KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND K U L T U R K U N D L I C H E HEFTE
P E T E R VAN B L Ä T T...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND K U L T U R K U N D L I C H E HEFTE
P E T E R VAN B L Ä T T J E N
BEI BANTU UND BUSCHMÄNNERN IN DER
DER
WILDNIS
AFRIKANISCHEN
VERLAG
SEBASTIAN
STEPPE
LUX
MURNAU • MÜNCHE N -INNSBRUCK
BASEL
Nur Buschmänner leben hier .. . L / e r afrikanische Tag folgt fast ohne Übergang der Nacht. Als wir beim Schein der Taschenlampen die Ausrüstung und die Zelte in den Fahrzeugen verstauten — es war eine harte Arbeit, da kein genauer Beladeplan vorhanden war —, schien der junge Morgen noch stundenweit entfernt zu sein. Nur die Tierwelt verriet die wahre Tageszeit. Ich zerrte gerade an einer Zeltleinwand herum, als der Tag anbrach. Ein zartes Zitronengrün streifte den dunklen Horizont, sprang schnell empor, drang in das letzte kalte Violett der Nacht und verlöschte die Sterne. Ein grünliches Gelb überstrahlte alle Farben und wurde mit einem Schlag zum reinen Licht. Aus den schwarzen Umrissen wurden Bäume. Dünn und golden erschien die erste Sonnenscheibe am scharf abgegrenzten Horizont der baumlosen südostafrikanischen Grassteppe, des „Velds". Ein erster Strahl traf unseren Wagen. Im gleichen Augenblick war es heller Tag geworden. Mit ihm kam auch die Hitze. Termiten hatten große Erdbauten aufgeworfen, manche meterhoch, und diese Termitenhügel reichten, so weit das Auge sah, in fast regelmäßigen Abständen über die Ebene hin. Dazwischen Gra2
nitmeere, Felsblöcke in den absonderlichsten Formen und Aufbauten. Wir kamen in ein fast völlig verlassenes Gebiet. Die Trockenheit ist hier so groß, daß selbst die armseligsten Farmer diese Gegend meiden. Für den Eingeborenen ist diese Gegend unheimlich, weil er die Geister seiner Vorfahren fürchtet. Nur kleinwüchsige Buschmänner leben hier und jagen mit Bogen und vergiftetem Steinspitzpfeil in der Trockensteppe, seitdem sie vor vielhundert Jahren von vordringenden Bantunegern aus ihren angestammten Waldlandschaften im Innern verdrängt worden sind. Die geringe Körpergröße der Buschmänner, die sich nur wenig von jener der Pygmäen unterscheidet, die gelbe oder rotbraune Hautfarbe und nicht zuletzt auch gewisse Ähnlichkeiten in der Lebens- und Denkweise lassen die Pygmäen Innerafrikas und die südafrikanischen Buschmänner verwandt erscheinen. Auch heute vertreten noch bedeutende Völkerkundler diese Ansicht. Die am meisten geübte Jagd der Buschmänner ist die Pirsch- oder Treibjagd. Dabei wird das Wild buchstäblich zu Tode gehetzt. Audi stecken die Buschmänner gerne ihre vergifteten Pfeile in das Nest der Strauße und verletzen so den brütenden Vogel tödlich. Giftpfeile spielen überhaupt eine große Rolle bei diesen zwerghaften Menschen. Praktische Arbeiten verrichten die Frauen. Sie bauen die primitiven Windschirme und die kuppeiförmigen Grashütten, graben Wurzeln und Knollen aus, die eine wertvolle Zusatzkost bilden. Die alte Kultur dieses im Aussterben begriffenen Stammes hat mich in diese Gegend getrieben: Ein ungeheuer großes Kunstgebiet von Felszeichnungen und Felsmalereien breitet sich von Kapstadt bis nördlich zum Sambesi, von den Randbergen in Südwestafrika bis zur Ostgrenze von Südrhodesien aus. Forscher aus älterer Zeit haben noch Buschmänner bei ihrer Kunstarbeit in den Höhlen angetroffen, aber inzwischen ist erwiesen, daß sich auch eine vorbuschmännische Bevölkerung dieser Kunst bedient hat, so daß die Buschmänner nur als Erben einer vergangenen großen Kunstepoche erscheinen. Die Buschmänner waren bei ihrer ersten Berührung mit Europäern noch richtige Steinzeitmenschen. Wohnhöhlen waren Schutz und 3
Heim. Wohlverborgen, dem Bild der Umgebung angepaßt, mit Strauchwerk getarnt, dienten sie dem Buschmann als Ruheort. Die steinernen Wände seiner nächsten Umgebung waren willkommen, um in mühevoller Arbeit kleine Szenen des Alltags oder große Jagdereignisse im Bild festzuhalten. Sie legen Zeugnis ab von einem hohen, künstlerischen Ausdrucksvermögen und erzählen uns die Geschichte eines aussterbenden Volkes.
Fahrt zu den Bilderhöhlen Es waren noch zwei Flaschen Bier übrig, und wir leerten sie. Wir tranken auf den Erfolg unserer kleinen Expedition. Nach einer Fahrtstunde machte das Land keinen Eindruck mehr auf mich. Heiß prallte die Sonne auf den Wagen. Alles, was vor der Scheibe lag, begann zu flimmern. Außerdem machte sich ein quälender Durst bemerkbar. Aber wir hatten beschlossen, mit dem vorhandenen Wasser eisern zu sparen. Je mehr man in diesem Klima trinkt, desto durstiger wird man. Ein Stück Kaugummi tut da Wunder. Die Landschaft beachtete ich kaum; ich empfand sie lediglich in den einzelnen Schwierigkeitsgraden als ein angenehmes oder unangenehmes Stück Erdoberfläche, über das ich den Wagen fortzubewegen hatte. Wir kämpften uns durch Rauhgras, stahlhartes Bodengestrüpp und sandverwehte Wegstrecken. Ein leichter Wind bewarf uns mit scharfem Staub. Das Thermometer im Wagen kletterte, und dem ersten Kaugummi war schon lange ein zweiter und dritter gefolgt. Nach einigen Stunden war meine Begeisterung am absteigenden Ast, und ich stoppte und befahl eine Rast, nur um zu beraten, wie weit wir noch in dieses unendliche Gebiet hineinfahren wollten. Die schwarzen Boys verstanden zwar kein Wort, spürten aber sehr wohl, um was es ging, sie ahnten meine Freudlosigkeit, denn sie konnten sich nicht genugtun in eifrig geplapperten Behauptungen, daß hier Geister leben, die eines entsetzlichen Zornes fähig seien, wenn man sie in ihrer Ruhe stört. Aber unser Führer war ein harter Bursche, der für ein Pfund sämtliche Geister Südafrikas verkauft hätte. Sein ganzes Leben war 4
In wenigen zügigen Strichen hat der Buschmann-Künstler von einst Charakter und Bewegung der Tiere in den Fels geritzt.
