Bernd Philipp Hallo, Chaos – bin schon da!
Ein Mensch in allen Lebenslagen
Warum gibt es eigentlich so oft Streit, wen...
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Bernd Philipp Hallo, Chaos – bin schon da!
Ein Mensch in allen Lebenslagen
Warum gibt es eigentlich so oft Streit, wenn Paare zusammen im Supermarkt einkaufen? Wieso schaffen sich Menschen heutzutage überhaupt noch Kinder an, wenn sie genau wissen, dass für den Nachwuchs bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr rund 300 000 Mark aufzubringen sind? Wie kommt es, dass schwangere Frauen überhaupt keine Rücksicht darauf nehmen, dass auch ihre Männer ein bisschen schwanger sind und leiden? Warum brauchen Frauen eine Ewigkeit, um in der Speisekarte etwas Leckeres auszuwählen - und wieso haben sie dann immer noch einen Extrawunsch? Fragen über Fragen. Autor Bernd Philipp stellt sie sich - und gibt heiter-pointierte Antworten. Der Alltag mit all seinen großen und kleinen Sensationen ist das Feld, das er seit zwanzig Jahren beackert. Dabei erntet er lachenden Zuspruch, immer wieder und immer mehr. Mit von der Partie sind natürlich auch Ehefrau Susi Super und Sohn Max (»Der kleine Terrorist«). Und selbstverständlich Hausfreund Rüdiger. Der ist so sparsam, dass er den vierten Advent mit zwei Kerzen vor dem Spiegel feiert.
Bernd Philipp
Hallo, Chaos – bin schon da! Ein Mensch in alles Lebenslagen
Ullstein
Der Ullstein Verlag ist ein Unternehmen der Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München
© 2001 Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin Illustration: Brian Bagnall Satz: LVD GmbH, Berlin Druck und Verarbeitung: GGP Media, Pößneck Printed in Germany 2001 ISBN 3 550 08348 3
Dieses Buch widme ich meiner Badezimmerwaage.
Sie hat es nicht leicht mit mir.
Das ist ja wohl eine Affenschande
Obwohl mein Eheglück Susi Super heißt, hat sie mit Supermärkten nichts im Sinn. Dafür hat sie ja mich, den Mann fürs Grobe. »Wenn du bei Kaiser's bist«, sagt sie neulich, »dann bringe doch bitte für Max die Choco Krispies von Kellogg's mit. Du musst nicht lange suchen – da ist auf der Verpackung ein Affe drauf!« Ich stehe vor einem riesigen Regal mit rund 50 verschiedenen Packungen. Mich schauen Elefanten, Löwen und Dinosaurier an. Aber kein Affe. Anruf per Handy: »Es gibt hier keine Choco Krispies mit einem Affen!« »Dann guckst du nicht richtig«, sagt Susi, »wenn du vor dem Regal stehst, sind die immer oben links. Du musst sie finden!« Ich habe sie nicht gefunden. Auch nicht in einem anderen Supermarkt. Zu Hause: »Das Zeug muss ausverkauft sein.« Susi Super: »Ist ja lachhaft. Die gibt es überall! Geh mal zum Augenarzt.« Max (lässig-wissend): »Wenn man Papa schon mal einkaufen schickt ...« Susi (scheinheilig): »Wenn du so alt bist wie Papa, dann siehst du auch nicht alles auf Anhieb.« So ist Familienleben schön! Ich merke, wie vor lauter Wut mein Blutdruck steigt – und brülle: »Wir gehen jetzt alle sofort zum Supermarkt, und ihr zeigt mir die Packung mit dem Affen. Wenn sie da ist, kriegt ihr fünfzig Mark von mir!« Ich habe noch nie erlebt, dass Mutter und Kind so schnell auf mich hörten und zum Aufbruch bereit waren.
Jetzt im Supermarkt. Vor dem Regal der Wahrheit. Susi Super und Max schauen sich lächelnd an. Susi zeigt auf eine Packung Choco Krispies und sagt süffisant zu mir: »Und was ist das?« Max: »Papa, jetzt bist du fünfzig Mark los!« Ich sage: »Das ist kein Affe, sondern eine Ulkmaus oder ein Hamster. Der sieht aus wie ein entfernter Verwandter von A-Hörnchen und B-Hörnchen. Auf seinem T-Shirt steht sein Name: Coco – eindeutig ein C-Hörnchen ...« »Ach, mein Papa«, erzählt Max kopfschüttelnd anderen Kunden, »der weiß nicht mal, wie ein Affe aussieht ...« Und Susi Super: »Max, die fünfzig Mark teilen wir uns...« Ich habe bis heute nicht bezahlt. Sollen sie mich verklagen. Jetzt weiß ich auch, warum man immer von »Familien-Bande« spricht ... Einigen habe ich die Verpackung gezeigt. Nicht einer hat darauf einen Affen erkannt. Für das Produkt wird auch im Fernsehen geworben. Man sieht, wie ein Affe durch die Gegend rennt. Es ist der Affe, der auf der Verpackung zum Hamster wird. Blöde Werbung. Schafft nur Verwirrung und Streit. Für meine familiären Schlaumeier kaufe ich jedenfalls nichts mehr ein. Ich lasse mich doch nicht zum Affen machen.
Faxen machen — gar nicht komisch!
Seitdem sich die Schmitts, die Bauers, die von MüllerRabensteins und viele andere Bekannte daheim ein kombiniertes Telefon-Fax-Gerät angeschafft haben, besteht zwischen uns so gut wie kein Kontakt mehr. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass es offenbar vielen schwer fällt, so ein – aus heutiger Sicht eher läppisches – Gerät funktionstüchtig zu programmieren. Als ich neulich die von Müller-Rabensteins anrief, konnte ich die Stimme unserer Freundin Patricia kaum verstehen. Stattdessen hörte ich einen nervenden Piepton, der sich in ein wummerndes akustisches Signal verwandelte und uns zur unverzüglichen Beendigung des so genannten Gesprächs veranlasste. Wir probierten es dann noch einmal gegenseitig, aber das Gesumme erwies sich als extrem hartnäckig. Ich habe dann über Handy angerufen und gesagt, dass irgendetwas nicht geklappt habe. Aber das hatte sich längst schon bei den von Müller-Rabensteins herumgesprochen. »Ja«, sagte Patricia, »seitdem wir diesen Fax-Anschluss haben, sind wir telefonisch nur noch schwer zu erreichen.« Auch unsere formschöne Telefon-Fax-Kombination ist alles andere als ein schneller Brüter. Das Ding braucht eine Ewigkeit, bis es richtig einschätzt, ob ein Gespräch oder ein Fax ansteht. Zuweilen telefoniert man – und ein anderer möchte zur selben Zeit mit einem Faxen machen, so dass plötzlich kein Wort mehr zu verstehen ist. Die einfachste (aber zugegeben auch blödeste und teuerste) Variante der Kommunikation besteht darin, ein Fax vorher telefonisch über Handy
anzukündigen und den Empfänger aufzufordern, nicht an den Apparat zu gehen. Dann müsste eigentlich alles klappen. Natürlich sollte man sich anschließend vergewissern, ob das Fax angekommen und überhaupt lesbar ist. Angesichts solcher Widrigkeiten haben wir uns nun mit Schreibpapier, Kuverts und Briefmarken eingedeckt. Man muss eben einfach auch mal neue Wege gehen, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben.
Mit der Rentnerband am Stammtisch
Mein Gott, was haben wir uns als Kinder doch gemopst, wenn wir den schweren Gang zu Verwandten-Geburtstagen anzutreten hatten. Es waren die reinsten Ekeltage. Der Klitschkuchen von Tante Martha liegt mir heute noch im Magen. Und was haben diese steinalten Leute – alle so Mitte 40 bis 50 – immer für langweiliges Zeug erzählt. Es ging nur um den Krieg und vor allem um Krankheiten. Selbst bei Kaffee und Kuchen sprachen sie ungeniert über Probleme bei der Verdauung. Onkel Franz sagte bei jedem Geburtstag für die kommende Woche seinen Tod voraus – »die Pumpe will nicht mehr«. Er wurde schließlich doch immerhin 94 Jahre alt. Es muss, ahnten wir damals, keine Freude sein, so alt und so krank zu sein. Nun vor ein paar Tagen: In der Stammkneipe Treffen mit guten Freunden, alle um die 50. Peter hat Probleme mit dem Rücken, Bandscheibenvorfall. Ungünstige Prognose! Dieter klagt über kreisrunden Haarausfall und steckt in einer Psychotherapie. Kalle hat ein schlimmes Knie. Kriegt das Bein nicht mehr gerade und kommt auf Krücken. Rainer war gerade in der Reha – Schlaganfall mit 47! Bernd zeigt sein kleines Asthma-Set. «Herr Ober, noch mal fünf Bier für die Rentnerband ...« Und dann reden wir über die Rente. Und Arbeitsminister Riester. Der will, dass wir bis 67 arbeiten. Wie denn?
Papa geht unter die Paparazzi
Zuweilen soll es vorkommen, dass auch Männer mal was nicht richtig machen. Ich zum Beispiel vor ein paar Wochen. Susi Super, Max und ich radelten die Teufelsseechaussee hoch, als Max über einen Baumstamm fuhr und zu Boden stürzte. Dabei zog er sich Schürfwunden am linken Knie und an den Armen sowie an der Stirn zu. Es sah böser aus, als es war – und der Grunewald-Rambo weinte nicht einmal, sondern machte nur ein schmerzverzerrtes Gesicht. Susi Super, die nie ohne ihr putziges Erste-HilfeKöfferchen (Miniversion) die Wohnung verlässt, stürzte sich sofort auf Max, so als handele es sich um das Opfer eines Flugzeugabsturzes. «Was soll denn das, Mama?«, fragte Max ungehalten, ist er doch mit seinen zehn Jahren in einem Alter, in dem er das Tun seiner Eltern grundsätzlich in Frage stellt. In dieser kritischen Situation verärgerte ich Susi Super mit der heiter gemeinten Bemerkung: »Wir brauchen jetzt dringend einen Notarztwagen und sicherheitshalber noch den Rettungshubschrauber vom ADAC. Ich rufe da mal gleich über Handy an und sage, dass sie doch bitte einen Landeplatz mitbringen sollen oder ein Ärzteteam, das bereit ist, sich zum Ort der Katastrophe abseilen zu lassen ...« Das hätte ich vielleicht besser nicht sagen sollen. Jedenfalls machte nun auch diese grundgute Frau ein leidendes Gesicht, und als ich dann noch den Fotoapparat nahm, um die UnfallSituation beziehungsweise die ans Herz greifende Mutter & Kind-Situation für die Nachwelt festzuhalten – da fluchte sie
los und beschimpfte mich mit Worten, deren Wiedergabe den Lesern einer seriösen Sonntagszeitung nicht zuzumuten ist. Max hat übrigens keine nachhaltigen Verletzungen davongetragen, aber ich sehe nun bitteren Wochen entgegen. Im November und im Dezember stehen in unserer Familie sage und schreibe 11(!) Geburtstage an. Bei jedem dieser Anlässe wird Susi Super das Foto herumzeigen und sagen: »Schaut euch das mal an: Wie herzlos muss ein Mensch sein, der in einer solchen Situation nicht hilft, sondern in aller Ruhe ein Foto macht?« Dann werden mich alle kopfschüttelnd angucken wie einen, dem sie so etwas nie zugetraut hätten. Langfristig wird sich auch mein sehr überschaubarer Freundeskreis von mir distanzieren. Irgendwann bekommt auch die Nachbarschaft Wind davon. Und wenn ich über unseren Wochenmarkt gehe, werden sich Passanten zuraunen: »Das ist er ...« Ein anderer wird feststellen: »Ich finde, der sieht schon so aus.« So und nicht anders wird es kommen. Und nur, weil Max vom Rad fiel und ich ein Foto gemacht habe. Wer wird noch zu mir halten? Vielleicht Franz Beckenbauer wie damals bei Christoph Daum: »Jo, mei, der Bernd ist einfach krank. Wir müssen ihm jetzt alle helfen ...« Bitte nicht! Als Max seinen zehnten Geburtstag feierte, habe ich mich erneut unbeliebt gemacht. Ich hatte an seine Zimmertür einen Zeitungsartikel geklebt mit der Überschrift: »Ein Kind so teuer wie eine Eigentumswohnung.« Irgendjemand hatte ausgerechnet, dass Eltern für ein Kind bis zu dessen 20. Lebensjahr etwa 300 000 Mark aufzubringen haben. Als ich dann zu Max auch noch sagte: »Herzlichen Glückwunsch, meine kleine Eigentums wohnung«, fand Susi Super das überhaupt nicht komisch. Ich beschloss, diesmal besser kein Foto zu machen. War aber auch wieder nicht
richtig. Susi: »Warum machst du eigentlich jetzt kein Foto – wenn unser Sohn Geburtstag hat, oder wartest du auf einen Unfall?«
»Machen Sie mehr aus Ihrem Talent!«
Big Brother ist offenbar überall. In der vergangenen Woche fand ich hinter der Windschutzscheibe meines Autos einen Zettel: »Nehmen Sie jetzt ab – zehn Kilo in 30 Tagen. Machen Sie die Diät, die Ihr Leben verändern wird. Telefon ...« Woher bloß, dachte ich, wissen die, dass dieses Auto einem gehört, der im Vollbesitz seines Übergewichts ist? Neben meinem Auto hatte Harry (nein, nicht Potter!) geparkt, mein spindeldürrer Nachbar, den sie alle nur »die Sprotte aus dem Dritten« nennen. Hinter seinem Scheibenwischer befand sich kein Diät-Angebot. Nach messerscharfer Blitzanalyse stand für mich fest: Man hatte mich beobachtet und der »Zielgruppe Moppel« zugeordnet. Wenige Tage später stand ich erneut im Zielkreuz eines Fahnders. Ein junger Mann drückte mir auf der Straße einen Zettel in die Hand: »Ich bügele Ihre Oberhemden von heute auf morgen – drei Stück zehn Mark.« So weit also ist es mit mir gekommen, dass mich fremde Leute auf meine mäßig gebügelten Hemden hinweisen und mir ihre Hilfe anbieten. Für den Fall, dass sich konservativ erzogene Leserinnen die Frage stellen, warum sich die Ehefrau einer solchen Nachlässigkeit schuldig mache, sei erklärt: Wir haben Arbeitsteilung – ich bügele meine Hemden selbst und sie holt das Bier aus dem Supermarkt. Bier hat bekanntlich keine Beine und kommt nicht von allein in die Wohnung ... Mag sein, dass ich gelegentlich etwas abgerissen aussehe. Denn einmal fand ich an meinem Auto einen Zettel: »Sie brauchen Geld, sind mobil und suchen einen Zweit-Job? Dann rufen Sie uns an ...« So ist das. Überall wird man observiert.
Und nun der finale Rettungs-Stuss: In meinem Briefkasten lag ein Reklameprospekt. Ich las: »Machen Sie mehr aus Ihrem Talent! Lernen Sie an unserer Fernakademie flüssiges Formulieren und pointiertes Schreiben. Erfahrene Journalisten helfen Ihnen. In nur sechs Monaten schreiben Sie wie ein Profi!« Wem, bitte, habe ich denn nun diese Offerte zu verdanken?
Essen mit Schwestern: Warum kommen Frauen beim Bestellen nicht zu Potte?
Sie heißen Gundelar, Renate und Edeltraud. Sie sind meine drei älteren Schwestern. Seit Jahren laden sie mich, ihren »kleinen Bruder«, einmal im Monat zum Essen ein. So lerne ich Spitzen-Restaurants kennen, deren Besuch ich mir nicht leisten könnte. Nur einen Nachteil hat diese sympathische Tradition: Die Damen kommen beim Bestellen einfach nicht zu Potte. Na, lauschen Sie doch mal ... Bedienung: So, die Herrschaften, bitte schön, die Karte ... Möchten Sie schon was zu trinken bestellen? Edeltraud: Nein, wir wollen erst mal sehen, was wir essen können ... Renate: Für mich bitte ein Wasser. Bedienung: Ein stilles Wasser oder ein normales? Renate: Weiß nicht, was haben Sie denn da? Bedienung: Wir haben beides da. Gundelar: Haben Sie auch ein halbstilles Wasser? Bedienung: Leider nein, wir haben nur ganz normales Wasser mit Kohlensäure und eben stilles Wasser. Renate: Haben Sie auch Cola? Bedienung: Ja, natürlich. Renate: Dann nehme ich eine Fanta. Gundelar: Für mich bitte ein Spezi. Bedienung: Gerne. Gundelar: Bitte mit Cola light. Bedienung: Wird gemacht. Ich: Für mich bitte schon mal ein kleines Bier. Edeltraud: Bestell dir doch ein großes, dann trinke ich bei dir mit ... Ich: Warum bestellst du dir nicht auch ein kleines Bier?
Edeltraud: Ich will erst mal kosten. Ach, wissen Sie, bringen Sie mir doch bitte eine Apfelschorle. Renate: Für mich auch. Keine Fanta! Bedienung: So, die Getränke hätten wir ja dann ... Edeltraud: Zum Essen bestellen wir dann natürlich einen schönen Wein. Wir schauen noch. Bedienung: Lassen Sie sich Zeit. Gundelar: Heißt das, dass es bei Ihnen lange dauert? Bedienung: Bei uns nicht! (Bedienung geht) Gundelar (guckt kritisch in die Karte): Ich glaube, für mich ist nichts dabei. Renate: Du immer mit deinem >Für mich ist nichts dabei< ... Achtzig Gerichte – da wird doch was dabei sein. Edeltraud: Mein Mann würde die »Wachtelbrüstchen auf Holunderbeersauce« bestellen. Er liebt Brüstchen. Gundelar (ironisch): Dein Mann liebt Brüst»chen«, so so, ist mir neu ... Also, mein Reinhard würde total auf »Steinbutt mit Algen, gratiniert auf Tomaten-Ingwer-Sauce« abfahren. Oder auch auf »Tatar von Matjesfilets mit Schnittlauch-TomatenCreme«. Renate: Meiner würde den »Gefüllten Ochsenschwanz« nehmen, da bin ich ganz sicher. Bedienung (bringt Getränke): So, darf ich fragen, ob Sie schon was ausgewählt haben? Ich: Noch nicht. Meine Schwestern haben erst einmal überlegt, was ihre Männer bestellen würden ... Bedienung: Die Herren kommen noch? Ich: Nein, aber wir sagen Bescheid, wenn wir gewählt haben, ja? Bedienung: Gut. Edeltraud: Sagen Sie, das »Geschmorte Milchzicklein in Vernaccia mit Estragon und Kopfsalat-Pilz-Roulade« – das klingt ja sehr interessant. Wissen Sie, welcher Jahrgang der Vernaccia ist? Bedienung: Tut mir Leid.
Edeltraud: Schade, na ja, dann bringen Sie mir bitte das Zicklein, aber ohne Estragon, und die Pilz-Roulade nicht mit Kopfsalat, sondern mit Feldsalat, ja? Bedienung (erschöpft): Ich sags der Küche. Gundelar: Pizza haben Sie nicht? Bedienung: Nein, bedauere. Renate: Mich reizt die »Entensülze mit Pfifferlingen«. Bedienung: Reizt sie Sie nur, oder möchten Sie die? Renate: Ich habs: Für mich bitte »Kalbskopf süß-sauer mit Roquette und Karotten.«. Ich: Das nehme ich auch, ohne ExtraWunsch. Gundelar: Ich sehe gerade, hier unter »Rustikale Köstlichkeiten aus deutscher Küche«: »Königsberger Klopse«. Die hätte ich gerne. Edeltraud: Sind die auch frisch? Bedienung (milde lächelnd): Selbstverständlich. Sie werden täglich morgens geschossen – und abends servieren wir sie unseren Gästen! Edeltraud: Die kommen wirklich aus Königsberg? Bedienung: Ehrenwort ... Übrigens: ich habe jetzt Feierabend, aber meine Kollegin ist weiter für Sie da ...
U-Bahn-Fahren wird immer gefährlicher
Seitdem ich mal auf einer ganz minimalen Schneedecke mit Tempo 20 (!) einen Totalschaden gebaut habe, gerate ich jeden Winter beim Anblick der ersten Schneeflocke in Panik und würde am liebsten erst wieder im nächsten Frühjahr ins Auto steigen. Und das, obwohl mein neues Auto sicherheitstechnisch bestens ausgerüstet ist. Es verfügt, wie ich dem Werbeprospekt voller Vertrauen entnehmen kann, über: Fahrer- und Beifahrer-Airbag mit Sitzbelegungserkennung auf dem Beifahrersitz Seiten-Airbag für Fahrer und Beifahrer (schützen Kopf und Körper) Antiblockiersystem (ABS) 3-Kanal/4-Sensor mit elektronischer Bremskraftverteilung (EBP II) Flankenschutz in allen Türen 3-Punkt-Automatikgurte auf allen Plätzen, vorn höhenverstellbar Höhenverstellbare Kopfstützen auf allen Plätzen Traktions-Kontrollsystem (TCS)) Nebelscheinwerfer Vier Verzurr-Ösen im Kofferraum. Ich habe als technischer Pflegefall von all dem keine Ahnung und weiß zum Beispiel auch nicht, was man mit den VerzurrÖsen alles so verzurren kann. Mit so einem fahrenden Sicherheitspaket jedenfalls kann eigentlich nichts passieren, im Gegenteil – verwegene Fahrertypen könnten auf den Gedanken kommen, dass es vielleicht ganz reizvoll wäre, einmal einen Crash zu wagen. Aber ich bin nun mal kein verwegener Autofahrertyp.
