxikologisch oder ökotoxikologisch bedeutsame Verunreinigungen und zusätzliche Bestandteile bestimmt werden können. Ergeben sich aus der vorgesehenen Anwendung toxikologisch oder ökotoxikologisch bedeutsame Rückstände müssen auch diese zuverlässig bestimmt werden können. Zudem müssen die physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften des betreffenden Biozid-Produktes ermittelt worden sein und für seine sachgemäße Verwendung, Lagerung und Beförderung als annehmbar erachtet werden (§ 10 Abs 2 BiozidG). Ein Antrag auf Zulassung oder Registrierung kann auch einen Antrag auf Festlegung einer Rahmenformulierung enthalten, dem zu entsprechen ist, wenn die Voraussetzungen des § 10 Abs 3 BiozidG vorliegen. Sehr giftige, giftige, erbgutverändernde, krebserzeugende oder fortpflanzungsverändernde Biozid-Produkte dürfen nur für das Inverkehrbringen und die Verwendung durch berufsmäßige Verbraucher zugelassen werden. BiozidProdukte der Produktarten der Avizide, Fischbekämpfungsmittel und Produkte gegen sonstige Wirbeltiere dürfen nicht zugelassen werden (§ 10 Abs 4 BiozidG). Die Zulassung oder Registrierung erfolgt im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens nach AVG. Die Behörde kann Mängelbehebungsaufträge erteilen (§ 10 Abs 6 BiozidG), die Beibringung zusätzlicher Informationen auftragen (Abs 7 leg cit) sowie die Zulassung oder Registrierung in kürzeren als den vom Gesetz vorgeschriebenen Zeiträumen (Abs 8 leg cit) oder unter Auflagen erteilen (Abs 9 leg cit). Für die Zulassung oder Registrierung von Biozid-Produkten gelten folgende Kriterien: • Biozid-Produkte, dessen Wirkstoff in Anhang I oder IA Biozid-ProdukteRL angeführt ist und für die dort festgelegten Bedingungen erfüllen, sind ohne nötigen Aufschub innerhalb eines Jahres zuzulassen, wenn die Bewertung der Angaben und Unterlagen nach den gemeinsamen Grundsätzen des Anhanges VI der RL ergeben hat, dass die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen. Diese Zulassung oder Registrierung ist auf höchstens 10 Jahre zu befristen und kann erneuert werden (§ 11 BiozidG). • Biozid-Produkte mit einem neuen Wirkstoff sind vorläufig zuzulassen oder zu registrieren, wenn die Vollständigkeit der Angaben und Unterlagen für die Aufnahme des neuen Wirkstoffes in Anhang I bzw IA der Biozid-Produkte-RL durch ein zuständiges Organ der Gemeinschaft festgestellt worden ist und aufgrund der Bewertung dieser Angaben und Unterlagen die Voraussetzungen für die Aufnahme des Wirkstoffes in Anhang I bzw IA der RL gegeben sind, berechtigter Grund für die Annahme besteht, dass das Biozid-Produkt die Voraussetzungen des § 10 BiozidG erfüllt und keinen alten Wirkstoff enthält. Die vorläufige Zulassung bzw Registrierung ist auf höchstens drei Jahre zu befristen und kann um höchstens ein Jahr verlängert werden (§ 12 BiozidG). Ist das Biozid-Produkt bereits in einem EWR Staat zugelassen oder registriert, kann es im Rahmen der Zulassung bzw Registrierung in Form der gegenseitigen Anerkennung gemäß § 13 bzw § 14 BiozidG zugelassen bzw registriert werden.
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Stützt sich der Antrag auf Zulassung oder Registrierung auf eine gemäß § 10 Abs 3 BiozidG festgelegte Rahmenformulierung, ist das Biozid-Produkt binnen vier Monaten unter den Bedingungen des § 15 Abs 1 BiozidG zuzulassen. Für die Abwendung einer unvorhergesehenen Gefahr kann eine bestimmte Menge eines Biozid-Produktes für eine beschränkte und kontrollierte Verwendung unter Berücksichtigung seiner Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie auf die Umwelt zugelassen oder registriert werden (§ 18 BiozidG). Abänderung und Aufhebung: Unter bestimmten Umständen kann die Zulassung oder Registrierung von Amts wegen abgeändert oder aufgehoben werden. Zu diesen in § 17 Abs 1 Z 1-9 BiozidG aufgelisteten Umständen zählen ua das nicht mehr Vorliegen der Voraussetzungen nach § 10 BiozidG oder der Umstand, dass ein Biozid-Produkt einen Wirkstoff enthält, der in Anhang I oder Anhang IA der Biozid-Produkte-RL nicht mehr angeführt ist. Eine Abänderung der Zulassung oder Registrierung kann überdies auf Antrag des Zulassungs- bzw Registrierungsinhabers erfolgen, wobei diesem Antrag nur jene zusätzlichen Angaben, Unterlagen und Probemengen anzuschließen sind, die zur Bewertung der Voraussetzungen gemäß § 10 BiozidG für das geänderte Biozid-Produkt notwendig sind. Erneuerung: Nachdem Zulassungen oder Registrierungen nach dem BiozidG nur befristet erfolgen, stellt sich für Zulassungs- und Registrierungsinhaber periodisch die Frage der Erneuerung ihrer Zulassung oder Registrierung. Diese kann gemäß § 18 BiozidG auf Antrag erfolgen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 10 BiozidG vorliegen. Der entsprechende Antrag ist von Zulassungsinhaber spätestens ein Jahr, frühestens jedoch zwei Jahre vor dem Erlöschen der Zulassung einzubringen (§ 18 Abs 2 BiozidG). Die Erneuerungsfrist einer Registrierung beträgt zumindest zwei Monate, längstens aber ein Jahr vor dem Ablaufzeitpunkt der Registrierung (§ 18 Abs 3 BiozidG). Erneuerungsanträge sind unzulässig, wenn die Identität des zum Zeitpunkt der Einbringung des Antrages zugelassenen oder registrierten Biozid-Produktes mit dem im Antrag beschriebenen Biozid-Produkt nicht gegeben ist. Solche Anträge sind zurückzuweisen (§ 18 Abs 4 BiozidG). Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Erneuerung der Zulassung oder Registrierung gilt grundsätzlich der bisherige Zulassungs- oder Registrierungsbescheid weiter (§ 18 Abs 6 BiozidG). c) Meldeverfahren Biozid-Produkte, die keine Biozid-Produkte mit niedrigem Risikopotential sind, ausschließlich alte Wirkstoffen enthalten und noch nicht zugelassen sind, aber im Bundesgebiet in Verkehr gebracht werden, können gemäß § 19 BiozidG mittels V einer Meldepflicht unterworfen werden. Zu den weiteren Voraussetzungen der Erlassung der V zählt ua der Umstand, dass sie von nicht berufsmäßigen Verbrauchern verwendet werden und üblicherweise versprüht, verspritzt, vernebelt werden, sowie derart verwendet werden, dass als Folge einer Verwendung eine länger andauernde Belastung von Menschen, Tieren und der Umwelt entstehen kann und darüber hinaus Anlass zur Besorgnis von schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tieren oder
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von unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt besteht (§ 19 Abs 1 BiozidG). Die V hat vorzusehen, dass die Meldung in angemessener Frist unter Beischließung aller für die Überprüfung der Einstufung und Kennzeichnung erforderlichen Angaben und Unterlagen erfolgt. Das weitere Inverkehrbringen des betreffenden Biozid-Produktes kann von der Einhaltung der Meldepflicht abhängig gemacht werden (§ 19 Abs 2 BiozidG). Die Meldung ist vom chemikalienrechlichen Verantwortlichen gemäß § 27 Abs 1 ChemG 1996 vorzunehmen. Für die Meldung ist ein Formblatt zu verwenden (§ 19 Abs 3 BiozidG). Bislang ist keine V aufgrund § 19 BiozidG ergangen. d) Aufnahme von Wirkstoffen in Anhang I, IA oder IB Das Inverkehrbringen eines neuen Wirkstoffes177 zur Verwendung in einem Biozid-Produkt oder als Grundstoff sind an die Aufnahme in Anhang I, IA oder IB der Biozid-ProdukteRL gebunden. §§ 21 ff BiozidG regelt in Umsetzung der Art, 10, 11 und 16 der RL die Rolle der zuständigen österreichischen Behörde in diesem gemeinschaftsrechtlichen Verfahren der Aufnahme von alten und neuen Wirkstoffen in Anhänge I, IA oder IB der RL. Hierzu ist von einem in einem EWR-Staat ansässigen Antragsteller ein entsprechender Antrag mittels eines vollständig ausgefüllten Formblattes bei der Behörde einzubringen. Die Anforderungen an den Antrag, die erforderlichen Unterlagen und Angaben regelt § 21 Abs 4 BiozidG. Für die Aufnahme eines alten Wirkstoffes in Anhang I, IA oder IB der Biozid-Produkte-RL sind alle zur Wirkstoffbewertung gemäß § 22 BiozidG notwendigen Angeben dem BMLFUW vorzulegen, wenn Österreich als Berichterstatter für diesen Wirkstoff gemeinschaftsrechtlich berechtigt ist. Die Antragstellung für Aufnahme alter Wirkstoffe ist daher im Gegensatz zum Verfahren zur Aufnahme neuer Wirkstoffe in die jeweiligen Anhänge nicht mit jedem EWR-Staat möglich. Vielmehr werden jene Wirkstoffe, die bereits vor 14. Mai 2000 in Biozid-Produkten am jeweiligen nationalen Markt in Verkehr stehen nach Veröffentlichung dieser Wirkstoffliste in Form einer gemeinschaftsrechtlichen V den einzelnen Mitgliedstaaten zur Bewertung zugeteilt. Die Wirkstoffbewertung erfolgt gemäß § 22 BiozidG im Rahmen des Verfahrens betreffend die Aufnahme von Wirkstoffen in Anhang I, IA oder IB der Biozid-Produkte-RL, wobei der BMLFUW die Aufnahmevoraussetzungen prüft und sodann - im positiven Fall - seine Zustimmung zur Übermittlung einer Zusammenfassung der Angaben und Unterlagen an die Kommission und die übrigen EWR-Staaten erteilt. Die Behörde kann gegebenenfalls dem Antragsteller einen Mängelbehebungsauftrag erteilen, dem innerhalb der gesetzten Frist zu entsprechen ist; weitere Nachfristsetzung ist möglich. Sollte der Antrag dennoch unvollständig bleiben, hat die Behörde den Ständigen Ausschuss für Biozid-Produkte Bericht zu erstatten. Binnen eines Jahres nach Veröffentlichung der Anerkennung der Angaben und Unterlagen durch den Ständigen Ausschuss für Biozid-Produkte der Kommission hat der BMLFUW eine Bewertung durchzuführen und eine Ausfertigung der Bewertung mit einer Empfehlung über die Aufnahme oder Nichtaufnahme des Wirkstoffe in Anhang I, 177
Ein neuer Wirkstoff ist gemäß § 2 Abs 1 Z 17 BiozidG ein nach dem 14. Mai 2000 in einem Mitgliedstaat in einem Biozid-Produkt in Verkehr gebrachter Wirkstoff.
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IA oder IB der RL der Kommission und den übrigen EWR-Staaten sowie dem Antragsteller zu übermitteln. Die Entscheidung für die Aufnahme oder Nichtaufnahme eines Wirkstoffes in Anhang I, IA oder IB trifft der Ständige Ausschuss für Biozid-Produkte. e) Mit Zulassung oder Registrierung verbundene Pflichten Zulassungs- und Registrierungsinhaber sind gemäß § 27 BiozidG verpflichtet, sich nach dem erstmaligen Inverkehrbringen des jeweiligen Biozid-Produktes über alle Tatsachen und Umstände zu informieren, die auf schädliche Auswirkungen auf Menschen und Tiere oder auf die Umwelt hinweisen. Solche Informationen, die sich auf den Fortbestand der Zulassung oder Registrierung auswirken können, sind dem BMLFUW unverzüglich schriftlich zu melden. Zu solchen Informationen zählen zB neue Kenntnisse über die Auswirkungen des Biozid-Produktes oder dessen Wirkstoffes auf Menschen, Tier und die Umwelt; Änderungen hinsichtlich der Herkunft oder Zusammensetzung des Wirkstoffes, Resistenzentwickung usw. Bei Biozid-Produkten mit alten Wirkstoffen, die noch keiner Zulassungs-, Registrierungs- oder Meldepflicht unterliegen, trifft die Produktbeobachtungsund Meldepflicht des § 27 BiozidG den chemikalienrechtlich Verantwortlichen. f) Biozid-Produkte-Verzeichnis Alle zugelassenen und registrierten Biozid-Produkte sind gemäß § 29 BiozidG unter fortlaufender Nummer im Biozid-Produkte-Verzeichnis einzutragen. Dieses vom BMLFUW zu führendes Verzeichnis enthält Informationen zum Zulassungs- und Registerinhaber, zum betreffenden Biozid-Produkt (Handelsname, Wirkstoffbezeichnung, Produktart usw) sowie zu den Zulassungs- und Registrierungsbedingungen und die Angabe, ob das Biozid-Produkt als BiozidProdukt mit niedrigem Risikopotential zugelassen oder registriert worden ist. Das Verzeichnis ist zu Amtsstunden öffentlich zugänglich.
6. Kennzeichnungs- und Verpackungsvorschriften a) Einstufung Unter Einstufung sind die Methoden und das Verfahren zur Feststellung, welche gefährlichen Eigenschaften iSd § 3 Abs 1 Z 1-15 ChemG 1996 ein Stoff oder eine Zubereitung aufweist, zu verstehen.178 Diese Vorschriften sind gelten sinngemäß auch für Biozid-Produkte (§ 24 Abs 1 BiozidG). Sie sind gemäß § 21 ChemG 1996 einzustufen, wobei die Ergebnisse aus Prüfungen, die gemäß Anhängen IIB und IIIB der Biozid-Produkte-RL wie vorgesehen durchgeführt worden sind, für die Einstufung heranzuziehen sind. b) Kennzeichnung § 24 Abs 5 BiozidG legt umfangreiche und detaillierte Kennzeichnungselemente der Biozid-Produkte fest. Kennzeichnungen müssen in deutscher Sprache verfasst und deutlich sicht- und lesbar und unverwischbar sein. Zu den Kenn178
52 BlgNR 21. GP, Erl Zu Art I § 24 Abs 1.
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zeichnungselementen zählen ua der Handelsname des Biozid-Produktes, dessen Hersteller, Zulassungs- oder Registrierungsnummer, die chemikalienrechtlichen Kennzeichnungselemente für gefährliche Stoffe und Zubereitungen (§ 24 ChemG 1996) usw. Die Gefahrenkennzeichnung, die an die jeweilige Einstufung des Biozid-Produktes anknüpft, ist dann relevant, wenn das BiozidProdukt eine oder mehrere gefährliche Eigenschaften iSd § 3 Abs 1 Z 1-15 ChemG 1996 aufweist. Somit sind die als gefährlich einzustufenden BiozidProdukte auf dem Kennzeichnungsetikett mit den auf die vorliegenden gefährlichen Eigenschaften hinweisenden Angaben iSd § 24 ChemG 1996 zu versehen. Die aus dem ChemG 1996 bekannten Gefahrensymbole, wie zB Totenkopf, Andreaskreuz ua, sowie die Gefahrenbezeichnung, zB giftig, sind somit in der Kennzeichnung eines als gefährlich einzustufenden Biozid-Produkts aufzunehmen. Im Unterschied zu den allgemeinen chemikalienrechtlichen Kennzeichnungsbestimmungen müssen Biozid-Produkte auch dann mit den in § 24 Abs 5 angeführten Kennzeichnungselementen versehen sein, wenn sie keine gefährlichen Eigenschaften besitzen179 (§ 24 Abs 7 BiozidG). Gewisse Angaben, die in § 24 Abs 5 Z 25 BiozidG angeführt sind („sonstige Angaben“) können gegebenenfalls auch in einem beizufügenden Merkblatt zusammengefasst sein (§ 24 Abs 7 BiozidG). c) Verpackung Gemäß § 24 Abs 2 BiozidG muss die Verpackung hinsichtlich ihrer Aufmachung, Art und Form so gestaltet sein, dass keine Verwechslungen mit Lebensmitteln, Verzehrprodukten, Arzneimitteln usw möglich sind. Für BiozidProdukte, die für nicht berufsmäßige Verbraucher bestimmt sind, gelten die strengeren Verpackungsvorschriften des § 24 Abs 3 BiozidG. Zudem bestimmt § 24 Abs 2 BiozidG, dass Form und graphischen Dekorationen so gestaltet sein müssen, dass sie nicht die Neugierde von Kindern wecken oder fördern können. Im Übrigen gelten die Verpackungsvorschriften des § 23 Abs 1 Z 1-4, 6 und 7 ChemG 1996 (§ 24 Abs 4 BiozidG). Sowohl auf der Verpackung wie auch in der Kennzeichnung dürfen keine irreführenden Angaben aufscheinen. Insbesondere sind Angaben wie „Biozid-Produkt mit niedrigem Risikopotential“, „ungiftig“, „unschädlich“, „ökologisch“ oder dergleichen untersagt (§ 24 Abs 10 BiozidG). d) Sicherheitsdatenblatt Für Biozid-Produkte und für Wirkstoffe, die ausschließlich in BiozidProdukten Verwendung finden, ist ein Sicherheitsdatenblatt zu erstellen. Hierfür gelten die Vorschriften des § 25 ChemG 1996 sowie des § 25 und des Anhanges F ChemV 1999. Für Biozid-Produkte mit alten Wirkstoffen, die noch keiner Zulassungs-, Registrierungs- oder Meldepflicht unterliegen müssen im Sicherheitsdatenblatt besondere Angaben zur Bezeichnung des Stoffes und der Zubereitung sowie der Angaben zu Bestandteilen angeführt werden. Ferner müssen Angaben über mögliche Gefahren, Erste-Hilfe Maßnahmen, zur Handhabung, zur Expositionsbegrenzung und zu persönlichen Schutzausrüstungen und zu Stabilität und 179
52 BlgNR 21. GP, Erl Zu Art I § 24 Abs 5 bis 11.
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Reaktivität, zur Toxikologie und zu besonderen Gesundheitsschutzbestimmungen angeführt werden (§ 27 Abs 4 BiozidG). e) Verantwortlichkeit Bezüglich der Verantwortlichkeit für die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von noch nicht zugelassenen oder noch nicht registrierten BiozidProdukten gilt § 27 ChemG 1996. §§ 20-24 ChemG 1996 gelten für die Ausführung der Kennzeichnung, für Ausnahmen von den Kennzeichnungsbestimmungen sowie für besondere Bestimmungen für die Kennzeichnungen bestimmter Zubereitungen (§ 24 Abs 6 BiozidG).
7. Verkehrsbeschränkungen a) Inverkehrbringen von Biozid-Produkten Biozid-Produkte dürfen gemäß § 4 Abs 1 BiozidG in Verkehr gebracht werden, wenn sie • zugelassen sind und dem Zulassungsbescheid entsprechen (Z 1); • registriert sind dem Registrierungsbescheid entsprechen (Z 2), • im Falle der Erforderlichkeit einer Meldung nach einer gemäß § 19 Abs 1 BiozidG erlassenen V gemeldet sind und sie allfälligen gemäß § 20 Abs 2 erlassenen Maßnahmen entsprechen (Z 3), oder • nur alte Wirkstoffe enthalten, deren Inverkehrbringen in Biozid-Produkten keine Entscheidung eines zuständigen Organs der Gemeinschaft entgegensteht, • und wenn sie den Bestimmungen des BiozidG betreffend Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung sowie das Sicherheitsdatenblatt und die Werbung entsprechen. b) Inverkehrbringen von Wirk- und Grundstoffen Neue Stoffe, die ausschließlich zur Verwendung als Wirkstoff für ein BiozidProdukt bestimmt sind, dürfen unter den Bedingungen des § 23 Abs 1 BiozidG in Verkehr gebracht werden. Zu diesen Bedingungen zählen: • bei der zuständigen Behörde eines EWR-Staates müssen die Angaben und Unterlagen gemäß den Aufnahmevoraussetzungen des § 21 Abs 4 und 5 BiozidG vorliegen, die diese Angaben und Unterlagen auf ihre Vollständigkeit geprüft hat und eine Zusammenfassung der Angaben und Unterlagen an die Kommission und die übrigen EWR-Staaten zugeleitet hat; • es muss eine Erklärung vorliegen, dass der Stoff ausschließlich zur Verwendung als Wirkstoff in einem Biozid-Produkt bestimmt sein, sowie • der Stoff muss gemäß §§ 21 und 23-25 ChemG 1996 eingestuft, gekennzeichnet und verpackt sein und das Sicherheitsdatenblatt vorliegen. Der chemikalienrechtlich Verantwortliche, der den Grundstoff im Inland in Verkehr bringt hat diesen gemäß §§ 21, 23-25 ChemG sowie gemäß den in Anhang IB der Biozid-Produkte-RL für den Grundstoff festgelegte Bestimmungen einzustufen, zu kennzeichnen und zu verpacken sowie ein Sicherheitsdatenblatt zu erstellen, bereitzuhalten und abzugeben (§ 23 Abs 2 BiozidG)
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c) Verbote und Beschränkungen Mittels V kann der BMLFUW regeln, dass bestimmte Stoffe in BiozidProdukten nicht oder nur unter Einhaltung bestimmter Auflagen oder Beschränkungen enthalten sein dürfen oder Biozid-Produkte, die bestimmte Stoffe enthalten oder die unter bestimmte Produktarten fallen oder für BiozidProdukte mit bestimmten gefährlichen Eigenschaften, verbieten oder beschränken. Eine solche V ist bislang nicht ergangen. d) Werbebeschränkungen Biozid-Produkte unterliegen gemäß § 26 BiozidG gewissen Werbebeschränkungen. So müssen einerseits in jeglicher Werbung die Sätze „Biozide (bzw „Holzschutzmittel“ oder „Desinfektionsmittel“) sicher verwenden. Vor Gebrauch stets Kennzeichnung und Produktinformation lesen“ aufscheinen und sich deutlich von der übrigen Werbung abgrenzen (§ 26 Abs 1 BiozidG). Andererseits bestimmt § 26 Abs 2 BiozidG, dass die Werbung nicht in einer Weise betrieben werden darf, die zu falschen Vorstellungen hinsichtlich der Gefährlichkeit von Biozid-Produkten und der mit ihnen verbundenen Risken verleiten kann. Insbesondere sind Angaben wie „Biozid-Produkt mit niedrigem Risikopotential“, „ungiftig“, „unschädlich“, „ökologisch“ oder dergleichen untersagt.
8. Aufsichtsrecht a) Behörden Die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des BiozidG obliegen grundsätzlich dem Landeshauptmann, der sich bei der Überwachung fachlich befähigter Personen zu bedienen hat (§ 34 Abs 1 und 2 BiozidG). In besonderen Fällen können für bestimmte Bereiche auch besonders geschulten Organen der Zollbehörden Überwachungsbefugnisse eingeräumt werden (§ 34 Abs 3 BiozidG). b) Gegenstand der Überwachung Gegenstand der Überwachung ist die Einhaltung der Vorschriften der BiozidG, insbesondere der Zulassungs-, Registrierungs- und Meldepflichten, der Kennzeichnungs- und Verpackungsvorschriften. Zudem sind auch die Mitteilungen und die Ausfolgung von Sicherheitsdatenblättern zu überwachen. c) Instrumente der Überwachung Das in §§ 34-40 BiozidG angeführte Überwachungsinstrumentarium umfasst im Wesentlichen die Berechtigung, Nachschau zu halten (§ 35 Abs 1-4 BiozidG), Proben zu ziehen (§ 35 Abs 5-9 BiozidG), Auskünfte zu verlangen (§ 35 Abs 1 BiozidG), in Geschäftsunterlagen Einsicht zu nehmen (§ 36 BiozidG) sowie erforderlichenfalls Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen (vorläufige Beschlagnahme gemäß § 37 BiozidG, Beschlagnahme gemäß § 38 BiozidG, Verfall gemäß § 39 BiozidG und vorläufige Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen gemäß § 40 BiozidG) zu setzen. Ferner statuiert § 36 BiozidG eine umfassende Mitwirkungspflicht für Geschäfts- und Betriebsinhaber und deren Bevollmächtigten, den mit der Überwachung befassten Sachverständigen Einsicht
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in die Aufzeichnungen zu gewähren, Überwachungsmaßnahmen zu dulden und die erforderliche Unterstützung zu leisten. d) Verwaltungsstrafverfahren § 42 BiozidG sanktioniert Verstöße gegen wesentliche, mit dem BiozidG etablierte Pflichten. Schwer wiegende Verstöße sind in § 41 Z 1-14 BiozidG aufgezählt. Dieser Strafkatalog umfasst ua zB das Inverkehrbringen von BiozidProdukten, die zulassungs- oder registrierungspflichtig sind, ohne entsprechende Zulassung oder Registrierung, das Unterlassen von Meldungen gemäß § 27 Abs 2 BiozidG durch den Meldepflichtigen, das Inverkehrbringen eines zugelassenen oder registrierten Biozid-Produktes entgegen der im Zulassungs- oder Registrierungsbescheid festgesetzten Zusammensetzung. Schwerwiegende Verstöße iSd § 42 Abs 1 BiozidG sind - sofern sie nicht gerichtlich zu ahnden sind - mit einer Geldstrafe von mindestens € 363,36 (S 5,000) bis zu € 14.534,57 (S 200.000) zu bestrafen. Im Wiederholungsfall beträgt die Höchststrafe € 29.069,14 (S 400.000). Als Auffangtatbestand erfasst § 42 Abs 2 BiozidG weniger schwere Delikte, und zwar Verstöße gegen die auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, Bescheide, sonstigen Anordnungen oder gegen unmittelbar anwendbare Rechtsakte der Organe der Gemeinschaft, die sich auf BiozidProdukte, Wirkstoffe, Grundstoffe oder sonstige Bestandteile von BiozidProdukten beziehen. Sofern die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht und nicht bereits nach § 41 Abs 1 BiozidG strafbar ist, ist sie mit Geldstrafe bis zu € 5.087,10 (S 70.000), im Wiederholungsfall bis zu € 10.174,20 (S 140.000) zu bestrafen (§ 42 Abs 2 BiozidG). Der Versuch ist in beiden Fällen strafbar. Das Verwaltungsstrafverfahren richtet sich nach VStG. Strafbehörde erster Instanz ist die Bezirksverwaltungsbehörde. In zweiter Instanz entscheidet der örtlich zuständige UVS. Gegen Bescheide der UVS steht dem BMLFUW die Möglichkeit der Amtsbeschwerde and den VwGH offen (§ 45 BiozidG). Mit diesem Rechtsbehelf soll sichergestellt werden, dass die Rahmenbedingungen für die Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren in allen Instanzen ausgewogen sind und weit reichende Folgen von nie zur Gänze ausschließbaren Fehlentscheidungen, die für das BiozidG abträglich sein können, vermeiden werden.180 Für die Verfolgbarkeit der Verstöße gemäß § 42 BiozidG weitet § 44 BiozidG in Abweichung von § 31 Abs 2 VStG die Verfolgungsverjährungsfrist auf ein Jahr aus.
180
52 BlgNR 21. GP Erl Zu Art I Zu § 45; als ob nicht auch der Rechtsunterworfene ein schutzwürdiges Interesse an der Vermeidung von Fehlentscheidungen - zB der Nichtzulassung eines Biozid-Produktes - hätte. Diese Begründung für eine aus der Sicht des Rechtsschutzes äußerst problematischen und unfaire Bestimmung zeigt überdeutlich einerseits das grenzenlose Misstrauen des Zentrale gegenüber lokalen und regionalen Rechtsetzungsinstanzen auf, sondern st Ausdruck eines wirtschaftsfeindlich eingestellten Bürokratismus. Eine Instanz mehr für den Staat bedeutet für den Wirtschaftstreibenden Unsicherheit, zeitliche Verzögerungen und somit Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Mitbewerbern in der Gemeinschaft. Diese Problematik müsste in die Entscheidung, eine derartige Bestimmung zuzulassen, jedenfalls Berücksichtigung finden.
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C. Pflanzenschutzmittel 1. Allgemeines Seit 1997 werden Pflanzenschutzmittel durch das PMG 1997 reguliert. Mit diesem Gesetz wurde das Pflanzenmittelschutzwesen auf Bundesebene auf eine neue gesetzliche Basis gestellt und der gemeinschaftsrechtliche Rechtsbestand auf dem Gebiet der Pflanzenschutzmittel übernommen. Zuvor galten betreffend das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln im geschäftlichen Verkehr, über die Werbung und über die Einfuhr das Pflanzenmittelschutzgesetz, BGBl 1990/476. Das ChemG 1987, BGBl 326, galt für Pflanzenschutzmittel hinsichtlich ihres Inverkehrbringens und ihrer Verwendung. Zudem trafen auch das WRG, das ForstG und das LMG Verwendungsbeschränkungen. Das Pflanzenschutzmittelrecht ist jedoch auch nach Erlassung des PMG 1997 nicht ausschließlich in diesem BG geregelt. Da die Bundeskompetenz „Regelung des geschäftlichen Verkehrs mit Saat- und Pflanzgut, Futter-, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie mit Pflanzenschutzgeräten, einschließlich der Zulassung“ in Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG nicht abschließend ist, verbleibt den Ländern die Kompetenz zur Regelung der Verwendung gefährlicher Pflanzenschutzmitteln, welche diese mit Erlassung der Pflanzenschutz-, Bodenschutz- bzw Chemikaliengesetzen auch genützt haben.
2. Begriff Als Pflanzenschutzmittel definiert § 2 Abs 1 PMG 1997 Wirkstoffe und Zubereitungen, die dazu bestimmt sind, Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse vor Schadorganismen zu schützen oder ihrer Einwirkung vorzubeugen, in einer anderen Weise als ein Nährstoff die Lebensvorgänge von Pflanzen zu beeinflussen (zB Wachstumsregler), unerwünschte Pflanzen oder Pflanzenteile zu vernichten oder ein unerwünschtes Wachstum von Pflanzen zu hemmen oder einem solchen Wachstum vorzubeugen.
3. Zulassungsregelungen a) Zulassungssystem Pflanzenschutzmittel können nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie nach zugelassen wurden (§ 3 Abs 1 PMG 1997). Keine Zulassung in Österreich benötigen Pflanzenschutzmittel, wenn sie sind entweder zur Lagerung mit anschließender Ausfuhr aus dem Gemeinschaftsgebiet oder zur Anwendung in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt sind, sofern sie dort zugelassen sind (§ 3 Abs 2 PMG 1997). b) Antragsteller Da das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels an eine entsprechende Zulassung geknüpft ist, ist derjenige, der beabsichtigt, ein Pflanzenschutzmittel erstmals in Österreich in Verkehr zu bringen, verpflichtet eine solche Zulassung zu beantragen (§ 4 Abs 1 PMG 1997). Der Antragsteller muss gemäß § 4 Abs 2 PMG 1997 in einem Mitgliedstaat einen festen Sitz oder Wohnsitz haben.
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c) Antrag Der Antrag auf Zulassung eines Pflanzenschutzmittels ist in deutscher Sprache unter Verwendung eines bei der Behörde aufliegenden Formblatts in dreifacher Ausfertigung beim Bundesamt für Ernährungssicherheit einzubringen (§ 4 Abs 3 PMG 1997). Ihm sind die zur Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen erforderlichen Angaben, Unterlagen und Prüfungen anzuschließen. Diese Unterlagen müssen nach dem Stand der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse zumindest den inhaltlichen Anforderungen und der Systematik der Anhänge II und III der Stoff-RL entsprechen, wobei die Prüfung der Wirksamkeit und Phytotoxizität erforderlichen Unterlagen von Versuchseinrichtungen solche Versuchseinrichtungen sind die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit und das Bundesamt und Forschungszentrum Wald (§ 5 Abs 1 PMG 1997) - zu erstellen sind (§ 4 Abs 4 PMG 1997). Ist der Wirkstoff bereits in Anhang I der Stoff-RL angeführt und unterscheidet sich die Zusammensetzung des Wirkstoffs hinsichtlich des Reinheitsgrads und der Art der Verunreinigungen nicht gegenüber jener in den Unterlagen des Erstantrages zur Aufnahme in den Anhang I der Stoff-RL, sind Angaben und Unterlagen, die den Anforderungen des Anhangs II der Stoff-RL genügen, nicht erforderlich (§ 4 Abs 5 PMG 1997) Für Pflanzenschutzmittel, die in einem Mitgliedstaat bereits zugelassen wurden, müssen die Versuche oder Analysen, die im Zusammenhang mit dieser Zulassung durchgeführt wurden, nicht wiederholt werden, soweit die für die Anwendung des Pflanzenschutzmittels bedeutsamen Verhältnisse nachweislich vergleichbar sind. Ist die Wiederholung erforderlich, hat der BMLFUW diesen Umstand zu melden und die Entscheidung der Gemeinschaft abzuwarten (§ 4 Abs 6 PMG 1997). Im Falle eines Abänderungsantrages oder eines Antrages auf Erneuerung der Zulassung müssen nur jene zusätzlichen Angaben, Unterlagen und Proben angeschlossen werden, die für eine dem Stand der Wissenschaft und Technik entsprechende Beurteilung des Antrages hinsichtlich der Zulassungsvoraussetzungen erforderlich sind (§ 4 Abs 7 PMG 1997). Mitunter enthält ein Antrag Angaben oder Unterlagen, an welchen der Antragsteller ein schutzwürdiges Interesse an deren Geheimhaltung geltend macht, etwa weil sie ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis sein können. In diesem Fall sind die betreffenden Angaben und Unterlagen als vertraulich zu kennzeichnen (§ 4 Abs 8 PMG 1997). Die Prüfung der Begründung des Geheimhaltungsinteresses und die allfällige Behandlung dieser Angaben und Unterlagen als vertraulich erfolgt nach dem UIG. Kein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung besteht für Angaben iSd Art 14 Stoff-RL. d) Zulassung Die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels erfolgt mittels Bescheid durch des Bundesamt für Ernährungssicherheit, wenn die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (§ 6 Abs 1 PMG 1997). Diese allgemeinen Zulassungsvorausset-
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zungen müssen grundsätzlich von jedem zum Inverkehrbringen zugelassenen Pflanzenschutzmittel erfüllt werden.181 Zu den allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen zählen gemäß § 7 PMG 1997: • Das Pflanzenschutzmittel muss nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik sowie aufgrund der Prüfung der Unterlagen • hinreichend wirksam sein, • keine unannehmbaren Auswirkungen auf zu schützende Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse haben, • bei den zu bekämpfenden Wirbeltieren keine unnötigen Leiden oder Schmerzen verursachen, • keine unmittelbaren oder mittelbaren schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder das Grundwasser haben, und • keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt im Hinblick auf den Verbleib und Ausbreitung des Pflanzenschutzmittels in der Umwelt und auf dessen Auswirkungen auf nicht bekämpfte Arten haben (Z 1 lit a-e). Die Art und Menge der in dem Mittel enthaltenen Wirkstoffe sowie der toxikologisch oder ökotoxikologisch signifikanten Verunreinigungen und zusätzlichen Bestandteile sowie die bei zugelassenen Anwendungen entstehenden toxikologisch und ökologisch signifikanten Rückstände müssen nach allgemein gebräuchlichen, geeigneten Methoden mit vertretbarem Aufwand und zuverlässig bestimmt werden können (Z 2 und 3). Die physikalisch-chemischen Eigenschaften des Mittels müssen ermittelt worden sein und eine angemessene Verwendung und Lagerung des Mittels erlauben (Z 4). Keine vorläufig oder nach einschlägigen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft festgelegten Höchstwerte für Rückstände von Pflanzenschutzmitteln dürfen überschritten werden (Z 5). Die Handelsbezeichnung des Mittels muss so gewählt sein, dass es weder einer Handelsbezeichnung eines bereits zugelassenen Pflanzenschutzmittels entspricht noch zu Verwechslungen oder Täuschungen insbesondere der Wirkungen oder der Eigenschaften des Pflanzenschutzmittels führen kann (Z 6). Zudem umfasst die bestimmungs- und sachgemäße Anwendung die Einhaltung der in der Kennzeichnung angegebenen Indikationen und Anwendungsvorschriften sowie die Befolgung der guten Pflanzenschutzpraxis und die Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes (§ 7 Abs 2 PMG 1997). e) Zulassungsverfahren Das Zulassungsverfahren ist in §§ 8-14 PMG 1997 geregelt. Die allgemeinen, in jenem Zulassungsverfahren enthaltenen Bestimmungen regelt § 6 PMG 1997. Zu diesen allgemeinen Verfahrensbestimmungen zählen ua die Entscheidungsfrist der Behörde von höchstens einem Jahr, die Regelungen bei Mängelbehebungsaufträgen usw. Hinsichtlich der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln unterscheidet das Gesetz nach der Art des Wirkstoffes des betreffenden Pflanzenschutzmittels: 181
563 BlgNR 20. GP 35 (Zu § 7).
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•
Pflanzenschutzmittel, dessen Wirkstoffe im Anhang I der Pflanzenschutzmittel-RL angeführt sind, sind zuzulassen, wenn die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen des § 7 PMG 1997 vorliegen (§ 8 Abs 1 PMG 1997). Diese Zulassung gilt für höchstend zehn Jahre (§ 8 Abs 2 PMG 1997). • Pflanzenschutzmittel, die einen neuen Wirkstoff enthalten, sind zuzulassen, wenn anzunehmen ist, dass die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen des § 7 PMG 1997 vorliegen und die Vollständigkeit der Unterlagen für den neuen Wirkstoff durch die Gemeinschaft festgestellt wurde (§ 9 Abs 1 PMG 1997). Die Feststellung der Vollständigkeit durch die Gemeinschaft erfolgt nach dem in Art 20 Pflanzenschutzmittel-RL geregelten Verfahren. Die Unterlagen zum Wirkstoff müssen eine Detailbewertung im Wirkstoffprogramm der Gemeinschaft ermöglichen.182 Die Zulassung ist auf höchstens drei Jahre befristet. Ein Erneuerungsantrag kann gestellt werden.183 Enthält ein Pflanzenschutzmittel einen alten Wirkstoff, ist es zuzulassen, wenn die allgemeinen Zulassungsvorsaussetzungen des § 7 PMG 1997 vorliegen (§ 10 Abs 1 PMG 1997). Diese Zulassung ist am 26. Juli 2003 abgelaufen (§ 10 Abs 2 PMG 1997). Eine Verlängerung der Frist sowie Anträge auf Erneuerung der Zulassung sind jedoch vorgesehen,184 sodass bloß keine Neuzulassungen solcher Pflanzenschutzmittel erfolgen können. Ist das Pflanzenschutzmittel bereits in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen,185 muß es unter den Voraussetzungen des § 12 Abs 1 PMG 1997 zulassen: Die Wirkstoffe des Pflanzenschutzmittels müssen im Anhang I der Pflanzenschutzmittel-RL angeführt sein Ferner müssen die für die Anwendung des Pflanzenschutzmittels maßgeblichen Bedingungen des Zulassungsstaates hinsichtlich der Land- und Forstwirtschaft, des Pflanzenschutzes und der Umwelt einschließlich der Witterungsverhältnisse mit denen in Österreich vergleichbar sein. Im entsprechenden Antrag ist die Kennzeichnung des Pflanzenschutzmittels vorzusehen, welche im Rahmen des Zulassungsverfahrens geprüft wird. Die Einstufung aufgrund der Kennzeichnung ist in die Zulassung aufzunehmen (§ 11 Abs 2 PMG 1997). In der Zulassung wird die Anwendungsbestimmungen festgelegt, die denjenigen entsprechen, die im Rahmen der Zulassung des Pflanzenschutzmittels im Zulassungsstaat vorgenommen worden sind. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch eine Zulassung mit anderen Anwendungsbestimmungen erteilt werden (§ 12 Abs 3 PMG 1997). Die Zulassung ist befristet auszusprechen, wobei sich die Zulassungsfrist nach der vom Zulassungsstaat ausgesprochenen richtet (§ 12 Abs 5 PMG 1997). § 12 Abs 6 und 7 PMG 1997 enthalten das in Art 11 Pflanzenschutzmittel-RL vorgesehene Schutzklauselverfahren für verweigerte und aufgehobene oder abgeänderte Zulassungen. Solche Fälle sind bei Zulassungsverweigerung der Kommission, 182 183 184 185
563 BlgNR 20. GP 35 (Zu § 9). 563 BlgNR 20. GP 35 (Zu § 9). 563 BlgNR 20. GP 35 (Zu § 10); vgl Art 8 Abs 2 e. Unterabs PflanzenschutzmittelRL. Im Folgenden als „Zulassungsstaat“ bezeichnet; § 12 PMG 1997 setzt Art 10 der Pflanzenschutzmittel-RL um; siehe 563 BlgNR 20. GP 38 (Zu § 12).
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bei Aufhebung oder Abänderung, der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten vom BMLFUW zu melden und hat die Entscheidung der Gemeinschaft abgewartet werden (§ 12 Abs 6 und 7 PMG 1997). Vereinfachte Zulassung: Für Parallelimporte von Pflanzenschutzmitteln sieht § 11 eine vereinfachte Zulassung vor: Soll ein Pflanzenschutzmittel in Verkehr gebracht werden, das mit einem Referenzprodukt identisch ist und in einem anderen Mitgliedstaat des EWR zugelassen ist, bedarf es lediglich der vereinfachten Zulassung durch das Bundesamt für Ernährungssicherheit (§ 11 Abs 1 PMG 1997). Ein Refernzprodukt ist mit einem im Inland zugelassenen Pflanzenschutzmittel identisch186, wobei das im Inland zugelassene Pflanzenschutzmittel nicht nach §§ 11, 12 Abs 10 oder § 13 PMG 1997 zugelassen sein darf (§ 11 Abs 1 Z 1 PMG 1997). Dem Antrag ist eine Erklärung beizulegen, dass das betreffende Pflanzenschutzmittel mit einem bestimmten Referenzprodukt identisch ist, sowie die beabsichtigte Kennzeichnung nach § 20 PMG 1997 und die Originalkennzeichnung beizulegen (§ 11 Abs 2 PMG 1997). Ferner muss ein Muster der Verpackung, in der das Pflanzenschutzmittel in Verkehr gebracht werden soll, dem Antrag vorgelegt werden, es sei denn es soll in seiner Originalverpackung in Verkehr gebracht werden. Im Rahmen der vereinfachten Zulassung prüft das Bundesamt für Ernährungssicherheit lediglich das Übereinstimmen der Originalkennzeichnung mit der Kennzeichnung des Referenzproduktes.187 Stimmen diese beiden Kennzeichnungen überein, ist das Pflanzenschutzmittel zuzulassen (§ 11 Abs 4 PMG 1997). Die Entscheidung ist binnen zwei Monaten zu fällen (§ 11 Abs 7 PMG 1997). In der Zulassung ist eine Zusatzbezeichnung vorzuschreiben, die zusätzlich zur Pflanzenschutzmittelregister-Nummer in der Kennzeichnung angegeben werden muss (§ 11 Abs 8 PMG 1997). Zulassung bei Gefahr im Verzug: Um jederzeit Gefahren flexibel und effizient begegnen zu können, sieht § 13 PMG 1997 die Möglichkeit vor, ein Pflanzenschutzmittel in einer bestimmten Menge und für eine beschränkte und kontrollierte Anwendung zuzulassen, wenn dies aufgrund einer unvorhersehbaren Gefahr notwendig ist, die mit anderen Mitteln nicht eingedämmt werden kann (§ 13 Abs 1 PMG 1997). Solche Zulassungen sind auf vier Monate befristet (§ 13 Abs 2 PMG 1997). Änderung der Zulassung: Grundsätzlich sind die Antragsteller zur Beantragung einer Änderung der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels berechtigt. Im Falle der Antragstellung der Ausdehnung des Anwendungsbereiches eines bereits zugelassenen Pflanzenschutzmittels sind neben dem Zulassungsinhaber auch amtliche oder wissenschaftliche Einrichtungen für den Agrarbereich, landwirtschaftliche Berufsverbände und Schädlingsbekämpfer iSd GewO an186
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Ein solches Pflanzenschutzmittel ist mit dem Referenzprodukt identisch, wenn es den Kriterien des § 11 Abs 2 Z 1-3 PMG 1997 entspricht. Kriterien für die Identität mit dem Referenzprodukt sind: derselbe Ursprung wie das Referenzprodukt, das Enthalten des gleichen Wirkstoffes wie das Referenzprodukt und das Übereinstimmen mit dem Referenzprodukt in der Zusammensetzung. In diesem Verfahren hat der Zulassungsinhaber des in Österreich zugelassenen Pflanzenschutzmittels die Stellung eines Beteiligten iSd § 8 AVG (563 BlgNR 20. GP, 38 [Zu § 11]). Die Behörde muss einem solchen Zulassungsinhaber daher die Gelegenheit zur Mitwirkung an der Sachverhaltsfeststellung eingeräumt werden.
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tragsberechtigt. Die Ausdehnung des Anwendungsbereiches muss freilich im öffentlichen Interesse liegen. Die Beurteilung, ob eine Indikationserweiterung im öffentlichen Interesse liegt, soll von einer „zur Beurteilung des öffentlichen Interesses befugten Stelle“ abhängig sein.188 Darüber hinaus müssen die Zulassungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 lit c, d und e PMG 1997 vorliegen und es muss eine Anwendung an Pflanzen, die nur in geringfügigem Umfang angebaut werden, an Pflanzenerzeugnissen, die in geringfügiger Menge erzeugt werden, oder gegen Schadorganismen, die selten oder in kleinen begrenzten Gebieten erhebliche Schäden verursachen, vorgesehen sein (§ 14 Abs 1 PMG 1997). Verwertung von Unterlagen und Tierversuchsergebnissen: §§ 15 und 16 PMG 1997 treffen detailreiche Vorschriften über die Verwertung von Unterlagen Dritter (anderer Antragsteller) sowie über Versuche an Wirbeltieren. Soweit Unterlagen iSd § 4 Abs 4-7 PMG 1997 eines anderen Antragstellers verwertet werden können, sind Unterlagen nach Anhang II und Anhang III der Pflanzenschutzmittel-RL nicht erforderlich. Die Verwertung der Unterlagen Dritter ist an besondere Voraussetzungen geknüpft, ua an die schriftliche Zustimmung des Erstantragstellers (§ 15 Abs 1 und 2 PMG 1997). Zur Vermeidung unnötiger Tierversuche sieht § 16 PMG 1997 die Verpflichtung des Zulassungswerbers vor, sich vor Durchführung von Versuchen an Wirbeltieren beim Bundesamt für Ernährungssicherheit zu erkundigen, ob das betreffende Pflanzenschutzmittel mit einem bereits zugelassenen Pflanzenschutzmittel identisch ist sowie nach dem Namen und den Anschriften der Zulassungsinhaber. Das Bundesamt für Ernährungssicherheit kann, wenn sich Zulassungsinhaber und Zulassungswerber nicht einigen können, dem inländischen Zulassungsinhaber mit Bescheid vorschreiben, die Information dem Zulassungswerber vorzuschreiben und hat auch die dem Zulassungsinhaber vom Zulassungswerber zu bezahlende Entschädigung mit Bescheid festzusetzen. Gegen diesen Bescheid können die Parteien das Bezirksgericht Innere Stadt Wien anrufen, wobei in diesem Fall der Bescheid ex lege außer Kraft tritt.189 Erst nach Begleichung des Entschädigungsbetrages darf die Information verwertet werden (§ 16 Abs 5 PMG 1997). f) Abänderung, Aufhebung und Erneuerung der Zulassung Gemäß § 18 PMG 1997 sind Zulassungen von Amts wegen abzuändern oder aufzuheben, wenn einer der folgenden Faktoren vorliegt: • Die Zulassungsvoraussetzungen liegen nicht oder nicht mehr vor (Z 1). • Eine Beschränkung oder ein Verbot iSd § 17 PMG 1997 (Z 2) oder eine Entscheidung der Gemeinschaft (Z 4) erfordern die Abänderung oder Aufhebung der Zulassung. • Das Pflanzenschutzmittel enthält einen Stoff, der in Anhang I Pflanzenschutzmittel-RL beschränkt oder gestrichen worden ist (Z 3). 188
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563 BlgNR 20. GP 39 (Zu § 14); im öffentlichen Interesse soll nach den EB (ibi) etwa die Einsatzmöglichkeit eines Pflanzenschutzmittels im biologischen Landbau sein. Sukzessivzuständigkeit der Zivilgerichte; § 16 Abs 6 PMG 1997; 563 BlgNR 20. GP 39 (Zu § 16).
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Die Zulassung wurde aufgrund falscher oder irreführender Angaben erteilt (Z 5). • Nach neuesten wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen können die Art der Anwendung und die verwendeten Mengen geändert werden (Z 6). • Der Zulassungswerber hat eine schriftliche Verzichtserklärung abgegeben (Z 7). • Der Zulassungswerber hat seinen Sitz oder Wohnsitz in der Gemeinschaft aufgegeben (Z 8). Der Aufhebungs- bzw Abänderungsbescheid kann eine Frist für den Abverkauf vorschrieben oder diesen untersagen. Schweigt der Bescheid hierzu, beträgt die Frist für den Abverkauf der betroffenen, bereits in Verkehr gebrachten Pflanzenschutzmittel ein Jahr (§ 18 Abs 3 PMG 1997). Hinsichtlich der Pflanzenschutzmittel, die nicht mehr in Verkehr gebracht werden dürfen, sieht § 18 Abs 4 PMG 1997 ein kostenloses Rückgaberecht der Abnehmer an den Abgeber vor. Da alle Zulassungen nach dem PMG 1997 befristet sind, müssen Zulassungsinhaber, die betreffenden Zulassungen fristgerecht erneuern. Die Erneuerung einer Zulassung erfolgt auf Antrag des Zulassungsinhabers und kann frühestens ein Jahr vor Erlöschen der Zulassung gestellt werden (§ 19 Abs 2 PMG 1997). Ein rechtzeitiger Antrag perpetuiert den bisherigen Zulassungsbescheid. Der Antrag auf Erneuerung der Zulassung muss die für die Beurteilung erforderlichen Angaben, Unterlagen und Probemengen enthalten; sind sie unvollständig, ist der Antrag zurückzuweisen, es sei denn es kann ein Mängelbehebungsauftrag erteilt werden. Hierbei hat sich die Behörde daran zu orientieren, ob dies mit dem Schutz der Gesundheit von Mensch, Tier und der Umwelt vereinbar ist (§ 19 Abs 2 PMG 1997). Liegen die Zulassungsvoraussetzungen weiterhin vor, ist die Zulassung zu erneuern (§ 19 Abs 1 PMG 1997). f) Beschränkungen und Verbote § 17 PMG 1997 normiert eine umfassende Verordnungsermächtigung des BMLFUW, Stoffe, die in einem Pflanzenschutzmittel nicht oder nur mit Beschränkungen enthalten sein dürfen, oder Pflanzenschutzmittel, die bestimmte Stoffe enthalten, zu beschränken oder zu verbieten. Diese Verordnungsermächtigung dient der Umsetzung der Pflanzenschutzmittelverbot-RL. g) Meldepflichten für Antragsteller und Zulassungsinhaber Der Schutzzweck des PMG 1997 erfordert es, dass das Bundesamt für Ernährungssicherheit eine Entscheidung auf dem letzten Stand der Wissenschaft und Technik fällt. Zu diesem Zweck statutiert § 25 PMG 1997 sowohl für Antragsteller als auch Zulassungsinhaber eine umfassende Meldepflicht. Gemäß § 25 Abs 1 PMG 1997 sind unverzüglich und schriftlich die nachstehenden Umstände dem Bundesamt für Ernährungssicherheit zu melden: Alle nachträglich bekannt gewordenen Beobachtungen und Daten, die mit den Zulassungsvoraussetzungen nicht im Einklang stehen. Im Besonderen betrifft dies • neue Angaben zu potentiell gefährlichen Auswirkungen oder Einflüsse auf die Gesundheit und die Umwelt (Z 1);
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die nachträgliche Veröffentlichung von Informationen, die zuvor als vertraulich bezeichnet wurden (Z 2), und • personenbezogene Daten, wie insbesondere der Wechsel des Herstellers eines Wirkstoffes oder der Zubereitung und die Angabe des festen Sitzes oder Wohnsitzes in der Gemeinschaft (Z 3). Einmal jährlich sind zudem die Namen und Mengen der einzelnen Wirkstoffe der jährlich vom Zulassungsinhaber aus dem Inland verbrachten Pflanzenschutzmittel bekannt zu geben (§ 25 Abs 2 PMG 1997).
4. Kennzeichnungs- und Verpackungsvorschriften a) Kennzeichnungspflicht Die Kennzeichnung von Pflanzenschutzmitteln auf den Verpackungen ist Voraussetzung für das Inverkehrbringen im Inland. § 20 PMG 1997 normiert in Umsetzung der Art 15 und 16 Pflanzenschutzmittel-RL die Kennzeichnungsvorschriften für Verpackungen von Pflanzenschutzmitteln. Gemäß § 20 Abs 1 PMG 1997 muss die Kennzeichnung deutlich sichtbar, lesbar und unverwischbar in deutscher Sprache auf den Verpackungen (Fertigpackungen und Überverpackungen) enthalten sein. b) Kennzeichnungselemente Die Kennzeichnungselemente werden in § 20 Abs 1 Z 1-23 PMG 1997 definiert. Systematisch lassen sich folgende Elemente unterscheiden: • Bezeichnung: das Mittel muss als „Pflanzenschutzmittel“ bezeichnet werden und die Handelsbezeichnung anführen (Z 1); • Name und Anschrift der Zulassungsinhabers sowie des für die Endkennzeichnung des Pflanzenschutzmittels Verantwortlichen; Pflanzenschutzmittelregisternummer und Zusatzbezeichnung nach § 11 Abs 8 PMG 1997 (Z 2); Name und Anschrift des Herstellers des Pflanzenschutzmittels (Z 3); • jeder Wirkstoff mit der für ihn in der Nomenklatur in Anhang I der StoffRL angeführten Namen, mit seinem ISO common name, allenfalls mit seiner chemischen Bezeichnung gemäß den IUPAC-Regeln und den jeweiligen Gehalt des Wirkstoffes (Z 4); • in der Fertigverpackung enthaltene Nennfüllmenge des Pflanzenschutzmittels (Z 5); • Chargen-Nummer (Z 6); • Angaben über Erste-Hilfe-Maßnahmen (Z 7) • Kennzeichnungsanforderungen nach der Zubereitungs-RL (Z 8); • Standardsätze für besondere Gefahren und Sicherheitshinweise für Pflanzenschutzmittel in den Anhängen der Pflanzenmittelschutzmittel-RL idF RL 2003/82/EG (Z 9); • Wirkungstyp des Pflanzenschutzmittels (Insektizid, Wachstumsregler, Herbizid usw; Z 12); • Art der Zubereitung (Spritzpulver, Emulsionskonzentrat usw; Z 13); • Indikation für die das Pflanzenschutzmittel zugelassen wurde (Z 14); • Gebrauchsanweisung und Aufwandmenge ausgedrückt in metrischen Einheiten für jede Anwendung gemäß den Bedingungen und Auflagen für die Zulassung (Z 15);
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Sicherheitswartezeit für jede Indikation zwischen Anwendung und Ansaat oder Pflanzung der zu schützenden Kultur, Ansaat oder Pflanzung der nachfolgenden Kulturen, Zugang von Menschen oder Tieren, Ernte oder Verbrauch oder Verwendung (Z 16); • Hinweise auf Phytotoxität, Empfindlichkeit bestimmter Sorten und andere unerwünschte Nebenwirkungen (Z 17); • Merkblatthinweis bei Beiliegen eines Merkblattes iSd § 20 Abs 2 PMG 1997190 (Z 18); • Hinweise zur schadlosen Beseitigung des Pflanzenschutzmittels und der Fertigpackung (Z 19); • Verfallsdatum des Pflanzenschutzmittels (Z 20); • Lagerungs- und Handhabungshinweise (Z 21); • Zusätzliche Hinweise aufgrund der giftrechtlichen Bestimmungen des ChemG 1996 (Z 22); • Sonstige Angaben aufgrund der Zulassung oder einer Verordnung nach § 20 Abs 5 PMG 1997 (Z 23). Merkblatt: Können die Angaben über die Gebrauchsanweisung iSd § 20 Abs 1 Z 15 PMG 1997, über die Sicherheitswartezeit für jede Indikation iSd § 20 Abs 1 Z 16 PMG 1997 und die Hinweise auf Phytotoxität, Empfindlichkeit bestimmter Sorten und andere unerwünschte Nebenwirkungen iSd § 20 Abs 1 Z 17 PMG 1997 nicht auf der Fertigpackung angebracht werden, sind diese Angaben in Form eines Merkblattes beizugeben (§ 20 Abs 2 PMG 1997). Dieses Merkblatt ist Bestandteil der Kennzeichnung. Die Verpackung darf keinesfalls Angaben wie „ungiftig“ oder „nicht gesundheitsschädlich“ aufweisen (§ 20 Abs 4 PMG 1997). Es darf aber darauf hingewiesen werden, dass das Pflanzenschutzmittel auch angewendet werden kann, wenn Bienen und andere nicht zu der Zielgruppe gehörende Arten aktiv sind. c) Verpackungsvorschriften § 21 PMG 1997 trifft Vorschriften für Fertigpackungen. Diese Vorschrift entspricht Art 5 Abs 2 der RL 78/631/EWG. Gemäß § 21 Abs 1 PMG 1997 dürfen Pflanzenschutzmittel nur in unbeschädigten und sicheren Fertigpackungen in Verkehr gebracht werden. Bei sachgerechter Lagerung und Handhabung muss sichergestellt sein, dass keine Gefahr für die Gesundheit von Menschen und Tieren und die Umwelt von den in den Fertigpackungen enthaltenen Pflanzenschutzmitteln ausgeht. Fertigpackungen müssen folgenden Anforderungen entsprechen (§ 21 Abs 1 Z 1-4 PMG 1997): • sie müssen so hergestellt und beschaffen sein, dass vom Inhalt nichts unbeabsichtigt nach außen gelangen kann, • die Werkstoffe der Fertigpackungen und der Verschlüsse müssen so beschaffen sein, dass sie vom Inhalt nicht angegriffen werden und keine gefährlichen Verbindungen mit ihm eingehen können; erforderlichenfalls
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Dieser Hinweis lautet: „Vor Gebrauch beiliegendes Merkblatt lesen!“ (§ 20 Abs 1 Z 18 PMG 1997).
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sind die Fertigpackungen auch mit kindersicheren Verschlüssen zu versehen, die Fertigpackungen und die Verschlüsse müssen in allen Teilen so fest und so stark sein, dass sie den zu erwartenden Beanspruchungen zuverlässig standhalten und die Behältnisse mit Verschlüssen, die nach Öffnung erneut verwendbar sind, müssen so beschaffen sein, dass die Fertigpackung mehrfach so verschlossen werden kann, dass vom Inhalt nichts unbeabsichtigt nach außen gelangen kann.
d) Pflanzenschutzmittelregister Zugelassene bzw gemäß § 12 Abs 10 PMG 1997 angemeldete Pflanzenschutzmittel sind vom Bundesamt für Ernährungssicherheit unter einer fortlaufenden Nummer in das Pflanzenschutzmittelregister einzutragen (§ 22 Abs 1 PMG 1997). Dieses Register dient der Publizität und enthält einen öffentlichen und einen nicht öffentlichen Teil. In den öffentlichen Teil, der Angaben, wie zB das Datum und die Dauer der Zulassung, die Aufhebung und Abänderung der Zulassung usw enthält, kann jedermann zu Amtsstunden Einsicht nehmen und Abschriften bzw Auszüge anfertigen lassen (§ 22 Abs 5 PMG 1997).
5. Werbebeschränkungen Pflanzenschutzmittel unterliegen - wie nahezu alle Chemikalien - einer Beschränkung der Möglichkeiten, sie zu bewerben und anzupreisen. Freilich sind die Werbebeschränkungen für Pflanzenschutzmittel im Vergleich zu den rigorosen Werbebeschränkungen des ChemG 1996 vergleichsweise milde. Zunächst dürfen Pflanzenschutzmittel nur beworben werden, wenn sie zugelassen sind (§ 24 Abs 1 PMG 1997). Werbung in Text und Bild für solche zugelassenen Pflanzenschutzmittel muss je nach Art des Mediums deutlich lesbare, hörbare oder sichtbare Hinweise enthalten, dass Gefahrenhinweise und Sicherheitsratschläge zu beachten sind, welche die Kennzeichnung enthalten (§ 24 Abs 2 PMG 1997). Zudem dürfen beim Inverkehrbringen des jeweiligen Pflanzenschutzmittels keine Angaben gemacht werden, die mit den Kennzeichnungsvorschriften des PMG 1997 nicht zu vereinbaren sind. Dies betrifft va irreführende Angaben hinsichtlich der Anwendungsbestimmungen oder der Gefährlichkeit des Pflanzenschutzmittels.
6. Einfuhr von Pflanzenschutzmitteln § 27 PMG 1997 betrifft die Einfuhr von Pflanzenschutzmitteln aus Drittländern. Das Importieren von Pflanzenschutzmitteln aus anderen Mitgliedstaaten sowie deren Durchfuhr unterliegt nicht diesen Bestimmungen.191 Gemäß § 27 Abs 1 PMG 1997 dürfen Pflanzenschutzmittel der Position 3808 der kombinierten Nomenklatur192 mit Herkunft oder Ursprung in Drittländern nur eingeführt werden, wenn der Zollstelle eine Bestätigung des Bundesamtes für Ernährungssicherheit vorgelegt wird. Pflanzenschutzmittel, die als Rückwaren gemäß 191 192
563 BlgNR 20. GP 42 (Zu § 27). V (EWG) 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif.
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Art 185 ff der V (EWG) 2913/92 Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften zurückgebracht werden, sind von den Anforderungen des Abs 1 ausgenommen. Pflanzenschutzmittel unterliegen außerdem erst ab den in § 27 Abs 3 Z 1-4 PMG 1997 angeführten Zeitpunkten dem Regime des Abs 1. Die Bestätigung ist ein Jahr ab Ausstellung gültig. Sie Bestätigung bildet bei der Einfuhrabfertigung an der Zollstelle eine erforderliche Unterlage zur Anmeldung gemäß Art 62 Abs 2 Zollkodex und Art 218 Abs 1 Buchstabe d V (EWG) 2454/93 Zollkodex-Durchführungsverordnung (§ 27 Abs 10 PMG 1997). Sie ist vom Importeur zu beantragen, wobei der Antrag hat alle erforderlichen Angaben wie zB die Kennzeichnung, die Beschaffenheit und die Menge des Pflanzenschutzmittels usw zu enthalten hat (§ 27 Abs 5 PMG 1997). Sie ist gemäß § 27 Abs 4 PMG 1997 dann auszustellen, wenn auf Grund eines vom Antragsteller vorzulegenden Untersuchungszeugnisses einer akkreditierten Prüfstelle oder auf Grund der Prüfung durch das Bundesamt für Ernährungssicherheit feststeht, das das Pflanzenschutzmittel zugelassen ist und vom Zulassungsinhaber eingeführt wird, oder das Pflanzenschutzmittel ausschließlich für wissenschaftliche Versuche für Prüfungen in Prüfstellen gemäß § 50 ChemG 1996 oder als Probe für Zulassungsverfahren nach dem PMG 1997 verwendet wird. Ferner ist gemäß § 27 Abs 6 PMG 1997 eine Bestätigung für Zwecke des Zollverfahrens auszustellen, wenn es sich bei Waren der Position 3808 oder bei Waren der in einer gemäß § 27 Abs 9 PMG 1997 erlassenen Verordnung angeführten Positionen des Gemeinsamen Zolltarifs nicht um Pflanzenschutzmittel handelt.
7. Anwendungsbezogene Regulierung von Pflanzenschutzmitteln a) Maßgeblichkeit der Begriffe des ChemG 1987 bzw des ChemG 1996 in den Landeschemikaliengesetzen Die Landeschemikaliengesetze193 regeln die Verwendung gefährlicher Pflanzenschutzmittel und knüpfen hinsichtlich der Begriffsbestimmung für „gefährliche Stoffe“ und „gefährliche Zubereitungen“ an entsprechende die Definitionen des Chemikalienrechts des Bundes an. Das K-CG und das OÖ BodenschutzG knüpfen an Stoff- und Zubereitungsbegriff des ChemG 1996 an.194 Die Mehrheit der Landeschemikaliengesetze hingegen bezieht sich auf die entsprechenden Definitionen des ChemG 1987, zT in dessen Urfassung, zT in späteren Fassungen.195 Diese Bezugnahme auf ein längst außer Kraft getretenen Gesetz 193
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Die Länder bedienen sich bei der Bezeichnung ihrer chemikalienbezogenen Landesgesetze vielfältiger Bezeichnungen. Sie werden zT als Pflanzenschutzmittelgesetze (Burgenland, Niederösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Wien), zT als Chemikaliengesetze (Kärnten, Steiermark) und im Falle Oberösterreichs als Bodenschutzgesetz bezeichnet. Diese Vielfalt der Bezeichnung ist Ausdruck des föderalistischen Prinzips und soll durch den hier verwendeten Sammelbegriff „Landeschemikaliengesetze“ nicht in Frage gestellt werden. Der Sammelbegriff wurde lediglich zum Zweck einer anschaulicheren Darstellung gewählt. Siehe § 3 Abs 1 und 3 K-CG; § 2 Z 14, 15 und 16 OÖ BodenschutzG. § 2 Abs 1 Bgld PflanzenschutzmittelG (Anknüpfung an das ChemG 1987 idF BGBl 1992/759); § 2 Abs 1 NÖ PflanzenschutzmittelG (Anknüfung an ChemG 1987 idF BGBl 1987/326); § 2 Abs 2 und 3 Sbg PflanzenschutzmittelG (Anknüpfung an
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ist problematisch. Zum einen ist die Verweisung auf ein außer Kraft getretenes Gesetz unpraktisch, da es nicht leicht auffindbar ist. Zum anderen sind zwischenzeitig zahlreiche, durch das Gemeinschaftsrecht vorgegebene Änderungen in Chemikalienrecht ergangen, die durch das ChemG 1987 nicht abgedeckt werden. Sofern der Begriff des gefährlichen Stoffes oder der gefährlichen Zubereitung in diesem Kontext den gemeinschaftsrechtlichen Begriffen entgegensteht, etwa weil er enger als der gemeinschaftsrechtliche Begriff gefasst ist und deshalb die Anwendung eines Pflanzenschutzmittels in den „ChemG 1987“Bundesländern unterbindet, ist dieser als gemeinschafts- und verfassungsrechtlich bedenklich einzustufen. Das 1991 erlassene Vlbg PflanzenschutzmittelG nimmt eine Sonderstellung ein, indem es in seiner Definition der Pflanzenschutzmittel in § 1 Abs 2 Vlbg PflanzenschutzmittelG weder ausdrücklich an das ChemG 1987 (das zum Erlassungszeitpunkt in Kraft gewesen wäre), noch an das ChemG 1996 hinsichtlich der Begriffe „gefährliche Stoffe und Zubereitungen“ anknüpft. Eine eigenständige Legaldefinition fehlt. Es wird daher der gewöhnlich diesen Begriffen zu unterstellende Wortsinn beizugeben. Dieser Wortsinn wird im Groben dem Wortsinn der Legaldefinition sowohl des ChemG 1987 wie auch des ChemG 1996 entsprechen. Eine gemeinschaftsrechts- und verfassungsrechtskonforme Auslegung dieser Begriffe legt es nahe, nicht enger als den entsprechenden Wortlaut dieser Begriffe in § 2 ChemG 1996 bzw den gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien auszulegen. b) Verwendung von Pflanzenschutzmitteln Allen LandeschemikalienG ist gemeinsam, dass sie das Verwenden von Pflanzenschutzmitteln beschränken. Bei der Terminologie des Pflanzenschutzmittels setzt sich die bereits konstatierte Verweisungsproblematik in bedenklicher Weise fort. Es können die folgenden Gruppen von Landesgesetzen zusammengefasst werden: Verwendung von Pflanzenschutzmitteln iSd PMG, BGBl 1990/476: Gemäß § 4 Abs 1 Bgld PMG dürfen Pflanzenschutzmitteln nur verwendet werden, wenn sie nach dem PMG, BGBl 1990/476 zugelassen worden sind196 Die explizite Verweisung auf das PMG, BGBl 1990/476, lässt die Interpretation zu, dass nach dem PMG 1997 zugelassene Pflanzenschutzmittel nicht unter die Regulierung der Pflanzenschutzgesetze des Burgenlands, Tirols und wohl auch Salzburgs fallen und somit die Verwendung der nach dem PMG 1997 zugelassenen Pflanzenschutzmittel nicht verwendet werden dürfen. Verwendung von Pflanzenschutzmitteln iSd PMG 1997: § 4 K-CG bestimmt, dass Pflanzenschutzmittel nur verwendet werden dürfen, wenn ihr Inverkehrbringen nach dem PMG 1997 zulässig ist. § 18 Oö BodenschutzG gestattet die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln nur, wenn sie nach den
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ChemG 1987 idF BGBl 1990/476); § 2 Abs 1 Stmk ChemG (Anknüpfung an ChemG 1987 idF BGBl 1987/326); § 2 Abs 1 Tir PflanzenschutzmittelG (Anknüpfung an ChemG 1987 idF BGBl 1990/325); § 2 Abs 1 Wr PflanzenschutzmittelG (Anknüpfung an ChemG 1987 idF BGBl 1989/300). Ebenso § 4 Abs 2 iVm § 1 Abs 2 Sbg PMG; § 5 Abs 1 Tir PMG.
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pflanzenschutzrechtlichen Bestimmungen des Bundes zugelassen sind oder für die Verwendung eine Bewilligung gemäß § 26 PMG 1997 vorliegt. Verwendung von Pflanzenschutzmitteln iSd PflanzensschutzG, BGBl 1948/124: Nach § 4 Abs 1 Nö PMG dürfen nur nach dem PflanzensschutzG, BGBl 1948/124 idF BGBl 1987/165, genehmigte Pflanzenschutzmittel verwendet werden.197 Das PflanzenschutzG wurde bereits vor geraumer Zeit durch das PflanzenschutzgrundsatzG ersetzt. Die Genehmigung von Pflanzenschutzmitteln durch das Zulassungsregime des PMG 1990 ersetzt und ist nunmehr im PMG 1997 geregelt. Es ist fraglich, ob noch Genehmigungen für Pflanzenschutzmittel iSd PflanzenschutzG bestehen. Aufgrund der expliziten Verweisung auf das PflanzenschutzG dürften die nach dem PMG 1997 zugelassenen Pflanzenschutzmittel von den Bestimmungen des NÖ PMG wie auch des Wr PMG nicht erfasst werden, sodass die für deren Verwendung in Niederösterreich und Wien keine gesetzliche Grundlage bestehen dürfte. Verwendung von Pflanzenschutzmitteln ohne explizite Verweisung auf ein BG: § 4 Abs 1 Stmk ChemG bestimmt, dass Pflanzenschutzmittel nur sachgerecht und so verwendet werden dürfen, dass eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen und die Umwelt ausgeschlossen ist. Das Vlbg PMG sieht die Beschränkung der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß vor (§ 2 Abs 1 Vlbg PMG und unterwirft die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln Einschränkungen und Verboten (§ 3 Abs 1 Vlbg PMG). Das Stmk ChemG und das Vlbg PMG definieren nicht den Terminus des Pflanzenschutzmittels. Sie setzen ihn offensichtlich voraus. Eine gesetzeskonforme Auslegung durfte ergeben, dass hierunter die nach der jeweils geltenden Rechtslage zugelassenen Pflanzenschutzmittel gemeint sind, sodass die Verwendung der Pflanzenschutzmittel iSd PMG 1997 von diesen LG erfasst wird. Die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln hat sachgemäß und so zu erfolgen, dass die Gefahr für das Leben und die Gesundheit des Menschen oder für die Umwelt ausgeschlossen ist. Mit dieser Verpflichtung geht auch jene einher, die Anwendungsbestimmungen einzuhalten und mengenmäßig die Zubereitungen von Pflanzenschutzmitteln auf das behandelnde Objekt abzustimmen.198 Weiters regeln die LG ua die Aufbewahrung und Lagerung von Pflanzenschutzmitteln in geeigneten Behältnissen,199 die Aufbringung von Pflanzenschutzmitteln mittels geeigneten Pflanzenschutzgeräten und deren Reinigung.200 Um eine gefahrenfreie und sichere Anwendung der Pflanzenschutzmittel zu gewährleisten, ordnen die Landeschemikaliengesetze die Verpflichtung des 197 198
199
200
Textident mit § 3 Abs 1 Wr PMG. Siehe dazu § 4 Abs 2 Bgld PMG; § 5 Abs 1 K-CG; § 4 Abs 2 Nö PMG, § 18 Abs 2 Oö BodenschutzG, § 4 Abs 1 Sbg PMG, § 4 Abs 1 Stmk ChemG, § 5 Abs 2 Tir PMG, § 3 Abs 1 Vlbg PMG (Verordnungsermächtigung), § 3 Abs 2 Wr PMG. Siehe dazu § 4 Abs 2 Bgld PMG, § 7 K-CG, § 4 Abs 4 Nö PMG, § 18 Abs 6 Oö BodenschutzG, § 4 Abs 4 Sbg PMG, § 4 Abs 3 Stmk ChemG, § 5 Abs 4 Tir PMG, § 2 Abs 2 lit c Vlbg PMG (Verordnungsermächtigung), § 6 Wr PMG. Siehe dazu § 4 Abs 2 Bgld PMG, § 9 K-CG, §§ 4 Abs 4 Nö PMG, § 18 Abs 8-10 Oö BodenschutzG, § 4 Abs 6 Sbg PMG, § 4 Abs 4-7 Stmk ChemG, § 5 Abs 6 und 7 Tir PMG, § 2 Abs 2 lit e Vlbg PMG (Verordnungsermächtigung), § 7 Wr PMG.
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Verwenders an, nur Pflanzenschutzgeräte zu verwenden, deren Beschaffenheit und Zustand bei ordnungsgemäßer Benützung eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit des Menschen oder die Umwelt ausschließen, sowie deren sorgfältige Reinigung der Geräte und Behältnisse, die für die Zubereitung von Pflanzenschutzmitteln verwendet werden.201 Im Burgenland und in Oberösterreich ist überdies eine wiederkehrende Überprüfung der Pflanzenschutzgeräte durch eigens von der jeweiligen Landesregierung hierzu ermächtigte Prüforgane vorgesehen.202 Diese Prüforgane haben insbesondere die Funktionstüchtigkeit von Pflanzenschutzgeräten zu überprüfen, um sicherzustellen, dass die vorgeschrieben Aufwandsmengen eingehalten und gleichmäßig verteilt werden.203 In Oberösterreich hat das Prüforgan zudem eine Prüfplankette am Pflanzenschutzgerät anzubringen.204 In Niederösterreich, in Salzburg, in der Steiermark, in Tirol, in Vorarlberg und in Wien können mittels V nähere Bestimmungen über Wartung und Handhabung von Pflanzenschutzgeräten sowie deren regelmäßige Überprüfung erlassen werden.205 Einige LG ermächtigen darüber hinaus die Landesregierung durch Verordnung die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln oder bestimmten Arten von Pflanzenschutzmitteln zur Gänze, für bestimmte Zeiten oder für bestimmte Gebiete zu verbieten, wenn der Einsatz andere Verfahren hinreichenden Schutz der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse gewährleistet oder wenn es zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit des Menschen oder der Umwelt erforderlich ist.206 Manche LG statuieren hinsichtlich der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln eine Aufzeichnungspflicht. So müssen in manchen Bundesländern die Anwender von Pflanzenschutzmitteln ein Spritztagebuch bzw Aufzeichnungen führen, aus welchen sich die wesentlichen Informationen über das Datum der Anwendung, das Pflanzenschutzmittel, die Menge und das betroffene Grundstück ergeben.207 Zudem verbieten die LG bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln das Essen, Trinken und Rauchen und schreiben erforderlichenfalls die Verwendung eines geeigneten Atemschutzes vor.208
201 202 203 204 205 206 207
208
Siehe dazu § 4 Abs 8 Bgld PMG; § 9 K-CG; § 4 Abs 8 Nö PMG; § 18 Abs 10 Oö BodenschutzG; § 4 Abs 5 und 7 Stmk ChemG § 7 Abs 1 Wr PMG. Siehe dazu § 5 Bgld PMG; § 19 Oö BodenschutzG; Vgl § 5 Bgld PMG; § 19 Abs 1 Z 3 Oö BodenschutzG § 19 Abs 1 Z 4 Oö BodenschutzG § 5 Nö PMG; § 4 Abs 6 Sbg PMG; § 5 Stmk ChemG, § 6 Tir PMG; § 8 Vlbg PMG; § 7 Abs 4 Wr PMG. Siehe dazu § 7 Abs 1 Bgld PMG, § 11 K-CG, § 7 Nö PMG, § 7 Stmk ChemG, § 7 Tir PMG, § 3 Abs 1 Vlbg PMG, § 8 Wr PMG. Siehe dazu § 4 Abs 11 Sbg PMG, § 5 Abs 6 Tir PMG (hinsichtlich gefährlicher Pflanzenschutzmittel), § 7 Vlbg PMG (Aufzeichnungspflicht über die Verwendung giftiger Pflanzenschutzmittel), § 5 Abs 1 Wr PMG Siehe dazu § 4 Abs 9 Bgld PMG, § 5 Abs 4 K-CG; § 3 Abs 3 Sbg PMG, § 5 Abs 2 Wr PMG
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c) Persönliche Voraussetzungen des Verwenders Die LG gestatten nur sachkundigen Landwirten bzw sonstigen sachkundigen Personen die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln.209 Als sachkundig gelten Personen, die über die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, etwa wenn sie erfolgreich an einem von einer Landwirtschaftskammer veranstalteten Ausbildungskurs teilgenommen haben oder erfolgreich eine landwirtschaftliche Fachschule abgeschlossen haben.210 d) Informationspflichten Alle LG sehen Informationspflichten desjenigen vor, der Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse, die mit Pflanzenschutzmitteln behandelt worden sind und die wegen ihrer Behandlung nicht zum Verzehr bestimmt sind, an einen Dritten veräußert oder sonst überlässt. Der Erwerber ist in diesem Fall über diese Umstände zu informieren. Ähnliche Informationspflichten gelten für den Fall, dass eine Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nachteilige Auswirkungen auf andere Grundstücke erwarten lassen.211
8. Aufsichtsrecht a) Amtliche Pflanzenschutzmittelkontrolle Die Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des PMG 1997 obliegt dem Bundesamt für Ernährungssicherheit (§ 28 Abs 1 PMG 1997). Seine Aufsichtsorgane üben in umfassender Weise die amtliche Pflanzenmittelschutzkontrolle aus, indem sie zu Betriebs- und Geschäftszeiten, bei Gefahr in Verzug auch außerhalb dieser Zeiten, „alle für die Kontrolle der Einhaltung maßgeblichen Nachforschungen anstellen“ können (§ 28 Abs 2 PMG 1997). Diese Kontrollbefugnis ist umfassend und schließt ua das Recht, Gebäude, Grundstücke und Beförderungsmittel zu betreten ebenso ein, wie die Entnahmen von unentgeltlichen Proben, Verpackungen, Merkblätter und Werbematerialien. Zudem steht ihnen auch die Kontrolle der maßgeblichen Unterlagen, wie Lieferscheine und Geschäftsaufzeichnungen zu (§ 28 Abs 2 PMG 1997). b) Überwachung der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln Die Überwachung der sachgerechten Verwendung von Pflanzenschutzmitteln iSd jeweiligen Landeschemikaliengesetze obliegt der Bezirksverwaltungsbehörde,212 wobei sie sich im Burgenland und in Niederösterreich der Organe der Land- und Forstwirtschaftsinspektion zu bedienen hat. Im Burgenland ist zu209
210
211 212
Siehe dazu § 3 Abs 1 Bgld PMG, § 6 Abs 3 K-CG, § 3 Abs 1 Nö PMG, § 17 Abs 1 Oö BodenschutzG, § 3 Abs 1 Sbg PMG, § 3 Abs 1 Stmk ChemG, § 3 Abs 1 Tir PMG, § 4 Vlbg PMG, § 4 Wr PMG Siehe dazu § 3 Abs 2 Blgd PMG, § 6 Abs 1 K-CG, § 3 Abs 2 Nö PMG, § 17 Abs 2 Oö BodenschutzG, § 3 Abs 2 Sbg PMG, § 3 Abs 2 Stmk ChemG, § 3 Abs 2 Tir PMG, § 4 Abs 3 Vlbg PMG, § 4 Abs 2 Wr PMG. Siehe dazu § 6 Bldg PMG, § 10 K-CG, § 6 Nö PMG, § 20 Oö BodenschutzG, § 8 Sbg PMG, § 6 Stmk ChemG, § 8 Tir PMG, § 5 Vlbg PMG, § 9 Wr PMG. § 8 Abs 1 Bgld PMG;§ 12 K-CG; § 8 Nö PMG; § 41 Oö BodenschutzG; § 9 Sbg PMG; § 8 Stmk ChemG; § 9 Tir PMG; § 8 Vlbg PMG; in Wien der Magistrat § 10 Abs 1 Wr PMG.
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dem bei der wiederkehrenden Überprüfung von Pflanzenschutzgeräten das hierzu ermächtigte Prüforgan (gemäß § 5 Abs 1 Bgld PMG) heranzuziehen. In Salzburg kann die Bezirksverwaltungsbehörde die nach § 6 Sbg KulturpflanzenschutzG eingerichtete Pflanzenstelle als Gutachter heranziehen.213 Die mit der Überwachung betrauten Organen sind berechtigt, während des Tages, bei Gefahr in Verzug jederzeit, zur Durchführung von Überprüfungen der Einhaltung des jeweiligen LG Grundstücke und Lagerräumlichkeiten zur Einstellung von Pflanzenschutzmitteln zu betreten, die unverzügliche Erteilung von zur Erfüllung ihrer Tätigkeit notwendigen Auskünften zu verlangen und Proben von Boden, Pflanzen, Pflanzenerzeugnissen, Pflanzenschutzmitteln und anderen Materialien in einem zur Untersuchung erforderlichem Ausmaß unentgeltlich zu entnehmen.214 Zudem steht der Behörde in Salzburg, Tirol und in Wien das Recht zu, in Spritztagebücher (in Kärnten und Vorarlberg in Aufzeichnungen nach § 5 Abs 3 K-CG bzw § 7 Vlbg PMG) Einsicht zu nehmen.215 c) Instrumente der Überwachung Die Überwachung nach dem PMG 1997, wie auch nach den Landeschemikaliengesetzen, findet in der Regel in Geschäfts- und Lagerräumen, in Beförderungsmitteln, in landwirtschaftlichen Betrieben, aber auch auf Grundstücken, auf welchen Pflanzenschutzmittel aufgebracht worden sind, statt. Mitunter beim Import von Pflanzenschutzmitteln - kann sie auch auf Zollfreizonen stattfinden. Als Instrumente stehen den Behörden insbesondere die verwaltungspolizeilichen Instrumente der Nachforschung, der Einsichtnahme in Dokumente (§ 28 Abs 2 iVm § 30 Abs 1 Z 3 PMG 1997), der Entnahme von Proben (§ 28 Abs 2 PMG 1997) und der Beschlagnahme (§ 29 PMG 1997) zur Verfügung. Die Beschlagnahme von Gegenständen erfolgt vorläufig durch das Aufsichtsorgan, welches die vorläufige Beschlagnahme der Bezirksverwaltungsbehörde unverzüglich anzuzeigen hat (§ 29 Abs 3 PMG 1997). Binnen zwei Wochen nach Einlangen dieser Anzeige muss sodann die Bezirksverwaltungsbehörde die Beschlagnahme mit Bescheid anordnen. Anderenfalls tritt die vorläufige Beschlagnahme außer Kraft (§ 29 Abs 4 PMG 1997). Die beschlagnahmten Gegenstände hat die Bezirksverwaltungsbehörde für verfallen zu erklären, wenn der Betroffene nicht durch nachweisliche Maßnahmen gewährleistet, dass nach Freigabe der Gegenstände den Vorschriften des PMG 1997 Rechnung getragen wird (§ 35 Abs 1 PMG 1997). Zur Ermöglichung der Sachverhaltsfeststellung normiert § 30 PMG 1997 eine Reihe von Mitwirkungspflichten des Geschäfts- und Betriebsinhabers, die Aufsichtsorgane bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, zB indem alle für die Kontrolle maßgeblichen Unterlagen zur Einsichtnahme vorgelegt, Auskünfte erteilt werden, Personal zur Verfügung gestellt wird usw.
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§ 9 Abs 1 Sbg PMG. § 8 Abs 2 Bgld PMG; § 12 Abs 2 K-CG; § 8 Nö PMG; § 41 Abs 2 Oö BodenschutzG; § 9 Abs 2 Sbg PMG; § 8 Abs 2 Stmk ChemG; § 9 Tir PMG; § 8 Abs 2-4 Vlbg PMG; § 10 Abs 2 Wr PMG. § 12 Abs 2 K-CG; § 9 Abs 2 Sbg PMG; § 9 Tir PMG; § 8 Abs 2 Vlbg PMG; § 10 Abs 2 Z 3 Wr PMG.
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d) Verwaltungsstrafverfahren Ein Zuwiderhandeln gegen Bestimmungen des PMG 1997, wie auch gegen die Vorschriften der Landeschemikaliengesetze ist strafbar und - soweit die Übertretung nicht in die Zuständigkeit der Strafgerichte fällt - in einem Verwaltungsstrafverfahren zu erledigen. § 34 Abs 1 PMG 1997 listet in Z 1 und Z 2 zwei Deliktsgruppen auf: Übertretungen nach Z 1 leg cit sind mit einer Geldstrafe bis zu € 14.530, im Wiederholungsfall bis zu € 29.070, zu bestrafen, während jene nach Z 2 leg cit mit einer Geldstrafe bis zu € 7.270, im Wiederholungsfall bis zu € 14.530 zu bestrafen sind. Zu Übertretungen iSd Z 1 leg cit zählen ua das Inverkehrbringen nicht zugelassener Pflanzenschutzmittel oder das Nichtnachkommen der Mitwirkungspflicht gemäß § 30 PMG 1997 durch den Geschäfts- oder Betriebsführer. Zu den Übertretungen iSd Z 2 leg cit zählen ua das Betreiben von Werbung, welche nicht § 24 PMG 1997 entspricht oder das Nichtnachkommen von Meldepflichten. Zuwiderhandlungen gegen das Bgld PMG sind gemäß § 10 Abs 1 Blgd PMG mit einer Geldstrafe von bis zu € 3.600 zu bestrafen. Strafbar ist ua die Verwendung eines Pflanzenschutzmittels (iSd PMG BGBl 1990/476) durch eine nicht sachkundige Person (Z 1 leg cit) oder die Verwendung eines nicht nach dem PMG, BGBl 1990/476, zugelassenen Pflanzenschutzmittels (§ 4 Abs 1 iVm § 10 Abs 1 Z 2 leg cit). Nach dem K-CG sind Zuwiderhandlungen gegen das K-CG, zB die nicht sachgerechte Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (iSd PMG 1997) oder das Unterlassen von Aufzeichnungen betreffend die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, mit einer Geldstrafe von bis zu S 30.000 zu bestrafen (§ 13 Abs 1 und 2 K-CG). Eine Anpassung der Geldstrafe an den Euro ist bislang noch nicht erfolgt. Gemäß § 10 Nö PMG ist mit einer Geldstrafe von bis zu € 3.600 zu bestrafen, wer zB Pflanzenschutzmittel (iSd PflanzenschutzG, BGBl 1948/124 idF BGBl 1987/165) unbefugt verwendet (§§ 3 Abs 1, 10 Abs 1 Z 1 leg cit) oder andere als gemäß § 4 Abs 1 leg cit zulässige Pflanzenschutzmittel (iSd PflanzenschutzG, BGBl 1948/124 idF BGBl 1987/165) verwendet (§ 10 Abs 1 Z 3 leg cit). Verstöße gegen § 17 Abs 1 Oö BodenschutzG (Verwendung von Pflanzenschutzmitteln nur durch sachkundige Personen), gegen die Verwendungsbestimmungen des § 18 leg cit oder gegen die Informationspflicht gemäß § 20 leg cit sind mit einer Geldstrafe von bis zu € 3.600 zu bestrafen (§ 49 Abs 1 Z 11, Z 13, Abs 2 Z 2 leg cit). Verstöße gegen die Vorschriften über das Anbringen einer Prüfplankette auf einem Pflanzenschutzgerät gemäß § 19 Abs 3 sind hingegen mit einer Geldstrafe von bis zu € 2.200 zu bestrafen (§ 49 Abs 1 Z 12, Abs 2 Z 3 leg cit). Gemäß § 10 Sbg PMG sind Verstöße, wie das Zuwiderhandeln gegen die Verwendungsbeschränkungen für Pflanzenschutzmittel (iSd PMG, BGBl 1990/476) durch den Verwender oder das Nichtnachkommen gegen Informations- und Verständigungspflichten mit einer Geldstrafe von bis zu € 7.300 zu bestrafen.
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Nach § 10 Stmk ChemG sind ua Verstösse gegen § 4 Abs 1 leg cit (Verwendung von Pflanzenschutzmitteln durch sachkundige Verwender), gegen die sachgerechte Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (iSd § 2 Abs 1 leg cit) gemäß § 4 leg cit oder die Informationspflicht gemäß § 6 leg cit mit einer Geldstrafe von bis zu € 3.750 zu bestrafen. § 11 Tir PMG normiert zwei Gruppen von strafbaren Handlungen. Die in § 11 Abs 1 leg cit zusammengefassten Tatbestände, das Zuwiderhandeln gegen das Führen eines Spritztagebuches (lit a) und das Nichtnachkommen von Pflichten nach § 9 S 2 und S 3 leg cit (Verweigerung des Zutrittes der Behörde zu Grundstücken, Verweigerung der Entnahme von Proben ua) ist mit einer Geldstrafe von bis zu € 2.200 zu bestrafen. Die in § 11 Abs 2 leg cit zusammengefassten Tatbestände, wie zB das Verwenden von Pflanzenschutzmitteln (iSd PMG, BGBl 476/1990), ohne die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür zu erfüllen (lit a), oder das Verwenden anderer als nach § 5 Abs 1 leg cit zulässige Pflanzenschutzmittel (dh andere als nach dem PMG, BGBl 476/1990 zugelassene Pflanzenschutzmittel) verwendet (lit c), ist mit einer Geldstrafe von bis zu € 7.300 zu bestrafen. Das Vlbg PMG bedroht in § 10 ua Verstöße gegen Verwenden von Pflanzenschutzmitteln, ohne die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür zu erfüllen (lit b), das Nichtnachkommen der Hinweispflicht gemäß § 5 leg cit oder das Verwenden von nicht dem Gesetz entsprechenden Pflanzenschutzgeräten mit einer Geldstrafe von € 70 bis € 7.100. Aufgrund § 11 Abs 1 Wr PMG ist mit einer Geldstrafe bis zu € 3.500 zu bestrafen, wer zB Pflanzenschutzmittel (dh iSd PflanzenschutzG, BGBl 1948/124 genehmigte Pflanzenschutzmittel) nicht sachgerecht verwendet oder solche Pflanzenschutzmittel verwendet, ohne sachkundig zu sein. Gemäß § 11 Abs 2 ist mit einer Geldstrafe bis zu € 700 zu bestrafen, wer zB kein Spritztagebuch iSd § 5 Abs 1 leg cit führt oder die Informationspflicht des § 9 Abs 1 leg cit verletzt. Mit einer Ausnahme ist allen Landeschemikaliengesetzen sowie dem PMG 1997 gemeinsam, dass auch der Versuch strafbar ist.216 Die Landeschemikaliengesetze stellen zudem teilweise die Selbstgefährdung bei der unsachgemäßen und daher grundsätzlich strafbaren Verwendung von Pflanzenschutzmitteln straffrei.217 Das Strafverfahren richtet sich im Übrigen nach den Bestimmungen des VStG. Strafbehörde in erster Instanz ist die Bezirksverwaltungsbehörde. Gegen deren Entscheidung ist die Berufung an den UVS zulässig. Abweichend von § 31 Abs 2 VStG erstreckt § 34 Abs 2 PMG 1997 die Verfolgungsverjährungsfrist auf ein Jahr. § 49 Abs 4 Oö BodenschutzG erstreckt die Verfolgungsverjährungsfrist hinsichtlich Zuwiderhandlungen gegen den in §§ 17 Abs 1 und 18 leg cit enthaltenen Geboten auf zwei Jahre. 216
217
§ 10 Abs 1 Bgld PMG; § 13 Abs 3 K-CG (im Hinblick auf Verstöße gegen §§ 5 Abs 1 und 6 Abs 1 leg cit); § 10 Abs 3 Nö PMG; § 10 Abs 2 Sbg PMG; § 10 Stmk ChemG, § 11 Abs 3 Tir PMG; § 10 Abs 5 Vlbg PMG; § 11 Abs 2 Wr PMG; § 34 Abs 3 PMG 1997. § 10 Abs 2 Bgld PMG; § 13 Abs 4 K-CG; § 10 Abs 1 Z 1 Sbg PMG; § 11 Abs 3 Wr PMG.
Thomas Freylinger
Waffenrecht I. Grundlagen ................................................................................................785 A. Allgemeines............................................................................................785 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................786 1. Gemeinschaftsrechtliche Aspekte .....................................................786 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit......................................787 C. Gemeinschafts- und völkerrechtliche Grundlagen ................................787 1. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen................................................787 2. Völkerrechtliche Grundlagen ............................................................788 II. Das Waffengesetz .....................................................................................788 A. Begriffs- und Gebrauchsbestimmungen.................................................788 1. Waffen nach § 1 WaffG ....................................................................788 2. Schusswaffen.....................................................................................789 III. Behörden und Verfahren.......................................................................791 A. Behörden und Verfahren .......................................................................791 B. Strafbestimmungen ................................................................................792 Rechtsgrundlagen: BG: Waffengesetz 1996 (BGBl 1997/12 idF BGBl 2004/136); Bundesgesetz über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial BGBl Nr 540/1977 idF BGBl Nr 50/2005; Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs BGBl Nr 211/1955.
Grundlegende Literatur: Binder, Wirtschaftsrecht2, 1999; Grosinger-Szirba-Szymanski, Das österreichische Waffenrecht3, 2005; Hickisch, Österreichisches Waffenrecht, 1999; Lenz (Hrsg), EG-Vertrag Kommentar3, 2003; Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000; Walter/ Mayer, Grundriss des besonderen Verwaltungrechts2, 1987.
I. Grundlagen A. Allgemeines In Österreich dient das Waffengesetz zum Schutz vor Missbrauch und zur Überwachung der Inhaber von Waffen aller Art. Der Geltungsbereich bezieht sich nicht nur auf alle Waffenarten, sondern erstreckt sich auch auf Munition und Kriegsmaterial.1 Zusätzlich enthält das Waffengesetz Regelungen, die (nach Art der Waffe verschieden) den Besitz, die Einfuhr, Veräußerung, den Erwerb oder das Führen von Waffen einschränken bzw verbieten.2
1 2
§ 5 WaffenG Walter/Mayer, 26 ff.
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Das am 1. Juli 1997 in Kraft getretene Waffengesetz 1996 basiert im Wesentlichen auf dem Normenbestand des frühren Waffengesetzes von 1986. Die erfolgten Änderungen ergaben sich aufgrund der Notwendigkeit, das österreichische Waffenrecht an das Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990 und an die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 18. Juni 1991 über die Kontrolle des Erwerbes und des Besitzes von Waffen (91/477/EWG) anzupassen.3 Im Zusammenhang mit Waffen, Munition und Sprengmittel sind folgende Gesetze zu beachten: Das PyrotechnikG4 regelt den Umgang mit munitionsartigen Gegenständen. Zur Überprüfung von Schusswaffen und Patronen hinsichtlich ihrer Sicherheit finden sich die Bestimmungen im BeschussG5. Zur Ausübung des Waffengewerbes sind die Regelungen der GewO 19946 einzuhalten. Die Zulässigkeit des Gebrauchs von Schusswaffen durch Organe der Wachkörper wird im WaffengebrauchsG7 geregelt und hinsichtlich verbotener Waffen ist auf das KriegsmaterialG8 hinzuweisen.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Gemeinschaftsrechtliche Aspekte Nach dem Wortlaut des Art 23 EGV erstreckt sich die Zollunion auf den gesamten Warenaustausch. Für bestimmte Waren bestehen aber Sonderregelungen. Eine solche stellt Art 296 Abs 1 lit b EGV dar, wonach jeder Mitgliedsstaat Maßnahmen ergreifen kann, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition, und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen.9 Die Ermächtigung zur Durchführung von Maßnahmen erstreckt sich einerseits nur auf die Gegenstände, die in Art 296 Abs 2 EGV erwähnten Warenliste aufgeführt sind, andererseits dürfen die Wettbewerbsbedingungen auf dem gemeinsamen Markt hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Gegenstände nicht beeinträchtigt werden. Die Liste der von dieser Vorschrift betroffenen Waren wurde vom Rat am 15. April 1958 festgelegt, aber nicht veröffentlicht (sie erfasst nur militärische Waren wie Gewehre - außer Jagdwaffen - Bomben, Panzer chemische, biologische und radioaktive Waffen, Kriegsschiffe und -flugzeuge, elektronische und optische Ausrüstung für militärische Zwecke sowie Maschinen zum Herstellen und Testen solcher Waren, nicht aber dual-use-Güter10).11 3 4 5 6 7 8 9 10
11
Grosinger-Szirba-Szymanski, 8. BGBl 282/1974 idF BGBl I Nr. 98/2001 BGBl 41/1951 idF 233/1984; Beschuss VO 1999, BGBl II 381/1999, Patronenprüfordnung 1999, BGBl II 388/1999 BGBl 194/1994 idF 111/2002 BGBl 422/1969 idF 151/2004 BGBl 590/1977 idF 50/2005 Meesenburg, in: Schwarze, EU- Kommentar, 406. Bei diesen Gütern handelt es sich um Waren, die sowohl zu militärischen als auch nicht-militärischen Zwecken verwendet werden. Für diese Güter gilt daher die VO Nr 3381/94, Abl 1994 L 367/1. Lenz, 194 ff.
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Aufgrund dieser Ausnahmeregelung dürfen die Mitgliedsstaaten den Handel mit solchen Waffen sowohl innerhalb der Gemeinschaft, als auch gegenüber Drittländern besonderen Genehmigungs- und Überwachungsverfahren unterwerfen. Bei der Umsetzung ist aber Art 296 EGV, als Ausnahme von den allgemeinen Grundsätzen des Vertrages, eng auszulegen und unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Damit sollte verhindert werden, dass es im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr durch unterschiedliche Außenhandelsbeschränkungen zu Störungen kommt.12 Sofern diese Vorschrift nicht anzuwenden ist, gelten auch für Waffen, Munition und Kriegsmaterial die Bestimmungen über die Zollunion und die gemeinsame Handelspolitik.13 Aufgrund dieser Regelung sind der gemeinsame Zolltarif und der Zollkodex auf solche Waren anzuwenden, da diese nicht die Sicherheitsinteressen der Mitgliedsstaaten berühren. Zusätzlich kann anstelle der in Art 296 (ex Art 223) vorgesehenen nationalen Vorschriften auch eine Gemeinschaftsregelung auf der Grundlage von Art 133 (ex Art 113) oder Art 301 (ex Art 228 a) EGV erlassen werden.
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Verfassungsrechtlich ist das Waffen- und Munitionswesen Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung (Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG). Aufgrund zahlreicher Überschneidungen mit anderen Kompetenzen des Bundes, stützt sich das Waffenrecht zusätzlich auf Tatbestände des Zivil- und Strafrechtswesen (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG), Angelegenheiten des Gewerbes (Art 10 Abs 1 Z 8 BVG), des Zollwesens (Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG) und militärische Angelegenheiten (Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG). Die Vollziehung des Waffenrechts zählt zu den Agenden der Sicherheitsverwaltung und wird von den Sicherheitsbehörden des Bundes, das sind die Sicherheitsdirektionen, gemäß Art 102 Abs 2 B-VG in unmittelbarer Bundesverwaltung durchgeführt.14
C. Gemeinschafts- und völkerrechtliche Grundlagen 1. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Im Rahmen der Harmonisierung hat der Rat gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Art 100a EGV, am 18.06.1991 die Richtlinie über die Kontrolle, des Erwerbs und des Besitzes von Waffen verabschiedet, die von den Mitgliedsstaaten bis spätestens 01.01.1993 umzusetzen war.15 Diese Regelung dient vor allem zur Angleichung des Waffenrechts der Mitgliedsstaaten im Rahmen der vollständigen Abschaffung der Binnengrenzkontrollen und verpflichtet die Mitgliedsstaaten zu einer verstärkten Kontrolle des Waffenbesitzes an den Außengrenzen. Damit sollte auch ein größeres gegenseitiges Vertrauen hinsichtlich der Gewähr12 13 14 15
EuGH zu Art 133 EGV, 17. 10. 1995, C-70/94 (Werner/Deutschland), Slg 1995, I-3189; EuGH 17.10.1995 C 83/94, (Leifer/Deutschland), Slg 1995, I-3231. Lenz, 195. VfGH 15.03.1995 B 1673/94. RL 91/477/EWG, Abl 1991, L 256/51.
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leistung der öffentlichen Sicherheit geschaffen werden, sofern sie sich auf teilweise harmonisierte Rechtsvorschriften gründet. Hierfür sind Feuerwaffen in Kategorien einzuteilen, bei denen der Erwerb und Besitz durch Privatpersonen entweder verboten, erlaubnis- oder meldepflichtig ist. Durch diese Richtlinie wurde auch die Ausstellung eines einheitlichen europäischen Waffenpasses geregelt.
2. Völkerrechtliche Grundlagen Bestimmte völkerrechtliche Verpflichtungen in Bezug auf das WaffenG werden aus der immerwährenden Neutralität Österreichs abgeleitet. Zwar steht danach neutralen Staaten die Produktion und der Export von Kriegsmaterial, auch an kriegsführende Staaten, frei, die Konfliktparteien dürfen in diesen Wirtschaftsbeziehungen bloß nicht einseitig begünstigt oder diskriminiert werden.16 Ohne neutralitätsrechtlich verpflichtet zu sein, verbot der Gesetzgeber die Ein-, Aus - und Durchfuhr von Waffen, die als Kriegsmaterial anzusehen sind durch das KriegsmaterialG.17 Danach ist die BReg ermächtigt, zur Wahrung außenpolitischer Interessen, nach Anhörung des Rates für Auswärtige Angelegenheiten durch Verordnungen die Ausfuhr von Kriegsmaterial in bestimmte Staaten zu untersagen.18 Diese Verordnungen betreffen regelmäßig die Untersagung der Ausfuhr von Kriegmaterial sowie von zivilen Waffen und ziviler Munition in kriegsführende Staaten (zB VO betreffend Irak19, Somalia20, Bosnien und Herzegowina, Bundesrepublik Jugoslawien und Republik Kroatien21).
II. Das Waffengesetz A. Begriffs- und Gebrauchsbestimmungen 1. Waffen nach § 1 WaffG Nach § 1 WaffG handelt es sich bei Waffen um Gegenstände, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, 1. die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen durch unmittelbare Einwirkung zu beseitigen oder herabzusetzen oder 2. bei der Jagd oder beim Schießsport zur Abgabe von Schüssen verwendet zu werden. Das Waffengesetz geht bei der Definition von Waffen von einem „funktionellen“ Waffenbegriff22 aus. Es handelt sich dabei um Gegenstände mit Waffenwirkung aller Art, die schon von vornherein dazu hergestellt wurden, um die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beeinträchtigen (zB Dolche, Wurfwaffen, Schlagstöcke, Fixiermesser). Es können zwar auch Küchenmes16 17 18 19 20 21 22
Binder, 73/0250 BGBl Nr 540/1977 idF BGBl 1982/358 und BGBl Nr 30a/1991. Walter/Mayer, 13. BGBl Nr 545a/1990 idF BGBl Nr 850/1990. BGBl Nr 102/1992 idF BGBl Nr 74/1993 BGBl Nr 234/1996. Walter/Mayer, 28.
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ser, Spazierstöcke oder Bierkrüge als Waffen im dargelegten Sinn verwendet werden, dennoch sind diese Gegenstände nicht primär dazu bestimmt. Anders verhält es sich, wenn Gegenstände so umfunktioniert werden, dass sie nach objektiven Gesichtspunkten als Waffe zu qualifizieren sind (zB ein Messer das beidseitig zugeschliffen wird).23
2. Schusswaffen Aufgrund ihrer besonderen Gefährlichkeit betrifft der zentrale Regelungsbereich des Waffenrechts die Definition, die Einteilung, den Besitz, den Erwerb und die Veräußerung von Schusswaffen. Zu den Schusswaffen zählen vor allem die Faustfeuerwaffen, die in der Regel dazu bestimmt sind, die Angriffsoder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beeinträchtigen. Aufgrund der Missbrauchsgefahr fallen auch Schusswaffen, die zur Jagd oder zum Schießsport verwendet werden in den Regelungsbereich des Waffengesetzes. In diesem Zusammenhang hat das Waffengesetz 1996 die Kategorisierung der EUWaffenrichtlinie im Anhang 1, sowie die staatliche Einflussnahme, vom völligen Verbot bis zu fast völliger Freigabe, übernommen.24 Nach § 2 WaffG sind Schusswaffen Waffen, mit denen feste Körper (Geschosse) durch einen Lauf in eine bestimmbare Richtung verschossen werden können; es sind dies: a) verbotene Schusswaffen und Schusswaffen, die Kriegsmaterial sind (Kategorie A, §§ 17 und 18); b) genehmigungspflichtige Schusswaffen (Kategorie B, §§ 19 bis 23); c) meldepflichtige Schusswaffen (Kategorie C, §§ 30 bis 32); d) sonstige Schusswaffen (Kategorie D, § 33). a) Kategorie A - Verbotene Schusswaffen und Kriegsmaterial Unter dem Begriff „verbotene Waffen“ sind Gegenstände zu verstehen, die zunächst einmal eine Waffe im Sinne des § 1 WaffG darstellen. Die weitere Unterteilung wird nach § 17 Abs 1 Z 1-6 WaffG vorgenommen, wobei sowohl der Erwerb, die Einfuhr, der Besitz als auch das Führen von Waffen der Kategorie A verboten ist. Verboten sind demnach Waffen, deren Form geeignet ist, einen anderen Gegenstand vorzutäuschen oder Waffen, die mit Gegenständen des täglichen Gebrauchs verkleidet sind. (Darunter fallen aber nicht Elektroschockwaffen und Reizsprays, sofern sie nach außen hin als Waffe erkennbar sind.) Ebenfalls verboten sind Schusswaffen, die über das für Jagd- und Sportzwecke übliche Maß hinaus zum Zusammenklappen, Zusammenschieben, Verkürzen oder schleunigen Zerlegen eingerichtet sind. Es handelt sich vor allem um leicht versteckbare Schusswaffen.25 Aufgrund ihrer verheerenden Wirkung sind Flinten (Schrotgewehre) mit einer Gesamtlänge von weniger als 90 cm oder mit einer Lauflänge von weniger als 45 cm, sowie Flinten mit Vorderschaftsrepetiersystem (Pumpguns) verboten. Unter den § 17 Abs 1 Z 5 fallen auch Schusswaffen, die mit einer Vorrichtung zur Dämpfung des Schussknalls oder mit 23 24 25
Hickisch, 14. Hickisch, 16 ff. Hickisch, 38 ff.
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Gewehrscheinwerfer versehen sind; das Verbot erstreckt sich in solchen Fällen auch auf die erwähnten Vorrichtungen allein. Auch der Erwerb oder das Mitführen von Schlagringen, Totschlägern und Stahlruten fällt unter § 17 Abs 1 WaffG. Aufgrund der raschen Entwicklung von Waffen ist es erforderlich, dass der Gesetzgeber darauf ohne Verzögerung reagieren kann. Aus diesem Grund sieht § 17 Abs 2 WaffG eine Ermächtigung für den BMI vor, durch Verordnung den Erwerb, Besitz, Einfuhr und Führen von neuartigen Waffen oder Erwerb, Besitz und Einfuhr neuartiger Munition, die auf Grund ihrer Beschaffenheit, Wirkung oder Wirkungsweise eine besonderte Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen oder für fremdes Eigentum darstellen könnten, zu verbieten. Unter bestimmten Umständen hat die Behörde aber die Möglichkeit, verlässlichen Menschen, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und ein überwiegendes berechtigtes Interesse nachweisen können, eine Ausnahmegenehmigung gem § 17 Abs 3 WaffG zu erteilen. Im allgemeinen verboten ist hingegen der Erwerb, der Besitz und das Führen von Kriegmaterial.26 Unter den Begriff Kriegsmaterial fallen gem § 5 WaffG bestimmte Waffen, Munitions- und Ausrüstungsgegenstände, die durch Verordnung auf Grund des § 2 des Bundesgesetzes über die Ein- Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial festgelegt wurden.27 Zu beachten ist jedoch gem § 18 Abs 5, dass das Waffengesetz nur eingeschränkte Geltung bezüglich Kriegsmaterial hat. b) Kategorie B - Genehmigungspflichtige Schusswaffen Bei genehmigungspflichtigen Schusswaffen handelt es sich nach § 19 WaffG um Faustfeuerwaffen (§ 3 WaffG), Repetierflinten und halbautomatische Schusswaffen, die nicht Kriegsmaterial oder verbotene Waffen sind. Der Erwerb, Besitz und das Führen dieser Waffenarten sowie deren Munition ist nur auf Grund einer behördlichen Bewilligung zulässig. Zum Nachweis der behördlichen Bewilligung ist dem Waffenbesitzer entweder ein Waffenpass (dieser berechtigt auch zum Führen der Waffe) oder eine Waffenbesitzkarte (Bewilligung zum Erwerb und Besitz) auszustellen.28 Die Ausstellung von Waffenbesitzkarte und Waffenpass darf nur an verlässliche EWR-Bürger erfolgen, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und für den Besitz einer genehmigungspflichtigen Schusswaffe eine Rechtfertigung oder einen Bedarf gem § 22 WaffG angeben können. Sofern Personen den Nachweis erbringen, dass der Besitz einer solchen Waffe aus beruflichen Gründen erforderlich ist, kann das Mindestalter auf 18 Jahre gesenkt werden. Die Behörde hat zumindest alle fünf Jahre eine Überprüfung der Verlässlichkeit des Inhabers eines Waffenpasses vorzunehmen. c) Kategorie C/D - Meldepflichtige und sonstige Schusswaffen Meldepflichtige und sonstige Schusswaffen sind in den §§ 30 ff WaffG geregelt. Es sind dies Waffen mit gezogenem Lauf, die weder unter den 3. noch 26 27 28
§ 18 WaffG. BGBl Nr 540/1977 idF BGBl 1982/358 und BGBl Nr 30a/1991. § 20 WaffG.
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unter den 4. Abschnitt fallen. In der Regel handelt es sich dabei um Büchsen, die entweder Einzellader sind oder über einen Repetiermechanismus verfügen. Im Unterschied zu den genehmigungspflichtigen Waffen, dürfen Waffen der Kategorie C und D grundsätzlich von Personen mit Wohnsitz im Bundesgebiet über 18 Jahren ohne behördliche Bewilligung erworben29 werden. Der Erwerb ist gem § 30 Abs 1 WaffG binnen vier Wochen vom Erwerber (Meldepflichtigen) einem im Bundesgebiet niedergelassenen Gewerbetreibenden, der zum Handel mit nichtmilitärischen Schusswaffen berechtigt ist, zu melden. Dabei hat sich der Meldepflichtige dem Gewerbetreibenden oder dessen Beauftragten mit einem amtlichen Lichtbildausweis auszuweisen. Die Meldung hat die Art und das Kaliber der erworbenen Waffe, deren Marke und Type sowie die Herstellernummer zu umfassen. Die Meldung ist erfolgt, sobald der Meldepflichtige die Bestätigung in Händen hält. Sofern die meldepflichtige Waffe im Ausland erworben wurde, entsteht die Meldepflicht mit der Einfuhr dieser Waffe. Das Führen meldepflichtiger Waffen ist unter den Voraussetzungen des § 35 WaffG zulässig. Der Behörde ist entweder auf Verlangen die Erfüllung der Meldepflicht nachzuweisen, oder jene Tatsachen bekannt zu geben, aus denen sich ergibt, dass keine Meldepflicht besteht, weil kein Wohnsitz im Bundesland vorliegt (§ 31 Abs 2 WaffG), eine unentgeltliche Überlassung noch nicht vier Wochen gedauert hat, oder die vier Wochen Frist ab dem Erwerb noch nicht abgelaufen ist.30 Den Gewerbetreibenden trifft keine Verpflichtung einer fristgerechten Meldung, sondern er hat diese nur entgegenzunehmen und den Erwerb der Waffe zu bestätigen.
Als Besonderheit beim Erwerb gilt, dass das Aushändigen meldepflichtiger oder sonstiger Schusswaffen an Personen, die weder über einen Waffenpass, eine Waffenbesitzkarte noch über eine Jagdkarte verfügen oder eine unverzügliche Ausfuhr durch Erlaubnisschein31 nicht nachweisen können, gem § 34 WaffG erst nach drei Werktagen, nach Abschluss des maßgeblichen Rechtsgeschäftes durch den Gewerbetreibenden, erfolgen darf. Damit soll im Sinne einer „Abkühlphase“, einem spontan gefassten Entschluss, eine Straftat unter Verwendung einer Schusswaffe zu begehen, entgegengewirkt werden.32 Ähnlich wie bei den verbotenen Waffen, kann der Bundesminister für Landesverteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Inneres, verlässlichen Menschen, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und ein berechtigtes Interesse für den Erwerb, Besitz oder das Führen von Kriegsmaterial glaubhaft machen, Ausnahmen von den Verboten des Abs 1 bewilligen.33
III. Behörden und Verfahren A. Behörden und Verfahren Zuständige sachliche Behörde in erster Instanz ist im Regelfall die Bezirksverwaltungsbehörde und in Orten für die eine Bundespolizeidirektion besteht, 29 30 31 32 33
Jegliche Form von Rechtsgeschäft, die Eigentumsübergang bewirkt. Hickisch, 32 ff. § 37 WaffG Hickisch, 35. § 18 Abs 2 WaffG
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diese. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich, sofern nichts anderes bestimmt ist, nach dem Hauptwohnsitz des Betroffenen, in Ermangelung eines Hauptwohnsitzes, nach seinem Wohnsitz. Über Berufungen gegen Bescheide der Behörde hat die Sicherheitsdirektion in letzter Instanz zu entscheiden. Gegen andere Entscheidungen der Sicherheitsdirektion ist keine Berufung zulässig.34 Vereinzelt kommen dem BMI und dem BMLV erstinstanzliche Befugnisse (zB Ausnahmegenehmigung von verbotenen Waffen, die unter den Begriff Kriegsmaterial fallen) gem § 61 WaffG zu.
B. Strafbestimmungen Bei den Strafbestimmungen unterteilt das Waffengesetz in gerichtlich strafbare Handlungen und Verwaltungsübertretungen. Die gerichtlich strafbaren Handlungen sind nach § 50 Abs 1 WaffG vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen, auch wenn diese nur fahrlässig begangen wurden. Zuständig für die sachliche Umsetzung sind die örtlich zuständigen Bezirksgerichte.35 Der Strafrahmen für Verwaltungsübertretungen, welche in § 51 Abs 1 WaffG festgelegt sind, reicht bis zu EUR 3.600 oder bis zu 6 Wochen Freiheitsstrafe. Zusätzlich hat die Behörde die Möglichkeit der entschädigungslosen Einziehung von Waffen und Munition durch Bescheid, sofern sich Waffen im Besitz von unverlässlichen Personen befinden. Waffen und Munition, die den Gegenstand einer nach dem § 51 WaffG als Verwaltungsübertretung strafbaren Handlung bilden, sind von der Behörde für Verfallen zu erklären und gehen in das Eigentum des Bundes über.36 Es handelt sich dabei nicht wie bei der Einziehung im gerichtlichen Strafrecht (§ 26 StGB) um eine vorbeugende Maßnahme, sondern stellt im Verwaltungsstrafrecht eine Nebenstrafe dar, welche aber zusätzlich im Hinblick auf das öffentliche Interesse, an der Geringhaltung der von Feuerwaffen ausgehenden Gefahren, auch eine Sicherungsmaßnahme darstellt.37
34 35 36 37
§§ 48 ff WaffG. §§ 9 Abs 1 Z 1 und 51 ff StPO § 52 WaffG Hickisch, 172 ff.
Siebenter Teil: Anlagenrecht
Michael Potacs
Gewerbliches Betriebsanlagenrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................796 Grundlegende Literatur...................................................................................797 I. Grundlagen ................................................................................................797 A. Allgemeines............................................................................................797 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................799 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft .............................................................799 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit......................................800 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen .................801 1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben...................................................801 2. Völkerrechtliche Verpflichtungen.....................................................802 II. Begriff der gewerblichen Betriebsanlage...............................................802 III. Genehmigungspflicht .............................................................................804 A. Allgemeines............................................................................................804 B. Kriterien.................................................................................................805 C. Feststellungsverfahren ..........................................................................808 IV. Genehmigungsverfahren........................................................................809 A. Zuständigkeit .........................................................................................809 B. Antrag ....................................................................................................810 C. Ordentliches Genehmigungsverfahren..................................................811 D. Vereinfachtes Verfahren........................................................................813 D. Vorarbeiten und Versuchsbetrieb..........................................................815 V. Genehmigung ...........................................................................................817 A. Allgemeines............................................................................................817 B. Immissionsseitige Kriterien ...................................................................817 C. Emissionsseitige Kriterien.....................................................................820 D. Einkaufszentren .....................................................................................821 E. Genehmigungskonzentration .................................................................823 G. Wirkung der Genehmigung ...................................................................824 VI. Die genehmigte Betriebsanlage .............................................................826 A. Vorschreibung, Änderung und Aufhebung von Auflagen ......................826 B. Sanierungskonzept .................................................................................828 C. Änderung der Betriebsanlage................................................................829 D. Pflichten des Betriebsinhabers..............................................................831 E. Auflassung von Betriebsanlagen ...........................................................832 VII. Rechtsverletzungen ...............................................................................833 A. Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen ....................................................833 B. Betretungsrecht......................................................................................834
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C. Verwaltungstrafen................................................................................. 834 VIII. Gewerbliches Betriebsanlagenrecht und Raumordnung ................ 834 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: RL 80/779/EWG idF RL 1999/30/EG, Abl L 163/41; Abl L 229/30; RL 82/884/EWG, Abl L 378/15 idF RL 1999/30/EG, Abl L 163/41; RL 85/203/EWG, Abl L 87/1 idF RL 1999/30/EG, Abl L 163/41; RL 96/61/EG (IPPC-RL), Abl L 257/26 idF VO 166/2006/EG, Abl L 33/1; RL 96/82/EG (Seveso II-RL), Abl L 10/13 idF RL 2000/105/EG, Abl L 345/97; RL 99/13/EG, Abl L 85/1 idF RL 2004/42/EG, Abl L 143/87; RL 99/30/EG, Abl L 163/41 idF Entsch. d. Komm. 2001/744/EG, Abl L 278/35; RL 2000/69/EG, Abl L 313/12; VO 761/2001/EG (EMAS-VO II), Abl L 114/1 idF VO 196/2006/EG, Abl L 32/4. BG: Gewerbeordnung - GewO (BGBl 1994/194 [WV] idF BGBl 2006 I/161); Umweltmanagementgesetz - UMG (BGBl 2001 I/96 idF BGBl 2004 I/99). VO: VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie über die Lagerung pyrotechnischer Gegenstände in gewerblichen Betriebsanlagen 2004 (BGBl 2004/252); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Ausstattung gewerblicher Betriebsanlagen mit Gaspendelleitungen für ortsfeste Kunststoffbehälter (BGBl 1991/558 idF BGBl 1995/904); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Bezeichnung gefahrengeneigter Anlagen und über die den Inhaber einer solchen Anlage in bezug auf Störfälle treffenden VerpflichtungenStörfallVO (BGBl 1991/593); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Ausstattung von Tankstellen mit Gaspendelleitungen (BGBl 1992/793); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Begrenzung der Emission von luftverunreinigenden Stoffen aus Anlagen zur Zementerzeugung (BGBl 1993/63); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Begrenzung von Emissionen aus Aufbereitungsanlagen für bituminöses Mischgut (BGBl 1993/489); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Begrenzung der Emission von luftverunreinigenden Stoffen aus Anlagen zur Gipserzeugung (BGBl 1993/717); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Begrenzung der Emission von luftverunreinigenden Stoffen aus Brennöfen zur Ziegelerzeugung in gewerblichen Betriebsanlagen und Bergbauanlagen (BGBl 1993/720); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Begrenzung der Emission von luftverunreinigenden Stoffen aus Anlagen zur Glaserzeugung (BGBl 1994/498); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der Arten von anlagen zur Ausübung von Nebengewerben zur Land- und Forstwirtschaft bezeichnet werden, die der Genehmigungspflicht nicht unterliegen (BGBl 1994/543); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der Arten von Betriebsanlagen bezeichnet werden, die dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zu unterziehen sind (BGBl 1994/850 idF BGBl 1999 II/19); VO des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über die Begrenzung der Emissionen bei der Verwendung halogenierter organischer Lösungsmittel in gewerblichen Betriebsanlagen-HKW-Anlagen-VO (BGBl 2005/411); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der jene Solarien bezeichnet werden, deren Verwendung für sich allein die Genehmigungspflicht einer gewerblichen Betriebsanlage nicht begründet-SolarienVO (BGBl 1995/147); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten und des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Lagerung von Druckgaspackungen in gewerblichen Betriebsanlagen-DruckgaslagerungsVO 2002 (BGBl 2002/489); VO des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit zur Umsetzung der Richtlinie 1999/13/EG
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über die Begrenzung der Emissionen bei der Verwendung organischer Lösungsmittel in gewerblichen Betriebsanlagen-VOC-Anlagen-Verordnung, VAV (BGBl 2002/301); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Begrenzung der Emission von luftverunreinigenden Stoffen aus Anlagen zur Erzeugung von Eisen und Stahl (BGBl 1997 II/160); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Begrenzung der Emission von luftverunreinigenden Stoffen aus Anlagen zum Sintern von Eisenerzen (BGBl 1997 II/163); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Bauart, die Betriebsweise, die Ausstattung und das zulässige ausmaß der Emission von Anlagen zur Verfeuerung fester, flüssiger oder gasförmiger Brennstoffe in gewerblichen Betriebsanlagen-FeuerungsanlagenVO-FAV (BGBl 1997 II/331); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Begrenzung der Emission von luftverunreinigenden Stoffen aus Anlagen zur Erzeugung von Nichteisenmetallen (BGBl 1998 II/1); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der jene Arten von Betriebsanlagen bezeichnet werden, die keinesfalls dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zu unterziehen sind (BGBl 1998 II/265); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der jene Arten von Betriebsanlagen bezeichnet werden, für die jedenfalls keine Genehmigung erforderlich ist (BGBl 1999 II/20 idF BGBl 1999 II/149); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Verbrennung gefährlicher Abfälle in gewerblichen Betriebsanlagen (BGBl 1999 II/32 idF BGBl 2002 II/389); VO des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, mit der Konsumgüter des kurzfristigen und des täglichen Bedarfs hinsichtlich der Genehmigung von Anlagen für Betriebe des Handels sowie von ausschließlich oder überwiegend für Handelsbetriebe vorgesehenen Gesamtanlagen bezeichnet werden-Einkaufszentren-Warenliste-VO (BGBl 2000 II/277).
Grundlegende Literatur: Stolzlechner/Wendl/Zitta (Hrsg), Die gewerbliche Betriebsanlage2 (1991), Ergänzungsband (1994); Gladt, Betriebsanlagen und ihre Nachbarn im gewerberechtlichen Genehmigungsverfahren, 1992; Schwarzer, Die Genehmigung von Betriebsanlagen, 1992; Pauger, Gewerberecht, 1993; Korinek (Hrsg), Gewerberecht. Grundfragen der GewO 1994 in Einzelbeiträgen, 1995; Schwarzer (Hrsg), Das neue Betriebsanlagenrecht, 1997; Wagner, Die Betriebsanlage im zivilen Nachbarrecht, 1997; Moosbauer, Die Rechtsprechung des VwGH zum Betriebsanlagenrecht 1990-1997, 1998; Müller, der Nachbar im Betriebsanlagenrecht, 1998; Schwarzer (Hrsg), Anlagenverfahrensrecht, 1999; Rill, Gewerberecht. Skriptum des Service Fachverlages an der Wirtschaftsuniversität Wien, 2001; Feik, Gewerbe- und Berufsrecht, in: Jahnel ua (Hrsg), Informatikrecht2, 2003, 295; Filzmoser, Gewerbliches Berufsrecht nach der GewO-Novelle 2002, 2003; Fischer/Trojer, Gewerbeordnung für die betriebliche Praxis, 2003; Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO2, 2003; Pauger, Gewerberecht, in: Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, 107; Feik, Gewerberecht, in: Bachmann ua (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht5, 2004, 145; Hanusch, Kommentar zur Gewerbeordnung, Loseblattausgabe, 13. Lieferung 2005; Kinscher/ Paliege-Barfuß, Die Gewerbeordnung7, Loseblattausgabe, 2. Ergänzungslieferung 2006.
I. Grundlagen A. Allgemeines Das gewerbliche Betriebsanlagenrecht ist in den §§ 74 und 353 ff GewO geregelt. Es enthält Vorschriften über Betriebsanlagen von der GewO unterliegen-
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den gewerblichen Tätigkeiten1. Ziel des gewerblichen Betriebsanlagenrechts ist die Vermeidung von bestimmten Beeinträchtigungen, die Betriebsanlagen auf die Umwelt ausüben. Als Kern des Anlagenrecht kann daher auch der Umweltschutz gesehen werden, verstanden als die „Bewahrung der natürlichen Umwelt als Lebensgrundlage des Menschen vor schädlichen Einwirkungen“2. Wirksamen Umweltschutz sicherzustellen bedeutet aber auch, dass zumindest manchen Betroffenen subjektive Rechte und damit auch Parteistellung im Anlagenverfahren eingeräumt wird. Mit deren Wahrnehmung werden dann nicht nur individuelle Interessen verfolgt. Gleichzeitig wird damit auch ein Beitrag zur Wahrung des öffentlichen Interesses am Umweltschutz geleistet.3 Für das gewerbliche Betriebsanlagenrecht ist daher die Gewährleistung des Umweltschutzes durch die Einräumung von Nachbarrechten charakteristisch. Andererseits bringt die Möglichkeit der Geltendmachung von subjektiven Nachbarrechten im Rahmen von Betriebsanlagengenehmigungsverfahren auch Erschwernisse für Betriebsansiedlungen mit sich. Selbst wenn die Ausübung dieser Parteienrechte solche Betriebsansiedlungen nicht immer vermeiden können, so haben sie doch längere Verfahren und damit verbundene Verzögerungen zur Folge. Für das Betriebsanlagenrecht ist daher auch ein Spannungsverhältnis zwischen Anforderungen der Wirtschaft und einem effektiven Umweltund Nachbarschutz charakteristisch. Den Anforderungen der Wirtschaft wurde in den vergangenen Jahren etwa durch die Schaffung eines „vereinfachten Verfahrens“ Rechnung getragen, bei dem die Nachbarn nur mehr ein Anhörungsrecht besitzen und dem im Laufe der Zeit immer mehr Betriebsanlagen unterworfen wurden. Aber auch der Nachbarschutz wurde in jüngerer Zeit weiter ausgebaut. So wurde erst durch GewO-Novelle 19974 den Nachbarn das subjektive Recht auf Verhängung von nachträglichen (also nach erfolgter Betriebsanlagengenehmigung erteilten) Auflagen eingeräumt. Allerdings ist der Umweltschutz im dargelegten Sinn nicht der einzige Zweck, dem das gewerbliche Betriebsanlagenrecht dient. Zu dessen Schutzgütern zählt weiters etwa auch die Religionsausübung in Kirchen, der Unterricht in Schulen und die Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs an oder auf Straßen mit öffentlichem Verkehr. Für die Errichtung gewerblicher Betriebsanlagen bedarf es aber nicht nur einer Genehmigung nach der GewO. Vielmehr können dafür auch noch weitere Bewilligungen wie etwa (häufig) eine Baubewilligung nach der Bauordnung des jeweiligen Landes erforderlich sein. Dieser Zustand führt zu einer „Kompetenzaufsplitterung“ bzw zum viel beklagten Erfordernis von „Mehrfachgenehmigungen“ für gewerbliche Betriebsanlagen. Neben der bereits dargelegten Verfahrensvereinfachung wird vor allem seitens der Wirtschaft daher auch vehement eine „Vereinheitlichung“ des Anlagenrechts gefordert. Einen gewissen Schritt in diese Richtung brachte wiederum die GewO-Novelle 1997, wo1 2 3
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Dazu oben im Kapitel „Gewerberecht“. So die Definition in § 1 Abs 2 UmweltBVG. Rill, Gedanken zu einer Vereinheitlichung des Anlagenrechts, 100 Jahre Wirtschaftsuniversität Wien, Festschrift - dargebracht vom Fachbereich Rechtswissenschaft, 1998, 217 (219). § 79a GewO idF BGBl 1997 I/63.
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nach gemäß § 356b Abs 1 GewO bei genehmigungspflichtigen gewerblichen Betriebsanlagen weitere Genehmigungen nach bestimmten bundesrechtlichen Vorschriften entfallen. Vielmehr sind nunmehr diese Vorschriften bei Erteilung der Betriebsanlagengenehmigung zu beachten. Für davon nicht erfasste Verfahren (zB Baugenehmigungen) besteht seit 20025 gemäß § 356b Abs 2 GewO eine Koordinierungspflicht. Für die Zukunft wird aber das Projekt eines „einheitlichen Anlagenrechts“ verfolgt, mit dem die Zersplitterung dieses Rechtsgebietes gänzlich beseitigt werden soll.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft Eine eigene Kompetenz zur Erlassung legislativer Maßnahmen auf dem Gebiet des Betriebsanlagenrechts findet sich im EGV nicht. Ältere Richtlinien über Luftqualität, die im Anlagenrecht der GewO umgesetzt wurden, sind auf Art 94 (ex Art 100) EGV und Art 308 (ex Art 235) EGV gestützt.6 Art 94 EGV sieht eine Kompetenz der Gemeinschaft zur Erlassung von Richtlinien zur Angleichung von Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vor, die sich unmittelbar auf die Errichtung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Begründet wurde die Inanspruchnahme dieser Kompetenz damit, dass unterschiedliche Standards über die Vermeidung von Luftschadstoffen in den einzelnen Mitgliedstaaten zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen und sich insofern auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes unmittelbar auswirken können. Außerdem wurden durch die GewO umgesetzte Richtlinien zusätzlich oder ausschließlich7 auf die „Vertragsabrundungskompetenz“ des Art 308 EGV gestützt, der eine subsidiäre Rechtsgrundlage für Maßnahmen zur Erreichung von Zielen der Gemeinschaft vorsieht. Die Berufung auf diese Kompetenz erfolgte mit der Begründung, dass zu den Zielen der Gemeinschaft eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens gehöre, die ohne eine Verbesserung der Lebensqualität und des Umweltschutzes nicht möglich sei. Mit der Einheitlichen Europäischen Akte wurde die „Umweltpolitik“ in einem besonderen Titel ausdrücklich unter die Politiken der Gemeinschaft aufgenommen. Demnach trägt die Gemeinschaft gemäß Art 174 Abs 1 (ex Art 130r Abs 1) EGV zur Verfolgung von Umweltschutzzielen ausdrücklich bei. Zur Erreichung dieser Maßnahmen kann sie gemäß Art 175 Abs 1 (ex Art 130s) EGV auch legislative Maßnahmen setzen. Einige der in der GewO umgesetzten Richtlinien (die nach Inkrafttreten der erwähnten Artikel im Jahre 1986 erlassen wurden)8 sowie die für das gewerbliche Betriebsanlagenrecht relevante EMAS-VO II9 stützen sich daher auf Art 175 Abs 1 EGV. 5 6
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BGBl 2002 I/65. RL 80/779/EWG, Abl L 229/30, über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwefelstaub; RL 82/884/EWG, Abl L 378/15, betreffend einen Grenzwert für den Bleigehalt in der Luft. RL 85/203/EWG, Abl L 87/1. RL 96/61/EG (IPPC-RL), Abl L 257/26 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung; RL 96/82/EG (Seveso II-RL), Abl L 10/13
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2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Die Kompetenzgrundlage zur gesetzlichen Regelung des gewerblichen Betriebsanlagenrechts bildet - wie auch sonst für die GewO10 - der Tatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ in Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Nach der Judikatur des VfGH fallen unter diesen Kompetenztatbestand alle Vorschriften, die nach dem Stand und der Systematik der einfachen Gesetze zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzartikel am 1.10.1925 als gewerberechtliche Vorschriften anzusehen waren11. Maßgeblich für die Beurteilung als gewerberechtliche Maßnahmen war damals das Kundmachungspatent zur GewO 1859. Darin nicht geregelte Angelegenheiten können nur dann auf die Gewerberechtskompetenz gestützt werden, wenn ein inhaltlich-systematischer Zusammenhang mit den in der GewO enthaltenen Regelungen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzartikel besteht. Demnach umfasst dieser Kompetenztatbestand die Befugnis zur gesetzlichen Regelung von „Maßnahmen typisch gewerberechtlicher Art“12, die im Anlagenrecht „der Abwehr von vom Gewerbebetrieb unmittelbar ausgehenden Gefahren für die Gewerbetreibenden und ihre Arbeitnehmer, die Kunden, andere Gewerbetreibende oder als Nachbarn unmittelbar betroffene Personen und dem Konsumentenschutz“13 dienen. Es entspricht daher einer intrasystematischen Weiterentwicklung des in Rede stehenden Kompetenztatbestandes, wenn neu auftretende Betriebsformen etwa von Gastgewerbebetrieben (zB „Diskotheken“) unter den dargelegten Gesichtspunkten einer gewerberechtlichen Regelung unterworfen werden.14 Hingegen stellen „Energiesparstandards“ für Betriebsanlagen keinesfalls „Maßnahmen typisch gewerberechtlicher Art“ dar, weil sie einem grundsätzlich anderen Zweck - nämlich der im gesamtwirtschaftlichen Interesse gelegenen „sinnvollen Nutzung von Energie“ - dienen.15 Auch können solche Maßnahmen nicht (auch nicht im Wege einer intrasystematischen Fortentwicklung) auf die Gewerbekompetenz des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG gestützt werden, die am 1. Oktober 1925 durch Art V des Kundmachungspatentes zur GewO 1859 vom Anwendungsbereich der Gewerbeord-
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zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen idF der RL 2003/105/EG, Abl L 345/97; RL 1999/13/EG (VOC-RL), Abl L 85/1 über die Begrenzung von Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen, die bei bestimmten Tätigkeiten und in bestimmten Anlagen bei der Verwendung organischer Lösungsmittel entstehen; RL 1999/30/EG, Abl L 163/41 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft; RL 2000/69/EG, Abl L 313/12 über Grenzwerte für Benzol und Kohlenmonoxid in der Luft; RL 2003/35/EG, Abl 156/17 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten. VO 761/2001/EG, Abl L 114/1. Siehe oben unter „Gewerberecht“. VfSlg 10831/1986, mwN. VfSlg 4117/1961. VfSlg 10831/1986. Siehe weiters VfSlg 17022/2003. VfSlg 12996/1992. VfSlg 10831/1986.
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nung ausgenommen waren. Das betrifft etwa „die land- und forstwirtschaftliche Produktion und ihre Nebengewerbe, soweit diese in der Hauptsache die Verarbeitung der eigenen Erzeugnisse zum Gegenstand haben“.16 Außerdem schließt es die Zuständigkeit des Bundes zur Erlassung von gesetzlichen Regelungen für gewerbliche Betriebsanlagen gemäß Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG nicht aus, „dass der Landesgesetzgeber im Rahmen seiner Kompetenz die Errichtung und die Benützung derselben Anlagen einer Regelung unterwirft“17. Daher können die Länder gewerbliche Betriebsanlagen ihren Bauordnungen18, ihren Naturschutzgesetzen oder (etwa in Bezug auf Veranstaltungen in Gastgewerbebetrieben) ihren veranstaltungsrechtlichen Regelungen19 unterwerfen.
C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen 1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben Das Betriebsanlagenrecht der Mitgliedstaaten ist schon deshalb für die Gemeinschaft von Bedeutung, weil es ein Hemmnis für die Betriebsansiedlung sein kann. Als solches kann es vor allem eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit darstellen, weil strenge Regelungen auf diesem Gebiet eine Niederlassung von Betrieben erschweren. Dies gilt im besonderem für strenge umweltrechtliche Regelungen, die ja das Kernstück des Betriebsanlagenrechts darstellen. Gerade der Umweltschutz stellt seit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahre 1986 eine spezielle Zielsetzung der Gemeinschaft dar. Auf diesem Gebiet wurden auch einige Richtlinien erlassen, die für das gewerbliche Betriebsanlagenrecht von Bedeutung sind. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Richtlinie 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IPPC-Richtlinie)20, die Richtlinie zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso II-Richtlinie)21 und die Richtlinie über die Begrenzung von Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen, die bei bestimmten Tätigkeiten und in bestimmten Anlagen bei der Verwendung organischer Lebensmittel entstehen (VOC-Richtlinie)22. Sie wurden durch die GewO-Novelle 200023 und die GewO-Novelle 200524 im gewerblichen Betriebsanlagenrecht umgesetzt. Schließlich ist auch die EMAS-VO II25 von Bedeutung, wonach Unternehmen freiwillig am Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltprüfung teilnehmen und damit etwa Ände-
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VfSlg 14187/1995. VfSlg 5024/1965. ZB VfSlg 2977/1956. Vgl VfSlg 12996/1992. RL 96/61/EG (Abl L 257/26) idF RL 2003/35/EG (Abl L 156/17). RL 96/82/EG (Abl 1997 L 10/13) idF RL 2003/105/EG (Abl L 345/97). RL 1999/13/EG (Abl L 85/1). BGBl 2000 I/88. Siehe dazu eingehend AB 212 BlgNR 21. GP, S 1 ff. BGBl 2005 I/85. Dazu Ennöckl/Raschauer, Eckpunkte der Gewerberechtsnovelle 2005, ecolex 2005, 870 ff. VO 761/2001/EG, Abl L 114/1.
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rungen der Betriebsanlage ohne formelle Genehmigung nach der GewO vornehmen können.
2. Völkerrechtliche Verpflichtungen Völkerrechtliche Verpflichtungen, die auch den Regelungsbereich des gewerblichen Betriebsanlagenrechts berühren, ergeben sich etwa aus dem Übereinkommen über die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Industrieunfällen samt Anhängen und Erklärung („Helsinki-Konvention“).26 Diesem Abkommen wurde durch die Umsetzung der Seveso II-Richtlinie in der GewO-Novelle 2000 Rechnung getragen.27 Für das gewerbliche Betriebsanlagenrecht ist auch das von Österreich unterzeichnete sogenannte Kyoto-Protokoll zur UNKlimaschutzkonvention von Bedeutung, das eine Verpflichtung zur Reduktion von Treibhausgasemissionen vorsieht.28 Allerdings tritt das Kyoto-Protokoll erst in Kraft, nachdem 55 Vertragsparteien, die insgesamt für mindestens 55% der CO2 Emissionen verantwortlich sind, ihre Ratifikationsurkunde hinterlegt haben. Die Zahl von 55 teilnehmenden Staaten wurde mit Islands Ratifikation 2002 erreicht. Mit Russlands Ratifikation wurde auch die zweite Bedingung erfüllt, womit das Kyoto-Protokoll 2005 in Kraft trat.
II. Begriff der gewerblichen Betriebsanlage Die Regelungen der GewO beziehen sich auf „gewerbliche Betriebsanlagen“. Darunter ist gemäß § 74 Abs 1 GewO „jede örtlich gebundene Einrichtung zu verstehen, die der Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit regelmäßig zu dienen bestimmt ist“. Merkmal einer Betriebsanlage ist daher zunächst, dass es sich dabei um eine örtlich gebundene Einrichtung handelt. Dies bedeutet, dass die Anlage grundsätzlich örtlich stabil zu sein hat.29 Hingegen ist das Vorhandensein einer eigenen Baulichkeit nicht unbedingt erforderlich. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur GewO-Novelle 1973 (die aber wegen der insoweit weiterhin geltenden Rechtslage zur historischen Interpretation nach wie vor relevant sind) ist dieses Wesensmerkmal einer Betriebsanlage daher etwa auch bei Magazinen, Lagerplätzen, Verkaufsräumen, Steinbrüchen und Badeanstalten erfüllt.30 Auch ein im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit erfolgtes regelmäßiges Abstellen von Kraftfahrzeugen auf Privatgrund macht diesen zu einem Abstellplatz mit den Qualifikationen einer Betriebsanlage.31 Gleiches gilt für einen abgetrennten Teil einer Garage, der dem gewerblichen Einbau von Radios in Autos gewidmet ist.32 Mobile Anlagen wie Tankwagen, Holzschneidemaschinen oder mobile Abfallverbrennungsanlagen fallen hingegen nicht unter den Begriff einer Betriebsanlage; und zwar selbst dann nicht, wenn einzelne Teile (zB einer mobilen Abfallverbrennungsanlage) auf dem Boden fixiert werden.33 Allerdings sind auch bewegliche Einrichtungen, die nach der Absicht des Gewerbetreibenden für längere Zeit in einem bestimmten Standort 26 27 28 29 30 31 32 33
BGBl 2000 III/119. Siehe RV 212 BlgNR 21. GP, S 6. BGBl 1994/414 idF BGBl 1999 III/212. Schwarzer, Genehmigung, 158 ff. RV 359 BlgNR 13. GP, S 159. VwGH 24.4.1990, 89/04/0217; 28.4.1992, 91/04/0340. VwSlg 10286(A)/1980. VwGH 22.11.1978, 2678/77.
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der Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit dienen sollen, als örtlich gebundene Einrichtungen anzusehen. Daher kann auch ein (etwa auf Parkplätzen abgestellter) fahrbarer Imbisswagen („Würstelstand“) den Charakter einer Betriebsanlage annehmen.34
Eine „gewerbliche“ Betriebsanlage liegt weiters nur dann vor, wenn sie der Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit dient. Grundsätzlich muss die Betriebsanlage eine „gewerbliche Tätigkeit“ im Sinne von § 1 ff GewO35 entfalten.36 Allerdings gibt es Fälle, in denen das Betriebsanlagenrecht der GewO kraft gesetzlicher Anordnung auf sonst von der GewO ausgenommene Tätigkeiten Anwendung findet.37
So sind land- und forstwirtschaftliche Nebengewerbe zwar grundsätzlich gemäß § 2 Abs 1 Z 2 GewO vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen. Gemäß § 2 Abs 5 GewO gilt aber für die Betriebsanlagen bestimmter land- und forstwirtschaftlicher Nebengewerbe das Betriebsanlagenrecht der GewO, wenn „der Kapitaleinsatz zur Bearbeitung und Verarbeitung im Vergleich zum Kapitaleinsatz, der im Rahmen der Landund Forstwirtschaft ... erfolgt, unverhältnismäßig hoch ist oder wenn fremde Arbeitskräfte überwiegend für die Be- und Verarbeitung der Naturprodukte beschäftigt werden“. Hingegen sind andere unternehmerische Tätigkeiten ohne Einschränkung und daher einschließlich der anlagenrechtlichen Regelungen vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen. Das betrifft etwa gemäß § 2 Abs 1 Z 20 GewO Elektrizitätsunternehmen und Erdgasunternehmen. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass für die Fernwärmeerzeugung keine Ausnahme besteht, weshalb auf deren Anlagen auch das Betriebsanlagenrecht der GewO anzuwenden ist.38 Eine gewerbliche Tätigkeit liegt jedoch dann nicht vor, wenn die Tätigkeit der Befriedigung des Eigenbedarfs dient. Daher unterliegt etwa eine Schotterentnahme keiner gewerblichen Betriebsanlagengenehmigung, wenn der gewonnene Schotter zur Errichtung einer bereits genehmigten Anlage verwendet wird.39
Zu den Merkmalen einer gewerblichen Betriebsanlage gehört es schließlich, dass zur Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit regelmäßig bestimmt ist. Es ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber den Begriff „regelmäßig“ hier in derselben Bedeutung wie in § 1 GewO verwendet.40 Im Sinne von § 1 Abs 4 GewO gilt daher auch eine einmalige Handlung als regelmäßige Tätigkeit, wenn nach den Umständen des Falles auf Wiederholungsabsicht geschlossen werden kann oder wenn sie längere Zeit erfordert.
Auch ein länger andauernder Schotterabbau in einer Schottergrube ist daher als gewerbliche Betriebsanlage anzusehen.41 Hingegen fallen Baustellen schon auf Grund historischer Auslegung nicht unter den Begriff der gewerblichen Betriebsanlage. Dient doch nach Auffassung des historischen Gesetzgebers § 84 GewO gerade der Vermei-
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Kinscher/Paliege-Barfuß, § 74, Rz 6. Siehe dazu oben unter „Gewerberecht“. Der Bestand einer Gewerbeberechtigung ist nicht Voraussetzung für die Annahme einer gewerblichen Betriebsanlage; VwSlg 8916(A)/1975. Siehe die Aufzählung bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 516, Rz 5. VwGH 13.9.1988, 87/04/0246. VwGH 20.10.1999, 99/04/0122. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 516, Rz 6. VwGH 22.12.1992, 91/04/0262.
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dung der von Baustellen ausgehenden Gefährdungen und Belästigungen.42 Eine Mischanlage, die auf unbestimmte Zeit errichtet wurde und von der das Material auf verschiedene Baustellen geführt wird, entfaltet jedoch eine regelmäßige Tätigkeit und stellt eine gewerbliche Betriebsanlage dar.43
III. Genehmigungspflicht A. Allgemeines Gemäß § 74 Abs 2 GewO dürfen bestimmte Betriebsanlagen ohne Genehmigung nicht nur nicht betrieben, sondern nicht einmal „errichtet“ werden. Eine Genehmigungspflicht liegt vor, wenn die Betriebsanlage geeignet ist, bestimmte Gefahren und Belästigungen herbeizuführen. Vorweg ist dabei aber zunächst fraglich, welche Immissionen einer Betriebsanlage überhaupt zuzurechnen sind (und somit gegebenenfalls ihre Genehmigungspflicht begründen). Konkret stellt sich diese Frage zum einen in Bezug auf Beeinträchtigungen durch Kundenverhalten. Hier gilt der Grundsatz, dass nur in der Anlage ausgeübtes Kundenverhalten eine Genehmigungspflicht zu begründen vermag.44 Zum anderen ist fraglich, inwieweit ein durch die Anlage veranlasster Straßenverkehr (wegen Immissionen oder Beeinträchtigung der Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs) eine Genehmigungspflicht zu begründen vermag. Dazu gilt als Prinzip, dass nur Immissionen infolge des Zu- und Abfahrens von und zur Betriebsanlage der Betriebsanlage zuzurechnen sind.45 Beeinträchtigungen, die etwa durch das Zuschlagen von Autotüren vor einem Lokal verursacht werden, sind nicht der Anlage zuzurechnen. Hingegen kann der Lärm von Kunden in einem Gastgarten die Genehmigungspflicht begründen.46 Immissionen auf Grund des „Vorbeifahrens“ von Betriebsfahrzeugen auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr sind nicht der Betriebsanlage zuzurechnen. Anderes gilt allerdings, wenn die Fahrzeuge wegen der zum Einfahren in die Betriebsanlage erforderlichen Reduzierung der Geschwindigkeit auf der öffentlichen Straße regelmäßig hohe Bremsgeräusche verursachen.47
Außerdem ist vorweg fraglich, welche Teile einer aus verschiedenen Einrichtungen bestehenden Betriebsanlage für sich genommen einer eigenen Genehmigung bedürfen. Von der Antwort auf diese Frage hängt es etwa ab, ob für alle Teile einer Betriebsanlage eine einheitliche oder für jeden Teil eine einzelne Betriebsanlagengenehmigung beantragt (und ein entsprechendes Verfahren durchgeführt) werden muss. Nach der Judikatur des VwGH gilt hier der Grundsatz der Einheit der Betriebsanlage. Demnach ist als gewerbliche Betriebsan-
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Siehe zB RV 359 BlgNR 13. GP, S 159. Gemäß § 84 GewO hat die Bezirksverwaltungsbehörde von Amts wegen die erforderlichen Aufträge mit Bescheid zu erteilen, wenn gewerbliche Arbeiten außerhalb einer Betriebsanlage durchgeführt werden. VwSlg 1961(A)/1976. Dazu zB Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 156, Rz 402. Dazu zB Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 519 f, Rz 9. Gemäß § 74 Abs 3 GewO besteht eine Genehmigungspflicht auch dann, wenn die Immissionen nicht durch den Inhaber der Anlage bzw seine Erfüllungsgehilfen, sondern etwa durch Kunden bewirkt werden. VwGH 26.4.2000, 99/09/0194.
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lage die Gesamtheit jener Einrichtungen anzusehen, die dem Zweck eines Unternehmens gewidmet sind und in örtlichem Zusammenhang stehen.48 Die räumliche Einheit erfordert allerdings nicht, dass alle einer Betriebsanlage zuzurechnenden Betriebsliegenschaften unmittelbar aneinander grenzen. Vielmehr steht eine geringfügige räumliche Trennung (zB eines Sägewerks von einem Holzstapelplatz) etwa durch eine Straße der Annahme der Einheit der Betriebsanlage nicht entgegen, solange die tatsächlichen Betriebsabläufe auf den Betriebsliegenschaften eine Einheit bilden.49 § 74 Abs 4 und 5 GewO treffen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung eine Sonderregelung für die Genehmigungspflicht von Bergbauanlagen und Elektrizitätsanlagen, die zusätzlich eine bestimmte der Genehmigungspflicht nach der GewO unterliegende Tätigkeit (zB Gewinnung und Abgabe von Wärme durch Elektrizitätserzeugungsanlagen) ausüben („kombinierte Anlagen“). Solche Anlagen bedürfen dann keiner Genehmigung nach der GewO, wenn sie bereits nach bestimmten anderen Vorschriften bewilligt wurden und ihr Charakter als Bergbauanlage50 bzw Stromerzeugungsanlage gewahrt bleibt. Auch können gemäß § 356e GewO bei „Gesamtanlagen“ (das sind verschiedenen Gewerbebetrieben dienende Betriebsanlagen wie zB „Shopping-Cities“) hinsichtlich der mehreren Betrieben gemeinsam dienenden Anlagenteile (zB Rolltreppen) eine Generalgenehmigung beantragt und genehmigt werden. Betriebsanlagen in der „Gesamtanlage“ bedürfen dann gegebenenfalls einer „Spezialgenehmigung“.
B. Kriterien Kriterien für die Genehmigungspflicht von Betriebsanlagen sind in § 74 GewO erschöpfend aufgezählt. Eine Genehmigungspflicht ist demnach dann gegeben, wenn Anlagen „wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind“, bestimmte persönliche und sachliche Schutzgüter zu beeinträchtigen. Entscheidend ist dabei, dass für die Genehmigungspflicht die Gefahr einer Beeinträchtigung nicht tatsächlich vorliegen muss.51 Dies wird erst im Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens geprüft. Vielmehr Bedarf schon die „Eignung“ einer Anlage zur Beeinträchtigung der Schutzgüter einer Genehmigung (abstrakte Eignung). Die Genehmigungspflicht ist daher grundsätzlich immer bereits dann gegeben, wenn entsprechende Auswirkungen der Anlage nicht auszuschließen sind.52 Allerdings ist dabei nicht nur auf das konkrete Emissionsverhalten der in Rede stehenden Anlage, sondern auch auf die konkrete Umwelt, in der sie sich befindet, abzustellen.53 Die Eignung der Betriebsanlage, die in § 74 GewO genannten Beeinträchtigungen hervorzurufen, ist daher nicht schon dann gegeben, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass von der Betriebsanlage Emissionen der verschiedensten Art ausgehen können. Erforderlich ist vielmehr auch etwa das Vorhandensein bestimmter Schutzgüter oder Personen (vor allem Nachbarn), auf die diese Emissionen gefährdend, beeinträchti-
48 49 50 51 52 53
ZB VwGH 30.10.1990, 90/04/0143. Siehe aber auch VwGH 24.10.2001, 98/04/0181. VwGH 1.7.1997, 97/04/0063. Siehe dagegen VwGH 13.9.1988, 87/04/ 0246. Vgl zB VwGH 16.12.1999, 99/07/0087. ZB VwGH 25.2.1993, 92/04/0085. ZB VwGH 28.1.1997, 96/04/0283. VwGH 20.12.1994, 92/04/0276.
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gend oder belästigend einwirken können.54 In Bezug auf Nachbarn ist dabei nach der Judikatur des VwGH von der für diese ungünstigsten Situation auszugehen.55
Besondere praktische Bedeutung kommt dabei dem Nachbarschutz zu. Als „Nachbarn“ im Sinne des gewerblichen Betriebsanlagenrecht gelten dabei nicht nur die Anrainer. Vielmehr gehören gemäß § 75 Abs 2 GewO dazu alle Personen, die sich nicht nur „vorübergehend in der Nähe der Betriebsanlage aufhalten“ und die durch die Errichtung, den Bestand oder den Betrieb einer Betriebsanlage gefährdet oder belästigt oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte gefährdet werden könnten. Dauermieter einer Wohnung können daher etwa Nachbarn sein, Feriengäste eines Hotels hingegen nicht.56 Auch der Eigentümer einer dauernd vermieteten Wohnung kann nicht Nachbar im dargelegten Sinn sein.57 Hingegen kann dem Eigentümer einer nur am Wochenende benutzten Liegenschaft die Nachbareigenschaft zukommen.58 Das für die Qualifikation als Nachbar ausschlaggebende räumliche Naheverhältnis wird im Übrigen durch den möglichen Immissionsbereich bestimmt.59 Daher kann in manchen Fällen auch eine Person Nachbar sein, die mehrere Kilometer von der Anlage entfernt wohnt.60 Allerdings muss die konkrete Möglichkeit einer Gefährdung oder Belästigung bestehen, weshalb die bloße Gefahr eines Anstiegs von Luftschadstoffen nach Meinung des VwGH nicht ausreicht.61 Als Nachbarn gelten gemäß § 75 Abs 2 GewO auch die Inhaber von Einrichtungen, in denen sich, wie etwa in Beherbergungsbetrieben (zB auch Privatzimmervermieter62), Krankenanstalten und Heimen, regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen, und die Erhalter von Schulen hinsichtlich des Schutzes der Schüler, der Lehrer und der sonst in Schulen ständig beschäftigten Personen. Juristische Personen oder Personengesellschaften selbst können zwar durch eine Betriebsanlage weder gefährdet noch belästigt werden, weshalb für sie insoweit die Erlangung einer Parteistellung nicht in Betracht kommt.63 Allerdings können sie Parteistellung etwa hinsichtlich des Schutzes ihres Eigentums der als Inhaber bestimmter Einrichtungen (zB von Beherbergungsbetrieben) erlangen. Gemäß § 75 Abs 3 GewO sind als Nachbarn auch die Bewohner grenznaher Grundstücke im Ausland zu behandeln. Voraussetzung ist, dass in dem betreffenden Staat österreichische Nachbarn in den entsprechenden Verfahren rechtlich oder doch tatsächlich den gleichen Nachbarschaftsschutz genießen (materielle Gegenseitigkeit).64
Ein die Genehmigungspflicht begründendes Kriterium ist gemäß § 74 Abs 2 Z 1 GewO zunächst, dass durch die Anlage das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der Nachbarn, der Kunden oder der vom Arbeitnehmerschutz ausgenommenen mittätigen Familienangehörigen gefährdet werden könnte. 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64
VwGH 23.11.1993, 93/04/0131. VwGH 3.3.1999, 98/04/0164. Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 158, Rz 404. VwGH 25.2.1997, 96/04/0239. VwSlg 7861(A)/1970. VwGH 21.6.1993, 92/04/0255. VwSlg 10616(A)/1981; VwGH 22.3.2000, 99/04/0178. VwGH 15.9.2004, 2004/04/0142. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 75, Rz 16. ZB VwGH 25.11.1997, 97/04/0100. Dazu zB Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 548, Rz 11.; Müller, Nachbar, 32 ff.
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Die sonstigen in der Betriebsanlage beschäftigten Arbeitnehmer zählen nicht zu dem vom gewerblichen Betriebsanlagenrecht geschützten Personenkreis. Sie werden nach dem ASchG geschützt. Auch Passanten gehören nicht zu dem vom gewerblichen Betriebsanlagenrecht geschützten Personenkreis. Eine Genehmigungspflicht ist gemäß § 74 Abs 2 Z 1 GewO weiters dann gegeben, wenn die Anlage geeignet ist, „das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden“. Gemäß § 75 Abs 1 GewO ist allerdings unter einer Gefährdung des Eigentums „die bloße Minderung des Verkehrswertes des Eigentums nicht zu verstehen“. Von einer Gefährdung des Eigentums im Sinne von § 74 GewO wird daher nur dann gesprochen, wenn dieses in seiner „Substanz“ beeinträchtigt wird. Dies bedeutet, dass die nach der Verkehrsanschauung übliche bestimmungsgemäße Sachnutzung oder Verwertung des Eigentums ausgeschlossen ist.65 Dazu gehört etwa die Beeinträchtigung des Ertrages eines landwirtschaftlichen Betriebes sowie der Befugnis eines Grundeigentümers zur Ausübung der Eigenjagd66. Hingegen liegt keine Gefährdung des Eigentums im Sinne von § 74 GewO vor, wenn die Liegenschaft wegen der benachbarten Betriebsanlage nur zu einem verminderten Mietzins vermietet werden kann.67 Der Eigentumsschutz umfasst (da der Wortsinn nicht differenziert und auch sonst kein überzeugender Grund für eine Unterscheidung zu erkennen ist) bewegliche und unbewegliche Sachen.68
Auch die Belästigung der Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, oder in anderer Weise stellt gemäß § 74 Abs 2 Z 2 GewO ein Kriterium für die Genehmigungspflicht einer Betriebsanlage dar. Da die Aufzählung der Belästigungen in § 74 Abs 2 Z 2 GewO bloß demonstrativ ist, können etwa auch Gase, Dämpfe, Nebel, Lichteinwirkung, sichtbare oder unsichtbare Strahlen, Wärme oder Schwingungen geeignet sein, die Nachbarn zu belästigen.69 Allerdings sind unter Belästigungen im Sinne von § 74 Abs 2 GewO nur physische Einwirkungen zu verstehen. Durch den Anblick einer Betriebsanlage oder Abgasfahne hervorgerufene Beeinträchtigungen des Empfindens fallen nicht darunter.70
Aber auch die mögliche Beeinträchtigung bestimmter öffentlicher Interessen kann die Genehmigungspflicht begründen. Zu diesen Interessen gehört gemäß § 74 Abs 2 Z 3 GewO die Religionsausübung in Kirchen, der Unterricht in Schulen, der Betrieb von Kranken- oder Kuranstalten oder Verwendung oder der Betrieb anderer öffentlichen Interessen dienender benachbarter Anlagen oder Einrichtungen (zB Kindergärten, Badeanstalten). Weiters ist die Eignung der Anlage zur wesentlichen Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs an oder auf Straßen mit öffentlichem Verkehr, ein Kriterium für die Genehmigungspflicht. Allerdings ist nach der Judikatur des VwGH nur das wesentlich zum Betriebsgeschehen in einer Betriebsanlage gehörende Zufahren zu dieser und das Wegfahren von dieser, nicht jedoch das
65 66 67 68 69 70
ZB VwGH 25.6.1991, 91/04/0004. VwGH 20.10.1976, 137/71. Vgl aber VwGH 27.3.1981, 04/1101/80 bezüglich des Fischereirechtes. VwGH 15.9.1992, 92/04/0099. Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 158, Rz 404. Siehe aber Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 74, Rz 66. ZB Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 74, Rz 73. VwGH 15.10.2003, 2002/04/0073.
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bloße Vorbeifahren dem einer Betriebsanlage zugehörigen Geschehen zuzurechnen.71 Die Möglichkeit einer „wesentlichen“ Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs wird nur bei Betriebsanlagen angenommen, zu deren wesentlichen Betriebsvorgängen das Zu- und Abfahren von Fahrzeugen gehört (zB Rasthäuser, nicht jedoch Hotels im Stadtgebiet).72
Schließlich liegt eine Genehmigungspflicht auch dann vor, wenn die Anlage geeignet ist, eine nachteilige Einwirkung auf die Beschaffenheit der Gewässer herbeizuführen, sofern nicht ohnedies eine Bewilligung auf Grund wasserrechtlicher Vorschriften vorgeschrieben ist73. Ist eine wasserrechtliche Bewilligung erforderlich, dann obliegt gemäß § 356b Abs 6 GewO der für die Erteilung der Betriebsanlagengenehmigung zuständigen Behörde auch die Durchführung bestimmter wasserrechtlicher Bewilligungsverfahren.
Gemäß § 74 Abs 7 GewO kann der BMWA „Arten von Betriebsanlagen“ durch Verordnung bestimmen, für die jedenfalls keine Genehmigung erforderlich ist, weil von ihnen erwartet werden kann, dass die gemäß § 74 Abs 2 GewO wahrzunehmenden Interessen hinreichend geschützt sind. Als solche Betriebsanlagen kommen beispielsweise Fernwärmeleitungsnetze bis zu einer bestimmten Betriebstemperatur, bestimmte Anlagen zum Betrieb von Kopiergeräten, bestimmte kleine Handelsgeschäfte und bestimmte Betriebsanlagen mit elektrisch betriebenen Kühleinrichtungen in Betracht.74 Auch kann der BMWA gemäß § 76 Abs 1 GewO durch Verordnung „Maschinen, Geräte und Ausstattungen“ bezeichnen, deren Verwendung für sich allein die Genehmigungspflicht nicht begründen.75 Insoweit keine Regelung mit Verordnung getroffen wurde, kann der BMWA gemäß § 76 Abs 2 GewO mit auf Antrag76 Bescheid für ein bestimmtes Gerät oder für eine bestimmte Ausstattung feststellen, dass die Verwendung dieser Bauart, dieser Maschine, dieses Gerätes oder dieser Ausstattung für sich allein die Genehmigungspflicht einer Anlage nicht begründet. Gemäß § 376 Z 11 GewO gelten Betriebsanlagen bestimmter Gastgewerbe von Gesetzes wegen als genehmigt.77
C. Feststellungsverfahren Bei Zweifeln über die Genehmigungspflicht einer Betriebsanlage kann gemäß § 358 Abs 1 GewO deren Inhaber (zB Eigentümer, Pächter) bei der Bezirksverwaltungsbehörde die Erlassung eines Feststellungsbescheides beantragen. 71 72 73 74
75 76 77
ZB VwGH 7.7.1993, 91/04/0338. Siehe weiters oben III.A. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 74, Rz 84; Grabler/Wendl/Zitta, GewO2, 533, Rz 28. Vgl dazu etwa VwGH 2.2.2000, 99/04/0212. AB 761 BlgNR 20. GP, S 8 f. Auf Grund dieser Regelung wurde die Verordnung BGBl 1999 II/20 erlassen, nach der für bestimmte Erdgasflächenversorgungsleitungsnetze und Fernwärmeversorgungsleitungsnetze jedenfalls keine Genehmigung erforderlich ist. Auf Grund dieser Bestimmung wurde die Solarienverordnung (BGBl 1995/147) erlassen. Vgl zB VwSlg 13297(A)/1990. Dazu VwGH 2.2.2000, 99/04/0214.
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Ein solcher ist nach dieser Vorschrift dann nicht zu erlassen, wenn die Genehmigungspflicht der Anlage „offenkundig“ (dh zweifelsfrei78) ist. Diesfalls ist der Antrag auf Feststellung zurückzuweisen.79 Ansonsten ist ein Feststellungsbescheid nach Maßgabe eines Verfahrens zu erlassen, bei dem nur der Antragsteller (und nicht etwa auch die Nachbarn80) Parteistellung haben. Ergeben sich in diesem Verfahren Zweifel, ob die GewO überhaupt auf die Tätigkeit anzuwenden ist, der die Anlage regelmäßig zu dienen bestimmt ist, so ist dieses Verfahren zu unterbrechen und ein Feststellungsverfahren gemäß § 348 GewO (bei dem etwa die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft ein Mitwirkungsrecht hat) durchzuführen. Durch ein Feststellungsverfahren wird gemäß § 358 Abs 2 GewO späteren Feststellungen über Art und Umfang der Immissionen nicht vorgegriffen. Es können daher in einem späteren Betriebsanlagengenehmigungsverfahren etwa auch zusätzliche Gefahrenquellen festgestellt werden.81 Gemäß § 364a ABGB kann der Eigentümer nur den Schaden für vom Nachbargrundstück ausgehende Immissionen geltend machen (und nicht auch gemäß § 364 Abs 2 ABGB Unterlassung verlangen), wenn diese durch eine „behördlich genehmigte Anlage“ verursacht wurden. Eine Wortsinninterpretation spricht schon dagegen, einen Feststellungsbescheid gemäß § 358 (mit dem die Genehmigungspflicht einer Anlage verneint wurde) als „Genehmigung“ im Sinne von § 364a ABGB zu verstehen. Allerdings wendet der OGH § 364a ABGB „analog“ auch dann an, „wenn durch eine behördliche Bewilligung der Anschein der Gefahrlosigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der bewilligten Maßnahmen hervorgerufen und dadurch die Abwehr zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber faktisch derart erschwert wird, dass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muss“82. Dennoch ist anzunehmen, dass ein gemäß § 358 GewO erlassener Feststellungsbescheid keine „Genehmigung“ im Sinne von § 364a ABGB darstellt. Denn eine solche ist nach der jüngeren Rechtsprechung des OGH in einem Verfahren zu erteilen, in dem die Nachbarn Parteistellung haben83
IV. Genehmigungsverfahren A. Zuständigkeit Zur Durchführung eines Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens ist in erster Instanz gemäß § 333 GewO grundsätzlich die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig („one-stop-shop-Prinzip“), in deren örtlichem Wirkungsbereich die Anlage betrieben werden soll.84
78 79 80 81 82
83 84
VwGH 25.5.1993, 92/04/0259. VwGH 28.10.1997, 97/04/0127. ZB VwGH 15.9.1999, 99/04/0109. Kinscher, in: Betriebsanlage, 92, Rz 171. OGH 25.2.1999, 6 Ob 239/98 k. Kritisch zur Judikatur des OGH zu § 364a ABGB allerdings etwa Raschauer, Anlagenrecht und Nachbarschutz aus verfassungsrechtlicher Sicht, ZfV 1999, 506 (518). OGH 8.7.2003, 4 Ob 137/03f; siehe bereits Wagner, Betriebsanlage, 133. Siehe dazu Thienel, „One-stop-shop“ und Zuständigkeitskonkurrenzen, Wbl 2002, 249 ff.
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B. Antrag Die Genehmigung der Betriebsanlage ist ein antragsbedürftiger Verwaltungsakt.85 Der Antrag bestimmt auch die „Sache“, über die von der Behörde zu entscheiden ist86, womit sich daraus auch die Grenzen der in der Beurteilung der Genehmigungsvoraussetzungen einzubeziehenden Betriebsanlage ergeben87. Es steht der Behörde daher nicht frei, je nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens abweichend vom Inhalt des Antrages die Genehmigung zu erteilen oder zu versagen.88 Als Folge der Antragsbedürftigkeit verlangt der VwGH einen hinreichend klaren Antrag, ansonsten die Genehmigung rechtswidrig ist.89 Der Antrag muss sich ausdrücklich auf die Genehmigung der Anlage und nicht etwa auf die Genehmigung der Änderung der Anlage beziehen.90 Auch darf sich in einer Berufung ein „modifizierter“ Antrag von dem in erster Instanz eingebrachten nicht wesentlich unterscheiden. Andernfalls liegt der Berufungsbehörde nicht mehr dieselbe „Sache“ (im Sinne von § 66 Abs 4 AVG) wie der Unterinstanz vor. Die Berufungsbehörde hätte diesfalls die Berufung (wegen Unzuständigkeit) wohl zurückzuweisen. Nach der Judikatur des VwGH hat die Berufungsbehörde aber den erstinstanzlichen Bescheid (wegen Unzuständigkeit der Unterinstanz) ersatzlos aufzuheben.91
Zur Antragstellung ist der Inhaber der Betriebsanlage bzw des Standortes der geplanten Betriebsanlage berechtigt.92 Zwar enthält die GewO keine ausdrückliche Regelung über die Antragslegitimation. Doch erscheint letztlich nur die Berechtigung des „Inhabers“ sinnvoll (und daher dem Gesetzgeber zusinnbar), weil nur dieser die mit der Genehmigung angestrebte Errichtung bzw Inbetriebnahme veranlassen kann. Für diese Auffassung spricht vor allem auch § 80 GewO, der dem Inhaber der Betriebsanlage verschiedene Verpflichtungen (zur Gewährleistung der Schutzinteressen des § 74 GewO) auferlegt. Gemäß § 80 Abs 5 GewO wird durch einen Wechsel in der Person des Inhabers die Wirksamkeit der Genehmigung nicht berührt. Damit wird die „dingliche“ Wirkung des Bescheides klargestellt. Allerdings wird mit dieser Vorschrift auch zum Ausdruck gebracht, dass nach dem Konzept der GewO der „Inhaber“ der Anlage grundsätzlich der Adressat des Genehmigungsbescheides ist.
Nach der Judikatur des VwGH ist „Inhaber“, wer eine Sache in seiner „Gewahrsame“ hat.93 Darunter fällt nicht nur der Eigentümer, sondern auch der Pächter, nicht jedoch der gewerberechtliche Geschäftsführer.94 Wechselt der „Inhaber“ während des Verfahrens und will dieser in das Verfahren eintreten, dann bedarf es nach der Judikatur des VwGH einer ausdrücklichen „Eintritts85 86 87 88 89 90 91 92 93 94
ZB VwGH 23.12.1974, 2052/74; 24.3.2004, 2002/04/0128. ZB VwGH 10.12.1991, 91/04/0185, O186. ZB VwGH 2.6.1999, 99/04/0022. VwGH 25.9.1990, 90/04/0011. ZB VwGH 15.9.1992, 92/04/0025. Siehe dazu etwa auch VwGH 30.6. 1999, 98/04/0215. VwGH 24.3.2004, 2002/04/0128. VwGH 28.10.1997, 95/04/0247. ZB VwGH 30.9.1997, 97/04/0082; 2.2.2000, 99/04/0214. Siehe aber etwa auch VwGH 25.11. 1997, 97/04/0122. ZB VwGH 25.2.1992, 91/04/0281. VwSlg 13243(A)/1990.
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erklärung“95. Unterbleibt eine solche, dann ist das Verfahren zwar mit dem ursprünglichen Antragsteller zu Ende zu führen. Dem Ansuchen kann diesfalls aber schon mangels Antragslegitimation nicht stattgegeben werden.96
Dem Ansuchen um Genehmigung der Betriebsanlage sind gemäß § 353 GewO verschiedene Unterlagen anzuschließen (zB Betriebsbeschreibung97, Pläne und Skizzen). Besondere Angaben hat ein Antrag gemäß § 353a Abs 1 GewO für die in Anlage 3 zur GewO aufgezählten IPPC-Betriebsanlagen zu enthalten.98 Gemäß § 356a Abs 2 GewO ist der Antrag von der Behörde im redaktionellen Teil zweier im Bundesland weit verbreiteter Zeitungen und auf der Internetseite der Behörde bekannt zu geben.
C. Ordentliches Genehmigungsverfahren Im ordentlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren war die längste Zeit zum einen eine mündliche Augenscheinsverhandlung zwingend vorgesehen. Zum anderen war die Erlangung der Parteistellung durch Nachbarn an die rechtzeitige Erhebung von Einwendungen gebunden. Diese Rechtslage ist auf Grund der AVG-Novelle 199899 außer Kraft getreten.100 Mit der GewO-Novelle 2000101 wurde eine Neufassung von § 356 GewO vorgenommen, die „der sprachlichen Anpassung an die geänderte Rechtslage und der Vermeidung allfälliger Auslegungsprobleme“102 diente. Demnach ist die Behörde zur Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr verpflichtet. Vielmehr kommt nunmehr auch hier § 39 Abs 2 AVG zur Anwendung103, wonach die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung grundsätzlich im Ermessen104 der Behörde steht. Außerdem wurde in § 356 GewO klargestellt, dass auch im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren für Nachbarn die Präklusionsregelung des § 42 AVG gilt. Nachbarn verlieren demnach ihre Parteistellung, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erheben. Unter einer Einwendung ist die Geltendmachung eines subjektiven öffentlichen Rechtes zu verstehen.105 Ein solches besteht für Nachbarn etwa im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit oder vor Belästigungen durch Lärm, Rauch etc gemäß § 74 Abs 2 Z 1 und 2 GewO, nicht jedoch in Bezug auf die Gewährleistung der Sicherheit,
95 96 97
98 99 100 101 102 103 104 105
VwGH 30.10.1990, 90/04/0125; 30.9.1997, 97/04/0082. VwGH 17.4.1998, 96/04/0087. Betriebsbeschreibungen sind für den Immissionsschutz besonders wichtig. Sie müssen daher nach der Judikatur „präzise Angaben zu allen jenen Faktoren enthalten, die für die Beurteilung der auf den Nachbarliegenschaften zu erwartenden Immissionen von Bedeutung sind“; VwGH 30.6.1999, 98/04/0215. Siehe näher etwa Fischer/Trojer, Gewerbeordnung, 139 f. BGBl 1998 I/158. Siehe zB RV 212 BlgNR 21. GP, S 9; VwGH 30.6.1999, 98/04/0215. BGBl 2000 I/88. RV 212 BlgNR 21. GP, S 9. Davon gehen die Erläuterungen in RV 212 BlgNR 21. GP, S 9, aus. ZB VwSlg 6657(A)/1965. ZB VwGH 7.11.1995, 93/05/0290.
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Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs gemäß § 74 Abs 2 Z 4 GewO106. Ein subjektives öffentliches Recht kann nicht aus privatrechtlichen Beziehungen abgeleitet werden. Daher kann auch nicht eingewendet werden, dass die Betriebsanlage auf einem Grundstück errichtet werden soll, an der dem Nachbarn eine Servitut zusteht.107 Nachbarn besitzen somit im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren grundsätzlich Parteistellung. Wird eine mündliche Verhandlung anberaumt, dann droht allerdings der Verlust der Parteistellung gemäß § 42 AVG. Dieser tritt jedoch nur insoweit ein, als die Erhebung von Einwendungen unterlassen wurde.108 Die Parteistellung bleibt somit hinsichtlich der „eingewendeten“ subjektiven Rechte aufrecht. Dabei ist zu beachten, dass der VwGH für Einwendungen eine hinreichende Konkretisierung verlangt. Ein lediglich allgemein gehaltenes, nicht auf die konkreten Verhältnisse abgestelltes Vorbringen stellt für ihn keine „Einwendung“ dar.109 Durch solche Vorbringen kann daher wohl auch keine Parteistellung aufrechterhalten werden. Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung110 sieht § 356c GewO bei Vorliegen von „im wesentlichen gleichgerichteten Einwendungen“ von mehr als 20 Personen die Bestellung eines gemeinsamen Zustellbevollmächtigten im Auftrag der Behörde oder von Amts vor. Werden von Nachbarn privatrechtliche Einwendungen vorgebracht (zB Schadenersatz) dann hat der Verhandlungsleiter gemäß § 357 GewO auf eine Einigung hinzuwirken bzw den Nachbar auf den Zivilrechtsweg zu verweisen. Die mündliche Verhandlung dient also dazu, den Nachbarn Gelegenheit zu geben, das Projekt an Ort und Stelle kennen zu lernen und gegebenenfalls Einwendungen zu erheben. Hingegen besteht nach der Judikatur des VwGH keine generelle Verpflichtung zur Erörterung mündlich eingeholter Sachverständigengutachten.111
Besondere Vorschriften sieht § 356 Abs 1 GewO für die Kundmachung der mündlichen Verhandlung vor. Demnach sind den Nachbarn Gegenstand, Zeit und Ort der Verhandlung sowie die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung der Parteistellung (durch Erhebung von Einwendungen) durch Anschlag in der Gemeinde und durch Anschlag in den der Betriebsanlage unmittelbar benachbarten Häusern bekanntzugeben. Statt durch Hausanschlag kann die Bekanntgabe aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit durch persönliche Verständigung der Nachbarn erfolgen. Der Eigentümer des Betriebsgrundstücks (auch wenn er nicht Genehmigungswerber ist) und die Eigentümer der an dieses Grundstück unmittelbar angrenzenden Grundstücke sind jedenfalls grundsätzlich persönlich zu laden.
Dies gilt gemäß § 356 Abs 1 GewO allerdings nicht, wenn das Genehmigungsprojekt ein Gasflächenversorgungsleitungs- oder Fernwärmeleitungsnetz betrifft. Handelt es sich bei den Eigentümern des Betriebsgrundstückes oder der unmittelbar angrenzenden Grundstücke um Wohnungseigentümer nach dem WEG 1975, dann ist der Verwalter zu verständigen, um die Verhandlung im Haus durch Anschlag bekanntzugeben.
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VwSlg 9212(A)/1976. VwGH 29.5.2002, 2001/04/0104. Dazu sowie zu weiteren Fragen der Präklusion gemäß § 42 AVG siehe insbesondere Wiederin, Die Neuregelung der Präklusion, in: Stephan Schwarzer (Hrsg), Das neue Anlagenverfahrensrecht, 1999, 17 (32 ff). Siehe dazu auch Walter/Thienel, Die Verwaltungsverfahrensnovellen 1998, 1999, 144 ff. ZB VwGH 27.5.1997, 97/04/0077. RV 575 BlgNR 20. GP, S 14. VwGH 22.3.2000, 99/04/0197.
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Über die Dauer des Anschlages einer Kundmachung (zB in der Gemeinde) trifft das Gesetz keine ausdrückliche Regelung. Auf Grund telelogischer Auslegung nimmt der VwGH allerdings an, dass der Anschlag so lange zu dauern hat, dass nicht persönlich geladene Nachbarn „bei entsprechender Aufmerksamkeit Gelegenheit haben, von der Kundmachung so rechtzeitig Kenntnis zu erlangen, dass sie gegebenenfalls zur Verhandlung rechtzeitig und vorbereitet erscheinen können“112. Besteht die Gefahr der Verletzung eines Kunst-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses, dann ist den Nachbarn die Teilnahme an der Besichtigung der Anlage gemäß § 356 Abs 2 GewO (unter Wahrung des Parteiengehörs) nur mit Zustimmung des Genehmigungswerbers gestattet. Die Gemeinde hat im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren gemäß § 355 GewO ein Anhörungsrecht. In den §§ 44a ff AVG sind eigene Regelungen für Großverfahren (Verfahren mit voraussichtlich mehr als 100 Beteiligten) vorgesehen.113 Bei solchen Verfahren kann etwa eine „öffentliche Erörterung“ unter Beiziehung von Sachverständigen stattfinden. Diese Bestimmungen über „Großverfahren“ gelten auch für gewerbliche Betriebsanlagen. Denn durch die AVG-Novelle 1998 wurde gemäß § 82 Abs 7 AVG auch den Vorschriften über das Betriebsanlagengenehmigungsverfahren der GewO derogiert, soweit sie von den §§ 44a ff AVG abwichen (und zB keine „öffentliche Erörterung“ zuließen). Ab 31.12.1998 galten somit die Regelungen über „Großverfahren“ im AVG auch für entsprechende gewerbliche Betriebsanlagen. Daran hat auch die Neufassung von § 356 GewO durch die GewO-Novelle 2000 nichts geändert, weil diese im Wesentlichen lediglich der „sprachlichen Anpassung“114 an die geltende Rechtslage diente.
D. Vereinfachtes Verfahren Gerade die Mitwirkungsmöglichkeit von Nachbarn als Parteien im ordentlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren kann zu erheblichen Verzögerungen führen und damit ein Hindernis für die Betriebsansiedlung bedeuten. Um dieser Problematik Rechnung zu tragen, wurde in § 359b ein vereinfachtes Verfahren vorgesehen, in dem den Nachbarn nurmehr ein beschränktes Mitspracherecht zukommt. Diesem Verfahren wurden im Laufe der Zeit immer mehr Betriebsanlagen unterworfen. Der konkreten Ausgestaltung des vereinfachten Verfahrens hat der VfGH (auf Grund des Gleichheitssatzes) vor allem im Hinblick auf den Nachbarschutz jedoch Grenzen gesetzt. Der VfGH hat das vereinfachte Verfahren und die damit verbundene Einschränkung der Nachbarrechte aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung grundsätzlich für sachlich gerechtfertigt erachtet.115 Auch erachtet es der VfGH für verfassungswidrig, wenn „im vereinfachten Verfahren die bloße Feststellung abstrakter Messgrößen der projektierten Anlage durch die Behörde als Genehmigung gilt, ohne dass Gefährdungen und Immissionen im Einzelfall im vereinfachten Verfahren überhaupt überprüft werden“.116
§ 359b GewO sieht die Durchführung eines vereinfachten Verfahrens unter folgenden Voraussetzungen vor:
112 113 114 115 116
ZB VwGH 20.10.1999, 99/04/0140. Dazu Grabenwarter, Großverfahren nach dem AVG, ZfV 2000, 718 ff. RV 212 BlgNR 21. GP, S 9. VfSlg 14512/1996. Siehe dazu aber auch VfSlg 16103/2001. VfSlg 14165/2004.
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- wenn die für eine Genehmigungspflicht (wegen ihrer Immissionen) allein relevanten Maschinen, Geräte und Ausstattungen nach einer Verordnung gemäß § 76 Abs 1 oder auf Grund eines Bescheides gemäß § 76 Abs 2 GewO keine Genehmigungspflicht begründen117 oder zumindest auch dazu bestimmt sind, in Privathaushalten verwendet zu werden (zB Küchengeräte); - wenn das Ausmaß der Räumlichkeiten der Betriebsanlage und ihre sonstigen Betriebsflächen insgesamt nicht mehr als 800 m2 beträgt und die elektrische Anschlussleistung der zur Verwendung stehenden Maschinen und Geräte 300 kW nicht übersteigt und auf Grund der geplanten Ausführung der Anlage zu erwarten ist, dass Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs 2 oder Belastungen der Umwelt vermieden werden; - bei Verfahren betreffend Spezialgenehmigungen im Rahmen einer Gesamtanlage (zB Einkaufszentrum)118. Zur weiteren Vereinfachung und schnelleren Verfahrensabwicklung sehen § 359b Abs 2 und 3 GewO vor, dass der BMWA bestimmte Anlagen in Verordnungen zu bezeichnen hat, die jedenfalls dem vereinfachten zu unterziehen sind.119 Umgekehrt unterliegen gemäß § 359b Abs 1 GewO die in der Anlage 3 zur GewO angeführte Anlagen (IPPC-Anlagen) jedenfalls nicht dem vereinfachten Verfahren. Auch hat gemäß § 359b Abs 7 GewO der BMWA im Einvernehmen mit dem BMLFUW durch Verordnung jene Arten von Betriebsanlagen zu bezeichnen, „die aus Gründen des vorsorgenden Umweltschutzes“120 nicht im vereinfachten Verfahren abzuwickeln sind, auch wenn eine derartige Anlage an sich die Voraussetzungen für das vereinfachte Verfahren erfüllt.121 Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist die Behörde zur Durchführung eines vereinfachten Verfahrens verpflichtet. Liegen die Voraussetzungen für ein vereinfachtes Verfahren vor, dann hat die Behörde ein solches von Amts wegen durchzuführen. Die Behörde hat dies gemäß § 359b Abs 1 GewO nach dem „Genehmigungsansuchen und dessen Beilagen“ zu beurteilen. Der Genehmigungswerber hat daher keinen Anspruch auf Durchführung eines solchen Verfahrens122, sondern kann nur einen Antrag auf Genehmigung der Betriebsanlage stellen. Allerdings haben nach Auffassung des VfGH und des VwGH die Nachbarn Parteistellung bei Beurteilung der Frage, „ob die Voraussetzungen für ein vereinfachtes Verfahren überhaupt vorliegen“123. Sie können demnach den das Verfahren abschließenden Feststellungsbescheid aus diesem Grund wohl auch anfechten. Hingegen haben 117 118 119
120 121 122 123
Dazu oben III.B. Dazu oben III.A. Auf Grund von § 359b Abs 2 GewO wurde die Verordnung BGBl 1994/850 idF BGBl 1999 II/19 erlassen, wonach etwa Gastgewerbebetriebe mit bis zu 200 Verabreichungsplätzen, in denen nicht musiziert wird (ausgenommen „Hintergrundmusik“), dem vereinfachten Verfahren zu unterziehen sind. Dazu VfSlg 16103/2001. Siehe dazu die Verordnung BGBl 1998 II/265, wonach zB Anlagen zur Erzeugung von Eisen und Stahl keinesfalls dem vereinfachten Verfahren zu unterziehen sind. ZB VwGH 22.4.1997, 97/04/0037. VfSlg 16103/2001. Ebenso nunmehr auch VwGH 9.10.2002, 2002/04/0130; 23.9.2004, 2004/07/0055. Umfassend zu dieser Problematik Thienel, Verfassungsrechtliche Grenzen für das vereinfachte Genehmigungsverfahren nach § 359b GewO, ZfV 2001, 718ff.
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die Nachbarn im Verfahren selbst (wie in § 359b Abs 1 ausdrücklich klargestellt wird124) keine Parteistellung, sondern lediglich ein Anhörungsrecht.
Ist daher den Genehmigungsunterlagen zu entnehmen, dass die Voraussetzungen eines vereinfachten Verfahrens vorliegen, dann hat die Behörde das Projekt durch Anschlag in der Gemeinde und in den der Anlage unmittelbar benachbarten Häusern bekanntzugeben. Gleichzeitig hat sie darauf hinzuweisen, dass die Projektsunterlagen innerhalb eines vier Wochen nicht überschreitenden Zeitraumes bei der Behörde aufliegen und dass die Nachbarn innerhalb dieses Zeitraumes von ihrem Anhörungsrecht Gebrauch machen können. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit kann anstelle des Hausanschlags das Projekt auch durch persönliche Verständigung der Nachbarn bekannt gegeben werden.
Innerhalb von drei Monaten nach Einlangen des Genehmigungsansuchens (Verfahrensbeschleunigung) hat die Behörde dann unter Bedachtnahme auf die eingelangten Äußerungen einen Bescheid zu erlassen. In diesem Bescheid ist zum einen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Durchführung eines einfachen Verfahrens festzustellen. Zum anderen sind darin erforderlichenfalls Aufträge zur Gewährleistung der Schutzinteressen des Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens zu erteilen. Dieser Bescheid gilt gemäß § 359b Abs 1 GewO als Genehmigungsbescheid für die Anlage. § 359b GewO geht seinem üblichen Wortsinn nach davon aus, dass bei vorliegen der Voraussetzungen eines vereinfachten Verfahrens eine positive bescheidmäßige Feststellung vorzunehmen und allfälligen Schutzinteressen ausschließlich durch Aufträge Rechnung zu tragen ist. Fraglich ist jedoch, wie vorzugehen ist, wenn zwar die Voraussetzungen eines einfachen Verfahrens gegeben sind (zB Betriebsfläche unter 800 m2), die Schutzinteressen (zB Gesundheitsschutz) jedoch auch nicht durch Aufträge sichergestellt werden können. Es würde wohl dem Zweck der Regelung (Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung) widersprechen, wenn diesfalls nach dem vereinfachten Verfahrens zusätzlich auch noch ein ordentliches Betriebsanlagengenehmigungsverfahren durchgeführt werden müsste. Es ist daher anzunehmen, dass in einem solchen Fall die Behörde die Genehmigung auf Grund des einfachen Verfahrens zu versagen hätte.125 Fraglich ist auch, ob gemäß § 359b GewO genehmigte Anlagen als „behördlich genehmigt“ im Sinne von § 364a ABGB anzusehen sind, bei denen ein ziviler Unterlassungsanspruch von Nachbarn ausgeschlossen ist. Dies wird vom OGH unter Hinweis auf die beschränkte Mitwirkungsbefugnis der Nachbarn verneint.126
D. Vorarbeiten und Versuchsbetrieb Unter bestimmten Voraussetzungen gestattet § 354 GewO schon vor rechtskräftiger Genehmigung der Betriebsanlage die Genehmigung bestimmter Vorarbeiten, insbesondere eines Versuchsbetriebes. Die Besonderheit einer solchen Genehmigung besteht vor allem darin, dass gemäß § 354 GewO gegen sie ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig ist. Daraus folgt, dass die Nachbarn
124 125 126
RV 212 BlgNR 21. GP, S 10. So im Ergebnis auch Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1262, Rz 27. OGH 25.2.1999, 6 Ob 239/98k. Siehe bereits Wagner, Betriebsanlage, 183; Thienel (FN 121), 730; AA Aicher, in: Betriebsanlage, Rz 234. Siehe dazu auch oben III.C.
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in einem solchen Verfahren auch keine Parteistellung besitzen.127 Sie können daher die Genehmigung eines Versuchsbetriebes erst im Wege der Anfechtung des Genehmigungsbescheides der Betriebsanlage bekämpfen.128 Der VfGH hielt den Ausschluss der Nachbarrechte schon deshalb für sachlich gerechtfertigt, „weil die Versuchsbetriebsgenehmigung nach dem Konzept des Gesetzes keine selbständige Bedeutung besitzt, sondern lediglich einer möglichst rationellen Verfahrensgestaltung zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes für das Genehmigungsverfahren“129 dient. Der VfGH ging in diesem Urteil anscheinend davon aus, dass ein genehmigter Versuchsbetrieb keine „behördlich genehmigte Anlage“ im Sinne von § 364a ABGB darstellt.130 Diese Einschätzung wird durch die jüngere Judikatur des OGH bestätigt.131
Die Durchführung solcher Vorarbeiten ist freilich nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zulässig. Dies ist einmal dann der Fall, wenn sich das Ermittlungsverfahren wegen des außergewöhnlichen Umfanges (zB auch wegen einer Vielzahl von Einwendungen132) oder der besonderen Beschaffenheit der Anlage voraussichtlich auf einen längeren Zeitraum erstrecken wird. Zusätzlich muss diesfalls die begründete Annahme vorliegen, dass die Errichtung und der Betrieb der Anlage bei Vorschreibung bestimmter Auflagen zulässig sein wird. Die Genehmigung von Vorarbeiten (eines Versuchsbetriebes) ist aber auch dann gestattet, wenn zur Ausarbeitung des Projekts einer Anlage Vorarbeiten erforderlich sind oder wenn das Vorliegen des Ergebnisses bestimmter Vorarbeiten für die Entscheidung der Behörde von wesentlicher Bedeutung ist. In jedem Fall setzt die Genehmigung von Vorarbeiten (allenfalls mit Auflagen) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung voraus.
Da das Betriebsanlagengenehmigungsverfahren grundsätzlich antragsbedürftig ist, setzt wohl auch die Genehmigung von Vorarbeiten einen Antrag voraus133. Die Genehmigung steht allerdings im Ermessen („kann“) der Behörde. Sie kann auch befristet erteilt werden. Unabhängig von einer anderslautenden Befristung endet die Genehmigung von Vorarbeiten aber mit der Beendigung des Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens.134
127 128
129 130 131 132 133 134
ZB VwGH 9.9.1998, 98/04/0130; 30.6.1999, 99/04/0043. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1175, Rz 9. Aichlreiter, Das neue Betriebsanlagenrecht - verfahrensrechtliche Bestimmungen, in: Korinek (Hrsg), Gewerberecht, 1995, 281 (292 f), meint, dass die Genehmigung des Versuchsbetriebes zwar nicht im administrativen Instanzenzug, wohl aber vor den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts eigens angefochten werden könne. VfSlg 13013/1992. Ebenso zB Wagner, Betriebsanlage, 185; AA Aicher, in: Betriebsanlage, Ergänzungsband, 123, Rz 234. Siehe OGH 25.2.1999, 6 Ob 239/98k. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 354, Rz 2. So auch der Durchführungserlass zur GewO-Novelle 1988 vom 25.11. 1988, Zl 32.831/86-III/1/88. VwGH 25.1.1994, 93/04/0173.
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V. Genehmigung A. Allgemeines Die GewO sieht verschiedene Kriterien für die Genehmigung einer Betriebsanlage vor. Dazu gehören vor allem immissionsseitige Kriterien, die auf die subjektiven Beeinträchtigungen von Personen (zB der Nachbarn) und Eigentum (der Nachbarn) durch die Anlage abstellen. Genehmigungsvoraussetzung sind aber auch emissionsseitige Kriterien, nach denen die Auswirkungen (zB Luftschadstoffe) der Anlage unabhängig von ihren konkreten Beeinträchtigungen zu begrenzen sind. Besondere Genehmigungskriterien sind insbesondere im Interesse der Nahversorgung für Einkaufszentren geregelt. Schließlich sieht die GewO im Interesse der Verfahrenskonzentration vor, dass mit der Betriebsanlagegenehmigung auch über nach anderen Vorschriften erforderliche Bewilligungen abzusprechen ist.
B. Immissionsseitige Kriterien Gemäß § 77 Abs 1 GewO ist Genehmigungsvoraussetzung, dass nach dem Stand der Technik135 und dem Stand der medizinischen und sonst in Betracht kommenden Wissenschaften (zB Chemie, Geologie) zu erwarten ist, dass zumindest bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden „bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs 2 Z 1 GewO136 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs 2 Z 2 bis 5 GewO137 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden“. Entscheidend ist also zunächst, dass die „voraussehbaren“ Gefährdungen für Leben, Gesundheit und Eigentum oder sonstigen dinglichen Rechten „vermieden“ werden. Dies bedeutet zwar, dass keine Interessenabwägung oder Beurteilung der Zumutbarkeit der Gefährdungen vorzunehmen ist.138 Mit dem Begriff „voraussehbar“ wird aber zum Ausdruck gebracht139, dass nicht jede Gefährdung etwa von Gesundheit und Eigentum gebannt sein muss. Vielmehr ist ein Risiko, das nach den herrschenden Vorstellungen über ausreichende Sicherheitsstandards als vernachlässigbare Größe akzeptiert ist (sogenanntes Restrisiko oder sozialadäquates Risiko), zu vernachlässigen.140 Für die Gefährdung von Leben und Gesundheit (zB der Nachbarn) ist von einer nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden, objektiven Gegebenheiten Rechnung tragenden Durchschnittsbetrachtung auszugehen.141 Die Behörde hat
135 136 137 138 139 140 141
Vgl § 71a GewO. Siehe oben III.B. Ebenda. ZB VwGH 29.5.1990, 89/04/0225. Pauger, in: Wirtschaftsrecht2, 163, Rz 416. Rill, Gewerberecht, 53. Vgl demgegenüber Wendl, in: Betriebsanlage, 95, Rz 175. ZB VwGH 25.2.1993, 92/04/0208, 0209.
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eine allfällige Gefährdung grundsätzlich142 unter Heranziehung von (gegebenenfalls einander ergänzenden143) Sachverständigen festzustellen.
Belästigungen (zB durch Lärm), Beeinträchtigungen (zB des öffentlichen Verkehrs) oder nachteilige Einwirkungen (auf Gewässer) müssen hingegen nicht vermieden, sondern „auf ein zumutbares Maß beschränkt werden“. Inwieweit Belästigungen der Nachbarn als „zumutbar“ gelten, ist gemäß § 77 Abs 2 GewO danach zu beurteilen, „wie sich die durch die Betriebsanlage verursachten Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen auswirken“. Die Behörde hat somit zunächst den Immissionsstand zu ermitteln, der den tatsächlichen örtlichen Verhältnissen entspricht. Dabei können auch künftige Entwicklungen mitberücksichtigt werden, wenn es hinreichend konkrete Anhaltspunkte für Änderungen in absehbarer Zeit gibt.144 Auf raumordnungsrechtliche Widmungsvorschriften ist wohl ebenfalls Bedacht zu nehmen.145 Nicht jede (bloß geringfügige) Veränderung des bisherigen Immissionsmaßes schließt eine Genehmigung aus. Vielmehr gilt dies nur für eine Veränderung in einem solchen Ausmaß, mit der eine „unzumutbare“ Belästigung verbunden ist.146 Dabei ist von einer objektiven „Durchschnittsbetrachtung“147 gesunder, normal empfindender Erwachsener und Kinder auszugehen. Besondere Empfindlichkeiten von Nachbarn bilden daher insoweit keinen Versagungsgrund.148 Auch verlangt das Kriterium der Zumutbarkeit keine Abwägung zwischen dem Interesse des Anlageninhabers einerseits und dem Interesse der Nachbarn andererseits.149 Der Maßstab „gesunder, normal empfindender“ Erwachsener und Kinder gilt gemäß § 77 Abs 2 GewO nur für Belästigungen der Nachbarn. Soweit es etwa um den Schutz von Personen in Krankenhäusern gemäß § 74 Abs 2 Z 3 GewO geht, ist dieser Maßstab nicht maßgeblich. Hier ist auf die besondere Lage dieser Menschen Bedacht zu nehmen.150
Zur Sicherstellung der Vermeidung von Gefährdungen oder unzumutbaren Belästigungen kann die Anlage gemäß § 77 Abs 1 GewO mit „erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen“ genehmigt werden. Soweit erforderlich, haben diese Auflagen auch Maßnahmen für den Fall der Unterbrechung des Betriebes und der Auflassung der Anlage zu umfassen. Auch kann die Behörde gemäß § 77 Abs 1 GewO gegebenenfalls zulassen, 142 143 144 145
146 147 148
149 150
Siehe zB VwGH 12.11.1996, 94/04/0174. ZB VwGH 29.1.1991, 90/04/0178 (gewerbetechnische und ärztliche Sachverständige). VwSlg 11477(A)/1984. Berka, Raumordnungsrechtliche Probleme des Industrieanlagenbaus, in: Aicher/Korinek (Hrsg), Rechtsfragen des nationalen und internationalen Industrieanlagenbaus, 1991, 27 (51); Rill, Gewerberecht, 53 f. AA VwGH 24.6.1998, 95/04/0234. ZB VwGH 22.4.1997, 96/04/0217. VwGH 31.3.1992, 91/04/0306. ZB VwGH 30.9.1997, 95/04/0052; 15.10.2003, 2002/04/0073. Der Maßstab des „gesunden, normal empfindenden Menschen“ ist nur bei der Beurteilung von Belästigungen, nicht jedoch von Gesundheitsgefährdungen zugrundezulegen; VwGH 22.3.2000, 98/04/0019. VwGH 14.11.1989, 89/04/0088. Rill, Gewerberecht, 53.
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dass bestimmte Auflagen erst ab einem dem Zeitaufwand der hiefür erforderlichen Maßnahmen entsprechend festzulegenden Zeitpunkt nach Inbetriebnahme der Anlage eingehalten werden müssen. Nach der Judikatur des VwGH handelt es sich bei solchen Auflagen um belastende Gebote oder Verbote als Nebenbestimmungen der Genehmigung, mit denen der Inhaber der Anlage zu einem bestimmten, im Wege der Vollstreckung erzwingbaren Tun oder Unterlassen verpflichtet wird.151 Eine solche Auflage kann grundsätzlich jede der Vermeidung von Immissionen dienende und zur Erfüllung dieses Zweckes geeignete Maßnahme zum Gegenstand haben.152 Für ihre Rechtmäßigkeit ist es unerheblich, ob ihr privatrechtliche Hindernisse (zB Zustimmung der Grundeigentümer) entgegenstehen.153 Allerdings darf das Vorhaben durch Auflagen nur soweit modifiziert werden, dass es in seinem „Wesen“ unberührt bleibt.154 Auch dürfen Auflagen nicht strengere Maßnahmen vorsehen, als dies zur Wahrung der Schutzzwecke des § 77 Abs 1 GewO notwendig („erforderlich“) ist.155 Auflagen müssen außerdem so „bestimmt“ sein, dass ihre Einhaltung von der Behörde jederzeit und aktuell überprüft werden kann. Dieser Anforderung wird nach der Judikatur des VwGH durch die bloße Bestimmung eines Immissionsgrenzwertes in einer Auflage nicht entsprochen, wenn nicht im Einzelnen die Maßnahmen festgelegt werden, bei deren Einhaltung die Wahrung dieser Grenzwerte zu erwarten ist.156 Ebenso wenig entsprechen Auflagen diesem Erfordernis, die eine Maßnahme „zur Nachtzeit“157, eine „neuere Bauart“158 oder „während der Winterzeit“159 vorschreiben. Ein in einer Auflage enthaltenes Verbot der Verwendung von „bewegtem Licht“160 ist nach Auffassung des BwGH hingegen hinreichend bestimmt.
Gemäß 78 Abs 3 GewO kann die Behörde bei der Genehmigung von bestimmten Rohrleitungen auch den Abschluss oder den Fortbestand einer Haftpflichtversicherung vorschreiben, wenn der Ersatz für Schädigungen in anderer Weise nicht gesichert ist. Während des Nichtbestehens der Versicherung darf die Anlage gemäß § 92 Abs 1 GewO nicht betrieben werden. Schließlich ist noch zu erwähnen, dass gemäß § 82 Abs 1 GewO der BMWA im Einvernehmen mit dem BMLFUW für genehmigungspflichtige Anlagen durch Verordnung nähere Vorschriften über die Bauart, die Betriebsweise, die Ausstattung oder das zulässige Ausmaß der Anlagen oder Anlagenteile zu erlassen hat.161 Für bereits genehmigte Anlagen („Altanlagen“) sind in einer solchen Verordnung abweichende Bestimmungen oder Ausnahmen vorzusehen. Weist der Inhaber einer „Altanlage“ nach, dass seine Anlage von den Ausnahmen oder Abweichungen nicht erfasst wird, dann ist gemäß § 82 Abs 2 GewO die erforderli151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161
ZB VwGH 26.2.1991, 90/04/0131. VwGH 3.3.1999, 98/04/0164. VwGH 16.2.2005, 2004/04/0123. ZB VwGH 27.4.1993, 90/04/0265, 0268. VwGH 22.4.1997, 96/04/0217; 21.12.2004, 2002/04/0169. ZB VwGH 22.12.1992, 92/04/0121; 22.3.2000, 99/04/0213. VwSlg 10976(A)/1983. VwGH 3.3.1999, 98/04/0164. VwGH 17.12.2003, 2001/04/0156. VwGH 24.3.2004, 2002/04/0168. Siehe dazu die Aufzählung der auf Grund von § 82 Abs 1 GewO erlassenen Verordnungen bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 675, Rz 6.
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che Anpassung an die Verordnung (einschließlich von Abweichungen und Ausnahmen) mit Bescheid aufzutragen. Auch für andere Anlagen dürfen gemäß § 82 Abs 2 GewO Abweichungen von der Verordnung aufgetragen werden. Im Übrigen kann für die Erfüllung der Bestimmungen der Verordnung gemäß § 82 Abs 5 GewO mit Bescheid eine angemessene Frist eingeräumt werden.
C. Emissionsseitige Kriterien Emissionen von Luftschadstoffen sind gemäß § 77 Abs 3 GewO (erforderlichenfalls mit Auflagen) nach dem Stand der Technik zu begrenzen. Diese Verpflichtung gilt unabhängig davon, ob diese Emissionen konkrete Gefährdungen oder Belästigungen hervorrufen. Es handelt sich um eine Vorsorgemaßnahme gegen Belastungen der Umwelt, die nach herrschender Auffassung etwa Nachbarn auch kein subjektives Recht einräumt162. Bei Anwendung dieser Vorschrift sind auch Regelungen des ImmissionsschutzG-Luft bzw auf seiner Grundlage erlassener Verordnungen zu beachten. Gerade deshalb ist die Auffassung, wonach § 77 Abs 3 GewO kein subjektives Recht einräumt, fraglich. Denn mit dem ImmissionsschutzG-Luft werden Richtlinien der Gemeinschaft umgesetzt, die Grenzwerte für die Luftreinhaltung normieren. Zur Umsetzung solcher Richtlinien hat der EuGH ausgesprochen ,dass „die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Überschreitung der Grenzwerte die menschliche Gesundheit gefährden könnte, in der Lage sein müssen, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können“163. Es stellt sich daher zumindest die Frage, ob § 77 Abs 3 GewO in Verbindung mit dem ImmissionsschutzG-Luft auf Grund gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung nicht doch ein subjektives Recht einräumt.
Unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung ist die Betriebsanlage gemäß 77 Abs 4 GewO auch erforderlichenfalls unter Vorschreibung bestimmter Auflagen zu genehmigen, um Abfälle nach dem Stand der Technik zu vermeiden oder zu verwerten.164 Soweit dies wirtschaftlich nicht vertretbar erscheint, ist gemäß § 77 Abs 4 GewO allerdings eine „ordnungsgemäße“ Entsorgung ausreichend. Ausgenommen von einer näheren Prüfung des „Abfallwirtschaftskonzepts“ sind nach dieser Vorschrift außerdem Betriebsanlagen, deren Abfälle nach Art und Menge denen der privaten Haushalte vergleichbar sind. Wohl um eine Prüfung gemäß § 77 Abs 4 GewO zu ermöglichen, ist gemäß § 353 Z 1 lit c) GewO dem Ansuchen um Genehmigung eine Beschreibung der beim Betrieb der Anlage zu erwartenden Abfälle und der betrieblichen Vorkehrungen zu deren Vermeidung, Verwertung und Entsorgung (Abfallwirtschaftskonzept) anzuschließen.
162 163
164
ZB VwGH 28.10.1997, 95/04/0151; 22.3.2000; 98/04/0019; Grabler/Stolzlechner/ Wendl, GewO2, 585, Rz 41. EuGH, Rs C-361/88, Kommission/Deutschland, Slg 1991, I-2567, Rz 16. Siehe dazu näher etwa Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht3, 2006, 122 ff, mwN. Kann ein nach dem Stand der Technik mangelhaftes „Abfallmanagement“ nur durch Auflagen korrigiert werden, die das Wesen der Anlage verändern, dann ist wohl die Genehmigung zu verweigern; Kinscher/Paliege-Barfuß, § 77, Rz 106.
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Besondere Anforderungen an die Genehmigung sind in § 77a GewO für in der Anlage 3 zur GewO angeführte Anlagen („IPPC-Anlagen“) vorgesehen.165 So sind für solche Anlagen etwa gemäß § 77a GewO geeignete Auflagen vorzuschreiben, wenn und soweit dies zur Verhinderung des Überschreitens eines gemeinschaftsrechtlich festgelegten Immissionsgrenzwertes erforderlich ist.166 Auch hat die Behörde gemäß § 77a Abs 5 GewO im redaktionellen Teil zweier im Bundesland weit verbreiteter Tageszeitungen und auf der Internetseite der Behörde bekannt zu geben, dass der Genehmigungsbescheid einer IPPCAnlage bei ihr zur Einsicht aufliegt.
D. Einkaufszentren Einkaufszentren können insbesondere für kleinere Gewerbetriebe eine schwerwiegende Konkurrenz bedeuten und diese letztlich zur Betriebsschließung zwingen. Damit geht nicht selten eine geschäftliche „Verödung“ bestimmter Straßenzüge vor allem in Ortskernen einher, da Einkaufszentren häufig an der Peripherie von größeren Orten angesiedelt sind. Damit verbunden ist auch eine Bedrohung der Nahversorgung von weniger mobilen (zB älteren) Menschen, die auf die Versorgung durch räumlich nahegelegene aber von Einkaufszentren unter Druck gesetzte kleinere Gewerbebetriebe (zB Lebensmittelhändler) angewiesen sind. Dieser Problematik wird durch § 77 Abs 5 GewO Rechnung zu tragen versucht, der besondere Kriterien im Interesse der Nahversorgung für die Genehmigung „von Anlagen für Betriebe des Handels sowie von ausschließlich oder überwiegend für Handelsbetriebe vorgesehenen Gesamtanlagen im Sinne des § 356e Abs 1 GewO (Einkaufszentren), welche überwiegend167 dem Handel mit Konsumgütern des kurzfristigen und des täglichen Bedarfs dienen“, vorsieht. Bei diesen Anlagen muss zusätzlich zu den sonstigen Genehmigungskriterien des § 77 GewO von der Behörde zunächst auch geprüft werden, ob diese Anlagen nicht in Widerspruch zu raumordnungsrechtlichen Widmungen stehen. Damit soll vor allem verhindert werden, dass ein bestimmtes Projekt ohne Vorliegen der in Raumordnungsgesetzen der Länder für Einkaufszentren vorgesehenen Sonderwidmung errichtet wird. Gemäß § 77 Abs 5 GewO ist wörtlich zwar nur zu prüfen, ob der Standort für eine „derartige Gesamtanlage“ gewidmet ist. Daraus wird von einem Teil der Lehre geschlossen, dass eine solche Prüfung der Widmungskonformität eben nur bei Gesamtanlagen, nicht aber auch bei sonstigen „Betrieben des Handels“ vorzunehmen ist.168 Gegen diese Auffassung spricht aber schon der Einleitungssatz von § 77 Abs 5 GewO, der 165 166
167
168
Dazu näher etwa Bergthaler/Fallner, IPPC-Anlagen in der GewO: Anlagenbegriff und verfahrensrechtliche Konsequenzen, ecolex 2004, 750 ff. Siehe dazu AB 212 BlgNR 21. GP, S 5. Nach Auffassung von Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 603, Rz 3, räumt auch § 77a GewO Nachbarn kein subjektives Recht ein. Da mit dieser Bestimmung die IPPC-Richtlinie umgesetzt wird, die auch eine Einhaltung von Grenzwerten vorschreibt, ist diese Auffassung aus den oben im Text zu § 77 Abs 3 GewO dargelegten Gründen jedoch fraglich. Gemäß § 77 Abs 7 GewO dient eine Anlage „überwiegend“ dem Handel mit Konsumgütern des kurzfristigen und des täglichen Bedarfs, wenn die Verkaufsfläche für Konsumgüter des kurzfristigen und des täglichen Bedarfs 800 m2 überschreitet. ZB Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 592, Rz 48.
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Betriebe des Handels und Gesamtanlagen gleichberechtigt nebeneinander stellt.169 Vor allem aber ist schwer zu erkennen, welchen Sinn insoweit eine Differenzierung zwischen „Betrieben des Handels“ und „Gesamtanlagen“ haben sollte.
Außerdem dürfen Betriebsanlagen mit einer Gesamtkaufsfläche170 von mehr als 800m2 für einen Standort nur genehmigt werden, „wenn das Projekt keine Gefährdung der Nahversorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern des kurzfristigen und täglichen Bedarfs im Einzugsbereich erwarten lässt“.171 Eine Gefährdung der Nahversorgung ist gemäß § 77 Abs 8 GewO dann zu erwarten, wenn es infolge der Verwirklichung des Projekts „zu erheblichen Nachteilen für die bestehenden Versorgungsstrukturen käme und dadurch der Bevölkerung die Erlangung von Konsumgütern des kurzfristigen und des täglichen Bedarfs erschwert würde“. Der Landeshauptmann hat dafür in einer Verordnung die entsprechenden Kenngrößen und Beurteilungsmaßstäbe festzulegen. Der BMWA hat in einer Verordnung die Konsumgüter des kurzfristigen und täglichen Bedarfs zu bezeichnen.
Auf Grund der zuletzt genannten Regelung wurde die „Einkaufszentren-WarenlisteVerordnung“ (BGBl 2000 II/277) erlassen, wonach neben Lebensmitteln etwa auch Zeitungen, Reinigungsmittel oder gewisse Textilien Konsumgüter des kurzfristigen oder täglichen Bedarfs sind. Soweit keine Verordnung des Landeshauptmannes vorliegt, haben die Behörden das Gesetz unmittelbar anzuwenden und selbst festzustellen, ob eine Gefährdung der Nahversorgung vorliegt172.
Die dargelegten Genehmigungskriterien kommen gemäß § 77 Abs 9 GewO allerdings dann nicht zur Anwendung, wenn es sich um Projekte in einem „Stadtkern- oder Ortskerngebiet“ handelt. Darunter sind nach dieser Bestimmung jene Ortsbereiche oder Flächen mit Ausrichtung auf das örtliche bzw überörtliche Verkehrsnetz zu verstehen, die eine überwiegend zusammenhängende Verbauung mit öffentlichen Bauten, Gebäuden, die der Hoheitsverwaltung und der Gerichtsbarkeit dienen, Gebäuden für Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Bauten des Tourismus, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Wohngebäuden sowie Gebäuden, die der Religionsausübung gewidmet sind, aufweisen.
169 170
171
172
Grabenwarter, Die Prüfung der Standortwidmung bei der Genehmigung von Anlagen für Handelsbetriebe, ÖZW 1998, 110 (113). Zum Begriff der Verkaufsfläche siehe § 77 Abs 6 GewO, wonach als Verkaufsflächen die Flächen aller Räume zu verstehen sind, „die für Kunden allgemein zugänglich sind, ausgenommen Stiegenhäuser, Gänge, Hausflure, Sanitär- und Sozial- und Lagerräume, wobei die Verkaufsflächen in mehreren Bauten zusammenzuzählen sind, wenn die Bauten zueinander in einem räumlichen Naheverhältnis stehen und eine funktionale Einheit bilden“. Die weiter gefasste Vorgängerregelung wurde vom VfGH - samt darauf basierender Durchführungsverordnung - aufgehoben; VfSlg 15672/ 1999; siehe dazu etwa Onz, Verpönter Konkurrenzschutz für Handelsbetriebe in Ortszentren - Erkenntnis des VfGH zum gewerberechtlichen Einkaufszentrenrecht, WBl 2000, 97 ff. Nach der vom VfGH aufgehobenen Einkaufszentren-Verordnung (BGBl 1998 II/69) lagen etwa erhebliche Nachteile vor, wenn der prognostizierte Umsatz der Betriebsanlage 5% des einzelhandelsrelevanten Umsatzpotenzials im Einzugsgebiet des Projekts überstieg. Unter Einzugsgebiet war dabei jener örtliche Bereich zu verstehen, der innerhalb von zehn Minuten Fahrzeit mit einem Pkw erreichbar war.
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E. Genehmigungskonzentration Eine Vorschrift zur Verfahrenskonzentration173 wurde mit der GewO-Novelle 1997 in § 356b GewO vorgesehen. Ist zur Errichtung oder zum Betrieb einer Betriebsanlage auch nach anderen bundesrechtlichen Vorschriften (zB FortsG, ArbeitnehmerschutzG) „zum Schutz vor Auswirkungen der Anlage oder zum Schutz des Erscheinungsbildes“ eine Bewilligung erforderlich, so entfallen diese gemäß § 356b Abs 1 GewO grundsätzlich. Allerdings sind „deren materiellrechtlichen Genehmigungs-(Bewilligungs-)Regelungen bei Erteilung der Genehmigung anzuwenden“. Dem Verfahren sind Sachverständige für die von den anderen Verwaltungsvorschriften erfassten Gebiete beizuziehen. Die Betriebsanlagengenehmigung gilt auch als Genehmigung in den anderen verwaltungsrechtlichen Gebieten. Zu den „materiellrechtlichen Genehmigungs-(Bewilligungs-)Regelungen“ zählen die Genehmigungskriterien der anderen Verwaltungsvorschriften, nicht jedoch deren verfahrensrechtliche Regelungen.174 Auch Bestimmungen über die Parteistellung in anderen Verwaltungsvorschriften dürften davon nicht erfasst sein, was gleichheitsrechtlich nicht unbedenklich ist.175
Von der Konzentrationsregelung des § 356b GewO ausgenommen sind zum Teil Bewilligungsverfahren nach dem WasserrechtsG. Hier wurde insoweit eine Konzentrationsregelung getroffen, als der zur Genehmigung der Betriebsanlage zuständigen Behörde gemäß § 356b Abs 1 GewO auch die Durchführung von wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren in erster Instanz nur für bestimmte mit Errichtung und Betrieb der Anlage verbundene Maßnahmen obliegt. Im wasserrechtlichen Verfahren hat die Behörde dann sowohl die materiellrechtlichen als auch die verfahrensrechtlichen Regelungen des WRG anzuwenden. Nach Auffassung des VwGH sind auch Folgeverfahren wie das Verfahren zur Überprüfung der Ausführung von Wasseranlagen von der Konzentrationsregelung erfasst.176 § 356b GewO gilt nur für bundesrechtliche Bewilligungspflichten.177 Für Verfahren nach landesgesetzlichen Vorschriften (zB Baubewilligungen) sieht allerdings § 356b GewO eine Koordinierungspflicht vor. Gemäß § 359b Abs 1 gilt § 356b GewO „sinngemäß“ auch für das vereinfachte Verfahren178. Den Bewilligungskriterien nach den anderen bundesrechtlichen Regelungen ist dabei durch „Aufträge“ Rechnung zu tragen.179 Eine besondere Konzentrationsregelung wurde in § 22 UMG für Unternehmen getroffen, die zumindest eine erste Umweltbetriebsprüfung nach der EMAS-VO II durchgeführt haben.180 Diese können für eine Betriebsanlage einen „konsolidierten Bescheid“ 173 174 175 176 177
178 179 180
RV 575 BlgNR 20. GP, S 13. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1214, Rz 7. Dazu näher Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1214 f, Rz 7. VwGH 18.2.1999, 99/07/0007. Dazu näher Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1216, Rz 11. Siehe dazu etwa die Aufzählung der einschlägigen bundesgesetzlichen Vorschriften bei Leitl/Mayrhofer, Das Verfahren zur Genehmigung von gewerblichen Betriebsanlagen nach der Verwaltungsreform 2001, ÖGZ 2003, 42 (44). Dazu oben IV.D. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1216, Rz 9. Siehe dazu auch List, Verwaltungsvereinfachung durch das UMG, in: Kerschner (Hrsg), EMAS-V II und Umweltmanagementgesetz (UMG), 2002, 13 ff.
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beantragen, der sämtliche für die Anlage bereits erteilten bundesrechtlichen Genehmigungen umfasst. Geringfügige Abweichungen von diesen Genehmigungen kann der konsolidierte Bescheid enthalten, wenn die in ihren Rechten Betroffenen zustimmen. Ein Entwurf des konsolidierten Genehmigungsbescheides ist in der jeweiligen Standortgemeinde aufzulegen, was durch Anschlag sowie sonst in geeigneter Form kundzumachen ist. In ihren subjektiven Rechten Betroffene können innerhalb von zwei Wochen als Parteien Einwendungen erheben. Andernfalls verlieren sie ihre Parteistellung und können den „konsolidierten Bescheid“ nicht mehr anfechten.
G. Wirkung der Genehmigung Die Betriebsanlagengenehmigung ist mit dinglicher Wirkung ausgestattet. Gemäß § 80 Abs 5 GewO wird die rechtliche Geltung der Genehmigung durch einen Wechsel des Inhabers nicht berührt.181 Anlagen oder Teile von Anlagen dürfen gemäß § 78 Abs 1 GewO bereits vor Eintritt der Rechtskraft des Genehmigungsbescheides errichtet und betrieben werden, wenn dessen Auflagen eingehalten werden. Dies bedeutet, dass eine Betriebsanlage etwa auch dann bereits betrieben werden darf, wenn Nachbarn gegen die Genehmigung Berufung erhoben haben. Allerdings hat die Behörde gemäß § 78 Abs 1 GewO die Inanspruchnahme der Genehmigung im Falle einer Berufung dagegen auszuschließen, „wenn auf Grund der besonderen Situation des Einzelfalls trotz Einhaltung der Auflagen des angefochtenen Bescheids eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit zu erwarten ist“. Diese Regelung stellt eine Abweichung von § 64 Abs 2 AVG dar, wonach rechtzeitig eingebrachte Berufungen grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben, was bei Genehmigungsbescheiden bedeutet, dass die darin enthaltene Berechtigung nicht ausgeübt werden darf182. Es ist fraglich, ob diese Abweichung vom AVG im Hinblick auf den Gleichheitssatz und Art 11 Abs 2 B-VG verfassungskonform ist.183 Umstritten ist auch die Frage, ob eine nicht rechtskräftige, aber zur Errichtung und zum Betrieb berechtigende, Genehmigung im Sinne von § 78 GewO gemäß § 364a ABGB („behördlich genehmigte Anlage“) einen Unterlassungsanspruch der Nachbarn ausschließt.184 Da bei Ausübung der Genehmigung gemäß § 78 Abs 1 GewO die Auflagen eingehalten werden müssen, wird die Auffassung vertreten, dass bei Nichteinhaltung der Auflagen das Recht erlischt.185
181 182 183
184 185
Dazu oben IV.B. ZB Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I, 1998, 1212. Siehe dazu etwa Raschauer, Verfassungswidrige GewO-Novelle 1992, WBl 1993, 179; Steiner, Ausschluß der aufschiebenden Wirkung als Sanktion gegen Rechtsmißbrauch, ecolex 1992, 595; Raschauer, Nochmals: Zum Ausschluß der aufschiebenden Wirkung, ecolex 1992, 815; Aichlreiter, Erwiderung auf Raschauer, WBl 1993, 183; Steiner, Ein drittes mal: Zum Ausschluß der aufschiebenden Wirkung, ecolex 1993, 60; Müller, § 78 GewO - Verfassungswidrige Beseitigung der „Effizienz“ des Rechtsschutzes?, RdU 1998, 69; VfSlg 16460/2002. So Aicher, in: Betriebsanlage, Ergänzungsband, Rz 234. AM zB Müller, (FN 183), 74 f. Vgl Wagner, Die Gewerberechtsnovelle 1997 und deren Folgen für zivile Nachbarrechte, RdU 1997, 174 ff.
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Für Betriebsanlagengenehmigungsbescheide gilt auch im Falle einer Aufhebung durch den VwGH gemäß § 359c eine Sonderregelung. Der Genehmigungswerber darf trotz Aufhebung die betreffende Anlage bis zur Rechtskraft des Ersatzbescheides, längstens jedoch ein Jahr weiter betreiben, wenn er die Anlage entsprechend dem aufgehobenen (und daher rechtswidrigen) Genehmigungsbescheid betreibt. Die Verfassungskonformität dieser Vorschrift ist fraglich.186 Gemäß § 78 Abs 1 GewO endet das Recht zur Errichtung und zum Betrieb der Anlage mit der Erlassung des Bescheides über die Berufung des Genehmigungsbescheides, spätestens jedoch drei Jahre nach der Zustellung des Genehmigungsbescheides an den Genehmigungswerber. Dies bedeutet, dass die durch § 78 Abs 1 GewO eingeräumte Berechtigung grundsätzlich mit Erlassung des Berufungsbescheides durch den UVS endet. Grundsätzlich endet somit die Berechtigung zur Errichtung und zum Betrieb der Anlage, wenn der UVS die Genehmigung in der Berufungsentscheidung versagt. Wird die Genehmigungsentscheidung der ersten Instanz von ihm hingegen bestätigt, so wird der Bescheid rechtskräftig und die Genehmigung kann schon deshalb ausgeübt werden.
Grundsätzlich darf die Anlage nur im Rahmen der erteilten Genehmigung ausgeübt werden. § 78 Abs 2 GewO sieht allerdings vor, dass davon auf Antrag mit Bescheid eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen ist, „wenn außer Zweifel steht, dass die Abweichungen die durch den Genehmigungsbescheid getroffene Vorsorge nicht verringern“. Solche „Änderungen“ der Anlage bedürfen somit keiner Genehmigung gemäß § 81 GewO.
Nach der Judikatur des VwGH dient § 78 Abs 2 GewO aber nicht dazu, eine unbekämpft gebliebene oder erfolglos bekämpfte Auflage nachträglich zu beseitigen oder durch eine andere Vorschreibung zu ersetzen.187 Auch ermächtigt diese Vorschrift nicht zur Vorschreibung zusätzlicher Auflagen.188 Solche können allerdings in Verfahren gemäß § 79 GewO verhängt werden.189 Im Verfahren betreffend die Abstandnahme von Verpflichtungen des Genehmigungsbescheides gemäß § 78 Abs 2 GewO haben allerdings nach § 356 Abs 3 GewO jene Nachbarn Parteistellung, deren Parteistellung im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren (auf Grund von Einwendungen190) aufrecht geblieben ist.191 Da eine Feststellung im vereinfachten Verfahren gemäß § 359b Abs 1 GewO als Genehmigungsbescheid gilt, bezieht sich § 78 Abs 2 GewO wohl auch auf solche Verfahren. Diesfalls haben Nachbarn im Verfahren gemäß § 78 Abs 2 GewO Parteistellung, weil ihnen eine solche grundsätzlich nach der Judikatur von VfGH und VwGH (in beschränktem Umfang) auch im vereinfachten Verfahren zukommt.192
Die Geltung der Betriebsanlagegenehmigung ist gemäß § 80 Abs 1 GewO zeitlich begrenzt. Sie erlischt danach, wenn sie nicht binnen fünf Jahren nach
186 187 188 189
190 191 192
Raschauer, WBl 1993 (FN 183), 179. VwGH 20.10.1999, 98/04/0244. ZB VwGH 28.8.1997, 95/04/0128. Dazu unten VI.A. Ein Bescheid, mit dem eine Änderung der Betriebsanlage gemäß § 81 Abs 1 GewO (dazu unten VI.C.) genehmigt wurde, darf nicht von der Berufungsbehörde gemäß § 78 Abs 2 GewO genehmigt werden; VwGH 11.11.1998, 96/04/0126; 22.3.2000, 98/04/0186. Dazu oben IV.C. Siehe dazu auch VwGH 4.9.2002, 2002/04/0075. Dazu oben IV.D.
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rechtskräftiger193 Erteilung zumindest in einem für die Erfüllung des Anlagenzwecks wesentlichen Teil der Anlage genehmigungskonform aufgenommen wird.194 Die Genehmigung erlischt gemäß § 80 Abs 1 GewO aber auch dann, wenn der Betrieb durch mehr als fünf Jahre in einem für die Erfüllung des Anlagenzwecks wesentlichen Teil der Anlage unterbrochen wird. Diesfalls hat der Inhaber gemäß § 80 Abs 1 GewO Vorkehrungen zu treffen, um eine Gefährdung, Belästigung oder Beeinträchtigung im Sinne von § 74 Abs 2 GewO zu vermeiden. Der Betriebsinhaber hat die Unterbrechung und die Vorkehrungen innerhalb eines Monats der Behörde anzuzeigen, wenn die Unterbrechung einen wesentlichen Teil der Anlage betrifft und voraussichtlich länger als ein Jahr dauern wird. Gegebenenfalls hat ihm die Behörde dann die notwendigen Vorkehrungen mit Bescheid aufzutragen. Eine besondere Anzeigepflicht ist in § 80 Abs 2 GewO für Betriebsunterbrechungen infolge von „Elementarereignissen oder sonstigen besonderen Umständen“ vorgesehen. Der Betrieb wird nur dann fristgerecht wieder aufgenommen, wenn er auch weiterhin dem im Genehmigungsbescheid genannten Zweck dient.195 Umgekehrt hat der Abbruch von Betriebsgebäuden nicht notwendigerweise zur Folge, dass die Genehmigung erlischt. Sie kann innerhalb der Fünfjahresfrist für die Ausübung einer gleichartigen Betriebsanlage verwendet werden.196 Von der Unterbrechung des Betriebes gemäß § 80 GewO ist die endgültige Auflassung der Betriebsanlage gemäß § 83 GewO197 zu unterscheiden. Maßgeblich ist dabei, worauf der Wille des Anlageninhabers gerichtet ist.198
Gemäß § 80 Abs 3 und 4 GewO hat die Behörde die Frist zur Inbetriebnahme (eines noch nicht aufgenommenen oder unterbrochenen Betriebes) auf Antrag zu verlängern, wenn es Art und Umfang des Vorhabens erfordern oder die Fertigstellung des Vorhabens auf unvorhergesehene Schwierigkeiten stößt. Der Antrag muss vor Ablauf der Frist gestellt werden. Insgesamt darf die Frist zur Inbetriebnahme der Anlage aber sieben Jahre nicht überschreiten.
VI. Die genehmigte Betriebsanlage A. Vorschreibung, Änderung und Aufhebung von Auflagen Zwar wird auch ein Genehmigungsbescheid einer Betriebsanlage rechtskräftig und damit grundsätzlich unabänderbar. Doch sieht § 79 davon eine wesentliche Einschränkung für den Fall vor, dass nach Genehmigung der Anlage die gemäß § 74 Abs 2 GewO wahrzunehmenden (und die Genehmigungspflicht begründenden199) Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind. Diesfalls hat die zur Genehmigung zuständige Behörde gemäß § 79 GewO die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen Wissenschaften zur Errei193 194
195 196 197 198 199
Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 642, Rz 3. Damit soll verhindert werden, dass eine Genehmigung deshalb angestrebt wird, weil sie später nur unter erschwerten Bedingungen erreicht werden könnte; Kinscher/ Paliege-Barfuß, GewO, § 80, Rz 1. VwGH 21.12.1993, 93/04/0103. VwGH 18.10.1994, 94/04/0087. Dazu unten VI.E. VwGH 28.6.1994, 94/04/0043. Dazu oben III.B.
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chung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen vorzuschreiben. Gemäß § 79 Abs 1 GewO haben die Auflagen gegebenenfalls auch die zur Erreichung dieses Schutzes erforderliche Beseitigung eingetretener Folgen von Auswirkungen der Anlage zu umfassen. Außerdem hat die Behörde nach dieser Vorschrift festzulegen, dass bestimmte Auflagen erst nach Ablauf einer angemessenen, höchstens drei Jahre, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen (zB bei Betriebsübernahmen) höchstens fünf Jahre betragenden Frist eingehalten werden müssen. Voraussetzung dafür ist der Nachweis durch den Inhaber der Betriebsanlage, dass ihm (zB wegen der mit der Übernahme verbundenen Kosten) die Einhaltung dieser Auflagen erst innerhalb der Frist wirtschaftlich zumutbar ist, und gegen die Fristeinräumung keine Bedenken im Hinblick auf die Schutzinteressen des § 74 Abs 2 GewO bestehen. Der Umstand allein, dass die Anlage nicht im Einklang mit der Genehmigung betrieben wird, rechtfertigt nicht die Vorschreibung nachträglicher Auflagen.200
Die Behörde hat solche „nachträglichen Auflagen“ gemäß § 79 Abs 1 GewO jedoch nicht vorschrieben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den angestrebten Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen. Nach der zutreffenden Judikatur des VwGH ist allerdings davon auszugehen, dass Auflagen zum Schutz vor einer Gesundheitsgefährdung „niemals außer Verhältnis zu dem damit angestrebten Erfolg stehen“201. Allerdings dürfen auch in diesem Fall dem Betriebsinhaber keine strengeren Maßnahmen vorgeschrieben werden, als zur Vermeidung der Gesundheitsgefährdung notwendig ist.202
Zum gänzlichen Absehen von der Verhängung nachträglicher Auflagen auf Grund einer Verhältnismäßigkeitsprüfung kann es allerdings bei Beeinträchtigungen anderer Schutzinteressen des § 74 Abs 2 GewO (zB Belästigungen der Nachbarn203) kommen. Unter Verhältnismäßigkeit ist dabei nach der Judikatur des VwGH die Relation zwischen dem mit der Erfüllung der Auflagen verbundenen Aufwand einerseits und dem damit gewonnenen Ausmaß an Schutz der gemäß § 74 Abs 2 GewO wahrzunehmenden Interessen andererseits zu verstehen.204 Eine Einschränkung sieht § 79 Abs 2 GewO in Bezug auf nachträgliche Auflagen zugunsten von Nachbarn (im Sinne von § 75 GewO) vor, die sich erst nach Genehmigung der Anlage angesiedelt haben. Dieser Personenkreis ist etwas weniger schutzbedürftig, weil er bereits bei der Ansiedlung mit entsprechenden Immissionen rechnen musste. Daher sind zugunsten solcher Nachbarn gemäß § 79 Abs 2 GewO nachträgliche Auflagen nur soweit vorzuschreiben, als diese zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit notwendig sind. Ansonsten sind zugunsten später hinzugezogener 200 201 202 203 204
VwGH 28.10.1997, 97/04/0084. ZB VwGH 3.3.1999, 98/04/0164. ZB VwGH 15.9.1999, 97/04/0074. Siehe oben III.B. VwGH 27.1.1999, 98/04/0176.
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Nachbarn nachträgliche Auflagen nur zur Vermeidung einer über die unmittelbare Nachbarschaft hinausreichenden beträchtlichen Belastung durch Luftschadstoffe, Lärm oder gefährliche Abfälle vorschreiben. Außerdem müssen solche Auflagen (vor allem im Hinblick auf den damit verbundenen Aufwand) verhältnismäßig sein. Das Verfahren zur Verhängung nachträglicher Auflagen ist gemäß § 79a Abs 1 GewO (durch die Genehmigungsbehörde) von Amts wegen, auf Antrag des BMLFUW oder auf Antrag eines Nachbarn einzuleiten. Der Nachbar muss gemäß § 79a Abs 3 GewO in seinem Antrag allerdings zum einen glaubhaft machen, dass er vor den Auswirkungen der Anlage nicht hinreichend geschützt ist. Zum anderen hat er im Antrag glaubhaft zu machen, dass er bereits im Zeitpunkt der Genehmigung Nachbar gewesen ist. Später hinzugezogene Nachbarn sind somit generell nicht antragsberechtigt. Die sonstigen Nachbarn haben in diesem Verfahren gemäß § 356 Abs 3 GewO Parteistellung, wenn ihre Parteistellung im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren (zB wegen Erhebung von Einwendungen205) aufrecht geblieben ist. Wurde dieses als vereinfachtes Verfahren gemäß § 359b durchgeführt, dann kommt den Nachbarn auch im Verfahren zur Erteilung nachträglicher Auflagen Parteistellung zu, weil sie nach der Judikatur von VfGH und VwGH eine solche (in beschränktem Umfang) auch im vereinfachten Verfahren haben.206 Nur von Amts wegen hat die Behörde gemäß § 79b GewO Auflagen vorzuschreiben, wenn trotz Vorschreibung eines „Abfallwirtschaftskonzepts“ Abfälle nicht entsprechend verwertet und vermieden werden.
Gemäß § 79c GewO sind die (im Genehmigungsbescheid oder nachträglich) vorgeschriebenen Auflagen auf Antrag des Betriebsinhabers207 aufzuheben oder abzuändern, wenn und soweit die Voraussetzungen für ihre Vorschreibung nicht mehr vorliegen.
Bei dieser Vorschrift handelt es sich nach der zutreffenden Judikatur des VwGH um keine Durchbrechung der Rechtskraft. Vielmehr ist dadurch nachträglichen Änderungen des Sachverhaltes in Form des Wegfalles jener Tatsachen Rechnung zu tragen, die nach dem Inhalt des Genehmigungsbescheides die Voraussetzung für die Vorschreibung der Auflage gebildet haben.208 § 79c GewO kommt daher nicht zum Tragen, wenn die Voraussetzungen für die Vorschreibung von Auflagen schon ursprünglich nicht gegeben waren.209
B. Sanierungskonzept Könnte nach Genehmigung der Anlage der hinreichende Schutz der gemäß § 74 Abs 2 GewO wahrzunehmenden Interessen nur durch solche nachträgliche Auflagen erreicht werden, die eine Veränderung der Betriebsanlage in ihrem Wesen bedeuten würde, dann hat die Genehmigungsbehörde gemäß § 79 Abs 3 GewO dem Inhaber der Anlage mit Bescheid die Erstellung eines Sanierungskonzeptes innerhalb angemessenere Frist aufzutragen. Darin sind Maßnahmen zur Erreichung eines hinreichenden Interessenschutzes und der Begrenzung der 205 206 207 208 209
Siehe oben IV.C. Dazu oben IV.D. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 638, Rz 1. ZB VwGH 8.11.2000, 2000/04/0154. ZB VwGH 2.2.2000, 99/04/0212.
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Emissionen von Luftschadstoffen nach dem Stand der Technik nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (im Hinblick auf den damit verbundenen Aufwand) vorzusehen. Dieses Sanierungskonzept ist, erforderlichenfalls unter Vorschreibung bestimmter Auflagen, mit Bescheid zu genehmigen, wobei eine angemessene Frist für die Durchführung der Sanierungsmaßnahmen vorzusehen ist. Voraussetzung für ein Sanierungskonzept ist es also, dass Auflagen die Anlage „in ihrem Wesen“ ändern würden. Das ist nach der Judikatur des VwGH der Fall, „wenn die Auflage in die Substanz des verliehenen Rechtes - in die Summe der im Rahmen der Gewerbeberechtigung zu verrichtenden Tätigkeiten - eingreift“210. Umstritten ist, ob die Behörde bei der Genehmigung an die im Sanierungskonzept vorgeschlagenen Maßnahmen gebunden ist211 oder auch andere Sanierungsmaßnahmen in den Genehmigungsbescheid aufnehmen kann212. Das Verfahren zur Vorlage eines Sanierungskonzeptes ist von Amts wegen einzuleiten. Gemäß § 356 Abs 3 GewO haben im Verfahren zur Genehmigung der Sanierung ebenfalls jene Nachbarn Parteistellung, deren Parteistellung im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren aufrecht geblieben ist.213 Diese Nachbarn können auch gegen den Genehmigungsbescheid Berufung erheben.214 Bei Vorschreibung der Vorlage eines Sanierungskonzeptes haben Nachbarn hingegen keine Parteistellung.215 Eine besondere Regelung für ein Sanierungskonzept trifft § 79 Abs 4 GewO für Anlagen, die in einem Sanierungsgebiet nach einer Verordnung gemäß § 10 ImmissionsschutzG-Luft betrieben werden.
C. Änderung der Betriebsanlage Eine Genehmigungspflicht für die Änderung von gewerblichen Betriebsanlagen ist in § 81 GewO vorgesehen. Eine solche Genehmigung ist auf Antrag zu erteilen und in ihrem Umfang an diesen gebunden.216 Nicht jede Änderung einer Betriebsanlage bedarf aber bereits einer Genehmigung. Eine Genehmigungspflicht ist gemäß § 81 Abs 1 GewO vielmehr erst dann gegeben, wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs 2 GewO umschriebenen Interessen217 erforderlich ist. Die Genehmigungspflicht besteht bereits im Falle der bloßen Möglichkeit („grundsätzliche Eignung“218) der Beeinträchtigung der Schutzinteressen des Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens.219 Dies kann sich bereits aus „dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut“220 ergeben. Gegenstand des Verfahrens ist dabei grundsätzlich nur die Änderung und nicht die geänderte Betriebsanlage insgesamt. Ist hingegen die Änderung der Anlage dergestalt, 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220
VwGH 21.12.2004, 2003/04/0094. Siehe auch VwGH 15.10.2003, 2000/04/0193. So Berka, Das neue Betriebsanlagenrecht - Materiellrechtliche Bestimmungen, in: Korinek (Hrsg), Gewerberecht, 257 (262). So Stolzlechner, in: Betriebsanlage, Ergänzungsband,138, Rz 292a. Siehe oben VI.A. VwGH 17.4.1998, 96/04/0269. Fischer/Trojer, Gewerbeordnung, 149. ZB VwGH 11.11.1998, 96/04/0126. Siehe oben III.B. VwGH 8.11.2000, 2000/04/0157. ZB VwGH 24.4.1990, 89/04/0194; 15.9.1999, 99/04/0025. VwGH 25.2.2004, 2002/04/0013.
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dass damit auch durch die bestehende Anlage neue oder größere Immissionen ausgelöst werden, dann hat gemäß § 81 Abs 1 GewO die Genehmigung der Änderung insoweit auch die bereits genehmigte Anlage zu umfassen.221 Die Genehmigungsvoraussetzungen für die Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage sind dann keine anderen, als jene, die § 77 GewO für die Errichtung und den Betrieb einer Betriebsanlage normiert.222 Allerdings dient das Verfahren nach § 81 GewO nicht der inhaltlichen Überprüfung einer nach § 77 GewO erteilten Genehmigung.223 Im Rahmen eines Verfahrens nach § 81 GewO kann daher auch die Änderung einer in einem früheren Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflage „mit einem allein auf dieses Ziel gerichteten Antrag“ nicht erreicht werden. Anderes gilt jedoch, wenn gleichzeitig eine Änderung der Anlage „jenen Teil der bereits genehmigten Anlage betrifft, auf den sich die in Rede stehende Auflage bezieht“224.
Eine Genehmigungspflicht ist allerdings in bestimmten Fällen nicht gegeben, die in § 81 Abs 2 GewO aufgezählt sind. Dazu gehört gemäß § 81 Abs 2 Z 5 GewO etwa der Ersatz von Maschinen, Geräten oder Ausstattungen durch gleichartige Maschinen, Geräte oder Ausstattungen.225
Eine Genehmigungspflicht ist gemäß § 81 Abs 2 Z 1 GewO auch bei bescheidmäßig zugelassenen Änderungen auf Grund von § 78 Abs 2 GewO (Abstandnahme von Verpflichtungen aus dem Genehmigungsbescheid226) nicht gegeben. Umgekehrt überschreitet aber eine Berufungsbehörde ihre Entscheidungsbefugnis, wenn sie in Abänderung eines gemäß § 81 Abs 1 GewO ergangenen Genehmigungsbescheides eine Genehmigung gemäß § 78 Abs 2 GewO erteilt.227 Auch eine nach § 79 Abs 3 GewO mit Bescheid genehmigte Sanierung228 bedarf keiner eigenen Genehmigung gemäß § 81 Abs 1 GewO mehr.229
Die Genehmigung der Betriebsanlage ist grundsätzlich im Rahmen eines ordentlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens230 zu erteilen. Gewisse Änderungen können aber auch im vereinfachten Verfahren231 genehmigt werden. Das ist gemäß § 359b Abs 8 GewO etwa232 dann der Fall, wenn die genehmigungspflichtig geänderte Betriebsanlage die Voraussetzungen für die Anwendung eines vereinfachten Verfahrens erfüllt. Der Maßstab der Zumutbarkeit ist im Fall einer Änderung der Anlage für die nach der (vorangegangenen) Genehmigung neu hinzugekommenen Nachbarn nicht höher als bei der erstmaligen Genehmigung der Anlage.233 221 222 223 224 225
226 227 228 229 230 231 232 233
ZB VwGH 27.2.1991, 90/04/0199; 15.9.1999, 99/04/0025. VwGH 22.3.2000, 98/04/0019. ZB VwGH 26.5.1998, 98/04/0028; 27.9.2000, 98/04/0093. VwGH 11.10.1999, 99/04/0121. Diesfalls besteht jedoch gemäß § 81 Abs 3 GewO eine Anzeigepflicht, wobei den Nachbarn im Anzeigeverfahren keine Parteistellung zusteht; VwGH 3.9.1996, 96/04/0042. Siehe oben V.G. ZB VwGH 22.3.2000, 98/04/0186. Siehe oben VI.B. Vgl RV 575 BlgNR 20. GP, S 11. Siehe oben IV.C. Siehe oben IV.D. Siehe weiters § 359b Abs 5 GewO. VwGH 6.4.2005, 2000/04/0067.
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Besondere Regelungen gelten gemäß § 81a GewO für die Änderung einer in der Anlage 3 zur GewO angeführten Anlage (IPPC-Anlagen). Wesentliche Änderungen solcher Anlagen bedürfen einer Genehmigung gemäß § 77a GewO. Änderungen des Betriebs der Anlage, sind der Behörde anzuzeigen. Die Änderung der Anlagen von Unternehmen, die am Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung nach der EMASVO II teilnehmen, bedürfen gemäß § 21 UMG unter bestimmten Voraussetzungen (zB Vorlage einer Erklärung eines zugelassenen Umweltgutachters) keiner Genehmigung nach der GewO. Diesfalls ist die Änderung anzuzeigen und von der Behörde bescheidmäßig zur Kenntnis zu nehmen.
D. Pflichten des Betriebsinhabers Der Inhaber einer Betriebsanlage hat diese gemäß § 82b Abs 1 GewO regelmäßig wiederkehrend zu prüfen, ob sie dem Genehmigungsbescheid und den sonst für die Anlage geltenden gewerberechtlichen Vorschriften entspricht. Die Fristen für die wiederkehrenden Prüfungen betragen grundsätzlich fünf Jahre, für die unter § 359b fallenden (im „vereinfachten Verfahren“ genehmigten) Anlagen sechs Jahre. Zur Durchführung der wiederkehrenden Prüfungen sind vom Inhaber bestimmte in § 82b Abs 2 GewO genannte Stellen (staatliche Einrichtungen, Ziviltechniker oder Gewerbetreibende im Rahmen ihrer Befugnis) heranzuziehen. Solche Prüfungen dürfen aber auch vom Betriebsinhaber selbst, sofern er geeignet und fachkundig ist, und von sonstigen fachkundigen und geeigneten Betriebsangehörigen durchgeführt werden.234 Über jede wiederkehrende Prüfung ist gemäß § 82b Abs 3 GewO eine Prüfbescheinigung auszustellen.
Der Inhaber einer in der Anlage 3 zur GewO angeführten Betriebsanlage („IPPC-Anlage“) hat gemäß § 81b GewO überdies235 innerhalb einer Frist von zehn Jahren zu prüfen, ob sich der seine Betriebsanlage betreffende Stand der Technik wesentlich geändert hat und unverzüglich die erforderlichen wirtschaftlich (kostenmäßig) verhältnismäßigen Anpassungsmaßnahmen zu treffen. Die Behörde hat solche Maßnahmen gegebenenfalls selbst mit Bescheid anzuordnen. Solche Anpassungsmaßnahmen ersetzen allerdings nicht die für Änderungen solcher Anlagen gemäß § 81a GewO236 erforderlichen Genehmigungen oder Anzeigen.237
Besondere zusätzliche238 Pflichten treffen (in Umsetzung der Seveso IIRichtlinie und der Helsinki-Konvention239) gemäß den §§ 84a GewO die Inhaber von gewerblichen Betriebsanlagen, in denen in der Anlage 5 zur GewO genannte gefährliche Stoffe (zB Brom, Chlor, Fluor) in der dort angegebenen Menge vorhanden sind. Sie haben grundsätzlich alle nach dem Stand der Tech234 235
236 237 238 239
Zur „Fachkundigkeit“ und „Eignung“ siehe § 82b Abs 2 GewO letzter Satz. Auf Grund des Schutzzweckes der einschlägigen Bestimmungen der GewO ist kaum anzunehmen, dass Inhaber von IPPC-Anlagen von den Verpflichtungen des § 82b GewO befreit sind. Dazu oben VI.C. AB 212 BlgNR 21. GP, S 6. Siehe § 84a Abs 3 GewO. AB 212 BlgNR 21. GP, S 6.
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nik notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um schwere Unfälle zu verhüten und deren Folgen für Mensch und Umwelt zu begrenzen. Außerdem haben solche Betriebsinhaber spezielle Pflichten (Mitteilungs- und Berichtspflichten, Verpflichtung zur Erstellung von Sicherheitskonzepten, Sicherheitsberichten, Notfallplänen) zu erfüllen, die im Einzelnen in § 84c GewO geregelt sind. Im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ist außerdem gemäß § 84d GewO eine zentrale Meldestelle für schwere Unfälle eingerichtet, der von den Gewerbebehörden die erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen sind. Eine im Bundesministerium für Inneres eingerichtete Bundeswarnzentrale unterrichtet gemäß § 84e GewO andere EU-Mitgliedstaaten oder Helsinki-Vertragsstaaten über schwere Unfälle.
E. Auflassung von Betriebsanlagen Beabsichtigt der Inhaber einer Betriebsanlage, diese aufzulassen, dann hat er gemäß § 83 Abs 1 GewO grundsätzlich bestimmte „notwendige“ Vorkehrungen zu treffen. Diese dienen der Vermeidung von Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteiligen Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs 2 GewO240 durch die aufgelassene oder in Auflassung begriffene Anlage. Anlässlich der Auflassung hat der Anlageninhaber den Beginn der Auflassung und die Vorkehrungen gemäß § 83 Abs 2 GewO der Genehmigungsbehörde anzuzeigen. Reichen die vom Anlageninhaber angezeigten Vorkehrungen nicht aus (oder wurden gar keine Vorkehrungen getroffen), dann hat die Behörde gemäß § 83 Abs 3 GewO die notwendigen Vorkehrungen mit Bescheid aufzutragen. Normadressat der Vorkehrungen ist der „auflassende Inhaber“241 der Anlage. Durch einen Wechsel in der Person des auflassenden Anlageninhabers wird gemäß § 83 Abs 4 GewO die Wirksamkeit des bescheidmäßigen Auftrages nicht berührt. Die Verpflichtungen gehen damit auf den neuen auflassenden Inhaber über („dingliche Wirkung“ des Bescheides)242.
Hat der auflassende Anlageninhaber die angezeigten bzw aufgetragenen Vorkehrungen getroffen, dann hat er dies der Genehmigungsbehörde gemäß § 83 Abs 5 GewO anzuzeigen. Die Behörde hat daraufhin zu prüfen, ob die getroffenen Vorkehrungen den Schutz der im § 74 Abs 2 GewO umschriebenen Interessen gewährleisten. Ist dies nicht der Fall, dann hat die Behörde dem auflassenden Inhaber weitere Vorkehrungen vorzuschreiben.243 Sind die Vorkehrungen hingegen ausreichend, dann hat dies die Behörde gemäß § 83 Abs 6 GewO mit Bescheid festzustellen. Mit Eintritt der Rechtskraft dieses Feststellungsbescheides ist die Auflassung beendet und im Falle der gänzlichen Auflassung die Anlagengenehmigung erloschen.
Solange eine solche Feststellung nicht getroffen wurde, kann die Behörde somit dem jeweiligen Inhaber der Anlage Vorkehrungen auftragen.244
240 241 242
243 244
Siehe oben III.B. Dazu VwGH 21.12.2004, 2000/04/0118. So wohl auch Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 688, Rz 15. Siehe weiters RV 575 BlgNR 20. GP, S 12 und VwGH 3.3.1999, 98/04/0202. Siehe auch - allerdings zur Rechtslage vor der GewO-Novelle 1997 - etwa VwGH 27.9.2000, 99/04/0209. Siehe § 83 Abs 6 GewO erster Satz. RV 575 BlgNR 20. GP, S 12.
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Gemäß § 83 Abs 6 GewO ist ein solcher Feststellungsbescheid außer in begründeten Ausnahmefällen innerhalb von drei Monaten nach Erstattung der Anzeige gemäß § 83 Abs 2 GewO bzw dem Auftrag gemäß § 83 Abs 3 GewO über die vorzunehmenden Vorkehrungen zu erlassen. Damit soll offenbar auch Druck auf den Anlageninhaber ausgeübt werden, die Vorkehrungen möglichst schnell zu treffen. Ein später erlassener Bescheid ist zwar rechtswidrig, aber dennoch rechtswirksam. Da es sich um eine amtswegige Bescheiderlassung handelt, kommt außerdem ein Devolutionsantrag hier nicht in Betracht.245
VII. Rechtsverletzungen A. Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen Besteht der Verdacht, dass eine Betriebsanlage ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder geändert wird, dann hat gemäß § 360 Abs 1 GewO die Bezirksverwaltungsbehörde (unabhängig von der Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens) den Anlageninhaber mit Verfahrensanordnung zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes innerhalb angemessener246 Frist aufzufordern. Eine solche Aufforderung hat grundsätzlich auch dann zu ergehen, wenn der Verdacht der Nichteinhaltung von in Genehmigungsbescheiden enthaltenen Auflagen oder Aufträge besteht.247 Kommt der Anlageninhaber der Aufforderung nicht fristgerecht nach, dann hat die Behörde mit Bescheid die jeweils notwendigen Maßnahmen wie die Stillegung von Maschinen oder die gänzliche oder teilweise Schließung des Betriebes zu verfügen. Solche Bescheide sind gemäß § 360 Abs 5 GewO sofort vollstreckbar. Sie treten allerdings (sofern sie nicht kürzer befristet sind) mit Ablauf eines Jahres ab Vollstreckbarkeit außer Kraft und gelten unabhängig von einem allfälligen Inhaberwechsel („dingliche Wirkung“). Auch sie sind gemäß § 359a GewO vor dem UVS zu bekämpfen.248 Aus der kurzfristigen Realisierbarkeit und dem temporären Charakter ergibt sich die Abgrenzung dieser Maßnahmen von nachträglichen Auflagen gemäß § 79 GewO.249 Liegen die Voraussetzungen für die Erlassung des Bescheides nicht mehr vor und ist zu erwarten, dass die einschlägigen Vorschriften künftig eingehalten werden, dann sind diese Maßnahmen gemäß § 360 Abs 6 GewO auf Antrag zu widerrufen.
Gehen von einer nicht genehmigte Betriebsanlage unzumutbare Belästigungen aus, dann kann die Bezirksverwaltungsbehörde gemäß § 360 Abs 4 GewO auch ohne vorangehende Verfahrensanordnung einen solchen Bescheid erlassen. Ebenso kann die Behörde nach dieser Bestimmung ganz allgemein (also etwa auch bei genehmigten Anlagen250) vorgehen, um Gefahren für Leben und 245 246 247
248 249 250
Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 690, Rz 19. Dazu zB VwGH 13.12.2000, 2000/04/0189. Davon ist gemäß § 360 Abs 1 GewO nur abzusehen, wenn ein Verfahren zur Abstandnahme von den Verpflichtungen des Genehmigungsbescheides gemäß § 78 Abs 2 GewO, auf Abänderung oder Aufhebung von Auflagen gemäß § 79c GewO oder betreffend Abweichungen der Anlage von einer Verordnung gemäß § 82 Abs 2 GewO eingeleitet wurde. ZB VwGH 2.6.2004, 2004/04/0046. VwGH 8.11.2000, 2000/04/0156. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2, 1285, Rz 41.
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Gesundheit von Menschen oder für das Eigentum abzuwehren. Auch kann die Behörde nach dieser Vorschrift Sofortmaßnahmen (zB Betriebsschließung) setzen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass diese zur Gefahrenabwehr erforderlich sind. Sie hat darüber jedoch innerhalb eines Monats einen Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die getroffene Maßnahme als aufgehoben gilt.251
B. Betretungsrecht Zur Sicherstellung auch der Einhaltung der Vorschriften des gewerblichen Betriebsanlagenrechts räumt § 338 GewO den zuständigen Behörden sowie den von ihnen herangezogenen Sachverständigen das Recht ein, Betriebe sowie deren Lagerräume während der Betriebszeiten zu betreten und zu besichtigen und Kontrollen des Lagerbestandes vorzunehmen sowie Proben zu entnehmen. Die Organe haben bei den Amtshandlungen allerdings darauf Bedacht zu nehmen, dass jede nicht unbedingt erforderliche Störung oder Behinderung des Betriebes vermieden wird.252
C. Verwaltungstrafen Die Verletzung der Rechtsvorschriften des gewerblichen Betriebsanlagenrechts ist in den §§ 366 ff GewO mit Verwaltungsstrafen in unterschiedlicher Höhe sanktioniert. So ist das Errichten, Betreiben oder Ändern einer Betriebsanlage ohne erforderliche Genehmigung gemäß § 366 Abs 1 Z 2 und 3 GewO mit Verwaltungstrafe bis zu EUR 3.600,- bedroht. Die Nichteinhaltung von Auflagen oder Aufträgen kann gemäß § 367 Z 25 GewO mit einer Verwaltungsstrafe von bis zu EUR 2.180,- geahndet werden.
VIII. Gewerbliches Betriebsanlagenrecht und Raumordnung Es wurde bereits dargelegt, dass die zur Genehmigung der Betriebsanlagenbehörde zuständige Behörde bei Beurteilung der „Zumutbarkeit“ von Belästigungen die örtlichen raumordnungsrechtlichen Widmungen mitzuberücksichtigen hat.253 Bei Erteilung der Betriebsanlagengenehmigung für Einkaufszentren ist auch zu prüfen, ob der Standort für eine derartige Anlage raumordnungsrechtlich gewidmet ist.254 Im Übrigen ist das Raumordnungsrecht für Betriebsanlagen vor allem deshalb von Bedeutung, weil gewerbliche Betriebsanlagen außer einer Genehmigung nach der GewO auch eine Baubewilligung auf Grund der Bauordnungen der Länder benötigen.255 Eine solche darf nach diesen Bauordnungen grundsätzlich nur dann erteilt werden, wenn der Standort nach den Raumordnungsgesetzen der Länder256 eine in einem Flächenwidmungsplan257
251 252 253 254 255 256
Siehe dazu näher unter Gewerberecht, Kapitel VII.A. Siehe dazu näher unter Gewerberecht, Kapitel VII.B. Siehe oben V.B. Siehe oben V.D. Dazu zB VfSlg 2977/1956. Dazu zB VfSlg 2674/1954.
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für die Errichtung und den Betrieb der Betriebsanlage entsprechende Widmung enthält. Sieht man von den in den Raumordnungsgesetzen für Einkaufszentren vorgesehenen Sonderwidmungen einmal ab258, dann kommen für gewerbliche Betriebsanlagen vor allem die Widmungen „Betriebsgebiete“, „Gewerbegebiete“, „Industriegebiete“ in Betracht. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH hat die Baubehörde bei Beurteilung der Zulässigkeit eines Betriebes im Hinblick auf eine bestimmte Widmung nicht - wie die Gewerbebehörde - auf den konkreten Betrieb, sondern auf den Betriebstypus abzustellen.259 Daher ist auch in Bezug auf Immissionen von einem sich an der für das zu bebauende Grundstück im Flächenwidmungsplan festgesetzten Widmungskategorie orientierenden Durchschnittsmaßstab auszugehen.260 Dabei ist nach Art der in solchen Betrieben üblicherweise und nach dem jeweiligen Stand verwendeten Anlagen und einschließlich der zum Schutze vor Belästigungen typisch getroffenen Maßnahmen, sowie nach Art der dort entsprechend diesen Maßnahmen herkömmlicherweise entfalteten Tätigkeit das Ausmaß und die Intensität der dadurch verursachten Emissionen maßgebend.261
Gerade in Bezug auf die Ansiedlung von Betriebsanlagen sind bei der Festlegung von Widmungen einige Vorgaben in den raumordnungsrechtlichen Vorschriften zu beachten, die nach der Judikatur des VfGH im Lichte des sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden „Sachlichkeitsgebotes“262 auszulegen sind. Daraus ergeben sich nach der Rechtsprechung des VfGH etwa Konsequenzen für die Durchmischung von Flächenwidmungen.263 Demnach ist es etwa unzulässig, in ein „Wohngebiet“ zahlreiche „Inseln“ mit der Widmung „Gewerbegebiet“ einzubetten.264 Durch eine Reihe von Erkenntnissen sicherte der VfGH bestehenden Betrieben Schutz vor heranrückenden Wohnbauten. So könne für einzelne, in einem ansonsten als Wohngebiet gewidmeten Gebiet gelegene, unbebaute „Enklaven“ die Wohngebietswidmung rechtswidrig sein, wenn dadurch zusätzliche Beeinträchtigungen im Wege „heranrückender Wohnbauten“ für bestehende Betriebe provoziert werden.265 Vor allem aber ist in dieser Hinsicht das in den Raumordnungsgesetzen der Länder durchwegs enthaltene Verbot der gegenseitigen Beeinträchtigung von Widmungen von Bedeutung. So ist es nach mehreren Erkenntnissen des VfGH mit diesem Verbot nicht zu vereinbaren, dass in unmittelbarer Nähe von betrieblich genutzten Arealen Grundstücke als „Wohngebiete“ gewidmet werden und dadurch die benachbar-
257
258 259 260 261 262 263 264 265
Zur (nunmehr einheitlichen) Qualifikation von Flächenwidmungsplänen als Verordnung in der Judikatur von VfGH und VwGH siehe zB Potacs, Rechtliche Probleme der Plankontrolle in Österreich, in: Ress (Gesamtredaktion), Entwicklungstendenzen im Verwaltungsverfahrensrecht und in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1990, 209 ff. Dazu zB VSlg 11626/1988. Siehe dazu etwa Berka (FN 143), 40. ZB VwGH 13.4.1989, 87/06/0003, 0004. ZB VwGH 21.5.1992, 91/06/0143; 22.11.2005, 2003/05/0156. ZB VfSlg 13782/1994. Dazu eingehend Jann/Oberndorfer, Die Normenkontrolle des Verfassungsgerichtshofes im Bereich der Raumplanung,1995, 90 ff. ZB VfSlg 13180/1992. ZB VfSlg 15037/1997.
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ten Betriebe mit der Vorschreibung von (nachträglichen) Auflagen nach § 79 GewO zur Vermeidung von Immissionen zu rechnen haben.266 Aber auch einmal festgelegte Widmungen gewährleisten (freilich in unterschiedlichem Ausmaß) einen Schutz vor von Betriebsanlagen verursachten Immissionen, auf dessen Einhaltung die Anrainer ein subjektives Recht haben.267 Zu betonen ist allerdings, dass nach der (nicht unbedenklichen268) Rechtsprechung des VfGH der durch eine Widmung gewährleistete Immissionsschutz nicht nur vor emittierenden Anlagen bewahrt. Vielmehr würden es solche Widmungen (zB „Wohngebiet“) auch untersagen, dort Bauwerke neu zu errichten, die bereits bestehenden Emissionen ausgesetzt wären. Der Inhaber einer benachbarten Betriebsanlage hat demnach auch ein subjektives Recht auf die Nichterrichtung einer Wohnhausanlage in einem benachbarten „Wohngebiet“, weil er im Falle der Errichtung einer solchen Wohnhausanlage mit (nachträglichen) Auflagen gemäß § 79 GewO zu rechnen hat. Somit besteht nicht nur ein Schutz von Anrainern vor dem Verursacher von Emissionen, auch der Verursacher selbst wird vor zu erwartenden Belastungen durch Wohnsiedlungen geschützt. Dies gilt nach Auffassung des VfGH auch dann, wenn der übliche Wortsinn der einschlägigen Rechtsvorschriften einem solchen Ergebnis entgegensteht, weil danach auf Schutz vor durch die Anlage verursachten Emissionen abzustellen ist. Denn die betreffenden Rechtsvorschriften brächten einen „allgemeinen Grundsatz“ zum Ausdruck, der insbesondere die Qualität der Wohnverhältnisse sicherstellen wolle. Eine „strikt am Wortlaut haftende Auslegung“ würde diesen Gesetzeszweck verfehlen.269 Auch mit dieser Judikatur sichert der VfGH bestehenden Betriebsanlagen ein subjektives Recht gegen „heranrückende Wohnbauten“. Der VwGH ist dem VfGH bei der zuletzt erwähnten Rechtsprechung allerdings nicht gefolgt. Ein Betriebsinhaber ist demnach zur Erhebung von Einwendungen gegen „heranrückende Wohnbauten“ nur dann berechtigt, wenn dies gesetzlich klar vorgesehen ist.270 266 267
268
269 270
VfSlg 10703/1985; 12231/1989; 12582/1990. ZB Potacs, Betriebsansiedlung und Raumordnung, in: Rebhahn (Hrsg), Kärntner Raumordnungs- und Grundverkehrsrecht,1996, 49 (63 ff). Zur Einräumung von subjektiven Rechten (und einer damit verbundenen Parteistellung) auf Einhaltung des sich aus einer Flächenwidmung ergebenden Immissionsschutzes ist der Gesetzgeber nach Auffassung des VfGH auf Grund des Gleichheitssatzes verfassungsrechtlich verpflichtet; VfSlg 15417/1999. Vgl auch VfSlg 15581/1999. Kritisch Wolfgang Hauer, Kann sich der Inhaber eines immissionsträchtigen Betriebs im Baubewilligungsverfahren gegen eine heranrückende Wohnbevölkerung wehren?, ÖJZ 1995, 361 (366 f, 374 f); Andreas Hauer, Rechtsfragen der „heranrückenden Wohnbauten“, RdU 1995, 116 (119 ff). AA Moritz, Entscheidungsbesprechung, ÖZW 1991, 122 (124 ff); Schmelz, Entscheidungsanmerkung, ecolex 1994, 63. VfSlg 12468/1990. Siehe weiters VfSlg 13210/1992; 15188/1998; 15475/ 1999; VfSlg 15691/1999; VfGH 28.9.1999, B 1821/97; VfSlg 17143/2004. Siehe zB VwGH 28.6.2005, 2003/05/0017, und demgegenüber VwGH 7.9.1993, 93/05/0073; 15.12.1998, 97/05/0215; 27.4.1999, 99/05/0058. Siehe dazu auch Schwarzer, Abwehr- und Ersatzansprüche des Betriebsinhabers bei heranrückenden Wohnbauten, ÖZW 1999, 13 (14 ff).
Verena Madner
Umweltverträglichkeitsprüfung Rechtsgrundlagen ...........................................................................................838 Grundlegende Literatur...................................................................................838 I. Grundlagen ................................................................................................839 A. Allgemeines............................................................................................839 1. Ziele und Regelungsanliegen des UVP-Gesetzes..............................839 2. Einführung der UVP in Österreich....................................................840 3. UVP-G-Novellen...............................................................................841 4. Praxis der UVP in Österreich ............................................................842 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................843 1. Innerstaatliche Regelungszuständigkeit ............................................843 2. Rechtsetzungskompetenz der Gemeinschaft .....................................845 C. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen..................846 1. Völkerrechtliche Grundlagen ............................................................846 2. Die wesentlichen Regelungsanliegen der UVP-Richtlinie................846 3. UVP-Änderungsrichtlinien................................................................847 4. EuGH-Rechtsprechung......................................................................848 5. Zur Umsetzung der UVP-RL im Überblick ......................................851 II. Die UVP im konzentrierten Genehmigungsverfahren .........................854 A. UVP-Pflicht: Wirkung und Voraussetzungen ........................................854 1. Genehmigungspflicht, Konzentration und Sperrwirkung..................854 2. UVP-pflichtige Vorhaben .................................................................856 3. Feststellungsbescheid über die UVP-Pflicht .....................................863 B. Genehmigungsverfahren einschließlich UVP ieS ..................................865 1. Anzuwendende Rechtsvorschriften...................................................865 2. Vorverfahren .....................................................................................866 3. Genehmigungsantrag und Umweltverträglichkeitserklärung............866 4. Öffentliche Auflage und Kundmachung des Vorhabens...................868 5. Umweltverträglichkeitsgutachten bzw zusammenfassende Bewertung der Umweltauswirkungen ..............................................869 6. Mündliche Verhandlung....................................................................871 7. Verfahrensgliederung ........................................................................872 8. Behördenzuständigkeit ......................................................................874 C. Genehmigungsvoraussetzungen ............................................................876 1. Genehmigungsvoraussetzungen der „betroffenen Verwaltungsvorschriften“.................................................................876 2. UVP-G - spezifische Genehmigungsvoraussetzungen......................877 3. Erteilung der Genehmigung - Nebenbestimmungen .........................878 D. Parteistellung, Öffentlichkeitsbeteiligung .............................................879 1. Kreis der Parteien ..............................................................................879
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Madner
2. Erwerb und Verlust der Parteistellung.............................................. 880 3. Parteirechte ....................................................................................... 881 E. Abnahmeprüfung und Nachkontrolle .................................................... 883 III. Sonderregelungen .................................................................................. 884 A. UVP für Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken ............................ 884 1. Das Modell der Verkehrs-UVP......................................................... 884 2. UVP-pflichtige Vorhaben ................................................................. 885 3. Feststellung der UVP-Pflicht ............................................................ 885 4. UVP-Verfahren................................................................................. 885 5. UVP-spezifische Entscheidungskriterien.......................................... 886 6. Parteistellung und Verordnungsanfechtungsbefugnis....................... 888 7. Behördenzuständigkeit...................................................................... 889 B. Besondere Bestimmungen für wasserwirtschaftlich bedeutsame Vorhaben........................................................................... 889 C. UVP und Bodenreform.......................................................................... 890 Rechtsgrundlagen: RL 85/337/EWG (Abl C 210/78) idF RL 2005/35/EG (Abl L 156/17) - UVP-RL; Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen - Espoo-Konvention (BGBl III 1997/201) Bundesgesetz über den Umweltsenat - USG 2000 (BGBl BGBl I 2000/114 idF BGBl I 2005/14); ); UVP-G 1993 (BGBl 1993/697 idF BGBl 1996/773); UVP-G 2000 (BGBl I 2000/89 idF BGBl I 2006/149; Bundesgesetz über Eisenbahn-Hochleistungsstrecken HochleistungsstreckenG - HLG (BGBl 1989/135 idF BGBl I 2004/154); BundesstraßenG 1971 - BStG (BGBl 1971/286 idF BGBl I 2006/58); Flurverfassungs-GrundsatzG 1951 (BGBl 1995/103 idF BGBl I 2005/87); GrundsatzG 1951 über die Behandlung der Wald- und Weidenutzungsrechte sowie besonderer Felddienstbarkeiten (BGBl 1951/103 idF BGBl I 2006/14).
Grundlegende Literatur: Altenburger/Wojnar, UVP-G (2005); Baumgartner/Eberhartinger/Merl/Petek, Das neue UVP-G 2000, RdU 2000, 123; Baumgartner/Niederhuber, Die Judikatur des Umweltsenates, 2000-2004, RdU 2005, 17-34; Bergthaler/Weber/Wimmer (Hrsg), Die Umweltverträglichkeitsprüfung, 1998; Eberhartinger-Tafill/Merl, UVP-G (2005); Ennöckl/ N.Raschauer, Kommentar zum UVP-G, 2006; Feik, Die Umweltverträglichkeitsprüfung im Eisenbahnrecht, ZVR 1998, 362; Hecht, Die Rechtsstellung der Nachbarn öffentlicher Straßen, 1995; Jahnel, Umweltverträglichkeitsprüfung in: Bachmann et al (Hrsg) Besonderes Verwaltungsrecht (2004) 267; Köhler/Schwarzer, Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, 1997; Madner, Die Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen, 1995; ; Raschauer, UVP-G, Kommentar (1995); N. Raschauer, Umweltverträglichkeitsprüfung, in: N.Raschauer/Wessely (Hrsg), Handbuch Umweltrecht (2006) 294ff; Ritter, Umweltverträglichkeitsprüfung, 1995.