danach angetan, um ihn hart zu machen. Er war ein Jäger und Pfadfinder, der am Erlegen des gefährlichen Wildes die größte Freude empfand. Er kannte das Veld wie seine Hosentasche. Er war es, der uns eine Buschmannhöhle zeigen wollte, deren Felsbilder bei ihrer Entdeckung ein weltweites Aufsehen erregt hatten. Sie liege hinter der nächsten Buschgruppe, nur noch ein paar Minuten weg, sagte er. Ich fuhr noch zwei Stunden, und die gleiche Behauptung über die noch vor uns liegende Strecke wurde wiederholt. Diesmal entschloß ich mich, unserem Vordringen ein sichtbares Ziel zu setzen. Unser Pfadfinder zeigte auf eine Felsgruppe, die knapp über den Horizont schaute. So weit und nicht weiter! Kaum waren wir in der Nähe, wurden unsere Boys sichtlich nervös. Immer wieder tuschelten sie miteinander, und alle ihre Bewegungen zeigten deutliche Anzeichen von Furcht. Für mich war das ein Beweis, daß wir wirklich sehr nahe dem Ziel sein mußten. Mein Pfadfinder führte mich an den Felsen heran. Mächtig ragte er aus dem braunverbrannten Buschgras empor, glatt, mit einer abgerundeten Kuppe. Aber es war nicht ein einzelner Felsen. Eine ganze Gruppe türmte sich auf. Bizarr in der Form, festgefügt für Jahrtausende. Die Stille war vollkommen. Ein dichter Busch behinderte unseren Weg. Voll von europäischer Unvernunft eilte ich dem Anführer voraus, drängte mich durch das harte Gebüsch und verharrte plötzlich mitten im Schritt. Lautlos, boshaft, abscheulich hatte sich ein flacher Kopf genau vor mir erhoben. Eine gespaltene Zunge rutschte eifrig hin und her. Zwei lidlose, kalte, ausdruckslose Augen starrten mich an. War diese Bakkop-Schlange Hüterin dieses jahrtausendealten Buschmanntempels? Auf meiner Stirne bildeten sich Schweißperlen. Was würde geschehen, wenn durch die Geräusche meines nachfolgenden Führers aufgeschreckt, die Schlange zum Angriff überginge? Ihr Biß ist lebensgefährlich. In meinen Augenwinkeln begann der Schweiß unangenehm zu brennen, aber ich wagte keine Bewegung. 6
Die Schlange züngelte heftiger. Irgend etwas mußte sie gereizt haben. Der glatte Körper zuckte, und die Muskeln spannten sich zum Angriff. Der Weg zurück war versperrt durch Gestrüpp und Bodenunebenheiten. Ich mußte zu Fall kommen, wenn ich es versuchen würde. Ein Ausweichen seitwärts war auch nicht möglich. Die Buschzweige hatten die Härte von Stahlstäben. Was ich auch tat, die Schlange wäre schneller. Aber noch schneller war mein Führer. Durch die Zweige hindurch hatte er die bedrohliche Lage erfaßt, und an meinem Ohr vorbei donnerte ein Schuß. Der flache Kopf war verschwunden. Zerschmettert fand ich ihn, an einem zuckenden Körper hängend, am Boden liegen. Der Weg zu den Felsmalereien war frei. Trotzdem war es kein Spaziergang. Die Bakkop-Schlange konnte Nachwuchs oder Anhang haben. Deshalb ließ ich jetzt dem Pfadfinder freiwillig den Vortritt. Sein vorwurfsvoller Blick hatte mir genügt.
„Moderne Kunst" vor 30000 Jahren Durch einen Spalt kam man in das Innere der Höhle. Längs einer kleinen, von Menschenhand errichteten Mauer erreichte ich kriechend die bebilderte Wand. Die Felsengemälde überwältigen. Weiß, schwarz, rot, braun und gelb sehen sie mich an und irgendwie habe ich das Gefühl, daß mir diese Art von Malerei bekannt vorkommt. Malen unsere modernen Maler nicht ähnlich? Aber es besteht ein großer Unterschied. Die primitive Malweise der Eingeborenen ist von urtümlicher, urwüchsiger Kraft. Der moderne Künstler aber, der in einer zivilisierten Welt lebt, kann sich nur bewußt dem Primitiven zuwenden. Die Bilder vor mir sind echt. Ihre Primitivität ist so überzeugend, daß sie einen nicht zu beschreibenden Eindruck macht. Tanzende Frauen, jagende Männer, kämpfende Männer, angreifende und flüchtende Tiere, alles ist harmonisch eingeordnet und jede Bewegung vorzüglich dem Ganzen zugeordnet. Keine Einzelheiten halten den Beschauer in der Betrachtung des Gesamtbildes auf. Vor zehn-, fünfzehn-, zwanzig- oder dreißigtausend Jahren haben
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hier in diese Wand, vor der ich stehe, Männer Szenen aus dem Leben eingeritzt, mit Steinen in den Stein gekratzt und mit der Hand Farben aufgetragen, deren Zusammensetzung die Jahrtausende überdauert hat. So klein die Höhle ist, so unendlich viele Geheimnisse birgt sie. Man spürt hier deutlich, daß die Archäologie mehr ist, als nur eine Wissenschaft von toten Dingen. Eines geht aus allem, was ich sehe, klar hervor: Auch diese Menschen haben Angst, Leid, Gottesfurcht und Hunger gekannt. Sie kannten aber auch die Freude, die Liebe und den Tanz. Außerdem besaßen sie eine schöpferische Phantasie und eine künstlerische Hand. Dazu kommen ein gut beobachtendes Auge, Geduld und Fleiß. Ich finde, das ist schon eine ganze Menge, was mir hier die Zeichnungen von den Menschen verraten, die irgendwann vor Jahrtausenden gelebt haben. Auffallend ist, daß diese Malereien immer in Höhlen aufgefunden werden, die so versteckt liegen, daß allein das Auffinden solcher Orte schon eine Kunst darstellt. Ob hier, in der Verstecktheit, Priester zu ihren Göttern gebetet haben, in unbekannten Worten, in einem uns unbekannten Kult? Wer waren diese Menschen, wann haben sie dieses Land bewohnt, woher kamen sie? Weiße Menschen nennen voreilig den Schwarzen dumm, primitiv und kindlich. Hier, vor diesem Beweis großer künstlerischer Begabung kann man sich nur die Frage stellen, ob diese Schwarzen nicht vielleicht einmal eine hohe kulturelle Vergangenheit besessen haben, die wir noch gar nicht kennen und die zu ergründen heute viele europäische, amerikanische und afrikanische Forscher tätig sind. Aber in der Höhle liegt ein tiefes Schweigen. Nur unser Atem ist hörbar. Hier gibt es keine Antwort auf viele Fragen. „Kawana", sagte jemand. Dumpf dröhnt die menschliche Stimme durch das Höhleninnere. In der Sprache der Eingeborenen des Landes bedeutet dieses Wort „Die Höhle des Todes". Einer unserer Boys hat es gesprochen. Die Angst um uns hat ihn zu uns in die Buschmannhöhle getrieben. Die übrigen bleiben weit draußen und starren besorgt zu dem heiligen Felsbezirk herüber. 8
Regen wie Trommelfeuer Die Stimme rief uns in die Gegenwart zurück. Vor der Höhle war die Sonne im Sinken. Es war Zeit, den Rückweg anzutreten. Düstere Wolken wuchsen meilenweit in den abendlichen Himmel. Zwischen den Wolken und dem Horizont lag ein finster rotes Band. Der Himmel jenseits der Wolken war giftgrün. Um die Wolkenränder flackerte ein Flammenschein, der in allen Farben leuchtete. Ein jäher Windstoß fuhr uns entgegen, Blätter und Staubwolken mit sich führend. Die Hitze trieb uns den Schweiß in kleinen Bächen aus den Poren. Die hellen Khakihemden waren dunkelbraun vor Nässe. Ich roch den Regen. Und dann sah ich den Regen. Und dann hörte ich den Regen. Wie ein Trommelfeuer ging das Wassergeprassel auf uns nieder. Und dann konnte ich überhaupt nichts mehr sehen. Es gab nur noch Wasser, Blitze und Donner, grauenhaft grollenden Donner. Es war, als hätten die Götter des Velds ihre Stimmen erhoben. Verurteilten sie uns? Waren wir es, die ihre Ruhe gestört hatten? Die Schwarzen bebten vor Angst. Ein Gewitter in dieser Gegend war eine zu große Seltenheit. Dazu kam noch die Nähe der heiligen Buschmannhöhle. Das war einfach zu viel. Nackte Furcht beherrschte die schwarzen Gesichter, aus denen alles Blut gewichen war. Aber auch für uns konnte diese Regenflut sehr unangenehm werden. Wie, wenn sich das Land in einen Sumpf verwandelte? Ohne Weg und Steg mußten wir ein Opfer der Raubtiere werden. Die Angst der Schwarzen war verständlich. Ich selbst hatte kein sehr angenehmes Gefühl, auch wenn ich mich bemühte, ein zuversichtliches Lächeln zu zeigen. Doch die Götter waren gnädig. Ein blasses Blau erschien unter der Wasserwand, und plötzlich zerfiel die graue Wand in Millionen kleine, glitzernde Wasserfäden, die wie Kristalle aufleuchteten. So schnell die Sonne verschwunden war, so schnell kam sie wieder. Hell und strahlend. Die Neger zeigten wieder freundliche Gesichter. 9
Vor uns lag eine seegroße Wasserlache. Hinter uns hing ein dampfender blaustrahlender Vorhang, und auf diesen Vorhang hatten die Götter des Velds zwei grelle Regenbogen gemalt, deren Schönheit einzigartig war. Meinen Pfadfinder, dem solche Naturerscheinungen keinen Ein- , druck machten, begann der Teufel zu reiten. Er trat den Gashebel unseres Wagens durch, und fegte durch die Wasserlache, daß links und rechts ganze Wasserschwaden hochgeworfen wurden. Unsere Straße glich einem Bach. Durch diesen Bach ratterten wir bis zum nächsten Rasthaus.. .
