Bitte, bitte eine Mami! Ruth Jane Dale Julia 1397 10 2/2000
Scanned by suzi_kay
1. KAPITEL Mrs. Forbes, langjährige E...
10 downloads
676 Views
355KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Bitte, bitte eine Mami! Ruth Jane Dale Julia 1397 10 2/2000
Scanned by suzi_kay
1. KAPITEL Mrs. Forbes, langjährige Empfangsdame der Zeitung "Rawhide Review" in Rawhide, Colorado, sah lächelnd von ihrem Schreibtisch auf. "Jessica Reynolds!" rief sie aus. "Wie geht es dir, Kleine? Ich habe dich seit der Party zu deinem neunten Geburtstag nicht mehr gesehen, und das ist mindestens drei Monate her!" Jessica trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Die Hände hielt sie hinter dem Rücken, damit Mrs. Forbes die Einkaufstasche aus Plastik nicht sah oder fragte, was darin war. "Mein Geburtstag ist am sechzehnten April", sagte sie. "Vielen Dank für den Fußball." "Gern geschehen." Mrs. Forbes strahlte. "Möchtest du ein Jellybean?" "Ja, vielen Dank." Mrs. Forbes hatte immer ein Schälchen mit Jellybeans auf ihrem Schreibtisch, schließlich war sie eine Großmutter. Jessica nahm sich eine Hand voll Süßigkeiten und steckte sich einige davon in den Mund. Mrs. Forbes nickte freundlich. "Also, was führt dich an diesem schönen Julitag hierher ins langweilige alte Zeitungsbüro?" Jessica antwortete mit vollem Mund. "Ich möchte meinen Großvater besuchen. Ist er da?" "Natürlich ist er das." "Kann ich mit ihm reden?" "Sicher." Mrs. Forbes deutete auf die geschlossene Tür mit der Aufschrift: "Chefredakteur, Herausgeber, Eigner und König". "Geh einfach hinein. Er arbeitet schon seit zwei
Stunden an diesem Artikel. Wenn er jetzt nicht gut ist, wird er es niemals sein. Du darfst ihm gern erzählen, dass ich das gesagt habe." Sie lächelte Jessica noch einmal an, ehe sie sich wieder ihrer Schreibarbeit widmete. Jessica steckte das letzte Geleebonbon in den Mund und straffte sich. Sie war in einer sehr wichtigen Angelegenheit zu ihrem Großvater gekommen und wollte keinen Fehler machen. Entschlossen ging sie zu seinem Büro und öffnete die Tür. John Reynolds sah überrascht von seinem Schreibtisch auf. Das dichte weiße Haar stand ihm in allen Richtungen vom Kopf ab. Er braucht wieder einmal einen Haarschnitt, dachte Jessica, genau wie Daddy. Sie selbst wirkte auch stets ein wenig zerzaust. "Hallo, meine Kleine. Komm, gib deinem Großvater einen dicken Kuss!" "Du bist mein allerliebster Großvater", sagte Jessica, denn er erwartete das. Sie ging um den riesigen Schreibtisch herum und küsste ihren Großvater auf die Wange. Die Plastiktasche hatte sie immer noch vorsichtig hinter dem Rücken versteckt. Der alte Herr strahlte sie an. "Was führt dich zu mir, meine Kleine?" Er deutete auf den Stuhl neben seinem Schreibtisch. Jessica setzte sich. Ihre nackten sonnengebräunten Beine baumelten über die Stuhlkante. Vielleicht hätte sie sich für diesen Anlass besser anziehen sollen? Ihr Großvater sah sie gern in einem Kleid. Stattdessen trug sie abgeschnittene alte Jeans und ein verwaschenes rotes T-Shirt. Und ihre Turnschuhe hatten winzige Löcher über den kleinen Zehen. Jessica seufzte. Zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Ihr Großvater wartete auf eine Antwort. Jessica verzog die Lippen. "Nun, weißt du ..." "Hm." Er wurde ernst und sah sie aufmerksam an. "Scheint sich um eine ernste Angelegenheit zu handeln, junge Dame." "Das stimmt." Jessica rutschte vom Stuhl und zog nun endlich die Plastiktasche hervor. Daraufhin holte sie ihr
Sparschwein heraus. Es war weiß mit roten Punkten. Dir Großvater hatte es ihr zum vorletzten Weihnachtsfest geschenkt. Sie stellte das Keramikschwein vor ihn auf den Schreibtisch. John Reynolds lehnte sich zurück und schob die Daumen hinter seine Hosenträger. "Was ist das?" "Das ist mein ganzes Geld", erklärte Jessica dramatisch. "Ich hoffe, es ist genug." "Genug wofür?" Jessica kramte erneut in der Einkaufstasche und zog mit klopfendem Herzen ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor. Aufgeregt reichte sie es ihrem Großvater. Er entfaltete es und legte es vor sich auf den Schreibtisch, dann setzte er seine Brille auf und begann zu lesen. Jessica hielt den Atem an. Sie hatte lange darüber nachgedacht, wie die Anzeige lauten sollte, die sie in der Zeitung ihres Großvaters veröffentlichen wollte. Schließlich handelte es sich um eine Angelegenheit von äußerster Wichtigkeit. "Was immer man finden oder loswerden möchte, eine Anzeige im Review hilft garantiert." Hatte er das nicht immer gesagt? Jessica war entschlossen, ihn beim Wort zu nehmen. Sie hatte hart an ihrer Anzeige gearbeitet, sie immer wieder neu abgeschrieben und sich bemüht, die richtigen Worte zu finden. Den Text hatte sie so oft wiederholt, dass sie ihn nun auswendig aufsagen konnte: Ehefrau gesucht. Reicher und gut aussehender Märchenprinz, der Kinder und Tiere mag, sucht eine Frau. Sie muss hübsch und nett sein und ebenfalls Kinder und Tiere mögen. Ihr Großvater setzte seine Brille ab und blickte Jessica überrascht an. "Märchenprinz? Handelt es sich zufällig um jemand, den wir kennen?" Jessica lachte nervös. "Das weißt du doch, Grandpa. Ich spreche von Daddy!" Er nickte ernst. "Das dachte ich auch, bis ich ,reich' las."
"Ziemlich reich", erwiderte Jessica ausweichend. "Mrs. Forbes hat einmal gesagt, er sei eine gute Partie. Ist das nicht das Gleiche?" Dir Großvater verdrehte die Augen. "Na ja. Aber ich würde meinen Enkel nicht gerade einen Märchenprinzen nennen." "Ich musste doch etwas Nettes schreiben, sonst würde ja niemand auf die Anzeige antworten", erklärte Jessica zunehmend verzweifelter. Dir Großvater lachte leise. "Ist es so wichtig für dich, Liebling? Bist du nicht glücklich? Sorgt dein Daddy nicht gut für dich?" Davor hatte Jessica sich gefürchtet. Sie versuchte, ihrem Großvater zu erklären, was sie empfand. "Er ... er ist ein großartiger Daddy", sagte sie bedächtig, " aber als Mutter ... nun, als Mutter, Grandpa, da ist er ..." "Eine Niete?" Sie seufzte. "Ja, ich glaube schon." "Aber ich dachte, er hat Freundinnen. Ich meine, geht er nicht hin und wieder mit einer Frau aus?" Jetzt verdrehte Jessica die Augen. "Aber doch nicht mit Müttern! Die sind alle ganz hübsch, aber sie streichen mir nur übers Haar und machen sich davon, so schnell es geht." Sie verzog das Gesicht bei der Erinnerung. "Diese schreckliche Brandee ist am schlimmsten." "Du meinst Brandee Haycox, die Tochter des Bankiers?" Jessica blinzelte. "Kann sein. Jedenfalls mag sie Kinder nicht besonders gern und hasst Hunde. Als sie Fluffy zum ersten Mal sah, hat sie geschrien!" "Liebling, Fluffy ist eine neunzig Pfund schwere Huskyhündin mit silbernen Augen und hat Fänge wie ein Wolf." Jessica verzog schmollend den Mund. "Diese Brandee kann Hunde nicht leiden! Was ist das für ein Mensch, der Hunde nicht mag?"
"Da ist etwas Wahres dran." Ihr Großvater wurde ernst. "Du glaubst doch nicht ... du glaubst doch nicht, dass dein Vater sie heiraten will?" Tränen schimmerten in Jessicas Augen. "Ich hoffe nicht, aber er muss jemand heiraten. Ich brauche eine Mutter! Ich brauche jemand, der mir die Haare kämmt, ohne sie mir auszureißen." Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Es war lang und glatt bis auf die verkletteten Stellen. "Und ich möchte kochen lernen, und ich brauche jemand, der mir die Knöpfe annäht. Daddy kann das alles nicht so gut, Grandpa." "Das stimmt", gab ihr Großvater zu. "Ja, und deshalb muss ich etwas tun!" Jessica sah sich um und entdeckte den großen Hefter aus Metall auf dem Schreibtisch. Sie griff danach und schwang ihn hoch über dem Keramikschwein, bereit, zuzuschlagen und ihrem Großvater jeden einzelnen Cent anzubieten, der danach in den Scherben liegen mochte. "Warte!" Er packte sie am Arm. "Willst du denn nicht wissen, wie viel Geld ich habe?" fragte Jessica ungeduldig. "Vielleicht ist es nicht genug?" "Du hast bestimmt genug. Ich vertraue dir." Er nahm ihr die Heftmaschine aus der Hand. Dieser Punkt hatte Jessica große Sorgen gemacht. Erleichtert seufzte sie auf. Ihr Großvater umfasste ihr Kinn und sah ihr in die Augen. "Das ist dir wirklich wichtig, nicht wahr, Kleines?" Sie seufzte erneut. "Das ist es, Grandpa. Ich werde erwachsen. Ich bin schon fast zehn ..." "Gerade mal neun." "... und ich werde bald ein Teenager sein. Jemand muss mir zeigen, wie Mädchen sich verhalten, oder ich blamiere mich." Lange saß ihr Großvater nachdenklich da. Er sah traurig aus. Dann richtete er sich auf. "Also schön, wir machen es", verkündete er. .
Erleichtert schmiegte Jessica sich in seine Arme. "Danke, Grandpa!" "Ich sage dir, wie wir es anstellen. Wir veröffentlichen die Anzeige blind ..." "Anzeigen können doch nicht sehen!" Er lachte. ".Blind' heißt, wir verraten nicht, wessen Anzeige es ist. Die Anzeigen sollen hierher zu uns, an den Review, geschickt werden." "Okay." Jessica verstand zwar nicht ganz, was das sollte, aber es war ihr egal, wenn ihr Großvater nur ihre Anzeige veröffentlichte. "Wenn wir dann alle Antworten haben - falls wir welche bekommen -, dann weihen wir deinen Vater ein." "Wir sollten beten", schlug Jessica vor, denn sie ahnte, dass ihr Daddy nicht begeistert sein würde. "Ganz richtig", bestätigte ihr Großvater. "Ich erwarte nicht, dass mein Enkel sich besonders freut, aber dann ist es zu spät." Sie blickten sich verschwörerisch an. "Na, darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist." Ihr Großvater schmunzelte. "Weißt du, Jessica, du bist nicht die Einzige, die ihn gern mit einem netten Mädchen verheiraten würde." "Eine, die Kinder und Hunde mag", erinnerte Jessica ihn, denn dies war das Wichtigste. "Unbedingt." Er stand auf. "Nimm dein Sparschwein, und mach dich auf den Weg. Ich sorge dafür, dass die Anzeige noch heute in der Zeitung erscheint." "Danke, Grandpa." Sie umarmte ihn. "Aber ich möchte, dass du das Schwein behältst. Daddy sagt, seine Schulden muss man immer pünktlich zahlen." "Nun ... ich kann auf die Bezahlung warten, bis wir wissen, ob unser Plan gelingt. Bis dahin behalte ich das Schwein." "Danke, Grandpa. Ich liebe dich." "Ich liebe dich auch, meine Kleine." Er räusperte sich. "Und wo ist dein Daddy heute?"
"Er arbeitet an Mrs. Gilliams Haus." "Immer noch?" "Ich glaube nicht, dass er es jemals richtig hinbekommt", erwiderte Jessica ernst, womit sie wiederholte, was sie zu Hause aufgeschnappt hatte. "Wahrscheinlich nicht", stimmte ihr Großvater ihr zu. "Arme Laura. Also deshalb sagte sie, sie käme heute später." Matt Reynolds schob seine Mütze zurück, stemmte die Hände in die Hüften und funkelte Laura Gilliam wütend an. Die Lifestyleredakteurin des Rawhide Review war bestimmt die wählerischste Kundin, die er in den Jahren seit der Gründung der Reynolds Construction Company je gehabt hatte. Laura Gilliam erwiderte ebenso aufgebracht seinen Blick. Sie war hübsch', aber trotzig. "Ihnen ist doch klar, dass wir Ihren Familienaufenthaltsraum niemals fertig bekommen, wenn Sie immer wieder Ihre Wünsche ändern." Sie zog die Brauen hoch. Ihre Augen waren samtig braun und ihre Lippen verführerisch rot. Allerdings hatte sie jetzt einen verkniffenen Zug um den Mund. "Machen Sie mir keine Vorhaltungen, Matt Reynolds. Dies ist der einzige Anbau, den ich jemals an diesem Haus machen werde, und ich will, dass er genau meinen Vorstellungen entspricht." Diese Frau wusste doch überhaupt nicht, was sie wollte. Welchen Unterschied machte es schon, ob die Bar zwanzig Zentimeter weiter rechts oder links eingebaut war? Aber so, wie Laura es wollte, mussten die Tür versetzt, die Fenster angepasst und der Kühlschrank versetzt werden - zum Teufel! "Sie verstehen das doch sicherlich", sagte sie jetzt zuckersüß. "Wenn Sie es so haben wollen ..." "Das will ich", erwiderte sie rasch. "Vielen Dank für ... Ihre Geduld. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich muss zur Arbeit." "Sicher. Lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten."
Sie ging, und Matt bewunderte ihre sanft geschwungenen Hüften, die schlanken Beine, das blonde Haar. Als sie vor drei Jahren neu in die Stadt gekommen war, um den Job beim Review anzutreten, hatte Matt gedacht, sie beide könnten vielleicht... Doch er hatte sich geirrt. Laura Gilliam sah zwar gut aus, doch sie war eigensinnig und schottete ihr Privatleben ab. Soweit Matt wusste, verabredete sie sich nur selten, obwohl sie viele Bewunderer hatte. Laura verschwand durch die Tür, welche zeitweilig den neuen Anbau mit dem Rest des Hauses verband. Matt hörte sie rufen: "Abby, ich fahre zurück zur Arbeit." Matt kannte Abby, eigentlich Abigail Royce, High-SchoolAbgängerin und in diesem Sommer Babysitter für Lauras sechsjährigen Sohn Boris. Er hörte noch weiteres Stimmengewirr und dann das Zuschlagen der Haustür, gefolgt vom Startgeräusch des Automotors. Boris kam in den halb erstellten Anbau. "Hi, Mr. Reynolds", rief er eifrig. "Was machen Sie? Kann ich helfen?" Matt lächelte. Laura war zwar ziemlich anstrengend, doch Boris war ein netter Kerl. Ein vaterloses Kind, dachte Matt, und man merkt es dem Jungen an. Der Kleine sehnte sich nach männlicher Gesellschaft. "Ich kann immer einen tüchtigen Gehilfen brauchen." Er winkte Boris zu sich heran. "Gerade jetzt habe ich gehofft, jemand würde kommen und mir einen Nagel einschlagen." "Ich kann das machen!" Eifrig sah der Kleine zu ihm auf. "Weißt du", sagte Matt langsam, "ich glaube, das kannst du wirklich." Nach Matts Anleitung packte Boris den Hammer mit beiden Händen und schlug auf den bereits angebrachten Nagel. Matt empfand auf einmal eine warme Zuneigung für Boris. Alle kleinen Jungen brauchten einen Mann im Haus. Allerdings war es sehr unwahrscheinlich, dass dies in nächster Zeit geschehen
könnte, bedachte man, wie halsstarrig die Mutter des Jungen war. Armer Boris. Auf den Eingangsstufen des Review begegnete Laura der Urenkelin ihres Arbeitgebers. Jessica war wirklich ganz reizend, im Gegensatz zu ihrem Vater. "Hallo, Schatz", grüßte Laura. "Hast du deinen Großvater besucht?" Jessica blieb stehen und sah sie erschrocken an. "Ja, aber verraten Sie es nicht", sagte sie hastig. Merkwürdige Antwort. "Okay, wenn du willst", versprach Laura. Unwillkürlich strich sie Jessica das dichte braune Haar zurück. Armes Kind, ihr Haar sah immer so zerzaust aus. Dabei könnte es so hübsch wirken, wenn man es nur richtig frisierte. Die Kleine sah sie aus großen Augen an. "Sieht mein Haar schlimm aus?" fragte sie niedergeschlagen. "Ich habe es heute Morgen gekämmt, ehrlich." "Es ist schon in Ordnung." Laura glättete ein paar Strähnen. "Du hast sehr hübsche Haare." "Ich finde sie schrecklich!" rief Jessica. "Seit der zweiten Klasse will ich sie mir schneiden lassen, aber Daddy erlaubt es nicht. Er mag lange Haare, doch mich stören sie." "Warum flichtst du sie nicht zum Zopf oder trägst einen Pferdeschwanz?" schlug Laura vor. Das war doch eine vernünftige Lösung. Jessica zog einen Schmollmund. "Ich weiß nicht, wie das geht." "Na, wenn dies das einzige Probiert ist!" Laura nahm das Kind bei der Hand und führte es zurück ins Zeitungsgebäude. "Komm mit. Ich kann dir das in fünf Minuten beibringen." "Wirklich?" "Wirklich."
Und das tat sie auch. Dann kaufte sie Jessica eine Dose Limonade, und sie plauderten noch eine halbe Stunde. "Mädchengespräche", meinte Jessica erfreut. "Das stimmt." Laura fand Jessicas dicken, ordentlich geflochtenen Zopf sehr hübsch. "Komm jederzeit gern vorbei, wenn du noch einmal Hilfe mit deiner Coiffure brauchst." "Meiner was?" "Coiffure. Das ist französisch und bedeutet 'Frisur'." "Coiffure." Jessica hob stolz den Kopf. "Ich wusste nicht einmal, dass ich eine habe." Weil du keine Mutter hast, dachte Laura, und das kleine Mädchen tat ihr auf einmal sehr Leid. Und dein Vater ist dir anscheinend auch keine große Hilfe. Du wächst so schnell heran, und es gibt so viel, was ein Mädchen lernen muss. Die arme Jessica brauchte eine Frau im Haus. Doch dazu würde es so bald nicht kommen, wenn man bedachte, wie starrköpfig ihr Vater war. Armes Kind. "Hi, Daddy." Matt blickte von den Bauplänen auf und sah seine Tochter über Lauras Rasen auf sich zukommen. Sie wirkte irgendwie verändert. Es dauerte einen Moment, bis er bemerkte, dass es an ihrem Haar lag, das heute zu einem ordentlichen Zopf geflochten war, anstatt ihr wild ins Gesicht zu hängen. Sie sah hübsch aus. Er überlegte, wer ihr das Haar geflochten hatte. Jessica stellte sich stolz vor ihn hin und wandte den Kopf von rechts nach links. "Magst du meine Coiffure?" fragte sie überlegen lächelnd. Boris, der im Gras mit einem Stück Schmirgelpapier spielte, sah fragend auf. "Was ist ein Koffffer?" Jessica lächelte stolz. "Eine Frisur, Dummchen." "Und wer hat dir das Haar geflochten und dir so ein wichtiges Wort beigebracht?" fragte Matt seine Tochter.
Jessica deutete auf Boris. "Seine Mutter!" Boris klatschte in die Hände. "Ein Hurra für Mom!" Er sah Matt erwartungsvoll an. "Ja, hurra", erwiderte Matt mäßig begeistert. "Also, wo bist du gewesen?" fragte er Jessica. "Ein bisschen herumgelaufen." "Weiß Mrs. Brown, wo du bist?" "Ich habe ihr gesagt, ich würde in die Schule zum Handarbeitsworkshop gehen." "Aber da warst du nicht?" Boris stand auf. "Schön, dass du hier bist, Jessie. Möchtest du spielen?" Jessica sah von einem zum anderen. "Daddy ..." Ungeduldig zerrte Boris an ihrer Hand. "Jessie, ich habe ein neues Video. Willst du es sehen?" Matt blickte seine Tochter streng an. "Jessica, ich habe dich gefragt, ob du bei dem Handarbeitskurs in der Schule warst." Ihm gefiel der Gedanke nicht, dass seine Tochter unbeaufsichtigt herumlief, auch nicht in einer so friedlichen Kleinstadt wie Rawhide. Jessica nickte, sah ihn dabei jedoch nicht an. "Kann ich jetzt Boris' Video sehen? Es ist wahrscheinlich für Babys, aber ..." "Es ist nicht für Babys!" Boris war verletzt. "Da gibt es ein Pferd und einen Hund und eine Kuh ..." Matt gab nach. "Lauft zu, Kinder. Jessica, ich rufe dich, wenn wir nach Hause fahren." "Okay." Er blickte ihnen nach. Boris hatte seine Hand vertrauensvoll in Jessicas gelegt. Nette Kinder, alle beide. Jetzt musste er aber ausrechnen, wo er die verdammte Tür am besten einsetzte, damit er diesen Auftrag für die nörglerische Mrs. Gilliam endlich erledigen konnte. Aber Jessicas Haar sah wirklich gut aus.
Boris' Babysitter gab den Kindern jeweils einen Apfel und ein Glas Limonade, legte das neue Video ein und zog sich zurück, um Wäsche zu falten. Jessica brauchte nur einige Minuten für ihre Entscheidung: Es war ein Babyvideo, gleichgültig, was Boris davon hielt. Boris bemerkte Jessicas Unruhe. "Was ist los?" "Der Film ist langweilig." "Ist er nicht." Er ballte die Hände zu Fäusten. Jessica sah ihn von oben herab an. "Für mich schon", sagte sie. "Außerdem denke ich an etwas wirklich Wichtiges." "Etwas Wichtiges?" Boris vergaß den Film. Jessica blickte sich vorsichtig um. Sie wollte nicht belauscht werden. "Kannst du ein Geheimnis bewahren?" Sie hatte das Gefühl, platzen zu müssen, wenn sie nicht bald jemandem von der Anzeige erzählte. Boris zeichnete mit dem Zeigefinger ein großes X über seiner Brust. "Ich schwöre bei meinem Leben." "Also gut." Jessica beugte sich vor und befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge. "Ich bekomme eine neue Mutter!" "Eine neue ...?" Boris wurde ganz aufgeregt. "Wirklich? Wen denn?" "Weiß ich noch nicht. Ich habe eine Anzeige aufgegeben in der Zeitung von meinem Grandpa." Stolz nannte sie Boris den Text. "Meine Mom ist hübsch und nett, und sie mag Kinder und Tiere", sagte Boris. Er zögerte nachdenklich, ehe er fragte: "Kann ich auf diese Art einen neuen Daddy bekommen?" "Du meinst, wenn du auch eine Anzeige aufgibst." Jessica überlegte. "Ich weiß es nicht, aber ich glaube nicht. Du hast ja gar nicht genug Geld, um die Anzeige zu bezahlen." "Ich habe einen ganzen Dollar, den die Zahnfee mir letzte Woche dagelassen hat", protestierte Boris heftig.
"Das ist längst nicht genug." Boris ist wirklich noch sehr kindisch, fand Jessica. "Außerdem ist eine Mutter wahrscheinlich einfacher zu finden als ein Vater." "Aber ich habe doch schon eine Mutter!" Boris sah aus, als würde er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. In diesem Moment kroch seine Katze Lucy auf seinen Schoß. Boris drückte Lucy so heftig an sich, dass sie empört miaute. Und in diesem Moment hatte Jessica eine ganz großartige Idee ... "Du schon wieder?" Jessica lachte, lief zu ihrem Großvater und umarmte ihn. "Bist du denn nicht froh, mich zu sehen, Grandpa?" Er strahlte. "Du weißt, wie sehr ich mich freue. Hast du deine Anzeige gelesen?" Sie nickte eifrig. "Und wie gefällt sie dir?" "Fabelhaft!" "Aber weshalb ...?" "Ich habe schon eine Antwort bekommen!" "Wie gibt es das denn? Die Ausgabe ist doch gerade erst herausgekommen." "Das ist mir egal, ich habe eine Antwort! Ich wusste nicht, was ich damit machen soll, deshalb habe ich sie dir mitgebracht." Sie reichte ihm ein Blatt Papier, das genauso aussah wie das, auf welches sie ihren Anzeigentext geschrieben hatte. Ihr Großvater entfaltete das Blatt, und sie lasen gemeinsam: Libber Meechenprins, meine Mom ist nätt und hübbsch, bitte nimm sie, mein Daddy ist tot. Dein Boris G. "Er ist nur ein kleiner Junge", erklärte Jessica altklug. "Ich habe ihm gesagt, wie man 'Prinz' schreibt, aber er hat es trotzdem nicht hingekriegt. Und .hübsch' hat er auch nicht
richtig geschrieben und ..." Sie sah ihren Großvater an und schwieg verblüfft. Hatte Grandpa wirklich Tränen in den Augen?
2. KAPITEL Der nächste Tag war ein Samstag, und samstags arbeitete Laura nicht besonders gern. Doch dies war ein besonderer Auftrag: Heute wurde der Bürger des Jahres in Rawhide, Colorado, bekannt gegeben. Der Name des geehrten Einwohners wurde traditionsgemäß beim alljährlichen Picknick im Park bekannt gegeben. Alle Einwohner der kleinen Stadt waren dazu eingeladen, und jeder stiftete einen Beitrag für das Büfett. Laura und Boris machten sich um kurz nach elf auf den Weg. Ein Feld nahe dem Veranstaltungsort war als Parkplatz ausgewiesen worden. Laura stieg aus. Die Kameratasche hatte sie sich über die Schulter gehängt, und den durchsichtigen Behälter, in dem sich ihre berühmte Apfeltorte befand, trug sie mit beiden Händen. Fröhlich hüpfte Boris neben ihr her. Es war ein strahlender Tag mit herrlich milder Luft, jenes besondere Wetter, über das Liedermacher immer wieder in Entzücken gerieten und das die Bewohner der Rocky Mountains so liebten. Auf ihrem Weg zum Picknickplatz wurde Laura von vielen gegrüßt, denn durch ihren Job bei der Zeitung war sie bekannt. Dies war eines der Dinge, die ihr am Kleinstadtleben so gut gefielen: die gute Nachbarschaft und die Freundlichkeit der Leute. Als sie vor drei Jahren aus Chicago hier ankam, um den Job beim Review anzutreten, hatte jeder sie willkommen geheißen. Sie war eine Witwe mit einem Kind, beide nur an das Großstadtleben gewöhnt und beide sehr empfindsam.
Doch die Einwohner von Rawhide hatten die Neulinge herzlich aufgenommen - mit wenigen Ausnahmen. Einer davon stand plötzlich vor ihr, als Laura an der letzten Autoreihe vorbeikam. Matthew Reynolds, wie konnte es anders sein. Und neben ihm sein bester Kumpel, Dylan Cole. Matt tippte an seine Mütze, und Dylan tippte grüßend an den Rand seines Cowboyhutes. Beide lächelten erfreut, doch dies galt nicht Laura, sondern der mitgebrachten Apfeltorte. Boris strahlte Matt an und zerrte eifrig an dessen Hand. "Hallo, Mr. Reynolds. Hallo, ich bin es, Boris!" Matt lächelte freundlich. "Na klar." Er stupste Dylan mit dem Ellbogen an. "Du kennst doch meinen Gehilfen Boris, nicht wahr, Kumpel?" "Klar." Dylan reichte dem Jungen die Hand. "Wie geht's, Partner?" Boris legte seine Kinderhand in die große Hand des Mannes. "Gut", meinte er schüchtern. Matt tätschelte dem Jungen den Kopf. "Sag mal, hat deine Mom etwa ihre berühmte Apfeltorte fürs Picknick mitgebracht?" Boris nickte. "Und zu Hause hat sie noch so eine." Matt sah schockiert aus. Anklagend blickte er Laura an. "Halten Sie etwas vor nur zurück, Laura?" Sie lächelte zuckersüß. " Ja, und nicht zum ersten Mal." Dann stupste sie Boris an. "Komm schon, Schatz, ich muss diese Torte abgeben, und dann schauen wir mal, wer von deinen Freunden hier ist." "Okay." Boris warf Matt noch einen bedauernden Blick zu, ehe er seiner Mutter folgte. Das kommt davon, dass Matt so lange mit meinem Anbau herumtrödelt, dachte Laura selbstgerecht. Zum Glück war die Arbeit bald beendet - das hoffte sie jedenfalls sehr -, dann würde Boris seine Heldenschwärmerei schnell vergessen. Matt sah Laura nach und überlegte, wie ein Mann nur mit so einer Frau fertig werden sollte. Zu ihren fantastisch sitzenden
Jeans trug sie ein weißes Seidenhemd, das genau die richtigen Stellen betonte. Denim und Seide: eine verdammt sexy Aufmachung für eine Schneekönigin wie Laura Gilliam. Dylan lachte leise. "Was sollte das denn?" fragte er und deutete mit dem Kinn auf Laura. "Was meinst du damit?" Als ob Matt es nicht wüsste. "Als du fragtest, ob sie etwas vor dir zurückhält, und sie meinte, es sei nicht das erste Mal. Ist da zwischen euch irgendetwas?" "Zum Teufel, nein." Matt ging in die gleiche Richtung, die auch Laura eingeschlagen hatte. "Los, wir besorgen uns ein kaltes Bier." "Das ist die beste Idee des Tages." Im Schatten der Bäume standen mit Eiswürfeln und Wasser gefüllte Wannen, in denen Bierdosen und andere Getränke kühl gehalten wurden. Daneben bogen sich die Campingtische unter dem Gewicht der mitgebrachten Speisen. Auch Matt hatte etwas gestiftet: eine Riesenportion Grillhähnchen aus einem Imbissladen. Matt suchte sich eine Dose von seinem Lieblingsbier aus. Er achtete nicht auf Dylans Geschwätz und beobachtete stattdessen Laura, die mit Marilyn Rogers, der Bürgermeisterin, sprach. Marilyn neigte aufmerksam den Kopf mit dem silbergrauen Haar, offenbar war sie fasziniert von allem, was die reizende Mrs. Gilliam ihr erzählte. Und sie war wirklich reizend. Matt hatte das vom ersten Augenblick an gedacht, als er der neuen Angestellten seines Großvaters begegnet war. Er wusste jedoch, dass sie erst kürzlich verwitwet war, und aus Respekt vor ihrem Verlust hatte er ein Jahr gewartet, bevor er sie um eine Verabredung bat - ein ganzes Jahr. Das war ihm nicht leicht gefallen, denn er war von Anfang an von ihr fasziniert gewesen. An ihrem ersten und einzigen gemeinsamen Abend gingen sie in den Painted Pony, den beliebten hiesigen Saloon. Sie
hatten gegessen und sogar ein wenig getanzt. Matt fand Laura zurückhaltend, fast ein wenig schüchtern, jedenfalls ganz anders als die aufgeschlossenen Zeitungsleute, die er sonst kannte. Aber vielleicht war sie auch nur ein wenig eingeschüchtert, weil er der Enkel ihres Arbeitgebers war. Matt war außerdem Inhaber einer erfolgreichen Baufirma und stolz auf die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war. Er arbeitete für die örtliche Handelskammer und den Jugendclub und setzte sich auch sonst für viele gemeinnützige Projekte ein. Beim Bau des Orchesterpavillons im Park hatte er auf sein Honorar verzichtet. Er war also, was die Öffentlichkeitsarbeit betraf, ziemlich engagiert. Laura Gilliam dagegen war das ganz und gar nicht, abgesehen von ihrer beruflichen Tätigkeit natürlich. Und obwohl sie so gut aussah, traten ihr die infrage kommenden Männer nicht gerade die Tür ein. Viele ließen sich von ihrer unnahbaren Art abschrecken, aber nicht Matt. Wenn es ihr nur gelänge, sich ein wenig gehen zu lassen, könnte das Zusammensein mit ihr ganz wunderbar werden, davon war Matt überzeugt. Er war entschlossen, ihr dabei zu helfen. Deshalb hatte er sie bei der Verabschiedung vor ihrer Haustür in die Arme gezogen und geküsst. Einen Moment hatte Laura warm und nachgiebig in seinen Armen gelegen. Ihre Lippen waren so weich, und Matt spürte unerwartet etwas wie Hoffnung auf echte Zuneigung. Sein Herz schlug schneller. Dieser Kuss war viel mehr, als er erwartet hatte. Verwundert hob Matt den Kopf und sah Laura an. Ihr Gesicht schimmerte im sanften Verandalicht. Sie wirkte ebenfalls ein wenig benommen. Doch gerade als er ihr sagen wollte, wie wundervoll er sie fand, machte sie sich von ihm los. Bei der Erinnerung an die Ohrfeige, die sie ihm dann versetzte, tat ihm noch heute der Kiefer weh.
Danach hatte es natürlich keine weitere Verabredung mehr gegeben. Diese Ohrfeige sagte alles, doch Matt Reynolds hätte auch eine weniger deutliche Abfuhr verstanden. In den folgenden Monaten dachte er jedoch immer wieder an diesen Vorfall und fragte sich, was eigentlich geschehen war. Denn trotz allem glaubte er immer noch, dass Laura nur ein einziges Mal ihre Hemmungen überwinden müsste und dann ... Dylan stellte sich vor Matt und brüllte: "He! Hast du überhaupt ein Wort von dem mitbekommen, was ich gesagt habe?" "Nein." Matt riss sich von seinen Erinnerungen los. "War es denn wichtig?" Dylan verzog das Gesicht. "Ich habe dir nur eine Frage gestellt." "Würdest du sie bitte wiederholen?" "Ich möchte nur wissen, ob du heute mit Brandee verabredet bist oder ob du mit mir und den anderen Jungs einen draufmachen kannst?" Er zwinkerte übertrieben. "Ja, Brandee kommt nachher." Matt sagte es ohne große Begeisterung, denn dadurch entging ihm wahrscheinlich ein netter Pokerabend mit seinen Freunden. Dylan wirkte auch nicht gerade glücklich. "Wird das mit euch beiden nicht etwas zu ernst?" "Nein!" protestierte Matt. "Ich bin doch nicht blöd. Verflixt, Dylan, sie ist seit Jahren hinter mir her. Ich weiß auch nicht, warum. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr davonzulaufen." "Ist vermutlich die alte Fußballheld und Cheerleadergeschichte", vermutete Dylan. "Aber gib auf dich Acht, mein Freund. Sie kann wirklich unberechenbar sein." Dylan hatte Bekannte entdeckt und ging voran. Matt folgte ihm, doch seine Gedanken waren woanders, bei der Frau, die so entschlossen schien, ihn zu erobern, und bei jener anderen Frau, die nicht einmal mit ihm im gleichen Zimmer sein wollte. Das Leben war seltsam. Und Frauen noch viel seltsamer.