»Du fährst wie ein Schneckchen und behinderst den Verkehr wie die Opas, die mit Hut hinterm Lenkrad sitzen«, meint Susi Super kritisch. Aber das macht mir nichts aus. Sie ist für mich keine moralische Instanz – mit ihren sieben Punkten in Flensburg. Und wenn sie mich bittet, dem Kind nichts von ihrem Sündenkatalog zu erzählen, dann lächle ich sie nur milde an. Nun ist es ja so: Wenn es in Berlin schneit und die ersten Minusgrade registriert werden, tun die aufgebrachten Radiohühner in den Morgensendungen so, als würden hier sibirische Verhältnisse herrschen. So ein gutgläubiger Mensch wie ich fällt natürlich immer wieder darauf rein – und steigt eben in die U-Bahn. Dass ich ausgerechnet dort, wo ich mich so sicher wähnte, einen Fahrradunfall haben würde, hätte ich auch nie für möglich gehalten. Aber es ist die reine Wahrheit. Ich saß ganz am Rand, neben der Abgrenzung zur Tür, als eine junge Frau mit Kind und Rad ins Abteil kam und das Rad mir gegenüber abstellte. Als der Zug anfuhr, stürzte der Lenker genau auf meinen rechten Fuß. Ich zog ein schmerzverzerrtes Gesicht, das Kind fing fürchterlich an zu brüllen, und die andern Fahrgäste machten alle dieses typische Berliner Könnense-denn-nicht-ein-bisschen-aufpassen?-Gesicht. Die junge Frau entschuldigte sich so wortreich, dass es mir schon peinlich wurde, und ich sagte: »Wissen Sie, alles nicht so schlimm, ich hatte schon vorher Plattfüße.« Da verzogen sogar die morgendlichen Grantelhuber schmunzelnd ihr Gesicht, und ich dachte mir: Ist es nicht schön, wenn man auf diesem Weg anderen eine kleine Freude machen kann?
Wie Radiohörer ihre fernsehenden Freunde erpressen können
Ich habe eine alte Leidenschaft wieder ent- deckt. Jeden Sonnabend um halb vier höre ich Radio und verfolge die Übertragung der Bundesliga-Begegnungen. Dabei lese ich Zeitung – und immer, wenn es spannend wird, horche ich auf. Und dann freue ich mich wie ein Kind, wenn da zum Beispiel eine Reporterstimme tönt: »Tor in Köln!« Leider nicht für Hertha. Bei der Schaltkonferenz gegen 17 Uhr wache ich über die Bundesliga-Tabelle aus der Zeitung und schreibe den zu erwartenden aktuellen Punktestand an den Rand der Seite. So macht Fußball Spaß. Kein Femseh-Sabbelsurium bei »ran«. Kein Paul Breitner mit all seinen schweißtreibenden Klugereien. Seine verbalen Flachpässe ins Hohle treiben einen zur Verzweiflung. Dabei hat der Mann doch Abitur und war mal bekennender Maoist! Keine blöden Gewinnspiele mit Fragen, für deren Lösung der Intelligenzquotient einer Banane ausreicht: »In der BundesligaSaison 1978/79 schoss der Spieler Kurt Ballermann innerhalb von drei Minuten drei Tore. Und jetzt die Frage: Wie hieß der Spieler, der in der Saison 1978/79 innerhalb von drei Minuten drei Tore schoss?« Das alles kann ich mir ersparen. Als Radiohörer habe ich auch keinen Stress mehr mit Susi Super. Wenn wir sonnabends bei Freunden eingeladen waren, kamen wir immer zu spät, weil in »ran« das Topspiel immer erst zum Schluss präsentiert wird und ich den Höhepunkt des Spieltags natürlich nicht verpassen wollte.
Am meisten Freude bereitet mir die Tatsache, dass ich noch genügend Zeit habe, um Freunde anzurufen, von denen ich weiß, dass sie bloß kein Bundesliga-Ergebnis hören wollen, weil sie (noch) notorische »ran«-Gucker sind. Wissen ist bekanntlich Macht. Und Macht macht Freude. Rufe ich doch zum Beispiel gegen 18 Uhr meinen Kollegen Michael D., einen Bayern-Fan, an und sage zu ihm: »Ich kenne alle Ergebnisse. Mein Supersonderangebot lautet: Ich schweige – und du hast die Chance, mich zum Italiener einzuladen.« Er entscheidet sich immer für die Einladung. So lasse ich es mir auf seine Kosten gut gehen. Wenn ich sonnabends besonders gut drauf bin, rufe ich nach Michael noch meinen Schwager Dietmar an. Der ist »ran«süchtig und hasst es wie die Pest, wenn er vor der Sendung die Ergebnisse erfährt. Er fleht mich regelrecht an: »Bernd, mein lieber guter Bernd, du, mein Lieblingsschwager, du herzensguter Mensch, bitte sag nichts. Ich werde mich erkenntlich zeigen.« Es ist einfach ein schönes Gefühl, wenn man liebe Menschen kennt, die erpressbar sind.
Promis für die eigene Party — kein Problem ...
Feiern Sie bald einen runden Geburtstag, eine Hochzeit oder ein Berufsjubiläum? Dann sollten Sie einem gesellschaftlichen Trend folgen und ihre Gäste mit einem prominenten Zeitgenossen überraschen. Viele Promis kommen nämlich auch auf Partys von Leuten, die sie gar nicht kennen – vorausgesetzt, sie erhalten dafür ein schönes Honorar. Bei Roberto Blanco zum Beispiel heißt es »Ein bisschen Moos muss sein«, und zwar 10 000 Mark. Dafür singt er allerdings nicht. Sondern ist einfach nur da, lacht und kullert allenfalls mal mit den Augen. Für die gleiche Summe ist auch Jürgen Drews zu haben. Und da er nicht in einem Bett im Kornfeld zu übernachten pflegt, kommen noch ein paar Mark fürs Hotel dazu. Zlatko und Jürgen aus »Big Brother« schauten in besseren Zeiten für 10 000 Mark mal vorbei. Für »Busenwunder« Dolly Buster sind an die 15 000 Mark zu investieren. Aber Vorsicht: »Zaster-Buster« möchte immer per Business-Class eingeflogen werden und in einem Luxushotel nächtigen. Die sensationelle Summe von 60 000 Mark (nur für seine Anwesenheit) könnte Stefan Raab abzocken, und das nicht erst, seitdem er »DJ Kanzler« mit seinem Song »Hol mir mal 'ne Flasche Bier« zum Popstar gemacht hat. Allerdings: Raab hat bislang alle Angebote dieser Art abgelehnt, weil ihm so etwas überhaupt keinen Spaß macht. Spricht für ihn – und dafür, dass er auch so über die Runden kommt ... Ich würde – und mit dieser Aussage werden die Promis alle leben können – nicht eine Mark ausgeben, um mit Zlatko oder Jürgen zu feiern. Dann investiere ich doch lieber in meinen
geizigen Freund Rüdiger. Der ist auch schon ganz schön bekannt, jedenfalls wollen viele wissen, wie es dem alten Knauser so geht. Und als ich mit ihm mal neulich in der Kneipe war, hörte ich, wie ein Gast zu seinem Kumpel sagte: »Guck mal, das ist doch der schrullige Rüdiger. Aber wer ist der alte Sack neben ihm?« Na ja, ich habe ja ein dickes Fell. Rüdiger ist sich übrigens seiner wachsenden Popularität durchaus bewusst und sucht bereits einen Manager, der ihn vermarktet. Ich schätze mal, dass er für 200 Mark plus Abendessen plus Freibier zwei Stunden lang zu haben wäre. Susi Super und ich wünschen ihm bei seinen Aktivitäten viel Glück. Wir geben zu, dass wir dabei nicht ganz uneigennützig denken, denn uns würde Rüdigers Schnorrer-Feldzug finanziell schon sehr entlasten ...
Schwangere Männer brauchen Schonung
In einer Zeitschrift habe ich gelesen, dass immer mehr Frauen während der Schwangerschaft die Tatsache ignorieren, dass auch ihre Männer körperlich leiden. Eine Freundin aus Düsseldorf, die gerade einen Jungen geboren hat, erzählte uns bei ihrem Besuch: »Das Schlimmste an meiner Schwangerschaft war das ewige Herumgestöhne von Klaus. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, mit welcher Leidensmiene er umherlieft Gerade so, als hätte er das Kind austragen müssen.« Solche hämischen Aussagen einer Frau über ihren Mann sind, wie das in der TV-Fahndungssendung »XY-eingedöst« immer heißt, »leider kein Einzelfall«. Höchste Zeit also, dass man werdenden Müttern Tipps gibt, damit sie im Umgang mit ihren »schwangeren Männern« keine peinlichen Fehler machen. 1. Wenn der Arzt Ihnen versichert, dass Sie schwanger sind, wägen Sie genau ab, wann Sie ihrem Sozialpartner die freudige Nachricht übermitteln (wobei natürlich grundsätzlich die Frage zu berücksichtigen ist, ob es für ihn überhaupt eine freudige Nachricht ist). Sportübertragungen – zum Beispiel von den Olympischen Spielen – sind schlechte Anlässe. Auf was soll sich Ihr Mann denn noch alles konzentrieren? 2. Im zweiten Schwangerschaftsmonat wird er oft erschöpft wirken. Klar doch: In seinem Körper spielen die Hormone verrückt. Das schüttelt er sich ja nicht einfach so raus. In dieser Phase sollten Sie den naturgewollten Dienst am Mann aufnehmen und ihm Verständnis signalisieren, etwa mit den Worten: »Ich sehe ja ein, dass das für dich eine harte Zeit ist, aber zusammen stehen wir das schon durch.«
3. Vom dritten bis zum sechsten Monat muss er das Gefühl haben, dass nicht nur Sie, sondern auch seine besten Freunde Anteil an seiner Situation nehmen. Rufen Sie daher all seine Kumpels an und bitten Sie sie, sich regelmäßig nach seinem Befinden zu erkundigen. Das wird ihm gut tun. 4. In den Schwangerschaftsmonaten sieben und acht sollten Sie ihn von jeder Hausarbeit befreien. Vor allem kann es nicht angehen, dass er in dieser kritischen Phase zuständig ist für niedere Hausarbeiten. Es muss sicher nicht darauf hingewiesen werden, dass das Schleppen schwerer Kisten mit Wasser, Bier oder Brause aus dem Supermarkt ihm jetzt nicht mehr zuzumuten ist. Das sollten Sie doch besser selbst in die Hand nehmen. 5. Im folgenden Monat sollten Sie seinen Zustand genau beobachten. Manch schwangerer Mann übernimmt sich, weil er meint, unbedingt noch einen Brief zur Post oder ein Sakko zur Reinigung bringen zu müssen. Das sollten Sie verhindern. Ihnen jedoch wird so ein kleiner Spaziergang ja sicher nicht schaden. 6. Je mehr sich der Zeitpunkt der Geburt nähert, desto mehr müssen Sie sich um ihn kümmern. Erst recht, wenn die Wehen eingesetzt haben. 7. Lassen Sie ihn bei der Geburt selbst bitte nicht dabei sein. Die Aufregung, der Schmerz – für ihn sind sie viel zu gefährlich. Das würde er nicht durchstehen. Und gleich Witwe möchten Sie ja sicher auch nicht werden. All diese Dinge sollten Sie beachten, bevor Sie Ihren Mann schwanger machen!
Wer als Säugling keine Rücklagen fürs Alter bildet, ist selbst schuld
Wenn es nach den Vorstellungen der Regierung geht, soll nach Möglichkeit jedes Neugeborene unmittelbar nach der Abnabelung von der Mutter mit der Absicherung seiner Altersbezüge beginnen. Und wer, sagen wir mal, drei bis fünf Monate alt ist und weiter nichts tut, als untätig in den Windeln zu liegen und vor sich hin zu dösen – der wird sich später mal vorhalten lassen müssen, nicht rechtzeitig fürs Alter vorgesorgt zu haben. Ideal wäre ohnehin die Installierung eines Ruhegeldfonds bereits in der pränatalen Phase. Einige werden sich noch an den einzigen wirklich begabten Entertainer erinnern, den die Regierung Kohl hervorgebracht hat: Norbert Blüm. Von ihm stammt der aus voller Überzeugung vorgetragene Satz: »Die Renten sind sicher.« Dem Mann ist daraufhin gleich »Der Orden wider den tierischen Ernst« verliehen worden. Später stellte sich heraus, dass »Nobbi« seine Aussage zur sicheren Rente in der Öffentlichkeit nicht vollständig geäußert hatte, denn eigentlich wollte er sagen: »Die Renten sind sicher nicht zu finanzieren.« Inzwischen weiß jeder, dass die »Rente« später nur noch im Kreuzworträtsel existieren wird («Antike Versorgungsform für Senioren auf der Basis einer während des Berufslebens finanzierten Versicherung«). In einem Leitartikel einer überregionalen Zeitung las ich kürzlich einen plausiblen, aber auch nachdenklich stimmenden Passus: »Der Einstieg in das kapitalgedeckte Vorsorgesystem ist ein Riesenschritt in die richtige Richtung ... Weil auf Grund der demographischen Entwicklung immer weniger
Beschäftigte immer mehr Ruheständler alimentieren müssen, wäre die Rentenkasse ohne sukzessiven Systemwandel über kurz oder lang am Ende.« So also ist das: Ruheständler werden in Zukunft alimentiert. Das heißt: Sie bekommen keine Rente, sondern Alimente. Das klingt nun noch unverbindlicher. Aus Rentnern werden Alimenteure. Aus der Rentenversicherung wird die Alimentenversicherung. Und aus der Rentenbemessungsgrundlage die Alimentenbemessungsgrundlage (unsere Sprache kann so schön sein!). Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Das Rentier, das darf weiter Rentier bleiben. Tierisch! Empfänger von Alimenten sind heute zumeist geschiedene Frauen und Kinder aus gescheiterten Ehen. Manche Männer verweigern die regelmäßige Zahlung von Alimenten und sind einfach unauffindbar, was die Unterhaltsberechtigten nicht selten in große Not bringt. Wenn »Vater Staat« einst genauso lax mit der Zahlungsmoral umgeht und zum »Rabenvater Staat« wird, dann können wir uns ja schon heute auf was gefasst machen ... Das Wort Alimente entstammt übrigens dem Lateinischen und bedeutet »Nahrung(smittel)«. Das ist wohl mehr als ein Hinweis, was im Alter auf alle zukommt, die heute noch an die Segnungen der Altersversorgung glauben. Klartext: Es gibt überhaupt kein Geld mehr, sondern nur noch pro Tag eine warme Mahlzeit und einen Pott Kaffee. Als Draufgabe bekommt jeder noch eine Trost-CD von Udo Jürgens mit zwei Songs, die längst Klassiker geworden sind: »Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an« und »Heute beginnt der Rest deines Lebens«. Das Leben, ja wirklich, kann auch für einen Alimenteur schön sein. Und ganz gewiss findet sich in 30 Jahren ein Politiker, der im Deutschen Bundestag vollmundig verkündet: »Meine Damen und Herren von der Opposition, ich verstehe
Ihre Aufregung nicht. Ich versichere Ihnen: Die Alimente sind sicher!«
Das Imperium schlägt zurück – jetzt auch gegen mich?
Selten genug ist es ja leider, dass sich Erwachsene wie Kinder freuen können. Manchmal hat man auch einfach Glück. Susi Super und ich – wir quälen uns schon seit langem mit dem Gedanken herum, was wir unseren sparsamen Freunden Rüdiger und Bruni bloß zu Weihnachten schenken können. Es soll natürlich nur eine Kleinigkeit sein, weil wir von denen zum Fest ja auch nur allenfalls einen jener Abreißkalender geschenkt bekommen, die die Apotheker einem vor Heiligabend regelrecht hinterherschmeißen. Aber man will ja nicht unbescheiden sein ... In einem Buchladen haben wir es also jetzt entdeckt – das ultimative Weihnachtsgeschenk für unsere so sehr geschätzten Geizhälse. Neuen Lesern sei erklärt, dass mein Freund Rüdiger so sparsam ist – gegen ihn ist Dagobert Duck der reinste Verschwender. Zum Beispiel feiert Rüdiger den vierten Advent immer mit zwei Kerzen vor dem Spiegel, und das sagt ja eigentlich schon alles. Das passende und nahezu verblüffend ideale Geschenk für Rüdiger und Bruni ist ein kleines Büchlein, bestehend aus sechs Pappseiten. Es ist in der arsedition erschienen und trägt den schlichten Titel »Essen«. Es ist eigentlich für Kinder gedacht, die auf abgebildeten Lebensmitteln rubbeln und dabei den jeweiligen Geruch erkennen sollen. »Magst du lieber den Geruch von Schokolade oder von Bananen? Rubbel und rieche an deinem Buch und entdecke deine Lieblingsspeisen«, heißt es auf dem Cover. Ja, wenn das kein schönes Geschenk für Rüdiger ist! Ich sehe schon vor mir, wie das so sein wird, wenn seine
Schwiegermutter mal zu Besuch kommt und er sie scheinheilig fragt, ob ihr der Sinn nach einer Pizza stehe. Und wenn sie ja sagt, wird er ihr das Büchlein unter die Nase halten, auf der abgebildeten Pizza rubbeln und sagen: »Na, ist das nicht köstlich?« Dann wird er ihr noch ein Stück Schokoladentorte anbieten – und sie hartnäckig auffordern, gefälligst begeistert zu sein. Ich weiß nicht, wie oft man mit diesem Büchlein den jeweiligen Geruchseffekt erzielen kann, aber 20 bis 30 Mal bestimmt. Das übrigens ist auch der Grund, warum wir uns in den Wochen nach Weihnachten bei Rüdiger und Bruni nicht blicken lassen werden. Sonst werden wir noch Opfer unseres eigenen Geschenks. Wir sind ganz altmodisch: Was wir gerne riechen, wollen wir auch verspeisen und uns nicht abspeisen lassen mit einer kulinarischen Mogelpackung. Fürs neue Jahr hat sich Rüdiger eine Menge vorgenommen. Er will ein Buch schreiben. Titel: »Alles über Bernd P. – das Imperium schlägt zurück«. Er hat auch bei Susi Super nachgefragt, ob sie nicht Co-Autorin werden möchte. Aber die zweitbeste Ehefrau von allen (die beste hat ja bekanntlich Ephraim Kishon) gab ihm einen Korb. »Niemals«, schrie sie spitz auf. Nun hoffe ich, dass sie keine eigenen publizistischen Pläne hegt und selbst als Enthüllungsautorin auftreten will, wie es ja Sarah Kishon bereits gemacht hat.
Ein Neandertaler in Berlin
So ganz grün waren sie sich ja anfangs nicht, die Bonner und Berliner, die nach dem Regierungsumzug in der Hauptstadt aufeinander stießen. Nicht selten beklagten die Neu-Berliner die Ruppigkeit der »Ureinwohner«. Inzwischen ist man sich näher gekommen. Zum Beispiel der junge Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Dr. Karsten Pfeifenberg und das reizende ältere Berliner Ehepaar Gerda und Walter Nett. Sie haben sich in einer Sauna kennen gelernt. Und das kam so: Pfeifenberg: (betritt den Ruheraum) Komisch! Keiner da, aber nicht eine Liege frei. Ist ja wie in Spanien morgens um sieben am Pool. Überall liegen Handtücher. (Frau und Herr Nett kommen, haben gerade einen SaunaGang hinter sich, entdecken Pfeifenberg) Herr Nett: Ach, ein neuet Jesicht. Schau mal eener guck. Tachchen, juter Mann! Pfeifenberg: Guten Tag, ich hoffe, ich störe nicht ... Frau Nett: Im Jejenteil. Endlich mal 'n junger Mann hier. Sonst looft hier doch nur Friedhofsjemüse rum. Mein 0ller ist noch der Jüngste ... Pfeifenberg: Pfeifenberg mein Name. Dr. Karsten Pfeifenberg ... Frau Nett: Prima, falls hier mal eener aus den Latschen kippt, ist gleich 'n Arzt ssur Stelle. Pfeifenberg: Ich bin kein Arzt, sondern Jurist und wäre keine große Hilfe ... Herr Nett: Na ja, welcher Jurist ist schon 'ne Hilfe? Macht nüscht. (gibt ihm die Hand) Nett! Pfeifenberg: (verunsichert) Was ist nett? Herr Nett: Ick bin Nett. Jedenfalls heiß ick so. Und meine Frau natürlich ooch ... Pfeifenberg: (scherzig) Ach, Sie sind also die netten Berliner ... Frau Nett: Wieso, sind die andern nich nett ssu Ihnen?
Herr Nett: (erstaunt) Watt denn? Watt denn? Berliner und nich nett? Diss könnense eenem erzählen, der sich die Hose mit 'ner Kneifzange zumacht ... Pfeifenberg: (wechselt das Thema) Sagen Sie mal: Kommen noch mehr Gäste? Alle Liegen sind belegt ... Herr Nett: Nein, nein, das sind alles unsere. Pfeifenberg: Ach ja? Gleich fünf Liegen – nur für Sie? Herr Nett: Klaro. Janz einfach. Diss hier iss meine Liege. Diss iss die von meiner Tasche. Hier liegt meine Frau – und hier liegt ihre Tasche druff. Pfeifenberg: Und in der Mitte? Herr Nett: Diss is so 'ne Art Pufferzone zwischen meiner Frau und mir, verstehense? Frau Nett: Kommense doch in unsere Mitte. (macht Liege frei) Pfeifenberg: Sehr nett. Sie machen Ihrem Namen wirklich alle Ehre ... Frau Nett: Sie müssen als Neu-Berliner ja schlechte Erfahrungen jemacht haben – oder? Pfeifenberg: Wissen Sie, die Berliner sind doch zuweilen ganz schön gemein zu uns Bonnern. Herr Nett: (winkt ab) Euer Adenauer konnte uns Berliner ooch nich leiden ... Frau Nett: Walter, dit sind doch olle Kamellen. (zu Pfeifenberg) Erzählense doch mal ... Pfeifenberg: Nur ein Beispiel. Frage ich neulich auf dem Ku'damm: »Wie komme ich zum Zoo?« Fragt der zurück: «Als wat denn?« Herr Nett Sehnse, diss iss der Berliner Humor. Rau, aber herzlich ... Pfeifenberg: Na ja, eher rau als herzlich – oder herzlich rau ... Frau Nett: Also, wir ham partout janüscht jejen Bonner! Herr Nett: Ick finde, jeder sollte eenen haben ... Frau Nett: Mein Mann hat sich hinten an seinem Auto sojar 'n Uffkleber angemacht: »Ich bremse für Bonner« ... Pfeifenberg: Das ist aber sehr rücksichtsvoll ... (zieht sich den Bademantel aus, hat eine Badehose an) Ich gehe jetzt mal
in die Sauna. Frau Nett: (zeigt auf Pfeifenbergs Badehose) So jehts hier aber nich. FKK, verstehnse? Hier zeigt jeder, wat er hat. Ooch Bonner! Pfeifenberg: Natürlich ... (zieht sich die Badehose aus) Herr Nett: So ist richtich! Muss allet seine Ordnung ham. Pfeifenberg: Na, denn geh ich mal. Frau Nett: (aufgedreht) Ich sseige dem Herrn Abgeordneten mal, wos lang jeht. Herr Nett: Dann schwitz ma schön mit »Vater Rhein«. Ich pass inzwischen uff die Liegen uff. Sindse eigentlich in Bonn jeboren? Pfeifenberg: Nein, in Düsseldorf, genauer in Mettmann. Herr Nett: Nie jehört. Frau Nett: Ist da nich dit Neandertal? Kenn ick ausm Kreuzworträtsel. Pfeifenberg: Stimmt. Sie kennen sich aus, toll! Herr Nett: Heißt dit, Ihr Opa warn Neandertaler? Pfeifenberg: (amüsiert) Natürlich nicht mein Opa, aber vielleicht ja meine Urahnen in grauer Vorzeit ... Frau Nett: (lächelt ihm zu) Sieht man Ihnen aber ja nich an ... Pfeifenberg: Da bin ich aber froh ... Herr Nett: Hab neulich gelesen, daß die Neandertaler Kannibalen jewesen sind ... Pfeifenberg: Das hab ich auch gelesen. Ist aber nun schon 30 000 Jahre her ... Herr Nett: Lenkense mal bloß nich ab! Ihre Vorfahren haben sich jejenseitich uffjefuttert – und hier meckern die Herren Abjeordneten über die Buletten in der Bundestagskantine – is doch wahr! Frau Nett: (zu Pfeifenberg) Machense sich nichts draus, mein 0ller ist selbst so 'n richtja Meckerkopp. Der meint dit nich so. Kommense, wir machen jetzt 'nen Jang zusammen. (beide gehen Richtung Sauna) Herr Nett: Een Neandertaler hat uns hier jrade noch jefehlt ...
