Lobo � Lobo
Der Einzelgänger � Nr. 108 � 108
Lee Roy Jordan �
Begrab mich am � Yellowstone �
Sahara
Um seine eigen...
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Lobo � Lobo
Der Einzelgänger � Nr. 108 � 108
Lee Roy Jordan �
Begrab mich am � Yellowstone �
Sahara
Um seine eigene Haut zu retten, hätte der Deserteur Lobo im Stich lassen müssen. Die Hauptpersonen des Romans: Lobo – Er hatte keine Chance gegen die BlackfeetKrieger – bis der Deserteur seine Gegner unter Feuer nahm. Georgia Bob Davis – Er hatte sich einmal freiwillig zur Armee gemeldet, und als er das Töten satt hatte, wollte er freiwillig aufhören. Doch die Armee setzte einen Bluthund auf seine Fährte. Pillip C Tucker – Ihm war noch nie ein Deserteur entkommen, und dem Neger würde er sogar in die Hölle folgen, um ihn zu Töten. Wenn er schneller rennen konnte, als der schnellste von ihnen, dann hatte er es geschafft und würde am Leben bleiben. Wenn sie ihn aber einholten, dann wollten sie ihn zum Camp zurückbringen, an denselben Pfahl binden, an den er jetzt gefesselt war, rund um seine Füße herum und ein Feuerchen anzünden und ihn ganz langsam töten. Und eigentlich glaubte wohl keiner von ihnen ernstlich, daß er schneller sein würde als jene jungen, hageren Burschen, die sich ihrer Kleidungsstücke entledigt hatten und jetzt nur noch ihre Mokassins und den Lendenschurz trugen. Es waren sechs ausgesuchte Läufer, und sie gehörten zu den besten Kriegern dieser Stammesgruppe der Blackfeet-Nation. Der älteste mochte etwa neunzehn Jahre zählen, der jüngste vielleicht fünfzehn. Sie alle waren wild darauf, den Gefangenen zuerst einzuholen, ihm vielleicht den Tomahawk in den Rücken zu schlagen oder ihn von hinten anzufallen und ihm die Klinge 2
des Messers in die Kniekehle zu stoßen. Ja, sie wußten, wie die Wölfe im Rudel jagten, und genauso wie die Wölfe wollten sie den Gefangenen hetzen, bis sie ihn reißen konnten. Es war ihnen eine Ehre, diesen Gefangenen zu jagen, denn er war kein gewöhnliches Bleichgesicht. Er war auch kein Blaubauch, der die Angst im Herzen hatte. Dieser Gefangene war von einer besonderen Art, und alle im Jagdlager waren gespannt darauf, wie er sterben würde. Sie hatten ihn am Abend erwischt, als er mit seinem Pferd durch den Fluß geritten war. Das Pferd hatte sich auf dem schlüpfrigen Geröll den Fuß vertreten, war gestürzt, hatte sich den linken Vorderlauf gebrochen und war von den Schmelzwasserfluten weggeschwemmt worden. Der Gefangene hatte gegen den tobenden Fluß gekämpft, und als er das Ufer erreicht hatte, war er so erschöpft gewesen, daß er sich kaum mehr hatte zur Wehr setzen können. Trotzdem hatte er Buffalo Walks Ahead getötet, den Sohn des bekannten Medizinmannes Mediane Ghost, der sich in der Nacht die Haare ganz kurz geschnitten hatte. Nur die dünn geflochtene Skalplocke hing ihm jetzt noch hinten über den Nacken herunter. Medicine Ghost hatte die ganze Nacht hindurch getrauert. Am nächsten Morgen hatte er grau und alt ausgesehen. Dann hatte er sich mit blutroter Farbe bemalt und lange schwarze Striche seinen Armen und Beinen entlang und quer über sein Gesicht gezogen. Er hatte den ganzen Morgen getanzt, seinen Erschaffer befragt und schließlich großzügig wie immer, den Gefangenen einigen Freunden seines Sohnes übergeben. Sie sollten ihn jagen und töten. Die Art, wie sie es tun wollten, war ihnen freigestellt. Er hatte nur verlangt, daß der Gefangene bis zum Sonnenaufgang am Leben bleiben würde. Demnach hatten sie eine ganze Nacht lang Zeit, ihn zu töten. Der Gefangene am Pfahl verstand wenig von der Blackfeet3
Sprache. Aber sie machten ihm Zeichen. Und die Zeichen waren fast überall die gleichen. Ein Ute-Indianer machte für ›Töten‹ das gleiche Zeichen wie ein Sioux. Das gleiche gilt auch für die Blackfeet. Sie heben die rechte Hand auf Schulterhöhe und stoßen sie einige Male kurz hintereinander seitwärts abwärts, wobei sie die Finger genauso viele Male strecken und wieder zur Faust zusammenziehen, wie sie die Hand vorwärtsstoßen. Der Mann am Pfahl kannte ihre Zeichen. Er verstand sie gut, wenn sie ihm erklärten, daß sie sich darauf freuten, ihn zu töten. Und der Mann am Pfahl wußte, daß er es als eine besondere Ehre empfinden durfte, von diesen jungen und hervorragenden Blackfeet-Kriegern getötet zu werden. Sie waren nett zu ihm. Freundlich. Sie gaben ihm zu essen und zu trinken. Sie ehrten ihn mit einem Tanz. Und sie nannten ihn Mann, der aus dem Wasser kam. Sein Name aber war – Lobo. Als die Sonne sank, lösten sie seine Fesseln. Sie entkleideten ihn und massierten ihn mit Büffelfett, bis seine Muskeln warm und geschmeidig waren. Dann gaben sie ihm noch etwas Wasser zu trinken. Lobo bedankte sich für die Gastfreundschaft und die Ehre, die ihm angetan wurde. Und er versprach ihnen schneller zu laufen als eine Gabelantilope und besser zu kämpfen als ein Berglöwe. Er versprach ihnen, sich zu wehren, und er lächelte, als er dem ältesten von ihnen sagte: »Wenn du in meine Nähe kommst, werde ich dich töten.« Aber Lobo wußte, daß er keine Chance hatte. Der Boden war steinig und mit kleinen Kakteen, Dorngestrüpp und Drahtgras bedeckt. Die Erde war knochentrocken und von unzähligen Furchen durchzogen. Es gab Klapperschlagen in diesem Gebiet, und es gab Präriehundebauten. Ein Mann, der nackte Füße hatte, konnte noch so schnell laufen, entkommen konnte er diesen Kriegern nie. 4
Sie überreichten ihm ein Green-River-Messer. Der Griff war mit Leder umwickelt, die Klinge rasiermesserscharf und spitz. Er bedankte sich erneut. Und er lächelte in die Runde. Über dreißig Blackfeet-Krieger hatten sich versammelt. Sie bildeten in der Mitte des kleinen Tipilagers einen Halbkreis. Einige der würdigen älteren Männer hatten sich hingesetzt. Die Frauen und Kinder, fast siebzig, hielten sich etwas zurück. Es war nicht ihr Tag. Morgen, wenn der Gefangene tot war, würden sie mittanzen und feiern und ihre Helden lobpreisen und bewundern. Morgen war ein anderer Tag für die Blackfeet-Indianer in diesem Lager. Lobo wurde dorthin geführt, wo ein Krieger seine Lanze in den Boden gerammt hatte. Man bedeutete ihm, bereit zu sein, und noch einmal erklärte man ihm die Spielregeln. Man wollte ihm einen Vorsprung geben. Und zwar schoß einer der besten und stärksten Bogenschützen des Lagers einen Pfeil ab. Gleichzeitig sollte Lobo loslaufen. Wenn der Pfeil wieder die Erde berührte, würden die Krieger die Jagd auf Lobo aufnehmen. Lobo zeigte sich einverstanden. Er nickte ihnen aufmunternd zu. Sein brauner, muskulöser Körper glänzte im Widerschein des Sonnenlichtes, das vom Abendhimmel strahlte. Das wilde Haar hing ihm in Strähnen vom Kopf. Er stand aufrecht, das Green-River-Messer in der rechten Hand. Der Bogenschütze trat zur Lanze. Er war ein hünenhafter Mann, der drei Adlerfedern im Haar trug. Er war mit geräucherten Hirschlederleggings bekleidet, die mit Haarbüscheln, kleinen Messingglocken und Stachelschweinborsten verziert waren. Sein Oberkörper war nackt. Über dem linken Brustmuskel hatte er eine sichelförmige Narbe. Er spreizte die Beine, legte einen gefiederten Pfeil mit Stahlspitze auf die Sehne, hob den Bogen, richtete ihn zum Himmel, zog die Sehne zurück, bis nur noch die Pfeilspitze über das Holz des Bogens hinausragte. Lobo duckte sich. In dem Moment, als 5
der Bogenschütze die Sehne losließ und sich der Bogen streckte, stieß sich Lobo ab. Er rannte los, verfolgt vom Geschrei und Geheul der Männer, Frauen und Kinder. Hunde rasten hinter ihm her und wollten nach ihm schnappen. Aber er trat nach ihnen, sah den Pfeil über sich hinwegfliegen, den höchsten Punkt seiner Bogenbahn erreichen und sich zur Erde senken. Lobo spürte nicht, wie ihm Dornen durch die Fußsohlen drangen und ihm scharfe Gesteinsbrocken die Haut aufrissen. Er hörte nur den Lärm der Blackfeet und sah, wie der Pfeil etwa vierzig Yards vor ihm in die Erde einschlug und steckenblieb. Er drehte sich nicht um, aber er wußte, daß sein Vorsprung knapp sechzig Yards betrug. Sechzig Yards in einem endlosen Land. Lobo wußte, daß er wirklich wie eine Gabelantilope laufen mußte, wenn er seinen Jägern entkommen wollte. * Eigentlich wollte sich der Mann verstecken. Deshalb suchte er sich einen Platz in einem tiefen, zerfurchten Einschnitt zwischen zwei Hügelrücken. Der Mann war froh, daß die Nacht kam. In der Nacht konnte er sich frei bewegen. In der Nacht war er wie eine Fledermaus. Niemand konnte ihn erwischen. Das dachte der Mann. Er war müde. Staub klebte in seinem Gesicht. An der Oberlippe hatte er zwei aufgeplatzte Fieberblasen. Von seinem mächtigen Körper hing die blaue Uniform in Fetzen herunter. Er war seit drei Tagen unterwegs. Einer der Crow Scouts von Lieutenant Phillip C. Tucker hatte ihn beinahe erwischt. Aber der Mann konnte kämpfen. Dort wo er herkam, hatte er schon als Junge kämpfen müssen, um im Dreck zu überleben. Der Crow-Kundschafter hatte versucht, ihn im Schlaf mit der Lanze zu erstechen, aber der Mann hatte einen leichten 6
Schlaf. Er war der Lanzenspitze ausgewichen, hatte den CrowKundschafter von den Beinen gerissen und fast eine Viertelstunde mit ihm gekämpft, bis es ihm gelungen war, dem CrowKundschafter das Messer aus der Hand zu winden und es ihm in den eigenen Leib zu stoßen. Seither hatte der Mann nebst seinem Springfield-Karabiner und dem Army Colt eine Lanze, einen Tomahawk, ein Bowiemesser, ein paar Mokassins, ein Stück gedrehten Tabak, eine Halskette aus Bärenkrallen und einen Medizinbeutel, der den Kopf eines toten Raben enthielt, ein kleines Stück Catlinit und eine Sicherheitsnadel mit einem Hosenknopf. Und der Mann hatte auch ein Pferd, mit dem er aber überhaupt nicht zurechtkam, denn es war ein Crow-Büffelpony, struppig, klein, wild und zäh. Es trug einen Indianersattel, der aus Büffelleder zusammengeschustert war, die Sitzfläche mit Büffelhaar gepolstert, die Verzierungen mit grüner und roter Farbe bestrichen und mit einigen Perlenstickereien versehen. Der Mann haßte das kleine Pferd, das ihn schon zweimal gekickt und dreimal gebissen hatte. Am liebsten hätte er es abgeschlachtet und die besten Stücke über einem Feuer gebraten. Aber er brauchte das Pferd. Immerhin trug es ihn manchmal meilenweit. Manchmal war es richtig brav und manierlich. Aber dann wurde es wieder vom Teufel heimgesucht, bockte, schlug und biß um sich, als wäre es gar kein Pferd, sondern eine Kreuzung zwischen einem Puma und einer Bergziege. Der Mann hatte dem Pferd einen Namen gegeben. Er nannte es Sherman. Zu Ehren des Oberbefehlshabers der US-Armee, General William Tecumseh Sherman. Das Pferd hatte vielleicht etwas dagegen, so zu heißen, aber der Mann blieb auch nach dem dritten Biß hart und versprach ihm nur, daß es bei der ersten sich bietenden Gelegenheit in einem Suppentopf landen würde. Der Mann hieß Robert Lee Davis. Robert Lee für den Südstaatengeneral und Davis für Jefferson Davis, den Südstaatenpräsi7
denten. Die Leute aber nannten ihn schon von klein auf Georgia Bob Davis. Und dagegen hatte er nichts einzuwenden, denn er war nicht der Mann, der sich seiner Herkunft und seiner Hautfarbe schämte. An diesem Abend wollte er sich in einem Graben verstecken und in aller Ruhe die Nüsse und die wilden Artischocken essen, die er einigen Mäusen aus ihrem Bau geklaut hatte. Außerdem wollte er sich noch eine Zigarette drehen und ein bißchen ausruhen, bis die Dunkelheit kam. In der Dunkelheit fühlte er sich sicher. Die Nacht war seine Zeit. In der Nacht würde ihn niemand mehr sehen können, denn er war ein Neger. Georgia Bob Davis hatte das Pferd an den Zügeln genommen und zog es den schmalen Wildtierpfad hinunter in das enge Tal hinein. Das Pferd versuchte immer wieder, nach den Fetzen seiner Uniformjacke zu schnappen. »Laß das gefälligst, Sherman!« knurrte der riesige Neger und gab dem Pferd einen Klaps auf die Nüstern. Sherman stieg sofort, wollte sich losreißen, schlug mit beiden Vorderhufen gegen Georgia Bob, traf ihn mit einem harten Tritt in die Magengrube und versuchte eindeutig, ihm den Schädel einzuschlagen, als er in die Knie sackte und sich trotzdem noch an den Zügeln festhielt. Es gelang dem Neger, den Schlägen auszuweichen, aber er hatte Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Keuchend zog er sich an den Zügeln hoch. Sherman stand jetzt bockstill, die Ohren aber zurückgelegt und die Augen verdreht, so als hätte er eine Magenkolik oder was ähnliches. Als Georgia Bob stand, hob er die rechte Faust und schüttelte sie vor dem einen Auge des Pferdes. »Ich habe jetzt dann endgültig genug von dir, du Hurenbock!« stieß er mit herausgepreßtem Atem hervor. »Ich laß mich nicht 8
mehr von dir treten. Ich bin nicht dein Sklave, verdammt noch mal! Du bist jetzt mein Pferd, verstehst du! Ich bin dein Herr! Ob du das wahrhaben willst oder nicht, ist eigentlich scheißegal. Hast du mich verstanden, Sherman?« Sherman wackelte mit dem Kopf, aber man konnte an seinen Augen ablesen, daß er wieder einmal kein Wort verstanden hatte. »Also gut, du kannst eben kein Englisch«, sagte Georgia Bob. »Du bist eben nur ein lausiger Indianergaul, mein Freund. Ich werde mir Mühe geben, nicht so schnell die Geduld zu verlieren, wenn du dir Mühe gibst, dich zu bessern. Benimm dich wie ein anständiges, kultiviertes Pferd, mein Lieber. Dann geht es dir gut. Wenn du aber so weitermachst, du Hurenbock, dann – dann – dann freß ich dich eines Tages auf, so wahr ich Georgia Bob heiße und der Enkel eines afrikanischen Buschnegers bin. Ist das klar, Sherman?« Sherman hob seinen struppigen Schwanz und ließ zur Erwiderung einen Furz. Na also«, sagte Georgia Bob Lee Davis. »Ich wußte doch, daß du ein verständnisvoller Gaul bist.« Er zog das Pferd über eine Böschung hinunter und durch einige Dogwoodbüsche. Als er das schmale Bett eines Baches erreichte, verhielt er plötzlich den Schritt. Der Wind hatte ihm Geräusche zugetragen. Seltsame Geräusche. Abgehackte Heultöne und Kläfflaute. Jetzt waren sie nicht mehr zu hören. Aber Georgia Bob rührte sich nicht mehr vom Fleck. Er sah, wie Sherman nervös wurde, die Ohren nach hinten drehte und zur Seite tänzelte. »Ruhig, Sherman«, sagte Georgia Bob. »Das sind vielleicht Wölfe, die einen Hirsch jagen.« Der Wind war tot. Dann kam er wieder. Und er brachte erneut diese langgezogenen, schrillen Heultöne, die plötzlich abbra9
chen. Dazwischen ertönten fast wütende Kläfflaute. Georgia Bob nahm seinen Springfieldkarabiner aus der Schlinge, die an dem Indianersattel herunterhing. Er spannte den Hammer. Dann wand er die Zügel Shermans um den Ast eines Weidenbusches. Aus engen Augen blickte er zu dem Hügelrücken hoch. Nein, das waren keine Wölfe oder Kojoten, das wußte er nun. Das waren Rothäute. Womöglich von der Blackfeet-Nation. Oder Assiniboines. Georgia Bob Lee Davis überlegte, ob er vielleicht seine Chance nutzen und versuchen sollte, mit Sherman das Weite zu suchen. Das Risiko war allerdings genauso groß, als wenn er hier wartete. Vielleicht würden sie ihn übersehen, wenn er sich ganz ruhig verhielt. Das Jagdfieber hatte sie gepackt. Sie würden den Hirsch… Georgia Bob Lee Davis wurde nicht fertig mit seinem Gedanken. Oben auf dem Hügelrücken tauchte plötzlich eine Gestalt auf. Zuerst dachte Bob, daß es sich um einen Indianer handeln würde, um einen der Jäger. Aber dann sah er, daß der Mann splitternackt war und nur ein Messer in der Hand hatte. Die Beine des Mannes waren mit Blut bespritzt. Haarsträhnen klebten in einem verzerrten Gesicht. Er lief ein Stück weit den Hügelrücken entlang, vornübergebeugt, wankend, die Arme an seinem Körper herunterhängend. Und Georgia Bob, der selbst den Atem anhielt, konnte den Mann hecheln hören. Und keuchen. Es war unschwer zu erkennen, daß der Mann am Ende seiner Kräfte war. Hinter ihm, keine zehn Schritte entfernt, tauchten zwei andere Gestalten auf. Das waren die Jäger. Zwei Indianer. Einer hatte eine Lanze, der andere einen Tomahawk. Beide waren bis auf den Lendenschurz und die Mokassins mit den dicken Rohhautsohlen nackt. Einer hatte zwei Adlerfedern im Haar, der andere hatte einen breiten Messingarmreif am linken Oberarm. 10
Die beiden waren besser dran als der Mann, den sie jagten. Sie bewegten sich noch leichtfüßiger. Hinter ihnen, weit zurück, kamen noch ein paar andere, aber die konnten eigentlich dem nackten Mann nicht mehr gefährlich werden. Der nackte Mann blickte sich einmal nach seinen Verfolgern um. Dann stolperte er, stürzte, sprang sofort wieder hoch, schlug einen Haken und rannte über Stock und Stein den Hügel hinunter. Er erreichte den Bach etwa fünfzig Schritte von Georgia Bob Lee Davis entfernt, ohne daß er den Neger oder das Pferd sah. Auch die beiden Rothäute hatten nur Augen für den Gejagten. Heulend und kläffend rannten sie hinter ihm her. Bevor sie den Bach erreichten, teilten sie sich. Jetzt wollten sie ihn in die Zange nehmen. Sie hatten erkannt, daß er am Ende seiner Kräfte war. Den Anstieg des nächsten Hügels würde er nicht mehr schaffen. Und darauf wollten sie sich vorbereiten. Sie trennten sich, und der eine fing an schneller zu laufen, um den Mann einzuholen oder gar zu überholen. Der andere blieb etwas zurück. Der nackte Mann stolperte den Hang hoch, stürzte, riß sich die Knie und die Hände auf, kroch weiter, kam auf seine zerschundenen Füße, taumelte über Geröll hinweg und durch die Büsche. Er schaffte fast die Hälfte des Hügels. Dann warf er sich völlig überraschend herum, stieß einen kehligen Laut aus, der an das Fauchen eines Pumas erinnerte, stieß sich vom Boden ab und hechtete gegen den Indianer, der bis auf Lanzenlänge an ihn herangekommen war. Der Mann, der bis zu diesem Moment den Eindruck eines völlig erschöpften und fast zu Tode gehetzten Menschen gemacht hatte, bewegte sich so schnell und gewandt, daß Georgia Bob Lee Davis mit großen Augen und weit geöffnetem Mund zum Hang hinstarrte, ohne sich zu bewegen. Aber auch der Indianer mit der Lanze war ein geschmeidiger 11
und blitzschneller Krieger, der dem Überraschungsangriff nach einem kurzen Schock begegnete, als hätte er die ganze Zeit nur darauf gewartetet, daß sich der Gejagte stellen würde. Der Indianer duckte sich, stieß die Lanze von unten her hoch und drehte gleichzeitig den Rücken einem Felsbrocken zu, um dem Aufprall des Angreifers widerstehen zu können. Die Spitze der Lanze, an der einige Federn und farbige Bänder herunterhingen, blitzte im letzten Licht des Tages auf. Georgia Bob hörte den gellenden Kriegsschrei des Kriegers und sah, wie die Lanze plötzlich senkrecht hochschoß, so als ob sie in den Himmel geschleudert würde. Aber sie drehte sich in der Luft, und für einen Moment sah es aus, als würde die Spitze den nackten Mann von der Seite her durchbohren. Gleichzeitig erreichte nun der zweite Krieger die beiden kämpfenden Männer. Er duckte sich, schwang seinen Tomahawk und machte sich bereit, sich in den Kampf zu stürzen. In diesem Moment nahm Georgia Bob seinen Springfield-Karabiner an die Schulter. Er legte an, drückte den Kolben fest an, zielte über Kimme und Korn auf den Indianer mit dem Tomahawk und drückte ab, als sich dieser vorwärtswerfen wollte. Es war ein guter Schuß. Der Indianer wurde von der Kugel herumgeschleudert. Er verlor den Boden unter den Füßen, krachte gegen einen Felsbrocken, drehte sich und rutschte über einen schmalen Geröllhang in ein paar Büsche hinein, wo er mit verkrümmten Gliedern liegenblieb. * Lobo hatte keine Kraft mehr. Seine Glieder waren so schwer, daß er die Füße kaum mehr vom Boden heben konnte. Bei einem Sturz fiel ihm sogar das Messer aus der Hand, aber bevor er hochtaumelte, packte er den Griff mit der linken Hand. 12