Im Bus zu den Bantu Mein nächstes Ziel war das Gebiet der Bantuneger südlich der Buschmannsteppe. Auch hier zwischen Swaziland und dem Indischen Ozean liegt ein Stück afrikanisches Veld, das fast noch unberührt ist. Es ist sechshundert Quadratmeilen groß und bietet einem Stamm der Bantuneger Schutz und Heimat. Hier leben sie heute noch in ihrer ursprünglichen Umgebung. Den Weg dahin nimmt einer jener Autobusse, die mancher Weiße' nur als „Selbstmordschaukel" bezeichnet. So einem Fahrzeug hatte ich mich anvertraut. Mancher dieser Busse bringt an einem Tag bis zu fünfhundert Kilometer hinter sich. Die Geschwindigkeit ist dementsprechend. Mir war so ein Fahrzeug nichts Unbekanntes. Jedermann begegnete mir, trotz der weißen Hautfarbe, mit ausgesuchter Herzlichkeit. Natürliche Zuvorkommenheit ist auf solch einer Reise das erste Gebot. Weiße Menschen werden in schwarzer Umgebung leicht etwas selbstherrlich. Zu oft habe ich schon beobachtet, daß gerade jene Weißen sich Schwarzen gegenüber unmöglich benehmen, die es sich eigentlich am wenigsten leisten können. Ich versuchte mit meinen schwarzen Mitreisenden im Negerdialekt zu sprechen. Ein kläglicher Versuch. Aber immerhin ein Versuch. Auch schloß ich mich von kleineren Verladearbeiten nicht aus. Dabei hat meine weiße Haut keinen einzigen Fleck bekommen, und für solche Gesten der Gefälligkeit zeigten sich die Schwarzen sehr empfänglich. Ihre Zuneigung stieg. Während der Fahrt konnte 10
ich mich vor Geschenken an Früchten und anderen Eßwaren kaum retten. Immer wieder mußte ich mir meine Mitreisenden ansehen. Die Gegensätze fielen ins Auge. Dort ein wohlhabender Häuptling und Herdenbesitzer, hier ein Armer, der nur Lumpen am Körper trug. Alte Uniformstücke dienten als hochwillkommene Kleidungsstücke, aber die Träger hatten keine Ahnung von der schicksalhaften Bedeutung dieser Jacken und Schnallen. Immer, wenn unser Autobus an einer Wegstrecke anhielt, kamen Händler und Neugierige heran. Es war schwer, sie loszuwerden. Die angebotenen Waren, umschwärmt von Fliegen und Mücken, kosten nur eine Kleinigkeit. Eben, weil die Reisenden oft arm sind, muß der Händler billig sein. Dabei sind die Schwarzen bei der Auswahl der gekauften Ware doch sehr umständlich. Nicht alles paßt ihnen, und Form und Farbe spielen oft eine große Rolle. Reisende Mütter säugen ohne Scheu ihre Kinder. Die Anwesenheit eines Weißen stört sie nicht. Naturkinder haben zu solchen Dingen eine andere Einstellung. Nur wenige Europäer kennen diesen Winkel im Südosten Afrikas. Rollende Hügeldünen schließen ihn gegen die Umwelt ab und bewachen ihn. Die Omnibusfahrt gibt Aufschluß über viele Dinge. Sie beweist, daß sich der Schwarze, auch der naturgebundene Schwarze, gern den technischen Einrichtungen anvertraut und sich ihrer auch bedient. An einigen Strecken sind die schwarzen Omnibusfahrer auch Briefträger, Paketpoststelle und Arzneigehilfen für den Eingeborenen. Trotzdem läßt er sich durch die „technischen Wunder" nicht aus seinem seelischen Gleichmaß bringen. Aber wird es noch lange so bleiben? Wird nicht bald auch der letzte Schwarze in den dunklen Schächten der weißen Minen verschwunden sein, europäische Anzüge tragen, amerikanische Filme sehen und von einem Radio träumen? Um die Mittagsstunde kamen wir in ein sandiges Flußbett; es war nicht sehr breit. Sein Wasser reichte nicht einmal bis an die Naben der Wagenräder. Auf der anderen Seite sah ich das Dorf, wo ich mein Zelt aufschlagen wollte — ein paar verstreute farbige Hüttengruppen in einem Buschwald. 11
Die Begrüßung hatte einen Aufenthalt notwendig gemacht, und unser Bus war sofort in den weichen Ufersand eingesunken. Wie eine Lawine rollte eine Schar von Schwarzen den Hang herab, hängte sich an den Wagen und begann zu schieben. Dabei stimmten sie sofort ein Lied an. Ohne Gesang ist in Afrika nichts zu machen. Ein Durcheinander von einem Dutzend lachender Kinder umschwärmte den Autobus, der Chauffeur brüllte in sämtlichen Negerdialekten, weil er um die auf dem Dach festgebundene Ladung fürchtete, und eine alte Negerin begann aus Furcht vor bösen Flußgeistern irgendein Gekreische anzustimmen. Am Schluß stand der Wagen auf dem Hang, die Räder hatten einen festen Untergrund, der Ladung war nichts geschehen, dann fuhr die Selbstmordschaukel wieder los. Nur ich blieb zurück.
Lobola — der Preis für die Häuptlingstochter Ein schwarzer Boy bemühte sich um mein Zelt und die wenigen Habseligkeiten. Mehr konnte ich nicht mehr erkennen, denn zwischen mir und dem Boy sammelte sich eine immer größer wer- • dende Schar von Schwarzen an. Große, kräftige Gestalten, die lachend auf mich zukamen. Junge Mädchen trugen Krüge auf dem Kopf, und ihr Gang ist schöner als der der Italienerin. Die weißen Zähne blitzten, und alles atmete eine Atmosphäre von Freude und Geborgenheit. Ich hatte mir vorgestellt, die Eingeborenen würden meinem Europäerauge alle ziemlich ähnlich erscheinen, aber ich fand, daß die Unterschiede zwischen den Einzelnen ganz beträchtlich sind. Nur die Schwarzen in den weißen Städten sehen sich ähnlich. Das gemeinsame Schicksal hat ihnen ein gemeinsames Gesicht gegeben. Die Neger waren fast nackt. Eisendrähte und Perlenschnüre umspannen ihre Arme und Beine, und auch um die Brust tragen sie eine zwei- bis dreifache Perlenschnur. Als Schurz dient ihnen ein Tierfell. Die Mädchen tragen buntgewebte Tücher um die Hüften. Den Hals und die Handgelenke umschnüren Bastringe und der Kopfschmuck besteht aus Perlen und Münzen. Der Häuptling war ein netter alter Herr, mit grauem Spitzbart und einem dicken Bauch. 12
Ein normales Leben unter ausgesprochen afrikanischen Umständen — das war mein Leben bei dem schwarzen Bantuhäuptling. Der Chauffeur hatte mich ihm empfohlen, und das schien zu genügen. Der große, reinliche Kral summte vor Betriebsamkeit. Jäger kehrten von der Jagd heim, kleine Kinder wurden gesäubert, Hirsestampfer klopften ihren Takt. Wenige Tage nach meiner Ankunft freite ein Schwarzer um die Tochter meines Gastgebers. Mit der Werbung würde es still im Dorf. Selbst die hellgelben Hunde zogen den Schwanz ein. Eine Heirat ist eine widitige Sache, und jedes vorlaute Wort konnte die Sache verderben. Vor der Hütte des Vaters stellte sich der Werber auf. Geduldig lehnte er an seinem Stock, und nach seinem Gesicht zu sdiließen, war er nicht sehr glücklich. Ich habe Freier in Europa erlebt, die ähnlich unglücklich aussahen. Der Alte machte es spannend. Mehr als eine Stunde verstrich, ehe er sich zeigte, und dann tat er noch höchst erstaunt. Sein Erstaunen teilte er auch dem Freier mit tönenden