"Hallo, Mrs. Gilliam, kann Boris mit uns spielen?" Laura sah Jessica Reynolds unschlüssig an. "Nun, ich weiß nicht recht..." "Bitte, Mom", bettelte Boris. Laura unterdrückte ihre unvernünftigen Ängste. Was Boris betraf, war sie übervorsichtig und behütete ihn zu sehr, das hatte man ihr schon oft gesagt. "Wirst du auf ihn Acht geben, Jessica?" fragte sie jetzt. "Na klar!" Das Mädchen strich sich das lange Haar zurück. "Wir gehen auch nicht weit." "Also schön. Möchtest du, dass ich dir das Haar zum Pferdeschwanz binde, bevor ihr loszieht?" "Würden Sie das tun?" Jessica strahlte. "Ich habe ein Gummiband, aber irgendwie kriege ich es damit nicht hin." "Ach du meine Güte." Laura nahm es entgegen. "Das ist wirklich nicht besonders gut geeignet", erklärte sie, während sie Jessicas Haar damit befestigte. "Ich besorge dir ein besseres, sobald ich die Gelegenheit dazu habe." "Danke." Jessica wandte sich um, stellte sich auf die Zehen und küsste ihre Wohltäterin auf die Wange. "Los, komm, Boris." Laura sah den beiden nach, die sich jetzt einer Horde Ball spielender Kinder anschlössen. Was für ein liebes Kind. Matt hatte wirklich Glück ... Der Gedanke an Matt ärgerte sie, und zwar seit sie dieses eine und einzige Mal mit ihm ausgegangen war. Der Mann hatte vielleicht Nerven, wenn er glaubte, dass sie ihm für ein simples Abendessen um den Hals fallen würde. Sicher, es hatte ihr Spaß gemacht, mit ihm zu tanzen. Er bewegte sich mit der Leichtigkeit eines Athleten, und es war angenehm, in seinen starken Armen zu liegen. Die sanfte Reibung seiner Schenkel an ihren, während sie in perfekter Harmonie durch den Saal glitten, hatte sie erregt. Matt Reynolds, das musste sie zugeben, war ein sexy Mann.
Trotzdem hätte er sich später vor ihrer Haustür nicht wie ein Höhlenmensch auf sie stürzen dürfen. Der Druck seines Mundes auf ihren Lippen hatte sich allerdings sehr gut angefühlt. Vielleicht hatte sie sich einen Moment länger an Matt festgehalten, als sie sollte - daran war natürlich nur der Schreck schuld. Anscheinend hatte er keine Ahnung, wie man eine Dame behandelte, denn als sie ihn ohrfeigte, war er wirklich entsetzt. Und danach... "Hallo. Warum siehst du denn so ernst aus?" Laura riss sich zusammen und lächelte ihrer besten Freundin zu. Katy Andrews war Stadtreporterin für den Review. Neugierig und misstrauisch zugleich, war die schwarzhaarige attraktive Katy genau die Richtige für diesen Job. "Ich dachte gerade an die Arbeit", schwindelte Laura. "Ich muss nachher zurück in die Redaktion, um den Artikel über den Bürger des Jahres für die Sonntagsausgabe zu schreiben. Und ich brauche noch jemand, der solange auf Boris aufpasst." "Ich mache das für dich." "Wirklich? Das wäre prima. Ich brauche auch nicht lange." "Lass dir Zeit. Er ist ein netter Bursche, und wir haben immer viel Spaß miteinander." "Dann nehme ich gern an. Danke schön. Hast du eine Ahnung, wann sie diese Show abziehen?" "Du meinst, den Bürger des Jahres bekannt geben? Nach dem Essen." Katy sah sich um. "Dort sind Matt und Dylan!" Sie winkte und lächelte. "Als gäbe es nicht schon genug Ärger", sagte Laura und stöhnte übertrieben. "Mit Dylan vielleicht, aber Matt ist in Ordnung." Katy zwinkerte. "Du könntest es schlechter treffen, weißt du." "Lieber fahre ich in einem Fass die Niagarafälle hinunter." "Okay, dann überlass ihn eben Brandee. Warum auch nicht? Immerhin ist sie seit der zweiten Klasse hinter ihm her."
"Herzlich gern." Dennoch war Laura nicht wohl beim Gedanken an Matt und Brandee Haycox, eine Frau, die daran gewöhnt war, alles und jeden - zu bekommen, wenn sie es sich einmal in den Kopf gesetzt hatte. "Da wir gerade von Liebe und Romantik reden ..." "Tun wir das?" "Mehr oder weniger. Was hältst du von der gestrigen Anzeige in der Zeitung?" "Was für, eine Anzeige?" Katy riss überrascht die grünen Augen auf. "Hast du sie etwa nicht gesehen? Die ganze Stadt spricht darüber." "Spann mich nicht auf die Folter." "Sie ist von einem Typ, der sich selbst der Märchenprinz nennt. Er sucht eine hübsche, nette Frau, die Kinder mag." Katy lächelte. "Ist das nicht süß?" "Ich finde es eher merkwürdig. Ein Zeitungsannonce ist doch wohl kaum der richtige Weg, eine Frau zu finden." "Sei doch keine Spielverderberin." Katy verzog das Gesicht. "Ehrlich, ich überlege mir, darauf zu antworten." "Katy!" Laura war entsetzt. "Das tust du nicht!" "Warum nicht? Neunundzwanzigjährige müssen zugreifen, wenn irgendwo ein Ehering aufblitzt. Außerdem ist es wahrscheinlich jemand, den ich sowieso schon kenne, und er ist nur zu schüchtern, um offen zu sagen, dass er heiraten und eine Familie gründen möchte." "Vielleicht ist es ja Dylan", neckte Laura sie. "Vielleicht auch nicht. Es könnte auch Matt sein. Allerdings hat der auch ohne Zeitungsannonce an jedem Finger fünf", gab Katy zu. "Mir sind aber noch einige andere Möglichkeiten eingefallen." Laura hörte höflich zu, während Katy die möglichen Kandidaten aufzählte. Ihr Blick schweifte jedoch immer wieder zu Matt...
"Aufgepasst, alle miteinander! Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit!" Bürgermeisterin Marilyn Rogers stand auf dem Podest des Musikpavillons und redete mit erhobenen Händen auf die quirlige Menge ein. Als der Geräuschpegel sich zu einem Murmeln senkte, sprach sie weiter: "Wie Sie alle wissen, veranstalten wir dieses Gemeinschaftspicknick, um dabei die Wahl unseres Bürgers des Jahres bekannt zu geben. Diese große Ehre wird dem Mann oder der Frau zuteil, die sich in besonderer Weise um das Gemeinwohl verdient gemacht haben ..." Laura, die ziemlich nahe bei der Bühne stand, zog sich unauffällig zurück. Sie nahm jetzt zum dritten Mal an dieser Veranstaltung teil und kannte die Rede der Bürgermeisterin beinahe auswendig. Dabei nahm sie die Sache durchaus ernst. Gemeindearbeit war die Pflicht jedes guten Bürgers, und Laura achtete stets darauf, selbst etwas dazu beizutragen. Im Augenblick wünschte sie jedoch, Marilyn möge .den Gewinner endlich bekannt geben, denn Laura musste ihn oder sie noch interviewen, bevor sie zurück ins Büro fuhr und ... "... dieses Jahr geht der Preis an den Mann, der sich als Erster für die Belebung der Innenstadt eingesetzt hat, an den Mann, der durch seine Spendenaktion die Neuausstattung der Turnhalle in unserem Jugendzentrum erst möglich gemacht hat. Ladys und Gentlemen, Rawhides Bürger des Jahres ist... Matt Reynolds!" Lauras Herz setzte einen Schlag aus. Nicht Matt! Sie wollte ihn nicht interviewen. Langsam drehte sie sich zu ihm um. Er wirkte ebenso überrascht wie sie. Dylan klopfte ihm auf die Schulter und gab ihm einen ermutigenden Schubs vorwärts. Zögernd ging Matt zur Bühne, um dort unter begeistertem Applaus seine Plakette entgegenzunehmen. Jetzt wird er sicher irgendeinen anmaßenden Spruch von sich geben wie: "Es ist höchste Zeit, dass ich gewonnen habe", dachte Laura. Manche Leute waren wirklich zu selbstbewusst.
Marilyn überreichte Matt die Plakette. Ernst nahm Matt sie entgegen. Er wirkte tief bewegt, musste sogar schlucken, bevor er sprechen konnte. Und auch dann sagte er nicht viel. "Vielen Dank ... Ich danke euch allen. Ich verdiene diese Ehre nicht, aber ich weiß sie zu schätzen." Er holte tief Luft. Sein Blick schweifte über die Zuschauer hinweg und ruhte einen Moment auf Laura. Unwillkürlich hielt sie den Atem an. "Diese Stadt hat mir sehr viel gegeben", fuhr Matt fort. "Ich finde es nur fair, zurückzugeben, so viel ich kann. Es liegt an uns allen, Rawhide gemeinsam zu einem Ort zu machen, an dem wir glücklich leben und unsere Kinder großziehen können. Wenn ich ein wenig dazu beitragen konnte, bin ich sehr dankbar dafür. Und hierfür natürlich auch." Er schwenkte die Plakette hoch über seinem Kopf, lächelte und verließ die Bühne. Laura stand einen Augenblick wie angewurzelt da. Doch dann erinnerte sie sich wieder an ihre Pflichten. "Entschuldigung", sagte sie und versperrte Matt den Weg. "Ich brauche einige Informationen für den Review. Haben Sie einen Moment Zeit?" Er zögerte kurz, und Laura fürchtete schon, er werde sie zurückweisen. Doch dann lächelte er und sagte: "Sicher. Ich kann doch eine Lady nicht enttäuschen." Dafür hätte sie ihm am liebsten einen Tritt versetzt. Wer? Was? Wo? Wann? Warum? Diese fünf klassischen Fragen des Journalismus waren leicht beantwortet. Wirkliche Informationen über die Person Matt Reynolds zu erhalten war dagegen sehr viel schwieriger. So musste Laura das Interview Seite an Seite mit Matt auf dem Bühnenrand hockend führen, ständig unterbrochen von Gratulanten, die Matt die Hand schütteln und seine Medaille bewundern wollten. Und jetzt, nach der ersten Aufregung, hatte Matt zu seiner arroganten Art zurückgefunden. Nur als Jessica und Boris ihm begeistert gratulierten, wirkte er gelöst und glücklich.
Jessica strahlte. "Ich bin so stolz auf dich, Daddy!" Und Boris plapperte ihr nach: "Ich bin auch so stolz, Da..." Ängstlich sah er seine Mutter an. " ... Mr. Reynolds." Dieser kleine sprachliche Ausrutscher versetzte Laura einen Stich, doch Matt schien es nicht bemerkt zu haben. Er knuddelte beide Kinder und schickte sie dann zum Spielen. "Sie können wirklich gut mit Kindern umgehen", gab Laura widerstrebend zu. Gleichmütig zuckte er die Schultern. "Ich mag sie, das ist alles." "Dann haben wir ja wenigstens eine Sache gemeinsam." Er sah ihr tief in die Augen. "Ich glaube, wir haben noch viel mehr gemeinsam." Erneut schlug ihr Herz schneller. "Keine Chance", behauptete sie. "Sagen Sie mir, Matt, haben Sie Ihr ganzes Leben in Rawhide verbracht?" Er nickte. "Bis auf einige Jahre Studium an der Universität von Colorado." "Ihre Familie?" Er blickte nachdenklich drein. "Mein Vater ist vor vier Jahren gestorben. Danach ging meine Mutter nach Oklahoma City zurück, wo ihre Verwandten leben. Meinen Großvater und meine Tochter kennen Sie ja." Man merkte, wie stolz er auf Jessica war. "Und Ihre Frau?" fragte Laura vorsichtig. "Sie war sehr schwer krank und starb, als Jessica noch ein Baby war." Er sah Laura an. "Und wie ist es mit Ihnen? Ist Ihr Mann...?" "Ein Unfall beim Joggen." Sie blickte zur Seite. "Der Fahrer hat nicht einmal angehalten." "Tut mir sehr Leid", versicherte Matt aufrichtig. "Das ist 'wirklich bitter, Laura. Wo haben Sie damals gewohnt?" "Chicago." Sie flüsterte nur noch. "Sind Sie deshalb nach Rawhide gezogen?"
Sie nickte. Dieses Interview entglitt ihrer Kontrolle. Rasch nahm sie den Faden wieder auf. "Wann haben Sie Ihre Baufirma gegründet? Haben Sie ... ?" "Darüber will ich nicht sprechen", unterbrach Matt sie. "Ich möchte mehr über Sie erfahren. Was hat Ihr Mann beruflich gemacht?" "Er war Anwalt, und jetzt fragen Sie mich nicht weiter." Wütend steckte sie Kugelschreiber und Block weg. "Ich weiß jetzt genug für meine Story. Vielen Dank für die Zeit, die Sie mir geopfert haben, und nochmals herzlichen Glückwunsch." "Laura!" Katy kam auf sie zugelaufen. "Würdest du mir einen Gefallen tun?" Laura nickte. "Natürlich." Katy reichte ihr einige zusammengefaltete Papierbögen. "Kannst du diese mit ins Büro nehmen und auf Johns Schreibtisch legen? Dort sammelt er die Zuschriften für die Chiffreanzeigen." "Katy!" Laura war entsetzt. "Das hast du nicht gemacht!" "Was gemacht?" Matt sah von einer zur anderen. Katy lächelte selbstzufrieden. "Ich habe auf die Anzeige des Märchenprinzen geantwortet." "Was?" Matt blickte verwirrt drein. "O Matt!" Katy schüttelte gespielt vorwurfsvoll den Kopf. "Wenn du nichts darüber weißt, bist du wirklich einer von wenigen. Es geht um eine Chiffreanzeige. Der Inserent bezeichnet sich als Märchenprinz, der eine Frau sucht. Sie muss hübsch und nett sein und Kinder und Hunde mögen." Matt war bestürzt. "Irgendein Typ hat tatsächlich eine Suchanzeige nach einer Frau aufgegeben? Das glaube ich nicht." "Es ist aber wahr!" bestätigte Laura. "Aber hier gibt es doch Frauen genug", protestierte Matt. "Warum sollte da jemand eine Anzeige aufgeben, um eine zu fingen?"
"Böse funkelte Katy ihn an. "Na los, Matt, sag schon, was du denkst - bereitwillige Frauen gibt es wie Sand am Meer." "Das hast du gesagt, nicht ich." Laura reichte es jetzt. Sie stand auf. "Ich fahre zurück ins Büro. Katy, gib mir deine Bewerbung, dann reiche ich sie ein." Matt war immer noch völlig verwirrt. Er schüttelte den Kopf. "Was für ein Mann gibt denn so eine Anzeige auf?" "Das ist doch eine rein rhetorische Frage", vermutete Laura. Sie wandte sich an Katy. "Soll ich Boris hier abholen oder bei dir zu Hause?" "Gehen Sie noch nicht", bat Matt. "Bevor Katy hereinplatzte, wollte ich Sie fragen, was ich tun muss, um ein Stück von der Apfeltorte zu bekommen, von der Boris mir erzählte." Bevor Laura antworten konnte, wurden sie von Brandee Haycox' honigsüßer Stimme unterbrochen: "Das muss ich einfach hören." Matt unterdrückte ein Stöhnen. Warum tauchte sie denn ausgerechnet jetzt hier auf? Bevor sie beide andauernd gestört worden waren, hatte er Lauras Gesellschaft sehr genossen. Jetzt stand er auf und gab Brandee pflichtschuldig einen Kuss auf die Wange. Immerhin war Brandee seine Verabredung für den heutigen Tag. "Hallo, Brandee", begrüßte er sie. "Ich freue mich, dass du kommen konntest." Allerdings vier Stunden und elf Minuten zu spät, dachte er. "Wirklich?" Fragend hob sie die schmal gezupften Brauen. Zu diesem Picknick im Park trugen die meisten Frauen Jeans oder Shorts, Brandee hingegen ein Aufsehen erregendes Kleid und elegante, hochhackige Sandaletten. Schon als junges Mädchen hatte sie sich stets herausgeputzt. Jetzt verdrehte sie die Augen. "Anscheinend hast du dich ohne mich großartig amüsiert." Das ist wahr, dachte Matt ein wenig verwundert. Zumindest hatte er ein wenig seine Neugierde auf Laura stillen können. Als
Kavalier widersprach er jedoch höflich: "Nein, ich habe nur meine Pflicht getan." "Ich habe Matt für die morgige Ausgabe der Zeitung interviewt", erklärte Laura. "Warum?" wollte Brandee wissen. "Hat er eine Bank ausgeraubt?" Laura schmunzelte. "Nein, aber Sie sind dicht dran. Er wurde soeben zum Bürger des Jahres gekürt." "Wirklich? Du hast gewonnen? Das ist ja toll!" Brandee legte Matt die Arme um den Nacken und küsste ihn auf die Wange. Dann entfernte sie mit einem sorgfältig manikürten Nagel den Lippenstift von seiner Haut. "Ich bin so froh! Jetzt muss ich mich nicht mehr so schuldig fühlen, weil ich mit dir Schluss mache!"
3. KAPITEL Als Brandee ihre erstaunliche Ankündigung machte, sah Laura direkt auf Jessica. Die Kleine war herangekommen, hatte sich ihnen jedoch nicht angeschlossen, sondern hielt sich dicht hinter ihrem Vater zweifellos um zu lauschen. Jetzt sagte Jessicas Gesichtsausdruck mehr als tausend Worte. Die Kleine war überglücklich! Laura fühlte mit ihr. Ob zu Recht oder Unrecht, Jessica hatte sich offenbar durch die Freundin ihres Vaters bedroht gefühlt. Lehnte Jessica jede Frau ab, die in Matts Leben trat? Natürlich spielte das für Laura keine Rolle. Allerdings brauchte das Mädchen unbedingt Anleitung von einer Frau. Es wäre schlimm, wenn Matt eines Tages die Richtige träfe, und Jessica würde sie ablehnen. Matt fand endlich die Sprache wieder. "Du machst was?", fragte er Brandee. "Ich mache Schluss mit dir, Darling." Sanft berührte sie seine Wange. "Ich weiß, ich bin dir jahrelang schamlos nachgelaufen, doch jetzt hat sich etwas anderes ergeben." Sie lächelte strahlend. "Ich ziehe nach Denver und führe dort ein Fitnessstudio, das Daddy mir gekauft hat." Eine winzige Falte erschien zwischen ihren perfekt geschminkten Augen. "Ich glaube, ich könnte eine Beziehung auf so große Entfernung bestimmt nicht lange durchstehen, meinst du nicht auch? Ich habe nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, dir das zu sagen." Sie lächelte Beifall heischend in die Runde.
"Meine Güte!" sagte Katy. "Dies ist eine persönliche Angelegenheit", meinte Laura. "Ich werde lieber gehen." Brandee fegte diesen Einwand beiseite. "Das ist nicht nötig. Wir haben uns bereits alles gesagt. Nicht wahr, Matt?" fügte sie verspätet hinzu. Matt blinzelte, anscheinend wusste er immer noch nicht so recht, wie ihm geschah. "Ja, ich glaube schon." Er holte tief Luft und grinste. "Viel Glück, Brandee. Ich hoffe, es wird alles so, wie du es dir wünschst." Sie strahlte. "Du bist wirklich ein Schatz. Ich werde dich vermissen." Noch ein flüchtiger Kuss, diesmal auf seinen Mund, dann wandte sie sich ab und schritt davon. Laura, Katy und Jessica blickten Brandee fassungslos nach und sahen dann Matt an. Er wirkte immer noch benommen. Doch bevor das Schweigen peinlich wurde, jubelte Jessica: "Juchhe! Wir brauchen Sie nicht, Daddy!" Daraufhin umarmte sie ihren Vater stürmisch. "Warte nur ab!" "He", meinte Dylan, "das ist wirklich ein Ding! Brandee ist dir so lange nachgejagt, und als sie dich endlich am Haken hatte, dachte ich, die lässt dich bestimmt nicht mehr los." Matt hatte seinem Freund gerade von Brandees überraschendem Entschluss erzählt. Die beiden saßen unter einem Baum im Schatten, während rings um sie her das Picknick weiterging. "Ja, ich habe mir schon selbst Sorgen gemacht", gab Matt zu und trank einen Schluck Bier. "Trotzdem kam es ziemlich plötzlich." "Ist ja auch kränkend, wenn jemand in aller Öffentlichkeit Schluss macht." Gleichgültig zuckte Matt die Schultern. Die "Öffentlichkeit" interessierte ihn weniger. Er dachte an Laura. "Jessica hat mit ihren Gefühlen jedenfalls nicht hinter dem Berg gehalten", sagte er. "Brandee ist nun einmal nicht der taktvolle Typ."
Dylan lachte. "Das kannst du laut sagen!" "Na ja, was soll's, es ist vorbei. So eine Freundin kann auch ganz schön lästig werden. Ich denke, so schnell werde ich mich nicht wieder mit einer Frau einlassen." "Klar", sagte Dylan und nickte. "Lass dir Zeit." Am Montagmorgen lud John Reynolds Laura auf einen Kaffee in sein Büro ein. "Ich wollte ihnen zu Ihrer guten Arbeit gratulieren", sagte er. "Die Story über den Bürger des Jahres in der Sonntagsausgabe ist wirklich gut gelungen. Ich weiß, es ist nicht leicht, über den Enkel des Herausgebers zu schreiben, aber Sie haben das hervorragend hinbekommen." "Danke", sagte Laura erfreut, denn es war wirklich eine schwierige Aufgabe gewesen. Jedenfalls war es ihr gelungen, neutral zu bleiben und ihre persönlichen Gefühle gegenüber Matt nicht durchscheinen zu lassen. Tatsächlich tat er ihr ein wenig Leid, als er in aller Öffentlichkeit den Laufpass bekommen hatte. "Und wie hat Ihnen das Picknick gefallen?" fragte John. "Ich glaube, alle haben sich prächtig amüsiert - zumindest bis uns das Bier ausging." Laura lachte. "Das hat bestimmt niemand gestört. Nein, ich denke auch, alle hatten viel Spaß." "Haben Sie ein bisschen guten Klatsch aufgeschnappt?" Sie überlegte. "Eigentlich nicht", gab sie zu. "Alle redeten nur von dieser Märchenprinz-Heiratsanzeige." Angestrengt sah John in seine Kaffeetasse. "Ja, daran besteht wirklich starkes Interesse." "Woran besteht starkes Interesse?" fragte Matt, der gerade durch die Tür kam. Die beiden blickten erstaunt auf. Laura merkte sofort, dass Matt annahm, man habe von Ihm gesprochen, und «'klärte hastig: "An der Heiratsanzeige dieses so genannten Märchenprinzen. Das war bei dem Picknick am Sonntag ein heißes Thema."
Verächtlich verzog Matt das Gesicht. In verwaschenen Jeans und Arbeitshemd wirkte er an diesem Morgen besonders unnahbar. "Mir tut der Kerl jetzt schon Leid, wenn erst herauskommt, wer er ist", behauptete Matt. "Und das wird herauskommen." "Warum sollte er Ihnen Leid tun?" fragte Laura. "Ich finde die Anzeige irgendwie süß." "Süß." Matt verdrehte die Augen. "Er bekommt, was er verdient, wenn Sie mich fragen. Und zwar eine Frau, die auf andere Weise keinen Mann abbekommen würde - falls außer Katy überhaupt noch jemand auf die Anzeige antwortet." Laura wurde wütend. "Was für eine arrogante Bemerkung!" Gleichgültig zuckte Matt die Schultern. "Ich sage nur, was ich denke. Hat es denn noch weitere Zuschriften gegeben, Grandpa?" "Einige", antwortete John ausweichend. "Das ist übrigens eine vertrauliche Mitteilung." "Wie auch immer." Matt wirkte immer noch skeptisch. "Bist du aus einem bestimmten Grund gekommen oder einfach nur so?" fragte John. "Ich habe schon einen Grund - den üblichen." Matt wandte sich an Laura. "Wir haben Lieferschwierigkeiten. Diese ausgefallenen Sanitärteile für Ihr Gästebad. Ich sagte Ihnen ja, es kann ein bisschen dauern, diesen speziellen Wasserhahn zu besorgen." "Das darf doch nicht wahr sein!" Verärgert blickte sie ihn an. "Wie lange ist ,ein bisschen'?" "Eine Woche, vielleicht zehn Tage." Sie presste wütend die Lippen zusammen. "Was soll ich also tun?" hakte er nach. "Ich will, dass Sie darauf warten. Ich will alles so haben, wie ich es mir vorstelle!" "Ja", sagte er. "Aber dann müssen Sie eben ein wenig Geduld haben. Doch das scheint nicht zu Ihren Stärken zu gehören."
Laura änderte ihre Taktik. "Damit müssen wir irgendwie zurechtkommen, nicht wahr?" fragte sie zuckersüß. Matt unterdrückte einen Fluch, brummte etwas und wandte sich ab. An der Tür stieß er beinahe mit Bürgermeisterin Rogers zusammen. "Matt!" rief sie ihm nach. "Matt, ich muss mit Ihnen reden!" Doch er war schon fort. Marilyn kam herein und zuckte die Schultern. "Ich werde ihn später schon noch erwischen", erklärte sie fröhlich. "Inzwischen freut es mich, Sie beide hier zusammen vorzufinden." John bot ihr einen Stuhl an. "Wieso dies?" "Weil ich es dann nur einmal sagen muss." Sie setzte sich, griff nach der Thermoskanne mit Kaffee auf Johns Schreibtisch und goss sich einen Becher halb voll. "Ich möchte Sie beide am Freitagabend zu mir nach Hause zu einer Dinnerparty einladen." John stöhnte. "Sie wissen doch, wie sehr ich so etwas hasse." Marilyn lächelte unverdrossen. "Diesmal wird es Ihnen gefallen. Es ist ein Barbecue im Hinterhof." John schnaufte. "Was ist der Anlass?" "Kein spezieller Anlass. Es gefällt mir einfach, hin und wieder mit einigen sympathischen Leuten gemütlich zusammenzusitzen und zu plaudern." Sie wandte sich an Laura. "Werden Sie kommen?" "Natürlich." Eine Einladung bei der Bürgermeisterin hätte Laura niemals abgelehnt. Sie mochte Marilyn, und außerdem gehörte es zu ihrem Job, sich in der gesellschaftlichen Szene von Rawhide auf dem Laufenden zu halten. "Schön." Marilyn lächelte zufrieden. "Denn ich habe auch unseren neuen Stadtplanungsdirektor eingeladen, der rein zufällig Junggeselle ist." Laura unterdrückte ein Stöhnen, doch dann dachte sie: Warum eigentlich nicht? Weshalb sollte die Bürgermeisterin nicht versuchen, eine Bekanntschaft zu stiften? Laura selbst war
in dieser Sache nicht sehr erfolgreich. Doch nach' drei Jahren als Witwe fühlte sie sich manchmal einsam. Sie wünschte sich allerdings nicht mehr als eine Freundschaft. Von ganzem Herzen zu lieben war gefährlich. Laura hatte eine Liebe verloren, und sie wollte das nicht noch einmal riskieren. Sie lächelte. "Ich lerne gern neue Leute kennen", sagte sie. "Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Ich will zurück in mein Büro, bevor mein Chef mich vermisst." John wedelte mit der Hand. "Ja, gehen Sie nur." Noch bevor Laura das Zimmer verlassen hatte, meinte er zu Marilyn: "Haben Sie zufällig beim Picknick am Sonntag die kleine Szene zwischen meinem Enkel und dieser Brandee Haycox beobachtet?" "Zufällig ja." Laura verließ das Zimmer, zog die Tür halb hinter sich zu und blieb stehen. Mit einem raschen Blick versicherte sie sich, dass niemand zu<sehen war. Natürlich durfte sie sich auf keinen Fall beim Lauschen ertappen lassen. Aber wenn sie Jetzt zufällig ihr Schuhband neu binden musste ... "Es war wirklich nicht nötig, ihm in aller Öffentlichkeit den Laufpass zu geben", bemerkte John. "Ich denke, Matt wird das verkraften. Er ist besser dran ohne sie, John, und Sie wissen das." John seufzte. "Da haben Sie Recht. Aber ich mache mir Sorgen um die kleine Jessica. Sie braucht dringend eine Mutter." "Aber nicht so eine Mutter. Dennoch mein Kompliment, John. Sie sind sehr einfühlsam, das zu bemerken." "Ich habe gar nichts bemerkt, bis ich mit der Nase darauf gestoßen wurde. Verflixt, Marilyn, jemand sollte Matt mit einer netten Frau zusammenbringen, die dem Kind eine Mutter sein kann..." Kein nettes Mädchen, das seinen Verstand noch einigermaßen beieinander hat, wird sich mit einem
Schürzenjäger wie Matt Reynolds einlassen, auch wenn Jessica ein liebenswertes Kind ist, dachte Laura. Wahrscheinlich gab es in der ganzen Stadt keine ungebundene Frau mehr, mit der Matt noch nicht angebändelt hatte und... April Forbes kam um die Ecke. Als sie Laura vor der halb geöffneten Bürotür in gebückter Stellung sah, blieb sie erstaunt stehen und fragte: "Alles in Ordnung?" "Bestens, alles bestens." Laura richtete sich auf, und das Blut schoss ihr in die Wangen. "Ich habe nur ..." Sie deutete auf ihren Fuß. "Mein Schuhband war offen. Jetzt muss ich aber zurück zur Arbeit." Und sie eilte davon. April sah ihr äußerst verwundert nach. Der neue Stadtplanungsdirektor hieß Roger Reedy und war ein netter, wenn auch uninteressant aussehender Mann Mitte dreißig. "Ich weiß, Sie beide werden sich bestens verstehen", behauptete Marilyn Rogers, als sie Laura und Roger einander vorstellte. "Gehen Sie gleich hinaus auf die Terrasse. Laura, Sie kennen alle Anwesenden, bitte machen Sie Roger mit den anderen bekannt." In diesem Moment klingelte es erneut an der Tür. Laura nickte Roger zu und ging voraus. Sie war schon mehrmals im Haus der Bürgermeisterin gewesen und kannte sich aus. Außer John Reynolds waren anwesend: der Vorsitzende der Handelskammer und dessen Frau, der Schuldirektor und dessen Frau, der Chef der Feuerwehr und dessen Frau. John stand am Grill. Laura führte Roger zu ihm und begann mit den Vorstellungen. "Wir sind uns schon begegnet", sagte John und schüttelte Marilyns Gast die Hand. "Wie läuft es im Rathaus, Roger?" Roger holte zu einer ausführlichen Erklärung aus, aber Laura hörte nicht zu. Sie blickte auf den Mann, der jetzt die Schiebetür zur Veranda öffnete.
Matt. Eigentlich nicht weiter verwunderlich. Schließlich war er der frisch gekürte Bürger des Jahres. Ihre Blicke begegneten sich, schweiften umher und begegneten sich erneut. In der modischen Hose und dem blauen Hemd sah Matt noch besser aus als sonst. Er hatte sich das Haar schneiden lassen und wirkte männlich und überlegen. In diesem Moment erschien Marilyn mit einem weiteren Gast, einer großen, etwa dreißigjährigen Frau ganz in Schwarz, die eine strenge Hochfrisur trug. Sie war nicht schön, sah aber interessant aus und wirkte sehr anziehend. Marilyns tragende Stimme war gut zu verstehen. "Matt, das ist Meredith Zink. Sie ist neu in der Stadt, und ich möchte ihr helfen, ein paar Leute kennen zu lernen." Matt ergriff die dargebotene Hand. "Und was führt Sie in unsere schöne Stadt, Meredith?" fragte er. "Ich bin Anwältin und vor kurzem der Kanzlei von Löwe und Winkler beigetreten. Von der haben Sie vielleicht schon gehört?" Die beiden schlenderten außer Hörweite. Marilyn sah ihnen höchst zufrieden nach. "Finden Sie nicht auch, Laura?" Sie erschrak. "Entschuldigen Sie bitte, Roger, ich habe nicht richtig aufgepasst." "Ich sagte gerade, Rawhide muss ein wunderbarer Ort sein, um Kinder aufzuziehen." Roger zögerte. "Sie haben doch ein Kind, oder? Ich meine, jemand hätte es gesagt." "Ja, ich habe einen sechsjährigen Sohn." Ihr kam ein Gedanke. "Mögen Sie denn Kinder?" Er nickte "Sogar sehr. Natürlich habe ich keine, was vielleicht ganz gut ist, da ich geschieden bin. Ich habe nur einen Hund, eine Dänische Dogge namens Hamlet." Laura lachte höflich. Gleichzeitig dachte sie: Er mag Kinder und Hunde. Spreche ich etwa mit dem Märchenprinzen höchstpersönlich?
Matt hörte Lauras fröhliches Lachen und sah unwillkürlich zu ihr hinüber, obwohl Meredith ihm gerade einen Vortrag über die verschiedenen Aspekte des Erbrechts hielt. Laura sah wunderschön aus in dem leichten Kleid, das ihre sonnengebräunten Schultern zeigte. Ihr honigblondes Haar schimmerte seidig. Verdammt, warum war diese Frau nur so selbstgerecht und schwierig? "... und natürlich, wenn die Familie unvernünftig reagiert, was soll ein Anwalt da tun?" Meredith spreizte die Hände. Bei jeder anderen Frau hätte diese Geste hilflos gewirkt, bei Meredith war es eine Herausforderung. "Völlig richtig", stimmte Matt zu. Als Kupplerin war Marilyn eine Niete. Jedenfalls was Matt betraf. Laura hingegen himmelte diesen Planungsfritzen geradezu an! Marilyn wedelte mit den Armen. "Das Essen ist fertig, Leute!" rief sie. "Holt eure Teller. Bedient euch mit Salat und Brot, und lasst euch dann von John, dem Barbecuemeister, die Rippchen geben." Gehorsam bildeten sie eine Schlange. Matt landete hinter Meredith, diese hinter Laura und die wiederum hinter dem Planungsdirektor. Meredith streckte ihre Hand aus. "Ich glaube, wir haben uns noch nicht kennen gelernt. Ich bin Meredith Zink." "Laura Gilliam. Und dies ist Roger Reedy, der neue Stadtplanungsdirektor. " Roger drehte sich lächelnd um und erstarrte. Meine Güte! dachte Matt, ganz wie in diesen Werbefilmen, wo die Darsteller im Zeitlupentempo über eine Blumenwiese laufen und einander in die Arme fallen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Tief sahen sie sich in die Augen. Laura stand verwundert daneben. Dann erkannte sie die Situation und trat hastig zurück.
Wie selbstverständlich trat Meredith an Lauras Platz hinter Roger. "Roger", sagte sie mit heiserer, völlig veränderter Stimme, "ich bin einfach fasziniert vom Planungsvorgang." Roger sah sie an. "Und was machen Sie, Meredith - außer müden Atem zu rauben?" Sie lachte leise. "Ich bin Anwältin." Es klang geradezu aufreizend sexy. "Das darf nicht wahr sein!" Mit beiden Händen umfasste er ihre Hand. "Ich bewundere Anwälte über alles. Ohne sie würde unsere Welt im Chaos versinken ..." Matt und Laura sahen sich an und brachen in lautes Gelächter aus. Das andere Paar bemerkte es nicht einmal. "Nun", sagte Matt, "anscheinend sind jetzt nur noch wir beide übrig." Sie stöhnte. "Warum passieren immer mir diese Dinge?" "Sie meinen, ein Typ lässt Sie wegen einer anderen Frau stehen?" "Nein, ich meine, dass nichts so funktioniert, wie es soll. Marilyn wollte ihn mit mir zusammenbringen." "Hätte Ihnen das gefallen?" "Warum nicht? Er ist ein durchaus annehmbarer Mann schauen Sie nicht so anmaßend drein! Marilyn wollte Sie mit Meredith verkuppeln!" Matt lächelte. "In letzter Zeit habe ich so oft einen Korb bekommen, dass mich das hier nicht weiter überrascht." Sie schlängelten sich näher an das Büfett heran. "Die Sache mit Brandee neulich tut mir Leid", sagte Laura aufrichtig. Er zog spöttisch die Brauen hoch. "Warum? Sie kommen, und sie gehen." Es klang so gleichgültig, als wären die Frauen für ihn beliebig austauschbar. "Nun, wenn Sie das so sehen." Er streifte sacht ihren Arm, und sie spürte ein Prickeln auf der Haut.