Er wußte nicht, wie lange er gerannt war. Er spürte keine Schmerzen mehr. In seinem Kopf aber hämmerte der Pulsschlag, als hätte er eine Dampfmaschine in der Brust. Stechende Feuerlanzen durchzuckten seinen Schädel. Sein Atem ging rasend schnell und kurz. Er bekam nicht mehr genug Luft, um die erschöpften Muskeln mit neuem Sauerstoff zu versorgen. Seine Lungen arbeiteten nicht mehr gut genug. Lobo rannte trotzdem. Er schaffte den Hügel, und es war ihm, als würde seine Brust platzen. Er stolperte, taumelte, lief, fiel auf die Knie und kam wieder hoch. Ein Lanzenträger und ein Krieger mit einem Tomahawk. Die anderen waren zurückgeblieben. Er konnte sie noch heulen und kläffen hören, aber sie waren weit zurück. Lobo blickte in das Tal hinunter, in dem sich die Nachtschatten bereits eingenistet hatten. Das Tal war schmal. Wie eine Kerbe zwischen zwei Hügeln. Zu beiden Seiten hoben sich steile Hänge, übersät mit Geröll und Felsbrocken und Büschen. Lobo schlug einen Haken. Er lief den Hang hinunter, mit bleischweren Beinen, die gegen die Steinbrocken schlugen und die von den Ästen der Büsche gepeitscht wurden. Lobo erreichte den schmalen Bach. Er taumelte durch das Bett, zog sich auf der anderen Seite an einigen Weidenästen über eine Böschung hoch und begann den Hang hochzulaufen. Aber nach wenigen Yards konnte er nicht mehr. Er brach zusammen, kroch einige Yards weit, stemmte sich hoch und wollte weiterlaufen. Aber in diesem Moment fühlte er, daß er sie jetzt im Nacken hatte. Es war ihm fast, als könnte er ihren heißen Atem spüren. Lobo warf sich jäh herum. Wie durch Nebel hindurch sah er den ersten Krieger, der keine vier Schritte entfernt war und sich duckte, als hätte er davor Angst, daß ihm im nächsten Moment der Himmel auf den Kopf fallen würde. Er duckte sich. Seine Augen wurden weit. Er riß den Mund auf und stieß einen gellenden Kriegsschrei aus. Gleichzeitig riß er die Lanze hoch, und 13
Lobo sprang ihn von schräg oben an. Mit dem linken Fuß traf er die Lanze. Die Spitze fegte seitwärts an seinem Gesicht vorbei, streifte ihn beinahe, blinkte über ihm auf, bevor Lobo mit beiden Knien auf den Krieger niederknallte. Lobo spürte nicht, wie die Lanzenspitze auf seinem Rücken einen Muskel aufriß. Er hatte das Gesicht eines jungen Kriegers vor sich, ein verzerrtes Gesicht mit großen dunklen Augen, die Stirn mit gelber Farbe bestrichen, weiße Striche unter den Augen und am Kinn. Lobo hatte den Messergriff mit beiden Händen gepackt, und während der Krieger unter ihm das Gleichgewicht verlor und nach hinten wegsackte, stieß Lobo beide Arme mit der letzten, ihm verbliebenen Kraft nieder. Die Klinge des Messers bohrte sich zwischen Hals und Schulter in den Körper des Kriegers, der einen furchtbaren Schrei ausstieß. Lobo hatte nicht die Kraft sich aufzufangen. Er prallte schwer auf den Krieger nieder und schlug mit seinem Kopf gegen den des Kriegers. Sie überrollten sich, lösten Geröll, das ins Rutschen kam, krachten zusammen gegen einen Felsbrocken und blieben ineinander verschlungen am Hang liegen. Noch immer hielten beide Hände Lobos den Messergriff umkrallt. Er hatte die Augen des Kriegers genau vor sich und sah, daß er ihn tödlich getroffen hatte. Der Krieger öffnete den Mund. Er wollte etwas sagen, aber er brachte nur ein schwaches Gurgeln hervor. Lobo löste sich von ihm, schob die Hand weg, die auf seiner Schulter lag, stemmte sich ächzend hoch und zog das Messer aus dem Körper des Kriegers. Erschöpft fiel er zur Seite, wälzte sich weg von dem sterbenden Indianer und holte tief Luft. In diesem Moment fiel ihm der zweite Krieger ein. Lobo stemmte sich hoch. Er warf den Kopf herum. Der zweite Krieger lag fast zwanzig Schritte entfernt am Boden, halb unter 14
einigen Sträuchern. Er bewegte sich nicht mehr. Lobo starrte ungläubig auf ihn nieder, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. In diesem Moment krachte ein Schuß. Auf der anderen Talseite, oben auf dem Hügelrücken, warfen sich die Verfolger hinter die Steine und Büsche. Lobo drehte den Kopf. Jetzt sah er den Mann, der dort unten am Bach auf einer Böschung kniete und dabei war, seinen Springfield-Karabiner nachzuladen. Der Mann trug eine zerfetzte Uniform. Neben ihm stand ein häßliches Pferd mit einem kurzen Schwanz und einem narbigen Fell. Lobo warf einen flüchtigen Blick auf seinen Gegner, der am Boden hockte und auf den Tod wartete. »Junge, wenn du nur nicht so schnell gelaufen wärst«, keuchte er. Der Indianer reagierte nicht mehr. Seine Lider fielen ihm halb über die Augen, und sein Kopf fiel zur Seite. Lobo wußte nicht, ob er noch lebte oder tot war, als er aufstand. Erneut krachte der Springfield-Karabiner, ohne daß sich dem Soldaten dort unten ein Ziel bot. »Kommt her, ihr roten Höllenhunde!« rief der Soldat mit einer heiseren Stimme. »Kommt her, ich hab genug blaue Bohnen für alle von euch!« Lobo taumelte den Hang hinunter, erreichte den Bach, ließ sich auf die Knie nieder und steckte den Kopf ins Wasser. Er trank ein paar Schlucke. Dann erhob er sich, und der Soldat hatte unterdessen den Karabiner wieder aufgeladen. »Wenn einer seine Nase zeigt, braucht er nie mehr über 'nen Schnupfen zu klagen!« rief der Soldat rauh. »He, Junge, kennst du dich vielleicht mit Indianergäulen aus?« Lobo stolperte am Bach entlang. »Weg hier, Mann!« krächzte er. »Da hinten sind einige Dutzend Blackfeet-Indianer.« 15
»Ich habe nur drei oder vier da oben gesehen«, gab der Soldat zurück. »Da hinten ist ein Jagdlager.« Lobo blieb keuchend stehen. »Komm, die jungen Krieger da oben können uns nicht gefährlich werden. Sie haben keine Feuerwaffen dabei.« »Kennst du dich mit Indianergäulen aus, Junge?« fragte der Soldat erneut und zeigte mit dem Daumen über die Schulter auf das Pferd. »Das ist Sherman. Er mag mich nicht besonders.« Der Soldat grinste. »Ich bin Georgia Bob Lee Davis und…« Er riß das Gewehr hoch und feuerte. Die Kugel schlug am gegenüberliegenden Hang gegen Steine. »Da wollte doch einer vorwitzig werden, Junge.« »Wir müssen weg hier, Davis. Das Pferd trägt vielleicht beide, wenn wir ihm gut zureden.« »Kannst du indianisch?« Lobo taumelte auf das Pferd zu und griff nach den Zügeln. Das Pferd drängte zurück. Es versuchte, nach Lobo zu schlagen, aber er wich aus. Der Soldat hatte inzwischen den Karabiner wieder geladen. Er sprang auf. »Also, Junge, dann nichts wie weg von diesem ungastlichen Ort. Kennst du 'nen Weg nach San Francisco?« Lobo gab ihm keine Antwort. Er hatte Mühe, den Gaul festzuhalten, als der Soldat anstürmte. Sherman machte ein paar wilde Bocksprünge. Lobo hängte sich an ihn, und als der Gaul für einen Moment still stand, schwang er sich blitzschnell auf den Sattel. Jetzt hatte er das Pferd unter Kontrolle. Er drückte die Schenkel hart an und nahm die Zügel kurz. »Steig auf, preßte er hervor, und der Soldat mit der zerschlissenen Uniform kletterte hinter Lobo auf den Rücken des Pferdes. Lobo gab ihm die Absätze, und das Tier trottete den Bach entlang südwärts. Oben auf dem Hügelrücken heulten die jungen Krieger vor Zorn und Enttäuschung. Sie hatten ein bitteres Lehr16
geld zahlen müssen. Zwei ihrer Freunde waren tot, und der Gefangene, den man ihnen überlassen hatte, war ihnen entkommen. Das war ein schlechter Tag für die Blackfeet-Krieger, die auf dem Hügelrücken zurückblieben, während ein Büffelpony mit dem Namen ›Sherman‹ einen Deserteur und einen nackten Mann von dannen trug. * Die Kojoten wagten sich dicht an die beiden Männer heran, die nebeneinander südwärts marschierten. Einer von ihnen, der größere, führte ein Pferd an den Zügeln, während der andere sich auf einem knorpeligen Stock aufstützte. Die beiden Männer waren Lobo und der Neger, der Bob Lee Davis hieß und Georgia Bob genannt wurde. Sie marschierten, obwohl Sherman noch genug Kraft gehabt hätte, sie beide zu tragen. Sie marschierten, obwohl Lobos Füße völlig zerschunden waren. Er hatte sie mit Stücken von Georgia Bobs Uniformjacke umwickelt und die Mokassins darübergezogen, die der Neger dem Crow-Kundschafter abgenommen hatte, obwohl sie ihm viel zu klein waren. Als Lobo trotz des Krückstockes nicht mehr vorankam und auf die Knie niedersank, wurde Georgia Bob zum erstenmal wütend. Er kniete nieder und packte Lobo am Arm. »Junge, ich weiß nicht, wer du bist, und ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet dir begegnen mußte. Aber eines weiß ich mit Bestimmtheit: Von jetzt an hockst du dich auf den Gaul und hältst die Klappe, während ich noch ein Stück weitermarschiere. Hast du mich verstanden, Junge?« Lobo hob den Kopf, versuchte zu grinsen und krächzte: »Hör nur auf, Oma. Sag mir lieber, ob wir bei Cow Island den Armee17
posten aufsuchen können, ohne daß man uns eine Begrüßungssalve entgegenfeuert, die wir nicht überleben würden.« »Ich habe keine Ahnung, wieviel Blei du schlucken kannst, Junge. Aber wenn da unten irgendwo ein Armeeposten ist, dann schlage ich vor, einen großen Bogen zu reiten.« »Du bist also tatsächlich ein Deserteur, Bruder.« Lobo schüttelte den Kopf. »Wer hier wegläuft, der muß sich entweder höllisch gut im Lande auskennen, oder aber er ist total übergeschnappt. »Ich kenn mich aus«, sagte Georgia Bob und bleckte seine Zähne. »Ich weiß, daß irgendwo im Westen der Pazifik ist. Und am Pazifik, da ist San Francisco. Dort leben mein Bruder, meine Schwester und einer meiner Onkel. Und mein Bruder hat mir 'nen Brief geschrieben, in dem er mir von 'ner Katze erzählt, die ich gerne zähmen möchte. Ein Kätzchen, Junge. Schwarz wie deine Seele. Mit Feuer in den Augen. Sie heißt Virginia, aber ich werde sie Franzisca nennen.« Lobo legte sich zurück. Seine Füße brannten höllisch. Der Wind strich über das Gras. Über ihm glitzerten die Sterne wie Diamanten. Der Mond stand sichelförmig im Nordosten. Irgendwo heulte ein Kojote. Der Neger drehte sich um. Seine Hand griff nach dem Springfield-Karabiner. »War das einer?« fragte er. Lobo nickte. »Ja, das war ein echter.« Du kennst dich aus, was?« »Ein bißchen.« »Nur keine falsche Bescheidenheit, Junge. Du bist ein Mischling. Halbe Rothaut. Und du riechst nach Pech und Schwefel. Ich bin sicher, daß du schon einige Male am Rande der Hölle entlanggerutscht bist, Junge.« Lobo seufzte. »Ich brauche Kleider, Schwarzer. Und du brauchst Kleider. Dann brauche ich ein Pferd, Waffen und Provi18
ant. Ich glaube, wir kommen nicht darum herum, dem Armeeposten bei Cow Island einen Besuch abzustatten.« »Das – das kommt nie in Frage, verflucht noch mal. Ich bin nicht lebensmüde. Weißt du, was passiert, wenn sie mich erwischen?« »Sie erschießen dich«, sagte Lobo kühl. »Jawohl, Sir. Sie erschießen mich, Sir. Und zwar auf der Stelle.« Lobo stand auf. »Sie erwischen dich nicht, wenn wir es richtig machen, Schwarzer.« »Nein, Sir. Daraus wird nichts. Ich bin ein friedfertiger Mensch. Kann keiner Fliege etwas zuleide tun. Kann auch nicht einfach hingehen und denen Zeug wegnehmen. Ich bin ein Deserteur, aber das heißt noch lange nicht, daß ich auch ein Dieb sein muß. Nein, Sir.« Lobo hob vorsichtig einen Fuß und machte den ersten Schritt. Er konnte kaum mehr auftreten. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er mußte sich an Georgia Bob festhalten. Der Neger packte ihn, hob ihn einfach hoch und in den Sattel. »Du bleibst oben, Junge. Und damit hat es sich. Ich kann laufen, Sir. Das habe ich gelernt. Zuerst bei der Infanterie. Dann bei dieser Scheiß-Kavallerie. Die Schwarzfüße haben uns einmal alle Pferde geklaut. Da mußten wir tausend Meilen gehen. Marschieren, Sir. Mit Sack und Pack.« »Tausend Meilen, eh«, krächzte Lobo. »Von hier zum Missouri sind es knapp dreißig Meilen. Wir haben einige Dutzend Blackfeet-Krieger auf der Fährte und nur ein Pferd.« »Wir haben auch Lieutenant Phillip C. Tucker auf der Fährte, Junge. Und der Lieutenant ist zwar ein Weißer, aber wenn er mich erwischt, dann wird es für mich kaum angenehmer, als wenn ich den Schwarzfüßen in die Hände fallen würde.« »Bist du sicher, daß Tucker noch hinter dir her ist?« 19
»Absolut. Er hat 'nen Spezialtrupp dafür. Sechs, sieben ausgesuchte Leute und ein paar Crow Scouts. Tucker ist dafür berühmt, daß er noch jeden Deserteur erwischt hat. Jeden.« »Dann müßte er eigentlich auch dich erwischen, Schwarzer.« Georgia Bob wiegte den Kopf. »Das habe ich mir auch schon gedacht. Eigentlich müßte er mich erwischen. Aber vielleicht hat er dieses Mal Pech. Vielleicht erwischt es dieses Mal nicht mich, sondern ihn.« Lobo nickte. »Diese Möglichkeit besteht zweifellos«, sagte er müde. »Ich würde auf jeden Fall damit rechnen, daß San Francisco und das Kätzchen fast unerreichbar weit…« Wieder war ein langgezogener Heulton zu hören, dem sofort zwei andere folgten. Georgia Bob Lee Davis warf den Kopf hoch und hielt den Atem an. »Das waren keine echten«, sagte Lobo leise. »Das waren entweder die Blackfeet-Krieger, oder es waren die Crow Scouts.« Der Neger drehte sich sofort um, zog scharf an den Zügeln und marschierte los. Sherman folgte widerstandslos. * Lieutenant Phillip C. Tucker ließ die Männer erst anhalten, als die Crow Scouts die Fährte nicht mehr halten konnten, obwohl sie auf allen vieren durch die Gegend krochen. Die Männer waren alle total erschöpft. Seit sechzehn Stunden befanden sie sich unterwegs. Ohne Pause. Ohne Essen. Die letzte Nacht hatte für sie knapp fünf Stunden gedauert. Die vorletzte Nacht waren sie durchgeritten. Seit sie Fort Benton verlassen hatten, waren sie mindestens dreihundert Meilen kreuz und quer durch die Plains geritten. Jetzt befanden sie sich in den 20
südlichen Ausläufern der Bear Paw Mountains und hatten keine Ahnung, daß kaum ein Dutzend Meilen entfernt in einer Senke das Lager von mehr als vier Dutzend Blackfeet-Kriegern stand. Es war ein Jagdlager, aber das würde diese Krieger nicht daran hindern, die kleine Patrouille von Lieutenant Phillip C. Tucker anzugreifen, sobald sie von den Kundschaftern gesichtet würde. Tucker war ein scharfer Hund. Im Bürgerkrieg war er Major gewesen. Ein Yankee aus Connecticut. Fünfzig Jahre alt, mager, mit einem hageren Gesicht, das von scharfen Falten durchzogen war. Blaßblaue Augen und eine scharf hervortretende Nase Wie der Schnabel eines Vogels. Daß er noch Lieutenant war, hatte er seinem unbeherrschten Temperament zu verdanken. Und der Tatsache, daß ein Mann wie er kaum Freunde hatte. Nicht unter den Soldaten und auch nicht unter den Vorgesetzten. Er hatte es noch nicht einmal fertig gebracht, seine Frau für sich zu gewinnen. Sie war eines Tages mit einem Soldaten durchgebrannt. Der Soldat hatte desertiert, um mit ihr zu entkommen. Tucker hatte ihn gejagt und erwischt. Irgendwo am Marias River. Dort hatte er dem Soldaten eine Kugel in den Bauch geschossen und ihn dann liegen gelassen. Tuckers Sohn Morgan war mit sechzehn Jahren beim Viehdiebstahl erwischt und aufgehängt worden, und seine Tochter, die achtzehn Jahre alt war, lebte irgendwo im Osten mit einem Handelsvertreter zusammen. Sie schrieb ihrem Vater nur jedes Jahr einmal. Zu Weihnachten. Niemand mochte Tucker. Es gab Soldaten, die sich schon mehr als einmal geschworen hatten, ihn bei einer günstigen Gelegenheit umzubringen. Aber Tucker war wachsam. Er machte kaum Fehler. Er hielt seine Männer immer unter Kontrolle und drehte ihnen nie den Rücken zu. Hier, in den Fußhügeln der Bear Paw Mountains, wollte der Lieutenant entscheiden, ob er die Fährte des Deserteurs noch 21
weiter verfolgen oder ob er die Suche abbrechen wollte. Die Männer waren sich im klaren darüber, daß Tucker nicht umkehren würde. Sein Haß war zu mächtig, und das Feuer, das in ihm glühte, konnte er kaum löschen. Mit dem Neger waren noch zwei andere abgehauen. Ein Junge namens Patrick O'Flynn und einer, der im letzten Herbst von einem Blackfeet-Pfeil ins Bein getroffen worden war. Weit waren die beiden nicht gekommen. Aber sie hatten sich gewehrt. Sie hatten zurückgeschossen, als Tucker mit seinem Trupp sie gestellt hatte. Sie hatten Sergeant Forbes verwundet, aber dann waren sie getroffen worden. Von ihren Freunden und von Lieutenant Phillip C. Tucker, der einer der besten Gewehrschützen in Fort Benton war. Der einzige, der entkommen konnte, war der Neger. Er hatte sich früh von den anderen getrennt und wollte es allein versuchen. Bis jetzt hatte er sich ganz gut durchgeschlagen. Das mußte selbst Tucker anerkennen. Bis jetzt hatte der Neger gezeigt, was alles in ihm steckte. Er hatte einen Crow Scout erledigt und eine Zickzackfährte durchs Land gezogen, ohne daß es dem Trupp gelungen war, aufzuholen oder ihn gar einzuholen. Tuckers Wut war groß. Er trieb seine Männer an, als hätte er einen Krieg zu gewinnen. Er ließ ihnen keine Ruhe. Er redete kaum mehr mit ihnen. Er gab nur noch knappe Befehle. Sergeant Forbes Wunde war entzündet. Trotzdem wollte Tucker nicht umkehren. Er behandelte die Wunde selbst. Aber die Entzündung ging nicht weg, und Forbes bekam Fieber. »Wenn Sie nach Fort Benton zurückreiten wollen, Sergeant, dann lassen Sie mich das nur wissen. Sie kriegen dann einen entsprechenden Marschbefehl.« Forbes wußte, daß ein Mann allein in diesem Land keine große Chance hatte, schon gar nicht, wenn er eine Uniform trug. Die Blackfeet-Krieger ließen keinen Weißen, den sie erwischen konn22
ten, am Leben. Darüber brauchte sich niemand etwas vorzumachen. Die Blackfeet-Krieger waren wild und zornig. Zuviel Unglück war über die Nation hereingebrochen, seit die Weißen im Land waren. Weit über die Hälfte der Menschen waren an Blattern-Epidemien gestorben, die von den Amerikanern mit Handelsdecken eingeschleppt wurden. Außerdem hatten sich die alten Feinde, die Crows, mit den Weißen verbündet und kriegten dafür Waffen und Munition. Die einzigen, mit denen die Blackfeet-Indianer auskommen wollten, waren die Engländer der Hudson Bay Company in Großmutters Land, das die Amerikaner Kanada nannten. Großmutters Kinder waren anders als die Amerikaner, von denen nur Tod und Verderben ausging. Tucker wußte genau, daß sein Sergeant nicht nach Fort Benton zurückreiten würde, denn Forbes war ein erfahrener Mann, der schon über vier Jahre hier oben im Norden Dienst tat. Entweder kehrten sie alle zusammen zurück, oder sie folgten weiterhin der Fährte des Negers, der Tuckers Pferd geklaut hatte, als er abgehauen war. Das war natürlich eine Herausforderung, die Tucker nicht unbeachtet lassen konnte. Der Neger hatte ihm schon während Monaten Schwierigkeiten gemacht. Er hatte andere Leute gegen Tucker aufgewiegelt, und selbst durch drastische Strafmaßnahmen war er nicht davon abzuhalten gewesen, Tucker das Leben schwerzumachen. Wenn es einen Mann gab, den Tucker unbedingt erwischen wollte, dann war dies der Neger. Er haßte ihn. Er hatte sich geschworen, ihn zu töten. Eigenhändig. Er wollte ihn nicht gefangennehmen und ihn zurück nach Fort Benton bringen, wo man ihn dann wahrscheinlich standrechtlich erschossen hätte. Zuviel Ehre für einen Nigger. Warum Trommelwirbel, wenn ein einziger gutgezielter Schuß genügte? An diesem Abend zündeten die Soldaten kein Feuer an. Es gab deshalb nur Hartbrot, das in kaltem Wasser aufgeweicht werden 23