Alles Gute rächt sich ...
Nein, ich mach das nicht mehr. Hab es ja lange genug gemacht. Nie wieder. Und wenn Sie jetzt glauben, Sie haben einen Deppen vor sich – dann sind Sie bei mir genau an der richtigen Stelle. Die Zeit des sanften Umgangs mit Mitmenschen im Supermarkt – sie ist vorbei. Von jetzt an bin ich von Kopf bis Fuß auf Rambo eingestellt. Meine Waffe: das Einkaufswägelchen. Damit kann man sich Platz verschaffen und wichtige Sekunden an der Kasse gewinnen. Ich denke nicht nur in diesen Tagen ausschließlich olympisch. Erster will ich sein. Was war ich doch für ein Narr. Haben Sie mich vielleicht gesehen? Am Sonnabend im Supermarkt. Wie ich an der Kasse erst ein Omchen mit sechs Eiern und einem Suppengrün vorließ. Dann der Steppke mit seinem Eis. Ja, dann noch sie, die Schöne mit dem sanften Blick. Wenn Frauen doch immer so wären, wie sie aussehen ... »Ich hab nur die paar Sachen<<, sagte sie fragend und guckte wie im Film, als wollte sie andeuten: »Es wird Ihr Schaden nicht sein ...« Ich ließ auch sie vor. Sie zahlte flink, guckte sich nicht mal mehr um. Nun war ich dran. Dann kam ein Ruppigberliner mit TiefkühlPizza, stürmte nach vorn und sagte zu mir: »Na, Meesta, die kann ick doch mal schnell zahlen, wa?« Ich sagte: »Sorry, leider nein. Will ja hier nicht den ganzen Tag verbringen.« Und er kopfschüttelnd: »Muss schon sagen, janz schöne Muffelköppe koofen hier ein...« Das hat man nun davon. Alles Gute rächt sich. Nicht mehr mit mir!
Scheidungs-Show wird der Quotenrenner
Eigentlich ist die närrische Zeit ja vorbei, aber genau genommen fängt sie jetzt erst an: Mit Beginn der warmen Jahreszeit steigt die Anzahl junger Menschen, die sich freiwillig für die Institution Ehe entscheiden – und das trotz warnender Beispiele und Statistiken. Demnach geht jede dritte Ehe in die Brüche, und es bedarf schon einer gehörigen Portion Zweckoptimismus, wenn diese Tatsache günstig dargestellt werden soll, etwa so: Von drei Ehen werden zwei nicht geschieden. Das ist die richtige Sichtweise. Immer schön positiv denken! Eigentlich vertrete ich in Ehefragen ja die SchopenhauerMeinung, wonach Optimismus zu einem gewissen Teil immer auch ein Fehler ist, aber das gehört eigentlich nicht hierher, zumal ich selbst nun wirklich keine schlechten Erfahrungen gemacht habe. Fest steht, dass so mancher sich ein Nest wünscht und irgendwann feststellen wird, dass er einen Käfig bekommen hat. Da muss er dann irgendwie wieder raus, was aufwändig und teuer werden kann. Und doch: Die Ehe muss sein! Schon als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Umzugsspediteure, Scheidungsanwälte und Psychiater. »Die Ehe ist ein Fiasko«, hat Ephraim Kishon kürzlich in einem Interview gesagt. Er selbst stand nie in dem Verdacht, ein begabter Ehemann zu sein. Dass er schon in frühen Jahren seine Frau Sarah als »die beste Ehefrau von allen« bezeichnet hat, war nichts weiter als ein genialer Schachzug (als Schachspieler ist er wirklich gut). Damit hat sich dieser Listling beizeiten den Rücken freigehalten und steht seitdem da wie ein Kaiserpinguin – mit weißer Weste.
Auch ich beschäftige mich schon seit Jahrzehnten mit dem Thema Ehe. Mein Vorschlag, man solle die »Ehe auf Zeit« einführen, fand in den Medien kein Echo. Mein Vorschlag lautete: Jede Ehe endet automatisch nach vier Jahren, etwa wie eine Legislaturperiode im Parlament. Sie verlängert sich um zwei Jahre, wenn dies ein halbes Jahr vor Ablauf des vierten Jahres notariell vereinbart wird. Danach kann mit geringem bürokratischen Aufwand neu geheiratet werden. Scheidungen gibt es nicht mehr. Die Ehe ist also das, was sie im Grunde – unter anderen Vorzeichen – jetzt schon ist: ein Auslaufmodell. Nur wesentlich preiswerter für alle Beteiligten. War ja nur mal so eine Idee von mir. Als ich sie damals an meinem Stammtisch zur Diskussion gestellt hatte, verlor ich einige meiner Freunde. Darunter ein Umzugsspediteur, ein Scheidungsanwalt und ein Psychiater. Ich bin nicht schadenfroh, aber diesen einen Hinweis kann ich mir nun wirklich nicht verkneifen: Alle drei sind inzwischen – folgenschwer – geschieden. Das Thema beschäftigt mich natürlich immer noch, und als ich kürzlich am Kurfürstendamm im Theater saß, kam mir eine ganz neue Idee. In der Inszenierung kann das Publikum zur Pause entscheiden, wie das Stück weitergeht. So viel Basisdemokratie war nie! Mancher Autor wird sich möglicherweise mit einer solchen Verfahrensweise nicht anfreunden können – noch ist es ja so, dass die meisten Bühnenautoren lieber selbst entscheiden möchten, wie ihr Stück zu Ende geht. Jedenfalls kam mir die Idee – und ich ahne schon, dass auch die sich nicht durchsetzen wird –, dass man für die privaten Belange eine Art Jury beruft, die darüber entscheidet, ob eine Ehe weitergehen oder einfach ausklingen wird. Das mag den einen oder anderen zunächst irritieren, aber lesen Sie mal weiter. Die Ehe-Jury tagt öffentlich im Fernsehen und wird ein echter Quotenhit. In der Jury sitzen die Diademe unserer
Gesellschaft: natürlich der Franz und der Boris. Karl Moik. Die Jacob-Sisters. Mosi und Daisy. Pfarrer Fliege. Jenny Elvers. Karl Dall. Und Otto Waalkes, der Rächer der Entnervten. Die Sendung hat drei Teile: Im ersten schildern die Eheleute den Zustand ihrer Ehe. Im zweiten äußern sich die höchst kompetenten Promis, und im dritten fällt dann die »Ent-Scheidung«. Bevor Fernsehproduzenten meine Idee klauen, hier der Hinweis: Hab schon einen Vertrag ...
Big Hamster: Ein Leben wie die Made im Speck
Eigentlich wollte er ja einen Bernhardiner oder einen Boxer oder einen kleinen netten Kampfhund – jedenfalls irgendeinen guten Kameraden, mit dem man daheim was machen kann. Jetzt begnügt sich Max – zur Erleichterung seiner Eltern – mit einem Goldhamster. Dieser heißt Flecki und wurde am 11. Januar dieses Jahres unter dem Sternzeichen des Steinbocks geboren. Weil Hamster nur gut zwei Jahre alt werden, hat Max beschlossen, aus einem Menschen-Jahr zwölf Hamsterjahre zu machen, so dass Flecki gute Chancen hat, zwischen 25 und 30 Jahre alt zu werden. Schon jetzt beginnen die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zu Fleckis erstem Geburtstag. Susi Super hatte Max gewarnt: »Hamster sind nachtaktive Tiere, die schlafen am Tag und werden erst abends putzmunter, wenn du ins Bett gehst!« Dieser Einwand beeindruckte Max nicht. »Papa ist ja abends auch immer munter«, stellte er fest und fragte: »Ist Papa eigentlich auch ein nachtaktives Tier?« Das fand Susi Super sehr komisch und hat unseren kleinen Hamsterflüsterer lieb geknuddelt. Nun hat sich herausgestellt, dass Flecki auch tagsüber das familiäre Leben bereichert. Und es liegt der Verdacht nah, dass im Zeitalter der Genmanipulation eine neue Generation von Hamstern gezüchtet wurde, mit denen Kinder tagsüber was anfangen können. Auch ich hatte als Kind einen Hamster. Damals hießen alle Hamster Peter. Ob es heute überhaupt noch einen einzigen Hamster gibt, der so einen altmodischen Namen hat? Mein Peter hauste in einem ziemlich kleinen Drahtkäfig, den
mein Vater selbst gebaut hatte. Als Peter starb, bekam er ein würdiges Begräbnis in einer Kaffeebüchse aus Blech. Staatsakt! Da ich als Hamster-Opa aber nun mal keine Drahtkäfige zu bauen pflege, schauten sich Susi Super und Max nach einer Behausung im Fachgeschäft um. Was sie da mitbrachten, hat mir die Sprache verschlagen! Flecki Philipp wohnt nun – residiert nun – in einer Luxusvilla mit angrenzendem Freizeitpark (Gesamtinvestition: 150 Mark!). Das noble Domizil aus der Baureihe »Safari« ist gedacht für den Hamster von Welt und europaweit im Angebot, zum Beispiel als »La casa ideal para hamsters« oder als »L'environment ideal pour hamsters«. Was braucht Hamster nun? Schauen wir auf die Verpackung: »'Eine Menge Raum und Sicherheit für fröhliche Erkundungen. Eine große Scharniertür für leichten Zugang. Ein spezielles Rad-Design, das keinen festen Abfall ansammelt. DrahtheimDesign für Frischluftzirkulation und unbehindertes Betrachten. Große abgerundete Ecken und nagelfeste drahtgeschützte Kanten.« Das ist natürlich nur die Grundausstattung. Dazu kommen noch ein Netzwerk von Röhren mit Durchgängen beziehungsweise Umsteigemöglichkeiten, eine Aussichtsplattform, eine Individual-Höhle (man will ja auch mal unbeobachtet sein!), eine kleine Zweitvilla (vielleicht kommt ja mal Besuch und bleibt für ein paar Tage), ein Turm mit zusätzlichem Futterangebot (Sky Restaurant), eine Snackbar, ein kleiner Zirkus sowie ein Kletterwürfel. Natürlich auch ein Designer-Laufrad (vermutlich von Luigi Colani entworfen). Hamster müsste man sein. Führt ein Leben wie die Made im Speck. Kein Wunder, dass der kleine Nager in wenigen Tagen sein Gewicht von 30 Gramm auf 60 Gramm verdoppelt hat.
Wer mit dem Partner in den Supermarkt geht, ist Masochist
Es gibt Dinge, die sollten Paare nicht gemeinsam tun. Zum Beispiel bei einem Tennisturnier im Mixed spielen. Gibt nur Ärger. Immer. Auch beim Einkaufen zeigt sich, dass Männer und Frauen einfach nicht zusammenpassen. Je länger die Zweisamkeit währt, desto grausamer wird es. Wer mehr als 20 Jahre verheiratet ist und mit dem Partner in den Supermarkt einkaufen geht, muss ein Masochist sein. Den folgenden Dialog habe ich in der vergangenen Woche in einem Charlottenburger Supermarkt aufgeschnappt und gleich danach aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. Er (hat die Arme auf den Einkaufswagen gelehnt und schiebt ihn so voran): Hier ist es auch immer voll. Da kann man kommen, wann man will. Sie: Lauf richtig! Wie sieht das denn aus! Er: Meine Sache. Sie: Dann wunderst du dich, dass dir abends wieder der Rücken wehtut. Er: Ich laufe so, weil mir der Rücken wehtut. In der Haltung habe ich weniger Schmerzen. Sie: Dann sollten wir uns so ein Wägelchen besorgen, dann kannst du zu Hause auch so rumlaufen. Er: Mach dich ruhig lustig über mich. Sie: Hast du Sauerkraut gefunden? Er: Nein. Gibts nicht. Sie (kopfschüttelnd): Gibts nicht. Gibts nicht. Immer gibts nicht. Natürlich gibts das. Ich kaufe seit Jahren hier Sauerkraut. Schau mal, genau auf Augenhöhe. Er (gereizt): Ich bin nicht blind. Ich kann eine Büchse
Sauerkraut noch gut erkennen. Sie: Genau in Augenhöhe! Er (schroff): In Augenhöhe sind grüne Bohnen. Sie: Kein Wunder! Stell dich doch mal grade hin. Dann siehst du es! Er: Hättest du gleich sagen können. Sie: Hab ich ja gesagt: Lauf richtig. Schau mal, ist ja unerhört: Jetzt haben die hier schon abgepackte Büstenhalter. Das ist doch nicht normal, in einem Supermarkt. Er: Musst ja keinen kaufen. Sie: Das weiß ich. Hier – pack mal das Brot in den Wagen. Er: Das schmeckt doch nicht. Sie: Das haben wir immer! Und du bist jedes Mal ganz begeistert und sagst: Ja, das nenn ich Brot! Er: Das kaufen wir bei Kaiser's. Und nicht bei Reichelt. Sie: Dieses Brot gibt es bei Kaiser's und bei Reichelt. Es ist von derselben Firma. Es kann gar nicht anders schmecken. Er: Dann bilde ich mir das wohl ein, was? Sie: Einbildung, du sagst es. Besser als gar keine Bildung. Wir brauchen noch Toilettenpapier. Er: Toilettenpapier interessiert mich jetzt überhaupt nicht. Sie: Jetzt nicht ... Er: Ich will hier raus. Sie (ungehalten): Ich kaufe nicht gerne mit dir ein. Es macht überhaupt keine Freude. Er: Warum sollte Einkaufen Freude machen? Sie (zu der Kassiererin): Zwei kleine Tüten bitte. Er: Jedes Mal kaufst du Tüten. Dabei haben wir zu Hause einen ganzen Schrank voller Tüten. Sie: Ich habe vergessen, welche mitzunehmen. Du hast ja auch nicht dran gedacht. Er: Muss ich an alles denken? Sie (schnippisch): Ich verlange von dir überhaupt nicht, dass du an irgendetwas denkst. Er: Meine Mutter hatte eine große Einkaufstasche, die hielt ein halbes Leben lang. Die musste nie 'ne Tüte kaufen. Sie: Es gab damals keine Plastiktüten. So, jetzt kannst du
dich mal wieder aufrichten. Er: Mein Rücken! Ich komme kaum hoch. Sie: Ich hab dir gleich gesagt: Lauf richtig! Kassiererin: Schönen Tag noch! Er: Kann nur besser werden. Sie (entschuldigend zur Kassiererin): Den nehm ich nicht mehr mit!
Spießig schön im Club der Liegen-Besetzer
Im Urlaub in Spanien bin ich zu einem Mitglied jener Personengruppe geworden, die immer nur in den Out-Listen der Trendmacher steht: Ich bin jetzt auch ein »Liegen-am-Poolmit-dem-Handtuch-Reservierer«. Natürlich will ich mich nicht rausreden, möchte aber darauf hinweisen, dass mich Susi Super und Sohn Max dazu getrieben haben. »Warum haben wir eigentlich nie eine Liege am Pool?«, wollte Max wissen. »Alle haben Liegen, nur wir nicht.« Ich sagte: »Weil irgendwelche Urlaubs-Terroristen sich für morgens sechs Uhr den Wecker stellen, um dann rechtzeitig Stammplätze zu ergattern, damit sie nach dem Strandleben nachmittags für zwei Stunden am Pool liegen können.« Susi Super, ganz in versöhnlicher Urlaubslaune, erklärte Max: »Dein Papa findet es einfach spießig, Liegen zu reservieren.« »Was ist das überhaupt – spießig?«, fragte Max. Und ich antwortete: »Spießig sind Leute, die immer nur in festen Normen denken, die nicht in der Lage sind zu improvisieren. Menschen, die stets nur das tun, was sie immer gemacht haben, verstehst du?« »Alles klar, Paps, dann bist du also ein Spießer!« »Wieso ich?« »Wenn du noch nie eine Liege am Pool reserviert hast, dann wäre es doch höchste Zeit, dass du das mal machst.« »Genial«, schrie Susi Super, »Max, jetzt hast du Papa überlistet. Endlich können wir auch mal unter Palmen am Pool
relaxen.« Ja, so war das also. Im Alter von 50 Jahren habe ich erstmals in meinem Leben mit Handtüchern Liegen reserviert. Am Mittwoch zwei, am Donnerstag drei für uns alle. Und auch in den folgenden Tagen. Zuerst war es mir ja peinlich. Aber dann tat es gar nicht mehr weh. Und das freundliche »Guten Morgen« der anderen »Besetzer« empfand ich sogar als angenehm. Irgendwie fühlte ich mich aufgenommen in diesem weltweit an Pools agierenden deutschen Club der Liegen-Besetzer. Mein Sohn Max war sehr stolz auf mich. Und ich war froh, kein Spießer zu sein.
Mit Martin Luther alles in Butter
Na, nun raten Sie doch bitte mal: Was ist heute für ein Tag? Freitag, der 22. September, schon klar. Aber ist da nicht noch was? Bitte grübeln Sie – jetzt! Nein, es ist nicht der »Tag des anonymen Warmduschers«. Heute ist der »Tag des deutschen Butterbrotes«! Das will die CMA so, jener bundesdeutsche Futter-TÜV mit dem sympathisch knappen Namen »Centrale MarketingGesellschaft der Deutschen Agrarwirtschaft«. Sie klärt uns ahnungslose Verbraucher in regelmäßigen Abständen darüber auf, was wir unbedingt essen sollten, damit uns der nächste Ratschlag noch lebend erreicht. Das Butterbrot, diese gute alte Butterbemme, ist schon mehr als 700 Jahre alt und durchaus älter als die CMA. Der Reformator Martin Luther (hat übrigens nichts mit dem Reformhaus zu tun) hat in einer Epistel des Jahres 1525 die »Putterpomme« als geeignete Kindernahrung gepriesen (heute: Milchschnitte). Und der Maler Pieter Bruegel der Altere verewigte auf seinem Gemälde »Bauernhochzeit« einen Jungen, auf dessen Schoß eine angebissene Stulle liegt, die zur Hälfte mit ... bestrichen ist (bitte komplettieren Sie diesen Satz!). Jeder Bundesbürger verzehrt, statistisch gesehen, 6,7 Kilo Butter pro Jahr. Das wird die Konsumenten der »DesignerAufstriche«, wie die CMA die Butterkonkurrenz leicht abschätzig nennt, vielleicht ärgern. Da habt Ihr es, Ihr Freunde der mehrfach ungesättigten Fettsäuren! Butter, so die CMA, ist richtig gut. Das wusste schon Oma und sprach deshalb immer nur von der »guten Butter«. Heute
wird die CMA bundesweit an Bahnhöfen und Flughäfen Butterstullen verteilen, auch in Berlin. Endlich kriegen wir Berliner mal wieder was zu futtern. Wie früher bei Großmuttern.
Fettige Finger: Für Aufreißer total fatal
Ich muss jetzt ganz stark sein und den Dingen realistisch ins Auge schauen: Ich bin kein Aufreißer! Ich scheitere schon an der Plastikverpackung einer Aufschnittplatte. »Hier aufreißen«, steht an einem Ende der Verpackung. Ich reiße, aber nicht auf. »Du hast fettige Finger«, meint Susi Super, die bei jedem Missgeschick die Schuld bei mir sucht. »Ich habe keine fettigen Finger«, sage ich, »ich habe mir gerade die Hände gewaschen und sie richtig abgetrocknet – es will einfach nicht klappen.« »Dann hast du eben zu dicke Finger«, sagt sie, »mit deinen Patschpfoten würde ich die Packung auch nicht aufkriegen.« So isse nun mal. Immer schlagfertig und originell, herb und herzlich zugleich. Ich habe die Wurstplatte mit der Aufschrift »Spitzenqualität« wieder in den Kühlschrank geworfen. Außerdem mag ich im Grunde weder Bierschinken und Kaiserjagdwurst noch Mortadella mit Pistazien. Schon gar nicht verpackt. Und in ein paar Tagen ist das Verfallsdatum erreicht – dann waltet unser selbst ernannter Kühlschrankinspektor Max seines Amtes. Probleme bereiten mir übrigens auch gelegentlich Schuhpflegemittel. Vor allem die, von denen man annimmt, sie seien besonders leicht zu handhaben. »Pflegt und glänzt ohne polieren«, steht hinten drauf. Und: »Schwamm auf den Schuh drücken, Pflegeglanz dünn und gleichmäßig auftragen – der Glanz kommt von alleine. « Von wegen! Mein Pflegeglanz verweigert sich. Bleibt in der Tube. Ich drücke das Schwämmchen so massiv auf den Schuh wie eine Schuhverkäuferin, die bei der Anprobe von Kinder-
schuhen testet, wo der »große Onkel« ist. Es tut sich nichts. Der Verschluss verweigert sich und spendet keinen Pflegeglanz. Mit einer Nagelschere versuche ich, an der Düse herumzupolken. Das sieht natürlich Susi Super und fragt, ob ich verrückt bin, mit ihrer Nagelschere an die Schuhcreme zu gehen. Hat ja Recht, die grundgute Frau. Ich soll ein Streichholz nehmen, aber im ganzen Haushalt sind keine Streichhölzer zu finden. Haben wir mal abgeschafft, damit das Kind nicht damit spielt. Inzwischen hat Max ein eigenes Streichholzdepot, aber wir wissen nicht, wo. Unser kleiner Pyromane ist gerade nicht zu Hause. Vielleicht kokelt er bei den Nachbarn. Ich nehme also meinen »Pflegeglanz«, der weder pflegt noch glänzt, und gehe in den Supermarkt, wo ich ihn gekauft habe. »Ich möchte das hier umtauschen«, sage ich zu einer Mitarbeiterin, »die Düse ist verstopft.« Das Objekt wird skeptisch begutachtet, eigentlich beschlechtachtet. »Schuhwichse hat hier noch keener umjetauscht«, sagt die junge Frau. Und: »Müssense eben öfter Ihre Botten putzen, dann verstoppt ooch keene Düse nich.« Es gibt so Tage, da lernt man viel fürs Leben.