Umweltverträglichkeitsprüfung
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I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Ziele und Regelungsanliegen des UVP-Gesetzes Aufgabe der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach dem UVP-G ist es, die Auswirkungen umweltrelevanter Vorhaben - unter Beteiligung des Projektträgers und der Öffentlichkeit - auf fachlicher Grundlage festzustellen, zu beschreiben und zu bewerten1. Mit der UVP sollen2 die Anforderungen des Umweltschutzes möglichst frühzeitig in die Vorhabensprojektierung Eingang finden; eine integrative Prüfung soll die Verengung des Blickwinkels auf bestimmte Umweltmedien oder Schutzgüter verhindern und insbesondere auch Wechselwirkungen zwischen Umweltbelangen Rechnung tragen; durch die Einbindung der Öffentlichkeit soll die UVP nicht zuletzt „Grundlage für einen rationalen Diskurs über Umweltauswirkungen von Projekten“3 sein und Konflikte um die Vorhabensrealisierung entschärfen. Die Ergebnisse der UVP, zu deren zentralen Elementen die Umweltverträglichkeitserklärung des Projektwerbers und die Begutachtung in einem Umweltverträglichkeitsgutachten bzw einer „zusammenfassenden Bewertung“ zählen, sind bei der Genehmigung des Vorhabens zu berücksichtigen4. UVP-pflichtige Vorhaben werden im Rahmen eines, Bundes- und Landesrecht umfassenden, konzentrierten Genehmigungsverfahrens unter Anwendung zusätzlicher, UVP-spezifischer Genehmigungskriterien und unter verstärkter Einbindung der Öffentlichkeit zugelassen5. Die Schaffung einer Verfahrens- und Entscheidungskonzentration wurde vom Gesetzgeber als Voraussetzung für eine „sachgerechte“ UVP erachtet6 und soll zugleich dem Anliegen der Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragen7. Die UVP-pflichtigen Vorhabenstypen (Anlagen, sonstige Umwelteingriffe) sind in einem Anhang zum UVP-G aufgelistet. Der Katalog, der wesentlich durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben geprägt ist, enthält derzeit 88 Vorhabenstypen aus den Bereichen Abfallwirtschaft, Energiewirtschaft, Infrastruktur, Bergbau, Wasserwirtschaft und Industrie. Im Einzelnen ist die UVP-Pflicht zT an Schwellenwerte, Kriterien und Standortbedingungen geknüpft, verschie-
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Vgl § 1 Abs 1 UVP-G. Zu den Zielen der UVP vgl ausführlich den AB 1179 BlgNR 18.GP, 1f („transparente und optimale Enscheidungen“) sowie die Literatur zur Einführung der UVP in Österreich (unten FN 10) Köhler/Schwarzer, Einführung Rz 16. § 17 Abs 4 UVP-G. § 3 Abs 3 iVm § 17 u 19 UVP-G. Vgl dazu unten II. B. AB 1179 BlgNR 18.GP, 2. Zur „Parzellierung“ des Umweltrechts als Hindernis für die umfassende Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP vgl Schwarzer, Die Berücksichtigung der Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung durch das Betriebsanlagenrecht, ZfV 1992; Raschauer, Einl 9 mit Hinweis auf die unterschiedliche „Berücksichtigungsfähigkeit“ der Materiengesetze. Vgl dazu im Zusammenhang mit der unmittelbaren Anwendung der UVP-RL unten I. C,. 4. Diesen Aspekt hebt insb Raschauer, Einl 4 hervor.
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dentlich ist eine Einzelfallprüfung zur Abklärung der UVP-Pflicht erforderlich8. Für UVP-pflichtige Bundesstraßen- und Eisenbahn-Hochleistungsstreckenvorhaben bestehen Sonderregelungen; die UVP erfolgt hier in einem teilweise konzentrierten Verfahren9.
2. Einführung der UVP in Österreich Der Verabschiedung des UVP-G im Jahr 1993 war eine mehr als ein Jahrzehnt dauernde Diskussion über die Ausgestaltung und Einführung der UVP in Österreich vorangegangen10: Die - vor allem durch die bundesstaatliche Kompetenzverteilung bedingte - Zersplitterung des Umweltrechts, die in einer Vielzahl von fachbehördlichen Genehmigungsverfahren mit unterschiedlichen Standards resultierte, wurde allgemein als unbefriedigend und dem Anliegen einer UVP abträglich empfunden. Die Problemanalyse hatte jedoch im Einzelnen unterschiedliche Schwerpunkte. Die Forderung nach Vereinfachung und Vereinheitlichung der Genehmigungsverfahren im Interesse der Verfahrensbeschleunigung, die seitens der Wirtschaft im Vordergrund stand, traf auf das Anliegen einer möglichst umfassenden, medienübergreifenden Prüfung von Vorhaben. Hinzu kam, im Gefolge der Ereignisse um die geplante Errichtung des Donaukraftwerks Hainburg, die Forderung nach mehr Transparenz und Partizipation im Anlagengenehmigungsverfahren. Einen wesentlichen Anstoß für die Realisierung der UVP in Österreich haben letztlich die Bemühungen Österreichs um eine Teilnahme an der Europäischen Integration gegeben, hatte sich Österreich doch im Rahmen des EWRAbkommens (EWR-A)11 zur Umsetzung der UVP-Richtlinie verpflichtet12. Im Oktober 1993 wurde schließlich - nach umfassender Überarbeitung der Regierungsvorlage aus 199113 durch den Umweltausschuß14 - das Gesetz über die
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§ 3 bzw 3a iVm Anh 1 UVP-G. § 23a-24h UVP-G (3. Abschnitt des UVP-G) Vgl dazu Pauger, Die Umweltverträglichkeitsprüfung im Spannungsfeld von Politik, Recht und Technik, ÖZW 1993; derselbe, Die Umweltverträglichkeitsprüfung und ihre Einbindung in das bestehende Rechtssystem, ÖJZ 1984, 505; Rakos/Braun/ Nentwich, Technikbewertung und Umweltverträglichkeitsprüfung, 1988, 2; Schäfer/ Onz, Umweltverträglichkeitsprüfung, 1988; Christian/Raschauer/Strauss, UVP Umweltverträglichkeitsprüfung für Österreich, 1987; Mayer, Bemerkungen zum Entwurf eines Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes, ÖJZ 1990, 385; Davy, The Austrian Environmental Impact Assesment Act, Environmental Impact Assesment Review 1995, 361; Meyer, Umweltverträglichkeitsprüfung und Bürgerbeteiligung, ÖJbPol '93, 1994, 469. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-A), BGBl 1993/909. Mit der schrittweisen Inkraftsetzung des UVP-G (§ 46) kam Österreich der Verpflichtung zur Umsetzung zum 1.1.1994 nur mit Verzögerung nach. Vgl dazu unten I. C. 4. RV 269 BlgNR 18. GP. Vgl dazu Raschauer, Umweltverträglichkeitsprüfung und Genehmigungsverfahren, ZfV 1992, 100; Schwarzer (FN 6). AB 1179 BlgNR 18.GP.
Umweltverträglichkeitsprüfung
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Umweltverträglichkeitsprüfung und die Bürgerbeteiligung15 - UVP-G verabschiedet.
3. UVP-G-Novellen Nach einer punktuellen Novellierung des Gesetzes, insb in Bezug auf die Regelungen über die UVP für Bundesstraßen- und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken16, wurde das UVP-G mit der UVP-G-Novelle 2000 grundlegend novelliert17. Ausschlaggebend für diese Reform waren die Umsetzung der UVPÄndRL 97/11/EG und das im Regierungsprogramm verankerte Ziel einer „Abschlankung“ des UVP-Verfahrens18, das im Wesentlichen die mangelnde Akzeptanz des UVP-Verfahrens in der Wirtschaft widerspiegelt19, 20. Die wesentlichen Schwerpunkte der Novelle sind21: • die durch die UVP-ÄndRL motivierte Ausweitung des Kreises der UVP-pfichtigen Anlagen; • die Einführung eines vereinfachten UVP-Verfahrens für die Mehrzahl der Anlagenvorhaben mit reduzierten Anforderungen an die UVP (Entfall des Umweltverträglickeitsgutachtens) und einer bloßen Beteiligtenstellung für Bürgerinitiativen; • eine „Flexibilisierung“ des UVP-Ablaufs und eine erhebliche Kürzung der behördlichen Entscheidungsfristen. • der Entfall der Regelungen über das Bürgerbeteiligungsverfahren, das im Hinblick auf den erweiterten Anwendungsbereich des UVP-Verfahrens als entbehrlich angesehen wurde.
Mit der UVP-G-Novelle 200422 wurde die UVP-Änderungs-RL 2003 betreffend Regelungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne der AarhusKonvention umgesetzt. Hervorzuheben sind die Einräumung der Parteistellung an anerkannte Umweltorganisationen23 und die grundlegende Neugestaltung der UVP für Bundesstrassen und Hochleistungsstrecken im Rahmen eines teilkonzentrierten Genehmigungsverfahrens24. 15
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Neben dem relativ eng begrenzten Kreis der UVP-pflichtigen Vorhaben wurde ursprünglich für einen weiteren Kreis von Anlagen für die keine UVP vorgesehen war, ein spezielles Bürgerbeteiligungsverfahren eingeführt (5. Abschnitt [§§ 30-38] iVm Anh 2 UVP-G 1993). Näher dazu Hauer, in: Bergthaler/Weber/Wimmer (Hrsg), Kap XIV. BGBl 1996/773. BGBl I 2000/89 (UVP-G 2000). „Österreich neu Regieren“. Vgl dem entsprechend die positive Stellungnahme der WKÖ, Furherr/Schwarzer, Umweltschutz der Wirtschaft 2000, 24 bzw dem gegenüber den Minderheitsbericht und die abweichende Stellung der Oppostion zum Gesetzesantrag (IA 168/A 21. GP). Der UVP-G-Novelle 2000 waren mehrjährige Diskussionen um eine Vereinheitlichung des Anlagenrechts vorangegangen. Nach dem Scheitern dieser Verhandlungen wurde im Frühjahr 2000 eine umfassende Reform des Anlagenrechts zugunsten einer raschen, wenngleich bereits verspäteten, Umsetzung von EU-Recht zurückgestellt. Neben der UVP-ÄndRL wurden auch die sog Seveso-RL sowie die IPPC-RL durch Novellen zum AWG und zur GewO verspätet umgesetzt. Vgl dazu im Einzelnen: Baumgartner ua, 123. BGBl I 2004/153. Dazu unten II.D. Dazu unten III.
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Aus Anlass einer UVP-G-Novelle 200525 wurden im Gefolge der „SpielbergEntscheidung“ des Umweltsenats einige UVP-Tatbestände (ua für Sportstätten) begrenzt26.
4. Praxis der UVP in Österreich Wie eine im Auftrag des BMUJF durchgeführte erste Evaluationsstudie27zeigt, blieb die Zahl der bis zum Jahr 2000 durchgeführten UVP-Verfahren eher gering28. Die zweite Studie „Evaluation der Umweltverträglichkeitsprüfung in Österreich“29 zeigt, dass die Anzahl der Verfahren seither ständig zunimmt: Mittlerweile wurden seit Inkrafttreten des UVP-G 1993 bis November 2005 insgesamt 136 Genehmigungsverfahren und seit 2002 bis März 2006 insgesamt 290 UVP-Feststellungsverfahren eingeleitet. Was die Vorhabenstypen angelangt, so sind die genehmigten Anlagenvorhaben, ebenso wie die Vorhaben in Feststellungsverfahren vor allem den Bereichen Infrastrukturprojekte (insbesondere Straße und Schiene, Einkaufszentren), Energiewirtschaft und Abfallwirtschaft zuzuordnen. Die durchschnittliche Verfahrensdauer der UVPGenehmigungsverfahren beträgt für Anlagenvorhaben in erster Instanz 13 Monate, im vereinfachten Verfahren (betrifft etwa die Hälfte der Anlagenvorhaben) acht Monate ab Antragstellung. Bei der Verfahrensabwicklung zeigt die Auswertung der Genehmigungsverfahren, dass sich UVP-Koordinatoren im Verfahrensmanagement etabliert haben. Als einer der wichtigsten Schritte bei der Durchführung der UVP gilt das informelle Vorverfahren. Die frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit und der Einsatz fakultativer Instrumente der Öffentlichkeitsbeteiligung haben sich bewährt und gelten als „good practice“. In einer Gesamteinschätzung des Instruments UVP bejahen die befragten Gruppen (Behörden, Bürgerinitiativen, Projektwerber, Umweltanwälte) fast einhellig die Wirksamkeit der UVP für die Umweltvorsorge und für ein höheres Umweltschutzniveau. Mehrheitlich wird der Einfluss der UVP auf die Akzeptanz von Vorhaben in der Öffentlichkeit positiv angesehen und der UVP konfliktvermeidende Wirkung zugerechnet. Die gemäß § 43 UVP-G 2000 am Umweltbundesamt eingerichtete UVP-Dokumentation enthält insbesondere die Feststellungsentscheidungen, die UVE des Projektwerbers/der Projektwerberin, die wichtigsten Ergebnisse des Umweltverträglichkeitsgutachtens, die wesentlichen Gründe der Entscheidungen und die Ergebnisse der Nachkontrolle. Als wesentlicher Bestandteil der UVP-Dokumentation wurde eine online UVP-Datenbank eingerichtet30.
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BGBl I 2005/14. Dazu unten II. A.2. Sommer/Bergthaler, Evaluation der Verfahren nach dem UVP-Gesetz, Schriftenreihe des BMLFUW 11, 2000. Die Studie liefert eine umfassende Erhebung der bis zum Jahr 2000 durchgeführten UVP-Verfahren sowie eine Bewertung der UVPPraxis in Österreich. Vgl auch den Bericht des BMUJF an den Nationalrat über die Vollziehung des UVP-G gem § 44 UVP-G (III-171 BlgNR 20. GP). Zur „Flucht aus der UVP“ vgl den Allgemeinen Teil der Begründungen zum IA 168/A 21. GP. Bergthaler/Niederhuber et al, in UBA (Hrsg): Evaluation der Umweltverträglichkeitsprüfung in Österreich, UBA Reports, REP 0036 (2006). www.umweltbundesamt.at
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B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Innerstaatliche Regelungszuständigkeit Wenige Wochen vor Inkrafttreten des UVP-G wurden mit der B-VG-Nov 199331 mehrere, die UVP betreffende Kompetenztatbestände eingeführt, die nach der Absicht des Verfassungsgesetzgebers „die verfassungsrechtliche Grundlage für die Erlassung des UVP-G“ schaffen und eine Umsetzung der UVP-RL ermöglichen sollten32. Dieser Entstehungszusammenhang legt es nahe, bei der Kompetenzinterpretation sowohl das UVP-G als auch die UVPRL mit zu berücksichtigen33. Die Angelegenheit „Umweltverträglichkeitsprüfung“ ist gem Art 11 Abs 1 Z 7 erster Halbsatz B-VG Bundessache in der Gesetzgebung, Landessache in der Vollziehung. Erfasst werden nur solche „Vorhaben, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist“. Der Gesetzgeber kann auf der Basis des UVP-Kompetenztatbestands den Kreis der UVP-pflichtigen Vorhaben über die UVP-RL bzw über das UVP-G 1993 hinaus erweitern, soferne die Schwelle der „erheblichen“ Umweltauswirkungen nicht überschritten wird34. Die kompetenzrechtliche Grundlage für die im UVP-G verwirklichte Verfahrens- und Entscheidungskonzentration wurde mit Art 11 Abs 1 Z 7 zweiter Halbsatz B-VG („... Genehmigung solcher Vorhaben“) geschaffen35. Diese Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist an einen Bedarf nach Vereinheitlichung der Rechtslage geknüpft, räumt dem Bund im Ergebnis jedoch weit reichende Gesetzgebungsbefugnisse - auch zu Lasten der Länder - ein36: Der Bund kann auf der Grundlage von Art 11 Abs 1 Z 7 zweiter Halbsatz B-VG Genehmigungskriterien für UVP-pflichtige Vorhaben erlassen, er kann sein Bedürfnis nach einheitlichen Genehmigungsvorschriften aber auch durch die gesetzliche Anordnung der Mitanwendung von Landesrecht zum Ausdruck bringen37. Nicht nur die Genehmigung der Errichtung und des Betriebs sondern 31 32 33
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BGBl 1993/508. AB 1142 BlgNR 18. GP, 1, 3 f. Mit näherer Begründung dazu bereits Madner, 73 ff. Im Ergebnis ebenso Raschauer, Einl 7; Hecht, 18; Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer Kap II Rz 46. Vgl bereits Madner, 76 u 83. Die Mitberücksichtigung des Entwurfs des UVP-G 1993 bei der Kompetenzinterpretation bedeutet keine „Versteinerung“ der einfachgesetzlichen Rechtslage und beschränkt die Reichweite des Kompetenztatbestands nicht auf die in Anh 1 zum UVP-G 1993 erfassten Vorhaben, wie überhaupt eine „intrasystematische Fortentwicklung“ des Kompetenztatbestands zulässig ist. AM offenbar (unter insoweit unzutreffender Berufung auf Madner) Müller, Die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Bodenreform, RdU 2000, 14 (16). AB 1142 BlgNR 18. GP, 3. Vgl dazu ausführlich Madner, 86 ff; weiters Köhler/Schwarzer, Art 11 Abs 1 Z 7 BVG, Rz 7 ff; einschränkend Raschauer, Einl 7, § 17 Rz 8, § 19 Rz 4; ebenso, mit Kritik aus föderalistischer Sicht, Bußjäger, Die Kompetenzen des Bundes zur Regelung der „Umweltverträglichkeitsprüfung“ und „Bürgerbeteiligung“, JBl 1995, 690. Sowohl § 17 Abs 1 UVP-G (Mitanwendung bundes- u landesrechtlicher Genehmigungskriterien) als auch § 17 Abs 2 u 4 UVP-G (UVP-G - spezifische Genehmigungskriterien) sind demnach durch die Bedarfskompetenz in Art 11 Abs 1 Z 7 UVP-G gedeckt. Entgegen der Ansicht von Bußjäger, Die Kompetenzen des Bundes
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insbesondere auch die Regelung der Kontrolle genehmigter Vorhaben ist erfasst38. In die Genehmigungskonzentration nach dem UVP-G sind auch Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde einbezogen39. Die mit dem AgrarrechtsänderungsG 2000 eingeführte UVP für Vorhaben der Bodenreform wurde auf den Grundsatz-Kompetenztatbestand „Bodenreform“ (Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG) gestützt. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob es nicht mit der Einführung des Art 11 Abs 1 Z 7 B-VG zu einer Kompetenzkonzentration in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung gekommen ist, die eine spezielle Kompetenzgrundlage für die Grundsatzgesetzgebung erfordert hätte40.
Für die UVP bei Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken, die früher im Trassenverordnungsverfahren erfolgte wurden spezielle Kompetenztatbestände geschaffen: Die Regelung der UVP für Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken, „bei denen mit erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist“ ist gem Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung. Die kompetenzrechtliche Grundlage für die UVP von Landesstraßen41 ist demgegenüber in Art 11 Abs 1 Z 7 B-VG gelegen42. Dass der „TrassenUVP-Tatbestand“ in Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG erforderlich war, um dem Bund
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zur Regelung der „Umweltverträglichkeitsprüfung“ und „Bürgerbeteiligung“, JBl 1995, 690 (695f); derselbe, Verfassungsrechtliche Fragen der Anwendung des Naturschutzrechtes der Länder auf Verkehrsprojekte, RdU 2000, 83 (91), ist dem Bund auf Grund von Art 11 Abs 1 Z 2.Halbsatz B-VG die „Festlegung materieller Genehmigungsvoraussetzungen“ nicht verwehrt. Denn einmal ist bereits in der Anordnung der Genehmigungskonzentration eine, das Landesrecht abändernde materiellrechtliche Regelung zu erblicken (vgl dazu Madner, 86). Der Gesetzgeber ist darüber hinaus durch Art 11 Abs 1 Z 7 2. Halbsatz B-VG auch nicht auf die bloße Anordnung der Mitanwendung von Landesrecht beschränkt (vgl ausführlich Madner 86ff; so neben Bußjäger auch Raschauer, Einl 7 ohne Hinweis darauf, in welchem Kompetenztatbestand, die zur Umsetzung der UVP-Ergebnisse erforderlichen „Anreicherungs- bzw Abrundungstatbestände“ [Raschauer, § 17 Anm 17] Deckung finden): Darauf weisen nicht nur die (unglücklich formulierten) Äußerungen zu Art 11 Abs 1 Z 7 2. Halbsatz B-VG im AB zur B-VGNov 1993 (1142 BlgNR 18.GP, 3f) hin. Die Schaffung von zusätzlichen Genehmigungskriterien, die eine umfassende Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP ermöglichen, wurde für eine vollständige Umsetzung der UVP-Richtlinie in Österreich als wesentlich und gemeinschaftsrechtlich geboten erachtet (vgl nur Raschauer, Einl 9 bzw § 17 Anm 17, Schwarzer [FN 6]). Vor diesem Hintergrund und angesichts der Materialien und des Wortlauts der Bestimmung wird entgegen der Ansicht Bußjägers , 696 „der offenkundige Sinn der Formulierung“ keineswegs überschritten, wenn man in Art 11 Abs 1 Z 7 B-VG auch eine Bedarfskompetenz zur Regelung von Genehmigungskriterien erblickt. Grenzen sind der durchaus weit reichenden Kompetenz des Bundes mit dem Bedarfserfordernis und durch die Verknüpfung mit der UVP-Pflicht gesetzt. Vgl auch Mayer, B-VG2, Art 11 I.7. Der Verfassungsgesetzgeber erachtete eine ausdrückliche verfassungsgesetzliche Ausnahme von Art 118 Abs 2 B-VG bedenklicherweise nicht für erforderlich. AB 1142 BlgNR 18. GP, 4 mit dem Hinweis es handle sich typischerweise um eine Angelegenheit, bei welcher der örtliche Wirkungsbereich der Gemeinde überschritten wird. Erhebliche Bedenken Zeleny, Erstzitat 126 f Anm 82; Raschauer, § 3 Rz 3, vgl demgegenüber, wenngleich kritisch, Köhler/Schwarzer, 26 f; Bußjäger (FN 37), 696. In diesem Sinn US 14. 6. 2000, 9/2000/6-13, Baumbachalm. Zu entsprechenden Überlegungen im Vorfeld der Neuregelung Müller (FN 34), 16. Anh 1 Z 9 UVP-G. Vgl Hecht, 19
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neue, über die bisherige Kompetenz im Verkehrswesen hinausreichende Zuständigkeiten zur Ermittlung von Umweltauswirkungen einzuräumen, kann bezweifelt werden43. Die Kompetenzgrundlage in Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG bewirkt, dass die Zuständigkeit zur Vollziehung der UVP insoweit in mittelbarer Bundesverwaltung erfolgt. Art 11 Abs 6 B-VG ermächtigt den Bund, die Genehmigung von Verkehrsvorhaben („Genehmigung der in Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG genannten Vorhaben“), bei Vorliegen eines, nicht an objektive Voraussetzungen gebundenen Bedarfs durch Bundesgesetz einheitlich zu regeln. Die Vollziehung dieser Genehmigungsvorschriften soll gem Art 11 Abs 4 BVG erfolgen. Die Zuständigkeit zum Vollzug der Bedarfsregelungen wird damit je nach dem „Gegenstand des Verfahrens“ sowohl dem Bund als auch den Ländern zugewiesen. Mit dieser Regelung der Vollzugszuständigkeit sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass mit dem UVP-G bundesweit einheitliche UVP-G-spezifische Genehmigungskriterien eingeführt werden, andererseits aber – auch nach der UVP-G-Nov 2004 keinevollständige Genehmigungskonzentration stattfinden soll, sondern die Genehmigung von Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken weiterhin kumulativ von Bund bzw Ländern geregelt und vollzogen werden soll44. Die auf Grund der Bedarfskompetenz erlassenen Genehmigungsvorschriften sollen demnach offenbar nach Maßgabe der berührten Regelungsgesichtspunkte entweder vom Bund oder von den Ländern vollzogen werden. Dass eine eindeutige Zuordnung der Vollzugszuständigkeit damit vielfach nicht möglich ist, sondern vielmehr partielle Zuständigkeitskonkurrenzen und Doppelgleisigkeiten vorprogrammiert sind, bestätigt ein Blick auf die einfachgesetzliche Rechtslage45.
Der vom UVP-G als kollegiale Berufungsbehörde bestimmte unabhängige Umweltsenat ist in Art 11 Abs 7 B-VG vorgesehen. Die Bestimmung war ursprünglich bis 31. 12. 2000 befristet, um die Diskussion über die Einführung von Landesverwaltungsgerichten nicht vorwegzunehmen und wurde mittlerweile bis zum 31. 12. 2009 verlängert46.
2. Rechtsetzungskompetenz der Gemeinschaft Die UVP wird als grundlegendes Instrument der Umweltpolitik der Gemeinschaft im Allgemeinen47 sowie der Politik der „Nachhaltigkeit“ im Besonderen 43
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Hecht, 17f, der überdies die Regelung eines konzentrierten Genehmigungsverfahrens für Bundesstraßen auf der Grundlage von Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG für zulässig erachtet. Dieser Ansicht liegt die Deutung des Verkehrwesentatbestands als eine, die einschlägigen bau- und naturschutzrechtlichen Zuständigkeit des Landesgesetzgebers ausschließende „Exklusivmaterie“ zu Grunde (Hecht, 8, 25ff) . Vgl demgegenüber VfGH 25. 6. 1999, 256/98 (Semmering-Basistunnel). Vgl früher schon Köhler/Schwarzer Art 11 Abs 1 Z 7 B-VG, Rz 8. § 4 BStrG; § 24h UVP-G. Vgl dazu unten III. A. 5. sowie die Kontroverse zwischen Bergthaler/Trautwein/Wimmer, UVP: Das Ende vieler Bundesstraßenprojekte? ecolex 1995, 450; Baumgartner, UVP: Bundesstraßenprojekte einmal anders, ecolex 1995, 680 sowie mit vehementen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine auch nur teilweise kumulative Anwendung der UVP-spezifischen Genehmigungskriterien durch die jeweils zuständigen Behörden: Hecht, UVP: Nochmals zu den Bundesstraßenprojekten, ecolex 1996, 630; derselbe, 20 ff. Art 151 Abs 2 B-VG idF BGBl I 2004/153. Vgl insb die Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung, das Ursprungs- sowie das Verursacherprinzip gem Art 174 Abs 2 EG-V.
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angesehen48. Die -nunmehr auf der Grundlage von Art 175 (ex Art 130s) EG-V erlassene - UVP-RL soll die wichtigsten Grundsätze für die Prüfung der Umweltverträglichkeit harmonisieren49, lässt jedoch die Erlassung strengerer Schutzvorschriften durch die Mitgliedstaaten zu50.
C. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Völkerrechtliche Grundlagen Österreich hat die im Rahmen der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UN-ECE) ausgearbeitete Konvention über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Espoo-Konvention) ratifiziert51. Die 1997 in Kraft getretene Konvention, der auch die EU beigetreten ist, verpflichtet Österreich, für Vorhaben mit erheblichen grenzüberschreitenden Auswirkungen eine UVP mit Bürgerbeteiligung durchzuführen, mit den betroffenen Vertragsparteien ein Informations- und Konsultationsverfahren zu pflegen und die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit im Nachbarstaat zu ermöglichen. Die Durchführung der einschlägigen Vorgaben ist mit den §§ 10 und 19 UVPG erfolgt52. Österreich hat weiters 1998, ebenso wie die Europäische Gemeinschaft und die übrigen EU-Mitgliedstaaten, die sogenannte Aarhus-Konvention der UNECE53 unterzeichnet. Die Konvention, umfasst die „drei Säulen“ Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz („access to justice“) und zielt auf die Förderung der Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten im allgemeinen und insbesondere auch in umweltrelevanten Genehmigungsverfahren. Die Erfüllung der Konvention hat Anpassungen der Mindestvorgaben für die (grenzüberschreitende) Öffentlichkeitsbeteiligung in der UVP-Richtlinie – insbesondere auch im Hinblick auf die Einbeziehung von Umweltverbänden - erforderlich gemacht54.
2. Die wesentlichen Regelungsanliegen der UVP-Richtlinie Zweck der UVP-RL ist es, sicherzustellen, dass über die Genehmigung für öffentliche und private Projekte, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf
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Vgl die Begründungserwägungen zur UVP-ÄndRL, die insb auch auf das 5. Umweltaktionsprogramm der Gemeinschaft Bezug nehmen. Zur Umsetzung der UVP-RL in ausgewählten Mitgliedstaaten vgl Baumgartner ua, Die Projekt-UVP in Europa - eine Gegenüberstellung, RdU 1998, 107. Vgl auch den Überblick in der Begründung zu IA 168/A 21. GP. Art 176 (ex Art 130t) EG-V. Vgl auch die Begründungserwägungen der UVPÄndRL. Allg zu den Voraussetzungen für Schutzverstärkungen nach Art 176 EG-V vgl zB Jarass, Verstärkter Umweltschutz der Mitgliedstaaten nach Art 176 EG-V, NVwZ 2000, 529. BGBl III 1997/201. Vgl auch Art 7 UVP-RL. Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten Vgl dazu Artikel 2 UVP-ÄnderungsRL 2003/35/EG.
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die Umwelt zu rechnen ist, erst entschieden wird, nachdem die Umweltauswirkungen dieser Vorhaben geprüft wurden. Die UVP der Richtlinie ist auf der Ebene der Zulassung konkreter Projekte angesiedelt; Pläne, Programme und Konzepte sind Gegenstand einer gesonderten Richtlinie über die Strategische Umweltverträglichkeitsprüfung (SUP)55. Die vom Anwendungsbereich der UVP-RL erfassten Vorhaben sind in Anh I und II der UVP-RL aufgelistet. Projekte des Anh I sind jedenfalls einer UVP zu unterziehen. Für Projekte des Anh II können die Mitgliedstaaten die UVP-Pflicht durch Schwellenwerte, sonstige Kriterien oder nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung konkretisieren56. Die UVP-RL determiniert in erster Linie das Verfahren der UVP, wobei der Mitwirkung des Projektträgers durch umfangreiche Vorlagepflichten sowie den Informations- und Stellungnahmerechten für die (betroffene) Öffentlichkeit wesentliche Bedeutung zukommt. Die Ergebnisse der UVP - einschließlich der Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung - dürfen jedoch nicht ohne Folgen für die Zulassungsentscheidung bleiben; sie sind vielmehr gemäß Art 8 UVP-RL „zu berücksichtigen“57. Der umfassende, medienübergreifende Ansatz der UVP-RL, der insbesondere auch Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Umweltmedien und -faktoren erfasst, erfordert dementsprechend „aufnahmefähige“ Genehmigungskriterien im nationalen Recht58.
3. UVP-Änderungsrichtlinien Mit der UVP-ÄndRL 97/11/EG, deren Umsetzungsfrist am 14. März 1999 ablief59, erfolgte insbesondere eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der UVP-RL60. Ein neuer Anh III enthält Auswahlkriterien, welche die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der UVP-Pflicht durch Schwellenwerte und Kriterien bzw bei der Einzelfallprüfung zu beachten haben. In Verbindung mit der Rechtsprechung des EuGH61 ist nunmehr klargestellt, dass den Mitgliedstaaten bei der Festlegung der UVP-Pflicht für Anh II-Projekte lediglich ein eingeschränkter Ermessenspielraum zukommt. Weitere wesentliche Neuerungen der UVP-ÄndRL sind die fakultative Einführung eines „Scoping-Verfahrens“, das den Umfang der Umweltverträglichkeitserklärung vorab klären soll sowie die Ergänzung der Regelungen über die grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligung62.
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RL 2001/42/EG. Zum eingeschränkten Ermessenspielraum der Mitgliedstaaten bei der Festlegung der UVP-Pflicht für Anh II-Projekte vgl unten I. C. 4. Art 8 UVP-RL. Im Einzelnen werden die Anforderungen an die Umsetzung des Berücksichtigungsgebots durchaus unterschiedlich beurteilt. Vgl dazu Schwarzer (FN 6), 110 ff; Raschauer (FN 13), 104 f; derselbe, Einl 9; Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap II Rz 11 unter Bezugnahme auf die deutsche Diskussion ;vgl dazu auch Erbguth/Schink, Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, Kommentar2, 1996, Einl Rz 20 ff. Art 3 UVP-ÄndRL. So wurde Anh I von bisher 9 auf 21 Projekttypen ausgeweitet und Anh II um neue Projektarten (zB Einkaufszentren, Freizeitparks) erweitert. Vgl dazu unten I. C. 4. Art 5 Abs 2 bzw Art 7 UVP-RL.
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Mit der UVP-ÄndRL 2003/35/EG wurden Bestimmungen der AarhusKonvention in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten im Zusammenhang mit UVP-Verfahren umgesetzt.
4. EuGH-Rechtsprechung In mehreren Urteilen63 hat der EuGH klargestellt, dass Vorhaben, die der UVPRL unterliegen und für die nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie ein Genehmigungsverfahren eingeleitet wurde64, einer UVP iS der Richtlinie zu unterziehen sind und es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, solche Vorhaben durch nationale Übergangsbestimmungen von der UVP-Pflicht auszunehmen65. In Bezug auf die UVP-Pflicht von Projekten des Anh II hat der EuGH entgegen der in den Mitgliedstaaten und auch vom VwGH vertretenen Auffassung66 - mittlerweile in mehreren Urteilen67 festgehalten, dass der Ermessenspielraum der Mitgliedstaaten bei der Festlegung der UVP-Pflicht für diese Projekte im Lichte der Zielsetzungen der UVP-RL deutlich eingeschränkt ist: Vorhaben, bei denen auf Grund ihrer Art, Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen zu rechnen ist, sind einer UVP zu unterziehen68. Den Mitgliedstaaten ist es verwehrt, Einzelne der mit Buchstaben bezeichneten Klassen von Projekten des Anh II von der UVP-Pflicht auszunehmen69. Den Mitgliedstaaten ist es weiters verwehrt, die Kriterien und/oder Schwellenwerte für Projekte derart festzulegen, dass in der Praxis alle einschlägigen Projekte von der UVP-Pflicht ausgenommen sind70.Dass bei der Festlegung der Kriterien und Schwellenwerte nicht 63
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EuGH, Rs C-396/92, Bund Naturschutz in Bayern, Slg 1994, I-3745; EuGH, Rs C431/92, Großkrotzenburg, Slg 1995, I-2211; EuGH, Rs C-301/95, Kommission/Deutschland, Slg 1998, I-6135; Rs C-150/97, Kommission/Portugal, Slg 1999, I0259. Ob ein Verfahren eingeleitet ist, ist nach der förmlichen Antragstellung zu beurteilen. Informelle Behördenkontakte oder der Beginn der Öffentlichkeitsarbeit für ein Projekt sind für diese Beurteilung unmaßgeblich; vgl EuGH, Großkrotzenburg (FN 63), Rz 32. Welche Wirkungen die UVP-RL auf Verfahren hat, die zum Umsetzungsstichtag bereits anhängig waren, hat der EuGH nicht explizit entschieden. Die Generalanwälte haben in den Verfahren Bund Naturschutz in Bayern und Großkrotzenburg die Ansicht vertreten, derartige Konstellationen könnten im Interesse der Rechtssicherheit von der UVP-Pflicht ausgenommen werden. Vgl dazu in Ö etwa VwGH 23.10.1995, 95/10/0081 = RdU 1996, 124 mit Anm Raschauer; VwGH 15.10. 1996, 95/05/139; an dieser Argumentation festhaltend VwGH 2.7.1998, 97/07/0152; Anders demgegenüber im Lichte der Rechtsprechung des EuGH: US 6.11.2000, 3/2000/10-12, Oberpullendorf. EuGH, Rs C-133/94, Kommission/Belgien, Slg 1994, I-2339; EuGH, Rs C-72/95, Kraaijeveld, Slg 1996, I-5403; EuGH, Kommission/Deutschland (FN 63); EuGH, Rs C-392/96, Kommission/Irland, Slg 1999, I-5901; EuGH, Rs C-435/97, Flughafen Bozen, Slg 1999, I-5613. Vgl EuGH, Kraaijeveld (FN 67), Rz 50. Vgl EuGH, Kommission/Belgien (FN 67), Rz 42; EuGH, Kommission/Deutschland (FN 63), Rz 38 und 42. Vgl EuGH, Kraaijeveld (FN 67), Rz 51 ff. Eine solche Vorgehensweise erachtete der EuGH nur dann für gerechtfertigt, wenn auf Grund einer pauschalen Beurteilung aller Projekte davon auszugehen ist, dass bei ihnen nicht mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist.
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allein auf die Größe, sondern auch auf die Art und den Standort des Vorhabens abzustellen ist71, wurde mittlerweile auch durch die UVP-ÄndRL72 klargestellt. Die Frage, ob ein Mitgliedstaat bei der Aufstellung der Kriterien und/oder Schwellenwerte für die UVP-Pflicht seinen Ermessenspielraum überschritten hat, hängt dabei nach Ansicht des EuGH73 von einer Gesamtbeurteilung der Merkmale der im Gebiet des Mitgliedstaats in Betracht kommenden Projekte dieser Art ab.
Die Mitgliedstaaten müssen bei der Umsetzung ferner sicherstellen, dass der Regelungszweck der UVP-RL nicht durch eine Aufsplitterung von Projekten vereitelt wird. Bei der Festlegung der UVP-Pflicht ist die kumulative Wirkung mehrerer Vorhaben zu berücksichtigen und sicherzustellen, dass Projekte, die zusammengenommen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, der Verträglichkeitsprüfung nicht entzogen werden74. Während die unmittelbare Anwendbarkeit der UVP-RL in der Literatur zunächst eher zurückhaltend beurteilt wurde75, hat der EuGH im Urteil Großkrotzenzburg die unmittelbare Anwendbarkeit der Art 2, 3 und 8 der UVP-RL festgestellt76. Zum drittschützenden Charakter der UVP-RL hat sich der EuGH zunächst nicht geäußert77. Mittlerweile hat der EuGH jedoch – insbesondere im Zusammenhang mit der UVP-Pflicht von Anh II-Projekten wiederholt78 bejaht, dass betroffene Personen das Recht haben, sich unmittelbar auf die UVP-RL zu berufen, um zu erreichen, dass überprüft wird, ob ein Mitgliedstaat sein Auswahlermessen überschritten und zu Unrecht keine UVP vorgesehen hat79.
Die mit der UVP-RL unvereinbaren nationalen Vorschriften müssen diesfalls außer Betracht bleiben und es ist „Sache der Träger öffentlicher Gewalt des Mitgliedstaates im Rahmen ihrer Zuständigkeit alle erforderlichen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu treffen, um die Projekte im Hinblick darauf zu überprüfen, ob bei ihnen erhebli-
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Vgl insb EuGH, Kommission/Irland (FN 67), Rz 72. Art 4 Abs 3 iVm Anh III UVP-RL. EuGH, Kraaijeveld (FN 67), Rz 52; EuGH, Kommission/Irland (FN 67), Rz 74. EuGH, Kommission/Irland (FN 67), Rz 76. Näher zur Umsetzung in Österreich unten I. C. 5. Vgl zB Schwarzer, Zur unmittelbaren Wirkung der EU-Richtlinie über die UVP in Österreich, RdU 1994, 109 (111) bzw aus dem deutschen Schrifttum Erbguth/Schink(FN 58), Einl Rz 110. Art 2 (Anwendungsbereich), Art 3 (Aufgaben der UVP) und Art 8 (Gebot zur Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP) seien hinreichend bestimmt und klar und legten „unabhängig von ihren Einzelheiten (...) den zuständigen nationalen Behörden unmissverständlich die Pflicht auf, bestimmte Projekte einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen“ und verpflichteten dazu, „die während des Prüfungsverfahrens eingeholten Angaben im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zu berücksichtigen“ (EuGH, Großkrotzenburg (FN 63), Rz 39 f). Dem Einwand, es fehle der Richtlinie an der für eine unmittelbare Anwendung vorausgesetzten Begründung individueller Rechte hielt der EuGH im Vertragsverletzungsverfahren Großkrotzenburg die Feststellung entgegen, die Frage, ob die UVP-RL der Verwaltung unmittelbar wirkende Verpflichtungen auferlege, habe mit der Möglichkeit für den Einzelnen sich gegenüber dem Staat unmittelbar auf die nicht umgesetzte Richtlinie zu berufen nichts zu tun. EuGH, Kraaijeveld (FN 67), Rz 56 ff; EuGH, Flughafen Bozen (FN 67), Rz 68 ff; EuGH 19. 9. 2000, Rs C-287/98, Linster (Rz 31 ff). Zu eng insofern Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap II Rz 36.
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che Auswirkungen auf die Umwelt zu besorgen sind und sie bejahendenfalls einer Untersuchung ihrer Auswirkungen zu unterziehen“80.
Damit ist überdies auch klargestellt, dass das mitgliedstaatliche Auswahlermessen einer unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie in Bezug auf Projekte des Anh II nicht generell entgegensteht81. Wie weit freilich der Kreis der „betroffenen Personen“ gezogen werden muss, denen die UVP-RL einklagbare Rechte vermittelt, ist durch die Rechsprechung des EuGH bisher nicht explizit geklärt. Der EuGH neigt allgemein im Interesse des „effet utile“ des Gemeinschaftsrechts zu einem rechtsschutzfreundlichen Maßstab bei der Zuerkennung von Ansprüchen Einzelner82. Die unmittelbare Anwendung der UVP-RL bedarf nicht des Anstoßes durch einen Einzelnen. Vielmehr besteht nach der Rechtsprechung des EuGH83 eine Pflicht zur amtswegigen Wahrnehmung der unmittelbaren Anwendbarkeit, sofern das innerstaatliche Recht zur amtswegigen Wahrnehmung von zwingenden Rechtsvorschriften berechtigt oder verpflichtet. Mit der Bejahung der unmittelbaren Wirkung von Bestimmungen der UVPRL hat der EuGH in Kauf genommen, dass Einzelnen unmittelbar auf Grund einer Richtlinie Nachteile erwachsen84. Denn wenngleich der UVP-Rechtsprechung des EuGH keine ausdrückliche Verpflichtung zur Einführung neuer Genehmigungspflichten unmittelbar auf Grund der UVP-RL entnommen werden kann85, hat der EuGH doch die Belastungen gebilligt, die daraus resultieren, dass im Rahmen des Genehmigungsverfahrens in unmittelbarer Anwendung der UVP-RL eine UVP durchzuführen und bei der Entscheidung zu berücksichtigen ist. Die Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP gem Art 8 UVP-RL kann jedenfalls zur Erteilung von Auflagen und gegebenenfalls auch zur Versagung der Genehmigung führen. Das Berücksichtigungsgebot in Art 8 UVP-RL umfasst auch die gemäß Art 5 UVP-RL eingeholten Angaben des Projektwerbers, die einen integralen Bestandteil der UVP iS der UVP-RL darstellen86. 80
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EuGH, Flughafen Bozen (FN 67), Rz 71. Im Urteil Linster (FN 78) hat der EuGH nicht darauf Bezug genommen, ob das nationale Recht dem vorlegendem Gericht eine Inzidentkontrolle des betreffenden Genehmigungsverfahrens erlaube (vgl demgegenüber die Wendung „im Rahmen ihrer Zuständigkeit“) in den Urteilen Kraaijeveld und Flughafen Bozen. In diesem Sinn noch VwGH (FN 66); Schmelz, UVP-Richtlinie und UVP-Gesetz, ecolex 1995, 931 (932); Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap II Rz 30. Vgl dazu allgemein Madner, Stand der Umsetzung und Umsetzungsprobleme, in: ÖWAV (Hrsg), Umweltrecht zwischen Gemeinschaftsrecht und Deregulierung, 1998, 39 (75ff); Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht (1997) 63ff. Vgl auch Köhler/Schwarzer, § 19 Rz 14. EuGH, Kraaijeveld (FN 67), Rz 57 ff unter Hinweis auf Vorjudikatur. Allgemein zu dieser Frage Öhlinger/Potacs (FN 82), 62 f, 73 f, 88, 145 f. Kritisch zu der aus der Rechtsprechung des EuGH abgeleiteten Normverwerfungspflicht für die Verwaltungsbehörden Frank, Altes und Neues zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor staatlichem Recht, ZÖR 2000, 1 (41 ff), der allerdings nicht auf die Judikatur zur UVP-RL Bezug nimmt. Ausdrücklich in diesem Sinn EuGH, 7.4.2004, Rs C-201/02, Wells, Rz 56f. Darauf weisen Öhlinger/Potacs (FN 82), 72 f hin. Eine ausdrückliche Feststellung hat der EuGH in diesem Punkt allerdings noch nicht getroffen. ME sind jedenfalls die Mindestangaben iSv Art 5 Abs 3 UVP-RL hinreichend bestimmt und unbedingt, um unmittelbar angewendet zu werden. Durch den Verweis auf Art 5 Abs 1 UVP-RL ist sichergestellt, dass bei der Auslegung der in Abs 3 verwendeten Begriffe auch auf Anh IV UVP-RL zurückzugreifen ist. Für die
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Die Judikatur zur unmittelbaren Anwendbarkeit der UVP-RL steht damit auf den ersten Blick in einem Spannungsverhältnis zur Rechtsprechung des EuGH, wonach wegen des Sanktionscharakters der unmittelbaren Anwendung, „eine Richtlinie nicht selbst Belastungen für einen Bürger begründen kann“ und auch eine Horizontalwirkung von Richtlinien ausscheidet87. In der Literatur wurden unterschiedliche Erklärungen zur Auflösung dieses Spannungsverhältnisses (insb in mehrpoligen Verwaltungsverhältnissen - „Richtlinien mit Doppelwirkung“) vorgetragen88. Jedenfalls in Bezug auf die UVP-Richtlinie räumt der EuGH - wohl nicht zuletzt mit Blick auf die Rechte Dritter der Effektivität der Richtlinie Vorrang gegenüber allfälligen mittelbaren nachteiligen Wirkungen für den Projektwerber ein89.
Wiederholt hat der EuGH zur UVP im Rahmen mehrstufiger Genehmigungsverfahren Stellung genommen und festgehalten, dass „die Auswirkungen, die das Projekt möglicherweise auf die Umwelt hat, im Verfahren zum Erlass der Grundsatzentscheidung zu ermitteln und zu prüfen“90. Können diese Auswirkungen jedoch erst im Verfahren des Erlasses der Durchführungsentscheidung ermittelt werden, so muss die Prüfung im Rahmen dieses Verfahrens vorgenommen werden91.
5. Zur Umsetzung der UVP-RL im Überblick Mit dem UVP-G 1993 war Österreich in Hinblick auf die Ausgestaltung der UVP in einigen Punkten über die Mindestanforderungen der UVP-RL hinaus-
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unmittelbare Anwendbarkeit von Art 5 Abs 3 (ex Art 5 Abs 2) UVP-RL auch Schwarzer (FN 6), 111; Bergthaler: in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap II Rz 31. EuGH, Rs C-80/86, Kolpinghuis Nijmegen, Slg 1987, I-3969 (Rz 9); EuGH, Rs C91/92, Faccini Dori, Slg 1994, I-3325 (Rz 22); EuGH, Rs C-168/95, Arcaro, Slg 1996, I-4719 (Rz 36); EuGH, Rs C-97/96, Daihatsu, Slg 1997, I-6843 (Rz 24). So wird mehrfach darauf hingewiesen, es handle sich um bloß mittelbare, rechtlich nicht relevante Belastungen, die daraus resultierten, dass die Behörden einer eindeutigen Verpflichtung aus der Richtlinie nachkommen. Vgl insb Gellermann, Rechtsfragen des europäischen Habitatschutzes, NuR 1996, 548 (557); Albin, Unmittelbare Anwendbarkeit von EG-Richtlinien mit „Doppelwirkung“, NuR 1997, 29; dem folgend Maitz/Büchele, Zur unmittelbaren Wirkung der IPPC- und der Seveso IIRichtlinie, RdU 2000, 61). Die Ermittlung der Grenzen des Belastungsverbots ist damit freilich damit, wenig überzeugend, mit der Ermittlung des primären „Adressaten“ einer Richtlinienverpflichtung verknüpft. Ebenfalls auf die bloß mittelbare Belastung Dritter, jedoch eher als zulässige Folge der gewünschten Drittbegünstigung verweisen zB Calliess, Zur unmittelbaren Wirkung der EG-Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung, NVwZ 1996, 339 (341); Erbguth/Schink (FN 58), Einl Rz 108a. Vgl weiters Öhlinger/Potacs (FN 82), die den Inhalt der Verpflichtung (keine neue Genehmigungspflicht) hervorheben. Vgl allgemein zu dieser Problematik Rengeling, in: derselbe, Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, 1998, § 28 Rz 73 ff. EuGH, 4.12. 2004, Rs C-201/02, Wells, Rz 56f. Nicht zu übersehen ist, dass es in den Urteilen, in denen der EuGH (FN 87) auf das sog Belastungsverbot rekurriert hat durchwegs entweder Horizontalverhältnisse unter Privaten oder Strafverfahren, also zweiseitige vertikale Verhältnisse zu Lasten Einzelner zu beurteilen waren. So auch Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht unter dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1999, 467 (FN 28, „noch kein typischer verwaltungsrechtlicher Drittwirkungsfall“). EuGH, Wells (FN 84) Rz 52. EuGH, 4.5. 2006, Rs C-508/03, Kommission/Vereinigtes Königreich Rz 104. Vgl ebenso EuGH, 4.5. 2006, Rs C-290/03, Crystal Palace.
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gegangen92. Im Zuge der Umsetzung der UVP-ÄndRL durch das UVP-G 2000 zog sich der Gesetzgeber von dieser umweltschutzverstärkenden Position wieder zurück93. Was den Kreis der UVP-pflichtigen Projekte anbelangt, so machte die UVP-ÄndRL eine deutliche Erweiterung des Anwendungsbereichs des UVP-G erforderlich. In Bezug auf einige Vorhaben hatte die Orientierung an den Mindeststandards der Richtlinie allerdings den Entfall der UVP-Pflicht94 bzw die Erhöhung der Schwellenwerte95 zur Folge96. Bestand vor der Novelle des UVPG im Lichte der Rechtsprechung des EuGH97 insbesondere in Bezug auf Projektklassen des Anh II Anpassungsbedarf98, so wurden nunmehr mit dem UVPG 2000 spezielle Regelungen über die UVP-Pflicht getroffen, die insbesondere der Empfindlichkeit von Standorten und der kumulativen Wirkung von Vorhaben Rechnung tragen sollen99. Dies ist jedenfalls hinsichtlich der Kumulation von Vorhaben nicht uneingeschränkt geglückt100. Die Umsetzung der UVP-RL 85/337101 sowie der UVP-ÄndRL 97/11erfolgte in Österreich jeweils102 erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist und wurde durch Übergangsfristen weiter verzögert. In Bezug auf Vorhaben, für die im UVP-G gemeinschaftswidrig keine UVP-Pflicht vorgesehen ist, war in der Praxis zunächst die Ansicht vorherrschend, die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der UVP-RL seien in den Genehmigungsverfahren nach den sonst für die Genehmigung des Vorhabens 92
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So zB mit den Bestimmungen über das Vorverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung, den Regelungen über das Umweltverträglichkeitsgutachten und der Parteistellung für Umweltanwälte. Insbesondere die Einführung des vereinfachten UVP-Verfahrens ohne Umweltverträglichkeitsgutachten und mit bloßer Beteiligtenstellung von Bürgerinitiativen sollte den Forderungen der Wirtschaft nach einer „wirtschaftsverträglichen“ UVP Rechnung tragen. Erzeugung von Holzspanplatten bzw Bleiakkumulatoren. ZB für best Massentierhaltungen. Kritisch dazu unter dem Blickwinkel der potentiellen Umweltauswirkungen dieser Vorhaben, Baumgartner ua. Vgl oben I. C. 4. So fehlte es an einer Bedachtnahme auf sensible Standorte, weiters waren Schwellenwerte zT sehr hoch angesetzt oder Projektklassen (zB Kessel- und Behälterbau, Kraftwagenmontage, Brauereien) zur Gänze von der UVP-Pflicht ausgenommen. Vgl dazu Madner (FN 82), 52. Punktuelle Umsetzungsdefizite waren auch für Vorhaben des Anh I zu konstatieren. So zB durch die Festlegung einer Mindestlänge für UVP-pflichtige Eisenbahntrassen (kritisch dazu auch Ritter, 72; Feik, 362) oder durch Kapazitätsgrenzen für Anlagen zur Stahlerzeugung bzw für die Behandlung gefährlicher Abfälle. § 3 iVM Anh I Sp 3 UVP-G. Dazu unten I C. 5. Näher dazu unten II. A. 2. Vgl Raschauer, Einl 9; Schwarzer (FN 75), 109; Madner (FN 82), 49 f. Im Rahmen des EWR-A wurde eine unmittelbare Anwendung der UVP-RL ungeachtet der verzögerten Umsetzung mit dem Hinweis abgelehnt, mit dem EWR-A habe der Vorrang des Gemeinschaftsrechts nicht Eingang in die österreichische Rechtsordnung gefunden: VwGH 3. 10. 1996, 95/06/0246; VwGH 7. 11. 1996, 95/06/0239. Vgl aber den Zurückweisungsbeschluss VfSlg 14152/1995. Näher dazu Madner (FN 82), 49 f mwN.
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maßgeblichen Materiengesetzen heranzuziehen103. Diese Vorgehensweise, die auch der Gesetzgeber mit der Übergangsvorschrift zum UVP-G 2000104 vor Augen hat, kann freilich die (kompetenzrechtlichen) Probleme nicht lösen, die einer vollständigen und umfassenden Berücksichtigung aller UVP-relevanten Aspekte außerhalb des UVP-G im Einzelfall entgegenstehen können105 und die mit ausschlaggebend für die Schaffung des konzentrierten Genehmigungsregimes des UVP-G waren106. Hinzu kommt, wie Kante ausführlich dargelegt hat107, dass bei dieser Variante unmittelbarer Richtlinienanwendung jedenfalls die Vollziehungszuständigkeit kompetenzrechtlich problematisch ist, denn für eine UVP im Sinne der Kompetenzverteilung (Art 11 Abs 1 Z 7 B-VG) ist die Vollziehung Landessache. In Bezug auf Vorhaben, die gemeinschaftswidrig nicht vom Anwendungsbereich des UVP-G erfasst sind, gebührt der Auslegungsvariante der Vorzug, die unmittelbar anwendbaren Regelungen der UVPRL im Rahmen des UVP-G zu vollziehen108.
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Vgl Köhler/Schwarzer, § 46 Rz 13; Rundschreiben des BMUJF zur unmittelbaren Anwendbarkeit der UVP-RL ab dem 15. März 1999 (10. 3. 1999, GZ 11 4751/63I/1/98, abgedruckt in: List [Hrsg], Kodex Umweltrecht14, 14/7). § 46 Abs 8 u 9 UVP-G. Diese Schwierigkeiten werden auch durch die Ausführungen im Rundschreiben des BMUJF zur unmittelbaren Anwendbarkeit der UVP-RL ab dem 15. März 1999 erkennbar (10. 3. 1999, GZ 11 4751/63-I/1/98, abgedruckt in: List [Hrsg], Kodex Umweltrecht14, 14/7), wenn dort (V. Durchführung der UVP nach der RL) den jeweils zuständigen Behörden aufgetragen wird die medienübergreifenden Aspekte „gemeinsam zu erheben und zu beurteilen“, dabei einvernehmlich vorzugehen und die Verfahren soweit möglich koordiniert durchzuführen. Zur „Parzellierung“ des Umweltrechts als einem Hindernis für die umfassende Berücksichtigung der UVP und als Motiv für die Genehmigungskonzentration und die zusätzlichen Genehmigungskriterien im UVP-G vgl die Nachweise oben FN (6). Ausführlich zu möglichen Defiziten für eine Berücksichtigung der UVP in den Materiengesetzen auch Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap II Rz 20 ff. Kante, ZfV 2005, 11. Nicht zuletzt die Zielsetzung, mit dem UVP-G eine gemeinschaftskonforme Umsetzung der UVP-(Änd)RL zu schaffen, spricht dafür, das nationale Regelungssystem zu berücksichtigen und die UVP-Behörde als „sachnächste Behörde“ für den Vollzug des Gemeinschaftsrechts zu qualifizieren. Für eine unmittelbare Anwendung, die mit einer Erweiterung des Anwendungbereichs des UVP-G einhergeht auch VwGH, 20.2. 2003, 2001/07/0171. Vgl auch US 2.10.2003, 2B/2003/16, Wilhelmsburg. Gegen eine unmittelbare Anwendung der Anhänge der UVP-RL im Feststellungsverfahren nach dem UVP-G noch US 20.11.2000, US 3/2000/11-16, Retznei. Vgl jedoch andererseits die weitreichende Auseinandersetzung mit den Richtlinienvorgaben des Anh I UVP-RL im Feststellungsverfahren US 2.3.2001, 3/2000/5-39, Ort/Innkreis Nord.
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II. Die UVP im konzentrierten Genehmigungsverfahren A. UVP-Pflicht: Wirkung und Voraussetzungen 1. Genehmigungspflicht, Konzentration und Sperrwirkung Die Verwirklichung eines UVP-pflichtigen Vorhabens löst für das Vorhaben eine „autonome“ Genehmigungspflicht nach dem UVP-G aus109. Die Genehmigung wird im Rahmen eines konzentrierten Genehmigungsverfahrens erteilt und schließt alle sonst nach bundes- und landesrechtlichen Vorschriften für die Ausführung des Vorhabens erforderlichen Genehmigungen110 mit ein111. § 3 Abs 6 UVP-G statuiert eine „Sperrwirkung“ der UVP („UVPVorbehalt“)112: Vor Abschluss der UVP113 dürfen für UVP-pflichtige Vorhaben keine Genehmigungen erteilt werden und kommt Anzeigen nach den Verwaltungsvorschriften keine Wirkung zu. Entgegen dieser Bestimmung erteilten Genehmigungen droht die Nichtigerklärung innerhalb einer Frist von 3 Jahren durch die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, „wenn eine solche nicht vorgesehen ist“ von der bescheiderlassenden Behörde114. Ist das Vorhaben nur nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung UVP-pflichtig, besteht die Sperrwirkung jedenfalls bis zum Abschluss der Einzelfallprüfung. Wird durch die Einzelfallprüfung die UVP-Pflicht bejaht, besteht die Sperrwirkung selbstverständlich auch diesfalls bis zum Abschluss der UVP; ab dem
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Diese Genehmigungspflicht besteht selbst dann, wenn das Vorhaben nach den sonst maßgeblichen Verwaltungsvorschriften keiner Genehmigung bedürfte. Vgl Raschauer, § 3 Rz 5; Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 17 mit Bsp für derartige Konstellationen. Vgl auch US Baumbachalm (FN 40). Der Begriff Genehmigung iS des UVP-G (§ 2 Abs 3) ist weitgefasst und schließt insb auch Bewilligungen und Nichtuntersagungen auf Grund von Anzeigepflichten mit ein. Vgl dazu Raschauer, § 2 Rz 7 sowie sogleich unten . § 3 Abs 3 iVm § 5 Abs 1 u § 17 Abs 1 UVP-G. Ritter, 77; Raschauer, § 3 Rz 16; Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III, Rz 4. In Lit (Bergthaler, in : Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III. Rz 4; Ennöckl/ N.Raschauer, UVP-G § 3 Rz 28) und Praxis überwiegt mittlerweile die Ansicht, dass dies der rechtskräftige UVP-Genehmigungsbescheid gem § 17 UVP-G ist, dh dass insb zur Sicherstellung der Genehmigungskonzentration in § 17 UVP-G auch das Genehmigungsverfahren der UVP-Behörde von der Sperrwirkung erfasst ist . Nach aA (Raschauer, § 3 Rz 16; Köhler/Schwarzer, § 4 Rz 22) ist dies der Abschluss der UVP ieS (vgl dazu unten bei FN 201). AM, Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 3, Rz 28. § 3 Abs 6 letzter Satz iVm § 40 Abs 3 UVP-G. Mit dem UVP-G 2000 wurde die unbefristete Nichtigkeitssanktion auf drei Jahre befristet. Abweichend von § 68 Abs 4 AVG sollen jedoch auch Bescheide oberster Behörden durch die bescheiderlassende Behörde selbst nichtig erklärt werden können. Vgl die Begründung zu § 3 Abs 6, IA 168/A 21. GP, wonach in den vom UVP-G konzentrierten Verfahren vielfach oberste Behörden zur Entscheidung berufen wären, deren unter Mißachtung des UVP-G erteilte Genehmigungen andernfalls nicht aufgehoben werden könnten. Sieht man § 3 Abs 6 UVP-G mit dem Abschluß der UVP ieS begrenzt, besteht nach diesem Zeitpunkt nur mehr die Möglichkeit der Nichtigerklärung gem § 68 Abs 4 AVG. Entscheidungen unzuständiger Materienbehörde nach Abschluß der UVPieS erscheinen im übrigen wenig wahrscheinlich.
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negativem Ausgang der Einzelfallprüfung kommt die Konzentrations- und Sperrwirkung der UVP nicht (mehr) zum Tragen. Die Sperrwirkung bezieht sich, wie die Genehmigungskonzentration, auf Genehmigungen im weiten Sinn des § 2 Abs 3 UVP-G. Als „für die Zulässigkeit der Ausführung eines Vorhabens115 vorgeschriebene behördliche Akte oder Unterlassungen“ sind insb auch Ausnahmebewilligungen116 oder Nichtuntersagungen auf Grund von Anzeigepflichten mitumfasst. Erfasst sind weiters auch Genehmigungen in gestuften Verfahren117. Entsprechend den Zielsetzungen und der Ausgestaltung der UVP als Projekt-UVP mit Standortbezug sind Rechtsakte genereller Natur118, personenbezogene Erlaubnisse119 oder Typenbewilligungen120 nicht von der Konzentrations- und Sperrwirkung der UVP umfasst121. Differenziert beurteilt wurde bislang die Rechtslage in Bezug auf die Genehmigung von Vorarbeiten sowie insb eines Versuchsbetriebs iSv § 354 GewO: Vorarbeiten, die eine Projektierung erst ermöglichen sollen (zB Bohrversuche, Grundwasseruntersuchungen), sind von der Sperr- und Konzentrationswirkung des UVP-G nicht erfasst122. Die Zulässigkeit eines Versuchsbetriebs als Mittel der Beweiserhebung im Genehmigungsverfahren wurde in der Literatur hingegen zT bejaht123. Seit der UVP-G-Nov 2000 sind im konzentrierten Genehmigungsverfahren ausdrücklich nur mehr die materiellrechtlichen Genehmigungsvorschriften der verdrängten Materiengesetze jedenfalls mitanzuwenden, während für das Verfahren die Sonderbestimmungen des UVP-G und subsidiär das AVG anzuwenden sind. Das Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage im UVP-G spricht insoweit generell gegen die Zulässigkeit der Genehmigung eines Versuchsbetriebs.
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Zum ebenfalls weitgefassten Begriff „Vorhaben“ (§ 2 Abs 2 UVP-G) vgl unten II. A. 2. ZB nach dem DenkmalschutzG. ZB Bauplatzbewilligungen. Vgl Raschauer, § 3 Rz 19; Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 6 jew mit weiteren Beispielen. ZB die Erlassung von Flächenwidmungsplänen.. ZB eine Erlaubnis als Abfallbehandler, aber auch eine Bergwerksberechtigung gem § 22 MinROG (vgl US 4.1. 2005, 9B/2004/8-53, Saalfelden. Die - auch projektbezogenen - Konzessionen nach § 14 EisenbahnG bzw § 4 RohrleitungsG sollen mit dem UVP-G 2000 ebenfalls von der Konzentrations- und Sperrwirkung der UVP ausgenommen werden. Die Legaldefinition in § 2 Abs 3 UVP-G wurde entsprechend angepasst. Vgl dazu die wenig überzeugende Begründung zu § 2 Abs 3, IA 168/A 21. GP. ZB nach § 76 GewO. Vgl dazu Raschauer, § 3 Rz 18; Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 9 ff, jew mit weiteren Bsp. In diesem Sinn auch US 6.11.1998, 9/1998/4-35, Gasteinertal. Vgl aus der Lit:Raschauer, § 3 Rz 19 mit weiteren Beispielen; vgl auch Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 12; Madner, 241; Ritter, 83 ff. Bergthaler, Vorarbeiten und Versuchsbetrieb im UVP-Verfahren, ecolex 1995, 934 der insb ins Treffen führt, dass gerade in UVP-Verfahren und gerade auch vor Abschluss der UVP der Versuchsbetrieb als Beweismittel sinnvoll sein kann; Köhler/Schwarzer, § 16 Rz 13; Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 12; aM Raschauer, § 3 Rz 17 u 19.
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2. UVP-pflichtige Vorhaben a) Verwirklichung von Vorhaben des Anh 1 Das UVP-G listet die Vorhaben, die einer UVP zu unterziehen sind in einem Anhang 1 zum Gesetz taxativ auf124. Der mit der Umsetzung der UVPÄndRL125 erheblich erweitertete Anh 1 UVP-G enthält in 88 Ziffern über 100 Vorhabenstypen aus den Bereichen Abfallwirtschaft (Ziffer 1-3), Energiewirtschaft (Ziffer 4-6), Umgang mit radioaktiven Stoffen (Ziffer 7-8), Infrastrukturprojekte (Ziffer 9-24), Bergbau (Ziffer 25-29), Wasserwirtschaft (Ziffer 30-42)126, Land- und Forstwirtschaft (Ziffer 43-46), sonstige Anlagen (Ziffer 47-88). Im Einzelnen ist die UVP-Pflicht zT an Schwellenwerte, Kriterien bzw an das Ergebnis einer Einzelfallprüfung zur Abklärung der UVP-Pflicht geknüpft. Für die UVP-Pflicht von Vorhabensänderungen und für die Erfassung der kumulativen Umweltauswirkungen von Vorhaben bestehen spezielle Regelungen, die in den nächstfolgenden Abschnitten dargelegt werden. Anh 1 Spalte 1 nennt Vorhaben, die einer UVP im ordentlichen UVPVerfahren127 zu unterziehen sind. Die UVP-Pflicht ist zT an die Erreichung von Schwellenwerten geknüpft. Anh 1 Sp 1 UVP-G erfasst Anlagen aus den Bereichen Abfall- bzw Energiewirtschaft, Infrastrukturprojekte, Bergbau und Wasserwirtschaft, während „reine“ Produktionsanlagen vom ordentlichen UVP-Verfahren ausgeklammert sind. Anh 1 Spalte 2 nennt Vorhaben, die - zT nach Maßgabe von Schwellenwerten - einer UVP im vereinfachten UVP-Verfahren zu unterziehen sind128. Unter Anh 1 Sp 2 fallen insbesondere auch Vorhaben der Land- und Forstwirtschaft sowie Produktionsanlagen. Anh 1 Spalte 3 nennt vor allem129 Vorhaben, diein schutzwürdigen Gebieten bei Erreichen des jeweiligen Schwellenwertes nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung130 einer UVP im vereinfachten UVP-Verfahren zu unter-
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§ 3 Abs 1 iVm Anh 1 UVP-G. Eine UVP-Pflicht kann jedoch auch aus der unmittelbaren Anwendung der UVP-RL im Fall unzureichender Richtlinienumsetzung resultieren. Vgl dazu oben I. C.. Vgl dazu oben I. C. 3. Vgl dazu unten III. B. § 3 Abs 1 iVm Anh 1 UVP-G. Zur UVP-Pflicht bei Änderungen dieser Vorhaben oder bei der Kumulation von Vorhaben des Anh 1 Sp 1 siehe unten Rz 42ff. Zur Unterscheidung zwischen ordentlichem und vereinfachten UVP-Verfahren siehe unten Rz 53. § 3 Abs 1 iVm Anh 1 Sp 2 UVP-G. Mit der UVP-G-Novelle 2005 wurden im Gefolge der Spielberg-Entscheidung des Umweltsenats (US 3.12. 2004, 5B/2004/11-18) Vorhaben in Anh 1 Spalte 3 aufgenommen, die keinen Bezug zu schutzwürdigen Gebieten aufweisen und für die andere besondere Voraussetzungen festgelegt sind, die in der Einzelfallprüfung gem § 3 Abs 4a UVP-G zu prüfen sind. Dies betrifft derzeit bestimmte Freizeitparks, Sportstadien, Renn- und Teststrecken. Vgl dazu unten II. A. 3.
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ziehen sind131. Erweist die Einzelfallprüfung, dass der für die Gebietsfestlegung maßgebliche Schutzzweck wesentlich beeinträchtigt wird, besteht UVP-Pflicht. Die schutzwürdigen Gebiete sind in Anh 2 zum UVP-G festgelegt und definiert und umfassen folgende Kategorien: Kategorie A: „besonderes Schutzgebiet“: Dazu zählen Vogelschutzgebiete nach der VogelschutzRL (RL 79/409/EWG)132; Schutzgebiete, die gem Art 4 Abs 2 der Fauna-Flora-Habitat-RL (FFH-RL, RL 92/43/EWG) in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wurden; Bannwälder nach § 27 ForstG sowie „bestimmte“ nach landesrechtlichen Vorschriften im Bereich des Naturschutzes ausgewiesene Schutzgebiete133. Kategorie B: „Alpinregion“: Als Untergrenze gilt der Beginn der Kampfzone des Waldes (§ 2 ForstG). Kategorie C: „Wasserschutz und Schongebiete“, und zwar gem §§ 34, 35 und 37 WRG134. Kategorie D: „belastetes Gebiet (Luft)“, das sind durch VO des BMLFUW (§ 3 Abs 8UVP-G) festgelegte Gebiete, in denen die Immissionsgrenzwerte des BImmschG-Luft wiederholt und auf längere Zeit überschritten werden .Kategorie E „Siedlungsgebiet“: das ist der Bereich „in oder nahe Siedlungsgebieten“135 als schutzwürdig festgelegt. Anhang 2 legt fest, welche Bauland- bwz Sondergebietswidmungen als Siedlungsgebiet gelten. Gebiete der Kategorie A, C, D und E sind für die UVP-Pflicht eines Vorhabens nur dann zu berücksichtigen, wenn sie am Tag der Antragstellung ausgewiesen sind.
b) UVP-Pflicht bei Kumulation von Vorhaben des Anh 1 Vor dem Hintergrund der einschlägigen Judikatur des EuGH136 soll § 3 Abs 2 UVP-G der kumulativen Wirkung von Vorhaben Rechnung tragen und ein Umgehen der UVP durch die Aufsplitterung von Projekten hintanhalten: Vor131
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§ 3 Abs 1 u 4 iVm Anh 1 Sp 3 UVP-G. Entsprechend dem Sinn und Zweck der UVP sind Vorhaben des Anh 1 Sp 3 UVP-G, die auch in Anh 1 Sp 1 genannt sind, bei Erreichen der in Sp 1 genannten höheren Schwellenwerte jedenfalls einer UVP im ordentlichen Verfahren zu unterziehen. Vgl zB Anh 1 Z 38 lit a u lit c UVP-G; Anh 1 Z 27 lit a u lit b UVP-G. Im Lichte von Anh III der UVP-RL sind damit die gem Art 4 Abs 1 u 2 der VogelschutzRL 79/409 als „besondere Schutzgebiete“ ausgewiesenen Flächen angesprochen, die gemäß Art 3 Abs 1 UAbs 2 FFH-RL einen Bestandteil des Schutznetzwerks „Natura 2000“ bilden. Die Abgrenzung der „durch Verwaltungsakt ausgewiesenen, genau abgegrenzte Gebiete im Bereich des Naturschutzes“ ist unklar: So knüpfen einige Länder im Interesse des allgemeinen Natur- und Landschaftschutzes an die Flächenwidmungskategorie „Grünland“ an . Mit der Wendung „bestimmte Gebiete“ sollten offenbar die vom Gründlandschutz erfassten Gebiete ausgeschlossen (darauf weist auch die Bezeichnung „besondere Schutzgebiete“ in Kat A hin). Andererseits werden nach den Naturschutzgesetzen - zT intensiver geschützte Gebiete - wie zB Feuchtgebiete oder Auwälder nicht durch Verwaltungsakt ausgewiesen und können damit nur dann unter die Definition von Kat A Anh 2 fallen, wenn sie zugleich Teil eines Natur- oder Landschaftschutzgebietes oder einer sonst durch Verordnung festgelegten Schutzkategorie sind. Grundwasserschutzgebiete gem § 33f WRG sind - gemeinschaftsrechtlich bedenklich - nicht angeführt (vgl Baumgartner ua, 126 FN 24). In Anlehnung an § 82 MinRoG ist dieser Nahebereich mit einem Umkreis von 300 m näher konkretisiert. EuGH, Kommission/Irland (FN 67) dazu oben I. C. 4. Der in den Gesetzesmaterialien (Begründung zu § 3 Abs 2, IA 168/A 21. GP.) geäußerte Wunsch nach restriktiver Auslegung des Kumulationstatbestands findet seine Grenze wiederum an den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts.
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haben, die für sich genommen, die in Anh 1 UVP-G festgelegten Schwellenwerte und Kriterien nicht erfüllen, die jedoch mit anderen Vorhaben des Anh 1 in einem räumlichen Zusammenhang stehen und die jeweiligen Schwellenwerte und Kriterien gemeinsam mit diesen Vorhaben erreichen, sind nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung einer UVP im vereinfachten Verfahren zu unterziehen. Die Behörde hat bei dieser Einzelfallprüfung festzustellen, ob auf Grund der Kumulierung der Auswirkungen der Vorhaben mit erheblichen negativen Umweltauswirkungen zu rechnen ist137,138. Bei den betrachteten Vorhaben muss es sich nicht um solche desselben Projektwerbers handeln139. Auch das Hinzutreten eines Projekts zu einem bereits genehmigten Vorhaben kann für das hinzutretende Projekt auf Grund der kumulativen Wirkung die UVP-Pflicht auslösen. Denkbar ist auch, dass ein noch nicht genehmigtes, ursprünglich nicht UVP-pflichtiges Vorhaben durch das Hinzutreten eines weiteren Vorhabens UVP-pflichtig wird. Der maßgebliche räumliche Zusammenhang wird nicht zuletzt von den Umweltauswirkungen bestimmt, die für die Einbeziehung des Vorhabenstyps in das UVP-G maßgeblich waren. Unklar ist, wann der „jeweilige Schwellenwert“ bzw das Kriterium gemeinsam erreicht werden. Eindeutig ist, nicht zuletzt im Hinblick auf das IrlandUrteil, dass zB Rodungen die in räumlichen Zusammenhang stehen, jedoch unterschiedlichen Projektzielen dienen, im Hinblick auf die gemeinsame Erreichung des Schwellenwerts des Anh 1 Z 46 zu prüfen sind140. Fraglich ist jedoch, ob Projekte in räumlichem Zusammenhang auch dann dem „Kumulationstatbestand“ unterliegen sollen, wenn sie zwar unter unterschiedliche Projektklassen des Anh 1 UVP-G zu subsumieren sind, die UVP-Pflicht jedoch an die gleichen Kriterien (zB Flächeninspruchnahme) geknüpft ist141. Der Kumulationstatbestand gelangt gem § 3 Abs 2 UVP-G jedenfalls nicht zur Anwendung, wenn das beantragte Vorhaben eine Kapazität von weniger als 25% des Schwellenwertes aufweist. Diese „Mindestschwelle“ ist im Lichte des Irland-Urteils des EuGH insofern gemeinschaftsrechtlich bedenklich, als auf diese Weise die kumulative Wirkung einer Vielzahl räumlich zusammen-
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§ 3 Abs 2 letzter Satz UVP-G. Zum Verfahren der Einzelfallprüfung (§ 3 Abs 7 UVP-G) vgl unten. Zu den einschlägigen Entscheidungen des Umweltsenats vgl Baumgartner/Niederhuber, RdU 2004, 124 (129). Eberhartinger-Tafill/Merl, UVP-G, 30f. Gerade diese Konstellation lag ja auch dem Irland-Urteil des EuGH zu Grunde. Vgl auch die Begründung zu § 3 Abs 2, IA 168/A 21. GP. So auch Baumgartner ua , 127 FN 29; Begründung zu § 3 Abs 2, IA 168/A 21. GP. Vgl weiters das dort angeführte Bsp der Errichtung von öffentlich zugänglichen Parkplätzen (Anh 1 Z 21) in Zusammenhang mit verschiedenen Projekten. Bsp: Freizeitpark mit 1.000 Stellplätzen (Anh 1 Z 17) und Hotel mit 450 Betten (Anh 1 Z 20) die gemeinsam über 10 ha Fläche in Anspruch nehmen. Dafür spricht jedenfalls beim Kriterium der Flächeninanspruchnahme, dass für die Festlegung der UVP-Pflicht nicht primär der Projekttyp maßgeblich war und dass auf diese Weise kumulative gleichgerichtete Umweltauswirkungen bestmöglich erfasst und Umgehungen hintangehalten werden können. Zur Kumulierung von Vorhabenstypen verschiedener Ziffern des Anh 1 vgl auch US 26.1.2004, 9A/2003/19-30, Maishofen.
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hängender kleiner Vorhaben auch bei allenfalls besonders sensiblen Standortbedingungen nicht erfasst werden kann142. Einem Unterlaufen der UVP-Pflicht durch die Aufsplitterung von Projekten wirken neben dem „Kumulationstatbestand“ weiters die „Einrechnungsregel“ bei der Ermittlung der UVP-Pflicht von Änderungen bzw die spezifischen Änderungstatbestände in Anh 1143 sowie der weite Vorhabensbegriff des UVPG entgegen144. c) UVP bei Änderungen von Vorhaben145 Die Genehmigungs- und UVP-Pflicht bei Änderung von Vorhaben regelt § 3a UVP-G. Gegebenenfalls ist die UVP für Vorhaben des Anh 1 Sp 1 im ordentlichen, jene für Vorhaben des Anh 1 Sp 2 und 3 UVP-G im vereinfachten UVP-Verfahren durchzuführen. Die UVP findet grundsätzlich nur ab einer Kapazitätsausweitung von mindestens 50% des in Anh 1 festgelegten Schwellenwerts und nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung statt, bei der die Behörde festzustellen hat, ob durch die Änderung mit erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu rechnen ist146. Eine Ausnahme stellen Änderungen dar, deren Ausmaß den in Anh 1 genannten Schwellenwert zu 100% erreicht. Solche Änderungen sind in jedem Fall und ohne Einzelfallprüfung einer UVP zu unterziehen147. Im Einzelnen ist zu differenzieren: Für vereinzelte Klassen von Vorhaben148 enthält bereits Anh 1 Änderungstatbestände, welche die Einzelfallprüfung und gegebenenfalls die UVP-Pflicht nach sich ziehen149. Sofern Anh 1 hingegen ausdrücklich auf die Neuerrich142
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Zwar kann auch für die Auslegung der UVP-ÄndRL die Aussage des EuGH herangezogen werden, wonach es gerade der Zweck von Schwellenwerten und Kriterien sei, die Beurteilung der konkreten Merkmale eines Projekts zu erleichtern und nicht in jedem Einzelfall die Voraussetzungen für die UVP-Pflicht prüfen zu müssen (EuGH, Kraaijeveld [FN 67], Rz 49; EuGH, Kommission/Irland [FN 67], Rz 73); jedoch ist bei der Festlegung der Schwellenwerte und Kriterien der Gefahr der (kumulativen) Umweltbeeinträchtigung durch ein, nicht bloß auf die Projektgröße abstellendes, Kriterium Rechnung zu tragen (vgl EuGH, Kommission/Irland [FN 67], Rz 66, 76). Vgl aber US 8.7. 2004, 5A/2004/2-48, Seiersberg zur Unbeachtlichkeit der 25%-Schwelle bei offensichtlicher Umgehung der UVP. § 3 Abs 5 UVP-G bzw zB Anh 1 Z 46 lit b. Dazu unten Rz 42. Vgl dazu sogleich unten d. Zum Problem der „Stückelung“ im Zusammenhang mit Eisenbahn-Hochleistungsstrecken vgl Feik, FN42. Der Gesetzgeber bezeichnet im UVP-G - sprachlich unglücklich - auch die Änderung genehmigter Anlagen und Einrichtungen, also bereits verwirklichter Projekte, als „Vorhaben“. Zum Verfahren der Einzelfallprüfung (§ 3 Abs 7 UVP-G) vgl unten. § 3a Abs 1 Z 1 UVP-G, der die entsprechenden Vorgaben der Aarhuskonvention bzw der ÖffentlichkeitsbeteiligungsRL umsetzt. Die sog 100%-Regel gilt jedoch nicht für Schwellenwerte, die in Anh 1 speziell für Änderungsvorhaben festgelegt wurden. Vgl RV 648 BlgNR 22.GP, 8. Vgl zB Anh 1 Z 5; Z 9 lit c u e; Z 10 lit c u e; Z 12 lit b u c; Z 14 lit c u d; Z 25 lit b u d; Z 26 lit b u d; Z 46 lit b, d u f; Z 47 lit b. Vgl zB: Die Änderung (Erweiterung) von Schigebieten in besonderen Schutzgebieten mit einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 10 ha (Anh 1 Z 12 lit c). Die Änderung von Eisenbahntrassen Anh 1 Z 10. Zu den Änderungstatbeständen für Flugplätze vgl US 30.1.2001, US 9/2000/14-13, Wiener Neustadt Ost III.
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tung, den Neubau oder die Neuerschließung von Vorhaben abstellt, sind Änderungen nicht UVP-pflichtig, sofern das Vorhaben nicht auch unter eine andere Ziffer des Anh 1 subsumiert werden kann150. Bei den Vorhaben, für die Anh 1 keinen Änderungstatbestand, wohl aber einen Schwellenwert enthält, sind Änderungen, nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung, ab Erreichen des Schwellenwertes und einer Kapazitätsausweitung von 50% des Schwellenwertes im vereinfachten Verfahren UVP-pflichtig. Änderungen in der Kapazität von 100% des Schwellenwerts sind jedenfalls UVP-pflichtig. Bei den Vorhaben, für die Anh 1 weder einen Änderungstatbestand noch einen Schwellenwert festlegt, sind Änderungen nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung ab einer Kapazitätsausweitung von 50% der bisher genehmigten Kapazität im vereinfachten Verfahren UVP-pflichtig. Auf die kumulative Wirkung von Änderungsvorhaben151 stellt § 3a Abs 6 UVP-G ab: Änderungen von Vorhaben des Anh 1 Sp 1, 2 oder 3, die für sich genommen, die in Anh 1 bzw in § 3a Abs 2 bis 5 UVP-G festgelegten Schwellenwerte und Kriterien für Änderungen nicht erfüllen, die jedoch mit anderen Vorhaben des Anh 1 in einem räumlichen Zusammenhang stehen und die jeweiligen Schwellenwerte und Kriterien des Anh 1152 gemeinsam mit diesen Vorhaben erreichen, sind nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung einer UVP im vereinfachten Verfahren zu unterziehen. Auch für die Anwendung des Kumulationstatbestand bei Änderungen ist eine Mindestkapazitätsschwelle von 25% vorgesehen153. Soweit Anh 1 nichts anderes vorsieht, sind die Summe der Kapazitäten, die innerhalb der letzten fünf Jahre genehmigt wurden154 - einschließlich der beantragten Kapazitätserweiterung von einer Mindestkapazitätsschwelle von 25 %155 - in die Beurteilung der beantragten Änderungsmaßnahme einzubeziehen156. Diese Bestimmung soll eine Stückelung von Vorhabensänderungen zur Umgehung der UVP-Pflicht hintanhalten157. Maßnahmen, die Gegenstand eines verwaltungsbehördlichen Anpassungs- oder Sanierungsverfahrens sind, werden
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Vgl Begründung zu § 3a, IA 168/A 21. GP. Vgl korrespondierend für „neue“ Vorhaben § 3 Abs 2 UVP-G; dazu oben Rz 37ff. Nicht das gemeinsame Erreichen der 50%-Schwelle für Änderungen, sondern der in Anh 1 festgelegte Schwellenwert für „neue“ Vorhaben ist demnach entscheidend für die Änderungsgenehmigungspflicht bei Kumulation von Vorhaben. Vgl dazu obenb. Zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Berechnung der 5-Jahresfrist vgl US 23.9. 2001, 1B/2001/2-28, Ort/Innkreis II. Zur Unbeachtlichkeit dieser Bagatellschwelle bei Umgehungskonstellationen vgl US 8.7.2004, 5A/2004/2-48, Seiersberg; bestätigend VwGH, 29.3.2006, 2004/04/0129. Näher zu einschlägigen Entscheidungen des US Baumgartner/ Niederhuber, RdU 2004, 124 (127f). § 3a Abs 5 UVP-G. Eine spezielle Regelung zur Hintanhaltung von „Stückelungen“ im Zusammenhang mit Eisenbahnvorhaben enthält Anh 1 Z 10 lit d. Vgl zu dieser Problematik auch EuGH, 16.9.2004, Rs C-227/01, Kommission/Spanien.
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von der UVP-Pflicht für Änderungen ausgenommen; „darüber hinausgehende Maßnahmen“ unterliegen den Änderungstatbeständen des UVP-G158. d) Begriff „Vorhaben“ Der Vorhabensbegriff, an den der Gesetzgeber die UVP-Pflicht anknüpft159, umfasst sowohl Anlagen als auch sonstige Eingriffe unter Einschluss sämtlicher damit in einem räumlichen und sachlichem Zusammenhang stehenden Maßnahmen160. Diese weite Legaldefinition kann bei der Auslegung der in Anh 1 angeführten Maßnahmen zum Tragen kommen, sofern die Umschreibung der UVP-relevanten Maßnahmen Auslegungsspielräume eröffnet161. Im Übrigen wird Anh 1 im Lichte der UVP-RL162 sowie mit Blick auf die Terminologie der sachverwandten Materiengesetze ausgelegt163. Bei der Beurteilung der Kapazität eines Vorhabens164, ist grundsätzlich165 auf die vom Projektwerber beantragte Größe oder Leistung bzw bei Änderungen auf den genehmigten Umfang abzustellen166. In der Judikatur des VwGH bzw des Umweltsenats167 wurden bislang ua die Begriffe „Kraftwerkskette“,168 „Schutz- und Regulierungswasserbauten“169, „offene Fläche“170, „Rodung“171, „Pistenneubau in Schigebieten“172, Mastschweineplätze173 und „Deponie“174 erörtert.
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§ 3a Abs 8 UVP-G. Zur Problematik der Grenzziehung insb bei der Genehmigung von Sanierungskonzepten und zu den mit dieser Ausnahme verbundenen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken vgl Ritter, 73 f; Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 108. § 2 Abs 2 UVP-G. Zur Bedeutung des Vorhabensbegriff bei Kumulation von Vorhaben bzw bei der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit nachfolgend. Mit der UVP-G-Nov 2000 hat der Gesetzgeber verdeutlicht, dass als Maßnahmen im räumlichen und sachlichen Zusammenhang auch weitere Anlagen oder Eingriffe gelten. Vgl dazu mit Bsp aus Entscheidung des Unweltsenates: Baumgartner/Niederhuber, 134 (FN 27-29). Gegen eine extensive „richtlinienkonforme Interpretation“ US 28. 9. 1999, 7/1999/6-7, Rothenhof/Oberloiben. Vgl näher Raschauer, § 3 Rz 4 bzw Anh 1 sowie ausführlich zu den einzelnen Projektgruppen Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 50 ff. Allgemein zu den Grenzen richtlinienkonformer Interpretation Öhlinger/Potacs (FN 82), 82 f. Näher dazu Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 28 ff. Zu möglichen Grenzen des Antragsprinzip bei offenkundiger Umgehungsabsicht vgl US 19.8. 2003, 1B/2003/11-17, Fraham. So nunmehr ausdrücklich § 2 Abs 5 UVP-G. Anders noch - vor der UVP-G-Nov 2000 - US 30. 3. 2000, 5/2000/1-13, Altmannsdorf. Vgl zu dieser Judikatur des US Baumgartner/Niederhuber, RdU 2004, 124 (127). Vgl näher dazu Baumgartner/Niederhuber, RdU 2004, (124) 126f. Dazu sogleich unten bei FN 180. US 14. 5. 1997, 7/1997/4-13, Donau/Marchland; VwGH 26. 5. 1998, 97/07/0222. US 23. 12. 1998, 8/1998/2-68, Hohenems bzw US Baumbachalm (FN 40). US 12. 4. 2000, 9/1999/7-31, Kühtai. US 21.6.2000, 5/2000/3-19, Stössing. US 29.6.2000, 1/2000/8-7, Götzis; US 12.2.2001, US 2/2000/15-5, Frohnleiten.
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Dass Projekte verschiedener Projektwerber bei der Beurteilung der UVPPflicht175 uU gemeinsam zu betrachten sind, um den Zielen der UVP gerecht zu werden, ist nunmehr durch die Rechtsprechung des EuGH176 klargestellt. Der Umsetzung dieser Vorgaben dienen insb die „Kumulationstatbestände“ des UVP-G177. Dem Problem der Umgehung der UVP-Pflicht bei zeitlich gestufter Projektverwirklichung trägt der Gesetzgeber auch durch die Gestaltung der Tatbestände für die UVP-Pflicht von Änderungen178 Rechnung. Die Vorhabensdefinition des UVP-G bietet offenbar weiterhin einen Anknüpfungspunkt dafür, Maßnahmen (auch verschiedener Projektträger) unbeschadet der „Kumulationstatbestände“ bei der Beurteilung der UVP-Pflicht im Hinblick auf die maßgeblichen Schwellenwerte und Kapazitäten dann gemeinsam zu betrachten, wenn neben dem räumlichen auch ein sachlicher Zusammenhang vorliegt179. Die Bestimmung des rechtlich relevanten „sachlichen Zusammenhangs“ ist freilich schwierig und in der Judikatur zum UVP-G bislang kaum konkretisiert180. Die bloße Übereinstimmung der Zweckwidmung, dh die mögliche Zuordnung zu demselben Anlagentyp des Anh 1 UVP-G, ohne weiteren wirtschaftlichen oder funktionellen Zusammenhang wird jedenfalls keinen „sachlichen Zusammenhang“ iS des UVP-G begründen,
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Es handelt sich freilich weiter um verschiedene Vorhaben, die grundsätzlich in getrennten Verfahren - gegebenenfalls unter Einschluss einer UVP - zu prüfen (vgl jedoch § 5 Abs 7 UVP-G)und zu genehmigen sind. EuGH, Kommission/Irland (FN 67). § 3 Abs 2 UVP-G bzw § 3a Abs 6 UVP-G. Dazu obenb. Vgl zB Anh 1 Z 26 lit b in Bezug auf die Entnahme mineralischer Rohstoffe sowie § 3a Abs 5 UVP-G. Zur Relevanz des Vorhabensbegriffs für die Abgrenzung von Vorhabensänderungen und selbständigen Vorhaben: US 23. 12. 1998, 8/1998/2-68, Hohenems; US 19. 7. 1999, 5/1998/6-46, Bad Waltersdorf; vgl dazu auch Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 97; Baumgartner/Niederhuber, 135 f. Auf diese Weise könnten Umgehungen der UVP-Pflicht durch Aufsplitterung von Projekten auch unter der 25% Schwelle des „Kumulationstatbestands“ aufgefangen werden, sofern auch ein sachlicher Zusammenhang“ zwischen den Projekten hergestellt werden kann. Vgl zur Rechtslage nach dem UVP-G 1993: Bergthaler, in Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 43ff. In der Entscheidung, Untere Ybbs hat der US (US 31. 10. 1995, 05/1995/1) unter missverständlicher Berufung auf Raschauer, § 3 Rz 6 die UVP-Pflicht für ein, zu bestehenden Kraftwerken hinzutretendes Kraftwerk mangels Identität der Projektwerber verneint ohne zu prüfen, inwieweit nicht die Verwendung des Begriff „Kraftwerkskette“ in Anh 1 UVP-G iVm § 1 und 2 UVP-G eine andere Auslegung gebietet. Kritisch Raschauer, Entscheidungsanmerkung, RdU 1996, 38; Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 45; Baumgartner/Niederhuber, 136. Vgl demgegenüber US 7. 1. 1999, 5/1998/5-18, Perg-Tobra, wo Massentierhaltungen verschiedener Projektwerber - allerdings ohne näher Auseinandersetzung mit der Frage „sachlicher Zusammenhang“ - als gemeinsam die UVP-Pflicht auslösende Vorhaben beurteilt wurden. Die gemeinsame Betrachtung von Rohstoffgewinnungsvorhaben eines Projektwerbers, die „eine betriebliche und wirtschaftliche Einheit bilden“, wurde hingegen wiederholt bejaht (US 14. 11. 1997, 8/1997/2-51, Untersiebenbrunn; US 23. 12. 1998, 8/1998/2-68, Hohenems). Zur Qualifikation verschiedener Baumaßnahmen eines Projektwerbers als Änderung eines EKZ vgl US 23.2.2001, 1/2000/17-18, Pasching. Zur einschlägigen Rechtsprechung des US vgl auch Baumgartner/Niederhuber, RdU 2004, 126f.
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andererseits ist ein solcher Konnex, entsprechend den Zielsetzungen der UVP, nicht erst bei Vorliegen eines „zwingend kausalen“ Zusammenhangs zu bejahen181. Von der Betrachtung und Abgrenzung des Vorhabens hinsichtlich der Erreichung der Schwellenwerte für die UVP-Pflicht zu unterscheiden, wenngleich nicht ohne Zusammenhang zum Vorhabensbegriff, ist die Frage, welche Maßnahmen als (mittelbare) Auswirkungen eines Projekts in die Beschreibung und Bewertung im Rahmen der UVP einzubeziehen sind182.
3. Feststellungsbescheid über die UVP-Pflicht Ob ein Vorhaben UVP-pflichtig ist und einer UVP im konzentrierten Genehmigungsverfahren zu unterziehen ist, kann - auch vor der Einbringung eines Genehmigungsantrags183 - durch ein Feststellungsverfahren geklärt werden184. Antragslegitimiert sind gemäß § 3 Abs 7 UVP-G neben dem Projektwerber die mitwirkenden Behörden185 sowie der Umweltanwalt, nicht jedoch die Standortgemeinde. Die Feststellung kann auch von Amts wegen durch die UVP-Behörde erfolgen186. Das Feststellungsverfahren dient insbesondere auch der Klärung der UVPPflicht mit Hilfe einer sog Einzelfallprüfung: Bei der Verwirklichung von Vorhaben für die in Anh 1 Sp 3 in schutzwürdigen Gebieten ein Schwellenwert festgelegt ist187, Vorhaben, für die in Anh 1 Sp 3 sonstige besondere Voraussetzungen festgelegt sind188, bei bestimmten Änderungen189 und bei der „Kumulation“ von Vorhaben190 setzt eine UVP zwingend die bescheidmäßige Feststellung der UVP-Behörde191 über die Erheblichkeit der potentiellen Umweltauswirkungen des Vorhabens192 im Rahmen einer Einzelfallprüfung voraus193. 181 182 183
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So aber Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 22 ff bzw 47. Vgl dazu und zu den damit verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten: Wimmer/ Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap IV. Zur erforderlichen Detailliertheit der Projektausarbeitung: US 16. 9. 1999, 9/1999/135, Gneixendorf. Vgl auch Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 110. Zur Berücksichtigung der Vorgaben der UVP-RL bei der Auslegung der Tatbestände des UVP-G durch den US vgl die Hinweise oben in FN 108. § 2 Abs 1 UVP-G (vgl dazu unten bei FN 290). Die mitwirkenden Behörden haben mE ein bei ihnen anhängig gemachtes Verfahren auszusetzen und die UVP-Pflicht im Zweifel im Feststellungsverfahren klären zu lassen. Die Pflicht zur amtswegigen Wahrnehmung der Zuständigkeit (§ 6 AVG) entzieht die Zuständigkeitsfrage der Parteienmaxime, steht einer Verfahrensunterbrechung zur Klärung der UVP-Pflicht jedoch nicht entgegen. AM Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap III Rz 114, unter Bezugnahme auf einen Bescheid der BMU. Vgl zB US 6.11.2000, 3/2000-10-12, Oberpullendorf. § 3 Abs 4 UVP-G. Dazu oben. Zu diesen, mit der UVP-G-Novelle 2005 in Anh 1 Z 17lit c und Z 24lit c UVP-G geschaffenen Vorhabenstypen, wie zB bestimmten Sportstätten vgl unten II. A. 2. § 3a UVP-G. Dazu oben. § 3 Abs 2 UVP-G. Dazu oben. Den sonst für die Genehmigung des Vorhabens zuständigen Behörden ist die Einzelfallprüfung verwehrt. Ob das Vorhaben durch Vorschreibung von Auflagen genehmigungsfähig wäre, ist im Feststellungsverfahren ohne Belang. Vgl dazu US, 2.3.2001, US 3/2000/5-39, Ort/Innkreis Nord.
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Kriterien für die Einzelfallprüfung, die nicht als „vorgezogene UVP“ zu verstehen ist, legt § 3 Abs 4 Z 1, 2 und 3 UVP-G insb hinsichtlich der Merkmale und des Standort des Vorhabens sowie der „Merkmale der potentiellen Auswirkungen des Vorhabens fest194. Der BMLFUW kann „nähere Einzelheiten über die Durchführung der Einzelfallprüfung“ durch Verordnung regeln195. Parteistellung im Feststellungsverfahren haben der Projektwerber, die mitwirkenden Behörden, der Umweltanwalt und die Standortgemeinde Die Befugnis, Beschwerde beim VwGH zu erheben kommt neben dem Projektwerber jedoch nur der Standortgemeinde zu196. Nachbarn, Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen zählen nicht zum Kreis der in § 3 Abs 7 genannten Parteien. Eine Erweiterung der Parteistellung auf die Nachbarn, unter Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht, wird in der Judikatur bislang abgelehnt197. Die Entscheidung ist samt Begründung in den wesentlichen Punkten kundzumachen oder zur öffentlichen Einsicht aufzulegen198. Die Entscheidungsfrist beträgt in erster und zweiter Instanz sechs Wochen199. Für die Feststellung der UVP-Pflicht von Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken bestehen Sonderregelungen, die dem § 3 Abs 7 UVP-G nachgebildet sind200.
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Zur Einzelfallprüfung vgl zB US 23.2.2001, US 1/2000/17-18, Pasching, zur Änderung eines Einkaufszentrums. Vgl Anh III der UVP-RL, der bei der Interpretation mit zu berücksichtigen ist. § 3 Abs 5 UVP-G. Hierbei kann es sich wohl nur um eine Konkretisierung der gem § 3 Abs 4 UVP-G zu berücksichtigenden Prüfkriterien und des Prüfungsablaufs handeln. Ein Leitfaden des BMLFUW zur Einzelfallprüfung gemäß UVP-G 2000 liegt vor (Schriftenreihe des BMLFUW 2/2001). § 3 Abs 7 vorletzter Satz. Nach der Rspr des VwGH hat der Umweltanwalt (VwGH 17.1.1997, 96/07/0228) im Feststellungsverfahren, anders als im Genehmigungsverfahren, keine subjektiven Rechte und damit mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung auch keine Befugnis zur Beschwerdeerhebung beim VwGH. Auch den mitwirkenden Behörden kommt, unabhängig von ihrer Formalparteistellung im Feststellungsverfahren, keine Beschwerdelegitimation zu (VwGH 13.12.2000, 2000/04/0163). VwGH 30.6.2004, 2004/04/0076 unter Bezugnahme auf EuGH, Rs C-201/02, Wells. US 28.2. 2006, 4A/2006/2-5, Funpark Arnoldstein unter Bezugnahme auf die UVPRL idF der ÖffentlichkeitsbeteiligungsRL. Vgl auch VfGH 23.11. 2003, B1212/02 der hinsichtlich der fehlenden Nachbarparteistellung im Feststellungsverfahren auf die in den Materiengesetzen eingeräumten Parteirechte verweist. Nachbarn kommt jedoch nicht in allen sonst maßgeblichen Verwaltungsvorschriften Parteistellung zu. Parteien, die nur im UVP-Verfahren Parteistellung zukommt, können die Unterlassung der UVP in den sonstigen Verwaltungsverfahren nach der Rspr des VwGH (VwGH 28.6.2005, 2003/05/0089; 20.3. 2003, 200/03/004;) nicht geltend machen. Zutreffend kritisch dazu insb mit Blick auf Art 10a UVP-RL: Ennöckl/N.Raschauer, § 3 Rz 44; näher zur einschlägigen Rspr des VwGH auch Berger, UVP-Parteistellung und Öffentlichkeitsbeteiligung, Jahrbuch des österreichischen und europäischen Umweltrechts 2006, 105. Vgl Art 4 Abs 4 UVP-RL. § 3 Abs 7 UVP-G. § 24 Abs 5 UVP-G.
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B. Genehmigungsverfahren einschließlich UVP ieS201 1. Anzuwendende Rechtsvorschriften Im Verfahren sind die Sonderverfahrensbestimmungen des UVP-G (vgl insb die Regelungen über die Umweltverträglichkeitsprüfung, die öffentliche Auflage und das Umweltverträglichkeitsgutachten) und subsidiär das AVG anzuwenden202. Die generelle Mitanwendung der speziellen Verfahrensbestimmungen jener Bundes- und Landesgesetze, die von der Genehmigungskonzentration erfasst sind, ist nicht mehr vorgesehen203; lediglich punktuell verweist das UVP-G weiterhin auf diese Regelungen204. Die in den einzelnen Materiengesetzen enthaltenen Sonderverfahrensbestimmungen über Vorverfahren, Verfahrensgliederungen oder die Bewilligung von Versuchsbetrieben sind daher im Verfahren nicht anzuwenden205. Die UVP wird im Rahmen eines ordentlichen oder eines vereinfachten UVP-Verfahrens durchgeführt. Dem ordentlichen UVP-Verfahren unterliegen (Änderungs-) Vorhaben des Anh 1 Spalte 1 UVP-G. Dem vereinfachten UVP-Verfahren unterliegen - zT nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung: (Änderungs-) Vorhaben des Anh 1 Spalte 2 und 3 sowie nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung - (Änderungs-) Vorhaben des Anh 1 Spalte 1, 2 und 3, die auf Grund ihrer kumulativen Wirkung UVP-pflichtig sind206. Das vereinfachte Verfahren weist folgende wesentliche Abweichungen auf: An die Stelle des Umweltverträglichkeitsgutachtens tritt eine zusammenfassende Bewertung der Umweltauswirkungen207. Bürgerinitiativen haben keine Partei- sondern lediglich Beteiligtenstellung208. Die Regelungen über die verpflichtende Nachkontrolle kommen nicht zur Anwendung209. Die behördli-
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In Bezug auf das Verfahren zur Genehmigung eines UVP-pflichtigen Vorhabens wird verschiedentlich zwischen der UVP im engeren Sinn (insb die Umweltverträglichkeitserklärung, das Umweltverträglichkeitsgutachten bzw die zusammenfassende Bewertung der Umweltauswirkungen, Stellungnahmen zum Vorhaben, gegebenenfalls das Ergebnis der Konsultationen mit Nachbarstaaten sowie das Ergebnis eine allfälligen öffentlichen Erörterung) und dem UVP-Verfahren als das, die UVPieS einschließende, konzentrierte Genehmigungsverfahren differenziert. Diese Differenzierung liegt zB § 17 Abs 4 UVP-G zu Grunde. Vgl dazu allg Raschauer, § 1 Z 3. § 42 Abs 1 UVP-G. § 3 Abs 3 UVP-G. Dazu Baumgartner ua, 130. Vgl demgegenüber die Rechtslage vor der UVP-G-Nov 2000 (§ 16 Abs 1 UVP-G) und kritisch dazu Raschauer, § 16 Rz 2 f. Vgl zB § 5 Abs 1. Vgl demgegenüber § 16 UVP-G 1993. Zu den damit verbundenen Auslegungsschwierigkeiten vgl Raschauer, § 16 Rz 4; Köhler/Schwarzer, § 16 Rz 6 ff; Bergthaler sowie oben Rz 35. § 3 Abs 1 UVP-G greift insofern zu kurz, als gem § 3 Abs 2 UVP-G bwz § 3a Abs 6 UVP-G bei kumulativer Umweltwirkung auch Vorhaben des Anh 1 Sp 1 UVP-G dem vereinfachten UVP-Verfahren zu unterziehen sind. § 12a UVP-G. § 19 Abs 2 UVP-G. § 21 UVP-G.
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che Entscheidungsfrist beträgt statt neun nur sechs Monate ab Antragstellung210.
Mit der UVP-G-Nov 2000211 wurde nicht nur das vereinfachte UVP-Verfahren eingeführt, sondern einige Elemente des UVP-Verfahrens generell beseitigt und der Ablauf der UVP „flexibilisiert“212. Neu eingeführt wurde das Instrument der Abschnittsgenehmigung213
2. Vorverfahren Auf Antrag des Projektwerbers ist innerhalb von drei Monaten ein Vorverfahren durchzuführen214. Die Behörde hat den Projektwerber - unter Beiziehung der mitwirkenden Behörden - an Hand der Grundzüge des Vorhabens und eines UVE-Konzepts „insbesondere“ über „offensichtliche Mängel des Vorhabens“ und über „voraussichtlich zusätzlich erforderliche Angaben“ in der UVE zu informieren215. Die Beiziehung der Öffentlichkeit zum Vorverfahren liegt nunmehr im Ermessen der Behörde216. Das fakultative Vorverfahren dient damit in erster Linie der Erhöhung der Planungssicherheit für den Antragsteller und soll die Erstellung der UVE erleichtern. Es ist erkennbar als vorläufige Grobprüfung konzipiert; wie weit die Behörde in die Abklärung des Untersuchungsrahmens der UVP („scoping“) eintritt wird nicht zuletzt von der Detailliertheit der vorgelegten Unterlagen abhängen217.
3. Genehmigungsantrag und Umweltverträglichkeitserklärung Der Antrag auf Genehmigung eines UVP-pflichtigen Vorhabens hat alle Unterlagen zu enthalten, die nach den, von der Genehmigungskonzentration um-
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§ 7 Abs 3 UVP-G. Vgl dazu oben I. A. 3. Vgl zB den Entfall der zwingenden Öffentlichkeitsbeteiligung im Vorverfahren, den Wegfall der zwingenden öffentlichen Erörterung des Umweltverträglichkeitsgutachtens und den ebenfalls mit einem Verlust an Öffentlichkeitsbeteiligung verbundenen Wegfall der Erstellung einer vorläufigen Gutachterliste und des Untersuchungsrahmen für das UVG. Die sehr detaillierten Regelungen des UVP-G 1993 zum Verfahrensmanagement und insb zur Erstellung des UVG (Prüfbuch) wurden im Hinblick auf den durch das AVG eingeräumten Gestaltungsspielraum als überflüssige Bürokratisierung empfunden; es wird jedoch davon ausgegangen, dass die Behörden die zweckmäßigen Elemente einsetzen (vgl die Begründung zu § 11, IA 168/A 21. GP). § 18a UVP-G dazu unten . § 4 UVP-G. Vgl auch Art 5 Abs 2 UVP-RL. Umfassend zu Scoping-Methoden vgl Wimmer/Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap V. § 4 Abs 2 UVP-G. Die Information im Rahmen des Vorverfahrens schließt die Vorschreibung weiterer Angaben im Genehmigungsverfahren nicht aus. Vgl auch Art 5 Abs 2 UVP-RL. Allgemein zur Rechtsnatur der Informationen im Vorverfahren vgl Raschauer, § 4 Rz 7; Wimmer/Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap V, Rz 13 f. Vgl demgegenüber die verpflichtende Öffentlichkeitsbeteiligung in § 4 UVP-G 1993, die sich nach Ansicht des Gesetzgebers im Hinblick auf die nachfolgende mehrfache Einbindung der Öffentlichkeit nicht bewährt hat. Vgl Begründung IA 168/A 21. GP. Vgl die vage Determinierung des Prüfumfangs „insbesondere“ und demgegenüber etwas weiter gehend § 4 UVP-G 1983.
Umweltverträglichkeitsprüfung
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fassten Verwaltungsvorschriften beizubringen sind218. Eine Information über die bereits erfolgte Öffentlichkeitsarbeit ist anzuschließen219. Dem Antrag ist zwingend eine Umweltverträglichkeitserklärung (UVE) anzuschließen220. Im Sinne des umweltpolitischen Verursacherprinzips und der UVP-RL werden dem Antragsteller damit weit reichende Pflichten zur Mitwirkung am Ermittlungsverfahren auferlegt221. Die UVE, deren Inhalt durch VO des BMLFUW konkretisiert werden kann222, hat folgende Elemente zu umfassen: Angaben über das Vorhaben nach Standort, Art und Umfang223, allenfalls geprüfte alternative Lösungsmöglichkeiten224, die vom Vorhaben möglicherweise beeinträchtigte Umwelt (unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwischen Schutzgütern)225, die möglichen erheblichen Umweltauswirkungen226 und Maßnahmen zu ihrer Hintanhaltung227. Die Angaben der UVE sind mit einer allgemein verständlichen Zusammenfassung und zu versehen.228 Von der Beibringung einzelner Angaben in der UVE kann mit einer Begründung abgesehen werden, wenn die Angaben für das Vorhaben nicht relevant sind („no impact statement“) oder ihre Beibringung „billigerweise nicht zumutbar“ ist229. Im vereinfachten UVP-Verfahren ist die Pflicht zur Beschreibung des Vorhabens punktuell eingeschränkt: Verzichtet wird auf die Angaben über die zu erwartende Immissionszunahme sowie den Energiebedarf und Maßnahmen der Nachsorge- und der begleitenden Kontrolle230.
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§ 5 Abs 1 UVP-G. § 5 Abs 1 UVP-G. Dies soll die Behörde ua bei der Entscheidung über die Durchführung einer öffentlichen Erörterung unterstützen. Vgl Begründung zu § 5 Abs 1, IA 168/A 21. GP. § 5 Abs 1 iVm § 6 UVP-G. Zur UVE vgl weiters Madner, 279 f; Ennöckl/ N.Raschauer, UVP-G, § 6 sowie umfassend Wimmer, in: Bergthaler/Weber/ Wimmer, Kap VII. Art 5 iVm Anh IV UVP-RL. Grundsätzlich zu dieser Aufgabenverteilung in Bezug auf die deutsche Rechtslage Schneider, Nachvollziehende Amtsermittlung bei der Umweltverträglichkeitsprüfung, 1991. Die Mitwirkungspflicht des Projektwerbers wird allerdings durch eine Zumutbarkeitsklausel (§ 6 Abs 2 UVP-G) relativiert. Derzeit liegen Leitfäden und Checklisten zur UVE vor: Vgl zB Leitfaden UVP für Schigebiet, Schriftenreihe des BMLFUW 14/2000; UBA (Hrsg) Checkliste für Umweltverträglichkeitserklärungen.. § 6 Abs 1 Z 1 UVP-G. § 6 Abs 1 Z 2 UVP-G. In Bezug auf Standort- oder Trassenvarianten vgl § 1 Abs 1 Z 4 UVP-G. § 6 Abs 1 Z 3 UVP-G. § 6 Abs 1 Z 4 UVP-G. § 6 Abs 1 Z 5 UVP-G. § 6 Abs 1 Z 6 UVP-G. Allfällige Schwierigkeiten und Lücken bei der Erstellung sind gem § 6 Abs 1 Z 7 im Rahmen der UVE anzumerken. § 5 Abs 2 UVP-G, der Art 5 Abs 1 lit a und b UVP-RL umsetzt und hinsichtlich der Zumutbarkeit vage auf „den Kenntnisstand und die Prüfungsmethoden“ abstellt. Dass nicht allein der Kenntnisstand des Projektwerbers maßgeblich ist, sondern Erhebungen zu relevanten Faktoren zumutbar sind, folgt jedoch bereits aus dem Zweck der UVE. Klarstellend insofern auch die Begründung zu § 5 Abs 3, IA 168/A 21. GP. § 3 Abs 1 iVm § 6a Abs 1 Z 1 lit d, e und f UVP-G. Die Regelung erscheint relativ willkürlich. Auch im vereinfachten Verfahren müssen gem § 6 Abs 1 Z 3 u 4
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Madner
Die Anwendbarkeit von § 13 Abs 8 AVG, der die Antragsänderung „in jeder Lage des Verfahren“ ermöglicht231, ist im UVP-G nicht ausgeschlossen, kann jedoch im Hinblick auf die Ziele der UVP insbesondere eine (teilweise) Wiederholung der UVP ieS erforderlich machen und zwar selbst dann, wenn die Sache „ihrem Wesen nach“ nicht geändert wird232. Bei fehlenden Antragsunterlagen bzw unvollständigen Angaben in der UVE hat die Behörde - auch wenn sich dies erst im Laufe des Verfahrens ergibt - die Verbesserung aufzutragen233. Bei offenkundigen, „unbehebbaren“ Genehmigungshindernissen ist der Antrag in jeder Lage des Verfahrens abzuweisen234. Für den Ablauf des Verfahrens ist ein Zeitplan zu erstellen235. Die behördliche Entscheidungsfrist beträgt längstens neun (ordentliches UVP-Verfahren) bzw sechs Monate (vereinfachtes UVP-Verfahren)236. Für bestimmte UVPVorhaben im Zusammenhang mit Großveranstaltungen (zB Europameisterschaften) ist eine Entscheidung innerhalb von vier Monaten „anzustreben“237.
4. Öffentliche Auflage und Kundmachung des Vorhabens Der Genehmigungsantrag einschließlich der UVE ist bei der Behörde und der Standortgemeinde sechs Wochen lang zur öffentlichen Einsicht und zur schriftlichen Stellungnahmemöglichkeit für jedermann aufzulegen238. Die öffentliche Auflage ermöglicht über die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung hinaus auch die Entstehung einer „Bürgerpartei“: Eine Stellungnahme kann durch Eintragung in eine Unterschriftenliste unterstützt werden. Umfasst die Unterschriftenliste 200 Personen, die zum Zeitpunkt der Unterstützung in der Standortgemeinde oder in einer unmittelbar angrenzenden Gemeinden wahlberechtigt sind, entsteht eine Bürgerinititiative, die am Genehmigungsverfahren als Partei bzw - im vereinfachten UVP-Verfahren - als Beteiligte teilnimmt239.
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UVP-G der Ist-Zustand der Umwelt und die Umeltauswirkungen des Vorhabens beschrieben werden. Vgl dazu Walter/Mayer, Grundriss des Verwaltungsverfahrensrechts7, 1999, Rz 162/1. § 37 AVG der auf die Zwecke des jeweiligen Ermittlungsverfahrens verweist. § 5 Abs 2 UVP-G iVm § 13 Abs 3 AVG. Zur Ergänzung der UVE im Berufungsverfahren vgl US 29.10.2004, 1B/2004/7-23, 7-26, Pfaffenau. § 5 Abs 6 UVP-G. § 7 Abs 1 UVP-G. Erhebliche Überschreitungen des Zeitplans sind im Genehmigungsbescheid zu begründen. § 7 UVP-G.. Diese Entscheidungsfristen sind um jeweils drei Monate verkürzt, wenn die Behörde in zeitlich engem Zusammenhang aus anderen Verfahren Kenntnisse über das Vorhaben erlangt hat. § 7 Abs 4 UVP-G. Vgl näher dazu Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 7 Rz 5 § 3a Abs 4 iVm § 7 Abs 5 UVP-G. Dieser aus Anlass einer Novelle im Anschluss an die „Spielberg-Entscheidung“ des US (US 3.12. 2004, 5B/2004/11-18) eingeführten Bestimmung wird zutreffend lediglich „Signalfunktion“ zugemessen. Vgl Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 3 Rz 6; Eberhartinger-Tafill/Merl, UVP-G, 64; Altenburger/Wojnar, UVP-G, Rz 180. § 9 Abs 1 UVP-G. § 19 Abs 4 UVP-G. Dazu auch unten II. D. Näher zur Entstehung und Willensbildung der Bürgerinitiative Meyer, Die Parteistelllung für Bürgerinitiativen im Genehmigungsverfahren nach dem UVP-G, RdU 1996, 10 (13 ff); Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap X Rz 34 ff.
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Anerkannte Umweltorganisationen240 müssen während der Auflagefrist schriftlich Einwendungen vorbringen, um ihre Parteistellung im Verfahren zu wahren. Das Vorhaben ist in Tageszeitungen unter Hinweis auf die Stellungnahmeund Unterstützungsmöglichkeit durch Edikt kundzumachen241; darüber hinaus hat die Behörde das Vorhaben auch im Internet kundzumachen242 Hinsichtlich der Kundmachungsmedien rezipiert das UVP-G die Regelungen des AVG (§ 44a Abs 3) für Großverfahren243. Die Regelungen über den Inhalt des Edikts der öffentlichen Auflage sind hingegen Mindestvorgaben, die die subsidiäre Anwendung der Sonderbestimmungen des AVG für Großverfahren244 ermöglichen sollen. Der Termin der mündlichen Verhandlung kann nicht nur in Großverfahren und damit abweichend vom AVG - zugleich mit dem Edikt der öffentlichen Auflage kundgemacht werden245. Liegt ein Großverfahren vor, dh sind an der Verwaltungssache voraussichtlich mehr als 100 Personen beteiligt, so kann die Behörde das Edikt der öffentlichen Auflage auch inhaltlich als „großes Edikt“ iS des § 44a AVG gestalten246, mit der wesentlichen Folge, dass der öffentlichen Auflage Präklusionswirkung zukommt und Personen, die nicht binnen der mindestens sechswöchigen Frist schriftlich Einwendungen erheben, die Parteistellung verlieren247. Im Großverfahren kann die Behörde auch Schriftstücke durch Edikt zustellen248.
5. Umweltverträglichkeitsgutachten bzw zusammenfassende Bewertung der Umweltauswirkungen Im ordentlichen UVP-Verfahren hat die Behörde Sachverständige249 der betroffenen Fachgebiete mit der Erstelllung eines Umweltverträglichkeitsgutachtens (UVG) zu betrauen250, welches von der Behörde im Genehmigungsverfah240 241 242 243 244
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§ 19 Abs 7 iVM § 9 Abs 1 UVP-G. Vgl dazu näher unten II. D.1. § 9 Abs 3 UVP-G. § 9 Abs 4 UVP-G. Zwei im Bundesland verbreitete Tageszeitung, Amtsblatt der Wiener Zeitung, „sonst geeignete Form“. § 44a ff AVG. Vgl zu den Sonderbestimmungen für Großverfahren: List, Die neuen Bestimmungen der AVG-Novelle 1998 über Großverfahren, in: Schwarzer (Hrsg) Anlagenverfahrensrecht, Wissenschaftliche Reihe der WKÖ, 5 (1999) 91; Walter/ Mayer (FN 231), Rz 304/1 ff; Grabenwarter, Großverfahren nach dem AVG, ZfV 2000, 718. § 9 Abs 3 letzter Satz UVP-G. Dies hat jedenfalls durch Anschlag in der Gemeinde zu geschehen. Vgl dazu unten. Im Wesentlichen ist in diesem Edikt über § 9 Abs 3 UVP-G hinaus auch auf die Rechtsfolgen für die Parteistellung hinzuweisen (§ 44 Abs 2 Z 2 AVG). Vgl dazu insb auch im Hinblick auf die Parteistellung der Bürgerinitiativen untenII.D.2. § 44f AVG. Die Beiziehung nicht amtlicher Sachverständiger ist uneingeschränkt zulässig, auch „Anstaltsgutachten“ werden für zulässig erklärt (vgl § 12 Abs 2 UVP-G). Die Anhörungsrechte der Parteien bei der Bestellung der Sachverständigen wurde mit dem UVP-G 2000 beseitigt. Vgl demgegenüber die positive Einschätzung der „befriedenden“ Wirkung dieser Mitwirkungsbefugnis bei Meyer (FN 239), 14. weiterhin besteht jedoch die Möglichkeit der Ablehnung wegen Befangenheit (§ 53 AVG; vgl Raschauer, § 11 Rz 12). § 12 UVP-G.
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ren zu berücksichtigen ist251. Das UVG dient einerseits dem umfassenden Prüfauftrag der UVP gem § 1 UVP-G, andererseits der Bereitstellung der fachlichen Grundlagen für die Erteilung der Genehmigung im konzentrierten Verfahren252. Die im Rahmen der UVE vorgelegten oder sonst vorliegende Gutachten sind bei der Erstellung des UVG mit zu berücksichtigen253. Die wesentlichen Elemente des UVG, dessen Untersuchungsgegenstand über die Angaben in der UVE hinausreicht, sind254: eine Darlegung der (medienübergreifenden) Auswirkungen des Vorhabens, eine Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der (grenzüberschreitenden) Öffentlichkeitsbeteiligung und den sonstigen Stellungnahmen; die Erstattung von Vorschläge für Maßnahmen zur Minimierung nachteiliger Umweltauswirkungen, Darlegungen zur sog Nullvariante und zu Vor- und Nachteilen geprüfter Alternativen und Standortvarianten sowie Aussagen im Hinblick auf die Raumverträglichkeit und die Auswirkungen auf eine nachhaltige Ressourcennutzung. Im Rahmen des vereinfachten UVP-Verfahrens entfällt die Erstellung des Umweltverträglichkeitsgutachtens, die Behörde hat stattdessen gem § 12a UVP-G auf der Basis der UVE, der sonst vorliegenden Gutachten und Stellungnahmen eine „zusammenfassende Bewertung der Umweltauswirkungen“ vorzunehmen. Die „zusammenfassende Bewertung“ soll einerseits dazu beitragen das UVPVerfahren flexibler zu gestalten, andererseits die, auch gemeinschaftsrechtlich geforderte, fachübergreifende Bewertung der Umweltauswirkungen sicherstellen. Inwieweit und in welcher Form beides in der Praxis gelingt, bleibt abzuwarten. § 12a UVP-G entbindet die Behörde jedenfalls nicht davon, den für die Entscheidung im Hinblick auf die Genehmigungskriteren des § 17 UVP-G maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln und die dazu erforderlichen Gutachten einzuholen255.
Das Umweltverträglichkeitsgutachten ist - anders als die „zusammenfassende Bewertung der Umweltauswirkungen“ - zur öffentlichen Einsicht aufzulegen. Eine öffentliche Erörterung des Vorhabens und des Gutachtens ist im UVP-G nicht mehr vorgesehen256. In UVP-Verfahren, die Großverfahren iS des AVG sind257, kann die Behörde jedoch eine für jedermann öffentliche Erörterung des Vorhabens mit fakultativer Bei-
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§ 17 Abs 4 UVP-G. Das UVG schließt aber die Einholung von Gutachten im Rahmen des konzentrierten Genehmigungsverfahrens nicht aus. § 12 Abs 3 UVP-G. Vgl im Einzelnen § 12 Abs 4 UVP-G. Prüfumfang und -tiefe des Beweisverfahrens unterscheiden sich insofern nicht vom ordentlichen UVP-Verfahren. Größere „Flexibilität“ ist am ehesten im Hinblick auf jene Elemente der UVP zu erwarten, die zwar für die Gesamtbewertung des Vorhabens im Hinblick auf schwer wiegende Umweltbelastungen genehmigungsrelevant sind (§ 17 Abs 5 UVP-G), denen darüber hinaus jedoch keine weiteren Genehmigungskriterien Vorhabens gegenüberstehen. So idR zB die Prüfung der Raumverträglichkeit des Vorhabens (§ 12 Abs 4 Z 5 UVP-G; auch im vereinfachten Verfahren bleibt aber die Darlegung der Auswirkungen und Wechselwirkungen des Vorhabens in Bezug auf die Landschaft und auf Sach- und Kulturgüter eine Aufgabe der UVP (vgl § 1 UVP-G). § 14 UVP-G der dies zwingend vorsah ist mit der UVP-G-Nov 2000 entfallen. Vgl oben 4.
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ziehung von Sachverständigen anberaumen258. Die Ergebnisse der öffentlichen Erörterung sind bei der Erteilung der Genehmigung zu berücksichtigen259.Wenn die öffentliche Erörterung im UVP-Verfahren vor allem auch die Information und Meinungsäußerung zum Umweltverträglichkeitsgutachten ermöglichen soll, andererseits der Erörterungstermin tunlichst so angesetzt werden soll „dass den Teilnehmern die Möglichkeit bleibt, Einwendungen zu erheben nachdem sie sich über das Vorhaben ihre Meinung gebildet haben“260, kann dies wohl nur mit einer länger als sechs Wochen dauernden Stellungnahmefrist zur Erhebung von Einwendungen erreicht werden261.
6. Mündliche Verhandlung Unbeschadet der öffentlichen Auflage des Vorhabens und einer allfälligen öffentlichen Erörterung gem § 44c AVG hat die Behörde zwingend eine mündliche Verhandlung über den Genehmigungsantrag durchzuführen262. Gegenstand der Verhandlung sind alle von der Genehmigungskonzentration erfassten Verwaltungsmaterien. Eine abschnittsweise Gliederung der Verhandlung ist möglich263. Die Verhandlung ist an dem der Sachlage nach zweckmäßigsten Ort abzuhalten264. Wird die Verhandlung nach den qualifizierten Erfordernissen des § 42 AVG kundgemacht, hat dies zur Folge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde Einwendungen erhebt265.
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§ 44c AVG. § 17 Abs 4 UVP-G. Insofern unzutreffend Grabenwarter, (FN 244), 726. Auch im Übrigen erscheint die Ansicht (vgl Walter/Mayer [FN 231], Rz 304/6; Grabenwarter, aaO 726 jeweils mit Bezug auf AB 1167 BlgNR 20. GP, 33) es dürften „die Ergebnisse der Erörterung nicht als Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens in das Verfahren einfließen“ überschießend, wenn damit geradezu ein Verbot der Auseinandersetzung mit den Meinungsäußerungen der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht werden soll. Vgl dazu auch List (FN 244), 96. AB 1167 BlgNR 20. GP, 33. Die Wünsche, die der Gesetzgeber mit der Einführung der „öffentliche Erörterung“ in das AVG verbindet sind insgesamt zweifelhaft: Ob öffentliche Erörterungen sich „in eine zweite mündliche Verhandlung verwandeln und jene Atmosphäre der Konfrontation schaffen, die eine unbelastete sachliche Auseinandersetzung mit dem Vorhaben erschwert“, wird nicht allein mit dem Hinweis auf die strikte Trennung zwischen öffentlicher Erörterung und mündlicher Verhandlung und dem Hinweis auf die bloße Informationsfunktion der öffentlichen Erörterung gesteuert werden können. Abgesehen davon scheint die Einschätzung wenig realistisch, Gegnerschaft zu einem Vorhaben ließe sich durch eine öffentliche Erörterung wenn schon nicht ausräumen, so doch in schriftliche Einwendungen umlenken. Der Verzicht auf eine öffentliche Erörterung kann die „Atmosphäre der Konfrontation“ in der mündliche Verhandlung besonders fördern: Eine mit Edikt anberaumte mündliche Verhandlung im Großverfahren ist „volksöffentlich“, das aktive Teilnahmerecht soll jedoch auf Parteien und Beteiligte beschränkt bleiben (§ 44e AVG. AB 1167 BlgNR 20. GP, 33). Vgl die Begründung zu § 16, IA 168/A 21. GP. § 43 Abs 2 AVG. Zur Möglichkeit der Unterbrechung des Ermittlungsverfahrens zur Einschaltung eines Mediationsverfahrens (§ 16 Abs 2 UVP-G) vgl unten7 c. § 16 Abs 1 UVP-G. Vgl ausführlich dazu Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, 3 16 Rz 5f. Vgl dazu untenII. D. 2.
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Die Verhandlung ist jedenfalls durch Anschlag in der Gemeinde kundzumachen. Diese Anordnung schränkt das Auswahlermessen der Behörde gem § 41 AVG ein, stellt jedoch keine in den Verwaltungsvorschriften vorgesehene besondere Kundmachungsform dar266. Soll die Präklusionswirkung der mündlichen Verhandlung gem § 42 Abs 1 AVG zum Tragen kommen ist daher überdies eine Kundmachung in geeigneter Form erforderlich. Dies kann - muss jedoch nicht zwingend - das in § 9 UVP-G vorgesehene Edikt sein. Die Kundmachung der mündlichen Verhandlung kann zugleich mit der Kundmachung der öffentlichen Auflage (§ 9 UPV-G) erfolgen und zwar abweichend vom AVG auch dann, wenn das Verfahren nicht als Großverfahren geführt wird. In Großverfahren ist die durch „großes Edikt“ anberaumte mündliche Verhandlung öffentlich, die Befugnis zur aktiven Teilnahme bleibt jedoch auf Beteiligte begrenzt.
7. Verfahrensgliederung a) Grundsätzliche Genehmigung und Detailgenehmigungen Auf Antrag des Projektwerbers kann die Behörde zunächst über die grundsätzliche Zulässigkeit des Vorhabens absprechen und die Behandlung einzelner Fragen Detailgenehmigungsverfahren vorbehalten. Die Zulässigkeit und die Reichweite des Detailgenehmigungsvorbehalts ist im UVP-G nur vage determiniert. Der mit einer Verfahrensgliederung üblicherweise verfolgte Zweck267- die Vermeidung unnötigen Planungsaufwands und die bessere Überschaubarkeit und raschere Abwicklung komplexer Vorhaben - steht in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu den Zielen und zum „gesamthaften“ Ansatz der UVP268; der Entlastungseffekt der Verfahrensgliederung kommt daher im UVP-G nur eingeschränkt zum Tragen269. Die Grundsatzgenehmigung muss im Hinblick auf alle von der Konzentration erfassten Genehmigungsanforderungen bereits eine grundsätzliche Entscheidung treffen; einzelne Materien können nicht zur Gänze dem Detailverfahren vorbehalten werden270. Die Grundsatzgenehmigung darf erst nach Durchführung einer vollständigen UVP ieS (insb UVE, UVG oder zusammenfassende Bewertung, Öffentlichkeitsbeteiligung) erteilt werden271; eine gestufte UVP ist nicht vorgesehen und auch die Umweltverträglichkeitserklärung ist vollständig vorzulegen; lediglich hinsichtlich der sonst erforderlichen, „materienspezifischen“ Antragsunterlagen wird die Vorlagepflicht im Grundsatzgenehmigungsverfahren eingeschränkt272. Sowohl im Grundsatz- als auch im 266 267 268 269 270 271
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Vgl allg zur „besonderen“ Kundmachungsform Wiederin, Die Neuregelung der Präklusion, in: Schwarzer (Hrsg), Das neue Anlagenverfahrensrecht, 1999, 17 (24). Vgl § 111a WRG. Vgl bereits Madner, 292 ff; kritisch auch Raschauer, RdU 1994, 10; derselbe, § 18 Rz 2 ff. Vgl zusammenfassend Köhler/Schwarzer, § 18 Rz 10. So auch die Begründung zu § 18, IA 168/A 21. GP. Vgl Raschauer, § 18 Rz 2; Köhler/Schwarzer, § 18 Rz 4 f. Vgl auch US 3.12.2004, 5B/2004/11-18, Spielberg. Nach der Rspr EuGH (Rs C-508/03, Kommission/Vereinigtes Königreich Rz 104 dazu oben I.4.) müsste die UVP iS der UVP-RL im Detailgenehmigungsverfahren wiederholt werden, falls Umweltauswirkungen auftreten, die erst in diesem Verfahrensabschnitt beurteilt werden können. Arg: § 3 Abs 7, der eine vollständige UVP fordert sowie § 5 Abs 1 der zwischen der UVE und den erforderlichen Antragsunterlagen differenziert. Vgl auch Raschauer, § 18 Rz 2; Köhler/Schwarzer, § 18 Rz 10.
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Detailbewilligungsverfahren sind alle Genehmigungsvoraussetzungen des § 17 UVP-G heranzuziehen273. Die in § 19 UVP-G genannten Personen und Gruppen haben im Detailgenehmigungsverfahren nur Parteistellung sofern sie vom Detailprojekt in ihren Rechten betroffen sein können.Eine mündliche Verhandlung ist im Detailgenehmigungsverfahren nicht zwingend durchzuführen274. Änderungen des Vorhabens im Detailgenehmigungsverfahren sind zulässig, sofern sie keine Ergänzung der UVP erforderlich machen und den UVP-G-spezifischen Genehmigungskriterien entsprechen; das Parteiengehör ist zu wahren275. Auch nach rechtskräftiger Detailgenehmigung können unter diesen Voraussetzungen, vor Rechtskraft des Abnahmebescheids, Änderungen genehmigt werden276. b) Abschnittsgenehmigung Vorhaben mit großer räumlicher Ausdehnung (mindestens drei Standortgemeinden) können auf Antrag des Projektwerbers - nach Durchführung einer UVP ieS für das gesamte Vorhaben - in Abschnitten genehmigt werden277. Eine mündliche Verhandlung ist für jedes der konzentrierten Genehmigungsverfahren durchzuführen. Auf Bundesstraßen- und Hochleistungsstreckenprojekte (3. Abschnitt des UVP-G) ist die Regelung ebenfalls anwendbar278; praktische Bedeutung wird die Abschnittsgenehmigung im übrigen va für die in Anh 1 angeführten Rohrleitungs-, Starkstromwege-, Straßen- und Eisenbahnvorhaben279 erlangen. c) Mediation Zeigen sich im Zuge des Genehmigungsverfahrens große Interessenskonflikte zwischen dem Projektwerber und anderen Parteien oder Beteiligten kann die Behörde das Verfahren auf Antrag des Projektwerbers „zur Einschaltung eines Mediationsverfahrens“ unterbrechen280. Es liegt allein in der Hand des Projektwerbers, jederzeit die Fortführung des Genehmigungsverfahrens zu verlangen281. Im vereinfachten UVP-Verfahren finden diese Bestimmungen keine Anwendung282. Gestaltung und Ablauf des Mediationsverfahrens (Auswahl des Mediators, Zielsetzung, Kosten etc) sind Gegenstand der Vereinbarung zwischen den
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§ 18 Abs 2 UVP-G. § 18 Abs 2 UVP-G. § 18 Abs 3 UVP-G. Zur Parteistellung im Grundsatzgenehmigungsverfahren präkludierter Parteien vgl Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 18 Rz 9. § 18b UVP-G. § 18a UVP-G. § § 24a Abs 12 UVP-G. Anh 1 Z 9 und 10 UVP-G. § 16 Abs 2 UVP-G. Hervorhebung nicht im Original. § 16 Abs 2 letzter Satz UVP-G. § 3 Abs 1 UVP-G. Dies ist angesichts des weiten Anwendungsbereichs des vereinfachten Verfahrens und der dem Projektwerber eingeräumten Dispositionshoheit über Beginn und Ende der Verfahrensunterbrechung nicht recht einsichtig.
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Beteiligten und obliegen nicht der Behörde283. Die Ergebnisse des Mediationsverfahrens können der Behörde übermittelt und von dieser „im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten“ im weiteren Verfahren und bei der Erteilung der Genehmigung - unbeschadet des Grundsatzes der materiellen Wahrheit - berücksichtigt werden284. In der Praxis285 werden Mediationsverfahren häufig vor Anhängigkeit eines UVP-Verfahrens durchgeführt.
8. Behördenzuständigkeit a) Erstinstanzliche Zuständigkeit UVP-Behörde in erster Instanz – ausgenommen in Verfahren nach dem dritten Abschnitt286 - ist die Landesregierung. Ihre Zuständigkeit umfasst das Feststellungsverfahren einschließlich der Einzelfallprüfung, das konzentrierte Genehmigungsverfahren einschließlich der UVP ieS und die Abnahmeprüfung; Bis zum Zuständigkeitsübergang287 ist die Behörde auch für die Entscheidung über Änderungsvorhaben - gleich ob diese UVP-pflichtig sind oder nicht288, für die Überwachung der Anlage und für das Verwaltungsstrafverfahren zuständig. Die Landesregierung kann ihre Zuständigkeit - einschließlich der Zuständigkeit im Verwaltungsstrafverfahren - an die Bezirksverwaltungsbehörde übertragen289. Zur erstinstanzlichen Zuständigkeit des unabhängigen Umweltsenates für länderübgreifende Vorhaben vgl Art 11 Abs 8 B-VG.
b) Mitwirkende Behörden Solange die Zuständigkeit der UVP-Behörde gegeben ist, sind diejenigen Behörden, die für die Genehmigung und/oder Überwachung des Vorhabens zuständig wären, wenn keine UVP-Pflicht bestünde, auf die Funktion einer „mitwirkenden Behörde“290 beschränkt. Als solche sollen sie ihre Fachkenntnisse im Rahmen von Anhörungs- und Stellungnahmerechten291 einbringen. Im Feststellungsverfahren zur Klärung der UVP-Pflicht eines Vorhabens sind mitwirkende Behörden antragslegitimiert292. 283
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Vgl auch die Begründung zu § 16, IA 168/A 21. GP mit Bsp zu Mediationsverfahren im Umweltrecht. Zu den üblichen Ablaufphasen eines Mediationsverfahrens vgl Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 16 Rz 14. Vgl weiters Fürst, Umweltmediation (2004); Ferz, ZfV 2002, 318. Zu den Möglichkeiten von Mediationsverfahren vgl BMLFUW (Hrsg). Umweltmediation im öffentlichen Recht. Zur Praxis der UVP in Österreich vgl www.oegut.at/themen/mediation. Vgl weiters Ziehrer, in: ÖGUT (Hrsg), Umweltmediation. Praktische Erfahrung in Österreich, 1999; zur Praxis in den USA vgl Susskind/Field, Dealing With An Angry Public (1996) dazu Davy, Vom Umgang mit zornigen Bürgern, ZfV 1997, 190. Dazu unten III. § 22 UVP-G. Dazu III. E. § 39 Abs 1 Satz 1 und 2 UVP-G. § 39 Abs 1 letzter Satz UVP-G. § 2 Abs 1 iVm § 39 Abs 2 UVP-G. Auch sonst zu beteiligende Behörden haben Mitwirkungsbefugnis (§ 2 Abs 1 Z 3 UVP-G). ZB im Rahmen des Vorverfahrens („Scoping“, § 4 Abs 2 UVP-G), zum Umweltverträglichkeitsgutachen (§ 13 Abs 1 UVP-G) oder im Rahmen der mündlichen Verhandlung (§ 16 Abs 1 UVP-G). § 3 Abs 7 UVP-G.
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Keine „mitwirkenden Behörden“ sind der Umweltanwalt und das wasserwirtschaftliche Planungsorgan, die mit speziellen Antrags- und Anhörungsbefugnissen293 sowie mit Parteistellung294 ausgestattet sind.
c) „Zuständigkeitsübergang“ Die Zuständigkeit der UVP-Behörde setzt mit dem (fakultativen) Antrag auf das Vorverfahren bzw mit der Einleitung eines Feststellungsverfahrens oder dem die UVP einleitenden Antrag auf Genehmigung des Vorhabens ein295. Mit Rechtskraft des Abnahmebescheids296 löst sich die Genehmigungskonzentration wieder auf und die Zuständigkeit zur Vollziehung geht ex lege von der Landesregierung auf die nach den maßgeblichen Verwaltungsvorschriften zuständigen „Fachbehörden“ über297. Die „Fachbehörden“ sind ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich auch zur Überwachung jener Nebenbestimmungen des Genehmigungsbescheids zuständig, die von der Landesregierung auf der Grundlage der jeweiligen Materiengesetze erlassen wurden. Die Landesregierung bleibt jedoch für die Vollziehung und Einhaltung der auf Grund von § 17 Abs 2 bis 4 UVP-G erlassenen Nebenbestimmungen zuständig298; sie kann diese Zuständigkeit an die Bezirksverwaltungsbehörde übertragen299. Bei Vorhaben ohne Abnahmeprüfung erfolgt der Zuständigkeitsübergang mit Rechtskraft des Genehmigungsbescheids300. Bei Vorhaben die mit Grundsatz- und Detailbewilligungen zugelassen werden, erfolgt der Zuständigkeitsübergang nach Rechtskraft der Abnahmebescheide bzw - bei Fehlen der Abnahmeprüfung - nach Rechtskraft der Detailbewilligungen301. d) Berufungsbehörde und Oberbehörde Berufungsbehörde und sachlich in Betracht kommende Oberbehörde302 in den Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes303 ist - auch im Fall einer 293
294 295 296 297 298
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303
Vgl zB die Antragsbefugnis des Umweltanwalts bzw die Anhörungsbefugnis des wasserwirtschaftlichen Planungsorgans im Feststellungsverfahren (§ 3 Abs 7 UVPG). § 19 Abs 3 UVP-G. § 4 bzw 5 UVP-G. § 20 Abs 2 UVP-G. Dazu unten. Raschauer, § 22 Anm 1: „Wiederaufleben der 'normalen' Zuständigkeitsordnung“. § 22 Abs 4 UVP-G. Zur entsprechenden Strafbefugnis vgl nunmehr § 45 Abs 2 lit a UVP-G. Zu den im übrigen eingeschränkten Durchsetzungsmöglichkeiten vgl Raschauer, § 22 Anm 5. § 22 Abs 4 UVP-G: „aus Gründen der Zweckmäßigkeit oder der Kostenersparnis“. § 20 Abs 6 iVm § 22 Abs 2 UVP-G. Arg: „der gem § 18 erteilten Genehmigungsbescheide“ (§ 22 Abs 3 UVP-G). Der Umweltsenat kann als sachlich in Betrach kommende Oberbehörde über Zuständigkeitsstreite gem § 5 AVG, über die Aufhebung rechtskräftiger Bescheide gem § 68 AVG und gem § 78 zur Entscheidung nach Säumnis der Landesregierung (bzw der Bezirksverwaltungsbehörde im Fall der Delegation gem § 39 Abs UVP-G) auf Grund eines Devolutionsantrages. Der Umweltsenat soll gem § 40 Abs 3 UVPG jedoch nicht als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde zur Nichtigerklärung von Bescheiden, die entgegen der Sperrwirkung der UVP (§ 3 Abs 6 UVP-G) erlassen wurden, tätig werden. Dazu zählen Feststellungsbescheide ebenso wie Sachentscheidungen, Abweichungsgenehmigungen, Abnahmebescheide und Grundsatz- und Detailgenehmigungen. Zu
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Delegation an die Bezirksverwaltungsbehörde304 - der unabhängige Umweltsenat. Die Berufungsfrist beträgt 4 Wochen305. In Berufungsverfahren sind die Bestimmungen des AVG einschließlich einzelner Bestimmungen für das Verfahren vor den UVS306. Der unabhängige Umweltsenat wurde befristet zunächst bis zum 31. 12. 2000 und mittlerweile bis zum 31. 12. 2005 vorgesehen307. Seine Entscheidungen unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Instanzenzug. Die Beschwerde an den VwGH ist zulässig. Einrichtung, Aufgaben und Verfahren des Senates werden im Einzelnen durch das USG308 geregelt. Berufungsinstanz im Verwaltungsstrafverfahren ist der örtlich zuständige UVS. e) Umweltrat Zur Beobachtung der Vollziehung des UVP-G und sonstiger Bestimmungen über die UVP, aber auch zur Beratung grundsätzlicher umweltpolitischer Fragen, wurde beim BMLFUW der Umweltrat als Beirat eingerichtet309.
C. Genehmigungsvoraussetzungen 1. Genehmigungsvoraussetzungen der „betroffenen Verwaltungsvorschriften“ Bei der Entscheidung über den Antrag hat die Behörde die Genehmigungsvoraussetzungen der jeweils von der Genehmigungskonzentration betroffenen bundes- oder landesgesetzlich geregelten Verwaltungsmaterien kumulativ heranzuziehen310. Aus jeder Genehmigungsvoraussetzung kann - im Fall negativer Beurteilung - ein Versagungsgrund für den Antrag resultieren 311. Soweit für ein Vorhaben in den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften die Möglichkeit der Einräumung von Zwangsrechten vorgesehen ist, gilt eine nach anderen Verwaltungsvorschriften für das Vorhaben erforderliche Zustimmung Dritter nicht als Genehmigungsvoraussetzung. Die Genehmigung ist jedoch unter dem Vorbehalt des Erwerbs des entsprechenden Rechts zu erteilen312.
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den weiteren Zuständigkeiten des Umweltsenats vgl Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 40 Rz 8. § 40 Abs 1 iVm § 39 Abs 1 UVP-G. § 40 Abs 2 UVP-G. § 42 Abs 1 UVP-G, § 12 USG. Näher zum Verfahren vgl Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 40 Rz 5f Art 11 Abs 7 B-VG. Dazu Oberleitner, Der Umweltsenat, ecolex 1995, 938; Raschauer, ÖJbPol '93, 1994, 495 (505 ff). BGBl 1993/698 idF BGBl I 2000/89. § 25 ff UVP-G. § 17 Abs 1; § 3 Abs 3 UVP-G. Vgl dazu auch obenI. Einen Überblick über das Anlagenrecht des Bundes und der Länder (vor den Anlagenrechtsnovellen 2000) gibt Öberseder, Handbuch Anlagenrecht, 1996. Raschauer, § 17 Rz 9, Madner, 148. US 3.12.2004, 5B/2004/11-18, Spielberg § 17 Abs 1 zweiter und dritter Satz UVP-G.
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2. UVP-G - spezifische Genehmigungsvoraussetzungen Darüber hinaus enthält das UVP-G spezifische Genehmigungsvoraussetzungen, die jedenfalls subsidiär anzuwenden sind „soweit dies nicht schon in anzuwendenden Verwaltungsvorschriften vorgesehen ist“313. Mit diesen Genehmigungskriterien soll für alle UVP-pflichtigen Vorhaben eine „wirksame Umweltvorsorge“314 gewährleistet werden und der Pflicht zur Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP315 durch entsprechend „aufnahmefähige“ Kriterien Rechnung getragen werden. Diese UVP-G spezifischen Genehmigungsvoraussetzungen enthalten im Wesentlichen folgende Anforderungen: Im Sinne des Vorsorgeprinzips ist eine Emissionsbegrenzung von Schadstoffen nach dem Stand der Technik (§ 17 Abs 2 Z 1 UPV-G) vorgeschrieben. Immissionsseitig werden mit § 17 Abs 2 Z 2 lit a und c UVP-G einerseits die traditionellen geweberechtlichen Nachbarschutzstandards (Gesundheitsund Belästigungsschutz, Schutz des Eigentums) als Mindeststandard verankert. Für Straßenbau- und Eisenbahnvorhaben316 sowie für Flughäfen317 bestehen spezielle Bestimmungen über den immissionsbezogenen Belästigungsschutz. Darüber hinaus verpflichtet das Gesetz mit § 17 Abs 2 Z 2 lit b UVP-G auch zur Vermeidung erheblicher Belastungen der Umwelt (Boden, Luft, Planzen-und Tierbestand oder Gewässerzustand). Über diese immissionsbezogenen Mindestanforderungen hinaus ist im Sinne des Vorsorgeprinzips „die Immissionsbelastung zu schützender Güter möglichst gering zu halten“ (sog Immissionsminimierungsgebot)318. Die Behörde hat die gemäß § 17 Abs 2 maßgeblichen Standards unmittelbar auf der Grundlage des UVP-G festzulegen und kann nach hA auch strengere Standards als die in den mitanzuwendenden Materiengesetzen bzw -Verord-
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§ 17 Abs 2-5 UVP-G. § 17 Abs 2-5 UVP-G verdeutlicht, dass mit dem UVP-G eigenständige von den Materiengesetzen unabhängige Genehmigungspflichte geschaffen, wurden. Vgl dazu bereits oben I. AB 1179 BlgNR 18. GP, 4. § 17 Abs 3 UVP-G bzw Art 8 UVP-RL. Vgl dazu auch oben FN (6) und (106). § 17 Abs 3 iVm § 24h Abs 2 UVP-G. Vgl unten III.A § 17 Abs 3 letzter Satz UVP-G iVm § 145b LuftfahrtG. Vorsorge gegen (lärmbedingte) Beeinträchtigungen kann demnach auch durch Schallschutzmaßnahmen an Wohngebäuden erfolgen. Für die Berechnung der Immissionen werden Sonderregelungen getroffen. Diese mit BGBl I 2006/149 auf Grund eines IA (847/A, 22.GP) geschaffene Bestimmung waren insb von dem Anliegen getragen, die Genehmigungsfähigkeit des Ausbaus des Flughafens Wien-Schwechat sicherzustellen. . Zur Vorschreibung der Modalitäten des Abtransports von Abfällen aus einer Verbrennungsanlage auf der Grundlage des Immissionsminimierungsgebots und zur Relevanz des Verhältnismäßigkeitsgebots in diesem Zusammenhang US 3. 8. 2000, 3/1995/5-109, Zistersdorf. Weiters US 21.3.2002, 1A/2001/13-57, Arnoldstein; US 3.12.2004, 5B/2004/11-18, Spielberg. Ausführlich dazu Baumgartner/Niederhuber, RdU 2005, 20. Entspricht ein Vorhaben dem Stand der Technik und werden keine Schutzgüter beeinträchtigt, kann die mögliche Vorschreibung strengerer Grenzwerte nicht erfolgreich eingewendet werden (VwGH 31.3.2005, 2004/97/0199). Der VwGH sieht in der Bestimmung auch kein Gebot effizienter Nutzung der in einem Betrieb gewonnenen Energie (VwGH 18.10.2001, 2000/07/0229).
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nungen konkretisierten festlegen, wenn dies der Schutzzweck der UVP-G spezifischen Genehmigungskriterien erfordert319. Die Genehmigung ist schließlich gem § 17 Abs 5 UVP-G zu versagen, wenn „schwerwiegende Umweltbelastungen“ zu erwarten sind, die durch belastende Nebenbestimmungen nicht „auf ein erträgliches Maß vermindert werden können“. Ob derartige Belastungen (insbesondere auch durch Verlagerungen und Wechselwirkungen) zu befürchten sind, ist durch eine „Gesamtbewertung“ unter Bedachtnahme auf „die öffentlichen Interessen, insbesondere des Umweltschutzes“ zu entscheiden. § 17 Abs 5 UVP-G hat eine „Auffangfunktion“; allfällige schwerwiegende Lücken zwischen den Zielen der UVP (§ 1) und den UVP-G-spezifischen Genehmigungsvoraussetzungen sollen verhindert werden320. Für Straßen- und Eisenbahninfrastrukturprojekte sowie für Bahnhöfe (Anh 1 Z 9-11 UVP-G), die nicht den Sonderregelungen über die UVP nach dem dritten Abschnitt unterliegen, ist ebenfalls ein konzentriertes Genehmigungsverfahren durchzuführen. Dies gilt, da das UVP-G autonome Genehmigungspflichten begründet, auch dann, wenn in den Materiengesetzen kein bescheidförmig abzuschließendes Genehmigungsverfahren vorgesehen ist. Für diese Infrastrukturvorhaben sind jedoch anstelle der in § 17 Abs 2 UVP-G festgelegten Kriterien, die Genehmigungskriterien des 3. Abschnitts über die UVP bei Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken (§ 24h Abs 1 und 2 anzuwenden)321.
3. Erteilung der Genehmigung - Nebenbestimmungen Befugnisse zur Vorschreibung belastender Nebenbestimmungen sind in den mitanzuwendenden Materiengesetzen enthalten. Darüber hinaus hat die Behörde jedenfalls gem § 17 Abs 4 UVP-G durch die Vorschreibung „geeigneter Auflagen, Bedingungen, Befristungen, Projektmodifikationen322, Ausgleichsmaßnahmen323 oder sonstige Vorschreibungen ...“ sicherzustellen, dass die für die Entscheidung maßgeblichen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt wer-
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Vgl US Zistersdorf (FN 318) zur Zulässigkeit der Unterschreitung der in der LRV-K festgelegten Grenzwerte im Hinblick auf das Immissionsminimerungsgebot; vgl aus der Lit: Ritter, 186; Raschauer, § 17 Rz 18; Weber/Dolp, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap XI Rz 61. AM Köhler/Schwarzer, § 17 Rz 6. In diesem Sinn bereits Madner, 204; Ritter, 203 ff; Raschauer, § 17 Rz 23; Köhler/ Schwarzer, § 17 Rz 17; Weber/Dolp, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap XI Rz 44 ff. In Bezug auf welche Umweltbelastungen die „Auffangfunktion“ tatsächlich zum Tragen kommen kann, wird dabei unterschiedlich eingeschätzt: „An die Ozonbildung, an kleinklimatische Belastungen, an Bodenverdichtungen- und versiegelungen ...“ denkt Raschauer, aaO; ähnlich Madner, aaO. Insb „Wechselwirkungen mehrerer Auswirkungen“ heben Weber/Dolp, aaO Rz 44 hervor. Zur Gesamtbewertung erstmals US Zistersdorf (FN 318). Ausführlich US 3.12. 2004, 5B/2004/11-18, Spielberg. Vgl dazu unten III. A. Damit wird die Vorschreibung „projektändernder“ Vorschreibungen eröffnet. Vgl dazu und zu den Grenzen: Madner, 217 f; Ritter, 222 ff. Damit sollen nicht nur Maßnahmen im Bereich des Natur- und Landschaftsschutzes (zB Ersatzpflanzungen) sondern zB auch Maßnahmen betreffend die Verkehrsbelastung durch das Vorhaben erfasst werden, nicht jedoch Kompensationsmaßnahmen bei anderen Vorhaben des Projektwerbers, so die Begründung zu § 17, IA 168/A, 21. GP.
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den324; Auf mögliche Wechselwirkungen und Verlagerungen von negativen Umweltfolgen ist bei der Beurteilung der Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen und der Vorschreibung von Nebenbestimmungen besonderes Augenmerk zu richten325. Im Genehmigungsbescheid können angemessene Fristen für die (teilweise) Fertigstellung des Vorhabens oder für die Inanspruchnahme von Rechten festgelegt werden326. Der Genehmigungsbescheid ist jedenfalls bei der Genehmigungsbehörde und der Standortgemeinde mindestens acht Wochen zur öffentlichen Einsicht aufzulegen327.
D. Parteistellung, Öffentlichkeitsbeteiligung 1. Kreis der Parteien Folgenden Personen(-gruppen) wird gem § 19 UVP-G im Genehmigungsverfahren Parteistellung eingeräumt: • Nachbarn: Das UVP-G orientiert sich dabei am „traditionellen“ Nachbarbegriff der GewO. Für Nachbarn im Ausland gilt - außerhalb des Anwendungsbereichs des EWR-A - der „Grundsatz der Gegenseitigkeit“328. • Parteien auf Grund der mitanzuwenden Materiengesetze: Soweit ihnen nicht bereits die Nachbarparteistellung zukommt, sind auch jene Personen (Legal-)Parteien, denen die Materiengesetze diese Stellung einräumen. • Umweltanwalt: Solche Organe zum Schutz der Umwelt in Verwaltungsverfahren sind derzeit nur in den Ländern eingerichtet329. • Wasserwirtschaftliches Planungsorgan, zur Wahrnehmung wasserwirtschaftlicher Interssen330 • Gemeinden: Die Standortgemeinde und diejenigen an die Standorgemeinde angrenzenden österreichischen Gemeinden, die von wesentlichen negativen Umweltauswirkungen331 des Vorhabens betroffen sein können. • Bürgerinitiativen: Die Bürgerinitiative entsteht, wenn eine Stellungnahme im Rahmen der öffentlichen Auflage (§ 9 UVP-G) von mindestens 200 324 325
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Diese Funktion der Ermächtigung zur Erlassung von Nebenbestimmungen erhellt insb auch aus § 5 Abs 6 UVP-G. Arg: „... ist zu einem hohen Schutzniveau für die Umwelt insgesamt beizutragen“. § 17 Abs 4 UVP-G geht insofern nicht über die Verpflichtung zur Einhaltung der UVP-G-spezfischen Genehmigungsvoraussetzungen hinaus, sondern bekräftigt diese Zielsetzungen des UVP-G im Lichte des Gemeinschaftsrechts (vgl insb Art 3 UVP-RL; Art 9 IPPC-RL). § 17 Abs 6 UVP-G. Vgl dazu Eberhartinger-Tafill/Merl, UVP-G 85; sowie ausführlich Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 17 Rz 20. § 17 Abs 7 UVP-G. Vgl dazu Köhler/Schwarzer, § 19 Rz 63 ff. Umweltanwaltschaften bestehen in allen Bundesländern außer Kärnten. In Kärnten ist der Naturschutzbeirat dazu berufen, die dem Umweltanwalt ind Bundesgesetzen eingeräumten Rechte wahrzunehmen. Vgl dazu Meyer, RdU 2003, 4; Raschhofer, RdU 2004, 90. Zur Abgrenzung des Kreises der betroffenen Einrichtungen vgl auch Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap X, Rz 29. § 2 Abs 4 UVP-G erfasst grundsätzlich auch den Bund. Vgl § 55 WRG. Diese Einschränkung wurde mit dem UVP-G 2000 eingefügt. Vgl dazu die Begründung zu § 19, IA 168/A 21. GP.
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Personen durch Eintragung in eine Unterschriftenliste unterstützt wird332. Im vereinfachten UVP-Verfahren haben Bürgerinitiativen lediglich Beteiligtenstellung. anerkannte Umweltorganisationen: Gemeinnützige Vereine oder Stiftungen, die als vorrangigen Zweck den Schutz der Umwelt haben und die dazu mindestens drei Jahre bestanden haben333, können unter Nachweis dieser Kriterien die Anerkennung zur Ausübung von Parteirechten im UVP-Verfahren für ihren örtlichen Tätigkeitsbereich beantragen. Der BMLFUW hat im Einvernehmen mit dem BMWA mit Bescheid über die Anerkennung zu entscheiden und dabei auch festzulegen, in welchen Bundesländern die Organisation ihre Parteirechte ausüben darf334. Anerkannte Umweltorganisationen haben im Verfahren Parteistellung, soweit sie während der öffentlichen Auflage (§ 9 Abs 1 UVP-G) schriftlich Einwendungen gegen das Vorhaben erhoben haben.
2. Erwerb und Verlust der Parteistellung Die AVG-Nov 1998 modifizierte das im österreichischen Anlagenrecht vielfach verwirklichte Modell der „Einwenderpartei“335. Das UVP-G 2000 hat in dieser Frage grundsätzlich keine vom AVG abweichenden Regelungen getroffen; allfällige besondere Regelungen in den Materiengesetzen sind nicht anzuwenden336. Zulässige337 Einwendungen müssen demnach nicht mehr zur Erlangung der Parteistellung erhoben werden, sondern um deren Verlust abzuwenden. Die Präklusionsfolge des Parteistellungsverlust tritt bei Durchführung einer qualifiziert kundgemachten mündlichen Verhandlung ein, sofern nicht spätestens am Tag vor Beginn oder während der mündlichen Verhandlung Einwendungen erhoben wurden338. In „Großverfahren“339 kommt die Präklusionswirkung dem Edikt zur Kundmachung des Vorhabens zu. Einwendungen zur Abwendung des Verlusts der Parteistellung sind während einer mindestens sechswöchigen Frist schriftlich zu erheben340. Für versäumte Einwendungen gilt - auch in Großverfahren - § 42 Abs 3 AVG. Der Antragsteller ist vom Parteistellungsverlust als Präklusionsfolge nicht betroffen341. Wegen der Anknüpfung der Präklusionsfolgen des AVG an die 332 333 334 335 336 337 338
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§ 9 Abs 5 iVm § 19 Abs 4 UVP-G. Vgl dazu obenII.B.4. § 19 Abs 6 UVP-G. § 19 Abs 7u 8 UVP-G. Die Liste der anerkannten Umwelt-NGOs wird auf der homepage des BMLFUW veröffentlicht. Wiederin, Nachbarn im Anlagenverfahrensrecht: Wie untauglich ist das AVG, JRP 1998, 63. Vgl dazu oben Rz 52. Zum Verhältnis der AVG-Nov 1998 zum UVP-G 1993 vgl Grabenwarter (FN 244), 730 ff. Vgl AB 1167 BlgNR 20. GP, 30. Wiederin (FN 266) 35. § 42 AVG. Zu den Kundmachungsvoraussetzungen vgl oben Rz 62f. Allg zur Präklusionsregelung des AVG vgl Wiederin (FN 266); Walter/Mayer (FN 231), Rz 287 ff. Verfahren an denen voraussichtlich mehr als 100 Personen beteiligt sind (§ 44a ff AVG). Vgl dazu oben Rz 62f § 44b Abs 1 AVG. Wiederin (FN 337), 37.
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Erhebung von „Einwendungen“342 wird ein Verlust der Parteistellung in Bezug auf sog „Formalparteien“ grundsätzlich nur insoweit für möglich erachtet, als die Verwaltungsvorschriften diesen Parteien die Durchsetzung von öffentlichen Interessen auch als subjektive Rechte ermöglicht343. Dies trifft freilich auf die in § 19 Abs 3 und 4 UVP-G genannten Parteien, wie insb auch den Umweltanwalt in vollem Umfang zu344.Anderes gilt für das wasserrechtliche Planungsorgan345. Anerkannte Umweltorganisationen müssen nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (§ 19 Abs 7 UVP-G) während der Auflagefrist schriftlich Einwendungen erheben346, um den Verlust ihrer Parteistellung abzuwenden. Zweifelhaft ist die Präklusionswirkung für Bürgerinitiativenin Großverfahren: Hier hätte die Kundmachung des Vorhabens durch „großes Edikt“ für die Bürgerinitiative zur Folge, dass ihrer „Stellungnahme“ bereits qualifizierte Einwendungen zu Grunde liegen müssen, will die Initiativgruppe nicht die Parteistellung sogleich verlieren, wenn die 6-Wochen-Frist für ihre Entstehung als Partei durch Sammlung von Unterschriften zur Stellungnahme abgelaufen ist. Dass dies vom Gesetzgeber beabsichtigt war, muss nicht zuletzt mit Blick auf die Formulierung des § 19 Abs 4 UVP-G bezweifelt werden347.
3. Parteirechte Ergänzend zu den durch die Materiengesetze vermittelten Rechten räumt das UVP-G den Nachbarn durch die Genehmigungskriterien in § 17 UVP-Gspezifische Parteirechte ein. Nach hM umfasst dieser Schutzanspruch jedoch nur den immissionsbezogenen Schutz vor Gefährdungen des Lebens, der Gesundheit und dinglicher Rechte sowie vor unzumutbaren Belästigungen. Die übrigen Genehmigungsvoraussetzungen des § 17 UVP-G (insb das Gebot der Schadstoffemissionsbegrenzung nach dem Stand der Technik, das Immissionsminimierungsgebot und der Versagungstatbestand „schwerwiegende Um-
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Behauptung einer subjektiven Rechtsverletzung. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 29; Wiederin (FN 266), 36 f. AM (arg: lege non distinguente) Durchführungsrundschreiben des BKA-VD, 18. 12. 1998, GZ 600.127/23-V/2/98, 14, 19. So auch Berger, UVP-Parteistellung und Öffentlichkeitsbeteiligung, Jahrbuch des österreichischen und europäischen Umweltrechts 2006, 105 (131f); AM Ennöckl/ Raschauer, UVP-G, § 19 Rz 15 mwN. So auch Baumgartner, ecolex 2005, 275 (277); Ennöckl/N.Raschauer, § 19 Rz 18. Vgl AB 757 BlgNR 22.GP, 3 zu § 19. Zur (rechtlichen) Qualität dieser Einwendungen vgl Eberhartinger-Tafill/Merl, UVP-G 103; Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, §19 Rz 32. Das UVP-G (§ 9) verweist hinsichtlich der Entstehung der Bürgerpartei auf § 19 Abs 4 und liefert keinen Anhaltspunkt dafür, dass im Großverfahren die Stellungahme der Bürgerinitiative zugleich qualifierte Einwendungen enthalten muss. Wenn in der Begründung zu § 19, IA 168/A 21. GP von einer Streichung sämtlicher „Sonderregelungen zum Erwerb der Parteistellung durch Erhebung von Einwendungen“ die Rede ist und weiters festgehalten wird, dass „alle in § 19 Abs 1 angeführten Parteien von Beginn des Verfahrens an Parteistellung haben, ohne dass es einer Handlung seitens dieser Parteien bedarf“ so hatten die Gesetzesinitiatoren nicht die Bürgerinitiative vor Augen, für deren Entstehung als Partei ja weiterhin Sonderregelungen gelten.
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weltbelastungen“) begründen demgegenüber nach hA348 keine subjektiven Rechte der Nachbarn. Dem können allerdings der auch nachbarschützende Zweck der Gefahrenvorsorge349 sowie - in Bezug auf gemeinschaftsrechtlich determinierte Standards - die „großzügigere“ Haltung des EuGH350 bei der Zuerkennung einklagbarer Rechte an Betroffene entgegengehalten werden351. Der Umweltanwalt, die Gemeinde sowie - im ordentlichen UVPVerfahren - die Bürgerinitiative sind berechtigt als Parteien die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften „als subjektives Recht“ im Verfahren geltend machen“352. Auch anerkannte Umweltorganisationen können die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften im Rahmen ihrer Einwendungen geltend machen353. Dazu zählen unbestritten jedenfalls sämtliche, und damit auch die gefahrenvorsorgenden, Genehmigungsvoraussetzungen des § 17 Abs 2-5 UVPG354. Die genannten Parteien sind legitimiert Rechtsmittel zu ergreifen und Beschwerde an den VwGH zu erheben355. ZurErhebung einer VfGHBeschwerde ist lediglich die Bürgerinitiative legitimiert 356, eine entsprechende Befugnis für Umweltanwälte und Gemeinden wurde im Gefolge des Erk VfSlg 17.220/2004357 nicht wieder eingeräumt Die Parteistellung des wasserwirtschaftlichen Planungsorgans ist auf die Geltendmachung wasserwirtschaftlicher Interessen beschränkt358.
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Köhler/Schwarzer, § 17 Rz 9, § 19 Rz 49 ff unter Bezugnahme auf die Judikatur des VwGH zur Bestimmung subjektiver Rechte; Bergthaler, in: Bergthaler/Weber/ Wimmer, Kap X Rz 25; jedenfalls in Bezug auf „Stand der Technik“ und Immissionsminimierungsgebot auch Raschauer, § 17 Rz 20. Vgl allg dazu Germann, 243 ff; dem folgend Madner, 248 f. Näher dazu in Bezug auf das Umweltrecht Madner (FN 82), 75 (78) mwN; Siehe allg dazu auch Öhlinger/Potacs (FN 82), 63 ff. Zur Befugnis „Betroffener“ die richtlinienwidrige Freistellung eines Vorhabens von der UVP-Pflicht unmittelbar auf Grund der UVP-RL geltend zu machen vgl oben Rz 25f. § 19 Abs 4 UVP-G (Bürgerinitiative) bzw gleichsinnig § 19 Abs 3 UVP-G, der auch auf die sonstigen von diesen Parteien wahrzunehmenden öffentlichen Interessen verweist. Zum Hintergrund der Regelung vgl näher Raschauer, § 19 Rz 12; Köhler/Schwarzer, § 19 Rz 70 ff u 106 ff. § 19 Abs 10 UVP-G. Zur mangelnden Qualifikation der gem § 17 Abs 1 UVP-G mitanzuwendenden bautechnischen Vorschriften der NÖ BauO vlg US Zistersdorf (FN 318). Das Recht von Umweltorganisationen Beschwerde an den VwGH zu erheben wurde im vereinfachten Verfahren nur bis zum 1.6.2006 eingeräumt (§ 46 Abs 18 Z 2a UVP-G). § 19 Abs 4 UVP-G (Verfassungsbestimmung). Nach Ansicht des VfGH fehlt es in Bezug auf den Umweltanwalt an den für die Beschwerdeberechtigung vor dem VfGH erforderlichen „echten subjektiven Rechten“. Zutreffend kritisch dazu Thallinger, ZfV 2004, 161. Vgl näher auch Ennöckl/ N.Raschauer, UVP-G, § 19 Rz 13f. Vgl näher dazu Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 19 Rz 18.
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E. Abnahmeprüfung und Nachkontrolle Die Fertigstellung jedes UVP-pflichtigen Vorhabens ist der Behörde vor der (teilweisen) Inbetriebnahme anzuzeigen359, sofern dies „der Art des Vorhabens nach“ sinnvoll ist360. Die Behörde hat daraufhin im Rahmen einer Abnahmeprüfung die Übereinstimmung der Vorhabensausführung mit der Genehmigung zu überprüfen und einen Abnahmebescheid zu erlassen, mit dem gegebenenfalls die Beseitigung von Abweichungen aufzutragen ist361. Geringfügige Abweichungen können unter Wahrung des Parteiengehörs genehmigt werden362. Im Abnahmebescheid ist auch Zeitpunkt363 der allfälligen Nachkontrolle festzulegen. Die Behörde hat bei der Abnahmeprüfung auch die Bestimmungen der mitanzuwendenden Materiengesetze über „Betriebsbewilligungen, Benutzungsbewilligungen, Kollaudierungen und dergleichen“ heranzuziehen364. Die Reichweite des Verweises auf die Materiengesetze ist unklar365, zweifelhaft ist insbesondere die Mitanwendung von Vorschriften, die einen Betriebsbewilligungsvorbehalt im Genehmigungsbescheid voraussetzen366. Das UVP-G enthält kein Verbot der Betriebsaufnahme vor Abschluss der Abnahmeprüfung; die mitanzuwendenden Materiengesetzen können jedoch einer sofortigen Inbetriebnahme entgegenstehen367.
Für Vorhaben des Anh 1 Sp 1 (ordentliches UVP-Verfahren) hat innerhalb von 3-5 Jahren nach der Genehmigung, spätestens zu dem im Abnahmebescheid festgelegten Zeitpunkt368, eine behördliche Nachkontrolle zu erfolgen. Zweck ist die Kontrolle der Einhaltung des Genehmigungsbescheids und eine Prüfung dahingehend, ob die Annahmen und Prognosen der UVP mit den tatsächlichen Auswirkungen des Vorhabens übereinstimmen.
Zuständig für die Nachkontrolle sind die zur Vollziehung der einschlägigen Materiengesetze berufenen Fachbehörden, deren Zuständigkeit mit Rechtskraft des Abnahmebescheids grundsätzlich wieder auflebt369. Eine Zuständigkeit der Landesregierung zur Nachkontrolle besteht hinsichtlich jener Nebenbestimmungen zum Genehmigungsbescheid, die auf der Grundlage von § 17 Abs 2 bis 4 UVP-G erlassen wurden370. Im 359
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§ 20 Abs 1 UVP-G. Eine Abnahmeprüfung ist - anders als noch in Vorentwürfen zum UVP-G 2000 nicht allein bei Vorhaben des Anh 1 Sp 1 vorgesehen. Die Begründung zu § 20, IA 168/A 21. GP wurde in diesem Punkt nicht angepasst. § 20 Abs 6 UPV-G. Gedacht ist offenbar an Vorhaben wie Rodungen oder Rohstoffgewinnungen. Vgl auch Baumgartner ua, 130. Der Zeitpunkt der Nachkontrolle ist diesfalls gegebenenfalls bereits im Genehmigungsbescheid festzulegen. § 20 Abs 2 und 4 UVP-G. § 20 Abs 4 UVP-G iVm § 18 Abs 3 UVP-G. § 20 Abs 6 UVP-G. § 20 Abs 2 UVP-G. Vgl zB § 121 WRG; § 37 EisenbahnG. Raschauer, § 20 Rz 4 („die funktionell verwandten Bestimmungen“). Näher dazu Madner, 226 f; vgl auch Ritter, 289 ff; Köhler/Schwarzer, § 20 Rz 6; Weber/ Wimmer, in: Bergthaler/Weber/WimmerKap XIII Rz 5. Ablehnend Ritter, 291 f; Madner, 226 f; Weber/Wimmer, in: Bergthaler/Weber/Wimmer Kap XIII Rz 5 unter Verweis auf Ritter. Kritisch auch Ennöckl/ N.Raschauer, UVP-G, § 20 Rz 5. Raschauer, § 20 Rz 2; Weber/Wimmer, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap XIII Rz 4. § 21 Abs 1 iVm § 20 Abs 1 bzw § 20 Abs 6 UVP-G. Vgl auch oben FN 360. Näher zu diesem Zuständigkeitsübergang oben. § 21 Abs 1 iVm § 22 Abs 4 UVP-G.
Madner
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Übrigen ist die Landesregierung ebenso wie die bis zur Abnahmeprüfung „mitwirkenden Behörden“ der Nachkontrolle jedenfalls beizuziehen371. Das UVP-G (§ 21 Abs 1) verpflichtet die zur Nachkontrolle zuständigen Behörden die Überprüfung koordiniert durchzuführen372.
III. Sonderregelungen A. UVP für Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken 1. Das Modell der Verkehrs-UVP Die UVP für Bundesstraßen und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken ist im 3. Abschnitt des UVP-G (§ 23a-24h UVP-G) geregelt. Mit der UVP-G-Novelle 2004373 wurden diese Bestimmungen grundlegend neu gestaltet374. Wesentliche Zielsetzung war es, bei der Vorhabenszulassung die vollständige Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP iS der UVP-RL zu gewährleisten und die durch die Aarhuskonvention bzw die ÖffentlichkeitsbeteiligungsRL erforderliche Ausweitung der Parteistellungen und Öffentlichkeitsbeteiligung sicherzustellen375. Die Trassenverordnung als Instrument der Zulassung für Bundesstraßen und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken ist entfallen und dem entsprechend auch die Einbindung der UVP n das Verfahren zur Erlassung der TrassenVOen weggefallen. An die Stelle der TrassenVOen ist ein, vom BMVIT durchzuführendes, bescheidförmiges Genehmigungsverfahren getreten, in das die UVP eingebettet ist. In diesem UVP-Genehmigungsverfahren sind vom BMVIT auch alle bundesrechtlichen Verwaltungsvorschriften mit anzuwenden, für die ansonsten das BMVIT oder ein anderer Bundesminister in erster Instanz zuständig wäre, wie zB die Trassengenehmigungen nach dem BStrG, dem HLSG (sogenanntes teilkonzentriertes Genehmigungsverfahren)376. In Bezug auf die sonstigen, nach bundesrechtlichen Vorschriften für das Vorhaben erforderlichen Genehmigungen hat der Landeshauptmann ein teilkonzentriertes Genehmigungsverfahren durchzuführen377. Hinsichtlich landesgesetzlicher Genehmigungsvorschriften, zB nach den NaturschG konnte keine Verfahrens- und Genehmigungskonzentration verwirklicht werden378. Das UVP-G sieht UVP-Gspezifische Genehmigungskriterien und Parteistellungsregelungen vor, die vom BMVIT und den übrigen für Genehmigungen zuständigen Behörden anzuwen-
371 372 373 374 375 376 377 378
§ 21 Abs 2 Satz 2 UVP-G. § 21 Abs 1 UVP-G („gemeinsam“). BGBl I 2004/153. Ausführlich dazu Schmelz/Schwarzer, ecolex 2005, 271; Ennöckl/N.Raschauer, ZfV 2005, 505; diesselben UVP-G, § 23a ff. Näher dazu unten. Zu den Hintergründen der Novelle siehe auch Schmelz/Schwarzer, ecolex 2005, 271; Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 23a Rz 2. § 24 Abs 1 UVP-G. § 24 Abs 3 UVP-G. § 24 Abs 4 UVP-G. Immerhin hat der Umweltausschuss (AB 757 BlgNR 22.GP, 5) an die Länder appelliert, auch im Bereich der landesrechtlichen Vorschriften für eine Teilkonzentration zu sorgen und im übrigen die Verfahren möglichst koordiniert mit den bundesrechtlichen Genehmigungsverfahren durchzuführen.
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den sind379. Vor Abschluss der UVP dürfen Genehmigungen bei sonstiger Nichtigkeit nicht erteilt werden („Sperrwirkung“)380. Modifikationen des Projekts bis zur rechtskräftigen Genehmigung haben idR die Pflicht zur teilweisen Wiederholung der UVP zur Folge381.
2. UVP-pflichtige Vorhaben Nicht alle Bundesstrassen- und Hochleistungsstrecken bzw deren Änderungen sind UVP-pflichtig; die UVP-Pflicht ist zT an Schwellenwerte in Bezug auf die Trassenlänge und die erwartete Verkehrsbelastung gebunden oder vom Ergebnis einer Einzelfallprüfung abhängig. Zur Erfassung der kumulativen Auswirkungen von Vorhaben bestehen spezielle Tatbestände. Ein detaillierter Überblick über die UVP-pflichtigen Vorhaben erfolgt im Zusammenhang mir der Darstellung des Verkehrsrechts382.
3. Feststellung der UVP-Pflicht Die mitwirkenden Behörden, der Umweltanwalt und die Standortgemeinde und seit der UVP-G-Novelle 2004 auch der Antragsteller383 sind im Anschluss an die Information über ein Bundesstraßen- oder Hochleistungsstreckenvorhaben innerhalb von sechs Wochen zur Einleitung eines Feststellungsverfahrens legitimiert und haben auch Parteistellung im Feststellungsverfahren384. Die Einzelfallprüfung zur Feststellung der UVP-Pflicht ist von der Behörde gegebenenfalls auch von Amts wegen durchzuführen385.
4. UVP-Verfahren Der Ablauf der UVP einschließlich der Differenzierung zwischen einem ordentlichem und dem vereinfachtem UVP-Verfahren gleicht im Wesentlichen der UVP im konzentrierten Genehmigungsverfahren386: Sofern nicht die Durchführung eines Vorverfahrens beantragt wird387, wird das UVP-Verfahren mit der Vorlage eines UVP-pflichtigen Projekts in Gang gesetzt388. Den Projektunterlagen ist eine Umweltverträglichkeitserklärung (UVE) anzuschließen389. Die Projektunterlagen einschließlich der UVE sind nach den Bestimmungen über die öffentliche Auflage sechs Wochen lang zur schriftlichen Stellungnahme für jedermann aufzulegen390. Anerkannte Umweltorganisationen müssen 379 380 381 382 383 384 385 386 387 388 389 390
§ 24h Abs 5 UVP-G. § 24 Abs 10 UVP-G. Vgl § 3 Abs 6 UVP-G. § 24g UVP-G. Vgl den Beitrag Verkehrsrecht von Resch. Vgl dazu Baumgartner, ecolex 2005, 275. § 24 Abs 5 UVP-G. § 24 Abs 5 UVP-G ist insofern unvollständig. Vgl auch die Begründung zu § 24 UVP-G, IA 168/A 21. GP. Auf die einschlägigen Ausführungen oben unter II. B wird verwiesen. § 24 Abs 7 UVP-G verweist auf die entsprechenden Regelungen für das konzentrierte Genehmigungsverfahren (§ 4 UVP-G), dazu obenII. B. 2. Zur planenden Stelle vgl den Beitrag Resch, Verkehrsrecht. § 24 Abs 7 iVm § 6 UVP-G. Die Behörde kann allerdings festlegen, dass bestimmte Unterlagen erst in einem späteren Genehmigungsverfahren vorzulegen sind. § 24 Abs 9 UVP-G iVm § 9 UVP-G. Bei Bundesstraßen findet zugleich die Auflage gem § 4 Abs 5 BstrG statt.
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zur Wahrung ihrer Parteistellung Einwendungen erheben391. Durch Unterstützung einer Stellungnahme mit mindestens 200 Unterschriften kann eine Bürgerinitiative gebildet werden392, die in den nachfolgenden Genehmigungsverfahren Partei- bzw (vereinfachtes Verfahren) Beteiligtenstellung hat393 und die zur Anfechtung der Genehmigungsentscheidungen beim VwGH und VfGH legitimiert ist394. Unter Berücksichtigung der UVE und der eingelangten Stellungnahmen sowie mit Blick auf die UVP-G spezifischen Genehmigungskriterien395 ist vom BMVIT ein Umweltverträglichkeitsgutachten, bzw - im vereinfachten Verfahren - eine zusammenfassende Bewertung der Umweltauswirkungen zu erstellen396. DasUmweltverträglichkeitsgutachten ist unverzüglich mindestens vier Wochen lang zur öffentlichen Einsicht aufzulegen397 Wie im UVP-Verfahren nach dem 2. Abschnitt ist zwingend eine mündliche Verhandlung durchzuführen398. Mit der UVP-G-Novelle 2004 kann auch das UVP-Verfahren des dritten Abschnitts in ein Grundsatz- und ein Detailgenehmigungsverfahren gegliedert werden399. Zudem besteht nun auch die Möglichkeit Abschnittsgenehmigungen zu beantragen400. Der BMVIT hat das teilkonzentrierte UVP-Genehmigungsverfahren mit den von anderen Behörden zu führenden Genehmigungsverfahren zu koordinieren401. Gegenstand dieser Koordinierungspflicht ist vor allem die Frage, wie die Berücksichtigung der UVP erfolgen soll; es geht also insbesondere um die Abstimmung der zu erteilenden Genehmigungsauflagen und sonstigen Nebenbestimmungen. Der BMVIT hat gem § 24h Ab 8 UVP-G auch darauf hinzuwirken402, dass möglichst in allen Genehmigungsverfahren dieselben Sachverständigen eingesetzt werden.
5. UVP-spezifische Entscheidungskriterien Die Ergebnisse der UVP sind bei der Erlassung des teilkonzentrierten UVPGenehmigungsbescheids zu berücksichtigen403. Die Behörde ist gem § 24h 391 392 393 394 395 396 397
398 399 400 401 402 403
§ 24h Abs 8 iVm § 19 Abs 1 Z 7 UVP-G. § 24 Abs 7 iVm § 9 UVP-G. Vgl dazu auch obenII. B. 4. § 24h Abs 8 iVm § 19 UVP-G. § 24h Abs 8 UVP-G. § 24h UVP-G. § 24c bzw § 24d UVP-G. § 24e UVP-G. § 24f UVP-G. Die Nichtbeachtung der Frist zur Kundmachung der öffentlichen Erörterung und die damit verbundene Beeinträchtigung des Informations- und Anhörungsrechts qualifizierte der VfGH nach der alten Rechtslage als beachtlichen Verfahrensmangel, der zur Aufhebung der Trassenverordnung als gesetzwidrig führt (VfGH 1.12.2000, V 61/99 zur Unterschreitung der Kundmachungsfrist für die Anhörung im Bürgerbeteiligungsverfahren um zwei Tage). Im vereinfachten Verfahren ist den Parteien die zusammenfassende Bewertung im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis zu bringen § 24 Abs 6 iVm § 16 UVP-G. § 24h Abs 9 bis 11 UVP-G. § 24h Abs 12 mit Verweis auf § 18a UVP-G. § 24h Abs 7 UVP-G. Auf das Problem mangelnder Weisungsbefugnis des BMVIT weisen Ennöckl/ Raschauer, UVP-G, § 24h Rz 8 hin. § 24h Abs 3 Satz 1 UVP-G.
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Abs 1 und 2 UVP-G insbesondere zur Emissionsbegrenzung nach dem Stand der Technik, zur Immissionsminimierung und zum immissionsbezogenen Umwelt-, Gesundheits- und Belästigungsschutz verpflichtet404. Der Belästigungsschutz erfährt jedoch bei Straßenbauvorhaben eine Modifikation: Die Zumutbarkeit von Belästigungen ist nach Maßgabe einer saldierenden Betrachtung hinsichtlich des durch das Vorhaben be- und entlasteten Personenkreises zu beurteilen und wird von der wirtschaftlichen Vertretbarkeit des Aufwand begrenzt405; bei Eisenbahnvorhaben ist auf bestehende besondere Immissionsschutzvorschriften abzustellen.
Ergibt eine Gesamtbewertung des Vorhabens unter Bedachtnahme auf die öffentlichen Interessen, insbesondere des Umweltschutzes, dass schwerwiegende Umweltbelastungen zu erwarten sind, ist der Genehmigungsantrag abzuweisen406. Der begründete Genehmigungsbescheid ist mindestens acht Wochen zur öffentlichen Einsicht aufzulegen407. Die Ergebnisse der vom BMVIT im Rahmen des teilkonzentrierten Genehmigungsverfahrens durchgeführten UVP sind auch für die übrigen, gegebenenfalls erforderlichen Genehmigungsverfahren für Bundesstraßen- und Hochleistungsstreckenprojekten relevant408: Die Genehmigungsbehörden haben die UVP-Ergebnisse bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen409. Auch die Entscheidungskriterien in § 24h Abs 1 bis 4 UVP-G erfüllen eine mehrfache Funktion410: Sie determinieren die Behörde nicht nur bei der Erteilung der Genehmigung im teilkonzentrierten UVP-Genehmigungsverfahren sondern dienen als zusätzliche UVP-G spezifische Genehmigungskriterien in den von anderen Behörden zu führenden Genehmigungsverfahren. In diesen Verfahren ist auchdie Ermächtigung betreffend die Vorschreibung von Nebenbestimmungen, wie insb auch Projektmodifikationen oder Ausgleichsmaßnahmen411 heranzuziehen. Der BMVIT und die sonstigen Genehmigungsbehörden haben alle diese Genehmigungsvorschriften anzuwenden, „soweit sie für ihren Wirkungsbereich maßgeblich sind“412. Diese Anordnung ist unklar413 und deutet auf eine, wohl bereits in der Kompe404 405
406 407 408
409 410
411 412 413
Vgl die Standards des § 17 Abs 2 UVP-G im konzentrierten Genehmigungsverfahren nach dem 2. Abschnitt des UVP-G. § 24h Abs 2 UVP-G der den gleich lautenden § 17 Abs 2a UVP-G 1993 ersetzt stellt auf die wesentliche Entlastung der Nachbarn bestehender Verkehrsanlagen ab. Vgl dazu näher Köhler/Schwarzer, § 17 Rz 15a; kritisch Weber/Wimmer, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap XII Rz 65 ff mit verfassungsrechtlichen Bedenken insb zur Sachlichkeit der damit verbundenen Privilegierung von Straßenbauvorhaben. § 24h Abs 3 UVP-G. Vgl § 17 Abs 5 UVP-G. § 24h Abs 13 UVP-G. § 24h Abs 6 UVP-G. Vehemente Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese „doppelte“ Berücksichtigung der UVP und der übrigen Entscheidungsdeterminanten äußert Hecht (FN 45), 632; derselbe, 98 jeweils zur Stammfassung des dritten Abschnitts des UVP-G § 24h Abs 6 iVm § 24h Abs 3 UVP-G. Durch Verweis sind sie überdies als Kriterien im konzentrierten Genehmigungsverfahren für Verkehrsinfrastrukturprojekte des Anh 1 heranzuziehen. § 17 Abs 3 iVm Anh 1 Z 9-11 UVP-G. Vgl oben Rz 84. § 24h Abs 6iVm § 24h Abs 5 UVP-G.. § 24h Abs 3 UVP-G. Vgl, noch zur Stammfassung des § 24 UVP-G, die Kontroverse zwischen: Bergthaler/Trautwein/Wimmer (FN 45); Baumgartner (FN 45) sowie mit vehementen
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tenzverteilung angelegte (partielle) Zuständigkeitskonkurrenz der Genehmigungsbehörden hin. Überwiegend wird sie dahin verstanden, dass die Behörden die UVP-G spezifischen Genehmigungskriterien nur insoweit mit anzuwenden haben, als die durch das jeweilige „Materiengesetz“ geschützten Rechtsgüter betroffen sind414. Demnach hat der BMVIT sämtliche UVP-G-Genehmigungskriterien im Hinblick auf die Entscheidung über den Trassenverlauf anzuwenden, es hat aber zB die Naturschutzbehörde die Bestimmungen über den Belästigungsschutz nicht anzuwenden, der Wasserrechtsbehörde ist eine Beurteilung der Beeinträchtigung „terrestrischer“ Tier- und Pflanzenpopulationen verwehrt415. Weiterhin ist durch diese Regelung eine vollständige Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP sowie eine Gesamtbewertung in allen Genehmigungsverfahren nicht in jedem Fall gewährleistet416, 417. Mit der UVP-G-Nov 2004 ist jedoch insofern eine Entschärfung der Problematik eingetreten, als durch den Wegfall der TrassenVO und die Einführung eines teilkonzentrierten Genehmigungsverfahrens nunmehr jedenfalls sichergestellt ist, dass die Ergebnisse der UVP auch mittels Auflagen in die bescheidförmige Trassenentscheidung des BMVIT einfließen können. Auch nach der Umgestaltung des dritten Abschnitts bleiben mit § 24 Abs 6 UVP-G schwierige Abgrenzungsprobleme ungelöst418; die Koordination der Verfahren durch den BMVIT419 vermag dem in der Praxis uU gegenzusteuern.
6. Parteistellung und Verordnungsanfechtungsbefugnis Im teilkonzentrierten UVP-Genehmigungsverfahren und in den übrigen Genehmigungsverfahren420 haben die nach den jeweils anzuwenden Verwaltungsvorschriften vorgesehenen Personen Parteistellung421. Subsidiär dazu hat der Gesetzgeber in Umsetzung der UVP-ÄndRL 2003/35/EG zur Öffentlichkeitsbeteiligung422 auch Nachbarn (§ 19 Abs 1 Z 1 UVP-G) Parteistellung eingeräumt, soweit diese durch den jeweiligen Verfahrensgegenstand in ihren Rechten betroffen sind423. Darüber hinaus haben der Umweltanwalt, das wasserwirtschaftliche Planungsorgan, die Standortgemeinde sowie die unmittelbar angrenzende Gemeinde und - im ordentlichen UVP-Verfahren - Bürgerinitiativen
414 415 416 417
418
419 420 421 422 423
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine auch nur teilweise kumulative Anwendung der UVP-spezifischen Genehmigungskriterien: Hecht (FN 45). Vgl auch oben I. B. 1. Vgl Köhler/Schwarzer, § 24 Rz 13; Weber/Wimmer, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap XIII Rz 63. So die Bspe bei Köhler/Schwarzer bzw Weber/Wimmer, aaO. Vgl weiters Altenburger/Wojnar, UVP-G, § 24h Rz 420; Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 24h Rz 7. Vgl Weber/Wimmer, in: Bergthaler/Weber/Wimmer, Kap XIII Rz 64 zur Stammfassung des § 24 UVP-G. Ein Befund der freilich nicht als Plädoyer für eine kompetenzwidrige Vollziehung UVP-gesetzlicher Vorschriften verstanden werden will. Missverständlich insofern Ennöckl/N. Raschauer,UVP-G, § 24h Rz 7. Vgl zB mit Blick auf Vorhaben in Natura 2000-Gebieten, die Vollziehung der UVPG-Genehmigungskriterien einerseits und der NaturschutzG der Länder andererseits, Schmelz/Schwarzer, ecolex 2005, 271. Altenburger/Wojnar, UVP-G, § 24h Rz 426. § 24h Abs 7 UVP-G. § 24 Abs 1, 3 und 4 UVP-G. § 24h Abs 8 Satz 1 UVP-G. Art 10a UVP-RL idF der ÄnderungsRL 2003/35. Nachbarn können daher zB Lärmbelästigungen im UVP-Genehmigungsverfahren geltend machen, nicht jedoch im naturschutzrechtlichen Verfahren. Vgl Baumgartner, ecolex 2005, 275 (277).
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Parteistellung424 mit der Berechtigung die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften als subjektives Recht im Verfahren wahrzunehmen425 und Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, Bürgerinitiativen auch an den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Europarechtlich determiniert426 war schließlich auch die Einräumung der Parteistellung für anerkannte Umweltorganisationen427 mit der Berechtigung, die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften im Verfahren geltend zu machen und Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben428.
7. Behördenzuständigkeit Die Umweltverträglichkeitsprüfung und das teilkonzentrierte Genehmigungsverfahren sind vom BMVIT durchzuführen, der damit den LH ganz oder teilweise betrauen kann429. Der BMVIT ist auch zuständige Behörde für das Feststellungsverfahren430. Gegen Bescheide des BMVIT können unmittelbar die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts angerufen werden. Diejenigen bundesgesetzlich geregelten Genehmigungsverfahren, die bisher im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung von der BVB oder vom LH zu vollziehen waren sind vom LH zu vollziehen431. Die Behördenzuständigkeit für die nach den Verwaltungszuständigkeit von den Ländern zu vollziehenden Genehmigungsverfahren werden durch das UVP-G nicht verändert432.
B. Besondere Bestimmungen für wasserwirtschaftlich bedeutsame Vorhaben Zu den in Anh 1 aufgezählten Vorhaben, die gegebenenfalls einer UVP im konzentrierten Genehmigungsverfahren zu unterziehen sind, zählen auch eine Reihe von wasserwirtschaftlichen Vorhaben433. Der 4. Abschnitt des UVP-G („Besondere Bestimmungen für wasserwirtschaftlich bedeutsame Vorhaben“) enthält insbesondere spezielle Verordnungsermächtigungen für solche Vorhaben. So wird eine Konkretisierung der Einzelfallprüfung und der UVE in Bezug auf wasserwirtschaftliche Aspekte ermöglicht434. Weiters sind im Genehmi424 425 426 427 428 429 430 431 432 433 434
§ 24h Abs 5 iVm § 19 Abs 1 UVP-G. Im vereinfachten Verfahren haben Bürgerinitiativen lediglich Beteiligtenstellung mit dem Recht auf Akteneinsicht. Vgl dazu obenII. D. Art 10a UVP-RL idF der ÄndRL 2003/35. Dazu oben II. D. § 24 Abs 8 UVP-G. Vgl dazu Baumgartner, ecolex 2005, 275 (277). § 24 Abs 1 UVP-G.. § 24 Abs 2 UVP-G. § 24 Abs 3 UVP-G. Ausführlich zu den damit verbundenen Abgrenzungsfragen Ennöckl/N.Raschauer, UVP-G, § 24 Rz 2. § 24 Abs 4 UVP-G. ZB Wasserkraftwerke, Bodenentwässerungsanlagen, Nassbaggerungen. Mit Blick auf die einschlägigen Verordnungsermächtigungen in § 3 Abs 3 bzw 5Abs 3 UVP-G können diese Bestimmungen nur als Ausdruck der besonderen Sorge um die Berücksichtigung wasserwirtschaftlicher Aspekte bzw als Vorsorge für den Fall einer Änderung der Ressortverteilung in Bezug auf die Umweltagenden verstanden werden.
Madner
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gungsbescheid Abschnitte mit wasserwirtschaftliche Aspekten zusammenzufassen, spezifische Vorgaben für Inhalt und Form von Bewilligungsbescheiden können verordnet werden435. Mit Blick auf gemeinschaftsrechtliche Vorgaben wird der Genehmigungsinhaber zur Übermittlung von wasserwirtschaftlich relevanten Überwachungsdaten verpflichtet436. Die bereits in § 17 UVP-G angeordnete Mitanwendung wasserrechtlicher Genehmigungskriterien im konzentrierten Genehmigungsverfahren soll offenbar bekräftigt werden437.
C. UVP und Bodenreform Mit der UVPÄndRL wurden auch Bodenreformvorhaben der UVP-Pflicht unterworfen438. Zur Umsetzung dieser Vorgaben wurden „außerhalb“ des UVPG im Flurverfassungs-GrundsatzG bzw im Grundgesetz über die Behandlung der Wald- und Weidenutzungsrechte439 spezielle Regelungen für die UVP im agrarbehördlichen Verfahren getroffen440.
435 436 437 438 439 440
§§ 24i und 24j UVP-G. § 24l UVP-G. § 24k Abs 1 UVP-G, der auf die §§ 12, 12a, 13 und 105 WRG verweist. Anh I Z 1 lit a u d (Flurbereinigungsprojekte, Umwandlungen der Bodennutzungsart). Vgl jeweils § 34a ff. Zu den einfachgesetzlichen Regelungen vgl Müller (FN 34), 17 ff. Zur fragwürdigen Kompetenzgrundlage siehe oben I. B.
Verena Madner/Martin Niederhuber
Abfallbehandlungsanlagen Rechtsgrundlagen ...........................................................................................891 Grundlegende Literatur...................................................................................892 I. Grundlagen ................................................................................................892 A. Einführung und historische Entwicklung...............................................892 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................895 1. Innerstaatliche Kompetenzverteilung................................................895 2. Rechtsetzungskompetenz der Gemeinschaft .....................................900 C. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen..................902 1. Völkerrechtliche Bezüge ...................................................................902 2. Relevantes Primär- und Sekundärrecht .............................................903 3. EuGH-Rechtsprechung zum anlagenrelevanten Abfallrecht.............907 II. AWG des Bundes .....................................................................................908 A. Gegenstand der Genehmigungspflicht...................................................908 1. Abfallbegriff......................................................................................908 2. Anlagenbegriff ..................................................................................914 3. Begriff der Abfallbehandlung ...........................................................915 B. Ortsfeste Behandlungsanlagen ..............................................................916 1. Regelungsansatz ................................................................................916 2. Genehmigungs- und Anzeigetatbestände des § 37 AWG 2002 ........917 3. Genehmigungskonzentration.............................................................919 4. Ordentliches Genehmigungsverfahren ..............................................923 5. Vereinfachtes Genehmigungsverfahren ............................................927 6. Anzeigeverfahren ..............................................................................928 7. Altstoffsammelzentren und Problemstoffsammelstellen ...................928 8. Deponien ...........................................................................................929 9. IPPC-Abfallbehandlungsanlagen ......................................................934 10. UVP-pflichtige Abfallbehandlungsanlagen ....................................938 C. Mobile Anlagen .....................................................................................940 D. Verwaltungsstrafbestimmungen ............................................................941 III. Landesabfallrecht...................................................................................941 A. Anwendungsbereich...............................................................................941 B. Planungsakte der Länder.......................................................................942 C. Öffentliche Verpflichtung zur Bereitstellung von Abfallbehandlungsanlagen....................................................................942 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht: RL 75/439/EWG (Abl L 194/31) idF RL 2000/76/EG (Abl L 332/91) - AltölRL; RL 2006/12/EG - AbfallRL; RL 85/337/EWG (Abl C 210/78) idF RL 97/11/EG (Abl L 73/5) - UVP-RL; RL 86/278/EWG (Abl L 181/6) idF RL
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91/692/EWG (Abl L 377/48) - KlärschlammRL; (werden nun in RL 2000/76/EG geregelt); RL 91/157/EG (Abl L 1/1) idF RL 98/101/EWG (Abl L 1/1) - BatterienRL; RL 91/689/EWG (Abl L 377/20) idF RL 94/31/EG (Abl L 168/28) - Richtlinie über gefährliche Abfälle; RL 94/62/EG (Abl L 365/10) idF 2005/20/EG (Abl 70) - VerpackungsRL; RL 96/59/EG (Abl L 243/31) - PCB/PCT-RL; RL 96/61/EG (Abl L 22/26) - IPPC-RL; RL 1999/31/EG (Abl L 182/1) - DeponieRL (ergänzt durch: VO EG Nr. 1882/2003); RL 2000/53/EG v 18. 9. 2000 (Abl L 269/34) - AltautoRL; RL 2000/76/EG (Abl L 332/91) - VerbrennungsRL Innerstaatliches Recht: AbfallwirtschaftsG 2002 - AWG 2002 (BGBl 2002/102 idF BGBl I 2006/34); GewO 1994 - GewO (BGBl 1994/194 idF BGBl I 2006/84 =Novelle in Bearbeitung!; derzeit: 2006/15);
Grundlegende Literatur: Beckmann, Zulassung von Anlagen und Tätigkeiten, in: Rengeling (Hrsg) Handbuch des deutschen und europäischen Umweltrechts, 2005, Bd II, § 73; Bergthaler/Wolfslehner (Hrsg) Das Recht der Abfallwirtschaft2 (2004); Davy, Rechtsfragen der Abfallentsorgungsanlagen, in: Funk (Hrsg) Abfallwirtschaftsrecht, 1993; Funk, Das Recht der Abfallwirtschaft und Altlastensanierung im System der österreichischen Rechtsordung, in: Funk (Hrsg) Abfallwirtschaftsrecht, 1993; /Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz AWG 2002 (2004); ; Hocholdinger/Niederhuber/Wolfslehner, AWG. Abfallwirtschaftsgesetz (2002) 2002; Madner, Die Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen, 1995; Mayer, Abfallwirtschaft: Bemerkungen zur Bedarfskompetenz des Bundes, ecolex 1997, 54; Merli, Zum Verhältnis von Bundes- und Landesrecht bei abfallwirtschaftsrechtlichen Anlagengenehmigungen, ÖZW 1991, 102; Pauger, Betriebsanlagen im Abfallrecht der Länder, ZfV 1992, 513; Potacs/Rondo-Brovetto (Hrsg) Beiträge zur Abfallwirtschaft in Kärnten (2002); Raschauer, Landesgesetzgebungsbefugnis im Abfallrecht, ecolex 1991, 356; Weidemann, Abfallrecht: Grundlagen, in: Rengeling (Hrsg), Handbuch des deutschen und europäischen Umweltrechts, 2005, Bd II, § 71. Tessar, Grundzüge des Abfallwirtschaftsrecht, in: N.Raschauer/Wessely (Hrsg) Umweltrecht (2006); Wolfslehner/Hochholdinger, Das Abfallwirtschaftsgesetz 2002, RdU 2002, 44.
I. Grundlagen A. Einführung und historische Entwicklung Eine Bestandsaufnahme der Situation der Abfallwirtschaft in Österreich zeigt, dass, das Massenpotential der in Österreich anfallenden Abfälle mittlerweile jährlich rund 54 Millionen Tonnen an Abfällen beträgt, davon sind rund 1 Million Tonnen gefährliche Abfälle1. Derzeit stehen in Österreich über 2000 Anlagen zur Verfügung, die Abfälle von Dritten übernehmen und diese Abfälle sortieren, zwischenlagern, thermisch oder stofflich verwerten, aufbereiten, chemisch-physikalisch behandeln, biotechnisch behandeln oder deponieren2. Errichtung, Betrieb bzw Änderungen dieser Abfallbehandlungsanlagen bedürfen in der Regel einer behördlichen Zulassung. Sowohl die Genehmigungs1
2
Zusammenfassung zur Bestandsaufnahme im Rahmen des vom BMLFUW erstellten, derzeit aktuellen Bundes-Abfallwirtschaftsplans 2006 (www.bundesabfallwirtschaftsplan.at). Die darin angegebenen Massenangaben beziehen sich im wesentlichen auf das Jahr 2004. Vgl dazu näher: Bundes-Abfallwirtschaftsplan 2006.
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pflicht als auch die Kriterien für die Erteilung der Genehmigung sind dabei in zunehmendem Maße auch durch das Gemeinschaftsrecht determiniert3. Ziel des Beitrags ist es, die innerstaatlichen und gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Zulassung von Abfallbehandlungsanlagen in Österreich im Überblick darzulegen. Die Inhaber von Abfallbehandlungsanlagen sind auch von zahlreichen nicht anlagenbezogenen Verpflichtungen zur Abfallvermeidung und zur Behandlung von Abfällen betroffen. Diese Vorgaben werden an anderer Stelle dargelegt4. Das Recht der Abfallbehandlungsanlagen hat - wie das Abfallrecht insgesamt - mit Ende der 80er-Jahre einen weit reichenden Wandel erfahren. Der umweltpolitische „Paradigmenwechsel“5, der diesen Veränderungen zu Grunde liegt, ist durch die Abwendung von bloßen Maßnamen der Abfallbeseitigung hin zu einer umfassenden Abfallwirtschaft gekennzeichnet. Die neue Abfallwirtschaftspolitik misst der Schonung der natürlichen Ressourcen im Hinblick auf das Vorsorgeprinzip und der „nachhaltigen Entwicklung“6 besondere Bedeutung zu und setzt auf die Maßnahmentrias der vorrangigen Vermeidung von Abfällen, der Verwertung von nicht vermeidbaren Abfällen und schließlich auf die möglichst umweltschonende Entsorgung von Abfällen7. Die Neuorientierung in der Umwelt- und Abfallpolitik ging in Österreich mit einer Neugestaltung der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung einher. Bis zum Jahr 1988 war die Zuständigkeit für Maßnahmen im Abfallbereich nach dem so genannten Annexprinzip auf verschiedene Kompetenzen des Bundes und der Länder aufgeteilt. Nicht zuletzt aus dieser zersplitterten Kompetenzverteilung resultierten uneinheitliche Vorgaben, Doppelgleisigkeiten und Regelungslücken, die umweltpolitisch als unbefriedigend empfunden wurden8. Mit der Schaffung einer speziellen Kompetenzgrundlage für die Abfallwirtschaft, die den Bund bei Bedarf auch zur Erlassung einheitlicher, die Landes3 4
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Vgl dazu die Ausführungen unten I.C. sowie im Zusammenhang mit der Darstellung der einfachgesetzlichen Rechtslage. Zu diesen abfallrechtlichen Bestimmungen zählen insbesondere auch jene über die persönliche Berechtigung zur Sammlung, Behandlung und Verbringung von Abfällen sowie die damit einhergehenden Melde-, Abhol- und Übernahmepflichten, die ebenso wie die abfallrechtlichen Trennungs- , Verwertungs- und Behandlungsgrundsätze im Beitrag zum Abfallwirtschaftsrecht behandelt werden. Eingehend dazu Davy, 110ff; vgl auch Funk, 6. Vgl das 5. Umweltaktionsprogramm der Gemeinschaft „Für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung“, Abl 1993 C 138/1ff, das an die im Brundtlandbericht 1987 entwickelte und 1992 auf der UNCED-Konferenz in Rio proklamierte Politik des „sustainable development“ anknüpft. Vgl auch die Darlegung der abfallpolitischen Zielsetzungen im Bundes-Abfallwirtschaftsplan 1998, 9. Vgl BMUJF (Hrsg), „Leitlinien zur Abfallwirtschaft“ 1987; Bundes-Abfallwirtschaftsplan 1998 - Bundesabfallbericht 1998, 9. Vgl auf europäischer Ebene die Entschließung des Rates vom 7. 5. 1990 über die Abfallpolitik, Abl 1990 C 122/2; sowie die Mitteilung der Kommission vom 18. 9. 1989 über eine Gemeinschaftsstrategie für die Abfallwirtschaft sowie die Mitteilung vom 1. 8. 1996 über die Überprüfung dieser Strategie, KOM (96) 399 endg und die diesbezügliche Entschließung des Rates vom 24. 2. 1997, Abl 1997 C 76/1. Zu diesen Defiziten und Unsicherheiten, die insbesondere einheitliche Vorgaben für die Steuerung der Abfallströme aus Haushalten, die Standortplanung und die Bindung an das Vorsorgeprinzip betrafen vgl Madner, 27ff.
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zuständigkeit einschränkender Regelungen ermächtigt9, wurde der Weg für ein AbfallwirtschaftsG des Bundes (AWG)10 frei, das als „Leitbild“11 des österreichischen Abfallrechts bezeichnet werden kann. Die wesentlichen anlagenrelevanten Neuerungen dieses neuen abfallrechtlichen Regimes können folgendermaßen umrissen werden: Die Abfallwirtschaft wird an vorsorgeorientierten Zielen und Grundsätzen12 ausgerichtet, die auch die Vollziehung des Anlagenrechts determinieren. Für größere bzw besonders bedeutsame Abfallbehandlungsanlagen wird ein konzentriertes Genehmigungsregime eingeführt13, dass für wichtige Anlagentypen auch die abfallrechtliche Regelungszuständigkeit der Länder einschränkt14. Die Auswirkungen von Abfallbehandlungsanlagen sind im Interesse des Gesundheits- und Umweltschutzes zu begrenzen bzw zu minimieren. . Nahezu zeitgleich mit diesen abfallrechtlichen Neuerungen erfolgte die Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung in Österreich15, die auch zahlreiche Typen von Abfallbehandlungsanlagen erfasst16. Die weitere Rechtsentwicklung ist geprägt durch gemeinschaftsrechtliche Bestrebungen zur Sicherstellung des integrierten Umweltschutzes17 und zur harmonisierten Standardsetzung für Deponien und Verbrennungsanlagen18. Mit dem AWG 2002 wurde an den Zielen und Grundsätzen des Abfallrechts grundsätzlich festgehalten, das Prinzip der Nachhaltigkeit jedoch zusätzlich ausdrücklich verankert19. Hervorzuheben sind im vorliegenden Zusammenhang besonders Neuerungen beim Abfallbegriff20, die Einführung einer generellen Genehmigungspflicht für Abfallbehandlungsanlagen21 und die Erweiterung der Verfahrenskonzentration im Anlagenrecht22. Einige Regelungen die nach dem ursprünglichen Konzept des AWG 1990 ein „abfallwirtschaftsrechtliches Projektmanagement“23 der öffentlichen Hand ermöglichen sollten, jedoch in der Praxis bedeutungslos blieben entfielen: so insbesondere die Regelungen über die Standortplanung24, Enteignungsmöglichkeiten25 sowie eine subsidiäre Bereitstellungspflicht der 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Ausführlich dazu und zu den damit verbundenen neuen Auslegungsfragen unter I.B.1. Das AWG 1990 wurde im Jänner 2002 durch das derzeit aktuelle AWG 2002 abgelöst Vgl Davy, 104. Vgl § 1 AWG. Eingehend zu § 29 AWG 1990 Madner, zur Nachfolgeregelung in § 38 AWG unten II.C. Zu den damit verbundenen Abgrenzungsfragen vgl unten I.B.1b. Vgl dazu den Beitrag „Umweltverträglichkeitsprüfung“ in diesem Band. Dazu unten II. D. Dazu unten II. E. Dazu unten II.B. Vgl § 1 Abs 1 AWG. Dazu unten II.A.1. § 37ff AWG, dazu unten. § 38 AWG, dazu unten. Davy, 118ff mit weiteren Ausführungen. § 26 AWG (Sicherung von Standorten für die Behandlung gefährlicher Abfälle) vgl dazu ausführlich Madner, 180ff. § 27 AWG.
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öffentlichen Hand zur Gewährleistung ausreichender Behandlungskapazitäten für gefährliche Abfälle26
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Innerstaatliche Kompetenzverteilung a) Der Kompetenztatbestand „Abfallwirtschaft“ Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG legt für die Angelegenheit der „Abfallwirtschaft hinsichtlich gefährlicher Abfälle“ die Zuständigkeit des Bundes in Gesetzgebung und Vollziehung27 fest. Hinsichtlich anderer als gefährlicher Abfälle (sog nicht gefährliche Abfälle) ist der Bund gemäß Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG nur nach Maßgabe eines „Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften“ zur Gesetzgebung und Vollziehung befugt. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Gesetzgebungs- und Vollzugszuständigkeit des Bundes ist nicht der Anfallsort28 sondern ausschließlich das Gefährdungspotential der Abfälle29. Der Kompetenzübergang tritt - wie auch der VfGH ausgesprochen hat30 - erst ein, wenn der Bund ein entsprechendes Bedürfnis durch die Erlassung einheitlicher Regelungen manifestiert31. Sofern der Bund von seiner Bedarfskompetenz hinsichtlich nicht gefährlicher Abfälle keinen Gebrauch macht, verbleibt die Angelegenheit gemäß Art 15 Abs 1 BVG iVm Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG in der Zuständigkeit der Länder32. Die Inanspruchnahme der Bedarfskompetenz des Bundes hinsichtlich nicht gefährlicher Abfälle ist an das Vorliegen eines objektiven, nachvollziehbaren Bedarfs nach 26
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§ 31 AWGDenn während die Länder bereits in den älteren AbfallwirtschaftsGen die Beseitigung von Hausmüll als kommunale Pflichtaufgabe ausgestalteten, vertraute der Bund nach dem ursprünglichen Konzept des Sonderabfallrechts gänzlich auf die zweckentsprechende Organisation der Abfallentsorgung durch „marktwirtschaftliche Mechanismen“ (vgl die Erläuterungen zur RV für das SonderabfallG BGBl 1983/186, RV 1228 BlgNR 15. GP, 12.). Die Vollziehung erfolgt in mittelbarer Bundesverwaltung (Art 102 Abs 1 B-VG). Vgl demgegenüber die Situation vor der B-VG-Nov 1988. Dazu oben I.A. Daher bestehen etwa auch keine kompetenzrechtlichen Bedenken dagegen, landesabfallrechtliche Regelungen für den bei einer Eisenbahnhaltestelle anfallenden nicht gefährliche Abfall zu treffen (VfGH 6.6. 2005, B 1531/05). Zur Auslegung und zur (nicht abschließenden) Orientierung an der, zum Zeitpunkt der Entstehung des Kompetenztatbestands als Rechtsverordnung verbindlichen ÖNORM S 2101 aus 1983 („überwachungsbedürftige Sonderabfälle“) vgl Madner, 39ff; vgl auch List, in: Kind/List/Schmelz, 35. Die Bedeutung des finalen Charakters der Abfallwirtschaftskompetenz für die Auslegung des Begriffs „gefährliche Abfälle“ betont in einer ausführlichen Untersuchung Weber, Abfallbegriff und Abfallkompetenz, FS Koja (1998) 480. VfSlg 13019/1992. Vgl Weber, Umweltschutz im Spannungsfeld von Bundes- und Landesrecht, FS Klecatsky, 1990, 273 (281); Pauger, Bedarfsgesetzgebung und Landesrecht - am Beispiel des Abfallwirtschaftsrechts, FS Adamovich, 1992, 515 (523f); Madner, 41ff mwN. Dazu noch unten. AM Funk, 22; derselbe, Die neuen Umweltschutzkompetenzen des Bundes, in: Walter (Hrsg), Verfassungsänderungen 1988, 1989, 63.
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Vereinheitlichung geknüpft33. Dem Bund ist im Ergebnis ein relativ weiter umweltpolitischer Einschätzungsspielraum eingeräumt34. Einschlägiges Landesrecht wird mit der Aktualisierung der Bedarfskompetenz nicht bloß überschattet, vielmehr ist den Bedarfsregelungen des Bundes Derogationswirkung zuzumessen35. Welche Regelungen überhaupt als Angelegenheiten der „Abfallwirtschaft“ iS von Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG zu qualifizieren sind und inwieweit nach der Schaffung des Abfallwirtschafts-Kompetenztatbestands andere Kompetenztatbestände abfallwirtschaftsrechtliche Regelungen noch zu tragen vermögen - mit anderen Worten - „Inhalt“ und „Struktur“36 des Abfallwirtschaftskompetenztatbestands sind im Einzelnen viel diskutierte Fragen37. Die Auslegung wird dadurch erschwert, dass der Verfassungsgesetzgeber die Auswirkungen des neuen, geteilten Kompetenztatbestands offenbar nicht in allen Konsequenzen bedacht, jedenfalls aber die Konsequenzen der „von Grund auf“ veränderten Kompetenzlage (VfSlg 13019/1992) zT nicht erhellend erläutert hat und und überdies auch die Anwendung der Versteinerungstheorie38 nur bedingt geeignet ist, eine exakte Abgrenzung der „Abfallwirtschaft“ von bestehenden Kompetenztatbeständen zu treffen.
Die Angelegenheit „Abfallwirtschaft“ ist umfassend konzipiert39: der Kompetenztatbestand bietet nicht nur die Grundlage für Regelungen der traditionellen Gefahrenabwehr, er gibt auch Vorschriften zur Vermeidung und Verwertung von Abfällen im Dienst der Gefahrenvorsorge Deckung und ermöglicht Maßnahmen wirtschaftslenkender Natur40: Genehmigungskriterien, die zur „Vermeidung und Verwertung von Abfällen nach dem Stand der Tech33 34
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Vgl Funk, in: Verfassungsänderungen (FN 32), 76; Raschauer, 357; Pauger (FN 31), 518. VfSlg 13019/1992. Dies bestätigt VfSlg 13019/1992 zu Bedarfsregelungen betreffend Anlagen zur Behandlung nicht gefährlicher Abfälle, wenngleich der VfGH festhält, der Begründungsaufwand sei größer, sollen gefährliche und nicht gefährliche Abfälle rechtlich gleich behandelt werden. Pauger (FN 31), 515; Wiederin, Bundesrecht und Landesrecht, 1995, 102ff. AM Drug/Thomasitz, Abfallrecht, 15. Vgl auch AB 817 BlgNR 17. GP, 7. VfSlg 13019/1992 kann entgegen der Auffassung von List, in: Kind/List/Schmelz, 37, keine eindeutige Stellungnahme zu dieser Frage entnommen werden. Unklar VwGH 7.12.1993, 92/05/0320 („überlagert bzw verdrängt“). So die Terminologie bei Merli, 103ff. Auslegungsfragen in dynamischer und statischer Hinsicht unterscheidet Raschauer, 356. Vgl ausführlich dazu Madner, 33ff. Für die grundsätzliche Anwendbarkeit der Versteinerungstheorie und die Heranziehung des SAG und der LandesabfallGe der „3. Generation“ als einschlägiges Versteinerungsmaterial Madner, 34f. Die Schwierigkeit einer Kompetenzabgrenzung mit Hilfe der Versteinerungstheorie besonders hervorhebend Merli, 103 („bescheidene Dienste“); Funk, in: Verfassungsänderungen (FN 32), 75; eher ablehnend zur Heranziehung der Versteinerungstheorie in diesem Zusammenhang Wiederin, Anmerkungen zur Versteinerungstheorie, FS Winkler, 1997, 1231. RV 607 BlgNR 17. GP, worin die Abfallwirtschaft, ua als „die Gesamtheit aller Maßnahmen, die den Abfall betreffen, sowie ihr zielbewusstes Ordnen unter Berücksichtigung der Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit“ charakterisiert wird. Näher dazu Madner, 36ff. Vgl auch, Raschauer, Abfallverbrennung zwischen Bundes- und Landesrecht, RdU 1997, 63; derselbe, in: Bergthaler/Wolfslehner (Hrsg), Das Recht der Abfallwirtschaft (2004) Rz 2.
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nik“41 verpflichten oder die Energiesparmaßnahmen in Bezug auf Abfallbehandlungsanlagen vorsehen, können auf der Grundlage von Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG ohne kompetenzrechtliche Bedenken eingeführt werden 42. Der Abfallwirtschaftkompetenztatbestand vermittelt dem Bund auch die Befugnis zur Standortplanung für Abfallbehandlungsanlagen43. Der Umfang des Kompetenztatbestands „Abfallwirtschaft“44 ermöglicht es dem Bund nach überwiegender Ansicht nicht, die Zulassung von Abfallbehandlungsanlagen umfassend gesetzlich zu regeln; eine vollständige Kompetenzkonzentration ist insofern mit der Einführung des Abfallwirtschaftskompetenztatbestands nicht eingetreten45, vielmehr bleibt es für manche Gesichtspunkte bei der kumulativen Regelungszuständigkeit von Bund und Ländern46. So wird eine Kompetenz des Bundes, die Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen in baurechtlicher Hinsicht47 oder unter Naturschutzgesichtspunkten zu regeln, in der Literatur durchwegs - wenngleich zT mit Einschränkungen48- verneint49, hier bleiben also die Länder zuständig. Der VfGH hat weiters die Regelung der bergbautechni41
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Vgl zB die nach der B-VG-Nov 1988 erlassenen § 77 Abs 4 GewO bzw § 9 Abs 4 AWG. Die abfallrechtliche Kompetenz zur Erlassung anlagenspezifischer Vorschriften zur Vermeidung, Verwertung und Entsorgung von Abfällen „nach dem Stand der Technik“ bejahen ausdrücklich, mit unterschiedlicher Begründung Merli, 103; Madner, 69 jeweils sowohl für Abfallbehandlungsanlagen als auch in Bezug auf sonstige Anlagen. Vgl demgegenüber die kompetenzrechtlichen Bedenken hinsichtlich EnergiesparRegelungen auf der Grundlage des Kompetenztatbestands „Gewerberecht“ VfSlg 10831/1986 und VfSlg 17.022/2003. Schmelz, in Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, AWG 2002, 289 sieht auch in der Abfallwirtschaft keine kompetenzrechtliche Grundlage für ein Gebot zum effizienten Energieeinsatz und qualifziert dementsprechend § 43 Abs 3 AWG als verfassungswidrig. Näher zur Standortplanungskompetenz Madner, 48ff, 179ff sowie unten Rz 63ff. Eine Standortplanungsbefugnis im Rahmen des Kompetenztatbestands „Abfallwirtschaft“ bejahen insb auch Merli, 107; Raschauer, 356; derselbe, in: Bergthaler/ Wolfslehner, Kap II, Rz 2; Funk, 25; Schmelz, in: Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, § 37 Anm 2.7, 237. Anderes gilt in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung gem Art 11 Abs 1 Z 7 B-VG. Für UVP-pflichtige Abfallbehandlungsanlagen kann ein umfassendes konzentriertes Genehmigungsverfahren vorgesehen werden. Vgl dazu den Beitrag zur Umweltverträglichkeitsprüfung in diesem Band sowie unten II. D. Als umfassend, aber nicht grenzenlos charakterisiert Merli, 103 den Kompetenztatbestand. Dem entsprechend enthält § 38 AWG für die Genehmigungskonzentration hinsichtlich landesgesetzlich geregelter Materien Verfassungsbestimmungen. Vgl zu dem an sich engen Regelungszusammenhang zwischen Baurecht und Raumplanungsbefugnis Madner, 55f mwN. Für die Mitanwendung bautechnischer Bestimmungen im Anlagengenehmigungsverfahren vgl die Verfassungsbestimmung in § 38 Abs 2 AWG. Merli, 103, 108f dem offenbar folgend Pauger, 517, zählen etwa Regelungen über den Schutz des Landschaftsbildes nicht zur Abfallwirtschaft, sprechen sich aber ebenso wie Madner, 57ff, 69 dafür aus, Genehmigungskriterien für Abfallbehandlungsanlagen, die auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen von Tieren und Pflanzen abstellen kompetenzrechtlich der Abfallwirtschaft zuzurechnen. Vgl Kubanek, Perspektiven der Abfallwirtschaft nach der B-VG Novelle 1988 (1991) 106f; Raschauer, 358; Schmelz, Abfallbehandlungsanlagen im Normenlabyrinth, ecolex 1991, 572; derselbe, in: Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, § 37 Anm 2.7, 237 („weitgehend unberührt“); in diesem Sinn wohl auch Funk, 25.
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schen Aspekte von Abfallbehandlungsanlagen, ohne eingehende Auseinandersetzung mit dem neu geschaffenen „Abfallwirtschafts-Kompetenztatbestand“, dem Kompetenztatbestand „Bergwesen“ zugerechnet50. Genehmigungsvorschriften über die Vermeidung von Wasser- und Luftverunreinigungen werden in der Literatur letztlich „im Sinne einer veränderungssparsamen und damit systemschonenden Interpretation“ nicht zur Abfallwirtschaft im kompetenzrechtlichen Sinn gezählt51, was eine entsprechende Regelungsbefugnis der Länder ausschließt52. Demgegenüber werden Genehmigungsvorschriften zum Schutz vor Gesundheitsgefährdungen und Belästigungen durch Abfallbehandlungsanlagen, so wie Genehmigungsvorschriften zur „Abfallvorsorge“53 hinsichtlich dieser Anlagen nicht zu den „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ sondern zur „Abfallwirtschaft“ gezählt54. Sofern der Bund von seiner Bedarfskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, sind die Länder daher in Bezug auf Anlagen zur Behandlung nicht gefährlicher Abfälle zu entsprechenden Regelungen befugt55.
In Bezug auf die Raumplanung ist es nach Ansicht des VfGH, den Ländern nicht verwehrt, ihre Befugnis zur Raumplanung auch für Anlagen zur Behandlung gefährlicher Abfälle auszuüben, solange der Bund von seiner Standortfestsetzungsbefugnis keinen Gebrauch gemacht hat56. Nach dem insoweit eindeutigen Willen des Verfassungsgesetzgebers wurde mit Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG der Annexcharakter abfallrechtlicher Regelungen hinsichtlich gefährlicher Abfälle beseitigt57. Andere Kompetenztatbestände des Bundes vermögen daher seither keine abfallwirtschaftlichen Regelun-
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VfSlg 13299/1992. Nach Ansicht des VfGH ist zB die Regelung des Herstellens und Benutzens von Untertagedeponien hinsichtlich der bergbautechnischen Aspekte vom Tatbestand Bergwesen umfasst. Vgl dazu Madner, 62ff sowie unten FN 64. Merli, 103, der generell für eine Zuordnung zur Abfallwirtschaft nach Maßgabe des spezifischeren Bezugs zu dieser Materie eintritt und im Zweifel für die Beibehaltung der bestehenden kompetenzrechtlichen Zuordnung eintritt; dem folgend Pauger, 517. Einschlägige Genehmigungsvorschriften in den Landes-AWG müssen nach dieser Auffassung als verfassungswidrige Eingriffe in die Wasser- bzw Luftreinhaltekompetenz des Bundes qualifiziert werden - dementsprechend Merli, 104f. Dazu oben. Vgl mit unterschiedlichem Begründungsansatz Merli, 104; Pauger, 517 bzw Madner, 69. Weiter gehend Merli, 104f, der auch Regelungen zum Schutz vor Gefährdungen durch nicht gefährliche Abfälle aus nicht der Abfallbehandlung dienenden Anlagen zur „Abfallwirtschaft“ zählt, die einschlägigen gewerberechtlichen Vorschriften daher als Bedarfsgesetze des Bundes deutet. AM Pauger, 517; Madner, 69. Beim derzeitigen Stand der Bundesgesetzgebung für gewerbliche Betriebsanlagen resultiert aus der Position Merlis kein Mehr an Regelungsbefugnis für die Landesgesetzgeber. VfSlg 14070/1995 unter Bezugnahme auf die Erläuterungen zum AWG 1990. Vgl auch VfSlg 13231/1992. Kritisch dazu Madner, 53. Zur Frage, ob und wie die Flächenwidmung und sonstige raumplanerische Festlegungen im Genehmigungsverfahren für Abfallbehandlungsanlagen Wirkungen entfalten können siehe unten II.B.3. RV 607 BlgNR 17. GP, 9. Vgl Merli, 104. Gegen eine „Umschichtung der Bundeskompetenzen“: Funk, in: Verfassungsänderungen (FN 3238), 77f. Vgl zu den mit dieser Auffassung verbundenen Auslegungsfragen Madner, 61f. Für eine „Kompetenzkonzentration“ auch Schmelz, in: Kind/List/Schmelz, § 29 Anm 4, derselbe in Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, § 37 Anm 2.4
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gen mehr zu tragen58. Mit dem VfGH59 und dem überwiegenden Schrifttum60 ist weiters davon auszugehen, dass auch die Bedarfskompetenz gem Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG nunmehr die einzige Kompetenzgrundlage für abfallwirtschaftliche Regelungen des Bundes hinsichtlich nicht gefährlicher Abfälle darstellt und - soweit der Bund von seiner Bedarfskompetenz keinen Gebrauch macht - die Regelungsbefugnis den Ländern zusteht61. Ob der Bund eine Angelegenheit mit Bedarfsgesetz abschließend („kodifikatorisch“62) geregelt hat bzw ob und inwieweit den Länder noch Regelungsspielraum bleibt, ist eine, freilich nicht immer einfach zu klärende, Auslegungsfrage63. Der VfGH hat eine salvatorische Klausel zu Gunsten des Bundes als ausreichend angesehen, um die Kompetenzkonformität geplanter landesgesetzlicher Maßnahmen zu bestätigen64.
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Dies ist im Hinblick auf die Vollzugszuständigkeit des Bundes von Bedeutung, wurde vom Verfassungsgesetzgeber jedoch offenbar nicht bedacht. Im übrigen ist die kompetenzrechtliche Frage nach der Reichweite der Abfallwirtschaftskompetenz von der Frage, welche bundesrechtlichen Genehmigungsvorbehalte für Abfallbehandlungsanlagen maßgeblich sein können zu trennen (anders Schmelz, in: Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, § 27 Anm 2.7.) Die Angelegenheit Abfallwirtschaft zählt anders als zB das „Bergwesen“ (Art 10 Abs1 Z 10 iVm Art 102 B-VG) nicht zu jenen Angelegenheiten, die ohne Zustimmung der Länder in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden dürfen. Vgl dazu Merli, 104 in Bezug auf abfallrechtliche Regelungen im damals geltenden BergG. Zur einschränkenden Interpretation des Inhalts des Kompetenztatbestands Abfallwirtschaft im Verhältnis zum Bergwesen durch den VfGH siehe unten Rz 8. VfSlg 13019/1992, worin der VfGH im Anschluss an die von den Erläut der RV (607 BlgNR 17. GP, 9) abweichenden Ausführungen des AB zur B-VG-Nov 1988 (817 BlgNR 17. GP, 2) und unter Bezugnahme auf Merli, 104 das Verständnis des Abfallrechts als Annexmaterie als mit dem neuen Kompetenztatbestand „Abfallwirtschaft“ unverträglich erachtet. Vgl auch VfGH, 6.6 2005, B 1531/04. Merli, 102, 104; Raschauer, 357; derselbe, (FN 46) 63; Pauger, 513, 516f; derselbe, Rechtsprobleme der Abfallvermeidung, in: Funk (Hrsg) Abfallwirtschaftsrecht 31 (52ff). Im Ergebnis insb im Hinblick auf die der Abfallwirtschaft förderliche „Konkurrenzsituation“ auch Madner, 68ff; Mayer, Abfallwirtschaft: Bemerkungen zur Bedarfskompetenz des Bundes, ecolex 1997, 54. AM Funk, in: Verfassungsänderungen (FN 32), 76f; Weber (FN 31), Schmelz, in: Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, § 37, Anm 2.7, 236f. Vgl VfSlg 13019/1992 unter Hinweis auf da Verständnis einer Bedarfskompetenz als konkurrierende Kompetenz. Raschauer, 357. Vgl Pauger (FN 31), 530, der insoweit klarstellende Hinweise bzw Textbereinigung einmahnt; Wiederin (FN 35), 109 FN 267; Zu konkreten Abgrenzungsfragen vgl die Kontroverse zwischen Mayer (FN 60) und Raschauer, RdU 1997 (FN 40). Dazu im Gefolge der AWG-Nov BGBl I 1998/151 und des Erk des VfGH 15. 10. 1999, K II1/98-15: List, Behandlung nicht gefährlicher Abfälle - wer ist zuständiger Gesetzgeber?, ecolex 2000, 319. Zur Beurteilung der aktuellen Kompetenzrechtslage unten Rz 10. VfGH (FN 69), der insofern eine Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Inanspruchnahme der Bedarfskompetenz des Bundes für entbehrlich erachtete. Kritisch dazu List (FN 69).
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b) Zur aktuellen Inanspruchnahme der abfallrechtlichen Bedarfskompetenz des Bundes in Bezug auf die Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen Der Bund hat seine Bedarfskompetenz hinsichtlich der Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen zur Behandlung nicht gefährlicher Abfälle umfassend in Anspruch genommen65. Das Genehmigungsregime für Abfallbehandlungsanlagen in § 37ff AWG soll einheitliche Standards für Abfallbehandlungsanlagen gewährleisten und zur Vereinfachung der Rechtslage beitragen. Der Vereinheitlichungsbedarf bezieht sich sowohl auf die Genehmigungspflicht als auch auf die Genehmigungsstandards für Abfallbehandlungsanlagen. Es ist daher den Ländern kompetenzrechtlich verwehrt, für die von der Genehmigungspflicht ausgenommenen Anlagen landesabfallrechtliche Genehmigungspflichten festzulegen oder zusätzliche abfallrechtliche Genehmigungsstandards zum Nachbar- und Umweltschutz festzulegen. Der Bund hat damit jedoch nicht sämtliche anlagenbezogenen abfallrechtlichen Regelungsbefugnisse an sich gezogen: die Standortplanung in Landesabfallwirtschaftsplänen oder Standortverordnungen, Regelungen über Entsorgungsgebiete für Abfallbehandlungsanlagen oder Vorschriften über die Bereitstellung von Abfallbehandlungsanlagen durch die öffentliche Hand sind in Bezug auf nicht gefährliche Abfälle in der Regelungskompetenz der Länder verblieben. Auch soweit landesrechtliche Vorschriften andere als abfallrechtliche Gesichtspunkte betreffen, zB den Naturschutz, bleibt der Umfang der Länderkompetenzen unberührt. Durch eine Verfassungsbestimmung (§ 38 Abs 2 AWG) ist sichergestellt, dass solche landesrechtliche Vorschriften im konzentrierten Genehmigungsverfahren mitangewendet werden können66. c) Gemeindezuständigkeit Die Landes-AWG verpflichten in der Regel die Gemeinden, Gemeindeverbände bzw eigens eingerichtete Abfallwirtschaftsverbände dazu, öffentliche Abfallbehandlungsanlagen zu errichten und zu betreiben oder sich dafür geeigneter Dritter zu bedienen6768.
2. Rechtsetzungskompetenz der Gemeinschaft Seit der Schaffung eines eigenen Titels „Umwelt“ im EG-Vertrag durch die Einheitliche Europäische Akte im Jahr 1987 stellt Art 175 EG-V (früher Art 130s EG-V) die zentrale Rechtsgrundlage für gemeinschaftliches Tätigwerden 65 66 67
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Vgl auch die ErläutRL, 984 BlgNR XXI. GP zu § 37 AWG. Ausführlich dazu unten II.B.3. Vgl zB § 10 Krnt AWO. In Tirol (§ 9 T-AWG) hat das Land Vorsorge für die Errichtung und den Betrieb der erforderlichen öffentlichen Entsorgungsanlagen zu tragen bzw dies durch zivilrechtliche Verträge mit Gemeinden, Gemeindeverbänden oder geeigneten Dritten sicherzustellen. In Vorarlberg (§ 12 V-AWG) besteht ebenfalls eine Bereitstellungsverpflichtung des Landes, lediglich bei Bauaushub, Bauschutt und Gartenabfällen obliegt die Verpflichtung der Gemeinde. Zu den umstrittenen Grenzen der gesetzlichen Determinierung nicht hoheitlichen Verwaltungshandelns (Art 116 Abs 2 B-VG), insb auch zur Festlegung „kommunaler Pflichtaufgaben“ im Hinblick auf das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht vgl Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung, 1993, 81ff mwN.
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im Bereich der Abfallwirtschaft dar69. Maßnahmen der Abfallwirtschaft sind dabei ausdrücklich vom Einstimmigkeitserfordernis des Art 175 Abs 2 EG-V ausgenommen. Den Mitgliedstaaten steht die Beibehaltung oder Ergreifung verstärkter Schutzmaßnahmen zu, soweit diese mit dem Vertrag vereinbar sind70. Neben Art 175 EG-V kommt insb Art 94 EG-V (früher Art 100a) als Rechtsgrundlage für binnenmarktrelevante Harmonisierungsregelungen in Betracht. Der EuGH hat entschieden, dass für die Wahl zwischen diesen beiden Rechtsgrundlagen der Hauptzweck des Rechtsaktes maßgeblich ist und hat wegen der primär umweltschutzrechtlichen Zielsetzungen der Rechtsakte, Art 175 EG-V als zutreffende Kompetenzgrundlage für die Änderung der AbfallRRL bzw für die EG-AbfallverbringungsVO anerkannt71. Die für die Zulassung von Abfallbehandlungsanlagen einschlägigen Rechtsakte sind durchwegs auf Art 175 EG-V gestützt. Nach dem Wegfall der Verfahrensunterschiede bei der Verabschiedung der Rechtsakte - sowohl nach Art 94 EG-V als auch nach Art 175 EG-V ist das Verfahren der Mitentscheidung maßgeblich72 - ist die Auswahl der Rechtsgrundlage im Hinblick auf die Zulässigkeit strengerer mitgliedstaatlicher Regelungen von praktischer Bedeutung73. Gemeinschaftsrechtliche Regelungen mit Relevanz für die Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen sind im Wesentlichen in Richtlinien enthalten, die Vollziehung des gemeinschaftsrechtlichen Abfallrechts in Österreich erfolgt insoweit im Regelfall als mittelbarer Vollzug staatlicher Umsetzungsakte74. 69
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Mangels einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage für Umweltschutzregelungen wurden auch Regelungen im Abfallbereich bis zur Schaffung eines eigenen Titels „Umwelt“ auf Art 100 bzw Art 235 EG-V gestützt. Art 176 EG-V (ex Art 130t EG-V). Vgl dazu noch unten Rz 16. Vgl aus der Literatur zB Jarass, Verstärkter Umweltschutz der Mitgliedstaaten nach Art 178 EG, NVwZ 2000, 529; Middeke, Nationale Alleingänge, in: Rengeling (Hrsg), Handbuch des deutschen und europäischen Umweltrechts, 1998, Bd I, § 32 sowie in Gegenüberstellung zum „nationalen Alleingang“ nach Art 94 EG-V, auch im Vergleich zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam, Albin/Bär, Nationale Alleingänge nach dem Vertrag von Amsterdam, NuR 1999, 185. EuGH, Rs C-155/91, Europäisches Parlament/Rat, Slg 1993, I-939; EuGH, Rs C-187/93, Europäisches Parlament/Rat, Slg 1994, I-2857. Vgl demgegenüber zuvor EuGH, Rs C-300/89, Titandioxid-Abfälle, Slg 1991, I-2867, wo der EuGH im Ergebnis noch einen Vorrang von Art 100a EG-V postulierte. Vgl näher dazu sowie zu den Kompetenzgrundlagen im Umweltrecht im Allgemeinen zB Epiney, Umweltrecht in der europäischen Union,2. Aufl (2004) 55 ff; Breier, Kompetenzen, in: Rengeling (Hrsg), Handbuch des deutschen und europäischen Umweltrechts, #1998, Bd I, § 13; Heselhaus, Emanzipation der Umweltpolitik nach Art 175 I EG-V (ex Art 130s I EG-V), NVwZ 1999, 1190. Maßnahmen der Abfallwirtschaft sind vom Einstimmigkeitserfordernis des Art 175 Abs 2 EG-V ausgenommen. Zur Schutzverstärkung und zum nationalen Alleingang nach Art 94 einerseits bzw 176 EG-V andererseits, auch im Vergleich zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam, vgl näher Albin/Bär (FN 93) Allgemein zu den Grundsätzen des innerstaatlichen Vollzugs des Gemeinschaftsrechts sowie zum „pathologischen“ Fall der unmittelbaren Vollziehung von Richtlinien vgl Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht (1997), 97ff, 70ff.
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C. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Völkerrechtliche Bezüge Österreich hat, ebenso wie die EG und die übrigen EU-Mitgliedstaaten, das sogenannte Kyoto-Protokoll zur UN-Klimaschutzrahmenkonvention75 unterzeichnet, das eine Verpflichtung zur Reduktion von Treibhausgasemissionen vorsieht. Die Abfallwirtschaft und ihre Behandlungsverfahren sind in nicht unerheblichem Maße klimarelevant76 und daher von nationalen77 und europäischen Strategien78 zur Erreichung des „Kyoto-Zieles“79 mitumfasst. Eine wesentliche Maßnahme zur Umsetzung des Kyoto-Protokolls stellt der Handel mit Emissionsrechten dar, auf den sich die Gemeinschaft durch Einführung eines innergemeinschaftlichen Emissionshandelsystems bereits ab 2005 vorzubereiten sucht80. Abfallverbrennungsanlagen sind von der Verpflichtung zur Genehmigung von Treibhausgasemissionen und damit vom Zertifikatshandelssytem ausgenommen81. Das Übereinkommen der UN-Wirtschaftskom75
Die Klimarahmenkonvention (BGBl III 414/1994 idF 212/1999) ist für Österreich 1994 in Kraft getreten; das Kyoto-Protokoll zur Rahmenkonvention wurde von Österreich bislang noch nicht ratifiziert. Die EG strebt eine zügige Ratifikation des Protokolls an, um ein Inkrafttreten bis zur UN-ECE Konerenz „Rio+10“ im Jahre 2002 zu gewährleisten. Das Kyoto-Protokoll tritt jedoch erst in Kraft, nachdem mindestens 55 Vertragsparteien, die insgesamt für mindestens 55% der CO2 Emissionen verantwortlich sind ihre Ratifikationsurkunde hinterlegt haben. Den Vereinigten Staaten bzw Russland kommt damit eine Schlüsselrolle für das Inkrafttreten zu. 76 Vgl BMUJF (Hrsg), „Klimarelevanz der Abfallwirtschaft“ (1998); Bundes-Abfallwirtschaftsplan 1998 - Bundesabfallbericht 1998, 107f. 77 Der Entwurf des Kyoto-Forums zu einer österreichischen Klimastrategie weist diesbezüglich insb auf die Erhöhung des Anteils thermischer Abfallverwertung und die energetische Nutzung von Deponiegasen hin. Vgl auch Schnattinger, Österreichische Klimastrategien - Die Kyoto-Optionen-Analyse der Österreichischen Kommunalkredit AG, ÖGZ 2000, 9. 78 Vgl den Entwurf eines Europäischen Klimaschutzprogrammes (ECCP), KOM (00) 88 das vorrangige Schwerpunktmaßnahmen auflistet und in diesem Zusammenhang ua auf die Förderung der biologischen Behandlung biologisch abbaubarer Abfälle und eine geplanten Überarbeitung der KlärschlammRL hinweist. Vgl weiters Grünbuch zum Handel mit Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union, KOM (2000) 87 endg. Für die Überwachung des Fortschritts bei der Erfüllung des Kyoto-Ziels vgl die Entscheidung 1999/296/EG des Rates über ein System zur Beobachtung der Emissionen von CO2 und anderen Treibhausgasen in der Gemeinschaft. Näher zum Klimaschutz Bail, Das Klimaschutzregime nach Kyoto, EuZw 1998, 457; derselbe, Klimaschutz und rechtspolitischer Ausblick, in: Rengeling (Hrsg), Handbuch des europäischen und deutschen Umweltrechts, 1998, Bd I, § 56; Koch/Verheyen, Klimaschutz im deutschen Anlagengenehmigungsrecht, NuR 1999, 1 (4f). 79 Die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten verpflichten sich bis zur Periode 2008-2012 die Emissionen von sechs sog Treibhausgasen (CO2, CH4, N2O, H-FKW, PFKW und SF6) um 8% gegenüber dem Jahr 1990 zu senken. Im Rahmen der politischen, gemeinschaftsinternen Lastenaufteilung entfällt dabei auf Österreich eine Reduktionsverpflichtung von 13%. 80 RL 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionenszertifikaten in der Gemeinschaft. 81 § 2 Abs 1 iVm Anhang 1 EmissionszertifikateG (EZG) BGBl I 2004/46.
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mission für Europa (UN-ECE) über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (sog. Aarhus-Konvention), das von Österreich wie von der EU unterzeichnet wurde hat auch in bestimmten abfallrechtlichen Genehmigungsverfahren82 zu einer Verstärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung geführt83. Auf die völkerrechtlichen Vorgaben für die Abfallverbringung bzw für die grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung ist an anderer Stelle einzugehen84.
2. Relevantes Primär- und Sekundärrecht a) Primärrechtliche Bezüge Die primär umweltschutzorientierte Abfallwirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten bzw der Gemeinschaft steht in einem Spannungsverhältnis zu den Grundfreiheiten des EG-Vertrags insbesondere zur Warenverkehrsfreiheit (Art 28ff EG-V) bzw zur Dienstleistungsfreiheit (Art 49ff EG-V). Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht zweifellos die Abfallverbringung, die indirekt von großer Bedeutung für den Betrieb von Produktions- und Abfallbehandlungsanlagen ist. Verbote oder Beschränkungen der Verbringung von Abfällen, Beschränkungen für die Erbringung oder Inanspruchnahme von Entsorgungsdienstleistungen können die Verkehrsfreiheiten behindern. Umgekehrt kann die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen jene umweltpolitischen Ziele beeinträchtigen, die mit dem Grundsatz der Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen möglichst an ihrem Ursprung verfolgt werden; die Mobilität von Abfällen und die „Flucht“ vor hohen Entsorgungsstandards steht weiters in einem Spannungsverhältnis zum umweltpolitischen Ziel der „Entsorgungsautarkie“ und mit Bestrebungen, die Auslastung und Bereitstellung von Behandlungsanlagen sicherzustellen oder durch die Verknappung von Entsorgungsinfrastruktur den Druck auf die Abfallvermeidung zu erhöhen.
Der EuGH hat in seiner Judikatur mehrfach zu den Grundfreiheiten als Schranke der Abfallwirtschaftspolitik und zur möglichen Legitimation von freiheitsbeschränkenden nationalen Maßnahmen Stellung genommen85. Mit dem Wallonien-Urteil aus 1992 qualifizierte der EuGH Abfälle als Ware; allerdings als eine „ganz eigentümliche, besondere Art von Ware“, deren Besonderheiten Beschränkungen des freien Warenverkehrs rechtfertigen kön-
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Dazu unten II.B. RL 2003/35 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten. Vgl dazu die Beiträge zur Abfallwirtschaft bzw zum Anlagenrecht (Umweltverträglichkeitsprüfung). Vgl allgemein zum Verhältnis Umweltschutz und Grundfreiheiten: Müller-Graff, Umweltschutz und Grundfreiheiten, in: Rengeling (Hrsg), Handbuch des deutschen und europäischen Umweltrechts, 1998, Bd I, § 10; Epiney (FN 94), 113ff. Speziell zum Abfallrecht (noch vor den Urteilen Dusseldorp und Sydhavnens) auch Weidemann, Rengeling Bd II, § 71.
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nen86. Der primärrechtliche Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen87, der im EG-Abfallrecht durch den Grundsatz der Nähe im Dienste der Entsorgungsautarkie konkretisiert wird88, wurde vom EuGH damit als Rechtfertigung für Beschränkungen der Verbringung von Abfällen zur Deponierung anerkannt. Unklar war, ob diese Rechtfertigungsmöglichkeit auf die Verbringung von Abfällen zum Zweck der Entsorgung beschränkt ist. Mit dem Urteil Dusseldorp hat der EuGH89 dazu festgehalten, dass das maßgebliche EG-Abfallrecht „die Anwendung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die zur Verwertung bestimmten Abfälle“ nicht vorsieht. Der EuGH stellte jedoch klar, dass nationale Regelungen zur Anwendung des Prinzips der Nähe, als Schutzverstärkungen iSv Art 176 EG-V grundsätzlich auch zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Abfallverbringung zum Zweck der Verwertung herangezogen werden können, sofern die betreffenden Maßnahmen im Einklang mit dem EG-Vertrag stehen90. Bei dieser Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Vertrag - näherhin mit den Bestimmungen über die Warenverkehrfreiheit - legt der EuGH jedoch einen strengen Maßstab an. Mit dem Hinweis, dass „der Umweltschutz nicht jede Ausfuhrbeschränkung, insbesondere im Fall verwertbarer Abfälle rechtfertigen kann“91 lehnte der Gerichtshof jeweils die Rechtfertigung nationaler Ausfuhrverbote ab. Für Abfälle zur Beseitigung bestätigt demgegenüber das Urteil DaimlerChrysler92, dass eine Andienungspflicht, mit der ein für die Wirtschaftlichkeit einer Anlage unerlässlicher Auslastungsgrad sichergestellt werden soll, durch den Grundsatz der Entsorgungsautarkie grundsätzlich gerechtfertigt sein kann. Bestrebungen, durch Verbringungsbeschränkungen die Rentabilität einer Anlage zur Verwertung von Ölfiltern sicherzustellen, wurden im Urteil als „rein wirtschaftliche Ziele“ ebenso wenig als „zwingendes Erfordernis“ des Umweltschutzes im Interesse der Entsorgungsautarkie anerkannt, wie die Berufung auf den Grundsatz der Nähe in Bezug auf „Übergabe- und Andienungspflichten“ zum Schutz vor nachteiligen Auswirkungen der Verbringung von Bauabfällen, „die für die Umwelt ungefährlich sind“ im Urteil Sydhavnens. Eine Rechtfertigung von Verbringungsbeschränkungen für zur Verwertung bestimmte Abfälle dürfte letztlich nur mit dem Nachweis gelingen, dass die weiträumige 86
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EuGH, Rs C-2/90, Wallonien, Slg 1992, I-4431. Vgl auch EuGH, Kommission und Europäisches Parlament/Rat (FN 94), Slg 1993, I-939 zur Rechtsgrundlage der AbfallRRL. Art 174 Abs 2 EG-V. Vgl Art 5 AbfallRRL, sowie nunmehr Art 4 Abs 3 AbfallverbringungsVO. EuGH, Rs C-203/96, Dusseldorp, Slg 1998, I-4075 (Rz 30). EuGH, Dusseldorp (FN 89), Rz 37ff. Ob die EG-AbfallverbringungsVO eine abschließende Regelung darstellt hat der EuGH nicht näher geprüft und damit zutreffend der ua von der Kommission vertretenen Auffassung eine Absage erteilt, Schutzverstärkungen gem Art 176 EG-V seien bei Regelungen mit abschließendem Charakter ausgeschlossen. Kritisch zu dieser Auffassung auch Jarass (FN 93), 530; vgl demgegenüber Krämer, in: van der Groeben et al (Hrsg), EU-EG/Vertrag, 1999, Art 130t Rz 2;. EuGH 23. 5. 2000, Rs C-209/98, Sydhavnens Sten & Grus (Rz 48) unter Bezugnahme auf das Urteil Dusseldorp FN 89, Rz 49. Vgl zu diesem Urteil auch Madner, Umweltrecht aktuell -Rechtsprechung des EuGH, in: ÖWAV (Hrsg), Österreichische Umweltrechtstage 2000 (2000) 7 sowie unten Rz 19. EuGH, DaimlerChrysler, Rs C-324/99, Slg 2001, I-09897.
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Beförderung und die Behandlung im Ausland wegen des hohen Gefährdungspotentials der Abfälle eine Gefahr für die Umwelt darstellt93; das Prinzip der Nähe und das Ziel der Entsorgungsautarkie sind damit im Ergebnis in Bezug auf Abfälle zur Verwertung im Hinblick auf den Binnenmarkt weitgehend außer Kraft gesetzt94.
Die Grenzziehung zwischen Abfall und Ware hat sich in Folge dieser Rechtsprechung auf die Frage der Abgrenzung von Abfallverwertungs- zu beseitigungsverfahren verlagert. Der EuGH hat mit dem Urteil ASA95 klargestellt, dass es für die Zuordnung maßgeblich auf den Hauptzweck der Maßnahme ankommt und Verwertung insbesondere dort anzunehmen sei, wo Abfälle andere Rohstoffe sinnvoll substiuieren können.96 Vorbehandlungsschritte oder die Gefährlichkeit der Abfälle sind demgegenüber nicht entscheidend. Die Definitionen der AbfallRRL97 werfen dabei für die Praxis erhebliche Auslegungsschwierigkeiten auf98. Maßnahmen der Abfallwirtschaft weisen auch Berührungspunkte zu den Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft99 auf. Dies gilt etwa für abfallrelevante Umweltabsprachen zur Produktgestaltung oder für die Einräumung von ausschließlichen Rechten an Abfallbehandlungsunternehmen100. Der EuGH hat dazu festgehalten, dass die Gewährung ausschließlicher Rechte zur Sicherstellung der Rentabilität von Anlagen mit dem Ziel der Bekämpfung eines um-
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Vgl EuGH, Sydhavnens Sten & Grus (FN 91), Rz 45. Ob Umweltbeeinträchtigungen, die unabhängig vom Gefahrenpotential der Abfälle „bloß“ durch den weiträumigen Transport entstehen, als Rechtfertigung von Ausfuhrbeschränkungen dienen können, ist in diesem Urteil mangels substantiierten Vorbringens der dänischen Regierung offen geblieben (vgl Rz 46 des Urteils), scheint aber wenig wahrscheinlich. Zur Relevanz strengerer nationaler Umweltschutzstandards bei der Beurteilung von Verbringungsbeschränkungen vgl EuGH Rs C-277/02, EU Wood Trading, 16.12.2004 sowie, EuGH 14.4.2005, Rs C- 6/03, Deponieverband Eiterköpfe. Vgl in diesem Sinn - noch vor der einschlägigen jüngeren Judikatur des EuGH - die Prognose von Weidemann, Bd II, § 71 Rz 19. Daran ändert auch die Befugnis der Mitgliedstaaten wenig, Beförderungen zur Verwertung wegen mangelnder Übereinstimmung mit einem nationalen Abfallwirtschaftsplan zu verbieten (diese Befugnis hebt der EuGH im Urteil Sydhavnens Sten & Grus unter Berufung auf Art 7 Abs 3 AbfallRRL 75/442/EWG [Abl L 194/23] idF RL 96/350/EG [Abl L 135/32] ausdrücklich hervor), stehen doch auch derartige Maßnahmen unter dem Vorbehalt der Übereinstimmung mit der Warenverkehrsfreiheit. Vgl EuGH, Sydhavnens Sten & Grus (FN 104), Rz 93f. EuGH, ASA, Rs C-6/00, Slg 2002, I-01961. Zur Abgrenzung der thermischen Verwertung zur thermischen Beseitigung Vgl EuGH Rs C-228/00 und C-458/00. Demnach kommt es - der Entscheidung ASA folgend - darauf an, ob der Hauptzweck des Verfahrens in der Verwendung der Abfälle als Mittel der Energieerzeugung liegt und die Abfälle für einen sinnvollen Zweck eingesetzt werden, indem sie andere Materialien ersetzen, die sonst für diesen Zweck hätten eingesetzt werden müssen. Art 1 lit e und f iVm Anhängen II A (Beseitigungsverfahren) und II B (Verwertungsverfahren). Vgl dazu auch die Hinweise auf einschlägige anhängige Verfahren vor dem EuGH bei Onz , Verwertung oder Beseitigung - endlich Klärung durch den EuGH?, RdU 2001, 15. Vgl insb Art 82 u 86 EG-V. Vgl dazu im Lichte der EuGH-Judikatur: Frenz, Kommunale Entsorgungsdienste und EG-Wettbewerbsrecht, NuR 2000, 611.
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weltrelevanten Mangels an Entsorgungsinfrastruktur101 an sich keinen Missbrauch einer beherrschenden Stellung beinhaltet102.
b) Die einschlägigen Rechtsakte im Überblick Der grundsätzliche rechtliche Rahmen der EG-Abfallwirtschaft wird durch die AbfallRL103 festgelegt, die durch die Richtlinie für gefährliche Abfälle104 ergänzt wird. Die Rahmenbedingungen der Abfallverbringung regelt die AbfallverbringungsVO105. Zu diesen Rechtsakten treten Richtlinien, die Anforderungen an die Abfallbeseitigung, insbesondere durch Vorschriften für die technische Ausstattung von Anlagen festlegen: Es sind dies die DeponieRL106 und die Richtlinie über die Verbrennung von Abfällen107. Schließlich bestehen Richtlinien zur Regelung bestimmter Abfallströme: Diese sind einerseits produktbezogen, wie insbesondere die VerpackungsRL108 oder die Richtlinien betreffend Batterien und Akkumulatoren109 oder Altautos110. Im Zusammenhang mit dem Anlagenrecht ist jedoch hier vorrangig auf die entsorgungsbezogenen Richtlinien über die Altölbeseitigung111 bzw über die kontrollierte Beseitigung der PCBs und PCTs112 sowie die KlärschlammRL113 hinzuweisen. So wie die AbfallwirtschaftsGe nicht sämtliche Anforderungen an die Zulassung von Abfallbehandlungsanlagen enthalten, sind auch im Gemeinschaftsrecht anlagenspezifische Determinanten außerhalb des EG-Abfallrechts festgelegt: Hier ist insbesondere auf die IPPC-RL114 und auf die UVP-RL115 zu verweisen.
c) Zentrale Regelungsinhalte des EG-Abfallrechts mit Relevanz für die Anlagenzulassung116 Von wesentlicher Bedeutung sind - auch für das Anlagenrecht - die Bestimmungen zum gemeinschaftlichen Abfallbegriff117. Sowohl die AbfallRRL als 101 102 103
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Im vorliegenden Fall Verwertungsanlagen für nicht gefährliche Bauabfälle. EuGH, Sydhavnens Sten & Grus (FN 104), Rz 52ff. RL 2006/12/EG. Die Europäische Kommission hat eine thematische Strategie für Abfallvermeidung und -recycling vorgelegt, die ein Maßnahmenpaket zur Fortentwicklung der europäischen Abfallpolitik enthält das ua auch einen Vorschlag zur Überarbeitung der AbfallRL zählt. RL 91/689/EWG (Abl L 377/20). RL 93/259/EWG (Abl L 30/1). RL 1999/31/EG (Abl L 182/1). RL 2000/76/EG (Abl L 332/91). RL 94/62/EG (Abl L 365/10). RL 91/157/EG (Abl L 1/1). RL 2000/53/EG v 18. 9. 2000. RL 75/439/EWG (Abl L 194/31) idF RL 2000/76/EG. RL 96/59/EG. RL 86/278/EWG. RL 96/61/EG. RL 85/337/EWG. An dieser Stelle kann nur ein äußerst knapper Überblick das einschlägige Gemeinschaftsrecht gegeben werden. Für eine eingehendere Darstellung vgl insb Beckmann, Bd II, § 73 mwN; weiters zB Rengeling/Gellermann, Vorgaben der EG für die Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen, DVBl 1995, 389.
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auch die Richtlinie für gefährliche Abfälle verlangen ein Genehmigungserfordernis für Abfallbehandlungsanlagen, von dem nur in umgrenzten Ausnahmefällen befreit werden darf118. Materielle Anforderungen an das Anlagenrecht werden mit der Bezugnahme auf die Ziele und Schützgüter der umwelt- und gesundheitsverträglichen Abfallwirtschaft119 und (für die Abfallbeseitigung) mit der Bezugnahme auf nationale Abfallbewirtschaftungspläne120 und das Prinzip der Entsorgungsautarkie und der Nähe121 nur in sehr grundsätzlicher Weise getroffen. Mit der DeponieRL und den Richtlinien zur Abfallverbrennung erfahren diese Rahmenvorgaben jedoch zunehmend eine Konkretisierung durch spezifische Standards: Dies betrifft insbesondere Vorgaben an die Qualität deponierbarer Abfälle122, technische Anforderungen an Deponien123 und Grenzwerte für die Abfallverbrennung124. Die AltölRL fordert den Vorrang der Behandlung von Altöl durch Aufarbeitung, solange dem kein technischen, wirtschaftlichen oder organisatorischen Sachzwänge entgegenstehen125
3. EuGH-Rechtsprechung zum anlagenrelevanten Abfallrecht Auf die EuGH-Rechtsprechung im Hinblick auf die Warenverkehrsfreiheit wurde bereits hingewiesen126. In mehreren Urteilen127 hat sich der EuGH mit dem europäischen Abfallbegriff auseinander gesetzt und dabei insbesondere klargestellt, dass der Abfallbegriff unter Berücksichtigung der Ziele der AbfallRRL auszulegen ist128.
„Folglich kann der Abfallbegriff nicht eng ausgelegt werden“129; er erfasst vielmehr auch Stoffe, die zur wirtschaftlichen Wiederverwendung geeignet sind130 und zwar auch dann, wenn diese „in umwelthygienisch vertretbarer Weise und ohne eingehende Bearbeitung als Brennstoff verwertet werden können“131. Nach Ansicht des EuGH132 sind „die Methoden oder die Art der Verwendung eines Stoffes nicht entscheidend dafür, ob dieser Stoff als Abfall einzustufen ist“; die Verwendung eines Produktionsrückstands als Brennstoff anstelle „gewöhnlichen Brennstoffs“ kann einen Anhaltspunkt für die Ab117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127
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Vgl dazu unten II.A.1. Art 9 u 10 AbfallRRL; Zu den Ausnahmemöglichkeiten vgl Art 11 AbfallRL bzw ergänzend Art 3 RL gef Abf. Art 4 AbfallRL. Zur Relevanz von Abfallbewirtschaftsplänen für die Genehmigung von Anlagen vgl EuGH 1.4.2004, Rs C-53/02 ua. Art 5 u 7 AbfallRRL. Art 5 u 6 DeponieRL. Vgl zB Art 8 iVm Anh I DeponieRL. Vgl zB Art 7 der RL Verbrennung gef Abf. Vgl dazu EuGH 9. 9. 1999, Rs C-102/97, Kommission/Deutschland. Oben Rz 17. Vgl die im Folgenden zitierten Urteile sowie insb EuGH, Rs C-304/94, Tombesi, Slg 1997, I-3561; EuGH, Rs C-129/96, Inter-Environment Wallonie, Slg 1997, I-7411; EuGH 22. 6. 2000, Rs C-318/98, Fornasar, zur Einstufung gefährlicher Abfälle. EuGH, verb Rs C-206 u 207/88, Vessoso und Zanetti, Slg 1990, I-1461 (Rz 12). EuGH 15. 6. 2000, verb Rs C-418 u 419/97, ARCO (Rz 40). EuGH, Vessoso und Zanetti (FN 128), Rz 9. EuGH, ARCO (FN 129), Rz 65. Vgl zu diesem Urteil in dem sich der EuGH mit der Qualifikation verwertbarer Stoffe auseinander gesetzt auch Madner (FN 91). Urteil ARCO (FN 129), Rz 64.
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falleigenschaft darstellen133. Wenn Stoffe, die bei der Produktion lediglich mitanfallen, später ohne weitere Bearbeitung verwertet werden können, kann dies ein Indiz dafür sein, dass es sich nicht um einen bloßen Verbrauchsrückstand und damit um Abfall handelt, sondern dass ein Nebenerzeugnis vorliegt, das nicht dem Abfallregime unterliegt. Damit die Abfalleigenschaft solcher Stoffe tatsächlich ausgeschlossen werden kann, muss nach Ansicht des EuGH (Rs C- 9/00, Palin Granit) die Gewissheit bestehen, dass die Stoffe auch tatsächlich weiterverwendet oder verwertet werden. Die bloße Möglichkeit der Verwertung reicht nicht aus. Ist für den Erzeuger des Stoffs mit der Verwertung ein wirtschaftlicher Vorteil verbunden, ist dies ein Indiz dafür, dass die Verwertung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich erfolgen wird. In diesem Fall kann der Stoff nach Ansicht des EuGH (Rs C-457/02, Niselli) nicht mehr als Last betrachtet werden, deren sich der Besitzer entledigt, sondern er hat als echtes Erzeugnis zu gelten. Art 4 AbfallRRL, der die Ziele und Schutzgüter der EG-Abfallwirtschaft festlegt wurde vom EuGHals programmatische Rahmenbestimmung bezeichnet, die den Mitgliedstaaten keine konkreten Maßnahmen vorschreibt und daher keiner unmittelbaren Anwendung zugänglich sei. Eine signifikante länger anhaltende Umweltbeeinträchtigung durch das unkontrollierte Ablagern von Abfällen wurde jedoch als Verstoß gegen Art 4 AbfallRRL qualifiziert134. Die Ziele des Art 4 AbfallRRL sind auch bei der zeitweiligen Lagerung von Abfällen am Entstehungsort sicherzustellen135.
II. AWG des Bundes A. Gegenstand der Genehmigungspflicht 1. Abfallbegriff Der Abfallbegriff als Festlegung dessen, was überhaupt als Abfall gilt, ist der zentrale Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit abfallrechtlicher Regelungen und somit auch die umstrittenste Begriffsfestlegung des gemeinschaftlichen und nationalen Abfallrechts. a) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben Gem Art 1 lit a AbfallRRL gelten als Abfall „alle Stoffe oder Gegenstände, die unter die in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss“. Daraus lässt sich ein zweigliedriger Abfallbegriff ableiten, welcher aus einer subjektiven (Entledigungs133 134
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Urteil ARCO (FN 129), Rz 85 u 88 mit weiteren Anhaltspunkten zur Abfalleigenschaft. Vgl auch den Hinweis im Vorabentscheidungsverfahren Fornasar (FN 127). Näher zu diesen Urteilen Madner (FN 91). Im Hinblick auf die einschlägige Judikatur zur UVP-RL (vgl ins das Urteil Kraaijeveld, dazu im Beitrag zur UVP) ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass der EuGH in der Folge Einzelnen das Recht zubilligt, die Überschreitung des mitgliedstaatlichen Ermessens unmittelbar unter Berufung auf Art 4 AbfallRRL geltend zu machen. Mit zunehmender Konkretisierung der Standards der Abfallbehandlung durch spezielle Richtlinien tritt Art 4 AbfallRRL freilich in den Hintergrund. EuGH, verb Rs C-175/98 u 177/98, Lirussi und Bizzaro, Slg 1999, I-6881, der die zeitweilige Lagerung am Entstehungsort, von der Zwischenlagerung als grundsätzlich genehmigungspflichtigem Bestandteil der Beseitigung und Verwertung von Abfällen unterscheidet.
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absicht) und einer objektiven Komponente (Entledigungspflicht) besteht;136 dem Tatbestandsmerkmal der Zugehörigkeit zu den Abfallgruppen des Anhangs I kommt nach hL und Judikatur hingegen keine eigenständige normative Bedeutung zu.137 Hinsichtlich der Ausgestaltung des objektiven Abfallbegriffs ist strittig, ob neben gemeinschaftsrechtlichen Festlegungen von Entledigungspflichten auch deren Vorschreibung durch die einzelnen Mitgliedstaaten zulässig ist.138 Zu beachten ist, dass der auf Basis der AbfallRRL erlassene Europäische Abfallkatalog (European Waste Catalogue - EWC139) lediglich eine Bezugsnomenklatur darstellt, mit der eine gemeinsame Terminologie festgelegt werden soll, und somit nicht Teil der gemeinschaftlichen Abfalldefinition ist140.
Die RL über gefährliche Abfälle legt schließlich fest, dass jene Abfälle (gem AbfallRRL) als gefährlich gelten, die in einem entsprechenden Verzeichnis aufgeführt sind141, darüber hinaus aber auch weitere Abfälle als gefährlich gelten, die nach Auffassung eines Mitgliedstaats eine gefahrenrelevante Eigenschaft gem Anhang III aufweisen.142 Es handelt sich bei diesem Verzeichnis um den Europäischen Abfallkatalog, in welchem gefährliche Abfälle gesondert gekennzeichnet werden. Insofern stellt der Europäische Abfallkatalog einen integralen Bestandteil der Definition gefährlicher Abfälle dar,
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Demgegenüber tendiert die Kommission zur Annahme eines dreigliedrigen Abfallbegriffs, der neben der objektiven und subjektiven auch eine faktische („entledigt“) Komponente enthält. Der EuGH 7.9.2004, Rs C-1/03 Paul Van de Walle (= RdU 2005, 86 mAnm Wagner), bejaht den aus seiner Sicht weit auszulegenden Begriff des „sich entledigens“ im Fall einer größeren Menge irrtümlich verschütteter Kraftstoffe, lässt aber offen, ob damit nun der objektive Abfallbegriff erfüllt ist oder doch von einem faktischen Abfallbegriff auszugehen ist; kritisch Piska, Umweltschutz als Leitidee richterlicher Rechtsfortbildung?, JAP 2004/2005, 43. Vgl weiters Ermacora, Abfall-Produkt, 1999, 35, 47 mwN. Niederhuber, Der österreichische Abfallbegriff - ein Sanierungsfall?, RdU 2000, 55 geht davon aus, dass der „faktische“ Abfallbegriff als Spielart des subjektiven Abfallbegriffs zu verstehen ist. Ermacora (FN 136), 43; Seibert, Zum europäischen und deutschen Abfallbegriff, DVBl 1994, 229; Dieckmann, Das Abfallrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1994, 151; derselbe, Der Abfallbegriff des EG-Rechts und seine Konsequenzen für das nationale Recht, NuR 1992, 407; Niederhuber (FN 136). EuGH, ARCO (FN 129; Rz 35 u 36 samt Schlussantrag des Generalanwalts Alber v 8. 6. 1999, Rz 59; Palin Granit Oy (18.4.2002, Rs C-9/00); Van der Walle (FN 136); vgl auch VwGH 11. 9. 1997, 96/07/0241. AM Kind, in: Kind/List/Schmelz, 61; Pöschl, Der österreichische Abfallbegriff im Lichte des Gemeinschaftsrechtes, JBl 1995, 545. Einen Ausgestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bejahend: Pöschl (FN 137); List, Grundfragen des Abfallwirtschaftsrechtes, Diss 1998, 49; Ermacora (FN 136), 53; Seibert (FN 137); Dieckmann, Was ist „Abfall“?, ZuR 1995, 169. AM Kommission, Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen mangelhafter Umsetzung des EU-Abfallbegriffs: Begründete Stellungnahme v 27. 7. 2000, K (2000) 1819 endgültig. Entscheidung 2000/532/EG über ein Abfallverzeichnis, Abl L 226 vom 6.9.2000, 3. Abfallverzeichnis (FN 139), Punkt 1 der Einleitung. Europäische Abfallkataloge (FN 139) EuGH, Fornasar (FN 127). Die sonstigen, durch einen Mitgliedstaat als gefährlich ausgewiesenen Abfälle sind der Kommission mitzuteilen und nach dem Verfahren des Art 18 AbfallRRL im Hinblick auf eine Anpassung des Europäischen Abfallkatalogs zu überprüfen.