konnte, und Stücke vom Trockenfleisch. Es gab keinen Kaffee, und Tucker gestattete den Männern nur, eine Zigarette zu rauchen. Dann teilte er die Wachen ein, während Sergeant Frederic Forbes lang ausgestreckt im Gras lag und sein schweißglänzendes Gesicht mit beiden Händen bedeckte. Er fror erbärmlich, und Jim Rinth, ein junger Bursche, der aus einem österreichischen Bergdorf kam und noch kaum einen zusammenhängenden Satz auf Englisch sagen konnte, breitete zwei Decken über dem Sergeant aus. »Schlag sie rum um dich«, sagte Rinth. »Und wenn's nicht hilft, dann sag was. Dann leg ich mich rein zu dir, Sergeant.« Tucker gab den Männern eine Stunde Zeit. »Dann ist Bettruhe«, sagte er scharf. »Morgen früh reiten wir, sobald es hell genug ist, um die Fährte zu sehen.« Damit wußten sie nun, daß sie auch morgen weiterhin der Fährte des Negers folgen würden. Morgen war der fünfte Tag. Tucker hatte gesagt, daß in einer Woche alles vorbei wäre. Aber er hatte nicht mit dem unbeugsamen Willen des Negers gerechnet, am Leben zu bleiben und nach San Francisco zu reiten. * Georgia Bob Lee Davis zerkaute Wurzeln, zerrieb Blätter zwischen seinen Händen und vermischte alles zu einem Brei, mit dem er Lobos Füße bepflasterte. Er tat es sehr sorgfältig und sang dazu mit einer dunklen Baßstimme ein Lied, das von einem Baumwollpflücker erzählte, der sich in das Mädchen seines weißen Herrn verliebt hatte und sein »Herz auf den Händen zum Brunnen trug, wo seine Angebetete aber nur Augen für den Sohn des Nachbarn hatte«. Es war Morgen. Die Sonne kam hoch. Dunstschleier hatten sich 24
zwischen den Hügeln ausgebreitet. Das Gelände war zerfurcht und zerklüftet, als ob es vom Teufel durchgeackert worden wäre. Irgendwo im Süden durchfloß der Missouri dieses Land. Lobo kannte die Furt bei Cow Island. Jetzt, im Frühjahr, war es die einzige Stelle, wo man den Fluß durchqueren konnte. Es befand sich dort nichts außer einem kleinen Armeeposten, der von einem Sergeant und einem Trupp von sechs Soldaten besetzt war. Während der Sommermonate, wenn der Missouri zu wenig Wasser führte, um die Dampffrachter bis nach Fort Benton hochzutragen, wurde Cow Island zu einem Güterumschlagplatz. Dann wurden hier die großen Frachter entladen, die Waren im Freien oder in den beiden Schuppen gelagert und per Frachtwagen nach Fort Benton hochtransportiert. Lobo und Georgia Bob befanden sich kaum zwanzig Meilen von Cow Island entfernt. Sie hätten den Armeeposten bis zum Nachmittag erreichen können, aber Georgia Bob weigerte sich, auch nur in die Nähe von Cow Island zu reiten. Daß er dringend Proviant und Munition, vielleicht sogar ein besseres Pferd brauchte, das sah Georgia Bob wohl ein, aber das Risiko, von den Soldaten dort gefangengenommen zu werden, war ihm viel zu groß. »Wenn du willst, dann kannst du meinetwegen hingehen«, sagte er zu Lobo. »Aber mich kriegst du nicht hin.« »Wir könnten dem Sergeanten erzählen, daß wir zwei die einzigen Überlebenden eines Trupps sind, der von Blackfeet-Kriegern überfallen wurde. Das müßten sie uns glauben. Und sie müßten uns Pferde geben und alles, was wir brauchen, um nach Fort Benton zurückzureiten.« »Daß du kein Soldat warst, das merkt jeder Idiot, Junge. Nein, Sir, so geht das nicht.« »Ich könnte ein Scout gewesen sein.« 25
Georgia Bob wiegte den Kopf. »Du vergißt aber, daß es eine Telegrafenverbindung zwischen Cow Island und Fort Benton gibt. Die wissen inzwischen dort längst, daß ich desertiert bin und daß Tucker mit einem Trupp hinter mir her ist.« Lobo seufzte. Daran hatte er nicht gedacht. Er überlegte hin und her. Schließlich, als Georgia Bob die Füße wieder umwickelt hatte, entschied sich Lobo dafür, dem Posten bei Cow Island allein einen Besuch abzustatten. »Der Sergeant dort ist verpflichtet, einem Zivilisten zu helfen«, meinte er. »Ich weiß, daß sie dort mehr als drei Dutzend Pferde haben. Viele Wagenpferde. Sie haben auch Waffen und Medikamente. Und sie haben Futter für uns, Schwarzer. Hier draußen verhungern wir, wenn wir nicht zufällig einigen Büffeln begegnen. Und dort wo Büffel sind, da sind auch Indianer. Es bleibt uns also gar nichts anderes übrig, als nach Cow Island zu reiten.« Georgia Bob stand auf. Er rieb seine Hände an der Hose ab. Er drehte sein Gesicht der aufgehenden Sonne zu. Seine Haut bekam einen kupferfarbenen Schimmer. »Kein Mensch bringt mich dazu, in die Nähe eines Armeedepots zu reiten«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Ich bin frei, mein Freund. Darauf habe ich lange gewartet. Ich bin frei, und lieber sterbe ich, als daß ich mich einfangen lasse. Nein, Sir, das Risiko ist mir zu groß.« »Aber du willst nach San Francisco, was? Das ist ein Kinderspiel. Ein kleiner Spaziergang. Einfach so mal ein bißchen westwärts reiten. Mann, wo ist denn dein Picknickkorb mit der Wurst und dem Schwarztee?« Lobo packte den Neger am Arm. »Dreh dich mal um, du freier Mensch. Dreh dich um und sag mir, wie viele Inidaner du zählen kannst.« Georgia Bob drehte nur den Kopf. Als er die Kette der Reiter 26
sah, die sich einem Hügelrücken entlangbewegten, fielen ihm fast die großen Augen aus dem Kopf. Er schnappte hörbar nach Luft. »Das sind mindestens zwei Dutzend«, sagte er heiser. »Es sind genau sechsunddreißig Krieger.« »Deine Schwarzfüße, Junge. Das sind deine Schwarzfüße.« »Nein, Blaubauch. Das sind nicht meine Schwarzfüße. Das sind entweder Sioux oder Crees. Können aber auch Assiniboines sein. Vielleicht Crows. Vielleicht Cheyennes.« »Oh, ich weiß, was du damit andeuten willst, Junge. Du willst mir klarmachen, daß es in dieser Gegend nur so von Rothäuten wimmelt und daß ich eines Tages froh sein werde, wenn mir ein paar Soldaten der glorreichen US-Armee aus der Patsche helfen würden.« »Das habe ich nicht gesagt, Schwarzer.« »Nenn mich nicht dauernd Schwarzer, verdammt! Ich bin Robert Lee Davis, und ich würde es dir hoch anrechnen, wenn du mich Georgia Bob nennen würdest. Das bin ich nämlich so gewohnt.« »Sonst hast du keine Sorgen, was?« fragte Lobo, ohne daß er die Reiter auf dem Hügelrücken aus den Augen ließ. Er konnte aus dieser Entfernung unmöglich erkennen, zu welchem Stamm die Indianer gehörten. Daß es nicht die Blackfeet-Krieger waren, denen er entkommen war, war ihm klar. Diese Krieger wären seiner Fährte gefolgt und hätten im Morgengrauen angegriffen, falls sie wirklich die Fährte während der Nacht hätten halten können. Die Krieger da oben, die hatten sie noch nicht einmal entdeckt. Außerdem ritten sie in südöstlicher Richtung. »Was tun wir, wenn sie uns angreifen?« fragte Georgia Bob rauh. »Wenn sie angreifen, dann kannst du nur noch beten, Blaubauch«, sagte Lobo grimmig. »Mich schonen sie vielleicht. Aber 27
dir sehen sie an, daß du ein Büffelsoldat bist. Deshalb werden sie dich unter allen Umständen abmurksen.« »Das denke ich mir auch«, gab Georgia Bob zu. »Es ist vielleicht besser, wenn ich jetzt sofort losreite und möglichst viele Meilen hinter mich bringe, bevor es wieder dunkel wird.« Er bewegte sich und wollte zum Pferd gehen, das im Schatten des Hanges weidete. Lobo riß ihn hart zurück. »Du bleibst!« sagte er scharf. »Verdammt, die brauchen nur eine Bewegung zu erkennen, schon schlagen sie eine andere Richtung ein. Solange wir stillstehen, haben wir die Chance, daß sie uns übersehen.« Georgia Bob stand jetzt wie ein Pfahl. Er rührte sich nicht mehr, und es schien Lobo, als würde er sogar den Atem anhalten. Es dauerte fast fünf Minuten, bis die Reiter alle hinter dem Hügel verschwunden waren. Jetzt atmete Georgia Bob tief ein und ließ sich auf seine Absätze nieder. »Junge, ich habe ganz kalte Füße gekriegt, während ich so dastand und die Rothäute beobachtete. Richtig kalte Füße«, sagte er leise. »Das passiert, wenn einem die Angst in die Knochen kriecht, Schwarzer«, sagte Lobo. »Komm, wir holen das Pferd und reiten zu dem Hügelrücken hoch.« »Dort hinauf, wo die Rothäute durchgekommen sind?« »Ja. Dort hinauf.« »Wozu, verdammt und zugenäht? Nein, Sir, ich will doch nicht dauernd mein Leben auf den Fingerspitzen durch die Gegend tragen, nur weil du unbedingt ständig Kopf und Kragen riskieren willst, mein Freund.« »Der Teufel ist dein Freund, Schwarzer.« »Versündige dich nicht! Ich weiß, daß ich Gott an meiner Seite hatte, als ich desertierte. Er konnte auch nicht mehr mit ansehen, wie ich unter dem Joch dieser Yankeearmee leiden mußte. Für 28
mich war es das Fegefeuer auf Erden, mein Freund. Und Lieutenant Tucker hat mir die Flammen so lange gegen den Arsch geblasen, bis ich die Ketten sprengte und davonlief.« Lobo lachte. »Und wohin bist du gelaufen, Schwarzer? In die Hölle bist du gelaufen, Schwarzer. Geradewegs in die Hölle.« »Trotzdem sollst du dich nicht versündigen, du Mistkerl. Ich habe dich vor den Krallen des Todes gerettet, als niemand mehr einen Cent auf dein Leben verwetten wollte. Jetzt sind wir zusammen irgendwo zwischen dem Himmel und der Erde. Wenn das die Hölle sein soll, dann frage ich dich, warum hier die Sonne aufgeht.« Lobo hob die Schultern. »Die Sonne brennt, Schwarzer. Das wirst du heute noch erleben.« »Jawohl, Sir. Die Sonne brennt unbarmherzig wie das Höllenfeuer. Und trotzdem ist für mich hier ein Stück vom Paradies. Ich bin frei! Ich bin ein freier Amerikaner, der gehen kann, wohin er will. Weißt du, was das bedeutet, mein Freund?« »Das bedeutet, daß der Weg nach San Francisco länger ist, als du denkst, Schwarzer. »Ich komme Schritt um Schritt voran.« Lobo grinste. »Sicher«, sagte er. »Schritt um Schritt. Und damit du nicht plötzlich über die eigenen Füße stolperst und auf die Nase fällst, reiten wir zum Hügel hoch und sehen uns die Fährten an. Dann wissen wir, woran wir sind, Schwarzer. Dann können wir uns einrichten. Und vielleicht erleben wir dann keine bösen Überraschungen.« Georgia Bob Lee Davis kratzte sich nachdenklich im Nacken. Dabei machte er ein Gesicht, als hätte er einen eitrigen Backenzahn. »Ich muß dir vertrauen, mein Freund«, sagte er nach einer Weile. »Es bleibt mir gar nichts anderes übrig, auch wenn ich's 29
mir hin und her überlege. Nein, Sir, ich weiß, daß du ein erfahrener Bursche bist, auf den ich mich verlassen kann. Ich will nur Tucker entkommen, mein Freund. Das ist alles.« »Und Frisco? Das Mädchen, das du zähmen willst?« Georgia Bob lachte breit. »Da will ich hin«, sagte er. »Jawohl, Sir, das Mädchen wartet auf mich, den schwarzen Jungen aus der Kavallerie. Und es wird stolz sein auf mich. Stolz, wenn wir durch die Straßen von San Francisco gehen und alle Leute den Kopf nach uns umdrehen.« »Das möchte ich erleben«, knurrte Lobo. »Du und das Mädchen in San Francisco. Das möchte ich erleben.« »Komm doch mit, mein Freund. Komm doch mit nach San Francisco.« »Zuerst reiten wir nach Cow Island am Missouri River, Schwarzer. Von dort werden wir dann weitersehen.« Der Gedanke, in die Nähe eines Armeepostens zu kommen, gefiel Georgia Bob überhaupt nicht. Er spuckte aus, drehte sich um und holte das Pferd. Es wieherte ihn an, schlug nach ihm und versuchte, ihm die Reste der Uniformjacke vom Oberkörper zu reißen. Georgia Bob hatte viel Ärger mit dem Pferd, und als er ihm endlich den Indianersattel aufgelegt hatte, war er wild genug, sofort nach Cow Island zu reiten. »Wir klauen uns die Pferde von den Blaubäuchen!« rief er rauh. »Jawohl, Sir, wir klauen uns die Gäule und lassen ihnen diesen Teufel zurück.« Lobo, der ihm beim Aufzäumen und Satteln zugesehen hatte, grinste von einem Ohr zum anderen. Er ging auf Sherman zu, hauchte ihm gegen die aufgeblähten Nüstern und streichelte ihm den Hals. »Uh-huh, er kriegt 'nen richtig sanften Ausdruck in die Augen. Wie ein verliebter Bock! Glaubst du, daß Sherman vielleicht schwul ist?« 30
Lobo schwang sich in den Sattel. »Steig auf, Schwarzer«, sagte er. »Und mach dir nur keine Sorgen um Sherman. Der ist so oder so in Ordnung.« * Die Fährten auf dem Hügelrücken besagten nicht viel. Lobo fand ein paar Haare an einem Buschast, die rot gefärbt waren. Sonst war nichts zu erkennen, was auf einen bestimmten Indianerstamm hingewiesen hätte. »Auf jeden Fall ritten sie nach Südosten«, sagte Lobo zu Georgia Bob. »Mit denen kriegen wir keinen Ärger mehr.« Die Fährte war über eine Distanz von mehreren Meilen gut zu sehen. Sie verlief durch eine weite Senke und verschwand dann in den tiefen Furchen, die sich alle in ein schmales Tal hinunterzogen, dessen Grund nicht zu sehen war. Lobo und Georgia ritten ein Stück weit der Fährte nach, schwenkten dann nach Südwesten ab und durchritten dieselbe Senke. Sherman trottete einfach geradeaus, ohne daß er langsamer wurde oder sogar anhielt. Sie brauchten ihn nicht anzutreiben. Er war frisch und ausgeruht, da er Lobo in der Nacht nicht sehr lange hatte tragen müssen und Georgia Bob die ganze Zeit zu Fuß gegangen war. Die Sonne stieg schnell. Bleierne Hitze breitete sich über dem Land aus. Hügelzüge schwammen in kochenden Luftströmungen. Der Himmel rund um die Sonne herum war grell weiß. Nur im Westen hingen einige Wolkenflocken am Himmel. Die Gegend, die Lobo und Georgia Bob zu durchqueren hatten, war eine öde, steppenartige Ebene, die von tiefen Furchen und Rissen durchzogen war. Die Hügel waren nackt, die Niederungen mit zähem Büschelgras bedeckt. Die Hufe des Pferdes klapperten auf der steinharten Erdkruste, auf dem selbst die Büffel 31
außer ihren trockenen Fladen keine Spuren zurückgelassen hatten. Nur ab und zu waren deutlich Buffaloswallows zu erkennen. Dort war die Erdkruste durchgebrochen, und die Büffel hatten sich im warmen Sand gewälzt. Sherman ritt munter drauf los, so als hätte er schon von klein auf immer zwei Reiter getragen. Es gab hier für ihn nichts, wofür es sich gelohnt hätte anzuhalten. Das Drahtgras war dürr, die kleinen Salbeisträucher beinahe staubfarben, und dort, wo Büschelgras wuchs, waren schon die Büffel gewesen und hatten versucht, sich sattzufressen. »Junge, in Frisco, da geh ich zuerst baden«, sagte Georgia Bob mit rauher Stimme. Offenbar trockneten ihm langsam die Stimmbänder ein. »Ich werde mindestens zwei Stunden lang im Bottich bleiben und immer neues Wasser zugießen lassen. Dann ziehe ich mich anständig an, geh zum Barbier, laß mir einen Mittelscheitel machen und die Krause strecken. Und dann gehe ich in ein erstklassiges Restaurant und bestelle Austern und Froschschenkel, Hummer, Kaviar und Lachs und…« »Wenn uns die Blackfeet-Krieger erwischen, kriegst du vielleicht jungen Hund zum Abendessen, Schwarzer«, unterbrach Lobo den Redeschwall des Negers. Lobo saß hinten, Georgia Bob vorn. Und so kam es, daß Lobo die Indianer zuerst sah, die hinter ihnen aus der flimmernden Luft ritten und ziemlich viel Staub aufwirbelten. »Deine Schwarzfüße wären schön blöd, wenn sie noch lange hinter dir herreiten würden. Nein, Sir, dazu bist du ihnen nicht wichtig genug.« »Du vergißt, daß ich den Sohn eines Medizinmannes getötet habe.« »So blöd kann nur einer sein, der mehr Muskeln als Verstand hat. Töten! Was anderes fällt euch Scheiß-Yankees nicht ein. Ihr habt den Verstand in den Patronen, und jeder Trottel weiß, daß 32
das nie gut ausgehen kann.« »Erstens bin ich kein Yankee, du dämlicher Nigger, und zweitens mußte ich den Sohn des Medizinmannes töten, um meine eigene Haut zu retten. Genau wie du den Crow Scout erschießen mußtest, du dämlicher Nigger. Genau so.« »Ich habe ihn gewarnt. Ich habe ihm gesagt, daß ich zwar ein Blaubauch bin, aber trotzdem noch nie einen Menschen getötet habe. Ich habe ihn gebeten, vernünftig zu werden. Aber du weißt ja, wie die Crows sind. Genau wie die Yankees. Sture Böcke. Muskeln und nichts im Kopf. Da mußte ich ihn halt töten.« »Bald wirst du es wieder tun müssen, Schwarzer.« »Nein! Ich weigere mich! Ich werde nie wieder…« Georgia Bob brach ab, als Lobo ihm einfach von hinten in die Seite kniff. Er warf den Kopf herum, und Lobo deutete mit seinem Daumen grinsend über die Schulter zurück. »Da – das sind deine Schwarzfüße, verdammt!« stieß Georgia Bob hervor. »Du bist ein schneller Denker, Schwarzer. Nun ist die Frage aber, was du tun willst. Ich würde vorschlagen, daß wir es mit einem Trick versuchen.« »Was sollen wir mit einem Trick versuchen?« »Wir sollten versuchen, ihnen jetzt deutlich klarzumachen, daß es sich tatsächlich nicht lohnt, hinter uns herzureiten.« »Sie sind hinter dir her, Mann!« schnappte Georgia Bob und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. »Sie sind nicht hinter mir her, nein, Sir!« »Denk noch mal darüber nach, Schwarzer«, sagte Lobo und lächelte. »Warum sollten sie nur hinter mir her sein, wenn du es warst, der mir zur Flucht verholfen hat?« »Das mußte ich als Christenmensch einfach tun, zum Teufel!« 33
»Glaubst du, daß du sie von deiner Christenpflicht überzeugen kannst?« »Wie soll ich das wissen? Man erzählt sich ja überhaupt nichts Gutes über die Schwarzfüße. Da sind ja die fürchterlichsten Geschichten im Umlauf.« »Blackfeet-Krieger sind als Kämpfer erzogen worden, Schwarzer. Sie töten fast mit Leidenschaft. Und sie töten mit Vorliebe Amerikaner. Du bist ein Amerikaner, was du ja wohl nicht abstreiten willst. Und ich bin immerhin Halbindianer.« »Ich bin ein reinrassiger Afrikaner, du Yankee-Mischling. Bin ich denn freiwillig Amerikaner geworden, heh? Nein. Ich war ein Sklave. Mein Vater war ein Sklave und mein Großvater auch schon. Ich wollte auch immer ein Sklave sein, weil mein Vater ein Sklave war. Genauso wie der Sohn eines Lokführers eben auch Lokführer werden will, wollte ich…« »Hör mal, du reinrassiger Afrikaner, diese Krieger holen verdammt schnell auf.« »Die reiten ja auch im Galopp. Und wir im Schritt. He, Sherman, lauf!« Georgia Bob gab dem Pferd die Absätze, aber Sherman machte nur noch zwei, drei Schritte, schnaubte dann unwillig und blieb breitbeinig stehen, um zu pissen. »Diesem Gaul gehört das Fell abgezogen!« rief Georgia Bob nervös. »Der pißt und furzt und scheißt immer zu den unmöglichsten Zeiten. Ich frage mich, was der sich denkt.« »Frag ihn mal bei 'ner günstigeren Gelegenheit, Schwarzer. Im Moment würde ich vorschlagen, daß du mir mal den Karabiner gibst. Ich möchte wetten, daß sie so nahe herankommen, daß man die Funken in ihren Augen sehen kann. Wenn ich wenigstens einen von ihnen treffe, dann sind es nachher weniger.« »Das kommt nicht in Frage. Kein Gemetzel, mein Freund! Nein, Sir. Ich bin Soldat. Was Chivington am Sand Creek gemacht hat, das wird sich hier nicht wiederholen, solange ich es 34