Erinnerungen eines Achtundsechzigers: 30 Kilo später
Wer mich heute anschaut, wird zwei Dinge nicht vermuten: Dass ich mal ein ganz schlechter Esser war. Und dass ich ein Achtundsechziger bin. Vielleicht kein richtiger, mag sein. Aber ich war immer ein bisschen dabei. Bei Demos verhielt ich mich wie in der Schule: Bloß nicht auffallen! Ich habe nie etwas riskiert, sieht man mal von einer Erkältung bei einem Sit-in ab. Ich habe nie jemanden geschlagen. Nicht mal mit einer Blume. Ich habe nie an einer Gewalt-Demo teilgenommen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich Rauschgift genommen habe. Es hieß Katja. Katja war der Gipfel. Sie, die Sinnliche, sagte mal zu mir: »Denk nicht immer an den Krieg in Vietnam. Denk an meinen Orgasmus.« Ich denke oft an Katja. Ich hatte sie natürlich nicht allein. Peter hatte sie auch. Manne und Michael. Wir sagten uns: Lieber ein Freund als ein Fremder. Das Schöne in jenen Jahren war: Man musste nie ein schlechtes Gewissen haben, wenn man einem Freund die Freundin ausspannte. Das war in den Zeiten, als Aids noch kein Thema war, ganz normal. Damals war klar: »Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.« Dazu wollte ich nie gehören. Ich (Jahrgang 1950) ging 1968 noch zur Schule. Manchmal auch nicht. Besuchte das Ernst-Abbe-Gymnasium in Neukölln. »Besuchte« – das fällt mir gerade auf – ist eine ganz richtige Bezeichnung. Mein Vater Artur Friedrich Gotthard (trotzdem Atheist!) war am Tag der Zeugnisausgabe stets dem Freitod nahe. Nur einmal konnte ich ihn versöhnlich stimmen: Eine Eins in
Bildender Kunst! Mein Lehrer war Prof. Joachim Schmettau (der mit dem Wasserklops an der Gedächtniskirche). Guter Mann! Gab mir 'ne Eins! Ich hatte – quasi als Quartalsarbeit – ein ein mal vier Meter großes Bild mit Spiralen und Farbtupfern gemalt. Es würde heute bei Sotheby's in London locker 18 bis 20 Millionen Mark bringen. Aber leider ist das Werk verschollen. Ich vermute, dass Katja damit die undichten Fenster in ihrer Bude am Blücherplatz abdichtete. An mein Monumentalwerk musste ich dann später wieder denken, als ich im »Zwiebelfisch« verkehrte. Diese Wärmestube der Guten wurde 1969 eröffnet und zog sehr schnell die Intellektuellen mit den endlos langen Schals und den Ami-Kutten an. Alle sahen irgendwie aus, als wären sie von einer Mutti. Und ich erst! Da tauchte im »Zwiebelfisch« dann auch der Maler und Hobby-Boxer Markus Lüpertz auf. Einmal drückte er einen Mitzecher durch die Fensterscheibe. Ich weiß nicht mehr warum und traue mich jetzt auch nicht mehr, ihn zu fragen. Ist einfach zu berühmt. Vielleicht fand der andere seine Bilder Scheiße. Das wäre eine Erklärung. Ist auch egal. Lüpertz hat sich durchgesetzt. Wir können alle stolz sein, dass wir so einen haben. Enzensberger war auch da. Robert (»Bobchen«) Biberti von den Comedian Harmonists schleppte hier so manches junge Mädchen ab und zeigte ihr anschließend zu Hause seinen kleinen grünen Kaktus. Otto Schily war da. Rainer Langhans und sein Harem. Den Rainer habe ich vor gut einem Jahr wieder gesehen. Im Journalistenclub des Axel Springer Verlags. Echt ulkig. In dem Feuchtbiotop am Savignyplatz verkehrte damals auch Dietmar. Er war Arzt. Ich nenne ihn Dietmar, weil sonst jeder weiß, dass ich Paul meine. Dietmar war ein Chamäleon. Wenn er die Kneipe betrat, trug er immer eine zerfetzte Lederjacke, als käme er gerade von einer Demo. Im Kofferraum seines Porsches lag aber stets ein schwarzer Blazer. Den brauchte er,
um anschließend ins »Coupe 77« am Kurfürstendamm reinzukommen. Gefahrene Porsche-Zeit: 4 Minuten. Er war beileibe nicht der einzige Verwandlungskünstler in jener Zeit. Jetzt wieder im «Zwiebelfisch«. Nach 30 Jahren. 30 Kilo später. Zwiebelsuppe gibt es immer noch. Sie schmeckt ganz wunderbar. Das Bier auch. Persiko («Tuntendiesel«) gibt es nicht mehr. Das war in den 70erJahren das bevorzugte Bedröhnungsdestillat. Auf der Getränkeund Speisekarte steht heute: «Sorry, no cards. Cash only«. Als nostalgischer Apo-Opa habe ich mir eine »konkret«Ausgabe vom Januar 1967 mitgenommen. Die »konkret« war damals das Pflichtblatt der Studenten und der anderen, die im Vollbesitz ihrer Halbbildung waren. Auf der Seite zwei ein Kommentar von Ulrike Marie Meinhof. Auszug: »Der Innenminister nimmt die Verabschiedung der Notstandsgesetze, soweit sie noch ausstehen, schon vorweg, das Bundespräsidialamt macht sich zum Fürsprecher von NPDArgumenten, die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten, die das erste Fernsehprogramm betreibt, bemüht sich schon um den Anschluss an den Geist der Springerpresse, die Katze ist aus dem Sack.« Ein Blick ins Impressum. Herausgeber und Chefredakteur: Klaus Rainer Röhl. Layout: Stefan Aust. Mit der »Springerpresse« habe ich ja auch so meine Erfahrungen gemacht. Ich war 16, als ich einen Aufmacher in der »Bild am Sonntag« lieferte. Als Deckspassagier des Fährschiffs »Finnhansa« zwischen Helsinki und Lübeck beobachtete ich, wie das Schiff auf der Ostsee einen DDR-Flüchtling im Schlauchboot aufnahm. Ich machte auch Fotos. Der Vorgang sorgte international für Schlagzeilen, weil der Kapitän der Fähre den Flüchtling wieder der DDR überstellte. Die »BamS« zahlte mir ein Honorar von 400 Mark. Das Geld wanderte in unsere Gruppenkasse. Ich spielte damals Gitarre in einer Folklore-Truppe. Wir nannten uns »Die Heiducken« und sangen – in den Jahren der Revolution! – osteuropäische
Volkslieder. Wir trugen bei unseren Auftritten Russenkittel und Kosakenstiefel und sahen auch nicht blöder aus als Ivan Rebroff. Von meinem Springer-Honorar kauften wir eine BassBalalaika. Wir traten im »Go-In« in der Bleibtreustraße auf, im »SteveClub« in der Krumme Straße und im »Club 18« bei John Hendrik, damals noch im Rathaus Friedenau. Unsere BühnenMitstreiter waren Reinhard Mey, Schobert & Black, Hannes Wader und die Insterburgs. Karl Dall begrüßte das Publikum immer mit den Worten: »Sie kennen mich alle aus den Lesemappen!« Und dann sang Ingo Insterburg: »Ich hatte ein Mädchen in Tempelhof, das war sehr süß, doch 'n bisschen doof.« Ich kann übrigens heute noch auf der Gitarre »Kaiinka« spielen. Und internationale Songs. Nach »Havah nagila« tanzt sogar der Hamster meines Sohnes. Auch »We shall overcome« bringe ich noch absolut gut rüber. Überhaupt kann man sich mit D-Dur, G-Dur, C-Dur und A 7 den ganzen Kosmos jener Zeit erspielen. Aber man muss natürlich dabei gewesen sein. Noch Fragen? Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind.
»Schön ist die Juhugend, sie kommt nicht mehr«
Der »Spiegel« behauptete unlängst, den Deutschen sei das Singen vergangen. Gotthilf Fischer, der weltweit mehr als 65 000 Kehlköpfe strapaziert, dementierte sofort. Als Mitglied einer singenden Minderheit frage ich Sie: Kann man einen Tag schöner beginnen als mit dem gemeinsamen Intonieren eines Liedes? Man kann es nicht. Darum bitte ich Sie jetzt, sich im Halbkreis aufzustellen und mit mir folgendes Volkslied anzustimmen: »Schön ist die Jugend bei frohen Zeiten / Die Jugend, sie kommt nicht mehr. / Drum sag ichs noch einmal / Schön ist die Juhugend, sie kommt nicht mehr.« Das Lied stammt aus Thüringen und ist um 1830 aufgeschrieben worden. Der anonyme Verfasser muss ein Frechdachs gewesen sein. Er schrieb auch noch eine Abschlusszeile, die aber wegen ihrer frivolen Aussage gestrichen wurde – und auch heute eingedenk Tausender Frauenbeauftragter in den Kommunen kaum eine Chance haben dürfte: »Man liebt die Mädchen bei frohen Zeiten/Man liebt die Mädchen zum Zeitvertreib.« Schön ist die Juhugend. Wohl wahr. Als ich 20 war, konnte ich mir nicht vorstellen, wie es ist, 50 zu sein. Wie nur mögen sich Menschen in diesem biblischen Alter fühlen? Haben die noch Sex? Oder spielen sie schon Golf? Vergangenen Freitag ruft Freund Michael mich an: »Lass uns eine Sause machen. Um Mitternacht holen wir Tina aus der Disko ab und bringen sie nach Hause.« Tina ist 16 und Michaels Tochter. Ich bin dabei. Wir fahren zu Tinas Szene-Club in Schöneberg. Am Eingang zwei Gorillas. Sie mustern uns. Dann sagt der eine zum anderen: »Kiek mal, echt krass, ey:
Jetzt kommen die schon zum Sterben her.« Und jetzt bitte noch mal alle zusammen: »Schön ist die Juhugend, sie kommt nicht mehr.«
Ich schnarche, also bin ich ...
Der Lungenfacharzt hatte mich gefragt, ob ich ein Schnarcher sei. »Ja«, sagte ich, »Schnarcher in der fünften Generation.« »Das nennt man Familientradition«, meinte der Arzt und wollte weiter wissen, ob ich denn beim Schnarchen hin und wieder einen Atemstillstand hätte. In diesem Fall käme es nämlich zu einer Minderung des Sauerstoffgehalts im Blut, zur so genannten Schlafapnoe. »Woher soll ich das wissen?«, fragte ich. »Bis jetzt bin ich noch immer wieder wach geworden.« »Sie könnten doch Ihre Frau mal bitten, Ihren Schlaf zu beobachten«, meinte der Arzt, was mich sehr erheiterte. Ich kann Susi Super ja einiges zumuten, aber dass sie die ganze Nacht meinen Schlaf bewacht, um festzustellen, wann ich mit dem Atmen aufhöre – nein, das wollte ich doch nicht von ihr verlangen. Um die fürs Wohlbefinden so wichtige Schnarch-Frage klären zu können, verordnete mir der Arzt eine Schlafanalyse. Ein hochwertiges Aufzeichnungsgerät namens »MESAM 4« (Madaus Elektronik Schlafapnoe Monitoring, 4. Gerätegeneration) sollte die Aufgabe übernehmen. Zuvor bekam ich eine schriftliche »Patienteninformation« ausgehändigt. Darin stand zum Beispiel: 1. Waschen Sie sich zum Untersuchungstermin mit Seife den Oberkörper an der Bauchseite, beide Arme, den Hals und mit einer Bürste die Hände. Vermeiden Sie bitte Nagellack. (Kein Problem für mich.) 2. Bekleiden Sie sich mit einem eng anliegenden, kurzärmeligen Unterhemd und einer knöpfbaren
Schlafanzugjacke. 3. Kommen Sie in Begleitung, um nicht mit dem angeschlossenen Gerät ein Auto zu führen oder in Bus und UBahn ohne Hilfe zu sein. 4. Meiden Sie jeden Kontakt mit Wasser und anderen Flüssigkeiten (keine Waschungen, kein Zähneputzen!). Vermeiden Sie bückende Bewegungen. 5. Schlafen Sie in der Nacht der Messungen in einem Raum, in dem sich kein anderer Schnarcher befindet. 6. Nehmen Sie keinen Alkohol zu sich. 7. Meiden Sie den Kontakt zu Fernsehern und MikrowellenGerätschaften, welche die Aufzeichnungen des Geräts erheblich stören können. An dem späten Nachmittag, an dem ich das Haus verließ, um mir mein »MESAM 4« abzuholen, traf ich im Treppenhaus meine Nachbarin Frau Uhle. Sie ist eine bekannte Modedesignerin und Boutique-Besitzerin. Als sie mich mit meiner Schlafanzugjacke sah, scherzte sie: »Wie originell – oder gehen Sie zu einer Pyjama-Party? Ich wusste gar nicht, dass es so etwas wieder gibt.« Ich schlich mich davon. In der Arztpraxis wurde ich verkabelt und bekam ein Aufzeichnungsgerät, das ich von nun an und vor allem im Schlaf am Bauch tragen sollte. Es war so groß wie ein Schuhkarton, nur wesentlich schwerer. Ich empfehle jedem, mal mit einem Schuhkarton ins Bett zu gehen. Ein völlig neues Schlafgefühl. Der Abend vor dem Zubettgehen ohne Fernsehen, ohne Dämmertrunk, ohne Zähneputzen und Waschen war ungewohnt. Als ich gegen elf mit meiner »Gerätschaft« ins Bett ging, war ich hellwach. Susi Super hatte mir noch ein »Schlaf schön« zugeflüstert. Aber das klang recht süffisant. Weil ich partout nicht einschlafen konnte, machte ich das Licht wieder an und las im »Spiegel« den Bericht »Niedersachsens Ministerpräsident
Siegmar Gabriel über die Machtverteilung zwischen EU und Nationalstaaten«. Darüber schlief ich ein, im Arm mein »MESAM 4«. Am nächsten Morgen musste ich – total verkabelt und noch immer mit einem zusätzlichen »Mess-Fühler« am linken Zeigefinger – Susi Super bitten, mir die Schuhe zuzubinden. Auch so ein neues Erlebnis. Wie die Auswertung ergab, habe ich im Schlaf keine Atemaussetzer. Der Sauerstoffgehalt des Bluts ist optimal. Der Arzt entnahm der Aufzeichnung noch, dass es keine bedrohlichen Auffälligkeiten gibt. »Sie sind ein habitueller Schnarcher«, sagte er, ein normaler Gewohnheitsschnarcher. Susi Super in üblicher Allwissenheit: »Dass du ein Schnarchsack bist, hätte ich dir auch sagen können. Aber du musstest ja unbedingt zum Arzt ...« Die Ehe – sie ist wirklich eine wunderbare Einrichtung.
Mieter sein – ein Fulltime-Job!
Bei Haussanierungen bleibt es nicht aus, dass immer mal wieder ein Handwerker in die Wohnung muss. Manchmal informieren sie die Mieter mit einem Anschlag am schwarzen Brett, da steht dann etwa: »Sehr geehrte Mieter/innen, am Montag, dem Soundsovielten, werden in Ihrem Haus zwischen 6.30 Uhr und 17 Uhr die elektrischen Leitungen überprüft. Bitte sorgen Sie dafür, dass unsere Mitarbeiter in dieser Zeit Zugang zu Ihrer Wohnung haben. Notfalls können Sie die Wohnungsschlüssel bei einem Nachbarn hinterlegen.« Kürzlich wurden wir gebeten, an einem Donnerstag zwischen 8 und 16 Uhr zu Hause zu sein – die Monteure wollten die neue Heizungsanlage fluten, und dabei müsse man gegebenenfalls an die Heizkörper. An jenem Tag allerdings wurde überhaupt nicht geflutet. Stattdessen abends eine neue Mitteilung: »Die für Donnerstag vorgesehenen Arbeiten konnten wegen technischer Probleme nicht durchgeführt werden. Sie sind jetzt für kommenden Montag zwischen 8 und 16 Uhr vorgesehen. Wir bitten um Zugang zur Wohnung.« Tage später der Brief von einer Installationsfirma, in barschem Ton verfasst: »Sehr geehrte Frau, sehr geehrter Herr ..., im Auftrag Ihres Vermieters werden wir am Dienstag und Mittwoch zwischen 7 und 16 Uhr die Fenster vermessen. Sorgen Sie dafür, dass jemand zu Hause ist. Gegebenenfalls sehen wir uns gezwungen, Ihnen die Kosten für einen neuen Termin in Rechnung zu stellen ...« Dann war da noch die Stadtreinigung, die die Abholung von Sperrmüll zwischen 8 und 13 Uhr in Aussicht stellte, und das
Möbelhaus, das zwischen 9 und 13 Uhr eine Couch zu liefern gedachte (klappte beides prima). Gestern ein gelber Zettel an der Wohnungstür: »Der Fliesenleger kommt am Mittwoch zwischen 7 und 16 Uhr.« Soll er mal kommen. Hoffentlich ist einer da. Wir erwägen jetzt die Einstellung eines Haushälters, der tagsüber allen die Tür öffnen kann. Vielleicht kommt ja bald ein Brief von der Hausverwaltung, in dem steht: »... und teilen wir Ihnen mit, dass wir zwischen Frühjahr 2002 und Herbst 2004 Ihre Fenster erneuern. In dieser Zeit bitten wir um Zugang ...«
Ein Parlament ohne Parlamentarier ...
Besucher des Reichstags sind oft überrascht, wenn sie beim Blick in den Plenarsaal feststellen, dass bei Sitzungen des Bundestages nur zwei bis drei Dutzend Parlamentarier anwesend sind und den Ausführungen des Redners folgen. Auf der Regierungsbank halten zuweilen lediglich zwei Staatssekretäre die Stellung. Wo, bitte, sind denn eigentlich die anderen? Können doch nicht alle in der »Ständigen Vertretung« Kölsch trinken. Oder bekakeln sie die nächste Diäten-Erhöhung? »Nein«, erklärte mir mein Lieblingsbundestagsabgeordneter Siegfried Helias, »die anderen arbeiten eben in den Gremien und Ausschüssen – oder in ihren Büros. Das ist auch viel effizienter, als im Parlament eine Debatte über ein Sachthema zu verfolgen, von dem man keine Ahnung hat.« Das leuchtete mir ein. »Aber warum braucht man denn so einen großen Saal, wenn die Expertenrunde doch stets sehr übersichtlich ist«, wollte ich wissen. »Die wenigen Sachkundigen könnten doch zum Beispiel im Vereinszimmer eines Kegelklubs zusammenkommen oder bei der Prinzipalin Sabine Fromm im »Kleinen Theater« am Südwestkorso (99 Plätze). Vormittags wäre das Haus frei für die gewählten Entertainer ... Und im Plenarsaal könnte man eine riesengroße Hops-Burg für Kinder einrichten. Oder einen großen Springbrunnen – Lafontaine sozusagen ...« Siegfried Helias machte einen auf Smiley und dachte vermutlich: »Was für ein netter Trottel ...« Als mein Lieblingsbundestagsabgeordneter darf der das!
Nur sechs Wege, um aus einem Flugzeug herauszukommen
Sie tun mir ja immer so Leid, die Stewardessen, wenn sie vor dem Start die Sicherheitsvorkehrungen erläutern und gestenreich demonstrieren müssen, wo und wie man im Notfall das Flugzeug verlassen kann. Kaum ein Mensch schaut ihnen zu. Die Damen der Lüfte blicken nur auf die Seiten der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« oder – wenn dahinter ein kluger Kopf steckt – auf die der »Berliner Morgenpost«. Besonders Oftflieger empfinden es als unter ihrer Würde, den Stewardessen ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Sie daxen, remaxen und stoxxen lieber aufmerksam im Wirtschaftsteil. Das muss ein ganz frustrierender Job sein, immer wieder Dinge zu erzählen, für die sich niemand interessiert. Auf dem Flug von München nach Berlin mit der Deutschen BA erlebte ich kürzlich einen Steward, der aus der Not eine Tugend machte. Er präsentierte die gesetzlich vorgeschriebenen, aber doch nervenden Routine-Ansagen als KabarettProgramm. »Es gibt fünftausend Möglichkeiten, Ihren Partner zu verlassen«, sagte er, »aber nur sechs, um aus diesem Flugzeug herauszukommen, und zwar ...« Dann meinte er: »Unsere Airline ist bekannt dafür, dass sie die am besten geschulten und vor allem am besten aussehenden Flugbegleiter aller Gesellschaften beschäftigt, leider ist von denen auf diesem Flug niemand dabei ...« Längst lauschten alle dem ungewöhnlichen Entertainer, der noch eins draufgab: »Meine Damen und Herren, eine unserer Stewardessen begeht heute ihren siebzigsten Geburtstag. Sie fliegt seit dreißig Jahren die Strecke BerlinHannover–Berlin. Zu ihrem Ehrentag
darf sie heute mal von München nach Berlin fliegen ...« Die Fluggäste grölten vor Vergnügen. Und als der junge Mann nach der Landung in Tegel sagte: »Bleiben Sie bitte so lange angeschnallt, bis der Pilot einen geeigneten Parkplatz am Brandenburger Tor gefunden hat« – da applaudierten die Gäste und riefen: »Zugabe, Zugabe.« Wann hat man das schon mal in einem Flugzeug erlebt? Der Unterhaltungskünstler heißt Holger. Wenn den mal ein Fernsehproduzent an Bord erlebt, wird die Deutsche BA ihren witzigsten Mitarbeiter los. Dabei werden Flugbegleiter, die die Passagiere bei Laune halten, immer wichtiger. Wegen der vielen Verspätungen – gerade zur Reisezeit – sind die Fluggäste oft gereizt und lassen ihren Unmut am Bordpersonal aus, das nun wirklich nicht für das Chaos verantwortlich ist. In Amerika, so ist zu lesen, werden immer mehr Stewardessen und Stewards von aufgebrachten Passagieren verprügelt. Wenn es stimmt, dass jeder neue Trend aus Amerika eines Tages zu uns nach Deutschland kommt, können sich die Flugbegleiter hierzulande ja auf einiges gefasst machen. Wie schön, dass wenigstens Holger schon ein zweites Standbein hat. Da kabarette sich, wer kann.