"Seien Sie nicht gleich eingeschnappt", bat er. "Sie nehmen alles so ernst, und ich habe nur Spaß gemacht. Hören Sie, unsere Tischpartner sind miteinander durchgegangen. Sollten wir nicht versuchen, diesen einen Abend ohne Streit zu verbringen?" "Sie meinen, uns vertragen?" Er nickte. "Nett zueinander sein?" Er nickte erneut, diesmal heftiger. "So tun, als ob wir uns mögen?" Sie lächelte. "Ja", sagte er. "Ich weiß, es wird schwer, aber wir könnten es versuchen." Ein Schauer rieselte ihr über den Rücken. Es würde ihr nicht einmal so schwer fallen, wie sie vorgab. In diesem Moment erreichten sie den Picknicktisch, und das ersparte Laura eine Antwort. Sie versorgte sich mit Teller, Besteck und einer Serviette. Dann kam das Essen: Kartoffelsalat, Tomatenscheiben, gebackene Bohnen, frische Brötchen und Butter. Am großen gemauerten Grill erwartete sie John mit dem Grillbesteck in der Hand. "Na, wie geht's?" fragte er Laura, als er ihren Teller mit köstlich duftenden Rippchen belud. "Mir geht es prima, aber Sie geben mir zu viel zu essen!" protestierte sie und zog ihren Teller weg. Matt trat neben sie. "Leg noch mehr drauf", sägte er zu seinem Großvater. "Was sie nicht schafft, esse ich." "Du?" John sah ihn erstaunt an. "Du meinst, ihr beide ..." "Keinesfalls." Empört straffte Laura die Schultern. "Wir wurden nur beide von unseren Tischpartnern versetzt, und da wir als Einzige übrig geblieben sind ..." "Eine wunderbare Art, es auszudrücken", unterbrach Matt sie und streckte seinen Teller hin, um sich Rippchen geben zu lassen. "Wenn ich mich bemühe, kann ich sehr charmant sein." "Das glaube ich erst, wenn ich es erlebe", erklärte Laura und wandte sich ab. Doch das war gelogen.
Selbst wenn er sich unmöglich aufführte, war Matt Reynolds ein Mann, dem eine Frau nur schwer widerstehen konnte. Doch wenn er erst charmant wurde ... Matt gab sich wirklich große Mühe, nett, unterhaltsam und charmant zu sein. Es nutzte ihm allerdings nicht viel. Laura war höflich, aber er spürte, wie sie sich innerlich von ihm zurückzog. Na schön, wenn sie es so haben wollte. Matt war in der gleichen Falle gefangen wie sie, beide waren sie Opfer eines fehlgeschlagenen Kuppeleiversuchs der Bürgermeisterin. Ab morgen konnten sie sich wieder über Lauras Anbau streiten. Inzwischen waren Roger und Meredith ein Herz und eine Seele. Matt spähte hin und wieder neidisch zu ihnen hinüber. Sie hatten sich einen schattigen Platz unter einem Baum gesucht, wo sie einander in die Augen sahen, ein glückliches Lächeln auf den Lippen. Hastig wandte Matt sich ab. Er konnte sich nicht vorstellen, sich so schnell und heftig zu verlieben. Das war auch ganz gut so, denn seine Tischpartnerin schien ihm dafür gänzlich ungeeignet. In anderer Hinsicht jedoch fand er sie sehr ansprechend. Laura war wirklich sexy, und wenn sie ihn nur ein ganz klein wenig ermutigte... Er beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: "Essen Sie diese Rippchen noch auf?" "Sie können sie gern haben." Laura schob ihm den Teller zu. "Obwohl ich nicht verstehe, warum Sie sich nicht einfach eine dritte Portion holen." Matt zuckte zusammen. "Vielen Dank für den Tipp." Mit den Fingern nahm er das Fleisch von ihrem Teller. Am Tisch gegenüber lächelte Marilyn und stupste John mit dem Ellbogen an. "Ist das nicht süß? Laura teilt ihr Essen mit Matt." "Nimm dich vor Gift in Acht, Matt!" scherzte John.
Alle lachten, selbst Laura. "Wir versuchen, wenigstens diesen einen Abend miteinander auszukommen", erklärte sie. "Aber es ist schwer. Ihr Enkel ist eben kein Märchenprinz." Matt stöhnte. "Zum Glück nicht. Grandpa, wie viele Antworten hast du eigentlich auf diese verrückte Annonce hin bekommen?" Der Vorsitzende der Handelskammer hob den Kopf. "Ja, John, erzählen Sie uns davon. Die ganze Stadt spricht darüber. Wer hat die Anzeige überhaupt aufgegeben?" John schüttelte den Kopf. "Sie wissen, dass ich Ihnen das nicht sagen darf. Wir respektieren und schützen die Privatsphäre unserer Anzeigenkunden, wenn sie uns darum bitten." Der andere lachte. "Und wenn ich rate, werden Sie es mir dann sagen?" "Nein." "Auch nicht nicken oder zwinkern?" "Nein." "War es Max Shipman? John verzog keine Miene. "War es Johnny Hurd?", fragte der Feuerwehrchef. "Oder vielleicht Tim Hatz? Ich sah ihn neulich mit einem ganz durchtriebenen Grinsen aus dem Zeitungsgebäude kommen." "Er hatte soeben über eine Anzeige ein Pferd verkauft. Hat etwa doppelt so viel bekommen, wie der Gaul wert war. Da würdest du auch grinsen." "Nun", sagte Laura, "wer immer es war, ich finde die Anzeige sehr romantisch." "Romantisch genug, um darauf zu antworten?" neckte Marilyn. "Ganz bestimmt nicht. Ich bin nicht auf der Suche nach einem Ehemann."
Marilyns Augen funkelten belustigt. "Wie ist es mit Ihnen, Matt? Sie sind ja so still. Was halten Sie denn von dem Märchenprinzen?" Matt verzog das Gesicht. "Fragen Sie mich lieber nicht. Ich gebe mir gerade große Mühe, diese Lady nicht zu verärgern." Er blickte Laura an. "Na los, zieren Sie sich nicht", verlangte die Frau des Schuldirektors. "Ich möchte gern einmal die Meinung eines Mannes dazu hören. Was halten Sie von einem Mann, der versucht, auf diese Weise eine Frau zu finden?" Matt holte tief Luft, sah Laura an, verdrehte die Augen und sagte: "Er muss verrückt sein. Selbst wenn man richtig sucht, ist es fast unmöglich, jemand zu finden, mit dem man es vierundzwanzig Stunden am Tag aushalten kann." "Suchen Sie denn, Matt?" fragte jemand. "Teufel, nein! Ich wollte sagen, schon im wirklichen Leben ist es fast unmöglich, die richtige Person zu finden, aber durch eine Zeitungsanzeige? Das ist doch wohl ein Scherz! Der Kerl ist total verrückt!" Bis auf Laura lachten alle. Marilyn wandte sich an John, der die Szene ruhig beobachtete. "Hat denn überhaupt jemand auf die Anzeige geantwortet? Das können Sie uns doch immerhin sagen." "Okay, aber mehr erfahrt ihr nicht von mir. Es gab sieben Zuschriften." Alle schwiegen überrascht. Dann stieß der Präsident der Handelskammer einen leisen Pfiff aus. "Ich weiß zwar nicht, was das über die Frauen von Rawhide aussagt", meinte er, "aber es hat bestimmt etwas zu bedeuten." "Es sagt wohl, dass die Frauen von Rawhide sich nach ein wenig Romantik sehnen", erwiderte seine Gattin. "Ich jedenfalls tue es." "Ach Liebling..."
Matt lächelte verstohlen und wandte sich rasch ab. In diesem Moment unterbrachen Meredith und Roger das Gespräch, um sich von Marilyn zu verabschieden. Sie wollten unbeobachtet zusammen sein und konnten nicht schnell genug wegkommen. Falls Roger der Märchenprinz ist, wird er nicht mehr auf das Ergebnis seiner Anzeige warten, dachte Laura. "Das Ganze tut mir Leid", sagte Marilyn, nachdem die beiden gegangen waren. "Ich wollte Ihnen, Matt und Laura, etwas Gutes tun, doch auch die besten Absichten schlagen manchmal fehl." "Das macht nichts", tröstete Matt sie. "Hin und wieder brauche ich eine Herausforderung, um am Ball zu bleiben." Er streifte Laura mit einem belustigten Blick. "Ich schätze Herausforderungen auch", bemerkte sie liebenswürdig, "und ich hoffe, ich treffe eines Tages darauf." Obwohl der Scherz auf seine Kosten ging, lachte Matt fröhlich mit den anderen. Marilyn wandte sich an John. "Ich habe übrigens Freunden aus Denver für nächste Woche die Hütte versprochen. Geht das in Ordnung?" John überlegte. "Ja, kein Problem." "John und mein Mann haben vor vielen Jahren gemeinsam eine Hütte in den Bergen gekauft", erklärte sie. "Unsere beiden Familien haben sie abwechselnd genutzt, bis die Kinder erwachsen waren und fortzogen. Seit dem Tod meines Mannes wird sie kaum noch bewohnt. Wir freuen uns deshalb immer, wenn nette Leute ein oder zwei Wochen Erholung in völliger Abgeschiedenheit suchen, nicht wahr, John?" Er nickte. "Falls einer von Ihnen Interesse daran hat, sagen Sie es nur." Der Präsident der Handelskammer nickte. "Meine Frau und ich haben dort letzten Sommer zweite Flitterwochen verbracht, und es war fabelhaft", schwärmte er.
Seine Frau war immer noch ein bisschen eingeschnappt. "Dieses Jahr werden wir sie allerdings nicht brauchen, nicht wahr, Darling?" meinte sie spitz. Laura lächelte, während viele Gedanken auf sie einstürmten. Sie hatte bald Urlaub und wollte eigentlich zu Hause bleiben. Aber da es mit ihrem Anbau so langsam voranging, erschien ihr eine Woche in den Rocky Mountains sehr reizvoll. Freie Natur, Ruhe und Frieden, genau das, was sie und Boris brauchten ...
4. KAPITEL Am Montagmorgen erschien Matt schon, bevor Boris und Laura ihr Frühstück beendet hatten. Bei seinem Anblick sank Lauras Stimmung. Matt sah grimmig und entschlossen aus, als würde er schlechte Nachrichten bringen. "Kann eine Tasse Kaffee helfen?" fragte sie vorsichtig. Er zuckte die Schultern. "Ich bezweifle es. Schaden kann es jedenfalls nicht. Bieten Sie mir welchen an?" "Sicher." Sie trat von der Küchentür zurück und ließ ihn herein. Boris strahlte Matt erfreut an. "Hallo, Mr. Reynolds. Kann ich heute wieder Ihr Gehilfe sein?" Matt strich dem Jungen durchs Haar. "Heute leider nicht, Partner. Darüber will ich gerade mit deiner Mutter reden." Laura hatte Matt Kaffee eingeschenkt und brachte ihn zum Tisch. "Irgendwie habe ich das Gefühl, es ist keine gute Nachricht." "Ich fürchte, Sie haben Recht." Er gab zwei Löffel Zucker in seinen Kaffee, rührte umständlich, trank einen Schluck, räusperte sich und sah schließlich Laura an. "Leider muss ich die Arbeiten hier für einige Tage unterbrechen - vielleicht für eine Woche." "Was!" Sie richtete sich auf ihrem Stuhl auf. "Warum?" "Weil wir auf einer anderen Baustelle einen Notfall haben und ich der Einzige bin, der dort einspringen kann."
"Aber ... aber ..." Laura versuchte, sich zu beherrschen, und atmete tief durch. "Das liegt meiner Meinung nach an schlechter Planung. Vielleicht sollten Sie Ihre Terminpläne gründlicher überdenken." Matt betrachtete sie nachdenklich. Er sah Boris an, der begierig auf jedes Wort lauschte. "Laura", sagte Matt ruhig, "ist Ihnen schon aufgefallen, dass ich Ihren Anbau praktisch ganz allein fertig stelle?" Sie überlegte. "Jetzt, da Sie es erwähnen ..." "Es gibt einen Grund dafür. Sie gehen meinen Arbeitern ..." Er zögerte kurz, ehe er den Satz vollendete: "... auf die Nerven." Auf Boris' Stirn bildete sich eine steile Falte, wie immer, wenn er sich sehr konzentrierte. "Auf die Nerven ..." wiederholte er. "Nicht so wichtig, Schatz." Laura tätschelte hastig seinen Arm. Kühl sah sie Matt an. "Sie machen natürlich Spaß." "Leider nicht." Er nippte an seinem Becher. "Guter Kaffee." "Versuchen Sie nicht, das Thema zu wechseln." Sie wandte sich an ihren Sohn. "Boris, räum bitte die Spielsachen weg, die du gestern Abend im Wohnzimmer gelassen hast. Ich unterhalte mich solange mit Mr. Reynolds." "Muss ich?" "Du musst", erwiderte sie entschieden. Boris gehorchte, trödelte jedoch und wandte sich etliche Male um. Als er endlich außer Hörweite war, ging Laura auf Matt los. "Was soll das heißen, ich falle Ihren Leuten auf die Nerven?" "Genau das. Ein Mann mag es nun einmal nicht, wenn eine Frau ihm bei der Arbeit dauernd über die Schulter sieht und verzeihen Sie, Laura - dazu überflüssige Bemerkungen macht." "Zum Beispiel?" "Zum Beispiel: ,Warum schlagen Sie diesen Nagel hier ein? Sollte er nicht lieber dort sein? Diese Isolierung sieht wirklich nicht dick genug aus. Sollten wir die nicht lieber doppelt
nehmen? Sind meine Lichtschalter schon geliefert worden? Sie sind vergoldet, wissen Sie.'" Nachdem Matt geendet hatte, brannten Laura die Wangen. "Ich habe nie behauptet, meine Lichtschalter seien vergoldet." Matt lachte erleichtert. "Das habe ich nur eingefügt, um festzustellen, ob Sie überhaupt zuhören. Das Übrige streiten Sie aber nicht ab." "Nun ... nicht ganz." Verärgert presste sie die Lippen zusammen. "Ich verstehe nicht, wieso Ihre Arbeiter «o empfindlich sind!" platzte sie schließlich heraus. "Sie sollten froh sein über gute Ratschläge!" "Laura, Ihre Ratschläge sind nicht gut. Überlegen Sie doch einmal, diese Leute sind Profis." Er neigte den Kopf zur Seite. "Wie viele Häuser haben Sie eigentlich schon gebaut?" "Sarkasmus steht Ihnen nicht. Also schön, ich habe verstanden. Es gefällt mir nicht, und ich bin auch anderer Meinung als Sie, aber ich habe verstanden. Deshalb machen Sie die Arbeit also selbst?" "Nein, deshalb will kein anderer hier arbeiten, auch dann nicht, wenn ich eine Zusatzprämie zahle." Laura schnappte nach Luft. "Das ist eine Beleidigung!" "Das haben meine Arbeiter auch gesagt." Er trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse auf den Tisch. "Jedenfalls werde ich Ihren Auftrag erledigen, und Sie erhalten gute Arbeit, aber ich muss sie leider selbst machen." Dann kam ihm eine Idee. "Es sei denn ...Verreisen Sie vielleicht zufällig in der nächsten Zeit? Dann könnte ich mit einer ganzen Mannschaft hier anrücken und aufholen." "Möglicherweise." Sie überlegte. "Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ich es genau weiß." . "Großartig." Matt stand auf. "In der Zwischenzeit erledige ich, so viel ich kann, wann immer ich die Zeit dafür habe." "Verflixt, Matt!" Sie stand ebenfalls auf. "Für Sie ist das vielleicht nur ein unwichtiger kleiner Auftrag, aber mir ist die
Sache sehr wichtig. Dies ist bestimmt das einzige Zimmer, das ich jemals anbauen lasse, deshalb muss es einfach perfekt werden." Er schüttelte den Kopf. "Keiner meiner Aufträge ist unwichtig für mich", erwiderte er. "Sie bekommen die beste Arbeit, die ich leisten kann, und ich bin gut, verdammt gut." Seine trotzige Haltung duldete keinen Widerspruch. "Aber perfekt..." Er schüttelte erneut den Kopf. "Ich bin nicht sicher, ob es das überhaupt gibt." "Natürlich gibt es das, und ich will es so!" Sie wünschte sich ein perfektes neues Zimmer, Perfektion für ihre Arbeit und vor allem Perfektion in ihrem Privatleben. Und obwohl ihr noch nirgends Perfektion begegnet war, hörte sie nicht auf, danach zu suchen. Matt wartete absichtlich bis zur Mittagszeit, bevor er das Büro seines Großvaters aufsuchte. Auf keinen Fall wollte er heute der schwierigen Mrs. Gilliam ein zweites Mal begegnen. "Der Chef ist nicht da, aber er kommt bald zurück", sagte Mrs. Forbes. "Wenn Sie wollen, können Sie in seinem Büro auf ihn warten." Matt überlegte. Gerade in diesem Augenblick sah er Laura aus der Redaktion herüberkommen. Damit war seine Entscheidung gefallen. "Okay, ich warte drinnen. Danke, Mrs. Forbes." Matt betrat das Büro seines Großvaters und zog die Tür halb hinter sich zu. Sein Großvater war noch ein junger Mann gewesen, als er den Rawhide Review gegründet hatte, und seitdem war noch kein anderer ans Ruder gelangt. John Reynolds kannte jeden Einwohner und jedes Geheimnis der Stadt, und er scheute sich nicht, Unrecht öffentlich bekannt zu machen. Matt war in ehrfürchtigem Respekt vor seinem Großvater aufgewachsen. Er konnte sich nicht vorstellen, anderswo glücklich zu sein. Seit einiger Zeit konnte er sich nicht vorstellen, überhaupt glücklich zu sein.
Matt schlenderte zum Fenster und sah hinaus auf die Hauptstraße. Gegenüber sah er den Polizeichef im Gespräch mit Rawhides Versicherungsmakler. Etwas weiter unten kamen die Bürgermeisterin und der neue Stadtplanungsdirektor - derjenige, der ihm, Matt, die Tischpartnerin beim Barbecue weggeschnappt hatte - die Straße entlang. Rawhide war ein Ort, in dem man gut leben und Kinder auf ziehen konnte. Dort aber eine Partnerin zu finden war weitaus schwieriger. Matt hatte sich zwar nicht allzu sehr darum bemüht, doch manchmal fragte er sich, ob es überhaupt eine Frau gab, die jene Leere in seinem Herzen füllen könnte, die der Tod von Jessicas Mutter dort hinterlassen hatte ... Er wandte sich vom Fenster ab, und sein Blick streifte den Schreibtisch seines Großvaters. Besonders ordentlich war der alte Herr nicht. Matt entdeckte ein Flugzeug aus Pappmaschee und lächelte. Das hatte er selbst gemacht, in der dritten Klasse, wenn er sich recht erinnerte. Und das gerahmte rote Papierherz war ein Geschenk von Jessica, das sie dem geliebten Großvater zum letzten Valentinstag überreicht hatte. Aber wieso stand Jessicas Keramiksparschwein auf Großvaters Schreibtisch? Na ja, die beiden heckten ja ständig etwas miteinander aus. Wie John in diesem Durcheinander überhaupt etwas finden konnte, war Matt ein Rätsel. Er selbst war zwar auch nicht sonderlich ordentlich, doch das hier war wirklich übertrieben. Matt blickte überrascht auf den Aktenstapel. Ganz oben lag ein Hefter mit der Aufschrift "Märchenprinz". Antworten auf diese verrückte Anzeige! dachte er. Es wäre nicht richtig, diesen Hefter jetzt in die Hand zu nehmen, aufzuschlagen, einen Blick auf das oberste Blatt zu werfen ... Vorsichtig lauschte er. Nichts war zu hören, niemand war zu sehen. "Zum Teufel damit!" fluchte er leise und ergriff den Ordner. Niemand würde es merken.
"Matthew Reynolds, schnüffeln Sie etwa in den Unterlagen Ihres Großvaters?" Er erschrak und blickte schuldbewusst auf. Ausgerechnet Laura Gilliam hatte ihn ertappt! Trotzdem legte er den Ordner nicht zurück. "Es ist schon in Ordnung", sagte er. "Ich kenne den Chef." "Das verleiht Ihnen keine Sonderrechte." Laura kam näher. "Das ist die Märchenprinzakte, nicht wahr?" War sie eine Hellseherin? "Ja", gab Matt zu. "Woher wissen Sie das?" "Weil ich vor etwa zehn Minuten hier drin mit John gesprochen habe. Da hatte er die Akte in der Hand und meinte, es sei an der Zeit, sie an den Inserenten weiterzugeben; damit er eine Entscheidung treffen kann." "Dann spricht doch nichts dagegen, wenn ich zuerst einen Blick hineinwerfe." Matt zog das oberste Blatt hervor. "Nein!" Laura griff danach, doch Matt hielt das Papier hoch über seinem Kopf. "Warum regen Sie sich so auf?" Ein unglaublicher Gedanke kam ihm. "Haben Sie etwa auf die Anzeige geantwortet? Soll ich es deshalb nicht lesen?" "Natürlich nicht!" protestierte sie heftig. "Ich finde es aber sehr unhöflich, sich über einen Mann lustig zu machen, dem diese Sache offenbar sehr ernst ist." "Das mache ich doch gar nicht. Ich bin einfach nur neugierig." Matt sah auf das Blatt und las laut vor: "Lieber Märchenprinz. Kenne ich dich etwa schon? Ich kenne fast jeden in der Stadt. Hoffentlich bist du keiner von diesen verkrampften Spinnern, die immer so angeben." Matt blickte Laura an. "Das ist aber keine besonders nette Bemerkung über die Männer von Rawhide." "Aber ziemlich zutreffend", erwiderte Laura. "Legen Sie jetzt dieses Blatt zurück." Matt beachtete sie nicht und las weiter. "Aber vielleicht versteckst du nur deine romantischen Sehnsüchte? Ein Mädchen
wird ja noch träumen dürfen. Nun zu mir: Ich mag Kinder und Hunde. Ich weiß nicht, ob ich hübsch bin, aber ..." Johns Stimme drang durch die geöffnete Tür. "Falls jemand mich braucht, ich bin für den Rest des Tages in meinem Büro, April." Hastig versuchte Matt, das Blatt wieder in den Ordner zu legen. "Wir streiten alles ab", flüsterte er Laura zu. "Ich habe nichts abzustreiten!" Auch Laura griff nach dem Ordner. "Lassen Sie mich das machen, Sie schaffen das nie." Bei dem Gerangel fiel der Ordner zu Boden, und etliche lose Blätter flatterten auf den blauen Teppich. Matt und Laura gingen in die Knie und fassten gleichzeitig nach dem Ordner. Ihre Hände berührten sich. Erschrocken sahen sie sich an. Die Zeit schien stillzustehen. Einen Augenblick lang verspürte Matt den heftigen Wunsch, Laura in die Arme zu ziehen. John betrat das Zimmer und blieb verwundert stehen. "Er hat uns erwischt!" flüsterte Matt. Zögernd ließ er Lauras Hand los, dann sammelte er die Blätter ein. John blickte auf sie herab. "Störe ich etwa?" fragte er sarkastisch. Errötend stand Laura auf. "Nein, keinesfalls. Wir haben nur... Das heißt, er hat ..." Ihr fiel keine plausible Erklärung ein, deshalb schwieg sie verlegen. Matt hatte jetzt alle Blätter eingesammelt und stand ebenfalls auf. "Wir haben zufällig den Märchenprinzordner entdeckt und dachten, wir werfen mal einen Blick hinein", sagte er. "Das ist eine glatte Lüge!" protestierte Laura. "Ich habe nichts damit zu tun, John. Im Gegenteil, ich wollte ihn davon abhalten." "Ach wirklich?" John klang nicht überzeugt. "Ganz ehrlich." Sie sah Matt wütend an. "Sagen Sie Ihrem Großvater die Wahrheit", verlangte sie. "Ich lasse mir nicht die Schuld an etwas zuschieben, was ich nicht getan habe."
Matt brachte es nicht übers Herz, sie länger auf den Arm zu nehmen. "Sie hat Recht, Grandpa", gab er zu. "Ich habe heimlich in den Ordner geschaut, und sie hat mich dabei erwischt. Sie hat wirklich versucht, mich zurückzuhalten, aber ich habe natürlich nicht auf sie gehört. Ich meine, ich habe doch nur Spaß gemacht und schade niemandem." John war verärgert. "Der Inserent hat ein Recht auf Diskretion, findest du nicht?" "Wieso denn?" Matt konnte es wirklich nicht verstehen. "Zeitungen sind doch öffentlich, nicht wahr? Wenn man etwas in die Zeitung setzt, kann man doch kaum erwarten, dass es ein Geheimnis bleibt, oder?" "So siehst du das also?" John nahm Matt den Ordner aus der Hand. Matt zuckte die Schultern. "Das ist die einzig vernünftige Betrachtungsweise, Grandpa." John nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. "Wenn ich mich richtig erinnere, hast du bei dem Barbecue neulich ziemlich geringschätzig über diesen Inserenten gesprochen." "Ich würde es nicht geringschätzig nennen." Matt spürte Lauras Ablehnung. Sie sah heute besonders gut aus. Ihr kleiner Streit hatte Farbe in ihre Wangen gebracht, und ihre Augen funkelten angriffslustig. "Ich nenne es eher ..." "Verächtlich?" schlug Laura vor. "Oder für unter Ihrer Würde?" Beide sahen Matt so vorwurfsvoll an, als hätte er einen kleinen Hund getreten. "Ich nenne es mitleidig", verteidigte er sich. "Ich meine, was ist das für ein Mann, der eine Zeitungsannonce aufgeben muss, um eine Frau zu finden?" "Nicht irgendeine Frau", verbesserte Laura ihn. "Eine Ehefrau. Wenigstens hat er ehrliche Absichten." "Im Gegensatz zu mir?" Matt wurde langsam ärgerlich. Laura zuckte die Schultern. "Wem der Schuh passt..."
"Hört auf, euch zu streiten." John legte den Ordner auf den Schreibtisch. Er wartete, bis beide sich gesetzt hatten, bevor er weitersprach. "Egal, was ihr persönlich davon haltet, eine solche Anzeige aufzugeben, so sind wir uns doch wohl in einem Punkt einig: Es ist nun einmal geschehen, und der sogenannte Märchenprinz sollte nun auch aufmerksam die Briefe der Frauen lesen, die ihn gern kennen lernen möchten." "Ja, klar." Matt war es völlig egal, was der Kerl tat. "Laura?" "Unbedingt." Sie nickte entschieden. "Bedenken Sie doch, wie kränkend es für diese Frauen wäre, wenn er es nicht täte. Außerdem wäre die ganze Stadt enttäuscht, wenn nie herauskäme, wer der Märchenprinz wirklich ist." "O ja", sagte Matt, "die Öffentlichkeit muss unbedingt erfahren, wer dieser Typ ist." Er sah seinen Großvater an. "Wie geht es jetzt weiter?" "Das war's schon." John hielt ihm den Ordner hin. Matt nahm ihn jedoch nicht entgegen, sondern fragte misstrauisch: "Was soll das? Was hast du vor?" "Nimm ihn", verlangte John. "Warum sollte ich?" Da stimmte doch etwas nicht. Zögernd griff Matt nach dem Ordner. "Weil deine Tochter diese Anzeige aufgegeben hat", sagte John triumphierend. "Herzlichen Glückwunsch, Matthew. Du bist der Märchenprinz." Matt sah aus, als werde ihn jeden Moment der Schlag treffen. Fassungslos und entsetzt blickte er seinen Großvater an. Er tat Laura beinahe Leid. Aber nur beinahe. Matt wollte sprechen, doch er brachte nur ein Krächzen hervor. Er räusperte sich und versuchte es noch einmal. "Jessica hat diese Anzeige aufgegeben? Meine eigene Tochter macht mich zum Gespött der Leute? Ich kann es nicht glauben." "Glaube es ruhig." John lächelte zärtlich. "Sie ist ein kluges kleines Mädchen. Sie braucht eine Mutter, und sie weiß es."
"Aber wie ...?" Matt verstand die Welt nicht mehr. "Sie kam mit ihrem Sparschwein zu mir und bat mich, eine Anzeige in die Zeitung zu setzen, die sie ganz allein geschrieben hatte. Ich konnte sie nicht abweisen." "Du hättest mich anrufen und mir das erzählen sollen. Schließlich bin ich ihr Vater." "Und ich bin ihr Großvater, und wir beide wollen das Beste für sie - und auch für dich." "Ich finde das rührend", sagte Laura, "ein kleines Mädchen, das versucht, sich um ihren Vater zu kümmern." John nickte. "Jessica und ich hatten abgemacht, unser kleines Geheimnis zu bewahren, bis wir wissen, ob es überhaupt Zuschriften gibt. Und es gibt welche." Matt sah den Ordner an, als wäre er eine giftige Schlange. "Und was soll ich jetzt damit machen?" fragte er. "Lies die Briefe, und such dir eine Kandidatin aus", schlug John vor. "Auf keinen Fall! Ich suche keine Ehefrau!" "Das solltest du aber", erwiderte John. "Denn du brauchst, ast genauso dringend eine Frau wie Jessica eine Mutter." Matts Blick wurde traurig. "Bin ich denn so ein schlechter Vater gewesen?" "Du bist ein großartiger Vater. Als Mutter taugst du aber nicht viel." John betrachtete seinen Enkel liebevoll. "Jessica ist in einem Alter, in dem sie dringend weibliche Führung braucht. Was willst du ihr sagen, wenn sie von dir zum Beispiel etwas über Jungen erfahren will?" "Natürlich die Wahrheit - man darf keinem von ihnen trauen." Laura mischte sich ein. "Sehr hilfreich." Wütend sah Matt sie an. "Sie hätten auch keine bessere Antwort parat." "Möglich", gab sie zu. "Aber ich tue zumindest nicht so, als wäre ich allwissend. Wenn ..."
"Das reicht jetzt!" John hob die Hände. "Matt, «schau dir jetzt die Antworten auf die Märchenprinzanzeige an, und wähl eine aus." "Den Teufel werde ich tun!" Matt sprang auf. "Tu es für Jessica." Stöhnend griff Matt in den Ordner, zog, ohne hinzusehen, ein Blatt heraus, reichte beides seinem Großvater und verließ ohne ein weiteres Wort das Büro. Dieser unhöfliche Abgang empörte Laura. "Natürlich braucht Jessica eine Mutter", sagte sie selbstgerecht. "Das arme Mädchen braucht doch ein Rollenmodell." "Ich weiß nicht." John blickte zweifelnd drein. "Matt war ganz schön aufgebracht, als er ging." "Na und? Er ist nicht der Erste, der zugunsten seines Kindes eine schwere Entscheidung treffen muss. Aber ich fürchte, wenn er in dieser Sache nicht mitspielt, wird es Jessica das Herz brechen und..." "Hallo, Grandpa." Beim Klang der fröhlichen Kinderstimme fuhren John und Laura herum. "Hallo, meine Kleine." John sah seine Urenkelin ein wenig schuldbewusst an. "Du hast deinen Vater verpasst." "Das ist schon in Ordnung." Sie blickte Laura an. "Ich wollte dich fragen, ob ... Du weißt schon." John nickte. "Laura weiß Bescheid und dein Vater auch. Ich habe ihm gerade den Ordner mit allen Antwortbriefen gegeben." Jessicas Gesicht leuchtete auf. "Hat er eine ausgesucht?" fragte sie aufgeregt. "O Grandpa, hat er?" "Ja, aber ..." "Lass mich sehen!" Sie stürzte vor, ergriff das Blatt Papier und begann zu lesen: "Lieber Märchenprinz, meine Mom ist hübsch und nett. Bitte wähl sie aus, mein Daddy ist ..." Jessica riss erstaunt die Augen auf. Laura lächelte ihr aufmunternd zu. "Lies zu Ende vor, Jessica. Ich finde es wunderbar, was du für deinen Vater tust.
Jeder in der Stadt möchte wissen, wie die Sache ausgeht. Von wem ist der Brief denn?" "Er ist von Boris G." Jessica sah Laura ängstlich an. "Boris G." Laura erstarrte. "Aber Boris G. ist doch ..." Sie rang nach Luft. "Meinst du etwa ...?" Jessica blickte verlegen auf die Spitzen ihrer schmutzigen Turnschuhe. Ihre kurzen Jeans waren auch nicht sehr sauber, und das blaue T-Shirt war alt und ausgeleiert. "Ich habe ihm geholfen, den Brief zu schreiben", gestand sie. "Ich habe ihm erzählt, dass ich eine neue Mutter finden will, und Boris wünscht sich einen Daddy, und da meinte er, ob er nicht auch an die Zeitung schreiben kann." Laura war erschüttert. Sie fand es richtig, dass Matts Tochter sich eine Mutter wünschte, doch dass ihr eigener Sohn sich nach einem Vater sehnte, war etwas ganz anderes. Und ich bin bestimmt eine gute Mutter! dachte sie unglücklich. Zum ersten Mal kam ihr in den Sinn, dass Matt durchaus ein guter Vater sein konnte und dennoch nicht in der Lage war, alle Bedürfnisse seines Kindes zu erfüllen. Einen Moment schwiegen alle verlegen. Dann sagte John: "Es könnte schlimmer sein, Laura. Immerhin kennt ihr beide euch schon." Laura stöhnte. "Wir kennen uns, aber..." Sie zögerte. Unmöglich konnte sie sagen, was sie von Matt Reynolds hielt, während seine Tochter sie so vertrauensvoll ansah. "Immerhin sollten Sie zu Ihrem Wort stehen, Laura." Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach. "Wie meinen Sie das?" "Vorhin wussten Sie einiges zu sagen über Eltern und Entscheidungen." "Ja, aber..." "Sie finden es wunderbar, was Jessica für ihren Vater tut. Es ist genauso wunderbar, wenn Ihr Sohn das Gleiche für Sie tut", sagte John. " Zumal er noch jünger ist."