verhindern kann.« »Sag mal, spinnst du, Schwarzer? Diese Blackfeet-Krieger wollen unsere Skalps. Und weißt du, wie man Blackfeet-Krieger davon abhalten kann, unsere Skalps zu bekommen? Man schießt auf sie. Schwarzer. Das ist die einzige Möglichkeit. Wenn du es allerdings mit frommen Reden versuchen willst, das ist dir freigestellt. Nur möchte ich dann um dein Gewehr bitten, denn das brauchst du ja nicht.« »Wir reiten jetzt!« knurrte Georgia Bob und schlug Sherman die Absätze, in die Seiten. Sherman machte einen kleinen Bocksprung und trabte dann gemächlich über einen flachen Hügel hinweg. Auf der anderen Seite war eine Talsenke, in der es einige Buschinseln gab. Sherman trabte genau auf eine dieser Buschinseln zu, als Lobo etwas Rotes aufleuchten sah. Er griff nach den Zügeln und riß Sherman scharf herum. Der Neger verlor beinahe das Gleichgewicht, konnte sich aber an Lobo festhalten. »Was, zum Teufel, soll das schon wieder…« »Soldaten!« rief Lobo. Er stieß einen kehligen Anfeuerungsruf aus, und Sherman fiel tatsächlich in einen raumgreifenden Galopp. »Soldaten?« fragte Georgia Bob. »Ich sehe keine Menschenseele.« »In den Büschen dort unten!« rief Lobo und zeigte auf eine der Buschinseln. Cottonwoodbäume ragten aus dem dichten Gestrüpp. »Dort. Sie haben sich versteckt. He, das ist unsere Chance, Schwarzer.« Sie befanden sich etwa zweihundert Yards von der Insel entfernt, als dort ein Mann aus dem Schattengewirr taumelte. Der Mann trug eine Uniform und schwenkte einen rot-weißen Wimpel hin und her. An seinem Ärmel glänzte Gold. »Ein Sergeant!« rief Georgia Bob rauh. »Allmächtiger Gott im 35
Himmel, laß deine Güte walten und…« »He, guck mal, du alter Lästerer!« schnappte Lobo. »Der hat ein paar Jungs dabei.« Drei, vier Gestalten taumelten aus dem Dickicht. Eine kroch auf allen vieren. Sie schwenkten Halstücher, und der Wind trug verwehrt ihre Rufe herüber. »Die stecken ganz schön in der Klemme, die Jungs«, sagte Lobo. Er riß Sherman zurück. Das Pferd verfiel wieder in einen Trab. »He, was machst du?« rief der Neger sofort. »Wir müssen weg hier! Das sind Soldaten. Wenn die mich erwischen, dann…« »Es sind fünf Blaubäuche, die ganz schön in der Klemme stecken, Schwarzer. Ein Sergeant und vier Soldaten.« »Und wenn schon. Wir haben unsere eigenen Sorgen. Uns gehen diese Leute nichts an.« »Sie rufen um Hilfe!« »Ich höre nichts. Hörst du was? Nein! Sie rufen nicht um Hilfe. Das gibt's doch auf der ganzen Welt nicht. Ausgewachsene Soldaten, die um Hilfe rufen. Da ist was faul an der Sache. Schleunigst weg von hier, Mann!« Georgia Bob traktierte Sherman mit den Absätzen, aber das Pferd ließ sich nicht mehr antreiben. Es verfiel sogar in einen langsamen Holperschritt. »Das ist wohl dir zu verdanken, Mann. Seit du dich mit dem Gaul unterhältst, ist er völlig im Eimer.« »Ich habe nichts gesagt, Schwarzer. Er ist dein Gaul.« »Er läuft nicht, verdammt noch mal. Lauf, du Stinktier! Lauf!« Sherman blieb stehen. »Uh, ich könnte ihm die Faust zwischen die Augen schlagen, diesem elendiglichen Klepper. Ich könnte ihn auf der Stelle erwürgen und…« »Deine Muskeln möchte ich haben, Schwarzer«, sagte Lobo sarkastisch. »Wo bleibt aber dein Verstand?« 36
»Wir haben keine Zeit, gescheite Dinge zu denken, Mann! Hinter uns sind deine Schwarzfüße, und dort drüben sind Blaubäuche!« »Wir reiten hinüber.« »Was?« »Wir reiten hinüber zur Buschinsel.« »Grundgütiger Heiland, ich werde noch verrückt!« brüllte Georgia Bob. »Wir sind auf der Flucht, Mann! Wir sind beide auf der Flucht!« Lobo nahm die Zügel hoch und schnalzte mit der Zunge. Sofort galoppierte Sherman los, den sanft abfallenden Hang hinunter auf die Buschinsel zu. »Gut. Diese Yankeesoldaten haben vielleicht Hilfe verdient! Gut, Mann, ich sag nichts mehr. Wir sind immerhin Christenmenschen. Aber eines sollst du wissen, Mann. Wenn dieser Sergeant dort denkt, daß er mich einbringen und dann dafür eine Medaille kriegt, dann hat er sich geirrt. Ich bring jeden eigenhändig um, der auch nur mit einer Hand nach mir greift.« »Du brauchst ihm nicht zu sagen, daß du desertiert bist.« »Nein. Sicher nicht. Aber wenn der noch einen Krümel Hirn in seinem Schädel hat, weiß er sofort, was los ist.« * Lobo zügelte Sherman und warf einen Blick auf den Sergeanten und seine Soldaten nieder. Es waren Jammergestalten, die aus dem Dickicht gekrochen waren. Junge Burschen, völlig verstört. Völlig im Eimer. Nackte Angst hatte sich in ihnen festgekrallt. Ihre Augen waren die von Menschen, die dem Tod begegnet waren. Zwei von ihnen hatten blutige Verbände am Kopf und am Arm. Einer, der gekrochen war, hatte nur noch ein Bein. Das andere war ihm weggeschossen worden. Der Beinstumpf steckte 37
in einem dicken Verband aus Streifen einer Satteldecke. Lobo konnte den Tod riechen und hören. Fliegenschwärme tanzten zwischen den Büschen. Es roch nach Schweiß und Blut. Sherman drängte zurück. »Sergeant Hornady«, stieß der Sergeant hervor. »Vierundzwanzigste Infanterie. Wir sind die letzten von zwölf Männern. Die Pferde sind alle tot. Der Lieutenant liegt dort hinten im Graben. Bauchschuß und Kopfschuß. Ich…« »Sergeant, wenn Sie und Ihre Männer genau zielen und schießen können, habt ihr Pferde. Es bleibt nicht viel Zeit. Verkriecht euch in den Büschen. In ungefähr fünf Minuten tauchen auf unserer Fährte etwa ein Dutzend Blackfeet-Krieger auf. Wenn ihr fünf davon aus den Sätteln schießt, dann seid ihr gerettet.« Der Sergeant hob die Brauen. Seine blauen Augen blickten zu Lobo auf, als ob er vor einem Altar stehen würde. »Versteckt euch!« wiederholte Lobo. »Los, ihr habt keine Zeit. Mein Freund und ich, wir reiten weiter, damit die Indianer nicht mitrauisch werden. Wartet mit dem Schießen, bis sie nahe genug heran sind. Aber dann schießt so schnell, wie ihr könnt.« Der Sergeant schluckte. »Wer – wer seid ihr?« fragte er. Er sah den Neger an, als hätte er ihn gerade jetzt erst entdeckt. »Ist das etwa der – der…« Der Wind trug ihnen jetzt ein paar verwehte Laute entgegen. Der Sergeant duckte sich. Der Soldat, der ein Bein verloren hatte, stützte sich auf den Ellbogen auf und sagte mit krächzender Stimme: »Die Teufel kommen wieder, Mutter. Die Teufel sind da.« »Er hat Fieber«, sagte der Sergeant. Einer der Soldaten, ein kleiner Kerl mit einem stoppelbärtigen Gesicht, packte einen der Verletzten am Arm. »Komm, Randy! Komm, mein Junge, wir verkriechen uns!« sagte er. 38
»Beeilt euch!« rief Lobo. »Vorwärts, Sergeant!« Der Sergeant bewegte sich. »In Deckung, Männer!« befahl er mit heiserer Stimme. »Sofort in Deckung. Kein Laut mehr. Keiner bewegt sich. Schwarzfüße kommen. Sie haben Pferde. Keiner schießt ohne meinen Befehl. Klar! Keiner schießt! Verstanden, Billy?« Ein Bursche, der vielleicht fünfzehn Jahre alt war, nickte und lief hinter den anderen her. Der Sergeant gab dem Soldaten mit dem einen Bein einen Stoß mit dem Stiefel. »Verschwinde, Thompson. Los, hau ab. Indianer kommen.« »Mutter, die Teufel lassen uns keine Ruhe«, stieß der Soldat leise hervor. »Sie lassen uns nie in Ruhe, die Teufel.« Er fing an zu kriechen, bewegte sich mühsam und zog eine gut sichtbare Spur durch das Gras. »Du bist der Deserteur, nicht wahr?« sagte der Sergeant. »Du bist der Nigger, der abgehauen ist.« Lobo hörte, wie Georgia Bob den Atem durch die Nase preßte. Der Sergeant hatte jetzt schmale Augen. Und die Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Weißt du, wer die Jungs auf dem Gewissen hat?« fragte er scharf. »Du hast die Jungs auf dem Gewissen, Nigger. Wegen dir sind wir hier. Gottverdammt, meine Jungs und ich, wir verstehen nichts von diesem gottverdammten Indianerkrieg. Wir haben 'ne Ladung hochgebracht. Bis hierher. Cow Island. Hier lag ein Telegramm. Ein Befehl aus Fort Benton. Wir sollten einem gottverdammten Nigger, der seine Kameraden im Stich gelassen hat und getürmt ist, den Weg abschneiden. Ja, Nigger, das ist…« »Sergeant, verschwinden Sie, solange noch Zeit ist«, unterbrach Lobo ihn scharf. »Los, verschwinden Sie. Und sehen Sie zu, daß Sie diese Jungs durchkriegen!« Lobo riß Sherman herum und gab ihm die Absätze. Sherman 39
sprang wie von der Sehne geschnellt an und jagte davon. »Paß auf, Nigger!« hörten sie den Sergeant brüllen. »Dafür schießen sie dich eines Tages zu Klump!« »Scheiß Yankee-Sergeant!« hörte Lobo Georgia Bob sagen. »Herrgott, warum muß es nur Scheiß-Yankees auf dieser sonst so glorreichen Welt geben?« »Der Sergeant hat sieben Männer verloren, Schwarzer. Vielleicht sieben Freunde.« »Und es ist meine Schuld, wie?« Lobo gab ihm keine Antwort. »Sag, daß es meine Schuld ist, Mann! Sag es!« »Ich sage nicht, daß es deine Schuld ist, Schwarzer. Aber für den Sergeanten ist es deine Schuld.« »Dann ist er ein Idiot! Ich bin getürmt. Gut, Sir, ich bin getürmt. Ich wollte weg von der Armee. Weg von dem Krieg. Ich hatte es satt, dauernd Indianer zu töten. Ich hatte es satt loszureiten, um irgendwo irgend jemanden zu töten. Gut, Sir, ich habe absichtlich immer daneben geschossen. Aber was nützt das, wenn trotzdem Menschen vor dir sterben? Nein, Sir, es ist nicht deine gottverdammte Kugel, sondern die von dem Soldaten neben dir. Aber es macht eigentlich gar keinen gottverdammten Unterschied, Mann. Nein, Sir, es könnte ebensogut deine Kugel sein.« »Du hast dich freiwillig gemeldet, oder?« »Ja. Sicher, hab ich das. Aber damals, als ich mich gemeldet habe, hatte ich keine gottverdammte Ahnung, was auf mich zukommt. Ich wußte nicht, was ein Soldat war. Ich wußte nur, daß ein Soldat eine Uniform trägt und Krieg macht. Dagegen ist doch nichts einzuwenden. Was ist denn schon Krieg? Irgendwelche Leute müssen für irgendwelche Taten bestraft werden. Oder man muß irgendwelchen Leuten irgendwelche Sachen wegnehmen, weil man sie dringend braucht. Das ist doch nichts, wor40
über man sich Gedanken macht. Das ist doch noch lange kein Kind, das im Dreck liegt und an der Brust seiner toten Mutter saugt. Das ist doch noch lange kein alter Mann, der blind in einen Kugelhagel hineinläuft. Das sind doch noch lange keine Tränen, Mann! Jetzt weiß ich es besser. Jetzt habe ich gesehen, was Krieg ist. Und genauso, wie ich mich freiwillig gemeldet habe, genauso habe ich mich freiwillig dazu entschlossen, kein Soldat mehr zu sein. Gott, ich möchte wissen, was daran falsch ist!« Lobo sagte nichts. Er blickte zurück und sah, wie die Verfolger auf dem Hügel auftauchten. Genau auf der Fährte, der sie mühelos folgen konnten. »Was ist falsch daran, Mister Richter, Sir?« brüllte Robert Lee Davis. »Wahrscheinlich nichts«, sagte Lobo. »Ha, wahrscheinlich nichts. Weißt du was, Mann? Du kannst mich am Arsch lecken. Die ganze Welt kann mich am Arsch lecken. Ich weiß, daß es richtig war. Der Herr im Himmel hat es mir gesagt. Verstehst du, Mann, der…« Der peitschende Knall eines Gewehrschusses ließ den Neger verstummen. Bei den Büschen hob sich ein kleines Pulverwölkchen, das vom Wind weggetragen wurde, und am Hang rissen die Blackfeet-Krieger ihre Pferde herum und sprengten nach allen Richtungen auseinander. Lobo und Georgia Bob rissen gleichzeitig an den Zügeln,und Sherman blieb sofort bockstill stehen. »Allmächtiger, da sind einem die Nerven durchgegangen«, stieß der Neger hervor. »Mann, das geht nicht gut aus!« Lobo warf sich vom Pferd. Er kam auf die Füße und stöhnte vor Schmerz auf. »Los, verschwinde hier!« rief er dem Neger zu. »Hau ab, bevor sie sich entscheiden, wer sich auf die Verfolgung macht und wer 41
hierbleibt.« Robert Lee Davis riß den Mund weit auf. »Was, he, Mann, wohin willst du? Bleib stehen, du dämlicher Yankee-Mischling! Bleib stehen!« brüllte er. Lobo lief durch das kniehohe Gras in die Niederung hinein. Er erreichte eine Vertiefung, in der das Gras grün war. Dort blieb er geduckt stehen. Die Indianer ritten einen Kreis um die Buschinsel herum. Sie stießen dabei gellende Kriegsschreie aus und schwangen ihre Waffen. Plötzlich brach einer aus dem Kreis aus. Er jagte in einem weiten Bogen in die Niederung hinein und genau auf Lobo zu. Er lenkte sein Pony mit den Schenkeln und hatte einen Bogen in der linken Hand. Auf der Sehne lag ein Pfeil. Als er noch etwa dreißig Yards entfernt war, spannte er den Bogen. Lobo duckte sich. Er hatte keine Waffe außer dem Messer. Sonnenlicht traf die Stahlspitze des Pfeiles. Im Gesicht des Kriegers leuchtete gelbe Farbe. Seine Zöpfe tanzten über seinen Schultern. Lobo war bereit, sich zur Seite zu werfen. Aber er wußte, wie klein seine Chance war, dem Pfeil auszuweichen. Von einem guten Jagdbogen abgeschossen, würde er den Pfeil nicht einmal sehen können. Lobo duckte sich noch tiefer. Er konnte jetzt das Weiß in den Augen des Kriegers deutlich erkennen. Der Krieger stieß einen durchdringenden schrillen Schrei aus. Im Moment, als er die Sehne und den Pfeil losließ, krachte ein Schuß. Es schien, als ob der Krieger auf seinem Pony von einem mächtigen Schlag getroffen worden wäre. Er wurde förmlich aus dem Sattel geschleudert. Der Bogen wirbelte durch die Luft und blieb am Ast eines Busches hängen. Der Krieger landete keine zehn Schritte von Lobo entfernt, überrollte sich am Boden und blieb dann in seltsam verkrümmter Haltung im Gras liegen. Lobo sah sich nach Georgia Bob um. Der Neger saß geduckt 42
auf Sherman und war dabei, seinen Springfield-Karabiner nachzuladen. Sein Gesicht glänzte schweißnaß. »Lauf, Yankee!« rief er herüber. »Lauf!« Lobo rannte los. Er warf sich über den toten Krieger, zerschnitt den Träger des Köchers, in dem etwa ein Dutzend Pfeile steckten, sprang auf und rannte zu dem Busch, an dem der Bogen hing. Er riß ihn herunter und lief durch die Niederung auf die Buschinsel zu. Kurz bevor er sie erreichte, überholte ihn Robert Lee Davis auf Sherman, der im vollen Gallopp an Lobo vorbeigaloppierte. * Lobo warf sich neben dem Soldaten zu Boden. Der Soldat hatte den Kopf auf seinem Arm aufgestützt. Sein Karabiner lag halb unter ihm. Den Finger der rechten Hand hatte er am Abzug. »Junge, entweder zielst du, oder du mußt dich nicht wundern, wenn du hier begraben wirst«, keuchte Lobo. Er nahm einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf die Sehne des Bogens. »Es sind zwölf! Einen hat mein Freund, der Deserteur, erwischt. Trotzdem sieht es schlecht aus. Wenn diese Burschen nicht durchdrehen, haben sie alle Chancen der Welt.« Lobo kniete auf. Dabei streifte sein Blick den Soldaten, und jetzt sah er, daß die Uniformjacke auf der linken Brustseite völlig zerfetzt war. Außerdem hatte sie sich mit Blut vollgesogen. Der Soldat hatte zwar noch den Finger am Abzug, aber der Hammer war nicht gespannt. Lobo stieß ihn an. Der Soldat kippte haltlos zur Seite. »Sorry, Bruder«, sagte Lobo, ließ den Bogen fallen und entwand dem Soldaten den Springfield-Karabiner. In der Patronentasche am Gürtel des Soldaten fand Lobo Muni43
tion. Er stieß die leere Hülse aus dem Verschluß des Karabiners und legte eine neue Patrone ein. Gerade als er damit fertig war, kroch der Sergeant auf ihn zu. »Rusty hat geschossen«, sagte er heiser. »Sagen sie, ist der Neger freiwillig zurückgekommen?« »Er ist nicht mein Sklave«, erwiderte Lobo hart. Der Sergeant ließ sich neben ihm nieder. Er roch nach Schweiß. Im Gesicht hatte er Pferdedung. Der rechte Uniformärmel war voll Blut. »Was werden sie tun, die roten Hunde?« fragte er nach einigen Sekunden. »Himmel, ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht, wie man mit diesen roten Bestien verfährt. Wir waren in Texas, als der Marschbefehl kam. Wir sollten mal hier oben die Kavallerie unterstützen. In Texas ist nichts los. Friedliche Zeit. Es gibt Leute, die wollten das vierundzwanzigste Infanterieregiment einfach auflösen. Gott, hätten doch die Offiziere eingewilligt.« Lobo äugte durch die Büsche. Er sah, wie sich vier Indianer bereitmachten, eine Attacke zu reiten. Die anderen acht hatten sich verteilt. »Sie kommen von allen Seiten gleichzeitig«, sagte Lobo kalt. »Es sind blutjunge Krieger. Keine Erfahrung. Aber früher oder später kommt einer bestimmt auf die Idee, das Gras anzuzünden.« »Dann – dann sind wir verloren!« Der Sergeant blickte sich gehetzt um. »Wenn sie das Gras in Brand setzen, dann sind wir hier verloren, nicht wahr?« »Wahrscheinlich, Sergeant«, sagte Lobo knapp. »Herrgott, das scheint Ihnen überhaupt nichts auszumachen! Was sind Sie nur für ein Mensch, daß es Ihnen völlig egal sein kann, was…« »Halten Sie die Klappe, Sergeant!« schnappte Lobo. »Sagen Sie den Männern, daß sie die Indianer ganz nahe herankommen las44
sen sollen. Wenn wieder einer zu früh schießt, dann können wir gleich einpacken. Das ist kein Kinderspiel, Sergeant.« »Wem sagen Sie das, zum Teufel!« Der Sergeant drehte sich um und kroch davon. Kaum war er weg, griffen die Schwarzfüße an. Und genau wie Lobo gesagt hatte, kamen sie von allen Seiten. Nur vier von ihnen blieben beisammen. Sie ritten einen Angriff vom Hang her. Und sie konnten den Soldaten am gefährlichsten werden. * Nur einer der vier Krieger entkam. Drei fielen, bevor sie die Buschinsel erreichen konnten. Lobo schoß einen vom Pferd, und die Soldaten trafen die beiden anderen. Trotzdem versuchte der Rest, wenigstens die Ehre zu retten und mindestens eines der verhaßten Bleichgesichter abzuschießen. Sie kamen von allen Seiten. Einer von ihnen traf den Sergeanten in den Bauch. Der Sergeant brüllte und schleppte sich in einen Graben. Dort riß er sich die Uniformjacke und das Hemd auf. Und er schrie um Hilfe. Aber niemand konnte ihm helfen. Alle hatten die Hände voll zu tun, die Blackfeet-Krieger davon abzuhalten, die Insel zu stürmen. Drei Pferde stürzten in vollem Galopp. Die Krieger jagten davon. Die anderen fingen jetzt an, die Insel zu umkreisen. Dabei bellten und jaulten sie wie Kojoten. Manchmal feuerten sie ihre Gewehre ab. Es war schwierig, einen von ihnen zu treffen. »Spart mit Munition, Leute!« rief Georgia Bob mit rauher Stimme. »Es hat keinen Sinn, wenn ihr Löcher in die Luft schießt.« Sie stellten das Feuer ein. Der Sergeant jammerte. Einer der Soldaten kroch zu ihm. »Das – das sieht schlimm aus, Sergeant«, sagte er gepreßt. 45
Der Sergeant hockte gegen die Böschung gelehnt. Er war fast grau im Gesicht. Der Soldat zog ihm die Uniformjacke aus und wickelte sie ihm um den Bauch. Mehr konnte er nicht tun. Der Sergeant brüllte ein paar Gebetsfetzen gegen den Himmel. Dann sank er vornüber und weinte und schluchzte, und manchmal schrie er, weil er unmenschliche Schmerzen hatte. »Willst du Wasser, Sergeant?« fragte der Soldat. »Wenn du ihm Wasser gibst, geht er vor die Hunde!« rief einer der beiden, die einen Kopfverband trugen. In diesem Moment hörten sie alle ein leises Zischen. Dann machte es Plop, und der Soldat mit dem Kopfverband fiel zur Seite. Ein Pfeil hatte seinen Hals durchbohrt. »Brooks ist tot«, sagte eine heisere Stimme. »Sergeant, Brooks hat einen Pfeil abgekriegt. Er ist tot.« Der Sergeant hatte seine eigenen Sorgen. Er wußte genau, daß er keine Chance hatte. Mit einem Bauchschuß kam er hier nicht lebend weg. Das wußte er. Lobo hatte den Bogenschützen entdeckt. Es war einer der Krieger, denen die Soldaten das Pferd unter dem Hintern weggeschossen hatten. Er kauerte auf einem Erdbuckel, hinter einem querliegenden Stamm eines Cottonwoods, der vom Sturm gefällt worden war. Der Stamm war blank und schimmerte fast wie Silber. Ein paar weiße Äste ragten von ihm weg in den Himmel. Lobo sah den Krieger deutlich, obwohl er im Schatten der Äste kauerte. Plötzlich tauchte er auf und schoß den nächsten Pfeil ab. Der Pfeil flog etwa zehn Yards links von Lobo vorbei und bohrte sich in den Körper eines toten Soldaten. Der Bogenschütze befand sich knapp siebzig Yards entfernt. Sein Pfeil war einen Bogen über die ersten Büsche hinweggeflogen und hatte sich dann gesenkt und haargenau das Ziel getroffen. Lobo war sicher, daß es sich bei dem Schützen um jenen grobgliedrigen und muskulösen Burschen handelte, der den 46