In der Paris Bar muss man schon very wichtig sein ... Hier sind sie zu Hause, die Stadtneurotiker, die Altfilmer und die Promillionäre. Und Otto Sander hat an dieser Tankstelle seinen ersten Wohnsitz. Mag schon sein, dass ihm der Tod eines hoffentlich fernen Tages exakt hier plötzlich und unerwartet das Rotweinglas aus der Hand reißt: Die Paris Bar in der Kantstraße ist der Ort von banaler Bedeutsamkeit und bedeutender Banalität. Hier haben die Reichen und Schönen ihr Auslaufgebiet und dürfen ganz ohne Maulkorb das hohe Lied des Berühmtseins singen. Im hinteren Bereich sitzen die VIPs der Königsklasse, Boris Becker etwa, Claudia Schiffer oder Dennis Hopper. Und weil die natürlich auch mal woanders very wichtig sein müssen, sind ihre Plätze dann frei für andere. Nun fragt sich natürlich jeder Leser, warum der Autor so rumeiert, nicht zu Potte kommt – und überhaupt: Was will er uns eigentlich sagen? Na gut, jetzt kommt es also umso dicker. Ihr Freunde der Paris Bar, ihr Kellner und Gastronomen Berlins – schaut auf diese Zeilen und vernehmt dies: In unserer guten alten Paris Bar hat ein Ober einen Gast bis auf die Straße verfolgt und ihn mit den Worten gestellt: »Monsieur, Sie haben den Tip vergessen!« Ein Tip ist bekanntlich kein guter Ratschlag, sondern ein gutes Trinkgeld. Da hat der verblüffte Gast dem Kellner erwidert: »Monsieur, ich habe den Tip nicht vergessen – es gibt keinen! Wenn ich eine Dreiviertelstunde warten muss, bevor ich mit meinen Freunden das Essen bestellen kann, und noch mal siebzig Minuten zu investieren habe, um Muscheln serviert zu
bekommen – dann werden Sie bei einer Rechnung von mehr als sechshundert Mark nicht auch noch mit einem Trinkgeld rechnen können ...« Am meisten hat sich der Gast – ein national und international bekannter Film- und TV-Produzent – darüber geärgert, dass er dem Ober, der sich so selten blicken ließ wie der Halleysche Komet, erst mit den geleerten Flaschen Chablis Premier Cru zuwinken musste, um eine neue Flasche (mehr als 80 Mark) ordern zu können. Die Dienstleistungsgesellschaft in Deutschland geht ihren Weg. Die Paris Bar ist schon dabei.
Grahmattick & Schäksbier — Hauptsache nichts lernen! Schulpolitiker aller Parteien machen sich Gedanken darüber, wie man den Unterricht noch effektiver und anschaulicher gestalten könnte. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob die Länge einer Unterrichtsstunde variabel gestaltet werden sollte. Zurzeit dauert sie quälende 45 Minuten, die verschiedene Schüler nur überstehen, indem sie ein bisschen mit dem Handy telefonieren oder SMS-Botschaften übermitteln beziehungsweise empfangen. Eine Dreiviertelstunde ist aber, wie viele Pädagogen herausgefunden haben, auch unter diesen Umständen für viele Kinder noch eine blanke Zumutung. Deshalb schlägt jetzt die Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit vor, die Kinder sollten selbst festlegen, wann sie den Unterricht beenden wollen (was sie gelegentlich auch jetzt schon machen). Skeptiker weisen darauf hin, dass an vielen Schulen wegen fehlender Lehrer bereits jetzt kein Lehrplan einzuhalten ist. Wenn nun auch nicht mal mehr feststeht, wie lange eine Unterrichtsstunde dauert, entstünde bald ein Chaos wie vor der Erschaffung der Welt. Herrliche Zeiten könnten da für den Schüler anbrechen. Und ich, der ich noch heute meine Schulzeit als reinen Leidensweg empfinde, werde blass vor Neid. Die Unterrichtsstunde in Mathematik, Physik und Chemie hätte ich am liebsten nach fünf Minuten für beendet erklärt und sie in Sportunterricht umgewandelt (sieht man mir gar nicht an, dass ich mal ein guter Sportler war, was?). Englisch und Französisch hätte ich nicht länger als 15 Minuten akzeptiert. An Wandertagen wäre ich gar nicht erst
zur Schule gewandert. Die Schüler von morgen werden morgens sorgfältig abwägen, ob es sich überhaupt lohnt, aufzustehen und den Weg zur Schule anzutreten. Ja, das kann prima werden. Der GesamtTagesunterricht wird eine Stunde nicht überschreiten. Sympathischer Nebeneffekt: Es gibt keinen Lehrermangel mehr! Es lebe die neue deutsche Bildungsoffensive. Sie wird uns im internationalen Wettbewerb weit nach vorn bringen. Aber im Container von »Big Brother« spielt Grahmattick ohnehin keine große Rolle, wie wir das von Zlatko mit seinem Lieblingsschriftsteller Schäksbier wissen. Auch die Parteien begrüßen grundsätzlich die Debatte über flexiblere Unterrichtsstunden. Die SPD warnt allerdings vor einem zu großen organisatorischen Aufwand, der zurzeit nicht zu bewältigen sei. Die Grünen verstehen unter Flexibilität indes auch, dass manche Stunde durchaus länger als 45 Minuten dauern könnte – wenn die Schüler sich zum Beispiel gerade intensiv mit einem Stoff beschäftigen und sozusagen vor lauter Begeisterung Zeit und Raum vergessen. Ich weiß nicht, wo die Grünen später mal ihre Wähler herholen wollen ...
Was viele nicht wissen: Gegen freie Radikale hilft nur Schokolade Natürlich meinte Susi Super es nur gut, als sie mir riet: »In deinem Alter sollte man jeden Morgen wenigstens einen halben Liter Wasser trinken, das ist gut für die Nieren.« »Mag sein«, sagte ich, »dass das gut für die Nieren ist, aber für mich ist es überhaupt nicht gut.« Allein die Vorstellung, morgens auf nüchternen Magen einen halben Liter Wasser zu trinken, ist grauenvoll. Zum Glück haben die Medien in den vergangenen Tagen eine Meldung verbreitet, die von dieser sonst nur bei Kamelen üblichen Aufnahme von Wasser abrät. Wasser, heißt es da, könne den Blutdruck in die Höhe treiben. Deutsche und amerikanische Wissenschaftler sind dabei, diesem Phänomen auf die Schliche zu kommen. Möglicherweise beeinflusst das Wasser im Magen-Darm-Trakt bestimmte Rezeptoren für die Salzkonzentration, die wiederum Einfluss auf den Blub-blubBlutdruck nehmen. Wasser – nein, danke! Der Gesundheit zuliebe! Dann doch lieber eine schöne Tafel Schokolade essen. Wie bitte? Doch, Sie lesen richtig! Eine neue Studie hat ergeben, dass Schokolade Medizin fürs Herz ist. Auf dem jährlichen Treffen der anerkannten American Association for the Advancement of Science in Washington (klingt so wichtig, dass wir das gar nicht übersetzen müssen) haben forsche Forscher herausgefunden, dass Kakao die Durchblutung fördert, Arterien weitet und den Körper im Kampf gegen Krebs und Herzkrankheiten unterstützt. Und dann sind da noch in uns die »freien Radikale«. Ich wusste bislang nichts von ihrer Existenz. Das sind jedenfalls ganz schlimme Biester, die uns herz- und krebskrank machen.
Wir können sie nur mit reichlich Schokolade bekämpfen. Wenn meine Eltern nicht schon das Zeitliche gesegnet hätten, würde ich sie jetzt verklagen. Sie haben immer zu mir gesagt: »Junge, iss doch nicht so viel Schokolade!« Um ehrlich zu sein: Ich habe mich nie daran gehalten. Eine Frage beschäftigt mich jetzt: Wann gibt es Schokolade auf Krankenschein? Darauf hofft vermutlich auch mein sparsamer Freund Rüdiger. Dann könnte er sich zu seinem 48. Geburtstag am 29. Februar von seinem Arzt eine Schokoladentorte verschreiben lassen, um sie seinen Gästen anzubieten Ach, Rüdiger. Irgendwie passt es ja zu diesem DiplomKnauser, dass es den 29. Februar nur alle vier Jahre gibt. »Da ich nur alle vier Jahre Geburtstag habe, kann ich euch auch nur alle vier Jahre einladen«, hat er mal gesagt. Als er 44 wurde, veranstaltete er für seine Gäste einen Kindergeburtstag mit dem Hinweis: »Ich bin ja eigentlich erst elf.« Ich erinnere mich, dass wir damals jeder einen verschrumpelten Pfannkuchen (Restposten vom Bäcker) vorgesetzt bekamen sowie ein Überraschungsei und eine Hanuta-Schnitte. Abends gab es dann Pommes mit Ketchup, dazu selbstgemachte Zitronenlimo. Alle reden immer noch über das »System Kohl«. Ich möchte über das »System Rüdiger« sprechen. Es basiert im Wesentlichen darauf, dass sich mein knausriger Freund überall einladen lässt (kommt meist ohne Mitbringsel), sich aber nie revanchiert. Ich kenne gut 20 Leute, die Rüdiger regelmäßig zu sich bitten, aber noch nie bei ihm zu Hause waren. Warum das »System Rüdiger« funktioniert, verstehe ich nicht. Natürlich ist er ein freundlicher Bursche. Geiz ist offenbar sympathisch. Und sein Bekanntheitsgrad ist inzwischen immens. Er bekommt sogar Briefe von Lesern. Es gibt Leute, die mich fragen, ob ich ihnen ein Rüdiger-Autogramm besorgen könnte. Das mache ich aber nicht.
Seinen 48. Geburtstag möchte er nicht feiern. »Dienstag ist ein blöder Tag, da hat doch keiner Zeit«, meint er. »Aber zu meinem fünfzigsten Geburtstag – da würde ich ja eigentlich sehr gern eine Riesensause veranstalten«, hat er neulich gemeint. Allerdings auch gleich hinzugefügt: »Leider gibt es in zwei Jahren keinen neunundzwanzigsten Februar. Da werden wir also noch ein paar Jährchen warten müssen!« Das nächste Fest von Rüdiger werde ich wohl nicht mehr erleben.
Willkommen im Blödmarkt Manchmal stelle ich mir schon die Frage, was an einem Supermarkt eigentlich super ist. Zuweilen kommt man sich als Kunde dort ja ziemlich blöd vor, weshalb einige Supermärkte eigentlich Blödmärkte heißen müssten. In so einem Kreuzberger Blödmarkt war ich kürzlich früh um neun, weil ich zwei Äpfel und zwei Bananen kaufen wollte. Es war eine verdammt schlechte Entscheidung. Seitdem einige Supermärkte das Service-Modell der früheren Bundespost übernommen haben und von sechs Kassen immer nur eine besetzen, kommt es schon morgens zu langen Warteschlangen wie sonst nur am 24. Dezember am Fleischund Geflügelstand. Kundenjahre, wir wissen es, sind keine Herrenjahre. Man muss duldsam sein, schon gut. Aber wenn ich für zwei Äpfel und zwei Bananen so lange anstehen muss wie früher in Dreilinden vor der Fahrt auf die Transitstrecke, dann nützt mir auch das überall vernehmbare Dienstleistungsgegackere nichts. Ich muss mir nachts um elf keine Baby-Badewanne kaufen, eine Dose Ravioli oder eine Champagner-Magnum für das Frühstück mit der Schwiegermama, nein, nein. Mir wäre viel wichtiger, dass meine kleine Familie keine Vermisstenanzeige aufgeben muss, nur weil ich vormittags ein paar Vitamine ...
Selber schuld, wer sich den Schleimler nicht leisten kann
Warum wollen Sie eigentlich noch weiterleben, wenn Sie schon für 200 Dollar eine sensationelle Beisetzung haben können?« Dieser Klassiker aus der amerikanischen Werbung (für ein Bestattungsunternehmen) stammt aus den 30er-Jahren. Und macht die kreativen Köpfe hierzulande noch heute neidisch. So etwas darf man sich bei uns natürlich nicht leisten. Der Tod, eigentlich ja nur das finale Resultat eines Lebens und die einzige zuverlässige Perspektive des Menschen, hat nicht stattzufinden. Leben und Ableben – bitte nicht in der schönen Welt der Werbung! Dabei ist man doch auf dem richtigen Weg und hat, dem amerikanischen Modell folgend, auch in Deutschland die »vergleichende Werbung« zugelassen. Da kommt jetzt einiges auf uns zu, wie der Werbeanalytiker Torsten Meier-Trendy versichert. Er kann sie schon heute präsentieren – die Werbeslogans von morgen. Lesen Sie mal, was uns vielleicht erwartet: Autos »Sie fahren einen Spritzubuschi? Haben Sie denn überhaupt keine Karriere gemacht und verdienen immer noch nicht mehr als ein Anfänger? Selber schuld, wenn Sie sich keinen Schleimler leisten können!« Waschmittel »Schläger-Perls sind mega-out, meine Damen. Wollen Sie auch out sein? Nehmen Sie Spursil sun & fun. Ihr Mann hat
das verdient. Und machen Sie Ihre Schwiegermutter zur glücklichsten Schwiegermutter der Welt. Wie heißt es doch: Gehts der Schwiegermutter gut, freut sich der Mensch.« Hundefutter »Ihr vierbeiniger Freund guckt traurig drein? Lässt bei Verona Flurbusch den Schwanz hängen und hat Depressionen? Kein Wunder. >Schlappi< ist die falsche Nahrung. Von wegen Nahrung! Ein Würgemittel ist es! Versuchen Sie es mit >BellAmi<, dem neuen Power-Futter. Damit Ihr Kleiner kein Schlaffghane mehr ist. Sondern ein Hund wie du und ich.« Fernseher »Grundig genommen, brauchen Sie nur alle zehn Jahre einen neuen Fernseher. Aber eine sehr, sehr bange Frage stellt sich doch: Wer soll eigentlich später mal das Blindenheim zahlen? Wir empfehlen Ihnen daher jetzt den Kauf der TV-Granate aus dem Hause Vielliebs. Damit schlägt Ihr Tele Funken!« Kinder-Snacks »Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Er wird Ihnen bestätigen, dass die Kuh-Stulle Ihr Kind träge und anfälliger für Keuchhusten und Haarausfall macht. Von dem Unvermögen, 2 plus 2 zu addieren, mal ganz zu schweigen. Soll der Nachwuchs wieder ein schneller Brüter werden? Dann braucht er >Sahnosahneohnefahne<. Ein fulminantes Lutscherlebnis für die kleinen Schlemmer, die künftigen großen Genießer.«
Für die Erbtante finden wir sogar Murano-Vasen schön Nie weiß der Mensch genau, wo er steht. Ist er kurz vor dem Ziel oder ist er durch Schicksals Fügung noch meilenweit davon entfernt? Uns geht das ganz genauso. Susi Super und ich – wir können überhaupt nicht beurteilen, was nun wird aus der schönen Villa in Westend, die Tante Sophie uns vererben will. Oder will sie etwa gar nicht mehr? Dabei waren wir schon ganz nah dran. Hatten sogar einen Termin beim Notar, um die Erbschafts- und Grundbuchmodalitäten zu klären. Das Treffen ließ Tante Sophie allerdings kurzfristig platzen. Ich habe meinen Arzt daraufhin gefragt, ob er mir nicht ein AntiDepressivum verschreiben könnte, aber das lehnte er mit dem Hinweis ab: »Lieber Herr Philipp, wenn ich jedem, der keine Villa in Westend erbt, ein Anti-Depressivum verschreiben würde, könnte ich meine Praxis gleich zumachen.« Wir haben unsere Tante Sophie all die Jahre wirklich aufopferungsvoll betreut. Nicht erst, als sie mal so nebenbei sagte: »Ach, Kinder, das Haus hier ist doch viel zu groß für mich.« Wir haben ihr damals natürlich nicht widersprochen, sondern ihr Recht gegeben mit den Worten: »Du bringst es wieder mal auf den Punkt, Tante Sophie. In so einem großen Haus kannst du dich ja allein gar nicht richtig wohl fühlen. Außerdem liest man ja so schrecklich viel über Einbrüche ...« In den vergangenen drei Jahren war Tante Sophie Heiligabend stets bei uns zu Gast. Wir haben ihretwegen sogar die furchtbar kitschigen Muranoglasvasen und -schalen aus dem Keller geholt und ins Wohnzimmer gestellt, mit denen sie uns jahrelang bombardiert hatte. Das werden wir an diesem Heiligabend natürlich auch so halten. Wir wollen ja, dass sich Tante Sophie bei uns wohl fühlt. Das Hausthema werden wir
selbstverständlich nur am Rande erwähnen. Es soll natürlich nicht der Eindruck entstehen, dass wir Erbschleicher sind. Susi Super und ich sind dennoch bemüht, ein günstiges Klima zu schaffen. Susi hat sich freiwillig bereit erklärt, beim Besuch von Tante Sophie nicht zu rauchen. Sie ist nämlich so empfindlich und hustet schon, wenn sie nur an einem Zigarettenautomaten vorbeigeht. Auch ich werde mich einschränken und werde Heiligabend allenfalls ein alkoholfreies Bier trinken. Es könnte verhängnisvoll sein, wenn Tante Sophie den Eindruck bekäme, sie würde ihr Haus einer suchtkranken Raucherin und einem hemmungslosen Trunkenbold vererben. Der 24. Dezember könnte für uns zu einem Schicksalstag werden. Im Vorfeld der festlichen Zusammenkunft haben wir natürlich auch unseren Sohn Max dressiert. Männer um zehn pflegen ja für gewöhnlich den Gast zu begrüßen, indem sie mal kurz und demonstrativ ungehalten den Blick vom Computer auf den Eindringling richten und ihm allenfalls »hey« zurufen. Max wird Heiligabend »ganz braves Kind« spielen und Tante Sophie mit den Worten begrüßen: »Guten Tag, liebe Tante Sophie. Es ist s00000 schön, dass du uns heute besuchst. Mama, Papa und ich freuen uns über deinen Besuch.« Ja, so ist das jedenfalls geplant. Mal sehen, ob es klappt. Tante Sophie weilt jetzt noch in Florida. Sie wird diesen Beitrag nicht lesen. Mag sein, dass ihn jemand für sie aufhebt. Darum sei einfach nachdrücklich darauf hingewiesen, dass es auf dem gesamten Erdenrund nicht eine einzige Frau gibt, die so gebildet, gütig, nobel, tolerant, warmherzig und weitsichtig ist – wie unsere Tante Sophie. Das beteuert einer, der wirklich kein Schleimer oder Erbschleicher ist.
Nachwuchspflege: Fremdgesteuert fremdgegangen
Mit Erleichterung und stiller Freude haben Männer zur Kenntnis genommen, dass es rein genetische Gründe fürs Fremdgehen gibt. Wie Wissenschaftler herausgefunden haben, ist der Drang des Mannes zum Seitensprung nichts weiter als eine zwingende Folge der Evolution. Der Mann trägt, wie von fremder Hand gesteuert, beim Fremdgehen durch die Verteilung seines Erbguts zur Erhaltung seiner Gattung und somit der gesamten Menschheit bei. Diese Erkenntnis sollte nun die Frauen zu einer neuen Sichtweise und zu gütiger Toleranz animieren. Ist der 011e untreu, hat er ja wahrlich nichts Böses im Sinn. Er erfüllt lediglich seinen erbbiologischen Auftrag. Darf er sich etwa vor dieser Verantwortung drücken? Wenn er von seinem »Dienst an der Menschheit« spätabends nach Hause kommt, sollte er keine Vorwürfe erwarten müssen. Sonst kann es passieren, dass er gleich wieder aufbricht und noch eine Spätschicht einschiebt. Den Männern wird es nicht schwer fallen, die jetzt veröffentlichte Forschungsarbeit zu Gunsten der Menschheit aktiv umzusetzen. Frauen haben dazu möglicherweise eine andere Meinung. Alles braucht eben seine Zeit. In 20 Jahren kann das schon ganz anders aussehen. Wenn er vom Seitensprung nach Hause kommt, sagt sie zu ihm: »Schatz, Frau Meier aus dem dritten Stock hat gefragt, ob du ihr heute noch auf die Sprünge helfen kannst.« Und er wird antworten: »Heute nicht, ich hab heute schon genug fürs Gemeinwohl getan ...« Dann wird sie ihn bewundernd und dankbar in den Arm nehmen.
Wie wichtig der hormonelle Außendienst des Mannes ist, erschließt sich erst nach einer Prognose des Statistischen Bundesamtes so richtig. Danach geht die Bevölkerung in den kommenden 50 Jahren von jetzt 82 Millionen auf 70 Millionen zurück – und das bei einem Zuwanderungs-Überschuss von 200 000 Personen pro Jahr! Wenn sich die Deutschen in den kommenden Jahrhunderten bei der Nachwuchspflege weiter so zurückhalten, kriegen wir nicht einmal mehr eine deutsche Fußballnationalmannschaft zusammen. Allein diese Tatsache macht deutlich, wie wichtig das Fremdgehen des Mannes für uns alle ist und welch hohe Verantwortung auf seinen »Schultern« lastet. Ich fordere daher ein »Denkmal für den unbekannten Fremdgeher«. Ehre, wem Ehre gebührt! Vorschlag für den Standort des Denkmals: die Bleibtreustraße in Berlin.