"Ja, aber..." "Ich mag Sie jetzt schon", versicherte Jessica ernst. "Ich wette, Sie sind eine ziemlich gute Mutter. Boris mag Sie jedenfalls sehr gern." Laura wurde es warm ums Herz, wie stets, wenn sie mit diesem kleinen Mädchen sprach. "Ich möchte gern glauben, dass ich eine gute Mutter bin", sagte sie. "Aber ich fürchte, dein Vater muss sich eine andere aussuchen. Weißt du, ich suche keinen Ehemann, Jessica." "Das ist ja das Gute!" Jessica stellte sich direkt vor Lauras Stuhl. Ihre blauen Augen funkelten entschlossen. "Sie brauchen gar nicht zu suchen, weil ich und Boris doch schon alles geregelt haben." Laura versuchte zu lachen, aber es klang mehr wie ein Stöhnen. "Das verstehst du nicht, Liebling. Eine Zeitungsanzeige ist nicht die richtige Methode, Menschen zusammenzubringen." "Sie waren aber sehr dafür, als es um Matt und irgendeine Unbekannte ging", erinnerte John sie. "Das war etwas anderes." Laura biss sich verlegen auf die Lippe. "Warum?" Jessica verstand es nicht. "Boris sagt, Sie mögen Kinder und Hunde, also mögen Sie nur mich nicht!" Tränen schimmerten in ihren Augen. "Aber Liebling, ich mag dich sogar sehr." Laura zog das kleine Mädchen in die Arme. Was sollte sie nun tun? Sie fühlte sich völlig hilflos.
5. KAPITEL Als Matt an diesem Abend nach sieben von einer Baustelle nach Hause kam, hatte sein Großvater bereits den Babysitter abgelöst und saß mit Jessica im Wohnzimmer, wo sie sich ein Disneyvideo ansahen. Erschöpft nach einem anstrengenden und aufregenden Tag, brummte Matt einen Gruß und begab sich direkt ins Badezimmer. Unter der heißen Dusche schloss er die Augen und versuchte, sich zu entspannen. Seine Projekte entwickelten sich gut, auch der Bau des neuen Gewerbeparks machte gute Fortschritte. Das Einzige, was nicht gut voranging, war Laura Gilliams Anbau. Schon als er den Auftrag angenommen hatte, hatte Matt Bedenken gehabt. Laura Gilliam war eine gefährliche Frau. Alles an ihr beunruhigte Matt: ihre Schönheit und ihre Überzeugung, immer im Recht zu sein. Falls es ihm jemals gelang, dieses verflixte Wohnzimmer fertig zu stellen, würde er von da an einen großen Bogen um Laura machen. Bevor er das tun konnte, musste er jedoch aus dieser Märchenprinzgeschichte herauskommen Hätte er doch nur seinen Mund gehalten! Doch mit seinen abfälligen Bemerkungen über den geheimnisvollen Anzeigenkunden hatte er sich unabsichtlich selbst eine Grube gegraben. Matt frottierte sich das Haar, zog Shorts und T-Shirt an und ging barfuß ins Wohnzimmer. Grandpa und Jessica hatten das
Video ausgestellt und warteten auf ihn. Der erwartungsvolle Ausdruck auf dem Gesicht seiner Tochter gefiel ihm gar nicht. Matt warf das feuchte Handtuch auf seinen Lieblingsledersessel. "Habt ihr schon gegessen?" "Grandpa hat mir einen Hamburger gekauft." "Prima. Dann nehme ich mir das übrig gebliebene chinesische Essen von gestern." Er wollte in die Küche gehen. "Einen Moment, mein Junge." Matt unterdrückte ein Stöhnen. Mit einem gequälten Lächeln wandte er sich um. "Was hast du auf dem Herzen, Grandpa?" "Um dich geht es, Märchenprinz." Diesmal stöhnte Matt wirklich. "Okay, ihr habt euren kleinen Spaß gehabt. Jetzt lasst uns die ganze Sache vergessen." "Daddy!" Jessica war gekränkt. "Wir können das nicht vergessen. Du musst doch jetzt zu Verabredungen gehen und so." "Jaahaa", stimmte John zu. "Musst ausprobieren, ob der gläserne Schuh passt." Er lachte, und Jessica kicherte. Matt lachte nicht. "Meint ihr nicht, das ist jetzt weit genug gegangen? Ich habe keine Zeit für ..." Er schwieg, denn Jessica war auf einmal den Tränen nahe. "Du weißt nicht einmal, wer ausgesucht wurde", sagte sie vorwurfsvoll. Er seufzte. "Das ist nicht wichtig, Jessica." "Mir ist es aber wichtig, Daddy." Unglücklich und hoffnungsvoll zugleich blickte sie ihn an. Matt war die Kehle wie zugeschnürt. Er liebte seine Tochter und würde alles für sie tun. Aber konnte er wirklich ernsthaftes Interesse für eine Frau entwickeln, die so wenig Selbstachtung hatte, dass sie auf eine anonyme Heiratsanzeige antwortete? "Daddy", bat Jessica, "bitte, tu es für mich. Geh mit dieser Lady aus, und verliebe dich, und heirate sie, okay?"
Er musste lachen. Als ob das so einfach wäre. "Jessica, Liebling..." "Woher willst du wissen, ob es dir gefällt, wenn du es nicht ausprobierst? Das sagst du auch immer zu mir: .Jessica, iss dein Gemüse.' Woher willst du wissen, ob es dir schmeckt, wenn du es nicht probierst?" John grinste. "Jetzt hat sie dich am Haken, Junge." Und mit einem tiefen Seufzer gestand Matt sich ein, dass es kein Entrinnen gab. Andererseits, war es wirklich so schrecklich, ein einziges Mal mit einer unbekannten Frau auszugehen? Wenn es Jessica so viel bedeutete ... "Okay", gab er nach, "aber nur eine Verabredung." "Daddy!" Sie warf sich in seine Arme. "Ich bin so glücklich." Wenn sie glücklich war, war er es auch. Er drückte sein kleines Mädchen an sich. "Also, wer ist diese Cinderella, die ich zum Ball führen soll?" Jessica lehnte sich in seinen Armen zurück und sah ihm überglücklich in die Augen. "Haben wir dir das noch nicht erzählt? Es ist Boris' Mutter!" Donnerwetter, dachte Matt, ich habe Laura ganz falsch eingeschätzt! Er konnte es nicht fassen, dass sie auf eine Heiratsannonce geantwortet hatte. Dabei tat sie immer so cool. Sobald er allein war, rief er sie an, entschlossen, ihr gründlich die Meinung zu sagen. Doch kaum hörte er ihr leises "Hallo?", war es um ihn geschehen. Ihre Stimme klang sanft und so, als hätte sie den ganzen Tag auf diesen besonderen Anruf gewartet. Natürlich telefonierte Laura beruflich sehr viel, und Matt nahm an, dass sie sich eine besondere Tonart fürs Telefon angewöhnt hatte. Ganz bestimmt hatte es nichts mit ihm zu tun. "Hier ist Matt, Laura." Sie zögerte. "Hallo, Matt", sagte sie schließlich. "Ich habe nicht erwartet, so bald von Ihnen zu hören." "Aber Sie haben meinen Anruf erwartet." "Doch, schon."
"Diese Märchenprinzgeschichte hat uns in eine dumme Situation gebracht. Was machen wir denn nun?" "Was möchten Sie denn tun?" "Jedenfalls möchte ich meiner Tochter nicht das Herz brechen." "Das gilt auch für mich und meinen Sohn." Matt verstand nicht. "Was hat Boris denn damit zu tun?" Erneutes Schweigen. Dann sagte Laura: "Sie haben den Brief also gar nicht gelesen?" "Nein. Ich war allerdings sehr überrascht, dass Sie geschrieben haben, nachdem ..." "Ich habe nicht geschrieben!" Er hörte, wie sie ärgerlich Luft holte. "Was ist dann passiert?" "Boris hat die Märchenprinzanzeige beantwortet, und Jessica hat ihm dabei geholfen." Sie musste erneut Luft holen. "Anscheinend wünscht Boris sich ebenso sehr einen Vater, wie Jessica sich eine Mutter wünscht." "Es tut mir Leid", sagte Matt und meinte es auch so. Er wusste genau, welche Fragen Laura sich jetzt stellte: Was habe ich falsch gemacht? Warum genüge ich meinem Kind nicht? Was kann ich tun? "Ja, nun ..." Laura riss sich zusammen. "Das ist nicht zu ändern. Die Frage ist nur: Was machen wir jetzt?" "Darüber habe ich auch schon nachgedacht", gab Matt zu. "Hören Sie, ein oder zwei Verabredungen werden uns doch wohl nicht umbringen, oder?" Ihr Zögern war alles andere als schmeichelhaft, "Vermutlich nicht", erwiderte sie schließlich. "Dann lassen Sie es uns tun. Für die Kinder. Es kostet uns nur ein wenig Zeit." "Wahrscheinlich haben Sie Recht." "Also, was möchten Sie unternehmen? Ich könnte euch alle morgen Abend ausführen."
"Ich habe eine bessere Idee. Wie wäre es ...?" Sie zögerte erneut, als fiele es ihr sehr schwer, sich mit ihm zu einigen. "Los doch, Laura, sprechen Sie es aus. Bauschen Sie diese Angelegenheit nicht unnötig auf. Schließlich handelt es sich nicht um eine lebensgefährliche Situation, sondern nur um eine lausige Verabredung." "Wenn Sie weiter so reden, findet die überhaupt nicht statt!" "Tut mir Leid. Ich hatte einen harten Tag." "Glauben Sie etwa, ich nicht? Okay, wir sollten diese Sache so schnell wie möglich hinter uns bringen. Wir wäre es, wenn Sie und Jessica morgen zum Abendessen hierher kommen? Um sechs." "Sechs! Aber da arbeite ich meistens noch." "Die Kinder sollten nicht Ihretwegen aufs Essen warten müssen." "Schon gut, schon gut. Aber warum bei Ihnen?" Er dachte: Warum auf deinem Territorium? "Weil ich keinen unnötigen Klatsch hervorrufen will, indem ich mich mit Ihnen in der Öffentlichkeit zeige", erklärte sie rücksichtslos offen. "Okay, bei Ihnen, morgen, sechs Uhr. Wir werden dort sein." "Schön." Sie legte auf. Zornig blickte Matt auf das Telefon. Na ja, wenigstens sprang ein selbst gemachtes Abendessen dabei heraus. Pünktlich um sechs am nächsten Abend klingelten Matt und Jessica an Lauras Haustür. Boris und Jessica strahlten einander an, als wären sie die glücklichsten Kinder auf der Welt. Matt sah verärgert aus, und Laura selbst wirkte auch ganz und gar nicht zufrieden. "Kommt doch bitte herein", bat sie förmlich. "Danke", erwiderte Matt ebenso steif. Boris griff nach Matts Hand. "Wann heiraten Sie meine Mami?" erkundigte er sich.
Matt und Laura sahen einander entsetzt an. Jessica kam ihnen zu Hilfe. "So etwas solltest du nicht fragen", schalt sie den Kleinen. "Man muss sich mindestens zwei- oder dreimal verabreden, bevor man heiratet." "Oh", meinte Boris verwirrt. "Aber ich will doch jetzt einen Daddy." Matt lachte, und das löste die Spannung. "Du bist genau wie deine Mutter", sagte er. "Du weißt, was du willst, und willst es sofort." "Ja." Boris nickte, denn er hielt das für selbstverständlich. "Komm mit, Jess, suchen wir Lucy." "Lucy?" fragte Matt. "Meine Katze." "Ich liebe Katzen", verkündete Jessica prompt, während Boris sie mit sich fortzog. "Und Hunde auch. Ich habe eine Hündin. Sie heißt Fluffy. Sie wird dir gefallen." Kurz darauf waren sie allein. Laura befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge und versuchte, Matts Blick auszuweichen. "Dies ist wirklich eine unangenehme Situation, aber wenn wir uns Mühe geben, werden wir den Abend wohl überstehen. Die Kinder sind so glücklich." "Ja, aber was geschieht, wenn sie merken, dass es mit uns nichts wird?" Laura seufzte. "Darüber habe ich auch nachgedacht. Wir dürfen ihnen eben keine falschen Hoffnungen machen." Sie ging zur Küche, und er folgte ihr. "Und wenn wir sehr darauf achten, uns rein freundschaftlich zu benehmen ..." "Laura", unterbrach er sie, "wir sind nie Freunde gewesen." "Das ist wahr, aber heute müssen wir es eben besser machen." Vor dem Kühlschrank blieb sie stehen. "Ich finde, wir sollten unbedingt vermeiden, dass sich die Kinder zu sehr an jemand gewöhnen, der in ihrem Leben doch nur eine
vorübergehende Rolle spielt." "Das ist richtig. Schließlich sollen sie nicht allzu sehr enttäuscht sein, wenn sie merken, dass es nicht funktioniert." "Genau. Wir könnten ihnen so leicht wehtun. Natürlich mag ich Jessica wirklich sehr gern, und ich möchte ihr gern eine Freundin sein - zumindest so lange, bis Sie eine richtige Mutter für sie gefunden haben." "Das wird nicht so bald der Fall sein", erklärte Matt entschlossen. "Ich empfinde das Gleiche für Boris. Er ist ein wunderbares Kind, aber ich werde zumindest versuchen, ihn nicht zu ermutigen." "Vielen Dank. Möchten Sie ein Bier?" "Ja, sehr gern. Trinken Sie auch eins?" "Ich nehme ein Glas Wein." Sie holte den Wein und das Bier aus dem Kühlschrank. "Ich werde die Flasche entkorken", bot er an. Matt nahm ihr die Flasche aus der Hand, und dabei berührten sich ihre Finger. Hastig zog Laura die Hand zurück. Ihr Atem ging ein wenig rascher. "Der Korkenzieher ist in der obersten Schublade." "Ist wohl Ihre Grabbelschublade", vermutete Matt. "Jeder hat so eine." "Ich nicht." Das hatte er auch gerade herausgefunden. Nie zuvor hatte Matt eine so ordentlich aufgeräumte Schublade gesehen. Alles passte genau in das vorgesehene kleine Fach. Während Matt den Wein öffnete, brachte Laura ein Glas und einen Bierkrug und wartete geduldig. Leider platzten die Kinder genau in diesem Augenblick herein. Beim Anblick ihrer Eltern, die einander kleine Höflichkeiten erwiesen, blieben sie verblüfft stehen. Jessicas glückliches Lächeln bedrückte Laura. In ihrem Wunschdenken maß die Kleine den harmlosesten Gesten ungeheure Bedeutung zu. Doch als Matt Laura das
eingeschenkte Glas reichte und ihr dabei tief in die Augen sah, schlug ihr Herz schneller. Sie goss ihm Bier ein, und er hob den Krug. "Cheers", sagte er. "Auf uns - mögen wir die Ränkespiele unserer Kinder überleben." "Wir essen im Speisezimmer", verkündete Laura. "Möchtest du mir helfen, den Tisch zu decken, Jessica?" Matt und der kleine Boris verständigten sich mit einem Blick. "Können wir nicht einfach hier in der Küche essen?" "Selbstverständlich nicht." Laura war entsetzt über diesen Vorschlag. "Die Küche ist nicht für Gäste da." "Betrachten Sie uns nicht als Gäste", bat Matt. "Betrachten Sie uns einfach als ..." "Als was?" Fragend zog sie die Brauen hoch. "Vergessen Sie's. Natürlich sind wir nur Gäste." Jessica sah ihn vorwurfsvoll an. "Werden wir richtige Servietten benutzen?" fragte sie. "Zu Hause benutzen wir auch Servietten", sagte Matt. "Wirklich, Jessica, wir sind doch keine Ferkel." "Das sind doch nur Papierservietten!" Laura lächelte. "Boris und ich benutzen auch oft Papierservietten, aber heute werden wir mein gutes Leinen nehmen. Das machen wir, weil es etwas Besonderes ist, dich hier zu haben, Jessica", erklärte sie. "Und Daddy." "Und deinen Daddy." Sie warf Matt einen Blick zu. "Wir nehmen auch das gute Porzellan." Boris stöhnte, und als Matt ihn fragend ansah, erklärte er flüsternd: "Ich hatte riesigen Ärger, weil ich einen von Moms guten Tellern kaputtgemacht habe." Laura und Jessica hatten die Küche verlassen, und so fühlte Matt sich sicher, als er dem Jungen zuflüsterte: "Keine Sorge, Boris, das gehört einfach zum Erwachsenwerden. Ich zerbreche heute noch manchmal Porzellan, aber ich bekomme deswegen keinen Ärger mehr - jedenfalls keinen großen."
Boris war begeistert. "Ehrlich?" "Ehrlich was?" fragte Laura, die gerade zurückkam. "Nichts." Boris wechselte mit Matt einen verschwörerischen Blick. "Was gibt es zum Essen, Mom?" "Perlhuhn aus Cornwall", verkündete Laura stolz. "Und eine Schokoladentorte." "Igitt." "Boris Gilliam!" Laura stemmte die Hände in die Hüften und sah ihren aufmüpfigen Sohn an. "Mach jetzt kein Theater." "Aber ich mag nur große Hähnchen." "Was ist ein Perlhuhn?" fragte Jessica. Laura schaltete den Herd ein. "Das sieht aus wie ein kleines Hähnchen, und du bekommst eins ganz für dich allein." Jessica machte große Augen. "Ein ganzes Hähnchen für mich allein? Wieso gefällt dir das nicht, Boris?" Matt, der diese ausgemergelten kleinen Vögel auch nicht schätzte, gab dem Jungen einen freundschaftlichen Klaps. "Kopf hoch, Junge. Ein Mann muss lernen, das zu essen, was die Frauen ihm vorsetzen, ohne sich zu beschweren", sagte er. "So machen es richtige Kerle." "Matt!" Laura sah ihn vorwurfsvoll an. "Setzen Sie ihm nicht solche Flausen in den Kopf." "Je eher er das lernt, umso glücklicher wird er sein." Matt zwinkerte Boris zu. "Und Männer müssen lernen, ihre Servietten zu benutzen, anstatt sie auf den Boden fallen zu lassen, und sie müssen die Gabel benutzen statt der Finger und die Suppe mit dem Löffel essen, statt sie aus der Schale zu trinken. Boris schüttelte sich vor Lachen. "Manchmal tut Mom meine Suppe in eine Tasse, und ich trinke sie!" rief er. "Wenn es eine Tasse ist, kannst du damit durchkommen", bestätigte Matt. "Wenigstens mag ich dieses Schokoladenzeug", meinte Boris.
Matt mochte es nicht. Er aß niemals Schokolade, wenn er es irgendwie vermeiden konnte, und verstand ganz und gar nicht, wieso fast alle anderen so scharf darauf waren. Viel lieber wäre ihm ein Stück von Lauras Apfeltorte. Schon beim Gedanken daran lief ihm das Wasser im Mund zusammen. "Zeit, sich die Hände zu waschen", erklärte Laura. "Matt, achten Sie bitte darauf, dass die beiden das auch gründlich machen?" "Gern. Aber wer wird mich beaufsichtigen?" Unter viel Gejauchze und Gelächter trieb er die Kinder ins Badezimmer. Das Abendessen, dachte Laura, ist ein Erfolg. Besonders Jessica schien sich wohl zu fühlen, behandelte Tafelsilber und Geschirr sorgfältig und zeigte ihre besten Manieren. Boris hingegen schaufelte gleichgültig in sich hinein, bis Matt ihn erinnerte, dass auch echte Kerle Tischmanieren brauchen. Danach aß Boris so manierlich wie schon lange nicht mehr. Jessica legte vorsichtig den Löffel auf ihren Dessertteller. "Hmm!" Begeistert verdrehte sie die Augen. "Dieses Schokoladenzeug ..." "Es ist eine Torte, Liebes." "Diese Schokoladentorte ist das Beste. Ich wünschte, ich könnte kochen lernen, aber Daddy ..." "Mach mich nicht schon wieder schlecht", fiel Matt ihr ins Wort. "Ich habe dir gezeigt, wie man Schokoladenpudding macht, nicht wahr?" "Jaaahh", sagte Jessica gedehnt, "aber nur die Sorte, die man in eine Schüssel mit Milch gibt und fünf Minuten umrührt." "Man fängt eben immer in kleinen Schritten an", sagte Matt und stocherte in der braunen Masse auf seinem Teller herum. Gegessen hatte er nicht viel davon. "Ich kann nicht einmal Kekse backen!" schmollte Jessica. "Ich könnte es dir beibringen", bot Laura zögernd an. "Das heißt, wenn dein Vater damit einverstanden ist."
"Klar", sagte Matt. "Warum nicht." Er legte seine Gabel auf den Teller. "Ist etwas mit dem Dessert nicht in Ordnung?" fragte Laura. "Daddy hasst Schokolade." "Wirklich?" Vorwurfsvoll sah Matt seine Tochter an. "Ich hasse Schokolade nicht. Ich mag sie nur nicht besonders." Laura wollte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken lassen. "Das hat aber nichts damit zu tun, ein echter Kerl zu sein", sagte sie, "denn viele Männer lieben Schokolade." Matt blickte sie spöttisch an. "Das bestreite ich ja auch gar nicht." "Haben Sie etwa auch all diese Bemerkungen über Perlhühner ernst gemeint?" "Also, ehrlich gesagt ..." Er sah zerknirscht aus. "Ich mag Hähnchen lieber größer." "Wie Puten!" rief Boris, "Oder Enten", stimmte Matt zu. "Oder Adler!" "Boris, niemand isst Adler", sagte Matt. "Sie sind eine bedrohte Tierart. Du könntest zur Strafe ins Gefängnis kommen, wenn du einen Adler verspeist." Boris antwortete mit schallendem Gelächter. "Sie würden ins Gefängnis kommen!" rief er. "Niemand sperrt kleine Kinder ins Gefängnis." "Da hast du Recht, Partner." Laura verspürte plötzlich ein warmes Gefühl. Solche lustigen Gespräche und so ein fröhliches Lachen gab es sonst nicht an ihrem Tisch. Und die Freude über die glückliche Stimmung ihres Sohnes überwog bei weitem die Enttäuschung darüber, dass Matt ihre Gourmetküche nicht zu schätzen wusste. Jessica fing Lauras Blick auf und flüsterte ihr verschwörerisch zu: "Männer!" Das Mädchen lernte schnell.
"Ich hasse es wirklich, nach dem Essen gleich aufzubrechen", sagte Matt. "Aber..." "Keine Chance." Er sah Laura verwundert an. "Wollen Sie mich etwa als Geisel festhalten?" "Ja." Bei ihrem fröhlichen Lachen wurde ihm warm ums Herz. "Sie können gehen, nachdem Sie mir beim Abwasch geholfen haben." "Sie spaßen." "Nein, ganz und gar nicht." "Ist der Geschirrspüler kaputt? Ich kann ihn wahrscheinlich reparieren." "Der Geschirrspüler ist in Ordnung, aber ich werde nicht mein gutes Porzellan und Kristall und Silber darin abwaschen." Sie hatte die Teller eingesammelt und trug sie jetzt in die Küche. Matt nahm zwei Servierschüsseln und folgte ihr. "Ich sagte Ihnen doch, wir sollten in der Küche essen", klagte er. "Pappteller und Plastikgabeln - das ist mein Stil." Laura wandte sich so plötzlich um, dass Matt, der mit ausgestreckten Armen, in jeder Hand eine Schüssel, unmittelbar hinter ihr stand, sie fast umrannte. Reglos verharrte sie in einer Umarmung, die eigentlich keine war. Ihre Beine berührten seine Schenkel, und ihre Brüste waren seinem Oberkörper ganz nahe. Matt hielt unwillkürlich den Atem an. Nie zufror hatte er bemerkt, wie glatt und schimmernd ihre Haut war, wie sanft und einladend ihre Lippen... "Es tut mir Leid, dass Ihnen das Essen nicht geschmeckt hat", sagte Laura ein wenig atemlos. "Ich bin eigentlich eine gute Köchin." "Das weiß ich. Ich wollte auch nichts sagen." "Wenn ich gewusst hätte, was Sie mögen ..." Sie befeuchtete sich die Lippen. Matt beugte sich ein wenig näher zu ihr. "Ich mag einfaches, deftiges Essen, Steak und Kartoffeln."
"Ich bin eine Gourmetköchin." "Ich bin ein Fan von Bier und Kartoffelchips." "Und ich liebe gute W... Weine ..." Matt rückte noch ein wenig näher und streifte mit seinen Lippen sanft ihre. Ihr Mund fühlte sich genauso weich an, wie er aussah. Sie stand ganz still wie eine wunderschöne Statue da, doch irgendwie spürte Matt, wie sie innerlich nachgiebiger wurde, das Eis zu schmelzen begann ... Ganz tief atmete er ihren Geruch ein, sie duftete so wunderbar nach Frühling und Blumen. Zum ersten Mal seit langem fühlte er sich unsicher wie ein pubertierender Schuljunge. Er wollte sie berühren, ihre Brüste umfassen und sein Gesicht in ihrem seidigen blonden Haar bergen. Mehr noch. Er wollte mit ihr schlafen ... "He, Laura, ich bin gekommen, um dir zu erzählen ... Was ist denn hier los?" Wie von der Tarantel gestochen, sprang Laura zur Seite, wobei sie Matt fast eine Schüssel aus der Hand schlug. "Katy! Was machst du denn hier?" "Das wollte ich dir gerade erzählen", erwiderte Katy schnippisch. "Hallo, Matt. Vielleicht hast du ja Lust, mir zu erklären, was du hier machst?" Er stellte endlich die Schüsseln auf den Tresen. Sein Herz raste. Wenn Katy nicht ausgerechnet in diesem Augenblick aufgetaucht wäre ... Schroff erklärte er: "Das geht dich gar nichts an, Katy." "Sind wir heute vielleicht ein wenig empfindlich?", Sie zog einen Küchenstuhl heran und setzte sich. "Jetzt verstehe ich!" rief sie. "Ihr beide probiert einander aus wegen der Märchenprinzsache!" "Einander ausprobieren!" Empört und fassungslos zugleich sah Laura ihre Freundin an.
Katy zuckte gleichmütig die Schultern. "Wieso auch nicht." Ihre Augen blitzten. "Und wie war es? Ist der alte Funke noch da?" "Was für ein alter Funke?" wollte Matt wissen. "He, du sprichst mit mir, Katy! Bist du nicht der Matt Reynolds, der, gleich nachdem Laura neu in der Stadt war, zu mir kam, um alles über unsere neue Gesellschaftsredakteurin zu erfahren?" Verdammt, das hatte Matt ganz vergessen. "Damals kannte ich sie schließlich nicht", sagte er, "das kann man doch wohl kaum einen Funken nennen." Katy beachtete ihn nicht. "Und du, Laura - bist du nicht ein paar Wochen später von einem Mittagessen mit den Leuten von der Handelskammer zurückgekommen und hast mich gefragt, wer der scharfe Vorsitzende ist?" Laura räusperte sich verlegen. "Ich habe ganz gewiss noch nie in meinem Leben jemanden scharf genannt!" "Aber du hast es so gemeint", behauptete Katy fröhlich. "Vielleicht hast du ,hinreißend' gesagt oder ein ähnlich langweiliges Wort benutzt, doch du meintest .scharf'." Obwohl Matt Katy nervig fand, so verdankte er ihr doch immerhin, Laura jetzt hinreißend erröten zu sehen. Sie hatte sich nach ihm erkundigt, weil sie ihn interessant fand, und das machte ihn stolz. "Und jetzt", sagte Katy, "komme ich hier herein und finde euch beide knutschend in der Küche ..." "Katy, das reicht jetzt." Laura funkelte ihre Freundin wütend an. "Ich muss darauf bestehen, dass du niemandem erzählst, was du hier gesehen hast. Ja, es soll nicht einmal jemand wissen, dass Matt überhaupt hier war. Wir tun das nur für unsere Kinder. Versprich, dass du nichts verrätst." "Ich verspreche es." Laura war völlig verblüfft. "Danke, Katy. Wirklich nett von dir!"
"Kein Problem." Katy lachte. "Ich muss gar nichts erzählen. Die ganze Stadt weiß bereits von eurem Rendezvous!"
6. KAPITEL April Forbes wusste Bescheid. "Na, wie läuft die große Romanze mit dem Märchenprinzen?" begrüßte sie Laura am nächsten Morgen lächelnd. Laura spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Sie blieb stehen. Wie konnte der Klatsch in Rawhide sich nur so schnell verbreiten? Tief atmete sie durch. "Es gibt keine große Romanze", sagte sie. "Und wie haben Sie überhaupt davon erfahren?" April blinzelte. "Ich erinnere mich nicht, wer es mir gesagt hat. Ich dachte, jeder weiß Bescheid." "Nein, es weiß nicht jeder, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es nicht weitererzählen würden." "Unsinn, Laura." Nachsichtig blickte April sie an. "Ich habe es doch nicht böse gemeint. Ich freue mich, dass Sie und Matt..." "Es ist nichts mit mir und Matt", unterbrach Laura sie. "Wir versuchen nur gemeinsam, die Kinder zu beschwichtigen seine Tochter und meinen Sohn. Wissen Sie, dass Jessica diese Anzeige aufgegeben hat?" "Natürlich!" April lächelte wohlwollend. "Wenn jemand darauf zu sprechen kommt, sage ich einfach ..." "Bitte sagen Sie gar nichts! Ich möchte wirklich nicht unhöflich sein, April, aber es gefällt mir nicht, wenn die Leute über mich reden. Es beunruhigt mich."
April nickte verständnisvoll. "Ich verstehe Sie ja. Aber in einer kleinen Stadt wie Rawhide kann man nichts verbergen. Wenn jeder jeden kennt, gibt es keine Geheimnisse." Laura seufzte. "Sie haben wahrscheinlich Recht, doch ich kann es immerhin versuchen." In ihrem winzigen Büro angekommen, legte sie die Handtasche auf ihren aufgeräumten Schreibtisch und sank auf ihren Stuhl. Letzte Nacht hatte sie kaum geschlafen, sich stattdessen ruhelos. im Bett herumgewälzt und an Matts Kuss gedacht. Wenn Katy nicht genau in jenem Moment gekommen wäre Oder vielleicht war Katy auch gerade im richtigen Augenblick erschienen, denn Laura wusste nicht, was sonst noch geschehen wäre. Sie gestand sich ein, wie sehr sie den ganzen Abend genossen hatte, auch wenn Matt ihr Gourmetmenü nicht zu schätzen gewusst hatte. Sie schaltete ihren Computer ein und blickte nachdenklich auf den flimmernden Bildschirm. Natürlich war sie imstande, Steaks und Kartoffeln zuzubereiten. Die Frage war nur: Wollte sie das? Nicht wenn du klug bist, antwortete eine innere Stimme. Du und Matt, ihr seid wie Öl und Wasser. Nein, das stimmt nicht, widersprach eine andere innere Stimme. Ihr seid zusammen eine äußerst leicht entflammbare Mischung. Er lässt dich Dinge fühlen, die du lange nicht empfunden hast. "Tut er nicht", sagte Laura. "Wer tut was nicht?" Laura blickte überrascht auf und sah Katy vor ihrem Schreibtisch. "Schon gut", wehrte Laura ab. "Kann ich etwas für dich tun, Katy?" "Du bist heute ja schlecht gelaunt. Hast du nicht gut geschlafen?"
"Ich habe großartig geschlafen. Allerdings habe ich im Moment sehr viel zu tun, falls du also aus einem bestimmten Grund gekommen bist..." "Bin ich", unterbrach Katy sie hastig. "Möchtest du mit mir zu Mittag essen? Ich bin um halb eins fertig. Wir könnten ins Rawhide Cafe gehen und diese fantastischen Pommes frites essen." "Einen Salat", verbesserte Laura. Katy lachte. "Jeder, wie er möchte. Also abgemacht? Laura sah in ihren Terminkalender, der stets aufgeschlagen auf ihrem Schreibtisch lag. "Ich muss meine Seiten bis elf Uhr abgeben. Um halb zwölf habe ich eine Verabredung mit der Präsidentin des Damenclubs, weil ihr Verein gerade einen nationalen Preis gewonnen hat. Okay, Mittagessen geht in Ordnung." "Schön." Katy verabschiedete sich. "Ich sehe dich dann um halb eins." Laura nickte. Sie hatte keine große Lust, sich öffentlich zu zeigen, wenn über sie getuschelt wurde. Aber früher oder später musste sie sich dem stellen. Sie rief das Computermenü auf und begann zu arbeiten. Vielleicht waren ihre Bedenken ja auch völlig überflüssig. Wahrscheinlich machte sich außer den Angestellten des Rawhide Review niemand mehr Gedanken über den Märchenprinzen. Dreißig Sekunden nach ihrem Eintreffen im Clubhaus des Damenvereins wusste Laura, dass sie zu optimistisch gewesen war. Amanda Willy, eine schöne und lebhafte Seniorin, eilte lächelnd und mit ausgestreckten Armen auf sie zu. "Wie wunderbar, dass Sie gekommen sind, Laura!" "Und ich finde es wunderbar, dass Dir Verein einen so beeindruckenden Preis gewonnen hat", erwiderte Laura liebenswürdig. "Da wir schon einmal von schönen Dingen sprechen, möchte ich Ihnen noch etwas sagen: Ich finde es herrlich, Laura, dass
Sie Ihren Märchenprinzen gefunden haben. Matthew ist ein anständiger junger Mann. Er verdient eine intelligente, hübsche Frau wie Sie." Laura war fassungslos. Sie versuchte zu protestieren, doch Amanda ließ sie nicht zu Wort kommen. "Wir haben alles darüber gehört, meine Liebe", meinte sie ernst, "und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr wir uns für Sie beide freuen. Ich persönlich habe mir ziemliche Sorgen um Matt gemacht. Seit dem Tod seiner Frau ist er nie wieder ganz derselbe gewesen." Sie betrachtete Laura neugierig und wohlwollend zugleich. "Man hat mir erzählt, dass Sie Witwe sind." "Das stimmt." "Dann verstehen Sie sicher sehr gut, wie sehr der Verlust eines geliebten Partners einen Menschen verändern kann." Amanda bedeutete Laura, ihr voranzugehen. "Ich dachte, wir unterhalten uns in der Club Lounge, meine Liebe. Ich habe uns Kaffee gemacht." Fröhlich plaudernd folgte sie Laura in den großen Vereinsraum. Laura versuchte, sich auf Amanda zu konzentrieren, doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Ein wenig selbstsüchtig und schwer festzunageln, so hatte Laura Matt kennen gelernt. Der Gedanke, dass er früher einmal anders gewesen sein mochte, verwirrte sie. Sie wollte Amanda nach Einzelheiten fragen, entschied sich dann jedoch dagegen. Katy konnte ihr alles erzählen, was sie wissen wollte, ohne dem Klatsch neue Nahrung zu geben. Laura setzte sich in den Sessel, den Amanda ihr anbot, und holte Block und Stift hervor. "Schildern Sie mir doch bitte einmal genau, wofür Dir Verein diesen ehrenvollen Preis erhalten hat", bat Laura. Doch dabei dachte sie nur an Matt. Schon wieder.