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womit ein - von den Mitgliedstaaten zu übernehmender - „kleinster gemeinsamer Nenner“ festgelegt wird.
b) Abfallbegriff des AWG Abfälle iSd AWG sind bewegliche Sachen143, deren sich der Eigentümer oder Inhaber entledigen will oder entledigt hat (subjektiver Abfallbegriff), oder deren Erfassung und Behandlung als Abfall im öffentlichen Interesse gem § 1 Abs 3 AWG 2002 geboten ist (objektiver Abfallbegriff). Für die Bejahung der Abfalleigenschaft genügt das Vorliegen entweder der subjektiven oder der objektiven Begriffskomponente.144 Der Bund hat bei der Festlegung des Abfallbegriffs seine Bedarfskompetenz in Anspruch genommen, sodass die Definition auch für nicht gefährliche Abfälle maßgeblich ist145. Die Länder haben den Abfallbegriff in den LandesabfallGen überwiegend146 rezipiert, teilweise aber auch (insbesondere die objektive Begriffskomponente) modifiziert147. Die „nicht gefährlichen Abfälle“ werden in den AWG der Länder zulässigerweise vielfach in weitere Abfallarten untergliedert (zB Sperrmüll, Hausmüll, betrieb-
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Das Tatbestandsmerkmal der „beweglichen Sache“ umfasst lediglich körperliche Sachen, wobei nicht die zivilrechtliche Konstruktion, sondern ausschließlich die faktische Beweglichkeit ausschlaggebend ist. Vgl Madner, 97. Eine Ausnahme davon legt § 2 Abs 2 AWG 2002 fest, wonach auch Sachen als Abfälle gelten, wenn diese eine die Umwelt beeinträchtigende Verbindung mit dem Boden eingegangen sind. Vgl dazu nun auch EuGH, Van de Walle (FN 136). VwGH 28. 6. 1994, 94/05/0001; 22. 6. 1993, 92/05/0319; 28. 10. 1997, 94/05/0231; 28. 2. 1996, 95/07/0079, 16.10.2003, 2000/07/0252. Vgl zum NÖ-AWG VwGH 7. 12. 1993, 92/05/0320, worin von einer „Überlagerung bzw Verdrängung“ der Begriffsbestimmung des NÖ-AWG ausgegangen wird. Anders jedoch VwGH 21.10.1999, 99/07/0060 und 27.1.2003, 2001/10/0115. Ausgenommen K-AWG und T-AWG. Zum T-AWG vgl VwGH 21. 10. 1999, 99/07/0146. Eine vollständige Anpassung der LandesabfallGe an das AWG 2002 ist allerdings immer noch nicht abgeschlossen. Dies erscheint im Hinblick auf die vom AWG verfolgte Vereinheitlichung der Begriffsvielfalt im Abfallrecht verfassungsrechtlich bedenklich. Vgl Pauger, 518, der jedenfalls über die Definition des AWG hinausreichende Begriffsbestimmungen der Länder für unzulässig, einen engeren Abfallbegriff demgegenüber für zulässig erachtet, weil die Länder auch Ausnahmen vom Anwendungsbereich ihrer Gesetze statuieren dürfen (dagegen ließe sich freilich einwenden, dass im Interesse einer Begriffsvereinheitlichung dann eben auch dieser Weg der Umschreibung eines engeren Anwendungsbereiches gewählt werden kann). Raschauer, 357 erachtet mit § 1 AWG kompatible zusätzliche Ziele in Verbindung mit dem Abfallbegriff für zulässig. Vgl weiteres VwGH 21. 10. 1999, 99/07/0060 = RdU 2000, 146 mAnm Reisner, wo ein Feststellungsbescheid gem § 16 NÖ-AWG zur Abfalleigenschaft einer PET-Flasche und eines Asts in jenen Bereichen als zulässig erachtet wird, für die der Bund seine Bedarfskompetenz nicht in Anspruch genommen hat. Dieser Auslegung des VwGH ist jedenfalls insofern zuzustimmen, als sich die Feststellung auf die Zuordnung zu den jeweiligen - im Landes-AWG festgelegten - Unterbegriffen der Abfalldefinition (hier: betriebliche Abfälle gem § 3 Z 2 lit b NÖ-AWG) bezieht. Der VwGH erachtet darüber hinaus aber offenbar, ungeachtet des bundesgesetzlich einheitlich geregelten Feststellungsverfahrens in § 6 AWG 2002, auch landesgesetzliche Feststellungsverfahren zur Feststellung der Eigenschaft als „nicht gefährlicher Abfall“ für zulässig. Vgl auch VwGH 21. 10. 1999, 99/07/0146 (zum T-AWG), 27.1.2003, 2001/10/0115 (zum NÖ-AWG).
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liche Abfälle), um daran anknüpfend unterschiedlichen Regelungsbedürfnissen Rechnung zu tragen. Die Entledigungsabsicht, welche nicht an zivilrechtlichen Anforderungen zu messen ist148, muss - um rechtlich erheblich zu sein - nach außen in Erscheinung treten. Entledigen als Aufgabe der Gewahrsame an einer Sache, die nicht mehr bestimmungsgemäß verwendet wird oder werden kann, setzt somit eine Entledigungshandlung bzw eine konkrete Entledigungsabsicht voraus.149 Dabei muss das überwiegende Motiv der Entäußerung der Sache darin liegen, diese los zu werden150. Es ist nicht entscheidend, dass die Entledigungsabsicht dem letzten Abfallbesitzer zukommt, vielmehr ist die gesamte Kette der aktuellen wie historischen Eigentümer oder Inhaber der Sache zu berücksichtigen.151 Der objektive Abfallbegriff kommt zum Tragen, wenn die Erfassung und Behandlung der beweglichen Sache als Abfall im öffentlichen Interesse (§ 1 Abs 3 AWG 2002) geboten ist. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn für die Sache ein Entgelt erzielt werden kann.152 Im Gegensatz zum subjektiven Abfallbegriff ist hier der Wille des Eigentümers oder Inhabers nicht relevant. § 2 Abs 3 AWG 2002 legt in Form einer demonstrativen153 Aufzählung für die abfallrechtliche Praxis sehr relevante und somit auch umstrittene Ausnahmen vom objektiven154 Abfallbegriff fest. Dies betrifft • Sachen, die nach allgemeiner Verkehrsauffassung neu sind,155 und • Sachen, solange sie in einer nach allgemeiner Verkehrsauffassung für sie bestimmungsgemäßen Verwendung stehen156. Die noch im AWG 1990 vorgesehene Ausnahme für Sachen, die nach dem Ende ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung im unmittelbaren Bereich des Haushaltes bzw. der Betriebsstätte auf eine zulässige Weise verwendet oder verwertet werden, wurde in Folge eines dazu anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens nicht in das AWG 2002 übernommen.157,158 Die Beurteilung inner148 149 150 151 152 153 154 155
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Madner, 99. Zehetner, Thesen zum Abfallbegriff im AWG, JRP 1995, 36. VwGH 4.7.2001, 99/07/0177; 25.7.2002, 2001/07/0043; 29.1.2004, 2000/07/0074. VwGH 21. 3. 1995, 93/04/0241 = RdU 1995, 132 mAnm Raschauer; 14. 5. 1997, 96/07/0132. § 2 Abs 2 AWG 2002. VwGH 20. 10. 1992, 92/04/0137. VwGH 28. 6. 1994, 94/05/0001. Das sind Sachen, die erst ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung harren. Für die Beurteilung kommt es auf die „durchschnittliche Auffassung der in Betracht kommenden Verkehrskreise“ an (VwGH 18. 1. 1994, 93/05/0018). ZB Sachen zur Reparatur oder zur Reinigung (VwGH 11. 9. 1997, 96/07/0241) oder „Maßnahmen einer Verwertung in spezifischen Wirtschaftskreisläufen“ (VwGH 20. 10. 1992, 92/04/0137; 21. 3. 1995, 93/04/0241 = RdU 1995, 132 mAnm Raschauer). Vgl Niederhuber (FN 136); Wolfslehner/Hochholdinger, Das Abfallwirtschaftsgesetz 2002, RdU 2002, 44. Kneihs, Abfallwirtschaftsrecht, in: Holoubek/Potacs (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Bd. 2 (2002), 305, ist zwar zuzustimmen, dass eine vollständige Umsetzung des gemeinschaftlichen Abfallrechts nicht im Weg des Bundes-AWG zu erfolgen hat, sondern auch über andere Materiengesetze lösbar wäre. Kneihs übersieht dabei aber offenbar, dass es sich angesichts der Regelungsdichte des gemeinschaftlichen Abfallrechts bei diesen Materiengesetzen letztlich um Sonder-Abfallgesetze handeln würde, die neben dem Bundes-AWG beste-
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bzw. zwischenbetrieblicher Kreislaufführungen von Stoffen hat somit anhand der allgemeinen Kriterien des Abfallbegriffs zu erfolgen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass nun für jeden dieser Verwertungszusammenhänge die Abfalleigenschaft zu bejahen wäre159; es hat vielmehr eine Abgrenzung im Einzelfall zu erfolgen. c) Altstoffe / Ende der Abfalleigenschaft Entscheidende Bedeutung kommt dem Altstoffbegriff für die Regelung des Endes der Abfalleigenschaft zu. Altstoffe sind zunächst Abfälle, welche getrennt gesammelt oder aus der Behandlung von Abfällen gewonnen wurden und in weiterer Folge einer zulässigen Verwertung zugeführt werden sollen160. Altstoffe verlieren ihre Abfalleigenschaft dann, wenn sie oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe unmittelbar zur Substitution von Rohstoffen oder von aus Primärrohstoffen erzeugten Produkten verwendet werden161. Bis zum Ende der Abfalleigenschaft sind daher auch für Altstoffe grundsätzlich abfallrechtliche Pflichten und Standards maßgeblich. Die für das Ende der Abfalleigenschaft maßgeblichen Umstände wurden in der Literatur kontroversiell beurteilt.162 Im Einklang mit dem weiten Abfallbegriff des AWG 2002 hat der VwGH die Abfalleigenschaft verwertbarer Stoffe wiederholt bejaht163 , in den vergangenen Jahren aber eine Judikaturlinie entwickelt, wonach das Vorliegen bestimmter Kriterien164 als Indiz für das Ende der Abfalleigenschaft anzusehen ist165. Eine zulässige Verwertung eines Abfalls muss nicht erst dann vorliegen, wenn der aus den Abfällen hergestellte Stoff seiner endgültigen (letzten) Bestimmung zugeführt wird166, sondern kann auch dann bejaht werden, wenn die Herstellung eines marktfähigen Produktes im Sinne der „Erstellung eines Zwischenproduktes“ vorliegt167.
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hen; ein Ergebnis, dass zwar rechtstechnisch möglich, rechtspolitisch aber nicht geglückt wäre. Die Ausnahme für Mist, Jauche und Gülle wurde hingegen beibehalten: Gemäß § 2 Abs 3 AWG 2002 ist die Erfassung und Behandlung von Mist, Jauche, Gülle und organisch kompostierbarem Material als Abfall dann nicht im öffentlichen Interesse geboten ist, wenn diese im Rahmen eines Land- und Forstwirtschaftlichen Betriebs anfallen und im unmittelbaren Bereich eines (auch anderen) land- und forstwirtschaftlichen Betriebs einer zulässigen Verwendung zugeführt werden. Sehr instruktiv sind in diesem Zusammenhang die Erl zur RV (984 BlgNR, 21. GP). Vgl List, in: Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, AWG 2002, 31. § 2 Abs 4 Z 1 AWG 2002. § 5 Abs 1 AWG 2002. Vgl zur „Altstoffkontroverse“ Davy, Wertvoller Abfall, FS Rill, 1995, 383. VwGH 22. 6. 1993, 92/05/0319; 28. 3. 1996, 95/07/0182; 28. 10. 1997, 94/05/0231; 21. 10. 1999, 99/07/0146. Zustimmend Davy (FN 162) unter ausführlicher Auseinandersetzung mit der Teleologie insb des objektiven Abfallbegriffs. Vergleich mit den Gefahren, die von einem vergleichbaren Rohstoff oder Primärprodukt ausgehen; kein höheres Umweltrisiko; Herstellung eines marktfähigen Produktes; unbedenkliche Einsetzbarkeit der Sache für den beabsichtigten Zweck. VwGH 4.7.2001, 99/07/0177; 15.11.2001, 2001/07/0067; 27.6.2002, 2002/07/0014. So noch VwGH 13.1.1993, 91/12/0194; 21.3.1995, 93/04/0241; 28.3.1996, 95/07/0182. VwGH 4.7.2001, 99/07/0177, 25.7.2002, 2001/07/0043, 6.11.2003, 2002/07/0159. Vgl aber VwGH 28.4.2005, 2003/07/0017, wonach unter der „unmittelbaren Verwendung“ des § 5 Abs 1 AWG 2002 der Einsatz der Abfälle ohne einen weiteren
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Ergänzend dazu sieht das Gesetz eine Ermächtigung zur Erlassung sog „Abfallende-Verordnungen“ vor168. Mit diesen Verordnungen soll festgelegt werden können, unter welchen Voraussetzungen169, zu welchem Zeitpunkt und für welchen Verwendungszweck bei bestimmten Abfällen die Abfalleigenschaft endet170.
d) Begriff gefährlicher Abfälle Maßgeblich für die Qualifikation eines Abfalls als gefährlich ist nicht dessen Herkunft, sondern sein Gefährdungspotential.171 Die Definition des Begriffs gefährlicher Abfälle erfolgt - auf Grundlage des § 4 Z 2 AWG 2002 - durch die AbfallverzeichnisVO172, die in diesem Zusammenhang auf die im Abfallkatalog der ÖNORM S 2100173 bzw. ab 1.1.2009 auf die im Verzeichnis der Anlage 2 der Verordnung als gefährlich gekennzeichneten Abfälle verweist. Darüber hinaus gelten auch jene Abfälle als gefährlich, die in einem Ausmaß kontaminiert oder vermischt sind, dass das Zutreffen einer gefahrenrelevanten Eigenschaft nicht ausgeschlossen werden kann. Schließlich wurde in § 7 AWG 2002 ein eigenes „Ausstufungsverfahren“ festgelegt, welches in Form einer Anzeige an den BMLFUW die Nachweisführung zulässt, dass ein (an sich gefährlicher) Abfall im Einzelfall keine gefahrenrelevanten Eigenschaften aufweist und somit als nicht gefährlich zu klassifizieren ist.174 Bei Nichtuntersagung der Ausstufung binnen sechs Wochen gilt der Abfall als nicht gefährlich. Sonderregelungen bestehen für die Ausstufung von Abfällen durch Deponiebetreiber.175 e) Ausnahmen vom Geltungsbereich des AWG Das AWG 2002176 nimmt bestimmte Stoffe und Abfälle, wie beim Bergbau anfallendes taubes Gestein, radioaktive Stoffe, tierische Abfälle177 und Sprengstoffabfälle von seinem Geltungsbereich aus. Wesentlich für die Praxis ist die
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Behandlungsschritt statt eines Primärrohstoffes oder eines Produktes aus Primärrohstoffen zu verstehen ist. § 5 Abs 2 bis 6 AWG 2002. Existierender Markt, Qualitätskriterien, Vergleichbarkeit mit Primärprodukten, Melde- und Aufzeichnungspflichten (§ 5 Abs 2 bis 5 AWG 2002). Die Verordnung muss dabei im Einklang mit den Umweltvorsorgezielen des AWG stehen und darf - im Sinne der Judikatur des EuGH, ARCO (FN 129) - die Zielsetzungen der AbfallRLn nicht unterlaufen. Vgl gefahrenrelevante Eigenschaften gem § 4 Z 2 iVm Anhang 3 AWG 2002. § 4 AbfallverzeichnisVO, BGBl II 2003/570. ÖNORM S 2100 „Abfallkatalog“, ausgegeben am 1.9.1997. Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung erfolgt im Weg der §§ 5 bis 7 der FestsetzungsVO gefährlicher Abfälle, BGBl II 1997/227, welcher zwar in manchen Teilen durch die AbfallverzeichnisVO materiell derogiert wurde, die aber hinsichtlich der genannten Regelungen immer noch Rechtsbestand ist Diese kann auf Grundlage einer Gesamtbeurteilung gem DeponieVO, BGBl 1996/164, allerdings nur durch den Deponiebetreiber selber, erbracht werden. Der Abfall gilt diesfalls unmittelbar mit der Anzeige an die Behörde als nicht gefährlich. § 3 Abs 1 AWG 2002. Die Ausnahme der Kadaver und Konfiskate, Schlachtabfälle und Abfälle aus der Fleischverarbeitung, die einer Ablieferungspflicht gem § 10 des Tiermaterialiengesetzes unterliegen, umfasst nicht Tiermehl und Tierfett, die als „Produkt“ des Tierkörperverwertungsprozesses anzusehen sind;
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Ausnahme für Stoffe, die in Übereinstimmung mit den wasserrechtlichen Vorschriften178 in Gewässer oder in eine Kanalisation eingebracht179 werden. f) Feststellungsbescheid Bestehen begründete Zweifel, ob eine Sache Abfall gem AWG 2002 ist, welcher Abfallart diese Sache zuzuordnen ist oder ob diese im Fall der grenzüberschreitenden Verbringung notifizierungspflichtig ist, hat die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde von Amts wegen oder auf Antrag einen Feststellungsbescheid gem § 6 AWG 2002 zu erlassen180. Im Fall einer grenzüberschreitenden Verbringung ist dabei die Entscheidungsfrist auf zwei Werktage verkürzt. Die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde181 hat die Möglichkeit, jeden Feststellungsbescheid binnen sechs Wochen wegen inhaltlicher Unrichtigkeit, unrichtiger Feststellung des Sachverhaltes oder Aktenwidrigkeit zu ändern oder aufzuheben.
Nach der Judikatur des VwGH182 ist hinsichtlich des Umfangs der Bindungswirkung der Feststellungsbescheide zu differenzieren: Während ein anlässlich einer grenzüberschreitenden Verbringung (binnen kurzer Frist) erlassener Feststellungsbescheid lediglich auf eine bestimmte Sendung (Charge) zu beziehen ist, kommt den Bescheiden in anderen Fällen eine umfassende, über die zu beurteilende Charge hinausreichende Bindungswirkung zu.
2. Anlagenbegriff a) Behandlungsanlage Das AWG 2002 versteht unter Behandlungsanlagen ortsfeste oder mobile Einrichtungen, in denen Abfälle behandelt werden, einschließlich der damit unmittelbar verbundenen, in einem technischen Zusammenhang stehenden Anlagenteile183. Maßgeblich ist somit das bloße Faktum der Behandlung von Abfällen in einer Anlage; eine Zweckbestimmung in dem Sinn, dass der Betriebszweck der
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Aufgrund der Neufassung dieser Bestimmung durch das AWG 2002 sind auch nach dem WRG bewilligungsfreie Einbringungen vom Geltungsbereich des AWG ausgenommen. So schon zum AWG 1990 Raschauer, Der Abfallbegriff des Abfallwirtschaftsgesetzes, ecolex 1990, 645; hinsichtlich gem § 32 WRG bewilligungsfreier Einwirkungen und Niederhuber, „Abfall als Rechtsbegriff, in: Bergthaler/Wolfslehner, 2001, Kap IV Rz23 mwN hinsichtlich bewilligungsfreier indirekter Einleitungen. Unter dem Begriff „Einbringung“ sind lediglich Maßnahmen zu verstehen, die auf eine Gewässerzuführung ausgerichtet sind; vgl Madner, 118. Zur Rechtsprechung des VwGH zur Feststellung der Abfalleigenschaft nach den LandesabfallGen vgl oben FN 147. VwGH 6.11.2003, 2002/07/0159: Es handelt sich dabei um jede - und nicht etwa nur die unmittelbar übergeordnete - sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, im Ergebnis also der Landeshauptmann und der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. VwGH 18. 3. 1994, 90/12/0113; 21. 11. 1996, 96/07/0001. § 2 Abs 7 Z 1 AWG 2002.
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Anlage in der Behandlung von Abfällen liegen muss, ist der Regelung nicht zu entnehmen184. Hinsichtlich der Frage, welche Teile einer Anlage nun als Abfallbehandlungsanlage (z.B. in Abgrenzung zur gewerblichen Betriebsanlage) anzusehen sind, gehen die Erläuterungen185 von einem „flexiblen Anlagenbegriff“186 aus, welcher bei spezialisierten Abfallbehandlungsanlagen (z.B. Müllverbrennungsanlagen) die Gesamtanlage, bei industriellen Produktionsanlagen (z.B. Papiererzeugung) hingegen lediglich jene Teile der Anlage erfasst, die der Behandlung von Abfällen dienen. Letztlich entspricht diese Herangehensweise dem in der gewerberechtlichen Judikatur entwickelten Grundsatz der „Einheit der Betriebsanlage“187. Während im Gewerberecht die gewerbliche Zweckwidmung ausschlaggebend ist, ist für die „Einheit der Betriebsanlage“ in Bezug auf Abfallbehandlungsanlagen der Zweck der Abfallbehandlung maßgeblich188. b) Ortsfeste / mobile Anlagen Das Gesetz kennt weiters den Begriff der „mobilen Behandlungsanlage“189. Es handelt sich dabei um Abfallbehandlungsanlagen, die an verschiedenen Standorten vorübergehend betrieben werden. Verbleiben derartige Anlagen länger als 6 Monate an einem Standort, geht das Gesetz - mit Ausnahme von Behandlungsanlagen zur Sanierung von kontaminierten Standorten - von ortsfesten Anlagen aus. Im Übrigen ist nach der Gesetzessystematik immer dann von einer ortsfesten Behandlungsanlage auszugehen, wenn keine mobile Behandlungsanlage vorliegt190.
3. Begriff der Abfallbehandlung Der Begriff der Abfallbehandlung wird zunächst unter Verweis auf die in Anhang 2 AWG 2002 genannten Verwertungs- und Beseitigungsverfahren definiert191. Bei Anhang 2 handelt es sich um den aus der AbfallRRL wortwörtlich übernommenen nicht abschließenden192 Katalog maßgeblicher Verwertungsund Beseitigungsprozesse. Der Begriff der Abfallverwertung umfasst dabei sowohl die stoffliche als auch die thermische Verwertung, welche in der Abfallhierarchie des § 1 Abs 2 AWG 2002193 als gleichwertig angesehen werden. Unter stofflicher Verwertung versteht das Gesetz die ökologisch zweckmäßige Behandlung von Abfällen zur Nutzung der stofflichen Eigenschaften des Ausgangsmaterials mit dem Hauptzweck, die Abfälle oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe unmittelbar für 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193
Vgl Hochholdinger/Niederhuber/Wolfslehner, AWG-Kommentar, Anm. 7 zu § 2. RV 984 (BlGNR 21. GP. Hochholdinger/Niederhuber/Wolfslehner, Anm. 8 zu § 2. Vgl dazu zB Schwarzer, Die Genehmigung von Betriebsanlagen, 1992, 170. Madner, 125. § 2 Abs 7 Z 2 AWG 2002. Schmelz, in: Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, AWG 2002, 244. § 2 Abs 5 Z 1 AWG 2002. EuGH 27.2.2002, Rs C-6/00. Vermeidung vor Verwertung vor Entsorgung.
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die Substitution von Rohstoffen oder von aus Primärrohstoffen erzeugten Produkten zu verwenden194. Während bei der thermischen Verwertung durch den thermolytischen Prozess nutzbare thermische Energie gewonnen werden soll, steht bei der stofflichen Verwertung somit die Gewinnung bestimmter Stoffe aus dem eingesetzten Abfall für einen anderen Produktionsprozess im Vordergrund195. Nach der Judikatur des VwGH196 kann zur Auslegung der Begriffe der Verwertung und Beseitigung auf die einschlägigen Leitlinien des EuGH197 zurückgegriffen werden: Das entscheidende Merkmal für eine Abfallverwertungsmaßnahme liegt demnach darin, dass ihr Hauptzweck darauf gerichtet ist, dass die Abfälle eine sinnvolle Aufgabe erfüllen können, indem sie andere Materialien ersetzen, die für diese Aufgabe hätten verwendet werden müssen, wodurch natürliche Rohstoffquellen erhalten werden können. Die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit der Abfälle als solche ist hingegen ebenso wenig entscheidend für die Beantwortung dieser Frage, wie der jeweilige Schadstoffgehalt der Abfälle.
Der Begriff der Abfallbehandlung umfasst auch die Sammlung, Lagerung198 und Ablagerung von Abfällen. Werden Abfälle zur nachfolgenden Verwertung länger als 3 Jahre bzw. zur nachfolgenden Beseitigung länger als 1 Jahr gelagert, geht das Gesetz von einem „Ablagern“ aus199.
B. Ortsfeste Behandlungsanlagen 1. Regelungsansatz Das AWG 2002 ordnet im Weg des § 37 verschiedene Anlagentypen bzw -größen einem ordentlichen Genehmigungsverfahren, einem vereinfachten Verfahren bzw. einem bloßen Anzeigeverfahren zu. Bestimmte Anlagen werden wiederum von der Genehmigungspflicht des AWG 2002 gänzlich ausgenommen. Sonderregelungen bestehen für IPPC-Behandlungsanlagen200, Verbrennungs- oder Mitverbrennungsanlagen201 und Deponien202, wobei jede dieser Anlagenkategorien wiederum einem ordentlichen, vereinfachten oder bloßen Anzeigeverfahren zugänglich ist. 194 195
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§ 2 Abs 5 Z 2 AWG 2002. Der EuGH 19.6.2003, Rs C-444/00 leitet aus der Abgrenzung der stofflichen Verwertung zu anderen Verfahren der Verwertung von Abfällen (z.B. Rückgewinnung von Rohstoffen und Rohstoffverbindungen - Verfahren R3 bis R5 des Anhangs IIB der AbfallRRL) ab, dass der Begriff der Verwertung nicht nur aus den Komponenten der stofflichen und thermischen Verwertung besteht, sondern darüber hinaus auch sonstige Fälle der Verwertung denkbar sind. VwGH 29.1.2004, 2003/07/0121. EuGH 27.2.2002, Rs C-6/00; 13.2.2003, Rs C-228/00, 458/00. Vgl Onz, Verwertung oder Beseitigung - endlich Klärung durch den EuGH? RdU 2001, 15. Vgl VwGH 21.10.2004, 2004/07/0130 zur Qualifikation der Lagerung als Verwertungs- oder Beseitigungsverfahren, je nachdem ob die Ansammlung von Stoffen zur nachfolgenden Verwertung oder Beseitigung erfolgt. § 2 Abs 7 Z 4 AWG 2002. Vgl Kap. II.B.9. Sonderbestimmungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 40 AWG 2002) sowie Aufzeichnungs- und Meldepflichten (§ 60 AWG 2002). Vgl Kap. II.B.8.
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Der angesichts dieser Unterscheidungen verfeinerte Anlagenkatalog wirft in der Praxis eine Vielzahl an Abgrenzungsfragen auf. Im Weg eines Generalverweises203 auf die einschlägigen Bestimmungen der GewO wird schließlich das Störfallrecht der Seveso-II-RL204 umgesetzt.
2. Genehmigungs- und Anzeigetatbestände des § 37 AWG 2002 a) Genehmigungspflichten im ordentlichen Verfahren Genehmigungspflichtig ist die Errichtung, der Betrieb und die wesentliche Änderung von ortsfesten Behandlungsanlagen. Mit der Anknüpfung der Genehmigungspflicht an die Errichtung und nicht erst den Betrieb der Abfallbehandlungsanlage soll einer „faktischen Präjudizierung“205 der Behörde, die ansonsten eine bereits bestehende Anlage zu genehmigen hätte, vorgebeugt werden. Bestimmte Arbeiten vor Errichtung der Anlage, wie zB Vermessungsarbeiten oder Probebohrungen, welche der Vorbereitung der Projektsausarbeitung dienen, sind nicht als Errichtungshandlung zu qualifizieren, können aber Genehmigungspflichten nach anderen MaterienGen auslösen206.
Die gesonderte Erwähnung der Genehmigungpflicht des Betriebs von Abfallbehandlungsanlagen bedeutet nicht, dass neben der Errichtungsgenehmigung auch eine gesonderte Genehmigung der Inbetriebnahme zu erwirken wäre. Gem § 44 Abs 1 AWG 2002 ist eine gesonderte Betriebsbewilligung nur im Ausnahmefall der Vorschreibung im Errichtungsgenehmigungsbescheid in Verbindung mit der Anordnung eines befristeten Probebetriebes erforderlich. Unter einer wesentlichen Änderung ist eine Änderung einer Behandlungsanlage, die erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den Menschen oder auf die Umwelt haben kann, zu verstehen. Als wesentliche Änderung gilt auch eine Änderung einer Verbrennungs- oder Mitverbrennungsanlage für nicht gefährliche Abfälle, welche die Verbrennung gefährlicher Abfälle mit sich bringt. Als wesentliche Änderung einer IPPC-Behandlungsanlage gilt weiters jede Kapazitätsausweitung von mindestens 100% des Mengenschwellenwerts207. Damit differenziert das Gesetz zwischen wesentlichen Änderungen, welche - sofern keine Ausnahmen vorliegen - Genehmigungspflichten auslösen, nicht wesentlichen Änderungen, welche dem vereinfachten Verfahren zugänglich sind und sonstigen bloß anzeigepflichtigen Änderungen. Von erheblich nachteiligen Auswirkungen wird zumindest dann auszugehen sein, wenn diese an der Grenze zur Zumutbarkeit bzw. Gesund-
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204 205 206
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§ 59 AWG 2002 verweist für jene genehmigungspflichtigen Behandlungsanlagen, in deren Betrieb die in Anhang 6 AWG 2002 genannten gefährlichen Stoffe in den dort genannten Mengen vorhanden sind (je nach Quantität sog. Spalte 2- bzw. Spalte 3Anlagen), auf §§ 84a Abs 1 und 3, 84b bis 84d Abs 6 und 84d Abs 8 bis 84f GewO. RL 96/82/EG zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen. Madner, 129f. Vgl Madner, 130 sowie Schwarzer (FN 187), 223, welcher selbst Maßnahmen zur Bauvorbereitung, wie zB Geländenivellierungen, Terrainbefestigungen sowie Rodungen als der Errichtung vorgelagert und somit genehmigungsfrei ansieht. § 2 Abs 8 Z 3 AWG 2002. Vgl Art. 4 Z 1 ÖffentlichkeitsbeteiligungsRL 2003/35/EG.
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heitsgefährdung liegen oder erhebliche Umweltverschmutzungen208 verursachen können209.
§ 37 Abs 2 AWG 2002 sieht verschiedene Tatbestände vor, bei deren Zutreffen Abfallbehandlungsanlagen keiner Genehmigungspflicht gemäß AWG 2002 bedürfen. Diese Tatbestände sehen (mit Ausnahme der Anlagen privater Haushalte) als Kriterium vor, dass die Anlage einer gewerberechtlichen Genehmigung210 bedarf. Damit wird die jahrelang schwierige und strittige Abgrenzung zwischen abfallrechtlichen und gewerberechtlichen Anlagengenehmigungspflichten konkretisiert. b) Genehmigungspflichten im vereinfachten Verfahren Für bestimmte Anlagen geringerer Größe und (vermutlich) geringerer Auswirkungsintensität ist eine Genehmigung im vereinfachten Verfahren zulässig, wobei dem Antragsteller aber die Möglichkeit eingeräumt wird, die Durchführung eines ordentlichen Genehmigungsverfahrens zu beantragen211: • • • • •
Deponien für Bodenaushub- und Abraummaterial aus im Wesentlichen natürlich gewachsenem Boden oder Untergrund < 100.000 m³ Verbrennungs- oder Mitverbrennungsanlagen für nicht gefährliche Abfälle < 2,8 MW, sofern keine gewerberechtliche Genehmigungspflicht gegeben ist212 sonstige Behandlungsanlagen für nicht gefährliche Abfälle (ausgenommen Deponien) mit einer Kapazität < 10.000 Tonnen pro Jahr Anlagen zur Zerlegung von Altfahrzeugen und von Elektro- und Elektronikgeräten, die gefährliche Abfälle darstellen, und Lager gefährlicher Abfälle mit einer Kapazität < 10.000 Tonnen pro Jahr nicht wesentliche Änderungen von Anlagen, sofern nach einer der mitanzuwendenden Vorschriften einschließlich des Baurechts des jeweiligen Bundeslandes eine Genehmigungspflicht gegeben wäre: Sehen die mitanzuwendenden Bestimmungen (sowie die baurechtlichen Regelungen) jedoch lediglich eine Anzeigepflicht vor, ist auch im abfallrechtlichen Regime ein bloßes Anzeigeverfahren zulässig213.
c) Anzeigepflichten Die in § 37 Abs 4 AWG 2002 genannten Tatbestände, bei deren Zutreffen ein bloßes Anzeigeverfahren zulässig ist, betreffen ausschließlich Anlagenänderungen geringen Umfangs. Sofern eine wesentliche Änderung vorliegt, ist ein ordentliches Genehmigungsverfahren durchzuführen, sofern einer der Tatbestände für das vereinfachte Verfahren gegeben ist, ist dieses anzuwenden. Dem Anlagenbetreiber steht wiederum die Möglichkeit zu, freiwillig in das ordentliche Genehmigungsverfahren zu optieren. Die Tatbestände im Überblick: • Änderung zur Anpassung an den Stand der Technik 208 209 210
211 212 213
§ 2 Abs 8 Z 2 AWG 2002. Vgl Hochholdinger/Niederhuber/Wolfslehner, AWG-Kommentar, Anm. 17 zu § 2. Hinsichtlich Abfalllager greift die Ausnahme auch dann, wenn eine Genehmigungspflicht gemäß Mineralrohstoffgesetz bzw. Emissionsgesetz für Kesselanlagen gegeben ist. § 37 Abs 3 und 5 AWG 2002. Im Fall der gewerberechtlichen Genehmigungspflicht greift die Ausnahme von der abfallrechtlichen Genehmigungspflicht gemäß § 37 Abs 2 Z 4 AWG 2002. Vgl § 37 Abs 4 Z 8 AWG 2002.
Abfallbehandlungsanlagen • • • •
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Behandlung oder Lagerung zusätzlicher Abfallarten Maschinentausch: Es muss sich um in den Auswirkungen gleichartige Maschinen handeln. Betriebsunterbrechung; Verzicht auf bestimmte Abfallarten; Auflassung der Behandlungsanlage bzw. von Anlagenteilen; Stilllegung von Deponien bzw. Deponieteilen sonstige Änderungen, die nachteilige Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt haben können214, nach den mitanzuwendenden Vorschriften aber lediglich anzeigepflichtig sind.
d) Feststellungsbescheid des § 6 Abs 6 und 7 AWG 2002 Gerade angesichts des umfassenden Anlagenkatalogs des § 37 AWG 2002 sieht das Gesetz unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung und Rechtssicherheit215 vor, dass der Landeshauptmann auf Antrag des Projektwerbers, der Umweltanwaltschaft oder von Amts wegen binnen 3 Monaten festzustellen hat, ob eine abfallrechtliche Genehmigungspflicht gegeben ist, welches Genehmigungsverfahren zur Anwendung kommt und ob eine IPPC-Behandlungsanlage vorliegt. Parteistellung hat neben dem Projektwerber auch der Umweltanwalt; ein ordentliches Rechtsmittel ist nicht zulässig. Wesentlich ist, dass - anders als bei Feststellungsverfahren zur Frage der Abfalleigenschaft - hier kein Aufhebungsrecht des Umweltministers als Oberbehörde gegeben ist. Mit dem Umweltrechtsanpassungsgesetz 2005216 wurde der Anwendungsbereich des Feststellungsbescheids dahingehend erweitert, dass der Landeshauptmann nun auch über den Umfang einer anlagenrechtlichen Genehmigung bezogen auf die bewilligten Abfallarten und -mengen sowie die genehmigte Anlagenkapazität absprechen kann. Dieses Verfahren kann auf Antrag des Bescheidinhabers oder von Amts wegen eingeleitet werden; dem Umweltanwalt kommt weder Antragsrecht noch Parteistellung zu.
3. Genehmigungskonzentration a) Verfahrens- und Entscheidungskonzentration § 38 AWG sieht ein Verfahren mit sogenannter Konzentrationswirkung vor, das nunmehr auch landesrechtliche Materien mitumfasst: Im Genehmigungsund Anzeigeverfahren217 für Abfallbehandlungsanlagen sind gemäß § 38 Abs 1 AWG alle Vorschriften anzuwenden, die „im Bereich des Gewerbe-, Wasser-, Forst-, Mineralrohstoff-, Strahlenschutz-, Luftfahrts-, Schifffahrts-, Luftreinhalte-, Immissionsschutz-, Rohrleitungs-, Eisenbahn-, Bundesstraßen-, Denkmalschutz-, Gaswirtschafts-, Elektrizitätswirtschafts-, Landesstraßen-, Naturschutz- und Raumordnungsrechts für Bewilligungen, Genehmigungen oder Untersagungen des Projekts anzuwenden sind. „ Die Genehmigung nach dem AWG ersetzt die nach den genannten bundesrechtlichen Vorschriften erforder214 215 216 217
Bei erheblich nachteiligen Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt liegt eine wesentliche Änderung vor, welche eines ordentlichen Genehmigungsverfahrens bedarf. RV 984 BlgNR 21. GP. BGBl I 34/2006. Die Konzentration gilt sowohl im ordentlichen als auch im vereinfachten Verfahren sowie im Anzeigeverfahren.
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lichen „Bewilligungen, Genehmigungen oder Nicht-Untersagungen“. Hinsichtlich der landesrechtlichen Vorschriften ist im AWG eine solche Ersatzwirkung der Genehmigung nicht angeordnet, es bleibt insoweit nach dem AWG bei einer bloßen Verfahrenskonzentration: die Behörde hat über die landesrechtlichen Materien im selben Bescheid in einem eigenen Spruchpunkt zu entscheiden. Auch eine baubehördliche Genehmigungspflicht entfällt (§ 38 Abs 2 AWG), die bautechnischen Bestimmungen der Bauordnung des jeweiligen Landes sind aber im Genehmigungsverfahren mit anzuwenden. Im Genehmigungsverfahren sind - kraft nunmehr ausdrücklicher Anordnung - lediglich die materiellrechtlichen Bestimmungen der genannten Materiengesetze mit Ausnahme der Bestimmungen über die Parteistellung anzuwenden, womit neben den Verfahrensregelungen des AWG nur jene des AVG, nicht jedoch Sonderverfahrensrechte der Materiengesetze zur Anwendung kommen.218 Mitanzuwenden sind jeweils jene Vorschriften, welche auch außerhalb des konzentrierten Verfahrens auf das jeweilige Vorhaben anzuwenden wären.219 Für eine gesonderte Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen nach einem der in § 38 Abs 2 AWG angeführten bundesrechtlichen Materiengesetze ist kein Platz220; dies trifft insbesondere auch auf das gewerbliche Betriebsanlagenrecht zu221. Die Belange des Arbeitnehmerschutzes sind im Verfahren zu berücksichtigen222. Sind ausnahmsweise - zusätzlich zu den von der Konzentration gemäß § 38 AWG erfassten Materien - noch weitere Genehmigungen für eine Abfallbehandlungsanlage erforderlich, hat die Behörde das Genehmigungsverfahren und die Erteilung von Auflagen223 mit den zuständigen Behörden zu koordinieren224.
c) Kumulation von bundes- und landesabfallrechtlicher Anlagengenehmigung? Nach der alten Rechtslage hatte eine unklare Subsidiaritätsklausel die Zulässigkeit kumulativer landesabfallrechtlicher Genehmigungspflichten nicht eindeutig erhellt225. Mit VfSlg 13019/1992 wurde die grundsätzliche Zulässigkeit 218
219 220
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In diesem Sinn bereits früher Madner, 257ff; VwGH 11. 9. 1997, 97/07/0051 hielt unter Verweis auf RV 1274 BlgNR 17. GP - fest, dass § 29 Abs 2 AWG (vor der AWG-Nov Deponien) lediglich die Anwendung der materiellen Bestimmungen der mitanzuwendenden MaterienGe anordnet.. So zur insoweit vergleichbaren alten Rechtslage (§ 29 AWG 1990): Davy, 125; Madner, 148; Schmelz, ecolex 1991 (FN 55); derselbe, in: Kind/List/Schmelz, 476. Vgl zur insoweit vergleichbaren alten Rechtslage (§ 29 AWG 1990): VwGH 19. 3. 1998, 96/07/0210 hinsichtlich der Unzulässigkeit einer gesonderten wasserrechtlichen Genehmigung der Ableitung von Sickerwässern. Zu diesem Bsp bereits vorher schon Schmelz, ecolex 1991 (FN 49). Vgl zur Vorgängerregelung in § 29 AWG 1990 zB VwGH 24.11.1998, 95/05/0097; US 12.2.2001, 2/2000/15-15, Frohnleiten; bestätigend VwGH 17.5.2001, 201/07/005-5. § 38 Abs 4 AWG. Auch sonstige Nebenbestimmungen von Bescheiden sind erfasst. Vgl den Hinweis von Schmelz, in Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, 265. § 38 Abs 5 AWG. Für die Zulässigkeit zusätzlicher landesabfallrechtlicher Genehmigungsvorbehalte Merli, Zum Verhältnis von Bundes- und Landesrecht bei abfallwirtschaftsrechtlichen Anlagengenehmigungen, ÖZW 1991, 102; Raschauer, 356; derselbe, RdU 1997 (FN 46), 63; Madner, Die Standortregelung im Abfallwirtschaftsgesetz, ZfV
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kumulativer bundes- und landesabfallrechtlichen Genehmigungsvorbehalte nahegelegt, wobei im Landesrecht aber nur Regelungen zulässig sind, deren Erlassung und Vollziehung unter die verbliebenen abfallwirtschaftlichen Restzuständigkeiten bzw die nicht abfallrechtlichen Kompetenzen der Länder fallen.226 Wie oben dargelegt, hat der Bund mit dem AWG 2002 seine Bedarfskompetenz hinsichtlich nicht gefährlicher Abfälle umfassend in Anspruch genommen, sodass für zusätzliche landesabfallrechtliche Genehmigungsvorbehalte keine Zuständigkeit der Länder bleibt227. Genehmigungsvorbehalte, die andere als abfallrechtliche Gesichtspunkte betreffen (zB Naturschutz) sind, sofern sie von der im Verfassungsrang stehenden Konzentrationsregelung nach § 38 AWG erfasst sind, im Genehmigungsverfahren mitanzuwenden. d) Standortfestlegungen, bautechnische Bestimmungen Für eine umfassende und bundesweite Planung der Abfallwirtschaft sieht § 8 AWG für einen fünfjährigen Planungszeitraum die Erlassung eines „BundesAbfallwirtschaftsplans“ vor, der ua auch die regionale Verteilung der im Bundesgebiet erforderlichen Anlagen zur Beseitigung von Abfällen beinhaltet228. Die konkrete Ausweisung von Standorten für Abfallbehandlungsanlagen in einer Standortverordnung ist im AWG 2002 nicht mehr vorgesehen229. Nach der höchstgerichtlichen Judikatur ist die Landesraumordnung kompetenzrechtlich befugt, auch in Bezug auf Anlagen zur Behandlung gefährlicher Abfälle Festlegungen zu treffen, solange der Bund keine Standortfestlegung vornimmt, Das AWG enthält jedoch auch keine ausdrückliche Anordnung, wonach die Erteilung der Genehmigung für eine Abfallbehandlungsanlage vom Vorliegen einer Flächenwidmung für das betreffende Vorhaben abhängig ist230. Nach Maßgabe der Verfassungsbestimmung des § 38 Abs 2 AWG ist im Rahmen des konzentrierten Genehmigungsverfahrens keine gesonderte baubehördliche Genehmigung erforderlich, vielmehr sind lediglich die „bautechnischen Bestimmungen“ mitanzuwenden. Unter baubehördlicher Genehmigung ist neben der Baubewilligung auch eine etwaige Widmungsbewilligung, Bauplatzerklärung oder Benützungsbewilligung zu verstehen.231
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1992, 523; dieselbe, 192. Dagegen: Schwarzer (FN 233), 135; Davy, 135; Schmelz, in: Kind/List/Schmelz, 481. Ausführlich dazu oben I.B.1b.Vgl auch VwGH 11. 9. 1997, 96/97/0223 (= RdU 1998, 32 mAnm Raschauer) wo unter Verweis auf VfSlg 13019/1992 und Merli, 103 Vorschriften betreffend den Ortsbild- Straßenbild- und Landschaftsschutz als nicht abfallrechtliche Regelungen für zulässig erachtet wurden.. In VfSlg 17389/2004 hat der VfGH eine Standortverordnung nach der K-AWO als eine im Genehmigungsverfahren nach § 29 AWG anzuwendende Vorschrift gesehen. Vgl dazu oben I. B. 1b. Nach EuGH, Rs C-53/02 ua muss ein Abfallbewirtschaftungsplan nicht unbedingt die genaue Lage der Abfallbeseitigungsorte aufweisen, vielmehr kann der exakte Standort auch erst bei der Erteilung der Genehmigung im Einzelfall festgelegt werden. § 26 AWG 1990 der dies vorsah wurde in der Praxis nicht in Anspruch genommen. Ausführlich dazu und zur Standortplanung nach der alten Rechtslage Madner, 179ff; dieselbe, ZfV 1992 (FN 298) Siehe dazu oben I. B. 1. a. Schmelz, ecolex 1991 (FN 55); Merli (FN 298).
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Die baurechtliche Genehmigung stellt ein wesentliches Instrument zur Durchsetzung der Flächenwidmung der Länder und Gemeinden dar; der Entfall der baurechtlichen Genehmigungspflicht für Abfallbehandlungsanlagen führt dazu, dass raumplanerische Festlegungen in Flächenwidmungsplänen bei der Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen auf diesem Weg keine Wirkung entfalten können232. Soweit allerdings die im konzentrierten Genehmigungsverfahren mitanzuwendenden Vorschriften solches anordnen, können raumplanerische Festlegungen und insbesondere Flächenwidmungspläne auch für die Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen relevant werden. So entfalten zB die im Flächenwidmungplan dokumentierten Raumordnungsinteressen bei der Interessenabwägung nach den forstgesetzlichen Rodungsbestimmungen auch bei der Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen Wirkung233. Die mit dem AWG 2002 angeordnete Mitanwendung des Raumordnungsrechts im konzentrierten Verfahren soll sich nach einer Äußerung in den Gesetzesmaterialien „auf allfällige Genehmigungsbestimmungen, nicht jedoch auf Planungskompetenzen“ beziehen234. Zu den iSv § 38 AWG „für Bewilligungen, Genehmigungen oder Untersagungen“ anzuwendenden Vorschriften aus dem Bereich der Raumordnung kann man wegen des Entfalls der Baubewilligungspflicht (§ 38 Abs 2) AWG nicht die Flächenwidmungspläne, wohl aber zB die Bestimmungen über die bescheidförmige Raumverträglichkeitsprüfung235 für sogenannte „Seveso-II-Betriebe“236 zählen. Der Entfall der Baubewilligungspflicht wird von der hM237 dahin verstanden, dass im konzentrierten Genehmigungsverfahren Standortfestlegungen der Länder auch für Anlagen zur Behandlung nicht gefährlicher Abfälle nicht durchgesetzt werden können. In Bezug auf nicht gefährliche Abfälle steht die Standortplanungsbefugnis bis zur Inanspruchnahme der Bedarfskompetenz durch den Bund den Ländern zu238. Der Bund hat mit der Anordnung des Entfalls der baurechtlichen Bewilligungspflicht von seiner abfallrechtlichen Bedarfskompetenz zur Standortplanung für Anlagen zur Behandlung
232 233
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Vgl VfSlg 15.777/2003 zur (gleichlautenden) Verfassungsbestimmung im AWG 1990 (§ 29 Abs 13). VwGH 16.9. 1999, 99/07/0075; Zur Wirkung des nach der früheren Rechtslage in § 77 GewO enthaltenen Standortverbots auch für Abfallbehandlungsanlagen vgl VfSlg 13.231/1992. Damit soll offenbar klargestellt werden, dass etwa die planerische Festlegung von Nutzungsarten nicht in die Zuständigkeit der Behörde gemäß § 38 AWG fällt. Vgl zB § 11b Sbg ROG. Betriebe, die in den Anwendungsbereich der Seveso-II-RL (RL 96/82/EG) - dem EG-Störfallrecht - fallen. Für Abfallbehandlungsanlagen zählt Anhang 6 zum AWG, diejenigen Stoffe aus, deren Vorhandensein den Betrieb einer Abfallbehandlungsanlage auch dem Störfallrecht unterwerfen. Zur insoweit vergleichbaren alten Rechtslage (§ 29 Abs 13 AWG): Davy, 134; Schmelz, in: Kind/List/Schmelz, § 29 Anm V 3b. Vgl auch den Zurückweisungsbeschluss des VfGH 15. 3. 2000, V 226/97 mAnm Merli. Für eine Berücksichtigung von Standortfestlegungen der Länder, die nicht im landesabfallrechtlichen Verfahren sondern lediglich über die baurechtliche Genehmigung durchgesetzt werden Madner (192ff). Vgl dazu oben I.B.1.
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nicht gefährlicher Abfälle keinen umfassenden Gebrauch gemacht239. Durch die Regelung des konzentrierten Bewilligungsverfahrens wurde den Länder jedenfalls nicht die Möglichkeit genommen, in Landesabfallwirtschaftsplänen oder Standortverordnungen zusätzliche landesabfallrechtliche Regelungen für die Standortplanung von Abfallbehandlungsanlagen für nicht gefährliche Abfälle vorzusehen240 . Mit dem Wegfall landesabfallrechtlicher Genehmigungsvorbehalte ist die Durchsetzung solcher Ausweisungen geschwächt.
4. Ordentliches Genehmigungsverfahren a) Genehmigungskriterien Im Rahmen der Genehmigung sind zunächst die materiellen Bestimmungen der mitanzuwendenden Materiengesetze, arbeitnehmerschutzrechtliche Regelungen sowie die bautechnischen Bestimmungen der Länder anzuwenden. Darüber hinaus sieht das Gesetz einen spezifischen Katalog abfallrechtlicher Genehmigungskriterien vor241: • Keine Gefährdung des Lebens und der Gesundheit des Menschen (Z 1): Im Gegensatz zu der offenbar als Vorbild genommenen Bestimmung des § 74 Abs 2 Z 1 GewO wird hier auch der Schutz von Arbeitnehmern zu berücksichtigen sein. • Begrenzung von Schadstoffemissionen nach dem Stand der Technik: Während § 77 Abs 3 GewO lediglich Emissionen von Luftschadstoffen nach dem Stand der Technik begrenzt, sind hier grundsätzlich sämtliche Schadstoffemissionen (in Luft, Wasser, Boden) zu berücksichtigen. • Keine unzumutbare Belästigung von Nachbarn durch Lärm, Geruch, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise.242 • Keine Gefährdung des Eigentums und sonstiger dinglicher Rechte der Nachbarn.243 • Vermeidung, Verwertung oder - soweit dies wirtschaftlich nicht vertretbar ist - ordnungsgemäße Entsorgung der beim Betrieb der Anlage anfallenden Abfälle. • Bedachtnahme auf die öffentlichen Interessen gem § 1 Abs 3 AWG 2002: Es handelt sich dabei um ein „unechtes“ Genehmigungskriterium, welches nur in der Erteilung von Auflagen, nicht aber in der Versagung der Genehmigung Niederschlag finden soll. 244 Bei der Erteilung einer Genehmigung sind weiters Verordnungen gem § 65 Abs 1 AWG 2002 245, mit denen der Umweltminister die dem Stand der Tech239
240 241 242 243 244 245
So (zur früheren gleichlautenden Regelung in § 29 Abs 13 AWG) Merli, 107; Madner, 189 vor FN XX. Vgl auch VfSlg 13019/1992. AM Schmelz, in: Kind/List/Schmelz, § 29 Anm V 3b. Zur Relevanz einer StandortV nach der Krnt-AWO im Genehmigungsverfahren nach § 29 AWG 1990 vgl VfSlg 17389/2004. § 43 AWG 2002. Vgl § 74 Abs 2 Z 2 iVm § 77 Abs 2 GewO. Vgl §§ 74 Abs 2 Z 1, 75 Abs 1 GewO. Schwarzer (FN 187), 249; Madner, ZfV 1992 (FN 225); dieselbe, 167. Zur DeponieVO: Fürnsinn, Das neue Regelungssystem für neue Deponien, RdU 1996, 64; Hüttler/Hüttler, Verordnet das Umweltministerium Österreich die Müllverbrennung?, RdU 1994, 60; dieselben, Weichenstellung in der Abfallwirtschaft:
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nik entsprechende Ausstattung und Betriebsweise von Abfallbehandlungsanlagen festlegen kann, zu berücksichtigen. Bislang wurden auf dieser Grundlage die DeponieVO sowie die AbfallverbrennungsVO246 erlassen. Abweichungen von Verordnungen gemäß § 65 Abs 1 AWG 2002 sind dann zuzulassen, wenn die Einhaltung des gleichen Schutzniveaus sichergestellt ist. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen gilt diese Ausnahmemöglichkeit aber nicht für IPPCBehandlungsanlagen247. Die Behandlungspflichten der §§ 15 und 16 AWG 2002 sind hingegen nicht als Genehmigungskriterien, wohl aber als selbstständige Anpassungsverpflichtungen zu qualifizieren.248 b) Bescheidinhalt und -gestaltung § 47 Abs 1 AWG 2002 legt obligatorische Bescheidinhalte fest, welche unabhängig davon, ob bereits das beantragte Projekt diesen Festlegungen entspricht, in den Genehmigungsbescheid aufzunehmen sind.249 Die Erteilung der Genehmigung kann unter Vorschreibung von Auflagen, Bedingungen oder Befristungen erfolgen250. Die Behörde kann dabei mit Bescheid zulassen, dass einzelne Auflagen erst ab einem späteren Zeitpunkt einzuhalten sind, sofern keine Bedenken hinsichtlich der wahrzunehmenden Schutzinteressen bestehen251. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, Auflagen, Bedingungen oder Befristungen aufzuheben oder abzuändern, wenn und soweit die Voraussetzungen für ihre Vorschreibungen nicht mehr vorliegen252. c) Betriebsbewilligung und Probebetrieb Die Behörde ist gem § 44 Abs 1 AWG 2002 ermächtigt, im Genehmigungsbescheid anzuordnen, dass Behandlungsanlagen erst aufgrund einer Betriebsbewilligung in Betrieb genommen werden dürfen. Diesfalls ist ein auf höchstens zwei Jahre befristeter Probebetrieb anzuordnen. Die Vorschreibung einer Betriebsbewilligung ist dann zulässig, wenn zum Genehmigungszeitpunkt nicht ausreichend beurteilt werden kann, ob die vorgeschriebenen Auflagen die genehmigungsrelevanten Interessen hinreichend schützen oder ob zur Erreichung dieses Schutzes andere oder zusätzliche Auflagen erforderlich sind.253 Bejaht man als Zweck des Probebetriebs die Beurtei-
246 247
248 249 250 251 252 253
Anmerkungen zur Deponieverordnung, RdU 1996, 120. Zur Verbrennung von Abfällen: Bergthaler/Niederhuber; Niederhuber, Die Verbrennung von Abfällen, in: Brezovich (Hrsg), Das neue österreichische Abfallwirtschaftsrecht (Loseblattausgabe), Reg 9 Kap 5; derselbe, Anlagen zur thermischen Verwertung von Abfällen, in: Bergthaler/Wolfslehner (Hrsg), Das Recht der Abfallwirtschaft (2001). BGBl II 2002/389. Der Begriff der „besten verfügbaren Techniken“ des Art. 2 Z 11 IPPC-RL rechtfertigt diese starre, in der Genehmigungspraxis zu vielfältigen Problemen führende Regelung jedenfalls nicht. Davy, 112ff; Madner, 174. Madner, 215. § 43 Abs 4 AWG 2002. § 46 Abs 2 AWG 2002. § 62 Abs 6 AWG 2002. Dies kann insbesondere dann erforderlich sein, wenn keine Referenzanlagen bestehen und die eingesetzte Technologie nicht hinlänglich bekannt ist..
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lung der hinreichenden Auflagenvorschreibung, so ist eine Betriebsbewilligung dann zu erteilen, wenn die Auflagen den beabsichtigten Schutzzweck erfüllen. Dabei steht der Behörde auch die Möglichkeit der Festschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen, Bedingungen oder Befristungen zu. Die Erlassung einer Betriebsbewilligung (samt Probebetrieb) ist als eigenes Verfahren anzusehen, in welchem (im Gegensatz zum Versuchsbetrieb) die in § 42 AWG 2002 Genannten Parteistellung haben254. Nachbarn kommt Parteistellung aber nur dann zu, wenn sie bereits im Zuge des Errichtungs- oder Änderungsgenehmigungsverfahrens Einwendungen erhoben haben. d) Versuchsbetrieb, Arbeiten vor Rechtskraft der Genehmigung Gemäß § 44 Abs 2 AWG 2002 kann die Behörde im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens die Durchführung eines Versuchsbetriebs genehmigen, wenn zur Ausarbeitung des Projektes Vorarbeiten erforderlich sind oder das Vorliegen der Ergebnisse bestimmte Vorarbeiten für die Entscheidung der Behörde wesentlich ist und gleichzeitig angenommen werden kann, dass die Errichtung und der Betrieb der Anlage unter Vorschreibung entsprechender Nebenbestimmungen zulässig sein wird. Sinn und Zweck der Genehmigung eines Versuchsbetriebs bestehen darin, der Behörde die Bewältigung eines besonders schwierigen Ermittlungsverfahren zu ermöglichen, indem zusätzliche Beweismittel beschafft werden; nur jene Arbeiten dürfen zugelassen werden, „bei denen der konkrete Versuchscharakter und das Versuchsziel als Grundlage der weiteren Durchführung des Ermittlungsverfahrens entsprechend präzisiert werden können“255. Die Dauer des Versuchsbetriebs ist - unbeschadet der gesetzlichen Maximalfrist von 2 Jahren - durch das Erreichen dieses Verfahrensziels begrenzt256. Parteistellung in diesem Verfahren hat lediglich der Antragsteller. Die Errichtung und der Betrieb einer Anlage vor Rechtskraft der (Betriebsbewilligungs-) Genehmigung ist gem § 56 Abs 1 AWG 2002 dann zulässig, wenn nur der Antragsteller gegen den Bescheid berufen hat und die Auflagen eingehalten werden. e) Parteistellung § 42 Abs 1 AWG 2002 legt taxativ257 fest, wem im abfallrechtlichen Genehmigungsverfahren Parteistellung zukommt. Gemäß § 38 Abs 1 AWG 2002 gilt die Konzentrationsanordnung für die mitanzuwendenden Materiengesetze nicht für deren Bestimmungen über die Parteistellung. Parteistellung kommt somit folgenden Personen zu: • Antragsteller • Liegenschaftseigentümer, auf dessen Grundstück die Anlage errichtet werden soll258 • Nachbarn259 254 255 256 257 258
VwGH 25. 4. 1996, 95/07/0172. VfSlg 13.1013/1992; VwGH 20. 7. 1995, 95/07/0089. VfSlg 13.013/1992. Vgl auch VwGH 25. 1. 1994, 93/04/0173. Vgl Schmelz, in: Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, AWG 2002, 281. VwGH 11.9.1997, 97/07/0051.
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Personen, die zu einer Duldung verpflichtet werden sollen Inhaber rechtmäßig geübter Wassernutzungen gemäß § 12 Abs 2 WRG260 Standortgemeinde und unmittelbar an die Betriebsliegenschaft angrenzende Gemeinde Arbeitsinspektorat und Verkehrs-Arbeitsinspektorat Umweltanwalt zwecks Geltendmachung der naturschutzrechtlichen Vorschriften Personen zur Wahrnehmung bestimmter in den Z 9 bis 12 näher definierten wasserrechtlichen Interessen Umweltorganisationen, die gemäß § 19 Abs 7 UVP-G 2000 als solche anerkannt wurden sowie in Verfahren betreffend IPPC-Behandlungsanlagen unter bestimmten Voraussetzungen Umweltorganisationen aus einem anderen Staat261
f) Behörden und Verfahren Zuständige Behörde für die Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen ist grundsätzlich der LH262, Berufungsbehörde und sachlich in Betracht kommende Oberbehörde der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Das abfallrechtliche Verfahren ist vor dem Hintergrund des § 38 Abs 1 AWG 2002 im Sinn einer Verfahrenskonzentration geregelt, die verfahrensrechtlichen Bestimmungen der mitanzuwendenden Materiengesetze kommen nicht zur Anwendung.263 g) Recht der genehmigten Anlage Eine einmal erteilte Anlagengenehmigung erlischt, wenn der Betrieb nicht binnen 5 Jahren nach rechtskräftiger Genehmigung in zumindest einem für die Erfüllung des Anlagenzwecks wesentlichen Teil aufgenommen oder durch mehr als 5 Jahre in allen für die Erfüllung des Anlagenzwecks wesentlichen Teilen unterbrochen wird. Auf Antrag des Betreibers kann diese Frist um 2 Jahre verlängert werden264. § 62 AWG 2002 legt anlagenpolizeiliche Regelungen für Behandlungsanlagen fest. Der LH ist zur Überwachung der Behandlungsanlagen in einem 259 260
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263 264
Vgl dazu die weitgehend an § 75 Abs 2 und 3 GewO angelehnte Definition des § 2 Abs 5 Z 5 AWG 2002. VwGH 18.1.2001, 2000/07/0090, 2000/07/0212; der Gesetzgeber wollte mit diesem Begriff auch den weiteren Tatbestand der Nutzungsbefugnis nach § 5 Abs 2 WRG erfassen. Vgl Art. 4 ÖffentlichkeitsbeteiligungsRL 2003/35/EG; Baumgartner, Parteistellungen im UVP-G nach der Nov 2004, ecolex 2005, 275; Schulev-Steindl, Subjektive Rechte im öffentlichen Interesse? Anmerkungen zur Aarhus-Konvention, JRP 2004, 128; Merl, Umweltverträglichkeit neu - Das UVP-G 2000 nach den Novellen 2004 und 2005, RdU 2005/24. Der Landeshauptmann kann die Bezirksverwaltungsbehörde ganz oder teilweise mit der Durchführung eines Verfahrens oder der Verfahren für bestimmte Anlagentypen betrauen und diese ermächtigen, in seinem Namen zu entscheiden (§ 38 Abs 6 AWG 2002). So schon zur alten Rechtslage Madner, 259. § 55 AWG 2002
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Zyklus von längstens 5 Jahren sowie - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - zur nachträglichen Vorschreibung von Auflagen und zur Vorschreibung und Durchführung von Maßnahmen bis hin zur Stilllegung von Maschinen oder Schließung der Anlage bzw. von Anlagenteilen verpflichtet. Dem Landeshauptmann steht dabei die Möglichkeit der Delegation an die Bezirksverwaltungsbehörde zu265.
5. Vereinfachtes Genehmigungsverfahren a) Genehmigungskriterien, Bescheidinhalt und -gestaltung Kraft ausdrücklicher Anordnung des § 50 AWG 2002 bestehen hinsichtlich Genehmigungskriterien, Bescheidinhalt und -gestaltung keine Unterschiede zum ordentlichen Genehmigungsverfahren. Aufgrund der Textierung des § 44 Abs 1 AWG 2002266 wird im vereinfachten Genehmigungsverfahren keine Bewilligung eines Probebetriebs zulässig sein. Im Gegensatz dazu kann vertreten werden, dass Versuchsbetriebe wohl zulässig sein müssen, da § 44 Abs 2 AWG 2002 ganz generell für Genehmigungsverfahren gemäß § 37 AWG 2002 gilt267. Im vereinfachten Verfahren gilt die Konzentrationsanordnung des § 38 AWG 2002; die Genehmigung ersetzt somit auch die Genehmigungen oder Nicht-Untersagungen der mitanzuwendenden Materiengesetze. b) Parteistellung, Anhörungsrecht Die Bedeutung des vereinfachten Verfahrens besteht im Wesentlichen darin, dass Nachbarn keine Parteistellung zukommt. Diese können lediglich innerhalb der Auflagefrist Einsicht nehmen und sich zum genannten Projekt äußern. Die Behörde hat bei der Genehmigung auf die eingelangten Äußerungen Bedacht zu nehmen. Parteistellung haben hingegen neben dem Antragsteller diejenigen, die zu einer Duldung verpflichtet werden sollen, der Arbeitsinspektor, das wasserwirtschaftliche Planungsorgan sowie der Umweltanwalt hinsichtlich der Einhaltung der naturschutzrechtlichen Vorschriften sowie - ohne dass hier eine Systematik zu erkennen wäre - hinsichtlich bestimmter Anlagenkategorien zur Wahrung der öffentlichen Interessen. c) Verfahrensrechtliche Spezifika Der Genehmigungsantrag ist 4 Wochen lang aufzulegen. Innerhalb dieser Auflagefrist können die Nachbarn Einsicht nehmen und sich zum geplanten Projekt äußern. Die Entscheidungsfrist wurde auf 4 Monate verkürzt. 265 266 267
§ 38 Abs 7 AWG 2002. „gemäß § 37 Abs 1 genehmigungspflichtige Behandlungsanlagen“ Dem kann allerdings der Umstand entgegen gehalten werden, dass im das vereinfachte Verfahren regelnden § 50 Abs 1 AWG 2002 die Versuchsbetriebsregelung des § 44 Abs 2 AWG 2002 nicht explizit genannt wird. So auch Schmelz, in: Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, AWG 2002, 318. Andererseits wird zu berücksichtigen sein, dass eine Nennung des Versuchsbetriebs in § 50 Abs 1 AWG 2002 auch gar nicht erforderlich ist, handelt es sich dabei doch nicht um einen Teil des vereinfachten Verfahrens, sondern vielmehr um ein (in ein ordentliches oder vereinfachtes Verfahren integriertes) selbstständiges Verfahren nach § 44 Abs 2 AWG 2002.
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6. Anzeigeverfahren Das Gesetz differenziert hier nach zwei Fallgruppen: Maßnahmen gemäß § 51 Abs 1 AWG 2002 (Stand der Technik, zusätzliche Abfallarten, sonstige Änderungen) dürfen erst nach Rechtskraft des Kenntnisnahmebescheids begonnen werden. Die Entscheidungsfrist wurde auf 3 Monate verkürzt; der Bescheid bildet einen Bestandteil des Genehmigungsbescheids. Maßnahmen gemäß § 51 Abs 2 AWG 2002 (Maschinentausch, Unterbrechung des Betriebs, Verzicht auf Abfallarten, Auflassung der Anlage) können hingegen bereits mit Einlangen der Anzeige bei der Behörde umgesetzt werden. Die Behörde hat auf Antrag einen Kenntnisnahmebescheid zu erlassen. In beiden Fallgruppen gelten dieselben Genehmigungskriterien wie im ordentlichen Genehmigungsverfahren, da die Behörde zur Wahrung der Interessen des § 43 AWG 2002 entsprechende „Aufträge“ (also Auflagen, Bedingungen oder Befristungen) vorzuschreiben hat. Auch im Anzeigeverfahren gilt die Konzentrationsanordnung des § 38 AWG 2002; etwaige Anzeigepflichten nach anderen Materiengesetzen werden somit miterledigt268. Von Bedeutung ist, dass im Anzeigeverfahren lediglich dem Inhaber der Behandlungsanlage und dem Arbeitsinspektor Parteistellung zukommt. Sonstige Parteistellungen bestehen nicht.
7. Altstoffsammelzentren und Problemstoffsammelstellen Errichtung, Betrieb und wesentliche Änderung öffentlich zugänglicher269 Sammelstellen für Altstoffe oder Problemstoffe270 sind genehmigungspflichtig. Das Genehmigungsverfahren ist gegenüber jenem für (sonstige) ortsfeste Anlagen beschleunigt. Parteistellung hat lediglich der Antragsteller. Eine Genehmigung ist innerhalb von drei Monaten, gegebenenfalls unter Auflagen, zu erteilen, wenn die öffentlichen Interessen der Abfallwirtschaft (§ 1 Abs 3 AWG) nicht beeinträchtigt werden. Zuständige Behörde erster Instanz ist die BVB271, Berufungsinstanz der UVS.
268
269 270
271
Etwaige Genehmigungspflichten nach anderen Materiengesetzen würden hingegen die Durchführung eines Anzeigeverfahrens ausschließen; es wäre ein vereinfachtes Verfahren durchzuführen (Vgl § 37 Abs 3 Z 5 AWG 2002). Ob die Anlage von einer Gebietskörperschaft oder gewerbsmäßig betrieben wird ist unmaßgeblich. Zum Begriff Altstoffe und Problemstoffe vgl § 2 Abs 4 Z 1 bzw Z 4. Vgl auch oben zum Abfallbegriff. Nach den Materialien (RV 984 BlgNR XXI.GP) sind zwar öffentliche „Mistplätze“ nicht jedoch Container auf der Straße als Altstoffsammelzentren zu qualifizieren. § 38 Abs 7 AWG.
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8. Deponien Mit der AWG-Nov Deponien272 hat der Gesetzgeber Regelungen betreffend die Genehmigung, den Betrieb, die Überwachung und die Anpassung von Deponien, die auf die Materien Wasserrecht (WRG) und Abfallrecht (AWG, sowie Länder-AWG) aufgesplittet waren, im AWG zusammengefasst und die DeponieRL umgesetzt273. Das AWG enthält für Deponien Sonderregelungen betreffen die Antragsunterlagen (§ 39 Abs 2); spezielle Genehmigungsvoraussetzungen (§ 43 Abs 2); Sonderregelungen betreffend den Inhalt des Genehmigungsbescheids (§ 47 Abs 2 u § 48 insb zu Einbringungszeitraum, Sicherheitsleistung) sowie Sonderregelungen zur Bauaufsicht (§ 49), zum Betrieb (§ 61) und zur Überwachung (§ 63). Ungeachtet dieser Gesamtregelung im AWG sind aufgrund der Konzentrationsbestimmung des § 29 Abs 2 AWG für die Genehmigung von Deponien auch andere bundesrechtliche Materiengesetze - das Bestehen von Genehmigungspflichten vorausgesetzt - mitanzuwenden.
a) Inbetriebnahme Eine Betriebsbewilligung ist in Form eines Überprüfungsbescheids274 nach der verpflichtenden Anzeige der Errichtung der Deponie bzw des Deponieabschnitts275 zu erteilen. Erst im Anschluss daran ist die Einbringung von Abfällen zulässig.276 b) Genehmigungskriterien Die Genehmigungskriterien des § 43 Abs 1 AWG werden im § 43 Abs 2 AWG um relevante Kriterien der DeponieRL sowie des Gewässerschutzes ergänzt und insbesondere bestimmte öffentliche Interessen des § 105 WRG als Genehmigungsvoraussetzung festgelegt.277, 278 So dürfen kein schädlicher Einfluss auf den Lauf, die Höhe, das Gefälle oder die Ufer der natürlichen Gewässer, keine nachteilige Beeinflussung der 272
273 274 275 276
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BGBl I 2000/90. Der bisher relevante wasserrechtliche Genehmigungstatbestand für Deponien in § 31b WRG wurde außer Kraft gesetzt. Zu § 31b WRG: Raschauer, Komentar zum Wasserrecht, 1993, § 31b; Oberleitner, Abfalldeponien und Wasserbenutzung, ecolex 1996, 422; derselbe, Vereinfachungen und Neuregelungen im Wasserrecht - Die WRG-Novellen 1997, RdU 1997, 159; Preiß, Genehmigungsvorbehalte zur Gewässerreinhaltung, ZfV 1997, 177 (181f). Vgl Gruber, Der neue Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Abfalldeponien, RdU 1997, 113. § 63 Abs 1 AWG. § 61 Abs 1 AWG. § 61 Abs 1 AWG. Es ist somit zwischen den für die Ablagerung nötigen Anlagen, Einrichtungen und Vorkehrungen einerseits und andererseits den Abfällen selbst, deren Einbringung dem Betrieb der Deponie zugerechnet wird, zu unterscheiden. Vgl Oberleitner , RdU 1997 (FN 342); VwGH 11. 7. 1996, 95/07/0020. § 43 Abs 2 Z 5 AWG. Auf die öffentlichen Interessen des § 1 Abs 3 AWG ist (lediglich) Bedacht zu nehmen. Vgl hingegen § 31b WRG (vor der AWG-Nov Deponien), nach dem eine Genehmigung nur dann erteilt werden konnte, wenn eine unzulässige Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen des AWG (§ 1 Abs 3) sowie des WRG (§ 105) nicht zu erwarten war.
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Beschaffenheit der Gewässer, keine wesentliche Behinderung des Gemeingebrauchs, keine Gefährdung der notwendigen Wasserversorgung und keine wesentliche Beeinträchtigung der ökologischen Funktionsfähigkeit der Gewässer zu besorgen sein. Das Vorhaben darf nicht den Interessen der wasserwirtschaftlichen Planung an der Sicherung der Trink- und Nutzwasserversorgung widersprechen und hat im Einklang mit dem Bundes-Abfallwirtschaftsplan279 zu stehen. c) Bescheidinhalt und -wirkung Die in § 47 AWG vorgesehenen Bescheidinhalte sind als Mindestinhalte zu verstehen, die unabhängig davon, ob das jeweilige Einreichprojekt diese Punkte bereits ausreichend berücksichtigt hat, jedenfalls vorzuschreiben sind. Für Deponien sind bereits im Zusammenhang mit der Anlagengenehmigung Maßnahmen für die Unterbrechung des Betriebs, ein Stilllegungsplan sowie Maßnahmen für die Nachsorge der Deponie vorzusehen.280 Zur Erfüllung der in der Genehmigung vorgeschriebenen Auflagen und Verpflichtungen, insbesondere die ordnungsgemäße Erhaltung und Stilllegung sowie die Schließung einschließlich der Nachsorge der Deponie, ist eine angemessene Sicherstellung vorzuschreiben281. Die Sicherstellung soll der Behörde dann zur Verfügung stehen, wenn der Deponieinhaber seinen Verpflichtungen während des Betriebs oder der Nachsorgephase nicht nachkommt und muss auch im Insolvenzfall für die öffentliche Hand verfügbar sein282. Die Anordnung einer Sicherstellung dient nicht nur dem öffentlichen Interesse, vielmehr soll damit auch der Schutz der Rechte der betroffenen Parteien auf Dauer gewährleistet werden. 283 Das AWG regelt die wesentlichen Eckpunkte für die Berechnung der Sicherstellung im Einzelfall284 sowie für die Anpassung der Sicherstellung285.
Der Bewilligungswerber hat einen Rechtsanspruch, Abfälle für einen Zeitraum von zumindest 20 Jahren einzubringen, die Behörde darf nur bei Vorliegen besonderer Umstände286 kürzere Zeiträume festlegen. Selbst wenn bescheidmäßig keine Bestimmung des Einbringungszeitraums vorgenommen 279 280 281
282 283
284 285 286
Vgl Art 8 lit a Punkt iii) DeponieRL. Vgl Art 9 DeponieRL. Diese hat in Form einer finanziellen Sicherheitsleistung oder gleichwertiger Instrumente (zB Haftungserklärung) zu erfolgen. Die wesentlichen Eckpunkte für die Berechnung der Sicherstellung sind in § 48 Abs 2a AWG, Dem BMLFUW wird in § 30b Abs 8 AWG eine Verordnungsermächtigung zur Festlegung von Bestimmungen über Inhalt, Festsetzung, Art, Bemessung, Leistung, Zugriff, Verfall, Verwendung und Freiwerden von Sicherstellungen sowie Sicherstellungen für bestehende Deponien eingeräumt. RV 1147 BlgNR 17.GP, 17. Ob die Behörde dies bei der Festsetzung der Höhe bedacht hat, bedarf einer näheren, für die Parteien nachvollziehbaren Begründung. VwGH 19. 3. 1998, 96/07/0210 = Oberleitner, Wasserrechtsgesetz, 2000, E 10 zu § 31b. § 48 Abs 2a AWG. § 48 Abs 2b AWG. ZB wenn zu erwarten ist, dass das vorgesehene Deponievolumen im Hinblick auf die beabsichtigten Anlieferungen deutlich früher erschöpft sein wird oder die für die Abfallanlieferung maßgebliche Maßnahme - etwa ein Bauvorhaben - selbst nur befristet durchgeführt werden soll;.
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wird, gilt eine ex lege-Befristung von 20 Jahren287. Die Befristung ist auf Antrag des Betreibers zu verlängern, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen des § 43 AWG bei bereits am 1. Juli 1997 bestehenden Deponien nach Maßgabe der Anpassungsregelungen des § 76 AWG - erfüllt sind.288 Festzuhalten ist, dass selbst wenn der Einbringungszeitraum abläuft, die Deponiegenehmigung an sich bestehen bleibt289; es ist lediglich das Einbringen von Abfällen untersagt. Zu beachten ist schließlich, dass die Behörde Deponiegenehmigungen von Amts wegen290 als Belastung im Grundbuch ersichtlich zu machen hat.291 d) Errichtung und Betriebsbewilligung Zur Überwachung der Bauausführung hat292 die Behörde auf Kosten293 des Deponiebetreibers ein Bauaufsichtsorgan zu bestellen, dessen Aufgaben und Rechte in § 49 AWG beschrieben sind. Die Errichtung einer Deponie, eines Deponieabschnitts oder Kompartiments294 ist der Behörde anzuzeigen.295 In Folge dessen hat der LH ein Überprüfungsverfahren gem § 63 AWG durchzuführen. Parteistellung hat der Antragsteller und der von einer Abweichung in seinen Rechten Betroffene296. Gegenstand des Überprüfungsverfahrens ist die Feststellung der Übereinstim-
287 288
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§ 48 Abs 1 AWG. § 48 Abs 1 letzter Satz AWG. Hatte die Vorläuferbestimmung des § 31b Abs 6 WRG als Voraussetzung für die Verlängerung lediglich verlangt, dass dem Stand der Deponietechnik „bestmöglich“ entsprochen wird, wurde diese Relativierung nicht in das Regime des AWG übernommen. Der Durchführungserlass zur WRGNov Deponien hat die Bedeutung dieser Relativierung damit erklärt, dass so eine Fristverlängerung auch dann gewährt werden kann, wenn die Anpassung an den Stand der Deponietechnik noch nicht abgeschlossen ist. Der (bewusste?) Wegfall dieser Flexibilitätsklausel kann nunmehr für Deponien, die erst an den Stand der Technik anzupassen sind, in letzter Konsequenz zur Versagung der Verlängerungsgenehmigung führen. Dies gilt insbesondere für die Verpflichtung des Deponiebetreibers zum Abschluss der Deponie sowie zur Nachsorge und Kontrolle. § 48 Abs 3 AWG. Vgl zur früheren vergleichbaren Rechtslage VwGH 19. 6. 1990, 87/07/0105 = ZfVB 1991/1198; 22. 4. 1999, 99/07/0052. Dies schließt einen als Anregung zu verstehenden „Antrag“ nicht aus (VwGH 18. 9. 1987, 83/07/0131). Damit kann sich niemand, der eine spätere Eintragung erwirkt, auf die Unkenntnis der Belastung berufen. Vgl den früher anzuwendenden § 120 Abs 1 WRG, wonach die Bestellung einer Bauaufsicht nicht zwingend vorgeschrieben ist. So auch VwGH 2. 2. 1988, 87/07/0019. Vgl VwGH 19. 11. 1998, 98/07/0165 zur Beurteilung der Angemessenheit des Entgelts für ein Aufsichtsorgan. Vgl weiters RV 178 BlgNR 21. GP, wonach Entgelte entsprechend der HonorarRL für Ziviltechnikertarife als angemessen erachtet werden. § 63 AWG bezieht sich auf alle möglichen Teilbereiche einer Deponie. Vgl zur Klarstellung in § 63 AWG durch das Umweltrechtsanpassungsgesetz 2005, RV 1147 BlgNR, XXII.GP, 17. § 61Abs 1 AWG. § 63 Abs 1 AWG.
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mung der Anlage mit der erteilten Genehmigung.297 Gegen den Überprüfungsbescheid (Betriebsbewilligung) können folglich auch keine Einwendungen vorgebracht werden, die sich gegen die originäre Genehmigung richten. Im Überprüfungsbescheid können seitens der Behörde geringfügige Abweichungen, die den für Anlagenbewilligungen vorgeschriebenen Genehmigungsvoraussetzungen nicht widersprechen oder denen der Betroffene zustimmt298, genehmigt werden299. e) Parteistellung Für die Parteistellung im Genehmigungsverfahren bestehen keine Sonderregelungen für Deponien. f) Behörden und Verfahren Zuständige Behörden sind der LH in erster und der unabhängige Verwaltungssenat in zweiter Instanz. Abweichend dazu ist bei gewerblichen Bodenaushuboder Baurestmassendeponien unter 100.000 m3 die Bezirksverwaltungsbehörde300 in erster Instanz zuständig. Als verfahrensrechtliche Sonderbestimmung ist - neben den Vorschriften über den Überprüfungsbescheid (§ 63 AWG)301 die Vorschreibung umfangreicher Antragsunterlagen302 - hervorzuheben. g) Recht der genehmigten Anlage Der LH hat zur Überwachung von Deponien eine Deponieaufsicht303 zu bestellen, welche die Einhaltung des AWG, der DeponieVO sowie des Genehmigungsbescheids und sonstiger auf dem AWG beruhenden Bescheide und Verordnungen regelmäßig zu überprüfen und der Behörde darüber jährlich zu berichten hat.304 Die Behörde hat nach den allgemeinen Bestimmungen über die Überwachung von Abfallbehandlungsanlagen (§ 62 AWG) zusätzliche oder anderer Auflagen bzw Maßnahmen vorzuschreiben, falls die in den Genehmigungskriterien (§ 43 AWG) genannten Schutzinteressen nicht hinreichend geschützt sind. Die Behörde hat das vorübergehende Verbot der Einbringung von Abfäl297 298
299 300
301 302 303
304
Kaan/Braumüller Handbuch Wasserrecht (2000), Rechtssprechungsübersicht zu § 121. Der VwGH hat zum gleich lautenden § 121 Abs 1 WRG festgehalten, dass eine nachträgliche Genehmigung einer Abweichung bei fehlender Zustimmung des Betroffenen jedenfalls nicht möglich ist (VwGH 28. 1. 1992, 90/07/0099). § 63 Ans 1 AWG. In der RV war demgegenüber noch vorgesehen, dem LH eine Delegationsmöglichkeit für (auch nicht gewerbliche) Bodenaushub- oder Baurestmassendeponien unter 100.000 m3 einzuräumen. Dazu oben. § 39 Abs 2 AWG. § 63 Abs 3 AWG. Es kann eine entsprechend befähigte Person sowohl mit der Bauaufsicht (§ 48 AWG, dazu oben) als auch mit der Deponieaufsicht betraut werden. Vgl Hochholdinger, IPPC-Behandlungsanlagen und Deponien, in: Bergthaler/ Wolfslehner, Rz 29ff. Zur Angemessenheit des Entgelts für ein Aufsichtsorgan vgl VwGH 19. 11. 1998, 98/07/0165.
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len oder die Schließung der Deponie zu verfügen, wenn ungeachtet wiederholter Mahnungen angeordnete Maßnahmen nicht durchgeführt bzw die Auflagen des Genehmigungsbescheids nicht eingehalten werden.305 Bestehende Deponien306 sind nach dem komplexen, mehrstufigen System des 76 AWG an den Stand der Deponietechnik anzupassen307, wobei der letzte Anpassungsschritt mit 1. 1. 2004 vorgesehen war. Von besonderer abfallwirtschaftlicher - und für die betreffenden Deponien betriebswirtschaftlicher - Relevanz308 ist die Ermächtigung des LH, durch Verordnung309 die Anpassung an das Verbot der Deponierung310 bis 31. 12. 2008 aufzuschieben.311 Inhaber einer Deponie treffen - teils in Umsetzung der DeponieRL - eine Reihe von Aufzeichungs-, Melde- und Anzeigepflichten312. So ist der Behörde zB jede Zurückweisung eines Abfalls, der in der Deponie nicht angenommen werden darf, zu melden (§ 61 Abs 2 AWG). Meldepflichtig sind auch erhebliche Umweltauswirkungen der Deponie,
305
§ 63 Abs 4 AWG. Dabei kann auf die zu § 27 Abs 4 WRG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden; vgl Oberleitner (FN 366), Entscheidungen zu § 27. Dem Erfordernis „wiederholter Mahnung“ ist mit einer mindestens zweimaligen Mahnung entsprochen (VwGH 31. 5. 1988, 87/07/0148; 1. 9. 1997, 96/07/0239). Die Mahnung stellt keinen Bescheid dar; im Verfahren zur Entziehung der Bewilligung kann somit vorgebracht werden, dass die Voraussetzungen für den Ausspruch nicht gegeben waren (VwGH 11. 9. 1997, 96/07/0239). Eine erst im Zuge des Berufungsverfahrens erfolgte Herstellung des dem Bewilligungsbescheid entsprechenden Zustands ist in der Berufungsentscheidung zu berücksichtigen, wobei allerdings nur eine vollständige Herstellung dieses Zustands eine Bestätigung des Entziehungsbescheids verhindern kann (VwGH 26. 11. 1991, 90/07/0137; 11. 9. 1997, 96/07/0239). Sind die vorgefundenen Mängel behebbar, wird entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip lediglich ein vorübergehendes Einbringungsverbot gerechtfertigt sein. 306 Dh am 1.7. 1994 bestehende, nach WRG oder § 29 AWG bewilligte und noch nicht ordnungsgemäß stillgelegte oder geschlossene Deponien. 307 Vgl Schmelz, Anpassung bestehender Deponien an den Stand der Technik, ecolex 1998, 179; Oberleitner, RdU 1997 (FN 342). 308 Vgl zur Vorläuferbestimmung Hüttler/Hüttler, RdU 1994 (FN 358), dieselben, RdU 1996 (FN 358); Fürnsinn (FN 358) 309 Der VfGH (VfSlg 17018/2003) hat die Verlängerung der Anpassungsfrist „durch Verordnung“ in der Vorgängerbestimmung (§ 45a Abs 7 AWG 1990) wegen Verstoßes gegen das bundesverfassungsrechtliche Rechtschutzsystem für verfassungswidrig erklärt. Die für die Verlängerung aufgestellten Bedingungen waren nach Ansicht des VfGH derart beschaffen, dass sie ein rechtlich geschütztes Interesse jedes Deponiebetreibers begründen, dem durch eine einzelfallbezogene Entscheidung (Bescheid) Rechnung zu tragen ist. Der Gesetzgeber hat versucht den Bedenken des VfGH Rechnung zu tragen, indem die Voraussetzungen der Verlängerung der Anpassungsfrist von einer Bezugnahme auf konkrete einzelne Deponien möglichst befreit wurden. 310 Verbot der Deponierung von Abfällen, deren Anteil an organischem Kohlenstoff (TOC) mehr als fünf Masseprozent beträgt. Davon ausgenommen sind insbesondere Abfälle aus mechanisch-biologischer Vorbehandlung mit einem oberen Heizwert von weniger als 6.000 kJ/kg (§ 5 Z 7 DeponieVO). 311 VfSlg 17018/2003. 312 Vgl insb §§ 17 Abs 3, 21 Abs 4, 61 Abs 2 u 3 AWG. Vgl dazu Hochholdinger, IPPC-Abfallbehandlungsanlagen und Deponien, in: Bergthaler/Wolfslehner, Rz 32 ff.
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die im Züge von Messungen und Überwachungsverfahren festgestellt werden (§ 61 Abs 3 AWG).
9. IPPC-Abfallbehandlungsanlagen a) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben und innerstaatliche Umsetzung Die Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IPPC-RL) zielt auf „ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt“. Die IPPC-RL verpflichtet zur präventiven Kontrolle des Betriebs neuer Anlagen, dem IPPC-Regime sind weiters auch die Kontrolle von Anlagenänderungen313 und der Betrieb genehmigter IPPC-Anlagen unterworfen314; auch der Betrieb von Altanlagen315 ist erfasst. Im Interesse des wirksamen Schutzes der „Umwelt insgesamt“, verlangt die Richtlinie eine wirksame Koordinierung aller für die Genehmigung einer IPPC-Anlage zuständigen Behörden 316. Der Öffentlichkeit werden Stellungnahmemöglichkeiten und Informationsrechte eingeräumt317. Nach dem Scheitern einer umfassenden Vereinheitlichung des Anlagenrechts erfolgte im Jahr 2000 die Umsetzung der IPPC-RL in Österreich im Wesentlichen durch Novellen der GewO318 und des AWG319 Der Gesetzgeber hat den Kreis der IPPC-(Abfallbehandlungs-)Anlagen nicht über die Mindestvorgaben der Richtlinie hinaus erweitert; auch eine - gemeinschaftsrechtlich zulässige - Abstimmung des Anwendungsbereichs von IPPC- und UVP-RL wurde nicht vorgenommen. Die gewählte Umsetzungsstrategie trägt zu einer weiteren Zersplitterung des Anlagenrechts bei320.
313 314
315 316
317 318 319 320
Art 12 IPPC-RL. Art 13-14 IPPC-RL. Insbesondere die Pflicht zur Aktualisierung der Genehmigungsauflagen und die Einführung einer Genehmigungspflicht für Änderungen auch an bestehenden Anlagen stellt einen wesentlichen Unterschied zum Regelungsansatz der UVP-RL dar. In der Terminologie der Richtlinie „bestehende Anlagen“: Art 2 Z 4 iVm Art 5 IPPC-RL. Art 7 IPPC-RL: Wie insbesondere die Begründungserwägungen (14. Erwägung) und die Definition des Begriffs Genehmigung (Art 2 Z 9 IPPC-RL) verdeutlichen, fordert die Richtlinie nicht zwingend die Einführung einer Verfahrens- und Entscheidungskonzentration, wenngleich eine einzige „integrierte Genehmigung“ dem Regelungsanliegen der Richtlinie wohl am effektivsten zum Durchbruch verhelfen würde. Anders als im Richtlinientwurf der Kommission ist auch keine Pflicht zur Einrichtung einer „federführenden Behörde“ normiert. Art 15 u 17 IPPC-RL. BGBl I 2000/88. BGBl I 2000/90. Unterschieden werden müssen nunmehr ua materielle und verfahrensrechtliche Vorgaben für gewerbliche IPPC-Anlagen, „gewöhnliche“ gewerbliche Betriebsanlagen Anlagen; IPPC-Behandlungsanlagen, sonstige Abfallbehandlungsanlagen und UVP-pflichtige Anlagen.
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b) Anwendungsbereich der IPPC-Vorschriften Diejenigen Abfallbehandlungsanlagen, die dem IPPC-Regime des AWG unterworfen sind werden in einem Anhang5 Teil I zum AWG bestimmt321: IPPC-Behandlungsanlagen iS des AWG sind gem § 2 Abs 7 Z 3 AWG jene Teile ortsfester Behandlungsanlagen, in denen eine oder mehrere in Anhang 5 Teil 1 AWG genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Auch Anlagenteile, in denen mit den genannten Tätigkeiten unmittelbar verbundene, in einem technischen Zusammenhang stehendende umweltrelevante Tätigkeiten ausgeübt werden, sind erfasst. Anlagen zur stofflichen Verwertung von gefährlichen Abfällen sind demnach weitgehend, Anlagen zur stofflichen Verwertung nicht gefährlicher Abfälle gänzlich vom Kreis der IPPC-Behandlungsanlagen ausgenommen. Im Übrigen werden - wegen der niedrigen Kapazitätsschwellenwerte - faktisch die meisten Anlagen zur thermischen Verwertung gefährlicher Abfälle oder zur sonstigen Behandlung gefährlicher Abfälle auch als IPPC-Abfallbehandlungsanlagen zu qualifizieren sein; hinsichtlich Hausmüll und hausmüllähnlicher Gewerbeabfälle sind mittlere Verbrennungsanlagen, weiters kleine Anlagen zur sonstigen Behandlung nicht gefährlicher Abfällesowie mittlere Deponien mit Ausnahme von Bodenaushub- oder Baurestmassendeponien erfasst322. Mit Ausnahme der Lagerung am Entstehungsort gelten schließlich auch Anlagen zur Lagerung gefährlicher Abfälle als IPPC-Abfallbehandlungsanlagen.
Für IPPC-Behandlungsanlagen enthält das AWG verschiedene spezielle Regelungen. Hervorzuheben sind besondere Verfahrensvorschriften (insb betreffend Antragsunterlagen und Öffentlichkeitsbeteiligung)323, zusätzliche Genehmigungsvorschriften324 sowie die Pflicht zur Aktualisierung von Auflagen325. c) Genehmigungsvoraussetzungen für IPPC-Abfallbehandlungsanlagen Die speziellen Genehmigungsvoraussetzungen für IPPC-Anlagen sind in § 43 Abs 3 AWG festgelegt326. Als Neuerung sind insbesondere das umfassende Gebot zur Vorsorge gegen Umweltverschmutzungen327 durch dem Stand der Technik entsprechende Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen und die Verpflichtung zum effizienten Einsatz von Energie328 hervorzuheben. Bei der Festlegung von Schadstoff-Emissionsgrenzwerten nach dem Stand der Technik 321
322 323 324 325 326 327
328
Vgl detailliert zum Kreis der erfassten Anlagen auch in Gegenüberstellung zu „gewöhnlichen“ Abfallbehandlungsanlagen bzw UVP-pflichtigen Anlagen: Hochholdinger, IPPC-Behandlungsanlagen und Deponien, in: Bergthaler/Wolfslehner, 133. Anh 1 Teil I Z 7 AWG (Kapazitätsschwelle: 25.000 Tonnen pro Jahr). § 39 Abs 3 AWG, § 40 AWG. § 43 Abs 3 AWG. § 57 AWG. Der Gesetzgeber hat das Verhältnis zu den übrigen anlagenrechtlichen Standards des AWG mit einer Subsidiaritätsklausel umschrieben. Der Begriff Umweltverschmutzung ist entsprechend den Richtlinienvorgaben (Art 2 Z 2 IPPC-RL) weit gefasst und schließt etwa auch die Freisetzung von Lärm mit ein und reicht insofern über das Gebot zur Schadstoffbegrenzung in § 43 Abs 1 Z 2 AWG hinaus. Hinzu kommt, dass die Emissionsbegrenzung wohl die wichtigste, jedoch nicht die einzige Vorsorgemaßnahme darstellt (arg: „insbesondere“). § 43 Abs 3 Z 2 AWG. Zur kompetenzrechtlichen Grundlage vgl oben FN 42. Das Gebot ist nicht auf Maßnahmen mit Emissionsrelevanz beschränkt.
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ist im Sinne des „integrierten Konzepts“ der IPPC-RL auf mögliche Belastungsverlagerungen zwischen Umweltmedien und auf ein „hohes Schutzniveau der Umwelt insgesamt“ Bedacht zu nehmen329. Maßstab für die Festlegung von Anforderungen an die gebotene Umweltvorsorge ist der „Stand der Technik“. Die Notwendigkeit, dabei ökonomische Erwägungen zum Verhältnis von Aufwand und Nutzen anzustellen, ist auch in den Genehmigungskriterien ausdrücklich hervorgehoben330; maßgeblich ist dabei jedoch nicht die wirtschaftliche Situation des einzelnen Betreibers, sondern eine „objektivierte“ Zumutbarkeit331. Die integrative Zielsetzung der IPPC-RL - ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt - ist bei der Standardfestlegung wegweisend; in Umsetzung der IPPC-RL (Anh IV) legt Anhang 4 zum AWG in diesem Zusammenhang überdies demonstrativ Aspekte dar, die von der Behörde bei der Standardfestlegung zu berücksichtigen sind332. Sofern bei der Genehmigung von IPPC-Abfallbehandlungsanlagen Verordnungen mit Festlegungen zur Umweltvorsorge (insb gemäß § 65Abs 1Z 1 AWG) anzuwenden sind, müssen auch diese generellen Standards dem integrativem Ansatz der Richtlinie Rechnung tragen333.
Die Ergebnisse der (grenzüberschreitenden) Öffentlichkeitsbeteiligung sind bei der Entscheidung zu berücksichtigen334. Der obligatorische Inhalt des Genehmigungsbescheides wird für IPPC-Abfallbehandlungsanlagen auch durch § 47 Abs 3 AWG konkretisiert.
d) Zusätzliche Anforderungen an das Genehmigungsverfahren für IPPC-Behandlungsanlagen Die Anforderungen an den (Änderungs-)Genehmigungsantrag für eine IPPCAbfallbehandlungsanlagen gemäß § 43 Abs 3 AWG verpflichten den Antragsteller insbesondere zu Angaben über die Art und Menge der vorhersehba329 330 331
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§ 29b Abs 7 Z 1 AWG. § 43 Abs 3 Z 1 AWG: „alle geeigneten und wirtschaftlich verhältnismäßigen Vorsorgemaßnahmen ...“. Auch der IPPC-RL liegt mit der Bedachtnahme auf die durchschnittlichen branchentypischen Kosten-/Nutzenverhältnisse grundsätzlich kein individueller Maßstab zu Grunde. Zu den Faktoren zählen zB der Verbrauch an Rohstoffen sowie die Energieeffizienz (Z 8) oder die „Notwendigkeit die Gesamtwirkung der Emissionen und Gefahren für die Umwelt so weit wie möglich zu vermeiden oder zu verringern“ (Z 9). Auch der von der Kommission durch das Europäische IPPC-Büro in Sevilla organisierte Informationsaustausch über die besten verfügbaren Techniken ist zu berücksichtigen (Z 11). Vgl Art 9 Abs 8 IPPC-RL. Zu den Schutzgütern der Abfallwirtschaft (§ 1 Abs 3 AWG), die auch für die Erlassung von Verordnungen gem § 65 AWG maßgeblich sind, zählt jedenfalls der Schutz der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen von Tieren und Pflanzen und nicht bloß der Schutz eines einzelnen Umweltmediums bzw allein der Schutz der menschlichen Gesundheit. Inwieweit den den bestehenden Verordnungen tatsächlich ein vollständiges „integratives Konzept“ zu Grunde liegt, dh ob bei den verordneten Maßnahmen sämtliche möglichen „Verlagerungen“ von Umweltbelastungen unter Berücksichtigung der in Anh IV IPPC-RL genannten Aspekte in Rechnung gestellt wurden, bedürfte im Einzelnen einer näheren Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgrundlagen des Verordnungsgebers. In Bezug auf die Festlegung von Emissionsgrenzwerten dürfen jedenfalls (auch bei der Standardfestsetzung im Einzelfall) die Grenzwerte der in Anh II IPPC-RL angeführten Richtlinien keinesfalls unterschritten werden.. § 43 Abs 3 Z 4 letzter Satz AWG.
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ren Emissionen und ihrer Auswirkungen sowie zu Angaben über Maßnahmen der Vermeidung und Überwachung von Emissionen335. Der Antrag ist vom Projektwerber mit einer allgemein verständlichen Zusammenfassung zu versehen und von der Behörde der Öffentlichkeit zur Stellungnahme für jedermann bekannt zu machen336. Für IPPC-Anlagen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen auf die Umwelt eines anderen Staates ist entsprechend den Richtlinienvorgaben ein Informations- und Konsultationsverfahren vorgesehen, das die grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligung ermöglichen soll337. Die Erlassung eines Genehmigungsbescheids ist der Öffentlichkeit vom LH ebenfalls bekannt zu machen und der Bescheid unter Wahrung von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen zur Einsicht für jedermann aufzulegen338. e) Aktualisierung von Auflagen für eine IPPC-Abfallbehandlungsanlage Zu den wesentlichen umweltpolitischen Regelungsanliegen der IPPC-RL zählt es, Entwicklungen im Umweltschutz, insbesondere im Hinblick auf den technischen Fortschritt Rechnung zu tragen. Zu diesem Zweck sind die Genehmigungsauflagen von IPPC-Anlagen regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren, wenn sie der technischen Weiterentwicklung oder den sonst zur Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzung gebotenen Anforderungen nicht mehr entsprechen. Zur Umsetzung dieser Vorgaben verpflichtet § 57 AWG die Inhaber von IPPC-Abfallbehandlungsanlagen innerhalb einer Frist von zehn Jahren wesentlichen Entwicklungen des Stands der Technik durch wirtschaftlich verhältnismäßigen Anpassungsmaßnahmen Rechnung zu tragen. Macht die Anpassung wesentliche Änderungen iSv § 2 Abs 8 Z 3 AWG erforderlich, ist dafür eine Genehmigung einzuholen. Eine Darstellung der technischen Entwicklung und der getroffenen Anpassungsmaßnahmen ist dem LH zu übermitteln. Stellt der LH fest, dass der Anlageninhaber Anpassungsmaßnahmen „nicht oder nicht ausreichend getroffen“ hat, sind „die entsprechenden Maßnahmen mit Bescheid anzuordnen“. Wenngleich die aktive Einbindung des Anlagenbetreibers in den Aktualisierungsprozess grundsätzlich nicht unzweckmäßig ist, stellt § 29d Abs 1 AWG insgesamt nicht hinreichend klar, dass die Behörde im Sinn der Richtlinienvorgaben, gegebenenfalls auch dann Aktualisierungsmaßnahmen anzuordnen hat, wenn der Inhaber dies nicht für erforderlich erachtet. Die Bestimmung erweckt den Eindruck, die Eingriffsbefugnis der Behörde sei allein von der grundsätzlichen Beurteilung der technischen Entwicklung durch den Anlageninhaber abhängig, den nur dann eine Mitteilungspflicht an die Behörde trifft, wenn er tatsächlich Anpassungsmaßnahmen getroffen hat. Nicht hinrei-
335
336 337
338
Dabei ist der weite Emissionsbegriff der IPPC-RL (Art 2 Z 5 IPPC-RL) zugrunde zu legen, der nicht nur die Freisetzung von Stoffen sondern auch Erschütterungen, Wärme oder Lärm umfasst. § 40 Abs 1 AWG. Die Stellungnahmefrist beim LH beträgt sechs Wochen. § § 40 Abs 2 AWG, der Artikel 17 IPPC-RL umsetzt. Für Staaten, die nicht EWRVertragsparteien sind, gelten diese Regelungen nur nach Maßgabe der Gegenseitigkeit. § 40 Abs 1b AWG.
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chend klargelegt ist, dass die regelmäßige Überprüfungs- und Aktualisierungspflicht spätestens ab 31. 10. 2007 auch für Altanlagen maßgeblich ist339. In bestimmten Konstellationen, so zB bei gravierenden Umweltverschmutzungen durch die Anlage oder bei wesentlichen Änderungen des Stands der Technik, hat die Behörde - entsprechend den Richtlinienvorgaben - unabhängig vom Fristenlauf der periodischen Überprüfung - jedenfalls eine Überprüfung und Aktualisierung vorzunehmen340.
f) Altanlagen Inhaber von „bestehenden“ IPPC-Abfallbehandlungsanlagen (Altanlagen)341 haben ihre Anlagen bis spätestens 31. 10. 2007 an die Genehmigungsstandards für IPPC-Abfallbehandlungsanlagen anzupassen und dies dem LH anzuzeigen; sind die getroffenen Maßnahmen unzureichend, hat die Behörde die entsprechenden Maßnahmen mit Bescheid anzuordnen342. Wesentliche Änderungen an bestehenden IPPC-Abfallbehandlungsanlagen bedürfen seit 1. 9. 2000343 einer Genehmigung nach dem IPPC-Regime des AWG.
10. UVP-pflichtige Abfallbehandlungsanlagen Mit der Einführung der UVP in Österreich wurde auch für eine Reihe von Abfallbehandlungsanlagen das Genehmigungsregime des UVP-G344 maßgeblich. UVP-pflichtige Anlagenprojekte sind vor ihrer Genehmigung einer Prüfung auf ihre Umweltauswirkungen zu unterziehen, zu welcher Projektwerber insbesondere mit der Vorlage einer Umweltverträglichkeitserklärung beizutragen haben; die Genehmigung wird im Rahmen eines konzentrierten Genehmigungsverfahrens erteilt, dessen Konzentrationswirkung über § 38 AWG 2002 hinausreicht, da es alle sonst erforderlichen bundes- und landesrechtlichen Genehmigungen ohne Einschränkung einschließt. Die materiell-rechtlichen Genehmigungsvorschriften des § 43 AWG 2002 bzw der sonst maßgeblichen Bundes- und LandesGe werden von der UVP-Behörde mitangewendet. Die UVP-RL bezieht als Mindestvorgabe nur Anlagen zur Abfallbeseitigung in den Kreis der UVP-pflichtigen Vorhaben der Abfallwirtschaft ein345. Das UVP-G ver339 340 341
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Vgl Art 5 IPPC-RL. Zur Anpassungspflicht für bestehende Anlagen vgl unten. § 57 Abs 2 AWG in Umsetzung von Art 13 Abs 2 IPPC-RL.. Als bestehende Anlagen gelten gemäß § 75 Abs 5 AWG jene IPPC-Abfallbehandlungsanlagen, die vor dem 31. 10. 1999 rechtskräftig genehmigt wurden341 oder für die zu diesem Zeitpunkt ein Genehmigungsverfahren anhängig war, das bis zum 31. 10. 2000 in erster Instanz abgeschlossen wurde. Vgl jedoch demgegenüber Art 2 Z 4 IPPC-RL, wonach eine solche Anlage nur dann als bestehende Anlagen gilt, sofern sie „spätestens ein Jahr nach dem Beginn der Anwendung dieser Richtlinie in Betrieb genommen wird“ (Hervorhebung nicht im Original) § 78 Abs 5 AWG. Zu diesem Zeitpunkt traten gem Art VIII Abs 12 Z 1 AWG 1990 die Bestimmungen für IPPC-Abfallbehandlungsanlagen in Kraft. Vgl zu diesen Genehmigungsvorgaben ausführlich den Beitrag „Umweltverträglichkeitsprüfung“ in diesem Band. Anh I Z 9 u10 UVP-RL bzw Anh II Z 11 b UVP-RL. Vgl aber auch die UVP-Pflicht für Abwasserbehandlungsanlagen (Anh I Z 13 bzw Anh II Z 11 lit c UVP-RL) bzw für Tierkörperbeseitigungsanlagen (Anh II Z 11 lit c UVP-RL) sowie die zahlreichen UVP-Tatbestände für Produktionsanlagen.
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stärkt diese Schutzvorgaben jedoch insofern, als lediglich Anlagen zur ausschließlich stofflichen Verwertung von gefährlichen346 oder nicht gefährlichen Abfällen347 gänzlich vom Katalog der UVP-pflichtigen Abfallwirtschaftsvorhaben ausgenommen sind. Im Übrigen unterwirft das UVP-G unter der Vorhabenkategorie „Abfallwirtschaft“ auf Grund fehlender Mengenschwellen sämtliche Anlagen zur thermischen oder chemischen Behandlung348 von gefährlichen Abfällen sowie Deponie für gefährliche Abfälle der UVP-Pflicht. Höhere Mengenschwellen349 sind für Anlagen zur (mechanisch-) biologischen oder physikalischen Behandlung gefährlicher Abfälle350 und für Massenabfall-, Reststoff- und Untertagedeponie351 sowie Baurestmassendeponien352 sowie für sonstige Anlagen zur Behandlung nicht gefährlicher Abfälle353 maßgeblich. Größere Lagerungen von Alt-Kraftfahrzeugen und Alteisen354 sind ebenso wie Anlagen zur Aufbereitung von Baurestmassen355 UVP-pflichtig. Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle356, Tierkörperverwertungsanlagen357 und Abwasserreinigungsanlagen358 sind - unter jeweils anderen Vorhabenkategorien - ebenfalls vom UVP-G erfasst.
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Anh 1 Sp 1 Z 1 lit c UVP-G. Anh 1 Sp 1 Z 2 lit c UVP-G. Ausgenommen sind auch Anlagen zur ausschließlich mechanischen Sortierung nicht gefährlicher Abfälle. Wie insb auch die Ausnahme für Anlagen zur ausschließlichen stofflichen Verwertung in Anh 1 Sp 1 Z 1 lit c bzw in Sp 2 Z 2 lit c UVP-G zeigt, sind unter dem Begriff „sonstige Anlagen zur Behandlung“ sowohl thermische Verwertungsanlagen, als auch (in der Terminologie des AWG) Anlagen zur thermischen Beseitigung zu subsumieren. Die Angabe eines Mindestschwellenwert ist im Lichte der UVP-RL folgendermaßen zu beurteilen: Die genannten Behandlungsvorgänge werden von der UVP-RL teilweise (Verbrennung, chemische Behandlung zur Beseitigung) ebenfalls erst mit einer Kapazität von 100 Tonnen pro Tag erfasst. Soweit es sich um Beseitigungsanlagen handelt ist im Übrigen Anh II (Z 11 lit b) maßgebend: Mengenschwellen sind demnach grundsätzlich zulässig, dürfen jedoch die Zielsetzungen der UVP-RL nicht unterlaufen. Vgl eingehend zur einschlägigen Rechtsprechung des EuGH im Beitrag zur Umweltverträglichkeitsprüfung. Anh 1 Sp 1 Z 1 lit b UVP-G (Mindestkapazität: 20.000 Tonnen pro Jahr). Anh 1 Sp 1 Z 2 lit a UVP-G (Gesamtvolumen von mindestens 500.000 m3). Anh 1 Sp 2 Z 2 lit d UVP-G (Gesamtvolumen von mindestens 1,000.000 m3). Anh1 Sp 1 Z 2 lit c UVP-G (Mindestkapazität von 35.000 Tonnen pro Jahr bzw. 100 Tonnen pro Tag). Anh 1 Sp 2 Z 3 lit a UVP-G (Gesamtlagerkapazität von mindestens 10.000 Tonnen) bzw Anh 1 Sp 2 Z 3 lit b (Gesamtlagerkapazität von mindestens 30.000 Tonnen). In Wasserschutz- und Schongebieten sind Anlagen zur Lagerung von Alt-Kfz bereits ab 5.000 Tonnen Gesamtlagerkapazität nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung UVPpflichtig. Die UVP findet in allen diesen Fällen im Rahmen eines vereinfachten UVP-Verfahren statt. Anh 1 Sp 2 Z 2 lit e (Kapazität von mindestens 200.000 Tonnen pro Jahr). An 1 Z 7 UVP-G (ordentliches UVP-Verfahren). Radioaktive Stoffe sind vom Anwendungsbereich des AWG augenommen (§ 3 Abs 4 AWG 2002). Anh 1 Sp 2 Z 82 UVP-G (vereinfachtes UVP-Verfahren). Kadaverkonfiskate, Schlachtabfälle und Abfälle aus der Fleischverarbeitung, die einer Ablieferungspflicht gemäß Tiermaterialiengesetz unterliegen, sind vom Anwendungsbereich des AWG ausgenommen (§ 3 Abs 1 Z 5 AWG 2002). Anh 1 Sp 2 Z 40 lit a und b UVP-G (vereinfachtes UVP-Verfahren). Stoffe, die in Übereinstimmung mit wasserrechtlichen Vorschriften eingebracht werden, sind vom AWG ausgenommen (§ 3 Abs 1 Z 1 AWG 2002).
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C. Mobile Anlagen Der Anlagenbegriff des AWG umfasst nunmehr ausdrücklich auch mobile Anlagen. Der Gesetzgeber versteht darunter Einrichtungen, die an verschiedenen Standorten vorübergehend betrieben und in denen Abfälle behandelt werden. Bewegliche Einrichtungen, die länger als sechs Monate an einem Standort betrieben werden gelten nicht als mobile Anlagen, sofern es sich nicht um Anlagen zur Sanierung von kontaminierten Standorten handelt. Für mobile Anlagen statuiert § 52 ausdrücklich einen Genehmigungs- bzw Anzeigevorbehalt359. Von der Genehmigungs-und Anzeigepflicht sind nur solche mobilen Anlagen erfasst, die in einer Verordnung gemäß § 65 Abs 3 AWG genannt sind, weil ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt mit den Auswirkungen einer ortsfesten Anlage vergleichbar sind. Von der aktuellen Verordnung360 sind zB Zerkleinerungsanlagen für Holzabfälle, Brechanlagen für bestimmte mineralische Baurestmassen oder mobile Anlagen zur (Mit-)verbrennung von Abfällen erfasst.
Genehmigungspflichtig ist die (erstmalige) Aufstellung und Inbetriebnahme361 bzw die wesentliche Änderung362 einer mobilen Anlage. Anzeigepflichtig sind die in § 37 Abs 4 AWG angeführten Änderungsmaßnahmen363. Als Genehmigungsvoraussetzungen sind die in § 43 Abs 1 Z 1 bis 6 AWG für ortsfeste Anlagen festgelegten abfallrechtlichen Genehmigungskriterien festgelegt. Dieser Verweis schließt auch die Genehmigungsvoraussetzungen der gemäß § 38 AWG mitanzuwenden Vorschriften mit ein und verdeutlicht, dass die Konzentrationswirkung auch für die Genehmigung mobiler Anlagen gilt364. Die Genehmigung, die erforderlichenfalls unter Auflagen, Bedingungen oder Befristungen zu erteilen ist, berechtigt den Inhaber, die mobile Anlage an einem nach der Genehmigung in Betracht kommenden Standorten bis zu sechs Monate aufzustellen und zu betreiben365. Die Behörde hat in der Genehmigung jedenfalls die grundsätzlichen Anforderungen an mögliche Standorte festzuschreiben366. Sind die genehmigungsrelevanten Interessen dann an einem konkreten Standort durch die Genehmigungsauflagen nicht hinreichend geschützt, 359 360 361
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366
Zur früheren Rechtslage und Praxis vgl Schmelz, in Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, AWG 2002, 328f. BGBl II 2002/472. Dass entgegen dem Wortlaut von § 52 Abs 1 nicht bereits die Innehabung einer mobilen Anlage genehmigungspflichtig ist, sondern die Genehmigung erst vorliegen muss bevor die Aufstellung und Inbetriebnahme geplant ist (in diesem Sinn auch Schmelz, in Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, AWG 2002, 331), verdeutlichen auch die einschlägigen Verwaltungsstrafbestimmungen in § § 79 Abs 1 Z 12 AWG. Zum Begriff wesentliche Änderung vgl oben. Vgl dazu oben. AM Schmelz, in Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, AWG 2002, 334. § 38 AWG trifft in den Abs 3 und 6 im übrigen auch Anordnungen über die Berücksichtigung des Arbeitnehmerschutzes und für die Behördenzuständigkeit Für mobile Anlagen zur Standortsanierung ist eine längere Betriebsdauer zulässig, ohne dass diese Anlagen die Eigenschaft als mobile Anlage verlieren. Vgl § 2 Abs 7 Z 2 AWG u § 53 Abs 3 AWG. § 52 Abs 5 AWG. Der Genehmigungsantrag für die mobile Anlage hat ua bereits allgemeine Kriterien für die geplanten Aufstellungsorte zu enthalten (§ 52 Abs 2 AWG).
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hat die Behörde geeignete Maßnahmen vorzuschreiben oder, wenn dies nicht möglich ist, Aufstellung und Betrieb zu untersagen367. Im Genehmigungsverfahren haben neben dem Antragsteller, das Arbeitsinspektorat und der Umweltanwalt Parteistellung. Zuständige Behörde erster Instanz ist der Landeshauptmann jenes Bundeslandes, in dem der Antragsteller seinen Sitz hat oder - mangels Sitz im Inland - in dem die Anlage erstmals aufgestellt werden soll368.
D. Verwaltungsstrafbestimmungen § 79 WG enthält zahlreiche - auch anlagenrechtlich relevante - Verwaltungsstrafbestimmungen, die subsidiär zu gerichtlichen Strafbestimmungen oder strengeren Verwaltungsstrafbestimmungen zum Tragen kommen. So sind zB Errichtung, Betrieb oder Änderung von Abfallbehandlungsanlagen ohne die nach § 37 AWG erforderliche Genehmigung369, die Nichteinhaltung des Stands der Deponietechnik370, die Nichtanpassung von Altanlagen an eine Verordnung gem § 65 Abs 1 Z 2 AWG371 mit einer Geldstrafe bis zu 36 340 € bedroht. Für gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft Tätige ist dabei jeweils eine Mindeststrafe von 3 630 € vorgesehen. Der Gesetzgeber hat versucht, mit dieser Regelung den gleichheitsrechtlichen Bedenken Rechnung zu tragen, die den VfGH mit VfSlg 15785/2000 zur Aufhebung der Vorgängerbestimmung bewogen haben372. Tatsächlich hat der VfGH nahegelegt, dass es aus umweltpolitischen Erwägungen gerechtfertigt sein könnte, für Abfallunternehmer Mindeststrafen festzulegen. Er hat dabei auf das „dem Regelungsbereich zugrunde liegende Gefährdungpotential“ und auf die Möglichkeit der Überwälzung von Strafen hingewiesen. Kommt es allerdings für die Verhältnismäßigkeit einer Verwaltungsstrafbestimmung auch darauf an, dass der Behörde die Möglichkeit einer Abwägung im Einzelfall verbleibt, wie dies VfSlg 15772/2000 nahelegt, so ist auch die nunmehr getroffene Regelung verfassungswidrig373.
III. Landesabfallrecht A. Anwendungsbereich Der Bundesgesetzgeber hat mit dem AWG 2002 seine im Hinblick auf nicht gefährliche Abfälle bestehende Bedarfskompetenz umfassend in Anspruch genommen und damit in Bereiche eingegriffen, die bisher der Regelungskompetenz der Länder unterlagen. Dies gilt insbesondere für den Bereich des abfallrechtlichen Anlagenrechts; die diesbezüglichen landesrechtlichen Vorschrif367 368 369 370 371 372 373
§ 53 Abs 2 AWG. § 38 Abs 6 Satz 2 AWG. § 79 Abs 1 Z 9 AWG. § 79 Abs 1 Z 15 AWG. § 79 Abs 1 Z 19 AWG. Ausführlich und kritisch dazu die Entscheidungsbesprechung von Kneihs, ÖZW 2001, Zu undifferenziert insofern die Bedenken von List, in Hauer/List/Nußbaumer/Schmelz, AWG 2002, 482.
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ten sind nicht mehr anwendbar374. Diese Vereinheitlichung des Anlagenrechts im AWG 2002 wurde als notwendig erachtet, um einheitliche Genehmigungsstandards, einen Abbau der Rechtskomplexität und bestmögliche EUKonformität sicherzustellen.375 Der überwiegende Teil der AbfallGe der Länder wurde bereits an das AWG 2002 angepasst; die anlagenbezogenen Bestimmungen wurden gestrichen.376 Hinsichtlich einiger Landesgesetze ist eine entsprechende Anpassung noch nicht erfolgt377.
B. Planungsakte der Länder Die Vorschriften zur überörtlichen Planung der Abfallbehandlung gestalten sich in den Ländern unterschiedlich378 Die jeweiligen verordnungsförmigen „parzellenscharfen“ Standortfestlegungen sind im Burgenland, in Kärnten, Oberösterreich und Tirol379 im Flächenwidmungsplan als überörtlicher Planungsakt ersichtlich zu machen; in Vorarlberg sind die ausgewiesenen Grundstücke hingegen im Flächenwidmungsplan als Vorbehaltsflächen zu widmen; 380 in Salzburg kommt der Standortfestlegung schließlich die Wirkung eines Entwicklungsprogramms zu.381 Mit dem Wegfall landesabfallrechtlicher Genehmigungsvorbehalte ist die Sicherstellung der Verbindlichkeit der jeweiligen Standortausweisungen ungeklärt.382
C. Öffentliche Verpflichtung zur Bereitstellung von Abfallbehandlungsanlagen Bis auf Niederösterreich und Wien sieht jedes Land Verpflichtungen der öffentlichen Hand vor, geeignete Abfallbehandlungsanlagen zur Verfügung zu stellen. Diese Verpflichtungen treffen die jeweiligen Abfallverbände, das Land oder die Gemeinden, welche sich zu deren Erfüllung auch Dritter bedienen können.383 Vor allem zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Behandlung von Hausmüll werden in den meisten Ländern Entsorgungsbereiche festgelegt, welche den Anlagen die Zulieferung bestimmter Abfälle sichern. Das S-AWG 374 375 376 377 378
379 380 381 382
383
Vgl oben Kap. I.B.1.b. 984 BlgNR 21.GP. K-AWO, S-AWG, T-AWG, V-AWG, St-AWG, NÖ-AWG. B-AWG, OÖ-AWG, W-AWG. Ausführlich auf dem Boden der früheren Rechtslage Rill, Raumverträglichkeitsprüfung 1993, 32, 68, der die AbfallwirtschaftsGe von Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, der Steiermark und Tirol untersuchte. § 7 Abs 6 B-AWG; § 36 Abs 5 K-AWO; § 21 Abs 5 OÖ-AWG; § 5 Abs 6 TirAWG. § 13 Abs 2 V-AWG iVm § 20 Vbg RaumplanungsG. § 16 Abs 7 S-AWG iVm § 6 Sbg RaumordnungsG 1998. Vgl dazu oben II. B. 3. Zur Relevanz einer StandortV nach der K-AWO im konzentrierten Genehmigungsverfahren nach der alten Rechtslage vgl VfSl 17389/2004 zur Standortbestimmung der Behandlungsanlage Arnoldstein. Zur Konzeption der Übertragung dieser Verpflichtung durch zivilrechtlichen Vertrag im Tir-AWG: VfGH 1.12. 2005, V81/05-6. Vgl RdU 2006/65 mit Anm Schulev-Steindl.
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und das OÖ-AWG enthalten Bestimmungen, die eine Behandlung bzw Lagerung von außerhalb des betreffenden Bundeslands angefallenen Abfällen grundsätzlich untersagen384. Derartige Regelungen werfen verfassungsrechtliche Bedenken insbesondere im Hinblick auf das Gebot der Wirtschaftsgebietseinheit gemäß Art 4 B-VG und die Erwerbsausübungsfreiheit auf. Der VfGH hat allerdings die Regelung im OÖ-AWG jüngst letztlich als sachlich gerechtfertigt qualifiziert385.
384 385
§ 7 S-AWG bzw § 33 OÖ-AWG. VfGH 3.3. 2006, G 144/05. Eine wesentliche Rolle bei der Rechtfertigung kam dabei dem im OÖ-AWG ausdrücklich verankerten umweltpolitischen Prinzip der Nähe zu.
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Anlagenrelevantes Umweltrecht Naturschutzrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................945 Grundlegende Literatur...................................................................................946 I. Grundlagen ................................................................................................946 A. Allgemeines............................................................................................946 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................947 1. Grundlagen für Regelungen der Gemeinschaft .................................947 2. Innerstaatliche Regelungszuständigkeit ............................................948 C. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen..................952 1. Das internationale Naturschutzrecht .................................................952 2. Überblick über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben...................953 II. Das anlagenrelevante Naturschutzrecht im Überblick.........................955 A. Allgemeiner Landschaftsschutz .............................................................955 B. Gebietsschutz .........................................................................................955 C. Geschützte Naturgebilde .......................................................................958 III. Ausgewählte Genehmigungsregime......................................................958 A. Bewilligungs- und Anzeigepflichten nach dem allgemeinen Landschaftsschutz..................................................................................958 B. Zulassungskriterien ...............................................................................960 1. Nichtbeeinträchtigung von Naturschutzinteressen ............................960 2. Immissionsschutz ..............................................................................961 3. Übereinstimmung mit dem Flächenwidmungsplan ...........................961 4. Interessenabwägung ..........................................................................961 5. Ersatzleistungen, Ausgleichsmaßnahmen .........................................964 C. Europaschutzgebiete .............................................................................964 1. Auswahl und Festlegung der Schutzgebiete......................................964 2. Verträglichkeitsprüfung ....................................................................966 3. Schutzerfordernisse für nicht ausgewiesene Natura 2000-Gebiete? .968 4. Unmittelbare Wirkung des Natura 2000-Schutzregimes...................970 D. Parteistellung, Behördenzuständigkeit..................................................971 E. Strafbestimmungen und naturschutzpolizeiliche Maßnahmen ..............972 F. Naturschutzabgabe ................................................................................973 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht: RL 79/409/EWG (Abl L 103/1) idF RL 97/49/EG (Abl L 223/9) VogelschutzRL; RL 92/43/EWG (Abl L 206/7) idF RL 97/62/EG (Abl L 305/42) Fauna-Flora-Habitat-RL; V 338/97/EG (Abl L 61/1) idF 1332/2005(Abl L 215?) - ArtenhandelsV (CITES-V).
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Innerstaatliches Recht: Burgenländisches Naturschutz- und LandschaftspflegeG - Bgld NSchG (LGBl 1991/27 idF LGBl 2004/58); Kärntner NaturschutzG 2002- Krnt NSchG (LGBl 79/2002 idF LGBl 2005/103); Niederösterreichisches NaturschutzG 2000 - NÖ NSchG (5500-); Oberösterreichisches Natur- und LandschaftsschutzG 2001 - OÖ NSchG (LGBl 2001/129 idF LGBl 2005/61); Salzburger NaturschutzG 1999 - Sbg NSchG (LGBl 1999/73 idF LGBl 2005/58); Steiermärkisches NaturschutzG 1976 Stmk NSchG (LGBl 1976/65 idF LGBl 2005/84); Tiroler NaturschutzG 2005 Tir NSchG (LGBl 2005/26 ; Vorarlberger Gesetz über Naturschutz und Landschaftsentwicklung - Vlbg NSchG (LGBl 1997/22 idFLGBl 2002/38); Wiener NaturschutzG - Wr NSchG (LGBl 1998/45 idF LGBl 2006/12). Burgenländisches NationalparkG Neusiedlersee Seewinkel (LGBl 1993/28 idF LGBl 1999/31); Kärntner NationalparkG (LGBl 1983/55 idFLGBl 2002/57); Niederösterreichisches NationalparkG (LGBl 5505/3-0); Oberösterreichisches NationalparkG (LGBl 1997/20 idF LGBl 2001/160); Salzburger NationalparkG Hohe Tauern (LGBl 1983/106 idF LGBl 2005/58); Tiroler NationalparkG Hohe Tauern (LGBl 1991/103); Wiener NationalparkG (LGBl 1996/37 idF LGBl 2006/18).
Grundlegende Literatur: Bußjäger, Die Naturschutzkompetenzen der Länder, 1995; Ennöckl, Natura 2000 (2001); Gellermann, Biotop- und Artenschutz, in: Rengeling (Hrsg), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, 2005, Bd II, § 79; Gellermann, Natura 20002( 2003); Hattenberger, Die naturschutzrechtliche Bewilligung, in: Potacs (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Naturschutzrecht, 1999, 61; Kment (Bearb), Naturschutzrechtliche Festlegungen in Österreich, in: ÖROK (Hrsg), Schriftenreihe Nr. 135, 2003; Liehr/Stöberl, Einführung zu den Naturschutzgesetzen, in: Svoboda/Dyens (Hrsg), Rechtsvorschriften zu Umweltschutz und Raumordnung, Loseblatt, 1986; Liehr/Stöberl, Kommentar zum NÖ Naturschutzgesetz, 1986; Madner, Naturschutz und Europarecht, in: Potacs (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Naturschutzrecht, 1999, 17; Randl, Naturschutzrecht, in: N.Raschauer/Wessely (Hrsg), Umweltrecht (2006); Raschauer, Naturschutzrecht und Verfassung, in: Potacs (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Naturschutzrecht, 1999, 1; Sturm, Naturschutzrechtliche Planung, in: Potacs (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Naturschutzrecht, 2000, 105; Weber, Stand und Entwicklung des österreichischen Naturschutzrechts, JBl 2000, 701; Zanini/Reithmayer (Hrsg) Natura 2000 (2004)
I. Grundlagen A. Allgemeines Abgesehen von vereinzelten durch Naturschutzinteressen motivierten Regelungen Ende des 19. Jahrhunderts, wurden Naturschutzanliegen mit der Erlassung der ersten Naturschutzgesetze in den 1920er Jahren erstmals umfassender und systematischer verfolgt1. Der Naturschutz hat sich dabei im Lauf der Entwicklung vom ausschließlich punktuellen Schutz einzelner bedrohter Pflanzen- und Tierarten oder „Naturdenkmale“ und „idealer“ Landschaften zu einem, zunehmend auch umfassenden, flächenbezogenen Schutzregime weiterentwickelt2, dass den ökologischen Wirkungszusammenhängen Rechnung zu tragen sucht. 1
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Das erste Naturschutzgesetz wurde in Niederösterreich LGBl 1924/30 erlassen. Vgl dazu sowie allgemein zur historischen Entwicklung näher Melichar, Naturschutz in Österreich, FS Merkl (1970) 257. Vgl Bußjäger, 9ff; Kment, 7ff.
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Folgende typische Regelungsbereiche der Naturschutzgesetze der Länder können derzeit unterschieden werden3: Regelungen für bestimmte, räumliche abgegrenzte, besonders schutzwürdige Gebiete bzw einzelne schutzwürdige Naturgebilde; Regelungen betreffend den allgemeinen Schutz der Landschaft außerhalb besonders geschützter Gebiete (allgemeiner Landschaftsschutz) sowie gebietsunabhängige Regelungen zum Schutz von wildwachsenden Pflanzen und freilebenden Tieren (allgemeiner Tier und Pflanzenschutz). Die Instrumente des Naturschutzrechts sind vielfältig4. Neben den klassischen Mitteln der Eingriffsverwaltung, insbesondere in Form von Eingriffsverboten und Bewilligungsvorbehalten enthalten die Naturschutzgesetze, insbesondere mit den Bestimmungen über die Schutzgebietsausweisung, auch planungsrechtliche Vorschriften5. Zunehmende praktische Bedeutung erlangt der sog Vertragsnaturschutz, der durch privatrechtliche Vereinbarungen die Erhaltung und Pflege ökologisch wertvoller Gebiete zu fördern sucht6. Vereinzelt sehen die Gesetzgeber auch die Erhebung einer Naturschutzabgabe vor7. Für das Anlagenrecht sind insbesondere die Bewilligungs- und Anzeigepflichten des allgemeinen Landschaftsschutzes von Bedeutung, die in den Naturschutzgesetzen für zahlreiche Eingriffe außerhalb besonders geschützter Gebiete festgelegt werden und die beeinträchtigende Eingriffe nur nach Maßgabe einer Interessenabwägung zulassen. Anlagenrelevante Verbote und Erlaubnisvorbehalte bestehen aber auch in besonders geschützten Gebieten; das europäische Naturschutzrecht liefert hier mit der Etablierung des europäischen Biotopverbundsystems „Natura 2000“ zusätzliche Impulse und Vorgaben8. Die naturschutzrechtliche Genehmigungspflicht tritt kumulativ zu sonstigen bundes- und landesrechtlich angeordneten Bewilligungsvorbehalten. Durch die Judikatur ist, zuletzt im Hinblick auf Eisenbahnvorhaben des Bundes, klargelegt, dass nicht allein gewerbliche Betriebsanlagen sondern insbesondere auch Verkehrsinfrastrukturvorhaben vom Naturschutzrecht erfasst werden können.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Grundlagen für Regelungen der Gemeinschaft Bis zur Einführung eines eigenen Umwelttitels in den EG-V im Jahr 1987 wurde die „Annexkompetenz“ des Art 235 EG-V als Grundlage für Rechtsakte der Gemeinschaft im Bereich Naturschutz herangezogen. Seither dient Art 175 EG-V (ex Art 130s EG-V) als einschlägige Kompetenzgrundlage. Schutzver3
4 5 6 7 8
Im Rahmen dieses Beitrags ist keine nähere, systematische Darstellung des gesamten Naturschutzrechts angestrebt, es sind vielmehr die für die Anlagenzulassung relevanten Regelungen hervorzuheben. Für einen Überblick über das Naturschutzrecht vgl insb Liehr/Stöberl, Einführung sowie weiters Jahnel, Naturschutzrecht, in: Bachmann ua (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht3 (2000) 357; Randl, Naturschutzrecht, in: Raschauer/Wessely, Umweltrecht (2006) Vgl zB den Überblick bei Weber, 702ff. Zur Planung im Naturschutzrecht vgl Sturm, 105. Ausdrückliche Regelungen dazu enthalten zB § 22 NÖ NSchG oder § 9 Vlbg NSchG. Vgl näher zum Gestaltungsmittel Vertragsnaturschutz zB Sturm, 118ff. Vgl dazu unten III. F. Vgl dazu unten I. C. 2.
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stärkende Maßnahmen der Mitgliedstaaten sind gem Art 176 EG-V (ex Art 130t) zulässig9. Das anlagenrelevante Naturschutzrecht der Gemeinschaft beruht im wesentlichen auf Richtlinien; die Vollziehung erfolgt daher als mittelbarer Vollzug und zwar - nach Maßgabe der innerstaatlichen Kompetenzverteilung - im wesentlichen durch die Länder. Mit der Kompetenzzuweisung für den Sachbereich Umweltschutz wurde der Gemeinschaft mit Art 174 Abs 4 UAbs 1 (ex Art 130r Abs 4 UAbs 1) ausdrücklich auch die Befugnis zum Abschluss von internationalen Abkommen in diesem Bereich eröffnet10.
2. Innerstaatliche Regelungszuständigkeit a) Bundesstaatliche Kompetenzverteilung Der „Naturschutz“ wird durch die Bundesverfassung nicht ausdrücklich in die Zuständigkeit des Bundes verwiesen. Die Regelung des Naturschutzes zählt daher zu jenem Kompetenzbereich, der auf Grund der Generalklausel des Art 15 Abs 1 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Ländersache ist. Als Teil der den Ländern verbleibenden Generalkompetenz, ist der Naturschutz in der Verfassung nicht ausdrücklich als Regelungseinheit bezeichnet und insoweit nicht durch versteinernde Auslegung zu ermitteln11; was begrifflich als Angelegenheit „Naturschutz“ erfasst wird, illustriert daher zunächst der traditionelle Regelungsgehalt der Landesgesetzgebung. Dem Naturschutz zugezählt werden demnach Maßnahmen zum Schutz wildwachsender Pflanzen und freilebender Tiere einschließlich ihrer Entwicklungsgrundlagen sowie der Schutz von Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft.
Dem „Naturschutz“ stehen eine Reihe, insbesondere umweltschutz- und bodennutzungsspezifische Kompetenzen des Bundes gegenüber12. Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben in etlichen Erkenntnissen zum Verhältnis der Naturschutzkompetenz zu Bundeskompetenzen Stellung genommen und dabei unter Bezugnahme auf die sog Gesichtspunktetheorie wiederholt Regelungszuständigkeiten der Länder bejaht13. Der VfGH hat im Erkenntnis
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Vgl dazu allgemein zB Jarass, Verstärkter Umweltschutz der Mitgliedstaaten nach Art. 176 EG, NVwZ 2000, 529. Näher dazu, insb auch zum Umfang der konkurrierenden Zuständigkeit der Mitgliedstaaten: Heintschel von Heinegg, EG im Verhältnis zu internationalen Organisationen und Einrichtungen, in: Rengeling (Hrsg), Handbuch des deutschen und europäischen Umweltrechts, 1998, § 22 Rz 39ff. Vgl allerdings die Übertragung der Zuständigkeit betreffend Naturhöhlen durch Art IX B-VG-Nov BGBl 1974/444. Ausführlich dazu Liehr/Stöberl, Einführung, 8ff; dieselben, Kommentar, 17ff; Bußjäger, 48ff. Vgl zB VfSlg 4273/1962 (naturschutzrechtliches Verbot des Befahrens des Neusiedler Sees); VfSlg 4680/1964 (Denkmalschutz); VfSlg 7516/1975 (naturschutzrechtliche Beschränkung der Luftfahrt im Falle eines Fesselballons); VfSlg 14178/1995 (Überflugverbot im Nationalpark); VfSlg 1721/2004 (naturschutzrechtliche Bewilligung für Verkehrsanlagen); Vgl auch aus der Rechtsprechung des VwGH zB VwGH 9. 3. 1998, 92/10/0437 (Bergwesen); VwGH 26. 6. 1995, 93/10/0239 (Eisenbahnwesen). Vgl weiters auch die Rechtsprechungsübersicht bei Mayer, Kommentar zum B-VG2,1997, Art 15 B-VG, 92. Kritisch zur Entwicklung der Judikatur und ablehnend gegenüber einer Naturschutzkompetenz der Länder in Bezug auf militärische Anlagen, Verkehrs- oder Bergbauanlagen, Rill, Kommentar zum B-VG,
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zum Semmering-Basistunnel14 dargelegt, dass der „Eisenbahn- Kompetenztatbestand“ im Lichte des Versteinerungsmaterials und unter Bedachtnahme auf eine intrasystematische Fortentwicklung keinen Ansatzpunkt für naturschutzrechtliche Regelungen bietet und damit unter Naturschutzgesichtspunkten Raum für eine landesgesetzliche Regelung bleibt15. Das Semmering-Erkenntnis kann im Lichte der bisherigen Rechtsprechung als Bestätigung dafür angesehen werden, dass der Landesgesetzgeber im Naturschutzrecht die verschiedensten Arten von Anlagen und insbesondere auch solche, die nicht der Baurechtskompetenz der Länder unterliegen, als naturschutzrechtlich relevante „Gefahrenquelle“ erfassen kann16. Nicht alle Länder haben davon in vollem Umfang Gebrauch gemacht17. Zugleich darf nicht übersehen werden, dass die Naturschutzkompetenz der Länder - unbeschadet der Zulässigkeit der bloßen Mitberücksichtigung kompetenzfremder Gesichtspunkte18 - eben nur Gesichtspunkte des Naturschutzes erfasst. Bundeskompetenzen können daher nach Maßgabe ihrer versteinernden Auslegung einer naturschutzrechtlichen Regelung entgegenstehen: So können zB auch gewerbliche Betriebsanlagen unter Naturschutzgesichtspunkten einem landesrechtlichen Genehmigungsvorbehalt unterworfen werden; nachbarrechtlicher Schutz vor Immissionen aus gewerblichen Betriebsanlagen ist jedoch Teil der Gewerberechtskompetenz und der Regelungsbefugnis der Länder entzogen19. Eine nähere Abgrenzung bundesrechtlicher Regelungsgesichtspunkte ist weiters insbesondere dort geboten, wo Teile der Natur - wie der Wald oder die Gewässer - auch Schutzgegenstand von Bundeskompetenzen sind20. Die „Außenkompetenz“ des Bundes gem Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG umfasst unbeschadet der Kompetenz der Länder zum Abschluss von Länderstaatsver-
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38f, in: Svoboda/Dyens (Hrsg) Handbuch für Umweltschutz und Raumordnung, Loseblatt, 1977. VfSlg 13369/1999. Die aus dem Versteinerungsmaterial ersichtliche bloße Bedachtnahme (auch) auf naturschutzrechtlicher Interessen ändert daran nichts. Vgl insb Pkt 1.3.3 des Erkenntnisses. Vgl demgegenüber die Position von Mayer, Die Kompetenzen des Bundes zur Regelung des Eisenbahnwesens, ÖJZ 1996, 292. Vgl in diesem Sinn Raschauer, 6ff; Bußjäger, Verfassungsrechtliche Fragen der Anwendung des Naturschutzrechtes der Länder auf Verkehrsprojekte, RdU 2000, 83 (86). Vgl dazu unten III. A. Vgl allgemein dazu B. Davy, Gefahrenabwehr im Anlagenrecht, 1990, 172f. Zur Zulässigkeit der Berücksichtigung von im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu vollziehenden raumordnungsrechtlichen Bestimmungen bei der Erteilung naturschutzbehördlicher Bewilligungen vgl unten. Vgl VwGH 7. 9. 1998, 98/10/0289 zum Krnt NSchG.. In diesem Sinn ist die Aussage des VfGH im Semmering-Erkenntnis zu verstehen, wonach „der Schutz der Natur in Teilbereichen Inhalt einer Bundeskompetenz ist, wie etwa im Forstwesen oder auf dem Gebiet des Wasserrechts“. So zutreffend auch näher Raschauer, 7f, der unter Hinweis auf die „Bewirtschaftungskomponente“ der genannten Bundeskompetenzen keine aktuellen Kompetenzwidrigkeiten im Naturschutzrecht ortet. Keinesfalls ist der Hinweis des VfGH als generelle Absage an naturschutzrechtliche Genehmigungsvorbehalte für forstliche Anlagen oder Wassernutzungsanlagen zu verstehen. Vgl näher dazu auch Bußjäger, 50ff, 84ff.
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trägen21 - auch die Zuständigkeit zum Abschluss von Staatsverträgen in Angelegenheiten des Naturschutzes. Die Durchführung dieser Verträge obliegt nach Maßgabe der innerstaatlichen Kompetenzverteilung im wesentlichen den Ländern22. Die Regelung von Enteignungen in Angelegenheiten des Naturschutzes fällt gem Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG in die Zuständigkeit der Länder. Enteignungen für landschaftspflegerische Maßnahmen im Zuge des Bundesstraßenbaus, die der Erfüllung naturschutzrechtlicher Auflagen dienen, können aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht auf der Grundlage der bundesstrassenrechtlichen Enteignungsbestimmungen verwirklicht werden23.
b) Berücksichtigung Das „Gesichtspunkteprinzip“ hat zur Folge, dass für die Errichtung von Anlagen vielfach kumulativ Bewilligungen nach dem Bundes- und Landesrecht erforderlich sind. Wie der VfGH zuletzt im „Semmering-Erkenntnis“ ausgeführt hat, ist der rechtspolitische Gestaltungsspielraum von Bund und Ländern jedoch durch ein Berücksichtigungsgebot begrenzt, das es verbietet, Interessen, die von der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft wahrzunehmen sind, zu unterlaufen24. In Bezug auf den Naturschutz leitet der VfGH daraus eine Verpflichtung des Landesgesetzgebers25 ab, im Hinblick auf, nicht vermeidbare Eingriffe in Naturschutzinteressen, zumindest26 eine Interessenabwägung zu ermöglichen, die eine Berücksichtigung der „den Eingriff bewirkenden“ kompetenzfremden Interessen zulässt27.
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Zur Befugnis der Länder gem Art 16 Abs 1 B-VG mit angrenzenden Staaten oder deren Teilstaaten“ in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs Verträge abzuschließen vgl näher Hammer, Länderstaatsverträge, 1992. Zur Kompetenzverteilung in dieser Hinsicht und zum Überwachungsrecht des Bundes für die Durchführung von Staatsverträgen vgl näher Pernthaler/Ebensperger, Die rechtlichen Auswirkungen völkerrechtlicher Abkommen und Normen der Europäischen Union auf die Kompetenzverteilung und Vollziehung des Naturschutzrechts, 1999, 19ff sowie im Überblick Gamper, Grenzenloser Naturschutz in internationaler, supranationaler und nationaler Dimension, JAP 1999/2000, 6. VfSlg 13369/1999. Vgl zum Ausgangspunkt dieser Überlegungen VfSlg 10929/1984 - „JagdrechtForstrecht“. Aus der umfangreichen Literatur zu diesem Erkenntnis vgl - auch im Hinblick auf Naturschutzinteressen - U. Davy, Zur Bedeutung des bundesstaatlichen Rücksichtnahmegebotes für Normenkonflikte, ÖJZ 1986, 225 (298). Der vom VfGH grundsätzlich anerkannten korrespondierenden Berücksichtigungspflicht des Bundes wurde im Semmering-Erkenntnis letztlich in Bezug auf das Eisenbahnrecht nicht näher nachgegangen. Kritisch insoweit Raschauer, 12f; Weber, Entscheidungsanmerkung, ÖZW 1999, 117 (120). Zur grundsätzlichen Parität von Bundes- und Landesinteressen und zur Bedeutung der Berücksichtigungsprinzips auf der Ebene genereller Planungen Bußjäger (FN 16), 89. Zu weitergehenden Beschränkungen der Landesgesetzgeber durch tatbestandliche Anknüpfung an das Raumordnungsrecht bzw durch „Beeinträchtigungsverbote“ vgl unten III. A. Pkt 1.4.2 des Semmering-Erkenntnisses. Eben diese Interessenabwägung ließ das NÖ NSchG in der vom VfGH geprüften Fassung nicht zu. Vgl nunmehr § 4 Abs 1 NÖ NSchG. Vgl zur Interessenabwägung in den Naturschutzgesetzen unten III. B. 4.
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Das Maß der verfassungsrechtlich gebotenen Rücksichtnahme werde dabei vom Gewicht der betroffenen öffentlichen Interessen bestimmt28. Die kompetenzrechtlichen Abgrenzungsschwierigkeiten verlagern sich damit auf die Ermittlung der berücksichtigungsrelevanten öffentlichen Interessen29 und ihre Gewichtung. Naturschutzinteressen von „außergewöhnlicher Dimension“30 billigt der VfGH allerdings die Eignung zu, selbst das gesamtwirtschaftlich bedeutsame Interesse an einem leistungsfähigen Eisenbahn- und Straßennetz zu überwinden31.
c) Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde Die Regelungsanliegen des Naturschutzes sind primär von gesamtstaatlichem, überörtlichem Interesse32, wenngleich der VfGH ausgesprochen hat, dass der Bereich des örtlichen Natur- und Landschaftsschutz in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt33. Für die Ausweisung von naturschutzrechtlich relevanten Schutzgebieten und die Erteilung naturschutzrechtlicher Bewilligungen für schutzgebietsrelevante Eingriffe wird dementsprechend nach den Naturschutzgesetzen grundsätzlich keine Zuständigkeit der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich vorgesehen34. Die in den Bauordnungen normierte Prüfung der Beeinträchtigung des Orts- und Landschaftsbildes im Zusammenhang mit Bauwerken, wird jedoch der örtlichen Baupolizei und damit dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugeordnet35. Den Gemeinden werden in naturschutzbehördlichen Verfahren vielfach Anhörungsrechte und Parteistellungen zur Wahrnehmung im eigenen Wirkungsbereich eingeräumt36. Die Berücksichtigung raumplanerischer Gesichtspunkte bei der Erteilung von Bewilligungen durch die Naturschutzbehörde ist grundsätzlich zulässig. Es 28 29 30 31
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Pkt 1.4.1 des Erkenntnisses. Vgl dazu die Auseinandersetzung bei Raschauer, 12; Bußjäger (FN 16), 87ff. Kritisch zu den dabei vom VfGH in Bezug genommenen konkreten Beispielen Raschauer, 13. Pkt 1.5.2 des Erkenntnisses. Auf die Möglichkeit einer Interessenabwägung ausschließlich im Rahmen des Verfahrens zur Ausweisung eines Schutzgebiets hat der VfGH nicht ausdrücklich Bezug genommen. Vgl demgegenüber die Äußerungen der Vorarlberger bzw der Tiroler LReg im Verfahren. Jedenfalls in Bezug auf die Regelungen betreffend Eingriffe in Landschaftsschutzgebiete hat der VfGH das Fehlen einer Interessenabwägung im Genehmigungsverfahren nach dem NÖ NSchG (§ 6 Abs 4 idF vor der Nov LGBl 5500-5) als unzureichend iS des Berücksichtigungsgebots qualifiziert. Für die Zulässigkeit der Berücksichtigung kompetenzfremder Interessen im Verfahren zur Erlassung einer Naturschutzgebietsverordnung, Bußjäger (FN 16), 89. Vgl VfSlg 8150/1977. Vgl auch Raschauer, 4f. VfSlg 6186/1970; VfSlg 8944/1980. Für eine Zuständigkeit der Gemeinde bei primär landschaftsästhetisch (und nicht vorrangig ökologisch) motivierten Unterschutzstellungen kleinräumiger Schutzobjekte Raschauer, 4f. Vgl allerdings die in § 10 Sbg NSchG vorgesehene Schutzkategorie „Geschützte Naturgebilde von örtlicher Bedeutung“, vgl weiters § 29 Vlbg NSchG sowie die Zuständigkeit der Gemeinde im Bereich des Baumschutzes. VfSlg 8944/1980. Die Möglichkeit der Bedachtnahme auf das Landschaftsbild im Zusammenhang mit Bauwerken ist dabei auf jenen Bereich beschränkt, der in einer Wechselwirkung mit dem Ortsbild steht. Vgl dazu Liehr/Stöberl, Einführung, 14f; Bußjäger, 131ff. Vgl dazu unten III. D.
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verstößt nach der Judikatur des VfGH37 nicht gegen das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde, wenn die Naturschutzbehörde im Sinne einer Vorfrage zu beurteilen hat, ob das von ihr zu genehmigende Projekt dem Flächenwidmungsplan widerspricht.
§ 20 Bgld RaumplanungsG38, der dem Flächenwidmungsplan die Wirkung verleiht, dass Bewilligungen auf Grund landesgesetzlicher Vorschriften nur unter der Voraussetzung zulässig sind, dass sie dem Flächenwidmungsplan nicht widersprechen wurde vom VfGH insofern als verfassungskonform qualifiziert. Demgegenüber wurden Regelungen in den Naturschutzgesetzen von Burgenland und Oberösterreich als verfassungswidrig aufgehoben, da sie nach Ansicht des VfGH39 der Naturschutzbehörde die Entscheidung über die Raumordnungskonformität der Bebauung nicht bloß als Vorfrage übertrugen. Der Kärntner Gesetzgeber hat eine dem § 20 Bgld RaumplanungsG entsprechende Regelung „vorauseilend“ aufgehoben40.
C. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Das internationale Naturschutzrecht Neben den, für die Zulassung von Anlagen nicht relevanten internationalen Aktivitäten zur Beschränkung des Handels mit wildlebenden Tieren und Pflanzen41, sind seit 1970 eine Reihe von völkerrechtlichen Verträgen entstanden, die Maßnahmen zur Erhaltung des Lebensraums gefährdeter Arten vorsehen. Zu nennen sind insbesondere42 das Ramsar-Übereinkommen, das der Erhaltung der Feuchtgebiete gilt43 sowie das Berner Übereinkommen zur Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und ihrer Lebensräume44. Einen umfassenderen Umweltschutzansatz verfolgt das Übereinkommen über die Biologische Vielfalt45, das neben der globalen Bewahrung biologischer Vielfalt, auf die nachhaltige Nutzung und die gerechte Aufteilung der Vorteile aus der Nutzung der genetischen Ressourcen abzielt. Die genannten Abkommen wurden in Österreich jeweils unter Gesetzesvorbehalt genehmigt. Maßnahmen zu einem umfassenden Natur- und Umweltschutz verfolgt auf regionaler Ebene die zwischen den Alpenländern abgeschlossene und durch Durchführungsprotokolle auszufüllende Alpenkonvention46. Die Gemeinschaft hat sich - mit Ausnahme des Ramsar-Übereinkommens - an den genannten Abkommen beteiligt und Richtlinien erlassen um diesen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu
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VfSlg 15232/1998. LGBl 1969/18 idF 2000/64. VfSlg 14599/1996 (zum Bgld NSchG). Kritisch dazu Mayer, Die Vorfrage - ein unbekanntes Wesen, ecolex 1997, 303; VfSlg 14940/1997 (zum OÖ NSchG). Kritisch dazu Hattenberger, 87ff. Vgl dazu insb das sog Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) vom 3. 3. 1975, BGBl 1983/372 idF BGBl 1999 III/82. Vgl näher zu den internationalen Naturschutzkonventionen in Österreich auch Pernthaler/Ebensperger (FN 22), 12ff. BGBl 1983/225 idF BGBl 1993/283. BGBl 1983/372 idF BGBl 1999/82. BGBl 1995/213. BGBl 1995/477 idF BGBl 1999 III/18.
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genügen bzw deren Zielsetzungen weiterzuentwickeln47. Naturschutzkomponenten umfasst auch das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des Kulturund Naturerbes der Welt48.
2. Überblick über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben a) Das Schutzgebietsnetz Natura 2000 Die rechtlichen Vorgaben des europäischen Naturschutzrechtes mit Relevanz für die Anlagenzulassung sind in zwei Richtlinien enthalten, die das Naturschutzrecht der Gemeinschaft insgesamt wesentlich prägen: der Vogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinie49. Beide Richtlinie zielen auf die Erhaltung der Artenvielfalt in der Europäischen Union und enthalten auch schutzgebietsbezogene Regelungen, die im Zusammenhang mit der Genehmigung von Anlagen von Bedeutung sind50. Ziel der Gemeinschaft ist es, ein „kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete zur errichten“, dass zur Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands von bestimmten gefährdeten Lebensräumen (Habitaten) sowie Tier- und Pflanzenarten beitragen soll und in das Eingriffe nur unter eingeschränkten Bedingungen zulässig sind. Dieses sog Natura 2000-Netz wird zwei Arten von Schutzgebieten verknüpfen51: • die von den Mitgliedstaaten nach der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen und künftig auszuweisenden besonderen Schutzgebiete („Special Protection Area“ - SPA, im folgenden kurz Vogelschutzgebiete). • die besonderen Schutzgebiete, die von den Mitgliedstaaten nach der FFHRichtlinie ausgewiesen werden („Special Area of Conservation“ - SAC, im folgenden kurz FFH-Schutzgebiete). Diese Gebiete werden vor ihrer Ausweisung durch die Mitgliedstaaten, im Zusammenwirken mit der Kommission als „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“ ausgewählt, weil sie bestimmte natürliche Lebensraumtypen oder bestimmte Tier- und Pflanzenarten umfassen. b) Das Schutzregime für Natura 2000-Gebiete Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet den ökologischen Schutzerfordernissen der Schutzgebiete durch spezielle Erhaltungsmaßnahmen Rechnung zu tragen52. Zugunsten der FFH-Gebiete werden in diesem Zusammenhang ausdrücklich Bewirtschaftungspläne für das Gebietsmanagement hervorgehoben; 47
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Vgl dazu näher Gellermann, in: Handbuch, Rz 7f. Durch die Nennung von Zugvögeln und Feuchtgebieten in Art 4 der VogelschutzRL wird auch auf die Zielsetzungen des Ramsar-Übereinkommens Bezug genommen. BGBl 1993/60. RL 79/409/EWG (Abl L 103/1) - VogelschutzRL; RL 92/43/EWG (Abl L 206/7) Fauna-Flora-Habitat-RL kurz FFH-RL. Auf die Richtlinienvorgaben betreffend den Handel und die Jagd ist im vorliegenden Zusammenhang nicht einzugehen. Vgl näher dazu, sowie zur ArtenhandelsV 338/97 des Rates v 9. 12. 1996, Abl L 61/1 (CITES-V): Madner, 22ff mwN. Näher zur Auswahl der Schutzgebiete unten III. C. 1. Art 4 Abs 1 u 2 VogelschutzRL hinsichtlich der Vogelschutzgebiete bzw Art 6 Abs 1 FFH-RL hinsichtlich FFH-Schutzgebieten.
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auch Maßnahmen des Vertragsnaturschutzes können zweckmäßig sein53. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf konkurrierende Bodennutzungen innerhalb und außerhalb der Vogelschutz54- bzw FFH-Gebiete sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, dem präventiven Verschlechterungs- und Störungsverbot gem Art 6 Abs 2 FFH-RL55 Rechnung zu tragen. Für die Anlagenzulassung von besonderer Bedeutung ist schließlich Art 6 Abs 3 u 4 FFH-RL, der die Verpflichtung begründet, Pläne und Projekte, die potentiell geeignet sind, ein Natura 2000Gebiet zu beeinträchtigen, erst nach Maßgabe einer Verträglichkeitsprüfung56 zuzulassen. c) Zur Umsetzung in Österreich Die Verpflichtung, das innerstaatliche Recht an die Richtlinienvorgaben anzupassen, ist für Österreich mit dem Beitritt zur EU am 1. 1. 1995 abgelaufen57. Zur legistischen Umsetzung des gebietsbezogenen Schutzregimes der Vogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinie wurden in den Naturschutzgesetzen der Länder spezielle Regelungen getroffen, die den Richtlinienvorgaben weitgehend Rechnung tragen. Die Umsetzung der Verpflichtung zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung für schutzgebietsbeeinträchtigenden Pläne (Art 6 Abs 3 FFH-RL), ist in allen Bundesländern - mit Ausnahme der Steiermark, aber auch auf Bundesebene, defizitär58. Der gemeinschaftsweite Prozess der Auswahl und Ausweisung von Natura 2000Gebieten ist im Hinblick auf die Schutzgebiete nach der FFH-Richtlinie noch nicht abgeschlossen. Die Kommission hat ua die Listen für die alpine und kontinentale biogeographische Region erlassen, dabei aber festgehalten, dass für die Mitgliedstaaten noch Nachnominierungsbedarf besteht. Österreich hat 95 Gebiete (14,7% der Landesfläche) nach der Vogelschutz- Richtlinie sowie 160 Gebiete (10,6% der Landesfläche) nach der FFH-Richtlinie als Natura 2000-Gebiete gemeldet59.
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Vgl dazu Gebhard, Auswahl und Management von FFH-Gebieten, NuR 1999, 361 (366ff). Europäische Kommission, Natura 2000 - Gebietsmanagement: Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG. Auslegungsleitfaden 2000, 16ff. Art 6 Abs 2 iVm Art 7 FFH-RL. Zur Rechtslage bei unterlassener Ausweisung eines Vogelschutzgebiets vgl unten III. C. 3. Näher dazu Gellermann, Rechtsfragen des europäischen Habitatschutzes, NuR 1996, 548(550f); derselbe, in: Handbuch, Rz 25. Zum Zusammenhang mit finanziellen Unterstützungen der Gemeinschaft vgl Madner, 40 mwN. Vgl näher dazu unten III. C. 2. Projekte für die vor diesem Zeitpunkt ein Genehmigungsverfahren eingeleitet wurde sind nach der Rspr des EuGH (EuGH, 23.3. 2006, Rs C-209/04, Kommission/Österreich) nicht von der Pflicht zur Verträglichkeitsprüfung erfasst. Von der Frist zur Richtlinienumsetzung sind die Fristen für die Unterschutzstellung und für die Anwendung des Schutzregimes zu unterscheiden. Zu den Folgen mangelhafter Umsetzung vgl unten III. C. 4. Vgl dazu auch Madner, 51. Ausdrückliche Vorschriften über eine FFH-Verträglichkeitsprüfung für Pläne fehlen im Landesrecht. Aber auch hinsichtlich schutzgebietsrelevanter Planungen des Bundes, wie zB in der Abfallwirtschaft oder im Wasserrecht bestehen keine Umsetzungsvorschriften. Angaben zu Natura 2000 auf der Homepage des Umweltbundesamts: http://www.umweltbundesamt.at.
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Die Gebiete, die sich auf insgesamt ca 16% der Staatsfläche erstrecken umfassen vorrangig Flächen, die bereits unter Naturschutz gestellt waren. Die regionale Verteilung der Gebiete ist durchaus unterschiedlich gewichtet60.
II. Das anlagenrelevante Naturschutzrecht im Überblick Die Naturschutzgesetze der Länder enthalten eine Vielzahl an anlagenrelevanten Anzeigepflichten und Bewilligungsvorbehalten zum Schutz der Natur61. Anknüpfungspunkt für diese Genehmigungsvorschriften ist im wesentlichen ein differenziertes System von Gebietskategorien. Der jeweils eingesetzte Bewilligungstypus (Verbot mit Ausnahmebewilligung oder präventiver Bewilligungsvorbehalt bzw Anzeigepflicht) und die regelmäßig mit einer Interessenabwägung verbundenen verschiedenen materiellen Genehmigungskriterien konstituieren - wie Hattenberger am Beispiel des Kärntner NaturschutzG illustriert hat62 - eine abgestufte Schutzintensität bzw eine Hierarchie der Schutzkategorien: Während etwa für den Schutz der freien Landschaft regelmäßig Anzeigepflichten bzw präventive Bewilligungsvorbehalte vorgesehen sind und vielfach selbst bei intensiven Eingriffen die Interessen des Naturschutzes hinter überwiegende andere öffentliche Interessen zurücktreten63, sind demgegenüber etwa in Naturschutzgebieten regelmäßig Eingriffsverbote statuiert, von denen nur im Einzelfall Ausnahmen bewilligt werden dürfen.
A. Allgemeiner Landschaftsschutz Zunächst statuieren alle Naturschutzgesetze Bewilligungs- oder Anzeigepflichten für bestimmte Vorhaben, die im Landesgebiet oder in der freien Landschaft verwirklicht werden sollen (allgemeiner Landschaftsschutz, Freilandschutz). Diese, für die Anlagenzulassung praktisch besonders bedeutsamen Regelungen, werden gesondert näher dargestellt.
B. Gebietsschutz Darüber hinaus gibt es in allen Ländern spezifische Kategorien von geschützten Gebieten, an die Eingriffsverbote, Bewilligungsvorbehalte oder Anzeigepflichten geknüpft sind (Gebietsschutz, Flächenschutz). Diese Gebiete werden zT ex lege, zumeist durch Verordnung, allenfalls (bei kleinräumigen Gebieten) durch Bescheid ausgewiesen. Für die Erlassung von Schutzgebietsverordnungen bestehen in den Naturschutzgesetzen detaillierte Verfahrensvorschriften, die hier nicht näher darzustellen sind64. Für erhebliche Beschränkun60
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Vgl zB Oberösterreich mit ca 3,5% und Niederösterreich mit ca 30% der Landesfläche. Zum österreichischen Natura 2000-Beitrag aus naturschutzfachlicher Sicht vgl näher Ellmauer ua, in: Nationale Bewertung des österreichischen Natura 2000Netzwerkes, in: Umweltbundesamt (Hrsg), UBA -Reports 158, 1998. Vgl dazu näher im Überblick auch Liehr/Stöberl, Einführung, 24ff; Kanonier, Grünlandschutz im Planungsrecht, 1994, 209ff; Bußjäger, 23ff; Öberseder, Handbuch Anlagenrecht (1996). Hattenberger, 64ff. Vgl näher dazu unten III. B. 4. Hervorzuheben ist, dass an die gründliche und nachvollziehbare Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen durch die Behörde hohe Anforderungen zu stellen sind.
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gen der Bewirtschaftungs- und Nutzungsmöglichkeiten, die aus der Unterschutzstellung eines Grundstücks resultieren können, sehen die Naturschutzgesetze im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie eine Entschädigung vor65. Alle Naturschutzgesetze sehen die Schutzgebietskategorie Naturschutzgebiet für Gebiete vor, die sich durch völlige oder weitgehende Ursprünglichkeit auszeichnen und die seltene oder gefährdete Tier- oder Pflanzenarten beherbergen. In den, durch Verordnung auszuweisenden Naturschutzgebieten sind Eingriffe durch Gesetz oder durch die Schutzgebietsverordnung verboten bzw nur ausnahmsweise zulässig66. In Tirol (§ 21 Tir NSchG) können überdies außerhalb geschlossener Ortschaften gelegene, in ihrer Ursprünglichkeit erhalten gebliebene Gebiete zu Sonderschutzgebieten erklärt werden, in denen grundsätzlich jeder Eingriff in die Natur verboten ist.
Gebiete können wegen ihrer landschaftlichen Schönheit oder zur Sicherung des Erholungszwecks durch Verordnung als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen werden. Mit der Erklärung zum Landschaftsschutzgebiet sind zusätzlich zum allgemeinen Natur- und Landschaftsschutz kraft Gesetzes67 oder nach Maßgabe der Landschaftsschutzgebietsverordnung68 Nutzungsbeschränkungen und Bewilligungsvorbehalte verknüpft.
In Vorarlberg ist für großräumige Gebiete mit repräsentativen Landschaftstypen insbesondere im Interesse der historisch gewachsenen Arten- und Biotopvielfalt und zur
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Vgl näher Liehr/Stöberl, Einführung, 48f. Unmittelbar und aktuell in ihrer Rechtsposition Betroffene sind grundsätzlich zur Erhebung eines Individualantrags gegen die SchutzgebietsV legitimiert, wenn die Erlangung eines Bescheids unzumutbar ist. Der VfGH erachtet jedoch Anträge auf Erlangung einer naturschutzrechtlichen Ausnahmebewilligung für zumutbar, sofern für die dem Antrag beizuschließenden Unterlagen keine besonderen Formerfordernisse vorgesehen sind. Vgl zB VfGH 11.3.1999, V 128/96 zu § 41 Abs 2 Tir NSchG; VfSlg 14522/1996. Zur Antragslegitimation bei fehlender Möglichkeit einer Ausnahmebewilligung VfSlg 15065/1997. § 48 Bgld NSchG; § 49 Krnt NSchG; § 33 OÖ NSchG; § 23 NÖ NSchG; § 42 Sbg NSchG; § 25 Stmk NSchG; § 32 Tir NSchG; § 46 Vlbg NSchG; § 35 Wr NSchG. Eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Bestimmungen muss hier unterbleiben. Allgemein zur Entschädigungspflicht von schwerwiegenden Eigentumsbeschränkungen vgl Rill, Eigentum, Sozialbindung und Enteignung bei der Nutzung von Boden und Umwelt, VVDStRL 51, 1992, 178 (199). Zum Erfordernis der Entscheidung eines „Tribunals“ (Art 6 EMRK) über Enteignungsentschädigungen siehe VfSlg 17242/2004. § 21a Bgld NSchG; § 24 Krnt NSchG; § 11 Abs 4-6 NÖ NSchG; § 25 OÖ NSchG; § 21 Sbg NSchG; § 5 Abs 4-8 Stmk NSchG; § 21 Tir NSchG; § 26 Abs 3 u 5 Vlbg NSchG; § 23 Abs 3-5 Wr NSchG. Vgl § 8 Abs 3 NÖ NSchG in Bezug auf großflächige Kulturumwandlungen bzw die Beseitigung besonders landschaftsprägender Elemente; § 6 Abs 3 Stmk NSchG (zB für Bodenentnahmen oder für die Errichtung von Appartementhäusern); § 10 Abs 2 Tir NSchG (zB für Straßenbauten); § 24 Abs 5 Wr NSchG (zB für Neu-, Zu- und Umbauten). § 23 Abs 2 Bgld NSchG; § 25 Abs 2 Krnt NSchG; § 11 Abs 2 OÖ NSchG; § 18 Sbg NSchG; § 10 Abs 2 Tir NSchG, der eine taxative Aufzählung der potentiell bewilligungspflichtigen Maßnahmen (zB elektrischen Leitungsanlagen) enthält; § 26 Abs 3 Vlbg NSchG.
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Entwicklung und Erprobung besonders schonender Wirtschaftsweisen auch die Festlegung der Schutzkategorie Biosphärenpark durch Verordnung möglich69.
Für kleinräumige Landschaftsteile oder Grünbestände, die das Landschaftsbild besonders prägen und beleben oder für den Naturhaushalt oder die Erholung der Bevölkerung bedeutsam sind, ist in den meisten Ländern die Schutzkategorie „geschützter Landschaftsteil“ vorgesehen, aus der ebenfalls Eingriffsverbote oder Bewilligungspflichten resultieren können70. In Tirol kann überdies für in ihrer Ursprünglichkeit erhalten gebliebene Gebiete die Schutzkategorie Sonderschutzgebiet eingerichtet werden, in der jeder Eingriff verboten ist. Weiters ist in Tirol die Kategorie Ruhegebiet vorgesehen, in der Lärmentwicklung und Straßenneubauten verboten sind; in Salzburg bzw Vorarlberg können Ruhezonen ausgewiesen werden, in denen lärmerregende Aktivitäten verboten werden können71.
In Wien (§ 26 Wr NSchG) können Flächen, die insbesondere zur Entwicklung und Vernetzung von Grünstrukturen in der Stadt von Bedeutung sind zu ökologischen Entwicklungsflächen erklärt werden, in denen Eingriffe ausnahmsweise bewilligt werden können. Gebiete, die als Bestandteil des europäischen Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ dienen sollen, sind in einigen Ländern durch Verordnung als „Europaschutzgebiete“ zu erklären. Zu Europaschutzgebieten können dabei regelmäßig auch bestehende Schutzgebiete erklärt werden72. Maßnahmen, wie die Errichtung von Anlagen, die diese Gebiete potentiell erheblich beeinträchtigen, dürfen nur nach Maßgabe einer Verträglichkeitsprüfung bewilligt werden73. Die meisten Naturschutzgesetze sehen weiters für das gesamte Landesgebiet vielfach Eingriffsverbote bzw Bewilligungspflichten für Maßnahmen in besonders schutzwürdigen speziellen Naturräumen, wie zB Gletscher und Alpinregionen74, Feuchtgebieten75, Auwäldern76, Gewässer- oder Uferbereichen77 vor. In der Regel auf der Grundlage spezieller Gesetze78 können in den Ländern Nationalparks eingerichtet werden, die der Sicherung großräumiger, naturbelassener Ökosystem dienen79. In den Nationalparks, denen grundsätzlich be-
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§ 27 Vlbg NSchG. Vgl die Verordnung über den „Biosphärenpark Großes Walsertal“ LGBl 2000/33. Vgl § 24 Bgld NSchG; § 12 OÖ NSchG; § 12 Sbg NSchG; §§ 11 u 12 Stmk NSchG; 25 Wr NSchG. § 11 Tir NSchG; § 27 Abs 3 Sbg NSchG bzw § 23 Abs 1 u 5 Vlbg NSchG. Vgl zB § 9 Abs 3 NÖ NSchG; § 13a Abs 2 Stmk NSchG. Ausführlich dazu unten III. C. §§ 6 u 7 Krnt NSchG; § 5 Abs 1 lit d Tir NSchG, § 23 Vlbg NSchG. Vgl zB § 7 u 8 Bgld NSchG. Vgl zB § 8 Tir NSchG. Vgl zB §§ 9 u 10 OÖ NSchG; § 24 Sbg NSchG. In der Steiermark durch Verordnung gem § 9 Stmk NSchG. In den übrigen Ländern, außer Vorarlberg, bestehen NationalparkGe. Eingerichtet wurden zB in Kärnten, Salzburg und Tirol der die Landesgrenzen überschreitende Nationalpark Hohe Tauern; im Burgenland der Nationalpark Neusiedlersee, sowie der Nationalpark Donauauen in Wien und Niederösterreich.
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sonders intensiver Schutz gewährt wird, sind verschiedentlich Zonen mit unterschiedlicher Schutzintensität festgelegt80.
C. Geschützte Naturgebilde Schließlich können auch einzelne besondere Naturgebilde (zB einzelne Bäume, Gehölzgruppen, Wasserfälle) mit Bescheid zum Naturdenkmal erklärt werden, mit der Folge, dass Eingriffe in das geschützte Objekt und in die, sein Erscheinungsbild mitbestimmende Umgebung, verboten werden können81. Naturhöhlen können, zT auf Grund eigener Gesetze, unter Schutz gestellt werden82. In einigen Bundesländern bestehen - zT auf Grund eigener Gesetze Bewilligungspflichten für das Entfernen von Bäumen verbunden mit der Pflicht zur Ersatzpflanzung (Baumschutz)83.
III. Ausgewählte Genehmigungsregime Im folgenden sollen die, für die Genehmigung von Betriebsanlagen besonders bedeutsamen Bewilligungsvorschriften des allgemeinen Natur- und Landschaftsschutzes sowie die in jüngster Zeit geschaffenen Vorschriften zur Umsetzung des europäischen Naturschutzrechts näher dargestellt werden.
A. Bewilligungs- und Anzeigepflichten nach dem allgemeinen Landschaftsschutz Alle Naturschutzgesetze statuieren Bewilligungspflichten für Vorhaben, die im Landesgebiet84 und/oder verallgemeinernd - in der freien Landschaft85 verwirklicht werden sollen. Lediglich in der Steiermark sind für Vorhaben außerhalb von Schutzgebieten - abgesehen von bewilligungspflichtigen Werbeankündigungen86 - nur Anzeigepflichten vorgesehen87.
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Vgl zB die Unterscheidung in Außenzone, Kernzone und Sonderschutzgebiete in § 5 Krnt NationalparkG. Näher dazu Sturm, 110f. § 6Sbg NSchG. Vgl zB §§ 10 u 12 Stmk NSchG Das Sbg NSchG (§ 10) ermöglicht die Ausweisung geschützter Naturgebilde von örtlicher Bedeutung durch die Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich. Das Vlbg NSchG (§ 29) sieht die Verordnung von örtlichen Naturdenkmalen durch die Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich vor. Vgl zB § 37 Krnt NSchG; § 26 Tir NSchG. Vgl zB § 15 NÖ NSchG; Wr BaumschutzG LGBl 1974/27 idF2001/53. § 4 u 11 Krnt NSchG; § 33 Abs 1 Vlbg NSchG; § 18 Abs 1 Wr NSchG. Auf Flächen, die im rechtswirksamen Flächenwidmungsplan der Gemeinde nicht als Wohn- Dorf-, Geschäfts-, Industrie- und Betriebsgebiete, gemischte Baugebiete oder Verkehrsflächen gewidmet sind: § 5 Bgld NSchG; in der freien Landschaft: :; § 5 Abs 1 Krnt NSchG; außerhalb vom Ortsbereich: § 7 Abs 1 NÖ NSchG; außerhalb geschlossener Ortschaften: § 6 Tir NSchG; § 4 Stmk NSchG (lediglich Ankündigungen). Im Grünland: § 5 OÖ NSchG; § 18 Abs 2 Wr NSchG. Nicht zur Gänze im Bauland: § 25 Abs 1 iVm Abs 2 litb Sbg NSchG. § 4 Stmk NSchG. § 3 Abs 2 Stmk NSchG. Höhere Bauwerke, Tankstellen, größere Anlagen und Parkplätze im Bauland sind von der Anzeigepflicht ausgenommen (§ 3 Abs 3 Stmk NSchG).
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Im übrigen kennen manche Landesgesetze neben den bewilligungspflichtigen Vorhaben auch bestimmte (subsidiär) anzeigepflichtige Vorhaben88, so zB Antennentragemasten89. In Vorarlberg kann unter bestimmten Voraussetzung anstelle des Bewilligungs- ein Anzeigeverfahren durchgeführt werden (§ 36 Vlbg NSchG). Die bewilligungspflichtigen Maßnahmen sind in allen Ländern in - zT sehr kasuistischen90 - taxativen Katalogen festgelegt. In Vorarlberg (§ 33 Abs 2 u 3 Vlbg NSchG) besteht die Möglichkeit, den Kreis der bewilligungspflichtigen Vorhaben durch Verordnung der LReg zu erweitern bzw zu beschränken. Zu den bewilligungspflichtigen Maßnahmen zählen typischerweise zB großräumige Geländeveränderungen, weiters zB die Errichtung und Änderung von: Rohstoffabbau- und -aufbereitungsanlagen (insb auch Kiesgruben), Schleppliften und Seilbahnen91 oder Golfplätzen, vielfach92 ist auch die Errichtung (größerer) baulicher Anlagen bewilligungspflichtig. Auch Werbeanlagen unterliegen regelmäßig der Bewilligungspflicht93. Verschiedentlich ist der Entfall der Bewilligungspflicht vorgesehen, sofern Bewilligungspflichten nach anderen Landesgesetzen bestehen und naturschutzbehördliche Interessen in diese Verfahren Eingang gefunden haben94 Vorhaben, die der Fachplanungskompetenz des Bundes unterliegen, wie insbesondere zB Verkehrsanlagen, sind vom Bewilligungsregime des allgemeinen Naturschutzes grundsätzlich erfasst95. Nicht alle Länder haben ihre Kompetenz in diesem Bereich jedoch in vollem Umfang ausgeschöpft. 88 89
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Vgl § 6 OÖ NSchG für Neu-, Zu- oder Umbau von Gebäuden im Grünland; gem § 26 Sbg NSchG; sowie (für Werbeeinrichtungen) gem § 19 Abs 1 Wr NSchG. § 26 Abs 1 lit e Sbg NSchG; § 16 Tir NSchG. Näher zur naturschutzrechtlichen Bewilligungspflicht für Handymasten Raschauer, Mobilkommunikation - Rechtsfragen der Sendeanlagen, 1998, 83f. Kritisch dazu Raschauer, 15f. Vgl jedoch auch § 32 Abs 1 lit c u d Vlbg NSchG, wonach die Neuerschließungen und Erweiterungen von Schigebieten durch Verordnung der LReg ganz, teilweise oder in einzelnen Landesteilen verboten werden kann. Vgl § 5 Abs 1 lit i Krnt NSchG; § 6 lit a Tir NSchG; § 32 Vlbg NSchG; § 18 Abs 2 Wr NSchG sowie, jedoch nur für Bauwerke, die keine Gebäude sind - § 7 NÖ NSchG. Vgl die teilweise sehr detaillierten Vorschriften: § 5 Abs 1 lit k iVm 5 Abs 2 Krnt NSchG; § 7 Abs 1 Z 3 NÖ NSchG; § 13 OÖ NSchG; § 4 Stmk NSchG; § 15 Tir NSchG; § 33 Abs 1 lit m iVm § 33 Abs 4 lit b u c Vlbg NSchG. In Salzburg (§ 26 Abs 1 lit c und Abs 6 Sbg NSchG) und Wien (§ 19 Wr NSchG) besteht lediglich Anzeigepflicht. Im Burgenland (§ 11 Bgld NSchG) sind Werbeanlagen als Verunstaltung der freien Landschaft grundsätzlich (Ausnahmen bestehen ua für Wahlwerbung) verboten. Vgl § 5 Abs 2 lit a Krnt NSchG in Bezug auf Maßnahmen im Zuge von Güterweg-, Straßen-, Eisenbahn sowie Schutz- und Regulierungswasserbauten, bei „Einholung“ eines Naturschutzgutachtens (kritisch dazu Hattenberger, 103); § 7 OÖ NSchG insb auch für baurechtlich bewilligungspflichtige Maßnahmen; § 49 Abs 3 Sbg NSchG; § 33 Abs 5 Vlbg NSchG in Bezug auf das Landesabfallrecht; sowie - jeweils ohne Bezugnahme auf die Berücksichtigung naturschutzrechtlicher Interessen § 5 Abs 2 lit b Krnt NSchG zB in Bezug auf sonstige bauliche Anlagen im Grünland, soweit sie wasserrechtlich bewilligungspflichtig sind; § 7 Abs 5 NÖ NSchG. Vgl zu den kompetenzrechtlichen Grundlagen oben I. B. 2.
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Abgesehen davon, das in einigen Ländern spezielle Bewilligungsvorbehalte (zB für Eisenbahnanlagen, die keine Seilbahnen sind) fehlen, sodass allenfalls allgemeine Bewilligungstatbestände (zB jene für großräumige Geländeveränderungen) zum Tragen kommen, ist folgendes anzumerken: Fachplanungsakte des Bundes bewirken nach Ansicht des VwGH96 eine „Verdrängung“ der Widmungskategorien des Landesraumordnungsrechts, mit der Folge, dass an diese Kategorien anknüpfende naturschutzrechtliche Anzeige- und Bewilligungspflichten97 in Bezug auf diese Vorhaben ins Leere gehen, obwohl kompetenzrechtlich ein Regelung unter Naturschutzgesichtspunkten zulässig wäre. Eine, über das allgemeine Naturschutzrecht hinausreichende Wirkung misst der VwGH salvatorischen Klauseln zu: Die Bestimmung des steiermärkischen Naturschutzgesetzes (§ 1 Abs 3), wonach „die Benutzbarkeit von Flächen und bestehenden Anlagen, die ausschließlich oder vorwiegend Zwecken des Bundesheeres, des Bergbaues oder des Eisenbahn- und Straßenverkehrs dienen, nicht eingeschränkt werden“ stellt nach der Judikatur98 zwar keine gänzliche Ausnahme von der naturschutzrechtlichen Bewilligungspflicht dar, ist aber dahin zu verstehen, dass hinsichtlich der angesprochenen Bodennutzungen im naturschutzrechtlichen Verfahren lediglich die Vorschreibung begleitender Maßnahmen, nicht jedoch die Untersagung oder die Vorschreibung wesentlich beeinträchtigender Vorkehrungen in Frage kommt.
B. Zulassungskriterien 1. Nichtbeeinträchtigung von Naturschutzinteressen Als Genehmigungskriterien sehen die Gesetze die Nichtbeeinträchtigung von durchwegs näher konkretisierten Natur- und Landschaftsschutzinteressen - im wesentlichen Landschaftsbild, Charakter bzw Erholungswert der Landschaft, ökologische Funktionsfähigkeit - vor. Die Konkretisierung der genehmigungsrelevanten Interessen erfolgt in den Gesetzen mit unterschiedlicher Detailliertheit99. Auch die Intensität der genehmigungsrelevanten Beeinträchtigungen wird unterschiedlich festgelegt: Während zB beim Freilandschutz in den meisten Ländern auf die bloße Nichtbeeinträchtigung der genehmigungsrelevanten Interessen abgestellt wird, ist die Versagung der Genehmigung in Niederösterreich (§ 7 Abs 2-4 NÖ NSchG) erst an nachhaltige Beeinträchtigungen, in Salzburg (§ 25 Abs 3 Sbg NSchG) an erhebliche Beeinträchtigungen und in Wien (§ 18 Abs 3 Wr NSchG) an wesentliche Beeinträchtigungen geknüpft. In Vorarlberg (§ 35 Abs 1 u Abs 4 Vlbg NschG) darf eine Verletzung von Natur- und Landschaftsschutzinteressen nicht erfolgen, während in Betriebsgebieten allein die Vermeidung von Beeinträchtigungen, Verunstaltungen oder Schädigungen der Landschaft genehmigungsrelevant ist.
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VwSlg 15.300 A/1999 (Semmering-Basis-Tunnel) zum mittlerweile geänderten NÖ NSchG. Kritisch dazu Raschauer, Entscheidungsanmerkung, RdU 2000, 109. Vgl insb die Genehmigungstatbestände des allgemeinen Naturschutzes in Oberösterreich (§ 5 OÖ NSchG) und Wien (§ 18 Abs 2 Wr NSchG) einerseits und zB § 7 NÖ NSchG andererseits. VwSlg 15.300 A/1999 Semmering-Basis-Tunnel zur damals gleichgelagerten Regelung des NÖ NSchG). Vgl zB § 35 Abs 1 Vlbg NSchG oder § 25 Abs 3 Sbg NSchG einerseits und andererseits - eher detailliert - § 6 Bgld NSchG; § 9 Abs 2 u 3 Krnt NSchG; § 7 Abs 2 u 3 NÖ NSchG.
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In der Steiermark (§ 3 Abs 1 Stmk NSchG) sind auf Grund der Anzeige des Vorhabens, lediglich die zur Vermeidung von nachhaltigen Auswirkungen des Vorhabens erforderlichen Auflagen vorzuschreiben.
Zur Auslegung der Genehmigungskriterien der Naturschutzgesetze - so zB zur nachteiligen Beeinflussung der Landschaft, des Landschaftsbildes oder des Gefüges des Naturhaushalts“ - besteht eine umfangreiche Rechtsprechung des VwGH, die verdeutlicht, dass an den Umfang der Sachverhaltsermittlung und die Begründung der Entscheidungen hohe Anforderungen zu stellen sind100.
2. Immissionsschutz In Vorarlberg (§ 35 Abs 3 Vlbg NSchG) sind auch immissionsschutzrechtliche Genehmigungskriterien normiert. Genehmigungsrelevant sind in diesem Zusammenhang lediglich die naturschutzrelevanten Auswirkungen der mit einem Vorhaben verbundenen Tätigkeiten101,102 .
3. Übereinstimmung mit dem Flächenwidmungsplan Zur Koordinierung von Naturschutz und Raumordnung kann der Naturschutzbehörde aufgetragen werden, die Konformität eines Vorhabens mit der Flächenwidmung zu prüfen103. In Oberösterreich (§ 4 OÖ NSchG) und in der Steiermark (§ 2 Abs 3 Stmk NSchG) ist die Erlassung von Naturschutzrahmenplänen bzw Landschaftsrahmenplänen als Entwicklungsprogramme bzw Raumordnungsprogramme vorgesehen, die als überörtliche Planungsakte von der örtlichen Raumordnung zu berücksichtigen sind
4. Interessenabwägung Die Naturschutzgesetze sehen für das Bewilligungsverfahren eine Interessenabwägung104 zwischen den Interessen des Naturschutzes und den für die Ver100
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Vgl zB VwGH 27. 10. 1997, 96/10/0255 (zum Krnt NSchG); VwGH 18. 1. 1999, 95/10/0077 (zum Tir NSchG); VwGH 31. 1. 2000, 99/10/0243 (zum Vlbg NSchG). Vgl weiters Liehr/Stöberl, Einführung, 25ff; Hattenberger, 81ff mwN. . § 37 Abs 2 Vlbg NSchG ermächtigt allerdings zur Erteilung von Auflagen und Bedingungen im „Interesse der Sicherheit und Gesundheit von Menschen (...) soweit für diesen Zweck nicht andere Rechtsvorschriften Anwendung finden“. Das Krnt NschG (§ 9 Abs 5) sah - kompetenrechtlich bedenklich auch die Versagung der Genehmigung wegen „unzumutbarer Nähe zum Siedlungsbereich“ vor. Vgl dazu mit „verfassungskonformer Interpretation: VwGH 14. 12. 1998, 97/10/0082; VwGH 9. 3. 1998, 97/10/0243. Gegen die Zulässigkeit einer verfassungskonformen Interpretation zutreffend kritisch Hattenberger, 98. Vgl § 5 Bgld NSchG. Näher zur Verfassungskonformität derartiger Regelungen oben I.B.2. Vgl dazu, auch aus rechtspolitischer Sicht, Dolp, Bemerkungen aus der Praxis zur naturschutzrechtlichen Interessenabwägung, ÖGZ 1990, 8; weiters, unter besonderer Berücksichtigung des Krnt NSchG, Hattenberger, 90ff; näher und kritisch zur Interessenabwägung am Beispiel des Tir NSchG Weber, Rechtsprobleme der naturschutzrechtlichen Interessenabwägung am Beispiel des § 27 Tiroler Naturschutzgesetz, JRP 1999, 176, derselbe, 704ff; Bußjäger, Bausteine einer Theorie der Interessenabwägung im österreichischen Naturschutzrecht, NuR 2001, 677; allgemein zur Interessenabwägung im Verwaltungsrecht: Stolzlechner, Verwaltungsrechtliche Abwägungsentscheidung, ZfV 2000, 214.
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wirklichung des Vorhabens sprechenden öffentlichen Interessen vor105, welche dazu führen kann, dass die Genehmigung ungeachtet der (erheblichen)106 beeinträchtigenden Wirkung des Projekts wegen überwiegender anderer Interessen zu erteilen ist. § 1 Abs 3 Stmk NSchG bewirkt nach der Judikatur des VwGH107 die prinzipielle naturschutzrechtliche Zulässigkeit der genannten Bodennutzungen und entzieht in diesen Fällen auch einer Interessenabwägung die Grundlage. Die mit den beeinträchtigten Naturschutzinteressen abzuwägenden öffentlichen Interessen werden in den Gesetzen zT demonstrativ angeführt.Als abwägungsrelevante öffentliche Interessen kommen zB die Sicherstellung der Energieversorgung, die Schaffung leistungsfähiger Straßenverbindungen, Rohstoffversorgung oder Fremdenverkehrsinteressen108 in Betracht. Die Flächenwidmung stellt ein Indiz für ein öffentliches Interesse dar, nimmt aber die Interessenabwägung im Zuge der Bewilligung eines konkreten Projekts nicht vorweg109. Auch eine bergrechtliche Gewinnungsbewilligung110 oder eine Bundesstraßen-Trassenverordnung111 dokumentieren ein öffentliches Interesse, ohne dass dies eine Vorwegnahme der Ergebnisse der Interessenabwägung bedeutete. Lediglich in Oberösterreich sind auch private Interessen an der Verwirklichung des Vorhabens in die Abwägung einzubeziehen. Der Vorgang der Interessenabwägung ist in den Gesetzen in unterschiedlichem Maße determiniert, teilweise sind die abzuwägenden Interessen ausdrücklich gewichtet. Besonders knapp ist die Anordnung in § 4 Abs 1 NÖ NSchG („Bei der Anwendung dieses Gesetzes sind kompetenzrechtliche Interessen des Bundes in Form einer Abwä105
§ 6 Abs 5 Bgld NSchG; § 9 Abs 7 Krnt NSchG; § 4 Abs 1 NÖ NSchG (nur in Bezug auf kompetenzrechtliche Interessen des Bundes); § 14 Abs 1 OÖ NSchG; § 3a Sbg NSchG; § 29 Tir NSchG; § 35 Abs 2 Vlbg NSchG; § 18 Abs 6 u § 24 Abs 7 Wr NSchG. In der Steiermark (§ 3 Abs 4 Stmk NSchG) ist im Anzeigeverfahren bei der Vorschreibung von Auflagen für Vorhaben im Freiland auf „die Erfordernisse volkswirtschaftlich oder regionalwirtschaftlich bedeutsamer Betriebe Rücksicht zu nehmen“. Die Bewilligung von Eingriffen in Landschaftsschutzgebiete setzt auch in der Steiermark eine Interessenabwägung voraus - § 6 Abs 7 Stmk NSchG 106 Vgl dazu die Nachweise für die Bewilligungskriterien betreffend Vorhaben im Freiland obenIII. B. 1. Zum Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung als Voraussetzung für den Eintritt in die Interessenabwägung nach § 25 Abs 3 Sbg NSchG vgl VwGH 9. 4. 2000, 97/10/0140. 107 Vgl dazu obenIII.A. 108 VwGH 18. 4. 1994, 93/10/0079 (zum Krnt NSchG). Kritisch zur Rechtsprechung in diesem Zusammenhang Hattenberger, 92f, die ein Mindestmaß an regional- oder volkswirtschaftlicher Relevanz der geplanten Maßnahme moniert. Vgl auch VwGH 23. 10. 1995, 93/10/0128 wonach das öffentliche Interesse an einem Golfplatz ohne weiteres angenommen wurde, mit kritischer Anmerkung von Raschauer, Entscheidungsanmerkung, RdU 1996, 32. 109 Vgl zB VwGH 27. 3. 2000, 97/10/0149; VwGH 18. 1. 1999, 95/10/0077; (jeweils zum Tir NSchG). 110 VwGH 17. 3. 1997, 92/10/0398. 111 VwGH 24. 9. 1999, 98/10/0347 bzw 29. 5. 2000, 2000/10/0021 (jeweils zur „Halbanschlussstelle Wolfurt-Lauterach“ L 41 im Zuge der Rheintalautobahn A 14) der im Fall der TrassenVO ein „grundsätzlich bedeutsames“ Interesse dokumentiert sieht. Vgl dazu auch unten.
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gung mit Interessen des Naturschutzes zu berücksichtigen“), die auch bei der Erteilung von Bewilligungen heranzuziehen ist. In Wien (§ 18 Abs 6 Wr NSchG) stellt der Gesetzgeber auf „deutlich höhere Interessen“ ab. In Tirol werden die Vorgaben für die Interessenabwägung im Freilandschutz ausdrücklich von jenen bei Eingriffen in Landschaftsschutz- bzw Naturschutzgebiete unterschieden: So können in besonders geschützten Gebieten und insbesondere auch in Natur- und Landschaftsschutzgebieten nur überwiegende „langfristige öffentliche Interessen“ mit Naturschutzinteressen abgewogen werden, während bei Eingriffen in die freie Landschaft lediglich auf das Überwiegen der anderen öffentlichen Interessen abgestellt ist112. Auch in Kärnten wird der Ausnahmecharakter für Eingriffe in Naturschutzgebiete durch die Formulierung der Interessenabwägungsklausel besonders betont113.
Verschiedentlich schreiben die Gesetze im Rahmen der Interessenabwägung auch explizit eine Alternativenprüfung vor114. An eine gesetzeskonforme Interessenabwägung werden mit der Judikatur des VwGH hohe Anforderungen in Bezug auf die Sachverhaltsermittlung und Begründung gestellt: Die Rechtmäßigkeit der, vom VwGH als Wertentscheidung qualifizierten Interessenabwägung hängt letztlich davon ab, ob das Abwägungsmaterial umfassend und vollständig erfasst wurde und die Abwägung im Einklang mit den Denkgesetzen, Erfahrungssätzen und Erkenntnissen der Wissenschaft erfolgt115. Nach ständiger Judikatur des VwGH116 entspricht zB ein, auf Grund einer Interessenabwägung nach dem Tiroler NSchG ergangener Bescheid, den Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung nur dann, „wenn er in qualitativer und quantitativer Hinsicht nachvollziehbare Feststellungen über jene Tatsachen enthält, von denen Art und Ausmaß der verletzten Interessen iSd § 1 Abs 1 Tir NSchG 1991 abhängt, über jene Auswirkungen des Vorhabens, in denen eine Verletzung dieser Interessen zu erblicken ist und über jene Tatsachen, die das anderweitige öffentliche Interesse ausmachen, dessen Verwirklichung die beantragte Maßnahme dienen soll“ Zur Interessenabwägung im Hinblick auf die, durch eine Bundesstraßen-TrassenVO dokumentierten öffentlichen Interessen an einem Verkehrsweg hat der VwGH117 ein „Modell“ einer Interessenprüfung entwickelt, demzufolge in „eine Feinprüfung der Bundesinteressen“ nicht schon dann einzutreten ist, wenn durch die Verwirklichung des Straßenbauvorhabens eine Verletzung von Naturschutzinteressen (im zu Grunde liegenden Fall jene des § 35 Vlbg NSchG) bewirkt würde, sondern nur dann, „wenn es sich dabei um eine Verletzung der Naturschutzinteressen handelt, die so gravierend sind, dass auf Grund einer bloßen Grobprüfung noch nicht gesagt werden kann, dass die in der Trassenverordnung dokumentierten Bundesinteressen überwiegen.“
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§ 27 Abs 1 u 2 Tir NSchG. § 24 Abs 3 Krnt NSchG in Bezug auf Eingriffe in Naturschutzgebiete und § 9 Abs 7 iVm § 25 Abs 2 in Bezug auf Landschaftsschutzgebiete bzw den Freilandschutz. Vgl § 3a Sbg NSchG - vgl dazu VwGH 24.2. 2006, 2005/04/0044; § 6 Abs 7 Stmk NSchG; 29 Abs 4 Tir NSchG; § 35 Abs 2 Vlbg NSchG, § 18 Abs 6 bzw 24 Abs 7 Wr NSchG. Vgl zB VwGH, 24.2. 2006, 2005/04/0044 (zum Sbg NSchG), RdU- Sonderbeilage Umwelt &Technik 2006, 10 mit Anm Randl; VwGH 17. 3. 1997, 92/10/0398 (zum OÖ NSchG). Dolp (FN 104) 9f. VwGH 29. 5. 2000, 98/10/0343, mit zahlreichen Hinweisen auf Vorjudikatur. VwGH 24. 9. 1999, 98/10/0347 bzw 29. 5. 2000, 2000/10/0021 (jeweils zur „Halbanschlussstelle Wolfurt-Lauterach“ L 41 im Zuge der Rheintalautobahn A 14). Kritisch dazu Bußjäger (FN 16), 90f.
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5. Ersatzleistungen, Ausgleichsmaßnahmen Insbesondere für den Fall, dass eine Bewilligung nach Maßgabe einer Interessenabwägung erteilt wird, sehen die Gesetze verschiedentlich ausdrücklich die Vorschreibung von Ausgleichsmaßnahmen oder die Bereitstellung von Ersatzlebensräumen vor118. Zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschreibungen des naturschutzbehördlichen Bewilligungsbescheids ist mitunter die Vorschreibung einer ökologischen Bauaufsicht vorgesehen119. Das Sbg NSchG (§ 51) sieht die Möglichkeit vor, anstelle der Untersagung eines Vorhabens die Bewilligung unter Vorschreibung von Ausgleichsmaßnahmen zu erteilen. Voraussetzung dafür ist ua, dass die Ausgleichmaßnahmen insgesamt eine wesentliche Verbesserung des Landschaftsbildes bewirken, die die nachteiligen Auswirkungen der beabsichtigten Maßnahmen erheblich überwiegt. Solche Ausgleichsmaßnahmen „vermehren“ jedoch nicht die für ein Projekt sprechenden öffentlichen Interessen120.
C. Europaschutzgebiete 1. Auswahl und Festlegung der Schutzgebiete a) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben Die Vogelschutzrichtlinie fordert von den Mitgliedstaaten die Ausweisung von Schutzgebieten für die in Anh I der VogelschutzRL genannten besonders bedrohten Vogelarten sowie für die nicht in Anh I genannten Zugvogelarten. Auszuweisen sind in Bezug auf Anh I „die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete“; im Hinblick auf die Zugvogelarten ist dem Schutz der Feuchtgebiete besondere Bedeutung zuzumessen121. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH122 haben sich die Mitgliedstaaten bei der Gebietsauswahl ausschließlich an den ornithologischen Kriterien der Richtlinie zu orientieren, andere, insbesondere wirtschaftliche Interessen haben grundsätzlich außer Betracht zu bleiben123. Große praktische Bedeutung als wissenschaftliches Beweismittel bei der Gebietsauswahl kommt den, von sachverständigen Verbänden erstellten sog Important-Bird-Area-Inventaren (IBA-Inventare) zu124. 118 119 120 121 122
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Vgl zB § 9 Abs 8 Krnt NSchG; mit weitergehender Konkretisierung § 3a Abs 4 Sbg NSchG; § 37 Abs 3 Vlbg NSchG Vgl § 50 Abs 3 Sbg NSchG; § 20 Abs 4 Wr NSchG. So ausdrücklich VwSlg 14.346 A/1995 (zum Sbg NSchG). Ausführlich zu den Maßstäben für die Bestimmung zwingend auszuweisender Gebiete: Maaß, Die Identifizierung faktischer Vogelschutzgebiete, NuR 2000, 121. EuGH, Rs C-355/90, Kommission/Spanien („Santona“), Slg 1993, I-4221, Rz 26; EuGH, Rs C-44/95, Lappel Bank, Slg 1996, I-3805, Rz 25f, 31 u 41; EuGH, Rs C3/96, Kommission/Niederlande, Slg 1998, I-3031; EuGH, 23. 3. 2006, Rs C-209/04, Kommission/Österreich. Lediglich überragend wichtige Allgemeininteresse, zu denen insbesondere der Schutz des Lebens und der Gesundheit zählen, sollen ausnahmsweise ein Absehen von der Unterschutzstellung rechtfertigen: Gellermann, in: Handbuch, Rz 17 unter Bezugnahme auf EuGH, Rs C-57/87, Kommission/Deutschland (Leybucht), Slg 1991, I-883. Auch der EuGH (Kommission/Niederlande [FN 122] Rz 70; EuGH, 7. 12. 2000, Rs C-374/98, Basses Corbieres [Rz 25]) misst den IBA-Inventaren hohe fachliche Re-
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Anders als nach der Vogelschutzrichtlinien geht der nationalen Ausweisung der Schutzgebiete nach der FFH-Richtlinie ein mehrstufiges Auswahlverfahren unter Beteiligung der Kommission voran: Auf die nationale Vorauswahl der Gebiete anhand ökologischer Kriterien (Phase 1)125, folgt die Erstellung einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung durch die Kommission im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten (Phase 2). Gebiete, die besonders schutzwürdige Habitate und Arten enthalten - sogenannte prioritäre Arten und Gebiete - werden dabei grundsätzlich jedenfalls in die Gemeinschaftsliste übernommen126. Ab der Aufnahme in die Gemeinschaftsliste, die als Entscheidung der Kommission erlassen wird, dürfen potentiell schutzgebietsbeeinträchtigende Vorhaben nur nach Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung zugelassen werden127. Im Anschluss an die Entscheidung der Kommission werden die Mitgliedstaaten die betroffenen Gebiete ihres Hoheitsgebietes „so schnell wie möglich“ spätestens jedoch bis Juni 2004 als Schutzgebiete ausweisen (Phase 3)128. Die Aufhebung des Schutzstatus eines FFH-Gebietes kann bei günstigem Erhaltungszustand der geschützten Arten und Lebensräume von der Kommission im Zusammenwirken mit dem Habitatausschuss erwogen werden129.
b) Ausweisungsvorschriften in den Naturschutzgesetzen Im Hinblick auf die Gemeinschaftsvorgaben wurde in den Ländern die spezielle Schutzgebietsbezeichnung „Europaschutzgebiet“ eingeführt130, lediglich in Tirol131 wird die Bezeichnung „Natura- 2000- Gebiete“ verwendet. Zu Europaschutzgebieten können dabei regelmäßig auch bereits bestehende Natur- und Landschaftsschutzgebiete sowie geschützte Landschaftsteile erklärt werden. Hinsichtlich der, nicht in Anh I der VogelschutzRL genannten Zugvogelarten fehlt es in den Gesetzen vielfach an eindeutigen Regelungen betreffend die Schutzgebietsausweisung132.
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levanz zu; weist aber zugleich darauf hin, dass diesen Dokumentationen durch andere wissenschaftliche Studien entgegengetreten werden kann. Zum Stand der Auswahl in Österreich vgl oben I.C.2. Der VfGH (VfSlg 15.977/2000) hat einen Individualantrag auf Aufhebung eines Beschusses der Steiermärkischen LReg über die Nominierung von Natura 2000-Gebieten mangels aktueller Betroffenheit der Antragsteller zurückgewiesen. Vgl aber Art 4 Abs 2 FFH-RL über die „flexible Anwendung“ der fachlichen Kriterien. Art 4 Abs 5 FFH-RL. Zum aktuellen Stand des Netzwerks vgl oben I. C. 2. Art 4 Abs 4 FFH-RL. Art 9 FFH-RL. Von diesem Verfahren ist die ausnahmsweise zulässige Beeinträchtigung eines Schutzgebiets durch ein einzelnes Vorhaben wegen überwiegender öffentlicher Interessen zu unterscheiden. § 22b Bgld NSchG; § 24a Krnt NSchG; § 9 NÖ NSchG; § 24 OÖ NSchG; § 22a Sbg NSchG; § 13a Stmk NSchG; § 26 Abs 4 Vlbg NSchG; § 22 Wr NSchG. § 14 Tir NSchG. Vgl zB die Ausnahme vom Schutzzweck von Europaschutzgebieten in § 13 Abs 3 Z 5 Stmk NSchG, bzw die Umschreibung der Schutzkategorie Europaschutzgebiet in § 26 Abs 4 Vlbg NSchG (vgl jedoch die Ausweisungsverpflichtung gem § 26 Abs 2 Vlbg NSchG). Näher dazu Christl, Umsetzung der Vogelschutz- und Fauna-FloraHabitat-Richtlinie im österreichischen Naturschutz-, Jagd- und Fischereirecht, in: Drumel (Hrsg), Der Natur ihr Recht, WWF-Studie 39, 1999, 65ff.
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2. Verträglichkeitsprüfung a) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben Pläne und Projekte, die potentiell geeignet sind, ein Vogelschutz- bzw FFHGebiet allein oder im Zusammenwirken mit anderen Vorhaben erheblich zu beeinträchtigen und die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Schutzgebietes in Verbindung stehen, dürfen erst nach Maßgabe einer Verträglichkeitsprüfung zugelassen werden133. Gegenstand der Prüfung, bei der die Öffentlichkeit „gegebenenfalls“ anzuhören ist134, ist die Verträglichkeit des Vorhabens mit den für das Schutzgebiet festgelegten Erhaltungszielen135. Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung nach der FFH-Richtlinie sind demnach anders als bei der UVP nach der UVP-Richtlinie - nicht sämtliche Umweltauswirkungen, sondern allein die Auswirkungen im Hinblick auf die speziellen Erhaltungsziele für das Schutzgebiet136. Dies schließt es jedoch keineswegs aus, die Ermittlungen für die FFH-Verträglichkeitsprüfung in die UVP zu integrieren, wenn das Vorhaben auch UVPpflichtig ist137.
Die zuständige Behörde hat das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung bei der Genehmigung zu berücksichtigen und - vorbehaltlich der in Art 6 Abs 4 FFH geregelten Interessenabwägung138 - die Genehmigung zu versagen, wenn „das Gebiet als solches beeinträchtigt wird“139. 133
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Art 6 Abs 3 u 4 iVm Art 7 FFH-RL. Vgl dazu den Leitfaden der Euopäischen Kommisson/GD Umwelt (Hrsg) Prüfung der Verträglichkeit von Plänen und Projekten mit erheblichen Auwirkungen auf Natura-2000-Gebiete (2001). Der Umfang der Öffentlichkeitsbeteiligung ist durch das Gemeinschaftsrecht nicht näher determiniert. Unzulässig wird es jedoch sein, wenn ein Mitgliedstaat die Anhörung der Öffentlichkeit generell ausschließt. Wie Gellermann, in: Handbuch, Rz 27 hervorhebt, könnten diese Erhaltungsziele auch in der Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der geschützten Lebensräume und Arten bestehen, sodass insoweit eine Prüfung bloß im Hinblick auf Beeinträchtigungen des aktuellen Schutzgebietszustands zu kurz griffe. Auch die Prüfung nach der FFH-RL ist jedoch keine „einmediale“ Prüfung, vielmehr können auch mehrere Umweltmedien betroffen sein und sind auch Beeinträchtigungen des Schutzgebiets relevant, die durch mittelbare Einwirkungen oder auf Grund von Wechselwirkungen entstehen. Vgl auch Anh III 2 lit e UVP-RL, der Natura 2000-Gebiete als Indiz für die ökologische Empfindlichkeit eines Projektstandorts und damit als Auswahlkriterium für die UVP-Pflicht bei Projekten des Anh II UVP-RL nennt. Auch Vorhaben, die ein Gebiet „als solches“ beeinträchtigen dürfen ausnahmsweise nach Maßgabe der in Art 6 Abs 4 FFH-RL geregelten Interessenabwägung zugelassen werden. Dafür spricht neben dem Verweis auf diese Ausnahmeregelung in Art 6 Abs 3 FFH-RL auch die in den Erwägungsgründen und in Art 2 Abs 3 FFH-RL angesprochene Bedachtnahme auf andere, als ökologische Interessen. Das Gewicht der Gebietsbeeinträchtigung ist freilich in die Interessenabwägung einzustellen. AM Mauerhofer, Das Schutzgebietssystem „Natura 2000“ nach den Richtlinien 79/409/EWG („Vogelschutzrichtlinie“) und 92/43/EWG („Fauna-Flora-HabitatRichtlinie“), RdU 1999, 83 (89) sowie Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-HabitatRichtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, 1998, 122ff. Vgl dazu näher Madner, 43f. Die Auslegung des sog „Verträglichkeitsgrundsatz“ (Freytag/Iven, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für den nationalen Habitatschutz, NuR 1995, 109 [114]) ist in der Literatur umstritten. Mit Blick auf die Schutzziele der Richtlinie und die Voraussetzung der Prüfpflicht (erhebliche Beeinträchtigungen des Gebiets) sind darun-
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Fällt die Verträglichkeitsprüfung negativ aus, darf das Vorhaben gem Art 6 Abs 4 FFH-RL nur nach einer Interessenabwägung aus „zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher wirtschaftlicher oder sozialer Art“ zugelassen werden, wenn eine Alternativlösung nicht vorhanden ist140 und wenn alle für die „globale Kohärenz“ von Natura 2000 notwendigen Ausgleichsmaßnahmen getroffen werden. In Gebieten, die prioritäre Lebensräume und Arten beherbergen141, ist der Maßstab der Interessenabwägung verschärft: das negative Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung kann hier zunächst grundsätzlich nur durch Gesundheitsinteressen, Interessen der öffentlichen Sicherheit oder auf Grund maßgeblicher ökologischer Kompensationswirkungen überspielt werden; andere zwingende öffentliche Interessen dürfen erst nach Einholung einer Stellungnahme der Kommission in die Interessenabwägung einbezogen werden142. b) Die Verträglichkeitsprüfung in den Naturschutzgesetzen Spezifische Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinienvorgaben über die Verträglichkeitsprüfung für schutzgebietsbeeinträchtigende Projekte enthalten mittlerweile alle Naturschutzgesetze der Länder143. Das Vorarlberger NaturschutzG144 behält die Vorschreibung von spezifischen Bewilligungsvoraussetzungen für Europaschutzgebiete der Schutzgebietsverordnung vor. In keinem Land wurden spezielle Regelungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung an der Verträglichkeitsprüfung getroffen, eine solche findet daher nur statt, wenn für das
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ter erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigungen der Schutzgebietsfunktion, insbesondere auch, aber nicht nur durch Flächenverbrauch zu subsumieren. Die Erheblichkeit der Beeinträchtigung wird nicht zuletzt von der Bedeutung des betroffenen Gebietsteils für das Schutzgebiet bestimmt. Im Ergebnis dürfte sich dies mit der von Gellermann, in: Handbuch, Rz 29 FN 83 vertretenen Auffassung decken. Vgl dazu auch Madner, 43 FN 148 mwN. Vgl auch den Auslegungsleitfaden der Europäischen Kommission, 43f. Vgl dazu näher B. Erbguth, Naturschutz und Europarecht: Wie weit reicht die Pflicht zur Alternativenprüfung gem Art 6 Abs 4 der Habitatrichtlinie?, DVBl 1999, 588. Ramsauer, Die Ausnahmeregelungen des Art 6 Abs 4 der FFH-Richtlinie, NuR 2000, 601 (606f). Wird das prioritäre Vorkommen nicht potentiell beeinträchtigt oder blieb es bei der Gebietsauswahl als unerheblich, rechtfertigt dies wohl nicht die Anwendung des Art 6 Abs 4 UAbs 2. Vgl in diesem Sinn die Europäische Kommission, Auslegungsleitfaden, 52f. Art 6 Abs 4 UAbs 2 FFH-RL. Die Kommission (Stellungnahme zur deutschen A 20, 9.1.1996, Abl L 6, 14) hat dabei auch wirtschaftliche Interessen als zwingende Gründe anerkannt. Vgl demgegenüber Gellermann, in: Handbuch, Rz 33; Ramsauer (FN 140) 609. § 22d Bgld NSchG; § 24b Krnt NSchG; § 10 NÖ NSchG; § 24 OÖ NSchG; § 22a Sbg NSchG; § 13b Stmk NSchG; § 14 Tir NSchG; § 22 Wr NSchG. Vgl dazu Ennöckl, Natura 2000 (2001); Zanini/Reithmayer (Hrsg) Natura 2000 (2004) sowie speziell zum Sbg NSchG, Pürgy, Natura 2000. § 35 Abs 5 Vlbg NSchG.
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Vorhaben zugleich eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVP-G erforderlich ist145.
3. Schutzerfordernisse für nicht ausgewiesene Natura 2000-Gebiete? a) Vogelschutzgebiete Der EuGH hat im Santona-Urteil146 klargestellt, dass die Schutzverpflichtungen des Art 4 Abs 4 Satz 1 der VogelschutzRL von den Mitgliedstaaten auch für jene Gebiete zu erfüllen sind, die pflichtwidrig nicht als besonderes Vogelschutzgebiet ausgewiesen wurden. Der EuGH147 hat weiters klargestellt, dass die Mitgliedstaaten für solche „faktischen Vogelschutzgebiete“148 auch nach dem Wirksamwerden der FFH-RL weiterhin die strengeren Verpflichtungen des Art 4 Abs 4 Satz 1 VogelschutzRL zu erfüllen haben und nicht das Schutzregime der FFH-RL (einschließlich der FFH-Verträglichkeitsprüfung) zum Tragen kommt, welches schutzgebietsbeeinträchtigende Eingriffe, auch aus überwiegenden wirtschaftlichen Gründen zulässt149. Als Gründe, die eine, auf das allernotwendigste beschränkte Beeinträchtigung eines besonderen Vogelschutzgebietes rechtfertigen können, kommen nach dem Leybucht-Urteil des EuGH150 insbesondere der Schutz der menschlichen Gesundheit, die öffentliche Sicherheit und ökologische Erwägungen in Betracht. b) FFH-Gebiete Sobald die Kommission die Liste der Gemeinschaftsgebiete (Art 4 Abs 2 FFHRL) als Entscheidung erlässt, sind die davon erfassten FFH-Gebiete von dem Mitgliedstaaten dem Schutzregime des Art 6 Abs 2 bis 4 FFH-RL zu unterwerfen151. Die Erstellung dieser Gemeinschaftsliste, die bis zum Juni 1998 erfolgen 145
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Zu den vagen Gemeinschaftsvorgaben in diesem Punkt vgl oben. Näher zur Öffentlichkeitsbeteiligung im UVP-Verfahren im Beitrag zur Umweltverträglichkeitsprüfung in diesem Band. EuGH, Kommission/Spanien („Santona“) (FN 122), Rz 22. Bestätigend EuGH, Rs C-166/97, Kommission/Frankreich (Seine), Slg 1999, I-1719, Rz 38f. EuGH, Basses Corbieres (FN 124). Zur Indentifizierung dieser Gebiete vgl Maaß oben FN (121 ). Vgl auch US, 19.6.2001, 2/2000/12-66, Zwentendorf. Gem Art 7 FFH-RL werden die Schutzverpflichtungen des Art 4 Abs 4 Satz 1 VogelschutzRL (nicht aber die Vorschriften über die Schutzgebietsausweisung gem Art 4 Abs 1 VogelschutzRL) mit Ende der Umsetzungsfrist für die FFH-RL von den Verpflichtungen des Art 6 Abs 2 bis 4 FFH-RL abgelöst. Für „faktische Vogelschutzgebiete“ war dieser Wechsel des Schutzregimes bislang umstritten. Dagegen ua Gellermann, in: Handbuch, Rz 39. Dafür hatte sich ua die Kommission ausgesprochen. Der EuGH (Basses Corbieres [FN 124, Rz 56] begründet sein Auslegungsergebnis insbesondere auch mit dem Anreiz zur Schutzgebietsausweisung, der mit der Weitergeltung des strengen Regimes der VogelschutzRL einhergeht. EuGH, Kommission/Deutschland (Leybucht) (FN 123), Rz 21ff im Zusammenhang mit der Verkleinerung eines Vogelschutzgebietes. Vgl auch Gellermann, Natura 20002, 117ff. Dies ordnet Art 4 Abs 5 FFH-RL ausdrücklich an. Die Mitgliedstaaten haben durch entsprechende Umsetzungsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass dieser Schutz auch dann greift, wenn ein Gebiet innerstaatlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht als besonderes Schutzgebiet ausgewiesen wurde.
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sollte, ist allerdings nicht zuletzt auf Grund verspäteter Gebietsmeldungen durch die Mitgliedstaaten deutlich in Verzug geraten. Vielfach152 und nicht zuletzt seitens der Kommission153 wird daher eine Vorwirkung des Schutzregimes des Art 6 Abs 2-4 FFH-RL (also insbesondere auch der Regelungen über die Verträglichkeitsprüfung) für solche Gebiete postuliert, die auf nationaler Ebene bereits als potentielle FFH-Gebiete ausgewählt wurden bzw hinsichtlich derer eine solche Auswahl nahe liegt. Der EuGH hat eine Verpflichtung, bereits gemeldete Gebiete vor der Erstellung der Gemeinschaftsliste dem Schutzregime des Art 6 Abs 2-4 FFH-RL zu unterstellen, abgelehnt. Für diesen Standpunkt kann insgesamt, und insbesondere im Hinblick auf nicht Gebiete ohne prioritäre Gebietsbestandteile, das spezielle Auswahlverfahren der FFHRichtlinie ins Treffen geführt werden154. Die Mitgliedstaaten sind jedoch auch 152
So in Bezug auf gemeldete Gebiete mit prioritären Bestandteilen bzw sonstige besonders bedeutsame gemeldete Gebiete: Gellermann, Natura 20002, 123f; vgl auch Erbguth, Ausgewiesene und potentielle Schutzgebiete nach FFH- bzw. Vogelschutz-Richtlinie: (Rechts-) Wirkungen auf die räumliche Gesamtplanung - am Beispiel der Raumordnung, NuR 2000, 130 (136ff).weitergehend: Apfelbacher/ Adenauer/Iven, Das zweite Gesetz zur Änderung des BNatSchG, NuR 1999 (Teil 2), 63 (72 f) in Bezug auf prioritäre Gebiete bzw für bereits ausgewählte, jedoch noch nicht an die Kommission gemeldete Gebiete; Niederstadt, Die Umsetzung der FloraFauna-Habitatrichtlinie durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, NuR 1998, 515 (522) hinsichtlich nicht benannter Gebiete, die hinreichend eindeutig den Kriterien der Anhänge der FFH-RL entsprechen; Louis, Die Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie durch das Bundesnaturschutzgesetz, DÖV 1999, 374 (376 f) hinsichtlich bereits gemeldeter bzw auf nationaler Ebene ausgewählter Gebiete; Für Erhaltungspflichten zugunsten nicht gemeldeter Gebiete offenbar auch Mauerhofer (FN 138)91. Auch das deutsche Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, 19. 5. 1998 - 4 A 9/97 [ Schleswig], NVwZ 1998, 961) hat sich bei der Prüfung der Trassenführung für die A 20 - Ostseeautobahn für eine Vorwirkung des Art 6 FFH-RL für nicht gemeldete potentielle FFH-Gebiete ausgesprochen. 153 Die Kommission (Auslegungsleitfaden, 14) hält eine Vorwirkung des Art 6 FFH-RL unter Berufung auf die Treupflicht der Mitgliedstaaten gem Art 10 (ex Art 5) EG-V sowie auf das Santona-Urteil des EuGH durchaus für denkbar und empfiehlt den Mitgliedstaaten jedenfalls Verschlechterungen von Gebieten auf der nationalen Auswahlliste zu vermeiden, weiters Maßnahmen zum Erhalt von Gebieten zu treffen, die nach den in Anh III FFH-RL genannten Kriterien als Schutzgebiete vorgeschlagen werden sollten und beeinträchtigende Projekte einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen. 154 Insb die Beteiligung der Kommission an der Gebietsauswahl, das an ein Einvernehmenserfordernis gebundene Konzertierungsverfahren in Streitfällen (Art 5 FFH-RL) und die Möglichkeit, die Auswahlkritieren für Gebiete mit prioritären Arten und Lebensräumen „flexibel“ anzuwenden und solche Gebiete aus dem Natura 2000Netzwerk auszuklammern sprechen gegen die Vorverlagerung der Verpflichtungen aus Art 6 FFH-RL. Skeptisch bis ablehnend zur Annahme „potentieller“ FFH-Gebiete vgl auch Stüber, Gibt es „potentielle Schutzgebiete“ i. S. d. FFH-Richtlinie?, NuR 1998, 531 (532 f); Müller-Terpitz, Aus eins mach zwei - Zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes, NVwZ 1999, 26 (29); implizit wohl auch Gassner, Aktuelle Fragen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, NuR 1999, 79 (82). Thorsten Koch, Regulierung des Zielkonflikts zwischen Naturschutz und anderen Interessen, NuR 2000, 374 (376f). Differenziert: Gellermann (FN 152) 121ff. Der VwGH (VwSlg 14.349A/1995) hat unter Verweis auf das einvernehmliche Ausweisungsverfahren eine Verpflichtung zur Anwendung des Art 6 auf nicht ausgewiesene Gebiete abgelehnt, die Differen-
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vor der Erstellung der Gemeinschaftsliste gehalten, die Ziele der FFHRichtlinie zu beachten und die Errichtung und Kohärenz des Natura-2000 Netzwerkes nicht praktisch zu vereiteln. Der EuGH155 fordert, zugunsten von bereits gemeldeten Schutzgebieten und hier insbesondere für Gebiete mit prioritären Bestandteilen „Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die im Hinblick auf das mit der Richtlinie verfolgte Erhaltungsziel geeignet sind, die erhebliche ökologische Bedeutung die diesen Gebieten auf nationaler Ebene zukommt, zu wahren. Im Ergebnis bedeutet dies ein Verschlechterungsverbot für bereits gemeldete Gebiete, das auch Beeinträchtigungen aus überwiegenden wirtschaftlichen Erwägungen iSv Art 6 Abs 4 FFH-RL ausschließt156. Eine ausdrückliche Regelung für Gebiete, die bereits an die Kommission gemeldet, innerstaatlich jedoch noch nicht als Europaschutzgebiet ausgewiesen wurden, trifft § 37 Abs 6 NÖ NSchG, das den Umweltanwalt diesfalls ermächtigt, die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung nach § 9 NÖ NSchG zu beantragen.
4. Unmittelbare Wirkung des Natura 2000-Schutzregimes Das „Santona-Urteil“ des EuGH hat die Verpflichtung zum Schutz „faktischer Vogelschutzgebiete“ eindeutig klargelegt. Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage, ob die Schutzbestimmungen des Art 4 Abs 4 Vogelschutzrichtlinie bzw die Regelungen über die FFH-Verträglichkeitsprüfung (Art 6 Abs 3 u 4 FFHRL) bei der Zulassung von Vorhaben jeweils im Genehmigungsverfahren unmittelbar anzuwenden sind, wenn die einschlägigen Richtlinienvorgaben nicht bzw mangelhaft umgesetzt sind und eine richtlinienkonforme Interpretation nicht möglich ist. Gegebenenfalls betrifft dies zum einen Vorhaben in „faktischen Vogelschutzgebieten“ (in Bezug auf Art 4 Abs 4 VogelschutzRL); zum anderen (jeweils in Bezug auf die „FFH-Verträglichkeitsprüfung“ gem Art 6 Abs 3 u 4 FFH-RL) Vorhaben in ausgewiesenen Vogelschutzgebieten und jedenfalls nach Erstellung der Gemeinschaftsliste - Vorhaben in FFH-Gebieten. Dies wird auf Grund der hinreichenden Bestimmtheit und Unbedingtheit der Vorschriften jedenfalls für Projekte der öffentlichen Hand zu bejahen sein157; das Wattenmeer-Urteil des EuGH158 und die vergleichbare Rechtsprechung zur UVP-Richtlinie159 legt aber auch für Vorhaben Privater eine unmittelbare Anwendung nahe160.
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zierung zwischen Vogelschutz- und FFH-Gebieten dabei jedoch nicht klar zum Ausdruck gebracht. EuGH, 13. 1. 2005, Rs C-117/03, Draggagi. Vgl zur Frage des Schutzniveaus für potenzielle Schutzgebiete ausführlich Gellermann, Habitatschutz in der Perspektive des Europäischen Gerichtshofs, NuR 2005, 433 (434ff). So auch Gellermann, NuR 1996, 557.Vgl Madner, 58f insb FN 226. EuGH, 7.9. 2004, Rs C-127/02. Vgl insb EuGH Rs C-431/92, Großkrotzenburg, Slg 1995, I-2211; Rs C-72/95, Kraaijeveld, Slg 1996, I-5403; Rs C-435/97, Flughafen Bozen, Slg 1999, I-5613. Näher zu dieser Rechtsprechung im Beitrag zur Umweltverträglichkeitsprüfung in diesem Band. Soweit nicht Projekte der öffentlichen Hand betroffen sind, ist es das sog Belastungsverbot (keine unmittelbare Begründung von Verpflichtungen für Einzelne durch Richtlinien), dass in diesem Zusammenhang zur Diskussion steht. Die Judikatur des EuGH zur UVP-RL zeigt, dass der EuGH gegen die unmittelbare Verpflich-
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D. Parteistellung, Behördenzuständigkeit Ist der Antragsteller nicht zugleich Grundeigentümer, sehen die Naturschutzgesetze eine schriftliche Zustimmungserklärung des Grundeigentümers zur geplanten Maßnahme vor161. Der VwGH162 hat in Zusammenhang mit derartigen Vorschriften mehrfach ausgesprochen, dass es sich dabei um Bestimmungen im Dienst der Verwaltungsökonomie handelt, die nicht dem Schutz von Eigentümerrechten dienen und dem Grundeigentümer, der nicht zugleich Antragsteller ist, kein Recht auf Erteilung oder Versagung der Genehmigung und insoweit keine Parteistellung einräumen. Nachbarn wird neben dem Antragsteller in naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren keine Parteistellung eingeräumt. In die Genehmigungsverfahren sind jedoch Gemeinden163, und Umweltanwälte164 eingebunden, für die vielfach Parteistellung vorgesehen ist.
Der VwGH165 vertritt in seiner ständigen Rechtsprechung zu naturschutzrechtlichen Vorschriften, mit denen Gemeinden eine nicht näher spezifizierte Parteistellung bzw eine Parteistellung zum Schutz öffentlicher Interessen verliehen wird166, die Auffassung, dass der Gemeinde damit bloß die Stellung einer Legal- oder Formalpartei eingeräumt wird, die jedoch keine subjektiven Rechte hinsichtlich der Entscheidung in der Sache selbst besitzt167.
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tung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung jedenfalls im Rahmen bestehender Genehmigungsverfahren keine Bedenken hatte. Näher dazu im Beitrag zur Umweltverträglichkeitsprüfung in diesem Band sowie Madner, 58ff. Für eine unmittelbare Wirkung des FFH-Schutzregimes (wegen der bloß mittelbaren Belastung Privater) Gellermann, NuR 1996, 555ff, derselbe, Natura 20002, 199 ff sowie weiters (jeweils ohne Bezugnahme auf das „Belastungsverbot“) Feik, Die EGVogelschutzrichtlinie 79/409/EWG, RdU 1997, 3 (8) und Mauerhofer (FN 138)91. Vgl zB § 51 Abs 2 Krnt NSchG; § 43 Abs 2 Tir NSchG; § 34 Abs 1 Vlbg NSchG. Vgl zB VwGH 4.9.1995, 95/10/0125. Vgl auch Hattenberger, 99f mwN. Ausdrücklich geregelt ist die Parteistellung von Gemeinden im Burgenland (§ 52 Bgld NSchG), in Kärnten (§ 53 Krnt NSchG), in Niederösterreich (§ 27 NÖ NSchG), in Tirol (§ 43 Abs 4 Tir NSchG) und in Vorarlberg (§ 48 Abs 1 Vlbg NSchG). )In Oberösterreich (§ 41 OÖ NSchG) und Salzburg (§ 47 Abs 4 Sbg NSchG) und in der Steiermark (§ 16 Stmk NschG) sind der Gemeinde Anhörungsrechte eingeräumt. In Kärnten kommen in bestimmten Bewilligungsverfahren dem Naturschutzbeirat Mitwirkungsrechte zu (§ 54 Krnt NSchG). Näher dazu Hattenberger, 100ff. In den übrigen Ländern ist die Mitwirkung in Bewilligungsverfahren einem Umweltanwalt (in Vorarlberg: Naturschutzanwalt) zugewiesen: § 3 iVM Anhang C Bgld L-VAG, LGBl 2002/78. § 27 NÖ NSchG; § 5 Abs 1 OÖ UmweltschutzG, LGBl 1996/84 idF 2000/1); § 55 Sbg NSchG; § 6 Abs 2 Stmk UmweltschutzG LGBl 1988/78 idF 1999/15; § 34 Tir NSchG; § 50 Vlbg NSchG; § 6 Wr UmweltschutzG LGBl 1993/25 idF LGBl 1998/45. VwGH 23. 10. 1995, 95/10/0081 mit Hinweisen auf Vorjudikatur. Vgl zB § 52 Bgld NSchG. Die der Gemeinde mit § 41 Abs 4 Tir NaturschutzG (nunmehr § 43 Abs 3) eingeräumte, näher spezifizierte Parteistellung wurde demgegenüber vom VwGH (3. 9. 1998, 97/10/0145) als Parteistellung zur Durchsetzung subjektiver Rechte hinsichtlich der von der Gemeinde wahrzunehmenden Interessen in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs qualifiziert. Eine ähnliche Bestimmung wie das Tir NSchG enthält § 27 NÖ NSchG. § 48 Abs 1 Vlbg NSchG räumt der Gemeinde einen Rechtsanspruch auf die Wahrung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftsentwicklung bei Entscheidung in naturschutzrechtlichen Verfahren ein.
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Auch hinsichtlich der Parteienbefugnisse der Umweltanwälte vertritt der VwGH168 die Ansicht, dass die dem Umweltanwalt übertragene Befugnis zur „Wahrung der Interessen des Umweltschutzes“ dem Umweltanwalt keine subjektiv öffentliche Rechte verleihe, sondern dieser als Organpartei vor dem VwGH lediglich die Einhaltung seiner prozessualen Befugnisse geltend machen könne169. Sofern ein genehmigungspflichtiges Vorhaben zugleich UVP-pflichtig ist, können Umweltanwälte und Gemeinden auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung die Einhaltung naturschutzrechtlicher Vorschriften jedenfalls als subjektive Recht geltend machen und Beschwerde an den VwGH erheben.Eine Regelung im OÖ NSchG, mit der dem Sachverständigen in Naturschutzverfahren zugleich die Position einer Amtspartei mit Berufungsrecht eingeräumt wurde, hat der VfGH als unsachlich erkannt170.
Die Zuständigkeit zur Erteilung naturschutzbehördlicher Bewilligungen obliegt in der Regel in erster Instanz der Bezirksverwaltungsbehörde, in zweiter Instanz der Landesregierung. Für Verfahren in Naturschutzgebieten, in Europaschutzgebieten oder zur Koordination von naturschutzbehördlichen Bewilligungsverfahren mit sonst erforderlichen Genehmigungsverfahren, sehen die Naturschutzgesetze oder sonstige Landesgesetze jedoch verschiedentlich die Zuständigkeit der LReg in erster Instanz vor171.
E. Strafbestimmungen und naturschutzpolizeiliche Maßnahmen Die Errichtung von bewilligungspflichtigen Anlagen ohne die erforderliche Bewilligung bzw das Unterlassen der erforderlichen Anzeige anzeigepflichtiger Maßnahmen ist in allen Naturschutzgesetzen als Verwaltungsübertretung strafbar. Besondere Bedeutung bei der Durchführung bewilligungspflichtiger Maßnahmen ohne Bewilligung kommt den ordnungspolizeilichen Maßnahmen „Arbeitseinstellung“ und „Wiederherstellungsauftrag“ zu172. Die naturschutzgesetzlichen Ermächtigungen zu Wiederherstellungsaufträgen stellen zumeist nicht auf die Frage der Bewilligungsfähigkeit eines Vorhabens ab; ein nachträglich anhängig gemachtes Bewilligungsverfahren steht einem Wiederherstellungsauftrag insofern nicht entgegen173, dieser wird jedoch durch eine nachträgliche Bewilligung des ursprünglich ordnungswidrigen Zu168 169 170
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VwGH 22. 3. 1993, 93/10/0033 zum steiermärkischen Umweltanwalt. Kritisch dazu Schäfer, Umweltanwaltschaft und Umweltkontrolle, UBA Reports, 1993; Bußjäger, 117. VfSlg16.029/2000 zu § 15 OÖ NSchG, worin der VfGH die Stellung einer Amtspartei für nicht vereinbar mit der Stellung eines objektiven Sachverständigen qualifiziert. Vgl die Regelung in § 54 Abs 3 Sbg NSchG. Vgl zB § 47 Abs 1 Z 4 Sbg NSchG; § 6 Abs 4 lit a Stmk NSchG; § 42 Abs 2 Tir NSchG. §§ 54 u 55 Bgld NSchG; §§ 56 u 57 Krnt NSchG; § 35 NÖ NSchG; § 46 Sbg NSchG; § 34 Stmk NSchG; § 17 Tir NSchG; §§ 40 u 41 Vlbg NSchG; § 37 Wr NSchG. Ausführlich dazu am Beispiel des Krnt NSchG, Hauer, Polizeimaßnahmen im Kärntner Naturschutzrecht, in: Potacs (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Naturschutzrecht, 1999, 123 (128ff). VwGH 9. 1. 2000, 2000/10/0147 (zum OÖ NSchG); VwGH 24. 10. 1994, 94/10/0098 (zum Sbg NSchG); VwSlg 10.803/1982; Liehr/Stöberl, Einführung, 61; Hauer (FN 172), 138f mwN.
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stands beseitigt, ein gegebenenfalls bereits eingeleitetes Vollstreckungsverfahren ist einzustellen174.
F. Naturschutzabgabe Für die Gewinnung von Bodenschätzen175 bzw für bestimmte sonstige naturschutzrechtlich bewilligungspflichtige Vorhaben (zB für die Errichtung von Seilbahnen, Schleppliften, Beschneiungsanlagen)176, heben einzelne Länder eine Naturschutzabgabe als ausschließliche Landesabgabe (§ 8 F-VG) ein, die der Förderung von Naturschutzanliegen dient.
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VwSlg 10.803/1982; Liehr/Stöberl, Einführung, 61; Hauer (FN 172), 138f mwN. Vgl §§ 75a und 75b Bgld NSchG; § 59 Sbg NSchG; § 12-14 Vlbg NSchG. § 18 Tir NSchG.
Doris Hattenberger
Anlagenrelevante Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes Rechtsgrundlagen ...........................................................................................976 Grundlegende Literatur...................................................................................977 I. Grundlagen ................................................................................................978 A. Allgemeines............................................................................................978 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................979 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................983 II. Anlagenrecht und WRG - Instrumentarium.........................................989 III. Begriffsbestimmungen ...........................................................................990 A. Wasser - Gewässer ................................................................................990 B. Öffentliche - private Gewässer ..............................................................991 C. Grundwasser - Tagwässer.....................................................................991 D. Anlagen .................................................................................................991 E. Öffentliche Interessen ............................................................................992 F. Stand der Technik ..................................................................................994 IV. Benutzung der Gewässer .......................................................................994 A. Allgemeines............................................................................................994 B. Bewilligungspflicht ................................................................................995 1. Bewilligungspflicht bei öffentlichen Gewässern...............................996 2. Bewilligungspflicht bei privaten Tagwässern ...................................997 3. Bewilligungspflicht beim Grundwasser ............................................998 4. Weitere Ausnahmen von der Bewilligungspflicht: ...........................998 C. Bewilligungskriterien ............................................................................998 D. Befristung, Abänderung der Bewilligung, persönliche und dingliche Bindung ...............................................................................1000 V. Gewässerschutz ......................................................................................1001 A. Vorbemerkung .....................................................................................1001 B. Allgemeine wasserrechtliche Sorgfaltspflicht (§ 31 WRG)..................1003 C. Bewilligungspflichten ..........................................................................1004 D. Einwirkungsbewilligung nach § 32 WRG ...........................................1004 1. Bewilligungspflicht .........................................................................1005 2. „Exkurs“: Bewilligungspflicht nach § 74 Abs 2 Z 5 GewO ...........1009 3. Bewilligungskriterien ......................................................................1010 E. Vorsorgetatbestände............................................................................1014 1. Einleitung ........................................................................................1014 2. Anlagen zur Lagerung und Leitung wassergefährdender Stoffe.....1015 3. Sonstige Vorsorge gegen Wassergefährdung (§ 31c WRG) ...........1016 F. Sanierung von Altanlagen ...................................................................1017
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G. Sonderbestimmungen für Wasserversorgungsanlagen....................... 1018 VI. Weitere anlagenrelevante Regelungen ............................................... 1018 VII. Instandhaltungspflicht ....................................................................... 1019 X. Verfahren - Einzelaspekte .................................................................... 1020 A. Genehmigungskonkurrenz - Koordination - Konzentration................ 1020 B. Wasserrechtsbehörden - Zuständigkeit ............................................... 1024 C. Parteistellung...................................................................................... 1024 D. Bewilligungsverfahren........................................................................ 1025 E. Anzeigeverfahren................................................................................. 1028 F. Auflagen und Nebenbedingungen ....................................................... 1028 IX. Aufsicht ................................................................................................. 1028 X. Strafen .................................................................................................... 1029 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Primärrecht: insbesondere Art 174f EGV; Sekundärrecht: RL 75/440/EWG über die Qualitätsanforderungen an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten (Abl 1975 L 194/26 idF 1991 L 377/48) - Rohwasser-RL; RL 76/160/EWG über die Qualität der Badegewässer (Abl 1976 L 31/1 idF 2003 L 122/36) - Badegewässer-RL; RL 76/464/EWG betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft (Abl 1976 L 129/23 idF 2000 L 327/1); RL 78/659/EWG über die Qualität von Süßwasser, das schutz- oder verbesserungsbedürftig ist, um das Leben von Fischen zu erhalten (Abl 1978, L 222/1 idF 2003 L 122/36) - Fischgewässer-RL; RL 80/68/EWG über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe (Abl 1980 L 20/43 idF 1991 L 377/48) - Grundwasser-RL; RL 91/676/EWG zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (Abl 1991 L 375/1 idF 2003 L 284/1) - Nitrat-RL; RL 91/271/EWG über die Behandlung von kommunalem Abwasser (Abl 1991 L 135/40 idF 2003 L 284/1) - Kommunalabwasser-RL; RL 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (Abl 1996 L 257/26 idF 2006 L 33/1) - IPPC-RL; RL 98/83/EG über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Abl 1998 L 330/32 idF 2003 L 284/1) - neue Trinkwasserrichtlinie; Richtlinie 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (Abl 2000, L 327/1 idF 2001 L 331/1) - Wasser-Rahmenrichtlinie; Entscheidung Nr 2455/2001/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2001 zur Festlegung der Liste prioritärer Stoffe im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG (Abl 2001, L 331/1); RL 2006/7/EG über die Qualität der Badegewässer und deren Bewirtschaftung und zur Aufhebung der Richtlinie 76/160/EWG1 (Abl 2006, L 64/37). Bundesgesetz: Wasserrechtsgesetz 1959 - WRG 1959 (BGBl 1959/215 (WV) idF BGBl I 2006/123). Verordnungen: zahlreiche Abwasseremissionsverordnungen (AEV): zB Verordnung über die allgemeine Begrenzung von Abwasseremissionen in Fließgewässer und öffentliche Kanalisationen (BGBl 1996/186) - AAEV; Verordnung über die Begrenzung von 1
Diese RL ist mit 24.3.2006 in Kraft getreten und ist bis zum 24.3.2008 umzusetzen. Sie hebt die RL 76/160/EWG gemäß den Anordnungen des Art 17 auf.
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Abwasseremissionen aus Abwasserreinigungsanlagen für Siedlungsgebiete (BGBl 1996/210 idF BGBl II 2000/392) - 1. AEV für kommunales Abwasser; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus Abwasserreinigungsanlagen für Einzelobjekte in Extremlage (BGBl II 2006/249) - 3. Emissionsverordnung für kommunales Abwasser; Verordnung über die Begrenzung von Sickerwasseremissionen aus Abfalldeponien (BGBl II 2003/263 idF BGBl II 2005/103) - AEV Deponiesickerwässer; weiters zahlreiche branchenspezifische Abwasseremissionsverordnungen, zB Verordnung über die Begrenzung der Abwasseremissionen aus der Erzeugung von gebleichtem Zellstoff (BGBl II 2000/219) - AEV Gebleichter Zellstoff; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der Schlachtung und Fleischverarbeitung (BGBl II 1999/12) AEV Fleischwirtschaft; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der Milchbearbeitung und Milchverarbeitung (BGBl II 1999/11) - AEV Milchwirtschaft; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus Gerbereien, Lederfabriken und Pelzzurichtereien (BGBl II 1999/10) - AEV Gerberei; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der Reinigung von Verbrennungsgas (BGBl II 2003/271) - AEV Verbrennungsgas; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der Tierkörperverwertung (BGBl 1995/891) - AEV Tierkörperverwertung; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der Herstellung von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln (BGBl 1996/668) AEV Pflanzenschutzmittel; Verordnung über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der physikalisch-chemischen oder biologischen Abfallbehandlung (BGBl II 1999/9) - AEV Abfallbehandlung; und viele andere mehr. Verordnung betreffend Schwellenwerte für Grundwasserinhaltsstoffe (BGBl 1991/502 idF BGBl II 2002/147) - Grundwasserschwellenwerteverordnung; Verordnung über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe (BGBl II 2000/398) - Grundwasserschutzverordnung; Verordnung betreffend Anlagen zur Lagerung und Leitung wassergefährdender Stoffe (BGBl II 1998/4); Verordnung betreffend Abwassereinleitungen in wasserrechtlich bewilligte Kanalisationen (BGBl II 1998/222 idF BGBl II 2006/523) - Indirekteinleiterverordnung (IEV); Verordnung über bewilligungspflichtige wassergefährdende Stoffe (BGBl 1969/275); Verordnung zur Verbesserung der Wassergüte der Donau und ihrer Zubringer (BGBl 1977/210); Verordnung zur Verbesserung der Wassergüte der Mur und ihrer Zubringer im Land Steiermark (BGBl 1973/423); Verordnung über die Festlegung des Zielzustandes für Oberflächengewässer (BGBl II 2006/96) - Qualitätszielverordnung Chemie Oberflächengewässer - QZV Chemie OG.
Grundlegende Literatur: Akyürek, Wasserrecht, in: N. Raschauer/Wessely (Hrsg), Handbuch Umweltrecht, 2006, 216; Baumgartner, Wasserrecht, in: Bachmann ua (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht6, 2006, 189; F. Ermacora, Wasserrecht, in: Ermacora/Krämer, Die Umsetzung des europäischen Umweltrechts in Österreich, 2000, 81; Grabmayr/Rossmann, Das österreichische Wasserrecht2, 1978; G. Haybäck/M. Haybäck, Allgemeine Sorge für die Reinhaltung der Gewässer - § 31 WRG im Spannungsfeld von öffentlichem und privatem Recht, ÖGZ 1999/2, 4; Hödl, Wasserrahmenrichtlinie und Wasserrecht, 2005; Kaan/Braumüller, Handbuch Wasserrecht, 2000; Kahl, Wasserrechtsgesetz, in: RathKathrein/Weber (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht3, 1999, 137; Kerschner/Weiß, Wasserrechtsgesetz 1959 idF der WRG-Novelle 2003, 2003; Kneihs, Die bewilligungspflichtige Gewässernutzung, ÖZW 1997, 33; Krzizek, Kommentar zum Wasserrechtsgesetz, 1962, Ergänzungsband, 1974; Mayer, Wasserkraftwerke im Verwaltungsverfahren, 1991; Mayer, Baurechtliche Bewilligung für Wasserkraftwerke?, ecolex 1991, 214; Oberleitner, Vereinfachungen und Neuregelungen im Wasserrecht - Die WRG-Novellen 1997, RdU 1997, 159; Oberleitner, WRG - Wasserrechtsgesetz 1959 idF der WRG-
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Novelle 1999 - Kommentar, 2000; Oberleitner, Umsetzung der Wasser-Rahmenrichtlinie in Österreich, RdU 2003, 84; Oberleitner, Das österreichische Wasserrechtsgesetz 1959 - Kommentar, 2004; Oberleitner, Das „öffentliche Interesse“ im Wasserrecht, RdU 2005/2; Öberseder, Handbuch Anlagenrecht, 1996; Pernthaler/Schöpf, Das Wasser in der Kompetenzverteilung, in: Pernthaler (Hrsg), Das Recht des Wassers in nationaler und internationaler Perspektive, 1998, 5; Preiß, Die Genehmigungsvorbehalte zur Gewässerreinhaltung, ZfV 1997, 177; Raschauer, Kommentar zum Wasserrecht, 1993; Rossmann, Das österreichische Wasserrechtsgesetz3, 1993; Rossmann, Die Wasserrahmenrichtlinie der EU, 2003; Schnedl, Rechtliche Rahmenbedingungen der kommerziellen Nutzung österreichischer Quellwasserressourcen - Zur rechtlichen Zulässigkeit des Exports von Trinkwasser, RdU 2001, 3; Vogl, Die neue Richtlinie zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, in: Reichelt (Hrsg), Europäisierung des Wasserrechts, 2002, 55; Vogl, Wasserrecht, in: Norer (Hrsg), Handbuch des Agrarrechts, 2005; Winner, Das Verfahren im Wasserrecht - Eine Darstellung im Licht der Forderung nach Verfahrensvereinfachung im Anlagenrecht, ZfV 1997, 311.
I. Grundlagen A. Allgemeines Im vorliegenden Beitrag werden - dem Titel entsprechend - anlagenrelevante Regelungen des WRG vorgestellt und in einzelnen Punkten näher ausgeführt und problematisiert. Hervorzuheben ist zunächst die Beschränkung auf die Bestimmungen des WRG; landesgesetzliche Regelungen betreffend die Wasserversorgung oder Abwasserbehandlung sind Gegenstand eines eigenen Beitrages. Im Gegensatz etwa zur GewO sind anlagenrelevante Bestimmungen nicht in einem abgegrenzten Teil des Gesetzes konzentriert, sondern gleichsam „weit gestreut“. Diese Streuung ist aus dem Gegenstand des WRG heraus erklärlich. Der Gegenstand des WRG ist das Medium Wasser und die damit zusammenhängenden Teile der Erdoberfläche (Bett, Ufer); dieses wird vom WRG in umfassender Weise erfasst. Den „Kern“ des Gesetzes bilden drei Themen, nämlich die Bestimmungen über die Benutzung der Gewässer (Nutzwasserwirtschaft)2, über die Reinhaltung der Gewässer (Gewässergütewirtschaft)3 und Regelungen betreffend den Schutz vor den vom Wasser ausgehenden Gefahren (Schutzwasserwirtschaft)4.5 In diesen Abschnitten konzentrieren sich auch jene Bestimmungen, die für Anlagen von Relevanz sind, wenngleich ihre Bedeutung darüber hinaus reicht.6 Davon abgesehen enthält das Gesetz für
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Der II. Abschnitt (§§ 5 - 29 WRG) handelt „Von der Benutzung der Gewässer“. Auch wenn der III. Abschnitt des WRG (§§ 30 - 37 WRG) seit der WRG-Nov 2003, BGBl I 2003/82 mit „nachhaltiger Bewirtschaftung“ übertitelt ist, regelt er doch primär Schutz und Reinhaltung der Gewässer. IV. Abschnitt (§§ 39 - 49 WRG): „Von der Abwehr und Pflege der Gewässer“. Vgl dazu zB Baumgartner, 192. Der Regelungsansatz ist umfassender und knüpft an die „Einwirkung auf Gewässer“ an, die durch „Anlagen, Maßnahmen oder Unterlassungen“ herbeigeführt werden können.
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bestimmte Anlagen spezifische Regelungen.7 Solcherart anlagenspezifische Regelungen lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Zum einen handelt es sich um Regelungen für Anlagen, die man als „Wasserbauten im engeren Sinn“8 bezeichnen kann. Damit sind Anlagen gemeint, die unmittelbar der Wassernutzung (zB Wasserversorgungsanlagen) oder dem Schutz vor dem Wasser dienen (zB Schutz- und Regulierungswasserbauten, Entwässerungsanlagen). Einer zweiten Kategorie zuzuordnen wären Regelungen, die - wie etwa § 31a WRG oder § 31c Abs 5 WRG - im Regelungskontext des Gewässerschutzes für bestimmte Vorhaben - nämlich für „Anlagen zur Lagerung und Leitung wassergefährdender Stoffe“ (§ 31a WRG), für bestimmte Anlagen zur Gewinnung von Erdwärme (§ 31c Abs 5 lit a und b WRG) oder für Anlagen zur Wärmenutzung der Gewässer (§ 31c Abs 5 lit c WRG) - spezifische Anforderungen normieren. Das Wasser ist eine der wichtigsten Grundlagen allen Lebens.9 Als vorrangiges Ziel kann die Erhaltung dieser Lebensgrundlage sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht genannt werden. Wasserwirtschaftlich bedeutsame Ziele sind insbesondere im § 105 WRG festgeschrieben. § 105 WRG enthält eine umfangreiche, dessen ungeachtet aber nur beispielhafte Aufzählung von öffentlichen Interessen, deren Schutz bei wasserwirtschaftlich relevanten Vorhaben geboten ist, und deren Beeinträchtigung zur Abweisung des Antrages führen kann. Die nachfolgenden Ausführungen orientieren sich an der Systematik des Gesetzes. Nach einer Darlegung der kompetenzrechtlichen Situation und der Erläuterung einzelner abschnittsübergreifend relevanter Begriffe soll auf die einschlägigen Regelungen gesondert nach den Themen Gewässernutzung, Gewässerschutz und Schutzwasserwirtschaft eingegangen werden.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Gemäß Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG ist das „Wasserrecht“ sowohl in Gesetzgebung als auch in Vollziehung eine Angelegenheit des Bundes. Der Inhalt dieses Kompetenzgrundes ist zunächst nach der Auslegungsregel des Versteinerungsprinzips10 zu ermitteln. Demnach ist der Begriff „Wasserrecht“ in jener Bedeutung zu verstehen, die ihm im Zeitpunkt seines Wirksamwerdens - das ist der 1. Oktober 1925 - nach dem Stand und der Systematik der unterverfassungsrechtlichen - und dabei insbesondere der einfachgesetzlichen - Rechtslage zugekommen ist. Den maßgeblichen einfachgesetzlichen Normenbestand bilden die damals in Geltung stehenden Wasserrechtsgesetze der Länder.11 Mit Rücksicht auf diesen Regelungsbestand ist die Bundeskompetenz „Wasser7
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So zB § 31a für „Anlagen zur Lagerung und Leitung wassergefährdender Stoffe“; § 34 „Schutz von Wasserversorgungsanlagen“; § 35 „Anschlusszwang bei öffentlichen Wasserversorgungsanlagen; § 40 „Entwässerungsanlagen“, §§ 41f „Schutzund Regulierungswasserbauten“. So auch der VfGH in VfSlg 4387/1963. BVerfGE 58, 34. ZB VfSlg 2721/1954; 2005/1950; 3670/1960; 5092/1965; 5679/1968 ua. Vgl dazu Raschauer, 4 mit Hinweis auf Haager-Vanderhaag, Das neue österreichische Wasserrecht, 1936, 26ff; Pernthaler/Schöpf, 7f und 10ff.
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recht“ weitreichend. Sie erfasst zunächst die chemische Verbindung H2O umfassend, dh unabhängig von ihrem Aggregatzustand (zB Eis (§ 15) oder atmosphärischer Niederschlag (§ 4)), von einer allfälligen chemischen Verbindung mit anderen Stoffen (Heilmoore, Heilquellen), vom Grad der Verunreinigung (Abwässer)12 und vom Ort des Vorkommens (Tagwässer, Grundwasser).13 Sie umfasst weiters Regelungen über Teile der Erdoberfläche, sofern sie wasserwirtschaftlich von Bedeutung sind,14 und auch hinsichtlich des Regelungszieles bestehen keine Einschränkungen. Auf den Kompetenzgrund des Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG lassen sich Regelungen zum Schutz vor dem Wasser, zur Gewässerbenutzung und zur Reinhaltung des Wassers15 stützen. Nach der Judikatur des VfGH16 ist allerdings entscheidend, dass fremde Rechte oder öffentliche Gewässer betroffen sind. Die Bundeskompetenz Wasserrecht erfasst dann weiters noch das Recht der wasserrechtlichen Genossenschaften. Nicht von Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG erfasst ist hingegen das Wasser, wenn und so lange es seinem natürlichen Kreislauf entzogen wurde sowie die Ausnutzung der tragenden Kraft des Wassers insbesondere in Form der Schifffahrt.17 Wenngleich dem Kompetenztatbestand „Wasserrecht“ auf der Grundlage der einfachgesetzlichen Rechtslage im Versteinerungszeitpunkt ein denkbar weiter Inhalt zukommt, ist es dennoch auch unbestritten, dass wasserrechtlich relevante Sachverhalte je nach Gesichtspunkt auch auf der Grundlage anderer Kompetenztatbestände (zB Elektrizitätswesen, Gewerberecht, Bergrecht, Baurecht, Forstrecht) geregelt werden können.18 Es gilt demnach das Kumulationsprinzip. Wasserrechtlich bedeutsame Vorhaben können - je nach Gesichtspunkt - sowohl von „anderen“ bundes-, aber auch landesrechtlichen Regelungen erfasst sein. Und die Geltung des Kumulationsprinzips findet in § 38 Abs 1 WRG auch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, wonach die dort angeführten Anlagen auch dann einer wasserrechtlichen Bewilligung bedürfen, wenn eine Bewilligung nach anderen Gesetzen erforderlich ist. Daraus ergeben sich Abgrenzungsfragen: In mehreren Erkenntnissen hat der VfGH in Bezug auf die Baurechtskompetenz der Länder die grundsätzliche Geltung des Kumulationsprinzips festgestellt, im Einzel-
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Mit der WRG-Nov 2003, BGBl I 2003/82, wurde, der WRRL folgend, der Begriff der „künstlichen und erheblich veränderten“ Oberflächengewässer eingeführt (§ 30b WRG). Raschauer, 4f. ZB das Ufer (§§ 8f WRG) oder das Wasserbett (§ 5 WRG). Ob auch der Gewässerschutz vom Kompetenztatbestand „Wasserrecht“ erfasst ist, wurde - wenn ich richtig sehe - bislang nur von Pernthaler/Schöpf, 10ff, in Frage gestellt. Sie gelangen in ihrer Analyse des Versteinerungsmaterials zur - mE anzweifelbaren -Auffassung, dass das „historisch“ vorgefundene Wasserrecht lediglich ein Wassernutzungsrecht gewesen sei, und demnach der Gewässerschutz nicht von der Bundeskompetenz „Wasserrecht“ erfasst sei. Der Gewässerschutz sei vielmehr eine „kompetenzrechtlich komplexe Materie, in der Bundes- und Landeszuständigkeit untrennbar miteinander verknüpft sind“. VfSlg 4387/1963. Vgl dazu Raschauer, 1; Baumgartner, 192. Nach der sog „Gesichtspunktetheorie“ kann ein Sachverhalt je nach Gesichtspunkt verschiedenen Kompetenztatbeständen zuordenbar sein.
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nen aber mitunter fragwürdige Differenzierungen vorgenommen. In VfSlg 4387/196319 sprach der VfGH aus, dass es möglich ist, die Ableitung von Abwässern sowohl unter baurechtlichen als auch unter wasserrechtlichen Gesichtspunkten zu regeln.20 Die Regelung der Abwasserbeseitigung von bebauten Liegenschaften sei insoweit Bundessache, als sie die Einwirkung der Abwässerbeseitigung auf fremde Rechte oder auf öffentliche Gewässer betrifft. Die Frage des Anschlusszwanges an eine öffentliche Kanalanlage fällt hingegen in die Kompetenz des Landesgesetzgebers. Ebenso ist der Landesgesetzgeber berechtigt zu bestimmen, ob er unter dem Gesichtspunkt des Baurechts für die Errichtung einer Drainageanlage eine baubehördliche Bewilligung für erforderlich hält.21 Hinsichtlich der sog Wasserbauten im engeren Sinn hat der VfGH hingegen eine Zuständigkeit des Landesgesetzgebers ausgeschlossen.22 Zwar sind auch „Bauten für Großkraftwerke“ kompetenzrechtlich nach der Gesichtspunktetheorie einzuordnen, die Zuständigkeit des Baurechtsgesetzgebers komme aber nur dort und insoweit in Betracht, als es sich um Bauten handelt, die nicht unmittelbar, sondern bloß mittelbar der Wassernutzung dienen, bei denen also der wasserbauliche Nutzungszweck in den Hintergrund tritt. Diese, die Baurechtskompetenz absorbierende und insofern exklusive Zuständigkeit des Bundes für Wasserbauten im engeren Sinn begründete der VfGH mit der Auslegungsregel der Versteinerungstheorie.23 Die vom VfGH vorgenommene Begrenzung der Zuständigkeit des Landesgesetzgebers ist zwar auf Kritik gestoßen,24 mittlerweile hat sich ihr aber ein Teil der Lehre25 und auch der VwGH angeschlossen.26 Und auf der Linie, dass Wasserbauten im engeren Sinn von der Baurechtszuständigkeit der Länder ausgenommen sind, liegt auch das Erkenntnis des VfGH, wonach die Regelung von Wasserversorgungsanlagen einschließlich der Regelung eines Anschlusszwanges an diese unter den Kompetenzbegriff „Wasserrecht“ falle.27 19 20
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Ebenso VfSlg 10.329/1985; 12.842/1991; VwGH 22.10.1998, 97/06/0272 = RdU 185/1999. So auch der VwGH im Erkenntnis vom 25.1.1996, 95/05/0012 in Bezug auf die Sicherung der Abflussverhältnisse eines Grundstücks. Ebenso VwGH 19.2.2004, 97/05/0248. VfSlg 2162/1951. Keine kompetenzrechtlichen Bedenken sah der VfGH hinsichtlich einer Bestimmung des Wiener Kanalgesetzes, nach der keine festen oder flüssigen Stoffe in einer den Bestand, den Betrieb oder die Kontrolle des Straßenkanals oder einer zum Kanalsystem gehörenden die Anlage gefährdenden oder beeinträchtigenden Beschaffenheit, Menge oder Konzentration eingeleitet werden durften, und die für bestimmte Stoffe und Säuren ein Einleitungsverbot vorsah (VfSlg 6658/1972). Auch der VwGH bejaht die Geltung der Gesichtspunktetheorie und der daraus resultierenden Kumulation von Behördenzuständigkeiten im Verhältnis Wasserrecht Baurecht in VwGH 10.12.1991, 91/05/0063 (Errichtung eines Trockenabortes). VfSlg 13.234/1992 (Verlegung einer Gussrohr- und einer Triebwasserleitung); weiters VfGH 1.12.1992, B 1057/91. Dazu Krzizek, System des österreichischen Baurechts, 1972, Band I 145f. So angedeutet von Raschauer, 6 FN 25. Der VfGH verweist begründend auf die Ausführungen von Krzizek (FN 23) Band I 145f, wonach Wasserbauten am 1.10.1925 grundsätzlich nicht genehmigungspflichtig waren. Vgl dazu Mayer, Bewilligung 214 mwN. Mayer begründet seine Auffassung historisch. Der Kompetenztatbestand „Wasserrecht“ umfasse auch die Kompetenz, baurechtliche und sonstige Regelungen zur Bodennutzung zu erlassen, sofern die Maßnahme zur Verwaltungsmaterie „Wasserrecht“ zählt. VwGH 23.3.1999, 98/05/0204; nicht differenzierend für die Geltung der Gesichtspunktetheorie VwGH 10.12.1991, 91/05/0063. VfSlg 4883/1964. Es ist daher festzuhalten: Der Anschlusszwang hinsichtlich einer öffentlichen Kanalanlage fällt in die Kompetenz des Landesgesetzgebers (VfSlg
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Hinsichtlich des „Verhältnisses“ Wasserrecht - Raumordnungsrecht ist das Kompetenzfeststellungserkenntnis des VfGH VfSlg 2674/1954 zu erwähnen. Danach liegt die Zuständigkeit, wasserwirtschaftlich relevante Planungsakte zu treffen, beim Bund. Die Geltung des Kumulationsprinzips wurde auch für das Verhältnis „Naturschutz“/„Landschaftsschutz“ und Wasserrecht grundsätzlich bejaht. 28 Der Schutz des Grundwassers vor Verunreinigung fällt zwar unter den Kompetenztatbestand „Wasserrecht“. Es kann aber - so der VwGH - nicht ausgeschlossen werden, dass es spezifisch naturschutzrechtliche, von den wasserrechtlichen verschiedene Gesichtspunkte für den Grundwasserschutz gibt.29 Eine für das Verhältnis Landesstraßenrecht - Wasserrecht bedeutsame Aussage traf der VwGH in einem jüngeren Erkenntnis.30 Demnach sei die Frage der Beeinträchtigung eines Bauwerkes durch Hochwasser dem Kompetenztatbestand Wasserrecht zu unterstellen. Es sei daher die Wasserrechts- und nicht die Straßenbehörde zuständig, diese zu prüfen. Die Frage der Abgrenzung zwischen der Kompetenz „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) einerseits und dem Kompetenztatbestand „Wasserrecht“ andererseits mag man aus dem Grund als entbehrlich ansehen, als es sich beide Male um eine Bundeskompetenz handelt. Sie zu stellen erscheint mir im gegebenen Zusammenhang aber aus einem bestimmten Grund angemessen. So bestimmt nämlich der die Genehmigungspflicht regelnde § 74 Abs 2 Z 5 GewO 1994, dass die Errichtung oder der Betrieb einer gewerblichen Betriebsanlage auch dann einer Genehmigung der Behörde bedarf, wenn diese wegen bestimmter Umstände geeignet ist, „eine nachteilige Einwirkung auf die Beschaffenheit der Gewässer herbeizuführen, sofern nicht ohnedies eine Bewilligung auf Grund wasserrechtlicher Vorschriften vorgeschrieben ist“. Der Gewässerschutz ist demnach auch ein Bewilligungstatbestand nach der GewO. Daraus ergibt sich zunächst, dass eine Bewilligungspflicht nach der GewO einer wasserrechtlichen Genehmigung gegenüber subsidiär ist.31 Nur soweit eine wasserrechtliche Bewilligung nicht vorgesehen ist, kommt eine Genehmigungspflicht aufgrund einer potentiellen Gefahr für die Wasserqualität nach der GewO in Betracht. Das in der zitierten Vorschrift der GewO umschriebene Schutzziel verdeutlicht aber des Weiteren, dass sich § 74 Abs 2 Z 5 GewO auf den Kompetenztatbestand „Wasserrecht“ stützt, denn - wie schon eingangs erwähnt - ist der Schutz der Gewässer Inhalt der Bundeskompetenz Wasserrecht. § 74 Abs 2 Z 5 GewO 1994 wirft daher keine Kompetenzfrage auf, sondern die Frage, wann im Zusammenhang mit einer gewerblichen Betriebsanlage im Hinblick auf die Gewässerreinhaltung zusätzlich auch die Zuständigkeit der Wasserrechtsbehörde und wann ausschließlich jene der Gewerbebehörde gegeben ist. Aus den Erläuterungen zur WRG-Novelle 196932 ergibt sich, dass die Hintanhaltung von nachteiligen Einwirkungen auf die Beschaffenheit der Gewässer immer dann allein von
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4387/1963; siehe oben), jener an eine Wasserversorgungsanlage ist hingegen Bundessache. VwGH 6.5.1996, 91/10/0129; VwGH 27.6.1994, 93/10/0153. Solche konnten allerdings im betreffenden Verfahren selbst nicht aufgezeigt werden. Mangels naturschutzrechtlicher Gesichtspunkte war es daher unzulässig, in einem naturschutzbehördlichen Verfahren die Bewilligung zur Schotterentnahme allein wegen der Gefahr einer Grundwasserverunreinigung zu verweigern (VwGH 6.5.1996, 91/10/0129). VwGH 14.10.2003, 2002/05/1022. Im konkreten Fall ging es um die Errichtung einer Fußgängerbrücke. Mit dem Begriff der „wasserrechtlichen Vorschriften“ sind nach den Materialien die Vorschriften des WRG gemeint. Eine „kompetenzrechtliche Zuordnung“ zum Wasserrecht ist damit nicht vorgenommen. RV 1217 BlgNR 11. GP.
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der Gewerbebehörde wahrzunehmen ist, wenn es sich um Anlagen handelt, die nicht regelmäßig und typisch zu einer Gewässerverunreinigung führen (sog „projektsgemäße und projekttypische“ Einwirkungen33, dazu noch unten Pkt III.D.).34 Darüber hinaus ist die alleinige Zuständigkeit der Gewerbebehörde immer dann anzunehmen, wenn die Einwirkung bloß geringfügig ist. Der Anwendungsbereich des § 74 Abs 2 Z 5 GewO ist freilich nur ein schmaler.35 Wasser ist auch ein Lebensmittel. Und mit Rücksicht darauf stellt sich die Frage der Abgrenzung zwischen dem Wasserrecht einerseits und dem Lebensmittelrecht andererseits. Diese ist wie folgt vorzunehmen: Während die Normierung der Voraussetzungen für die Bewilligung einer Wasserversorgungsanlage dem Kompetenztatbestand „Wasserrecht“ zuzuordnen ist, erfolgt die Normierung der Bedingungen für die Abgabe von Wasser an Letztverbraucher unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung des allgemeinen Gesundheitszustandes unter dem Tatbestand „Gesundheitswesen“.36 Nicht zuletzt sei darauf hingewiesen, dass auch Maßnahmen der Entwässerung nicht zwingend dem Kompetenztatbestand Wasserrecht zu unterstellen sind, sondern dass, je nach Gesichtspunkt, auch der Kompetenzgrund „Forstwesen“ in Betracht kommt.37 Demnach können Maßnahmen der Entwässerung auch von den Forstbehörden angeordnet werden.
C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Eine Vielzahl von Rechtsakten des Gemeinschaftsrechts hat das Wasser oder bestimmte Gewässer zum Regelungsgegenstand. Rechtsakte auf dem Gebiet des Gewässerschutzes wurden von der Europäischen Gemeinschaft bereits zu einem Zeitpunkt erlassen, zu dem die Umweltpolitik noch nicht vergemeinschaftet war. Als Rechtsgrundlage dienten Art 100 und Art 235 EGV. Mit der EEA 1987 wurde ein Kapitel zum Umweltschutz in den EGV integriert. Die rechtliche Grundlage für die Erlassung von Gewässerschutzvorschriften bilden seither die Art 174ff EGV.38 Das gemeinschaftsrechtliche Wasserrecht zielte bis vor kurzem ausschließlich auf den Schutz der Umwelt. Durch die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) werden nunmehr auch die nachhaltige Wassernutzung sowie die Vermeidung von Überschwemmungen und Wasserknappheit gemeinschaftsrechtlich determiniert; die Zielrichtung wurde damit aufgefä-
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Diese lösen nämlich die Bewilligungspflicht nach § 32 WRG aus, so dass aufgrund der Subsidiaritätsanordnung des § 74 Abs 2 Z 5 GewO die Wahrung des Gewässerschutzes der Wasserrechtsbehörde aufgetragen ist. Die Begriffsfolge „Einwirkung auf die Beschaffenheit der Gewässer“ ist im Sinne des § 32 WRG zu verstehen. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage dient § 74 Abs 2 Z 5 GewO der Verwaltungsökonomie. Es sei nicht zweckmäßig, die Wahrnehmung einer Beeinträchtigung der Gewässer, die nicht typisch und regelmäßig zu einer Gewässerverunreinigung führt, den Wasserrechtsbehörden vorzubehalten. Ist eine Betriebsanlage nach den gewerberechtlichen Vorschriften genehmigungspflichtig und ist keine Bewilligung nach dem WRG vorgeschrieben, so ist im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren darauf Bedacht zu nehmen, dass die Anlage keine wesentlichen Nachteile für die Beschaffenheit der Gewässer zur Folge hat. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO - Kommentar2, 2003, § 74 Rz 32. Vgl Kichl, Umweltschutz durch Wasserrecht, Innsbrucker rechtswissenschaftliche Dissertation, 2002, 46. VwGH 5.4.2004, 2000/10/0134. Vgl Hödl, 21ff mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
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chert.39 Abgesehen vom geltenden gemeinschaftsrechtlichen Rahmen ist zu erwähnen, dass die Frage der kommerziellen Nutzung von Wasserreserven auch im Rahmen der Europäischen Integration ein intensiv und kontroversiell diskutiertes Thema ist, dem in der umwelt-, aber auch wirtschaftspolitischen Diskussion weiterhin eine prominente Position zukommen wird.40 Betrachtet man die Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Gewässerschutzes, so lässt sich die WRRL zum einen als die Zusammenführung der in den bis dahin erlassenen Gemeinschaftsrechtsakten verfolgten unterschiedlichen Ansätze, zum anderen aber auch als eine ganz entscheidende Fortentwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Wasserwirtschaftsrechts begreifen. Sie integriert zum einen das auf einige Rechtsakte aufgeteilte duale (dh immissionsund emissionsseitig angelegte) Konzept des Gewässerschutzes, zum anderen aber greift sie auch neue wasserwirtschaftliche Themen auf, wie zB die nachhaltige Wassernutzung, das Prinzip der Kostenwahrheit oder die Information und Öffentlichkeitsbeteiligung. Zur Erläuterung dieser Einschätzung sei vorab ein Blick auf die historische Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Gewässerschutzrechts geworfen. Das Gewässerschutzrecht der Gemeinschaft lässt sich in drei Generationen einteilen.41 Stets wurde ein duales Konzept verfolgt, dh es wurde sowohl immissionsseitig, als auch emissionsseitig angesetzt. Die erste Generation der Gewässerschutzvorschriften der 70er- und 80er Jahre war primär immissionsbezogen angelegt.42 Mehrere Richtlinien legen Qualitätsziele für Gewässer fest. Dabei differenzieren diese Richtlinien zum einen nutzungsspezifisch (zB Qualitätsanforderungen an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung43; Qualität der Badegewässer44, Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch45; Qualität von Fischgewässern46), zum anderen nach Gewässertyp (Oberflächengewässer, Grundwasser)47. Die Umsetzung soll durch die Erstellung von Programmen und Plänen, durch Probenahmen und Berichtspflichten erfolgen.48 In dieser ersten Generation wurden aber bereits auch Emissionsnormen erlassen. Solcherart emissionsseitig angelegte Rechtsakte legen Anforderungen an die Abwässer fest, die in die Gewässer der Gemeinschaft eingelei39 40 41 42 43 44 45 46 47
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Die WRRL wurde durch die WRG-Nov 2003, BGBl I 2003/82, umgesetzt. Näher dazu Hattenberger, Liberalisierung der Wasserversorgung - Rechtliche Rahmenbedingungen, Grenzen und Anpassungsbedarf, bbl 2006, 1. Vgl beispielsweise Rossmann, Wasserrahmenrichtlinie 7ff; Hödl, 21ff. Rossmann, Wasserrahmenrichtlinie 7. RL 75/440/EWG vom 16.6.1975 über Qualitätsanforderungen an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung. RL 76/160/EWG vom 18.12.1975 über die Qualität der Badegewässer. RL 80/778/EWG vom 15.7.1980 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch. RL 78/659/EWG vom 18.7.1978 über die Qualität von Süßwasser, das schutz- oder verbesserungsbedürftig ist, um das Leben von Fischen zu erhalten. So findet die RL 76/464/EWG Anwendung auf oberirdische Binnengewässer, das Küstenmeer und die inneren Küstengewässer, die RL 80/68/EWG auf das Grundwasser. Zu den Umsetzungserfordernissen, dem Umsetzungsstand und -defiziten in Österreich siehe F. Ermacora, 83ff.
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tet werden. Beispielsweise genannt - weil von grundlegender Bedeutung - seien die Gewässerschutzrichtlinie49 und die Grundwasserrichtlinie50. Sie zielen auf den Schutz der Gewässer gegen Verschmutzung durch bestimmte Stoffe und sehen „stofforientierte“ Immissions- und Emissionsgrenzen vor. Vorgesehen sind ua Einleitungsverbote und -beschränkungen sowie Bewilligungs- und Berichtspflichten.51 Immissions- und emissionsbezogener Ansatz weisen Schwächen auf. Der Nachteil eines nutzungsspezifischen immissionsseitigen Konzeptes besteht darin, dass der Schutz nur so lange besteht, als die entsprechende Nutzung aufrecht ist. Wird diese aufgegeben, so werden damit auch die Richtlinienbestimmungen unanwendbar. Zum anderen bieten Immissionsnormen die Möglichkeit, bis zum Grenzwert hin zu belasten, was im Widerspruch zum Vorsorgeprinzip steht.52 Der Nachteil von Emissionsnormen wiederum besteht darin, dass Emissionsgrenzwerte allein die Überschreitung von noch unbedenklichen Höchstbelastungsgrenzen nicht verhindern können.53 Ein wirksamer Schutz der Gewässer erfordert daher eine Kombination von Immissions- und Emissionsgrenzen.
In den Gewässerschutzrechtsakten der zweiten Generation wird ein Immissions- und Emissionskriterien kombinierender, sog integrativer Ansatz verfolgt.54 Zu dieser „Richtliniengeneration“ zählen die Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser55 und die Richtlinie für den Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen56.