Wie Bewerbungen im bürokratischen Bermudadreieck verschwinden
Stellen Sie sich doch bitte mal dies vor: Da bewirbt sich im Jahre 1954 eingewisser Artur P. im Alter von 45 Jahren beim Berliner Senat als technischer Angestellter. Der zuständige Sachbearbeiter hat gerade seinen letzten Arbeitstag und den nahen Urlaub vor Augen – mit Kind und Kegel im VW»Käfer« über den Brenner gen Italien. Die Bewerbung landet erst einmal im Fach »Wiedervorlage«, das allerdings beim folgenden Umzug in neue Büroräume in irgendeinem Karton verschwindet und erst 1960 wieder auftaucht, als man den Amtskeller ausmistet. Sechs Jahre nach der Bewerbung, mutmaßt der Sachbearbeiter, sei der Vorgang nicht mehr relevant. Er wandert vom Fach »Wiedervorlage« ins bürokratische Endlager »Erledigt«. Berlin im Jahr 2000. Inzwischen ist die Mauer gebaut und wieder abgerissen worden. Da nun taucht die Bewerbung des Artur P. wieder auf, vom Beamtennachwuchs bestaunt wie ein Fund aus archaischen Zeiten. Herr P. wäre inzwischen 91 Jahre alt. Er sucht keinen Job mehr. Ist zu Beginn der 70er-Jahre verstorben. Noch auf dem Sterbebett soll er seine Kinder gefragt haben: »Hat der Senat sich schon gemeldet ...?« Die Geschichte ist übrigens frei erfunden. Aber jeder weiß, dass sie sich durchaus so oder so ähnlich hätte zutragen können. Natürlich nicht mehr heute – bei den pflichtbewussten und fleißigen Mitarbeitern des Berliner Senats. Durchaus aber in der freien Wirtschaft. Langzeitarbeitslose können sich dies sicher sehr gut
vorstellen. Wenn sie morgens in den Briefkasten sehen und ein dickes Kuvert mit einer Absage finden, sind sie schon dankbar. Viele Firmen melden sich nämlich überhaupt nicht. Die Bewerbungsunterlagen verschwinden in einem Bermudadreieck. Manche Bewerbung kommt geknickt und in einem viel zu kleinen Umschlag zurück, der völlig zerknüllt ist. Zuweilen hat man die Präsentationsmappe einbehalten und dafür die Blätter oben links zusammengetackert. Viele Rücksendungen erfolgen ohne Begründung und einige auch ohne Anschreiben. So viel Zeit nimmt man sich heute eben nicht mehr. Dafür entdeckt der betrübte Abgewiesene auf seinem eigenen Anschreiben den Rand einer Kaffeetasse. Offenbar ist der Fall intensiv geprüft worden ... Nein, das ist nun nicht erfunden, leider. Dann, liebe Personalbetreuer, packt den Vorgang doch lieber auf »Wiedervorlage«. Man muss die Dinge ja nicht überstürzen ...
Blauer Dunst auf grünem Rasen: Warum Fußballer rauchen sollten Die greisen Funktionäre des Weltfußballs denken immer wieder darüber nach, die Regeln zu verbessern, um diesen Sport noch attraktiver zu machen. Mal sollen die Tore vergrößert werden, weil die Menschen heutzutage ja auch viel größer sind als noch vor hundert Jahren, als die Ausmaße des Tores festgelegt wurden — was zur Folge hat, dass ein Torwart mit eins achtzig allenfalls als »Erdnuckel« gilt und von den Sportmoderatoren des Fernsehens regelrecht bewundert wird, wenn er als Bonsai-Keeper mal einen »Unhaltbaren« hält. Mal werden neue Freistoßvarianten ins Gespräch gebracht, um Mannschaften zu bestrafen, die den Spielablauf verzögern. Mal wird über Profi-Schiedsrichter nachgedacht. Gerade so, als würden die besser sehen und entscheiden können als die Kartenverteiler, die ihr Geld eigentlich bei Banken, Versicherungen oder als Autohändler verdienen. Völlig ratlos macht mich die Tatsache, dass der DFB noch nicht auf meinen schriftlich eingereichten Vorschlag reagiert hat, das Abseits abzuschaffen. Seitdem in Amerika über eine fest markierte Abseitslinie diskutiert wurde, haben auch deutsche Fußballexperten, Spieler wie Trainer, das Thema erörtert. Man würde doch damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Erstens fielen viel mehr Tore – und zweitens viel weniger Spieler aus der Rolle, weil ein sehschwacher Linienrichter zu Unrecht die Fahne hebt. Nun weiß ich nicht, ob jemand bereit ist, sich mit einem weiteren Vorschlag von mir auseinander zu setzen. Es geht mir darum, dass ich für eine Rauchpause bei Bundesligaspielen plädiere. Diese Pause muss her, nachdem bekannt geworden
ist, dass viele Kicker passionierte Raucher sind. Manchmal fragt man sich ja, warum zum Beispiel Bayerns Torhüter Oliver Kahn im Spiel so unsagbar ausrastet. Ganz einfach: Ihm fehlt die Zigarette! Er ist bekennender Raucher. Wie Lothar – bye, bye – Matthäus. Oder Mario Basler. Oder Michael Preetz. Oder Andreas Thom. Die »Bild«-Zeitung hat eine komplette Raucher-Mannschaft mit namhaften Profis zusammengestellt und einen Trainer gleich dazu. Das Drogen-Team wäre eine echte Alternative für die Truppe um DFB-Teamchef Rudi Völler. Ganz konkret könnte ich mir das im Bundesliga-Alltag so vorstellen: Hinter jedem Tor befindet sich ein kleines, überdachtes Raucherkabinett (es könnte ja auch mal regnen). Jeder Spieler kann einmal pro Halbzeit eine Auszeit nehmen, um dort bei einer Zigarette mal wieder aufzutanken. Torhüter genießen allerdings einen Sonderbonus: Sie dürfen im eigenen Strafraum rauchen, wenn sich die Mehrzahl der eigenen Spieler im gegnerischen Strafraum befindet. Bei einem überraschenden Gegenangriff ist der Keeper verpflichtet, seine Zigarettenpause zu unterbrechen. Damit er seine Zigarette nicht im Rasen ausdrücken muss, befindet sich an jedem Pfosten ein Aschenbecher. Die konsequenteste Variante wäre allerdings diese: Während der Werbepause des Fernsehens wird das Spiel automatisch unterbrochen – und jeder Spieler kann machen, was er will. Nicht nur rauchen, sondern zum Beispiel auch mit dem Handy telefonieren. Dabei könnten auch die fröhlichen Zecher unter den Spielern zu ihrem Recht kommen und die beiden für sie installierten Biertresen an den Seitenlinien frequentieren. Es gibt so viele Möglichkeiten, die Faszination des Fußballs zu erhöhen. Visionen braucht das Land. Aber wenn beim DFB keiner darauf reagiert, nutzt das auch nichts. Dann macht mal so weiter!
Weil wir doch gerade bei den Rauchern sind! Eine ShoppingPassage im Rheinland hat mit Handzetteln geworben, auf denen zu lesen war: »Besuchen Sie auch unsere neue RaucherLunge in der 2. Etage.« Gemeint war natürlich: RaucherLounge. Freud lässt grüßen! Schon komisch, dass nur ein fehlender Buchstabe den Sinn eines Wortes derart verändert. Raucher-Lounge und Raucher-Lunge – im Grunde j a doch in beklemmender Weise ein Wortpaar ...
Zum 50. Geburtstag eine Flasche Doppelherz Wenn man die 50 überschritten hat, wird man bald feststellen: Nichts ist mehr wie vorher. Die 50 zwingt grün raus und grau rein. Plötzlich gehört man zu einer ganz anderen Gesellschaftsgruppe. Wo immer man sich blicken lässt – stets hat man den Eindruck, dass alle Bescheid wissen und denken: Guck mal, da ist auch so einer, der die Zukunft schon hinter sich hat. 50 ist bähhh. Voller Neid schaut man auf die 60-Jährigen – die haben es geschafft! Mag sein, dass diese melancholisch-pessimistische Sicht der Dinge so nach und nach von einer vehementen positiven Denkweise abgelöst wird. Sollte mich freuen. Hier ein paar Eindrücke aus letzter Zeit: Im Urlaub beim Arzt! Leichte Bronchitis. Hab schon schlimmer gehustet! Der Herr Doktor – ein netter Mann, bei dem man gerne krank ist – macht ein nachdenkliches Gesicht. Dann sagt er: »Tja, Herr Philipp, also, es ist so: Sie haben ja bestimmt von dieser Ausstellung gehört, die gerade in Berlin zu sehen ist, Körperwelten ...« »Ja«, sage ich, »natürlich. Da geh ich aber nicht hin. Ist mir zu gruselig. Ich habe ja als Kind schon geweint, wenn in der Geisterbahn ein Plastikgerippe auftauchte!« Der Arzt mit dem sanften Lächeln: »So meine ich das nicht. Vielleicht haben die für Sie Verwendung – nur ein kleiner Tipp...« Auf einer Party! Zwei Frauen unterhalten sich. Sagt die eine: »Mit fünfzig denken die Männer häufiger an Mittagsschlaf als an Beischlaf.« Die andere: »Wem sagst du das?« Ich zu Susi Super: »Schweig!«
Mein Geburtstag vor wenigen Tagen! Alle wünschen mir »vor allem Gesundheit«. Kein Mensch wünscht mir einen Lotto-Gewinn oder eine 30 Jahre jüngere Geliebte. Ein Freund (Freund?) schenkt mir aus dem Hause »Doppelherz« ein »Vital Tonikum N«, alkohol- und zuckerfrei. Zur Stärkung aller Funktionen von Herz und Kreislauf, Erhaltung der Spannkraft. Auch für Diabetiker. Ich glaube, ich brauche neue Freunde! Am Kiosk! »Hier«, sagt der Inhaber, »es gibt eine neue Illustrierte für Leute in unserem Alter.« Die Zeitschrift heißt »Lenz – für die besten Jahre«. Beste Jahre? Sehr komisch! Aufmacher: Alles über den gesunden Schlaf. Lifestyle-Thema: »Kochspaß für eine Person – Huhn nach südländischer Art«. Service-Thema: »Rente – Das dürfen Sie dazuverdienen«. Ganzseitige Farbanzeige: »Lifta, der Treppenlift – die stufenlose Alternative«. Im Briefkasten! Immer mehr Offerten von Versicherungen für Männer »in der zweiten Lebenshälfte«. Prima Sache: »Sofort Rente beziehen, später alt werden.« Klingt sympathisch. Einstiegsalter zwischen 25 und 55 Jahre! Bin ich gerade noch dabei. Apropos: Auch eine SterbegeldVersicherung ist auf mich aufmerksam geworden. Wie schön: Ich kann heute schon dafür sorgen, dass mir die Hinterbliebenen auch eine feine Bestattung ausrichten können. Ein reizvoller Gedanke – in meinem Alter. Auf dem Markt, Gemüsestand! Die Verkäuferin zu meinem Sohn Max (zehn Jahre alt): »Hier, mein Junge, haste 'ne Banane, und damit Opa nicht traurig ist, auch noch eine für ihn.« Das Leben kann sensationell sein, wenn man über 50 ist. Man muss nur daran glauben. Das Alter ist ja ohnehin immer eine Glaubenssache.
Vor mir braucht man eigentlich keine Angst zu haben Seitdem aus meinem kleinen Postamt eine McPaper-Filiale mit Postdienst geworden ist, geht es dort wesentlich freundlicher zu als zuvor. Eine Angestellte hat mir kürzlich sogar »noch einen schönen Tag« gewünscht. Sekunden später rutschte ich auf der vereisten Straße aus und landete direkt neben einem Hundehaufen. Schöner Tag. Aber dafür konnte ja die freundliche Dame hinter dem Schalter nichts. Am vergangenen Donnerstag war ich wieder dort, um Briefmarken zu kaufen. An dem einen Schalter hielt ein Mann den Betrieb auf, weil er etwas erledigen wollte, wozu er einen Personalausweis vorlegen sollte. Der Ausweis war aber abgelaufen, und der Mann sagte, er sei Polizist, ob denn nicht auch sein Dienstausweis reichen würde. Aber die junge Frau bedauerte mit dem Hinweis, sie dürfe grundsätzlich keine Ausnahme machen, auch bei einem Polizisten nicht. Na ja, das zog sich hin. Der andere Schalter wurde von einer alten Dame mit Nerzjäckchen blockiert. Sie wollte offenbar eine höhere Summe von ihrem Sparbuch abheben, fand aber ihre Karte nicht auf Anhieb und packte erst einmal den Inhalt ihrer Tasche aus. Schließlich war die Karte da – und die Angestellte fragte: »Soll ich Ihnen das Geld hier auszahlen oder möchten Sie, dass wir das in unseren hinteren Räumen erledigen?« Da schaute sich die Dame um. Sah zuerst den Polizisten (in Zivil), dann mich an. Verzog das Gesicht und sagte: »Lieber hinten, man weiß ja nie, was sich hier so für Leute rumtreiben.« Nun weiß ich nicht, vor wem die Frau mehr Angst hatte – vor
dem Polizeibeamten oder vor mir. Der andere wirkte, zugegeben, ausgesprochen vertrauenswürdig. Und ich sehe eigentlich immer so aus wie auf einem Fahndungsfoto. Aber im Gegensatz zu dem Polizisten hatte ich wenigstens einen gültigen Personalausweis bei mir!
Schöne Ferien und scharfe Frauen: Die Gedanken sind frei Zuweilen nehmen Frauen ihren Männern den letzten Spaß. Ich zum Beispiel habe früher immer sehr gern das Geschirr mit der Hand abgewaschen. Am Morgen nach Feierlichkeiten machte es mir besonders viel Freude, als Erster in der Küche zu sein und nach und nach den ganzen Geschirr- und Gläserberg abzutragen. Wenn Susi Super dann zwei Stunden später schlaftrunken in die Küche getapert kam, war ihr Ehe-Dynamo schon voll im Einsatz und erntete ein entsprechendes Lob. Dies allerdings sind Erlebnisse von gestern. Längst hat Susi Super einen Geschirrspüler angeschafft, weil einfach alle einen haben und sie von Freunden und Verwandten immer mitleidsvoll angeguckt und gefragt wurde: »Was, ihr habt noch keinen?« Der Geschirrspüler macht mir nun überhaupt keinen Spaß. Wenn ich da Teller und Gläser reinstelle, schaut Susi Super immer gleich nach, ob ich das auch richtig mache. Manchmal räumt sie alles wieder komplett aus, weil doch die großen Teller nach unten sollen und Pfannen und Töpfe in der oberen Etage nun mal nichts zu suchen haben. Und vor allem die von Tante Anna geerbten Sektkelche – die sind da völlig fehl am Platze, weil sie sehr schnell beschlagen. Im Gegensatz zu diesen Gläsern bin ich offenbar überhaupt nicht beschlagen, weshalb sich die Frage stellt: Wann endlich werde ich das lernen? Ich fürchte: nie. Es interessiert mich im Grunde auch gar nicht. »Wir können das ja so machen«, schlug Susi Super neulich vor, »dass ich immer den Spüler einräume und du ihn wieder ausräumst.« Aber auf diesen hinterhältigen Vorschlag habe ich mich nicht eingelassen. Ausräumen ist viel blöder als
einräumen, weil man den Inhalt ja auch noch irgendwo verstauen muss. Und ich kenne überhaupt keinen Mann, der mal von seiner Frau mit den Worten gelobt wurde: »Na, du bist ja ein sensationeller Geschirrspüler-Ausräumer! Ich tue mich ohnehin schwer mit all den Haushaltsgeräten: Die Mikrowelle rührt bei uns schon seit Monaten kein Mensch mehr an. Nur Max möchte sie als Zweitwohnsitz für seinen Hamster verwenden. Der Mineralwasser-Zubereiter – noch vor Monaten die angesagte Lebenshilfe – steht ziemlich dumm rum. Und der automatische Eierkocher ist sowieso nur ein Staubfänger. Wenn ich mich im Haushalt mal ein bisschen entspannen will, dann greife ich zum Bügeleisen. Jawohl, auch wenn es mir niemand glaubt: Ich bügele gern – ein von Susi Super geschätzter Ausgleich für die mir entgangenen Abwaschfreuden. Bügeln ist sinnlich. Nur wer sich seine Hemden selbst bügelt, fühlt sich darin wohl. Mit dem Bügeleisen in der Hand, da kann man seinen Gedanken freien Lauf lassen: Der nächste Urlaub, das Abendbier mit Freunden, die scharfe Rothaarige an der Supermarktkasse – ähh, ich meine nur, alles, also wirklich alles ist beim Bügeln erlaubt. Wie die Dinge liegen, ist auch dieses kleine, bescheidene Alltagsglück bedroht. Susi Super zeigte mir kürzlich einen Prospekt, auf dessen Titelseite der ZDF-Sportreporter Dieter Kürten verkündet: »Ich trage nur ungebügelte Hemden!« Ich habe das Werbeblättchen mit diesem mir ansonsten durchaus angenehmen Graufuchs mit spitzen Fingern angefasst und darin geblättert. Er verkündet vollmundig, dass die »ExtraglattHemden« jener Firma, für die er wirbt, absolut bügelfrei sind. Und dann sagt er wörtlich: »Erleben auch Sie die bügelfreie Art, sich rundum wohl zu fühlen! Denn die reine, supergekämmte Mako-Baumwolle ist hautsympathisch – und sogar für Allergiker geeignet.«
Dafür verbürgt sich also Dieter Kürten, der Sportfritze vom ZDF. Woher weiß der das denn alles so genau? Weiß er auch, was er mit seinem Feldzug für das bügelfreie Hemd eigentlich anrichtet – in meinem kleinen Leben?
Mit Tyson im Ring: Willkommen in der gehirnfreien Zone Dass ich mal irgendetwas mit dem Boxer Axel Schulz gemeinsam haben würde, hätte ich nie gedacht. Aber es ist so: Auch ich hätte mich geweigert, gegen Mike Tyson in den Ring zu steigen. Nicht mal für eine Million. Was ist denn schon eine Million!? Die Hälfte schnappt sich Rabenvater Staat. Bleiben 500 000. Nach dem Kampf müsste ich bestimmt 50 000 Mark für neue Zähne ausgeben. Für den neuen Unterkiefer samt Operation ca. noch einmal die gleiche Summe. Rest: 400 000 Mark. Nasen sind heutzutage auch nicht gerade preiswert. 20 000 sind dafür einzukalkulieren. Außerdem würde »Iron Mike« mein Ohrenpaar anknabbern, und so schöne neue Lauscher (elegant anliegend) kosten gut und gerne 40 000 Mark. Gebrochene Rippen wachsen zwar von selbst wieder zusammen, aber es dauert eine ganze Weile, bis man sich schmerzfrei bewegen und seinem Beruf nachgehen kann. Ob mein Arbeitgeber meine Irrsinnstat mit monatelanger Gehaltsfortzahlung in voller Höhe belohnen würde? Was ist mit den Versicherungen? Keinen Pfennig würde ich bekommen. Versicherungen sind Institutionen, die einem immer nur versichern, dass sie im Schadensfall zahlen. Deshalb heißen sie ja auch Versicherungen und nicht etwa Bezahlungen. Natürlich müsste ich irgendwie an ein neues Gehirn kommen. Wenn Mike den Kopf des Gegners trifft, geht in aller Regel viel Gehirnsubstanz verloren. Ich vermute, mein Kopf wäre schon nach dem ersten Volltreffer eine gehirnfreie Zone. Und wenn ich dann einen weiteren Schlag an den Kopf bekäme, wäre das ein Schlag ins Leere. Die Kosten für ein halbwegs funktionierendes Durchschnittshirn dürften selbst als
Sonderangebot bei 100 000 Mark liegen. Die Logopädin, die mir das Sprechen wieder beibringen müsste, würde an die 20 000 Mark verlangen können. Verbleiben noch 220 000 Mark. Eine psychiatrisch geschulte Lehrkraft, die mir in einer Langzeittherapie die wesentlichen Dinge der menschlichen Existenz neu vermittelt (Erde – Himmel – Sonne – Bier), ließe sich ihr aufopferungsvolles Tun in zwei Jahren mit rund 80 000 Mark entlohnen. Rest: nur noch 140 000 Mark. Natürlich wäre nach dem Kampf (Kampf?) nichts mehr so wie zuvor. Ich würde den Rest meines Lebens als tumbes Wesen im Fernsehsessel verbringen und meine Lebensfreude ziehen aus »Vera am Mittag« oder den Teletubbies. Könnte ich Susi Super ein solches Leben zumuten? Ich habe sie danach gefragt. »Wo ist der Unterschied zu heute?«, fragte sie zurück. Ein harter Schlag! Ich habe eben einfach keine Nehmerqualitäten. Und Mike? Der sollte sich wohl doch besser an Ernst »Haugust« von Hannover wenden.