Worten mit, und es freute ihn, daß die ganze Nachbarschaft seinen Worten lauschte. Der Werber schüttelte traurig seinen Kopf, erzählte von der Liebe zu dem Mädchen und klagte zum Erbarmen über seine Armut und über die Tatsache, daß er die gewünschte Anzahl von Kühen nicht bezahlen könne, weil ihm eben zehn Kühe zu viel seien. Bei dem Wort von den zehn Kühen begann der Alte zu toben. War seine Erregung echt oder gespielt? Niemand konnte es sagen. Er schien ein tüchtiger Kaufmann zu sein, denn er schätzte den Wert seiner Tochter auf das fünffache des genannten Preises. Mit Gebrüll und Gezeter tat er das dem zerknirschten Werber kund. Fast hatte es den Anschein, als ob er sich auf den Unglücklichen stürzen wolle. Dann war es plötzlich still. Der Alte hatte seine Pflicht getan, er hatte den strengen Gesetzen des Stammes gehorcht, er hatte die Ehre seiner Sippe vor allen anwesenden Ohren — und es waren viele Ohren anwesend — genügend ins Lidit gesetzt, jetzt konnte es ans Feilschen gehen. Mit einer höflichen Handbewegung lud er den Werber in seine Hütte, und hier begann der eigentliche Handel. 13
Die Bantu in Südostafrika glauben fest, daß eine Heirat nicht ohne „lobola" vollzogen werden kann. Es handelt sich dabei um eine Abgabe von Vieh aus dem Kral, dem Viehhof des Bräutigams oder seines Vaters an den Vater der Braut. Der Überlegung der Schwarzen nach verliert bei der Heirat der Brautvater ein nützliches Familienmitglied, während der Haushalt des Bräutigams eine neue Angehörige als Arbeitskraft gewinnt. Nach Stammesgesetz darf niemand auf Kosten eines anderen bereichert werden. Daher der Brauch, daß der Bräutigam seinem zukünftigen Schwiegervater eine Anzahl Rinder abliefern muß. Die Zahl der Rinder richtet sich nach dem Stand, den der Vater der Braut bekleidet. Vieh, das von dem Kral des Bräutigams an den Vater der Braut geliefert wird, nennen die Schwarzen „lobola". Die „lobola" spielt auch bei den verheirateten Bantu ein große Rolle. Wenn ein Mann seine Frau schlecht behandelt und sie deshalb zu ihrem Vater zurückkehrt, braucht der Brautvater das Vieh nicht zurückzugeben. Verläßt die Frau den Gatten jedoch böswillig, muß der Vater das „lobola"-Vieh wieder abliefern. Das gleiche Verfahren wird auch angewendet, wenn die Frau ihren Mann schlecht behandelt oder ihm keine Kinder schenken kann. Deshalb übt das Zauberwort „lobola" einen festigenden Einfluß auf das Eheleben der Bantu aus. Die Verhandlungen dauerten mehrere Stunden. Ein Stück Vieh mehr oder weniger spielt eine große Rolle in dem Besitz eines Bantu. Aber dann war der Werbung des jungen Mannes das Glück beschieden. Für zwölf schöne und fette Prachtkühe bekam er das Mädchen. Auch die Ratenzahlung wurde vereinbart. Diese Bantusitte ist älter als das Ratensystem in Europa. Zeit spielte keine Rolle. Drei Kühe mußte der Werber gleich bezahlen, drei am Tage der Hochzeit und den Rest am Tage der Geburt eines Kindes.
Söhne und Töchter Der Vorsprache beim Vater der Braut selbst geht ein tagelanges Werben voraus. Die Bantu hier besitzen keine Schrift, aber Gegenstände mit sinnbildlichem Charakter erreichen den gleichen Zweck. Dabei spielen Farben eine Rolle. Meist sind es Halsbänder, welche die Liebesbotschaften ausdrücken. Blau und Rot bedeutet: Ich bin 14
verhebt in dich, ich will dich heiraten. Die Farbe Grün sagt: Ich will nicht mehr warten. Auch das Muster ist von Bedeutung. Die pfeilähnlichen Spitzen sind die Zahl der in Frage kommenden Kühe und die Weite des Halsbandes deutet auf den Umfang der Kühe. Das ganze Leben des Bantu dreht sich um das Vieh, das er besitzt. Das Vieh bestimmt die soziale Stellung des Mannes. So hängt die Zahl der Frauen, die ein Mann besitzen kann, allein von seinem Viehbestand ab. Reiche Viehbesitzer leisten sich daher fünfzehn bis zwanzig Frauen. Eine bessere Kapitalsanlage kann sich ein Bantu nicht wünschen. Je mehr Frauen ein Mann besitzt, auf desto mehr Töchter kann er rechnen. Auch erhöht die Zahl der Frauen seine eigene Stellung, was wieder zur Folge hat, daß er seine Töchter um einen viel höheren Preis verkaufen kann, wenn der Zeitpunkt der Heirat gekommen ist. Ein Sohn hat in den Augen der Bantu hier in der Steppe nur geringen Wert. Er bringt seiner Familie keinen Gewinn. Deshalb fällt den Knaben auch die schwerste Arbeit im Kral zu. Er hütet und bewacht das Vieh auf den väterlichen Weiden. Er sammelt Holz für den Bau der Hütte. Er errichtet Zäune. Auf Jagdzügen fällt ihm die Rolle eines Treibers zu. Diese körperliche Belastung läßt den Bantujüngling groß und kräftig werden. Dazu kommt die Kampfausbildung, der Gebrauch von Schild, Speer und Keule. Wenn ein Knabe vierzehn Jahre alt geworden ist, dient er einige Jahre einem Häuptling, bis er genug Vieh verdient hat, um sich eine Frau zu kaufen. Der kürzere Weg geht über die Arbeit in den Bergwerken Rhodesiens oder der Südafrikanischen Union, nur führt er durch die Berührung mit den Auswüchsen der Zivilisation selten zum Ziel. Hat der junge Bantu geheiratet, dann wendet sich das Blatt. Die täglichen Arbeiten besorgt die Frau, und er hat nur mehr die Oberaufsicht über Hütte und Vieh. Die freie Zeit verbringt er jetzt damit, Freunde und Verwandte aufzusuchen, mit ihnen ausgedehnte Gespräche zu führen, die alle nur eine Absicht haben: eine weitere Frau zu erwerben. Die Mädchen wachsen ganz anders auf. Diesem kostbaren „Kapital" wird in der Kindheit jeder nur erdenkliche Luxus geboten. Die besten Bissen aus der Küche bekommt das Mädchen. Der Haar15
tracht und dem Tanz wird jede freie Minute geopfert. Ab und zu ist vielleicht ein Gang 'zur Trinkwasserquelle notwendig, der jedoch mehr Spaß als Arbeit bedeutet, da er meist sehr lange dauert und immer von Spiel und Gelächter begleitet ist. Mit der Heirat beginnt für das Mädchen die andere Seite des Lebens. Vorbei ist der Luxus und die Arbeitslosigkeit. Auf ihr liegt plötzlich die ganze Last der Familie. Die Arbeit häuft sich, und für Putz und Tand ist wenig Zeit. Trotzdem sorgt der Mann gut für sie, denn sie soll ja kräftigen Mädchen das Leben schenken. Erst wenn die Bantufrauen alt geworden sind, beginnt eine echte Leidenszeit. Der Mann hat kein Interesse an der alternden Frau. Sie ist unansehnlich geworden und kann ihm auch keine Töchter mehr schenken. Er verliert jedes Interesse an ihr. Diese Interesselosigkeit geht oft so weit, daß die bedauernswerten Frauen nicht einmal genügend zu essen bekommen. Während die alten Frauen Hunger leiden, beginnen die Männer Fett anzusetzen, ein Zeichen, daß das Alter dem Manne Achtung bei seinem Stamm eingebracht hat.