Pfeil abgeschossen hatte, mit dem die Hetzjagd auf Lobo ausgelöst worden war. Lobo nahm den Springfield-Karabiner an die Schulter. Minuten verstrichen. Nichts geschah. Die Krieger ritten immer noch schreiend im Kreis um die Buschinsel herum, schossen ab und zu eine ungezielte Kugel ab und machten ihren Zirkus, der ihnen nicht viel einbrachte. Lobo wartete geduldig. Der Krieger hinter dem Baumstamm auf dem Buckel bewegte sich nicht mehr. »He, Lobo, meinst du, daß die noch Verstärkung kriegen?« Lobo gab Georgia Bob, der irgendwo zwischen den Büschen lag, keine Antwort. Der Sergeant wimmerte jetzt. Der Soldat, dem das eine Bein weggeschossen war, kroch an Lobo vorbei. Er legte sich in eine grasbewachsene Mulde unter einen Strauch und hechelte wie ein Hund. Seine Augen glitzerten. Er grub die Zähne tief in die Unterlippe. »Muß ich sterben?« fragte er. »Mutter, muß ich sterben?« »Ich bin nicht deine Mutter, Junge!« stieß Lobo rauh hervor, ohne den Buckel und den Cottonwoodbaum aus den Augen zu lassen. Der Soldat drehte sich auf den Bauch und preßte sein Gesicht gegen die Erde. Sein Körper zuckte wie im Krampf. Da! Blitzschnell tauchte der Krieger auf, spannte den Bogen und ließ den Pfeil fliegen. Der Pfeil traf den Soldaten, der in der Grasmulde lag, ins Kreuz. Der Soldat schrie gellend auf. Lobo feuerte. Der Krieger duckte sich etwas. Er schien nicht getroffen zu haben. Lobo repetierte den Karabiner. Die Hülse flog an seinem Kopf vorbei in die Büsche. Er schob eine neue Patrone in die Kammer. Als er den Karabiner anlegen wollte, stand der Krieger auf. Er war ein mächtiger Bursche, der drei Adlerfedern im Haar hatte. Sein Brustpanzer aus Büffelknochen leuchtete weiß. Er hatte den ganzen Körper mit roter Farbe bestrichen, 47
trug hirschlederne Leggings und einen Lendenschurz aus rotem Handelstuch. Er stand auf dem Erdbuckel und hob beide Arme hoch in den Himmel. Sein Kopf fiel in den Nacken. Drei Gewehre krachten fast gleichzeitig. In das Echo hinein fiel der Fluch eines der Soldaten, die geschossen hatten. Der riesige Bogenschütze stand still. Man konnte nicht sehen, ob er getroffen worden war. Sekundenlang stand er wie eine Statue. Dann wankte er, taumelte, stolperte und stürzte. Als er am Boden aufschlug, fiel der Bogen aus seiner Hand. Er kroch noch ein Stück weiter durchs Gras. Dann lag er still. Die Krieger, die noch um die Buschinsel herumritten, hatten alle gesehen, wie der riesige Bogenschütze gefallen war. Sie heulten wie die Wölfe, und einer von ihnen jagte aus dem Kreis heraus geradewegs auf den Bogenschützen zu. Kurz bevor er ihn erreichte, glitt er seitwärts aus dem Sattel. Er hing auf der einen Seite des Pferdes, packte im Vorbeigaloppieren den Bogenschützen und schleifte ihn aus dem Gefahrenbereich. Lobo hätte zwar das Pferd des Burschen abschießen können, aber das Schauspiel war so beeindruckend, daß er den Krieger davonkommen ließ. »Verdammt, warum hast du nicht geschossen?« rief Georgia Bob heiser. »Warum hast du nicht geschossen?« gab Lobo zurück. »Erstens war mein Gewehr nicht geladen, und zweitens habe ich vergessen, daß der Bursche ein Gegner ist, der uns an den Kragen will.« Der Sergeant brüllte los. Lobo sah durch die Büsche, wie die Krieger hinter dem Hügelrücken verschwanden. Sie tauchten nicht wieder auf. Aber der Sergeant brüllte weiter. Er kam beinahe um seinen Verstand. Man konnte nichts für ihn tun. Schließlich wurde er ohnmächtig. Er lag still. Fast eine halbe Stunde lang. 48
Dann merkte Georgia Bob, daß er nicht mehr ohnmächtig, sondern tot war. »Der Sergeant ist gestorben«, sagte der Neger. »Du übernimmst das Kommando, Schwarzer. Du bist der älteste und der erfahrenste von ihnen.« »Ich bin ein Deserteur!« knurrte Georgia Bob zwischen einer Astgabel hindurch. »Vergiß das nicht, Mann. Nein, Sir, ich gebe keine Kommandos. Sobald es dunkel ist, hau ich ab. Ich bleib nicht hier, Mann. Morgen früh sind das nicht mehr nur ein paar junge Krieger, sondern dann sind es vielleicht hundert ausgewachsene Höllenhunde.« Georgia Bob hatte natürlich recht. Diese jungen Krieger würden ganz bestimmt einen Boten zum Lager schicken und Verstärkung anfordern. Es konnte natürlich auch sein, daß sie die Prärie am Rande der Niederung in Brand setzten, um die Soldaten aus der Buschinsel hinauszutreiben. Einer der letzten zwei Soldaten, es war derjenige, der noch keinen Kratzer hatte, suchte sich einen besseren Platz. Er legte sich in die Mulde, wo der Tote mit dem einen Bein lag. Der Pfeil, der ihn in den Rücken getroffen hatte, ragte handlang aus der blutgetränkten Uniformjacke. »Zweimal schießt keiner auf denselben Fleck«, sagte der Soldat, ein noch junger Bursche mit einem eckigen Gesicht. Er hatte braunes Borstenhaar, abstehende Ohren und faule Zähne. Der Soldat hieß Randy Hunt. Er kam aus New Hampshire, wo er auf einer Milchkuhfarm groß geworden war. Als Lobo ihm keine Antwort gab, blickte er herüber. »Die Schwarzfüße sind die schlimmsten, nicht wahr?« fragte er. »Sie sind wie alle andern«, erwiderte Lobo. »Es sind Krieger.« »Die anderen, die uns angegriffen haben, die zogen ab, als wir uns hier verschanzt hatten. Die wollten nichts mehr von uns. 49
Nur die versprengten Pferde haben sie eingesammelt, und ein paar von ihnen haben einige Kugeln in die Büsche geschossen. Dann sind sie abgehauen.« »Ihr habt keine Ahnung, von welchem Stamm die waren?« fragte Lobo. »Keine Ahnung, Mister. Das waren Rothäute. Mit Federn und so. Genau wie die, die jetzt hier sind. Einige hatten Gewehre. Neue Winchestergewehre. Andere schossen mit Pfeilen. Es waren etwa fünfzig. Zuerst erwischten sie Steve Layton, den Jungen aus Kansas. Er war sofort tot, fiel aus dem Sattel, blieb aber mit dem Fuß im Sattel hängen. Sie spickten ihn voll mit Pfeilen, während ihn sein Pferd durch die Gegend schleifte. Dann erwischte es McKinstry. Sein Pferd strauchelte und stürzte. McKinstry flog aus dem Sattel, er rollte den Hang hinunter. Ich sah, wie er aufspringen wollte. Aber da waren sie über ihm. Schließlich erreichten wir die Insel hier. Der Sergeant gab den Befehl, abzusitzen und einen Stand zu machen. Es war das einzige, was wir tun konnten. Aber es half nichts. Am Ende waren nur noch fünf übrig. Alle Pferde entweder tot oder weggetrieben. Und dann kamen die Schwarzfüße.« »Ein schwarzer Tag für die Armee«, sagte Lobo. »Der Teufel soll die Armee holen«, gab der Soldat zurück. »Jetzt ist endgültig genug, das sag ich dir, Mister. Wenn ich hier rauskomme, dann mach ich's wie der Schwarze. Ich hau ab.« »Einfach, weil du es satt hast, wie?« »Ja. Ich habe es satt, für dreizehn Bucks im Monat Kopf und Kragen zu riskieren. Schau dir die Knarre an, die ich habe. Einen Springfield-Karabiner. Wenn du drei schnelle Schüsse hintereinander abfeuerst, bleibt beim Nachladen 'ne leere Hülse hängen, verklemmt sich, und die Knarre ist im Eimer. Das ist Magnussen 50
passiert, dem Jungen, der dort drüben liegt. Ein Europäer. Konnte noch nicht einmal richtig Englisch. Nur fluchen konnte er wie ein Maultiertreiber. Der kniete neben mir. Zwei Kugeln hat er abgeschossen. Einer der Rothäute jagte genau auf ihn zu. Er hatte viel Zeit. Eigentlich hatte er alle Zeit der Welt. Ich sah, wie er grinste. Er öffnete den Verschluß. Das Grinsen war plötzlich weg. Er fuchtelte herum. Er fluchte. Dann warf er die Knarre weg und wollte den Colt ziehen. Aber jetzt hatte er schon nicht mehr genug Zeit, und der rote Hundesohn war über ihm und spießte ihn mit seiner Lanze auf. So war das mit Magnussen, Mister. Für dreizehn Bucks im Monat hat er versucht, eine untaugliche Knarre zu laden. Und dabei ist er gefallen. Ein amerikanischer Held, der noch nicht einmal Englisch konnte.« »Du hast noch keinen Kratzer abgekriegt, Soldat«, sagte Lobo trocken. »Glück gehabt, Mister. Nur Glück. Die Kugeln sind mir um die Ohren geflogen wie Hornissen. Der Teufel weiß, warum es immer die anderen erwischt und mich nicht. Links und rechts starben die Jungs. Und das ist nicht das erstemal, Mister. Das war schon einige Male so.« Der Soldat lachte. »Ich bin an einem Weihnachtstag auf die Welt gekommen. Und es war Sonntag. Meine Mutter hat immer gesagt, daß mir nie etwas passieren kann, solange ich nicht übermütig werde.« »Irgendwann hat jeder mal 'ne Pechsträhne, und es scheint, daß deine heute anfängt und nur sehr kurz sein wird.« Lobo zeigte durch die Büsche. »Sie zünden das Gras an, Soldat!« »Diese Teufel!« schnappte der Soldat. »He, Morris, die Rothäute zünden das Gras an. Wir sind verloren!« Der andere Soldat, der schon zwei Wunden hatte und offensichtlich kein Glückskind war, zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen. »Heilige Maria Mutter Gottes«, stieß er hervor. »Warum müs51
sen gerade wir für die Sünden der Menschheit bezahlen?« Lobo lief geduckt durch die Büsche zu Georgia Bob, der am Boden kniete und Mund und Augen aufsperrte. Etwa zweihundert Yards entfernt stieg über einer Bodenwelle Rauch in den Himmel, der vom Wind über die Niederung hinweggetragen wurde. Die Sonne schien jetzt wie durch Nebel. Es vergingen keine fünf Minuten, bis sie die Flammen sehen konnten. Es schien, als würde das Feuer von Busch zu Busch springen. Das Gras brannte nur kurz. Über dem Boden war der Qualm schwarz und dick. Manchmal wurde er vom Wind aufgerissen. Dann flogen brennende Grashalme und Blätter hoch, tanzten im aufsteigen Rauch und verglühten am Himmel. »Was meinst du, wie lange dauert es, bis die Flammen die ersten Büsche erreichen?« fragte Georgia Bob etwas gepreßt. »Vielleicht eine Stunde«, erwiderte Lobo. »Kommt auf den Wind an. Der Wind wechselt ab und zu die Richtung. Deshalb ist der Rauch überall. Wenn wir Glück haben, treibt er das Feuer an uns vorbei. Dann müssen die Blackfeet-Krieger aufpassen, daß sie nicht selbst geröstet werden. So ein Feuer kann sich rasend schnell ausbreiten, und ich habe schon Reiter auf guten Pferden gesehen, die vom Feuer eingeholt wurden.« Georgia Bob leckte den Finger und hielt ihn hoch. »Der Wind kommt von Nordwesten«, sagte er. »Genau auf uns zu.« »Sicher. Nur dreht er ab und zu. Jetzt zum Beispiel kommt er aus Nordosten. Und jetzt aus dem Osten. Vielleicht ist dort hinter den Hügeln irgendwo ein Gewitter. Gewitter bringen den Wind durcheinander. Das wissen auch die Indianer.« »Deine Freunde, was?« »Das, Schwarzer, kannst du im Moment wohl kaum behaupten«, sagte Lobo und lachte. 52
»Du brauchst verdammt nicht zu lachen, Mann. Ich bin nicht einmal sicher, ob sie dich nicht schonen würden. Immerhin bist du ein Mischling.« »Sie haben mich nicht geschont, als die Hetzjagd…« »Einen anderen hätten sie sofort gevierteilt. Dir haben sie aber einen schönen Vorsprung gegeben. Das ist doch ein Unterschied, Mann.« »Sag mal, bist du etwa plötzlich eifersüchtig oder was?« fragte Lobo. »Kann man doch werden, verdammt! Das ist doch kein Wunder. Als Nigger ist man immer gottverdammt allein. Man hat keine Freunde, außer man wäre in Afrika.« »Du hast komische Sorgen, Schwarzer.« Lobo setzte sich auf einen Stein und legte den Springfield-Karabiner über seine Knie. »Wenn das Feuer dort drüben die ersten Büsche erreicht, dann mußt du verdammt schnell reiten, Schwarzer. Aber paß auf. Die wissen, daß wir noch ein Pferd haben. Und deshalb werden sie dort hinter dem Hügel warten. Am besten ist es, wenn du einen kurzen Bogen reitest und direkt nach Süden abschwenkst. Dann kommst du an ihnen vorbei und…« »Sonst weißt du nichts, was du mir erzählen könntest, Mann?« unterbrach Georgia Bob Lobo. »Der Wind dreht, wenn der Herr da oben wirklich Gerechtigkeit walten läßt. Er dreht, und das Feuer frißt die roten Burschen auf. Dann reiten wir zusammen von hier weg. Du und ich, Mann. Du und ich.« »Und die zwei Soldaten.« »Uh-huh, dann sind wir schon fast eine kleine Armee.« »Und wenn das Feuer nicht dreht, Schwarzer?« »Dann reiten wir trotzdem zusammen. Du und ich.« »Und die Soldaten?« Georgia Bob hob die Schultern. »Dämliche Frage«, sagte er, »Sherman würde sich weigern, vier 53
Männer auf einmal zu tragen.« * »Das sind keine Gewitterwolken meine Herren! Das ist Rauch!« Lieutenant Phillip C. Tucker bellte die Worte seinen Männern um die Ohren. Einige von ihnen wachten auf. Die anderen rührten sich nicht mehr. Sie hatten jetzt endgültig genug. Sie hingen in den Sätteln, und am liebsten hätten sie ihren Lieutenant alleine weiterreiten lassen. Sergeant Forbes war schon zweimal vom Pferd gefallen. Er hatte Fieber. Hohes Fieber. Peirson, ein Mann aus Oregon, sagte, daß wahrscheinlich der Brand drin wäre. Er sagte es nur leise zu dem Jungen, Oliver Pratt, dessen Vater ein Major bei der Infanterie war. »Der Lieutenant weiß genau, was er tut«, erwiderte der Junge, den man aus der Kadettenschule in West Point gefeuert hatte, weil er in einem Zeitungsinterview mit der Chicago Tribüne behauptet hatte, die meisten Ausbilder an der Akademie wären Flaschen. Jetzt war er einfacher Soldat. Aber er konnte noch vor Weihnachten befördert werden, denn er war ein guter Soldat, immer pflichtbewußt und gehorsam. Der Lieutenant aber wußte schon lange nicht mehr, was er tat. Er hatte viel mit einem total Verrückten gemeinsam. Er machte sich etwas vor. Er glaubte, daß es das Pflichtbewußtsein von ihm verlangte, einen Deserteur zur Strecke zu bringen. Und er glaubte, daß ihm und seinen Männern keine Gefahr drohen könnte. Vielleicht war der Lieutenant verrückt. Vielleicht hatte er Präriefieber. Niemand wußte es. Aber alle waren sich einig: Irgend etwas stimmte nicht mit Lieutenant Phillip C. Tucker, obwohl Pratt meinte, daß der Lieutenant schon 54
wisse, was er tue. »Wer meldet sich freiwillig für einen Kundschaftsritt?« fragte der Lieutenant seine Männer, die hinter ihm angehalten hatten. Sie sahen aus wie ein wilder Haufen, mit staubigen Uniformen, verkrusteten Gesichtern und trotzigen Augen. Natürlich meldete sich keiner Auch Pratt nicht. Pratt wollte ja Karriere machen. Er wollte zurück nach West Point. Bei einem Kundschaftsritt konnte er wenig gewinnen und alles verlieren. Ja, er war ein cleverer Junge, dieser Majorsohn. Er hielt sich im rechten Moment zurück. »Smith!« Ja, Smith war der richtige. Er hieß Otto Smith. Ein Germane. Groß wie ein Kleiderschrank. Den konnte man gut treffen, ohne daß man genau zielen mußte. Otto Smith war einer der älteren. Ein erfahrener Bursche. Der hatte schon in den Rockys Biber gejagt. Und er hatte eine Shoshone-Indianerin zur Frau genommen. Dann eine Nez-Percé-Indianerin. Und schließlich ein weißes Mädchen, das er von den Comanchen freigekauft hatte. Aus purem Mitleid habe er das Mädchen zu seiner Frau gemacht, denn, wer wolle denn schon ein Mädchen, das von den Wilden tausendmal vergewaltigt und entehrt worden sei. Otto Smith ritt einen grauen Wallach. Er hatte harte, pulvergraue Augen. Über dem rechten Auge hatte er eine Narbe auf der Stirn. »Jawohl, Sir«, sagte er. »Wenn Sie mich fragen, dann braucht niemand vorauszureiten, weil es sich eindeutig um Prärie…« »Nehmen Sie einen Crow mit, Smith!« unterbrach Lieutenant Phillip C. Tucker den Soldaten. »Egal welchen. Reiten Sie, bis Sie das Feuer sehen können. Ich will wissen, was los ist.« »Die Prärie brennt, Sir!« sagte Otto Smith stur. »Das weiß ich, Soldat Smith«, bellte der Lieutenant. »Ich will wissen, wer die Prärie angezündet hat.« 55
»Indianer, Sir.« »Das ist nicht sicher.« »Warum nicht, Sir? Wer würde sonst die Prärie anzünden, wenn nicht…« »Fragen Sie mich keinen Quatsch, Soldat Smith. Sie kennen meinen Befehl. Ab jetzt! Geben Sie Blinksignale, wenn sich etwas tut. Sie kennen ja den Code, oder?« »Selbstverständlich, Sir.« »Gut. Dann reiten Sie, Smith.« »Jawohl, Sir! Zu Befehl, Sir!« Smith legte die Hand an seinen Hut, gab dem Wallach die Absätze und ritt zu einer Hügelkuppe hoch, wo drei Crow Scouts ihre Pferde angehalten hatten. Die Männer blickten Smith nach. Auf dem Hügel suchte er einen Kundschafter aus. Es war ein Bursche, der White Eagle hieß. »Warum reiten denn die beiden anderen nicht mit?« fragte einer der jungen Soldaten halblaut. »Sonst reiten sie doch ständig zusammen.« »Irgend etwas stimmt nicht da vorne«, sagte Peirson, der Mann aus Oregon. »Mann, ich hoffe, daß Smith früh genug merkt, daß da vorne etwas nicht stimmt.« »Er ist kein Anfänger«, sagte ein anderer. »Er kennt sich schon aus, dieser Germane.« »Es gefällt mir aber nicht, daß die beiden anderen Crows nicht mitreiten«, sagte der Junge. Peirson nickte. »Das gefällt mir auch nicht.« »He, ihr Schnarchsäcke, der Lieutenant weiß schon, was er tut.« Pratt spuckte in die Büsche. »Macht euch nur keine Sorgen um Smith.« »Daß du dir keine Sorgen machst, das ist uns schon klar«, knurrte Peirson. Und Rinth, der Mann aus Österreich, nahm seinen Hut vom Kopf und klopfte ihn am Oberschenkel aus, während er irgend etwas in seiner Muttersprache vor sich hinredete. 56
»Was sagst du, Rinth?« fragte ihn einer. Rinth stülpte den Hut auf seinen Kopf. »Jesus Christus, ihr seid mir schöne Arschlöcher, ihr Yankees«, sagte Rinth. Er ritt scharf an und folgte als erster dem Lieutenant. »Was hat er gesagt?« fragte einer der jungen Burschen. »Ich glaube, er hat etwas über uns gesagt.« »Ich habe nur Arschlöcher verstanden«, sagte Peirson. »Der kann damit auch den Lieutenant gemeint haben.« »In der Mehrzahl. Ha, wenn ich genau wüßte, daß er uns meint, dann würde ich ihn bei der nächsten Schlacht von hinten erschießen, ohne daß einer was merkt.« »Er kann noch nicht richtig Englisch, verdammt!« »Er kann überhaupt kein Englisch, dieser Idiot. Der sollte sich ein Beispiel an Otto nehmen. Der kann Englisch.« »Weil er hier geboren wurde. Jeder, der hier geboren wird, kann englisch. He, schaut mal, da gibt er schon die ersten Blinksignale. Scheint ja alles bester Ordnung zu sein.« »Alles okay«, sagte Peirson. »Mann, hoffentlich irrst du dich nicht.« Otto Smith und der Crow Scout ritten weiter. Die Soldaten konnten die beiden fast fünf Minuten lang mit ihren Blicken verfolgen. Dann verschwanden sie hinter einem Hügelrücken, und es dauerte eine Viertelstunde, bis sie wieder auftauchten. Es schien wirklich alles in Ordnung zu sein. Smith gab ein paar Blinksignale. »Alles okay«. Mehr nicht. Wieder verschwand er mit dem Crow Scout hinter einer Bodenwelle. Jetzt dauerte es fast eine halbe Stunde, bis Smith wieder auftauchte. Sein Pferd trottete über einen Hügel hinweg. Smith hatte eine Hand erhoben. Er winkte. »He, er kommt zurück«, sagte Peirson. »Er hat gemerkt, daß da hinten etwas nicht in Ordnung ist. Dieser alte Knacker weiß 57