Das Interview war früh beendet, und Laura beschloss, auf dem Weg zu ihrer Verabredung mit Katy noch rasch ihre Sachen aus der Reinigung zu holen. Die junge Bedienung lächelte ihr vertraulich zu. "Na, wie läuft es mit dem Märchenprinzen?" fragte sie. "Ich finde das ja so romantisch! Eine Zeitungsanzeige. Und als sich dann herausstellte, dass es Matt Reynolds ist - wow! Das hat mich fast umgeworfen." Laura hätte dem schwatzenden Mädchen am liebsten selbst einen Stoß versetzt. Stattdessen zahlte sie, lächelte gequält und ging. Um zwanzig nach zwölf parkte sie vor dem Rawhide Cafe. Da sie Katys Auto noch nicht entdeckte, eilte sie in den Lebensmittelladen nebenan, um Mineralwasser fürs Büro zu kaufen. Der Mann an der Kasse grinste sie freundlich an. "Wie klappt es mit dem Märchenprinzen?" fragte er. Dachten diese Leute alle an nichts anderes mehr? Hatten sie keinen besseren Gesprächsstoff als Lauras Privatleben? Im überfüllten Rawhide Cafe" entdeckte sie Katy - zum Glück an einem Tisch in einer Nische. Laura drängte sich an den Tischen vorbei und erwiderte die Grüße ihrer Bekannten nur mit einem Nicken. Bildete sie sich das nur ein, oder tuschelten viele hinter vorgehaltener Hand? Laura brauchte nicht erst zu überlegen, worüber sie sprachen. "Du siehst angespannt aus", bemerkte Katy. "Was ist los?" Laura setzte sich, entfaltete eine Papierserviette und legte sie sich auf den Schoß. "Du hattest Recht - die ganze Stadt spricht über uns. Wo ich auch hinkomme, werde ich ausgefragt." "Bleib einfach gelassen. Das geht vorbei", riet Katy. "Nur wann?" "Wenn du und Matt verheiratet seid und Kinder habt."
Es sollte ein Scherz sein, aber Laura spürte unerwartet, wie ein lustvoller Schauer sie überrieselte. Mit Matt schlafen und ein Kind von ihm bekommen, nein, darüber durfte sie auf keinen Fall nachdenken. "Wenn man vom Teufel spricht..." Katy sah zum Eingang des Cafes, und Laura folgte ihrem Blick. Sie entdeckte Matt sofort. Er stand an der Tür und hielt vergebens nach einem freien Tisch Ausschau. Katy hob den Arm und winkte. "Katy, lass das", bat Laura. Erstaunt blickte Katy sie an. "Ihn nicht an unseren Tisch zu bitten wäre unhöflich. Du siehst doch, wie voll es hier ist", meinte sie. "Außerdem werden alle noch mehr tratschen, wenn Cinderella und ihr Märchenprinz nicht einmal am gleichen Tisch essen. Überdies seid ihr euch doch inzwischen näher gekommen", fügte sie spitz hinzu." Matt kam zögernd zu ihnen. Ihm war die Situation ebenso unangenehm wie ihr, das erkannte Laura sofort. Das Leben war mit einem Mal sehr kompliziert. Für eine selbstgenügsame und gründlich planende Frau wie Laura Gilliam war das sehr schlimm. Matt wollte nicht an Lauras Tisch sitzen. Ihr Anblick erinnerte ihn an den Kuss von gestern Abend, und daran wollte er nun ganz bestimmt nicht denken. Doch wie konnte er an etwas anderes denken, wenn Katy dabeisaß und sie beide mit diesem wissenden Blick anstrahlte? Es war eine verrückte Situation. Er konnte dieses Theater nicht mehr viel länger mitspielen, nicht einmal um der Kinder willen. Aber immer, wenn er Laura ansah, dachte er daran, wie süß ihre Lippen schmeckten ... wie still sie in seinen Armen gestanden hatte ... wie schön sie war. "Matt! Willst du jetzt etwas essen oder einfach nur dasitzen und Laura anstarren? Die Kellnerin möchte gern deine Bestellung aufnehmen."
Matt kam sich wie ein Narr vor. "Hamburger und Pommes frites", sagte er hastig. "Und ein großes Glas Eistee." "Kommt sofort, Königliche Hoheit!" Die Kellnerin zwinkerte ihm zu und ging. Die drei saßen betroffen da und warteten, was als Nächstes geschehen würde. Überhaupt nichts geschah, wenn man einmal von all den verstohlenen Blicken der übrigen Gäste absah. Nur mit Mühe brachte Laura einige Bissen von ihrem Salat herunter. Matt sprach kaum ein Wort, und Katy tat ihr Bestes, um mit munterem Geplauder die peinliche Situation zu überbrücken. Laura aß hastig, denn sie wollte fort. Sie war als Erste fertig mindestens die Hälfte blieb auf ihrem Teller zurück , nahm ihre Schultertasche vom Boden und stand auf. "Tut mir Leid, aber ich muss fort. Ich habe noch viel Arbeit." Sie warf einen Geldschein auf den Tisch. "Entschuldigt bitte." Matt legte die Hand auf ihren Arm und hielt sie zurück. Laura hätte sich am liebsten gewaltsam losgerissen. "Ich muss dringend mit dir reden", sagte er. "Kann ich mit Jessica heute Abend nach dem Essen zu dir kommen? Es wird wirklich nicht lange dauern." "Also gut." "Gegen sieben", drängte er. "Ich würde nicht darum bitten, wenn es nicht wirklich wichtig wäre." Das konnte alles Mögliche bedeuten. "Kein Problem", schwindelte Laura, in deren Bauch plötzlich Schmetterlinge zu flattern schienen. "Ich erwarte dich dann gegen sieben." "Danke. Das ist sehr nett." Als hätte sie eine Wahl! Dylan kam, als Katy gerade ging, entdeckte Matt und nahm an seinem Tisch Platz. Er bestellte eine Tasse Kaffee und fragte dann: "Was ist los, Matt? Wird die Sache zu ernst für dich?" Matt zuckte zusammen. "Wie meinst du das?"
"Zuerst war das Ganze fast wie ein Scherz - diese ganze Märchenprinzsache. Laura, Boris, du weißt schon. Aber jetzt scheint diese Geschichte dein Leben zu bestimmen." "Auf keinen Fall." Matt straffte sich. "Du weißt verdammt gut, dass ich keine Ehefrau suche." "Vielleicht brauchst du aber eine." Dylan blickte nachdenklich drein. "Und vielleicht ist Laura die Richtige für dich." Matt wurde wütend. "Wie kannst du so etwas sagen? Laura mag mich nicht einmal. Und ich, habe diese verdammte Anzeige nicht aufgegeben. Jessica war es!" Dylan unterbrach ihn. "Du versuchst nur, dich herauszureden, Kumpel." "Das tue ich nicht!" Matt wand sich auf seinem Stuhl. "Ich war bereit, eine Weile mitzuspielen, damit Jessica allein herausfinden kann, dass ihr Wunsch nicht in Erfüllung gehen wird. Ich hatte nicht die Absicht, zum Gesprächsthema der ganzen Stadt zu werden." "Glaubst du etwa, Laura wollte das?" Dylan schüttelte den Kopf und lächelte belustigt. "Das Komische daran ..." "Was?" "Auf den ersten Blick seid ihr beide eigentlich das ideale Paar." Matt funkelte Dylan wütend an. "Verschwinde von hier!" "Ich meine es ernst. Außerdem beobachte ich ... Veränderungen an dir." "Verdammt, bist du nun mein Freund oder nicht? Ich kämpfe lieber mit einem Bären, als mich noch einmal mit einer so genannten netten Frau einzulassen." "Das ist bereits geschehen. Gib es ruhig zu - du stehst auf diese sexy Laura." Danach konnte Matt nicht schnell genug fortkommen. Auf der Rückfahrt zur Baustelle stürmten Erinnerungen auf ihn ein. Seine Frau war wirklich nett und anständig gewesen. Ihre Ehe
war nicht besonders glücklich gewesen, und nach ihrem Tod mischten sich Schuldgefühle in seine Trauer. Er wusste nicht, wie er das bewältigt hätte, wäre nicht die kleine Jessica gewesen, um die er sich kümmern musste. Nie wieder wollte Matt solche Qualen erleben. Es war gefährlich, sich mit einer anziehenden Frau einzulassen, gefährlich auf vielerlei Art. Es machte ihm Angst. Und Laura war eine äußerst anziehende Frau. Als die Uhr auf sieben zuging, war Laura bereits ein nervöses Wrack. Bestimmt gab es nur einen Grund, warum Matt mit ihr sprechen wollte: um diese alberne Romanze abzublasen. Sie hoffte verzweifelt, er habe einen Weg gefunden, das zu tun, ohne die Kinder allzu sehr zu verletzen. Gleichzeitig jedoch war sie ein ganz klein wenig enttäuscht. Eine Verabredung mit ihr, und schon ergriff er die Flucht! Na schön, er mochte ihr Essen nicht. Sie hatte sich trotzdem die größte Mühe gegeben, eine gute Gastgeberin zu sein, und doch ... Nein, so durfte sie nicht denken. Was Matt ihr zu sagen hatte, war letztlich nicht persönlich gemeint. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Kuchenteig zu, den sie gerade anrührte. Nichts war entspannender, als etwas Schönes zu backen. Es klopfte an der Küchentür, und Laura zuckte zusammen. Doch als sie öffnete, stand dort nur Abby Royce, Boris' Kinderfrau. "Ich glaube, ich habe mein Buch hier vergessen", sagte sie. "Es ist ein Roman, und ich kam gerade zum spannenden Teil, als Boris in den Park wollte." "Es liegt im Wohnzimmer", erwiderte Laura. "Sieht interessant aus. Kann ich es ausleihen, wenn du es ausgelesen hast?"
"Klar!" Abby eilte ins Wohnzimmer und war im Nu mit einem bunten Taschenbuch zurück. Aber anstatt sich zu verabschieden, fing sie ein Gespräch an: "Boris hat mir erzählt, wie viel Spaß Sie und 'Matt gestern Abend hatten", bemerkte sie. "Matt und ich? Ich dachte, Boris hatte Spaß - und Jessica natürlich auch." "Ja, klar. Das hat er auch gesagt. Alle hatten Spaß. Aber Matt ist ein so fantastischer Mann." Abby seufzte tief. "Er ist auch clever, hat seine eigene Baufirma. Sie könnten es wirklich schlechter treffen, Laura." "Abby", sagte Laura liebenswürdig, "es ist nichts zwischen mir und Matt Reynolds. "Wir ... wir möchten nur den Kindern Gelegenheit geben, zusammen zu spielen." Sicher, das klingt überzeugend. Ein sechsjähriger Junge und ein neunjähriges Mädchen als beste Freunde? Lass dir etwas Besseres einfallen, Laura! Abby lachte. "Ach, tun Sie nicht so, ich weiß alles über die Märchenprinzromanze. Was ich nicht in der Stadt gehört habe, hat Boris mir erzählt - ich habe ihn aber nicht ausgefragt", fügte sie hastig hinzu. "Er hört überhaupt nicht auf zu reden, so glücklich ist er. Er wünscht sich wirklich sehr dringend einen Vater." Laura seufzte. "Ich weiß." Bis vor kurzem hatte sie allerdings nicht gewusst, wie dringend. Sie fügte Eier und weitere Zutaten in die Rührschüssel. "Er wird es schon überwinden", sagte sie. "Das muss er einfach." "Vielleicht ist das gar nicht notwendig", meinte Abby. "Wenn Sie und Matt doch noch heiraten ..." "Wir werden nicht heiraten. Bitte erzähl so etwas nicht herum, Abby." "Okay, okay, wie Sie meinen." Abby ging zur Küchentür und riss sie auf. "Aber man weiß nie, was ... Oh!" Matt und Jessica standen vor der Tür.
"Hallo, Mr. Reynolds", sagte Abby. "Hi, Jessica." "Ja, hallo." Matt war ganz geschäftsmäßig. Er zog seine Geldbörse hervor. "Abby, eben habe ich den Eismann die Straße entlangfahren sehen. Warum nimmst du nicht die Kinder und holst für euch alle Eis?" "Geht klar! Wo ist Boris ... Oh, da bist du ja." Der Junge, der im umzäunten Vorhof gespielt hatte, war herbeigeeilt, um Jessica zu begrüßen. "Eiskrem für alle! Auf geht's, Kinder!" Sie stürmten davon, Abby ebenso eifrig wie die Kinder. Matt kam herein und schloss die Tür. Er wirkte ernst. Nervös stocherte Laura mit einem Teigspatel in der Schüssel herum. Matt trat näher. "Bist du in der Stadt ebenso unter Beschuss geraten wie ich?" "Beschuss?" "Du weißt schon. Bemerkungen. Kommentare. Andeutungen." "Du meinst ... über uns? Die Märchenprinzromanze ..." Sie drehte sich zu ihm um und bereute es sofort. Er sah so schrecklich entschlossen aus so schrecklich attraktiv. "Das ist richtig", sagte er. "Die Märchenprinzromanze." Er seufzte schwer. "Nirgendwo kann ich mich mehr sehen lassen. Ich habe mir die Haare schneiden lassen, und der Friseur fing sofort davon an. Zum Teufel, ich habe mich nicht einmal getraut, ihm die Meinung zu sagen, aus Angst, er schneidet mir ein Ohr ab. Ich war in der Eisenwarenhandlung, und der Verkäufer wollte wissen, ob wir das Hochzeitsdatum schon festgelegt haben. Ich habe auf dem Rückweg von der Arbeit beim Hähnchenimbiss angehalten und ..." "Du gibst dem Kind diese fettigen frittierten Hähnchen zum Abendessen? Wirklich, Matt!" "Nur ab und zu", verteidigte er sich. "Es tut mir Leid", sagte Laura. "Ich habe voreilige Schlüsse gezogen. Ich glaube, ich bin heute ein wenig gereizt."
"Na ja, das kann schon sein." Er wirkte besänftigt. "Jessica isst nicht nur frittierte Hühnchen. Sie bekommt auch Hamburger oder Tiefkühlgerichte aus dem Supermarkt." Laura stöhnte und schüttelte hilflos den Kopf. Aber dieses Thema ging sie nichts an. "Was wolltest du mir eigentlich sagen?" fragte sie. "Ich bin zur Zeit das Thema Nummer eins in der Stadt. Eine Witzfigur. Und das gefällt mir nicht." "Glaubst du etwa, mir gefällt das?" brauste sie auf. "Ich fahre zu einem Interview und muss dort zuerst Fragen über mein angebliches Liebesleben beantworten. Ich hole eine Bluse aus der Reinigung, und dort erlebe ich genau das Gleiche. Ich gehe in den Supermarkt ..." Laura ging die Luft aus. "Ich denke, du weißt, was ich meine." Matt nickte. "Ich finde, wir sollten die Geschichte abblasen, bevor sie völlig außer Kontrolle gerät." Genau das fand Laura auch. Warum war sie dann enttäuscht über diesen Vorschlag? Während sie noch darüber nachdachte, entdeckte Matt die Teigmischung in der Schüssel. "Was machst du denn da?" "Einen Kuchen." Schön, sie waren zu einer Entscheidung gekommen. Das Spiel war vorbei. Die Leute brauchten vielleicht einige Tage, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, aber... "Was für eine Sorte?" "Gewürzkuchen." Wenn sie sich einmal daran gewöhnt hatten, konnte ihr Leben wieder normal werden. Angenehm, sicher, langweilig normal. "Darf ich mal probieren?" Bevor sie protestieren konnte, fuhr er mit dem Zeigefinger durch die cremige Masse und steckte ihn dann in den Mund. Laura blickte fasziniert auf seine Lippen. "Hmm. Meine Mutter hat auch Gewürzkuchen gebacken. Den mag ich am liebsten."
Sie lachte. "Immerhin mehr als Schokolade." "Alles ist besser als Schokolade." Draußen auf der Straße klingelte der Eismann mit seiner Glocke und rief seine Ware aus. Laura nahm es nur entfernt wahr, als wäre es unwirklich. Wirklich war nur der jetzige Augenblick, diese Spannung zwischen ihr und Matt. Warum sah er sie so an? Zögernd hob sie die Hand an die Wange. "Habe ich etwas im Gesicht?" Er nickte. "Ein bisschen Mehl, genau hier." Er fuhr ihr über eine Stelle direkt neben dem Mund. Seine Berührung ließ ihren Atem stocken, und mit leicht geöffneten Lippen blickte sie Matt an. "Also, was meinst du?" Sie befeuchtete sich die Lippen. "Wozu?" "Ich spreche davon, unsere kleine Scharade abzubrechen und den Märchenprinzen einen gnädigen Tod sterben zu lassen." "Vermutlich hast du Recht. Das Ganze ist wirklich sehr unangenehm." "Ja, besonders weil es nicht wahr ist. Wenn wir wirklich verliebt wären, wäre das natürlich etwas ganz anderes." "Wir sind es aber nicht", flüsterte Laura. "Und wir werden es nie sein." Sanft streichelte er ihre Wange. "Natürlich nicht. Wir haben das nur für unsere Kinder getan." "Die Kinder sind das Wichtigste", stimmte Laura zu. Sie sollte zurückweichen, doch ihre Beine waren wie gelähmt. "Wir sagen es ihnen am besten gleich, wenn sie wieder hereinkommen." "Und was genau sollen wir ihnen sagen?" "Dass es mit uns eben nichts wird." "Na schön." Er ließ seine Hand von ihrer Wange auf ihre Schulter gleiten. "Leider wird es ziemlich schwierig sein, die beiden zu überzeugen. Jessica ist ganz vernarrt in dich." Matt war darüber nicht besonders glücklich.
"Und Boris läuft dir nach wie ein junger Hund." "Er ist ein netter Junge." Sie sahen einander in die Augen. Seine waren tiefblau. Laura hatte nie zuvor bemerkt, wie lang seine Wimpern waren, wie männlich seine Züge, wie glatt seine sonnengebräunte Haut. Sie sehnte sich danach, ihn zu berühren. "Matt", flüsterte sie, "das ist verrückt." Sie musste ihm nicht erklären, was sie meinte, er verstand sie auch so. "Du hast Recht", sagte er mit rauer Stimme, "wir sollten alles vermeiden, was in den Kindern falsche Hoffnungen wecken könnte." Sie nickte. "Sie können nicht verstehen, dass Menschen nicht einfach heiraten, nur weil andere das für eine gute Idee halten." "Das stimmt. Sie sind noch zu jung, um etwas über Liebe zu wissen. Ich meine, die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau..." Und plötzlich lag sie in seinen Armen, und ihre Lippen berührten sich. Laura fühlte sich hilflos. Ihr Herz schlug heftig, und doch öffnete sie unwillkürlich die Lippen, um sich von ihm küssen zu lassen. Matt zog sie noch fester an sich, als wollte er ganz und gar von ihr Besitz ergreifen, und Laura war bereit, ihm nachzugeben ... Im nächsten Moment wurde die Küchentür auf gestoßen. Einen Augenblick standen alle wie erstarrt da, und dann jubelte eine kindliche Stimme: "He, Jessica, meine Mom küsst deinen Dad! Hurra! Wir heiraten!"
7. KAPITEL Laura tauchte unter Matts Arm durch und sprang zur Seite, als musste sie einer schrecklichen Gefahr entkommen. Dann funkelte sie Matt wütend und vorwurfsvoll an. Als wäre ich allein daran schuld, dachte Matt verstimmt. Er war zu Laura gekommen, um sie beide aus einer schwierigen Situation zu befreien, und stattdessen steckten sie jetzt nur noch tiefer im Schlamassel. Nun musste er versuchen zu retten, was zu retten war. Nur sehr zögernd wandte er sich zur Tür. Dort stand die junge Babysitterin mit Jessica an ihrer linken und Boris an ihrer rechten Seite. Alle drei hielten ein Schokoladeneis in der Hand, und alle drei strahlten übers ganze Gesicht. "Hurra!" Boris schwenkte sein Eis durch die Luft. "Ich habe einen neuen Vater!" "Nicht so schnell!" Entsetzt hob Laura abwehrend die Hand. Glaubt sie wirklich, ich wäre ein so schlechter Vater für Boris? dachte Matt verärgert. Dann nahm er sich zusammen. "Ihr Kinder zieht voreilige Schlüsse", sagte er. Boris machte einen Freudensprung. "Ich kann gut springen", rief er. "Hurra!" Laura stöhnte. "Hör auf mit dem Geschrei!" befahl sie. "Es gibt keinen Grund zum Jubeln." Jessica lief auf ihren Vater zu und ergriff seine Hand. "Daddy, ich bin so glücklich!" rief sie. "Meine Güte, ich habe
nicht geglaubt, dass die Anzeige in Großvaters Zeitung so schnell wirkt!" "Kleines, du verstehst das falsch. Wir ..." Doch sie hatte sich schon zu Laura umgedreht. "Kann ich Blumenmädchen sein?" Boris überlegte. "Gibt es auch einen Blumenjungen? Kann ich das sein?" "Dummkopf!" Jessica lachte. "Du kannst der Junge sein, der den Ring trägt. Wie heißt der?" Fragend sah sie Laura an. "Ringträger", antwortete Laura benommen. "Aber wir brauchen keinen Ring, weil..." "Ich werde das Gästebuch für Sie führen", mischte Abby sich eifrig ein. "Ich war zwar erst auf zwei Hochzeiten, aber ich weiß, wie das geht. O Laura, ich freue mich ja so für Sie." "Hört auf! Alle!" Laura hob beide Hände. "Es gibt keine Hochzeit." "Wollen Sie etwa durchbrennen?" fragte Abby vorwurfsvoll. "Finden Sie, das ist fair gegenüber den Kindern?" Sie sah die Kleinen mitleidig an. "Natürlich nicht." Matt fand, er müsse jetzt auch einmal etwas sagen. Abby seufzte erleichtert. "Da bin ich aber froh. Also wollen Sie vielleicht nur eine kleine Hochzeit? Meine Cousine Cynthia hatte eine kleine Hochzeit, aber es gab trotzdem ein Blumenmädchen und einen Ringträger. Sie müssen ja schließlich keine große Feier veranstalten, wenn Sie ..." "Abby, hältst du jetzt bitte den Mund?" Laura verschränkte ihre zitternden Hände. "Ihr alle habt die Situation völlig falsch verstanden. Matt und ich haben nicht die Absicht zu heiraten, weder jetzt noch später, weder mit einer großen Feier noch mit einer kleinen. Und durchbrennen wollen wir auch nicht. Ist das jetzt klar?" Drei Augenpaare starrten sie an - nein, vier. Matt fühlte sich durch ihre heftige Ablehnung nicht gerade geschmeichelt.
"Aber ..." Abby runzelte die Stirn. "Wenn das keine ernste Beziehung ist, warum knutschen Sie und Matt dann in der Küche herum?" Laura stöhnte. "Wir haben nicht herumgeknutscht! Ich hatte Mehl an meiner Wange, und er ... er ..." Hilfe suchend sah sie ihn an. "Ich habe es eben weggewischt", behauptete Matt und fragte sich, wer eine solche Erklärung wohl glauben würde. Abby offenbar nicht. "Soll ich Ihnen nun glauben oder meinen eigenen Augen?" Laura ging in die Knie und sah Boris ins Gesicht. "Liebling, Jessicas Daddy und ich sind nur ..." Sie schluckte. " ... nur Freunde. Du und Jessica, ihr wünscht euch, dass wir heiraten, nicht wir." "Warum nicht?" fragte Jessica weinerlich. Es tat ihrem Vater weh, sie so traurig zu sehen. "Mögen Sie mich nicht, Laura?" "Ich mag dich sehr." Laura zog das Mädchen mit einem Arm an sich und ihren Sohn mit dem anderen. Schmelzende Eiskrem verschmierte ihre weiße Bluse, doch sie achtete "nicht darauf. "Aber ich kann nicht einfach einen Mann heiraten, den ich nicht liebe." Sie sah Matt vorwurfsvoll an. "Nicht einmal einen so wunderbaren Mann wie deinen Vater." Nur Matt wusste, wie schwer ihr dieser letzte Satz gefallen war. Doch diese Erklärung genügte Jessica, um neue Hoffnung zu schöpfen. "Aber Sie könnten doch lernen, ihn zu lieben", verkündete sie froh. "Da bin ich ganz sicher." Sie schmiegte sich an Laura und hinterließ dabei eine weitere Schokoladenspur auf deren weißer Bluse. "Ich versuche, geduldig zu sein", versprach sie. "Und bestimmt habe ich dann schon bald eine Mutter im Haus." "Leider ist das nicht so einfach." "Natürlich ist es das. Sie müssen es nur versuchen." "Aber..."
"Geht oft zusammen aus", drängte die Kleine. "Ihr müsst Spaß zusammen haben und euch immer wieder küssen und drücken." Matt lachte halbherzig. "Auf diese Weise verlieben sich Leute? Wie hast du das denn herausgefunden, Spatz?" "Ich gehe ins Kino", erklärte Jessica. "Oh!" Sie sprang zurück und sah entsetzt auf den riesigen Fleck, den das schmelzende Eis auf ihrem T-Shirt hinterlassen hatte. Rasch warf sie den Rest ihres Eishörnchens ins Spülbecken. "Daddy!" "Ja, ich bringe dich jetzt lieber nach Hause, damit du dich umziehen kannst." "Aber zuerst musst du dich mit Laura verabreden." "Ich denke, ich habe vorläufig keine Zeit", sagte Laura und erhob sich. Dann sah sie die enttäuschten Gesichter der Kinder und verlangte: "Matt, tu doch etwas!" "Na klar." Er überlegte. "Was hältst du davon, wenn wir mit den Kindern am Freitag in den neuen Disneyfilm gehen?" "Matt!" Laura sah ihn vorwurfsvoll an. Jessica jedoch war zufrieden. "Ich finde, das ist ein guter Anfang", verkündete sie großzügig. "Ihr dürft nur nicht vergessen, euch oft zu küssen." Sie winkte. "Bye, Boris. Wir sehen uns am Freitag." "Bye." Er winkte ebenfalls. Dann blickte er zu seiner Mutter auf. "Und wann heiraten wir nun Jessicas Daddy?" Matt wollte die Antwort auf diese Frage nicht abwarten. Er ergriff die klebrige Hand seiner Tochter und zerrte Jessica zur Tür. Abby sprang hastig zur Seite, und Matt konnte endlich fliehen. Allerdings nur für heute. Es war ihm und Laura nicht gelungen, die Kinder vorsichtig aus ihrem Familientraum in die Wirklichkeit zurückzuholen. Im Gegenteil, die Situation war schwieriger denn je. Als Laura am nächsten Tag zur Arbeit kam, sagte April Forbes nur kurz "Hallo" und blickte schnell wieder fort. Laura hatte jedoch ihr heimliches Lächeln bemerkt und wunderte sich.
Sie vergaß die Sache jedoch sofort wieder, denn ihre Gedanken waren mit anderen Dingen beschäftigt. Zum Beispiel mit Matt. Schon zum zweiten Mal hatte sie es zugelassen, dass er sie küsste. Was war nur mit ihr los? Laura steckte ihre Tasche in die unterste Schublade ihres Schreibtischs und schaltete den Computer ein. Sie wollte gerade das Programm aufrufen, als Katy eintrat. "Na, wie geht's?" "Bestens", behauptete Laura und blickte wieder auf den Bildschirm. Katy ignorierte diesen kleinen Hinweis natürlich. "Wie ich höre, hattest du gestern einen richtig netten Abend", sagte sie und ließ sich auf dem Besucherstuhl nieder. Laura sah ihre Freundin an. "Wer hat dir das erzählt?" Katy zuckte die Schultern. "Habe ich vergessen. Matt hat dich besucht, nicht wahr?" "Du warst dabei, als er fragte, ob er mit Jessica zu mir kommen kann." Laura tippte ungeduldig auf die Tasten ihres Computers, um die Geschichte, an der sie gestern vor dem Heimgehen gearbeitet hatte, auf den Bildschirm zu rufen. Katy sagte nichts mehr, aber sie ging auch nicht weg. Nach einigen Minuten blickte Laura sie irritiert an. Katy sah aus wie eine Katze, die Sahne genascht hatte. Jetzt beugte sie sich erwartungsvoll vor. "Erzähl mir alles." "Worüber?" "Über dich und Matt natürlich, was denn sonst?" "Katy Andrews, wie oft muss ich es dir noch sagen? Es ist nichts zwischen mir und Matt." "Ach nein? Und warum habt ihr dann in deiner Küche herumgeknutscht?" Laura schnappte nach Luft. "Wer hat dir das denn erzählt?" "Roger Reedy, drüben im Rathaus." "Roger!" Das war ja noch schlimmer, als Laura befürchtet hatte. "Und wo hat er es her?"
"Willst du es genau wissen? Na schön." Katy hob die Hand und zählte an den Fingern ab. "Roger hat es von der Bürgermeisterin, die hörte es von ihrer Tochter, die wiederum von Abby Royce, deinem Babysitter." Katy sah sehr selbstzufrieden aus. "Habe ich noch jemand vergessen?" "Ich bezweifle es." Laura ließ die Schultern hängen. "Die ganze Stadt spricht also wieder einmal über uns." "Ja, das trifft die Situation ziemlich genau", bestätigte Katy überlegen. Doch dann siegte wieder ihre Neugierde. "Also, was ist passiert? Hat er ernsthaft versucht, sich an dich heranzumachen, oder ...?" "Katy, hör auf damit!" Laura sprang auf. "Entschuldige mich jetzt bitte. Ich muss in die Setzerei." "Spielverderberin!" rief Katy ihr nach. "Man wird sich doch wohl noch für das Leben seiner Freundin interessieren dürfen?" Zu dieser Frage hätte Laura einige Antworten bereit. Matts Tag war auch nicht besser als Lauras. Als er es nicht länger aushielt, stürmte er in das Büro seines Großvaters, stellte sich vor dessen Schreibtisch, die Hände in den Hüften, und sah seinen Großvater wütend an. John erwiderte den Blick leicht belustigt. "Du hast mein Leben ruiniert!" behauptete Matt. "Wie denn das?" "Indem du diese schreckliche Anzeige rausgebracht hast, damit! " Matt ließ sich auf einen Stuhl fallen. "Egal, wohin ich komme oder was ich tun will, alle sind nur an meinem angeblichen Liebesleben interessiert." "Und wie ist dein Liebesleben?" "Ich habe keines!" "Da habe ich aber andere Dinge gehört." Matt sah ihn vorwurfsvoll an. "Du gehörst also auch zu der Bande?"
John lachte. "Kopf hoch, mein Junge! All diese Leute mit ihrem Gerede - die sind doch nur eifersüchtig. Laura ist eine reizende Lady und..." "Aber nicht zu haben." "Natürlich ist sie zu haben. Sie ist Witwe." Matt schüttelte den Kopf. "Trotzdem läuft da nichts. Sie ist eben nicht an mir interessiert." "Aber du bist an ihr interessiert", stellte John fest. Diesmal war Matt um eine Ausrede verlegen. Schließlich seufzte er und sagte ernst: "Ja, vielleicht. Unter bestimmten Umständen. Aber wir sind einfach zu verschieden, Grandpa. Sie ist zum Beispiel eine Perfektionistin, und ich bin schlampig." "Du bist nicht schlampig, Matt, sondern ein Mann. Frauen müssen Perfektionisten sein. Sonst könnte niemand, ohne zu stolpern, ein Wohnzimmer durchqueren. Es ist Gottes Vorsehung." Matt musste lachen. "Zum Glück hat das außer mir keiner gehört." "Wäre auch egal", meinte John. "Wir alten Kerle dürfen nämlich noch ungestraft die Wahrheit sagen. Ihr Jungen dagegen müsst euch den Kopf zerbrechen, um das zu sagen, was ihr meint, ohne es direkt auszusprechen." "Da ist was Wahres dran", gab Matt zu. "Ich muss einmal ein paar Tage fort von hier", wechselte er dann plötzlich das Thema. "Nur ich und Jessica - irgendwohin, wo ich gründlich und in Ruhe nachdenken kann." "Worüber?" "Über mich. Mein Leben. Über Jessica und was das Beste für sie ist." Er lächelte verlegen. "Über den Weltfrieden. Das Universum. Den Kosmos." John lächelte. "Dafür brauchst du wirklich Ruhe und Frieden. Möchtest du die Hütte benutzen?" Guter alter Grandpa. "Ja. Ist sie frei?" "Natürlich, für dich jederzeit. Wann willst du sie haben?"
"Nächste Woche? Ich würde gern am Montag rauffahren." "Einverstanden." John zog eine Schublade auf, suchte ein Weilchen und kramte schließlich einen Satz Schlüssel hervor. "Die Hütte ist komplett eingerichtet. Es ist alles da, was du brauchst. Du musst nur Lebensmittel mitbringen. Und bitte mach sauber, bevor du abreist." "Danke, Grandpa." "Jederzeit gem." John wurde ernst. "Ich hoffe, du findest die Antworten auf deine Fragen, Matt. Denk immer daran, im Grunde wollen alle Menschen dasselbe. Wir suchen nur auf verschiedene Weise danach." Matt nahm die Schlüssel und stand auf. "Und was ist dieses eine, wonach wir alle suchen?" fragte er. "Geld? Macht? Ruhm? Sex?" "Du brauchst mich nicht auf den Arm zu nehmen", erwiderte John gelassen. "Es ist Liebe, und das weißt du ganz genau." Später am selben Vormittag rief Laura die Bürgermeisterin an. "Haben Sie heute zufällig Zeit für ein gemeinsames Mittagessen?" fragte sie. Marilyn überlegte. "Für Sie, Laura - sicher. Aber es geht nicht ganz so früh. Sagen wir, um ein Uhr im Rawhide Cafe?" "Wunderbar - und vielen Dank." Zufrieden legte Laura den Hörer auf. Was sie Marilyn zu sagen hatte, hätte sie auch mit John besprechen können. Doch ihr Boss war Matts Großvater, und in privaten Angelegenheiten wollte sie ihm zur Zeit lieber aus dem Weg gehen ... Marilyn gab Zucker in ihren Eistee und rührte um. "Also, welchem Umstand verdanke ich diese Ehre?" fragte sie. Laura lächelte. "Ich fühle mich geehrt. Lunch mit der Bürgermeisterin! " "Und ich speise mit der Gesellschaftsredakteurin des Rawhide Review!" Marilyn hob ihr Glas zu einem Toast. "Auf uns, zwei Powerfrauen, die einander Honig ums Maul schmieren."
Laura lachte, und sie tranken darauf. "Streichen Sie mir denn Honig um den Mund, Marilyn?" "Sicher", gab diese zu. "Ich möchte gern etwas zusätzliche Publicity für unser fünfundvierzigstes jährliches Rawhide City Eiskremfest. Wir erwarten einige bedeutende Gäste von außerhalb, sogar den Senator unseres Staates, und ich möchte natürlich die gebührende Aufmerksamkeit." "Kein Problem. Da helfe ich gern", versprach Laura. "Ich wusste, ich kann mich auf Sie verlassen." Marilyn neigte den Kopf ein wenig zur Seite. "Jetzt sind Sie an der Reihe. Was kann ich für Sie tun, Laura?" Laura befeuchtete sich die Lippen. "Könnte ich in der nächsten Woche wohl für einige Tage in Ihrer Berghütte wohnen? Falls sie frei ist, heißt das." "Ja, natürlich. Kommen Sie nach dem Essen mit mir ins Büro, dann gebe ich Ihnen die Schlüssel und die Wegbeschreibung. Sie waren noch niemals dort, nicht wahr?" Laura schüttelte den Kopf. "Dann zeichne ich Ihnen eine Karte", versprach Marilyn. "Obwohl es im Grunde nicht schwer zu finden ist. Allerdings liegt die Hütte sehr einsam." "Das ist genau das, was ich will", sagte Laura. "Einsamkeit. Nur Boris und ich und Gelegenheit, einmal in Ruhe gründlich nachzudenken." "Über Matt", sagte Marilyn. Laura sah sie gekränkt an. "Sie auch?" Marilyn lächelte nachsichtig. "Herzchen, ich weiß, es war nie etwas zwischen Ihnen und Matt, und ich weiß auch, dass es Ihnen beiden vor allem um die Kinder geht. Aber Sie sind beide ganz besondere Menschen. Und ich dachte, wer weiß, was geschehen könnte, wenn Sie einander erst richtig kennen lernen." "Bisher ist gar nichts geschehen", meinte Laura abweisend. "Vielleicht haben Sie Angst, es geschehen zu lassen."