Löwe, Hyäne und Fuchs Ich war der einzige Weiße im weiten Umkreis. Ich saß allein vor meinem Zelt. Die Nacht war still, meine Kerze flackerte nicht. Gegen den aufgehenden Mond standen die Bäume in phantastischen Umrissen. Der Mond stieg über die Bäume; es war hell genug, um in den Hütten den kaltblauen Rauch der Herdfeuer zu erkennen. Ein junger Bantu spielte sinnlos auf der Trommel. Als ihn sein Vater holen wollte, sah er mich, grüßte und kam auf mich zu. Er war in der Missionsschule gewesen, in den Minen, er kannte Pretoria und Johannesburg, und deshalb stellte ich ihm auch die Frage, warum ich hier als Weißer so sicher unter den Schwarzen leben könne. „Wir haben nichts gegen dich", antwortete er. „Aber es gibt doch auch andere Weiße, und was ist mit diesen?" „Das kann ich dir nur mit einer Geschichte erzählen. Die Weißen sagen oft, daß wir dumm sind. Das stimmt nicht. Die Natur ist unser Vorbild, und deshalb lernen wir aus der Natur. Meine Geschichte wird dir auf deine Frage Antwort geben. 16
I
Unendlich dehnen sich Busch und Steppe des Velds „Es trafen sich einmal der Löwe, die Hyäne und der Fuchs, um einen gemeinsamen Jagdausflug zu machen. Sie fingen ein Wildschaf. Da sagte die Hyäne: ,Des Schafes Hinterteil ist mein, das Vorderteil bekommt der Löwe, die Eingeweide und die Füße bekommt der Fuchs!' Über diese Auslegung wurde der Löwe zornig und schlug der Hyäne ein Auge aus. Niemand traute sich, etwas zu sagen, und nach einiger Zeit meinte der Löwe mit einem tiefen Grollen in der Stimme zum Fuchs: /Teile du!' Der Fuchs war sehr erschrocken und sprach: ,Kopf, Eingeweide und Füße sind für mich und die Hyäne, alles übrige bekommt der Löwe.' — ,Wer hat dich diese kluge Antwort gelehrt?', fragte der Löwe erstaunt. ,Das Auge der Hyäne', antwortete der Fuchs." „Wie soll ich deine Geschichte verstehen?" „Nimm an, daß wir Schwarze heute noch in der Lage des Fuchses sind und das Schicksal der Hyäne fürchten. Aber auch ein Löwe wird alt..." 17
Die Geister kommen und gehen Das Leben unter Eingeborenen ist einfach und geht seinen langsamen und heiteren Gang. Man rechnet nicht mit der Zeit. Ich hatte vergessen, meine Armbanduhr aufzuziehen, und damit tat ich einen weiteren Schritt auf das Leben der Primitiven zu. Keiner weiß oder kümmert sich darum, wie alt er ist, alte Leute geben astronomische Daten an, die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter, und jeder Tag ist so lang oder so kurz wie der andere. So führen die Eingeborenen ein geregeltes Leben. Der natürliche Daseinsablauf bestimmt ihre Pünktlichkeit. Wenn ich durch den Spalt meines Zeltes blicke, in dem ich diese Zeilen schreibe, werde ich mir zuerst — wie stets in Eingeborenengebieten — der ungeheuren Weite dieses einfachen Landes bewußt. Kein anderes Gebiet ist so von Licht überflutet. Durch die Abgeschiedenheit hat sich bei meinen Negern noch viel von dem Aberglauben und den Zauberkünsten aus alten Tagen bewahrt. Auch ich sollte eine Kostprobe davon erhalten. Vor dem Auftreten des Weißen Mannes spielten die Zauberer eine große Rolle bei den schwarzen Völkerschaften Südafrikas. Um bei den Schwarzen seine Magie ausüben zu können, braucht der Zauberer viele Dinge, einschließlich gewisser Körperteile von Tieren und manchmal von Menschen. Um in ihren Besitz zu gelangen, muß also das Tier oder der Mensch getötet werden. Die Zauberer und jene, die ihn um Hilfe baten und bitten, glauben fest daran, daß die „muthi", die Medizin, die von solchen Organen hergestellt wird, die Macht eines Menschen über andere vergrößern kann. Durch das Eingreifen der Regierung und die damit verbundene Aufklärungsarbeit ist die Ermordung von Menschen zu zauberischen Zwecken unterbunden. Aber der Geist der großen afrikanischen Zauberer lebt heute noch in den Gehirnen der Bantu. Wenn man keine Furcht vor diesen primitiven Menschen hat, ist es unmöglich, sie nicht hochzuachten. Sie sprechen lebhaft und bedienen sich einer unmittelbaren und lebhaften Ausdrucksweise. Wenn sie von den Geistern sprechen — sie tun es nicht oft —, klingt es, als hätten sie sie gesehen — die Geister kommen und gehen, und sie verfolgen sie auf ihrem Weg mit ihren Blicken. 18
Blut um Blut Der dumpfe Klang von Trommeln weckte mich. „Das ist Mro", sagte mein Boy, „mache dich auf etwas gefaßt, Baas. Du bist neu in diesem Gebiet, und jetzt wird er nicht eher Ruhe geben, bis er mit dir Blut um Blut getrunken hat." Bei diesen Worten lächelte er. „Und wer ist Mro?", fragte ich. „Ein Medizinmann!" Tatsächlich erschien nach kurzer Zeit ein Trupp Schwarzer. Sie trieben eine Ziege vor sich her. „Sagte ich es nicht, Baas? Mro will Blut um Blut trinken!", rief mir mein Boy durch den Lärm der Trommeln zu, als ein fast nackter Schwarzer auf dem Platz erschien. Im Lichtkreis des Feuers sah ich, daß er sehr alt war. Er trug kein Gramm Fett an sich. Er hatte kurzes, fast weißes Haar, ein Leopardenfell und trug einen Fliegenwedel. Seine Gesichtshaut war knapp über die Knochen gespannt. Er zeigte Energie, fegte über den leeren Platz und stand dann zitternd wie ein erschrecktes Tier vor meinem Zelt. Am eigenartigsten war seine Sprache. Seine rauhe, heisere Stimme sprudelte in rasender Geschwindigkeit Worte hervor, die ich nicht verstand. Mein Boy machte ein ernstes Gesicht. Ich nahm an, daß es sich um eine Begrüßungsansprache handelte, weil ich den Mann noch nie gesehen hatte. Auch seine Gesten deuteten darauf hin. Nur sein Blick war leer, daß es aussah, als wäre er ganz allein. Plötzlich gab der Alte seinen Gehilfen einen Wink. Die Begrüßungsansprache war offensichtlich zu Ende. Die Neger brachten die Ziege ans Feuer, schlachteten sie, öffneten ihren Leib und rissen die Leber mit einem einzigen Griff los. Der Medizinmann schnitt die Leber in zwei Stücke und legte die beiden Stücke in eine Schale, in der ein Holzfeuer brannte. „Was soll das?", fragte ich meinen Boy. „Kein Blut um Blut ohne Ziegenleber", antwortete er, als ich auch schon einen heftigen, aber nur kurzen Schmerz an meinem Unterarm spürte. Der Medizinmann hatte mich blitzschnell mit seinem nicht gerade reinlichen Messer geritzt. Jetzt schnitt er sich in seinen eigenen Arm. 19
Ich dachte an Infektion, Starrkrampf und andere üble Möglichkeiten, als mir einer der Schwarzen ein Stück heiße Leber in die Hand drückte. Mein Boy zeigte mir, wie ich mit einem Leberstück das rinnende Blut von dem schmutzstarrenden Arm des Medizinmannes wischen mußte. Der Alte tat das gleiche bei mir, und dann machte er mir vor, wie ich nun diese mit Blut getränkte Leber kauen sollte. Prost, Mahlzeit! Aber so allein, mitten in der afrikanischen Steppe, mußte ich mich in diese nicht gerade sehr angenehme Lage finden. Ich steckte tapfer den kleinsten Zipfel der Leber in den Mund. Es kostete mich Mühe, aber ich schaffte es. Kaum hatte ich mich in das Unvermeidliche gefügt, so kam der Alte an meine Seite, seine Gehilfen warfen eine Decke über uns, zwei Neger kreuzten ihre Messer, ein anderer sprach mit dröhnender Stimme einen Fluch, und das Ganze begann etwas bedenklich zu werden. So plötzlich wie diese Zeremonie begonnen hatte, so plötzlich fand sie auch ihr Ende. Der Alte sprang auf, schüttelte mir die Hand, begann wieder mit seinem Zittertanz, und unter Trommelklang, begleitet von Fackelschein, verschwand dieser ganze schwarze Spuk in den nahen Busch. Ich blieb verwirrt mit meinem schmerzenden Arm zurück. Mit dem Abstand zu dem Zwischenfall kam auch die Ernüchterung. Ich dachte an eine mögliche Infektion. Mit Zahnpaste, Kopfbürste und Arzneien reinigte ich alle Körperstellen, die bei diesem Blutum-Blut-Spiel mit dem Alten in Berührung gekommen waren. Noch eine zweite solche Zeremonie, und ich stand ohne Seife und Zahnpaste im Busch. Mein Boy versuchte mir dann den Wert einer solchen Blutsbrüderschaft mit einem afrikanischen Medizinmann zu erklären, aber sehr überzeugt war ich nicht. Die Möglichkeit einer Blutvergiftung schien mir eher gegeben. ; Der Medizinmann wohnte abseits von der Ansiedlung in einer kleinen Hütte im Busch. Als ich ihn bei Tageslicht in Begleitung meines Boys besuchte, zeigte er sich sehr erfreut. Er zeigte mir auch das Loch im Dach der Hütte, wo er des Nachts mit den Göttern Zwiesprache pflegte. 20