Bescheid, sage ich euch.« Lieutenant Phillip C. Tucker ließ den Trupp anhalten. Er selbst ritt ein Stück vor und verhielt dann seinen Vollblut-Wallach. Er setzte sich in Positur, zupfte an seinem Halstuch und war bereit, die Meldung von Otto Smith entgegenzunehmen. Smiths Pferd verfiel in einen schnellen Trab. Dann schwenkte es plötzlich von der Richtung ab, in der es Smith bis jetzt gehalten hatte. »Was, zum Teufel, macht er denn?« rief Pratt. »He, so was Dämliches…« Smiths Pferd blieb in einer kleinen Mulde stehen. Es hielt einfach an, und Smith richtete sich im Sattel etwas auf. Er öffnete den Mund, als ob er etwas rufen wollte. Im nächsten Moment kippte Smith vornüber. Jetzt konnten sie alle die Pfeilschäfte sehen, die aus seinem Rücken ragten. Für Sekunden hockten die Männer wie versteinert auf ihren Pferden. Dann, als Otto Smith aus dem Sattel fiel und leblos am Boden aufschlug, sagte Peirson mit leiser Stimme: Allmächtiger, jetzt wissen wir, woran wir sind.« Lieutenant Phillip C. Tucker riß im nächsten Moment seinen Army Colt aus der Halfter. Er drehte seinen Wallach auf der Stelle. »In Angriffsformation aufreiten!« rief er. »Sergeant, Sie halten sich an der rechten Flanke! Wir rücken bis zu dem Hügel vor!« »Forbes ist halbtot, Lieutenant, Sir!« rief Rinth in seinem harten Englisch. »Der kann keine Flanke reiten, Himmel, Arsch und Zwirn!« »Dann übernimmst du die Flanke, Rinth!« brüllte Tucker, und an seinen Schläfen schwollen die Adern. »Vorwärts jetzt! Wir haben keine Zeit zu verlieren!« »Lieutenant, hinter dem Hügel könnten zweihundert Indianer auf uns warten«, sagte Peirson. »Die Scouts sollten vorgeschickt 58
werden. Wir können doch nicht einfach gegen zweihundert Rothäute anreiten, Sir.« »Peirson, wenn da hinten zweihundert Krieger wären, hätten sie uns längst angegriffen. Sie kennen doch die Indianer. Wenn sie in der Übermacht sind, dann machen sie kein Versteckspiel.« »Trotzdem, Sir. Die Scouts müssen konsultiert werden.« »Die Scouts sind abgehauen!« rief einer der jungen Soldaten. »Die haben die Flucht ergriffen, Sir! Dort hinten reiten sie!« Der junge Soldat zeigte nach Nordosten. Deutlich waren die beiden Reiter zu erkennen, die im Galopp davonritten und ziemlich viel Staub aufwirbelten. »Na also«, sagte Tucker mit fast tonloser Stimme. »Na also, meine Herren. Was nun?« »Rückzug, Sir!« sagte Peirson kalt. »Nie, solange ich das Kommando führe. Das dürften Sie wissen, Peirson.« »Sir, ich wußte es.« Peirson spuckte aus. »Aber diese Attacke werden Sie alleine reiten müssen, Sir. Ich bleibe hier, und ich denke, daß ich nicht der einzige bin!« Peirson sagte es so kaltschnäuzig, daß es Tucker glatt den Atem verschlug. Er wurde mit einem Schlag blaß im Gesicht. Er kniff seine Raubvogelaugen zusammen. Für Sekunden hatte er die Lippen fest zusammengerpeßt. Dann beugte er sich vor und streckte dabei seinen dünnen Hals mit dem spitz hervortretenden Adamsapfel. »Peirson, was Sie jetzt tun, ist nicht nur Befehlsverweigerung. Was Sie jetzt tun, ist Meuterei. Zumindest Anstiftung zur Meuterei. Sie kommen vor ein Kriegsgericht, Peirson. Und ich…« »Sir, ich stelle mich lieber einem Kriegsgericht, als daß ich hier draußen vor die Hunde gehe, nur weil unser Offizier nicht merkt, wann es genug ist. Seit Tagen warten wir darauf, daß wir umkehren, Sir. Sergeant Forbes ist schwer krank. Wahrscheinlich hat er den Gasbrand im Bein und stirbt. Man könnte auch versu59
chen, das Bein zu amputieren. Aber dafür ist keine Zeit. Vorwärts, immer nur vorwärts. Hinter einem desertierten Soldaten her, den wir nie erwischen. Aber wir reiten durch ein Land, in dem es nur so von feindlichen Indianern wimmelt. Wir reiten uns die Ärsche wund. Wir kriegen kaum Schlaf. Wir haben fast nichts mehr zu essen. Dann erwischt es einen von uns. Einen erfahrenen Soldaten, Sir. Und es hat wahrscheinlich auch den Crow erwischt, dort hinter dem Hügel, wo die Prärie brennt. Aber unser Offizier läßt seine Schar zur Attacke aufreiten. Da ist einiges falsch dran, Sir.« »Sind Sie jetzt fertig, Peirson?« »Jawohl, Sir.« Peirson nickte. »Ich bin fertig. Ich reite zurück und versuche, mich zum Fort zurückzuschlagen. Das wird nicht so einfach sein, Sir, denn inzwischen dürften sämtliche Rothäute vom Yellowstone bis zur Kanadagrenze erfahren haben, daß ein Lieutenant mit einigen Soldaten kreuz und quer durch die Gegend reitet, so als wäre dies hier ein Golfplatz.« Lieutenant Phillip C. Tucker hatte seinen Revolver auf Peirson gerichtet. »Ich könnte Sie jetzt erschießen, Soldat«, sagte er heiser. »Sicher, Sir. Das könnten Sie tun.« Tucker schüttelte den Kopf. »Das tue ich nicht, Peirson. Sie kommen vor ein Kriegsgericht, wenn wir wieder in Fort Benton sind.« Peirson senkte den Kopf. Hinter ihm verharrten die Männer still auf ihren Pferden. Trotz in den Gesichtern und Wut in den Augen. Sie sahen, wie sich Tuckers Gesicht aufhellte. Und sie konnten es kaum glauben, aber der Lieutenant lächelte, als er den Colt in die Halfter steckte. »Zur Angriffslinie aufreiten!« befahl er, und seine Stimme klang fest. »Los,Leute! Vorwärts!« Niemand rührte sich. Da drehte Lieutenant Phillip C. Tucker 60
seinen Vollblut-Wallach, gab ihm die Sporen und ritt an. Bei Otto Smith zügelte er das Pferd. Er beugte sich kurz aus dem Sattel und blickte auf den Toten nieder. Als er sich aufrichtete, war sein Gesicht wie eine Maske aus Holz. Im Trab ritt er den Hang hoch, genau auf der Fährte von Otto Smith. Und er blickte sich nicht ein einziges Mal nach seinen Männern um. * Sie konnten nicht sehen, was passiert war. Sie hörten nur die beiden Revolverschüsse. Dann riß der Wind den Rauch auf, und ein Pferd preschte durch die Lücke, jagte in die Niederung und an der Buschinsel vorbei. Auf dem Pferd saß ein dunkelhäutiger, kleingewachsener Mann, dessen Haar zu zwei Zöpfen geflochten war. Er hatte eine Infanteriemütze auf dem Kopf, an der eine Adlerfeder hing. Sein Oberkörper war mit einem verwaschenen Armeehemd bedeckt. Mit beiden Händen hatte sich der Reiter im Mähnenhaar des Pferdes festgekrallt. Sein linker Fuß hatte den Steigbügel verloren. »Einer von Tuckers Crow Scouts!« rief Georgia Bob scharf. »Mann, Tucker ist da! Ich muß weg hier!« Georgia Bob sprang auf und lief geduckt durch die Büsche auf Sherman zu, der in einer Vertiefung angebunden war. Lobo hechtete ihm nach und erwischte ihn an den Beinen. Er brachte den großen Neger zu Fall. »Mann, bist du wahnsinnig!« rief Georgia Bob und strampelte sich frei. »Hast du den Crow nicht gesehen? Das war White Eagle, ein ganz hinterlistiger und heimtückischer Bursche!« »Du kannst nicht weg, Schwarzer!« knurrte Lobo. »Auf jeden Fall kannst du jetzt nicht weg.« »Und warum nicht?« 61
»Weil du wissen mußt, wo Tucker herkommt. Sonst läufst du ihm direkt in die Arme. Außerdem wäre es gut, wenn du ihn die Blackfeet-Krieger vertreiben läßt. Du hast mindestens eine Viertelstunde Zeit, Schwarzer. Dann haben vielleicht die Flammen die ersten Büsche erreicht.« »Und wenn Tucker früher kommt?« »Der kommt überhaupt nicht, du Narr. Das Feuer ist eine Barriere zwischen dir und ihm. Er kommt nicht durch, es sei denn, der Wind dreht.« »Er könnte auch einen Bogen reiten.« »Sicher. Das könnte er auch.« »Und dann?« »Du schwingst dich auf den Gaul und machst, daß du wegkommst. Sherman ist ausgeruht. Die Soldatengäule werden ganz schön ausgepumpt sein. Du entkommst ihnen leicht.« »Und du?« »Ich bleibe natürlich hier. Ich bin ein freier Yankee-Mischling.« Lobo grinste. »Gegen mich liegt nichts vor. Wenn Tucker die Blackfeet-Krieger vertreibt, bin ich ihm zu Dank verpflichtet.« »He, sie kommen!« Der Ruf eines Soldaten beendete die Meinungsverschiedenheit zwischen Lobo und dem Neger. Beide warfen sich herum und liefen zum Rand der Buschinsel. Etwa hundert Yards entfernt tauchten in den Rauchschwaden schemenhafte Gestalten auf. Pferde und Reiter. Sie jagten hinter dem Crow Scout her, der weit im Süden hinter einer Bodenwelle verschwand. »Das sind die Blackfeet-Krieger!« schnappte Georgia Bob. »Jetzt nichts wie weg hier, bevor Tucker kommt!« Der Neger sprang auf, um zu seinem Pferd zu laufen, aber in diesem Moment tauchten drüben am Hang Soldaten auf. Sie ritten in einer Angriffslinie, einige hundert Yards hinter einem einzelnen Reiter her, an dessen Uniformjacke Schulterstücke glitzerten. 62
»Da – da – das ist er!« rief Georgia Bob. »Tucker!« Der Neger stand wie gelähmt zwischen den Büschen, die Augen weit aufgerissen. Die beiden Soldaten erkannten ihre Chance, gerettet zu werden. Sie sprangen auf und liefen aus der Deckung der Büsche, schreiend und mit den Armen rudernd. »Hierher, Leute!« rief der eine. »Hierher!« Der andere, es war der mit den Bandagen, fiel in die Knie und sagte im Brustton der Überzeugung: »Gott, der Herr, segne Amerika!« »Verschwinde, Schwarzer!« sagte Lobo, als die Soldaten noch etwa zweihundert Yards entfernt waren. »Verschwinde, solange noch Zeit ist. Dieser Tucker hat sich in das Wild verbissen, das er jagt.« »Komm mit, Mann!« stieß Georgia Bob heiser hervor. »Allein komme ich nie durch. Ich weiß nicht einmal, wohin ich reiten soll.« »Südwärts. Irgendwann kommst du zum Yellowstone. Folge dem Fluß westwärts.« Lobo grinste. »Die wollen sich einige Skalps erbeuten, Schwarzer. An dir ist keiner mehr interessiert.« Die Soldaten Jagten an der Buschinsel vorbei. Über ihnen bewegten sich dunkle Rauchschwaden wie Wolkenfetzen. Das Feuer hatte nun fast das obere Ende der Buschinsel erreicht. »Verschwinde endlich!« stieß Lobo hervor. »Hau ab, Schwarzer! Du hast eine Chance.« Georgia Bob nickte. »Okay«, sagte er. »Okay, Sir. Mach's gut. Herrgott, vielleicht sehen wir uns mal. Und vergiß nicht, Tucker 'nen schönen Gruß zu sagen. Sag ihm, daß er mir sozusagen das Leben gerettet hat mit seinem Angriff. Das wird ihn furchtbar ärgern.« Der Neger ging ein Stück rückwärts. Dann drehte er sich um, lief in die Vertiefung und löste die Zügel von Sherman, dem er einen Kavalleriesattel aufgelegt hatte. Dann sprang er in den Sattel, gab ihm 63
die Absätze und flog im nächsten Moment in hohem Bogen in die Prärie hinaus. Sherman drehte sich um seine eigene Achse, wieherte, machte ein paar Bocksprünge und galoppierte davon, bevor ihm Lobo in die Zügel fahren konnte. Georgia Bob taumelte auf die Beine. Er hatte sich das Kinn aufgeschlagen und die Hosenbeine durchgescheuert. »Ich wußte es«, stieß er hervor. »Warum, zum Teufel, bist du nicht mitgekommen? Bei dir hätte er das nie getan.« »Wahrscheinlich nicht, Schwarzer«, gab Lobo zu. »Ich hätte ihm auch nicht den Armeesattel aufgelegt. Und wer dann einem Bocker wie Sherman die Hacken in den Bauch tritt, bevor er die Stiefel in den Steigbügeln hat, braucht sich nicht zu wundern, wenn er in den Himmel gefeuert wird.« »Jetzt ist alles aus«, sagte Georgia Bob und setzte sich auf den Steinbrocken. »Jetzt kann ich mir gleich 'ne Kugel in den Kopf schießen.« »Du kannst auch hier hocken bleiben, bis du geröstet vom Stein fällst«, sagte Lobo. »Das Feuer ist bei den Büschen. Wir müssen jetzt weg!« Lobo rannte zu den beiden Soldaten, die noch nicht gemerkt hatten, daß ihnen die Gefahr nahe kam. »Lauft, Jungs!« rief ihnen Lobo zu. »Das Feuer wird schnell hier sein, wo die Büsche sind. Die Flammen springen, wenn die Hitze mal groß genug ist!« Die beiden Soldaten schienen aus einem Traum zu erwachen. Sie rannten sofort los. Lobo folgte ihnen, blieb nach einer Weile stehen und sah, daß Georgia Bob in westlicher Richtung durch das Gras lief. »Mann, das hat doch keinen Sinn!« rief ihm Lobo zu. »Die erwischen dich, Schwarzer!« Georgia Bob blieb kurz stehen. Dann duckte er sich und lief weiter.
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* Lobo und die beiden Soldaten warteten zuoberst auf einer Hügelkuppe auf Tucker und seine Soldaten, die den BlackfeetKriegern ein Stück weit nachgeritten waren, bis Tucker einsah, daß die Indianerponys mit den übermüdeten Armeepferden nicht mehr einzuholen waren. Tucker zügelte seinen Vollblut-Wallach, der mit Schweißflocken behangen war. Er wartete auf seine Männer. Alle waren hinter ihm hergeritten. Auch Peirson. Nur Sergeant Forbes war allein zurückgeblieben. Tucker konnte es kaum glauben. Er hatte nicht damit gerechnet, daß ihm die Soldaten die Stange halten würden, wenn es darauf ankam. Nicht nachdem Peirson sie sogar zur Befehlsverweigerung angestiftet hatte. Als die Soldaten auf dem Hügelrücken ankamen und ihre Pferde zügelten, war Tuckers Gesicht verschlossen wie eh und je. Seine Augen funkelten, seine Lippen waren schmal, der dünne Hals gestreckt. »Leute, wir haben den Feind verjagt«, sagte er rauh. »Mit ausgeruhten Pferden hätten wir ihm wahrscheinlich eine Niederlage bereitet.« Die Männer schwiegen. Sie waren ihm zwar nachgeritten, aber sie mochten ihn nicht mehr als zuvor. Sie mochten ihn überhaupt nicht. Er war ein Schinder. Ein Habicht. Sie wünschten ihm die Pest an den Hals. »Zum Glück waren es keine zweihundert Krieger«, sagte Tucker. »Es waren knapp ein Dutzend.« »Ich habe dreizehn gezählt, Sir«, sagte Pratt. »Dann waren es dreizehn. Blackfeet-Krieger. Wollen mal sehen, was da überhaupt los war. Ich nehme an, daß wir keine erbauliche Entdeckung machen werden, meine Herren.« 65
Er gab seinem Wallach die Sporen und ritt scharf an. Nach einigen Yards nahm er den Wallach aber etwas zurück. Im Trab ritt er den Hügelrücken entlang auf eine Kuppe zu, auf der drei Gestalten standen. Die Soldaten folgten ihm in einem losen Haufen. Die beiden Soldaten, die bei Lobo standen, drehten beinahe durch. Sie schrien und brüllten und tanzten herum, schlugen sich gegenseitig und gebärdeten sich wie zwei Verrückte, die glaubten, ein goldenes Ei gelegt zu haben. Lobo blieb ruhig. Er sah sich noch einige Male nach Georgia Bob um, aber von dem Neger war nur noch eine dünne, gerade Fährte zu sehen, die sich durch das goldgelbe Gras zog. Unten in der Niederung hatte bereits die ganze Buschinsel Feuer gefangen. Der Rauch war jetzt so dicht, daß man nach Norden hin überhaupt nichts mehr sehen konnte. Lobo musterte den anreitenden Lieutenant. Tuckers Gesicht war fast grau. Scharfe Linien durchzogen seine Haut. In seinem Schnurrbart glitzerten silberne Haare. Er zügelte sein Pferd, und sein Blick traf die beiden Soldaten, die keine Ruhe finden konnten. »Ist einer von euch beiden vielleicht in der Lage, Meldung zu machen!« sagte Tucker kalt. Der Soldat, der noch keinen Kratzer abgekriegt hatte, duckte sich. Für Sekunden sah er aus wie ein Wolf, der sein Opfer anspringen wollte. Dann senkte er die Schultern. Und er grinste. »Sir, ich bin Soldat Randy Hunt von der vierundzwanzigsten Infanterie. Mein Freund hier, das ist Silas Morris. Wir gehörten einer Abteilung der D-Kompanie an. Hatten die Aufgabe, einem Deserteur den Weg zu verlegen, wurden aber dann von Indianern zweimal nacheinander überfallen. Wir beide, Morris und ich, wir sind die beiden letzten der Abteilung.« 66
Tucker kniff die Augen etwas zusammen. »Gut, Soldat«, sagte er. »Pferde sind auch keine übriggeblieben, wie?« »Nein, Sir.« »Wem hat das Pferd gehört, das ohne Reiter an uns vorbeigaloppierte?« »Das – nun, Sir – uns hat das nicht gehört. Das war ein Indianerpferd.« »Mit einem McClellan-Kavallerie-Sattel?« fragte Tucker lauernd. »Sir, von unserer Abteilung sind keine Pferde übriggeblieben!« wiederholte Randy Hunt. Tuckers Blick traf Lobo. Er musterte ihn von Kopf bis Fuß, und was er sah, schien ihm nicht zu gefallen. »Das sind doch Uniformstücke, die du um deine Füße gewickelt hast, nicht?« fragte er scharf. Lobo nickte, sagte aber kein Wort. »Ich will eine Antwort haben, Mister!« Lobo bleckte die Zähne. »Ich bin kein Soldat, Mister«, sagte er mit kehliger Stimme. »Mit mir kannst du nicht umspringen wie mit 'nem Hund. Das geht hoffentlich in deinen Kopf rein, Mister.« Lobos Hand lag über dem Griff eines Army Colts, den er einem toten Soldaten abgenommen hatte. Der Colt steckte in einem Armeegürtel mit US-Schnalle. Lobo trug außerdem eine zerschlissene Uniformhose und ein graues Baumwollhemd. Tucker blickte ihn sekundenlang durchdringend an. Dann hob er den Kopf. »Das wird der Mann sein, der mit dem Soldaten Davis zusammen war«, sagte er. »Und er wird wissen, wo sich Davis im Augenblick befindet. Peirson! Pratt! Nehmt den Mann gefangen. 67
Er trägt Uniformstücke und eine Waffe der US-Armee, obwohl er sich als Zivilist ausgibt.« Pratt ritt sofort vor. Er richtete seinen Springfield-Karabiner auf Lobo. »Hände hoch, Mister!« befahl er scharf. Lobo sah, daß er sich verrechnet hatte. Tucker war wirklich ein ausgemachter Schweinehund. Die Chancen Lobos, sich zur Wehr zu setzen, waren gleich Null. »Mister, da unten in der Niederung liegen ein paar tote Soldaten«, sagte Lobo ruhig, um wenigstens den Versuch zu machen, diese Angelegenheit vernünftig zu regeln. »Ich war ebenfalls dort unten. Zusammen mit den toten Soldaten und den lebenden Soldaten. Blackfeet-Krieger haben die Stellung angegriffen. Um mich meiner Haut zu wehren und den lebenden Soldaten im Kampf beizustehen, habe ich mich mit den Sachen von Toten ausgerüstet.« »Das heißt, daß du waffenlos warst, als du hier angekommen bist!« stieß Tucker sofort hervor. »Und das wiederum heißt, daß du zusammen mit einem Deserteur hierhergekommen bist« Lobo lächelte. »Ich traf einen Mann, der mich mitnahm, als ich in Not war, Sir. Wollen Sie von mir verlangen, daß ich diesen Mann verrate?« »Dieser Mann ist erstens ein Nigger und zweitens ein Deserteur, der seine Kameraden im Stich gelassen hat«, bellte Tucker. »Den Spuren nach, die wir untersucht haben, hast du den Nigger bei seiner Flucht unterstützt.« Jetzt lachte Lobo. »Wer von euch hat denn die Spuren untersucht?« fragte er. »Wir hatten ein paar Crow Scouts dabei.« »Ah. Nun, Mister, ich kann dazu nur sagen, daß der Neger ohne mich wesentlich schneller vorangekommen wäre. Ich bin 68
ihm zur Last gefallen. Meine Füße sind zerschunden, seit die Blackfeet-Krieger ein Spielchen mit mir gemacht haben. Der Neger verband mich. Er ließ mich reiten, während er marschierte. Nein, Mister, der Neger braucht keine Hilfe.« »Wo ist er?« »Keine Ahnung.« »Ich will wissen, wo der Nigger steckt!« brüllte Tucker. »Damit kannst du deine Haut retten, Mann!« Lobo lächelte. »Ich weiß nicht, wovon du redest, Mister. Ich habe keine Schuld. Du hast nicht das Recht, mich…« »Nehmt ihn gefangen!« schrie Tucker sofort. »Das ist ein Befehl, Peirson! Bindet ihm die Hände auf dem Rücken. Er kommt frei, wenn er bereit ist, das Versteck des Deserteurs zu nennen.« »Hände hoch!« wiederholte Pratt. Lobo seufzte. »Gut«, sagte er. »Mister, du hast die Macht. Aber laß dir eines gesagt sein! Du behandelst mich nicht ungestraft wie einen Hund!« Tucker spuckte aus. »Du hast einem Deserteur geholfen, Mister. Du bist ein Mischling. Ein Halbindianer. Es könnte sein, daß du mit unseren Feinden in Verbindung stehst. Du bist ein verdächtiges Subjekt, Mister, falls du weißt, was das heißt. Und das ist Grund genug, dich so lange in Ketten legen zu lassen, bis deine Unschuld bewiesen ist.« »Einmal werde ich frei sein«, sagte Lobo kalt. »Und dann werde ich nicht davonlaufen wie der Neger, Mister. Dann werde ich mich umdrehen und dir in die Augen sehen.« Lobo hob die Hände. Er ließ sich widerstandslos entwaffnen und festnehmen. Es hatte doch keinen Sinn, irgend etwas zu versuchen. Peirson band ihm die Hände auf dem Rücken zusammen. Er zog den Strick nicht so fest, wie er es eigentlich hätte tun können. Lobo 69