Angst? Laura fürchtete sich vor gar nichts. Doch während sie und Marilyn aßen und plauderten, gelangte Laura zu einer neuen Erkenntnis: Sie hatte Angst, doch nicht vor Matt. Sie, die selbstbeherrschte, perfektionistische Laura Gilliam, hatte Angst vor sich selbst - und davor, was ein Herzensbrecher wie Matt Reynolds mit ihr machen könnte. "John?" sagte Marilyn später am Telefon. "Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass ich Laura in der nächsten Woche die Hütte überlassen habe ... Was haben Sie getan?" Sie lachte schallend. "Sie haben völlig Recht", bestätigte sie kurz darauf. "Selbst Cinderella und ihr Märchenprinz brauchen ab und zu einen kleinen Stoß in die Rippen. Tun wir so, als hätte dieses Gespräch nie stattgefunden." Immer noch schmunzelnd, legte Marilyn auf. Jessica brauchte all ihre Überredungskunst, bettelte, schmeichelte und verschenkte Küsse, doch schließlich hatte sie ihren Großvater überredet, mit ihr in die Stadt zu fahren, um ein neues Kleid zu kaufen. "Daddy hat versprochen, mit mir einzukaufen, doch jetzt arbeitet er wieder an Lauras Haus." Ihr Großvater verdrehte die Augen. "Ist diese Arbeit immer noch nicht fertig?" "Daddy sagt, normalerweise schon, aber sie ändert immer ihre Meinung. Daddy sagt..." John lachte. "Jess, du bist wirklich eine kleine Elster." Jessica liebte es, neue Wörter zu lernen. "Was ist eine Elster?" "Ein Vogel, der niemals den Schnabel hält." Jessica überlegte. "Ich glaube, ich bin wie dieser Vogel", stimmte sie zu. Sie konnte diesen Ausdruck für Boris verwenden, der noch mehr redete als sie. "Komm, lass uns hier hineingehen." Sie zog ihren Großvater ins das Kaufhaus an der Hauptstraße.
Eine Viertelstunde später kamen sie wieder heraus, und diesmal trug ihr Großvater eine große Pappschachtel unter dem Arm. Darin befand sich das herrlichste Kleid der Welt: rosa mit Rüschen, Spitzen und Perlen. Jessica fühlte sich schon wie verwandelt, wenn sie nur an das Kleid dachte. Laura würde staunen, wenn Jess es am Freitag für den Kinobesuch anzog. Ein Bekannter rief ihren Großvater beim Namen. "Warte hier auf mich", bat er und ließ Jessica vor dem Schuhgeschäft stehen. Es machte ihr nichts aus zu warten. Die Auslage des Ladens war reichhaltig und interessant. Wenn ich erwachsen bin, beschloss Jessica, werde ich Schuhe mit ganz hohen Absätzen tragen, damit ich größer bin als die Jungen. Oder vielleicht trage ich Stiefel, dann kann ich jeden Jungen, der frech wird, gegen die Schienbeine treten. Jungen waren wirklich manchmal eine Qual. Dann kam Jessica ein ganz neuer Gedanke. Vielleicht hatten erwachsene Frauen mit Männern die gleiche Last wie sie mit Jungen - nein, wohl doch nicht. Ihr Daddy zum Beispiel. Er war der beste Daddy der Welt und überhaupt keine Last. Wer würde ihn nicht lieben? Ihr Daddy war ... Und dann entdeckte Jessica sie: die schönsten Schuhe der Welt. Sie waren halb versteckt hinter einem hässlichen schwarzen Paar, aber Jessica sah sie dennoch sofort. Cinderellaschuhe! Sie konnte durch sie hindurchschauen. Waren sie wirklich aus Glas? Und sie hatten ganz hohe Absätze und eine silberne Schnalle. Oh, sie waren fantastisch! Laura sähe wunderschön damit aus. Wenn Daddy ihr diese Schuhe schenkte, würde sie ihm bestimmt vor Begeisterung um den Hals fallen und ihn küssen. Aber Daddy würde keine Schuhe für eine Lady kaufen. Da brauchte Jessica ihn gar nicht erst zu fragen. Schließlich hatte sie endlos quengeln müssen, bis er ihr ein neues Kleid versprochen hatte.
Vielleicht konnte Jessica diese Schuhe selbst kaufen und sie in ihrem Kleiderschrank verstecken. In einem Notfall, zum Beispiel falls Laura und Daddy sich stritten, würde Jessica die magischen Schuhe hervorholen - so schöne Schuhe hatten ganz bestimmt Zauberkräfte -, und dann vertrugen sich Laura und Daddy wieder. Jessica fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Was mochten so wunderschöne magische Schuhe kosten? Ein großes orangefarbenes Schild darüber verkündete "Sonderangebot", also waren sie vielleicht richtig billig. Jessica hielt den Atem an, drückte die Wange ans Fenster und bemühte sich, das Preisschild zu lesen. Ah, jetzt hatte sie es ... Sie schluckte. Siebenundzwanzig Dollar und fünfundneunzig Cent als Sonderangebot? Und hier stand sie ohne einen einzigen Cent in der Tasche. Am Samstag bekam sie von Daddy Taschengeld, doch fünf Dollar reichten nicht, um solche Schuhe zu kaufen. Sie hielt nach ihrem Großvater Ausschau, der immer noch mit seinem Freund sprach. Doch sie wusste, es wäre nicht recht, ihn zur Rückgabe des Sparschweins zu überreden. Wie sollte sie also zu einer solchen Summe gelangen? "He, Kleine." Jessica drehte sich um und erkannte Tante Katy. "Hallo." "Ich habe dich in letzter Zeit nicht oft gesehen", sagte Katy. "Hast du schöne Ferien?" Jessica zuckte die Schultern. "Könnte besser sein." Katy lachte. "Und ich dachte, du freust dich, weil deine Anzeige so erfolgreich war." Sie zögerte. "Du siehst aber nicht glücklich aus. Ich dachte, du magst Laura." "Ich mag sie sehr!" bekräftigte Jessica. "Was ist denn dann los?" "Es läuft nicht besonders gut", gestand Jessica kleinlaut.
"Oje." Katy war ehrlich betroffen, "Weißt du, was genau das Problem ist?" "Nun ..." Jessica blickte sich vorsichtig um, ob auch niemand sonst in Hörweite war. "Ich denke, sie machen es nur für die Kinder." Katy musste lachen. "Für die Kinder?" Jessica nickte entschieden. "Ständig versuchen sie, uns beizubringen, dass sie nicht heiraten wollen, aber Boris ist noch zu klein, und ich tue so, als merke ich nichts. Ich denke immer, eines Tages werden sie es begreifen - als ob das so schwer wäre." "Was begreifen?" fragte Katy. "Dass wir zusammengehören", sagte Jessica, "ich und Boris und Daddy und Laura. Aber langsam mache ich mir Sorgen ..." Sie seufzte. Katy seufzte ebenfalls. "Ich glaube auch, dass ihr alle zusammengehört", sagte sie. "Ich wünschte, ich könnte etwas tun." "Das kannst du!" Jessica wollte sich so eine Chance nicht entgehen lassen. Katy war verblüfft. "Was denn?" Jessica zeigte ins Schaufenster. "Siehst du diese Schuhe?" Katy bemerkte sie und erschrak. "Du meine Güte, ich habe noch nie ..." "So schöne Schuhe gesehen!" ergänzte Jessica eifrig. "Hmm, ja, genau. Aber ich verstehe nicht." "Das ist doch ganz einfach. Daddy ist der Märchenprinz und Laura ist Cinderella, nicht wahr? Und wie hat der Prinz herausgefunden, wer Cinderella war?" drängte Jessica. "Er hat ihr den gläsernen Schuh angezogen, und er passte?" Jessica strahlte. "Genau! Nur glaube ich, dass Daddy keine Schuhe für Laura kaufen wird, oder? Aber ich könnte sie kaufen und für einen Notfall bereithalten! Ich meine, wenn ich nur siebenundzwanzig Dollar und fünfundneunzig Cent hätte ..."
"Zuzüglich Mehrwertsteuer", sagte Katy. "Daran habe ich gar nicht gedacht." Sie sah Tante Katy prüfend an. "Ich wusste gern, ob du mir vielleicht das Geld leihen könntest." "Hast du eine Sicherheit?" "Vielleicht. Was ist das?" "Besitzt du etwas, das siebenundzwanzig Dollar und fünfundneunzig Cent wert ist, das ich behalten kann, falls du mir das Geld nicht zurückzahlst? Das nennt man eine Sicherheit." Diese Schuhe zu kaufen war für Jessica wirklich wichtig. "Meine Hündin Fluffy hat hundert Dollar gekostet, als sie noch ein Welpe war. Jetzt, da sie ausgewachsen ist, ist sie bestimmt noch viel mehr wert." "Lass mich überlegen." Jessica wartete ängstlich. Sie hätte nur zu gern gewusst, worüber Katy erst lange nachdenken musste. Erwachsene waren manchmal wirklich schwer zu verstehen. "Pass auf", sagte Katy, "wenn du das Geld nicht zusammenbekommen kannst und dann immer noch glaubst, dass du diese Schuhe brauchst, sprechen wir noch einmal darüber." Jessica war verzweifelt. "Aber wenn sie dann fort sind? Wenn ein anderer sie zuerst kauft?" "Das glaube ich kaum", sagte Katy. "Vertrau mir." "Aber..." "Jessica, Liebling, sehe ich vielleicht wie eine Märchenfee aus? Mach es so, wie ich es dir sage. Wenn du wirklich diese Schuhe kaufen willst und das Geld nicht woanders auftreiben kannst, frag mich noch einmal." Jessica sah ihr nach. Manchmal waren Erwachsene, selbst die netten, dumm wie Bohnenstroh.
8. KAPITEL Am Samstag fuhren Matt und Laura mit Boris und Jessica nach Denver, um den neuesten Disneyfilm anzusehen. Die Kinder waren bester Stimmung. Die Erwachsenen waren es nicht. Matt hatte Laura und ihren Sohn mit seinem großen roten Pickup abgeholt. Die erweiterte Fahrerkabine bot Platz genug für alle. Laura bemühte sich, freundlich zu sein, jedoch auf eine kühle Art, die Matt auf Abstand halten sollte. Die Szene in ihrer Küche hatte sie beide befangen gemacht, und es fiel Laura schwer, ein halbwegs normales Gespräch in Gang zu halten. Ihrer Meinung nach hätte es niemals zu diesem Kuss kommen dürfen. Mit einem Frauenhelden wie Matt Reynolds war eine dauerhafte, feste Beziehung nicht möglich, und für eine kurze Affäre war Laura sich zu schade. Warum nur ließ sie sich dann immer wieder von den Kindern in Situationen bringen, in denen sie nicht sein wollte? Matt fand Laura noch kühler und abweisender als sonst. Sicher hatte die Szene in der Küche zu dieser Befangenheit zwischen ihnen geführt. Dennoch bereute Matt nichts, im Gegenteil, er bedauerte die Störung durch die Kinder und Abby. Matt war noch nie einer Frau begegnet, an die so schwer heranzukommen war wie an Laura. Seit jenem Kuss war sie ganz und gar auf der Hut, gab sich unnahbarer als je zuvor. Mit einer so verschlossenen Frau konnte er sich keine dauerhafte Beziehung vorstellen. Dennoch vermochte Matt der
Versuchung nicht zu widerstehen. Er wollte unbedingt herausfinden, welche Leidenschaften sich hinter Lauras kühler Fassade verbargen. Sie fuhren um eine weitere Kurve, und dann erstreckte sich Denver vor ihnen. Matt nahm die Auffahrt auf den Highway. Er erinnerte sich daran, dass er nur ein Opfer der Umstände war Umstände, herbeigeführt durch den Entschluss seiner kleinen Tochter, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Matt war nicht glücklich über diese Entwicklung, doch er beschloss, das Beste daraus zu machen. Der Film war eine Disney-Zeichentrickproduktion. Laura versuchte, der Handlung zu folgen, doch ihre Aufmerksamkeit schweifte immer wieder zu Matts Profil, das sie im Halbdunkel erkennen konnte. Matt sah die ganze Zeit nur auf die Leinwand und schien ebenso fasziniert zu sein wie die Kinder. Laura hatte darauf bestanden, die Kinder zwischen die Erwachsenen zu platzieren, denn sie wollte auf keinen Fall zwei Stunden im Dunkeln direkt neben Matt sitzen. Trotzdem kroch die Zeit nur so dahin, und als die Lichter endlich wieder angingen, seufzte sie erleichtert auf. Boris war ganz begeistert von dem Film. "Mann!" meinte er beeindruckt, "das war ein toller Kampf." "Das finde ich auch." Matt war sitzen geblieben und ließ die Zuschauermenge an sich vorbeiströmen. "Das hat mir am besten gefallen." Jessica war anderer Meinung. "Ich fand den Teil im Garten mit den Blumen und Vögeln am schönsten." "Mädchen!" Boris sah Matt an und wartete auf dessen Zustimmung, die auch prompt kam. "Wir mögen die Männerszenen", bestätigte Matt, "nicht den Kükenkram." "Kükenkram?" Boris war erst verblüfft, dann kicherte er. "Kükenkram!" "Nun", erklärte Laura von oben herab, "mir hat der Kükenkram auch gefallen."
Auf dem Weg zum Parkplatz sprachen sie weiter darüber. Nachdem alle ins Auto gestiegen waren, wandte Matt sich an Laura. "Wollen wir unterwegs irgendwo anhalten und etwas essen?" "Nein, ich glaube, das ist keine gute ..." "Bitte, Mom! Bitte." "Bitte, Laura." Laura seufzte. "Anscheinend bin ich überstimmt." Matt grinste. "Und ausgetrickst." Er hob die Stimme. "Also, was soll es sein, Kinder? Hamburger, Pizza ..." "Ein Restaurant, in dem es frisches Gemüse gibt?" Doch Lauras Einwände blieben ungehört, und sie kehrten schließlich bei Pizza Rita ein. Die Reste von zwei riesigen Pizzas lagen vor ihnen auf dem Picknicktisch mit der roten Plastikdecke: eine Scheibe von "Ritas Superspezialpizza für Fleischfreunde", dick bestückt mit allen möglichen Sorten Wurst und Fleisch, und eine halbe Gemüsepizza. Boris betrachtete Ritas Spezialität. "Kann ich noch ein Stück haben, Mom?" fragte er hoffnungsvoll. "Bitte, Mom." Laura seufzte. "Sicher, warum nicht. Das macht jetzt auch nichts mehr aus. Wie ist es mit dir, Jessica? Noch ein Stück Gemüsepizza?" "Ja, bitte", erwiderte Jessica. "Ich muss viel essen, denn das ist bestimmt die letzte Pizza, die ich bis nach unserem Urlaub bekomme." Laura lachte und legte dem Mädchen noch eine große Scheibe Pizza auf den Teller. "Ich kann mir kaum einen Urlaubsort vorstellen, an dem es keine Pizzeria gibt." "Wir fahren zu einer Hütte in den Bergen", erklärte Jessica. "Da sind weit und breit keine Menschen." Laura bekam einen furchtbaren Schreck. Planten Matt und Jessica etwa zur gleichen Zeit wie Boris und sie einen Aufenthalt in Johns Hütte? Nein, unmöglich!
"Ist ja toll!" sagte Boris. "Wir auch." "Was meinst du mit ,wir auch'?" fragte Jessica. Sie pickte Paprikastückchen auf, die auf ihren Teller gefallen waren, und gab sie zurück auf die Pizza. "Wir fahren auch zu einer Hütte." Matt sah erschrocken von seinem Teller auf. "Wirklich? Sprechen wir etwa alle von Johns und Marilyns Hütte?" Laura verließ der Mut. "Lasst uns später darüber sprechen", sagte sie hastig und versuchte, das Thema zu wechseln. "Sollen wir um einen Karton bitten, damit wir die Pizzareste mitnehmen können?" "Ich finde, wir sollten jetzt darüber sprechen", widersprach Matt. "Anscheinend müssen wir davon ausgehen, dass wir alle zu derselben Hütte fahren wollen. Die Frage ist nur, wann." "Nächste Woche!" riefen beide Kinder wie aus einem Mund. Verblüfft sahen sie sich an, und dann strahlten sie übers ganze Gesicht. "Wir fahren zusammen!" jubelte Jessica. "Hurra! Wir werden so viel Spaß haben!" Boris zupfte Matt am Ärmel. "Können Sie mir das Angeln beibringen? Mom mag nicht angeln. Sie findet Würmer eklig." Jessica griff nach Lauras Hand. "Und ich werde uns was zum Naschen machen. Dazu braucht man Schokolade und Marshmallows und Grahamcracker..." "Nicht so schnell!" Matt hob beide Hände. "Ich denke, wir haben hier ein kleines Problem." "Oder ein großes Problem", stimmte Laura zu. "Als ich mit Marilyn sprach, sagte sie, die Hütte sei nächste Woche frei." "Und als ich mit Großvater sprach, hat er das Gleiche gesagt." Matt machte ein nachdenkliches Gesicht. "Ich verstehe nicht, wie die zwei den Zeitplan so durcheinander bringen konnten. Nur gut, dass wir das rechtzeitig herausgefunden haben, bevor wir..." Laura wusste genau, was er meinte: bevor sie alle irgendwo in der Einsamkeit aufeinander trafen.
Eine Woche mit Matt Reynolds in der Wildnis? Ein Schauer rieselte Laura über den Rücken. Jessica wandte sich an ihren Vater. "Können wir alle zusammen in einem Auto fahren, Daddy?" fragte sie aufgeregt. "Das wird toll! Danke für diese wunderbare Überraschung. Ihnen auch vielen Dank, Laura." "Beruhige dich, Jess." Matt vermied es, Laura anzusehen. "Jemand hat einen Fehler gemacht, Schatz. Wir können nicht gleichzeitig in der Hütte Ferien machen." "Warum denn nicht?" Jessica war schwer enttäuscht. Matt und Laura sahen sich an. Schließlich gab Laura sich einen Ruck. "Dort ist zum Beispiel nicht genug Platz. John sagt, es gebe nur zwei Schlafzimmer und ..." "Doch, es ist genug Platz da", versicherte Jessica eifrig. "Es gibt das Elternschlafzimmer mit einem ganz großen Bett und das Kinderzimmer mit Etagenbetten." Laura spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. "Aber wir sind zwei Erwachsene, das ist das Problem." Jessica dachte darüber nach. "Es wäre kein Problem, wenn ihr beide heiratet", schlug sie vor. "Wir werden nicht heiraten, und wir haben immer noch ein Problem", sagte Matt. "Nein, das haben wir nicht." Jessica machte ein trotziges Gesicht. "Laura kann das Elternschlafzimmer haben, und du kannst mit mir und Boris im Kinderzimmer schlafen." "Das kommt überhaupt nicht in Frage", protestierte Laura. "Ich möchte schließlich verreisen, um ein bisschen Ruhe und Frieden zu finden, und davon kann keine Rede sein, wenn ... Was ist denn los, Schätzchen?" "Ich dachte, Sie mögen mich", sagte Jessica weinerlich. "Natürlich mag ich dich, nur ..." Boris begann zu heulen. "Magst du Jessica nicht, Mom? Ich mag Jessica."
"Natürlich mag ich sie. Es ist nur so ...." Hilfe suchend sah sie Matt an. Er tat sein Bestes. "Hört auf damit, Kinder. Ihr wisst nicht, wovon ihr sprecht. Wir können nicht einfach zusammen verreisen." "Warum nicht?" Jessica schniefte. "Weil ... weil Laura überhaupt kein Campingtyp ist. Sie hat wahrscheinlich keine Ahnung vom Leben in freier Natur." Laura, die immerhin vier Jahre lang Pfadfinderin gewesen war, sah ihn böse an. "Wir wollen doch nicht persönlich werden." Jessica war beunruhigt. "Wenn Laura nichts über das Leben in einer Berghütte weiß, dann sollten wir vielleicht auf sie und Boris aufpassen", meinte sie. "Wir wollen doch nicht, dass ihnen etwas passiert." Dieses Argument machte Eindruck auf Matt. "Da ist was dran", gab er zu. "Laura ..." "Um Himmels willen!" Verärgert zerknüllte Laura ihre Papierserviette und ließ sie auf ihren Pappteller fallen. "Ich war bei den Pfadfindern! Ich kann gut auf mich selbst aufpassen und auch auf Boris." "Aber bist du jemals allein in den Rocky Mountains gewesen? Die Hütte liegt sehr einsam." "Nein, aber ich denke, wir werden gut zurechtkommen." Jessica beugte sich eifrig vor. "Sie wissen doch, was Sie tun müssen, wenn Sie sich verlaufen?" "Ich werde mich nicht verlaufen." "Aber wenn doch?" Boris hatte gespannt zugehört. "Wenn ich mich verirre, gehe ich zurück zur Hütte!" behauptete er jetzt tapfer. "Und wenn ich einen Bären sehe, dann boxe ich ihn auf die Nase!" Jessica fühlte sich überlegen. "Wenn du einen Bären träfest, würdest du ihn nicht boxen, weil du viel zu viel Angst hättest.
Und wenn du dich verirrst, darfst du nicht weiterlaufen. Du musst einen Baum umarmen." Boris beugte sich erstaunt weit zurück und wäre fast von der Bank gefallen, wenn Laura ihn nicht rechtzeitig abgestützt hätte. "Ich umarme keine Bäume", erklärte er verächtlich. Jessica nickte ganz entschieden. "Wenn du dich verirrst' musst du einen Baum umarmen, bis jemand kommt und dich rettet. Nicht wahr, Daddy?" "Das stimmt. Aber du musst den Baum nicht die ganze Zeit umarmen, du kannst dich auch daneben setzen und warten." "So lange, bis Daddy dich rettet", fügte Jessica hinzu. "Jetzt hör mal, Jess, wir können nicht..." "Wir können, Daddy! Ich und Boris wollen es so sehr. Wenn wir nicht zusammen Ferien machen, dann werde ich ... werde ich ..." Sie schluchzte, und Tränen liefen ihr über die Wangen. Boris blickte sie mit weit aufgerissenen Augen staunend an, und gleich darauf begann er, ebenfalls zu weinen. "Ich will mit Jessica und ihrem Daddy verreisen", brachte er schluchzend hervor. "Bitte, Mom!" "Bitte, Daddy!" Matt und Laura blickten sich hilflos an. Schließlich sagte Matt: "Vielleicht sollten wir es doch versuchen, Laura." "O Matt!" Laura ahnte Unheil. "Das möchte ich wirklich nicht tun." "Ich auch nicht", versicherte er. "Wie kommt es nur, dass wir uns trotzdem immer tiefer in diese Situation verstricken?" Laura schwieg. Der Gedanke, tagelang mit dem attraktiven Matt und seiner reizenden, aber durchaus berechnenden Tochter in einer einsamen Berghütte zu leben, überwältigte sie. "Also, wollen wir es versuchen? Was soll schon passieren? Schließlich sind wir erwachsen ..." Wenn wir Kinder wären, wäre es einfacher, dachte Laura und dann sah sie in flehende Kinderaugen. "Vielleicht..."
Jessica fasste das als Zustimmung auf. "Wir fahren zusammen!" jubelte sie. Sie kletterte von der Bank. "O Laura, danke! Danke!" Stürmisch umarmte sie Laura. Laura sah über die schmalen Schultern des Kindes hinweg in Matts Augen. Sie hatte überlegt, einen anderen, weniger abgeschiedenen Urlaubsort vorzuschlagen, doch das war jetzt nicht mehr möglich. Sie brachte es nicht übers Herz, die beiden Kinder zu enttäuschen, die jetzt übermütig um den Tisch herumsprangen. Sie saß in der Falle. Ein bedrückter Matt fuhr sie schweigend zu Lauras Haus. "Ich rufe dich an", sagte er schließlich. Laura nickte. "Wir müssen noch die ganzen Einzelheiten besprechen, bevor wir fahren." Daheim angekommen, öffnete Matt eine Flasche Bier und schlenderte ins Wohnzimmer. Er hatte eben in seinem Lieblingssessel Platz genommen, als es an der Tür klopfte. Der späte Gast war Dylan. Er wirkte ungewöhnlich ernst. "Hast du kurz Zeit?" fragte er. "Sicher." Matt trat zur Seite. "Komm rein, Kumpel." Er reichte Dylan die noch volle Bierflasche und holte sich eine frische aus der Küche. "Also, was ist los?" "Ich wollte wissen, ob du von Carl Stevens' Unfall gehört hast." Eine Weile sprachen sie über den Liebeskummer des gemeinsamen Freundes, dessen unerwiderte Leidenschaft ihn schließlich ins Krankenhaus gebracht hatte. "Ich weiß nicht, ob ich ihn bemitleiden oder in den Hintern treten soll", meinte Dylan verächtlich. "Ich verstehe nicht, wie jemand sich so sehr in eine Frau verlieben kann, dass der Verstand dabei auf der Strecke bleibt." Matt fühlte sich in diesem Bereich weniger selbstbewusst als sonst. "Du warst doch auch einmal verliebt", bemerkte er.
"Zumindest hast du das behauptet, als du die Frau geheiratet hast." "Stimmt, und ich habe meine Lektion schnell gelernt." Dylan klang verstimmt. "Nachdem sie mich verlassen hatte, bin ich jedenfalls nicht händeringend durch die Stadt gelaufen. Und vor allem habe ich mein Auto nicht gegen einen Baum gefahren." "Das nicht", gab Matt zu, "aber einige Jahre danach hast du mehr als reichlich getrunken." Dylan grinste verlegen. "Ich war eben besonders durstig. Aber das ist jetzt alles vorbei und vergessen." "Ja, sicher." Dylan sah seinen Freund aufmerksam an. "Und wie ist deine Verabredung heute gelaufen?" wechselte er das Thema. "Das war keine richtige Verabredung. Wir waren mit den Kindern im Kino." "Das ist alles?" "Dann waren wir mit den Kindern noch Pizza essen." "Und?" "Dann haben wir beschlossen, nächste Woche zusammen mit den Kindern Ferien in Grandpas Berghütte zu machen. Willst du noch ein Bier?" "Nein, danke." Dylan konnte es nicht fassen. "Du und Laura Gilliam? Allein zusammen?" "Mit zwei Kindern!" "In einer einsamen Berghütte? Ich glaube, da werden die Kinder als Schutz nicht ausreichen." Dylan lehnte sich in seinem Sessel zurück. "Dieses Mal ist sexy Laura fällig. Mann, ist das deprimierend." Dylan scherzte nicht länger. "Auf keinen Fall", protestierte Matt. Allerdings nur halbherzig, und er hatte dabei ein schlechtes Gewissen gegenüber Laura. Außerdem lag Dylan mit seiner Vermutung gar nicht so falsch, denn der heimliche Wunsch, mit Laura zusammen zu sein, spukte schon in Matts Kopf herum, seit er sie vor drei Jahren zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte sie
damals sehr begehrt, und das tat er noch heute. Dennoch wollte er sich nicht mit ihr einlassen, denn das bedeutete viele Komplikationen. "Was ist los mit dir, Dylan? Du bist doch sonst nicht so niedergeschlagen." "Sehe ich etwa nicht aus wie ein Mann, der soeben seinen besten Freund verloren hat?" Dylan lächelte flüchtig. "So fühle ich mich jedenfalls." "Nach allem, was wir beide zusammen durchgemacht haben? Keine Chance." "Ja, das sagst du jetzt. Aber diese Romanze entwickelt sich beängstigend rasch. He, ich wäre nicht überrascht, wenn du als Verlobter Mann zurückkommst. Eigentlich erwarte ich es sogar." Matt blickte ihn fassungslos an. "Du bist verrückt geworden." Dylan zuckte die Schultern. "Ich erlebe das nicht zum ersten Mal. Wenn du sie erst einmal da hast, wo du sie haben willst..." "Jetzt mach aber mal einen Punkt! Ich verreise nicht mit Laura, um sie zu verführen." "Es könnte aber dazu kommen. Schließlich bist du nicht aus Stein, mein Freund. Du wirst mit ihr im Bett landen, ob du es willst oder nicht. Da kannst du noch so gute Vorsätze haben." "Sie ist nicht der Typ dafür", protestierte Matt ohne rechte Überzeugung. "Sei da nicht so sicher. Ich habe sehr wohl bemerkt, wie sie dich ansieht ... und hey, ich habe auch bemerkt, wie du sie ansiehst. Wenn du erst einmal mit ihr geschlafen hast..." "Verdammt, Dylan, hör auf damit." Matt sprang auf und begann, im Zimmer hin und her zu gehen. "Wir machen das für die Kinder. Wir werden nicht..." "Ich wette, dass ihr doch im Bett landet", unterbrach Dylan ihn. "He, ich verwette meinen echten Babe-Ruth-Baseball mit Autogramm, dass du und die sexy Laura als Paar zurückkommt im biblischen Sinne, meine ich."
Matt verschluckte sich an seinem Bier. "Teufel noch mal, Dylan, ich habe versucht, dir diesen Baseball abzuluchsen, seit dein Vater ihn dir vor über zwanzig Jahren gab." "Einundzwanzig genau. Das beweist, wie sicher ich bin, diese Wette zu gewinnen. Wenn du ebenso sicher bist, dann setze deinen echten Stetson mit dem Autogramm von Slim Sloan ein. Ich wollte schon immer das Autogramm des größten Rodeoreiters aller Zeiten." "Wäre es nicht einfacher, wir tauschen?" schlug Matt vor. "Nein. Ich will beide, und auf diese Weise kann ich es erreichen. Mann, du bist verloren und ahnst es nicht einmal." Matt gab sich selbstsicherer, als er war. "Ich brauche doch nur zu lügen. Ich könnte dir erzählen, ich hätte nicht mit ihr geschlafen, selbst wenn ich es getan hätte." Dylan war ernst. "Aber das machst du nicht", erwiderte er. "Du würdest deinen besten Freund nicht belügen." Das stimmte. Matt zögerte einen Moment. "Dylan, wenn du glaubst, ich werde..." "Onkel Dylan!" Jessica stürzte mit ausgebreiteten Armen ins Zimmer. Sie trug einen rosa Pyjama, und ihr nasses Haar hing ihr über den Rücken. Sie kletterte auf Dylans Schoß und küsste seine Wange. Über die Schulter des Kindes sah Dylan Matt an. "Abgemacht?" Verdammt, dachte Matt, Laura wird auf keinen Fall in meine Arme sinken. "Abgemacht!" Matt rief Laura am Sonntagvormittag an. "Ich möchte nur sicher sein, dass alles klar besprochen ist, bevor wir morgen in die Berge fahren", sagte er. "Ja, natürlich." Höflich, aber reserviert, so wollte Laura sich verhalten. "Die Hütte ist bequem ausgestattet, aber es ist dennoch eine Hütte in der Einöde", betonte Matt. "Wir müssen weder
Bettlaken noch Handtücher mitnehmen, aber wir brauchen unsere persönlichen Dinge und genug Lebensmittel für die ganze Woche, denn das nächste Geschäft ist fünfundzwanzig Meilen weit entfernt." "In Ordnung." "Denk praktisch, Laura", ermahnte er sie. "Schlepp auf keinen Fall eine Menge Zeug mit, das nur im Weg ist." "Vielen Dank für diesen Hinweis", sagte sie spöttisch, wobei sie in Gedanken bereits ihre Packliste änderte. "Ich weiß schon, was ich tue." Beide schwiegen kurz, ehe Matt meinte: "Ich hoffe, wenigstens einer von uns weiß es." "Wir können die Sache immer noch abblasen." "Ja, aber wenn wir das tun, musst du es den Kindern sagen." Das wagte Laura nicht. "Also schön", stimmte sie zögernd zu, "fahren wir also zusammen." "Ich hole dich und Boris morgen um sechs ab." "Morgens?" "Ich starte gern früh." "Und ich möchte in Ruhe losfahren." "Also gut. Sechs Uhr dreißig." "Vergiss es!" Misstrauisch geworden, fragte sie: "Was soll das überhaupt heißen, du holst uns ab?" "Genau das." "Vergiss auch das. Ich fahre selbst." Das fehlte ihr noch, ohne eigenes Auto auf einem Berg festzusitzen. Laura hörte ihn tief einatmen, doch Matt sagte nur: "Also gut. Wie du willst. In diesem Fall solltest du mir in deinem Wagen folgen. Ich werde also um halb sieben da sein." "Ich werde bereit sein." Bereit und vorbereitet, dachte Laura. Laura sah absolut hinreißend aus in engen Jeans, Stiefeln und einem roten Flanellhemd, das ihre Brust und die schmale Taille betonte. Dazu trug sie einen lässigen Jeanshut und, soweit Matt
erkennen konnte, keinerlei Make-up. Dieser strahlende Teint war echt. "Hallo, Mr. Reynolds!" Boris schoss aus der Tür, um ihn zu begrüßen. "Ich bin fertig!" "Das sehe ich." Auch der Junge trug Jeans und Stiefel sowie ein Sweatshirt. Matt sah Laura an. "Hast du noch Gepäck, das ich mitnehmen soll?" "Nein, danke. Ich habe bereits alles eingepackt, und Lucy ist bei den Nachbarn." "Fluffy ist bei Onkel Dylan", erzählte Jessica. "Ich wollte ihn mitnehmen, aber Daddy sagte: ,Nein, Hunde verjagen immer die wilden Tiere.'" "Onkel Dylan wird bestimmt gut auf sie Acht geben", versicherte Laura. Sie deutete auf ihren Jeep Cherokee. "Boris und ich sind startklar." "Ich will mit Jessica fahren!" erklärte Boris. "Bitte, Mom!" Also fuhr Matt mit den beiden Kindern voraus, und Laura folgte in ihrem roten Auto. Matt verstand sehr gut, warum sie selbst fahren wollte, und konnte ihr daraus keinen Vorwurf machen. Sie wollte nicht von ihm abhängig sein. Das war auch besser so. Matt verwünschte Dylan mit seinem Gerede über Verführung. Als ob Matt noch einen Anreiz brauchte. Auf der Lichtung vor der Hütte sprang Laura aus ihrem Wagen. "Was für eine wunderbare Fahrt", rief sie aufgeregt. "Matt, die Landschaft ist einfach fabelhaft!" "Allerdings." Er hielt die Tür auf für die Kinder. "He, ihr zwei dürft noch nicht losrennen. Ihr müsst helfen, die Sachen hineinzutragen." "Ach Daddy!" Aber es war ein halbherziger Protest, denn Jessica strahlte übers ganze Gesicht.