Idyll im Schatten niedriger Bäume
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Mein Blutsbruder, der Medizinmann Durch die Blutsbrüderschaft mit dem Medizinmann war ich ein Mitglied des Dorfes geworden. Aber an den allgemeinen Alltagserscheinungen änderte sich nichts. Die Kinder und auch die Erwachsenen ließen sich bei meinem Erscheinen nicht stören, und auch die Sonne ging wie gewöhnlich auf und unter. Nur von der Tätigkeit des Medizinmannes erfuhr ich mehr. Die Besessenheit von ihrem Glauben treibt die Eingeborenen zum Medizinmann. Dämonen sind zu verscheuchen, von den Ahnen wird Gunst oder Schutz erfleht, Krankheiten — magische Erscheinungen für den Eingeborenen — sind zu heilen, oder der Weg eines Toten ins Totenland soll durch die Macht des Medizinmannes vor bösen Widerwärtigkeiten bewahrt werden. Anlässe für diese Wünsche und Erwartungen sind mannigfacher Art, bald gibt ein Erntefest dazu Veranlassung, bald die Jagd, bald Krieg und Kampf, bald der Ahnenkult, bald der Auftrag eines Geheimbundes. Das Ich des Negers wächst durch die Verbindung mit dem Medizinmann empor, erhält zauberkräftige Fähigkeiten. Der Medizinmann ist nicht Durchgangspunkt einer göttlichen Einwirkung, sondern er selbst ist Besitzer zauberischer Kräfte, In seinen Masken erscheint er als Mond, Sonne, Regen, Wolke, Dämon oder Tiergeist, als höchste handelnde Macht, in der für den Primitiven die Fäden der Erden- und Himmelsschicksale zusammenlaufen. Die Phantasie der Bantu bevölkert die ganze Natur mit bösen und guten Geistern, die auf Leben und Sterben einen großen Einfluß ausüben. Keine Krankheit führt der Bantu auf natürliche Ursachen zurück, vielmehr schreibt er Krankheit und Tod, wie überhaupt alles Unheil, der Rache eines bösen Geistes oder eines mit dämonischer Macht ausgestatteten Feindes zu. Dieses Suchen nach der verkörperten Ursache aller Leiden und Freuden spricht sich auch in dem Verkehr mit dem Medizinmann aus. Hier treten redend und handelnd alle Geister mit ihrem Gefolge auf; erst am frühen Morgen, nach Ausgang des Totenfestes, wenn der Medizinmann seine geheimnisvollen Kräuter in das Feuer wirft und seine Formeln dazu spricht, verlassen die Dämonen ihren vorübergehenden Aufenthaltsort in dem Körper des Toten und gehen wieder zurück in ihre eigene Welt. 22
Ich habe den afrikanischen Medizinmann, der im Leben des Eingeborenen eine gesetzliche Ordnung darstellt, Zauberer genannt, und jeder gebraucht dieses Wort; doch erklärt es nichts, bedeutet alles Mögliche und verdeckt unsere Unkenntnis. Es ist falsch, wenn wir unsere Vorstellungen auf den Neger übertragen. Ein Gesichtsausdruck, der uns heiter dünkt, kann dem Neger Sdirecken einjagen; Dinge, die uns Weißen unwesentlich erscheinen, können dem Neger ungemein viel bedeuten. Beschäftigt man sich länger mit dem religiösen Denken der Bantu, so verstärkt sich das Gefühl unserer Unsicherheit, und man möchte immer vorsichtiger werden. Ist es nicht erstaunliches Denkvermögen, wenn ein Bantu dem Missionar, der ihn befragte, ob der Schatten, den er werfe, sein Geist sei, antwortete: „Nein, er ist nicht dein Geist —, aber er wird der Geist deiner Kinder sein, wenn du tot bist!"
Das Leben hängt an einem Haar Meine Zeit, die ich als einsamer Weißer unter den Bantu verbrachte, ließ mich eine anschauliche Begebenheit erleben. Meine Bantu waren felsenfest davon überzeugt, daß im Haar jedes Menschen eine höhere Kraft wohnt. Keiner der Schwarzen würde jemals ein Haar achtlos herumliegen lassen. Er kann beschwören, daß jeder Feind durch den Besitz eines seiner Haare getötet werden kann. Es ist also verständlich, daß der Bantu seine Haare wie seinen Augapfel behütet. Auch mein Boy war ein Bantu, aber von einem anderen Stamm. Er hatte mit meinen Gastgebern keine innerliche Verbindung, und außerdem betrachtete er sich als gebildet, weil er Englisch und Afrikaans, die Sprache der Buren, beherrschte. Die Überheblichkeit gefiel einem Dorfbewohner nicht. Vielleicht wollte er auch nur den Posten vor meinem Zelt haben, der ihm als sehr einträglich erscheinen mußte, weil mein Boy mit der Höhe seines Lohnes maßlos übertrieben hatte. Kurz und gut, der Dorfbantu bemächtigte sich eines Haares, das von dem Wollkopf meines Boys stammte. Ich hätte von der ganzen Sache nichts erfahren, aber mein Blutsbruder, der Medizinmann, berichtete mir davon. Seine wirre Zeichensprache hatte ich schnell begriffen, als er sie mit sei23
nem Kopfhaar in Verbindung brachte und auf ein Leopardenfell zeigte. Er war es auch, der mir den Dorfburschen bei seinem Haarzauber zeigte. Auf einer einsamen Lichtung stand der Schwarze und kochte über einem offenen Feuer einen kleinen Topf mit Wasser. Seine breiten Lippen murmelten mir unverständliche Beschwörungen. Als das Wasser kochte, nahm er das Haar meines Boys, Haare von einem Leopardenfell, einen Leopardenzahn, etwas Erde und Kräuter, und mischte einen Brei zusammen. Den Brei füllte er in einen kleinen Lederbeutel, den er dann, nachdem er sich versichert hatte, daß er unbeobachtet war, über einem Wildwechsel aufhängte, den auch der Leopard auf seinen nächtlichen Streifzügen benützte. Dieser Beutel sollte meinem Boy Unglück bringen. Nach der Überzeugung des Dorfbantu mußten, wenn der Brei trocken und zu Staub geworden war, Teile davon auf den Wildwechsel fallen. In diesem Moment mußte auch der Zauber wirksam werden. Mein Boy war rettungslos die Beute eines Leoparden. Kein Gott konnte ihm helfen. Die Macht des Haarzaubers ist unfehlbar. So meinte es mein Blutsbruder Medizinmann. Erst ein erhebliches Geschenk veranlaßte ihn, die Zauberwirkung in eine andere Richtung zu lenken. Leider nicht ganz in meinem Sinn. Aber Medizinmänner sind unberechenbar und sehr nachtragend, wenn sich jemand in ihre Geschäfte einmischt. Es war einige Tage nach diesem Vorfall, als plötzlich zur abendlichen Stunde, wo sonst buntes Leben in der kleinen Siedlung herrscht, ungewöhnliche Stille eintrat. Ein menschlicher Todesschrei war aus dem nahen Busch gedrungen und hatte die Schritte der Neger gelähmt. „Was ist geschehen?" fragte ich meinen Boy. „Er ist tot, Baas", antwortete er und schien glücklich darüber zu sein. Wer war tot? Was war geschehen? Hatte der Medizinmann aus dieser Haarzaubersache blutigen Ernst gemacht? Meine Hinneigung zu dem Alten begann zu schwinden. „Er, der mich töten wollte, ist tot", erklärte mir mein Boy und erzählte dann mit leiser Stimme, daß der Medizinmann von dem Gelegenhcitszauberer ein Haar genommen und es an die Stelle des anderen Haares in den Beutel getan habe. Als ich gerade zum 24
Der Heimat und dem Stamm entfremdet... 25
Abendessen weggegangen war, hatte der Medizinmann dem Dorfbantu diesen Haarwedisel mitgeteilt, worauf der Erschrockene voll Angst zu dem Wildwechsel gelaufen war, um den Beutel an sich zu nehmen und den Zauber unwirksam zu machen. Das gelang ihm nicht mehr. Ein Leopard sprang ihn an und machte seinem Leben ein Ende. Grausam war dieses Spiel, und ich machte mir Vorwürfe, daß ich den Burschen nicht gewarnt hatte. Vielleicht hätte es schon genügt, einfach den Beutel an mich zu nehmen. Meine Tatenlosigkeit wurde sein Unglück. Zufall, Zauberei, Schicksal? In dieser Nacht verlöschte das Licht in meinem Zelt nicht. Ich grübelte über diese geheimnisvolle Welt nach, aber ich kam zu keinem Schluß. Erfreut begrüßte ich den Morgen, der mir auch die Botschaft brachte, daß ich noch am gleichen Tag die Rückreise antreten könne . ..