Dieser Bestand an Rechtsakten wurde insbesondere auch angesichts steigender Nutzungsansprüche an das Wasser einerseits und der stetig voranschreitenden Verknappung der Wasserressourcen mehr und mehr als ungenügend angesehen. Die Kritik am gemeinschaftsrechtlichen Gewässerschutzrecht setzte dabei insbesondere an der Tatsache der Aufteilung des Schutzes auf viele Rechtsakte an, die miteinander nur unzulänglich abgestimmt sind („Flickenteppich“, „unbefriedigendes Stückwerk“57). Dieser Befund führte schließlich zur Verabschiedung der WRRL, die der Wasserpolitik der Gemeinschaft nunmehr einen einheitlichen Rahmen geben soll und mit der einige der Vorläuferregelungen auch abgelöst werden.58
Mit der WRRL, die ich als dritte Generation von gemeinschaftsrechtlichen Gewässerschutzrechtsakten bezeichnen würde, wird in vielfacher Hinsicht Neuland betreten. Zunächst wird mit ihr der nutzungsorientierte Gewässerschutz aufgegeben und ein sowohl Oberflächen- als auch Grundwasser integrierender Schutz verwirklicht. Sie ist des Weiteren medienübergreifend ausges-
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RL 76/464/EWG vom 4.5.1976 betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft. RL 80/68/EWG vom 17.12.1979 über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe. Siehe dazu eingehender F. Ermacora, 90ff. Vgl Rossmann, Wasserrahmenrichtlinie 8. Kerschner/Weiß, 53ff und 77f. Rossmann, Wasserrahmenrichtlinie 9. Zwar sind auch in der Gewässerschutzrichtlinie Immissions- und Emissionsgrenzen vorgesehen, allerdings steht es den Mitgliedstaaten nach dieser RL weitgehend frei, zwischen den beiden Konzepten zu wählen (sog „paralleler Ansatz“). Siehe dazu Kerschner/Weiß, 55 und 78. RL 91/271/EWG. RL 91/676/EWG. Siehe zu dieser Kritik eingehender Hödl, 27f mwN. Siehe dazu die Übergangsbestimmung des Art 22 WRRL.
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taltet, weil sie auf die Erhaltung der aquatischen Ökosysteme und der „direkt von ihnen abhängigen Landökosysteme und Feuchtgebiete“ abzielt (Art 1 lit a).59 Mit der WRRL wird der sog „kombinierte“, dh immissions- und emissionsbezogene Kriterien verbindende Ansatz verwirklicht (Art 10); das vorgesehene Instrumentarium ist primär ein planungsrechtliches. Und erstmals werden auch wirtschaftliche Elemente integriert.60 Die WRRL ist primär auf den Schutz und die Verbesserung der Wasserqualität ausgerichtet. In einzelnen Bestimmungen werden aber sehr wohl auch quantitative Aspekte der Wasserwirtschaft geregelt.61 Der Zugriff auf heimische Wasserressourcen ist hingegen nicht erfasst.62 In Art 1 der Richtlinie wird das Ziel der WRRL definiert, nämlich die Schaffung eines Ordnungsrahmens für den Schutz der Binnenoberflächengewässer, der Übergangsgewässer, der Küstengewässer und des Grundwassers zwecks Vermeidung einer weiteren Verschlechterung (lit a), zur Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung (lit b), zur Erreichung eines stärkeren Schutzes und einer Verbesserung der aquatischen Umwelt durch Maßnahmen zur schrittweisen Reduzierung und Einstellung von Einleitungen (lit c und d) sowie zur Minderung der Auswirkungen von Überschwemmungen und Dürren (lit e). Art 4 definiert die Umweltziele, die von den Mitgliedstaaten mit den vorgezeichneten wasserwirtschaftlichen Steuerungselementen erreicht werden sollen.63 Dabei wird zunächst ein Verschlechterungsverbot für Oberflächengewässer (Art 4 lit a) i)) und für Grundwasser (Art 4 lit b) i)) statuiert. Sodann ist es den Mitgliedstaaten aufgetragen, innerhalb eines Zeitraumes von 15 Jahren ab dem In-Kraft-Treten der Richtlinie einen guten Zustand der Oberflächengewässer und des Grundwassers64 zu erreichen.65 Dabei wird der Referenzzustand für natürliche Oberflächengewässer mit der sehr guten Gewässerqualität
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Vgl Kerschner/Weiß, 28f. Vgl Interwies/Kraemer, Ökonomische Aspekte der EU-Wasserrahmenrichtlinie, in: Von Keitz/Schmalholz (Hrsg), Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie, 2002, 263; Kerschner/Weiß, 60ff. So wird im 23. Erwägungsgrund darauf hingewiesen, dass „allgemeine Grundsätze benötigt“ werden, „um Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Verbesserung des Gewässerschutzes in der Gemeinschaft hinsichtlich der Wassermenge- und -güte zu koordinieren,“ und „einen nachhaltigen Wassergebrauch zu fördern“. Art 1 lit b WRRL nennt als Richtlinienziel die „Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung auf der Grundlage eines langfristigen Schutzes der vorhandenen Ressourcen“. Und schließlich nennt Art 11 Abs 3 als Mindestinhalt von Maßnahmenprogrammen auch „Begrenzungen der Entnahme von Oberflächensüßwasser und Grundwasser“. Vgl auch Rossmann, Wasserrahmenrichtlinie 12f. Dazu bedürfte es gemäß Art 175 Abs 2 EGV eines einstimmigen Beschlusses des Rates. Rossmann, Wasserrahmenrichtlinie 13f. Dazu eingehend Markard, Die Anforderungen an den Schutz des Grundwassers, in: Von Keitz/Schmalholz (Hrsg), Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie, 2002, 147. Dieser gute Zustand ist bei Oberflächengewässern der gute ökologische und chemische Zustand, beim Grundwasser der gute mengenmäßige und chemische Zustand. Siehe dazu Anhang V.
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gleichgesetzt, die einem weitgehend natürlichen Zustand entspricht.66 Sonderbestimmungen gelten für künstliche bzw erheblich veränderte Gewässer. Für diese gilt es „bloß“, das „gute ökologische Potential“ zu erreichen. Der Grund für diese Sonderbestimmung liegt zum einen darin, dass der natürliche Zustand bei künstlichen Gewässern als Bezugsmaßstab ungeeignet ist, und dass bei einer Reihe von Gewässern der ansonsten geforderte gute ökologische Zustand nur unter Aufgabe der Nutzungen realisiert werden könnte.67 Zu beachten ist, dass - abgesehen von der Sonderregelung für künstliche und erhebliche veränderte Gewässer - die Verpflichtung zur Erreichung eines guten Zustandes durch einige Ausnahmen relativiert wird.68 Als weiteres Umweltziel nennt die WRRL dann noch die Ausweisung von Schutzgebieten. Art 8 der WRRL verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Aufstellung von Überwachungsprogrammen, die einen zusammenhängenden und umfassenden Überblick über den Zustand der Gewässer in jeder Flussgebietseinheit geben sollen. Als „Kern“ der WRRL kann mE die Bewirtschaftung nach Flussgebietseinheiten angesehen werden (Art 3 iVm Art 13 und Art 11), die es ermöglicht, auf die unterschiedlichen Gegebenheiten abgestimmte Maßnahmen zu treffen. Als planungsrechtliches Instrument ist der Bewirtschaftungsplan für das Einzugsgebiet vorgesehen, der spätestens neun Jahre nach In-Kraft-Treten der Richtlinie veröffentlicht werden muss. Inhalt dieser Bewirtschaftungspläne sind neben einer Ist-Zustandsanalyse und einer wirtschaftlichen Analyse des Wassergebrauchs vor allem auch die Maßnahmenprogramme (Art 11). Maßnahmenprogramme wiederum haben jene konkreten Maßnahmen darzustellen, die für die Erreichung der Umweltziele nach Art 4 erforderlich sind.69 Als die „brisanteste“ Neuerung wird die Verwirklichung des Prinzips der Kostenwahrheit in Art 9 WRRL gesehen.70 Gemäß Abs 1 haben die Mitgliedstaaten den Grundsatz der Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen einschließlich umwelt- und ressourcenbezogener Kosten zu „berücksichtigen“. Unter dem Begriff der Wasserdienstleistungen sind definitionsgemäß (Art 2 Z 38) alle „klassischen“ Tätigkeiten der Wasserver- und der Abwasserentsorgung zu verstehen. Und eine entscheidende Neuerung besteht darin, dass nicht nur die betriebswirtschaftlichen, sondern auch die Umwelt- und Ressourcen66
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Ausführlich dazu Irmer/von Keitz, Die Anforderungen an den Schutz der Oberflächengewässer, in: Von Keitz/Schmalholz (Hrsg), Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie, 2002, 109. Dazu eingehender Dörr/Schmalholz, Die rechtlichen Grundlagen der Ausnahmen und Spielräume, in: Von Keitz/Schmalholz (Hrsg), Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie, 2002, 51 (76). Art 4 Abs 4 (Möglichkeit der Fristverlängerung), Abs 5 (Verwirklichung weniger strenger Umweltziele unter bestimmten Bedingungen), Abs 6 (vorübergehende Verschlechterung des Zustands von Wasserkörpern) und Abs 7. Dazu eingehender Dörr/Schmalholz (FN 67) 51 (55ff). Näheres zum Inhalt der Maßnahmenprogramme Rossmann, Wasserrahmenrichtlinie 19ff; Hödl, 107ff. Rossmann, Wasserrahmenrichtlinie 21f; Hödl, 93ff; Kerschner/Weiß, 60ff; Dörr/ Schmalholz (FN 67) 51 (61ff); Interwies/Kraemer (FN 60) 263ff; Hansjürgens/ Messner, Die Erhebung kostendeckender Preise in der EU-Wasserrahmenrichtlinie, in: Von Keitz/Schmalholz (Hrsg), Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie, 2002, 293.
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kosten gedeckt werden müssen.71 Die Mitgliedstaaten sind gefordert, eine Wassergebührenpolitik zu verwirklichen, die angemessene Anreize für die Benutzer darstellt, Wasserressourcen effizient zu nutzen und somit zu den Umweltzielen der Richtlinie beizutragen. Die Mitgliedstaaten haben des Weiteren dafür zu sorgen, dass die verschiedenen Wassernutzungen, zumindest aufgeteilt auf die Sektoren Industrie, Haushalte und Landwirtschaft, einen angemessenen Beitrag zur Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen leisten (Art 9 Abs 1). Den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Kostendeckung und den geografischen und klimatischen Gegebenheiten kann dabei Rechnung getragen werden. Für bestimmte Wassernutzungen ist es den Mitgliedstaaten erlaubt, vom Prinzip der Kostendeckung abzuweichen, wenn dadurch die Zwecke der Richtlinie und die Verwirklichung ihrer Ziele nicht in Frage gestellt werden (Art 9 Abs 4 WRRL). Nicht zuletzt verlangt die Richtlinie die Einbeziehung der Öffentlichkeit bei der Umsetzung der Richtlinie, insbesondere im Planungsprozess (Art 14).72 Für die Umsetzung der WRRL sind zahlreiche Fristen vorgesehen.73 So muss etwa der gute Zustand bei Oberflächengewässern und beim Grundwasser grundsätzlich 15 Jahre nach dem In-Kraft-Treten der Richtlinie erreicht sein (Art 4 Abs 1 lit a) ii) und lit b) ii)). Eine Verlängerung dieser Fristen um weitere zwölf Jahre ist unter bestimmten Umständen möglich (Art 4 Abs 4). Die Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete werden spätestens neun Jahre nach In-Kraft-Treten der RL veröffentlicht (Art 13 Abs 6) und spätestens 15 nach In-Kraft-Treten überprüft und aktualisiert (Art 13 Abs 7). Und die Liste der zuständigen Behörden war bis zum 22. Juni 2004 vorzulegen (Art 3 Abs 8 iVm Art 24). Mit dem Wirksamwerden der WRRL verbunden ist auch das Außer-Kraft-Treten einzelner Rechtsakte (Art 22). So tritt beispielsweise die RL 75/440/EWG über die Qualitätsanforderungen an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten sieben Jahre, die RL 78/659/EWG über die Qualität von Süßwasser, das schutz- und verbesserungsbedürftig ist, um das Leben von Fischen zu erhalten, die Richtlinie 80/68/EWG über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe und die RL 76/464/EWG betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft74 13 Jahre nach dem In-Kraft-Treten der WRRL außer Kraft. Bedeutung für den Schutz der Gewässer kommt ferner der IPPC-RL zu, deren Ziel es ist, durch ein integriertes Konzept der Verminderung der Ver71
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Zu den Begriffen „Umwelt- und Ressourcenkosten“ siehe die Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Preisgestaltung als politisches Instrument zur Förderung eines nachhaltigen Umgangs mit Wasserressourcen KOM (2000) 477, 10. Aus der Literatur Kerschner/Weiß, 68f; Hödl, 103; Interwies/Kraemer (FN 60) 286f; Hansjürgens/ Messner (FN 70) 304ff. Eingehender dazu Jekel, Die Information und Anhörung der Öffentlichkeit nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie, in: Von Keitz/Schmalholz (Hrsg), Handbuch der EUWasserrahmenrichtlinie, 2002, 345; Hödl, 195ff; Rossmann, Wasserrahmenrichtlinie 22f. Siehe die Tabelle bei Kerschner/Weiß, 25f. Mit Ausnahme des Art 6, der sofort aufgehoben wurde.
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schmutzung die Emissionen in Luft, Wasser und Boden durch bestimmte industrielle Tätigkeiten so weit wie möglich zu vermeiden, oder - sofern dies nicht möglich ist - zu vermindern, um ein hohes Schutzniveau für die Umwelt zu erreichen. Die Umsetzung des gemeinschaftlichen Gewässerschutzrechts der ersten und zweiten Generation erfolgte vor allem durch die WRG-Novellen 1997 (BGBl I 1997/59 und BGBl I 1997/74), die Novelle BGBl I 1999/15575 und zuletzt durch die Novelle BGBl I 2005/8776. Die Umsetzung der WRRL erfolgte durch die WRG-Novelle 2003, BGBl I 2003/82.77 Die Umsetzung der Umweltziele erfolgte schwerpunktmäßig im dritten Abschnitt des WRG, der nunmehr mit dem Titel „Von der nachhaltigen Bewirtschaftung, insbesondere vom Schutz und der Reinhaltung der Gewässer“ versehen ist. Die Verankerung der geforderten Planungsinstrumente wurde im sechsten Abschnitt vorgenommen.78 Die Umsetzung dieser Vorgaben ist erst „im Gange“.79 Keine Umsetzungsfrist vorgesehen ist hingegen für das Verschlechterungsverbot. Es ist mit Ablauf der Umsetzungsfrist wirksam geworden, wobei sich der Referenzzeitpunkt80 auf den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der WRRL bezieht. Ein auf einen späteren Zeitpunkt (Ablauf der Umsetzungsfrist) abstellendes Verständnis stünde im Widerspruch zu Ziel und Zweck der Richtlinie.81
II. Anlagenrecht und WRG - Instrumentarium Schon in der Einleitung wurde erwähnt, dass die Darstellung der „anlagenrelevanten Bestimmungen“ im WRG weiter ausgreifend erfolgen muss. Das ist im Regelungsansatz des WRG begründet. Regelungsgegenstand ist das Medium Wasser, die - wie immer gearteten - Einwirkungen auf das Wasser und durch das Wasser. Aus diesem Grund entbehrt das WRG eines spezifisch anlagenrechtlichen Teiles. Vielmehr sind Errichtung, Betrieb und Auflassung von Anlagen unter näher bezeichneten Umständen wasserrechtlich relevante Verhaltensweisen, die den Maßnahmen oder sonstigen Vorhaben gleichgestellt 75
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ZB Einbringungsverbote und Einbringungsbeschränkungen zum Schutz des Grundwassers in § 32a WRG (mit der WRG-Nov 2003 wurde die Verordnungsermächtigung auf Oberflächengewässer und Kanalisationen ausgedehnt); Bewilligungspflicht für die künstliche Anreicherung des Grundwassers in § 32 Abs 4 WRG. Möglichkeit der Abweichung von den vorgeschriebenen Höchstmengen an Dung gemäß der Nitrat-RL. Zur Umsetzung mit kritischen Anmerkungen Oberleitner, Wasserrahmenrichtlinie 84; weiters Hödl, die in ihrer Monographie die Inhalte der WRRL und ihre Umsetzung im österreichischen Recht kapitelweise beschreibt, erläutert und kritisch würdigt. Dieser lautet nunmehr „Einzugsgebietsbezogene Planung und Durchführung von Maßnahmen zur nachhaltigen Bewirtschaftung insbesondere zum Schutz und zur Reinhaltung der Gewässer“. An Plänen werden der Nationale Gewässerbewirtschaftungsplan (§ 55c WRG) und das Maßnahmenprogramm (§ 55f WRG) vorgesehen. So sind die ersten Maßnahmenprogramme bis spätestens 2009 zu erstellen. Siehe dazu den „Terminplan“ zur Umsetzung der WRRL bei Kerschner/Weiß, 25f. Das ist jener Zeitpunkt, auf den sich die Verpflichtung zum Erhalt des Zustands der Gewässer bezieht. Vgl Hödl, 63f.
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sind. Im Zentrum steht das Wasser. Gefahren für oder durch dieses Medium können auch durch Anlagen verursacht werden. Dieser Regelungsansatz bringt es mit sich, dass eine kaum eingrenzbare Vielzahl von Regelungen auch für Anlagenbetreiber von Relevanz ist. Breit gefächert ist auch das Instrumentarium, das das WRG zum Schutz für und durch das Wasser bereithält. Für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen sind - freilich ohne Anspruch auf Vollständigkeit - folgende Instrumente von Relevanz: • Bewilligungspflichten (Wasserbenutzung, „schädliche Einwirkung auf Gewässer“, §§ 9ff und § 32 WRG) • Unterlassungspflichten (zB das Verbot, Klärschlamm in Oberflächengewässer einzuleiten, § 32a Abs 4 WRG) • Handlungspflichten; diese ergeben sich entweder unmittelbar aus dem Gesetz (zB die Pflicht, Maßnahmen zur Vermeidung einer Gewässerverunreinigung zu ergreifen, § 31 Abs 2 WRG) oder auf Grund behördlicher Anordnung (zB § 138 WRG) • Instandhaltungspflichten (§ 56 WRG) • Aufzeichnungs- und Meldepflichten (zB für Kanalisationsunternehmer im Fall von Indirekteinleitungen, § 32b WRG) • Die Pflicht zur Vorlage von Sanierungsprogrammen bei Altanlagen (§ 33c WRG) • Die Abänderung von Bewilligungen durch Vorschreibung nachträglicher Auflagen (§ 21a WRG) • Befristungen (zB für Wasserbenutzungsrechte nach § 21 WRG; bei Bewilligungen nach § 31c oder § 38 WRG; Fristen für die Bauvollendung nach § 112 Abs 1 WRG) • Die Aufsicht über die Bauausführung, die Kollaudierung und die Gewässeraufsicht iS einer begleitenden Kontrolle des Anlagenbetriebes (zB §§ 120 und 121 WRG).
III. Begriffsbestimmungen Bevor auf die anlagenrelevanten Bewilligungsvorbehalte näher eingegangen wird, sollen einzelne für die weiteren Ausführungen bedeutsame Begriffe erläutert werden.
A. Wasser - Gewässer Zentrale Bedeutung kommt den Begriffen „Wasser“ und „Gewässer“ zu. Unter dem Wasser wird ausschließlich die Wasserwelle verstanden. Weitergehend ist der Begriff des Gewässers. Er erfasst darüber hinaus auch noch das Bett und das Ufer. Die Unterscheidung ist nach Ansicht einiger von Bedeutung, weil das WRG beispielsweise für die Nutzung des Wassers einerseits und die Benutzung des Gewässers andererseits unterschiedliche Regelungen trifft.82
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Anzumerken ist, dass der Gesetzgeber im WRG einen konsequenten Sprachgebrauch vermissen lässt.
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B. Öffentliche - private Gewässer Bedeutsam ist weiters die Unterteilung in öffentliche Gewässer (§ 2 WRG) und private Gewässer (§ 3 WRG). Privatgewässer sind jedenfalls das Grundwasser und das aus einem Grundstücke zutrage quellende Wasser (§ 3 Abs 1 lit a WRG), die sich auf einem Grundstück aus atmosphärischen Niederschlägen ansammelnden Wässer (§ 3 Abs 1 lit b WRG) und das in Brunnen, Zisternen, Teichen oder anderen Behältern enthaltene und das in Kanälen, Röhren usw für Verbrauchszwecke abgeleitete Wasser (§ 3 Abs 1 lit c WRG).83 Sofern keine Öffentlicherklärung nach § 61 WRG vorgenommen wurde, ist auch die Wasserwelle, für die sich ein besonderer, vor dem Jahre 1870 entstandener Privatrechtstitel nachweisen lässt, ein Privatgewässer (§ 2 Abs 2 WRG). Und Privatgewässer sind auch Seen, die nicht von einem öffentlichen Gewässer gespeist oder durchflossen werden (§ 3 Abs 1 lit d WRG) und Abflüsse aus Privatgewässern bis zu ihrer Vereinigung mit einem öffentlichen Gewässer (§ 3 Abs 1 lit e WRG). Die Eigenschaft als Privatgewässer gilt hinsichtlich der zuletzt genannten beiden Tatbestände allerdings nur dann, wenn diese Seen und Abflüsse weder im Katalog der öffentlichen Gewässer genannt sind84 noch es sich um Gewässer handelt, die vor dem In-Kraft-Treten des WRG als öffentliche behandelt wurden (§ 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 lit b WRG). Demgegenüber sind öffentliche Gewässer zunächst jene, die gemäß § 61 WRG für öffentlich erklärt wurden. Kann der vorhin genannte besondere Privatrechtstitel an der Wasserwelle nicht nachgewiesen werden, so sind des Weiteren die im Anhang A des WRG namentlich genannten Gewässer öffentliche (§ 2 Abs 1 lit a WRG), weiters jene, die vor dem In-Kraft-Treten des WRG anlässlich der Erteilung einer wasserrechtlichen Bewilligung als öffentliche behandelt wurden sowie - abschließend - alle „übrigen Gewässer“, sofern sie nicht im WRG ausdrücklich als Privatgewässer bezeichnet werden.
Diese Unterteilung ist von Relevanz, weil der Gemeingebrauch je nach Gewässerkategorie unterschiedlich weit reicht und weil bei Privatgewässern eine über den Gemeingebrauch hinausreichende Sondernutzung durch den Eigentümer in bestimmten Grenzen bewilligungsfrei zugelassen ist.
C. Grundwasser - Tagwässer Mehrere Bestimmungen des WRG knüpfen an den Begriff des Grundwassers an.85 Darunter sind sämtliche unterirdische Gewässer zu verstehen, bis zu ihrem Zu-Tage-Treten. Unerheblich ist die Tiefe ebenso wie die Tatsache, ob das eingesickerte Wasser fließt oder stagniert. Die Unterscheidung zwischen Grund- und Tagwässer ist bedeutsam, weil sowohl für die Nutzung des Grundwassers als auch für seinen Schutz Sonderregelungen bestehen.
D. Anlagen Der Begriff der „Anlage“ findet sich im WRG an vielen Stellen; zum einen werden einzelne Anlagen näher bezeichnet und dafür spezielle Bedingungen normiert (zB Wasserversorgungsanlagen, Anlagen zur Gewinnung von Erd83 84 85
Sog „absolute Privatgewässer“, weil sie nach § 61 WRG auch nicht für öffentlich erklärt werden können. So Raschauer, § 2 Rz 2. Gemeint ist der in § 2 Abs 1 WRG genannte Anhang A zum WRG. ZB § 10 WRG betreffend die Nutzung des Grundwassers oder § 32a Abs 2 WRG betreffend den Schutz des Grundwassers.
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wärme), in einigen Bestimmungen ist aber bloß von „Anlage“ „die Rede“. Eine Definition der „Anlage“ ist dem Gesetz nicht eigen. Mit der Judikatur ist von einem denkbar weiten Anlagenbegriff auszugehen. Erfasst ist alles, was „angelegt“, dh durch Menschenhand erbaut oder vorgekehrt wurde.86
E. Öffentliche Interessen Eine besondere Bedeutung kommt § 105 WRG zu. Die Bestimmung enthält eine umfangreiche, wenngleich nicht abschließende Aufzählung von wasserwirtschaftlich bedeutsamen öffentlichen Interessen. Grundsätzlich „kann“ eine Beeinträchtigung der darin genannten Interessen, die auch nicht durch die Vorschreibung von Auflagen und Nebenbestimmungen vermieden werden kann, zur Versagung des beantragten Vorhabens führen.87 Die besondere Bedeutung des § 105 WRG liegt darin, dass er für jedwedes bewilligungspflichtige Vorhaben Anwendung findet; demnach unabhängig davon, in welche Kategorie (Nutzwasserwirtschaft, Gewässergüteregelung oder Schutzwasserwirtschaft) jenes einzuordnen ist. In einzelnen Bestimmungen wird die Tatbestandsmäßigkeit des § 105 WRG noch durch die ausdrückliche Erwähnung oder den Hinweis auf öffentliche Interessen oder Rücksichten bekräftigt. Und in zahlreichen Regelungen werden die Bewilligungsvoraussetzungen für bestimmte Maßnahmen oder Einwirkungen ergänzt. Der Katalog des § 105 WRG ist umfangreich. Darin genannt werden beispielsweise die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit, der Ablauf des Hochwassers oder Eises, Lauf, Höhe, Gefälle oder Ufer der natürlichen Gewässer, der Gemeingebrauch, die notwendige Wasserversorgung, die Landeskultur, der Denkmalschutz, Tier- und Pflanzenbestand, die sparsame Verwendung des Wassers88, die Sicherung der Trink- und Nutzwasserversorgung sowie die ökologische Funktionsfähigkeit der Gewässer. Der Versagungsgrund wird differenzierend und relativ unbestimmt, und demnach weite Interpretationsspielräume eröffnend, umschrieben.89 An dieser Auflistung fällt nicht nur der Umfang, sondern darüber hinaus auf, dass auch Interessen erfasst sind, die nicht wasserwirtschaftlicher Natur sind (zB Denkmalschutz) sowie solche, die kompetenzmäßig den Ländern zuzuordnen sind (zB Landeskultur, Naturschutz). Es gilt das Kumulationsprinzip. Wasserrechtliche und allenfalls erforderliche Bewilligungen nach anderen Bundesgesetzen oder den Landesgesetzen sind grundsätzlich90 nebeneinander erforderlich. Die Entscheidung der Wasser86 87 88 89
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VwGH 13.12.1928, Slg 15.448; VwGH 22.6.1933, Slg 17.249. Vgl zu Handhabung des öffentlichen Interesses im wasserrechtlichen Verfahren eingehend Oberleitner, Öffentliches Interesse 2005/2. § 105 Abs 1 lit h WRG lautet: wenn „durch die Art der beabsichtigten Anlage eine Verschwendung des Wassers eintreten würde“. ZB „Beeinträchtigung“ (Landesverteidigung nach lit a) „erhebliche Beeinträchtigung“ (Ablauf der Hochwässer nach lit b); „schädlicher Einfluss“, „nachteilige Beeinflussung“, „wesentliche Behinderung“, „wesentliche Beeinträchtigung“. Bei einzelnen „öffentlichen Interessen“ genügt bereits die Gefahr einer Beeinträchtigung (zB ökologische Funktionsfähigkeit nach lit m), um das Vorhaben als unzulässig anzusehen, bei anderen ist der Eintritt der negativen Folge eine Bedingung der Untersagung. Es sei denn, es ist eine Konzentration angeordnet, wie beispielsweise im UVP-G.
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rechtsbehörde bindet beispielsweise die Naturschutzbehörde nicht.91 Im Sinne des Torpedierungsverbotes wird aber die Entscheidung einer gegenbeteiligten Behörde im Entscheidungsverfahren zu berücksichtigen sein.92 Da die Aufzählung der öffentlichen Interessen in § 105 WRG eine bloß demonstrative93 ist, ist zu folgern, dass die Versagung eines Vorhabens aus vielfältigen Gründen möglich ist. Hinsichtlich weiterer (nicht genannter) Gründe kommt den in § 105 WRG genannten Interessen Maßstabsfunktion zu. Die Berücksichtigung der in § 105 genannten Interessen ist der Wasserrechtsbehörde von Amts wegen aufgegeben; subjektive Rechte werden damit nicht begründet.94 Nach dem Wortlaut des § 105 WRG „kann“ ein bewilligungspflichtiges Vorhaben bei Erfüllung der nachgenannten Tatbestände als unzulässig angesehen werden. Durch diese Rhetorik sollte wohl den Behörden Ermessen eingeräumt werden; diese hat ihre Entscheidung nach Abwägung aller Vor- und Nachteile zu treffen.95 Gefordert ist eine Gesamtabwägung und Gewichtung der im Einzelfall relevanten, und zueinander zuweilen in einem Spannungsverhältnis stehenden öffentlichen Interessen.96 Sofern ein Vorhaben im Widerspruch mit einer wasserwirtschaftlichen Rahmenverfügung97 steht, darf die Bewilligung nach § 54 Abs 3 WRG nur erteilt werden, „wenn das öffentliche Interesse an der Maßnahme jenes an der Einhaltung der Rahmenverfügung überwiegt“. Seit der WRG-Nov 2003 muss neben dem § 105 WRG auch der § 30 WRG als eine Zentralnorm angesehen werden. In letzterer Bestimmung werden die Ziele einer nachhaltigen Gewässerbewirtschaftung festgelegt. Und diese Ziele betreffen nicht nur die Wasserqualität, sondern beispielsweise auch quantitative Aspekte98. Es ist nun mE mit Kerschner/Weiß99 davon auszugehen, dass mit Rücksicht auf die Vorgaben der WRRL diese Grundsätze unmittelbar in jedwedem100 wasserrechtlichen Verfahren neben § 105 WRG anzuwenden sind. Und wegen der grundlegenden, abschnittsübergreifenden Bedeutung dieser Bestimmung ist ihre Einordnung in den dritten Abschnitt des Gesetzes mit gutem Grund kritisiert worden.101 91 92 93 94 95 96 97
98 99
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ZB VwGH 5.10.1985, B 5/85; VwGH 15.6.1987, 86/10/0203. Vgl dazu eingehender Raschauer, § 105 Rz 2 f. Damit ist sie offen gegenüber neueren Entwicklungen. Raschauer, § 105 Rz 4 mwN; weiters Oberleitner, Kommentar 2000, § 105 E 4; ders, Kommentar 2004, § 105 Rz 5. Im Sinne der Einräumung von Ermessen Raschauer, § 105 Rz 5: eingehend zur Aufgabe der Abwägung durch die Behörden Oberleitner, Öffentliches Interesse 9ff. Oberleitner, Öffentliches Interesse 9ff. Wasserwirtschaftliche Rahmenverfügungen sind Verordnungen, die für ein abgegrenztes Gebiet öffentliche Interessen konkretisieren. Sie binden die Behörde bei wasserrechtlichen Entscheidungen. Dazu Raschauer, § 54 Rz 1. ZB § 30 Abs 1 Z 4 WRG. Kerschner/Weiß, 161f, ist zu folgen, die meinen, dass diese Grundsätze und Ziele abschnittsübergreifende Bedeutung haben und im Bewilligungsverfahren kumulativ mit § 105 WRG anzuwenden sind. Also auch in anderen, als den nach dem 3. Abschnitt des Gesetzes geführten Verfahren (zB Verfahren der Wasserbenutzung). So eben Kerschner/Weiß, 160ff.
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F. Stand der Technik Abschnittsübergreifende Bedeutung im Sinne eines Mindeststandards bei der Beurteilung von Vorhaben kommt auch dem Begriff des „Standes der Technik“ zu. Er ist beispielsweise Maßstab für die nähere Bestimmung des Maßes der Wasserbenutzung nach § 13 Abs 1 WRG, bei der Vorschreibung nachträglicher Auflagen nach § 21a Abs 1 WRG, bei Vorkehrungen zur Vermeidung von Gewässerverunreinigungen nach § 31c Abs 3 WRG oder bei der Vorschreibung von Auflagen zur Begrenzung schädlicher Wasserinhaltsstoffe bei Abwassereinleitungen in Gewässer nach § 33b Abs 1 WRG.
Nach der Definition des § 12a ist der Stand der Technik „der auf den einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen, oder Betriebsweisen, deren Funktionstüchtigkeit erprobt und erwiesen ist. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere jene vergleichbaren Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, welche am wirksamsten zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt sind.“ Seine Festlegung muss allerdings verhältnismäßig sein, dh Kosten und Nutzen sind gegeneinander abzuwägen und der Grundsatz der Vorsorge und Vorbeugung ist zu beachten. Für bestimmte Wasserbenutzungen sowie bestimmte Anlagen und Maßnahmen kann der BMLFUW den Stand der Technik durch Verordnung festlegen.
IV. Benutzung der Gewässer A. Allgemeines Die Benutzung der Gewässer wird im 2. Abschnitt des WRG (§§ 5 bis 29 WRG) geregelt. In diesen Bestimmungen zeigt das Gesetz keine einheitliche Terminologie. Zum einen ist von der „Wasserbenutzung“102, zum anderen von der Gewässerbenutzung103 die Rede. Diese differenzierende Wortwahl hat nach der überwiegenden Lehre104 auch unterschiedliche rechtliche Folgen. Als Wasserbenutzung wird die Nutzung der Wasserwelle verstanden. Die Benutzung des Wasserbettes oder des Ufers ist vom Begriff der Wasserbenutzung nur insoweit mit erfasst, als dies zur Benutzung der Wasserwelle notwendig ist.105 Demgegenüber ist der Begriff der Gewässerbenutzung weiter reichend. Er erfasst nicht nur die Benutzung der Wasserwelle, sondern auch die Benutzung des Ufers oder des Wasserbettes, die nicht notwendig mit dem Gebrauch der Wasserwelle verbunden ist.106 Die positivrechtliche Relevanz dieser Unterscheidung besteht nun nach Ansicht der überwiegenden Meinung darin, dass
102 103 104 105 106
ZB § 11 Abs 1, § 12 Abs 1, § 13, § 16, § 17 WRG. ZB § 9 Abs 1 („Benützung der Gewässer“), § 21 Abs 1 WRG. AA Kneihs, 33. Raschauer, § 11 Rz 2; Rossmann, Wasserrechtsgesetz § 9 Rz 1. Nach Raschauer, § 11 Rz 2 sind daher Bewilligungen nach den §§ 38ff WRG „bloß“ Gewässerbenutzungsrechte.
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die §§ 11ff WRG nur auf die Wasserbenutzung, nicht hingegen auch auf die sonstige Gewässernutzungen (Bett, Ufer), Anwendung finden.107
Demgegenüber vertritt Kneihs108 die Auffassung, dass von einem einheitlichen Gewässernutzungsbegriff auszugehen sei; die Begriffe „Wasserbenutzung“ und „Gewässernutzung“ seien als Synonyme zu verstehen. Kneihs begründet seine Auffassung zum einen mit der uneinheitlichen Terminologie des WRG. Diese Differenzierung sei auch praktisch kaum von Relevanz, zumal eine Bewilligung ohne Rücksicht auf die Kriterien der §§ 11ff WRG nur für Nutzungen nach § 38 WRG (Brücke, Stege, Unterführung ua) in Betracht käme. Sie sei überdies unverständlich und unzweckmäßig. Sie führte dazu, dass bei Errichtung „eines in ein Gewässer eingebauten Brückenpfeilers (...) rechtmäßig geübte Wassernutzungen verletzt werden dürften“. Und auch § 38 WRG, der von der überwiegenden Lehre als Hauptanwendungsfall einer ohne Ausnutzung der Wasserwelle erfolgenden Gewässernutzung angesehen wird, ließe sich in diesem Sinn interpretieren, denn § 38 WRG erfasse auch Anlagen, die gar nicht als Gewässernutzungen angesehen werden könnten (zB Unterführungen unter Wasserläufe). Gerade für diese Anlagen - so Kneihs - hätte § 38 WRG Relevanz. Sofern mit diesen Anlagen aber eine „Gewässernutzung“ verbunden ist, gelte kraft ausdrücklichen Verweises auf § 9 WRG die Bewilligungspflicht nach den Kriterien des § 11 WRG.109
Der Begriff „Nutzung“ wird weit verstanden und umfasst Maßnahmen oder Anlagen, „deren Zweck unmittelbar oder mittelbar auf die Nutzung der Wasserkraft gerichtet ist“; darüber hinaus aber auch Maßnahmen, durch die die physikalischen Eigenschaften des Wassers nutzbar gemacht werden (zB Temperatur).110 Nicht vom Begriff der „Wasserbenutzung“ erfasst sind beispielsweise Maßnahmen nach den §§ 31a bis 31c WRG, weil sie gerade nicht auf die Ausnutzung des Wassers gerichtet sind, sowie Schutz- und Regulierungswasserbauten.
B. Bewilligungspflicht Die Bewilligungspflicht für Anlagen zur Gewässerbenutzung ist in den §§ 9 und 10 WRG geregelt. Das WRG differenziert zum einen danach, ob es sich um ein öffentliches (§ 9 Abs 1) oder ein privates (9 Abs 2 und § 10 WRG) Gewässer handelt, zum anderen bei den Privatgewässern danach, ob die Benutzung von Tagwässern oder des Grundwassers beabsichtigt ist.
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Für die sonstigen Gewässernutzungen sind demnach nur der Versagungstatbestand des § 105 WRG („öffentliche Interessen“) sowie die jeweils gesondert aufgestellten Bestimmungen einschlägig. Kneihs, 33ff. Diesen Argumenten könnte man mE aber wiederum entgegenhalten, dass § 38 WRG auch Anlagen nennt - konkret die Einbauten in stehende öffentliche Gewässer -, die aufgrund der Inanspruchnahme des Wasserbettes jedenfalls eine Gewässernutzung darstellen. Für diese Anlagen lässt sich dann aber der Verweis auf § 9 WRG nicht erklären. Auflösen ließe sich diese Unstimmigkeit, wenn man wie Raschauer, § 32 Rz 5 davon ausgeht, dass eine Gewässernutzung nur dann vorliegt, wenn die Absicht besteht, das Gewässer zu nutzen, nicht aber wenn - wie bei Einbauten - das Gewässer nur als Untergrund verwendet wird. Kneihs, 36 (FN 24) scheint dem Kriterium der Nutzungsabsicht aber kritisch gegenüber zu stehen. Kneihs, 38. Eine „Benützung“ des Gewässers ist nach Kneihs auch dann gegeben, wenn das Bett bloß als Fundament für Einbauten benützt wird.
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1. Bewilligungspflicht bei öffentlichen Gewässern Schränkt man die einschlägige Bestimmung des § 9 Abs 1 WRG auf die anlagenrelevante Aussage ein, so ergibt sich eine Bewilligungspflicht für die Errichtung und Änderung von Gewässerbenutzungsanlagen.111 Dieser Bewilligungstatbestand soll hier noch näher erläutert werden. So ist zunächst durch die Textierung klargestellt, dass die Errichtung und Änderung einer Anlage112 zur Gewässerbenutzung jedenfalls bewilligungspflichtig ist, einen bewilligungsfreien Gemeingebrauch mit Anlage gibt es nicht.113 Bewilligungspflichtig sind des Weiteren nur Anlagen, die der „Benutzung der Gewässer“ dienen. Dazu zählen etwa Trinkwasser- und Nutzwasserversorgungsanlagen, nicht hingegen Bootsanlegeplätze, Schiffsanlegestellen und Hafenanlagen114 oder Brücken und Stege. Entscheidend ist, dass projektsgemäß eine Benützung der Gewässer intendiert ist. Ist hingegen bloß die Errichtung von baulichen Anlagen oder von Einbauten beabsichtigt, so ist nach der überwiegenden Meinung § 38 WRG einschlägig.115 Zu den bewilligungspflichtigen Maßnahmen gehören laut Gesetzestext die Errichtung und Änderung der Anlage. Dies ist wohl einschränkend dahin zu verstehen, dass nicht jede, sondern die wasserrechtlich erhebliche Änderung erfasst ist.116 Eine bewilligungspflichtige Änderung ist überdies erst anzunehmen, wenn die Grenzen der Instandhaltung bzw Erhaltung überschritten werden. Nach Ansicht des VwGH kann eine bewilligungsfreie Instandhaltungsmaßnahme nur dann angenommen werden, wenn Zweck, Einrichtung und 111
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Davon abgesehen ist jede über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung öffentlicher Gewässer bewilligungspflichtig. Der Umfang des Gemeingebrauchs an öffentlichen Gewässern ist in § 8 Abs 1 WRG abstrakt umschrieben und durch eine beispielhafte Aufzählung ergänzt. Unter Anlage ist alles zu verstehen, was durch die Hand des Menschen „angelegt ist“. So der VwGH in ständiger Judikatur. ZB VwGH 20.3.2003, 2002/07/0134; VwGH 16.12.1999, 98/07/0174. Der Begriff ist weiter als der Begriff „Bau“. Unter baulicher Anlage wird nämlich jede Anlage verstanden, zu deren Herstellung ein (gewisses) Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich ist, die mit dem Boden in eine gewisse Verbindung gebracht und wegen ihrer Beschaffenheit die öffentlichen Interessen zu berühren geeignet ist. Vgl OGH 28.10.2002, 1 Ob 232/02b = bbl 2003/52. Gemäß § 9 Abs 1 WRG bedarf „jede über den Gemeingebrauch (§ 8 WRG) hinausgehende Benutzung der öffentlichen Gewässer sowie die Errichtung und Änderung der zur Benutzung der Gewässer dienenden Anlagen“ einer Bewilligung. Damit werden zwei, voneinander unabhängige Tatbestände normiert. AA offenkundig Kneihs, 38 der ausführt, dass Wasserversorgungsanlagen unter Umständen als über den Gemeingebrauch hinausgehende Anlagen zu verstehen sind. Kaan/Braumüller, § 9 E. 5 So Raschauer, § 9 Rz 4; Kaan/Braumüller, § 9 Anm 3 sowie E 3ff; Literatur und Judikatur gehen offenkundig davon aus, dass die Bewilligungspflicht - entgegen dem Wortlaut - nur für Anlagen, die der Benutzung der Wasserwelle dienen, gilt. Das ist jedoch nicht zwingend. Vgl dazu Kneihs, 33. Im Gegensatz zur überwiegenden Meinung vertritt Kneihs, dass auch die Nutzung des Bettes „bloß“ als Fundament für Einbauten eine Benützung des Gewässers darstellt. So Raschauer, § 9 Rz 8. Der VwGH hat hingegen auch die Errichtung einer Stützmauer an einem Werkskanal als bewilligungspflichtige Änderung erkannt (VwSlg 4910 A). Erfasst ist auch die Auflassung einer Wasserbenutzungsanlage.
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Dimensionen der Anlage beibehalten werden, nicht aber, wenn völlig verschiedenes Material verwendet wird.117 In diesem Zusammenhang sind noch weitere Abgrenzungen zu treffen: Einwirkungen auf Gewässer nach § 32 WRG sind keine Gewässernutzung iSd §§ 9 und 10 WRG. § 32 Abs 6 WRG verfügt aber, dass (auch) auf Anlagen, die aufgrund der Einwirkungstatbestände bewilligungspflichtig sind, die Vorschriften betreffend Wasserbenutzungsanlagen sinngemäß Anwendung finden. Nicht nach den Vorschriften über die Gewässernutzung nach den §§ 9ff WRG bewilligungspflichtig sind weiters Entwässerungsanlagen (§ 40 WRG), Schutz- und Regulierungsbauten (§ 41 WRG) und im Regelfall auch nicht die Anlagen und Vorhaben nach den §§ 31a und 31c WRG (sog Vorsorgetatbestände), weil diese Vorhaben projektsgemäß nicht auf die Benutzung der Gewässer gerichtet sind.118 Ist die nach den §§ 9ff WRG bewilligungspflichtige Anlage auch eine Betriebsanlage iSd § 74 Abs 1 GewO so ist zu fragen, in welchem Verhältnis die Genehmigungspflicht nach dem WRG zur Bewilligungspflicht nach § 74 GewO steht. Diesbezüglich ist grundsätzlich eine Genehmigungskonkurrenz anzunehmen. Nur für den Fall, dass die Bewilligungspflicht nach der GewO durch den „Gewässerschutztatbestand“ in § 74 Abs 2 Z 5 GewO grundgelegt ist, ist von einem Verhältnis gegenseitiger Ausschließung auszugehen. Die wasserrechtliche Bewilligungspflicht schließt eine solche nach § 74 Abs 2 Z 5 GewO aus.119
2. Bewilligungspflicht bei privaten Tagwässern Eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung von privaten Tagwässern120 ist zunächst vom Willen des Eigentümers abhängig. Anlagen, die der Benutzung der privaten Tagwässer dienen, bedürfen überdies unter bestimmten, in § 9 Abs 2 WRG näher bezeichneten Voraussetzungen auch einer wasserrechtlichen Bewilligung.121 Bewilligungspflicht besteht bereits dann, wenn die Anlage geeignet ist, etwa fremde Rechte zu beeinflussen oder bestimmte öffentliche Interessen (Gefälle, Lauf, Beschaffenheit) zu gefährden. Nach der Judikatur und der Lehre ist die Bewilligungspflicht dann nicht gegeben, wenn die Benutzung ausschließlich wegen der Berührung fremder Rechte bewilligungspflichtig ist, und darüber eine privatrechtliche Vereinbarung vorliegt.122 117 118 119
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VwGH 30.6.1992, 89/07/0104 = ZfVB 1993/1229. Bewilligungsfrei ist auch das Auswechseln schadhafter Teile (VwSlg 15.048 A). Ausführlicher dazu Kneihs, 38f; Raschauer, § 9 Rz 4; sehr wohl kann aber eine Nassbaggerung auch eine Gewässerbenutzung nach § 9 WRG darstellen. § 74 Abs 2 Z 5 GewO sieht eine Genehmigungspflicht nur insoweit vor, als nicht „ohnedies eine Bewilligung aufgrund wasserrechtlicher Vorschriften vorgeschrieben ist“. Als Benutzung von Tagwässern gilt auch das Fassen einer auf fremden Grund entspringenden Quelle (VwGH 22.12.1987, 87/07/0147 = Oberleitner, Kommentar 2000 § 9 E 52). Diese ist nach dem Gesetzestext erforderlich, wenn „hiedurch auf fremde Rechte oder infolge eines Zusammenhanges mit öffentlichen Gewässern oder fremden Privatgewässern auf das Gefälle, auf den Lauf oder die Beschaffenheit des Wassers, namentlich in gesundheitsschädlicher Weise, oder auf die Höhe des Wasserstandes in diesen Gewässern Einfluss geübt oder eine Gefährdung der Ufer, eine Überschwemmung oder Versumpfung fremder Grundstücke herbeigeführt werden kann.“ VwGH 28.7.1994, 92/07/0085; VwGH 25.10.1994, 92/07/0098; Raschauer, § 9 Rz 11.
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Der Begriff „fremde Rechte“ ist weiter als jener der „bestehenden Rechte“ in § 12 Abs 2 WRG und erfasst auch Fischereirechte oder beispielsweise Schurf-, Gruben- und Triftrechte.123 Bewilligungspflichtige Handlungen sind wiederum die Errichtung und Änderung.
3. Bewilligungspflicht beim Grundwasser Anlagen, die der Erschließung und Benutzung des Grundwassers dienen, sind gem § 10 Abs 2 WRG grundsätzlich bewilligungspflichtig. Bewilligungsfrei sind nur bestimmte und begrenzte Nutzungen des Grundwassers durch den Grundeigentümer oder durch Personen, die seine Zustimmung dazu haben.124 Die Nutzung darf nur für den „notwendigen Haus- und Wirtschaftsbedarf“ vorgenommen werden. Bewilligungsfreiheit ist aber zudem nur dann gegeben, wenn alternativ entweder die Förderung nur durch handbetriebene Pump- und Schöpfwerke erfolgt, oder wenn die Entnahme in einem angemessenen Verhältnis zum eigenen Grunde steht. Jedenfalls bewilligungspflichtig sind „artesische Brunnen“125 (§ 10 Abs 3 WRG).
4. Weitere Ausnahmen von der Bewilligungspflicht: Durch die WRG-Novelle 1997 (BGBl I 1997/74) wurde dem BMLFUW die Ermächtigung erteilt, „Vorhaben von minderer wasserwirtschaftlicher Bedeutung“ nach den Bewilligungstatbeständen der §§ 9, 10, 31c, 32 und 38 WRG bewilligungsfrei zu stellen (§ 12b WRG). So weit zu sehen, wurde von dieser Verordnungsermächtigung noch nicht Gebrauch gemacht. Darüber hinaus wurde mit der Novelle BGBl I 1999/155 die Möglichkeit einer in Verordnungsform zu schaffenden Typengenehmigung verankert, die eine Genehmigung der betreffenden Anlagen oder Anlagenteile im Einzelfall entbehrlich macht (§ 12c WRG). Auch diese Ermächtigung blieb bislang ungenutzt.
C. Bewilligungskriterien § 11 Abs 1 WRG verpflichtet die Behörde dazu, bei der Erteilung der Bewilligung jedenfalls den Ort, die Art und das Maß der Wasserbenutzung zu bestimmen. Die Bewilligungsvoraussetzungen selbst werden in § 12 WRG genannt. § 12 Abs 1 WRG führt aus, dass die Bestimmung von Art und Maß der Wasserbenutzung so zu treffen ist, „dass das öffentliche Interesse126 (§ 105) nicht beeinträchtigt und bestehende Rechte nicht verletzt werden“. „Bestehende Rechte“, deren Beeinträchtigung hinanzuhalten ist, werden in § 12 Abs 2 WRG näher definiert. Zum einen sind davon rechtmäßig geübte Wassernutzungen mit Ausnahme des Gemeingebrauchs erfasst.127 Bestehende Rechte sind weiters die Nutzungsbefugnisse nach § 5 Abs 2 WRG und das Grundeigentum. Als rechtmäßig geübte Wassernutzungen sind solche zu verstehen, die durch Bewilligungsbescheid gestattet sind. Steht dabei die geplante mit bestehenden Nutzungen 123 124 125 126 127
Raschauer, § 9 Rz 11. Einen Gemeingebrauch am Grundwasser gibt es nicht. Das sind Vorrichtungen, bei denen das Wasser aufgrund der Druckverhältnisse im Boden - dh ohne einen Pump- oder Schöpfvorgang - austritt. Vgl dazu bereits oben Pkt III.E. Nicht hingegen das Recht zur Ausübung der Fischerei (VwSlg 5864).
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in Konkurrenz, so darf erst nach einer Sicherung bestehender Rechte ein Bedarf befriedigt werden (§ 16 WRG). Stehen mehrere (aktuelle) Wasserbenutzungen zueinander in Konkurrenz, so gebührt nach § 17 WRG jenem Projekt der Vorzug, „das dem öffentlichen Interesse besser dient“. Der angesprochene Verweis auf § 5 Abs 2 WRG erfasst die bewilligungsfreie Benutzung von Privatgewässern. Als Nutzungsbefugnis ist die im § 5 WRG eingeräumte (bloße) Möglichkeit der Benutzung von Privatgewässern zu verstehen, also unabhängig davon, ob von dieser Befugnis tatsächlich Gebrauch gemacht wird.128 Die Bedachtnahme auf das Grundeigentum erfordert die Bedachtnahme auf projektsgemäß vorgesehene Eingriffe in die Substanz des Grundeigentums wie zB die Inanspruchnahme fremden Grundes oder aber eine Austrocknung, Überschwemmung oder Versumpfung.129 Die Behörde hat die Benutzung sowohl in qualitativer („Art“) als auch quantitativer („Maß“) Hinsicht zu bestimmen. Der VwGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Träger eines nach § 12 Abs 2 WRG wasserrechtlich geschützten Rechtes einen Anspruch darauf hat, dass bei der Erteilung der Bewilligung eine Aussage darüber getroffen wird, ob und in welchem Umfang mit nachteiligen Auswirkungen zu rechnen ist. Wird eine Beeinträchtigung festgestellt, so ist das Ansuchen abzuweisen, oder zu prüfen, ob die bestehenden Rechte durch Zwangsrechte beseitigt oder beschränkt werden können, oder ob das Projekt mit Zustimmung des Konsenswerbers „entsprechend“ modifiziert werden kann.130 Eine Verletzung bestehender Rechte kann nur dann angenommen werden, wenn die zu erwartende Beeinträchtigung einwandfrei hervorgekommen ist; die bloße Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit einer Verletzung reicht nicht aus.131 Für die Bestimmung des „Maßes“ der Wasserbenutzung enthält § 13 WRG konkretere Vorgaben. Zu berücksichtigen sind neben dem Bedarf des Bewilligungswerbers132 bestehende wasserwirtschaftliche Verhältnisse, beim Grundwasser dessen natürliche Erneuerung sowie die möglichst sparsame Verwendung. Schranken für die Bestimmung der Wasserbenutzung ergeben sich zum einen noch daraus, dass den Gemeinden, Ortschaften oder Ansiedlungen das für die Abwendung von Feuersgefahren, für sonstige öffentliche Zwecke oder für Zwecke des Haus- und Wirtschaftsbedarfes ihrer Bewohner notwendige Wasser keinesfalls entzogen werden darf (§ 13 Abs 3 WRG).133 Überdies muss ein Teil des jeweiligen Zuflusses zur Erhaltung eines ökologisch funktionsfähigen Gewässers sowie für andere höherwertige Zwecke, insbesondere jene der Wasserversorgung, erhalten bleiben. Die Bestimmung hat sich überdies am Stand der Technik zu orientieren.134 128 129
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VwGH 2.10.1997, 97/07/0072 = RdU 160/1999 mAnm Raschauer. Dazu Schnedl, 7 mwN. Nicht erfasst ist beispielsweise die Erhöhung der Blitzschlaggefahr (VwGH 23.2.1968, 129/68 = Oberleitner, Kommentar 2000 § 12 E.56) oder die leichtere Zugänglichkeit des Besitzes (VwGH 9.2.1967, 1212, 1579/66 = Oberleitner, Kommentar 2000 § 12 E.57). VwGH 8.4.1997, 96/07/0195; VwGH 19.3.1998, 98/07/0025. VwGH 21.12.1995, 95/07/0035. Die von der Wasserrechtsbehörde zu konstituierende Wassermenge darf nicht über den Bedarf des Bewilligungswerbers hinausgehen. Siehe VwGH 22.2.2001, 2001/07/0101 = ZfVB 2002/1014. Den Gemeinden kommt im wasserrechtlichen Verfahren zur Wahrung (nur) der hier genannten Interessen Parteistellung zu (§ 102 Abs 1 lit d WRG). Die Verwendung des Wassers für Beschneiungsanlagen fällt nicht unter die in § 13 Abs 3 WRG genannten „öffentlichen Zwecke“ (VwGH 10.7.1997, 97/07/0004; dazu auch VwGH 26.4.1995, 92/07/0159). Durch die Verweisungsnorm des § 32 Abs 6 WRG ist klargestellt, dass den Gemeinden auch in den Verfahren nach § 32 WRG Parteistellung zukommt (VwGH 25.4.1996, 93/07/0082 = RdU 29/1997). § 12a WRG. Siehe bereits oben Pkt III.F.
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Eine Bewilligung nach den §§ 11ff WRG darf nur auf Antrag erteilt werden. Werden durch ein wasserrechtlich bewilligungspflichtiges Vorhaben bestehende Rechte verletzt, so darf die Bewilligung nur erteilt werden, wenn die Inhaber dieser Rechte zustimmen. Die fehlende Zustimmung könnte unter den Voraussetzungen der §§ 60ff WRG durch ein Zwangsrecht ersetzt werden. Kommt die Einräumung eines Zwangsrechtes nicht in Betracht, so ist der Antrag abzuweisen. Werden durch eine Anlage öffentliche Interessen gefährdet, so hat die Behörde zu prüfen, ob diese Gefährdung durch die Vorschreibung von Auflagen oder Nebenbestimmungen vermieden werden kann (§ 105 WRG). Kann die Gefährdung nicht beseitigt werden, so ist das Projekt nicht bewilligungsfähig.135 Die in § 105 Abs 1 WRG angeführten öffentlichen Interessen können auch untereinander in ein Kollisionsverhältnis geraten. Die Behörde ist verpflichtet, bei der Erteilung einer wasserrechtlichen Bewilligung einen Abwägungsprozess vorzunehmen. Sie hat einerseits das geplante Vorhaben an den öffentlichen Interessen zu messen, zu deren Schutz die Wasserrechtsbehörde verpflichtet ist, zum anderen auch einen Ausgleich unter den berührten öffentlichen Interessen zu finden. Das Ergebnis dieses mehrdimensionalen Abwägungsprozesses kann die Feststellung sein, dass ein bestimmtes Vorhaben dem - dermaßen synthetisierten - öffentlichen Interesse widerspricht und auch nicht durch Auflagen konsensfähig gemacht werden kann.136 Eine Abwägung der dem Projekt entgegenstehenden öffentlichen Interessen mit den damit verbundenen privaten Interessen ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen.137 Dem Antragsteller kommt ein Anspruch auf Erteilung der Bewilligung zu, wenn das Ermittlungsverfahren diese Bewilligung und sei es auch nur unter zahlreichen Auflagen und Nebenbestimmungen - zulässt.138
D. Befristung, Abänderung der Bewilligung, persönliche und dingliche Bindung Die Bewilligung einer Gewässerbenutzung ist regelmäßig zu befristen. Die Fristbemessung ist von der Behörde nach Abwägung bestimmter in § 21 Abs 1 WRG genannter Gründe vorzunehmen. Die zitierte Bestimmung legt aber auch Höchstgrenzen fest. Wasserentnahmen für Bewässerungszwecke dürfen für höchstens zehn Jahre, andere Nutzungen für höchstens 90 Jahre bewilligt werden. Der bisher Berechtigte hat einen Anspruch auf Wiederverleihung des Benutzungsrechtes, wenn öffentliche Interessen nicht entgegenstehen und die Wasserbenutzung unter Beachtung des Standes der Technik erfolgt (§ 21 Abs 3 WRG).139 Seit der WRG-Novelle 1990 ist die Behörde verpflichtet, die einmal erteilte Benutzungsbewilligung abzuändern, wenn sich ergibt, dass die öffentlichen Interessen (nicht aber bestehende Rechte) nicht hinreichend geschützt sind. In 135
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VwGH 14.12.1993, 93/07/0064 = RdU 19/1994 mAnm Raschauer. Eingehend zur Handhabung des öffentlichen Interesses im wasserrechtlichen Verfahren Oberleitner, Öffentliches Interesse 4, insb 9ff. Rossmann, Wasserrechtsgesetz § 105 Anm 1. Zur Handhabung des öffentlichen Interesses ausführlich Oberleitner, Öffentliches Interesse 4ff. VwGH 25.9.1990, 86/07/0246 = Oberleitner, Kommentar 2000 § 105 E.27. VwGH 10.10.1989, 90/07/0115 = Oberleitner, Kommentar 2000 § 105 E.26. Zur Maßgeblichkeit des Standes der Technik im Zeitpunkt der Wiederverleihung VwGH 13.4.2000, 97/07/0167 = RdU 28/2000.
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Betracht kommen die Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen, die Festlegung von Anpassungszielen, der Auftrag zur Vorlage entsprechender Projektunterlagen oder die Einschränkung der Wasserbenützung vorübergehend oder auf Dauer (§ 21a WRG). Die Behörde hat dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Da § 21a WRG einen Eingriff in bestehende Rechte ermöglicht, kommt einer präzisen Ermittlung des Vorliegens der Voraussetzungen der zitierten Bestimmung eine besondere Bedeutung zu. Bloß allgemein gehaltene Erwägungen können einen solchen Eingriff nicht tragen.140 Abgesehen von der Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kommt der Behörde aber ein weit gespannter Handlungsspielraum zu. Die Maßnahmen des § 21a WRG können auch kumulativ angeordnet werden; und auch ein Eingriff in die Rechte Dritter sowie die Einräumung von Zwangsrechten kommt in Betracht.141 Anpassungsaufträge können auch dann erteilt werden, wenn der nicht hinreichende Schutz öffentlicher Interessen auf ein Versäumnis der Behörden zurückzuführen ist.142
Einen Eingriff in die bewilligte Wasserbenutzung lässt auch § 25 WRG zu. Können wegen Wassermangels die bestehenden Wasserbenutzungsrechte nicht befriedigt werden, und kommt unter den Berechtigten auch keine Einigung zustande, so hat die Behörde die Benutzungsrechte unter den Voraussetzungen des § 25 WRG „neu“ zu verteilen. Ist ein Wasserbenutzungsrecht mit einer Betriebsanlage oder einer Liegenschaft verbunden, so steht dieses Recht dem jeweiligen Eigentümer143 zu. Mit der Übertragung des Eigentums geht auch das Wasserbenutzungsrecht über. Die Übertragung des Eigentums ist der Behörde anzuzeigen und von dieser im Wasserbuch ersichtlich zu machen.144 Bei nicht ortsfesten Wasserbenutzungsanlagen stellt das verliehene Recht ein persönliches Recht dar (§ 22 Abs 1 WRG).
V. Gewässerschutz A. Vorbemerkung Der dritte Abschnitt des WRG regelt nunmehr145 die „Nachhaltige Bewirtschaftung“, und dabei „insbesondere“ den „Schutz und die Reinhaltung der Gewässer“146 (§§ 30 bis 37 WRG). Während die bisher vorgestellten Regelungen über die Gewässerbenutzung vordringlich auf die „sozialverträgliche“ Abstimmung 140 141 142 143
144 145 146
zB VwGH 21.9.1995, 95/07/0037; VwGH 11.7.1996, 93/07/0180 = RdU 99/1998; VwGH 11.9.1997, 94/07/0166; VwGH 14.12.2000, 98/07/0048. VwGH 11.9.1997, 94/07/0166, 0186, 0190 = RdU 81/2001. VwGH 21.9.1995, 95/07/0037 = RdU 88/1996. Das WRG knüpft an den zivilrechtlichen Eigentumsbegriff an (VwGH 14.5.1997, 97/07/0012 = Oberleitner, Kommentar 2000 § 22 E.20). Die Pachtung bewirkt nicht den Übergang des Nutzungsrechts (VwGH 28. 7. 1994, 92/07/0154 = Oberleitner, Kommentar 2000 § 22 E.17). Die Ersichtlichmachung im Wasserbuch hat nur deklarative Wirkung (zB VwGH 29.6.1982, 82/07/0116). Der Titel wurde durch die WRG-Nov 2003, BGBl I 2003/82 erweitert. Die Überschrift wurde mit der WRG-Nov 2003, BGBl I 2003/82, insofern geändert als sie um die „nachhaltige Bewirtschaftung“ erweitert wurde.
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von Nutzungsrechten zielen, sohin quantitative Aspekte im Vordergrund stehen, sind Regelungen über die nachhaltige Bewirtschaftung, die Reinhaltung und den Schutz primär147 auf die Erhaltung und Verbesserung der Qualität des Wassers ausgerichtet. Nur Wasser in bestimmter Qualität vermag die ihm zukommende Funktion als wichtigste und unverzichtbare Lebensgrundlage zu erfüllen. Geradezu selbstverständlich ergibt sich daraus ein Bedarf an besonderen Schutzbestimmungen. Der Reinhaltungsabschnitt wurde in den letzten Jahren viele Male novelliert und erweitert.148 Das ist verständlich, weil der technische Fortschritt und die immer intensivere Inanspruchnahme des Wassers das Gefährdungspotential für die Wasserqualität erhöhen. Der dritte Abschnitt enthält an seiner Spitze eine Auflistung der Schutzziele und Begriffsdefinitionen (§ 30 WRG) sowie eine für jedermann geltende allgemeine Sorgfaltspflicht. Daran schließen sich Bewilligungspflichten für gefahrengeneigte Anlagen (§ 31a und § 31c WRG) sowie für projektsgemäße Einwirkungen auf Gewässer (§ 32 WRG).
§ 30 Abs 1 WRG nennt einen denkbar weiten Katalog149 von Schutzzielen, nämlich die Gesundheit von Mensch und Tier, das Landschaftsbild sowie die Vermeidung sonstiger fühlbarer Schädigungen, die Vermeidung einer Verschlechterung, der Schutz und die Verbesserung des Zustandes der aquatischen Ökosysteme und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf den Wasserhaushalt, die Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung auf der Grundlage eines langfristigen Schutzes der vorhandenen Ressourcen und die Verbesserung der aquatischen Umwelt ua durch spezifische Maßnahmen zur schrittweisen Reduzierung von Einleitungen, Emissionen und Verlusten von gefährlichen Schadstoffen. Grund- und Quellwasser ist so reinzuhalten, dass es als Trinkwasser verwendet werden kann. Grundwasser ist des Weiteren derart zu schützen, dass eine schrittweise Reduzierung der Verschmutzung und die Verhinderung der weiteren Verschmutzung sichergestellt wird („Trendumkehr“). Und schließlich sind Oberflächengewässer so reinzuhalten, dass Tagwässer zum Gemeingebrauch sowie zu gewerblichen Zwecken benutzt und Fischwässer erhalten werden können. Diese in Abs 1 festgelegten Ziele werden sodann durch Abs 2 noch weiter final determiniert. Nach dieser Anordnung soll nämlich Abs 1 zur Erreichung weiterer Ziele - wie zB die Minderung der Auswirkungen von Dürren und Überschwemmungen oder die ausreichende Versorgung mit Oberflächen- und Grundwasser 147 148
149
Auch wenn seit der WRG-Nov 2003, BGBl I 2003/82 die „nachhaltige Wassernutzung“ (§ 30 Abs 1 Z 4 WRG) zu den Reinhaltungszielen gehört. Vgl dazu Preiß, 177. Der Reinhaltungsabschnitt wurde im Jahr 1959 eingefügt und seither sukzessive ausgebaut. Unter den zahlreichen Novellierungen ragt zunächst jene des Jahres 1990 heraus. Mit ihr wurden Emissions- und Immissionsregelungen sowie eine Reihe weiterer Bewilligungstatbestände eingeführt. Das vorgesehene hohe Schutzniveau wurde wenig später wieder etwas zurückgenommen und damit ua auch eine im Bereich der kommunalen Abwasserentsorgung überforderte Praxis legalisiert (dazu die Kritik von Raschauer, § 33g Rz 2). Die Novellen der jüngeren Vergangenheit stehen im Zeichen von Verfahrenserleichterungen, der Konzentration von Bewilligungsverfahren und - wie etwa bei den Indirekteinleitern - einem Rückbau der Bewilligungspflichten. Einschneidende Veränderungen brachte sodann wiederum die WRG-Nov 2003. Durch diese, die WRRL umsetzende Novelle wurden in den dritten Abschnitt des Gesetzes Ansätze eines quantitativen Gewässerschutzes eingebaut, des Weiteren die Zielvorgaben für Oberflächengewässer und das Grundwasser (§§ 30a und 30c WRG). Diesen Bestimmungen kommt - wie schon erwähnt (oben Pkt III.E.) - abschnittsübergreifende Bedeutung zu. Dieser Katalog wurde durch die WRG-Nov 2003 erheblich erweitert.
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guter Qualität - beitragen. Die Bedeutung dieses neuen, durch die WRG-Nov 2003 eingefügten Absatzes ist allerdings unklar.150 „Reinhaltung der Gewässer“ wird definiert als „die Erhaltung der natürlichen Beschaffenheit des Wassers in physikalischer, chemischer und biologischer Hinsicht (Wassergüte)“, unter „Verunreinigung“ wird „jede Beeinträchtigung dieser Beschaffenheit und jede Minderung des Selbstreinigungsvermögens“ (§ 30 Abs 3 Z 1 WRG) verstanden. „Schutz der Gewässer“ bedeutet die „Erhaltung der natürlichen Beschaffenheit von Oberflächengewässern einschließlich ihrer hydro-morphologischen Eigenschaften und der für den ökologischen Zustand maßgeblichen Uferbereiche sowie der Schutz des Grundwassers“ (§ 30 Abs 3 Z 2 WRG). Als „Verschmutzung“ definiert das Gesetz in § 30 Abs 3 Z 3 WRG „die durch menschliche Tätigkeiten direkt oder indirekt bewirkte Freisetzung von Stoffen oder Wärme in Wasser, die der menschlichen Gesundheit oder der Qualität der aquatischen Ökosysteme oder der direkt von ihnen abhängigen Landökosysteme schaden können oder eine Beeinträchtigung der Störung des Erholungswertes und anderer legitimer Nutzungen der Umwelt mit sich bringen“.151 Das Reinhaltungsziel des § 30 WRG besteht unabhängig von der Wasserqualität und erfasst daher auch bereits beeinträchtigte Gewässer.152 Diese Zielnorm ist nicht unmittelbar anwendbar. Ihr kommt auslegungs- und ermessensleitende Funktion zu.153
B. Allgemeine wasserrechtliche Sorgfaltspflicht (§ 31 WRG) § 31 WRG statuiert eine jedermann treffende Pflicht, eine Gewässerverunreinigung zu vermeiden. Im Sinne der Definition der „Verunreinigung“ in § 30 Abs 3 Z 1 WRG ist somit jegliche Beeinträchtigung der natürlichen Beschaffenheit des Wassers in physikalischer, chemischer und biologischer Hinsicht und jede Minderung des Selbstreinigungsvermögens zu vermeiden. Diese allgemeine Pflicht bezieht sich nach dem Gesetzeswortlaut auch auf den Betrieb von Anlagen. Sofern Anlagen eine Einwirkung auf Gewässer herbeiführen können, sind sie so herzustellen, instand zu halten und zu betreiben, dass eine Gewässerverunreinigung vermieden wird.154 Für den Fall, dass dennoch155 die 150 151
152 153 154
Vgl Oberleitner, Kommentar 2004 § 30 Rz 6. Der Verschmutzungsbegriff wurde in Umsetzung der WRRL durch die WRG-Nov 2003 eingefügt und entspricht wortgleich der Richtliniendefinition (Art 2 Z 33 WRRL). Der Unterschied zwischen Verunreinigung und Verschmutzung soll nach den Erläuterungen (RV 121 BlgNR 22. GP 6) darin bestehen, dass die Verunreinigung jegliche, auch noch so geringfügige Abweichung von der natürlichen Beschaffenheit erfasst, während demgegenüber nur eine wesentliche Verunreinigung im Sinne einer mehr als geringfügigen Verunreinigung als Verschmutzung gilt. Es lässt sich wohl konstatieren, dass die Unterscheidung eine feinsinnige ist. Während die Verunreinigung als ein Zustand beschrieben wird, wird die Verschmutzung über bestimmte Verhaltensweisen mit bestimmtem Schädigungspotential definiert. Und etwas verwirrend ist es, wenn zB in der Strafbestimmung des § 137 Abs 3 Z 11 WRG von „erheblicher Verunreinigung“ die Rede ist. VwGH 25.11.1999, 99/07/0144 = ZfVB 2001/748. ZB Raschauer, § 30 Rz 1. Nach Ansicht des VwGH erstreckt sich diese Sorgfaltspflicht auf Maßnahmen, die typischerweise geeignet sind, eine Einwirkung auf Gewässer herbeizuführen. Beispielsweise erwähnt seien das Lagern von Autowracks oder anderen gefährlichen Stoffen (VwGH 27.11.1990, 90/07/0120). Ist die Einwirkung allerdings bloß geringfügig, so geht der VwGH aufgrund einer systematischen Interpretation davon aus, dass § 31 WRG nicht anzuwenden ist (Raschauer, § 31 Rz 7).
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Gefahr156 einer Gewässerverunreinigung eintritt, sehen die Abs 2ff ein je nach Dringlichkeit abgestuftes Programm an Verhaltenspflichten vor. Dazu zählen unverzüglich zu ergreifende Abwehrmaßnahmen, Verständigungspflichten, behördliche Aufträge sowie in Fällen besonderer Dringlichkeit auch die Vornahme von Abwehrmaßnahmen. Zu ihrer Anordnung ist der Bürgermeister zuständig. Derartige Schutzmaßnahmen und behördliche Aufträge sind bewilligungsfrei (§ 31 Abs 5 WRG).
C. Bewilligungspflichten Die Bewilligungspflichten des 3. Abschnittes lassen sich zwei Kategorien zuordnen: Man unterscheidet zwischen Vorsorge- und Einwirkungstatbeständen. Die (historisch ältere) Einwirkungsbewilligung nach § 32 WRG unterwirft Einwirkungen auf Gewässer einer Bewilligungspflicht. Erfasst sind (undifferenziert) alle Vorhaben - die nach der Formel des VwGH - „regelmäßig und typisch“ zu einer Gewässerverunreinigung führen.157 § 32 WRG zielt darauf ab, diese Einwirkungen zu minimieren. Zu den Vorsorgetatbeständen zählen vor allem die Anlagen und Vorhaben nach § 31a und § 31c WRG.158 Vorsorgecharakter kommt diesen Maßnahmen deshalb zu, weil sie nicht regelmäßig und typisch mit einer Einwirkung auf Gewässer verbunden sind, die Gefahr einer solchen aber besteht. Diese Tatbestände zielen auf die Vermeidung von Gewässerverunreinigungen.
D. Einwirkungsbewilligung nach § 32 WRG Der Einwirkungstatbestand des § 32 WRG umschreibt die Bewilligungspflicht in Abs 1 in Form einer Generalklausel, die durch eine demonstrative159 Aufzählung von Maßnahmen in Abs 2 konkretisiert wird. Die Abs 3 und 4 sind als Sonderbewilligungstatbestände zu verstehen. In Bezug auf Betriebsanlagen erfährt der Gewässerschutz durch die Bewilligungspflicht des § 74 Abs 2 Z 4 GewO noch eine Ergänzung.
155
156
157 158
159
Nach der Judikatur sind auch Personen zum Handeln verpflichtet, die keine Pflichten verletzt haben (VwGH 12.2.1993, 90/07/0105). Die Pflicht trifft aber nur jene, die faktisch und rechtlich in der Lage sind, die Gefahr zu beherrschen. Maßgeblich ist die wirtschaftliche Verfügungsmacht über eine Anlage. Im Regelfall trifft diese Verpflichtung den Eigentümer oder Bestandnehmer. Es kommt auf eine konkrete Gefahr einer Gewässerverunreinigung, und nicht auf die abstrakte Gefährdungsmöglichkeit an (VwGH 3.7.1984, 84/07/0028 = Oberleitner, Kommentar 2004 § 31 E.22). VwGH 13.4.1967, 1095/66; VwGH 1.6.1967, 1170/66. Vorsorgetatbestände wurden mit der Novelle 1969 in das WRG integriert. Der Gesetzgeber sah sich aufgrund eines Erkenntnisses des VwGH (VwSlg 7122 A) dazu veranlasst, der bis dahin auch Maßnahmen vom Einwirkungstatbestand des § 32 WRG erfasst sah, die bloß die Möglichkeit einer Gewässerverunreinigung in sich trugen. Vgl dazu ausführlich Preiß, 179. Vorsorgetatbestände finden sich - systemfremd - auch in § 32 Abs 3 und 4 WRG (dazu gleich unten Pkt D.1.). Bis zur WRG-Novelle 1997 war diese Aufzählung eine abschließende.
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1. Bewilligungspflicht Nach der Generalklausel des Abs 1 besteht Bewilligungspflicht für Einwirkungen auf Gewässer, die unmittelbar oder mittelbar deren Beschaffenheit beeinträchtigen. Mit dem Begriff „Gewässer“ sind Wasserwelle, Bett und Ufer erfasst, ferner Tagwässer ebenso wie das Grundwasser und zwar unabhängig vom Grad der Beeinträchtigung.160 Als „Einwirkung“ gilt die Einbringung von Stoffen jedweden Aggregatzustandes (auch die Einleitung von Flüssigkeiten) ebenso wie eine künstliche Temperaturveränderung.161 Bestimmte Einwirkungen - namentlich „bloß geringfügige Einwirkungen“ - werden grundsätzlich bewilligungsfrei gestellt. Diese Maßnahmen gelten bis zum Beweis des Gegenteils nicht als Beeinträchtigung. Das Gesetz selbst nennt beispielhaft den Gemeingebrauch sowie die ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung als bloß geringfügige Einwirkungen. Verschmutzungen iSd Definition in § 30 Abs 3 Z 3 WRG sind jedenfalls bewilligungspflichtig.162 Geringfügige Einwirkungen iSd zitierten Gesetzesbestimmung sind nach VwGH solche, die einer zweckentsprechenden Nutzung des Gewässers nicht im Wege stehen. Zweckentsprechend ist die Nutzung dann, wenn sie mit den in § 30 Abs 1 WRG genannten Schutzzielen vereinbar ist.163 Beispielsweise ist bei der Einbringung von Küchenabwässern in einen Bach mit nachteiligen Auswirkungen nicht bloß geringfügiger Art zu rechnen.164 Nicht bloß geringfügig und daher bewilligungspflichtig ist auch die Einwirkung, die durch die Versickerung bloß mechanisch gereinigter Abwässer165 oder durch den Betrieb einer Pflanzenkläranlage166 bewirkt wird; ebenso die großflächige Verrieselung von Straßenoberflächenwässern167. Als nicht mehr geringfügig sind auch kleine Verluste an Benzin und Öl anzusehen.168 Erst jüngst hat der VwGH klargestellt, dass die Ausbringung von Fäkalwässern auf landwirtschaftliche Flächen nicht nur nach § 32 Abs 2 lit f und g WRG169, sondern auch nach dem allgemeinen Tatbestand des § 32 Abs 2 lit c WRG zu beurteilen ist. Ist demnach mit einer nachteiligen Einwirkung auf die Beschaffenheit der Gewässer zu rechnen, so ist das Ausbringen bewilligungspflichtig, und es ist nicht mehr näher zu untersuchen, ob eine bloß geringfügige Einwirkung iSd § 32 Abs 1 WRG vorliegt. Um eine ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung kann es sich dann eben gerade nicht mehr handeln.170 Nach einer Entscheidung des UVS Steiermark171 zählt das Errichten von Feldlagerstätten von Stallmist auf befestigtem Boden als eine Form der Zwischenlagerung über die Wintermonate zur ordnungsgemäßen landwirtschaftlichen Bodennutzung. Nach dem natürlichen Lauf der Dinge sei nämlich davon auszugehen, dass Abwässer aus Feldlagerstätten höchstens
160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171
Preiß, 179. Raschauer, § 32 Rz 1. Siehe RV 121 BlgNR 22. GP 6. VwGH 21.1.1992, 88/07/0129; VwGH 19. 3. 1998, 97/07/0131 (die Einbringung von 300 kg Farbstoff in ein fließendes Gewässer ist nicht bloß geringfügig). VwGH 25.2.1975, 2037/71. VwGH 20.7.1995, 95/07/0044. VwGH 25.1.1996, 93/07/0176. VwGH 25.4.1996, 93/07/0082 = RdU 29/1997. VwGH 15.9.1987, 87/07/0089. Durch BGBl I 2005/87 wurde § 32 Abs 2 lit f geändert und lit g aufgehoben. VwGH 25.11.1999, 98/07/0091 = RdU 2001/37 = ZfVB 2001/736. 29.11.2002, UVS-30.1-22/02.
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geringfügig versickern können und eine Einwirkung auf das Grundwasser entweder gar nicht oder nur geringfügig erfolgt. Die ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung wird in § 32 Abs 8 WRG definiert als eine Bodennutzung, „die unter Einhaltung der bezughabenden Rechtsvorschriften insbesondere betreffend Chemikalien, Pflanzenschutz und Düngemittel, Klärschlamm, Bodenschutz und Waldbehandlung, sowie besonderer wasserrechtlicher Anordnungen erfolgt“. Auch wenn geringfügige Einwirkungen durch § 32 Abs 1 WRG bewilligungsfrei gestellt sind, so ist doch zu beachten, dass seit dem In-Kraft-Treten der WRG-Nov 2003172, eine Verschlechterung des jeweiligen Zustandes der Gewässer verboten ist (§§ 30 Abs 1 Z 3, 30a Abs 1 und 30c Abs 1 WRG). Auch eine Einwirkung, die - im Sinne der Judikatur des VwGH - einer zweckentsprechenden Nutzung nicht entgegensteht, könnte eine Verschlechterung bewirken und daher unzulässig sein. Kontrastiert man den Wortlaut der Anordnung des § 32 Abs 1 WRG mit den Definitionen in § 30 Abs 3 WRG, so ergeben sich feine Unterschiede und dadurch offene Fragen. So ist zB die Beeinträchtigung der Beschaffenheit bewilligungspflichtig, nicht aber die Minderung des Selbstreinigungsvermögens.173 Und auch die Bewilligungspflicht des § 32 Abs 1 WRG knüpft an die (nicht bloß geringfügige) Zustandsverschlechterung an, und nicht an bestimmte Aktivitäten mit Schädigungspotential, wie das in der Definition des Verschmutzungsbegriffs vorgesehen ist. Insofern ist der Verschmutzungsbegriff enger als der Begriff der Verunreinigung nach Abzug der bloß geringfügigen Einwirkungen. Nach der Intention des Gesetzgebers dürfte allerdings der Bewilligungstatbestand des § 32 Abs 1 WRG mit der „Verschmutzung“ nach § 30 Abs 1 Z 3 WRG gleichzusetzen sein.174 Solcherart sich überlagernde Begrifflichkeiten provozieren allerdings - mE vermeidbare - Auslegungsprobleme.
Eine Bewilligungspflicht ist bereits dann gegeben, wenn - so der VwGH in ständiger Judikatur - „nach dem natürlichen Lauf der Dinge mit nachteiligen Einwirkungen auf die Beschaffenheit der Gewässer zu rechnen ist“. Unerheblich ist, ob die Gewässerverunreinigung tatsächlich eintritt sowie die Art der Nutzung des beeinträchtigten Gewässers („projektsgemäße und projekttypische“ Einwirkung175).176 Diese Formel ist auch bei der Abgrenzung zur Bewilligungspflicht nach den Vorsorgetatbeständen des § 31a und 31c WRG zu beachten. Sofern die dort genannten Vorhaben projektsgemäß und projekttypisch mit einer Einwirkung auf Gewässer verbunden sind, sind sie nach § 32 WRG bewilligungspflichtig. Und nach eben dieser Formel bestimmt sich auch die Abgrenzung zu § 31 WRG. Ist die Einwirkung nicht projektsgemäß und projekttypisch, tritt sie dann aber dennoch auf, so ist nach § 31 WRG vorzugehen.177 Diese Formel ist dann des Weiteren noch bei Betriebsanlagen für die Abgrenzung einer Bewilligungspflicht nach § 32 WRG gegenüber jener nach § 74 Abs 2 Z 5 GewO von Bedeutung. Diese „Mehrgleisigkeit“ des Gewässerschutzes wirft mitunter diffizile Abgrenzungsfragen auf (dazu gleich unten unter 2.). 172 173 174 175 176 177
Das ist der 22. Dezember 2003. So die Definition der „Verunreinigung“ in § 30 Abs 3 Z 1 WRG. RV 121 BlgNR 22. GP 6. Vgl dazu Preiß, 180. VwGH 30.1.1964, 391/63; VwGH 19.3.1985, 84/07/0393; VwGH 18.3.1994, 93/07/0187; VwGH 20.2.1997, 96/07/0130; VwGH 18.2.1999, 99/07/0007. Ein an sich dichter Tank wird undicht. So Raschauer, § 32 Rz 13.
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Die Generalklausel des Abs 1 wird durch eine beispielhafte Aufzählung von bewilligungspflichtigen Maßnahmen konkretisiert. Diese Auflistung zeigt, dass mit dem Begriff der „Einwirkung“ ein weiter Begriffsinhalt verbunden ist. Bewilligungspflichtig sind insbesondere: • die Einbringung von Stoffen in jedwedem Aggregatzustand mit den dafür erforderlichen Anlagen178; • Einwirkungen auf Gewässer durch ionisierende Strahlung oder Temperaturveränderung; • Grundwasserverunreinigende Versickerungen179; • die Verrieselung oder Verregnung von städtischen oder gewerblichen Abwässern; • eine erhebliche Änderung der Menge oder Beschaffenheit einer Einwirkung; • unter näher bezeichneten Voraussetzungen das Ausbringen bestimmter Dünger. Die hier genannten Einwirkungen sind „nach Maßgabe des Abs 1“ bewilligungspflichtig. Der Wortlaut legt nun mE ein Verständnis nahe, wonach die Bewilligungspflicht für die in Abs 2 beispielhaft genannten Vorhaben nur dann besteht, wenn die Voraussetzung „projektsgemäße und projekttypische Einwirkung“ gegeben und die Geringfügigkeitsgrenze überschritten ist. Anderer Auffassung ist aber offenkundig der VwGH.180 Weist eine Maßnahme (konkret: das Ausbringen von Dünger) das Gefährdungspotential auf, das Grundwasser zu verunreinigen, dann besteht die Bewilligungspflicht nach § 32 Abs 2 lit c WRG auch dann, wenn die Maßnahme unter den Mengenschwellen der lit f bleibt, demnach eine ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung ist181 und daher nur eine geringfügige Einwirkung darstellt.182 Mit dieser Auffassung setzt sich der VwGH über den Wortlaut des § 32 Abs 2 WRG hinweg, weil damit der Wortfolge „nach Maßgabe des Abs 1“ keine Bedeutung mehr zukommt. Unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten hat die Argumentation des VwGH allerdings auch etwas für sich. Besteht die Gefahr einer Grundwasserverunreinigung, dann soll sich die Prüfung dahingehend, ob es sich um eine „geringfügige“ Einwirkung handelt, angesichts der Bedeutung des Grundwasserschutzes erübrigen. Die Gefahr einer Grundwasserverunreinigung muss jedenfalls im Wege einer Bewilligungspflicht unter staatliche Kontrolle gestellt werden. 178
179
180 181 182
Raschauer, § 32 Rz 5 nennt beispielsweise Abwassereinleitungen, den übermäßigen Fischbesatz und die Einbringung von Fischfutter in Gewässer oder das Einlegen von Holzstämmen zur Nasskonservierung. Sickergruben privater Haushalte fallen unter die Bewilligungspflicht des § 32 WRG, nach der Judikatur hingegen nicht die Senkgruben und Güllebehälter, weil bei ihnen nicht projektsgemäß von einer Einwirkung auszugehen ist. Näher dazu Raschauer, § 32 Rz 7. VwGH 25.11.1999, 98/07/0091 = RdU 2001/37. Die Definition derselben stellt ja „bloß“ darauf ab, dass die bezughabenden Vorschriften eingehalten werden. Es heißt im Gesetzestext: „Bloß geringfügige Einwirkungen, insbesondere der Gemeingebrauch (§ 8) sowie die ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung, gelten …
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Die Textierung des § 32 Abs 2 WRG ist in zweifacher Hinsicht mangelhaft. Grundsätzlich macht eine beispielhafte Aufzählung von bewilligungspflichtigen Maßnahmen nur dann Sinn, wenn die genannten Maßnahmen bedingungslos bewilligungspflichtig sind, wenn also damit im konkreten Fall Maßnahmen genannt werden, die über der in Abs 1 genannten Geringfügigkeitsschwelle liegen. Die meisten der in § 32 Abs 2 WRG genannten Maßnahmen - nämlich die in lit b bis f aufgezählten - würden sich für ein derartiges Verständnis eignen. Ein solches Verständnis eignet sich allerdings nicht für die in der lit a genannten Vorhaben. Bei diesen macht eine Geringfügigkeitsprüfung Sinn, weil andernfalls jede Einwirkung auf Gewässer die Bewilligungspflicht auslöste. Die Aufzählung des § 32 Abs 2 WRG ist aber auch insofern zu bemängeln, als die Tatbestände ein unterschiedliches Abstraktionsniveau aufweisen und mE die Tatbestände der lit d und f als eine Konkretisierung des Grundwasserschutztatbestandes der lit c anzusehen sind. Dadurch ist mE erst recht ein Verständnis nahe gelegt, wonach Maßnahmen nach der lit f dann nicht bewilligungspflichtig sind, wenn die Mengenschwellen unterschritten werden.
In den Absätzen 3 und 4 des § 32 WRG werden Anlagen und Maßnahmen genannt, die jedenfalls bewilligungspflichtig sind. Da ein Verweis auf die Voraussetzungen des Abs 1 fehlt, besteht die Bewilligungspflicht auch dann, wenn von der Anlage nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit keinen nachteiligen Einwirkungen auf die Beschaffenheit der Gewässer zu rechnen ist. Insofern wurden an sich - wie Raschauer183 zu Recht meint - systemfremd zwei Vorsorgetatbestände in den § 32 WRG „eingeschleust“. Jedenfalls bewilligungspflichtig ist nach Abs 3 die Errichtung oder Änderung von Anlagen zur Reinigung öffentlicher Gewässer oder zur Verwertung fremder Abwässer. Abs 4 statuiert eine unbedingte Bewilligungspflicht für die künstliche Anreicherung von Grundwasser für Zwecke der öffentlichen Grundwasserbewirtschaftung. Einleitungen in wasserrechtlich bewilligte Kanalisationsanlagen (Indirekteinleiter) sind seit der WRG-Novelle 1997 (BGBl I 1997/74) grundsätzlich nicht mehr bewilligungspflichtig (§ 32b Abs 1 WRG)184. Erforderlich ist die Zustimmung des Kanalisationsbetreibers.185 Darüber hinaus sind besondere Mitteilungs-186 und Nachweispflichten (§ 32b Abs 3 WRG) des Indirekteinleiters vorgesehen. Dieser ist zudem verpflichtet, die einschlägigen Abwasseremissionsverordnungen zu beachten. Dem Kanalisationsunternehmen ist die 183
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Raschauer, § 32 Rz 11; aA Preiß, mit der Begründung, dass bei einer hohen Reinigungsleistung mit einer Abwasserreinigungsanlage regelmäßig eine verunreinigende Wirkung verbunden ist. Bis dahin waren Indirekteinleitungen in § 32 Abs 4 WRG geregelt und bewilligungspflichtig. Seit der Novelle 1997 sind sie ein Vorsorgetatbestand. Siehe dazu näher Oberleitner, Vereinfachungen 163 f. Fehlt diese, so kann die Indirekteinleitung nicht stattfinden (VwGH 13.4.2000, 97/07/0167). Die fehlende Zustimmung kann nicht durch die Wasserrechtsbehörde ersetzt werden. Und die Indirekteinleitung wird deshalb auch nicht bewilligungspflichtig. Aus diesem Grund kommt auch die Einräumung eines Zwangsrechtes nicht in Betracht (VwGH 26.2.1998, 98/07/0003 = RdU 111/1998 mAnm Raschauer). Sofern es sich um Abwasser handelt, dessen Beschaffenheit nicht nur geringfügig von dem häuslicher Abwässer abweicht, sind dem Kanalisationsunternehmen die einzubringenden Stoffe, die Frachten, die Abwassermenge sowie andere Einleitungs- und Überwachungsgegebenheiten mitzuteilen (§ 32b Abs 2 WRG).
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Führung von Verzeichnissen über diese Informationen sowie die Pflicht, der Wasserrechtsbehörde darüber zu berichten, aufgetragen. Er ist auch dafür verantwortlich, dass die wasserrechtliche Bewilligung zur Einbringung in den Vorfluter nicht überschritten wird. § 32b Abs 5 WRG verpflichtet den BMLFUW für bestimmte Indirekteinleitungen eine Bewilligungspflicht vorzusehen.187
2. „Exkurs“: Bewilligungspflicht nach § 74 Abs 2 Z 5 GewO Eine Bewilligungspflicht bei Einwirkungen auf Gewässer ist nicht nur in § 32 WRG, sondern auch in § 74 Abs 2 Z 5 GewO vorgesehen. Die genannte Vorschrift der GewO unterwirft Errichtung und Betrieb einer Betriebsanlage einer Genehmigungspflicht (nach der GewO), wenn diese (...) geeignet ist, „eine nachteilige Einwirkung auf die Beschaffenheit der Gewässer herbeizuführen, sofern nicht ohnedies eine Bewilligung auf Grund wasserrechtlicher Vorschriften vorgeschrieben ist“. Sieht man einmal von der ausdrücklichen Subsidiaritätsanordnung ab, so ist die Umschreibung der Bewilligungspflicht jener des § 32 WRG auffallend ähnlich. Die Bewilligungspflicht des § 74 Abs 2 Z 5 GewO ist aber kraft ausdrücklicher Anordnung jener des § 32 WRG gegenüber komplementär und kommt nur dann in Betracht, wenn eine wasserrechtliche Bewilligung nicht erforderlich ist. Diese „Erweiterung“ des Gewässerschutzes durch die GewO bleibt freilich nur auf die Betriebsanlagen iSd § 74 Abs 1 GewO beschränkt. Im Einzelnen ergeben sich dabei Abgrenzungsfragen: Unter den Bewilligungstatbestand des § 74 Abs 2 Z 5 GewO fallen zum einen - so die Materialien zur WRG-Novelle 1969 - jene Einwirkungen auf die Beschaffenheit der Gewässer, die nicht projektsgemäß und projekttypisch sind, wenn also nach der bekannten Formel „nach dem natürlichen Lauf der Dinge mit nachteiligen Einwirkungen auf die Beschaffenheit der Gewässer nicht zu rechnen ist“.188 Nach der eingangs vorgestellten Differenzierung in Vorsorgeund Einwirkungstatbestände, kommt diesem Bewilligungstatbestand insoweit Vorsorgecharakter zu. Die Bewilligungspflicht nach der GewO besteht aber nur, soweit die Betriebsanlage nicht von einem Vorsorgetatbestand des WRG erfasst wird, der seinerseits eine Bewilligungspflicht vorsieht.189 Eine Bewilligungspflicht für Betriebsanlagen wegen nachteiliger Einwirkungen auf Gewässer nach § 74 Abs 2 Z 5 GewO besteht aber auch dann, wenn diese Einwirkungen bloß geringfügig sind, weil nach der gesetzlichen Vermutung des § 32 Abs 1 zweiter Satz WRG solche bloß geringfügigen Einwirkungen bis zum Beweis des Gegenteils nicht als Beeinträchtigung gelten und nach § 32 WRG 187
188 189
So in § 2 Abs 2 der IEV. Wenn es in Abs 5 des § 32b WRG „Verfahren (§ 114)“ heißt, so ist dies als Bewilligungspflicht unter möglichster Anwendung des Anzeigeverfahrens zu verstehen (Oberleitner, Kommentar 2004 § 33 Rz 6). Zur Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität siehe F. Ermacora, 105 f. Vgl dazu die Nachweise oben unter 1. Unter den Bewilligungstatbestand des § 74 Abs 2 Z 5 GewO fallen daher Anlagen zur Lagerung und Leitung wassergefährdender Stoffe (§ 31a WRG), weil diese generell nach dem WRG bewilligungsfrei gestellt sind, wenn für diese Anlagen eine Bewilligungspflicht in anderen bundesrechtlichen Vorschriften, die gewässerschutzrelevante Kriterien berücksichtigen, vorgesehen sind (§ 31a Abs 5 und 6 WRG). Eine solche Norm ist nun § 74 Abs 2 Z 45 GewO.
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bewilligungsfrei gestellt sind. Die Bewilligungspflicht für geringfügige Einwirkungen besteht unabhängig davon, ob sie projektsgemäß und projekttypisch sind. Insoweit ist § 74 Abs 2 Z 5 GewO auch ein „Einwirkungstatbestand“. Wenngleich sich damit der Anwendungsbereich des Gewässerschutztatbestandes in der GewO gegenüber jenem des WRG (theoretisch) fassen lässt, ergeben sich im Einzelnen doch mE schwierige Abgrenzungsfragen. Zu bedenken ist nämlich, dass die Bewilligungspflicht nach der GewO immer nur dann gegeben ist, wenn die Betriebsanlage geeignet ist, eine „nachteilige Einwirkung auf die Beschaffenheit der Gewässer herbeizuführen“. Fraglich ist dann nämlich, ob und wie sich die Eignung zu bestimmten negativen Einwirkungen von jenen nicht geringfügigen Einwirkungen abgrenzen lässt, mit denen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu rechnen ist.190 Nach der Judikatur und Literatur ist für die Bewilligungspflicht nach § 74 GewO zunächst die konkrete Eignung, die näher bezeichneten Auswirkungen hervorzurufen, maßgeblich.191 Und die Bewilligungspflicht ist immer dann schon gegeben, wenn sich die beschriebenen Auswirkungen nicht ausschließen lassen. Fügt man nun diese Formeln zusammen, so unterliegt eine Betriebsanlage der Bewilligungspflicht nach § 74 Abs 2 Z 5 GewO dann, wenn mit einer nachteiligen Einwirkung auf die Beschaffenheit der Gewässer nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht zu rechnen ist, solche Einwirkungen sich aber auch nicht ausschließen lassen. Wie schon dargelegt, ist die Bewilligungspflicht nach § 74 Abs 2 Z 5 GewO auch dann anzunehmen, wenn die nachteilige Einwirkung auf Gewässer bloß geringfügig ist. Zur - im Einzelfall gewiss problematischen - Bestimmung der Geringfügigkeitsgrenze darf auf die Judikaturbeispiele oben unter Pkt 1 hingewiesen werden. Als geringfügige Einwirkung in Betracht kommt dann noch die „ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung“, sofern diese durch eine Betriebsanlage vorgenommen wird, nicht aber die Ausnahmebestimmung des Gemeingebrauchs, weil unter den Begriff des Gemeingebrauchs nur der Gebrauch des Wassers ohne besondere Vorrichtungen fällt. Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Anwendungsbereich für den Gewässerschutztatbestand des § 74 Abs 2 Z 5 GewO eng begrenzt ist.192 Und nur zur Verdeutlichung sei darauf hingewiesen, dass für eine Einwirkung, die weder nach dem WRG noch - mangels Eigenschaft als „Betriebsanlage iSd § 74 Abs 1 GewO – nach § 74 Abs 2 Z 5 GewO einer Bewilligungspflicht unterworfen ist, § 31 WRG maßgeblich ist.
3. Bewilligungskriterien Bewilligungen nach § 32 WRG bedürfen eines Antrages. Der Konsenswerber hat im Antrag bereits Maßnahmen vorzusehen, die zur Reinhaltung der Gewässer und zur Vermeidung von Schäden erforderlich sind (§ 33 Abs 1 Satz 2 WRG). Bewilligungskriterien sind in den §§ 30, 30a, 30b, 30c, 30d, 30e, 30f, 30g, 33, 104a, 105 und den §§ 11 bis 13 WRG193 festgelegt. Insbesondere die Umsetzung der WRRL durch die WRG-Nov 2003 hat zu einer „breiten Streuung“ der Bewilligungskriterien beigetragen. Nach Ansicht des VwGH ist der Zweck der Vorschrift des § 32 die weitest mögliche Reinhaltung und der Schutz der Gewässer im Sinne des § 30 WRG.194 190 191 192 193 194
Die ihrerseits eine Bewilligungspflicht nach § 74 Abs 2 Z 5 GewO ausschließen. Dazu beispielsweise Grabler/Stolzlechner/Wendl (FN 35) § 74 Rz 13 mit Bezugnahme auf VwGH 28.1.1997, 96/04/0283. Grabler/Stolzlechner/Wendl (FN 35) § 74 Rz 32. § 32 Abs 6 WRG erklärt die Bestimmungen über die Wasserbenutzungsanlagen für sinngemäß anwendbar. VwGH 13.9.1983, 83/07/0078.
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Zunächst sind im Bewilligungsverfahren die in § 105 WRG festgelegten öffentlichen Interessen sowie die in § 30 WRG statuierten allgemeinen Grundsätze einer nachhaltigen Gewässerbewirtschaftung zu beachten.195 Sodann ist von Relevanz, dass seit dem In-Kraft-Treten der WRG-Nov 2003196 grundsätzlich eine Verschlechterung des jeweiligen Zustandes unzulässig ist. Und dieses Verbot der Verschlechterung bezieht sich nicht etwa auf den zu erreichenden Zielzustand197, sondern auf den jeweiligen Ausgangszustand im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der WRRL.198 Damit wird ein „Auffüllen von Freiräumen“ im Falle eines gegebenen besseren als des zu erreichenden Zielzustandes verhindert. Von diesem Grundsatz des Verbotes der Verschlechterung sind Ausnahmen zulässig. So zB aufgrund von Ereignissen unter außergewöhnlichen Umständen (§ 30f WRG) oder gem den Voraussetzungen des § 104a WRG. Gerade § 104a WRG dürfte im wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren eine ganz zentrale Bedeutung zukommen. Die zitierte Bestimmung sieht vor, dass bestimmte Vorhaben, bei denen mit dem Nichterreichen des guten Zustandes oder mit einer Verschlechterung des Zustandes eines Oberflächen- oder Grundwasserkörpers zu rechnen ist, „jedenfalls Vorhaben“ sind, „bei denen Auswirkungen auf öffentliche Rücksichten zu erwarten“ sind (Abs 1). Diese Vorhaben dürfen nur dann bewilligt werden, wenn die Prüfung öffentlicher Interessen ergeben hat, dass drei Voraussetzungen erfüllt sind: Zum einen müssen „alle praktikablen Vorkehrungen getroffen worden sein, um die negativen Auswirkungen auf den Zustand des Oberflächenwasser- oder Grundwasserkörpers zu mindern“ (Abs 2 Z 1). Zum zweiten müssen „die Gründe für die Änderungen von übergeordnetem öffentlichem Interesse“ sein „und/oder“ es muss „der Nutzen, den die Verwirklichung der in §§ 30a, c und d genannten Ziele für die Umwelt und die Gesellschaft hat, durch den Nutzen der neuen Änderungen für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung übertroffen“ werden (Abs 2 Z 2). Und zuletzt müssen „die nutzbringenden Ziele, denen diese Änderungen des Oberflächenwasser- oder Grundwasserkörpers dienen sollen, aus Gründen der technischen Durchführbarkeit oder auf Grund unverhältnismäßiger Kosten nicht durch andere Mittel, die eine wesentlich bessere Umweltoption darstellen, erreicht werden können“ (Abs 2 Z 3).199 Grund für die Schaffung dieser Ausnahmeregelung war es, „künftige menschliche Entwicklungstätigkeiten“ zu ermöglichen. Die Prüfung erfolgt im Rahmen der Prüfung öffentlicher Interessen.200 Die Bestimmung ist aus mehreren Gründen problematisch: Zum einen widerspricht sie klar den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, weil durch sie eine Verschlechterung gegenüber dem guten Zustand erlaubt wird.201 Zum anderen 195 196 197
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Siehe oben bereits Pkt III.E. Gemäß § 145a Abs 1 WRG fällt dieses Datum mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist in Art 24 Abs 1 WRRL zusammen. Das ist bei Oberflächengewässern gem § 30a Abs 1 WRG der gute ökologische und der gute chemische Zustand, beim Grundwasser gem § 30c Abs 1 WRG der gute mengenmäßige und der gute chemische Zustand. Vgl RV 121 BlgNR 22. GP 6; Hödl, 63f; Oberleitner, Kommentar 2004 § 30 Rz 2 und § 30a Rz 2; Kerschner/Weiß, 172. Zur Handhabung des § 104a WRG vgl Pucker, Ausnahme vom Verschlechterungsverbot - § 104a WRG - Checkliste, RdU 2005/88. RV 121 BlgNR 22. GP 20. Art 4 Abs 7 zweiter Spiegelstrich WRRL erlaubt lediglich eine Verschlechterung von einem sehr guten auf einen guten Zustand. Vgl zur Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität weiters Kerschner/Weiß, 418ff.
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werden in ihr gehäuft unbestimmte Begriffe verwendet, die eine wirksame Rechtskontrolle verhindern.202 Die solcherart eröffneten weiten Entscheidungsfreiräume gestatten es der Behörde, geradezu jedes neue Vorhaben zu genehmigen. Auch ist - worauf Oberleitner203 zu Recht hinweist - zu bedenken, dass § 104a WRG nur bei Einzelvorhaben anzuwenden ist, und daher Summationseffekte nur indirekt - beispielsweise über § 13 Abs 1 WRG - berücksichtigt werden können. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang noch, dass sich das Verschlechterungsverbot auf jedwede Einwirkung, dh auch auf die gem § 32 Abs 1 WRG bewilligungsfrei gestellte geringfügige Einwirkung bezieht. Demnach könnte auch eine Einwirkung, die mit den Worten des VwGH204 - einer zweckentsprechenden, weil den Zielsetzungen des § 30 Abs 1 WRG nicht widersprechenden Nutzung nicht entgegensteht, eine Verschlechterung bewirken und daher unzulässig sein.
Während das Verschlechterungsverbot unmittelbar und sofort anwendbar ist, ist das Erreichen der Zielzustände zum einen erst bis zum 22.12.2015 verlangt und zum zweiten von der Erlassung von Verordnungen abhängig, in denen die maßgeblichen Zustände definiert werden (§§ 30a Abs 2, 30c Abs 2 WRG). Bislang ist dazu - so weit zu sehen - nur die Verordnung über die Festlegung des Zielzustandes für Oberflächengewässer (Qualitätszielverordnung Oberflächengewässer Chemie), BGBl II 2006/96, ergangen. Weitere Anforderungen werden sich aus den bis zum 22.12.2009 zu erstellenden Maßnahmenprogrammen ergeben (§ 55f iVm § 55e und § 55c WRG). Als Zielzustand ist für Oberflächengewässer der gute ökologische und der gute chemische Zustand festgelegt (§ 30a Abs 1 WRG), für das Grundwasser der gute mengenmäßige und der gute chemische Zustand (§ 30c Abs 1 WRG) und für künstliche oder erheblich veränderte Oberflächenwasserkörper das gute ökologische Potential und der gute chemische Zustand (§ 30a Abs 1 WRG).
Weitere Bewilligungskriterien ergeben sich aus § 30g WRG. Danach sind zum einen „Emissionen aus Punktquellen, insbesondere aus Abwasserreinigungsanlagen, in Gewässer auf der Grundlage des Standes der Technik zu begrenzen“, zum anderen „diffuse Auswirkungen so zu begrenzen, dass sie gegebenenfalls die beste verfügbare Umweltpraxis einschließen“. Sollten auf der Grundlage dieser Bestimmungen festgelegte Emissionsgrenzen zur Erreichung der Zielzustände nicht ausreichen, so sind in den Maßnahmenprogrammen entsprechend strengere Emissionsbegrenzungen festzulegen. § 30g WRG beschreibt den sog „kombinierten Ansatz“, der einerseits darauf beruht, dass schädliche Einwirkungen nach dem Stand der Technik begrenzt werden, und es andererseits mit Rücksicht auf den Gewässerzustand erlaubt, weitergehende Beschränkungen vorzusehen.205 Unklar ist, was unter der „besten verfügbaren Umweltpraxis“ verstanden werden soll. Für den Landwirtschaftsbereich ist diese in der Nitratrichtlinie vorgesehen.206 Nach Kerschner/Weiß207 liegt dieser Standard „nahe der Resignation“, weil mit ihm faktische Zustände hingenommen werden. 202 203 204 205
206
Oberleitner, Kommentar 2004 § 104a Rz 2; die legistische Qualität kritisieren auch Kerschner/Weiß, 418ff. Oberleitner, Kommentar 2004, § 104a Rz 2. VwGH 21.1.1992, 88/07/0129; VwGH 19.3.1998, 97/07/0131. Die Kombination von Emissions- und Immissionsansatz kommt hier allerdings nur unvollkommen zum Ausdruck, weil die Immissionsseite nur indirekt angesprochen wird. Vgl Kerschner/Weiß, 198. RV 121 BlgNR 22. GP 10.
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§ 33 WRG verpflichtet die Behörde, in der Bewilligung auf „die technischen und wasserwirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere auch auf das Selbstreinigungsvermögen des Gewässers oder Bodens“, entsprechend Bedacht zu nehmen. Für Abwassereinleitungen bestehen noch darüber hinausgehende Anforderungen: Zum einen sind die aufgrund der §§ 33bff WRG erlassenen Verordnungen zu beachten. So ermächtigt § 33b Abs 3 WRG den BMLFUW im Verordnungswege Emissionswerte in Form von Grenzwerten oder Mittelwerten für Konzentrationen oder spezifische Frachten festzulegen. Durch diese Festlegung von Grenzwerten wird das Bewilligungsverfahren näher determiniert.208 Eine Abweichung von den verordnungsförmig bestimmten Emissionswerten ist in beide Richtungen möglich. Eine Verschärfung ist nach § 33b Abs 6 WRG bei vorbelasteten Gewässern gestattet.209 Ein Lockerung ist nur ausnahmsweise zuzulassen und darf nur befristet erteilt werden (§ 33b Abs 10 WRG).210 Auf der Basis dieser Ermächtigung sind eine allgemeine sowie eine Vielzahl von branchenspezifischen Abwasseremissionsverordnungen erlassen worden. Bei der Bewilligung von Abwassereinleitungen in Gewässer oder in eine bewilligte Kanalisation hat die Behörde jedenfalls auch die nach dem Stand der Technik möglichen Auflagen zur Begrenzung von Frachten und Konzentrationen schädlicher Abwasserinhaltsstoffe vorzuschreiben (§ 33b Abs 1 WRG). Ihre Einleitung darf nur bewilligt werden, wenn eine Vermeidung nach dem Stand der Technik nicht möglich ist und die wasserwirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere bestehende Nutzungen und die bereits vorhandene Belastung, eine Einleitung zulassen.
Inhaltliche Determinanten im Bewilligungsverfahren ergeben sich des Weiteren aus § 32a WRG.211 Darin sind zum einen Ermächtigungen an den BMLFUW vorgesehen, durch Verordnung zum Schutz der Gewässer Einbringungsverbote (Abs 1) und Einbringungsbeschränkungen festzulegen (Abs 2). Zum anderen wird schon durch das Gesetz selbst die Einleitung von Klärschlamm in Oberflächengewässer, insbesondere von Schiffen oder durch Leitungssysteme, verboten (Abs 4). Auf der Grundlage des § 32a Abs 1 und 2
207 208
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Kerschner/Weiß, 197. Raschauer, § 33a Rz 1, bezeichnet die Möglichkeiten nach § 33a ff WRG als „normative Ausprägung des Vorsorgegrundsatzes“. § 33a WRG wurde durch die WRGNov 2003 aufgehoben. Die dort vorgesehenen Definitionen finden sich nunmehr in § 33b Abs 11 WRG. Zum Verhältnis zwischen § 33b Abs 6 und den §§ 12 und 15 WRG siehe VwGH 15.9.2005, 2005/07/0071 = RdU 2006/34 mAnm Schulev-Steindl. Danach regelt § 33b Abs 6 WRG nur die Voraussetzungen für die Vorschreibung strengerer Grenzwerte im öffentlichen Interesse. Diese Voraussetzungen gelten aber dann nicht, wenn bei Vorschreibung (bloß) der Grenzwerte einer Emissionsverordnung eine Beeinträchtigung bestehender Rechte (§ 12 Abs 2 WRG) oder eines Fischereirechtes (§ 15 WRG) eintreten würde. Der zuletzt durch die Novelle BGBl I 1999/155 geänderte § 33b Abs 10 WRG lässt einen Rückbau des strengen Schutzregimes bei Abwassereinleitungen erkennen, zumal die Voraussetzungen für die Ausnahmebewilligung (überwiegendes öffentliches Interesse, wasserwirtschaftliche Verhältnisse) nun nicht mehr kumulativ, sondern bloß alternativ vorliegen müssen. Die Gemeinschaftsrechtskonformität dieser Regelung ist nach Ansicht von F. Ermacora, 102 f, fraglich. § 32a WRG wurde durch die WRG-Novelle 1997, BGBl I 1997/74, eingefügt und durch BGBl I 1999/155 und zuletzt durch BGBl I 2003/82 geändert. Er dient der Umsetzung der Grundwasserrichtlinie RL 80/68/EWG.
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WRG idF vor der WRG-Nov 2003212 wurde die Grundwasserschutzverordnung (BGBl II 2000/398) erlassen.213 Die Vornahme einer bewilligungspflichtigen Einwirkung auf Gewässer ohne Bewilligung oder entgegen einer solchen ist ebenso wie die Nichteinhaltung von Auflagen oder Nebenbestimmungen mit einer Geldstrafe bis zu € 14.530,-verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert (§ 137 Abs 2 Z 5 und 7 WRG). Eine Bewilligung für Betriebsanlagen, für die eine Bewilligungspflicht nach § 74 Abs 2 Z 5 GewO gegeben ist, darf nur dann erteilt werden, wenn nach § 77 Abs 1 GewO die nachteiligen Einwirkungen auf die Beschaffenheit der Gewässer allenfalls auch durch die Vorschreibung von geeigneten Auflagen auf ein zumutbares Maß beschränkt werden können. Diese Prognoseentscheidung ist von der Gewerbebehörde nach dem Stand der Technik (§ 71a GewO) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu treffen.
E. Vorsorgetatbestände 1. Einleitung Den Vorsorgetatbeständen ist - wie schon erwähnt - eigen, dass es sich um bestimmte Vorhaben oder bestimmte Anlagen214 handelt, bei denen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit einer nachteiligen Beeinträchtigung der Beschaffenheit der Gewässer nicht zu rechnen ist. Der Gesetzgeber unterwirft diese Vorhaben aber einer besonderen Regelung, weil bei atypischem Geschehensverlauf (bei einem Störfall) Gewässer besonders gefährdet sind. Sind die genannten Vorhaben aber projektsgemäß und projekttypisch mit einer Einwirkung verbunden, so ist die Maßnahme nach § 32 WRG bewilligungspflichtig.215 Der Katalog an Vorsorgetatbeständen ist zum einen aufgesplittert und wurde zum Teil schon - weil systematisch nicht zusammenhängend positioniert - behandelt. Zum anderen wurde der Katalog an Vorsorgetatbeständen durch eine Novelle zum WRG im Jahre 2000216 dezimiert. Waren bis dahin Abfalldeponien einer wasserrechtlichen Bewilligungspflicht unterworfen (ehemals § 31b WRG), so wurden diese „systemfremden“ Bestimmungen aus dem WRG aus- und in das AWG eingegliedert, und zwar sowohl die materiell-rechtlichen 212
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Diese Fassung bezog sich allein auf den Schutz des Grundwassers. Mit der WRGNov 2003 erfolgte eine Ausdehnung der Verordnungsermächtigung auf Oberflächengewässer und Kanalisationen. Die bestehende Grundwasserschutzverordnung bleibt durch diese Ausdehnung allerdings unberührt. Der Grundwasserschutz wird noch an anderer Stelle des Gesetzes geregelt. § 33f WRG befasst sich mit der Sanierung belasteter Grundwasservorkommen. Abs 1 gibt es dem BMLFUW auf, durch Verordnung den allgemeinen Rahmen für jene jedenfalls freiwillig zu setzenden Maßnahmen festzulegen, aus denen der Landeshauptmann erforderlichenfalls bei der Erlassung konkreter Programme zu wählen hat. Die Abs 2ff regeln ua die Ausweisung von Maßnahmegebieten durch den LH sowie die Anordnung von bestimmten Schutzmaßnahmen und Unterlassungspflichten. Demgegenüber werden in § 32 Abs 1 WRG undifferenziert Einwirkungen erfasst, auf welche Weise auch immer sie erfolgen. So die Auffassung des VwGH, 20.10.2000, 2000/07/0085. Eine andere Ansicht wird dazu allerdings in der Literatur vertreten. Siehe dazu gleich unten. BGBl I 2000/90.
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als auch die verfahrensrechtlichen Bestimmungen, ebenso das verwaltungspolizeiliche Aufsichts- und Anordnungsregime.217 In diesem Zusammenhang soll auf die Regelungen der §§ 31a und 31c WRG eingegangen werden.218
2. Anlagen zur Lagerung und Leitung wassergefährdender Stoffe Grundsätzlich sind Anlagen zur Lagerung und Leitung wassergefährdender219 Stoffe weder bewilligungs- noch meldepflichtig. Anlagenbetreiber sind aber dazu verhalten, diese Anlagen so zu errichten, zu betreiben und aufzulassen, dass eine Verunreinigung der Gewässer oder eine sonstige nachteilige Veränderung ihrer Eigenschaften nicht zu erwarten ist. § 31a WRG statuiert des Weiteren Verordnungsermächtigungen.220 Der BMLFUW kann je nach Gefährdungspotential durch Verordnung die Kontrollbedürftigkeit von Anlagen festlegen (Abs 3 und 4).221 Solche Anlagen sind der Behörde zu melden, es sei denn, dass sie nach anderen bundesgesetzlichen Vorschriften einer Anzeige oder Bewilligung bedürfen, nach denen die gewässerschutzrelevanten Kriterien berücksichtigt werden (Abs 6).222 Abs 5 ermächtigt den BMLFUW, im Verordnungsweg eine Bewilligungspflicht für Anlagen zur Lagerung oder Leitung wassergefährdender Stoffe vorzusehen, sofern dies gemeinschaftsrechtlich geboten ist und eine Bewilligungspflicht nicht bereits in anderen bundesrechtlichen Vorschriften vorgesehen ist, die gewässerschutzrelevante Kriterien berücksichtigen223. Das Unterlassen der Meldepflicht (§ 137 Abs 1 Z 1 WRG) ist ebenso wie das Errichten oder Betreiben einer bewilligungspflichtigen Anlage ohne Bewilligung (§ 137 Abs 1 Z 16) verwaltungsrechtlich strafbar. Als Aufsichtsbehörden nennt § 31 Abs 7 WRG für Anlagen, die dem Gewerberecht, dem Eisenbahnrecht, dem Luftfahrtrecht, dem Rohrleitungsrecht, dem Bergrecht, dem Schifffahrtsrecht oder dem Luftfahrtrecht unterliegen, die nach diesen Gesetzen 217
218 219
220 221
222
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Vgl dazu Raschauer, Staat und Privat im Umweltrecht - Österreichische Umweltrechtstage, 2000, 34. Der Vorsorgetatbestand des § 31b WRG betreffend Abfalldeponien wurde durch die WRG-Novelle 1990 eingefügt. Weitere Vorsorgetatbestände sind in § 32 Abs 3 und 4 oder § 32b WRG (Indirekteinleiter) verankert. Nach der Legaldefinition des § 31a Abs 1 2. Satz WRG sind wassergefährdend jene Stoffe, die zufolge ihrer schädlichen Eigenschaften für den Menschen oder für Wassertiere oder Wasserpflanzen, insbesondere wegen Giftigkeit, geringer biologischer Abbaubarkeit, Anreicherungsfähigkeit, sensorischer Auswirkungen und Mobilität, bei Einwirkungen auf Gewässer deren ökologische Funktionsfähigkeit oder Nutzbarkeit, vor allem zur Wasserversorgung, nachhaltig zu beeinträchtigen vermögen. Auf der Grundlage des § 31a Abs 1 WRG wurde die Verordnung über bewilligungspflichtige wassergefährdende Stoffe erlassen (BGBl 1969/275). Die Verordnungsermächtigung nach Abs 3 ist nicht nur in hohem Maße unbestimmt, sondern auch unverständlich. Zunächst ist es dem Verordnungsgeber überlassen, Anlagen zu benennen, die „auf Grund ihres Gefährdungspotentials“ oder „ihrer Bauweise“ einer Kontrolle bedürfen. Es wäre im Sinne des Art 18 Abs 2 B-VG geboten, diesen Kontrollbedarf bereits im Gesetz näher vorherzubestimmen. Und unverständlich ist mir, in welchem Zusammenhang die Häufigkeit einer Anlage mit ihrer Kontrollbedürftigkeit steht. Auf Basis dieser gesetzlichen Grundlage erging die V des BMLFUW BGBl II 1998/4, die sich auf Anlagen zur Lagerung und Leitung von Brenn- und Kraftstoffen bezieht. Eine solche Verordnung wurde bislang nicht erlassen.
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zuständige Behörde. Handelt es sich um Anlagen zur Beheizung von Gebäuden sowie zur Betankung von Kraftfahrzeugen mit Dieselkraftstoff, und unterliegen diese nicht den vorgenannten bundesgesetzlichen Regelungen, so ist der Bürgermeister zuständig. In allen anderen Fällen obliegt die Aufsicht der Wasserrechtsbehörde. § 134 Abs 4 WRG sieht besondere Aufsichtsmaßnahmen vor. Danach hat der Anlagenbetreiber in regelmäßigen, höchstens fünf Jahre währenden Abständen eine Überprüfung der Anlage vornehmen zu lassen und das Ergebnis der Überprüfung der Behörde vorzulegen.224
3. Sonstige Vorsorge gegen Wassergefährdung (§ 31c WRG) Abs 1 des § 31c unterwirft zunächst die Gewinnung von Sand und Kies, sofern sie mit besonderen Vorkehrungen erfolgt, der Bewilligungspflicht (sog Trockenbaggerung).225 Diese entfällt, wenn die Trockenbaggerung außerhalb wasserrechtlich besonders geschützter Gebiete226 geplant ist, und überdies nach den gewerberechtlichen Vorschriften genehmigungspflichtig ist oder dem Mineralrohstoffgesetz unterliegt (Abs 2). Die Rechtfertigung für das Vorsehen einer Bewilligungspflicht liegt - so die Ausführung in den Materialien dazu227 darin, dass durch solche Baggerungen die das Grundwasser schützende Bodenschicht abgetragen und dadurch auch der Schutz des Grundwassers vermindert wird. Anders als bei Baustellen bleibt dieser Zustand aber bestehen. Demnach verpflichtet Abs 3 die Behörde dazu, zur Vermeidung einer Gewässerverunreinigung die notwendigen und nach dem Stand der Technik möglichen Vorkehrungen zu treffen, die nach Beendigung der Entnahme zu treffenden Maßnahmen aufzutragen und darauf zu achten, dass Gemeinden in der Versorgung ihrer Bewohner mit Trinkwasser nicht beeinträchtigt werden. Die Bewilligung kann auch befristet werden. Unter den gleichen Voraussetzungen sind auch bestimmte228 Anlagen zur Gewinnung von Erdwärme (Abs 5 lit a und b) und Anlagen zur Wärmenutzung der Gewässer (Abs 5 lit c) bewilligungspflichtig. Nach Preiß229 lässt sich die Einreihung dieser Anlagen unter den Vorsorgetatbeständen damit erklären, dass ins Erdreich eingebrachte Wärmetauscher gefährliche Flüssigkeiten ent224
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Nach dem Wortlaut des Gesetzes trifft die Vorlagepflicht den „Wasserberechtigten“. Daraus lässt sich folgern, dass nur jene Anlagenbetreiber zur Überprüfung und Vorlage verpflichtet sind, deren Anlagen bewilligungspflichtig sind, weil nur diese „Wasserberechtigte“ iSd § 134 Abs 5 WRG sind. Dieses Auslegungsergebnis lässt sich des Weiteren stützen auf die Strafbestimmung des § 137 Abs 1 Z 22 WRG. Eine Verwaltungsübertretung begeht, wer seiner Vorlagepflicht nicht nachkommt (So auch Kaan/Braumüller, § 31a Anm 4). Wollte man - was nach dem Wortlaut des § 134 Abs 4 WRG durchaus angezeigt ist - eine Überprüfungspflicht für alle Anlagenbetreiber annehmen, so hätte ihre Verletzung allerdings keine Konsequenzen. Eine Nassbaggerung - das sind Baggerungen im Grundwasserbereich - bedarf stets einer Bewilligung nach § 32 WRG. Darunter sind die Schutzgebiete nach § 34 Abs 1 WRG und die Schongebiete nach § 34 Abs 2 WRG zu verstehen. RV 1217 BlgNR 11. GP 9. Lit a: „Anlagen zur Gewinnung von Erdwärme in wasserrechtlich besonders geschützten Gebieten (§§ 34, 35 und 54) und in geschlossenen Siedlungsgebieten ohne zentrale Trinkwasserversorgung“; lit b: „Anlagen zur Gewinnung von Erdwärme in Form von Vertikalkollektoren (Tiefsonden)“. Preiß, 183.
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halten, deren Austritt eine massive Gefahr für die Grundwasserqualität darstellt. Handelt es sich um Anlagen zur Gewinnung von Erdwärme in Form von Vertikalkollektoren (Tiefsonden) oder um Anlagen zur Wärmenutzung der Gewässer, so ist das Anzeigeverfahren gemäß § 114 WRG anzuwenden. Die Bewilligung für Tiefsonden ist mit 25 Jahren zu befristen. In der Literatur230 geht man davon aus, dass das Bewilligungserfordernis nach § 31c WRG neben die allfällige Bewilligungspflicht nach den §§ 9, 32, 34 und 38 WRG tritt. Begründet wird diese Auffassung mit dem Wortlaut des § 31c WRG („unbeschadet der Bestimmungen der §§ 9, 32, 34 und 38“). Eine andere Auffassung vertritt hingegen der VwGH.231 Das Wort „unbeschadet“ bedeute lediglich, dass § 31c WRG die angeführten Tatbestände nicht verdränge. Der Bewilligungstatbestand des § 32 Abs 2 lit c WRG enthalte alle Tatbestandselemente des § 31c und darüber hinaus noch ein zusätzliches Element, nämlich die Berührung des Grundwassers. § 32 Abs 2 lit c WRG stelle daher gegenüber § 31c WRG eine lex specialis dar. Auch die Entstehungsgeschichte spreche gegen eine Kumulation. Mit dem § 31c WRG (damals § 31a idF der WRG-Nov 1969) wollte der Gesetzgeber lediglich eine Lücke schließen, die sich dort auftat, wo die Gewinnung von Sand und Kies nicht einer Bewilligung nach den §§ 9, 32, 34 oder 38 WRG bedurfte. Es sollte jedoch kein kumulativ hinzutretender Bewilligungstatbestand geschaffen werden. Oberleitner232 weist zu Recht darauf hin, dass bei diesem Verständnis die klare Abgrenzung zwischen Trockenbaggerung und Nassbaggerung bedeutsam sei, weil auf Nassbaggerungen strengere Bestimmungen anzuwenden sind. Das Setzen einer nach § 31c WRG bewilligungspflichtigen Maßnahme ohne wasserrechtliche Bewilligung oder entgegen einer solchen ist mit Verwaltungsstrafe sanktioniert (§ 137 Abs 1 Z 16 WRG).
F. Sanierung von Altanlagen Werden gem § 33b Abs 3 und 4 durch Verordnung Emissionswerte festgelegt, so löst das für rechtmäßig bestehende Einleitungen eine Verpflichtung zur Anpassung an die neu festgelegten Grenzwerte aus (§ 33c WRG). Die Frist dafür ist in der Verordnung festzulegen und darf zehn Jahre nicht überschreiten. Es ist sodann Sache des Anlagenbetreibers zu entscheiden, ob er anpassen will - diesfalls hat er innerhalb von zwei Jahren ein Sanierungsprojekt zur wasserrechtlichen Bewilligung vorzulegen - oder aber die Anlage mit Ablauf der Frist stillzulegen (§ 33c Abs 2 WRG). Die Anpassungsfrist ist unter bestimmten Voraussetzungen verlängerbar (§ 33c Abs 4 WRG). Die Pflicht zur Anpassung besteht ausnahmsweise dann nicht, wenn die Abwasserreinigung im wesentlichen dem Stand der Abwasserreinigungstechnik entspricht, wenn der mit der Sanierung verbundene Aufwand zum angestrebten Erfolg außer Verhältnis steht und wenn die wasserwirtschaftlichen Verhältnisse und die Bedachtnahme auf öffentliche Interessen dies zulassen (§ 33c Abs 8 WRG).
230 231 232
Raschauer, § 9 Rz 4; Kaan/Braumüller, 248. VwGH 20.10.2000, 2000/07/0085 = RdU 2001/58. Oberleitner, Kommentar 2004 § 31c Rz 3.
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G. Sonderbestimmungen für Wasserversorgungsanlagen Das WRG sieht im dritten Abschnitt des Weiteren Sonderregelungen zum Schutz von Wasserversorgungsanlagen vor, ebenso wie zum Schutz der allgemeinen Wasserversorgung. § 34 WRG enthält eine breite Palette von Ermächtigungen zur näheren Konkretisierung, deren Schutzziel die Hintanhaltung von Verunreinigungen und die Erhaltung der Ergiebigkeit ist. Diese Palette ermöglicht beispielsweise: • die Anordnung von Maßnahmen über die Bewirtschaftung oder sonstige Benutzung von Grundstücken und Gewässern233; • die Untersagung der Errichtung bestimmter Anlagen; • die Festlegung von Schutzgebieten; • die Einschränkung des Betriebes bestehender Anlagen; • die Festlegung von Schongebieten innerhalb derer zu bestimmende Maßnahmen unzulässig, anzeige- oder bewilligungspflichtig sind. Darüber hinaus ermächtigt § 36 WRG die Landesgesetzgebung, einen Anschlusszwang an ein gemeinnütziges öffentliches Wasserversorgungsunternehmen vorzusehen, um deren „Interesse zu wahren“. Diese ohne entsprechendes Landesgesetz nicht unmittelbar anwendbare gesetzliche Regelung soll die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieser Anlagen unterstützen.
VI. Weitere anlagenrelevante Regelungen Auch der 4. Abschnitt des WRG betreffend die „Abwehr und Pflege der Gewässer“ sieht Bewilligungspflichten für bestimmte Anlagen vor. (1) Zu erwähnen ist zunächst § 38 WRG, der „besondere bauliche Herstellungen“ einer Bewilligungspflicht unterwirft. Bewilligungspflichtig ist regelmäßig die Errichtung und Abänderung bestimmter Vorhaben. § 38 Abs 1 WRG trifft dabei eine nach „Standort“ und Gewässertyp differenzierende Anordnung. Einer Bewilligung bedürfen: • an fließenden Gewässern: Brücken, Stege und Uferbauten sowie Unterführungen unter Wasserläufe • Anlagen aller Art im Hochwasserabflussbereich234 • Einbauten in stehende öffentliche Gewässer235 Kleine Wirtschaftsbrücken und -stege, sowie Drahtüberspannungen werden durch § 38 Abs 2 WRG unter näher bezeichneten Voraussetzungen von der Bewilligungspflicht ausgenommen. § 38 WRG zielt erkennbar auf die Verhinderung von Hochwassergefahren. Die Bewilligungspflicht nach § 38 WRG ist gegenüber bestimmten anderen Genehmigungstat233
234 235
Derartige Anordnungen sind sowohl in qualitativer (Verunreinigung) als auch quantitativer (Ergiebigkeit) Hinsicht zulässig (VwGH 12.12.1996, 95/07/0055). Als Anordnungen kommen beispielsweise in Betracht: das Verbot des Abstellens eines Kfz auf ungeschütztem Boden in einem Wasserschutzgebiet; die Anordnung, Einstellplätze für Kfz mit einer betonierten Abstellplatte zu versehen. ZB Uferanschüttungen, Holzablagerungen, das Abstellen eines nicht fahrbereiten Autobusses, Baugruben. Siehe dazu Raschauer, § 38 Rz 2. ZB Uferschutzmauern, Badehütten, Bootshäuser, Badestege. Siehe dazu die Beispiele bei Raschauer, § 38 Rz 2. Das „Hochwasserabflussgebiet“ wird in § 38 Abs 3 WRG definiert.
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beständen des WRG subsidiär. Ist mit einem der erwähnten baulichen Vorhaben eine Wasserbenutzung im Sinne des § 9 WRG verbunden, oder handelt es sich um Schutzund Regulierungswasserbauten nach § 41 WRG, so entfällt eine Bewilligung nach § 38 WRG. Sie tritt hingegen kumulativ an die Seite von anderen wasserrechtlichen Bewilligungstatbeständen (zB § 32 WRG) oder Bewilligungserfordernisse, die in anderen gesetzlichen Regelungen vorgesehen sind. § 38 WRG kommt daher immer in jenen Fällen zur Anwendung, in denen keine Nutzung des Wassers oder des Gewässers stattfindet, sondern das Gewässerbett bloß als Fundament benützt wird.236 Die Bewilligung bedarf eines Antrages. Sie ist zu erteilen, wenn weder öffentliche Interessen beeinträchtigt noch wasserrechtlich geschützte Rechte Dritter verletzt werden.
(2) Ein weiterer Bewilligungstatbestand findet sich in § 40 WRG und betrifft Entwässerungsanlagen.237 Eine wasserrechtliche Bewilligung ist zum einen erforderlich, wenn es sich um eine zusammenhängende Fläche von mehr als 3 ha handelt. Bewilligungspflichtig sind Entwässerungsanlagen auch dann, wenn „eine nachteilige Beeinflussung der Grundwasserverhältnisse, des Vorfluters oder fremder Rechte zu befürchten ist“. Und schließlich sind auch Anlagen zur zeitweiligen oder ständigen Entwässerung von Flächen bei Tunnelanlagen oder Stollenbauten in einem Karst- oder Kluftgrundwasserkörper unter näher bezeichneten Voraussetzungen (§ 40 Abs 2 WRG) bewilligungspflichtig. Bewilligungsfähig sind solche Anlagen, wenn weder öffentliche Interessen (§ 105 WRG) noch Rechte Dritter verletzt werden. (3) Nicht zuletzt stellt § 41 WRG eine Bewilligungspflicht für Schutz- und Regulierungswasserbauten auf. Sofern diese Bauten in öffentlichen Gewässern errichtet werden, sind sie jedenfalls bewilligungspflichtig, in Privatgewässern dann, wenn dadurch auf fremde Rechte oder auf die Beschaffenheit, den Lauf oder die Höhe des Wassers in öffentlichen oder fremden privaten Gewässern eine Einwirkung entstehen kann. Eine Bewilligung darf nicht erteilt werden, wenn öffentliche Interessen oder fremde Rechte verletzt werden. Schutz- und Regulierungswasserbauten sind beispielsweise Uferbefestigungen, Hochwasserdämme, Verbreiterungen oder Sohlestabilisierungen.238 Abs 3 des § 41 nimmt bestimmte Vorhaben, die der Eigentümer des Ufers an Fließgewässern ausführt, die nicht für die Schiff- oder Floßfahrt benutzt werden, von der Bewilligungspflicht aus (schlichte Stein-, Holz- und andere Uferverkleidungen).
VII. Instandhaltungspflicht Für alle nach WRG rechtmäßig bestehenden Wasseranlagen (Wasserbenutzungs- und sonstige Anlagen) ist in § 50 WRG eine Pflicht zur Instandhaltung normiert. Erfasst sind alle Anlagen, die einer Bewilligung bedürfen oder aufgrund einer Anzeige betrieben werden; demnach sind nur bewilligungsfreie Anlagen ausgenommen.239 Der Pflichtenumfang differiert je nach Anlagenkategorie. Wasserbenutzungsanlagen240 sind in einem der Bewilligung entspre236 237 238 239 240
So Raschauer, § 38 Rz 1. AA Kneihs, 34ff. Dabei ist unerheblich, mit welchen technischen Maßnahmen die Entwässerung vorgenommen wird. Dazu näher Raschauer, § 41 Rz 2. Raschauer, § 50 Rz 2. Das sind jene nach § 11 WRG.
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chenden Zustand zu erhalten und zu bedienen. Sofern dieser nicht erweislich ist, ist darauf zu achten, dass keine Verletzung öffentlicher Interessen oder fremder Rechte stattfindet. Diese Pflicht erfasst nicht nur die Anlage selbst, sondern auch Nebenanlagen wie dazugehörige Kanäle, künstliche Gerinne, Wasseransammlungen und sonstige Vorrichtungen sowie Gewässerstrecken im unmittelbaren Anlagenbereich. Sofern Wasserbenutzungsanlagen auf andere Gewässerstrecken nachteilige Wirkungen haben, sind diese durch entsprechende Maßnahmen zu beheben. Die Verpflichtung trifft den Wasserberechtigten, subsidiär - sofern dieser nicht ermittelt werden kann - die Nutznießer der Anlage. Die Instandhaltungspflicht bei Wasseranlagen241 besteht insoweit, als es zur Verhütung von Schäden notwendig ist, die durch den Verfall der Anlage entstehen können (§ 50 Abs 6 WRG). Verpflichteter ist der Eigentümer. Die Instandhaltungspflicht besteht schon kraft Gesetzes; eines besonderen behördlichen Auftrages bedarf es nicht. Und sie endet erst mit der Beseitigung der Anlage.242 Grundsätzlich sind Instandhaltungsmaßnahmen nicht bewilligungspflichtig. Wird allerdings durch diese Maßnahmen die Beschaffenheit der Gewässer beeinträchtigt, so ist eine Bewilligung nach § 32 WRG erforderlich (§ 50 Abs 8 WRG). Eine Verletzung der Instandhaltungspflicht ist verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert (§ 137 Abs 1 Z 20 WRG) und kann überdies zu verwaltungspolizeilichen Aufträgen nach § 138 Abs 1 lit a WRG führen.
X. Verfahren - Einzelaspekte A. Genehmigungskonkurrenz - Koordination - Konzentration Bestimmte Vorhaben bedürfen nach mehreren gesetzlichen Regelungen einer Genehmigung. Beschränkt man die Sicht zunächst auf das WRG, so zeigen sich schon hier Genehmigungskumulationen. Sind etwa sonstige bauliche Herstellungen (§ 38 WRG) mit einer Einwirkung auf Gewässer iSd § 32 WRG verbunden, so kommen diese beiden Bewilligungstatbestände nebeneinander zur Anwendung.243 Bewilligungserfordernisse nach dem WRG kumulieren aber auch häufig mit jenen nach anderen Gesetzen, speziell den Bewilligungspflichten nach der GewO, den Bauordnungen oder dem Forstgesetz sowie zahlreichen anderen Materiengesetzen, die sich auf besondere Anlagentypen beziehen.244 Das Erfordernis der Mehrfachgenehmigung wird im WRG an einigen Stellen auch ausdrücklich angesprochen.245 Der mit dem Erfordernis der Mehrfachgenehmigung verbundene intensive zeitliche und sachliche Aufwand hat insbesondere in den letzten Jahren die Bemühungen verstärkt, diese Verfahren zu verbinden, um unnötige Doppel241 242 243
244 245
ZB Anlagen nach §§ 31a, 31c Abs 5, 38, 40, 41 WRG. Raschauer, § 50 Rz 1. In einzelnen Fällen ist ausdrücklich Subsidiarität angeordnet. Ist eine sonstige bauliche Herstellung mit einer Gewässerbenutzung iSd § 9 WRG verbunden, so ist nur eine Bewilligung nach den §§ 11ff WRG erforderlich. Vgl dazu Winner, 316ff. ZB § 38 Abs 1 WRG.
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gleisigkeiten zu vermeiden und das Bewilligungsverfahren zu beschleunigen. Diese Bemühungen um eine Koordination und Konzentration sind vielfältig und sollen den nachfolgenden Ausführungen über das wasserrechtliche Verfahren - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - vorangestellt werden. An einzelnen Stellen sieht das Gesetz eine Verfahrenskonzentration vor. So entfällt etwa die wasserrechtliche Bewilligungspflicht bei Vorhaben nach § 31c Abs 1 WRG („Trockenbaggerung“), wenn das Vorhaben nach den gewerberechtlichen Bestimmungen genehmigungspflichtig ist oder dem MinroG unterliegt und außerhalb wasserrechtlich besonders geschützter Gebiete geplant ist (§ 31c Abs 2 WRG). Die Gewerbebehörde hat in diesem Fall bestimmte materiell-rechtliche Bestimmungen des WRG mitanzuwenden (§ 31c Abs 3 WRG). Eine Verfahrens- und Entscheidungskonzentration246 ist angeordnet für Anlagen, die nach dem § 37 AWG 2002 bewilligungspflichtig sind. Im Genehmigungs- und Anzeigeverfahren sind die Bestimmungen auch des Wasserrechtsgesetzes mit Ausnahme der Bestimmungen über die Parteistellung, die Behördenzuständigkeit und das Verfahren mitanzuwenden (§ 38 Abs 1 AWG 2002). Die Bewilligung nach AWG ersetzt auch jene nach dem WRG.247 Ebenfalls eine Verfahrens- und Entscheidungskonzentration sieht § 121 Abs 6 MinroG für bestimmte Aufbereitungsanlagen vor. Die Mitanwendung wasserrechtlicher Bestimmungen bezieht sich allerdings nur auf bestimmte, mit der Herstellung und dem Betrieb der Aufbereitungsanlage verbundene Maßnahmen. Im Übrigen gilt für das Verhältnis WRG - MinroG das Kumulationsprinzip (§ 119 Abs 7 MinroG). Eine umfassende248 Entscheidungskonzentration und eine Verfahrenskonzentration sieht das UVP-Gesetz vor.249 Handelt es sich um eine UVP-Gpflichtige Anlage, so hat die nach UVP-G zuständige Behörde die materiellrechtlichen Bestimmungen (auch) des WRG anzuwenden (§ 3 Abs 3 WRG). Die Genehmigung nach UVP-G ersetzt (auch) die wasserrechtliche Genehmigung.250 Genehmigungskonkurrenzen treten häufig im Verhältnis GewO - WRG auf. Anlagen, die einer Bewilligungspflicht nach dem WRG unterliegen, sind oftmals Betriebsanlagen iSd §§ 74ff GewO.251 In § 356b Abs 1 GewO, der zuletzt durch BGBl I 2005/85 geändert wurde, ist für insgesamt fünf taxativ auf246
247 248 249 250
251
Verfahrens- und Entscheidungskonzentration bedeutet eine zuständige Behörde, einheitliche Verfahrensvorschriften und eine Genehmigung. Vgl dazu näher Winner, 317. Die Entscheidungskonzentration ist insofern relativiert, als die erteilte Genehmigung nur die ausdrücklich in § 38 Abs 1 AWG genannten Bewilligungen umfasst. AWG 2002, BGBl I 2002/102 idF BGBl I 2006/34. Es sollen die Genehmigungen nach allen bundes- und landesrechtlichen Vorschriften ersetzt werden. UVP-G 2000, BGBl 1993/697 idF BGBl I 2000/89. Petek/Merl, Das neue UVP-Gesetz 2000, in: Schwarzer (Hrsg), Die Anlagenrechtsnovellen 2000, 2001, 94ff; Baumgartner/Eberhartinger/Merl/Petek, Das neue UVP-G 2000, RdU 2001, 123ff. ZB Anlagen zur Lagerung und Leitung wassergefährdender Stoffe nach § 31a WRG. Und der Betrieb von Betriebsanlagen ist oftmals auch mit einer bewilligungspflichtigen Einwirkung auf Gewässer iSv § 32 WRG verbunden.
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gezählte, nach dem WRG bewilligungspflichtige Vorhaben252 die Zuständigkeit der Gewerbebehörde (§§ 333 und 334 GewO) normiert. Diese hat die materiell-rechtlichen253 Bestimmungen des WRG mitanzuwenden. Insofern handelt es sich auch hier um eine Verfahrens- und Entscheidungskonzentration. Voraussetzung ist, dass die genannten, nach dem WRG bewilligungspflichtigen Vorhaben auch gleichzeitig eine Betriebsanlage sind, die genehmigungspflichtig ist.254 Für Maßnahmen, die nicht in den Z 1 bis 5 des § 356b Abs 1 GewO aufgezählt sind, bleibt die gesonderte wasserrechtliche Genehmigungspflicht bestehen. Auch eine Zuständigkeitskonzentration ist für diesen Fall nicht angeordnet.255 § 356b Abs 3 GewO ordnet dann noch die Zuständigkeit der Gewerbebehörde für bestimmte Annexverfahren an; so zB für die Änderung der Betriebsanlage; des Weiteren für behördliche Befugnisse und Aufgaben zur Überprüfung der Ausführung der Anlage, zur Kontrolle oder zur Vorschreibung und Durchführung von Maßnahmen bei Errichtung, Betrieb, Änderung und Auflassung. In diesen Verfahren hat die Gewerbebehörde wiederum die wasserrechtlichen Vorschriften mitanzuwenden. Und die Gewerbebehörde ist auch dann zuständig, bei Änderungen die nach WRG geforderten Maßnahmen vorzuschreiben und durchzuführen, wenn die Änderung der Anlage nach der GewO nicht bewilligungspflichtig ist.256 Zu beachten ist, dass diese Zuständigkeit auch hier wiederum „bloß“ für die fünf ausdrücklich genannten Vorhaben gegeben ist. Die Bestimmungen über die allgemeine Gewässeraufsicht bleiben von dieser Anordnung unberührt. Ist die Bewilligungspflicht aufgrund des Gewässerschutztatbestandes nach § 74 Abs 2 Z 5 GewO gegeben, so bestimmt sich das Verfahren (selbstverständlich) ausschließlich nach den Vorschriften der GewO. Sonderbestimmungen gelten auch für Eisenbahnbauten und Bauten auf Bahngrund, die einer eisenbahnbehördlichen Bewilligung bedürfen und durch die öffentliche Gewässer oder obertägige Privatgewässer berührt werden 252
253
254 255 256
1. Wasserentnahmen für Feuerlöschzwecke (§§ 9 und 10 WRG); 2. Erd- und Wasserwärmepumpen (§ 31c Abs 5 WRG [in § 356b Abs 1 Z 2 wird fälschlicherweise Abs 6 genannt; siehe Grabler/Stolzlechner/Wendl (FN 35) § 356b Rz 21]); 3. Abwassereinleitungen in Gewässer (§ 32 Abs 2 lit a, b und e WRG), ausgenommen Abwassereinleitungen aus Anlagen zur Behandlung der in einer öffentlichen Kanalisation gesammelten Abwässer; 4. Lagerung von Stoffen, die zur Folge haben, dass durch das Eindringen (Versickern) von Stoffen in den Boden das Grundwasser verunreinigt wird (§ 32 Abs 2 lit c WRG); 5. Abwassereinleitungen in wasserrechtlich bewilligte Kanalisationsanlagen (§ 32b WRG). Zur konkreten Zuständigkeit im Einzelnen siehe Grabler/Stolzlechner/Wendl (FN 35) § 356b Rz 20ff. Dazu zählen alle Regelungen, die Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung sind bzw Gründe für deren Versagung enthalten. Darüber hinaus zählen auch jene Vorschriften zu den (mitanzuwendenden) materiellrechtlichen, die in Bezug auf die Genehmigung subjektiv-öffentliche Rechte einräumen. Dazu Kinscher/PaliegeBarfuß GewO - Kommentar7, 2004, § 356b, Anm 7. So der Wortlaut des § 356b Abs 1 WRG: „Bei nach diesem Bundesgesetz genehmigungspflichtigen Betriebsanlagen …“. Grabler/Stolzlechner/Wendl (FN 35) § 356b Rz 16. Nach dem Gesetzestext muss nur die Betriebsanlage nach der GewO genehmigungspflichtig sein (§ 356b Abs 1 GewO), nicht aber deren Änderung. Siehe Kinscher/Paliege-Barfuß (FN 253) § 356b, Anm 20.
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(§ 127 WRG). Sofern diese Anlagen mit einer Wasserentnahme oder mit einer Einleitung verbunden sind, oder die Ausnutzung der motorischen Kraft bezwecken, bedürfen sie einer besonderen wasserrechtlichen Bewilligung nach den Bestimmungen des WRG.257 Das wasserrechtliche ist kumulativ zum eisenbahnrechtlichen Verfahren durchzuführen. In allen anderen Fällen sowie für die Erschließung und Benutzung von Grundwasser auf Bahngrund für Bauund Betriebszwecke (§ 127 Abs 2 WRG) ordnet § 127 Abs 1 lit b WRG eine Verfahrenskonzentration an. Die nach den eisenbahnrechtlichen Vorschriften zuständige Behörde hat die materiell-rechtlichen Bestimmungen des WRG mitanzuwenden. Als materiell-rechtliche Bestimmungen gelten die Bestimmungen, die zur Versagung der Genehmigung oder zur Vorschreibung von Auflagen und Nebenbedingungen ermächtigen, weiters die Bestimmungen über die Parteistellung, materiellrechtliche Fristregelungen (§ 112 WRG), die Regelungen über die Bauaufsicht gemäß § 120 WRG sowie die Bestimmungen über die Zwangsrechte.258
Eine Zuständigkeit der Wasserrechtsbehörde bei Bergbaubetrieben ist gemäß § 98 Abs 3 WRG nur dann gegeben, wenn auf die Beschaffenheit fremder Gewässer oder die Wasserführung öffentlicher Gewässer eingewirkt wird oder wenn es sich außerhalb des Werksbereiches um Wasseranlagen oder um erhebliche Veränderungen des Grundwasserbestandes handelt (§ 98 Abs 3 WRG).259 Sieht man einmal von der Bestimmung des § 356b Abs 3 GewO ab, so bezieht sich die Anordnung, dass wasserrechtliche Vorschriften in Verfahren nach anderen bundesgesetzlichen Bestimmungen (zB AWG, UVP-G) mitanzuwenden sind, auf das Bewilligungsverfahren. Unklar war lange Zeit, ob und in welchem Umfang wasserrechtliche Vorschriften in Folgeverfahren anzuwenden sind und welche Behörde zuständig ist. Dasselbe galt für wasserpolizeiliche Verfahren.260 Für bestimmte, nach WRG bewilligungspflichtige Maßnahmen, die auch genehmigungspflichtige Betriebsanlagen sind (§ 356b Abs 1 GewO), wurde diese Frage durch eine Novellierung des § 356b Abs 3 GewO durch das Verwaltungsreformgesetz 2001, BGBl I 2002/65, geklärt (siehe oben). Durch den durch die WRG-Nov 2003 eingefügten § 134a WRG wurde diese Frage nunmehr auch für weitere Verfahren nach bestimmten Gesetzen nämlich GewO 1994261, AWG 2002 und MinroG - klar gestellt. § 134a WRG 257
258 259
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Die Ableitung der bei einer Eisenbahnstation anfallenden Abwässer unterliegt § 32 Abs 2 lit a WRG und ist daher nach § 127 Abs 1 lit a WRG bewilligungspflichtig (VwGH 27.6.1995, 92/07/0208 = RdU 105/1996). Raschauer, § 127 Rz 4. E contrario ergibt sich daraus, dass eine wasserrechtliche Bewilligung für die Nutzung der dem Bergbauberechtigten gehörenden Privatgewässer nicht erforderlich ist, sofern die Einwirkungen auf die Beschaffenheit fremder Gewässer (also öffentlicher und privater Gewässer) oder auf die Wasserführung öffentlicher Gewässer nach dem natürlichen Lauf der Dinge ausgeschlossen werden können. In der Literatur (Grabler/Stolzlechner/Wendl, (FN 35)) wurde die Auffassung vertreten, dass sich die Entscheidungskonzentration auf das Bewilligungsverfahren beschränke. Eine andere Auffassung vertrat der VwGH, nach dessen Ansicht zB ein Annexverfahren nach § 21a WRG von der Gewerberechtsbehörde als Wasserrechtsbehörde zu führen sei (VwGH 18.2.1999, 99/07/0007). „Schlagend“ wird diese Bestimmung für jene Betriebsanlagen, die gleichzeitig auch ein nach WRG bewilligungspflichtiges Vorhaben darstellen und nicht schon von der
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sieht nämlich vor, dass, sofern in Verfahren nach bestimmten anderen Gesetzen (GewO 1994, AWG 2002 oder MinroG) wasserrechtliche Bestimmungen mitanzuwenden sind, die Zuständigkeit der nach diesen anderen bundesgesetzlichen Bestimmungen zuständigen Behörden auch für Folge- und wasserpolizeiliche Verfahren gegeben ist. Diese Behörden sind zuständig, auch die nach dem WRG bestehenden „behördlichen Befugnisse und Aufgaben zur Überprüfung der Ausführung der Anlagen, zur Kontrolle, zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes, zur Gefahrenabwehr, zur nachträglichen Konsensanpassung und zur Vorschreibung und Durchführung von Maßnahmen bei Errichtung, Betrieb, Änderung und Auflassung“ wahrzunehmen. § 134a WRG sieht dann noch vor, dass die Anwendung der wasserrechtlichen Bestimmungen über die genannten behördlichen Befugnisse und Aufgaben nur insoweit zu erfolgen hat, als diese über die behördlichen Befugnisse und Aufgaben nach den anderen Gesetzen hinausgehen. Demnach derogiert § 134a WRG nicht den Bestimmungen der GewO 1994, des AWG 2002 und des MinroG hinsichtlich der genannten Annexverfahren, sondern ergänzt diese, sofern sie hinter den Anordnungen des WRG zurück bleiben.262
B. Wasserrechtsbehörden - Zuständigkeit Wasserrechtsbehörden sind gemäß § 98 WRG die Bezirksverwaltungsbehörde, der LH und der BMLFUW. Dabei kommt der BVB eine subsidiäre Generalkompetenz zu, die verdrängt wird bei jenen Vorhaben, für die nach § 99 WRG die Zuständigkeit des LH in erster Instanz angeordnet ist sowie bei jenen, für die in § 100 WRG die erstinstanzliche Zuständigkeit des BMLFUW normiert ist. Der Instanzenzug ist - zumal das Wasserrecht in mittelbarer Bundesverwaltung - zu vollziehen ist, gemäß Art 103 Abs 4 B-VG grundsätzlich zweigliedrig. Diese Zuständigkeitsordnung gilt auch für wasserpolizeiliche Anordnungen nach § 138 WRG sowie die Bestellung der Bauaufsicht nach § 120 WRG. Die Gewässeraufsicht obliegt hinsichtlich der in den §§ 99 und 100 WRG angeführten Gewässer und Anlagen dem LH, in allen anderen Fällen der BVB. Sofern sich ein Vorhaben über den örtlichen Wirkungsbereich mehrerer Behörden erstreckt, haben nach § 101 Abs 1 WRG zunächst die „betroffenen Behörden“ eine Einigung über die Zuständigkeit anzustreben. Kommt eine Einigung nicht zustande, so hat die Oberbehörde die zuständige Behörde zu bestimmen, die dann im Einvernehmen mit den sonst berührten Behörden vorzugehen hat. Ist ein Vorhaben nach mehreren Bestimmungen des WRG bewilligungspflichtig, so liegt die Zuständigkeit bei der Behörde der höheren Instanz (101 Abs 2 WRG). „Wasserrechtsbehörde“ für die in § 356b Abs 1 GewO aufgezählten Vorhaben, die mit der Errichtung und dem Betrieb einer Betriebsanlage verbunden sind, ist die Gewerbebehörde.
C. Parteistellung Die Parteistellung im wasserrechtlichen Verfahren ergibt sich primär aus § 102 Abs 1 WRG. Nicht unbestritten aber mE zutreffend vertritt Raschauer263 die
262 263
Konzentrationsanordnung des § 356b GewO umfasst sind; jene Verfahren also, die nicht von der taxativen Liste des § 356b Abs 1 Z 1 bis 5 GewO erfasst sind. Vgl Oberleitner, Kommentar 2004 § 134a, Rz 2; siehe auch Kerschner/Weiß, 469. Raschauer, § 102 Rz 1; so auch Oberleitner, Kommentar 2004 § 102 Rz 19.
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Auffassung, dass § 102 WRG keine taxative Aufzählung enthält. Die Parteistellung wird auch in anderen Bestimmungen des WRG bestimmt264 und kann sich zudem auch aus § 8 AVG ergeben.265 Davon abgesehen kann der Kreis auch enger sein. Im Widerstreitverfahren kommt nur den Konkurrenten Parteistellung zu (§ 109 WRG) und bestimmte Verfahren sind - zumal sie ausschließlich der Wahrung öffentlicher Interessen dienen - als Einparteienverfahren angelegt.266 § 102 Abs 1 WRG trifft eine nach Verfahrenstyp differenzierende Regelung (lit c bis h WRG). Unabhängig vom Verfahrensgegenstand kommt dem Antragsteller (lit a) sowie denjenigen Parteistellung zu, die zu einer Leistung, Duldung oder Unterlassung verpflichtet werden sollen oder deren Rechte (§ 12 Abs 2 WRG) sonst berührt werden; des Weiteren den Fischereiberechtigten und den Nutzungsberechtigten im Sinne des Grundsatzgesetzes 1951 über die Behandlung der Wald- und Weidenutzungsrechte sowie besonderer Felddienstbarkeiten (lit b). Die Parteistellung wird unmittelbar durch das Gesetz eingeräumt.267 Sie geht allerdings verloren, wenn die Partei nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt.268 Für die Parteistellung ist entscheidend, dass durch ein Vorhaben nachteilige Einwirkungen auf bestehende Rechte zu erwarten sind. Ob die Beeinträchtigung tatsächlich stattfindet, ist Gegenstand des Verfahrens und berührt daher die Parteieigenschaft nicht.269 Voraussetzung ist des Weiteren, dass die Berührung der geltend gemachten Rechte durch die projektsgemäße Ausübung nicht auszuschließen ist.270
§ 102 Abs 2 WRG bestimmt, dass bestimmte Personen - soweit ihnen nicht bereits Parteistellung zukommt - Beteiligte sind. Diese sind berechtigt, im Verfahren ihre Interessen darzutun, die Erhebung von Einwendungen steht ihnen allerdings nicht zu.
D. Bewilligungsverfahren Das wasserrechtliche Bewilligungsverfahren wird durch Antrag eingeleitet, dessen inhaltliche Anforderungen in § 103 WRG näher umschrieben sind. Liegt ein entsprechender Antrag vor, so kann271 die Wasserrechtsbehörde zu264
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So sieht etwa § 34 Abs 6 WRG bei Maßnahmen oder Anlagen, die eine Wasserversorgung beeinträchtigen können, eine Parteistellung der Gemeinde oder des Wasserversorgungsunternehmens vor. Unabhängig von der Auflistung in § 102 Abs 1 WRG können aber nur wasserrechtlich geschützte subjektive öffentliche Rechte eine Parteistellung vermitteln. Wirtschaftliche oder bloß faktische Interessen oder die bloße „Grundnachbarschaft“ vermitteln keine subjektiven Rechte. Raschauer, § 102 Rz 2. So zB § 21a WRG, § 27 Abs 4 WRG; § 31 Abs 3 bis 6 WRG ua. Siehe dazu Raschauer, § 102 Rz 1. Winner, 312. Diese Präklusionsfolge ist mit In-Kraft-Treten der AVG-Novelle 1998, BGBl 1998/158, aufgrund der Derogationsregelung des § 82 Abs 7 AVG im wasserrechtlichen Verfahren wirksam geworden. VwGH 28.2.1996, 95/07/0138; VwGH 2.10.1997, 96/07/0253. VwGH 26.4.1995, 92/07/0051. Die Durchführung einer vorläufigen Überprüfung ist seit der AVG-Novelle 1998 (BGBl 1998/158) nicht mehr verpflichtend, sondern nur mehr fakultativ. Dem § 104
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nächst eine vorläufige Überprüfung durchführen (§ 104 WRG). Im Rahmen dieses, dem eigentlichen Ermittlungsverfahren vorgelagerten Verfahrens, hat die Behörde die Übereinstimmung eines Projektes mit demonstrativ aufgezählten öffentlichen Interessen zu prüfen. Nur bestimmte Legalparteien sind beizuziehen (§ 104 Abs 2 WRG). Das Ergebnis dieser Überprüfung ist insoweit vorläufig, als es die endgültige Beurteilung durch die beizuziehenden Amtssachverständigen nicht zu präjudizieren vermag. Die Überprüfung selbst ist hingegen eine umfassende, zumal sie dem Antragsteller allenfalls die Gründe für die Unzulässigkeit seines Antrages aufzuzeigen hat. Die Überprüfung nach § 104 WRG endet mit einer Mitteilung272 an den Antragsteller. Ist das Ergebnis negativ, so hat der Antragsteller die Möglichkeit, den Antrag abzuändern.273 Ergibt sich aber aufgrund der Vorprüfung unzweifelhaft, dass wasserrechtlich geschützte Interessen beeinträchtigt werden, und diese Beeinträchtigung auch durch die Vorschreibung von Auflagen nicht verhindert werden kann, so ist der Antrag abzuweisen (§ 106 WRG). Nur wenn die Beeinträchtigung nicht so eindeutig ist, hat die Behörde dem Konsenswerber unter Setzung einer angemessenen Frist die Möglichkeit zur Änderung des Projekts einzuräumen. Verstreicht diese Frist ungenützt, so gilt der Antrag als zurückgezogen (§ 106 WRG). Abgesehen vom vorgestellten Verfahren der vorläufigen Überprüfung kann der Antragsteller gemäß § 104 Abs 4 WRG eine auf grundsätzliche Bedenken hin beschränkte Prüfung verlangen. Die Prüfung der grundsätzlichen Zulässigkeit bedarf eines darauf gerichteten Antrages, dem die für die grundsätzliche Beurteilung unbedingt erforderlichen Unterlagen anzuschließen sind. Noch mehr als durch die vorläufige Überprüfung nach den Abs 1 bis 3 wird damit dem Aspekt der Verfahrensbeschleunigung und der Hintanhaltung vermeidbarer Investitionskosten Rechnung getragen.274 Sofern der Antrag nicht gemäß § 106 WRG sofort abzuweisen ist, hat die Behörde das Verfahren fortzusetzen. Sie hat den Gang des Ermittlungsverfahrens mit Rücksicht auf die Grundsätze des § 39 Abs 2 AVG zu bestimmen. Die Anordnung einer mündlichen Verhandlung ist nicht (mehr)275 verpflichtend. Abgesehen von der vorläufigen Überprüfung nach § 104 WRG kennt das WRG noch einen weiteren Fall einer vertikalen Verfahrensgliederung. Gemäß § 111a WRG kann276 das Bewilligungsverfahren in Grundsatz- und Detailgenehmigungsverfahren aufgespalten werden. Eine solche Verfahrensgliederung ist zulässig, wenn das Vorhaben infolge seiner Größenordnung nicht
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274 275 276
Abs 1 WRG wurde aufgrund der Derogationsregelung des § 82 Abs 7 AVG insofern durch § 39 Abs 2 AVG derogiert. Das ist kein Bescheid. Das Verfahren nach § 104 WRG zielt zum einen auf eine integrative Betrachtung der Umweltauswirkungen eines Projektes. Zum anderen soll die Planungssicherheit gefördert werden, weil der Projektwerber in unkomplizierter Weise von notwendigen Projektänderungen verständigt wird. Winner, 314; Raschauer, § 104 Rz 1. Winner, 314. § 107 WRG wurde durch § 39 Abs 2 und 3 AVG derogiert und die Pflicht zur Anberaumung einer mündlichen Verhandlung damit beseitigt (§ 82 Abs 7 AVG). Die Teilung des Verfahrens in Grundsatz- und Detailgenehmigung ist seit In-KraftTreten der AVG Novelle 1998 nicht mehr verpflichtend (§ 39 Abs 2 AVG).
Anlagenrelevante Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes
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von vornherein in allen Einzelheiten überschaubar ist. Sie ist überdies nur auf Antrag zulässig. Im Rahmen des Grundsatzgenehmigungsverfahrens ist zu prüfen, ob ein Vorhaben grundsätzlich und unter Einhaltung welcher Auflagen zulässig ist. Dieser Verfahrensabschnitt endet mit einem Bescheid, in dem Art und Maß der Wasserbenutzung festzulegen sind und über die Zulässigkeit von Zwangsrechten abzusprechen ist.277 Im Rahmen des Detailgenehmigungsverfahrens sind diese Auflagen - die in der Grundsatzgenehmigung nur dem Typ nach festgelegt werden - zu konkretisieren. Der Vorteil dieser Gliederung liegt darin, dass zum einen im Grundsatzgenehmigungsverfahren die Unterlagen noch nicht vollständig ausgearbeitet sein müssen, und zum anderen über Einwendungen nur insoweit abzusprechen ist, als sie die grundsätzliche Zulässigkeit des Vorhabens betreffen.278 Des Weiteren hat die Behörde im ersten Verfahrensabschnitt nur über die Zulässigkeit von Zwangsrechten (das „Ob“) zu befinden. Ist eine Grundsatzgenehmigung ergangen, so hat der Antragsteller ein subjektives Recht auf eine Detailbewilligung im Rahmen der Grundsatzgenehmigung.279 Die Entscheidung über einen Bewilligungsantrag hat mittels schriftlichen Bescheides zu ergehen. Eine stattgebende Entscheidung muss den inhaltlichen Kriterien des § 111 WRG entsprechen. Zugleich sind angemessene Fristen für die Bauvollendung von bewilligten Anlagen zu bestimmen. Bei Wasserbenutzungsanlagen führt eine Fristüberschreitung zum Verlust des Wasserbenutzungsrechtes (§ 112 WRG). Zum notwendigen Bescheidinhalt gehören: Art und Umfang des Vorhabens, die zu erfüllenden Auflagen, sofern ohne Verzögerung möglich: der Ausspruch über die Notwendigkeit, den Gegenstand und den Umfang von Zwangsrechten, die detaillierte Beschreibung des eingeräumten Maßes der Wasserbenutzung, die benutzte Wassermenge, die Festsetzung des zulässigen Höchstausmaßes, alle im Zuge des Verfahrens getroffenen Übereinkommen.280
Sofern im Verfahren privatrechtliche Einwendungen erhoben werden, hat die Behörde auf eine Einigung hinzuwirken. Gelingt diese, so ist sie im Bescheid zu beurkunden; andernfalls ist die Partei auf den Zivilrechtsweg zu verweisen (§ 113 WRG). Und die Wasserrechtsbehörde ist gemäß § 117 WRG grundsätzlich auch zuständig, über die Leistung von Entschädigungen, Ersätzen, Kosten und Beiträgen zu entscheiden. Eine solche Festsetzung ist nicht mit Berufung im administrativen Instanzenzug bekämpfbar. Das Gesetz ordnet eine Sukzessivzuständigkeit der Gerichte an. Wird innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Bescheides der Wasserrechtsbehörde ein Antrag auf Neu-
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278 279 280
Insofern unterscheidet sich die Grundsatzgenehmigung nach § 111a WRG nicht von der Bewilligung nach § 111 WRG (VwGH 13.12.1994, 91/07/0130 = RdU 38/1995 mAnm Raschauer). Über andere Einwendungen ist abzusprechen, wenn dies aus verfahrensökonomischen Gründen geboten ist. Vgl dazu näher Winner, 315. Bescheidinhalt sind alle erheblichen qualitativen Angaben (Art) ebenso wie jene für die Identifizierung des Vorhabens in quantitativer Hinsicht erforderlichen Angaben wie zB Entnahmemenge, Einleitungsmenge, Anlagendimension („Umfang“, „Maß“). So Öberseder, 33.
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festsetzung beim zuständigen Bezirksgericht gestellt, so tritt die verwaltungsbehördliche Entscheidung außer Kraft (§ 117 Abs 4 WRG).
E. Anzeigeverfahren Mit der WRG-Novelle 1997 wurde - im Sinne einer Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung - die Möglichkeit eines Anzeigeverfahrens eingeführt (§ 114 WRG). Vorhaben, die einer wasserrechtlichen Bewilligung bedürfen, sind der Behörde drei Monate vor ihrer Inangriffnahme anzuzeigen. Die Bewilligung gilt als erteilt, wenn die Behörde nicht innerhalb dieser Frist mitteilt, dass ein Bewilligungsverfahren durchzuführen ist. Ein Anzeigeverfahren kommt allerdings nur für jene bewilligungspflichtigen Vorhaben in Betracht, für die durch Gesetz oder Verordnung ein Anzeigeverfahren ausdrücklich vorgesehen ist, oder die in einer eigenen auf der Grundlage des § 114 Abs 2 WRG erlassenen Verordnung des BMLFUW genannt sind.281
F. Auflagen und Nebenbedingungen Werden durch eine Anlage, eine Maßnahme oder Unterlassung öffentliche Interessen im Sinne des § 105 WRG beeinträchtigt, so darf die Behörde den Antrag nicht sogleich abweisen. Sie hat vielmehr zu prüfen, ob die Beeinträchtigung durch die Vorschreibung von Auflagen oder Nebenbestimmungen vermieden werden kann. Nach den allgemeinen Regeln müssen Auflagen hinreichend bestimmt sein, sie dürfen das Wesen des Projektes nicht verändern, müssen im Hinblick auf die Zielerreichung geeignet und dürfen nicht unverhältnismäßig sein.282 Nach dem Gesetz (§ 105 WRG) ist zu prüfen, ob die Bewilligungsfähigkeit durch die Vorschreibung von „Nebenbestimmungen“ hergestellt werden kann. Die Bedeutung des Begriffsinhalts ist fraglich. Nach Raschauer283 sind unter diesen Begriff sowohl Auflagen als auch Bedingungen zu subsumieren.
IX. Aufsicht Um die Achtung der Schutzziele des WRG zu gewährleisten, sieht das Gesetz an mehreren Stellen Aufsichtsbefugnisse sowie die Ermächtigung zur Anordnung von Abhilfemaßnahmen vor. Manche dieser Aufsichtsbefugnisse gelten ausdrücklich nur für „Wasseranlagen“ (§§ 120f WRG). Zu erwähnen ist zum einen die in § 120 WRG vorgesehene Ermächtigung, eine Bauaufsicht zu bestellen. Ihr obliegt die (begleitende) Überwachung der Bauausführung dahingehend, dass diese fach- und vorschriftsgemäß erfolgt, sowie die Bedingungen des Bewilligungsbescheides eingehalten werden. Nach § 121 WRG ist die Behörde verpflichtet, unmittelbar nach der Fertigstellung einer bewilligungs-
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282 283
Vgl dazu Oberleitner, Vereinfachungen 159; Donninger, Neue Behördenzuständigkeiten im Betriebsanlagenverfahren im Gewerbe- und Wasserrecht, in: Schwarzer (Hrsg), Das neue Betriebsanlagenrecht, 1997, 11 (42f). Raschauer, § 105 Rz 7. Raschauer, § 105 Rz 7.
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pflichtigen Wasseranlage eine Überprüfungsverhandlung284 durchzuführen und einen Überprüfungsbescheid zu erlassen. Mit der Wasserrechtsgesetznovelle 2006, BGBl I 2006/123, wurde die Möglichkeit geschaffen, bei Anlagen, die keine besondere Bedeutung haben285, von einer bescheidmäßigen Überprüfung der Ausführung der Wasseranlage abzusehen (§ 121 Abs 3 bis 5 WRG). Der Behörde sind zwei alternative Vorgehensweisen anheim gestellt. Sie kann einerseits die Vorlage einer Ausführungsanzeige durch den Unternehmer vorschreiben. Mit dieser Anzeige übernimmt der Unternehmer der Behörde gegenüber die Verantwortung für die bewilligungsmäßige und fachtechnische Ausführung der Anlage. Sie kann zum anderen die Vorlage unter Anschluss einer Bestätigung der bescheidmäßigen Ausführung der Wasseranlage durch einen Befugten verlangen. Liegt Gefahr im Verzug286 vor, so ermächtigt § 122 WRG die Behörde, die erforderlichen einstweiligen Verfügungen zu treffen. Und sofern Übertretungen des Gesetzes bereits stattgefunden haben, ist - unabhängig von einer Bestrafung und der Pflicht zur Leistung von Schadenersatz - auch an wasserpolizeiliche Anordnungen nach § 138 WRG zu denken. In Betracht kommt der Auftrag, eigenmächtig vorgenommene Neuerungen zu beseitigen oder die unterlassenen Arbeiten nachzuholen; Ablagerungen oder Bodenverunreinigungen durch geeignete Maßnahmen zu sichern, wenn die Beseitigung unverhältnismäßig wäre; die Behebung von Missständen, die durch eine Gewässerverunreinigung verursacht wurden sowie die Wiederherstellung beschädigter gewässerkundlicher Einrichtungen. Wasserpolizeiliche Anordnungen der genannten Art sind zu erteilen, wenn es das öffentliche Interesse erfordert oder der Betroffene es verlangt. Droht eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt, so hat die Wasserrechtsbehörde die notwendigen Maßnahmen unverzüglich anzuordnen und nötigenfalls gegen Kostenersatz auch unverzüglich durchführen zu lassen.287
X. Strafen § 137 WRG enthält einen umfassenden Katalog von Straftatbeständen. Nur einzelne im gegebenen Zusammenhang als relevant erachtete, sollen hier angeführt werden. Verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert ist beispielsweise: den Zweck der Wasserbenutzung ohne Bewilligung zu ändern (Abs 1 Z 10); ohne wasserrechtliche Bewilligung oder entgegen einer solchen eine bewilligungspflichtige Maßnahme nach § 31a und § 31c WRG zu setzen oder eine bewilligungspflichtige Anlage zu errichten oder zu betreiben (Abs 1 Z 16); ein Organ 284 285 286
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Seit der AVG-Novelle 1998, BGBl I 1998/158, ist die Anordnung einer Verhandlung nur mehr fakultativ (§ 82 Abs 7 AVG). Nach dem Gesetzestext sind das „ua solche, die weder öffentliche Interessen in größerem Umfang berühren noch fremden Rechten nachteilig sind“. Unter „Gefahr im Verzug“ ist eine „erhebliche und konkrete Gefahr für im WRG 1959 geschützte Rechtsgüter und Interessen zu verstehen, die eine Situation voraussetzt, welche zur Abwehr dieser Gefahr ein sofortiges behördliches Einschreiten erfordert. Die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr genügt.“ VwGH 21.2.2002, 2001/07/0124 = RdU-LSK 2002/17. Zu den Voraussetzungen wasserpolizeilicher Aufträge und deren Handhabung durch den VwGH eingehend und kritisch Aichlreiter, Voraussetzungen wasserpolizeilicher Aufträge, RdU 2002/3.
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der wasserrechtlichen Bauaufsicht an der Ausübung seiner Tätigkeit zu hindern (Abs 1 Z 7); Einleitungen in eine Kanalisationsanlage vorzunehmen und dabei die nach § 33b Abs 3 WRG erlassenen Emissionsbegrenzungen oder die vom Kanalisationsunternehmer zugelassenen Abweichungen nicht einzuhalten (Abs 1 Z 24). In den genannten Fällen kann eine Geldstrafe bis zu € 3.630,-verhängt werden. Für die Benutzung von Tagwässern ohne die erforderliche Bewilligung (Abs 2 Z 1); die Erschließung oder Benutzung des Grundwassers ohne die erforderliche Bewilligung (Abs 2 Z 2); das Herbeiführen der Gefahr einer Gewässerverunreinigung durch die Außerachtlassung der nach § 31 Abs 1 WRG gebotenen Sorgfalt (Abs 2 Z 4), die Nichteinhaltung von Auflagen und Nebenbestimmungen (Abs 2 Z 7), die Vornahme einer bewilligungspflichtigen Einwirkung auf Gewässer oder einer bewilligungspflichtigen Indirekteinleitung ohne Bewilligung (Abs 2 Z 5); oder die Inangriffnahme von anzeigepflichtigen Maßnahmen ohne die Anzeige zu erstatten (Abs 2 Z 8) sieht das Gesetz einen Strafrahmen von € 14.530,-- vor. Sofern durch Verstöße gegen das WRG schwerwiegende und erhebliche Gefahren288 verursacht werden, ist nach Abs 3 des § 137 WRG ein Strafrahmen von € 36.340,-- Geldstrafe vorgesehen; ebenso für Handlungen, die eine Umgehung der abwasserbezogenen Vorschriften bezwecken oder zur Folge haben (Abs 4).
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So zB eine Gefahr für die Sicherheit oder das Leben von Menschen, eine erhebliche Gefahr für die Gewässer (Abs 3 Z 1), die Schädigung der Funktionsfähigkeit einer Abwasserreinigungsanlage oder die Schädigung eines Gewässers (Abs 3 Z 3), erhebliche Wasserverheerungen (Abs 3 Z 5) oder die erhebliche Schädigung des Wasserhaushaltes (Abs 3 Z 7).
Roland Winkler
Bergbauanlagenrecht Rechtsgrundlagen .........................................................................................1031 Grundlegende Literatur.................................................................................1032 I. Grundlagen ..............................................................................................1032 A. Allgemeines..........................................................................................1032 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .......................................................1032 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen .................................................1033 II. Begriff der Bergbauanlage im MinroG ...............................................1033 A. Die Legaldefinition des § 118..............................................................1033 B. Künstlich geschaffenes Objekt.............................................................1033 C. Örtliche Gebundenheit ........................................................................1033 D. „für sich bestehend“ ...........................................................................1034 E. Bestimmungstätigkeiten .......................................................................1034 F. Von der Oberfläche ausgehende Stollen, Schächte, Bohrungen und Sonden .......................................................................1036 G. Aufbereitungsanlagen iSd §§ 121 ff ....................................................1036 III. Bewilligung von Bergbauanlagen .......................................................1037 A. Bewilligungspflicht ..............................................................................1037 B. Einordnung in Betriebspläne...............................................................1038 C. Bewilligungsansuchen .........................................................................1038 D. Behörden und Verfahren .....................................................................1039 E. Bewilligungsvoraussetzungen..............................................................1040 F. Betriebsbewilligung und Probebetrieb ................................................1041 G. Kumulation und Konzentrationsbestimmungen ..................................1042 IV. Die bewilligte Bergbauanlage ..............................................................1042 A. Änderungsbewilligung .........................................................................1042 B. Überprüfung ........................................................................................1044 C. Sanierung (nachträgliche Auflagen) ...................................................1044 D. Sanierungskonzept iVm Sanierungsgebiet nach IG-Luft.....................1044 E. Weiterbetriebsrecht..............................................................................1045 F. Auflassung ...........................................................................................1045 G. Aufsicht und Sanktionen......................................................................1045 V. Zusatzbestimmungen für Aufbereitungsanlagen (IPPC-Anlagen)....1046 VI. Bergwerksbahnen.................................................................................1047 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: RL 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IPPC-RL), Abl 1996 L 257/26 idF VO 166/2006/EG, Abl 2006 L 33/1; RL 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL), Abl 1985 L 175/40 idF RL 2003/35/EG Abl
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2003 L 156/17; RL 96/82/EG zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso-II-RL), Abl 1997 L 10/13 idF VO 1882/2003/EG, Abl 2003 L 284/1; RL 2002/49/EG über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, Abl 2002 L 189/12; RL 2003/35/EG über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme, Abl 2003 L 156/17; VO 166/2006/EG über die Schaffung eines Europaeischen Schadstofffreisetzungs- und -verbringungsregisters, Abl 2006 L 33/1. BG: MineralrohstoffG - MinroG (BGBl 1999 I/38 idF BGBl 2006 I/113); Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz - UVP-G (BGBl 1993/697 idF BGBl 2006 I/149). VO: Verordnung über die Meldung von Schadstoffemissionsfrachten für die Erstellung eines Europäischen Schadstoffemissionsregisters - EPER-V (BGBl 2002 II/300).
Grundlegende Literatur: Demmelbauer, Die Stellung der Gemeinde im Mineralrohstoffgesetz, RFG 2004, 7; Maitz/Büchele, Zur unmittelbaren Wirkung der IPPC- und der Seveso II-Richtlinie, RdU 2000, 61; Mayer, Keine naturschutzrechtliche Bewilligung für Bergbauanlagen, ecolex 1992, 447; ders, Die Kompetenzgrundlage des Mineralrohstoffgesetzes, ecolex 1999, 506; Merli, Das Betriebsanlagenrecht und andere Bereiche des öffentlichen Rechts, in: Stolzlechner/Wendl/Zitta (Hrsg), Die gewerbliche Betriebsanlage2 (1991), 208; Mihatsch, Mineralrohstoffgesetz2, 2002; Rill/Madner, Bergwesen, Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie und die Raumplanungskompetenz der Länder, ZfV 1996, 209; Rossmann, Anrainer- und Umweltschutz im Bergrecht, RdU 1995, 71; Wagner, Die Betriebsanlage im zivilen Nachbarrecht (1997).
I. Grundlagen A. Allgemeines Das Bergbauanlagenrecht ist das im MinroG (zentral in den §§ 119-121) normierte sektorale Anlagenrecht. Da sein Anwendungsbereich dem des übrigen mineralrohstoffrechtlichen Regimes entspricht, teilt es auch die damit verbundenen Probleme (vgl Abschnitt Mineralrohstoffrecht, insb II.A. und V.). Das Bergbauanlagenrecht ist auch letztlich nicht aus dem vom Konzept der Gesamtgefahrenabwehr geprägten Bergrecht zu isolieren, so dass neben der Einbindung in Betriebspläne (vgl III.B.) auch allgemeine bergpolizeiliche Vorschriften (vgl den Beitrag Mineralrohstoffrecht, insb VI.) maßgeblich sein können.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Das Bergbauanlagenrecht stützt sich wie das MinroG überhaupt im Kern auf den Kompetenztatbestand Bergwesen (vgl Abschnitt Mineralrohstoffrecht I.B.). Auch hier stellt sich das Problem, dass uU Teile des Anwendungsbereichs (zB hinsichtlich des Abbaus von Sand, Schotter, Kies)1 nicht unter das 1
Vgl Mayer, Kompetenzgrundlage, 506; offen gelassen in VfSlg 16.125/2001, wonach aber die Regelung dieser Bereiche im MinroG und der Vollzug in mittelbarer Bundesverwaltung jedenfalls kompetenzrechtlich gedeckt ist.
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„Bergwesen“ fallen, womit auch die Einschränkungen des Kumulationsprinzips wegfallen können (vgl unten III.G. und Abschnitt Mineralrohstoffrecht I.B.).
C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Gemeinschaftsrechtlich sind vor allem die umweltrechtlichen RL einschlägig (s oben Rechtsgrundlagen und unten V.).
II. Begriff der Bergbauanlage im MinroG A. Die Legaldefinition des § 118 § 118 definiert eine Bergbauanlage als „jedes für sich bestehende, örtlich gebundene und künstlich geschaffene Objekt [...], das den im § 2 Abs 1 angeführten Tätigkeiten zu dienen bestimmt ist“. In dieser Begriffsbestimmung liegen weitgehende Parallelen zum Betriebsanlagenbegriff des § 74 Abs 1 GewO, die auch durch § 74 Abs 4 GewO (dazu unten II.E.) bestätigt werden.
B. Künstlich geschaffenes Objekt Als „künstlich geschaffenes Objekt“ kommen zunächst Baulichkeiten und Maschinen in Betracht; iSd Rspr zum Begriff der „Einrichtung“ nach § 74 Abs 1 GewO zählen dazu auch etwa Lagerplätze. Ebenso dürften Werksstraßen (vgl II.D.) jedenfalls in einem räumlichen und funktionellen Zusammenhang mit einem „Objekt“ iSd § 118 Teil einer Bergbauanlage sein, als künstlich geschaffene Objekte können sie auch für sich betrachtet unter § 118 fallen; dasselbe wird für Leitungsanlagen udgl gelten.2 „Künstlich geschaffene Objekte“ könnten auch Grubenbaue in ihrer Gesamtheit (oder etwa auch obertägige Abbaue wie Schottergruben) sein; darauf wird bei der Problematik der Bewilligungspflicht von Stollen usw zurückzukommen sein (III.A.).
C. Örtliche Gebundenheit Das Merkmal der örtlichen Gebundenheit entspricht wörtlich § 74 Abs 1 GewO. Nach den Mat „fallen fahrbare oder sonst bewegliche Anlagen nicht darunter. Dies schließt jedoch nicht aus, dass eine Bergbauanlage auch nicht ortsgebundene Betriebseinrichtungen umfassen kann“3. Örtliche Gebundenheit liegt also jedenfalls vor, wenn das Objekt seiner physischen Natur nach unbeweglich ist. Sie liegt nach der Rspr zu § 74 Abs 1 GewO auch dann vor, wenn ein seiner Natur nach bewegliches Objekt nach der Absicht des Betreibenden für längere Zeit an einem bestimmten Standort eingesetzt werden soll4; nach
2
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In diese Richtung EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 105 im Hinblick auf Bohrlöcher und Sonden. Zu Leitungsanlagen vgl auch VfSlg 14.972/1997, wobei insb der Anwendungsbereich des Bergrechts in Abgrenzung zum RohrleitungsG zu beachten ist. EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 104 unter wörtlicher Übernahme der RV 1303 BlgNR 13. GP, 87. Vgl insb VwSlg 11.771 A/1985 zu einer damals dem gewerblichen Betriebsanlagenrecht unterliegenden Sand- und Schottergewinnungsanlage. Ein bewegliches Objekt, das je nach „Arbeitsanfall“ an unterschiedlichen Standorten eingesetzt werden soll,
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den Mat kommen solche Objekte nur als Teil einer Bergbauanlage (nicht aber selbst als Bergbauanlage) in Betracht. Im funktionellen und räumlichen Zusammenhang mit dem ortsgebundenen Objekt verwendete nicht ortsgebundene Geräte (zB Lastwagen, Bagger) sind jedoch eher nicht Bestandteil der Bergbauanlage, ihre Auswirkungen aber den Auswirkungen des Betriebs der Bergbauanlage zuzurechnen.
D. „für sich bestehend“ Nach den EB soll das Merkmal „für sich bestehendes Objekt“ das Vorliegen eines „selbständigen Ganzen“ erfordern.5 Dieses Merkmal dürfte demnach in erster Linie auf die Abgrenzung des Umfangs der Bergbauanlage zielen, also welche Elemente einer Bergbauanlage zuzurechnen sind. Insoweit besteht Parallelität zum Grundsatz der Einheitlichkeit der Betriebsanlage nach dem Anlagenrecht der GewO. „Für sich“ bestehen bzw ein „selbständiges Ganzes“ bilden demnach alle Elemente, die eine Einheit in räumlicher Hinsicht bzw auf Grund integrierter betriebstechnischer Abläufe bilden. Dies ist vor allem bedeutend für die Feststellung der Auswirkungen der Bergbauanlage, die demnach an Hand einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln sind. Eine solche Einheit wird etwa zwischen einer Förderbandanlage und einer dieser dienenden 20 kVEnergieversorgungsanlage bestehen;6 das Fahren von Betriebsfahrzeugen auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr ist nicht mehr einer Bergbauanlage zuzurechnen,7 wohl aber die Verkehrserschließung.8 Auch eine „Förder- und Aufschließungsstraße“ für einen Abbau ist eine Bergbauanlage.9 Auswirkungen der Bestimmungstätigkeit als solcher (zB einer Abbautätigkeit, die nicht durch die Bergbauanlage erfolgt) sind der Bergbauanlage dagegen nicht zuzurechnen,10 vielmehr ist die Bergbauanlage in allenfalls einschlägigen Betriebsplänen zu berücksichtigen (vgl unten III.B.).
E. Bestimmungstätigkeiten Eine Bergbauanlage muss „den im § 2 Abs 1 angeführten Tätigkeiten zu dienen bestimmt“ sein. Bergbauanlagen dienen demnach Aufsuchung-, Gewinnungs, Speicher- und Aufbereitungstätigkeiten; dazu werden auch die Abschlusstätigkeiten zählen (vgl zu diesen Beitrag Mineralrohstoffrecht IV.F.5.). Gemäß § 2 Abs 3 gelten die Bestimmungen des Bergbauanlagenrechts auch für die bergbautechnischen Aspekte weiterer Tätigkeiten (bzgl geothermischer Energie, Lagertätigkeiten, stillgelegter Grubenbaue; vgl den Beitrag Mineralrohstoffrecht V.).
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ist nicht örtlich gebunden, selbst wenn es vorübergehend örtlich fixiert wird (vgl etwa VwGH 22.11.1978, 2678/77). EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 104. Offen gelassen in VwGH 17.3.1998, 96/04/0082. VwGH 24.6.1998, 98/04/0086. ZB Zufahrtsstraße; vgl VwGH 17.4.1998, 96/04/0293. VwGH 21.12.2004, 2000/04/0196. VwGH 21.12.2004, 2000/04/0196; vgl auch VwGH 27.6.2003, 2001/04/0086, wonach ein aufzunehmender Abbau (allein) in die Beurteilung der örtlichen Grundbelastung aufzunehmen ist.
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Zu den im § 2 Abs 1 angeführten Tätigkeiten zählen auch die (weitestgehend) deregulierten Tätigkeiten des Aufsuchens grundeigener und des Suchens bergfreier mineralischer Rohstoffe. Für diese Tätigkeiten ist keine Bergbauberechtigung erforderlich, die §§ 118 ff stehen jedoch im VII. Hauptstück unter der Überschrift „Ausübung der Bergbauberechtigungen“. Hier wird die ausdrückliche Anordnung in § 118 vorgehen; auch aus teleologischen Gründen wäre nicht einzusehen, weswegen allenfalls zum Einsatz kommende Anlagen bzw Stollen, Bohrungen usw bewilligungsfrei sein sollten. Dass § 120 (Sanierungskonzept) nur vom „Bergbauberechtigten“ spricht dürfte ein Redaktionsversehen sein, richtig muss es wohl „Inhaber der Bergbauanlage“ heißen wie auch zB in § 119 Abs 14.
Bei Aufbereitungstätigkeiten ist der beschränkte Anwendungsbereich des MinroG zu beachten. Diese Tätigkeiten sind begrenzt mit der Erlangung eines verkaufsfähigen Mineralprodukts durch bestimmte Techniken (§ 1 Z 3) sowie durch das Erfordernis eines betrieblichen Zusammenhangs mit dem Aufsuchen oder Gewinnen (§ 2 Abs 1 Z 2); weitere Verarbeitungstätigkeiten nach dem früheren § 132 BergG 1975 unterliegen nicht mehr dem MinroG.11 Dieses Abgrenzungsproblem steht in enger Verbindung zu § 74 Abs 4 GewO, der zwar grundsätzlich für alle Bergbauanlagen gilt, aber insb im Bereich der Aufbereitung in Betracht kommen wird. Genehmigte Bergbauanlagen bedürfen demnach keiner gewerberechtlichen Genehmigung, auch wenn in ihnen vom Bergbauberechtigten gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt werden, solange der „Charakter der Anlage als Bergbauanlage gewahrt bleibt“. Daraus folgt, dass solche kombinierten Anlagen grundsätzlich unter den Begriff der Bergbauanlage fallen können. Allerdings ist dafür eine dem (nunmehr) MinroG gänzlich unterliegende Tätigkeit erforderlich; wenn nur bestimmte Verarbeitungsschritte dem MinroG unterliegen, jedoch ein gewerbliches Endprodukt hergestellt wird, so liegt ein (idR) der GewO unterliegender einheitlicher Vorgang vor, da keine iSd MinroG begrenzte Aufbereitungstätigkeit besteht. Dass die „gewerberechtlichen“ und „bergbaurechtlichen“ Anlagenteile eine untrennbare Einheit bilden kann nicht dazu führen, dass die Anlage zur Bergbauanlage wird; eine Bergbauanlage kann nur vorliegen, „wenn zumindest wesentliche Teile der in den einzelnen Produktionsabschnitten gewonnenen Produkte einem selbständigen Schicksal, also etwa einem getrennten Verkauf, zugeführt würden“ und diese Verarbeitungstätigkeit sich im Rahmen des MinroG hält.12 Da kombinierte Anlagen auch gewerblichen Tätigkeiten dienen, die nicht in den Anwendungsbereich des MinroG fallen, ist für diese Tätigkeiten eine Gewerbeberechtigung erforderlich.13
Soweit das Bergbauanlagenrecht für bergbautechnische Aspekte weiterer Tätigkeiten anwendbar sein soll bestehen erhebliche Unsicherheiten (vgl den Beitrag Mineralrohstoffrecht V.); auch hier muss eine Abgrenzung (insb zu gewerberechtlichen Vorschriften) erfolgen, für die die Gesetzeslage kaum 11
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Die Abgrenzung der Aufbereitungstätigkeiten nach dem MinroG ist durch das Kriterium des „verkaufsfähigen Mineralprodukts“ unscharf. Das „Nebenrecht“ zur Errichtung von Bergbauanlagen und die Notwendigkeit zur Abgrenzung gehen auf § 131 ABG 1854 zurück, insb auf die „Aufbereitung und Zugutebringung“; vgl zu den bereits damals bestehenden Abgrenzungsproblemen Haberer/Zechner, Handbuch des österreichischen Bergrechtes, 1884, 263 f. Vgl zu alldem VwGH 24.6.1998, 97/04/0225; zum möglichen Übergang in das gewerbliche Betriebsanlagenrecht nach § 74 Abs 4 iVm Abs 6 GewO vgl VwGH 22.12.1999, 99/04/0128. Vgl Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO2, 2003, Rz 38 zu § 74.
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Anhaltspunkte bietet. Ein „Objekt“ iSd § 118 etwa zur Gewinnung geothermischer Energie kann hinsichtlich seiner „bergbautechnischen Aspekte“ (§ 2 Abs 3) einer Bewilligung als Bergbauanlage bedürfen; zugehörige Leitungsanlagen etwa wären zwar als Teil einer Bergbauanlage zu qualifizieren, weisen aber wohl keine bergbautechnischen Aspekte auf. Insofern käme hier eine bergbauanlagenrechtliche Teilgenehmigung zB für Bohrlöcher in Betracht; wie sich dies auf andere anlagenrechtliche Bestimmungen auswirkt (Teilgenehmigung für die restliche Anlage? Entfall einer Bewilligungspflicht zB nach § 74 Abs 4 GewO?) ist unklar.
F. Von der Oberfläche ausgehende Stollen, Schächte, Bohrungen und Sonden Gemäß § 119 Abs 1 bedarf die Herstellung bzw Errichtung „von obertägigen Bergbauanlagen sowie von Zwecken des Bergbaus dienenden von der Oberfläche ausgehenden Stollen, Schächten, Bohrungen mit Bohrlöchern ab 300 m Tiefe und Sonden ab 300 m Tiefe“ einer Bewilligung. Das Gesetz scheint hier davon auszugehen, dass Stollen usw nicht unter den Bergbauanlagenbegriff des § 118 fallen (arg: „sowie“ und das gesonderte Anführen der Wortfolge „Zwecken des Bergbaus dienend“). § 119 spricht aber in der Folge nur mehr von Bergbauanlagen. Dies bedeutet jedenfalls, dass Stollen usw nach § 119 Abs 1 im Ergebnis als Bergbauanlagen gelten, sei es dass sie durch § 119 praktisch „gleichgestellt“ werden, sei es dass § 119 nur eine Klarstellung enthält oder nur spezifische Voraussetzungen der Bewilligungspflicht der Bergbauanlagen Stollen usw normiert. Stollen usw sind im Gesetz nicht als einheitlich-selbständige Anlagen konzipiert und daher auch als bloße Anlagenteile genehmigungsfähig. Die Abgrenzung einer Sonde etwa von anderen Anlageteilen „wie Rohrleitung, Gasabscheidung oder baulichen Einrichtungen“ erfolgt danach, ob zu Herstellung und Betrieb Mittel und Methoden erforderlich sind, die für den Bergbau typisch sind.14
G. Aufbereitungsanlagen iSd §§ 121 ff §§ 121-121e dienen der Umsetzung der IPPC-RL. Für die im Anhang I der Richtlinie „angeführten Aufbereitungsanlagen gelten zusätzlich zu §§ 119 und 120“ die weiteren Bestimmungen der §§ 121 ff. Im genannten Anhang I werden insb Anlagen der Mineral- und Metallverarbeitung genannt. Das Zusammenspiel zwischen dem MinroG und der IPPC-RL nach § 121 Abs 1 bedarf näherer Erörterung. Zunächst sind §§ 121 ff als Umsetzung der Richtlinie im Rahmen des Bergbaus gedacht15 und sehen auch keine Sonderregelung hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs vor. Erfasst sind daher nur Anlagen, die gleichsam die „Schnittmenge“ zwischen § 118 und dem Anhang I IPPC-RL bilden. Daher ist auch der beschränkte Anwendungsbereich des MinroG zu beachten; nur für solche Anlagen, die einer dem MinroG unterliegenden Aufbereitungstätigkeit dienen (vgl I.B.), gelten §§ 121 ff. 14 15
VwGH 14.9.2005, 2004/04/0061. EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 106.
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Die §§ 121 ff knüpfen auch an eine bestehende Genehmigungspflicht an (zB § 121 Abs 1: „über § 119 hinaus...“). Die Bestimmungen dehnen daher weder die Bewilligungspflicht noch den Begriff der Bergbauanlage aus. Auch die erforderlichen Angaben im Ansuchen gemäß § 121d verstehen sich ausdrücklich als Ergänzung zu § 119. Wenn es in der RV dagegen heißt, dass „abweichend von den Begriffsbestimmungen im Mineralrohstoffgesetz für die vom Geltungsbereich dieser Richtlinie erfassten Bergbauanlagen die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 96/61/EG heranzuziehen sein werden“, so bestimmt sich der Begriff der Bergbauanlage wie auch der der „Aufbereitung“ (der in der IPPC-RL nicht vorkommt) nichtsdestoweniger nach dem MinroG.
Lediglich der § 121a sieht eine eigenständige Bewilligungspflicht für „wesentliche Änderungen“ vor, die neben die Bewilligungspflicht nach § 119 Abs 9 tritt. Beim Zusammentreffen beider Pflichten wird trotzdem nur ein Antrag auf eine Änderungsbewilligung zu stellen sein. § 121 Abs 6-9 sehen der GewO nachgebildete Konzentrationsbestimmungen für Aufbereitungsanlagen vor. Auf Grund des Charakters der §§ 121 ff als Zusatzbestimmungen zum bergbauanlagenrechtlichen Normalverfahren und ihrer weitgehenden Parallelität zu den entsprechenden gewerberechtlichen Bestimmungen wird auf eine Einbeziehung der Besonderheiten in die folgende Darstellung verzichtet. Die Abweichungen werden vielmehr unten V. kurz gesondert behandelt.
III. Bewilligung von Bergbauanlagen A. Bewilligungspflicht Bewilligungspflichtig sind gemäß § 119 Abs 1 die Herstellung bzw Errichtung: • von obertägigen Bergbauanlagen; • von Zwecken des Bergbaus dienenden von der Oberfläche ausgehenden - Stollen, - Schächten, - Bohrungen mit Bohrlöchern ab 300 m Tiefe, - Sonden ab 300 m Tiefe. Die nach dem BergG bestehende Bewilligungspflicht für bestimmte untertägige Bergbauanlagen wurde beseitigt. Stollen usw sind nur bewilligungspflichtig, wenn sie von der Oberfläche ausgehen. Gegenstand der Bewilligungspflicht dürften dabei neben den Stollen usw als solchen vor allem auch die (obertägigen) Anlagen zur Schaffung dieser Stollen usw sein; in diese Richtung sind jedenfalls die Mat zu verstehen: Bohrung ist demnach „die Gesamtheit der sich auf dem Bohrplatz befindenden Einrichtungen für die Herstellung des Bohrloches samt den zum Bohrplatz führenden Verkehrswegen,16 der zu diesem hin- und von ihm wegführenden Leitungen usw“. Ähnliche Ausführungen erfolgen zur Sonde und dürften auch für Schächte und Stollen gelten.17 Nach Ansicht des VwGH dürfte dies aber nur insoweit gelten, als zu Herstellung und Betrieb Mittel und Methoden erforderlich sind, die für den Bergbau typisch sind (vgl oben II.F.). Das kann zB für Zu- und Ableitungen zu schwierigen Abgrenzungsproblemen führen. Das Bergbauanlagenrecht stellt für die Bewilligungspflicht nicht auf die Eignung der Bergbauanlage zur Gefährdung von Schutzinteressen ab, sondern auf abstrakte
16 17
Für Bergwerksbahnen besteht jedoch die Bestimmung des § 122. EB zu RV 1428 BlgNR 20. GP, 105.
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Kriterien ihrer Beschaffenheit. Bewilligungspflichtig sind Herstellung bzw Errichtung; eine eigene Betriebsbewilligung ist nur in den Fällen des § 119 Abs 8 erforderlich.
Nach § 119 Abs 13 entscheidet der BMWA über Antrag des Bergbauberechtigten in Zweifelsfällen, ob „eine Bergbauanlage vorliegt, deren Herstellung einer Bewilligung nach Abs 1 bedarf“. Ein Antragsrecht der Nachbarn besteht nicht.18
B. Einordnung in Betriebspläne Die auf bestimmte Anlagen beschränkte Bewilligungspflicht steht in engem Konnex zum Grundsatz der Gesamtgefahrenabwehr im Bergbau, der sich vor allem in den Betriebsplänen niederschlägt. Soweit Tätigkeiten durch Betriebspläne erfasst werden sind die Auswirkungen von verwendeten Bergbauanlagen zB hinsichtlich der Emissionen und Gefährdungen (zB § 116 Abs 1 Z 5-7) zu berücksichtigen. Ein allfälliger Widerspruch zwischen Betriebsplan und Bergbauanlagenprojekt (zB dadurch bewirkte wesentliche, nicht bewilligte Änderung des Gewinnungsbetriebsplans) ist dagegen im anlagenrechtlichen Verfahren nicht aufzugreifen.19 Betriebspläne sind jedoch nicht für alle dem MinroG nach § 2 unterliegenden Tätigkeiten erforderlich, insb nicht für das Aufbereiten, aber auch nicht für deregulierte Aufsuchungs- bzw Sucharbeiten (vgl oben Rz 8). Außerdem bietet die bergbauanlagenrechtliche Bewilligungspflicht Ansatzpunkte, die in Betriebsplänen nicht wahrgenommen werden können, wie etwa bei Änderungen (§ 119 Abs 9 zur Wahrung der Schutzinteressen; vgl dagegen § 115 Abs 3: Genehmigungspflicht wesentlicher Änderungen von Betriebsplänen) oder Sanierungen (§ 119 Abs 11). Im Gegensatz zu § 146 Abs 1 BergG 1975 besteht nach dem MinroG keine Bewilligungspflicht untertägiger Bergbauanlagen; die von diesen Anlagen ausgehenden Gefahren können daher nur in Betriebsplangenehmigungsverfahren berücksichtigt werden. Verschiedene Ausübungsvorschriften (insb Sicherheitsvorschriften) beziehen sich auf Bergbautätigkeiten insgesamt und betreffen daher auch Bergbauanlagen. § 118 ff berühren diese Vorschriften grundsätzlich nicht; dies folgt auch aus § 119 Abs 14, der ausdrücklich eine Ausnahme vom Erfordernis einer Auflassungsanzeige vorsieht, wenn die Auflassung in einen Abschlussbetriebsplan aufgenommen worden ist.
C. Bewilligungsansuchen Das Ansuchen um Erteilung einer Bewilligung hat nach § 119 Abs 1 eine Beschreibung der geplanten Bergbauanlage sowie die erforderlichen Pläne und Berechnungen, und allenfalls Angaben über zu erwartende Abfälle (und deren Vermeidung oder Entsorgung) und Emissionen zu enthalten. Dazu kommen ein Verzeichnis der Grundstücke, auf denen die Bergbauanlage geplant ist, und gegebenenfalls ein Alarmplan für schwere Unfälle. Die Projektsbeschreibung bildet die Grundlage der Beurteilung der Bewilligungsfähigkeit der Bergbauanlage und der Tragweite des Bewilligungsbescheids (vgl auch § 119 Abs 10: „projektsgemäße Ausführung“). 18 19
VwGH 25.2.2004, 2003/04/0188. VwGH 27.6.2003, 2001/04/0086.
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D. Behörden und Verfahren Behörde ist nach §§ 170 und 171 für Bergbauanlagen im Zusammenhang mit der ausschließlich obertägigen Gewinnung grundeigener mineralischer Rohstoffe die BVB in mittelbarer Bundesverwaltung (mit den Ausnahmen für sprengelüberschreitende Bergbauanlagen gemäß § 171 Abs 2 Z 2 und Abs 3 Z 2), im Übrigen der BMWA. Parteien im Bewilligungsverfahren sind: Der Bewilligungswerber, die Eigentümer der Grundstücke, auf deren Oberfläche (oder in deren oberflächennahem Bereich20) die Bergbauanlage errichtet und betrieben wird, Bergbauberechtigte, „soweit sie durch die Bergbauanlage in der Ausübung der Bergbauberechtigungen behindert werden könnten“21, sowie die in § 119 Abs 6 Z 3 (weitgehend analog zu §§ 74 und 75 GewO) näher bestimmten Nachbarn. Die Parteistellung der Nachbarn ist auf ihre gesetzlich geschützten Interessen beschränkt. Sie erstreckt sich nicht auf die Geldendmachung aller gesetzlichen Genehmigungshindernisse, die Wahrnehmung öffentlicher Interessen obliegt alleine der Behörde.22 Nachbarn sind: • Personen, die durch die Herstellung (Errichtung) oder den Betrieb (die Benützung) der Bergbauanlage (wohl ausschließlich in ihrer Gesundheit) gefährdet oder belästigt werden könnten. • Personen, deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte gefährdet werden könnten. Eine bloße Minderung des Verkehrswerts wird keine Gefährdung darstellen, auch wenn sich § 119 Abs 4 bloß auf die „Gefährdung von Sachen“, also die Bewilligungsvoraussetzung des 119 Abs 3 Z 4, abstellt. Die Schwelle liegt daher (wie auch nach § 116) bei der Vernichtung der Substanz bzw dem Verlust der Verwertbarkeit, also wenn die nach der Verkehrsauffassung übliche bestimmungsgemäße Nutzung oder Verwertung ausgeschlossen ist23. Eine Gefährdung sonstiger dinglicher Rechte ist anzunehmen, wenn diese überhaupt neben der Anlage bestehen können und „deren bestimmungsgemäße Nutzung auf Dauer unmöglich gemacht würde“24. • Inhaber von Einrichtungen, in denen sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen. • Erhalter von Schulen hinsichtlich des Schutzes der Schüler, der Lehrer und der sonst in Schulen ständig beschäftigten Personen. Als Nachbarn gelten nicht Personen, die sich bloß vorübergehend in der Nähe der Bergbauanlage aufhalten. 20
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Diese Passage ist wörtlich aus § 146 Abs 6 BergG 1975 übernommen. Da untertägige Bergbauanlagen keiner Bewilligungspflicht mehr unterliegen, käme dies nur in Betracht, wenn ein Stollen usw in den oberflächennahen Bereich reicht; es ist jedoch zweifelhaft, ob dieser untertägige Teil zur Bergbauanlage zählt (vgl oben III.A.). Dies wird bei obertägigen Bergbauanlagen eine eher geringe Rolle spielen; vgl FN 20. VwGH 14.9.2005, 2004/04/0061; vgl auch VwGH 30.6.2004, 2002/04/0027; 18.5.2005, 2004/04/0099. Vgl VwGH 30.6.2004, 2002/04/0027; 18.5.2005, 2004/04/0099 zu § 116. Vgl VwGH 30.6.2004, 2002/04/0027 zu § 116.
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Gemäß § 119 Abs 2 ist über das Ansuchen verpflichtend eine mündliche Verhandlung an Ort und Stelle durchzuführen. Für die Nachbarn nach § 119 Abs 6 Z 3 ist eine Kundmachung durch Anschlag in der Gemeinde sowie durch Verlautbarung in einer im fraglichen politischen Bezirk „weitverbreiteten“ Tageszeitung oder einer wöchentlich erscheinenden Bezirkszeitung vorgesehen. Bekannte Beteiligte sind nach § 41 Abs 1 AVG persönlich zu verständigen. Sind die Kundmachungsvorschriften erfüllt, tritt Verlust der Parteistellung nach § 42 Abs 1 1. Satz AVG ein, sofern die Partei nicht rechtzeitig Einwendungen erhebt. Die Einwendungen der Eigentümer der Grundstücke iSd § 119 Abs 6 Z 2 sind wohl auf die Wahrung von Eigentumsrechten beschränkt; hinsichtlich anderer Interessen können Einwendungen nach § 119 Abs 6 Z 3 erhoben werden. Vor Erteilung der Bewilligung sind die zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen berufenen Verwaltungsbehörden zu hören (§ 119 Abs 7).
E. Bewilligungsvoraussetzungen Die Bewilligung ist nach § 119 Abs 3 unter den folgenden Voraussetzungen zu erteilen: Die Bergbauanlage muss auf Grundstücken des Bewilligungswerbers hergestellt (errichtet) werden oder es muss eine Berechtigung zum Errichten auf fremden Grund bestehen (Nachweis zivilrechtlicher Zustimmung oder rechtskräftige Entscheidung nach §§ 148-150). Nach dem besten Stand der Technik vermeidbare Emissionen müssen unterbleiben, nach dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften dürfen keine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit und keine unzumutbare Belästigung von Personen zu erwarten sein. Hier wirft die Qualifizierung des Stands der Technik als „bester“ Fragen auf; nach § 109 Abs 3 4. Satz ist bester Stand der Technik „der auf den einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Entwicklungsstand fortschrittlicher technologischer Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, deren Funktionstüchtigkeit erprobt und erwiesen ist“; dies entspricht der Definition des „Stands der Technik“ in § 71a Abs 1 GewO.25 Auch der AB 1527 BlgNR 20. GP zum MinroG meint, dass „bester“ Stand der Technik „inhaltlich dem Begriff des Standes der Technik nach der Gewerbeordnung 1994, dem Abfallwirtschaftsgesetz, dem Emissionsschutzgesetz und dem Arbeitnehmerschutzgesetz entspricht“. Dem Wort „bester“ kommt daher keine Bedeutung zu. Weiters darf keine „Gefährdung von dem Bewilligungswerber nicht zur Benützung überlassenen Sachen und keine über das zumutbare Maß hinausgehende Beeinträchtigung der Umwelt und von Gewässern zu erwarten“ sein. Unter Gefährdung von Sachen ist die Möglichkeit einer bloßen Minderung des Verkehrswertes nicht zu verstehen (§ 119 Abs 4). Die Zumutbarkeit der Beeinträchtigung von Gewässern ergibt sich aus den wasserrechtlichen Vor-
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Allerdings fehlen im MinroG teilweise die Regelungen zur Bestimmung dieses Stands nach § 71a Abs 1 2. und 3. Satz GewO.
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schriften (§ 119 Abs 5).26 Die zumutbare Beeinträchtigung der Umwelt richtet sich für Bergbauzwecken dienende Grundstücke nach den örtlichen Verhältnissen, „für benachbarte Grundstücke gilt § 109 Abs 3 sinngemäß“ (§ 119 Abs 5). Der Verweis auf § 109 Abs 3 zielt wohl auf Satz 1 (insb Schutz des Bodens sowie des Pflanzen- und Tierbestands). Auf ein zumutbares Ausmaß der Beeinträchtigung der Umwelt besteht kein subjektives öffentliches Recht.27 Nach dem besten Stand der Technik vermeidbare sowie nicht verwertbare Abfälle dürfen nicht entstehen, es sei denn, die Vermeidung oder Verwertung wäre wirtschaftlich unvertretbar; diesfalls muss eine „ordnungsgemäße“ Entsorgung gewährleistet sein. Für die Feststellung der von der Bergbauanlage ausgehenden Emissionen usw werden technische, für deren Wirkungen auf die Nachbarschaft medizinische Sachverständigengutachten einzuholen sein.28 „Erforderlichenfalls“ sind Bedingungen, Auflagen oder Befristungen aufzunehmen. Diese sind „erforderlich“, wenn sie dem Eintreten (bzw Wegfall) oder der Erreichung von Genehmigungsvoraussetzungen dienen (Bedingungen und Auflagen) bzw wenn das Vorliegen von Genehmigungsvoraussetzungen nur für beschränkte Zeit angenommen werden kann. Eine aufschiebende Bedingung kann zB das Eintreten der Rechtskraft eines Bescheids nach §§ 148150 sein. Gemäß § 119 Abs 3 haben die Auflagen auch Maßnahmen zur Vermeidung bzw Bewältigung schwerer Unfälle zu umfassen. Bei der Bewilligung ist auch auf öffentliche Interessen gemäß § 119 Abs 7 Bedacht zu nehmen. Die Behörde hat bei der Bewilligung von Aufbereitungsanlagen mit Emissionsquellen auch die Bestimmungen des ImmissionsschutzG-Luft bzw allfälliger Verordnungen zu beachten.
F. Betriebsbewilligung und Probebetrieb Eine eigene Betriebsbewilligung für die Bergbauanlage ist erforderlich, wenn die Behörde dies im Errichtungsbescheid anordnet. Voraussetzung für diese Anordnung ist, dass zum Zeitpunkt der Bewilligung nicht ausreichend beurteilt werden kann, ob Auflagen hinsichtlich der „Auswirkungen des Betriebes der bewilligten Bergbauanlage“ die Schutzinteressen nach § 119 Abs 3 hinreichend schützen oder zusätzliche Auflagen erforderlich sind. Zu diesem Zweck kann auch (wohl ebenfalls nur im Errichtungsbescheid) ein befristeter Probebetrieb angeordnet oder zugelassen werden; das „Zulassen“ ist wohl so zu verstehen, dass dies mit der Anordnung des Erfordernisses der Betriebsbewilligung möglich ist und keines eigenen Antrags des Bewilligungswerbers bedarf. Der Be-
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Nach VwGH 29.1.1991, 90/04/0231 (zu § 146 BergG 1975) steht Eigentümern eines Grundstückes mit Brunnenanlagen ein subjektiv-öffentliches Recht auf Schutz vor einer Gefährdung dieser Brunnenanlage etwa durch Vernichtung der Trinkwasserqualität des dort geförderten Grundwassers zu, da dies unter den Schutz ihrer nicht dem Bewilligungswerber zur Benützung überlassenen Sachen (nunmehr: „Eigentum oder sonstige dingliche Rechte“) vor Gefährdungen fällt. VwGH 25.11.1997, 95/04/0142 zu § 146 Abs 1 BergG 1975. Vgl VwGH 2.6.1999, 98/04/0242.
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triebsbewilligungsbescheid hat auch allenfalls erforderliche Überprüfungen der Anlage zu regeln. Für das Betriebsbewilligungsverfahren gelten gemäß § 119 Abs 8 letzter Satz § 119 Abs 2 (mündliche Verhandlung), 6 (Parteien) und 7 (Anhörungen). Die Betriebsbewilligungsvoraussetzungen sind nicht ausdrücklich geregelt; es ist anzunehmen, dass dafür § 119 Abs 3 gilt, da zum Zeitpunkt der Bewilligung (allenfalls nach einem Probebetrieb) die notwendigen Auflagen zur Wahrung der Schutzinteressen feststellbar sein sollen.
G. Kumulation und Konzentrationsbestimmungen Zum Problem der Kumulation vgl allgemein den Beitrag Mineralrohstoffrecht I.B.; damit unterliegen Bergbauanlagen etwa idR nicht dem Bau- oder Raumordnungsrecht, wohl aber dem Naturschutzrecht. Gemäß § 2 Abs 3 gelten die Bestimmungen des Bergbauanlagenrechts auch für die „bergbautechnischen Aspekte“ weiterer Tätigkeiten (vgl den Beitrag Mineralrohstoffrecht V.). Hier wird ein Ausschluss insb baurechtlicher Vorschriften wohl nur greifen, wenn die Anwendung auf die „bergbautechnischen Aspekte“ in einer für sonstige Bergbauanlagen typischen Weise erfolgt; es ist jedenfalls nicht anzunehmen, dass in diesen Fällen die bloße (noch so beschränkte) Anwendbarkeit des MinroG Kumulationen automatisch im selben Maß ausschließt.29 Nach § 98 Abs 3 WRG besteht eine Zuständigkeit der Wasserrechtsbehörde auch „bei Bergbaubetrieben“; nach § 50 Abs 2 ForstG sind die materiellrechtlichen Bestimmungen des § 49 ForstG von der Bergbauanlagenbehörde zu beachten. §§ 10 Abs 6 und 37 Abs 2 Z 5 AWG sehen bestimmte Ausnahmen für Bergbauanlagen vor.30 Bei der konzentrierten Genehmigung von Abfallbehandlungsanlagen nach § 38 AWG sind die materiellrechtlichen Bestimmungen des Mineralrohstoffrechts anzuwenden und ersetzen die Bergbauanlagenbewilligung. Für eine Anwendbarkeit des konzentrierten Verfahrens nach § 356b GewO dürfte kein Raum bestehen, da § 74 Abs 4 GewO insoweit wohl eine gewerberechtliche Bewilligungspflicht überhaupt ausschließt (s oben II.E.).
IV. Die bewilligte Bergbauanlage A. Änderungsbewilligung Gemäß § 119 Abs 9 bedarf auch die Herstellung einer Änderung einer bewilligten Bergbauanlage einer Bewilligung, wenn dies „zur Wahrung der im Abs 3 umschriebenen Interessen erforderlich ist“. Die Voraussetzungen der Bewilligungspflicht einer Änderung unterscheiden sich damit von denen einer Erstbewilligung, die nicht auf die Schutzinteressen abstellt (vgl oben III.A.). Damit stellt sich die Frage, wie die „Interessen“ zu bestimmen sind. § 119 Abs 3 enthält nämlich Genehmigungsvoraussetzungen, aber keine zur Ge29
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Ein solcher Ausschluss kann sich jedoch durch Generalklauseln in baurechtlichen Vorschriften der Länder ergeben, die pauschal auf bergrechtliche Genehmigungen abstellen; vgl zu einer besonders extensiven Auslegung VwGH 23.2.2001, 98/06/0238. Zum komplexen Zusammenspiel zwischen MinroG und AWG beim Abfallwirtschaftskonzept vgl Schwarzer, Neue Spielregeln für Abfallwirtschaftskonzepte, ecolex 2002, 702 (704 f).
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nehmigungspflicht führenden Schutzinteressen wie § 74 Abs 2 GewO. Wenn eine Änderung genehmigungspflichtig ist, sofern dies zur Wahrung der Genehmigungsvoraussetzungen erforderlich ist, so kann keine Änderung antragsgemäß bewilligt werden - die Bewilligung wäre stets zu versagen oder nur unter Auflagen erteilbar. Dies dürfte indes nicht gemeint sein. Nach § 119 Abs 9 3. Satz liegt eine bewilligungspflichtige Änderung nicht vor, wenn • mit der Änderung der Bergbauanlage weder qualitativ andere noch quantitativ zusätzliche Emissionen auftreten; • es sich um eine gesetzlich oder bescheidmäßig angeordnete Sanierung (nach § 119 Abs 11) oder Anpassung nach § 121b Abs 1 handelt. Eine Nicht-Änderung des Emissionsverhaltens würde kaum zu einer Berührung der Genehmigungsvoraussetzungen führen, und die Anordnung der Sanierung dient gerade der Wahrung des § 119 Abs 3. Bei strikter Auslegung der Voraussetzungen einer Änderungspflicht wären diese Ausnahmen überflüssig. Daher geht es vielmehr um die Schutzinteressen, die hinter den Genehmigungsvoraussetzungen des § 119 Abs 3 stehen. Eine Bewilligungspflicht liegt demnach vor, wenn die Änderung grundsätzlich geeignet ist, die Schutzinteressen zu beeinträchtigen, wobei die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung hinreicht.31 Daher sind auch Bewilligungsverfahren zu Ende zu führen, bei denen sich erst im Verfahren herausstellt, dass keine anderen oder zusätzlichen Emissionen auftreten.32 Vergleichsmaßstab für „andere“ oder „zusätzliche“ Emissionen wird der Emissionsstand nach dem Bewilligungsbescheid (Projektbeschreibung) sein. Auf Grund dieser beträchtlichen Unklarheiten wurde das Feststellungsverfahren nach § 119 Abs 13 mit der MinroG-Novelle 2001 auf die Frage der Genehmigungspflicht von Änderungen ausgedehnt. Wurden die Schutzinteressen in einem rechtskräftig gewordenen Bewilligungsbescheid nicht ausreichend gewahrt, so steht das Instrument nachträglicher Auflagen nach § 119 Abs 11 zur Verfügung. Die Änderungsbewilligung hat „auch die bereits bewilligte Anlage soweit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im Abs 3 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits bewilligten Anlage erforderlich ist“. Die Änderungsbewilligung erstreckt sich daher auf die bereits genehmigte Anlage soweit, als sich die Änderung auf diese im Hinblick auf die Schutzinteressen auswirkt. Im Übrigen wird die Änderungsbewilligung der Erstbewilligung gleichzuhalten sein, etwa im Hinblick auf die Überprüfungspflicht, nachträgliche Auflagen oder Weiterbetriebsrecht (§ 119 Abs 10, 11 und 12); auch ein Vorbehalt einer Betriebsbewilligung dürfte möglich sein, was insb bei weitreichenden Änderungen von Bedeutung sein kann.
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Vgl zum gleichlautenden § 81 Abs 1 erster Halbsatz GewO Grabler/Stolzlechner/ Wendl (FN 13) Rz 4 zu § 81. So wohl implizit VwGH 17.11.2004, 2004/04/0198.
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B. Überprüfung § 119 Abs 8 4. und 5. Satz sieht vor, dass in Betriebsbewilligungsbescheiden im Hinblick auf die Schutzinteressen des § 119 Abs 3 Z 2-4 gegebenenfalls Überprüfungen vorzusehen sind. Nach § 119 Abs 10 2. Satz gelten diese beiden Sätze auch für die Überprüfung von ohne Vorbehalt der Betriebsbewilligung bewilligten Bergbauanlagen. Demnach kann sowohl in Errichtungs- als auch Betriebsbewilligungen die Überprüfung geregelt werden; dasselbe gilt wohl auch für Änderungsbewilligungen. Nach § 119 Abs 10 3. und 4. Satz sind die projektsgemäße Ausführung, die Erfüllung der Auflagen und die beabsichtigte Inbetriebnahme der Behörde anzuzeigen; diese hat sich binnen Jahresfrist von der Übereinstimmung der Bergbauanlage mit der erteilten Bewilligung zu überzeugen. Dies gilt auch für Änderungsbewilligungen, nicht jedoch für Betriebsbewilligungen, da bei diesen keine „projektsgemäße Ausführung“ vorliegt. Bei der Feststellung von Mängeln hat die Behörde bis zu deren Behebung „die Benützung der Bergbauanlage im erforderlichen Umfang zu untersagen“.
C. Sanierung (nachträgliche Auflagen) Die Behörde hat die Sanierung einer Bergbauanlage anzuordnen und die erforderlichen Auflagen vorzuschreiben, wenn sich nach Bewilligung ergibt, dass die Schutzinteressen nicht hinreichend gewahrt sind (§ 119 Abs 11). Auflagen, die (insb wirtschaftlich) unverhältnismäßig sind, dürfen jedoch nicht vorgeschrieben werden; dabei handelt es sich letztlich um eine Abwägung zwischen der Gefährdung der Schutzinteressen einerseits und der erreichten Gefährdungsminderung und Kosten andererseits. Wie bei der parallelen Bestimmung des § 79 GewO ist aber davon auszugehen, dass Auflagen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit niemals unverhältnismäßig sind.33 Ein Antragsrecht etwa der Nachbarn ist nicht vorgesehen; das Verfahren nach § 119 Abs 11 ist von Amts wegen durchzuführen und kann auch von Parteien des ursprünglichen Genehmigungsverfahrens nur angeregt werden.
D. Sanierungskonzept iVm Sanierungsgebiet nach IG-Luft § 120 verpflichtet die Behörde, dem „Bergbauberechtigten“ (richtig wohl: Inhaber der Bergbauanlage) aufzutragen ein Sanierungskonzept vorzulegen, wenn die Bergbauanlage in einem Sanierungsgebiet gemäß einer Verordnung nach § 10 IG-Luft liegt und von Anordnungen des Maßnahmenkatalogs betroffen ist. Im Unterschied zu § 119 Abs 11 gilt dies für bewilligte Bergbauanlagen unabhängig von der Wahrung der Schutzinteressen nach § 119 durch den Bewilligungsbescheid, aber auch für nicht bewilligte bzw nicht bewilligungspflichtige Bergbauanlagen; praktisch ist dieser Fall aber auszuschließen, da die nicht bewilligungspflichtigen untertägigen Bergbauanlagen gemäß § 120 Abs 1 ausdrücklich nicht erfasst sind. Das Sanierungskonzept ist (allenfalls unter Vorschreibung von Auflagen) genehmigungspflichtig und die Verwirklichung des Konzepts ist „aufzutragen“. 33
Vgl Grabler/Stolzlechner/Wendl (FN 13) Rz 17 zu § 79.
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E. Weiterbetriebsrecht § 119 Abs 12 sieht ein auf längstens ein Jahr beschränktes Weiterbetriebsrecht für den Fall vor, dass ein Bewilligungsbescheid vom VwGH aufgehoben wird, es sei denn, der VwGH hätte der gegenständlichen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
F. Auflassung § 119 Abs 14 sieht als Ordnungsvorschrift eine Anzeigepflicht für die Auflassung von Bergbauanlagen vor. Die Anzeigepflicht entfällt, wenn die vorgesehene Auflassung in einem (bei der Behörde eingereichten) Abschlussbetriebsplan angeführt ist. Dabei erforderliche Maßnahmen können im Rahmen der Genehmigung des Abschlussbetriebsplans und/oder nach § 179 (Sicherheitsmaßnahmen) vorgeschrieben werden.
G. Aufsicht und Sanktionen Für Aufsicht und Überwachung hinsichtlich Bergbauanlagen gelten die allgemeinen Bestimmungen des MinroG. § 193 sieht keine besondere Strafbestimmung für unbefugte Errichtung oder Betrieb bzw den konsenswidrigen Betrieb einer Bergbauanlage vor. Insoweit ist auf die allgemeinen Strafnormen der Abs 2 und 4 zurückzugreifen, wonach die dort genannten Personen eine Verwaltungsübertretung begehen, wenn sie „diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, sonstigen von den Behörden anzuwendenden Rechtsvorschriften oder Verfügungen der Behörden zuwiderhandeln“. Damit werden grundsätzlich die für Bergbauanlagen zu beachtenden Vorschriften erfasst. Problematisch ist die Beschränkung des in § 193 Abs 2 und 4 angeführten Personenkreises. Dabei handelt es sich um Bergbauberechtigte, Fremdunternehmer und behördlich bestellte Verwalter (Abs 2) sowie „Bevollmächtigte der im Abs 2 genannten Personen“, Verantwortliche für bestimmte Arbeiten nach § 17, § 71 oder § 87, Betriebsleiter, Betriebsaufseher, verantwortliche Markscheider und die vom Fremdunternehmer nach § 134 Abs 1 den Behörden bekannt zu gebenden verantwortlichen Personen. Nicht erfasst sind in dieser umfangreichen Aufzählung die Personen, die eine Tätigkeit nach § 2 Abs 1 ausüben, aber nicht Bergbauberechtigte sind (Aufsuchen grundeigener bzw Suchen bergfreier mineralischer Rohstoffe). Nicht erfasst sind weiters Errichter von Bergbauanlagen, die (uU noch) keine Bergbautätigkeit ausüben bzw über keine Berechtigung verfügen (in diesem letzteren Fall greift weitgehend § 193 Abs 1). Das konsenslose Errichten einer Bergbauanlage durch einen Nicht-Bergbauberechtigten, die später von ihm oder einer anderen Person zu Bergbauzwecken verwendet werden soll, ist unter die Strafbestimmungen des § 193 nicht subsumierbar.34 Erst der konsenslose Betrieb zu Bergbauzwecken durch den Bergbauberechtigten dürfte strafbar sein, wobei sich die durch § 193 verwiesene Verhaltensanordnung aus § 119 Abs 10 1. Satz im Umkehrschluss ergibt. Die Strafbestimmungen gelten auch hinsichtlich der Errichtung usw von Bergbauanlagen für Tätigkeiten, die nur hinsichtlich der bergbautechnischen Aspekte dem MinroG unterliegen (§ 2). Die damit verbundenen höchst unklaren Abgrenzungsprobleme wer34
Vgl dagegen § 366 Abs 1 Z 2 GewO und Grabler/Stolzlechner/Wendl (FN 13) Rz 21 f zu § 366.
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den in den meisten Fällen Probleme des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots aufwerfen.
V. Zusatzbestimmungen für Aufbereitungsanlagen (IPPC-Anlagen) Für als Bergbauanlagen zu qualifizierende Aufbereitungsanlagen iSd Anhangs I der IPPC-RL 96/61/EG (vgl dazu oben II.G.) gelten zusätzlich zu §§ 119 und 120 die Bestimmungen der §§ 121-121e.35 Diese Bestimmungen beziehen sich vor allem auf zusätzliche Genehmigungsvoraussetzungen (§ 121 Abs 1), zusätzliche Angaben im Ansuchen um Erteilung einer Bewilligung (§ 121d Abs 1), zusätzliche Aufträge zum Schutz der Umwelt (§ 121 Abs 3 und 4), die Bewilligungspflicht eigens definierter wesentlicher Änderungen (§ 121a Abs 1) neben § 119 Abs 9, eine Selbstprüfpflicht (§ 121b), besondere Konzentrationsvorschriften (§ 121 Abs 6-9), besondere Publizitätsanordnungen (§ 121 Abs 5, § 121d Abs 2), Sonderregeln zur Parteistellung von Umweltorganisationen (§ 121 Abs 11) und Sonderregeln zur Teilnahme betroffener Staaten am Verfahren (§ 121d Abs 4-9). Dazu treten die besonderen Meldepflichten gemäß § 222a. Da sich die Regelung im MinroG sehr stark an den §§ 77a, 81a-81d und 356b GewO orientiert, kann für die Details auf die Ausführungen im Beitrag Potacs, gewerbliches Betriebsanlagenrecht verwiesen werden. Hier sei nur auf einen Unterschied zur Gewerberechtslage hingewiesen: Der VfGH hat mit VfSlg 17.022/2003 die Bewilligungsvoraussetzung der „effizienten Verwendung von Energie“ in § 77a Abs 1 Z 2 GewO aufgehoben, da es sich um eine dem Bund nicht zukommende Maßnahme der Wirtschaftslenkung handeln soll. Der Gesetzgeber hat dies mittlerweile dahingehend zu korrigieren versucht, dass die effiziente Verwendung von Energie als Maßnahme zur Vermeidung von Umweltverschmutzungen in § 77a Abs 1 Z 1 GewO vorgesehen ist. In § 121 Abs 1 Z 2 MinroG findet sich die effiziente Verwendung von Energie nach wie vor als Bewilligungsvoraussetzung, was in der strikten Lesart des VfGH jedenfalls soweit verfassungswidrig ist, als sich Bestimmungen über Bergbauanlagen auf den Kompetenztatbestand Gewerbe und Industrie (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) gründen. Bei Aufbereitungsanlagen besteht jedoch idR ein enger Konnex (betrieblicher Zusammenhang) zur Bergbautätigkeit (s Abschnitt Mineralrohstoffrecht I.B.), so dass hier der Kompetenztatbestand Bergwesen einschlägig ist. Dieser kann so verstanden werden, dass er auch die effiziente Verwendung von Energie in Bergbauanlagen als Regelung umfasst, die das bergbaumäßige Nutzen der Erdkruste zum Gegenstand hat. Namentlich haben zahlreiche Bestimmungen des MinroG wirtschaftslenkenden Charakter, wenn auch der Ansatz ein anderer ist, nämlich die Versorgung mit Grundprodukten durch effiziente Produktion (statt effizienter Verwendung) sicherzustellen. Im Hinblick auf die Richtlinienumsetzung sind bergbauanlagenrechtliche Bestimmungen soweit möglich richtlinienkonform auszulegen; soweit Einzelnen keine Rechtspflicht auferlegt wird, dürfte hinreichend konkreten Bestimmungen der IPPC-RL auch unmittelbare Wirkung zukommen.36 35 36
In Österreich sollen insgesamt nur 500 bis 600 von der IPPC-RL erfasste Anlagen bestehen (Maitz/Büchele, 62). Vgl zum Problem Maitz/Büchele; zu einer relativ weit reichenden Auslegung der Kriterien der unmittelbaren Wirkung etwa EuGH Rs C-443/98, Unilever Italia, Slg 2000 I-7535; zur UVP-RL EuGH Rs C-201/02, Wells, Slg 2004 I-723.
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VI. Bergwerksbahnen Gemäß § 122 bedürfen Bergwerksbahnen einer Bewilligung, wobei § 119 Abs 2 bis 12 und 14 anzuwenden sind. Demnach fehlen Bestimmungen über das Ansuchen, insoweit wird aber wegen der Verfolgung derselben Schutzinteressen § 119 Abs 1 sinngemäß gelten. Bewilligungspflichtige Bergwerksbahnen sind Eisenbahnen, „die ein Bergbauberechtigter nur zur Beförderung der bei Ausübung der im § 2 Abs 1 genannten Tätigkeiten benötigten und anfallenden Güter (Bergwerksbahn) oder zur Beförderung seiner Arbeitnehmer von und zur Arbeitsstätte (Bergwerksbahn mit Werksverkehr oder erweitertem Werksverkehr) errichten und betreiben will“. Grundsätzlich können Bergwerksbahnen auch unter die Definition der Bergbauanlage fallen; bei § 122 handelt es sich um eine Bestimmung, die primär der Abgrenzung zum Eisenbahnrecht dient. Bildet eine Bergwerksbahn mit anderen als Bergbauanlage zu qualifizierenden Objekten eine Einheit, so wird diese Einheit wohl als eine Bergbauanlage zu genehmigen sein (vgl oben II.D.).
Thomas Freylinger
Energieanlagenrecht Rechtsgrundlagen .........................................................................................1050 Grundlegende Literatur.................................................................................1050 I. Grundlagen ..............................................................................................1050 A. Allgemeines..........................................................................................1050 B. Kompetenzrechtliche Grundlagen .......................................................1052 1. Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft ...........................................................1052 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit....................................1053 C. Gemeinschafts- und völkerrechtliche Grundlagen ..............................1053 1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben.................................................1053 2. Völkerrechtliche Verpflichtungen...................................................1053 II. ElWOG ...................................................................................................1054 A. Ziele und Grundsätze des Anlagenrechts im ElWOG..........................1054 B. Begriff der Betriebsanlagen im ElWOG ..............................................1055 C. Genehmigungsverfahren und Behörden ..............................................1056 1. Bestimmungen für Stromerzeugungsanlagen..................................1056 2. Bestimmungen für elektrische Leitungsanlagen..............................1057 D. Verwaltungsstrafen .............................................................................1058 III. Das Anlagenrecht im ÖSG ..................................................................1058 A. Ziele und Grundsätze des ÖSG............................................................1058 B. Begriff der Betriebsanlagen im ÖSG...................................................1059 C. Genehmigungsverfahren und Behörden ..............................................1060 IV. Das Anlagenrecht im GWG.................................................................1061 A. Ziele und Grundsätze...........................................................................1061 B. Genehmigungsverfahren und Behörden ..............................................1062 C. Pflichten des Genehmigungsinhabers .................................................1064 D. Aufsichtsmittel und Strafbestimmungen ..............................................1065 1. Aufsichtsmittel ................................................................................1065 2. Strafbestimmungen..........................................................................1065 IV. Das Anlagenrecht im RohrleitungsG..................................................1066 A. Ziel und Regelungsbereich ..................................................................1066 B. Genehmigungsverfahren und Behörden ..............................................1066 C. Pflichten der Konzessionsinhaber .......................................................1067 D. Aufsichtsmittel und Strafbestimmungen ..............................................1067 1. Betriebseinstellung ..........................................................................1067 2. Strafbestimmungen..........................................................................1068
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Rechtsgrundlagen: EU-Recht: RL 90/377/EWG, Abl 185/16 idF RL 93/87 EWG, Abl L 277/32 (Erdgastransit-RL); RL 90/547/EWG, Abl L 313/30 idF RL 90/547/EWG, Abl L 276/9 (Elektrizitätstransit-RL); RL 91/296/EWG, Abl L 147/37 idF RL 95/49/EG, Abl L 233/86; RL 96/92/EG, Abl L27/20, RL 2003/54/EG (Elektrizitätsbinnenmarkt-RL); RL 98/30/EG, Abl 204/1, RL 2003/55/EG (Erdgasbinnenmarkt-RL); RL 2001/77/EG (Erneuerbare Energie-RL); RL 2004/8/EG (KWK-RL); BG: ElektrizitätswirtschaftsG - ElWOG (BGBl 1998 I/143 idF BGBl 2005 I/44) GaswirtschaftsG - GWG (BGBl 2002 I/148 idF BGBl 2006/106) GewO (BGBl 1994/1994 idF BGBl 2006 I/84) RohrleitungsG (BGBl 1975/411 idF BGBl 2004/115) ÖkostromG (BGBl 2002 I/149 idF 2006/105) StarkstromwegeG (BGBl 1968/70 idF BGBl I 2003/112) StarkstromwegegrundsatzG (BGBl 1968/71 idF BGBl I 2001/136) VO: VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der jene Arten von Betriebsanlagen bezeichnet werden, die keinesfalls dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zu unterziehen sind (BGBl 1998 II/265); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der jene Arten von Betriebsanlagen bezeichnet werden, für die jedenfalls keine Genehmigung erforderlich ist (BGBl 1999 II/20 idF BGBl 1999 II/149). LG: BgldElektrizitätsG
Grundlegende Literatur: Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts 1998; derselbe, Handbuch Energierecht 2006; Pauger, Marktwirtschaft durch EU-Recht, 1996; derselbe, Die Neuordnung der Elektrizitätswirtschaft in Österreich, ÖZW 1998, 97; Heidinger/Wolf/Schneider, Das neue Elektrizitätswirtschaftsrecht ElWOG 1998, (1998); Schanda, Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes in Österreich, WBl 1999, 45; Schmelz/Tremml, Willkommen im freien Markt, ecolex 2000, 551; Schanda, Energierecht. Praxiskommentar zum EnergieliberalisierungsG (2000); derselbe, Energierecht3 Praxiskommentar ElWOG idF Nov 2002, GWG idF Nov 2002, Ökostromgesetz 2002, Energie Regulierungsbehördengesetz idF Nov 2002, Verrechnungsstellengesetz (Strom), BVG Eigentum, ElektrizitätsbinnenmarktRL; ErdgasbinnenmarktRL, Erneuerbare-Energie-RL (2003); derselbe, Vollliberalisierung des Elektrizitätsmarktes ab 1. Oktober 2001, wbl 2001, 60; Pauger, Reform des Strom- und Gasrechts durch das Energieliberalisierungsgesetz, ÖZW 2000, 97; ÖZW 2001, 1; derselbe (Hrsg), Ein Jahr ElWOG. Rückblick und Ausblick auf die Liberalisierung der österreichischen Elektrizitätswirtschaft, 2001; Berka, Starkstromwegeplanung und örtliches Bau- und Raumordnungsrecht, ZfV 2006, 318.
I. Grundlagen A. Allgemeines Mit der Liberalisierung des Energie- und Gasmarktes wurde auch das Energieanlagenrecht in Österreich reformiert. Auf Basis der bestehenden bundesverfassungsgesetzlichen Kompetenzverteilung wurden die österreichischen elektrizitätsrechtlichen Bestimmungen mit dem EU-Recht harmonisiert, um eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Elektrizitätswirtschaft in einem internationalen Umfeld zu schaffen. Mit den neuen Rahmenbedingun-
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gen sollten auch in Zukunft die bisherigen Zielsetzungen einer umwelt- und sozialverträglichen, auf Versorgungssicherheit und Kostenminimierung ausgerichteten Energiepolitik gewährleistet bleiben.1 In Österreich unterliegen Elektrizitätsunternehmen und Erdgasunternehmen gemäß § 2 Abs 1 Z 20 GewO nicht den anlagenrechtlichen Regelungen der Gewerbeordnung, sondern die Regelungen für den Betrieb, die Errichtung und Erweiterung von Elektrizitäts- Gas- und Stromleitungsanlagen werden in den einzelnen Spezialgesetzen selbst festgelegt. Dennoch orientieren sich die Genehmigungsvoraussetzungen und Bewilligungen des ElWOG bzw GWG an den grundsätzlichen Kriterien des Betriebsanlagenrechts der GewO. Der Maßstab für die Betriebsgenehmigung umfasst elektrizitätswirtschaftliche Voraussetzungen, anlagenrechtliche Bestimmungen sowie Regelungen zur Vermeidung von Gefahren für die Umwelt und den Menschen.2 Zur Sicherstellung des Umweltschutzes und der Rechte von subjektiv Betroffenen, finden sich auch Bestimmungen zur Parteistellung. Ziel der Anpassung des Elektrizitätsanlagenrechts an die Elektrizitätsbinnenmarkt-RL war es neben dem Umweltschutz auch eine Konzentrierung und Objektivierung der Verfahren zu schaffen. Für die Inbetriebnahme und Bewilligung von Stromerzeugungsanlagen werden auch weiterhin die Ausführungsgesetze der Länder die näheren Bestimmungen festlegen. Die diesbezüglichen Regelungen sind aber im Sinne von Art 6 und 7 der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL festzulegen und die Vergabe auf Basis eines objektiven und transparenten Genehmigungsverfahrens durchzuführen. Die Stromleitungsanlagen bleiben weiterhin im Starkstromwegerecht im wesentlichen unverändert geregelt.3 Eingefügt wurden aber in ElWOG und GWG mehrere Bestimmungen, die die Erzeugung von Strom mittels umweltfreundlicher Energieträger fördern sollten. Es gibt Begünstigungen bei der Errichtung von Stromerzeugungsanlagen, die mit bestimmten umweltfreundlichen Energieträgern betrieben werden. Die Ausführungsgesetze haben für diese Anlagen bis zu einer bestimmten Leistung ein vereinfachtes Verfahren oder eine bloße Anzeigepflicht vorzusehen. Zusätzlich normiert § 19 ElWOG bei der Reihenfolge für den Netzzugang einen Vorrang für den Transport von Elektrizität aus Wasserkraft. Zur Sicherstellung wird den Betreibern von Verteilernetzen eine Abnahmepflicht von erneuerbaren Energieträgern vorgeschrieben4 und die Betreiber von Übertragungsnetzen werden bei der Inanspruchnahme von Erzeugungsanlagen verpflichtet, Anlagen, die mit erneuerbaren Energieträgern betrieben werden, zu bevorzugen.5 In diesem Zusammenhang sind auch die Regelungen des Starkstromwegerechts zugunsten von Energie aus erneuerbaren Energieträgern zu verstehen. Mit der Novellierung im Jahre 1998 (BGBl I 1998/144) sind Stromleitungsanlagen, die ausschließlich
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3 4 5
Schanda, ElWOG, 31. Dabei handelt es sich um Abstimmungen mit genehmigten Energieversorgungseinrichtungen sowie Erfordernisse der(s) Forstwesens, Raumplanung, Wildbach- Lawinenverbauung, Landeskultur, Wasserrechts, Wasserwirtschaft, Natur-Denkmalschutzes, Wasserwirtschaft, Bergbaus, öffentlichen Verkehrs, Tourismus, sonstiger öffentlicher Versorgung, Landesverteidigung, Sicherheit des Luftraumes usw. Heidinger/Wolf/Schneider, 31. § 31 Abs 2 ElWOG. Heidinger/Wolf/Schneider, 44.
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zur Ableitung von der mit alternativen Energieträgern erzeugten Elektrizität dienen, unabhängig von der Betriebsspannung, von der Bewilligungspflicht befreit.
Mit Umsetzung der Erdgasbinnenmarkt-RL sowie der Gastransit-RL, welche die gleichen Ziele verfolgen wie die Elektrizitätsbinnemarkt-RL, kam es zu einer konzentrierten Regelung der Gas- und Gasleitungsanlagen im GWG. In das neue Gaswirtschaftsgesetz wurden Bestimmungen einbezogen, die zuvor in der GewO für die leistungsgebundene Gasversorgung von Bedeutung waren sowie Regelungen des Rohrleitungsgesetzes, soweit sie sich auf den Gastransport bezogen haben.6 Durch die Konzentrierung der Regelungen für Gasanlagen im GWG, musste auch das RohrleitungsG überarbeitet werden.
B. Kompetenzrechtliche Grundlagen 1. Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft Ansatzpunkt für die Verwirklichung einer Energiepolitik auf Gemeinschaftsebene war vor allem die Entwicklung eines gesamten Europäischen Energiemarktes, der eine Deckung des aktuellen und zukünftigen Energiebedarfs zu den geringsten wirtschaftlichen Gesamtkosten im gemeinsamen Markt ermöglicht. Anlagenrechtlich sollte dabei die Produktions- bzw Gewinnungsstruktur der einzelnen Energieträger, unter Einbeziehung von umwelt- und regionalwirtschaftlichen Überlegungen, optimiert werden. Die Europäische Union stützt sich bei der Verwirklichung eines liberalisierten Energiemarktes einerseits auf das Primärrecht, andererseits auf Regelungen, die aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleitet wurden. Aufgrund der fehlenden legislativen Regelungen von Energieanlagen dienen allgemeine Grundsätze des EGV als Grundlage für die Elektrizitäts- bzw Erdgasbinnenmarkt-RL. Dies sind insbesondere Art 57 Abs 2 (nunmehr Art 47 Abs 2) EGV zur Niederlassungsfreiheit und als Ermächtigungsnorm für die Erlassung von abgeleiteten Gemeinschaftsrecht Art 100 a (nunmehr Art 95) EGV, der die Rechtsgrundlage für Rechtsakte zur Schaffung bzw Verwirklichung des Binnenmarktes darstellt.7 Ziel ist vor allem eine Belebung der Konkurrenz durch Öffnung des Marktes für die Stromerzeugung und für die Errichtung von Hochspannungsleitungen sowie Gaspipelines. Da es sich sowohl bei der Elektrizitäts- bzw Erdgasbinnenmarkt-RL um das Konzept einer stufenweise Liberalisierung handelte, wurden die Elektrizitätsbinnenmarkt-RL 96/92 EG durch die RL 2003/54/37 und die Erdgasbinnenmarkt-RL 98/30 EG durch die RL 2003/55/EG ersetzt. Bei den neuen RL wird mehr Wert auf die Versorgungssicherheit und den Konsumentenschutz gelegt. Vor allem sollte aber die Marktöffnung beschleunigt werden und Strom aus erneuerbaren Energien und KWK Anlagen bevorzugt werden. Im Wesentlichen übernehmen aber beide RL die Strukturen der alten RL.8
6 7 8
Schanda, Energierecht, 199. Schanda, ElWOG, 20. Raschauer, Energierecht, 18ff.
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2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Da es sich beim Energierecht um eine „Querschnittsmaterie“ handelt, sind auch die Regelungen bezüglich Energieanlagen auf mehrere Kompetenztatbestände der Art 10 bis 15 B-VG aufgeteilt. Gemäß Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG sind die Typisierung und Sicherheitsmaßnahmen elektrischer Anlagen,9 sowie das Starkstromwegerecht, sofern sich die Leitungsanlage auf zwei oder mehrere Länder erstreckt, Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung. Der Betrieb, die Errichtung bzw Bewilligung von Elektrizitätsanlagen fällt unter den Kompetenztatbestand des Art 12 Abs 1 Z 5 B-VG „Elektrizitätswesen“ in die Grundsatzgesetzgebung des Bundes und in die Ausführungsgesetzgebung der Länder. Von diesem Kompetenztatbestand sind auch die Regelungen des Starkstromwegegrundsatzgesetzes erfasst. 10 Die öffentliche Versorgung mit Energie in Form von Gas wird grundsätzlich unter den Kompetenztatbestand „Angelegenheit des Gewerbes und Industrie“ Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG subsumiert.11 In Gesetzgebung und Vollziehung des Bundes fallen daher die öffentliche Gasversorgung, die Errichtung, Änderung und Bewilligung von Gasanlagen. Unter diesen Tatbestand werden auch Gasanlagen geregelt, die einen Bestandteil einer gewerblichen Betriebsanlage darstellen.12 In die Materie des Landesgesetzgebers fallen gemäß Art 15 B-VG alle Regelungen bezüglich des Gassicherheitsrechtes, das die Gasleitungen in Wohnhäusern und die Gasgeräte in privaten Haushalten regelt.
C. Gemeinschafts- und völkerrechtliche Grundlagen 1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben Zentrale anlagenrechtliche Bestimmungen für die Liberalisierung des Energiemarktes werden durch die Elektrizitätsbinnenmarkt-RL und die Erdgasbinnenmarkt-RL festgelegt. Neben Regelungen für die Elektrizitätserzeugung kann aus Gründen des Umweltschutzes auch der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien Vorrang eingeräumt werden. Von grundlegender Bedeutung für die Europäische Gemeinschaft ist zusätzlich die Umsetzung der Niederlassungsfreiheit, damit es keine Schranken bei der Ansiedelung von Betriebsanlagen innerhalb der Mitgliedsstaaten gibt und eine Vereinheitlichung der Genehmigungsverfahren.13
2. Völkerrechtliche Verpflichtungen Vor allem zum eigenen Schutz vor Auswirkungen von Störfällen in Nuklearanlagen hat Österreich zahlreiche völkerrechtliche Abkommen geschlossen. Zu erwähnen sind hier die multilateralen Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen,14 das Übereinkommen über die Hil9 10 11 12 13 14
BGBl 106/1993. BGBl 71/1968. VfSlg 3640/1959; 5801/1968. Schanda, Energierecht, 184. Siehe auch unter Gewerbliches Betriebsanlagenrecht I C 1. BGBl 1988/186.
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feleistung bei nuklearen Unfällen oder strahlungsbedingten Notfällen15 und das Übereinkommen über nukleare Sicherheit.16 Zusätzlich wurden bilaterale Abkommen mit den Regierungen der Ungarischen Volksrepublik,17 Russland,18 der Slowakei und Tschechien19 zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit kerntechnischen Anlagen sowie der nuklearen Sicherheit vereinbart. Über die Ausbeutung der gemeinsamen Erdgas- und Erdöllagerstätten hat Österreich ein Abkommen mit der Slowakei und Tschechien abgeschlossen.20
II. ElWOG A. Ziele und Grundsätze des Anlagenrechts im ElWOG Die Bevölkerung und die Wirtschaft in Österreich sollte einerseits mit kostengünstiger Elektrizität in hoher Qualität versorgt werden,21 andererseits sollte der Anteil von erneuerbaren Energien in der österreichischen Elektrizitätswirtschaft weiter erhöht werden und Aspekte einer sozial- und umweltverträglichen auf Versorgungssicherheit ausgerichteten Elektrizitätsversorgung, im Sinne der Marktorganisation RL 96/92 EG, durch das ElWOG gewährleistet werden.22 Neben den schon bestehenden umweltfreundlichen hydraulischthermischen Anlagen, wird nun auch der Anteil an neuen Technologien zur Erzeugung von Elektrizität gefördert. Dabei sehen § 3 Abs 4 und § 4 ElWOG vor, einen Ausgleich für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im Allgemeininteresse zu schaffen. Nach der Grundsatzbestimmung des § 4 Abs 1 ElWOG geht es um die Auferlegung bestimmter gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen für Netzbetreiber, wie zb Diskriminierungsverbot, allgemeine Anschlusspflicht und Errichtung sowie Erhaltung einer ausreichenden Netzinfrastruktur. Die Pflichten müssen klar definiert, transparent und nachvollziehbar sein. Für die Energieerzeugung ist dabei vor allem Bedacht auf den Umwelt- und Klimaschutz zu nehmen, bestimmte Erzeugungsformen nicht zu verwenden und eingesetzte Primärenergieträger bestmöglich zu verwerten. Insbesondere durch die vorrangige Nutzung von Erzeugungsanlagen, in denen erneuerbare Energieträger bzw Abfälle mit hohem biogenen Anteil eingesetzt werden23 oder die nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung arbeiten, soweit sie der öffentlichen Fernwärmeversorgung dienen. Zur Sicherung der Umsetzung werden die Unternehmen durch § 6 ElWOG verpflichtet, bestimmte Grundsätze als Unternehmensziele zu verankern.24 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
BGBl 1990/87. BGBl III 1998/39. BGBl 1987/454. BGBl 1990/130. BGBl 1990/565 idF BGBl 1994/1046 und BGBl 1997 III/123. BGBl 1985 idF BGBl 1994/1047 und BGBl 1997 III/123. § 3 ElWOG. EB zu § 3 RV 1108 BlgNR 20.GP S 47 ff. § 40 ElWOG. Heidinger/Wolf/Schneider, 35.
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Zur Vereinheitlichung der Förderungspraxis in Bezug auf Erneuerbare Energieträger kam es 2003 durch das ÖkostromG (ÖSG) zu einer bundeseinheitlichen Neuregelung. Damit sollten auch in Zukunft die Erzeugungsanlagen, in denen erneuerbare Energieträger oder Abfälle eingesetzt werden oder die nach dem Prinzip der Kraft-WärmeKopplung arbeiten, erhalten bleiben. Vor allem gilt dies für die öffentliche Fernwärmeversorgung, welche eine Versorgungspflicht mit Wärme trifft. Mit dieser Bestimmung sollte ein möglicher Wettbewerbsnachteil von Anlagen mit hohen Umweltstandards vermieden werden. Eine ähnliche Regelung zur Förderung von Stromerzeugungsanlagen, die elektrische Energie aus erneuerbaren Energien oder Abfällen erzeugen, findet sich auch im § 12 ElWOG.
Das Ökostromgesetz definiert welche Anlagen als Ökostromanlagen gelten und regelt auch die Förderungen und Abnahmepflichten für Strom aus Erzeugungsanlagen mit hohem biogenen Anteil, sowie auf eigenständige Weise die Förderung von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen.25 Zusätzlich werden Wasserkraftanlagen mit einer Engpassleistung bis 10 MW (Kleinwasserkraftwerke) begünstigt. Diese müssen von den jeweiligen Landesregierungen benannt werden und haben damit das Recht auf Ausstellung eines Kleinwasserkraftwerkzertifikats.26 Die Förderung besteht in der Verpflichtung der inländischen Stromhändler,27 dass 8% der von ihnen abgegebenen Energie an Endverbrauchern aus inländischen Kleinkraftwasseranlagen stammen müssen. Dies ist durch die sogenannten Kleinwasserkraftzertifikate nachzuweisen.28 Näheres dazu unter „III. Das Anlagenrecht im ÖSG“.
B. Begriff der Betriebsanlagen im ElWOG Das ElWOG unterscheidet bei den Anlagen zwischen Stromerzeugungsanlagen und Stromleitungsanlagen. Kompetenzrechtlich fallen die Erzeugungsanlagen unter den Art 12 Abs 1 Z 5 B-VG (Elektrizitätswesen). Daher sind im ElWOG nur Grundsatzbestimmungen für Stromerzeugungsanlagen und Stromlieferungsverträge geregelt und lassen der Ausführungsgesetzgebung einen weiten Raum.29 Demnach haben die Ausführungsgesetze der Länder für die Errichtung und Inbetriebnahme von Stromerzeugungsanlagen sowie für die Vornahme von Vorarbeiten Regelungen zu schaffen, die auf Grundlage objektiver, transparenter und nichtdiskriminierender Kriterien im Sinne der Art 6 und 7 der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL festzulegen sind. Dementsprechend enthalten die Ausführungsgesetze der Länder ausführliche Regelungen, die Ähnlichkeiten mit dem gewerblichen Betriebsanlagenrecht aufweisen.30 Im wesentlichen unterscheiden die Landesgesetze zwischen Kleinstkraftwerken, die bewilligungsfrei sind, Kleinkraftwerken, die einem vereinfachten Verfahren bzw einer Anzeigepflicht unterliegen und schließlich sonstigen Anlagen die einem regulären Be-
25 26 27 28 29 30
§ 12 ÖSG. Schanda, WBl 2001/63. § 45 Abs 2 ElWOG. Bei Bezug von ausländischen Stromhändler, die den Nachweis nicht erbringen, haben die Endverbraucher diesen Nachweis gem § 43 Abs 3 selbst zu erbringen. Art 12 ElWOG. Raschauer, in: Pauger, Ein Jahr ElWOG, 11.
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willigungsverfahren unterworfen sind.31 Bei den zuletzt genannten Anlagen sind auch die Bestimmungen des UVP-G anzuwenden.32 Die Kriterien gelten für den Bau neuer Erzeugungsanlagen und haben mit der Umsetzung der EB-RL das Ziel, mehr Wettbewerb zu schaffen, um neue Produktionskapazitäten zu erreichen. In Österreich unterliegt die Errichtung von Anlagen dem Genehmigungsverfahren.33
Die Stromleitungsanlagen unterliegen hingegen einer kompetenzrechtlichen Zweiteilung. Das StarkstromwegeG des Bundes regelt die Voraussetzungen für die Bewilligung des Baues sowie des Betriebes von landesgrenzüberschreitenden Leitungen34. Die Landesgesetze regeln in ihren Ausführungsgesetzen35 aufgrund des StarkstromwegegrundsatzG die Leitungen, welche sich innerhalb der Bundesländer befinden. Grundsätzlich unterliegen alle Leitungsanlagen36 einer behördlichen Bewilligungspflicht. Diese gilt auch für Änderungen und Erweiterungen elektrischer Leitungsanlagen, soweit diese über den Rahmen der hiefür erteilten Bewilligung hinausgehen. Ausgenommen sind aber Anlagen, die zur Ableitung von Strom aus erneuerbaren Energien dienen, was von Raschauer als gleichheitswidrig, wenn auch ökologisch sinnvoll, angesehen wird.37 Das ElWOG trifft im 3. und 4. Teil nur Grundsatzbestimmungen bezüglich Stromerzeugungsanlagen und den Betrieb von Netzen. Dabei wird zwischen Übertragungsnetzen und Verteilernetzen unterschieden. Bei Übertragungsnetzen handelt es sich um Hochspannungsverbundnetze zum Zwecke der Stromversorgung von Endverbrauchern oder Verteilern.38 Das Betreiben von solchen Netzen (das Netz muss eine Spannungshöhe von mindestens 110 kV aufweisen) bedarf keiner besonderen Ausübungsvoraussetzung oder -bewilligung.39
C. Genehmigungsverfahren und Behörden 1. Bestimmungen für Stromerzeugungsanlagen Für die Errichtung und Inbetriebnahme von Stromerzeugungsanlagen sowie für die Vornahme von Vorarbeiten sieht § 12 ElWOG Grundsatzbestimmungen für die Ausführungsgesetze der Länder vor. In Kapitel III der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL finden sich Bestimmungen für den Bau neuer Erzeugungsanlagen entweder mittels Genehmigungs- oder Ausschreibungsverfahren. Österreich hat sich aufgrund seiner elektrizitätswirtschaftlichen Rechtstradition für das Genehmigungsverfahren nach den §§ 353 ff GewO entschieden.40 Demnach besteht ein Rechtsanspruch auf den Bau von Erzeugungsanlagen unter den vom Ausführungsgesetzgeber festgelegten Voraussetzungen nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien. Diese können auch Verpflichtungen bezüglich Sicherheit, Umweltschutz, Art der Primärenergieträger, Energieeffizienz, Flächennut31 32 33 34 35 36 37 38 39 40
Pauger/Pichler, 46. Raschauer, Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts (FN 29), 11. Siehe unter Pkt 3 Genehmigungsverfahren und Behörde. Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG. Art 12 Abs 1 Z 5 B-VG. § 3 Abs 1 StWG . Raschauer Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts (FN 29), 11. § 7 Z 12 ElWOG. Pauger/Binder, 72. Vgl dazu etwa VwGH 31.3.2005, 2004/05/0193
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zung und gemeinwirtschaftliche Interessen enthalten. Für bestimmte Stromerzeugungsanlagen können die Ausführungsgesetze der Länder ein vereinfachtes Verfahren oder bloß eine Anzeigepflicht vorsehen. Eine Verweigerung der Bewilligung bzw Untersagung wäre zu begründen und der Kommission zu übermitteln.41 Der Grundgedanke des vereinfachten Verfahrens liegt darin, dass es sich dabei regelmäßig um Anlagen handelt, die im Rahmen des Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens nach der Gewerbeordnung ohnehin einer Prüfung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Nachbarn und die Umwelt unterliegen. Zur Vermeidung einer sachwidrigen Ungleichbehandlung von Erzeugungsanlagen die der GewO unterliegen und bei denen dies nicht der Fall ist, haben sich die Landesgesetzgeber bei den Genehmigungskriterien vor allem an der GewO orientiert.42 So sind nach dem Kärntner Elektrizitätswirtschaftsgesetz43 im vereinfachten Verfahren gem § 9 K-ElWG die Projekte durch Anschlag in der Gemeinde (§ 41 AVG) mit dem Hinweis bekannt zu geben, dass die Projektunterlagen maximal vier Wochen zur Einsichtnahme aufliegen und die Nachbarn nur innerhalb dieses Zeitraumes Einwendungen erheben können. Nach Ablauf dieser Frist hat die Behörde auf die eingelangten Einwendungen der Nachbarn mit Bescheid festzustellen und gegebenenfalls erforderliche Auflagen vorzuschreiben. Damit sollte ein rascheres Bewilligungsverfahren gewährleistet werden.
Die zuständige Behörde ergibt sich aus den jeweiligen Ausführungsgesetzen der Länder; grundsätzlich liegt diese aber bei der jeweiligen Landesregierung.
2. Bestimmungen für elektrische Leitungsanlagen Die Kompetenz in Starkstromangelegenheiten ist zwischen Bund und Ländern geteilt. Der Bau, die Errichtung und Erhaltung von elektrischen Leitungsanlagen für Starkstrom, die sich auf zwei oder mehrere Bundesländer erstrecken, unterliegen dem StarkstromwegeG, ansonsten gelten die Bestimmungen des Starkstromwegegrundsatzgesetzes. Die Regelungen sind aber in zahlreichen Punkten gleich ausgestaltet.44 Das Starkstromwegerecht normiert in § 3 StarkstromwegeG grundsätzlich für alle Leitungsanlagen über 1000 V eine Bewilligungspflicht, um die vom jeweiligen Bauwerber unter Beibringung aller Unterlagen45 schriftlich anzusuchen ist. Bei der Errichtung von Starkstromfreileitungen ist zu beachten, dass ab einer Nennspannung von 220 kV und einer Länge von mindestens 15 km (110 kV bzw 20 km im geschützten Bereich) das UVP Verfahren zur Anwendung kommt.46 Ausgenommen sind aber Starkstromanlagen, die sich innerhalb des Geländes des Betreibers befinden, Leitungsanlagen, die zu Eigenanlagen gehören
41 42 43 44 45 46
Pauger/Binder, 48. Heidinger/Wolf/Schneider, 97. LGBl Nr 5/1999. Siehe auch Berka, Starkstromwegeplanung und örtliches Bau- und Raumordnungsrecht, ZfV 2006, 318 ff. Es wird daher nur auf grundsätzliche Bestimmungen des Starkstromwegerechts eingegangen. § 6 StarkstromwegeG. Vgl VwGH 23.09.2002, 2000/05/0127 = RdU 2003, 73 mit Anm Hauer.
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sowie Leitungsanlagen, die ausschließlich zur Ableitung von alternativen Energieträgern47 erzeugter Elektrizität dienen.48 Neben dem Starkstromwegerecht müssen auch die naturschutzrechtlichen Bestimmungen beachtet werden, die in der Regel für Leitungsanlagen ab einer Spannung von 30 kV eine Bewilligungspflicht und für sonstige Anlagen eine Anzeigepflicht vorsehen.49 Allenfalls sind auch noch wasserrechtliche oder forstrechtliche Bewilligungen einzuholen. Über Antrag oder von Amts wegen ist es der Behörde möglich gemäß § 4 ein Vorprüfungsverfahren durchzuführen. Sofern die elektrische Leitungsanlage dem öffentlichen Interesse nicht widerspricht, hat die Behörde die Bau- und Betriebsbewilligung, gegebenenfalls unter Auflagen, zu erteilen. Dabei hat eine Abstimmung mit den bereits vorhandenen oder bewilligten anderen Energieversorgungseinrichtungen und mit allen anderen betroffenen Behörden gemäß § 7 StarkstromwegeG zu erfolgen. Bei Bedarf sind dem Bewilligungswerber auf Antrag alle Leitungsrechte an Grundstücken von der Behörde einzuräumen. Der Inhalt des jeweiligen Leitungsrechts ergibt sich aus dem Bewilligungsbescheid. Sollte mit der Einräumung der Leitungsrechte kein Auslangen gefunden werden, so ist im Starkstromwegerecht die Möglichkeit einer Enteignung gegen Entschädigung vorgesehen.50
Behörde in Angelegenheiten des Bundes ist gemäß § 24 der BMWA. Im Bedarfsfall kann zur Vornahme von Amtshandlungen oder zur Erlassung von Bescheiden der örtlich zuständige Landeshauptmann ermächtigt werden.
D. Verwaltungsstrafen § 26 StarkstromwegeG sieht Verwaltungsstrafen für vorsätzliche oder grob fahrlässige Verwaltungsübertretungen vor, die von der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde zu vollziehen sind. Unabhängig von Bestrafungen und Schadenersatzpflicht ist der gesetzmäßige Zustand wiederherzustellen.
III. Das Anlagenrecht im ÖSG A. Ziele und Grundsätze des ÖSG In Umsetzung der RL 2001/77 EG zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen wurden bereits in der ElWOG-Novelle 2000 die Abnahmepflichten von Strom aus erneuerbaren Energien überdurchschnittlich ausgebaut. Zur Bereinigung der Rechtslage kam es durch das ÖkostromG, BGBl 149 I/ 2002 (ÖSG) zu einer bundeseinheitlichen Regelung. Ziel gemäß § 4 Abs 1 Z 5 ÖSG ist es, den Anteil der Stromerzeugung durch Wasserkraft mit einer Engpassleistung bis 10 MW auf 9% bis zum Jahre 2008 anzuheben. Zur Erreichung des Zielwertes gemäß § 4 Abs 2 ÖSG „hat die aus erneuerbaren Energieträgern, mit Ausnahme von Wasserkraft, erzeugte elektrische Energie, für die eine Abnahme- und Vergütungspflicht festgelegt ist, bis zum Jahr 2008 in steigendem Ausmaß mindestens 4%, gemessen an der gesamten jährlichen 47
48 49 50
Unter den Begriff alternative Energieträger werden die Energieträger feste oder flüssige Biomasse, Biogas, Deponie- und Klärgas, geothermische Energie, Windund Sonnenenergie verstanden. Zu den erneuerbaren Energieträgern wird auch die Wasserkraft gezählt; vgl auch Heidinger/Wolf/Schneider, 31. § 31 Abs 3 ElWOG BGBl I Nr 143/1998. Heidinger/Wolf/Schneider, 164. § 20 StarkstromwegeG.
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Stromabgabe aller Netzbetreiber Österreichs an die an öffentliche Netze angeschlossenen Endverbraucher beizutragen, sodass ab 1. Jänner 2004 etwa 2%, ab 1. Jänner 2006 etwa 3% und ab 1. Jänner 2008 mindestens 4% erreicht werden. Stromerzeugung auf Basis von Tiermehl, Ablauge, Klärschlamm oder Abfällen, ausgenommen Abfälle mit hohem biogenen Anteil, ist in die vorgenannten Zielwerte nicht einzurechnen.“ Da es sich um Zielbestimmungen handelt, ist gemäß § 11 Abs 2 ÖSG davon auszugehen, dass sich der BMWA bei der Festlegung der Vergütungssätze an diesen Zielwerten orientieren wird. In eigenständiger aber unabhängigen Weise wurde die Förderung von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen geregelt.51 Um eine möglichst schnelle Bereinigung der Rechtslage zu ermöglichen, ordnet die Verfassungsbestimmung des § 32 Abs 5 ÖSG generell an, dass widersprechende Bestimmungen in einschlägigen Bundes- und LandesG mit 24.08.2002 außer Kraft traten. Die Förderung erfolgt durch gesetzliche Regelungen, welche durch alle Endkunden, also Haushalte und Industrie, zu leisten ist. Einerseits wird dieser so genannte Ökostrom-Zuschlag zum überwiegenden Teil direkt vom Endkunden bezahlt.52 Andererseits sind Stromhändler verpflichtet53, den Ökostrom zu einem bestimmten Preis ("Verrechnungspreis") abzunehmen. Da Ökostrom um ein Vielfaches teurer ist als Strom aus Wasserkraft und konventionellen Energieträgern, sah es der Gesetzgeber für unumgänglich an, durch diese rechtliche Abnahmeverpflichtung eine Erhöhung des Stromanteils aus erneuerbaren Energieträgern zu ermöglichen.
B. Begriff der Betriebsanlagen im ÖSG Bei Ökostromanlagen handelt es sich um Anlagen, die elektrische Energie aus erneuerbaren Energieträgern erzeugen. Es besteht die Abnahmepflicht bezüglich Ökostrom nur aus Anlagen, die an das Netz angeschlossen, gemäß § 5 Z 12 ÖSG auch als Ökostromanlagen anerkannt sind und mit denen der Ökobilanzgruppenverantwortliche (ÖkoBGV) einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen hat.54 In § 5 Z 3 ÖSG werden „Erneuerbare Energieträger“ als „erneuerbare, nichtfossile Energieträger (Wind, Sonne, Erdwärme, Wellenund Gezeitenenergie, Wasserkraft, Biomasse, Abfall mit hohem biogenen Anteil, Deponiegas, Klärgas und Biogas) definiert. Bei Biomasse handelt es sich um den biologisch abbaubaren Anteil von Erzeugnissen, Abfällen und Rückständen der Landwirtschaft (einschließlich pflanzlicher und tierischer Stoffe), der Forstwirtschaft und damit verbundener Industriezweige; Als Abfall mit hohem biogenen Anteil definiert § 5 Z 5 ÖSG „die in der Anlage angeführten Abfälle aus Industrie, Gewerbe und Haushalten, definiert durch die zugeordnete fünfstellige Schlüsselnummer des österreichischen Abfallkatalogs (ÖNORM S 2100).“
51 52 53 54
§§ 12 f ÖSG. § 22 ÖSG § 19 ÖSG Raschauer, Handbuch Energierecht, 105.
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Zu den Ökostromanlagen zählen auch die Kleinwasserkraftwerke mit einer Engpassleistung (der gesamten Anlage) bis max. 10 MW55, wobei die Förderbeiträge durch § 22 Abs 2 ÖSG gesondert festzusetzen sind. Ab einer Engpassleistung über 10 MW besteht nach § 10 Abs 1 ÖSG keine Abnahmepflicht. Ökostromerzeuger haben nach den allgemeinen Regeln, wie bereits im ElWOG vorgesehen, einen Anspruch auf Anschluss an das Netz, wobei durch § 6 ÖSG das Diskriminierungsverbot gilt. Gemäß § 10 ÖSG sind die Ökobilanzgruppenverantwortlichen verpflichtet, den erzeugten Strom aus Anlagen der in ihrer Bilanzgruppe zusammengefassten Erzeuger, welcher ihnen angeboten wird, nach ihren allgemeinen Bedingungen zu den festgesetzten Einspeisetarifen abzunehmen.56 Diese Abnahmepflicht besteht aber nur nach § 10 Abs 2 ÖSG insofern, wenn während eines Mindestzeitraumes von zumindest drei Monaten der gesamte Ökostrom einer Anlage (abzüglich Eigenverbrauch) angeboten wird. Zur Erleichterung der Handelbarkeit haben Betreiber von anerkannten Ökostromanlagen gemäß § 31 Abs 2 ÖSG handelbare Zertifikate über die von ihnen eingespeisten Ökostrommengen auszustellen, wobei die Netzbetreiber, an deren Netz anerkannte Ökostromanlagen angeschlossen sind, auf Verlangen entsprechende Bestätigungen auszustellen haben.57 Durch das ÖSG wird nun auch die gekoppelte Produktion von Strom und Wärme durch Kraft-Wärme-Kopplungsanlangen neu geregelt. Bei der Förderung der KWK-Energie hat sich jedoch der Gesetzgeber für einen anderen Weg entschieden: Unter bestimmen Voraussetzungen kann der BMWA einen Unterstützungstarif von max. 1,5 Cent/kWh zu erkennen, und zwar für bestehende Anlagen58 bis Ende 2008, für modernisierte Anlagen59 bis Ende 2010. Mit dieser Regelung bleibt der Strom im Eigentum des Anlagenbetreibers und es handelt sich somit nicht um eine begünstigte Abnahme, sondern um eine Betriebshilfe (wenn auch nicht aus staatlichen Mitteln, da der Aufwand durch einen einheitlichen Zuschlag zum Netznutzungstarif bundesweit auf alle an Endverbraucher abgegebenen Strommengen eingehoben und über die ECG abgewickelt wird).