Sie mussten viele Male hin- und hergehen, aber endlich war alles Gepäck in der Hütte. Während Matt den Kindern erklärte, was sie während ihres Aufenthaltes zu ihrer Sicherheit unbedingt beachten mussten, besichtigte Laura ihr Heim für die nächste Woche. Wie versprochen, gab es zwei Schlafräume. Die Tür auf der rechten Seite führte in ein ziemlich geräumiges Schlafzimmer mit einem großen Doppelbett, zwei Nachttischen, einer Kommode sowie einem Tisch und zwei Stühlen, alles aus rustikalem Holz und passend zur Hütte. Ein kleines Badezimmer grenzte an das Schlafzimmer an. Laura schob den leuchtend gelben Vorhang am Fenster zur Seite und sah hinaus. Der Wald reichte fast bis ans Haus heran. Sie entdeckte Eichhörnchen und Vögel. Schön. Ruhig. Einladend. Das zweite Schlafzimmer auf der linken Seite des Wohnzimmers mit Küchenteil und in der Nähe des zweiten Bades war enger. Es war mit zwei Etagenbetten und einer einzelnen Kommode ausgestattet. Die Bettüberdecken passten nicht zusammen, waren jedoch aus leuchtenden Stoffen. "Ich will oben schlafen!" Jessica stürmte herein und stürzte sich auf eine Leiter. "Ich will auch oben schlafen!" Boris war direkt hinter ihr und lief auf das zweite Etagenbett zu. "Boris, du hast noch nie in einem Hochbett geschlafen", erinnerte Laura ihn. "Meinst du nicht...?" "Lass ihn doch, Laura." Matt legte die Hand auf ihren Arm. "Das ist eine Männersache", fügte er lächelnd hinzu. "Aber er ist doch erst ein kleiner Mann", protestierte Laura. "Wenn er nun herausfällt?" "Das wird er nicht. Falls er aber doch herausfällt, so heben wir ihn auf und legen ihn wieder ins Bett. Lass es ihn versuchen, Laura."
Laura zögerte. Sie war überängstlich, was Boris betraf, das hatte man ihr schon oft gesagt. Aber ohne einen Vater, der die Verantwortung teilte... Sie wandte sich ab und ging ins große Zimmer. Als allein Erziehende hatte sie es oft schwer. Sie grübelte häufig darüber nach, ob sie zu streng war oder zu nachgiebig, zu gluckenhaft oder zu nachlässig. Es war eine endlose Debatte mit sich selbst. Laura war die Sache leid, und um sich abzulenken, öffnete sie den ersten der vielen Kartons, die sie mitgebracht hatte. Ganz oben lag ein spitzenverziertes Tischtuch. "Was, zum Teufel, ist das?" "Ein Tischtuch." Jetzt war sie froh, dass sie es mitgebracht hatte. Sie warf es über den Holztisch. Dann stellte sie eine leere Kristallvase darauf und trat zurück, um die Wirkung zu prüfen. "Du bist wirklich erstaunlich", sagte Matt, und es klang ganz und gar nicht kritisch, sondern ehrlich verwundert, "Als ich sah, wie du angezogen bist, dachte ich ..." Er lächelte charmant. "Ich bin schon gespannt, was du sonst noch mitgebracht hast." Die Kinder kamen ins Zimmer. "Können wir nach draußen gehen, Daddy?" fragte Jessica. "Erinnert ihr euch beide an die Regeln?" Sie nickten eifrig. "Wir bleiben ganz in der Nähe des Hauses", versprach Boris. "Dann könnt ihr gehen, aber nehmt euch in Acht." Matt sah sie warnend an. "Haltet euch nur auf der Lichtung vor dem Haus auf, und lasst die Tür offen, damit wir euch sehen können. Und spielt nicht mit der Asche in der Feuerstelle!" rief er ihnen nach, als sie davonstürmten. "Verstanden?" "Verstanden!" Er lachte leise, und Laura entspannte sich ein wenig. Matt konnte wirklich sehr nett sein - wenn er wollte. Immer noch lächelnd, fragte er jetzt: "Also, was hast du zum Essen mitgebracht?"
"Bananen, Salat, Brot, Eier, Backmischung, Thunfisch in Dosen, Kaviar ..." "Kaviar?" Fassungslos sah er sie an. "Du hast wirklich Kaviar in eine Berghütte mitgebracht?" Laura unterdrückte ein Lächeln. "Ich wollte auch Champagner mitbringen, doch dann hatte ich Angst, das bringt dich auf falsche Gedanken." Seine Miene war sehenswert. "Na gut, ich gebe es zu", sagte sie lächelnd, "kein Kaviar. Ich habe dich auf den Arm genommen." Er lachte herzlich. "Du bist wirklich unglaublich. Immer wenn ich denke, jetzt habe ich dich endlich durchschaut..." "Gib's auf", meinte sie scherzhaft. "Es lohnt sich nicht. Manchmal verstehe ich mich selbst nicht." Das stimmte. In einem Moment wollte sie vor Matt davonlaufen, und im nächsten Augenblick hatte sie unbändige Lust, mit ihm zu flirten. Was hatte ihre Mutter immer über das Spiel mit dem Feuer gesagt? Auch große Mädchen können sich verbrennen ... Rasch lenkte Laura ihre Gedanken in eine andere Richtung. "Und was hast du für Vorräte mitgebracht?" fragte sie. "Bohnen in Dosen, jede Menge Hot Dogs und Marshmallows, Kekse und Schokoriegel und Kartoffelchips." Er trommelte mit den Fäusten auf seine Brust. "Männernahrung." "Junk Food." Missbilligend schüttelte sie den Kopf. "Es ist ein Wunder, dass du und das arme kleine Mädchen noch nicht Skorbut oder eine andere Mangelkrankheit habt, bei euren Essgewohnheiten." Während sie sprach, begann sie, die Lebensmittel in die Regale der offenen Küche zu räumen. Matt folgte ihrem Beispiel. "Typisch Frau", brummelte er, "erwartet, dass wir Männer von Kaninchenfutter leben. Ich wette, dein Mann war ein magerer kleiner Bursche ..." Beide erstarrten.
"Es tut mir Leid", entschuldigte Matt sich sofort. Er wusste, er war zu weit gegangen. "Ich wollte nicht respektlos über deinen Mann sprechen, aber..." Ein schriller Schrei ertönte. Jessica war in Schwierigkeiten.
9. KAPITEL Matt war auf die Lichtung hinausgestürmt, gefolgt von Laura. Jessica stand mit geschlossenen Augen neben der Feuerstelle, hatte die Hände zu Fäusten geballt und schrie aus Leibeskräften. Boris stand verängstigt und mit weit aufgerissenen Augen daneben. Laura griff nach ihrem Sohn, und Matt packte seine Tochter bei den Schultern und schüttelte sie. "Was ist los, Jess? Was ist passiert?" "Ich habe einen Bären gesehen!" Sie zeigte mit dem Finger in die Richtung. "Du hast ihn auch gesehen, nicht wahr, Boris?" "Äh ..." Boris blickte sich ängstlich um. "Nein." "Doch, hast du. Er war genau dort!" Sie begann zu weinen. "Na, na." Matt tätschelte ihr die Schulter. Dabei sah er sich suchend um. Dichter Wald umgab diese kleine Lichtung mitten in den Rocky Mountains. "Wartet hier. Ich sehe einmal nach." Jessica schniefte. "Okay, Daddy." "Meinst du wirklich?" fragte Laura und vergaß in ihrer Angst alle Förmlichkeit. "Wenn da draußen wirklich ein Bär ist..." "Keine Angst." Matt ging auf die Bäume zu. Lauras Sorge um ihn gefiel ihm. Es gab ihm ein Gefühl von Überlegenheit. Als er zurückkam, hatte Laura die Kinder ins Haus geführt und beruhigt. Jessica wirkte ziemlich verlegen. "Hast du was gefunden?" fragte Laura. "Ich bin nicht sicher. Jessica ...?"
Die Kleine ließ den Kopf hängen und schwieg. "Hast du versucht, Boris Angst zu machen?" "Nun ... vielleicht ein bisschen." Sie schluckte schwer. "Und am Ende hast du selbst Angst bekommen, nicht wahr?" Boris sprang empört auf. "Sie sagte, ein Bär würde mich davonschleppen, wenn ich nicht alles mache, was sie sagt. Sie sagte ..." "Okay, okay, wir haben schon verstanden." Matt tätschelte dem Jungen die Schulter. "Das wird sie nicht noch einmal versuchen, stimmt's, Jessica?" Sie schüttelte heftig den Kopf. "Es tut mir Leid, Boris." "Das sollte es auch", bekräftigte Matt, "denn ich habe tatsächlich Spuren von einem Bären gefunden." Laura schnappte nach Luft. "Du scherzt!" "Nein. Es war eine alte Spur, aber sie war da. Also lasst euch das alle eine Lehre sein. Keiner versucht mehr, nur aus Spaß die anderen zu erschrecken. Wir müssen uns aufeinander verlassen können, und Ihr werdet genau tun, was ich sage. Es ist wichtig für unsere Sicherheit. Ist das klar? Falls wir uns in diesem Punkt nicht einig sind, können wir gleich wieder einpacken und nach Hause fahren." Alle schwiegen betroffen. Schließlich erklärte Boris kleinlaut: "Ich will nicht nach Hause fahren." "Dann wirst du dich also an die Regeln halten?" Boris nickte entschieden. "Ich auch, Daddy", versprach Jessica. "Ich auch", stimmte Laura zu. Sie lächelte. "Ich bin sicher, wir alle haben eine wertvolle Lektion gelernt. Jetzt wollen wir die Sache vergessen und stattdessen überlegen, was wir mit dem Rest des Tages anfangen. Wozu habt ihr Lust?" "Angeln!" rief Boris. "Blumen pflücken und die Tiere ansehen!" verlangte Jessica.
Matt blickte Laura an. "In der Nähe gibt es einen Fluss und Wiesen. Boris und ich könnten angeln, während ihr beide euch ein wenig umschaut, wenn es dir recht ist." "Das möchte ich gern tun." "Also dann - auf geht's!" Stunden später kehrten sie zurück, müde, aber glücklich. Sie hatten einige Blumen und Gräser mitgebracht - sie welkten bereits in Jessicas Hand -, aber keinen einzigen Fisch. "Morgen haben wir mehr Glück", versprach Matt dem enttäuschten Jungen. "Denk immer daran, beim Angeln muss man Geduld haben." Zu Lauras Verwunderung nickte Boris tapfer. "Stell doch bitte die Blumen ins Wasser, während ich anfange, unser Abendessen zuzubereiten", bat sie ihren Sohn. "Was soll es bei euch denn geben?" fragte Matt neugierig. "Hühnchen und Nudeln." "Hm, das klingt lecker", fand Jessica. "Und was gibt es bei euch?" "Hot Dogs." "Ich liebe Hot Dogs!" rief Boris. "Muss ich wirklich Nudeln essen, Mom?" "Muss ich wirklich Hot Dogs essen?" fragte Jessica. Matt grinste Laura an. "Wollen wir unsere Kinder tauschen? Ihr Mädchen könnt euer feines Zeug verspeisen, und wir essen eine richtige Männermahlzeit. Wir werden mit den Fingern essen und unsere Jeans als Servietten benutzen." Laura musste lachen. "Einverstanden mit dem Tausch, aber gegen die Jeans als Servietten protestiere ich." "Okay, wir schließen einen Kompromiss." "Hurra!" Boris hüpfte begeistert herum. "Kann ich beim Kochen helfen, Mr. Reynolds?" "Ich zähle darauf, Partner. Komm, ich zeige dir, wie man sicher Feuer macht."
Laura sah den beiden nach und hatte plötzlich das Gefühl, einen Kloß in der Kehle zu haben. Matt gab Boris etwas, was der Junge nie besessen hatte - ein männliches Vorbild, fast wie ein Vater. Die Hot Dogs waren gut. Trotzdem schnupperte Matt immer wieder das verlockende Aroma, das aus der geöffneten Tür der Hütte drang. Es war nicht nur der Geruch von Hühnchen, sondern der Duft von Zimt, der seine Geschmacksnerven kitzelte. Matt machte sich nichts aus Schokolade, aber Zimt ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Als er den letzten seiner vier Hot Dogs verspeist hatte, fühlte er sich hungriger als je zuvor. Boris hatte den letzten Bissen heruntergeschluckt und wischte sich prompt die Hände an der Hose ab. Matt war nur froh, dass Laura das nicht gesehen hatte. "Hm", sagte Boris. "Können wir Moms Apfelpastetchen zum Nachtisch haben?" Moms Apfelpastetchen. Hm ... Unschuldig fragte Matt: "Meinst du, sie wird uns davon etwas abgeben? Ich habe noch Schokoriegel..." "Apfelpastetchen sind besser", versicherte Boris ernsthaft. "Nun", sagte Matt gespielt gleichgültig, "von mir aus frag sie." Matt blieb bei dem erlöschenden Lagerfeuer, während Boris ins Haus rannte. Nach einer Weile rief Laura: "Komm herein, wenn du mit uns Nachtisch essen willst, Matt." Herrlich! dachte Matt und erhob sich, dies ist das wahre Leben. Ab in die Wildnis mit gutem Essen, netten Kindern und ... einer guten Frau. Vielleicht hatte Dylan doch Recht, und es wurde noch etwas mit ihm und Laura. Nachdem sie das Geschirr gespült, die Hütte aufgeräumt und die Kinder zu Bett gebracht hatte, fand Laura keinen weiteren Vorwand, sich von Matt fern zu halten. Sie holte tief Luft und ging hinaus zu ihm.
Matt hatte das Feuer innerhalb eines Rings aus flachen Steinen neu entfacht. Mit einem langen Stock stocherte er ab und zu darin herum. Als Laura sich näherte, sah er lächelnd auf. Laura wünschte, sie hätte auch so einen Stock. Dann hätte sie wenigstens etwas in den Händen und könnte sich gleichzeitig von der beunruhigenden Nähe des Mannes an ihrer Seite ablenken. "Ich finde, unser erster Tag ist ziemlich ordentlich verlaufen", bemerkte Matt zuversichtlich. "Ja." Sie befeuchtete sich die Lippen. "Du kannst sehr gut mit Boris umgehen. Es ist nett von dir, dich so um ihn zu kümmern. Ich weiß, er braucht die Gesellschaft eines Mannes, aber ..." Sie schwieg. "Das ist nicht genug", meinte Matt. "Er braucht auch einen Vater. Hast du jemals daran gedacht, wieder zu heiraten?" Die Frage war zwar indiskret, aber Matt schien ehrlich daran interessiert. "Natürlich habe ich schon daran gedacht, aber das ist leichter gesagt als getan." Ein wenig trotzig sah sie ihn an. "Das solltest du doch wohl wissen." Er seufzte. "Ja, ich weiß es. Jessica erinnert mich dauernd daran. Ständig versucht Sie, mich mit dieser oder jener Frau zu verkuppeln. So weit wie dieses Mal ist sie aber noch nie gegangen. Diese Märchenprinzanzeige ist wirklich ein starkes Stück." "Ich denke, sie ist verzweifelt." "Ja. Aber sie versteht nicht, dass es nicht genügt, eine Frau zu finden, die hübsch ist und Kinder und Hunde mag. Zu einer Ehe gehört viel mehr." Er blickte ins Feuer, als könne er dort die Antworten finden. "Ich meine, du zum Beispiel bist auch hübsch und magst Kinder und Tiere." "Ich bin hübsch?" Es freute sie, dass er das fand. "Das weißt du doch ganz genau." Er sah sie ungläubig an.
"Aber du bist mit mir nie warm geworden, trotz "der Anstrengungen unserer Kinder." "Ich bin mit dir nie warm geworden?" Laura musste sich auf die Lippe beißen, um nicht laut zu lachen. Sie hatte sich sogar zu sehr für Matt erwärmt, gleich von Anfang an. Aber dann hatte er sich als ebenso oberflächlich erwiesen wie all die anderen Männer, denen sie nach dem Tod ihres Mannes begegnet war. Ein lausiges Abendessen, ein lausiger Film, und sie glaubten, sie dürften Laura betatschen. "Was ist so komisch?" fragte Matt ärgerlich. "Nichts." "Ich glaube dir nicht." "Wie du willst." Sie stand auf. "Ich denke, ich gehe jetzt hinein." "Geh nicht", bat er mit leiser, rauer Stimme. "Ich finde, wir kommen der Frage, was zwischen uns nicht stimmt, einen Schritt näher." "Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst." Sie wollte sich abwenden. Er umfasste ihr Handgelenk. "Laura, geh nicht. Setz dich wieder, und sprich mit mir", bat er. "Das ist ja einmal etwas ganz Neues - ein Mann, der reden will." "Ja, und es gefällt mir keineswegs." Matt ließ ihr Handgelenk los und begann wieder, mit dem Stock in der Asche zu stochern. "Es ist nur so, dass ich dich immer noch nicht richtig durchschaue, obwohl wir uns nun schon seit drei Jahren kennen." Sie setzte sich wieder neben ihn. "Kann ich deinen Stock haben?" Sie griff danach. "Du willst meinen Stock?" Matt hielt ihn außer Reichweite. "Bitte?"
"Na schön." Er reichte ihn ihr und fragte: "Warum hast du mir eine Ohrfeige gegeben, als ich das erste Mal versuchte, dich zu küssen?" "Weil du mich nur deshalb ausgeführt hast - du und jeder andere Mann, mit dem ich nach dem Tod meines Mannes ausgegangen bin." Sie zitierte: "Komm schon, du bist Witwe, du hast Bedürfnisse ..." Laura stocherte so heftig in der Asche, dass die Funken flogen. "Ich hasste dieses ständige Gefummel, wenn du die Wahrheit wissen willst." "Das war es also!" Er holte tief Luft. "Ich habe mir den Kopf zerbrochen, um herauszufinden, warum du mich geschlagen hast. Ich meine, ich habe schließlich nicht versucht, dich ins Bett zuziehen." "Nein, aber du hättest es sicher noch versucht." Laura war auf einmal hemmungslos offen. "Ja, kann sein", gab er zu, "aber du hättest einfach nur Nein sagen müssen. Du hattest keinen Grund, mich zu schlagen." Prüfend sah er sie an, die Augen ein wenig zusammengekniffen. "bist du jemandem begegnet, der ein Nein nicht verstehen wollte?" Über dieses Erlebnis hatte Laura nie zuvor gesprochen, doch jetzt drängte es sie danach, darüber zu reden. "Er hat es verstanden, doch es war schwer, ihn zu überzeugen." Der Mann hatte ihre Bluse fast zerrissen und Blutergüsse an ihren Handgelenken hinterlassen, doch schließlich war es Laura gelungen, ihn mit einem Karateschlag abzuwehren, der ihn hilflos nach Luft schnappend, auf dem Rücken landen ließ. "Soll ich ihm die Beine brechen?" bot Matt an und meinte es durchaus ernst. Laura musste lachen, und mit ihrem Lachen schüttelte sie endlich Beklemmung, Angst und Wut ab, die jenes lange zurückliegende Ereignis in ihr hervorgerufen hatte. "Als ich merkte, dass er sich durch Worte nicht abweisen ließ, habe ich mich selbst darum gekümmert", erklärte sie. "Ich hatte als Kind
Karateunterricht, und jetzt konnte ich das endlich einmal einsetzen." "Ich bin beeindruckt. Aber, meine Güte, Laura, du dachtest doch sicher nicht, dass ich ..." "Ich habe nicht gedacht", sagte sie rasch, "ich habe einfach nur reagiert." Sie sah ihn an. "Heute tut es mir Leid, aber damals war die Erinnerung an diesen Kerl einfach noch zu frisch." "Empfindest du jetzt noch genauso?" Sie befeuchtete sich die Lippen. "Genauso?" Matt lächelte sinnlich. "Ich habe das Verlangen herauszufinden, was ich mit dir versäumt habe. Es ist gegen mein besseres Wissen, aber ... ich hatte nie die Absicht ... Du hast eine Art, Laura, die ich unwiderstehlich finde." Er legte ihr die Hände auf die Schultern. "Wenn ich dich jetzt küsse, wirst du mir dann einen Karateschlag versetzen?" "Warum probierst du es nicht aus?" Sie konnte nicht glauben, dass sie das gesagt hatte! "Ich denke, das werde ich tun." Er zog sie langsam an sich, bis ihre Lippen sich berührten. Laura schloss die Augen. Sie staunte noch immer, wie selbstbewusst und mutig sie sich fühlte. Alles um sie her veränderte sich - ihre Welt, ihre Gefühle, ihre Wachsamkeit. Matt küsste sie jetzt inniger. Sie seufzte und legte die Arme um seine Taille. Matt fühlte sich so männlich an, so stark. In seinen Armen fühlte sie sich sicher, ihr würde nichts geschehen, denn Matt war nicht der Mann, der die Schwäche einer Frau ausnutzte. Sie war bisher nur nicht bereit gewesen, das zu sehen. Jetzt war sie bereit. Er hob den Kopf. Sie öffnete die Augen, und sie sahen einander an. Matt berührte ihre. Lippen mit dem Daumen. "Ich möchte nicht aufhören", sagte er mit rauer Stimme. "Aber das wirst du... wir werden", sagte sie. Sie brauchte ihre ganze Willenskraft, um sich aufzusetzen und sich von ihm zu
lösen. "Ich bin ... Es ist mir etwas peinlich, dass ich dir so viel erzählt habe." "Das muss dir nicht peinlich sein", sagte er rasch. "Es war wichtig für mich, das zu erfahren." "Aber du hast mir bisher nur sehr wenig von dir erzählt. Ich weiß zum Beispiel gar nichts über deine Ehe." Matt zuckte die Schultern. "Meine Ehe war nicht so glücklich wie deine. Wir waren beide zu jung. Und meine Frau war krank, was wir anfangs nicht wussten. Sie hatte diese Leukämie. Aber wenn sie noch lebte, dann, glaube ich, wäre unsere Ehe auseinander gegangen." Er seufzte. "Dennoch war es all den Kummer wert, denn sie hat mir Jessica geschenkt." "Jessica ist ein wunderbares Kind." "Ja, das ist sie. Und Boris ebenfalls." Laura lachte ein wenig atemlos. "Dann verbindet uns immerhin die gegenseitige Bewunderung für unsere Kinder." "Es könnte sogar mehr als das sein. Laura ..." Er berührte sie nicht, sah sie nur an. "Geben wir dieser Sache zwischen uns eine Chance, okay? Wir sind noch sechs Tage lang hier. Bevor wir in die Zivilisation zurückkehren, möchte ich wissen, ob dieses verrückte Gefühl für dich von Dauer ist oder ..." "Oder", stimmte sie leise zu. "Du hast Recht, es ist ein verrücktes Gefühl, und wir müssen herausfinden, was es bedeutet." Sie stand auf. "Ich muss das überschlafen, Matt. Gute Nacht." "Gute Nacht, Laura." Als sie davonging, hörte sie, wie er zu sich sagte: "Zumindest hat sie mich nicht gleich zusammengeschlagen." Lächelnd betrat sie die Hütte. Und bebend. Der Kuss veränderte alles. Laura hatte nicht länger das Gefühl, zurückhaltend sein zu müssen. Sie konnte Matt zeigen, wie viel Freude es ihr machte, mit ihm zusammen zu sein. Gemeinsam mit den Kindern erlebten sie in völliger Abgeschiedenheit einen traumhaften
Urlaub. Laura war hierher gekommen, um nachzudenken, doch sie dachte nur an ihn: an Matts Kuss, seine Umarmung, seinen Humor und seine Ehrlichkeit. War es möglich? Verliebte sie sich in einen Mann, den sie schon seit drei Jahren kannte und bisher nicht besonders gut leiden konnte? "Sieh mal, Mom! Ich habe diesen riesigen Fisch gefangen!" rief Boris. Laura strich ihrem Sohn über das zerzauste Haar. "Es ist ein wunderschöner Fisch", lobte sie und vermied es, dabei Matt anzuschauen, der vor Stolz ebenso strahlte wie der Junge. "Daddy ..." Boris verstummte. Er machte diesen Fehler immer öfter, was ihn gleichzeitig verwirrte und in Verlegenheit brachte. "Jessicas Daddy hat mir beigebracht, ganz allein den Wurm am Haken festzumachen", verbesserte er sich. Doch war es wirklich ein Fehler? Laura und Matt sahen sich an, und sie wusste, er dachte das Gleiche. Vom ersten Tag an war es "Jungen gegen Mädchen", wie Jessica sagte, oder "Männersache gegen Kükenkram", wie Boris das nannte. Der kleine Junge fühlte sich natürlich ebenso stark zu Matt hingezogen wie Jessica zu Laura. Natürlich unternahmen sie auch oft etwas alle gemeinsam: streiften durch die Wälder und veranstalteten ein Picknick, badeten in den heißen Quellen, lernten von Matt den Unterschied zwischen einer Kaninchenspur und einer Fuchsfährte. Und hin und wieder ertappte Laura ihren Sohn, wie er Matt voller Bewunderung ansah - genauso, wie Jessica sie ansah. Matt ist an mehr als nur an Sex interessiert, dachte Laura, und er benutzte Boris keineswegs, um sich an Laura heranzumachen. Das würde er ihr niemals antun. Und so vergingen die Tage ...
"Sieh mal, was ich gemacht habe, Daddy!" Jessica stellte stolz ein Glas mit Wildblumen auf den Tisch. "Laura hat mir gezeigt, wie man Blumen arrangiert. Siehst du, wie ich die kurzen nach vorn getan habe und die langen nach hinten. Dann habe ich die Lücken mit Blättern und Zweigen ausgefüllt." Matt war gebührend beeindruckt. "Das hast du ganz allein gemacht?" Jessica strahlte übers ganze Gesicht. "Nicht nur das. Wenn wir wieder zu Hause sind, will Laura mir beibringen, wie man Knöpfe annäht, damit ich für dich sorgen kann, und sie wird mir zeigen, wie man Brownies bäckt. Dann bringt sie mir vielleicht noch bei, wie man richtig wäscht, weil du meine Sachen immer irgendwie verfärbst und ..." Die Kleine plapperte weiter, wahrend Matt aufmerksam lächelnd dasaß. Dann hob er langsam den Kopf und sah Laura an, und was sie in seinem Blick las, ließ sie den Atem anhalten. Matt und Boris öffneten ihr Glas mit Erdnussbutter und schmierten sie mit einem Messer ziemlich ungleichmäßig auf Brotscheiben. Dabei sahen sie Laura und Jessica voller Überlegenheit an. Laura lächelte dem Mädchen zu. "Sollen wir ihnen zeigen, wie man ein Erdnussbuttersandwich macht?" "O ja!" Jessica gab Erdnussbutter in eine Mixschüssel, während Laura eine Packung geraspelter Karotten aus dem Kühlschrank holte, die sie zusammen mit Sonnenblumenkernen, Rosinen und Honig in die Schüssel gab. Jessica rührte kraftvoll mit einem Holzlöffel, während Laura die "Männer" beobachtete, die ihre halb gegessenen Sandwiches bereits vergessen hatten. "Fertig, Mrs. Laura!" Jessica langte nach einem Messer und strich die Mischung auf Brotscheiben. Laura gab Bananenscheiben auf die Creme und legte eine zweite Brotscheibe auf, dann schnitt sie die Sandwiches diagonal durch.
Sorgfältig arrangierte Jessica die Dreiecke auf einen Teller und hielt ihn triumphierend hoch. "Na, ist das nicht toll?" Boris leckte sich die Lippen. "Bekomme ich eins?" "Sicher." Jessica bot ihm den Teller an. "Aber Daddy will bestimmt keines", fügte sie hinzu. "Er sagt immer, alles, was eine Frau kann, kann er viel besser." "Vielleicht solltest du ein paar von den dummen Sachen, die Daddy hin und wieder sagt, vergessen", schlug Matt vor. "Es gibt einige Dinge, die Männer besser können, und einige Dinge, die Frauen besser machen ... zum Beispiel Erdnussbuttersandwiches." Lachend reichte Jessica ihm den Teller. Laura hätte Matt am liebsten umarmt. Es tat sich wirklich etwas in ihrer Beziehung. Nur, wo sollte das alles hinführen? Sie musste sich darüber bald klar werden, denn dies war der letzte Tag ihrer gemeinsamen Ferien. "Also", sagte Laura fröhlicher, als sie sich fühlte, "die Kinder sind im Bett, und wir genießen unseren letzten Abend." "Oder die erste Nacht vom Rest unseres Lebens." Matt lächelte ihr zu. "Ich kann es gar nicht glauben, dass wir schon seit fünf Tagen hier sind." "Ich auch nicht." Sie nahm den Stock, den er ihr am ersten Abend gegeben hatte, und stocherte damit in der Glut des Feuers herum. "Und ich kann gar nicht fassen, wie gut alles geklappt hat." "Findest du?" Überrascht sah sie auf. "Du nicht?" "In einer Hinsicht schon. Die Bänder haben sich prächtig amüsiert." Er klang so traurig. Impulsiv berührte sie seinen Arm. "Das hört sich an, als hättest du nicht viel Spaß gehabt." Diese Möglichkeit war ihr nie in den Sinn gekommen. "Doch, hatte ich. So weit der Spaß eben ging." Sie drückte seinen Ellbogen. "Was soll das denn heißen?"
"Denk darüber nach." Er saß auf dem Boden neben dem Steinring, den die Kinder noch erhöht hatten. Laura hatte sich auf einem Holzklotz daneben niedergelassen. Jetzt sah er sie an. "Laura, es ist mir verdammt schwer gefallen, die Hände von dir zu lassen." "Matt..." "Ich möchte mit dir schlafen", unterbrach er sie sanft. "Ich wollte mit dir schlafen, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Nach dieser Ohrfeige damals dachte ich, ich hätte es überwunden ..." Sie stöhnte. "Das habe ich dir doch erklärt." Er nickte. "Und ich habe kein Problem mit dieser Erklärung. Aber nach diesem Vorfall habe ich mir eingeredet, ich sei ohnedies nicht an dir interessiert. Doch da habe ich mir etwas vorgemacht: Ich bin interessiert. Und nach dieser Woche hier mit dir begehre ich dich noch mehr, falls das überhaupt möglich ist." Ihr Herz schlug schneller, und ihr wurde ein wenig schwindlig. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", flüsterte sie. "Du könntest sagen, dass es dir genauso geht", schlug er vor. "Oder du könntest mir sagen, ich bin Verrückt und ich soll dir nie wieder unter die Augen kommen. Aber ich glaube, das ist es nicht, was du willst." Ihr Mund war so trocken, dass sie kaum einen Ton herausbrachte. "Glaubst du nicht?" "Nein." Er berührte sanft ihre Handgelenke, strich dann mit den Händen ihre nackten Arme entlang bis zu ihrem Ellbogen. "Du warst so anders in dieser Woche - so locker und offen. Ich denke, du hast entschieden, dass ich doch kein so übler Kerl bin." "Ich habe dich nie wirklich für einen schlechten Kerl gehalten. Ich dachte nur, wir könnten nicht miteinander auskommen." "Diese Woche hat das Gegenteil bewiesen."
"Ja, aber da haben die Kinder eine große Rolle gespielt. Wir haben uns beide große Mühe gegeben, damit sie glücklich sind." "Lügnerin." Er berührte ihre Lippen mit den Fingerspitzen. Ein lustvoller Schauer rieselte ihr über den Körper. Matt sprach weiter: "Die Kinder hatten eine fantastische Zeit, aber ich fürchte mich, in den Alltag zurückzukehren. Wird es dann auch mit uns wieder so sein, wie es vorher war?" Laura umfasste sein Handgelenk. "Es kann nie wieder so sein, wie es vorher war", flüsterte sie. "Zu viel ist geschehen. Zu viel wird noch geschehen." Hoffnung erfüllte ihn, und seine Augen leuchteten auf. "Heißt das ...?" Sie seufzte. "Es heißt, ich will dich auch, Matt. Ich ..." Er erstickte ihre Worte mit einem leidenschaftlichen Kuss. Als er aufstand und sie mit sich zog, protestierte sie nicht, denn es gab nichts mehr, wogegen sie sich wehren wollte. Und als er sie auf die Arme hob, seufzte sie und legte den Kopf an seine Schulter. Dies ist uns vorherbestimmt, dachte sie. Warum hatte sie es nur früher nicht erkannt? Matt trug Laura ins Schlafzimmer, stieß die Tür mit dem Fuß zu und legte Laura aufs Bett. Sie legte ihm die Arme um den Nacken und zog Matt zu sich herab. Und Laura erkannte, dass sie Matt nie wieder loslassen wollte, weil sie ihn liebte. Endlich war sie bereit, alles zu wagen. Als Laura am nächsten Morgen erwachte, war sie allein, aber glücklich. Spät in der Nacht hatte Matt sie fest im Arm gehalten und ihr zugeflüstert, dass er in sein eigenes Bett zurückkehren werde, bevor die Kinder aufwachten. Dies sei der einzige Grund, versicherte er ihr, der ihn jetzt noch bewegen könne, aus ihrem Bett zu verschwinden. Laura wollte ihm sagen, dass sie ihn liebe, doch sie war zu schüchtern. Vielleicht war es sogar besser, einen späteren Zeitpunkt dafür zu wählen, wenn sie wieder in ihrer vertrauten,
alltäglichen Umgebung waren und dieses Bekenntnis nicht nur der Stimmung des Augenblicks zugeschrieben werden konnte. Sie hatte Matt noch einmal geküsst, bevor er sich von ihr löste und ging. Danach hatte Laura ungewöhnlich gut und fest geschlafen. Jetzt stieg sie trällernd aus dem Bett. Sie küsste die Kinder wach und schaute Matt an, der sie vertraulich anlächelte. Er hatte mit nacktem Oberkörper geschlafen, und Laura betrachtete seine breite Brust. Sie sehnte sich danach, ihn zu streicheln, die feste Haut unter ihren Fingerspitzen zu spüren. Aber dafür war jetzt nicht der richtige Augenblick. "Es gibt Pfannkuchen zum Frühstück!" verkündete sie. "Los jetzt, ihr Schlafmützen, heute packen wir und fahren nach Hause." Jessica rieb sich die Augen. "Aber ich möchte nicht nach Hause", klagte sie. "Ich auch nicht", stimmte Boris zu. "Ich will hier bleiben und angeln." Matt setzte sich auf, wobei die Bettdecke tiefer rutschte. "Ich sag dir was, Sportsfreund, wenn wir hier schnell genug fertig werden, nehme ich dich noch ein letztes Mal mit zum Angeln, abgemacht?" "Abgemacht!" Boris' Augen leuchteten. Laura umarmte ihren Sohn, aber dabei beobachtete sie Matt. "Ich liebe dich", sagte sie zu dem Kind, doch tief in ihrem Herzen meinte sie auch den Mann. "Wer zuletzt aus dem Bett kommt, ist eine lahme Ente!" Mit viel Gekicher und Lärm sprangen sie heraus. Matt und Boris waren beim Angeln, und Laura und Jessica packten die letzten Lebensmittel ein, als Dylan vorfuhr. Er öffnete die Tür seines Wagens, und ein Hund sprang laut kläffend heraus.
"Fluffy!" Jessica stürzte sich auf die Huskyhündin und umarmte sie. "Danke, dass du sie hergebracht hast, Onkel Dylan." "Gern geschehen, Spatz." Er grinste Laura an. "Ich dachte, ihr Leute könnt vielleicht Hilfe beim Packen und Einladen brauchen." "Das ist wirklich nett", sagte sie, "aber wir haben bereits alles geschafft." "Ja, das sehe ich." Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite und blickte Laura abschätzend an. "Ich nehme an, es hat alles gut geklappt?" Laura strahlte. "Großartig. Wir hatten eine wunderbare Zeit." "Ja, danach sehen Sie auch aus. Wo ist übrigens Matt? Ich möchte ihn gern begrüßen, bevor ich wieder fahre." "Er angelt mit Boris. Der Fluss ist..." "Ich weiß, wo er ist", versicherte Dylan. "Ich bin schon öfter hier gewesen." "Ja, natürlich, wie dumm von mir." Sein Blick machte sie verlegen. "Wenn Sie die beiden finden, sagen Sie Matt doch bitte, ich bin bereit, wenn er es ist." "Ich denke, er wird sich wirklich freuen, das zu hören", meinte Dylan zweideutig. Er berührte den Rand seines Cowboyhutes mit zwei Fingern, wandte sich ab und ging den Pfad entlang zum Fluss. Matt war nicht gerade erfreut, Dylan zu sehen. Er überließ es Boris, die Angelruten zu beaufsichtigen, stand auf und ging Dylan entgegen. "Was machst du hier?" fragte er unfreundlich. "Ich freue mich auch, dich zu treffen", erwiderte Dylan gelassen. "Ich dachte, du brauchst vielleicht Hilfe, aber anscheinend hast du wirklich alles fest im Griff." Matt gefiel Dylans Ton nicht. "Boris", rief er, "es wird Zeit zum Aufbruch. Nimm deinen Fisch, und geh zur Hütte zurück. Sag deiner Mom, dass ich gleich komme."