Fahrt mit Hindernissen Von den „wilden" fuhr ich hinüber zu den lernenden Bantu. Auf dem Dorf platz waren zu sehen: eine zusammengelegte Zeltausrüstung, Kochgeschirr, ein Bündel mit Wäsche, Schuhen und Kleidungsstücken, ein Bündel mit Schreibmaschine, Papier, Bleistiften und kleinen technischen Behelfen, ein Bündel mit der Fotoausrüstung, " ein Bündel mit Schlafsack und Gummimatratze, dazu ein Weißer und ein Boy. Der Weiße war ich, und der Boy war mein schwarzer Leidensgefährte. Seit drei Stunden warteten wir schon auf den Omnibus, der uns und eine Schar von Männern und Frauen in die nahe Stadt zurückbringen sollte, und als es endlich kam, stiegen mir gelinde Zweifel auf, ob wir dieses Ziel jemals erreichen würden. Auf jeden Fall wollte ich es versuchen. Der Lastwagen war schon älteren Baujahres und von Farbe, Schutzblechen und einwandfreien Reifen schien er nicht viel zu halten. Ich bekam den Platz neben dem Fahrer, der mich offenbar aus den Erzählungen seines Kollegen schon kannte. Mein Platz hatte den Vorteil, daß ich mich anlehnen konnte, während die Beine einen hoffnungslosen Kampf gegen ein Kunterbunt von Briefpost, Essensvorräten und Autozubehörteilen führen mußten. Oben auf dem Dach landete, zusam26
men mit meinem Boy, meine Buschausrüstung. Ein Bindfaden sollte für die Sicherheit garantieren. Die ganze Verladung dauerte fast eine Stunde. Endlich stieg der Fahrer ein, ein junger, fröhlicher und überlauter Hansdampf, der sehr stolz auf sein wackeliges Fahrzeug war. Er fuhr durch das Flußbett, gewann die gegenüberliegende Höhe ohne steckenzubleiben, fuhr noch an die zweihundertfünfzig Meter und bremste dann. Mit einer Handbewegung deutete er an, daß er jetzt seinem Magen etwas anbieten werde. Die Mahlzeit dauerte eine halbe Stunde und wurde auf dem Trittbrett des Wagens eingenommen. Die Sonne stand in ihrer ganzen Pracht über uns. Dann fuhren wir los. Die Geschwindigkeit war phantastisch. Keine Kurve war zu eng, kein Berg zu steil, daß er nicht mit Vollgas genommen wurde. Zwei Stunden ging die Fahrt gut, dann platzte ein Reifen. Der Fahrer grinste und zuckte die Achseln. Alles 'raus aus dem Wagen. Negermännlein und Negerweiblein machten sich nun ihrerseits daran, ihren Hunger zu stillen. Verschiedene Schwarze sahen zu, was der Fahrer mit dem Rad machte. Helfen wollte keiner. Erst als ich Zugriff, näherten sich einige von ihnen zögernd. Nachdem wir das Rad von der Nabe gehoben, stellte sich heraus, daß das Reserverad ebenfalls einen beschädigten Schlauch in sich hatte. Der Fahrer grinste wieder und zuckte die Achseln. Die Sonne stand in ihrer ganzen Pracht und Hitze über uns. Als das Loch endlich geflickt war, tauchte ein neues Hindernis auf. Ein entgegenkommender Wagen wollte an uns vorbei, aber eine Buschstraße ist keine Asphaltfahrbahn. Es gibt da nur zwei ausgefahrene Rinnen und dazwischen hohes Buschgras. Trotzdem versuchte unser Fahrer auszuweichen. Er startete den Wagen und fuhr mit drei Rädern zur Seite. Das hätte er nicht tun sollen. Der andere Wagen kam zwar vorbei, aber unser Wagen zeigte sich störrisch, das heißt, er fiel um. Den Insassen und dem Fahrer war nichts geschehen. Er stieg aus, befühlte seine Knochen, schnitt eine Grimasse, grinste und zuckte die Achseln. Zwei Hühner waren das Opfer dieses Unfalls. Die neue Verzögerung bestand nun darin, daß der Wagen aufgerichtet und neu beladen werden mußte — ich bangte um meine Fotoausrüstung —, daß 27
die Hühner gebraten wurden und die Besitzer sie mit großem Genuß aßen; die anderen Neger standen herum und beteiligten sich an diesem Festmahl mit lebhaftem Augenrollen. Und dann mußte auch noch das vierte Rad montiert werden. Die Sonne stand noch immer in ihrer ganzen Pracht und Hitze über uns. Mir begann schön langsam aber sicher übel zu werden. Der Zufall, der dem Weißen Mann im Busch schon so oft gnädig war, erschien auch mir. Unvermittelt tauchte hinter uns ein starker, geländegängiger Personenwagen auf. Darin saß neben einem schwarzen Chauffeur ein weißer Herr. Ich selbst mußte keinen sehr selbstherrlichen Eindruck gemacht haben, denn mit einer gnädigen Handbewegung lud mich die gepflegte Erscheinung zu sich in den Wagen ein. Ohne weiße Hautfarbe hätte ich wahrscheinlich dableiben können. Meinem Boy gab ich die nötigen Anweisungen, und dann fuhr ich mit meinem Wohltäter davon. Er war ein Regierungsbeamter, der Missionsstationen zu besuchen hatte.