Wo ich auftauche, verschwinden die Leute plötzlich Ich habe überhaupt keine Ahnung, warum i Dinge e ge so sind, wie sie sind. Eigentlich müsste es dafür eine Erklärung geben. Aber es gibt sie nicht. Jedenfalls kenne ich sie nicht. Vielleicht sollte ich in diesem Falle einfach von einem Phänomen sprechen. Sachen, die man nicht erklären kann, taugen allemal dazu, so bezeichnet zu werden. Ich nenne es das Philipp-Phänomen. Das klingt, zugegeben, etwas angeberisch. Wer hat schon ein eigenes Phänomen? Aber lesen Sie doch mal ... Ich betrete einen Supermarkt und beobachte, dass von sieben Kassen fünf geöffnet sind. Wenn ich aber nur zehn Minuten später mein Wägelchen gen Ausgang schiebe, sehe ich zu meiner großen Verblüffung, dass nur noch zwei Kassen offen sind. Ein anderes Beispiel: In meiner kleinen putzigen Charlottenburger Postfiliale gab es früher fünf Schalter, von denen allerdings meistens nur drei besetzt waren. Inzwischen hat man den Laden knallbunt renoviert und noch viel, viel kundenfreundlicher gestaltet. Es gibt jetzt nur noch drei Schalter, dafür aber auch Diskretionslinien am Boden. Wenn von diesen drei Schaltern zwei besetzt sind, nennt man es Voll-Service oder auch Verwöhn-Dienst. Es gilt dabei das Prinzip, wonach das verminderte Angebot die Dankbarkeit des Kunden steigert. Als ich mit meinem Großkuvert für Onkel Franz aus Pasewalk vorstellig werde, entfernt sich die eine von zwei Mitarbeiterinnen spontan in den hinteren Dienstbereich und ruft der einzigen noch aktiven Kollegin zu: »Heute in einer
Woche bin ich schon auf Mallorca!« »Ja«, sagt die Fleißige, »du hast es gut, muss ich wohl hier allein die Stellung halten.« Dann erklärt sie der alten Dame vor mir, dass sie ohne Servicekarte und Personalausweis keine müde Mark von ihrem Konto abheben kann – und schickt sie wieder nach Hause. Die Seniorin ist verzweifelt und meint: »Da spart man nun was von seiner Rente – und was habe ich jetzt davon? Nichts habe ich davon!« Jetzt bin ich dran. Oder besser: Jetzt wäre ich dran. Denn die Schalter-Fee erweist sich als Katastro-Fee und sagt: »Kleinen Augenblick, bitte. Ich bin gleich wieder da.« Das ist mein Problem: Überall, wo ich auftauche, verschwinden die Menschen. Sie hauen einfach ab, machen sich dünne. Genau das ist – das Philipp-Phänomen. Ich erlebe es am Obststand auf dem Markt: »Meister, du warten bitte«, sagt Ahmed und holt sich von der Imbissbude nebenan erst mal einen Kaffee. Meister aber keine Lust haben auf warten. Meister gleich weg (und »Meister« kann er sowieso nicht ab ). Ich erlebe es überall: Wenn man jemanden braucht, ist keiner da. Man könnte Minderwertigkeitskomplexe bekommen. Vielleicht gehe ich mal zu einem Psychiater und sage ihm: »Keiner nimmt mich richtig wahr, Herr Doktor.« Dann sagt der bestimmt spontan: »Der Nächste, bitte!« Die Einzigen, auf die man sich immer verlassen kann, sind unsere aus gutem Grund allseits geschätzten Politessen. Die zeigen Einsatz – und nehmen selbst mich wahr! Warum arbeiten diese grundguten Frauen eigentlich nicht im Supermarkt, bei der Post oder auf dem Wochenmarkt? Solche Frauen braucht das Land! Dann wäre auch das Philipp-Phänomen kein Thema mehr.
Zoff per Katalog oder: Frauen mögen ihre Vorgängerin nicht! In diesen Tagen liegen in mehreren tausend Briefkästen in Deutschland die FrühjahrSommer-Kataloge des Versandhauses Heine aus Karlsruhe. Der Werbeslogan dieses Unternehmens lautet: »Immer etwas Besonderes«. Bei unseren Freunden Rüdiger und Bruni sorgt dieser Katalog zweimal im Jahr für einen Riesenzoff. Zum besseren Verständnis sei darauf hingewiesen, dass Rüdiger die Segnung der Ehe schon einmal erfahren hat. Bevor er Bruni heiratete, war er mit seiner Jugendliebe Karin verheiratet, die ihre Kleidung vorwiegend bei Heine bestellte. Noch heute – mehr als zehn Jahre nach der Scheidung – schickt das Versandhaus die Kataloge hartnäckig an Karin, allerdings an die Adresse von Bruni und Rüdiger. Das findet Bruni überhaupt nicht komisch. Sie – die Sparsame! – hat schon mehrmals telefonisch und schriftlich darum gebeten, die Anschrift entsprechend zu ändern oder ganz aus dem Verteiler gestrichen zu werden, weil sie nicht regelmäßig an ihre Vorgängerin erinnert werden möchte. Aber diesen Wunsch kann die Firma, die so viele Wünsche erfüllt, offenbar nicht umsetzen. »Shopping ist so wunderbar entspannend«, heißt es in einem Anschreiben auf Seite 2 des Katalogs. Bei Rüdiger und Bruni ist die Lage allerdings eher angespannt. Kaum entdeckt Bruni Karins Namen auf dem Katalog, beschimpft sie ihren Mann – und ein Wort ergibt das nächste, Türen knallen. Bei Bruni fließen die Tränen, bei Rüdiger fließt das Bier in seiner Stammkneipe. Jetzt überlegt Rüdiger, der ja immer auf der Suche nach finanziellen Erwerbsquellen ist, ob er sich nicht einen amerikanischen Anwalt nehmen sollte, der das Versandhaus
auf – sagen wir mal –100 Millionen Mark wegen moralischer Grausamkeit verklagt. Dann hätte seine gescheiterte Ehe mit Karin schließlich doch noch einen versöhnlichen Abschluss gefunden. Bruni wäre auch ganz bestimmt nicht mehr auf Karin sauer – und wir müssten unsere knauserigen Freunde nicht immer mit durchfüttern. Die häufigen Spontanbesuche von Rüdiger & Anhang haben uns allein im vergangenen Jahr grob geschätzt 1000 Mark gekostet (Wein, Bier, Pizza-Lieferservice etc.). Ich wette, dass mir das Finanzamt diese Sonderausgaben aus mildtätigen Zwecken mal wieder nicht anerkennen wird.
Nicht jeder mag es, wenn er alle fünf Minuten per Handy kontrolliert wird Als die ersten Leute mit Handy auf der Straße herumliefen, fand ich das ausgesprochen blöd, affig, wichtigtuerisch. Ich gehörte zu denen, die sich über das Heer der immer Erreichbaren lustig machte. Weniger lustig fand ich es, als mal bei einer Beisetzung das Handy eines Trauergastes bimmelte. Der Verstorbene war bekannt für seinen Humor – und sicher hätte er zu Lebzeiten über diese peinliche Situation gelacht ... Inzwischen habe ich auch ein Handy. Ich habe es immer bei mir wie meine Brille. Wenn ich mal meine Brille verlegt habe, gerate ich schnell in Panik. Das Problem von Leuten, die ihre Brille verlegt haben, besteht ja darin, dass sie sie ohne Brille nur schwer finden. Beim verbummelten Handy in der Wohnung ist das kein Problem mehr. Man wählt über das Festnetz seine eigene Handy-Nummer und versucht dann, das akustische Signal zu orten. »Ich finde es ja schön«, sagte Susi Super kürzlich zu mir, »dass dir dein Handy so viel Freude macht. Aber ich meine, du übertreibst es ein bisschen mit der Telefoniererei ...« »Was soll das denn heißen?«, fragte ich. Susi: »Gut, ich will es dir erklären. Vorige Woche bist du nach Köln geflogen. Früh um acht hast du dich von uns verabschiedet und gesagt, dass du jetzt gleich mit dem Auto zum Flughafen fährst. Fünf Minuten später hast du über Handy angerufen und mitgeteilt, dass du jetzt im Auto sitzt und nach Tegel fährst ...« »Ich dachte, du freust dich«, sagte ich. Susi Super: »Ja, natürlich. Aber wenn der Briefträger seine Familie verlässt, dann ruft er doch auch nicht gleich zu Hause
an und sagt, dass er jetzt Briefe austrägt ... Und eine Viertelstunde später hast du dich aus dem Flughafen-Parkhaus gemeldet und mir gesagt, dass der Empfang ganz schlecht ist und du mich überhaupt nicht verstehen kannst ...« »Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt ...« »Ist ja richtig«, meinte Susi, »aber zehn Minuten später hast du dich wieder gemeldet, diesmal aus dem Abfertigungsbereich. Und nur, um mir zu sagen, dass beim Einchecken vor dir ein Mann stand, der der Bruder des Oliven-Verkäufers hätte sein können, den wir vor drei Jahren auf Lanzarote kennen gelernt hatten ... Du glaubst doch nicht im Ernst, dass mich das interessiert?! Dann hast du gesagt, dass du das Handy jetzt ausschaltest, und als ich richtig erleichtert war, hast du dich sofort wieder gemeldet und gefragt, was unser Sohn macht. Ich erzählte dir, dass Max in der Schule ist, weil er in dieser Zeit immer in der Schule ist und es überhaupt keinen Grund dafür gibt, warum er ausgerechnet an dem Tag, an dem du nach Köln fliegst, früher aus der Schule kommen sollte ...« Ja, Frauen sind schwierig. Ich habe mich gleich nach der Landung in Köln gemeldet, dann aus dem Taxi, das mich zum Hotel brachte, und schließlich, als ich dort angekommen war. Da allerdings reagierte diese doch ansonsten so grundgute Frau ausgesprochen unwirsch. »Das ist ja der blanke Terror«, sagte sie, »du bist jetzt keine drei Stunden von zu Hause weg, und pausenlos bombardierst du uns mit Anrufen. Du musst dich doch nun wirklich nicht von jeder Straßenecke melden, um mitzuteilen, dass es dich noch gibt. Ruf doch zur Abwechslung mal deine Schwestern an oder die Erbtante. Sie hat unseren Notartermin immer noch nicht bestätigt. Hoffentlich hat sie es sich nicht anders überlegt – die Sache mit dem Haus ...« Habe weder Schwestern noch Erbtante erreicht. Und das dann gleich Susi Super berichtet. Ich glaube, sie knurrte ein wenig.
Und als ich mich dann um Mitternacht noch einmal aus einer Kneipe in der Kölner Altstadt meldete, um ihr zu sagen, dass mir auch das zehnte Glas Kölsch nicht schmeckt – na ja, da können Sie sich. ihre Reaktion ja vorstellen.
Einfach köstlich — die schnelle Nummer beim Chinesen Man kann ja wirklich viel erleben, so als Gast in Restaurants. In Zeitungsberichten und Fernsehbeiträgen wird zum Beispiel die aufstrebende Gastronomie in Brandenburg gepriesen. Da kann es aber passieren, dass es schon mal keine Salzkartoffeln gibt. »Tut mir Leid«, sagte eine Serviererin in der Prignitz, »in der Küche hat man vergessen, Kartoffeln zu schälen, aber Pommes können Sie haben.« Seezunge – mit Pommes? Ich erinnerte mich an ein gastronomisches Erlebnis vor der Wende in Ost-Berlin. Ein dort lebender Bekannter und Kollege war sehr stolz, dass es ihm gelungen war, im »TschaikowskiEck« für sich und seinen West-Besuch einen Tisch zu reservieren. Es gab Schnitzel, aber keine Kartoffeln. »Sind keine geliefert worden«, sagte der Wirt. »Sie können aber statt Kartoffeln Kartoffelchips haben.« Wollte ich aber nicht. Schnitzel mit Kartoffelchips sind nicht mein Fall. Seitdem weiß ich, dass ich ein Feinschmecker bin ... Bin ich natürlich nicht. Ich unterscheide nur zwischen »viel« und »wenig«, zwischen »kalt« und »warm«. Wenn ich da an so manche Kollegen denke! Die können nicht nur wunderbar schreiben, sondern auch genießen und die kleinen Sensationen auf dem Teller beschreiben. Bewundern Möhrchen, sind enthusiasmiert beim Genuss von marinierter Rinderlende mit Trüffelvinaigrette und Roquettesalat. Das sind Genießer. Sie stehen für Champagner, ich für Herva mit Mosel. Wenn ich zum Beispiel zum Chinesen gehe, bestelle ich immer – noch bevor der Kellner die Karte bringt – die »Nummer 104«. Hühnerbrust mit Glasnudeln und chinesischen Pilzen. Zack-zack. Das ist schnell geordert und wird schnell serviert.
Beim Chinesen habe ich ohnehin keine Lust, lange zu verweilen. Wenn der Kellner Teller und Warmhalteplatte abräumt und gleich einen Pflaumenwein »vom Haus« hinstellt, ist der Aufbruch eingeleitet. Ich bin schon mal beim Griechen, beim Jugoslawen und beim Italiener versackt. Bei einem Chinesen noch nie. Vielleicht liegt das an den vielen Löwenköpfen, die einen überall anschauen und bedrohen. Ich will da immer gleich weg. Chinesische Restaurants sind die Schnellreinigung der Gastronomie. Trotzdem: die »104« schmeckt einfach wunderbar. Aber ich bin ja vielleicht doch kein richtiger Feinschmecker.
Hippies mit 60 sehen auch auf Ibiza ganz schön alt aus Nein, wie Blumenkinder sehen sie nun wirklich nicht mehr aus – jene Hippies, die vor gut 30 Jahren aus dem bürgerlichen Leben ausgestiegen sind und sich nach Ibiza aufmachten, um dort das süße Leben und die freie Liebe zu genießen. Einige von ihnen sind bis heute geblieben und lassen sich jeden Mittwoch auf dem so genannten »Hippie-Markt« in Es Cana bestaunen. Der Markt, der Tausende Touristen anlockt, bietet alles, was man – ist man im Vollbesitz schlechten Geschmacks – so braucht. Unzählige Stände mit Pokemon-T-Shirts lassen Eltern verzweifeln, Souvenir-Jäger jagen zu Höchstpreisen – und die ganze Menschheit scheint nach Ledergürteln und -jacken Ausschau zu halten. Aber die »Hippies«, die lebenden Legenden – die haben den Blues. Sie sind inzwischen im Rentenalter und haben natürlich auch so ihre Problemehen. Peter aus Bielefeld zum Beispiel ist ein in Ehren ergrauter Sozialarbeiter und hat schon zwei Herzinfarkte hinter. sich. »Ein stressfreies Leben«, sagt er, »schützt eben auch nicht vor Verschleiß.« Peter ist sehr stolz darauf, seit Jahren keine Zeitung mehr gelesen zu haben. Und nie käme er darauf, sich einen Fernseher anzuschaffen. Die »Sache da mit der Wende bei euch«, erinnert er sich, »hat man mir erzählt. Aber geglaubt habe ich das nicht.« Später, als die ersten Sachsen an seinem Schmuckstand auftauchten, hat er die »Sache« ernst genommen. Als damals alle Welt im Hare-Krishna-Fieber lag, ist Peter, der ein bisschen wirkt wie ein von der Sonne gegerbter Wildecker Herzbub, mit seiner Freundin Julia nach Ibiza
gegangen. Julia sieht etwa aus wie Christian Anders, nur anders. Wirkt leicht verhärmt und erzählt, dass ihr gemeinsamer Sohn Rainer (benannt nach dem Ex-Kommunarden Rainer Langhans) vom Hippie-Leben auf Ibiza und vom ewigen Warten auf den nächsten Mittwoch die Nase voll hatte und zu seiner Oma nach Gütersloh gezogen ist. Er will Informatiker werden und finanziert sich sein Studium mit Kneipenjobs. Später will er mal heiraten, ein Häuschen bauen und zwei Kinder in die Welt setzen. Ein ganz bürgerliches Leben führen. Im Schützenverein ist er auch schon – das kann in deutschen Landen ja nie schaden ... Papa Peter nachdenklich: »Manchmal überlegen wir uns, was wir hei Rainers Erziehung falsch gemacht haben ...« Julia zündet eine neue Räucherkerze an und meint: »Wir haben doch nichts falsch gemacht, nur weil unser Sohn heiraten will. Ich würde inzwischen auch gerne heiraten ...« Peter aber nicht. Er sagt, fast erheitert: »Doch nicht in unserem Alter ...« Anfang 60 ist er jetzt. Hippies auf Ibiza!
Ein höflicher Mensch grüßt Herrn von Lojewski, auch im Fernsehen Seien wir doch mal ehrlich: Sind es nicht die vielen kleinen Marotten, die uns Männer den Frauen so liebenswert machen? Ich allerdings habe eine Angewohnheit, die Susi Super nicht ausstehen kann. Immer wenn wir zusammen die »Tagesthemen« oder das »heutejournal« sehen und der Moderator sagt: »Guten Abend, meine Damen und Herren!« – dann reagiere ich spontan und erwidere den Gruß, sage zum Beispiel: »Guten Abend, Frau Will«, oder »Guten Abend, Herr von Lojewski«, »Das ist eine Vorstufe von Schwachsinn!«, meinte Susi Super kürzlich. »Kein normaler Mensch spricht mit seinem Fernseher!« »Ich bin eben ein höflicher Mensch«, sagte ich, »wenn mich Leute freundlich grüßen, erwidere ich den Gruß.« Wenige Sekunden vor Beginn der Nachrichten herrscht in unserem Wohnzimmer stets ein angespanntes Klima. Susi Super wartet förmlich darauf, dass ich zu Frau Will oder Herrn von Lojewski »Guten Abend« sage. Vor wenigen Tagen habe ich sie auflaufen lassen. Als der Nachrichtensprecher die »Damen und Herren« begrüßte, presste ich die Lippen zusammen und schwieg, was mir, zugegeben, schwer fiel. Susi Super schaute mich entgeistert an und fragte: »Was ist denn mit dir los? Bist du krank?« »Warum sollte ich krank sein?«, fragte ich. »Mir geht es blendend.« »Du hast nicht >Guten Abend< gesagt. Das macht man doch nicht. Oder willst du mich ärgern?« »Ich will dich keineswegs ärgern, aber du findest es doch bescheuert, Leute auf der Mattscheibe zu grüßen. Jetzt habe ich
das eingesehen und unterlasse den Unsinn, aber das gefällt dir auch wieder nicht.« Susi Super war sehr ungehalten und meinte: »Wenn du Streit suchst, dann sag es doch.« Und legte gleich noch eins nach: »Es wird höchste Zeit, dass wir mal grundsätzlich über ein paar Dinge sprechen ...« Ich wusste schon, was sie meint: Man geht nicht mit Straßenschuhen ins Schlafzimmer. Bei manchen Leuten ist es ja üblich, vorm Betreten einer Wohnung die Schuhe auszuziehen. Daran kann und will ich mich nicht gewöhnen, auch wenn das in anderen Kulturkreisen durchaus Tradition hat. So ist das nun mal in einer Ehe – jeder neigt dem anderen gegenüber zu kritischer Sicht. Ich zum Beispiel ärgere mich darüber, dass Susi Super jede Tasse, die ich in der Küche abstelle, sofort und demonstrativ in den Geschirrspüler einräumt. Als wollte sie sagen: »Das könntest du auch selber machen.« Ich denke, dass es viel sinnvoller ist abzuwarten, bis sich in der Küche 24 Tassen, 83 Gläser, 15 Teller und zwei Drittel sämtlicher Löffel, Messer und Gabeln angesammelt haben. Gut, man muss ja nicht in allen Dingen total übereinstimmen. Es reicht völlig aus, wenn Susi Super Urlaub in Bolivien machen will und ich lieber nach Lappland fahren möchte.
Die traurige Geschichte von den Senfgläsern, die ich in die Ehe mitgebracht habe ... Sie hat es getan. Einfach so. Dabei hatten wir oft genug darüber gesprochen. Die Positionen – dachte ich jedenfalls – wären klar. Aber ich habe mich geirrt. Mal wieder. Die Gedankengänge von Frauen sind zuweilen schwer nachvollziehbar. Ich muss dabei an den Witz mit dem Flaschengeist denken. Der sagt zu einem Mann, er habe einen Wunsch frei. Der Mann wünscht sich eine Autobahn von Berlin nach New York. »Den Wunsch kann ich dir leider nicht erfüllen«, bedauert der Flaschengeist, »das schaff ich nicht, wünsch dir was anderes.« »Gut«, sagt der Mann, »dann erklär mir die Frauen.« Darauf der Flaschengeist spontan: »Okay, die Autobahn – willst du sie vier- oder sechsspurig ...?« Sie hat es also getan. Susi Super hat meine Sammlung von Senfgläsern, die ich mit in die Ehe gebracht hatte, entsorgt. Ohne Vorwarnung. Ach, meine Senfgläser! Was hab ich sie geliebt. Sie kennen ja alle diese sympathisch-knubbeligen und so ungemein gut in der Hand liegenden Nutzgläser. Wenn der Inhalt aufgebraucht ist, macht man die Banderole ab, steckt das Glas in den Geschirrspüler, und nach einer Stunde hat die Gläserfamilie wieder Zuwachs bekommen. Und ich bin stolz, der Wegwerfgesellschaft mal wieder getrotzt zu haben. Die Senfgläser der Firma – na, Sie wissen schon – sind längst kultverdächtige Sammelobjekte geworden. Man findet sie in Wohngemeinschaften ebenso wie in bürgerlich geführten Haushalten. Den Laubenpiepern dienen sie als Sektkelche. In kleineren Pensionen stehen sie – landauf, landab – auf der Konsole im
Badezimmer. Man soll dort seine Zahnbürste reinstecken. Das mache ich nie. Senfgläser in Pensionen sind eklig. Allein die Vorstellung, dass dort mal ein Gleichaltriger über Nacht sein Gebiss deponiert hat, lässt mir mein volles Haupthaar zu Berge stehen. Meine Senfgläser! 15 Stück waren es. Time to say goodbye. Susi Super hat gemeint, ich solle mich doch nicht so haben. »In jedem Supermarkt kann man sie dutzendweise kaufen«, sagte sie und fügte hinzu: »Wenn ich gewusst hätte, welch sinnliche Beziehung du zu so ollen Gläsern hast, hätte ich sie dir auf den Nachttisch gestellt ...« Dann meinte sie noch: »Ich habe übrigens drei Gläser aufgehoben!« »Wirklich?«, fragte ich. »Ja«, sagte sie, »die hat Max mit in die Schule genommen, für den Malunterricht ...« Na ja. Was soll man da machen? Susi Super hat übrigens neue Gläser »für alle Tage« gekauft. In einem der 99-PfennigLäden. Da kauft sie gern, weil man ungeheuer viel Geld sparen kann. Sie hat da schon ein Vermögen gelassen. Unglaublich, was wir dabei alles so im Laufe der Jahre gespart haben ... Unsere neue Gläserkollektion für den Alltag ist blau. Was soll man davon halten, wenn sogar schon die Gläser blau sind...? Ich mag sie nicht. Ich habe mir jetzt im Supermarkt zehn Gläser Senf gekauft. In den kommenden Wochen wird es bei uns zu Hause nur Würstchen geben. Max und Susi Super maulen schon. Und Rüdiger, der während der Fußballsaison mal wieder Dauergast bei uns ist, weist auf seine angebliche Senfallergie hin und bittet um Scampi mit Spargel. So werde ich selbst – zu einem armen Würstchen, glasklar ... Wie ein armes Würstchen fühlte ich mich kürzlich in einem Feinkostladen. Ich hatte dort Spargel gekauft und wollte am Wurststand gekochten Schinken ordern. Vor mir eine Frau, die sich bei ihrem Einkauf Zeit ließ. Als ich dran war, fragte mich die Verkäuferin, ob ich denn nur was vom Wurststand haben
wollte. »Ja«, sagte ich. Darauf sie: »Dann müssen Sie sich beim Käse anstellen.« »Warum«, wollte ich wissen, »muss ich mich am Käsestand anstellen, um gekochten Schinken zu kaufen?« »Wir bedienen immer von hinten weg«, erfuhr ich. Dabei kaufe ich meine Wurst doch schon seit ewigen Zeiten am Wurststand. Ich fragte eine andere Verkaufsdame. Sie sagte: »Wenn Sie Wurst wollen, müssen Sie sich am Salatbüfett anstellen.« Ach, is eh Wurscht. Bleibt ja doch mein Lieblingsladen.