C. Genehmigungsverfahren und Behörden Die bescheidförmige Anerkennung von Ökostromanlagen erfolgt gemäß § 7 ÖSG durch den örtlich zuständigen LH, wobei zu beachten ist, dass die Verfassungsbestimmung des § 1 ÖSG eine Vollziehungszuständigkeit des Bundes vorsieht und damit die Vollziehung in unmittelbarer Bundesverwaltung ermöglicht. Sofern daher von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht wird, kann das Gesetz in mittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden. Die Kontrolle und Organisation betreffend die Abwicklung der Förderungen, erfolgt durch die Ökobilanzgruppenverantwortlichen (ÖkoBGV). Gemäß 55 56 57 58 59
§ 5 Abs 1 Z 19 ÖSG. Raschauer, Handbuch Energierecht, 105. Herkunftsnachweis gemäß § 5 Abs 1 Z 1 ÖSG. § 5 Abs 1 Z 17 ÖSG. § 5 Abs 1 Z 18 ÖSG.
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§ 14 ÖSG hat jeder Regelzonenführer, nach vereinfachten Regeln für Bilanzgruppen, eigene Ökobilanzgruppen einzurichten. Auf der Grundlage von allgemeinen Bedingungen, welche von den ÖkoBGV zu erstellen, sowie von der E-Control zu genehmigen sind, hat der ÖkoBGV mit Betreibern von Ökostromanlagen nach § 16 Abs1 ÖSG in der Regelzone Bilanzgruppenverträge abzuschließen. Auf Grundlage der Allgemeinen Bedingungen und zu den behördlich festgelegten Vergütungen besteht die Abnahmepflicht für Ökostrom.60 Die vom zuständigen ÖkoBGV zu leistenden Vergütungen sind vom BMWA in einem föderalismuspolitischen Akkordierungsverfahren gemäß 3 11 Abs 1 ÖSG mit Verordnung festzulegen.61 Um die Investitionssicherheit zu gewährleisten haben diese Tarife mindestens zehn Jahre zu gelten.62
IV. Das Anlagenrecht im GWG A. Ziele und Grundsätze Mit der Neukodifikation des Gaswirtschaftsgesetzes (GWG)63 im Jahre 2000 und einer umfassenden Novelle im Jahr 2002, welches im Rahmen seines sachlichen Anwendungsbereiches ausschließlich nur den Bereich Erdgas regelt, wurde eine Konzentration des Betriebsanlagenrechts für Erdgasleitungsanlagen erreicht. Das Ziel des GWG ist daher nicht nur die Versorgung und Liberalisierung des Gasmarktes festzulegen, sondern auch Anordnungen von sonstigen Rechten und Pflichten für Erdgasunternehmen zu normieren sowie Regelungen für die Errichtung, Erweiterung, Änderungen und den Betrieb von Erdgasleitungsanlagen zu treffen.64 Die §§ 3 bis 5 GWG enthalten allgemeine Formulierungen über Ziele, gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und Grundsätze beim Betrieb von Erdgasunternehmen, wobei diese aber jenen des ElWOG nachempfunden sind. Das GWG regelt nun auch Anlagen, die zuvor im RohrleitungsG geregelt waren sowie Erdgasleitungsanlagen, die der GewO 1994 unterlagen, welche durch Art 3 ELG vom Anwendungsbereich der GewO 1994 ausgenommen wurden.65 Aufgrund der Neugestaltung des Erdgaswegerechts unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Interessensphäre Dritter bildet nun der § 45 GWG das Kernstück des Energiewegerechts.66 Dabei entsprechen die Voraussetzungen für die Errichtung von Erdgasleitungsanlagen in Abs 1 weitgehend den Schutzzielbestimmungen der im § 74 GewO 1994 dargelegten Regelungen. In Bezug auf Erzeugungsanlagen ist jedoch zu beachten, dass das GWG keine einschlägigen Regelungen enthält. Ausdrücklich ausgenommen sind aber jene Anlagen, die den Vorschriften des MinroG unterliegen (zB Anlagen zur
60 61 62 63 64 65 66
§ 16 Abs 1 ÖSG. Raschauer, Handbuch Energierecht, 108. § 11 Abs 2 ÖSG. BGBl 148 I/2002 idF BGBl 106/2006. § 2 Abs 1 Zi 4 GWG. Pauger, ÖZW 2000/100. Schanda, 271 ff.
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Gewinnung von Erdgas)67, Erdgasleitungsanlagen die Bestandteil einer gewerblichen Betriebsanlage sind oder die Errichtung und der Betrieb von Erdgasleitungsanlagen ab dem Ende des Hausanschlusses. 68 Hinzuzufügen ist, dass durch die GasG der Länder im Wesentlichen nur Erzeugungsanlagen zur Erzeugung von Biogas und Deponiegas sowie Anlagen zur Lagerung und Speicherung von brennbaren Gasen, soweit es sich nicht um gewerbliche Betriebsanlagen handelt, geregelt werden. Der Betrieb von Erdgasunternehmen wird durch Art 3 ELG ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung ausgeschlossen. Unklar ist, ob durch § 6 Abs 6 GWG auch reine Erdgashändler dem GWG unterworfen sind oder ob für diese auch weiterhin die Vorschriften der GewO 1994 zutreffen.69
Als Erdgasleitungsanlagen gelten gemäß § 6 Z 11 GWG alle Anlagen, die zum Zwecke der Fernleitung, der Verteilung von Erdgas durch Rohrleitungen, Rohrleitungsnetzen oder Direktleitungen errichtet oder betrieben werden. Ausgenommen sind aber jene Anlagen, sofern es sich um vorgelagerte Anlagen handelt, die in einen räumlichen bzw unmittelbaren Zusammenhang mit der Förderung oder einer dem Bergwesen hinzuzählenden Speicheranlage stehen.70 Zu Erdgasleitungen zählen auch Verdichterstationen, Molchschleusen, Schieberstationen, Messstationen und Gasdruckeinrichtungen. Daraus ergibt sich, dass die Regelungen des Erdgasleitungsanlagenrechtes des GWG grundsätzlich an der Anlage des Verbrauchers enden.
B. Genehmigungsverfahren und Behörden Alle Tätigkeiten, die mit der Errichtung, Erweiterung, wesentlichen Änderung und dem Betrieb von Ergasleitungsanlagen zusammenhängen sind einer „gasrechtlichen“ Genehmigungspflicht unterworfen71, wobei aber Genehmigungsund Bewilligungserfordernisse nach anderen Vorschriften, insbesondere Bewilligungserfordernisse nach Naturschutzrecht, Forstrecht, Gebrauchsabgabenrecht, Wasserrecht oder Verkehrsanlagenrecht, unberührt bleiben. Gemäß § 68 Abs 6 GWG, sollte die Behörde aber in abgestimmter Weise vorgehen. Die Genehmigungspflicht wurde, wie schon oben erwähnt, dem Betriebsanlagenrecht der GewO 1994 nachgebildet und richtet sich nach umwelt- und nachbarrechtlichen72 sowie sicherheitstechnischen Gesichtspunkten73. Aus dem schriftlichen Antrag des Genehmigungswerbers zur Bewilligung einer Ergasleitungsanlage muss Art und Umfang der Anlage klar hervorgehen74 (dazu zählen Übersichtsplan, Trassenplan, Pläne über alle zur Erdgasleitungsanlage zählenden Anlagen usw). Zusätzlich hat der Antrag eine schriftliche Erklärung eines Versicherungsunternehmens zu enthalten, in dem der Abschluss einer Haftpflichtversicherung gemäß § 14 Abs 1 Z 2 GWG bestätigt wird sowie eine 67 68 69 70 71 72 73 74
§§ 4 Abs 1 Z 2, 74 Abs 4, 118 MinroG. § 2 Abs 2 GWG. Pauger, ÖZW 2000/100. VfSlg 14972/1997. § 44 ff GWG. § 48 Abs 2 und 3 GWG. § 43 iVm § 6 Z 50 GWG. § 70 GWG.
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Verpflichtung der Versicherung, jede Änderung, die eine Beendigung des Versicherungsvertrages zur Folge hat, der Genehmigungsbehörde mitzuteilen. Gemäß § 47 GWG kann das Projekt aus den verschiedensten Gründen (zB wegen sicherer und kostengünstigerer Energieversorgung, zur Sicherung von öffentlichen Interessen oder zur Erfüllung von gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen) mit Auflagen verknüpft werden. Zur Erreichung einer rationellen, sparsamen und effektiven Führung der Verwaltung, vor allem, wenn öffentliche Interessen von einem Projekt besonders betroffen sind, kann die Behörde gemäß § 46 GWG auf Antrag des Genehmigungswerbers oder von Amtes wegen ein Vorprüfungsverfahren anordnen, welches zu einer bescheidförmigen Feststellung führt. Damit sollten schon in der Anfangsphase der Projektierung die öffentlichen Interessen berücksichtigt werden.75 Kritisch zu betrachten ist allerdings, dass eine Verweigerung der Genehmigung einer Erdgasleitungsanlage nur mehr dann möglich ist, wenn die Errichtung, Erweiterung oder Änderung der Anlage einen Netzbetreiber daran hindern würde, die ihm auferlegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen gem § 4 GWG zu erfüllen und dieser Versagungsgrund nicht durch die Vorschreibung von Auflagen beseitigt werden kann.76 Damit wurde auch der Schutz bestehender Anlagen gegen die Errichtung neuer Netze beinahe zur Gänze beseitigt.77
§ 48 GWG nennt neben dem Genehmigungswerber alle weiteren Parteien (Grundstückseigentümer, Nachbarn, sofern ihre geschützten Interessen nach § 45 Abs 1 Z 1, 2 und 3 berührt werden sowie Netzbetreiber, die einen Antrag auf Versagung der Genehmigung gestellt haben) denen im Verfahren zur Genehmigung von Erdgasleitungsanlagen Parteistellung zukommt. Auf Antrag hat die Behörde auch die Möglichkeit gemäß § 66 iVm § 56 GWG die vorübergehende Inanspruchnahme fremder Grundstücke zu genehmigen, wobei zu bemerken ist, dass jenen betroffenen Grundeigentümern und der dinglich Berechtigen, nach § 56 Abs 4 GWG keine Parteistellung zukommt. Sofern ein Vorhaben alle Voraussetzungen nach § 45 GWG erfüllt, ist dieses mit schriftlichem Bescheid zu genehmigen.78 Im Genehmigungsbescheid sind die erforderlichen Auflagen zu verfügen und zwischen den Parteien erzielte Übereinkommen zu beurkunden. Die Aufnahme des Betriebes kann jedoch aus Sicherheitsgründen von einer Betriebsgenehmigung abhängig gemacht werden.79 Mit der GWG Novelle 2002 und der begleitenden Novellierung des E-RBG (Energie-RegulierungsbehördenG) wird die Zuständigkeit in Gasangelegenheiten grundsätzlich gemäß § 60 Abs 1 GWG durch das E-RBG geregelt. Oberste Behörde bildet gemäß § 2 a E-RBG der BMWA. Für die Erteilung von Genehmigungen zur Errichtung, Änderung sowie Erweiterung von Fernleitungsanlagen80 ist der BMWA gemäß § 60 Abs 2 Z 1 GWG bereits in erster Instanz
75 76 77 78 79 80
Schanda, Energierecht, 272. § 47 Abs 3 GWG. Pauger ÖZW 2000/101. § 69 Abs 1 GWG. § 47 Abs 6 GWG. Definition siehe § 6 Z 15.
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zuständig. Für die Errichtung aller sonstigen Anlagen, fällt die Vollziehung in erster Instanz an die Landeshauptleute.81 Ansonsten fallen alle weiteren Zuständigkeiten der nach dem E-RBG eingerichteten Regulierungsbehörden, die Energie-Control GmbH (ECG)82 und die Energie-Control Kommission (ECK)83, zu. Sofern es für die Errichtung von Fern- oder Verteilerleitungen notwendig und im öffentlichen Interesse gelegen ist, sieht das GWG auch Bestimmungen zur Enteignung oder Beschränkung des Grundeigentums vor. Im Enteignungsverfahren kommen grundsätzlich die Bestimmungen des EisenbahnenteignungsG zur Anwendung84, die behördliche Zuständigkeit wird dabei durch § 60 Abs 4 GWG geregelt. Die Möglichkeit der Enteignung zugunsten von Erdgasunternehmen sollte in jedem Fall nur eine „ultima ratio“ darstellen. Zuvor hat der Bewilligungswerber alle Anstrengungen zu unternehmen eine Erdgasleitungsanlage entweder auf öffentlichem Gut, sofern eine solche in dem betreffenden Gebiet zur Verfügung steht, oder im Einvernehmen mit den privaten Grundstückseigentümern zu errichten. Gesetzlich ausgeschlossen wird die Enteignung, wenn bereits Erdgasleitungsanlagen in betroffenen Gebieten vorhanden sind und deren Kapazitäten nicht ausgelastet sind.
Vor Betriebsbeginn hat der Anlageninhaber die Fertigstellung der Erdgasleitungsanlage oder ihrer wesentlichen Teile der Behörde anzuzeigen, eine natürliche Person als Betriebsleiter für die technische Leitung und Überwachung des Betriebes der Netze zu bestellen und diesen innerhalb von zwei Monaten der Behörde mitzuteilen. Wenn in der Errichtungsgenehmigung keine Vorbehalte normiert sind, kann nach der Anzeige mit dem regelmäßigen Betrieb begonnen werden. Die Behörde hat die Möglichkeit gemäß § 47 Abs 7 GWG, die erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen vorzuschreiben und Anordnungen zur Herstellung des rechtmäßigen Zustands sowie zur Bekämpfung von Gefahren zu treffen. Die Verwaltungsstrafen werden von den Bezirksverwaltungsbehörden, oder im Wirkungsbereich einer Bundespolizeidirektion, von dieser verhängt.85
C. Pflichten des Genehmigungsinhabers Grundsätzlich wird den Fernleitungs- und Verteilerunternehmern, als nachstehende gemeinwirtschaftliche Verpflichtung im Allgemeininteresse, die Errichtung und Erhaltung einer ausreichenden inländischen Erdgasinfrastruktur aufgetragen. Fraglich bleibt in diesem Zusammenhang, wer bei Verstößen zuständig ist und welche Sanktionen bei Nichteinhaltung des § 4 GWG zu erteilen sind.
Zu den Hauptpflichten des Anlagenbetreibers zählen die Anlagen unter Bedachtnahme auf die Erfordernisse des Umweltschutzes und nach dem moderns-
81 82 83 84 85
§ 60 Abs 2 Z 2 GWG. § 7 Abs 1 E-RBG. § 16 Abs 1 Z 8-24 E-RBG. Pauger, ÖZW 2000/99; siehe auch § 57 GWG. § 60 Abs 3 GWG.
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ten Stand der Technik zu betreiben und zu erhalten.86 In diesem Zusammenhang hat der Betreiber die Verpflichtung der Eigenüberwachung der Erdgasleitungsanlagen. Dabei sind die Anlagen auf die im Genehmigungsbescheid zugrunde gelegten Auflagen und Vorschriften regelmäßig zu überprüfen oder prüfen zu lassen. Die Frist für die wiederkehrende Prüfung liegt, sofern nicht anders durch die Behörde festgelegt, bei zehn Jahren und es ist über jede Überprüfung eine Prüfbescheinigung auszustellen, die auf Verlangen der Behörde vorzulegen ist.
D. Aufsichtsmittel und Strafbestimmungen 1. Aufsichtsmittel Neben den Genehmigungsvoraussetzungen beinhaltet das GWG auch Regelungen bezüglich der Überwachung, einstweiliger Sicherheitsmaßnahmen87 und nachträglicher Auflagen, die dem Gewerberecht88 nachgebildet wurden.89 Zusätzlich kann die Behörde gem § 41 GWG Maßnahmen zur Sicherung der Erdgasversorgung erlassen, sofern ein Netzbetreiber den im 2. Hauptstück auferlegten Pflichten nicht nachkommt. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn ein Erdgasunternehmen den Netzzugangsberechtigten den Netzzugang weiterhin verweigert, obwohl dies schon in einer rechtskräftigen Entscheidung festgestellt wurde. Sofern nicht genehmigte Erdgasleitungsanlagen errichtet, erweitert oder wesentlich geändert wurden bzw Anlagen, deren Betrieb die Genehmigung vorbehalten wurde, hat die Behörde mit Bescheid die Einstellung bzw Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes anzuordnen. Bei Gefahr in Verzug können erforderlichen Maßnahmen auch ohne vorheriges Verfahren in unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt direkt von den Behördenorganen durchgesetzt werden. Diese behördliche Notmaßnahme hat in Angemessenheit zur kausalen Gefahr zu erfolgen und es ist innerhalb von drei Wochen ein die Maßnahme bestätigender Bescheid zu erlassen.90 Bei Vorliegen von Verstößen nach § 37 GWG (fehlen der Haftpflichtversicherung) hat die Behörde die Genehmigung gemäß § 13 GWG zu entziehen.
2. Strafbestimmungen Die Strafbestimmungen im 9. Teil betreffen vor allem Verstöße gegen bestehende Informationspflichten, die mit einer Geldstrafe von bis zu EUR 14.600 belegt werden können. Bei Betreiben von Ergasanlagen ohne Genehmigung reicht der Verwaltungsstrafrahmen bis zu EUR 36.500.
86 87 88 89 90
§ 6 Z 50 GWG. § 55 GWG. Vgl § 360 GewO. Pauger, ÖZW 2000/100. Schanda, 282.
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IV. Das Anlagenrecht im RohrleitungsG A. Ziel und Regelungsbereich Dem RohrleitungsG91 unterliegt die gewerbsmäßige Beförderung von Gütern in Rohrleitungen, ausgenommen brennbare Gase mit einem bestimmten Betriebsdruck und Wasser sowie die Errichtung, Erweiterung, Änderung, der Betrieb, die Instandhaltung und die Beseitigung der hiefür erforderlichen Leitungen und Anlagen.92 Unter den Begriff Rohrleitungsanlagen fallen alle jene Einrichtungen, welche das zu befördernde Gut allseits umschließen, als Transportweg für dieses Gut dienen und alle mit deren Betrieb örtlich verbundene Baulichkeiten und technische Einrichtungen.93 Ausgenommen vom Geltungsbereich des Gesetzes sind Wasserleitungen, Gasleitungen,94 sowie Leitungen die den bergrechtlichen oder den betriebsanlagenrechtlichen Vorschriften unterliegen. Mit der Gasliberalisierungs-RL wurde auch der Regelungsbereich des RohrleitungsG stark eingeschränkt. Der praktische Hauptanwendungsbereich erstreckt sich derzeit nur noch auf die Beförderung von Mineralöl in Pipelines.95 Neben Regelungen für die Abwehr von typischen Gefahren bei Bau und Betrieb sollten auch wirtschaftliche Überlegungen bei der Errichtung und dem Betrieb von Pipelines eingehalten werden.96
B. Genehmigungsverfahren und Behörden Für die Ausübung einer Tätigkeit nach § 1 RohrleitungsG ist grundsätzlich eine Konzession erforderlich. Bei der Konzessionserteilung prüft die Behörde gemäß § 5 RohrleitungsG, ob der Konzessionswerber wirtschaftlich in der Lage ist, die erforderlichen Anlagen zu errichten, zu betreiben und instand zu halten. Zusätzlich wird die technische Eignung des Vorhabens, Erwartbarkeit einer sicheren Betriebsführung, volkswirtschaftlicher Bedarf an der Beförderung und volkswirtschaftliches Interesse an der Errichtung der Rohrleitungen geprüft.97 In diesem Zusammenhang muss das öffentliche Interesse in der Abwägung gegenüber einem entgegenstehenden öffentlichen Interesse (Wasserversorgung, Waldschutz)98 überwiegen. Bei der Errichtung von Rohrleitungen, welche über die Grenzen des Bundesgebietes hinausgehen bzw an Rohrleitungen außerhalb des Bundesgebietes angeschlossen werden sollten, ist zu beachten, dass die Konzessionserteilung nicht die Sicherheit oder die immerwährende Neutralität der Republik Österreich gefährdet oder zu einer wirtschaftlichen Abhängigkeit führen könnte.99 Unter der Berücksichtigung dieser öffentlichen Interessen kann die Konzession auch befristet erteilt werden, doch darf die Frist nicht weniger als 20 Jahre betragen. 91 92 93 94 95 96 97 98 99
BGBl 1975/411 idF BGBl 2004 I/115. Binder, Rz 1720. § 2 Abs 1 RohrleitungsG. Auch Gasfernleitungen seit BGBL 2000 I/121. § 1 Abs 2 RohrleitungsG. Schäffer, in: Raschauer, Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts, 196. Binder, RZ 1720. Schäffer (FN 96), 197. § 5 Abs 1 Zi 6 RohrleitungsG.
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Zu Beginn des Konzessionserteilungsverfahrens sind der Behörde eine allgemeine Darstellung des Vorhabens unter Angabe der beabsichtigten grundsätzlichen Trassenführung und allfälliger Anschlussstellen sowie der beabsichtigten Durchsatzkapazität, ferner ein Bau- und Betriebsprogramm sowie eine Wirtschaftlichkeitsrechnung zu übergeben. Sofern es allgemein erforderlich ist, dürfen dem Konzessionswerber auch Auflagen, Bedingungen oder Beschränkungen auferlegt werden.100 Als Behörde ist gemäß § 39 RohrleitungsG der Landeshauptmann, bei Rohrleitungen, die sich über das Gebiet mehrerer Bundesländer erstrecken bzw die Grenzen des Bundesgebietes überschreiten, der BMVIT zuständig. Diese haben auch gemäß § 38 RohrleitungsG die laufende Überwachung der Betriebe wahrzunehmen. Die behördlichen Aufsichtsorgane besitzen Auskunftsrechte, können jederzeit Einschau in die Bücher halten und haben Zutritt- und Überprüfungsrechte vor Ort. Zusätzlich zur Konzession unterliegt die Bestellung der Betriebsleiter und Geschäftsführer von juristischen Personen einer behördlichen Konzession. Erst nach der Überprüfung der Rohrleitungsanlagen durch die Behörde, nötigenfalls nach Erprobung der Anlagen, kann die Betriebsaufnahmegenehmigung, sofern alle Voraussetzungen des § 20 RohrleistungsG erfüllt sind, erteilt werden. Dabei muss auch der Abschluss einer Haftpflichtversicherung gem § 13 RohrleitungsG nachgewiesen werden. Im Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zur Errichtung der Rohrleitungsanlage hat der Antragssteller Parteistellung.
C. Pflichten der Konzessionsinhaber Grundsätzlich wird der Konzessionsinhaber verpflichtet gem § 6 RohrleitungsG auch für andere Interessenten eine Beförderung durchzuführen und erforderlichenfalls sein Projekt so zu ändern, dass eine erweiterte Nutzung ermöglicht wird. Diese Verpflichtung besteht aber nur, sofern der erweiterte Nutzen rechtzeitig bekannt gegeben wurde. Für diesen Fall hat der Konzessionswerber das Vorhaben im Amtsblatt der Wiener Zeitung zu veröffentlichen. Kann der Konzessionswerber sich mit anderen Interessenten nicht einigen, so hat die Behörde über Gegenstand und Umfang der erweiterten Nutzung zu entscheiden. Bei Streitigkeiten über die von den Interessenten zu erbringenden Gegenleistungen entscheidet das Gericht im Verfahren außer Streitsachen. Über sonstige Streitigkeiten aus der erweiterten Nutzung sind die Grundsätze des streitigen Zivilverfahren anzuwenden.
D. Aufsichtsmittel und Strafbestimmungen 1. Betriebseinstellung Das Gesetz ermöglicht der Behörde die gänzliche oder teilweise Betriebseinstellung (§ 33), die Wiederherstellung des früheren Zustandes (§ 34) sowie die Zurücknahme der Konzession (§ 35). Ansonsten endet die Konzession mit 100
Schäffer (FN 96), 197.
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Zeitablauf oder durch die Zurücklegung der Konzession. Ziel dieser Bestimmungen ist vor allem die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Betriebes von Rohrleitungsanlagen und die Vermeidung einer Gefährdung des Lebens von Menschen und der Natur. Mit der Wiederherstellung des früheren Zustandes soll eine Gefährdung bzw Beeinträchtigung oder nachteilige Einwirkung einer aufgelassenen Rohrleitungsanlage auf die Beschaffenheit der Gewässer vermieden werden.
2. Strafbestimmungen Bei Verwaltungsübertretungen gem § 41 RohrleitungsG können Geldstrafen in der Höhe bis zu EUR 7.000 festgesetzt werden. Als schärfste Sanktion kann aber nach wiederholter Verwaltungsübertretung auch die Konzession entzogen werden.
Anna Hemma Pirker
Emissionszertifikaterecht Rechtsgrundlagen .......................................................................................1069 Grundlegende Literatur .............................................................................1070 I. Grundlagen ..............................................................................................1071 A. Allgemeines..........................................................................................1071 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .......................................................1075 1. Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft ...........................................................1075 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit....................................1075 C. Gemeinschaftsrechtsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen......1076 1. Gemeinschaftsrecht .........................................................................1076 2. Völkerrecht......................................................................................1076 II. Ziel und Funktion des Emissionszertifikategesetzes...........................1077 III. Anwendungsbereich des EZG .............................................................1078 A. Erfasste Tätigkeiten und Gase .............................................................1078 B. Ausnahmen ..........................................................................................1079 IV. Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen..............................1080 A. Genehmigungspflicht und Genehmigungsverfahren............................1080 1. Anlagenänderung ............................................................................1082 2. Inhaberänderung..............................................................................1083 V. Überprüfung von Treibhausgasemissionen .........................................1083 VI. Zuteilung von Emissionszertifikaten ..................................................1086 VII. Emissionszertifikate, Emissionsreduktionseinheiten und Zertifizierte Emissionsreduktionen....................................................1089 A. Vergabe von Emissionszertifikaten......................................................1090 B. Rückfluss von Emissionszertifikaten an die Reserve............................1091 C. Übertragung und Weiterbezug von Emissionszertifikaten ..................1091 D. Abgabe von Emissionszertifikaten.......................................................1091 E. Der Handel mit Emissionszertifikaten .................................................1093 F. Gültigkeit der Emissionszertifikate......................................................1094 VIII. Anlagenpools......................................................................................1095 IX. Register..................................................................................................1096 Rechtsgrundlagen: Völkerrecht: Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (BGBl 1994 III/414 idF BGBl 1999 III/12) - Klimarahmenkonvention, UNFCCC; Protokoll von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen samt Anlagen (BGBl 2005 III/89) - Kyoto-Protokoll.
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Pirker
Gemeinschaftsrecht: RL: Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 10. 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (Abl L 275/32) - Emissionshandelsrichtlinie, EHRL; Richtlinie 2004/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 10. 2004 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft im Sinne der projektbezogenen Mechanismen des Kyoto-Protokolls (Abl L 338/18) - Linking Directive; VO: Verordnung 2216/2004/EG der Kommission vom 21. 12. 2004 über ein standardisiertes und sicheres Registrierungssystem gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Entscheidung 280/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Abl L 386/1) - Registerverordnung; BG: Bundesgesetz über die Förderung von Maßnahmen in den Bereichen der Wasserwirtschaft, der Umwelt, der Altlastensanierung, zum Schutz der Umwelt im Ausland und über das österreichische JI/CDM-Programm für den Klimaschutz (BGBl 1993 I/185 idF BGBl 2005 I/112) - Umweltförderungsgesetz, UFG; Bundesgesetz über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten (BGBl 2004 I/46 idF BGBl 2006 I/171)1 - Emissionszertifikategesetz, EZG. VO: Verordnung des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Betrauung einer Registerstelle für die technische Durchführung des Registers für den Emissionshandel und die Führung des nationalen Registers (BGBl 2004 II/308) - Registerstellenverordnung; Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Überwachung und Berichterstattung betreffend Emissionen von Treibhausgasen (BGBl 2004 II/458) Überwachungsverordnung; Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Zuteilung von Emissionszertifikaten und die Handhabung der Reserve (BGBl 2005 II/18) - Zuteilungsverordnung2. Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Anforderungen an die Fachkunde für die Zulassung unabhängiger Prüfeinrichtungen (BGBl 2004 II/424 idF BGBl 2005 II/101) - Fachkundeverordnung;
Grundlegende Literatur: Bader, Europäische Treibhauspolitik mit handelbaren Emissionsrechten: Empfehlung für die Umsetzung der Kyoto-Verpflichtung vor dem Hintergrund US-amerikanischer Lizenzierungserfahrungen, 2000; Giesberts/Hilf, Handel mit Emissionszertifikaten Regelungsrahmen für einen künftigen Markt, 2002; Kerth, Emissionshandel im Gemeinschaftsrecht, 2004; Lucht/Spangardt (Hrsg), Emissionshandel, 2005; Mayerthaler, Kommentar zum Emissionszertifikategesetz, 2006; Oberndorfer/Mayrhofer, Der nationale Zuteilungsplan für Emissionszertifikate - eine neue Rechtsquelle?, FS Schäffer, 2006, 529; Pflüglmayer, Vom Kyoto-Protokoll zum Emissionshandel - Entwicklung und ausgewählte Rechtsfragen, 2004; Pohlmann, Kyoto Protokoll: Erwerb von Emissionsrechten durch Projekte in Entwicklungsländern, 2004; Schwarzer, Kommentar zum 1
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§ 13 Abs 4 EZG wurde vom VfGH am 11. 10. 2006 mit Wirkung 31. 12. 2007 aufgehoben (VfGH 11. 10. 2006, G 138-142/05, V 97-101/05-20 G 7/06, V 3/0616). Die Zuteilungsverordnung (BGBl 2005 II/18) wurde vom VfGH am 11. 10. 2006 mit Wirkung 31. 12. 2007 aufgehoben (VfGH 11. 10. 2006, G 138-142/05, V 97101/05-20 G 7/06, V 3/06-16).
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Emissionszertifikategesetz, 2005; Schwarzer/Schweinzer (Hrsg), Erfolgreiches Navigieren im Emissionshandel, 2004; Sorgo, Kommentar zum Emissionszertifikategesetz, 2005; Strack/Solt, Emissionszertifikategesetz - Praxiskommentar, 2004; Voss, Klimapolitik und Emissionshandel - Die Ökonomie im vorsorgenden Klimaschutz, 2003; Zimmer, CO2-Emissionsrechtehandel in der EU, 2004.
I. Grundlagen A. Allgemeines Der Prozess des internationalen Klimaschutzes begann in den 70er Jahren als der Klimawechsel seitens der Wissenschaft als ernstes Problem erkannt wurde, dessen Lösung nur auf internationaler und interdisziplinärer Ebene möglich erschien. Auf dieser Überlegung basierend wurden mit der UNKlimarahmenkonvention (UNFCCC, 1992) und dem Kyoto-Protokoll (1997) die Grundlagen der internationalen Klimaschutzpolitik geschaffen3. Ziel der UN-Rahmenkonvention ist „die Treibhausgaskonzentration auf einem Niveau zu stabilisieren, auf dem ein gefährlicher Klimawandel verhindert wird“ (Art 2 UNFCCC). Im Rahmen der Kyoto-Konferenz der Vertragsparteien des Rahmenübereinkommens einigten sich die Vertragsparteien darauf, im Zeitraum 2008 - 2012 die Treibhausgasemissionen4 bezogen auf das Basisjahr 1990 um mindestens 5%5 zu verringern. Dieses Ziel soll durch die Umsetzung nationaler Strategien und Maßnahmen - beispielsweise in den Sektoren Energie, Industrie, Verkehr sowie Land- und Abfallwirtschaft - durch die Vertragsstaaten erreicht werden. Das Kyoto-Protokoll erlaubt den Vertragsstaaten, supplementär6 zu traditionellen Instrumenten der Klimaschutzpolitik7, den Einsatz flexibler Mechanismen8 zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen. Die flexiblen Instrumente sollen es gegenüber den starren, regulatorischen oder ordnungpolitischen Maß-
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Näheres dazu Voss, 7. Die relevanten Treibhausgase wurden in Annex A Kyoto-Protokoll festgelegt. Es handelt sich hierbei um folgende Gase: Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid, teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe, Perfluorierte Kohlenwasserstoffe und Schwefelhexafluorid. Die EU und ihre Mitgliedstaaten verpflichteten sich zu einer Gesamtreduktion im Ausmaß von 8% gegenüber dem Basisjahr 1990 (Annex B Kyoto-Protokoll). Dazu Schmelz/Wallnöfer, Emissionszertifikatehandel - Status quo, ecolex 2005, 344 (344). Dazu Wackerbauer, Emissionshandel mit Treibhausgasen in der Europäischen Union, ifo Schnelldienst 2003-8, 22 (22). Zu den flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls zählen der Emissionshandel (zum Grundverständnis des Emissionshandels Seidel/Menn, Ökologisch orientierte Betriebswirtschaft, 1988, 98; Becker-Neetz, Rechtliche Probleme der Umweltzertifikatmodelle in der Luftreinhaltung, 1988, 10 ff; Streissler, Handel mit Emissionsrechten als Instrument internationaler Klimapolitik, WuG 1998, 257; Becker, Ökonomisierung und Globalisierung des Europäischen Umweltrechts: Die Richtlinie zum Handel mit Emissionszertifikaten, EuR 2004, 857 (860 ff)) sowie die projektbezogenen Mechanismen des Clean Development Mechanism (CDM, Art 12 KyotoProtokoll) und des Joint Implementation (JI, Art 6 Kyoto-Protokoll). Siehe Kapitel VII.
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nahmen ermöglichen, das globale Emissionsminderungsziel möglichst kosteneffizient zu erreichen9. Mit der Verabschiedung des „Burden-Sharing-Agreements“ (BSA)10 machte die EU 1998 von der in Art 4 Kyoto-Protokoll normierten „Bubble“11 (Gruppenbildungsmöglichkeit) Gebrauch. Innerhalb der EU wurde von der Europäischen Kommission als Beitrag der Gemeinschaft zur Erreichung des Kyoto-Ziels das Europäische Programm zur Klimaänderung (ECCP12) erarbeitet, welches aus zwei Teilen besteht. Einerseits sind im Rahmen des Europäischen Programms für Klimaänderungen Maßnahmen zur Emissionsreduktion aus Quellen wie Haushalte, Industrie, Verkehr usw. zu setzen, andererseits wird durch die Ausarbeitung des „Grünbuchs zum Handel mit Treibhausgasemissionen in der EU“13 der Grundstein für den Europäischen Emissionshandel gelegt14. Im Grünbuch ist für ausgewählte Wirtschaftssektoren innerhalb der EU bereits ab 2005 der Handel mit Kohlendioxidemissionsberechtigungen vorgesehen, dessen Kompatibilität mit dem Kyoto-Emissionshandel bis zur Verpflichtungsperiode ab 2008 herzustellen ist15. Die Modalitäten des EUEmissionshandels wurden in der Emissionshandelsrichtlinie16 (EHRL) sowie in weiterer Folge - zur Verknüpfung des Europäischen Emissionshandelssystems mit den projektbezogenen Mechanismen des Kyoto-Protokolls - in der „Linking Directive“17 festgelegt. Die Richtlinien sollen, unabhängig von Geltung und Verbindlichkeit des Kyoto-Protokolls und dem darin festgelegten Emissionshandel zwischen den Vertragsstaaten, den in der EU ansässigen
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Vgl Lucht, Umfeld des Emissionshandels im Überblick, in: Lucht/Spangardt (Hrsg), Emissionshandel, 2005, 1 (8 f). Entscheidung 2002/358/EG des Rates vom 25. 04. 2002 über die Genehmigung des Protokolls von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen im Namen der Europäischen Gemeinschaft sowie die gemeinsame Erfüllung der daraus erwachsenden Verpflichtungen (Abl L 130/1) - Burden-Sharing-Agreement. Art 4 Kyoto-Protokoll erlaubt Staatengruppen die gemeinsame Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll. Dazu haben sie die Minderungsziele der Einzelstaaten als gemeinsame Vorgabe zu definieren und diese dann intern neu zu verteilen. Gelingt es den sich beteiligenden Staaten jedoch nicht das Kyoto-Ziel gemeinsam zu erreichen, wird jeder Staat für die Erreichung seines Reduktionsziels wieder selbst verantwortlich. Dazu näher Lucht, (FN 9), 13. Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament, Politische Konzepte und Maßnahmen der EU zur Verringerung der Treibhausgasemissionen: Zu einem Europäischen Programm zur Klimaänderung (ECCP, KOM (2000) 88 endg vom 08. 03. 2000). Grünbuch zum Handel mit Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union, vorgestellt von der Europäischen Kommission (KOM (2000) 87 endg vom 08. 03. 2000). BMUNR der BRD, Europäisches Programm für den Klimaschutz , Pressemitteilung vom 15.11.2000, http://www.bmu.de/pressearchiv/14_legislaturperiode/pm/614.php (27. 09. 2006). Dazu Pflüglmayer, 102. RL 2003/87/EG (Abl L 275/32). RL 2004/101/EG (Abl L 338/18).
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Betreibern von Anlagen ausgewählter Wirtschaftssektoren18 die Möglichkeit bieten auf neuartige Weise ihren Reduktionsverpflichtungen nachzukommen. Innerstaatlich wurde in Österreich zur Erreichung des Kyoto-Ziels - wie in Art 10 Kyoto-Protokoll vorgesehen - die Klimastrategie 2008/2012 angenommen19. Sie bildet das nationale Fundament, auf dem Maßnahmen zur Erreichung des Reduktionsziels von -13 % gegenüber dem Basisjahr 1990 für den Zeitraum 2008 - 2012 aufbauen20. Neben Maßnahmen in allen relevanten Sektoren wie beispielsweise Verkehr, Industrie und Abfallwirtschaft sieht die Klimastrategie die Schaffung eines nationalen Programms zum Ankauf von Emissionsreduktionen aus Projekten im Ausland21 sowie die Teilnahme der Sektoren Energie und Industrie am Europäischen Emissionshandelssystem vor22. Den Forderungen der österreichischen Klimastrategie entsprechend wurde die Emissionshandelsrichtlinie sowie die Linking Directive durch das Emissionszertifikategesetz (EZG) innerstaatlich umgesetzt23. Die Einführung des Emissionshandels - sei es auf staatlicher24 oder betrieblicher Ebene - basiert auf der Grundidee, dass es für den Klimaschutz unerheblich ist, wo Emissionen abgebaut werden25. Wichtig ist vielmehr, dass dies durch eine punktgenaue Zielführung auf einem einzel- und gesamtwirtschaft18
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Betroffen sind die Sektoren Industrie und Energie (Anhang I der Emissionshandelsrichtlinie). Damit soll knapp die Hälfte der Kohlendioxidemissionen der EU durch die Richtlinie erfasst werden. BMLFUW, Strategie Österreichs zur Erreichung des Kyoto-Ziels, Klimastrategie 2008/2012, vom Ministerrat angenommen am 18. 06. 2002, Punkt 1.2.7.1. Die Klimastrategie sieht dementsprechend einen Reduktionsbedarf in Höhe von 16,85 Mt Kohlendioxidäquivalent (zum Begriff des Kohlendioxidäquivalents siehe § 3 Z 6 EZG bzw Kap. VII) vor. Innerstaatlich kann mit der Reduktion von 13,85 Mt Kohlendioxidäquivalent gerechnet werden. Der verbleibenden Reduktionsobliegenheit wird durch Projekte im Ausland (Joint Implementation/Clean Development Mechanism) - vgl dazu V. Abschnitt des Umweltförderungsgesetz (BGBl 1993 I/185 idF BGBl 2005 I/112 - UFG) nachzukommen sein (Klimastrategie 2008/2012). Durch die Novelle des Umweltförderungsgesetzes 2003 (BGBl 71/2003) wurde neben der Umsetzung des staatliche Emissionshandels (Art 17 Kyoto-Protokoll) das „österreichische Joint Implementation/Clean Development Mechanism - Programm“ als eigenständiges Instrument zur Erfüllung der österreichischen KyotoVerpflichtung eingeführt. Der Anwendungsbereich des EZG ist von jenem des V. Abschnitts des UFG strikt zu trennen. Zumal handelt es sich bei den Joint Implementation/Clean Development Mechanism Programme Projekten, die im Rahmen des UFG finanziert werden, um staatliche Ankäufe von Emissionsgutschriften und nicht, wie im Anwendungsbereich des EZG, um Ankäufe auf betrieblicher Ebene. Zu den gegenseitigen Berührungspunkten siehe Schwarzer, zu § 34 Rz 12. Dazu Wollansky, Überblick über die „Kyoto-Architektur“, in: Schwarzer/Schweinzer (Hrsg), Erfolgreiches Navigieren im Emissionshandel, 2004, 51 (57 f). Die Darstellung des EZG in diesem Beitrag bezieht sich im Allgemeinen auf die Perioden ab 2008. Auf die Einführungsperiode 2005 - 2007 wird nur in noch relevanten Bereichen Bezug genommen. Der staatliche Emissionshandel ist nicht Gegenstand des Europäischen Emissionshandels, sondern beruht direkt auf dem Kyoto-Protokoll. Er ist somit auch nicht Gegenstand des EZG und bleibt in diesem Beitrag unberücksichtigt. Siehe Kind, Handel mit heißer Luft, RdW 2004-7, 397.
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lich effizienten Weg geschieht26. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, wird im Europäischen Emissionshandel in einem ersten Schritt die Emissionsmenge durch die Festlegung der Gesamtzahl an auszuschüttenden Zertifikaten absolut begrenzt (ein so genanntes „cap“ bestimmt)27. Die so festgelegte Gesamtmenge wird in einem zweiten Schritt auf die dem Emissionshandel unterliegenden Anlagen aufgeteilt. In weiterer Folge sind Anlageninhaber nur noch zur Emission von Treibhausgasen28, die sie durch Emissionsrechte (so genannte Emissionszertifikate) bedecken können, berechtigt und dürfen diese nicht wie bisher kostenlos29 an die Atmosphäre abgeben30. Die den Anlagen zugeteilten, jedoch nicht für die Deckung der Emissionen benötigten (überschüssigen) Emissionszertifikate sind - um den Betreibern der am Emissionshandel teilnehmenden Anlagen Anreize zu einer kosteneffizienten Verringerung der Treibhausgasemissionen zu bieten - frei am Markt handelbar (trade31). Geben die Anlagen über das ihnen zugewiesene Kontingent von Emissionsrechten hinaus Emissionen an die Atmosphäre ab, müssen Emissionsrechte von den Anlageninhabern zugekauft werden. Dem Betreiber soll auf diese Weise die Möglichkeit geboten werden, im Gegensatz zu einem ordnungsrechtlichen Ansatz vor dem Hintergrund einer möglichst geringen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigung32, Emissionen dort zu reduzieren, wo dies ökonomisch am günstigsten33 ist. 26
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Siehe RV 400 BlgNR 22. GP, S 2; Schafhausen, Politische Umsetzung von Kyoto in der EU und in Deutschland, in: Lucht/Spangardt (Hrsg), Emissionshandel, 2005, 51 (65). Aus ökonomischer Sicht siehe dazu Bader, 33 ff. Das so genannte „cap“ wird aus der gesamten Reduktionsverpflichtung nach dem Kyoto-Protokoll abgeleitet (Anhang III der Emissionshandelsrichtlinie iVm Rz 14 ff des Guidance Paper sowie § 1 Abs 2 EZG). Bisher beschränkt sich der Anwendungsbereich - mit Ausnahme jenes der projektbezogenen Mechanismen - auf das Treibhausgas Kohlendioxid. Diesem Umstand wird im Folgenden insofern Rechnung getragen, als das nur mehr das Treibhausgas Kohlendioxid angeführt wird. Unter Kosten im Sinne dieser Ausführung ist die Gegenleistung von Emissionszertifikaten für den Ausstoß von Kohlendioxid zu verstehen. Zur Problematik einer möglichen Grundrechtsverletzung durch die Einführung des Emissionshandels bzw die Erstellung der Nationalen Zuteilungspläne - dies wird nunmehr wohl auch auf die Zuteilungsverordnung anwendbar sein - siehe Sorgo, Überlegungen zu möglichen Grundrechtsverletzungen durch die Einführung des Emissionshandels in: Sorgo (Hrsg), Kommentar zum Emissionszertifikategesetz, 2005, 168; Zimmer, 205 ff; Kind (FN 25), 397 ff; Elsner/Kind, Was kostet die Luft?, ecolex 2004, 64 (69 f); Reuter/Busch, Einführung eines EU-weiten Emissionshandels - Die Richtlinie 2003/87/EG, EuZW 2004-2, 39 (42 f); Hauer, Drei Rechtsfragen zum Emissionszertifikategesetz, 2006, 3. Daher die Bezeichnung des von der EHRL aufgegriffenen Systems: „Cap and trade“. Zu alternativen Handelsmodellen Giesberts/Hilf, 65 ff. Einleitende Bemerkungen zur EHRL, Rz 5. „Kosteneffizienter“ bzw „günstig“ ist in diesem Zusammenhang nicht mit „für den Betrieb in jedem Fall wenige belastend“ gleichzusetzen, da sich der Preis für die Zertifikate aus ihrer Knappheit ergibt. Dieser Ausdruck bezieht sich vielmehr darauf, dass Emissionsminderungen an jener Stelle gesetzt werden können, wo sie die wenigsten Kosten verursachen. Siehe Niederhuber, Emissionshandel: EU-Richtlinie und nationaler Entwurf eines Emissionszertifikategesetzes, RdU 2004-2, 4 (5).
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B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft Der Gemeinschaftsgesetzgeber beruft sich bei der Erlassung der Richtlinie über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates sowie der Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft im Sinne der projektbezogenen Mechanismen des Kyoto-Protokolls auf Art 175 Abs 1 EGV34. Dies wird dadurch begründet, dass der Emissionshandel unter die in Art 174 Abs 1 EGV genannten Tatbestände35 - Maßnahmen des Umweltschutzes (der Begriff „Umwelt“ ist sehr weit zu verstehen, nämlich iSv „natürlicher“ Umwelt36, weshalb auch das Medium Luft erfasst ist) - fällt37. In diesem Bereich besteht keine ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft, weshalb diese Richtlinien im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzips sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu prüfen sind (Art 5 EVG)38.
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Da es sich bei der Verringerung der Emission von Treibhausgasen um Maßnahmen der Luftreinhaltung handelt - dies lässt sich einerseits dadurch erklären, dass Treibhausgase Luftschadstoffe iSd Immissionsschutzgesetz-Luft39 darstellen und andererseits damit, dass Treibhausgase in das Medium Luft abgegeben werden - ist Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG als Kompetenzgrundlage für das EZG heranzuziehen, demzufolge Luftreinhaltung, unbeschadet der Zuständigkeit der Länder für Heizungsanlagen, in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache ist40.
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Näheres dazu Schafhausen (FN 26), 66; RV 400 BlgNR 22. GP, S 2. Kritisch gegenüber der Kosteneffizienz des Systems des Treibhausgashandels Rebentisch, Rechtsfragen der kostenlosen Zuteilung von Berechtigungen im Rahmen des Emissionshandelsrechts, NVwZ 2006, 747 (749 f) (gilt in dieser Form wohl auch für Österreich). Dazu Zimmer, 127 ff; Giesberts/Hilf, 57 ff. Pflüglmayer, 117 f, sieht im Emissionshandel eine Maßnahme zur „umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Resourcen“. Mayerthaler, Einführung Rz 72, will hingegen den europäischen Emissionshandel als Maßnahme des Klimaschutzes unter „Erhaltung und Schutz der Umwelt“ subsumieren. ME sind beide Ansichten vertretbar. Vgl etwa: Calliess, in: Callies/Ruffert (Hrsg), EUV und EGV-Kommentar², zu Art 174, Rz 8. Näheres zur Vereinbarkeit des EU-Emissionshandelssystems mit dem Gemeinschaftsprimärrecht Kerth, 232 ff. Da die Erreichung des Kyoto-Ziels die Einbeziehung möglichst vieler Anlagen in den Emissionshandel voraussetzt, sind die Kriterien des Art 5 EVG wohl als erfüllt anzusehen. So auch Pflüglmayer, 118; Zimmer, 151 ff. § 2 Abs 1 IG-L (BGBl 1997 I/115): Luftschadstoffe im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Stoffe, die Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft durch Partikel, Gase oder Aerosole bewirken. RV 400 BlgNR 22. GP, S 3.
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Zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangt Pflüglmayer41, die auf Grund der im EZG vorgeschriebenen Genehmigungspflicht von Anlagen - „wodurch eine Beeinträchtigung des Betriebes von Anlagen wohl nicht ausgeschlossen werden kann“ - das EZG dem Regelungsgegenstand des Anlagenrechts im herkömmlichen Sinn zuordnen möchte. Dies würde im Ergebnis zu einer Zersplitterung der Kompetenz in Landes- und Bundessache bedeuten. Dem ist jedoch die Frage entgegenzuhalten, ob nicht die Schaffung des Kompetenztatbestandes der Luftreinhaltung zu einem neuen Anlagentatbestand im BVG geführt hat. Wäre dies der Fall, so würde man auch unter Berücksichtigung der Zweifel Pflüglmayers zum bisherigen Ergebnis - nämlich der Subsumtion unter den Kompetenztatbestand der Luftreinhaltung - gelangen.
C. Gemeinschaftsrechtsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen 1. Gemeinschaftsrecht Von zentraler Bedeutung für den Europäischen Emissionshandel sind, wie bereits erwähnt, die Emissionshandelsrichtlinie42 sowie die Linking Directive43, welche der Verknüpfung des Europäischen Emissionshandels mit den projektbezogenen Mechanismen des Kyoto-Protokolls dient. Ergänzend wurde als weiterer Sekundärrechtsakt der Gemeinschaft die Registerverordnung44 erlassen. Zur einheitlichen Umsetzung der Emissionshandelsrichtlinie dient die von der Europäischen Kommission erlassene Entscheidung zur Festlegung von Leitlinien für die Überwachung und Berichterstattung betreffend Treibhausgasemissionen45 sowie das Guidance Paper46.
2. Völkerrecht Für Österreich bedeutende völkerrechtliche Abkommen im Bereich des Klimaschutzes stellen die Klimarahmenkonvention47 und das auf deren Grundlage ausgearbeitete Kyoto-Protokoll (COP 3)48dar. Zur Ausgestaltung und Umsetzung des Kyoto-Protokolls wurde das Übereinkommen von Marrakesch („The Marrakesh Accords“, COP 7) geschlossen.
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Pflüglmayer, 117 ff. RL 2003/87/EG (Abl L 275/32). RL 2004/101/EG (Abl L 338/18). VO 2004/2216/EG (Abl L 386/1). Entscheidung der Kommission vom 29. 01. 2004 zur Festlegung von Leitlinien für Überwachung und Berichterstattung betreffend Treibhausgasemissionen gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (K (2004) 130). Mitteilung der Kommission über Hinweise zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der in Anhang III der Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates aufgelisteten Kriterien sowie über die Bedingungen für den Nachweis höherer Gewalt (K (2003) 830). BGBl 1994 III/414 idF BGBl 1999 III/12; Die Ausgestaltung des Übereinkommens blieb der mindestens einmal jährlich stattfindenden Konferenz der Vertragsparteien (COP) überlassen. BGBl 2005 III/89.
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II. Ziel und Funktion des Emissionszertifikategesetzes Ziel des EZG ist gemäß § 1 Abs 1 EZG die Schaffung eines Systems für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten49 (Emissionszertifikaten), wodurch eine Verringerung der Treibhausgasemissionen erreicht werden soll. Gleichzeitig wird in Abs 2 - Bezug nehmend auf die nationale Klimapolitik, über den in § 2 EZG definierten Geltungsbereich des Gesetzes hinaus - festgehalten, dass der Zertifikatehandel nicht das einzige Mittel zur Erreichung des Kyoto-Zieles darstellt, sondern nur einen Beitrag dazu leisten soll. Mit anderen Worten handelt es sich bei § 1 Abs 2 EZG um eine Schutzklausel für den Emissionshandelssektor im Sinne eines fairen „innerösterreichischen burdensharing50“. Demzufolge sollen der „Strategie Österreichs zur Erreichung des Kyoto-Ziels“51 (Klimastrategie52 2008/2012, Zl 54 3895/73-V/4/02) entsprechend alle Sektoren einen Beitrag zur Erreichung des Kyoto-Ziels leisten. Nach der im EZG vorgeschriebenen Evaluierung der „Fortschritte bei der Umsetzung dieser Maßnahmen und der damit erzielten Emissionsreduktionen sind die Schwerpunkte der neuen Maßnahmensetzungen in jenen Bereichen und Sektoren vorzunehmen, in denen die stärksten Abweichungen vom Kyoto-Zielerreichungspfad festzustellen und die geringsten volkswirtschaftlichen Kosten für die Emissionsvermeidung zu erwarten sind.“ Ausdrücklich hervorgehoben wird dabei die forcierte Verwendung „finanzieller Instrumente“ wie jener des Ankaufes von Reduktionseinheiten53.
Somit ist der Beitrag, den dem EZG unterliegende Anlagen, trotz Abweichungen54 Österreichs vom Kyoto-Zielerreichungskurs55, zu leisten haben, Standort bewahrend56 zu gestalten.
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Entgegen der irreführenden Bezeichnung regelt das EZG den Handel mit Emissionszertifikaten nur in einem Teilbereich. Den hauptsächlichen Regelungsinhalt bilden Normen die den Betrieb von Anlagen regeln (Sorgo, Einleitung Rz 8). Schwarzer, zu § 1 Rz 1. Im Gesetzestext wie folgt formuliert: „bestehenden Programmen zur Klimaschutzpolitik“. Sie besitzt keinen Verordnungscharakter. Dennoch ist sie insofern von Bedeutung, als dass die Zuweisung von Zertifikaten auf Sektorenebene mit der nationalen Klimapolitik vereinbar sein muss (§13 Abs 2 Z 5 EZG) und die klimapolitische Programmatik eines Mitgliedstaates einen wesentlichen Maßstab für die Prüfung der nationalen Zuteilungspläne durch die Europäische Kommission darstellt. Siehe Kap. VI. Diese gesetzliche Schwerpunktlegung bezieht sich auf den staatlichen Ankauf im Sinne des V. Abschnittes des Umweltförderungsgesetzes. Gugele/Rigler/Ritter, Kyoto - Fortschrittsbericht Österreich 1990 - 2004, (Datenstand 2006), Umweltbundesamt GmbH 2006, 6. Zur Kluft zwischen Wirklichkeit und Klimapolitik auf internationaler Ebene: Voss, 55. Art 3 Abs 1 und 7 Kyoto-Protokoll. Kritisch dazu Elsner/Kind, (FN 30), 69.
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III. Anwendungsbereich des EZG A. Erfasste Tätigkeiten und Gase Der Anwendungsbereich ergibt sich aus § 2 Abs 1 EZG. Er ist durch eine taxative Aufzählung von Tätigkeiten bestimmter Anlagen57, welche mit der Emission von Kohlendioxid 58 verbunden sind, im Anhang 1 des EZG definiert59. Die Liste an obligatorisch erfassten Tätigkeiten und Treibhausgasen kann vom BMLFUW im Einvernehmen mit dem BMAW durch Verordnung erweitert werden (§ 2 Abs 2 EZG). Bisher kam es jedoch zu keiner Einbeziehung weiterer Tätigkeiten oder Treibhausgase. Auch für die zweite Handelsperiode von 2008 - 2012 ist voraussichtlich nicht mit einer solchen zu rechnen60.
Betroffen sind demnach vor allem Anlagen in den Bereichen Energie und Industrie61. Dabei wird zwischen Tätigkeiten, die nur bei Überschreitung eines Schwellenwertes und solchen, die unabhängig von einem solchen62 dem EZG unterliegen, unterschieden. Tätigkeiten ohne Schwellenwert sind Tätigkeiten, die in kalorischen Kraftwerken und Teilen der Grundstoffindustrie ausgeübt werden. Andere Zweige der Industrie sind nur insoweit vom EZG betroffen, als sie Feuerungsanlagen mit einer Brennstoffwärmeleistung von mehr als 20 MW aufweisen. Sinken die Emissionen bei Durchführung einer Tätigkeit mit Schwellenwert nach Zuteilung der Emissionszertifikate unter diesen, verbleiben die Anlagen für die Dauer der laufenden Periode dennoch im Anwendungsbereich des EZG (§ 2 Abs 4 EZG). Im umgekehrten Fall, also bei Überschreiten des Schwellenwertes, werden die Bestimmungen des EZG mit sofortiger Wirkung anwendbar.
Andere Sektoren wie Transport und Haushalt, welche die stärksten Steigerungen am Kohlendioxidausstoß verzeichnen63, wurden nicht in das Emissionshandelssystem eingebunden64.
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Der dem EZG zu Grunde gelegte und in § 3 Z 4 EZG legal definierte Anlagenbegriff unterscheidet sich wesentlich von jenem der GewO. Das Emissionshandelssystem ist prinzipiell auf die Einbeziehung von Anlagen, welche die im Kyoto-Protokoll geregelten Treibhausgase emittieren, ausgelegt (vlg FN 4). Bisher wurde von der Einbeziehung weiterer Gase jedoch auf Grund fehlender Richtlinien für die Überwachung dieser Gase abgesehen (RV 400 BlgNr 22. GP, S 2). Im Zusammenhang mit den Joint Implementation Projekten (ab 2008) und Clean Development Mechanism (ab 2005) werden weitere Treibhausgase des Kyoto-Protokolls in den Anwendungsbereich des EZG indirekt aufgenommen. Siehe Kap. VII. § 2 Abs 1 iVm Anhang 1 EZG. Vgl Bundesministerium für Land und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Entwurf des Nationalen Zuteilungsplans für Österreich gemäß § 11 EZG für 2008-2012, 2006. Durch sie werden etwa 45% der österreichischen Kohlendioxidemissionen abgedeckt. Eine genaue Auflistung der vom EZG erfassten Anlagen und die jeweilige Zuteilung von Emissionszertifikaten sind im Nationalen Zuteilungsplan bzw in der Zuteilungsverordnung für die jeweilige Periode öffentlich zugänglich. Diese Tätigkeiten fallen nach Schwarzer, zu § 2, Rz 1, unabhängig davon, ob im Zuge ihrer Ausübung überhaupt Kohlendioxid emittiert wird, unter den Anwendungsbereich des EZG. ME ist dieser Ansicht nicht zu folgen, da nach § 4 Abs 1 EZG lediglich Anlagen, die bestimmte Tätigkeiten unter Ausstoß spezifischer Emissionen durchführen, unter die Genehmigungspflicht des EZG fallen. Mayerthaler, zu § 1 Rz 8
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Anlagen, die Tätigkeiten ausführen und dabei Gase ausstoßen, die nicht unter § 2 Abs 1 iVm Anhang 1 EZG fallen, können auf Antrag ihres Inhabers vom BMLFUW in den nächsten dem Antrag folgenden Zuteilungsplan aufgenommen werden65 (Opt-in der Inhaber, § 2 Abs 3 Z 2 EZG). Die Frist für die Stellung eines freiwilligen Opt-in Antrages an das BMLFUW verstreicht spätestens einen Monat vor Veröffentlichung der Zuteilungsverordnung (§ 2 Abs 3 Z 2 iVm § 13 Abs 1 EZG). Wird der Teilnahme zugestimmt, so wird die Anlage in den Nationalen Allokationsplan aufgenommen. Ein Bescheid wird in diesem Fall nicht erlassen. Der Antrag auf Einbeziehung muss für jede Periode neu gestellt werden. Nach Aufnahme in den Nationalen Zuteilungsplan kann der Antrag bis zum Ende der Periode nicht zurückgezogen werden66. Eine Abweisung durch den BMLFUW erfolgt mit Bescheid, gegen den der Antragsteller beim VwGH oder beim VfGH Beschwerde erheben kann.
Rechtssicherheit darüber, ob eine Anlage in den Anwendungsbereich des EZG fällt, kann der Anlageninhaber auf Verlangen durch Bescheid des BMLFUW gewinnen (§ 2 Abs 7 EZG). Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel, sondern lediglich die Anrufung des VwGH oder des VfGH zulässig.
B. Ausnahmen Nicht in den Anwendungsbereicht des EZG fallen „Anlagen oder Anlagenteile, wenn und soweit sie für Zwecke der Forschung, Entwicklung, Prüfung und Erprobung neuer Produkte und Verfahren genutzt werden“ (§ 2 Abs 5 EZG). Für die Anwendung dieser Bestimmung ist es unerheblich, ob eine ausschließliche oder nur Teile der Anlage betreffende Zweckwidmung vorliegt. Nach § 2 Abs 6 EZG fallen weiters „Feuerungsanlagen, die gemäß der anlagenrechtlichen Genehmigung fossile Brennstoffe lediglich als Stützfeuerung einsetzten, nur dann unter dieses Bundesgesetz, wenn sie im Verbund mit fossil gefeuerten Kesseln betrieben werden.“ Somit sind Biomasse-Feuerungsanlagen vom Anwendungsbereich des EZG ebenfalls ausgenommen.
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Zu diesbezüglichen Bedenken im Bezug auf die Konformität mit dem Gleichheitsgrundsatz vgl Sorgo (FN 30), 170 ff. Sinnvoll wird der Gebrauch der Opt-in Funktion beispielsweise für Anlageninhaber sein, die über größere Kapazitäten zur Verringerung der Emissionen verfügen. Nach der neuen Rechtslage scheint die Nutzung dieser Möglichkeit für jene Anlageninhaber, die vor der Erlassung der Zuteilungsverordnung noch nicht in den Anwendungsbereich des EZG fallen - jedoch in der darauf folgenden Periode expandieren wollen - nicht mehr erforderlich. Grund dafür ist die nunmehr normierte flexible Reserve. Zur alten Rechtslage, siehe Schwarzer, zu § 2 Rz 26, sowie Mayerthaler, zu § 2 Rz 9. Schwarzer, zu § 2, Rz 25.
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IV. Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen A. Genehmigungspflicht und Genehmigungsverfahren Für alle am Emissionshandel teilnehmenden Anlagen muss vor ihrer Inbetriebnahme eine anlagenspezifische und nicht übertragbare67 Emissionsgenehmigung (§ 4 Abs 1 EZG)68 eingeholt werden. Die Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen berührt in keiner Weise die anlagenrechtliche Genehmigung. Die für Anlagen, welche gemäß der RL 96/61/EG genehmigungspflichtig sind, zuständige Behörde darf ihrerseits jedoch seit In-Kraft-Treten des EZG für Anlagen, die auch dem EZG unterliegen, nur noch in jenen Fällen Emissionsgrenzwerte für direkte Emissionen von Treibhausgasen (EZG) vorschreiben, in welchen dies erforderlich ist, um sicherzustellen, dass keine erhebliche lokale Umweltverschmutzung bewirkt wird. Bereits erteilte, Emissionsgrenzwerte enthaltende, anlagenrechtliche Genehmigungen sind außer dem soeben genannten Fall der zu befürchtenden lokalen Umweltverschmutzungen so abzuändern, dass Emissionsgrenzwerte für die dem EZG unterliegenden Anlagen zukünftig nicht mehr bestehen (§ 23 EZG).
Das Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen ist nur auf Antrag des Inhabers einer Anlage oder eines Projektwerbers einzuleiten. Der Antragsteller ist alleinige Partei im anschließenden Verfahren. Die Genehmigung ist bei der jeweils zuständigen Behörde nach § 26 EZG zu beantragen (Quelle: Schwarzer, zu § 26 Rz 10): Genehmigungsregime Bundesrecht GewO EG - K MinRoG AWG UVP - Gesetz Landesrecht Baurecht Landes - ElWOG
1. Instanz
2. Instanz
BVB BVB BVB LH LReg
UVS UVS UVS UVS US
LH BMLFUW Wird vom EG-K verdrängt
Ist für den Betrieb einer Anlage eine Genehmigung nach landesrechtlichen Vorschriften erforderlich, fällt die Erteilung der Genehmigung nach dem EZG in die Zuständigkeit des Landeshauptmanns (§ 26 Z 1 EZG). Er ist gemäß § 26 Z 3 EZG befugt, seine Kompetenz an die Bezirksverwaltungsbehörde zu delegieren. In allen anderen Fällen, insbesondere in Anwendungsfällen der GewO 1994 sowie des Luftreinhaltungsgesetzes für Kesselanlagen ist für die Genehmigung 67 68
RV 400 BlgNR 22.GP, S 5. Im Falle des Zuwiderhandels droht dem Anlageninhaber eine Geldstrafe in Höhe von € 35.000,- (§27 Abs 1 EZG). Der Begriff des Anlageninhabers ist dem Anlagenrecht zu entnehmen. Danach ist ein Anlageninhaber derjenige, der die Gewahrsame über die Anlage hat.
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nach § 4 EZG sowie die Entgegennahme der Meldung über eine Anlagenänderung nach § 6 EZG jene Behörde zuständig, die nach den Verwaltungsvorschriften des Bundes für die Genehmigung der Anlage zuständig ist (§ 26 Z 2 EZG). In diesem Fall69 kann der Antrag auf Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen gemeinsam mit jenem für die anlagenrechtliche Genehmigung (auch bei Anlagenänderungen) bei jener Behörde gestellt werden, die für die anlagenrechtliche Genehmigung zuständig ist. Dabei kommt es zu einer Verfahrenskonzentration vor letztgenannter Behörde, was jedoch nichts daran ändert, dass Dritten keine subjektiven Rechte im Bezug auf das EZG-Genehmigungsverfahren zustehen. Der Antrag auf Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen muss die in § 5 Abs 1 EZG taxativ aufgezählten Angaben enthalten70. Eine Darlegung der zu erwartenden Emissionsmenge kann dabei unterbleiben (§ 5 Abs 1 Z 3 EZG). Die Genehmigung der Anlage ist nur dann zu erteilen, wenn es dem Anlageninhaber im Antrag gelingt, den Nachweis darüber zu erbringen, dass er in der Lage ist, die Emission von Treibhausgasen entsprechend den Vorgaben der Überwachungsverordnung71 zu überwachen und dem BMLFUW darüber bis 31. März des jeweiligen Folgejahres Bericht (§ 8 Abs 1 EZG) zu erstatten (§ 4 Abs 2 EZG). Erfüllt der Anlageninhaber diese Voraussetzungen, hat die Genehmigung in Form eines Bescheides zu ergehen. Der Genehmigungsbescheid kann im Nachhinein einerseits von der zuständigen Behörde amtswegig abgeändert werden, wenn die genehmigte Überwachungsmethode und -häufigkeit nicht ausreicht oder nicht geeignet ist, den Anforderungen der Überwachungsverordnung zu entsprechen. Auch in diesem Verfahren ist der Anlageninhaber Partei und hat das Recht auf Beschwerde gegen letztinstanzliche Bescheide des UVS, BMLFUW oder des US bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts. Da der Umfang der zu überwachenden, mit Zertifikaten bedeckten Kohlendioxidemissionen nicht Gegenstand der Genehmigung sondern des Nationalen Zuteilungsplans bzw der Zuteilungsverordnung ist, bleibt dieser auch bei einer Abänderung der Genehmigung bis zum Ende der Handelsperiode unverändert. Andererseits kann der Inhaber einer bereits genehmigten Anlage unter den Voraussetzungen des § 6 Abs 3 EZG die Änderung bzw Herabsetzung der im Bescheid festgelegten Überwachungsmethode oder -häufigkeit beantragen. Die einmal erteilte Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen kann auf drei Arten erlöschen. Sie erlischt gleichzeitig mit der (gegebenenfalls letzten von mehreren72) anlagenrechtlichen Genehmigung während einer Zuteilungsperiode oder wenn die
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Entgegen der gesetzlichen Anordnung in § 5 Abs 6 EZG besteht diese Möglichkeit bei verfassungskonformer Interpretation - nach der zu folgenden Ansicht Schwarzer, zu § 5 Rz 10, nur bezüglich des bundesrechtlichen Anlagengenehmigungsverfahrens. Zum anzuwendenden „Maßstab“ für die Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit des Genehmigungsantrag siehe Mayerthaler, Der „nachweislich vollständige“ Genehmigungsantrag bei technisch komplexen Anlagen - die „Guillotine“ der CO2 - Zertifikatszuteilung?, RdU 2006-4, 33. BGBl II 2004/458, erlassen auf der gesetzlichen Ermächtigung des § 7 Abs 2 EZG. Schwarzer, zu § 4 Rz 6.
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emissionsrechtlich genehmigte Anlage nicht in Betrieb genommen wird73. Weiters erlischt die Genehmigung durch Stilllegung der Anlage trotz Weiterbestehens der anlagenrechtlichen Genehmigung (§ 4 Abs 6 EZG).
Gemäß § 4 Abs 6 vorletzter Satz EZG kann der Inhaber einer Anlage beim BMLFUW die Feststellung mit Bescheid beantragen, dass eine Anlage nicht als stillgelegt gilt, wenn der Emissionsrückgang auf Klimaschutzmaßnahmen, einen temporären Produktionsausfall oder die wesentliche Verlagerung der Produktion auf eine andere Anlage desselben Inhabers zurückzuführen ist. Diese Regelung erscheint insofern problematisch, als dass der Begriff der Stilllegung einer Anlage im EZG nicht definiert ist. Zwar wurde in den EB der RV die Schwelle für eine faktische Stilllegung mit 10% der Emissionen festgelegt, jedoch führt Schwarzer74 dagegen aus, dass die Normierung einer faktischen Stilllegung in einer Vorversion der RV vorgesehen war, die jedoch letztendlich nicht in die RV eingeflossen sei. Der entsprechende Passus in den EB beziehe sich somit nicht auf die RV, wodurch der Begriff der Stilllegung undefiniert bliebe und dementsprechend ein Emissionsrückgang niemals mit einer Anlagenstilllegung gleichzusetzen sei. Somit fehle es der Norm an einem Anwendungsbereich, da die Vermeidung des Zertifikatsverlustes durch Stilllegung bereits in § 17 Abs 3 Satz 3 und 7 EZG geregelt sei. Dagegen wird argumentiert, dass gerade § 4 Abs 6 vorletzter Satz EZG für die Relevanz der Festlegung der 10 %Untergrenze in den EB der RV spricht, da darin völlig zweifelsfrei festgehalten werde, dass nicht nur die völlige „Einstellung“ eines Betriebes sondern auch ein Emissionsrückgang als „Stilllegung“ iSd Gesetzes anzusehen sei75. Weiters könnte man der Meinung Schwarzers entgegenstellen, dass eine Vorschrift nach dem in Lehre und Rechtssprechung völlig unbestrittenen Auslegungsgrundsatz nicht so verstanden werden darf, dass ihr keine Bedeutung mehr zukommt76. Letztlich kann argumentiert werden, dass der Hinweis auf § 17 Abs 3 EZG nicht zu überzeugen vermag, da diese Bestimmung den Begriff der Stilllegung nicht klärt sondern ihn vielmehr unter Verweis auf § 4 Abs 6 EZG voraussetze.
Die Stilllegung einer Anlage unterliegt nach dem EZG keiner Meldepflicht77.
1. Anlagenänderung Wesentliche78 Anlagenänderungen müssen sechs Monate79 vor der geplanten Änderung bei der nach dem EZG zuständigen Behörde (§ 26 EZG) gemeldet werden. Diese hat gegebenenfalls einen Genehmigungsbescheid zu erlassen. 73
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In diesem Fall tritt die EZG-Genehmigung nach Schwarzer, zu § 4 Rz 1, dann außer Kraft, wenn nach den Umständen des Einzelfalls feststeht, dass das Vorhaben nicht mehr durchgeführt wird. Schwarzer, zu § 4 Rz 12 ff. Mayerthalter, zu § 5 Rz 12 f. Vgl beispielsweise: VfSlg 12939/1991; VwGH 3.12.1992, 92/18/0287; Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, 1994, 118 ff. Eine Meldung an den BMLFUW sowie an die Genehmigungsbehörde ist jedoch auf Grund der damit verbundenen Rechtsfolgen anzuraten. Auf Grund der fehlenden Erläuterung des Begriffes der „wesentliche Anlagenänderung“ im Gesetz erscheint es ratsam, jede Änderung der Behörde anzuzeigen und dieser die Entscheidung zu überlassen, ob es sich um eine, die Änderung des Bescheides erforderlich machende, wesentliche Anlagenänderung handelt. So auch Sorgo, zu § 6 Rz 1 und Mayerthaler, zu § 6 Rz 1 ff. Schwarzer, zu § 6 Rz 3, hingegen misst dem Passus „wesentliche Anlagenänderungen“ keine besondere Bedeu-
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Wird eine veränderte Anlage ohne eine entsprechende Meldung betrieben, droht dem Anlageninhaber eine Geldstrafe in Höhe von € 5.000,-- (§ 27 Abs 1 Z 3 EZG).
2. Inhaberänderung Durch den Wechsel des Anlageninhabers geht die Emissionsgenehmigung automatisch auf den neuen Inhaber über. Dennoch ist er jener Behörde, die den Genehmigungsbescheid erlassen hat (§ 4 Abs 6 EZG), sowie dem BMLFUW, der die Buchung von Emissionszertifikaten zu veranlassen hat (§ 17 Abs 2 EZG), anzuzeigen. Obwohl die Verletzung der Meldepflicht verwaltungsstrafrechtlich nicht sanktioniert ist80, wird es im Interesse des neuen Inhabers liegen eine solche Meldung umgehend zu erstatten. Grund dafür ist, dass er anderenfalls kein Zertifikatskonto beim österreichischen Registerführer (Emission Certificate Registry Austria GmbH, ECRA)81 einrichten und somit keine Emissionszertifikate empfangen kann.
V. Überprüfung von Treibhausgasemissionen Die am Emissionshandel teilnehmenden82 Anlageninhaber sind verpflichtet ihre Emissionen zu erfassen. Sie haben zu diesem Zeck ein Überwachungssystem zur Erfassung und Dokumentation der Kohlendioxidemissionen einzurichten und im Antrag zur Genehmigung zu beschreiben. Der vom BMLFUW gemäß § 7 Abs 2 EZG erlassenen Überwachungsverordnung kommt direkte Wirkung zu. Daneben ist sie jedoch auch bei der Erlassung von Genehmigungsbescheiden zu beachten. Der Anlageninhaber hat bei der Bestimmung seiner Überwachungspflichten in erster Linie dem Genehmigungsbescheid zu folgen. Ergänzend dazu ist die Überwachungsverordnung heranzuziehen. Bei Widersprüchen zwi-
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tung bei und nimmt eine Meldepflicht bei all „jenen Änderungen der Anlage, die den Inhalt der Emissionsgenehmigung betreffen“ an. Das EZG schweigt zur Frist für die Anzeige einer geplanten Änderung der Anlage. Da der zuständigen Behörde nach § 73 AVG eine Frist von längstens sechs Monaten ab Einlangen der Meldung für die Entscheidungsfindung zusteht, ist mE - unter Bedacht auf die Sanktionsnorm des § 27 Abs 1 Z 1 EZG bei Nichtvorliegen einer Genehmigung nach § 6 EZG im Zeitpunkt der Inbetriebnahme - auch für die Meldung nach § 6 Abs 1 EZG diese Frist ausschlaggebend. Schwarzer, zu § 6 Rz 4 hingegen sieht in der Formulierung der Sanktionsnorm eine unzulässige Erweiterung des Verpflichtungsinhaltes. Damit genügt es seiner Ansicht nach, die Änderung vor ihrer Durchführung - ohne Bezug auf die Frist des § 73 AVG - der Behörde zu melden. Mayerthaler, zu § 4 Rz 5, hingegen nimmt, mE verfehlt, an, dass „ nunmehr Sanktionen bei fehlender Angabe des Betreiberwechsels an die Registerservicestelle nach § 27 Abs 1 Z 3 EZG in der Höhe von € 15.000 vorgesehen sind.“ Auch unter der Annahme, dass in seinen Ausführungen nicht § 27 Abs 1 Z 3 EZG sondern § 27 Abs 1 Z 4 EZG gemeint war, geht der Verweis insofern ins Leere, als dass sich die Sanktionsnorm auf das Unterbleiben einer Meldung bezüglich einer Anlage, die zuvor nicht über eine Genehmigung verfügt hat (Art 15 Registerstellenverordnung), bezieht. Vgl Kap. IX. Eine Überwachungspflicht trifft auch Anlageninhaber nicht genehmigter Anlagen insofern, als dass sie ebenfalls zur Bedeckung der Kohlendioxidemissionen des vergangenen Kalenderjahres verpflichtet sind (§ 18 Abs 2 sowie § 28 Abs 1 und 2 EZG).
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schen dem im konkreten Fall erlassenen Bescheid und der Verordnung ist der Bescheid heranzuziehen, bis dieser durch eine amtswegige Änderung des Genehmigungsbescheides (§ 6 EZG) aufgehoben wird. Daneben kommt den Leitlinien gemäß Art 14 der RL 2003/87/EG mE83 ebenfalls direkte Anwendbarkeit zu, da die Überwachungsverordnung in § 1 subsidiär auf sie verweist84.
Inhaber von nach dem EZG genehmigten Anlagen - auch wenn sie im betreffenden Kalenderjahr nicht betrieben werden bzw keine zertifikatspflichtigen Kohlendioxidemissionen abgeben - müssen für jedes Kalenderjahr bis zum 31. März des Folgejahres dem BMLFUW eine Emissionsmeldung unter Anschluss einer positiven Bescheinigung durch eine unabhängige Prüfungseinrichtung85 oder einen Einzelprüfer (§ 10 EZG) elektronisch übermitteln. Das heißt, der Anlageninhaber hat seinen Bericht86 an eine unabhängige, jedoch von ihm frei wählbare87 Prüfungseinrichtung oder einen Einzelprüfer zu übermitteln88. Die Prüfungseinrichtung hat bei der Prüfung89 des Jahresberichtes den Genehmigungsbescheid (in Verbindung mit dem Zertifikatszuteilungsbescheid), die Regelung des Anhang 3 EZG und die Überwachungsverordnung zu beachten. Kommt die Prüfungseinrichtung zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung einer positiven Bestätigung nicht erfüllt sind, kann sie die Bestätigung verweigern oder dies dem Anla83 84
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So auch Frey, Prüfpflicht für Kohlendioxidemissionsmeldungen, ecolex 2005, 350 (350). Schwarzer, zu § 7 Rz 6, geht demgegenüber davon aus, dass die Leitlinien gemäß Art 14 der RL 2003/87/EG nur ergänzend zur Interpretation der Verordnung heranzuziehen sind. Unabhängige Prüfungseinrichtungen (bestehend aus mindestens einem Einzelprüfer und zwei nicht einzeln prüfungsberechtigten Experten) unterscheiden sich von Einzelprüfern im Berechtigungsumfang. Beide bedürfen der Zulassung durch den BMLFUW und unterliegen in ihrer Tätigkeit der Gewerbeordnung. Die Zulassungsvoraussetzungen und -modalitäten finden sich in § 10 EZG sowie in der Fachkundeverordnung. Die Fachkundeverordnung wurde zur Konkretisierung der Anforderungen des § 10 EZG vom BMLFUW im Einvernehmen mit dem BMWA erlassen. Die Bestimmungen zur Aufsicht über die unabhängigen Prüfungseinrichtungen durch das BMLFUW normiert § 10 b EZG. Die Voraussetzungen des Widerrufs der Zulassung der unabhängigen Prüfungseinrichtungen, der Experten sowie der Einzelprüfer sind in § 10 a EZG geregelt. Der Bericht hat gemäß der Überwachungsverordnung (Anhang 4 zu § 13 der Überwachungsverordnung) Angaben zu den Anlagendaten, Tätigkeiten, Emissionsfaktoren, Gesamtemissionen, Unsicherheitsfaktoren bei der Emissionsberechnung und Anlagenänderungen während des Berichtszeitraumes zu enthalten. Gemeldet werden müssen alle - auch beispielsweise die durch höhere Gewalt entstandenen Emissionen des abgelaufenen Kalenderjahres. Zwischen der Prüfungseinrichtung und dem Anlagenbetreiber besteht ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis. Der Inhaber hat die Kosten für die Überprüfung zu tragen. Die Auswahl der Prüfungseinrichtung bzw des Einzelprüfers muss der Anlageninhaber prinzipiell bereits vor Beginn einer Handelsperiode treffen und dem BMLFUW bekannt geben. Ein - dem BMLFUW anzuzeigender - Wechsel der Prüfungseinrichtung während einer Periode ist jedoch möglich. Der Grund für die Verpflichtung zur Bekanntgabe der Prüfungseinrichtung liegt in der Bestimmung des § 9 Abs 2 EZG. Danach kann der BMLFUW bei Vorliegen begründeter Zweifel an der Unabhängigkeit der Einrichtung dem Anlageninhaber sogleich die Wahl einer anderen Prüfungseinrichtung mit Bescheid auftragen. Gegen diesen Bescheid steht dem Anlageninhaber sowie der unabhängigen Prüfungseinrichtung ein Beschwerderecht an den VwGH sowie an den VfGH zu. Näheres dazu Frey (FN 83), 350.
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geninhaber mitteilen, sodass er die Möglichkeit erhält, seine Meldung anzupassen. Im Falle einer nicht zufriedenstellenden Bewertung durch die Prüfungseinrichtung wird dem Anlageninhaber bis auf weiteres das Recht zur Übertragung von Emissionszertifikaten entzogen90. Erst nach Eintragung der geprüften Emissionsdaten in die Tabelle der geprüften Emissionen91 kann dieses Recht wieder in Anspruch genommen werden92.
Der BMLFUW hat die Meldung des Anlageninhabers grundsätzlich als „ausreichend geprüft“ anzuerkennen, es sei denn, dass binnen zwei Wochen ab Einlagen der Meldung beim BMLFUW begründete Zweifel daran nicht ausgeräumt werden können. In diesem Fall kann der BMLFUW ein Verfahren zur Festlegung der Emissionen durchführen (§ 9 Abs 1 EZG) und die Emissionen für das betreffende Kalenderjahr mit Bescheid festlegen. Die Kosten dafür sind vom Anlageninhaber zu tragen, wenn seine Meldung unrichtig93 war. Im Verfahren hat der Inhaber Recht auf Parteiengehör.
Inhaber einer stillgelegten Anlage haben im Jahr der Stilllegung letztmalig eine Emissionsmeldung zu erstatten. Mit der Übertragung von Zertifikaten einer stillgelegten Anlage gemäß § 17 Abs 3 EZG wird die empfangende Anlage meldepflichtig. Wird die stillgelegte Anlage durch eine neue, keine Genehmigung nach dem EZG benötigende Anlage ersetzt und hat der BMLFUW mit Bescheid erkannt, dass die zugeteilten Emissionszertifikate bis zum Ende der Periode dennoch weiterhin zugewiesen werden (§ 17 Abs 3 Satz 7), besteht für den Anlageninhaber dennoch keine Meldepflicht mehr.
Unterlässt der Inhaber einer dem EZG unterliegenden Anlage die Meldung, ist er mit einer Geldstrafe von bis zu € 7.000,-- zu belangen (§ 27 Abs 1 Z 3 EZG). Überdies verliert er bis zur positiven Bewertung („als zufriedenstellend bewertet“) der Meldung durch den BMLFUW die Berechtigung zur Übertragung von Emissionszertifikaten (Sperrwirkung des § 9 Abs 4 EZG). Gleichgesetzt dem Fall der „begründeten Zweifel an der Meldung“ hat der BMLFUW (bzw das von ihm beauftragte Umweltbundesamt) auch hier die Überprüfung der Anlage auf Kosten des Anlageninhabers für das abgelaufene Kalenderjahr vorzunehmen und die Emissionsmenge mit Bescheid festzusetzen. Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig. Dem Anlageninhaber steht somit nur die Beschwerde an den VwGH und VfGH offen. Die Erlassung des amtswegigen Bescheides kann noch während des Feststellungsverfahrens durch eine
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Mit Problemen in der Praxis ist zu rechnen, wenn ein Anlageninhaber den Prüfbericht erst am 31. März, somit am letzten Tag der Abgabefrist, an das BMLFUW übersendet. Da der BMLFUW in diesem Fall nicht im Stande sein wird fristgerecht begründete Zweifel zu äußern, wird der Anlageninhaber - weil im Gesetz nicht geregelt - die Genehmigung zur Übertragung von Zertifikaten erst nach ausdrücklicher Zustimmung des BMLFUW erhalten. So auch Sorgo, zu § 9 Rz 4. Mayerthaler, zu § 9 Rz 10, sieht darin jedoch insofern kein Problem, weil jeder Anlageninhaber bis spätestens 30. April seine Emissionen mit Zertifikaten zu bedecken hat. Dadurch sei der Entscheidungsspielraum des BMLFUW ohnehin limitiert. Dem ist mE jedoch entgegenzuhalten, dass knapp vor Ende der Deckungsfrist ein Ausschluss vom Handel unter Umständen mit erheblichen finanziellen Verlusten für den Anlageninhaber verbunden sein könnte. Vgl Kap. IX. Schwarzer, zu § 9 Rz 14. Eine Meldung ist nach den EB RV dann unrichtig, wenn die Abweichung von der Meldung bei kleinen und mittlere Anlagen mehr als 1% und bei großen mehr als 1.000 t beträgt (RV 400 BlgNR 22. GP, S 7).
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nachträgliche Meldung beim BMLFUW verhindert werden. Die bis zu ihrem Einlangen bereits entstandenen Verfahrenskosten sind mE vom Anlageninhaber zu tragen.
VI. Zuteilung von Emissionszertifikaten Der Nationale Zuteilungsplan bildet als ein Kernstück des EZG den Rahmen für eine Grandwanderung94 zwischen Verwirklichung des Klimaschutzes sowie Sicherung und Erhaltung des Wirtschaftsstandortes Österreich. Die Zuteilung der Emissionszertifikate beruht auf einem auf drei Verwaltungsakten basierenden Verteilungsprozess. Nach der Aufhebung des § 13 Abs 4 EZG95 sowie der Zuteilungsverordnung96 durch den VfGH97 mit Wirkung 31. 12. 200798 - dieser sah als Basis der Zuteilung den vom BMLFUW im Einvernehmen mit dem BMWA und dem BMF (unter Einbeziehung der Anlageninhaber und der Öffentlichkeit) aufgestellten Nationalen Zuteilungsplan vor - reagierte der Gesetzgeber umgehend mit der Neuregelung des Zuteilungsverfahrens99. Nunmehr ist die Ausarbeitung eines Nationalen Zuteilungsplans - ab 2008 jeweils für eine Periode von fünf Jahren - als Entscheidungsgrundlage für die Zuteilung von Emissionszertifikaten durch die Zuteilungsverordnung und in weiterer Folge durch Zuteilungsbescheide - vorgesehen (§ 11 Abs 1 iVm § 13 EZG). Auch nach der neuen Rechtslage stellt der Nationale Allokationsplan einen von der Kommission anzunehmenden100, jedoch nach österreichischem innerstaatlichen Recht nicht bekämpfbaren Rechtsakt dar. In diesem Zusammenhang erscheinen die Gründe für die Aufhebung des § 13 Abs 4 EZG sowie der Zuteilungsverordnung erwähnenswert. Der VfGH stützt sein Urteil nämlich auf die von ihm bereits im Prüfungsbeschluss geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich den Rechtswirkungen des Nationalen Zuteilungsplans als einem von der Verfassung nicht vorgesehenen Rechtsquellentypus, jene der Zuteilungsverordnung - nach Aufhebung des § 13 Abs 4 EZG - auf die mangelnde materiellgesetzliche Determinierung gemäß Art 18 Abs 2 B-VG. 94 95 96 97
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Besonders verdeutlicht wird dies durch die im EZG aufgestellten materiellrechtlichen Kriterien für die Erstellung des Nationalen Zuteilungsplans (§ 11 Abs 2 EZG). BGBl 2004 I/46 idF BGBl 2006 I/34. BGBl 2005 II/18. Siehe zu den (dem Urteil vorangegangenen) Diskussionen über den Rechtscharakter des Nationalen Zuteilungsplanes in der Literatur Oberndorfer/Mayrhofer, 529; Leitl, Die Zuteilung von Emissionszertifikaten, ÖZW 2004, 34 (35). VfGH 11. 10. 2006, G 138-142/05, V 97-101/05-20 G 7/06, V 3/06-16. BGBl 2006 I/171. Näheres zu den Rechten der Kommission bei der Erstellung der nationalen Zuteilungspläne, siehe Art 9 EHRL iVm Anhang III der EHRL. Kernpunkte der Kontrolle durch die Europäische Kommission stellen die Überprüfung der Eignung der nationalen Zuteilungspläne zur Erreichung des Kyoto-Zieles der betreffenden Länder sowie das Bestreben einer möglichen Überallokation von Emissionszertifikaten - zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen - entgegenzuwirken, dar. Als Maßstab für eine eventuelle Abweichung vom Kyoto-Ziel wird, soweit eine nationale Klimastrategie vorhanden ist, diese - im Falle Österreichs, die „Strategie Österreichs zur Erreichung des Kyoto-Ziels“ - herangezogen. Eine Überallokation ist insofern als problematisch anzusehen, da sie den Charakter einer Beihilfe aufweist und so zur Bevorzugung einzelner Marktteilnehmer führen kann. Vgl zur Beihilfenproblematik Reuter/Busch (FN 30), 42 f.
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Unter Berücksichtigung der bei der Erstellung des nationalen Zuteilungsplans erzielten Ermittlungsergebnisse sowie der Vorgaben und Entwicklungen im Rahmen der europäischen Integration zur Erreichung klimapolitischer Zielsetzungen ist die Zuteilungsverordnung gemäß den inhaltlichen Vorgaben des § 13 Abs 2 EZG vom BMLFUW im Einvernehmen mit dem BMWA (§ 13 Abs 1 EZG) zu erlassen. Von der vom VfGH aufgehobenen Regelung unterscheidet sich die nunmehrige somit lediglich dadurch, dass diese nicht mehr explizit an den Nationalen Zuteilungsplan anknüpft, sondern an die bei der Erstellung des nationalen Zuteilungsplanes erzielten Ermittlungsergebnisse. Im Hinblick auf die in Art 9 EHRL iVm Anhang III der EHRL normierten Rechte der Kommission scheint diese vermeintliche Loslösung der Verordnung vom Nationalen Zuteilungsplan jedoch bedenklich und mE inhaltlich weitgehend wirkungslos.
Die konkrete Zuteilung der Emissionszertifikate auf die einzelnen Anlagen erfolgt schließlich amtswegig mittels Bescheid101 des BMLFUW (§13 Abs 3 EZG).
Im Nationalen Zuteilungsplan102 ist die Gesamtmenge103 der zu emittierenden Emissionszertifikate, das Verhältnis dieser Gesamtmenge zu den Emissionen aller anderen Sektoren und die anlagenbezogene Zuteilung der Emissionszertifikate an die Inhaber der Anlagen (§ 11 Abs 1 EZG) festzuhalten. Überdies hat der Nationale Zuteilungsplan die Bildung einer Zertifikatsreserve für Anlagen zu enthalten, deren Inhaber später als 21 Monate vor Beginn der folgenden Periode104 einen vollständigen Antrag auf anlagenrechtliche Genehmigung einbringen und deren Inbetriebnahme voraussichtlich vor dem 101
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Parteienrechte kommen im Bescheiderlassungsverfahren nur dem Anlageninhaber zu. Der Bescheid ist zu begründen. Er kann vom Anlageninhaber wegen zu geringen Zuteilungsmengen beim VfGH oder beim VwGH bekämpft werden. Nicht direkt sondern nur über ein Gesetzes- und Verordnungsprüfverfahren - anfechtbar sind hingegen der Nationale Zuteilungsplan sowie die Zuteilungsverordnung. Wie der VfGH bereits entschieden hat (VfGH 1.10.2005, B 244/05 ua, V 13/05 ua.) scheitert eine direkte Anfechtung seitens der Anlageninhaber an einem Beschwerdegegenstand, da der Nationale Zuteilungsplan ihnen nicht zugestellt wurde. Weiters kommt ihnen auch keine Antragslegitimation nach Art 139 Abs 1 (letzter Satz) B-VG zu. Wie der VfGH unter Verweis auf seine ständige Rechtssprechung (VfSlg. 11.684/1988, 14.297/1995, 15.349/1998, 16.345/2001 und 16.836/2003) ausführt, setzt die Antragslegitimation nach 139 Abs 1 letzter Satz B-VG unter anderem voraus, dass der Rechtschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren ist, als dass ein anderer zumutbarer Weg hierfür nicht zur Verfügung steht. Diese Voraussetzung liege jedoch gerade im Hinblick auf die Beschwerdemöglichkeit gegen den Zuteilungsbescheid nicht vor. Die erste Zuteilungsperiode läuft bereits (2005-2007). Bei der Erhebung der Daten für den Zuteilungsplan der Periode 2008-2012 wurden grundsätzlich die Daten der Emissionsmeldungen von 2002 bis 2005 herangezogen. Näheres zu den bei der Erstellung der Nationalen Zuteilungspläne verwendeten beziehungsweise zu verwendenden Daten siehe § 12a EZG sowie BMLFUW (FN 60). Zentrale Bedeutung kommt dabei der Berücksichtigung des zu erwartenden Wirtschaftswachstums und der damit zusammenhängenden Anzahl an auszugebenen Zertifikaten zu. Der vorläufige Entwurf des Nationalen Zuteilungsplans 2008 - 2012 sieht eine jährliche Ausschüttung von 32,8 Millionen Zertifikaten vor. Davon sollen 8,3 Millionen der E-Wirtschaft zugeteilt werden (siehe BMLFUW (FN 60)). Der Nationale Zuteilungsplan ist spätestens 18 Monate vor Beginn der betreffenden Periode an die Europäische Kommission zu übermitteln (Art 9 Abs 1 letzter Satz EHRL).
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letzten Tag der jeweiligen Periode erfolgt (Neue Marktteilnehmer). Der Reserve sind im Nationalen Zuteilungsplan mindestens 1 % der Gesamtmenge der Emissionszertifikate zuzuteilen105. Problematisch erschien die bisherige Regelung der Reservehaltung, derzufolge Neuen Marktteilnehmern im Einparteienverfahren lediglich im Umfang des Reservebestandes 106, nach dem „first come - first served Prinzip“, Gratiszertifikate zugeteilt wurden. Aus diesem Grund wurde die bisherige Regelung für die Perioden ab 2008 durch eine „flexible Reserve107“ ergänzt108.
Dem BMLFUW steht es ab der Periode 2008 frei, nicht mehr alle Emissionszertifikate (bis zur Erschöpfung der Reserve) kostenlos zuzuteilen (§ 14 Abs 2 EZG)109. Sofern diese Möglichkeit zur „Förderung eines effizienten Marktes für Emissionszertifikate zweckmäßig ist“, kann im zweiten Nationalen Zuteilungsplan110 die Versteigerung von höchstens 10 % - ab 2012 wurde im EZG kein entsprechender Rahmen mehr festgelegt - vorgeschrieben werden. 105
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Im ersten Nationalen Zuteilungsplan (2005-2007) wurden der Reserve 1% der Gesamtmenge an Zertifikaten zugeteilt. Ebenso ist dies für die Reserve der zweiten Periode (2008-2012) vorgesehen (BMLFUW (FN 60)). Verfassungsrechtliche Bedenken dazu äußerte Sorgo, Die Behandlung Neuer Marktteilnehmer nach dem Emissionszertifikategesetz, in: ecolex 2005, 806 (807), da sie im first come - first served Prinzip eine unsachliche Ungleichbehandlung Neuer Marktteilnehmer, die auf Grund der Erschöpfung der Reserve nicht beziehungsweise nur noch teilweise befriedigt wurden, sah. Pflüglmayer, 148 f, gestand hingegen bereits der alten Regelung des first come - first served Prinzips Verfassungskonformität zu. Der Reservebestand setzt sich aus folgenden Zertifikaten zusammen: Durch den Nationalen Zuteilungsplan der Reserve zugeteilte Zertifikate, Zertifikate die Anlagen zugeteilt wurden, welche während der betreffenden Periode jedoch stillgelegt werden (§17 Abs 3 EZG) und bestimmten Anlagen im Nationalen Zuteilungsplan zugeteilten Zertifikaten, die während der Periode nicht in Betrieb genommen werden (§17 Abs 4 EZG). Dadurch ist ein Bestandszuwachs auch während einer Periode möglich. Eine nachträgliche Zuteilung nach Ablehnung des Antrages wegen Erschöpfung - in der ersten Periode (für die Folgenden wurde ja eine flexible Reserve geschaffen) - ist aus diesem Grund denkbar. BGBl 171 I/2006; zu vorangegangenen Ansätzen in der Literatur siehe Mayerthaler, Zertifikatreserve im Emissionshandel, ecolex 2006, 335. Der Antrag auf Zuteilung von Zertifikaten aus der Reserve ist binnen 6 Wochen nach der anlagenrechtlichen Genehmigung beim BMLFUW einzubringen. Verspätet gestellte Anträge sind von diesem zurückzuweisen. Dagegen will Schwarzer, zu § 14 Rz 9, mE jedoch verfehlt, § 14 Abs 2 EZG lediglich einen programmatischen Charakter zugestehen, da es „dem Verordnungsgeber bei der derzeitigen Gesetzeslage verwehrt sei, Versteigerungen von Zertifikaten anzuordnen.“ Er begründet seine Ansicht damit, dass zum einen in der für die inhaltliche Ausgestaltung des Nationalen Zuteilungsplans ausschlaggebenden Norm des § 11 EZG alles auf eine Gratiszuteilung hindeute und es zum anderen an einer ausreichenden, dem Legalitätsprinzip entsprechenden, gesetzlichen Determinierung für die Anordnung und Durchführung von Zertifikatsversteigerungen fehle. Dem ist mE entgegenzuhalten, dass eine Vorschrift nach dem in Lehre und Rechtssprechung völlig unbestrittenen Auslegungsgrundsatz nicht so verstanden werden darf, dass ihr keine Bedeutung mehr zukommt (vgl VfSlg 12939/1991; VwGH 3.12.1992, 92/18/0287; Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, 1994, 118 ff). Im Entwurf zum Nationalen Zuteilungsplan für die Periode 2008 - 2012 ist die Versteigerung von 1,2 Prozent (400.000) der Gesamtmenge vorgesehen (siehe BMLFUW (FN 60)).
Emissionszertifikaterecht
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VII. Emissionszertifikate, Emissionsreduktionseinheiten und Zertifizierte Emissionsreduktionen Ein Emissionszertifikat ist ein Zertifikat, das zur Abgabe von einer Tonne Kohlenstoffdioxidäquivalent in jener Periode, für die es ausgegeben wurde, berechtigt (§ 3 Z 1 EZG). Eine Tonne Kohlenstoffdioxidäquivalent ist eine metrische Tonne Kohlendioxid oder eine nach dem Global Warming Potential (GWP) adäquat schädliche Menge an anderen, in § 3 Z 3 EZG genannten Treibhausgasen (§ 3 Z 6 EZG). Emissionsreduktionseinheiten werden bei der gemeinsamen Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen (Joint Implementation, JI) - welche auf der Bestimmung des Art 6 Abs 1 Kyoto-Protokoll sowie der RL 2004/101/EG111 basieren - durch zwei in unterschiedlichen Annex B Staaten ansässige Projektträger erzeugt. Voraussetzung dafür ist eine dadurch erzielte zusätzliche Reduktion von Emissionen. Zu einer Änderung der Gesamtmenge der Assignated Amount Units112 kommt es dabei nicht, da der Gastgeberstaat, der eine entsprechende Anzahl an Emissionsreduktionseinheiten an den Investorstaat (der diese in weiterer Folge an den finanzierenden Projektträger zu übertragen hat) überweisen muss, in gleicher Höhe Assignated Amount Units stillzulegen hat113. Ausgenommen von Joint Implementation Projekten sind jedoch Anlagen, die selbst am Emissionshandel teilnehmen. Somit sind all jene Anlagen aus EU-Staaten (EU 25) von der Teilnahme ausgeschlossen, die nach Anhang I der EHRL am Emissionshandel teilzunehmen haben. Im Unterschied dazu werden Zertifizierte Emissionsreduktionen durch gemeinsame Projekte zwischen einem Investor eines Annex B Staates und einem Projektträger eines Nicht Annex B Staates (Clean Development Mechanism, CDM114) generiert. Da Nicht Annex B Staaten durch das KyotoProtokoll zu keiner Reduktion ihrer Emissionen verpflichtet wurden, verfügen sie über keine Assignated Amount Units. Aus diesem Grund werden im Zuge des Clean Development Mechanism zusätzliche Emissionszertifikate generiert, womit das strenge Prüfsystem zur Genehmigung von Clean Development Mechanism - Projekten zu erklären ist115. Eine Emissionsreduktionseinheit sowie 111
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Die RL 2004/101/EG soll den EU-Mitgliedstaaten die Nutzung der zwei flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls im Rahmen des Europäischen Handelssystems ermöglichen. AAUs sind Zertifikate, die jedem Annex B Staat im Rahmen seines KyotoMinderungszieles zustehen. Sie dienen dazu ihm die Teilnahme am Emissionshandel gemäß Art 17 Kyoto-Protokoll zu ermöglichen. Sie können nur unter den Annex B Staaten gehandelt werden und stehen - mit Ausnahme der Umwandlung in Emissionsreduktionseinheiten im Zuge der Durchführung von Joint Implementation Projekten - in keinem inneren Zusammenhang mit dem europäischen Emissionshandelssystem. Näheres dazu Knopp/Hoffmann, Das Europäische Emissionsrechtehandelssystem im Kontext der projektbezogenen Mechanismen des Kyoto-Protokolls, EuZW 2005-20, 616 (616 f). Ein solches Vorgehen basiert auf Art 12 Abs 1 Kyoto-Protokoll sowie der RL 2004/101/EG. Dazu Pohlmann, 33 ff. Siehe Knopp/Hoffmann (FN 113), 616 ff; weiterführend: Michaelowa, Clean Development Mechanism und Joint Implementation, in: Lucht/Spangardt (Hrsg), Emissi-
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eine Zertifizierte Emissionsreduktion entspricht - gleich einem Emissionszertifikat - einer Tonne Kohlenstoffdioxidäquivalent116. Emissionszertifikate haben gemäß § 22 EZG - diese Bestimmung wird wohl auch auf Emissionsreduktionseinheiten und zertifizierte Emissionsreduktionen anzuwenden sein117 - den Rechtscharakter einer Ware118 und können an Warenbörsen gehandelt werden.
A. Vergabe von Emissionszertifikaten Die Gesamtmenge der in einer Periode auszuschüttenden Zertifikate wird in Form von jährlichen, aliquoten, im Nationalen Zuteilungsplan, in der Zuteilungsverordnung sowie in den Zuteilungsbescheiden festgelegten, Buchungen auf die Konten der Anlageninhaber übertragen119. Die Buchung hat jeweils bis längstens 28. Februar zu erfolgen. Sie wird auf Veranlassung des BMLFUW über die Registerstelle durchgeführt (§ 17 Abs 1 EZG). Ein Saldo des Vorjahres darf im Zuge dieser Überweisung nicht durch das Einbehalten von Zertifikaten ausgeglichen werden120. Über ausgeschüttete Zertifikate kann der Anlageninhaber frei verfügen121. Sie können sowohl zur
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onshandel, 2005, 137; Lucht, Das Umfeld des Emissionshandels im Überblick, in: Lucht/Spangardt (Hrsg), Emissionshandel, 2005, 1 (16); Jud, Kyoto: Rechtlicher Rahmen für Emissionsreduktion und flexible Mechanismen, ecolex 2004, 500; Österreichisches JI/CDM-Programm, http://www.ji-cdm-austria.at/de/portal/ sterreichischesjicdmprogramm/ (21.09.2006). Annex A. 1. zu Punkt I. J. 2. der Guidelines for the implementation of Article 6 of the Kyoto Protocol (Marrakesh Accords). So auch Schwarzer, zu § 22 Rz 10. Da die EHRL keine diesbezügliche Regelung triff, kann es europaweit jedoch zur Beimessung unterschiedlicher rechtlicher Qualifikationen kommen, die mE dem europaweiten Handel mit Zertifikaten in keiner Weise dienlich sein können. Zu unterschiedlichen Qualifikationsansätzen in der Literatur siehe Fraberger, Bilanzierung und Besteuerung von Kohlendioxid - Emissionszertifikaten - ein alternativer Ansatz, SWK 2003, 1424 (1424 f), der für eine Qualifikation als Inhaberpapiere auftritt und Forstinger/Wagner, Emissionshandel und Aufsichtsrecht, ÖAB 2004, 607, die eine Qualifikation als Warenderivate bevorzugen. Hager, Die bilanzielle Behandlung und Bewertung von Emissionszertifikaten, SWK 2003, W149, hingegen will die Emissionszertifikate - vergleichbar den Rechten zum Abbau von Bodenschätzen als Nutzungsberechtigungen an Sachen qualifizieren. Strack/Solt, 65, hingegen vertreten die Auffassung, dass Emissionszertifikate als immaterielle Wirtschaftsgüter zu behandeln seien. Sorgo, zu § 22 Rz 5, plädiert schließlich für das Abwarten der gesamteuropäischen Entwicklung, da von einer zukünftigen Vereinheitlichung auszugehen sei. Siehe dazu Riedler, Der Handel mit Emissionszertifikaten aus zivilrechtlicher Sicht, RdU 2006, 147 (148 f). Siehe Kap. IX. Vgl Schwarzer, zu § 17 Rz 1. Ausgenommen von dieser Regelung ist der Fall der Stilllegung vor dem Ausschüttungstermin, über die der BMLFUW jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kenntnis gesetzt wurde. Die deshalb noch auf das Konto des Anlageninhabers gebuchten Zertifikate sind zurückzugeben und der Reserve zuzuführen. (Eine gesetzliche Normierung fehlt. Da jedoch Zertifikate von stillgelegten Anlagen in die Reserve fließen, kann kein Grund für eine davon abgehende - systemwidrige - Behandlung der zurückgegebenen Zertifikate erblickt werden.) RV 400 BlgNR 22. GP, S 14.
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Bedeckung der Kohlendioxidemissionen als auch zur Veräußerung am freien Markt verwendet werden.
B. Rückfluss von Emissionszertifikaten an die Reserve Ab dem der Stilllegung einer Anlage folgenden Kalenderjahr sind die im Nationalen Zuteilungsplan dieser Anlage bereits zugewiesenen Zertifikate - außer in den Fällen der Übertragung bzw des Weiterbezugs - bis zum Ende der betreffenden Periode der Reserve zuzuführen (§ 17 Abs 3 EZG). Dasselbe Schicksal trifft Zertifikate, die im Nationalen Zuteilungsplan einer Anlage zugewiesen sind, welche jedoch während der betreffenden Periode nicht in Betrieb genommen wird.
C. Übertragung und Weiterbezug von Emissionszertifikaten Im Falle der Stilllegung einer Anlage stehen Inhabern von Anlagen folgende Möglichkeiten offen, um den Rückfall der für die Periode bereits zugeteilten Emissionszertifikate zu vermeiden122: Zum einen können sie die Übertragung der Zertifikate mittels Bescheid auf eine andere dem EZG unterliegende inländische123 Anlage beim BMLFUW beantragen. Dieser hat dem Antrag Folge zu leisten, wenn die neue Anlage als „Neuer Marktteilnehmer“ zu qualifizieren wäre und die Person des Inhabers beider Anlagen ident ist. Die Obergrenze bilden dabei einerseits die Anzahl der zu übertragenden Zertifikate und andererseits die Zuteilungsgrundsätze des Nationalen Zuteilungsplans. Stehen der neuen Anlage weniger Zertifikate wie der stillgelegten zu, sind die überzähligen der Reserve zuzuleiten. Wählt ein Anlageninhaber diese Option, stehen ihm keine Zertifikate aus der Reserve zu (§ 17 Abs 3 EZG). Zum andern können Inhaber von Anlagen den Weiterbezug beantragen, wenn die stillgelegte Anlage durch eine neue Anlage desselben Inhabers ersetzt wird. Diese Anlage darf jedoch auf Grund eines geringeren Treibhausgasausstoßes nicht dem EZG unterliegen. Im Unterschied zum Übertragungsfall kommt es hier nicht auf die Beibehaltung des Standortes in Österreich124 an. Die gesamte Menge an zugeteilten Zertifikaten der betreffenden Periode kann in diesem Fall bezogen werden.
D. Abgabe von Emissionszertifikaten Inhaber einer nach dem EZG genehmigten sowie einer diesbezüglich nicht genehmigten Anlage sind zur Abgabe von Emissionszertifikaten verpflichtet (§ 18 Abs 1 und 2 EZG). Inhaber von emissionsrechtlich genehmigten Anlagen haben bis spätestens 30. April jeden Jahres Zertifikate im Ausmaß der geprüften Gesamtemissionen des vorangehenden Jahres an den BMLFUW ab-
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Die Antragsvoraussetzungen sind in § 17 Abs 3 EZG geregelt. Schwarzer, zu § 17 Rz 10 EZG. Vgl Schwarzer, zu § 17 Rz 18.
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zugeben125. Inhaber von emissionsrechtlich nicht genehmigten Anlagen haben bis spätestens 30. April des Jahres, das auf die Verhängung des Strafbescheides wegen Betreibung einer EZG-pflichtigen Anlage ohne Genehmigung (§ 27 Abs 1 Z 1 EZG) folgt, Zertifikate für die Zeit, in der die Anlage ohne Genehmigung Treibhausgase emittiert hat, abzugeben. Werden Emissionszertifikate nicht in ausreichender Menge abgegeben, drohen den Anlageninhabern Sanktionszahlungen in Höhe von € 40,- bzw € 100,(ab dem Jahr 2009) pro Tonne Kohlenstoffdioxidäquivalent, die vom BMLFUW über die Registerstelle einzuheben sind. Die eingehobenen Sanktionszahlungen fließen dem österreichischen Joint Implementation / Clean Development Mechanism Programm gemäß den Bestimmungen des Umweltförderungsgesetzes zu. Die von diesen Pönalen betroffenen Inhaber sind weiters auf der Homepage des BMLFUW zu veröffentlichen (§ 28 Abs 5 EZG). Die abgegebenen Zertifikate sind zu löschen. Neben den in Österreich sowie den Mitgliedstaaten der EG ausgegebenen Zertifikaten können auch Zertifikate aus dem EU-Ausland zur Erfüllung der Abgabeverpflichtung verwendet werden. Zertifikate, die in anderen Staaten ausgegeben wurden, können, der Regelung des § 18 Abs 1 iVm § 19 Abs 1 Z 2 EZG zufolge, nur dann zur Erfüllung der innerstaatlichen Abgabeverpflichtung herangezogen werden, wenn der betreffende Drittstaat ein Annex B Staat ist, der das Kyoto-Protokoll ratifiziert hat und überdies mit der Gemeinschaft ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung der Emissionszertifikate geschlossen hat. Da bis dato kein dementsprechendes Abkommen geschlossen wurde, können Zertifikate aus Drittstaaten (noch) nicht zur Abdeckung der Emissionen genutzt werden.
Abgesehen von den eben behandelten Möglichkeiten zur Erfüllung der Verpflichtungen eines Inhabers können seit Einführung des EZG Zertifizierte Emissionsreduktionen und ab der Periode 2008 - 2012 auch Emissionsreduktionseinheiten zur Abdeckung eines im nationalen Zuteilungsplan bestimmten Anteils126 an Emissionen verwendet werden127 (§ 18 Abs 1a EZG).
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Durch höhere Gewalt verursachte Emissionen bleiben insofern außer Betracht, als dass für sie Zertifikate nach § 15 EZG (Höhere Gewalt) bereits während des Kalenderjahres verbucht wurden. Der Grund der prozentmäßigen Begrenzung liegt im Kyoto-Protokoll sowie den Beschlüssen von Marrakesch. Beide verankern die Subsidiarität der flexiblen Mechanismen im Bezug auf die vorrangigen nationalen Maßnahmen. Überdies ist bei der Festlegung einer nationalen, nicht europaweit einheitlich verbindlichen Obergrenze auf jene in den übrigen Mitgliedstaaten Bedacht zu nehmen, um Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen (RV 1147 BlgNR 22. GP, S 7 f). Zur beihilfenrechtlichen Problemstellung siehe Koenig/Braun/Pfromm, Beihilfenrechtliche Probleme des EG-Emissionsrechtehandels, ZWeR 2003-2, 152. Voraussetzung dafür ist die Anerkennung der Joint Implementation und Clean Development Programm-Projekte - deren CER- oder ERU-Einträge auf ein inländisches Konto übertragen werden sollen - durch den BMLFUW (Näheres zu den vom BMLFUW dabei anzuwenden Rechtsvorschriften siehe § 19b EZG). Zur gesetzlichen Ermächtigung des BMLFUW zur Festlegung einer Verwertungsbeschränkung von CERs und ERUs siehe § 18 Abs 1a EZG.
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Ausgenommen von dieser Bestimmung sind Zertifizierte Emissionsreduktionen und Emissionsreduktionseinheiten die aus Nuklearanlagen128 oder aus Senkenprojekten129 stammen. Anders als Emissionszertifikate werden Zertifizierte Emissionsreduktionen und Emissionsreduktionseinheiten, wenn sie von Anlageninhabern zur Deckung ihrer Emissionen verwendet werden, in einem ersten Schritt vom BMLFUW gegen Emissionszertifikate ausgetauscht, welche in einem zweiten Schritt umgehend wieder abzugeben sind. Bis zu ihrer Verwertung können die Emissionsreduktionseinheiten und Zertifizierte Emissionsreduktionen jedoch, übereinstimmend mit dem soeben erläuterten Verfahren gemäß der RL 101/2004/EG in Verbindung mit der Registerverordnung 2216/2004/EG auf Betreiberkonten gehalten werden. Neben der Möglichkeit der Abgabe von Emissionszertifikaten zur Deckung der Emissionen können Zertifikate jeder Zeit auf Antrag ihres Inhabers130 - ohne dass dadurch Emissionen bedeckt werden - gelöscht werden (§ 19 Abs 3 EZG)131.
E. Der Handel mit Emissionszertifikaten Emissionszertifikate sind auf beliebige natürliche und juristische Personen innerhalb der Gemeinschaft sowie in Drittstaaten, sofern mit diesen die gegenseitige Anerkennung der Emissionszertifikate vereinbart wurde, übertragbar (§ 19 Abs 1 EZG)132. Voraussetzung für die Übertragung eines Zertifikats ist die Führung eines Kontos bei der Emission Certificate Registry Austria GmbH (ECRA)133. Die Emission Certificate Registry Austria GmbH wurde von der Umweltbundesamt GmbH und diese wiederum vom BMLFUW mit der Durchführung des österreichischen Registers beauftragt (vgl § 21 EZG).
Unerheblich ist, ob die teilnehmenden Personen eine Anlage betreiben oder aus spekulativen Gründen am Emissionshandel mitwirken. In Österreich sind neben den im Inland ausgegebenen Zertifikaten auch Zertifikate aus anderen Mitgliedstaaten der EU sowie aus Drittstaaten - die im Anhang I des KyotoProtokolls angeführt sind, das Protokoll ratifiziert haben und mit der Gemeinschaft ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung der Emissionszertifikate geschlossen haben134 - übertragbar. 128
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Abweichend von den Vorgaben der EHRL (Art 11a Abs 3 lit a EHRL) sieht das EZG - entsprechend der Staatszielbestimmung eines atomfreien Österreichs (BGBl 1999 I/149) - einen unbefristeten Verzicht auf die Verwertbarkeit von Zertifikaten aus Nuklearanlagen vor (§ 18 Abs 1a EZG). Unter Senkenprojekten sind Projekte der Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft zu verstehen (RV 1147 BlgNR 22 GP, S 21). Zur Aufhebung dieser Beschränkung bedarf es der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen auf Gemeinschaftsrechtsebene. Mit einer solchen ist mE in der Handelsperiode 2008 2012 zu rechnen. Gemeint sein dürfte nach den EB (RV 400 BlgNR 22. GP, S 15) der Kontoinhaber. Von dieser Möglichkeit werden voraussichtlich lediglich Umweltschutzorganisationen Gebrauch machen, die auf diesem Weg eine zwingende Reduktion des Emissionsausstoßes erreichen wollen. Näheres zum Handel mit Emissionszertifikaten siehe Riedler (FN 118), 149 ff; Grünzweig, Zivilrechtliche Fragen des CO2 -Emissionshandels, RdW 2005, 740. Siehe Kap. IX. Siehe Kap. VII. D.
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Emissionszertifikate dürfen in Österreich gemäß § 22 EZG an Warenbörsen gehandelt werden (Carbon Spot Handel). Dieser gesetzlichen Ermächtigung zufolge werden Emissionszertifikate an der Energy Exchange Austria (EXAA) in Form eines „Double Bidding Konzepts“ gehandelt135. Daneben stehen Alternativen wie der Over The Counter Markt oder der Handel an Handelsplattformen136 allen am Emissionshandel beteiligten offen. Für die Positionierung der Anlageninhaber als Käufer oder Verkäufer wird die Zuteilung von Zertifikaten durch den Staat ausschlaggebend sein, da ein Zukauf nur dann interessant sein wird, wenn die Grenzvermeidungskosten pro Tonne Kohlendioxidäquivalent höher als der Marktpreis sind137. Die Transaktion von Emissionszertifikaten wird - auch im Falle eines grenzüberschreitenden Rechtsgeschäfts - mit der Eintragung in das Register138 nach Ablauf der Einspruchsfrist des Zentralverwalters139 rechtswirksam140. Die Eintragung hat nicht zu erfolgen, wenn der Übertragende aufgrund mangelnder Kontodeckung nicht zur Übertragung befugt ist, der Eintragung ein Einspruch des Zentralverwalters entgegensteht oder der übertragungswillige Anlageninhaber mit der Abgabe der seinen Emissionen entsprechenden Menge an Emissionszertifikaten gemäß § 18 EZG in Verzug ist (§ 19 Abs 1 und 2 EZG).
Die steuerrechtliche Behandlung der entgeltlich erworbenen sowie der gratis zugeteilten Emissionszertifikate ist derzeit noch strittig141.
F. Gültigkeit der Emissionszertifikate Da Zertifikate mit „unendlicher“ Laufzeit ein System zum Erstarren bringen können142, normiert das EZG in § 20 Fristen für die Gültigkeitsdauer der Emissionszertifikate. Demzufolge sind Zertifikate nur während der Periode, für die sie ausgegeben werden, gültig. Ein „Borrowing“ - also ein Vorgriff auf Zertifikate, die aus einem zukünftigen Zeitraum stammen - ist somit de lege lata nur innerhalb einer Periode möglich143. Für das „Banking“ - die Mitnahme von überschüssigen Zertifikaten in die folgende Periode - sieht § 20 Abs 2 und 3 EZG jedoch folgendes vor: Vier 135 136 137 138 139 140
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Näheres zum Handel www.exaa.at. Mayerthaler, Einführung Rz 90. Lucht (FN 115), 16. Näheres zum Register siehe Kap. IX. Die Aufgabe des Zentralverwalters ist in Art 20 EHRL geregelt. Zur Besitzanweisung als Modus für den Eigentumserwerb am Emissionszertifikat: Brauneis, Übertragung von und Pfandrechtsbegründung an Emissionszertifikaten, ecolex 2005, 347 (348). Dazu Hofstätter/Hristov/Ressler, CO2-Emissionszertifikate und Umsatzsteuer, ÖStZ 2005, 375; Frey, Bilanzierung von Emissionszertifikaten - status quo!...quo vadis? RWZ 2005, 110; Wiesner/Mayr, Die steuerrechtliche Behandlung von Emissionszertifikaten, RWZ 2004, 69; Reiter, Überbordende internationale Bilanzierungsvorschriften? Vorschlag für eine einfache und für jedermann verständliche Behandlung von Emissionszertifikaten in Österreich, RWZ 2005, 36; Greinecker/Wiesinger/ Wagner, Steuerliche Aspekte der Emissionszertifikate, ecolex 2005, 352; Reiter, Zur Behandlung der Emissionszertifikate nach österreichischem Handelsrecht, RWZ 2004, 68. Mayerthaler, Einführung Rz 44. Schwarzer, zu § 20 Rz 9.
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Monate nach Beginn der nächsten Periode sind die übrig gebliebnen Zertifikate auf Anordnung des BMLFUW zu löschen. Erst ab der zweiten Periode (2008 2012)144 können Emissionszertifikate insofern in die nächste Periode „mitgenommen“ werden, als dass der BMLFUW als Ersatz für die gelöschten Emissionszertifikate Zertifikate in gleicher Menge für die laufende Periode an die Inhaber zu vergeben hat. Folgt man Schwarzer145, so ist das Verbot des Bankings von der ersten in die zweite Periode nur auf in Österreich ausgegebene Emissionszertifikate anwendbar. Auf in anderen Ländern der EU ausgegebene Zertifikate sei diese Regelung deshalb nicht anwendbar, weil dadurch die freie Transferierbarkeit dieser Zertifikate innerhalb der EU beeinträchtigt werden würde.
Zertifizierte Emissionsreduktionen, die sich auf einem Betreiberkonto befinden, können demgegenüber schon von der ersten in die zweite Periode mitgenommen werden.
VIII. Anlagenpools Anlageninhaber aus demselben Tätigkeitsbereich146 steht in der Periode von 2008 - 2012 noch die Möglichkeit offen einem Anlagenpool147 beizutreten148. In diesem Fall wird der fondbetreibende Treuhänder für die Abgabe der Zertifikate, die Verwaltung der Konten der Poolteilnehmer sowie den Handel mit den Zertifikaten verantwortlich. Die Zertifikate werden auch nach Beitritt zu einem Pool den einzelnen Anlageninhabern zugewiesen. Auch die Zuständigkeit für die jährliche Meldung von Emissionen bleibt bei den einzelnen Anlageninhabern149. Verletzt ein Teilnehmer seine Meldepflicht, verliert der Treuhänder die Befugnis zur Übertragung jeglicher Zertifikate. Wird eine zu geringe Anzahl an Zertifikaten vom Treuhänder abgegeben, treffen ihn die im EZG vorgesehenen Sanktionen (§ 28 EZG). Leistet der Treuhänder diese Zahlungen nicht, wird wiederum jeder Anlageninhaber für die Emissionen seiner Anlage verantwortlich. Das Ausscheiden aus einem Pool ist immer nur zu Jahresende möglich.
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Ob die Banking option von der ersten in die zweite Periode von den Mitgliedstaaten innerstaatlich übernommen wird, überlässt die EHRL diesen. Grund dafür, dass diese Option vom österreichischen Gesetzgeber nicht wahr genommen wurde, ist, dass eine Vorbelastung der Kyoto-Periode (2008-2012) durch eine mit dem Banking verbundene, notwendige Umwandlung von Assigned Amount Units in zusätzliche Emissionszertifikate (für vom Banking betroffene Zertifikate) vermieden werden sollte. Dazu Wollansky, Rechte und Pflichten der Emittenten, in: Schwarzer/ Schweinzer (Hrsg), Erfolgreiches Navigieren im Emissionshandel, 2004, 69. Schwarzer, zu § 20 Rz 8. § 2 Abs 1 und 2 EZG. Die Voraussetzungen für die Bildung und den Beitritt zu einem Pool sind in § 16 Abs 1und 2 geregelt. Zu den möglichen Vor- und Nachteilen eines Beitritts zu einem Pool siehe Mayerthaler, zu § 16 Rz 9 ff. Mayerthaler, zu § 16 Rz 2.
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Pirker
IX. Register Voraussetzung für die Verbuchung von Vergabe, Besitz, Übertragung und Löschung von Emissionszertifikaten ist die Führung eines Registers150 durch den BMLFUW151 (§ 21 Abs 1 EZG). Seitens der Anlageninhaber ist die Führung eines Operator Holding Accounts mit 3 Tabellen (Tabelle der geprüften Emissionen, der zurückgegebenen Zertifikate und des Standes der Einhaltung) je genehmigungspflichtiger Anlage Voraussetzung für die Vergabe sowie alle anderen Transaktionen von Emissionszertifikaten. Sie haben innerhalb von 14 Werktagen nach Erhalt der Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen einen entsprechenden Antrag an die Registerstelle zu übermitteln. Andere Personen, die sich - ohne selbst Inhaber von Anlagen zu sein und damit nicht zur Haltung eines Kontos verpflichtet sind - am Emissionshandel beteiligen wollen (Zertifikatshändler), sowie Anlageninhaber - sofern sie Interesse an einem separaten Handelskonto haben - können einen Antrag auf Einrichtung eines Kontos (Person Holding Account) einreichen152.
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Siehe auch Strack/Solt, 87. Das Register ist nicht beim BMLFUW eingerichtet, sondern wird von der Emission Certificate Registry Austria GmbH, die von der Umweltbundesamt GmbH, welche wiederum vom BMLFUW durch die Registerstellenverordnung beauftragt wurde, geführt. Näheres zum Register der Emission Certificate Registry Austria GmbH sowie deren Verknüpfung mit den Registern der übrigen EU-Staaten siehe unter http://www.emissionshandelsregister.at/ (25.10.2006).
Achter Teil: Lenkungsrecht
Stefan Griller/Marcus Klamert
Außenwirtschaftsrecht der EU Rechtsgrundlagen .........................................................................................1100 Grundlegende Literatur.................................................................................1101 I. Grundlagen und Konzeption des Beitrags ............................................1102 II. Die Zuständigkeitsverteilung in der EU ..............................................1104 A. Grundsätzliches ...................................................................................1104 B. Säule I: Gemeinsame Handelspolitik und anderes ..............................1105 1. Ausdrückliche ausschließliche (Außen-)Kompetenz: Gemeinsame Handelspolitik ...........................................................1105 2. Ausdrückliche konkurrierende Außenkompetenzen .......................1107 3. Ausdrückliche ergänzende Außenkompetenzen..............................1108 4. Implizite ausschließliche Außenkompetenzen ................................1108 5. Implizite konkurrierende Außenkompetenzen ................................1109 6. Die Abgrenzung der Außenzuständigkeiten voneinander...............1110 C. Säule II: Außenwirtschaft und Außenpolitik........................................1111 1. Die Ausgangslage............................................................................1111 2. Vom „Vorrang“ zur Exklusivität des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem Unionsrecht? .........................................................1112 D. Österreichisches Außenwirtschaftsrecht .............................................1116 E. Völkerrechtliche Abkommen der EU/EG.............................................1117 1. Abkommen der EU..........................................................................1117 2. Abkommen der EG..........................................................................1118 3. Gemischte Abkommen ....................................................................1120 4. „Cross-pillar-mixity“.......................................................................1122 III. Der völkerrechtliche Rahmen .............................................................1122 A. Grundsätzliches ...................................................................................1122 B. Die EG in der WTO .............................................................................1123 1. Überblick über die im Rahmen der WTO bestehenden Abkommen .....................................................................................1123 2. Bemerkungen zur Reichweite des WTO-Rechts in der EG ............1125 3. Die Kompetenzfrage .......................................................................1126 C. Andere wichtige multi- und bilaterale Rahmenbedingungen und Typologie der Außenwirtschaftsbeziehungen ......................................1128 1. Allgemeines.....................................................................................1128 2. Einteilung nach der Integrationsdichte............................................1129 3. Geographische Einteilung ...............................................................1131 4. Einteilung nach Regelungsumfang und Teilnehmerzahl.................1132 IV. Die Instrumente der Gemeinsamen Handelspolitik ..........................1133 A. Das Zollrecht .......................................................................................1133 B. Mengenmäßige Beschränkungen .........................................................1135
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Griller/Klamert
1. Einfuhrbeschränkungen .................................................................. 1135 2. Ausfuhrbeschränkungen ................................................................. 1138 C. Mengengleiche Beschränkungen ........................................................ 1139 D. Antidumpingrecht ............................................................................... 1141 E. Antisubventionsrecht ........................................................................... 1142 F. Das Neue Gemeinschaftsinstrument.................................................... 1143 G. Ausfuhrförderung................................................................................ 1144 V. Ausgewählte weitere Gemeinschaftspolitiken in außenwirtschaftlicher Perspektive....................................................... 1145 A. Vorbemerkung..................................................................................... 1145 B. Öffentliche Auftragsvergabe ............................................................... 1146 1. Grundlegung ................................................................................... 1146 2. Das Government Procurement Agreement ..................................... 1147 3. Die kompetenzrechtliche Lage ....................................................... 1148 4. Das GPA und die EG-Vergaberichtlinien....................................... 1149 C. Luftverkehrsrecht ................................................................................ 1150 1. „Open Skies“-Abkommen .............................................................. 1150 2. Die Entscheidung Fluggastdaten .................................................... 1152 D. Die Gemeinsame Agrarpolitik ............................................................ 1154 E. Währungspolitik .................................................................................. 1158 1. Allgemeines .................................................................................... 1158 2. Außenbeziehungen ......................................................................... 1159 VI. „Säulenübergreifendes“ Außenwirtschaftsrecht............................... 1161 A. Handelsembargos................................................................................ 1161 B. Güter mit doppeltem Verwendungszweck und Verwandtes................. 1163 1. Ausfuhrregime für Dual-Use-Güter................................................ 1163 2. Ausfuhrregime für „Foltergüter“ .................................................... 1165 C. Die „Helms-Burton-Gegengesetzgebung“ ......................................... 1165 VII. Die Vertretung der EG/EU und der Mitgliedstaaten in Internationalen Wirtschaftsorganisationen ................................. 1167 A. Allgemeines ......................................................................................... 1167 B. Die Vertretung in der WTO einschließlich der Streitbeilegung .......... 1168 C. Die Vertretung in internationalen Finanzorganisationen................... 1171 VIII. Ausblick auf die Verfassung für Europa ........................................ 1172 A. Grundsätzliches................................................................................... 1172 B. Der Versuch der Kompetenzbereinigung ............................................ 1174 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht Vertrag über die Europäische Union - EUV (BGBl III Nr 85/1999 idF BGBl III Nr 4/2003); Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV (BGBl III Nr 86/1999 idF BGBl III Nr 4/2003); Cotonou-Abkommen - 2000/483/EG (Abl L 317 vom 15.12.2000, 3). VO 2913/92/EWG, Abl L 302 vom 19.10.1992, 1; VO 2658/87/EWG, Abl L 256 vom 7.9.1987, 1; VO 980/2005/EG, Abl L 169 vom 30.06.2005, 1; VO 3285/94/EG, Abl L
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349 vom 31.12.1994, 53; VO 519/94/EG, Abl 1994 L 67 vom 10.3.1994, 89; VO 517/94/EG, Abl L 67 vom 10.3.1994, 1; VO 3030/93/EWG, Abl L 275 vom 8.11.1993, 1; VO 520/94/EG, Abl L 66 vom 10.3.1994, 1; VO 404/93/EG, Abl L 47 vom 25.2.1993, 1; VO 2603/69/EWG, Abl L 324 vom 27.12.1969, 25; VO 259/93/EWG, Abl L 30 vom 6.2.1993, 1; VO 2219/89/EWG, Abl L 211 vom 22.7.1989, 4; VO 3911/92/EWG, Abl L 395 vom 31.12.1992, 1; VO 2257/94/EG, Abl L 245 vom 20.9.1994, 6; VO 339/93/EG, Abl L 40 vom 17.2.1993, 1; VO 384/96/EG, Abl L 56 vom 6.3.1996, 1; VO 2026/97/EG, Abl L 288 vom 21.10.1997, 1; VO 3286/94/EG, Abl L 349 vom 31.12.1994, 71; VO 1334/2000/EG, Abl L 159 vom 30.6.2000, 1; VO 1236/2005/EG, Abl L 200 vom 30.7.2005, 1; VO 2271/96, Abl L 309 vom 29.11.1996, 1; VO 1782/2003/EG, Abl L 270 vom 21.10.2003, 1; VO 1698/2005/EG, Abl L 277 vom 21.10.2005, 1; VO 1257/1999/EG, Abl L 160 vom 26.6.1999, 80; VO 1258/1999/EG, Abl L 160 vom 26.6.1999, 103; VO 1260/1999/EG, Abl L 161 vom 26.6.1999, 1; Gemeinsame Aktion 2000/401/GASP, Abl L 159 vom 30.6.2000, 216; Gemeinsamer Standpunkt 2003/468/GASP, Abl L 156 vom 25.6.2003, 79; Gemeinsame Aktion 668/96/GASP, Abl L 309 vom 29.11.1996, 7. Innerstaatliches Recht Außenhandelsgesetz - AußHG 2005 (BGBl I Nr 50/2005); Außenhandelsverordnung AußHVO (BGBl II Nr 121/2006); Sicherheitskontrollgesetz 1991 (BGBl Nr 415/1992 idF BGBl Nr 762/1996 und BGBl I Nr 136/2001); Kriegsmaterialiengesetz (BGBl Nr 540/1977 idF BGBl I Nr 57/2001).
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I. Grundlagen und Konzeption des Beitrags Wenn man „Wirtschaftsrecht“ definiert als Inbegriff der für wirtschaftliche Tätigkeiten besonders bedeutsamen Vorschriften, dann kann als „Außenwirtschaftsrecht“ der für den grenzüberschreitenden Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr besonders bedeutsame Teil der Rechtsordnung bezeichnet werden.1 Eine differenziertere Gliederung dieses Rechtsgebiets lässt sich nach mehreren Gesichtspunkten bilden, die auch miteinander kombiniert werden können: insbesondere nach der allgemeinen Einteilung des Wirtschaftsrechts (Ordnungs-, Lenkungs-, Aufsichtsrecht), nach dem Ursprung der Rechtsnormen (z.B. staatliches, europäisches, weltweites Wirtschaftsrecht), oder nach spezifischen sachlichen Problembereichen (z.B. tarifäre Beschränkungen, mengenmäßige bzw. mengengleiche Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, Wettbewerbsregeln). Im Folgenden wird primär nach dem Ursprung vorgegangen: Behandelt wird das EU-Außenwirtschaftsrecht, aber mit Einbettung in das internatonale Wirtschaftsrecht, wobei die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) einen besonders wichtigen Stellenwert einnimmt. Ferner werden neben der systematisierenden Grundlegung bloß ausgewählte Problembereiche behandelt. Ausgangspunkt der Darstellung ist die komplexe, über Jahrzehnte durch die Judikatur entwickelte Abgrenzung der Zuständigkeiten im „Dreieck“ Mitgliedstaaten - Europäische Gemeinschaft (EG) - Europäische Union (EU). Das Grundproblem in diesem Verhältnis ist einerseits der Konflikt zwischen Mitgliedstaaten und der EU um Kompetenzen, d.h. Handlungsbefugnisse, im besonders sensiblen Bereich der Außenwirtschaft und Außenpolitik, andererseits die Unklarheiten und Komplexitäten der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Gemeinschaft (EG) als supranationale erste Säule der EU und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) als intergovernementale zweite Säule der EU. Das österreichische Außenwirtschaftsrecht ist heute fast ausschließlich gemeinschafts- bzw. WTO-rechtlich geprägt. Vor allem die weit reichende Übertragung der Gemeinsamen Handelspolitik in die ausschließliche Kompetenz der EG (Art. 133 EGV) macht es für ein EU-Mitglied wie Österreich sinnvoller, das Außenwirtschaftsrecht primär aus dem Blickwinkel des Europarechts und nicht aus jenem des nationalen Rechts zu betrachten. Ausführungen zu öster1
Dazu und zum Folgenden Griller, Zur Systembildung im Wirtschaftsrecht, 1989, 11 ff, 34 ff mwN.
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reichischen Rechtsgrundlagen sind im Folgenden deshalb kurz gehalten. Dazu kommt, dass die zentralen verfassungsrechtlichen Ansätze, beginnend schon mit der wesentlichen Kompetenzgrundlage "Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland; Zollwesen" (Art. 10 Abs. 1 Z. 2 B-VG) durch den Beitritt zur EU einen fundamentalen Funktions- und Bedeutungswandel erfahren haben: so weit es um die wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb der EG geht, kommt mit dem Binnenmarktrecht ein ganz anderes Regime zur Anwendung als in den Beziehungen zu Drittländern. Nur das letztere ist Gegenstand dieses Beitrags. Man könnte auch sagen: das österreichische Außenwirtschaftsrecht wurde durch den EU-Beitritt zu einem guten Teil Binnenmarktrecht, und zu einem anderen Teil, nämlich so weit es um die Beziehungen zu Drittländern geht, europäisches Außenwirtschaftsrecht. Was das letztere betrifft hat sich das Schwergewicht des nationalen Rechts in einem Maße, welches über die Binnenmarktbeziehungen noch hinausreicht, hin zur Durchführung und Umsetzung von Gemeinschaftsrecht verlagert. Dennoch führt auch hier die Gemengelage zwischen nationalem, europäischem und internationalem Recht zu zahlreichen schwierigen Abgrenzungs- und Koordinierungsfragen. Angesichts dieser Komplexität und der Fülle des Materials kann es in diesem Beitrag nicht um eine einigermaßen geschlossene Darstellung des Außenwirtschaftsrechts der EU, sondern nur um die Vorstellung der grundlegenden Zusammenhänge und eines System des Außenwirtschaftsrechts der EU sowie darum gehen, besonders wichtige oder für das Gesamtkonzept besonders illustrative Elemente etwas genauer in der Blick zu nehmen. Mit dieser Zielsetzung wird zunächst die besonders komplexe Zuständigkeitsverteilung im Dreieck zwischen EU - EG - Mitgliedstaaten (Österreich) erörtert (II.), gefolgt von einem Abriss des völkerrechtlichen Rahmens einschließlich des aktuellen Geflechts von völkerrechtlichen Abkommen der EG (III.), einer Darstellung der wesentlichsten Instrumente der Gemeinsamen Handelspolitik, eines Kerngebiets des EG-Außenwirtschaftsrechts (IV.), ferner der außenwirtschaftlichen Dimension ausgewählter interner Politikbereiche (V.), und einer Illustration der schwierigen Kompetenzlage durch beispielsweise herausgegriffenes „säulenübergreifendes“ Außenwirtschaftsrecht (VI.). Institutionelle Fragen der Vertretung auf dem internationalen Parkett, nämlich in Internationalen Wirtschaftsorganisationen (VII.) und ein Blick auf die bisher nicht in Kraft getretene Verfassung für Europa (VIII.) runden den Beitrag ab. Zur Terminologie ist auf eine häufig anzutreffende, für diesen Beitrag jedoch passende und unvermeidliche Ungenauigkeit hinzuweisen: Der „Austauschbarkeit“ der Redeweise von der EU und der bzw. den EG. EU und EG sind nach der hier vertretenen Auffassung verschiedene Rechtssubjekte.2 Sie unterscheiden sich auch in den Wirkungen der jeweiligen Rechtsordnung. Während es sich bei den EG um supranationale Organisationen3 mit außerge-
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Das kann hier nicht ausgeführt werden: Näher Griller, Die Europäische Union. Ein staatsrechtliches Monstrum?, in Schuppert/Pernice/Haltern (Hrsg), Europawissenschaft, 2005, 201 (210 ff, 216 ff mwN). Nämlich die Europäische Gemeinschaft (EG, vormals EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG), die beide als EG (Europäische Gemeinschaften) zusam-
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wöhnlichen Wirkungsmechanismen handelt, ist der EUV und das auf seiner Grundlage gesetzte EU-Sekundärrecht vergleichsweise traditionelles Völkerrecht. „Außenwirtschaftsrecht der EU“ meint vor diesem Hintergrund beides: Vorschriften der EG wie auch solche der EU. Es wird zu zeigen sein, dass gerade in der Verflechtung zwischen Außenpolitik und Außenwirtschaft auch zahlreiche übergreifende Elemente bestehen. Dabei dient es auch in diesem Beitrag bisweilen der sprachlichen Vereinfachung, wenn von der EU die Rede ist, selbst wenn gerade Besonderheiten der EG im Blickpunkt sind. Diese Verkürzung erscheint allerdings auch deshalb nicht als geradezu falsch, weil nach den ausdrücklichen Regelungen des EUV die Europäischen Gemeinschaften die „Grundlage der Union sind“,4 und die Union über einen „einheitlichen institutionellen Rahmen“ verfügt,5 der zum größten Teil aus Organen besteht, die von den EG geliehen sind. Die Ziele der Union6 sind zum größten Teil nur durch die Organe der EG und deren Aufgabenwahrnehmung auf der Grundlage des EGV und des EAGV erreichbar. Die Gemeinschaften werden also funktionell für die EU tätig. Dieser Umstand verdeutlicht die Komplexität der aktuellen Konstruktion, rechtfertigt aber zugleich manche Ungenauigkeiten in der Ausdrucksweise.
II. Die Zuständigkeitsverteilung in der EU A. Grundsätzliches Wenn im Folgenden von Zuständigkeiten oder Kompetenzen gesprochen wird, muss nach drei Gesichtspunkten unterschieden werden: Erstens nach der Kompetenzfunktion (intern oder extern), zweitens nach der Kompetenzgrundlage (ausdrücklich oder implizit) und drittens nach der Kompetenzwirkung (ausschließlich, geteilt, konkurrierend, parallel, ergänzend etc). Ganz überwiegend wird diese Einteilung nur für die Kompetenzen der EG verwendet, und ist auf diese zugeschnitten. Zumindest teilweise passen diese Kategorien aber auch auf die EU; deren im Zusammenhang wichtigste Zuständigkeit: Gemeinsame Außen- und Sicherheitspoltik kann als eine besondere Spielart einer konkurrierenden Kompetenz (im Rahmen intergouvernementaler Strukturen) betrachtet werden. Vereinfacht kann folgendermaßen definiert werden: Interne Kompetenzen ermächtigen die Organe zur Rechtssetzung mit Wirkung innerhalb der EU. Meist geschieht dies durch die Instrumente des EG-Rechts wie Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen. Externe Kompetenzen der EU und der EG (auch Außenkompetenzen genannt) hingegen betreffen die Regulierung der Drittlandsbeziehungen. Auch dies kann, vor allem wenn es sich um einseitig ergriffene Maßnahmen handelt, in den erwähnten Formen des Sekundärrechts geschehen. So weit hingegen internationale Kooperation stattfindet, geschieht dies häufig durch den Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen durch die EG (oder die EU) und im Rahmen der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen.
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mengefasst werden, was dieser Abkürzung eine doppelte Bedeutung gibt und manchmal zu Verwirrung führt. Art 1 EUV. Art 3 EUV. Art 2 EUV.
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Ausdrückliche Kompetenzen sind solche, die ausdrücklich im Vertrag vorgesehen sind. Implizite Kompetenzen ergeben sich (nach der Judikatur des EuGH) erschließbar aus dem Vertrag. Ausschließliche Kompetenzen geben der EG (hier tatsächlich nur der EG, ausschließliche Kompetenzen sind der EU fremd) das Recht, eigenständig ohne die Mitgliedstaaten zu handeln. Die mit Abstand wichtigste ist die Gemeinsame Handelpolitik gem. Art. 133 EGV (vor Amsterdam: Art. 113). Ausschließliche Kompetenz bedeutet nach der Meinung des EuGH, dass die Mitgliedstaaten auf den erfassten Gebieten überhaupt keine Zuständigkeiten mehr besitzen. Der Gerichtshof hält es für unakzeptabel, wenn „auf Gemeinschafts- wie auch auf internationaler Ebene neben der Zuständigkeit der Gemeinschaft noch eine parallele Zuständigkeit der Mitgliedstaaten besteht“.7 Das geht so weit, dass grundsätzlich „nationale handelspolitische Maßnahmen nur mit einer besonderen Ermächtigung durch die Kommission zulässig“ sind.8 Da EG-Recht jedoch in der Regel durch die Mitgliedstaaten vollzogen wird (Grundsatz des mittelbaren Vollzugs) bleiben die Mitgliedstaaten jedenfalls verpflichtet, die gemeinsame Handelspolitik durch ihre Organe durchzuführen. Bereiche mit konkurrierenden bzw. geteilten Kompetenzen hingegen unterliegen der Regelungshoheit der Mitgliedstaaten so lange und so weit bis die Gemeinschaft Regelungen getroffen hat. Für Bereiche mit ergänzenden Kompetenzen bleiben die Mitgliedstaaten zuständig, die Gemeinschaft hat jedoch das Recht, ergänzende oder unterstützende Maßnahmen zu erlassen.
Im Detail besteht keine Einigkeit über die Begrifflichkeit und teilweise auch nicht über die genaue Bedeutung der einzelnen Kompetenzkategorien. Politisch entscheidend sind jedoch zwei Aspekte: Eine ausschließliche Zuständigkeit der EG bedeutet die weitgehende Aufgabe der Handlungsmacht der Mitgliedstaaten für einen bestimmten Politikbereich. Andererseits sind die Mitgliedstaaten Herren über die Verträge und damit auch über die Verteilung der Zuständigkeiten (keine Kompetenz-Kompetenz der EU). Die Mitgliedstaaten sind somit in einem permanenten Konflikt zwischen der Übertragung von Handlungsmacht zur Förderung der europäischen Integration und der Wahrung ihrer „Souveränität“. Die verschiedenen Formen der Kompetenzverteilung in der EU sind ein Ausdruck dieses Konfliktes und spiegeln oftmals Versuche der Kompromissfindung wider.
B. Säule I: Gemeinsame Handelspolitik und anderes 1. Ausdrückliche ausschließliche (Außen-)Kompetenz: Gemeinsame Handelspolitik Die in der Praxis, wie erwähnt, bedeutsamste ausschließliche Kompetenz der EG ist die Gemeinsame Handelspolitik (GHP) gemäß Titel IX (Art. 131-134) des EGV.9 Sie ist somit eine der EG ausdrücklich im Vertrag zugewiesene ausschließliche Zuständigkeit, und zwar sowohl für „autonome“ als auch für „konventionelle“, also einseitige oder mit Dritten vereinbarte Maßnahmen. 7 8 9
EuGH, Gutachten 1/75, Lokale Kosten, Slg 1975, 1355 (1363 und 1364); siehe auch EuGH, Gutachten 2/91, ILO-Übereinkommen Nr 170, Slg 1993, I-1061, Rz 8. EuGH, Rs C-70/94, Werner, Slg 1995, I-3189, Rz 12 (mN der Vorjudikatur). Weitere außenwirtschaftlich bedeutsame ausschließliche Gemeinschaftskompetenzen auf der Grundlage der Verträge bestehen auf dem Gebiet der Währungsunion (dazu auch unten V.B) sowie der Fischereipolitik.
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Ausdrücklich ist freilich nur die Kompetenzzuweisung, nicht auch der Charakter der Ausschließlichkeit. Dieser ergab sich erst aus der Judikatur des EuGH bzw. aus späteren Vertragsänderungen.10 Die GHP war bereits in der ursprünglichen Fassung des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) verankert. Sie umfasst nach dem Wortlaut des Artikels insbesondere die Festsetzung von Zöllen, mengenmäßigen Beschränkungen, Antidumpingmaßnahmen, Antisubventionsmaßnahmen, Maßnahmen gegen unfaire Handelspraktiken, Exportförderung und den Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen. Wegen der besonderen Bedeutung werden die Instrumente der GHP in diesem Beitrag etwas genauer dargestellt.11 Der inhaltliche Umfang der Handelspolitik wird jedoch durch den Wortlaut des Art. 133 nicht erschöpfend geklärt. Die im Vertragstext enthaltene Aufzählung ist explizit bloß beispielhaft. Strittig war z.B. lange, ob auch Handelmaßnahmen, die der Verfolgung anderer Ziele wie Umwelt-, Gesundheitsschutz oder Außenpolitik dienen, unter Art. 133 EGV fallen. Der EuGH hat dazu in seiner älteren Rechtsprechung einen sehr weiten Begriff der Handelspolitik vertreten12, diesen jedoch vor allem anlässlich des Abschlusses der Verträge der World Trade Organization (WTO) wieder etwas eingeschränkt.13 Ein weiteres Problem ist, dass versucht wurde, den Anwendungsbereich der GHP14 mit Fortschreiten sowohl der Integration als auch des internationalen Handels und der zunehmenden Bedeutung der WTO den neuen Gegebenheiten anzupassen.15 So stieg, nicht zuletzt durch die technologische Entwicklung neben dem "klassischen" Warenhandel die Bedeutung des Handels mit Dienstleistungen sowie von Immaterialgüterrechten stetig. Jedoch eröffnete erst der Vertrag von Amsterdam 1998 ausdrücklich die Möglichkeit einer Erstreckung der Regeln der GHP auf diese Bereiche, die aber in der Praxis ungenutzt blieb. Im Vertrag von Nizza aus dem Jahr 2000 findet sich eine weitere, sehr komplizierte Neufassung des Art. 133 EGV, die viele Fragen offen lässt.
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Heute ergibt sich insb aus Art 5 EGV (und Z 3 des Protokolls Nr. 30 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit) sowie aus Art 43 lit d EUV unzweifelhaft, dass es „ausschließliche“ Kompetenzen der EG gibt. Für diese gelten die Beschränkungen des Subsidiaritätsprinzips nicht. Außerdem kann auf diesen Gebieten keine verstärkte Zusammenarbeit zwischen einzelnen Mitgliedstaaten etabliert werden. Auch die Währungsunion ist für deren Mitglieder nach hA eine ausschließliche Kompetenz. Terminologisch kommt dies mindestens in Art 106 EGV zum Ausdruck, durch den die Genehmigung der Ausgabe von Banknoten durch die EZB als deren ausschließliches Recht bezeichnet wird. Vgl unten IV. Siehe dazu EuGH, Gutachten 1/78, Internationales NaturkautschukÜbereinkommen, Slg 1979, 2871, Rz 44 und 56. und EuGH, Rs 45/86, Kommission/Rat (Allgemeines Präferenzsystem), Slg 1987, 1493, Rz 18f. Siehe unten III.B. Genauer unten IV. Dazu und zum Folgenden Griller, Die gemeinsame Handelspolitik nach Nizza Ansätze eines neuen Außenwirtschaftsrechts?, in Griller/Hummer (Hrsg), Die EU nach Nizza. Ergebnisse und Perspektiven, 2002, 131.
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Neben der GHP fällt nach überwiegender Auffassung auch die Währungsunion, namentlich die Geldpolitik, für deren Mitglieder in die ausschließliche Zuständigkeit der EG. Hinsichtlich der Außenkompetenzen ist in diesem Zusammenhang Art. 111 EGV besonders einschlägig. Er erlaubt unter anderem den Abschluss von Vereinbarungen in Währungs- und Devisenangelegenheiten einschließlich Wechselkursfestlegungen, aber auch die Festlegung von Orientierungen ohne derartige Vereinbarungen. Etwas komplexer ist die Zuständigkeit der EG zum Abschluss von Assoziationsverträgen einzuordnen.16 Zwar kann nur die EG (und nicht auch die Mitgliedstaaten) solche Abkommen abschließen - insofern ist die Zuständigkeit wohl eine ausschließliche. Die geregelten Inhalte folgen jedoch den für die einzelnen Materien geltenden Kompetenzbestimmungen. Insoweit besteht überwiegend, nämlich vor allem soweit es nicht um Angelegenheiten der GHP geht, eine konkurrierende Kompetenz; die Mitgliedstaaten könnten also durchaus eigene Abkommen abschließen, solange und soweit die EG noch nicht gehandelt hat.
2. Ausdrückliche konkurrierende Außenkompetenzen Der EGV sieht auch ausdrückliche konkurrierende Außenkompetenzen der Gemeinschaft vor, hauptsächlich zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge. So etwa im Bereich Umwelt, wo es den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft erlaubt ist „innerhalb ihrer jeweiligen Befugnisse“ mit Drittstaaten und internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten und auch Verträge abzuschließen.17 Durch den Vertrag von Nizza wurde überdies im Bereich der Gemeinsamen Handelspolitik in Art. 133 Abs. 5-7 EGV eine ausdrückliche konkurrierende Kompetenz (eine Novität in diesem Bereich) geschaffen. Die Ermächtigung gilt für die „Aushandlung und den Abschluss von Abkommen betreffend den Handel mit Dienstleistungen und Handelsaspekte des geistigen Eigentums“, soweit solche Abkommen nicht schon in den Anwendungsbereich der GHP fallen. Den Hintergrund dafür bildet die Rechtsprechung des EuGH, wonach diese Materien bis zum Vertrag von Amsterdam (in Kraft getreten 1999) grundsätzlich nicht unter die GHP fielen, sondern nur hinsichtlich des kleinen Ausschnitts der so genannten grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen und Maßnahmen zum Schutz vor der Einfuhr nachgeahmter Waren in das Zollgebiet.18 Zu beachten ist unter anderem, dass die neue Ermächtigung nur für internationale Abkommen, nicht aber für autonome Maßnahmen gilt. In Bereichen konkurrierender Kompetenz sind die Mitgliedstaaten, im Unterschied zu ausschließlichen Kompetenzen, an der Erlassung eigener Regelungen (hier: im Verhältnis zu Drittstaaten) so lange nicht gehindert, bis die Gemeinschaft selbst aktiv wird. Sobald und soweit dies geschieht, sind die Mit-
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Näher unten bei FN 82. Art 174 Abs 4 EGV. Siehe dazu auch unten im Text bei FN 89.
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gliedstaaten jedoch in ihren Rechtsetzungsaktivitäten auf die Umsetzung und Durchführung von Gemeinschaftsrecht beschränkt.19
3. Ausdrückliche ergänzende Außenkompetenzen Hinsichtlich der Bereiche Forschung und technologische Entwicklung20, Entwicklungszusammenarbeit21, sowie wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit mit Drittländern22 bestimmt der EGV, dass die Gemeinschaft mitgliedstaatliche Aktivitäten auf dem betroffenen Gebiet ergänzt. Das heißt, dass überlappende mitgliedstaatliche Maßnahmen selbst dann nicht ausgeschlossen sind, wenn die Gemeinschaft aktiv geworden ist. Auf all diesen Gebieten erlaubt der Vertrag ausdrücklich auch den Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch die EG. Wie das Verhältnis zwischen mitgliedstaatlichen und EG-rechtlichen Maßnahmen auf diesen Gebieten einzuordnen ist, ist noch nicht geklärt. Insgesamt wird davon auszugehen sein, dass eine Art wechselseitige Rücksichtnahmepflicht besteht. Das unterscheidet die ergänzende Kompetenz von der konkurrierenden, bei der die Gemeinschaft Materien zu Lasten der mitgliedstaatlichen Regelungskompetenz an sich ziehen darf.23
4. Implizite ausschließliche Außenkompetenzen In Bereichen, in denen keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für eine Außenkompetenz besteht, hat der EuGH in einer Serie von Urteilen und Gutachten eine Theorie der impliziten Kompetenzen entwickelt. Drei Fälle, in denen eine ausschließliche externe Zuständigkeit der EG begründet wird, können unterschieden werden: Bereits im Grundsatzurteil AETR, das den Abschluss eines Abkommens im Verkehrsbereich betraf, hielt der Gerichtshof fest, dass „die Mitgliedstaaten (...) keine Pflichten eingehen können, welche Gemeinschaftsrechtsnormen (...) beeinträchtigen oder in ihrer Tragweite ändern können“.24 Wenn die Gemeinschaft somit bereits Sekundärrechtsakte (Verordnungen, Richtlinien) auf der Grundlage von Rechtsangleichungskompetenzen wie Art. 52 (Dienstleistungen), Art. 71 (Verkehr), Art. 95 (allgemeine Rechtsangleichung) oder Art. 175 EGV (Umweltschutz) erlassen hat, ist in dem Maße, in dem solche Vorschrif19
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Soweit die Gemeinschaft eine abschließende Regelung erlassen hat, können die Mitgliedstaaten für den betreffenden Bereich allerdings auch dann nicht mehr tätig werden, wenn ein bestimmter Aspekt sekundärrechtlich nicht abgedeckt ist (vgl zB EuGH, Rs 148/78, Ratti, Slg 1979, 1629, Rz 27). Im Einzelnen ist vieles in der Rsp unklar. Art 164 iVm Art 170 EGV. Art 177 iVm Art 180 und 181 EGV. Art 181a Abs 1 EGV (Fassung Nizza). Ausführlicher dazu Griller, Die gemeinsame Handelspolitik nach Nizza, 142ff. EuGH, Rs 22/70, AETR, Slg 1971, 263 Rz 20/22. Vgl EuGH, Gutachten 1/94, WTOAbkommen, Slg 1994, I-5267, Rz 77. Beeinträchtigung heißt allerdings nicht notwendig Widerspruch. Vielmehr genügt es, wenn das in Aussicht genommene Übereinkommen ein Gebiet betrifft, „das bereits weitgehend von Gemeinschaftsvorschriften erfasst ist, (...) die schrittweise im Hinblick auf eine immer weitergehende Harmonisierung erlassen wurden.“ (EuGH, Gutachten 2/91, ILO-Übereinkommen Nr 170, Slg. 1993, I-1061, Rz 25).
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ten bestehen, die Außenzuständigkeit eine ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeit. Eine ausschließliche EG-Kompetenz entsteht zweitens auch, wenn Sekundärrecht mit Klauseln „über die Behandlung der Angehörigen von Drittstaaten“ oder über eine Zuständigkeit der EG-Organe zu „Verhandlungen mit Drittstaaten“ erlassen wird, „nach Maßgabe des von diesen Rechtsakten erfassten Bereichs“.25 Drittens und nur ganz ausnahmsweise, verschafft eine noch nicht ausgenützte interne Kompetenz der Gemeinschaft (d.h. wenn noch keine Verordnungen oder Richtlinien erlassen wurden) zugleich eine ausschließliche auswärtige Zuständigkeit: Wenn der (interne) Regelungszweck nur unter Einbeziehung von Drittländern erreicht werden kann. Die „Beteiligung der Gemeinschaft an der völkerrechtlichen Vereinbarung“ muss „notwendig sein, um eines der Ziele der Gemeinschaft zu erreichen“.26 Anders formuliert entsteht eine ausschließliche Gemeinschaftskompetenz zum Vertragsabschluss dann, wenn der Abschluss des Abkommens „untrennbar“27 mit der Erlassung interner Maßnahmen verbunden ist, um die angestrebten Ziele zu erreichen. In diesem Fall ist die Gemeinschaft befugt, „die zur Erreichung dieses Ziels erforderlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen einzugehen, auch wenn eine ausdrückliche diesbezügliche Bestimmung fehlt“.28
5. Implizite konkurrierende Außenkompetenzen Die Rechtsprechung des EuGH lässt den Schluss zu, dass eine konkurrierende EG-Kompetenz zum Abschluss von völkerrechtlichen Übereinkünften immer schon dann anzunehmen ist, wenn eine solche Vereinbarung zwar zur Zielerreichung nicht unbedingt erforderlich ist, wenn jedoch die Zielerreichung durch das betreffende Abkommen erleichtert wird. Weitere Voraussetzung ist natürlich, dass nach den ersten beiden unter Punkt 4 genannten Fallgruppen keine ausschließliche Zuständigkeit entstanden ist. Sinngemäß eine gleichartige Ermächtung gilt für die „autonome“ Regelung außenwirtschaftlicher Sachverhalte. Etwas genauer lässt sich Folgendes sagen: Die zitierte Passage des Gutachtens 1/7629 enthält ihrer Fortentwicklung im ILO-Gutachten 2/9130 einen zweifachen Standard der Notwendigkeit. Soweit durch interne Rechtsetzungsermächtigungen unabhängig vom Bestand sekundärrechtlicher Regeln ausschließliche Gemeinschaftskompetenzen zum Vertragsabschluss begründet werden sollen, muss der Abschluss des Abkommens „untrennbar“31 mit der 25 26
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EuGH, Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267, Rz 95. EuGH, Gutachten 1/76, Stilllegungsfonds für die Binnenschifffahrt, Slg 1977, 741, Rz 4. Dies betrifft Fälle wie die Vermeidung der Wasserverschmutzung auf Meeren oder in internationalen Flüssen, oder, wie im „leading case“, Sanierungsmaßnahmen für die Binnenschifffahrt auf einem Fluss wie dem Rhein. EuGH, Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267, Rz 86. EuGH, Gutachten 1/76, Stilllegungsfonds für die Binnenschifffahrt, Slg 1977, 741, Rz 3. Vgl oben FN 26. EuGH, Gutachten 2/91, ILO-Übereinkommen Nr 170, Slg 1993, I-1061. EuGH Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267, Rz 86.
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Erlassung interner Maßnahmen verbunden sein, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Eine bloß konkurrierende Zuständigkeit entsteht demgegenüber immer schon dann, wenn die (interne) Zielerreichung durch das Abkommen erleichtert wird.32 Das ist von einer sog parallelen Kompetenz zu unterscheiden.33 Dabei besteht gleichzeitig Übereinstimmung zu der vom EuGH im WTOGutachten betonten Zuständigkeit der Gemeinschaft, gestützt auf interne (konkurrierende) Rechtsetzungsermächtigungen außenwirtschaftliche Regelungen zu erlassen.34 Die ratio muss dieselbe sein: Eine solche Kompetenz auf der Grundlage interner Ermächtigungen kann nur angenommen werden, wenn die Zielerreichung dadurch erleichtert wird. Ausgewählte Beispiele (Auftragsvergabe, Währungspolitik, Luftverkehr, Agrarpolitik) werden zur Illustration der Vielfalt der denkbaren und praktisch bedeutsamen Konstellationen kurz skizziert.35
6. Die Abgrenzung der Außenzuständigkeiten voneinander Nach der Judikatur gilt im Allgemeinen für die Abgrenzung zwischen mehreren relevanten Kompetenzgrundlagen Folgendes: Verfolgt ein gemeinschaftlicher Rechtsakt zwei Ziele, oder hat er zwei Komponenten, „und lässt sich eine davon als wesentliche oder überwiegende ausmachen, während die andere nur von untergeordneter Bedeutung ist, so ist der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf die, die die wesentliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert …. Ist dargetan, dass mit dem Rechtsakt gleichzeitig mehrere Ziele verfolgt werden, die untrennbar miteinander verbunden sind, ohne dass das eine im Verhältnis zum anderen zweitrangig ist und mittelbaren Charakter hat, so kann ein solcher Rechtsakt ausnahmsweise auf die verschiedenen einschlägigen Rechtsgrundlagen gestützt werden …“36 In diesem Konzept kann insbesondere die GHP auch Angelegenheiten umfassen, die innerhalb der EG auf der Grundlage besonderer Rechtsetzungsermächtigungen, etwa für den Umweltschutz, oder aber für die allgemeine Rechtsangleichung im Binnenmarkt oder die Agrarpolitik, erlassen werden müssen. Nach der Judikatur des EuGH ergibt sich daraus, „dass die Bestimmungen des Vertrages über die Politik im Umweltbereich als Rechtsgrundlage für den Erlass interner Rechtsakte... gewählt worden sind, nicht schon, dass für 32
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Wie hier im Ergebnis Dashwood/Heliskoski, The Classic Authorities Revisited, in Dashwood/Hillion (eds), The General Law of E.C. External Relations, 2000, 3 (insb 14 ff), und insb Dashwood, External Relations Competence, ebendort, 127 ff. Dashwood (S. 136) bemerkt treffend, dass dieser Maßstab kaum von jenem unterschieden ist, der in Art 174 Abs 4 EGV für die Umweltpolitik verankert ist („im Rahmen ihrer ... Befugnisse“). Anderer Meinung ua Eeckhout, External Relations, 99 f, der aus dem Gutachten 1/76 auf die Parallelität von interner und (konkurrierender) externer Kompetenz der EG schließt, offenbar ohne das oben im Text vertretene Kriterium der Erleichterung interner Zielerreichung zu befürworten. Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267, Rz 79 und insb Rz 90 - 94. Vgl dazu auch unten V. D. 1. Siehe unten V. Rs C-491/01, British American Tobacco, Slg 2002, I-11453, Rz 94 mwN.
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die Billigung einer internationalen Übereinkunft mit ähnlichem Gegenstand die gleiche Rechtsgrundlage zu wählen wäre.“37 In etlichen Fällen wird es daher möglich sein, etwa internationale Übereinkommen auf der Grundlage der ausschließlichen Kompetenz für die Gemeinsame Handelspolitik abzuschließen, selbst wenn in dem Übereinkommen gleichzeitig ein anderes Ziel mitverfolgt wird.38 Selbstverständlich kann der skizzierte Gedankengang aber auch zur Anwendung einer anderen Rechtsgrundlage wie etwa des Art. 177 EGV für die Entwicklungszusammenarbeit führen. Dies ist im Wesentlichen auch das Ergebnis des Urteils über das Abkommen mit Indien zur Zulässigkeit von Menschenrechtsklauseln in derartigen Abkommen über die Entwicklungszusammenarbeit.39 Allgemein bedeutet dies, dass vertragliche wie auch unilaterale Maßnahmen in den Außenbeziehungen auf eine Reihe unterschiedlicher Kompetenzgrundlagen gestützt werden können, jeweils gemeinsam oder in Unterordnung zu einer anderen überwiegenden Zielsetzung. Hauptsächlich in Betracht kommen werden naturgemäß vor allem die schon mehrfach erwähnten Bestimmungen über die Gemeinsame Handelspolitik (Art. 133 EGV), aber auch die Entwicklungszusammenarbeit (Art. 177 EGV) sowie die Zusammenarbeit mit Drittländern, die keine Entwicklungsländer sind (Art. 181a EGV). Nicht ganz auszuschließen ist ferner die Anwendung der Lückenschließungsklausel des Art. 308 EGV. Aber auch die primär für den Binnenmarkt geschaffenen Rechtsgrundlagen wie die allgemeine Rechtsangleichungsermächtigung (Art. 95 EGV) oder die Ermächtigungen für einzelne Grundfreiheiten (etwa Art. 47 oder Art. 55 EGV) scheiden nicht gänzlich aus, wie das später noch zu zeigen sein wird.
C. Säule II: Außenwirtschaft und Außenpolitik 1. Die Ausgangslage Eine rechtsverbindliche Koordinierung der Außenpolitik der EU-Staaten gibt es erst seit dem Vertrag von Maastricht (EUV, Ende 1993) im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP jetzt Art. 11 ff EUV). Zuvor war lediglich eine unverbindliche Koordinierung möglich, welche die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unberührt ließ. Modellhaft und stark vereinfachend formuliert: Seit dem Vertrag von Maastricht ist „Außenwirtschaft“ eine Angelegenheit der sog ersten Säule der EU (EG, EAG), und zwar namentlich im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitk (GHP, Art. 133 EGV); „Außenpolitik“ hingegen ist ein Gegenstand der sog zweiten Säule (GASP). Erstere ist supranational, letzere intergouvernemental organisiert. Das bedingt wesentliche Unterschiede vor allem hinsichtlich der zuständigen Organe, der Mehrheitserfordernisse, und der Rechtswirkungen der erlassenen Rechtsakte. Jedoch sind Außenwirtschaft und Außenpolitik insbesondere bei politisch motivierten Maßnahmen kaum trennbar. Das 37 38 39
Rs C-281/01, Kommission/Rat (Energy Star-Abkommen), Slg 2002, I-12049, Rz 46. Freilich kann die Abwägung im Einzelfall auch anders ausfallen, wie etwa das Gutachten 2/00, Protokoll von Cartagena, Slg 2001, I-9713, Rz 20 ff zeigt. Rs C-268/94, Portugal/Rat (Kooperationsabkommen mit Indien), Slg 1996, I-6177, Rz 21ff.
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Modell erlaubt (auch deshalb) keine trennscharfe Orientierung. Im Gegenteil: die Schwierigkeiten in der Praxis sind Legion, und die Abgrenzungsregeln sind andere als die soeben für die erste Säule erörterten. So haben etwa mengenmäßige oder wertmäßige Beschränkungen von Exporten oder Importen bisweilen außen- oder sicherheitspolitische Motive. Diese können von Sanktionsmaßnahmen (wegen der Verletzung völkerrechtlicher Pflichten einschließlich Grundrechten) über die Verhinderung der Verbreitung gefährlicher Kampfstoffe bis zur Reaktion auf handelspolitische Beschränkungen durch Drittstaaten reichen. Für die Zeit bis zum EUV war - angesichts fehlender Befugnisse der EWG für bindende Regelungen auf dem Gebiet der Außenpolitik - bisweilen argumentiert worden, dass außen- und sicherheitspolitische Maßnahmen eines Mitgliedstaates von der Zuständigkeit der EWG im Bereich der Handelspolitik nicht berührt werden. Im Falle eines Widerspruchs würde nationales Recht vorgehen.40 Diese Spannungslage setzt sich unter den heute geltenden Verfassungsbedingungen der EU fort. Es ist bloß ein „dritten Spieler“ dazu gekommen, sodass sich außenwirtschaftliche und außenpolitische Maßnahmen nunmehr im Kooperations- und Spannungsdreieck EU - EG - Mitgliedstaaten abspielt.
2. Vom „Vorrang“ zur Exklusivität des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem Unionsrecht? a) Die Judikatur in der Frühphase der EU Strittig war das Verhältnis zwischen Außenpolitik und Außenwirtschaft z.B. hinsichtlich einer britischen Maßnahme im Zuge des Embargos gegen Serbien und Montenegro auf der Grundlage von Resolutionen des UN-Sicherheitsrats (1992 und 1993).41 Diese Resolutionen waren durch EG-VO 1432/92 umgesetzt worden (somit vor Inkrafttreten des EUV). Darin war unter anderem eine Ausnahme des Embargos für die Ausfuhr von ausschließlich für medizinische Zwecke bestimmten Erzeugnissen und für Lebensmittel vorgesehen. Erforderlich war dafür eine Ausfuhrgenehmigung von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates. Zunächst gestattete die Bank of England die Bezahlung der Lieferungen solcher Medikamente und Lebensmittel auch dann, wenn sie von anderen Mitgliedstaaten (konkret: Italien) genehmigt und von dort aus durchgeführt wurden. Auf Grund von Berichten über Umgehungen der geltenden Regelungen wurden Belastungen serbischer und montenegrinischer Konten bei britischen Banken zur Bezahlung solcher Lieferungen jedoch nur noch dann gestattet, wenn die Waren aus dem Vereinigten Königreich ausgeführt wurden. Gegen das Argument der Unabhängigkeit der nationalen Außen- und Sicherheitspolitik in diesem Fall und damit der Zulässigkeit dieser Beschränkung durch das Vereinigte Königreich wandte der EuGH ein, die Mitgliedstaaten müssten die ihnen vorbehaltenen Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben, im vorliegenden Fall somit der handelspolitischen Maß40
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Siehe auch Artt 296 und 297 EGV, die allerdings nach herrschender Auffassung nicht als Ausnahmevorschriften, sondern als Rechtfertigungsgrundlagen für staatliche Maßnahmen zu qualifizieren sind. Rs C-124/95, Centro-Com, Slg 1997, I-80.
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nahmen der EG.42 Die Maßnahmen des Vereinigten Königreichs qualifizierte der EuGH als an sich zulässige mitgliedstaatliche Ausnahmen (u.a. aus Gründen der öffentlichen Sicherheit) vom Grundsatz, dass Ausfuhren aus der Gemeinschaft keinen Beschränkungen unterworfen sein dürfen.43 Ausnahmen seien jedoch dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn bereits eine Gemeinschaftsregelung entsprechende Maßnahmen vorsieht.44 Die SanktionsVO 1432/92 enthielt nach Auffassung des EuGH solche Maßnahmen (Notifikation der Ausfuhren an den Sanktionsausschuss der UNO und Ausfuhrgenehmigung durch die Behörden des Mitgliedstaaten), weshalb das Erfordernis einer Ausfuhrgenehmigung durch das Vereinigte Königreich auch für Medikamente und Lebensmittel, die aus einem anderen Mitgliedstaat ausgeführt werden, nicht zulässig war.45 Schon zuvor hatte der Gerichtshof, nämlich mit Bezug auf Güter mit doppeltem Verwendungszweck (dual use products), die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können, eher einer instrumentellen Abgrenzung den Vorzug gegenüber einer teleologischen gegeben. Danach kommt es in der Abgrenzung zwischen GHP und GASP primär auf das verwendete Instrument, also etwa eine für den Warenverkehr typische Maßnahme wie ein Ein- oder Ausfuhrverbot oder eine mengenmäßige Beschränkung, und bestenfalls sekundär auf die damit verfolgte Zielsetzung an:46 es könne „eine Maßnahme, die die Verhinderung oder Beschränkung der Ausfuhr bestimmter Güter … bewirkt, dem Bereich der gemeinsamen Handelspolitik nicht mit der Begründung entzogen werden, dass mit ihr außen- und sicherheitspolitische Zwecke verfolgt würden.“47 Der besondere Zweck der Handelspolitik, nämlich eine gemeinsame Politik gegenüber Drittländern, erfordere es, dass ein Mitgliedstaat den Geltungsbereich nicht dadurch einschränken kann, dass er "nach seinen eigenen außen- oder sicherheitspolitischen Bedürfnissen frei bestimmt", ob eine Maßnahme darunter fällt.48 Auch auf dem Boden dieser Judikatur haben die Mitgliedstaaten freilich nicht völlig "ausgespielt". Dies hauptsächlich wegen der Schutzklauseln der Art. 296 und 297 EGV. Diese ermöglichen es den Mitgliedstaaten einerseits, gemeinschaftsrechtliche Ein- und Ausfuhrbeschränkungen unter bestimmten sicherheits- und außenpolitischen Bedingungen nicht zu befolgen. Andererseits
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„So können sie nationale Maßnahmen, die die Verhinderung oder Beschränkung der Ausfuhr bestimmter Güter bewirken, dem Bereich der gemeinsamen Handelspolitik nicht mit der Begründung entziehen, daß mit ihnen außen- oder sicherheitspolitische Zwecke verfolgt würden (...)“. Rs C-124/95, Centro-Com, Slg 1997, I-80, Rz 26. Dazu näher IV.B.2 unten. Rs C-124/95, Centro-Com, Slg 1997, I-80, Rz 46. Rs C-124/95, Centro-Com, Slg 1997, I-80, Rz 48. Die erstgenannte Position hatte hauptsächlich die Kommission, die zweitgenannte insbesondere der Rat vertreten. Vgl dazu und auch zur intensiven Diskussionen im Schrifttum insbesondere Vedder, in Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 17. Ergänzungslieferung, 2001, Art. 133, Rz 41 ff. Rs C-70/94, Werner, Slg 1995, I-3189, Rz 10. Vgl. ähnlich auch Rs C-83/94, Leifer, Slg. 1995, I-3231, 9 ff. Rs C-70/94, Werner, Slg. 1995, I-3189, Rz 11.
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enthalten sie - zumindest wurde diese Auffassung vertreten49 - auch Ermächtigungen für die Mitgliedstaaten, ihrerseits einseitige Beschränkungen gegen Drittstaaten zu verfügen und damit eine Ausnahme von der ausschließlichen Kompetenz der EG auf dem Gebiet der Handelspolitik. Zumindest theoretisch könnte daher sogar ein Mitgliedstaat handelspolitische Instrumente im Interesse der Außenpolitik einsetzen, soweit diese in den in Art. 296 und 297 EGV geschützten Interessen Deckung finden. Insgesamt ergibt sich aus der skizzierten Judikatur: Bereits vor der Einführung der GASP durch den EUV mussten die Mitgliedstaaten auf bestehendes Gemeinschaftsrecht Rücksicht nehmen. Heute bestehen in den Bereichen Außenwirtschaft und Außenpolitik einerseits Zuständigkeiten in der ersten Säule, nämlich der EG, und andererseits, soweit außenpolitische Entscheidungen zur Debatte stehen, auch solche in der zweiten Säule, der GASP. Im Grundsatz besteht nach den zitierten Judikaten ein „Vorrang“ der ersten Säule, und zwar im doppelten Sinn: die Zuständigkeit z.B. zur Beschränkung des Handels mit Kriegsmaterial im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik (GHP) wird nicht dadurch beschränkt oder geschmälert, dass dies zugleich ein außenpolitisch heikles Feld ist. Außerdem müssen Maßnahmen der GASP kohärent mit jenen der EG sein und den gemeinschaftlichen Besitzstand (acquis communautaire) respektieren.50 Dieses Verhältnis ist nur in einer Hinsicht genau umgekehrt: Wirtschaftssanktionen dürfen durch die EG nur nach vorheriger Beschlussfassung in der GASP verhängt werden.51 Die folgenden Ausführungen zeigen allerdings, dass trotz dieser auf den ersten Blick einfachen Vorrangregel die Details des Zusammenspiels zwischen den Säulen komplex und der außenwirtschaftlichen Handlungsfähigkeit der EU nicht zuträglich sind. Nicht vergessen werden darf, dass die Unterschiede zwischen den Säulen vor allem das Verfahren und die Rechtswirkungen betreffen, die handelnden Personen sind häufig dieselben. b) Exklusivität von EG-Kompetenz gegenüber Unionskompetenz? Der EuGH geht inzwischen über den erwähnten „Vorrang“ des EG-Rechts gegenüber dem Unionsrecht - der natürlich vom Vorrang des EG-Rechts gegenüber mitgliedstaatlichem Recht streng zu unterscheiden ist - weit hinaus: er hat mittlerweile wiederholt judiziert, dass der Bestand einer Rechtsgrundlage im EGV die Inanspruchnahme einer Rechtsgrundlage insbesondere in der dritten Säule, also der Bestimmungen über die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZ), ausschließt. Er hält sich für zuständig darüber zu wachen, dass solche Handlungen der dritten Säule "nicht in die Zuständig49
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So etwa von Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen v 6. 4. 1995 im Aufsehen erregenden Fall der Sanktionen Griechenlands gegen Mazedonien, Rs C-120/94, Kommission/Griechenland, Slg 1996, I-1513, insb Rz 44 ff und 61 ff. Der Fall wurde gütlich beigelegt; es kam zu keiner Entscheidung des EuGH. Vgl Art 3 und Art 47 EUV. Art 301 und Art 60 EGV. Auch hier stellen sich komplizierte Abgrenzungsfragen: Die Suspendierung eines Handelsabkommens kann uU ebenfalls als Sanktion qualifiziert werden, bedarf gem Art 300 EGV aber keines vorhergehenden GASP-Aktes. Ähnliches gilt für die etwaige (sanktionsweise) Entziehung von eingeräumten Zollpräferenzen. Näher zu Handelsembargos unten VI.A.
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keiten übergreifen, die die Bestimmungen des EG-Vertrags der Gemeinschaft zuweisen", und demnach zu prüfen, ob ein solcher Rechtsakt "nicht die Zuständigkeit der Gemeinschaft... beeinträchtigt"52 bzw. berührt,53 weil er auf eine Bestimmung des EGV hätte gestützt werden müssen. Von einer solchen Verpflichtung wiederum geht der Gerichtshof auch dann aus, wenn es sich bei der in Rede stehenden Ermächtigung im EGV nicht um eine ausschließliche, sondern um eine konkurrierende Kompetenz handelt. Mit Bezug auf das Umweltstrafrecht hielt der Gerichtshof in diesem Zusammenhang zwar neuerlich fest,54 dass das Strafrecht ebenso wie das Strafprozessrecht grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt. Dies sei aber kein Hindernis, strafrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit der zum Schutz der Umwelt erlassenen Rechtsnormen zu gewährleisten. Der Umstand, dass die Maßnahmen auch auf die Ermächtigung zur Erlassung von Umweltschutzmaßnahmen im EGV55 hätte gestützt werden können, reichte dem Gerichtshof aus, eine Verletzung des Art. 47 EUV festzustellen und den im Rahmen der PJZ erlassenen Rahmenbeschluss für nichtig zu erklären. Nach dieser Judikatur werden der Sache nach die in der ersten Säule bestehenden Zuständigkeiten in Relation zur dritten Säule - man wird aber mangels ersichtlicher Differenzierungskriterien konsequenterweise schließen müssen: genauso in Relation zur GASP - als ausschließliche Zuständigkeiten betrachtet, annäherungsweise ähnlich wie etwa die GHP als ausschließliche Zuständigkeit gegenüber den Mitgliedstaaten wirkt: der Bestand einer Zuständigkeit unter dem EGV, gleichgültig ob in der üblichen Terminologie ausschließlich oder konkurrierend (nämlich in Relation zu den Mitgliedstaaten), schließt die Erlassung der Maßnahme in der zweiten oder dritten Säule aus. Es wäre also für den Bereich der Außenbeziehungen folgende Argumentation vorstellbar. Soweit EG-Kompetenzen (ausschließliche oder konkurrierende) etwa für die Gemeinsame Handelspolitik, die Entwicklungszusammenarbeit, die wirtschaftliche, finanzielle, und technische Zusammenarbeit mit Drittländern, Maßnahmen ermöglichen, wäre es unzulässig, nämlich ein Übergriff in die der Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten, im Rahmen der GASP oder der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen tätig zu werden. So weit diese Auffassung, wie in den referierten Fällen, auch für konkurrierende Kompetenzen unter dem EGV vertreten wird, liegt der Einwand auf der Hand:56 die Mitgliedstaaten werden vor die Alternative gestellt, entweder eine Maßnahme unter dem EGV zu ergreifen, oder auf Koordinationsmechanismen 52 53 54 55 56
So erstmals in der Rs C-170/96, Kommission/Rat (Transit auf Flughäfen), Slg 1998, I-2763, Rz 16 und 17. So der Terminus in Rs C-176/03, Kommission/Rat (Umweltstrafrecht), Slg 2005, I-7879, Rz 40. Rs C-176/03, Kommission/Rat (Umweltstrafrecht), Slg 2005, I-7879, Rz 47 ff. Art 175 EGV. Dazu bereits Griller, Die Unterscheidung von Unionsrecht und Gemeinschaftsrecht nach Amsterdam, in Müller-Graff/Schwarze (Hrsg), Rechtsschutz und Rechtskontrolle nach Amsterdam, Europarecht, Beiheft 1/1999, 45 (59 ff). Für ausschließliche EG-Kompetenzen wie die GHP ist der Standpunkt hingegen konsequent.
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des allgemeinen Völkerrechts auszuweichen, wenn sie auf die Maßnahmen nicht verzichten wollen. Die zweite und dritte Säule wird im Überlappungsbereich „gesperrt“. Die Mitgliedstaaten werden also, sofern eine Maßnahme unter dem EGV unerwünscht ist oder jedenfalls keine Mehrheit findet, aus dem institutionellen Gefüge und dem Rechtsquellenmechanismus des Unionsrechts "hinausgedrängt". Einen Grund dafür nennt der EuGH nicht. Es erscheint sehr zweifelhaft, ob der von Gerichtshof ins Treffen geführte Art. 47 EUV diese Rechtsfolge tragen kann. Die Vermeidung der angedeuteten Konsequenz durch die noch weiterreichende Schlussfolgerung, die Mitgliedstaaten würden auch bei einem "Ausweichen" ins allgemeine Völkerrecht eine Vertragsverletzung des EGV begehen, erscheint hingegen deshalb unvertretbar, weil dies konkurrierende Zuständigkeiten im EGV zu ausschließlichen machen würde. Nur so weit der Gemeinschaft eine ausschließliche Außenzuständigkeit zugewachsen ist, insbesondere auch durch Erlassung von Sekundärrecht gemeinsam mit der noch zu erörternden AETR-Judikatur, wird man dieser Konsequenz auch in Relation zur zweiten und dritten Säule zustimmen können und müssen. Darüber hinaus jedoch, nämlich insbesondere mit Bezug auf konkurrierende Zuständigkeiten der EG, erscheint ein solcher Standpunkt überschließend. Er berücksichtigt zu wenig, dass der „Vergemeinschaftung“ der Außenbeziehungen keineswegs umfassend vorgenommen wurde, und dass die zweite und dritte Säule der EU gerade einen Mittelweg zwischen der usprünglich nationalen Zuständigkeit zur umfassenden EG-Zuständigkeit schaffen wollen: institutionalisierte, aber dennoch intergouvernementale Zusammenarbeit statt Supranationalität. Dieser Mittelweg wird durch die Judiktur im Überlappungsbereich zwischen den Säulen gesperrt, was über den dargestellten „Vorrang“ der ersten Säule hinaus nicht überzeugt.
D. Österreichisches Außenwirtschaftsrecht Das österreichische Außenwirtschaftsrecht besteht im Wesentlichen aus dem Außenhandelsgesetz 200557 (AußHG), der Außenhandelsverordnung58 (AußHVO) zur Durchführung des AußHG und dem Bundesgesetz über die Einrichtung eines Sicherheitskontrollsystems, die Sicherung von Kernmaterial und Anlagen und über die Ausfuhrkontrolle zur Gewährleistung der friedlichen Verwendung der Atomenergie (Sicherheitskontrollgesetz 1991).59 Die Einfuhr und Ausfuhr militärischer Güter regelt das Kriegsmaterialiengesetz.60 Das AußHG und die anderen erwähnten Bestimmungen setzen einerseits internationale Verpflichtungen Österreichs um,61 ergänzen andererseits unmittelbar anwendbares EG- und EU-Recht; im einzelnen ist die Abgrenzung einschließlich Fragen der gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeiten schwierig. 57 58 59 60 61
BGBl I Nr 50/2005. BGBl II Nr121/2006. BGBl Nr 415/1992 idF BGBl Nr 762/1996 und BGBl I Nr 136/2001. BGBl Nr 540/1977, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 57/2001. Etwa das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen, BGBl III 1997, 38.
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Das AußHG etwa sieht Beschränkungen auf Grund völkerrechtlicher Verpflichtungen zur Kontrolle des Transfers von Waffen und waffenrelevanter Technologie vor und schafft innerstaatliche Beschränkungen im Zusammenhang mit Gütern, die als Vorläufersubstanzen für chemische oder biologische Waffen verwendet werden können. Das AußHG normiert flankierende Regelungen (insbesondere Strafbestimmungen) zur Dual-Use-Verordnung62 und Straf- und Überwachungsbestimmungen zu gemeinschaftlichen Embargomaßnahmen63. Schließlich enthält das AußHG Straf- und Überwachungsbestimmungen sowie Bagatellgrenzen für Handelsbeschränkungen nach Art. 133 EGV. Zuständig zur Wahrnehmung der Genehmigungs-, Melde- und Überwachungspflichten nach dem AußHG im strategisch sensiblen Bereich ist der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit.64 Im weiteren Sinn zählen freilich weit mehr gesetzliche Bestimmungen zum Außenwirtschaftsrecht als die soeben erwähnten. Das gilt für zahlreiche materienspezfische Regelungen, etwa für Exportförderungen in der Landwirtschaft, Regelungen des Flugverkehrs oder der öffentlichen Auftragsvergabe, Niederlassungs- und Dienstleistungsverkehr von Kredit- und Finanzinstituten mit Bezug auf Drittländer, uva. Auch hier werden einerseits EG-rechtliche Vorgaben umgesetzt, andererseits beengen EG-rechtliche Schranken den rechtspolitischen Regelungsspielraum. Auf dieses breite Spektrum außenwirtschaftlich relevanter Regelungen kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden.
E. Völkerrechtliche Abkommen der EU/EG 1. Abkommen der EU Seit dem Vertrag von Amsterdam 1998 hat auch die EU die Fähigkeit, internationale Abkommen im Bereich der zweiten (GASP) und der dritten Säule (Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, PJZS) abzuschließen. Das Verfahren dazu ist in Art. 24 EUV geregelt.65 Der Begriff des Abkommens muss (wie auch bei Art. 300 EGV unten) weit verstanden werden und umfasst alle Formen völkervertragsrechtlicher Verpflichtungen, somit Verträge, Konventionen, Abkommen und Memoranda.66 Gemäß Art. 24 EUV ermächtigt der Rat den Vorsitz des Rates (die „Präsidentschaft“, Österreich hatte diese zuletzt in der ersten Jahreshälfte 2006 inne) mit der Aufnahme von Verhandlungen. Der Abschluss erfolgt durch den Rat auf Empfehlung des Vorsitzes mit jenem Abstimmungsmodus, welcher für die korrespondierende interne Maßnahme erforderlich ist (Einstimmigkeit, qualifizierte Mehrheit nach Art. 23 Abs. 2 EUV in der GASP oder nach Art. 34 Abs. 3 EUV in der PJZS).67 Es gilt hier somit der Grundsatz der Parallelität von 62 63 64 65 66 67
Dazu unten VI.B. Dazu unten VI.A. Dazu näher Moestl, Das neue Außenhandelsgesetz 2005, ÖZW 2006, 43, 45f. Art 38 EUV verweist für Abkommen in der dritten Säule auf Art 24 EUV. Eeckhout, External Relations, 170. Näher Regelsberger/Kugelmann in Streinz (Hrsg), EUV/EGV, 2003, Art 24 EUV Rz 10ff.
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internen und externen Kompetenzen. Die Kommission spielt folglich nach dem Vertrag keine Rolle bei Abkommen der EU, ebenso wenig das Europäische Parlament. Abkommen nach Art. 24 EUV werden im Namen der EU und nicht im Namen der Mitgliedstaaten abgeschlossen.68 Mitgliedstaaten, die gemäß Art. 24 Abs. 5 EUV erklären, dass in ihrem Land bestimmte verfassungsrechtliche Vorschriften eingehalten werden müssen, sind durch das betroffene Abkommen nicht gebunden.69 Internationale Abkommen der EU im Bereich der GASP betrafen vor allem Abkommen über Beobachtermissionen in Staaten Südosteuropas70, sowie zuletzt in Aceh, Indonesien.71
2. Abkommen der EG Allgemeine Rechtsgrundlage für das Verfahren betreffend den Abschluss von Abkommen in der ersten Säule ist Art. 300 EGV als lex generalis. Ob und für welche Gegenstände auf dieser Grundlage Abkommen abgeschlossen werden dürfen, bestimmt sich nach der bereits erörterten Kompetenzlage. Sonderverfahrensregeln für einzelne Sachbereiche normieren die Art. 133 EGV (Handelsabkommen), Art. 310 EGV (Assoziierungsabkommen), und Art. 111 EGV (Wechselkurssystem)72. Art. 300 EGV sieht grundsätzlich den folgenden Ablauf vor: Die Kommission legt dem Rat Empfehlungen vor, dieser ermächtigt die Kommission zur Einleitung von Verhandlungen, die Kommission führt die Verhandlungen nach Maßgabe von Richtlinien des Rates, und der Rat trifft die Entscheidung über den Abschluss des Abkommens mit qualifizierter Mehrheit. Das Europäische Parlament hat ein Anhörungsrecht vor Vertragsabschluss durch den Rat. Es muss seine Stellungnahme innerhalb einer vom Rat entsprechend der Dringlichkeit festgelegten Frist abgeben. Der Rat kann den Beschluss jedoch auch bei Unterbleiben der Stellungnahme fassen. Ein Zustimmungsrecht hat das Europäische Parlament nur bei Assoziierungsabkommen, Abkommen, die durch Einführung von Zusammenarbeitsverfahren einen besonderen institutionellen Rahmen schaffen, Abkommen mit erheblichen finanziellen Folgen für die EG und Abkommen, die eine Änderung eines nach dem Mitentscheidungsverfahren angenommenen Rechtsakts „bedingen“. Art. 300 EGV wird grundsätzlich auch auf Handelsabkommen (also in der GHP) angewendet, allerdings gibt es dort einige Abweichungen von den all-
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Eeckhout, External Relations, 183. AA etwa Regelsberger/Kugelmann in Streinz, Art 24 EUV Rz. 2. Dazu näher Eeckhout, External Relations, 183f. Abkommen über European Monitoring Missions (EUMM) wurden abgeschlossen mit Ex-Jugoslawien, FYR Mazedonien, Bosnien und Hezegowina (dort genannt: European Union Police Mission, EUPM) und Albanien. Siehe die Nachweise bei Eeckhout, External Relations, 174 (FN 16). Beschluss 2005/966/GASP über den Abschluss eines Abkommens zwischen der EU und der Schweiz über die Beteiligung der Schweiz an der Beobachtermission der EU in Aceh, Indonesien (Aceh-Beobachtermission - AMM), ABl L 349 vom 31.12.2005, 30. Dazu unten bei FN 284.
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gemeinen Verfahrensregeln:73 Die Kommission legt dem Rat Empfehlungen vor. Dieser ermächtigt die Kommission zur Einleitung74 der erforderlichen Verhandlungen. Die Kommission führt diese Verhandlungen im Einvernehmen mit dem so genannten Art. 133er-Ausschuss, einem aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzten Komitee.75 Der Rat kann der Kommission Richtlinien für diese Verhandlungen erteilen. Das Europäische Parlament ist nicht in das Verfahren eingebunden. In der Praxis wird es trotzdem auch bei Handelsabkommen informiert, und zwar auf der Grundlage einer - rechtlich wohl nicht bindenden - Erklärung des Rates.76 Die Entscheidung über den Abschluss des Abkommens trifft der Rat mit qualifizierter Mehrheit.77 Assoziationsverträge (auch Assoziierungsverträge genannt) werden gemäß Art. 310 EGV iVm. Art. 300 EGV abgeschlossen. Diese gehen über die Regelung von Handelssachen hinaus und regeln z.B. auch Fragen der Entwicklungshilfe, der industriellen Kooperation, der Freizügigkeit von Arbeitnehmern, des Investitionsschutzes etc. Eine Assoziierung im Sinne des Art. 310 EGV bedeutet eine dauerhafte völkerrechtliche Verbindung eines oder mehrerer Drittländer mit der EG, die einer Mitgliedschaft sehr nahe kommen kann. Assoziierungsabkommen können die Vorstufe für einen Beitritt darstellen („Beitrittsassoziierung“)78, als Ersatz für einen solchen dienen („Freihandelsassoziierung“)79, oder die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Staaten der „Dritten Welt“ bezwecken („Entwicklungsassoziierung“)80. Bezüglich Assoziierungsabkommen geht der EuGH von einer Gemeinschaftszuständigkeit „in allen vom EWG-Vertrag erfassten Bereichen“ aus.81 Zumindest soweit die Inhalte eines Assoziationsabkommens über jene eines Handelsabkommens hinausgehen, wird darin aber keine ausschließliche, son-
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Art 133 Abs 3 und Abs 4 und Art 300 EGV. Statt vieler und ausführlicher zum Folgenden Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union I, EL 17, 2001, Art 133 Rz 79ff mwN. In der Fassung von Nizza: „Aufnahme“. In der Fassung von Nizza heißt es zusätzlich: „Die Kommission erstattet dem besonderen Ausschuss regelmäßig Bericht über den Stand der Verhandlungen.“ Sog Luns-Westerterp-Verfahren. Nachweise bei Nettesheim/Duvigneau in Streinz, EUV/EGV, 2003, Art 133 Rz 26. Art 133 Abs 4 iVm Art 300 Abs 1 und 2 EGV. Vgl jedoch das Einstimmigkeitserfordernis in Art 133 Abs 5 UAbs 2 und UAbs 3 EGV. „Europa-Abkommen“ mit den ehemaligen Beitrittskandidaten in Mittel- und Osteuropa; Assoziierungsabkommen mit der Türkei; Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit den Ländern des westlichen Balkan (abgeschlossen mit Kroatien, FYR Mazedonien und Albanien, in Verhandlung mit Bosnien-Hezegowina und Serbien). Siehe dazu und zum Folgenden mit Nachweisen auch unten III.C. EWR-Abkommen zwischen der EU und Island, Liechtenstein und Norwegen. Daneben gibt es noch Assoziierungsabkommen der Gemeinschaft nach Art 182 EGV mit ehemaligen Kolonien von Mitgliedstaaten der EU. ZB Abkommen von Cotonou mit den AKP-Staaten (Staaten des afrikanischen, karibischen und pazifischen Raums. Vgl Martenczuk, Cooperation with Developing and Other Third Countries: Elements of a Community Foreign Policy, in Griller/Weidel (Hrsg), External Economic Relations and Foreign Policy in the European Union, 2002, 385ff, 401f. Rs 12/86, Demirel, Slg 1987, 3719, Rz 9.
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dern nur eine konkurrierende Zuständigkeit zu sehen sein.82 Jedoch dürfte hinsichtlich von Assoziationsabkommen innerhalb des Anwendungsbereichs des Gemeinschaftsrechts kein Zuständigkeitsvorbehalt der Mitgliedstaaten und damit kein Raum für gemeinsame (gemischte) Abkommen bleiben.83
3. Gemischte Abkommen Geteilte Zuständigkeit zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten besteht in jenen Fällen, in denen in Bezug auf ein Abkommen sowohl Gemeinschaftskompetenzen - seien es ausschließliche oder konkurrierende - als auch mitgliedstaatliche Kompetenzen bestehen. In solchen Fällen müssen, jedenfalls soweit nicht entweder die mitgliedstaatlichen Kompetenzen oder die EGKompetenzen nur akzessorisch (also im Vergleich zu dem Hauptzweck des Abkommens nur untergeordnet) sind, Übereinkommen mit Dritten gemeinsam von Mitgliedstaaten und EG als so genannte gemischte Abkommen abgeschlossen werden. Die Hauptmotivation für den Abschluss solcher Abkommen liegt in der Komplexität der Kompetenzverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten. Da vielfach Abkommen mehrere Regelungszwecke verfolgen und dadurch auch mehrere Politikbereiche der Gemeinschaft betreffen, ist die genaue Abgrenzung der Kompetenzen von EG und Mitgliedstaaten oft schwierig. Der Abschluss als gemischtes Abkommen erspart diese Festlegung und vermeidet damit potentielle Dispute zwischen EG und Mitgliedstaaten um Zuständigkeiten. Unterschieden werden gemischte Abkommen etwa danach, ob alle Mitgliedsstaaten neben der EG Vertragsparteien werden (andernfalls so genannte unvollständige gemischte Abkommen) und ob die Beteiligung der Mitgliedstaaten rechtlich erforderlich ist (so genannte „falsche“ gemischte Abkommen).84 Eine wichtige Unterscheidung kann auch nach dem Vorhandensein so genannter Bindungsklauseln getroffen werden. Diese verpflichten die Parteien des Abkommens, und damit auch die EG, zur Offenlegung ihrer Zuständigkeiten für die vom Abkommen geregelten Angelegenheiten, was aus Sicht der anderen Vertragsparteien ein verständliches Anliegen ist. Solche Klauseln
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Ausschließlich ist die Zuständigkeit natürlich insoweit, als keiner der MS und auch die MS gemeinsam niemals die Assoziation Dritter mit der Gemeinschaft vereinbaren können (Art 310 EGV: mit „gemeinsamem Vorgehen und besonderen Verfahren“). Geteilte Zuständigkeit für den Abschluss von Assoziationsabkommen kann daher aus dem Umstand folgen, dass auch Inhalte geregelt werden, die nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen (zB Angelegenheiten der sog zweiten und dritten Säule der EU, also Angelegenheiten der Außen- und Sicherheitspolitik oder der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit). Oftmals könnte die Gemeinschaft ein Abkommen an sich auch alleine abschließen, die Mitgliedstaaten machen jedoch von ihren Kompetenzen Gebrauch, um einen Alleingang der EG zu vermeiden und/oder auf der (außen)politischen Bühne präsent zu sein. Vgl Rosas, The European Union and Mixed Agreements, in Dashwood/ Hillion (Hrsg), The General Law of E.C. External Relations, 2000, 203ff.
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schaffen jedoch bisweilen genau die Situation, die durch den Abschluss als gemischtes Abkommen vermieden werden sollte.85 Die Kategorie der gemischten Abkommen fand sich lange Zeit nicht ausdrücklich im EGV, obwohl die Gemeinschaft bereits eine Vielzahl von Abkommen auf diese Weise abgeschlossen hat, bzw. auf Grund von Gutachten des EuGH abschließen musste.86 Das bedeutendste dieser Gutachten über die Verteilung von Kompetenzen zwischen EG und Mitgliedstaaten betraf den Beitritt der EG zur WTO.87 In diesem stellt der EuGH eine geteilte Kompetenz insbesondere für weite Teile der Sektoren Dienstleistungen und geistiges Eigentum fest, wodurch das WTO-Abkommen nicht mehr von der EG alleine abgeschlossen werden konnte.88 Die rechtliche bzw. teilweise auch nur politische Notwendigkeit des Abschlusses von gemischten Abkommen hat in der Praxis gravierende Auswirkungen auf die Handlungsmöglichkeit sowohl der Gemeinschaft als auch der Mitgliedstaaten als internationale Akteure. Internationale Vertragswerke richten sich nicht nach der internen Kompetenzverteilung in der EU. Die Situation wird dadurch noch verschärft, dass die in Rede stehende Kompetenzzersplitterung nicht nur für den Abschluss der Abkommen, sondern auch für deren Umsetzung in EG- bzw. nationales Recht und für zukünftige Änderungsverhandlungen maßgeblich ist. Die Annahme einer gemischten Kompetenz verlangt, dass sowohl die Gemeinschaft als auch die Mitgliedstaaten agieren und auf internationaler Ebene auftreten, oder, was den letzten Punkt betrifft, zumindest jeweils eine Koordinierung stattzufinden hat. Konsistentes und vor allem rasches Handeln wird durch die Kompetenzzersplitterung daher häufig erschwert bzw. verunmöglicht. Ängste der Mitgliedstaaten um Souveränitätsverluste haben dazu geführt, dass der Vertrag von Nizza in Art. 133 Abs. 6 UAbs. 2 EGV die Kategorie der „gemischten Zuständigkeit“ nun explizit in den Vertrag eingefügt hat im Bereich des Handels mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen, Dienstleistungen im Bereich Bildung sowie in den Bereichen Soziales und Gesundheitswesen. Nach dieser komplexen und im Detail unklaren Regelung sind jedenfalls dann Abkommen sowohl durch die EG als auch die Mitgliedstaaten abzuschließen, wenn Regelungen in den genannten Bereichen erlassen werden, für die intern die Harmonisierungsbefugnis fehlt.89 Dabei handelt es sich nun freilich insofern um einen ganz spezifischen Fall, als der gemischte Abschluss (sowohl durch die EG als auch durch alle Mitgliedstaaten) verpflichtend vorgesehen ist, unabhängig davon, ob die allgemeinen Vertragsabschlussregeln dies gebieten würden oder nicht.
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Ausführlich Pitschas, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten, 2001, 246ff. Vgl Art 300 Abs 6 EGV. EuGH, Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267. Dazu näher unten III.B. Vgl auch oben im Text bei FN 18. Näher Griller, Die gemeinsame Handelspolitk nach Nizza, 173ff.
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4. „Cross-pillar-mixity“ „Cross-pillar-mixity“ bezeichnet internationale Abkommen der EG/EU, welche sowohl Angelegenheiten der ersten Säule als auch Angelegenheiten der zweiten (oder dritten) Säule betreffen. So könnte etwa ein Abkommen mit einem Drittstaat sowohl Handelsfragen (GHP) und Entwicklungszusammenarbeit (Art. 181a EGV) als auch politischen Dialog und die Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen zum Inhalt haben. Abkommen der ersten Säule werden nach dem Verfahren des Art. 300 EGV abgeschlossen, Abkommen in der GASP nach Art. 24 EUV. Die jeweiligen Verfahren sind unterschiedlich, was die Frage aufwirft, ob und wie ein derartiges „säulenübergreifendes“ Abkommen abgeschlossen wird. Es wird argumentiert, dass ein Abkommen unter Befolgung beider Verfahrensregeln abgeschlossen werden könnte, durch einen Ratsbeschluss auf Basis des EUV und einen Ratsbeschluss auf Basis des EG, für jeweils den Bereich des Abkommens, der in diese Zuständigkeit fällt.90 Dafür spricht, dass auch Abkommen in der ersten Säule nach unterschiedlichen Verfahren abgeschlossen werden können, wenn sie auf mehreren Rechtsgrundlagen basieren. Dies ist in der ersten Säule vor allem dann der Fall, wenn für einen Teil eines Abkommens ein einstimmiger Beschluss des Rates, für einen anderen Teil ein Beschluss mit qualifizierter Mehrheit erforderlich ist, bzw. wenn für einen Teil das Parlament eingebunden werden muss, für einen anderen Teil nicht. Die Verhandlungen könnte dann wohl entweder der Ratsvorsitz und die Kommission getrennt für ihre Bereiche, oder aus Praktikabilitätsgründen die Kommission auch für das gesamte Abkommen führen.91
III. Der völkerrechtliche Rahmen A. Grundsätzliches Aus dem Text von Art. 133 EGV erschließt sich, dass zwischen so genannten autonomen, also einseitig von der Gemeinschaft ergriffenen, und konventionellen, also durch völkerrechtliche Bindung bewirkten Maßnahmen unterschieden werden kann. Das gilt nicht nur für die GHP, sondern auch für alle anderen außenwirtschaftlich bedeutsamen Zuständigkeiten wie etwa die Entwicklungszusammenarbeit, die GASP, aber auch drittlandsrelevante Binnenmarktregeln. Angesichts des immer dichter werdender völkerrechtlichen Rahmens sind freilich auch autonome Maßnahmen beinahe schon im Regelfall völkerrechtlich determiniert. Auch einseitige (Schutz- oder Subventions-) Maßnahmen haben vertragliche Bindungen, nicht zuletzt jene in der WTO zu beachten, und Liberalisierungsmaßnahmen auf zollrechtlichem oder sonst für den Handel relevantem Gebiet haben regelmäßig eine völkervertragliche Grundlage. Diese Verdichtung des völkerrechtlichen Rahmens geht, wie schon erwähnt, Hand in Hand mit einer Erweiterung des Regelungsgegenstandes: Längst werden nicht nur der klassische Warenhandel, sondern auch und in zunehmendem Maße 90 91
Eeckhout, External Relations, 184. Beachte die Ausführungen zum „Vorrang“ des EG-Rechts gegenüber dem Unionsrecht oben unter II.C.2b. Derselbe, 174.
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Dienstleistungen und geistiges Eigentum erfasst. Insofern reichen die völkerrechtlichen Bindungen über das Gebiet der GHP weit hinaus. Längst besitzen so gut wie alle Gegenstände des Binnenmarktes auch eine außenwirtschaftliche Dimension.92 Aus der vorhandenen Fülle soll im Folgenden einerseits ein Schlaglicht auf die besonders bedeutsame Verflechtung in der WTO geworfen und andererseits eine Typologie der bestehenden völkervertraglichen Bindungen vorgestellt werden.
B. Die EG in der WTO 1. Überblick über die im Rahmen der WTO bestehenden Abkommen Die seit 1995 bestehende World Trade Organization (WTO)93 hat als internationale Organisation die Umsetzung und Durchführung der in der so genannten Uruguay-Runde erarbeiteten Übereinkommen zur Aufgabe, sowie die Erreichung der in diesen Übereinkommen festgelegten Ziele. Diese Abkommen sind vor allem das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), das General Agreement on Trade in Services (GATS), das Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property (TRIPS) und das Dispute Settlement Understanding (Vereinbarung über die Streitbeilegung, DSU). Weitere Abkommen regeln spezielle Bereiche: So wird im Abkommen über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen (SPS) die Zulässigkeit von Ausnahmen vom GATT zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen näher festgelegt. Das Abkommen über technische Handelshemmnisse (TBT) zielt auf den Abbau protektionistischer Standards und Vorschriften. Neben diesen multilateralen Verträgen, denen ein neues WTO-Mitglied automatisch beitritt, gibt es im Rahmen der WTO auch plurilaterale Verträge wie das Abkommen über das öffentliche Auftragswesen (Agreement on Governement Procurement, GPA), welche nicht alle WTO-Staaten abgeschlossen haben.94 Die zentrale Zielsetzung der WTO ist getragen von der Überzeugung, durch den Abbau von Handelshemmnissen zu einer optimalen Ressourcennutzung beizutragen und somit eine Steigerung des Lebensstandards wie auch eine nachhaltigere Entwicklung zu bewirken. Außerdem bietet die WTO Rahmen und Plattform für Verhandlungen in Hinblick auf eine weitere Intensivierung der multilateralen Handelsbeziehungen. Das GATT regelt die Abschaffung von nichttarifären Handelshemmnissen (mengenmäßige Beschränkungen) bzw Umwandlung dieser in tarifäre Hemmnisse („Tarifisierung“) im Warenhandel. Die tarifären Hemmnisse wiederum werden zum Gegenstand von Verhandlungen über Zollsenkungen 92 93
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Grundlegend zu diesem Thema Eeckhout, The European Internal Market, 1994. Vergleiche die Kundmachung sowohl des Genehmigungsbeschlusses des Rates als auch des WTO-Abkommens samt allen multilateralen und plurilateralen Abkommen im ABl Nr 1994/L 336/1. Ausführliche Darstellung etwa bei Van den Bosche, The Law and Policy of the World Trade Organization, 2005; Matsushita/Schoenbaum/Mavroidis, The World Trade Organization, 2. Aufl 2006; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, 2003.
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gemacht. Art. XI GATT beinhaltet ein generelles Verbot mengenmäßigen Beschränkungen von Importen und Exporten. Lediglich Zölle, Steuern und andere bei Grenzübertritt erhobene Gebühren sind nach dem GATT gestattet. Nach der sog. Meistbegünstigungsklausel, der zentralen Vorschrift des Vertrages (Art. I GATT), ist jedes WTO-Mitglied verpflichtet, jedem anderen Mitglied die gleichen Vorteile für gleichartige Waren („like products“) in Bezug auf Zölle und Gebühren zu gewähren, die es dem ihm gegenüber am besten gestellten Land gewährt (auch wenn dieses nicht WTO Mitglied ist). Art. II GATT bestimmt, dass die in den Anhängen zum GATT 1947 enthaltenen Zollzugeständnisse der einzelnen Mitglieder zum WTO-Vertragsinhalt werden. Dadurch werden bindende und vor allem rechtlich durchsetzbare Zollobergrenzen für bestimmte Produkte festgelegt. Im Zusammenhang mit der Meistbegünstigung ergeben sich so umfassende Vergünstigungen für sämtliche WTO-Mitglieder, da die zum Teil bilateralen Zugeständnisse nach Art. I GATT - wie oben erwähnt unverzüglich und bedingungslos auch den anderen Mitgliedstaaten gewährt werden müssen. Nach Art. III GATT verpflichten sich die Mitgliedstaaten, Binnensteuern und andere Belastungen, die für heimische und importierte Waren gelten, nicht in einer Weise anzuwenden, die die heimische Erzeugung schützt. Gleiches gilt auch für Gesetze, Vorschriften und Erfordernisse, die das Angebot, den Einkauf, den Transport, die Verteilung oder Verwendung von Waren betreffen. Es soll also im Rahmen des GATT nicht nur der Grenzübertritt nichtdiskriminierend ausgestaltet werden, sondern auch eine Gleichbehandlung der ausländischen Waren mit den inländischen erreicht werden. Das GATS regelt die Liberalisierung im Dienstleistungssektor. Liberalisierungszugeständnisse erfolgen dadurch, dass ein Staat alle Dienstleistungen, die er den Regelungen des GATS unterwerfen möchte, in Listen zusammenfasst. In diesen Listen werden auch die Bedingungen vermerkt, zu denen der betreffende Staat Dienstleistungen dem GATS unterwirft. Die Hauptpflichten des GATS, nämlich Marktzugang und Inländergleichbehandlung, gelten nur für diejenigen Sektoren, die ein Land konkret in die (positiven) Verpflichtungslisten aufgenommen hat (so genannte gebundene Dienstleistung). Dies aber auch nur insoweit als dafür keine Beschränkungen gemacht worden sind. Art. VI GATS verlangt, dass Regelungen, die den Handel mit Dienstleistungen betreffen, derart ausgestaltet sein müssen, dass sie keine unnötigen Handelshindernisse darstellen, und dass auf transparente und objektive Kriterien abgestellt werden muss. Dies betrifft vor allem Qualifikations- und Genehmigungserfordernisse. Außerdem gilt auch im GATS eine Meistbegünstigungsklausel (Art. II), die aber anders als im GATT auch teilweise abbedungen werden kann. Das TRIPS regelt den Schutz des geistigen Eigentums in den Bereichen des Urheber-, Patent-, Marken- und Musterschutzrechtes. Ausgangspunkt für die Anwendbarkeit des TRIPS ist nicht wie beim GATT das Ursprungsprinzip, also die Herkunft der Ware, sondern die Herkunft des Schutzrechtsinhabers. Neben allgemeinen Vorschriften wie Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung enthält das TRIPS Mindeststandards, denen die jeweiligen nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten genügen müssen. Darüber hinaus stellt das TRIPS Anforderungen an effektive Durchsetzungsmechanismen für Immaterialgüterrechte in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Das TRIPS enthält
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insofern also eine Mindestharmonisierung des Schutzrechts für geistiges Eigentum.
2. Bemerkungen zur Reichweite des WTO-Rechts in der EG In seinem Regelungsgegenstand reicht das WTO-Recht somit über ein klassisches Handelsabkommen weit hinaus und berührt - etwa im TBT-Abkommen, im SPS-Abkommen, oder im plurilateralen Übereinkommen über das öffentliche Auftragswesen - Angelegenheiten des Binnenmarktes bzw. einer Wirtschaftsunion.95 In seiner Durchsetzbarkeit übertrifft das WTO-Recht mit seinem Streitbeilegungsverfahren alle früheren multilateralen Wirtschaftsabkommen.96 Nicht zuletzt in diesem Streitbeilegungsverfahren hat sich in den ersten 10 Jahren des Bestehens (und knapp 400 Verfahren) die sachliche Breite des Anwendungsbereichs deutlich gezeigt.97 Ganz überwiegend hält sich die EG auch dann an Streitentscheidungen, wenn sie das Verfahren verloren hat. Die beiden spektakulären Fälle, in denen dies nicht geschah, täuschen insofern. Sie zeigen gleichzeitig das Spektrum der WTO-rechtlichen Bindungen. Im sogenannten Bananenfall98 unterlag die Gemeinschaft mit einer diskriminierenden Importregelung, die einerseits EG-Importeure und -händler gegenüber allen anderen, und andererseits Lieferanten in den AKP-Ländern gegenüber solchen aus anderen Drittländern bevorzugte. Mehr als ein Jahrzehnt lang zog die Gemeinschaft Strafzölle der Einhaltung der Streitentscheidungen vor, bis es zu einer Einigung mit den obsiegenden Ländern kam. Man kann hier von einem in der Sache klassischen Handelskonflikt sprechen, der aber sehr früh das grundsätzliche Funktionieren der WTO-Streitschlichtungsmechanismen auf die Probe stellte und dadurch - im Zusammenwirken mit ähnlichem Verhalten insbesondere der USA - eine eminent politische Bedeutung erhielt. Im Hormonfall99 wiederum, der hauptsächlich auf der Ebene des SPSAbkommens zu Ungunsten der EG entschieden wurde, weigerte sich die Gemeinschaft - und weigert sich nach Vorliegen neuer Gutachten immer noch hormonbehandeltes Fleisch zur Vermarktung im Binnenmarkt zuzulassen. Dem Grundsatz nach entspricht das angegriffene Importverbot dem internen Vermarktungsverbot. Dies ist somit ein Fall, der die Schranken der rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit über klassische Handelsschranken hinaus deutlich werden ließ, wie sie in den WTO-Abkommen grundgelegt sind. Möglich werden solche "Ausreißer" durch die ständige, umstrittene Judikatur des EuGH, wonach WTO-Recht zwar einen Bestandteil des Gemeinschafts95 96 97
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Zum Versuch einer Klassifikation siehe unten III. C. Dazu näher unten Kapitel VII.B. Einige Zahlen und Einschätzungen dazu bei Cottier, Die EU als Akteurin auf der Welthandelsebene: Erfahrungen und Herausforderungen, in Müller-Graff (Hrsg), Die Rolle der erweiterten Europäischen Union in der Welt, 2006, 115 (123 ff). Vgl dazu Breuss/Griller/Vranes (Hrsg), The Banana Dispute. An Economic and Legal Analysis, 2003. Vgl dazu etwa Gamharter, Hormonfleisch unerwünscht!, in Lachmayer/Stöger (Hrsg), Casebook Europarecht, 2005, 220; Weiß, Zur Haftung der EG für die Verletzung des WTO-Rechts, Europarecht 2005, 277.
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rechts bildet,100 aber in der EG nicht gerichtlich durchsetzbar ist.101 Die Anpassung an WTO-rechtliche Pflichten erfordert daher im Regelfall Umsetzungsmaßnahmen durch Sekundärrecht. Ausnahmsweise allerdings geht die Durchsetzbarkeit nach der Judikatur darüber hinaus. Denn es ist erstens denkbar, das Gebot WTO-konformer Interpretation insbesondere von Sekundärrecht geltend zu machen.102 Zweitens unterliegen allenfalls rechtswidrige Bestimmungen sekundärrechtlicher Maßnahmen einer gerichtlichen Überprüfung am Maßstab des WTO-Rechts, soweit sie in der Absicht erlassen wurden, eine WTO-Verpflichtung umzusetzen.103 Diese Absicht erscheint etwa im Fall der AntidumpingVO und der AntisubventionsVO einigermaßen unbestreitbar zu sein.104 Besser steht es mit der Durchsetzbarkeit des WTO Rechts nicht gegenüber der EG, sondern gegenüber Drittstaaten. Diesbezüglich gewährt das sogenannte Neue Gemeinschaftsinstrument einen Rechtsanspruch auf die Ausnützung des Streitbeilegungsmechanismus der WTO.105
3. Die Kompetenzfrage Aus Anlass des Abschlusses der WTO-Abkommen, die neben dem Warenhandel vor allem auch den Handel mit Dienstleistungen und den Schutz geistigen Eigentums erfassen, holte die Kommission vom EuGH gemäß Art. 300 Abs. 6 EGV ein Gutachten ein, um zu klären, ob der EG ausschließliche Kompetenz zum Abschluss dieser Abkommen zukomme.106 Die Kommission hatte die ausschließliche Zuständigkeit der EG zum Abschluss der WTO-Abkommen, nicht nur hinsichtlich des GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) sondern auch hinsichtlich des GATS (General Agreement on Trade in Services) und des TRIPS (Trade-Related Aspects of Intellectual Property) unter anderem auf der Grundlage des Art. 133 EGV [damals: Art. 113 EGV] bean100
Rs 181/73, Haegeman, Slg 1974, 449, Rs 104/81, Kupferberg, Slg 1982, 3641. Beginnend mit Rs C-149/96, Portugal/Rat (Vereinbarung mit Pakistan und Indien), Slg 1999, I-8395. Zur literarischen Auseinandersetzung statt vieler einerseits, die Grundposition des EuGH bejahend, etwa Eeckhout, External Relations, 292 ff, sie ablehnend hingegen Griller, Enforcement and Implementation of WTO Law in the European Union, in Breuss/Griller/Vranes (Hrsg), The Banana Dispute, 2003, 248 (273 ff), jeweils mwN. 102 Vgl dazu grundsätzlich Rs C-53/96, Hermès, Slg 1998, I-3603, Rz 28; Rs C-89/99, Schieving-Nijstad vof, Slg 2001, I-5851, Rz 35. 103 Rs C-149/96, Portugal/Rat (Vereinbarung mit Pakistan und Indien), Slg 1999, I-8395, Rz 49; im Antidumpingrecht hat dies - allerdings über den Umweg der WTO-konformen Interpretation der Grundverordnung - bereits stattgefunden: Rs C-76/00, P Petrotub SA und Republica SA, Slg. 2003, I-79, Rz 49 - 64. Im Allgemeinen wird diese Klausel vom EuGH in der jüngeren Vergangenheit allerdings sehr restriktiv interpretiert. Insbesondere im Bananenstreit war dies der Fall: vgl näher Griller, Enforcement and Implementation of WTO Law, 262 ff mwN. 104 Vgl die Erwägungsgründe 3 ff der AntisubventionsVO 2026/1997/EG, insb Grund 7: „Angesichts des Umfangs der durch die neuen Übereinkommen herbeigeführten Änderungen sollten zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen und transparenten Anwendung der neuen Regeln die Bestimmungen der neuen Übereinkommen so weit wie möglich in das Gemeinschaftsrecht übernommen werden.“ 105 Näher unten IV. F. 106 EuGH, Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267. 101
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sprucht. Der EuGH hatte somit zu prüfen, ob auch Maßnahmen betreffend Dienstleistungen und Handelsaspekte des geistigen Eigentums in den Anwendungsbereich der GHP fallen. In den Handelsbeziehungen der Industrieländer hatte der Austausch von Dienstleistungen zu diesem Zeitpunkt die Bedeutung des Warenverkehrs bereits überstiegen. Angesichts der dynamischen Betrachtungsweise, die der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung zeigte, schien es nicht unwahrscheinlich, dass der EuGH diese Entwicklungen berücksichtigen und die Anwendung des Art. 133 EGV auf Dienstleistungen bejahen würde.107 Der Gerichtshof ging jedoch einen anderen Weg. Er prüfte, ob die generelle Systematik des EGV es erlaube, die im GATS definierten Arten der Dienstleistungen unter die GHP einzuordnen und kam dabei zu dem Ergebnis, dass nur die „grenzüberschreitende Erbringung“ von Dienstleistungen in den Anwendungsbereich des Art. 133 EGV fällt. Die weiteren drei vom GATS geregelten Arten der Leistungserbringung (Auslandserbringung, gewerbliche Niederlassung und Niederlassung natürlicher Personen)108 implizieren das Überschreiten der Außengrenzen durch Personen. Da der EGV neben der GHP ein eigenes Kapitel betreffend die Einreise und den Personenverkehr beinhalte, können diese Formen der Dienstleistung nicht zur Materie der GHP gehören.109 Das WTO-Abkommen, sowie andere Abkommen, die (auch) Dienstleistungsangelegenheiten und Fragen des geistigen Eigentums enthielten, wurden somit von der EG und den Mitgliedstaaten gemeinsam als gemischte Abkommen abgeschlossen. Durch den Vertrag von Nizza im Jahr 2000 wurde zwar klargestellt, dass auch Dienstleistungen und Handelsaspekte des geistigen Eigentums unter Art. 133 EGV fallen. Allerdings wurde der Gemeinschaft für diese Bereiche ausdrücklich nur eine konkurrierende und keine ausschließliche Kompetenz eingeräumt.110 Damit wurde zwar der Anwendungsbereich des Art. 133 EGV ausgedehnt, jedoch führt dies nicht zu einer Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen insgesamt, da nachgewiesen werden kann, dass in diesen Bereichen bereits zuvor eine implizite konkurrierende Kompetenz der Gemeinschaft bestand hatte. Theoretisch hätten die WTO-Abkommen somit auf Grund der Rechtslage vor dem Vertrag von Nizza auch durch die EG allein abgeschlos107 108
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Vgl oben bei FN 12. Der Begriff der „Dienstleistung“ nach dem GATS ist insofern weiter als jener nach dem EGV und umfasst auch Vorgänge, die in diesem als Errichtung von Niederlassungen und/oder als Investitionen, die der Kapitalverkehrsfreiheit unterliegen, zu qualifizieren sind. Vgl EuGH, Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267, Rz 42ff. Art 133 Abs 5 UAbs 4 spricht sehr deutlich für eine (bloß) konkurrierende Kompetenz der EG auf den erfassten Gebieten - und schafft insofern einen etwas verwirrenden „Fremdkörper“ in der GHP, die bis Nizza eine ausschließliche Kompetenz war, die jetzt durch eine konkurrierende ergänzt wurde. Die weiter bestehenden Rechte der Mitgliedstaaten zum Kontrahieren mit Drittstaaten und internationalen Organisationen stehen nur unter der Anforderung der Einhaltung der „gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ sowie der „anderen einschlägigen internationalen Abkommen“. Näher Griller, Europarechtliche Grundfragen der Mitgliedschaft in der WTO, in Köck/Lengauer/Ress (Hrsg), Europarecht im Zeitalter der Globalisierung, 2004, 85f.
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sen werden können.111 Auf dem Boden des Vertrags von Nizza hingegen wäre dies wegen der besonderen Beschränkungen für Dienstleistungen gemäß Art. 133 Abs. 6 EGV nicht möglich gewesen. Diese Rechtslage ist nicht bloß historisch von Interesse: sie wirkt auf eventuelle Vertragsänderungen ebenso fort wie auf die Zuständigkeit in allfälligen Streitbeilegungsverfahren vor der WTO.
C. Andere wichtige multi- und bilaterale Rahmenbedingungen und Typologie der Außenwirtschaftsbeziehungen 1. Allgemeines Die EG ist - teilweise, wie erwähnt, neben den Mitgliedstaaten - Vertragspartei einer Vielzahl multi- und bilateraler Handelsabkommen mit fast allen Staaten bzw. Regionen der Welt. Eine auch nur grobe Typologisierung ist schwierig, da die dadurch begründeten Wirtschaftsbeziehungen sehr unterschiedlich sind.112 Im Folgenden soll dennoch und trotz aller unvermeidlichen Unschärfen ein Versuch unternommen werden. Nach der Integrationsdichte der Wirtschaftsbeziehungen lassen sich - über die Verflechtung durch einzelne Handelsabkommen hinausgehend - in aufsteigender Reihenfolge ganz grundsätzlich Freihandelszonen, Zollunionen, Wirtschaftsunionen und Wirtschafts- und Währungsunionen unterscheiden.113 Es zeigt sich dabei, dass Freihandelsabkommen (zumindest in den außereuropäischen Beziehungen) den Regelfall darstellen, freilich auch viele Mischformen vorkommen. Eine Unterscheidung nach geographischer Nähe der beteiligten Länder oder Regionen zur EU liegt ebenfalls auf der Hand, wobei sich zeigt, dass die Beziehungen der EG (wohl naturgemäß) mit Nachbarländern114 bzw. aktuellen und potentiellen Beitrittskandidaten am dichtesten sind. Drittens kann eine grobe Kategorisierung getroffen werden nach dem Regelungsumfang der Abkommen der EG bzw. der Zahl der Vertragsstaaten. Hier kommt den WTOAbkommen eine überragende Bedeutung zu.
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Siehe bei FN 18 und FN 84. Siehe die graphische Darstellung des Beziehungsgeflechts bei Breuss, Reale Außenwirtschaft und Europäische Integration, 2003, 326. Siehe auch http://ec.europa.eu/trade/issues/bilateral/index_en.htm. Eine Integration über die Wirtschaftsbeziehungen hinaus führt zu einer Politischen Union, welche in der EU bisher nur schwach ausgeprägt ist. Freilich sind die Grenzen auch hier fließend: auch vorwiegend wirtschaftliche Angelegenheiten können eine grundsätzlich politische Dimension aufweisen bzw. zunehmen gewinnen. Eine solche Entwicklung zeigt sich etwa in den vergangenen Jahren in der Entwicklung des ursprünglichen Diskriminierungsverbots im Binnenmarkt zu einem umfassenden Gleichheitsanspruch, den der EuGH mit Hilfe des Instituts der Unionsbürgerschaft auf praktisch alle Lebensbereiche ausdehnt. Ganz allgemein geht insofern der erreichte Grundrechtsschutzstandard in der EG über die Dimension einer wirtschaftlichen Integration weit hinaus. Institutionalisiert durch die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP). Siehe http://ec.europa.eu/world/enp/index_de.htm.
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2. Einteilung nach der Integrationsdichte Seit 1968 ist die EU (damals noch EWG) eine Zollunion, hat somit einen Gemeinsamen Zolltarif gegenüber Drittstaaten. Im Jahr 1993, mit der Errichtung des Binnenmarktes, wurde die EG eine Wirtschaftsunion. Im Jahr 1999 konnte die bisher größte Integrationstiefe mit der Schaffung der Währungsunion erreicht werden (WWU). Mitglieder der WWU (der „Euro-Zone“) sind jedoch derzeit nur 13 der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Die Drittlandsbeziehungen spiegeln diese Entwicklung teilweise dadurch wider, dass manchen Drittländern eine Teilnahme daran in unterschiedlichem Umfang eingeräumt wurde, freilich niemals unter Einschluss der Währungsunion, und vor allem niemals unter Einräumung institutionalisierter Mitgestaltungsrechte an der Fortentwicklung des acquis communautaire. Soweit die bestehenden Übereinkommen Mechanismen der Fortentwicklung durch Beschlussfassung vorsehen, also über das traditionelle Verfahren des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge hinausgehen, handelt es sich hauptsächlich um den „Nachvollzug“ EG-interner Entwicklungen - etwa im EWR mit der vertraglichen „Drohung“ der Suspendierung von Abkommensteilen bei Weigerung der Übernahme neuen EG-Rechts.115 Die 1960 gegründete Europäische Freihandelsorganisation (EFTA) hat in der Zwischenzeit die meisten ihrer Mitglieder (einschließlich Österreich im Jahre 1995) an die EU „verloren“. Freihandelszonen wie die EFTA, im Unterschied zu Zollunionen, schaffen alle Zölle im gegenseitigen Handel ab, die Außenzölle der einzelnen Mitgliedstaaten werden jedoch nicht vereinheitlicht. Mit den verbliebenen EFTA-Staaten Liechtenstein, Island und Norwegen wurde 1994 das Abkommen über den europäischen Wirtschaftsraum (EWR) abgeschlossen, welches diesen Staaten die „Teilnahme am EG-Binnenmarkt“ auch ohne EU-Mitgliedschaft ermöglichen soll, somit eine Zwischenstufe zwischen EG und EFTA darstellt.116 Nach Entscheidungen des EuGH gelten die Grundfreiheiten des Binnenmarktes weitgehend inhaltsgleich auch in den EWRStaaten.117 Grenzkontrollen für Waren und Personen sowie die Ursprungsregelungen im bilateralen Handel bleiben jedoch bestehen (keine Teilnahme an der Zollunion und damit auch keine Teilnahme an der GHP der EG); auch bleiben wichtige interne Politikbereiche ausgenommen, wie namentlich die Agrar- und die Steuerpolitik. Mit dem EFTA-Staat Schweiz - dessen Bevölkerung nicht nur den EGBeitritt, sondern auch die Teilnahme am EWR abgelehnt hat - hat die EU im Jahr 1999 sieben bilaterale Abkommen in Ergänzung des Freihandelsabkommens und als „Ersatz“ für den EWR-Beitritt abgeschlossen (in Kraft 2002), mit 115
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Bisweilen, insbesondere mit Blick auf die WTO, wird freilich behauptet (und kritisiert), die EG übertrage ihre Regelungsbefugnisse auf internationale Einrichtungen, denen die erforderliche Legitimation (in noch größerem Maße als der EG) fehle. Darauf wird hier nicht näher eingegangen. ABl L 1 vom 3.1.1994, 2. Vgl Breuss, Reale Außenwirtschaft, 368f. So kann sich eine Staatsbürgerin Liechtensteins etwa vor österreichischen Gerichten auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen zur Bekämpfung unverhältnismäßer Beschränkungen des Grundverkehrs in Vorarlberg. Vgl nur EuGH, Rs C-452/01, Ospelt, Slg 2003, I-9743 (Vorlage des VwGH).
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denen die Schweiz EG-Recht weitgehend übernimmt.118 In der Zwischenzeit wurden weitere Abkommen in den Bereichen verarbeitete Landwirtschaftsprodukte, Statistik, Ruhegehälter, Umwelt, MEDIA, Schengen/Dublin, Betrugsbekämpfung und Zinsbesteuerung abgeschlossen.119 Wie bereits ausgeführt, hat die EG eine Reihe von Assoziierungsabkommen gemäß Art. 310 EGV abgeschlossen, welche im Sinne der Einteilung nach der Integrationstiefe im Wesentlichen Freihandelsabkommen mit unterschiedlichen Zielen (Beitritt, Ersatz für Beitritt, Entwicklungshilfe) und Zusatzvereinbarungen (Menschenrechtsklauseln) darstellen.120 Auch begründen die Freihandelsabkommen der EG nur in Ausnahmefällen den vollständig (zoll)freien Handel zwischen der EG und den Vertragspartnern, sondern im Regelfall nur Handelserleichterungen und Zollpräferenzen. Zollunionen ist die EG (selbst eine Zollunion) nur mit der Türkei (seit 1996)121, Andorra122 und San Marino123 eingegangen; diese Länder übernehmen daher im Anwendungsbereich des Abkommens im Wesentlichen den EG-Außenzoll auch für ihre Drittlandsbeziehungen, was die Voraussetzung für die Zollfreiheit in den Beziehungen zur EG ist. Die weitestgehende Integration besteht somit, wenn man die EG selbst mit in den Blick nimmt, in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zwischen 13 Mitgliedstaaten der EU, gefolgt von der Wirtschaftsunion der 27 EU-Mitgliedstaaten, vom EWR der 27 EU-Mitgliedstaaten plus Liechtenstein, Island und Norwegen, der Sonderbeziehung zwischen der EU und der Schweiz, den Zollunionen der EU und schließlich den zahlreichen Freihandelsabkommen der EU.124 Eine klare Reihung nach der Integrationsdichte in den Drittlandsbeziehungen ergibt sich auch daraus nicht: Die erwähnten Zollunionen etwa gehen hinsichtlich der Handelspolitik gegenüber Dritten naturgemäß über die Freihandelszonen und den EWR hinaus, bleiben aber hinsichtlich der Beteiligung am Binnenmarkt und den internen Politiken hinter letzterem zurück. Die sektoralen Verträge mit der Schweiz wiederum schaffen in Teilbereichen bin-
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„Bilaterale I“: Personenverkehr, Luftverkehr, Landverkehr, Landwirtschaft, Forschung, technische Handelshemnisse, öffentliches Beschaffungswesen. Siehe ABl L 300 vom 31.12.1972, 189 und ABl L 114 vom 30.4.2002. Vgl Breuss, Reale Außenwirtschaft, 369 mwN, und Lenaerts/Van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2005, 910 (FN 18). „Bilaterale II“. Zuletzt ist das Statistik-Abkommen mit 1.1.2007 in Kraft getreten. Siehe dazu oben II.E.2 bei FN 78ff. Beschluss 1/95 des Assoziationsrates EG-Türkei über die Durchführung der Endphase der Zollunion, ABl L 35 vom 13.2.1996, 1. Beschluss 2/91 des Gemischten Ausschusses EWG-Andorra über die in der Gemeinschaft im Zollwesen geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die vom Fürstentum Andorra zu übernehmen sind, ABl L 250 vom 7.9.1991, 24. Beschluss 2/92 des Kooperationsausschusses EWG-San Marino über die in der Gemeinschaft im Zollwesen geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die von der Republik San Marino zu übernehmen sind, ABl L 42 vom 19.2.1993, 23. International ist der Regelfall Freihandelsabkommen, wobei selbst das fortgeschrittenste, die Nord-Amerikanische Freihandelsorganisation (NAFTA, mit den USA) in der Integrationsqualität weit hinter der EG zurückbleibt. Die EG ist bis dato das weltweit ambitionierteste regionale Integrationsprogramm. Breuss, Reale Außenwirtschaft, 364, 368.
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nenmarktähnliche Zustände, klammern aber die Drittlandspolitik weitgehend aus.
3. Geographische Einteilung Bis zu ihrem Beitritt galten zwischen den neuen EU-Mitgliedstaaten in Mittelund Osteuropa und der EU die so genannten Europa-Abkommen.125 Mit einigen Staaten Südosteuropas („Balkan“) wurden Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) abgeschlossen, welche der Vorbereitung eines möglichen Beitritts dienen.126 Mit den Mittelmeer-Nachbarstaaten (im weiteren Sinne) Libanon, Israel, Marokko, Algerien, Ägypten, Jordanien, der PLO und Tunesien bestehen so genannte Europa-Mittelmeer-Assoziierungsabkommen seit 1995 im Rahmen des so genannten Barcelona-Prozesses.127 Diese Staaten sind, gemeinsam mit einigen weiteren Staaten (etwa Georgien, Ukraine, Armenien, Weissrussland),128 auch Teil der ENP (European Neighbourhood Policy - Europäische Nachbarschaftspolitik) der EU mit dem Ziel, die bilaterale Zusammenarbeit mit Staaten im Einflussgebiet der EU zu fördern. Urspünglich für ehemalige Kolonien von EU-Mitgliedstaaten, nunmehr allgemein für Entwicklungsländer wurde das Allgemeine Präferenzsystem geschaffen.129 Inhaltlich darüber hinaus reicht das Cotonou-Abkommen mit den AKP-Staaten.130 Eine so genannte konstitutionelle Assoziierung besteht mit „überseeischen Ländern und Hoheitsgebieten“ einiger EUStaaten (etwa Grönland, Neukaledonien, Falkland Inseln).131 Mit den meisten lateinamerikanischen, südostasiatischen Staaten sowie den meisten Golfstaaten, Süd-Afrika und China bestehen Abkommen entweder in Form von Assoziierungsabkommen oder Kooperationsabkommen.132 Die EU hat ihre Wirtschaftsbeziehungen somit großteils blockweise geregelt mit spezifischen Abkommen und Politiken für die Beitrittsländer (EuropaAbkommen, SAAs), sonstige Nachbarländer (ENP, Barcelona-Prozess), ehemalige Kolonien (Cotonou, Präferenzssystem), überseeische Hoheitsgebiete
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Nachweise etwa bei Lenaerts/Van Nuffel, Constitutional Law, 926 (FN 98). FYR Mazedonien, ABl L 85 vom 23.3.2004, 26, Kroatien, ABl L 26 vom 28.1.2005, 1, und Albanien, ABl L 239 vom 1.9.2006 (Interim-Abkommen). Tunesien, ABl L 97 vom 30.3.1998, 2, Marokko, ABl L 70 vom 18.3.2000, 2, Algerien, ABl L 265 vom 10.10.2005, 2, Jordanien, ABl L 129 vom 15.5.2002, 3, Ägypten, ABl L 304 vom 30.9.2004, 5, Libanon, ABl L 143 vom 30.5.2006, 2, Israel, ABl L 147 vom 21.6.2000, 3, PLO, ABl L 187 vom 16.7.1997, 1. Siehe http://ec.europa.eu/world/enp/index_en.htm. FN 80. Beachte: Dieses ist kein Abkommen, sondern eine von Seiten der EG einseitig gewährte Privilegierung von Entwicklungsländern. 2000/483/EG, Partnerschaftsabkommen zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits, unterzeichnet in Cotonou am 23. Juni 2000, ABl L 317 vom 15.12.2000, 3. Art 182ff EGV. Vgl die Liste in Annex II zum EGV und Lenaerts/Van Nuffel, Constitutional Law, 844 (FN 83). Siehe die Aufzählungen bei Denselben, 838f (FN 57ff).
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(konstitutionelle Assoziierung), Südamerika und Südostasien (Handels- und Kooperationsabkommen).133
4. Einteilung nach Regelungsumfang und Teilnehmerzahl Grundsätzlich lassen sich hier Handelsabkommen und Kooperationsabkommen unterscheiden, wobei viele Abkommen beide Typen in sich vereinen bzw. die Grenzen verschwimmen, und zwar bisweilen auch zu den Abkommen höherer Integrationsdichte, die in die Koordinierung von bzw. die Kooperation in ausgewählten Politikbereiche hineinreichen.134 Kooperationsabkommen zielen auf eine längere wirtschafts- und industriepolitische Zusammenarbeit, oftmals einschließlich Forschungskooperation und Entwicklungshilfe, ab.135 Unterschieden werden kann weiters auch zwischen bilateralen und multilateralen Verträgen der EG. Die weltweit bedeutendsten Handelsabkommen der EG (und der Mitgliedstaaten) sind die WTO-Abkommen, welche neben dem Warenhandel auch den Handel mit Dienstleistungen und den Schutz geistigen Eigentums regeln und derzeit 149 Mitgliedstaaten haben.136 Innerhalb des WTO-Vertragsregimes finden sich jedoch auch plurilaterale Abkommen, welchen nicht alle WTOMitgliedstaaten beigetreten sind, namentlich das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen.137 Die Beziehungen zwischen der EU und einigen ihrer wichtigsten Handelspartner wie den USA und Japan sind hauptsächlich durch WTO-Recht geregelt. Assoziierungsabkommen, wie bereits erwähnt, können neben Fragen der Handelsbeziehungen im engeren Sinn auch weit darüber hinaus gehende Regelungen bezüglich Entwicklungshilfe und Menschenrechten vorsehen.138 Der mit 77 Vertragstaaten insofern sehr bedeutende Cotonou-Vertrag enthält eine umfassende Verpflichtung der AKP-Staaten zur Achtung der Menschenrechte, von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundsätzen guten Regierens. Ähnliche Verknüpfungen wirtschaftlicher und politischer Inhalte finden sich auch im Allgemeinen Präferenzsystem, welches derzeit für etwa 130 Länder einschließ133
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Sofern Handelsabkommen WTO-Mitgliedstaaten betreffen, dürfen sie als so genannte Regional Trade Agreements nicht gegen WTO-Recht verstoßen. Vereinbarungen über Handelsliberalisierung dürfen an sich nur im Rahmen der WTO stattfinden. In der Praxis besteht jedoch eine Vielzahl von Regional Trade Agreements und ihre Zahl nimmt stetig zu, nicht zuletzt bedingt durch die in den vergangenen Jahren reduzierte Problemlösungskapazität der WTO. Derzeit sind insgesamt mehr als 250 Regional Trade Agreements bei der WTO notifiziert. Es wird angenommen, dass sich diese Zahl nach dem (vorläufigen) Scheitern der Doha-Verhandlungsrunde weiter erhöhen wird. Etwa die Abkommen mit den Staaten der ASEAN. Vgl Oppermann, Europarecht, 681, 711. Etwa mit Syrien, Russland, Ukraine, dem Kooperationsrat der Arabischen Golfstaaten und Jemen. Nachweise bei Lenaerts/Van Nuffel, Constitutional Law, 846 (FN 91ff). Vgl auch Oppermann, Europarecht, 679. ABl L 336 vom 23.12.1994. Siehe näher dazu oben III.B.I. Siehe V.A. Zum Folgenden siehe etwa Hilpold, Human Rights Clauses in EU-Association Agreements, in Griller/Weidel (Hrsg), External Economic Relations and Foreign Policy in the European Union, 2002, 359.
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lich Osteuropa und China gilt. Politische Inhalte finden sich ua. auch in den zwei bilateralen Europa-Abkommen, den SAA und den Assoziierungsabkommen mit den Mittelmeer-Nachbarstaaten. Die an Vertragstaaten „größten“ Handelsabkommen der EU sind somit die WTO-Abkommen und der Cotonou-Vertrag, beide übrigens als gemischte Abkommen abgeschlossen. Auch vom Regelungsumfang gehen diese Abkommen weit über reine Handelsfragen hinaus. Am anderen Ende der Skala in dieser Einteilung stehen etwa internationale Rohstoffabkommen mit nur sehr beschränktem Regelungsumfang.139
IV. Die Instrumente der Gemeinsamen Handelspolitik A. Das Zollrecht Der Gemeinsame Zolltarif (GZT) als wichtigstes Instrument der Gemeinsamen Handelspolitik wurde 1992 erlassen und bewirkt einen einheitlichen Schutz aller Mitgliedstaaten gegenüber Drittländern durch die Belastung von Drittlandswaren mit Zöllen.140 Da auf die Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten kein Zoll erhoben wird (die EG ist eine Zollunion!), werden Importe aus Mitgliedsstaaten damit automatisch günstiger behandelt als Importe aus Drittländern. Der GZT findet Anwendung in Form der so genannten Kombinierten Nomenklatur (KN), die aus vier Spalten besteht, die die Code-Nummern, Warenbezeichnung und die autonomen bzw. vertraglichen Zollsätze enthalten.141 Die Letztgenannten ergeben sich aus internationalen Verpflichtungen, hauptsächlich innerhalb des GATT, aber auch durch Freihandelsabkommen der EG. Schrittweise wurden alle Waren in die KN „eingereiht“. Die verschiedenen Zolltarife der Gemeinschaft sind überwiegend im Rahmen des GATT „gebunden“ und können somit nur aufgrund multilateraler Neuverhandlungen im Rahmen der WTO geändert werden. Die praktische Bedeutung der Einordnung einer Ware in die Kombinierten Nomenklatur wird oft unterschätzt. Regelmäßig geht es um (hohe) Geldbeträge, und zwar, wie das Beispiel unten zeigt, nicht nur bei der unmittelbar einschlägigen Zollfestlegung, sondern zB auch bei der Ausfuhrerstattung, weil auch diese an den KN anknüpft. Wegen dieser großen Relevanz landen Streitigkeiten über die korrekte Einordnung vergleichsweise häufig bei den Höchstgerichten, konkret beim EuGH. Strittig war und vom EuGH letztlich entschieden wurde die Einordnung von Geflügelteilen: „Ein Schenkel, an dem noch ein Teil des Rückens hängt, ist daher als Schenkel im Sinne der Tarifstelle 02.02 B II e) 3 der alten und der Unterposition 0207 41 51 000 der neuen Nomenklatur einzuordnen, wenn dieser Teil des Rückens nicht groß genug ist, um dem Erzeugnis seinen wesentlichen Charakter zu verleihen.“142 Diese 139 140
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Siehe Oppermann, Europarecht, 691. VO 2913/92/EWG zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl L 302 vom 19.10.1992, 1. Zuletzt geändert durch VO 648/2005/EG, ABl L 117 vom 4.5.2005, 13. VO 2658/87/EWG über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABl L 256 vom 7.9.1987, 1. Zuletzt geändert durch VO 996/2006/EG, ABl L 179 vom 1.7.2006, 26. Rs C-151/93, Voogd Vleesimport en -export, Slg 1994, I-4915, Rz 20.
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Entscheidung erwies sich als bedeutsam im Zusammenhang mit einer Grundsatzfrage des Gemeinschaftsrechts, nämlich den Grenzen der Rechtskraft gemeinschaftswidriger nationaler Entscheidungen. In Kühne & Heitz143 war die Ausfuhrerstattung für Geflügel in den Niederlanden strittig. Kühne & Heitz, die spätere Klägerin, hatte "Schenkel und Teile von anderem Geflügel" zur Ausfuhr angemeldet und dafür entsprechende Ausfuhrerstattungen erhalten. Nach einer Überprüfung reihte die Behörde aber die Ware unter die Tarifposition „andere“ ein, für die eine geringere Erstattung gebührte, und verlangte mehr als 900.000 NLG (etwa 400.000 Euro) zurück. Die Klage gegen den letztlich erlassenen Bescheid wurde vom niederländischen Gericht abgewiesen. Der für das Unternehmen ungünstige Bescheid erwuchs somit in Rechtskraft. Später, nämlich in der oben zitierten Rechtssache Voogd Vleesimport en -export kam der Gerichtshof zum gegenteiligen Ergebnis hinsichtlich der Einordnung in die KN. Daraufhin verlangte die Klägerin die neuerliche Auszahlung der zu Unrecht zurückverlangten Erstattungen, da auch die seinerzeitige Ausfuhr entsprechend einzuordnen gewesen wäre. Die Differenz zwischen der Einordnung als „Schenkel“ oder als „andere“ Geflügelteile betrug somit umgerechnet mehr als 400.000 Euro! Kühne & Heitz obsiegte mit diesem Begehren letztlich beim EuGH, der die Durchbrechung der Rechtskraft in Fällen wie diesem - bei grundsätzlicher Befugnis zur Zurücknahme nach nationalem Recht, fehlerhafter letztinstanzlicher nationaler Entscheidung bei Unterlassung der Vorlage an den EuGH, und Ausschöpfung der gegebenen Rechtsmittelmöglichkeiten durch den Beschwerdeführer - für geboten erachtete.
Zu den wichtigsten Bestimmungen zur Absicherung der Funktionsfähigkeit der Zollunion zählen ferner die Warenursprungsregeln. Diese legen fest, in welchem Staat eine Ware vollständig gewonnen oder hergestellt wurde. Sie dienen in der EG der Prüfung, welcher Zollsatz angewendet wird, ob bestimmte Importquoten ausgeschöpft wurden, oder ob Antidumpingmaßnahmen anwendbar sind. Für den Warenverkehr innerhalb der EG sind die Ursprungsregelungen nicht von Bedeutung, da in einer Zollunion mit freiem Warenverkehr unterschiedliche Beschränkungen nach dem Ursprungsland von vornherein unzulässig sind. Anders ist dies in den Drittlandsbeziehungen. In diesen kann es länderweise unterschiedliche Regelungen geben, abhängig von den jeweils bestehenden vertraglichen oder einseitigen Beschränkungen in der Einfuhr. Hier behalten die Ursprungsregelungen daher ihre Bedeutung. Die Gemeinschaft hat außerdem ein so genanntes Allgemeines Präferenzsystem (APS) erlassen, durch das Entwicklungsländern einseitige Zollbegünstigungen eingeräumt werden.144 Die betroffenen Waren finden sich in Anhang II und werden in so genannte empfindliche und nicht empfindliche Waren unterteilt, abhängig von ihren möglichen Auswirkungen auf die Wirtschaft der EU. Nach der allgemeinen Regelung werden die Zollsätze des GZT für nicht empfindliche Waren vollständig augesetzt, für empfindliche Waren bloß reduziert. Nach einer Sonderregelung für nachhaltige Entwicklung und verantwortungsvolle Staatsführung werden für in Anhang I der ASP-VO aufgezählte Länder Zollpräferenzen gewährt.145 Als Bedingung für die Aufnahme in die 143 144
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Rs C-453/00, Kühne & Heitz, Slg 2004, I-837. VO 980/2005/EG über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen, ABl L 169 vom 30.06.2005, 1. Die VO gilt für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2008. Siehe dazu Beschluss 2005/924/EG der Kommission über die Liste der begünstigten Länder, ABl L 337 vom 22.12.2005, 50. Diese Bevorzugung von bestimmten Ent-
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Liste der begünstigten Länder müssen Staaten die wesentlichen Übereinkommen der UNO und der IAO zu Menschen-, und Arbeitnehmerrechten, sowie eine bestimmte Zahl von Übereinkommen zum Umweltschutz und zur verantwortlichen Staatsführung umsetzen. Weitere Sonderreglungen bestehen für am wenigsten entwickelte Länder.146 Mangels einer zentralen Verwaltung durch die Gemeinschaft werden alle Maßnahmen im Zollbereich durch die nationalen Zollbehörden (in Kooperation mit der Kommission) vollzogen.147 Die Mitgliedstaaten dürfen im Zollbereich (ausschließliche Kompetenz der EG) keine eigenständigen Bestimmungen mehr erlassen.
B. Mengenmäßige Beschränkungen 1. Einfuhrbeschränkungen Bis 1994 verhängte die Gemeinschaft insbesondere auf der Grundlage von Art. 133 EGV zahlreiche mengenmäßige Importbeschränkungen (Quoten) gegenüber Drittstaaten, auch gegenüber GATT-Mitgliedern.148 Diese Maßnahmen enthielten zum überwiegenden Teil keine einheitlichen Gemeinschaftsquoten. Stattdessen wurden unterschiedliche Quoten für die einzelnen Mitgliedstaaten festgesetzt, wodurch praktisch und in rechtlich durchaus fragwürdiger Art und Weise einfach die unterschiedlichen nationalen Politiken als „Errungenschaft“ der GHP ausgegeben wurden. Anfang 1994 änderte die Gemeinschaft ihre Haltung zu mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen radikal.149 Im Bereich der gewerblich-industriellen Produkte wurden Einfuhrbeschränkungen im normalen Handelsverkehr150 völlig abgeschafft.151 Einzelnen wurde damit ein subjektives Recht auf freie Einfuhr gewährt.152
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wicklungsländern ist nur auf Grund einer Ausnahmebestimmung vom Meistbegünstigungsprinzip im GATT zulässig, der so genannten Enabling-Clause. Nach einer Entscheidung des Appellate Body der WTO im April 2004 (WT/DS246/AB/R, European Communities - Conditions for the Granting of Tariff Preferences to Developing Countries, 7 April 2004) dürfen allerdings innerhalb des ASP keine weiteren Differenzierungen und einseitigen Begünstigungen erfolgen und die Differenzierung muss im Interesse der Entwicklungsländer liegen. Die Vorgänger-VO 2051/2001/EG zur VO 980/2005/EG wurde insofern für rechtswidrig erkannt, als die Rechtsgrundlagen für die Aufnahme von Staaten in die Liste der Begünstigten nicht hinreichend präzise und der Prozess der Auswahl von begünstigten Ländern nicht transparent genug war. Hinsichtlich der Bedingung der Bekämpfung des Drogenanbaus, welche noch in der Vorgänger-VO erhalten war, ist strittig, ob diese tatsächlich als im Interesse des Entwicklungslandes liegend qualifiziert werden kann. Art 12f VO 980/2005/EG. Entscheidung 253/2003/EG über ein Aktionsprogramm für das Zollwesen der Gemeinschaft (Zoll 2007), ABl L 36 vom 12.2.2003, 1. Das Programm gilt bis 2013. Vgl zum folgenden Eeckhout, The European Internal Market, 149ff. Dies war zum Teil eine Vorwegnahme der Ergebnisse der Uruguay-Verhandlungsrunde in der WTO. Zu Embargomaßnahmen siehe unten VI.A. VO 3285/94/EG über die gemeinsame Einfuhrregelung für Länder mit Marktwirtschaft, ABl L 349 vom 31.12.1994, 53. Zuletzt geändert durch VO 2200/2004/EG, ABl L 374 vom 22.12.2004, 1. Die Einfuhrregelung für Länder mit Staatswirtschaft (Albanien, GUS-Staaten, Nordkorea, China ua) ist im Aufbau gleich, allerdings re-
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Ausnahmen bildeten zunächst auch nach dem WTO-Beitritt Importe bestimmter Textilien aus Drittstaaten153 und Importe aus China. Mit dem Auslaufen des Multifaserabkommens und dem WTO-Beitritt Chinas wurden diese Beschränkungen unzulässig. Den danach aufgetretenen Schwierigkeiten versucht die Gemeinschaft durch Inanspruchnahme der sogleich zu erwähnenden Schutzklauseln der Einfuhrverordnung zu begegnen, wobei die WTO-Konformität teilweise strittig ist. Sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten können weiters die Einfuhr zum Schutz höherrangiger Güter beschränken oder gänzlich verbieten. So bestehen Sonderregelungen zum Schutz der Umwelt (Einfuhr von Walerzeugnissen, Fellen von Robben und geschützten Arten), der Menschenrechte (Rücknahme der Zollpräferenzen für Myanmar) und Urheberrechten.154 Auch nach der allgemeinen Einfuhrregelung können unter bestimmten Umständen Überwachungs- oder Schutzmaßnahmen eingeführt werden („safeguards“).155 Zuständig dafür ist die Kommission.156 Überwachungsmaßnahmen können dann ergriffen werden, wenn „Einfuhrtrends bei einer Ware mit Ursprung“ in einem Drittland „die Gemeinschaftsherstellung zu schädigen“ drohen und „wenn die Interessen der Gemeinschaft dies erfordern“.157 Solche Überwachungsmaßnahmen bestehen vor allem aus dem Verlangen von Einfuhrdokumenten. Sie können auch das Erfordernis eines Ursprungsnachweises für die gemeinschaftlich überwachten Waren umfassen.158 Die Geltungsdauer
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striktiver bezüglich möglicher Schutz- und Überwachungsmaßnahmen. Sie sieht auch weiterhin mengenmäßige Beschränkungen für bestimmte Waren aus China vor. Vgl VO 519/94/EG über die gemeinsame Regelung der Einfuhren aus bestimmten Drittländern, ABl 1994 L 67 vom 10.3.1994, 89. Nettesheim/Duvigneau in Streinz (Hrsg), EUV/EGV, 2003, Art 133 Rz 63. VO 517/94/EG über die gemeinsame Regelung der Einfuhren von Textilwaren aus bestimmten Drittländern, die nicht unter bilaterale Abkommen, Protokolle, andere Vereinbarungen oder eine spezifische gemeinschaftliche Einfuhrregelung fallen, ABl L 67 vom 10.3.1994, 1. Art 1 Abs 1 VO 3030/93/EWG über die gemeinsame Einfuhrregelung für bestimmte Textilwaren mit Ursprung in Drittländern, ABl L 275 vom 8.11.1993, 1, erfaßt Einfuhren, die auf bilateralen Abkommen mit Drittstaaten oder auf dem WTO-Übereinkommen über Textilwaren und Bekleidung basieren. VO 3285/94/EG erfaßt nunmehr auch Textilien, die bereits in das Regime des GATT 1994 einbezogen sind. Siehe die Auflistung bei Nettesheim/Duvigneau in Streinz, Art 133 Rz 65, FN 183ff. Art 11 Abs 2 und Art 16 Abs 7 und 8 VO 3285/94/EG. Zu beachten sind dabei die Vorgaben der WTO (Art XIX GATT und das WTO-Übereinkommen über Schutzmaßnahmen). Näher Nettesheim/Duvigneau in Streinz, Art 133 Rz 66. Die Kommission muss solche Maßnahmen dem Rat und den Mitgliedstaaten mitteilen. Auf Antrag eines Mitgliedstaats kann sich der Rat binnen Monatsfrist mit der Angelegenheit befassen. Der Rat kann die Entscheidung der Kommission mit qualifizierter Mehrheit bestätigen, ändern oder aufheben. Hat der Rat innerhalb von drei Monaten keinen Beschluss gefasst, so gilt die Maßnahme als aufgehoben. Siehe Art 16 Abs 8 VO 3285/94/EG. Art 11 Abs 1 VO 3285/94/EG. Art 12 VO 3285/94/EG.
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solcher Maßnahmen darf generell ein Jahr nicht überschreiten.159 Sie bilden die Vorstufe zu Schutzmaßnahmen.160 Schutzmaßnahmen können im Interesse der Gemeinschaft ergriffen werden, wenn eine Ware „in der Art erhöhten Mengen und/oder unter derartigen Bedingungen in die Gemeinschaft eingeführt“ wird, „dass den Gemeinschaftsherstellern ein ernsthafter Schaden entsteht oder zu entstehen droht“.161 Die Kommission kann die Gültigkeitsdauer von Einfuhrdokumenten verkürzen oder ein System von Einfuhrgenehmigungen einführen,162 das auch die Festsetzung eines Importkontingents umfassen kann. Ein solches Kontingent darf nicht unter dem Durchschnittsniveau der Einfuhren in den letzten drei repräsentativen Jahren, für die Statistiken vorliegen, festgesetzt werden, „es sei denn, dass zur Vermeidung oder zur Wiedergutmachung einer bedeutenden Schädigung eine andere Höhe erforderlich ist“. Die Kontingente können auf unterschiedliche Art und Weise administriert werden, insbesondere was die Zuteilung der Quoten anbelangt.163 Die Ein- und Ausfuhrgenehmigungen werden durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten in enger Zusammenarbeit mit der Kommission erteilt.164 Schutzmaßnahmen haben eine zeitlich beschränkte Geltungsdauer und unterliegen einem Überprüfungsverfahren, das dazu dient, die Dauer der verfügten Maßnahme so gering wie möglich zu halten165. Im Allgemeinen darf der Anwendungszeitraum einer solchen Maßnahme vier Jahre nicht überschreiten. In keinem Fall darf er länger als acht Jahre sein. Vorläufige Schutzmaßnahmen mit einer Geltungsdauer von höchstens 200 Tage können in kritischen Situationen eingeführt werden166, in denen eine Verzögerung zu einer schwer wieder gutzumachenden Schädigung führen würde und in denen durch vorläufige Feststellungen ausreichende Nachweise erbracht wurden, dass durch den Anstieg der Einfuhren ein ernsthafter Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Mengenmäßige Beschränkungen können schließlich auch auf besondere Bestimmungen im Rahmen verschiedener (landwirtschaftlicher) Marktordnungen gestützt werden.167 Wird der Markt der Gemeinschaft aufgrund von Einfuhren oder Ausfuhren „ernstlichen Störungen ausgesetzt oder von ernstlichen Störungen bedroht“, so können im Handel mit dritten Ländern geeignete Maßnahmen angewandt werden. So sind etwa im Bananenmarkt mengenmäßige Beschränkungen grundsätzlich verboten. Wird aber der Bananenmarkt der 159 160 161 162 163 164 165 166 167
Art 11 Abs 3 VO 3285/94/EG. Vgl Nettesheim/Duvigneau in Streinz, Art 133 Rz 67. Art 16 Abs 1 VO 3285/94/EG. Art 16 VO 3285/94/EG. Vgl Art 6ff VO 520/94/EG zur Festlegung eines Verfahrens der gemeinschaftlichen Verwaltung mengenmäßiger Kontingente, ABl L 66 vom 10.3.1994, 1. Art 15ff VO 520/94/EG. Art 20 bis 22 VO 3285/94/EG. Art 8 VO 3285/94/EG. VO 3285/94/EG steht, gemäß ihrem Art 25, „der Anwendung der Regelungen für die gemeinsame Agrarmarktorganisation oder daraus abgeleiteter gemeinschaftlicher oder einzelstaatlicher Verwaltungsvorschriften oder besonderer Regelungen für landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse nicht entgegen; sie wird ergänzend angewandt“.
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Gemeinschaft aufgrund von Einfuhren oder Ausfuhren „ernstlichen Störungen ausgesetzt oder von ernstlichen Störungen bedroht (...), so können im Handel mit dritten Ländern geeignete Maßnahmen angewandt werden (...)“.168 Solche Maßnahmen können unter anderem auch mengenmäßige Beschränkungen sein.
2. Ausfuhrbeschränkungen Ausfuhren aus der Gemeinschaft unterliegen grundsätzlich keinen mengenmäßigen Beschränkungen.169 Die AusfuhrgrundVO gibt nach der Rechtsprechung des EuGH Einzelnen ein subjektives Recht, keinen mengenmäßigen Beschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung eines Mitgliedstaates unterworfen zu werden.170 Dazu gibt es jedoch eine Reihe von Ausnahmen. Bereits die AusfuhrgrundVO ermächtigt die Mitgliedstaaten, bis zur Erlassung von Harmonisierungsmaßnahmen durch die Gemeinschaft bestimmte Ausfuhrbeschränkungen vor allem zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Gesundheit von Tieren und Menschen zu verfügen.171 Auch auf Agrargrundprodukte, die einer allgemeinen Agrarmarktorganisation unterliegen, sind die allgemeinen Regeln nur ergänzend anwendbar.172 Spezialregelungen sehen weiters Beschränkungen für Abfälle173, im Besonderen für radioaktive Abfälle174, für Kulturgüter175 und für Dual-Use-Güter176 vor. Für Militärgüter sieht ein Verhaltenskodex für Waffenausfuhren vor, dass die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Ausfuhr von Gütern, die in einer EUMilitärgüterliste erfasst sind, ihre Entscheidungen über Ausfuhrgenehmigungen untereinander kommunizieren und gewisse Standards einhalten.177 Auch Maßnahmen nach Art. 301 und Art. 60 EGV bzw. nach Art. 296 und 297 EGV können Ermächtigungen für Mitgliedstaaten enthalten, die zu Beschränkungen in der Ausfuhr führen können.178
168 169
170 171 172 173
174
175 176 177 178
Art 23 VO 404/93/EG über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen, ABl L 47 vom 25.2.1993, 1. VO 2603/69/EWG zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung, ABl L 324 vom 27.12.1969, 25. Zuletzt geändert durch VO 3918/91/EWG, ABl L 372 vom 31.12.1991, 31. Nettesheim/Duvigneau in Streinz, Art 133 Rz 58. Vgl Art 11 und Annex II VO 2603/69/EWG. Art 12 Abs 1 VO 2603/69/EWG. Art 14 VO 259/93/EWG zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft, ABl L 30 vom 6. Februar 1993, 1. Vgl dazu auch die Anpassung der Anhänge durch die Entscheidung der Kommission 94/721/EG, ABl L 288 vom 9. 11. 1994, 36. VO 2219/89/EWG über besondere Bedingungen für die Ausfuhr von Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation, ABl L 211 vom 22.7.1989, 4. VO 3911/92/EWG über die Ausfuhr von Kulturgütern, ABl L 395 vom 31.12.1992, 1. Dazu unten VI.B. Beschluss des Rates vom 5.6.1998, 8675/2/98. Dazu näher unten VI.A.
Außenwirtschaftsrecht der EU
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C. Mengengleiche Beschränkungen Mengengleiche Beschränkungen sind Maßnahmen, die die gleiche Wirkung haben wie mengenmäßige Beschränkungen, aber durch andere als quantitative Maßnahmen verursacht werden, unter anderem durch technische Vorschriften und Standards.179 Ihre Beseitigung im Handel zwischen den Mitgliedstaaten ist eines der wichtigsten Ziele im Rahmen der Schaffung des EG-Binnenmarkts. Hinsichtlich des Handels zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern ist die EGRechtslage sogar noch etwas komplexer als jene für innergemeinschaftliche Maßnahmen. Es handelt sich dabei nur zum Teil um eine Angelegenheit der GHP. Immerhin hat der EuGH judiziert, dass der Abschluss der beiden wichtigsten WTO-Übereinkommen zum Abbau solche Hemmnisse, nämlich einerseits das SPS-Abkommen (über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen) und das TBT-Abkommen (über technische Handelshemmnisse), in den Anwendungsbereich der GHP fällt.180 Dies heißt freilich nicht automatisch, dass auch die EG-interne Regelungskompetenz, unter anderem also zur Umsetzung der diesbezüglichen Verpflichtungen, eine Angelegenheit der GHP darstellt. Waren, die ihren Ursprung in Drittländern haben, profitieren jedenfalls ganz abgesehen von allfälligen internationalen Übereinkommen in gewisser Weise von den Bestimmungen über den innergemeinschaftlichen Handel, da das Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten gemäß Art. 28 EGV auch auf alle Waren aus Drittländern Anwendung findet, die sich in einem Mitgliedstaat im freien Verkehr befinden.181 Dadurch sind die Mitgliedstaaten daran gehindert, Hindernisse für den innergemeinschaftlichen Freihandel zu errichten, die sich im speziellen gegen Waren richten, die ihren Ursprung in Drittländern haben und sich in einem anderen Mitgliedstaat im freien Verkehr befinden, also bereits in der EG vermarktet wurden. Beschränkungen gegen solche Waren müssen die Anforderungen des Art. 30 EGV bzw. der Cassis-de-Dijon-Doktrin erfüllen.182 Gegen andere (noch nicht vermarktete) Waren aus Drittstaaten können die Mitgliedstaaten mengengleiche Beschränkungen vorsehen, außer internationale Abkommen der Gemeinschaft untersagen dies183, oder es beste179 180 181 182
183
Vgl zB Griller, Europäische Normung und Rechtsangleichung, 1990, 11ff. Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267, Rz 30 ff. Art 23 Abs 2 und Art 24 EGV. Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß „freier Verkehr“ in diesem Zusammenhang das Erfordernis der Vermarktung in einem der Mitgliedstaaten beinhaltet. Auf Waren mit Drittlandsursprung, die noch nie in einem der Mitgliedstaaten vermarktet wurden, findet Art 30 EGV keine Anwendung. Auch das „Prinzip der gegenseitigen Anerkennung“ findet auf Importe aus Drittländern keine Anwendung.Vgl EuGH Rs 51/75, EMI, Slg 1976, I-811, Rz 16. Vgl Völker, Barriers to External and Internal Community Trade, 1993, 100ff. So sollen gemäß Art 2 (2.1, 2.2 und 2.7) des WTO-Übereinkommens über technische Handelshemmnisse die Mitglieder sicherstellen, daß „im Hinblick auf technische Vorschriften aus dem Gebiet eines Mitglieds eingeführten Waren eine nicht weniger günstige Behandlung gewährt wird als den gleichartigen Waren inländischen Ursprungs oder gleichartigen Waren mit Ursprung in einem anderen Land“. Technische Vorschriften dürfen nicht „unnötige Hindernisse für den internationalen Handel“ schaffen.
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hen autonome Harmonisierungsmaßnahmen der EG. Diese Freiheit der Mitgliedstaaten kann zu unterschiedlichen Einfuhrbeschränkungen in den einzelnen Mitgliedstaaten und damit zu Verzerrungen der Handelsströme führen. Waren aus Drittländern (unabhängig davon ob im freien Verkehr oder nicht) profitieren weiters auch von sekundärrechtlichen Harmonisierungsvorschriften, etwa solchen auf der Grundlage von Art. 95 EGV.184 Harmonisierungsrichtlinien verbieten in der Regel mitgliedstaatliche Beschränkungen oder Behinderungen des Marktzuganges bzw. der Vermarktung solcher Produkte, die dem Standard der Richtlinie entsprechen.185 Die Richtlinien unterscheiden dabei nicht nach dem Ursprung der Waren.186 Dies führt im Gegensatz zu einer Situation ohne harmonisierende Gemeinschaftsrechtsakte zu einheitlichen Standards für die Einfuhr von Waren aus Drittstaaten, vorausgesetzt, dass die Gemeinschaft nicht nur Mindestanforderungen festlegt. Im Fall einer bloßen Mindestharmonisierung können Mitgliedstaaten durch strengere Regelungen durchaus mengengleiche Einfuhrbeschränkungen erzeugen. Besondere Brisanz hat diese Rechtslage in der jüngeren Vergangenheit mit Bezug auf Importverbote für gentechnisch veränderte Organismen und Produkte (GMO), insbesondere für gentechnisch veränderten Mais erhalten. Durch die Erlassung der auf die allgemeine Binnenmarktermächtigung (Art. 95 EGV) gestützten Harmonisierung der Zulassungsregeln für GMO ist der Spielraum der Mitgliedstaaten für nationale Alleingänge weiter geschrumpft.187 Die Risikoabwägung erfolgt nunmehr auf der Grundlage der einschlägigen Richtlinien, entweder durch die Behörden der Mitgliedstaaten oder durch die Europäische Kommission. Sobald eine europaweite Zulassung erfolgt ist, ist die Einführung zusätzlicher mitgliedstaatlicher Schranken nur noch ganz ausnahmsweise erlaubt. Erforderlich sind neue wissenschaftliche Erkenntnisse, und auch diese reichen nur, wenn sie zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt und für die Behebung eines spezifischen Problems eines Mitgliedstaats erforderlich sind.188 In der EU bestand ein de-facto Gen-Moratorium zwischen 1999 und 2003. Am 19.5.2004 wurde diese Zulassungsperre mit der Zulassung von gentechnisch verändertem Süßmais beendet.189 Einige Mitgliedstaaten wie auch Österreich untersagen jedoch weiterhin den Import von bereits durch die EU zugelassene GMOs, unter Berufung auf mögliche Langzeitumweltschäden und die Schutzklausel des Art 23 der Richtlinie 2001/18/EG.190 Die Europäische Kommission versuchte bisher in zwei Anläufen (zuletzt am
184 185 186 187
188 189
190
Eeckhout, The European Internal Market, 273. Vgl das ausdrückliche Verbot von Beschränkungen in Art 21 Abs 1 zweiter Spiegelstrich der Marktordnung für Bananen VO 404/93/EG. Vgl die einheitlichen Qualitätsstandards für Bananen in VO 2257/94/EG zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Bananen, ABl L 245 vom 20.9.1994, 6. VO 258/97/EG über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten, ABl L 43 vom 13.4.1997, 1, VO 1829/2003/EG über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABl L 268 vom 18.10.2003, 1, RL 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt. ABl L 106 vom 17.4.2001, 1. Vgl genauer Art 95 Abs 4 bis 7 EGV. Siehe Seifert, Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäische Kommission als Teil europäischer „Gesetzgebungstätigkeiten“ - aktuelle Rechtslage und Modell der Europäischen Verfassung, Working Paper des Europainstituts, Juli 2006, 35 ff. Vgl http://ec.europa.eu/environment/biotechnology/safeguard_clauses.htm.