In der Abendschule Abseits von der Straße, vier Stunden im Busch, trafen wir eine solche Station. Ein armseliges Haus, die herumstehenden Schwarzen und der meilenweite Busch waren die ganze Herrlichkeit. Davor stand ein hagerer älterer Mann, ein schwarzer Missionar. Es war gegen Abend. „Was ist ein Satz?" fragte er gerade die Schüler. Auf dem freien Stück Platz hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so still war es auf diese Frage. Hingebungsvoll hingen zwanzig Augenpaare an den Lippen ihres schwarzen Lehrers. Jeder Muskel in den breiten dunklen Gesichtern war gespannt, und mit größter Konzentration dachten die Schüler über die Erklärung des Begriffes „Satz" nach. Die Schüler in den rohen Holzbänken waren erwachsene Männer. Die meisten mochten schon an die Dreißig sein, nur ein oder zwei schienen mir etwas jünger. Diese Schule, in der zu einer anderen Tagesstunde Kinder die Schulbank drückten, war eine Nachmittagsund Abendschule für Schwarze, denen es in der Kindheit nicht möglich gewesen war, eine Schule zu besuchen. Unter den Schwarzen ist die Sehnsucht nach Wissen und Bildung 23
unendlich stark und kommt aus ehrlichem Herzen. Die Ausbildungsmöglichkeiten für Bantu haben erst in der letzten Zeit größere Fortschritte gemacht. Es gibt heute annähernd sechstausend Bantuschulen in Südafrika, die von neunhunderttausend Kindern und vielen Erwachsenen besucht werden. Die jüngste Gesetzgebung unterstellt die ganze Bantuausbildung einer einheitlichen Kontrolle. Ursprünglich finanzierten die verschiedenen Missionshäuser die Errichtung und Erhaltung ihrer eigenen Schulen. Aber in den letzten Jahren stützen sie sich fast ausschließlich auf die finanziellen Zuschüsse des Staates. Die Mittel werden zum Teil aus der Eingeborenenkopfsteuer genommen, die jährlich für jeden Eingeborenen vier Dollar beträgt. Die Behörden haben sich deshalb entschlossen, die örtliche Kontrolle der Eingeborenenschulen zum Teil den Bantu selbst zu übergeben, außer in den Fällen, wo die Kirchen den Wunsch haben, die Schulen selber zu führen. Als ich mich mit dem Missionar über das Schulproblem unterhalte, schleicht sich ein Nachzügler unauffällig zu seinem Platz. In der Hand trägt er ein weißes Stoffbündel, darin sind Bücher und Hefte eingeschlagen. „Warum gehst du in die Schule?", frage ich den Unpünktlichen. Es muß nicht leicht sein, nach der Arbeit auf der Farm oder im Dorf noch die Schulbank zu drücken. „Ich werde diese Grundschule machen, dann möchte ich auf eine höhere Schule, weil ich einmal in einem Büro arbeiten will", lautet die Antwort. Ich habe schon mit vielen Eingeborenen gesprochen, und fast alle wollen in einem Büro arbeiten, wobei sie sehr gut wissen, daß Facharbeiter weit bessere Löhne erzielen. Aber auch hier ist der weiße Mann das Vorbild. Der Schreibtisch, „von dem aus alles erledigt wird", ohne körperliche Arbeit, ist in den Augen der Schwarzen wie ein Zauberwerk. Einer der lernenden Schwarzen möchte selbst Lehrer werden. Er ist sich der langen Lehrzeit wohl bewußt und er sagt zu mir: „Es dauert viele Jahre, aber ich habe Zeit!"
Wissen ist Macht — auch für den Neger Ja, Zeit haben sie, die Neger Afrikas, und sie beginnen sie zu nützen. Samuel Ntara, ein Schriftsteller aus dem Njassaland, beschreibt die erste Berührung des Negers mit der Schule des Wei29
ßen. Als die Missionare ins Dorf kamen und fragten, ob die Leute eine Schule wollten, lehnten die Alten ab, aber die Jungen riefen: „Wir wollen Skulu. Alles, was uns zum Vorteil gereicht, ist uns recht!" Der Wille zur Schule hat wie ein Buschfeuer um sich gegriffen, und das Glaubensbekenntnis der südafrikanischen schwarzen Lehrer lautet: „Wir glauben an die Erziehung unseres Volkes auf Kosten des Volkes; wir glauben an die Kraft und Fähigkeit Afrikas, eine höhere Bildungsstufe zu erreichen; wir glauben an die Gleichheit der Entwicklungsmöglichkeiten!" Die Geschichte der südafrikanischen Schule ist teils schon über hundertfünfzig Jahre alt, teils hat sie noch gar nicht begonnen. Zu groß ist das Veld. Die Bildungsstufen liegen daher weit auseinander: sie reichen vom Analphabetentum bis zum Doktorgrad. Die erste der wichtigsten Schularten ist die Elementarschule. Auf einer festgestampften Erdfläche werden bis zu achtzig Kinder unterrichtet. Neben Lesen, Rechnen, Singen, Religion und dem Unterricht in Englisch und Afrikaans, ist die Betätigung in dem neben der Schule liegenden Acker- und Gartenland vorgesehen, die täglich mehrere Stunden dauert. Als zweite Schulart möchte ich die Landwirtschafts- und Bauarbeiterschule nennen. Die etwas über neunzig jährlich freiwerdenden Plätze, um die sich allein in diesem Bezirk gegen 2000 Afrikaner bewerben, werden meist mit Schülern zwischen 16 und 24 Jahren besetzt. In einer dieser Schulen in Südrhodesien gibt es dreijährige Kurse: einen Landwirtschaftskurs, einen Tischler- und Baukurs sowie einen Gesundheitskurs. Die schwarzen Schüler hierzulande leiden nicht unter Rassentrennung und sind lernfreudiger und einsatzfähiger. Der dritte beachtliche Schultyp im Süden Afrikas ist das Adams College. Es ist die älteste Bantuschule Natals. Von der Kleinkinderschule bis zur Hochschule, und von der Berufsschule bis zur Lehrerbildungsanstalt ist hier das ganze Schulwesen zusammengefaßt. Bedeutende Männer der afrikanischen Freiheitsbewegung waren einmal Lehrer an dieser Schule. Das Adams College ist von Schwarzen erbaut worden, und es erhält sich zum größten Teil von den Erträgnissen seiner ausgedehnten Zuckerplantagen. Alle erzieherischen Gesetze könnten hier zu Ehre und Ansehen kommen, wenn nicht das Gesetz der Rassentrennung auch in Adams College seine Drachensaat gesät hätte. -Während einer 30
Auseinandersetzung zwischen Schwarz und Weiß ist ein Teil der Schule niedergebrannt worden, und das Feuer engherziger und unduldsamer Gesinnung brodelt auch heute noch in den Lehrsälen. In den zweiten Teil des Buschunterrichts für Erwachsene fällt die Rechenstunde. Der Lehrer zeigt mir seinen besten Schüler, einen großgewachsenen Bantuneger. Er hat das Multiplizieren bereits begriffen und fürchtet sich auch nicht mehr vor Dezimalstellen. Der Lehrer zeigt mir auch den Grund dieses Könnens. In jeder freien Minute rechnet der Farmarbeiter, und Hunderte von Klosettpapierzetteln sind mit Zahlen vollgekritzelt. Das Papier holt sich der Bantu aus dem weißen Haushalt, in dem er beschäftigt ist. Wie mir der Lehrer erzählt, gibt es auch Abendkurse für Negerfrauen. Sie sind nur sehr schwach besucht, weil alle Verwandten, Nachbarn und Freunde die Lernwilligen auslachen und zum Gespött des Dorfes machen. Frauen haben nur auf dem Feld und im Haus zu arbeiten. Das ist die Auffassung der Bantu, und dagegen läßt sich im Augenblick noch wenig machen. Im Tagesgrauen verließ ich die Missionsstation in dem Wagen meines Gönners, der mich bis zur nächsten Bahn bringen sollte. Das einzige, was ich bedauerte, tief bedauerte, war, daß ich nun das eigentliche Lebensgebiet der Eingeborenen verlassen mußte. Wie viele Dinge liegen doch zwischen Geburt und Tod, deren man sich einfach annehmen muß, will man den Schwarzen verstehen lernen! Die Schnelligkeit des Aufbruchs verhinderte es, mich von diesen „Wilden", die ich so vernünftig in ihren Gesetzen und in ihrer Ordnung fand, die ich so sauber in ihrem Denken erlebte und deren Bildungshunger ich an der Quelle erleben durfte, zu verabschieden und ihnen eine gute Zeit zu wünschen. Ich hörte noch ihr Rufen aus dem Nebel, winkte zurück und wäre gerne umgekehrt, wenn mich nicht andere Aufgaben gerufen hätten. Nach der Fahrt durch den Busch sah ich eine weiße Tafel neben der Straße, das war alles. Deutlicher konnte man die Grenze zwischen Weiß und Schwarz nicht kennzeichnen. Ich befand mich wieder in einem „weißen Lebenszentrum". Die freundlichen, aufrichtigen, lachenden Gesichter waren hinter mir geblieben, rückwärts im Busch und vor mir zeigten sich Gesichter verschlossen, unfroh, grimmig. Hier begann die Welt der Industriereviere, der Minen und Kon31
zerne. Eine Brücke gab es nicht. Der Kinosaal und" die Missionsschule waren zwei zu verschiedene Welten. Man kann eben auf verschiedene Art Bildung beziehen, nur waren mir die Schwarzen, die sich über den Sinn der Frage: „Was ist ein Satz?" den Kopf zerbrochen hatten, sympathischer. Diese Entwurzelten hier konnte ich nur bedauern.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bilder: Blättjen und Ullstein-Bilderdienst. Auf dem Umsehlag: Buschmann mit Speer und buschmännische Felszeichnungen.
L u x - L e s e b o g e n 372 (Erdkunde) H e f t p r e i s 30 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1,80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg — Verlag: Sebastian Lux. Murnau vor München — Herausgeber: Antonius Lux.