Lieber Gast, bitte kommen Sie nie wieder! Sind Sie heute auch schon per Videokamera überwacht worden? Ach, bestimmt. Im Kaufhaus, in Parkhäusern, an Tankstellen, natürlich in Banken – wo immer wir uns blicken lassen, werden wir ganz unfreiwillig zu Hauptdarstellern. »Big Brother« ist überall, nicht nur im. Fernsehen. Da hab ich übrigens auch mal reingeschaltet. War mir aber zu langweilig. Stinklangweilig. Und wenn doch was Aufregendes passiert, kann man die spannendsten Szenen am nächsten Tag in der Zeitung sehen. Da hat man doch wenigstens was in der Hand. »Big Brother«! In Amerika werden neuerdings auch Restaurantgäste beim Essen beobachtet. Zum Beispiel in den New Yorker Etablissements »Bouloud« und »Brasserie«. Auf Monitoren in der Küche verfolgt das Personal genau, was sich an Ihrem Tisch tut. Wie Sie Messer und Gabel handhaben. Was Sie auf dem Teller beiseite schieben. Ob Sie Ihren Mund mit der Serviette oder mit der Hand abwischen. Auch die Nummer Ihrer Kreditkarte ist schon erfasst, noch bevor der Kellner sie in Empfang nimmt ... Befürworter dieser Praxis preisen die Vorzüge dieser sonderbaren Überwachung: Der Koch in der Küche kann sehr viel besser als der Kellner beobachten, wann der Gast mit der Vorspeise fertig ist und der Hauptgang vorbereitet werden soll. Die Kamera kann auch auf ein leeres Weinglas zoomen. Der Typ am Monitor wird umgehend den Service informieren. Natürlich geht es darum, den Tisch so oft wie möglich zu besetzen. Anders als in Deutschland, wo es sich die Gäste nach dem Hauptgang erst einmal richtig gemütlich machen und sich Zeit lassen, ist in Amerika Tempo angesagt. Die Restaurants mit elektronischer Tischüberwachung sollen ihre Umsätze um bis zu 30 Prozent gesteigert haben.
Mal richtig schön essen gehen! Nur Sie und Er. Ganz romantisch in einer stillen Ecke bei einem feinen Wein und exklusiven Speisen. Ganz intim. Vielleicht soll es ein Heiratsantrag werden. Und dann dies: In der Küche dabei – der Monitor-Mann ... In den USA werden inzwischen neue Softwareprogramme eingesetzt, die es ermöglichen, dass Restaurants und Hotels ihre gesammelten Gäste-Informationen untereinander austauschen. Kann sein, dass man in einem neu eröffneten Etablissement einen Tisch reserviert hat, und wenn man es betritt, weiß der Kellner schon: Aha, das ist also dieser Mister Smith, der nur ein mickriges Trinkgeld gibt, jeden Wein reklamiert und den Hauptgang wie ein Banause mit Messer und Gabel mundgerecht zerkleinert, um ihn dann nur mit der Gabel in sich rein zu schieben. Typ: unangenehmer Problemgast ... Das Personal ist längst angewiesen, den am besten so zu behandeln, dass er nie wiederkommt! »Schön, dass Sie heute Abend unser Gast sind, Mr. Smith., heißt es dann scheinheilig bei der Begrüßung. Ich freue mich schon darauf, wenn solche Methoden der individuellen Observierung auch bei uns üblich sind. Wenn ich dann in ein Restaurant komme, werde ich erst einmal in alle Kameras winken und meinem Beobachter ein kleines Präsent mitbringen. Vielleicht ist er ja gnädig und lässt mich mit meinem Gast mal ganz allein. Möglicherweise hat dieses amerikanische Modell aber auch bei uns schon längst gegriffen, ohne dass ich es bemerkt habe. Jedenfalls war ich sehr erstaunt, als ich kürzlich am Gendarmenmarkt. ein Wiener Schnitzel gegessen hatte und der stets hektisch wirkende Oberkellner zu mir sagte: »Wenn Sie in fünf Minuten aufbrechen und den Platz frei machen, können Sie Ihren Fahrschein noch für die Rückfahrt nutzen. Sie müssen bis 17.58 Uhr den Bahnhof Neu-Westend erreicht haben ...«
Mein Fahrschein, der ja zwei Stunden gültig ist, lag auf dem Tisch. Ich schaute nach: Tatsächlich, der Mann hatte Recht! Gleich hab ich bezahlt und bin mit der U-Bahn nach Hause gefahren. Ankunft: 17.56 Uhr. Satte vier Mark für einen neuen Fahrschein gespart! Wir brauchen noch viel mehr aufmerksame Oberkellner – oder ein Überwachungssystem nach amerikanischem Muster. Nie mehr allein. Das ist doch eine schöne Aussicht ...
Radeberger für Onkel Franz und volle Pulle Nostalgie Am vergangenen Sonntag hat uns mal wieder nach langer Zeit mein Onkel Franz aus Pasewalk besucht. Er hat die historische Wende noch immer nicht verkraftet und schwört bei seinem Erich, dass früher in der DDR alles viel besser war. Na gut, die Rente, ja, die ist nicht schlecht. Er hat sein Auskommen mit dem Einkommen, aber trotzdem ... Susi Super nimmt den alten Herrn gern liebevoll auf die Schippe. So sagte sie jetzt zu ihm: »Du hast völlig Recht, Onkel Franz. Früher war alles besser. Wenn wir als Wessis über eure Transitstrecken fuhren – da herrschte doch wenigstens Spannung! Wartet man am Kontrollpunkt fünf Stunden oder nur drei? Wird man an der Grenze gefilzt oder nicht? Muss man die Rückbank hochheben oder die Radkappen abmachen? Da war doch wenigstens noch was los. Und heute? Pah, kein Mensch in Uniform sächselt mehr: Gänsefleisch mal den Kofferraum aufmachen?< Wie langweilig ist das Reisen heute geworden!« Onkel Franz ist nun schon in einem Alter, in dem er das Recht hat, Susis feine Ironie zu überhören. »Genau, mein Kind, du sagst es«, meinte er, »die schöne Zeit, sie kommt nicht wieder!« Irgendwie verstehen sie sich, die beiden. Wenn er uns besucht, besorgt sie für ihn immer Radeberger Pils und Nordhäuser Doppelkorn. Er soll sich ja wohl fühlen. Onkel Franz bringt, wie er zugegeben hat, inzwischen 140 Kilo auf die Waage. Im Vollbesitz seines Übergewichts wuchtete er sich aus dem Sessel hoch – und ein folgenschweres Malheur passierte: Onkel Franz trat auf die Fernbedienung des Fernsehers und zermalmte sie. Kritische Leser werden sich die
Frage stellen, wie es denn bei den Philipps zu Hause aussehen mag, wenn die Fernbedienung auf dem Boden liegt (holen Sie sich ein zehnjähriges Kind ins Haus, dann wundern Sie sich über gar nichts mehr). Als Max die zerbröselte Fernbedienung sah, war er völlig konsterniert. »Wie soll ich denn jetzt fernsehen?«, fragte er. »Junge«, sagte ich, »als ich so alt war wie du, gab es noch gar keine Fernbedienung.« Max guckte mich an, als wollte er sagen: »Der Alte immer mit seinen blöden Witzen!« Es ist für einen Heranwachsenden heutzutage sicher schwer, sich ein Leben ohne Fernbedienung vorzustellen. Susi Super nahm prompt ihren Sohn in Schutz (machen ja alle Mütter) – und sagte zu mir nicht ohne Vorwurf: »Als du so alt warst wie Max, gab es ja auch nur ein Programm. Dazu brauchte man keine Fernbedienung ...« »Falsch«, erwiderte ich, »wir hatten zwei Programme. Das Erste und das DDR-Fernsehen. Das hab ich als Kind viel lieber als das Westprogramm gesehen. Zum Beispiel den Abenteuerfilm nachmittags um halb zwei. Um den nicht zu verpassen, bin ich nach Schulschluss wie ein Irrer nach Hause gerannt. Dann gab es noch >Willy Schwabes Rumpelkammer< mit den herrlichsten Szenen aus alten Filmen. Und Heinz Quermann – den fand ich toll mit seinen vielen Schlagertalenten. Das waren noch Zeiten...« Darauf Onkel Franz: »Sag ich doch immer, Bernd. War alles besser damals!«
Ich mag es nicht, wenn mein Wohnzimmer zum Kreißsaal wird Am vergangenen Dienstag fragte mich ein Kollege: »Na, hatten Sie ein schönes Osterfest?« Ich biss die Zähne zusammen und sagte nichts. Am liebsten hätte ich ihm eine gescheuert. Ostern war nämlich ein Horrorfest! Es hatte alles damit angefangen, dass mein sparsamer Freund Rüdiger am Karfreitag anrief und sagte: »Große Überraschung! Mein Cousin Fred aus Bielefeld besucht uns über Ostern mit seiner Familie. Ich habe ihm so viel von euch erzählt, dass er euch unbedingt kennen lernen möchte. Passt es, wenn wir am Sonntag mal auf einen Sprung vorbeischauen?« »Nee«, meinte ich zu Rüdiger, »sei mir nicht bös. Ich habe wirklich nichts gegen deinen Cousin und seine sicher ganz reizende Familie, aber lass uns lieber ein Treffen für Weihnachten ausmachen, okay?« Susi Super, die das Gespräch verfolgte, schüttelte mit dem Kopf und zischelte: »Du bist unmöglich!« So gab ich ihr den Hörer, und die Dinge nahmen ihren Lauf. »Natürlich seid ihr herzlich willkommen, ist doch klar«, sagte Susi Super – und ich verließ das Zimmer. Abends rief Rüdiger noch einmal an und sagte mir: »Ihr sollt euch ja keine Umstände machen, aber ich wollte nur darauf hinweisen, dass Gaby keinen Fisch isst. Wogegen Dorle sicher gern Pansen oder Euter hätte.« »Wie bitte?«, fragte ich. »Wer ist Gaby – und was ist das für eine Frau, die Pansen oder Euter isst?« Rüdiger klärte mich auf: »Gaby ist Freds Frau. Sie ist schwanger und steht kurz vor der Niederkunft. Sie will ihr Kind unbedingt in Berlin zur Welt bringen. Und Dorle ist ein
Irischer Wolfshund, eine Seele von Hund – der tut keinem was. Und wenn, dann will er nur spielen.« »Wie beruhigend«, sagte ich, »ich hab ja nicht gewusst, dass wir so exklusive Gäste haben. Wer kommt denn noch alles?« Rüdiger dachte kurz nach und meinte: »Warte mal, also: ich, Bruni, unser Julchen, Fred, Gaby, Dennis, Fabian, Antonia, ja – und Dorle. Das wars schon!« – »Wer sind denn Dennis, Fabian und Antonia?«, wollte ich wissen. »Die Kinder von Fred und Gaby, neun, sieben und vier Jahre alt!« Abends fragte mich Susi Super: »Könntest du vielleicht morgen aus dem Supermarkt zwei Kilo Pansen oder Euter mitbringen? Ich besorg den Rest.« Sie sagte das so beiläufig, als ginge es um Filtertüten oder Suppengrün. »Nein«, meinte ich, »das mach mal schön selber. Ich stelle mich doch nicht am Ostersonnabend am Fleischstand im Supermarkt an und verlange nach Pansen oder Euter – hinter mir vermutlich die versammelte Nachbarschaft! Und das alles nur, weil du zu Ostern einen Irischen Wolfshund zum Essen einladen musstest.« Da war sie ungehalten. Susi Sauer statt Susi Super! Die Gäste hatte sie für 11 Uhr gebeten. Aber sie kamen schon um 9.45 Uhr. Da freut sich jeder Gastgeber! Fred, Rüdigers Cousin, wies gleich darauf hin, dass er noch nicht gefrühstückt hatte (deshalb hatte Rüdiger den Clan ja auch so früh zu uns gejagt). Gaby, die Hochschwangere, wuchtete sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Couch und meinte: »Ich glaube, es sind die Wehen.« Dennis, Fabian und Antonia fragten aufgeregt: »Wo ist denn Max?« Aber der hatte sich versteckt, nachdem er Dorle gesehen hatte, den Irischen Wolfshund – so groß wie ein Esel und schniefend wie ein Walross. Rüdiger schaute sich schon mal die Vorratslage im Kühlschrank an. Da kennt er sich ja bestens aus. Ich zu Gaby: »Es freut uns, dass Sie Ihr Kind unbedingt in Berlin zur Welt bringen wollen, aber muss es
gerade in unserem Wohnzimmer sein?« Fred zeigte Verständnis: »Völlig richtig. Lass uns in die Klinik fahren. Wir dürfen doch die Kinder und den Hund hier lassen?« »Kein Problem«, meinte Susi Super, die ein Faible für Ausnahmesituationen hat, »das kriegen wir schon hin.« Die werdenden Eltern verließen uns. Die anderen blieben. Dienstag früh waren sie noch da! Wogegen das Baby weiter auf sich warten lässt. Das interessiert mich nach all dem Erlebten eigentlich auch nicht mehr. Nur Dorle habe ich ins Herz geschlossen, den Esel. Einer wie ich.
Alles schrumpft: ALDI-Käufer wissen ein LIDL davon zu singen Die Welt von morgen wird bestimmt vom »Bonsai-Effekt«. Diesen Begriff gibt es bislang noch nicht. Er wird hier – ganz exklusiv – ins Medien-Rennen geschickt. Der »Bonsai-Effekt« (kurz BE genannt und nur zufällig an das Berliner Ensemble erinnernd) ist das Ergebnis leerer Kassen und zunehmender Verschuldung. Alles wird in Zukunft kleiner werden. Die Minimalisierung ist angesagt. Billige Dinge sind ja schon lange gut. ALDI-Käufer wissen ein LIDL davon zu singen. Selbst Besserverdienende genieren sich nicht, auf die Mark zu gucken. Und die jährlich stattfindende Party der Albrecht-Brüder in Hamburg, auf der ausschließlich ALDI-Produkte verzehrt und getrunken werden, gilt als Promi-Ereignis. Auch in Berlin ist die Verknappung auf dem Vormarsch. Wir haben schon weniger Bezirke und immer mehr Schulden ... In Brandenburg (Landkreis Uckermark) will man schmalere Straßen bauen, um Geld zu sparen. Die Fahrbahnbreite soll um einen Meter verringert werden. Statt 6,5 Meter ist die Fahrbahn künftig nur noch 5,5 Meter breit. Pro Kilometer spart man angeblich bis zu 100 000 Mark. Wenn sich dieses Modell auch anderswo durchsetzt, wird die Autoindustrie bald auch schmalere Autos bauen. Übrigens: Kinderwagen für Zwillinge sind schon schmaler geworden. Die Kleinen im Doppelpack schlummern jetzt hintereinander, was sich auch vorteilhaft auf die jungen Mütter auswirkt. Lange wird es nicht dauern, dann haben auch die Architekten die Zeichen der Zeit erkannt und konstruieren niedrigere
Wohnungen. Zwei Meter Höhe reichen im Grunde völlig aus. Wer größer ist, muss halt den Kopf einziehen. Mit Hilfe der Genmanipulation lässt sich ja vielleicht auch langfristig die Menschheit verkleinern. Der »Schrumpf-Germane« wird voll trendy. Die Bleibe unserer Ur-Ur-Ur-Enkel wird vermutlich nur noch 1,50 Meter hoch sein. Wer nur drei Zentimeter größer ist, hat gute Chancen, bei den Basketballern von Alba Berlin mitzumischen (Korbhöhe dann: 1,70 Meter). Unsere Politiker haben ja schon lange darauf hingewiesen, dass wir unsere Ansprüche zurückschrauben müssen. Das bezieht sich natürlich nicht auf ihre Diäten. Die Diätenerhöhung ist überhaupt der einzige Punkt, in dem alle Parteien einer Meinung sind. Grundsätzlich gilt das Prinzip der Reduzierung. Die Stiftung Warentest hat festgestellt, dass schon jetzt bei Grammangaben bei der Verpackung gemogelt wird (»Mogel-Packung«). Wer Pech hat, zahlt den Preis für 250 Gramm Fleischsalat, aber bekommt nur 225 Gramm. Da habense den Salat! Immer häufiger werden wir uns auf immer weniger einzustellen haben. Nehmen wir nur die U-Bahn. Kein Fahrscheinverkäufer mehr. Stattdessen vor den Automaten grimmige Menschen, die sich darüber ärgern, dass ihre Münzen durchplumpsen. Von den verzweifelten Ausländern, die die Bedienungsanleitung an den Automaten nicht verstehen, ganz zu schweigen. Kein Personal mehr auf den Bahnhöfen. Geisterzüge ohne Fahrer. Warum protestiert dagegen eigentlich niemand? An den Obstständen kann man auch schon kleinere Tomaten, Bananen und Weintrauben kaufen, die allerdings zum Preis der Maxiversion angeboten werden. Im Bereich der Kommunikation beobachten wir, dass Handys immer kleiner werden. Manche sind nur noch gerade mal so groß wie ein flaches Streichholzheftchen.
Den Trend zum Minimalen beobachte ich auch auf meinem Bankkonto. Der Leiter meiner Bank rief mich kürzlich an und informierte mich, dass man bei der Renovierung der Filiale mein Konto gleich mitgestrichen habe ... Der »Bonsai-Effekt« hat allerdings auch positive Seiten: Wir werden bescheidener. Bei der Wahl am vergangenen Sonntag haben die Vertreter der CDU sich sehr darüber gefreut, dass sie weniger verloren haben, als man vorausgesagt hatte. Und die Grünen waren glücklich, dass sie in den Grafiken mit den Ergebnissen noch extra erwähnt und nicht unter »Sonstige« verbucht wurden.
Hoffentlich habe ich nie sechs Richtige! Die meisten machen es laut Statistik zweimal in der Woche. Einigen ist das zuviel. Einmal reicht, meinen sie. Andere lassen es ganz sein und erinnern sich nur noch daran, wie es früher einmal gewesen ist. Und was es vor allem so gebracht hat (und was nicht). So manchem reicht es völlig, nur darüber zu reden. Susi Super und ich machen es einmal in der Woche. Das muss reichen. Aber wir machen es nicht zusammen, sondern getrennt. Ja, der Umgang mit dem Lottospiel lässt eben viele Varianten zu. Wir Menschen sind ja alle schwach, und Schadenfreude ist – wir wissen das aus dem Volksmund – die schönste Freude. Und so nehmen wir immer mal wieder aus den Gazetten mit unverhohlenem Behagen zur Kenntnis, dass da irgendwo in unserem schönen Lande ein »Lottokönig« gar keiner wan Dabei hatte er gleich nach Bekanntgabe der Lottozahlen am Sonnabendabend die halbe Nachbarschaft zum fröhlichen Gelage geladen und tags darauf Freunden, Geschwistern und sonstigen familiären Trabanten Bares im Zehntausenderpack in Aussicht gestellt. Sogar die kecken Neffen, die nie zum Geburtstag gratulieren und zu Weihnachten nicht mal einen Gruß übrig haben, sollten bedacht werden. Aber wir Otto Normalphilosophen wissen es ja: Das Leben ist eines der schwersten und kommt meistens anders, als man denkt. Vor allem, wenn man dem halbwüchsigen Sohn den Lottoschein in die Hand drückt in der Hoffnung, er würde ihn wunschgemäß im Lottoladen abgeben. Falls er aber nun auf dem Weg dorthin einen Kumpel mit einem Fußball unterm Arm trifft, dann kann man eben für nichts garantieren ... Ein solches Schicksal reicht allenfalls in der Lokalzeitung für ein
Artikelchen unter der Überschrift »Pechvogel. des Jahres«, was kein rechter Trost ist. An Susi. Super und mir ist der Kelch der Euphorie und der prompt folgenden Depression noch einmal vorübergegangen. Wir sind uns ja nicht immer einig, aber diesmal haben wir beide ohne Absprache das Gleiche getan, und zwar die Lottoscheine nicht abgegeben. Und dabei hätten wir jeweils drei Richtige gehabt. Jeder von uns hat 21,10 DM verschludert. Das neue Jahr beginnt mit herben Verlusten! Der Grund, dass wir zwar einen gemeinsamen Trau-, aber keinen gemeinsamen Lottoschein haben, liegt daran: Die in Finanzdingen stets sehr wache Susi Super hatte gelesen, dass man rechtlich nicht eine Mark vom Lottogewinn des Ehepartners beanspruchen kann. Offenbar traut sie mir zu, dass ich mich im Falle eines Falles an das Gesetz halten würde und sie leer ausginge. Deshalb kreuzt sie nun auf einem Extraschein immer auch »meine« Zahlen an. Es sind: 1, 6, 10, 30, 40, 41. Es sind jene Zahlen, die mir im Traum mal meine Schwiegermutter ins Ohr geflüstert hat. Eine andere Zahlenreihe (2, 4, 6, 9, 12, 27) hatte mir bei einem früheren Traum mal mein Schwiegervater ans Lottoherz gelegt Die Zahlen brachten mir kein Glück, aber beide Schlaferlebnisse machen nur zu deutlich, was für ein guter Schwiegersohn ich bin. Wer träumt schon von seinen Schwiegereltern? Susi Super hat mich jetzt aufgefordert, meine neuen »TraumZahlen« nicht mehr anzukreuzen. »Immerhin ist es meine Mutter, von der du die Zahlen hast«, meinte sie trotzig, »von deinen Eltern habe ich noch nie eine gescheite Lottozahl bekommen!« Ich wies darauf hin, dass meine Eltern schon lange tot sind, man von ihnen deshalb keine richtigen Zahlen erwarten könne. Hoffentlich habe ich nie sechs Richtige. Gibt nur Streit. Ich habe ja schon – die »Richtige«.
ENDE