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18.12.2006), die Importverbote Österreichs und der anderen Mitgliedstaaten mittels qualifizierter Mehrheit im Rat der europäischen Umweltminister zu Fall zu bringen. Etwas weniger strenge Bedingungen für derartige Importbeschränkungen gelten gemäß WTO-Recht.191 Dennoch stellte eine Panel-Entscheidung der WTO vom 29.9.2006 Verstöße gegen das SPS-Abkommen fest, nämlich einerseits durch das, in der Zwischenzeit beendete, Moratorium der EU, und andererseits durch die länderspezifischen Schutzmaßnahmen einiger Mitgliedstaaten, darunter Österreich.192
Schließlich können sich bei Fehlen gemeinschaftlicher Maßnahmen Verzerrungen der Handelsströme auch aus Unterschieden zwischen den nationalen Kontrollsystemen ergeben. Daher sind die einzelstaatlichen Zollbehörden etwa verpflichtet, die Freigabe für das betreffende Erzeugnis oder den Erzeugnisposten, die sich im freien Verkehr innerhalb der Gemeinschaft befinden, auszusetzen, sobald ein ernsthafter Verdacht entsteht, dass eine ernste und unmittelbare Gefahr für die Gesundheit oder Sicherheit begründet werden könnte, oder wenn die Übereinstimmung mit den gemeinschaftsrechtlichen oder einzelstaatlichen Produktsicherheitsvorschriften nicht durch entsprechende Dokumente nachgewiesen werden kann.193 Die Verpflichtung umfasst somit nicht nur die Anwendung von Gemeinschaftsmaßnahmen oder Umsetzungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten, sondern im Falle des Fehlens sekundärrechtlicher Bestimmungen auch die Anwendung einzelstaatlicher Vorschriften.
D. Antidumpingrecht Gemäß der AntidumpinggrundVO 384/96 der EG - welche inhaltlich im wesentlichen eine Umsetzung des WTO-Antidumpingübereinkommens darstellt - können für gedumpte Waren Antidumpingzölle festgesetzt werden, sofern ein Wirtschaftszweig der Gemeinschaft bedeutend geschädigt wird oder geschädigt zu werden droht oder die Errichtung eines Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft erheblich verzögert wird und ein Interesse der Gemeinschaft am Eingreifen besteht.194 Nur wenn die Behörden „eindeutig zu dem Ergebnis kommen“, dass eine Maßnahme nicht im Interesse der Gemeinschaft liegt, können sie von der Ergreifung von Maßnahmen Abstand nehmen. Eine Ware gilt als gedumpt, wenn ihr Ausfuhrpreis niedriger ist als der Normalwert, das ist der vergleichbare Preis der zum Verbrauch im Ausfuhrland bestimmten gleichartigen Ware im normalen Handelsverkehr. Der Normalwert bestimmt sich unter Orientierung an einer Reihe von Referenzpreisen.195 Dabei kommt es vor allem auf jenen vergleichbaren Preis an, der im normalen Handelsverkehr von unabhängigen Abnehmern im Ausfuhrland gezahlt wurde oder zu zahlen ist. Wird die Ware am Inlandsmarkt des Ausfuhrlandes im normalen Handelsverkehr nicht oder nur in unzureichenden Mengen verkauft oder lassen 191 192 193
194
195
Vgl Art 5.7 SPS-Abkommen. EC - Approval and Marketing of Biotech Products, WT/DS29. Art 2 VO 339/93/EG über die Kontrolle der Übereinstimmung von aus Drittländern eingeführten Erzeugnissen mit den geltenden Produktsicherheitsvorschriften, ABl L 40 vom 17.2.1993, 1. VO 384/96/EG über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern, ABl L 56 vom 6.3.1996, 1. Zuletzt geändert durch VO 461/2004/EG, ABl L 77 vom 13.3.2004, 12. Art 2 VO 384/96/EG.
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diese Verkäufe wegen der besonderen Marktlage keinen angemessenen Vergleich zu, so wird der Ausfuhrpreis in ein geeignetes Drittland oder der so genannte konstruierte Wert, der durch die Herstellkosten, einen angemessenen Betrag für Vertriebs-, Verwaltungs- und Gemeinkosten zuzüglich einer Gewinnspanne berechnet wird, herangezogen. Der Betrag des Antidumpingzolls darf die festgestellte Dumpingspanne nicht übersteigen,196 sollte aber niedriger sein als die Dumpingspanne, wenn ein niedrigerer Zoll ausreicht, um die Schädigung des Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft zu beseitigen (so genannte Weniger-Regel).197 Vorläufige Zölle werden von der Kommission frühestens 60 Tage, spätestens jedoch neun Monate nach der Einleitung des Verfahrens eingeführt.198 Ihre Geltungsdauer darf nicht länger als neun Monate betragen.199 Ein endgültiger Antidumpingzoll kann auf Waren erhoben werden, die innerhalb von 90 Tagen vor dem Zeitpunkt der Anwendung der vorläufigen Maßnahmen, aber nicht vor Einleitung der Untersuchung in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt wurden.200 Der endgültige Antidumpingzoll wird vom Rat auf der Grundlage eines nach Konsultationen im Beratenden Ausschuss von der Kommission unterbreiteten Vorschlags mit einfacher Mehrheit beschlossen. Eine Antidumpingmaßnahme bleibt nur solange und in dem Umfang in Kraft, wie dies notwendig ist, um das schädigende Dumping unwirksam zu machen. Im Allgemeinen tritt sie fünf Jahre nach ihrer Einführung außer Kraft. Eine Verlängerung ist jedoch im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens bei Auslaufen der Maßnahme möglich.201
E. Antisubventionsrecht Das Antisubventionsrecht der EU stellt die Umsetzung des Antisubventionsabkommens der WTO dar und ist dementsprechend inhaltlich dem WTO-Recht angeglichen.202 Die AntisubventionsVO der EG richtet sich gegen Einfuhren aus Drittstaaten, die staatlich subventioniert wurden.203 Ähnlich wie im Antidumpingrecht kann ein Ausgleichszoll verhängt werden, wenn die Subvention zu einer Schädigung eines Wirtschaftszweiges in der EG geführt hat und das Gemeinschaftsinteresse ein Eingreifen der Gemeinschaft erfordert.204 Eine relevante Schädigung liegt dann vor wenn ein „Wirtschaftszweig der Gemein196 197 198
199 200 201 202 203
204
Zur Definition der Dumpingspanne vgl Art 2 Abs 11 und 12 VO 384/96/EG. Art 9 Abs 4 VO 384/96/EG. Vgl auch Art 7 Abs 2 der VO. Art 7 Abs 1 VO 384/96/EG. Vgl zB VO 1611/2003/EG betreffend die Einfuhren bestimmter kaltgewalzter Flacherzeugnisse aus nicht rostendem Stahl mit Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika, ABl L 230 vom 16.9.2003, 9. Art 7 Abs 7 VO 384/96/EG. Art 10 Abs 4 VO 384/96/EG. Vgl Art 11 VO 384/96/EG. Näher dazu Nettesheim/Duvigneau in Streinz, Art 133 Rz 101ff. VO 2026/97/EG über den Schutz gegen subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern, ABl L 288 vom 21.10.1997, 1. Zuletzt geändert durch VO 461/2004/EG, ABl L 77 vom 13.3.2004, 12. Vgl die Mitteilung der Kommission zur Berechnung der Höhe von Subventionen in Ausgleichszolluntersuchungen, ABl C 394 vom 17.12.1998, 4.
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schaft bedeutend geschädigt wird oder geschädigt zu werden droht oder (...) die Errichtung eines Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft erheblich verzögert wird“. Unter einer anfechtbaren Subvention ist eine finanziellen Beihilfe zu verstehen, die in spezifischer Weise einem Unternehmen, einem Wirtschaftszweig oder einer Gruppe von Unternehmen oder Wirtschaftszweigen gewährt wird. Ob die Subvention nur für ein bestimmtes örtliches Gebiet vergeben wird macht dabei keinen Unterschied. Import- und Exportsubstitutionssubventionen sind auch dann anfechtbar, wenn sie nicht spezifisch vergeben werden.205 Die VO listet verbotene Exportsubventionen (Sonderfall Landwirtschaft) beispielhaft auf (u.a. Gewährung direkter staatlicher Subventionen an Unternehmen oder Wirtschaftszweige nach Maßgabe ihrer Exportleistung, Devisenbelassungsverfahren, günstigere inländische Transport- und Frachtgebühren auf den Auslandsversand, ausfuhrbezogener Erlass von Steuern oder Sozialabgaben, günstige staatliche Ausfuhrkredite oder Übernahme von Kreditkosten).206 In der Praxis der Kommission wird neben einem individuellen Vorteil auch gefordert, dass die Subvention zu Lasten eines öffentlichen Haushaltes gehen muss.207 Das Verfahren folgt im Wesentlichen den Regeln der AntidumpinggrundVO der EG.
F. Das Neue Gemeinschaftsinstrument Die VO 3286/94 soll in Anlehnung an Regelungen in den USA eine Handhabe gegen unerlaubte Handelspraktiken von Drittstaaten schaffen, die nicht dem Antidumping- oder Antisubventionsrecht unterfallen, und die Ausübung handelspolitischer Rechte der Gemeinschaft gegenüber Drittstaaten sicherstellen.208 Unter der Voraussetzung, dass die internationalen Handelsregelungen, vor allem die der WTO, ein Recht zum Einschreiten einräumen,209 kann auf Antrag eines Unternehmens im Namen eines Wirtschaftszweiges (so genannter Track A) gegen ein Handelshemmnis vorgegangen werden, wenn eine bedeutende Schädigung eines Wirtschaftszweigs verursacht wird oder verursacht zu werden droht, oder eine handelsschädigende Auswirkung verursacht wird oder verursacht zu werden droht (was der Fall ist wenn es um „erhebliche Folgen für die Wirtschaft der Gemeinschaft oder einer Region der Gemeinschaft oder für 205 206 207 208
209
Art 3 VO 2026/97/EG. Anhang I der VO 2026/97/EG. Vgl eingehend und dies ablehnend Nettesheim/Duvigneau in Streinz, Art 133 Rz 107f. VO 3286/94/EG zur Festlegung der Verfahren der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zur Ausübung der Rechte der Gemeinschaft nach internationalen Handelsregeln, insbesondere den im Rahmen der Welthandelsorganisation vereinbarten Regeln, ABl L 349 vom 31.12.1994, 71. Zuletzt geändert durch VO 356/95/EG, ABl L 41 vom 23.2.1995, 3. Maßnahmen dürfen daher zB auf Grundlage einer Ermächtigung durch ein Panel im ordnungsgemäßen Streitbeilegungsverfahren ergriffen werden. Vgl Art 22 der WTO-Streibeilegungsvereinbarung. Dies setzt in der Regel aber nicht zwingend die Rechtswidrigkeit der betreffenden Maßnahmen des Drittstaates voraus. Vgl Art 1 und 2 VO 3286/94/EG.
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einen Sektor ihrer Wirtschaftstätigkeit“ geht).210 Wenn die Interessen der Gemeinschaft ein Eingreifen erfordern, um die Schädigung oder die handelsschädigenden Auswirkungen zu beseitigen211, können geeignete Maßnahmen verhängt werden. Neben Anträgen im Namen von Wirtschaftszweigen können auch einzelne Unternehmen gegen Handelshemmnisse vorgehen, allerdings nur gegen solche, die sich auf einem Markt eines Drittstaates handelsschädigend auswirken (Track C). Die Mitgliedstaaten sind in beiden Fällen antragsberechtigt (Track B). Maßnahmen nach der VO 3286/94 werden vom Rat gemäß Art. 133 EGV mit qualifizierter Mehrheit beschlossen212 und können u.a. in der Aussetzung oder Rücknahme von in handelspolitischen Verhandlungen vereinbarten Zugeständnissen, der Anhebung bestehender Zollsätze oder der Einführung mengenmäßiger Beschränkungen bestehen.213
G. Ausfuhrförderung Antisubventionsrecht betrifft finanzielle Beihilfen von Staaten, die sich sowohl auf den Import als auch auf den Export von Waren aus diesen Staaten auswirken können und unter die AntisubventionsVO fallen müssen. Grundsätzlich sind nationale Beihilfen an Unternehmen im Rahmen des europäischen Wettbewerbsrechts geregelt. Exportsubventionen sollen primär die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen beim Export erhöhen und sind der für die GHP wichtigste Unterfall. Sie wirken sich indirekt auch auf die Stellung des ausführenden Unternehmens im Binnenmarkt aus da jede Verbesserung der Absatzmöglichkeiten auf Drittlandsmärkten auch zu einer potentiellen Stärkung des Unternehmens gegenüber Konkurrenten auf dem EG-Binnenmarkt und damit zu einer Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten führt. Aus diesem Grund wird die Anwendbarkeit des Art. 87ff EGV auch auf Ausfuhrbeihilfen vom EuGH bejaht.214 Die Bestimmung des Art. 132 EGV betrifft hingegen nur die Vereinheitlichung der mitgliedstaatlichen Systeme von Ausfuhrbeihilfen. Inhaltliche Regeln über die Zulässigkeit von Exportförderungen finden sich dort nicht. Für die umfangreichen Agrarexportsubventionen gelten die speziellen Vorschriften des Art. 32 ff EGV.
210 211 212 213 214
Vgl Art 2 Abs 3 iVm Art 10 VO 3286/94/EG. Art 12 Abs 1 VO 3286/94/EG. Art 13 Abs 3 VO 3286/94/EG. Art 12 Abs 3 VO 3286/94/EG. EuGH, Rs 142/87, Belgien/Kommission (Tubemeuse), Slg 1990, I-959. Kritisch dazu Vedder in Grabitz/Hilf, Art 112 Rz 8.
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V. Ausgewählte weitere Gemeinschaftspolitiken in außenwirtschaftlicher Perspektive A. Vorbemerkung Im Zentrum jeder Darstellung des Außenwirtschaftsrechts der EU muss - wie auch hier - die Gemeinsame Handelspolitik (Art. 133 EGV) stehen, die definitionsgemäß die Wirtschaftsbeziehungen zu Drittländern zum Gegenstand hat. Daneben besitzen auch die Währungsunion (Art. 111 EGV), die Entwicklungszusammenarbeit (Art. 177 EGV), die wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit mit Drittländern (Art. 181a EGV) sowie der Abschluss von Assoziierungsabkommen (Art. 310 EGV) eine spezifisch nach außen gerichtete Dimension. Insbesondere für die Gemeinsame Handelspolitik gilt dabei, dass sie Gegenstände erfassen kann, für die im Inneren der EG spezifische andere Rechtsgrundlagen gelten, nicht zuletzt die Allgemeine Harmonisierungskompetenz gemäß Art. 95 EGV. Die Konsequenz des Auseinanderklaffens zwischen der Kompetenz zur Regelung einer Materie innerhalb der EG einerseits und gegenüber Drittstaaten andererseits, insbesondere im Wege von völkerrechtlichen Verträgen, hat der EuGH des öfteren betont.215 Es wäre aber zu kurz gegriffen, es dabei bewenden zu lassen. Wie schon mehrfach betont enthalten darüber hinaus viele Kompetenzgrundlagen explizit oder implizit auch die Ermächtigung, die Beziehungen zu Drittländern zu regeln, also auch in Bereichen, die von der GHP oder den anderen spezifisch außenwirtschaftlichen Grundlagen nicht gedeckt sind. Pointiert lässt sich sagen: Binnenmarkt- und Außenwirtschaftsrecht sind zwei Seiten einer Medaille, sodass grundsätzlich kein Bereich ausgespart ist. Zum einen erfordert die Abschaffung der Binnengrenzen schon deshalb eine einheitliche Drittlandspolitik, um das Unterlaufen selbstständiger nationaler Politiken durch Verkehrverlagerungen in das Land mit den niedrigsten Einfuhr- bzw. Ausfuhrschranken zu verhindern. Zum anderen ist der Konnex zwischen Binnenmarktregulierung und Drittlandspolitik offenkundig, insoweit die jeweils geregelten Sachverhalte selbstverständlich nicht nur innerhalb der Union, sondern auch gegenüber dritten Staaten vorkommen und regelungsbedürftig sind. Im Primärrecht kommt diese Verschränkung zwischen Binnenmarkt und Drittlandspolitik besonders augenfällig dadurch zum Ausdruck, dass die Zollunion samt der Einführung eines Gemeinsamen Zolltarifs gegenüber Dritten als zentrales und erstes Merkmal des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft hervorgehoben und angeordnet wird, dass das Verbot von mengengleichen Beschränkungen innerhalb der Gemeinschaft nicht nur für die aus den Mitgliedstaaten stammenden, sondern, wie schon ausgeführt, auch für Waren aus dritten Ländern gilt, die sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden.216 Daher ist neben der GHP bzw. den außenspezifischen Kompetenzen und teilweise in unübersichtlicher Gemengelage mit diesen - auch das Binnenmarktrecht einschließlich der bereichsspezifischen Politiken der EG für die 215 216
Vgl dazu schon oben bei FN 37. Art 23 EGV.
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Drittlandsbeziehungen von wesentlicher Bedeutung. Demgemäß finden sich nicht nur etliche Abkommen mit Drittstaaten, die auf materienspezifische Kompetenzen für die interne Regulierung gestützt werden, sondern zahlreiche sekundärrechtliche Regelungen, die entweder eine autonome oder eine konventionelle Regulierung erlauben. Eine auch nur einigermaßen umfassende Darstellung dieser Zusammenhänge muss in diesem Rahmen unterbleiben.217 Im Folgenden werden stattdessen bloß einige Beispiele zur Illustration herausgegriffen. Noch etwas komplexer stellt sich die Rechtslage in jenen Fällen dar, in denen eine kompetenzielle Überlappung zwischen den drei Säulen der EU besteht. Hier kann es zu „säulenübergreifendem“ Außenwirtschaftsrecht kommen. Diesem Phänomen ist, ebenfalls bloß in illustrativer Auswahl, das übernächste Kapitel gewidmet.
B. Öffentliche Auftragsvergabe 1. Grundlegung Ein in den vergangenen Jahrzehnten immer wichtiger gewordenes Rechtsgebiet im Binnenmarkt ist die Regelung der Vergabe öffentlicher Aufträge.218 Es geht dabei um die Nachfrage von Waren und Dienstleistungen (einschließlich Baudienstleistungen), hauptsächlich vom Staat oder staatsnahen Einrichtungen. Ökonomisch steht dabei im Konzept des Binnenmarktes die Optimierung der Wirtschaftlichkeit solcher Vorgänge (Erhöhung des Wettbewerbs, dadurch Senkung der Preise und damit der Kosten für die öffentliche Hand, und dadurch insgesamt wie die Einsparungen und Wohlfahrtseffekte) im Vordergrund. Solche Vorgänge unterliegen grundsätzlich den Freiheiten des Binnenmarktes, insbesondere der Warenverkehrsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit, und den einschlägigen Diskriminierungsverboten. Der Staat sowie staatsnahe Einrichtungen verletzen diese Freiheiten, wenn sie Aufträge in intransparenter Art und Weise und unter Benachteiligung ausländischer Bieter vergeben. Die Durchsetzung des Primärrechts erwies sich allerdings als mühsam und langwierig. Zur Erhöhung der Effizienz und Verbesserung des Rechtsschutzes wurden darüber hinaus, beginnend in den 1970iger Jahren, mehrere Generationen an materiellen Richtlinien sowie auch Rechtsmittelrichtlinien erlassen.219 Diese 217
218
219
Erstmals beinahe umfassend geleistet wurde die Aufgabe von Eeckhout, The European Internal Market, 1994. Für die fulminante Entwicklung seither fehlt eine umfassende Aufarbeitung. Vergleiche statt vieler die Darstellungen bei Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005; Prieß, Handbuch des europäischen Vergaberechts: Gesamtdarstellung der EU/EWR-Vergaberegeln mit Textausgabe, 4. Aufl 2005. Derzeit gelten insb. die beiden „materiellen“ RL 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl L 134 vom 30.4.2004, 114 und die RL 2004/17/EG zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl L 134 vom 30.4.2004, 1. Ferner sind zu beachten die RL 89/665/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl L 395 vom 30.12.1989,
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Richtlinien enthalten, für Vergaben oberhalb bestimmter Schwellenwerte, spezifische Vorschriften für das Vergabeverfahren einschließlich besonderer Bekanntmachungsvorschriften, für die Handhabung technischer Spezifikationen und Leistungsnachweise von Bietern, und für die Behandlung von Bietern im Rahmen des Verfahrens einschließlich der Erteilung des Zuschlags. Ähnliche Motive wie die soeben erwähnten haben auch zu einer Verdichtung des internationalen Vertragsrechts auf dem Gebiet der öffentlichen Auftragsvergabe geführt. Die Europäische Gemeinschaft hat eine Reihe von internationalen Übereinkommen auf dem Gebiet der öffentlichen Auftragsvergabe geschlossen. Das wichtigste davon ist das im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) bestehende Government Procurement Agreement (GPA). Nur auf dieses soll hier stichwortartig und zur Illustration der außenwirtschaftsrechtlichen Fragen eingegangen werden.220 Daneben gibt es eine Reihe von teilweise durchaus weit reichenden Abkommen, etwa mit der Schweiz, oder in Konkretisierung des GPA mit den USA, ferner aber auch mit Israel, Korea, oder Chile. In den Europaabkommen mit den mittel- und osteuropäischen Ländern fanden beziehungsweise finden sich ebenso einschlägige Bestimmungen wie in den Stabilisierungs- und Assoziierungsübereinkommen mit den Ländern des Westbalkans.
2. Das Government Procurement Agreement Das Government Procurement Agreement (GPA)221 ist ein plurilaterales Abkommen über die öffentliche Auftragsvergabe auf völkerrechtlicher Ebene. Es wurde im Rahmen der so genannten Uruguay-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) sowohl von der EG222 als auch von deren Mitgliedstaaten unterzeichnet.223 Seit dem 1. Mai 2004, gilt das Übereinkommen über das öffentliches Beschaffungswesen der WTO auch für die neuen EU- Mitgliedstaaten.224
220
221 222 223 224
33 und die RL 92/13/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie-, und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl L 76 v 23. 3. 1992, 14. Zum folgenden genauer Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, insb 1313 ff; Griller, Internationales Vergaberecht. Aktivitäten öffentlicher Auftraggeber in Drittländern und Beteiligung ausländischer Bieter an innerstaatlichen Vergabeverfahren, in Griller/Holoubek (Hrsg), Grundfragen des Bundesvergabegesetzes 2002, 2004, 245 ff; jeweils mwN. Die Rechtslage ist in beinahe allen im Folgenden angesprochenen Punkten umstritten. Es sei betont, dass sich für die anderen, hier nicht näher erörterten Abkommen teilweise ganz andere Rechtsfolgen ergeben, insbesondere so weit es sich um Assoziierungsabkommen gem. Art 310 EGV handelt. Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen, ABl 1994/L 336/273. Beschluss des Rates 94/800/EG vom 22.12.1994, ABl Nr L 336/273 vom 23.12.1994. Weitere Mitglieder des GPA sind die für die EG wichtigsten Handelpartner Kanada, Hongkong/China, Japan, die USA und die Schweiz. Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. Der WTO Ausschuss für das öffentliche Auftragswesen hat den nötigen Änderungen mittels Beschluss vom 23. April 2004 zugestimmt; Pressemittelung IP/04/744 vom 15.06.04.
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Der Regelungskern des GPA besteht aus einem Inländergleichbehandlungsgebot und ein Diskriminierungsverbot. Art. III GPA verbürgt • Einen Gleichbehandlungsanspruch, der die Behandlung von Produkten, Dienstleistungen und Anbietern einerseits aus dem Inland und andererseits von einer anderen Vertragspartei als Vergleichsmaßstab aufstellt. Das Gleichbehandlungsgebot gilt allerdings nur hinsichtlich von Produkten und Dienstleistungen der Vertragsparteien, die Waren oder Dienstleistungen der Vertragsparteien anbieten. Auf dieser Grundlage wäre es zulässig, inländische oder ausländische Anbieter zu diskriminieren, wenn sie Waren oder Dienstleistungen aus Drittländern, also Nicht-GPA-Ländern anbieten; • Ein Diskriminierungsverbot, wonach einerseits die ausländische Beteiligung an inländischen Unternehmen und andererseits die Herkunft der von einem inländischen Unternehmen angeboten Waren aus einem Vertragsland kein Grund für eine Ungleichbehandlung sein dürfen. Das GPA wurde unter anderem von der EG, nicht jedoch von allen ihren Mitgliedstaaten ratifiziert. Ratifiziert haben z.B. Frankreich, Belgien und Dänemark, nicht ratifiziert z.B. Deutschland, Großbritannien und Österreich. Dies ist Ausdruck eines Disputs über die Kompetenzlage. Während die Kommission behauptet, die EG sei für den Abschluss des GPA ausschließlich zuständig gewesen, meinen einige MS, unterstützt vom juristischen Dienst des Rates, es liege ein gemischtes Abkommen vor.
3. Die kompetenzrechtliche Lage Wie schon erwähnt holte die Kommission aus Anlass der Abschlusses der WTO-Abkommen, die eben auch das GPA umfassen, vom EuGH ein Gutachten über die Frage ein, ob der EG die ausschließliche Kompetenz zum Abschluss dieser Abkommen zukomme.225 Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass die EG zwar zum Abschluss der Abkommens über den Warenhandel (GATT 1994 und verwandte Abkommen) ausschließlich zuständig sei, die Kompetenz zum Abschluss des WTO-Dienstleistungsabkommens (GATS) sowie des Abkommens über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS) aber zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten geteilt sei226. Hinsichtlich der öffentlichen Auftragsvergabe heißt dies, wie der Europäische Gerichtshof in einem diesbezüglichen Urteil im Einklang mit dem WTOGutachten feststellte,227 dass die EG nur hinsichtlich der Lieferaufträge für Waren, nicht aber für den Gesamtumfang der Dienstleistungen ausschließlich zuständig war. Aus diesem Grund ist nicht gänzlich klar, ob die nicht auf den Warenverkehr und die Ausschnitte der Dienstleistungen, welche in die ausschließliche EG-Kompetenz fallen, bezogenen Teile des Abkommens, also insbesondere jene über Baudienstleistungen und andere Dienstleistungen, die Personenbewegungen einschließen, von der EG oder (auch) von den Mitgliedstaaten abgeschlossen wurden (so weit diese das Abkommen ratifiziert haben). Die besse225 226 227
EuGH Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267; vgl oben bei FN 106. EuGH Gutachten, 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267, Rz 98 und Rz 105. EuGH Rs C-360/93, Europäisches Parlament/Rat (Abkommen USA-EWG), Slg 1996, I-1195.
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ren Gründe sprechen, so die hier vertretene Auffassung, für die zweitgenannte Position. Angesichts dieser unklaren kompetenzrechtlichen Situation, aber auch angesichts der zurückhaltenden Judikatur des EuGH zu den Rechtswirkungen des WTO-Rechts in Gemeinschaftsrecht - der EuGH verneint sowohl die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts als auch dessen Maßstabsfunktion für Sekundärrecht228 - ist es erforderlich zu prüfen, inwieweit die Bestimmungen des GPA durch das Richtlinienrecht, also durch die Allgemeine Vergaberichtlinie und die Sektoren-Richtlinie, in den Bestand des Gemeinschaftsrechts transformiert wurden.229
4. Das GPA und die EG-Vergaberichtlinien Die Vergaberichtlinien der EG enthalten - was die generellen Regelungen betrifft - nur sehr knappe Regelungen betreffend das Drittlandsregime, nämlich über das GPA. Art. 5 der Allgemeinen Vergaberichtlinie 2004/18/EG und Art. 12 der Sektorenrichtlinie 2004/17/EG230 statuieren allerdings ein auf den ersten Blick völlig einschlägiges Diskriminierungsverbot. Nach den „Bedingungen aus den im Rahmen der Welthandelsorganisation geschlossenen Übereinkommen“ (so die Überschrift dieser Artikel) „wenden die Mitgliedstaaten untereinander Bedingungen an, die ebenso günstig sind wie diejenigen, die sie gemäß dem Übereinkommen Wirtschaftsteilnehmern aus Drittländern einräumen“. Bei genauerer Analyse erweisen sich diese Bestimmungen allerdings nicht ohne weiteres als Verpflichtung, das GPA gegenüber Drittländern anzuwenden, sondern als Vorsorge gegen die Gefahr einer umgekehrten Diskriminierung: sichergestellt wird bloß, dass in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten keine Benachteiligung entsteht. Ob das GPA Dritten gegenüber tatsächlich angewendet wird, bleibt offen. Daher ergibt sich aus den Richtlinien keine kategorische Verpflichtung, Drittlandsanbieter aus "GPA-Ländern" gleich zu behandeln wie Anbieter aus der EG. Nach dem hier vertretenen Standpunkt besteht allerdings die EG-rechtliche Pflicht, „GPA-Anbieter“ im Bereich der Warenlieferungen gleich zu behandeln, also die diesbezüglichen Bestimmungen der Vergaberichtlinien anzuwenden. Dies ergibt sich aus der WTO-konformen Interpretation der zitierten Bestimmungen in den Richtlinien, die allerdings nur im Bereich des Warenverkehrs - wegen der hier gegebenen ausschließlichen Kompetenz - möglich erscheint. Die WTO-konforme Interpretation ist ein starkes Argument dafür, hier trotz der unklaren Formulierung eine Pflicht zur Gleichbehandlung zu vertreten. Für Dienstleistungen, einschließlich Baudienstleistungen, hingegen bewirkt die genannte Bestimmung (und die ebenfalls vorgenommene Anpassung an die GPA-Schwellenwerte) tatsächlich bloß die Verhinderung der so genannten 228 229
230
Vgl dazu oben bei FN 101. Die Änderung des Art 133 EGV durch den Vertrag von Nizza hat, wie nur sicherheitshalber angemerkt sei, die diesbezügliche Rechtslage nicht entscheidend verändert. Insb. hat dieser Vertrag auch für Dienstleistungen nur eine konkurrierende, nicht aber eine ausschließliche EG-Kompetenz geschaffen, Vgl auch Art 36 der alten Sektorenrichtlinie 93/38/EWG.
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umgekehrten Diskriminierung, also die Benachteiligung von EG-Bietern gegenüber "GPA-Bietern". Ob das GPA im Dienstleistungsbereich tatsächlich anwendbar ist, bestimmt sich aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht nach Europarecht, sondern nach nationalem Recht. Daher kann hier eine WTOkonforme Interpretation auch nicht weiterführen. Für Österreich gilt diesbezüglich: das GPA wurde durch Österreich weder ratifiziert noch transformiert, es ist innerstaatlich daher nicht durchsetzbar, weder auf der Grundlage des Bundesvergabegesetzes 2002 noch auf jener des Bundesvergabegesetzes 2006.231 Dessen Regelungen allein tragen wenig zur Klärung bei.232 Sie enthalten im wesentlichen eine Verweisung auf die geltenden internationalen Verpflichtungen und eine Unberührtheitsklausel in Bezug auf das GPA. Das - hier nur rudimentär und ausschnittsweise dargestellte - Vergaberecht ist daher ein gutes Beispiel für die außenwirtschaftliche Relevanz des Binnenmarktrechts, gleichzeitig aber auch für die Komplexität, die sich aus dieser Mehrschichtigkeit der Rechtslage (WTO-Rechts, EG-Recht, nationales Recht) ergeben kann.
C. Luftverkehrsrecht 1. „Open Skies“-Abkommen Der EGV enthält spezielle Bestimmungen über den Verkehr, die dem Rat spezifische Befugnisse übertragen, auf Grund deren er mehrere Verordnungen erlassen hat, welche die Dienstleistungsfreiheit im gemeinschaftlichen Luftverkehr und den freien Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft gewährleisten sollen.233 Seit Beginn der 90er Jahre hatte die Kommission versucht, vom Rat ein Mandat für die Verhandlung von Luftverkehrsabkommen mit den USA zu erhalten, das die Vielzahl bilateraler Abkommen ersetzen sollte, die europäische Staaten vor ihrer Mitgliedschaft in der EU geschlossen hatten. Die Kommission erhielt zwar ein beschränktes Mandat, dieses führte jedoch zu keinem Abkommen zwischen der Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten. In der Folge schloss die USA mit einigen Mitgliedstaaten so genannte „Open Skies“Abkommen, bilaterale Verträge über Zugang zu Routen, Gewährung von Linien- und Verkehrsrechten, Preisfestlegung und „code sharing“. Aus Anlass dieser Abkommen klagte die Kommission die Mitgliedstaaten Dänemark, Schweden, Finnland, Belgien, Luxemburg, Österreich und Deutschland sowie (mit etwas anderem Inhalt) das Vereinigte Königreich. Die Kom-
231 232 233
BGBl I Nr 17/2006 idF BGBl II Nr 193/2006. Vgl insbesondere §§ 19 und 348 Bundesvergabegesetz 2006. Titel V, Art 70 ff EGV. VO 2407/92/EWG über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen durch die Mitgliedstaaten an in der Gemeinschaft niedergelassene Luftfahrtunternehmen; VO 2408/92/EWG über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu den innergemeinschaftlichen Strecken; VO 2409/92/EWG über die Aufstellung von Flugpreisen für den Flugverkehr innerhalb der Gemeinschaft; VO 2299/89/EWG über computergesteuerte Buchungssysteme und Zuweisung von Zeitnischen.
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mission behauptete eine Verletzung der ausschließlichen Außenkompetenz der Gemeinschaft sowie der Niederlassungsfreiheit.234 Die Entscheidung des EuGH ist ein Anwendungsfall der Unterscheidung zwischen ausdrücklichen und impliziten ausschließlichen Außenkompetenzen.235 Der EGV sehe zwar eine Kompetenz der Gemeinschaft im (Luft)Verkehrsbereich vor, für sich allein schaffe dies allerdings keine ausschließliche Außenkompetenz der Gemeinschaft zur Regelung des Luftverkehrs. Der Gerichtshof prüfte dann systematisch das Vorliegen jener Bedingungen, nach denen er in ständiger Rechtsprechung eine implizite ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeit annimmt:236 Erstens war im vorliegenden Fall die Zuerkennung einer Außenkompetenz nicht erforderlich, damit die Gemeinschaft eine (noch nicht ausgeübte) interne Zuständigkeit wirksam ausüben konnte, da die oben genannten Verordnungen des Rates237 erlassen werden konnten, ohne dass notwendigerweise ein „Open Skies“-Abkommen abgeschlossen werden musste. Weiters prüfte der EuGH, ob die völkerrechtlichen Verpflichtungen in den Anwendungsbereich von gemeinsamen Rechtsnormen fielen oder zumindest ein Gebiet erfassten, das bereits weitgehend von solchen Rechtsnormen erfasst war, und ob die Gemeinschaft in ihre internen Rechtsetzungsakten Klauseln über Angehörige von Drittstaaten aufgenommen hatten. Nach Ansicht des EuGH wurden die VO 2407/92 und 2408/92 durch die Abkommen nicht berührt, da diese VO nur Bestimmungen für amerikanische Luftfahrtunternehmen enthalten. Die VO 2409/92 und 2299/89 enthielten jedoch nach Ansicht des EuGH durchaus Vorschriften, die auch für Luftfahrtunternehmen aus Drittländern gelten. Die „Open Skies“-Abkommen berühren somit insoweit den Anwendungsbereich von EG-Recht, wodurch eine ausschließliche Außenkompetenz der EG begründet wird. Dänemark, Schweden, Finnland, Belgien, Luxemburg, Österreich und Deutschland hatten somit die Außenkompetenz der Gemeinschaft in Bezug auf die Gemeinschaftsvorschriften über die Aufstellung von Flugpreisen für den Flugverkehr innerhalb der Gemeinschaft und über computergesteuerte Buchungssysteme verletzt.238 234
235
236 237 238
Letzteres, da eine Klausel über Eigentum und Kontrolle der Luftfahrtunternehmen es den USA ermöglicht hätten, europäischen Luftfahrtunternehmen aus Vertragsstaaten die Verkehrsrechte für den amerikanischen Luftraum zu verweigern, wenn nicht ein wesentlicher Teil des Eigentums und die tatsächliche Kontrolle des Unternehmens bei diesem Mitgliedstaat oder bei Angehörigen dieses Staates lag. Stellvertretend für alle Urteile in dieser Sache EuGH, Rs 475/98, Kommission/Österreich, Slg 2002, I-9797. Siehe dazu und zum Folgenden etwa Pitschas, EuGH: Open-Skies-Abkommen mit USA, EuZW 2003, 92 und Stadlmeier, Das Ende einer Ära? Die Open Skies-Urteile des EuGH, ZÖR 2003, 163. Siehe II.B.4 oben. Siehe FN 233. Weiters entschied der EuGH, dass mit der Klausel über Eigentum und Kontrolle in den Abkommen Luftfahrtunternehmen unter der Kontrolle von Nicht-Vertragsstaaten in Staaten mit „Open Skies“-Abkommen diskriminiert würden. Die Diskriminierung sei auch nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt.
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Aber andererseits betont der EuGH, dass „dass etwaige Verzerrungen des Dienstleistungsflusses im Binnenmarkt, die sich aus bilateralen Open SkiesAbkommen ergeben können, die Mitgliedstaaten mit Drittländern abschließen, nicht für sich die auf diesem Gebiet erlassenen gemeinsamen Rechtsnormen beeinträchtigen und daher keine Außenkompetenz der Gemeinschaft begründen können“. Denn nichts hindere die Organe daran, „im Rahmen der von ihnen erlassenen gemeinsamen Vorschriften konzertierte Aktionen gegenüber Drittländern vorzusehen oder den Mitgliedstaaten ein bestimmtes Verhalten in ihren Außenbeziehungen vorzuschreiben“.239 Anders gesagt: für den Kern der so genannten Open Skies-Übereinkommen, nämlich die wechselseitige Marktöffnung, anerkannte der EuGH keine ausschließliche Zuständigkeit. Man mag sich auch hier fragen, ob diesbezüglich eine konkurrierende Zuständigkeit der EG besteht. Nicht nur im Verkehrsbereich schweigt der Vertrag dazu.240 Auf den ersten Blick erscheint dies nicht sehr bedeutsam zu sein. Denn der EuGH betont,241 dass sich die Gemeinschaft eine ausschließliche Kompetenz durch die Erlassung eines Sekundärrechtsakts verschaffen kann. Zum einen kann aber die Erlassung eines solchen Rechtsakts auf Widerstand stoßen, zum anderen ist ungeklärt, ob dieses Instrument zur Verschaffung einer ausschließlichen Kompetenz ohne jede Schranke zur Verfügung steht, oder ob seine Inanspruchnahme nicht ebenfalls voraussetzt, dass durch die drittlandsorientierte Regelung die Erreichung eines innergemeinschaftlichen Zieles erleichtert wird.242
2. Die Entscheidung Fluggastdaten Bei der internationalen Regelung der Behandlung von Daten über Flugreisende zum Zweck der Terrorismusbekämpfung stellen sich schwierige Fragen der Abgrenzung zwischen Luftverkehr - Datenschutz - Terrorismusbekämpfung im Dreieck EG - EU (3. Säule) - Mitgliedstaaten. Auch diese Fragen sind zur Illustration der Gemengelage der aktuellen Kompetenzverteilung in den Außenbeziehungen geeignet. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erließen die USA Vorschriften, die Fluggesellschaften bei Flügen in die, aus den oder über die USA verpflichten, amerikanischen Behörden elektronischen Zugriff auf die Daten ihrer automatischen Reservierungs- und Abfertigungssysteme, die so genannten „Passenger Name Records“ (PNR), zu gewähren. Die USA drängten 239 240 241 242
Rs 475/98, Kommission/Republik Österreich, Slg 2002, I-9797, Rz 100 f. Siehe dazu oben II. B. 5. Dies übrigens nicht erst in den Open Skies-Urteilen, sondern schon im Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267, Rz 79. Verneint man dies, so räumen die erwähnten Passagen in den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs der Gemeinschaft eine nicht weiter begrenzte Möglichkeit ein, sich durch die Erlassung von Sekundärrecht eine ausschließliche Zuständigkeit zu verschaffen. Es ist zwar zuzugeben, dass die Grenze zur Beeinträchtigung bestehenden Sekundärrechts sich nicht immer leicht wird ziehen lassen. Aber es ist doch ein Unterschied, ob eine innergemeinschaftliche Vorgänge regelnde Bestimmung durch einen Vertrag mit Drittstaaten beeinträchtigt wird, oder ob durch eine sekundärrechtliche Bestimmung den Mitgliedstaaten die Befugnis entzogen wird, über bestimmte Gegenstände Verträge mit Drittstaaten abzuschließen, und diese Befugnis stattdessen auf die EG übertragen wird.
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dabei auf eine rasche Entscheidung in der EU. Das Europäische Parlament war jedoch mehreren Aufforderungen des Rates zur Stellungnahme hinsichtlich des Abschlusses eines Abkommens nicht nachgekommen und hatte die Einholung eines Gutachtens des EuGH über die Kompetenzen zum Vertragsabschluss beantragt.243 Nach Entscheidung der Kommission, wonach das United States Bureau of Customs and Border Protection (CBP) einen angemessenen Schutz für diese PNR-Daten garantiere, wurde in der Folge mit Beschluss des Rates der Abschluss eines Abkommens zwischen der EG und den USA über die Verarbeitung von PNR und deren Übermittlung durch in der EU ansässige Fluggesellschaften an das CBP beschlossen.244 Der Rat argumentierte, dass Art. 95 EGV (die allgemeine Kompetenz zur Rechtsangleichung) eine ausschließliche Außenkompetenz der EG in dieser Sache begründe, da aus den Sanktionen der USA gegen Fluglinien, die die Übermittlung von PNR verweigerten, Wettbewerbsverzerrungen gegenüber kooperierenden Fluglinien entstehen könnten. Die EG schloss somit ein Abkommen der Gemeinschaft ab, ohne Beteiligung der Mitgliedstaaten und unter Ausschluss des Europäischen Parlaments. Die theoretischen Alternativen waren entweder ein Abkommen in der dritten Säule im Rahmen der PJZS (dies hätte Einstimmigkeit im Rat erfordert), ein gemischtes Abkommen von sowohl Mitgliedstaaten als auch der EG, oder, als Premiere, ein Fall der cross-pillar-mixity, somit ein Abkommen teils in der ersten Säule und in der dritten Säule (sowie durch die Mitgliedstaaten). Alle Alternativen hätten ein wesentlich zeitaufwändigeres Verfahren erfordert als die von Rat und Kommission gewählte Vorgangsweise. Das Europäische Parlament beantragte in der Folge beim EuGH die Nichtigerklärung beider Entscheidungen. Der Gerichtshof erklärte einerseits die Angemessenheitsentscheidung der Kommission für nichtig, da eine solche staatliche Datenverarbeitung zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46/EG245 falle.246 Er erklärte aber auch den Ratsbeschluss für nichtig, da weder die Kompetenz zur Harmonisierung im Binnenmarkt in Art. 95 EG noch Art. 25 der DatenschutzRL über die Übermittlung personenbezogener Daten in Drittländer eine Außenkompetenz der Gemeinschaft für den Abschluss des Abkommens mit der USA begründen können:247 Die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen Mitgliedstaaten sei zwar eine Zielsetzung des Abkommens, sei jedoch gegenüber des243 244
245 246 247
Siehe II.E.2 oben. Vgl Keiler/Kristoferitsch, Passagierdaten auf dem Flug in die USA, ZVR 2006, 484. Beschluss 2004/496/EG über den Abschluss eines Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das Bureau of Customs and Border Protection des United States Department of Homeland Security, ABl L 183 vom 20.5.2004, 83, berichtigt im ABl L 255, 168. Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl L 281 vom 23.11.1995, 31. EuGH, Verb Rs C-317, 318/04, Europäisches Parlament/Rat und Kommission, Slg 2006, I-4721. EuGH, Verb Rs C-317, 318/04, Europäisches Parlament/Rat und Kommission, Slg 2006, I-4721.
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sen anderen ausdrücklichen Zielen (öffentliche Sicherheit, Terrorismusbekämpfung) nur akzessorisch.248 Die Datenschutz-RL wiederum sieht ausdrücklich Ausnahmen vor für Datenverarbeitungen in für die Mitgliedstaaten sensiblen (sicherheits-)politischen Bereichen.249 Der EuGH hat somit einen Versuch der Flucht der EG-Organe aus den Komplexitäten der Kompetenzverteilung und den langwierigen Entscheidungsprozessen der dritten Säule vereitelt. Der durch das EuGH-Urteil bedingte neue Vorschlag der Kommission sieht nun ein inhaltsgleiches Abkommen gestützt auf Art. 24 und Art. 38 EUV vor. Dabei ist allerdings fraglich, ob sich ein Abkommen in der zweiten und dritten Säule auf Angelegenheiten der ersten Säule (Datenschutz) beziehen darf.250 Die Entscheidung zeigt somit einmal mehr die praktischen Probleme der Säulenstruktur der EU bei gleichzeitigem, durch externen Druck bedingtem Wandel von einem gemeinsamen Markt in eine politische Union.251
D. Die Gemeinsame Agrarpolitik Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist vor allem in den Art. 32 ff EGV geregelt. Sie ist eine Kernpolitik der EG und findet sich bereits im EWGV von 1957. De jure ist die GAP eine konkurrierende Kompetenz, de facto besteht jedoch mindestens im Bereich der Gemeinsamen Marktordnungen (GMO; etwa für Getreide oder Obst) eine sehr weitgehende Harmonisierung, sodass kaum noch Handlungsoptionen für die Mitgliedstaaten verbleiben. Nationale Vorschriften dürfen das Funktionieren von Gemeinschaftsrecht nicht behindern, auch wenn diese das betreffende Gebiet nicht abschließend regelt.252 Dennoch ist die immer wieder anzutreffende, auch von der Kommission (nicht zuletzt in der Debatte um die Europäische Verfassung) vertretene Auffassung, die Gemeinsame Agrarpolitik sei auch EG-intern eine ausschließliche Kompetenz, verfehlt.253 Der Vollzug des GAP obliegt weitestgehend den Mitgliedstaaten.254 248
GA Léger in Verb Rs C-317, 318/04, Slg 2006, I-4721, Rz 147. Insofern sehr kritisch gegenüber dem Vorgehen des Rates Simitis, Übermittlung von Flugpassagierdaten in die USA: Dispens vom Datenschutz?, NJW 2006, 2011. 250 Vgl oben II.C.2.b. Westphal, Anmerkung zu Verb Rs C-317, 318/04, EuZW 2006, 406, 407. 251 Vgl Simitis, Übermittlung von Flugpassagierdaten, NJW 2006, 2011. 252 Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, „sich aller Maßnahmen zu enthalten, die von dieser Regelung [Anm: der GMO] abweichen oder sie verletzen können“. EuGH, Rs 83/78, Pigs Marketing Board, Slg 1978, 2347, Rz 56/57. So bereits etwa EuGH, Rs 111/76, van den Hazel, Slg 1977, 901. Vgl Kopp in Streinz (Hrsg), EUV/EGV, 2003, Art 37 Rz 22 und Booß in Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union, Band 1, EL 21, April 2003, Art 37 Rz 36ff. 253 Vgl. zu dieser Diskussion etwa von Bogdandy/Bast, Die vertikale Kompetenzordnung der Europäischen Union, EuGRZ 2001, 441 (hier insb 448 f); Griller/ Droutsas/Falkner/Forgó/Nentwich, The Treaty of Amsterdam, 2000, 100 ff; alle mwN. 254 Die zuständige Marktordnungs- und Interventionsstelle in Österreich ist die Agrarmarkt Austria. Näher dazu Puck, Wirtschaftslenkungsrecht, in Raschauer (Hrsg), Österreichisches Wirtschaftsrecht, 2003, 287 ff. 249
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Aus der AETR-Judikatur255 ergibt sich für diese intern (sehr weitreichend) harmonisierten Bereiche jeweils eine ausschließliche Außenkompetenz. Darüber hinaus fallen selbstverständlich alle handelspolitischen Maßnahmen betreffend landwirtschaftliche Waren, also etwa Zölle, Schutzmaßnahmen oder Ausfuhrunterstützungen, unter die Gemeinsame Handelspolitik (Art. 133 EGV) und damit ungeachtet des Bestandes an sekundärrechtlichen Vorschriften in die ausschließliche Kompetenz der EG.256 Die (teils ungeschriebenen) Grundprinzipien der GAP sind die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte der Mitgliedstaaten und der freie Binnenverkehr für Agrarprodukte („Einheit des Marktes“), die Bevorzugung von Agrarprodukten der EG gegenüber importierten Produkten („Gemeinschaftspräferenz“) und die solidarische Tragung der Kosten der GAP durch alle Mitgliedstaaten („finanzielle Solidarität“).257 Jede Diskriminierung zwischen Erzeugern und Verbrauchern innerhalb der EG ist verboten.258 Die Regelungen der GAP sind leges speciales zu den sonstigen Bestimmungen für den Binnenmarkt.259 Sie gelten für solche Erzeugnisse „des Bodens, der Viehzucht und der Fischerei“, die im Anhang I zum EGV angeführt sind. Dieser Anhang umfasst nicht nur „klassische“ landwirtschaftliche Produkte, sondern etwa auch „Zubereitungen von Gemüsen, Küchenkräutern, Früchten (…)“, Malz, Stärke und Margarine. Die GAP kann in die vier folgenden Bereiche unterteilt werden: Markt- und Preispolitik vor allem mittels so genannter Gemeinsamer Marktorganisationen (GMO), Sozial- und Strukturpolitik zur Modernisierung der Landwirtschaft, Rechtsangleichung auf Gebieten ohne GMO und Außenhandelspolitik.260 Zentrale Ziele der GAP sind Produktionssteigerungen (heute besser: Effizienzsteigerungen) in der Landwirtschaft, die wirtschaftliche Absicherung der Landwirte, die Stabilisierung der Märkte um Mangelsituationen bzw. Überschüsse zu vermeiden, Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln und angemes255
Vgl dazu oben bei FN 24. Vgl insbesondere EuGH, Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5267, Rz 29: „Daß die im Rahmen dieses Abkommens eingegangenen Verpflichtungen den Erlaß interner Durchführungsmaßnahmen auf der Grundlage von Artikel 43 [jetzt: Art. 37] EG-Vertrag einschließen, hindert nicht, daß die internationalen Verpflichtungen selbst gemäß Artikel 113 [jetzt: Art. 133] allein übernommen werden können.“ 257 Vgl Kopp in Streinz, Art 32 Rz 16ff. Die Finanzierung der GAP erfolgt durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL). Vgl VO 1257/1999/EG über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), ABl L 160 vom 26.6.1999, 80, VO 1258/1999/EG über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik, ABl L 160 vom 26.6.1999, 103, VO 1260/1999/EG mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds, ABl L 161 vom 26.6.1999, 1. Der Anteil der EAGFL-Ausgaben im Jahr 2005 betrug 42,5% des EUGesamthaushalts. Der größte Empfänger von Zahlungen ist Frankreich mit 20,4% der Gesamtausgaben. Siehe den 35. Finanzbericht über den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Garantie - Haushaltsjahr 2005, KOM(2006) 512 endg. 258 Art 34 Abs 3 EGV. 259 Art 32 Abs 2 EGV. 260 Kopp in Streinz, Art 32 Rz 51ff. 256
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sene Preise für Verbraucher.261 Diese Ziele ergänzen einander teilweise, teils stehen sie in offensichtlichem Widerspruch (Konsumenten wollen niedrige Preise, Landwirte ein hohes Einkommen). Für die meisten der von der GAP erfassten Produkte sind GMO erlassen worden.262 Diese sahen traditionell ein System der finanziellen Förderung der landwirtschaftlichen Produktion vor. Ausgehend von einem Preis, der zur Sicherung des Einkommens der Landwirte gewünscht wurde („Richtpreis“) wurden zu einem angemessenen „Interventionspreis“ (meist 10-12% unter dem Richtpreis) die Agrarerzeugnisse von Interventionsstellen in den Mitgliedsstaaten aufgekauft. Ergänzt wurde dieses System durch „Schwellenpreise“ für die Einfuhr von Agrarprodukten aus Drittstaaten, welche jedoch im Rahmen der WTO durch „normale“ Zölle ersetzt wurden. Da anfangs auch Überschüsse aufgekauft und zu hohen Kosten gelagert wurden, führte dieses System zu dramatischen Produktionsüberschüssen und enormen Kosten für den EG-Haushalt. Aus diesen Gründen wurde seit den 70er-Jahren, verstärkt durch die so genannte Agenda 2000 und mit zusätzlichen Maßnahmen in den Jahren 2002/2003, die GAP tiefgreifend reformiert. Der Schwerpunkt der Förderung des Agrarsektors durch die EG liegt nun bei produktionsunabhängigen, einzelbetrieblichen Zahlungen ("Entkoppelung") verknüpft mit Auflagen betreffend etwa Umwelt- und Tierschutz, der Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums, Preissenkungen (etwa des Interventionspreises für Butter und für Magermilchpulver) und Anreizen für die Reduzierung landwirtschaftlicher Flächen.263 Umfassende Reformen sind derzeit weiters für den Weinsektor, den Obst- und Gemüsemarkt und den Bananenmarkt geplant.264 Die Einhebung von (teilweise hohen Schutz-)Zöllen auf die Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte aus Drittstaaten sowie die so genannten Ausfuhrerstattungen, wobei Exporteuren aus der EG die Differenz zwischen dem Marktpreis in der Gemeinschaft und dem Weltmarktpreis ersetzt wird zu Herstellung ihrer Konkurrenzfähigkeit, werden in der WTO heftig bekämpft, sowohl rechtlich in der Streitbeilegung als auch politisch in den Handelsrunden.265
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264 265
Vgl Art 33 Abs 1 EGV. Übersicht auf http://ec.europa.eu/agriculture/markets/index_de.htm und bei Priebe in Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union, Band 1, EL 21, April 2003, Art 34 Anhang. Vgl auch Kopp in Streinz, Art 34 Rz 4. Siehe vor allem VO 1782/2003/EG mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, ABl L 270 vom 21.10.2003, 1, und VO 1698/2005/EG über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), ABl L 277 vom 21.10.2005, 1. Konkrete Maßnahmen unter dem neuen Regime sind etwa die Erhöhung der Beihilfen für private Lagerhaltung, flächenbezogene Direktzahlungen („Kulturpflanzenflächenzahlungen“), Rinder- und Schafprämien mit regionalen Höchstgrenzen. Siehe näher Puck, Wirtschaftslenkungsrecht, 279ff. Siehe http://ec.europa.eu/agriculture/capreform/index_de.htm. Siehe dazu etwa Booß in Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union, Band 1, EL 21, April 2003, vor Art 32 Rz 25.
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Zur Veranschaulichung der GAP im Bereich der Marktordnungen nachfolgend eine kurze Darstellung der GMO Geflügel, welche vor allem den Handel mit Drittländern betrifft und keine innergemeinschaftlichen Preisgarantien gewährt.266 Die durch die GMO Geflügel erfassten Erzeugnisse sind in Art. 1 der VO mittels ihrem Code unter der KN267 genau definiert (ua. Hühner der Art Gallus domesticus, Enten, Gänse sowie deren Fleisch und Schlachtnebenerzeugnisse, Geflügelleber und Geflügelfett in verschiedenster Form). Für die Ein- und die Ausfuhr dieser Produkte bestehen mengenmäßige Beschränkungen, somit Kontingente, die im Rahmen der WTO ausgehandelt werden.268 Um unter die Kontingente zu fallen und die erfassten Erzeugnisse in die EG ein- oder aus dieser ausführen zu dürfen, muss eine Lizenz (also eine Genehmigung) beantragt werden, welche dann für die gesamte EG gilt.269 Die auf die Einfuhr der Geflügelprodukte erhobenen Zölle ergeben sich aus dem GZT.270 Soweit nach WTO-Recht (insb gemäß der „Special Safeguard Provision“ des Art. 5 des Übereinkommens über die Landwirtschaft) zulässig, kann jedoch auch ein zusätzlicher Einfuhrzoll erhoben werden, „es sei denn, die Einfuhren können keine Störung des Gemeinschaftsmarkts verursachen oder die Auswirkungen stehen in keinem Verhältnis zum angestrebten Ziel“.271 Voraussetzung für einen zusätzlichen Zoll entweder das Unterschreiten eines Richtpreises durch importierte Geflügelprodukte oder die Überschreitung einer gewissen Importmenge. Art. 8 der VO 2777/75 enthält genaue Regelungen betreffend das Verfahren für die Gewährung von Ausfuhrerstattungen und ihre Höhe. Art. 11 der VO 2777/75 schließlich ermöglicht Sofortmaßnahmen durch die Kommission, wenn der betroffene Gemeinschaftsmarkt durch Importe oder Exporte „ernstlichen Störungen ausgesetzt oder von ernstlichen Störungen bedroht“ wird.272
266
267 268 269 270 271 272
So ist die EG insb. im Streit um die Exportsubventionen für Zucker unterlegen: WT/DS265/AB/R, WT/DS266/AB/R, WT/DS283/AB/R, European Communities Export Subsidies on Sugar, Report of the Appellate Body, 28 April 2005. VO 2777/75/EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Geflügelfleisch, ABl L 282 vom 1.11.1975, 77. Zuletzt geändert durch VO 806/2003/EG, ABl L 122 vom 16.5.2003, 1. Für die in anderen GMOs enthaltenen, teilweise sehr komplizierten Regelungen betreffend den Binnenmarkt (Intervention, Vermarktungsmaßnahmen) vgl etwa die VO 1255/1999/EG über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse, ABl L 160 vom 26.6.1999, 48 (GMO Milch) sowie deren Darstellung bei Puck, Wirtschaftslenkungsrecht, 292ff. Vgl bei FN 141. Art 4 und 10 VO 2777/75/EWG. Vgl jedoch die Schutzklausel des Art 7 VO 2777/75/EWG. Art 3 VO 2777/75/EWG. Das Verfahren für die Verwaltung der Kontingente ist in Art 6 VO 2777/75/EWG geregelt. Vgl bei FN 140. Art 5 VO 2777/75/EWG. Der Rat kann die Maßnahmen mit qualifizierter Mehrheit aufheben oder ändern, nachdem sie diesem von einem Mitgliedstaat vorgelegt wurden. Art 11 Abs 3 VO 2777/75/EWG.
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Die GMO setzt überdies einen Verwaltungsausschuss für Geflügelfleisch und Eier aus Vertretern der Mitgliedstaaten ein, welcher die Kommission unterstützt.273
E. Währungspolitik 1. Allgemeines In Maastricht wurde (1992) politische Einigung über die Realisierung einer Wirtschafts- und Währungsunion erzielt. Im ersten Teil des EGV wurden die Grundsätze der Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 4) sowie in Art. 8 das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) neu verankert; Titel VII regelt die Wirtschaftspolitik (Artikel 98 - 104), die Währungspolitik (Art. 105 - 111), den institutionellen Rahmen (Art. 112 - 115) und enthält Übergangsregelungen (Art. 116 - 124); von besonderer Bedeutung ist ferner das Protokoll über die Satzung des ESZB und der EZB (ESZB - Statut). Ein Vergleich zwischen den Bestimmungen der Wirtschaftsunion und der Währungsunion lässt schon auf den ersten Blick einen grundlegenden Unterschied erkennen: Während die Wirtschaftspolitik grundsätzlich in nationaler Hand verbleibt und (lediglich) als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu betrachten und zu koordinieren ist, wurde die Währungspolitik „vergemeinschaftet“. Für WWU-Mitglieder (derzeit 13 der 27 EU-Mitglieder) ist sie eine ausschließliche EG-Kompetenz.274 Diese Asymmetrie der WWU erklärt sich aus einer von den Mitgliedstaaten überwiegend vertretenen Grundposition, welche die Währungsunion als einen Impuls sieht, der zu koordinierten Wirtschaftsprozessen in den Mitgliedstaaten führen werde (sog Vehikeltheorie).275 Es soll nationaler Einfluss und zwischenstaatlicher Systemwettbewerb erhalten bleiben, um die wirtschaftliche Effizienz in der Euro-Zone zu erhöhen. Diese Währungsunion umfasst vor allem „die unwiderrufliche Festlegung der Wechselkurse im Hinblick auf die Einführung einer einheitlichen Währung, sowie die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- und Wechselkurspolitik, die beide vorrangig das Ziel der Preisstabilität verfolgen und unbeschadet dieses Zieles die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft unter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb unterstützen sollen.“276 Der Name der neuen einheitlichen Währung wurde vom Europäischen Rat mit „Euro“ festgelegt277. In Zusammenhang mit der Schaffung einer einheitlichen Währung wurde ein Europäisches System der Zentralbanken (ESZB) und eine Europäische 273 274 275 276 277
Zu diesem, Komitologie genannten Verfahren siehe etwa Oppermann, Europarecht, 2005, 104. So die herrschende Auffassung: zB Calliess, in Calliess/Ruffert (Hrsg), EUV/EGV, 3. Aufl 2007, Art 5 EGV, Rz 28 mwN. Ausführlich dazu Breuss, Monetäre Außenwirtschaft und Europäische Integration, 2006, 58 ff und insb 377 ff. Art 4 Abs 2 EGV. Das vorrangige Ziel der Preisstabilität wird nochmals in Art 105 Abs 1 EGV betont. SN 400/95, Europäischer Rat Madrid, 15./16. 12. 1995, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, 6.
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Zentralbank (EZB) geschaffen278. Die grundlegenden Aufgaben des ESZB bestehen darin279 • die Geldpolitik der Gemeinschaft festzulegen und auszuführen - und zwar unter Beachtung des vorrangigen Ziels der Preisstabilität; • Devisengeschäfte durchzuführen (Wechselkurspolitik); • die offiziellen Währungsreserven der Mitgliedstaaten zu halten und zu verwalten; • das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern. Die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt hat ua • das ausschließliche Recht, die Ausgabe von Banknoten innerhalb der Gemeinschaft zu genehmigen280; • das Genehmigungsrecht für die Ausgabe von Münzen durch die Mitgliedstaaten281; • das Recht der Festlegung der Geldpolitik282; • beschränkte Rechtsetzungsgewalt, dh das Recht, im Rahmen ihrer Zuständigkeit Verordnungen und Entscheidungen zu erlassen, aber auch, Empfehlungen und Stellungnahmen abzugeben283.
2. Außenbeziehungen Nicht zu vernachlässigen ist der Konnex zwischen der externen Komponente (Wechselkurse) und der internen Komponente (Preisstabilität) der WWU. Der äußerst komplexe Art. 111 EGV präsentiert sich in dieser Frage als klassischer Kompromiss zwischen der Übernahme der politischen Verantwortung für die Entwicklung der Wechselkurse durch den Rat (als außenpolitisches Instrument) und der notwendigen Gestaltungsrechte des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) zwecks Sicherung der Preisstabilität.284 Artikel 111 EGV unterscheidet mehrere Situationen. Zum einen danach, ob „förmliche Vereinbarungen über ein Wechselkurssystem“ zwischen der Gemeinschaftswährung und anderen Drittlandswährungen existieren oder nicht.
278 279 280 281 282 283 284
Art 8 EGV. Art 105 Abs 2 EGV. Art 106 EGV. Zur Ausgabe berechtigt sind die EZB und die nationalen Zentralbanken. Art 106 Abs 2 EGV. Art 12.1 der Satzung des ESZB und der EZB. Art 110 EGV. Vgl statt vieler zu diesen im Detail sehr kontroversiellen Fragen Dutzler, The European System of Central Banks: An Autonomous Actor? 2003, insb. 50 ff; Eeckout, External Relations, 126 ff; Herrmann, Monetary Sovereignty over the Euro and External Relations of the Euro Area: Competences, Procedures and Practice, European Foreign Affairs Review 2002, 1; Louis, Union monétaire européenne et Fonds monétaire international, in Weber/Gramlich, Festschrift für Hugo J. Hahn zum 70. Geburtstag, 1997, 201; Martenczuk, Die Außenvertretung der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Währungspolitik, ZaöRV 1999, 93; Stadler Der rechtliche Handlungsspielraum des ESZB, 1996, 172; Torrent, Whom is the European Central Bank the Central Bank of?: Reaction to Zilioli and Selmayr, CMLRev 1999, 1229; Zilioli/Selmayr, The External Relations of the Euro Area: Legal Aspects, CMLRev 1999, 273.
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Zum anderen Vereinbarungen „im Zusammenhang mit Währungsfragen oder Devisenregelungen“: • der Abschluss förmlicher Vereinbarungen über ein Wechselkurssystem liegt in der Kompetenz des Rates; allerdings ist eine Empfehlung der EZB oder der Kommission notwendig, wobei die EZB angehört werden muss, um einen Konsens mit dem Ziel der Preisstabilität zu erreichen;285 die Modalitäten für die Aushandlung solcher Verfahren beschließt der Rat, um zu gewährleisten, dass die Gemeinschaft einen einheitlichen Standpunkt vertritt;286 • allgemeine Orientierungen für die Wechselkurspolitik können in Abwesenheit einer förmlichen Vereinbarung mit Drittstaaten vom Rat formuliert werden. Wiederum ist eine Empfehlung der Kommission und eine Anhörung der EZB oder eine Empfehlung der EZB notwendig, und das vorrangige Ziel des ESZB, die Preisstabilität zu gewährleisten, darf nicht beeinträchtigt sein;287 • Außerdem spricht der Vertrag von "Vereinbarungen im Zusammenhang mit Währungsfragen oder Devisenregelungen", und sieht dafür die Festlegung besonderer, bisher nicht beschlossener Regeln für die Aushandlung und den Abschluss vor.288 Unter förmlichen Vereinbarungen dürften fixe Wechselkurssysteme im Verhältnis zu einem gewissen Denominator zu verstehen sein (Bretton-Woodsähnliche Abkommen), nicht jedoch Wechselkursabkommen ohne bestimmte Leitkurse und Interventionspflichten im Falle eines Verlassens der Schwankungsbreiten.289 Völkerrechtlich gebunden wäre durch solche Vereinbarungen die EG, internen aber nur die WWU-Mitglieder. Die differenzierte Integration auf diesem Gebiet setzt sich insoweit konsequent in den Außenbeziehungen fort. Der Terminus allgemeine Orientierungen war zuvor im Gemeinschaftsrecht nicht verwendet worden, es dürfte sich um Zielvorgaben allgemeiner Art ohne völkerrechtliche und mit nur geringen internen Bindungswirkungen handeln. Der Standpunkt der EZB lautet, aus Abs 2 könne auf keinen Fall ein Recht des Ecofin-Rates abgeleitet werden, die EZB zu Interventionen zu zwingen. Dies selbst dann, wenn die Preisstabilität durch die in Frage stehende Intervention nicht gefährdet sei, weil der Liquiditätseffekt zu klein wäre, um einen Einfluss auf die Preisstabilität zu haben. So lange die erwähnten Instrumente nicht bestehen ist die EZB in ihrer Gestion ungebunden. Unter diesen Umständen ist der Anreiz sowohl für die Kommission als auch die EZB gering, die für das Handeln des Rates erforderlichen Empfehlungen zu beschließen. Überdies sind förmliche internationale Vereinbarungen über Wechselkurse schon seit einiger Zeit nicht besonders
285 286 287 288 289
Art 111 Abs 1 EGV. Art 111 Abs 3 EGV. Art 111 Abs 2 EGV. Art 111 Abs 3 EGV. Ein solches Abkommen würde unter Abs 2 fallen, vgl Smits, The European Central Bank, 1997, 385.
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aktuell; flexible Wechselkurspolitik mit Offenmarktinterventionen wird bevorzugt. Was die Vereinbarungen gemäß Art. 111 Abs. 3 EGV betrifft, so bereitet nicht zuletzt eine Abweichung zwischen den Sprachfassungen Schwierigkeiten: Im englischen Text heißt es "agreements concerning monetary or foreign exchange regime matters“. Strittig ist vor allem, ob die Ermächtigung eng zu verstehen ist und nur das Währungsregime und Wechselkursangelegenheiten erfasst, oder ob alle Währungsunionsangelegenheiten Gegenstand solcher Vereinbarungen sein können, was zu einer weitgehenden Parallelität zwischen Innen- und Außenkompetenz führen würde. Praktisch relevant war bisher nur dieser Art. 111 Abs. 3 EGV, auf dessen Grundlage unter anderem Entscheidungen über die währungspolitischen Beziehungen zu Monaco, San Marino und Vatikanstadt getroffen wurden.290
VI. „Säulenübergreifendes“ Außenwirtschaftsrecht A. Handelsembargos Ein Embargo ist das Verbot eines Hoheitsträgers an seine Wirtschaftssubjekte, mit einem Staat bzw. mit allen in diesem Staat befindlichen Personen Handelsgeschäfte abzuschließen. Embargos sind die wichtigste Form der Wirtschaftssanktion und können die Aussetzung, Einschränkung oder Einstellung von Handelsbeziehungen bewirken.291 Meistens dienen sie gleichzeitig der Umsetzung von UN-Sicherheitsrat-Resolutionen, wie im Falle der Embargomaßnahmen gegen den Irak im Jahr 1990292 und gegen Osama bin Laden und die Taliban im Jahr 2002.293 Art. 301 EGV räumt zwar der EG die ausschließliche Kompetenz für Wirtschaftssanktionen ein, die Kontrolle der Mitgliedstaaten über diesen außenpolitisch sehr sensiblen Bereich bleibt jedoch gewahrt. Embargomaßnahmen dürfen durch die EG nur nach vorheriger Beschlussfassung in der GASP mittels Gemeinsamen Standpunkt oder Gemeinsamer Aktion verhängt werden.294 Der 290 291
292 293
294
Vgl die Auflistung bei Kempen in Streinz, Art 111 Rz 21, FN 20. Kokott in Streinz (Hrsg), EUV/EGV, 2003, Art 301 Rz 1. Dies im Unterschied zu den oben besprochenen handelspolitischen Schutzmaßnahmen, die keinen vordringlich außenpolitischen Zweck verfolgen. Art 301 EGV spricht auch von „Sofortmaßnahmen“. Dies bezieht sich jedoch mehr auf politische Dringlichkeit als auf zeitliche Schranken. Siehe Kokott in Streinz, Art 301 Rz 39 und Sedlaczek in Streinz (Hrsg), EUV/EGV, 2003, Art 60 Rz 6. VO 2465/96/EG zur Verhinderung des Irak und Kuwait betreffenden Handelsverkehr, ABl L 337 vom 27.12.1996, 1 (nicht mehr in Kraft). VO 881/2002/EG über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, ABl L 139 vom 29.5.2002, 9, auf der Grundlage des Gemeinsamen Standpunktes 2002/402/GASP, ABl L 139, 4. Näher dazu Kokott in Streinz, Art 301 Rz 42ff. Für eine komplette und aktuelle Übersicht siehe http://ec.europa.eu/comm/external_relations/cfsp/ sanctions/ measures.htm. Dies kann zweifelhaft sein bei Maßnahmen, die rein handelspolitisch motiviert sind, und daher eher in der ausschließlichen Zuständigkeit der EG für die GHP anzusiedeln wären. Vgl FN 51 und Kokott in Streinz, Art 301 Rz 8 mwN.
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Rat entscheidet somit zweimal in derselben Angelegenheit, einmal mit qualifizierter Mehrheit (1. Säule) und einmal einstimmig (2. Säule), oft sogar noch in derselben Sitzung.295 Die Kommission kann dabei im Eilverfahren einen Vorschlag als Grundlage sowohl für den GASP-Beschluss als auch für den EGBeschluss, oder im normalen Verfahren einen eigenen Vorschlag für den Umsetzungsbeschluss gemäß Art. 301 EGV einbringen.296 Art. 301 EGV umfasst alle Arten von Wirtschaftssanktionen, einschließlich des Dienstleistungsbereichs und Waffenembargos.297 Abweichende Maßnahmen einzelner Mitgliedstaaten sind nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 297 EGV erlaubt. Dieser verlangt eine krisenartige Ausnahmesituation und ermöglicht nur vorübergehende Maßnahmen, die nicht gegen bestehende Embargomaßnahmen der EG verstoßen dürfen.298 Art. 60 EGV ist eine Sonderbestimmung betreffend EmbargoSofortmaßnahmen auf dem Gebiet des Kapital- und Zahlungsverkehrs. Das Verfahren ist grundsätzlich gleich wie unter Art. 301 EGV. Gemäß Art. 60 Abs. 2 EGV kann jedoch auch jeder einzelne Mitgliedstaat „bei Vorliegen schwerwiegender politischer Umstände aus Gründen der Dringlichkeit“ gegenüber Drittstaaten Wirtschaftssanktionen verhängen. Maßnahmen auf der Grundlage des Art. 60 EGV waren in der Vergangenheit vorwiegend Sanktionen gegen die Finanzierung und die finanzielle Verfügungsgewalt von Personen oder Unternehmen, vor allem das „Einfrieren“ von Konten.299 Die Notfallkompetenz des Art. 297 EGV bleibt von Art. 60 EGV ausdrücklich unberührt. Naturgemäß kann hier nicht einmal einen Überblick über die Fülle an Anwendungsfällen in der jüngeren Vergangenheit gegeben werden, von denen jene gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Zusammenhang zunächst mit dem Bosnien-Konflikt und später mit dem Kosovo-Konflikt,300 und auch jene gegen den Irak herausragen. Im Zusammenhang damit wird zum Teil auch die Gemengelage und Vielfalt der "säulenübergreifenden" Optionen deutlich. So wurden gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ein Waffenembargo, ferner ein umfassendes Handelsembargo, ein Flugverbot sowie Finanzsanktionen nach 295 296 297
298
299
300
Kokott in Streinz, Art 301 Rz 19. Art 22 Abs 1 EUV. Ein Initiativrecht der Kommision wie bei sonstiger Rechtssetzung in der EG besteht jedoch nicht. Kokott in Streinz, Art 301 Rz 15. Allerdings ausgenommen Maßnahmen auf dem Gebiet des Kapital- und Zahlungsverkehrs. Siehe sogleich unten. Vgl auch den Gemeinsamen Standpunkt 2003/468/GASP betreffend die Überwachung von Waffenvermittlungstätigkeiten, ABl L 156 vom 25.6.2003, 79. Diese soll eine Umgehung der von den UN, der EU oder der OSZE verhängten Waffenembargos verhindern. Kokott in Streinz, Art 297 Rz 4f. Strittig ist, ob Wirtschaftssanktionen subsidiär auch auf Art 133 EGV gestützt werden können, wenn etwa kein Beschluss in der GASP zustande kommt. Vgl die Übersicht des Meinungsstandes bei Nettesheim/ Duvigneau in Streinz (Hrsg), EUV/EGV, 2003, Art 133 Rz 19. ZB VO 2488/2000/EG über die Aufrechterhaltung des Einfrierens von Geldern betrefend Herrn Milosevic und Personen seines Umfelds, ABl L 287 vom 14.11.2000, 9; VO 881/2002/EG (FN 293). Zur Wirksamkeit dieser Sanktionen siehe Hufbauer/Oegg, The European Union as an Emerging Sender of Economic Sanctions, Aussenwirtschaft 2003, 547, 555ff. Kritisch unter Verweis auf mangelnden Rechtsschutz der Betroffenen Eeckhout, External Relations, 464. Vgl. etwa Glenny, The Balkans 1804 - 1999, 2000.
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den hier skizzierten Regeln und in Durchführung von Resolutionen des Sicherheitsrates verhängt,301 Transportmittel beschlagnahmt,302 aber auch das im Rahmen der ersten Säule abgeschlossene Kooperationsabkommen ausgesetzt bzw. aufgekündigt,303 und gleichzeitig gegenüber den neu entstandenen Republiken "positive" Maßnahmen wie niedrigere Zolltarife eingeführt. Einige auch rechtlich interessante Streitfragen, etwa über die Zulässigkeit der Suspendierung des Abkommens304 oder die UN-konforme Interpretation der EGSanktionsverordnung,305 landeten vor dem EuGH und auch vor dem EGMR.
B. Güter mit doppeltem Verwendungszweck und Verwandtes 1. Ausfuhrregime für Dual-Use-Güter Für Güter, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen können (Dual-Use-Güter), einschließlich für Software und Technologien, wurde mittels VO 1334/2000 ein eigenes Ausfuhrkontrollregime eingerichtet.306 Ziel ist die Vereinheitlichung der Genehmigungspraktiken der Mitgliedstaaten. Demnach ist zur Ausfuhr der in Anhang I der VO aufgeführten Waren eine Genehmigung der Behörden jenes Mitgliedstaats erforderlich, in dem der Ausfuhrunternehmer niedergelassen ist (sog Negativliste). Diese Genehmigung gilt in der gesamten Gemeinschaft. Der Export von Dual-Use-Gütern, die nicht in Anhang I aufgeführt sind, ist genehmigungspflichtig, wenn der Exporteur von seinen nationalen Behörden unterrichtet wurde, dass die Güter im Zusammenhang mit nuklearen Waffen oder Flugkörpern, die als Träger derartiger Waffen dienen können, verwendet werden könnten. Für Anhang I-Waren besteht schließlich
301
302
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Ursprünglich insbesondere Verordnung 1432/92/EWG des Rates zur Untersagung des Handels zwischen der EWG und den Republiken Serbien und Montenegro, ABl Nr 1992/L 151/4. Verordnung 990/93/EWG des Rates vom 26. April 1993 über den Handel zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro), ABl Nr 1993/L 102/14. Kooperationsabkommen, abgeschlossen zwischen der EWG und deren Mitgliedstaaten einerseits und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) andererseits, ABl Nr 1983/L 41/2, also ein so genanntes gemischtes Abkommen. Zur Aufkündigung vgl. die Beschlüsse 91/586/EGKS/EWG, ABl Nr 1991/L 315/47, und ABl Nr 1991/L 325/23. Rs C-162/96, Racke, Slg 1998, I-3688. Dazu etwa Brandl, die Beendigung oder Suspendierung völkerrechtlicher Verträge als Sanktion gegen menschenrechtsverachtende Regime, AVR 2003, 101. Rs C-177/95, Ebony Maritime SA, Slg 1996, I-1111. Siehe auch Rs C-84/85, Bosphorus Hava Yollari Turzim, Slg 1996, I-3953, zur Beschlagnahme eines von einer türkischen Chartergesellschaft geleasten jugoslawischen Flugzeugs; und dazu jetzt auch EGMR, Urteil vom 30.6.2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (GK), No 45036/98. VO 1334/2000/EG über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, ABl L 159 vom 30.6.2000, 1. Zuletzt geändert durch VO 394/2006/EG, ABl L 274 vom 13.3.2006, 1.
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keine Genehmigungspflicht hinsichtlich Ausfuhren in bestimmte als sicher eingestufte Drittstaaten.307 Man kann insofern somit nur von einer Teilharmonisierung hinsichtlich der Exporte in bestimmte Länder sprechen.308 Bei der Entscheidung, ob eine Ausfuhrgenehmigung erteilt wird, können die Mitgliedstaaten weiters Verpflichtungen, die sich aus den internationalen Nichtverbreitungsregelungen, den Standpunkten der EU, der OSZE oder der UNO sowie aus dem Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren und den Überlegungen über die beabsichtigte Endverwendung und die Gefahr einer Umlenkung ergeben, „berücksichtigen“.309 Die VO räumt den Mitgliedstaaten gleichzeitig auch einen großen Spielraum ein, länderspezifische Beschränkungen einzuführen bzw. beizubehalten, so aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, des Menschenrechtschutzes und wenn die Ausfuhr einem Embargo unterliegt (safeguards).310 Die politische Entscheidung verbleibt somit bei den Mitgliedstaaten, welche, neben der Möglichkeit von safeguards, auf Grund der Offenheit dieser Entscheidungskriterien für die Genehmigung von Ausfuhren sowie deren Statuierung als bloße Berücksichtigungspflicht einen weiten Ermessensspielraum behalten.311 Die Dual-Use-VO beendete ein kompliziertes System der säulenübergreifenden Genehmigung, wobei die Erstellung der Liste der erfassten Güter eine Gemeinsame Aktion in der GASP und die Modalitäten des Genehmigungssystems einen Rechtsakt in der ersten Säule erforderten. Notwendig geworden war die Änderung des Systems durch Entscheidungen des EuGH, nach denen DualUse-Güter in den Anwendungsbereich der GHP, somit Art. 133 EGV, fallen.312 Selbst das Dual-Use-Regime ist jedoch immer noch nicht abschließend in der ersten Säule geregelt. Eine gemeinsame Aktion des Rates ergänzt die Regelungen der VO 1334/2000 betreffend die Kontrolle von technischer Unterstützung in Bezug auf bestimmte militärische Endverwendungen.313 Dies ist erforderlich im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, welcher die meisten Arten der Dienstleistungserbringungen vom Anwendungsbereich des Art. 133 EGV ausnimmt.314
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311 312
313 314
Australien, Canada, Schweiz, Tschechische Republik, Ungarn, Japan, Norwegen, Neuseeland, Polen und die USA. Art 6 VO 1334/2000/EG. Nettesheim/Duvigneau in Streinz, Art 133 Rz 61. Art 8 VO 1334/2000/EG. Art 4 und 5 VO 1334/2000/EG. Dazu näher Weidel, The Community Export Control System for Dual-Use Goods, in Griller/Weidel (Hrsg), External Economic Relations and Foreign Policy in the European Union, 2002, 440ff. Weidel, The Community Export Control System for Dual-Use Goods, 439. Vgl EuGH, Rs C-70/94, Werner, Slg 1995, I-3189, Rz 8ff, EuGH, Rs C-83/94, Leifer, Slg 1995, I-3231, Rz 8ff. Näher dazu Weidel, The Community Export Control System for Dual-Use Goods, 426ff. Gemeinsame Aktion 2000/401/GASP, ABl L 159 vom 30.6.2000, 216. Siehe II.B oben. Auch nach dem Vertrag von Nizza ist dies nicht anders, weil die neuen Art 133 Abs 5 und 6 EGV bloß für die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen, nicht aber für einseitige Maßnahmen gelten.
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2. Ausfuhrregime für „Foltergüter“ Mit VO 1236/2005 wurde kürzlich ein Regime für den Außenwirtschaftsverkehr mit Gütern angeordnet, die zur Vollstreckung der Todesstrafe, zu Folter oder zu anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe verwendet werden können.315 Anhang II der VO enthält Güter, die keine Verwendung haben außer für die genannten Zwecke (z.B. Galgen, elektrische Stühle, Gaskammern). Die Einfuhr, Ausfuhr und die Erbringung technischer Hilfen in Bezug auf diese Güter ist verboten.316 Anhang III der VO nennt Güter, die auch für „harmlose“ Zwecke verwendet werden können (etwa bestimmte Fesseln, Elektroschockgeräte und chemische Substanzen). Für diese Güter ist nur die Ausfuhr genehmigungspflichtig, Einfuhr und technische Hilfe sind erlaubt.317 In Österreich ist gemäß Anhang I der VO das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Abteilung für Aus- und Einfuhrkontrolle die zuständige Behörde. Überschneidungen im Anwendungsbereich können sich ergeben mit Embargomaßnahmen, nicht aber mit den durch die Dual-Use-VO erfassten Gütern. Bemerkenswert ist, dass im Falle dieser, ebenso wie die Dual-Use-VO auf Art. 133 EGV gestützten Regelung technische Hilfe, somit Dienstleistungen, durchaus erfasst ist.318
C. Die „Helms-Burton-Gegengesetzgebung“ Aus politischen Gründen und mit dem Ziel, die Demokratisierung Kubas auf (außen)wirtschaftlichem Weg zu erzwingen, erließen die USA 1996 den Liberty and Democratic Solidarity Act (LIBERTAD), nach seinen Sponsoren auch Helms-Burton Act genannt.319 Neben einem US Embargo für Handel und Finanztransaktionen und Bedingungen für dessen Beendigung enthält Teil III des Gesetzes ein weit reichendes Verbot jeder Form der ausländischen Beteiligung an durch das Castro-Regime konfisziertem Eigentum in Kuba. US-amerikanischen Bürgern mit Ansprüchen auf konfisziertes Eigentum werden Entschädigungsrechte mit teilweisem Strafcharakter gegen solche Investoren („Trafficker“) eingeräumt. Gemäß Teil IV des Helms-Burton-Acts kann Traffickern die Einreise in die USA verweigert werden.320 Während die Sanktionen unter Teil III bis dato nicht realisiert wurden, wurden auf Basis von Teil IV bereits 315
316 317 318 319
320
VO 1236/2005/EG betreffend den Handel mit bestimmten Gütern, die zur Vollstreckung der Todesstrafe, zu Folter oder zu anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe verwendet werden könnten, ABl L 200 vom 30.7.2005, 1. Art 3f VO 1236/2005/EG. Dies erfasst auch die Durchfuhr. Vgl Art 2d VO 1236/2005. Art 5f VO 1236/2005/EG. Ob das kompetenzrechtlich zulässig ist, sei hier dahingestellt; vgl oben FN 314. Ein ähnliches Gesetz (Iran and Lybia Sanctions Act, ILSA) wurde von den USA betreffend Iran und Lybien erlassen. Siehe Lutterotti, The US Extraterritorial Sanctions of 1996 and the EU Reaction, in Griller/Weidel (Hrsg), External Economic Relations and Foreign Policy in the European Union, 2002, 243ff. Zum Helms-Burton-Act näher Lutterotti, The US Extraterritorial Sanctions of 1996 and the EU Reaction, 238ff.
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europäische, in der kubanischen Tourismusindustrie tätige Unternehmen auf schwarze Listen gesetzt.321 Die EU hat seit dem Erlass des Helms-Burton-Act gegen dessen Anwendbarkeit auf Vorgänge außerhalb des Territoriums der USA sowie auf nichtamerikanische Staatsbürger (Extraterritorialität) als Verletzung des Völkerrechts und insbesondere des WTO-Rechts protestiert.322 Als Gegenmaßnahmen, neben der Einleitung eines Verfahrens in der WTO323, wurde in der 1. Säule VO 2271/96 (das so genannte Blocking-Statute) durch den Rat erlassen.324 Diese qualifiziert die amerikanischen, extraterritorialen Bestimmungen als in Widerspruch zur öffentlichen Ordnung stehend und untersagt deren Anerkennung oder Durchsetzung innerhalb der EU.325 Betroffenen Unternehmen wird weiters Entschädigung für geleisteten Schadenersatz gemäß Teil III des HelmsBurton-Acts zusichert (so genannte „claw-back clause").326 Weiters werden die Mitgliedstaaten durch eine Gemeinsame Aktion in der GASP (somit in der 2. Säule) aufgefordert, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, betroffene europäische Unternehmen und Unternehmer gegen die extraterritoriale Wirkung des Gesetzes zu schützen.327 Das Zusammenspiel von Maßnahmen der supranationalen ersten und der intergouvernementalen zweiten Säule der EU im Falle der Helms-BurtonGegengesetzgebung zeigt die Problematik der Kompetenzverteilung in der EU und die Schwerfälligkeit der außenwirtschaftlichen Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft: Die VO 2271/96 wurde auf Grundlage der Kompetenzbestimmungen der Art. 133 (GHP), Art. 57 Abs. 2 (Kapital- und Zahlungsverkehr) und Art. 308 EGV erlassen. Die Wahl dieser Kompetenzgrundlagen war wesentlich durch die politische Notwendigkeit bzw. Motivation bestimmt, das Europäische Parlament aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung weitgehend vom Gesetzgebungsprozess auszuschließen.328 Auf Grund der gewählten Kompetenzbestimmungen musste das Europäische Parlament zwar lediglich angehört werden,329 sie gewährleisteten jedoch keine ausreichende Kompetenzgrundlage für eine umfassende Regelung. Teile der angestrebten Maßnahmen (Dienstleistungen und Transport) fielen außerhalb der dadurch begründeten Kompetenz der EG und somit in die konkurrierende Zuständigkeit von EG und Mitgliedstaaten.330 Um diesen Mangel zu „beheben“ und die „Lücke“ zu 321 322 323 324
325 326
327 328 329 330
Derselbe, 242. Vgl die Darstellung bei Demselben, 254ff. Näher dazu Derselbe, 262ff. VO 2271/96 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl L 309 vom 29.11.1996, 1. Berichtigt in ABl L 179 vom 8.7.1997, 10. Art 4 VO 2271/96/EG. Art 6 VO 2271/96/EG. Kritisch zu Art 4 und Art 6 Lutterotti, The European Blocking Statute, in Griller/Weidel (Hrsg), External Economic Relations and Foreign Policy in the European Union, 2002, 274ff. Gemeinsame Aktion 668/96/GASP, ABl L 309 vom 29.11.1996, 7. Lutterotti, The European Blocking Statute, 288. Art 308 EGV. Derselbe, 294f.
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schließen, wurde die Gemeinsame Aktion in der GASP erlassen, deren rechtliche Eignung zu diesem Zweck jedoch bezweifelt werden muss und, bei „richtiger“ Wahl der Kompetenzgrundlagen (mit Zustimmungsrechten des Europäischen Parlaments) nicht erforderlich gewesen wäre.331
VII. Die Vertretung der EG/EU und der Mitgliedstaaten in Internationalen Wirtschaftsorganisationen A. Allgemeines Die Vertretung der EG und ihrer Mitgliedstaaten in Internationalen Organisationen („IO“) ist seit jeher kontrovers. Inhaltlich geht es vorrangig darum, wie und durch wen die unter Gemeinschaftskompetenz fallenden Angelegenheiten in IO vertreten werden. Aus den Kompetenzregeln geht hervor, dass die Gemeinschaft grundsätzlich immer dann selbst zur Vertretung berechtigt wäre, wenn das Handlungsfeld der betreffenden IO in die Gemeinschaftskompetenzen fällt. Etwas genauer lässt sich differenzieren, dass in Materien ausschließlicher Kompetenz nur die EG, in solchen konkurrierender Kompetenz nach Maßgabe von Beschlüssen der EG entweder diese selbst oder die Mitgliedstaaten vertretungsbefugt wären. Ein Beitritt der EG zu IO ist im EGV nicht ausdrücklich vorgesehen. Nach Art. 302 EGV unterhält jedoch die Kommission, soweit zweckdienlich, „Beziehungen“ zu allen IO. Es liegt somit im Ermessen der Kommission, ob und in welchem Rahmen Beziehungen zu anderen IO aufgenommen werden. Lediglich Beziehungen zur UN, dem Europarat und der OECD sind im EGV zwingend vorgesehen.332 Neben dieser Zuständigkeit der Kommission entscheidet der Rat nach Art. 300 EGV über den Abschluss von Abkommen mit IO.333 Die Grenze zwischen dieser Vertragsschlusskompetenz des Rates und der Zuständigkeit der Kommission zum Unterhalt von Beziehungen ist mitunter schwierig zu ziehen. Gemäß der Judikatur des EuGH stellt die Rechtsverbindlichkeit das entscheidende Abgrenzungskriterium dar. Der Rat ist somit jedenfalls für den Abschluss aller verbindlichen Abkommen zuständig.334 In der Praxis erfolgen Kooperationen mit IO zumeist in Abstimmung zwischen Rat und Kommission.335 Tatsächlich ist die Gemeinschaft jedoch nur in Einzelfällen selbst Mitglied in den betreffenden IO, in der Mehrzahl der Fälle besitzt sie nur Beobachterstatus, und ihre Interessen müssen von den Mitgliedstaaten vertreten werden.336 Dies liegt zum einen daran, dass bestimmte IO ausschließlich die Aufnahme 331 332 333 334 335 336
Derselbe, 298ff. Art 302ff EGV. Siehe II.E.2 oben. EuGH, Rs C-327/91, Französische Republik/Kommission, Slg 1994, I-3641, Rz 23ff. Dazu Eeckhout, External Relations, 180f. Vgl MacLeod/Hendry/Hyett, The External Relations of the European Communities, 1996, 171ff. Zum Folgenden vgl Frid, The Relations Between the EC and International Organizations, 1995, 170f, 213ff.
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von Staaten vorsehen, und zum anderen daran, dass die Mitgliedstaaten auch auf Gebieten der exklusiven Gemeinschaftszuständigkeit aus Prestigegründen nur schwer auf die eigene Mitgliedschaft in IO verzichten. Dies führt jedoch auch dazu, dass Mitgliedstaaten in den Außenbeziehungen in Bereichen handeln, für die sie selbst bereits alle Zuständigkeit an die Gemeinschaft abgetreten haben. Daneben bestehen zahlreiche IO, in deren Aktionsfeld sowohl Zuständigkeiten der Gemeinschaft, als auch Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten bestehen, was eine Abstimmung der handelnden Vertreter erforderlich macht. In allen Bereichen, in denen Mitgliedstaaten inhaltlich in Gemeinschaftskompetenzen tätig werden sind sie verpflichtet, gleichsam als „Treuhänder“ des Gemeinschaftsinteresses der Gemeinschaft eine Ausübung ihrer Kompetenzen zu ermöglichen und alles zu unterlassen, was sie am Ausüben derselben hindern könnte. Die Ausgestaltung dieser Verpflichtung zur Zusammenarbeit erfolgt regelmäßig für einzelne IO durch Annahme eines Verhaltenskodex oder „gentlemen’s agreement“. Trotz starker politischer Bindungswirkung fehlt diesen Bestimmungen im Allgemeinen die rechtliche Sanktionierung, es handelt sich um gemeinschaftsrechtliches soft law. Nach dem Gerichtshof können solche an sich unverbindlichen Verhaltensanforderungen indes in Verbindung mit Art. 10 EGV insofern rechtliche Bindungswirkung entfalten, als sie eine Konkretisierung der (verbindlichen) Verpflichtungen zur Zusammenarbeit darstellen.337 Das kann sich insbesondere in jenen Fällen verdichten, in denen auf der Ebene der IO Angelegenheiten zur Verhandlung stehen, für welche die EG ausschließlich zuständig ist. So hat der Gerichtshof etwa die Nichteinhaltung einer zwischen dem Rat und der Kommission getroffenen Vereinbarung über die Vertretung bzw. über die Stimmführung in der FAO in Sachen Fischereiübereinkommen als Rechtsverletzung durch den Rat qualifiziert.338 Besonders deutlich hat der EuGH hat die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit Bezug auf die WTO ausgesprochen.339 Im Folgenden soll die Abstimmung zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft in IO anhand der WTO und internationalen Finanzorganisationen illustriert werden.
B. Die Vertretung in der WTO einschließlich der Streitbeilegung Die Frage der Zuständigkeiten von Gemeinschaft und Mitgliedschaften unter dem WTO-Abkommen wurde vom Gerichtshof im Gutachten 1/94 dahingehend geklärt, dass weiterhin auch Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten im Rahmen der WTO bestehen.340 Die in Vorwegnahme dieser Position erforderliche Abstimmung der Vertreter in den Verhandlungen der Uruguay-Runde erfolgte für den Bereich der Dienstleistungen durch einen zwischen Mitgliedstaaten, Kommission und Rat ausgehandelten Verhaltenskodex. Dieser sah 337 338 339 340
EuGH, Rs 141/78, Frankreich/Vereinigtes Königreich, Slg 1979, I-2923, Rn 8. Rs C-25/94, Kommission/Rat (FAO), Slg 1996, I-1469. Siehe dazu unten bei FN 350. Vgl oben III.B.
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einen von der Kommission gestellten gemeinsamen Sprecher auch für jene Bereiche vor, die nicht zur Gänze unter exklusive Gemeinschaftszuständigkeit fallen. Für die Bereiche mitgliedstaatlicher Zuständigkeit bestand die Verpflichtung, auf einen Konsens hinzuwirken. Bei Nichterreichen konnte indes weiterhin jeder Mitgliedstaat seine eigene Position vertreten. Alle Entscheidungen wurden dabei im Rahmen des Rates getroffen, selbst wenn sie einzig Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten betrafen. Dies wurde vom Rat mit dem Kohärenzgebot des Art. 3 EUV begründet.341 Der Versuch diesen partiellen Verhaltenskodex in ähnlicher Form für den gesamten Bereich der WTO, und vor allem auch für die Zeit nach dem Abschluss des Abkommens, in Geltung zu setzen scheiterte vor allem an der Frage der einheitlichen Repräsentation.342 Was Mitgliedschaft und Mitgliedschaftsrechte betrifft ist die WTO eine der wenigen Internationalen Organisationen, in denen die EG Mitgliedschaftsrechte genießt. Die Teilung der Zuständigkeiten zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten kommt in der ausdrücklichen Regelung der Stimmrechte zum Ausdruck. Artikel IX Abs 1 WTO-Übereinkommen bestimmt in Satz vier: „Wenn die Europäischen Gemeinschaften ihr Stimmrecht ausüben, verfügen sie über eine Anzahl von Stimmen, die der Anzahl ihrer Mitgliedstaaten, die Mitglieder der WTO sind, entspricht.“ Eine Fußnote zu diesem Text präzisiert: "Die Anzahl der Stimmen der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Mitgliedstaaten darf die Anzahl der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften in keinem Fall übersteigen." Die Aufgabenteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten stellt sich aber nicht nur bezüglich der Vertretungsrechte in den WTO-Organen allgemein, sondern auch bezüglich der Umsetzung WTO-rechtlicher Verpflichtungen, und bezüglich der Vertretung im Rahmen des Streitschlichtungssystems. Nur letzteres soll hier kurz angesprochen werden. Das WTO-Streitschlichtungssystem343 (geregelt im Dispute Settlement Understanding - DSU344) hat wesentlich zur Verrechtlichung des GATT/WTOSystems beigetragen. Es stellt das schnellste internationale Streitbeilegungssystem dar. Zugleich führt es eine multilaterale Kontrolle der Umsetzung von Streitbeilegungsentscheidungen ein. Das Streitschlichtungsverfahren beginnt mit einer längstens 60 Tage dauernden vertraulichen Konsultationsphase, die 341 342
343
344
Vgl die Antwort des Rates auf Frage 11 des Gerichtshofes im Gutachten 1/94, WTOAbkommen, Slg 1994, I-5276. Dutzler, The Representation of the EU and the Member States in International Organisations - General Aspects, in Griller/Weidel (Hrsg), External Economic Relations and Foreign Policy in the European Union, 2002, 176. Zu diesem vgl Petersmann, The GATT/WTO Dispute Settlement System - International Law, International Organizations and Dispute Settlement, 1997; Cottier, Das Streitschlichtungsverfahren in der Welthandelsorganisation, in Müller-Graff (Hrsg), Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation, 2000, 179 ff; Weiss, Das Streitschlichtungsverfahren in der Welthandelsorganisation: Wesenszüge, Wirkungen für die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten, Reformvorschläge, in Müller-Graff (Hrsg), Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation, 2000, 189. Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes, DSU), Anhang 2 zum WTO-Übereinkommen, ABl L 336 vom 23.12.1994, 234.
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von der WTO nicht überwacht wird.345 Führt diese zu keiner Beilegung des Streits, ist durch den Dispute Settlement Body (DSB) ein Panel einzurichten, das binnen 9 Monaten seine Entscheidung (panel report) an den DSB zu leiten hat. Die Errichtung des Panels erfolgt durch so genannten "negativen Konsens", dh es müssten alle WTO-Mitglieder einschließlich des Klägers gegen die Errichtung des Panels votieren.346 Da dies praktisch kaum jemals der Fall sein wird, werden Panels quasi-automatisch eingerichtet. Das beklagte WTOMitglied kann sich gegen die Streitentscheidung mit Berufung an den Appellate Body wenden, der binnen höchsten 90 weiterer Tage entscheiden muss.347 Die Entscheidung des Panels bzw. im Falle von Berufungen des Appellate Body wird im DSB wiederum mit negativem Konsens, also quasi-automatisch, angenommen. Dies unterstreicht die besondere Bedeutung, die dem Streitbeilegungssystem und insbesondere dem Appellate Body, dessen Entscheidungen damit grundsätzlich nicht auf politischem Weg die Verbindlichkeit genommen werden kann, bei der Konkretisierung des WTO-Rechts ebenso wie unter Legitimitätsgesichtspunkten zukommt. Nach der Annahme der Entscheidung im DSB hat der unterlegene Beklagte die Entscheidung binnen grundsätzlich längstens 15 Monaten umzusetzen. Streitigkeiten in der Umsetzungsphase sind wiederum vor den Streitschlichtungsgremien der WTO auszutragen. Wenn die Entscheidung vom Beklagten nicht umgesetzt wird, kann der obsiegende Kläger die Genehmigung von Retaliationsmaßnahmen beantragen, die vom DSB wieder mit negativem Konsens genehmigt werden.348 Kann der Kläger nachweisen, dass eine Vergeltungsmaßnahme im selben Sektor bzw. unter demselben Abkommen nicht praktikabel oder effektiv wäre, so kann er um Genehmigung ersuchen, Handelsvorteile in anderen Sektoren oder unter anderen Abkommen auszusetzen.349 Die oben herausgearbeitete Verpflichtung zur Kooperation in Fällen geteilter Zuständigkeit hat der EuGH nicht zuletzt mit Bezug auf die WTO und deren Streitbeilegungssystem deutlich herausgearbeitet: „Diese Pflicht zur Zusammenarbeit ist im Fall von Abkommen, wie sie dem WTO-Abkommen als Anhänge beigefügt sind, um so zwingender wegen des zwischen diesen bestehenden unauflöslichen Zusammenhangs und angesichts des Mechanismus wechselseitiger Retorsion, der mit der Vereinbarung über Regeln und Verfahren für die Streitbeilegung geschaffen wird. So wäre ohne eine enge Zusammenarbeit ein Mitgliedstaat, der in seinem Zuständigkeitsbereich ordnungsgemäß ermächtigt würde, Retorsionsmaßnahmen zu ergreifen, diese jedoch für wirkungslos hielte, wenn sie in den unter das GATS oder das TRIPs fallenden Bereichen ergriffen würden, nach dem Gemeinschaftsrecht nicht befugt, Retorsionsmaßnahmen im Bereich des Warenverkehrs zu ergreifen, da dieser Gegenstand jedenfalls in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft nach Art. 113 [jetzt Art. 133] EG-Vertrag fällt. Umgekehrt wäre es ohne diese enge Zusammenarbeit der Gemeinschaft, wenn sie die Retorsionsbefugnis im Bereich des 345 346 347 348 349
Vgl Art 4 DSU. Vgl Art 6 DSU. Vgl Art 16 und 17 DSU. Vgl Art 21 und 22 DSU. So genannte cross retaliation, vgl Art 22.3 DSU.
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Warenverkehrs erhielte, sich zur Ausübung dieser Befugnis aber nicht in der Lage sähe, rechtlich unmöglich, Retorsionsmaßnahmen in den vom GATS und vom TRIPs erfaßten Bereichen zu ergreifen, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fielen.“350 Was dies im Einzelnen bedeutet, ist freilich dennoch durchaus unklar. In der Praxis tritt die Kommission im Verfahren regelmäßig nicht nur in Fällen ausschließliche EG-Kompetenz, sondern auch dann als Vertreter auf, wenn Angelegenheiten zur Debatte stehen, die nach der internen Kompetenzverteilung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bzw. in die konkurrierende Zuständigkeit zwischen EG und Mitgliedstaaten fallen.
C. Die Vertretung in internationalen Finanzorganisationen Wie bereits ausgeführt, räumt Art. 111 Abs. 3 EGV der Gemeinschaft die Kompetenz zu Aushandlung und Abschluss von Vereinbarungen im Zusammenhang mit Währungsfragen und Devisenregelungen ein.351 Art. 111 Abs. 4 EGV gibt der Gemeinschaft eine Zuständigkeit nicht nur für Fragen auf internationaler Ebene, die unmittelbar zur Währungspolitik gehören, sondern auch für solche, die „von besonderer Bedeutung für die Wirtschafts- und Währungsunion“ sind. Diese Bestimmung betrifft somit vor allem die Vertretung der Gemeinschaft in internationalen (Finanz-) Organisationen.352 Der Rat kann hier jedoch nur, unter Einhaltung der Verfahrens des Art. 111 Abs. 3 EGV, und damit insbesondere in Abhängigkeit von einer Empfehlung bzw. einem Vorschlag der Kommission, einen Gemeinschaftsstandpunkt festlegen, und auch das nur unter Beachtung der Zuständigkeit der EZB für die Gewährleistung der Preisstabilität (Art. 105 EGV) und der grundsätzlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Wirtschaftspolitik (Art. 99 EGV).353 Die Gemeinschaft agiert somit zwar supranational (keine Einstimmigkeit), hat jedoch nicht viel Spielraum. Wird allerdings ein Standpunkt festgelegt, ist dieser auch bindend für die Mitgliedstaaten.354 Bisher ist es zu keiner förmlichen Beschlussfassung über die Vertretungsregelung gekommen. In der Praxis wird pragmatisch unter Orientierung an den bisher vorliegenden Vorarbeiten vorgegangen.355 350 351 352 353
354
355
Gutachten 1/94, WTO-Abkommen, Slg 1994, I-5276, Rz 109. Siehe Kapitel V.B oben. Kempen in Streinz (Hrsg), EUV/EGV, 2003, Art 111 Rz 13. Vgl. ferner auch die oben in FN 284 angeführte Lit. Der Verweis auf Artt 99 und 105 EGV bedeutet somit keine ausdrückliche Festschreibung der Parallelität von Innen- und Außenkompetenzen der EG. So aber offenbar Dutzler, EMU and Representation of the Community in International Organisations, in Griller/Weidel (Hrsg), External Economic Relations and Foreign Policy in the European Union, 2002, 446f. Kempen in Streinz, Art 111 Rz 13. So entscheidet gemäß Art 6.1. des Statuts der ESZB die EZB, wie das ESZB im Bereich der internationalen Zusammenarbeit der EZB vertreten wird. Siehe zB den Jahresbericht des ESZB auf http://www.ecb.int, in dem die Aktivitäten der EZB auf internationaler Ebene beschrieben werden. Der Kommissionsvorschlag für einen Beschluß des Rates über die Vertretung und die Festlegung von Standpunkten der Gemeinschaft auf internationaler Ebene im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Währungsunion, KOM(98) 637 endg v
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Die EG ist keine Vertragspartei des Internationalen Währungsfonds (IWF), da nach dessen Satzung nur Staaten Vertragsparteien sein können.356 Intern haben die Staaten der Eurozone jedoch weitgehend ihre Zuständigkeit für eine eigenständige Geld- und Wechselkurspolitik verloren.357 Kompetenzrechtlich prakitabel wäre somit eine dementsprechende Alleinvertretungsbefugnis der Gemeinschaft im IWF. Abstimmungsprobleme könnten sich dann jedoch mit jenen EG-Mitgliedstaaten ergeben, die nicht Mitglied der Eurozone sind. Ferner und vor allem aber ist der IWF keine reine Währungseinrichtung. Vielmehr überwacht er auch die Wirtschaftspolitik der Mitglieder, so weit diese nämlich für die Währungspolitik von Relevanz ist.358 In dieser Hinsicht ist eine ausschließliche Zuständigkeit der EG zumindest zweifelhaft. Es käme vor diesem Hintergrund eher eine gemischte Zuständigkeit ähnlich wie in der WTO in Frage. Es wird auch argumentiert, dass Art. 111 Abs. 5 EGV einer Mitgliedschaft der EG im Wege stehen würde.359 Die pragmatische Lösung, die gewählt wurde, ist ein Beobachterstatus der EZB im Direktorium und Exekutivrat des IWF.360 Zusätzlich müssen die Mitgliedstaaten im IWF als Sachwalter der Gemeinschaftsinteressen agieren.361
VIII. Ausblick auf die Verfassung für Europa A. Grundsätzliches Die Klärung, in einigen Punkten auch die Neuordnung der Kompetenzen zwischen der zukünftigen EU und ihren Mitgliedstaaten ist ein wesentliches Anliegen des im Juni 2004 akkordierten Vertrags über eine Verfassung für Europa (EV). Vorbehaltlich seiner erfolgreichen Ratifikation, die derzeit wegen des negativen Ausgangs der Referenden in den Niederlanden und Frankreich im Jahr 2005 sehr ungewiss ist, würde er auf dem Gebiet der Außenbeziehungen einige wesentliche Veränderung bedeuten.362 Mit Fug und Recht kann man
356
357 358
359 360 361 362
9. 11. 1998, ging den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Befugnisse der Kommission zu weit; die vom Europäischenrates 1998 in Wien zustimmend zur Kenntnis genommenen Vorstellungen des Rates wiederum [vgl Europäischer Rat (Wien), 11./12. Dezember 1998, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, SN 300/98] wurden von der Kommission nicht zum Gegenstand eines Vorschlags gemacht, wie es gemäß Art 111 Abs 3 und 4 EGV erforderlich gewesen wäre. Das Recht der Mitgliedstaaten, unbeschadet ihrer Bindungen in der Gemeinschaft, im IWF ihren Verpflichtungen nachzugehen, wird ihnen durch Art 111 Abs 5 EGV garantiert. Siehe oben V.B. So kann der IWF unter anderem Kreditfazilitäten zur Behebung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten zur Verfügung stellen; die IWF-Satzung enthält auch Regelungen über den freien Kapitalverkehr, die EG-intern nicht auf Art 111 EGV, sondern eher auf Art 57 EGV über den Kapitalverkehr zu stützen wären. Kokott in Streinz (Hrsg), EUV/EGV, 2003, Art 302 Rz 57. Kempen in Streinz, Art 111 Rz 15. Kokott in Streinz, Art 302 Rz 57. Vgl zum Folgenden insbesondere Cremona, The Draft Constitutional Treaty: External Relations and External Action, CMLRev 2003, 1347; Griller, Europarechtliche Grundfragen, 86 ff; Hable, The European Constitution: Changes in the reform of competences with a particular focus on the external dimension, Working Paper,
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sagen, dass dieser Teil des Verfassungsvertrages im Vergleich zu anderen Teilen ein besonders anspruchsvolles Programm umzusetzen versucht, nämlich die Zusammenführung oder zumindest wesentliche erste Schritte der Zusammenführung der außenpolitischen und der außenwirtschaftlichen Zuständigkeit der EU. Die bisher in diesem Beitrag sichtbar gewordene artifizielle Fragmentierung würde auf dem Boden des Verfassungsvertrages nicht verschwinden, sie würde aber kleiner werden. Für den Abschluss internationaler Übereinkünfte enthält Teil III in seinem Titel V ein eigenes Kapitel VI. In diesem werden einerseits die allgemeine Vertragsabschlusskompetenz, Assoziierungsabkommen, das allgemeine Vertragsabschlussverfahren und die besonderen Bestimmungen für die Wirtschafts- und Währungsunion geregelt.363 Dabei geht es nicht zuletzt um eine Verbesserung des Zusammenspiels zwischen der GASP und den sonstigen Außenkompetenzen der Union. Die primärrechtlichen Grundlagen für den Abschluss von internationalen Verträgen würden so gut wie unverändert bleiben.364 Auf der Grundlage der einheitlichen Rechtspersönlichkeit der zukünftigen Union gäbe es allerdings keinen Anlass mehr für die scharfe Unterscheidung zwischen gemeinschaftsrechtlichen Abkommen und solchen im Rahmen der GASP.365 Die Verfassung enthält eine besondere Ermächtigung für dieses Gebiet: „Die Union kann in den unter dieses Kapitel fallenden Bereichen Übereinkünfte mit einem oder mehreren Staaten oder internationalen Organisationen schließen.“366 Auf der anderen Seite nimmt der Text die GASP aus den allgemeinen Kompetenzkategorien aus.367 Da die GASP somit weder eine ausschließliche noch eine konkurrierende oder ergänzende Zuständigkeit der EU ist, bliebe fraglich in welche Zuständigkeit der Abschluss von Übereinkünften im Rahmen der GASP fallen würde und welche Wirkungen solche Übereinkünfte entfalten würden.368 Eine bemerkenswerte Konsequenz der (partiellen) Integration der GASP in die einheitliche EU könnte sein, dass auf diese Weise unter Umständen auch aus-
363 364
365 366 367 368
Europainstitut, Wirtschaftsuniversität Wien, 2004; de Witte, The Constitutional Law of External Relations, in Pernice/Poiares Maduro (Hrsg), A Constitution for the European Union: First Comments on the 2003-Draft of the European Convention, 2004, 95. Art III-323 bis 326 EV. Art 300 Abs 7 EGV wird zu Art III-323 Abs 2 EV: „Die von der Union geschlossenen Übereinkünfte binden die Organe der Union und die Mitgliedstaaten.“ Art 300 Abs 6 EGV, der eine wichtige Grundlage für die Einordnung von Abkommen im Rang zwischen Primärrecht und Sekundärrecht ist, wird zu Art III-325 Abs 11 EV. Vgl Art 24 EUV. Auf Abkommen, die nach dieser Bestimmung abgeschlossen wurden, ist weder Art 300 Abs 6 noch Abs 7 anwendbar. Art III-303 EV. Art I-12 und Art I-16 sehen für die GASP ebenso einen Sonderstatus vor wie Art I-15 EV für die Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Gem Art I-34 EV kommt das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nur auf die Erlassung von europäischen Gesetzen und Rahmengesetzen zur Anwendung. Man kann daher sagen, dass es sich bei der kompetenzrechtlichen Sonderstellung der GASP um einen Kunstgriff handelt, der hauptsächlich die Vermeidung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens und damit der gleichberechtigten Beteiligung des Europäischen Parlaments bezweckt.
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schließliche Kompetenzen für den Abschluss von Übereinkommen auf diesem Gebiet entstehen könnten.369 An der Verbindlichkeit von Übereinkünften im Rahmen der GASP jedenfalls für die EU wird man aber auch nach dem Verfassungsvertrag nicht zweifeln können.
B. Der Versuch der Kompetenzbereinigung Die GHP erfährt eine Konsolidierung als ausschließliche Kompetenz und zugleich eine erhebliche Ausweitung und könnte die aktuellen und in näherer Zukunft absehbaren Gegenstände des WTO-Rechts beinahe zur Gänze abdecken.370 Die Bereiche mit ausschließlicher Zuständigkeit werden im Text der Verfassung abschließend aufgezählt. Zu diesen zählt auch die GHP, zu der unter anderem der „Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen betreffend den Handel mit Waren und Dienstleistungen sowie die Handelsaspekte des geistigen Eigentums, die ausländischen Direktinvestitionen, (...)“ zählt.371 Auch die Regelung anderer Bereiche schließt in etlichen Fällen die ausdrückliche Einräumung von Vertragsabschlusskompetenz mit ein. Das gilt nicht nur für die GHP, sondern auch für die GASP,372 die Entwicklungszusammenarbeit,373 die wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit mit Drittländern374 und die humanitäre Hilfe.375 Daneben kennt der Verfassungsvertrag ausdrückliche Vertragsabschlusskompetenzen auch für solche Gegenstände, die in anderen Abschnitten der Verfassung geregelt sind, wie die Nachbarschaftsbeziehungen der Union, die Umweltpolitik, Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt, die Rückübernahme von Drittstaatsangehörigen und der Verkehr.376 Die Irregularität der „gemischten Abkommen“ würde beseitigt.377 Ferner wird der Versuch unternommen, die Judikatur des EuGH zu den impliziten ausschließlichen Kompetenzen explizit zu machen, das heißt ausdrücklich festzuschreiben.378 Allgemein wird die Vertragsabschlußkompetenz im
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Angenommen, ein Mitgliedstaat hätte die Absicht, mit den USA zu einer Übereinkunft zur Nichtanwendung des Helms-Burton-Acts zu gelangen. Dies könnte die Gemeinsame Aktion 668/96/GASP beeinträchtigen, was nach den allgemeinen Regeln eine ausschließliche Kompetenz begründen würde. So Eeckhout, External Relations, 55. Dieser Befund ist aber zweifelhaft vor allem angesichts der Sonderregelung für den Abschluss von Abkommen auf dem Gebiet des Verkehrs. Im Vertragsabschnitt über denVerkehr findet sich keine Ermächtigung für den Abschluss von internationalen Übereinkommen. Für zukünftige WTOVerhandlungen bedeutet dies, dass hier nach wie vor eine Wahlfreiheit besteht, ein Abkommen allein durch die Union oder durch die Mitgliedstaaten abzuschließen. Art III-315 Abs 1 EV. Art III-303 EV. Art III-317 Abs 2 EV. Art III-319 Abs 3 EV. Art III-321 Abs 4 EV. Art I-57 Abs 2 EV, Art III-233 Abs 4 EV, Art III-252 Abs 4 EV, Art III-267 Abs 3 EV, Art III-315 Abs 5 EV, Art I-60 Abs 2 EV. Derzeit Art 133 Abs 6 EGV. Art I-12 EV.
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Verfassungsvertrag in Art. I-13 Abs. 2 EV379 und Art. III-323 Abs. 1 EV380 geregelt. Den Sinn der Regelungen zusammengenommen zu erschließen ist nicht einfach und die durch den Text versuchte Festschreibung der AETRDoktrin wirft eine Reihe neuer Fragen auf.381 Es ist jedoch anzunehmen, dass weiterhin die in der Judikatur des EuGH entwickelten Konstellationen für die Annahme ausschließlicher externer Kompetenzen gelten.382
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„Die Union hat ferner ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss internationaler Übereinkommen,wenn der Abschluss eines solchen Übereinkommens in einem Gesetzgebungsakt der Union vorgesehen ist, wenn er notwendig ist, damit sie ihre interne Zuständigkeit ausüben kann, oder soweit er gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte.“ „Die Union kann mit einem oder mehreren Drittstaaten oder einer oder mehreren internationalen Organisationen Übereinkünfte schließen, wenn dies in der Verfassung vorgesehen ist oder wenn der Abschluss einer Übereinkunft im Rahmen der Politik der Union entweder zur Verwirklichung eines der in der Verfassung festgesetzten Ziele erforderlich oder in einem verbindlichen Rechtsakt der Union vorgesehen ist oder aber gemeinsameVorschriften beeinträchtigen oder deren Anwendungsbereich ändern könnte.“ Kritisch Cremona, The Draft Constitutional Treaty, CMLRev 2003, 1361ff; ferner Griller, Europarechtliche Grundfragen, 91 ff. Siehe II.B.4.
Michael Potacs
Währungs- und Devisenrecht Rechtsgrundlagen .........................................................................................1177 Grundlegende Literatur.................................................................................1178 I. Grundlagen ..............................................................................................1179 A. Allgemeines..........................................................................................1179 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .......................................................1180 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft ...........................................................1180 2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit....................................1180 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Vorgaben ...................1180 1. Gemeinschaftsrecht .........................................................................1180 2. Völkerrecht......................................................................................1181 II. Währungsrecht ......................................................................................1181 A. Euro als Währung................................................................................1181 B. Das ESZB.............................................................................................1183 1. Organisation ....................................................................................1183 2. Währungspolitische Ziele................................................................1185 3. Instrumente......................................................................................1186 III. Devisenrecht..........................................................................................1188 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: VO (EG) 2465/96, Abl L 337/1; Entschließung 97/C 236/03, Abl C 236/5; VO (EG) 1103/97, Abl L 162/1 (Euro I-VO); VO (EG) 926/98, Abl L 130/1, idF VO (EG) 2488/2000, Abl L 287/19; Empfehlung 286/98, Abl L 130/2; Empfehlung 287/98, Abl L 130/6; Empfehlung 288/98, Abl L 130/29; VO (EG) 974/98, Abl L 139/1 (Euro II-VO); VO (EG) 975/98, Abl L 139/6 idF VO (EG) 423/99, Abl L 52/2; Empfehlung 316/98, Abl L 139/22; Entscheidung 317/98/EG, Abl L 139/30; Beschluss 245/98/EG, Abl L 154/33; Beschluss 345/98/EG, Abl L 154/33; Beschluss 382/98/EG, Abl L 171/33; Entscheidung 415/98/EG, Abl L 189/42; VO (EG) 1705/98, Abl L 215/1, idF VO (EG) 753/99, Abl L 98/3; VO (EG) 2531/98, Abl L 318/1; VO (EG) 2532/98, Abl L 318/4; VO (EG) 2533/98, Abl L 318/8; Entscheidung 683/98/EG, Abl L 320/58; GO der EZB, Abl 1998 L 338/28; Entscheidung 744/98/EG, Abl L 358/111; VO (EG) 2818/98, Abl L 356/1; VO (EG) 2819/98, Abl L 356/7; Beschluss 743/98/EG, Abl L 358/109; Zentralbankenabkommen vom 1.9.1998 (EWS- Wechselkursmechanismus II), Abl C 345/6; Beschluss 31/99, Abl 8/31; Beschluss 32/99, Abl L 8/33; Leitlinie 1998/17/EG, Abl 1999 L 115/47; Beschluss 13/98/EG, Abl 1999 L 125/33; Leitlinie EZB/1998/NP10, Abl L 55/69; Leitlinie EZB/1999/NP11, Abl L 55/71; Beschluss 14/98/EG, Abl L 1999 L 110/33; Beschluss 1999/2/EG, Abl L 258/29; Leitlinie EZB/1999/3, Abl L 258/32; VO (EG) 2157/1999, Abl L 264/21; VO (EG) 1081/2000, Abl L 122/29; VO (EG) 2488/2000, Abl L 287/19, idF VO (EG) 1205/2001, Abl L 163/14; Leitlinie EZB/2000/15, Abl L 336/110; Leitlinie EZB/2000/6, Abl 2001 L 55/66; Leitlinie EZB/2001/1, Abl L 55/80; VO (EG) 467/2001, Abl L 67/1; VO (EG)
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985/2001, Abl L 137/24; Leitlinie EZB/2001/8, Abl L 257/6; Leitlinie EZB, Abl L 276/21; VO (EG) 2560/2001, Abl L 344/13; VO (EG) 320/2002, Abl L 50/4; (EG) 881/2002, Abl L 139/9; Leitlinie EZB vom 30.7.2002, Abl L 220/67; Leitlinie EZB vom 26.9.2002, Abl L 270/14; Leitlinie EZB vom 21.11.2002, Abl L 334/24; Leitlinie EZB vom 5.12.2002, Abl 2003 L 58/1; Leitlinie EZB vom 6.2.2003, Abl L 241/1; Leitlinie EZB vom 20.3.2003, Abl L 78/20; Leitlinie EZB vom 4.4.2003, Abl L 113/10; Leitlinie EZB vom 2.5.2003, Abl L 131/20; Leitlinie EZB vom 23.10.2003, Abl L 283/81; Beschluss der EZB/2004/2, Abl L 80/33; VO (EG) 798/2004, Abl L 125/4; Leitlinie EZB vom 1.7.2004, Abl L 241/68; Leitlinie EZB vom 16.7.2004, Abl L 354/34; Leitlinie EZB vom 16.9.2004, Abl L 320/21; Leitlinie EZB vom 17.2.2005, Abl L 109/81; Leitlinie EZB vom 30.12.2005, Abl L 18/1; Leitlinie EZB vom 14.7.2006, Abl L 207/39; Leitlinie EZB vom 24.7.2006, Abl L 215/44; Leitlinie EZB vom 10.11.2006, Abl L 348/1; VO (EG) 1027/2006, Abl L 184/12. BG: EuroG (BGBl 2000 I/72); DevisenG 2004 (BGBl 2003/123); BG betreffend die Teilnahme am System von Sonderziehungsrechten im IWF (BGBl 1969/440); BG über die Erhöhung der Quote beim IWF und die Übernahme der Quote durch die OeNB (BGBl 1971/309 idF BGBl 1978/190); BG über die Gewährung eines Kredites der OeNB an die türkische Notenbank (BGBl 1980/99 und BGBl 1980/556); NationalbankG 1984 (BGBl 1984/50 idF BGBl 2006 I/61); ScheidemünzenG (BGBl 1988/597 idF BGBl 2005 I/38); BG über die Leistung eines Beitrages zum vom IWF verwalteten Treuhandfonds für die ergänzenden Strukturanpassungsfazilität - ESAF (BGBl 1988/689 und BGBl 1995/385); BG über die Beteiligung Österreichs an den Neuen Kreditvereinbarungen (New Arrangements to Borrow, NAB) mit dem IWF (BGBl 1998 I/64); 1. Euro-Justiz-BegleitG (BGBl 1998 I/125 idF 2001 I/131); 1. EuroFinanzbegleitG (BGBl 1998 I/126); BG betreffend die Übernahme einer Garantie für eine von der OeNB gegenüber der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) einzugehenden Haftung (BGBl 1999 I/40); Euro-WährungsangabenG - EWAG (BGBl 1999 I/110); Euro-GenossenschaftsbegleitG - Euro-GenBeG (BGBl 2000 I/136); EuroSteuerumstellungsG - EuroStUG 2001 (BGBl 2001 I/59); SozialversicherungsWährungsumstellungs-Begleitgesetz - SV-WUBG (BGBl 2001 I/67); Versorgungsrechts-Änderungsgesetz 2005 - VRÄG 2005 (BGBl 2005 I/48); 1. Euro-Umstellungsgesetz - Bund (BGBl 2001 I/98); Euro-Umstellungs-gesetz Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft - EUG-LFUW (BGBl 2001 I/108); Devisengesetz 2004 (BGBl 2003 I/123). VO: 2/2002; 3/2002; 2/2003; 3/2003; 1/2004; 2/2004; 1/2006 Völkerrecht: Abkommen der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (BGBl 1949/105); Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds - IWF-Abkommen (BGBl 1978/189); Übereinkommen über die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung-OECD (BGBl 1961/248); UN-Resolution 661/1990 (BGBl 1990/524a).
Grundlegende Literatur: Krottenmüller, Die Oesterreichische Nationalbank, 1971; Potacs, Devisenbewirtschaftung, 1991; derselbe, Neuerungen im Devisenrecht, Wbl 1992; 111; Schulz, Entwicklung und Perspektiven des österreichischen Devisenrechts, 1997; Fischer (Hrsg), Euro und Gesetzgebung, 1998; derselbe (Hrsg), Österreich und die Währungsunion, 1998; Mosser (Hrsg), Österreichs Weg zum Euro, 1998; Potacs, Die Europäische Währungsunion im Lichte des österreichischen Verfassungs- und Verwaltungsrechts, 100 Jahre Wirtschaftsuniversität Wien, Festschrift - dargebracht vom Fachbereich Rechtswissen-
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schaft, 1998, 291; Rill/Griller (Hrsg), Rechtsfragen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, 1998; Sternbach, Die Einführung des Euro aus rechtlicher Sicht, 1998; Weinbörner, Die Stellung der Europäischen Zentralbank (EZB) und der nationalen Zentralbanken in der Wirtschafts- und Währungsunion nach dem Vertrag von Maastricht, 1998; Potacs, Währungspolitik (Art 105-123 EGV), in: Schwarze (Hrsg), EUKommentar, 2000, 1291; Schwarzer/List/Gerharter, Die österreichische Währungsordnung in der EU, 2000; Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, 2002; Breuss/Fink/Griller (Hrsg), Institutional, Legal and Economic Aspects of the EMU, 2003; European Central Bank (Hrsg), Legal Aspects of the European System of Central Banks, 2005; Kammel/Schramm, Grundriss des Devisenrechts, 2006.
I. Grundlagen A. Allgemeines Unter einer „Währung“ wird das gesetzliche Zahlungsmittel einer Volkswirtschaft verstanden. Als solches wurde durch das SchillingrechnungG ab 1.1.1925 in Österreich der Schilling eingeführt. Abgesehen davon, dass zwischen 1938 und 1945 das österreichische Gebiet dem deutschen Währungsgebiet angehörte, blieb der Schilling bis 1999 die österreichische Währung. Als Teilnehmer an der dritten Stufe der Währungsunion wurde auf Grund der Euro II-Verordnung ab 1.1.1999 der Euro die in Österreich (wie auch die in anderen an der dritten Stufe teilnehmenden Mitgliedstaaten) geltende Währung, die allerdings während einer Übergangszeit bis 31.12. 2001 in die nationalen Währungseinheiten unterteilt wurde. Die Währungspolitik wurde in Österreich traditionellerweise durch die OeNB bestimmt, die sich dabei vor allem privatwirtschaftlicher Mittel im Rahmen der Offenmarkt- und Kreditpolitik bediente. Seit dem NationalbankG 1955 kam die hoheitlich ausgestaltete Mindestreservepolitik hinzu. Außerdem stützte die OeNB nach dem zweiten Weltkrieg jahrzehntelang ihre Währungspolitik auf ein Devisenrecht, das den Zahlungs- und Kapitalverkehr mit dem Ausland relativ strengen Beschränkungen insbesondere in Form von Bewilligungspflichten unterwarf. Zwar wurde eine solche „Devisenbewirtschaftung“ ursprünglich nur für Krisenzeiten (zB während und nach dem ersten Weltkrieg, Anfang der Dreißigerjahre) eingeführt und danach wieder abgeschafft. Das auf Grund des DevisenG 1946 eingeführte Devisenrecht etablierte sich allerdings zu einem Strukturelement der österreichischen Währungspolitik, mit dem die OeNB ihre Hartwährungspolitik absicherte.1 Im Zuge der Annäherung Österreichs an die EG wurde das Devisenrecht durch Verordnungen der OeNB Ende der Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts schrittweise und 1991 vollständig liberalisiert. Mit dem DevisenG 2004 wurde schließlich eine neue gesetzliche Grundlage für Beschränkungen des Devisenverkehrs in Ausnahmesituationen geschaffen. Mit der Teilnahme an der dritten Stufe der WWU hat Österreich seine „Währungssouveränität“ verloren. Die OeNB handelt seit diesem Zeitpunkt als Teil des ESZB unter der Leitung der EZB. 1
ZB Pribil, Möglichkeiten einer stärkeren Orientierung Österreichs an der EG bei der Liberalisierung des Kapitalverkehrs, WipolBl 1987, 351 (354).
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B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft Verordnungen des Rates auf dem Gebiet des Währungsrechtes werden auf Art 106 EGV2, Art 107 EGV (in Verbindung mit der ESZB-Satzung)3, Art 123 EGV4, Art 308 EGV5 oder die ESZB-Satzung allein6 gestützt. Maßnahmen der EZB haben ihre Grundlage in Art 110 EGV und ebenfalls in Bestimmungen der ESZB-Satzung7. Verordnungen, die Grundlage für devisenrechtliche Beschränkungen zu bestimmten Staaten aus politischen Gründen sind („Sanktionen“), beruhen auf Art 60 und 301 EGV.8
2. Die innerstaatliche Regelungszuständigkeit Kompetenzgrundlage für gesetzliche Regelungen auf dem Gebiet des Währungs- und Devisenrechts9 ist der Tatbestand „Geldwesen“ in Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG.
C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Vorgaben 1. Gemeinschaftsrecht Seit 1.1.1999 gelten für Österreich die Regelungen der dritten Stufe der WWU, an der derzeit dreizehn EU-Mitgliedstaaten teilnehmen.10 Die Währungspolitik Österreichs wird demnach ausschließlich durch das ESZB bestimmt, in das auch die OeNB integriert ist. Die Rechtsgrundlagen des ESZB und damit auch die Handlungsmöglichkeiten der OeNB sind weitgehend durch das Gemeinschaftsrecht (EGV, ESZB-Satzung, Sekundärrecht) vorgegeben. Die einschlägigen innerstaatlichen Vorschriften wie das NBG oder das EuroG beschränken sich im Wesentlichen darauf, gemeinschaftsrechtliche Spielräume (zB über 2 3 4 5 6
7 8
9 10
ZB VO (EG) 975/98, Abl L 139/6, über die Stückelung und technischen Merkmale der für den Umlauf bestimmten Euro-Münzen. VO (EG) 2532/98, Abl L 318/4, über das Recht der EZB, Sanktionen zu verfügen. ZB VO (EG) 974/98, Abl L 139/1, über die Einführung des Euro. VO (EG) 1103/97, Abl L 162/1, über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro . ZB VO (EG) 2531/98, Abl L 318/1, über die Auferlegung der Mindestreservepflicht durch die EZB, oder Beschluss des Rates in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs vom 21.3.2003 über eine Änderung des Artikels 10.2 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (BGBl 2005 III/40).. ZB VO (EG) 2818/98, Abl L 356/1, über die Auferlegung einer Mindestreservepflicht. ZB VO (EG) 1294/1999, Abl L 153/1, über das Einfrieren von Geldern und ein Investitionsverbot betreffend die Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ) und zur Aufhebung der Verordnungen 1295/98 und 1607/98. Siehe RV 205 BlgNR 22. GP, S 3. Dazu eingehend Potacs, Devisenbewirtschaftung, 29 ff. Nunmehr auch Kammel/Schramm, Devisenrecht, 83 ff. Nachdem mit 1.1.2007 auch Slowenien an der dritten Stufe der WWU teilnimmt, zählen derzeit Dänemark, Großbritannien, Schweden, Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Tschechien; Ungarn und Zypern zu den Nichtteilnehmern („Outs“).
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Organisation der Notenbanken) auszugestalten oder das nationale Recht an gemeinschaftsrechtliche Vorgaben anzupassen. Für die Beziehungen zu den nicht an der dritten Stufe teilnehmenden Mitgliedstaaten wurde ein EWSWechselkursmechanismus II geschaffen.11 Beschränkungen des Zahlungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten untereinander sowie zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten sind gemäß Art 56 EGV unzulässig. Lediglich als Schutzmaßnahme gegen destabilisierende Kapitalbewegungen gemäß Arzt 59 EGV sowie aus politischen Gründen („Embargomaßnahmen“; „Sanktionen“) gemäß Art 60 EGV kann der Zahlungs- und Kapitalverkehr mit Drittstaaten nach dem Devisenrecht wieder eingeschränkt werden.
2. Völkerrecht Österreich ist einige Abkommen eingegangen, die für das Währungs- und Devisenrecht von Bedeutung sind. Davon ist das OECD-Abkommen zu erwähnen, auf dessen Grundlage der Kodex zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs erlassen wurde.12 Vor allem ist hier aber das IWF-Abkommen hervorzuheben, dessen wesentliche Ziele die Gewährleistung der Währungsstabilität und der Währungskonvertibilität (durch Liberalisierung des Zahlungsverkehrs) sind.13 Obwohl auch die „äußere“ Währungspolitik seit Beginn der dritten Stufe grundsätzlich auf die Gemeinschaft übergegangen ist, bleibt Österreich (und nicht die Gemeinschaft) weiterhin Mitglied des IWF, hat dort allerdings den Standpunkt der Gemeinschaft bzw des ESZB zu vertreten.14
II. Währungsrecht A. Euro als Währung Auf Grund der Euro II-Verordnung ist der Euro seit 1.1.1999 die gemeinsame Währung der an der dritten Stufe der WWU teilnehmenden Mitgliedstaaten und damit auch die in Österreich geltende Währung.15 Während einer Übergangszeit bis 31.12.2001 wurde der Euro allerdings in die nationalen Währungseinheiten gemäß den Umrechnungskursen unterteilt,16 wobei nach dem vom Rat festgelegten Umrechnungskurs ein Euro 13,7603 Österreichische Schilling sind.17 Nähere Umrechnungs- und Rundungsregelungen sind in der Euro I-Verordnung enthalten.18
11 12 13 14 15 16 17 18
Abl 1997 C 236/5. Dazu Potacs, in: EU-Kommentar, 1328 f. Dazu Potacs, Devisenbewirtschaftung, 460 ff. Dazu allgemein etwa Wimmer/Arnold, Wirtschaftsrecht in Österreich2, 1998, 190 ff, und näher in Bezug auf das Devisenrecht Potacs, Devisenbewirtschaftung, 431 ff. Potacs, in: EU-Kommentar, 1306, mwN. Art 2 Euro II-VO. Art 6 Abs 1 Euro II-VO. Art 1 der VO (EG) 2866/98, Abl 359/1, über die Umrechnungskurse zwischen dem Euro und den Währungen der Mitgliedstaaten, die den Euro einführen. Art 4 und 5 Euro I-VO; dazu EuGH Rs C-10/03 (Verbraucher-Zentrale Hamburg), Slg 2004, I-8183.
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Bereits ab Einführung der gemeinsamen Währung mit 1.1.1999 galt jede Bezugnahme auf ECU in Rechtsinstrumenten als Bezugnahme zum Euro gemäß dem festgesetzten Kurs.19 Während der Übergangszeit waren allerdings Verweise in innerstaatlichen Rechtsinstrumenten (zB Gesetze, Verordnungen, Verträge) auf die nationale Währungseinheit genauso gültig wie Bezugnahmen auf den Euro.20 Es galt sogar der Grundsatz, dass in innerstaatlichen Rechtsinstrumenten die Verwendung der nationalen Währungseinheit nicht zwingend vorgeschrieben sein muss, wohl aber sein kann („No compulsion and no prohibition“).21 Auch sonst bewirkte die Einführung der gemeinsamen Währung grundsätzlich keinen Eingriff in geltende Rechtsinstrumente, vor allem auch nicht in Verträge („Vertragskontinuität“).22 Zur Unterstützung eines geordneten Übergangs bei der Währungsumstellung, zur Gewöhnung an die neue Währung sowie zur Vermeidung von Inflationsschüben wurde in Österreich das EWAG erlassen.23 Begleitende Maßnahmen für die Einführung des Euro im Bereich des Zivilrechts wurden bereits mit dem 1. Euro-JustizbegleitG getroffen. Die Umstellung von (Bundes)Anleihen auf Euro ist im 1. Euro-FinanzbegleitG geregelt.
Seit 1.1.2002 sind nach der Euro II-Verordnung Euro-Banknoten und EuroMünzen grundsätzlich das einzige gesetzliche Zahlungsmittel in den an der dritten Stufe teilnehmenden Mitgliedstaaten.24 Allerdings können die teilnehmenden Mitgliedstaaten für eine Übergangszeit bis zu sechs Monaten die weitere Verwendung der nationalen Währungseinheit vorsehen.25 Für Österreich wurde im EuroG festgelegt, dass die auf Schilling lautenden Banknoten und die auf Schilling oder Groschen lautenden Scheidemünzen ab 28.2.2002 ihre Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel verlieren.26 Soweit ab dem 1.1.2002 in innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf nationale Währungseinheiten Bezug genommen wird, ist dies nach der Euro IIVerordnung „als Bezugnahme auf die Euro-Einheit entsprechend dem jeweiligen Umrechnungskurs zu verstehen“.27 Damit wird durch die Verordnung klargestellt, dass auch nach Ablauf der Übergangsphase keine Anpassungspflicht der Mitgliedstaaten besteht.28 Dennoch wurden aus Gründen der Rechtsklarheit im innerstaatlichen Recht Anpassungen etwa für den Bereich des Steuerrechts durch das EuroStUG 2001 und für andere Bereiche des Bundesrechts durch das 1. Euro-UmstellunsgG - Bund sowie durch das SV-WUBG, das VRÄG 2002 und das EUG-LFUW vorgenommen.
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Art 2 Euro I-VO. Art 6 Abs 2 Euro II-VO. Art 8 Abs 1 Euro II-VO. Art 3 Euro I-VO. Siehe weiters Troberg, Auf dem Weg zum Europäischen Währungsrecht, ÖBA 1997, 90 f. Siehe § 2 EWAG. Näher zu diesem Gesetz Fuchs/Taurer, Das neue Währungsangabengesetz (EWAG), 1999. Art 10 und 11 Euro II-VO. Art 15 Abs 2 Euro II-VO. § 2 EuroG. Art 14 Euro II-VO. ZB Potacs, FS 100 Jahre Wirtschaftsuniversität, 304, mwN.
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B. Das ESZB 1. Organisation Träger der Währungspolitik in den an der dritten Stufe teilnehmenden Mitgliedstaaten ist das ESZB, das sich aus der EZB und den nationalen Zentralbanken zusammensetzt. Mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind dabei zwar die EZB und die nationalen Zentralbanken, nicht jedoch das ESZB als solches.29 Gemäß Art 28.2 ESZB-Satzung sind die nationalen Zentralbanken alleinige Zeichner und Inhaber des Kapitals der EZB. Auch haben die nationalen Zentralbanken gemäß Art 30.1 ESZB-Satzung die EZB mit Währungsreserven bis zu einem Gegenwert von 50 Milliarden Euro auszustatten. Der von der OeNB zu leistende Beitrag betrug dabei etwa 1,8 Milliarden Euro.30 Bezüglich der verbleibenden Währungsreserven bestimmt Art 31.2 ESZBSatzung, dass Geschäfte mit ihnen der Zustimmung der EZB ab einem von dieser festzusetzenden Betrag bedürfen, „damit Übereinstimmung mit der Wechselkurs- und der Währungspolitik der Gemeinschaft gewährleistet ist“. Fraglich ist, ob die nationalen Zentralbanken diese Währungsreserven auch für andere als währungspolitische Zwecke verwenden dürfen (zB zur Finanzierung von Forschungsvorhaben). Dies ist grundsätzlich zu bejahen, weil das Gemeinschaftsrecht insoweit keine Einschränkung vorsieht. Auch der gerade erwähnte Art 31.2 ESZB-Satzung spricht nicht gegen diese Sicht, weil er sich - wie aus dem zitierten letzten Satzteil hervorgeht - lediglich auf währungspolitische Geschäfte bezieht. Ebenso wenig kann dieser Auffassung Art 3.1 ESZB-Satzung entgegengehalten werden, demzufolge das ESZB „die offiziellen Währungsreserven der Mitgliedstaaten zu halten und zu verwalten“ hat. Denn diese Vorschrift sagt nichts darüber aus, in welchem Ausmaß Währungsreserven von den Mitgliedstaaten zu halten sind. Allerdings haben sich die nationalen Zentralbanken in Bezug auf die Währungsreserven - wie auch sonst - an die Vorgaben der EZB zu halten. Auch ist zu bedenken, dass die nationalen Zentralbanken bei der Verwendung der Währungsreserven gemäß Art 108 EGV unabhängig handeln.
Die Beziehungen zwischen der EZB und den nationalen Zentralbanken sind durch eine Über- und Unterordnung gekennzeichnet. Wenngleich die nationalen Zentralbanken gemäß Art 14.3 ESZB-Satzung „integraler Bestandteil des ESZB“ sind, haben sie dennoch nach derselben Bestimmung gemäß den Leitlinien und Weisungen der EZB zu handeln. Die EZB kann gemäß Art 110 EGV aber auch verbindliche Verordnungen und Entscheidungen erlassen, die sich jedoch nicht nur an die nationalen Zentralbanken richten, sondern „Außenwirkung“ haben. Die Abgrenzung zwischen Verordnungen und Entscheidungen einerseits sowie Leitlinien und Weisungen andererseits kann problematisch sein.31 Sie ist deshalb von Bedeutung, weil nur Verordnungen und Entscheidungen (auch von den nationalen Zentralbanken), nicht aber auch Leitlinien und Weisungen beim EuGH anfechtbar sind.32 Die nationalen Zentralbanken können umgekehrt über den EZB-Rat Einfluss auf die Willensbildung der EZB ausüben. Dieser gehört mit dem Direk29 30 31 32
Häde, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, EuZW 1992, 171 (174). EZB/2000/15, Abl L 336/110. Dazu näher Potacs, Nationale Zentralbanken in der Wirtschafts- und Währungsunion, EuR 1993 23 (39). Potacs, in: EU-Kommentar, 1298.
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torium zu den Organen der EZB. Während der EZB-Rat gemäß Art 12.1 ESZB-Satzung die „Geldpolitik der Gemeinschaft“ festlegt, führt das Direktorium gemäß Art 11.6 ESZB-Satzung die „laufenden Geschäfte“. So erlässt der EZB-Rat „Leitlinien“33 und „Entscheidungen“, die vom Direktorium ausgeführt werden, das zu diesem Zweck den nationalen Zentralbanken Weisungen erteilen darf.34 Das Direktorium setzt sich aus sechs Mitgliedern (Präsident, Vizepräsident und vier weitere Mitglieder) zusammen, die gemäß Art 112 EGV für die Dauer von acht Jahren ernannt werden. Demgegenüber besteht der EZBRat nach dieser Vorschrift aus den Mitgliedern des Direktoriums und den „Präsidenten der nationalen Zentralbanken“. In währungspolitischen Angelegenheiten hat im EZB-Rat gemäß Art 10.2. ESZB-Satzung jedes Mitglied eine Stimme („one country, one vote“), womit den Präsidenten aller nationaler Zentralbanken (unabhängig von der Bedeutung des betreffenden Mitgliedstaates) der gleiche Einfluss eingeräumt wird.35 Lediglich in Angelegenheiten der internen finanziellen Aspekte der EZB (zB Kapitalerhöhung der EZB) werden gemäß Art 10.3 ESZB-Satzung die Stimmen nach den Anteilen der nationalen Zentralbanken am gezeichneten Kapital der EZB gewogen. Auch die Leitung und Verwaltung der OeNB obliegt zwei Organen, dem Generalrat und dem Direktorium. Der Generalrat besteht aus dem Präsidenten, einem Vizepräsidenten und zwölf weiteren Mitgliedern, die auf fünf Jahre zum Teil von der Bundesregierung ernannt und zum Teil von der Generalversammlung gewählt werden.36 An seine Zustimmung sind bestimmte Geschäfte (zB Erwerb und Veräußerung von Beteiligungen) gebunden.37 Auch sind seiner Beschlussfassung gewisse Entscheidungen wie die Festlegung allgemeiner Grundsätze der Geschäftspolitik vorbehalten.38 Im Übrigen hat der Generalrat das Direktorium in Angelegenheiten der Geschäftsführung und der Währungspolitik zu beraten, weshalb mindestens einmal im Vierteljahr eine gemeinsame Sitzung beider Organe stattzufinden hat.39 Das Direktorium besteht aus dem Gouverneur, dem Vize-Gouverneur und zwei weiteren Mitgliedern, die alle vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung auf fünf Jahre ernannt werden.40 Es hat den gesamten Dienstbetrieb zu leiten und (sofern diese nicht dem Generalrat vorbehalten sind) entsprechend den Weisungen und Leitlinien der EZB die Geschäfte der OeNB zu führen. Hervorzuheben ist, dass gemäß § 34 NBG nicht der formelle Präsident der OeNB (Mitglied des Generalrates), sondern der Gouverneur (Mitglied des Direktoriums) die OeNB im EZB-Rat vertritt und somit „Präsident“ im Sinne von Art 112 Abs 1 EGV ist. Dies lässt sich damit begründen, dass 33 34 35
36 37 38 39 40
ZB Leitlinie EZB/1998/NP10, Abl L 55/69, über die Umsetzung von Art 52 der ESZB-Satzung. Demgegenüber wird angenommen, dass der EZB-Rat dem Direktorium keine konkreten Weisungen erteilen darf; Potacs, in: EU-Kommentar, 1298 f, mwN. Ab dem Zeitpunkt, zu dem die Anzahl der Mitglieder des EZB-Rates 21 übersteigt, ist die Anzahl der stimmberechtigten Präsidenten der nationalen Zentralbanken allerdings mit 15 begrenzt. Die Verteilung und Rotation dieser Stimmberechtigten erfolgt nach einem System, das im Beschluss des Rates über eine Änderung des Artikels 10.2. der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (BGBl 2005 III/40) geregelt ist. § 22 f NBG. § 21 Abs 1 NBG. § 21 Abs 2 NBG. § 20 Abs 2 NBG. § 33 Abs 1 und 2 NBG.
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es letztlich Sache der Mitgliedstaaten ist, wen sie als Vertreter der nationalen Zentralbanken in den EZB-Rat entsenden. Auf den formellen Titel „Präsident“ kommt es dabei wohl nicht an. Allerdings ist aus der Wortwahl „Präsidenten der nationalen Zentralbanken“ in Art 112 EGV zu schließen, dass es sich um einen leitenden Entscheidungsträger einer nationalen Zentralbank handeln muss, was beim Gouverneur der OeNB aber angenommen werden kann. Im Übrigen werden gemäß § 35 NBG die Geschäfte des Direktoriums durch eine Geschäftsordnung in einzelne Geschäftszweige geteilt, an deren Spitze je ein Direktoriumsmitglied steht. Diesem obliegt dann die selbständige Behandlung und Erledigung der durch die Geschäftsordnung übertragenen Geschäfte. Nach der Judikatur des VwGH ist die OeNB damit nach dem Ressort-(Ministerial)System organisiert, wobei das einzelne Mitglied des Direktoriums als monokratisches Organ anzusehen ist. In behördlichen Angelegenheiten (zB bei Erlassung von Bescheiden in Vollziehung des DevisenG) hat das zuständige Direktoriumsmitglied die Approbationsbefugnis. Bescheide der OeNB können aber im Auftrag des Direktors auch von anderen Bediensteten der OeNB (nach Maßgabe einer internen Regelung der Approbationsbefugnis) erlassen werden.41
Gemäß Art 108 EGV (und Art 7 ESZB-Satzung) ist das ESZB bei Wahrnehmung seiner Aufgaben unabhängig. Dies bedeutet, dass weder die EZB noch die nationalen Zentralbanken (bzw deren Organe) Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen dürfen. Sowohl die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft als auch die Regierungen der Mitgliedstaaten sind danach verpflichtet, diesen Grundsatz zu beachten. Sie dürfen auch nicht versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der EZB oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen. Art 108 EGV (bzw Art 7 ESZB-Satzung) verbietet daher nicht nur institutionalisierte Formen der Einflussnahme (zB Einspruchsrechte), sondern auch jede andere Form der Beeinflussung wie etwa durch medialen oder politischen Druck.42 So meint auch der EuGH, dass Art 108 EGV „vor jedem politischen Druck bewahren“ soll, damit und die EZB „die für ihre Aufgaben gesetzten Ziele durch die unabhängige Ausübung der spezifischen Befugnisse, über die sie zu diesen Zwecken nach dem EG-Vertrag und der Satzung des ESZB verfügt, wirksam verfolgen kann“43 Der Absicherung der Unabhängigkeit des ESZB dient auch das Verbot der Gewährung von Krediten an öffentliche Einrichtungen durch die EZB oder nationale Zentralbanken gemäß Art 101 EGV.44
2. Währungspolitische Ziele Art 105 Abs 1 EGV (Art 2 ESZB-Satzung) normiert als vorrangiges Ziel der Währungspolitik des ESZB die Gewährleistung der Preisstabilität. Damit ist zwar grundsätzlich die „innere“ Preisstabilität (Nichtinflation) der gemeinsamen Währung gemeint. Da der „äußere“ Wert einer Währung auch deren „inneren“ Wert beeinflussen kann, ist das Ziel der Preisstabilität auch für die Ge41 42 43
44
VwGH 29.1.1988, 87/17/0245, 0246. Potacs, in: EU-Kommentar, 1300. EuGH Rs C-11/00 (Kommission/EZB), Slg 2003, I-7147, Rz 134; dazu Lavanos, Die begrenzte, funktionelle Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, EuR 2003, 878 ff. Zur Anpassung der österreichischen Rechtslage an diese Vorschrift siehe Potacs, FS 100 Jahre Wirtschaftsuniversität, 297 ff. Siehe nunmehr § 41 NBG.
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staltung der Wechselkurspolitik von Bedeutung.45 Die Verpflichtung zur Preisstabilität bedeutet allerdings keine Verpflichtung zur Sicherstellung einer „Nullinflation“, weil eine solche wenig realistisch (und daher als Vertragsziel schwer vorstellbar) und überdies ökonomisch kaum wünschenswert wäre.46 Der Begriff „Preisstabilität“ in Art 105 EGV (Art 2 ESZB-Satzung) umfasst daher auch geringfügige Preisschwankungen („relative Preisstabilität“). Ganz in diesem Sinn wurde auch vom EZB-Rat die „Preisstabilität“ als ein Anstieg des Preisniveaus von weniger als 2% pro Jahr definiert.47 Schon wegen der relativen Unbestimmtheit des Begriffes „Preisstabilität“ ist davon auszugehen, dass dem ESZB bei Gestaltung der Währungspolitik ein relativ weiter Ermessensspielraum zusteht.48
Zwar kommt der Gewährleistung der Preisstabilität nach Art 105 EGV (Art 2 ESZB-Satzung) uneingeschränkte Priorität zu. Soweit es ohne Beeinträchtigung dieser Zielsetzung aber möglich ist, hat das ESZB danach aber auch die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft49 zu unterstützen, um zur Verwirklichung der Ziele des Art 2 EGV beizutragen. Zu diesen Zielen gehört eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen, ein beständiges, nichtinflationäres Wachstum, ein hoher Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleitungen der Mitgliedstaaten, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität sowie der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.
3. Instrumente Zur Erreichung der Ziele des ESZB stehen der EZB und (nach Maßgabe von Weisungen und Leitlinien der EZB) den nationalen Zentralbanken verschiedene währungspolitische Instrumente zur Verfügung. Dazu gehört zunächst einmal die Möglichkeit von Offenmarktgeschäften, bei denen auf den Finanzmärkten Geschäfte getätigt werden („Interventionen“), indem etwa auf Gemeinschafts- oder Drittlandswährungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere sowie Edelmetalle endgültig oder im Rahmen von Rückkaufsvereinbarungen gekauft oder verkauft werden.50 Soweit es dabei um die Wechselkurspolitik geht, kann das ESZB an vom Rat gemäß Art 111 Abs 2 EGV erlassene „allgemeine Orientierungen“ gebunden sein.51 Weiters können EZB und nationale Zentralbanken Kreditgeschäfte mit Kreditinstituten und anderen Marktteilnehmern abschließen, wobei für die Darlehen ausreichende Sicherheiten zu stellen sind.52 Für die Währungspolitik ist vor allem das Bank45 46 47 48 49 50 51 52
Potacs, in: EU-Kommentar, 1293. Stadler, Der rechtliche Handlungsspielraum des Europäischen Systems der Zentralbanken, 1996, 104. Europäische Zentralbank, Monatsbericht 01/1999, Die stabilitätsorientierte geldpolitische Strategie des Eurosystems, 43 (51). Potacs, in: EU-Kommentar, 1293. Siehe Art 98 ff EGV. Art 18.1 ESZB-Satzung; § 47 Z 1 NBG. Dazu Potacs, in: EU-Kommentar, 105, mwN. Art 18.1 ESZB-Satzung; § 47 Z 2 NBG.
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notenmonopol des ESZB von Bedeutung. Nur EZB und nationale Zentralbanken (im Rahmen einer Genehmigung der EZB) sind gemäß Art 106 EGV (Art 16 ESZB-Satzung) zur Ausgabe von Banknoten als gesetzliche Zahlungsmittel berechtigt. Hingegen bleibt das Münzregal gemäß Art 106 Abs 2 EGV grundsätzlich bei den Mitgliedstaten, wobei der Umfang der Ausgabe von Münzen einer Genehmigung der EZB bedarf. Auch kann der Rat für Münzen bestimmte Harmonisierungsmaßnahmen erlassen. Von diesem Recht hat der Rat durch Erlassung der Verordnung über die Stückelung und technischen Merkmale der für den Umlauf bestimmten Euro-Münzen Gebrauch gemacht.53 An deren Vorgaben hat sich in Österreich die „Münze Österreich AG“ zu halten, die nach dem ScheidemünzenG das ausschließliche Recht zur Prägung von Euro- und Cent-Münzen hat.54 Zur Verwirklichung der geldpolitischen Ziele kann die Gemeinschaft gemäß Art 19 ESZB-Satzung55 von Kreditinstituten auch verlangen, dass sie Mindestreserven bei Konten der EZB oder der nationalen Zentralbanken halten. Eine Regelung über die Berechnung und Bestimmung des Mindestreservesolls wurde vom Rat getroffen.56 Die EZB hat daraufhin durch Verordnung die näheren Vorschriften etwa über den Kreis der reservepflichtigen Institute, die Mindestreservesätze und die Haltung von Mindestreserven geregelt.57 Nach Art 5 ESZB-Satzung gehört zu den Aufgaben des ESZB auch etwa noch die Erhebung statistischer Daten, wobei nähere Vorschriften darüber in der Verordnung des Rates über die Erfassung statistischer Daten durch die EZB58 geregelt sind. Der Erfüllung dieser Aufgabe dient auch die Verordnung der EZB über die konsolidierte Bilanz des Sektors der monetären Finanzinstitute.59 Zu den Aufgaben des ESZB gehört gemäß Art 6 ESZB-Satzung auch die internationale Zusammenarbeit. Die Vertretung bei internationalen Einrichtungen sowie der Abschluss internationaler Vereinbarungen sind in Art 111 EGV geregelt.60 Das ESZB hat weiters das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern.61 Auch hat das ESZB zur Funktionsfähigkeit der Aufsicht über Kreditinstitute sowie zur Stabilität des Finanzsystems bei. Durch Beschluss des Rates können gemäß Art 105 Abs 6 EGV (Art 25.2 ESZB-Satzung) der EZB Aufgaben auf dem Gebiet der Kapitalmarktaufsicht übertragen werden. Auch die Betrauung nationaler Zentralbanken mit aufsichtsrechtlichen Befugnissen durch staatliche Vorschriften ist zulässig.62 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
VO (EG) 975/98, Abl L 139/6, idF VO (EG) 423/99, Abl L 52/2. § 2 iV mit § 8 Abs 1 Z 1 ScheidemünzenG. Siehe auch § 52 NBG. VO (EG) 2531/98, Abl L 318/1 idF VO (EG) 134/2002, Abl L 24/1. Vo (EG) 1745/2003, Abl L 250/10. VO (EG) 2533/98, Abl L 318/8. VO (EG) 2423/2001, Abl L 333/1 idF (Vo (EG) 2181/2004, Abl L 371/42. Dazu näher Potacs, in: EU-Kommentar, 1303 ff. Art 105 Abs 2 EGV und Art 22 ESZB-Satzung. Gemäß Art 14.4 ESZB-Satzung können die nationalen Zentralbanken andere als die in der ESZB-Satzung bezeichneten Aufgaben wahrnehmen, sofern der EZB-Rat diese nicht für unvereinbar mit den Zielen und Aufgaben des ESZB erklärt. Die Wahrnehmung von Aufgaben der Kapitalmarktaufsicht durch nationale Zentralbanken ist zwar nicht in der ESZB-Satzung erwähnt, doch erscheint sie durch Art 105 Abs 5
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Schließlich ist noch zu erwähnen, dass der Rat eine Verordnung über das Recht der EZB, Sanktionen (wegen Verletzung ihrer Entscheidungen und Verordnungen) zu verhängen, erlassen hat.63 Die EZB hat nähere Regelungen dazu in einer eigenen Verordnung getroffen.64
III. Devisenrecht Das Devisenrecht basierte lange auf dem DevisenG aus dem Jahre 1946, einer Zeit, die durch eine Knappheit an Devisen und Kapital gekennzeichnet war. Dementsprechend normierte dieses Gesetz grundsätzlich eine strenge Devisenbewirtschaftung, die von der OeNB zu vollziehen war. So sah § 15 Devisen eine Anmeldepflicht für Devisen vor, die dann der OeNB auf Verlangen zum Kauf angeboten werden mußten.65 Vor allem aber unterlag auf Grund des Gesetzes praktisch der gesamte Zahlungs- und Kapitalverkehr mit dem Ausland (bzw mit Devisenausländern) einer Bewilligungspflicht durch die OeNB. Andererseits sah § 20 Abs 3 DevisenG die Möglichkeit vor, dass die OeNB mit Verordnung („Kundmachungen“) Ausnahmen von diesen Restriktionen verfügte. Von dieser Möglichkeit hatte die OeNB 1991 umfassend Gebrauch gemacht, indem sie in der Kundmachung DL 2/91 eine „generelle Bewilligung“66 für sämtliche nach dem DevisenG bewilligungspflichtige Transaktionen erteilte („Vollliberalisierung“). Nach Art 56 EGV wären Bewilligungspflichten (selbst wenn die Bewilligungen regelmäßig erteilt würden) für den Zahlungs- und Kapitalverkehr mit dem Ausland (auch gegenüber Drittstaaten) auch grundsätzlich unzulässig.67 Allerdings hatte die OeNB mit der Kundmachung DL 3/91 umfassende Meldepflichten für Devisentransaktionen mit dem Ausland erlassen68, die jedoch mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehen69. Mit dem DevisenG 2004 wurde das bisherige Regime umgekehrt. Nunmehr unterliegt der Kapital- und Zahlungsverkehr mit dem Ausland keinen Beschränkungen, soferne solche nicht von der OeNB verhängt werden. Diese kann gemäß § 4 DevisenG 2004 durch Verordnung oder Bescheid aus im Gesetz aufgezählten Gründen (insbesondere zur Durchführung von Beschlüssen im Rahmen der GASP) bestimmte Transaktionen untersagen oder für bewilligungspflichtig erklären, wobei sie selbst gemäß § 4 Abs 3 DevisenG 2004 für die Bewilligungserteilung zuständig ist. Außerdem hat sie die Einhaltung der
63 64 65 66 67
68 69
EGV gedeckt, weshalb eine negative Entscheidung des Rates gemäß Art 14.4 ESZB-Satzung wohl nicht zulässig wäre. VO (EG) 2532/98, Abl L 318/4. VO (EG) 2157/99, Abl L 264/21, idF VO (EG) 985/2001, Abl L 137/24. Dazu Potacs, Devisenbewirtschaftung, 220 ff, Zum Verordnungscharakter solcher „genereller Bewilligungen“ siehe Potacs, Devisenbewirtschaftung, 252 ff. EuGH, verb Rs C-163, 165 und 250/94, Sanz de Lera, Slg 1995, I-4821, Rz 23 ff. Siehe bereits EuGH, verb Rs C-358/93 und C-416/93, Bordessa, Slg 1995, I-361, Rz 25. Dazu näher Potacs, Europarechtliche Rahmenbedingungen eines globalisierten Geldmarktes, JRP 2003, 260 (261 ff). Diese Meldepflichten basierten auf Verordnungen („Kundmachungen“) gemäß § 20 Abs 1 DevisenG; dazu Potacs, Wbl 1992, 112. EuGH, verb Rs C-163, 165 und 250/94, Sanz de Lera, Slg 1995, I-4821, Rz 38.
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von ihr verhängten Maßnahmen sowie die auf Grund von unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht verhängten Beschränkungen gemäß § 5 Abs 1 DevisenG 2004 zu überwachen. Schließlich sieht § 6 DevisenG 2004 eine gesetzliche Ermächtigung für die Erlassung von Meldepflichten durch die OeNB mit Verordnung vor.70 Die Erlassung von Bewilligungspflichten für den Zahlungs- und Kapitalverkehrs ist allerdings nur mehr ausnahmsweise unter den Voraussetzungen der Art 59 und 60 EGV gegenüber Drittstaaten möglich. Art 59 EGV sieht eine Schutzklausel für den Fall vor, dass „Kapitalbewegungen nach oder aus dritten Ländern unter außergewöhnlichen Umständen das Funktionieren der WWU schwerwiegend stören oder zu stören drohen“. Damit sind Störungen gemeint, die sich aus kurzfristigen Kapitalbewegungen spekulativer Natur ergeben können.71 Diesfalls kann der Rat gemäß Art 59 EGV auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der EZB Schutzmaßnahmen mit einer Geltungsdauer von maximal sechs Monaten erlassen.72 Soweit solche Maßnahmen Bewilligungspflichten vorsehen, sind sie gemäß § 3 Abs 1 DevisenG von der OeNB zu vollziehen.73 Außerdem kommen Bewilligungspflichten als Embargomaßnahmen gemäß Art 60 EGV in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann der Rat auf Grund von im Rahmen der GASP gefassten Beschlüssen die notwendigen Sofortmaßnahmen auf dem Gebiet des Zahlungs- und Kapitalverkehrs mit den betroffenen Drittstaaten erlassen. Soweit solche Maßnahmen zur Verhängung von Bewilligungspflichten nach Maßgabe bestimmter (unmittelbar anwendbarer) Kriterien ermächtigen (und Bewilligungspflichten nicht zwingend vorsehen)74, können solche Bewilligungspflichten von der OeNB gemäß § 3 Abs 1 auf Grund einer Verordnung nach § 4 DevisenG 2004 erlassen werden. In einigen der auf Art 60 EGV gestützten Verordnungen der Gemeinschaft75 ist aber auch die Erteilung einer Genehmigung durch andere als staatliche Behörden (zB durch
70
71 72 73 74 75
Siehe MeldeVO ZABIL 1/2004 der OeNB, VO der OeNB betreffend statistische Erhebungen über die Importe und Exporte von Dienstleistungen vom 17.8.2004; MeldeVO ZABIL 1/2005 der OeNB betreffend die statistische Erfassung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs. Gemäß § 17 Abs 3 DevisenG 2004 nach wie vor in Kraft ist auch die Kundmachung DL 3/91 idF der Kundmachung DL 1/2002, die ebenfalls Meldepflichten enthält. Glaesner, Kommentar zu Art 59, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000, 837. Eine solche Maßnahme kann durch Erlass eines neuen Rechtsakts allerdings verlängert werden; Potacs (FN 67) 264, mwN. Dazu eingehend Kammel/Schramm, Devisenrecht, 157 ff. Siehe etwa Art 5 der Verordnung (EG) Nr 310/2002 (Abl L 50/4) über bestimmte restriktive Maßnahmen gegenüber Simbabwe. Siehe Art 4 der VO (EG) 1705/98, Abl 215/1, betreffend die Aussetzung bestimmter wirtschaftlicher Beziehungen zu Angola; Art 8 der VO (EG) 1294/99, Abl L 153/1, über das Einfrieren von Geldern und ein Investitionsverbot betreffend die Bundesrepublik Jugoslawien und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) 1295/98 und (EG) 1607/98; Art 4 Abs 3 der VO (EG) 2488/2000, Abl L 287/19, über die Aufrechterhaltung des Einfrierens von Geldern betreffend Herrn Milosevic und Personen seines Umfelds idF VO (EG) 1205/2001, Abl L 163/14; Art 2 Abs 3 der VO (EG) 467/2001, Abl L 67/1, über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und das Einfrie-
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die Kommission) vorgesehen. Anträge können dabei regelmäßig bei staatlichen Behörden eingebracht werden, die im Anhang zu diesen Rechtsakten genannt werden und zu denen auch die OeNB gehört. In manchen Embargoverordnungen der Gemeinschaft ist vorgesehen, dass die zuständigen innerstaatlichen Behörden von Banken sachdienliche Informationen verlangen dürfen.76 Die Nichtbefolgung eines solchen Verlangens der OeNB ist mit einer Verwaltungsstrafe bis zu 30000 Euro gemäß § 8 Abs 1 DevisenG 2004 bedroht, der auch die Bestrafung wegen Verletzung von unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht anordnet. Wenn der Rat keine Embargomaßnahmen getroffen hat, können solche von den Mitgliedstaaten gemäß Art 60 Abs 2 EGV „bei Vorliegen schwerwiegender politischer Umstände aus Gründen der Dringlichkeit“ in Form von Beschränkungen des Zahlungsund Kapitalverkehrs auch autonom verhängt werden, solange der Rat nicht ihre Aufhebung oder Abänderung verlangt. Solche autonome Maßnahmen könnten von der OeNB durch Verordnung gemäß § 3 Abs 2 DevisenG 2004 angeordnet werden, wobei die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten darüber zu unterrichten sind. Schließlich ermächtigt das DevisenG 2004 in § 3 Abs 3 auch zur Verhängung von Beschränkungen, die im Rahmen der GASP beschlossen wurden (und nicht zusätzlich auch noch in einem EG-Rechtsakt gemäß Art 301 EGV vorgesehen sind) oder auf einer UN-Resolution beruhen.77
76
77
rens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan. ZB Art 3 der VO (EG) 1081/2000, Abl L 122/29, über das Verbot des Verkaufs, der Lieferung und der Ausfuhr nach Birma/Myanmar von Ausrüstungen, die zur internen Pepression oder für terroristische Zwecke benutzt werden können, und über das Einfrieren der Gelder bestimmter, mit wichtigen Regierungsfunktionen verbundener Personen in diesem Land. Siehe dazu Kundmachung DL 2/2002 der OeNB über die Änderung der Kundmachung DL 2/91; Resolution Nr 1373 (2001) des UN-Sicherheitsrates.
Thomas E. Walzel v. Wiesentreu
Agrarmarktrecht Rechtsgrundlagen .........................................................................................1192 Grundlegende Literatur.................................................................................1195 I. Grundlagen ..............................................................................................1196 A. Allgemeines ..........................................................................................1196 1. Markt und Marktordnung..................................................................1196 2. Grundsätzliche Ziele und Instrumente der Agrarmarktordnung .......1199 3. Entstehung und Entwicklung der Agrarmarktordnung .....................1201 B. Kompetenzrechtliche Einordnung ........................................................1219 1. Bundeszuständigkeit .........................................................................1219 2. Landeszuständigkeit..........................................................................1221 C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen ................1221 1. Gemeinschaftsrecht...........................................................................1221 2. Völkerrecht .......................................................................................1225 II. Grundzüge und Prinzipien der Gemeinsamen Agrarpolitik ............1233 A. Die Struktur der Gemeinsamen Agrarpolitik........................................1233 1. Gegenstand der Gemeinsamen Agrarpolitik .....................................1233 2. Ziele und Grundsätze der Gemeinsamen Agrarpolitik......................1234 3. Mittel der Gemeinsamen Agrarpolitik ..............................................1237 B. Die Grundprinzipien der Gemeinsamen Agrarpolitik ..........................1239 1. Das Marktprinzip ..............................................................................1239 2. Das Prinzip der Gemeinschaftspräferenz..........................................1239 3. Das Prinzip der Gemeinschaftsfinanzierung.....................................1240 C. Instrumente der Gemeinsamen Marktorganisation..............................1242 1. Interne Regelungen ...........................................................................1242 2. Außenschutzbestimmungen ..............................................................1253 3. Instrumente der Agrarstrukturpolitik ................................................1255 D. Die Bekämpfung der Überschussproduktion .......................................1256 E. Die administrative Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation.........................................................1259 1. Allgemeines ......................................................................................1259 2. Der organisatorische Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten ......1261 F. Die Einrichtung der Agrarmarkt Austria (AMA) als Marktordnungs- und Interventionsstelle...............................................1262 1. Grundsätzliches.................................................................................1262 2. Aufgaben...........................................................................................1262 3. Organe...............................................................................................1263 4. Finanzierungsmaßnahmen ................................................................1264 5. Verfahren ..........................................................................................1265 G. Das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem (INVEKOS)...........1267
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III. Grundzüge der einzelnen Marktorganisationen in ausgewählten Bereichen...................................................................... 1271 A. Gemeinsame Marktorganisation für Getreide ..................................... 1271 1. Allgemeines...................................................................................... 1271 2. Erfasste Produkte.............................................................................. 1273 3. Betriebsprämie.................................................................................. 1273 4. Interne Regelungen........................................................................... 1274 5. Außenschutzbestimmungen.............................................................. 1276 B. Gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch ................................. 1279 1. Allgemeines...................................................................................... 1279 2. Erfasste Produkte.............................................................................. 1280 3. Begriffsbestimmungen ..................................................................... 1281 4. Betriebsprämie.................................................................................. 1281 5. Interne Regelungen........................................................................... 1282 6. Außenschutzbestimmungen.............................................................. 1288 C. Gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse...... 1289 1. Allgemeines...................................................................................... 1289 2. Erfasste Erzeugnisse......................................................................... 1291 3. Betriebsprämie.................................................................................. 1292 4. Interne Regelung .............................................................................. 1292 5. Außenschutzbestimmungen.............................................................. 1296 3. Die Quotenregelung im Milchsektor ................................................ 1297 D. Gemeinsame Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven ........... 1302 1. Allgemeines...................................................................................... 1302 2. Erfasste Produkte.............................................................................. 1303 3. Betriebsprämie.................................................................................. 1303 4. Interne Regelungen........................................................................... 1304 5. Außenschutzbestimmungen.............................................................. 1306 6. Zuständigkeiten und Vollziehung..................................................... 1307 Rechtsgrundlagen: Landwirtschaftliches Wirtschaftsrecht MarktordnungsG 1985, BGBl 1985/210 idF BGBl I 2006/18; LandwirtschaftsG 1992, BGBl 1992/375 idF BGBl 1996/420; AMA-G 1992, BGBl 1992/376 idF BGBl I 2001/108; LebensmittelbewirtschaftungsG 1997, BGBl 1996/789 idF BGBl I 2001/108; AusfuhrerstattungsG (AEG), BGBl 1994/660 idF BGBl I 2003/124. Umgesetztes Gemeinschaftsrecht VO über Sicherheiten für Marktordnungswaren, BGBl 1994/1021 idF BGBl II 2004/36; VO über Lizenzen für Marktordnungswaren, BGBl II 2004/37; Überschussbestandsverordnung, BGBl 1994/1103; INVEKOS-Umsetzungs-Verordnung 2005, BGBl II 2004/474; INVEKOS-GIS-Verordnung, BGBl II 2004/335; VO über die einheitliche Betriebsprämie, BGBl II 2004/336; GAP-Beihilfen-Verordnung, BGBl II 2004/482; VO zur Festsetzung der repräsentativen Erträge 2004 für nachwachsende Rohstoffe auf stillgelegten Flächen, BGBl II 2004/298 idF BGBl II 2004/369; VO über die Nutzung stillgelegter Flächen im Wirtschaftsjahr 2004/2005, BGBl II 2004/268; VO über Hart-
Agrarmarktrecht
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weizensorten für die Hartweizenqualitätsprämie, BGBl II 2005/16; GetreideInterventionsverordnung 2004, BGBl II 2004/412; Getreide-Überwachungsverordnung, BGBl 1995/575; Saatgutbeihilfenverordnung 1999, BGBl II 1999/109 idF BGBl II 2001/10; VO über die Registrierung von Verträgen über die Vermehrung von Saatgut in Drittländer, BGBl 1995/99 idF BGBl II 1999/108; Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999, BGBl II 1999/28 idF BGBl II 2005/52; Milch-Meldeverordnung 2001, BGBl II 2001/241; VO über die Intervention von Butter und Rahm sowie zur Bestimmung der Butterqualität, BGBl II 1998/270 idF BGBl II 2000/90; Schulmilch-BeihilfenVerordnung 2001, BGBl II 2000/413 idF BGBl II 2004/357; Milchfett-VerbrauchVerbilligungsverordnung, BGBl 1994/1063 idF BGBl 1995/438; MilchfettVerarbeitungs-Verordnung 1998, BGBl II 1998/12; VO über private Lagerhaltung von lagerfähigen Käsesorten, BGBl 1995/316 idF BGBl II 2004/337; MagermilchpulverVerordnung 2001, BGBl II 2001/406; Magermilch-Beihilfen-Verordnung 2000, BGBl II 2000/236; Kasein-Beihilfen-Verordnung, BGBl 1994/1065 idF BGBl II 1998/327; Kasein-Verwendungs-Verordnung, BGBl 1994/1066; MutterkuhzusatzprämienVerordnung 2004, BGBl II 2004/520; VO zur Durchführung der Intervention von Rindfleisch, Schweinefleisch und Schaf- und Ziegenfleisch, BGBl 1994/1018 idF BGBl II 1997/311; Interventionsrindfleisch-Verarbeitungsverordnung, BGBl 1995/72; Rinderkennzeichnungs-Verordnung 1998, BGBl II 1997/408 idF BGBl II 2002/471; Rindererfassungsverordnung, BGBl II 1998/409; Vieh-Meldeverordnung, BGBl 1995/800 idF BGBl II 1998/54; Zuckermarktordnungs-Durchführungsverordnung 1995, BGBl 1994/1014; Stärke/Zucker-Produktionserstattungs-Verordnung 2002, BGBl II 2002/419; Zuckerlager-Meldeverordnung 1994, BGBl 1994/1016; VO zur Kontrolle der Verwendung von Invertzucker und Sirupen durch die Alkohol- und Hefeindustrie, BGBl II 2004/297; Stärkekartoffelbeihilfe- und Kartoffelstärkeprämien-Verordnung 2004, BGBl II 2004/117; VO, mit der die Berggebiete und benachteiligten förderungswürdigen Gebiete bestimmt werden, BGBl 1995/771; Rohtabak-Durchführungsverordnung, BGBl II 1999/97 idF BGBl II 2003/241; Trockenfutterbeihilfen-Verordnung 2005, BGBl II 2005/127; VO über die Einfuhr von Hanf aus Drittstaaten, BGBl II 2002/179; Flachsund Hanfverarbeitungsbeihilfenverordnung, BGBl II 2001/300 idF BGBl II 2006/329; VO über Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse, BGBl II 2004/70 idF BGBl II 2006/214; VO über die Gewährung von Prämien für die Rodung von Apfel-, Birn-, Pfirsich- und Nektarinenbäumen, BGBl II 1998/9; Obst und GemüseVergütungsverordnung, BGBl II 1997/243; VO über besondere Vermarktungsvorschriften für Olivenöl; BGBl KK 2002/467 idF BGBl II 2003/531. Gemeinsame Marktorganisationen (Grundverordnungen) VO (EG) Nr 1784/2003 über die Gemeinsame Marktorganisation für Getreide, Abl 2003 Nr L 270/78; VO (EWG) Nr 2759/75 über die Gemeinsame Marktorganisation für Schweinefleisch, Abl 1975 Nr L 282/1 idF VO (EG) 1365/2000, Abl 2000 Nr L 156/5; VO (EWG) Nr 2771/75 über die Gemeinsame Marktorganisation für Eier, Abl 1975 Nr L 282/49 idF VO (EG) 806/2003, Abl 2003 Nr L 122/1; VO (EWG) Nr 2777/75 über die Gemeinsame Marktorganisation für Geflügelfleisch, Abl 1975 Nr L 282/77 idF VO (EG) 806/2003, Abl 2003 Nr L 122/1; VO (EG) Nr 2200/96 über die Gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse, Abl 1996 Nr L 297/1 idF VO (EG) 47/2003, Abl 2003 Nr L 7/64; VO (EWG) Nr 404/93 über die Gemeinsame Marktorganisation für Bananen, Abl 1993 Nr L 47/1 idF VO (EG) 2587/2001, Abl 2001 Nr L 345/13; VO (EG) Nr 1493/1999 über die Gemeinsame Marktorganisation für Wein, Abl 1999 Nr L 179/1 idF VO (EG) 1795/2003, Abl 2003 Nr L 262/13; VO (EG) Nr 1255/1999 über die Gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse, Abl 1999 Nr L 160/48 idF VO (EG) 186/2004 Abl 2004 Nr L 29/6; VO (EG) Nr 1254/1999 über die Gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch, Abl 1999 Nr L 160/21 idF VO (EG)
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1782/2003, Abl 2003 Nr L 270/1; VO (EG) Nr 1785/2003 über die Gemeinsame Marktorganisation für Reis, Abl 2003 Nr L 270/96; VO 865/2004 über die Gemeinsame Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven, Abl 2004 Nr L 161/97 (diese hat mit 01.11.2005 die bis dahin gültige VO [EWG] Nr 136/66 über die Errichtung einer Gemeinsamen Marktorganisation für Fette, Abl 1966 Nr P 172/3025 idF VO [EG] 865/2004, Abl 2004 Nr L 161/97, ersetzt); VO (EG) Nr 1260/2001 über die Gemeinsame Marktorganisation für Zucker, Abl 2001 Nr L 178/1 idF VO (EG) 39/2004, Abl 2004 Nr L 6/16; VO (EWG) Nr 234/68 über die Errichtung einer Gemeinsamen Marktorganisation für lebende Pflanzen und Waren des Blumenhandels, Abl 1968 Nr L 055/1 idF VO (EG) 806/2003, Abl 2003 Nr L 122/1; VO (EG) Nr 1786/2003 über die Gemeinsame Marktorganisation für Trockenfutter, Abl 2003 Nr L 270/114 idF VO (EG) 583/2004, Abl 2004 Nr L 91/1; VO (EG) Nr 2201/96 über die Gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse, Abl 1996 Nr L 297/29 idF VO (EG) 386/2004, Abl 2004 Nr L 64/25; VO (EWG) Nr 2075/92 über die Gemeinsame Marktorganisation für Rohtabak, Abl 1992 Nr L 215/70 idF VO (EG) 864/2004, Abl 2004 Nr L 206/20; VO (EG) Nr 1673/2000 über die Gemeinsame Marktorganisation für Faserflachs und -hanf, Abl 2000 Nr L 193/16 idF VO (EG) 393/2004, Abl 2004 Nr L 65/4; VO (EWG) Nr 1696/71 über die Gemeinsame Marktorganisation für Hopfen, Abl 1971 Nr L 175/1 idF VO (EG) 864/2004, Abl 2004 Nr L 206/20; VO (EWG) Nr 2358/71 zur Errichtung einer Gemeinsamen Marktorganisation für Saatgut, Abl 1971 Nr L 246/1 idF VO (EG) 2323/2003, Abl 2003 Nr L 345/21; VO (EG) Nr 2529/2001 über die Gemeinsame Marktorganisation für Schaf- und Ziegenfleisch, Abl 2001 Nr L 341/3 idF VO (EG) 1782/2003, Abl 2003 Nr L 270/1; VO (EG) Nr 104/2000 über die Gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur, Abl 2000 Nr L 17/22; VO (EWG) Nr 827/68 über die Gemeinsame Marktorganisation für bestimmte in Anhang II des Vertrages aufgeführte Erzeugnisse, Abl 1968 Nr L 151/16 idF VO (EG) 865/2004, Abl 2004 Nr L 161/97. Ergänzt werden die Gemeinsamen Marktordnungen durch zahllose weitere Rechtsvorschriften, die entweder in allgemeiner Art Außenhandel, Intervention, Sicherheiten, Beihilferegelungen Kontrollen etc betreffen oder bei denen es sich um Durchführungsverordnungen zu den Gemeinsamen Marktordnungen handelt. Zufolge ihrer Menge können diese Rechtsvorschriften hier im Einzelnen nicht genannt werden. Allgemeine Rechtsvorschriften zur Gemeinsamen Agrarpolitik VO (EG) Nr 1258/1999 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik, Abl 1999 Nr L 160/13 (ab 01.01.2007: VO (EG) Nr 1290/2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik, Abl 2005 Nr L 209/1); VO (EG) Nr 1782/2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, Abl 2003 Nr L 270/1 idF VO (EG) 2183/2005, Abl 2005 Nr L 347/56; VO (EG) Nr 1973/2004 mit Durchführungsvorschriften zu der VO (EG) Nr 1782/2003 des Rates hinsichtlich der Stützungsregelungen nach Titel IV und IVa der VO und der Verwendung von Stilllegungsflächen für die Erzeugung von Rohstoffen, Abl 2004 Nr L 345/1; VO (EG) Nr 795/2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur Modulation und zum Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem nach der VO (EG) 1782/2003, Abl 2004 Nr L 141/18 idF VO 2183/2005, Abl 2005 Nr L 347/56; VO (EG) Nr 796/2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur Modulation und zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem nach der VO (EG) 1782/2003, Abl 2004 Nr L 141/18 idF VO (EG) 2184/2005, Abl 2005 Nr L 347/61; VO (EG) Nr 1663/95 der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zu der VO (EWG) Nr 729/70 des Rates bezüglich des Rechnungsabschlussverfahrens des EAGFL, Abteilung Garantie, Abl 1995 Nr L 158/6 idF VO (EG) 2025/2001,
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Abl 2001 Nr L 274/3; VO (EG) Nr 296/96 der Kommission über die von den Mitgliedstaaten zu übermittelnden Angaben zur monatlichen Übernahme der vom Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), Abteilung Garantie, finanzierten Ausgaben, Abl 1996 Nr L 39 idF VO (EG) 2035/2003, Abl 2003 Nr L 302/6; VO (EG) Nr 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften; Abl 1995 Nr L 312/1; VO (EG) Nr 2185/96 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten, Abl 1996 Nr L 292/2; VO (EG) Nr 595/91 betreffend Unregelmäßigkeiten und die Wiedereinziehung zu Unrecht gezahlter Beträge im Rahmen der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik sowie die Einrichtung eines einschlägigen Informationssystems, Abl 1991 Nr L 67/11 idF VO (EG) 1290/2005, Abl 2005 Nr L 209/1; VO (EG) Nr 1469/95 über Vorkehrungen gegenüber bestimmten Begünstigten der vom EAGFL/Garantie finanzierten Maßnahmen, Abl 1995 Nr L 145/1.
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I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Markt und Marktordnung Nach wirtschaftswissenschaftlicher Ansicht ist unter einem „Markt“ jener ökonomische Ort zu verstehen, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Er ist durch das wechselseitige Interessen- und Beziehungsgeflecht, das die einzelnen Wirtschaftssubjekte miteinander verbindet, gekennzeichnet1. Die heutigen Märkte stellen das Ergebnis eines lang dauernden historischen Entwicklungsprozesses dar, in dessen Verlauf sich zahlreiche Regeln herausgebildet haben, die die Funktionsfähigkeit der Märkte garantieren. Neben den traditionell aus sich heraus gewachsenen Regelsystemen2 bestehen vor allem auch 1
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Vgl Hodgson, Economics and Institutions. A Manifesto for a Modern Institutional Economics (1988), der den Markt wie folgt definiert: „We shall here define the market as a set of social institutions in which a large number of commodity exchanges of a specific type regularily take place, and to some extent are faciliated and structured by those institutions. Exchange [...] involves contractual agreement and the exchange of property rights, and the market consists in part of mechanisms to structure, organize and legitimate these activities. Markets, in short, are organized and institutionalized exchange. Stress is placed on those market institutions, which help to both regulate and establish a consensus over prices and, more generally, to communicate information regarding products, prices, quantities, potential buyers and potential sellers.” (aaO, 174). Vgl in diesem Zusammenhang das von v. Hayek geprägte Phänomen der „spontanen Ordnung des Marktes“, die auf der Basis der Reziprozität und der „rules of law“ er-
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rationale Ordnungspläne, die einen vernünftigen und gerechten Ausgleich der verschiedenen Interessen zum wechselseitigen Vorteil der Marktteilnehmer bezwecken3. Die Wirtschaftspolitik der westlichen Industriestaaten ist in weiten Bereichen vom Prinzip der Erhaltung des „freien Marktes“ geprägt. Insoweit sich Staat und Recht mit dem Markt beschäftigen, geschieht dies, um den Markt in seiner Funktionsfähigkeit zu erhalten, unbefriedigendes Marktverhalten zu verhindern und unerwünschte Marktergebnisse zu korrigieren. Zu diesem Zweck schafft der Staat mit den Mitteln des Rechts4 primär einen verbindlichen Ordnungsrahmen5, er ermächtigt staatliche Behörden unter Umständen aber auch zur Vornahme von direkten Eingriffen in das Marktgeschehen6. Ist der freie Markt außerstande, die ihm typischerweise zugewiesenen Wohlfahrtsfunktionen (Allokations-, Distributions- und Antriebsfunktion) auch weiterhin zu erfüllen, „versagt“ der Markt also, ist eine staatliche Marktkorrektur zum Zwecke der Wahrung fundamentaler gesamtvolkswirtschaftlicher Anliegen unumgänglich. Diese Korrektur kann, je nach dem zum Einsatz gelangenden Instrument, in unterschiedlicher Intensität erfolgen7. Die Etablierung einer Marktordnung durch den Staat stellt derzeit das höchstentwickelte und eingriffsintensivste Instrument dar, dessen sich der Staat zur Abwendung der negativen Folgen eines Marktversagens bedient8. Unter einer „Marktordnung“ wird ganz allgemein ein System von (staatlichen) Regelungen (Gesetze, Verordnungen) und Maßnahmen verstanden, das darauf hin abzielt (etwa durch gebundene Preise und mit Hilfe von Marktverbänden), einen bestimmten (sektoralen) Markt zu regulieren9. Sie ist ein Instrument der Wirtschaftslenkung10 und dient der Angebots- und Nachfragesteu-
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folgt (v. Hayek, Grundsätze einer liberalen Gesellschaftsordnung, in v. Hayek [Hrsg], Freiburger Studien - Gesammelte Aufsätze [1969] 108). Vgl Vogel, Der Markt - zwischen Freiheit und Ordnung, FS Köttl (1991) 9 (13 f). S dazu insb Funk, Das Wirtschaftsverwaltungsrecht als Teil des Wirtschaftsrechts, in FS Fröhler (1980) 299; Raschauer, Allgemeiner Teil, in Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2 (2003) Rz 1 ff. Das Wirtschaftsrecht bildet in seiner Gesamtheit nicht nur die gesetzliche Grundlage für das bestehende Marktsystem. Es ordnet in weitestem Sinne den Markt und regelt den auf diesem stattfindenden Wettbewerb. Vgl Donges/Freytag, Allgemeine Wirtschaftspolitik (2001) 127 ff. Vgl Arnold/Walzel v. Wiesentreu, Agrarmarktordnungen - ein Beispiel für den europa- und völkerrechtlich bedingten Wandel einer zentralen Einrichtung des Wirtschaftsrechts, FS Pernthaler (2005) 17 (17 f). Arnold/Walzel v. Wiesentreu (FN 7), 18. Vgl Lexikon-Institut Bertelsmann (Hrsg), Bertelsmann Lexikon Wirtschaft (1992) Stichwort „Marktordnung“, 439. Das Vorhandensein einer Marktordnung steht in einem deutlichen Widerspruch zum Prinzip der freien Marktwirtschaft. Grundsätzlich bestimmt sich am Markt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach dem Preis, der in einer freien Marktwirtschaft von den Marktteilnehmern selbst bestimmt werden kann. Durch eine Marktordnung werden indessen wesentliche Entscheidungsbefugnisse von Produzenten, Händlern und Verbrauchern in bestimmten Bereichen, etwa der Preisgestaltung, durch verbindliche staatliche Vorgaben beschränkt. Dies führt letztlich auch zu erheblichen Marktverzerrungen. Zum Begriff der Wirtschaftslenkung und zu den von ihr erfassten Maßnahmen umfassend Schulev-Steindl, Wirtschaftslenkung und Verfassung. Gesetzgebungs-
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erung auf Teilmärkten. Dabei werden die marktmäßigen Funktionen durch ein Bündel rechtlicher Gebote, Verbote und Anreize ersetzt, die in Summe eine funktionale Einheit bilden. In der rechtswissenschaftlichen Literatur gebräuchlich ist der von Herlemann geprägte Begriff der Marktordnung als ein „relativ geschlossenes, auf Dauer angelegtes, situationsunabhängiges und auf Interessenausgleich der Marktteilnehmer zielendes Regulierungssystem“11. Marktordnungen betreffen Erzeugnisse. Ihre Maßnahmen setzen typischerweise am Markt als prozessualem Geschehen an, sodass es sich bei ihnen im Falle des Agrarmarktes um Einrichtungen der Agrarmarktpolitik12 handelt. Der Agrarmarkt als Teil des Marktes ist die Gesamtheit aller auf landwirtschaftliche Erzeugnisse gerichteten Austauschbeziehungen zwischen Angebot und Nachfrage. Aufgrund seiner Besonderheiten neigt gerade der Agrarmarkt dazu, die ihm zugedachten typischen Funktionen nicht zu erfüllen bzw hinsichtlich seiner Ergebnisse hinter den politischen Erwartungen zurück zu bleiben: Während die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten eher konstant ist, unterliegt das Angebot solcher Erzeugnisse zum Teil starken jahreszeitlichen bzw zyklischen Schwankungen13. Insbesondere lässt sich vor allem im Bereich des Pflanzenanbaus die saisonal produzierte Menge quantitativ und qualitativ nicht genau im Vorhinein bestimmen, da beide Faktoren weitgehend
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kompetenz und grundrechtliche Schranken direkter Wirtschaftslenkung (1996) 1 ff. - Vgl auch Funk, Das System des österreichischen Wirtschaftslenkungsrechts, in Korinek/Rill (Hrsg), Grundfragen des Wirtschaftslenkungsrechts (1982) 53; Puck, Wirtschaftslenkungsrecht, in Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2 (2003) Rz 601 und ff; Schäffer, Öffentliches Wirtschaftsrecht, in Schambeck (Hrsg), Parlamentarismus und öffentliches Recht in Österreich II (1993) 1149 (1283); Wenger/Raschauer, Recht der Wirtschaftslenkung, in Wenger (Hrsg), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts II (1990) 147. - Eine Marktordnung bedeut direkte und beschränkende Intervention des Staates gegenüber der Wirtschaft, weshalb sie der Wirtschaftslenkung im engsten Sinne zuzuordnen ist. Herlemann, Landwirtschaftliche Marktordnungen, in Beckerath ua (Hrsg), Handwörterbuch der Sozialwissenschaften VI (1959) 493. Zur Übernahme dieses Begriffes in der österreichischen Lehre vgl etwa Berger, Das Institut der Marktordnung als Instrument der wirtschaftslenkenden Verwaltung, ÖZW 1981, 35 (36 f); Wimmer/Arnold, Wirtschaftsrecht in Österreich und seine europarechtliche Integration2 (1998) 80 und dort Anmerkung 315 mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen. Im Gegensatz dazu betreffen Einrichtungen der Agrarstrukturpolitik insbesondere Produktionsmittel und Produktionsbedingungen, wobei diese längerfristig an die Markterfordernisse angepasst werden sollen. - Dazu Arnold/ Walzel v. Wiesentreu (FN 7), 18 f. Unter einem Zyklus ist eine Sonderform mittelfristiger, gegenläufiger Preis- und Mengenschwankungen um einen Trend zu verstehen. Zyklen kommen auf Märkten zustande, auf denen eine atomistische Angebots- und Nachfragestruktur besteht. Charakteristisch sind eine verzögerte Anpassung des Anbieters (Produzenten) auf Preisänderungen, unmittelbar auf Preisänderungen reagierende Nachfrager sowie Preiserwartungen der Produzenten, die sich nach den Gegenwartspreisen richten. Wird das Marktgleichgewicht auf diesen Märkten durch äussere Einflüsse gestört, so kommt es letzlich zu zyklischen Schwankungen. Bekannt ist der sog „Schweinzezyklus“. Dieser Zyklus tritt in Ländern auf, die einen mehr oder weniger freien Markt für Schweine aufweisen (zB die Schweiz), wobei die Tiere in diesen Ländern vorwiegend mit marktgängigen, konzentrierten Futtermitteln gemästet werden. - Vgl dazu Rieder, Grundlagen der Agrarmarktpolitik (1983) 176 ff.
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witterungsabhängig sind14. Hinzu treten hohe Lagerkosten gerade für solche Produkte sowie deren begrenzte Lagerdauer, die wegen der leichten Verderblichkeit der Erzeugnisse zeitlich nicht unbegrenzt gestreckt werden kann. Angesichts dieser Umstände wird in der Wirtschaftstheorie sogar die These vertreten, dass das Marktversagen ein dem Agrarsektor „systemimmanenter“ Wesenszug sei15. Darüber hinaus können auch Importe aus Drittstaaten, in denen erheblich günstiger produziert werden kann als im Inland, zu erheblichen Marktstörungen führen. Die Folge davon sind starke Preisschwankungen, die geradezu zwangsläufig auf unbeeinflussten Märkten entstehen16. Um die negativen Auswirkungen dieser, den Agrarmarkt kennzeichnenden Zyklen möglichst abzufedern, sind viele Staaten bereits frühzeitig dazu übergegangen, spezielle Regelungen für den Agrarmarkt zu treffen17. Die Intensität, mit der von staatlicher Seite her Einfluss auf das Agrarmarktgeschehen genommen wird, weist dabei unterschiedliche Stufen auf. Gleiches gilt auch für die Regelungsdichte. Stärkstes Instrument ist in diesem Zusammenhang die Agrarmarktordnung. Darunter ist in einem allgemeinen Sinn ein System von Maßnahmen zur Lenkung und Regulierung der Märkte für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu verstehen18.
2. Grundsätzliche Ziele und Instrumente der Agrarmarktordnung a) Ziele der Agrarmarktordnung Eine Marktordnung dient regelmäßig einer Vielzahl von wirtschafts- und rechtspolitischen Zwecken, indem sie über die Substitution des Marktes hinaus jene negativen Folgen auszugleichen sucht, die durch das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte am Markt hervorgerufen werden. Die Agrarmarktordnung bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Vorrangiges (primäres) Ziel der Agrarmarktordnung ist die Sicherung der Selbstversorgung der einheimischen Bevölkerung mit agrarischen Produkten19. Zugleich soll der Agrarmarkt als solcher möglichst stabil gehalten 14 15 16 17
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Vgl Rieder (FN 13), Grundlagen, 13. Vgl mwN Schmitt, Landwirtschaft - ein Ausnahmebereich? Eine alte Frage und eine neue Antwort, ORDO 41 (1990) 219 ff (220). Vgl Eiden, § 22 Die Landwirtschaft, in Bleckmann, Europarecht5 (1990) Rz 1582 ff. So allgemein Schmitt (FN 15), 219. - Speziell auf die Mitgliedstaaten des EWGV bezogen Boest, Die Agrarmärkte der EWG (1984) 38 ff. Tatsächlich bestanden bereits vor dem Inkrafttreten des EWGV zahlreiche nationale Stützungsmaßnahmen zu Gunsten der Landwirtschaft, wie etwa Einfuhrzölle, niedrige Einfuhrkontingente, Fix-, Höchst- und Mindestpreise, Beihilfen etc. Auf diese Maßnahmen sollte auch bei Errichtung des Gemeinsamen Marktes nicht verzichtet werden. - Vgl in diesem Zusammenhang auch Gorn, Struktur und Bestimmungsgründe der Agrarprotektion. Food Crops versus Cash Crops, Konjunkturpolitik 1992, 86 ff. S Brockhaus Enzyklopädie I19 (1986) Stichwort „Agrarmarktordnungen der EG“ 222. Im Wesentlichen geht es darum, durch Subventionierung aber auch sonstige Maßnahmen zu verhindern, dass die heimische Landbewirtschaftung langfristig aufgegeben wird, weil viele Betriebe infolge billiger Agrarimporte nicht mehr kostendeckend produzieren können. Der Selbstversorgungsaspekt und damit die Vermeidung von zu starken Abhängigkeiten vom internationalen Markt spielt hierbei eine tragende Rolle.
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werden. Hinzu kommt die Stabilisierung der Preise. Dies dient einerseits dem Schutz der Konsumenten, die auch im Falle einer Angebotsverknappung mit vernünftigen Einkaufspreisen rechnen können sollen. Andererseits dient die Preisstabilität auch der Sicherung der Existenzfähigkeit der produzierenden Landwirte, die selbst bei einem Überangebot auf dem Markt einen bestimmten Mindestabnahmepreis für ihre Agrarprodukte erhalten20. Mit der Agrarmarktordnung soll aber nicht nur die Erzeugung einer bestimmten Quantität von Agrarprodukten sichergestellt werden, sie zielt überdies auch auf eine Qualitätssicherung hin ab. Agrarprodukte, die bestimmte qualitative Standards unterschreiten, dürfen als solche nicht auf den Markt gebracht werden. Normalerweise regelt sich die Produktqualität über den Markt selbst, indem minderwertige Produkte vom Konsumenten einfach nicht gekauft werden. Da dieses natürliche Marktkorrektiv bei geregelten Märkten von vornherein nicht garantiert ist, sind qualitative Vorgaben bei den Produkten gesetzlich abzusichern21. Neben den genannten unmittelbaren (primären) Zielen können noch zahlreiche andere Ziele hinzutreten bzw treten solche in der Praxis hinzu, die mittelbar bzw indirekt mit der Agrarmarktordnung verfolgt werden („sekundäre Ziele“)22. So erfüllt beispielsweise gerade in alpinen Regionen der Landwirt häufig auch eine landschaftspflegerische Funktion, in der er erhalten werden soll23. Die Unterstützung und Erhaltung der Agrarproduktion in diesem Bereich ist daher vor allem auch aus raumplanerischen Erwägungen heraus sinnvoll. Zu denken ist aber auch an die Erhaltung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft sowie an die Sicherstellung der fortdauernden Besiedlung im ländlichen Raum (Verhinderung der Landflucht)24. 20 21 22
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Vgl Holzer/Kaiser, Probleme der Agrarmarktordnung - ein Diskussionsbeitrag (1974) 11 ff. Vgl Wimmer/Arnold (FN 11), 81 f. Dabei ist es durchaus möglich, dass sich insofern ein Wandel innerhalb der einzelnen Zielsetzungen ergibt, als ursprünglich primäre Ziele infolge der marktmäßigen Entwicklung immer mehr an Bedeutung verlieren, während sekundäre Ziele stärker in den Vordergrund treten. Dieses Phänomen ist beispielsweise bereits seit längerem in der Agrarstrukturpolitik der Gemeinschaft zu bemerken. Angesichts der landwirtschaftlichen Überschussproduktionen, die weder finanzierbar noch über den Markt absetzbar sind, versucht man, das traditionelle Rollenbild des Landwirtes als reiner Produzent agrarischer Erzeugnisse aufzubrechen und in Richtung eines Landschaftsgestalters und Bewahrers von Kulturgrund zu verändern. Dieser Prozess steht allerdings noch in seiner Anfangsphase und ist daher noch lange nicht abgeschlossen. Grundlegend Bach, Bäuerliche Landwirtschaft im Industriezeitalter. Ansatz zu einer ganzheitlichen Theorie der Agrarpolitik (1967) 16 ff. - Vgl auch Walzel v. Wiesentreu, Grundfragen des Liegenschaftsverkehrs nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, ImmZ 1995, 267 und 291 (268) mwN. Es ist freilich nicht ganz auszuschließen, dass die Erhaltung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft im Wege des Agrarprotektionismus zum Teil auch durch romantisierende Vorstellungen, welche die überwiegend in den Städten lebende Bevölkerung mehr denn je mit diesem Erwerbszweig verbindet, motiviert ist. Für sich allein genommen dürfte dieser Umstand allerdings nicht als Begründung dafür ausreichen, dass eine international nicht mehr wettbewerbsfähige Landwirtschaft allein durch Subventionen auf Dauer aufrecht erhalten wird. Vgl dazu auch Gorn, Konjunkturpolitik (1992) 96 ff.
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b) Instrumente der Agrarmarktordnung So vielfältig, wie die Ziele sind, die durch eine Agrarmarktordnung erreicht werden sollen, so vielgestaltig sind auch die Instrumente und Maßnahmen, die zur Erlangung dieser Ziele eingesetzt werden können. Die Steuerung beschränkt sich dabei nicht nur auf den Binnenmarkt, sondern sucht auch so weit als möglich - und nach bilateralem bzw multilateralem Handelsrecht zulässig den Außenhandel mit einzubeziehen. Die Bandbreite möglicher Gestaltungsmittel reicht - bezogen auf den Binnenmarkt - von der öffentlichen Vorratshaltung und Interventionskäufen über die Unterstützung produzierender Betriebe durch direkte und indirekte Subventionen bis hin zur unmittelbaren Produktions- und Qualitätskontrolle durch entsprechend verbindliche Vorgaben sowie zur staatlichen Preisregelung als intensivster Form staatlicher Markteingriffe25. Die Regulierung und Kontrolle des Außenhandels erfolgt in aller Regel über tarifäre sowie nichttarifäre Maßnahmen, wie die Vergabe von Importund Exportlizenzen, die Auferlegung von Zöllen und Importabgaben, durch Exporterstattungen und Exportabgaben sowie durch die Statuierung von Schutzklauseln. Bei diesen Maßnahmen geht es primär darum, die Übersicht über die stattfindenden Import- und Exportströme zu bewahren. Zudem soll die Einhaltung von Qualitäts- und Vermarktungsstandards sichergestellt werden.
3. Entstehung und Entwicklung der Agrarmarktordnung a) Erste Ansätze Rein historisch gesehen lässt sich der Gedanke wirtschaftslenkender Maßnahmen im agrarischen Bereich im Grunde genommen bis in das Mittelalter zurückverfolgen. Bereits damals bestanden Regeln, die die Bauern dazu verpflichteten, ihre Erzeugnisse einer bestimmten Stadt anzubieten26. Unter Maria Theresia wurden „Agrarmarktordnungen“ erlassen, durch die Grundherren und Bauern eigens eingerichteter „Widmungsdistricte“ verpflichtet waren, die in diesen Distrikten erzeugten landwirtschaftlichen Produkte bestimmten Märkten zuzuführen27. Dadurch sollte die Versorgung dicht besiedelter Gebiete (Städte, „Eisengebiete“ etc) mit Agrarprodukten sichergestellt werden28. Wenngleich es sich bei den Theresianischen „Agrarmarktordnungen“ noch nicht um Marktordnungen im modernen wirtschaftsrechtlichen Sinne gehandelt hat, weil es ihnen an der Geschlossenheit des Regulierungssystems mangelte, wiesen diese dennoch bereits einzelne Merkmale und Wesens-
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Dazu statt aller Wimmer/Arnold (FN 11), 81 ff. Vgl etwa Köbler, Deutsche Rechtsgeschichte4 (1990) 110 f Dazu Tautscher, Wirtschaftsgeschichte Österreichs auf der Grundlage abendländischer Kulturgeschichte (1974) 337 ff. Zu solchen Ansätzen einer Regulierung des Agrarmarktes ua Baltl/Kocher, Österreichische Rechtsgeschichte10 (2004) 111, 149. - S auch Axer, Widmung als Schlüsselbegriff des Rechts der öffentlichen Sache (1994) 23 ff; Tautscher, (FN 27), 337 ff. - Zur Ähnlichkeit der „Widmungsdistricte“ als Güterschleuse mit der Einrichtung der „Einzugs- und Versorgungsgebiete“ in der österreichischen Milchmarktordnung nach dem Zweiten Weltkrieg s Wimmer/Arnold (FN 11), 82, insb FN 324.
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elemente auf, die für eine Marktordnung typisch sind29. Dennoch handelte es sich bei solchen staatlichen Eingriffen in das Wirtschaftsgeschehen über lange Zeit hinweg eher um eine seltene Ausnahme denn um die Regel. Noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts bestand die vornehmliche Aufgabe des Staates seinem Selbstverständnis gemäß in der Erhaltung und Gewährleistung der bestehenden wirtschaftlichen Rahmenordnung, ohne dass in diese gestaltend eingegriffen wurde30. b) Die Ursprünge der österreichischen Agrarmarktordnung Die Industrialisierung, die im Gefolge der Erfindung und Entwicklung der Dampfmaschine einsetzte, führte zur Ersten Agrarkrise, die in die Zeit von 1870 bis 1890 fällt und die Landwirtschaft ganz Europas traf. Mit dem Bau von Eisenbahnen und Dampfschiffen waren erstmals Massentransportmittel geschaffen, die unter anderem den Weizen der neu erschlossenen amerikanischen Prärien in großen Mengen nach Europa und somit auch in das Gebiet der k.u.k. Monarchie bringen konnten. Binnen kürzester Zeit brach der heimische Getreidemarkt zusammen, der Getreideanbau ging in ganz Europa drastisch zurück31. Es dauerte von 1890 an mehr als zwei Jahrzehnte, bis sich die Landwirtschaft wieder etwas erholt hatte. 1914, im Jahr des Ausbruches des Ersten Weltkrieges, war durch die Abwanderung in die Industrie ein enormer wirtschaftlicher Strukturwandel vollzogen32. Die inländische Selbstversorgung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen war zu diesem Zeitpunkt (vor allem wegen der ungarischen und rumänischen Anbaugebiete, den „Kornkammern der Monarchie“) allerdings nicht gefährdet, sodass sich der Staat zu keinem Eingreifen veranlasst sah. Die staatliche Zurückhaltung änderte sich schlagartig im Gefolge der Ereignisse des Ersten Weltkrieges. Kriegswirtschaftliche Notwendigkeiten, insbesondere Mangelsituationen33, ließen massive staatliche Eingriffe in den Wirtschaftsablauf erforderlich werden34. Um drohenden Verknappungserscheinungen am Markt zu entgehen oder effektive Verknappungen zu beseitigen, wurde eine straffe Lebensmittelbewirtschaftung eingeführt. Diese auf dem Notverordnungsrecht der Regierung35 beruhenden Maßnahmen waren jedoch nur auf 29 30 31 32 33 34
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So zutreffend Wimmer/Arnold, Wirtschaftsverwaltungsrecht in Österreich. Stand und Entwicklung (1987) 13 mwN. Zum liberalen Staatsverständnis des 19. Jahrhunderts und seinen Auswirkungen auf die Wirtschaftsordnung vgl Wimmer/Arnold (FN 29), 15 ff. Vgl Eichler, Dimensionen des Agrarrechts. Landeskultur, Marktordnung und Ernährungssicherung (1987) 217. Vgl Butschek, Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrhundert (1985) 26. Zu diesen Butschek (FN 32), 26 f. Vgl Eichler (FN 31), 217 f. - Eine vornehmlich auf die seinerzeitigen politischen Akteure und deren Leistungen abstellende Chronologie bietet Labuda, Agrarrecht, in Schambeck (Hrsg), Parlamentarismus und öffentliches Recht II (1993) 1339 (1343 ff). Mit kaiserlicher Verordnung vom 10.10.1914, RGBl 274, wurde die Regierung ermächtigt, aus Anlass der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiet zu treffen. Diese Verordnung wurde am Höhepunkt des Krieges, und zwar am 27.7.1917, durch das sogenannten „Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz“, RGBl 1917/307, ab-
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die tatsächliche Zeit der Verknappung beschränkt, womit ihnen das der Marktordnung eigentümliche Element der Dauer fehlte. Den eigentlichen Beginn der modernen österreichischen Agrarmarktordnungsgesetzgebung markieren schließlich die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Damals wurde unter dem unmittelbaren Eindruck der Weltwirtschaftskrise, die wegen des verbreiteten Kaufkraftschwundes weltweit zur Zweiten Agrarkrise führte, ein Bündel von Rechtsvorschriften erlassen36, mit dem die Bereiche der Milch- und Viehwirtschaft einem marktordnungsähnlichen Regime unterstellt wurden. Die Industrie geriet in ernsthafte Schwierigkeiten, die sich rasch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machten. Massenarbeitslosigkeit und deutlich verminderter Konsum waren die Folgen. Es kam zu Preiseinbußen und Absatzschwierigkeiten für die Landwirtschaft: Das steigende Überangebot an landwirtschaftlichen Produkten konnte über den freien Markt nicht mehr abgesetzt werden. Um den Zusammenbruch des Agrarmarktes zu verhindern, wurde vom österreichischen Parlament schließlich die Setzung planwirtschaftlicher Maßnahmen beschlossen37. Mit diesen Maßnahmen wurden unter anderem die Sicherung einheitlicher Preise, die Gewährleistung einer angemessenen Marktbeschickung, die Absatzförderung sowie die Qualitätssteigerung bezweckt. c) Die Entwicklung der österreichischen Agrarmarktordnung bis zum Beitritt zur EU Mit der Besetzung Österreichs durch die Truppen des Deutschen Reiches im März 1938 und der Eingliederung ins Reich erfolgte zugleich auch die Einführung deutschen Rechts38. Für die bis dahin bestehende österreichische Landwirtschaft des Ständestaates bedeutete dies die Eingliederung in die seinerzeit gültige, allumfassende Marktordnung der deutschen Nährstandsgesetzgebung39. Diese mündete im weiteren Verlauf in die kriegsbedingte Zwangswirt-
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gelöst. Das zuletzt genannte Gesetz wurde formell erst ab 11.9.1946 mit BVG BGBl 1946/143 aufgehoben. - Speziell dazu Hasiba, Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz von 1917, FS Hellbling (1981) 543. - Vgl in diesem Zusammenhang auch Wimmer/Arnold (FN 29), 22 ff mwN. Zu den erlassenen Vorschriften im einzelnen Eichler (FN 31), 218 ff; Holzer/Kaiser (FN 20), 4 f. Vgl Korp, Der Milchwirtschaftsfonds, in Pittermann (Hrsg), Mensch und Staat. Handbuch der österreichischen Politik II (1962) 335 (336 f); Staribacher, Der Viehverkehrsfonds, in Pittermann (Hrsg), Mensch und Staat. Handbuch der österreichischen Politik II (1962) 352 (352 f). Mit dem 1. Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Einführung deutscher Reichsgesetze vom 15.3.1938, RGBl 1938 I S 247 (GBlÖ 1938/6) wurde der Geltungsbereich der Verkündungsblätter des Reiches auf Österreich ausgedehnt. Ebenso wurde verfügt, dass ab dem 14.3.1938 publizierte Reichsgesetze auch in Österreich Geltung erlangen sollten, soweit keine andere Regelung getroffen wurde. Zum Text des Erlasses s Pfeifer, Die Ostmark. Eingliederung und Neugestaltung (1941) 27 f. Zentrale Norm bildete das Reichsnährstandsgesetz, RGBl 1933 I S 626, das für Österreich durch Verordnung vom 14.5.1938, RGBl I S 523 (GBlÖ 1938/152) in Kraft gesetzt wurde. Der nationalsozialistische Staat trachtete von Anfang an danach, auch die Wirtschaft in seine Dienste zu stellen und für seine Zwecke zu missbrauchen. Die zentralistisch gesteuerte Agrarpolitik wurde dabei als besonders
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schaft. Im Zentrum der landwirtschaftlichen Marktordnung stand eine Marktorganisation, die alle Beteiligten (dh sowohl landwirtschaftliche Erzeuger als auch verteilende und verarbeitende Betriebe) erfasste und zwangsweise zu einer Gesamtkörperschaft, dem so genannten „Reichsnährstand“, verband. Die Durchführung der Marktordnung oblag im Wesentlichen den durch branchenweisen Zusammenschluss gebildeten Marktverbänden, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts eingerichtet waren. Die Bewirtschaftungsmaßnahmen waren umfassend und bildeten eine geschlossene Kette, die vom Erzeuger bis zum Verbraucher reichte40. Die reichsrechtlichen Bewirtschaftungsbestimmungen blieben zunächst auch nach der Wiederherstellung der Republik Österreich im Hinblick auf das Rechtsüberleitungsgesetz, StGBl 1945/6, in Geltung41. Erst als sich zeigte, dass das Nebeneinander von ehemals reichsdeutschem und österreichischem Recht im Bereich der Lebensmittelbewirtschaftung in der Praxis erhebliche Probleme aufwarf, ging man dazu über, ein eigenständiges System der Marktordnung zu schaffen, das zwar auf reichsdeutschen Vorbildern aufbaute, diese aber inhaltlich deutlich weiterentwickelte und verfeinerte. So wurde im Jahre 1948 das Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz42 erlassen, dessen Zweck in der Versorgungssicherung bestand. Da vor allem die landwirtschaftliche Interessenvertretung der Ansicht war, dass die Agrarmärkte auch nach dem Außerkrafttreten der kriegs- und nachkriegsbedingten Bewirtschaftungsvorschriften nicht dem freien Spiel wirtschaftlicher Kräfte überlassen bleiben dürften, wurden zur Sicherung stabiler Preise für die drei landwirtschaftlichen Haupterzeugnisse Milch, Getreide und Vieh entsprechende Gesetze erlassen. Mit der Erlassung des Milchwirtschaftsgesetzes, des Getreidewirtschaftsgesetzes und des Viehwirtschaftsgesetzes jeweils im Jahre 1950 wurde die eigentliche österreichische Agrarmarktordnung konstituiert. Die Vollziehung der Marktordnung wurde drei eigens mit den Gesetzen geschaffenen Fonds, dem Milchwirtschafts-, dem Getreideausgleichs- und dem Viehverkehrsfonds, überantwortet, weshalb diese Gesetze auch als „Fondsgesetze“ bezeichnet wurden43. Von besonderer prakti-
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leuchtendes Beispiel einer Verwirklichung des Nationalsozialismus auf wirtschaftlicher Ebene angesehen. - Näheres dazu bei Wimmer/Arnold (FN 29), 37 und dort Anmerkung 79. Ausführlich Johannsen, Staat und Landwirtschaft (1968) 53 ff. Zur Situation der Landwirtschaft unmittelbar nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges s Adamovich, Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts II5 (1953) 280 ff; Eichler (FN 31), 222 ff. Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz 1948, BGBl 1948/28. - Das Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz trat im Jahre 1950 weitgehend außer Kraft, wurde allerdings bereits zwei Jahre später im Gefolge der Koreakrise wiederverlautbart stand als Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz 1952, BGBl 1952/183, bis 1997 in Geltung. Zum derzeit gültigen Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz 1997, BGBl 1996/789, das den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft im Falle von Versorgungsstörungen in umfassender Weise zur Setzung entsprechender Lenkungsmaßnahmen im Verordnungswege ermächtigt, s Binder Wirtschaftsrecht2 (1999) Rz 1591 ff. Vgl Holzer/Kaiser (FN 20), 7. - Zu den einzelnen Fonds s neben den in FN 37 genannten Autoren auch Schnabl, Der Getreideausgleichsfonds, in Pittermann (Hrsg), Mensch und Staat. Handbuch der österreichischen Politik II (1962) 342.
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scher Bedeutung erwiesen sich in diesem Zusammenhang die in langjähriger historischer Tradition gewachsenen Verwertungsgenossenschaften für Milch44 und Vieh, wobei anzumerken ist, dass der Wettbewerb vor allem mit der nichtgenossenschaftlichen Milchwirtschaft durch die Eingriffe des Marktordnungsgesetzes allerdings faktisch kaum mehr gegeben war45. Der Inhalt der Fondsgesetze wurde mit einigen Änderungen und Ergänzungen 1958 zum Marktordnungsgesetz46 zusammengefasst, das in der Folge die Grundlage für die Milch-, Getreide- und Viehwirtschaft in Österreich bildete. Das Marktordnungsgesetz wurde fortlaufend an die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst und nach zahlreichen Novellierungen schließlich als Marktordnungsgesetz 198547 wiederverlautbart48. Bereits 1976 wurde die Viehwirtschaft aus dem Anwendungsbereich des Marktordnungsgesetzes genommen und einem eigenen rechtlichen Regime, das sich durch abgeschwächte Regulierungsmechanismen auszeichnete, unterstellt. Während in den Bereichen Milch- und Getreidewirtschaft Allokation und Distribution im Wege staatlicher Gebote und Verbote gesteuert wurden, wodurch sie den Markt eigentlich ersetzten, baute das viehwirtschaftsrechtliche Instrumentarium am Marktmechanismus selbst auf, der mittels Angebots- und Nachfragemanipulation sowie durch Verstärkung der Markttransparenz beeinflusst werden sollte49. Mit dem Viehwirtschaftsgesetz 197650 wurde der Viehverkehrsfonds aufgehoben. Seine hoheitlichen Verwaltungsaufgaben wurden einer beim Landwirtschaftsministerium neu eingerichteten Vieh- und Fleischkommission übertragen51. Der Erfolg der landwirtschaftlichen Marktordnung war so groß, dass über die Sicherstellung der Versorgung der einheimischen Bevölkerung hinaus bald eine enorme Überschussproduktion erzielt wurde, deren Abnahme letztlich staatlich garantiert wurde, sodass sich die produzierenden Betriebe in der Folgezeit betriebswirtschaftlich und produktionstechnisch darauf einstellten. Dadurch wurde eine Rückkehr zur Markwirtschaft politisch nahezu unmöglich. Bis zum Beitritt Österreichs zur Europäischen Union bildete das wiederverlautbarte Marktordnungsgesetz 198552 die zentrale Norm der österreichischen 44
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Und hier wiederum insbesondere die mit allen Sparten der Milchverwertung befassten Molkereigenossenschaften. - Zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen vgl im einzelnen Berger (FN 11), 37 ff. Anderes galt hingegen - wenn auch ebenfalls mit gewissen Einschränkungen - für die Viehwirtschaft. - Ausführlich Ruppe, Das Genossenschaftswesen in Österreich (1970) 60 ff. BGBl 1958/276. BGBl 1985/210 (WV). Zur Rechtsentwicklung im einzelnen s Eichler (FN 31), 230 ff. Berger (FN 11), 40. BGBl 1976/258. Vgl Kaiser, Der Vieh- und Fleischmarkt, WiPolBl 1978, 69. - Zur Entwicklung dieses Marktes s Handschur, Markt für Lebendvieh und Fleisch, FS Köttl (1991) 191; Plank, Markt für Zucht-, Nutz- und Schlachtvieh, FS Köttl (1991) 183.. BGBl 1985/210 (WV) idF BGBl I 2006/18 (VfGH). Im Zuge des EU-Beitrittes wurden die Abschnitte A bis D des MOG 1985 - wie auch das Viehwirtschaftsgesetz 1983 - aufgehoben. Das Restgesetz enthält nunmehr - neben den bestehen gebliebenenen Straf-, Übergangs- und Schlussbestimmungen des Abschnitt E - in einem
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Agrarmarktordnung53. Es ordnete die gesamte Milch- und Getreidewirtschaft nach planwirtschaftlichen Grundsätzen54, wobei es dem Gesetzgeber schon lange Zeit vor der Wiederverlautbarung des Marktordnungsgesetzes 1985 mehr um die Existenzsicherung der produzierenden Betriebe denn um die Garantie der Versorgung des Marktes ging55: Mitte der siebziger Jahre wurden vor allem von den milchproduzierenden Betrieben infolge der staatlichen Stützung enorme Überschüsse erzielt, die am freien Markt infolge stagnierenden Inlandverbrauches nicht abzusetzen waren56. Die Umstellung auf die Marktwirtschaft hätte notwendig deutliche Produktionsminderungen erzwungen, was zahlreiche Betriebe jedoch wirtschaftlich nicht überlebt hätten. Mit dem Marktordnungsgesetz 1985 wurden hauptsächlich protektionistische Aufgaben verfolgt. Erklärte Ziele waren der Schutz der inländischen Milch- und Getreidewirtschaft, die Sicherung eines möglichst einheitlichen Erzeuger- und Verbraucherpreises für Milch und Milcherzeugnisse bzw die Stabilisierung der Brot- und Mehlpreise sowie die gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit ausreichenden und qualitativ hochwertigen Milch- und Getreideprodukten. Zur Erreichung dieser Ziele sah das Gesetz ein ganzes Bündel von Maßnahmen und Instrumenten vor, die etwa Produktionsregelungen, Mengenregulierungen, Qualitätssicherungen, Lagerhaltungspflichten, Verteilungsregelungen, Import- und Exportregelungen, verbindliche Preisfestsetzungen bzw die Festsetzung von Richtpreisen sowie Ausgleichsregelungen durch die Verknüpfung von Abschöpfungen und Zuschüssen (zB Transportkostenausgleich) umfassten57. Neben der Marktordnung für Milch und Getreide sowie der marktordnungsähnlich geregelten Viehwirtschaft gab es noch weitere, zum Teil allerdings deutlich abgeschwächte Regulierungsmechanismen in den Bereichen Geflügelwirtschaft58, Weinwirtschaft59 und Zuckerwirtschaft60, die in ihrer
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neuen Abschnitt F Regelungen über die Durchführung der mit dem Beitritt Österreichs zur EU wirksam gewordenen „Gemeinsamen Marktorganisationen“. Die Viehwirtschaft, also die Aufzucht und Verarbeitung von Schlachttieren (als solche galten Pferde, Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen) einschließlich der Erzeugung von Fleisch bzw Fleischwaren sowie tierischen Fetten, war ja bereits seit 1976 aus dem Anwendungsbereich des Marktordnungsgesetzes herausgenommen und einem eigenen rechtlichen Regime, das in weitaus geringerem Umfange den Einsatz marktordnungsmäßiger Instrumente vorsah, unterstellt worden. Das Viehwirtschaftsgesetz 1976 wurde als Viehwirtschaftsgesetz 1983, BGBl 1983/621, wiederverlautbart und in der Folgezeit zu zahlreichen Malen novelliert. Ausführlich zu dem durch das Marktordnungsgesetz 1985 konstituierten System Binder, Wirtschaftsrecht. Systematische Darstellung (1992) Rz 1075 ff; Walter/Mayer, Grundriß des Besonderen Verwaltungsrechts2 (1987) 247 ff. Vgl in diesem Zusammenhang bereits Bös, Die agrarischen Subventionen als Produzenten- oder Konsumentensubventionen, FS Korinek (1972) 245. Vgl Gurtner, Das Milchmarktproblem, WiPolBl 1978, 56; Hohenecker, Angebot und Nachfrage am Milchmarkt, FS Köttl (1991) 157 (162 ff); Manhardt, Be- und Verarbeitung von Milch und ihre Verankerung in der Marktordnung, FS Köttl (1991) 169 (174 ff); Schaffer, Der Milchmarkt: Situation und Perspektiven, WiPolBl 1978, 42. Vgl Berger (FN 11), 37 ff. Geflügelwirtschaftsgesetz 1988, BGBl 1987/579. Weingesetz, BGBl 1985/444.
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Gesamtheit die landwirtschaftliche Marktordnung Österreichs konstituierten, wie sie vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union bestanden hat61. Flankierend dazu bestanden zahlreiche weitere Gesetze, die einen inneren Zusammenhang zur Agrarmarktordnung aufwiesen und diese unterstützten62. An dieser Stelle sind insbesondere zu nennen das Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz63, das Mühlengesetz64, das Preisgesetz65 sowie das Landwirtschaftsgesetz66. 1992 wurde als Marktordnungsstelle die „Agrarmarkt Austria“, kurz: AMA, mit Sitz in Wien errichtet. Die AMA trat an die Stelle des Milchwirtschaftsfonds, des Getreidewirtschaftsfonds, des Mühlenfonds67 und der Viehund Fleischkommission beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, wobei ihr ex lege auch sämtliche Aufgaben der genannten Fonds übertragen worden sind. Daneben hat die AMA umfassende Pflichten im Bereich der Markt- und Preisberichterstattung, der Qualitätssteigerung und der Marketingförderung zu erfüllen. Hauptaufgabe aber ist die Abwicklung der Förderungsverwaltung bezüglich agrarischer Produkte in jenem Umfang, in dem eine Übertragung durch den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft erfolgt ist. d) Die Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik Die ursprüngliche Konzeption der Europäischen Gemeinschaft war die einer Gemeinschaft mit wirtschaftlichen Zielen. Der Wille zur Verwirklichung einer politischen Union wurde erst zu einem weitaus späteren Zeitpunkt, nämlich zu Beginn der siebziger Jahre, zum Ausdruck gebracht. Obwohl der freie, ungehinderte Warenverkehr seit jeher eine der tragenden Säulen der wirtschaftlichen Gemeinschaft darstellte, wurde der Landwirtschaft unter Durchbrechung dieses Prinzips bereits im Gründungsvertrag der EWG eine bedeutende Ausnahmestellung eingeräumt: Das traditionell agrarisch geprägte Frankreich wollte unter allen Umständen seine Landwirtschaft absichern, da es erhebliche gesamtwirtschaftliche Nachteile aus der freien Verkehrsfähigkeit deutscher
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Zuckergesetz, BGBl 1967/217. Vgl Binder (FN 54), Rz 1075 - 1113. So Walter/Mayer (FN 54), 249. - Zu dem damals bestehenden System s Wenger/Raschauer (FN 10), 183 ff. BGBl 1952/183. BGBl 1981/206. BGBl 1976/260. BGBl 1976/299. Näheres zu den drei genannten Fonds bei Stolzlechner, Öffentliche Fonds. Eine Untersuchung ihrer verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Hauptprobleme (1982) 368 ff. - Seiner Ansicht, wonach es sich bei den überaus komplexen und wirtschaftspolitisch eminent bedeutsamen Aufgaben, die diesen Fonds überantwortet worden sind, „um die höchstentwickelte Stufe der Übertragung öffentlicher Funktionen auf Fonds“ handelte, ist beizutreten. - Antoniolli, Allgemeines Verwaltungsrecht (1954) 139, ging sogar noch weiter, indem er die Fonds „als Verwaltungsbehörden, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben mit Rechtspersönlichkeit, dh mit Vermögen, ausgestattet wurden“ charakterisierte.
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Industrieprodukte befürchtete, die es glaubte, nur auf diesem Wege kompensieren zu können68. Bei der Ausarbeitung des Vertrages von Rom ging man davon aus, dass zur Steuerung der Agrarmärkte marktregulierende Maßnahmen notwendig sind, um zu verhindern, dass sich jemals wieder eine Weltagrarkrise derart negativ auf Europa auswirken könnte, wie dies zu Beginn der dreißiger Jahre geschehen ist. Dementsprechend wurden im EWG-Vertrag Ziele und Methoden bei der Gestaltung einer Gemeinsamen Agrarpolitik grundgelegt, deren Grundlinien erstmals mit der Konferenz von Stresa 1958 erarbeitet und in der „Entschließung von Stresa“69 veröffentlicht werden. 1959 folgt der „1. Mansholt-Plan“ der Kommission. Die in diesem Zusammenhang formulierten Grundsätze der Gemeinsamen Agrarpolitik (Einheit des Marktes, Gemeinschaftspräferenz, finanzielle Solidarität - näher dazu unten im Text) gelten dabei noch heute70. Die Gemeinsame Agrarpolitik beinhaltet sowohl eine gemeinsame Agrarmarktpolitik als auch eine gemeinsame Agrarstrukturpolitik71. Der Erreichung der Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik soll eine Gemeinsame Organisation der Agrarmärkte dienen. Da der Begriff der „Gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte“72 im EWG-Vertrag nicht näher definiert worden ist, fehlte es der Gemeinschaft schon dem Grunde nach an einer dogmatischen Grundlage, auf deren Basis sich ein einheitliches gemeinschaftliches Marktordnungsrecht hätte entwickeln können. Infolgedessen wurden - aufbauend auf dem „1. Mansholt-Plan“ - von 1962 an schrittweise zahlreiche spezielle Marktordnungen verwirklicht, die sich im Aufbau, aber auch in der Intensität der Marktbeeinflussung, zum Teil deutlich unterschieden. Die weitere Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik wurde im Wesentlichen vom „2. Mansholt-Plan“ vom 18.12.196873 und vom Grünbuch der Kommission vom 23.7.198574 geprägt. Dabei rückten in verstärktem Maße der
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Das Vereinigte Königreich bezog hingegen stets eine ablehnende Haltung gegenüber der Einbeziehung der Landwirtschaft in den Gemeinsamen Markt. Bekanntlich hat sich das französisch-deutsche „Agrarbündnis“ bei den Verhandlungen durchgesetzt, was unter anderem dazu führte, dass das Vereinigte Königreich den Vertrag zur Gründung der EWG nicht unterzeichnete. Andererseits erklärt sich aus dem Zusammenschluss Frankreichs und Deutschlands in der Agrarfrage deren Vormachtstellung in der Gemeinschaft. - Zu den politischen Hintergründen und dem Ablauf der Verhandlungen vgl etwa Adenauer, Erinnerungen 1955-1959 (1967) 252 ff. Allgemein dazu Pezaros, The Common Agricultural Policy in the Pliers of the Multilateral Trading System: Origins, Evolution and Future Challenges, in Bilal/Pezaros (Ed), Negotiating the Future of Agricultural Policies: Agricultural Trade and the Millenium WTO Round (2000) 51 (52 ff). Abl 1958, 281 ff. Schweitzer/Hummer, Europarecht5 (1996) Rz 1372. Wimmer/Arnold (FN 11), 88 ff, sprechen im Hinblick auf die gemeinsame Agrarmarktpolitik und die gemeinsame Agrarstrukturpolitik zutreffend von den „beiden Armen“ der Agrarpolitik der Gemeinschaft. Vgl nunmehr Art 34 Abs 1 EGV. BullEG 1969, Sonderbeilage 1. BullEG 7-8/1985, 12 ff.
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Abbau der Überschussproduktionen, der Umweltschutz und die Strukturpolitik in das Zentrum der Bemühungen der Gemeinschaft. Im Frühsommer 1992 wurde - nicht zuletzt auch auf Grund des starken außereuropäischen Druckes, insbesondere der USA - eine umfassende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik verabschiedet, die als „MacSharry-Plan“75 in die Annalen der Gemeinschaft eingegangen ist. Das Kernstück der Reform bildete eine erhebliche Senkung der Interventionspreise bei gleichzeitiger Anhebung von Direktzahlungen an die Landwirte mit dem Ziel, die Überproduktion sowie die im Rahmen des GATT problematische Direktsubventionierung von Agrarprodukten abzubauen, um diese durch Preissenkung auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger zu machen76. Mit der „Agenda 2000“77, die für den Zeitraum 2000 - 2006 den Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik absteckt, wurde das 1992 begonnene grundlegende Reformwerk fortgesetzt und vertieft. Vor dem Hintergrund der fortgesetzten Liberalisierung der Weltagrarmärkte und der bevorstehenden Osterweiterung der EU wurden vor allem die Preisstützungen weiter durch Direktbeihilfen ersetzt. Zugleich wurde die Entwicklung des ländlichen Raumes zum zweiten Pfeiler der Gemeinsamen Agrarpolitik gemacht. Diese umfasst ua die Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe, die Qualitätssicherung bei Nahrungsmitteln und die Schaffung alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten im ländlichen Raum78. Das jüngste Ergebnis der bisherigen Entwicklung stellt die von den Agrarministern der EU am 26.6.2003 in Luxemburg verabschiedete GAP-Reform 2003 dar, die (zumindest in manchen Bereichen) eine vollständige Entkoppelung der Direktzahlungen von der landwirtschaftlichen Produktion vorsieht79. Dadurch erhofft sich die EU einen Rückgang der Überschussproduktion80. Konkretisiert wird die Reform vor allem mit der VO (EG) 1782/2003 des Rates 75 76
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KOM(91) 100 endg. Und KOM(91) 258 endg. S „Die künftige Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik“, BullEG, Beilage 5/91. Schweitzer/Hummer (FN 70), Rz 1374 f. - Vgl in diesem Zusammenhang auch die VO (EWG) 2078/92 für umweltgerechte und den natürlichen Lebensraum schützende landwirtschaftliche Produktionsverfahren, Abl Nr. L 215/85, die VO (EWG) 2079/92 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Beihilferegelung für den Vorruhestand in der Landwirtschaft, Abl Nr L 215/91 und die VO (EWG) 2080/92 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Beihilferegelung für Aufforstungsmaßnahmen in der Landwirtschaft, Abl 215/96, die flankierende Maßnahmen zur Verwirklichung des „MacSharry-Planes“ enthielten. Dazu umfassend Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft (Hrsg), Reform der GAP - Ergebnisse 26. März 1999 (1999) passim. Vgl Groiss-Besenhofer, Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums in der Europäischen Union 2000-2006, Ländlicher Raum - print 1/2003, 11. Insofern stellt die GAP-Reform 2003 lediglich die konsequente Fortsetzung des „MacSharry-Planes“ dar, da bereits mit der GAP-Reform 1992 das Konzept der direkten Einkommensunterstützung von Landwirten in bestimmten Sektoren eingeführt wurde. Das damals geschaffene Modell wurde anschließend mit der Reform von 1999 („Agenda 2000“) noch erweitert. Ist die Höhe der Direktzahlungen nicht mehr oder nur zum Teil produktionsabhängig, so ist davon auszugehen, dass die Höhe der Prämien bei der jeweiligen Anbauentscheidung des Landwirtes nur mehr eine untergeordnete Rolle spielt. Es wird nur noch jene Qualität und Quantität produziert, die am Markt gefragt ist.
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vom 29. September 2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe81. Danach werden die meisten Beihilfen künftig unabhängig vom Produktionsvolumen gewährt. Die Verordnung sieht einzelbetriebliche Zahlungen („Betriebsprämien“) vor, die nicht mehr an die Erzeugung von Agrarprodukten gebunden sind. Konkret werden die Zahlungen für Ackerkulturen, für Rinder und Schafe bzw für Milch ab 2004/2005 zu einer einzigen Zahlung zusammengefasst, deren Höhe an Hand historischer Bezugswerte (ausschlaggebend ist der aus den Zahlungen der Jahre 2000, 2001 und 2002 errechnete Durchschnitt) ermittelt wird. Die entkoppelte Betriebsprämie82 wird in der Folge in „Zahlungsansprüche“ aufgeteilt, wobei sich der einzelne Anspruch aus der zugesprochenen entkoppelten Betriebsprämie, dividiert durch die Anzahl Hektar, die in den Referenzjahren zu diesem Betrag geführt hat, ergibt. Die Ansprüche können mit oder ohne Land auf andere Landwirte im gleichen Mitgliedstaat übertragen werden, sind sohin in rechtsgeschäftlichem Sinne verkehrsfähig. Die volle Zahlung der Direktbeihilfen wird allerdings von der Einhaltung verbindlicher Vorschriften in Bezug auf landwirtschaftliche Flächen, landwirtschaftliche Erzeugung und Tätigkeit gebunden (sog „Cross Compliance“). Die Anforderungen betreffen den Umweltschutz, die Lebensmittelsicherheit, die Tiergesundheit und den Tierschutz sowie die Erhaltung der Flächen in gutem landwirtschaftlichem und ökologischem Zustand83. Werden diese Anforderungen nicht erfüllt, so sollen die Beihilfen nach verhältnismäßigen, objektiven und abgestuften Kriterien ganz oder teilweise entzogen werden84. Damit es nicht zur Aufgabe landwirtschaftlicher Flächen kommt und um sicherzustellen, dass die Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand erhalten werden, sollen die Mitgliedstaaten entsprechende Standards festlegen. Nach mehreren Monaten Beratung wurden am 14. April 2004 im Verwaltungsausschuss für Direktzahlungen die erforderlichen Rahmenbedingungen für die GAP-Reform 2003 geschaffen, indem die für die praktische Umsetzung notwendigen Durchführungsverordnungen85 verabschiedet wurden. 81 82
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Abl Nr L 270/1. Bei vollständiger Entkoppelung müssen die Landwirte jährlich nur noch einen Beihilfeantrag stellen. Die Kontrollen beziehen sich auf den gesamten Betrieb. Allerdings wird die EBP noch nicht in allen Mitgliedstaaten in vollständig entkoppelter Version angewandt. Die vollständige Einführung soll jedoch bis spätestens 2007 erfolgt sein. Vgl Art 3 ff iVm Anhang III und IV VO 1782/2003, Abl Nr L 270/1. - Näher dazu Anhammer ua, Marktordnungsrecht, in Norer (Hrsg), Handbuch des Agrarrechts (2005) 43 (94 ff); Leidwein, Europäisches Agrarrecht2 (2004) 276 ff. Vgl Art 6 VO 1782/2003, Abl Nr L 270/1. VO (EG) Nr 795/2004 der Kommission vom 21. April 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur Modulation und zum Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem nach der Verordnung (EG) Nr 1782/2003 des Rates mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, Abl Nr L 141/18, zuletzt idF der VO 1974/2004 der Kommission vom 29. Oktober 2004, Abl Nr L 345/85; VO (EG) Nr 796/2004 der
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Zentrale Ziele der GAP-Reform 2003 sind die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft, der Umweltschutz in der Landwirtschaft sowie die Förderung und Vermarktung von Qualitätserzeugnissen. Den Hintergrund bildet nach wie vor die Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung, wobei in diesem Zusammenhang ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat: Stand früher die Bemessung der Förderung am Maßstab der Produktion im Vordergrund, sind es heute Umwelt-, Landschafts- und Verbraucherschutz86. Die Erwartungshaltungen, die mit der GAP-Reform 2003 verbunden sind, sind hoch. Neben einer Verbesserung der allgemeinen Marktorientierung der Landwirtschaft sollen auch die umweltschädigenden Einflüsse, die aus einer extensiven, produktionsbezogenen Ausrichtung resultieren, stärker zurückgedrängt werden. Einzelbetrieblich setzt man auf die Entwicklung innovativer Agrarerzeugnisse, da den Landwirten durch die Abkoppelung von quantitativen Förderungsfaktoren87 ein breiterer Spielraum zur Wahrnehmung von Marktchancen (Nischenstrategien) geboten wird. Verbraucher profitieren von der Agrarreform durch die intensive Einbeziehung von Aspekten der Lebensmittelsicherheit, der Lebensmittelqualität sowie von Anliegen des Tierschutzes und der Tiergesundheit in diese. Im Juni 2005 erzielte der Rat der Agrarminister eine politische Einigung über eine Verordnung zur Förderung der ländlichen Entwicklung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für ländliche Entwicklung für den Programmplanungszeitraum 2007 - 201388. Die entsprechende Verordnung wurde
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Kommission vom 21. April 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur Modulation und zum Integrierten Verwaltungsund Kontrollsystem nach der Verordnung (EG) Nr 1782/2003 des Rates mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, Abl Nr L 141/18, zuletzt idF der VO (EG) Nr 2184/2005 der Kommission vom 23. Dezember 2005, Abl Nr L 347/61. - Auf der Grundlage der beiden Verordnungen wurden auf nationaler Ebene die Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die einheitliche Betriebsprämie (Betriebsprämie-Verordnung), BGBl II 2004/336, Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Einhaltung der anderweitigen Verpflichtungen und über das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem im Bereich der Direktzahlungen (INVEKOS-Umsetzungs-Verordnung 2005), BGBl II 2004/474 sowie Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über produktspezifische Beihilferegelungen nach Titel IV der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 und über den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAPBeihilfen-Verordnung), BGBl II 2004/482, erlassen. Vgl in diesem Zusammenhang auch Wendt/Elicker, Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik und ihre Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland, DVBl 2004, 665 (670 f). Diese Faktoren übten in der Vergangenheit eher negative Anreize auf die Landwirte aus, die sich mit der Produktion großer Mengen begnügten, ohne dabei auf Produktinnovationen oder besondere qualitative Maßstäbe zu achten. Vgl in diesem Zusammenhang auch die VO (EG) Nr 1290/2005 des Rates vom 21. Juni 2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik, Abl 2005 Nr L 209/1.
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im September 2005 erlassen89. In weiterer Folge erging der Beschluss des Rates vom 20. Februar 2006 über strategische Leitlinien der Gemeinschaft für die Entwicklung des ländlichen Raumes90. Kennzeichen der neuen Politik zur Entwicklung des ländlichen Raumes sind die Zusammenfassung aller bisherigen Finanzierungsinstrumente zu einem einzigen Finanzierungs- und Programmplanungsinstrument, dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER91), die eindeutige Ausrichtung der neuen Strategie für die ländliche Entwicklung auf die Prioritäten der EU, eine verstärkte Kontrolle, Evaluierung und Berichterstattung einschließlich einer klareren Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission sowie ein verstärktes Bottomup-Konzept. Angestrebt werden Verbesserungen der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft und der Lebensmittelqualität durch die Entwicklung und Vermarktung hochwertiger Erzeugnisse mit hoher Wertschöpfung sowie eine Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft. Weitere Schwerpunkte betreffen den Umweltschutz und das Landmanagement. Schließlich muss jedes Programm ein LEADER-Element umfassen, in dessen Rahmen lokale Entwicklungsstrategien von lokalen Aktionsgruppen durchgeführt werden92. e) Gegenwart und Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Marktordnungen93 hängt auch heute noch im Wesentlichen von den Besonderheiten der jeweiligen Produkte ab. Die Unterschiede im Detail der Ausgestaltung ändern nichts an dem Umstand, dass gegenwärtig mehr als neunzig Prozent des gemeinschaftlichen Agrarmarktes in Gemeinsamen Marktorganisationen erfasst sind. Das Funktionieren der Gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte beruhte von Anfang an auf den Prinzipien des unbehinderten Warenverkehrs für Agrarprodukte innerhalb der Gemeinschaft, der Herstellung eines gemeinsamen Außenschutzes zur Sicherung des gemeinschaftlichen Preisniveaus und der Gemeinschaftspräferenz sowie der gemeinsamen Finanzierung durch alle Mitgliedstaaten. Insgesamt geht es darum, den gemeinschaftlichen Binnenmarkt gegenüber dem (in aller Regel günstiger produzierenden) Weltmarkt abzugrenzen, Angebot und Nachfrage auf dem Binnenmarkt zum Ausgleich zu bringen und die Preise zu stabilisieren. 89
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VO (EG) Nr 1698/2005 des Rates vom 20. September 2005 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds (ELER), Abl 2005 Nr L 277/1. Abl 2006 Nr L 55/20. Vgl Art 2 Abs 1 lit a iVm Art 4 VO 1290/2005, Abl 2005 Nr L 209/1. Vgl IP/05/766 vom 21.06.2005 sowie Pkt 3.1. des Beschlusses des Rates vom 20. Februar 2006, Abl 2006 Nr L 55/20. Während dem österreichischen Recht ausschließlich der einheitliche Begriff der „Marktordnung“ geläufig ist, wird auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene sowohl von „Gemeinsamer Organisation der Agrarmärkte“ als auch von einer „Europäischen Marktordnung“ (für einzelne agrarische Produkte) gesprochen, wobei diese Begriffe (entgegen Art 34 Abs 1 EGV, der die europäische Marktordnung als Unterform der gemeinsamen Organisation begreift) sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch in der einschlägigen Literatur häufig synonym füreinander verwendet werden.
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Die Grundidee der gemeinschaftlichen Agrarmarktordnung bestand darin, ein einfaches System von Anreizen zu etablieren, mit dem ein bestimmtes Preisniveau auf den Märkten erreicht und stabilisiert werden sollte94. Dieses angestrebte Preisniveau manifestiert sich in einem unverbindlichen Richtpreis, der im Idealfall der auf das jeweilige Wirtschaftsjahr bezogene Gleichgewichtspreis sein sollte. Angebots- und Preisschwankungen, die durch die Jahreszeiten bedingt sind, sollte durch gezielte Interventionen begegnet werden, die darin bestehen, erzielte Überschussmengen vom Markt zu nehmen, zwischenzeitlich einzulagern und bei Angebotsrückgang auf den Markt zu werfen. Tatsächlich wurde seitens der Gemeinschaft beim Vollzug der Gemeinsamen Marktordnung vorrangig stets eine Politik der „Einkommenssicherung der Produzenten über den Preis“ betrieben. Mit dieser schwerpunktmäßigen Orientierung stand zugleich fest, dass das Gleichgewichtsziel als faktisch zweitrangig deutlich in den Hintergrund zu treten hatte. Gerade in diesem Zusammenhang darf man freilich nicht übersehen, dass in allen Mitgliedstaaten der Prozess der Industrialisierung von einer ansteigenden Entvölkerung ländlicher Gebiete begleitet wurde. Dadurch wurden der Landwirtschaft immer mehr Arbeitskräfte entzogen. Der Lebensstandard von Stadt- und Landbewohnern drohte in immer stärkerem Umfange auseinander zu klaffen, sodass ein Eingreifen des Staates zum Zwecke des Abbaues sozialer Spannungen unabdingbar erschien95. Diese Ungleichgewichtung der Zielsetzungen hatte zur Folge, dass ein immer komplizierteres und detaillierteres System flankierender Maßnahmen zur eigentlichen Agrarpolitik geschaffen werden musste, da nur so das Preisniveau (auch gegenüber dem Weltmarkt) gehalten und die von den Produzenten erzielten Überschüsse unter Kontrolle gebracht werden konnten. Neben dem Agrarpreissystem zählen daher auch Einfuhrabschöpfungen, Ausfuhrerstattungen, Ausgleichsabgaben, Lizenzen, Kautionen, Quotenregelungen (Mengenbeschränkungen), Mitverantwortungsabgaben sowie eine schier unübersehbare Fülle von Beihilfen und Prämien zum festen Bestandteil der Gemeinsamen Agrarpolitik. Sämtliche der genannten Instrumente zielen darauf ab, bei den Marktbeteiligten ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu bewirken, um auf diesem Wege die gewünschten Markteffekte herbeizuführen. Die Landwirtschaft ist auch nach mehreren Reformversuchen, die vor allem während des letzten Jahrzehnts unternommen worden sind und die auf eine schrittweise Rücknahme der dirigistischen Instrumente hin abzielten96, noch immer der wichtigste Interventionssektor der Europäischen Gemeinschaft. Das verwundert nicht, machen doch der ländliche Raum und die Landwirtschaft einen großen Teil der EU aus: Bei ca 90 % des Gemeinschaftsgebietes handelt es sich um ländliche Gebiete, auf denen rund die Hälfte aller EUBürger beheimatet ist. Der größte Teil der Flächennutzung der ländlichen Ge94
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Den Preisfestsetzungen kommt im Rahmen der Gemeinsamen Marktorganisation entscheidende Bedeutung zu. Sie sind die für alle übrigen Instrumentarien ausschlaggebende „Bezugsgröße“. - S Huber, Recht der Europäischen Integration (1996) 164. Vgl Roncaglia, Handbuch der modernen Wirtschaft (1987) 203. Vgl Europäische Kommission (Hrsg), Die Lage der Landwirtschaft in der Europäischen Union. Bericht 1995 (1996) 9 ff.
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biete entfällt auf die Land- und Forstwirtschaft, die bei der sozialen, kulturellen und ökonomischen Erschließung deren Wachstumspotenziale einen wichtigen Beitrag leisten97. Zum einen trägt die Landwirtschaft sohin ua in erheblichem Umfang zum volkswirtschaftlichen Wohlstand in der Europäischen Union bei. So machte die Ernährungswirtschaft (einschließlich des Getränkesektors) im Erhebungszeitraum 2002 bei einem Produktionswert von 792 Mrd Euro 14,7 % der im Gemeinschaftsgebiet erwirtschafteten Gesamtproduktion aus. Zum anderen sind mit der Verwirklichung der Gemeinsamen Agrarpolitik jährlich allerdings auch enorme finanzielle Aufwendungen verbunden. Diese belaufen sich (trotz der schrittweise erfolgten Umstellung auf produktionsunabhängige Direktzahlungen) in Summe nach wie vor rund auf die Hälfte des jährlich verfügbaren Budgets der Europäischen Union98. Allerdings konnten sich die Staats- und Regierungschefs anlässlich des am 15./16. Dezember 2005 in Brüssel stattfindenden Gipfels auf eine durchaus beachtliche Reduktion der Agrarausgaben in der Haushaltsperiode 2007 bis 2013 einigen99. Danach soll der Anteil der Agrarausgaben am Gesamthaushalt um ca 6 % auf nunmehr 41 % gesenkt werden. Innerhalb der Ausgaben für die Gemeinsame Agrarpolitik entfällt der höchste Anteil wiederum auf die Garantieausgaben des Europäischen Ausrichtungsund Garantiefonds. Nicht zuletzt auch wegen ihrer Kostenintensität polarisiert die Gemeinsame Agrarpolitik indessen nach wie vor wie kein anderer Politikbereich der Gemeinschaft die öffentliche Meinung100. An einem wirklichen Binnenmarkt für landwirtschaftliche Produkte fehlt es allen Anstrengungen und Ausgaben zum Trotz nach wie vor, da der innergemeinschaftliche Warenverkehr noch immer durch nationale Unterschiede, insbesondere im Lebensmittelrecht und im Veterinärrecht, stark beeinflusst wird. Zudem erschweren die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Interessensgegensätze eine Homogenisierung des Agrarmarktes beträchtlich. Die kommenden Jahre stehen deutlich im Zeichen der Umsetzung der GAP-Reform 2003, wobei die allgemeine Richtung insbesondere durch die einheitliche Betriebsprämie und die damit verbundenen Zwecksetzungen vorgegeben wird. Ob sich die Unterstützung einer umwelt97 98
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Vgl in diesem Zusammenhang bereits Puwein, Ökonomische Aspekte der Landschaftspflege, FS Köttl (1991) 389. Der EU-Haushalt des Jahres 2006 beläuft sich auf Zahlungsermächtigungen (diese decken die Ausgaben, die bei der Erfüllung der im Laufe des Haushaltsjahres und/oder früherer Haushaltsjahre eingegangenen rechtlichen Verpflichtungen entstehen) in der Höhe von 111,9 Mrd Euro bzw auf Verpflichtungsermächtigungen (diese decken im laufenden Haushaltsjahr die Gesamtkosten der rechtlichen Verpflichtungen, die für Maßnahmen eingegangen werden, deren Durchführung sich über mehr als ein Haushaltsjahr erstrecken wird) in der Höhe von 121,2 Mrd Euro. Die Mittel für Direktbeihilfen und Marktstützungsmaßnahmen betragen 42,9 Mrd Euro. Die Verpflichtungsermächtigungen für die Entwicklung des ländlichen Raumes wurden auf 11,8 Mrd Euro gesenkt. Insgesamt belaufen sich die Zahlungsermächtigungen auf 55,3 Mrd Euro bzw die Verpflichtungsermächtigungen auf 56,3 Mrd Euro. - Vgl IP/05/1604 vom 15.12.2005. Vgl Burtscher, Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik - eine Perspektive, agrarische rundschau 2006, 32 (33 f). Vgl dazu jüngst auch Burtscher (FN 99), 32 f.
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und qualitätsorientierten Landwirtschaft bewähren wird, ist derzeit noch ebenso offen, wie die nach 2013 stattfindende Entwicklung. f) Die österreichische Agrarmarktordnung in der EU Da sich die zum Beitrittszeitpunkt bestehenden Instrumente der österreichischen Agrarmarktordnung typenmäßig mit den gemeinschaftsrechtlichen Marktordnungselementen deckten, sohin im Bereich der Regulierungstechnik keine allzu starken inhaltlichen Unterschiede bestanden, war der Anpassungsdruck insbesondere hinsichtlich des Vollzuges relativ gering101. Inwieweit dies auch auf die Konkurrenzfähigkeit der Landwirtschaft selbst zutraf, darüber herrschten im Vorfeld des EU-Beitrittes unter Betroffenen, Politikern und Fachleuten indessen durchaus deutliche Meinungsunterschiede102. Teils erhoffte man sich aus dem Beitritt einen Ausgleich des bis dahin bestehenden Außenhandelsdefizits im Agrarbereich, das seit den siebziger Jahren kontinuierlich angestiegen war103, teils befürchtete man auch, dass mit einer Übernahme der gemeinschaftlichen Agrarpolitik ein Bauernsterben ungeheueren Ausmaßes einsetzen würde, da die vornehmlich aus Berg- und Kleinbauern gebildete bäuerliche Struktur Österreichs gegenüber den Landwirtschaftsindustrien Hollands, Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens nicht konkurrenzfähig sei104. Und doch begab sich Österreich bereits mit dem Abschluss des EWR-Abkommens105 auch im Agrarbereich weitestgehend seiner Regelungssouveränität, da mit dem Vertragsabschluss ein nahezu vollkommener Austausch zwischen nationaler und gemeinschaftlicher Regelungskompetenz stattfand106. Die gemeinschaftsrechtlichen Agrarmarktordnungen einschließlich der hierzu ergangenen Durchführungsvorschriften des Rates und der Kommission stellen in aller Regel unmittelbar anwendbares Recht für die Mitgliedstaaten dar, sind sohin auch von den österreichischen Behörden zu vollziehen. Derzeit bestehen für nahezu sämtliche pflanzlichen und tierischen Erzeugnisse einschließlich Erzeugnisse der Fischerei Gemeinsame Marktorganisatio-
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In diesem Sinne auch Wimmer/Mederer, EG-Recht in Österreich. Die Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts auf Österreich (1990) 209 ff (211). Vgl etwa Burtscher, EG-Beitritt und Föderalismus. Folgen einer EG-Mitgliedschaft für die bundesstaatliche Ordnung Österreichs (1990) 80 ff; Griller/Egger/ Huber/Tondl, Binnenmarkteffekte. Stand und Defizite der österreichischen Integrationsforschung (1991) 409 ff. Vgl Swietly/Emmerich, EU pro und contra. Ein Leitfaden für Österreich2 (1994) 376 ff. Nach Aussage der Autoren sank die Deckungsquote für agrarische Einfuhren durch agrarische Ausfuhren von 87 Prozent im Jahre 1972 auf knapp 40 Prozent im Jahre 1993. Das Außenhandelsdefizit im Agrarbereich betrug zur Zeit der Beitrittsdiskussion ca 12 Milliarden Schilling jährlich. Ausführlich dazu Kunnert, Österreichs Weg in die Europäische Union (1993) 80 ff. So bereits deutlich Wimmer/Mederer (FN 101), 105 f. - Eine Darstellung des Abkommens unternimmt Burtscher, Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Entstehung-Kurzdarstellung-Textauswahl (1992) passim. Dazu etwa Nentwich, Das EWR-Bundesverfassungsgesetz - verfassungs- und europarechtliche Aspekte, JBl 1993, 708 und 752 (752 ff); Rill, Rechtsetzung im EWR, ZfV 1993, 223 (230 ff).
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nen107, wobei sich diese allerdings, je nach Produkt, nach Struktur und Regelungsintensität zum Teil deutlich unterscheiden108. Lediglich Speisekartoffeln, anderer Essig als Weinessig, Naturkork, Zichorienwurzeln, frische Ananas, Kaffee, Agraralkohol, lebende Schlachtpferde und Pferdefleisch sowie Honig unterliegen keiner Gemeinsamen Marktorganisation bzw Stützungsregelung der Europäischen Union109. Für jene Erzeugnisse, die durch eine Gemeinsame Marktorganisation geregelt sind, besteht zunächst eine auch im Titel als „Gemeinsame Marktorganisation“ überschriebene Grundverordnung des Rates. Darüber hinaus werden in eigenständigen Verordnungen Teilbereiche individuell geregelt110. g) Zahlen, Daten und Fakten zur österreichischen Landwirtschaft Rein wirtschaftlich gesehen ist Österreich in weiten Teilen agrarisch strukturiert. Rund 177.000 Betriebe bewirtschaften 1,38 Mio ha Ackerland, 1,81 Mio ha Dauergrünland, 47.572 ha Weingärten, 16.304 ha Obstanlagen sowie 8.620 ha Reb- und Baumschulen etc. Die durchschnittliche Betriebsgröße liegt dabei bei 18,4 ha land- und forstwirtschaftlicher Fläche bzw bei 34,0 ha Kulturfläche. Seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen. Während dieser Zeit stiegen die landwirtschaftlichen Exporte in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union kontinuierlich an. Hatte vor dem Beitritt der relative Anteil der Agrarexporte in Länder der Europäischen Union noch 46 Prozent betragen, so belief er sich im Jahre 2004 auf 76,2 Prozent. Das Verhältnis der Agrareinfuhren und -ausfuhren hat sich im Verhältnis zu den Gesamteinfuhren und -ausfuhren von 3,4 Prozent (Ausfuhren) bzw 5,8 Prozent (Einfuhren) im Jahre 1990 auf 6,0 Prozent (Ausfuhren) bzw 6,4 Prozent (Einfuhren) im Jahre 2004 gesteigert. Noch deutlicher wird die Veränderung bei einem Vergleich des absoluten Wertes der importierten und exportierten landwirtschaftlichen Erzeugnisse: 1990 exportierte Österreich landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von (umgerechnet) 1,15 Mrd Euro. Der Wert der agrarischen Importe belief sich im selben Jahr auf (umgerechnet) 2,33 Mrd Euro. Im Jahre 2004 standen Exporten im Wert von 5,38 Mrd Euro Importe im Wert von 5,86 Mrd Euro gegenüber. 107
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Einen instruktiven Überblick über sämtliche Gemeinsamen Marktorganisationen und ihre wesentlichen Merkmale bietet Hix, in Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar (2000) Art 34, Rz 29 ff. Je nachdem, ob die Marktordnungen eine unbeschränkte Abnahmegarantie zu einem bestimmten Preis und eine Abschöpfungsregelung für Importe aus Drittländern sowie Ausfuhrerstattungen beim Export in Drittländer, umfänglich eingeschränkte Interventionen durch staatliche Stellen oder lediglich eine begrenzte Preisstützung durch Außenschutz vorsehen, wird in der Literatur zwischen Marktordnungen mit grundsätzlich unbeschränkter Preisgarantie, Marktordnungen mit eingeschränkter Preisgarantie und Marktordnungen ohne Preisgarantie unterschieden. - Vgl Boest, Die Agrarmärkte im Recht der EWG (1984) 180 ff; Eiden, Die Agrarmarktordnungen der EG, DVBl 1988, 1087 (1089). - Ähnlich auch Oppermann, Europarecht2 (1999) Rz 1376, der an Stelle von Preisgarantie von „Marktsicherung“ spricht. Vgl Leidwein (FN 83), 136. Zum Problem der häufig wechselnden Marktorganisationsregelungen s Oppermann (FN 108), Rz 1375.
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Den größten Exportanteil nahmen im Jahre 2004 mit 24,3 Prozent Getränke ein, und hier wiederum Limonaden und andere nichtalkoholische Getränke vor Wein und Bier. Dahinter folgten lebende Tiere, Fleisch und Zubereitungen mit 13,8 Prozent, Milch und Milchprodukte mit 13,6 Prozent, Getreide, Mehl und Backwaren mit 11,2 Prozent sowie Obst, Gemüse und Zubereitungen mit 9,5 Prozent. Die restlichen 27,6 Prozent verteilen sich auf die übrigen Produkte. Bei den Importen stehen nach wie vor Obst, Gemüse und Zubereitungen an erster Stelle (20,6 Prozent), dahinter folgen lebende Tiere, Fleisch und Zubereitungen (13,0 Prozent), Getreide, Mehl und Backwaren (11,6 Prozent), Milchprodukte (8,2 Prozent) und Getränke (6,8 Prozent). Bedeutendster Agrarhandelspartner Österreichs ist Deutschland (2004: Exporte im Wert von 1,696 Mrd Euro; Importe im Wert von 2,404 Mrd Euro), gefolgt von Italien (Exporte 966 Mio Euro; Importe 681 Mio Euro). An dritter Stelle bei den Ausfuhren stehen mit 323 Mio Euro die USA, während die Niederlande mit 519 Mio Euro drittgrößter Importeur von agrarischen Produkten und Lebensmitteln sind111. Insgesamt gesehen hat sich die heimische Landwirtschaft im Gemeinsamen Markt hervorragend behauptet und auch international gesehen weitaus besser positioniert als je zuvor. 2004 betrug der Produktionswert der Landwirtschaft rund 5,8 Mrd Euro. Das entspricht einem Anstieg von 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr, was vor allem auf Zuwächse in der tierischen Erzeugung und der pflanzlichen Produktion zurückzuführen ist. Auch die Außenhandelszahlen sind 2004 im Vergleich zum Vorjahr angestiegen: Um 9,1 Prozent höheren Einfuhren agrarischer Produkte und Lebensmittel stehet ein Plus von 11,1 Prozent Ausfuhren gegenüber112. Die Summe der Fördermittel, die 2004 an die österreichische Land- und Forstwirtschaft ausbezahlt wurden, belief sich auf insgesamt 2,212 Mrd Euro, wovon 56 Prozent seitens der Gemeinschaft, 20 Prozent seitens des Bundes und 24 Prozent seitens der Länder finanziert wurden. Allein 749 Mio Euro entfielen auf Zahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Marktordnungen (Flächen-, Tier- und Produktprämien, Lagerhaltung, Exporterstattungen, Beihilfen für Verarbeitung und Vermarktung). Im Rahmen der Ländlichen Entwicklung wurden rund 360 Mio Euro an Flächenprämien und 263 Mio Euro an Tierprämien überwiesen. Am Umweltprogramm (ÖPUL) nahmen 134.114 Betriebe teil, wobei für die insgesamt 32 angebotenen Maßnahmen 642 Mio Euro ausbezahlt wurden. Mit der Ausgleichszulage (inklusive nationale Beihilfe) wurden 113.228 Betriebe (davon 73.549 Bergbauernbetriebe) mit insgesamt 280 Mio Euro unterstützt113.
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Vgl dazu Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Bericht über die Lage der österreichischen Landwirtschaft 2004 (Grüner Bericht 2005) (2005) 19 ff. Vgl Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 2005, 7. Vgl Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 2005, 10.
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h) Die Globalisierung des Agrarmarktes Das Phänomen der Globalisierung ist auch in der Landwirtschaft zu bemerken. So hat sich der internationale Agrarhandel in den vergangenen 50 Jahren wertmäßig alle sieben bis acht Jahre verdoppelt. Eine von weltwirtschaftlichen und internationalen makrökonomischen Entwicklungen unbeeinflusste nationale Landwirtschaft ist nicht mehr vorstellbar. Hinzu kommt, dass auch die Wirtschaft von der Globalisierung profitiert und zunehmend dort Güter produzieren oder verarbeiten lässt, wo dies am günstigsten möglich ist. Die Tendenz zur Globalisierung hat sich nicht zuletzt auch in einer wachsenden Zahl multilateraler Übereinkommen niedergeschlagen, die nahezu den gesamten Prozess der Erzeugung und des zwischenstaatlichen Handels mit Waren aller Art in ein dichtes Regelungsnetz einbinden. Die Landwirtschaft hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor allem drei große Herausforderungen zu bewältigen: Die fortschreitende Globalisierung, die Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung mit ausreichenden hochwertigen Agrarprodukten und die Entwicklung des ländlichen Raumes. Vor diesem Hintergrund sind auch die internationalen Bemühungen um eine Reform der Landwirtschaftspolitik zu sehen. Im Jahre 1993 unterzeichneten mehr als 100 Staaten, darunter auch Österreich114, das Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO-Abkommen), das unter anderem auch den Agrarsektor erstmals einem internationalen Regime unterwirft115. Nach dem Agrarabkommen, das einen integralen Bestandteil des WTO-Abkommens bildet, soll ab dem Jahre 2003 zum Zwecke der Liberalisierung des internationalen Agrarhandels jede Subventionierung von Agrarprodukten und Agrarexporten verboten sein. Dieser Umstand machte eine gänzliche Neustrukturierung der Gemeinsamen Agrarpolitik unumgänglich. Das mit der „Agenda 2000“ eingeleitete Reformwerk ist im Ergebnis daher ebenso als Folge der Globalisierung des Agrarmarktes zu betrachten, wie die GAP-Reform 2003. Das Interesse der Europäischen Union an einem funktionierenden Welthandelssystem deckt sich nicht zuletzt auch mit den ureigensten Bedürfnissen der Europäischen Union selbst, nimmt sie doch als weltgrößter Agrarimporteur und Agrarexporteur gerade im Agrarwelthandel eine überragende Rolle ein. Selbst wenn die Etablierung einer umfassenden Handelsliberalisierung im Agrarbereich noch lange nicht abgeschlossen ist, wurde mit den bisherigen Vertragswerken doch ein Zustand geschaffen, der als solcher nicht mehr reversibel ist. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass auch in den kommenden Jahren gerade seitens der Europäischen Union weitere Zugeständnisse gemacht 114
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Das Abkommen trat für Österreich und 80 weitere Vertragsstaaten am 1.1.1995 in Kraft (BGBl 1995/1). - Zum Inhalt des Abkommens aus österreichischer Sicht vgl Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Bericht über die Lage der österreichischen Landwirtschaft 1999 (Grüner Bericht 1999) (2000) 35 ff. Eine Schlüsselrolle nimmt hierbei das Übereinkommen über die Landwirtschaft, Abl 1994 Nr L 335/22, ein. - Vgl Priebe/Mögele, Agrarrecht, in Dauses (Hrsg), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (Loseblattausgabe 1993 ff, Stand August 2005) Rz 32 ff.