ließ sich aber nichts anmerken. Es war Pratt, der ihm mit dem Gewehrkolben einen harten Stoß in die Nierengegend versetzte. Die Schmerzen trieben Lobo das Wasser in die Augen. Er taumelte, stand geduckt und blickte sekundenlang in das grinsende Gesicht von Pratt. Lobo sagte kein Wort. »Ist was, Niggerfreund?« fragte er. Lobo schwieg. Er drehte sich dem Lieutenant zu. »Ungefähr zwanzig Meilen von hier ist Cow Island, ein ArmeeDepot am Missouri River. Dort können Sie Verpflegung und Pferde kriegen, Mister.« »Ich weiß, daß sich Cow Island in der Nähe befinden muß«, sagte Tucker. Lobo lächelte sanft. »Sie wissen aber nicht genau wo, nicht wahr?« »Es dürfte nicht schwierig sein, einen Fluß zu finden, der tausend Meilen lang ist«, sagte Tucker und wandte sich an die beiden Soldaten. »Ihr kennt den Weg zurück, oder?« Silas Morris lachte auf. »Nein, Sir«, sagte er. »Den Weg zurück kennen wir nicht. Wir sind fremd in der Gegend. Wir wissen noch nicht einmal, ob wir uns noch in den Vereinigten Staaten von Amerika befinden.« Tucker winkte ab. »Ich nehme an, daß die beiden Crow Scouts demnächst wieder zu uns stoßen werden. Die beiden kennen sich aus.« »Otto Smith hätte den Weg gekannt«, sagte Peirson grimmig. »Zum Teufel, Soldat Peirson! Werden Sie nur nicht anzüglich!« »Das tu ich nicht, Sir. Ganz und gar nicht. Es war nur eine Feststellung.« »Die Sie sich sparen können. Nehmen Sie Rinth mit und holen Sie Forbes nach. Wir sehen uns hier mal um. Die Toten, oder das, was von ihnen übriggeblieben ist, müssen begraben werden. 70
Nehmen Sie ein Extrapferd mit, und bringen Sie den Leichnam von Otto Smith mit, Peirson. Alles klar?« »Alles klar, Sir. Und was sollen wir beide tun, falls Rothäute auftauchen?« »Das überlasse ich Ihrer Entscheidung, Peirson. Sie sind ja einer, der immer weiß, was zu tun ist, nicht?« »Jawohl, Sir«, nickte Peirson. »Da haben Sie völlig recht.« Er grinste in die Runde. »Ihr habt es gehört, Kameraden. Nehmt es euch zu Herzen. Nur nie verzagen, Peirson fragen.« »Hier stinkt's aber gewaltig«, sagte einer der jungen Burschen. Er schwang sich von seinem Pferd. »Hier, nimm meinen mit, Peirson. Der hat den Germanen fast ein Jahr lang getragen.« Peirson übernahm das Pferd und zusammen mit Rinth, dem Österreicher, ritt er davon. Die beiden ritten langsam. Sie hatten ihre Springfield-Karabiner schußbereit in den Händen. * Robert Lee Davis sah die beiden Reiter erst, als sie noch knapp hundert Yards von ihm entfernt aus einer Vertiefung herausritten. Er reagierte blitzschnell, duckte sich tief ins Gras und zog seinen Revolver. Die beiden Reiter waren Soldaten. Der Neger erkannte sie, als sie die Richtung änderten und genau auf ihn zuritten. Der eine war Peirson, der andere Rinth. Und sie hatten ein Ersatzpferd dabei, mit dem sie wahrscheinlich den Toten holen wollten, über dem die Geier und Bussarde schwebten. Im Osten war der Himmel rauchverhangen. Das Sonnenlicht fiel in Streifen auf die Prärie nieder. Von dort waren die Soldaten gekommen. Sie hatten das Feuer umritten, die Blackfeet-Krieger in die Flucht gejagt und sich auf dem Hügel im Süden der Niederung versammelt. Georgia Bob hatte sie gesehen. Er hatte 71
zugeschaut, wie der Lieutenant auf dem Hügel vor Lobo und den beiden verrückten Jungs aus der Infanterie sein Pferd zügelte. Dann war Georgia Bob abgehauen, ohne sich noch einmal umzublicken. Er war im Trott über den nächsten Hügel in eine Vertiefung gelaufen, war ihr fast eine Meile gefolgt, hatte die nächste Bodenwelle hinter sich gebracht und einen weiten Bogen um die brennende Niederung geschlagen, als er den Toten im Gras liegen gesehen hatte. Und etwas abseits von dem Toten hatte ein Pferd im Schatten einiger Dogwoodbüsche gestanden. Auch dort hatte ein Mann gelegen, der aber nicht tot war. Ab und zu bewegte er sich. Georgia Bob hatte es eigentlich auf das Pferd abgesehen. Aber jetzt sah alles anders aus. Jetzt konnte er auf einen Schlag vier Pferde erbeuten und ein paar Kavalleristen zu Fußgängern machen. »Peirson, du ausgekochter Lumpensohn, du wirst dich wundern«, knurrte Georgia Bob und machte sich so klein wie möglich. Er rührte sich nicht mehr und hielt sogar zeitweise den Atem an. Peirson und Rinth ritten kaum zehn Yards entfernt an ihm vorbei. »Immer wachsam bleiben, Mann!« hörte Georgia Bob Peirson warnend zu dem Österreicher sagen. »Diese Rothäute können sich im kleinsten Loch verstecken. Die sind immer dann ganz in der Nähe, wenn es nicht danach aussieht.« »Ich sehe keinen«, gab der Österreicher zurück. »Das heißt noch lange nichts«, sagte Peirson. »Dort könnte einer im Gras liegen. Oder dort, bei dem Busch. Oder dort hinten bei dem Felsbrocken. Ich hab's schon erlebt, daß mein Gaul fast über einen von ihnen gestrauchelt ist.« Rinth spuckte im hohen Bogen von seinem Pferd weg und traf beinahe den Neger, der im Gras kauerte und sich nicht bewegte. 72
Kaum hatten die beiden Soldaten Georgia Bob passiert, richtete sich der Neger etwas auf. Er wartete noch eine kurze Zeit, dann lief er tief geduckt hinter den beiden im Schritt gehenden Pferden nach. Peirson und Rinth unterhielten sich, wobei Peirson eigentlich derjenige war, der redete. Rinth sagte ab und zu ein paar Worte, spuckte hin und wieder einen Strahl Tabaksaft in die Büsche und zügelte schließlich sein Pferd. Peirson hielt auch an. »Ist was?« fragte er. Rinth drehte sich im Sattel. Er sah sich mißtrauisch nach allen Seiten um. »Nichts von Bedeutung«, sagte er nach einer Weile. Peirson atmete auf. Er holte einen Tabakbeutel heraus, drehte ein Stäbchen, steckte es zwischen die Lippen und zündete es an. Dann ritten sie weiter. Schon von weitem rief Peirson dem Mann, der unten im Schatten der Büsche lag, etwas zu. Georgia Bob, der jetzt etwas zurückgeblieben war, konnte nicht alles verstehen, aber er hörte den Namen des Mannes dort unten. Es war Sergeant Forbes, und es schien ihn schlimm erwischt zu haben. Georgia Bob wartete, bis die beiden ihre Pferde anhielten und aus den Sätteln kletterten. Sie setzten sich bei dem Sergeanten ins Gras. Rinth gab Forbes Wasser aus seiner Kantine. Peirson drehte ihm eine Zigarette und gab ihm Feuer. Sie hockten nebeneinander und redeten miteinander. Georgia Bob schlich in einem Bogen um die drei Soldaten herum. Er näherte sich ihnen von der anderen Seite der Dogwoodbüsche und hatte keine Mühe, an sie heranzukommen, denn Peirson redete die ganze Zeit. »Da unten in Cow Island, da ist vielleicht einer dabei, der was von solchen Verletzungen versteht, Sergeant«, sagte er. »Ich würde auf jeden Fall nicht aufgeben. Niemals. Das Bein muß 73
vielleicht amputiert werden, aber das ist doch heutzutage nicht mehr so schlimm, wo es die neuartigen Prothesen gibt. Mit richtigen Kniegelenken und allem drum und dran. Da merkt keiner mehr, daß du ein Holzbein hast, Sergeant.« Georgia Bob erreichte die Büsche. Er kauerte im hohen Gras nieder, den Army Colt schußbereit in der rechten Hand. »Du erinnerst dich doch noch an das Veteranentreffen in Helena, Sergeant. Da kam Robinson mit so 'ner neuen Prothese. Der hat sogar getanzt wie ein Junger, der alte Kerl. Erinnerst du dich?« Forbes krächzte etwas, was keiner verstehen konnte. Dann fiel ihm die Zigarette aus dem Mund. Peirson nahm sie auf und steckte sie ihm zwischen die Lippen. »Zwanzig Meilen noch, Sergeant. Der Teufel soll dich holen, wenn du das nicht schaffst«, zischte er. »Das – Bein muß weg!« keuchte Forbes. »Das – Bein – muß weg!« »Sicher, Sergeant. Das ist mir auch klar. Das Bein muß weg. Aber wir haben keinen Doc hier. Keiner weiß, wie man so was richtig macht. Wir bringen dich nach Cow Island. Dort kann man dich vielleicht operieren.« »Vielleicht hast du recht, Peirson, vielleicht auch nicht«, sagte Robert Lee Davis, den man Georgia Bob nannte. Und er brach mit einem Satz durch die Büsche, stand breitbeinig und geduckt vor seinen ehemaligen Kameraden und richtete den Revolver auf Peirson. »Heb die Flossen, Peirson!« befahl er scharf. »Du auch, Rinth!« Die beiden hockten wie gelähmt am Boden und starrten den Neger an wie ein Gespenst. Selbst Sergeant Forbes schien für einige Momente bei klarem Verstand zu sein. »Davis«, sagte er. »Lieber Himmel, wo kommst du denn her?« »Ich treibe mich rum«, erwiderte der Neger sarkastisch. »Mal 74
bin ich dort, mal da. Es freut mich, euch zu sehen, Jungs.« Peirson und Rinth hoben die Hände. »Mach nur keinen Scheiß, Davis«, preßte Peirson hervor. »Wir wollen nichts von dir.« »Das sagst du, nachdem du kreuz und quer durch die Hölle geritten bist, Peirson. Immer auf meiner Fährte.« »Mann, du kennst doch Tucker.« »Ja. Den kenne ich. Aber ich kenne euch auch. Ihr seid die Meute, die ein Jäger braucht, um das Wild aus seinem Versteck zu treiben. Peirson, du willst nichts von mir. Das freut mich, denn ich habe nichts, was ich dir geben könnte.« »Du redest wie einer, der zum Töten bereit ist«, sagte Peirson. »Wir kennen uns doch, Davis. Wir können doch miteinander reden.« »Das tun wir ja, Peirson. Wir unterhalten uns über den Lauf meines Revolvers hinweg. Und das ist gut so, denn ich bin es, der etwas von euch will.« »Gott verdammich, das habe ich mir gedacht«, knurrte Rinth. »Was will der Herr, bittschön?« »Waffen, Munition und die Pferde.« »Alle vier?« »Sicher.« »Mann, du bist ganz schön unverschämt, Davis«, schnappte Peirson. »Wir sind knapp an Pferden. Wir haben zwei Jungs von der Infanterie aufgelesen. Und einen Strolch, der auch kein Pferd hat und den du kennen müßtest.« »Wer ist er?« fragte Georgia Bob. »Habt ihr etwa den Kerl erwischt, dem ich die Füße eingewickelt habe?« »Ja. Das ist der Strolch.« »Schön. Mit dem wird Tucker noch seinen Ärger kriegen. An dem kann er sich die Zähne ausbeißen, sag ich euch.« »So sieht er auch aus, der Strolch«, sagte Peirson. »Nun, Davis, 75
werd doch vernünftig, Mann. Du kannst uns doch nicht alles wegnehmen, was wir haben.« »Ich will die Pferde und die Waffen. Mehr nicht. Ihr könnt die Uniformen behalten. Das ist immerhin etwas.« »Und wenn wir uns das nicht gefallen lassen, Davis?« Georgia Bob lächelte. »Mach dir nichts vor, Peirson. Ich habe den Colt in der Hand und nicht du.« »Du würdest uns töten, wie?« »Wenn es sein muß, würde ich schießen, Peirson.« »Und zwei ehemalige Freunde einfach abknallen, was?« »Wir waren nie Freunde, verdammt! Komm mir jetzt nur nicht mit solchem Quatsch, Peirson. Wir waren nie Freunde, das weißt du. Der Teufel soll dich holen. Du bist mit Tucker geritten, und wenn ihr mich erwischt hättet, dann wäre ich jetzt entweder tot, oder ihr würdet mich nach Fort Benton schleppen. Aber wahrscheinlich wäre ich tot. Erschossen von einem von euch. Vielleicht von dir. Vielleicht von Tucker. Dann hätten sich die Crows ein Stück Haut von mir geholt. Als Andenken. Peirson, ihr habt mich gehetzt. Ich mußte töten. Ich mußte laufen. Ich mußte mich verstecken, und ich habe mir Blasen an den Arsch geritten. Jetzt habe ich euch vor der Mündung. Dich und Rinth. Und ich will die Pferde, Peirson. Ich will endlich reiten, ohne dauernd über die Schulter zu gucken, ob ihr vielleicht nicht schon hinter der nächsten Bodenwelle auftaucht. Mit den vier Pferden reite ich von hier zum Ende der Welt, Peirson.« »Man wird dir die Hölle heiß machen, wo immer du auch auftauchst. Die Pferde tragen klar und deutlich den US-Brand.« »Das kannst du meine Sorge sein lassen, Peirson. Ich kann nach Kanada hochreiten. Dort oben schert sich niemand um den USBrand.« Peirson schnaufte durch die Nase. 76
»Dann denk daran, daß der Sergeant auf dem schnellsten Weg nach Cow Island gebracht werden muß«, sagte er. »Niemand hindert euch daran, es sei denn Tucker. Sein Zorn wird ihn alles andere vergessen lassen.« »Tucker kann dich gar nicht mehr verfolgen, selbst wenn er wollte. Die Pferde sind halb tot. Wir haben kaum mehr Proviant. Tucker selbst hat sich den Arsch wundgeritten. Außerdem haben wir einen Gefangenen, zwei Infanteristen und einen kranken Sergeanten. Nein, Davis, du hast es geschafft, auch wenn du nur ein Pferd nimmst.« Georgia Bob schüttelte den Kopf. »Wir haben zu wenig Zeit, um uns einig zu werden, Peirson«, meinte er. »Du fängst jetzt damit an, deine Waffen abzugeben. Zieh den Colt mit der linken Hand aus der Halfter und leg ihn vor deinen Füßen ins Gras.« »Und wenn ich das nicht tue, Davis?« Georgia Bob bleckte sein Gebiß. »Dann töte ich dich auf der Stelle!« sagte er mit fast tonloser Stimme. »Gott, ich glaube, er würde es tun«, sagte Peirson. »Mach keinen Mist. Rinth. Davis ist zu allem fähig.« »Mir ist das alles scheißegal«, sagte Rinth. »Er kriegt, was er sich nehmen will. Glaubst du, ich wollte ihn daran hindern?« Rinth zog mit der linken Hand seinen Revolver aus dem Lederfutteral und warf ihn ins Gras. Dann öffnete er den Gürtel mit den Patronentaschen und legte ihn ebenfalls ins Gras. »Das ist alles, was ich an Waffen und Munition habe, Davis. Der Karabiner steckt im Scabbard«, sagte er dann. Georgia Bob bedankte sich. »Und jetzt du«, forderte er Peirson auf. Der hagere Mann zögerte noch einen Moment. Dann seufzte er, öffnete die Schnalle und warf den Gürtel mit den Patronentaschen und dem 77
Revolverfutteral auf Rinths Waffen. »Du weißt, daß wir dafür Bau kriegen. Davis. Er läßt uns mit nackten Füßen auf dem Faßrand stehen, bis uns die Beine nicht mehr tragen. Wenn's schlimm wird, läßt er uns an den Daumen aufhängen.« Davis hob die Schultern. »Wie oft habe ich von dir den Ratschlag gehört, daß ich mich nur nicht unterkriegen lassen solle«, gab er zurück. »Nun, Peirson, ich bin ein freier Mensch. Meine Sorgen sind nicht deine Sorgen. Sorry.« »Du hast verdammt gut reden, verdammter Nigger!« Georgia Bob lachte. »Leg dich auf den Bauch, Peirson!« sagte er. »Rinth bindet dir jetzt die Hände und Füße zusammen. Ja, so ist es recht. Los, Rinth. Fessle ihn. Aber so, daß er nicht freikommt. Ich kontrolliere anschließend die Fesseln.« Rinth sagte kein Wort. Er fesselte Peirson mit dem Halstuch. Die Füße band er ihm mit dem Strick zusammen, mit dem Sergeant Forbes sich beim Reiten im Sattel hätte festbinden lassen, nachdem er zweimal vom Pferd gefallen war. Anschließend fesselte Georgia Bob mit dem Rest des Stricks Rinth an Händen und Füßen und band ihn gegen einen der Büsche, so daß er sich nicht wegrollen konnte. Auch Peirson wurde an einem Busch angebunden. Als die beiden versorgt waren, wandte sich der Neger an den Sergeanten. »Es ist eine Schweinerei, was sie mit dir machen, Forbes«, sagte er. »Es ist eine saumäßige Schweinerei. Komm, ich helf dir aufs Pferd. Wir reiten ein Stück zusammen.« Forbes Augen weiteten sich. Das Fieber glitzerte in ihnen. Sein Gesicht war schweißnaß. »Wo – wohin willst du mich bringen, Davis?« fragte er. »Zu Tucker«, erwiderte der Neger gelassen. Er half Forbes auf 78
die Beine und auf das Pferd. Forbes klammerte sich fest. »Geht es, Sergeant?« fragte er besorgt. Forbes nickte nur. Er hatte die Zähne zusammengebissen. Von seinem Kinn tropfte ihm der Schweiß auf die Hände nieder. Georgia Bob sammelte die Waffen ein, hängte alles an den Sattel von Peirsons Pferd, nahm die Zügel der anderen Tiere und sprang in den Sattel. Er warf einen Blick auf die beiden gefesselten Soldaten. »Vergeßt nicht, Tucker zu sagen, daß es mir Spaß gemacht hat, ihn an der Nase herumzuführen«, sagte Georgia Bob. »Sagt ihm, daß es mir gutgeht und daß ich ihm von Kanada aus vielleicht mal 'ne Postkarte nach Fort Benton schicke.« »Du siehst aber nicht danach aus, als ob es dir gut ergangen wäre, Davis«, sagte Peirson. »Du siehst aus, als hättest du versucht, dem Satan auf den Schwanz zu treten.« »Genau das habe ich getan«, sagte Georgia Bob und lachte. Dann ritt er an, und er zog die drei ledigen Pferde und das Tier, auf dem sich Sergeant Forbes festzuhalten versuchte, hinter sich her. Georgia Bob ritt einen Bogen, stieß auf seine eigene Fährte und folgte ihr bis auf den Hügelrücken, von dem aus er die Niederung und die umliegenden Hügel überblicken konnte. In der Niederung war die Buschinsel abgebrannt. Die Äste ragten schwarz und kahl aus dem verbrannten Boden. Georgia Bob sah Tucker auf der anderen Seite der Niederung am Hang. Er hatte drei Soldaten bei sich und ließ sich offensichtlich erklären, was hier vorgefallen war. »Kannst du absteigen, Sergeant?« fragte Georgia Bob Forbes. Forbes glitt aus dem Sattel, konnte sich aber nicht auffangen. Er fiel hin und blieb am Boden liegen. »Ich habe kaum mehr Schmerzen«, sagte er. »Es ist, als wäre ich unten abgestorben.« 79
»Sag Tucker, daß er der größte Schweinehund ist, den ich kenne«, stieß Georgia Bob hervor. »Sagst du ihm das, Forbes?« »Sicher. Bevor ich krepiere, sag ich ihm das, du starrköpfiger Nigger. Hau ab, jetzt. Und mach's gut. Mann, wie ich dich beneide. Ich könnte mir ins Hemd weinen.« Georgia Bob zog einen Revolver. Er blickte in die Niederung hinunter, hob den Revolver und feuerte eine Kugel in den Himmel. Als Tucker und seine Soldaten scharf anritten, drehte Georgia Bob um und galoppierte auf einem folgsamen Soldatenpferd davon. Weder Tucker noch einer seiner Leute hatten eine Chance ihn einzuholen, und Georgia Bob fühlte sich zum erstenmal seit seiner Flucht frei wie ein Vogel. * Tucker tobte. Es war das erstemal, daß er vor seinen Männern die Beherrschung verlor. Er warf seinen Hut auf den Boden und schleuderte seine Handschuhe in das Gesicht von Peirson. »Er hat euch überrascht! Wenn ich so was höre, läuft mir die Galle über! Ausgerechnet euch beide hat er überrascht, dieser Nigger. Peirson, du weißt, daß du für diese Schlappe persönlich verantwortlich bist. Das wird ein übles Nachspiel haben, Peirson, darauf kannst du dich verlassen.« Tucker hatte seinen Vollblut-Wallach derart angetrieben, daß er unter ihm zusammengebrochen war. Er hatte ihn erschießen müssen und war zusammen mit einem Soldaten im selben Sattel zurückgekehrt. Den Deserteur hatte er bei dieser Jagd nicht einmal zu Gesicht bekommen. »Er entkommt uns nach Kanada!« schrie Tucker. »Verdammt, wir hätten nur noch zupacken müssen! Wir hatten ihn in den Fingern, verdammt! Wir hätten ihn zermalmen können! Aber statt dessen überrascht er zwei meiner Soldaten und nimmt 80
ihnen die Waffen, Munition und Pferde ab!« Der Lieutenant nahm den verbeulten Hut vom Boden auf, stülpte ihn sich auf den Kopf und ging zu Lobo, der gefesselt im Gras lag. »Du mußt gewußt haben, daß er in der Nähe war, Bastard!« zischte er. Haß flackerte in Tuckers Augen. Er trat Lobo den rechten Stiefel hart gegen die Rippen. Lobo warf sich herum. Tucker bückte sich, griff, Lobo ins Haar und riß ihn daran hoch. »Du hast es gewußt, Bastard!« brüllte er. »Gib es zu! Gib zu, daß du genau gewußt hast, wo der Nigger sich versteckt hielt.« »Geh zum Teufel, Mister!« stieß Lobo kehlig hervor. Tucker ließ Lobos Haar los. Er traktierte ihn mit den Stiefeln und verlangte immer wieder, daß Lobo ein Geständnis ablegen solle. Lobo schwieg eisern. Schließlich meldete sich Randy Hunt. »Sir, der Neger rannte davon, als er euch sah. Er rannte einfach los. Keiner von uns sah, wohin er rannte. Keiner von uns konnte wissen, wo er sich verstecken würde.« Tucker ließ von Lobo ab. »Gut«, sagte er hart. »Wie ihr wollt, Leute. Macht euch für einen langen Marsch bereit. Wir verlassen diesen Ort hier in zehn Minuten. Wir haben den Rest des Tages und eine Nacht. Morgen sind wir bei Cow Island!« »Die Pferde sind todmüde, Sir«, wandte einer der Soldaten ein. »Wir marschieren, Soldat«, stieß der Lieutenant hervor. »Wir marschieren von hier nach Cow Island. Der einzige, der reitet, ist Sergeant Forbes.« Tucker drehte sich auf dem Absatz. Er ging ein Stück weit weg von seinen Leuten. Fast zehn Minuten lang stand er regungslos im Wind. Dann kehrte er zurück, und sein Gesieht war finster. »Bereit?« fragte er die versammelten Männer. »Gut. Dann marschieren wir!«