"Muss ich wirklich?" "Ja, leider." Der Junge gehorchte, obwohl er lieber noch geblieben wäre. Matt wartete, bis er fort war, bevor er Dylan anfuhr: "Was soll das heißen, ich hätte wirklich alles fest im Griff?" Dylan grinste. "Du weißt, was das heißt. Ich habe die Lady bereits gesehen, und sie ist glücklich. Du brauchst gar nicht so gereizt zu reagieren, mein Freund." Matt knurrte. "Ich zeig dir, wie gereizt ich sein kann, wenn du nicht sofort verschwindest und zurückfährst. Du bist hier nicht erwünscht." "Beruhige dich, Matt. Ich spreche doch nicht schlecht über die Lady. Zum Teufel, ich mag sie. Ich werde gern gehen, sobald wir unsere Wette eingelöst haben." "Vergiss die Wette, Dylan. Das war dein kleiner Scherz, nicht meiner." "Es war kein Scherz, und ich bin bereit zu zahlen, das heißt, falls ich verloren habe, was ich aber nicht glaube." Aus der Tasche seiner Jeansjacke zog Dylan einen Baseball hervor, der vom Alter verschlissen und ausgeblichen war. Er warf ihn in die Luft und fing ihn mit der gleichen Hand wieder auf. "Also, hast du mit Laura geschlafen oder nicht?" Matt hatte nie geglaubt, dass dieser Augenblick wirklich eintreffen könnte, denn er war sich so sicher gewesen, Laura widerstehen zu können. Wenn zwischen ihm und Laura alles beim Alten geblieben wäre, hätte er Dylan jetzt in die Wüste schicken können - natürlich ohne den unbezahlbaren Baseball. Aber es war anders gelaufen, und jetzt befand Matt sich in einer höchst unangenehmen Situation: Er konnte lügen, um Laura zu beschützen. Allerdings würde Dylan dann seinen Preis einfordern. Oder Matt konnte die Wahrheit sagen und damit Lauras Vertrauen missbrauchen. "Ich will deinen verdammten Baseball nicht", grollte er. "Nimm ihn, und hau ab damit."
"Immer mit der Ruhe." Dylan schüttelte mitleidig den Kopf. "Hör zu, Romeo, hast du mit ihr geschlafen oder nicht? Das war unsere Wette. Das Schicksal dieses unbezahlbaren Baseballs hängt davon ab - ganz zu schweigen von einer Menge Geld." "Welches Geld?" "Ich sag dir das nicht gern, aber viele der Jungs in Rawhide haben gewettet, ob du nun mit Laura ins Bett steigst oder nicht. He, geh nicht auf mich los!" Dylan wich einem Schlag aus. "Ich habe kein Wort verraten. Es ist allgemein bekannt, dass ihr zusammen hierher gefahren seid." "Dylan, manchmal bedauere ich, dass ich dir als Neunjähriger das Leben gerettet habe, anstatt dich ersaufen zu lassen." Matts Stimme klang scharf. "Schnee von gestern", erwiderte Dylan. "Alles, was ich von dir hören will, ist die Wahrheit. Hast du mit Laura geschlafen oder nicht? Und denk dran, ich bin dein bester Kumpel. Wenn du mich anlügst, werde ich es merken. Verlass dich darauf." "Okay, Dylan." Obwohl Matt Unehrlichkeit hasste, war er diesmal entschlossen zu lügen, um Laura zu schützen. "Ich werde dir die verdammte Wahrheit über mich und Laura erzählen, und dann wirst du ..." Erst jetzt spürte Matt, dass jemand gekommen war, und er erstarrte. "Ja", meinte Laura und sah ihn dabei kalt an. "Erzähl es ihm. Sag ihm die Wahrheit, Matt."
10. KAPITEL "Laura, warte!" Doch das konnte sie nicht. Hastig wandte Laura sich ab und eilte den Pfad zurück zur Hütte. Boris stand neben der Eingangstür. Jessica war nirgends zu sehen. Laura ergriff die Hand ihres Sohnes und zog ihn zu dem bereits gepackten Jeep. "Komm mit, Schatz, wir fahren nach Hause." "Aber wo ist Jessica? Wo ist...?" "Mach dir darüber keine Gedanken, wir müssen jetzt sofort los!" "Aber..." Sie hob ihn auf den Rücksitz und befestigte mit zittrigen Händen seinen Sicherheitsgurt. Sie wollte schnellstens von hier fort. Sie konnte es nicht ertragen, Matt noch einmal zu sehen. Laura war völlig am Boden zerstört und brauchte unbedingt Zeit und Abstand, um sich wieder zu fangen. Matt hatte sie zur Närrin gemacht, und es war nicht nur seine, sondern auch ihre eigene Schuld. Nun, er hatte erreicht, was er wollte. Was Laura anging, sie wollte ihn niemals wieder sehen! Sie kämpfte mit den Tränen, während sie so schnell wie möglich die staubige Straße entlangfuhr. Nie wieder, versicherte sie sich ein ums andere Mal, nie wieder würde sie einem Mann vertrauen! Nun hatte sie endgültig und für alle Zeiten genug von Männern.
Sie fuhr in die Auffahrt, hielt vor ihrer Garage, stellte den Motor ab und ließ seufzend die Stirn auf das Lenkrad sinken. Vielleicht war alles nur ein schrecklicher Albtraum. Gleich Würde sie die Augen öffnen und ,.. "Mom, sieh mal!" rief Boris ganz aufgeregt. "Sieh doch nur!" Langsam hob sie den Kopf, und da war es: ihr Anbau, ganz genau so, wie sie ihn sich immer vorgestellt hatte" - jedenfalls von außen. Allerdings konnte der äußere Eindruck täuschen. Boris löste seinen Sicherheitsgurt und öffnete die Wagentür. "Können wir es uns ansehen?" fragte er. "Können wir?" Laura folgte ihm benommen zu dem neuen Zimmer, in das sie so viel Zeit, Mühe und Geld gesteckt hatte. Matt hat das während unserer Ferien machen lassen, damit er mich anschließend nicht mehr sehen muss! dachte sie bitter. Es war alles nur Teil eines Plans. Boris sprang herum und lachte begeistert. "Es ist wunderschön! " verkündete er. Und das war es auch. Alles war genau so, wie Laura es sich vorgestellt hatte. Trotz Matts ernster Warnungen wegen der vielen Änderungen, auf die sie bestanden hatte, war das Endergebnis einfach perfekt. Es war so gelungen, dass Laura es nicht ertrug, es noch länger anzusehen. Vielleicht konnte sie es nie ertragen. Was hatte er nur getan? Er hatte die Freude an ihrem neuen Anbau ebenso zerstört wie ihr Leben. Sobald Jessica zu Hause war, schlich sie sich davon und rief beim Rawhide Review an. "Kann ich bitte mit Katy Andrews sprechen?" "Hier Katy Andrews." "Tante Katy, ich bin es, Jessica!" "Hallo, Schatz. Ich dachte, du bist noch in Grandpas Hütte." "Ich bin gerade nach Hause gekommen." "Warum flüsterst du? Ich kann dich kaum verstehen."
"Daddy soll nicht merken, dass ich anrufe. Tante Katy, du hast versprochen, mir zu helfen." "Wobei?" "Daddy und Laura zusammenzubringen. Boris will auch helfen, aber er ist nur ein kleines Kind." Nach langem Schweigen fragte Katy: "Es ist also etwas Schlimmes passiert?" Jessica nickte heftig, erinnerte sich, dass sie am Telefon war, und seufzte: "Ja! Wirst du mir helfen?" "Natürlich, aber ich bin nicht sicher, was ich da tun kann. Hör zu, in etwa einer Viertelstunde bin ich hier fertig. Wie wäre es, wenn ich dich abhole, wir dann eine Limonade trinken und über alles reden?" "Danke, Tante Katy! Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen!" "Ja. Hoffentlich irrst du dich da nicht." Nachdem Katy mit Jessica fortgefahren war, saß Matt auf einem Hocker am Frühstückstresen und versuchte, sich über seine nächsten Schritte klar zu werden. Laura war wütend, na schön, und das konnte er ihr wirklich nicht vorwerfen. War er wirklich bereit, einfach alles zu tun, um sie zu überzeugen? Ja, er war es! Er griff zum Telefon und wählte ihre Nummer. Der Anrufbeantworter meldete sich. "Laura, hier ist Matt. Ich muss mit dir reden. Bitte geh ran." Sie tat es nicht. Er wählte noch einmal. "Laura, ich entschuldige mich für alles. Jeder verdient eine zweite Chance. Nimm den verdammten Hörer ab, und ich werde dir alles erklären!" Sie tat es nicht. Schimpfend ging Matt in der Küche hin und her. Schließlich griff er zum dritten Mal zum Telefon. "Laura, du benimmst dich kindisch. Du kannst mir ohnedies nicht für immer aus dem Weg gehen, also bitte erspar uns beiden viel Kummer, und geh ans Telefon!"
Sie tat es nicht. Vielleicht war sie ausgegangen. Nicht sehr wahrscheinlich, aber immerhin möglich. Diese Möglichkeit hob seine Stimmung wieder. Er versuchte noch ein halbes Dutzend Mal, bei Laura anzurufen. Danach sank seine Stimmung erneut. Matt kam sich ziemlich albern vor, als er zu Lauras Haus fuhr und gegen die Tür hämmerte, doch ihm fiel keine andere Möglichkeit ein. Er kam sich noch alberner vor, als Roger Reedy, der Stadtplaner, sein Auto am Straßenrand anhielt und das Fenster herunterkurbelte. "Etwas nicht in Ordnung?" Matt schlenderte zum Auto. "Nein, alles bestens", behauptete er. "Das ist gut." Roger kramte in einem Stapel Briefumschläge auf dem Beifahrersitz, zog einen heraus und reichte ihn Matt triumphierend. "Hier. Da spare ich eine Briefmarke." Matt nahm den schweren Umschlag entgegen. "Was ist das?" "Eine Hochzeitseinladung." "Wer will denn ...?" Dann begriff Matt. "Himmel, Sie und Meredith Zink? Sie kennen die Frau doch kaum!" Roger lachte. "Als ob das wichtig wäre. Sie ist die Richtige, nur darauf kommt es an. Ich wusste es gleich auf den ersten Blick." Er winkte und lenkte den Wagen wieder auf die Straße. Matt blickte dem silberfarbenen Auto nach. Manche Leute hatten einfach unverschämt viel Glück. Matt beschloss, darüber nachzudenken, wie er sich mit Laura aussöhnen konnte. Laura verbrachte den Samstag damit, ihr Gepäck auszupacken und die Wäsche zu waschen. Wenn Matt anrief, ging sie nicht ans Telefon, und sie rief auch nicht zurück. Als er an ihre Tür klopfte und ihren Namen rief, versteckte sie sich im Badezimmer und drehte den Wasserhahn auf. Zwischendurch dachte sie darüber nach, warum sie sich eigentlich so schrecklich fühlte. Sie hatte schließlich von
Anfang an gewusst, was sie von Matt halten musste und worauf er es abgesehen hatte. Denk nicht mehr daran! ermahnte sie sich. Auch das geht vorbei. Doch das tat es nicht. Als ihr Boss am Sonntagmorgen anrief, war Laura noch genauso unglücklich wie am Tag zuvor. Nur zögernd meldete sie sich. Sicher wollte John Reynolds wissen, wie ihre Ferien verlaufen waren, oder, schlimmer noch, er wusste bereits Bescheid! Es kam anders. "Tut mir Leid, Sie zu stören, obwohl Sie ja noch bis morgen freihaben", begann John ohne Einleitung, "aber wir haben hier ein Problem. Ihre Vertretung hatte gestern einen Notfall in der Familie, und jetzt habe ich niemand, der über das jährliche Eiskremfest berichten kann." "Ist das etwa heute?" "Stimmt. Ich weiß, Sie werden den Bericht für Ihre Montagsseite haben wollen, zumal die Bürgermeisterin und der Stadtdirektor ein paar Scherzpreise verleihen wollen." "Kann Katy das nicht übernehmen?" "Sie wissen doch, wie sie sich anstellt, wenn sie irgend etwas machen soll, das nicht in ihr Ressort fällt. Außerdem hat sie eine harte Woche hinter sich." "Wie wäre es dann mit...?" "Laura, es ist Ihre Seite. Tun Sie, was Sie für richtig halten." Sie sprachen noch einige Minuten über die Ereignisse der vergangenen Woche, doch nicht ein einziges Mal fragte John sie nach ihrem Urlaub. Das konnte nur bedeuten, dass er bereits Bescheid wusste und zu höflich war, darüber zu reden. Schließlich legte Laura den Hörer auf und überlegte einen Moment. Es blieb ihr nichts anderes übrig, sie würde zu dem verflixten Eiskremfest gehen. Sie war eine gewissenhafte und zuverlässige Journalistin, und diesen Ruf wollte sie sich bewahren. Außerdem würde Boris das Festival Spaß machen,
und Matt tauchte bestimmt nicht auf. In den letzten drei Jahren war er jedenfalls nicht dabei gewesen. Wahrscheinlich feierte er mit Freunden seinen Wettsieg! Laura biss die Zähne zusammen. Je eher sie wieder zu ihrem normalen Alltagsleben zurückkehrte, desto besser. "Also, wie war der Urlaub?", fragte Katy. Sie und Laura hatten riesige Eisbecher mit frischen Erdbeeren vor sich stehen. Diesen Moment hatte Laura seit ihrer Rückkehr gefürchtet. "Frag lieber nicht", bat sie und rührte in ihrem Becher. Katy richtete sich auf. "Das klingt nicht gut. Was ist denn passiert?" "Nichts, worüber ich sprechen möchte." "Hör mal, ich bin schließlich deine beste Freundin. Raus mit der Sprache." Laura seufzte und sah zur Seite. Dabei entdeckte sie Boris, der mit einigen Kindern seines Alters herumtobte. Es herrschte großer Andrang im Park, etliche Stände gaben Eis aus, und die Stimmung war allgemein sehr gut. Laura seufzte. "Katy, ich habe ihn von Anfang an richtig eingeschätzt." "Ich nehme an, du meinst Matt." Laura nickte. "Ich wusste, was für ein Typ er ist, aber ich habe es für eine Weile einfach verdrängt." "Vielleicht beurteilst du ihn falsch?" "Nein. Er hat es selbst zugegeben." "Hast du mit Laura geschlafen oder nicht?" hatte Dylan gefragt. Und Matt hatte geantwortet: "Okay, Dylan, ich werde dir die verdammte Wahrheit über mich und Laura erzählen ..." Mittlerweile wusste wahrscheinlich jeder Bürger der Stadt, dass Laura mit Matt geschlafen hatte, die Leute hatten sogar Wetten darauf abgeschlossen! "Nein", wiederholte sie, "ich habe ihn nicht falsch beurteilt. Und ich möchte nicht mehr über ihn sprechen. Nie wieder." "Aber..."
"Nie wieder!" Laura nahm ihre Handtasche und stand auf. "Hör mal, ich habe zu arbeiten. Ich muss mit Marilyn sprechen und alles über das heutige Programm erfahren." "Laura, ich denke, das ist wahrscheinlich nur ein großes Missverständnis zwischen dir und Matt. Wenn du nur ..." "Weißt du nicht, was ,nie wieder' bedeutet, Katy?" Laura wandte sich ab. Zumindest werde ich ihm heute nicht begegnen, beruhigte sie sich. Aber wenn sie ihm das nächste Mal gegenüberstand, wollte sie ihm die kalte Schulter zeigen. "Daddy, bitte!" "Vergiss es, Jess." Matt griff nach der Fernsehzeitung und blätterte sie durch. Er hatte nicht das geringste Interesse am Fernsehprogramm, aber irgendetwas musste er tun, sonst wurde er noch verrückt. Mittlerweile hatte er es aufgegeben, Laura anzurufen oder an ihre Tür zu klopfen. "Aber ich will zu dem Eiskremfest!" Beinahe hätte Jessica in ihrem Zorn mit dem Fuß aufgestampft, doch sie besann sich noch rechtzeitig. "Alle werden da sein!" jammerte sie. "Nicht alle. Wir nicht." "Du bist gemein." Tränen liefen ihr über die Wangen. "Erst tust du Laura etwas Schreckliches an ..." "Ich habe ihr nichts getan!" Entsetzt blickte er Jessica an. Seine eigene Tochter! "Warum ist sie dann so wütend auf dich?" "Woher willst du das wissen?" "Komm schon, Daddy." Jessica sah ihn überlegen an. "Sie will nicht mit dir telefonieren. Sie will überhaupt nicht mit dir sprechen." "Mag sein, aber muss ich deswegen etwas Schlimmes getan haben? Könnte es nicht vielleicht sein, dass sie Schuld hat?" Jessica überlegte. "Nein." "Na großartig. Meine eigene Tochter." Jetzt schluchzte Jessica laut auf. "Deshalb will ich ja, dass du dich bei Laura entschuldigst, Daddy. Dann kannst du sie
heiraten, damit Boris und ich endlich eine richtige Familie haben: eine Mutter und einen Vater, einen Jungen und ein Mädchen, eine Katze und einen Hund. Ist das zu viel verlangt? Ist das wirklich zu viel verlangt?" Matt zog seine Tochter an sich und schloss sie ganz fest in die Arme. Nein, es war wirklich nicht zu viel verlangt, doch mit dieser bestimmten Frau konnte es nichts werden. "Liebling", sagte er, jetzt wieder ganz ruhig, "Laura und Boris werden nicht einmal bei dem Eiskremfest sein. Sie hat ja noch Urlaub bis morgen." "Du willst sie nicht sehen?" Jessica schluchzte erneut. "Laura ..." Matt zögerte, stand auf und sah seine Tochter an. "Ich denke, ich sollte nicht ausgerechnet mit meiner neunjährigen Tochter über mein Liebesleben diskutieren", meinte er dann und lächelte. "Okay, du hast gewonnen. Wir gehen zu dem Eiskremfest, aber sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt." "Aber wenn Laura doch da ist, wirst du dich entschuldigen?" "Ja, gut." Aber sie würde nicht da sein. "Und dann kniest du auf einem Bein nieder und bittest sie um ihre Hand?" Matt lachte. "Schatz, du liest zu viele Märchen. Ich bin nun einmal kein Prinz, egal, was in deiner berühmten Anzeige stand. Wasch dir jetzt das Gesicht mit kaltem Wasser, und danach fahren wir in den Park." Jessica beeilte sich. Mann, dachte sie, das wird eine tolle Überraschung! "... und am Ende fordert dann das Stadtplanungsamt die Bauabteilung zum Tauziehen heraus ... Laura, hören Sie mir überhaupt zu?" Bürgermeisterin Marilyn beugte sich vor und sah Laura an. "Sie machen ein Gesicht, als hätten Sie ein Gespenst gesehen." Laura fühlte sich ganz elend. Jessica stand am Ende des Weges, der zum Parkplatz führte, und sah sich nervös um.
Laura riss sich zusammen. "Es tut mir Leid, Marilyn. Was sagten Sie gerade?" "Laura!" Jessica hatte sie entdeckt und lief zu ihr. Spontan legte sie die Arme um Lauras Taille und drückte sie fest. Ohne zu zögern, zog Laura Jessica an sich. Ihr Vater war zwar ein Schuft, doch Jessica war ein reizendes Kind, und Laura liebte sie. Marilyn strahlte. "Was ich noch fragen wollte - wie war eigentlich Ihr Urlaub? Aber ich denke, meine Frage ist schon beantwortet." Laura machte eine nichts sagende Geste. "Jessica." Sie nahm das Mädchen bei den Schultern und schob sie sanft von sich. "Bist du allein hier?" "Daddy ist auch irgendwo. O Laura, seien Sie nicht mehr böse auf ihn. Es tut ihm wirklich Leid." Laura schluckte. "Was tut ihm wirklich Leid?" "Nun... einfach alles." Erleichtert tätschelte Laura die Wange des Mädchens. "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Jessica. Wir können Freundinnen bleiben." "Ich brauche keine Freundin", entgegnete Jessica verzweifelt, "ich brauche eine Mutter. Und ich habe Sie ausgesucht, also was ist das Problem?" In diesem Moment kam Boris zu ihnen gelaufen. "Jessica!" Er umarmte sie stürmisch. "Ich dachte, ich finde dich nie!" "Du erstickst mich", schimpfte sie und befreite sich aus seinem Griff, legte jedoch einen Arm um seine Schulter. Beide Kinder sahen Laura an, als warteten sie auf ein Wunder. "Lauft los, und spielt", drängte diese. "Ich muss hier arbeiten und habe keine Zeit." In diesem Moment entdeckte sie einen Mann mit breiten Schultern und dunklem Haar, der sie entsetzt ansah. Zuerst wollte sie fortlaufen, doch dann hob sie trotzig das Kinn und
blickte ihn herausfordernd an, bevor sie sich wieder an Marilyn wandte. "Und nach dem Tauziehen ..." Marilyn schnitt ihr das Wort ab. "Laura, hören Sie auf, so zu tun, als wäre hier nichts los. Wenn Cinderella und ihr Märchenprinz Streit haben, dann denken Sie daran, wie schön es ist, sich wieder zu versöhnen." "Diese Sache lässt sich nicht wieder in Ordnung bringen." Laura zückte Bleistift und Notizbuch. "Und an welchen Wettbewerben werden Sie selbst teilnehmen? Sie sind die Vorjahressiegerin im Eierwerfen und ..." "Laura." Matthew hatte seinen Schreck überwunden und kam auf sie zu. Sie wich ihm aus. "Geh weg, Matthew", sagte sie. "Ich arbeite." "Darf ich mich nicht einmal entschuldigen?" "Wofür denn?" fuhr sie ihn an. "Für alles." "Das macht es nicht wieder gut, Matthew. Lass mich in Ruhe, ich muss arbeiten." "Na schön, sag mir, was dich so wütend macht, und ich entschuldige mich dafür." "Du weißt, weshalb ich wütend bin." "Nicht so ganz." Er sah ehrlich verwirrt aus. "Nun, Dylan hat gesagt..." Er musterte die Kinder, die ungeniert zuhörende Bürgermeisterin und Katy, die hin und her ging und so tat, als höre sie nicht zu. "Und dann habe ich gesagt ... Aber ich weiß nicht, wie viel du gehört hast, also weiß ich auch nicht, was genau dich so wütend gemacht hat." "Wenn es dir wichtig wäre", meinte Katy kühl, "wärst du mir nachgekommen." "Das bin ich doch! Ich habe an deine Tür geklopft und deine Telefonnummer so oft gewählt, dass mir der Finger wehtat."
"Ich meine, gleich dort! Du hast mich einfach nach Hause fahren lassen, während du und dein so genannter Freund ..." Sie zögerte, denn auch sie war sich der vielen interessierten Zuhörer bewusst. "Ich meine, während ihr über die Wettgewohnheiten der Männer in dieser Stadt diskutiertet." "Wetten?" rief Marilyn. "Glücksspiel in meiner Stadt?" Matt stöhnte. "Das hast du gehört, nicht wahr?" "O ja", bestätigte Laura grimmig. "Ich habe das gehört und noch einiges mehr." John lief auf sie zu. "Marilyn, sie erwarten dich auf der Tribüne und ..." Er sah sich um. "Was ist hier los?" "Nichts", sagte Laura. "Boris, du spielst mit den anderen Kindern, während ich arbeite, okay?, Sie wandte sich an Marilyn. "Ich komme mit Ihnen zur Tribüne." "Daddy, mach was!" Matt sah ratlos aus. "Jess, ich habe getan, was ich kann. Ich denke, wir müssen uns geschlagen geben." "So ist es", sagte Laura, obwohl es ihr das Herz brach. "Wenn ihr mich jetzt alle entschuldigen wollt." Jessica drückte Katys Hand so heftig, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. "Was sollen wir denn jetzt tun?" Katy blickte nachdenklich drein. "Ich bin nicht sicher, aber wir müssen etwas tun. Was meinst du, Boris?" Boris war es nicht gewohnt, nach seiner Meinung gefragt zu werden, und er dachte ernsthaft nach. "Ist das jetzt Kükenkram?" fragte er misstrauisch. Katy lachte. "Ja, ich glaube schon." "Jungs mögen keinen Kükenkram", vertraute er Katy an. "Wir mögen Männersachen." Jessica überlegte. "Eine Mädchensache." Sie sah Katy an. "Denkst du, was ich denke?" "Ich glaube schon." "Hast du alles mitgebracht?"
"Jessica, wenn du groß bist, wirst du bestimmt für den Geheimdienst arbeiten. Du bist die durchtriebenste Neunjährige, die ich je gekannt habe." "Danke." Jessica, die nicht wusste, was "durchtrieben" bedeutet, War sehr ernst. "Boris, komm mit mir. Tante Katy, du gehst zu Daddy und bringst ihn in die richtige Stimmung." "Katy, hast du Jessica gesehen? Ich will nach Hause und kann sie nirgends finden." "Sie wird hier irgendwo sein, Matt. Wieso hast du es denn so eilig?" "Als wenn du das nicht wüsstest." "Ich weiß es auch nicht, jedenfalls nicht genau. Ich weiß nur, dass Laura wütend auf dich ist." "Ich bin der Bösewicht, stimmt", sagte Matt und fuhr sich durch das dichte Haar. "Aber das ist nicht weiter wichtig." "Es ist nur wichtig, wenn du sie liebst", erwiderte Katy sanft. "Aber wenn nicht..." Matt erstarrte, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt. Genau! Das war es. Er liebte Laura. Konnte es Wichtigeres geben? "Laura!" Langsam drehte sie sich um. Dort stand Matt, doch er wirkte keineswegs so unentschieden und schuldbewusst wie zuvor. Hinter ihm entdeckte sie Jessica, Boris, Katy und John. Der Mann wirkte wie ein Schlangenbeschwörer! "Ja?" fragte Laura kühl. "Was gibt es denn?" Sie sah auf ihre Armbanduhr. "Ich bin nämlich in Eile, also ..." "Es ist mir egal, wie eilig du es hast, ich habe dir etwas zu sagen." "Gut so, Daddy!" Jessica schwenkte triumphierend die Faust in der Luft. "Ruhe", verlangte er, "dies ist meine Show. Laura, ich will, dass du mich heiratest." "Aber Daddy", sagte Jessica vorwurfsvoll. "So kannst du das doch nicht machen."
"Dich heiraten?" Hatte sie sich verhört, oder spielte Matt ihr jetzt einen gemeinen Streich? "Du hast vielleicht Nerven!" "Da hast du verdammt Recht, es hat mich wirklich Nerven gekostet, dich zu fragen, so wie du mich behandelst!" "So wie ich dich behandle?" Fassungslos schüttelte Laura den Kopf. "Matt, ich habe gehört, was Dylan zu dir gesagt hat. Du weißt schon, worüber." Du hast gewettet, ob wir miteinander ins Bett gehen, du hast mich lächerlich gemacht! hätte sie am liebsten gerufen. "Und warum hast du nicht abgewartet, um zu sehen, welch wunderbare Belohnung er für diese Bemerkungen erhielt?" "Weil ich..." In diesem Moment trat Dylan zwischen den Bäumen hervor, und sein Anblick raubte Laura für einen Moment den Atem. Dylan hatte das dickste blaue Auge, dass sie je gesehen hatte. Sie konnte ihn einfach nur anstarren. "Dylan!" rief sie schließlich. "Was ist passiert? Sie sehen aus, als hätten Sie es mit einem Boxer zu tun gehabt!" "Mit einem Boxer namens Matthew." Er warf seinem Freund einen gequälten Blick zu. "War das, bevor oder nachdem er dir erzählt hat, wie ich im Bett bin?" fragte Laura schnippisch, doch ihre Stimme zitterte. "Er sagte, dass er bei Ihnen nichts erreicht hat, und dann hat er mich windelweich geprügelt, weil ..." Dylan schluckte mühsam. "... weil ich behauptete, es sei anders gewesen." Laura war überrascht, und dann spürte sie eine Hoffnung in sich aufsteigen, an die sie schon nicht mehr geglaubt hatte. "Das hat er getan?" fragte sie verwundert und sah Matt an. "Warum?" "Weil ich dich hebe, Laura. Ich glaube, ich liebe dich schon sehr lange." Er blickte Katy tief in die Augen. "Ich weiß es erst seit kurzem." Laura wurde ein wenig schwindelig. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll."
"Sag, dass du mich liebst", schlug Matt vor. "Du liebst mich doch, oder nicht?" Jessica lachte. "Natürlich liebt sie dich, Daddy! Du bist doch der Märchenprinz." "Im Augenblick fühlte ich mich nicht sehr märchenhaft", gestand er. "Das wirst du aber gleich", versprach Jessica. "Boris, gib Daddy die Schachtel." Boris, der die Szene mit großen Augen verfolgt hatte, sprang auf und reichte Matt die Schuhschachtel, die er die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte. "Hier, Daddy!" sagte er. Die glückliche, jubilierende Stimme des Kindes trieb Laura die Tränen in die Augen. Jetzt öffnete Matt den Schuhkarton, blickte hinein, machte ein überraschtes Gesicht, dann hob er den größten, kitschigsten Plastikschuh heraus, den Laura je gesehen hatte. "Das ist ein Glaspantoffel", erklärte Jessica für den Fall, dass jemand die Bedeutung des Augenblicks nicht richtig verstanden hatte. "Ist er nicht wunderschön?" Sie zog Katy am Arm. "Jetzt, Tante Katy." "O ja, in Ordnung." Katy griff hinter sich und zog einen merkwürdigen Gegenstand hervor. Bei näherer Betrachtung erkannte Laura darin einen Zauberstab, angefertigt aus einem Papierstern und einem der Holzpfosten, auf denen ursprünglich die Hinweisschilder für das Eiskremfest befestigt waren. "Jetzt schwenk ihn", verlangte Jessica. Matt starrte immer noch völlig verblüfft den Plastikschuh an. Boris berührte liebevoll den hohen Absatz. "Steck ihn Mom an den Fuß", drängte er, denn er konnte die Spannung kaum noch aushalten. "Ich wette, er passt ganz genau!"
Matt und Laura sahen sich an. Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu einer Picknickbank, auf der sie Sich dankbar niederließ. Matt kniete vor Laura nieder, hob ihren Fuß und streifte den Sportschuh ab. "Willst du mich heiraten?" fragte er. "Wenn der Glasschuh passt..." Langsam zog er den etliche Nummern zu großen Schuh über ihren Fuß und blickte sie dann voller Liebe und Zärtlichkeit an. Laura stieß einen kleinen Schrei aus, und alle zuckten ängstlich zusammen. "Meine Güte!" rief sie, "hier muss eine gute Fee am Werk sein ..." Katy fuchtelte wild mit dem Zauberstab. Dabei traf sie Dylan am Kopf. "Weil dieser Schuh mir ganz genau passt!" fuhr Laura fort. Und sie legte die Arme um den Nacken ihres geliebten Märchenprinzen und flüsterte ihm glücklich ins Ohr: "Ja!"
EPILOG "Ich denke, wir sollten durchbrennen", sagte Jessica. Der Erfolg war ihr sicher, und sie wollte ihn auf keinen Preis gefährden. "Wer dafür ist, sagt Ja." "Ja!" sagte Grandpa. "Ja!" Boris hob die Hand. "Was ist durchbrennen?" "Tante Katy meint, das heißt, man läuft weg, um zu heiraten", erklärte Jessica. Lauras Lächeln ist wunderschön, dachte Jessica. Sie sieht glücklich aus, wie sie da auf Daddys Schoß in der Küche sitzt, seinen Arm um ihrer Taille, und mit den wundervollen Glaspantoffeln, die an ihren Füßen schaukeln. "Einen Augenblick mal, Freunde." Es sollte streng klingen, doch Jessica ließ sich nicht täuschen. "Meint ihr nicht, mein Prinz und ich haben auch etwas dazu zu sagen?" Jessica sah ihren Großvater an, doch der zuckte die Schultern. "Sieh mich nicht so an! Ich habe bereits abgestimmt." Also blickte Jessica ihren Daddy an, der Laura hinters Ohr küsste. "Was immer du willst, Kleine", sagte er, doch damit meinte er nicht Jessica. "Nur lass es bald sein." "Darüber sind wir uns einig", sagte Laura. Sie klang ein wenig atemlos. "Aber ich finde, wir sollten doch nicht durchbrennen." "Warum nicht?" "Die Kinder - sie werden dabei sein wollen."
Jessica war gekränkt. "Ich bin Blumenmädchen, und Boris ist der Ringträger", erinnerte sie die beiden. Natürlich mussten sie dabei sein! Sie würden eben alle durchbrennen. "Und was ist mit Grandpa? Er will auch dabei sein, nicht wahr, Grandpa?" "Darauf kannst du wetten", versicherte John Reynolds. "Ich will sicher gehen, dass nichts mehr dazwischenkommt." "Was sollen wir also tun?" fragte Laura Matt. Der hatte plötzlich eine Idee. "Dein neuer Anbau!" meinte er. "Lass uns in deinem neuen Familienzimmer heiraten. Wir sind eine Familie, was könnte also passender sein? Es stehen noch keine Möbel darin, also leihen wir uns einfach ein paar Stühle, holen den Friedensrichter und heiraten." "Nein, Daddy!" Jessica war entsetzt. Daddy und Laura sahen Jessica entgeistert an. "Das ist nicht genug", erklärte das Kind entschieden. "Laura muss ein wunderschönes weißes Kleid tragen und das Blumenmädchen eines in Rosa, und wir müssen alles schmücken und Unmengen von Blumen haben. Vielleicht kann Onkel Dylan uns ein Pferd und eine Kutsche besorgen wie bei Cinderella, und Boris kann kurze Hosen anhaben und den Diamantring tragen - du wirst Laura doch einen wirklich großen Diamantring kaufen, nicht wahr? Das würde ein echter Prinz nämlich tun, weißt du. Und dann kann Laura vielleicht..." "Jessica", unterbrach Laura sie, "du plapperst wirklich sehr viel. Komm her zu mir, Schatz. Wir müssen etwas klarstellen." Verlegen kam Jessica näher. Diese Hochzeit musste einfach wunderschön werden. Nichts auf der Welt war wichtiger. Bis Laura zärtlich sagte: "Nenn mich Mom, ja? Es würde mich sehr glücklich machen." Und es machte auch Jessica sehr glücklich, denn jetzt wusste sie, dass sie die richtige Braut für den Märchenprinzen gefunden hatte - und eine richtige Mutter für sich selbst.
-ENDE-