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werden (müssen), die auf eine völlige Beseitigung aller Maßnahmen, die handelsverzerrende Wirkung haben, hinauslaufen.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Bundeszuständigkeit Den Kompetenzbestimmungen des B-VG116 sind die Begriffe „Agrarrecht“ oder „Marktordnung“ vollkommen fremd117. Bei diesen Begriffen handelt es sich sohin um keine eigenständigen verfassungsrechtlichen Kompetenzbegriffe. Im Bereich der agrarischen Marktordnung ist gerade jene unlösbare Verquickung kompetenzrechtlich verschieden zu beurteilender Inhalte im Sinne der einschlägigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes anzutreffen, dass vom Fehlen einer ausschließlichen Zuständigkeit einer der beiden Gebietskörperschaften auszugehen ist. Bei der agrarischen Marktordnung handelt es sich sohin um eine „Querschnittsmaterie“ in oben genanntem Sinne. Grundsätzlich ist daher jede der beiden Gebietskörperschaften im Rahmen ihrer Adhäsionskompetenz zuständig und damit befugt, Vorschriften zu erlassen, die inhaltlich dem Bereich der agrarischen Marktordnung zuzuordnen sind. Um die gewünschte bundesweit einheitliche Regelung der agrarischen Marktordnung herbeizuführen, war es sohin von Anfang an erforderlich, die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes in Gesetzgebung und Vollziehung durch eigene Verfassungsbestimmungen in den betreffenden Spezialgesetzen zu begründen118. Die diesbezüglichen Verfassungsbestimmungen wurden ursprünglich befristet erlassen119, sind seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 116
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Art 10 ff B-VG. - Zu dem dadurch konstituierten System und seiner Auslegung s Funk, System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung im Lichte der Verfassungsrechtsprechung (1980). Das bedeutet freilich nicht, dass es nicht eine ganze Reihe von Kompetenzbestimmungen gibt, die aus agrarrechtlicher Sicht betrachtet mittelbar oder unmittelbar relevant sind. Als solche Kompetenzbestimmungen sind auf Seiten des Bundes zu nennen: Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland, Zollwesen (Art 10 Abs 1 Z 2 BVG); Forstwesen, Wasserrecht (Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG); Gesundheitswesen, Luftreinhaltung, Abfallwirtschaft, Veterinärwesen, Ernährungswesen einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle, Regelung des geschäftlichen Verkehrs mit Saat- und Pflanzengut, Futter-, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie mit Pflanzenschutzgeräten, Zulassung und Anerkennung von Saat- und Pflanzgut (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG); bäuerliches Anerbenrecht (Art 10 Abs 2 B-VG); Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedelung (Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG); Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge (Art 12 Abs 1 Z 4 B-VG); Arbeitsrecht und Arbeiter- und Angestelltenschutz für land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte (Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG); Finanzverfassung (Art 13 Abs 1 BVG); land- und forstwirtschaftliches Schulwesen (Art 14a B-VG). Die Zuständigkeit der Länder nach Art 15 Abs 1 B-VG umfasst insbesondere die Bereiche Landwirtschaft, Tierzucht und Tierhaltung, Tierschutz, Schutz der Kulturflächen, Schutz des Feldgutes, Jagdrecht, Fischereirecht, Grundverkehrsrecht, Buschenschankwesen, Naturschutz und Landwirtschaftsförderung. S dazu Holzinger, Das neue österreichische Marktordnungsrecht, ÖVA 1976, 161 und ÖVA 1977, 1. Vgl etwa Art I MOG-Nov 1985, BGBl 1985/291; Art I MOG-Nov 1986, BGBl 1986/183; Art I 2. MOG-Nov 1986, BGBl 1986/208; Art I 3. MOG-Nov 1986, BGBl 1986/329; Art I 4. MOG-Nov 1986, BGBl 1986/557; Art I MOG-Nov 1987,
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allerdings unbefristet120. Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union hat sich Österreich ua auch weitestgehend seiner nationalen Regelungsbefugnis im Bereich der agrarischen Marktordnung begeben. Die innerstaatliche Kompetenzverteilung ist nur noch in jenen Bereichen von Bedeutung, in denen keine ausschließliche oder konkurrierende Zuständigkeit der Europäischen Union besteht. Da aber insbesonders im Bereich der Agrarmarktordnungen eine ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union gegeben ist, sodass unmittelbar anwendbares gemeinschaftliches Sekundärrecht (va Verordnungen nach Art 249 EGV) dominiert, ist dem innerstaatlichen Gesetzgeber de facto kein wirklicher eigenständig zu besorgender materiell-rechtlicher Regelungsund Gestaltungsspielraum mehr verblieben121. Weitere Einschränkungen des nationalen Gesetzgebers resultieren zudem aus der fortschreitenden Internationalisierung bzw Globalisierung des Agrarmarktes122. Die Gesetzgebungstätigkeit des innerstaatlichen Gesetzgebers ist daher im Wesentlichen auf die Erlassung verfahrensrechtlicher Vorschriften beschränkt. Lediglich dort, wo es um die Umsetzung von gemeinschaftlichen Richtlinien in innerstaatliches Recht geht123, kommt die Kompetenzverteilung theoretisch auch in materiellrechtlicher Hinsicht noch zum Tragen124. Die Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen ist zufolge der im Verfassungsrang stehenden Vorschrift des § 93 Marktordnungsgesetz 1985 in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Diese Bestimmung erklärt die Erlassung und Aufhebung von Vorschriften betreffend die Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen zu Angelegenheiten des Art 10 B-VG. Zugleich wird vorgesehen, dass diese Angelegenheiten unmittelbar von Bundesbehörden vollzogen werden können. Nach der Verfassungsbestimmung des § 1 AMA-Gesetz 1992 sind die Erlassung und Aufhebung von Vorschriften, wie sie im AMA-Gesetz enthalten sind, sowie deren Vollziehung auch in den Belangen Bundessache, hinsichtlich derer das B-VG etwas anderes vorsieht. Soweit durch Bundesgesetz oder durch
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BGBl 1987/138; Art I ViehWG-Nov 1984, BGBl 1984/264; Art I PreisG-Nov 1984, BGBl 1984/265 uvam. - Dazu auch Walter/Mayer (FN 54), 248. Vgl § 93 MOG 1985, BGBl 1985/210 idF BGBl I 2001/108; § 1 AMA-G 1992, BGBl 1992/376 idF BGBl I 2001/108. Angesichts des globalisierten Marktes für landwirtschaftliche Produkte ist der nationale Gestaltungsspielraum faktisch nicht mehr vorhanden. Soweit sich der internationale Markt nicht von selbst reguliert, ist man an die Vorgaben der Gemeinschaft gebunden. Dementsprechend macht sich bei den Trägern der nationalen Landwirtschaftspolitik in immer stärkerem Umfange ein Gefühl der „Ohnmacht und Bitterkeit“ breit. - Vgl etwa „Die Presse“ vom 11. August 2001, 11. Vgl Bilal, Agriculture in a Globalising World Economy, in Bilal/Pezaros (Ed), Negotiating the Future of Agricultural Policies: Agricultural Trade and the Millenium WTO Round (2000) 1. Gemäß Art 249 EGV ist die Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die Mitgliedstaaten dazu verbunden sind, sich aller Maßnahmen zu enthalten, die die Regelung einer Gemeinsamen Marktorganisation verletzen oder von dieser abweichen könnte. - Vgl EuGH Rs 111/76, van de Hazel, Slg 1977, 901; Rs 83/78, Pigs Marketing Board, Slg 1978, 2347 uam.
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Verordnungen, die auf Grund von Bundesgesetzen erlassen werden, Aufgaben an die AMA übertragen werden, können diese Angelegenheiten von der AMA unmittelbar als Bundesbehörde versehen werden.
2. Landeszuständigkeit Angesichts der umfassenden Kompetenzzuweisung an den Bund ist den Ländern im Bereich der agrarischen Marktordnung im Wesentlichen kein eigener Gesetzgebungsspielraum mehr verblieben.
C. Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Grundlagen 1. Gemeinschaftsrecht a) Primärrecht Nach Art 3 Abs 1 lit e EGV umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft „eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet der Landwirtschaft und der Fischerei“. Eine Definition des Begriffes „Landwirtschaft“ ist im EGV allerdings nicht enthalten125. Diese ist vielmehr dem Sekundärrecht zu entnehmen126. Den Kern des gemeinschaftlichen Agrarrechtes bilden die primärrechtlichen Vorschriften betreffend die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)127, die sich in Titel II des mit „Grundlagen der Gemeinschaft“ überschriebenen Dritten Teiles des EGV finden. Die Bestimmungen sind systematisch den Vorschriften über den freien Warenverkehr (Titel I) nachgeordnet128. Es handelt sich dabei im Einzelnen um die Art 32 bis 38 EGV. In Art 32 EGV wird einerseits der sachliche Anwendungsbereich des gemeinsamen Marktes für landwirtschaftliche Erzeugnisse festgelegt und in Beziehung zu den übrigen Vorschriften über den Gemeinsamen Markt gesetzt. Ergänzend dazu behandelt Art 36 EGV das Verhältnis der landwirtschaftsrechtlichen Vorschriften zu den gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln. Andererseits enthält Art 32 EGV die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gestaltung einer Gemeinsamen Agrarpolitik, deren Ziele im Einzelnen in Art 33 EGV genannt werden. Gemäß Art 32 Abs 1 EGV umfasst der Gemeinsame Markt in sachlicher Hinsicht sowohl die Landwirtschaft als auch den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, ist also sowohl produktions- als auch absatzbezogen zu 125 126
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Umfassend zur Begriffsbildung Norer, Lebendiges Agrarrecht (2005) 161 ff. Vgl etwa die Definition des Begriffes „landwirtschaftliche Tätigkeit“ in Art 2 lit c VO 1782/2003 als „die Erzeugung, die Zucht oder den Anbau landwirtschaftlicher Erzeugnisse, einschließlich Ernten, Melken, Zucht von Tieren und Haltung von Tieren für landwirtschaftliche Zwecke, oder die Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischem Zustand“. Auch die GAP wird gemeinschaftsrechtlich nicht eigens definiert. Nach Norer (FN 125), 167 ff, handelt es sich bei der GAP um „die Gesamtheit aller Bestrebungen und Maßnahmen, die darauf abzielen, die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für den Agrarsektor zu gestalten und den Ablauf der ökonomischen Prozesse im Agrarsektor zu beeinflussen“. Die gewählte Positionierung der Landwirtschaft im EGV lässt nicht zuletzt auch auf ihre besondere Bedeutung bzw ihre Sonderstellung im Verbund mit den sonstigen Grundfreiheiten schließen. - Vgl Norer (FN 125), 162.
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verstehen. Der räumliche Anwendungsbereich der Art 32 ff EGV deckt sich grundsätzlich mit dem des EGV, ist also die Summe der mitgliedstaatlichen Hoheitsgebiete bzw Zonen hoheitlicher Nutzungsrechte unter Berücksichtigung der in Art 299 Abs 2 bis 6 EGV enthaltenen Sonderregeln und verschiedener Beitrittsakte. Gemäß Art 299 Abs 2 erster Satz EGV werden daher insbesondere auch die französischen Überseedepartements129, die portugiesischen Gebiete Madeira und die Azoren, die zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln sowie die Alandinseln erfasst. Die Art 34, 35, 37 Abs. 3 und 4 und 38 EGV betreffen die zur Erreichung der Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik zu treffenden Maßnahmen, darunter auch die Schaffung von erzeugnisspezifischen Marktordnungen130. Art 37 Abs 2 EGV ermächtigt den Rat dazu, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments mit qualifizierter Mehrheit Verordnungen, Richtlinien oder Entscheidungen zu erlassen. Diese Bestimmung beinhaltet auch nach Ansicht des EuGH die Rechtsgrundlage für sämtliche Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Agrarmarktordnung. b) Sekundärrecht Die Gemeinsame Marktorganisation verwirklicht sich im Wesentlichen im Sekundärrecht131. Sie basiert grundsätzlich auf Verordnungen des Rates132, die allerdings im Wege der Erlassung von Durchführungsverordnungen der Kommission noch näher konkretisiert werden können bzw sogar konkretisiert werden müssen, da die Verordnungen des Rates regelmäßig nur die Grundregeln enthalten133. Die Rechtsetzungskompetenz des Art 37 EGV zählt in der gemeinschaftlichen Praxis zu der am intensivsten genutzten Zuständigkeit. Jährlich ergehen Tausende von Rechtsakten des Rates und der Kommission zur
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Guayana, Guadeloupe, Martinique, Réunion, St. Pierre und Miquelon. - Vgl EuGH 10.10.1978, Rs 148/77, Hansen, Slg 1978, 1787. S auch Schmalenbach, in Calliess/ Ruffert (Hrsg), EUV/EGV2, Art 299 EGV, Rz 5 ff. Art 34 Abs 1 lit c EGV. Die Gemeinsame Agrarpolitik wird wegen ihrer hohen Regelungsdichte im allgemenen als Paradigma einer verpönten, weil extrem ausufernden Regulierungstätigkeit angesehen. - Vgl Wimmer/Mederer, Regulierung und Deregulierung zur Herstellung eines offenen und funktionsfähigen Marktes, 12. ÖJT III/1 (1993) 15. - Dieser negative Befund trifft nach wie vor zu, wie ein kurzer Blick in den aktuellen Fundstellennachweis des geltenden Gemeinschaftsrechts ergibt: Der Umfang der für den Bereich der Landwirtschaft erfassten Rechtsakte mit ihren Fundstellen beträgt rund ein Viertel des Gesamtumfanges. Die positive Kenntnis dieser Vorschriften durch Rechtsunterworfene und Behörden wird nicht nur durch ihre besondere Kasuistik und Technizität, sondern auch durch ihre zumeist nur kurzfristige Geltung beeinträchtigt wenn nicht gar unmöglich gemacht. In keinem anderen Politikbereich der Gemeinschaft findet so häufig eine Ersetzung, Novellierung, Außerkraftsetzung etc von Normen statt wie im Bereich der Agrarpolitik. Art 37 Abs 2 EGV. Der Rat erlässt sohin nur die Grundverordnung, während die Erlassung der für die verfahrensmäßige Durchführung der Grundverordnung erforderlichen Durchführungsverordnung der Kommission überantwortet wird. Dies gilt etwa für die Bereiche der Abschöpfung oder der Marktkontrolle. - Vgl Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die Europäische Union. Rechtsordnung und Politik4 (1993) 465 f.
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Landwirtschaft134. Nicht von ungefähr werden seit jeher die Unübersichtlichkeit und die Schnelllebigkeit des agrarrechtlichen Regelungswerkes beklagt135. Die Notwendigkeit zur häufigen Abänderung landwirtschaftlicher Regelungen ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass die festgesetzten Preise, Abgaben, Subventionen, Abschöpfungen, Erstattungen, Direktzahlungen etc an die sich fortlaufend ändernden gemeinschafts- und weltpolitischen Bedingungen angepasst werden müssen136. Zwar begründet Art 37 Abs 2 EGV nach herrschender Auffassung nur eine konkurrierende Zuständigkeit der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten im Bereich des materiellen Agrarrechts137, doch schließen die Prinzipien der Komplementarität und Partnerschaft, welche die gemeinschaftliche Agrarpolitik prägen, ein eigenständiges Tätigwerden der Mitgliedstaaten de facto aus. Prinzipiell sind für alle Produkte, die von der Gemeinsamen Agrarpolitik nach Art 32 EGV iVm Anhang I EGV umfasst sind, Gemeinsame Marktorganisationen zu errichten. Die in Anhang I EGV enthaltene Aufstellung landwirtschaftlicher Erzeugnisse ist dabei in taxativem Sinne zu verstehen. Sie kann nach Ansicht des EuGH insbesondere nicht im Wege einer extensiven Interpretation der materiellen Definition des Begriffes der landwirtschaftlichen Erzeugnisse in Art 32 Abs 1 EGV beliebig erweitert werden, da dieser materiellen Definition keine eigenständige Bedeutung mehr zukommt138. Die Kurzlebigkeit vieler der den Agrarbereich betreffenden Rechtsakte hat dazu geführt, dass sich eine mehrstufige Normenhierarchie herausgebildet hat, deren oberste Stufe die vom Rat im Verfahren nach Art 37 EGV verabschiedeten Grundverordnungen bilden139. Gegenwärtig gibt es 22 Gemeinsame Marktordnungen in den Bereichen Getreide, Reis, Olivenöl und Tafeloliven, Zucker, Hopfen, Saatgut, Rohtabak, Trockenfutter, Wein, Obst und Gemüse, Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse, Bananen, lebende Pflanzen und Waren des Blumenhandels, Faserflachs und Hanf, Rindfleisch, Schweinefleisch, Schaf- und Ziegenfleisch, Eier, Milch und Milcherzeugnisse, Zucker und Isoglucose, Erzeugnisse der Fischerei und Aquakultur, sonstige Erzeugnisse des Anhangs II140, wobei diese mehr als vierundneunzig Prozent der land134 135 136
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Vgl Oppermann (FN 108), Rz 1374; Streinz, Europarecht7 (2005) Rz 1078. Vgl etwa Pünder, Rechtsfragen der Europäischen Marktordnungen, DVBl 1998, 771 (772). Auf Grund der Kurzlebigkeit der im Agrarbereich ergangenen Gemeinschaftsrechtsakte ist das in Art 37 EGV vorgesehene Verfahren zumeist nicht einzuhalten. - S Streinz (FN 134), Rz 1078. Vgl Hix (FN 107), Art 37, Rz 24 f; Streinz (FN 134), Rz 1079. - Die Zulässigkeit nationaler Ergänzungsmaßnahmen zu Gemeinsamen Marktordnungen wird zum Teil kompetenzrechtlich, zum Teil materiellrechtlich bestimmt. - Vgl EuGH, Rs 31/74, Galli, Slg 1975, 47, Rn 5/7 ff; Rs 51/74, van der Hulst’s, Slg 1975, 79, Rn 18 ff. Vgl auch Streinz (FN 134), Rz 153. Vgl Thiele, in Calliess/Ruffert (Hrsg), EUV/EGV (1999) Art 32, Rz 11 ff. Streinz (FN 134), Rz 1078. Sog „Restmarktordnung“. Vgl Anhang I EGV idFd Vertrages von Amsterdam (Abl 1997 C 340/173) sowie die VO (EWG) 827/68 über die gemeinsame Marktorganisation für bestimmte in Anhang I des Vertrages aufgeführte Erzeugnisse, Abl Nr L 151/16. Umfasst sind ua Zuchtpferde, Esel, Maultiere; Zucht- und Wildschweine; Seidenraupen; Erbsen, Linsen, Bohnen; Kohlrüben; Heil- Und Gewürzpflanzen;
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wirtschaftlichen Produkte erfassen141. Daneben bestehen in einzelnen Sektoren marktordnungsähnliche Sonderregelungen für Erzeugnisse, die nicht unter eine Gemeinsame Marktordnung fallen (zB für Eiweißstoffe [Albumine]142, Glukose und Laktose143, landwirtschaftlichen Alkohol144, Nicht-Anhang-II-Erzeugnisse145 und Baumwolle146). Für einige Erzeugnisse existieren zwar keine Gemeinsamen Marktordnungen aber zumindest Teilregelungen147. Die Marktordnungen, die sich - in Abhängigkeit von dem zu regelnden Produkt, dem Selbstversorgungsgrad innerhalb der Gemeinschaft, der Angebotslage auf dem Weltmarkt etc - ihrem Regelungsinhalt und ihrer Regelungsintensität nach durchaus deutlich unterscheiden können148, gelten jeweils nur für ein spezielles Produkt. Sie sind regelungstechnisch insofern leicht an ihrer Bezeichnung zu erkennen, als der gemeinschaftliche Verordnungsgeber jede dieser Marktordnungen mit „Gemeinsame Marktorganisation für ...“ überschreibt. Je nach Gemeinsamer Marktordnung weist diese eines oder mehrere der drei hauptsächlichen Instrumente - Intervention, Außenschutz, Beihilfe - auf. Ergänzt und strukturiert werden die Gemeinsamen Marktordnungen durch sog „horizontale“ Regelungen, wie sie etwa betreffend Sicherheiten, Lizenzen, Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Maßnahmen über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes oder Direktzahlungen im Rahmen der GAP bestehen. Sie gleichen das strukturelle Defizit, das den Gemeinsamen Marktordnungen zu eigen ist, aus, ordnen diese und bilden so die eigentliche Grundlage eines allgemeinen europäischen Wirtschaftsverwaltungsrechts149.
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Gewürze; Zichorien; Stroh; Most; Datteln; Kokosnüsse; Tee; Kakao. - Dazu auch Leidwein (FN 83), 248 f. Vgl Oppermann (FN 108), Rz 1376 f. - Eine überblicksweise Darstellung aller Agrarmarktordnungen mit Stand Sommer 2004 findet sich bei Leidwein (FN 83), 148 ff. - Vgl auch die summarische Darstellung bei Snyder, International Trade and Customs Law of the European Union (1998) 300 ff. VO (EWG) 2783/75 über die gemeinsame Handelsregelung für Eieralbumin und Milchalbumin, Abl Nr L 282/104. VO (EWG) 2730/75 über Glukose und Laktose, Abl Nr L 281/20. VO (EG) 670/2003 mit besonderen Maßnahmen für den Markt für Ethylalkohol landwirtschaftlichen Ursprungs, Abl Nr L 97/6. VO (EG) 3448/93 über die Handelsregelung für bestimmte aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Waren, Abl Nr L 318/18. Erfasst werden bestimmte Verarbeitungserzeugnisse aus Milch, Zuckermais, Margarine, chemisch reine Fructose, Schokolade, Malzextrakt, Teigwaren, durch Aufblähen oder Rösten von Getreide hergestellte Lebensmittel (zB Corn-flakes), Backwaren, Yamswurzeln, Kaffee- und Teezubereitungen, Speiseeis, Wasser einschließlich Mineralwasser, andere nichtalkoholartige Getränke ausgenommen Frucht- und Gemüsesäfte, Malzbier, Wermutwein, Zigarren, Zigarillos und Zigaretten uvam. Die Regelung für Baumwolle beruht auf dem Protokoll Nr 4 über Baumwolle der Akte über den Beitritt Griechenlands aus dem Jahre 1981. ZB Speisekartoffeln, Honig, Naturkork, anderer Essig als Weinessig, lebende Schlachtpferde und Pferdefleisch etc. - Näher dazu Leidwein (FN 83), 148 ff. Vgl Anhammer ua (FN 83), 54; Richli, Konvergenzen im schweizerischen und europäischen Agrarrecht, FS Zäch (1999) 773 (783 f). So Puck (FN 10), Rz 670 und dort FN 217.
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In der Normenhierarchie an zweiter Stelle stehen die Grundregeln für die Verwaltung, die der Rat auf Grund einer Selbstdelegation ohne Anhörung des Europäischen Parlaments erlässt. Die dritte Ebene bilden schließlich die auf der Basis einer Ermächtigung des Rates150 erlassenen Rechtsakte der Kommission151. Eine auch nur überblicksweise Darstellung aller Gemeinsamer Marktordnungen in dem hier vorgegebenen Rahmen muss bereits an der Vielfalt der diese konstituierenden sekundären Gemeinschaftsrechtsakte scheitern, sodass sich die nachfolgenden Ausführungen im Wesentlichen auf die Darstellung der hauptsächlichen Instrumente beschränken. Des weiteren werden nachfolgend drei der bedeutendsten „klassischen“ Gemeinsamen Marktordnungen, nämlich jene für Getreide152, Rindfleisch153 sowie Milch und Milcherzeugnisse154, sowie die Gemeinsame Marktordnung für Olivenöl und Tafeloliven155, die als paradigmatisch für den mit der GAP-Reform 2003 eingeleiteten Systemwandel gelten kann, ausführlicher vorgestellt.
2. Völkerrecht a) Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) Die Entstehung des GATT ist im Wesentlichen das Ergebnis des Scheiterns der Bemühungen um die Errichtung einer Internationalen Handelsorganisation (ITO). Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde auf der UN-Konferenz für Handel und Vollbeschäftigung in Havanna eine rechtliche Neuordnung der Weltwirtschaft beraten. Anlässlich dieser Konferenz wurde am 24.3.1948 die „Havanna-Charter“ unterzeichnet, die unter anderem die Gründung einer Spezialorganisation, der ITO, vorsah, deren Aufgabe darin bestehen sollte, im internationalen Warenverkehr für einen kontinuierlichen Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen Sorge zu tragen. Die Steuerung des internationalen Handels sollte ausschließlich über Markt- und Preismechanismen erfolgen. Bereits 1947 hatte ein die „Havanna-Charter“ vorbereitender Ausschuss getagt, wobei zugleich auch Zollverhandlungen geführt wurden. Deren Ergebnisse sollten zusammen mit den handelspolitischen Vorschriften des Entwurfes der Charter unter der Bezeichnung „General Agreement on Tariffs and Trade“ (GATT) als Übergangsregelung bis zur Konstituierung der ITO in Kraft gesetzt werden. Da die ITO vor allem infolge amerikanischen Widerstandes nicht zustande kam, unterzeichneten im Oktober 1947 23 Staaten ein Protokoll über
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Vgl Art 211, 4. Spiegelstrich EGV. Zur diesbezüglichen Einbindung der Kommission in ein Ausschussverfahren s Streinz (FN 134), Rz 1078. VO (EG) 1784/2003 über die Gemeinsame Marktorganisation für Getreide, Abl Nr L 270/78. VO (EG) 1254/1999 über die Gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch, Abl Nr L 160/21 idF VO (EG) 1782/2003, Abl Nr L 270/1. VO /EG) 1255/1999 über die Gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse, Abl Nr L 160/48 idF VO (EG) 186/2004, Abl Nr L 29/6. VO (EG) 865/2004 über die Gemeinsame Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven, Abl Nr L 161/97.
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die vorläufige Anwendung des GATT, welches am 1.1.1948 in Kraft trat156. Österreich ist dem GATT 1947 im Jahre 1951 als Vollmitglied beigetreten157. Das GATT 1947 ist mit Ablauf des 31.12.1995 endgültig außer Kraft getreten158. Zum Zeitpunkt seiner Auflösung war die Zahl der GATT-Vertragspartner auf 128 gestiegen. b) Das Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO-Abkommen) Als Ergebnis der „Uruguay Runde“ (1986 - 1993)159 wurde 1993 unter anderem auch von Österreich das Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO)160 unterzeichnet. Dieses Abkommen ist für Österreich mit 1.1.1995 in Kraft getreten161. Derzeit (Stand 11. Dezember 2005) weist die WTO 149 Mitglieder auf, wobei nur 35 Mitglieder Industriestaaten sind162. Während die WTO den institutionellen Rahmen für die Wahrnehmung der internationalen Handelsbeziehungen zwischen den Mitgliedern des Abkommens bildet163, sind die materiellen Grundlagen der Handelsbeziehungen in zahlreichen weiteren, multilateralen Einzelabkommen geregelt. Eines dieser Abkommen ist das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen 1994 (GATT 1994)164.
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Vgl Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3 (1984) 212 ff. - Zum Inhalt des GATT 1947 s Binder (FN 54), Rz 1345 ff. BGBl 1951/254. Binder (FN 42), Rz 589. Dazu ausführlich Hilpold, Die Uruguay-Runde - Eine Bestandsaufnahme, ZvglRWiss 93 (1994) 419. Abl 1994 Nr L 336/3. BGBl 1995/1. Vgl dazu die Homepage der Welthandelsorganisation unter http://www.wto.org/. Auch die EG (nicht jedoch die EU, da dieser keine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt) ist Mitglied der WTO, wobei sie die abgestimmten Interessen aller 25 Mitgliedstaaten vertritt. Verhandlungsführer ist der Kommissar für den Außenhandel. Etwa zwei Drittel der WTO-Mitglieder sind Entwicklungsländer, für die zum Teil gesonderte Vorschriften gelten. Die Kategorisierung erfolgt in der Regel auf eine entsprechende Erklärung des betreffenden Landes hin, die aber von anderen Staaten angezweifelt werden kann. 32 Mitglieder der WTO gelten allerdings auch nach der Definition der UNO als „Least Developed Countries“. Deren Status kann nicht aberkannt werden. Ausführlich zur Organisationsstruktur der WTO Senti, WTO. System und Funktionsweise der Welthandelsordnung (2000) 113 ff. Die vertraglichen Bestimmungen über den Güterhandel finden sich in Anhang 1A des WTO-Abkommens. Der erste Teil des Anhanges 1A enthält den GATT-Text und die Übereinkommen zur Durchführung der einzelnen GATT-Artikel. Der zweite Teil des Anhanges 1A besteht aus den Zusatzabkommen über die Landwirtschaft, die sanitarischen und phytosanitarischen Maßnahmen, den Textilhandel, die technischen Handelshemmnisse, die Investitionsmaßnahmen, die Versandkontrolle, die Ursprungsregeln und die Einfuhrlizenzen. Die Anhänge 1B und 1C enthalten das Allgemeine Abkommen über den Dienstleistungshandel und das Abkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums. - Zum GATT 1994 Senti (FN 163), 328 ff; Wimmer/Arnold (FN 11), 173 ff.
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Die Europäische Gemeinschaft nimmt innerhalb des WTO-Systems in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung ein165. Obwohl der Anteil des Agrarhandels am Weltgüterhandel lediglich ca 13 Prozent beträgt166, bildete die Agrarfrage einen zentralen Verhandlungspunkt, über den nur schwer eine Einigung erzielt werden konnte167. Schließlich gelang es aber doch, auch die Landwirtschaft in die Welthandelsordnung zu integrieren168. Bei den Verhandlungen ging es vor allem um die Klärung der Frage, wie die bestehenden, weltweit vorherrschenden Subventionssysteme schrittweise beseitigt werden können169. Man hat erkannt, dass durch die schrankenlose Subventionierung des Agrarmarktes die Weltmarktpreise für agrarische Produkte fortlaufend absinken, wodurch enorme nationale Verluste entstehen, die für die Staaten an sich nicht mehr tragbar sind. Mit der Schaffung der neuen WTO-Agrarordnung soll es nunmehr möglich sein, weltweit koordinierte Reformmaßnahmen einzuleiten170. Die WTO-Agrarordnung besteht einerseits aus dem Übereinkommen über die Landwirtschaft (Agrarabkommen)171 und andererseits aus dem Übereinkommen über die Anwendung sanitarischer und phytosanitarischer Maßnahmen (SPS-Abkommen)172. 165
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S dazu Hilpold, Die EU im GATT/WTO-System. Aspekte einer Beziehung „sui generis“ (1999) 51 ff. - Gemäß Art XI:1 WTO-Abkommen besitzt die EG den Status eines ursprünglichen WTO-Mitgliedes. Gegenwärtig sind die USA und die EU mit einem Anteil von ca 10 - 15 Prozent am weltweiten Agrarhandel die wichtigsten Exporteure von Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen. Allerdings belegen auch im Bereich der Agrarimporte die EU mit ca 10 Prozent und die USA mit ca 8 Prozent nach Japan (12 Prozent) statistisch gesehen die vordersten Plätze. - Vgl WTO (Hrsg), Annual Report 1999 (1999) 76 ff. Vgl Hilpold (FN 159), 440 ff; Schwar, Die Agrarverhandlungen in der GATTUruguay Runde - Eine Kontroverse zwischen Freihandel und selektivem Schutz für die Landwirtschaft, AJPIL 1995, 183. Teil 2 des Anhanges 1A des WTO-Abkommens. - Zum Inhalt des Abkommens vgl Hilpold (FN 159), 445 ff; Senti (FN 163), 465 ff. - Zur jüngsten Entwicklung des GATT s ua Hilpold, Regional Integration According to Article XXIV GATT - Between Law and Politics, in: von Bogdandy/Wolfrum (eds), Max Planck Yearbook of United Nations Law, Volume 7 (2003) 219. Vor allem wegen der Unterwanderung der Verpflichtungen des GATT 1947 seitens der EWG durch konsequente Nutzung der GATT-Lücke des Regionalismus sahen sich die übrigen Staaten der Welt vielfach dazu veranlasst, eigene Integrationszonen zu bilden bzw diesen beizutreten, wobei die Gemeinschaft von diesen ausgeschlossen wurde. In dieser Hinsicht haben sich insbesondere die USA hervorgetan, die seit Mitte der achtziger Jahre ein umfassendes Netzwerk entwickelt haben, das die Gemeinschaft immer mehr ins Abseits drängte und somit als wirkungsvolles Druckinstrument zur Erhaltung des multilateralen Handelssystems dienen konnte. In dieser Entwicklung ist letztlich ein wesentlicher Grund für den Beitritt der EU zum WTOAbkommen zu sehen. - Dazu ausführlich Hilpold, Neue Freihandelszonen in Asien und Amerika als Herausforderung für Europa, WiPolBl 1996, 184. Vgl Moutsatsos, The Uruguay Round Agreement on Agriculture: Issues and Perspective, in Bilal/Pezaros (Ed), Negotiating the Future of Agricultural Policies: Agricultural Trade and the Millenium WTO Round (2000) 29. Abl 1994 Nr L 336/22. Abl 1994 Nr L 336/40.
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Das Agrarabkommen, das zu den am härtesten umkämpften Teilen des gesamten WTO-Paketes gehörte173, bildet erst den Anfang eines langfristigen Reformprozesses, dessen Ziel die Schaffung eines fairen und marktorientierten weltweiten Handelssystems ist174. Da eine Reform ohne konkrete Vorgaben nicht greift, werden bereits in der Präambel des Abkommens ein effektiver Abbau der Agrarzölle sowie eine schrittweise Senkung der landwirtschaftlichen Stützungs- und Schutzmaßnahmen gefordert. Den Entwicklungsländern wird in diesem Zusammenhang insofern eine Sonderstellung eingeräumt, als diesen bei der Anwendung der ausgehandelten Liberalisierungsmaßnahmen eine längere Übergangsfrist sowie ein verbesserter Marktzutritt in ihren Absatzländern eingeräumt worden ist. Das Abkommen ist auf einen Umsetzungszeitraum von sechs Jahren befristet. Ein Jahr vor Ende dieser Periode ist der Fortschreibungsprozess aufzunehmen. Zugleich sind die Mitglieder des Abkommens dazu verpflichtet, die gemachten Erfahrungen zu analysieren und neue Lösungsvorschläge auszuarbeiten175. Die drei Hauptziele des Agrarabkommens sind die Verbesserung des gegenseitigen Marktzuganges, der Abbau landesinterner Stützungsmaßnahmen, die sich auf die Produktion und/oder den internationalen Handel auswirken und schließlich der Abbau der Exportbeihilfen und der subventionierten Exportmengen176. Hinsichtlich des Marktzutrittes sieht das Agrarabkommen die Tarifizierung aller nichttarifären Handelshemmnisse177 vor. Die auf diesem Wege 173
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Noch bis 1994 handelte es sich bei der Landwirtschaft nur um einen von vielen Regelungsgegenständen des GATT. Dementsprechend enthielt dieses praktisch keine Sonderbestimmungen betreffend die Landwirtschaft. Der Bedeutungsumschwung setzte erst im Zuge der Verhandlungen der Uruguay-Runde ein. - Näher dazu Tangermann, Agriculture on the way to firm international trading rules, FS Hudec (2002) 254. Vgl in diesem Zusammenhang etwa Steinberg/Josling, When the Peace Ends: The Vulnerability of EC and US Agricultural Subsidies to WTO Legal Challenge, JIEL 2003, 369. Vgl Sturgess, The Liberalisation Process in International Agricultural Trade: Market Access and Export Subsidies, in Bilal/Pezaros (Ed), Negotiating the Future of Agricultural Policies: Agricultural Trade and the Millenium WTO Round (2000) 135. Dazu Priebe/Mögele (FN 115), Rz 38 ff. Unter Tarifizierung ist die Umrechnung aller bestehenden nichttarifären Handelshemmnisse in gebundene Zölle zu verstehen. Das Abkommen schreibt vor, dass mengenmäßige Einschränkungen, Einfuhrabschöpfungen, Mindesteinfuhrpreise, Einfuhrlizenzvergaben, freiwillige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und ähnliche Grenzmaßnahmen, die keine eigentlichen Zölle darstellen, in Zölle umzurechnen sind. Die Tarifizierung erfolgt entweder nach der additiven Methode oder aber nach der Differenzmethode. Rechnerischer Ausgangspunkt für die additive Methode ist der Maximalzoll. Dieser entspricht der Summe der preislichen Belastungen (also Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse) der Basisjahre 1986 bis 1988. Der Importpreis einer Ware und der Maximalzoll, der auf diese Ware erhoben wird, ergeben zusammen den geschützten Inlandspreis. In der EU ergibt sich der Zollschutz aus der Differenz zwischen dem um zehn Prozent erhöhten Interventionspreis und dem entsprechenden Marktpreis der Jahre 1986 bis 1988. Für Getreide gilt in der EU die Sonderregelung, dass der Einfuhrpreis einschließlich aller Abgaben um 55 Prozent über dem Interventionspreis liegen darf. Sollte der Weltmarktpreis um mehr als 30 Prozent fallen, so sind Zusatzzölle erlaubt. Die Differenzmethode wird in je-
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ermittelten Maximalzölle, die Kontingents- und Außerkontingentszollansätze sind zu konsolidieren und der WTO zu notifizieren178, womit eine künftige Anhebung ausgeschlossen ist. Das Agrarabkommen verpflichtet die Mitglieder zur Absenkung der Maximalzölle im Durchschnitt um 36 Prozent im Laufe von sechs Jahren. Das allgemeine Verbot der Erhöhung von Zöllen wird von einer ganzen Reihe von Ausnahmen, durch die ein komplexes System substituierender Maßnahmen in Gang gesetzt wird, durchbrochen. Steigt etwa die Einfuhrmenge zwischen 5 und 25 Prozent oder fällt der durchschnittliche Einfuhrpreis unter das Niveau von 1986 - 1988, so kann das betroffene Einfuhrland beispielsweise vorübergehend die Zölle anheben. Im Bereich der internen Stützungen sollen alle produktionsabhängigen Subventionen mit handelsverzerrender Wirkung179 innerhalb von sechs Jahren auf der Grundlage des „Aggregate Measurement of Support“180 um 20 Prozent abgebaut werden. Produktbezogene Subventionen müssen nicht abgebaut werden, sofern sie 5 Prozent des Produktionswertes des landwirtschaftlichen Produktes nicht übersteigen. Produktions- und handelsneutrale Subventionen181, wie Ausbildungsmaßnahmen, Beratungen, Strukturanpassungsunterstützungen, Regionalbeihilfen etc, können aufrecht erhalten bleiben. Auch Stützungszahlungen, die im Rahmen von Erzeugungsbeschränkungsprogrammen gewährt werden und entweder auf bestimmte Flächen und Erträge bezogen sind, auf der Grundlage von 85 Prozent oder weniger der Grunderzeugungsmenge erfolgen oder als Lebendviehprämien auf der Grundlage einer festgesetzten Bestandsgröße gezahlt werden, unterliegen nicht der Kürzungsverpflichtung182.
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nen Produktbereichen angewendet, in denen mengenmäßige Importbeschränkungen in Zollkontingente umgewandelt und als solche weiterhin angewandt werden. Rechnerischer Ausgangspunkt ist hier eine bestimmte Kontingentsmenge, deren Verteilung häufig über eine staatliche Zuteilung, Verlosung oder Versteigerung efolgt und für die wie bisher Zollfreiheit oder ein tiefer, nicht anhebbarer Zollsatz gilt. Finden nunmehr über die Kontingentsmenge hinausgehende Importe statt, so darf für diese zusätzlichen Importe ein Zollsatz berechnet werden, welcher der Differenz zwischen dem Inlandspreis und dem Auslandspreis entspricht. - Senti (FN 163), 472 ff. Der wechselseitigen Kommunikation (Transparenz) kommt im Rahmen des multilateralen Beziehungsgeflechtes der WTO zu ihren Mitgliedstaaten naturgemäß besondere Bedeutung zu. - Ausführlich dazu Hilpold, Das Transparenzprinzip im internationalen Wirtschaftsrecht - unter besonderer Berücksichtigung des Beziehungsgeflechts zwischen EU und WTO, EuR 1999, 597. Sog „Orange-Box“-Maßnahmen. - Zur Berechnungsmethode der abzubauenden Beihilfen s Senti (FN 163), 482 f. Im „Aggregate Measurement of Support“, dem gesamten aggregierten Stützungsmaß (Gesamt-AMS) werden sämtliche internen Stützungsmaßnahmen eines WTOMitgliedes zu Gunsten landwirtschaftlicher Erzeuger produktübergreifend erfasst. Das Gesamt-AMS bildet den Dreh- und Angelpunkt der im Agrarabkommen vorgesehenen Maßnahmen zur Senkung der internen Stützungen. Sog „Green-Box“-Maßnahmen. Darunter sind Maßnahmen zu verstehen, die keine oder höchstens geringe Handelsverzerrungen oder Auswirkungen auf die Erzeugung hervorrufen. Sog „Blue-Box“-Maßnahmen. Die im Rahmen dieser Maßnahmen ausbezahlten Stützungszahlungen sind nicht in das laufende Gesamt-AMS des betreffenden WTO-Mitgliedes einzurechnen.
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Da Exportsubventionen den internationalen Handel in besonderem Maße beeinträchtigen, unterliegen diese nach Art 3 WTO-Subventionsübereinkommen grundsätzlich einem allgemeinen Verbot. Hinsichtlich Exportsubventionen für landwirtschaftliche Güter, die in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Agrarabkommens gewährt werden, besteht eine Ausnahme von diesem allgemeinen Verbot, doch hat jedes WTO-Mitglied seine Exportsubventionen sowohl mengenmäßig als auch finanziell zu kürzen. Was den sukzessiven Abbau der Exportbeihilfen und der subventionierten Exportmengen anlangt, so sieht das Agrarabkommen vor, dass direkte Exportsubventionen innerhalb von sechs Jahren um 36 Prozent zu verringern sind. Ebenso ist die Menge der gestützten Ausfuhren um 21 Prozent je Erzeugnis in dieser Zeit zu reduzieren. Die geldwertmäßige (nicht aber die mengenmäßige) Kürzungsverpflichtung gilt auch für Verarbeitungserzeugnisse und damit auch für die Nahrungsmittelindustrie. In diesem Zusammenhang ist sicherzustellen, dass die für ein Verarbeitungserzeugnis gezahlte Subvention nicht die Subvention pro Einheit überschreitet, die bei der Ausfuhr des betreffenden Grunderzeugnisses gewährt würde. Als Referenzperiode zur Berechnung des Ausgangsniveaus der Reduktionsverpflichtungen wurde der Zeitraum von 1986 bis 1990 festgelegt183. Den Bestimmungen des GATT/WTO-Rechts kommt allen Verwobenheiten und Interdependenzen mit dem Gemeinschaftsrecht zum Trotz keine unmittelbare Anwendbarkeit im Gemeinschaftsrecht zu. Einer unmittelbaren Anwendbarkeit des GATT/WTO-Rechts im Gemeinschaftsrecht steht prinzipiell schon die Natur des GATT/WTO-Rechts entgegen, das erst im Zuge weiterer verhandlungspolitischer Prozesse konkretisiert und so umgesetzt werden muss184. Darüber hinaus haben sich maßgebliche Mitgliedstaaten der WTO ausdrücklich gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit des GATT/WTO-Rechts ausgesprochen, um sich so auch in Hinkunft eine bessere Verhandlungsposition zu sichern185. Daher sind primär die WTO-Mitgliedstaaten zur innerstaatlichen Umsetzung der durch Unterzeichnung und Ratifizierung des WTOAbkommens eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen im Wege der hiefür nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Verfahren verbunden. Anlässlich der 4. WTO-Ministerkonferenz in Doha im November 2001 wurde beschlossen, in eine neue Verhandlungsrunde, die „Doha Development Agenda“ (DDA)186, einzutreten. In diesem Zusammenhang verpflichteten sich die WTO-Mitglieder, umfassende Landwirtschaftsverhandlungen zu führen. Als Ziele dieser Verhandlungen wurden die Verbesserung des Marktzutrittes, die Reduktion aller Formen von Exportsubventionen, eine erhebliche Verringerung der handelsverzerrenden internen Stützungen, die besondere und differenzierte Behandlung der Entwicklungsländer als ein integraler Bestandteil der Verhandlungen sowie die Berücksichtigung der non-trade concerns formuliert.
183 184 185 186
Näheres bei Senti (FN 163), 483 ff. Vgl Hilpold (FN 165), 165 ff; derselbe (FN 178), 611 ff. Hilpold (FN 165), 321 ff. Dazu eingehend Anderson ua, Agriculture and the Doha Development Agenda, in Martin/Pangetsu (Hrsg),Options for Global Trade Reform (2003) 25.
Agrarmarktrecht
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Nachdem die 5. WTO-Ministerkonferenz in Cancún im September 2003 abgebrochen wurde, ohne dass überhaupt Ergebnisse erzielt worden wären187, erfolgte eine Neuorientierung sowohl in der EU als auch in der WTO. In der Folge wurde die Agenda für die Runde geändert, woraufhin sich die WTOMitglieder am 1. August 2004 auf das sog Rahmenabkommen („framework agreement“) einigten. Diese Einigung enthält Bedingungen für alle neuen Abkommen einschließlich der Landwirtschaft. Auf der Basis des Rahmenabkommens fand im Dezember 2005 die 6. WTO-Ministerkonferenz in Hong Kong statt188. Zentraler Punkt der Verhandlungen im Agrarsektor war die Frage des Exportwettbewerbes. Einen der Eckpfeiler der gemeinschaftlichen Verhandlungsposition stellte die GAPReform 2003 dar, der als solcher auch nicht in Zweifel gezogen wurde. Im Verlauf der Verhandlungen erklärte sich die Europäische Union unter der Bedingung der vollen Gleichbehandlung aller Formen von Exportförderungen allerdings bereit, die Exportstützungen zu reduzieren. Danach wird es bei den Exportstützungen der Europäischen Union und bei den anderen Formen der Exportförderung bis 2013 zu einem schrittweisen Abbau kommen („phasing out“)189. Weiters einigte man sich darauf, dass die WTO-Länder hinsichtlich sonstiger handelsverzerrender Landwirtschaftsförderungen mit dem künftigen Ziel der Festlegung konkreter Reduktionszahlen in 3 Bänder eingeteilt werden, wobei in das oberste Band die Europäische Union, in das mittlere Band die USA und Japan und in das unterste Band die sonstigen WTO-Mitglieder fallen. Dasselbe gilt für Zölle, die im Bereich der Landwirtschaft eingehoben werden und die nunmehr - je nach Zollhöhe, die für Entwicklungsländer und Industrieländer unterschiedlich ist - in 4 Bänder eingeteilt werden. Für Entwicklungsländer soll zusätzlich ein Schutzklauselmechanismus greifen, dessen Bedingungen ebenso erst festgelegt werden müssen, wie die Höhe der Zollkürzungen und die Bändergrenzen. Schließlich soll auch der Markt für Baumwolle neu strukturiert werden (Abschaffung von Exportförderungen; Marktöffnung für Exporte aus bestimmten Ländern). Die in der Ministererklärung von Hong Kong beschlossenen Leitlinien sollen im ersten Halbjahr 2006 in konkrete Inhalte und Zahlen umgesetzt werden190. In weiterer Folge sollen im zweiten Halbjahr 2006 die detaillierten Entwürfe für Verpflichtungslisten für den Abschluss der Doha-Runde bis Ende 2006 beschlussfähig sein. c) Der EWR-Vertrag Ziel des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (vgl BGBl 1993/909 idF BGBl III 2006/53), dessen Vertragspartner die EU-Mitglied187 188 189 190
Die Verhandlungen zur Landwirtschaft wurden in Cancún gar nicht begonnen, nachdem die Gespräche in anderen Bereichen bereits gescheitert waren. S dazu etwa Küblböck/Six, Die WTO in Hongkong. Zwischenergebnisse einer „Entwicklungsrunde“ (2006). Vgl Küblböck/Six (FN 188), 6. Ob es zur Festlegung konkreter Prozentzahlen zur Kürzung der Agrarsubventionen und Importzölle kommen wird, ist indessen mehr als fraglich, da die in dieser Hinsicht geführten weiteren Verhandlungen bis dato ergebnislos geblieben sind. - Vgl Küblböck/Six (FN 188), 4.
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staaten einerseits und die EFTA-Mitglieder Fürstentum Liechtenstein, Island und Norwegen andererseits191 sind, ist die Herstellung binnenmarktähnlicher Verhältnisse zwischen den Wirtschaftsblöcken der EG und der EFTA. Zur Verwirklichung dieses Zieles regelt das EWR-Abkommen auf der Grundlage des einschlägigen Gemeinschaftsrechtes ua den freien Warenverkehr, die Freizügigkeit, den freien Dienstleistungsverkehr sowie die Kapitalverkehrsfreiheit. Um eine größtmögliche Homogenität in der Übernahme des EWR-relevanten gemeinschaftsrechtlichen Primärrechtes sicherzustellen, sind die Bestimmungen des EWR-Hauptabkommens weitgehend deckungsgleich mit den einschlägigen Bestimmungen des (seinerzeitigen) EWG-Vertrages. Allerdings sind die Vertragsparteien dahingehend übereingekommen, die gemeinschaftliche Agrarund Fischereipolitik vom sachlichen Geltungsbereich des EWR-Abkommens auszunehmen192. Zugleich mit dem Primärrecht wurde (von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen) auch die Übernahme des gesamten gemeinschaftsrechtlichen Besitzstandes („acquis communautaire“) im Bereich der vier Grundfreiheiten vereinbart193. Im Bereich der Landwirtschaft betrifft dies insbesondere die Bestimmungen über Saat- und Pflanzgut, Regelungen betreffend das Pflanzenschutzmittelrecht, das Düngemittelrecht, das Futtermittelrecht und Tierzuchtbestimmungen194. d) Sonstige Handels- und Assoziierungsabkommen der EU Es bestehen zahlreiche weitere Assoziations- und Kooperationsabkommen, die die Europäische Union mit einer Reihe von europäischen und außereuropäischen Staaten abgeschlossen hat und die für die Landwirtschaft von Bedeutung sind. An vorderster Stelle zu nennen ist das AKP-Abkommen195, an dem neben der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten 77 Staaten in Afrika, der Karibik und im pazifischen Raum (sog „AKP-Staaten“) beteiligt sind. Das Abkommen, das von einem partnerschaftlichen Ansatz geprägt ist, sieht ua eine besondere und differenzierte Behandlung aller AKP-Staaten vor. So unterliegen etwa Waren mit Ursprung aus AKP-Staaten bei der Einfuhr in die Europäische Union keinen Zöllen oder mengenmäßigen Beschränkungen. Die mit den mittel- und osteuropäischen Staaten abgeschlossenen Abkommen196 beinhalten entweder Freihandelsregelungen oder sehen zumindest eine wirtschaftliche und finanzielle Kooperation197 vor. 191
192 193 194 195 196
Die Schweiz ist, obwohl EFTA-Land, nicht Vertragspartner des EWR-Vertrages. Das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der Schweiz ist im Hinblick auf den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen durch ein eigenes Abkommen geregelt. Vgl Kapitel 2 (Art 17 ff) des EWR-Abkommens. Vgl Burtscher, Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) (1992) 23 ff. Leidwein (FN 83), 496. 2000/483/EG. - Näher dazu Leidwein (FN 83), 498 ff. Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Rumänien andererseits; Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Bulgarien andererseits.
Agrarmarktrecht
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Die Europäische Union hat mit nahezu allen Anrainerstaaten im Mittelmeerraum Assoziationsabkommen198 geschlossen. Danach werden den Vertragspartnern weitgehende Präferenzen bei Importen, insbesondere in den Bereichen Obst, Gemüse, Olivenöl und Fischereierzeugnisse, gewährt. Das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei beinhaltet das Ziel der Bildung einer Zollunion199. Auch zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz besteht ein Abkommen, das den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen regelt.
II. Grundzüge und Prinzipien der Gemeinsamen Agrarpolitik A. Die Struktur der Gemeinsamen Agrarpolitik 1. Gegenstand der Gemeinsamen Agrarpolitik Gemäß Art 32 Abs 1 EGV umfasst der Gemeinsame Markt auch die Landwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen200. Daraus folgt, dass sowohl die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte als auch der Handel mit diesen und deren Absatz einer eingehenden gemeinschaftsrechtlichen Regelung zugänglich sind201. Zufolge des Fehlens einer Definition des Begriffes der „Landwirtschaft“202 im EGV selbst ist unklar, welche Tätigkeitsbereiche und Erzeugnisse nun tatsächlich unter den Landwirtschaftstitel des EGV zu subsumieren sind203. Dies kann zu Abgrenzungsproblemen bei der Zuständigkeit des Gemeinschaftsge197
198 199
200
201 202
203
Vgl die Partnerschaftsabkommen der Europäischen Union mit der Ukraine, Rissland, Kasachstan, Kirgistan, Belarus und Moldawien, die die Landwirtschaft allerdings nur am Rande berühren. Solche bestehen etwa mit Israel, Tunesien, Algerien, Marokko, Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Libanon. Hinsichtlich der Landwirtschaft vgl die Verordnung (EWG) 1180/77 des Rates über die Einfuhr bestimmter landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit Ursprung in der Türkei in die Gemeinschaft. Die Gemeinsame Agrarpolitik wird vielfach als ein „Eckpfeiler“ der Gemeinschaft bezeichnet (vgl Oppermann (FN 108), Rz 1351). Zufolge der Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte hat sich die Grundeinstellung sowohl der Politiker als auch der Bevölkerung im Hinblick auf die Agrarlastigkeit der Gemeinschaft stark gewandelt. Vor allem der enormen finanziellen Belastungen wegen gilt die Gemeinsame Agrarpolitik heute völlig zu Recht als Sorgenkind der EG. Vgl Schweitzer/Hummer (FN 70), Rz 1329. Vgl in diesem Zusammenhang jüngst Norer, Vom Agrarrecht zum Recht des ländlichen Raumes - alte und neue Begrifflichkeiten, ZfV 2001, 1 (7 ff). - Dieser Autor weist zu Recht darauf hin, dass mit der Agenda 2000 ansatzweise eine Integration von Umweltbelangen in die Agrarpolitik stattgefunden hat. Zugleich damit beginnen aber die Grenzen zwischen Agrar- und Umweltpolitik zu verschwimmen. Ihm ist vorbehaltlos zuzustimmen, wenn er im Ergebnis meint, dass dem Bedeutungszuwachs anderer Politiken der Gemeinschaft auf die Land- und Forstwirtschaft nur durch einen weiten und offenen gemeinschaftsrechtlichen Agrarrechtsbegriff Rechnung getragen werden könne (aaO, 9). Vgl Hix (FN 107), Art 32, Rz 3 ff.
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setzgebers führen, wobei es allerdings weniger um die Klärung der Frage der Zuständigkeit an sich denn vielmehr um Klärung der Frage nach der zutreffenden Rechtsgrundlage geht, da Maßnahmen, die zur Erreichung der Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik dienen, sowohl auf die konkreten Kompetenzgrundlagen des Agrartitels als auch auf die anderen Bereiche des EGV gestützt werden können204. Der Grundsatzaussage in Art 32 Abs 1 Satz 2 EGV, wonach unter landwirtschaftlichen Erzeugnissen „die Erzeugnisse des Bodens, der Viehzucht und der Fischerei sowie die mit diesen in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Erzeugnisse der ersten Verarbeitungsstufe zu verstehen“ sind, kommt nach herrschender Ansicht keine eigenständige normative Bedeutung zu205. Ausschlaggebend ist vielmehr die in Anhang I zum EGV beigefügte Liste, für die nach Art 32 Abs 3 EGV die auf die Landwirtschaft Bezug nehmenden Art 33 bis 38 EGV gelten206. Nach Auffassung des EuGH ist die Definition des Art 32 Abs 1 zweiter Satz EGV, soweit diese als Interpretationshilfe herangezogen wird, in einem weiten Sinne auszulegen. Sie kann seiner Ansicht nach keinesfalls als Ermächtigungsbeschränkung in dem Sinne gedeutet werden, dass die Agrarregelungen ausschließlich auf landwirtschaftliche Grunderzeugnisse (Erzeugnisse der „ersten Verarbeitungsstufe“), auf die weiteren Verarbeitungserzeugnisse indessen die allgemeinen Vertragsbestimmungen anzuwenden seien207. Dieser Auffassung hat sich auch die Lehre angeschlossen208. Ausgehend vom Begriff der „landwirtschaftlichen Erzeugnisse“, wird in der Literatur Landwirtschaft als „Tätigkeit, die auf die Produktion eines landwirtschaftlichen Erzeugnisses gerichtet ist“, verstanden209.
2. Ziele und Grundsätze der Gemeinsamen Agrarpolitik a) Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik Die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik werden explizit in Art 33 Abs 1 EGV genannt. Jedenfalls nach dem EGV an erster Stelle gereiht, geht es dabei zunächst um die Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte. Angesichts der in vielen Bereichen bereits seit langem erzielten Überschussmengen steht heute freilich weniger eine quantitative denn vielmehr eine qualitative Produktivitätssteigerung (etwa die Senkung der Erzeugerkosten, Qualitätsverbesserungen, Fortbildung der in der Landwirtschaft 204 205
206 207 208 209
Zu diesem Problemkreis jüngst Mögele, Die gemeinschaftliche Agrarkompetenz nach Amsterdam, ZeuS 2000, 79 (81 ff). Vgl in diesem Zusammenhang auch van Rijn, in von der Groeben/Schwarze (Hrsg), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft6 (2003), Art 32 EG, Rz 5; Thiele (FN 138), Art 32, Rz 12 mwN. In diesem Sinne etwa auch Schweitzer/Hummer (FN 70), Rz 1329 f. EuGH Rs 185/73, HZA Bielefeld/König, Slg 1974, 607. Thiele (FN 138), Art 32, Rz 16. Thiele (FN 138), Art 32, Rz 21 ff.
Agrarmarktrecht
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tätigen Personen) im Vordergrund der Bemühungen der Gemeinsamen Agrarpolitik210. Als ein weiteres (als eigenständig anzusehendes) Ziel wird die Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung genannt211. Bei der Beurteilung dessen, was als „angemessen“ anzusehen ist, steht dem Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Verfolgung der Gemeinsamen Agrarpolitik ein weiter Ermessensspielraum zu, zumal primärrechtlich die Festlegung auf einen eindeutig bestimmbaren Wert, wie etwa eine fixe Einkommensrelation, unterblieben ist. Ein Vergleich zur allgemeinen Einkommenssituation (einschließlich der anderen Wirtschaftsbereiche) innerhalb der Gemeinschaft kann zwar herangezogen werden, führt indessen auf Grund der doch deutlichen Einkommensunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten häufig zu unvertretbaren Ergebnissen212. In jüngster Zeit wird dieses Ziel verstärkt durch direkte Einkommensstützungen, die nicht mit einer Steigerung der Produktivität gekoppelt sind, zu erreichen gesucht. Es geht vor allem darum, eine globale Ausweitung der Produktion zu verhindern, weshalb seitens der Gemeinschaft vermehrt auf die Erzeugung solcher Mengen geachtet wird, die der Markt noch trägt. Die Gemeinsame Agrarpolitik soll des Weiteren zu einer Stabilisierung der Märkte beitragen. Im Gegensatz zur früher betriebenen Stabilisierungspolitik der Gemeinschaft213 geht es dabei heute weniger um die Herbeiführung einer kurzfristigen Marktstabilität durch Einsatz der Interventionssysteme214 denn vielmehr um die langfristige Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses von Angebot und Nachfrage betreffend landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die enorme landwirtschaftliche Überschussproduktion macht in diesem Zusammenhang vor allem Maßnahmen erforderlich, die auf eine Drosselung der Erzeugermengen hin ausgerichtet sind215. So wurden beispielsweise auf dem Milch- und dem Getreidesektor 1977 bzw 1986 Mitverantwortungsabgaben eingeführt216. Zu einer Stabilisierung des Milchmarktes ist es indessen erst durch die Einführung von Produktionsquoten, bei deren Überschreitung vom Erzeuger eine prohibitiv wirkende Abgabe zu zahlen ist, gekommen. Des Wei210 211
212
213 214 215 216
Vgl Hix (FN 107), Art 33, Rz 8 ff. Zwar spricht Art 33 Abs 1 lit b EGV davon, dass die angemessene Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung „auf diese Weise“, also im Wege der Produktivitätssteigerung, erreicht werden soll. Nach Ansicht des EuGH ist dieses Ziel aber auch durch Maßnahmen der Preispolitik, durch direkte Unterstützungszahlungen an Landwirte oder durch andere Beihilfen verwirklichbar (EuGH Rs C-122/94, Kommission/Rat, Slg 1996, I-881). Vgl Gilsdorf/Priebe, in Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union – Kommentar (Loseblattausgabe 1984 ff), Art 39, Rz 10 ff; Thiele (FN 138), Art 33, Rz 5. Vgl Gilsdorf/Priebe (FN 212), Art 39, Rz 15. Hier sind vor allem die üblichen Interventionsankäufe und anschließende Lagerung der Erzeugnisse zu nennen. Vgl EuGH Rs 84/87, Erpelding, Slg 1988, 2647. Diese Mitverantwortungsabgaben bestehen allerdings nicht mehr. - S Priebe/Mögele (FN 115), Rz 99. - Umfassend zum Problemkreis Thiele, Das Recht der Gemeinsamen Agrarpolitik der EG: dargestellt am Beispiel des Gemeinsamen Milchmarktes mit Bezügen zum Durchführungsrecht in der BRD (1997) 166 ff.
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teren wurden Stabilisatoren in Form von Höchstgarantiemengen eingeführt, bei deren Überschreitung automatisch Sanktionen eintreten sollen217. Im Weinbau besteht nach wie vor ein Verbot von Neuanpflanzungen218. Ebenso im Zielkatalog des Art 33 Abs 1 EGV genannt wird die Sicherstellung der Versorgung, wobei diese sowohl den Endverbraucher als auch die verarbeitende Nahrungsmittelindustrie in sich begreift219. Dieses Ziel weist eine enge Verbindung zu den Zielen der Stabilisierung der Märkte und der Erhöhung der Produktivität auf. Im Wesentlichen geht es um die Überbrückung kurzfristiger Versorgungsengpässe. Zu diesem Zweck sieht das Gemeinschaftsrecht etwa das Anlegen von Interventionslagerbeständen vor. Ebenso steht ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Verfügung, mit denen im Falle des Auftretens eines Versorgungsengpasses Import und Export entscheidend beeinflusst werden können220. Schließlich ist es auch Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik, für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen. Dies kann beispielsweise durch Festsetzung der institutionellen Preise geschehen, deren Höhe indirekt auch die Höhe der Verbraucherpreise beeinflussen kann221. Die Angemessenheit der Preise, die nicht mit möglichst niedrigen Preisen gleichzusetzen ist222, bezieht sich auf den gesamten Gemeinsamen Markt, weshalb auch Maßnahmen möglich sind, die sich im Hinblick auf die Verbraucherpreise in den Mitgliedstaaten unterschiedlich auswirken223. Insgesamt gesehen ist dieses Ziel, das in einem deutlichen Spannungsverhältnis zur Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung steht, gegenüber den anderen Zielen von der Gemeinschaft eher nachrangig verfolgt worden224.
217 218
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221
222 223 224
Thiele (FN 138), Art 33, Rz 9. Auch nach der im Rahmen der Agenda 2000 verabschiedeten VO (EG) Nr 1493/1999 des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Wein, Abl 1999 Nr L 179/1, mit der eine grundlegende Reform der Marktordnungsmaßnahmen in diesem Sektor erfolgt ist, ist die Bepflanzung von Rebflächen mit bestimmten Traubensorten bis zum 31.07.2010 grundsätzlich untersagt. EuGH Rs C-131/87, Kommission/Rat, Slg 1989, 3743. Dazu zählen Maßnahmen der Beschränkung der Ausfuhr aus der Gemeinschaft durch Ausfuhrverbote oder Ausfuhrabgaben ebenso, wie Maßnahmen, die der erleichterten Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte in die Gemeinschaft aus Drittstaaten dienen sollen, wie etwa Einfuhrbeihilfen etc. - Vgl zur Erleichterung des innergemeinschaftlichen Handels durch die Schaffung einheitlicher Standards bei Veterinärkontrollen EuGH Rs C-27/95, Woodspring, Slg 1997, I-1847. Mit der Agenda 2000 wurde im Hinblick auf die niedrigeren Weltmarktpreise eine Senkung der institutionellen Preise beschlossen. Diese Senkung kann sich langfristig auch auf die Verbraucherpreise auswirken. EuGH Rs 34/62, Deutschland/Kommission, Slg 1963, 287. Hix (FN 107), Art 33, Rz 17. Thiele (FN 138), Art 33, Rz 11.
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b) Grundsätze der Gemeinsamen Agrarpolitik Art 33 Abs 2 EGV schreibt vor, dass bei der Gestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik und der hiefür anzuwendenden Methoden bestimmte Rahmenbedingungen und Besonderheiten zu berücksichtigen sind225. Danach ist auf die besondere Eigenart der landwirtschaftlichen Tätigkeit, die sich aus dem sozialen Aufbau der Landwirtschaft (zB das Vorhandensein einer großen Anzahl klein- und mittelständischer Betriebe) und den strukturellen und naturbedingten Unterschieden der verschiedenen landwirtschaftlichen Gebiete (zB geographische Besonderheiten, wie Berggebiete, Insellagen etc, aber auch verkehrstechnische Erschließung) ergibt, zu achten. Soweit im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik Anpassungen erforderlich sind, sind diese stufenweise durchzuführen. Andererseits sind die Gemeinschaftsorgane nach dieser Bestimmung auch dazu verpflichtet, für eine Fortentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik Sorge zu tragen, die den sich wandelnden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Erfordernissen Rechnung trägt. Trotz der besonderen Stellung, welche die Gemeinsame Agrarpolitik innerhalb der Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft unzweifelhaft einnimmt, darf nicht übersehen werden, dass die Landwirtschaft in den Mitgliedstaaten einen mit der gesamten Volkswirtschaft eng verflochtenen Wirtschaftsbereich darstellt. Daher ergeben sich aus der Gemeinsamen Agrarpolitik bedeutende Rückkoppelungseffekte für die Gesamtwirtschaft eines Mitgliedstaates, worauf bei der Gestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik jedenfalls Rücksicht zu nehmen ist. Die in Art 33 Abs 2 EGV genannten Grundsätze bilden die primärrechtliche Grundlage für eine stärker differenzierende Gestaltung einer Gemeinsamen Agrarpolitik, die - unter Abweichung vom allgemeinen Diskriminierungsverbot - auch regionale Gesichtspunkte in den Entscheidungsprozess einfließen lässt. So kann etwa eine sektorspezifische Maßnahme der Gemeinsamen Agrarpolitik durchaus Sonderregelungen für einen bestimmten Mitgliedstaat enthalten, welche ein Erzeugnis betreffen, dessen Herstellung und Vertrieb einen besonders hohen Anteil am Bruttosozialprodukt des betreffenden Mitgliedstaates ausmacht226. Das in Art 33 Abs 2 EGV angelagerte Differenzierungspotenzial wird durchaus auch kritisch bewertet, bietet es doch die Möglichkeit, unter Umgehung des Homogenitätsgebotes zur Erlassung regional unterschiedlicher Regelungen227.
3. Mittel der Gemeinsamen Agrarpolitik Um die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik zu erreichen, sieht Art 34 Abs 1 EGV die Schaffung einer Gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte vor, die - je nach Erzeugnis - aus gemeinsamen Wettbewerbsregeln, der bindenden Koordinierung der verschiedenen einzelstaatlichen Marktordnungen 225 226 227
Vgl Geiger, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EUV/EGV4 (2004) Art 33 EGV, Rz 5 ff. EuGH Rs C-22/94, Irish Farmers, Slg 1997, I-1812. So etwa Priebe (FN 212), Kommentar, Art 39, Rz 37. - Vgl auch Priebe/Mögele (FN 115), Rz 17 ff.
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oder einer europäischen Marktordnung besteht. Trotz dieser Vielfalt möglicher Organisationsformen hat sich in der Praxis die Gemeinsame Marktordnung durchgesetzt. Gegenwärtig sind über 94 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte in Gemeinsamen Marktordnungen geregelt228. Die Gemeinsame Organisation hat sich auf die Verfolgung der Ziele des Art 33 zu beschränken und jede Diskriminierung zwischen Erzeugern oder Verbrauchern innerhalb der Gemeinschaft auszuschließen229. Art 33 Abs 1 lit a und b, Art 35 lit a und Art. 36 Abs 2 EGV enthalten darüber hinaus Anhaltspunkte für die Ausgestaltung einer Gemeinsamen Agrarstrukturpolitik, die über markt- und preispolitische Mechanismen hinausgeht. Die Gemeinsame Agrarstrukturpolitik stand über lange Zeit hinweg deutlich hinter der Gemeinsamen Marktpolitik zurück230. Die Ausgaben für Strukturmaßnahmen, bei denen es vornehmlich um eine langfristige Effizienzsteigerung in der Landwirtschaft durch die Förderung moderner, leistungsfähiger Betriebe, die Einstellung unrentabler Betriebe, die Stilllegung von Nutzflächen sowie den Vorruhestand von Landwirten geht, machten bis zum Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA)231 am 1.7.1987 nur einen verschwindend geringen Bruchteil der Gesamtausgaben der Gemeinschaft für die Gemeinsame Agrarpolitik aus. Ausschlaggebend hierfür war vor allem der Umstand, dass die Gemeinschaft die Entwicklung in den Betrieben und im ländlichen Raum ursprünglich nur durch Einzelmaßnahmen zu fördern suchte, ohne dass diese Maßnahmen in ein größeres Konzept eingebunden gewesen wären. Die durch die EEA bewirkte Reform der Strukturfonds hat indessen auch zu einer erheblichen Aufwertung der Gemeinsamen Agrarstrukturpolitik geführt232. Ihr kommt zwischenzeitlich insbesondere in strukturschwachen Mitgliedstaaten (Griechenland, Spanien, Portugal) überragende Bedeutung zu233. Weitere Mittel der Gemeinsamen Agrarpolitik sind Maßnahmen zur Förderung der Aus- und Weiterbildung und des Verbrauches bestimmter Erzeugnisse, die in Art 35 lit a und b EGV angesprochen werden. Schließlich handelt es sich auch bei der Wettbewerbskontrolle nach Art 36 EGV um ein Mittel der Gemeinsamen Agrarpolitik. Art 36 EGV begründet den Vorrang der Agrarpolitik gegenüber den im Bereich des Wettbewerbes
228 229
230 231 232
233
Vgl Oppermann (FN 108), Rz 1376. Art 34 Abs 2 EGV. - Das in dieser Bestimmung enthaltene spezifische Diskriminierungsverbot ist vor dem Hintergrund der agrarpolitischen Ziele des Art 33 Abs 1 EGV auszulegen und garantiert keine arithmetische, sondern eine geometrische Gleichheit. Dem Gemeinschaftsrechtsgesetzgeber steht durchaus ein breiter Ermessensspielraum zu. Geschützt werden Erzeuger und Verbraucher innerhalb ihrer Gruppe. - Näher dazu etwa Thiele (FN 138), Art 34 Rz 41 f. Vgl Geiger (FN 225), Art 32 EGV, Rz 10. Abl 1987 Nr L 169/1. - Näheres zur EEA bei Wimmer/Mederer (FN 101), 52 f. Vgl Hix (FN 107), Art 32, Rz 23 ff; Priebe/Mögele (FN 115), Rz 137 ff. - Vgl aus praktischer Sicht Saxinger, EU-Förderpolitik für klein- und mittelbetriebliche Unternehmen (KMU), ÖGZ H 10/95, 8. Vgl in diesem Zusammenhang Priebe/Mögele (FN 115), Rz 137 ff (140 ff). - Zur Agrarstruktur in der EU s Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 1999, 66 ff.
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bestehenden Zielen des EGV234. Dem Rat kommt die Befugnis zu, darüber zu bestimmen, inwieweit die Wettbewerbsregeln im Agrarsektor Anwendung finden. Ganz allgemein gilt der Grundsatz, dass das Kapitel über die Wettbewerbsregeln im Landwirtschaftssektor nicht anwendbar ist235.
B. Die Grundprinzipien der Gemeinsamen Agrarpolitik Die Ziele des Art 33 EGV haben sich in der seit 1958 zum sekundären Agrarrecht geübten Gemeinschaftspraxis in spezifischen Grundsätzen niedergeschlagen und durch fortlaufende Konkretisierung zu Prinzipien verdichtet, die zwischenzeitlich als „Grundpfeiler der Gemeinsamen Agrarpolitik“ gelten und trotz ihrer rechtspolitischen Herkunft den Rang verbindlicher Vertragsgrundsätze einnehmen. Im Einzelnen handelt es sich um die Prinzipien der „Einheit des Marktes“, der „Gemeinschaftspräferenz“ und der „finanziellen Solidarität“236.
1. Das Marktprinzip Das Marktprinzip beruht auf dem Gedanken, dass die in der Landwirtschaft tätigen Personen ihr Einkommen grundsätzlich aus dem Verkauf der von ihnen hergestellten landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf dem Markt und nicht aus Subventionen erzielen sollen. Das landwirtschaftliche Einkommen garantiert demnach nicht der Steuerzahler sondern der Verbraucher237. Angesichts der mannigfachen Unterschiede in der Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe innerhalb der Mitgliedstaaten wird dieses Prinzip de facto durch zahlreiche Ausnahmen und Sonderregeln durchbrochen.
2. Das Prinzip der Gemeinschaftspräferenz Mit dem Prinzip der Gemeinschaftspräferenz238 ist der Schutz des Gemeinschaftsmarktes vor Niedrigpreiseinfuhren aus Drittstaaten angesprochen239. Vor allem um das Preisniveau zur Sicherung der Einkommen der landwirtschaftlichen Bevölkerung sicherzustellen, wird es seitens der Gemeinschaft für erforderlich angesehen, Gemeinschaftserzeugnisse mit Präferenz gegenüber Erzeugnissen aus Drittstaaten zu behandeln. Die Verwirklichung dieses Prinzips erfolgt im Wesentlichen über den gemeinsamen Zolltarif sowie über Abschöpfungen. Vor dem Hintergrund der Gründung der WTO betrachtet, kommt dem Prinzip allerdings nur mehr eine eingeschränkte Bedeutung zu240.
234 235 236 237 238 239 240
EuGH Rs 139/79, Maizena, Slg 1980, 3393; Rs C-280/93, Deutschland/Rat, Slg 1994, I-4973. Hix (FN 107), Art 36, Rz 1. Gilsdorf (FN 212), Kommentar, Vorb zu Art 38, Rz 7 ff. - Vgl auch Priebe/Mögele (FN 115), Rz 280 ff. Vgl Oppermann (FN 108), Rz 1366. EuGH Rs 5/67, Beus, Slg 1968, 125. Vgl Oppermann (FN 108), Rz 1367. So auch Thiele (FN 138), Art 34, Rz 9.
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Walzel v. Wiesentreu
3. Das Prinzip der Gemeinschaftsfinanzierung a) Allgemeines Die Verwirklichung von Marktprinzip und Gemeinschaftspräferenz ist nur dann möglich, wenn auch im finanziellen Bereich Solidarität besteht. Dementsprechend unterliegen auch die im Rahmen der Agrarpolitik getätigten Ausgaben der Verantwortung der Gemeinschaft. Betroffen sind sowohl Ausgaben im Rahmen der unmittelbaren Marktpolitik als auch solche für agrarstrukturpolitische Maßnahmen. b) Die Einrichtung des EAGFL Die Verwaltung der Ausgaben wird vom „Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft“ (EAGFL)241 besorgt, der im Jahre 1962 gegründet worden242 und inzwischen (da es ihm an einer eigenen Rechtspersönlichkeit fehlt und er auch über kein eigenes Fondsvermögen verfügt) Bestandteil des Gemeinschaftshaushaltes ist243. Auf sämtliche ab dem 1.1.2000 getätigten Ausgaben ist die VO (EG) Nr 1258/1999 des Rates über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik244 anzuwenden, die daher zu Recht als „Basistext der gemeinschaftlichen Agrarfinanzierung“245 bezeichnet werden kann. Darauf hinzuweisen ist, dass mit der am 1. Januar 2007 geltenden VO (EG) Nr 1290/2005 des Rates über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik246 statt des EAGFL zwei neue Fonds eingerichtet werden, und zwar ein „Europäischer Garantiefonds für die Landwirtschaft“ (EGFL) und ein „Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes“ (ELER)247. Zugleich wird die VO (EG) Nr 1258/1999 aufgehoben, doch wird bestimmt, dass sie bis zum 15. Oktober 2006 für die Ausgaben der Mitgliedstaaten und bis zum 31. Dezember 2006 für die Ausgaben der Kommission gilt248. Der EAGFL gliedert sich in zwei Abteilungen, nämlich die Abteilung „Garantie“, die für die Kosten der Marktordnungen (Finanzierung der Ausfuhrerstattungen und der Interventionen zur Regulierung der Agrarmärkte) zuständig ist249, sowie die für die Finanzierung der Strukturpolitik (Entwick241
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Die Möglichkeit, einen oder mehrere Ausrichtungs- oder Garantiefonds für die Landwirtschaft zu schaffen, war von Anfang an im Primärrecht grundgelegt (vgl den seinerzeitigen Art 40 Abs 4 EGV, nunmehr Art 34 Abs 3 EGV). - Zu Struktur, Aufgaben und Verfahren des EAGFL ausführlich Lindinger, Organisation der Finanzierung des EG-Agrarförderungssystems, ZfV 1997, 302. - S auch Priebe/Mögele (FN 115), Rz 217 ff; Thiele (FN 138), Art 34, Rz 40 ff. VO (EWG) Nr 25 des Rates über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik, Abl EG 1962, Nr 30/991. Insofern unterliegt der EAGFL auch den Bedingungen des allgemeinen Haushaltsrechtes der Gemeinschaft. Abl 1999 Nr L 160/103. So Priebe/Mögele (FN 115), Rz 217. Abl 2005 Nr L 209/1. Art 2 Abs 1 VO 1290/2005, Abl 2005 Nr 209/1. Art 47 Abs 1 VO 1290/2005, Abl 2005 Nr L 209/1. Vgl Hix (FN 107), Art 34, Rz 91 ff; van Rijn (FN 205), Art 34 EG, Rz 63 ff; Lindinger (FN 241), 304 f.
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lung des ländlichen Raumes) verantwortliche Abteilung „Ausrichtung“250. Ab dem 1. Januar 2007 werden die Aufgaben der Abteilung „Garantie“ vom neu eingerichteten EGFL, jene der Abteilung „Ausrichtung“ von dem ebenfalls neu geschaffenen ELER wahrgenommen251. Verwaltungsmäßig ist der EAGFL in die „Generaldirektion Landwirtschaft“ der Kommission eingegliedert252. Über die Zuweisung von Ausgaben an die beiden Abteilungen entscheidet der Rat. Die finanzielle Abwicklung von Gemeinschaftsmaßnahmen im Einzelfall erfolgt über die jeweiligen nationalen Verwaltungen der Mitgliedstaaten (mittelbare Finanzierung)253. Die Praxis hat bewiesen, dass gerade die Gemeinsame Agrarpolitik in hohem Maße betrugsanfällig ist254, weshalb für diese die gemäß Art 280 EGV im Hinblick auf die finanziellen Interessen der Gemeinschaft erlassenen horizontalen Schutzmaßnahmen von besonderer Bedeutung sind. In Österreich werden die diesbezüglichen Aufgaben nicht von den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung, sondern vielmehr von einem ausgegliederten Rechtsträger mit eigener Rechtspersönlichkeit, der „Agrarmarkt Austria“ (AMA)255, wahrgenommen. Die mittelbare Finanzierung durch die Mitgliedstaaten hat die Entstehung unterschiedlicher Rechtsverhältnisse zur Folge. Ein solches besteht einerseits zwischen Leistungsempfänger und mitgliedstaatlichen Finanzierungseinrichtungen und andererseits zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft, was verfahrensrechtlich bedeutsam ist256. Die Übernahme der Ausgaben durch die Gemeinschaft erfolgt in zwei Stufen257: Im Rahmen der vorläufigen Bereitstellung von Mitteln werden den Mitgliedstaaten zunächst Abschlagszahlungen auf die von ihnen geleistete Vorfinanzierung im Bereich der Gemeinsamen Marktordnungen gewährt258. Die endgültige Festlegung der Beteiligung der Gemeinschaft an den nationalen Agrarausgaben findet im Rahmen des Rechnungsabschlusses statt. Im Rahmen eines mehrphasigen Rechnungsabschlussverfahrens wird von der 250 251 252
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Vgl Hix (FN 107), Art 34, Rz 95; van Rijn (FN 205), Art 34 EG, Rz 82 ff; Lindinger (FN 241), 304 f. Vgl Art 3 f VO 1290/2005, Abl 2005 Nr L 209/1. Zum Verwaltungsaufbau der Kommission allgemein Walzel v. Wiesentreu, in Weber/Walzel v. Wiesentreu, Verbraucherschutz und Bundesstaatsreform im Lichte der Europäischen Integration (1996) 94 ff mwN. Vgl Lindinger (FN 241), 305 f. - Die von nationalen Stellen getätigten Garantieausgaben belaufen sich auf nahezu 100 Prozent (s Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht Zuverlässigkeitserklärung 1995, Abl 1996, Nr C 395/43). S dazu Pünder (FN 135), 773 f. Vgl das BG über die Errichtung der Marktordnungsstelle „Agrarmarkt Austria“ (AMA-Gesetz 1992), BGBl 376/1992 idF BGBl I 108/2001. Vgl Lindinger (FN 241), 306 ff. - Zur Bedeutung der unterschiedlichen Rechtsverhältnisse für die Aktiv- und Passivlegitimation im Verfahren vor dem EuGH vgl EuGH verb Rsen 178-180/73, Mertens, Slg 1974, 383; verb Rsen 89 u 91/86, Etoile Commerciale u CNTA/Kommission, Slg 1987, 3005. Näheres dazu bei Priebe/Mögele (FN 115), Rz 232 ff. Von der ursprünglich praktizierten monatlichen Vorfinanzierung ist man nach der Haushaltskrise 1987 abgekommen. Jetzt melden die Mitgliedstaaten die in einem Monat getätigten Ausgaben an die Kommission, die im nachhinein (spätestens am dritten Arbeitstag des zweiten auf den Ausgabemonat folgenden Monats) „Vorschüsse auf die zu übernehmenden Ausgaben“ überweist.
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Kommission die Gemeinschaftsrechtskonformität der von den Mitgliedstaaten während eines Ausgabenjahres getätigten Garantieausgaben überprüft. Die Kommission unterliegt bei der Beurteilung der Finanzierungsfähigkeit von Ausgaben einer strikten, absoluten Rechtsbindung, die keine Ausnahmen zulässt. Fehlerbehaftete Ausgaben sind von den Mitgliedstaaten selbst zu tragen259. Dies leuchtet bei missbräuchlicher Inanspruchnahme von Gemeinschaftsmitteln jedenfalls unmittelbar ein. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH dürfen aber auch solche Zahlungen vom EAGFL nicht übernommen werden, die auf einer unverschuldeten objektiv fehlerhaften Anwendung des Gemeinschaftsrechtes beruhen. Gleiches gilt auch dann, wenn die nationalen Behörden gutgläubig gehandelt haben. Allerdings besteht die Möglichkeit, im Zweifelsfalle (zB bei der Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe) eine Auskunft der Kommission einzuholen, die sich zwar (wegen des Auslegungsmonopols des EuGH) nachträglich als unrichtig herausstellen kann, deren Befolgung durch den betreffenden Mitgliedstaat diesem jedoch nicht mehr als Fehler angelastet werden kann260. Die Mitgliedstaaten haben der Kommission die zur Prüfung erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Der Kommission kommen in diesem Zusammenhang weit reichende Befugnisse zu. Sie kann durch ihre eigenen Kontrollorgane Kontrollen vor Ort vornehmen, die entsprechenden Bücher und Unterlagen einsehen und im Zusammenwirken mit den nationalen Stellen Probeentnahmen veranlassen. Die Entscheidung darüber, ob die in Ausführung der gemeinschaftlichen Agrarpolitik getätigten Ausgaben gemeinschaftsrechtskonform ergangen sind, zählt (wohl auch wegen seiner weit reichenden finanziellen Folgen für die Mitgliedstaaten) zu den wirksamsten Instrumenten der Rechtsdurchsetzung im Gemeinschaftsrecht. Dementsprechend wird bereits über die Möglichkeit einer Ausweitung des Systems des Rechnungsabschlusses in der Landwirtschaft auf andere Sektoren diskutiert.
C. Instrumente der Gemeinsamen Marktorganisation261 1. Interne Regelungen a) Das gemeinsame Preissystem Das gemeinsame Preissystem stellte über lange Zeit die zentrale Einrichtung der Gemeinsamen Marktordnungen dar262. Sein Zweck ist die Sicherung von Preisen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, die den Bauern eine „angemessene Lebenshaltung“ gemäß Art 33 Abs 1 lit b EGV ermöglichen sollen. In seiner ursprünglichen, klassischen Form bestand das gemeinsame Preissystem regelmäßig aus dem Richtpreis263 und dem Interventionspreis, die 259 260
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Vgl Lindinger (FN 241), 307 ff. EuGH Rs C-334/87, Griechenland/Kommission, Slg 1990, I-2849; Rs C-56/91, Griechenland/Kommission, Slg 1993, I-3455. - Grundlegend dazu Mögele, Die Behandlung fehlerhafter Ausgaben im Finanzierungssystem der gemeinsamen Agrarpolitik (1997) 140 ff. Dazu näher Arnold/Walzel v. Wiesentreu (FN 7), 27 ff. So Oppermann (FN 108), Rz 1378. Nicht ganz so deutlich hingegen Priebe/Mögele (FN 115), Rz 74. Dieser Preis wird auch als Orientierungspreis, Grundpreis oder Zielpreis bezeichnet.
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gemeinsam eine Preishierarchie bilden. Bei dem vom Rat jährlich (für ein Erzeugnis) festgelegten Richtpreis handelt es sich nicht um einen tatsächlichen, bindenden, sondern vielmehr um einen fiktiven, möglicherweise zu erzielenden Preis. Er entspricht der Vorstellung des Rates von dem, was dieser - im Sinne der Sicherung eines angemessenen Einkommens der Landwirte - als angemessenes Preisniveau des betreffenden Erzeugnisses betrachtet264. Insofern stellt der Richtpreis also eher ein Preisziel (Planziel) denn einen den Landwirten garantierten Preis dar265. Durch die Festlegung des Richtpreises sollte einerseits den Produzenten die Planung für das kommende Wirtschaftsjahr erleichtert werden, andererseits diente er den übrigen Marktbeteiligten als wirtschaftliche Orientierungshilfe266. Zugleich mit dem Richtpreis wurde vom Rat der Interventionspreis bestimmt, der unter dem Richtpreis liegt und die Auslösungsschwelle für Interventionen, das heißt für Ankäufe des betroffenen Erzeugnisses durch staatliche Interventionsstellen, bildet267. Im Zuge der Reformen der Agrarpolitik wurde der Richtpreis aus fast allen Gemeinsamen Marktordnungen eliminiert268. So besteht die Preisbestimmung heute - soweit sie überhaupt noch erhalten geblieben ist - im Wesentlichen nur mehr in der Festlegung des Interventionspreises269. Eine Abschöpfung des Differenzbetrages, der zwischen dem Schwellenpreis, das ist der Weltmarktpreis abzüglich der Transportkosten, und dem Richtpreis besteht, findet seit dem Abschluss der Uruguay-Runde bei Einfuhren nicht mehr statt. Statt dessen werden die auf Welthandelsebene ausgehandelten festen Zollsätze erhoben270. Damit ist der Richtpreis auch in seiner Funktion als Schwellenpreis verschwunden. 264
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Mit dem Richtpreis wird ein Preisniveau vorgegeben, dessen Zweck darin besteht, die in Art 33 Abs 1 EGV vorgegebenen Ziele zu erreichen. - Vgl Thiele (FN 216), 138. Dazu etwa Hix (FN 107), Art 34, Rz 5; Priebe/Mögele (FN 115), Rz 75. Vgl Thiele (FN 216), 138; derselbe (FN 138), Art 34, Rz 16. Fiel der Marktpreis auf ein bestimmtes unterhalb des Richtpreises gelegenes Niveau ab, so hatten etwa die Produzenten von Olivenöl, Zucker, Milcherzeugnissen oder Getreide die Möglichkeit, ihre Produkte den Interventionsstellen anzubieten, die zum Ankauf derselben zum Interventionspreis verpflichtet waren (obligatorische Intervention). Bei den übrigen Erzeugnissen stellte der Interventionspreis den Auslöser für fakultative Interventionen dar. Ankauf und Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte erfolgt regelmäßig durch Kaufverträge, deren Inhalt nach den Vorschriften des nationalen Kaufrechtes gestaltet ist. - Näheres dazu bei van Rijn (FN 205), Art 34 EG, Rz 17 ff. Eine Ausnahme bildet die VO über die gemeinsame Marktorganisation für Fette, 136/66/EWG, Abl Nr L 172/3025, die für bestimmte Ölsaaten (zB Raps) nach wie vor nicht nur einen Interventionspreis, sondern auch einen Richtpreis vorsieht (Art 21 ff). Vgl zB Art 4 VO über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide, 1784/03/EG, Abl Nr L 270/78; Art 3 VO über die gemeinsame Marktorganisation für Reis, 1785/03/EG, Abl Nr L 270/96; Art 4 VO über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse, 1255/99/EG, Abl Nr L 160/48. Aus der Milchmarktordnung wurde der Richtpreis allerdings erst 2003 mit VO 1787/03/EG, Abl Nr L 270/121, eliminiert. Bei diesen Einfuhrabschöpfungen handelte es sich um eine Art „beweglicher Zoll“, dessen Zweck darin bestand, den Außenschutz gegenüber Drittländern zu gewähr-
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Das gemeinsame Preissystem und die damit verbundenen Interventionen haben mit den seit 1992 durchgeführten Reformen ihren ursprünglichen Stellenwert wesentlich verloren. In mehreren Marktordnungen wurde diese Einrichtung zur Gänze beseitigt271. In anderen ist sie nur mehr Teil eines Systems, das die Einkommenssicherung nicht mehr primär über Preisstützung, sondern über mehr Wettbewerb und über Direktzahlungen gewährleisten will. b) Interventionsregelungen aa) Allgemeines Bei der „Intervention“ im Sinne der Gemeinsamen Agrarpolitik handelt es sich um einen Oberbegriff, mit dem je nach Marktorganisation unterschiedliche Formen von Eingriffen in die Marktabläufe auf dem Binnenmarkt bezeichnet werden. Ziel dieser Eingriffe ist es, ein bestimmtes Marktpreisniveau zu erreichen. Grundsätzlich bedeutet „Intervention“ den Ankauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse durch staatliche Stellen zum Interventionspreis (Intervention in engerem Sinne). Mit dem Begriff „Intervention“ werden aber auch andere Maßnahmen umschrieben, deren Zweck darin besteht, den Markt zu entlasten und die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik zu verwirklichen (Intervention in weiterem Sinne). Dabei wird der weite Interventionsbegriff - jedenfalls von der Literatur - zunehmend auch für strukturpolitische Maßnahmen verwendet. Der österreichische Gesetzgeber definiert Intervention in § 98 Marktordnungsgesetz 1985 als „Übernahme, Abgabe oder Verwertung von Marktordnungswaren durch Interventionsstellen“, vertritt sohin das engere Begriffsverständnis. bb) Intervention in engerem Sinne Für die Intervention in engerem Sinne ausschlaggebend ist das Erreichen des Interventionspreises, da erst dadurch die Interventionsmaßnahmen ausgelöst werden. Im Falle der obligatorischen Intervention hat der einzelne Erzeuger einen Rechtsanspruch darauf, dass die Interventionsstelle die von ihm hergestellten Erzeugnisse, die zumindest Standardqualität aufweisen, zum Interventionspreis kauft272. Die Intervention ist häufig auf bestimmte Verarbeitungserzeugnisse oder bestimmte Mindestanliefermengen beschränkt, weshalb der Verkauf an die Interventionsstelle in aller Regel auf Großhandelsstufe erfolgt273. Teilweise besteht die Möglichkeit, Höchstmengen festzusetzen, bei deren Erreichen auch die obligatorische Intervention ausgesetzt werden kann. Dadurch soll verhin-
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leisten und dadurch die Gemeinschaftspräferenz zu sichern. Je nach Erzeugnis traten die Abschöpfungen an die Stelle der Zölle oder ergänzten sie. Ausfuhrabschöpfungen als Instrument der Sicherstellung der Binnenmarktversorgung sind hingegen auch nach der Uruguay-Runde noch zulässig. - Zur internationalen Kritik an den variablen Abschöpfungen vgl nur Hilpold (FN 165), 19 ff (insb 39), 154 ff (insb 155). So etwa in den gemeinsamen Marktorganisationen für Rindfleisch (1254/99/EG, Abl Nr L 160/21) und für Schaf- und Ziegenfleisch (2529/01/EG, Abl Nr L 341/3). Die Interventionsbestände werden in weiterer Folge regelmäßig im Wege von Sonderaktionen (zB Weihnachtsbutter) bzw Sonderverkäufen an die Verbraucher abgegeben, wobei der Verkaufspreis deutlich unterhalb der Interventionspreise liegt. Vgl van Rijn (FN 205), Art 34 EG, Rz 20.
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dert werden, dass die Landwirte zu stark über die Bedürfnisse des Marktes hinaus produzieren274. Die Aussetzung selbst ist häufig dahingehend beschränkt, dass bei Absinken des Preisniveaus auf dem freien Markt die obligatorische Intervention trotz Überschreitung der Höchstmenge wieder aufzunehmen ist. Beschlossen werden solche Maßnahmen regelmäßig durch die Kommission275. Bei fakultativen Interventionen handelt es sich um Maßnahmen, die ergriffen werden können, wenn es für erforderlich angesehen wird. Es besteht jedoch keine Pflicht der Gemeinschaftsorgane, diese Maßnahmen zu ergreifen. Die Zuständigkeit für solche Maßnahmen liegt regelmäßig bei der Kommission276. Der Ankauf von Agrarprodukten im Interventionswege stellte ursprünglich das wichtigste Instrument der Agrarmarktpolitik dar. Mit dem Absenken der Interventionspreise und der Verschärfung der Interventionsbedingungen ist seine Bedeutung indessen gravierend gesunken. Die Intervention in engerem Sinne verliert mehr und mehr den Charakter als eigenständiger Absatzweg für Agrarprodukte und gewinnt damit ihre Funktion als Notmechanismus („Sicherheitsnetz“) zurück. cc) Intervention in weiterem Sinne Neben dem Ankauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse durch Interventionsstellen sehen die Gemeinsamen Marktordnungen häufig noch weitere Maßnahmen vor, die der Stabilisierung des Preisniveaus für das jeweilige Produkt dienen sollen. Hierher gehören insbesondere Beihilfen, wie sie in den Gemeinsamen Marktordnungen vor allem ergänzend als Maßnahmen zur Marktentlastung und Preisstabilisierung in vielfältiger Weise vorgesehen sind. Beispiele hierfür liefern Beihilfen für die Rücknahme von Produkten (zB Obst und Gemüse) durch Erzeugerorganisationen277 sowie Verarbeitungsbeihilfen (zB Destillation von Tafelwein durch Brennereien278), Umstellungs- und Qualitätsbeihilfen (zB Umstellung auf andere Kulturen279) und Verbraucherbeihilfen (zB Schulmilch,
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Ursprünglich war die Ankaufsverpflichtung für Getreide, Reis, Butter, Magermilchpulver, Rindfleisch, Olivenöl, Ölsaaten und Rohtabak zeitlich und mengenmäßig unbeschränkt. Zudem war auch nicht erforderlich, dass der Marktpreis unter eine bestimmte Grenze fiel. Die Interventionsstelle war stets verpflichtet, die gesamte angebotene Menge zum Interventionspreis zu übernehmen. Zufolge der daraus resultierenden enormen Überschussproduktion wurde dieses System zwischenzeitlich längst beseitigt. - Vgl Dintelmann/Boest, Stichwort „Intervention“, in von Borries (Hrsg), Europarecht von A-Z2 (1993) 347 (347 f). Vgl Thiele (FN 138), Art 34 Rz 22. Vgl Thiele (FN 138), Art 34, Rz 22. Art 23 ff VO über die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse, 2200/96/EG, Abl Nr L 297/1. Art 29 VO über die gemeinsame Marktorganisation für Wein, 1493/99/EG, Abl Nr L 179/1. ZB Art 13 Abs 2 lit b VO über die gemeinsame Marktorganisation für Rohtabak, 2075/92/EWG, Abl Nr L 215/70.
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Sozialbutter280). Besonders bedeutsam sind Beihilfen für die private Lagerhaltung bestimmter Agrarerzeugnisse281. Die so eingelagerten Produkte können sich in qualitativer Hinsicht durchaus von jenen Erzeugnissen unterscheiden, die an die Interventionsstelle verkauft werden. Damit ist es den Produzenten möglich, ihre Erzeugnisse entsprechend den individuellen Erfordernissen zu einem von ihnen frei gewählten Zeitpunkt auf den Markt zu bringen. c) Qualitäts- und Vermarktungsregeln Qualitätsvorschriften betreffen Erzeugung und Vermarktung. Als Vermarktungsregeln machen sie unter anderem die Zulässigkeit eines Produktes am Markt von der Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards abhängig282 oder enthalten Pflichten zur Qualitätskennzeichnung283. Regeln zur Produktkennzeichnung können auch andere wichtige Eigenschaften betreffen, so etwa die regionale Herkunft eines Erzeugnisses284 oder seine Herkunft aus dem ökologischen Landbau285. Qualitätsvorschriften bilden auch flankierende Maßnahmen im Zusammenhang mit der Gewährung von finanziellen Stützungen. Diese werden nämlich regelmäßig nur gewährt, wenn der Empfänger bei seinen Erzeugnissen bestimmte Qualitätsstandards erfüllt. Die agrarspezifischen Zwecke solcher Bestimmungen liegen in der Wettbewerbsförderung durch Förderung hochwertiger Qualität und in der Förderung umweltschonender Erzeugung. Vermarktungsregeln dienen naturgemäß auch dem lauteren Wettbewerb und dem Konsumentenschutz. d) Maßnahmen gegen Überschusserzeugung Maßnahmen gegen die - nicht zuletzt durch die Marktordnungen selbst provozierte - Überschusserzeugung ergriff die Gemeinschaft im Wesentlichen ab den siebziger Jahren. Die hierfür in den Gemeinsamen Marktordnungen entwickelten Instrumente reichen von der bereits angesprochenen Einschränkung der Intervention (Absenken der Interventionspreise, Einschränkung der Ab280 281
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Art 13 f VO über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse, 1255/99/EG, Abl Nr L 160/48. Vgl etwa Art 3 VO über die gemeinsame Marktorganisation für Schweinefleisch, 2759/75/EWG, Abl Nr L 282/1, der außer Aufkäufen durch Interventionsstellen auch Beihilfen für die private Lagerhaltung vorsieht; weiters Art 6 Abs 3 sowie Art 8 und 9 VO über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse, 1255/99/EG, Abl Nr L 160/48 (Beihilfen für die private Lagerhaltung von Rahm, Butter und Käse). ZB Art 2 VO über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen, 404/93/EWG, Abl Nr L 47/1, wonach für Bananen Qualitätsnormen festgelegt werden und am Gemeinschaftsmarkt grundsätzlich nur solche Bananen vermarktet werden dürfen, die den festgelegten Normen entsprechen. ZB Art 2 Abs 2 VO über die gemeinsame Marktorganisation für Eier, 2771/75/EWG, Abl Nr L 282/49, wonach für Eier Güteklassen festgelegt werden können. Die bezügliche Güteklasse ist bei der Vermarktung der Eier durch Produktkennzeichnung ersichtlich zu machen. S insb die Vorschriften betreffend die Herkunft von Weinen gemäß Art 51 ff VO über die gemeinsame Marktorganisation für Wein, 1493/99/EG, Abl Nr L 179/1. S die Vorschriften über die Etikettierung gemäß Art 5 VO über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel, 2092/91/EWG, Abl Nr L 198/1.
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nahmegarantie etc), Quotensystemen286, Prämien für die Umstellung oder Auflassung von Produktionen287 bis hin zu Verboten von Neuanpflanzungen288. Trotz ihrer Vielfalt konnten die Maßnahmen das Problem der Überschüsse nur abschwächen, letztlich aber nicht lösen. e) Einkommensbeihilfen (Direktzahlungen) aa) Vorbemerkung Seit der Reform 1992289 zeigt sich zunehmend das Bestreben, die interne Stützung der Landwirtschaft durch das Preis- und Interventionssystem abzubauen und durch Einkommensbeihilfen an die Landwirte (Direktzahlungen)290 zu ersetzen. Dabei handelt es sich zunehmend um Beihilfen, die nicht produktions-, sondern flächenabhängig sind. Das angemessene Einkommen der Landwirte soll bei diesem System durch eine Kombination von Marktpreis und direkter Einkommensbeihilfe gesichert werden. In diesem Zusammenhang wurde die Stützung der Marktpreise schrittweise reduziert oder überhaupt beseitigt. Im Gegensatz zur Marktpreisstützung mit Abnahmegarantie verleiten Direktbeihilfen, die nicht produktionsabhängig sind, nicht zur Erzeugung von Produktmengen, die am regulären Markt nicht abzusetzen sind. Insoweit unterstützen diese auch die Bekämpfung der Überschussproduktion und kommen volkswirtschaftlich gesehen letztlich billiger als die Einkommenssicherung im Wege des Preis- und Interventionssystems. Das System der direkten Einkommensbeihilfe wurde auf der Basis der „Agenda 2000“291 weiterentwickelt, vereinfacht und präzisiert. Die Akzeptanz im internationalen Rechtssystem fand die Neuausrichtung in der Agrarpolitik der Gemeinschaft insbesondere in den Ergebnissen der Uruguay-Runde. 286
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Die vorgesehenen Höchstquoten der Erzeugung werden nicht über direkte Gebote, sondern über wirtschaftliche Nachteile abgesichert, welche die Erzeuger treffen, die die festgelegten Quoten überschreiten: Beschränkung der Preisgarantie auf bestimmte Mengen, Kürzung von Beihilfen, Einhebung von Mitverantwortungsabgaben etc. Ein besonders treffendes Beispiel für eine solche Einrichtung liefert die Milchquotenregelung. Gemäß VO über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor, 1788/03/EG, Abl Nr L 270/123, wird für Milch, die ein Erzeuger über die ihm zustehende Referenzmenge produziert, eine Abgabe eingehoben. Die Milchquotenregelung wurde bereits 1984 eingeführt und seitdem mehrmals verändert. - Näher dazu Anhammer ua (FN 83), 114 ff. ZB Prämie für die endgültige Aufgabe des Weinbaues auf einer bestimmten Rebfläche gemäß Art 8 VO über die gemeinsame Marktorganisation für Wein, 1493/99/EG, Abl Nr L 179/1. ZB Art 2 VO über die gemeinsame Marktorganisation für Wein, 1493/99/EG, Abl Nr L 179/1, der ein (relatives) Verbot der Neuanpflanzung von Rebflächen mit Keltertraubensorten vorsieht. „MacSharry-Plan“. Die derzeit bestehenden Direktzahlungen sind in der Liste, Anhang 1 VO mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, 1782/03/EG, Abl Nr L 270/1, aufgezählt. Die VO enthält in Titel IV (Art 72 ff) auch spezifische Regelungen für einzelne Beihilfen. Diese waren früher zT in den jeweiligen Marktordnungen enthalten. - Zu den Direktzahlungen ua Leidwein (FN 83), 126 ff. Abl 1998, C 170.
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bb) Einheitliche Betriebsprämie Zur noch besseren Abkoppelung der Direktzahlungen von der Produktion wurde im Rahmen der GAP-Reform 2003 die „einheitliche Betriebsprämie“292 eingeführt. Diese löst ab 1.1.2005 bisherige einzelne Beihilfen ab und orientiert sich weder an der erzeugten Menge noch an der bebauten Fläche. Die Verordnung enthält auch Bestimmungen, die Direktzahlungen allgemein von der Erfüllung von Grundanforderungen für die Betriebsführung und die Erhaltung der landwirtschaftlichen Flächen abhängig machen. Anspruchsberechtigt sind die Betriebsinhaber293, denen im Bezugszeitraum 2000 bis 2002 eine Zahlung im Rahmen bestimmter Direktzahlungen gemäß Anhang VI gewährt wurde, die den Betrieb294 oder einen Teil des Betriebes durch Vererbung oder durch vorweggenommene Erbfolge von einem Betriebsinhaber erhalten oder die einen Zahlungsanspruch aus der nationalen Reserve bzw durch Übertragung erhalten haben. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht der Anspruch auch bei Änderungen des Rechtsstatus oder der Bezeichnung des Betriebsinhabers, bei Betriebszusammenschlüssen und bei Betriebsteilungen295. In der Praxis steht die einheitliche Betriebsprämie regelmäßig dem Bewirtschafter als Empfänger der Direktzahlungen im festgelegten Bezugszeitraum zu296. Der Beihilfeanspruch wird an Hand jener Beträge ermittelt297, die der Betriebsinhaber im Bezugszeitraum 2000 bis 2002 erhalten hat, wobei der Referenzbetrag dem Dreijahresdurchschnitt der Gesamtbeträge der Zahlungen entspricht298. Der Gesamtanspruch eines Betriebes (Referenzbetrag) wird wiederum in mehrere Teile (Zahlungsansprüche) aufgeteilt. Dabei wird jeder Zahlungsanspruch an einen Hektar beihilfefähiger Fläche gebunden (flächenbezogene Zahlungsansprüche)299. Die Gesamtzahl der Zahlungsansprüche entspricht der durchschnittlichen Hektarzahl der Referenzfläche. In besonderen 292
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Titel III (Art 33 ff) VO 1782/03/EG, Abl Nr L 270/1. - In der „einheitlichen Betriebsprämie“ wurden als erste Phase alle Erzeugnisse aus der bisherigen Stützungsregelung für landwirtschaftliche Kulturpflanzen sowie Körnerleguminosen, Saatgut, Rind- und Schaffleisch erfasst. Die Höhe der Prämie wird auf der Grundlage eines historischen Referenzbetrages (Zahlungen im Bezugszeitraum 2000 - 2002) errechnet. Unter „Betriebsinhaber“ ist gemäß Art 2 lit a VO 1782/2003 „eine natürliche oder juristische Person oder eine Vereinigung natürlicher oder juristischer Personen, unabhängig davon, welchen rechtlichen Status die Vereinigung und ihre Mitglieder aufgrund nationalen Rechts haben, deren Betrieb sich im Gebiet der Gemeinschaft im Sinne des Art 299 des Vertrages befindet und die eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausübt“ zu verstehen. Unter „Betrieb“ ist gemäß Art 2 lit b VO 1782/2003 „die Gesamtheit der vom Betriebsinhaber verwalteten Produktionseinheiten, die sich im Gebiet eines Mitgliedstaates befinden“ zu verstehen. Vgl Art 33 VO 1782/2003. Anhammer ua (FN 83), 80. Die Berechnung der Betriebsprämie erfolgt in Österreich gemäß § 2 Abs 1 Betriebsprämie-Verordnung, BGBl II 2004/336, durch die AMA. Vgl auch Anhang VII VO 1782/2003, in dem detaillierte Regelungen über die konkrete Art der Berechnung des Referenzbetrages enthalten sind. Vgl Art 43 ff VO 1782/2003.
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Härtefällen (zB Tierseuchen, Hochwasser) kann die Berechnung allerdings auch abweichend von diesen Prinzipien erfolgen300. Um zu verhindern, dass die geltenden Budgetgrenzen der Gemeinschaft sowie der Mitgliedstaaten nicht überschritten werden, ist vorgesehen, dass die Summe der Referenzbeträge eine bestimmte einzelstaatliche Obergrenze, die vorab festgelegt wurde301, nicht überschreiten dürfen302. Im Falle der Überschreitung der Obergrenze sind proportionale Kürzungen vorgesehen. Um besonderen Umständen ausreichend begegnen zu können, ist zudem eine nationale Reserve zu bilden303. Diese können die Mitgliedstaaten nach objektiven Kriterien unter Gewährleistung der Gleichbehandlung der Betriebsinhaber und unter Vermeidung von Markt- und Wettbewerbsverzerrungen zur Gewährung von Referenzbeträgen an Betriebsinhaber, die nach dem 31.12.2002 - oder im Jahr 2002, ohne jedoch Direktzahlungen erhalten zu haben - eine landwirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen haben, die sich in einer besonderen Lage befinden oder die in Umstrukturierungs- und/oder Entwicklungsprogramme im Zusammenhang mit bestimmten öffentlichen Maßnahmen eingebunden sind, um die Aufgabe von Flächen zu vermeiden und/oder spezielle Nachteile für Betriebsinhaber in diesen Gebieten auszugleichen, verwendet werden. Außer im Falle der Übertragung durch Vererbung oder vorweggenommene Erbfolge dürfen die anhand der nationalen Reserve festgelegten Ansprüche für einen Zeitraum von fünf Jahren beginnend mit ihrer Zuweisung nicht übertragen werden304. Jeder Zahlungsanspruch gibt zusammen mit je einem Hektar beihilfefähiger Fläche Anspruch auf Zahlung des mit dem Zahlungsanspruch festgesetzten Betrages. Als beihilfefähige Fläche ist dabei jede landwirtschaftliche Fläche des Betriebes anzusehen, die als Ackerland oder Dauergrünland genutzt wird, ausgenommen die für Dauerkulturen, Wälder oder nicht landwirtschaftliche Tätigkeiten genutzten Flächen305. Die Produktion bestimmter Agrarerzeugnisse stellt danach keine Voraussetzung für den Anspruch auf Erhalt der einheitlichen Betriebsprämie dar306. Alle Zahlungsansprüche, die während drei aufeinander folgenden Kalenderjahren nicht genutzt wurden, werden der nationalen Reserve zugeschlagen307. Zahlungsansprüche dürfen - ausgenommen bei Übertragung durch Vererbung oder vorweggenommene Erbfolge308 - nur an andere Betriebsinhaber innerhalb desselben Mitgliedstaates übertragen werden309. 300 301
302 303 304 305 306 307 308 309
Art 40 VO 1782/2003. Vgl Anhang VIII VO 1782/2003. - Danach betragen etwa die für Österreich festgelegten Obergrenzen in den Jahren 2005 und 2006 jeweils 613 Mio Euro, für das Jahr 2007 und die nachfolgenden Jahre 711 Mio Euro. Art 41 VO 1782/2003. Art 42 VO 1782/2003. Art 42 Abs 3 - 5 VO 1782/2003. Art 44 Abs 1 und 2 VO 1782/2003. Anhammer ua (FN 83), 84. Art 45 Abs 1 VO 1782/2003. Diesfalls dürfen die Zahlungsansprüche allerdings nur in dem Mitgliedstaat genutzt werden, in dem sie entstanden sind. Art 46 Abs 1 VO 1782/2003.
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Beihilfen, die nicht direkt an eine Fläche gebunden waren, wie etwa die Saisonentzerrungsprämie310, die Schlachtprämie311, die Sonderprämie für männliche Rinder und die Mutterkuhprämie für Kleinerzeuger oder die Beihilfen im Rahmen der Beihilferegelung für Schafe und Ziegen312, begründen einen Zahlungsanspruch, der besonderen Bedingungen unterliegt313. Dieser entspricht dem Referenzbetrag, der sich aus den dem Betriebsinhaber im dreijährigen Durchschnittszeitraum gewährten Direktzahlungen errechnet. Ergibt der Zahlungsanspruch pro Hektar einen Betrag von über 5.000 Euro, so hat der Betriebsinhaber entsprechend ein Recht auf Zahlungsansprüche für jeden Betrag von 5.000 Euro oder jeden Bruchteil des Referenzbetrages, der den Direktzahlungen, die ihm in dem dreijährigen Durchschnittszeitraum gewährt wurden, entspricht314. Allerdings muss die Tierhaltung zumindest zu 50 % gegenüber dem Bezugszeitraum aufrecht erhalten bleiben. Die Mitgliedstaaten können den Betrag der Obergrenze der Referenzbeträge nach Art 41 iVm Anhang VIII VO 1782/2003 ganz oder teilweise auf alle Betriebsinhaber einer Region aufteilen. Dazu sind von den Mitgliedstaaten nach objektiven Kriterien Regionen festzulegen. Mitgliedstaaten mit einer beihilfefähigen Fläche von weniger als drei Millionen Hektar können als eine einzige Region angesehen werden315. Um ein besseres Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Maßnahmen zur Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft und denen zur Förderung der ländlichen Entwicklung herzustellen, wird von 2005 bis 2012 ein gemeinschaftsweit verbindliches System zur progressiven Reduzierung der Direktbeihilfen eingeführt. Danach werden alle Direktzahlungen, die einen bestimmten Betrag überschreiten, jährlich um bestimmte Prozentsätze, nämlich 3 % (2005), 4 % (2006) und 5 % (2007 bis 2012), gekürzt (sog „Modulation“)316. Die Einsparungen werden für die Finanzierung von Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raumes verwendet und nach objektiven Kriterien auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt. Betriebsinhaber, die Direktzahlungen im Rahmen der VO 1782/2003 beziehen, erhalten nach Maßgabe des Art 12 VO 1782/2003 einen zusätzlichen Beihilfebetrag. Für die ersten Direktzahlungen von 5.000 Euro oder weniger entspricht der zusätzliche Beihilfebetrag dem Ergebnis der Anwendung des Kürzungssatzes nach Art 10 VO 1782/2003 für das betreffende Kalenderjahr317. Der Gesamtbetrag der in einem Mitgliedstaat gewährten zusätzlichen Beihilfebeträge darf die in Anhang II VO 1782/2003 festgesetzten nationalen 310 311 312 313 314 315 316
317
Vgl Art 5 VO 1254/1999. Vgl Art 11 VO 1254/1999. Vgl Art 5 VO 2467/98; Art 1 VO 1323/90; Art 4, Art 5 und Art 11 Abs 1 und Abs 2 erster, zweiter und vierter Gedankenstrich VO 2529/2001. Vgl Art 47 ff VO 1782/2003. Art 48 VO 1782/2003. Art 58 Abs 2 VO 1782/2003. Vgl Art 10 VO 1782/2003. - Österreich beabsichtigt, die Modulationsmittel schwerpunktmäßig in landwirtschaftliche Betriebe zu investieren, um diese professioneller und damit zugleich wettbewerbsfähiger zu machen. Damit kommt im Ergebnis für die ersten Direktzahlungen von 5000 Euro die Modulation nicht zum Tragen.
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Obergrenzen pro Kalenderjahr nicht übersteigen. Erforderlichenfalls wird der zusätzliche Beihilfebetrag von den Mitgliedstaaten um einen linearen Prozentsatz angepasst, um die in Anhang II festgesetzten Obergrenzen einzuhalten. Auf den zusätzlichen Beihilfebetrag werden keine Kürzungen im Sinne der Modulationsregelung angewandt. Ab dem Haushaltsplan 2007 überprüft die Kommission nach dem in Art 144 Abs 2 VO 1782/2003 genannten Verfahren318 die in Anhang II festgesetzten Obergrenzen, um dem strukturellen Wandel der Betriebe Rechnung zu tragen. Weiters verpflichtet die VO 1782/2003 die Mitgliedstaaten zur Einrichtung eines Systems zur Beratung der Betriebsinhaber in Fragen der Bodenbewirtschaftung und Betriebsführung („landwirtschaftliche Betriebsberatung“) bis längstens 1. Januar 2007319. Die Beratungstätigkeit umfasst mindestens die Grundanforderungen an die Betriebsführung und die Erhaltung in gutem landwirtschaftlichem und ökologischem Zustand320. Die Teilnahme an der landwirtschaftlichen Betriebsberatung ist für die Betriebsinhaber freiwillig321. Die Mitgliedstaaten geben denjenigen Betriebsinhabern Vorrang, die Direktzahlungen von über 15.000 Euro pro Jahr beziehen322. In Durchführung der VO (EG) 1782/2003, Abl Nr L 270/1, der VO (EG) 795/2004, Abl Nr L 141/1, und der VO (EG) 796/2004, Abl Nr L 141/18, hat der auf nationaler Ebene zuständige Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft die Betriebsprämie-Verordnung, BGBl II Nr 336/2004, die INVEKOS-Umsetzungs-Verordnung 2005, BGBl II Nr 474/2004, sowie die GAP-Beihilfen-Verordnung, BGBl II Nr 482/2004, erlassen. cc) Weitere Beihilferegelungen Für die beihilfefähige Hektarfläche gemäß Art 44 Abs 2 VO 1782/2003, für die ein Antrag auf Zahlung der einheitlichen Betriebsprämie gestellt wurde, kann vorbehaltlich anderweitiger Regelungen - ein Antrag auf alle anderen Direktzahlungen sowie alle anderen nicht unter die VO 1782/2003 fallenden Beihilfen gestellt werden323. Unter Titel IV sieht die VO 1782/2003 für einzelne Erzeugnisse andere Beihilferegelungen vor, wie etwa eine spezifische Qualitätsprämie für Hartweizen324, eine Prämie für Eiweißpflanzen325, eine kulturspezifische Zahlung 318
319 320 321
322 323 324 325
Gemäß Art 144 Abs 2 VO 1782/2003, gelten diesfalls die Art 4 und 7 des Beschlusses des Rates vom 28 Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (1999/468/EG), Abl Nr L 184/23, wobei der Zeitpunkt nach Art 4 Abs 3 des Beschlusses 1999/468/EG auf einen Monat festgesetzt wird. Art 13 Abs 1 VO 1782/2003. Art 13 Abs 2 VO 1782/2003. Art 14 Abs 1 VO 1782/2003. - Die Kommission unterbreitet spätestens zum 31. Dezember 2010 einen Bericht über die Anwendung der landwirtschaftlichen Betriebsberatung und erforderlichenfalls geeignete Vorschläge zur Überführung des Systems in eine verbindliche Regelung (Art 16 VO 1782/2003). Art 14 Abs 2 VO 1782/2003. Art 35 VO 1782/2003. Art 72 ff VO 1782/2003. Art 76 ff VO 1782/2003.
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für Reis326, eine Flächenzahlung für Schalenfrüchte327, eine Beihilfe für Energiepflanzen328, eine Beihilfe für Stärkekartoffeln329 oder eine Milchprämie und Ergänzungszahlungen bis 2007330. Sämtliche dieser Beihilfen werden jährlich auf Antrag hin gewährt, wobei bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen ein im Verwaltungsweg durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Gewährung der Beihilfen besteht331. Je nachdem, ob sich der jeweilige Mitgliedstaat für die Beibehaltung einer Koppelung an die Produktion in bestimmtem Ausmaß332, die Nichteinbeziehung in die Betriebsprämienregelung333 oder die spätere Anwendung der Betriebsprämienregelung334 entschieden hat, sind in der VO 1782/2003 weitere Beihilferegelungen vorgesehen. Diese betreffen spezifische Regionalbeihilfen für landwirtschaftliche Kulturpflanzen335, Beihilfen für Saatgut336, Flächenzahlungen für landwirtschaftliche Kulturpflanzen337, kulturspezifische Zahlungen für Baumwolle338, Beihilfen für Olivenhaine339, Tabakbeihilfen340, Flächenbeihilfen für Hopfen341, Prämien für Schafe und Ziegen342, Zahlungen für Rindfleisch343 und Beihilfen für Körnerleguminosen344. Titel IVa345 enthält Vorschriften betreffend die Durchführung von Stützungsregelungen in den neuen Mitgliedstaaten. Die Durchführungsvorschriften zu der VO 1782/2003 hinsichtlich der Stützungsregelungen nach Titel IV und IVa der Verordnung und der Verwendung von Stilllegungsflächen für die Erzeugung von Rohstoffen sind in der VO (EG) 1973/2004 der Kommission vom 29. Oktober 2004346 enthalten. Diese Verordnung, die seit 1.1.2005 gilt, ersetzt die bis dahin zu Titel IV und IVa der VO 1782/2003 ergangenen Durchführungsbestimmungen. Auf nationaler Ebene erfolgte die Umsetzung durch die Erlassung der Stärkekartoffelbeihilfe- und Kartoffelstärkeprämien-Verordnung 2004, BGBl II Nr 174/2004 idF BGBl II Nr 106/2005, die Milch-Garantiemengen-Verordnung 326 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338 339 340 341 342 343 344 345 346
Art 79 ff VO 1782/2003. Art 83 ff VO 1782/2003. Art 88 ff VO 1782/2003. Art 93 ff VO 1782/2003. Art 95 ff VO 1782/2003. Leidwein (FN 83), 275. Vgl Art 66 VO 1782/2003. Vgl Art 70 VO 1782/2003. Vgl Art 71 VO 1782/2003. Art 98 VO 1782/2003. Art 99 VO 1782/2003. Art 100 ff VO 1782/2003. Art 110a ff VO 1782/2003. Art 110g ff VO 1782/2003. Art 110j ff VO 1782/2003. Art 110n f VO 1782/2003. Art 111 ff VO 1782/2003. Art 121 ff VO 1782/2003. Art 141 ff VO 1782/2003. Art 143a ff VO 1782/2003. Abl Nr L 345/1.
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1999, BGBl II Nr 28/1999 idF der 9. Änderung der Milch-GarantiemengenVerordnung 1999, BGBl II Nr 240/2005 sowie der GAP-Beihilfen-Verordnung 2004, BGBl II Nr 482/2004. Im Zusammenhalt mit den einschlägigen, unmittelbar anwendbaren gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundlagen347 erfolgt auf der Basis dieser Verordnungen die Gewährung von spezifischen Qualitätsprämien für Hartweizen, Prämien für Eiweißpflanzen, Flächenzahlungen für Schalenfrüchte, Beihilfen für Stärkekartoffeln, Milchprämien und Ergänzungszahlungen, Beihilfen für Energiepflanzen, Zahlungen für Rindfleisch, Flächenbeihilfen für Hopfen sowie Zahlungsansprüchen bei der Verwendung von Stillegungsflächen für die Erzeugung von Rohstoffen (NAWAROS)348.
2. Außenschutzbestimmungen a) Allgemeines Die gemeinschaftsrechtlichen Außenschutzbestimmungen sollen vor allem dem Schutz der innergemeinschaftlichen Erzeugung gegenüber günstigerer Konkurrenz aus Drittstaaten dienen. Auch wenn die einzelnen Gemeinsamen Marktordnungen die Erhebung von Abgaben gleicher Wirkung wie Zölle und die Anwendung mengenmäßiger Beschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung auch im Handel mit Drittstaaten grundsätzlich verbieten, so bestehen doch nach wie vor zahlreiche Ausnahmen von diesem Verbot349. b) Lizenzen und Kautionen Eine Lizenzpflicht findet sich vor allem im Bereich des Außenhandelsrechts. Danach kann die Einfuhr oder Ausfuhr von agrarischen Produkten an die Erteilung einer speziellen Lizenz gebunden werden350. Der Zweck solcher Lizenzen besteht unter anderem darin, die aus dem Binnenmarkt abgehenden bzw in diesen eindringenden Warenströme festzustellen, wodurch gezielte Maßnahmen zur Steuerung des Marktes im Grunde genommen erst möglich werden. Lizenzen spielen auch eine entscheidende Rolle in der Verwaltung von Zollkontingenten. So sehen beispielsweise die Bestimmungen über den Handel mit Drittstaaten in Teil IV der Bananenmarktordnung351 eine äußerst detaillierte Lizenzregelung für den Zugang zum Bananenkontingent vor352.
347 348 349
350 351 352
VO 1782/2003, Abl Nr L 270/,1 und VO 1973/2004, Abl Nr L 345/1. Näher dazu Anhammer ua (FN 83), 89 ff; Leidwein (FN 83), 148 ff. Vgl Hix (FN 107), Art 34, Rz 21. - Thiele (FN 138), Art 34, Rz 24, spricht gar davon, dass das Vorhandensein einer Vielzahl von abweichenden Bestimmungen den „Grundsatz zur Ausnahme“ werden lasse. Zur vertrauensschutzbildenden Wirkung von Lizenzen s EuGH Rs C-187/91, Belovo, Slg 1992, I-4937. VO (EWG) Nr 404/93 des Rates über die Gemeinsame Marktorganisation für Bananen, Abl 1993 Nr L 047/1. Zu den Hintergründen der Entstehung der Bananenmarktordnung sowie zur Fortsetzung des Bananenstreits zwischen deutschen Gerichten und dem EuGH ausführlich Hilpold (FN 165), 191 ff, 285 ff. - Wie Hilpold treffend konstatiert, stellt das Zustandekommen der Bananenmarktordnung zufolge der klaren Verfolgung von Partikularinteressen zu Lasten des Gemeinwohls „einen Tiefpunkt der Verhandlungskultur in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ dar (aaO, 194).
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Zur Sicherstellung der tatsächlichen Ein- oder Ausfuhr kann die Erteilung einer Lizenz von der Leistung einer entsprechenden Kaution353 abhängig gemacht werden, die verfällt354, sollte der Kautionszweck (also die Ein- oder Ausfuhr) nicht oder nicht vollständig erfüllt werden355. Nach Ansicht des EuGH handelt es sich bei solchen Kautionsregelungen um ein notwendiges und angemessenes Instrument zur Sicherstellung der erforderlichen Interventionsmaßnahmen im Bereich der Gemeinsamen Agrarmarktordnungen. Sie sind daher mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang zu bringen356. c) Importbestimmungen Mit dem Überereinkommen über die Landwirtschaft357, welches im Rahmen der Uruguay-Runde abgeschlossen worden ist, traten an die Stelle der von den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft erhobenen variablen Einfuhrabgaben (Abschöpfungen) feste Zollkontingente und Zollabgaben („Tarifizierung“), die als solche in das System des Gemeinsamen Zolltarifs der Gemeinschaft übernommen wurden358. Gemäß Art 5 des Übereinkommens über die Landwirt353
354
355 356 357 358
Vgl die VO (EWG) 2220/85 der Kommission mit gemeinsamen Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Sicherheiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Abl Nr L 205/5 idF VO (EG) 673/2004, Abl Nr L 105/17. - Die Kaution ist grundsätzlich durch Überweisung oder Bankgarantie zu leisten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Antragsteller seiner Verpflichtung innerhalb der vorgeschriebenen Frist nachkommt. Die Höhe der Kaution hängt von dem jeweiligen Erzeugnis, das ein- oder ausgeführt werden soll, bzw von der Höhe der Erstattung ab. Näheres regeln neben der eingangs genannten VO die speziellen Durchführungsverordnungen, wie etwa die VO (EG) 174/99 mit besonderen Durchführungsvorschriften zur VO (EWG) 804/68 im Hinblick auf die Ausfuhrlizenzen und die Ausfuhrerstattungen im Sektor Milch und Milcherzeugnisse, Abl Nr L 20/8; die VO (EG) 1342/2003 mit besonderen Durchführungsbestimmungen über Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen für Getreide und Reis, Abl Nr L 189/12; die VO (EG) 1445/95 mit Durchführungsvorschriften für Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen für Rindfleisch, Abl Nr L 143/35. Die Höhe des Verfallsbetrages richtet sich danach, ob im Einzelfall eine Hauptpflicht, eine Nebenpflicht oder nur eine untergeordnete Pflicht verletzt wurde. Der verfallene Betrag kann jedoch nie mehr als 100 % des Sicherheitsbetrages ausmachen. Sicherheiten verfallen grundsätzlichzu Gunsten des EAGFL. Ausgenommen sind Fälle höherer Gewalt. - Näher zum Kautionssystem Anhammer ua (FN 83), 72 ff; Puck (FN 10), Rz 670, beide mwN. EuGH Rs 11/70, Internationale Handelsges., Slg 1970, 1125. Abl 1994 Nr L 336/22. - Dazu ausführlich van Rijn (FN 205), Art 34 EG, Rz 93 ff. Vgl van Rijn (FN 205), Art 34 EG, Rz 95 ff. - Das System des Gemeinsamen Zolltarifs beruht seinerseits auf dem Internationalen Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Kodierung von Waren, das von der EG durch die VO (EWG) Nr 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, Abl 1987 Nr L 349/105, übernommen wurde. Die Umstellung der Abschöpfungsregelungen auf die Zollbestimmungen erfolgte für alle Gemeinsamen Marktorganisationen gleichzeitig durch die VO (EG) Nr 3290/94 des Rates über erforderliche Anpassungen und Übergangsmaßnahmen im Agrarsektor zur Anwendung der im Rahmen der multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde geschlossenen Übereinkünfte, Abl 1994 Nr L 349/105. Näheres zum Gemeinsamen Zolltarif bei Griller, Die Instrumente der Gemeinsamen Handelspolitik nach der Uruguay-Runde, in Rill (Hrsg), Forschung für die Wirtschaft. Die Europäisierung des österreichischen Wirtschaftsrechts (1995) 206 (218 ff).
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schaft können die GATT-Mitglieder jedoch bei Vorliegen besonderer Situationen die grundsätzlich vereinbarten Zollsätze erhöhen. Ebenso besteht die Möglichkeit, im Falle ernsthafter Störungen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. d) Ausfuhrerstattungen Durch die Gewährung von Ausfuhrerstattungen359 sollen die im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Erzeuger agrarischer Produkte in die Lage versetzt werden, ihre in aller Regel in der Herstellung teureren Produkte auf dem Weltmarkt zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten zu können. Die Ausfuhrerstattungen erfüllen damit zwei grundlegende Funktionen: Einerseits sind sie ein Instrument der Marktregulierung, da sie dazu beitragen, innergemeinschaftliche Produktionsüberschüsse abzubauen. Andererseits sichern sie die Wettbewerbsfähigkeit der Binnenmarkterzeugnisse auf dem Weltmarkt. Um zu verhindern, dass auf diesem Wege Konkurrenzerzeugnisse aus Drittstaaten unterboten werden, wurden anlässlich der Uruguay-Runde quantitative und produktbezogene Subventionsbeschränkungen vereinbart. Nicht subventionierte Exporte dürfen indessen nach wie vor unbeschränkt durchgeführt werden360. e) Sondermaßnahmen bei Versorgungsschwierigkeiten Bei eventuell auftretenden Versorgungsschwierigkeiten im Gemeinschaftsgebiet sehen einige Gemeinsame Marktordnungen die Möglichkeit vor, Sondermaßnahmen zu ergreifen. Diese können etwa in der (teilweisen oder vollständigen) Aussetzung von Einfuhrzöllen oder der Erhebung von Ausfuhrzöllen bestehen361.
3. Instrumente der Agrarstrukturpolitik Die Grenze zwischen Instrumenten der Agrarpolitik und der Agrarstrukturpolitik ist durchaus fließend. So enthalten beispielsweise auch die Gemeinsamen Marktordnungen Einrichtungen, die nicht nur der Markt-, sondern auch der Strukturpolitik zuzuordnen sind. Dies trifft insbesondere auf die darin vorgesehenen Quotensysteme, Auflassungs- und Umstellungsprämien etc zu, die eine Reduktion der Überschussproduktion bezwecken und damit durchaus strukturelle Auswirkungen auf die Landwirtschaft zeitigen. Dennoch sind die Gemeinsamen Marktordnungen im Wesentlichen Instrumente der Marktpolitik. Strukturpolitische Erwägungen spielten bei der gemeinschaftlichen Harmonisierung der nationalen Agrarmärkte ursprünglich keine Rolle, traten allerdings seit den achtziger Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts zunehmend in den Vordergrund. Mit der „Agenda 2000“ und der aus ihr hervorgegangenen „Politik des ländlichen Raumes“ haben die strukturpolitischen Maßnahmen, die der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der ländlichen Gebiete sowie dem Umwelt- und 359 360
361
Zur Systematik der Ausfuhrerstattungen eingehend Halla-Heißen, Subventionsbetrug bei Agrarexporten (2004) 87 ff. Ausführlich dazu Gilsdorf/Priebe (FN 212), Art 40, Rz 29 ff; van Rijn (FN 205), Art 34 EG, Rz 38 ff. - Ausfuhrerstattungen werden nicht rein arithmetisch ermittelt, sondern unter Berücksichtigung marktpolitischer und internationaler Verpflichtungen der Gemeinschaft festgesetzt. Vgl Thiele (FN 138), Art 34, Rz 28.
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Landschaftsschutz dienen, einen enormen Stellenwert erlangt. Im Ergebnis wurde die Strukturpolitik zu einem zweiten Pfeiler der gemeinschaftlichen Agrarpolitik aufgewertet362. Anders als die Agrarmarktpolitik ist die Agrarstrukturpolitik allerdings nicht zentral von der Gemeinschaft besetzt. Einschlägige Maßnahmen werden vielmehr im Wege gemeinsamer, kofinanzierter Programme bewerkstelligt. Die Neuausrichtung der Agrarpolitik wurde nicht zuletzt auch durch die GAP-Reform 2003363 („Fischler-Reform“364) bestätigt. Hauptelemente dieser Reform sind eine noch stärkere Politik zur Entwicklung des ländlichen Raumes, das weitere Absenken der Interventionspreise und die noch stärkere Entkoppelung der Einkommensstützung von der Produktion durch Einführung einer „einheitlichen Betriebsprämie“, die in Zukunft die meisten Beihilfen in den Marktordnungen ersetzen soll365.
D. Die Bekämpfung der Überschussproduktion Wie bereits an anderer Stelle erwähnt worden ist, bestand das erklärte Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik ursprünglich darin, die Versorgung des Gemeinsamen Marktes mit Agrarprodukten sicher zu stellen sowie der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung über stabile Preise und garantierte Absatzmengen eine angemessene Lebenshaltung zu ermöglichen. Der Erfolg dieser Politik war so durchschlagend, dass bereits Mitte der sechziger Jahre vor allem in den Bereichen Milch, Getreide, Rindfleisch und Wein erhebliche Überschussproduktionen verzeichnet werden konnten. Einst als „Eckpfeiler des europäischen Einigungswerkes“ gefeiert, hat sich die Gemeinsame Agrarpolitik sowohl in finanzieller als auch in politischer Hinsicht zwischenzeitlich zum größten Belastungsfaktor der Gemeinschaft entwickelt. Die Ursachen für diese Fehlentwicklung lagen zum einen in dem hohen Preisgarantiesystem, das bei vielen landwirtschaftlichen Erzeugnissen eine marktmäßige Preisbildung gar nicht mehr zuließ, und zum anderen in der Abnahmegarantie, die für übermäßige Produktionsanreize bei den Erzeugern sorgte und der Gemeinschaft zu enormen Lagerbeständen verhalf. Das geflügelte Wort vom „Butterberg der Gemeinschaft“ ist ebenso in diesem Zusammenhang entstanden, wie der Begriff der „Weinseen“. Vielfach wurden die von den Interventionsstellen aufgekauften Erzeugnisse, die weder über den Markt abgesetzt noch im Rahmen von
362 363
364
365
Arnold/Walzel v. Wiesentreu (FN 7), 33 ff (34). Vgl hierzu auch den unter dem Titel „Reform der Agrarpolitik: Politische Langzeitperspektive für eine nachhaltige Landwirtschaft“, KOM (2003) 23 endg., vorgelegten Kommissionsvorschlag. Zur Berechtigung der Bezeichnung der GAP-Reform 2003 als „Fischler-Reform“ s Arnold/Walzel v. Wiesentreu (FN 7), 34 und dort FN 88. - Vgl in diesem Zusammenhang auch die unter dem Titel „Errungenschaften der Agrarpolitik unter Kommissar Franz Fischler (Zeitraum 1995-2004)“ erfolgte Zusammenstellung der Europäischen Kommission (http://ec.europa.eu/comm/agriculture/publi/achievements/ text_de.pdf), in der darauf hingewiesen wird, dass es sich bei der GAP-Reform 2003 insofern um eine wegweisende Reform handelt, als diese einen vollständigen Wandel der Art darstellt, wie die EU ihren Landwirtschaftssektor unterstützt. VO 1782/03/EG, Abl Nr L 270/1 und VO 1783/03/EG, Abl Nr. L 270/70.
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Lebensmittelhilfen für Hungergebiete gespendet werden konnten, auch einfach vernichtet oder einer minderen Verwendung zugeführt366. Bereits seit geraumem bemüht sich die Gemeinschaft um eine grundsätzliche Kurskorrektur367, wobei sich ein entschiedener Systemwechsel bislang als politisch äußerst schwierig zeigte. Wurden zunächst die in den Interventionsstellen lagernden Erzeugnisse, sofern sie infolge mangelnder Haltbarkeit und Lagerfähigkeit nicht von vornherein denaturiert, also zerstört worden sind368, an Länder der Dritten Welt im Rahmen von Nahrungsmittelhilfeprogrammen verschenkt oder zu Preisen verkauft, die weit unterhalb der Produktionskosten lagen369, wodurch sich der Markt kurzfristig entspannte, kam es erst gegen Ende der siebziger bzw zu Beginn der achtziger Jahre zu einschneidenderen Maßnahmen, die vor allem im Milch- und Getreidesektor bei den produzierten Mengen selbst ansetzten und diese bestimmten Einschränkungen unterwarfen370. So wurde 1977 erstmals eine Mitverantwortungsabgabe eingeführt. 1982 kam es zur Einführung einer Garantieschwellenregelung, die allerdings nicht die gewünschten Erfolge zeitigte und 1984 im Milchsektor durch eine Garantiemengen- oder Quotenregelung abgelöst wurde. Danach wird die Milcherzeugung gemeinschaftsweit auf einem bestimmten als „Gesamtgarantiemenge“ bezeichneten Höchstniveau festgeschrieben. Diese Gesamtgarantiemenge wird in weiterer Folge in Form von einzelstaatlichen Garantiemengen auf die einzelnen Mitgliedstaaten aufgeteilt. Den Erzeugern wiederum wird eine bestimmte einzelbetriebliche Referenzmenge zugewiesen. Überschreitet ihre Produktion diese Referenzmenge, so ist für die über die Referenzmenge hinaus erzeugte Menge eine Abgabe zu entrichten, die höher ist, als der jeweilige Milchrichtpreis, wodurch die Produktion in diesem Bereich aber wirtschaftlich unrentabel wird371. Mit der Agrarreform von 1992 („MacSharry-Plan“) wurden weitere Schritte in Richtung einer sinnvollen Reduktion der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte gesetzt372. Betroffen sind neben den Bereichen Milch und Getreide die Bereiche Rind- und Schaffleisch, Tabak, Ackererzeugnisse und Reis. Dabei ging es vor allem darum, die ursprüngliche Verbindung von erzeugter Menge und erzieltem Gewinn zu durchbrechen und die institutionellen Preise für diese Produkte an das Weltmarktniveau anzugleichen. Zu diesem Zweck wurden Programme zur direkten, produktionsunabhängigen Einkommensstützung von Landwirten ins Leben gerufen. So werden etwa im Bereich des Anbaues von Getreide, Ölsaaten und Eiweißpflanzen Prämien dafür gewährt, dass die Erzeu366 367 368 369 370 371 372
Vgl Streinz (FN 134), Rz 1064. Vgl Wimmer/Arnold (FN 11), 86 f. In diesem Zusammenhang sei etwa an die seinerzeitige Vernichtung ganzer Orangenernten in Spanien durch Versenken im Meer erinnert. Im Rahmen dieser Aktionen kam es beispielsweise innerhalb der Mitgliedstaaten zum Verkauf der sog „Weihnachtsbutter“. Grundlegend dazu Priebe, Maßnahmen der EG zur Beseitigung landwirtschaftlicher Überschüsse, FS Zeidler (1987) 1729. Näheres dazu bei Hix (FN 107), Art 34, Rz 13 ff; Gilsdorf/Priebe (FN 212), Art 40, Rz 60a ff. - Speziell zur Regelung im Milchsektor Thiele (FN 216), 169 ff. Vgl etwa Puck (FN 10), Rz 658; Oppermann (FN 108), Rz 1356 mwN.
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ger Teile ihrer landwirtschaftlich genutzten Flächen nicht bebauen. Darüber hinaus gibt es umfangreiche flankierende Maßnahmen, die teilweise zufolge einer gemeinschaftsrechtlichen Ermächtigung von den einzelnen Mitgliedstaaten selbst durchgeführt werden können, wie etwa Rentenprogramme für Landwirte. Noch deutlichere Reformen zeichnen sich im Gefolge der Diskussion um den Beitritt verschiedener osteuropäischer Staaten zur Europäischen Union ab („Agenda 2000“). Nach dem derzeitigen Stand der Gespräche soll die Osterweiterung der Europäischen Union mit einer drastischen Einschränkung der bis dato für den Agrarmarkt aufgewendeten Haushaltsmittel Hand in Hand gehen. Dies wird verständlich wenn man bedenkt, dass in den Staaten der künftigen Beitrittswerber ein weitaus höherer Bevölkerungsanteil in der Landwirtschaft tätig ist, als dies bei den derzeitigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Fall ist373. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, in welchem Umfang die Landwirtschaft gerade im Hinblick auf die Osterweiterung und die damit stattfindende Vergrößerung des landwirtschaftlichen Potentials über die Gemeinschaft überhaupt noch finanzierbar ist. Es mehren sich die Stimmen jener, welche die Auffassung vertreten, dass die in der Landwirtschaft eingesetzten Mittel in anderen Politiken der Gemeinschaft weitaus effektiver und sinnvoller eingesetzt werden könnten374. Auch wenn die Agenda 2000 noch keine wirklich tragfähiges Konzept hinsichtlich der Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik enthält, sondern vielmehr die bloße Fortschreibung des 1992 begonnenen Reformwerkes vorstellt, so ist sie doch zumindest als ein deutlicher Schritt in diese Richtung zu werten375. Dieser Schritt wurde mit der GAP-Reform 2003 und der damit erfolgten Abkoppelung der Beihilfen von produzierten Mengen durch Einführung der einheitlichen Betriebsprämie nachdrücklich bestätigt. Trotz der bereits gesetzten Reformmaßnahmen ist und bleibt die Gemeinsame Agrarpolitik das Sorgenkind der Europäischen Union. Nach wie vor belaufen sich die im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik getätigten Ausgaben der Europäischen Union auf mehr als vierzig Milliarden Euro jährlich, wobei prognostiziert wird, dass diese Kosten mit der vollen Implementierung der „Agenda 2000“ um ca. zehn Prozent steigen werden. Diese Entwicklung ist nur dadurch aufzuhalten, indem der Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen weitergehend liberalisiert wird und die direkten Subventionen gekürzt werden. Insbesondere gilt es, wieder einen breiten, allgemeinen Konsens innerhalb der Öffentlichkeit über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik herbeizuführen, wobei in diesem Zusammenhang auch das Konzept der Einkommenssicherung der Landwirte durch die Steuerzahler von Grund auf neu überdacht werden muss. Hierbei wird es vor allem darum gehen, jene Leistungen der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung stärker in das Bewusst373
374
375
Vgl dazu Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 1999, 38 ff, mit umfangreichem statistischen Material betreffend die Mitgliedswerber. Vgl Sturgess, The Agenda 2000 CAP Reform and the „Millenium“ Round: Negotiations on Agriculture, in Bilal/Pezaros (Ed), Negotiating the Future of Agricultural Policies: Agricultural Trade and the Millenium WTO Round (2000) 97 (109 f). Vgl dazu Oppermann (FN 108), Rz 1416 ff.
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sein der Öffentlichkeit zu rücken, für die sie auch zu zahlen bereit ist. Dies müssen nicht unbedingt die agrarischen Erzeugnisse als solche sein, obwohl hier gerade über die Garantie höherer qualitativer Standards viel zu erreichen wäre, sondern können durchaus auch die so genannten „Nebenleistungen“ des Landwirtes, wie etwa landschaftspflegerische Maßnahmen, sein. Auch wenn in der gegenwärtigen Phase des allgemeinen Aufschwunges und der globalen Prosperität ökonomische Gründe deutlich für eine stärkere marktwirtschaftliche Ausrichtung der Landwirtschaft sprechen mögen, so darf man dabei doch nicht übersehen, dass dieser gerade im Krisenfall eine überragende Bedeutung im Hinblick auf die notwendige autonome Versorgung der Bevölkerung zukommt. Auch lässt die prinzipielle Standortgebundenheit der Landwirtschaft nicht zu, dass diese ausschließlich oder auch nur überwiegend nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien beurteilt und organisiert wird. Der Aufrechterhaltung der nationalen Landwirtschaft kommt aber nicht nur aus Gründen der Versorgungssicherung überragende Bedeutung zu. Sie erfüllt auch die notwendigen Aufgaben im Bereich der Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und der Kulturlandschaft und stellt die Erhaltung einer gewissen Besiedlungsdichte im ländlichen Raum sicher376: Die Gesellschaft erwartet von der Landwirtschaft, dass sie Kulturlandschaft erhält und pflegt, Boden, Wasser und Luft schützt sowie die Artenvielfalt bewahrt. Agrarlandschaften sind nicht nur Produktionsstandorte. Sie bilden - und zwar heute mehr denn je - die Grundlage und das Umfeld für die Erholung und den Tourismus, aber auch für die Deckung der Wohnbedürfnisse weiter Teile der Bevölkerung und den Schutz der Natur. Das österreichische Agrarmodell ist von dem Bemühen getragen, der Multifunktionalität flächendeckender Landwirtschaft durch verstärkte Ausschöpfung verbliebener nationaler Regelungsspielräume, etwa im Bereich der Raumordnung, Rechnung zu tragen. Gerade ihrer großen sozialen, politischen, ökologischen und kulturellen Bedeutung wegen377 wird es auch in Hinkunft so sein, dass die Landwirtschaft im Rahmen der allgemeinen staatlichen und gemeinschaftlichen Wirtschaftspolitik nach wie vor eine gewisse Sonderstellung einnehmen wird, die sich in einer hohen Regelungsdichte sowie einer stärkeren budgetären Belastung niederschlagen wird, selbst wenn Teile ihrer Privilegien abgebaut werden müssen. Dass die Landwirtschaft in absehbarer Zeit dem freien Spiel der marktbeherrschenden Kräfte überlassen wird, damit ist schon der genannten Gründe wegen kaum bzw überhaupt nicht zu rechnen.
E. Die administrative Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation 1. Allgemeines Die Durchführung der in der Gemeinsamen Agrarpolitik vorgesehenen Maßnahmen der Marktordnung erfolgt im wesentlichen nach dem Prinzip des 376 377
Man kann mit Richli (FN 148), 788, geradezu von einer „Multifunktionalität der Landwirtschaft“ sprechen. Vgl Devisch, The Role of European Farmers in a Global World, in Bilal/Pezaros (Ed), Negotiating the Future of Agricultural Policies: Agricultural Trade and the Millenium WTO Round (2000) 235.
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„mittelbaren (indirekten) Vollzuges“ von Gemeinschaftsrecht378 durch die (nationalen) Behörden und Organe der Mitgliedstaaten379: „Soweit das Gemeinschaftsrecht einschließlich der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsätze hierfür keine gemeinsamen Vorschriften enthält, gehen die nationalen Behörden bei dieser Durchführung der Gemeinschaftsregelungen nach den formellen und materiellen Bestimmungen des nationalen Rechts vor“380. Anderes gilt nur für die in die Gemeinsame Agrarpolitik hineinspielenden Bereiche der Wettbewerbs- und Beihilfenaufsicht, in denen unmittelbar Gemeinschaftsorgane tätig werden. Der Grund für die generelle Präferenz des mittelbaren Vollzuges von Gemeinschaftsrecht ist in der Komplexität der anfallenden Verwaltungsaufgaben bei gleichzeitigem Fehlen eines entsprechenden administrativen Unterbaues der Europäischen Union zu sehen381. Dem Vorrang unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts gegenüber nationalem Recht gemäß382 sind von den nationalen Behörden in materieller Hinsicht primär die einschlägigen Bestimmungen der Gemeinsamen Marktordnungen, die in aller Regel als Verordnungen ergangen sind, maßgeblich. Diese Verordnungen enthalten häufig zum Teil umfängliche Vorgaben für die Ausgestaltung nationaler Verfahrensvorschriften. Dies gilt vor allem im Bereich der Beihilfenregelung. Soweit in diesem Zusammenhang auch formelle und materielle nationale Bestimmungen anzuwenden sind, hat diese Anwendung in Übereinstimmung mit den Erfordernissen einer wirksamen und einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechtes zu geschehen383, da nur so gemeinschaftsrechtlich verpönte Ungleichbehandlungen unter den Wirtschaftsteilneh378
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Dazu grundlegend von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration (1996) 15 ff, 484 ff; derselbe, Systemgedanken eines Rechts der Verwaltungskooperation, in Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts (1999) 171; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht. Die Anwendung des Europarechts im innerstaatlichen Bereich2 (2001) 89 ff. - Vgl im übrigen Walzel v. Wiesentreu, Die Konkretisierung der Beschwerdepunkte im Bescheidprüfungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Europarechts, in Thienel (Hrsg), Verwaltungsgerichtsbarkeit im Wandel (1999) 199 (222 ff) mit umfangreichen weiteren Nachweisen. Speziell zum Vollzug der Gemeinsamen Marktorganisationen durch die Mitgliedstaaten s Götz, Probleme des Verwaltungsrechts auf dem Gebiet des Gemeinsamen Agrarmarktes, FS Büttner (1986) 17. EuGH verb Rsen 205-215/82, Deutsche Milchkontor GmbH, Slg 1983, 2633. - Dazu von Danwitz, Die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten für die Durchführung von Gemeinschaftsrecht, DVBl 1998, 421 (422); Götz (FN 379), 39 ff. Insbesondere kommt der Gemeinschaft hinsichtlich der Verwaltungsorganisation sowie des Verwaltungsverfahrensrechts keine Rechtsetzungsbefugnis zu. Die Mitgliedstaaten besitzen in diesem Bereich zumindest formal nach wie vor die volle Organisations- und Verfahrenshoheit. Einschränkungen ergeben sich allerdings mittelbar aus der Judikatur des EuGH, die den Anspruch auf einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts postuliert und einen effektiven Vollzug („effet utile“) desselben in allen Mitgliedstaaten verlangt. - Ausführlich dazu Walzel v. Wiesentreu (FN 378), 222 ff mwN. Dazu Öhlinger/Potacs (FN 378), 69 ff. - Vgl auch Thienel, Anwendungsvorrang und Präjudizialität im amtswegigen Normprüfungsverfahren vor dem VfGH, ZfV 2001, 342 (342 f). Vgl Walzel v. Wiesentreu (FN 378), 224 ff.
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mern und damit zugleich unerwünschte Beeinträchtigungen des Gemeinsamen Marktes hintan gehalten werden384. Besonderes Augenmerk gilt der effizienten Kontrolle der ordnungsgemäßen Erbringung von Leistungen, die über Gemeinschaftsgelder finanziert oder gefördert werden. So sind die Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich dazu verbunden, der Kommission Fälle von Unregelmäßigkeiten mitzuteilen und über die dagegen eingeleiteten rechtlichen Schritte, wie etwa die Rückforderung von Leistungen oder anhängig gemachte Strafverfahren, zu berichten. Ebenso ist der Ausgang der entsprechenden Verfahren bekannt zu geben. Auch der EuGH misst der Sicherstellung des rechtmäßigen Verbrauches von Fördermitteln durch Einrichtung wirksamer nationaler Kontrollmechanismen große Bedeutung zu. Das gilt sowohl für die administrative Überprüfung von Förderungs- und Beihilfeanträgen auf ihre rechnerische Richtigkeit und inhaltliche Plausibilität hin als auch für die Durchführung von Kontrollen vor Ort, an Hand derer das tatsächliche Vorliegen der Förderungsvoraussetzungen ermittelt wird. Trotz der vorhandenen Instrumente zur Abwehr missbräuchlicher Inanspruchnahme von Fördermitteln, Beihilfen und Subventionen385 kommt es gerade im Agrarbereich regelmäßig zu zahlreichen Betrugsdelikten386, wobei jährlich Schäden in der Höhe von mehreren Millionen Euro verursacht werden.
2. Der organisatorische Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten Da die Gemeinsame Agrarmarktordnung mittelbar vollzogen wird, ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten, in diesem Bereich für eine adäquate nationale Verwaltungs- und Behördenorganisation Sorge zu tragen387. Das bedeutet vor allem, dass die nationale Behörden- und Verfahrensstruktur so beschaffen sein muss, dass sie den Erfordernissen eines einheitlichen, wirksamen und gemeinschaftskonformen Agrarvollzuges gerecht wird388. Die Nichtbeachtung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen kann keinesfalls mit internen organisatorischen Problemen gerechtfertigt werden. Ebenso ist sicher zu stellen, dass die eingerichteten Agrarbehörden in ihrer Funktionsweise zuverlässig und darüber hinaus auch keinen Einflussmöglichkeiten durch metastaatliche Interessengruppierungen und Verbände ausgesetzt sind. Ihre gemeinschaftsrechtliche Absicherung findet die nationale Organisationshoheit in Art 5 EGV und dem dort verankerten Prinzip der begrenzten Ermächtigung389. Die jeweilige nationale organisatorische Einrichtung hängt in ihrer konkreten Gestalt von einer Vielzahl von Faktoren ab, wobei Verwaltungstradition und staatsrechtliche Struktur des betreffenden Mitgliedstaates ebenso eine Rolle spielen, wie seine Größe und die wirtschaftliche Bedeutung 384
385 386 387 388 389
Vgl in diesem Zusammenhang auch Potacs, Verfahren und Sanktionen im Wirtschaftsverwaltungsrecht. Österreichischer Bericht für den 17. Kongreß der F.I.D.E. Fédération Internationale pour le Droit Européen (1996) 379. Dazu jüngst Leidwein, Agrarbeihilfen und Sanktionen, ecolex 2001, 94. Dazu eingehend Halla-Heißen (FN 359), 141 ff. Kritisch dazu von Danwitz, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln?, DVBl 1998, 928 (935 ff). Vgl Walzel v. Wiesentreu (FN 378), 224 ff. Dazu Lienbacher, in Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar (2000) Art 5, Rz 7 ff.
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der Landwirtschaft für das Bruttosozialprodukt. Trotz der Einrichtung der Republik Österreich als Bundesstaat und des geltenden Grundsatzes der formellen Parität von Bund und Ländern werden die mit der Vollziehung der Gemeinsamen Marktordnung anfallenden Aufgaben nicht auf die Gebietskörperschaften aufgeteilt, sondern im wesentlichen auf Bundesebene wahrgenommen. Zufolge Fehlens einer ausdrücklichen Bestimmung im B-VG, die dem Bund in umfassender Weise die Zuständigkeit in Gesetzgebung und Vollziehung im Bereich der Agrarmarktordnung vorbehalten hätte, mussten die diesbezüglich bestehenden Kompetenzen des Bundesgesetzgebers erst eigens durch Aufnahme spezieller Verfassungsbestimmungen in die einfachgesetzlichen Organisationsvorschriften geschaffen werden.
F. Die Einrichtung der Agrarmarkt Austria (AMA) als Marktordnungs- und Interventionsstelle 1. Grundsätzliches Die AMA ist eine kraft Gesetzes eingerichtete juristische Person des öffentlichen Rechts390, die mit der Vollziehung von behördlichen Aufgaben im Bereich der Agrarmarktordnung betraut ist391. Es handelt sich hierbei um einen aus der allgemeinen staatlichen Verwaltung ausgegliederten, sonderrechtsfähigen Verwaltungsträger392. In Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre ist davon auszugehen, dass die AMA ihrer Rechtsnatur nach keine Anstalt, sondern vielmehr ein Fonds ist393. Der örtliche Wirkungsbereich der AMA erstreckt sich auf das gesamte Bundesgebiet. Ihr Sitz in Wien, doch ist die AMA berechtigt, Außenstellen in anderen Gemeinden des Bundesgebietes zu errichten, soweit dies die Raschheit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Durchführung von Aufgaben erfordert394. Die Gebarung der AMA unterliegt der Prüfung durch den Rechnungshof395.
2. Aufgaben Der Aufgabenbereich der AMA ist sowohl ein eigener als auch ein übertragener396. Das Aufsichtsrecht wird vom zuständigen Bundesminister für Landund Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft ausgeübt397. Die Erlas390 391 392
393 394 395 396 397
§ 2 Abs 1 AMA-G 1992. Vgl Leidwein, Agrarrecht. Europäische Regelung und österreichische Umsetzung (1998) 169 ff; Puck (FN 10), Rz 673 f. Zu den Problemen der Ausgliederung im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsrecht grundsätzlich etwa Pauger, Deregulierung und traditionelle Staatslenkung in Österreich, in Blaurock (Hrsg), Grenzen des Wettbewerbs auf deregulierten Märkten (1999) 43. - Umfassend zur Ausgliederungsproblematik nunmehr auch Walzel v. Wiesentreu, Grenzen der Ausgliederung - Eine bundesverfassungs- und verwaltungssystematische Darstellung der Grenzen der Ausgliederung öffentlicher Aufgaben aus dem Bereich der Landes- und Gemeindeverwaltung, 15. ÖJT I/2 (2005) 7 Vgl etwa Frank, Gemeinschaftsrecht und staatliche Verwaltung (2000) 313 mwN. § 2 Abs 2 und 3 AMA-G 1992. § 20a AMA-G 1992. Näher dazu Frank (FN 393), 313 f. § 25 AMA-G 1992. - Näher dazu Frank (FN 393), 319 f; Puck (FN 10), Rz 673.
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sung von Bescheiden398 findet regelmäßig im übertragenen Wirkungsbereich statt, wobei im Instanzenzug grundsätzlich der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft entscheidet. Lediglich im Geschäftsbereich Mühlen führt der Instanzenzug zum Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten. Im eigenen Wirkungsbereich fungiert die AMA als zentrales Organ der Markt- und Preisberichterstattung über in- und ausländische Märkte betreffend agrarische Produkte, daraus hergestellte Verarbeitungserzeugnisse und landwirtschaftliche Produktionsmittel. Des Weiteren ist sie für Maßnahmen zur Qualitätssteigerung, wie insbesondere die Entwicklung und Anwendung von Qualitätsrichtlinien für agrarische Produkte und daraus hergestellte Verarbeitungserzeugnisse, sowie die Förderung des Agrarmarketings zuständig399. Für die landwirtschaftliche Praxis weitaus bedeutsamer sind die von der AMA im übertragenen Wirkungsbereich zu vollziehenden Aufgaben. Zu diesen zählen neben allen Aufgaben, die vom Milchwirtschaftsfonds und vom Getreidewirtschaftsfonds im Rahmen des Marktordnungsgesetzes 1985, vom Mühlenfonds im Rahmen des Mühlengesetzes 1981 und von der Vieh- und Fleischkommission beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft oder deren Unterkommission im Rahmen des Viehwirtschaftsgesetzes 1983 zu vollziehen sind, auch sonstige Aufgaben, die auf Grund anderer Bundesgesetze oder auf Grund von Verordnungen der AMA zur Vollziehung übertragen werden. So ist die AMA etwa gemäß § 96 Abs 1 Marktordnungsgesetz 1985 auch die zuständige Marktordnungs- und Interventionsstelle. Darüber hinaus wird die gesamte Förderungsverwaltung im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik von der AMA abgewickelt, soweit sie vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft der AMA übertragen wird400. Die AMA ist sohin die mit der Vollziehung des gemeinschaftlichen Marktordnungsrechtes in unmittelbarer Bundesverwaltung betraute zentrale Bundesbehörde401. Durch Verfassungsbestimmung ist auch die Einbeziehung landesgesetzlich eingerichteter Rechtsträger (Landwirtschaftskammern) in die Vollziehung der Gemeinsamen Marktordnungen möglich.
3. Organe Die gesetzlich vorgesehenen Organe der AMA sind der Vorstand, der Verwaltungsrat, die Fachausschüsse und der Kontrollausschuss402. Während den (bis zu vier) Mitgliedern des Vorstandes403 die Geschäftsführung und Ver398
399 400 401
402 403
Die AMA hat bei der Bescheiderlassung die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) anzuwenden, es sei denn, dass ausdrücklich anders angeordnet wäre (vgl § 29 Abs 1AMA-G). § 3 Abs 1 AMA-G 1992. § 3 Abs 2 AMA-G 1992. Gemäß 3 96 Abs 1 MOG kann sich der (nunmehr zuständige) Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft durch Verordnung Angelegenheiten der Vollziehung gemeinsamer Marktorganisationen vorbehalten. Näher dazu Frank (FN 393), 315 f und dort insb FN 264. § 4 Abs 1 AMA-G 1992. - Zu den Ähnlichkeiten mit einer AG s Frank (FN 393), 317. § 5 Abs 1 AMA-G 1992.
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mögensverwaltung der AMA einschließlich ihrer gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung obliegt404, fungiert der ausschließlich paritätisch zusammengesetzte Verwaltungsrat405 als generelles Aufsichtsorgan, dem darüber hinaus umfassende Ernennungs-, Beschlussfassungs- und Verordnungserlassungsbefugnisse zukommen406. Für die vier großen Bereiche Milch und Milchprodukte, Getreide und daraus hergestellte Erzeugnisse sowie Pflanzen aus Alternativkulturen des Getreidebaus, Mühlen (Vermahlung von Weizen, Roggen, und Triticale zu Mahlprodukten in Mühlen) und Vieh und Fleisch bestehen Fachausschüsse, die vom Verwaltungsrat eingesetzt werden407. Mit Ausnahme der dem Verwaltungsrat vorbehaltenen Aufgaben haben die Fachausschüsse jeweils jene Angelegenheiten wahrzunehmen, die ursprünglich dem Milchwirtschafts-, Getreidewirtschafts- und Mühlenfonds sowie der Vieh- und Fleischkommission übertragen waren, dies allerdings nur, soweit nicht auf Grund der Geschäftsordnung eine Übertragung auf den Vorstand oder einzelne Vorstandsmitglieder zur selbständigen Erledigung stattgefunden hat408. Der ebenfalls vom Verwaltungsrat eingesetzte Kontrollausschuss hat die Gebarung der AMA und den Jahresabschluss zu prüfen409. Insbesondere wenn es aus Gründen der Überprüfung der Sparsamkeit und Effizienz der Verwendung von Mitteln und des Arbeitsumfanges notwendig erscheint, können der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, der Bundesminister für Finanzen, der Vorstand oder der Verwaltungsrat beeidete Wirtschaftsprüfer und Steuerberater oder eine Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatungsgesellschaft mit der Prüfung der Gebarung beauftragen410. Die AMA kann für die Durchführung der Aufgaben des Agrarmarketings eine Kapitalgesellschaft in Form einer GmbH errichten411, wobei der Jahresabschluss dieser GmbH allerdings jedenfalls durch einen beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater oder eine Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatungsgesellschaft zu prüfen ist412. Die Besorgung der von der AMA gemäß § 96 Abs 1 Marktordnungsgesetz 1985 zu vollziehenden Aufgaben kann unter bestimmten Voraussetzungen durch Bundesbeamte und Vertragsbedienstete des Bundes erfolgen, deren Dienststelle das dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft unterstehende Amt der AMA ist413.
4. Finanzierungsmaßnahmen Zur Förderung und Sicherung des Absatzes von inländischen land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnissen, zur Erschließung und Pflege von Märkten 404 405 406 407 408 409 410 411 412 413
§ 5 Abs 4 AMA-G 1992. § 11 Abs 1 AMA-G 1992. § 12 AMA-G 1992. § 15 Abs 1 und 2 AMA-G 1992. § 16 AMA-G 1992. § 17 AMA-G 1992. § 18 Abs 2 AMA-G 1992. § 39a AMA-G 1992. § 18 Abs 1 AMA-G 1992. § 22a AMA-G 1992.
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für diese Erzeugnisse im In- und Ausland, zur Verbesserung des Vertriebs dieser Erzeugnisse, zur Förderung von allgemeinen Maßnahmen der Qualitätsverbesserung und der Konsumenteninformation sowie zur Förderung sonstiger Marketingmaßnahmen wird von der AMA für bestimmte Erzeugnisse ein Agrarmarketingbeitrag erhoben414. Die Höhe des Beitrages wird jährlich im Voraus im Verordnungswege geregelt, wobei die im Gesetz vorgeschriebene Höchstgrenze nicht überschritten werden darf415. Beitragsschuldner ist in aller Regel der Inhaber des Betriebes, in dem die landwirtschaftlichen Produkte beoder verarbeitet werden. Lediglich bei Feldfrüchten (Obst und Gemüse) und Blumen trifft die Beitragspflicht den Bewirtschafter der Anbauflächen, sofern diese ein bestimmtes Mindestmaß überschreiten416. Der Beitrag ist eine Einnahme der AMA417. Das Recht, Beiträge und Zuschüsse festzusetzen oder zu beanspruchen unterliegt ebenso der Verjährung wie das Recht, zu Unrecht geleistete Beiträge oder Zuschüsse zurückzufordern. Die Verjährungsfrist beträgt grundsätzlich fünf Jahre, beginnend mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Leistungspflicht entstanden ist bzw für das zu Unrecht Leistungen erbracht wurden. Bei Vorliegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verlängert sich die Verjährungsfrist auf zehn Jahre418.
5. Verfahren Die AMA kann bei der Durchführung der ihr zugewiesenen Aufgaben sowohl als Trägerin von Hoheitsrechten als auch im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung419 handeln. Soweit die AMA auf Grund einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung Bescheide oder Verordnungen erlässt, ist sie Behörde. Verordnungen der AMA sind, ebenso wie die entsprechenden Verordnungen des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, jedenfalls in den Verlautbarungsblättern der AMA kundzumachen420. Gemäß § 105 Abs 1 Marktordnungsgesetz 1985 sind auf Abgaben auf Marktordnungswaren, die im Rahmen von gemeinschaftsrechtlichen Regelungen erhoben werden, grundsätzlich die Vorschriften der BAO anzuwenden. Korrespondierend dazu bestimmt § 21i Abs 3 AMA-Gesetz 1992, dass die AMA und der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft im Rahmen der Beitragserhebung nach dem AMA-Gesetz 414 415 416 417 418 419
420
§ 21a AMA-G 1992. § 21d Abs 1 AMA-G 1992. § 21e AMA-G 1992. § 21j Abs 1 AMA-G 1992. § 29 Abs 2 AMA-G 1992. Soweit die AMA Fördermittel vergibt, handelt sie als Trägerin privatrechtlicher Befugnisse. Sie tritt in diesem Zusammenhang als bloßer „Subventionsmittler“ in Erscheinung, der nicht bescheidmäßig über Subventionsanträge abspricht, sondern vielmehr privatrechtliche Förderungsverträge mit den einzelnen Förderungswerbern abschließt. - Vgl Holzinger, Die Organisation der Verwaltung, in Holzinger/Oberndorfer/Raschauer, Österreichische Verwaltungslehre (2001) 97 (163). Vgl Leidwein (FN 391), 171. - Hinsichtlich Formblättern und sonstigen Bekanntmachungen sieht § 32 Abs 1 AMA-G 1992 nunmehr vor, dass diese entweder im Verlautbarungsblatt kundgemacht oder in elektronischer Form zur Abrufbarkeit über Internet bereitgestellt werden können.
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Abgabenbehörden im Sinne des § 49 Abs 1 BAO sind. Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft übt in diesem Zusammenhang nicht nur die oberbehördlichen Befugnisse aus, sondern fungiert auch als Berufungsbehörde gegen erstinstanzliche Abgabenbescheide der AMA. Soweit nicht ausdrücklich anderes angeordnet ist, hat die AMA bei der Durchführung von Verwaltungsverfahren das AVG anzuwenden421. Die Organe der AMA sind insbesondere auch ermächtigt, vor Ort Kontrollen durchzuführen. Diesfalls haben sich die Kontrollorgane der AMA allerdings mit einem von der AMA ausgestellten Ausweis zu legitimieren und den Gegenstand der Prüfung darzulegen422. Von der AMA im Rahmen der Vollziehung der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben ermittelte und verarbeitete Daten können kraft ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung regelmäßig auch an bestimmte andere staatliche Behörden und Stellen übermittelt werden423. § 103 Marktordnungsgesetz 1985 enthält weit reichende Möglichkeiten zur amtswegigen Aufhebung oder Abänderung erlassener Bescheide424. So können Bescheide bei unrichtiger oder aktenwidriger Sachverhaltsannahme in einem wesentlichen Punkt, bei Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften, deren Einhaltung zur Erlassung eines anders lautenden Bescheides hätte führen können sowie bei Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechts vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft aufgehoben oder abgeändert werden. Bescheide, aus denen ein Recht erwachsen ist, können gemäß § 103 Abs 2 Marktordnungsgesetz 1985 selbst nach Rechtskraft in den Fällen der §§ 99 (besondere Förderungsbestimmungen) und 101 (Mengenregelungen) Marktordnungsgesetz 1985 mit Wirkung ex tunc aufgehoben werden, soweit eine Voraussetzung für die Bescheiderlassung nachträglich entfallen oder nicht erfüllt worden ist, insbesondere die gewährte Vergünstigung nicht oder nicht mehr nach Maßgabe des Bescheides verwendet wird. Die nachträgliche Besei-
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§ 29 Abs 1 AMA-G 1992. - Worauf in der Literatur immer wieder hingewiesen wird, sind die Konflikte, die im Zusammenhang mit dem provisorischen Rechtsschutz (einstweilige Vorkehrung, einstweilige Verfügung) entstehen können. So kann etwa aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ein provisorischer Rechtsschutz unter Umständen auch dort geboten sein, wo er aus nationaler Sicht verfahrensrechtlich gar nicht vorgesehen ist (EuGH Rs C-213/89, Factortame, Slg 1990, I-2433). Auch der umgekehrte Fall ist möglich, nämlich das gemeinschaftsrechtliche Verbot der provisorischen Rechtsschutzgewährung trotz nationaler Zulässigkeit (EuGH Rs C217/88, Kommission/Bundesrepublik Deutschland, Slg 1990, I-2879). - Ausführlich dazu Hoehl, Vorläufiger Rechtsschutz vor dem VwGH unter besonderer Berücksichtigung des Europarechts (1999) 27 ff. Vgl auch Öhlinger/Potacs (FN 378), 114 ff; Potacs, EU-Mitgliedschaft und Rechtsschutz gegen Verwaltungshandeln in Österreich, JRP 1995, 180 (190 ff); Potacs/Pollak, Landesbericht Österreich, in Schwarze (Hrsg), Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß (1996) 733 (759 ff, 769 ff). § 29 Abs 5 AMA-G 1992. Vgl § 40 AMA-G 1992. Vgl Lindinger (FN 241), 310. - Dazu auch Potacs/Pollak (FN 421), 758 f.
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tigung rechtskräftiger Entscheidungen aus dem Rechtsbestand ist vor allem aus der Sicht des Vertrauensschutzes nicht unproblematisch425.
G. Das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem (INVEKOS) Mit der VO Nr 3508/92 des Rates426 wurde ein „Integriertes Verwaltungsund Kontrollsystem“ (INVEKOS) geschaffen, das sich auf die Verwaltung der produktionsunabhängigen direkten Beihilferegelungen bezieht427. Die VO 796/2004 der Kommission428 enthält die entsprechenden Durchführungsbestimmungen, die unter anderem auch ein Sanktionssystem einschließen. Gegenstand und Ziel des INVEKOS ist eine möglichst umfassende und lückenlose Kontrolle der im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik geschaffenen Beihilfesysteme. Zu diesem Zweck wurden von den Mitgliedstaaten Datenbanken und Systeme zur Identifizierung der landwirtschaftlichen Parzellen, zur Kennzeichnung und Identifizierung von Tieren sowie zur Identifizierung und Registrierung von Zahlungsansprüchen errichtet429. Eine zentrale Datenbank ermöglicht den Organen der Europäischen Union den direkten Zugriff auf sämtliche vorhandene Daten. Dadurch ist eine wirksame Kontrolle der Mitgliedstaaten auf Einhaltung der Regelungen des
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Dazu grundlegend Budischowsky, Zur Rechtskraft gemeinschaftsrechtswidriger Bescheide, ZfV 2000, 2; Walzel v. Wiesentreu, Zur Bedeutung des Vertrauensgrundsatzes im öffentlichen Recht, JAP 1999/2000, 5 (12 f). - Vgl auch Lindinger (FN 241), 310; Schrömbges, Zur Sanktionierung des Exporthandels mit Agrarerzeugnissen, ZfV 2001, 23. VO (EWG) Nr 3508/92 des Rates vom 27. November 1992 zur Einführung eines integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen, Abl 1992 Nr L 355/1. - In diesem Zusammenhang ebenso beachtlich sind die Durchführungsverordnungen VO (EWG) 3887/92 mit Durchführungsbestimmungen zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen, Abl Nr L 391/36; VO (EG) 2419/2001 mit Durchführungsbestimmungen zum mit VO 3508/92 eingeführten integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen, Abl Nr L 327/11. Das System ist im Sektor der pflanzlichen Produkte für die Stützungsregelungen im Rahmen des Kulturpflanzenausgleiches, im Sektor der tierischen Produktion für die Tierhaltungsprämien für Rinder und Schafe sowie für die Sondermaßnahmen zu Gunsten der Landwirtschaft in Berggebieten und bestimmten benachteiligten Gebieten einzurichten. Der Rat kann das System auf andere gemeinschaftliche Beihilferegelungen ausdehnen. Die gleiche Ausdehnungsmöglichkeit steht den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft im Hinblick auf ihre jeweiligen einzelstaatlichen Beihilferegelungen zur Verfügung. So ist etwa in Österreich die Ausdehnung des INVEKOS auf ÖPUL (Österreichisches Programm einer umweltgerechten Landwirtschaft) erfolgt. - Vgl auch Puck (FN 10), Rz 675 ff. VO (EG) 796/2004 der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur Modulation und zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem nach der VO 1782/2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, Abl 2003 Nr L 141/18 idF VO (EG) 2184/2005, Abl 2005 Nr L 347/61. Vgl Art 18 lita bis litc und Art 21 VO 1782/2003.
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INVEKOS möglich430. Ebenso sollten mit dem INVEKOS die Voraussetzungen für eine effiziente und reibungslose Bearbeitung der Beihilfeanträge431 durch die nationalen Verwaltungen der Mitgliedstaaten geschaffen werden432. Im Falle von Verstößen gegen die Vorschriften des INVEKOS kann der EAGFL die Finanzierung der betroffenen Beihilfemaßnahmen im Rahmen des Rechnungsabschlussverfahrens zum Teil oder auch zur Gänze verweigern. Dies ist in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen433. Das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem hat sich seit seiner Einführung durchaus bewährt und wurde daher im Wesentlichen unverändert auch unter dem neuen Regelungsregime der VO 1782/2003 sowie in die VO 796/2004 beibehalten434. Im INVEKOS sind die einheitliche Betriebsprämie sowie die nach Titel IV der VO 1782/2003 und Art 2a der VO (EG) 1259/1999 vorgesehenen Beihilfen zwingend einbezogen435. Bei Anwendung der Stützungsregelungen nach Anhang V der VO 1782/2003436 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die angewandten Verwaltungs- und Kontrollverfahren im Hinblick auf die elektronische Datenbank, das System zur Identifizierung landwirtschaftlicher Parzellen und die Verwaltungskontrollen mit dem integrierten System kompatibel sind437. Die Summe aller in Österreich über INVEKOS abgewickelten Förderungen belief sich im Jahre 2004 auf 1.579.610.447 Euro438. Für die Betriebe439, die an irgendeiner Förderungsmaßnahme teilnehmen, bedeutet dies deren Erfassung mit sämtlichen ihrer Strukturdaten (wie bebaute Flächen, gehaltene Tiere etc) im INVEKOS. Nicht im INVEKOS enthalten sind jene Betriebe, die entweder die in den einzelnen Verordnungen der Ge430 431
432 433 434 435 436
437 438 439
Vgl Anhammer ua (FN 83), 101 f. ZB Mehrfachanträge. - Vgl dazu etwa das Verlautbarungsblatt der AMA vom 4.1.1999, mit den Erläuterungen zum Mehrfachantrag-Flächen 1999 mit Schwerpunkt Ausfüllanleitung. Ausführlich dazu Anhammer ua (FN 83), 106 f. Vgl EuGH, Rs C-331/00, Slg 2003 I-9085. - Anhammer ua (FN 83), 102. Vgl Art 17 ff VO 1782/2003, Abl Nr L 270/1. Art 17 VO 1782/2003, Abl Nr L 270/1. Diese Stützungsregelungen betreffen getrocknete Weintrauben, Agrarumweltmaßnahmen, die Forstwirtschaft, benachteiligte Gebiete und Gebiete mit umweltspezifischen Einschränkungen, Trockenfutter, verarbeitete Zitrusfrüchte, verarbeitete Tomaten sowie Wein. Art 26 VO 1782/2003, Abl Nr L 270/1. Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 2005 (2005) 264. Gemäß Art 2 lit b VO 1782/2003 ist unter einem „Betrieb“ die Gesamtheit der vom Betriebsinhaber verwalteten Produktionseinheiten, die sich im Gebiet eines Mitgliedstaates befinden, zu verstehen. - Zur Auslegung dieses Begriffes durch den VwGH siehe ua VwGH 4.9.2003, Zl 2003/17/0094. - „Betriebsinhaber“ ist gemäß Art 2 lit a VO 1782/2003 eine natürliche oder juristische Person oder eine Vereinigung natürlicher oder juristischer Personen, unabhängig davon, welchen rechtlichen Status die Vereinigung und ihre Mitglieder aufgrund nationalen Rechts haben, deren Betrieb sich im Gebiet der Gemeinschaft im Sinne des Art 299 EGV befindet und die eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Demnach sind in den auf der Grundlage des INVEKOS abzuhandelnden Verwaltungsverfahren auch Personengemeinschaften parteifähig im Sinne des AVG (VwGH 24.10.2001, Zl 2001/17/0082).
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meinschaft vorgegebenen Förderungsvoraussetzungen440 nicht erfüllen oder aus sonstigen Gründen keinen Mehrfachantrag abgeben. Die Erforderlichkeit eines solchen Systems, das sogar in der Lage ist, Fernerkundungen mittels Luftaufnahmen und über Satellit vorzunehmen, wird einsichtig, wenn man sich vor Augen hält, wie aufwendig die Kontroll- und Verwaltungsaufgaben im Bereich der agrarischen Direktstützungen sind. Im Zentrum der Kontroll- und Verwaltungstätigkeit steht die Verhinderung von betrügerischen Handlungen der Beihilfeempfänger. Darüber hinaus geht es aber auch um die Hintanhaltung von Ungenauigkeiten und Fehlverhalten in den Verwaltungen der einzelnen Mitgliedstaaten. Die unter das integrierte System fallenden Direktzahlungen erfolgen nur auf entsprechenden Antrag des Betriebsinhabers hin. Der Antrag ist standardisiert441. Er hat ua alle landwirtschaftlichen Parzellen des Betriebes, die Anzahl und die Höhe der Zahlungsansprüche sowie alle sonstigen Angaben, die in der VO 1782/2003 oder von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgesehen sind442, zu enthalten. Antragsfrist für den Sammelantrag (MehrfachantragFlächen) für das jeweilige Kalenderjahr ist in Österreich der 15. Mai, wobei ein von der AMA aufzulegendes Formblatt zu verwenden ist. Im Falle der verspäteten Einreichung sind - außer für den Fall höherer Gewalt oder bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne des Art 40 Abs 4 VO 1782/2003 Kürzungen vorgesehen443. Der Antrag kann noch bis zur Ankündigung einer Vor-Ort-Kontrolle geändert oder zurückgenommen werden444. Liegt ein offenkundiger Irrtum vor, kann der Antrag nach seiner Einreichung jederzeit berichtigt werden, wenn die zuständige Behörde solche Irrtümer anerkennt445. Das integrierte Kontrollsystem setzt sich aus Verwaltungs- und Vor-OrtKontrollen zusammen, die so durchzuführen sind, dass zuverlässig geprüft werden kann, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Beihilfen eingehalten werden446. Bei den Verwaltungskontrollen geht es darum, sicherzustellen, dass die Beihilfenbeträge richtig berechnet wurden und Doppelzahlungen vermieden werden. Weiters wird geprüft, ob die angegebenen Flächen 440
441 442 443 444 445 446
Förderungsvoraussetzung in Österreich ist gemäß § 4 Abs 1 INVEKOS-Umsetzungs-Verordnung 2005 eine Mindestbetriebsgröße von 0,3 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche. Diese Mindestgröße kann vom Betriebsinhaber unterschritten werden, wenn er lediglich über einen Zahlungsanspruch gem Art 47 bis 49 der VO (EG) 1782/2003, der besonderen Bedingungen unterliegt, verfügt oder nur für die Mutterkuhprämie gem § 9 bzw die Schlachtprämie gem § 17 der GAP-BeihilfenVerordnung in Betracht kommt. - Im Jahre 2004 wurden Österreich 151.210 Betriebe (davon 8.136 Betriebe mit Teilbetrieb) im INVEKOS erfasst. Der Hauptteil der Betriebe, nämlich 118.788, wird von natürlichen Personen bewirtschaftet. Die übrigen Betriebe teilen sich auf juristische Personen (3.543 Betriebe), Personengemeinschaften (2.689 Betriebe) und Personengesellschaften (70 Betriebe) auf. - Vgl Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 2005, 56. Vgl Art 18 Abs 1 lit d und 22 VO 1783/2003; Art 12 VO 796/2004. Vgl § 3 Abs 1 INVEKOS-Umsetzungs-Verordnung 2005. Vgl Art 21 Abs 1 VO 796/2004. Vgl Art 15 Abs 3, 22 Abs 1 und 68 Abs 2 VO 796/2004. Art 19 VO 796/2004. - Dazu näher Anhammer ua (FN 83), 107. Art 23 VO 796/2003.
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auch tatsächlich vorhanden sind. Diese Kontrollen können im Wesentlichen an Hand der Aktenlage erfolgen. Bei den Vor-Ort-Kontrollen wird ein Lokalaugenschein durchgeführt, um die von den Antragstellern gemachten Angaben mit den realen Gegebenheiten zu vergleichen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, pro Jahr mindestens 5 Prozent aller Betriebsinhaber, die einen Sammelantrag stellen, zu überprüfen447, wobei die Auswahl der vor Ort zu kontrollierenden Betriebe zumeist im Rahmen einer „Risikoanalyse“ erfolgt. Die Kontrollen haben prinzipiell ohne vorhergehende Ankündigung zu erfolgen. Unter Umständen ist die Vor-Ort-Kontrolle auch im Wege der Fernerkundung möglich. Über das Ergebnis jeder durchgeführten Vor-Ort-Kontrolle ist ein Kontrollbericht anzufertigen, der inhaltlich bestimmten Voraussetzungen entsprechen muss448. Die in der VO 796/2004 vorgesehenen Sanktionen sind nach Art und Schwere des unter Sanktion gestellten Verhaltens gestaffelt. Sie reichen von einer Kürzung der Beihilfen über den Verlust des Beihilfeanspruches für die entsprechende Kultur bis zu einem Verlust des Beihilfeanspruches für sämtliche dem System unterliegenden Beihilfen für das folgende Kalenderjahr449. Die Sanktionen wurden vom EuGH als mit den Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechtes im Einklang stehend erachtet450. Dies gilt vor allem auch im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtlich anerkannte Verhältnismäßigkeitsprinzip. Grundsätzlich ist für die Berechnung der Beihilfe die beantragte Fläche maßgeblich. Weicht diese nach oben hin von der tatsächlich ermittelten Fläche ab, so wird die Beihilfe auf der Grundlage der ermittelten Fläche gekürzt451. Liegt die Differenz zwischen angegebener und ermittelter Fläche über 3 % oder 2 ha, beträgt sie aber nicht mehr als 20 % der ermittelten Fläche, so wird die Beihilfe auf der Grundlage der ermittelten Fläche, gekürzt um das Doppelte der festgestellten Differenz, berechnet452. Liegt die festgestellte Differenz über 20 % der ermittelten Fläche, so wird für die betreffende Kulturgruppe keine flächenbezogene Beihilfe gewährt453. Liegt in Bezug auf die ermittelte Gesamtfläche, für die im Rahmen des Sammelantrages Beihilfen beantragt werden, die angegebene Fläche um mehr als 30 % über der ermittelten Fläche, so wird im betreffenden Kalenderjahr keine Beihilfe im Rahmen der betroffenen Beihilferegelungen gewährt454. Liegt die Differenz über 50 %, so ist der Betriebsinhaber ein weiteres Mal bis zur Höhe des gleichen Betrages auszuschließen455. Bei vorsätzlich unrichtigen Angaben gelten gleichfalls die schärferen Sanktionen des Art 51 Abs 2 der VO 796/2003456. 447 448 449 450 451 452 453 454 455 456
Vgl Art 26 VO 796/2004. Vgl Art 28 VO 796/2004. Vgl im einzelnen Leidwein (FN 391), 503. EuGH Rs C-354/95, National Farmers Union, Slg 1997, I-4559. Vgl in diesem Zusammenhang etwa auch VwGH 20.12.1999, Zl 99/17/0375; 20.12.1999, Zl 98/17/0217. Art 51 Abs 1 VO 796/2004. Art 51 Abs 1 VO 796/2004. Art 51 Abs 2 VO 796/2004. Art 51 Abs 2 VO 796/2004. Vgl Art 53 VO 796/2004.
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Grundsätzlich sind die Sanktionen des INVEKOS verschuldensunabhängig, sodass auch der Irrtum nicht entschuldigt457. Hat der Betriebsinhaber jedoch sachlich richtige Angaben getätigt oder kann er auf andere Weise belegen, dass ihn keine Schuld trifft, finden die vorstehend genannten Sanktionen keine Anwendung458. Zu Unrecht bezahlte Beihilfen sind vom Betriebsinhaber verzinst459 zurückzuzahlen460. Die Rückzahlung kann auch im Wege der Kompensation erfolgen, indem der betreffende Betrag von Vorschüssen oder Zahlungen abgezogen wird, die der Betriebsinhaber nach Erlassung des Rückforderungsbescheides erhält461.
III. Grundzüge der einzelnen Marktorganisationen in ausgewählten Bereichen A. Gemeinsame Marktorganisation für Getreide 1. Allgemeines Als Prototyp der Gemeinsamen Marktordung gilt die Regelung für Getreide, da sie alle typischen Merkmale einer Marktordnung aufweist. Sie spiegelt überdies paradigmatisch die Entwicklung einer Marktordnung wieder, die ursprünglich eine umfassende, später eine nur eingeschränkte Preisgarantie enthielt, um letztlich zu einer Marktordnung mit vielfältigen Mechanismen zur Bewältigung der insbesondere durch die überschüssige Erzeugung entstandenen zahlreichen Probleme zu werden462. Im Jahr 2004 betrug die Weltgetreideproduktion insgesamt rund 1.607 Millionen Tonnen. Dies bedeutet einen Produktionsanstieg von rund 10% im Vergleich zum Vorjahr, womit der ursprünglich erwartete Verbrauchanstieg von 2,8 % deutlich übertroffen wurde. Die EU Getreideernte lag im Jahr 2004 mit 284 Millionen Tonnen um rund 55 Millionen Tonnen über der Ernte des Vorjahres. Sowohl in den großen Anbauländern der EU-15 als auch in den neuen Mitgliedsländern wurden Rekorderntemengen ausgewiesen. In den EU-15 betrug die Getreideernte rund 220 Millionen Tonnen, in den neuen Mitgliedsländern lag sie bei etwa 64 Millionen Tonnen. Der Stilllegungsgrundsatz betrug 5%. Die Interventionsbestände 2003/2004 lagen am Ende des Wirtschaftsjahres bei 7,2 Millionen Tonnen Getreide, davon 5,29 Millionen Tonnen Roggen. Im Gegensatz zu den vorigen Jahren gelang es den Schwarzmeerländern im Jahr 2004, wieder Getreide im Ausmaß von 15 bis 17 Millionen Tonnen zu exportieren. Dadurch bestand für 457 458 459 460 461 462
Näher dazu Anhammer ua (FN 83), 110 f. Vgl Art 68 VO 796/2004. Zur Berechnung der Zinsen s Art 73 Abs 3 VO 796/2004. Vgl Art 73 VO 796/2004. Vgl Art 73 Abs 2 VO 796/2004. - Für diese Art der Rückzahlung hat sich zB Österreich entschieden. Vgl § 13 INVEKOS-Umsetzungs-Verordnung 2005. Eingehend Gilsdorf/Pribe (FN 212), Art. 40, Rz 11f; Oppermann (FN 108), Rz 1385 ff.
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die traditionellen EU-Exportmärkte wie den Nahen Osten sowie den afrikanischen Raum zusätzliche Konkurrenz463. Die österreichische Getreideernte lag im Jahr 2004 bei 5,29 Millionen Tonnen. Laut Statistik Austria umfasste die Getreideanbaufläche 815.768 ha. Aufgrund äußerst günstiger Witterungsbedingungen und durch die Vergrößerung der Weizenanbaufläche (290.174 ha) konnte die Getreideernte 2004 im Vergleich zum schwachen Vorjahr um rund 25 % gesteigert werden. Die Überschusssituation nach der Erweiterung der Union, insbesondere im Nachbarstaat Ungarn, hatte maßgebliche Auswirkungen auf die Getreidesituation in Österreich. Die regionalen Preisunterschiede hatten zur Folge, dass der österreichische Getreidehandel in diesem Wirtschaftsjahr stark unter Druck geriet. In den neuen Mitgliedstaaten konnte die Intervention erstmals in Anspruch genommen werden und lief, auch in Ungarn, etwas verzögert an. Die Angebote von Getreide in die Intervention in Ungarn lagen Ende Dezember 2004 bereits sehr hoch. Dies wirkte sich in Österreich insofern aus, als mit Beginn der Interventionsperiode 2004/2005 große Getreidemengen in die Interventionsstellen gelangten. Mit Stand 31. Dezember 2004 lagen die insgesamt angebotenen Mengen bereits bei 102.837 Tonnen, davon waren 54.485 Tonnen Weichweizen, 39.672 Tonnen Mais und 8.690 Tonnen Gerste. Aufgrund der Änderung der gemeinsamen Marktorganisation für Getreide konnte in diesem Jahr von den Interventionsstellen kein Roggen angekauft werden. Die Erträge bei Winterweizen lagen durchschnittlich bei 6 Tonnen pro ha. Die Qualitäten lagen allerdings nur im mittleren bis guten Bereich, wobei Spitzenqualitäten mit Proteinwerten über 15 % regional beschränkt blieben. Die Hartweizenfläche wurde 2004 auf ca 17.600 ha erweitert. Aufgrund der besonders guten Wachstumsbedingungen konnten hier Durchschnittserträge von 5 Tonnen pro ha erzielt werden. Die idealen Bedingungen vor und während der Ernte hatten bei Durumweizen eine überdurchschnittlich gute Qualität zur Folge. Aufgrund der Flächenausweitung bei Weizen wurde die Sommergerstenfläche im Zuge des Frühjahrsanbaues um ca 27.000 ha auf etwa 111.000 ha reduziert, wobei gute Braugerstequalitäten mit Proteingehalten von unter 10 % und guter Mälzbarkeit erreicht wurden464. Wie bei anderen Produkten, die durch eine Gemeinsamen Marktordnung geregelt sind, so wird auch die Gemeinsame Marktorganisation für Getreide von einer großen Zahl weiterer Rechtsakte des sekundären Gemeinschaftsrechts „umrahmt“, die fortlaufend an die geänderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse angepasst werden. Eine Aufzählung an dieser Stelle muss aus verständlichen Gründen unterbleiben465.
463 464 465
Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 2005, 26. Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 2005, 26f. Vgl in diesem Zusammenhang die im Fundstellennachweis des geltenden Gemeinschaftsrechts unter der Sachgebietsgliederung 03.60.51 Getreide angeführten Rechtsakte der Gemeinschaft. - Eine Auswahl wichtiger Durchführungsbestimmungen findet sich auch bei Leidwein (FN 83), 148 ff.
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Die nachfolgende Darstellung bezieht sich ausschließlich auf die Gemeinsame Marktorganisation für Getreide sowie die entsprechenden Stützungsregelungen.
2. Erfasste Produkte Die MO für Getreide gilt für nachstehende Erzeugnisse466: • Zuckermais, frisch oder gekühlt; • Zuckermais, getrocknet, auch in Stücke oder Scheiben geschnitten, als Pulver oder sonst zerkleinert, jedoch nicht weiter zubereitet, anderer als Hybriden zur Aussaat; • Weichweizen und Mengkorn zur Aussaat; • Spelz, Weichweizen und Mengkorn, andere als zur Aussaat; • Roggen; • Gerste; • Hafer; • Mais, anderer als Hybridmais, zur Aussaat; • Mais, anderer als zur Aussaat; • Körner-Sorghum, anderes als Hybriden zur Aussaat; • Buchweizen, Hirse (ausgenommen Körner-Sorghum) und Kanariensaat; anderes Getreide; • Hartweizen; • Mehl von Weizen oder Mengkorn; • Mehl von Roggen ; • Grobgrieß und Feingrieß von Weizen; • Malz, auch geröstet; • die in Anhang I der Verordnung genannten Erzeugnisse. Das Wirtschaftsjahr beginnt für alle diese Erzeugnisse am 1. Juli und endet am 30. Juni des folgenden Jahres467.
3. Betriebsprämie Im Bereich der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen, darunter auch Getreide, und Körnerleguminosen hat die GAP-Reform 2003 hinsichtlich der Einführung der einheitlichen Betriebsprämie mehrere Möglichkeiten eröffnet. Primär ist die vollständige Anwendung der einheitlichen Betriebsprämie beabsichtigt, wodurch eine vollständige Entkoppelung der Beihilfe von der Produktion erreicht wird. Die Höhe des Kulturpflanzenausgleichs ist somit unabhängig von der produzierten Menge. Die Mitgliedstaaten haben allerdings die Möglichkeit, eine gekoppelte Prämie im Ausmaß von 25 % der bisherigen Zahlung beizubehalten. Danach würde der Produzent 75 % seiner bisherigen Kulturpflanzenflächenzahlungen im Rahmen der einheitlichen Betriebsprämie erhalten. Die restlichen 25 % wären an das tatsächliche Ausmaß der Produktion gebunden. Stattdessen kann 466 467
Vgl Art 1 VO 1784/2003. Art 2 VO 1784/2003.
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auch eine gekoppelte Hartweizenprämie im Ausmaß von 40 % der bisherigen Prämie beibehalten werden468. Österreich hat sich in diesem Bereich für eine komplette Einbindung der Kulturpflanzenförderung in die einheitliche Betriebsprämie entschieden, da es auch schon bisher so war, dass für die meisten Kulturpflanzen eine einheitliche Kulturpflanzen-Flächenzahlung gewährt wurde469.
4. Interne Regelungen a) Intervention Die Intervention der Gemeinsamen Marktorganisation für Getreide bezieht sich auf Weichweizen, Hartweizen, Gerste, Mais und Sorghum470. Da die Interventionspreise nicht mehr die Preisstabilität auf einem hohen Niveau gewährleisten, sondern lediglich als Sicherheitsnetz für die landwirtschaftlichen Einkommen dienen sollen, wurde der Interventionspreis für Getreidearten, die der Intervention unterliegen471, ab dem Wirtschaftsjahr 2000/2001 in zwei Schritten von je 7,5 % um insgesamt 15 % gekürzt472 und beträgt derzeit 101,31 Euro pro Tonne473. Der Interventionspreis unterliegt monatlichen Zuschlägen für das gesamte Wirtschaftsjahr oder einen Teil desselben. Diese Zuschläge sind der Tabelle in Anhang II der Verordnung zu entnehmen474. Der Interventionspreis bezieht sich auf die Großhandelsstufe (ist also kein den Erzeugern als solcher garantierter Preis), wobei die freie Anlieferung zum Lager, nicht hingegen das Abladen der Erzeugnisse, im Preis mit eingeschlossen ist. Der Interventionspreis gilt unterschiedslos für sämtliche der für die einzelnen Getreidearten festgelegten Interventionsorte der Gemeinschaft475. Die Festlegung der Interventionsorte ist mit VO Nr 2273/93476 erfolgt. Die von den Mitgliedstaaten bezeichneten Interventionsstellen sind verpflichtet, Weichweizen, Hartweizen, Gerste, Mais und Sorghum, die ihnen angeboten und in der Gemeinschaft geerntet wurden, anzukaufen, sofern die Angebote den insbesondere hinsichtlich Qualität und Menge festgelegten Bedingungen entsprechen477. Diese Ankäufe unterliegen zwar keiner mengenmäßigen Beschränkung, sie sind jedoch saisonal begrenzt, wobei für die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Interventionszeiträume gelten. So dürfen etwa 468 469 470 471
472 473 474 475 476 477
Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Die Reform der EU-Agrarpolitik (2003) 18. Vgl AMA (Hrsg), Einheitliche Betriebsprämie 2005 (oJ) 3. Näher zu den Interventionsmaßnahmen bei Getreide Anhammer ua (FN 83), 67 ff. Die Einführung eines einzigen Interventionspreises für Getreide hat aufgrund der begrenzten Absatzmöglichkeiten auf dem Binnenmarkt und den Drittlandsmärkten zu einer Ansammlung großer Interventionsbestände bei Roggen geführt, weshalb dieser im Rahmen der VO 1784/2003 von der Interventionsregelung ausgeschlossen wurde. Vgl N.N., Ackerkulturen, Der Österreichische Bauer, Nr 4a 1999, 16 f. Art 4 Abs 1 VO 1784/2003. Art 4 Abs 3 VO 1784/2003. Art 4 Abs 2 VO 1784/2003. Abl 1993 Nr L 207/1. Art 5 Abs 1 VO 1784/2003.
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Ankäufe in Griechenland, Spanien, Italien und Portugal nur vom 1.8. bis 30.4., in Schweden vom 1.12. bis 30.6. und in den anderen Mitgliedstaaten vom 1.11. bis 31.5. getätigt werden478. Anzumerken ist, dass die Ankaufsregelung ursprünglich auch Roggen umfasste. Aufgrund der begrenzten Absatzmöglichkeiten auf dem Binnenmarkt und den Drittlandsmärkten hat die Einführung eines einzigen Interventionspreises für Getreide jedoch zu einer Ansammlung großer Interventionsbestände bei Roggen geführt. Wie bereits eingangs angesprochen führte dies dazu, dass Roggen von der Interventionsregelung ausgeschlossen wurde. Besondere Interventionsmaßnahmen können beschlossen werden, sofern dies aufgrund der Marktlage erforderlich ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Marktpreise in einer oder mehreren Regionen der Gemeinschaft gegenüber dem Interventionspreis sinken oder zu sinken drohen479. b) Beihilfe für Hartweizen In den traditionellen Anbaugebieten, zu denen auch Österreich zählt, wird Betriebsinhabern, die Qualitätshartweizen (Hartweizen des KN-Codes 1001 10 00) erzeugen, auf der Grundlage der VO (EG) 1782/2003 eine Beihilfe gewährt480. Die Beihilfe beträgt 40 Euro/ha. Die Beihilfe wird im Rahmen einer nationalen Grundfläche, die für Österreich 7.000 ha beträgt, gewährt. Übersteigen die Flächen, für die eine Beihilfe beantragt wird, die Grundfläche, so wird die Fläche jedes Betriebsinhabers, für die eine Beihilfe beantragt wird, in diesem Jahr anteilsmäßig verringert481. c) Produktionserstattung Bei der Verwendung von Mais-, Weizen- oder Kartoffelstärke sowie von bestimmten daraus hergestellten Erzeugnissen zur Herstellung bestimmter Waren kann eine Produktionserstattung gewährt werden. Dadurch soll der europäischen Stärkeindustrie die Möglichkeit geboten werden, am Binnenmarkt Stärke zu Weltmarktbedingungen anzubieten, sollte das Weltmarktpreisniveau für Getreide und Kartoffeln unterhalb des gemeinschaftlichen Preisniveaus für diese Produkte liegen. Ebenso soll die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber synthetischen Produkten gewahrt bleiben482. Da es in Finnland und Schweden keine nennenswerte heimische Erzeugung von anderen Getreidearten für die Stärkeproduktion gibt, kann in diesen beiden Ländern auch für Stärke, die aus Gerste und Hafer gewonnen wird, eine Produktionserstattung gewährt werden. Dies ist aber nur so lange möglich, als die Produktion von Stärke aus diesen beiden Getreidearten auf mehr als 50.000 Tonnen in Finnland bzw auf mehr als 10.000 Tonnen in Schweden ansteigt483.
478 479 480 481 482 483
Art 5 Abs 2 VO 1784/2003. Art 7 Abs 1 VO 1784/2003. Vgl Art 72 ff VO 1782/2003. Vgl Art 75 Abs 1 VO 1782/2003. Leidwein (FN 83), 152. Art 8 Abs 1 VO 1784/2003.
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5. Außenschutzbestimmungen a) Allgemeines Zum Schutz des auf Großhandelsebene hoheitlich festgelegten gemeinschaftlichen Binnenpreisniveaus müssen Ausgleichungsmechanismen zur Regelung des Getreidehandels mit Drittländern eingeführt werden484. Diese Handelsregelungen gegenüber Drittländern umfassen drei Teilbereiche: Den Außenschutz gegenüber Drittländern, die Förderung der Ausfuhren und Sonderregelungen für Situationen der Marktverknappung bzw Marktstörung485. b) Lizenzpflicht Für alle Einfuhren der in Art1 VO 1784/2003 genannten Erzeugnisse in die Gemeinschaft sowie die Ausfuhr dieser Erzeugnisse aus der Gemeinschaft ist die Vorlage einer Einfuhr- bzw Ausfuhrlizenz erforderlich. Die Lizenz wird von den Mitgliedstaaten jedem Antragsteller unabhängig vom Ort seiner Niederlassung in der Gemeinschaft erteilt. Für Erzeugnisse, die keine erheblichen Auswirkungen auf die Versorgungslage auf dem Getreidemarkt haben, kann jedoch eine Ausnahmeregelung vorgesehen werden. Die Ein- und Ausfuhrlizenzen sind gemeinschaftsweit gültig. Die Erteilung der Lizenzen ist jedoch an die Stellung einer Sicherheit gebunden, die gewährleistet, dass die Erzeugnisse während der Geltungsdauer der Lizenz tatsächlich ein- bzw ausgeführt werden. Für den Fall, dass die Ein- bzw Ausfuhr während dieser Zeit nicht oder nur teilweise erfolgt, verfällt die Sicherheit486. c) Zölle Bei der Einfuhr von Getreide sind die Einfuhrzollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs anzuwenden487. Auf Weichweizen, Roggen, Gerste, Mais und Sorghum (Erzeugnisse der KN-Codes 1001 10 00, 1001 90 91, ex 1001 90 99 [Weichweizen der oberen Qualität], 1002, ex 1005, ausgenommen Hybrid zur Aussaat, und ex 1007, ausgenommen Hybrid zur Aussaat), ist der Einfuhrzoll jedoch gleich dem für diese Erzeugnisse bei der Einfuhr geltenden Interventionspreis zuzüglich 55% und abzüglich des cif-Einfuhrpreises für die betreffende Sendung. Dieser so errechnete Zollsatz darf jedoch den Zoll des Gemeinsamen Zolltarifs nicht überschreiten488. Um Nachteile, die sich aus der Einfuhr bestimmter Getreideerzeugnisse für den Gemeinschaftsmarkt ergeben können, zu vermeiden, kann zu dem in Artikel 10 Abs 2 VO 1784/2003 vorgesehenen Zollsatz ein zusätzlicher Einfuhrzoll eingehoben werden, es sei denn, die Einfuhren können keine Störung des Gemeinschaftsmarktes verursachen oder die Auswirkungen stehen in keinem 484
485 486 487 488
Grundlegend Eichenberg, Die Instrumente der gemeinsamen Marktorganisation zur Steuerung der Einfuhr von landwirtschaftlichen Drittlandserzeugnissen in die Gemeinschaft (1997). - Vgl auch Oppermann (FN 108), Rz 1388. Vgl Gilsdorf/Priebe (FN 212), Art 40, Rz 25. Art 9 Abs 1 VO 1784/2003. Art 10 Abs 1 VO 1784/2003. Art 10 Abs 2 VO 1784/2003.
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Verhältnis zum angestrebten Ziel489. Die Preise, deren Unterschreitung die Erhebung eines zusätzlichen Einfuhrzolles auslösen können, sind die Preise, die der Welthandelsorganisation von der Gemeinschaft übermittelt werden. Ein zusätzlicher Einfuhrzoll kann überdies auch dann erhoben werden, wenn das Einfuhrvolumen in einem Jahr, in dessen Verlauf Nachteile aus der Einfuhr bestimmter Erzeugnisse eintreten oder einzutreten drohen, ein Niveau überschreitet, welches auf der Grundlage von Absatzmöglichkeiten, definiert als Prozentsätze des entsprechenden einheimischen Verbrauchs in den drei vorangegangenen Jahren, festgesetzt wurde („Auslösungsvolumen“)490. Die Einfuhr dieses neuen Systems trägt dem im Rahmen der GATTUruguay-Runde abgeschlossenen WTO-Landwirtschaftsabkommen Rechnung, mit dem die Umwandlung der Abschöpfungen und anderer Einfuhrhemmnisse (wie mengenmäßige Beschränkungen oder Mindestpreise) in Zolltarife unter gleichzeitiger Senkung der Zollsätze bis 2001 beschlossen wurde („Tarifizierung“). Bis zur Einfuhr des von der Kommission festzusetzenden Einfuhrzolls galt das System variabler Schutzzölle („Abschöpfungen“), das darauf ausgerichtet war, gleich teuere oder billigere Importe auf das Preisniveau der Gemeinschaft anzuheben491. Die Höhe der (seinerzeit täglich neu festgesetzten) Abschöpfung errechnete sich aus dem um den cif-Preis für Rotterdam verminderten Schwellenpreis. Bei der Festsetzung der Abschöpfungen war die Ermittlung des cif-Preises von zentraler Bedeutung. Hierzu bediente sich die Kommission aller verfügbaren Angaben auf dem Weltmarkt, insbesondere der Notierungen an den Getreidebörsen492. Diese Angaben wurden auf Standardqualitäten, cif-Rotterdam, angepasst493. Die Kommission war nicht dazu verpflichtet, diese Angaben gegebenenfalls gegenüber Dritten offen zu legen494. d) Ausfuhrerstattungen Bei der Ausfuhr von Getreide kann für die Differenz zwischen den Notierungen oder Preisen auf dem Weltmarkt und den Preisen in der Gemeinschaft eine Ausfuhrerstattung gewährt werden. Die Erstattung bei der Ausfuhr von Erzeugnissen des Artikels 1 in Form von Waren des Anhangs III darf dabei jedoch nicht höher sein als die Erstattung, die bei der Ausfuhr dieser Erzeugnisse in unverändertem Zustand Anwendung findet495. Die Zuteilung der Mengen, für die eine Ausfuhrerstattung gewährt werden kann, hat im Wege eines Verfahrens zu erfolgen, das der Art des Erzeugnisses und der Lage auf dem betreffenden Markt am ehesten gerecht wird und das die bestmögliche Nutzung der verfügbaren Mittel ermöglicht. Ebenso hat das Verfahren der Effizienz und der Struktur der Ausfuhren der Gemeinschaft Rechnung zu tragen, wobei es jedoch insbesondere zu keiner unterschiedlichen Behandlung zwischen kleinen und großen Wirtschaftsteilnehmern kommen 489 490 491 492 493 494 495
Art 11 Abs 1 VO 1784/2003. Art 11 Abs 2 VO 1784/2003. Zum Rechtscharakter der Abschöpfungen vgl Kalbe, Agrarrecht2 (1974) 152 ff. Vgl Gilsdorf/Priebe (FN 212), Art 40, Rz 26. VO Nr 156/67, Abl 1967, 2533. EuGH Rs 64/82, Tradax, Slg 1984, 1359. Art 13 Abs 1 VO 1784/2003.
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darf. Des Weiteren ist sicher zu stellen, dass dieses Verfahren so ausgestaltet ist, dass sich die Wirtschaftsteilnehmer daran - nach Maßgabe der grundlegenden Verwaltungserfordernisse - leicht beteiligen können, ohne dass eine Diskriminierung zwischen den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern bewirkt wird496. Hinsichtlich der gewährten Erstattungen legt die Verordnung fest, dass diese für die gesamte Gemeinschaft gleich sind. Lediglich wenn es die Lage auf dem Weltmarkt oder die spezifischen Anforderungen bestimmter Märkte erfordern, kann die Ausfuhrerstattung unterschiedlich festgesetzt werden. Die Festsetzung der Erstattungen erfolgt durch die Kommission im Wege der Erlassung von Durchführungsverordnungen nach den Bestimmungen des Art 25 Abs 2 VO 1784/2003. Sie kann in regelmäßigen Zeitabständen oder im Wege der Ausschreibung bei den Erzeugnissen, bei denen dieses Verfahren in der Vergangenheit vorgesehen wurde, vorgenommen werden. Die Kommission kann die in regelmäßigen Zeitabständen festgesetzten Erstattungen, soweit erforderlich, zwischenzeitlich auf Antrag eines Mitgliedstaates oder von sich aus ändern497. Für die in Art 1 VO 1784/2003 genannten Erzeugnisse, die in unverändertem Zustand ausgeführt werden, wird die Erstattung nur auf Antrag und nach Vorlage der betreffenden Ausfuhrlizenz gewährt498. e) Schutzmaßnahmen Erreichen die Notierungen oder Preise auf dem Weltmarkt für eine oder mehrere Getreidearten ein Niveau, das die Versorgung der Gemeinschaft stört oder stören könnte, so können für den Fall, dass diese Lage anzuhalten und sich zu verschlechtern droht, geeignete Maßnahmen in Fällen äußerster Dringlichkeit als Schutzmaßnahmen ergriffen werden499. Wird der Markt in der Gemeinschaft für eine oder mehrere Getreidearten aufgrund der Einfuhren oder Ausfuhren ernstlichen Störungen ausgesetzt oder von ernstlichen Störungen bedroht, die eine Gefahr für die Ziele des Art 33 EGV bedeuten, so können im Handel mit Nicht-WTO-Mitgliedsländern geeignete Maßnahmen angewandt werden, bis die tatsächlich oder drohende Störung behoben ist500. Sollten derartige ernstliche Störungen eintreten, so beschließt die Kommission auf Antrag eines Mitgliedstaates oder von sich aus die erforderlichen Maßnahmen. Diese Maßnahmen werden den Mitgliedstaaten mitgeteilt und sind unverzüglich anzuwenden. Ist die Kommission mit dem Antrag eines Mitgliedstaates erfasst worden, entscheidet sie darüber binnen 3 Arbeitstagen nach Eingang des Antrags501. Jeder Mitgliedstaat kann die von der Kommission getroffene Maßnahme dem Rat vorlegen, welcher die Möglichkeit hat, diese binnen eines Monats nach Vorlage mit qualifizierter Mehrheit zu ändern oder aufzuheben502.
496 497 498 499 500 501 502
Art 13 Abs 2 VO 1784/2003. Art 13 Abs 3 VO 1784/2003. Art 14 Abs 1 VO 1784/2003. Art 21 Abs 1 VO 1784/2003. Art 22 Abs 1 VO 1784/2003. Art 22 Abs 2 VO 1784/2003. Art 22 Abs 3 VO 1784/2003.
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B. Gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch 1. Allgemeines Wie die übrigen Gemeinsamen Marktorganisationen, so zielt auch die Gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch auf eine Stabilisierung der Märkte und die Sicherung einer angemessenen Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung hin ab. Der Erreichung der Ziele dienen im konkreten Fall die im Rindfleischsektor getroffenen Binnenmarktmaßnahmen, die insbesondere Direktzahlungen an die Rindfleischerzeuger, eine Beihilfe für die private Lagerhaltung und ein Programm für die öffentliche Lagerhaltung umfassen. Das Wachstum der Fleischerzeugung setzte sich auch im Jahr 2004 fort. Die internationalen Märkte für Rindfleisch gewannen weiter an Bedeutung, wobei die Dynamik in den Regionen der Welt unterschiedlich war. Besondere Faktoren wirkten sich oft störend auf die Entwicklungen aus, so etwa die BSEKrise in Nordamerika, die Importquoten in Russland und die Abwertung des US-Dollars. Im Gegensatz dazu war innerhalb der Europäischen Union eine günstige Marktentwicklung zu beobachten, die unter anderem auf die massiven BSE-Bekämpfungsmaßnahmen in den Vorjahren, insbesondere in Großbritannien, zurückzuführen war. Die Änderungen in der Agrarpolitik mit dem Ziel, durch entkoppelte Zahlungen keine weiteren Produktionsanreize zu geben, führten insgesamt zu einem deutlich geringeren Angebot. Weitere - allerdings nur leichte - Rückgänge zeichneten sich in der Entwicklung der Rinderbestände sowie in der Produktion ab503. Insgesamt wurden im Jahr 2004 in den 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union 88,5 Millionen Rinder von 2,7 Millionen Landwirten gehalten. Die größte Anzahl an Rindern befand sich dabei mit 19,5 Millionen Stück in Frankreich, gefolgt von Deutschland mit 13,6 Millionen und dem Vereinigten Königreich mit 10,5 Millionen Stück. Diese drei Länder stellten im erfassten Zeitraum zusammen etwa die Hälfte des gesamten Rinderbestandes der Europäischen Union. Die Auswertung nach der Halterstruktur ergab einen durchschnittlichen Rinderbestand in der Europäischen Union von 33 Tieren/Halter. Die größten Herden wurden in Zypern (191 Tiere/Halter), Luxemburg (117 Tiere/Halter), den Niederlanden (96 Tiere/Halter) und im Vereinigten Königreich (94 Tiere/Halter) ermittelt. Im Vergleich dazu hält der österreichische Landwirt im Durchschnitt lediglich 23 Rinder504. Die Grundverordnung über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch geht auf das Jahr 1968 zurück und wurde durch die VO (EG) Nr 1254/1999 des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch505 ersetzt506. Zusammengefasst hat man beschlossen, die Marktstützung zu verringern und diese Verringerung durch eine Anhebung der Tierprämien auszugleichen. Die wichtigsten Prämien für die Rindfleischerzeuger, nämlich 503 504 505 506
Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 2005, 35f. Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 2005, 63. Abl 1999 Nr L 160/21, idF der VO (EG) Nr 1458/2001, Abl 2001 Nr L 194/4. Vgl auch Hix (FN 107), Art 34, Rz 52 ff.
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die Mutterkuhprämie und die Sonderprämie für männliche Rinder, wurden in drei Stufen angehoben, um die Absenkung des Interventionspreises auszugleichen. Ferner wurden eine Saisonentzerrungsprämie und ein Zusatzbetrag für die Extensivierung geschaffen. Zur Angebotssteuerung und aus Unweltschutzgründen wurden die Mutterkuhprämie und die Sonderprämie an historische Referenzbestandszahlen gebunden und einer stufenweisen, über drei Jahre angeführten Höchstbesatzdichte unterworfen.
2. Erfasste Produkte Die Gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch umfasst folgende Erzeugnisse507: • Hausrinder, lebend, ausgenommen reinrassige Zuchttiere; • Rindfleisch, frisch oder gekühlt; • Fleisch von Rindern, gefroren; • Zwerchfellpfeiler (Nierenzapfen) und Saumfleisch, frisch oder gekühlt; • Zwerchfellpfeiler (Nierenzapfen) und Saumfleisch, gefroren; • Fleisch von Rindern, gesalzen, in Salzlake, getrocknet oder geräuchert; • Zwerchfellpfeiler (Nierenzapfen) und Saumfleisch, in Salzlake, getrocknet oder geräuchert; • Genießbares Mehl von Fleisch oder Schlachtnebenerzeugnissen; • Fleisch und Schlachtnebenerzeugnisse von Rindern, anders zubereitet oder haltbar gemacht, nicht gegart; Mischungen aus gegartem Fleisch oder gegarten Schlachtnebenerzeugnissen und nicht gegartem Fleisch oder nicht gegarten Schlachtnebenerzeugnissen; • Fleisch, anders zubereitet oder haltbar gemacht, Fleisch und Schlachtnebenerzeugnisse von Rindern enthaltend, nicht gegart; Mischungen aus gegartem Fleisch oder gegarten Schlachtnebenerzeugnissen und nicht gegartem Fleisch oder nicht gegarten Fleischnebenerzeugnissen; • Rinder, lebend, reinrassige Zuchttiere; • Genießbare Schlachtnebenerzeugnisse von Rindern, ausgenommen Zwerchfellpfeiler (Nierenzapfen) und Saumfleisch, frisch oder gekühlt, ausgenommen zum Herstellen von pharmazeutischen Erzeugnissen; • Genießbare Schlachtnebenerzeugnisse von Rindern, ausgenommen Zwerchfellpfeiler (Nierenzapfen) und Saumfleisch, gefroren, ausgenommen zum Herstellen von pharmazeutischen Erzeugnissen; • Genießbare Schlachtnebenerzeugnisse von Rindern, in Salzlake, getrocknet oder geräuchert, andere als Zwerchfellpfeiler (Nierenzapfen) und Saumfleisch; • Fett von Rindern, roh oder ausgeschmolzen, auch ausgepresst oder mit Lösungsmitteln ausgezogen; • Fleisch und Schlachtnebenerzeugnisse von Rindern, anders zubereitet oder haltbar gemacht, ausgenommen nicht gegarte Erzeugnisse sowie Mischungen aus gegartem Fleisch oder gegarten Schlachtnebenerzeugnissen und nicht gegartem Fleisch oder nicht gegarten Schlachtnebenerzeugnissen; • Fleisch, anders zubereitet oder haltbar gemacht, Fleisch und Schlachtnebenerzeugnisse von Rindern enthaltend, ausgenommen nicht gegarte Er507
Art 1 Abs 1 VO 1254/1999.
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zeugnisse sowie Mischungen aus gegartem Fleisch oder gegarten Schlachtnebenerzeugnissen und nicht gegartem Fleisch oder nicht gegarten Schlachtnebenerzeugnissen.
3. Begriffsbestimmungen Wie die meisten Gemeinsamen Marktorganisationen, so enthält auch die Gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch eine Reihe von Begriffsbestimmungen508, die dem weiteren Regelungstext zugrunde zu legen sind. Im Einzelnen werden nachfolgende Begriffe näher definiert: • „Erzeuger“: Leiter eines in der Europäischen Gemeinschaft ansässigen Rinderhaltungsbetriebes als natürliche oder juristische Person oder als Gemeinschaft natürlicher oder juristischer Personen, ungeachtet der Rechtsform dieser Gemeinschaft oder ihrer Mitglieder nach einzelstaatlichem Recht. • „Betrieb“: Die Gesamtheit der in einem Mitgliedstaat ansässigen und von einem Erzeuger geleiteten Produktionseinheiten. • „Region“: Nach Wahl des betreffenden Mitgliedstaates die Gesamtheit oder ein Teil seines Hoheitsgebietes. • „Bulle“: Nicht kastriertes männliches Rind. • „Ochse“: Kastriertes männliches Rind. • „Mutterkuh“: Kuh einer Fleischrasse oder eine aus der Kreuzung mit einer Fleischrasse hervorgegangene Kuh, die einem Aufzuchtsbetrieb angehört, in dem Kälber für die Fleischerzeugung gehalten werden. • „Färse“: Mindestens 8 Monate altes weibliches Rind vor der ersten Abkalbung.
4. Betriebsprämie Im Hinblick auf die Besonderheiten, die im Bereich der Produktion von Rindfleisch sowie auf dem Markt für Rindfleisch bestehen, eröffnet die GAPReform 2003 den Mitgliedstaaten bei der Beihilfenregelung für Rinder (Mutterkuhprämien, Sonderprämie männliche Rinder, Schlachtprämie) eine ganze Reihe von Optionen. Grundsätzlich kann auch hier die einheitliche Betriebsprämie vollständig angewendet werden, sodass es zu einer hundertprozentigen Entkoppelung kommt. Weiters sind die bis zu hundertprozentige Koppelung der Schlachtprämie bei Kälbern und/oder die Beibehaltung einer gekoppelten Mutterkuhprämie bis zum vollen bisherigen Ausmaß sowie einer gekoppelten Schlachtprämie für Großrinder bis zum Ausmaß von 40 % der bisherigen Zahlung oder die Beibehaltung der Schlachtprämie für Großrinder in gekoppelter Form bis zum vollen Ausmaß der bisherigen Prämie (hundertprozentige Koppelung) oder die Beibehaltung einer gekoppelten Zahlung für
508
Art 3 VO 1254/1999.
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männliche Rinder im Ausmaß von bis zu 75 % der Höhe der bisherigen Sonderprämie für männliche Rinder möglich509. Österreich hat sich im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten für eine komplette Koppelung der Mutterkuhprämie an die tatsächlich gehaltene Zahl der Mutterkühe und für eine vierzigprozentige Koppelung der Schlachtprämie für Großrinder und Kälber entschieden. Das bedeutet im Ergebnis, dass die Mutterkuhprämien bei der Berechnung der einheitlichen Betriebsprämie nicht berücksichtigt werden. Diese Prämien werden vielmehr anhand der Anzahl der tatsächlich gehaltenen Tiere außerhalb der Betriebsprämie ausbezahlt510. Im Fall der Anwendung des Art 68 VO (EG) 1782/2003 (gekoppelte Direktzahlungen im Bereich Rindfleisch) sind die Beihilfen, für die sich die Mitgliedstaaten gemäß dieser Bestimmung entschieden haben, unter den in Kap 12 VO (EG) 1782/2003 („Zahlungen für Rindfleisch“) festgelegten Voraussetzungen zu gewähren, sofern nichts anderes geregelt ist511.
5. Interne Regelungen a) Intervention Die Interventionsregelung ist nur mehr in den Übergangs- und Schlussbestimmungen der Gemeinsamen Marktorganisation für Rindfleisch enthalten, da mit der „Agenda 2000“ die öffentliche Intervention nicht mehr für erforderlich angesehen wurde. Demnach durften die Interventionsstellen bis 30. Juni 2002 Rindfleischerzeugnisse ankaufen, um einen Preisverfall zu verhindern oder zu begrenzen512. Für jede interventionsfähige Qualität oder Qualitätsklassen mussten in einem Zeitraum von zwei aufeinander folgenden Wochen gleichzeitig folgende zwei Bedingungen erfüllt sein513: • Der aufgrund des gemeinschaftlichen Handelsklassenschemas für Schlachtkörper ausgewachsener Rinder festgelegte durchschnittliche Gemeinschaftsmarktpreis musste unter 84% des Interventionspreises liegen. • Der aufgrund des genannten Handelsklassenschemas festgelegte durchschnittliche Marktpreis in einem Mitgliedstaat oder in Regionen von Mitgliedstaaten musste unter 80% des Interventionspreises liegen. Wenn diese Bedingungen erfüllt waren, konnten Interventionsstellen in einem oder mehreren Mitgliedstaat(en) oder in der Region eines Mitgliedstaates bestimmte Fleischerzeugnisse mit Ursprung in der Gemeinschaft im Rahmen von Ausschreibungen ankaufen, die im Hinblick auf eine angemessene Marktunterstützung unter Berücksichtigung der saisonalen Entwicklung der Schlachtungen eröffnet werden514. Diese Ankäufe durften, bezogen auf die ganze Gemein509
510 511 512 513 514
Vgl Art 68 iVm Art 121 ff VO 1782/2003. - Näher dazu auch Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Die Reform der EU-Agrarpolitik, 25. Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Die Reform der EU-Agrarpolitik, 25. Art 121 VO 1782/2003. - Zu den Voraussetzungen s auch Leidwein (FN 83), 233 f. Art 47 Abs 1 VO 1254/1999. Art 47 Abs 3 VO 1254/1999. Art 47 Abs 1 VO 1254/1999.
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schaft, ein Jahresvolumen von 350.000 Tonnen nicht überschreiten. Für das Jahr 2001 wurde diese Obergrenze auf 500.000 Tonnen erhöht. Der Interventionspreis wurde für das erste Halbjahr 2000 auf 3.475 Euro pro Tonne festgesetzt und wurde anschließend auf 3.242 Euro pro Tonne für das Jahr 2000/01 und auf 3.013 Euro pro Tonne für das Jahr 2001/02 gesenkt515. Die Intervention wurde außerdem eröffnet, wenn für nicht kastrierte männliche Jungtiere unter zwei Jahren oder kastrierte männliche Tiere während zwei aufeinander folgender Wochen der anhand des gemeinschaftlichen Handelsklassenschemas für Schlachtkörper ausgewachsener Rinder festgestellte durchschnittliche Gemeinschaftsmarktpreis unter 78% des Interventionspreises lag und wenn in einem Mitgliedstaat oder in den Regionen eines Mitgliedstaates der anhand des gemeinschaftlichen Handelsklassenschemas für Schlachtkörper ausgewachsener Rinder festgestellte durchschnittliche Marktpreis für nicht kastrierte männliche Jungtiere unter zwei Jahren oder für kastrierte männliche Tiere unter 60% des Interventionspreises lag516. An die Stelle der Intervention ist eine Sicherheitsnetz-Interventionsregelung getreten. Diese dient der Stützung des Rindermarktes in Mitgliedstaaten oder Regionen, in denen die Marktpreise eine bestimmte kritische Grenze nicht erreichen517. Liegt der durchschnittliche Marktpreis für Bullen oder Ochsen in einem Mitgliedstaat (oder Teil eines Mitgliedstaates) während zwei aufeinander folgender Wochen unter 1.560 Euro pro Tonne, so können die Interventionsstellen eine oder mehrere noch festzulegende Kategorien, Qualitäten oder Qualitätsklassen von frischem oder gekühltem Fleisch der KN-Codes 0201 10 00 und 0201 20 20 bis 0201 20 50 mit Ursprung in der Gemeinschaft ankaufen518. Im Rahmen dieser Ankäufe können nur Angebote akzeptiert werden, deren Preis auf demselben Niveau wie der in einem Mitgliedstaat oder Regionen eines Mitgliedstaates festgestellte durchschnittliche Marktpreis oder unter diesem Niveau liegt, auf den ein Zusatzbetrag angewandt wird, der nach objektiven Kriterien festzusetzen ist519. Die Ankaufspreise sowie die zur Intervention angenommenen Mengen werden im Rahmen der Ausschreibung bestimmt und können unter besonderen Umständen nach Mitgliedstaaten oder Regionen eines Mitgliedstaates auf der Grundlage der durchschnittlichen Marktpreisnotierungen festgesetzt werden. Die Ausschreibungen müssen allen Interessenten gleichen Zugang gewährleisten. Sie werden auf der Grundlage eines Lastenheftes eröffnet, bei dessen Festlegung die Handelsstrukturen, soweit erforderlich, berücksichtigt werden520. Von der Kommission wird die Eröffnung der Ankäufe beschlossen, sofern während zwei aufeinander folgender Wochen die in Abs 1 genannte Voraussetzung erfüllt ist. Sobald während mindestens einer Woche diese Voraussetzung
515 516 517 518 519 520
Art 47 Abs 3 VO 1254/1999. Art 47 Abs 5 VO 1254/1999. Vgl Anhammer ua (FN 83), 71. Art 27 Abs 1 VO 1254/1999. Art 27 Abs 2 VO 1254/1999. Art 27 Abs 3 VO 1254/1999.
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nicht mehr erfüllt ist, beschließt die Kommission die Beendigung der Ankäufe521. Des Weiteren hat der Europäische Rat die Kommission ersucht, den Europäischen Rindfleischmarkt genau zu überwachen und bei absehbaren Marktstörungen die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen522. b) Beihilfen für die private Lagerhaltung Seit 1. Juli 2002 können Beihilfen zur privaten Lagerhaltung gewährt werden, wenn der durchschnittliche Gemeinschaftsmarktpreis für Schlachtkörper ausgewachsener Rinder weniger als 103 % des Grundpreises beträgt und sich voraussichtlich auf diesem Niveau halten wird. Der Grundpreis für Schlachtkörper männlicher Rinder der Qualität R3 des gemeinschaftlichen Handelsklassenschemas wird auf EUR 2.224 festgesetzt523. Beihilfen zur privaten Lagerhaltung können für frisches oder gekühltes Fleisch ausgewachsener Rinder gewährt werden, welche als ganze Schlachtkörper, Schlachtkörperhälften, Vorder- oder Hinterviertel aufgemacht und nach dem gemeinschaftlichen Handelsschema klassifiziert sind524. c) Prämien aa) Sonderprämie für männliche Rinder Erzeuger, die in ihrem Betrieb männliche Rinder halten, können auf Antrag eine Sonderprämie erhalten525. Bei der Sonderprämie für männliche Rinder handelt es sich um eine Jahresprämie, die pro Kalenderjahr und Betrieb innerhalb der regionalen Höchstgrenzen für maximal 90 Tiere gewährt wird, und zwar: • einmal im Leben eines Bullen ab dem Alter von 9 Monaten, • zweimal im Leben eines Ochsen, und zwar erstmals ab dem Alter von 9 Monaten und zum zweiten Mal nach Erreichen des Alters von 21 Monaten526. Die Sonderprämie für männliche Rinder beträgt seit dem Jahr 2002 je prämienfähigem Bullen 210 Euro pro Tonne527. Die Sonderprämie für männliche Rinder beträgt seit dem Jahr 2002 je prämienfähigem Ochsen der betreffenden Altersklasse 150 Euro pro Tonne528. Diese Sonderprämie wird ausschließlich im Rahmen einer „regionalen Höchstgrenze“, die für jeden Mitgliedstaat gesondert in Anhang I zur VO 1254/1999 festgelegt ist, ausbezahlt. Unter „regionale Höchstgrenze“ ist dabei die Anzahl der Tiere, die in einer bestimmten Region und einem bestimmten
521 522 523 524 525 526 527 528
Art 27 Abs 4 VO 1254/1999. Vgl N.N., GAP-Reform: Der Rindfleischsektor. Europäische Kommission, Generaldirektion Landwirtschaft (Homepage der Europäischen Kommission) 3. Art 26 Abs 1 VO 1254/1999. Art 26 Abs 3 VO 1254/1999. Art 4 Abs 1 VO 1254/1999. Art 4 Abs 2 VO 1254/1999. Art 4 Abs 7 lit a VO 1254/1999. Art 4 Abs 7 lit b VO 1254/1999.
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Kalenderjahr prämienfähig sind, zu verstehen. Für Österreich beträgt die regionale Höchstgrenze 423.400. Diese Prämie wird gewährt, sofern die Besatzdichte des Betriebs 2 Großvieheinheiten je benötigter Futterflächeneinheit nicht überschreitet529 bb) Mutterkuhprämie Erzeuger, die in ihrem Betrieb Mutterkühe halten, können auf Antrag eine Prämie zur Erhaltung des Mutterkuhbestandes erhalten530. Mutterkuhprämien sind Jahresprämien, die Erzeugern gewährt werden531, die • in den 12 Monaten ab dem Tag der Beantragung der Prämie weder Milch noch Milcherzeugnisse aus ihrem Betrieb abgegeben haben (dabei steht jedoch die direkte Abgabe von Milch oder Milcherzeugnissen vom Betrieb an den Verbraucher der Gewährung der Prämie nicht entgegen); • Milch oder Milcherzeugnisse abgeben, wobei die einzelbetriebliche Referenzmenge insgesamt 120.000 kg nicht überschreiten darf und • wenn während mindestens 6 aufeinander folgender Monate ab dem Tag der Antragstellung des Erzeugers der Anteil Mutterkühe und Färsen im Erzeugerbetrieb gemessen an der Zahl der Tiere, für welche die Mutterkuhprämie beantragt wird, bei Mutterkühen mindestens 60% und bei Färsen höchstens 40% ausmacht. Die Mutterkuhprämie kann seitens der Mitgliedstaaten durch eine zusätzliche Prämie in Höhe von maximal 50 Euro je Tier ergänzt werden, sofern diese Prämiengewährung in dem betreffenden Mitgliedstaat nicht zu Diskriminierungen zwischen den Rinderhaltern führt532. Die genannten Prämien werden gewährt, sofern die Besatzdichte des Betriebes zwei Großvieheinheiten je benötigter Futterflächeneinheit nicht überschreitet. Nationale Höchstgrenzen, sohin die Summe der für den Mitgliedstaat geltenden Prämienansprüche, sind im Anhang II zur Verordnung angeführt. Bei den Verhandlungen konnte Österreich erreichen, dass die Höchstgrenze für die Mutterkuhprämie um 5.000 Stück, sohin auf insgesamt 325.000 Tiere angehoben wurde. Seit Erlassung der Verordnung Nr 1254/99 unterhält jeder Mitgliedstaat eine nationale Reserve für Mutterkuhprämienansprüche533. Diese Reserven werden in erster Linie genutzt, um Berufsneulingen, Junglandwirten und anderen vorrangig in Frage kommenden Erzeugern Prämienansprüche zuzuteilen534. Die Mutterkuhprämie beträgt seit dem Jahr 2002 je prämienfähigem Tier 200 Euro535.
529 530 531 532 533 534 535
Art 12 Abs 1 VO 1254/1999. Art 6 Abs 1 VO 1254/1999. Art 6 Abs 2 lit a und b VO 1254/1999. Art 6 Abs 5 VO 1254/1999. Art 9 Abs 1 VO 1254/1999. Art 9 Abs 3 VO 1254/1999. Art 6 Abs 4 VO 1254/1999.
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cc) Schlachtprämie Für einen Erzeuger, der in seinem Betrieb Rinder hält, kann auf Antrag für die Gewährung einer Schlachtprämie in Betracht kommen. Diese Prämie wird innerhalb der festzulegenden nationalen Höchstgrenzen bei Schlachtung von förderfähigen Tieren oder bei der Ausfuhr nach einem Drittland gewährt536. Diese Prämie wird den Landwirten unmittelbar gezahlt und kann für nachfolgende Tiere gewährt werden: • für mindestens 8 Monate alte Bullen, Ochsen, Kühe und Färsen • für mindestens 1 und höchstens 7 Monate alte Kälber mit einem Schlachtkörpergewicht von weniger als 160 kg. Um diese Prämie zu erhalten, muss der Beweis erbracht werden, dass das Tier entweder tatsächlich geschlachtet bzw in ein Drittland ausgeführt wurde. Die Schlachtprämie beträgt seit dem Jahr 2002 für Bullen, Ochsen, Kühe und Färsen 80 Euro und für Kälber 50 Euro pro Jahr537. Die nationalen Höchstgrenzen für die Prämie werden je Mitgliedstaat und gesondert für die beiden Tiergruppen (einerseits Bullen, Ochsen, Kühe, Färsen, andererseits Kälber) festgelegt538. Wenn in einem bestimmten Mitgliedstaat die Gesamtzahl an Tieren, für die eine Schlachtprämie beantragt wurde und die die Voraussetzungen für die Gewährung der Schlachtprämie erfüllen, die für jene Tiergruppe festgelegte nationale Höchstprämie übersteigt, so wird die Zahl aller im Rahmen jener Gruppe je Erzeuger in dem betreffenden Jahr förderfähigen Tiere proportional verringert539. dd) Saisonentzerrungsprämie Die Schlachtung einer zu großen Zahl von Ochsen im Laufe einer Schlachtsaison in den Mitgliedstaaten könnte die Marktstabilität gefährden und zu seinem Verfall der Marktpreise führen. Infolge dessen muss die Schlachtung von Ochsen außerhalb der jährlichen Schlachtsaison gefördert werden. Dies erfolgt mittels der Saisonentzerrungsprämie. Überschreitet in einem Mitgliedstaat die Zahl der Ochsen, die in einem bestimmten Jahr geschlachtet wurden, 60% der jährlichen Gesamtschlachtungen männlicher Rinder und die Zahl jener Ochsen, die zwischen dem 1. September und dem 30. November eines bestimmten Jahres geschlachtet wurden, 35% der jährlichen Gesamtschlachtung von Ochsen, so können die Erzeuger auf Antrag über die Sonderprämie540 hinaus eine zusätzliche Prämie, nämlich die Saisonentzerrungsprämie, erhalten541. Das Prämienniveau ist wie folgt geregelt542: • 72,45 Euro je Tier, wenn es in den ersten 15 Wochen eines bestimmten Jahres geschlachtet wird;
536 537 538 539 540 541 542
Art 11 Abs 1 VO 1254/1999. Art 11 Abs 2 lit a und b VO 1254/1999. Art 11 Abs 3 VO 1254/1999. Art 11 Abs 4 VO 1254/1999. Vgl Art 4 VO 1254/1999. Art 5 Abs 1 lit a und b VO 1254/1999. Art 5 Abs 2 VO 1254/1999.
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• 54,34 Euro je Tier, wenn es in der 16. und 17. Woche eines bestimmten Jahres geschlachtet wird; • 36,23 Euro je Tier, wenn es in der 18. bis 21.Woche eines bestimmten Jahres geschlachtet wird; • 18,11 Euro je Tier, wenn es in der 22. und 23. Woche eines bestimmten Jahres geschlachtet wird. ee) Extensivierungsprämie Erzeuger, denen die Sonderprämie und/oder die Mutterkuhprämie gewährt wird, können eine Extensivierungsprämie erhalten543. Sie beträgt 100 Euro je gewährter Sonder- und Mutterkuhprämie, sofern die Besatzdichte des Betriebes während des betreffenden Kalenderjahres 1,4 Großvieheinheiten je Hektar oder weniger beträgt544. Die Mitgliedstaaten können jedoch ab dem Kalenderjahr 2002 beschließen, die Extensivierungsprämie wie folgt gewähren545: • 40 Euro bei einer Besatzdichte von 1,4 Großvieheinheiten pro ha oder mehr bis einschließlich 1,8 Großvieheinheiten pro ha; • 80 Euro bei einer Besatzdichte von weniger als 1,4 Großvieheinheiten pro ha. Die Kriterien für die Prämienfähigkeit werden insofern verschärft, als alle ausgewachsenen Rinder im Betrieb sowie auch Schafe und/oder Ziegen berücksichtigt werden, für die eine Prämie beantragt wurde546. Die zugrunde gelegte Hektarzahl wird auf Wechsel- und Dauerweiden und andere Futterflächen begrenzt, ausgenommen Flächen, die für die Erzeugung von Ackerkulturen verwendet werden. Die angegebene Gesamtfutterfläche muss zumindest 50% aus Weideland bestehen, wobei der Begriff „Weideland“ von den Mitgliedstaaten definiert wird. Bei dieser Begriffsbestimmung wird mindestens folgendes Kriterium einbezogen: Weideland ist Grünland, das gemäß der örtlichen Landwirtschaftspraxis als Weide für Rinder und/oder Schafe anerkannt ist. Dies schließt die gemischte Verwendung von Weideland (Weide, Heu, Grassilage) während desselben Jahres nicht aus547. In Mitgliedstaaten, in denen über 50 % der Milch in Berggebieten erzeugt wird, wird die Extensivierungsprämie auch für die in den Betrieben dieser Gebiete gehaltenen Mutterkühe gewährt548. d) Ergänzungsbeträge Die Mitgliedstaaten können in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Erzeugern auf Jahresbasis Ergänzungsbeträge im Gesamtrahmen der Globalbeträge gemäß Anhang IV gewähren. Die Beträge werden nach objektiven Kriterien, insbesondere einschließlich der Produktionsstrukturen und Produktionsbedingungen, in nichtdiskriminierender Weise gezahlt, damit Marktstörungen und Wettbe543 544 545 546 547 548
Art 13 Abs 1 VO 1254/1999. Art 13 Abs 2 VO 1254/1999. Art 13 Abs 2 lit a und b VO 1254/1999. Art 13 Abs 3 lit a VO 1254/1999. Art 13 Abs 3 lit b und c VO 1254/1999. Art 13 Abs 4 VO 1254/1999.
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werbsverzerrungen vermieden werden. Darüber hinaus dürfen bei der Zahlung von Ergänzungsbeträgen Marktpreisschwankungen nicht berücksichtigt werden. Ergänzungsbeträge werden tierbezogen549 und/oder flächenbezogen550 gewährt551.
6. Außenschutzbestimmungen a) Lizenzpflicht Für die Einfuhr von Rindfleisch in bzw die Ausfuhr von Rindfleisch aus der Gemeinschaft ist eine Einfuhr- bzw Ausfuhrlizenz erforderlich. Die Mitgliedstaaten erteilen Antragstellern die Lizenzen unabhängig vom Sitz ihres Betriebes in der Gemeinschaft. Die Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen gelten in der gesamten Gemeinschaft. Ihre Erteilung ist an die Leistung einer Sicherheit gebunden, damit gewährleistet ist, dass die Einfuhr bzw die Ausfuhr während der Gültigkeitsdauer der Lizenz erfolgt. Außer in Fällen höherer Gewalt verfällt die Sicherheit ganz oder teilweise, wenn die Ein- bzw Ausfuhr innerhalb dieser Frist nicht oder nur teilweise erfolgt ist552. b) Zölle Für die Einfuhr von Rindfleisch gelten die Zölle des Gemeinsamen Zolltarifs553. Zur Vermeidung oder Behebung von Nachteilen, die sich aus der Einfuhr bestimmter Arten von Rindfleisch in die Gemeinschaft für den Gemeinschaftsmarkt ergeben können, wird ein zusätzlicher Einfuhrzoll erhoben, wenn die Bedingungen des Art 5 des Übereinkommens über die Landwirtschaft554 erfüllt sind, es sei denn, es ist unwahrscheinlich, dass sich die Einfuhren störend auf den Gemeinschaftsmarkt auswirken oder die Auswirkungen in keinem Verhältnis zum angestrebten Ziel stünden555. Die Preise, deren Unterschreitung die Erhebung eines zusätzlichen Einfuhrzolls auslösen kann, sind die Preise, die der Welthandelsorganisation von der Gemeinschaft übermittelt werden. Die Mengen, deren Überschreitung die Erhebung eines zusätzlichen Einfuhrzolls auslöst, werden insbesondere auf der Grundlage der Einfuhren in die Gemeinschaft festgelegt, die in den drei Jahren vor dem Jahr erfolgt sind, in dem die Nachteile des Art 5 des Übereinkommens über die Landwirtschaft556 entstehen oder entstehen könnten557. c) Ausfuhrerstattungen Bei der Ausfuhr von Rindfleisch kann die Differenz zwischen den Weltmarktpreisen dieser Erzeugnisse und den Preisen in der Gemeinschaft (soweit erforderlich und nur innerhalb der Grenzen der in Übereinstimmung mit Art 300 549 550 551 552 553 554 555 556 557
Vgl Art 15 VO 1254/1999. Vgl Art 17 VO 1254/1999. Art 14 VO 1254/1999. Art 29 Abs 1 VO 1254/1999. Art 30 VO 1254/1999. Abl 1994 Nr L 336/22. Art 31 Abs 1 VO 1254/1999. Abl 1994 Nr L 336/22. Art 31 Abs 2 VO 1254/1999.
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EGV geschlossenen Übereinkommen) durch eine Erstattung bei der Ausfuhr ausgeglichen werden, die bei Vorlage der Ausfuhrlizenz gezahlt wird und die je nach Bestimmungsort - unterschiedlich hoch sein kann, wenn bestimmte Märkte besondere Anforderungen stellen558. Ausfuhrerstattungen werden unter Berücksichtigung nachfolgender Faktoren festgesetzt559: • der jeweiligen Lage und der Entwicklungsaussichten der Preise für Rindfleischerzeugnisse und der verfügbaren Mengen auf dem Gemeinschaftsmarkt, sowie der Preise für Rindfleischerzeugnisse auf dem Weltmarkt; • der Ziele der gemeinsamen Marktorganisation für Rindfleisch, die auf diesem Markt die Ausgewogenheit und natürliche Entwicklung von Preisen und Handel gewährleisten sollen; • der Beschränkungen aufgrund internationaler Übereinkommen (Welthandelsorganisation usw); • der Notwendigkeit der Vermeidung von Störungen auf dem Gemeinschaftsmarkt; • der den geplanten Ausfuhren zugrunde liegenden wirtschaftlichen Erwägungen. dd) Schutzmaßnahmen Wird der Gemeinschaftsmarkt für Rindfleisch aufgrund von Ein- oder Ausfuhren ernstlichen Störungen ausgesetzt oder von ernstlichen Störungen bedroht, so können auf den Handel mit Drittländern geeignete Maßnahmen angewendet werden, bis die Marktstörung behoben ist oder keine Störung mehr droht560. Tritt diese Lage ein, so beschließt die Kommission auf Antrag eines Mitgliedstaates oder von sich aus die erforderlichen Maßnahmen, die den Mitgliedstaaten mitgeteilt werden und unverzüglich anwendbar sind. Wird die Kommission mit einem Antrag eines Mitgliedstaates befasst, so fasst sie innerhalb von drei Arbeitstagen nach Eingang des Antrages einen Beschluss561.
C. Gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse 1. Allgemeines Um die Märkte zu stabilisieren und der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten, ist es im Milchsektor erforderlich, dass die Interventionsstellen auf der Grundlage einer einheitlichen Preisregelung Interventionsmaßnahmen auf dem Markt einschließlich des Ankaufes von Butter und Magermilchpulver sowie der Gewährung von Prämien für die private Lagerhaltung durchführen können. Die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor soll der Verringerung des Ungleichgewichtes zwischen Angebot und Nachfrage bei Milch und Milcherzeugnissen und der entsprechenden strukturellen Überschüsse dienen. Gleichzeitig werden durch schrittweise Kür558 559 560 561
Art 33 Abs 1, Abs 3 VO 1254/1999. Art 33 Abs 4 VO 1254/1999. Art 36 Abs 1 VO 1254/1999. Art 36 Abs 2 VO 1254/1999.
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zung der Richtpreise und Interventionspreise für Butter und Magermilchpulver ab dem 1. Juli der Verbrauch von Milch und Milcherzeugnissen in der Gemeinschaft gefördert und die Wettbewerbsfähigkeit dieser Erzeugnisse auf dem Weltmarkt verbessert. Im Jahr 2004 betrug die Weltmilchproduktion 611 Millionen Tonnen, wobei davon 508 Millionen Tonnen auf Kuhmilch entfielen. Die höchsten Zuwachsraten in der Milchproduktion waren in Ost- und Südostasien (+ 300%), Südasien (+ 150%) und Ozeanien (+ 100%) zu verzeichnen. In Nordamerika und im Nahen und Mittleren Osten bewegten sich die Zuwachsraten zwischen 20% und 30%. In der Gemeinschaft war im selben Jahr, vor allem wegen des deutlichen Produktionsrückganges in den ehemaligen sozialistischen Mitgliedstaaten, ein leichter Rückgang der produzierten Milchmenge zu beobachten, der sich allerdings auf die gesamte Milchverarbeitung ausgewirkt hat. Die Produktion von Käse ist noch leicht angestiegen, während die Erzeugung von Butter und Magermilchprodukten deutlich zurückgegangen ist. Gleichzeitig war eine Steigerung bei Exporten in Drittländern zu bemerken, denen keine entsprechende Importzunahme gegenüberstand562. Der erste Senkungsschritt der Interventionspreise für Butter und Magermilchpulver ist laut der Agrarreform 2003 am 1. Juli 2004 in Kraft getreten. Diese Kürzungen sowie die Einführung einer Obergrenze bei der Butterintervention zeigten kurzfristig keine Auswirkungen auf die Marktpreise für Butter und Magermilchpulver sowie die der anderen Milcherzeugnisse. Diese Stabilität auf den Märkten kann einerseits auf einen tendenziellen Rückgang der Milchanlieferungen und andererseits auf einen relativ aufnahmefähigen Weltmarkt zurückgeführt werden. Die Preiserhöhungen am Weltmarkt haben sich bisher nicht in höheren Preisen für die Milcherzeuger in der Europäischen Union niedergeschlagen. Der Grund darin liegt sowohl in der Erstattungspolitik als auch der Kursentwicklung des Euro. Lediglich in den USA zeichnet sich eine kräftige Preiserhöhung ab563. Im Jahr 2004 wurden an die österreichische Molkereiwirtschaft 2,62 Millionen Tonnen Milch angeliefert. Der gesamte Rohmilchanfall betrug 3,14 Millionen Tonnen Milch, woraus eine Lieferleistung an die Molkereien von 84,5% resultiert. Die restliche Kuhmilcherzeugung wurde im Rahmen der Direktvermarktung für die menschliche Ernährung am Hof und für die Verfütterung verwendet. Im Jahr 2004 betrug die Milchlieferleistung (inklusive Bauernbutter und Alpenkäseerfassung) 2,65 Millionen Tonnen. In Österreich befindet sich die Rohmilchqualität nach wie vor auf sehr hohem Niveau, was sich darin äußert, dass der Anteil an Milch ohne Qualitätsabzüge im Berichtsjahr immerhin 98,3% betrug564.
562 563 564
Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 2005, 35. Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 2005, 35. Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Grüner Bericht 2005, 35.
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Sowohl mit der „Agenda 2000“ als auch mit der GAP-Reform 2003 wurde die 1968 geschaffene gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse, die bereits 1984 durch die Einführung der Milchquote und 1987 durch den Abbau der Interventionsmaßnahmen tiefgreifend umgewandelt wurde, neuerlich grundlegend geändert. Die Änderungen, die zur Gewährleistung der Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit des Sektors beschlossen wurden, betreffen hauptsächlich die schrittweise Verringerung der institutionellen Preise ab 2005, die teilweise durch Direktzahlungen an die Erzeuger ausgeglichen wird. Außerdem musste die Milchquotenregelung im Jahr 2003 im Hinblick auf ihre geplante Abschaffung nach dem Jahr 2006 überprüft werden565. Bei den Verhandlungen konnte nunmehr allerdings eine Verlängerung der Milchquotenregelung bis zum 31.03.2015 erreicht werden. Dies war eine der Hauptforderungen Österreichs, um die Milchproduktion in den benachteiligten Gebieten abzusichern und eine Produktionsausweitung in den Beitrittsländern zu verhindern. Damit konnten für die Milcherzeuger langfristig Rahmenbedingungen für ihre betriebswirtschaftliche Entwicklung und Entscheidungen festgelegt werden566. Die Gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse ist in der VO Nr 1255/1999 des Rates567 niedergelegt und wurde zuletzt durch die VO Nr 186/2004 geändert. Daneben bestehen zahlreiche Durchführungsbestimmungen nicht nur hinsichtlich der entkoppelten Beihilfen und der Quotenregelung, sondern auch solche, die die Standards und Analysen bei der Qualitätsbewertung von Milch und Milcherzeugnissen, die private Lagerhaltung, die Intervention, die Vermarktungsmaßnahmen, die Außenhandelsregelungen uvam betreffen568.
2. Erfasste Erzeugnisse Die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse gilt für nachstehende Erzeugnisse569: • Milch und Rahm, weder eingedickt, noch mit Zusatz von Zucker oder anderen Süßungsmitteln; • Milch und Rahm, eingedickt oder mit Zusatz von Zucker oder anderen Süßungsmitteln; • Buttermilch, saure Milch und saurer Rahm, Joghurt, Kefir und andere fermentierte oder gesäuerte Milch (einschließlich Rahm), auch eingedickt und mit Zusatz von Zucker oder anderen Süßungsmitteln, weder aromatisiert, noch mit Zusatz von Früchten, Nüssen oder Kakao; • Molke, auch eingedickt oder mit Zusatz von Zucker oder anderen Süßungsmitteln; Erzeugnisse, die aus natürlichen Milchbestandteilen beste565 566 567 568 569
Vgl dazu die entsprechende redaktionelle Mitteilung der Gemeinschaft unter ihrer Homepage www.europa.eu.int. Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Die Reform der EU-Agrarpolitik, 29. Abl 1999 Nr L 160/48. Vgl die Übersicht über wesentliche Durchführungsbestimmungen bei Leidwein (FN 83), 221 ff. Art 1 VO 1255/1999.
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hen, auch mit Zusatz von Zucker oder anderen Süßungsmitteln, anderweit weder genannt noch inbegriffen; • Butter und andere Fettstoffe aus Milch; Milchstreichfette mit einem Fettgehalt von mehr als 75 GHT, jedoch weniger als 80 GHT; • Käse und Quark/Topfen; • Laktose und Laktosesirup ohne Zusatz von Aroma- oder Farbstoffen und mit einem Gehalt von Laktose berechnet als wasserfreie Laktose in der Trockenmasse, von weniger als 99 GHT; • Laktosesirup, aromatisiert oder gefärbt • Zubereitungen von der zur Fütterung verwendeten Art: Futter und Zubereitungen, die Erzeugnisse enthalten, auf die diese Verordnung unmittelbar oder aufgrund der Verordnung Nr 2730/75 des Rates570 anwendbar ist, ausgenommen Futter und Zubereitungen, auf die die Verordnung Nr 1766/92 des Rates571 anwendbar ist. Das Milchwirtschaftsjahr beginnt am 1. Juli und endet am 30. Juni des folgenden Kalenderjahres572.
3. Betriebsprämie Schon mit der „Agenda 2000“ wurde beschlossen, dass in Zukunft Prämien für Milch bezahlt werden sollten. Faktisch eingeführt wurden diese in weiterer Folge mit der GAP-Reform 2003, mit der der Einführungszeitpunkt auf das Jahr 2004 vorverlegt wurde. Die Errechnung der Prämien erfolgt auf der Basis der Milchquote, die am 31. März des jeweiligen Kalenderjahres auf dem Betrieb verfügbar ist573. Die Entkoppelung der Milchprämie ist grundsätzlich erst nach der Umsetzung der Milchreform vorgesehen. Das bedeutet, dass spätestens ab 2007 auch die Direktzahlungen für Milch von der tatsächlichen Produktion entkoppelt und auf der Basis der Prämienhöhe 2006 in die einheitliche Betriebsprämie überführt werden. Durch die Einrechnung der Milchprämie in die einheitliche Betriebsprämie erhöht sich in weiterer Folge der Wert des Zahlungsanspruches pro Hektar entsprechend574. Österreich ist es im Zuge der Verhandlungen zur GAP-Reform 2003 gelungen, eine Verlängerung der Milchquotenregelung bis zum 31. März 2015 zu erreichen.
4. Interne Regelung a) Intervention Der in der Gemeinschaft geltende Interventionspreis besteht nur noch für Butter und Magermilchpulver575. Er wird ausgedrückt in Euro/100 kg und 570 571 572 573 574 575
Abl 1975 Nr L 281/20. Abl 1992 Nr L 181/21. Art 2 VO 1255/1999. Vgl Art 95 ff VO 1782/2003; Art 22 VO 1973/2004 iVm § 39b und § 39c MilchGarantiemengen-Verordnung 1999. - S dazu auch Anhammer ua (FN 83), 90. Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Die Reform der EU-Agrarpolitik, 30. Vgl auch Anhammer ua (FN 83), 69 f.
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soll stufenweise bis 2007 gesenkt werden. Die Interventionsregelung stellt eine bedingte und befristete Verpflichtung der nationalen Interventionsstellen zum Ankauf von Butter und Magermilchpulver dar. Der Interventionspreis für Butter beträgt • für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis 30. Juni 2006, 282,44 Euro/100kg, • für den Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2007, 259,52 Euro/100kg, • ab 1. Juli 2007, 246,39 Euro/100kg576. Sinken die Marktpreise für Butter in einem oder mehreren Mitgliedstaaten während eines repräsentativen Zeitraumes unter 92 % des Interventionspreises ab, so nehmen die Interventionsstellen zwischen dem 1. März und dem 31. August des jeweiligen Jahres in diesem Mitgliedstaat bzw diesen Mitgliedstaaten Ankäufe im Wege der Ausschreibung vor. Der von der Kommission festgesetzte Ankaufspreis darf nicht unter 90 % des Interventionspreises liegen. Übersteigen die zur Intervention angebotenen Mengen 50.000 Tonnen im Jahr 2006, 40.000 Tonnen im Jahr 2007 und 30.000 Tonnen ab 2008, so kann die Kommission die Interventionskäufe für Butter aussetzen577. Die Interventionsstellen dürfen nur in einem in der Gemeinschaft zugelassenen Betrieb unmittelbar und ausschließlich aus pasteurisiertem Rahm gewonnene Butter kaufen, die bestimmte in der Verordnung näher angeführte Kriterien erfüllen muss578. Die Interventionsregelung wird so angewandt, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Butter auf dem Markt erhalten bleibt, die ursprüngliche Qualität der Butter so weit wie möglich gewahrt und eine möglichst rationelle Lagerung gewährleistet wird579. Der Interventionspreis für Magermilchpulver beträgt • für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis 30. Juni 2006, 184,97 Euro/100 kg • ab dem 1. Juli 2006, 174,69 Euro/100kg580. Bei Magermilchpulver nimmt die vom jeweiligen Mitgliedstaat bestimmte Interventionsstelle den Ankauf zum Interventionspreis vor, sofern das Magermilchpulver in einem in der Gemeinschaft zugelassenen Betrieb gewonnen worden ist, und bestimmte Kriterien erfüllt. Dieser Interventionspreis ist der am Tag der Herstellung geltende Preis für Magermilchpulver, frei geliefert an ein von der Interventionsstelle bestimmtes Lagerhaus581. Die Kommission kann die Ankäufe aussetzen, sobald die zwischen dem 1. März und 31. August eines jeden Jahres zur Intervention angebotene Menge 109.000 Tonnen übersteigen. In diesem Fall können die Ankäufe durch die Interventionsstellen im Wege der Dauerausschreibung erfolgen582. b) Beihilfen für die private Lagerhaltung Für die private Lagerhaltung von Milcherzeugnissen kann eine Beihilfe gewährt werden, insbesondere wenn sich eine Preis- und Bestandsentwicklung 576 577 578 579 580 581 582
Art 4 Abs 1 lit a VO 1255/1999. Art 6 Abs 1 VO 1255/1999. Art 6 Abs 2 VO 1255/1999. Art 6 Abs 5 VO 1255/1999. Art 4 Abs 1 lit b VO 1255/1999. Art 7 Abs 1 VO 1255/1999. Art 7 Abs 2 VO 1255/1999.
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abzeichnet, die ein schwerwiegendes, aber durch saisonale Lagerhaltung zu behebendes oder zu verringerndes Marktungleichgewicht voraussehen lässt. Bei den betroffenen Erzeugnissen, handelt es sich grundsätzlich um Butter583, Rahm584, Magermilchpulver585 und bestimmte Käsesorten (Grana Padano, Parmigiano-Reggiano, Provolone, lagerfähige Käsesorten, aber auch bestimmte Schaf- und/oder Ziegenkäse)586. Die Beihilfe für die private Lagerhaltung wird unter Berücksichtigung der Lagerhaltungskosten und der voraussichtlichen Marktpreisentwicklung festgesetzt. Wenn es die Marktlage erfordert, kann die Kommission beschließen, dass die Interventionsstelle die gelagerten Erzeugnisse ganz oder teilweise wieder vermarktet587. c) Vermarktungsmaßnahmen Darüber hinaus sieht die Verordnung eine Reihe von Vermarktungsbeihilfen588 vor, die der Förderung des Absatzes von Milch und der Verwertung von Butter und Magermilchpulver dienen sollen. Derartige Vermarktungsbeihilfen kommen für Magermilch und Magermilchpulver (denen Buttermilch und Buttermilchpulver gleichgestellt sind), die für Futterzwecke verwendet werden und gewisse Bedingungen erfüllen, in Betracht589. Bei der Festsetzung der Beihilfebeträge werden nachfolgende Faktoren berücksichtigt590: • der Interventionspreis für Magermilchpulver; • die Entwicklung der Versorgungslage bei Magermilch und Magermilchpulver sowie ihrer Verwendung für Futterzwecke; • die Entwicklung der Kälberpreise; • die Entwicklung des Marktpreises konkurrierender Eiweißstoffe im Vergleich zu dem für Magermilchpulver. Auch wird für Magermilch, die in der Gemeinschaft hergestellt worden ist und zu Kasein oder zu Kaseinaten verarbeitet wird, eine Verarbeitungsbeihilfe gewährt, wenn die Milch und das daraus hergestellte Kasein bzw die Kaseinate gewissen Bedingungen entsprechen591. Für die in Schulen erfolgende Abgabe von bestimmten Erzeugnissen aus verarbeiteter Milch ist eine Gemeinschaftsbeihilfe („Schulmilchbeihilfe“) vorgesehen592. Die einzelnen Mitgliedstaaten können ergänzend zur Gemeinschaftsbeihilfe nationale Beihilfen für die in Schulen erfolgende Abgabe derartiger Milcherzeugnisse an Schüler gewähren. Diese Beihilfe können die Mitgliedstaaten durch eine auf den Milchsektor erhobene Steuer oder durch einen anderen Beitrag des Milchsektors finanzieren593. 583 584 585 586 587 588 589 590 591 592 593
Art 6 Abs 3 VO 1255/1999. Art 6 Abs 3 VO 1255/1999. Art 7 Abs 3 VO 1255/1999. Art 8 Abs 1 und Art 9 Abs 1 VO 1255/1999. Vgl Art 6 Abs 3 und Art 7 Abs 3 VO 1255/1999. Art 11 ff VO 1255/1999. Art 11 Abs 1 VO 1255/1999. Art 11 Abs 2 VO 1255/1999. Art 12 Abs 1 VO 1255/1999. Art 14 Abs 1 VO 1255/1999. Art 14 Abs 2 VO 1255/1999.
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d) Milchprämie und Ergänzungszahlungen aa) Vorbemerkung Um eine Stabilisierung der Agrareinkommen zu ermöglichen - insbesondere aufgrund der vorgesehenen Senkung der Interventionspreise - waren ursprünglich bereits ab dem Wirtschaftsjahr 2005/2006 Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse an die Erzeuger vorgesehen594. Diese Direktzahlungen sollten in erster Linie den Erzeugern und nicht den Quoteninhabern zugute kommen595. Die Direktzahlungen an die Erzeuger sollten im Allgemeinen zwischen dem 16. Oktober des Kalenderjahres und dem 30. Juni des Folgejahres erfolgen596. Auch nach der GAP-Reform 2003 sind zwei Arten von Direktzahlungen vorgesehen, nämlich einerseits die Zahlung eines festen Betrages (Milchprämie/Prämienbetrag) und andererseits zusätzliche variable Zahlungen, die in Form von Ergänzungszahlungen gewährt werden. Beide Arten von Direktzahlungen sind in der VO (EG) Nr 1782/2003597 geregelt. bb) Milchprämie Art 95 VO 1782/2003 sieht vor, dass Milcherzeuger im Zeitraum von 2004 bis 2007 für eine Milchprämie in Betracht kommen. Die Prämie wird je Kalenderjahr und Betrieb und je Tonne prämienfähiger einzelbetrieblicher Referenzmenge, über die der Betrieb verfügt, gezahlt. Dabei ist die in Tonnen ausgedrückte einzelbetriebliche Milchreferenzmenge entscheidend, welche dem Betrieb am 31. März des jeweiligen Kalenderjahres zur Verfügung steht. Diese wird für die Kalenderjahre 2006 und 2007, im Fall der Anwendung des Art 70598 auch für die folgenden Jahre, mit 24,49 Euro pro Tonne multipliziert, um die Milchprämie zu ermitteln599. cc) Ergänzungszahlungen Die Mitgliedstaaten können alljährlich den in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Erzeugern von Milch und Milchprodukten im Zeitraum von 2004 bis 2007 Ergänzungszahlungen gewähren. Dies erfolgt im Rahmen jährlicher Gesamtbeträge, welche für die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich festgesetzt werden. Für Österreich wurden diese Gesamtbeträge für 2006 und 2007 mit 30,28 Millionen Euro festgelegt. Die Ergänzungszahlungen erfolgen nach objektiven Kriterien und unter Gewährleistung der Gleichbehandlung der Erzeuger bei gleichzeitiger Vermeidung von Markt- oder Wettbewerbsverzerrungen. Darüber hinaus dürfen bei diesen Zahlungen Marktpreisschwankungen nicht berücksichtigt werden. Die Prämienzuschläge werden nur in Form eines Ergänzungsbetrages zur Milchprämie gewährt600. 594 595 596 597 598 599 600
Art 16 VO 1255/1999. Art 16 Abs 1 VO 1255/1999. Art 21 VO 1255/1999. Abl 2003 Nr L 270/1. Art 70 betrifft den fakultativen Ausschluss bestimmter Arten von Direktzahlungen. Abl 2003 Nr L 270/35 Art 95. Abl 2003 Nr L 270/35 Art 96.
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5. Außenschutzbestimmungen a) Lizenzpflicht Für alle Einfuhren von Milch und Milcherzeugnissen in die Gemeinschaft ist die Vorlage einer Einfuhrlizenz erforderlich. Für alle Ausfuhren dieser Erzeugnisse aus der Gemeinschaft kann die Vorlage einer Ausfuhrlizenz gefordert werden601. Die Lizenz wird von den Mitgliedstaaten jedem Antragsteller unabhängig vom Ort seiner Niederlassung in der Gemeinschaft auf Antrag erteilt602. Die Kommission legt sowohl das Verzeichnis der Erzeugnisse, für welche Ausfuhrlizenzen erforderlich sind, als auch die Gültigkeitsdauer dieser Lizenzen fest603. Auch in diesem Bereich finden die Zölle des Gemeinsamen Zolltarifs Anwendung604. b) Zölle Grundsätzlich finden für die Einfuhr von Milch und Milcherzeugnissen die Zölle des Gemeinsamen Zolltarifs Anwendung. Zur Vermeidung oder Behebung von Nachteilen, die sich aus der Einfuhr von Milch und Milcherzeugnissen für den Markt in der Gemeinschaft ergeben, wird für die Einfuhr ein zusätzlicher Einfuhrzoll erhoben, wenn die Bedingungen des Art 5 des Übereinkommens über die Landwirtschaft605, erfüllt sind, es sei denn, es ist unwahrscheinlich, dass die Einfuhren den Gemeinschaftsmarkt stören, oder die Auswirkungen stehen in keinem Verhältnis zum angestrebten Ziel606. Die Preise, deren Unterschreitung die Erhebung eines zusätzlichen Einfuhrzolls auslöst, sind die Preise, die der Welthandelsorganisation von der Gemeinschaft mitgeteilt werden. Die Mengen, deren Überschreitung die Erhebung eines zusätzlichen Einfuhrzolls auslöst, werden insbesondere auf der Grundlage der Einfuhren in die Gemeinschaft festgelegt, die in den drei Jahren vor dem Jahr erfolgt sind, in dem die Nachteile für den Markt in der Gemeinschaft auftreten oder aufzutreten drohen607. c) Ausfuhrerstattungen Um die Ausfuhr von Milch und Milcherzeugnissen zu ermöglichen, kann der Unterschied zwischen den Weltmarktpreisen und den Preisen in der Gemeinschaft durch eine Ausfuhrerstattung ausgeglichen werden608. Die Erstattung ist für die gesamte Gemeinschaft prinzipiell gleich, kann aber, je nach Bestimmung, unterschiedlich festgesetzt werden, wenn dies die Lage auf dem Weltmarkt oder die spezifischen Anforderungen bestimmter Märkte erfordert609.
601 602 603 604 605 606 607 608 609
Art 26 Abs 1 VO 1255/1999. Art 26 Abs 2 VO 1255/1999. Art 26 Abs 3 VO 1255/1999. Art 27 VO 1255/1999. Abl 1994 Nr L 336/22. Art 28 Abs 1 VO 1255/1999. Art 28 Abs 2 VO 1255/1999. Art 31 Abs 1 VO 1255/1999. Art 31 Abs 3 VO 1255/1999.
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d) Schutzmaßnahmen Wird der Markt der Gemeinschaft aufgrund der Einfuhren oder Ausfuhren ernstlichen Störungen ausgesetzt oder von ernstlichen Störungen bedroht, so können im Handel mit Drittländern geeignete Maßnahmen angewandt werden, bis die tatsächliche Störung behoben ist oder keine Störung mehr droht610. Tritt eine ernstliche Störung ein bzw droht eine solche, so beschließt die Kommission entweder auf Antrag eines Mitgliedstaates oder von sich aus die erforderlichen Maßnahmen, die den Mitgliedstaaten in der Folge mitgeteilt werden und von diesen unverzüglich anzuwenden sind. Ist die Kommission mit einem Antrag eines Mitgliedstaates befasst worden, so entscheidet sie hierüber innerhalb von drei Arbeitstagen nach Eingang des Antrags611.
3. Die Quotenregelung im Milchsektor a) Allgemeines Bereits 1984 wurde mit VO (EWG) Nr 856/64612 eine Quotenregelung für Milch und Milcherzeugnisse („Milch-Garantiemengenregelung“) mit dem Ziel eingeführt, das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei Milch und Milcherzeugnissen und die sich daraus ergebenden strukturellen Überschüsse („Milchseen“, „Butterberge“) zu verringern613. Die Regelung war befristet, wurde jedoch mehrmals verlängert, insbesondere mit VO (EWG) Nr 3950/92614 und - bis zum 31. März 2008 - mit der VO (EG) Nr 1256/1999615. Im Zuge der GAP-Reform 2003 wurde die VO (EWG) Nr 3950//92 aufgehoben und durch die neu gestaltete, klarer und übersichtlicher gefasste VO (EG) Nr 1788/2003616 ersetzt, die bis zum 31. März 2015 gilt. Die entsprechenden Durchführungsbestimmungen enthält die VO (EG) Nr 595/2004617. Den Kern der Regelung bildet die Festsetzung einer Gesamtgarantiemenge mit einem Referenzgehalt an Milchfett für jeden Mitgliedstaat als Garantieschwelle. Wird die Garantieschwelle überschritten, so wird auf die Milchlieferungen oder Milchdirektverkäufe eine Abgabe in abschreckender Höhe erhoben618. Im Zuge der Beitrittsverhandlungen wurde Österreich einer610 611 612
613 614 615
616
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618
Art 35 Abs 1 VO 1255/1999. Art 35 Abs 2 VO 1255/1999. VO (EWG) Nr 856/64 des Rates vom 31. März 1984 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr 804/68 über die Gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse, Abl 1984 Nr L 90/10. Näher dazu Anhammer ua (FN 83), 114 ff; Puck (FN 10), Rz 681. VO (EWG) Nr 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor, Abl 1992 Nr L 405/1. VO (EG) Nr 1256/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr 3950/92 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor, Abl Nr L 160/73. VO (EG) Nr 1788/2003 des Rates vom 29. September 2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor, Abl 2003 Nr L 270/123. idF VO (EG) Nr 2217/2004, Abl 2004 Nr L 375/1. VO (EG) Nr 595/2004 der Kommission vom 30. März 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur VO (EG) Nr 1788/2003 des Rates über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor, Abl 2004 Nr L 094/22. Vgl Hix (FN 107), Art 34, Rz 62.
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seits eine Anlieferungs-Referenzmenge von 2.205.000 t (sowie zusätzlich maximal 180.000 t sog „SLOM-Menge“619) mit einem Referenzfettgehalt von 4,03 % und andererseits eine Direktverkaufs-Referenzmenge von 367.000 t zugewiesen (nationale Gesamt-Garantiemengen bzw einzelstaatliche Referenzmengen)620. Ab dem 1. April 2004 wurde jedem Mitgliedstaat nur noch eine einzige nationale (Gesamt-) Referenzmenge zugeteilt, die in Hinkunft jährlich aufgrund der entsprechenden Mitteilung der Mitgliedstaaten von der Kommission in eine Referenzmenge für „Lieferungen“ und eine Referenzmenge für „Direktverkäufe“ aufgeteilt wird. Derzeit (Zeitraum 2005/2006) verfügt Österreich über eine nationale (Gesamt-) Referenzmenge von 2.750.389,712 t621. Da die Milcherzeugung im Berggebiet nur durch eine Milchquotenregelung aufrechterhalten werden kann, steht diese seit jeher im Zentrum der österreichischen Agrarpolitik. Ihre Verlängerung bildete das Kernanliegen der österreichischen Verhandlungsposition im Rahmen der „Agenda 2000“ und der GAPReform 2003622. Mit der Festschreibung der Milchquotenregelung bis zum 31. März 2015 wurde zum einen die Milchproduktion in den geografisch und strukturell benachteiligten Gebieten Österreichs - zumindest für die kommenden Jahre - abgesichert, zum anderen konnte eine Produktionsausweitung der überwiegend agrarisch orientierten neuen Beitrittsländer (vorerst) verhindert werden. Die anlässlich der „Agenda 2000“ beschlossene lineare Aufstockung der Milchquoten für alle Mitgliedstaaten um 1,5 % wurde nach der GAPReform 2003 um ein Jahr verschoben und beginnt 2006/2007. Parallel zur Milchquotenregelung wurden im Rahmen der GAP-Reform 2003 langfristig weitere Rahmenbedingungen für die betriebswirtschaftliche Entwicklung der Milcherzeuger festgelegt. b) Zuteilung der einzelbetrieblichen Referenzmenge Jeder Milcherzeuger benötigt für die Vermarktung von Milch und Milcherzeugnissen eine Referenzmenge, die von den Mitgliedstaaten einzelbetrieblich festgelegt werden623. In Österreich erfolgte die Festlegung im Rahmen der Milch-Referenzmengen-Zuteilungsverordnung624 iVm der Milch-
619
620 621
622
623 624
Unter der SLOM-Quote wird auf Gemeinschaftsebene in - Entsprechung der niederländischen Bezeichnung - die dem Erzeuger zugewiesene Referenzmenge verstanden. - Im gegenständlichen Fall wurde die genannte SLOM-Menge zur Zuteilung als Anlieferungs-Referenzmenge II für Almen und für Teilnehmer an der freiwilligen Lieferrücknahme verwendet. Anhammer ua (FN 83), 115. Vgl Anhang I VO 1788/2003. - Die (Gesamt-) Referenzmenge erhöht sich bis zum Zeitraum 2008/2009 jährlich. Ab dem Zeitraum 2008/2009 bis zum Zeitraum 2014/2015 beträgt die (Gesamt-) Referenzmenge für Österreich 2.791.645,558 t. Vgl Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Reform der GAP. Ergebnisse 26. März 1999 (1999) Kapitel 4.1.I.1.; Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg), Die Reform der EU-Agrarpolitik, 29. Vgl Art 6 Abs 1 VO 1788/2003. VO des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft über die Zuteilung der einzelbetrieblichen Referenzmengen im Rahmen von Garantiemengen im Bereich der Gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (MilchReferenzmengen-Zuteilungsverordnung), BGBl Nr 1995/226 idF BGBl 1996/729.