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* Sie marschierten südwärts durch die wellige Prärie. Einer hinter dem anderen. Und auch Lieutenant Phillip C. Tucker marschierte. Er hatte von Anfang an die Spitze übernommen. Ein hagerer Mann in einem goldenen Meer, das keine Ufer hatte. Er machte die Fährte. Und er bestimmte das Tempo. Er war ein harter Mann, rücksichtslos und unbeugsam. Er hatte sich in eine Aufgabe verbissen, die er nicht lösen konnte. Die Niederlage war eigentlich längst perfekt, aber Tucker kämpfte weiter, so als ob er sich dauernd selbst beschäftigen wollte, um die Niederlage vergessen zu können. Er marschierte bis zum Abend. Nur zweimal legte er eine kurze Pause ein, ließ die Männer verschnaufen und erlaubte ihnen, eine Zigarette zu rauchen. Dann ging es weiter. Schritt für Schritt. Die Füße brannten. Am Abend war Forbes tot. Einfach gestorben, ohne daß sie es gemerkt hatten. Sie nahmen ihn vom Pferd und begruben ihn in einer Mulde. Dann marschierten sie weiter. Das Gelände wurde schlechter. Die Hügel waren kahl und mit Gesteinsbrocken übersät. Tiefe Furchen durchzogen das Land. Der Wind und die Gewitterstürme hatten die obersten Erdschichten weggenagt und dem Gebiet ein zerfurchtes Antlitz verschafft. Die Männer kamen nicht mehr so schnell voran. Es ging jetzt ohne Pause bergauf, dann wieder runter und wieder aufwärts. Als es dunkel wurde, war vom Fluß noch immer nichts zu sehen. Aber es gab Stechmücken in Wolken. Ein Zeichen, daß der Fluß in der Nähe war. Die verschwitzten Männer hatten alle Hände voll zu tun, sich die Stechmücken vom Leib zu halten, was ihnen aber nicht gelang. »Wenn wir eine Rast machen, können wir ein Feuer anzünden, das die Mücken fernhält«, sagte Lobo so laut, daß es Tucker 82
hören konnte. Außerdem marschieren wir schräg zum Fluß.« Tucker hielt an. »Weißt du überhaupt, wo wir uns befinden?« fragte er mit krächzender Stimme. Lobo nickte. »Wir marschieren schräg zum Fluß und werden ihn weit unterhalb von Cow island erreichen«, erwiderte er. »Wenn wir im Dunkeln weitergehen, kann es sogar sein, daß wir morgen noch einmal zwanzig Meilen marschieren müssen, bis wir endlich ankommen.« Tucker kam zurück. Er schien die ganze Zeit nur darauf gewartet zu haben, daß Lobo die Geduld verlor und ihm sagte, in welcher Richtung er gehen sollte »Ich kenne mich in dieser Gegend nicht aus«, sagte er und wischte mit dem Uniformärmel den Schweiß von seinem knochigen Gesicht. »Eigentlich habe ich damit gerechnet, daß die beiden Crow Scouts zu uns stoßen.« »Die sind weg!« rief Peirson heiser. »Die kommen nie wieder zurück, diese beiden elenden Ratten.« »Wir machen hier Rast«, sagte Tucker. »Das ist ein guter Platz. Wir bleiben bis zum Morgengrauen. Dann marschieren wir zum Fluß.« »Der Strolch soll uns den Weg zeigen, Sir!« rief einer der Soldaten. »Er kennt den Weg.« Tucker hob die Schultern. »Er ist ein verstockter Bursche«, gab Tucker zurück. »Wenn er den Mund aufgetan hätte, hätten wir den Deserteur erwischt und wären noch in dieser Nacht in Cow Island gewesen. Eigentlich ist er schuld an der Misere, Leute.« »Mach deine Hunde nur scharf, Tucker!« schnappte Lobo. »Mach sie nur scharf, damit du zufrieden schlafen kannst. Aber denk daran, daß manch einer schon von seinem eigenen Ketten83
hund in den Arsch gebissen wurde.« Tucker gab Lobo einen Tritt. Lobo stürzte. Er schlug schwer am Boden auf und hörte Tucker lachen. Und die Männer lachten. »Natürlich ist der Strolch an allem schuld, wenn man's genau nimmt«, sagte Pratt. »Er hat dem Nigger geholfen. Und dann hat er uns nicht gesagt, daß der Nigger noch in der Nähe ist. Forbes könnte sogar noch leben, denn wir wären früher aufgebrochen.« »Man hätte Forbes das Bein amputieren müssen«, sagte Lobo keuchend. »Er hatte den Brand drin. Nein, ihr Blaubäuche, nicht ich habe Forbes umgebracht, sondern dieser glorreiche Lieutenant hat es getan.« »Noch ein Wort, und ich stopf dir dein Maul, Bastard!« zischte Pratt. Er näherte sich Lobo, die Hände zu Fäusten geballt. Lobo richtete sich etwas auf. Er lächelte sogar. »Binde mich los, und versuch dann dein Glück, Hitzkopf!« sagte er ruhig. Pratt gab ihm einen Tritt in die Seite. Als er sich bücken wollte, um Lobo auf die Beine zu ziehen, meldete sich Rinth, der Österreicher. »Pratt, laß deine Drecksfinger von ihm«, sagte er hart. Pratt richtete sich auf. Er wurde kreidebleich im Gesicht, als er sich dem Österreicher zuwandte. »Junge, ist dir nicht gut?« fragte Peirson spöttisch. Pratt schluckte. »Peirson, halt deine Fresse!« stieß er hervor. »Du und dein Freund, ihr zwei habt uns diese Suppe eingebrockt.« »Wir löffeln sie auch aus, Pratt. Wir löffeln sie aus, ohne daß wir einem wehrlosen Mann die Schöpfkelle über den Schädel schlagen.« »Er ist eben ein verrückter Yankee, unser Pratt«, sagte Rinth grinsend und spuckte einen Strahl Tabaksaft vor Pratts Füße. »Er will immer dann zeigen, was in ihm steckt, wenn er kein Risiko 84
eingehen muß. Sonst ist er ein ganz schöner Waschlappen, unser Yankee.« Pratt schnaubte durch die Nase. »Das laß ich mir nicht gefallen, Tucker!« rief er. »Das ist…« »Lieutenant Tucker!« brüllte Tucker. »Was fällt Ihnen ein, Pratt! Los, suchen Sie Brennholz. Vorwärts! Ich will ein Rauchfeuer haben. Die Moskitos machen mich wahnsinnig.« »He, die Moskitos machen ihn wahnsinnig«, lachte einer der Soldaten im Hintergrund. Dann kicherte er. Lobo stemmte sich hoch. Er kam auf die Beine. Es war jetzt fast dunkel. Er ging durch die Mulde, und als er sich auf einen Stein niederlassen wollte, sah er am Horizont für den Bruchteil einer Sekunde irgend etwas aufblinken. »Tucker, es wäre vielleicht von Vorteil, wenn du einen oder zwei Männer auf Wache schickst«, sagte Lobo. »Es sind wahrscheinlich Indianer in der Nähe.« Tucker warf sich herum. »Bist du sicher?« fragte er. »Eigentlich bin ich schon sicher, Tucker«, erwiderte Lobo und lächelte. »So schnell lassen Blackfeet-Krieger ihr Wild nicht entkommen.« »Es war nur eine Handvoll.« »Inzwischen sind es vielleicht zwei Handvoll. Oder drei Handvoll, Tucker.« Der Lieutenant teilte sofort Wachen ein. »Auf das Feuer können wir dann wohl verzichten, wie?« »Ein Rauchfeuer hält die Moskitos weg, nicht aber die Blackfeet-Krieger, Tucker«, sagte Lobo. »Gut, dann verzichten wir auf ein Feuer. Los, Leute! Wir verteilen uns etwas. Beim geringsten Anzeichen von Gefahr sucht sich jeder eine Deckung zwischen den Steinbrocken dort drüben. Falls wir angegriffen werden, versuchen wir, uns zum Fluß 85
durchzuschlagen.« »Und was passiert mit dem Strolch?« fragte Peirson. »Der bleibt zurück!« erwiderte Tucker. »Im Falle eines Angriffes können wir uns nicht um einen Gefangenen kümmern. Klar, Leute?« Natürlich war alles klar. Keiner brauchte Skrupel zu haben. Tuckers Befehle waren immer eindeutig. Und wer Befehlen gehorcht, kriegt nie ein schlechtes Gewissen. * Tucker lag wach. Alle anderen schliefen. Nur Tucker nicht. Lobo konnte deutlich erkennen, wie er ein Auge einen Spalt breit offen hatte und herüberblickte. Peirson und Pratt waren auf Wache. Ausgerechnet Peirson und Pratt. Das war eine Bestimmung von Tucker. Die beiden sollten sich aneinander gewöhnen. Wie zwei Pferde, die in einem Gespann gehen sollten. Peirson hockte auf einem Felsbrocken. Lobo konnte ihn sehen. Etwa fünfzig Yards entfernt. Manchmal schien der Mond durch die Wolkenlöcher. Nur Tucker war wach. Manchmal blinzelte er. Manchmal kratzte er sich dort, wo er gestochen worden war. Ab und zu verscheuchte er Moskitos. Dann lag er wieder lange Zeit ruhig, und es sah aus, als ob er schlafen würde. Aber er war wach. Und Peirson, der sich auf Wache befand, schlief im Sitzen. Lobo wußte nicht, wie spät es war, als neben Peirson ein Schatten auftauchte. Eine dunkle Gestalt wuchs zwischen den Büschen auf. Lobo wollte erst einen Warnruf ausstoßen, erkannte aber in diesem Moment den Neger. Georgia Bob schlich auf Peirson zu. Als er hinter ihm war, umschlang er den Kopf des Soldaten mit dem linken Arm und 86
hieb ihm den Revolvergriff auf den Hut. Peirson sackte lautlos zusammen und verschwand hinter dem Steinbrocken. Der Neger richtete sich etwas auf. Er grinste herüber. Lobo konnte deutlich die weißen Zähne schimmern sehen. Es schien sogar, als ob ihm der Neger zuwinken würde. Lobo wurde es dabei ganz heiß ums Herz. Er bewegte sich nicht. Er wußte, daß Tucker ihn beobachtete. Tucker lag mit dem Rücken zu Georgia Bob. Außerdem hätte ihm ein Erdbuckel die Sicht versperrt. Trotzdem mußte der Neger höllisch aufpassen, denn da draußen war immer noch Pratt. Und der schlief wahrscheinlich nicht. * Georgia Bob wunderte sich, daß Lobo ihm kein Zeichen gab. Er lag unten in der schmalen Senke, am Rande einer steilen Erhöhung und im Mondschatten eines Felsbrockens, der glitzernd aus der Böschung ragte. Die Soldaten schliefen alle nebeneinander in einer Reihe. Wie Tote, die noch nicht beerdigt werden konnten. Georgia Bob konnte Tucker nicht sehen. Der Lieutenant lag abseits irgendwo am anderen Ende der Mulde, vielleicht etwa zwanzig Schritte entfernt von Lobo. Die Kavalleriepferde, die Tuckers Trupp noch verblieben waren, schliefen auf einer kleinen Ebene, etwa hundert Yards von den schlafenden Soldaten entfernt. Georgia Bob wußte, daß Lobo wach war. Er hatte kurz das Weiß seiner Augen gesehen. Aber Lobo blieb regungslos am Boden liegen. So, als ob er schlafen würde. »Mann, du meinst wohl, ich wüßte nicht, daß Pratt noch auf Wache ist«, flüsterte Georgia Bob und grinste dabei in sich hinein. »Du willst mich warnen, mein Freund. Uh-huh – nein, Sir. Ich weiß Bescheid.« 87
Georgia Bob fesselte Peirson. Er schleifte ihn weg von dem Steinbrokken, zog ihn durch ein paar Büsche und ließ ihn in einen tiefen Graben hineinrutschen. »So, und jetzt kommst du dran, Pratt«, sagte Georgia Bob. Seine eigene Stimme nahm etwas von dem beklemmenden Gefühl der Unsicherheit, das in ihm steckte. Bis jetzt war zwar alles gutgegangen, aber Georgia Bob wußte, daß er eine ganze Menge Glück gehabt hatte. Was er hier tun wollte, war ein schwieriges Unterfangen. Ein einziges Geräusch konnte einen der Schläfer aufwecken. Eine einzige Unachtsamkeit konnte ihn das Leben kosten. Georgia Bob machte sich nichts vor. Was er hier tat, das war ein Heldenstück. Dafür mußte man ihm ein Denkmal bauen, falls es klappte. Und er dachte an Tucker, der vor lauter Ärger am eigenen Gift krepieren würde. »Mann, du tust es nur, um Tucker zu ärgern«, hörte er eine Stimme in sich leise sagen. »Du bist nichts als ein Schwein, Georgia Bob!« Er lachte leise auf. »Natürlich tu ich's für den YankeeMischling«, sagte er. »Herrgott, ich hoffe, daß du mal daran denkst, wenn ich vor dem himmlischen Richtertisch stehe.« Georgia Bob kroch am Rande eines Grabens entlang. Er bewegte sich wie eine Katze. Wenn das Mondlicht durch die Wolkenlücken fiel, blieb er regungslos liegen. Er trug nur die Hose. Er wußte, wo Pratt war. Pratt hockte auf einem kleinen Erdbuckel. Und er fütterte den Präriemäusen kleine Hartbrotstücke. Georgia Bob brauchte fast eine halbe Stunde, um an Pratt heranzukommen. Pratt, der ein aufmerksamer Soldat war, pflichtbewußt und immer bereit, sofort seinen Mann zu stehen, warf sich herum, als hinter ihm Georgia Bob den Revolver wie einen Hammer hob. »He, du bist…« 88
Der Griff des Revolvers traf Pratt über dem Ohr. Pratt fiel der Länge nach hin, ohne einen Laut von sich zu geben. Georgia Bob nahm sich bei ihm keine Zeit, ihn zu knebeln und zu fesseln. Jetzt brauchte er ja nur noch Lobo zu befreien und ihn zu den Pferden zu führen, die bereitstanden. Das war jetzt fast nur noch ein Kinderspiel. Er lief durch die Büsche, einen kleinen Hang hinunter, durchquerte einen Graben und kroch die letzten paar Yards von hinten an Lobo heran. Jetzt konnte er Tucker sehen. Tucker schlief. Er lag krumm wie ein alter Hund am Boden, die Decke über seinen Beinen. Einen Arm hatte er unter dem Kopf angewinkelt. Georgia Bob erreichte Lobo. Er richtete sich etwas auf und steckte den Colt weg. Dann zog er das Messer. »He, wach auf, Mann!« flüsterte er. »Ich bin's, dein Freund Georgia Bob!« Er griff nach Lobos Schulter und rüttelte daran. »Mann, sag nur, daß du schläfst.« * Lobo spürte den Atem des Negers in seinem Nacken. Er hörte auch das Laub knistern. Es war alles furchtbar laut, was Georgia Bob tat. So laut, daß ihn Tucker längst gehört hatte. Und Tuckers rechte Hand lag unter der Decke, wo er seinen Colt hatte. Ein Schatten fiel über Lobos Gesicht. Dann ertönte Georgia Bobs flüsternde Stimme. »He, wach auf, Mann! Ich bin's. Dein Freund, Georgia Bob.« Lobo lag wie erstarrt. Das Blut gefror in seinen Adern. Er atmete nicht mehr. Der Neger packte ihn an der Schulter. Jetzt hatte er das schwarze, glitzernde Gesicht über sich. »Mann, sag nur, daß du schläfst!« sagte der Neger. »Gottverdammter Idiot!« stieß Lobo kaum hörbar hervor. »Verschwinde!« 89
Georgia Bob lachte leise. »He, Mann, träumst du?« fragte er. »Komm hoch, ich befreie dich.« »Hau ab!« zischte Lobo. »Du Narr, hau ab! Geh! Lauf!« »Du bist verrückt, Mann. Ich bin doch extra deinetwegen…« Georgia Bob brach ab. Irgendwie schien er plötzlich erkannt zu haben, daß etwas nicht stimmte. Er kauerte neben Lobo, das Messer in der Faust. »Was ist los?« fragte er gepreßt. »Sag mir…« Plötzlich warf er sich vor. Er zerschnitt Lobos Handfesseln. Im gleichen Moment warf Tucker die Decke hoch. Er sprang auf. »Du schwarzer Bastard!« brüllte er. »Jetzt hab ich dich!« Und er feuerte mit dem Army Colt, als Georgia Bob Lobos Fußfesseln zerschnitt. Grelle Feuerlanzen durchrasten die Nacht. Lobo warf sich hoch. Er sah, wie Georgia Bob herumgewirbelt wurde. Der Neger krachte in die Büsche. Die Soldaten schraken hoch. Tucker brüllte und feuerte. Eine Kugel streifte Lobo am Arm. »Lauf, Mann!« schrie Georgia Bob, als Lobo ihn am linken Handgelenk packte und auf die Beine riß. »Lauf!« »Du kommst mit, verdammt!« Lobo zerrte Georgia Bob mit sich. Tuckers Colt war leergeschossen. Tucker brüllte wie ein Tier, als er sich auf sein Gewehr stürzte. Wolken verdeckten den Mond. Lobo riß den taumelnden Neger mit sich durch die Büsche. Finsternis umgab sie. Hinter ihnen krachten Revolver. Kugeln peitschten durch die Zweige. Tucker schrie Befehle. »Schießt sie nieder! Hierher, Leute! Tötet sie beide!« Lobo zerrte Georgia Bob über einen Hügel hinweg. Die beiden stürzten kopfüber in einen tiefen Graben. Lobo überschlug sich. Als er unten aufprallte, kriegte er Georgia Bobs Knie in die Magengrube. Für Sekunden blieb ihm die Luft weg. »Die Pferde keuchte der Neger. »Komm! Die Pferde sind dort 90
drüben!« »Wo?« »Siehst du den kahlen Baum dort?« »Ja. Okay. Komm, Schwarzer, wir haben eine echte Chance.« »Ich – ich nicht mehr, Mann! Komm, laß mich hier. Ich schieße Tucker über den Haufen, wenn er…« »Denk an dein Mädchen in Frisco, verdammt!« Lobo ergriff Georgia Bobs Arm. »Denk an dein Mädchen, du Narr!« Sie liefen weiter. Georgia Bob stürzte. Hinter ihnen waren Stimmen. »Dort drüben laufen sie! Holt sie ein! Schießt sie nieder!« Die beiden Freunde kletterten einen Geröllhang hoch. Völlig ausgepumpt kamen sie oben an. In diesem Moment brach das Mondlicht durch ein Wolkenloch. Für einen Moment war es so hell, daß man mindestens eine halbe Meile weit sehen konnte. »Duck dich!« rief Lobo. In diesem Augenblick peitschte ein Gewehrschuß auf. Georgia Bob wurde vom Aufprall der Kugel nach vorn gestoßen. Er brach in die Knie und stöhnte auf. Lobo warf sich bei ihm nieder. Er ergriff den Army Colt, den Georgia Bob dabei hatte. Dann wirbelte er herum. Unten, am Fuß der Geröllhalde, tauchte Tucker auf. Er hatte seinen Karabiner weggeworfen. »Ich habe ihn erwischt!« rief er. »Ich habe ihn getroffen!« Lobo hob den Army Colt mit beiden Händen. Er wartete, bis Tucker etwa auf zehn Yards herangekommen war. »Stop, Tucker! Die Jagd ist aus!« rief er mit heiserer Stimme. Tucker riß einen zweiten Colt aus dem Hosenbund. Er feuerte sofort. Die Kugel fuhr haarscharf an Lobos Kopf vorbei. Lobo drückte ab. Er sah, wie seine Kugel den Lieutenant traf. Tucker überschlug sich und blieb keuchend auf dem Grund des Grabens liegen. »Wo, verdammt, sind die Pferde?« fragte Lobo gehetzt, als er 91
sah, daß die Soldaten sich in Deckung geworfen hatten. Er kauerte bei dem Neger nieder. »Wo sind die Pferde, Schwarzer?« »Dort drüben!« keuchte Georgia Bob. »Hinter den Felsen.« »Also, dann nichts wie weg hier, Schwarzer. Komm, mach kein Theater.« »Ich – ich bin – getroffen, Mann!« stieß Georgia Bob hervor. »Sicher bist du getroffen. Du hast drei Löcher im Fell. Daran stirbst du noch lange nicht. Komm!« Lobo half Georgia Bob auf die Beine. Hinter ihnen ertönte die Stimme von Randy Hunt, dem Infanteristen. »He, Mischling, nimm den Neger mit und verschwinde, bevor der Lieutenant wieder das Maul aufreißen kann. Wir laufen euch nicht nach. Aber wenn ihr hierbleibt, dann müssen wir uns mit euch beschäftigen.« »Wir verschwinden, Junge!« rief Lobo zurück. Dann packte er Georgia Bob, hob ihn hoch und legte ihn sich quer über die Schultern. »Warum – warum läßt du mich nicht einfach liegen, Mann!« keuchte der Neger. »Laß mich liegen, Mann!« »Du kommst mit, Schwarzer!« gab Lobo hart zurück. »Du kommst mit, und wenn ich dich nach Frisco tragen muß.« Lobo erreichte einen Hügelkamm. Jetzt sah er die Pferde unter einem abgestorbenen Cottonwood stehen. Lobo lief auf die Pferde zu. »Frisco. Ich will nicht nach Frisco, Mann!« Lobo blieb stehen. »Wohin, zum Teufel, willst du denn, Schwarzer?« fragte er nach Atem ringend. »Es gibt kein Mädchen dort, Mann. Das war nur ein Traum. Ein alter Traum, der immer wieder kam.« Lobo lief weiter. Er erreichte die Pferde und hob Georgia Bob in den Sattel. Das Blut auf dem schwarzen Körper des Negers 92
glänzte. »Wir reiten südwärts, Schwarzer«, sagte er, während er die Zügel der Pferde löste und sich dann in den Sattel eines Falben schwang. »Wir reiten runter zum Yellowstone.« Georgia Bob bleckte seine Zähne. »Gut, mein Freund«, stieß er mühsam hervor. »Dann begrab mich am Yellowstone.« »Red keinen Scheiß, Schwarzer«, schnappte Lobo. Er zog sein Pferd herum und ritt an. »Wir reiten schön langsam. Und wenn wir ein Stück weit von hier weg sind, versorg ich deine Wunden. Hörst du, Schwarzer? So leicht stirbt es sich nicht.« Nach etwa einer Meile zügelte Lobo sein Pferd. »Wie fühlst du dich, Schwarzer?« fragte er. »Saumäßig«, antwortete Georgia Bob mühsam. »Vielleicht halte ich nicht einmal durch bis zum Yellowstone.« Er lachte heiser. Dann kippte er vom Pferd und stürzte schwer zu Boden. Lobo warf sich aus dem Sattel. Er kniete neben dem Neger nieder. Georgia Bob atmete nur noch schwach. Blut lief aus seinem MundWinkel. »Nein, Sir«, preßte er fast tonlos hervor. »Nein, Sir, ich schaffe es nie bis zum Yellowstone.« Lobo legte ihm einen Arm unter den Oberkörper, hob ihn etwas hoch und stützte ihn mit dem Knie. Georgia Bobs Augen waren groß. Die Sterne spiegelten sich in ihnen, als er starb. Und Lobo verharrte lange Zeit still. Er blickte auf das ebenmäßige, dunkle Gesicht des Toten nieder, und der kühle Nachtwind trocknete die Tränen von seinen brennenden Augen. ENDE
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