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Garantiemengen-Verordnung 1999625. Danach entspricht die einzelbetriebliche Referenzmenge der Summe aus „Anlieferungs-Referenzmenge“ und „Direktverkaufs-Referenzmenge“. „Anlieferungs-Referenzmenge“ ist mit Beginn des 1. April 1995 die dem Milcherzeuger mit 31. März 1995 aufgrund der MilchReferenzmengen-Zuteilungsverordnung von der AMA mitgeteilte Anlieferungs-Referenzmenge I sowie die auf Antrag durch die AMA zugeteilte Anlieferungs-Referenzmenge II626. „Direktverkaufs-Referenzmenge“ ist mit Beginn des 1. April 1995 die dem Milcherzeuger mit 31. März 1995 aufgrund der Milch-Referenzmengen-Zuteilungsverordnung von der AMA mitgeteilte Direktverkaufs-Referenzmenge627. Ein Erzeuger kann über eine oder zwei einzelbetriebliche Referenzmengen verfügen, eine für Lieferungen und eine für Direktverkäufe. Unter „Lieferung“ ist dabei jede Lieferung von Milch - unter Ausschluss aller anderen Milcherzeugnisse - von einem Erzeuger an einen Abnehmer (das ist ein Unternehmen oder eine Unternehmensgemeinschaft, das bzw die Milch beim Erzeuger kauft, um diese zu be- oder verarbeiten) zu verstehen628. „Direktverkauf“ wiederum ist jeder Verkauf bzw jede Abgabe (auch unentgeltlich) von Milch von einem Erzeuger direkt an den Verbraucher sowie jeder Verkauf bzw jede Abgabe anderer Milcherzeugnisse durch einen Erzeuger629. Umwandlungen zwischen Referenzmengen eines Erzeugers dürfen nur von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaates (in Österreich sohin von der AMA) auf ordnungsgemäß begründeten Antrag des Erzeugers vorgenommen werden630. Lieferungen dürfen seitens des Milcherzeugers grundsätzlich nur an solche Abnehmer erfolgen, die von der AMA zugelassen sind631. c) Abgabe Bei Überschreitung der dem Mitgliedstaat zugewiesenen (Gesamt-) Referenzmenge632, die getrennt für Lieferungen und Direktverkäufe festgestellt wird633, hat dieser eine Abgabe an den EAGFL zu überweisen634. Die Abgabe 625
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VO des Bundesministers für Land- und Forstwirtschat über die Garantiemengen im Bereich der Gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999 - MGV 1999), BGBl II Nr 1999/28 idF BGBl II 2005/240. Vgl § 4 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Vgl § 33 Abs 1 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Vgl Art 5 lit e und lit f VO 1788/2003. Vgl Art 5 lit g VO 1788/2003. - Als Direktvermarktung gilt insb die Abgabe von Milch und Milcherzeugnissen an Letztverbraucher, Einzelhändler, Großhändler, gastronomische Einrichtungen, Bäckereien, Heime, Krankenhäuser, Strafanstalten und Schulen (Schulmilch), aber auch an eigene Gäste (zB im Rahmen eines Urlaubsaufenthaltes am Bauernhof) sowie an Dritte zur Verfütterung (zB an Schweinemäster). - Vgl Anhammer ua (FN 83), 120. Art 6 Abs 2 VO 1788/2003. Vgl Art 23 VO 595/2004 iVm § 24 Abs 3 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Die Überschreitung der (Gesamt-) Referenzmenge stellt stets das Ergebnis der Überschreitung der Summe der einzelbetrieblichen Quoten dar, die als solche die (Gesamt-) Referenzmenge bilden. Vgl Art 8 Abs 1 VO 1788/2003. Vgl Art 3 Abs 1 VO 1788/2003.
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wird je 100 kg Milch festgesetzt und beträgt für den Zeitraum 2005/2006 30,91 Euro, für den Zeitraum 2006/2007 28,54 Euro und für die Zeiträume 2007/2008 und folgende 27,83 Euro635. Die Einhebung der Abgabe erfolgt in Österreich nicht bereits bei jeder Überschreitung der einzelbetrieblichen Referenzmenge, sondern erst nach erfolgter Saldierung von Unterlieferungen (das ist das Ausmaß der Gesamtmenge, das im jeweiligen Zwölfmonatszeitraum nicht genutzt worden ist) mit Überlieferern (das sind Milcherzeuger, deren Lieferungen die ihnen zugeteilte Anlieferungs-Referenzmenge überschritten haben) und nur bei Überschreitung der (Gesamt-) Referenzmenge („Saldierung“)636. Die Abgabe wird in weiterer Folge vollständig auf die Erzeuger aufgeteilt, die zu den jeweiligen Überschreitungen der einzelstaatlichen Referenzmengen beigetragen haben („Milch-Garantiemengenabgabe“, umgangssprachlich auch als „Superabgabe“ bezeichnet)637. Abrechnungszeitraum ist der 1. April bis zum 31. März. Die Erzeuger schulden den Beitrag zur fälligen Abgabe allein aufgrund der Überschreitung ihrer verfügbaren Referenzmengen638. Die Abgabe wird über die Be- und Verarbeiter („Abnehmer“639) eingehoben640. Der Abnehmer hat dem Milcherzeuger641 jährlich bis 20. Mai die ihm zustehende AnlieferungsReferenzmenge einschließlich des durchschnittlich gewogenen Fettgehalts und eine allfällig zustehende Direktverkaufs-Referenzmenge mitzuteilen642. Direktverkäufer haben die Abgabe selbst an die Marktordnungsstelle abzuführen643. Die Direktverkaufs-Referenzmenge ist der AMA vom Milcherzeuger anhand der von ihm geführten Aufzeichnungen über die von ihm täglich abgegebenen Mengen an Milch und Milcherzeugnissen (gegliedert nach Produkten) zu melden. Die Meldung hat nach Ablauf jedes Zwölfmonatszeitraumes mittels eines eigenen dafür vorgesehenen Formulars zu erfolgen. Der Aufzeichnungspflicht unterliegen auch diejenigen Mengen, die zwar erzeugt, aber etwa wegen Eigenverbrauches - nicht abgegeben werden644. Liefert der Milcherzeuger an einen nicht zugelassenen Abnehmer, hat der Abnehmer für diese Lieferung die Zusatzabgabe zu entrichten. Bei Lieferungen des Milcherzeugers entgegen § 23 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999 an 635 636 637 638 639
640 641 642 643 644
Art 2 VO 1788/2003. Vgl im einzelnen § 22 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Zur Berechnung des Zuweisungsprozentsatzes und der Abgabe s § 22 Abs 2 MilchGarantiemengen-Verordnung 1999. Vgl Art 4 VO 1788/2003. „Abnehmer“ ist primär ein Unternehmen oder eine Unternehmensgemeinschaft, das bzw die Milch beim Erzeuger kauft, um sie, auch im Rahmen eines Lohnvertrages, einem oder mehreren Sammel-, Verpackungs-, Lagerungs-, Kühlungs- oder Verarbeitungsvorgängen zu unterziehen bzw um sie an eines oder mehrere Unternehmen abzugeben, die Milch oder andere Milcherzeugnisse behandeln oder verarbeiten. Vgl Art 5 lit eVO 1788/2003. Vgl § 30 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Den Milcherzeuger treffen unbeschadet der Verpflichtungen des Abnehmers entsprechende Aufzeichnungspflichten. - Vgl Art 24 Abs 5 VO 595/2004. Näher dazu § 28 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Vgl Art 10 ff VO 1788/2003. Vgl Art 24 Abs 6 VO 595/2004 iVm § 35 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999.
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einen Abnehmer in einen anderen Mitgliedstaat hat der Milcherzeuger die Zusatzabgabe selbst zu entrichten645. Der Abnehmer hat die Qualität und die wertbestimmenden Merkmale der an ihn gelieferten Milch regelmäßig in einem von der AMA anerkannten Labor überprüfen zu lassen646. Die Bestimmung hat dabei nach der in der Anlage zu § 25 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999 eingehend geregelten Vorgangsweise zu erfolgen. In der Folge wird die Milch eines jeden Milcherzeugers vom Abnehmer nach Qualitätsmerkmalen eingestuft, wobei für die Einstufung die Keimzahl und die Zellzahl ausschlaggebend sind647. Der Zweck der Milch-Garantiemengenregelung besteht darin, die Subvention zu begrenzen, die den Milcherzeugern über die gemeinschaftliche Preisstützung gewährt wird. Sie ist sohin ein Instrument des Subventionsabbaus, der über die Einhebung einer Abgabe erreicht werden soll. Der Milcherzeuger erhält mit der Zuteilung der einzelbetrieblichen Referenzmenge auch ein Vermarktungsrecht, wobei die Überschreitung derselben per se nicht verboten ist. Sie wird jedoch durch die Erhebung der Abgabe geahndet, wodurch sie sich wirtschaftlich negativ auf das Betriebsergebnis des betreffenden Milcherzeugers auswirkt. d) Übertragung von Referenzmengen Grundsätzlich steht die einzelbetriebliche Referenzmenge dem jeweils Verfügungsberechtigten über einen landwirtschaftlichen Betrieb (Betriebsinhaber) zu. Im Falle der Verpachtung eines Betriebes ist dies der Pächter (Grundsatz der Hofgebundenheit von Referenzmengen)648. Ein Betrieb im vorgenannten Sinne besteht aus den zur Milcherzeugung erforderlichen und genutzten Flächen sowie jenen Wirtschaftsgebäuden und Teilen der Betriebsstätte, die zur Milcherzeugung dienen649. Im Falle der Verfügungsberechtigung ein und desselben Milcherzeugers über mehrere Betriebe ist vom Vorliegen eines Gesamt-Betriebes auszugehen, dessen Betriebsstätten gemeinsam abgerechnet werden. Allerdings sieht die VO (EG) 1788/2003 eine Reihe von Voraussetzungen vor, bei deren Vorliegen eine Übertragung der einzelbetrieblichen Referenzmenge auf Dritte möglich und zulässig ist: Bei Verkauf, Verpachtung, Vererbung, vorweggenommener Erbfolge oder einer anderen Übertragung des Betriebes mit vergleichbaren rechtlichen Auswirkungen für die Erzeuger wird die einzelbetriebliche Referenzmenge mit dem Betrieb auf die Erzeuger übertragen, die den Betrieb übernehmen650. Wird oder werden Referenzmengen im Rahmen landwirtschaftlicher Pachtverträge oder auf andere Weise mit vergleichbarer rechtlicher Wirkung übertragen, so können die Mitgliedstaaten anhand objektiver Kriterien beschließen,
645 646 647 648 649 650
§ 24 Abs 3 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Vgl § 24 Abs 4 iVm § 25 Abs 1 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Vgl Pkt II.3.a) der Anlage zu § 25 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Vgl § 5 Abs 1 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Vgl § 5 Abs 2 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Art 17 Abs 1 VO 1788/2003.
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dass die Referenzmenge nicht mit dem Betrieb übertragen wird, damit die Referenzmenge ausschließlich den Erzeugern zugewiesen wird651. Im Hinblick auf die Umstrukturierung der Milcherzeugung oder zur Verbesserung der Umweltbedingungen können die Mitgliedstaaten nach Modalitäten, die sie unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten festlegen, die Übertragung auch unter anderen Bedingungen zulassen (spezielle Übertragungsmaßnahmen)652. Der praktisch häufigste Fall ist die rechtsgeschäftliche Übertragung von Referenzmengen ohne entsprechende Flächenübertragung gemäß Art 18 lit f VO (EG) 1788/2003653. Daneben ist auch die zeitweilige Übertragung gemäß Art 16 VO (EG) 1788/2003 geläufig („Quotenleasing“654). e) Nationale Reserve Jeder Mitgliedstaat bildet im Rahmen der gemeinschaftlich festgesetzten (Gesamt-) Referenzmenge eine einzelstaatliche Reserve. In diese fließen gegebenenfalls gemäß Art 15 VO (EG) 1788/2003 („Inaktivität“655) eingezogene bzw bei Übertragungen gemäß Art 19 VO (EG) 1788/2003 einbehaltene bzw durch eine lineare Verringerung der Gesamtheit der einzelbetrieblichen Referenzmengen frei werdende Mengen ein. Diese Mengen behalten ihre ursprüngliche Zweckbestimmung für „Lieferungen“ oder „Direktverkäufe“656. Die Zuteilung der ganzen Menge oder von teilweisen Mengen aus der nationalen Reserve an die Erzeuger ist von den Mitgliedstaaten anhand von objektiven Kriterien, die der Kommission mitgeteilt werden, zu regeln657. Die Aufteilung der nationalen Reserve erfolgt in Österreich auf der Basis der Referenzmengen-Zuteilungs-Verordnung 2006658.
D. Gemeinsame Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven 1. Allgemeines Der Olivenanbau ist seit jeher Bestandteil der Landwirtschaft in der Europäischen Union und kann auf eine Jahrtausend alte Tradition zurückverweisen. In den südlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind rund 2,5 Millionen 651 652 653 654 655
656 657 658
Art 17 Abs 2 VO 1788/2003. Vgl Art 18 VO 1788/2003. Anhammer ua (FN 83), 116. - Vgl auch § 8 Abs 1 Milch-GarantiemengenVerordnung 1999 („Handelbarkeit“). Vgl § 9 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Wird die einzelbetriebliche Referenzmenge während eines Zwölfmonatszeitraumes vom Milcherzeuger nicht oder im Ausmaß von weniger als 70 % durch eigene Vermarktung genutzt, so verfällt diese zur Gänze bzw im nicht genutzten Ausmaß zu Gunsten der nationalen Reserve, es sei denn, die Nichtnutzung ist nachweislich auf höhere Gewalt oder sonstigen hinreichende Grund zurückzuführen. - Vgl Art 15VO 1788/2003 iVm § 12a Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999. Art 14 Abs 1 VO 1788/2003. Art 7 VO 1788/2003. VO des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Zuteilung von Referenzmengen im Rahmen der GMO Milch (Referenzmengen-Zuteilungs-Verordnung 2006 - RZV 2006), BGBl II Nr 2006/102.
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Olivenbauern tätig. Der Olivenanbau bildet in einigen Regionen das Rückgrat der örtlichen Wirtschaft und ist insofern von wesentlicher ökonomischer und gesellschaftlicher Bedeutung. Die Europäische Union ist weltweit gesehen der wichtigste Erzeuger und Verbraucher von Olivenöl. Die Reform der Gemeinsamen Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven wurde im Rahmen des so genannten „Mittelmeerpaktes“ ausgehandelt. Seitdem ist die Gemeinsame Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven in der VO (EG) Nr 865/2004 des Rates vom 29. April 2004 niedergelegt659. Sie ersetzt seit 1.11.2005 die bis dahin gültige VO (EWG) Nr 136/66 des Rates über die Errichtung einer Gemeinsamen Marktorganisation für Fette660. Der Zweck der Gemeinsamen Marktorganisation besteht darin, die Märkte zu stabilisieren und der landwirtschaftlichen Bevölkerung im Sektor Olivenöl und Tafeloliven eine angemessene Lebenshaltung zu sichern. Aus diesem Grund wird es seitens der Gemeinschaft für erforderlich erachtet, eine Einkommensstützung für die Erhaltung von Olivenhainen vorzusehen, Binnenmarktmaßnahmen zu treffen, damit die Preise und Versorgungsbedingungen auf einem angemessenen Niveau bleiben, und Maßnahmen zur Beeinflussung der Marktnachfrage durch die Verbesserung der Produktqualität und Aufklärung der Verbraucher über Qualitätsaspekte durchzuführen.
2. Erfasste Produkte Die Gemeinsame Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven gilt für Olivenöl, frische, gekühlte, getrocknete oder zubereitete Oliven, Verarbeitungsrückstände und Oliventrester661.
3. Betriebsprämie Eine grundlegende Änderung der Gemeinsamen Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven hat sich durch ihre Einbeziehung in die GAP-Reform 2003662 und die darin vorgesehene teilweise Umstellung auf die Betriebsprämienregelung ergeben, die ab dem Wirtschaftsjahr 2005/2006 gilt: Mindestens 60 % der im Referenzzeitraum 2000 bis 2003663 geleisteten Produktionsbeihilfezahlungen werden künftig als Betriebsprämien gewährt664. Betriebe 659 660
661 662 663
664
Abl 2004 Nr L 161/97. Abl 1966 Nr P 172/3035. - Im Gegensatz zur nunmehr gültigen Gemeinsamen Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven erfasste die Gemeinsame Marktorganisation Ölsaaten und ölhaltige Früchte sowie pflanzliche oder aus Fischen oder Meeressäugetieren gewonnene Öle und Fette. Diese Erzeugnisse wurden gemäß Anhang II der VO 865/2004 in die VO (EWG) Nr 827/68 über die Gemeinsame Marktorganisation für bestimmte in Anhang II des Vertrages aufgeführte Erzeugnisse, Abl 1968 Nr L 151/16, übernommen. Art 1 VO 865/2004. Vgl VO (EG) Nr 1782/2003, Abl 2003 Nr L 270/1. Da die Olivenerträge von Jahr zu Jahr erheblich schwanken können, werden im Sektor Olivenanbau - im Gegensatz zu den anderen Sektoren - nicht drei, sondern vier Jahre als Bezugszeitraum herangezogen. Von einer vollständigen Einbeziehung der bis dahin produktionsabhängigen Stützungsregelung im Olivensektor wurde deshalb Abstand genommen, weil der Rat befürchtete, dass es deswegen in bestimmten traditionellen Anbaugebieten zu Problemen kommen könnte. Insbesondere vertrat der Rat die Ansicht, dass es bei der Pflege der Ölbäume weitflächig zu Störungen kommen würde, wodurch wiederum die
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mit einer Anbaufläche unter 0,3 ha erhalten 100 % ihrer durchschnittlichen produktionsbezogenen Zahlungen. Die übrigen Zahlungen (maximal 40 %) werden künftig als Flächenzahlungen zur Erhaltung von ökologisch oder sozial wertvollen Olivenhainen geleistet („nationaler Mittelrahmen“). Im Rahmen von Ergänzungszahlungen sind einzelstaatliche Beihilfen zur Qualitätsverbesserung und Beihilfen für Neuanpflanzungen zulässig. Das bislang geltende System der Produktionsbeihilfen wird sohin mit Wirkung vom 1. Januar 2006 an abgeschafft. Um die Betriebsprämie oder die Beihilfe für Olivenhaine zu erhalten, müssen die Erzeuger ua ihr Land in gutem agronomischem und ökologischem Zustand erhalten und auch sonstige Auflagenbindungen beachten, wobei die Mitgliedstaaten auf geeigneter Ebene entsprechende Mindestanforderungen festlegen. Speziell für Olivenhaine gilt, dass diese als solche als Landschaftsmerkmale zu erhalten sind. Gegebenenfalls kann ein Rodungsverbot für Ölbäume angeordnet werden. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass sich die Olivenhaine in gutem Vegetationszustand befinden.
4. Interne Regelungen a) Grundsätzliches Zur Regelung des Binnenmarktes hinsichtlich Olivenöl und Tafeloliven sieht die Gemeinsame Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven die Marktsteuerung durch Gewährung von Beihilfen für private Lagerhaltung, durch Gewährung von Beihilfen für Olivenhaine, durch Festlegung von Vermarktungsvorschriften sowie durch Anerkennung und Zulassung von Marktteilnehmerorganisationen vor. b) Private Lagerhaltung Im Falle einer schwerwiegenden Marktstörung in bestimmten Regionen der Gemeinschaft kann die Kommission zur Marktsteuerung beschließen, dass von den Mitgliedstaaten zugelassene Einrichtungen Verträge über die (private) Lagerhaltung für das von ihnen vermarktete Olivenöl abschließen. Diese Maßnahmen können auch dann durchgeführt werden, wenn der festgestellte durchschnittliche Marktpreis während eines repräsentativen Zeitraumes unter bestimmte in der VO genannte Werte sinkt665. c) Beihilfe für Olivenhaine Den Betriebsinhabern wird als Beitrag zur Erhaltung von ökologisch oder sozial wertvollen Olivenhainen unter bestimmten Voraussetzungen eine Beihilfe gewährt666. Danach muss der Olivenhain im geografischen Informationssystem gemäß Art 20 Abs 2 VO 1782/2003 erfasst sein. Beihilfefähig sind nur Flächen, die entweder vor dem 1. Mai 1998 (Zypern und Malta: 31. Dezember
665 666
Böden und damit die Landschaft geschädigt werden oder nachteilige soziale Auswirkungen eintreten könnten. Der Rat einigte sich daher im Ergebnis darauf, einen Teil der gemeinschaftlichen Stützung an die Erhaltung von ökologisch oder sozial wertvollen Olivenhainen zu binden. Art 6 Abs 1 VO 865/2004. Art 110g VO 1782/2003.
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2001) mit Ölbäumen bepflanzt wurden oder unter ein von der Kommission genehmigtes Programm fallen. Der Olivenhain muss den Merkmalen der Olivenhainkategorie entsprechen. Schließlich muss sich die beantragte Beihilfe auf mindestens 50 Euro je Antrag belaufen667. Die Beihilfe für Olivenhaine wird je Oliven-GIS-ha gewährt. Die Beihilfenhöhe wird dabei von den Mitgliedstaaten nach Kategorien festgelegt, wobei höchstens fünf Kategorien von Olivenhaingebieten festgelegt werden dürfen. Die Kategorien werden anhand gemeinsamer ökologischer und sozialer Kriterien, auch unter Berücksichtigung landschaftlicher und traditioneller Aspekte, bestimmt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Erhaltung der Olivenhaine in Randgebieten zu achten. Der nach den Voraussetzungen der VO 1782/2003 für den jeweiligen Mitgliedstaat errechnete Beihilfehöchstbetrag wird von diesem in der Folge nach Maßgabe objektiver Kriterien und in nicht diskriminierender Weise auf die verschiedenen Kategorien aufgeteilt668. c) Vermarktungsnormen Für Olivenöl können unter Berücksichtigung der technischen Erfordernisse bei Erzeugung und Vermarktung sowie der Entwicklung der Verfahren zur Bestimmung der physikalisch-chemischen und organoleptischen Merkmale dieser Erzeugnisse Vermarktungsnormen, insbesondere für Güteklassen, Verpackung und Aufmachung, festgelegt werden. Nach Erlassung der Normen dürfen die betreffenden Erzeugnisse in der Gemeinschaft nur noch gemäß diesen Normen vermarktet werden669. Die Bezeichnungen für Olivenöl sind gemeinschaftsrechtlich verbindlich geregelt. Danach wird zwischen nativen Olivenölen (in den Güteklassen natives Olivenöl extra, natives Olivenöl und Lampantöl), raffiniertem Olivenöl, Olivenöl bestehend aus raffinierten Olivenölen und nativen Olivenölen, rohem Olivenrestöl, raffiniertem Olivenrestöl und Olivenrestöl unterschieden670. d) Marktteilnehmerorganisationen Marktteilnehmerorganisationen sind anerkannte Erzeugerorganisationen, anerkannte Branchenverbände und andere anerkannte Organisationen der Marktteilnehmer des Olivenölsektors oder deren Vereinigungen671. Die Bedingungen ihrer Zulassung werden von der Kommission in einer eigenen Durchführungsverordnung geregelt672. Nach den Vorstellungen der Gemeinschaft sollen die Marktteilnehmerorganisationen vor allem Aktionsprogramme in einem oder mehreren der Bereiche 667 668 669 670
671 672
Art 110h VO 1782/2003. Vgl Art 110i VO 1782/2003. Art 5 Abs 1 VO 865/2004. Art 4 iVm Anhang I VO 865/2004. - Die spezifischen Eigenschaften von Olivenöl sind ein Grund dafür, dass trotz des hohen Preises im Vergleich zu anderen Ölen und Fetten ein großes Verbraucherinteresse an Olivenöl besteht. Die Vorschriften betreffend den Schutz der Qualität von Oliven und Olivenöl dienen insofern auch dazu, Missbräuchen bei der Qualität und Echtheit der den Verbrauchern angebotenen Erzeugnisse vorzubeugen. Art 7 Abs 1 VO 865/2004. Art 9 lit a VO 865/2004.
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Marktbetreuung und administrative Verwaltung des Olivenöl- und Tafelolivensektors; Verbesserung der Umweltauswirkungen des Olivenanbaus; Verbesserung der Produktionsqualität von Olivenöl und Tafeloliven; Rückverfolgbarkeitssystem, Zertifizierung und Schutz der Olivenöl- und Tafelolivenqualität, insbesondere Überwachung der Qualität des an den Endverbraucher verkauften Olivenöls, unter der Aufsicht der einzelstaatlichen Verwaltungen; Verbreitung von Informationen über die von den Marktteilnehmerorganisationen zur Verbesserung der Olivenölqualität durchgeführten Maßnahmen673.
5. Außenschutzbestimmungen a) Lizenzpflicht aa) Einfuhrlizenzen Für alle Einfuhren von Olivenöl ist eine Einfuhrlizenz674 vorzulegen, die von den Mitgliedstaaten jedem Antragsteller unabhängig vom Ort seiner Niederlassung erteilt wird675. Die Einfuhrlizenzen sind gemeinschaftsweit gültig. Die Erteilung dieser Lizenzen ist an die Stellung einer Sicherheit gebunden, die gewährleistet, dass die betreffenden Erzeugnisse tatsächlich während der Geltungsdauer der Lizenz eingeführt werden. Außer in Fällen höherer Gewalt verfällt die Sicherheit ganz oder teilweise, wenn die Einfuhr innerhalb dieser Frist nicht oder nur teilweise erfolgt676. bb) Ausfuhrlizenzen Damit sich die Marktentwicklung besser verfolgen lässt, kann gegebenenfalls für die Ausfuhr von Olivenölen aus der Gemeinschaft von der Kommission im Wege der Erlassung einer Durchführungsverordnung die Vorlage einer Ausfuhrlizenz vorgeschrieben werden677. b) Zölle Sofern nicht ausdrücklich anderes bestimmt wird, finden auf Oliven bzw auf Olivenöl die Einfuhrzollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs Anwendung. Falls der Marktpreis für Olivenöl in der Gemeinschaft mindestens drei Monate lang die durchschnittlichen Preise gemäß Art 6 Abs 1 der VO 865/2004 um das 1,6-fache übersteigt, so kann die Kommission beschließen, entweder die Anwendung der Zölle des Gemeinsamen Zolltarifs für Olivenöl ganz oder teilweise auszusetzen und die Modalitäten dieser Aussetzung festzulegen oder ein gemeinschaftszollermäßigtes Einfuhrkontingent für Olivenöl zu eröffnen und 673 674
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Art 8 Abs 1 VO 865/2004. Näheres ist in der VO (EG) Nr 1345/2005 mit Durchführungsbestimmungen für Einfuhrlizenzen im Olivenölsektor, Abl 2005 Nr L 212/13, geregelt. Die VO 1345/2005 ergänzt die Bestimmungen der VO (EG) Nr 1291/2000 mit gemeinsamen Durchführungsvorschriften für Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen sowie Vorausfestsetzungsbescheinigungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Abl 2000 Nr L 152/1 idF VO (EG) 1741/2004, Abl 2004 Nr L 311/17. Art 10 Abs 1 VO 865/2004. Art 10 Abs 2 VO 865/2004. Art 10 Abs 3 VO 865/2004.
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dessen Verwaltung zu regeln. Diese Maßnahmen werden nur für die erforderliche Mindestdauer, längstens jedoch bis zum Ende des betreffenden Wirtschaftsjahres angewandt678. c) Handelshemmnisse Die Erhebung von Abgaben mit gleicher Wirkung wie Zölle und die Anwendung von mengenmäßigen Beschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung sind im Handel mit Drittländern grundsätzlich untersagt679. Soweit es für das reibungslose Funktionieren der Gemeinsamen Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven erforderlich ist, kann die Inanspruchnahme der Regelung des aktiven Veredelungsverkehrs von der Kommission ganz oder teilweise ausgeschlossen werden680. d) Schutzmaßnahmen Die Zolltarifregelung macht es an sich möglich, auf alle sonstigen Schutzmaßnahmen an den Außengrenzen der Gemeinschaft zu verzichten. Unter außergewöhnlichen Umständen kann sich der Binnenmarkt- und Zollmechanismus jedoch als unzulänglich erweisen. Um den Gemeinschaftsmarkt den sich daraus möglicherweise ergebenden Störungen nicht ungeschützt auszusetzen, ist die Gemeinschaft dazu berechtigt, den Einsatz der entsprechenden Instrumente zu beschließen. Wird der Markt in der Gemeinschaft für eines oder mehrere der in Art 1 der VO 865/2004 genannten Erzeugnisse aufgrund der Ein- oder Ausfuhren ernstlichen Störungen ausgesetzt oder von ernstlichen Störungen bedroht, so können im Handel mit Nicht-WTO-Mitgliedern geeignete Maßnahmen angewandt werden, bis die tatsächliche oder drohende Störung behoben ist681. Die Maßnahmen werden von der Kommission auf Antrag eines Mitgliedstaates oder von sich aus beschlossen und den Mitgliedstaaten mitgeteilt, die diese Maßnahmen in weiterer Folge unverzüglich anzuwenden haben682.
6. Zuständigkeiten und Vollziehung Die Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven obliegt der Kommission. Diese wird dabei von dem „Verwaltungsausschuss für Olivenöl und Tafeloliven“ unterstützt683. Dieser Ausschuss setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen und tritt unter dem Vorsitz eines Vertreters der Kommission zusammen. Der Ausschuss verfügt über eine eigene Geschäftsordnung684.
678 679 680 681 682 683 684
Art 11 VO 865/2004. Art 12 Abs 2 VO 865/2004. Art 13 VO 865/2004. Art 14 Abs 1 VO 865/2004. Art 14 Abs 2 VO 865/2004. Art 18 Abs 1 VO 865/2004. Art 18 Abs 3 VO 865/2004.
Benjamin Kneihs
Preis- und Versorgungssicherungsrecht I. Grundlagen ..............................................................................................1310 A. Allgemeines..........................................................................................1310 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .......................................................1311 C. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen................1312 II. Preisrecht................................................................................................1314 A. Das Preisgesetz 1992 im Überblick.....................................................1314 B. Die Preisfestsetzung im Einzelnen.......................................................1316 1. Die Preisfestsetzung im Zusammenhang mit einer Versorgungsstörung (§ 2) ...............................................................1316 2. Die Preisfestsetzung am Arzneimittelmarkt (§ 3) ...........................1320 3. Die Preisfestsetzung bei Marktstörungen (§ 5) ...............................1322 4. Die Preisfestsetzung für Erdöl und Erdölderivate (§ 5a).................1325 C. Buchpreisbindung................................................................................1330 1. Allgemeines.....................................................................................1330 2. Die Preisfestsetzung im Überblick ..................................................1330 3. Verfassungsrechtliche Fragestellungen ...........................................1331 III. Versorgungssicherung .........................................................................1334 A. Zur Problemstellung ............................................................................1334 B. Versorgungssicherungsgesetz..............................................................1335 1. Voraussetzungen für Lenkungsmaßnahmen ...................................1335 2. Lenkungsmaßnahmen......................................................................1336 3. Zuständigkeit und Verfahren...........................................................1337 4. Straf- und Schlussbestimmungen ....................................................1339 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Art 28 ff, 100 und 133 sowie 297 EGV; VO (EG) 3285/1994 vom 22.12.1994, Abl 1994 L 349, 33, zuletzt nov Amtsblatt 2004 L 374, 1; VO (EWG) 2603/69 v 20.12.1969, Abl 1969 L 324, 25 zuletzt nov Abl 1991 L 372, 31. BG: Art 4 B-VG, Art 10 Abs 1 Z 2 und 15 B-VG; Art 5 und 6 StGG, Art 1 1. ZP zur EMRK; Preisgesetz 1992, BGBl 1992/145 idF BGBl I 2004/151; Versorgungssicherungsgesetz, BGBl 1992/380 idF BGBl I 2004/151; Erdölbevorratungs- und Meldegesetz, BGBl 1982/546 idF BGBl I 2004/151; Bundesgesetz über die Preisbindung bei Büchern, BGBl I 2004/113.
Grundlegende Literatur: Bernárd, Versorgungssicherung, in: Korinek/Rill (Hrsg), Grundfragen des Wirtschaftslenkungsrechts (1982) 113; Gutknecht, Der volkswirtschaftlich gerechtfertigte Preis im Spiegel der Rechtsprechung, ÖZW 1991, 46; Hanreich, Das neue österreichische Wettbewerbs- und Preisrecht, 2. Teil - Das neue Preisrecht, ÖZW 1994, 33; K.Korinek, Das System der Preisregelung in Österreich, WipolBl 1975/4, 74; ders, Erwerbsfreiheit als
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Kneihs
Schranke für die Wirtschaftslenkung, in: K.Korinek (Hrsg), Beiträge zum Wirtschaftsrecht - FS Karl Wenger (1983) 243; Mayer, Die Bundesverfassung und der Benzinpreis - Zur Auslegung des § 5a PreisG 1992, ÖJZ 2000, 201; Oberndorfer/Binder, Strompreisbestimmung aus rechtlicher Sicht (1979); Puck, Wirtschaftslenkungsrecht, in: Raschauer (Hrsg), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts (1998) 229 (= Rz 601 ff); Raschauer, Das Preisgesetz 1992, ÖZW 1993, 33; Rill, Grundfragen des österreichischen Preisrechts, ÖZW 1974, 97, 1975, 66 und 97; ders, Probleme der Angleichung des österreichischen Wirtschaftslenkungsrechts an das Recht der EG, in: Rill/Griller (Hrsg), Europäischer Binnenmarkt und österreichisches Wirtschaftsverwaltungsrecht (1991) 159; ders, Erdöl, Erdölderivate und das Preisgesetz 1992, ÖZW 2000, 103; Schulev-Steindl, Wirtschaftslenkung und Verfassung (1996); Wenger, Organisationsgrundlagen und Instrumentarium der direkten Wirtschaftslenkung in Österreich, in: Korinek/Rill (Hrsg), Grundfragen des Wirtschaftslenkungsrechts (1982) 3.
I. Grundlagen A. Allgemeines Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG bestimmt, dass der Bund in Gesetzgebung und Vollziehung für Maßnahmen zuständig ist, die „aus Anlass eines Krieges oder im Gefolge eines solchen zur Sicherung der einheitlichen Führung der Wirtschaft“, „insbesondere auch hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit Bedarfsgegenständen“ notwendig erscheinen. Damit ist einer Reihe von Maßnahmen der so genannten Wirtschaftslenkung eine verfassungsrechtliche Grundlage gegeben1. Insbesondere sind damit Maßnahmen der direkten Wirtschaftslenkung angesprochen, mit denen der Staat unmittelbar Marktbedingungen vorherbestimmt und dadurch die Dispositionsfreiheit der Wirtschaftssubjekte beschränkt. Lenkungsrechtliche Maßnahmen sind - nicht zuletzt im Gefolge der Liberalisierung mancher essentieller Märkte, die nur vermeintlich zu einer Deregulierung, in Wahrheit aber sprichwörtlich zum Regulierungsrecht führt - heute wieder „en vogue“2. Sie begegnen uns insbesondere auf dem Energiesektor, aber auch im Telekom- und im Arzneimittelrecht sowie schließlich in Gestalt der Buchpreisbindung. In manchen liberalisierten Bereichen wurden dafür gar eigene Behörden eingerichtet, die mit Markt- und Sachverstand dem zu s(t)imulierenden freien Markt den Weg weisen sollen. Soweit diese Materien im vorliegenden Handbuch eigens behandelt werden, nimmt sie der folgende Beitrag aus seiner Betrachtung aus; preisrechtliche Vorschriften und ihre - auch vor den Höchstgerichten - umstrittene Auslegung sollen im jeweils einschlägigen Zusammenhang erörtert werden. Hier sollen nur das allgemeine, subsidiär für alle nicht eigens geregelten Güter geltende Preis- und Versorgungssicherungsrecht sowie die Bereiche der Buchpreisbindung und der Regulierung der
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Zum Begriff und zur näheren Ausdifferenzierung des Lenkungsrechts vgl Wenger, 5 f; Korinek, 244 und Puck, Rz 601 ff; eingehend Schulev-Steindl, 1 ff, insbes 11 ff. Vgl dazu und zu weiteren Begriffsbildungen auch Kneihs, Regulierungsrecht - Eine neue rechtswissenschaftliche Kategorie? ZÖR 60 (2005) 1 (5 ff, insbes 7). Kneihs (FN 1) 10 ff, 13 f.
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Preise im Arzneimittelrecht behandelt werden, die nicht auch Gegenstand anderer Beiträge des Handbuches sind. Das Preis- wie das Versorgungssicherungsgesetz sind klassische Beispiele für direktes Wirtschaftslenkungsrecht, das in Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG angesprochen ist. Wiewohl dieser so genannte Kriegsfolgentatbestand nach hM zurzeit unanwendbar ist3, ist er doch für die Herkunft des Preis- wie des Versorgungssicherungsgesetzes signifikant. Beide haben sich aus der Kriegswirtschaft des ersten Weltkrieges entwickelt, beide bieten auch heute noch im Wesentlichen das gleiche Instrumentarium auf4. Wohl auch deswegen muten wohl heute Sprache und Regelungstechniken beider Gesetze veraltet an. Hinzu kommt, dass das Gemeinschaftsrecht - wie noch zu zeigen sein wird - wenigstens nationalen Lenkungsmaßnahmen tendenziell entgegen steht. Aus allen diesen Gründen sind wohl Preis- wie Versorgungssicherungsgesetz heute weitgehend totes Recht5. Sowohl das Preis- als auch das Versorgungssicherungsgesetz sind denn auch von einem - in Zeiten mörderischer Geschwindigkeit anachronistisch anmutenden - Vertrauen in die Richtigkeitsgewähr sozialpartnerschaftlicher Vereinbarungen geprägt, das auch in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung seinen Niederschlag gefunden hat6. Dies führt einerseits dazu, dass es zu einer Preisfestsetzung schon deshalb nicht kommt, weil die beteiligten Kreise im Vorfeld einen Ausgleich der betroffenen Interessen herbeiführen können. Andererseits erhält deshalb insbesondere im Preisrecht das Verfahren besonderes Gewicht, das ganz im Sinne des gerade aus vergleichbaren Zusammenhängen entwickelten differenzierten Legalitätsprinzips die recht dünne inhaltliche Determinierung auszugleichen versucht. Eine neue Facette des Lenkungsrechtes hat sich anlässlich einer Ausschreibung auf dem Buchmarkt mit dem delikaten Verhältnis von Preisfestsetzung und Vergaberecht ergeben7. Die befürchteten explosiven Wirkungen dieser Mischung sind aber weitgehend ausgeblieben; bei vernünftiger Handhabung bleibt auch im Bereich einer Preisfestsetzung genügend Spielraum für eine Ausschreibung bestehen.
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Das B-VG selbst trifft für die Wirtschaftslenkung im eingangs genannten Sinne nur hinsichtlich des Waren- und Viehverkehrs mit dem Ausland und hinsichtlich der aus Anlass oder im Gefolge eines Krieges notwendigen Maßnahmen eine Kompetenzregelung. Ansonsten ist das Lenkungsrecht eine Querschnitts-
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Dazu mit beachtlichen - zwischen der Gesetzgebungs- und der Vollzugskompetenz differenzierenden (Gegen-) Argumenten - Bernárd, 114 f. Ausführlich zur Geschichte des Lenkungsrechts Wenger, 15 ff. So wurden etwa nach Auskunft des BMWA zwischen 1990 und 2000 überhaupt nur in den Bereichen des Arzneimittelmarktes und der Energieversorgung Preise festgesetzt. Vgl etwa VfSlg 15.698/1999 und 15.707/1999 (zu Gesamtverträgen im Sozialversicherungsrecht). Kossuth, Preisbindung und Vergaberecht - ein Molotow-Cocktail? ÖZW 2003, 113.
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materie8. Allerdings enthielten und enthalten die Lenkungsgesetze traditionell eigene Kompetenzbestimmungen, die dem Bund die Zuständigkeit zur Gesetzgebung und Vollziehung in jenem Umfang zuweisen, in dem das Gesetz diese Zuständigkeit in Anspruch nimmt9. Die Möglichkeit, daneben - dh für die von den genannten Gesetzen nicht erfassten Güter und Dienstleistungen - länderspezifische Regelungen für Preisrecht und Versorgungssicherung zu erlassen, wird wegen Art 4 B-VG weitgehend theoretisch bleiben10. Die von den Materialien11 in Anspruch genommene Bundeskompetenz unter dem Titel der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs nach Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG dürfte dem Buchpreisbindungsgesetz keine hinreichende Deckung geben; wohl aber findet dieses Gesetz unter dem Kompetenztatbestand Pressewesen gemäß Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG im Bereich der Bundeszuständigkeiten Platz12. Was die Vollzugsseite anbelangt, so enthält die Verfassungsbestimmung des Art I des Versorgungssicherungsgesetzes einen Passus, der einerseits die Stellung des Landeshauptmannes als Organ der mittelbaren Verwaltung für unberührt erklären, andererseits aber die „Einrichtungen gesetzlicher Interessenvertretungen“ und anderer juristischer Personen nach Maßgabe besonderer Regelungen „als Bundesbehörden unmittelbar“ mit der Vollziehung betrauen will. Ohne einen klareren Hinweis ist dem Verfassungsgesetzgeber nicht zu unterstellen, dass er mit der zitierten Bestimmung den Katalog des Art 102 Abs 2 B-VG erweitern wollte; im vorliegenden Fall deutet die Entstehungsgeschichte sogar auf das Gegenteil hin13. Es handelt sich daher um einen auf das Jahr 1976 zurückgehenden und seitdem fortgeschriebenen Redaktionsfehler. Die Stellung des Landeshauptmannes bleibt demnach unangetastet, die Interessenvertretungen und von ihnen herangezogenen juristischen Personen handeln unter der Weisung und Verantwortung des Landeshauptmanns.
C. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Das Gemeinschaftsrecht hat die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Preis- und Versorgungsrechts nicht verdrängt, aber stark eingeschränkt: Auf dem Gebiet des Preisrechts stellen die Art 28 ff EGV eine Kompetenzausübungsschranke für die Mitgliedstaaten dar. Zur Bekämpfung von Versorgungskrisen besteht nach Art 100 EGV eine Zuständigkeit des Rates, dessen sekundärrechtliche Ausführungsregelungen für die nationalen Rechtsetzer ebenfalls den Charakter einer Kompetenzausübungsschranke haben. Gleiches gilt für die Ausführungsregelungen zu der die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft für die Handelspolitik begründenden Bestimmung des 8 9 10 11 12 13
Ausführlich Rill, Grundfragen, 1974, 99 ff. Vgl Art I PreisG 1992 (unbefristet) und Art I Versorgungssicherungsgesetz (befristet mit 31. Dezember 2006). Vgl im Einzelnen Puck, Rz 604 mit FN 6 und Rz 624. Initiativantrag 126/A vom 22.3.2000 und AB 113 BlgNR 21. GP. Ausführlich Schneider, Buchpreisbindung verfassungskonform? Ecolex 2000, 852 (854 ff). Vgl Bernárd, 120 f. Die - von den Kammern notwendiger Weise verschiedenen „juristischen Personen“ sollen denn auch nicht selbständig, sondern in Unterordnung unter die Kammern tätig werden (§ 5 Abs 1 VersicherungsG). Das Gesetz geht daher offenbar nicht von einer direkten Unterordnung der genannten Rechtssubjekte unter den Bundesminister aus.
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Art 133 EGV, mit denen die Mitgliedstaaten zu Krisenmaßnahmen ermächtigt werden14. Preisregelungen stellen bloße Verkaufsmodalitäten dar, die als solche die Art 28 ff EGV nicht verletzen. Sie können aber eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung sein, wenn sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell hemmend auf die Einfuhr wirken15. Nationale Preisregelungen sind daher nicht per se gemeinschaftsrechtlich unzulässig, bei der Festsetzung eines Preises ist aber auf die Art 28 ff EGV in der Ausprägung der Rechtsprechung des EuGH Bedacht zu nehmen. Das Gesetz lässt denn auch, soweit es hier zu behandeln ist, eine Berücksichtigung etwa von Importkosten bei der Preisfestsetzung zu. Auch die vielfältigen Maßnahmen, die das Versorgungssicherungsgesetz zulässt, können ihrer Auswirkung nach Maßnahmen gleicher Wirkungen sein. Die Versorgungssicherung in Krisenzeiten ist denn auch nicht von Ungefähr Gegenstand der Gemeinschaftskompetenz nach Art 100 EGV16. Diese Bestimmung schließt aber nationale Maßnahmen der Versorgungssicherung nur insoweit aus, als sie vom Rat nach Art 100 EGV getroffenen Maßnahmen widersprechen17. Darüber hinaus stellt Art 297 EGV klar, dass im Falle schwerwiegender innerstaatlicher Störungen der öffentlichen Ordnung oder im Falle des Kriegs oder ernsthafter Kriegsgefahr die Zuständigkeit zur Setzung der erforderlichen Maßnahmen bei den Mitgliedstaaten verbleibt. Sofern die angeordneten - auf die Aus-, Ein- oder Durchfuhr potentiell oder tatsächlich hemmend wirkenden - Lenkungsmaßnahmen nicht unterschiedslos auf in- und ausländische Waren abgestellt sind, ist aber der Spielraum der innerstaatlichen Behörden auf solche Maßnahmen eingeschränkt, die eine wirtschaftlich bedingte Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abwehren können18. Auch die auf Basis des Art 133 EGV (früher Art 113 leg cit) erlassenen Verordnungen über die gemeinsame Aus- und Einfuhrregelung19 weisen den Mitgliedstaaten Regelungszuständigkeiten für die Versorgungssicherung im Krisenfall zu. Diese Verordnungen ermächtigen die Mitgliedstaaten - in Durchbrechung der ansonsten ausschließlichen Gemeinschaftskompetenz auf dem Gebiet des Außenhandels - zur Erlassung von Kontingentregelungen und vorläufigen Maßnahmen im Fall einer durch Mangel an lebenswichtigen Gütern bedingten Krisenlage bzw einer durch eine Versorgungskrise hervor-
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Vgl im Einzelnen Rill, Angleichung, 169 f. Rill, Angleichung, 175 ff; mit ausführlicher Darstellung der Judikatur K.Hammer, Handbuch zum freien Warenverkehr - Eine Analyse der Rechtsprechung zu Art 30 EGV vor und nach dem Urteil „Keck und Mithouard“ (1998) 73 ff, 238 ff; für die Buchpreisbindung im Ergebnis genauso Willheim, Gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit des neuen Buchpreisbindungsgesetzes, ecolex 2000, 848 (850 ff). Vgl zum systematischen Zusammenhang dieser Bestimmung Bandilla, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union - Kommentar, Rz 2 zu Art 100. Die Kompetenz erstreckt sich auch auf die Abwehr von Krisen; vgl Bandilla aaO Rz 6 mwN. Rill, Angleichung, 169 f. Rill, Angleichung, 173 f, 179 f mwN. Vgl die VO (EG) 3285/1994 vom 22.12.1994, Abl 1994 L 349, 33, zuletzt nov Amtsblatt 2004 L 374, 1 und die VO (EWG) 2603/69 v 20.12.1969, Abl 1969 L 324, 25 zuletzt nov Abl 1991 L 372, 31.
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gerufenen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit20. In diesen Regelungen wird aber zugleich die Handlungsprärogative der Gemeinschaftsorgane zum Ausdruck gebracht, denen auch und gerade im Falle einer durch den Mangel an lebenswichtigen Gütern bedingten Krisenlage die primäre Befugnis zukommt, auf Antrag eines Mitgliedstaates oder von sich aus entsprechende Ausfuhrbeschränkungen vorzusehen21. In allen Fällen einer verbleibenden Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten sind jedenfalls die nationalen Spielräume relativ eng: Fast alle denkbaren Maßnahmen der Versorgungssicherung werden wenigstens auch eine die Ausfuhr hemmende Wirkungen haben und müssen daher entweder einem zwingenden Erfordernis folgen oder dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienlich sein22. Das nationale Versorgungssicherungsrecht kann andererseits auch der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben dienen und ist diesfalls und insoweit gemeinschaftsrechtlich unbedenklich23.
II. Preisrecht A. Das Preisgesetz 1992 im Überblick § 1 Preisgesetz bezieht vorbehaltlich besonderer bundesgesetzlicher Regelungen alle Sachgüter und Leistungen in seinen Geltungsbereich ein. Hinsichtlich spezieller Güter getroffene Regelungen über die Preisfestsetzung schließen maW grundsätzlich als leges speciales für ihren Bereich die Anwendung allgemeinerer Preisfestsetzungsregeln aus24. Ausdrücklich ist allerdings in der die Preisfestsetzung für Erdöl und seine Derivate regelnden Bestimmung des § 5a PreisG eine Verschränkung dieser besonderen mit der allgemeinen Preisfestsetzungsregel des § 5 leg cit angeordnet25. Das Preisgesetz erlaubt aber eine Preisfestsetzung für die erfassten Güter und Leistungen nur zu bestimmten Zwecken und nach bestimmten Kriterien. Es hat im Wesentlichen dreierlei Anknüpfungspunkte. Einerseits soll es eine Grundlage für Bewirtschaftungsmaßnahmen im Krisenfall sein. Andererseits enthält es Instrumente der Kontrolle gegenüber Preistreiberei und Missbräuchen einer marktbeherrschenden Position. Und drittens ermöglicht es die Regu20 21
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Vgl Art 8, 11 der VO (EWG) 2603/69 und Art 24 der VO (EG) 3285/1994. Art 6, 7 der VO 2603/69. Art 8, der solche Maßnahmen vorläufig auch den Mitgliedstaaten zubilligte, war gemäß seines Abs 4 nur „bis zum 31. Dezember 1972“ anzuwenden; welche Bedeutung die Nichterfüllung der Verheißung einer zeitgerechten Revision dieser Bestimmung durch Rat und Kommission hat, ist zweifelhaft. Die von Rill, Angleichung, 179 f angedeutete restriktive Interpretation des Merkmals des „zwingenden Erfordernisses“ und des Art 30 EGV wird hier nicht geteilt. Rill ist zuzugeben, dass in einer Aufzählung im Zweifel gleich oder ähnlich gelagerte Sachverhalte erfasst werden sollen, was gegen die Einbeziehung von Versorgungsstörungen in den Katalog der nach der Rechtsprechung ein „zwingendes Erfordernis“ begründenden Eingriffsziele und in die Aufzählung des Art 30 EGV spricht. Allerdings ist dem entgegenzuhalten, dass in einer nicht taxativen Aufzählung - nach einem Größenschluss - erst recht eine schwerer als die genannten wiegende Bedrohung erfasst sein müsste. Vgl § 1 Abs 2 Versorgungssicherungsgesetz; vgl auch das Erdölbevorratungs- und Meldegesetz, das als Ausführungsregelung der RL 68/414/EWG vom 20.12.1968, Abl 1968 L 308, 14 aufgefasst werden kann. Vgl für die Versorgungssicherung Bernárd, 122 ff. § 5a Abs 3 letzter Satz PreisG 1992.
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lierung besonders sensibler Märkte, die nicht allein dem Spiel der Kräfte überlassen werden sollen. Dementsprechend kennt das Preisgesetz verschiedene Preisfestsetzungstatbestände. In § 2 PreisG werden zunächst alle Güter und Leistungen einer Preisregelung unterworfen, wenn und soweit für sie Versorgungsstörungen auftreten oder Lenkungsmaßnahmen bestehen. § 3 schafft die Grundlage für eine Preisfestsetzung bei Arzneimitteln und die Lieferung von Fernwärme und die damit zusammenhängenden Nebenleistungen. Gemäß § 5 PreisG können grundsätzlich alle Güter und Leistungen einer Preisregelung unterworfen werden, wenn eine ungewöhnliche Preisentwicklung vorliegt, die auf eine ungerechtfertigte Preispolitik zurückzuführen ist oder wenn ein vom Kartellgericht festgestellter Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nicht nachweisbar abgestellt ist. Mit § 5a wurde nachträglich eine von den Voraussetzungen her ähnliche Sonderbestimmung für Erdöl und seine Derivate in das PreisG eingefügt26. Der BMWA verfügt damit über zwei ineinander greifende Instrumente zur Preisregulierung am Erdölmarkt, die in der politischen Diskussion immer wieder bemüht, in der Praxis aber - wohl auch wegen des Zusammenhanges zwischen dem Erdölpreis und der Mineralölsteuer - noch nie eingesetzt worden sind. In der Praxis ist heute einzig § 3 PreisG relevant5. Die Preistreiberei- und Missbrauchstatbestände, die schon aus dem alten Preisrechtsregime herstammen, wurden niemals angewendet. Ihre Wirkung besteht, wenn überhaupt, in einer Abschreckung gegenüber exzessivem Vorgehen auf de facto kartellierten Märkten, auf denen eine Konkurrentenklage nicht wahrscheinlich ist. Die Krisenbewirtschaftungstatbestände sind zur Zeit unanwendbar. Im vorliegenden Beitrag werden nur der allgemeine Preisfestsetzungstatbestand des § 5 sowie die Preisbestimmung für Erdöl und seine Derivate, für Arzneimittel und für Waren dargestellt, die Gegenstand einer Lenkungsmaßnahme sind. Auch aus der Darstellung der Preisfestsetzung nach § 2 PreisG scheiden freilich nach dem oben Gesagten Preisfestsetzungen auf Grund von Lenkungsmaßnahmen für Güter aus der hier vorliegenden Darstellung aus, für die es eigene materienspezifische Lenkungsgesetze gibt. Dem Verfahren kommt - wie schon oben angedeutet - im Preisrecht besondere Bedeutung zu. Es ist für alle drei erwähnten Tatbestände im Wesentlichen gleich gestaltet. Zuständige Behörde ist - außer im Falle der Arzneimittel, in dem die Gesundheitsministerin zuständig ist - der BMWA, soweit er die Preisfestsetzung nicht gemäß § 8 Abs 2 PreisG an die Landeshauptleute delegiert27. Prägend und auch für moderne Regulierungsregime vorbildlich geworden ist insbesondere die Möglichkeit, Preise mit Bescheid oder Verordnung festzusetzen28. Eine wesentliche Rolle spielt in allen Verfahren nach dem 26 27
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BGBl 1999/I/50. Eine solche Delegation ist nur hinsichtlich der Preisbestimmung selbst und der Anordnung eines Preisstops zulässig, nicht aber für das Vorprüfungsverfahren nach § 5 Abs 1 PreisG (§ 8 Abs 1 und 2; Raschauer, 37). Im Vorprüfungsverfahren ist daher stets der BM zuständige Behörde. Die Diskussion um diese Wahlmöglichkeit wurde insbesondere im Elektrizitätsrecht mit großer Vehemenz geführt, vgl bloß Harald Pichler / Paul Oberndorfer, Systemnutzungstarife Strom - Bescheid oder Verordnung? Eine Gegenäußerung, ZfV 2004, 758 mH auf die vorangegangene Literatur und Judikatur.
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PreisG die Preiskommission, die den jeweils zuständigen Bundesminister in allen Fragen der Preisbestimmung berät29. Die in Art 55 Abs 5 B-VG für Lenkungsverordnungen zur Krisenabwehr geforderte Befassung des Hauptausschusses des Nationalrats ist im PreisG nicht vorgesehen30.
B. Die Preisfestsetzung im Einzelnen Für grundsätzlich alle Sachgüter und Leistungen ausgenommen die Lieferung von Erdgas und elektrischer Energie sieht das PreisG eine Preisbestimmung dann vor, wenn Lenkungsmaßnahmen oder Versorgungsschwierigkeiten bestehen (§ 2) oder wenn eine ungerechtfertigte Preispolitik zu einer überschießenden Preisentwicklung führt oder dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung entgegenzuwirken ist (§ 5). In beiden Fällen ist bei Zutreffen der Voraussetzungen ein volkswirtschaftlich gerechtfertigter Preis festzulegen, der in § 6 PreisG näher umschrieben ist. Unabhängig von den Voraussetzungen des § 2 enthält das Preisgesetz auch eine Ermächtigung, für Arzneimittel sowie für die Lieferung von Gas und Fernwärme Preise festzusetzen (§ 3).
1. Die Preisfestsetzung im Zusammenhang mit einer Versorgungsstörung (§ 2) a) Voraussetzungen Für alle Sachgüter und Leistungen ausgenommen die Lieferung von Erdgas und elektrischer Energie kann ein volkswirtschaftlich gerechtfertigter Preis festgesetzt werden, wenn und solange entweder • Lenkungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen nach den jeweils geltenden bundesgesetzlichen Vorschriften getroffen werden oder • Keine Lenkungs- oder Bewirtschaftungsvorschriften bestehen und eine Störung der Versorgung unmittelbar droht oder bereits eingetreten ist, sofern diese Störung • keine saisonale Verknappungserscheinung darstellt und • durch marktkonforme Maßnahmen nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln abzuwenden oder zu beheben ist. Eine solche Preisfestsetzung ist nur während der Geltungsdauer einer Verordnung der Bundesregierung zulässig, durch die festgestellt wird, dass die genannten Voraussetzungen gegeben sind. Die Bundesregierung hat eine solche Verordnung bei Vorliegen der Voraussetzungen zu erlassen und bei deren Wegfall aufzuheben. Es sind daher jedenfalls zwei Rechtsakte - zwei Verordnungen oder eine Verordnung und ein Bescheid - zu erlassen31; die Verordnung der Bundesregie29
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§ 9 Abs 1 PreisG und dazu 336 BlgNR 18. GP, 13. Ihr gehören je ein Vertreter des BMF, des BMLF und des Bundesministeriums für Soziales, sowie je ein Vertreter der WKÖ, der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern und der Bundesarbeitskammer an. Diesen Stellen ist im Vorprüfungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Vgl Kahl, Art 55 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht - Textsammlung und Kommentar (7. Lieferung, 2005) Rz 11. Siehe oben FN 28.
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rung ist Voraussetzung für die Verordnung oder den Bescheid, mit der oder mit dem letztlich der Preis festgesetzt wird. Obzwar sich § 2 ausfüllungsbedürftiger Gesetzesbegriffe wie jenes einer „Versorgungsstörung“ bedient, sind die Voraussetzungen für eine Preisfestsetzung nach dieser Bestimmung durch das Abstellen auf eine Verordnung der Bundesregierung bzw auf Lenkungsmaßnahmen nach spezifischen bundesrechtlichen Vorschriften relativ klar definiert. Über das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird daher kaum ein Zweifel bestehen. Fraglich ist, ob es auch dann noch einer Verordnung der Bundesregierung bedarf, wenn die betroffene Ware Gegenstand einer Maßnahme der Gemeinschaft nach Art 6, 7 der VO 2603/69 des Rates ist. Diesfalls sind die Mitgliedstaaten zur Durchführung der jeweiligen Maßnahmen verpflichtet; ob sie vom Dazwischentreten eines nationalen Rechtsakts abhängig gemacht werden darf, könnte zweifelhaft sein. b) Verfahren Preise sind von Amts wegen oder auf Antrag festzusetzen32. Den in § 9 Abs 2 PreisG genannten Interessenverbänden und Ministerien ist kein Antragsrecht hinsichtlich der Preisfestsetzung eingeräumt; antragsberechtigt ist ausschließlich „die Partei“33. „Anträge“ der genannten Stellen sind als Anregungen zur Einleitung eines Verfahrens zur Preisfestsetzung zu deuten. Die Behörde ist nicht zur Preisfestsetzung verpflichtet; es ist ihr vielmehr in dieser Frage Ermessen eingeräumt34. Eine Preisfestsetzung ist aber unzulässig, wenn mit marktkonformen Maßnahmen das Auslangen zu finden ist. Der Preisfestsetzung hat ein Vorprüfungsverfahren vorauszugehen, das der Ermittlung der für die Preisfestsetzung relevanten Umstände dient. In dieses Vorprüfungsverfahren sind die betroffenen Unternehmen sowie die gemäß § 9 Abs 2 PreisG zur Entsendung von Vertretern in die Preiskommission berechtigten Interessenverbände und Ministerien einzubeziehen. Im Verfahren ist die Partei zu hören und Vertretern der in § 9 Abs 2 PreisG genannten Stellen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben35. Schon im Rahmen der Vorprüfung können Betriebsprüfungen vorgenommen werden. Die Unterlagen hierüber sind - außer bei Gefahr im Verzug - den Vertretern der genannten Stellen zur Stellungnahme zu übermitteln36. Vertreter des überprüften Unternehmens können von der Behörde zur weiteren Auskunftserteilung vorgeladen werden37. Alle Unternehmer sowie ihre Vereinigungen und Verbände sind verpflichtet, (den Organen) der Behörde über alles Auskunft zu erteilen, was für die Preisfestsetzung oder die Anordnung eines Preisstops erheblich ist und zu diesem Zweck auch in ihre Wirtschafts- und
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§ 10 Abs 1 erster Satz PreisG. Also das betroffene Unternehmen. Vgl § 10 Abs 1 Satz 3 und dazu Rill, Erdöl, II. B. 2. Rill, Erdöl, II. C. 1. § 10 Abs 1. § 10 Abs 4. § 10 Abs 5.
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Geschäftsaufzeichnungen Einblick zu gewähren38. Ein Anspruch auf Ersatz der aus der Auskunftserteilung erwachsenden Kosten besteht nicht39. Nach Abschluss des Vorprüfungsverfahrens sind sämtliche Unterlagen der Preiskommission zur Begutachtung vorzulegen. Der Vorsitzende kann zur Beratung in der Preiskommission auch Sachverständige beiziehen40. Bei Gefahr im Verzug können die Anhörung der Ministerien und Interessenverbände sowie die Begutachtung durch die Preiskommission entfallen. Diese ist jedoch nachträglich unverzüglich mit der Angelegenheit zu befassen41. Die Unterlagen über eine in diesem Verfahrensabschnitt vorgenommene Betriebsprüfung sind den Mitgliedern der Preiskommission gemäß § 10 Abs 4 zur Stellungnahme zu übermitteln; § 10 Abs 5 PreisG gibt auch der Preiskommission das Recht, Vertreter der überprüften Unternehmen vorzuladen. Für eine auf Antrag vorgenommene Preisfestsetzung ist ein Kostenbeitrag zu leisten; § 76 AVG bleibt davon unberührt42. Der Kostenersatz ist nach dem Wortlaut nur zu leisten, wenn die Preisfestsetzung tatsächlich vorgenommen wird (arg: „vorgenommene“). Die Preisfestsetzung ist mit Bescheid oder Verordnung vorzunehmen43. Die Wahl zwischen diesen beiden Rechtsformen richtet sich zum einen nach dem Adressatenkreis der Preisfestsetzung44. Hat aber ein betroffener Unternehmer einen Antrag gestellt, so ist sein durchsetzbarer Erledigungsanspruch nur durch Erlassung eines Bescheides zu erfüllen45. Die Erlassung eines Bescheides setzt zudem die Einhaltung der Verfahrensregeln des AVG voraus46. Soll daher mit Bescheid entschieden werden, muss entweder von Anfang an ein diesem Gesetz entsprechendes Verfahren durchgeführt oder vor Erlassung des Bescheides nachgeholt werden. Die bescheidmäßige Preisfestsetzung schließt die gleichzeitige Erlassung einer (an alle oder nur die übrigen Betroffenen gerichteten) Verordnung nicht aus47. Gegenüber einem Antragsteller ist daher grundsätzlich 38
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§ 11 Abs 1 und 3 PreisG. Nach der Judikatur des VwGH zum alten Preisrechtsregime ist die Aufforderung zur Auskunftserteilung nicht selbständig bekämpfbar. Der Betroffene muss - wenn keine Preisfestsetzung mit Bescheid erfolgt - erst ein Strafverfahren riskieren, um die Rechtmäßigkeit der Aufforderung zu klären (vgl VwGH 16.11.1977, 2009, 2010/77 = ZfVB 1978, 2/1262). Zu den rechtsstaatlichen Bedenken gegen eine solche Judikatur vgl Kneihs, Altes und Neues zum Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, ZfV 2004, 150, 154. § 11 Abs 4 PreisG. § 10 Abs 2 PreisG. § 10 Abs 3 PreisG. § 12 PreisG. Das ergibt sich zum einen aus dem Antragsrecht betroffener Unternehmen, dem auch ein Erledigungsanspruch gegenüber stehen muss. Implizit wird die Möglichkeit der Erledigung eines solchen Verfahrens mit Bescheid auch in § 8 Abs 2 PreisG zum Ausdruck gebracht, wo von „Preisbescheiden“ die Rede ist. Vgl zur analogen Diskussion im Elektrizitätswirtschaftsrecht schon oben FN 28. 336 BlgNR 18. GP, 14; Raschauer, 38. Vgl schon Rill, Grundfragen 1975, 103 f; neuerlich ders, Erdöl, II. C. 3. AA offenbar Raschauer, 38. Vgl Art II Abs 4 EGVG. In Frage kommen etwa das Recht auf Akteneinsicht, auf Ablehnung von Sachverständigen und auf Parteiengehör, das durch die Anhörung der Partei gemäß § 10 Abs 1 PreisG nicht entfällt (Raschauer, 38). Rill, Grundfragen, 1975, 105.
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mit Bescheid über die Preisfestsetzung zu entscheiden, gegenüber den übrigen Betroffenen oder in einem amtswegigen Verfahren ist je nach dem Adressatenkreis mit Bescheid oder Verordnung vorzugehen48. Verordnungen auf Grund des Preisgesetzes unterliegen einer spezifischen Kundmachungspflicht49. c) Der volkswirtschaftlich gerechtfertigte Preis Im Verfahren nach §§ 2, 3 und 5 PreisG ist ein „volkswirtschaftlich gerechtfertigter“ Höchst-, Fest- oder Mindestpreis festzusetzen50. Preise sind, mit den verba legalia gesprochen, „volkswirtschaftlich gerechtfertigt, wenn sie sowohl den bei der Erzeugung und im Vertrieb oder bei der Erbringung der Leistung jeweils bestehenden volkswirtschaftlichen Verhältnissen als auch der jeweiligen wirtschaftlichen Lage der Verbraucher oder Leistungsempfänger bestmöglich entsprechen“51. Diese Regelung ist aus der alten Rechtslage bewusst übernommen worden52. Zusätzlich wurde nur die Möglichkeit der Festlegung von Preisbändern normiert. Die zur alten Rechtslage entwickelte Lehre und Rechtsprechung ist daher auf die Bestimmung des Preises nach § 6 PreisG zu übertragen53. Es ist daher zum einen anhand der Kostenstrukturen von branchentypischen, rationell geführten Unternehmen zu kalkulieren54. Bei der Preisfestsetzung ist zum anderen ein vertretbarer Gewinn für die betreffenden Unternehmen einzubeziehen55. Dabei sollen die Unternehmer aber nicht auf Gewinne aus anderen Sparten verwiesen werden56. Die Preisfestsetzung hat sich an den Marktpreisen zu orientieren; ist die Marktstörung so gravierend, dass es solche Preise nicht gibt, ist ein Preis zugrunde zu legen, der auf einem funktionierenden Markt verlangt werden kann57. Preise können grundsätzlich für jede Wirtschaftsstufe festgesetzt werden58. Auch eine Preisfestsetzung für mehrere Wirtschaftsstufen zugleich ist nicht ausgeschlossen. Bei der Auswahl der Wirtschaftsstufe, für die der Preis festge48 49 50 51 52 53 54
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336 BlgNR 18. GP, 14; Raschauer, 38; restriktiv Rill, Erdöl, II.C.3. § 14 PreisG. Vgl § 6. Zur nötigen Differenzierung beim Begriff der „volkswirtschaftlichen Rechtfertigung“ Rill, Grundfragen, 1975, 101 f, 104. § 6 Abs 1 PreisG. Vgl dazu eingehend Rill, Grundfragen, 1975, 101 f. RV 336 BlgNR 18. GP, 13. Vgl Raschauer, 33 f. Eingehend Korinek, 1975, 86 ff; Rill, Grundfragen, 1975, 104 f; Oberndorfer/Binder, 33 f; Raschauer, 33 f; vgl auch den AB 396 BlgNR 18. GP, 1, der sich auf VfSlg 12.564/1990 beruft und eine nicht kostendeckende Preisbestimmung für gesetzwidrig hält. VfSlg 12.564/1990; VwSlgNF 10.491 A/1981; vgl auch Gutknecht, 48 f; wN bei Mayer, 206 und Raschauer, 34. Raschauer, 34 mwN. Hängen allerdings die Selbstkosten des Unternehmens so wesentlich von Rohstoffpreisen ab, wie dies bei Erdöl und seinen Derivaten der Fall ist, dürfen diese Rohstoffpreise in die Preisbestimmung wohl auch dann einfließen, wenn für verschiedene aus diesen Rohstoffen gewonnene Produkte verschiedene Gewinnspannen zu erzielen sind. Vgl Hanreich, 38 f, „Als-Ob-Preis“; Mayer, 206. § 6 Abs 2 letzter Satz PreisG. Lediglich für die Arzneimittelpreise bestimmt § 3 PreisG Abweichendes.
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setzt werden soll, sind die Grundrechte der beteiligten Wirtschaftssubjekte sowie der bestmögliche Effekt für die Volkswirtschaft, aber auch die Ursache der zu bekämpfenden Marktstörung zu berücksichtigen. Dies wird idR dazu führen, dass sich die Preisfestsetzung auf die Endabgabe- oder Verbraucherpreise bezieht59. Die Preisfestsetzung kann mit Bedingungen und Auflagen verbunden sein60. Diese schon im alten Preisrecht vorgesehene Befugnis ist nach wie vor weitgehend unklar gefasst; sie kommt auch bei Erlassung einer Verordnung in Betracht61.
2. Die Preisfestsetzung am Arzneimittelmarkt (§ 3) Grund für den Regelungsbedarf am Arzneimittelmarkt ist einerseits der Umstand, dass der Großteil der in Österreich erhältlichen Medikamente eingeführt wird, vor allem aber die große gesundheits- und finanzpolitische Bedeutung, die die Preisgestaltung angesichts des nahezu flächendeckend wirkenden Systems der Sozialversicherung hat62. Daher finden sich Preisfestsetzungstatbestände im Preisgesetz und im Apothekengesetz und für die Preisgestaltung nicht weniger bedeutsame Bestimmungen über die Abgabe von Medikamenten auf Rechnung und Kosten der Sozialversicherung im ASVG. Hier wird zunächst die Preisfestsetzung gemäß § 3 PreisG behandelt; es folgen Hinweise auf die anderen erwähnten Regelungen. a) Voraussetzungen Für den Großhandel sowie für die Abgabe von Medikamenten an Ärzte und Krankenanstalten, können - unabhängig von den Voraussetzungen des § 2 Preise festgesetzt werden für • Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, für die Herstellung von Arzneimitteln verwendet zu werden, • Arzneispezialitäten, mit Ausnahme der homöopathischen, der apothekeneigenen und der radioaktiven Arzneispezialitäten sowie mit Ausnahme jener Arzneispezialitäten, die Fütterungsarzneimittel oder Fütterungsarzneimittel-Vormischungen sind, sowie für • Blut- und Blutplasmaprodukte sowie Impfstoffe, für die eine Chargenfreigabe nach dem Arzneimittelgesetz vorgesehen ist. Gegenstand dieser Preisregelung sind die Preise der Erzeuger, Importeure und Großhändler, die in der Praxis in Form eines Apothekeneinstandspreises festgesetzt werden.
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Raschauer, 38. § 6 Abs 3 PreisG. Die Bestimmung gilt auch im Verfahren nach § 5a PreisG. Raschauer, 38 f mwN; vgl schon Rill, Grundfragen, 1975, 105. Für einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Preisfestsetzung selbst VwGH 23.12.1993, 92/17/0056 = ÖZW 1994, 114 mit Anm Mayer. Vgl im Einzelnen Puck, Organisation der Heilmittelversorgung durch Apotheken, in: K.Korinek (Hrsg), Beiträge zum Wirtschaftsrecht - FS Wenger (1983) 577 (581) sowie Raschauer, 35.
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b) Verfahren Das Verfahren der Preisfestsetzung nach § 3 Preisgesetz folgt dem gleichen Muster wie jenes einer Preisfestsetzung bei Versorgungsstörungen (§ 2). c) Der volkswirtschaftlich gerechtfertigte Preis Für den festzusetzenden Preis gilt das oben Gesagte auch bei der Preisfestsetzung nach § 3 PreisG. d) Sonstige Preisregelungen im Arzneimittelrecht Die Abgabe in den Apotheken unterliegt einer eigenen Preisregelung auf Grund des § 7 Apothekengesetz. Diese Bestimmung ermächtigt ua zur Festsetzung des Maximalpreises für Artikel, die in einer Apotheke geführt werden dürfen sowie zur Bestimmung des Maximalentgeltes für die im Betrieb der Apotheke geleisteten Arbeiten (Arzneitaxe). Eine entsprechende Verordnung wurde 1962 erlassen und seither oftmals novelliert63. Gemäß § 2 dieser Verordnung hat die Bundesministerin oder der Bundesminister für Gesundheit und Frauen die Taxansätze von Amts wegen oder auf Antrag einer der in der in § 8 geregelten Taxkommission vertretenen Körperschaften64 neu zu berechnen, wenn sich eine Änderung des der Berechnung der Taxansätze zugrunde gelegten Durchschnittspreises von mehr als 10 vH zufolge Schwankungen der Einkaufspreise ergibt. Die geänderten Taxansätze sind jeweils kundzumachen. Bund, Länder und Gemeinden sowie die von ihnen verwalteten Anstalten und Fonds, die Träger der Sozialversicherung und gemeinnützige Krankenanstalten werden als „begünstigte Bezieher“ privilegiert, haben aber einen ermäßigten Zuschlag auf den Apothekeneinstandspreis zu zahlen65. Besonders gut gehende Apotheken müssen für begünstigte Bezieher einen Sondernachlass gewähren66. Auf die Preise von Arzneimitteln nimmt aber auch das Sozialversicherungsrecht Bezug. Angesichts dessen, dass der überwiegende Teil in Österreich abgegebener Arzneimittel auf Rechnung und Kosten der Sozialversicherungsträger abgegeben wird, kommt nämlich dem so genannten Erstattungskodex, der mit 1. Jänner 2005 das frühere Heilmittelverzeichnis abgelöst hat67, besondere Bedeutung zu, weil dort jene Arzneimittel gelistet werden, die auf Rechnung und Kosten der Sozialversicherung beziehbar sind. Die Herausgabe die63
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Zuletzt mit BGBl II 433/2005. Das Apothekengesetz benennt nicht ausdrücklich die Behörde, die zur Erlassung der Arzneitaxe zuständig ist. Gemäß § 44 leg cit ist für alle Angelegenheiten, die nicht ausdrücklich einer anderen Behörde zugewiesen sind, die Bezirksverwaltungsbehörde als zuständige Behörde anzusehen. Dass dies im Falle der Arzneitaxe in höchstem Maße unzweckmäßig wäre, ändert nichts daran, dass für die de facto vom BMSG stammende Verordnung eine ausdrückliche Rechtsgrundlage nicht ersichtlich ist; sie muss daher auf die Vollzugsklausel des § 69 leg cit gestützt sein. Je zwei Vertreter der Österreichischen Apothekerkammer, des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, der Wirtschaftskammer Österreich, der Bundesarbeitskammer und des ÖGB sowie ein Vertreter der Österreichischen Ärztekammer und ein Vertreter der Präsidentenkonferenz Landwirtschaftskammern Österreichs. Die Taxkommission hat beratende Kompetenz. § 3 der Verordnung. §§ 3a, 4 der Verordnung. § 609 Abs 13 erster Satz ASVG.
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ses Kodex ist durch §§ 31 Abs 2 lit 12 und 351 c ff ASVG dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger zugewiesen, der sich dabei der HeilmittelEvaluierungskommission zu bedienen hat68 und gegen dessen Entscheidungen Beschwerde an die Unabhängige Heilmittelkommission zulässig ist69. Im Rahmen des Erstattungskodex schreitet auch die Preiskommission nach dem Preisgesetz ein, um einen so genannten EU-Durchschnittspreis festzustellen, der vom vertriebsberechtigten Unternehmen nur überschritten werden darf, wenn die Heilmittel-Evaluierungskommission einen therapeutischen Mehrwert des Medikaments oder eine wesentliche therapeutische Innovation festgestellt hat. Die Aufnahme einer Arzneispezialität in den grünen Bereich des Erstattungskodex setzt voraus, dass ein „ausreichend großer Preisunterschied“ zu den dort bereits vorhandenen Produkten vereinbart werden kann70; treten billigere Generika auf den Markt, kann der Hauptverband den weiteren Verbleib einer Arzneispezialität im Erstattungskodex von der Bereitschaft des vertriebsberechtigten Unternehmens abhängig machen, seinerseits den Preis des Originalproduktes zu reduzieren71.
3. Die Preisfestsetzung bei Marktstörungen (§ 5) a) Voraussetzungen Eine Preisfestsetzung gemäß § 5 PreisG kommt in Betracht, wenn entweder • der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit festgestellt hat, dass der von einem oder mehreren Unternehmen für ein Sachgut oder eine Leistung geforderte Preis oder eine vorgenommene Preiserhöhung die internationale Preisentwicklung bei dem betreffenden Sachgut oder der betreffenden Leistung, den allgemeinen Preisindex des betreffenden Wirtschaftszweiges oder die allgemeine Preiserhöhung dieses Wirtschaftszweiges in einem ungewöhnlichen Maße übersteigt und wenn dies auf eine ungerechtfertigte Preispolitik eines oder mehrerer Unternehmen zurückzuführen ist72; oder • das Kartellgericht einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß § 35 KartellG untersagt und der betreffende Unternehmer nicht be-
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§ 351Abs 2 ASVG. Vgl dazu Strejcek, Verfassungsrechtliche Fragen des Erstattungskodex, in: Mazal (Hrsg), Erstattungskodex - Verfassungs- und verfahrensrechtliche Fragen (2005) 1 (7 ff). Vgl zu deren Verfahren im Einzelnen Rohregger, Verfahrensrechtliche Fragen des Erstattungskodex, in: Mazal (Hrsg), Erstattungskodex (2005) 21 sowie Kopetzki, Das Verfahren der Aufnahme ins Heilmittel- und Leistungsverzeichnis der Sozialversicherung, in: Kneihs/Lienbacher/Runggaldier (Hrsg), Wirtschaftssteuerung durch Sozialversicherungsrecht? (2005) 311 (331 ff), dessen verfassungsrechtliche Bedenken der VfGH in seiner Entscheidung B 849/05 vom 28.11.2005 nicht geteilt hat. § 351 c Abs 9 ASVG. § 351 c Abs 10 ASVG. Eine nicht eigentlich preisrechtliche, aber mit den Preisen am Arzneimittelmarkt zusammen hängende Regelung trifft § 609 Abs 19 ASVG hinsichtlich eines besonderen Beitrags, den die vertriebsberechtigten Unternehmer zur Finanzierung des Sozialversicherungssystems leisten sollen; vgl Kneihs/ Rohregger, Medikamenten-Sonderrabatt verfassungswidrig, ÖZW 2005, 228. § 5 Abs 1 iVm Abs 5.
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weist, dass der vom Kartellgericht festgestellte Missbrauch bereits abgestellt ist73. Das Gesetz nennt also als Vergleichsmaßstab für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen • die internationale Preisentwicklung, • den allgemeinen Preisindex des betreffenden Wirtschaftszweiges und • die allgemeine Preiserhöhung dieses Wirtschaftszweiges und unterscheidet damit einen statischen und zwei dynamische Fälle. Im ersten Fall ist der Preis des oder der betroffenen Unternehmen mit den allgemeinen Preisen, in den anderen Fällen ist eine Preiserhöhung mit der internationalen Preisentwicklung oder der allgemeinen Preiserhöhung des Wirtschaftszweiges in Beziehung zu setzen. Streng genommen wäre also eine Preisdifferenz zum internationalen Markt unbeachtlich, die sich daraus ergäbe, dass die inländischen Preise allgemein gleich bleiben, während die internationale Preisentwicklung rückläufig ist. Man wird aber unter einer Preiserhöhung stets eine relative Veränderung zum Bezugswert zu verstehen haben, weshalb auch der genannte Fall unter die Voraussetzungen des § 5 PreisG fällt. Der „allgemeine Preisindex des Wirtschaftszweiges“ ist nur auf das betreffende Gut oder die betreffende Leistung zu beziehen74. Anders als die Voraussetzungen für eine Preisfestsetzung nach § 2 PreisG sind die Voraussetzungen für eine Preisfestsetzung nach § 5 und damit auch die inhaltlichen Parameter für die Untersuchung dieser Voraussetzungen im Gesetz durch in hohem Maße unbestimmte Kriterien festgelegt. So ist ohne Interpretation weder klar, wann ein Preis von den allgemeinen Preisen oder der internationalen Preisentwicklung in ungewöhnlichem Maße abweicht, noch wann eine Preispolitik „ungerechtfertigt“ ist. Alle diese Daten stellen aber, da die Eröffnung eines Preisfestsetzungsverfahrens von ihnen abhängig ist, Prozessvoraussetzungen dar75. Es ist daher für die Interpretation davon auszugehen, dass es sich um Parameter handeln soll, die leicht handhabbar sind. Dies gilt sowohl für den Kreis der bei Bestimmung einer „internationalen Preisentwicklung“ heranzuziehenden Länder und ihrer Kenndaten als auch für den Maßstab der „ungewöhnlichen“ Abweichung von diesen Vergleichswerten76. Es sind daher einerseits leicht zugängliche offizielle Daten und Statistiken für den Preisvergleich heranzuziehen, andererseits sollen nur krasse und daher ebenfalls einfach und eindeutig festzustellende Abweichungen - bezogen auf die Abweichungen anderer Länder oder auf allfällige bisherige Abweichungen - entscheidend sein76. Gleiches gilt für den Begriff der „ungerechtfertigten Preispolitik“, der - verfassungskonform verstanden - nur eine Preisgestaltung erfasst, die in exzessiver Weise die volkswirtschaftlichen Erfordernisse und die (internationalen oder allgemeinen) Preise negiert77.
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§ 5 Abs 6. Raschauer, 37. Rill, Erdöl, V. A. 1. Näher Rill, Erdöl, V. A 1. und 2. Eingehend Rill, Erdöl, V. B.
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b) Verfahren Das Verfahren nach § 5 PreisG ist in eine Untersuchung der Voraussetzungen nach Abs 1, das bereits erwähnte Vorprüfungsverfahren gemäß § 10 Abs 1 Satz 3 PreisG sowie seine Begutachtung durch die Preiskommission und das eigentliche Preisfestsetzungsverfahren gegliedert78. Die Untersuchung der Preisentwicklung ist ihrerseits ganz analog in eine Vorprüfung, eine Begutachtung durch die Preiskommission sowie die Festlegung und Veröffentlichung des Ergebnisses geteilt79. Der BMWA hat im Verfahren nach § 5 PreisG zunächst zu untersuchen, ob der von einem oder mehreren Unternehmen für ein Sachgut oder eine Leistung geforderte Preis oder eine vorgenommene Preiserhöhung die internationale Preisentwicklung bei dem betreffenden Sachgut oder bei der betreffenden Leistung, den allgemeinen Preisindex des betreffenden Wirtschaftszweiges oder die allgemeine Preiserhöhung in einem ungewöhnlichen Maße übersteigt und ob dies auf eine ungerechtfertigte Preispolitik eines oder mehrerer Unternehmer zurückzuführen ist80. Die Untersuchung nach § 5 Abs 1 ist nur auf Antrag durchzuführen81. Das Gesetz ermächtigt ausdrücklich die in § 9 Abs 2 PreisG genannten Bundesministerien und Interessenvertretungen zur Antragstellung. Antragsberechtigt ist daneben aber auch die Partei, also der von einer in Aussicht genommenen oder möglichen Preisfestsetzung betroffene Unternehmer: Zweifellos ist der betroffene Unternehmer zur Antragstellung hinsichtlich der Preisfestsetzung selbst berechtigt, wie auch in den Materialien deutlich zum Ausdruck kommt82. Sein Antragsrecht hinsichtlich der Preisfestsetzung schließt aber auch das Antragsrecht hinsichtlich jener Untersuchung mit ein, deren Ergebnis Voraussetzung für eine Preisfestsetzung ist. Das Gesetz erklärt zudem die Bestimmung des § 10 Abs 1 PreisG ausdrücklich für anwendbar, nach der die Partei unstreitig ein Antragsrecht hat83. Es wäre auch sachlich durch nichts gerechtfertigt, zwar 78
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Vgl die Regelung § 10 Abs 1 dritter Satz. Sie besagt, dass vor jeder Preisfestsetzung ein Vorprüfungsverfahren durchzuführen ist. Diese Bestimmung gilt für alle Fälle einer Preisfestsetzung. Das Vorprüfungsverfahren muss daher einen anderen Inhalt haben als die Untersuchung nach §§ 5 und 5a Abs 1. Andernfalls wäre § 10 Abs 1 Satz 3 bedeutungslos. Auch der Wortlaut des Gesetzes unterscheidet deutlich zwischen dem Vorprüfungsverfahren und der Untersuchung nach §§ 5 und 5a Abs 1. Die Untersuchung gemäß § 5 Abs 1 bzw § 5a Abs 1 PreisG zählt demgemäß nicht ieS zum Verfahren der Preisfestsetzung. Erst nach Abschluss einer solchen Untersuchung kommt es gegebenenfalls zu einer Preisfestsetzung. Instruktiv Rill, Erdöl, II.A. Näher Rill, Erdöl, II. A. Ebenso Raschauer, 37. Die RV 336 BlgNR 18. GP, 14 wollen „‘Anträge‘ von (gesetzlichen) Interessenvertretungen“ nicht als Anträge iSd § 10 Abs 1 PreisG, „sondern nur als Anregungen zur Einleitung eines amtswegigen Preisbestimmungsverfahrens ... werten“. Eine solche Deutung verbietet sich aber für den Bereich des § 5 PreisG, da der BM dem eindeutigen Wortlaut nach auf Grund eines solchen „Antrages“ die Untersuchung nach § 5 Abs 1 PreisG einzuleiten hat , weshalb der Antrag nicht als bloße Anregung zu deuten ist. Vgl § 10 Abs 1 und dazu die RV 336 BlgNR 18. GP, 14 mit Hinweis auf die Judikatur des VfGH. Grundsätzlich Rill, Grundfragen, 1975, 103. § 5 Abs 3 PreisG.
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den in § 9 Abs 2 genannten Ministerien und Verbänden, nicht aber dem betroffenen Unternehmer selbst ein solches Antragsrecht einzuräumen84. Für das Vorprüfungsverfahren gelten die bereits dargestellten allgemeinen Verfahrensbestimmungen - mit Ausnahme jener über ein Vorgehen bei Gefahr im Verzug - sinngemäß85. Nach Abschluss einer Untersuchung gemäß § 5 Abs 1 PreisG sind sämtliche Unterlagen der Preiskommission zur Begutachtung vorzulegen, für die wiederum das bereits dargestellte Verfahren gilt. Der BMWA kann das Ergebnis einer Untersuchung gemäß § 5 Abs 1 PreisG und ihrer Begutachtung durch die Preiskommission unter Bedachtnahme auf die besondere Verschwiegenheitspflicht des § 13 leg cit im Amtsblatt zu Wiener Zeitung veröffentlichen86. Unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zweck eine solche Veröffentlichung zulässig ist, sagt das Gesetz nicht. Es ist daher in rechtsschutzfreundlicher Auslegung anzunehmen, dass die Veröffentlichung nicht nur Sanktionscharakter haben, sondern auch der öffentlichen Ausräumung des Verdachtes einer ungerechtfertigten Preispolitik dienen kann, zumal die Durchführung einer Untersuchung nach § 5 Abs 1 bereits geeignet sein wird, einen solchen Verdacht hervorzurufen87. Eine Untersuchung nach § 5 Abs 1 PreisG kann im Übrigen auch Grundlage für Verordnungen nach § 3 Abs 1 PreisauszeichnungsG sein88. Die Preisfestsetzung folgt wiederum den Verfahrensvorschriften des § 10 PreisG. Der Preis ist für die Dauer von sechs Monaten und nur dann (durch Bescheid oder Verordnung43) festzusetzen, wenn mit marktkonformen Maßnahmen der festgestellte Mangel nicht zu beseitigen ist. c) Der volkswirtschaftlich gerechtfertigte Preis Das oben Gesagte gilt auch für die Preisfestsetzung nach § 5. Einzig im Fall der Preisfestsetzung nach § 5a PreisG kann sich - wegen des engen Zusammenspiels der beiden Regelungen - anderes ergeben89.
4. Die Preisfestsetzung für Erdöl und Erdölderivate (§ 5a) a) Voraussetzungen Besteht bei Erdöl und seinen Derivaten auf Grund bestimmter, belegbarer Tatsachen Grund zur Annahme, dass der von einem oder mehreren Unternehmern dafür geforderte Preis oder eine vorgenommene Preiserhöhung die internationale Preisentwicklung in einem ungewöhnlichen Maß übersteigt, so hat der BMWA von Amts wegen zu untersuchen, ob der geforderte Preis oder die vorgenommene Preiserhöhung auf eine ungerechtfertigte Preispolitik eines 84 85 86 87
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Vgl auch die Argumentation bei Rill, Erdöl, II. B. 1. § 5 Abs 3. § 5 Abs 4 PreisG. Noch weiter gehend Rill, Erdöl, II.B.5., der bei positivem Untersuchungsergebnis eine Veröffentlichungspflicht annimmt. Dies kann aber nur dann uneingeschränkt gelten, wenn nicht widerstreitende Interessen verschiedener Parteien zu berücksichtigen sind. BGBl 1992/146; vgl Hanreich, 33 (38). Siehe gleich unten 4.
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oder mehrerer Unternehmen zurückzuführen ist. Liegt eine solche ungerechtfertigte Preispolitik vor, und hat sie volkswirtschaftlich nachteilige Auswirkungen, so hat der BMWA für die Dauer von sechs Monaten einen Höchstpreis festzusetzen. Die Voraussetzungen für eine Preisfestsetzung sind in § 5a abweichend von § 5 PreisG festgelegt. Vergleichsmaßstab ist hier ausschließlich die internationale Preisentwicklung; der allgemeine Preisindex und die allgemeine Preiserhöhung des betreffenden Wirtschaftszweiges bleiben außer Betracht. Auch der geforderte Preis wird mit dieser Preisentwicklung in Beziehung gesetzt: Eine ungewöhnliche Differenz zwischen Preis und internationaler Preisentwicklung kann sich also nicht nur aus einer Preiserhöhung, sondern auch daraus ergeben, dass die Preise bei sinkenden internationalen Preisen gleich bleiben; im Ergebnis stellt dies bei sinnvoller Auslegung aber keinen Unterschied zur Rechtslage nach § 5 PreisG dar90. b) Verfahren Eine Untersuchung gemäß § 5 Abs 1 ist nur auf Antrag durchzuführen; eine Möglichkeit für amtswegiges Vorgehen des BMWA besteht nicht. § 5a gibt demgegenüber dem Bundesminister daneben ein Instrument zum amtswegigen Einschreiten in die Hand und schafft ein einfaches Verfahren, das von der Mitwirkung betroffener Unternehmer und ihrer Interessenvertreter nicht abhängig ist91. Schon deswegen kann ein Preisfestsetzungsverfahren für Erdöl und seine Derivate auch weiterhin durch eine Untersuchung gemäß § 5 Abs 1 PreisG eingeleitet werden. Das Gesetz bestimmt außerdem ausdrücklich, dass allfällige Ergebnisse eines Verfahrens nach § 5 einem weiteren Verfahren nach § 5a zugrunde zu legen sind92. Im Untersuchungsverfahren nach Abs 1 sind die Bestimmungen über das Vorprüfungsverfahren sinngemäß anzuwenden. Es ist daher die Partei zu hören und den Vertretern der in § 9 Abs 2 genannten Einrichtungen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; ferner können Betriebsprüfungen durchgeführt und Vertreter der betroffenen Unternehmer vorgeladen werden. Das Ergebnis der Untersuchung nach Abs 1 ist nicht von der Preiskommission zu begutachten. Eine Veröffentlichung ist nicht vorgesehen.
Ergibt eine Untersuchung gemäß § 5a Abs 1 PreisG, dass der Preis oder die Preiserhöhung auf eine ungerechtfertigte Preispolitik zurückzuführen ist und hat diese volkswirtschaftlich nachteilige Auswirkungen, so ist ein Preis festzusetzen. § 10 Abs 1 Satz 3 PreisG ist auf Grund ausdrücklicher Verweisung auch im Verfahren nach § 5a leg cit anzuwenden. Es ist daher auch vor der Preisfestsetzung nach § 5a PreisG ein Vorprüfungsverfahren durchzuführen, in dem die Partei anzuhören und den in § 9 Abs 2 leg cit genannten Interessenvertretungen und Ministerien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Auch die Be-
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Vgl oben bei FN 74. Initiativantrag 1045/A BlgNR, 20. GP. § 5a Abs 3 PreisG; vgl auch dazu die Materialien (FN 91), die das sowohl auf die Frage nach der Notwendigkeit zur Einleitung eines Verfahrens nach § 5a als auch auf etwaige Ermittlungsergebnisse beziehen. Siehe auch Mayer, 202.
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stimmungen über Betriebsprüfungen und Ladungen vor die Behörde sind anzuwenden93. Im Verfahren nach § 5a PreisG entfällt allerdings ersatzlos die Befassung der Preiskommission. Dies entspricht den Intentionen des Gesetzgebers, der ein vereinfachtes Verfahren schaffen wollte, das nicht von der Mitwirkung der genannten Stellen abhängig ist. Der Bundesminister ist also im Verfahren nach § 5a PreisG von diesen Bindungen frei. Das zur Rechtsform seiner Entscheidung Gesagte gilt auch im Verfahren nach § 5a PreisG. Während § 5 PreisG dem BMWA Ermessen in der Frage einräumt, ob bei entsprechendem Ergebnis ein Preis festzusetzen ist, hat § 5a PreisG für Erdöl und seine Derivate eine andere Entscheidung getroffen: Ergibt eine Untersuchung nach Abs 1 dieser Bestimmung, dass der Preis oder die Preiserhöhung auf eine ungerechtfertigte Preispolitik zurückzuführen ist und hat dies volkswirtschaftlich nachteilige Auswirkungen, so hat der BMWA einen Preis zu bestimmen. Da sich die Voraussetzungen der Preisfestsetzung nach § 5a nicht vollständig mit jenen des § 5 Abs 5 decken, sind im Ergebnis folgende Konstellationen zu unterscheiden: • Die Untersuchung führt zu dem Ergebnis, dass kein ungewöhnlicher Preis oder keine ungewöhnliche Preisentwicklung vorliegt oder dass diese nicht auf eine ungerechtfertigte Preispolitik zurückzuführen ist; eine Preisfestsetzung findet nicht statt. • Die Preise oder die Preissteigerung sind überhöht und auf eine ungerechtfertigte Preispolitik zurückzuführen, die aber keine volkswirtschaftlich nachteiligen Auswirkungen hat oder sie sind nur im Hinblick auf einen Binnenvergleich überhöht; der BM kann einen Preis nach § 5 Abs 5 PreisG festsetzen, wenn marktkonforme Maßnahmen nicht ausreichend sind. • Die Preise oder die Preissteigerung sind im Vergleich mit der internationalen Preisentwicklung überhöht und sind auf eine ungerechtfertigte Preispolitik zurückzuführen, die volkswirtschaftlich nachteilige Auswirkungen hat; der BM hat einen Preis nach § 5a Abs 2 festzusetzen. c) Der festzusetzende Preis Im Verfahren nach § 5a PreisG ist ein Höchstpreis festzulegen94. Dieser hat sich an der Preisentwicklung in vergleichbaren europäischen Ländern unter Berücksichtigung allfälliger besonderer, im betreffenden Wirtschaftszweig bestehender volkswirtschaftlicher Verhältnisse zu orientieren und kann auch für einzelne Wirtschaftsstufen bestimmt werden. Auch eine Preisfestsetzung nach § 5a PreisG kann für jede Wirtschaftsstufe vorgenommen werden95. Auch
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§ 5a Abs 3. § 5a Abs 2. Dies entspricht dem Charakter dieses Preistreibereitatbestandes. Auch im Falle des Verfahrens nach § 5 PreisG wird zumeist eine Höchstpreisfestsetzung sinnvoll sein. Die von Hanreich, 38 f geforderten Möglichkeiten lässt das Gesetz auch offen, wenn man seiner Interpretation im Übrigen nicht folgt. Vgl zur Möglichkeit der Bestimmung einer Gewinnspanne Rill, Erdöl, V.D.2. § 5a Abs 2 zweiter Satz PreisG.
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im Verfahren nach § 5a PreisG kann die Preisfestsetzung mit Bedingungen und Auflagen verbunden sein60. In § 5a PreisG ist nicht von einem volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preis die Rede. Aus § 6 ist nur auf den Absatz 3 verwiesen, somit nicht auch auf die Anleitung zur Preisbestimmung, die oben dargestellt worden ist. Dafür werden in § 5a Abs 2 eigene Vorgaben für die Preisfestsetzung gemacht96. Es fragt sich daher, ob diese Regelung die Anwendung der oben dargestellten Berechnungsweise ausschließen will. Dafür könnte sprechen, dass gerade am Erdölmarkt nur einige wenige Anbieter tätig sind, deren Preisgestaltung idR kaum variiert. Die Orientierung an den Kostenstrukturen eines durchschnittlichen, rationell agierenden Unternehmers könnte sich demnach als ungeeignet erweisen, um einen festzusetzenden Preis zu berechnen. Überdies scheint für eine Preisfestsetzung am Erdölmarkt von vornherein primär der internationale Preisvergleich entscheidend zu sein. Der Verfassungsbestimmung des § 5a PreisG ist aber im Zweifel nicht zu unterstellen, dass sie anderen Verfassungsbestimmungen derogiert hat97. Insbesondere ist es dem Verfassungsgesetzgeber aus dem Gesamtkontext der Entstehung der Bestimmung heraus nicht zuzusinnen, dass er die grundrechtlichen Parameter für die Preisfestsetzung selbst verändern wollte98. 96
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Orientierung an der Preisentwicklung in vergleichbaren europäischen Ländern unter Berücksichtigung allfälliger besonderer, im betreffenden Wirtschaftszweig bestehender Verhältnisse. Mayer, 203 ff mwN. Es ist zwar zuzugeben, dass der VfGH im von Mayer zitierten Erk VfSlg 11.756/1988 die Wirkung einer Verfassungsbestimmung auf die restliche Verfassungsordnung unter Berufung auf die Materialien differenziert betrachtet hat (vgl auch VfSlg 15.578/99). Andererseits lassen sich auch Gegenbeispiele in der Judikatur finden, in denen der VfGH Verfassungsbestimmungen weitreichende Konsequenzen zugeschrieben hat, die von den Materialien nicht voll gedeckt zu sein scheinen (vgl zB VfSlg 15.286/1998). Der Initiativantrag zur Einführung des § 5a PreisG führt als Motive für den Verfassungsrang einerseits kompetenzrechtliche Erwägungen an, andererseits nimmt er auf die verfahrensrechtliche Vereinfachung bezug, wenn es da heißt: „Wegen der vielfältigen und einander widerstreitenden Interessen ist es im Allgemeinen zweifellos gerechtfertigt, zur Preisfestsetzung ein ausführliches Verfahren unter Einbindung der Sozialpartner vorzusehen, zumal es sich bei der Preisfestsetzung um einen gravierenden Eingriff in die Erwerbsfreiheit der betroffenen Unternehmer handelt und die Gesetzgebung - wie auch sonst in wirtschaftlichen Belangen - Regelungen nur unter Verwendung weitgehend unbestimmter Gesetzesbegriffe treffen kann und insoweit im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes das Verfahren eine Gewähr für die ‚Richtigkeit‘ des Verfahrensergebnisses bietet. Anderes gilt aber bei international benötigten Produkten des täglichen Lebens, wie Benzin und anderen Erdölprodukten, deren Preisentwicklung maßgeblich vom Weltmarkt bestimmt wird und bei denen in wirtschaftlich vergleichbaren Ländern die gleichen Bedingungen für die Preisgestaltung maßgeblich sind. In diesem Fall ist es bereits ein Indiz für eine ungerechtfertigte Preispolitik in Österreich, wenn dauerhaft die Preise über dem internationalen Preisniveau liegen und sogar noch erhöht werden, wenn sie anderswo sinken. In diesem Fall kann daher bereits in einem vereinfachten Verfahren ermittelt werden, ob das österreichische Preisniveau auf eine ungerechtfertigte Preispolitik zurückzuführen ist und gegebenenfalls eine entsprechende Preisbestimmung vorzunehmen (sic). Der neue § 5a (der schon aus kompetenzrechtlichen Gründen als Verfassungsbestimmung zu erlassen ist) sieht für Erdöl und dessen Derivate ein solches Verfahren vor“.
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§ 5a PreisG ist daher in einer Weise auszulegen, die mit Art 6 StGG nicht in Widerspruch steht. Eine Preisfestsetzung ist demnach einmal nur zulässig, wenn sie zum Zwecke der Beseitigung volkswirtschaftlicher Nachteile erforderlich ist. Es muss aber auch der festgelegte Höchstpreis zur Verfolgung dieses Zieles geeignet und adäquat sein. Der Höchstpreis nach § 5a PreisG stellt einen Eingriff in die Grundrechte des betroffenen Unternehmers dar, der einer Rechtfertigung bedarf. Diese Rechtfertigung ist volkswirtschaftlichen Charakters. Der festzusetzende Preis muss daher volkswirtschaftlich gerechtfertigt sein. Dies führt wiederum zu den Kriterien zurück, die Lehre und Judikatur zur Preisfestsetzung nach dem alten Preisregime entwickelt haben53, wofür auch spricht, dass neben einer übermäßigen Preisentwicklung auch eine ungerechtfertigte Preispolitik Voraussetzung für eine Preisfestsetzung ist, die nicht ohne Rücksicht auf die Kostenstrukturen der betroffenen Unternehmer festgestellt werden kann. Allerdings ist bei Heranziehung der internationalen Preisentwicklung von einem rationell operierenden Durchschnittsunternehmer am internationalen Markt auszugehen; nur die Besonderheiten des österreichischen Marktes sind zu berücksichtigen. In § 5a Abs 2 sind maW die auf Unternehmer- und Verbraucherseite relevanten volkswirtschaftlichen Verhältnisse explizit angeführt, die bei einer Preisfestsetzung am stark von Weltmarktpreisen abhängigen Erdölmarkt auch nach §§ 5, 6 Abs 1 PreisG bei sachlicher Vorgangsweise zu berücksichtigen wären. Wie die Materialien hervorheben, sind im Bereich des § 5a PreisG die Sozialpartner nicht an der Preisfestsetzung beteiligt; das Gesetz versucht daher auf diese Weise die Kriterien für die Preisfestsetzung zu konkretisieren99. So ist streng darauf zu achten, dass nur - in jeder Hinsicht - vergleichbare Volkswirtschaften herangezogen werden100. Die Vergleichbarkeit muss dabei auch auf der Verbraucherseite gegeben sein; die Preisentwicklung ist für den Vergleich nicht absolut, sondern auch etwa im Verhältnis zu Kaufkraft und Inflation heranzuziehen. Besondere in der Mineralölwirtschaft bestehende Verhältnisse sind zu berücksichtigen101. Kraft ausdrücklicher Anordnung ist bei der Preisfestsetzung auf die Kosten der Herstellung und Erhaltung von Pflichtnotstandsreserven Bedacht zu nehmen102. Wenn sich die für die Preisfestsetzung maßgeblichen Verhältnisse wesentlich ändern, ist auch die Preisfestsetzung entsprechend zu ändern oder aufzuheben; dies gilt, da diese Verhältnisse für die Preisfestsetzung maßgeblich sind, auch für wesentliche Änderungen in den verglichenen Volkswirtschaften.
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C. Buchpreisbindung 1. Allgemeines Einem anderen Muster folgt die Preisbindung bei deutschsprachigen Verlagserzeugnissen und Musikalien nach dem Buchpreisbindungsgesetz103. Nach diesem Gesetz besteht eine Bindung der Letztverkaufspreise für die genannten Medien an Vorgaben der Verleger und Importeure, die nicht um mehr als 5 vH unterboten werden dürfen104. Es bedarf in diesem Bereich keiner staatlichen Intervention im Einzelfall. Die Verpflichtung der Verleger und Importeure, Mindestpreise festzusetzen sowie die Verpflichtung der Letztverkäufer, diese Preise nicht um mehr als 5 vH zu unterschreiten, besteht schon kraft Gesetzes. Das Gesetz unterstellt offenbar, dass im Bereich des Handels mit Verlagserzeugnissen und Musikalien ein relativ kleiner Markt für qualitativ hochwertige Medien existiert, der vor dem größeren, auf Massenkonsum ausgerichteten Büchermarkt aus Gründen der Kultur sowie der Lauterkeit des Wettbewerbes geschützt werden muss. Es ist - wenn man so will - eine Art generelles Marktversagen, von dem das Gesetz auszugehen scheint. Dieses Marktversagen muss sich nicht erst aktualisieren, um eine Preisbindung hervorzurufen. Das Gesetz über die Buchpreisbindung ist vor allem deshalb entstanden, weil die bis dahin den Buchmarkt regelnde Vereinbarung des so genannten Reverssystems immer stärkeren gemeinschaftsrechtlichen Bedenken ausgesetzt war105. Das neue - in Deutschland und Österreich ähnlich dem französischen Vorbild entlehnte - Modell erfreut sich nun der Billigung der Kommission106.
2. Die Preisfestsetzung im Überblick Die Konzeption des Gesetzes ist einfach: Verleger und Importeure haben für ihre Waren Preise festzusetzen und bekannt zu machen107. Dabei sind die Importeure weitgehend an bestehende Empfehlungen und Festlegungen gebunden, Verleger sind in ihrer Preisbestimmung grundsätzlich frei108. Die von Verlegern und Importeuren festgesetzten Preise dürfen im Einzelhandel grundsätzlich nicht oder nur in engem Rahmen unterschritten werden; Unterschreitungen dürfen im geschäftlichen Verkehr nicht angekündigt werden109. Ausnahmen bestehen einerseits für Waren, deren Letztverbrauchspreis erstmals vor mehr als 24 Monaten bekannt gemacht wurde und deren Lieferzeitpunkt länger als sechs Monate zurückliegt110; andererseits für die Abgabe von 103 104 105
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BGBl I 2000/45. Vgl § 5 BuchpreisbindungsG. Vgl zu diesem System eingehend Eilmansberger, Zur EG-rechtlichen Zulässigkeit der Buchpreisbindung - Anmerkung zu EuGH 17.1.1995, The Publisher’s Association, WBl 1995, 105; einen Überblick über die Entwicklung hin zum nun vorliegenden Buchpreisbindungsgesetz gibt Willheim, Zulässigkeit (FN 15) 848 f. Urlesberger, Neues aus dem Europarecht, wbl 2005, 263 mit zahlreichen Hinweisen auf die Vorgeschichte. §§ 3, 4 leg cit. § 3. § 5. § 5 Abs 3.
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Büchern an allgemein zugängliche Bibliotheken, Hörer einer Universität und für mangelhafte Stücke111. Schließlich besteht eine Ausnahme im Rahmen der Schulbuchaktion112. Das Gesetz gibt somit nur ein Grundgerüst vor; der Markt selbst erfüllt das Prinzip mit Leben. Nicht der mit der Vollziehung beauftragte Bundeskanzler setzt die Preise fest, die Festsetzung der Preise obliegt vielmehr den Marktteilnehmern selbst, die dabei freilich zum Teil wiederum an Vorgaben gebunden sind.
3. Verfassungsrechtliche Fragestellungen a) Kompetenz Die Materialien11 stützen das in Rede stehende Gesetz - wie schon gesagt - auf die Bundeskompetenz nach Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Es wurde in der literarischen Auseinandersetzung mit dem Gesetz überzeugend dargetan, dass diese Kompetenzgrundlage nur für die Bestimmung des § 7 BuchpreisbindungsG Geltung beanspruchen kann113. Allerdings ist der Bund unter dem Titel des Kompetenztatbestandes nach Art 10 Abs 1 Z 6 (Pressewesen) für die Erlassung des in Rede stehenden Gesetzes dennoch zuständig, ohne dass es dafür einer eigenen Kompetenzbestimmung der im Lenkungsrecht üblichen Art bedürfte114. b) Grundrechte Dem Buchpreisbindungsgesetz wurden auch Verstöße gegen Art 5, 6 StGG und Art 1 des 1. ZP sowie gegen den Gleichheitssatz vorgeworfen115. Gemeinsamer Ansatzpunkt dieser Vorwürfe ist die grundsätzliche - dh bloß durch die Zielvorgaben des § 1 leg cit gelenkte - Freiheit des österreichischen Verlegers bei der Preisfestsetzung, die einmal im Hinblick auf den dadurch erzeugten Konkurrenzdruck, ein andermal im Vergleich mit der Preisbindung der Importeure kritisiert wird. Zweifellos greift das Gesetz in die genannten Grundrechte ein. Das rechtspolitische Gestaltungsziel der Erhaltung eines kulturell wertvollen, aber uU unwirtschaftlichen Marktes dürfte aber eine brauchbare Rechtfertigung für diesen Eingriff darstellen. Was nun den Vorwurf betrifft, die freie Preisgestaltung der Verleger liefe diesem Ziel des Gesetzes zuwider, so ist dem nicht zu folgen: Gibt der Verleger einen niedrigen Preis vor, so profitieren davon große wie kleine Händler gleichermaßen, es stünde denn der Letztverkaufs- zum Großhandels- oder Einkaufspreis außer vernünftiger Relation. An keiner Stelle regelt nämlich das Gesetz den Großhandelspreis, also den Preis, den der - den Letztverkaufspreis bestimmende - Verleger selber von den Letztverkäufern verlangen darf. Könnte demnach ein Verleger einerseits einen hohen Großhandelspreis, andererseits aber einen niedrigen Letztverkaufspreis festsetzen, so würde er damit kleinere Buchhändler in Bedrängnis bringen, während große Ketten eine solche Preispolitik idR verkraften könnten. Vor diesem Hinter111 112 113 114 115
§ 6 Abs 1. § 6 Abs 2. Schneider, Buchpreisbindung, 854 ff. Vgl im einzelnen Schneider, Buchpreisbindung, 855 f. Schneider, Buchpreisbindung, 853 f.
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grund geriete aber tatsächlich das mit dem Gesetz angestrebte Ziel in Gefahr, weshalb an der Eignung des Gesetzes zur Verfolgung des an sich legitimen Interesses am Schutz eines kulturell wertvollen Marktes zu zweifeln wäre. Die Verfassungswidrigkeit läge bei dieser Sicht der Dinge allerdings nicht in der Freiheit bei der Festsetzung des Letztverkaufspreises, sondern vielmehr darin, dass der Großhandelspreis nicht festgelegt ist. Diesen Bedenken ist aber durch eine verfassungskonforme Interpretation zu begegnen: Bei verfassungskonformer Interpretation kann nämlich dem Gesetz nicht unterstellt werden, es erlaubte die Festsetzung eines Letztverbrauchspreises, der unverhältnismäßig - dh eine vertretbare Gewinnspanne überschießend unter dem - an den verlegerischen Kosten orientierten - Großhandelspreis liegt. Diese Auslegung entspräche nicht nur den Kriterien, die für die Bestimmung des volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preises herangezogen werden, wie er auch ohne ausdrückliche Verankerung einer Ermächtigung zur Preisfestsetzung zugrunde zu legen ist. Eine Stütze findet sie auch in § 3 Abs 3, wo offenbar von einem angemessenen Verhältnis zwischen Großhandels- und Letztverbrauchspreis ausgegangen wird. Ist aber die Eröffnung einer solchen unverhältnismäßigen Spanne verfassungskonform auszuschließen, dann treffen auch die unter dem Blickwinkel der Erwerbsausübungsfreiheit und des Eigentumsgrundrechtes relevierten Bedenken nicht zu. Was die Differenzierung zwischen österreichischem Verleger und Importeur anbelangt, so liegt der sachliche Grund für diese Unterscheidung mE doch auf der Hand: Unterliegen im Ausland eingekaufte Waren in ihrem Herkunftsland einer Preisbindung oder wurde eine Preisempfehlung für Österreich ausgesprochen, so überträgt das Gesetz diese Preisbindung ins Inland, es will damit Wettbewerbsverzerrungen gerade einen Riegel vorschieben. Besteht eine solche Preisbindung nicht oder konnte unter dem üblichen Preis eingekauft werden, so darf der Wettbewerbsvorteil weitergegeben werden. Alles das gilt für den mit anderen Rahmenbedingungen konfrontierten österreichischen Verleger nicht. Es ist nicht zu erkennen, worin eine Gleichheitswidrigkeit dieser Differenzierung begründet sein soll. Dass schließlich für einen zulässigen Rabatt nicht geworben werden darf116, stellt eine zur Zielerreichung geeignete Einschränkung der Privatautonomie dar. Sie ist im Hinblick auf den Schutzzweck zugunsten kleiner, über eine effiziente Werbung gar nicht verfügender Buchhändler erforderlich und daher (sachlich) gerechtfertigt. c) Beleihung oder Inpflichtnahme des Verlegers und Importeurs? Die Frage nach dem Rechtscharakter der Preisfestsetzung durch Verleger und Importeure ist berechtigt117. Immerhin werden den Letztverkäufern mit der Festsetzung der Letztverbrauchspreise von einem Vertragsverhältnis mit dem Verleger oder Importeur unabhängige Pflichten auferlegt. Es drängt sich auf, eine solche Preisfestsetzung als Verordnung zu deuten, zumal privatautonome Deutungen vor allem entstehungsgeschichtlich auszu116 117
§ 5 Abs 2. Schneider, Buchpreisbindung, 856 f.
Preis- und Versorgungssicherungsrecht
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schließen sind118. Hiergegen spräche das Determinierungsgebot des Legalitätsprinzips mE nicht: Es dient der möglichst weit gehenden Schonung der Grundrechte auf Freiheit der Erwerbsausübung und auf Unversehrtheit des Eigentums, dass die Preisfestsetzung nicht im Detail vorherbestimmt ist; eine solche zurückhaltende Determinierung wäre auch mit der - vom VfGH vielfach anerkannten - Lehre vom differenzierten Legalitätsprinzip gerade in wirtschaftsnahen Bereichen zu vereinbaren119. Zudem ergäbe sich der bei Verordnungserlassung anzuwendende inhaltliche Maßstab nicht nur aus der Verordnungsermächtigung des § 3 BuchpreisbindungsG selbst, sondern - wie es nach der ständigen Judikatur zulässig ist - aus dem ganzen Gesetz120. Dieses lässt nämlich insgesamt sehr gut erkennen, woran sich der Letztverbrauchspreis zu orientieren hat: Heranzuziehen sind einmal die Kriterien des § 1121; außerdem aber hat sich der Verleger bei der Festsetzung des Letztverkaufspreises an seinen eigenen Kosten zu orientieren. Bemerkenswert wäre allerdings die staatsrechtliche Implikation einer Verordnungslösung: Nach hM bedarf es im Falle der Heranziehung Privater zur Ausübung von Hoheitsgewalt einer Weisungsbindung oder doch zumindest einer Bindung an die Aufsicht durch Staatsorgane122. Lehnt man nun mit dem VfGH eine unmittelbar auf Art 20 B-VG gestützte Weisungsbindung des Beliehenen oder in die Pflicht Genommenen ab123, so müsste - wenigstens - ein Aufsichtsrecht des mit der Vollziehung betrauten Bundeskanzlers über die Preisfestsetzung der Importeure und Verleger vorgesehen sein. Es fehlt aber an jeglicher Ingerenzmöglichkeit des Bundeskanzlers oder eines anderen Staatsorganes. Hinzu kommt, dass die Verfassungsmäßigkeit einer Verordnungsermächtigung an Beliehene nach der jüngeren Judikatur des VfGH schon für sich genommen zweifelhaft ist124. Überdies müsste die Sachlichkeit einer ausge-
118
119 120 121 122 123
124
Es ist nicht von vornherein verfassungsrechtlich auszuschließen, dass der Gesetzgeber einem Privaten die Rechtsmacht einräumt, auch in genereller Form über andere Private und deren Gestion Verfügungen zu treffen (vgl im Einzelnen Kneihs, Privater Befehl und Zwang [2004] 17 ff, 54 ff). Die Materialien begründen aber die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung gerade mit der gemeinschaftsrechtlichen Problematik privatautonomer Verabredungen. Gegen eine private Deutung spricht auch, dass zwar die Festlegung des eigenen Abgabepreises, nicht aber auch die Festsetzung eines Letztverbrauchspreises für andere als Ausfluss der Privatautonomie des Verlegers oder Importeurs zu deuten ist. Vgl zur Verordnungslösung auch Schneider, Buchpreisbindung, 856 f. VfSlg 2768/1954; VfSlg 10.275/1984; 17.348/2004. Vgl zB VfSlg 15.697/97 mwN. Stellung von Büchern als Kulturgut, Interessen der Konsumenten an angemessenen Buchpreisen, betriebswirtschaftliche Gegebenheiten des Buchhandels. Vgl nur VfSlg 14.473/1996 und die Folgejudikatur. Vgl die Nachweise dazu bei Schneider, Buchpreisbindung, 856 in FN 45. Es spielt dafür keine Rolle, ob man bloß die unmittelbare Anwendbarkeit des Art 20 B-VG verneint oder ob man Art 20 B-VG rein organisatorisch deutet, wofür mE die besseren Argumente sprechen, worauf aber im gegebenen Rahmen nicht eingegangen werden kann. VfSlg 16.995/2003.
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rechnet an einen Marktteilnehmer und -konkurrenten gerichteten Verordnungsermächtigung zweifelhaft sein125. Gegen die Verordnungslösung spricht aber auch der Sanktionsmechanismus, der im Gesetz vorgesehen ist: Nicht der Staat greift durch Gericht oder Verwaltungsbehörde in das Geschehen ein, wenn die Preisbindung missachtet wird, sondern die Marktteilnehmer selbst haben es in der Hand, das System durch Konkurrentenklagen zu effektuieren. Man könnte nun versucht sein, trotz der Entstehungsgeschichte118 privatrechtlich zu argumentieren und etwa vertragliche Bindungsketten zu konstruieren. Solche Ketten lassen aber Lücken offen, die das Gesetz schließen muss. Es handelt sich demnach um eine atypische Form der generellen Rechtsetzung durch Private auf Grund gesetzlicher Ermächtigung. Dagegen lässt sich die (angebliche) Geschlossenheit des Rechtsquellensystems nicht mit Erfolg ins Treffen führen, weil sie von vornherein nur relativ, das Rechtsquellensystem damit relativ offen für atypische Rechtsformen ist126. Eine solche Konstruktion sähe sich aber dem Vorwurf der Umgehung des Rechtsschutzssystems ausgesetzt, wobei es zweifelhaft ist, ob die - auch für die Festsetzung selbst geltende - Sanktion des § 7 leg cit127 als hinreichend effektives Rechtsschutzinstrument anzusehen ist, mit dessen Hilfe die Preisfestsetzung bekämpft werden kann mit kaum anderem Prüfungsmaßstab und daher ohne Rechtsschutzeinbuße für den Betroffenen, aber unter Umgehung des Normenkontrollmonopols des VfGH. Zudem schiede in einer solchen Konstruktion mangels Ingerenz eines Verwaltungsorgans jegliche Amtshaftung und jegliche demokratische Kontrolle der Preisfestsetzung aus, die auch im Falle privater Rechtsetzung umso notwendiger ist, je weniger sich diese Rechtsetzung aus den Grundrechtspositionen des betreffenden Privaten rechtfertigen lässt und je mehr sie sich in Wahrheit einem öffentlichen Interesse verdankt128. Aus allen diesen Gründen ist die vorliegende Konstruktion der Buchpreisbindung als verfassungswidrig zu qualifizieren.
III. Versorgungssicherung A. Zur Problemstellung Im österreichischen Recht existieren mit dem Erdöl- Bevorratungs- und Meldegesetz129, dem Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz130 und dem Energielenkungsgesetz131 Versorgungs-Sicherungsgesetze für einzelne, für die Aufrechterhaltung der nötigen Infrastruktur besonders wichtige und/oder besonders 125
126 127 128 129 130 131
Vgl zu diesem Gedanken mwN Kneihs, Der privatrechtliche Normenvertrag als Instrument des Sozialversicherungsrechts, in: Kneihs/Lienbacher/Runggaldier (Hrsg), Wirtschaftssteuerung durch Sozialversicherungsrecht? (2005) 125 (139). Kneihs (FN 118). Vgl dazu im Einzelnen Eixelsberger, „Sittenwidrigkeit“ kraft gesetzlicher Fiktion? Zum Verweis des BuchpreisbindungsG auf § 1 UWG, ÖBl 2001, 243. Vgl dazu wiederum Kneihs (FN 118) 118 ff. BGBl 1982/546 idF BGBl I 2004/151. BGBl 1996/789 idF BGBl I 2004/151. BGBl 1982/545 idF BGBl I 2004/151.
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krisenanfällige Sektoren. Von diesen Regelungen soll im vorliegenden Beitrag nicht die Rede sein132. Die Rechtsordnung hält aber unter dem Titel eines „Bundesgesetz(es) betreffend die Sicherung einer ungestörten Produktion und der Versorgung der Bevölkerung und sonstiger Bedarfsträger mit wichtigen Wirtschafts- und Bedarfsgütern“ auch noch ein allgemeineres Versorgungssicherungsgesetz bereit, das die Verhinderung oder Bekämpfung von Versorgungsstörungen oder die Erfüllung völkerrechtlicher (und daher auch gemeinschaftsrechtlicher) Verpflichtungen ermöglichen soll und dem die besonderen Versorgungssicherungsgesetze in Aufbau und Regelungstechnik im Wesentlichen gleichen.
B. Versorgungssicherungsgesetz 1. Voraussetzungen für Lenkungsmaßnahmen Das Versorgungssicherungsgesetz gilt - entgegen dem ersten Eindruck - nur für bestimmte, in einer Anlage zum Gesetz taxativ aufgezählte Güter. Es gilt überdies nur für Güter, die keinen anderen Lenkungsbestimmungen unterworfen sind133. Lenkungsmaßnahmen nach dem Versorgungssicherungsgesetz können einerseits zur Abwehr oder Behebung von Versorgungsstörungen, andererseits aber auch zur Erfüllung völkerrechtlicher und gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen ergriffen werden. Im Falle der Abwehr unmittelbar drohender oder der Beseitigung bereits bestehender Versorgungsstörungen darf es sich • nicht um bloß saisonale Verknappungserscheinungen handeln und dürfen • keine marktkonformen Mittel zur Verfügung stehen, um die Störung rechtzeitig und mit verhältnismäßigem Aufwand abzuwenden oder zu beseitigen134. Mit dieser Wendung bringt das Gesetz die auch andernorts angeordnete Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Lenkungsmaßnahmen zum Ausdruck. Es handelt sich dabei aber nicht um eine überflüssige Wiederholung. Die Lenkungsmaßnahmen nach dem Versorgungssicherungsgesetz sollen nämlich nicht nur zeitlich, räumlich und sachlich möglichst beschränkt bleiben und unverhältnismäßige Eingriffe in die Wirtschaftsgrundrechte vermeiden135. Sie sollen vielmehr überhaupt nur unter der Voraussetzung gesetzt werden dürfen, dass marktkonforme Alternativen nicht zur Verfügung stehen. Die Lenkungsmaßnahmen sind also nicht nur hinsichtlich des Wie, sondern auch hinsichtlich ihres Ob grundrechtlich bedingt. Für Sachgüter, für die Lenkungs- oder Bewirtschaftungsvorschriften bestehen, kann nur während der Dauer dieser Maßnahmen ein Preis bestimmt werden136. Lenkungsmaßnahmen nach dem Versorgungssicherungsgesetz können daher auch bloß den Zweck haben, eine Preisfestsetzung nach dem Preisgesetz
132 133 134 135 136
Siehe oben I. 1. Ausführlich Bernárd, 122 ff. § 1 Abs 1 Z 2. Siehe gleich unten b). § 2 Abs 1 im Zusammenhalt mit § 2 Abs 2 PreisG.
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zu ermöglichen137. Diesfalls muss die Preisfestsetzung den eingangs genannten Notwendigkeiten folgen.
2. Lenkungsmaßnahmen Lenkungsmaßnahmen sind gemäß § 2 • absolute Ge- und Verbote oder die Statuierung von Bewilligungspflichten hinsichtlich der Produktion, des Transportes, der Lagerung, der Verteilung, der Abgabe, des Bezuges, der Ein- und Ausfuhr sowie der Verwendung von Waren; • Anweisungen an Besitzer oder andere Verfügungsberechtigte von Transport-, Lager- und Verteilungseinrichtungen für Waren, die Maßnahmen der zuvor genannten Art unterliegen; • Die Verpflichtung von physischen und juristischen Personen, von Personengesellschaften des Handelsrechts sowie von eingetragenen Erwerbsgesellschaften, die gewerbsmäßig Waren erzeugen, bearbeiten, verarbeiten, verbrauchen, lagern, für sich oder andere verwahren oder damit handeln, zu Meldungen über den Bedarf, die Erzeugung, Bearbeitung, Verarbeitung, den Verbrauch, den Zu- und Abgang und den Lagerbestand von Waren sowie von für die Vollziehung notwendigen Auskünften über Betriebsverhältnisse. Es kann also, kurz gesagt, „praktisch alles angeordnet werden“138. Dabei zieht das Gesetz aber deutliche Grenzen: Zum einen stehen alle Maßnahmen unter der Anforderung unbedingter Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der Grundrechte des Wirtschaftslebens139. Zum anderen dürfen sie nur für ein Ausmaß und eine Dauer ergriffen werden, die im Hinblick auf die zu erreichenden Ziele unbedingt erforderlich sind; die zeitliche Dauer ist zudem durch ein absolutes Zeitlimit ausdrücklich beschränkt140. Schließlich können - und müssen wohl vor dem Hintergrund der mehrfach gebotenen Subsidiarität - Lenkungsmaßnahmen nur für bestimmte Zweige der Wirtschaft und/oder bestimmte Teile des Bundesgebietes getroffen werden, soweit letzterenfalls mit Maßnahmen das Auslangen gefunden werden kann, die mit Art 4 B-VG vereinbar sind141. Die Richtigkeit der nach dem VersorgungssicherungsG zu erstattenden Meldungen kann durch Einschau in Bücher und Kontrollen vor Ort nachgeprüft werden. Zu diesem Zweck sind den zuständigen Organen weit gehende Zutritts- und Informationsrechte eingeräumt; ihnen steht eine besonders strenge Geheimhaltungspflicht gegenüber142. Zu Zwecken der vorbeugenden Versorgungssicherung ist der BMWA befugt, Daten über störungsanfällige Waren zu erheben und diesbezüglich von Interessenvertretungen und potentiellen Adressaten einer Lenkungsmaßnahme Auskünfte einzuholen143. Waren, für die Len137 138 139 140 141 142 143
Zur in diesem Punkt vergleichbaren früheren Rechtslage Bernárd, 133. Bernárd, 131. § 1 Abs 1 und § 3 Abs 2. § 3 Abs 2. Zu dieser Problematik ausführlich Bernárd, 136 ff. § 9. § 8.
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kungsmaßnahmen nach § 2 Z 1 und 2 angeordnet wurden, können auch einer Beschlagnahme unterworfen werden; der BMWA kann die Betroffenen zur Ablieferung solcher Waren verpflichten144. Ausgenommen davon sind allerdings Waren, die • im Zeitpunkt des Inkrafttretens von Lenkungsmaßnahmen bereits im Eigentum oder zur Verfügung eines Bundeslandes oder einer Gemeinde stehen und für die Versorgung der eigenen Bevölkerung vorrätig gehalten werden, • der Deckung des eigenen betrieblichen Bedarfes im Rahmen von Lenkungsmaßnahmen dienen oder für Zwecke der militärischen Landesverteidigung vorrätig gehalten werden und die nicht zur Abgabe an Dritte bestimmt sind, • im Eigentum oder Besitz eines Letztverbrauchers stehen und der Deckung seines persönlichen Bedarfes oder des Bedarfes seiner Haushaltsangehörigen dienen. Für Vermögensnachteile, die aus einer Beschlagnahme nach dem VersorgungssicherungG entstehen, gebührt eine Entschädigung, für deren Festsetzung eine sukzessive Kompetenz angeordnet ist.
3. Zuständigkeit und Verfahren a) Zuständigkeit Lenkungsbehörde ist der BMWA. Er kann seine Zuständigkeit aber auch auf einzelne oder alle Landeshauptleute übertragen und gesetzliche Interessenvertretungen zum Vollzug von Lenkungsmaßnahmen heranziehen. Darüber hinaus ist die Einbeziehung sozialpartnerschaftlicher Ausschüsse sowie des Hauptausschusses des Nationalrates vorgesehen: Lenkungsmaßnahmen sind durch Verordnung zu setzen oder anzuordnen. Zur Verordnungserlassung ist der BMWA zuständig. Er kann unter bestimmten Voraussetzungen alle oder einzelne Landeshauptleute durch Verordnung beauftragen, die ihm zustehenden Befugnisse in ihrer Gesamtheit, einzeln oder in Verbindung miteinander an seiner Stelle auszuüben145. Sowohl Übertragungsverordnungen als auch Verordnungen, mit denen Lenkungsmaßnahmen getroffen oder vorgesehen werden, bedürfen einer Begutachtung durch den BundesVersorgungssicherungsausschuss oder den (jeweiligen) Landes-Versorgungssicherungsausschuss146. Verordnungen über Lenkungsmaßnahmen bedürfen überdies der Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates147.
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146
§ 7. Zur - im Wesentlichen vergleichbaren - früheren Rechtslage Bernárd, 145 ff. § 4 Abs 1. Ein solches Mandat ist zulässig, wenn eine Störung der Versorgung nur Teile des Bundesgebietes bedroht oder betrifft und eine solche Störung dadurch besser abgewendet oder behoben werden kann, oder wenn auf Grund der Art und des Umfanges der unmittelbar drohenden oder bereits eingetretenen Störung der Versorgung die bei der Anordnung von Lenkungsmaßnahmen zu berücksichtigenden Umstände in Teilen des Bundesgebietes verschieden sind oder wenn dies sonst im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis gelegen ist. Diese Ausschüsse, deren Zusammensetzung und Geschäftsordnung in den §§ 14 ff geregelt ist, sind sozialpartnerschaftlich zusammengesetzt. Ihnen gehören Vertreter
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Die Durchführung von Verordnungen und die Kontrolle ihrer Einhaltung obliegen den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung sowie den Gemeinden im übertragenen Wirkungsbereich. Darüber hinaus kann der BMWA auch Einrichtungen der gesetzlichen Interessenvertretungen, insbesondere die Wirtschaftskammer Österreich heranziehen sowie bestimmte juristische Personen bezeichnen, derer sich die Kammern zur Erfüllung ihrer Aufgaben mit Zustimmung des BMWA bedienen dürfen. Verordnungen, mit denen Lenkungsmaßnahmen getroffen werden, müssen festlegen, welchen der genannten Behörden und Stellen welche Aufgaben zufallen sollen148. b) Verfahren Das Versorgungssicherungsrecht gehört - wie das Preisrecht - zu jenen Rechtsgebieten, in denen einer eher dürftigen inhaltlichen Determinierung ein detailliert geregeltes Verfahren gegenübersteht, das Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses bieten und die große inhaltliche Freiheit der zuständigen Behörden rechtfertigen soll. Für die Richtigkeit des Ergebnisses soll aber nicht nur die Einhaltung des Verfahrens, sondern auch die Einbindung verschiedener sozialpartnerschaftlicher Kräfte sowie einzelner Bundesministerien und der Länder in den Verordnungsgebungsprozess Sorge tragen149. Das Versorgungssicherungsgesetz verlangt zudem für Verordnungen, mit denen Lenkungsmaßnahmen festgelegt werden, die Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrats150. Auch die Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrats hat bei Gefahr im Verzug zu entfallen; diesfalls muss aber zugleich mit der Erlassung der Verordnung der Antrag auf Erteilung der Zustimmung gestellt werden; stimmt der Hauptausschuss nicht oder nicht innerhalb einer Woche nach Antragstellung zu, so ist die Verordnung aufzuheben151. Frühere Fassungen des Versorgungssicherungsgesetzes haben ausdrücklich auch für Übertragungsverordnungen die Zustimmung des Hauptausschusses verlangt. Nunmehr gilt das Zustimmungserfordernis nur noch für „Verordnungen gemäß (§ 1) Abs 1 und 2“152. Übertragungsverordnungen, mit denen der BMWA nur Teile seiner Befugnisse auf die Landeshauptleute überträgt, werden allerdings idR zugleich Lenkungsverordnungen nach § 1 Abs 1 und 2 sein. Insoweit aber, als nicht nur der Vollzug, sondern auch die Erlassung von Lenkungsmaßnahmen auf die Landeshauptleute übertragen wird, stellen erst deren Verordnungen solche nach § 1 Abs 1 und 2 dar. Es stellt sich also die Frage, ob im Hinblick auf Art 55 Abs 5 B-VG nur die Verordnungen des Bundesministers der Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates bedürfen und wenn ja, ob diesfalls das Erfordernis der Zustimmung durch (bloße) Übertra-
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diverser Bundesministerien, verschiedener gesetzlicher Interessenvertretungen sowie - im Falle des Bundes-Versorgungssicherungsausschusses - der Länder an. Art 55 Abs 5 B-VG und dazu Kahl (FN 30) Rz 10 f. Vgl im Einzelnen § 4 Abs 3 und § 5. Vgl oben bei FN 146. Keine Zustimmung ist für Verordnungen erforderlich, mit denen Lenkungsmaßnahmen ganz oder zum Teil aufgehoben werden. § 1 Abs 5. § 1 Abs 4.
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gung an den Landeshauptmann umgangen werden kann. Soweit der Landeshauptmann (in der mittelbaren Bundesverwaltung) Befugnisse des Bundesministers ausübt, spricht mE schon der Wortlaut der zitierten Bestimmung des B-VG nicht gegen eine Auslegung, die auch Verordnungen eines Landeshauptmanns einer Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates unterwirft. Nur eine solche Lösung ist auch geeignet, der Teleologie dieser Zustimmungspflicht gerecht zu werden, weil die bloße Übertragung keiner inhaltlichen Prüfung bedarf, die Freistellung der Landeshauptleute allerdings zur angedeuteten Umgehungsproblematik führen würde. Das Erfordernis der Zustimmung des Hauptausschusses bezieht sich demnach erst auf die jeweilige Verordnung des Landeshauptmannes; eine bloße Übertragungsverordnung wäre zustimmungsfrei153. Das Verfahren der Erlassung von Lenkungsmaßnahmen gliedert sich daher wie folgt: Der BMWA hat das Vorliegen von Voraussetzungen zu beurteilen und Lenkungsmaßnahmen selbst zu erlassen oder ihre Erlassung ganz oder teilweise an die Landeshauptleute (der betroffenen Länder) zu übertragen. Vor Erlassung einer solchen Verordnung ist der Bundes-Versorgungssicherungsausschuss zu hören; seine Anhörung kann bei Gefahr im Verzug nachgeholt werden. Soweit nicht nur die Durchführung, sondern auch die Erlassung von Lenkungsmaßnahmen an die Landeshauptleute übertragen wurde, bedürfen deren Verordnungen der Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates154. Vor ihrer Erlassung ist überdies der (jeweilige) LandesVersorgungssicherungsausschuss zu hören155. Alle nach dem Versorgungssicherungsgesetz ergangenen Verordnungen und daher lege non distinguente auch diejenigen der Landeshauptleute - sind im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ kundzumachen und treten mit Beginn des Tages der Kundmachung in Kraft, sofern nicht ein späterer Zeitpunkt für das Inkrafttreten bestimmt ist. Ist eine solche Kundmachung nicht oder nicht zeitgerecht möglich, so ist die Verordnung „in anderer geeigneter Weise, insbesondere durch Rundfunk oder andere akustische Mittel oder Veröffentlichung in einem oder mehreren periodischen Medienwerken“ kundzumachen. Diese von § 2 Abs 2 Z 2 BGBlG und den Landesgesetzblattgesetzen abweichende Regelung verfolgt offenbar vor allem das Interesse der Raschheit und damit auch der Zweckmäßigkeit.
4. Straf- und Schlussbestimmungen Das Gesetz ermächtigt mit der Anordnung des Inkrafttretens mit Beginn des Tages der Kundmachung den Verordnungsgeber zu einer stillschweigenden Rückwirkungsanordnung. Dies ist wenigstens insoweit verfassungskonform zu reduzieren, als eine Bestrafung wegen Verstoßes gegen eine solche Verord153
154 155
Dies, obwohl sich aus § 4 Abs 1 ergeben dürfte, dass zur Beurteilung der Voraussetzungen für die Erlassung von Lenkungsmaßnahmen der BMWA allein zuständig ist und der BMWA die Landeshauptleute zur Ausübung seiner Kompetenzen „beauftragen“ soll. Aus Wortlaut und Systematik des § 1 Abs 4 ergibt sich aber, dass nur die Erlassung von Lenkungsmaßnahmen, nicht schon die Erteilung der Befugnis dazu, zustimmungspflichtig sein soll. Es handelt sich dabei um „Verordnungen gemäß (§ 1) Abs 1 und 2“. §§ 4 Abs 2, 16.
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nung erst für ab dem Zeitpunkt der Kundmachung verwirklichte Sachverhalte in Betracht kommen kann. Der Strafrahmen des § 18 Abs 1 Z 2 scheint mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Art 91 B-VG verfassungsrechtlich bedenklich zu sein156. § 11 Abs 1 ordnet an, dass Rechtsgeschäfte ex lege insoweit unwirksam sind, als sie nach dem Inkrafttreten einer Verordnung nach dem Versorgungssicherungsgesetz getätigt wurden und als durch ihre Erfüllung ein in einer Verordnung erlassenes Verbot unterlaufen würde. § 11 Abs 2 bestimmt, dass Rechtsgeschäfte aufgehoben werden, die vor dem Inkrafttreten einer Verordnung abgeschlossen, jedoch nicht oder nicht vollständig erfüllt wurden, soweit ihre Erfüllung einem ausgesprochenen Verbot zuwiderlaufen würde. IdR wird aber die Anordnung einer aufschiebenden Bedingung durch den Wegfall des Verbotes als geringfügigerer Eingriff in die Privatautonomie ausreichen, um die Einhaltung der Ge- und Verbote von Versorgungssicherungsverordnungen sicherzustellen. Die Kompetenzbestimmung des Art I und mit ihr das ganze Versorgungssicherungsgesetz treten mit Ablauf des 31. Dezember 2006 außer Kraft.
156
Vgl VfSlg 12.151/1989.
Tanja Koller
Energielenkungs-, Erdölbevorratungs- und Melderecht, Lebensmittelbewirtschaftungsrecht Rechtsgrundlagen .........................................................................................1341 Grundlegende Literatur.................................................................................1342 I. Grundlagen ..............................................................................................1342 A. Allgemeines..........................................................................................1342 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .......................................................1343 C. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen................1346 II. Energielenkung ......................................................................................1350 A. Allgemeines..........................................................................................1350 B. Lenkungsmaßnahmen ..........................................................................1350 1. Lenkungsmaßnahmen für Energieträger .........................................1351 2. Lenkungsmaßnahmen zur Sicherung der Elektrizitätsversorgung ..1353 3. Lenkungsmaßnahmen zur Sicherung der Erdgasversorgung ..........1354 4. Vorbereitung der Lenkungsmaßnahmen .........................................1355 C. Zuständigkeit und Verfahren ...............................................................1356 D. Strafbestimmungen..............................................................................1357 III. Erdöl-Bevorratungs- und Meldegesetz...............................................1357 A. Allgemeines..........................................................................................1357 B. Haltung von Notstandsreserven...........................................................1358 C. Meldepflichten und Überwachung ......................................................1361 D. Zuständigkeit und Verfahren...............................................................1361 E. Straf- und Schlussbestimmungen .........................................................1362 IV. Lebensmittelbewirtschaftsungsgesetz.................................................1362 A. Allgemeines..........................................................................................1362 B. Lenkungsmaßnahmen ..........................................................................1363 C. Zuständigkeit und Verfahren ...............................................................1363 D. Straf- und Schlussbestimmungen.........................................................1364 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Art 28ff, 98ff und 297 EG-Vertrag; RL 2006/67/EG, Abl L 217/8; RL 73/238/EWG, Abl L 238/1; RL 2004/67/EG, Abl L 127/92; RL 2003/54/EG, Abl L 176/37; RL 2003/55/EG, Abl L 176/57. BG: Art 4 B-VG, Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG; Energielenkungsgesetz 1982, BGBl 1982/545 idF BGBl I 2006/106; Erdöl-Bevorratungs- und Meldegesetz 1982, BGBl 1982/546 idF BGBl I 2006/106; Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz 1997, BGBl 1996/789 idF BGBl I 2006/87; Übereinkommen über ein Internationales Energieprogramm, BGBl 1976/317 und BGBl 1976/497.
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Koller
Grundlegende Literatur: Azizi, Zum Verfassungsgebot der Wirtschaftsgebietseinheit und zu seiner wirtschaftspolitischen Tragweite. Eine Erörterung am Beispiel der Energiepolitik, ÖJZ 1985, 97; Fremuth, Rechtsfragen der Energielenkung, in: Aicher (Hrsg), Rechtsfragen der öffentlichen Energieversorgung, Schriften zum gesamten Recht der Wirtschaft, Bd 12 (1987); Jirovec/Stanger, Erdölbevorratungs- und Melderecht von der Überbindungspflicht zu marktwirtschaftlichen Bedingungen, ecolex 1991, 427; Korinek, Beiträge zum Wirtschaftsrecht (FS für Karl Wenger) (1983); derselbe, Wirtschaftsverwaltungsrecht I (1991); Korinek/Rill (Hrsg), Grundfragen des Wirtschaftslenkungsrechts, Schriften zum gesamten Recht der Wirtschaft, Bd 6 (1982); Puck, Wirtschaftslenkung, in: Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2 (2003); Rabl, Das EnergieVersorgungssicherheitsgesetz 2006 im Überblick, ecolex 2006, 724; Rill/Griller, Europäischer Binnenmarkt und österreichisches Wirtschaftsverwaltungsrecht, Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Europafragen, Bd 4 (1991); Schulev-Steindl, Wirtschaftslenkung und Verfassung (1996); Walter/Mayer, Grundriss des Besonderen Verwaltungsrechts2 (1987); Wenger/Raschauer, Recht der Wirtschaftslenkung, in: Wenger (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts II (1990); Wimmer/Arnold, Wirtschaftsrecht in Österreich und seine europarechtliche Integration (1998).
I. Grundlagen A. Allgemeines Obwohl der Begriff „Wirtschaftslenkung“ in einem Staat wie Österreich mit freier Marktwirtschaft ein wenig befremdend anmutet, lässt sich dennoch kein anderer Begriff finden, der dieser Regelungsmaterie gerechter werden könnte. Typisches Regelungsziel des Wirtschaftslenkungsrechts ist die Marktkorrektur, um bestimmte wirtschafts- oder sozialpolitisch erwünschte Zustände herzustellen oder zu erhalten. Je nach der Intensität des staatlichen Eingriffes in die unternehmerische Freiheit kann man zwischen direkter und indirekter Wirtschaftslenkung unterscheiden. Während die direkte Wirtschaftslenkung in die Dispositionsfreiheit der Wirtschaftssubjekte sehr intensiv eingreift, beschränkt die indirekte Wirtschaftslenkung die einzelwirtschaftliche Freiheit viel geringer, zumal auch ihre Wirkung auf das Unternehmer- und Konsumentenverhalten von Rentabilitätsüberlegungen abhängt.1 „Wirtschaftslenkungsrecht ist [nach hM] die Gesamtheit jener rechtlichen Regelungen, die eine staatliche Steuerung des Wirtschaftsgeschehens, insbesondere wirtschaftspolitische Interventionen in bezug auf Produktion, Austausch und Verbrauch von Gütern vorsehen.“2 Diesem Wirtschaftslenkungsrecht können auch das EnergielenkungsG, das Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG und das LebensmittelbewirtschaftungsG zugerechnet werden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie die im gesamtwirtschaftlichen Interesse gelegene Sicherung der Versorgung mit volkswirtschaftlich besonders wichtigen Sachgütern und Leistungen bezwecken. Diese Gesetze werden zum Bewirtschaftungsrecht gezählt, da sie den Staat zu Maßnahmen ermächtigen, die darauf abzielen, in 1 2
Schulev-Steindl, 11f. Vgl ua Rill, Probleme der Angleichung des österreichischen Wirtschaftslenkungsrechts an das Recht der EG, in: Rill/Griller, 159.
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Mangelsituationen die Versorgung der Wirtschaft und der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, um auch in Krisenzeiten einen geordneten Gang der Wirtschaft und die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten.3
B. Kompetenzrechtliche Einordnung Die Lenkungskompetenzen sind zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten aufgeteilt. Hinsichtlich der Abgrenzung der Zuständigkeiten von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ist die EG grundsätzlich nur in den Fällen zuständig, die der EG-Vertrag ausdrücklich vorsieht. Der österreichische Gesetzgeber hat bei der Erlassung von Wirtschaftslenkungsrecht die im EGVertrag normierten Kompetenzausübungsschranken zu beachten.4 Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG bestimmt, dass Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung auch „die aus Anlaß eines Krieges oder im Gefolge eines solchen zur Sicherung der einheitlichen Führung der Wirtschaft notwendig erscheinenden Maßnahmen, insbesondere auch hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit Bedarfsgegenständen“ ist. Es handelt sich dabei um eine typisch notrechtliche Kompetenz, die nur aus Anlass eines Krieges oder in Gefolge eines solchen zum Tragen kommen kann. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, so sind die betreffenden Lenkungsmaßnahmen als akzessorische Zuständigkeit auf andere Kompetenzen des Bundes und der Länder verteilt (Querschnittmaterie).5 Bei diesem Kompetenztatbestand handelt es sich um eine typische Bedarfsgesetzgebung.6 Diese Gesetzgebungskompetenz kann schon vor Eintritt des „Bedarfsfalles“ in Anspruch genommen werden, so dass auf ihrer Grundlage Gesetze gewissermaßen „auf Vorrat“ für den Fall des künftigen Eintretens der Voraussetzungen (Krieg, Kriegsfolgen) erlassen werden dürfen.7 Durch Notmaßnahmen iS dieses Kompetenztatbestandes wird der betreffenden Bestimmung eines Landesgesetzes nicht endgültig derogiert, sie wird vielmehr nur für die Dauer des Bestandes dieser Notmaßnahmen in ihrer Wirksamkeit zurückgedrängt („Überschattungstheorie“).8 Tritt dieses Bundesgesetz wieder außer Kraft bzw fällt die Bundeskompetenz durch das Ende des Krieges und seiner
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Bernárd, Bewirtschaftungsrecht, in: Korinek, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 97. Puck, Rz 614, dazu zählen zB die gemeinsame Agrarpolitik nach Art 32 ff EGV, die gemeinsame Handelspolitik nach Art 131 ff EGV und die Währungspolitik nach Art 105 ff EGV. Für die Wirtschaftslenkung relevante Rechtsakte wurden aber auch auf Art 99 EG-Vertrag (RL 2004/67/EG, Abl L 127/92) sowie auf Art 100 (RL 2006/67/EG, Abl L 217/8) gestützt. Funk, Das System des österreichischen Wirtschaftslenkungsrechts, in: Korinek/Rill, 54. Vgl VfSlg 3378/1958 sowie VfSlg 2264/1959, 3735/1960. Schulev-Steindl, 90; anderer Ansicht der VfGH in VfSlg 4939/1965, 7059/1973, der von einem Wegfall der Kompetenz nach Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG in Normalzeiten ausgeht. Bernárd ist der Ansicht, dass der einfache Bundesgesetzgeber jederzeit Vorkehrungen treffen kann, die aus Anlass eines Krieges oder in Gefolge eines solchen erforderlich erscheinen, die zeitliche Komponente beschränkt somit nicht die Anwendbarkeit des Kompetenztatbestandes, sondern die Vollziehbarkeit der auf seiner Grundlage erlassenen Gesetze, vgl Bernárd, Versorgungssicherung, in: Korinek/Rill, 115. Mayer, B-VG3 (2002) Art 10 B-VG I.15; VfSlg 1882/1949, 3378/1958,
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Nachwirkungen weg, so treten die zurückgedrängten Landesgesetze wieder in volle Wirksamkeit.9
Seit dem Inkrafttreten des StV v Wien am 27. Juli 1955 sind die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kompetenztatbestandes weggefallen.10 Da man aber auf bestimmte Formen der direkten Wirtschaftslenkung, etwa im Bereich der Marktordnung, des Preisrechts oder der für Krisenfälle konzipierten Bewirtschaftungsgesetze nicht verzichten wollte, sicherte der Verfassungsgeber die entsprechenden Gesetze mit sog „Kompetenzdeckungsklauseln“ in eigenen, den jeweiligen Gesetzen vorangestellten (und regelmäßig befristeten) Verfassungsbestimmungen ab.11 Die in den nunmehr auch unbefristeten12 Wirtschaftslenkungsgesetzen enthaltenen eigenen Verfassungsartikel schaffen in Durchbrechung der allgemeinen bundesstaatlichen Kompetenzverteilung eine spezielle Kompetenz für gerade jene und nur jene Regelungen, die das einfache Gesetz enthält.13 Zur Abgrenzung gegenüber der Gewerbekompetenz des Bundes sei erwähnt, dass im gesamtwirtschaftlichen Interesse gelegene Maßnahmen, wie die der sinnvollen Nutzung von Energie in ihrer Zielsetzung, ihrem Inhalt und ihrer Wirkung über die Funktion gewerbespezifischer Gefahrenabwehr und damit über eine spezifische gewerbepolizeiliche Ordnungs- und Sicherungsfunktion hinausgehen.14 Der VfGH hat klargestellt15, dass die Gewerbekompetenz des Bundes keine Planungsmaßnahmen beinhaltet.16
Zusammenfassend bedeutet das somit, dass der Bund in Kriegs(folge)zeiten umfassend, dh in allen Bereichen des Wirtschaftslebens zur direkten Lenkung befugt ist, während ihm in Normalzeiten nach dem B-VG nur Lenkungsrechte partieller Natur zustehen (Querschnittsmaterie). Ob neben dieser Bundeskompetenz noch eine Kompetenz der Länder nach Art 15 Abs 1 B-VG besteht, ist
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Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 (2000), Rz 261. Vgl VfSlg 4570/1963, 4939/1965 sowie 5748/1968, wonach zwar auf Basis des Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG keine Gesetze mehr erlassen werden können, auf dieser Grundlage aber bereits erlassene Gesetze gehören unverändert dem Rechtsbestand an, vgl Mayer (FN 8). Die Änderung eines derartigen Gesetzes ist wegen Unanwendbarkeit der Kompetenzgrundlage nur anhand einer besonderen Kompetenzgrundlage möglich oder müsste als Bundesverfassungsgesetz ergehen, vgl Azizi, 111. Diese Vorgangsweise ist verfassungsrechtlich unbedenklich, weil nach Art 10 Abs 1 Z 1 jede Materie durch ein Verfassungsgesetz des Bundes geregelt werden kann, vgl Mayer (FN 8) Art 10 B-VG I.1. Eine Befristung derartiger Gesetze erscheint problematisch, da es bei der Krisenbewirtschaftung auch um staatsexistentielle Fragen gehen kann. Schäffer, Die rudimentäre Wirtschaftsverfassung Österreichs, in: Korinek, FS Wenger, 23. VfSlg 10.831/1986 mit Hinweis auf Duschanek, Kompetenzrechtliche Überlegungen zu Energiesparvorschriften im Gewerberecht, ZfV 1981, 260ff. In VfSlg 17.022/2003 hat der VfGH , nachdem er die Anwendung der Gesichtspunktetheorie ausdrücklich verworfen hat, erneut entschieden, dass „die Bindung an bestimmte Energiesparstandards für … Betriebsanlagen […] nicht als eine Maßnahme gewerbepolizeilicher Art qualifiziert werden [kann]“. Vgl VfSlg 9543/1982; bereits in VfSlg 4117/1961 hatte der VfGH aus im Versteinerungszeitpunkt vorhandenen „quantitativen Beschränkungen“ die Zuständigkeit des Bundes abgeleitet, auf der Grundlage des Gewerbekompetenztatbestandes Mengenbeschränkungen bzw Kontingente festzulegen. Morscher, Die Gewerbekompetenz des Bundes (1987), 62f.
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danach zu beurteilen, ob eine „Angelegenheit“ iS dieses Artikels vorliegt. Die den Ländern zugewiesenen Restkompetenzen im Bereich der Wirtschaftslenkung sind jedoch in weiten Bereichen nicht „selbständig“ legislativ umsetzbar, ohne mit Bundesgesichtspunkten in Konflikt zu geraten (bundesstaatliches Berücksichtigungsgebot)17, sodass diese Regelungsgesichtspunkte nur schwer als eigene kompetenzrechtliche Angelegenheit betrachtet werden können. Den Ländern würde ansonsten die Kompetenz zur Regelung der Wirtschaftslenkung mit gesamtwirtschaftlicher Zielsetzung zukommen. Derartige Lenkungskompetenzen der Länder sind schon wegen Art 4 B-VG und daraus potentiell resultierender Regelungskonflikte von den Ländern nur schwer realisierbar.18 Gemäß der verfassungsrechtlichen Kompetenzausübungsschranke des Art 4 B-VG soll das Bundesgebiet ein einheitlichen Wirtschafts-, Währungs- und Zollgebiet bilden. Eine Beschränkung des Güterflusses zwischen Teilen des Bundesgebietes könnte durch unterschiedliches Wirtschaftslenkungsrecht der Länder hervorgerufen werden, daher dürfen direkte hoheitliche Eingriffe in die unternehmerische Dispositionsfreiheit, die über den verwaltungspolizeilichen Rahmen hinausgehen, durch Landesgesetz nicht angeordnet werden. Dem Landesgesetzgeber ist es daher verwehrt, inhaltlich voneinander abweichende wirtschaftslenkungsrechtliche Anordnungen zu erlassen.19
Wirtschaftslenkungsmaßnahmen werden häufig einen Grundrechtseingriff darstellen. Die Formen vor allem der direkten Wirtschaftslenkung weisen eine sehr hohe Eingriffsintensität auf. Häufig treffen sie die Kernbereiche der von Art 6 StGG garantierten Freiheiten. Die Maßnahmen des Wirtschaftslenkungsrechts zielen auf eine Korrektur des über den Marktmechanismus gesteuerten Wirtschaftsablaufs und entsprechen damit den Kriterien eines Eingriffs in die Erwerbsfreiheit. Wegen des weitgefassten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraumes bei der Verfolgung wirtschafts- und sozialpolitischer Ziele, wird diesen Maßnahmen auf der Ebene des öffentlichen Interesses nichts entgegenzuhalten sein.20 Eine besondere Krisensituation vermag auch sehr weitgehende Einschränkungen der unternehmerischen Disposition bei lebensnotwendigen Gütern zu rechtfertigen, weshalb die Grenzen einer Grundrechtsverletzung im Bewirtschaftungsrecht wohl anders zu ziehen sein werden als im übrigen Wirt-
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Dh wirtschaftslenkende Maßnahmen der Länder dürfen ihrem Inhalt nach nicht in Bereiche eingreifen, die dem Bund zur Besorgung zustehen. So dürfen die Länder nicht unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftslenkung Preisregelungsmaßnahmen setzen, die mit der gewerbepolizeilichen Preisregelungskompetenz des Bundes in Konflikt geraten, siehe Rill, Grundfragen des österreichischen Preisrechts II, ÖZW 1975, 72f. Schulev-Steindl, 93. Nach Rill seien den Ländern verwaltungspolizeiliche Regelungen gestattet, nicht jedoch (von Art 15a-Vereinbarungen abgesehen) Regelungen klassischer Wirtschaftslenkung im engeren Sinn, vgl Azizi, 97. Nach Korinek ist Art 4 B-VG nicht schon durch das Bestehen einzelner Landes-Wirtschaftslenkungsgesetze ohne gliedstaatsvertragliche Grundlage verletzt, sondern erst dann, wenn dadurch eine länderweise Uneinheitlichkeit in den Regelungen erreicht würde, vgl Korinek, Verfassungsrechtliche Grenzen der Wirtschaftslenkung im B-VG, in: Korinek/Rill, 95f. Durch das Gebot der Wirtschaftsgebietseinheit sind die Landesgesetzgeber jedoch nicht schlechthin zu einheitlichen Regelungen verhalten, vgl VfSlg 1281/1929, weiters Wenger, Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts I (1989), 70. Schulev-Steindl, 145ff.
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schaftslenkungsrecht.21 Im Bewirtschaftungsrecht selbst ist nahezu regelmäßig der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ausdrücklich formuliert. Lenkungsmaßnahmen dürfen nur in dem Maße und für die Dauer verhängt werden, als dies zur Versorgung der Bevölkerung unmittelbar erforderlich ist.22 Darüber hinaus werden Beschränkungen der unternehmerischen Freiheit in einem marktwirtschaftlichen System lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen, wie bei Marktversagen oder bei Vorliegen besonders wichtiger öffentlicher Interessen legitimierbar sein.
C. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Die Wirtschaftslenkung in der EU berührt zwei Ebenen des normativen Wirkens gemeinschaftsrechtlicher Regelungen, die Ebene der direkten Einwirkung von Gemeinschaftsrecht auf die freie Zielverfolgung durch die Teilnehmer am Wirtschaftsprozess, sowie zweitens durch den für die Mitgliedsstaaten der EU verbleibenden Gestaltungsspielraum für wirtschaftslenkende Maßnahmen.23 Die Konsequenz der unmittelbar wirkenden gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen wirtschaftslenkender Natur ist, dass sie den freien Markt, also das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage und die individuelle Entscheidungsbefugnis von Haushalten und Unternehmen zumindest in Teilbereichen außer Kraft setzen. Nach Art 98 EG-Vertrag haben die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik so auszurichten, dass sie zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft iSd Artikels 2 beitragen. Die Mitgliedstaaten betrachten nach Art 99 Abs 1 EG-Vertrag ihre Wirtschaftspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamen Interesse. Da es sich bei Wirtschaftslenkungsmaßnahmen um Maßnahmen der Wirtschaftspolitik handelt, kommen die genannten Vorschriften in diesem Bereich zur Anwendung. Die genannten Artikel ermächtigen nicht zu Maßnahmen, die mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit der Warenverkehrsfreiheit nicht im Einklang stehen. Behinderungen des freien Warenverkehrs aus wirtschaftspolitischen Gründen lassen sich nicht mit Art 30 EGVertrag rechtfertigen und gelten auch nicht als „zwingende Erfordernisse“ iS
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Korinek, Das Grundrecht der Freiheit der Erwerbsbetätigung als Schranke für die Wirtschaftslenkung, in: Korinek, FS Wenger, 160. Eine derartige Lenkungsermächtigung fand sich erstmals im Energielenkungsgesetz BGBl 1976/319. Dessen § 1 Abs 1 und 4 bestimmten, dass Lenkungsmaßnahmen der Abwendung einer unmittelbar drohenden Störung mit nicht wiedergutzumachendem Schaden für die Energieversorgung Österreichs oder zur Behebung einer bereits eingetretenen Störung der Energieversorgung dienen müssen. Ferner, dass eine solche Störung [....] durch marktgerechte Maßnahmen nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln abgewendet oder behoben werden könnte. Überdies dürfen Lenkungsmaßnahmen nur in einem solchen Ausmaß und für eine solche Dauer ergriffen werden, als es zur Abwendung oder zur Behebung der Störung oder zur Erfüllung der Verpflichtung auf Grund von Beschlüssen aus dem Übereinkommen über ein Internationales Energieprogramm unbedingt erforderlich ist. Vgl auch Wenger, Organisationsgrundlagen und Instrumentarium der direkten Wirtschaftslenkung in Österreich, in: Korinek/Rill, 13f. Vgl § 1 Abs 4 EnLG und § 1 Abs 1 LMBG. Ress, Wirtschaftslenkung in den Europäischen Gemeinschaften, in: Rill/Griller, 85.
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der Cassis-Rechtsprechung.24 Im Falle von Versorgungsschwierigkeiten kann nach Art 100 Abs 1 EG-Vertrag der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen entscheiden, insbesondere wenn Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren auftreten. Die Versorgungsschwierigkeiten sind nur vorhanden, wenn eine Mangelsituation herrscht, die Nachfrage also das Warenangebot übersteigt. Es reicht, wenn die Schwierigkeit droht, sie braucht noch nicht eingetreten zu sein.25 In diesem begrenzten Zusammenhang kann Art 100 als Grundlage für zeitweilige Abweichungen von anderen Vertragsregeln dienen, sofern diese angesichts der Umstände absolut erforderlich sind (Schutzklausel)26. Durch diese Bestimmung ist damit eine eindeutige Kompetenz der Gemeinschaftsorgane zur Rechtsetzung im Falle von Versorgungsschwierigkeiten gegeben, die eine derartige Kompetenz der Mitgliedstaaten auf Fälle des Art 297 EGVertrag und ähnliche, ausdrücklich die Mitgliedstaaten ermächtigende Sonderregelungen beschränkt. Die Anwendung der in Art 297 EG-Vertrag enthaltenen Schutzklausel ist jedoch auf Kriegsfälle und ähnliche Situationen beschränkt. Im Gegensatz zum Kriegsfolgentatbestand des Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG handelt es sich bei dieser Bestimmung um einen Kriegsvorbeuge- bzw begleittatbestand. Die getroffenen Maßnahmen des Mitgliedsstaates müssen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den angeführten Situationen stehen, dürfen das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes so wenig wie möglich beeinträchtigen und Waren oder Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten nicht willkürlich diskriminieren.27 Die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, im Bereich der Grundfreiheiten Marktmechanismen außer Kraft zu setzen, sind daher nicht unerheblich eingeschränkt.
Wirtschaftliche Schwierigkeiten allein können nach Ansicht des EuGH28 keinesfalls Beschränkungen der Handelsströme rechtfertigen, denn die Öffnung der Märkte soll gerade wirtschaftliche Auswirkungen hervorrufen, die nicht durch generelle Schutzklauseln abgewehrt werden können. Nicht ausgegrenzt sind in Art 30 jedoch Schutzinteressen, die über Erwägungen rein wirtschaftlicher Art hinausgehen.29 Dies brachte der EuGH in seiner Entscheidung Campus 24 25
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Müller-Graff, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Kommentar zum EU-/EGVertrag6, Rz 351 zu Art 30. Smulders, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag6, Rz 20 zu Art 103a. Die Befugnis zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen gemäß Art 100 Abs 1 ist jedoch subsidiär im Verhältnis zu den anderen Gemeinschaftspolitiken. Schutzklauseln sind Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts, die den Gemeinschaftsorganen die Befugnis geben, den Mitgliedstaaten ein zeitweiliges Abweichen von den Normen des Gemeinschaftsrechts zu gestatten, um wirtschaftliche Schwierigkeiten und Krisen zu überwinden, sowie Bestimmungen, die selbst solche Ausnahmemöglichkeiten vorsehen, vgl Smulders (FN 25), Rz 21 zu Art 103a. Karpenstein, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar (2000), Rz 7 zu Art 297, wobei diese Bestimmung stets als ultima ratio aufzufassen ist, die nur zum Tragen kommt, wenn andere gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen fehlen, mit denen dem Erfordernis der öffentlichen Sicherheit genüge geleistet werden kann. Rs 72/83, Campus Oil, Slg 1984, 2727, Rz 35; weiters EuGH Rs 238/82, Duphar, Slg 1984, 532, Rz 23. Müller-Graff (FN 24), Rz 35f zu Art 36; EuGH Rs 95/81, Kommission/Italien, Slg 1982, 2187, Rz 27.
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Oil eindeutig zum Ausdruck: „Angesichts der umfangreichen Folgen, die eine Unterbrechung der Versorgung mit Erdölerzeugnissen für die Existenz eines Staates haben kann, ist jedoch davon auszugehen, dass die Absicht, jederzeit eine Mindestversorgung mit Erdölerzeugnissen sicherzustellen, über Erwägungen rein wirtschaftlicher Art hinausgeht und somit ein Ziel darstellen kann, das unter den Begriff der öffentlichen Sicherheit fällt“.30 Es würde dem Zweck des Art 30 zuwiderlaufen, wenn einzelstaatliche Ziele der Wirtschaftslenkung zur Legitimation von Handelsbehinderungen in Anspruch genommen würden. Wie aus der Entscheidung Campus Oil hervorgeht, muss dies zumindest dann gelten, wenn diese Ziele den Strukturwandel verhindern sollen, der durch die Freiheit des Handelsverkehrs in der Gemeinschaft erzwungen wird.31
Die Maßnahmen zur Wahrung der im Art 30 genannten Schutzgüter müssen entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz32 gerechtfertigt sein. Was das Wirtschaftslenkungsrecht betrifft, kann Art 30 wohl nur im Hinblick auf eine wirtschaftlich bedingte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung tatsächlich oder potentiell beschränkende Maßnahmen rechtfertigen. „Art 30 will der Abwehr von Störungen oder Gefährdungen produktbezogenen Ursprungs, nicht jedoch rein wirtschaftlichen Ursprungs Rechnung tragen.“33 Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass weder Art 30 noch Art 297 EG-Vertrag zur Rechtfertigung nationaler handelshemmender Wirtschaftslenkungsmaßnahmen herangezogen werden können, weil beide Bestimmungen primär nur aus nicht wirtschaftlichen Gründen in Anspruch genommen werden können. Einige Bereiche des Bewirtschaftungsrechts erhalten aber schon vorab eine gemeinschaftsrechtliche Legitimation. Im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht ist das ErdölBevorratungs- und MeldeG schon deshalb unbedenklich, weil das Gemeinschaftsrecht selbst die Mitgliedstaaten ermächtigt und verpflichtet, Mindestvorräte zu halten. Dies
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Sobald eine Maßnahme durch Gründe der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt ist, schließt die Tatsache, dass die Regelung geeignet ist, daneben auch die Erreichung anderer, von den Mitgliedstaaten verfolgter Ziele wirtschaftlicher Art zu ermöglichen, die Anwendung von Art 30 nicht aus, vgl EuGH Rs 72/83, Campus Oil, Slg 1984, 2727, Rz 35f. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV (1997), 274, weiters heißt es dort „...hier sollen Ziele der Wirtschaftslenkung nicht zur Rechtfertigung von Handelsbehinderungen mißbraucht werden, wenn durch sie die wirtschaftlichen Strukturen erhalten werden sollen, deren Wandel durch die Öffnung der Märkte gerade zum Wohle des Marktbürgers erzwungen wird“. Es entspricht nicht dem Zweck des Art 30, für einzelstaatliche Ziele der Wirtschaftslenkung, namentlich auch nicht zur Überwindung sektoraler, regionaler oder konjunktureller Schwierigkeiten, für haushaltspolitische Ziele, zur Sicherung des Überlebens eines Unternehmens als Legitimation von Handelsbehinderungen in Anspruch genommen werden zu können, vgl Müller-Graff (FN 24), Rz 34 zu Art 36. Aufgrund des Art 28 erlassene Maßnahmen können nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie geeignet sind, dem durch diesen Artikel geschützten Interessen zu dienen, und wenn sie den gemeinschaftlichen Handel nicht mehr als notwendig einschränken. Selbständige nationale Vorschriften kommen auch nur solange und soweit in Frage, als die betreffende Materie nicht durch Gemeinschaftsrecht, insb durch Richtlinien, harmonisiert ist. Rill/Griller, 173.
Energielenkungs-, Erdölbevorratungs-, Lebensmittelbewirtschaftungsrecht 1349 erfolgt auf Grund der RL 68/414 EWG34 betreffend die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten. Die Intention dieser Richtlinie besteht darin, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um einer etwaigen Verknappung im Falle einer unerwartet eintretenden Versorgungskrise begegnen zu können. Daher soll die Versorgungssicherheit der Mitgliedstaaten mit Erdöl und Erdölerzeugnissen durch die Bildung und Unterhaltung eines Mindestvorrats der wichtigsten Erdölerzeugnisse erhöht werden. Diese Richtlinie wurde durch die RL 2006/67/EG35 als kodifizierte Fassung ersetzt. Dadurch soll die Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, die nachteiligen Auswirkungen von Schwierigkeiten, die zu einem Rückgang der Lieferungen von Erdöl und Erdölerzeugnissen oder einem erheblichen Anstieg ihrer Preise auf den internationalen Märkten führen, auszugleichen oder zumindest abzuschwächen. Im Jahr 2000 hat die Kommission ein Grünbuch mit dem Titel „Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit“36 vorgelegt. Darin schlägt die Kommission als Maßnahmen insbesondere den Bau neuer bzw die Erweiterung bestehender Infrastrukturen vor. Mit einem weiteren Grünbuch im Jahr 2006 regte die Kommission an, dass die Europäische Energiepolitik als Hauptziele die Nachhaltigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit sowie die Versorgungssicherheit verfolgen sollte.37 Die RL 2004/67/EG38 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Erdgasversorgung bezweckt „Maßnahmen zur Wahrung einer ausreichend sicheren Erdgasversorgung zu treffen“. Mit der RL 73/238/EWG39 sowie mit dem Übereinkommen über das „Internationale Energieprogramm“40 haben die Mitgliedstaaten weitere Verpflichtungen im Falle von Versorgungsschwierigkeiten mit Erdöl übernommen.
In Folge der ersten Ölversorgungskrise 1974 entstand das „Übereinkommen über ein Internationales Energieprogramm“ (IEP-Übereinkommen), das von Österreich am 18. November 1974 in Paris unterzeichnet wurde und der verstärkten Zusammenarbeit der hauptsächlichen Ölverbraucherländer dienen soll. Als Exekutivorgan wurde die internationale Energieagentur mit Sitz in Paris gegründet. Im Vordergrund dieses Übereinkommens steht ein Notstandsprogramm zur gemeinsamen Sicherung der Bedarfsdeckung mit Erdöl und Erdölprodukten bei künftiger Mangellage. Grundidee ist dabei eine minimale Selbstversorgung in Notstandszeiten (Pflichtnotstandsreserven) sowie die Verpflichtung zur Einschränkung der Nachfrage und der gleichmäßigen Verteilung von Erdöl aus den gemeinsamen Pflichtnotstandsreserven im Fall mengenmäßiger Knappheit dieses Energieträgers. Weiters ist ein umfassendes Informationssystem zwischen den Mitgliedstaaten vorgesehen.41
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Abl L 308 vom 23. 12. 1968, 14ff. Abl L 217 vom 8.8.2006, 8. KOM (2000) 769 endg. Grünbuch: Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie, KOM (2006) 105 endg. Abl L 127 vom 26.4.2004, 92. Richtlinie 73/238/EWG des Rates vom 24. Juli 1973 über Maßnahmen zur Abschwächung der Auswirkungen von Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Erdöl und Erdölerzeugnissen, Abl L 228 vom 16.8.1973, 1. BGBl 1976/317 idF 1976/497. Fremuth, 105f. Dieses Programm enthält auch Regelungen über eine langfristige Zusammenarbeit im Energiebereich zur Verringerung der Abhängigkeit von Öleinfuhren durch Rationalisierungsmaßnahmen und die Erforschung und Entwicklung
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II. Energielenkung A. Allgemeines Das EnLG dient der Sicherung der Energieversorgung in Krisenzeiten, es soll insb auch die aus dem IEP-Übereinkommen entspringenden völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs in die innerstaatliche Rechtsordnung transformieren. Durch Art I des EnLG wird eine eigene Kompetenzgrundlage für den Bund geschaffen. In zeitlicher Hinsicht ist ihre Geltung nunmehr unbeschränkt. Diese Verfassungsbestimmung enthält jedoch insoweit eine Einschränkung, als sie den Bund nicht schlechthin die Kompetenz im Bereich der „Bewirtschaftung“ einräumt, sondern nur die Erlassung und Vollziehung von Angelegenheiten, die im Art II des EnLG enthalten sind, zur Bundessache erklärt. Art I Abs 1 zweiter Satz bestimmt, dass „die in diesen Vorschriften geregelten Angelegenheiten [...] - unbeschadet der Stellung des Landeshauptmannes gemäß Art 102 Abs 1 B-VG - nach Maßgabe des § 9 von Einrichtungen der gesetzlichen Interessenvertretungen im übertragenen Wirkungsbereich sowie von der Energie-Control GmbH und den Regelzonenführern unmittelbar versehen werden“ können.42 Nachdem die Stellung des Landeshauptmannes nach Art 102 Abs 1 B-VG „unbeschadet“ bleiben soll, soll es also bei der grundsätzlichen Regelung bleiben, dass die Vollziehung in mittelbarer Bundesverwaltung erfolgt. Andererseits können diese Angelegenheiten von Einrichtungen der gesetzlichen Interessenvertretungen „unmittelbar versehen“ werden, was darauf hindeutet, dass die genannten Einrichtungen an die Stelle des Landeshauptmannes treten. Jedoch deutet die Aufnahme des Wortes „unmittelbar“ auf ein Redaktionsversehen hin, so dass die Interessensvertretungen wohl in Unterordnung zum Landeshauptmann tätig zu werden haben.43
Das Energielenkungsgesetz unterwirft neben der Elektrizität folgende Energieträger seinen Lenkungsvorschriften: Erdöl, Erdölprodukte, flüssige Brenn- und Treibstoffe sowie feste fossile und gasförmige Brennstoffe, wobei auf gasförmige Brennstoffe die Sonderbestimmungen der §§ 20a ff Anwendung finden.
B. Lenkungsmaßnahmen Nach § 1 Abs 1 EnLG können folgende Lenkungsmaßnahmen zur Anwendung kommen: - Zur Abwendung einer unmittelbar drohenden Störung oder zur Behebung einer bereits eingetretenen Störung der Energieversorgung Österreichs, sofern diese Störungen a) keine saisonalen Verknappungserscheinungen darstellen oder
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alternativer bzw neuer Energiequellen, vgl Azizi, Energierecht, in: Korinek, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 129. Mit der Novelle BGBl 2001/149 musste eine Anpassung der Lenkungsbehörden im Elektrizitätsbereich an die vom Energieliberalisierungsgesetz geschaffene Organisation vorgenommen werden, wobei die bisherigen Aufgaben des Bundeslastverteilers der Energie-Control GmbH zur Besorgung zugewiesen wurden und die Aufgaben der Landeslastverteiler auf die Landeshauptmänner übergingen. Bernárd (FN 7) 121.
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b) durch marktkonforme Maßnahmen nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln abgewendet oder behoben werden können oder - soweit es zur Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen zur Inkraftsetzung von Notstandsmaßnahmen auf Grund von Beschlüssen von Organen internationaler Organisationen erforderlich ist. Derartige Maßnahmen haben die Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie einschließlich jenes für Zwecke der militärischen Landesverteidigung, die Aufrechterhaltung einer ungestörten Gütererzeugung und Leistungserstellung, die Versorgung der Bevölkerung und sonstiger Bedarfsträger sicherzustellen, sowie die Erfüllung von Verpflichtungen auf Grund von Beschlüssen gemäß dem IEP-Übereinkommen zu ermöglichen.44 Lenkungsmaßnahmen dürfen nur in einem solchen Ausmaß und für eine solche Dauer ergriffen werden, als es zur Abwendung oder zur Behebung der Störung oder zur Erfüllung der Verpflichtungen unbedingt erforderlich ist.45 Sie können in ihrer Gesamtheit, einzeln oder in Verbindung miteinander unabhängig davon ergriffen werden, ob eine solche Versorgungsstörung nur Teile des Bundesgebietes46 oder nur bestimmte Zweige der Energiewirtschaft betrifft. In die Unverletzlichkeit des Eigentums und in die Freiheit der Erwerbsbetätigung darf nur eingegriffen werden, wenn die Ziele des leg cit nicht anders erreicht werden können.47
Lenkungsmaßnahmen sind durch Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vorzusehen. Solche Verordnungen bedürfen der Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates.48 Lenkungsmaßnahmen dürfen nur für die Dauer von sechs Monaten ergriffen werden, jedoch ist eine Verlängerung über die Dauer von sechs Monaten mit Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates möglich. Nach Wegfall der sie begründenden Umstände sind die Verordnungen unverzüglich aufzuheben.49
1. Lenkungsmaßnahmen für Energieträger Verfügungs-, Zugriffs- und Beschlagnahmerechte50 Derartige Maßnahmen haben sich zuerst auf die nach anderen Rechtsvorschriften (EBMG) gebildeten Pflichtnotstandsreserven an Energieträgern zu beziehen.51 Auf Energieträger, die für Zwecke der militärischen Landesverteidigung vorrätig gehalten oder die im Eigentum oder Besitz eines Letztverbrauchers stehen und die der Deckung seines Bedarfs dienen, dürfen sich die genannten Lenkungsmaßnahmen nicht bezie44 45 46
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§ 1 Abs 2 EnLG. Dadurch soll die Subsidiarität der Krisenbewirtschaftung gewährleistet werden, vgl Wimmer/Arnold, 59. Nach § 1 Abs 3 zweiter Satz EnLG können Lenkungsmaßnahmen auch auf Teile des Bundesgebietes beschränkt werden, zur diesbezüglichen Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wirtschaftsgebietseinheit siehe Azizi, 136. § 1 Abs 4 EnLG. Im Hinblick auf die besondere Intensität des Eingriffs in die Grundrechte durch Bewirtschaftungsmaßnahmen wird die Verpflichtung zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs vom Gesetzgeber besonders betont, vgl Wenger/Raschauer, 199, Rz 188. RV 1411 BlgNR 22. GP, 41. § 2 Abs 3 EnLG. Der BMwA hat dem Nationalrat binnen drei Monaten nach dem Ergreifen von Lenkungsmaßnahmen und in der Folge alle zwei Monate über getroffene Maßnahmen zu berichten (§ 2 Abs 5 EnLG). § 3 Abs 1 Z 1 EnLG. § 4 EnLG.
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hen.52 Die Beschlagnahme von Energieträgern soll offenbar die Durchsetzung einer Enteignung sichern. Für Vermögensnachteile ist eine Entschädigung in Geld zu leisten.53
Vorschriften über die Produktion, den Transport, die Lagerung, die Verteilung, die Abgabe, den Bezug, die Beschränkung der Einfuhren und die Verpflichtung zu Ausfuhren54 Hierbei können Energieträger nur zu einer bestimmten Produktion zugelassen werden und dürfen etwa nur für vordringliche Versorgungszwecke abgegeben, bezogen und verwendet werden.55 Die Einfuhr fester fossiler Brennstoffe kann auf bestimmte Unternehmen beschränkt werden, für diese Unternehmen können bestimmte Organisationsvorschriften erlassen werden.56
Beschränkungen des Verkehrs57 Auf Basis dieser Bestimmung kann das Benützen aller oder bestimmter Kraftfahrzeuge im ganzen Bundesgebiet oder in Teilen davon verboten werden, weiters das Überschreiten bestimmter Höchstgeschwindigkeiten und es kann eine Kennzeichnung von Fahrzeugpapieren oder Fahrzeugen angeordnet werden.58 Von derartigen Verboten kann eine Ausnahmebewilligung erlangt werden.59
Meldepflichten60 Unternehmen, die Energieträger bearbeiten, verarbeiten oder verbrauchen, können verpflichtet werden, Meldungen vor allem über den Lagerbestand zu erstatten und Auskünfte über Betriebsverhältnisse zu erteilen. Zur Überprüfung der Meldungen und Auskünfte kann sich der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit der Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung bedienen. Den Kontrollorganen kommt ein Zutritts- und Einsichtnahmerecht zu.61
Änderung der Anforderungen an die Beschaffenheit62 Derartige Verordnungen sind zu erlassen, soweit dies zur Aufrechterhaltung der Versorgung mit Energieträgern erforderlich ist. Hierbei ist auf die Vermeidung von gefährlichen Belastungen für die Umwelt Bedacht zu nehmen.63 52 53
54 55
56 57 58 59 60 61 62 63
§ 3 Abs 5 EnLG. § 8 Abs 1 EnLG. Mit der Novelle BGBl 1996/791 wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Energieträger beschlagnahmt werden können, hinsichtlich derer ein Pfandrecht besteht, wobei sich das Recht eines allfälligen Pfandgläubigers auf die Entschädigungsforderung erstreckt, vgl RV 366 BlgNR, 20. GP, 4. § 3 Abs 1 Z 2 EnLG. § 5 Abs 1 EnLG. Die Zulässigkeit von Transport und Lagerung könnte zB von einer Bewilligung abhängig gemacht, der Bezug an eine Bezugscheinpflicht geknüpft werden, siehe Walter/Mayer, 335. § 5 Abs 2 EnLG. § 3 Abs 1 Z 3 EnLG. § 6 Abs 1 und 4 EnLG. § 6 Abs 2 und 3 EnLG. § 3 Abs 1 Z 4 EnLG. § 7 EnLG. § 3 Abs 1 Z 5 EnLG. § 7a EnLG. Das wird dadurch sichergestellt, dass diese Verordnungen nur im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft erlassen werden können.
Energielenkungs-, Erdölbevorratungs-, Lebensmittelbewirtschaftungsrecht 1353
Mit der Vornahme von Lenkungsmaßnahmen an Energieträgern erlöschen alle dinglichen Rechte, soweit sie mit dem Zweck der gesetzten Maßnahme im Widerspruch stehen.64
2. Lenkungsmaßnahmen zur Sicherung der Elektrizitätsversorgung Die vorgesehenen Lenkungsmaßnahmen sollen die Verteilung elektrischer Energie auf die Elektrizitätsversorgungsunternehmen (Lastverteilung) und Verbraucher steuern und so die Elektrizitätsversorgung in Krisenzeiten sicherstellen.65 Schadenersatzansprüche aus der Nichterfüllung von Verträgen infolge getroffener Lenkungsmaßnahmen entstehen nicht, jedoch gilt das AmtshaftungsG.66 Als Lenkungsmaßnahmen, wobei angebotsseitige und nachfrageseitige Maßnahmen unterschieden werden können, kommen in Betracht: Erteilung von Anweisungen an Erzeuger, Netzbetreiber, Bilanzgruppenkoordinatoren, Bilanzgruppenverantwortliche und Stromhändler über die Erzeugung, Übertragung, Verteilung und den Handel elektrischer Energie67 Verfügungen an Endverbraucher über die Zuteilung, Entnahme und die Verwendung elektrischer Energie sowie den Ausschluss von der Entnahme elektrischer Energie68 Die Lieferung der verfügbaren elektrischen Energie an die Endverbraucher soll nach dem Grade der Dringlichkeit erfolgen. Endverbraucher können ohne weiteres Verfahren vorübergehend von der Belieferung mit elektrischer Energie ausgeschlossen werden. Endverbraucher mit einem durchschnittlichen Monatsverbrauch von mehr als 500 000 kWh im letzten Kalenderjahr können einer gesonderten Regelung unterzogen werden.
Regelungen über die Lieferung elektrischer Energie von und nach EUMitgliedstaaten und Drittstaaten69 Zur Regelung der Exporte und Importe im Krisenfall bedarf es eines grenzüberschreitenden Vertragswerkes, welches eine abgestimmte Vorgangsweise ermöglicht.70
Regelung über die Betriebsweise sowie Festlegung von Abweichungen von Emissionsgrenzwerten für Anlagen zur Erzeugung elektrischer Energie71 Stromerzeugungsanlagen, die wegen ihrer Emissionsrate im Regelfall nicht mehr betrieben werden, können ausnahmsweise zur Sicherstellung der Versorgung vorübergehend in Betrieb gesetzt werden, wobei jedoch auf die Vermeidung von gefährlichen Belastungen für die Umwelt Bedacht zu nehmen ist. Entgegenstehende Regelungen sind für die Dauer der Geltung dieser Verordnungen nicht anwendbar.72 64 65 66 67 68
69 70 71 72
§ 3 Abs 1 EnLG. Walter/Mayer, 336. § 19 Abs 2 EnLG. § 10 Z 1 EnLG iVm § 12. § 10 Z 2 EnLG iVm § 13; Dieser vorübergehende Ausschluss bestimmter Stromverbraucher vom Strombezug kann als Kontrahierungsverbot und als Eingriff in die „grundrechtsrelevante“ Vertragsfreiheit angesehen werden, vgl Wenger, in: Korinek/ Rill, 39. § 10 Z 3 EnLG iVm § 14. § 14 EnLG. § 10 Z 4 EnLG iVm § 15. § 15 EnLG.
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Festlegung von Abweichungen gegenüber anderen Rechtsvorschriften hinsichtlich erneuerbarer Energien, insoweit dies zur Sicherstellung der Versorgung mit elektrischer Energie erforderlich ist73 Gemäß den elektrizitätsrechtlichen Bundes- und Landesgesetzen müssen Endverbraucher etwa einen in den Ausführungsgesetzen der Länder zum ElWOG geregelten Mindestanteil ihres Elektrizitätsbedarfes mit Energie aus Ökoenergieanlagen decken.74
Regelungen über die Heranziehung von Ökostrom gemäß § 5 Abs 1 Z 15 Ökostromgesetz, BGBl Nr. 1149/200275 Vorschreibung von Landesverbrauchskontingenten für die Länder76 Die Landeshauptmänner können zur Durchführung der Lenkungsmaßnahmen die Regelzonenführer sowie die im Land tätigen Netzbetreiber, Bilanzgruppenkoordinatoren, Bilanzgruppenverantwortlichen und Stromhändler beauftragen. Für einen Stromverbrauch entgegen den verfügten Beschränkungsmaßnahmen haben die Elektrizitätsversorgungsunternehmen Mehrverbrauchsgebühren zum Strompreis einzuheben.77
3. Lenkungsmaßnahmen zur Sicherung der Erdgasversorgung § 20a bezweckt die Umsetzung der RL 2004/67/EG, welche gemeinsame Rahmenbedingungen festlegt, nach denen die Mitgliedstaaten eine allgemeine, transparente und nicht diskriminierende Versorgungssicherheitspolitik entwickeln. Im EnLG werden hierbei die Maßnahmen zur Einhaltung der Versorgungssicherheit gemäß Art 4 der RL umgesetzt. Dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit stehen vier Typen von Lenkungsmaßnahmen zur Verfügung. Im Gegensatz zum Elektrizitätsbereich sind für den Gasbereich keine Landesverbrauchskontingente für die Länder vorgesehen. Hier empfiehlt sich vielmehr eine einheitliche Vorgangsweise, die durch eine einheitliche Leitung und Verantwortung des Krisenmanagements beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit gewährleistet wird.78 Erteilung von Anweisungen an Erdgasunternehmen im Sinne des § 6 Z 13 Gaswirtschaftsgesetz - GWG, BGBl Nr. 121/2000, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr . 106/2006, Regelzonenführer, Bilanzgruppenverantwortliche, Bilanzgruppenkoordinatoren und Produzenten über die Produktion, den Transport, die Fernleitung, die Verteilung, die Speicherung und den Handel von Erdgas79 Die Anweisungen richten sich neben den Genannten auch an die neuen Marktteilnehmer, wie Fernleitungs- und Verteilernetzbetreiber, Lieferanten, Speicherbetreiber und Erdgashändler.80
73 74 75 76 77 78 79 80
§ 10 Z 5 EnLG iVm § 16. RV 816 BlgNR 21.GP. § 10 Z 6 EnLG iVm § 17. § 10 Z 7 EnLG iVm § 17. § 18 EnLG. RV 1411 BlgNR 22. GP, 42. § 20a Z 1 EnLG iVm § 20c. RV 1411 BlgNR 22. GP, 42.
Energielenkungs-, Erdölbevorratungs-, Lebensmittelbewirtschaftungsrecht 1355
Verfügungen an Endverbraucher über die Zuteilung, Entnahme und die Verwendung von Erdgas sowie den Ausschluss von der Entnahme von Erdgas81 Mit dieser Bestimmung wird nunmehr auch der Ausschluss von der Entnahme von Erdgas auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Als Maßnahmen können die Kontingentierungen von Endverbrauchern sowie die Flächenabschaltungen dienen, wobei Letzteren wegen ihrer ökonomisch besonders einschneidenden Wirkung, ein „Ultima-ratioCharakter“ zukommen muss.82 Erforderlichenfalls können Endverbraucher mit einem vertraglich vereinbarten Verbrauch von mehr als 100.000 kWh/h einer gesonderten Regelung durch die Energie-Control GmbH unterzogen werden.
Regelungen über die Lieferung von Erdgas von und nach EU-Mitgliedstaaten und Drittstatten83 Ein grenzüberschreitendes Vertragswerk, welches eine abgestimmte Vorgangsweise im Krisenfall ermöglicht, soll auf liberalisierten Märkten eine Regelung der Exporte und Importe im Krisenfall bewirken.
Ebenso wie im Elektrizitätsbereich ist auch hier im Falle der Überschreitung des zulässigen Erdgasverbrauchs die Einhebung von Mehrverbrauchsgebühren vorgesehen. Detaillierte Bestimmungen hierzu sind durch Verordnung der Energie-Control GmbH vorzusehen. In besonderen Härtefällen ist eine Ermäßigung der Gebühr vorgesehen. Die eingehobenen Mehrverbrauchsabgaben verbleiben den Erdgasunternehmen zur Bedeckung der Kosten der Lenkungsmaßnahmen. 84
4. Vorbereitung der Lenkungsmaßnahmen Die einschlägigen europäischen RL85 sehen sowohl für den Gas- als auch für den Elektrizitätsbereich entsprechende Monitoringverpflichtungen vor, welche insbesondere die Entwicklung kritischer Versorgungsengpässe transparent machen soll. Hierbei ist eine enge Kooperation zwischen den betroffenen Marktteilnehmern und der Energie-Control GmbH unabdingbar. Wie schon § 11 für den Elektrizitätsbereich so sieht auch § 20b für den Gasbereich eine Übertragung wirtschaftslenkender und versorgungspolitischer Grundsatzentscheidungen auf die Energie-Control GmbH vor. Hierbei geht es insbesondere um Präventivmaßnahmen zur Vermeidung von Versorgungstörungen überhaupt sowie die Erstellung eines komplexen, exekutierbaren Versorgungsplanes für den Anlassfall zur weitest gehenden Abwendung gesamtwirtschaftlicher Schäden durch eine unzureichende bzw ungezielte Energieversorgung.86
81 82 83 84 85 86
§ 20a Z 2 EnLG iVm § 20d. RV 1411 BlgNR 22. GP, 43. § 20a Z 3 EnLG iVm § 20e. RV 1411 BlgNR 22. GP, 43. Art 4 und Art 23 Abs 1 der RL 2003/54/EG bzw Art 5 und Art 25 Abs 1 der RL 2003/55/EG. RV 1411 BlgNR 22. GP, 43.
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C. Zuständigkeit und Verfahren Die Verordnungen werden vom Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit mit Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates erlassen, sofern derartige Verordnungen nicht nur die gänzliche oder teilweise Aufhebung von Lenkungsmaßnahmen zum Gegenstand haben. Die Verordnungen haben getrennt für Lenkungsmaßnahmen für Energieträger und für solche zur Sicherung der Elektrizitätsversorgung bzw zur Sicherung der Erdgasversorgung zu ergehen. Klargestellt wird, dass bei der Ergreifung von Lenkungsmaßnahmen die Versorgungslage in den anderen Regelungsbereichen zu berücksichtigen ist.87 Die Durchführung der Lenkungsmaßnahmen obliegt den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung, den Gemeinden und den gesetzlichen Interessenvertretungen im übertragenen Wirkungsbereich und - für den Bereich der Lenkung der Elektrizitätswirtschaft und der Gaswirtschaft– der Energie-Control GmbH88 sowie auf Landesebene den Landeshauptmännern89. Für die Entscheidung über Entschädigungsansprüche wegen Vermögensnachteilen, die aus bestimmten Lenkungsmaßnahmen entstehen, ist eine „sukzessive Zuständigkeit“ der ordentlichen Gerichte normiert. Zur Beratung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit sowie zur Vorbereitung und Begutachtung von Lenkungsmaßnahmen ist nunmehr lediglich ein Gremium vorgesehen. Der Energielenkungsbeirat90 ist sowohl für Lenkungsmaßnahmen für Energieträger als auch für Lenkungsmaßnahmen zur Sicherung der Elektrizitätsversorgung und der Erdgasversorgung zuständig. Derartige Beiräte sind auch zur Beratung der Landeshauptmänner eingerichtet.91
87
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§ 2 Abs 1 EnLG. Verordnungen nach dem EnLG (wie auch nach dem LMBG) werden im Interesse besonderer demokratischer Legitimation regelmäßig an die Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates gebunden, vgl Wimmer/Arnold, 54. Eine Feststellung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Lenkungsmaßnahmen durch Verordnung der Bundesregierung ist nicht mehr vorgesehen. Sie diente der Absicherung gegen eine allenfalls leichtfertige oder missbräuchliche Handhabung der Krisenbefugnis durch einen einzelnen Minister. Diese Bestimmung wurde mit der Novelle BGBl 1982/382 gestrichen, um in Anpassung an einen EUBeitritt Österreichs Verordnungen bereits vor einer Krisensituation erlassen zu können. Um einen reibungslosen Ablauf der Lenkungsmaßnahmen zu gewährleisten, sollen die von den Lenkungsmaßnahmen Betroffenen bereits vor Inkrafttreten der eigentlichen Lenkungsmaßnahmen die notwendigen administrativen und organisatorischen Vorkehrungen treffen können, vgl RV 486 BlgNR 18. GP, 5. Mit der Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes haben sich Unvereinbarkeiten hinsichtlich der Funktionen des Bundeslastverteilers und der Landeslastverteiler ergeben, da sowohl der Bundeslastverteiler als auch die Landeslastverteiler bei Elektrizitätsunternehmen angesiedelt waren, die aufgrund der Marktöffnung im freien Wettbewerb stehen. Daher war es notwendig, die betreffenden Agenden organisatorisch und personell von den Elektrizitätsunternehmen zu trennen und neu zu regeln. Mit der Neuregelung dieser Kompetenzbestimmungen wurde der Energie-Control GmbH die Vorbereitung und Koordinierung der in den Regelzonen vorzusehenden Maßnahmen übertragen; vgl RV 816 BlgNR 21. GP. § 17 EnLG. § 21 EnLG. § 27 EnLG.
Energielenkungs-, Erdölbevorratungs-, Lebensmittelbewirtschaftungsrecht 1357 Im Gegensatz etwa zu Fonds kommt den Beiräten keine selbständige Entscheidungskompetenz zu. Äußerungen von Beiräten sind grundsätzlich nicht verbindlich und ihre Tätigkeit wirkt nicht nach außen.92 Der Beirat ist vielmehr dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zugeordnet und hat Aufgaben der Beratung und Begutachtung, teils in grundsätzlichen Fragen, mitunter auch im Zusammenhang mit der Erledigung individueller Verwaltungsakte.93 Der Einfluss der Interessenvertretungen wird durch deren Vorschlags-, Nominations- oder Entsendungsrechte gesichert. Der Bundesminister hat den Beirat anzuhören.94 Der Beirat ermöglicht einen unmittelbaren Dialog zwischen den divergierenden Interessengruppen, sowie zwischen ihnen und dem Staat.95
D. Strafbestimmungen Die Verletzung der Vorschriften des EnLG sowie insb auch der Lenkungsbestimmungen (Verordnungen, Bescheide) ist verwaltungsbehördlich strafbar.96 Unbeschadet einer Bestrafung oder der Bezahlung einer Mehrverbrauchsgebühr kann ein Stromverbraucher im Strombezug beschränkt werden (Ausschluss eines Mehrverbrauchers).97 Gerichtliche Strafkompetenzen bleiben unberührt und schließen das Vorliegen einer Verwaltungsübertretung aus.
III. Erdöl-Bevorratungs- und Meldegesetz A. Allgemeines Das Erdöl-Bevorratungs- und Meldegesetz regelt im Sinne des IEP-Übereinkommens98 und in Umsetzung der RL 68/414/EWG99 idF der 98/93/EG100 die Haltung von Pflichtnotstandsreserven an Erdöl und Erdölprodukten. Durch dieses Übereinkommen hat sich Österreich verpflichtet, einen Beitrag zum internationalen Informationssystem betreffend den Erdölmarkt zu leisten. Importeure von Erdölprodukten haben eine bestimmte Menge an Erdöl und Erdölprodukten als Notstandsreserve zu halten. Durch diese Pflichtnotstandsreserven soll im Krisenfall iS der Zielvorgabe des IEP-Übereinkommens der 92 93
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95 96 97 98 99 100
Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (1996), 362ff. Da die Beiräte Hilfsorgane von staatlichen Organen der Hoheitsverwaltung sind, ist nicht nur ein funktioneller sondern auch ein organisatorischer Zusammenhang zu dieser staatlichen Verwaltungsbehörde gegeben und kommt Art 20 Abs 1 B-VG hinsichtlich der Weisungsgebundenheit dieser Beiräte zur Anwendung, vgl Antoniolli/Koja (FN 92) 368. Wird eine solche obligatorisch vorgesehene Anhörung des Beirates (der Beirat „ist“ anzuhören) unterlassen, so hat diese Verletzung zur Folge, dass die Verordnung gesetzwidrig zustande gekommen und von Aufhebung durch den VfGH bedroht ist. Für die Erfüllung der gesetzlichen Pflicht der Anhörung kommt es jedoch nur auf die Vorlage zur Begutachtung, nicht aber darauf an, dass tatsächlich ein Gutachten erstattet wird, vgl Antoniolli/Koja (FN 92) 366. Bei Gefahr in Verzug kann eine derartige Anhörung nachgeholt werden (§ 24 Abs 3 EnLG). Wimmer/Arnold, 243f. § 28 EnLG. § 29 Abs 2 EnLG. BGBl 1976/317. Abl L 308/14. Abl L 358/100. Beide RL wurden durch die RL 2006/67/EG (kodifizierte Fassung), Abl L 217/8, aufgehoben.
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Verbrauch über wenigstens 90 Tage gedeckt werden können.101 Diese Verpflichtung kann auch durch Abschluss eines Vertrages mit einem Dritten, der sich verpflichtet, eine bestimmte Menge an Erdöl oder auch Erdölprodukten zur Verfügung zu halten, oder durch die gemeinsame Haltung von Reserven durch mehrere Vorratspflichtige erfüllt werden. Für die Betreiber von kalorischen Kraftwerken bestehen besondere Brennstoffbevorratungs- und Meldevorschriften.102 Mit der durch das Energie-Versorgungssicherheitsgesetz 2006103 in Kraft gesetzten Novelle gilt das EBMG samt der Kompetenzdeckungsklausel im Art I nunmehr unbefristet.
B. Haltung von Notstandsreserven Wer Erdöl oder Erdölprodukte104 sowie Biokraftstoffe oder Rohstoffe zur direkten Erzeugung von Biokraftstoffen105 importiert, hat eine „Pflichtnotstandsreserve“ im Inland zu halten.106 Geringfügige importierte Mengen der genannten Produkte begründen keine Pflicht zur Vorratshaltung.107 101 102 103 104
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Art 2 Abs 2 IEP-Übereinkommen, Wimmer/Arnold, 60. Art III EBMG BGBl I 2006/106. Eine Legaldefinition dieser Produkte findet sich im § 1 Abs 1 EBMG. Mit der Novelle BGBl I 2001/150 erfolgte die Bildung einer eigenen Untergruppe für die Halbfertigerzeugnisse der Produktgruppe „Heizöle“, die der Hauptgruppe der „Rohöle“ zugeordnet werden. Die in § 1 Abs 1 Z 3 lit a angeführten Erdölprodukte unterliegen nicht der Vorratspflicht, soweit sie keiner energetischen Nutzung zugeführt werden. Mit dem Energie-VersorgungssicherheitsG 2006 BGBl I 2006/106 wurden die Gruppen der „Rohstoffe und Biokraftstoffe“ sowie der „Chemierohstoffe“ für Zwecke der Bevorratung in den Katalog aufgenommen. „Chemierohstoffe“ wie Ethylen, Propylen, Butadien, C6-Schnitt (Benzol) sind Rohstoffe, die aus dem im Zuge einer Rohöldestillation gewonnen Naphta hergestellt werden. Naphta ist im Falle eines Importes als Halbfabrikat nicht vorratspflichtig. Durch die Abzugsfähigkeit von Chemierohstoffen von der importierten Menge an Erdöl im Ausmaß von 50% der erzeugten Menge, soll ein Wettbewerbsnachteil gegenüber ausländischen petrochemischen Produzenten beseitigt werden, vgl RV 1411 BlgNR 22. GP, 45. Diese Lagerhaltungspflicht ist eine vorbeugende Maßnahme zur Meisterung künftiger Krisenfälle und besitzt daher sowohl Züge der permanenten als auch der Krisenlenkung, vgl Wimmer/Arnold, 60. Bei Importeuren mit Sitz im Ausland treffen diese Verpflichtungen den inländischen Warenempfänger (ersten inländischen Abnehmer). § 1 Abs 1 Z 13 EBMG sieht, je nachdem, ob die dem Anwendungsbereich unterliegenden Waren aus einem Mitgliedstaat der EU oder einem Drittland nach Österreich verbracht werden, bei der Definition des „Importeurs“ unterschiedliche Anknüpfungsmomente vor. Insb wird klargestellt, dass bei umsatzsteuerlichen Reihengeschäften, der auf dem Begleitdokument aufscheinende Empfänger als Importeur behandelt wird. Vgl RV 364 BlgNR 19. GP, 10. In Fällen, in denen mehrere Unternehmen unter einheitlicher Leitung einer Kapitalgesellschaft (Konzern) mit Sitz im Inland Erdöl importieren, kann das Mutterunternehmen als vorratspflichtiger Importeur bezeichnet werden, selbst wenn der Import wirtschaftlich von Tochtergesellschaften durchgeführt wurde, vgl RV 1411 BlgNR 22. GP, 45. § 2 Abs 3 EBMG. Der Pflicht zur Vorratshaltung wird nur durch solche Mengen an Erdöl und Erdölprodukten entsprochen, die im Eigentum entweder des Lagerhalters oder des Halters stehen.
Energielenkungs-, Erdölbevorratungs-, Lebensmittelbewirtschaftungsrecht 1359 Der VfGH erachtet die Verpflichtung zum Halten der Notstandsreserve im „Inland“ mit den Grundfreiheiten der EG108 sowie im Hinblick auf die RL 98/93/EG109 als vereinbar, weil die Haltung von Vorräten im Inland auf Grund der heimischen Versorgungsstruktur und der geographischen Lage Österreichs zur Gewährleistung einer Versorgung im Krisenfall unabdingbar erforderlich ist.110
Der Umfang der Vorratspflicht bestimmt sich nach dem Importumfang von Erdöl und den einzelnen Erdölprodukten im letzten Kalenderjahr vermindert um die Exporte.111 Davon sind 25 % als Pflichtnotstandsreserven zu halten. Der genannte Prozentsatz kann durch Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, wenn dies durch völkerrechtliche Verpflichtungen erforderlich ist, oder auf Antrag eines Vorratspflichtigen auch mit Bescheid geändert werden.112 Vorräte, die aus technischen Gründen auch im Notstand nicht verfügbar sind, sind auf die Notstandsreserve nicht anzurechnen.113 Die Vorratspflicht beginnt mit dem der Aufnahme des Importes von Erdöl oder Erdölprodukten zweitfolgenden Kalendervierteljahr und endet, wenn die Einfuhr dauernd eingestellt wird. Mit Beginn der Vorratspflicht muss der „Vorratspflichtige“ eine Pflichtnotstandsreserve halten, die sich nach den Importen in den vorangehenden Kalendervierteljahren bemisst. Nach dauernder Einstellung der Importtätigkeit kann nach Erfüllung der noch offenen Vorratspflicht über die Pflichtnotstandsreserve frei verfügt werden.114 Die Pflichtlagermenge kann durch ersatzweise Lagerung (zB Erdöl anstelle von Erdölprodukten), wobei das Gesetz einen mengenmäßigen Umrechnungsschlüssel sowie Mindestlageranteile vorsieht, gehalten werden oder - auf Grund besonderer Bewilligung - durch Anlage von Reserven an anderen Energieträgern.115
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Vgl EuGH Rs 72/83, Campus Oil, Slg 1984, 2727ff. Abl L 358/100, 14. 12. 1998. Gemäß Art 6 Abs 2 dieser RL ist es „Sache der Regierung des jeweiligen Mitgliedstaates, darüber zu befinden, ob ein Teil dieser Vorräte außerhalb des Staatsgebietes gehalten werden soll.“ VfSlg 15.771/2000. § 3 Abs 5 EBMG. § 3 EBMG. Vgl BGBl 1990/727. Diese Verordnungsermächtigung soll kurzfristige Anpassungen in Krisenzeiten ermöglichen, nicht jedoch die Schaffung einer dauerhaften, von der gesetzlichen Regelung abweichenden Festlegung des Ausmaßes der Vorratspflicht. § 9 EBMG. Derartige Vorräte sind mit zehn Prozent der Pflichtnotstandsreserven zu bemessen. § 6 und 7 EBMG. Die Aufnahme einer solchen Tätigkeit ist dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit vorher schriftlich zu melden (§ 11 EBMG). § 8 EBMG. VfSlg 8813/1980; dazu kritisch Duschanek, ÖZW 1980, 116. Derartige Ausnahmen dürfen nur aus besonderen betrieblich begründeten Gegebenheiten Anwendung finden. Mit der Änderung der Bestimmungen § 8 Abs 1 und 4 EBMG durch die Novelle BGBl I 2001/150 soll verhindert werden, das Erdöl statt wie bisher mit bis zu 60 % durch Heizöl ersetzt werden kann. Dies führte zu einen überproportional hohen Anteil dieses Produkts an den gesamtösterreichischen Notstandsreserven, bei gleichzeitiger Unterrepräsentation anderer Produktgruppen wie etwa Motorenbenzine, Dieselkraftstoff und Heizöl extra leicht. Durch eine marktkonforme Pflichtversorgung soll auch im Krisenfalle eine den Verbrauchsstrukturen entsprechende Versorgung der Letztverbraucher mit Erdölerzeugnissen iSd RL 98/93/EG sichergestellt werden, vgl RV 815 BlgNR 21.GP.
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Die Vorratspflicht kann - nach Wahl des Vorratspflichtigen - auf verschiedene Weise erfüllt werden:116 • eigene Haltung der Pflichtnotstandsreserve durch den Vorratspflichtigen • gemeinsame Haltung durch zwei oder mehrere Vorratspflichtige • Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages, der den Vertragspartner verpflichtet, eine bestimmte Menge an Erdöl oder Erdölprodukten zu halten117 • Übertragung der Vorratspflicht auf einen Lagerhalter.118 Der Lagerhalter bedarf zur Ausübung dieser Tätigkeit einer Genehmigung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit. Lagerhalter müssen Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland sein, deren Unternehmensgegenstand auf die Übernahme der Vorratspflicht nach dem EBMG beschränkt ist.119 Über 97% der vorratspflichtigen Mengen sind bei der Erdöl-Lagergesellschaft mbH (ELG) mit Sitz in Lannach (Steiermark) gelagert. Der Lagerhalter hat betreffend die Übernahme der Vorratspflicht eine Bestätigung auszustellen, welche dem Bundesminister unverzüglich anzuzeigen ist. Mit der Ausstellung dieser Bestätigung gilt der Lagerhalter als Vorratspflichtiger, dh Vorrats- und Meldepflicht gehen mit befreiender Wirkung auf ihn über.120 Der Lagerhalter bzw ein Unternehmer mit beherrschendem Einfluss muss eine gewisse Zuverlässigkeit hinsichtlich der Gewähr für eine ordnungsgemäße Haltung von Pflichtnotstandsreserven besitzen.121 Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit hat durch Verordnung einen Höchsttarif für die Übernahme der Vorratspflicht festzulegen.122 Für Lagerhalter mit Bundeshaftung123
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§ 4 Abs 1 EBMG. Jede der genannten Erfüllungsvarianten kann für sich allein zur Gänze oder auch nur teilweise (in Kombination mit anderen) gewählt werden, vgl Jirovec/Stanger, 427; vgl weiters VfSlg 12.227/1989. Im Gegensatz zum gewerbsmäßigen Lagerhalter in Z 4 erfolgt hier jedoch keine Überbindung der Vorratspflicht, vgl Jirovec/Stanger, 427. Die Verträge müssen eine Laufzeit von mindestens einem Jahr aufweisen. Über Antrag des Vorratspflichtigen kann durch Bescheid im Einzelfall eine kürzere Laufzeit genehmigt werden. Dies gilt sinngemäß auch für Lagerhalter iSd § 5 (§ 4 Abs 3 und 4 EBMG). Vorratspflichtige Endverbraucher, die im vergangenen Kalenderjahr von einem nicht der Vorratspflicht nach § 2 Abs 1 unterliegenden Händler mit Erdöl oder Erdölprodukten im Ausmaß von mehr als 1.000 Litern beliefert wurden, haben einen Vertrag gemäß § 4 Abs 1 Z 3 oder Z 4 abzuschließen. Dieser Vertrag kann in ihrem Namen vom Händler geschlossen werden. § 5 EBMG. Für diese Gesellschaften muss ein Aufsichtsrat vorgesehen sein, dem je ein Vertreter des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit sowie ein Vertreter des Fachverbandes des Energiehandels anzugehören haben (§ 5 Abs 6 Z 1 EBMG). Gewinne aus der Veräußerung von Lagerbeständen sind einer gebundenen, unversteuerten Rücklage zuzuweisen, da insbesondere die Nachbeschaffung von Krisenbeständen einen hohen Kapitalaufwand erfordert, RV 1411 BlgNR 22. GP, 46. Vgl auch Walter/Mayer, 338. § 5 Abs 2 EBMG. Gemäß dieser Bestimmung ist es nicht erforderlich, dass dem Lagerhalter das Eigentum oder sonstige dingliche oder obligatorische Rechte an den Behältern, in denen die Pflichtnotstandsreserven gehalten werden, zukommt, vgl VwGH 30.01.1981, 78/04/1653; 25.09.1990, 88/04/0223. § 5 Abs 5 EBMG. Vgl BG vom 23.03.1977 betreffend die Übernahme der Bundeshaftung für Anleihen, Darlehen und sonstige Kredite der Erdöl-Lagergesellschaft mbH (Erdölbevorratungs-Förderungsgesetz), BGBl 1977/161 idF BGBl I 1998/79.
Energielenkungs-, Erdölbevorratungs-, Lebensmittelbewirtschaftungsrecht 1361 bestehen daneben noch besondere Vorschriften.124 Für sie besteht ein Kontrahierungszwang zu allgemeinen Bedingungen und Tarifpreisen.125
Die Pflichtnotstandsreserven sind so zu lagern, dass die Beschaffenheit der gelagerten Energieträger erhalten bleibt. Die Lagerung hat in geeigneten Behältern, die amtlich geeicht und mit einer Meßeinrichtung versehen sind, zu erfolgen. Der Stand der Lager und der Pflichtnotstandsreserven muss buchmäßig und auch körperlich nachgewiesen werden können.126
C. Meldepflichten und Überwachung Die vorratspflichtigen Importeure haben eine Reihe von Meldepflichten an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit. Damit soll eine Information und eine genaue Kontrolle betreffend die Pflichtnotstandsreserven ermöglicht werden. Zu melden sind die Neuaufnahme einer Importtätigkeit, der Import des jeweiligen Vorjahres und Vormonates, der monatliche Stand der Pflichtnotstandsreserven, Standort, Bezeichnung der Lager sowie Lagerkapazitäten. Auch bei Unterschreiten der vorgeschriebenen Pflichtnotstandsreserven besteht eine Meldepflicht an den Bundesminister. Vorratspflichtige haben über den Lagerstand sowie über den Stand an Pflichtnotstandsreserven fortlaufend Aufzeichnungen zu führen.127 Zur Erstellung gesamtösterreichischer Marktverbrauchsdaten und Energiebilanzen sowie zur Erfüllung völkerrechtlicher Meldepflichten gegenüber der Internationalen Energieagentur wurde mit der Novelle BGBl I 2001/150 eine gesetzliche Ermächtigung für diese Statistik in den neu eingefügten §§ 25 und 26 verankert.128
D. Zuständigkeit und Verfahren Zur Erlassung der Verordnungen nach diesem Gesetz ist der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zuständig. Die Haltung der Pflichtnotstandsreserven unterliegt der Aufsicht des Bundesministers. Dieser hat den Lagerstand sowie die Beschaffenheit und Ausstattung der Lager stichprobenartig zu überprüfen. In Ausübung seiner Aufsichtskompetenz kann er sich der Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung bedienen.129 Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit kann zur Erfüllung des IEP-Übereinkommens durch Verordnung anordnen, dass in bezug auf Ölgesellschaften Erhebungen durchzuführen sind, insb über die Aufbringung von Erdöl und Erdölprodukten und über die Ver-
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§ 5 Abs 6 EBMG. Jirovec/Stanger, 427. Mit der Novelle BGBl I 2001/150 wurde mit der Umstellung auf Euro eine Grenze von 200.000 Euro (statt bisher 1 Million Schilling) statuiert, ab der eine Ausschreibung für die Beschaffung und den Verkauf von Lagerbeständen zu erfolgen hat. § 10 EBMG. §§ 11ff EBMG. Vgl RV 815 BlgNR 21.GP. § 17 EBMG. Den Kontrollorganen ist freier Zutritt zu den Lagern und Einsicht in alle Lageraufzeichnungen und über Veränderungen des Lagerstandes sowie die Entnahme von Proben im unbedingt erforderlichen Ausmaß zu gewähren.
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fügbarkeit von Beförderungsmitteln.130 In derartigen Verordnungen sind Meldepflichten festzulegen, die zur Auskunftserteilung verpflichten.131
E. Straf- und Schlussbestimmungen Sofern eine Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, ist sie verwaltungsbehördlich strafbar.132 Eine vorsätzliche Verletzung der Vorratspflicht nach § 2 EBMG wird immerhin mit einer Geldstrafe bis zu 58.120 Euro bedroht. Weiters ist als besonderes Strafmittel eine Art „Bereicherungsabschöpfung“ vorgesehen.133 Schließlich wird ein Lagerhalter, der Daten widerrechtlich offenbart oder verwertet, die ihm kraft seiner Eigenschaft anvertraut wurden oder zugänglich geworden sind, mit einer vom Gericht zu verhängenden Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht.134
IV. Lebensmittelbewirtschaftsungsgesetz A. Allgemeines Mit der Novelle 1984 zum LMBG 1952 wurden Lenkungsmaßnahmen ausdrücklich auf den Krisenfall beschränkt und wurde der Anwendungsbereich des Gesetzes auf alle Lebensmittel, alle zu ihrer Gewinnung geeigneten landwirtschaftlichen Produkte sowie auf Düngemittel, Pflanzenschutzmittel, Futtermittel und Saat- und Pflanzgut ausgedehnt.135 Durch die zahlreichen Novellen zum LMBG 1952 wurde 1997 ein gänzlich neues LebensmittelbewirtschaftungsG erlassen.136 Der Zweck des LMBG 1997137 besteht in der Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln in Krisenfällen. Als Ziel bezeichnet das Gesetz expressis verbis die Aufrechterhaltung bzw Wiederherstellung einer ungestörten Erzeugung und Verteilung von Waren. Allerdings erweist sich diese Formulierung als zu eng. Krisenbewirtschaftung ist insb auch zweckmäßige Verteilung des Mangels auf die verschiedenen Bedarfsträger. Da die „gesamtwirtschaftlich zweckmäßigste Nutzung der Waren eine wesentliche Determinante der Lenkung darstellt“, kann als Aufgabe der 130 131
132 133
134 135
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§ 16 sowie 18 EBMG. Die genannten Bestimmungen sollen gewährleisten, dass Österreich seine aus dem IEP-Übereinkommen resultierende Verpflichtung zur Informationserteilung an die Internationale Energieagentur erfüllen kann, vgl Walter/Mayer, 339. §§ 21f EBMG. § 21 Abs 1 und 2 EBMG. Hat der Täter sich oder einen Dritten unrechtmäßig bereichert, so ist er oder der Dritte zur Zahlung eines dem Ausmaß der Bereicherung entsprechenden Geldbetrages verpflichtet. Die Verpflichtung des Dritten besteht auch dann, wenn er von der Handlung, durch die die Bereicherung bewirkt wurde, wissen musste, vgl RV 364 BlgNR 19. GP, 12. § 23 EBMG. Wimmer/Arnold, 52 FN 172. In § 2 LMBG ist ein Warenkatalog hinsichtlich der diesem Gesetz unterliegenden Waren enthalten, wobei für bestimmte zweckgebundene Warenvorräte auch Ausnahmen betreffend die Bevorratungspflicht normiert sind. RV 324 BlgNR 20. GP, 9. Bezüglich der Kompetenzbestimmung des Art I LMBG vgl die entsprechenden Ausführungen zum EnLG unter II.A.
Energielenkungs-, Erdölbevorratungs-, Lebensmittelbewirtschaftungsrecht 1363
Bewirtschaftung auch abgeleitet werden, „das knappe Güterpotential jenen Bedarfsträgern zukommen zu lassen, die es besonders dringend benötigen und es besonders zweckmäßig verwenden“.138
B. Lenkungsmaßnahmen Die Lebensmittelbewirtschaftung dient der Vermeidung oder Überwindung kritischer Versorgungslagen auf Grund eines unzureichenden Güterangebotes.139 Als Lenkungsmaßnahmen140 können durch den Bundesminister für Landund Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vorgesehen werden: • Gebote, Verbote und die Anordnung von Bewilligungspflichten hinsichtlich der Produktion, des Transportes, der Lagerung, der Verteilung, der Abgabe, des Bezuges, der Verbringung, der Ein- und Ausfuhr sowie der Verwendung von Waren.141 • Anweisungen an Besitzer oder sonstige Verfügungsberechtigte von Transport-, Lager- oder Verteilungseinrichtungen für die gelenkten Waren.142 • Das Verbot des gewerblichen Verkaufs der erfassten Waren für die Dauer von 48 Stunden.143 • Meldepflichten von Inhabern von herstellenden oder verarbeitenden bzw vertreibenden Betrieben über den Bedarf, die Erzeugung, den Lagerbestand usw von Waren, die durch das LMBG erfasst werden.144 Sonstige Lenkungsmaßnahmen bestehen für Brotgetreide, das für den menschlichen Genuss geeignet ist, durch ein Verfütterungsverbot,145 sowie für die Herstellung von Alkohol aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die an eine behördliche Bewilligungspflicht geknüpft werden kann146. Durch derartige Verordnungen kann es auch zu Beschränkungen des Rechts auf Eigentum kommen.147
C. Zuständigkeit und Verfahren Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft kann durch Verordnung im Falle einer unmittelbar drohenden Störung der Versorgung oder zur Behebung einer bereits eingetretenen Störung unbedingt erforderliche Lenkungsmaßnahmen anordnen. Diese Verordnungen be138 139 140
141 142 143 144
145 146 147
Wimmer/Arnold, 58. Funk, Das System des österreichischen Wirtschaftslenkungsrechts, in: Korinek/Rill, 77. Um eine rasche und zweckmäßige Ergreifung von Lenkungsmaßnahmen zu ermöglichen, können bereits vorher Vorsorgemaßnahmen getroffen werden, vgl § 12 LMBG. § 3 Abs 1 Z 1 LMBG. § 3 Abs 1 Z 2 LMBG. § 3 Abs 1 Z 3 LMBG. § 3 Abs 1 Z 4 LMBG, diese Z 4 wurde nach dem Vorbild des VersorgungssicherungsG aus systematischen Gründen und zur Verdeutlichung als Lenkungsmaßnahme angefügt, vgl RV 324 BlgNR 20. GP, 9. § 4 LMBG. § 5 LMBG. § 3 Abs 2 LMBG. Für derartige Vermögensnachteile ist jedoch eine Entschädigung in Geld zu leisten, vgl § 15 Abs 1 LMBG, hinsichtlich der sukzessiven Zuständigkeit vgl § 15 Abs 2 LMBG.
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dürfen der Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates.148 Bei Gefahr im Verzug kann die Zustimmung nachgeholt werden.149 Die Verordnungen sind im Amtsblatt zur „Wiener Zeitung“ kundzumachen, da die Kundmachung im BGBl im Ernstfall zu lange dauern würde.150 Erst auf Grund einer solchen Verordnung können Lenkungsmaßnahmen angeordnet werden (Schubladengesetz).151 Vor Erlassung der Verordnung hat der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft außer bei Gefahr im Verzug den Bundeslenkungsausschuss anzuhören. Der Bundesminister kann seine Befugnisse auf Grund dieses Gesetzes sofern nur Teile des Bundesgebietes betroffen sind auf die Landeshauptmänner übertragen, die dann ihrerseits Landeslenkungsausschüsse anzuhören haben.152 Den Vorsitz im Bundeslenkungsausschuss führt der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft und im jeweiligen Landeslenkungsausschuss der zuständige Landeshauptmann.153 Die Durchführung der Verordnungen kommt den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung und den Gemeinden im übertragenen Wirkungsbereich zu.154 Wenn es im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis gelegen ist, kann die Durchführung auch der Agrarmarkt Austria übertragen werden.155 Auf Grund des Gesetzes ist jedermann verpflichtet, den mit der Bewirtschaftung befassten Behörden auf Verlangen die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und bei der Durchführung der Bewirtschaftungsvorschriften mitzuwirken. Den zuständigen Organen ist jederzeit Zutritt zu den Betriebsstätten und die Einsichtnahme in Aufzeichnungen zu gewähren.156
D. Straf- und Schlussbestimmungen Bei Nichteinhaltung des Gesetzes drohen als Sanktionen zivilrechtlich die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften (Verträgen)157 und strafrechtlich die Bestrafung durch die Bezirksverwaltungsbehörden allenfalls unter Mitwirkung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, sofern nicht überhaupt ein gerichtlich zu ahndender Tatbestand vorliegt.158 Sowohl die Verfassungsbestimmung des Art I als auch die einfachgesetzlichen Bestimmungen des Art II LMBG treten mit Ablauf des 31. Dezember 2016 außer Kraft.159 148
149 150
151 152 153 154 155 156 157 158 159
Vgl § 1 LMBG, die Voraussetzungen für die Erlassung derartiger Verordnungen entsprechen im Wesentlichen jenen des § 1 Abs 1 Z 1 EnLG, vgl die Ausführungen in FN 87. § 1 Abs 5 LMBG. Bernárd (FN 3) 99. Vgl § 10 LMBG, ist auch diese Kundmachung nicht zeitgerecht möglich, dann ist die Verordnung in anderer geeigneter Weise zB im Rundfunk kundzumachen. Puck, 268 Rz 647f. §§ 6 und 7 LMBG. § 20 LMBG; hinsichtlich der sonstigen Besetzung des Ausschusses vgl § 19 LMBG. § 8 LMBG. § 9 LMBG. § 11 Abs 1 und 3 LMBG. § 14 LMBG. § 22 LMBG. § 24 Abs 3 LMBG.
Sachverzeichnis Abfall, –, Begriff 907, 908ff, 911 –, Beseitigung 893 –, Chemikalienrecht 720 –, Deponien 1014f –, Entsorgung 904f –, gefährlicher 895, 909 –, nicht gefährlicher 895 –, Verbringung 903 –, Verwertung, Begriff 915 –, Wirtschaft 896 ––, EG–Ziele 908 Abfallbehandlungsanlage, –, Begriff 914 –, Anzeigeverfahren 918 –, Betrieb 917 –, Errichtung 917 –, keine Genehmigungspflicht 918 –, mobile Genehmigungspflicht 940 –, Probebetrieb 924 –, UVP–pflichtige 938f –, Versuchsbetrieb 925 –, wesentliche Änderung 917 Abkommen, gemischtes 1120 Abnahmeprüfung, UVP 883 Abschlussbetriebsplan, Bergbauanlage 1045 Abschlussprüfer, Versicherungsunternehmen 149 Abwasserleitungen 1013 Abweichungen, nationale 490 AETR 1108 Agenda 2000 1209, 1255 Agrarabkommen, Hauptziele 1228f Agrarausgaben, Reduktion 1214 Agrarhandelspartner 1217 Agrarkrise 1202f Agrarmarkt 1198f –, gemeinschaftlicher 1212 Agrarmarkt Austria (AMA) 1207, 1241, 1262ff Agrarmarktordnung 1199ff, 1201f, 1203 –, österreichische 1215 Agrarpolitik, gemeinsame 1154ff, 1221 ––, Gegenstand 1233
––, Grundsätze 1237 ––, Mittel 1237f ––, Ziele 1234f Agrarstrukturpolitik, Instrumente 1255f Akkreditierung, Begriff 504 Akkreditierungsgesetz (AkkG) 507, 510ff Akkreditierungsverhältnis, hoheitliche 515 AKP–Abkommen 1232 AKP–Staaten 1132 Allfinanzaufsicht 118, 417 Allfinanzkonzerne 68 Alpenkonvention 952 Altanlagen, IPPC–Abfallbehandlungsanlagen 938 Altersversicherungssysteme, kapitalgedeckt 167 Altmark–Urteil 398 AMA s Agrarmarkt Austria AMA–Gesetz 1992 1220f Amtshilfeersuchen 226 Anbieten –, öffentliches 25f –, privates 25 Änderungsbewilligung, Bergbauanlage 1037 Anlagen –, Änderung, EZG 1082 –, elektrische 533 –, Pol, EZG 1095 Anlegerentschädigung 19, 106ff Annahmeverfahren, einstufiges 489 Annexcharakter, abfallrechtliche Regelungen 898 Annexkompetenz 542 Ansatz, kombinierter 1012 Anschlusspflicht, allgemeine 1054 AntidumpinggrundVO 1141 AntisubentionsVO 1142 Arbeitgeber –, Pensionskassenbeiträge 182 –, Beitrag 184 –, Kündigung 190 Arbeitseinstellung, Naturschutz 972 Arzneimittel 719
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Sachverzeichnis
–, Preisfestsetzung 1320 ASFINAG 400 Assoziationsabkommen 1233 Assoziationsverträge 1119 Aufgabenprivatisierung 376 Auflagen, gewerbliche Betriebsanlagen 818 Auflösung, Pensionskassen 190ff Aufsicht, Solo–plus–Aufsicht 114 Aufsichtsbehörden, Verwertungsgesellschaften 237 Aufsichtsrat, Pensionskassen 186f ––, Wahl der Vertreter 186 Auftragsvergabe, öffentliche 1146f Auftragsverwaltung 307 Ausfuhr –, Berechtigung 605 –, Erstattungen 1296, 1288f –, GrundVO 1138 –, Notifikation, Chemikalien 743 Ausgleichshaushalt 292, 300 Ausgleichsmaßnahmen, Naturschutz 964 Ausgleichsrücklage 318 Ausgliederung 371ff Ausgliederungsverträge, Versicherungsunternehmen 150 Auskunftspflicht, Verwertungsgesellschaften 225, 229 Ausnahmegenehmigung, gewerbliche Betriebsanlagen 825 Außenhandel, Regulierung 1201 Außenhandelsrecht, Lizenzpflicht 1253f Außenkompetenz 1104 –, konkurrierende 1109 Außenschutzbestimmungen 1276f, 1288ff, 1296ff, 1306f Außenwirtschaft, österreichische 1116 Außenwirtschaftsbeziehungen, Typologie 1128 Außenzuständigkeiten, Abgrenzung 1110 Ausstufungsverfahren, gefährlicher Abfall 913 Austro Control GmbH 410 Bananenfall 1125 Bankaufsicht, FMA 74ff Bankaufsichtsbehörde 69 Banken, ökonomische Funktion 46 Bankenaufsicht 46ff
–, Amtshaftung 79 –, Aufsichtsträgerschaft 68 –, Struktur– und Kontrollnormen 67ff –, Ziele 78 Bankenregulierung, Eckpfeiler 50 Bankensektor 403f Bankgeheimnis 101f Bankgeschäfte, Kernbereiche 61ff –, Legalkonzession 63f Banknotenmonopol 1186 Bankprüfer 100 Bankwesen, freie Verbände 59 –, sektorale Gliederung 56ff Basel II 89 Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht 86f BasisVO 584 Bauaufsicht, ökologische 964 Bauprodukt 547 BauprodukteRL (BPRL) 543, 545 Baurechtskompetenz 542, 980 Bausparkassengeschäft 55 Bauvereinigungen, gemeinnützige 402f Bedarf, UVP 845 Beihilfen, Agrarmarktrecht 1250 –, private Lagerhaltung 1284, 1293 Beiträge, Pensionskassen 181 Beleihung 373f Beliehene 373 Bepackungsverbot 289 Berg– und Kleinbauern 1215 Bergbauanlage, Abgrenzungsproblem 1035 –, Anwendungsbereich 1032 –, Bewilligungsvoraussetzungen 1040 –, Emissionen 1040 –, Genehmigungspflicht 1042 –, Genehmigungsvoraussetzungen 1042 –, Partei 1039 –, Schutzinteresse 1043 –, Tätigkeiten 1034 –, untertägige 1037 –, Verhandlung 1040 Bergbaubetriebe, WRG 1023 Bergwesen 1032 Berücksichtigungsverbot, Anlagen 950 Beschränkungen, mengenmäßige 1123 Bestandsübertragung, Versicherungsunternehmen 150 Bestimmungen, bautechnische 921
Sachverzeichnis Beteiligungen 320ff Beteiligungsfonds 55 Betriebsanlage, –, Einheit 804 –, ElWOG 1055 –, gewerbliche, Auflagen 826ff ––, Änderung 829 ––, Auflassung 832 ––, Begriff 802 ––, Genehmigungspflicht 829 ––, Genehmigungsverfahren 811ff, 813ff ––, Pflichten, 831 ––, Prüfungen, 831 ––, Rechtsverletzungen 833 ––, Sanierungskonzept 828 –, GewO 1014 –, Immissionen 804 Betriebsberatung, landwirtschaftliche 1251 Betriebsmittel, elektrische 533 Betriebspflicht, Versicherungskonzession 134 Betriebspläne, Änderungen, Bergbau 1038 Betriebsprämie 1273f, 1281f –, einheitliche 1248f –, entkoppelte 1210 Betriebstypus 835 Bewilligung –, Kriterien, WRG 998ff –, Pflicht ––, Leitungsanlagen 1056 ––, WRG, 995ff, 1005, 1015 ––, Zahlungsverkehr 1188, 1189 –, Verfahren, WRG 1025 Bewirtschaftung, Flussgebietseinheiten 987 Bilanzgruppen 385 Binnenmarkt, Produktwettbewerb 113 Biosphärenpark 957 Biotechnologie 633 Biozide 719 Biozid–Produkte 752ff, 756 –, Aufsichtsrecht 764 –, Geltungsbereich 755 –, neue Wirkstoffe 760 –, Verkehrsbeschränkungen 763 –, Zulassungsregelungen 756ff Biozid–Produkte–Verzeichnis 761 BIPM 435 Bodennutzung 1006
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Borrowing, EZG 1094 Börse 13ff –, Aufgaben 15 Börsenmitgliedschaft 24 Börsennotierung 29 –, ad–hoc–Publizität 32 –, anlassbezogene Publizität 32 –, Beendigung 37f –, Marktpflichten 31 –, Regelpublizität 32 –, Verhaltenspflichten 36f –, Zulassungsvoraussetzungen 30f Börserecht 103f Bruttobudget 300 Buchpreis 1330ff Budgetausschuss 297f Budgetbericht 309ff Budgetgrundsätze, Einheit 299 –, Einjährigkeit 298 –, Nonaffektation 292 –, Vollständigkeit 299 Budgethoheit des Nationalrats 288f Budgetprogramm 309ff Budgetprovisorien 295f Budgetrecht 288 Budgetüberschreitungen, Ausgaben 296 Budgetwahrheit 300 Bundesamt, Eich– und Vermessungswesen 438 Bundesbeschaffung GmbH (BBG) 377 Bundesfinanzgesetz 291 Bundeshaftung, Garantie 324 Bundesimmobilien 400ff Bundeskommunikationssenat 414 Bundeslenkungsausschuss 1364 Bundesrechnungsabschluss 327f Bundessstraßen 399f, 841 Burden–Sharing–Agreement, EZG 1072 Bürgerpartei, UVP 868 Cassis–de–Dijon–Doktrin 1139 CEIOPS 163 CEN 457, 462, 477, 479ff CEN Workshop Agreement (CWA) 463 CEN, Mitgliedschaft 474f CENELEC 457, 462, 477, 483f CGPM 435 Chemikalien –, Gesetz 717f
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Sachverzeichnis
–, Politik 713 Chemikalienrecht 695 –, Anmeldeerleichterungen 723 –, Anmeldesystem 721 –, Durchfuhr 742f –, Ein– und Ausfuhr –, Einstufung 724f –, Gebrauchsanweisung 735 –, gefährliche Eigenschaften 704 –, Grundprüfung 726 –, Grundsätze 700 –, Informationspflichten 731 –, Kennzeichnungspflicht 733 –, Prüfnachweise 750 –, Prüfstellen 749 –, Risikominimierung 702 –, Überwachung 750f –, Verkehrsbeschränkungen 738ff CIPM 435 Claw–back clause 1166 Clean Development Mechanism, CDM 1089 Compliance Codes 68 Cotonou–Abkommen 1131 CPSC 569 Cross Compliance 1210 Cross–pillar–mixity 1122 Daseinsvorsorge 359, 397 Deckungsstock, VAG 145 declared values, Messergebnisse 546 Deponien 929 –, Betriebsbewilligung 929 –, Einbringungszeitraum 930 –, Sicherstellung 930 Detailgenehmigungsverfahren 886 Detergens 727ff DevisenG 2004 1188 Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 358ff, 362f, 386, 390 Dienstleistungsfreiheit 49, 213 Directors’ Dealings 35 Direktverkauf, Milch 1299 Direktverkäufer 1300 Direktzahlungen 1269 Diskriminierungsverbot, GPA 1148 Doha Development Agenda (DDA) 1230 Drei–Ebenen–Vertrag 332 Dual–Use–Güter 1163
ECRA 1093 EG, Abkommen 1118 EGFL 1240 EG–Recht, Vorrang 1114 Eichbehörden 448f Eichpflicht 447f Eichung 444ff Eichzeichen 446 Eigenmittel, –, Bestandteile 91ff –, Kernkapital 91 –, Pensionskassen 175, 177 Eigenmittelerfordernis, Versicherungsunternehmen 147 Eigentümerbestimmungen, Kreditinstitute 84 Eigentumsgarantie, Entschädigung 956 Eigentumsordnung 355 Eignung, Beeinträchtigung der Schutzgüter 805 Einheitliche Europäische Akte 475 Einkaufszentren, gewerbliche Betriebsanlagen 821ff Einkommensbeihilfen 1247 Einlagensicherung 106ff Einwirkung –, projektgemäße 1006 –, projekttypische 1006 Eisenbahnbauten, WRG 1022 Eisenbahnverkehr 395ff Elektrizitätsmarkt 384 Elektrizitätswirtschaft 383ff –, Privatisierungsnovelle 383 Elektrotechnikgesetz 532ff –, Vollziehung 539 ElektrotechnikVO 535f ELER 1212, 1240 ElWOG 1051, 1054 EMAS–VO II 831 Embargomaßnahmen 1189 Emissionen –, Genehmigung 1080 –, Geschäft 62 –, gewerbliche Betriebsanlagen 820 –, HandelsRL 1072 –, Reduktionen, zertifizierte 1089 –, Reduktionseinheiten 1089 –, Zertifikate 1077ff ––, Vergabe 1090 ––, Zuteilungsplan 1086 Emittenten 25ff –, Verhandlungsmechanismus 25
Sachverzeichnis Energie–Control GmbH 416, 1355 Energie–Control Kommission 416 Energielenkung –, Erdgasversorgung 1354 –, Lastverteilung 1353 –, Lenkungsmaßnahmen 1350ff Energielenkungsbeirat 1356 Energieprogramm, internationales 1349 Energieträger, erneuerbare 1059 Enteignung, Fern– oder Verteilerleitungen 1064 Entledigungsabsicht, Abfall 911 Entscheidungskonzentration, WRG 1021 Entwässerungsanlagen 1019 Entwicklungsflächen, ökologische 957 EOTC 509 Erdgasleitungsanlagen 1062 Erdwärme, Anlagen 1016 Ersatzansprüche 662 Ersatzlebensräume, Naturschutz 964 Erzeuger– und Verbraucherpreise 1206 Espoo–Konvention 846 ESZB 405, 1158 Etalons, nationale 443 EU, Abkommen 1117 Eurocodes 549 Europäische Organisation für Prüfung und Zertifizierung 509f Europäische Zentralbank (EZB) 405, 1159 –, Leitlinien 1183 Europäisches Altstoffverzeichnis 746 Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 1995) 283ff Europapass 50, 81 Europapasstauglichkeit 19 Europaschutzgebiet 957, 964ff EXAA 1094 Exporte, landwirtschaftliche 1216 Exportsubventionen 1230 EZB s Europäische Zentralbank Fachassistenten, amtliche 600 Fachnormenausschüsse 471 Fertigwaren 718 FFH–RL 953 FFH–Schutzgebiet 953 Finanzausgleich 331 Finanzbericht 312
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Finanz–Holdinggesellschaft 65 Finanzierungsplan, Versicherungsunternehmen 158 Finanzinstitut 64ff Finanzkonglomerategesetz 119 Finanzmarktaufsicht (FMA) 416ff Finanzmarktaufsichtsbehörde 69, 118, 122, 162 Finanzorganisationen, internationale 1171f Finanzrahmen 329 Finanzschulden 322f Finanzsystem, Stabilität 1187 Finanzverfassung 300ff FKG 119 Fleischuntersucher 600 Flexibilisierungsklausel 298, 314f Flucht aus dem Budget 299 Fluggastdaten 1152ff FMA 69, 118, 122, 162 Foltergüter 1165 Fördermittel, Verbrauch 1261 Förderungsbericht 319 Förderungsfaktoren 1211 Formalparteien, UVP 881 Freihandelszonen 1129 Freilandschutz 955 Freizügigkeitsprinzip 199 Funktionsschutz, Pensionskassenaufsicht 187 FuttermittelG 611 GAP 1221 GAP–Reform 2003 1209, 1214 Garantiefonds 147 GASP 1161 Gaswirtschaft 388f Gaswirtschaftsgesetz (GWG), Anlagen 1061f GATS 1123 GATT 1123, 1225 Gebarungskontrolle 327, 339f, 344 Gebiete, schutzwürdige 947 Gebietsschutz, NaturschutzR 955 Gebrauchsgegenstände 593f Gefährdungen, gewerbliche Betriebsanlagen 817 Geldspielautomaten 264ff Geldwäsche 102, 119, 261, 269 Gemeinde, UVP 882 Gemeindehaushaltsrecht 340ff Gemeinden
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Sachverzeichnis
–, eigener Wirkungsbereich 353 –, selbstständiger Wirtschaftskörper 352 Gemeingebrauch 991 Gemeinschaftspolitiken, Außenwirtschaft 1145ff Gemeinschaftspräferenz 1239 Gemeinschaftsrecht 1230 –, mittelbarer Vollzug 1260f Genanalyse 681 –, Datenschutz 684 Genehmigung –, gewerbliche Betriebsanlagen 824 –, Konzentration, gewerbliche Betriebsanlagen 823 –, Kumulationen, WRG 1020 –, Pflichten, Versicherungsunternehmen 150 –, Verfahren ––, Abfallbehandlungsanlagen 923, 927 ––, konzentriertes 839 –, Vorbehalte, abfallrechtliche 921 Gentechnik 633 –, Bücher 678 –, Kommission 649 –, Register 665 –, Richtlinien 640 –, Vorsorgegesetze 675 Gentechnikrecht –, Anrainerinformation 646 –, Arbeiten im geschlossenen System 642 –, Bereitschaftsdienst 646 –, Förderzweck 637 –, Genehmigungsverfahren 645 –, genetische Analyse 678ff –, Kennzeichnung 671 –, Meldeverfahren 645f –, Notfallplan 646 –, Organismus 638 –, Risikogruppen 643 –, Schutzgüter 637 –, Sicherheitsmaßnahmen 644 –, Sicherheitsstufen 643 –, veränderte Produkte 663ff Gentherapie 685 –, Bewilligungspflicht 686f Gesamtrechtsnachfolger, Pensionskassen 190 Geschäfte, versicherungsfremde 134 Geschäftsbetrieb 155
Geschäftsbeziehungen mit Jugendlichen 105 Geschäftsplan, Pensionskassen 177 Gesundheitswesen 639, 983 –, Chemikalienrecht 708 Getreidewirtschaft 1204 Gewässer –, öffentliche 991 –, veränderte 987 –, Benutzung 994 –, Bewirtschaftung, Verbot der Verschlechterung 1011 –, schutz 1001f Gewässerschutzrecht –, drei Generationen 984 –, duales Konzept 984 –, integrativer Ansatz 985 Giftbezugsbewilligung 747f Gifte 745ff –, Liste 746 –, Register 748 –, Verkehr 749 Gleichbehandlungspflicht, VVaG 157 Gliedstaatenverträge 553 Glücksspiel, kleines 264ff Glücksspielmonopol 245ff, 420, 422 –, Ausspielung 254f –, Umfang 255 Government Procurement Agreement (GPA) 1147f GPA, EG–VergabeRL 1149f Grenzkataster 439 Großveranlagungen 95 Großverfahren –, gewerbliche Betriebsanlagen 813 –, UVP 869 Grundlagendokumente 545 Grundrechtsgebundenheit 373 Grundsatz der Gleichbehandlung 357 Grundsatzkontrollen, FMA 155 Grundwasser 986 Güter, doppelter Verwendungszweck 1113 GVO –, Anhörungsverfahren 654f –, Bewilligungspflicht 653f –, Kennzeichnung 653f –, Kennzeichnung 657 –, Schwellenwerte 671f –, Stufenprinzip 652
Sachverzeichnis Haftpflichtversicherungsnachweis 648, 656 Handelsliberalisierung 1218 Handelspolitik, gemeinsame (GHP) 1105 Handelssysteme, alternative 16 Haushaltsführung –, Gebarungsvollzug 325 –, Organe 307ff –, Organisation 305ff –, Verrechnung 326 –, Zahlungsverkehr 325 –, Ziele 304 Haushaltsjahr, Zufluss–Abflussprinzip 305 Haushaltsrecht –, Bundesvermögen 293 –, Finanzschulden 293 –, Haftungen 293 –, Konjunkturausgleichvoranschlag 294 Haushaltsrücklagen 318 Havanna–Charter 1225 Herkunftslandprinzip 582 Herstellerverantwortlichkeit, Chemikalienrecht 700 Hormonfall 1125 Hypothekenbankgeschäft 56 IAIS 164 IEC 465 Immission, UVP 877 Immissionen, gewerbliche Betriebsanlagen 817 Immissionsschutz, Naturschutz 961 Importe, China 1136 Indienstnahme 75 Informationspflichten, Versicherungsnehmer 129 Infrastruktursektoren 382 Inhaber, Betriebsanlage 810 In–house–Vergabe 377ff Inkasso– und Verteilungsfunktion 208 Inländergleichbehandlung, GATS 1124 Insolvenzrecht, internationales 119 Instrumentarium, WRG 990 Interesse, öffentliches 807 Interessen, öffentliche, WRG 992 Interessenabwägung –, Alternativenprüfung 963 –, Naturschutz 961, 963
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Interessensschutz, Pensionskassenaufsicht 187 International Association of Insurance Supervisors 164 Internationales Einheitensystem (SI) 442 Internet–Glücksspiel 262f Inter–Organ–Kontrolle, staatliche 122 Intervention 1244ff, 1274f –, Käufe 1201 –, Preis 1242 Inverkehrbringen, Bauprodukte 544 IPPC–Abfallbehandlungsanlagen –, Genehmigung 935, 936 –, Öffentlichkeit 936f IPPC–Anlagen 831 IPPC–Behandlungsanlagen 935 IPPC–RL, Bergbauanlage 1036, 1046 IRB–Ansatz 90 ISO 464 ITU 465 Joint Implementation, JI 1089 Jugendschutzbestimmungen, Tabakrecht 616, 629 Kalibrierung, Begriff 505 Kanalisationsanlagen 1008 Kapitalanlagegesellschaften 54f Kapitalbewegungen 1189 Kapitalmarkt 9f –, Aufsicht 40f –, Börsen 12 –, Finanzintermediären 9f –, geregelter Markt 12f –, Marktöffnung 13 –, Marktteilnehmer 11f –, Recht 10f –, Segmente 12 Kapitalverkehrsfreiheit 49 Katastralgemeinden 439 Keimbahnmutation 681 Keimbahntherapie 685f Kleinverkaufshöchstpreis 626 Kleinwasserkraftwerke 1060 Kollektivversicherung, betriebliche 120 KommAustria –, Medienbehörde 413 –, Verwertungsgesellschaften 238 Kompetenz, sukzessive 659 Kompetenzdeckungsklauseln 1344 Konformität
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Sachverzeichnis
–, Bescheinigung 531 –, Bewertung 508 –, Erklärung 531, 551 –, Nachweis 493f –, Zeichen 531 Konsultationsgremium 333 Konsultationsmechanismus 301, 332ff Kontrahierungszwang 25, 206 Kontrollstellen, private 601 Konvergenzkriterien 278 Konzentrationsbestimmungen, Bergbauanlage 1042 Konzentrationswirkung, Abfallbehandlungsanlagen 919 Konzession –, Ausspielungen 256ff –, Erteilungsvoraussetzungen 80ff –, Inhaber, RohrleitungsG 1067 –, Versicherungszwang 134 –, Zwang 133 Korrespondenzverträge 132 Kosmetische Mittel 594f Kostendeckung, Pensionskassen 184 Kostentragungsgrundsatz 301 Kostenwahrheit, WRRL 987 Kraftfahrlinienverkehr 397 Kraftfahrzeughaftpflicht–RL 126 Kraft–Wärme–Koppelung 1060 Kreditgeschäfte 1186 Kreditinstitut 61ff –, Aufsicht 1187 –, Bewilligungstatbestände 85f –, Bilanzphilosophie 98 –, Binnenorganisation 82f –, Eigenmittel 86ff –, Geschäftsaufsicht 109 –, interne Revision 83f –, Konkursverfahren 110 –, Liquidität 86ff, 91ff –, Prüfungswesen 99 –, Rechnungslegung 97ff –, Ruhen der Stimmrechte 85 –, Solvabilität 86ff –, Sparkassen 53f –, Verbraucherbestimmungen 105 –, Verhaltenspflichten 101ff Kreditinstitutgruppe 65 Kreditinstitutskonzession 79ff Kreditrisiko–Standardansatz 90 Kreditübertragung 342 Krisenbewirtschaftung 1362 Kumulationsprinzip 980
Kursmanipulation 23 Kyoto–Protokoll 802, 1071 –, Abfallbehandlungsanlagen 902 Landeshaushalte 337 Landes–Hypothekenbanken 403 Landeslenkungsausschüsse 1364 Landesstraßenrecht, Wasserrecht 982 Landesvoranschlag 338f Landschaftsschutz 947, 955, 982 Landschaftsschutzgebiet 956 Landschaftsteil, geschützter 957 Landwirtschaft 1207 –, Globalisierung 1218 –, Interventionssektor 1213 –, Produktionswert 1217 Lebensmittel 585ff –, Bewirtschaftung 1202 –, Chemikalienrecht 720 –, diätetische 590f –, Eigenkontrolle 593 –, Hygiene 591f –, Rückverfolgbarkeit 593 –, Verbot 585ff Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz 1204 Lebensmittelbuch, Österreichisches 606f LebensmittelhygieneVO 584 LebensmittelkennzeichnungsVO 596 Lebensmittelrecht –, Betriebsschließungen 602 –, Notfallplan 601 –, Warnungen 603 Lebensmittelsicherheitsgesetz 579 Lebensmittelstrafrecht 607ff Legalitätsprinzip 373 –, VAG 115 Leistungsprivatisierung 375 Leitlinien, Erstellung 549 Leitungsanlagen, Bewilligungspflicht 1057 LIBERTAD 1165 Linking Directive 1072 LMSVG 579 Maastricht–Kriterien 279, 336 MacSharry–Plan 1209 mandatory bid 39 Mansholt–Plant 1208f MarkscheideVO 441f
Sachverzeichnis Markt –, freier 1197 –, wirtschaftswissenschaftlich 1196 Marktaufsichtsbehörde 563f, 565ff Marktmissbrauchsaufsicht 217, 234ff Marktöffnung 385 Marktordnung 1197f –, Einkommenssicherung 1213 –, gemeinsame 1223f Marktordnungsgesetz 1205f, 1220 Marktorganisation, gemeinsame 1220, 1222 ––, Getreide 1271ff ––, Intrumente 1242ff ––, Milch und Milcherzeugnisse 1289ff ––, Olivenöl u. Tafeloliven 1302ff ––, Rindfleisch 1279ff Marktpreisniveau 1244 Marktprinzip 1239 Marktwirtschaft, offene 355 Maß– und Eichgesetz (MEG) 434ff, 442ff Meistbegünstigung, WTO 1124 Meldepflicht –, Devisentransaktionen 1188 –, WRG 1015 Milchwirtschaft 1204 Mindestschutzniveau 559 Mindestvertrag, Pensionskassen ––, Ausschluss 177 ––, Mindestertragsrücklage 176f Mindestverzinsung, Pensionskassen 175 Monatsvoranschlag 312 Monitoring 647 Monopolstellung, Verwertungsgesellschaften 212 Monopolwesen 420ff Nachbarn –, gewerbliche Betriebsanlagen 827 –, UVP 881 Nachbarschaftspolitik, europäische 1131 Nachbarschutz, gewerbliche Betriebsanlagen 806f Nährstandsgesetzgebung 1203 Nationalparks 957 Natura 2000 –, Erhaltungsmaßnahmen 953 –, Störungsverbot 954
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–, Verschlechterungsverbot 954 –, Verträglichkeitsprüfung 954 –, Wirkung 970 Natura 2000–Netz 953 Naturdenkmal 958 Naturhöhlen 958 Naturräume 957 Naturschutz 982 –, Abgabe 973 –, Anzeigepflichten 958f –, Bewilligungspflichten 958ff Naturschutzgebiet 956 Naturschutzinteressen, Beeinträchtigung 960f Naturschutzrecht –, Bewilligungstypus 955 –, Genehmigungskriterien 955 –, Schutzintensität 955 Netzinfrastruktur 1054 Netzzugang, geregelt 389 Nichtraucherschutz 628f Niederlassungsfreiheit 49 NiederspannungsRL 530 Nomenklatur, kombinierte 1133 Norm, internationale 464 Normen 457ff –, Erstellung 549 –, europäische 460ff –, harmonisierte 531 –, Kontrollverfahren 489 –, Prüfstelle 489 NormenG 466ff Normkonkretisierungsverfahren 476 Normung –, europäische 475ff –, nationale 466ff –, Probleme 497ff –, technische 530 Normungsinstitut, österreichisches (ON) 469ff Normungsorganisation –, europäische 457 –, internationale 464, 465 Normungsverfahren 472 –, Ablauf 484 Notenbankautonomie 405 ÖBB 397 Oberflächengewässer 986 OeNB s Österreichische Nationalbank Offenmarktgeschäfte 1186 Öffentliche Unternehmen 350
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Sachverzeichnis
–, Eigenbetrieb 368 –, Einteilung 367ff –, Gewinnerzielung 371 –, marktbeherrschende Stellung 357 –, Missbrauchsverbot 357 –, privilegierte Unternehmen 356 –, Regiebetriebe 368 –, Unternehmensbegriff 364ff –, Versorgungsleistungen 370 –, Verwaltungstätigkeiten 371 –, Wirtschaftspolitik 371 Öffentlichkeit, UVP 839 Öffentlichkeitsbeteilung, UVP 848 OIB 554 ÖkoBGV 1059 Ökostrom 1055 Ökostromanlagen 1059 ÖkostromG (ÖSG) 1058 ÖLMB 606f ÖNORM 458f –, Erstellung 471 ONRegel (ONR) 459 Open Skies–Abkommen 1150ff Opt–in, EZG 1079 Organismen, gentechnisch verändert 650 Originalkennzeichnung, Pflanzenschutzmittel 770 Österreichische Industrieholding Aktiengesellschaft (ÖIAG) 407f Österreichische Nationalbank (OeNB) 403, 405ff, 1184 –, Bankaufsicht 74 Österreichische Post AG 391 Österreichische Staatsdruckerei 408f Österreichischer Rundfunk (ORF) 393ff Österreichischer Stabilitätspakt 334ff ÖVE 528 Partei, Spielbank 260 Parteistellung –, Abfallbehandlungsanlagen 941 –, WRG 1024f Pensionskassegeschäft, grenzüberschreitend 174 Pensionskassen 131 –, Auflösung 190ff –, Aufsicht 187f –, Beiträge, Arbeitgeber 182 –, betriebliche 173f –, Betriebsvereinbarung 170
–, Deckungslücken, s Nachschusspflicht –, Konto 173 –, Konzession 174f –, Nachschusspflicht ––, beschränkte 172f ––, unbeschränkte 172f –, Rechtsform 173f –, überbetriebliche 173f –, Versorgung, Rechtsunwirksamkeit 170 –, Vertrag, Auflösung 188ff Pensionskassenvertrag –, Beitragsanpassung 171 –, Leistungsanpassung 171 –, Nichtigkeit 169 Pensionskassenzusagen –, beitragsorientiert 171 –, leistungsorientiert 171 Personennahverkehr, öffentlicher (ÖPNV) 397 Pestizide, Regulierung 751 Pflanzenschutz 947 Pflanzenschutzmittel 766ff –, Aufsichtsrecht 780ff –, Kennzeichnungspflicht 773f –, Verwendung 777ff –, Werbebeschränkungen 775 Pflichtnotstandsreserve 1349, 1358ff Polymere 718 Position, marktbeherrschende, Missbräuche 1314, 1316 Post– und Telegraphenverwaltung (PTV) 411 Präferenzsystem 1131 Präklusionswirkung, UVP 869 Prämien 1284ff Preis –, geforderter 1326 –, gerechtfertigter, volkswirtschaftlich 1319 Preisentwicklung 1326 Preisfestsetzung –, Arzneimittel 1315 –, Erdöl 1325 –, Marktstörungen 1322ff –, Versorgungsstörung 1316ff Preisgesetz 1992 1314ff Preispolitik –, gerechtfertigte 1325 –, ungerechtfertigte 1323 Preisstabilität 1185
Sachverzeichnis Privatgewässer 991 Privatisierung 374ff, 379 Privatisierungsmanagement 407 Privatstiftung 120 Privatwirtschaftsverwaltung 302, 307 Produkte –, gentechnisch verändert 1140 –, normkonforme 550f –, ProduktsicherheitsR 560 –, Sicherheit 564 Produktsicherheitsgesetz 560 Produktsicherheitsnotfälle 569 ProduktsicherheitsRL 560 Prospekt 26ff Prospekthaftung 28 Prüfung –, Begriff 504 –, integrative UVP 839 Prüfungseinrichtung, EZG 1084 Prüfwesen, Konzept 506 public tender 39 Publikumsprodukte 737 QualitätsklassenG 610 Qualitätsvorschriften 1246 Quasi–In–house–Vergabe 378ff Querschnittmaterie 1343 –, Agrarrecht 1219 Quersubventionierungen 364 Quoten, Importbeschränkungen 1135 Quotenregelung, Milchsektor 1297f Quotensysteme 1247 RAPEX 566, 569 Rauchen, Prävention 622 Rauchverbot 628f Raumordnung, gewerbliche Betriebsanlagen 834 Raumordnungsrecht 982 REACH 713 –, Bewertung 715 –, Registrierung 714 –, Substitution 716 –, Zulassung 715 Rechnungsabschluss 339, 344 Rechte, subjektive , WRG 993 Referenzmenge 1299, 1301f –, Milcherzeugnisse 1298f Regelungen, schutzgebietsbezogene 953 Regelungsansatz, WRG 989 Regulierungsbehörden 382, 409
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Regulierungswasserbauten 1019 Richtpreis 1242 RohrleitungsG 1066ff Rückversicherung 131 RückversicherungsRL 127 Rundfunk 393ff Rundfunk und Telekom Regulierungs– GmbH (RTR–GmbH) 413 Sanierungsplan, Versicherungsunternehmen 158 SatellitenRL, Verwertungsgesellschaften 198 Schienen–Control GmbH 414 Schienen–Control Kommission 415 Schulmilchbeihilfe 1294 Schusswaffen 789 Schutzgebiete 987 Schutzklauseln 1113 –, Verfahren 478, 496 Schutzwasserbauten 1019 Schwankungsrückstellungen, negative 172, 179 Schwellenwert, EZG 1078 Sektor Staat 284ff Sektorenbereich 381 Sektor–Haftungsverbund 66 Selbstkontrolle, Chemikalienrecht 701 Selbstversorgung, Sicherung 1199 Seveso II–RL 802 Sicherheit –, Auflagen, GVO 658 –, Datenblatt, Chemikalien 736 –, Dokumentation 673 –, Vorschriften, elektrotechnische 534f Sicherstellung der Versorgung 1236 Signaturen, elektronische 525f Single–licence–Prinzip 127 Sitztheorie 51 Societas Europaea 119 Solo–plus–Aufsicht 118 Solvabilitätsplan, Versicherungsunternehmen 158 Solvency 130 Sondermasse, Versicherte 145 Sorgfaltspflicht –, wasserrechtliche 1003 –, GVO 657 Sparkassen 53f Spartentrennung –, beschränkte 135 –, Verwertungsgesellschaften 217
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Sachverzeichnis
Spiegelgremium 471, 474 Spielgeheimnis 263 SPS 1123 Staatsaufsicht, materielle 113, 133 Staatskommissär 72 Staatsmonopol 350, 409, 420 Stabilisierungs– und Assoziierungsabkommen (SAA) 1131 Stabilitäts– und Konvergenzprogramme 281f Stabilitäts– und Wachstumspakt 279, 280ff Stabilitätsbeiträge 335f Stellenplan 316 Stillhalteverpflichtung 491 Stimmrechtsschwellen 34 Stoffe 718 –, wassergefährdende 1015 StrahlenschutzG 609 Stresa, Konferenz 1208 Stromerzeugungsanlagen 1056f Subvention 1143 Subventionen –, Agrarmarktrecht 1201 –, produktionsabhängige 1229 Subventionsmittler 319 Suchtmittel 719 System der provisorischen Zwölftel 295 Tabakerzeugnisse –, Abgabe 627 –, Inhaltsstoffe 624 –, Packungen 623 –, Proben 625 –, Werbung 626 Tabakgesetz 622 Tabakkonsum 614 –, Eindämmung 622 –, Verringerung 615 Tabakmonopol 422ff Tabakprodukte, Aufmachung 614 Tabakrahmenübereinkommen, WHO 618, 626 Tabakrecht –, Sponsoring 621 –, Warnhinweise 623 TabakRL 616ff, 619, 620 TabakwerbeRL 616ff, 619, 621, 626 Tarifizierung 1254f Tätigkeit, gewerbliche 803 TBT 1123
Technical Reports 463 Technische Zulassungen, europäische 462 Telekom Austria AG 392 Telekom–Control Kommission 414 Telekommunikation 391ff Tenside 728ff Territorialitätsprinzip 206 Tiere, transgene 649f TiermehlG 610 Tierschutz 947 Tierversuchsergebnisse 771 Transparenzgebote 105 TransparenzRL 363f TrassenVOen 884 Treibhausgasemissionszertifikate 1077 Trennungsgrundsatz 306 Trinkwasserbericht 603 TRIPS 1123 Trockenbaggerung 1016 Typisierung, Elektrotechnikrecht 533 Übereinkommen –, Berner 952 –, biologische Vielfalt 952 –, Ramsar 952 Übernahmerecht 33, 38ff Überschusserzeugung 1246 Überschussproduktion, Bekämpfung 1256ff Übertragungsnetze 385 Überwachung, Begriff 505 Umfrage, CEN/CENELEC 487f Umwelt –, Auswirkungen 870 –, Beeinträchtigungen 662 –, HaftungsRL 660 –, Normung 500ff Umweltanwalt –, Naturschutz 971 –, UVP 882 Umweltverträglichkeitserklärung (UVE) 867 Umweltverträglichkeitsgutachten (UVG) 869, 886 Umweltverträglichkeitsprüfung, –, s auch UVP 843 –, strategische, SUP 847 Unabhängiger Umweltsenat 876 UNESCO–Übereinkommen 953 Universalbankprinzip 64 Universaldienste 391
Sachverzeichnis UN–Sicherheitsrat–Resolutionen 1161 Unterlassungsanspruch 662 Unternehmen –, gemischt–öffentliche 380 –, gemischtwirtschaftliche 379 –, öffentliche s Öffentliche Unternehmen Unverträglichkeit, soziale 673 Urheberrecht, Verwertungsgesellschaften 200 Uruguay Runde 1226 UVG, öffentliche Einsicht 870 UVP –, Abnahmebescheid 875 –, Änderungstatbestände 859 –, autonome Genehmigungspflicht 854 –, Bundesstrassen 841, 844 –, Detailgenehmigungsvorbehalt 872 –, Einzelfallprüfung 859 –, Entscheidungsfrist 864, 868 –, Ergebnisse 839 –, Genehmigungskriterien 887 –, Grundsatzgenehmigung 872 –, Hochleistungsstrecken 841, 844 –, Mediationsverfahren 873 –, Mindestschwelle 858 –, Nichtigerklärung 854 –, Parteistellung 864, 879ff –, Projekte 852 –, Projektklassen 858 –, Schwellenwert 860 –, scoping 866 –, Sperrwirkung 854 –, Stückelung 860 –, Überwachung 875 –, Umweltorganisation 841, 869, 885 –, Vereinheitlichung 843 –, Verfahren 842, 847 –, Verfahrensabwicklung 842 –, Verordnungsermächtigung 889 –, Versuchsbetriebe 855 –, Vorarbeiten 855 –, Vorhaben 856 –, Zeitplan 868 UVP–ÄnderRL 847, 848, 888 UVP–Dokumentation 842 UVP–G–Novelle –, 2000 841 –, 2004 841 –, 2005 842 UVP–Pflicht –, Antragslegitimierung 863
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–, Einzelfallprüfung 863 –, kumulative Wirkung 849 UVP–Verfahren 865 –, schutzwürdige Gebiete 856 –, vereinfachte 856 VAG–Novelle 116ff –, Jahreszahl 116 Veranlagungskosten, Pensionskassen 184ff Veranlagungspolitik, schriftliche Erklärung 180 Verbraucher –, Girokontovertrag 105 –, Kreditverträge 105 –, Schutzgesetz 579 Verfahren, anlagenrechtliche, Bergbau 1038 Verfahrenskonzentration, WRG 1021 Verfassung für Europa 1172ff Verkehrsbeschränkungen, Chemikalien 744 Verluste, versicherungstechnische 172 Vermarktungsbeihilfen 1294 Vermarktungsnormen, Olivenöl 1305 Vermessungsrecht 433ff VermessungsVO 1994 441 Vermögens– und Schuldengebarung 343f Vermögensprivatisierung 375f Verpackungsvorschriften, Chemikalien 737f Verpflichtungen, gemeinwirtschaftliche 386 Verschlechterungsverbot 986 Versicherung –, Gruppe 114, 118 –, Regulativ 1880 114 –, Schutz 120 –, Unternehmen ––, inländische 130 ––, Kontrollverfahren 144 ––, Revision 143 ––, Risikomanagement 144 –, Vereine 131 –, Vermittler 114 –, Wirtschaft, Funktionsfähigkeit 121 Versicherungsaufsicht –, Amtshaftung 121 –, Funktion 120ff –, Kontrolle 113 –, Ziel 120ff
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Sachverzeichnis
Versicherungsaufsichtsrecht –, Informationsprinzip 128 –, Produktkontrolle 128 Versorgung –, Bevölkerung 1206 –, Gemeinschaft 1278 –, Pflicht 387 Versteinerungsargumentation 507 Versteinerungsprinzip, Wasserrecht 979 Versteinerungstheorie 200, 706 Versuchsbetrieb, gewerbliche Betriebsanlagen 815 Verteilernetze 385 Vertrag von Maastricht 1111 Vertrag von Nizza 1127 Verträglichkeitsprüfung –, FFH–Gebiet 966 –, Vogelschutz 966 Vertragsversicherungswesen 123 Verwaltungs– und Kontrollsystem (INVEKOS) 1267ff Verwaltungskosten, Pensionskassen 183 Verwaltungsschulden 323 Verwertungsgesellschaften –, Aufsicht 224f –, Aufsichtsmittel 225f –, Aufsichtspflicht 225 –, Begriff 204ff –, Betriebsgenehmigung 234f –, Clearingstelle 205 –, Effizienzaufsicht 230 –, Einparteienverfahren 222 –, Finanzierung der Aufsicht 235ff –, Gefahrenabwehr 232f –, Gegenseitigkeitsverträge 207 –, Gesamtverträge 207 –, Geschäftsführung 220f –, grenzüberschreitende Lizenzierung 209 –, große Rechte 196 –, Grundsatzkontrolle 232f –, ideeller Zweck 220 –, kleine Rechte 196 –, Kontrollfunktion 208 –, Marktmissbrauchsaufsicht 234ff –, Mediator 230 –, Mitteilungspflichten 227 –, periodische Prüfpflicht 224f –, Präsenzpflicht 221f –, Regulierungsfunktion 230
–, Schlichtungsausschuss 230 –, Sitz 221 –, Sitzungsteilnahme 227 –, Sozialfunktion 208 –, Spartenkonzession 222 –, Staatsaufsicht 215ff –, Staatskommissäre 196 –, Transparenz 228 –, Überblick 211 –, Urheberrechtssenat 238ff –, Warnpflicht 229 –, Zulassungskriterien 218ff –, Zusammenschlusskontrolle 230 Verwertungsrecht 199 Viehwirtschaftsgesetz 1204 Vogelschutzgebiet 953 VogelschutzRL 953 Vollliberalisierung 385 Voranschlag –, Ansätze 315 –, Gliederung 315 –, Posten 315 Vorbelastungen 317 Vorhaben, UVP Vorhabenstypen, UVP–pflichtige 839 Vornormen, europäische 462 Vorratshaltung, öffentliche 1201 Vorsorgeprinzip 584 –, Chemikalienrecht 700 Waffen –, Begriff 788 –, Besitzkarte 790 –, Pass 790 Währungspolitik 1158 –, Ziele 1185 Währungsreserve 1183 Währungsunion 1129 Waren –, Handel, Tarifisierung 1123 –, Pass 496 –, Ursprungsregeln 1134 Warenverkehr –, nationale Einschränkungen 582 Warenverkehrsfreiheit 581ff, 604 Wärmenutzung, Anlagen 1016 Wasch– und Reinigungsmittel 726ff Wasser –, Qualität 1002 –, Bauten 981 –, Benutzung 994 –, Gefährdung 1016
Sachverzeichnis WasserrahmenRL 983 WeinG 609 Weltmarkt, Preise 1278 Werbebeschränkungen, Chemikalien 745 Wertpapierdienstleistungen 108 Wertpapierdienstleistungsunternehmen 16ff –, Konzessionsvoraussetzungen 18f Wertpapierhandel, Meldepflichten 21f Wertpapierhändler 71 Wertstellungsvorschriften 105 Wettbewerbsordnung 357 Wettbewerbsregeln, Abfallwirtschaft 905 Wetten –, Bücher 268 –, Gebühren 258f –, Recht 267f Widmungsdistricte 1201 Wiederherstellungsauftrag, Naturschutz 972 Wirtschafts– und Währungsunion 278 Wirtschaft –, Blöcke 1232 –, Lenkung 1310, 1342 –, Organisationen, internationale 1167ff –, Sanktion 1161 –, Stellen 309 Wohlverhaltensregeln 22ff, 52 –, Rücktrittsrecht 24 Wohnbauten 835 WRG –, Aufsicht 1028 –, Detailbewilligung 1027 –, Parteistellung 1024f –, Strafen 1029 WTO–Abkommen 1121, 1218, 1226 WTO–Agrarordnung 1227ff Zahlstellen 309 Zahlungsmittel, gesetzliche 1182 Zahlungssysteme 1187 Zentralbank –, europäische 1183 –, nationale 1183 Zertifizierung –, Begriff 505 –, Konzept 506 –, Produkte 495f –, Prüf– und Überwachungsstellen 514
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Zertifizierungsverfahren 514 Zollabgaben 1254f Zölle 1288 Zollkontingente 1254f Zolltarif, gemeinsamer (GZT) 1133 Zollunion 1129 Zoonosegesetz 610 Zubereitungen 718 Zukunftsvorsorge, prämienbegünstigte 119 Zulassung, europäische technische 551f Zuteilungsbescheid 1086 ZuteilungsVO 1086